.* î®
ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und H. Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
von
Karl W einliold.
Mit drei Tafeln und Abbildungen im Text.
mo.
BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
,
*
.
.
.
Inhalt.
Abhandlungen und grössere Mitteilungen.
Seite
- Goethe und die deutsche Volkskunde. Von R. M. Meyer........................1
Zur Geschichte der Bienenzucht in Deutschland. Yon K. Müllenhoff............16
Briefe W. Mannhardts an W. Schwartz und ein Brief von W. Schwartz an Mannhardt;
zwei Briefe K. Müllenhoffs an W. Schwartz..................................27
Bergische Hochzeitsgebräuche. Yon O. Schell............. 37. 162. 428
Von den Tieren nach Gossensasser Meinung. Von Marie Rehsener..............48
Braunschweigische Segen. Von 0. Schütte......................................62
Ein Kunstlied im Volksmunde. Von R. Petsch..................................66
Zu H. Sachsens „Der plint Messner'"'. Von A. L. Stiefel........................71
Faschingsgebräuche in Prutz. Von F. P. Pi g er..................................80
Zur Volkskunde aus Anhalt. Von 0. Härtung..................................85
Was können die Toten? .Von M. Bartels...................117
Pfingstquaas. Yon A. Petz old.........................142
Von dem deutschen Grenzposten Lusern. Von J. Bacher....... 151. 306. 407
Münchener Stadtsagen und Sprüche. Von Helene Raff.............181
Volkstümliche Zahlzeichen und Jalirzahlrätsel. Von J. Bolte...........186
Aus schwedischem Volksglauben. Von B. Kahle................194
Hochzeitbrauch aus dem Wippthale. Von P. Passler...............202
Zum Hochzeitcharivari. Yon K. Weinhold...................206
Volksanschauungen über Tiere und Pflanzen in Nordthüringen. Yon R. Reichhardt 208
Schlesische Pfingstgebräuche. Von P. Drechsler................245
Tom Tit Tot. Zur vergleichenden Märchenkunde. Yon G. Polivka 254. 325. 382. 438
Verschwindende Erntegebräuche. Yon R. Mielke................272
Napoleons-Gebete und -Spottlieder. Von R. F. Kaindl.............280
Bayerische Geschichten. Von Helene Raff...................284
Eine heanzische Bauernhochzeit. Von J. R. Bünker............ 288. 365
Der Klausenbaum. Von M. Höf 1er......................319
Hamlet in Iran. Von O. L. Jiriczek.....................353
Aus dem Leben der Gossensasser. 1. Heiraten. Von Marie Rehsener......397
Zu den niedersächsischen Zauberpuppen. Von H. F. Feilberg..........417
Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel. Von W. Hein..............420
Braunschweiger Volksreime. Von 0. Schütte.................426
Kleine Beiträge zur Sagengeschichte. Von A. Hauff en.............432
Kleine Mitteilungen.
Pranger- oder Reifstangen im Herzogtum Salzburg. Von Marie Eysn............90
Vom Walser Birnbaum. Von Anna Zillner......................................92
Salz- oder Bergweihe. Von M. Höfler..........................................93
Erinnerungstafel an eine Sennerin. Von M. Höf 1er..............................93
IV Inhalt.
Seite
Zwei Tiroler Volkslieder. Von F. F. Kohl......................................94
Vom öffentlichen Baden in Nieder-Österreich. Von E. K. Blümnil..............97
Notizen über niederösterreichische Sonnwendfeuer. Von E. K. Blümml............97
Zu den niedersächsischen Zauberpuppen. Yon K. Weinhold......................99
Zu Siddhi-Kür. Von Th. Zachariae......................100
Hexensalbe. Von E. Hoffmann-Krayer...................102
Laura Weinhold f. Von K. Weinhold.....................102
Ein Brief W. Mannhardts an E. Kuhn.....................214
Ulrich Jahn f. Von K. Weinhold....................• . . . 216
St. Nothburga auf Ziegelplatten. Von M. Höfler................219
Deutung der Tierstimmen. Von 0. Schütte..................221
Heilung der Pferdekolik. — Braunschweigische Tauf- und Hochzeitsgebräuche. Von
demselben.................................223
Die Bräutigamsmagd. Von demselben...........%..........224
Zum niederösterreichischen Bienenrechte Von E. K. Blümml ..........225
Pferdeschädel wendet Unheil ab. Von R. Andre e................226
Ein oberbayrischer Palm. Von M. Höfler...................227
Das Halmmessen. Von K. Weinhold.....................227
Dat geit mit'n Snellert. Von W. Ram sauer..................228
Aberglaube aus Zöllmersdorf, N.-L........................229
Ein Volkslied im Kindermunde. Von R. M. Meyer...............325
Der Tod von Basel, Lied. Von M. Rehsener..................326
Die Vintschgauer Prozession, Gedicht. Von J. Bacher . ............328
Braunschweigische Dorfneckereien. Von 0. Schütte..............330
Der Schlag mit der Lebensrute. Von C. Müller................332
Passionskomödien in Böhmen. Von R. v. Strele................333
Silberne Votivgaben der Cubaner. Von M. v. Wendheim............334
Mährische Marterln. VonJ. Ziskal......................335
Sonnwendfeuer in Tirol. Von K. Weinhold...................335
Citronen, auf dem Altar. Von E. Lemke...................336
Braunschweigische Sprechübungen. Hornsprache. Vernageln der Zahnschmerzen.
Von 0. Schütte........................... 336—338
Wie die Wälschen fluchen. Von J. Bacher ..................338
Über den Hirse in Gebräuchen. Von K. Weinhold...............339
Aus der Vergangenheit des Safranbaues. Von E. K. Blümml..........340
Zur Frage der hannoverschen Wenden. Von R. Andree.............439
Kinderspiele aus Nieder-Österreich. Von E. K. Blümml.............440
Vom Hochzeitbitter im Egerlande. Von J. Köhler...............443
Schmackostern, Kleiderfortnahme und Thorverlegung. Von A. Treichel.....444
Was das Schatzkästlein einer oberbayrischen Bäuerin enthält. Von M. Höfler . . 448
Vernageln der Zahnschmerzen. Von G. Minden.................449
Nachtrag zu den Napoleons-Gebeten. VonJ. Jacóbiec.............449
Fr. S. Krauss über die Gesellschaft f. Schweizer. Volkskunde. Von E. Hoffmann-
Krayer.................................450
Die Ausstellung für deutschböhmische Hausindustrie in Bodenbach. Von A. Hauffen 450
Bücheranzeigen.
Archiv für Religionswissenschaft, herausg. v. Achelis. Bd. II. III. 1. 2. 103. 348
Sächsische Volkskunde, herausg. von R. Wuttke..............103
Mecklenburgische Volksüberlieferungen, von R. Wossidlo. II......104
E. Lemke, Volkstümliches in Ostpreussen. III.................105
Sagen, Gebräuche, Sprichwörter des Allgäus, von Reiser, 14. 15. 16.......106
P. Sébillot, La Bretagne enchantée......................106
Cr. Grisanti, Usi, credenze e racconti di Isnello................106
Inhalt. V
Seite
M. Pitrè, Le Feste di S. Rosalia e della Assunta...............107
Danske Folkeviser i Udvalg ved A. Olrik..................108
Echte Tiroler - Lieder, von F. F. Kohl....................109
K. Gusinde, Neidhard mit dem Teilchen....................110
Paromiai tu helleniku lau, hypo Politu. 1..................110
J. Schiepek, Satzbau der Egerländer Mundart. 1................111
F. Justi, Hessisches Trachtenbuch. 1......................111
Troels-Lund, Himmelsbild und Weltanschauung................112
Fr. Bey schlag, Volkskunde und Gvmnasialuuterricht..............231
C. Schumann, Volks- und Kinderreime aus Lübeck...............233
H. Lerond, Lothringische Sammelmappe....................233
F. X. Kiessling, Briinnlein von Drosendorf..................233
Chr. V. Christensen, Baarepreven......................234
F. Starr, Catalogue of a Collection illustrating the Folklore of Mexico......237
R. Temesváry, Volksbräuche in der Geburtshülfe in Ungarn..........239
Übersicht über slavische Zeitschriften für Volkskunde...........341
Unser Egerland, Zeitschrift, herausg. von A. John. III.............349
W. W. Skeat, Malay Magic..........................350
R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen...............350
0. Weise, Die deutschen Volksstämme und Landschaften............351
E. Lechner, Das Oberengadin.........................351
A. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube, herausg. von E. H. Meyer......452
E. H. Meyer, Badisches Volksleben......................452
W. H. Roscher, Ephialtes. Alpträume und Alpdämonen............453
F. Kunze, Der Birkenbesen ein Symbol Donars.................454
A. Renk, Der Tod in den Alpen........................454
v. Jan, Erzählungen aus dem Wasgau.....................455
Lusern in Südtirol..............................455
Aus der Vergangenheit und Gegenwart des Marktes Agnetheln.........456
Volksschauspiele aus dem Böhmerwalde. III.................456
R. Lange, Japanische Kinderlieder.......................457
K. Euling, Studien über H. Kaufringer....................458
J. Jühling, Die Tiere in der Volksmedizin...................458
Den Danske Hojskole. Et Tidskrift.....................460
Aus den Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde. Von M. Roediger
und G. Minden....................... 114. 241. 352. 460
Die Mitarbeiter der ersten zehn Bände der Zeitschrift des Vereins für Volks-
kunde...................................462
Register...................................467
i
Goethe und die deutsche Volkskunde.
Von Dr. R. M. Meyer.
Vortrag, gehalten im Berliner Verein für Volkskunde am 27. Oktober 1899.
In einem Aufsatz über „Die Anfänge der deutschen Volkskunde"
(Zeitschrift für Kulturgeschichte, 1895, S. 135 f.) habe ich mich (S. 161)
über Goethes Stellung zu dieser Wissenschaft — denn dafür halte ich die
Volkskunde trotz Kossinna (Ztschr. d. Ver. f. Volkskunde, 1896, S. 188) —
im allgemeinen ausgesprochen. Ich hob hervor, dass die Flugschrift „Von
deutscher Art und Kunst" die Namen der drei Erwecker und Befreier
vereint, denen das neue Interesse am deutschen Volksleben seine Neu-
belebung verdankt: Justus Moser, Herder und Goethe. Ich fuhr fort:
„Goethe zwar hat direkt nur wenig für Folklore gewirkt, wenn er auch
Volkslieder sammelte und noch im Alter das Leben der Spinner in der
Schweiz mit Anteil beschrieb. Aber indem er allem geistigen Leben
Deutschlands einen neuen Gehalt gab, hob er die ganze Pflege deutschen
Volkstums auf eine höhere Stufe. Der „Götz" und die Hans Sachs-Gedichte
haben dadurch der Romantik vorgearbeitet, die nun Mosers Hinweise auf
das Volksleben und Herders Aufrufe für das Volkslied aufnahm." Aber
wenn diese Sätze auch vielleicht die Stelle, die Goethe in der Entwicklung
einer Wissenschaft vom deutschen Volkstum einnimmt, nicht unzutreffend
bezeichnen, werden sie doch der Stelle nicht gerecht, die diese Interessen
in seiner eigenen Entwickelung einnehmen. Diese soll im folgenden ihren
Hauptzügen nach geprüft werden.
Goethe wuchs unter Verhältnissen auf, die sein Auge für die Eigen-
heiten des Volkslebens und der Volksart schärfen mussten. Die Reichs-
stadt fühlte sicli als etwas Besonderes und hielt besonders streng auf alle
Bräuche; der wichtigste von allen, eine Kaiserkrönung, fiel in seine Jugend.
Die Familien Textor und Goethe waren im sozialen Rang geschieden: jene
gehörte (wie neuerdings Heuer in der Festschrift des Freien Deutschen
Hochstifts betont hat) dem städtischen Patriziat, diese nur den „guten
Familien" an: ein Grund mehr, das Ceremoniell sorglichst zu beobachten.
Der Knabe schweift umher und beobachtet das Markt- und Strassenleben,
wird auf die Eigenart der Katholiken aufmerksam, kommt ins Judenviertel.
Zcitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. .1
2
Meyer:
Der Yater schickt ihn gern in "Werkstätten. Die Lektüre bringt mancherlei
heran, was dies Interesse nähren und befriedigen kann.
Dennoch werden wir schwerlich annehmen dürfen, dass das Kind
wirklich dies alles so beobachtet habe, wie der Leser der ersten Bücher
von Dichtung und Wahrheit etwa meinen könnte. Unvermerkt senkt sich
Bild an Bild in die aufmerkende Seele, die es mit solcher Treue bewahrt,
dass geringe Nachhilfe dem Sechszigjährigen das anschaulichste Bild städti-
schen Lebens und Treibens möglich macht. Sein bewusstes Aufmerken aber
muss früh auf die tv p i s eli e n Züge im Gegensatz zu den individuellen
gegangen sein. Denn als er später für die Zeichnung des Bürgertums im
„Faust" unzweifelhaft Frankfurter Züge mitverwandte, da drängte sich
nirgends ein specifisches Moment in dies allgemein charakterisierende Ge-
mälde. Um ein beliebiges Gegenstück zu wählen: Goethes Leipziger
Gedicht „Kinderverstand" geht ebenfalls auf typische Charakteristik aus;
dennoch drängt sich ein ganz individueller Zug herein:
Oft stossen schäckernd Bräute
Den Bräutgam in die Seite — (Der junge Goethe 1, 102).
Offenbar hat der Leipziger Student diesen Einzelzug einmal bei einem
Bauernfest beobachtet und er hat sich ihm so eingeprägt, class er ihn
wiederholt verwandt hat, auch gerade im Faust:
Er drückte hastig sich heran,
Da stiess er an ein Mädchen an
Mit seinem Ellenbogen — (Paust Y. 957 ff.).
Die cyklopischen Freundlichkeiten und die zu weiterer Vertraulichkeit
aufmunternden Ungeschicklichkeiten der Bauernjugend bringt er in sein
typisierendes Gemälde herein; aber nichts, was in der Schilderung des
Bürgers auf specielle Erfahrung und Beobachtung deutete. Alles bleibt
hier typisch: der Frankfurter hat nur den deutschen Bürger geschildert.
Das Gleiche gilt, wie wir noch sehen werden, für „Herrmann und Dorothea".
Auch ist es natürlich genug. Der Bauer war dem Städter merkwürdig
gerade in seinen Eigenheiten; in dem Element, in dem er lebt, studiert er
zunächst das Allgemeine.
Strassburg, hat Varren trapp kürzlich auf dem Strass barker
Historikertag ausgerufen, öffnet dem jungen Goethe die Augen für dit1
Geschichte. Zwar ist das vielleicht zu viel gesagt. Denn trotz allem, was
Ottokar Lorenz und andere behaupten, möchte ich doch glauben, zu
der Geschichte im eigentlichen Sinne habe G. nie ein rechtes \ erhältnis
gewonnen. Nicht bloss die Kirchengeschichte war ihm „Mischmasch von
Unsinn und Gewalt"; im Grunde ist er zeitlebens zu sehr Schüler Voltaires
geblieben, um in der Weltgeschichte überhaupt viel anderes zu sehen.
Jene unendliche Freude an allem Lebendigen, die ihn beseelte, wo er die
„Natur" beschaute, versagte gar zu leicht, wenn er in die „Geschichte"
blickte. So eifrig er sich auch mit der Geschichte der Künste, der Wissen-
Goethe und (lie deutsche Volkskunde.
schaften. der Litteratur beschäftigt hat — die Geschichte des "Volkes, heisse
sie politische Geschichte oder Kulturgeschichte, blieb ihm unbehaglich.
Gern sah er die Masse der Einzelfälle hier durch gewisse allgemeine
Formeln erledigt — wie than Alba und Egmont in dem grossen Zwie-
gespräch die Frage nach dem historischen Recht der Niederländer ab! — ;
unlieb war ihm die Verdrängung künstlerisch wirkender Geschichtslegenden
durch neuere Forschung; am störendsten aber empfand er es, wenn ihm
die Weltgeschichte auf den Hals rückte. Er mochte wohl bei der Kampagne
in Frankreich mit einem gewissen Behagen erklären: von iiier und heut
O O
beginnt eine neue Epoche, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen —
aber Napoleon fasste er fast eigensinnig nur als Person auf, als Typus, als
Wunder, aber niemals als Erfüllung eines grossen historischen Moments, wie
\\ ieland etwa ihn nahm. Und eben deshalb, um dies gleich auszusprechen, ist
Goethe in ein lebendiges Verhältnis zur heimischen Volkskunde nie gekommen.
Denn Sitten und Gebräuche sind zum Teil zwar klimatisch und ethnologisch
bedingt, andernteils doch aber auch ein Niederschlag historischer Verhält-
nisse. Und weil diese ihn nicht genügend interessierten, konnten die
deutschen Lebensformen ihn nicht so reizen, wie die etwa der Sicilianer,
in denen tirewige typische Verhältnisse rein bewahrt schienen.
Das aber ist richtig, dass Strassburg den jungen Goethe so nahe an
die Freude an Geschichte und Geschichtlichem heranbrachte, wie er
irgend kommen konnte. Er wird der Schüler Herders — des Mannes
Schüler, für den der Begriff „Volksindividualität" zum erstenmale lebendige
Wahrheit wurde. Er durchstreift das Elsass nach allen Seiten, steckt sich
in ländliches Kostüm und durchlebt einen idyllischen Roman, an dem
gerade eben das als volkstümlich Empfundene eine bewusst den Genuss
steigernde Würze bildet. Goldsmith war nicht nötig, um den Schüler
Herders auf die Eigenart des Lebens eines Landpfarrers, auf die-kleidsame
Tracht seiner Töchter, auf den Bauriss seines Hauses aufmerksam zu
machen. Zu beachten ist aber auch, dass es doch eben ein Pfarrhaus
war, in das der Student eintrat — ein Haus, in dem die ländliche Atmo-
sphäre sich mit etwas Stubenluft, Bildung, Verständnis für Poesie u. dg],
mischte. Es ist neuerdings etwas emphatisch auf „Goethe in freier Luft"
hingewiesen worden. Aber in allen Liebesgeschichten Goethes spielen
Zimmer und allenfalls Garten eine viel grössere Rolle als der weite Spazier-
gang, der Wald, die Wasserfahrt. Die Marienbader Allee ist fast der
weiteste Raum, auf dem wir Goethe — wie spät! — mit einer Geliebten
zusammensehen. Der engere Raum gehört zu dem Bilde: der Salon und
der Park zu Lili, die Kinderstube und der Ballsaal zu Lotte; nicht anders
in den „Römischen Elegien" oder dem „Tagebuch". Entfernen sich die
Geliebten aus diesem Rahmen, so geschieht es nicht oline Gefahr: wie
Friederikens Besuch in der Stadt hat das Ausreiten mit Lili' ihr Verhältnis
erschüttert. Mariannen sah er am liebsten in der Gerbermühle und heftig
4
Meyer :
liât er sich zuletzt gegen das Wiedersehen alter Freunde erklärt, das
immer eine Enttäuschung sei: er hielt auch hier an der Legende fest,
wollte die Person nicht von dem einmal gegebenen Hintergrund losgelöst
wissen.
Was bedeutet das für unsere Frage? Etwas Entscheidendes: dass für
Goethe das volkstümliche Interesse nur ein Einzelfall des künstlerischen ist.
Nicht das Kostüm als solches interessiert ihn — „Kostüm" im weitesten
Sinne genommen —, sondern das anmutige Bild, das da entsteht, wo ein-
Typus organisch aus seinen Vorbedingungen herauswächst. Das heisst also:
wir dürfen auch zu der Zeit, wo das „Deutschtum emergierend" oder das
Volkstum hervortretend erscheint, dies Element nicht überschätzen. Dass
das Landmädchen von Sesenheim ihn eroberte, war sicher durch die ganze
Bousseau-Herder-Stiinmung vorbereitet. Aber im ganzen bedeutet doch
das Pfarrerstöchterchen mit ihrer Natürlichkeit nichts anderes als die
Banquierstochter mit ihrer Eleganz oder Frau v. Stein mit ihrer Ver-
körperung vornehmer Lebensweisheit — die zuletzt freilich doch Schiff-
bruch erleiden sollte. Das Volkstümliche an der Idylle von Sesenheim
ist doch eben nur eine künstlerische Nüance neben anderen.
Zu eben der Zeit, da Goethe dem deutschen Volkstum so eifrig huldigte,,
da ihm das Münster zum Symbol der allein berechtigten charakteristischen
Kunst ward, da er mit Herder und Moser den grossen Sammelruf für
deutsche Art und Kunst ergehen Ii ess — zu eben dieser Zeit schreibt doch
der Recensent in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen (Neudruck 2, 541 f.)::
„Das Kostüm ist für unser Gefühl eine sehr geringe Sache. ... Ist des-
Künstlers Imagination so wahr, eine Geschichtssituation als Mensch zu
fühlen, wird er sie fühlen, als wärs in seiner Gegenwart, in seiner Heimat
geschehen; und die unbedeutende oder vielbedeutende (wie mans nimmt)
Nebensachen werden in seiner Seele all inländisch sein." Also in dieser
Periode selbst bestreitet er den selbständigen Wert des Kostüms. Wen
die Volkskunde als solche interessiert, der wird ihre Ergebnisse nicht so
wohlgemut opfern; im Gegenteil, er wird die archäologischen oder ethno-
logischen Details leicht überschätzen. Nicht so Goethe. Er urteilt hier
schon wie fünfzig Jahre später, als er Manzonis „Carmagnola" besprach: „Fin-
den Dichter ist keine Person historisch." Das nur Einmal Gegebene hat.
sich dem Typischen, das Historische dem Ideellen unterzuordnen.
Und also, um es vollends auszusprechen: selbst in dieser Zeit, da Goethe-
dem Volkskundlichen am nächsten steht, handelt es sich für ihn nur darum,
das „Volk" als solches zu studieren, das Volk als Ganzes, als sociale
Klasse — mehr noch, als natürlichen Organismus. Schon hier herrscht
die Auffassung, die vor allem Hehn in seinen berühmten Aufsätzen über
„Naturformen des Menschenlebens" (Gedanken über Goethe S. 191 f.) und
„Stände" (ebenda S. 231 f.) klargelegt, die er (S. 225) durch Vergleich
mit Schiller erhellt hat. Das Volk und das Volksleben im Elsass wird
Goethe und die deutsche Volkskunde.
5
zum Typus für Yolk und Volksleben überhaupt, wie das Städtertum Frank-
furts alles städtische Wesen hatte vertreten müssen. Zopf und Mieder,
Band und Hut sind nur Symbole; ihre Farbe, ihre Form werden garnicht
erwähnt oder doch nur so weit, als es die Anschaulichkeit dringend fordert.
Das Gleiche zeigt sich deutlich auch an Goethes vielfach überschätztem
-damaligen „wissenschaftlichen Interesse am Volkstum". Die Ephemeriden
bringen freilich mancherlei. Er schreibt eine Baselische Reformations-
ordnung aus (Deutsche Litt.-Denkm. 14, 24); aber er hätte nicht daran
gedacht, sie wie G. Keller im „Landvogt von Greifensee" zu nutzen. Er
notiert (S. 25) die Enthauptung Erchangers und Bertholds und knüpft eine
kühle juristisch-historische Bemerkung an; es lag ihm fern, solch einen
Zug (wie Scheffel im „Ekkehart") zur Veranschaulichung des Zeitkolorits
•einer frühen Epoche zu verwenden. Er verzeichnet (S. 26—27) auffallende
Dialektworte: „Spännungen", „Ringerung", „Gaffeln" u. a.; als er im
Alter vielfach den Strassburger Interessen nahe rückte (ich erinnere nur
daran, wie Boi sserées Eifer für den Kölner Dom die Erinnerung an das
Münster zündete), schrieb er ebenso auf: „Mannräuschlein nannte man im
17. Jahrh. gar ausdrucksvoll die Geliebte". „Liebes gewaschenes Seelchen
ist der verliebteste Ausdruck auf Hiddensee" (Sprüche in Prosa 155—150,
Hempel 19, 44). Aber er kommt auch hier nicht über die Freude an dem
einzelnen hübscheu Ausdruck heraus. An eine systematische Sammlung
dachte er zur Zeit der „Ephemeriden" so wenig wie zur Zeit der „Sprüche
iu Prosa". Und doch war er über die Zeit hinaus, da er „überall herum-
spazierte, überall nur dreinguckte" (an Herder J. G. 1, 308). Seine ana-
tomischen wTie seine juristischen Studien griff er ernstlich an und an
Lavaters Physiognomik trat er mit vertieftem und vertiefendem Interesse
heran. Bei der „Volkskunde" blieb es beim „Dreingucken".
Am deutlichsten wrird dies und auch der von uns hervorgehobene
Grund sichtbar in Goethes Bemühungen um das deutsche Volkslied. Wohl
hat er „aus den Kehlen der ältesten Mütterchen" Lieder aufgehascht, hat
sie (wTie Waldberg Goethe und das Volkslied S. 9 rühmt) sorgfältig mit
allen mundartlichen Eigentümlichkeiten der Überlieferung aufgezeichnet —
recht im Gegensatz zu der späteren seltsam den Dialekt stilisierenden
Laut- und Formgebung des „Schweizerliedes" von 1811. Aber gerade
Waldberg hat vortrefflich ausgeführt, wie zum ersten hier nur ein Zu-
geständnis an den ganzen „Sturm und Drang" und seinen Kampf gegen das
Regulbuch vorliegt, ganz wie bei Herder und Bürger, den Propheten jener
Bewegung (S. 6 f.); und wie zum zweiten Goethe in konsequenter Ent-
wickelung (S. 11) dahin gelangt, das Volkslied eben nur als eine eigene
Art der Lyrik neben anderen aufzufassen, keineswegs aber, wie die Ro-
mantiker (S. 17) als eine von allen anderen grundverschiedene Gattung.
„Überhaupt decken sich bei Goethe fast alle Forderungen an den Dichter mit
-denen an das sogenannte Volkslied" (S. 20). Eben deshalb ist „Goethen
Meyer:
der Begriff des Volksliedes viel klarer geworden als Herder" (S. 11).
Eben deshalb lag ihm aber auch nichts an dem deutschen Volkslied, soweit
es ihm nicht typische Geltung gewann. Mit typischer Geltung hat er
wiederholt Volkslieder verwertet und umgearbeitet (S. 24 f.), und etwa
das „Haideröslein" zum individuellen Ausdruck einer typischen Stimmung
benutzt. Aber das einzelne Lied als solches interessierte ihn so wenig,
e In ss das „Wunderhorn" mit seinem Reichtum ihn fast unvorbereitet fand:
überrascht stellt er sich der neuen Forschungs- und Sammlungsprovinz
gegenüber und rüstet sich mit Schema, Katalogisierung, genereller Charak-
teristik, gerade als habe er in das Gebiet der Münzkunde oder der
Stöehiometrie neu einzuziehen!
Auch das ist zu beachten. In Venedig lässt er sich den „famosen
Gesang" der Schiffer vortragen, in Rom macht er sich „Notizen und Aus-
züge über Ritornelle und Romanzen", er zeichnet die Melodie eines
neapolitanischen Volksliedes auf (Waldberg S. 9). All das stellt er in den
allgemeinen Zusammenhang, vergegenwärtigt uns den Gesang über den
Wassern der Kanäle, hält Ton und Text bei dem „Zauberlied" für unzer-
trennlich. Nicht so bei den deutschen Volksliedern. Er schreibt sie
hintereinander auf, kein Wort dabei von Wo und Wann, keine Silbe über
die alten Mütterchen selbst. Dies ist ihm Kuriosität — das italienische
Volkslied ist ihm ein- Stück Volksleben. Das bleibt der durchgängige
Unterschied.
Nur als Mittel, beim Herzen des Volks anzufragen, benutzt er das
Volkslied. Gretclien muss freilich eine Ballade in volkstümlichem Stil
singen, wie die Soldaten des Osterspaziergangs auch. Aber eben nur
typisierende Bedeutung wird diesen Zügen verstattet. Nicht anders im
„Götz". Das breite mittelalterliche Leben wird als historische Einheit
gefasst; Lokalkolorit ist nirgends erstrebt. Wir sehen die malerischen
Gassen von Heilbronn so wenig als die Ausstattung der Burg .1 axthausen.
Eine „Bauernhochzeit" wird vorgeführt — nichts verlockt den Dichter zu
ausmalenden Zügen, wie sie Cervantes' Hochzeit des Camacho oder ihre
Nachahmung in Immermanns „Oberhof" bringt. Im „Werther" werden ge-
wisse volkstümliche Züge benutzt: der Aberglaube etwa, dass ein unerlaubter
Kuss einen Schnurrbart auf der Lippe des Mädchens entstehen lasse; aber
das dient der Tendenz des Ganzen und in dieser hält sich Goethe völlig
in dem idealisierenden Ton Rousseaus über Landleben und Landleute, wie
Erich Schmidt (Richardson Rousseau und Goethe S. 193f.) gezeigt hat.
Man wird ja nicht gerade den Realismus von Zolas Bauernstück „La terre"
erwarten; aber wie viel „sachenvoller" (um mit Herder zu reden) führen
Asmns Claudius oder gar Pestalozzi das Leben der Landleute vor! Und
doch, wir wiederholen es: hier ist G. auf dein Höhepunkt seines volks-
kundlichen Interesses. Heisst es im „Götz"' ganz sachlich „Musik und
Tanz draussen" so wird bei dem Armbrustschiessen im .. E 2'm ont" nicht
Goethe und die deutsche Volkskunde.
einmal das Best genannt. Und nach den beiden Scliweizerreisen sind in
...Tery und Bätely" doch nur „edle Gestalten in B'auernkleider gesteckt";
es sind nicht Landleute, sondern „Akteurs, die Schweizerkleider anhaben
und von Käs und Milch sprechen".
Es bleibt so. Das Volk interessiert Goethe aufs innigste; mit den herz-
lichsten Worten spricht er von der niedersten Klasse, die doch wohl vor
< Jott die höchste sei; die Strumpfweber von Apolda vergällen dem König
von Tauris seine hohen Worte. Aber ihr Kostüm, ihre Sitten und Ge-
bräuche, ihre Reden und Lieder bleiben dem gleichgültig, dem die geringste
Abweichung der Form an einem Knochen oder einem Blatt lehhaftes,
leidenschaftliches Interesse abzwang.
Und nun kommt er nach Italien. Und wie packt ihn da das Volks-
leben! Wie wird er nicht müde, folkloristische Einzelheiten zu geben!
Fr erzählt von den kleinen Huronen, die auf der Gasse hocken, und von
den Sitzungen der Akademie; er beschreibt eine Gerichtsverhandlung und
die homerischen Zustände Siciliens. So lebhaft ergreift ihn dies Interesse,
dass es nachwirkt auch auf ausseritalienische Zustände, dass er Kleinig-
keiten wie das französische Weissbrot auf der Kampagne in Frankreich
anmerkt oder durch, die Schilderung des Karnevals sich noch spät zur
Beschreibung von kölnischem Mummenschanz oder zu dem prächtigen Bild
'les Rochusfestes (1816) anregen lässt. Und gleich dringt dies volkskund-
liche Interesse auch in seine Poesie. V. Hehn stellt (a. a. 0. S. 198 f.)
die italienischen Schilderungen den deutschen völlig gleich. Freilich, auch
„der Schauplatz, auf dem wir uns in ,Alexis und Dora' befinden, ist ein
ideal unbestimmter". Aber der Dichter, der in „Herrmann und Dorothea"
den Birnbaum nur eben mit Epithetis ausstattet, kann der Versuchung
nicht widerstehen, die hesperischen Früchte zu beschreiben:
Schweigend begannest du nun geschickt die Früchte zu ordnen:
Erst die Orange, die schwer ruht als ein goldener Ball,
Dann die weichliche Feige, die jeder Druck schon entstellet.
Die zweite Epistel fügt freilich in die Schilderung des typischen
deutschen Hausstandes einige individuellere Züge, wie die weissen, langhin
leuchtenden Röcke der Mädchen; aber wie viel eingehender sind die
> O
Kostümstücke in den Römischen Elegien:
Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein gekommen,
Grau, im dunkeln Surtout, hinten gerundet das Haar?
und: Falconieri hat mir oft in die Augen gegafft,
Und ein Kuppler Albanis mich mit gewichtigen Zetteln
Bald nach Ostia, bald nach den vier Brunnen gelockt.
Aber wer nicht kam, war das Mädchen. So hab ich von Herzen
Rotstrumpf immer gehasst und Violetstrumpf dazu.
Bei italienischer Scene wird alles ausgemalt, vom Hut bis zum Strumpf
<lie Figur, und die Frucht im Korb; bei deutscher Bühne bewirkt höchstens
8
Meyer:
der unmittelbare Einfhiss der benachbarten südlichen Stücke Einzelheiten
ähnlicher Art. Goethe hat sich selbst darüber in der köstlichen Recension
über „Don Ciccio" (Hempel 29, 612 f.) ausgesprochen. In Italien lebe
alles öffentlich. „Der Bettler wie der Marchese, der Mönch wie der
Kardinal, der Vetturin wie der Krämer — alle treiben ihr Wesen vor den
aufmerkenden Augen einer immerfort urteilenden Menge..... Jenes
öffentliche Leben der Italiener, welches von allen Reisenden gekannt, von
allen Reisebeschreibern bemerkt ist, bringt ein heiteres und glänzendes
Wesen in ihre Litteratur" (a. a. 0. S. 615). Er eignet sich dies „Auf-
passen der Italiener" an, beobachtet wie sie jede individuelle Abweichung
auf der Grundlage des Volkslebens; aber in „den Norden, den form- und
gestaltlosen, heimgekehrt", giebt er es bald wieder auf.
Nichts ist dafür bezeichnender, als das Gedicht, das man dagegen an-
führen möchte. „Herrmann und Dorothea" erscheint uns wegen seines
Reichtums au typischen Zügen als ein erschöpfendes Bild kleinstädtischen
deutschen Lebens; und es ist das auch wirklich, wenn wir, wie billig, auf
die grossen dauernden Züge sehen. Machen wir aber einmal das Experiment
und fragen uns: was würde ein Forscher künftiger Tage aus diesem
Meisterwerk über die Eigenart deutschen Volkstums nach seiner äusseren
Seite, über deutsche Sitte und Art lernen können — so werden wir er-
staunt sein, wie gering das Material ist, das er über „deutsche Altertümer
in ,Herrmann und Dorothea'" fände. Jeder ältere deutsche Roman bringt
hierin mehr, selbst wenn er nicht — wie „Sophiens Reise nach Memel"
von Hermes — absichtlich auf das Anbringen anekdotischer Einzelzüge
ausgeht; und jeder spätere nun gar! Aus einem Roman Gottfried Kellers
lässt sich ein farbenreiches Bild lokaler Gebräuche entwerfen; gerade die
Farben aber fehlen in der klaren, klassischen Zeichnung von Goethes Epos.
Es ist charakteristisch, dass ef Farbenangaben beim Kostüm nur in den
Perioden nächster Nähe zur Volkskunde macht. Wir kennen alle W erthers
gelbe Beinkleider, und den grauen Rock der „Römischen Elegien" hab icli
eben erwähnt. In „Herrmann und Dorothea" erhalten wir nur einmal, bei
der Schilderung von Dorotheas Kostüm ausführliche Farbenangaben zur
Kleidung. Diese scheinen sonst mit Bewusstsein vermieden: sie könnten
den typischen Charakter stören. Gerade hier zeigt sich der Gegensatz zu
Vossens „Luise", deren oft kleinliche Detailangaben für Goethe, so sein-
er sonst das Idyll lobte, an die „Musen und Grazien in der Mark" er-
innern mochten. Mie weit stellt von der farblos reinen Zeichnung in dem
bürgerlichen Epos Goethes etwa folgende Stelle aus der „Luise" (J. H.
Voss, Sämtliche poetische Werke, Leipzig 1853, Bd. 2, S. 44 f.) ab: Mama
und die freundliche Tochter
Brachten die feineren Teller von Thon, und spanische Erdbeern
Auf eiförmiger Schüssel, auch sahnige Milch in gestülpter
Porzellanener Kumme, geformt wie ein purpurner Kohlkopf:
Goethe und die deutsche Volkskunde.
9
Welche mit wärmendem Punsch unci Bischof füllte der Vater,
Wann ein Freund ihn besucht in sausenden Tagen des Winters;
Brachten mit Eppich umlegt die Bachkrebs' ähnlich den Hummern.
Und zween kalte gebratene Kapaun' umhüllt vor den Fliegen;
Brachten sodann für Walter und Karl vielrautige Waffeln,
Hochgehäuft, Kunstwerke der preislichen Köchin Susanna;
Auch die duftende Frucht der grüngestreiften Melone;
Butter in blauem Gefäss, goldfarbige: über dem Deckel
Ruht ein käuendes Rind als Handgriff; lieblichen Schaf käs'
Und holländischen Käs' und einen gewaltigen Rettig
Fiir den Papa; auch Kirschen von vielfach würziger Gattung,
Stachelbeeren, wie Pilaumen an Wuchs, und geschwollne Johannsbeern.
Voss mag übertreiben, und er verletzt vvolil die Gesetze der epischen
Gattung; aber die Freude an der volkstümlichen Lebenshaltung, an allem,
was zur Notdurft und Freude des Volkes gehört, klingt herzgewinnend
aus der Überfülle seiner Einzelzüge. Dass Goethe der grössere Meister ist,
wird heut kein Gleim mehr bezweifeln; aber bei einem Gemälde italieni-
schen Lebens wäre es ihm nicht so leicht geworden, sich streng an die
klassischen Linien und die Monochromie der Antike zu halten.
„Herrmann und Dorothea" bringen folgende Materialien zur Volks-
kunde, die ich mit barbarischer Konsequenz schematisiert vorführe (ich
gebe die Überschriften nach der Folge der Kapitel in E. H. Meyers
„Deutscher Volkskunde"):
1. Dorf und Flur: allgemeine Schilderung von Garten und Landstrasse.
Der Birnbaum. „Der neue Chausseebau, der uns mit der grossen Strasse
verbindet."
2. Das Haus. Ein altmodisches, das des Apothekers, und ein neues,
das grüne des reichen Kaufmanns, werden ausführlich beschrieben und
verglichen :
Seht nur das Haus an da drüben, das neue! Wie prächtig in grünen
Feldern die Stuckatur der weissen Schnörkel sich ausnimmt!
Gross sind die Tafeln der Fenster;^ wie glänzen und spiegeln die Scheiben,
Dass verdunkelt stehn die übrigen Häuser des Marktes!
Und doch waren die unsern gleich nach dem Brande die schönsten,
Die Apotheke zum Engel, sowie der goldene Löwe.
So war mein Garten auch in der ganzen Gegend berühmt, und '
Jeder Reisende stand und sah durch die roten Stacketen
Nach den Bettlern von Stein und nach den farbigen Zwergen.
Wem ich den Kaffee dann gar in dem herrlichen Grottenwerk reichte,
Das nun freilich verstaubt und halb verfallen mir dasteht,
Der erfreute sich hoch des farbig schimmernden Lichtes
Schöngeordneter Muscheln, und mit geblendetem Auge
Schaute der Kenner selbst den Bleiglanz und die Korallen.
Ebenso ward in dem Saale die Malerei auch bewundert,
Wo die geputzten Herrn und Damen im Garten spazieren
Und mit spitzigen Fingern die Blumen reichen und halten.
10
Mejor :
Das Dachstübchen des Sohnes mit den weithin sichtbaren Fenster-
scheiben.
Zubehör des Wirtshauses:
wie herrlich liegen die schönen
Reichen Gebreite nicht da, und unten Weinberg und Garten,
Dort die Scheunen und Ställe, die schöne Reihe der Güter!
Aussehen der Stadt im allgemeinen (unter Vergleich mit Strassburg
und Frankfurt und „dem freundlichen Mannheim, das gleich und heiter
gebaut ist" — unser Geschmack ist die Stadt mit den windfangenden
schematisch geordneten Häuserquadraten wohl nicht mehr):
Lobt nicht der Fremde bei uns die ausgebesserten Thore
Und den geweissten Turm und die wohlerneuerte Kirche?
Rühmt nicht Jeder das Pflaster, die wasserreichen, verdeckten
Wohlverteilten Kanäle —
Hölzerne Bänke unter dem Thorweg. Das Wirtshaus und das Haus
des ersten Kaufmanns stehen am Markt.
o. Körperbeschaffenheit und Tracht.
Wir erfahren yon Dorotheens stattlicher Erscheinung. Wir hören
mehrmals von Schlafrock und alter Leinwand und der geänderten Mode:
Ungern vermiss' ich ihn doch, den alten kattunenen Schlafrock
Echt ostindischen Stoffs; so etwas kriegt man nicht wieder.
Wohl! ich trug ihn nicht mehr. Man will jetzt freilich, der Mann soll
Immer gehn im Surtout und in der Pekesche sich zeigen,
Immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und Mütze.
Wie der Kontrast der Häuser des altmodischen Apothekers und des
mit der Zeit gehenden Kaufmanns ist auch diese Stelle typisch gemeint:
der Vater gehört auch zu den Alten, er murrt gern über die neue Sitte.
F roilich ist-seine Klage vielleicht nicht ganz glücklich gewählt. Mein verehrter
Lohrer Rudolf Hildebrand klagte auch 1878 noch im Kolleg, man dürfe
sich jetzt gar nicht mehr im Schlafrock sehen lassen — ausser wenn man
schreibe; da trete alles in Schlafrock und Pantoffeln auf. Thatsächlich
blieb er im Hause ruhig in diesem Kostüm und empfing auch so; der
Löwenwirt hatte wohl also nicht allzuviel Grund, das Verschwinden einer
Sitte zu beklagen, die achtzig Jahre später noch immer im Verschwinden
begriffen war!
Dorotheas Kleidung, die einzige entschieden vielfarbige Stelle („Poly-
hymnia", wörtlich wiederholt in „Klio"):
Denn der rote Latz erhebt den gewölbeten ßusen,
Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an;
Sauber hat sie den Saum des Hemdes zur Krause gefaltet,
Die ihr das Kinn umgiebt, das runde, mit reinlicher Anmut;
Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund;
Stark sind vielmal die Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt;
Vielgefaltet und blau fängt unter dem Latze der Rock an
Und umschlägt ihr im Gehn die wohlgebildeten Knöchel.
Goethe und die deutsche Volkskunde.
IT
Zur Kleidung des Mannes gehören noch die Schuhe und an Festtagen
die Kravatte oder, wie es J. I>olte wohl besser deutet, die seidene Jacke:
Handelsbübchen, die stets am Sonntag' drüben sich zeigen,
Und um die, halbseiden, im Sommer das Läppchen herumhängt.
Auch der gestickte lederne Beutel an Kiemen, „worin der Tabak ihm
verwahrt war", gehört hierher.
4. Sitte und Brauch.
a) Über Hermanns Jugend erfahren wir das Allgemeinste: Schule.
Yerkehr mit dem Nachbar, Erziehung durch den heftigen Vater
und die besänftigende Mutter
b) Spiele: Dorothea verfertigt den Kindern Puppen aus alten
Lumpen.
c) Liebe und Hochzeit: Brautwerbung früher und jetzt. Der Trau-
ring.
d) Das'häusliehe Leben: nichts über Dienstboten! Typische Schilde-
rung des Lebens der Frau im Munde Dorotheeiis. Die Wöchnerin
im Zuge der Auswanderer.
e) Hausschmuck. Bei dem „wackern Mann" mancherlei Besitzstücke:
Und es behaget so wohl, wenn mit dem gewünscheten Weibchen
Auch in Körben und Kasten die nützliche Gabe hereinkommt.
Nicht umsonst bereitet durch manche Jahre die Mutter
Viele Leinwand der" Tochter von feinem und starkem Gewebe;
Nicht umsonst verehren die Paten ihr Silbergeräte,
Und der Vater sondert im Pulte das seltene Goldstück.
(Münzen und zwar Gold- und Silberstücke werden auch bei der Ver-
leihung an die Armen durch den Geistlichen erwähnt.)
f) Hauslektüre: im Gegensatz zu der Bedeutung, die Homer und
Ossian im „Werther", die die Lektüre auch in den „Geschwistern"^
hat, fällt das gänzliche Fehlen hier auf.
g) Viehzucht: die Hühner im Stall von der Mutter nach dem Brand
aufgesucht. — Erwähnung des Viehhandels:
Denn ich habe wohl oft gesehn, dass man Rinder und Pferde,
Sowie Schafe genau bei Tausch und Handel betrachtet.
Hierher zieh ich auch Wagen und Boss. Der Landauer des reichen
Kaufmannes, das Kutschchen des Wirtes werden mit sachverständigem
Behagen geschildert; ebenso das Geschirr und das Futter des Pferdes.
h) Nahrung: Wein und Bier, Brot und Obst, Schinken und Bier
werden genannt; auch die Torten des Zuckerbäckers.
i) Unglückstage: der Brand im Städtchen, als unvergessbarer Mark-
stein von typischer Bedeutung, wie Hehn hervorhebt.
k) Krankheit und Tod: Bericht des Apothekers über Sarg und
Totenkutsche.
12
Mejor:
1) Endlich noch eine allgemeinere Stelle, die mancherlei Dinge in
absichtlicher Buntheit zusammenwirft:
Über dem Schranke lieget das Sieb und die wollene Decke;
In dem Backtrog das Bett und das Leintuch über dem Spiegel.
Ach, und es nimmt die Gefahr, wie wir beim Brande vor zwanzig
Jahren auch wohl gesehen, dem Menschen alle Besinnung,
Dass er das Unbedeutende fasst und das Teure zuriicklässt.
Also führten auch hier mit unbesonnener Sorgfalt
Schlechte Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend,
Alte Bretter und Fässer, den Gänsestall und den Käfig.
Auch so keuchten die Weiber und Kinder, mit Bündeln sich schleppend,,
Unter Körben und Butten voll Sachen keines Gebrauches;
Denn es verlässt der Mensch so ungern das Letzte der Habe.
111) Volksdichtung oder Volkslitteratur : nirgends auch nur angedeutet,
während die in den gebildeteren Kreisen populäre Musik durch
die „Zauberflöte" vertreten ist, von der eben Herrmann nichts
weiss.
Das also ist das Material, das ein Sammler aus dem schönen bürger-
lichen Epos zur Volkskunde herausheben könnte. Das Gedicht, an goldenen
Sprüchen, psychologisch feinen Zügen, an Momenten echtester Poesie un-
erschöpflich, scheint unter diesem Gesichtspunkt nichts weniger als reich;
und nirgends spürt man, dass die bürgerliche Existenz als solche den
Dichter zu gemütlicherem Verweilen aufgefordert hätte.
Ich hebe nochmals als besonders charakteristisch hervor: von den
Farben wird nur zweimal eingehender gesprochen, nämlich bei Dorotheens
Erscheinung, und bei der Beschreibung des neuen Hauses. Aber im letzteren
Falle ist das wieder typisch gemeint. Das Haus des Kaufmanns ist grün,
weil das, „wie sie es nennen, geschmackvoll ist": „Unser Auge findet in
der grünen Farbe eine reale Befriedigung . . . Man will nicht weiter und
man kann nicht weiter. Deswegen für Zimmer, in denen man sich immer
befindet, die grüne Farbe zur Tapete meist gewählt wird" (Farbenlehre,
clidakt. Teil, § 802; AVeim. Ausg., II., Abt. I, 320). Und das Grün ist mit
Weiss verbunden, weil dies „erfreulich aussieht" (ebenda § 831; a. a. 0.
S. 330). Das „Weissen" der Bauten steht natürlich allgemein für ihr Auf-
frischen. — Es bleibt also als einziger individueller Farbenfleck die kräftig-
bunte Schilderung von Dorotheas Kostüm, die doch auch nicht ohne Rück-
sicht auf die „sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe" gewählt sein dürfte.
Durchweg ist also, von jenem Einen Moment abgesehen, alles eigentlich
volkskundliclie Detail vermieden — strenger noch als bei der Sesenlieimer
Idylle. Es ist ein Gemälde typischen Mittel- oder Kleinstadtlebens im
historischen Moment der französischen Revolution, ohne jegliches Lokalkolorit.
Allenfalls könnte man aus der Nennung der Städte Frankfurt, Strassburg
und Mannheim auf Mitteldeutschland schliessen, da ein norddeutscher Bürger
etwa Hamburg, Berlin und Dresden oder Leipzig, ein süddeutscher jeden-
Goethe und die deutsche Volkskunde.
13
falls Wien — aber damals noch nicht München! eher Nürnberg — anführen
würde. Dazu passt auch ein gewisses behäbig-reichsbürgerliches Gepräge;
• lie preussische Strammheit und die österreichische Lässigkeit liegen gleich
weit ab. Aber auch das hat eben darin seinen Grund, dass sie Extreme
sind, das typische deutsche Bürgerleben aber in den Rhein- und Main-
gegenden daheim scheint.
Und diese Beschränkung auf gemeingültige Züge finden wir nun zu
eben jener Zeit, in der Goethe dem italienischen Wesen so eifrig nachgeht,
in den Anmerkungen zum Cellini, in den Biographien Winckelmanns und
Ph. Haekerts nicht gern ein Detail übergeht und auch in dem erklärenden
Anhang zu „Rameaus Neffen" tief in die „Volkskunde" der höheren Ge-
sellschaft Frankreichs eintaucht! Die „sonderbare Audienz" des armen
Priesters, dessen gebratene Salzwurst den Hund anlockt („Philipp Hackert",
Werke, Weim. Ausg. 46, 254 f.) ist für das Leben des deutschen Land-
schafters in Italien ganz gleichgültig; aber den Dichter freut jeder Einzel-
zug italienischen Lebens. Man vergleiche nur die Kantaten „Die erste
Walpurgisnacht" (1799, also gerade aus jener Zeit) und „Rinaldo" (1811)!
Diejenige, die deutschen Stoff behandelt, bringt nirgends Einzelheiten:
Der Wald ist frei!
Das Holz herbei,
Und schichtet es zum Brande —
während doch soirar der abstraktere Schiller sa.o't:
O O
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken lasst es sein.
Nichts erfahren wir über die Opfer; nur „Kauz und Eule" repräsentieren
neben Eis und Reif die nordische Landschaft. Dort dagegen: „bunte,
reichgeschmückte Beete'1, Rosen und Lilien, lauliche Lüfte,
Und soll ich beschauen
Gesegnetes Land,
Den Himmel, den blauen,
Die grünenden Auen —
als Gegenstück zu Kauz und Eule Turteltaube und Nachtigall. Übrigens
in beiden jene „erfreuliche'1, Farbenzusammenstellung, die wir schon an
des reichen Kaufmanns Haus trafen:
Am grünen Ort
Erschallen Lustgesänge,
Ein reiner Schnee
Liegt auf der Höh —
und: Grüne Wellen,
Weisse Schäume.
Aber selbst hier wird der Farbenkontrast in dem italienischen Ge-
mälde scharf hervorgehoben, in dem deutschen nur angedeutet.
14
Meyer:
Es ist richtig, worauf mich Prof. Roediger besonders noch hinwies,
dass Goethe in jener Epoche seinem Sohne ein gewisses volkskimdliches Inter-
esse an das Herz legt. Er schreibt ihm (17. August 1808; Weim. Ausg.
*20, 147): „Schildere uns doch auch gelegentlich die vorzüglichen Personen,
die du kennen gelernt, an Lehrern und Lernenden, Jungen und Alten.
Besonders auch bemerke auf deinen Wallfahrten das Volk der verschiedenen
Provinzen, ihre Gestalt und Art, ihre Sitten und Betragen. Vergleiche sie
mit denen, die du schon kennst, und bereite dich auch hier durch zu einer
weiteren und breiteren Erfahrung." Aber hier spricht nur sein pädago-
gisches, nicht sein volkskundliches Interesse. So schreibt er auch ein
andermal (10. Juli 1809; ebenda 21, 2) dem Sohne: „Es ist mir sehr
angenehm zu hören, dass Du wohl bist und Dich in Heidelberg der schönen
Jahreszeit erfreust. Auch wird mir ganz lieb seyn, wenn Du in den Ferien
eine Rheinreise anstellst, wozu ich Dir die Auslagen gerne vergüten will.
Sieh Dich nur dabey in Kleidung und sonst einigermassen vor: denn so
lustig diese Wasserfahrten sind, so trägt man doch, ehe man sich's ver-
sieht, etwas davon. Was Du übrigens auf diesem Wege siehst und erlebst,
das wird Dir für alle Zukunft zu grossem Nutzen und Freude gereichen.
Nur wünschte ich, class Du als ein fleissiger Heftschreiber auch ein Reise-
heft schriebst, nicht um die Gegenden zu beschreiben, sondern nur von
manchen Localitäten, Menschen, Gasthöfen, Preisen, gegenwärtigen Zuständen,
Gesinnungen u. s. w. eine feste Notiz zu behalten. Dergleichen Aufsätze
sind fiir uns und andere sehr belehrend, und in der Folge, wenn wir
wieder an solchen Ort kommen, unschätzbar. Schreibe mir unterwegs ein
Wort: denn Posten gehen überall." Man sieht: die Beobachtungsgabe des
Jünglings soll geschärft werden, er soll lernen, die „Totalität des dortigen
Zustandes", wie es im Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe gern
heisst, aufzunehmen, und die lokalen Sitten sind nur das zufällige Objekt.
Ebenso empfiehlt er (7. November 1808; a. a. O. 20, 201) August, das in
.„Herrmann und Dorothea" gerühmte Mannheim zu besuchen — aber das
geschieht nur aus persönlichen Gründen (vergi, den Brief an Christiane,
ebenda S. 200).
Noch einmal nähert sich Goethe dem volkskundlichen Interesse. Wie
Strassburg und die Italienische Reise, so erweckt die Verjüngung und die
Rückwanderung in die Jugendzeit noch einmal die Lust an bunt bewegten
Volksschilderungen. Von 1812 an bezeugen das die Werke: der reiche
Eingang der Autobiographie, Schilderungen wie die Italienische Reise (1816)
und „Don Ciccio" (1815), das „Rochusfest" (1816); Studien wie die zum
Divan (1818), Recensionen wie die über den „Pfingstmontag" (1819). In
dieser Zeit haben auch Balladen wie der „Eckart" und der „Totentanz-•
(1813) oder die Ballade vom vertriebenen Grafen (1816) ein ungleich volks-
tümlicheres Gepräge als selbst die Müllerlieder des grossen Balladenjahres
(1797). Da entsteht auch der „Festzug, dichterische Landeserzeugnisse,
Goethe unci die deutsche Volkskunde.
15
darauf aber Künste und Wissenschaften vorführend" (zum 18. Dez. 1818),
der freilich rasch von Weinbau, Jagd und Weihnachtsfest zu allgemeineren
Allegorien eilt (Hempel 1.1, 322 f.). Kleine Aufsätze über „Regenbogen-
schüsselchen" (1817; Aufsätze über bildende Kunst und Theater, herausg.
v. A. G. Meyer und G. Witkowski, S. 289f.) und altgerm. Opfer- und Leiden-
stätten (1815; ebenda S. 411 f.) schliessén sich an und finden (1824) in
jenen Worten über den Kölner Karneval (ebenda S. 491) einen späten
Nachzügler, wogegen der Bericht über die Externsteine (1824; ebenda
S. 521) zur allgemeinen „Kunstgeschichte gehört. So geht denn also etwa
von 1812—1818 ein karger Nachsommer volkskundlicher Interessen und
Arbeiten, dem aber die Poesie von Hans Sachsens poetischer Sendung
(1770) so gut fehlt wie die Fülle typischer Züge in „Herrmann und Dorothea".
Wie trocken wirkt die Aufzählung in den „Lustigen von Weimar" (1813)
neben der Fauststelle, wo die Handwerksburschen sich auf Jägerhaus,
Mühle, Wasserhof und Burgdorf verteilen!
W ohl lässt er sich — wie Hr. Prof. Weinhold betont — von 1820
an durch das leidenschaftliche volkskundliche Interesse des Rats Grüner
ein wenig mitziehen, nimmt an dessen Sammlungen zur egerländischen
Volkskunde Anteil — aber auch hier bleibt er doch wesentlich passiv.
Die Arbeiten des wackeren Deutschböhmen zeigen, wie stark schon in
Goethes Zeit das folkloristische Interesse erwacht war; sie beweisen auch,
dass es sich längst von fremden ethnologischen Kuriositäten der eigenen
Heimat zugewandt hatte. Gründe, die man wenigstens mit scheinbarem
Recht gegen unsere Auffassung von Goethes Behandlung der volkstümlichen
Dinge in seiner Jugend anführen könnte, lassen sich jetzt nicht mehr geltend
machen. Aber der Greis, der sonst noch so rüstig neue Gebiete beschritt,
fand doch mehr Freude an chinesischen Studien als an einheimischer
Volkskunde!
Auch in der eifrigsten Sammlerzeit hat Goethe, soviel ich aus Rulands
„Goetlie-Nationalmuseum" und ähnlichen Schriften ersehen kann, deutsche
„Alt-Thümer" nicht gesammelt, obwohl er diese doch sonst „nicht gering-
schätzt" (Zahme Xenien; Hempel 2, 362). Die deutsche Volkskunde blieb
ihm fremd, so eifrig er sonst grosse Lebensäusserungen beobachtete. Aber
eben — die Grösse vermisste er vielleicht zu sehr an dem gedrückten
V olksleben Deutschlands (vgl. meinen „Goethe", S. 218). Stand er doch
überhaupt dem Begriff der Nationalität zweifelnd gegenüber und war ge-
neigt, in ihr nur eine störende Zwischenstufe zwischen den Gegenständen
seines Interesses zu sehen: dem Einzelnen — und der Gesamtheit. Die
italienische Nation mit ihrem Volksleben machte eine Ausnahme, weil er
in ihr eben das typische, klassische Gesamtleben zu sehen glaubte. Den
Deutschen aber riefen die Nenien zu: „Zur Nation Euch zu bilden, Ihr
hofft es, Deutsche, vergebens!" Wie Lessing über den gutherzigen Einfall
lächelte, den Deutschen ein Nationaltheater geben zu wollen, da sie doch
16
Müllenhoff:
keine Nation seien, so mochte er zweifeln, ob viel von dem Volkstum die
Rede sein könne, wo kaum ein Volk vorhanden schien. Jahn, dem Er-
finder des Wortes „Volkstum", stand er abgeneigt gegenüber, den roman-
tischen Vergötterungen des Nationalen skeptisch. Wer begreift es nicht?
Heut stünde es anders! Heut sind wir wieder eine Nation und der Freude
an den lebendigen Kundgebungen des Volkslebens würde heut ein Goethe
sich am allerwenigsten entziehen!
Zur Geschichte der Bienenzucht in Deutschland.
Von Prof. Dr. Karl Müllenhoff.
Unter den dem Menschen nahestehenden Tieren hat die Biene eine
ganz besonders bevorzugte Stellung. Der Bienenzüchter betrachtet seine
Bienen als zur Familie gehörig; er bezeichnet sich selbst als den Bienen-
vater. Es ist dieses eine Benennung, für die man vergeblich nach einer
Analogie sucht. Es würde keinem Bienenzüchter einfallen, wenn er Pferde,,
Rinder, Schafe, Ziegen, Hunde und Schweine hält, sich etwa auch als den
Vater dieser Tiere bezeichnen zu wollen. Die gemütvolle, patriarchalische
Anschauung, die in dem Ausdrucke Bienenvater sich offenbart, findet sich
in mancherlei alten Gebräuchen. So wurden in Bayern und Böhmen bei
einer Hochzeit die Bienenkörbe mit einem roten Tuche geschmückt, damit
sich die Bienen mit den Menschen freuen, und in Westfalen wurden die
Neuvermählten den Bienen mit dem Spruche vorgestellt:
Im en in, imen ut,
Hir is de junge brut!
Imen üm, imen an,
Hir is de junge mann!
Imekes verlat se nit,
Wenn se nu mal kinner kritt.
(d. h. liefert ihnen Honig für die Kinder.)
Und ebenso wie die Bienen an den Festtagen des Hauses teilnehmen,
sollen sie auch Anzeige erhalten, wenn Trauer in der Familie herrscht.
In Westfalen klopft man beim Tode des Hausvaters an die Stöcke und spricht:
Ime wake op, din herre is dout,
Du sass haewen kaine nout!
Ähnliche Gebräuche finden sich an vielen Orten.
Dass die Biene mit einer ganz besonderen Zärtlichkeit geliebt wird,
ist bei uns eine uralte Sitte; das beweisen zahlreiche Sprüche aus der
frühesten Zeit.
Zur Geschichte der Bienenzucht in Deutschland.
17
Sehr bezeichnend hierfür ist der Lorscher Bienensegen (Müllenhoff-
Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa, No. XVI); er stammt
wohl aus dem 9. Jalirh. und ist im 10. Jahrh. aufgezeichnet.
Es verdient eine besondere Beachtung, dass in diesem Bienensegen
die Biene zärtlich „liebes Tier" genannt wird.
Eine von alters her beim Volke weit verbreitete Anschauung war es,
dass die Bienen Sinn für Musik und Gesang haben sollen. In Konrad
von Megenbergs Buch der Natur, einem in den Jahren 1349 und 1350
geschriebenem "Werke, lieisst es: Die bienen fräwent sich, wenn man die
hend zusamen klopfet, und wenn man klingelt mit gesmeid, so samnent
sie sich.
Auch Ivonrad von Megenberg hat von der Biene eine besonders hohe
Meinung. Er bespricht im dritten Buche, das von den Tieren handelt,
genau wie es jetzt üblich ist, zuerst die Wirbeltiere und dann die niederen
Tiere, „die würm". Nu well wir von der allerlei würmen hie sagen und
des ersten von der pein, wan diu ist diu edelst under in allen, heisst es
am Schlüsse der Einleituno;.
Ahnlich wie Konrad von Megenberg riet auch Coler, der 1611 in
Wittenberg einen „nützlichen Bericht von den Bienen oder Immen" her-
ausgab, den schwärmenden Bienen mit einem Becken aufzuwarten und zu
klingeln, denn die Biene sei ein musikalisches Tier, welches sich zum
Klange halte.
Dieser Glaube ist noch jetzt bei uns verbreitet. In Schwaben und
Bayern klopft man, wenn die Bienen schwärmen, mit Schlüsseln auf ein
Senseneisen, damit der Schwärm sich niederlasse. Ist dieses geschehen,
so fasst man das Volk in einem vorher mit Wachs und Immenkraut aus-
gestricheneu Korb. — In der Schweiz dengelt man, sobald ein Schwärm
kommt, auf Sicheln und Sensen. — In manchen Gegenden soll das Läuten
mit einem Glöckchen bewirken, dass die Bienen sich ansetzen.
Die Bienen haben nach dem Volksglauben ausser ihrem Sinn für
Musik auch noch die besondere Gabe, gute und böse Menschen unter-
scheiden zu können. Man glaubt, dass die Nähe schlechter Menschen sie
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 2
Kirst! imbi is hûze! —
Nu fliuc du, vihu raînaz, hera,
Fridu frôno in gotes munt
Heim zi comonne gisunt.
Sizi, sizi, bina!
ínbot dir sánete Marjâ.
Hui'olob ni habe dû,
Zi holce ni flûc du,
Noh dû mir nindrinnês,
Noh dû mir nintuuinnêst.
Sizi vilu stillo,
Uuirki Godes uuillon.
Jesus Christ! der Schwärm ist draussen! —
Nun fliege du, liebes Tier, hierher,
Um unter dem Frieden des Herrn in Gottes
Unverletzt heimzukommen. [Schutz
Setze dich, setze dich, Biene!
So gebot dir Sankt Maria.
Urlaub sollst du nicht haben,
Zum Walde fliege nicht,
Dass du mir nicht entrinnest,
Noch dich mir entwindest.
Setze dich sehr stille,
Vollbringe Gottes Willen.
18
Müllcnlioff:
störe und zum Stechen reize. Leichtsinnige Weiber, Trinker, Apotheker
und Totengräber sollen den Bienenstichen besonders ausgesetzt sein. Einer
der unter schwärmenden Bienen stehend von diesen verschont wird, gilt
für einen guten Menschen. Der Glaube, dass die Biene schuldlose und
reine Menschen verschone, veranlasste Mädchen, ihren Verlobten dadurch
eine Tugendprobe zu geben, dass sie sich zu den Bienen stellten. — Und
in der That machen die Bienen grosse Unterschiede zwischen den Menschen.
Mancher wird von ihnen fast ganz verschont, andere erregen die Stechlust
der Bienen.
Seit im Altertum Aristoteles, Yergil, Plinius und zahlreiche andere
griechische und römische Schriftsteller über den Körperbau und die Lebens-
weise der Biene und die Methode der Bienenzucht eingehende Arbeiten
veröffentlichten, bis in die neueste Zeit, ist wohl über kein Tier so viel
geschrieben worden, wie über die. Biene. Auch über das Vorkommen und
die Pflege der Biene in Deutschland giebt es für einen Zeitraum von jetzt
bereits mehr als 2000 Jahren eine grosse Anzahl Nachrichten; bald sind
es einzelne kleinere Angaben, bald auch grössere zusammenhängende Dar-
stellungen. Aus der Gesamtheit dieser Aufzeichnungen lässt sich der Ent-
wickeluno'sgang; der Bienenkenntnis und der Bienenzucht recht vollständig
O O o O
ersehen.
Im folgenden will ich zu schildern versuchen, was mir aus der reichen
Litteratur von ganz besonderem Werte zu sein scheint.
Durch Pytheas von Massiii a erfahren wir, dass er bereits zur Zeit
Alexanders des Grossen bei den Germanen an der Nordseeküste und zwar
an der Emsmündung die Verwendung des Honigs zur Metbereitung an-
getroffen habe. Zahlreiche Nachrichten der griechischen und römischen
Schriftsteller bekunden die Häufigkeit der Bienen und die riesige Grösse
der Waben im Gebiete des Rheins und der Weser.
Uber die Art, wie die Bienenzucht von den germanischen Völkern
betrieben worden ist, machen allerdings die griechischen und römischen
Schriftsteller keine näheren Angaben. Doch erkennen wir aus den allen
germanischen Sprachen gemeinsamen alten Bezeichnungen für die Bienen
und ihre Wohnungen, was für Kenntnisse die germanischen Völker von
der Biene besassen und wie sie die Bienenzucht betrieben.
Solche den verschiedensten germanischen Völkern gemeinsamen Wörter
sind das Wort die Biene (das Einzeltier), die Imme (das Bienenvolk, der
Schwärm), die Drohne (das Bienenmännchen), die Bienenmutter (der Weisel,
die Königin), die Wabe (das Gewebe der regelmässig gewirkten Zellen),
die Huve (engl, hive, die Bienenwohnung aus Brettern, Baumrinde oder
auch aus Stroh).
Der Umstand, dass alle diese Ausdrücke rein germanischen Ursprungs
sind, dass vor allem keiner derselben aus dem Lateinischen stammt, beweist
ebenso wie das direkte Zeugnis des Pytheas und der anderen alten Autoren,
Zur Geschichte der Bienenzucht in Deutschland.
19
dass die Deutschen die Bienenzucht keineswegs erst durch die Mittel-
nieervölker kennen lernten; sie kannten die Biene und ihre wertvollen
Produkte schon von den ältesten Zeiten her.
Ja die germanischen Völker besassen sogar von dem Leben im Bienen-
staate eine viel klarere Vorstellung als die Völker des klassischen Alter-
tums. Zumal über die Cieschlechtsverhältnisse der im Bienenvolke ver-
einigten Tiere hatten die Griechen und Römer höchst unklare Ideen. AVeit
verbreitet war im ganzen Altertum die Meinung, dass Bienen aus dem
Fleische von Rindern und anderen grossen Tieren entständen. Aus dem
Stierfleisch sollten die besten, aus einem verfaulten Löwen herzhafte, aus
dem Kopfe dieses Tieres Prinzen und Könige entstehen; aus verfaultem
Kuhfleisch wüchsen sanftmütige und aus Kalbfleisch Schwächlinge. Aristo-
teles, Plutarch, Varrò, Columella, Vergil, Plinius und viele andere haben
dieser Ansicht gehuldigt. Vergil weiss sogar zu dieser Bienenerzeugung
bestimmte Regeln anzugeben.
Die Alten sprachen vielfach den Bienen die geschlechtliche Fort-
pflanzung ganz ab. „Sie erfreuen des Gatten sich nicht, noch eigenen
Geschlechtes" sagt Vergib Andere meinten zwar, dass die verschiedenen
in einem Volke vereinigten Bienenwesen entweder männlich oder weiblich
seien, waren aber im Zweifel darüber, wo im Bienenvolke das männliche,
wo das weibliche Geschlecht zu suchen sei. Aristoteles und viele nach
ihm hielten den Weisel (die Königin, wie wir jetzt gewöhnlich sagen) für
den einzigen Mann, der alle anderen Bienen begatte und dem sie alle
folgten, wie die Hennen dem Hahn.
Von den ältesten deutschen Schriftstellern wird dagegen die Bienen-
königin regelmässig richtig als die Bienenmutter und das ganze Volk als
ihre Nachkommenschaft bezeichnet. So lautet ein St.-Gallischer Bienen-
segen aus dem 8. Jahrh. (Grimm, D. Mythol.2, S. 1190):
Adjuro te mater apiorum Ich beschwöre dich, Mutter der Bienen,
Per Deum regem coelorum Bei Gott, dem Könige des Himmels
Et per illum redemptorem, Und bei dem Erlöser,
Filiura Dei te adjuro, Dem Sohne Gottes beschwöre ich dich,
Ut non te in altum levare Dass du dich nicht in die Höhe erhebst
Nec longe volare, Noch weit wegfliegest,
Sed quam plus cite potes, Sondern dass du so schnell du kannst,
Ad arborem te alloces Dich an den Baum setzest
Cum omni tuo genere Mit deiner ganzen Sippschaft
Tel cum socia tua. Oder mit deiner Genossin.
Ibi habeo bona vasa parata, Dort habe ich gute Behälter bereitet,
Ut vos in Dei nomine laboretis. Damit ihr in Gottes Namen arbeitet.
Man sieht, der St.-Galler Mönch war ein schlechter Lateiner aber ein
guter Kenner der Naturgeschichte der Biene. Sein Ausdruck mater apiorum
zeigt, dass er mit dem Latein recht willkürlich umging. Aber er wusste,
dass die Bienenkönigin (der Weisel) die Mutter der Bienen ist. Und der
20
Müllenlioff:
Ausdruck cum socia tua beweist, class der Schreiber des Bieneusegens-
beobachtet hatte, dass in dem Schwarme sich zuweilen zwei Königinnen
befinden. Dieses kommt zumal bei Nachschwärmen öfters vor. — Im
Angelsächsischen heisst die Königin beómodor und im Englischen
motherbee.
Die Bezeichnung Bienenmutter findet sich auch sonst in deutschen
Bienensegen. So heisst es in Westfalen:
Bimour, sette dick, Bienenmutter setze dich,
Tüh van diiesem plattse nit. Zieh von diesem Platze nicht.
Ick gäwe di hëus und platts, Ich gebe dir Haus und Platz,
Dëu sass driän hunaich un wass. Du sollst tragen Honig und Wachs.
Und ganz ähnlich heisst es in der Neumark:
Liebe Bienenmutter bleibe hier!
Ich will dir geben ein neues Haus,
Darin sollst du tragen Honig und Wachs.
Die alte richtige deutsche Auffassung, der Weisel sei die Bienen-
mutter, ist im Volke bis in die neuere Zeit hinein erhalten geblieben,
aber auch nur im Volke, nicht bei den Gelehrten. Bei diesen wurde die
durch die Autorität des Aristoteles gestützte irrige Meinung, der Weisel
sei ein Männchen, alleinherrschend. Und erst im Jahre 1672 wurde durch
Swammerdam der wahre Sachverhalt wissenschaftlich ermittelt, und es
vergingen noch über 100 Jahre bis diese Lehre sich bei den Gebildeten
allgemeine Anerkennung verschaffte. Man sieht: die Irrtümer haben ein
zähes Leben.
Germanische Völker haben überall, wo es nur irgend möglich war,.
Bienenzucht getrieben, sowohl in Italien und Spanien, wie im mittleren
Europa und in Skandinavien. Und überall im Süden wie im Norden ist
die Bienenzucht in ganz bedeutendem Umfange betrieben worden, das
erkennt man aus der grossen Anzahl gesetzlicher Bestimmungen, die den
Betrieb sichern.
Unter den ältesten germanischen Gesetzbüchern sind bezüglich des
Bienenrechtes besonders wichtig: Das Recht der Langobarden (die Lex
Rothari) für Italien im Jahre 644 verfasst, das Recht der Westgoten (die
Lex Visigotorum) für Spanien und Südfrankreich niedergeschrieben um 700,
von deutschen Gesetzsammlungen das um 550 aufgesetzte salische Gesetz
(die Lex Salica), das um 625 geschriebene Recht der ripuarischen Franken
(die Lex Ripuaria) und das um 650 entstandene Recht der Bayern (die
Lex Bajuvariorum). Bei den Nordgermanen nehmen die jütischen, see-
ländischen, schonisclien, ostgotländischen und südermannländischen Gesetze
auf die Bienenzucht Rücksicht. In Norwegen und auf Island setzte das
Klima der Bienenzucht unüberschreitbare Grenzen.
Diese Gesetzbücher sind untereinander recht verschieden in Bezug auf
juristische Dinge, aber alle stimmen untereinander fast vollständig üb er ein,
Zur Geschichte der Bienenzucht in Deutschland.
"21
wo es sich um Angaben bezüglich des Bienenzuchtbetriebes handelt. Es
lasst sich daher aus der Gesamtheit dieser Gesetze ein recht klares und
vollständiges Bild gewinnen, von der Bienenpflege bei den alten Germanen.
Man trieb Bienenzucht in beweglichen Stöcken (Kästen und Körben,
vas apium nennt sie die Lex Salica). Dieselben waren zuweilen einzeln
aufgestellt, zuweilen in grösserer Anzahl oder wie man jetzt sagen würde,
zu ganzen Bienenlagden vereinigt. Vielfach waren sie mit einer Umzäunung
eingefriedigt (Jvdske lov; Lex Salica: sub clave) und durch ein Dach vor
dem Regen geschützt (Lex Salica).
Aus der Lex Bajuvariorum geht hervor, dass man, um Bienenschwärme
einzufangen, besondere Stöcke aufstellte; Lockhuven nennt diese Stöcke
das Westerwolder Landrecht. Die in Bayern angewandten Lockstöcke
waren zuweilen aus Weidengeflecht (ex surculis), in anderen Fällen aus
Holz oder aus Rinde gearbeitet. Sie waren oben mit einem abnehmbaren
Deckel versehen und wie unsere jetzigen Strohkörbe, z. B. die Lüneburger
Stülper, unten offen. Das bayerische Gesetz schreibt nämlich ausdrücklich
vor, man solle, um einen entflogenen Schwärm wieder zu bekommen, den
Stock nicht oben öffnen, sondern das Volk durch Aufstossen des — unten
offenen — Stockes auf die Erde und durch Klopfen mit der Hand heraus-
treiben. Hier wird ein Verfahren beschrieben, das fast vollkommen mit
dem noch jetzt üblichen „Umlogieren" von Bienenvölkern übereinstimmt.
Bienenstände durfte man sich im allgemeinen überall einrichten. Doch
schreibt das Gesetz der Westgoten vor: Wenn jemand Bienen Wohnungen
in einer Stadt oder in einem Dorfe erbaut hat, und einem anderen Schaden
zugefügt hat, so soll er sogleich veranlasst werden, dass er seine Bienen-
stöcke in entlegene Ortlichkeiten bringt, damit sie nicht etwa an ihrer
alten Stelle Menschen oder Tieren Schaden bringen. Und wenn jemand
etwa diese Vorschriften nicht befolgt und es wird durch seine Schuld Vieh
getötet, so soll er das, was durch seine Schuld getötet ist, doppelt ersetzen,
und das, was beschädigt ist, soll er behalten und ein ähnliches zum Ersätze
geben und soll wegen .X ichtbefolgung des erhaltenen Befehls eine Brüche
von 5 solidi bezahlen.
Durchweg wird in den ältesten germanischen Gesetzen die Biene als
ein Haustier angesehen. In der Lex Ripuaria heisst es: Wenn jemand
ein Schwein aus der Bucht stiehlt, zahlt er eine Brüche von 12 solidi,
wenn er es vom Felde stiehlt, eine Brüche von 3 solidi, und ausserdem
ersetzt er den dreifachen Wert des Gestohlenen. — W'enn jemand ein
Schaf aus dem Schafstall stiehlt, so zahlt er eine Brüche von 6 solidi,
wenn er es vom Felde stiehlt, eine Brüche von 3 solidi, und ausserdem
ersetzt er den dreifachen Wert des Gestohlenen. — Wenn jemand einen
Bienenstock aus der Bienenlagd stiehlt, so zahlt er eine Brüche von
'2 solidi, und ausserdem ersetzt er den dreifachen Wert des Gestohlenen.
Mülleiihoff:
(Die in clem Gesetze genannten solidi bezeichnen, wie hier zum Ver-
ständnisse der Strafbestimmung angeführt sein mag, ebenso wie in anderen
fränkischen Gesetzen eine Rechnungsmünze, worin der Wert der landwirt-
schaftlichen Erzeugnisse ausgedrückt wurde. Im ripuarischen Rechte
vertrat der solidus den Wert einer gesunden Kuh.)
Im ripuarischen Gesetze werden somit die Bienen in dieselbe Reihe
mit Schweinen und Schafen gestellt und offenbar wie diese zu den Haus-
tieren. gerechnet.
Geradezu als Haustier bezeichnet wird die Biene im anfangs erwähnten
Lorscher Bienensegen. Sie wird in demselben mit vihu minaz, liebes Vieh,
angeredet. Das Wort vihu wird stets nur für Schafe und andere Haustiere
angewendet. In dem sanktgallischen Wörterbuche, das aus dem Ende des
7. Jahrli. stammt, wird demgemäss fihu geradezu mit gregies, Herdenvieh,
übersetzt. Und im 10./11. Jahrli. überträgt Notker III. in seiner Ver-
deutschung des Gesanges des Propheten Habakuk: Abscidetur de ovili
pecus et non erit armentum in praesepibus ganz sinngemäss mit den
Worten Smález fého uuirt kenómen fone stígo, rint ne stàt ze chrípfo:
Kleines Vieh wird genommen werden aus dem Schafstalle, Rinder werden
nicht mehr stehen an der Krippe. Notker stellt hierbei die Schafe, das
Kleinvieh, den Rindern, dem Grossvieh gegenüber. Dieses entspricht
genau dem jetzigen Sprachgebrauch; auch jetzt noch unterscheiden wir
Kleinvieh und Grossvieh und bezeichnen mit dem Worte Vieh oder liebes
Vieh (vihu minaz) nur Haustiere, nicht irgend welche beliebigen wilden
Tiere des Waldes und Feldes.
Die ursprünglich ganz klare deutsche Anschauung, die Biene sei als
ein zahmes Tier, ein Haustier, anzusehen, ist im Laufe der Zeit, als das
römische Recht mehr und mehr Geltung gewann, verdunkelt, ja selbst zum
grossen Teile durch die römische Auffassung verdrängt worden. Im Gegen-
satze zu der deutschen Anschauung, stellt das römische Recht den Grundsatz
auf, die Biene sei ihrer Natur nach wild. Diese aus dem römischen Recht
entnommene Bestimmung hat auch in Deutschland Geltung gewonnen und
findet sich sehr deutlich ausgesprochen in dem Magdeburger Weichbildrecht,
einer Gesetzsammlung, die im Anfang des 14. Jalirh. entstanden ist und
in vielen Städten namentlich des östlichen Deutschlands Geltung besass.
Im Magdeburger Weichbildrecht lieisst es: Ylüget en swarm ut enes manes
hove to sime nakebur, die nakebur is ijm naer to behaldene denne jene
die in gevolget hevet, wenne die bene en wilt worm is: Fliegt ein Bienen-
schwarm aus eines Mannes Hofe zu seinem Nachbarn, so ist der Nachbar
mehr berechtigt ihn zu behalten, als die, welche ihm gefolgt sind, denn
die Biene ist ein wilder Wurm.
Aber wenn auch hier und sonst vielfach die römisch-rechtliche An-
schauung Geltung gewann, so hat sich doch die alte deutsche Auffassung
nicht vollständig verdrängen lassen.
Zur Geschichte (1er Bienenzucht in Deutschland.
23
Die eigentümliche Natur der Biene hat von jeher besondere gesetzliche
Bestimmungen für dieses Tier nötig gemacht.
Mannigfache Vorschriften regelten vor allem den Erwerb und den
Besitz von Bienenschwärmen. Wenn jemand im Walde einen Schwann
findet, bestimmt die Lex Visigotoruin, so mache er drei Kreuzhiebe
(decurias, das Zeichen X), welche man Merkmale (characteres) nennt
Dieselbe Form der Besitzergreifung wird in der Lex Langobardorum er-
wähnt und es wird dabei hinzugefügt: Wer von einem gezeichneten Baume
im Walde Bienen wegnimmt, zahlt eine Brüche von 6 solidi.
Wie zäh das Volk an einmal eingeführten Rechtsanschauungen und
Rechtsbräuchen festhält, zeigt die Thatsache, class 800 Jahre, nachdem die
Lex Langobardorum niedergeschrieben wurde, im Jahre 1509 im Bücher-
thaler Landgerichtsurteil diese Sitte noch als rechtsgültige Form der Besitz-
ergreifung von herrenlosen Schwärmen angeführt wird. Ja noch im vorigen
Jahrhundert war die Sitte, einen Bauin, in dem man Bienen bemerkte,
durch Axthiebe zu zeichnen, in der Mark Brandenburg üblich.
Besondere Vorschriften schützten später den Waldbesitzer gegen die
Beschädigung ihrer Bäume; auch stand denselben, wenn aus ihrem Walde
ein Schwärm geholt wurde, der Honig zu, den die Bienen während ihres
Aufenthaltes im Walde eingetragen hatten (Rechtssprichwort: Honig folgt
nicht den Bienen).
Während es erlaubt war, auf dem eigenen Stande Lockstöcke auf-
zustellen, um die von den eigenen Völkern ausgehenden Schwärme auf-
zufangen, war die Aufstellung von Lockstöcken, ja selbst das blosse Be-
treten des W'aldes mit einem Lockstocke strenge verboten. Wer abgefasst
wird, während er im Walde, der einem anderen gehört, für die Bienen in
einem Behälter Lockmittel trägt, zahlt 3 Mark; so schreiben die schwedisch-
gotischen Gesetze. In Schweden und Dänemark lockte man nämlich die
Schwärme mit einer süssen Mischung (blande), die in einem schliessbaren
Gefäss (bikar, seruf) war. Noch heute wird in Schweden so verfahren.
Eine sehr harte Strafe setzt auf die Aufstellung von Lockstöcken das
Westerwolder Landrecht von 1470. Dasselbe bestimmt (V, 17): Dar ensal
nimant g-ene lockhuven setten in datt moer off velt oft' in dat broek by
sinem halse; wel se vindet, mach se den gerichten to seen laten: Da soll
niemand Lockhuven setzen in das Moor oder in das Feld oder in den
Wald, bei Todesstrafe. Wer immer solche Lockhuven findet, zeige sie
den Gerichten an.
Es bestand also nach Westerwolder Recht keineswegs die im Magde-
burger Weichbild vertretene Ansicht, dass die bene en wilt worm is. Die
Biene galt vielmehr als Haustier; denn die Aufstellung von Lockhuven
wurde ebenso wie der Bienendiebstahl bestraft.
Es würde zu weit führen, alle die zahlreichen Einzelbestimmungen
aufzuführen. Das Gegebene genügt, um zu zeigen, wie verbreitet in
•24
Müllenhoff:
Deutschland und den germanischen Nachbarländern die Bienenzucht war,
welche hohe Bedeutung dieselbe gehabt haben muss und dass die germa-
nischen Yölker ihr eigenes Verfahren der Bienenzucht ausgebildet haben
und dass sie von den Römern dabei keine nachweisbare Förderung er-
fuhren.
Eine Veränderung in der von altersher üblichen Betriebsart der
Bienenzucht trat erst ein, als die 'Deutschen mit ihren östlichen Nachbarn,
den Slay en, in nähere Berührung kamen. Sorben wohnten in Oberfranken
(am oberen Main und an der Rednitz), sowie zwischen Saale und Bober.
Zwischen Mittelelbe und Oder sassen die Lutizen; sie bewohnten die
Lausitz, die jetzige Mark Brandenburg und Vorpommern, Rügen und die
Inseln an der Odermündung. Abotriten hatten das jetzige Mecklenburg
inné'.- Polen und die ihnen naheverwandten slavisehen Pommern sassen
im Gebiete der Oder und Weichsel von den Sudeten bis zur Ostsee.
Alle diese slavisehen Völker trieben eine besondere Art der Bienen-
zucht, die man mit dem Worte Zeidelwirtschaft bezeichnet. Starke Kiefern
oder auch andere Waldbäume wurden unterhalb der Krone ausgehöhlt.
Die Höhlung wurde sodann mit einem Brette verschlossen, das nur eine
kleine Öffnung zum Aus- und Einfliegen der Bienen hatte. Diese aus-
gehöhlten Stämme wurden entweder von den schwärmenden Bienen von
selbst aufgesucht oder durch den Bienenhalter mit einem Schwärm besetzt.
Diese Zeidelwirtschaft, die noch jetzt in den slavisehen Rändern des
'Ostens, in Polen und Russland üblich ist, war bei den Sorben, Lutizen,
Abotriten und slavisehen Pommern weit verbreitet, und sie muss wohl für
die damaligen Verhältnisse der Ostmarken sehr zweckmässig gewesen sein,
denn bereits aus der Zeit der Okkupation dieser Landstriche durch die
Deutschen stammen Berichte über die grossen Erträge, die die Zeidel-
wirtschaft lieferte.
Durch die Einführung des Christentums und die Unterwerfung der
Slaven wurde im ganzen Gebiete die Waldbienenzucht nicht vermindert,
sondern eher gesteigert. Die Klöster erhoben von den slavisehen Zeidlern
Steuern an Honig und Wachs. Der Honig diente zum Würzen der Speisen
an Stelle unseres Zuckers, und zur Bereitung des bei Slaven und. Deutschen
gleichmässig verbreiteten und allgemein hochgeschätzten Getränkes, des
Mets. Das Wachs wurde von der Kirche zur Herstellung der für viele
gottesdienstlichen Handlungen unentbehrlichen Kerzen gebraucht. Die
Klöster hielten daher ihre Untergebenen zu regelmässigen Lieferungen
dieser Produkte an. Auch die Landesherrn bezogen aus dem Honig- und
Wachsertrage ihrer Waldungen bedeutende Einkünfte. Genaue Nachrichten
hierüber geben die Weistümer, das Landbuch Kaiser Karls des Vierten,
die Schossregister und zahlreiche andere Quellen.
Diese Zeidelwirtschaft blieb während des ganzen Mittelalters eine
Arbeit, die fast ausschliesslich von Leibeigenen, Hörigen, betrieben wurde.
Zur Geschichte der Bienenzucht in Deutschland.
25
Die Zeidler werden daher auch in den Urkunden mehrfach die Dedizen
(Dedititii, d. h. Leibeigene) genannt. Sie wohnten in den Städten ausser-
halb der Stadtmauern und konnten nur durch Loskauf von der Honigguide,
d. h. der Verpflichtung zur Lieferung von Honig an ihre Herren Bürger
der Stadt und Handwerker werden.
Früh schon vereinigten sich in den verschiedensten Gegenden die
Zeidler zu grösseren Verbänden; sie bildeten Genossenschaften mit ähn-
lichen Rechten und Pflichten, wie sie die Zünfte besässen; doch wurden
diese Zeidlergesellschaften nicht zu den freien Zünften gerechnet, offenbar
weil sich unter den Zeidlern vielfach Leibeigene befanden.
Derartige Zeidler-Genossenschaften bestanden:
1. in Pommern in den Landen Lauenburg und Bütow,
*2. in der Kurmark für die Umgegend von Fürstenwalde, Storkow,
Beeskow und Köpnick,
3. in der grossen Görlitzer Heide,
4. in der Oberlausitz im Amte Hoyerswerda und der Herrschaft
Muskau und
5. im Nürnberger Reichswald.
Die Zeidler hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit, und für jeden Bezirk
bestanden mancherlei, oft sehr wunderbare Satzungen und Gebräuche, über
die wir aus der Zeidelordnung Karls des Vierten, die Bütnerordiiung des
Herzogs Barnim von Pommern und andere alte Verordnungen unterrichtet
werden. In Pommern, der Mark und Schlesien hiessen danach die Altesten
der Zeidlerbrüderschaften die Starosten, die Aufsichtsbeamten hiessen die
Pscheradniks und die Richter führten den Titel Schuppan; lauter slavi sehe
Bezeichnungen. Dieselben bezeugen, dass die Zeidler grösstenteils slavischer
Abstammung waren. Slavischen Ursprungs ist auch das Wort Zeidler; das
Wort ist aus den germanischen Sprachen nicht zu erklären und ist (wie
Schade in seinem Althochdeutschen Wörterbuch ausführlich begründet)
aus dem slavischen Vcelari (Zeidler) abgeleitet, indem die Deutschen das
^ ort so wiedergaben, wie es der deutschen Zunge bequem war. — Weniger
sicher erscheint die Ableitung des Wortes Beute (die Bienenwohnung im
hohlen Baum) und der davon abgeleiteten Bezeichnungen Klotzbeute,
Bütner, Bütenbäume u. s. w. aus dem Slavischen. Jedenfalls ist, soweit
die vorhandenen Quellen erkennen lassen, der Gebrauch, Bäume aus-
zuhöhlen und diese Höhlung, die Beute, mit Bienen zu besetzen, slavischen
Ursprungs.
Eine für die Geschichte der Bienenzucht im östlichen Deutschland
selir wichtige Quelle ist das „polnische Rechtsdenkmal". Dieses Gesetz-
buch wurde im 13. Jahrh. in mitteldeutscher Sprache zum Gebrauche eines
Beamten des deutschen Ordens aufgezeichnet. Es giebt das in West-
preussen übliche polnische Volksrecht wieder und der Verfasser liebt im
Eingänge den Gegensatz zum deutschen und römischen Rechte besonders
26
Möllenhoff: Zur Geschichte der Bienenzucht in Deutschland.
hervor. Dabei enthält es so zahlreiche und genau eingehende Bestimmungen
über das Bienenrecht, dass es selbst ausführlicher in diesem Punkte ist,
als das gleichzeitige Jydske lov, das sonst von allen Rechtsbüchern über
die Bienenzucht die meisten Bestimmungen giebt.
Jahrhunderte lang hatte in ganz Deutschland die Bienenzucht in hoher
Blüte gestanden; sie hatte zumal in den östlichen neuerworbenen Ländern
in den waldreichen Ebenen so grosse Erträge gebracht, dass der Gewinn
aus der Zeidelwirtschaft fast dem Holzertrage der Waldungen gleichwertig
war. Da begann im 16. Jalirh. ziemlich zu gleicher Zeit für ganz Deutsch-
land eine Zeit des Niederganges der Bienenzucht.
Die Reformation verzichtete auf den Lichterglanz der Wachskerzen;
sie verminderte den Wachskonsum. Die Aufhebung der geistlichen Stifter
hatte vielfach zur Folge, dass der Honig- und Wachszins aufhörte; der
bisherige Zwang zur Bienenzucht fiel fort. Die Auffindung des Seeweges
nach Ostindien und die Entdeckung Amerikas führten den Import von
ostasiatischem Pflanzen wachs und amerikanischem Honig und Zucker herbei.
Als dann gar der Anbau der Zuckerrübe in Deutschland in grossem Mass-
stabe betrieben wurde, schien es, als sei eine lohnende Bienenzucht fürderhin
ganz unmöglich. Und doch erhielt sich wenigstens eine Betriebsart: die
Bienenzucht in Körben und Kästen.
Die Zeidelwirtschaft dagegen hörte allmählich in ganz Deutschland auf.
Der wachsende Preis des Holzes machte diese Betriebsart der Bienenzucht
unrentabel, welche gerade die schönsten und stärksten Stämme der Wald-
bäume verdarb.
Erst um die Mitte dieses Jahrhundert begann wieder eine Zunahme
der Bienenzucht. Dieselbe wurde ermöglicht durch die von Dzierzon ein-
geführte rationellere Methode des Betriebes, die beweglichen Waben, die
Honigschleuder u. a. Verbesserungen. Seitdem hat sich die Bienenzucht
zwar nicht zu der Bedeutung entwickelt, die sie im Mittelalter hatte, aber
sie ist doch ein nicht ganz unwichtiges Gewerbe. Nach der letzten Vieh-
zählung haben wir in Deutschland etwa 2 Millionen Bienenstöcke, und
man kann den Gesamtwert des produzierten Honigs und Wachses auf
jährlich etwa 30 Millionen Mark veranschlagen, eine recht bedeutende
Summe, beträgt doch der Wert der gesamten Erträgnisse der Jagd nur
17 Millionen Mark.
Die 24 000 Bienenzüchter, welche dem deutschen Centraiverein an-
gehören, sind über das ganze Reich ziemlich gleichmässig verteilt, und es
ist einem jeden, der sich für die Bienenzucht interessiert, durch das sehr
entwickelte Vereinsleben der Imker und die grosse Anzahl der deutschen
Bienenzeitungen leicht, sich über alles zu orientieren, was die Biene angeht.
Denn die Bienenzüchter treiben keine Geheimniskrämerei, sondern sind
stets bereit, einen jeden über das geheimnisvolle Leben ihrer lieben Bienen
zu unterrichten.
Mannhardt und Schwartz: Briefe.
27
Vier Briefe Wilhelm Mannhardts an Wilhelm Schwartz
und ein Brief von W. Schwartz an W. Mannhardt.
Als Anhang:
Zwei Briefe K. Müllenhoffs an W. Schwartz.
1
JL •
o. 0. u. J.
Lieber Herr Direktor!
Vielen Dank für Ihre vorige und die letzte freundliche Zusendung,
wovon die sehr interessante und treffliehe Abhandlung über die alt-
pr(eussische) Totenbestattung mich besonders angesprochen hat. Ihre Be-
richtigung meines Versehens hat ganz meinen Beifall. Ich hatte den
Fehler längst gesehen und namentlich wegen seiner Verwertung durch
Grohmann mich darüber geärgert. Es fand sich indes bis jetzt keine
passende Gelegenheit, ihn zu verbessern. Mit nächstem hoffe ich Ihnen
auch einige Kleinigkeiten zusenden zu können. Mit bestem Grasse
Ihr W. Mannhardt.
2.
Danzig, 29./6. 1865.
Hochverehrter Freund!
Es war längst meine Absicht, Ihnen zu schreiben, um Ihnen für ver-
schiedene Zeichen freundlichen Gedenkens herzlich zu danken, zumal für
die Zusendung Ihres reichhaltigen letzten Buches: Die poetischen Natur-
anschauungen.1) Aber Sie wissen wohl, wie es geht, ohne eine bestimmte
Veranlassung bleibt es gar leicht beim blossen A Vollen und ich bedauerte
nur, dass ich keine Gegengabe hatte, deren Überreichung mich zu schreiben
getrieben haben würde. (Nur ein kleines populäres Büchlein „Weihnachts-
blüten" wird Ihnen hoffentlich Ende 18<>3 vom Verleger auf meine Ordre
zugegangen sein.) Zudem bin ich sehr viel durch Krankheit behindert
gewesen; seit einem halben Jahre habe ich eines Augenleidens willen
kaum einen Federstrich arbeiten können, und erst seit einigen Wochen
darf ich wieder damit anfangen. Entschuldigen Sie also meine Versäumnis,
und glauben Sie, dass nicht Mangel an Interesse mich dazu veranlasst hat.
Ini Gegenteil, mit lebhafter Freude, bald zustimmend, bald ablehnend,
habe ich Ihre „Naturanschauungen" durchgemacht. Sie haben sehr viel
Neues darin angeregt, aber Sie müssen mir nicht verübeln, wenn ich sage.
1) W. Schwartz, Die poetischen Naturanschauungen der Griechen, Römer und Deutschen
in ihrer Beziehung zur Mythologie. I. Sonne, Mond und Sterne. Berlin 1865.
•28
Mannhardt und Schwartz:
(lass ich im allgemeinen darin weniger als denen in dem „Ursprünge der
Mythologie"1) folgen kann. Es liegt eben in der Natur derartiger Unter-
suchungen, wie wir sie anstellen, zumal aber in der Art derjenigen, die
Sie, verehrter Freund, pflegen, dass nur langsam und nach und nach
Sicherheit und Gewissheit ira einzelnen zu erreichen ist. Ich hoffe jedoch,
dass das Zusammenwirken von drei verschiedenen Standpunkten aus,
welche Sie, Kulm und ich einnehmen, uns mit der Zeit zum Ziele führen
werde, wenn wir jeder klar unserer Schranke bewusst sind. Ihnen bleibt
das grosse Verdienst, neue Gesichtspunkte eröffnet zu haben und durch
intuitive "Vertiefung in die Naturanschauung mit Hilfe grossartiger Phantasie
und ebenso bedeutender Gelehrsamkeit, ich möchte fast sagen alle jene
Möglichkeiten erschöpft zu haben, welche für die gläubige bildliche Auf-
fassung der Naturphänomen als erste Mythenansätze vorhanden sind. Kuhns
tiefe Vedenkenntnis und geniale Kombinationskraft spüren immer neue
Wahrscheinlichkeiten des Zusammenhängens europäischer und indischer
Mythen auf. In mir, der freilich sein geringes Wissen weder mit Kuhns
umfassender Sprachkenntnis, noch mit dem Reichtum Ihrer griechischen
Studien messen kann, klärt sich immer mehr eine dritte Arbeitsweise, wenn
ich so sagen darf, eine kritisch-historische, welche nach exaktem Wissen
strebend herauszustellen sucht, wo nun im einzelnen Falle wirklich ge-
schichtlich (von der jüngsten Form der Vorstellungen bis zur ältesten fort-
schreitend und dieselben in dein naturwüchsigen Zusammenhang ihrer ver-
schiedenen Erscheinungsformen betrachtend) die Forschung die nach Ihrer
und Kulms Methode gleichsam a priori gewonnenen Ergebnisse ebenfalls
herausstellt. Auf diese Weise werden wir drei, jeder nach seinen Gaben
gedeihlich nebeneinander wirken können, einander hier ergänzend, dort
berichtigend, vollständig selbständig und unabhängig voneinander werden
wir, in den Grundprincipien einverstanden, auf allgemeine Annahme unserer
Resultate um so sicherer rechnen dürfen, wann und wo dieselben auf ver-
schiedenen Wegen gewonnen miteinander übereinstimmen.
Ich hoffe, Ihnen in 1 — 2 Monaten einen längeren Aufsatz übersenden
zu können über „den Roggen wolf und Roggenhund", den ich vor 14 Tagen
nach Wien geschickt habe mit der Bitte, ihn in die Schriften der Akademie
aufzunehmen. Dieser Aufsatz wird Ihnen ein Bild von dem Gewinn und
der Wandlung geben können, die ich in den letzten sechs Jahren, seit
dem Erscheinen meiner Götterwelt (Jahren der Strache) in Bezug auf
meine Methode erfahren habe. Es ist die erste Probe aus einer begonnenen
grösseren Arbeit über die agrarischen Gebräuche der Germanen und diese
wieder der erste Grundstein jenes Werkes, von dem ich schon öfter mit
Ihnen gesprochen und dem Sie ein freundliches Interesse zuzuwenden so
1) Der Ursprung der Mythologie, dargelegt an griechischer und deutscher Sage von
W. Schwartz. Berlin 18G0.
Briefe.
29
gütig waren. Ich meine einen Quellenschatz der Yolksüberlieferung, der
die einzelnen Traditionen historisch rückwärts bis auf ihre erste Erwähnung
und in ihrem heutigen Vorkommen von Gau zu Gau bis auf die letzte
Grenze ihrer ethnographischen Verbreitung verfolgt. Ich habe bereits
2000 ausführliche Berichte zusammengebracht und sende jetzt eben wieder
-40 000 der Fragen, die ich deshalb drucken liess, an Schullehrerseminare.
au die Gymnasien und landwirtschaftlichen Vereine der deutschredenden
Länder in die Welt. In Polen, den russischen Ostseeprovinzen und Skandi-
navien ist die Nachforschung auch bereits angeregt; für Dänemark habe
ich im vorigen Jahre aus dem Munde von 600 Kriegsgefangenen in Grau-
denz ein reichhaltiges Material gewonnen. Ich darf gewiss auch auf Ihre
liebevolle Bereitwilligkeit rechnen, mich in dieser Sache zu unterstützen
und von den besandten 850 Gymnasien wird das Neu-Ruppiner — dank
der lebendigen Anregung von seiten seines Direktors — gewiss nicht die
wenigsten schlechtesten Beiträge liefern.
o o
Da fällt mir ein, dass ich Ihnen auch noch nicht zu der so verdienten
Beförderung meinen herzlichen Glückwunsch gesagt habe, welche Sie
freilich von Berlin entfernt hat und Ihnen so viele wissenschaftliche Hilfs-
mittel und den Umgang mit einer werten Familie und alten lieben Freunden
abschneidet. Ich hoffe nur, dass das Verhältnis in Ihrer neuen Heimat
sich möglichst angenehm für Sie gestalten mögen und Sie und ihre geehrte
Frau Gemahlin sich darin recht wohl und glücklich fühlen. Was mich
betrifft, so lebe ich einstweilen bei vieler körperlicher Schwäche und
häufigem Unwohlsein ganz glücklich im Schosse meines elterlichen Hauses.
Eine Stellung als zweiter Bibliothekar an der hiesigen Stadtbibliothek, die
mich täglich 3 Stunden in Anspruch nimmt, gewährt mir ein bescheidenes
Einkommen und lässt mir Musse, der begonnenen grösseren Arbeit mit
Eust und Eifer obzuliegen. Die Vollendung der agrarischen Gebräuche
^vird doch wohl einige Jahre erfordern. Ich hoffe, dass es mir später
möglich sein soll, die Vorlesungen an der Berliner Universität wieder auf-
zunehmen.
Diese Zeilen, deren Flüchtigkeit Sie gütigst mit der Masse der 600
vor den Ferien abzusendenden Pakete resp. Kreuzbände, die häufig schrift-
liche Beilage erfordern, entschuldigen wollen, werden Sie in vielbean-
spruchten Tagen erreichen. Ich wünsche Ihnen einen frohen und ungetrübten
^erlauf Ihres schönen Jubiläums. Gleichwohl hoffe ich, wird für Sie so viel
^e't übrig bleiben, um meiner Bitte (der Verteilung und Empfehlung
meiner Blätter an Ihre Zöglinge) willfahren zu können und wenn Sie
s°nst Gelegenheit haben in der Mark, namentlich nach der Priegnitz hin,
neue Fragen auszustreuen, oder selbst etwas zu erfahren, so bitte ich Sie
'lei'zlich, meiner Sache sich bundesbrüderlich annehmen zu wollen.
In Freundschaft und voll wahrer Hochachtung verbleibe ich
Ihr ergebenster Wilhelm Mannhardt.
30
Mannhardt und Schwartz:
Danzig, 3. Januar 1877.
Verehrter Herr Direktor!
Es drängt mich, nachdem Sie in diesen Tagen meine „Antiken Wald-
und Feldkulte"1) werden erhalten haben, Ihnen auszusprechen, dass der
ziemlich scharfe 'Widerspruch, den ich gegen einen grossen Teil der Er-
gebnisse Ihrer Forschung glaubte erheben zu müssen, in keiner Weise das
persönliche Gefühl der Zuneigung und Verehrung berührt, welches mich
mit Ihnen bisher verbunden hat und noch verbindet. Lassen Sie. dies
möchte ich Sie zu bitten mir erlauben, über der Differenz wissenschaft-
licher Ansichten und Methoden, die uns trennen, unsere Freundschaft nicht
in Stücke gehen und uns bei gegenseitiger Verteidigung unserer Stand-
punkte andererseits die wesentlichen gemeinsamen Uberzeugungen nicht
vergessen, welche uns in den Ausgangspunkten unserer Forschung einigen.
Indem wir $o auf verschiedenen Wegen einem und demselben Ziele zu-
streben, wird jeder einiges zu Tage fördern, was künftiger Forschung nutzen
kann; die Spreu wird verfliegen, die Körner werden bleiben. Der Wissen-
schaft wird die Arbeit von verschiedenen Seiten lier immer diesen und
jenen Gewinn abwerfen und allmählich muss aus unseren Irrtümern sich
die Wahrheit herausarbeiten. Indem ich Ihnen, verehrter Herr Professor,
für Ihre mehrfachen Zusendungen danke, die mir auch bei abweichendem
Standpunkt immer zu lernen geben, grüsse ich Sie herzlich zum neuen
Jahre!
Ihr Sie hochachtender und ergebener
Wilhelm Mannhardt.
Antwort von W. Schwartz an W. Mannhardt.
Posen, den 20. Januar 1877.
Erst jetzt komme ich dazu, Ihr freundliches Schreiben vom 3. d. zu
beantworten. Die in demselben ausgesprochenen Gesinnungen und An-
sichten begegnen sich vollständig mit den meinigen. So freudig ich den-
selben aber zustimme, kann ich Ihnen doch nicht ganz verhehlen, dass
Sie die Bethätigung derselben im öffentlichen Verkehr durch einzelne
Stelleu Ihres neuesten so bedeutsamen W^erkes2), für welches die Wissen-
schaft Ihnen nur dankbar sein kann und dessen Zusendung ich ebenso
empfunden hatte, nicht gerade leicht machen. So sehr ich nämlich auch
der sich S. XXIX aussprechenden Stimmung Rechnung trage und es bei
derselben doppelt erklärlich finde, dass Sie das neue Gebiet, auf welches
Sie Ihre Forschungen übertragen, früheren litterarischen Erscheinungen
1) Antike Wald- und Feldkulte aus nordeuropäischer Überlieferung, erläutert von
Wilhelm Mannhardt. Berlin 1877. (Teil 2 der Wald- und Feldkulte.)
2) Antike Wald- und Feldkulte.
Briefe.
gegenüber entsprechend hervorheben, auch vollständig anerkenne, dass
Sie denselben zum grossen Teil gerecht werden, auch vielen Ihrer weiteren
Ausführungen ganz beistimme, so spitzt sich doch stellenweise, geehrter
Herr Doktor, jenes Bestreben zu einer Schärfe des Angriffs, namentlich
im einzelnen zu, die im Interesse derselben Wissenschaft ohne gelegentliche
entsprechende Entgegnung hinzunehmen, man doch einiges Bedenken tragen
muss. Wenn ich auch speciell zugebe, dass die Form meines Buches
„Poetische Naturanschauungen", zu der übrigens, nebenbei bemerkt, ein
Gespräch mit Ihnen die Veranlassung gab, in seiner Ausführung vielleicht
für das grosse Publikum nicht gerade praktisch war, und besser die
mythologischen Exkurse ganz von der Sammlung der sprachlichen An-
schauungen getrennt worden wären, so werden Sie es doch bei nochmaligem
Erwägen (1er Schärfe Ihres Ausdrucks, glaube ich selbst, zugeben, dass
ich nicht alle Resultate der Naturanschauungen, wie des Ursprungs der
Mythologie und der Abhandlung über den Sonnenphallus u. s. w. durch
eine Bemerkung wie p. XXIII, Z. 28 ruhig kann öffentlich diskreditieren
lassen. Wenn (Wolfgang) Menzel in seinem Morgenblatt mich seiner Zeit
einer Idiosynkrasie beschuldigen Hess, weil ich die Mythologie am Himmel
suche, so konnte ich das ertragen, da ich mir des Gegensatzes voll bewusst
war, in dem die neue ÄVissenschaft zu dem bisherigen System steht; wenn
aber Sie, von dem das Publikum meint, dass Sie in derselben Richtung
arbeiten, ähnlich auftreten, so ist es bedenklich, dies ruhig hinzunehmen.
Sie sprechen von einem Yerstricktsein in einer grösstenteils selbst er-
schaffenen wirren Phantasiewelt und schildern doch selbst in einer Ihrer
neusten Publikationen die Zeit, deren Schöpfungen ich nachgehe, als eine
derartige, indem Sie das Bild von einem ewig brodelnden Zauberkessel
heranziehen, dem immer neue wechselnde, sich häufig ausschliessende,
einander widersprechende Naturbilder für ein und dieselbe Sache ent-
steigen. Sollte Ihr Vorwurf da nicht mehr den Stoff als den Forscher
treffen? Mag ich auch im einzelnen zuweilen zu kühn vorgegangen sein,
manches berichtigt werden, ja fallen, die allgemeineren Resultate dürfte in
ihrer Mehrzahl niemand umstossen. Wie nah kommen ihnen nicht, ganz
abgesehen von anderem, auch schon Grubernatis, Schoene, deren Schriften
ich jüngst durchmachte, von ganz anderem Standpunkte aus, ja Sie selbst
iniiner wieder und wieder gelegentlich, z. B. beim Sonnenbaum, und wollen
Sie denn alle Ihre früheren Schriften ganz verleugnen?
Wie mit dem Obigen steht es mit dem anderen allgemein gehaltenen
\ orwurf p. XXIV, Z. 6 ff. in betreff der Quellenbenutzung, den ich weder
m seinem ersten noch zweiten Teile zugeben kann.
Wenn ich (ad 2) Jacobis mythologisches Wörterbuch — denn von
dem ist doch nur die Rede —, wo es mich auf etwas aufmerksam gemacht,
durch Anführung gerecht geworden bin, aacli wo ich, wie fast immer ge-
schehen, die Stellen nachgeschlagen, die der Verfasser anführt, so geschah
32
Mannhardt und Schwartz:
es teils aus einer vielleicht zu weit getriebenen Gewissenhaftigkeit, teils
für ein bequemes kompendiarisches Nachschlagen anderer. Bs fällt dabei
doch sehr ins Gewicht, dass es kein populäres Wörterbuch etwa ist, sondern
ein wissenschaftlich gehaltenes, höchst fleissig und exakt gearbeitetes Werk.
Die Behauptung, dass durch gelegentliche Heranziehung desselben die
ganze Methode gelitten, scheint mir zumal ungerechtfertigt. Dasselbe gilt
von p. XXXII, wo Sie für Prof. Friedländer, einen gemeinsamen Gegner,
eintreten und mir etwas in einer Allgemeinheit imputieren, was ich so gar
nicht behauptet habe, und dann es scharf zurückweisen. Falls Sie noch
einmal die Abwehr des Fr : Angriffs ansehen, dürften Sie mir zugeben,
dass ich nur in einem bestimmten von ihm provozierten Falle die Kon-
sequenz des von ihm bei Besprechung desselben gewählten Küsterstand-
punktes humoristisch gezogen habe. Ich that dies um so mehr, als ich
von Schülern von ihm hörte, dass jene Behauptung über meine angebliche
Geringschätzung des Homer sein Evangelium sei, welches er bisher schon
vom Katheder immer — und natürlich dort unwiderlegt — verkündet, ich
gestehe Ihnen offen, dass mich Ihre scharfe Parteinahme und das mit der-
selben verbundene oben angedeutete Missverständnis, als ob icli überhaupt
an Küstergeschichten zweifelte, um so mehr überrascht hat, als ich trotz
alledem voraussetzen zu können glaube, dass Sie in den betreifenden
Mythen, um die es sich ja nur handelt, die Spuren gemeinsamer Urtradi-
tionen selbst nicht verkennen. S. 340, Anni, will ich nicht urgieren, aber
selbst, wenn ich nach Ihrer Bemerkung das Umstürzen des Tisches (trotz
der im Ursprung der Mythologie angeführten Analogie) fallen liesse, so
miisste ich mindestens gegen das „auch hier" protestieren. Wenn ich
aber auch in diesen und ähnlichen Punkten mir die öffentlich abgenötigte
Abwehr gelegentlich vorbehalten muss und dann vice versa nur zu er-
wägen bitte, dass es eben nur eine Abwehr und eine Abwehr im Interesse
der Sache ist, der Sie ja auch dienen, so hoffe ich doch auch, dass über
die Differenzen um so weniger die freundschaftlichen Beziehungen, d. h.
das Bewusstsein gemeinsamen Strebens in dem Aufbau einer ganz neuen
Wissenschaft ernstlich leiden werden als, je mehr man sich in dieselben
vertieft, das Feld um so grösser erscheint, fast fortwährend neue Perspek-
tiven und Fragen auftauchen, so dass jeder noch lange Spielraum die Hülle
und Fülle für die Entfaltung seiner Ideen finden dürfte. Bei allen Irr-
tümern im einzelnen, die ich bei mir wie bei jedem andern Übrigen,
namentlich bei einer späteren Revision des vor Jahren Geschriebenen
finde, meine ich doch immer mehr soviel sich zusammenfügende Resultate
zu sehen, dass ich die wenn auch langsam heranwachsende Entwickelung
der betreffenden Wissenschaft immer deutlicher wahrzunehmen glaube und
darin immerhin eine Befriedigung empfinde.
Wenn wir drei, Kuhn, Sie und ich durch günstigere Fügung der Ver-
hältnisse vor ca. 15 Jahren etwa an eine Universität berufen dem ruhigeren
Briefe.
33
Ausbau derselben hätten leben können, dürfte derselbe schon jetzt weiter
gediehen und die Sache sich allseitigere Anerkennung- und damit auch
grössere eigene Befriedigung erworben haben; nichtsdestoweniger glaube
ich doch, dass wir das Bewusstsein haben können, im allgemeinen die
Grundlagen richtig gelegt zu haben.
Möge Ihnen, und das sage ich in Bezug auf p. XXIX, noch vergönnt
sein, manches Werkstück noch zu unserer Wissenschaft beizutragen, wie
ich auch hoffe, dass mir mein Amt oder genauer gesprochen die Ferien
einmal bald den Abschluss einer Arbeit ermöglichen, die neben dem
II. Teil der Naturalischauungen schon lange darauf wartet und gerade
nach allseitigen Richtungen geht, so dass speciell mir auch das Erscheinen
Ihres Baumkultus sehr erwünscht kam, wir uns auch vielfach in den in
Ihrer neuesten Einleitung ausgesprochenen Ideen berühren dürften.
Ich musste mich nur erst im vorigen Jahre schulmännisch frei schreiben
mit einem Buche, welches ich gleichzeitig als ein kleines àvztôcogov für
Ihre wertvollen Zusendungen anzunehmen bitte. Es will den Reform-
bestrebungen unserer Zeit gegenüber ausführen, dass die beste Reform der
höheren Schule der praktisch methodische und gewissenhafte Ausbau im
Sinne der preussischen Schulgesetzgebung ist. Nachdem ich so nach dieser
Seite mein Gewissen salviert, denke ich wieder, so Gott will, etwas mehr
zu jener anderen Beschäftigung mich wenden zu können.
Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen, in den ausgesprochenen
Hoffnungen
Ihr W. Schwartz.
4.
Danzig, 21. Februar 1877.
Yerehrter Herr Professor!
Ihr lieber Brief vom 20. Januar ist mir eine besondere Freude gewesen;
Sie hätten schon längst eine Antwort darauf, wenn ich nicht durch einen
Kopfrheumatismus mehrere WTochen hindurch völlig arbeitsunfähig gewesen
wäre. Lassen Sie mich Ihnen nun zunächst herzlich danken, sowohl für
Ihre Zeilen, als für das Geschenk Ihres wertvollen Buches, welches ein
schönes Zeugnis davon ist, wie Sie eine segensreiche praktische Berufs-
tätigkeit wissenschaftlich zu vertiefen und fruchtbar zu machen verstehen,
weben welcher dann, was Sie ausserdem noch für die Wissenschaft leisten,
um so dankenswerter erscheint, als es mit dem Opfer mancher zur Er-
holung bestimmter Stunde erkauft ist. Um nun auf die Schmerzenskinder
Ihrer Musse und dasjenige Gebiet wissenschaftlicher Bestrebungen zu
kommen, auf welchem wir gemeinsam nach der Palme der Wahrheit ringen,
so lassen Sie mich mit der Bemerkung beginnen, dass selbstverständlich
auf meinen scharfen Angriff eine Abwehr wie Sie sie irgend für nötig
'•alten werden, Ihnen unbenommen bleiben muss, oline dass ich aus der-
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. •>
34
Mannhardt und Schwartz :
selben einen Grund zur Empfindlichkeit schöpfen dürfte. Darf ich ja
doch vertrauen, dass Sie sich, ebenso wie ich es zu thun gemeint habe,
lediglich an die Sache halten werden. Kleine Missverständnisse laufen
übrigens leicht mit unter und bei allem ernsten Streben dem andern ge-
recht zu werden, scheitert dasselbe vielfach an der Schwierigkeit der Auf-
gabe. Wofern ich also Ihre Anschauung nicht überall ganz korrekt wieder-
gegeben habe, schreiben Sie das, verehrter Herr Professor, nicht böser
■ Absicht zu. Indem ich mir nun erlaube, über die in Ihrem Briefe be-
rührten Differenzpunkte zwischen unseren Anschauungen im einzelnen
mich etwas deutlicher auszusprechen, bemerke ich zuerst, dass es mir mit
Ihnen eigen geht. Niemand kann lebhafter als ich von der Bedeutung
Ihrer Forschungen für die Entwickelung der Wissenschaft durchdrungen
sein, ich fühle mich sozusagen als zu Ihrem Fleisch und Blut gehörig,
aber sobald ich an die Prüfung des einzelnen gehe, schwinden mir Ihre
Resultate zum grossen Teile unter den Händen, und es hilft nicht, dass
ich wieder und wieder zur Betrachtung derselben zurückkehre, ja in den
letzten Jahren ist mir selbst vieles von dem, was mir früher sicher schien,
ebensowohl als so manches mir sehr plausible Ergebnis eignen Forschens
wieder sehr zweifelhaft geworden. Lege ich mir Rechenschaft über die
Gründe ab, so stellt sich in der That eine nicht zu unterschätzende Ab-
weichung zwischen unseren Ansichten und unserer Methode heraus. Nicht
als ob ich den himmlischen Ursprung mythologischer Gebilde leugnete,
aber ich glaube entschieden nicht zugeben zu können, dass die gläubige
Apperception der Himmelserscheinungen den Ausgang und Mittelpunkt
der „ganzen Mythologie" bildete; auch behaupte ich, dass ein grosser
Teil der von Ihnen zum Ausgangspunkte der Deutungen gemachten Natur-
anschauungen nur Ihre eigene Konjektur oder als Bilder bei subjektiven
Dichtern nicht als volkstümliche Schöpfungen nachgewiesen sind. Dies
war der Grund, weshalb, ich in dem von Ihnen erwähnten und zu Ihren
„Naturanschauungen" in Beziehung gesetzten Gespräche den Wunsch aus-
gesprochen hatte, es möge jemand die sicher nachweisbaren bildlichen
Naturanschauungen sowohl aus dem Yolksmund als aus den Dichtern jede
für sich zusammenstellen (also z. B. solche Benennungen wie Kühe, Böcke
für Wolken, Antike Wald- und Feldkulte 156. 203). Insofern nun Sie
diese — meiner Meinung nach — zu grossem Teile nur in Ihrer Konjektur
bestehende chaotische Fülle von Yerbildlichungen der eoelestischen Phä-
nomene zum Ausgangspunkte aller Mythologie machen, ohne der mythischen
Apperception der verschiedenartigsten irdischen Gegenstände und der viel-
verzweigten Sippe jüngerer mythischer Bildungen gebührend Rechnung zu
tragen, erlaubte ich mir von einem Yerstricktsein in eine wirre Phantasie-
weit zu reden; bezweifle aber dabei an und für sich keineswegs, dass die
grossartigeren Naturphänomene mannigfache Bilder im Geiste der älteren
Menschheit erweckt und dass verschiedene derselben zu eigentlichen Mythen
Briefe.
35
weitergesponnen wurden. Daher konnte ich mit Reelit hinsichtlich der
Sonnenbilder die citierte Stelle vom brodelnden Zauberkessel schreiben.
Allein jede solche mythische Apperception ist zunächst nur ein einfaches
Oe bilde, gewissermassen eine einfache Zelle; zusammengesetzte Bildungen,
wobei ganze Komplexe einen gleichartigen Inhalt verraten, werden kaum
•anders als durch eine dasselbe Grundthema variierende, später mehrere
Bilder akkumulierende Poesie entstehen. Deshalb habe ich ziemlich kühn
vermutet, dass die Argonautensage (falls Ihre Deutung auf das Leben der
Sonne richtig ist) eine Reminiscenz aus mehreren uralten griechischen
Sonnenhymnen nach Art der vedischen von der Ushas sein möge. Der
Zuwachs, welchen in den meisten Fällen der ursprünglichen Zelle die
epische Poesie zuführt, ist von anderem Stoff als die der ersteren zu
Grunde liegende Naturanschauung. Da aber in der überwiegenden Mehr-
zahl der Fälle auf dem Boden der griechischen Mythologie das Bewusstsein
von der ursprünglichen Naturbedeutimg der Mythen bereits vor Homer sich
verloren hat, da in der hornerischen Zeit bereits die fremden Zusätze den
Naturkern überwuchern, so ist es grösstenteils ungemein schwer, die Grund-
bedeutung mit Sicherheit herauszuerkennen, ohne Beiwerk für wesentliches
zu halten oder aus den gleichgestaltigen Naturbildern verschiedener Phä-
nomene jedesmal das zutreffende herauszufinden. Es kann das nur (und
häufig auch nur annähernd) durch genetische Untersuchung des ganzen
Sagenkreises geschehen. Dass Sie, verehrter Herr Direktor, eine solche
nicht anstellen, dies war meine Meinung, wenn ich Ihnen Arbeit mit dem
mythologischen Lexikon zum Vorwurf machte; nicht die Verwendung und
■offene Nennung einer so achtenswerten und zuverlässigen Arbeit, wie das
Jacobische Buch ist, an sich wollte ich tadeln. Hätten Sie diesen Gesichts-
punkten grösseren Einfluss gegönnt, so würden Sie z. B. auch den ätio-
logischen Sagen mehr Rechnung getragen haben, deren Gebiet mir sehr
viel ausgedehnter scheint als man je geahnt hat. Die darauf bezügliche
Stelle — entschuldigen Sie — habe ich geschrieben, ohne Ihre betreffende
Abhandlung zur Hand zu haben; nur einige Notizen, die ich mir gemacht,
lagen vor; aber die 3 Sagen, um welche es sich handelt, kann ich nicht
für urverwandt erkennen; die Übereinstimmung erscheint mir nur als zu-
fällig und von der Faunussage, wie derjenigen von Dionysos, glaube ich
nachweisen zu können, dass wie und warum sie beide nur Deutungen von
Kulthandlungen sind. Ätiologische Sage erkenne ich auch in der Lykaon-
sage und das auch hier in Anm. 1, S. 340 bezieht sich unter anderem
darauf, dass schon Ihre Auffassung des Lykaon ein vgteqov tiqóxeqov ent-
hielt, indem nicht die Sage das frühere war, sondern der Kultakt; jene
îst erst aus letzterein, nicht einmal unmittelbar, sondern sekundär ent-
standen; zur Erklärung der ursprünglichen Vorstellung ist nur der durch
Rückschlüsse zu rekonstruierende Kultakt selbst zu verwenden. Fasse ich
alles zusammen, so scheint es mir, dass Sie gewissermassen mehr aprio-
36
Mannhardt und Schwartz: Briefe.
ristisch zu Werke gehen, während meiner Eigentümlichkeit eine streng-
induktive Methode mehr zusagt und deshalb als zu verwirklichendes Ideal
vorschwebt. Beide Richtungen ergänzen sich und leben mit und durch-
einander. Es ist aber natürlich, dass die Resultate der ersteren durch die
Specialforschung sich mannigfache Korrekturen und Beschränkungen müssen
gefallen lassen, bis sich alles zurechtrückt. So etwa fasse ich das Ver-
hältnis unserer Standpunkte und, wenn ich dabei in der Polemik einige
Schärfe hervorkehrte, so sehen Sie daran lediglich das erfahrungsrnässig
gerade zwischen nächstverwandten Richtungen hervortretende (leider nur
allzuhäufig in Unduldsamkeit ausartende) Interesse einer deutlichen und
scharfen Scheidung in den abweichenden Punkten. Auf der Differenzierung
beruht ja der Fortschritt. Sobald diesem Interesse genügt ist, dürfen wir
zu einer stärkeren Betonung dessen, was uns einigt, zurückkehren. Dass
wir, wenn uns die Gunst der Umstände ein gemeinsames Arbeiten
mit mündlichem Ideenaustausch gestattet hätte, uns mehr ausgeglichen
hätten, bin auch ich überzeugt. Ihr freundlicher Brief lässt mich aber
noch dazu hoffen, dass wir uns auch in manchen Punkten, in denen unsere
Ansichten auseinanderzugehen scheinen, verständigen werden. So sehe
ich denn mit Spannung und in Erwartung vielfacher Belehrung Ihren in
Aussicht gestellten beiden Werken entgegen. Glauben Sie und seien Sie
überzeugt, dass ich jede Ihrer Kombinationen öder beigebrachte That-
sachen, zumal so hoch interessante, wie die Zeitschrift für Ethnologie,
VII, 403, mit gebührender Aufmerksamkeit wiederholt überlege und
über ihre Tragweite mir klar zu werden suche. Weit entfernt, meine
eigenen Aufstellungen für etwas Anderes als Versuche zu halten, die auf
sehr verschiedenen Stufen des Gelingens stehen, lebe ich mit Ihnen gleich-
wohl der Hoffnung, dass die Zukunft unseren Bestrebungen das Zeugnis
nicht versagen wird, einige wesentliche Grundlagen zum wissenschaftlichen
Verständnis der Mythologie gelegt zu haben. Ich stehe aber den klassischen
Mythologen weniger fremd gegenüber als Sie, sondern stehe gewissermassen
vermittelnd zwischen Ihnen beiden.
Leben Sie wohl, verehrter Herr Professor; es grüsst Sie hoch-
achtungsvoll
Ihr W. Mannhardt.
Zwei Briefe von K. Mülleiihoff an W. Schwartz.
1.
Kiel, den 6. September 1851.
Verehrter Herr!
Sie werden vielleicht schon im Londoner Athenaeum (March 1851 r
JSTo. 1219. 1220) eine Anzeige von Thorn. Wrights Narratives of sorcery
and magic bemerkt haben. Wenn nicht, so erlaube ich mir, Sie darauf
Schell: Bergische Hochzeitsgebräuche.
37
aufmerksam zu machen und Sie zugleich an Ihr Versprechen für unsere
Zeitschrift zu erinnern. Es wird Thnen wohl leicht möglich sein, das Buch
in Berlin, sei es durch die Bibliothek oder vielleicht von Jacob Grimm
oder sonst jemand, zu erhalten. Es würde uns sehr angenehm sein, wenn
Sie Ihren Aufsatz, als dessen Thema Sie mir das Hexenwesen nannten,
an diese Schrift anknüpften. Jedenfalls hoffe ich, dass Sie unser nicht ver-
gessen werden.
Von Kulm, den ich herzlich zu grüssen bitte, habe ich gehört, dass
er in Westfalen auf der Sagenjagd gewesen; ich hoffe, dass er wohlbeladen
heimgekehrt. Ich nehme einen doppelten Anteil an Ihrem Werk, einmal
als Mytholog, dann auch, weil mein Geschlecht vom väterlichen Grossvater
her der roten Erde angehörte.
Seien Sie bei mir stets der herzlichsten Hochachtung und freund-
schaftlichsten Gesinnung versichert, mit der ich verbleibe der Ihrige
K. Müllenhoff.
/
2.
Berlin, den 11. November 1862.
Verehrtester Herr Professor!
Wie sehr ich mich Ihres Programms „Der heutige Volksglaube" gefreut
habe, und wie hoch ich dasselbe halte, da es uns zuerst das rechte Wort
für den Inhalt des Volksglaubens gab, habe ich Ihnen ehedem ausgesprochen.
Mit vielem Vergnügen habe ich daher Ihre Abhandlung in der neuen
Gestalt, die Sie ihr gegeben haben, gestern Abend durchlaufen, wenn ich
Ihnen auch, ich gestehe es, in den neu ausgearbeiteten Partien nicht zu
folgen vermag. Ich würde Ihnen gern meinen Dank persönlich abstatten,
wenn nicht meine Zeit durch Vorlesungen und die Dekanatsgeschäfte so
in Anspruch genommen würde, dass es mir unmöglich ist, die Reise zu
Ihnen anzutreten. Seien Sie durch diese Zeilen meiner Erkenntlichkeit
und aufrichtigen Ergebenheit versichert, mit der ich verbleibe stets der Ihre
IL Müllenhoff.
Bergische Hochzeitsgebräuche.
Von 0. Schell.
Die ursprüngliche Fülle der Formen und Bräuche, welche bei dem
ersten und höchsten Feste des Menschen, dem Hochzeitsfeste, und allem,
^ras ihm notgedrungen vorangeht, herrschte, hatte sich schon mit dem
Ende des Mittelalters verloren. Die Mundschaft hatte den im Recht fest-
38
Schell:
gestellten, im Yolksbewusstsein lange haftenden Wert eingebüsst. Die
einstigen Standesunterschiede waren auch hier zn Lande fast ganz ver-
wischt worden, um so mehr, als das Bergische einer der wenigen Striche
Deutschlands war, wo die Unfreiheit und Hörigkeit, von ganz vereinzelten
Ausnahmen abgesehen, unbekannte sociale Formen waren. Zwar standen
viele Freien des Bergischen Landes zu diesem oder jenem Adelsherrn,
zu hohen Kirchenfürsten, in einem Lehnsverhältnis, das durch die örtlichen
Weistümer (Lacomblet-Harless, Archiv, Bd. 6. 7) seine Regelung erfuhr.
Doch sind wir nicht imstande, auf Grund jener rechtlichen Festsetzungen,
deren schriftliche Fixierung für unsere Gegend meist verhältnismässig spät
erfolgte, festzustellen, welche Macht darin dem heimischen Adel bei den
Eheschliessungen seiner Unterthanen eingeräumt war. Die rein materiellen
Fragen, die Festsetzung von Spann- und Handdiensten, die Regelung der
Kurmut u. a. überwiegt entschieden in diesen Weistümern. Dazu hat
schon K. Weinhold (Die deutschen Frauen in dem Mittelalter, Wien 1851 7
S. 196, I3, 275, Wien 1897) nachgewiesen, dass landesherrliche Ehestiftungen
nur bis ins 16. Jahrhundert nachweisbar sind. Und mit diesem Zeitpunkte
sollen unsere Ausführungen aus weiter unten anzuführenden Gründen erst
einsetzen.
Ein zeitlich weiteres Zurückgehen als ins 16. Jahrh. ist schon wegen
der beiden Yolksstämme, welche die ursprüngliche Bevölkerung des Ber-
gischen bilden, nämlich der Franken und Sachsen, kaum thunlich. Die
fränkische Sitte scheint allerdings im Laufe der Jahrhunderte die sächsische
immer mehr verdrängt zu haben; doch kann die sächsische Stammesart
in den östlichen Strichen des vormaligen Herzogtums Berg auch heute
noch keineswegs geleugnet werden. Die gesetzlichen Bestimmungen der
Franken und Sachsen weichen ganz gewaltig voneinander ab; das Rechts-
bewusstsein des Volkes musste dadurch stark beeinflusst werden und
weiterhin Sitte und Brauch, vor allen Dingen bei einem so hochgehaltenen
Feste wie der Hochzeit, ungemein in Mitleidenschaft ziehen.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand.
Ausser der Völkerwanderung hat wohl keine geschichtliche Epoche
das deutsche Volksleben so sehr beeinflusst, wie die mehrhundertjährigen
Kreuzzüge. Die hehre Begeisterung, der mittelalterlichen Kirche höchster
Triumph, welche aus allen Gauen Deutschland die Kämpfer hinaustrieb
zum sagenumwobenen Morgenlande, musste das Volksleben auf manchen
Gebieten umbilden und verbilden, da die germanische Sitte durch orien-
talische Anschauungen teilweise verdrängt wurde. Diese Behauptung
lässt sich auch für das Bergische, namentlich an der Hand seiner Sagen,
deutlich nachweisen (Meine Bergischen Sagen, S. 406 u. a. a. 0.). In die
Ansichten über die Ehe und aller ihr anklebenden Vätersitte mischte sich
vielfach die grundverschiedene Auffassung des Orients.
Bergisclie Hochzeitsgebräuche.
39
Im Anfang des 16. Jahrhunderts fand dann die Reformation willigen
Eingang im Bergischen, um gegen den Ausgang desselben an manchen
Orten wiederum durch die katholische Kirche verdrängt zu werden. Auch
diese Zeit musste der Sitte des Yolkes manchen Wechsel bringen. Schon
der Umstand, dass dieser oder jener Brauch aus der Yorzeit von der
evangelischen Kirche als „papistisch" angesehen wurde, war hinreichend,
auf seine Abstellung zu dringen, um so mehr, als man nun guten Grund
zu haben glaubte, dem „papistisch" noch ein „heidnisch" hinzuzufügen,
wofür 'die Protokolle der evangelischen Konsistorien des Bergischen Landes»
ungezählte Beispiele erbringen. Die .Kirche gelangte in dieser Zeit zu
immer grösserer Herrschaft über das Yolk, und mehr oder minder willig
unterwarf sich dieses auch im Brauch der allmächtigen, nicht nur im
Glauben.
Durch diese Ausführungen ist der Rahmen gezogen, den wir bei den
weiteren Ausführungen beobachten müssen. Nach Arbeiten, wie z. B. von
K. Weinhold (Die deutschen Frauen in dem Mittelalter, Wien 1851, 3. Aufl.,
Wien 1897), kann es eben hier nicht unsere Aufgabe sein, auf die histo-
rische Entwicklung der an der Hochzeit haftenden Anschauungen und
Gebräuche auch nur im Bergischen einzugehen. Unsere knappen Dar-
legungen sollen nur ein lokal begrenztes Gebiet ins Auge fassen, um
Brauch und Sitte an dem ersten und höchsten Feste des menschlichen
Lebens in diesem zu kennzeichnen.
Auch zeitlich muss diese Arbeit bedeutend eingeschränkt werden. Da
die älteren historischen Quellen für unsere Gegend in der beregten Richtung
Iiis zum ausgehenden Mittelalter äusserst dürftig fliessen, dazu von dem oben
genannten Altmeister in seiner noch immer klassischen Arbeit ziemlich
erschöpfend für die Franken und Sachsen, die ehemaligen Bewohner des
Bergischen ausgeschöpft wurden, so muss es uns genügen, der Entwicklung
der Hochzeitsgebräuche im Bergischen nach derZeit des Mittelalters, nicht
zuletzt an der Hand der Volksüberlieferung, nachzugehen.
Wir haben es bei unserer Untersuchung nicht allein mit der Hochzeit
an und für sich zu thun, sondern auch schon mit der Anbahnung des
Liebesverhältnisses, das mit der Hochzeit seinen Abschluss findet.
Hier muss zunächst das „Gedöhn" hervorgehoben werden. Dieses findet
nur im Herbste statt, wenn die Yorräte für den Winter eingekeltert werden.
Namentlich gilt dies vom Rübstiel. Ist dieses so weit gediehen, dass ein-
gemacht werden kann, dann ladet die Bäuerin oder die Frau des Kotsassen
die Nachbarinnen ein, an einem bestimmten Nachmittage zum „Muss-
streppen" zu kommen. Frauen und erwachsene Mädchen stellen sich dann
ein, meistens mit einem scharfen „Zoppenmetz" versehen, und in eifrigem
Schaffen verläuft der Nachmittag und Abend. Ist letzterer etwas weiter
vorgerückt, dann finden sich die Liebhaber der Mädchen, die Ehemänner
der verheirateten Frauen ein, und fröhliche Ausgelassenheit mit Musik,
40
Schell:
gewürzt mit manchem kräftigen Tranke, erfüllt das Hans, wie in den
Spinnstiiben anderer Gegenden. Zu später Stunde begleitet der Bursche
seine Angebetete heim, der er sich vielfach erst bei dieser Gelegenheit
genähert hat. Ähnlich geht es zu bei dem Schälen der zu trocknenden
Birnen, beim Einmachen der Bohnen u. s. w.
Zu den Gelegenheiten, welche eine ehrbare Annäherung der jungen
Leute ermöglichen, gehört vor allen Dingen das Mailien (Mailehen),
worüber sich K. Rademacher in der Zeitschrift des Bergischen Geschichts-
vereins (XXII, 149) ausführlich verbreitet. Mit diesem etwas seltsamen
Ausdruck ist die seit uralten Zeiten geübte Sitte der Versteigeruug der
heiratsfähigen Mädchen eines Dorfes unter den jungen Burschen belegt,
welch letzteren dadurch besondere Vorrechte im Liebeswerben um jene
eingeräumt werden. Noch heute wird diese Sitte vor den Thoren der
alten abteilichen Stadt Siegburg geübt, namentlich in der „Aulgasse" und
„im Hönpott". Im Siebengebirge giebt es einzelne Ortschaften, in welchen
die MailienverSammlung damit schliesst, dass die Reijungen (heiratsfähigen
Burschen) zu nächtlicher Weile auf einen mit Bäumen bestandenen Hügel
hinausgehen und die alten Maimädchen (Mailienen) in Form von Stroh-
puppen verbrennen, durch welches Vorgehen sie alle Beziehungen zu den
vormaligen Maimädchen abbrechen. Nach diesem Autodafé holt jeder
Bursche im Walde für sein neues Maimädchen einen Maibaum oder ein
Maibaumreis, welche unter lautem Jubel ins Dorf getragen und vor den
Häusern der Maimädchen aufgestellt werden.
Diese in Deutschland ziemlich vereinzelt dastehende Sitte*) dürfte bis
in jene Zeit zurückzuführen sein, da unseren Altvordern nicht nur der
Grund und Boden, auf dessen Besitz das Ansehen des freien Mannes in
erster Linie fusste, gemeinsam war, sondern auch das verhältnismässig
hochstehende Weib, die verehrte Jungfrau, fast als Eigentum der Sippe,
welche wieder im Gemarkenverbande aufging, angesehen wurde.
Das Aufstellen des Maibaumes vor dem Fenster der heimlich Ge-
liebten zeigt auch in solchen Ortschaften, wo das förmliche Mailien ver-
schollen ist oder vielleicht von jeher unbekannt war, der Dorfschönen die
Liebe des betreffenden Burschen an. Früher wurde ein grosser, geschälter
Stamm mit reichgeschmückter Krone aufgerichtet.
Neben dem Maireis, zu welchem schon der Maibaum meistens zusammen-
geschmolzen ist, ist auch der Mägdepalm (vaccinium vitis idaea) ein
Liebessymbol. Diesen stellte der Bursche, der unglücklich liebte, ans
Fenster des Mädchens, um zu erkennen zu geben, dass er auf seinen
Besitz nicht rechnen dürfe.
Aber noch in ganz anderer Form spielt das Pflanzenleben in das
Liebesleben hinein: als Orakel. Ein scheinbar weit verbreitetes und bis
1) E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde, S. 161. Schmitz, Sitten und Bräuche des
Ei fier Volkes, S. 48.
Berg'ische Hoclizeitsgebräuclie.
41
in unsere Zeit hinabreichendes Pflanzenorakel haftete am Johanniskraut
(Sedum telephium). Junge Leute, die ein Liebesverhältnis angeknüpft
hatten, suchten die Stärke und Dauer desselben dadurch zu ergründen,
dass sie zwei Exemplare dieser Pflanze in eine alte Mauer pflanzten.
Wuchsen dieselben aufeinander zu, so bildete eine Heirat den Abschluss
des Verhältnisses (Am Urdsbrunnen, Jahrg. 1882, Heft 6, S. 16).
Yon den heimischen Blumen hat die Maassliebe (Bellis perennis) zu
allen Zeiten hier zu Lande bei jüngeren Liebesleuten als Orakel gegolten.
Man zupft ein Blatt nach dem anderen aus dem weissen Blütenstrahl und
spricht dabei: Sie (Er) liebt mich von Herzen, mit Schmerzen, über alle
Maassen, kann von mir nicht lassen, ein wenig, gar nicht.
Ein jetzt unverstandenes Kinderspiel war zweifelsohne ehemals auch
ein Orakel junger Mädchen, dazu bestimmt, den Stand ihres Zukünftigen
zu erfahren. Kinder nehmen nämlich eine Blüte der weissen Wucherblume
(Chrysanthemum leucanthemum) und singen, indem sie eine weisse Strahlen-
blüte nach der anderen auszupfen: Edelmann, Bêdelmann, Kôpmann,
Paschtuar, Schnìder, Schuster, Dreckelsmajuar. Dieses wird so lange fort-
gesetzt, bis keine Strahlen mehr vorhanden sind.
In Neviges bedienten sich die Mädchen noch vor kurzem eines eigen-
tümlichen Mittels, um einem sie umwerbenden Jünglinge das Vergebliche
seiner Bemühungen durch die Blume klar zu machen. Man forderte ihn
nämlich auf, Kartoffeln zu schälen.
War der Bursche der Liebe seiner Angebeteten gewiss, dann folgte
der Kilt gang, d. h. Abendgang, im Bergischen Schlutgang oder Schnuht-
gang genannt, der Besuch des Liebchens in später Abendstunde. Einst
war diese Sitte wohl über ganz Deutschland und noch weiter verbreitet
(Rocliholz, Deutscher Glaube und Brauch, II, 59 fí'%, Weinhold, Deutsche
Frauen, l3, 237; über die universelle Seite dieser Sitte vgl. man Liebrecht,
Zur Volkskunde, S. 378/79), zog sich dann aber auf einzelne Striche zurück
Und ist heute im Bergischen wohl ganz ausgestorben. Fr. Chr. Fischer in
seinen „Probeiiäcliten der deutschen Bauernmädchen" schreibt über den
Kiltgang im Jahre 1780: „Sobald sich ein Bauernmädchen seiner Mann-
barkeit zu nähern anfängt, sobald findet es sich, nachdem es mehr oder
weniger Vollkommenheit besitzt, die hier ungefähr im ähnlichen Verhält-
nisse wie bei Frauenzimmern vom Stande geschätzt werden, von einer
Anzahl Liebhaber umgeben, die so lange mit gleicher Geschäftigkeit um
seine Neigung buhlen, als sie nicht merken, dass einer unter ihnen der
Glücklichere ist. Da verschwinden alle übrigen plötzlich, und der Liebling
hat die Erlaubnis, seine Schöne des Nachts zu besuchen. Er würde aber
den romantischen Wohlstand schlecht beobachten, wenn er den Weg geradezu
durch die Hausthür nehmen wollte. Die Dorfetiquette verlangt notwendig,
•lass er seine nächtlichen Besuche durch das Dachfenster bewerkstellige.
^ ie unsere ritterbürtigen Ahnen erst dann ihre Komane glücklich gespielt
42
Schell:
zu haben glaubten, wenn sie bei ihren verliebten Zusammenkünften uner-
steigliche Felsen hinanzuklettern und ungeheure Mauern herabzuspringen
gehabt, oder sich sonst den Weg mit tausend Wunden hatten erkämpfen
müssen: ebenso ist der Bauerkerl nur dann mit dem Portgange seines
Liebesverhältnisses zufrieden, wenn er bei jedem seiner nächtlichen Be-
suche alle Wahrscheinlichkeit für sich hat, den Hals zu brechen: oder
wenn seine Göttin, währenddem er zwischen Himmel und Erde in grösster
Lebensgefahr dahängt, ihm aus ihrem Dachfenster herunter die bittersten
Neckereien zuruft. Noch in seinen grauen Haaren erzählt er mit aller Be-
geisterung diese Abenteuer seinen erstaunten Enkeln, die kaum ihre Mann-
barkeit erwarten können, um auf eine ebenso heldenmütige Art zu lieben.
Diese mühsame Unternehmung verschafft anfangs dem Liebhaber keine
anderen Vorteile, als dass er etliche Stunden mit seinem Mädchen plaudern
darf, das sich um diese Zeit ganz angekleidet im Bette befindet und
gegen Verrätereien des Amors wohl verwahrt hält. Sobald sie eingeschlafen
ist, so muss er sich plötzlich entfernen, und erst nach und nach werden
ihre Unterhaltungen lebhafter. In der Folge giebt die Dirne ihrem Buhlen
unter allerlei ländlichen Scherzen und Neckereien Gelegenheit, sich von
ihren verborgenen Schönheiten eine Erkenntnis zu erwerben, lässt sich
überhaupt von ihm in einer leichten Kleidung überraschen und gestattet
ihm zuletzt alles, womit ein Frauenzimmer die Sinnlichkeit einer Manns-
person befriedigen kann. Doch auch hier wird immer noch ein gewisses
Stufenmass beobachtet, wovon mir aber das Detail anzugeben, die Zärt-
lichkeit des heutigen Wohlstandes verbietet. Man kann indes vieles aus
der Benennung Probenächte erraten, welchen die letzteren Zusammenkünfte
haben, da die ersteren eigentlich Kommnächte heissen."
Als sich später die Sitte verfeinerte, durfte das Mädchen nur das
Fenster öffnen, um mit ihrem Burschen zu plaudern. Dass aber die von
Fischer geschilderte Art und Weise des Empfanges auch hier üblich war,
geht zur Genüge aus einem Yolksrätsel des Bergischen hervor:
Wenn die Laden werden zugeschlagen,
Und die Toten über die Lebendigen jagen,
Nehm' ich mein Leiterlein,
Steig' ich zum Fenster hinein,
Zu meinem Mädel hinein. (Vgl. Urquell I, 132.)
Auch folgender Rest eines alten Volksliedes bestätigt diese Ansicht:
Gestern ôwend ein halver ti8n
Wor sonnen fréschen Mondenschin;
Geng <;ck en 's an die Pompe,
Fiel <;ck mçck öwer en Klompen.
Bestevâder seit mçck,
Hat son ruad Röcksken an,
Wost nitt, wat do dronger vvôr?
Klên, klên Körfken.
Wost nitt, wat do drçnnen wôr?
Klên, klên Briafken.
Wost nitt, wat do droppen stong?
Bocksenlappen, Hôsenstoppen
Dont de aulen Wîwer.
Fçnster stîgen, Jongfern krîgen
Dont de Jonggesellen.
Bergische Hochzeitsgebräuche.
43
Ein solches Lied sang, wie mir eine Greisin oft erzählte, in ihrer
Jugend ein Dompfaff:
Weisst, dass mein Schätzlein bist,
Weisst, dass mein Schätzlein bist?
Komm' bei der Nacht, komm' bei der Nacht,
Bring mir Bescheid.
Noch bis zur Mitte unseres Jahrhunderts war in einigen Gegenden
selbst in der Nähe der grossen Wupperthalstädte dieser Brauch bekannt.
Aber auch in anderer Weise war der Kiltgang für den Burschen nicht
oline Gefahr. Wohnte er in einem anderen Dorfe, auf einem etwas ent-
fernten Gehöfte, welches nicht zur Nachbarschaft gehörte, dann konnte er
auf eine gründliche Tracht Prügel seitens der Burschen in dem Ort, wo
seine Angebetete wohnte, gefasst sein, falls er seine Gegner nicht zu über-
listen vermochte, wozu natürlich seine Schöne die hilfreiche Hand bot.
Diesen vermeintlichen Grund zu einer Rauferei lässt man sich noch heute
vielfach nicht entgehen. Die Mispel, des Bauern Stolz (ein Stock der
-Mispel, unten dick und mit starker Zwinge versehen, oben dünn, mit
kleinem Knopf, an festem Lederriemen gehalten), spielte dabei eine ge-
wichtige Rolle.
Montanus (Die deutschen Volksfeste, S. 101) berichtet, dass die Zeit
des nächtlichen Besuches nie vor Mitternacht und nie bis zum ersten
Halmenruf gewährt worden sei. Auch redet er von Schnuhtenliedem,
wovon das oben angeführte ein Rest sein mag;.
o o
Zu junge Burschen wurden auf die empfindlichste Weise abgestraft,
Wenn sie ein Liebesverhältnis ansponnen. Dazu bemerkt Montanus: „Ein
Jüngling unter 20 Jahren durfte sich abends ohne Prügelgefahr nicht vor
'üe Thüre wagen. Das Schnuhtholz traf ihn unbarmherzig. Wurde er
ergriffen, so beraubte man ihn eines gewissen Kleidungsstückes, stopfte es
ttiit Heu aus und hing es ansichtig hoch an einen Baum. Wer dies Spott-
zeichen wegnahm, zog sich allgemeine Rache der Burschen auf den Hals.
Auch von den Mädchen wurde der zu jugendliche Freier verhöhnt. Bei
lrgend einer festlichen Gelegenheit wurde ihm eine mit Schmierkäse stark
bestrichene Schwarzbrotschnitte (Kiesbröck) überreicht, und er musste diese
unter allgemeinem Hohngelächter der mutwilligen Schar verzehren.
Bis zur Stunde ist es in der Kreisstadt Mettmann noch üblich, dass
■uan zur Herbstzeit, wenn Rübstiele eingemacht werden, den Abfall des
Gemüses vor die Thür eines Mädchens oder eines Burschen streut, die
S1°h bei Anbahnung eines Verkehrs mit dem anderen Geschlecht zu viel
■Freiheiten herausnahmen und nicht den althergebrachten strengen Sitten
treu blieben.
Einem von seinem Burschen verlassenen Mädchen oder einem Burschen,
dem sein Schatz untreu wurde, stellt man in Mettmann einen bekleideten
Strohmann oder eine Strohfrau hinter das Haus. Das besorgen die um
44
Schell:
das Verhältnis wissenden jungen Leute und zwar mit der grössten Heim-
lichkeit. Auch im ehemaligen Amt Steinbach setzt man dem getäuschten
Freier eine Strohfrau vors Fenster des Schlafzimmers oder an die Haus-
thüre.
Die höchste Strafe für Vergehen gegen die gute Volkssitte war das
sogenannte Ti erjag en. Es dürfte kaum eine Gegend des Bergischen zu
finden sein, wo nicht diese Sitte, auch „Austrommeln" genannt, geübt
wurde. Selbst in den grossen Industriestädten Elberfeld und Barmen hat
sich dieser Brauch bis heute erhalten, und kaum vergeht ein Jahr, dass
nicht hier oder dort der Spektakel losgeht, dem die Polizei meist machtlos
gegenübersteht. Der betreffende Übelthäter — meist sind es Männer und
junge Burschen — ist bekannt. Am Abend versammelt sich Gross und
Klein vor seiner Wohnung und beginnt einen ohrzerreissenden Lärm mit
Pfeifen, Johlen und Bearbeiten der verschiedenartigsten Blechinstrumente.
Stundenlang wird der Lärm fortgesetzt. Das geschieht an drei aufeinander-
folgenden Abenden. An eine bestimmte Jahreszeit ist die Ausübung dieses
Brauches nicht gebunden, ebensowenig an gewisse Wochentage. Geübt
wird er meistens gegen Männer, welche ihre Frauen geschlagen oder das
sechste Gebot übertreten haben.
Früher wurden dem armen Sünder auch in derben Knittelversen seine
Verbrechen vorgehalten. Solche Verse lauteten:
Hört, ihr Leute! ich will euch was sagen,
Der Spass-Pitter hat das Fraumensch vernagelt;
He het et em Ferkesstall verneit.
Bewahret das Feuer und das Licht,
Dass dem Spass-Pitter kein Unglück geschieht.
In dem vorliegenden konkreten Falle hatte sich der „Spass-Pitter"
mit der Frau eines Nachbars im Schweinestall vergangen.
Eine andere solche Strophe lautet:
Der N. N. hat seine Frau geschlagen,
Das wollen wir dem Richter klagen.
Der Richter dacht' in seinem Sinn:
In der Frau, da steckt der Teufel drin.
Auf das, was Montanus (Die deutschen Volksfeste, S. 95 ff.) darüber
schreibt, sei hier nur verwiesen.
Über die Art und Weise des Tierjagens im Amt Steinbach folge ich
einer Mitteilung aus dem Anfang der sechziger Jahre, welche lautet: „Das
früher übliche Tierjagen war dem Haberfeldtreiben, welches die bayerische
Regierung vor einigen Jahren unterdrückt hat (? der Verf.) sehr ähnlich.
Verbrecherische, besonders ehebrecherische Liebschaft war die Veranlassung.
Wenn der Attentäter gerade in dem betreffenden Hause war, wurde es
plötzlich von einer grossen Schar umstellt. Es wurde sogleich ein Höllen-
Bergische Hochzeitsgebräuche.
45
lärm gemacht mit Schreien, Rufen und allerhand Instrumenten, wodurch
noch mehr Menschen herbeigerufen wurden. Nachdem sich der Lärm
gelegt, wurden die erschreckten und bestürzten Übeltliäter aufgefordert,
herauszukommen; wurde keine Folge geleistet, so fing man an, Schlagladen
und Thüren, Fenster und "Wände einzuschlagen. Mittels Rauch und Gewalt
wurden sie aus dem Hause getrieben und nun gejagt, gestossen und ge-
schleift, bis man sie in einer Mistjauche oder in einem Weiher hatte; es
ging aber nicht ums Leben."
Ähnlich berichtet Ernst Weyden („Das Siegthal" u. s. w., Bonn 1865)
von der Sieg: „Auch üben die Burschen noch zuweilen in den Gemeinden
die altherkömmliche Yolksjustiz des „Tierjagens" wider Ehemänner, die
nicht allzu zärtlich gegen ihre Ehehälften sind. Mit allen nur denkbaren lärm-
machenden Instrumenten ziehen die Burschen in der Nacht vor die Wohnung
des zu Züchtigenden. Je toller das Peitschengeknalle, das Kettengerassel,
das Schallen der Pfannen und Kessel, je ungestümer das Heulen und
Toben und Brüllen, als wenn das wilde Heer im Anzüge, um so grösser
ist das Vergnügen, von dem aber die Ortspolizei nichts wissen will" (vgl.
meine Abhandlung: Beiträge zur Yolksjustiz im Bergischen im Urquell,
N. F. II, S. 222ff.).
Auch die Mainacht gab den Burschen eine erwünschte Gelegenheit,
mit der althergebrachten Yolksjustiz in das Liebesleben der jungen Welt
einzugreifen. „Die Freier stellen dann grüne, mit Blumen und Bändern
geschmückte Maibuchenzweige yor dem Hause der Liebsten auf, die am
anderen Morgen mit dem sogenannten Kümpchen, einem metartigen Breie
Von Honigwasser, Lebkuchen, Rosinen und Anisbranntwein lohnt. Dem
bescholtenen Weibsbild wird dann aber ein Kirschbaumreis als Zeichen
der Zuchtlosigkeit vor die Thüre gestellt und die Schwelle mit Häcksel
bestreut."
Den Abschluss des mehr heimlich gepflegten Liebesverhältnisses bildet
die Verlobung. Ein Fürsprecher wie in Westfalen und vielen anderen
Gregenden ist wenigstens seit langer Zeit im ehemaligen Bergischen nicht
mehr bekannt. Doch muss in den vornehmsten Kreisen der Bevölkerung
einst ein solcher bekannt gewesen sein. Bei fürstlichen Verlobungen
geschah die Werbung, namentlich bei einer Braut, die ausserhalb des
Landes wohnte, ausschliesslich durch Gesandte wie allerwärts. So war es
auch bei Johann Wilhelm, dem letzten Herzog aus bergischem Geschlecht,
cler Fall, als für ihn um Jakobe von Baden am bayerischen Hofe zu München
geworben wurde. Doch liess es sich Johann Wilhelm nicht nehmen, sich
Yerkleidet unter die Gesandtschaft zu mischen und eine geheime Braut-
Schau im Schlosse Dachau vorzunehmen, wrie es beispielsweise schon der
langobardische König Authari gethau, als er um die bayerische Herzogs-
tochter Theudlind werben liess.
46
Schell:
Die Frage des sogenannten Brautkaufs braucht uns hier nicht weiter
zu beschäftigen, cla derselbe, für unseren Landstrich seit langer Zeit nicht
mehr nachweisbar ist. Einen Rest des alten Brautkaufs darf man aber in
der Ubergabe einer Geldsumme bei der Verlobung erblicken. Darüber
meldet das ref. Kons.-Prot, zu Elberfeld am 2. Dezbr. 1675: „Johann
Püttmann, Weber auf Arndhausen, hat Metteken aus der Beek, Wittib
Peters auf der Nüll, citieren lassen, vorgebend, dass dieselbe sich ehelich
mit ihm verlobt habe, 2. darauf einen Treupfennig von ihm angenommen
habe." Derselben Quelle entstammt eine Mitteilung vom 22. August 1691,
welche darauf schliessen lässt, dass der Treupfennig eine bedeutendere
Geldsumme war. Zu jener Zeit war es Sitte, dass die Verlobung durch
eine solenne Mahlzeit gefeiert wurde (Ref. Kons.-Prot, vom 12./XI. 1704).
Im Jahre 1727 wird in einem Falle die Höhe des Treugeldes mit 20 Thlr.
verzeichnet, und 1704 wird ein Heiratspfennig von 300 Thlr. angeführt.
Die Verlobung wurde in Elberfeld vordem das „Brautflechten" genannt.
Bouterwek (Geschichte der Lateinischen Schule zu Elberfeld, S. 157) be-
merkt zu der Bedeutung dieses Wortes: „Das Wort Brautflechten, Braut-
plechten ist niederdeutsch und hat zunächst mit flechten, plectere, nichts
zu thun, wohl aber mit Pflicht, Verpflichtung." In dem Protokoll der
reformierten Gemeinde zu Elberfeld heisst es am 6. Novbr. 1679: „Weil
angehende Hochzeiter den Brauch haben, dass am Sonntag zum Braut-
flechten auch sonsten andere Personen, sowohl Eheleute als ledige Personen,
Weck und Milch zu essen häufig hinauslaufen, und dadurch den Gottes-
dienst versäumen, und den Sabbath entheiligen, soll solches sowohl als
auch anderes sonntägliches Zechen von der Kanzel ernstlich bestraft und
verboten werden." Die oftmalige Wiederholung dieses Verbotes bürgt für
die feste Einbürgerung des Brauches.
An die Stelle der Verlobung trat später im Bergischen der Hillich,
Hilich, Hiling, Hîleng etc. Das Wort ist aus dem altem hileich. Heirat-
gesang (Weinhold, Deutsche Frauen, l3, 375), entstanden.1)
Aus rein praktischen Erwägungen wird der Hîleng heute meist auf
den der Einschreibung folgenden Sonnabend verlegt. Der eigentliche
Hîlengstag ist aber der Proklamationstag selbst. Auf dem Lande ist diese
Sitte noch jetzt weit verbreitet, in den Städten aber bereits ganz verdrängt.
Die Verlobungskarte war hier ihr Scheidebrief. Drei Wochen vor der
Hochzeit fand in Kronenberg früher der Hiling statt und zwar an dem
Abend des Tages, an dem sich das Brautpaar zur Proklamation angemeldet
hatte. Während die Hîlingslader — mit Bändern und Blumen geschmückt
— von Ort zu Ort zogen, hier und dort vor einem Hause ein Pistol los-
brannten, wurde an dem Hause der Braut den ganzen Tag über aus
1) Eine eingehendere sprachliche Untersuchung dieses Wortes stellt Leithäuser in
der Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins III, 132 an.
Bergische Hochzeitsgebräuclie.
47
Gewichtsteinen geschossen. Letzteres ist noch üblich. Am Abend begann
die Feier im Hanse der Braut oder in einem Saale. Es folgte dann nur die
Jugend dem von einer Musikkapelle abgeholten Brautpaare zum Festlokale.
Durchweg herrschte bei diesem Feste eine ausgelassene Lustigkeit, bei
welcher eine gründliche Zecherei, das Absingen heiterer Lieder (entsprechend
der Wortbedeutung „Brautgesang"), Scherzreden u. s.w. die Hauptmerkmale
bildeten und teilweise noch bilden.
Wie es bei einer „Hiling" zugeht, schilderte neulich eine Frau ihrem
im Gefängnis sitzenden Mann: „Am Sonnabend war die Hiling des Fer-
dinand Y. mit Helene V., und ich war auch da; schade, dass du fehlen
musstest. Es wurden 200 Liter Bier und 50 Liter Schnaps gegeben. Die
Flasche wurde immer von zwei Leuten getragen. Sämtliche Feilenhauer
haben den ganzen Tag nicht gearbeitet, und zwei Fabriken mussten schliessen;
Ja schon am Freitag Abend wurde das Fest begonnen. Die Musik spielte
die ganze Nacht und Sonntag- morgens 4 Uhr zogen sie alle zu 0. ins
Lokal, und um 6 gingen sie auseinander. Das Brautpaar hatte 60 Mark
gegeben."'
Es konnte nicht ausbleiben, dass auch der Hiling schon bald der
Staatsgewalt zum Einschreiten Anlass bot. Das erste bezügliche Yerbot
der bergischen Regierung trägt das Datum des 13. Januar 1708 (Scotti,
Gesetze und Verordnungen für Jülich, Kleve und Berg I, No. 1031, nur
angedeutet). Kurfürst Johann Wilhelm, der selbst überaus glanzvolle
Feste feierte, untersagte somit dem Yolke einen alten Festbrauch, der
allerdings auch schon damals oft über das Mass des Erlaubten hinausgehen
mochte. Karl Theodor (1742—1799), jenem Fürsten in mehr als einer
Beziehung ähnlich, wiederholte am 30. August 1793 dieses Yerbot: . . . .
»sondern dass auch bei denen Hochzeiten und zu gleichmässigen Aus-
schweifungen und Verschwendungen Anlass gebende Geb-Essen, und nebst
diesen auf den Tag nach dem ersten Kirchen-Ruf, sogenannte Hielingen
eingeschlichen seien, bei welchen Tag und Nacht geschwelget . . .
Hier muss einer Sitte gedacht werden, welche sich nach der Mitteilung
Merkens (seine handschriftliche Chronik befindet sich in der Bibliothek
des Bergischen Geschichtsvereins zu Elberfeld) um die Mitte des 18. Jahrh.
lû Elberfeld eingebürgert hatte. Demnach fanden sich am Tage nach der
ersten Proklamierung im Hause der Braut oder auch in einer Mietsstube
»alle bekannten Söhne und Töchter" ein und brachten eine Gabe. Als
Gegengabe verehrten Braut und Bräutigam Blumensträusse, welche mit
^ßidenbändern verziert waren und auf der Brust getragen wurden. Dann
fand eine „trockne Mahlzeit" unter dem Schalle der Trompeten und anderer
instrumente statt, wobei Stuten, Bretzeln, Bier, Branntwein mit Korinthen
11 • s- w. (Branntwein - Kaltschale, deren Gedächtnis im Kirchspiel noch
nicht ganz entschwunden ist) gereicht wurden. Nach der Mahlzeit folgte
48
Rehsener:
der Tanz, von Braut und Bräutigam eröffnet, welcher sich bis Mitternacht
hinzog. Das war die „Brautverlobung".
Es ist sofort ersichtlich, dass diese Gepflogenheit nur in den ersten
Familien der Stadt Eingang gefunden hatte.
(Fortsetzung folgt.)
Yon den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser
Meinung.
Yon Marie Rehsener.
„Alle T iere sind dem Menschen zu einem Nutzen erschaffen."
Das wollte einer, der die Spinnen und Fliegen nicht leiden konnte,
von diesen nicht glauben. Der Mann hatte einen Feind. Einmal schlief
er auf dem Felde, als eine Fliege ihn stach. Er erwachte, sah seinen
Féind kommen und konnte noch entfliehen. Da floh er in eine Höhle,
und eine Spinne spann ihr Netz davor. Der Feind kam, sah das Spinnen-
netz, dachte, da ist niemand drin und ging vorüber. Seitdem wusste es
der Mann, dass auch Fliegen und Spinnen zu einem Nutzen da sind.
Wenn mau eine Kreuzspinne tötet, bringt es dem Hause Unglück.
Die Bäuerin wirft die grossen Spinnen zum Fenster hinaus, aber sie sagt:
„Den nächsten Morgen sind sie wieder in ihrem Eck. Sie müssen ihre
Hoamit (Heimat) kennen! Die Beidn (Bienen), das Kunter, hat mich allin
(allwegen, immer) erbarmt, wenn wir im Hörbist beim Honigausnehmen
mehrere Star1) voll Toter aussn trugen. Die Flöhe aber, das ist ein ver-
suchtes2) Yiech!"
Wie nützlich einzelne Tiere sind, sprach jener starke Bauer, der Hoch-
Giiainer, aus, der den Kiesen in Wildau3) bei Innsbruck bezwungen hatte.
Befragt, woher er die Kraft habe, antwortete er: „Von Kühpech und den
Heuschrecklern, die über den Zaun hupfen — von Kuhbutter und den
Hirschen."
Die Haustiere zahlen (bezahlen, was man ihnen Gutes thut).
Die Kühe, ja, das ist ein feines Yiech!
1) Ein grosses Kornmass, */2 Wiener Metzen: ital. staro, sextarius.
2) Sie sagen versucht, um nicht verflucht auszusprechen. Auch von üblen Menschen
wird das Wort so verändert gebraucht.
3) Der Riese Haymon in Wilten: Zingerle, Sagen2 aus Tirol, S. 128. 620.
"Von den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung.
49
Mail giebt ihnen Namen, meistens nach der Farbe: Schneebe heisst
die weisse Kuh, Falbe die gelbliche; Mause ist eine mausgraue, Bräunele
(braune), Nüsse, Käschte (nuss- oder kastanienbraune), Kohle, Köhlele
(schwarze), Fuchs (rote), Ii ersehe (kirschrote) und Rickler (weiss und
rote). Weitere Namen sind Stocke, Glieke und Nelle.
Sorgfältig wird aus Heu, Grummet, Bofl, Klee, Eschenlaub und kleinen
Ruebn der Puschn für sie zurechtgemacht. Yon Klee und Rüben nicht
zu viel, sonst derschnellen (platzen) die Kiilie. Marbl macht sie viel
Milch geben und Straubn (isländisch Moos) bessere Milch. Wieviel sein
ehnder (früher) deshalb Gras- und Straub en weiber gegangen — 8 bis 10
zusammen — hoch auf die Berge! Schön hergerichtet die vollen Körbe
kamen sie herab.
Die Milch ist (wie) eine noble Frau; sie will es akrat und reinlich.1)
In einer dämmigen (feuchten) Stube hat sie in drei Tagen einen Rock
(Schimmel), ebenso der Butter, der ist in drei Tagen mit Wolle über-
zogen, wenn der Kellerkasten (Kellerschrank) keine Luftlöcher hat; es
erstickt alles.
Im Stalle lässt man nicht gern eine Kuh allein stellen, sie hat es zu
kalt und verliert den Humor. Ja, eine ist hinworden, weil sie keinen
»Hamur" mehr gehabt hat.
Den Heu- und den Erntewagen muss sie ziehen, aber die ganze
Hauernfamilie hilft schieben. Wenn die Kuh emört (vorher und von selbst),
uicht zieht, soll man sie nicht schlagen, denn es laufen ihr die Poppein
( fhränen) herab.2) Aber findet man im Stall zwei Rinder mit einer Kette
^einander verwickelt, muss man mit der Mistgabel kreuzweis drauf-
schlagen, da gehen sie auseinander; man trifft nicht das Yieh, sondern den
Nork (Zwerg), der die Bosheit gethan hat. Das Kalb führt man zum
Irinken zur Kuh3); aber saugt es noch, wenn es nicht mehr soll, so erhält
es einen Korb mit Stacheln ums Maul gebunden, dass die Kuh vor ihm
flieht, wenn es saugen will. Eine Kuh, die nicht mehr trächtig wird,
heisst ein G altling.
Die altfm Kühe verstehen alles, was man redet, daher ruft die Bäuerin
'1er ihrigen, wenn sie liänt (schreit), wohl zu: Still Mause, ich weiss, dass
^u Hunger hast, ich kimm geschwind!
Die Ochsen bekommen keine Namen.
Für sie giebt es das Horn- oder Halsjoch, auch Kämpen genannt.
Alit einem Joch für ein Paar sollen sie schwerere Lasten ziehen; es peinigt
aber auch, wenn die Fliegen sie beissen, dass sie die Köpfe nicht frei
1) Unsre Zeitschrift III, 47.
2) Über das Weinen der Kühe unsre Zeitschrift IV, 123.
3) In Pommern werden die Kälber gleich nach der Geburt der Mutter fortgenommen
^Qd erhalten gemolkene Milch.
^eitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 4
50
Rehsener :
bewegen können. Wie ein Ochsenknecht nicht sterben und ein anderer
nach dem Tode nicht Ruhe finden konnte, der die Ochsen zu sehr ge-
schlagen hatte, ist früher erzählt worden.
Der Stier ist der Stier. Zu Weihnachten redet er.
Ein Bauer hatte sich in die Barn (Kulikrippe) versteckt, um ihn reden
zu hören. Als es 12 Uhr schlug, sprach der Stier: „Dös Bloch ins Loch!
Wir führen (fahren) ihn in drei Tagen ins Loch." Nach zwei Tagen war
der Bauer tot. Und den dritten Tag fuhr ihn der Stier zu Grabe.1)
Damals wurden die Toten noch mit A'ieh geführt. Der Stier wird es nicht
gesagt haben, sondern ein unsichtbares Wesen zur Strafe, weil der Bauer
so wunderle (neugierig) war.
Die Kraft des Stieres dient zur Bezeichnung der Stärke, z. B. eines
Sturmes. Der Wind geht wie ein Stier.
Neulich war ein Ochse auf dem Brenner sovl krank, class er nicht
mehr den Starz (Schwanz) rühren konnte. „Wird er nicht im letzten
Augenblicke vom Metzger geschlachtet und sein krankes Fleisch verkauft
werden?" fragten wir; doch ein Besserer (Angesehener) aus dem Dorfe
antwortete: „So etwas kann wohl in Städten geschehen, hier, wo jeder den
Metzger kennt, nicht. Wenn ein Stück Yieh in einer charaktervollen
Familie geschlachtet ist, kann man das Fleisch ruhig essen2)."
Yom Almenleben sieh unsere Zeitschrift IY, 119.
Hier nur einiges zur Ergänzung.
Ein Hirt e hat geflucht, wenn die Kühe bei Seite aus sein gangen
(vom Wege ab) — er hätte gern gelegen und gefaulenzt. Da sah er
mittelt in den Kühen eine ganz rote. Erst hat er gedenkt: so eine Kuh
hab ich koane nicht, und dann hat er die Kühe gezählt. Eine war zu
1) Verbreitete Sage. Wuttke, D. Volksaberglaube, § 75—77.
2) Manche Leute essen auch Katzen und Hunde. Die Katz giebt gar ein gutes Bratl.
Das Fleisch des Hundes gilt als Heilmittel gegen die Schwindsucht.
Hornjoch.
Hornjoch für zwei Ochsen.
Von den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung.
51
viel. Da ist er gelaufen und die rote ihm nach. Sie hat sich verwandelt
und es war der Tuifel. Zum Widum (Pfarrhaus) ist der Hirte zugelaufen
und hat grad noch die Thür erwischt. Der Pfarrer hat ihn wohl noch
davongebracht (gerettet); aber geflucht hat er nicht wieder.
Einem andern, der beim Hüten auch geflucht hat, und wie er auf die
Köfel (abschüssige Felsen) kemmen, g'juhzt, sind Haufen Rappen (Raben)
gekommen und haben ihn wollen bei Wand' ôerstossen. Er hat Unsere
Fraun angerufen und den heiligen Josef und da sind die Rappen derflogen.
Wenn die Hirten von den Almen ¿»erfahren, ziehen die Geister der
Verstorbenen dort ein1). Einmal sind die Sennen von der Palming herab-
gezogen. aber einer hatte seinen Tabaksbeutel vergessen und ist umgekehrt.
Er ist nur bis Luke (einem Zaun, dessen Stecken sich auf- und zuschieben
lassen) kemmen, wo man nach den Käsern2) einsieht, da hat er oben alles
voll Yieh und Leut gesehen und alles ist durcheinander gelaufen und ein
Werken (eifriges Arbeiten) ist gewesen. Die Geister derer, die dort früher
gehütet haben und auch das Yieh hat er gesehen. Nötig hat's der Hirt
gehabt ganz schrecklich! Den Tabaksbeutel hat er lassen Tabaksbeutel
sein und ist mehr durch. (Forchner Liese.)
Wenn die Kühe wâsswo ochn (weit hinauf) in den Wahl gehen, giebt
es gutes Wetter.
Diesen Herbst ist es kalt, gefroren ist es, steif wie ein Bock! Wenn
das Wetter so bleibt, werden die Kühe wohl von ihren Gipfler ôersteigen
(von ihrem hohen Preise heruntergehen), befürchtete ein Bauer. Ein
Stück Vieh muss ein Bauer im Jahr zügeln und verkaufen, sonst kommt
er nicht durch mit Steuerzahlen und anderen Ausgaben.
Wie es aber anzusehen wäre, wenn jemand mehr Nutzen aus einer
Sache ziehen möchte, als es naturgemäss möglich, darüber giebt folgende
Erzählung Aufschluss.
Eine Frau butterte und sagte immer vor sich hin: Dreissig sollen es
sein! dreissig sollen es sein! Als sie fertig war, hatte sie einen sehr
grossen Butterknollen, wohl 30 Pfund schwer. Uber letzteren, da sie nur
zwei Kühe besass, verwunderte sich ein Schneider, der bei ihr arbeitete.
Auch hatte er gesehen, dass sie einen Rosenkranz und noch andere Dinge
l,11t dem Rahm ins Fass gethan hatte. Als die Frau hinausgegangen war,
stahl er ihr die bewussten Gegenstände, um auch etwas damit zu ver-
suchen. Zu Hause that er sie auch in sein Butterfass und brachte mit
^ahmschla gen viel mehr zusammen, als es abgeben konnte. Da klopfte
es an die Thiire und ein Mann, der wie ein reisender Handwerksbursche
aussah, trat ein, kam auf den Schneider zu, hielt ihm eine Schrift hin und
Sagte: „Du, wenn du die Arbeit weiter treiben willst, musst du dich da
1) Uber die Kasermanneln, Zingerle, Sagen2, S. 86f. 611.
-) Almhütten, in denen Käse bereitet wird.
52
Rehsener:
erst unterschreiben." Der Schneider erschrak heftig, denn er wusste es
wohl, dass es der Teixl war, der mit ihm sprach und gab schleunig die
Gegenstände zurück.
Bei den Go as en (Ziegen) sind die Pöppeler (Pupillen) des Morgens
gross, mittags klein und abends nur Sclinoatele (fein wie Messerschneiden).
Über die Kitz (jungen Ziegen) geht es am grausamsten her. Yon allem
Vieh werden diese am häufigsten geschlachtet. Die wenigen, welche man
aufzieht, treibt sommers der Goaser mit der Herde in den Wald. Der
Baumbart macht die Ziegen fett. Wenn sie abends sich niederlegen, als
wollten sie draussen bleiben und nicht zurück in den Stall, giebt es ein
Gewitter.
Das Pfeifer-Huisele1) auf dem Brenner fährt auf einem Geissbock
herab, wenn die Güsse kommt und Gräben aufreisst. Das Hexenmännle,
was überall ist, hat auch in Ii i dn aun bei Sterzing mit einem weissen
Geissbock2) Schnee ziehen wollen, dass die Lane (Lawine) ginge.
Im geschützten Pfierschthal, auf der Sonnenseite, werden die Ziegen
im Herbst in die Berge getrieben und bleiben ohne Hirten den ganzen
AVinter in der Weite.
Die Goase bleckern (blöken).
Ein origineller Vergleich, zu dem sie dienten, ist folgender: Schlimmer
wird es für einen Trinker nicht sein, wenn er den Wein lassen soll, als
wenn ein Kitz von der Goas ög'spönt (abgewöhnt) wird.
Wie die Schafe im Vorfrühlinge in den Bergen leben s. unsre Zeit-
schrift IV, 113. Im Langis (Frühling) findet jeder Bock eine Alm. Auch
auf Dienende angewendet, die dann Stellen suchen-, denn Arbeit giebt es
überall.
Einmal hat ein Schäfer 100 Schafe gehabt und sie über einen Stegv
der 100 Meilen lang war, ein jedes einzeln, bringen sollen. Er ist noch
nicht mit allen unten.
Ein alter Bauer musste urn einen G s traun (Schöps, Hammel) gehen.
Er ging die Köfel in die Höhe nach Tschaupis (über den Brennerweg).
Hat er den Gstraun gehabt und er ihn umgestossen? — ich weiss es nicht;
aber er ist ôerkugelt und erst in der Nacht heimkemmen. Ausgeschaut
hat sein Gesicht wie unser Herr am Kreuz (so elend und blutig). Der
Tschucke, der etwas von Krankheit versteht, hat hinauf müssen, sehen, ob
dem Manne etwas fehle. Wenn ihm in und um (innen und aussen) nichts
fehlt, sollen sie Gott danken.
Die Schafwolle wird jetzt in die Lodenfabrik nach Innsbruck gebracht
und dafür fertiges Zeug eingetauscht.
1) Vgl. unsre Zeitschrift I, 423.
2) Die Böcke bedeuten wohl Regen und Schnee.
Yon den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung.
53
Sind erst vier Leute von gleichem Taufnamen in einem Hause, mag
nian anheben, einen Fâkenstall (Schweinestall) zu bauen. Dann sind viele
da, es wird viel gebraucht und bleibt auch viel zur Mästung übrig.
Der Fâcken ist Ihnen doch das Liebste, sagte ich scherzend zu einer
jungen Magd. „Der ist mein Bueb!" antwortete sie und kraulte das Tier
auf Kopf und Rücken.
Es ist gut, wenn die Schweine hinauskommen, dann arbeiten sie sich
müde und thun sich ausranzen (sich recken und die Glieder strecken) und
dann gedeihen sie. Wenn eine Muttersau sich niederlegt, giebt es ein
grosses Gelaufe, weil jedes „Huisterle" seine Dutte (Zitze) hat. Hat eine
Sau weniger Dutten als Ferkel, müssen die überzähligen aufgefüttert
werden. Die Bitschen — Geschnittenen — die an der Brust gesogen,
sind die kräftigsten. Bêr heissen die männlichen Schweine, Nunnen die
Verschnittenen weiblichen. Diese thun nicht wichern.
Ein paar Schafe oder ein Schwein werden vor Weihnachten geschlachtet.
Auf das essende (zu essende) Zeug muss man Obacht geben, die Speck-
seiten im Rauch nachsehen — „wo Speck unganz ist, kommen die
Würmer hin". '
Selten findet man noch bei den Bauern am Brenner, seitdem die
Eisenbahn gebaut ist, ein Ross; um so sehnlicher erwartet ein jeder im
Spätherbst den Schimmel (ausgiebigen Schnee), der ihm Holz und Heir
von den Bergen herabbringen hilft. Aus der Zeit der Schneenot stammt
vielleicht auch der Ausruf:
O Himmel! wär ich im Himmel!
Hätt' ich einen Schimmel,
Thät ich ôerreiten auf die Welt!
Der Metzger-Yater hatte ein Ross und der Tschucke -Vater einen
Esel, die wurden oft zusammengespannt, von der Lente Holz zu holen.
Dort, unterhalb der Bahnstation, war früher eine Köhlerei und rund herum
feine Wiese mit einem Gatterle. Das hat sich der Esel mit der Fotzen
(Schnauze) aufgemacht und ist dann das Gras fressen gegangen. Einmal
dachte er es wieder so, aber das Gatterle schlug hinter ihm zu und das
Ross, welches nach wollte, konnte es nicht. Da hat der Esel dem Ross
Gatterle aufgethan und so lange gehebt (aufgehalten), bis es durch war.
Auch noch mehr hat er angestellt. Man hat angefangen zu reden,
auf dem Freithof wär es nicht mehr richtig, es ging nachts dort einer um.
Gänsbichler war im Wirtshaus gewesen, hatte tüchtig getrunken und
ging über den Freithof heim. Da sah er auf dem Wege eine dunkle
liasse liegen und erschrak; aber nachher nahm er sich zusammen und rief:
"Ist es, was es ist, vorwärts!" und er ging voran. Er sah den Tschucke-
Esel, der sich am hohen Friedhofsgrase vollgefressen hatte und ruhte.
54
Rehsener ;
Das Ross wird zum Wasserin (Tränken) an den Brunnen geführt; es
juchzt (wiehert).
Weil der Esel zu lange Ohren hat, bezeichnet man mit der Hinzu-
nahme des Wortes Esel zu einem anderen etwas Übermässiges, Über-
triebenes, z. B. sagt man Eselsgeld, wenn bei einem Kaufe zu viel verlangt
wird, Eselsfuir, wenn für wenig Bedarf zu grosses Feuer gemacht ist.
Für Hund und Katze hat Unsre Frauen gebeten, dass man ihnen
etwas gäbe.
Der Hund ist das einzige Tier, welches dem Menschen zugeht, alle
anderen gehen von ihm fort. Wir hörten die Namen: Fnssl, Kranzl,
Welle, Flocker, Moor, Neger, Berlin, Schweizer; Wolf, Wodan, Schnofele,
Lips (im Hotel).
Zum Hüten ist der Hund im Gebirge nicht zu gebrauchen, er könnte
das Yieh erschrecken und dieses von den gefährlichen Wegen abstürzen.
Der Hund sucht dem Menschen das Leben zu erhalten:
Zwei Jäger sein in einer Almhütte im Winter übernachtet.1) Sie
hatten Fuir gemacht, sich erwärmt und aufgebettet, um schlafen zu gehen.
Zwei Hunde waren bei ihnen, ein grosser und ein kleiner. Da hat es
geklopft und gerufen: „Hängt die Hunde an, dass ich kann einigehn! in
der Weite halt ich's nicht aus. Da habts Bandi zum Anhängen!" und ein
Bandi ist über der Thür kemmen (durch die Spalte). Sie haben den
kleineren Hund festgebunden. Nachher ist ein kleines Mandl bei Thüre
ein, ist auf einen der Jäger zu und hat gleich angehebt, ihn zu würgen;
aber der grosse Hund, der nicht angehängt war, hat ihn nicht verlassen.
Er ist aufs Mandl drein und hat es gebissen und da ist es wieder bei
Thüre aus und der Hund nach. Sie haben es brüllen gehört über den
Wald eier und das Hundl kolen (kallen, bellen) noch lange! Die Jäger haben
sich schlafen gelegt und sind den nächsten Tag heim. Den Hund, den
sie angebunden hatten, haben sie nicht mehr oderlasst (abgelöst, loslösen
können), der hat müssen in der Sennhiitt' zu Grunde gehen; der andere
ist nach drei Tagen kemmen, aber in einem schrecklichen Zustande, und
nach noch drei Tagen gestorben. (Forchner Liese.)
Einmal freuten wir uns über einen schönen Hund; doch der Knecht,
dem er gehörte, wollte auch nicht vergessen sein und rief uns zu: „Yon
mir selbst gezügelt (erzogen)." Dann zählte er die guten Eigenschaften
seines Hundes auf und dieser hob sich an ihm in die Höhe, legte die
grossen Vorderpfoten dem Manne auf die Brust und sah ihm aufmerksam
in die Augen. Er streichelte den Hund, deutete mit dem Finger auf die
eigene Stirn und die des Tieres und sagte im Tone vollster Überzeugung:
So viel ist sicher, was der Mensch denkt, das weiss der auch.
Heult ein Hund, stirbt bald jemand.
1) Vgl. Zingerle, Sagen2, S. 235.
Yon den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung.
55
Auf dem Herde steht der eiserne Fuirhund und dient zum Auflegen
der Spreidl (feingespaltenes Holz), damit die Luft durchziehen und das
Feuer brennen kann.
Eine Katze findet man in jedem Hause, oft ihrer mehrere, denn bei
der Lage der Häuser an und in den Feldern würden die Mäuse bald
überhand nehmen und nichts wäre mehr sicher vor ihnen. Kein Tier
kann in einer Stunde so viel fressen, als die Maus im Verhältnis zu ihrer
Kleinheit in der Zeit nagt. Sie thut sich auch Vorräte „aufmausen".
Fast alle Katzen heissen Moine, ausnahmsweise Scheck, Peterle.
Die Zenze nannte eine sehr feine Weib ile und ihr Bruder die Scheck,
^enn sie ihn erzürnt hatte, sich das Fensterin zu sehr gefallen liess,
Gr r ä 11 (Gretchen).
Die Katze frisst viel giftiges Zeug und muss deshalb eine gute Milch
haben. Ihr gehört die erste Kelle von der frisch gemolkenen. Sie sitzt
pünktlich an ihrem Trog oder wartet an der Schwelle des Kuhstalles.
Anders als der Hund, heisst es, sucht die Katze dem Menschen das
Leben zu nehmen; diese Behauptung aber wird durch folgende kleine
Erzählung lächerlich gemacht.
Einmal sollen Vilgrattner (die Leute aus Vilgratten gelten für dumm)
hier durchgekommen sein, die noch nie eine Katze gesehen hatten. Vor
einer Hausthiire sass eine in der Sonne. Sie gefiel den Leuten und sie
tagten, ob sie das Tier zu kaufen bekämen. Der Bauer gab die Katze
her und sie gingen mit ihr davon. Kaum aber waren sie eine Strecke
o'egangen, so sagte der eine zum anderen: Geh doch schleunig zurück und
^'age, was das Tier frisst. Und er fragte. „0", antwortete der Bauer,
«die Katze frisst alles, was man ihr geit (giebt)." Der andere, welcher
üicht recht verstanden hatte, lief eilig zu seinem Kameraden und rief:
^Lasst sie aus, lasst sie aus! sie frisst Vieh und Leut!"
Mäuse und Vögel zieht sie mit ihrem Atem sich zuër. *) Wenn ein
°gel noch so im Gatter flattert, sie kriegt ihn; denn sie kann nicht
anders als die Vögel fangen und fressen — das ist ihre Arbeit.
Wenn die Katze nicht ist, wie sie sein soll, muss man sie um einen
Kopf kleiner machen. Eines Abends hörten wir beim Schliessen der
ïtausthûre das Mädchen sagen: „Die Moine ist noch draussen", doch gleich
drauf die uns wohlbekannte Stimme der Zenze erwidern: „Glaub' du der
Katz, dass sie nicht eierkimmt!" Die Katzen sind klug, aber die Ratzen
s*nd klüger als die Katzen, doch da ist noch ein Mittel — die Trappl
(Rattenfalle).
Bringt eine Katze ihre halbwüchsigen Jungen zum A^orschein, sucht
üian um einen Platz, einen Dienst für sie. Viele erliegen dem Tissel
Schnupfen und Halskrankheit).2)
1) Der Mensch, wenn er bei einem Gewitter draussen schwer atmet, zieht den Blitz an.
2) Schöpf, Tirolisches Idiotikon, S. 97. 745: Tisel, Diisel.
56
Rehsener:
Alles Vieh kann den Tissel bekommen und manches kommt nicht
mehr davon (nicht durch); doch über eine „rauhe Klau"1) soll man nicht
rêren (weinen).
Hier hat eine Frau zwei Katzen sehr gut gehalten. Als sie starb,
gingen sie auf ihr Grab und rêrten. Wie aber eines Tages Leute nach
ihnen sahen, waren statt zwei, drei Katzen dort; die dritte Katze aber war
die verstorbene Frau.2)
Die Hennen, die mit ihren Eiern zahlen, werden sorgfältig gepflegt.
„Wie viel Eier legt die Henne täglich?" fragte eine junge Frau, die
aus der Stadt hergeheiratet hatte. Als Antwort auf ihre Frage hier ein
Spruch, der auf einem gefärbten Osterei stand:
Hier hast du ein Osterei!
Die Henne legt nicht zwei.
Wenn dir eins zu wenig ist,
Sieh', dass du mehr derwischt. (Ridnaunthal bei Sterzing.)
Vom Weizen sollen die Hennen legen, und wenn man ihnen Hanfsaat
giebt, sagt man, müssen sie legen. Den Weizenstötz (Kübel mit Weizen),
wenn er noch so versteckt ist, finden sie immer heraus und machen sich
drüber.
Am Tage haben sie es behaglich warm auf dem Herde, wenn die
Stiege gereinigt und frisch gestreut ist und das Feuer lodert. Nachts setzt
man noch ein Brett vor ihren Käfig, schliesst die Fensterläden und auch
wohl den Schornstein, damit sie es nicht zu kalt bekommen.
Ihre Pflegerin kennen sie. Die Zenze hütete sie vor dem Hause, dass
sie nicht in fremde Felder gehen3) und nicht erschrecken möchten, wenn
jemand schnell herbeikäme. Sie erzählte: Einmal sind sie auch vor mir
wild, hoch aufgeflogen. Ich kam aus der Kirche, hatte ein neues Fürticli
(Fürtuch, Schürze) um, da kannten sie mich nicht. Das Fürticli band ich
ab, es half nichts. Erst als ich auch den Hut abnahm, wurden sie ruhig.
Derkreckelt (verkränkelt) eine Henne, nennt man sie „Greeker" (Yerrecker).
Manche Männer haben Wadin wie Huhnebeine (wie Hahnbeine). Die
Hennen singen schien, doch nur wenn sie legen; aber dann wächst ihnen
der Kamm, und es geht in der Stiege zu wrie im Rosshimmel. An einer
Henne, der Opfergabe eines armen Weibes, wie an diesem selbst, hat
Unsere Frauen sogar einmal Wunder gethan.
Ein altes Weibis war krank und verhiess der Mutter Gottes eine
Wallfahrt nach Heiligenberg4), wenn es wieder gesund würde. Die Frau
1) Ein pelztragendes Tier.
2) Ein Beweis dafür, dass eine Frau eine Hexe sei, war es in Norwegen früher, wenu
einer bezeugte, er habe sie nachts als Katze gesehen, erzählte uns Frau Dr. Henrik Ibsen-
3) Kommen fremde Hühner einem Bauern zu häufig in die Saatfelder, so giebt es
Hämmerwurz, sie zu vergiften.
4) Wo der Ort liegt, war nicht zu ermitteln, nur dass er sehr hoch gelegen.
Yon den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung.
57
wurde gesund und wollte die verheissene Wallfahrt antreten, hatte aber
nichts, was sie zum Opfer mitnehmen konnte, als eine Henne. Diese
nahm sie und ging. Es war schon Spätherbst, und die Kirche, die nur
den Sommer geöffnet wird, fand sie bereits verschlossen; der Mesner aber
wollte sie ihr nicht noch einmal aufthun. Da kniete sie mit der Henne
unter dem Arm vor die Kirchthür hin und betete, indem sie dachte, das
wäre vielleicht auch so schon gut. Die Kirchthüre aber öffnete sich von
selbst für sie, und sie ging in die Kirche. Gâhlingen (plötzlich) fiel
hinter ihr die Thür wieder zu und sie blieb mit ihrer Henne den ganzen
Winter eingeschlossen. Als im Langis (Lenz) der Mesner die Kirche auf-
that, kam hinter dem Altar das alte Weibis hervor, hinter ihm aber die
Henne und hinter der kamen noch 20 junge Hühnerl. Unsere Frau hatte
sie ernährt.
„Jetzt, ob es wahr ist, weiss ich nicht", sagte die Erzählerin. „Welsche
haben es hier für gewiss erzählt." „Warum soll es nicht wahr sein!" fiel
ihr die alte Huisen vom Brennerbad ins Wort. „Ich glaubs, ich* glaub
«lies!" und sie erzählte folgendes auf Fleisch und Geist bezügliche Wunder:
Xach Heiligenberg ist einmal eine andere Frau kirchfahrten gangen,
und unterwegs bat sie ein Metzger, auch für ihn dort ein Vaterunser zu
beten. Wenn sie es gethan hätte und zurückkehren würde, wolle er ihr
dafür ein halbes Pfund Rindfleisch geben. Die Frau vollführte alles und
kam zurück, sich das versprochene Fleisch zu holen. Der Metzger wollte
es abwiegen; aber wie viel Fleisch er auch auf die Wage legte, es wog
immer noch kein halbes Pfund. Zuletzt legte er den halben Ochsen darauf,
aber auch der wog das Vaterunser nicht auf, so viel gut war es gewesen.
Da das der Mann gewahrete (gewahr wurde), behielt er die Frau, die das
Vaterunser gebetet hatte, bei sich und nährte und pflegte sie bis an
ihren Tod. —
Der Gans, wohl als Sinnbild des Bauernstandes selbst, dem als
unterstem Stand das Härteste aufliegt, wird auch im Volksreim Schweres
aufgebürdet:
Was tragt die Gans auf ihrem Hirn?
Die Naterin mit samt dem Zwirn.
Was tragt die Gans auf ihrem Rucken?
Den Zimmermann mit samt der Brucken.
Was tragt die Gans auf ihrem Kragen?
Den Metzger mit samt dem Schrägen.
Was tragt die Gans auf ihren Zehn?
Die alten Weiber mit samt den Flöhn.1)
Wenn die Gans badet, giebt es Regen.
1) Reste eines Liedes, das eine Variante giebt zu dem schlesischen bei Hoffmann,
Fehles. Volkslieder, No. 48 (49. 50). Vgl. auch Erk-Böhme, Liederhort, III, No. 1751.
58
Rehsener:
„Das Wild ,zu einem Knödelzeug' (als Fleisch zn den Knödeln) für
die Armen erschaffen", ist bis auf einige Hasen ,ausgetilgt'. Kaum findet
man noch in den Feichten und Lärchen ein Aichler (Eichkätzchen); selbst
der Hühnerspielhirt hat in ebbis (etlichen) Jahren keine Gams (Gemse)
mehr gesehen. Wenn man frisches Gamsblut trinkt und läuft bis man
hinfällt, friert man nicht mehr; man kann auch tot sein.
Nur der Fuchs lauert noch am Waldesrande und sucht die hennen-
hiitenden Kinder zu überlisten, die ihn für einen Hund halten, bis er mit
dem Huhn im Rachen davonläuft. Der Scheicher (Falscher)! sauer, sauer!
rief er, als er der Gans nach gebissen hatte.
Aber einmal war eine Schnecke doch gescheiter als er. Sie wetteten
miteinander, wer zuerst und vor Sonnenaufgang auf einem Joch sein würde.
Der Fuchs lief, ohne sich umzusehen, schleunig voran, doch die Schnecke
hatte sich ihm schon unvermerkt auf den Schweif gesetzt. Als der Fuchs
oben ankam, schlug er den Schweif Überschi und rief: „Tag ist es", und
„Da bin ich", sagte ober sein (über ihm), auf seinem Schweife, die Schnecke.
Einer hatte einen Fuchs im Eisen gefangen und wollte wetten, wenn
er ihm jetzt den Schwanz abhackte und ihn laufen liesse, hätte er ihn
bald wieder. Er brauchte sich nur die Stiefel zu schmirben (einzureiben).
Womit? wer weiss das.
In Dux
Predigt der Puchs,
Ist der Mesner ein Stopfer,
Und die Gäns gehn zum Opfer.
Ein Wolf hatte sich vor vielen Jahren in Mauls in eine Stube verirrt
und ist totgeschlagen worden, und einen Bären haben sie im Xonsthal
einmal angeschossen. Der hatte zwei Junge bei sich und trieb diese fort,
damit sie nicht auch umkämen, aber sie blieben bei ihm und wurden
getötet.
Auch im Stubich (Stubaithai) hatte vor vielen Jahren ein Jäger einen
Bären angeschossen. Er ist von den Köfeln ôërgekugelt und der Schütze
an derselben Stelle ihm nachgerollt, und beide sind unten liegen geblieben;
aber der Bär hat den Mann an einem Fuss erwuschen und nicht mehr
ausgelassen. Erst nach zwei Stunden sind zwei Männer gekommen, haben
den Bären in den Grint geschossen und den Jäger freigemacht. 80 Gulden
wollte er für das Fell; ehnder haben sie ein solches nicht hergegeben,
sondern sind damit umanand betteln gangen.
Der Bär reisst die grössten Bäume mit den Wurzeln um, wenn ihn
einer irrt (ihm im Wege ist), so stark ist er.
Wie die Haustiere, dienen auch andere Tiere noch als Wetter-
propheten:
Yon den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung. 59
Die Jochtschorkler (Gebirgsfinken), treibt sie ungewöhnliche Kälte
ini April von den Höhen herab, zeigen Frost an.
Das Herniler (Wiesel), hat es sein weisses Winterkleid an, bringt
Schnee.
Und der kleine Pfutschkönig (Zaunkönig), von dem man gelesen,
dass er einst höher geflogen als der Adler, soll wissen, warum er sich in
der Hecke zeigt — er verkündigt schlechtes Wetter.
Alles Wildkunter geht bei gutem Wetter höher in die Berge und
kommt bei schlechtem weiter herab, auch die Tattermannler1).
Die Jochtschorkler (Gebirgsfinken) sind weiss mit einem schwarzen
Streif am Flügel. Sie sind so lang wie die Schwalben, aber dicker.
Die Hermler mausen auch gut und man hätte oft gern eins im Stall.
Wenn man zu ihnen Putzkugl (Schimpfname für ein Mädchen) sagt, er-
zürnt sie es, aber wenn man sie schiene nennt, das freut sie. Sie haben
das Hermlerkraut; wenn sie das ins Maul nehmen und einen damit an-
pfeifen, stirbt man. Einmal hat ein Hermler mit einer Schlange gerauft
und wäre erlegen, doch da ist es ums Hermlerkraut gelaufen, hat die
Schlange angepfiffen und diese ist hingewesen.
Der R. M. hat lange einen Zaunkönig im Zimmer gehabt. Er ist frei
Ummer geflogen und hoamlich (zahm) worden, an den schönen Tagen hat
er gesungen. Seinen Gesang deräntei't man nicht leicht (ahmt man nicht
leicht nach).
Wird es Frühling, kommen die Rob er (Maikäfer), aber ihrer nicht
viele; die Sommervögel, F lender (Schmetterlinge).
Die Grillen sind auch wieder zu finden; aber nicht auf jedem Anger.
An ihnen erfreuen sich die Kinder und erzählen: das Mandl hat ein
schwarzes Kragele, das Weibile ein gelbes. Die Mannler singen. Wir
losen (horchen), wo eins singt; kommen wir zu, schiesst es ins Loch.
Nachher stecken wir eine Schmelche (Grashalm) eini (hinein), die Grille
beisst drauf und wir ziehn sie mit ausser (heraus). In ein Glas gesetzt,
täglich einen frischen Klee und Erde gegeben und auch einen Tropfen
frisches Wasser auf den Klee, hält man sie lange.
Eweile (vor Zeiten) waren Yögel hier — wenn du in den Wald gingst,
'las war ein Singen! Schön war es wohl! sagen die Alten.
Was waren Stein- und Schneehühner! Ganze Säcke voll hat man
nach Sterzing zum Verkauf gebracht. Sie fressen wenig, meist Strauben
uud Steine. Was gab es Spielhühner und auch Goar (Geier)! Wie
hat man sie oft schreien gehört! Und die Blättergoass (ein Vogel, der
wi© eine Geiss schreit); aber nur einen Adler hat einmal einer auf dem
(jiggelberge (über Gossensass) geschossen. Der hat so weite Schwingen^
1) Schwarzer Erdmolch, hat dicken Kopf und breite Pratzen mit fünf Fingern.
60
Rehsener:
dass er nicht auffliegen kann, wenn er nicht auf etwas Hohem, einem
Steine oder Baumstamme, sitzt.
Schön angeritten kam einmal ein Goar (Geier), aber ich hab nur ein
paar Federn bekommen, als ich schoss.
Noch sind im Walde Mo as en und Hetzen (Meisen und Häher),
wilde Tauben, aber die streichen nur zu fünf und sechs, Alstern
(Elstern) und das Ohrkunter (Eulen).
Zwei Mann haben vor kurzem auch auf einen Bulli (Uhu) geschossen.
Der hat zwei Federn grad auf dem Grint (Kopf) stehen. Einer wollte
ihn aufheben, aber er lebte noch und wehrte sich so, dass wenn der zweite
Mann nicht dem ersten zu Hilfe gekommen wäre, jener sich des Vogels
nicht derwehrt hätte. Der Buhi hat einen Fuss weggeschossen und ver-
narbt gehabt und auch nur ein Auge und das andere auch vernarbt.
Im Herbst kommen Meisen: die rechte (Kohlmeise), die Taunen-
und die zierliche Schaubmeise und die muntere Spitzekäk (Schwarz-
plättchen). Sie sehen, ob sie Futter finden bei den Häusern und wenn
nicht, gehen sie zurück in die Wälder. In der äussersten Not, nach
grossem Schneefall kommen sie wieder. Auch ein Kranewitter (Krammets-
vogel) holt sich die Moschbeeren (Yogelbeeren) von den Bäumen.
Die Zugvögel kommen auf dem Herweg.
Schwalben waren was wieviel! Zu Hunderten sassen sie auf den
Stangen vor dem Hause. Wunderselten sieht man jetzt noch eine, ehnder
noch Speiren, die mit weisser Kehle. Die Welschen fangen ja alle
Vögel weg. Doch auch hier stellt man ihnen zu viel nach; dem B a di-
gan si (Wasseramsel) seiner weissen Brust wegen. Sie ist gar sovl ein
schöner Hutschmuck für die Manner. Die ersten Langisvögel, die Schnarrin
(Schnerrerdrosseln) singen auch zuerst morgens im Wald, dann die Brander
(Hausrotschwänzchen) auf dem Dach und das Wiesenschmätzerle im
Felde, wo es die schönen blaugrünen Eier legt, die man manchmal beim
Mähen findet.
Das Drässele (Drosselchen) singt noch im Wald, d. h. es giebt noch
einige. Und
der Gukuk ist nicht jung und nicht alt
und singt dächt (doch) im Wald.
Die Meisen pfeifen, die Schwalben pfiempfen.
Die Yögel, wenn sie singen und pfeifen, werden wohl ihre Redens-
arten verstehen.
Das Feld war besäet und Ackervögel fanden sich ein — Bach-
stelzen und die Pfannenstielmeise (wie die Jochtscliorkler, aber mit
langem Schwanz).
„Was da Yögel auf dem Acker sein!" sagte eine Frau. „Sei froh,
dass die Yögel da sind!" unterbrach sie ein Mann, „sonst wäre ja garnichts
Lendiges (Lebendiges) mehr in der Weite.
Yon den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung.
61
Die hier lebende Forelle kennt jedes Kind und sucht mit der Hand
sie zu haschen; der grossgewordene Bueb lauert ihr auf und ersticht sie
mit spitzem Eisen.
Dagegen gab die Seltenheit eines Tieres, das zwar hier lebt, aber
nur von wenigen gesehen worden ist, Veranlassung zu Gerüchten, auch
sprach ein jeder, mit dem wir darüber redeten, dessen Namen umge-
ändert aus.
Ein Mädchen, das an einem trüben Nachmittage mit Hagen (Heu-
Einbringen) beschäftigt war, sagte: „Die Murmentler hagen auch, aber
nur wenn kein Wölkchen am Himmel ist, es sei Tag oder Nacht." Als
wir mehr darüber hören wollten, wies sie uns weiter: „Fragen Sie den
Wildschütz dort, der weiss es." Dieser erzählte: „Die Ornamentler sind
Tiere, so gross wie eine kleine Katz; sie sind von der Gattige (Gattung)
wie der Dachs, aber gelb; sie sehen aus wie kleine Füchse und haben
einen Schwanz wie eine Eichkatz. Löcher machen sich die Ornamentler
nicht in die Felsen, aber dicht daneben. Dort hinein bringen sie das
Heu. Bei schlechtem Wetter gehen sie garnicht aus den Löchern, bei
schönem weit die Berge in die Höhe. Den ganzen Winter über schlafen.
sie." „Zenze", sagten wir, als wir nach Hause kamen, „ein Pflerscher
hat uns von den Murmentlern erzählt, aber er nannte sie Ornamentler." —
„Dann hat er es gethan, weil er herrisch reden wollte."
Haben Sie welche gesehen, Huisum?
„Ich nicht. Wenn man sie in ihrem Loch findet, so sind es immer
entweder 3, 5, 7 oder 9; nie sind sie paarweise beisammen. Das Fleisch
ist gut zu essen und das Fett, welches nur die alten Mannler haben, ist
ein gutes Heilmittel, man bekommt es auch in der Apotheke. Bis 14 Pfund
schwer soll ein altes fettes Urnementier werden."
Wie ist der rechte Name des Tieres, fragten wir dann den des Schreibens
kundigen Roderei'.
Den recht eigentlichen Namen der Uramentler, antwortete er, weiss
ich auch nicht. Gesehn habe ich keins. Es lebt am Ferner und muss
was Vornehmes sein; denn es bringt dem Glück, der es sieht.
Erst der Schullehrer bestätigte, dass das Murmeltier gemeint wäre.1)
Die weite Entfernung von hier, in der andere Tiere leben, lässt, bei
den Berichten über sie, die Grössenverhältnisse lawinenartig anwachsen.
Wenn etwas nur eine Viertelstunde weiter gesprochen wird, ist es
schon mehr. Je wTeiter vom Ort, desto grössere Lügen.
Der Fisch lebt in Holland and sein Schwanz reicht bis Deutsch-
end. Der Wölfisch aber ist so gross wie ein Land, und wenn sie einen
gefangen haben, bringt er so viel ein, dass es im ganzen Lande wohl-
feiler wird.
1) Vgl. Schöpf, Tirolisches Idiotikon, 452. Schmeller, Bayr. Wb., I2, 1(553.
62
Schütte :
Gänzlich vom Wirklichen ab löst sich jedoch, was eine Sterzingerin
erzähltex) :
„Im Meer soll ein grosses Tier leben — wie schwer es ist, weiss ich
nicht — wenn das sich regt, macht es die Erde beben. Als ich jung war,
hat einmal die Erde gebebt. Unglück sollte es geben — ich habe auf-
gepasst — es ist keins kommen."
Gross-Kiid de.
Braunschweigische Segen.
Mitgeteilt von Otto Schütte.
1. Krankheitsegen.
Noch heute wenden sich im Herzogtum Braunschweig viele Kranke an
Leute, die es verstehen, zu besprechen oder „bäuten", oder sie besprechen
sich ihre Übel selbst. So gehen die Menschen, deren Hände durch Warzen
entstellt sind, zur Zeit, wenn einem Toten zu Grabe geläutet wird, an ein
Hiessendes Wasser, waschen sich ihre Leichdornen und sagen dabei:
Et lüt den Dôën wat in dat Graf,
Ik wasche mîne Lîkdoren af.
Geht ein Leichenzug vorüber, so brechen sie in die Worte aus:
Like, nimm midde, nimm midde,
Nimm alle mine Litören midde.
Sehen sie zwei auf einem Pferde reiten, so rufen sie ihnen zu:
Ik seih twei op en Përe sitten,
Nemet mîne Lîkdoren midde.
In manchen Gegenden unseres Herzogtums bestreicht man die Warzen
bei zunehmendem Monde mit Fett, z. B. einer Wurstschale, und spricht
dabei:
Wat ik hier seih,
Dat neme tau.
Wat ik bestrike,
Dat neme af.
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes. Amen!
In Wahrstedt bei Vorsfelde wird ein hochdeutscher Spruch gesagt:
Die Leichdornen, die ich seh
Im Thal und auf der Höh,
Sie verschwinden und vergeht! !
1) Alte Überlieferung, vergi. J. Grimm, D. Myth.2, S. 777. R. Andree, Ethnograph.
Parallelen (1878), S. 1' O f.
Braimschweigische Segen.
63
Wie die Warzen, so heilt man den Hesebrand, einen Ausschlag am
Munde, der vom Yolke gewöhnlich „Grêben" genannt wird, dadurch dass
man sich nach Sonnenuntergang an ein fliessendes Wasser stellt, ein
Stückchen Watte nimmt, damit auf den Ausschlag tupft und sie mit
folgenden Worten ins Wasser wirft:
Witte Wulle un Hesebrand,
Gât tausammen nâ Engeland!
Witte Wulle, kumra wedder,
Hesebrand, blîf ûte.
Das Snar wird dadurch vertrieben, dass man einen Kernobstbaum
umfasst und dabei spricht:
Kërenbôm, ik klage dik : Kërenbôm, ik klage dik:
Dat Snar an miner Hand dat plaget mik. Dat Snar an miner Hand dat plaget mik.
In mik vergeit. Ik hebb' et edragen bet an düsen Dag,
In dik besteit, Nu drag du et bet an den jüngsten Dag.
Dat mik min Lewe nist wedder angeit. Im Namen des Vaters u. s. w.
Das Wort Snar habe ich in den Wörterbüchern nicht finden können;
während es im Nordwesten der Stadt Braunschweig das Knacken im Ge-
lenke bedeutet, versteht man darunter am Hilse das Uberbein und ver-
treibt es, indem man sich an einen Zwetschenbaum hängt und spricht:
Zwetschenbôm, sta faste,
Dat mik et Snar baste.
Das Herzspann, das besonders Kinder befällt, wird über Kreuz
gestrichen und dabei gesagt:
Herzspann, ik will dik striken, Herzspann, ik baute dik,
Du sast wiken. Min Atem, dë jaget mik,
Yon der Ribbe
Bet nâr Kribbe.
Herzspann, ik baute dik,
De verslagenen Winne, dë plaget mik,
Nimm mik et af. Herzgespann,
Nimm dû et an. Rippengespann,
Ich rühre dich mit den Fingern an.
Aus dem Dorfe Meine, unweit unserer Grenze, kenne ich den ähn-
lichen Spruch:
Herzspann, ik strike dik von'n Ribben
As dat Përd von de Kribbe.
Herzspann, kumm nich wedder!
Für das Blutbesprechen habe ich nur hochdeutsche Formeln er-
fahren. Am ältesten scheint die letzte zu sein, die ich anführe:
1. Es stehen drei Lilien aid' Christus Grab,
Die erste heisst „Gertrud",
Die zweite heisst „Kommt kein Tropfen heraus",
Und die dritte heisst „Steh Blut"!
Unser Herr Christus hat über dies Blut zu kämpfen.
64
Schütte:
2. In Gottes Garten stehn drei Bliimelein: 3. Du sollst nicht quillen,
Die erste ist Gottes Güte, Du sollst nicht schwülen,
Die zweite Gottes Liebe, Du sollst nicht brechen,
Die dritte Gottes Wille. Du sollst nicht stehen!
Bei dir steh das Blut jetzt stille!
Die Rose heisst im Yolksmunde Anschöte (Anschuss). Ebenso wie
sie wird auch der kalte Brand besprochen:
Anschöte besprëk' ik,
Fif Finger begripet dik.
Anschöte, stickst nich mehr,
Anschöte, swillst nich mehr,
Anschöte, du vergeist wie et Gras op en Erdboden.
In dem vorhergenannten Dorfe Meine wird der Brand folgendermasseit
besprochen:
Brand, fahr in'n Sand,
Fahr in't Ledder,
Kumm nich wedder!
Die Rose:
Es gingen drei Jungfern aus einem Thor,
Die hatten drei Rosen in ihrer Hand.
Die erste verging, die andre verschwand,
Die dritte nahm den Namen Gottes in ihre Hand.
Ein einfaches Mittel, seine Zahnschmerzen los zu werden, wird im
Braunschweigischen noch vielfach ebenso wie beim Fieber angewandt.
Man schreibt nämlich an die Thür:
Zahnschmerz (oder Fieber) bleib aus,
Ich bin nicht zu Haus.
Man bespricht aber auch die kranken Zähne in folgender Weise:
Einst ging Ahab so traurig,
Da sprach Gott zu Ahab:
„Ahab, warum gehst du so traurig?"
Da sprach Ahab zu Gott:
„Meine Zähne wollen alle zum Munde hinaus."
Da sprach Gott zu Ahab:
„Geh hin an den Bach und spüle deinen Mund,
Dann werden dir alle deine Zähne gesund."
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes. Amen!
(Die ganzen Worte sind dreimal nach Sonnenuntergang zu sagen).
2. Ein Alpsegeii.
Dem Märtendrücken zu entgehen, spricht man die Formel1):
Marte, sast mik nich berîen, Sast erst alle Steine in de Ere
Sast erst alle Wâter bestrîen, umwennen
Sast erst alle Lofbläer licken, Un alle Steren am Himmele teilen.
Sast erst alle Grasstengel plücken, Im Names Gottes u. s. w.
1) Vgl. unsre Zeitschrift VI, 213 und namentlich 214 den oberharzischen Spruch.
Braunschweigische Segen.
65
3. Ein Baumsegen.
Wie die Frauen, wenn sie Lein gesäet haben, den Beutel, in dem die
Saat gewesen ist, hoch in die Luft werfen, damit der Flachs so lang werde,
wie der Beutel hoch geflogen ist, und wrie alte Leute in Schöningen beim
Mohrrübensäen fortwährend sagen „armlang, beindicke", damit die Früchte
«ine gute Länge und Dicke bekommen, so beglückwünschten noch vor
zwanzig und weniger Jahren die braunschweigischen Dorfbewohner am
Neujahrstage ihre Obstbäume. Die meisten banden ein Strohseil um sie
und riefen ihnen wie lebenden Wesen ein „Prost Neujahr" zu. In Wedtlen-
stedt bei Braunschweig schlug man dazu noch mit dem Beile einen Riss
in die Rinde und steckte hochkant einen Pfennig hinein als Lohn für den
"vorjährigen Ertrag.
Aber in den Ortschaften am Seiter (Naensen) und Hilse (Delligsen)
sprach man den Bäumen vor 30—40 Jahren einen Segenswunsch aus,
indem teils die Kinder in der Frühe des Neujahrstages an die Bäume mit
Stöcken schlugen, teils Kinder und Erwachsene um sie im Ringelreihen
herumtanzten und dabei sagten:
Freuet jüch, Boeme!
't nie Jahr is ekomen.
Dragt ji sau swâr es ik mot daun,
(oder: Sittet vull, draget vull),
Dit Jahr ne Kare vull,
Ober 't Jahr ên Wagen vull.
Älter noch sind folgende Yerse, die vor 50 Jahren in Delligsen zu
ilen Bäumen gesprochen wurden:
Freuet jüch, leiwen Boeme! Hfisê buse,
Et nie Jahr is ekomen. Up et Jahr twê,
Dit Jahr ne Kare vull, Up et Jahr noch ên paar,
Op et Jahr en Wagen vull, Denn geit de Weige up un dal.
Da in dem letzten Yerse die Wiege erwähnt wird, so scheint mit dem
î'ruchtsegen im Garten ein Kindersegen in der Familie verknüpft worden
2|i sein. Ebenso ist dies ja der Fall in den Yersen, die in Schöningen
zu Sylvester umgesungen werden, und die ich im Braunschweigischen
Magazin vom 24. September 1899, No. "20 veröffentlicht habe:
Appel op en Boemeken,
Ober 't Jahr en Soeneken,
Ober 't Jahr noch en paar,
Denn könnt se tausammen spazieren gân.
Braunschweig.
-Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
5
66
Petscli:
Ein Kunstlied im Volksmunde.
Yon Dr. phil. Robert Petscli.
In letzter Zeit hat die deutsche Volksliedforschung auch die „volkstüm-
lichen Lieder" in ausgedehntem Maasse in den Kreis ihrer Betrachtung-
gezogen, jene offenbaren, im Ausdruck nicht immer ganz volkstümlichen
Kunstprodukte, die sich im Volke einer so grossen Beliebtheit erfreuen,
dass man sie oft als „Volkslieder" ansprechen könnte, wenn nicht gelehrte
Forschung recht gut den Namen des Verfassers nachzuweisen vermöchte.
Der Umstand, dass der Stil und die Darstellungsweise durchaus nicht
immer dem Vorstellungskreise des Volkes angemessen, im Gegenteil die
meisten dieser Gesellschaftslieder, besonders aus der Mitte unseres Jahr-
hunderts, oft recht schwülstig und hochtrabend in ihrer Sprache sind,
bildet kein unüberwindliches Hindernis für die Verbreitung eines solchen
Liedes. Inhalt und Melodie sind entscheidend. Im einzelnen sucht sich
das A^olk den Text derjenigen Stücke, die es wirklich als sein Eigentum
annimmt, nach Kräften mundgerecht zu machen, wobei es oft Entstellungen
und Umstellungen giebt. Damit beginnen diese Lieder auch für die Volks-
kunde interessant zu werden: das ganz unveränderte Aufbewahren namentlich
klassischer, patriotischer und religiöser Stücke ist immer verdächtig. Hier
handelt es sich um Zwangsarbeit, das Volk hielt es nicht für der Mühe
wert, die Umschmelzung vorzunehmen. Die Volkskunde geht an ihnen
ebenso teilnahmslos vorüber, wie an den neuen Münzen, Maassen und Ge-
wichten, die dem Volke von oben herab aufgedrängt werden. Freilich
wenn sich erst herausstellt, wie schwer sich der Bauer mit diesen neuen
Begriffen abfindet, wenn er immer wieder einen Kilometer Leberwurst
fordert, statt eines Kilogramms, dann erregt er wieder unser Interesse;
und wenn der Dorfjunge kühne, oft witzige Varianten selbst in die National-
hymne einschwärzt, so folgt ihm auch die Volkskunde registrierend nach.
Ein höchst sentimentales, poetisch durchaus nicht bedeutendes Gedicht
des Freiherrn Joseph Christian v. Zedlitz hat sich in unserem Volke eine
derartige Beliebtheit erworben, dass es in mehreren Versionen hier und
da auftaucht, und da ich eine -neue, bisher unbekannte Fassung beizu-
bringen vermag, so sei diese mit der Originalfassung und einigen land-
schaftlichen Varianten, die mir gerade zugänglich sind, verglichen; wir
werden dabei die Art, wie das Volk Kunstlieder umdichtet, abermals
beobachten können.
Hier folge zunächst die Quelle, wie sie der um die Quellenerforschung
unserer Volksdichtung verdiente Dr. .lohn Meier entdeckt hat:
Ein Kunstlied im Volksmunde.
67
Mariech en.
Mariechen sass am Rocken,
Im Grase schlummert ihr Kind;
Durch ihre schwarzen Locken
Weht kühl der Abendwind.
Sie sass so sinnend, so traurig,
So ernst und geisterbleich;
Dunkle Wolken zogen schaurig,
Und Wellen schlug der Teich.
Der Reiher kreist über dem Rohre,
Die Möwe streift wild umher,
Der Staub fegt wirbelnd am Wege,
Schon fielen die Tropfen schwer.
Und schwer von Mariechens Wangen
Die heisse Thräne rinnt,
Und weinend in ihre Arme
Schliesst sie ihr schlummernd Kind.
Wie schläfst du so ruhig und träumest,
Du armer, verlassner Wurm!
Es donnert, die Tropfen fallen,
Die Bäume schüttelt der Sturm!
'Gedichte von J. Chr. Freiherrn von Zedlitz.
Dein Vater hat dich vergessen,
Dich und die Mutter dein;
Du bist, du arme Waise,
Auf der weiten Erde allein!
Dein Vater lebt lustig in Freuden;
Gott lass es ihm wohl ergehn;
Er weiss nichts von uns beiden,
Will dich und mich nicht sehn!
Und stürz' ich, während du schlummerst,
Mit dir in den tiefen See,
Dann sind wir beide geborgen,
Vorüber ist Gram und Weh! —
Da öffnet das Kind die Augen,
Blickt freundlich auf und lacht;
Die Mutter schluchzt und presst es
An ihre Brust mit Macht!
Nein, nein! wir wollen leben,
Wir beide, du und ich!
Deinem Vater sei vergeben, —
Wie selig macht er mich! —
Mit einer Einleitung von Dr. Ad. Kohut.
Reclams Universal-Bibliothek 3141—42. S. 3G—37.)
Von volkstümlichen Umdichtnngen ziehen wir folgende Fassungen
heran, die untereinander nur stellenweise zusammenhängen:
e) (Elsenztlial): Glock, Lieder und Sprüche aus dem Elsenzthale (Zur
'Putschen Volkskunde No. 7), 1897, S. 22—23. Alemannia XXV, 214.
ni) (Mosel): Köhler = C. Köhler, Volkslieder von der Mosel und Saar,
'lGrausgeg. von .T. Meier, Bd. I, 1896, No. 25 B., S. 31. 32.
p) (Preussisch): Treichel, Volkslieder und Volksreime aus West-
l)reussen, 1895, No. 33, S. 39.
s) (Schwalbach, Kreis Wetzlar): Fr. M. Böhme, Volkstümliche Lieder
<lei> Deutschen, 1895, No. 486, S. 366.
u) (Unterfranken), d. h. die Fassung, in der das Lied im Sommer 1898
Y°n Herrn Gymnasialassistenten Dr. Vogt in der Gegend von Würzburg
^gezeichnet und mir zum Zwecke der Veröffentlichung freundschaftlich
"^erlassen wurde. Dieser in mehrfacher Hinsicht interessante Text lautet:.
Mariechen sass weinend am Strande, 2.
Im Grase lag schlummernd ihr Kind,
in ihren schwarzbraunen Locken
Es säuselt der Abendwind.
Sie sassen sinnend und träumend,
arm, so geisterbleich,
■^ie dunklen Wolken zogen
Und Wellen schlug der Teich. :|j
Der Adler rauscht über die Lüfte,
Die Möwe zieht stolz einher,
Die Lerche singt frohe Lieder,
Es fallen die Tropfen schwer;
Schwer von Mariechens Wangen
Die heisse Thräne rinnt
Und schluchzend in ihren Armen
Hält sie ihr schlummerndes Kind. :
68
Petscli:
3. Der Vater hat uns verlassen
Dich und die Mutter dein,
Nun sind wir beide Waisen,
Auf dieser Welt allein.
II: Drum stürzen wir uns beide
In diesen tiefen See,
Dann sind wir beide geborgen
Yor übrigem Ach und Weh. :jj
4. Da öffnet das Kind seine Augen
Schaut auf zur Mutter und lacht.
Die Mutter, die weint vor Freude,
Drückts an ihr Herz und sagt:
||: Nein, nein, wir wollen leben,
Wir beide, du und ich,
Dem Vater, dem seis vergeben,
Wie glücklich machst du mich! :||
5. So sass Mariechen am Strande
Wohl manche lange Nacht, •
Bis dass vom fernen Lande
Ein Seemann die Botschaft gebracht:
||: Das Kind an deinem Busen
Hat keinen Vater mehr,
Er ist als wackrer Seemann
Gestorben im weiten Meer. :||
Das Lied handelt von einer Verlassenen, die aus dem seligen Lächeln
ihres Kindes neuen Lebensmut schöpft und ihren Plan, sich mit dem Kinde
zu ertränken, aufgiebt, indem sie dem Treulosen verzeiht. Die sentimentale
Scene hat das Volk vollkommen erfasst und verarbeitet. Die Naturstimmung
aber, den trüben Regentag, cien Z. nicht ohne Geschick gemalt hat, ver-
stand es nicht und die darauf bezüglichen Teile sind in allen Texten
gänzlich entstellt. Endlich greifen die volkstümlichen Fassungen aus den
sechzehn Zeilen (die Stropheneinteilung ist ja ohnehin durch die Melodie
modifiziert worden), die bei Z. die Anrede des Kindes an die Mutter
bilden und etwas langatmig sind, meist nur einen Teil heraus, so dass
die Texte kürzer werden als das Original.
Gehen wir nun zur Einzelbetrachtung über.
Gleich der Eingang hat mannigfache Abänderung erfahren.
beginnt Z.; der Rocken steht also im Garten, während ihn das Bewusstsein
des Volkes in die Spinnstube versetzt; es tritt also eine andere, allgemeinere
Ortsbestimmung ein, nämlich „im Garten" in e, m, p, s, „am Strande" in
u. Das wechselnde, bald jambische, bald anapästische Versmass gleicht
das Volk, unter dem Einflüsse der Melodie zu Gunsten der letzteren Form
aus, so dass meist die Zeilen im Volksmunde etwas länger werden als im
Original. So schieben denn, gleichsam in unbewusster Übereinstimmung,
alle volkstümlichen Fassungen noch eine Bestimmung ein. Das „weinend'1
hat neben u. noch e, sonst finden wir: „traurig" (s), „träumend" (m),
„einsam" (p), also immer ein der Situation angemessenes Wort, was für
deren scharfe Erfassung durch das Volk spricht. Das folgende „Wehen"
des Abendwindes „durch" die Locken (die übrigens, weil hier der Ge-
schmack des Volkes mitwirkt, nirgends „schwarz" geblieben, sondern in
„Mariechen sass am Rocken,
Im Grase schlummert ihr Kind"
Ein Kunstlied im Volksmunde.
69
e, s, il „schwarzbraun", in m „blond" und in p gar „schwarzblond" geworden
sind), hat der Volksmund einstimmig verworfen, u setzt dafür das auch
später noch einmal auftauchende „Säuseln", alle anderen Fassungen ge-
schickter: „Mit ihren Locken Spielt leise der Abendwind." Auch die
Bestimmung „kühl", die auf die nachfolgende Schilderung der Regen-
stimmung hinweist, hat das Yolk nicht verstanden und durch das unpassende
»leise" ersetzt.
Ebenso ist das unvolkstümliche „sinnend" fast einstimmig beseitigt
worden (während „geisterbleich" als seltsames "Wort fast durchgehends
erhalten blieb), und hat einfacheren Ausdrücken, wie „still" (m, s, trübe,
1>, verlassen e) Platz machen müssen, wie denn die gehäuften Adjektiva
an dieser Stelle überhaupt mannigfach verändert und umgestellt sind, ohne
dass man auf die Bewahrung des Reimes sonderlich geachtet hätte.
Zu Bemerkungen giebt dann erst wieder die Gewitterstimmung Anlass.
Das Gebahren der Yögel, dass Z. hier geschickt benutzt, ist vom Yolke
ganz falsch aufgefasst worden. So ist denn der „Reiher"' nirgends erhalten
geblieben, er ist in einen „Geier" entstellt worden (p, s) oder gar in
einen „Adler" (e, u), die dann natürlich nicht „über dem Rohre", sondern
55über die Berge" kreisen (oder „steigen" s, „streichen" p), oder „über
die Lüfte rauschen" u — hochtönende Phrasen, die zum Inhalt nicht die
geringste Beziehung haben, aber gerade darum mit besonderer "Vorliebe
festgehalten wTerden. Ebenso ist aus dem „wilden" Fluge der^Möve in u
ein „stolzer" Zug geworden, und im Elsenzthale geht die Verständnis-
losigkeit noch weiter: „Die Nebel (!) fliegen umher."
Am meisten Yerwirrung aber hat Z.s folgende Zeile angerichtet, die
das Windeswehen beim Ausbruch des Gewitters recht hübsch schildert:
„Der Staub fegt wirbelnd am AVege",
für deren Inhalt aber dem Volke jedes Verständnis gefehlt, haben muss.
Am nächsten steht noch m, wo . der poetisch wenig verwendete „Weg"
dem bekannteren „Meere" gewichen .ist: „Es säuselt der Sand am Meere";
Wenn aber p gar „von den Gipfeln des Meeres" spricht, so liegt freilich
schon eine starke Verdrehung vor. Auch die Schwalbacher Fassung ist
üiclit ganz übel: „Es weht ein Wind von ferne"; dagegen ist die Ent-
stehung des Worflautes in u: „Die Lerche singt frohe Lieder", was die
Situation so grob verletzt, gar nicht zu verstehen, wenn man nicht die
Atrophe in e betrachtet, das hier überhaupt u nicht fernsteht:
„Der Adler kreist über die Berge,
Die Nebel fliegen umher,
In den Lüften singt munter die Lerche,
Es fallen die Tropfen schwer."
Hier ist durch den Begriff „Adler" der andere: „Berge" gegeben, und
1111 Reime darauf fand sich „Lerche"; als danach die dritte Zeile einmal
70
Petsch: Ein Kunstlied im Volksmunde.
geprägt war, gab man wiederum den Reim auf, und so erscheint jetzt die
„Lerche" bei u im Innern des Verses.
Zu den folgenden Zeilen ist wenig zu bemerken, höchstens die ab-
sonderliche Lesart von p:
„Und in den schluchzenden Armen (!)
Hält sie ihr schlummerndes Kind."
Dagegen sind die folgenden vier Zedlitzschen Strophen vollständig
nur in der Schwalbacher Fassung erhalten, und auch da mit manchen
Abänderungen:
„Hier liegst du so ruhig von Sinnen, Dein Vater lebt herrlich, in Freuden,
Du armer, verlassener Wurm! Gott lass' es ihm wohl ergehn!
Du träumst von künftigen Sorgen1), Er gedenkt nicht an uns beide,
Die Bäume bewegt der Sturm. Will mich und dich nicht sehn.
Dein Vater hat dich verlassen, Drum wollen wir uns beide
Dich und die Mutter dein; Hier stürzen in die See;
Drum sind wir arme Waisen Dann bleiben wir verborgen
Auf dieser Welt allein. Vor Kummer, Ach und Weh."
Dagegen begnügen sich alle anderen Fassungen mit zweien dieser
Strophen, und zwar ist die vierte und wichtigste, die den Entscliluss zum
Selbstmorde ausspricht, überall geblieben. Dazu nehmen m und u die
zweite Strophe, erstere Fassung nicht ohne Änderung, alle anderen die
dritte Strophe.
Die Version rn arbeitet mit früher schon verwerteten Begriffen:
„Warum so still, so träumend,
So einsam, geisterbleich'?
Der Vater hat mich verlassen,
Dich und die Mutter dein!"
Die dritte Strophe ist zunächst in allen bez. Fassungen (e, p, s) am
Anfange leise geändert:
„Dein Vater lebt herrlich, in Freuden";
„herrlich und in Freuden leben" (Luc. 16, 19) ist eben ein ganz volks-
tümlicher Ausdruck geworden. Ferner ist Z.s farbloses „er weiss nichts
von uns beiden" nur in p geblieben, dagegen in e und s verschärft worden:
„Er gedenkt nicht an uns beide,
Will mich und dich nicht sehn."
In der vierten Strophe dieser Rede ist gelegentlich (p und s) „der
See" in „die See" verwandelt worden; mannigfach entstellt ist die vierte
Zeile: „Vorüber ist Gram und Weh" (überall durch „Kummer und Weh"
oder „Ach und Weh" verdrängt, weil „Gram" nicht volkstümlich ist), am
auffallendsten in u: „Vor übrigem Ach und Weh", was lebhaft an das
1) Die Schilderung der Aussemveit ist einem Ausdrucke der im Yolksmunde durchaus
vorherrschenden Gemütsstimmung gewichen.
Stiefel: Zu Hans Sachsens „Der plint Messner".
71
steirische „Guter Jüngling, Frühlingsgärtner" für Goethes „Gute junge
Frühl ingsgö tter " er i im er t.
Die im Original folgende Strophe „Da öffnet das Kind" hat in u
eigentlich gewonnen. Auch ist das höchst unschöne „mit Macht", das alle
anderen Fassungen beibehalten haben, sehr geschickt beseitigt. Auch das
gesuchte „Wie glücklich macht er mich" (nämlich der Untreue, da er mir
doch das Kind zurückliess) ist durchgängig im Volksmunde durch das
einfache, herzliche:
„Wie glücklich machst du mich"
geändert worden. Wir sehen, dass es sich im Yolksmunde nicht immer
um Entstellungen und Schlimmbesserungen handelt, sondern dass das Volk
mit feinem Gefühl oft das Richtige trifft. Woher freilich die unterfränkische
Fassung die ganz eigentümliche, gar nicht zum Vorhergehenden passende
Schlussstrophe genommen hat, die weder im Original noch in irgend einer
volkstümlichen Version zu finden ist, bleibt mir unklar. Sie muss aus
einem anderen Liede, das mit unserem wohl die Melodie gemein hatte,
„angesungen sein", so dass sich uns zum Schlüsse noch ein Blick auf
dieses für die Entwickelung des Volksliedes so wichtige Moment der Ent-
lehnung eröffnet hat. Vielleicht gelingt es einem Kundigeren, die Quelle
dieses Zusatzes zu ermitteln.
Zu Hans Sachsens „Der plint Messner".
Von A. L. Stiefel.
In dieser Zeitschrift, Bd. VIII, S. 217 ff., teilt Herr J. Jaworskij eine
grossrussische und fünf südrussische Parallelen zum 69. Fastnachtspiele des
Hans Sachs („Der plint Messner") mit, die er als Mittelglieder zwischen
dem deutschen Fastnachtspiele und der von mir als letzte Quelle bezeich-
neten1) Erzählung im Pantschatantra betrachtet. Jaworskij glaubt, dass
jene Versionen „für die Erforschung der Wege, auf welchen die Geschichte
vom Brahmanen und seinem ehebrecherischen Weibe zu den Ohren des
Hans Sachs gewandert sein mochte, von einer nicht zu unterschätzenden
Dichtigkeit sein werden". Von besonderem Werte erscheint ihm hierbei
eine Erzählung aus der Charkower Gegend, worin ebenfalls, wie bei
H. Sachs, der Liebhaber ein Pfarrer ist, „der Platz der Offenbarung in
die Kirche verlegt" und ein Heiliger eingeführt wird, „Iwan Kuscnyk
(etwa Johann vom Gebüsch)", „welcher, obgleich kirchlichen Ursprungs,
Zu den volkstümlich - apokryphen und etwas spöttischen Heiligennamen
1) In dieser Ztschr. Bd. VIII, S. 74 ff.
72
Stiefel:
gehört", also „ganz dem deutschen St. Stölprian entspricht, welchen
H. Sachs vielleicht nicht selbst spotthalber erdichtet . . . , sondern aus
dem satirischen Volksmunde genommen haben mag."
So dankenswert die Mitteilungen Jaworskijs auch für die Geschichte
des Stoffes sein mögen, so fordern sie doch mehrfach zu Widersprach
heraus. Jaworskij behauptet (S. 217) u. a., dass mir ausser Pröhle und
Simrock nicht „irgend welche anderen Zwischenglieder bekannt gewesen"
seien. Hierin irrt er sich sehr. Zwischenglieder in dem Sinne, wie er sie
auffasst, kenne ich zur Genüge. Bd. VIII, S. 79 dieser Zeitschrift verweise
ich in der Anmerkung auf die von J. Bolte (Frey, Gartengesellschaft, S. 284)
zusammengetragenen Parallelen, die ich selbstverständlich noch alle vor
dem Drucke meines Aufsatzes verglichen habe. Jaworskij hätte gut gethan,
diese Anmerkung zu beachten und die von Bolte verzeichneten Versionen
ebenfalls anzusehen. Er hätte dann gefunden, dass bereits in den Kryp-
tadia I (1883) S. 241 ff. zwei russische Versionen des Schwankes mit-
geteilt sind, wovon die erste der von Jaworskij angeführten Dobrohostower
Erzählung insofern gleicht, als auch sie das Motiv von der unterschobenen
Leiche mitverschmilzt, und der Charkower Erzählung insofern als ein
Heiliger (Nicolas Doupliannskoy) darin eine Polle spielt, und der Ehemann,,
iu einem hohlen Baume versteckt, den Heiligen vorstellt. Die zweite Er-
zählung der Kryptadia (I, 243 ff.) ähnelt der Dobrohostower Darstellung
insofern, als das Weib darin eine alte Wahrsagerin („une vieille sorcière")
um Pat fragt und so das blind machende Mittel erfährt, und den anderen
russischen Versionen in dem Punkte, dass ausser dem Ehemanne noch
ein Diener (ouvrier) mitwirkt. Jaworskij hätte ferner gefunden, dass —
wie Wlislocki1) berichtet — der Stoff auch bei den Slovaken, sieben-
bürger Sachsen und transilvanischen Bulgaren vorkommt. Nicht minder
finden wir ihn in den Niederlanden, in Italien u. s. w.
So wenig ich indes bei irgend einer dieser Versionen daran dachte,
sie als ein Mittelglied zwischen H. Sachs und dem Pantschatantra zu be-
trachten, so wenig ist meines Erachtens bei den von Jaworskij veröffent-
lichten daran zu denken. Es bleibt immer eine missliche Sache, eine erst
in unseren Tagen niedergeschriebene Erzählung als Quelle einer bereits
vor Jahrhunderten gedruckten Dichtung anzusehen. Denn wenn auch
manche Märchen und Schwanke auf recht alte Überlieferung zurückgehen,
so ist es doch in vielen anderen Fällen sicher, dass sie bei diesem oder
jenem Volke ganz modernen Ursprungs sind. Wenn in früheren Jahr-
hunderten viele Schwankstoffe Europa von Osten her zuströmten, so sind
auch umgekehrt in späteren Zeiten viele von Westen nach Osten zurück-
geströmt. Leider lässt sich nur selten beweisen, ob ein Stoff auf seinem
Herwege oder auf seinem Hinweg sich in einem Lande niedergeschlagen hat.
1) Zeit sehr, der d. Morgenl. Ges. 42, 12t)ff.
Zu Hans Sachsens „Der plint Messner".
73
Was nun H. Sachs betrifft, so ist die Möglichkeit eines russischen
Einflusses bei ihm völlig ausgeschlossen. Seine direkte Quelle ist mir
Jetzt bekannt, es ist ein Meistergesang seines Zeitgenossen und Lands-
mannes Hans Yogel, betitelt
Die Kesküchlein1),
geschrieben im Jahre 1541. In diesem Gedichte bittet eine Frau eine
Zauberin um Rat, wie sie es anfangen solle, damit ihr Mann erblinde.
Diese rät ihr, sich „in sankt Lenhartskirchen" zu begeben und dort zu
dem Heiligen zu flehen. „Der wirt dire gar bald ainen rath finden."
„Das wurd ir man gewarc,
Ging in die kirchen, stelt sich in altare
Mit fug
Sam er sankt Lenhart were."
Und So die Rolle des Heiligen übernehmend, rät er: „Gib im gut
wein Und kessküchlein genug!" Die Frau befolgt den Rat, der Mann
stellt sich blind, worauf jene „gar bald darnach iren pfaffen zu gast lud."
Doch der Blinde „hinter dem Ofen" ergreift die Armbrust des Pfaffen
Und erschiesst ihn. Das Weib jammert und „rauft ir hare" und sagt dem
Mörder, man werde seinen Leib „marteren schwere". Da bittet sie der
Mann, sich immer noch blind stellend: „0 liebes Weib, nun wirf mich in
ein bache, ee ich gemartert were!" Sie führt ihn zum Bache, aber
Gar bald er sich umwende
Und warf sie selbst hinein.
Das Meisterlied Yogels ist für die Geschichte des Stoffes von hoher
D ichtigkeit. Es enthält nicht nur fast das ganze Material des H. Sachsi-
schen Fastnachtspiels, sondern auch beinahe alle wesentlichen Bestandteile
der modernen Versionen: Die Wahrsagerin oder Zauberin, den Käse- (oder
Lier-) kuchen, das Hineinwerfen ins Wasser u. s. w. Doch zurück zu
'I Sachs. Die Übereinstimmung seines Fastnachtspiels mit dem Meister-
gesang H. Yogels ist, wie gesagt, gross: Hier wie dort ist der Galan ein
Pfaffe, hier wie dort handelt es sich ausschliesslich um das Erblinden des
Mannes — in modernen Versionen dagegen auch um das Taubwerden oder
§ar Sterben —, hier wie dort spielt der Mann den Heiligen, hier wie dort
Versteckt er sich in der Kirche im Altar, hier wie dort spielt Wein und
Kuchen eine Rolle beim Erblinden, hier wie dort wird der Pfaffe mit
einer Armbrust erschossen. Und so dürfen wir wohl unbedenklich den
Meistergesang H. Vogels als Quelle H. Sachsens ansehen. Wenn letzterer
111 seinem Spiele die Wahrsagerin wegliess und die Fabel mit dem Tode
des Pfaffen abschloss, so mochte er es vielleicht gethan haben, um die
dramatische Handlung des Faschingschwankes zu vereinfachen. Merk-
1) Mitgeteilt in Boites trefflicher Ausgabe der Schwankbücher des Martin Montanus
^ Pubi. d. Stuttg. Litt. Vereins) 1899, S. 517ff.
74
Stiefel:
würdigerweise näherte er sich dadurch der indischen Quelle mehr als alle
anderen bekannten Versionen.
Ich habe einen Unterschied zwischen dem Spiele des Sachs und dem
Meistergesang H. Yogels nicht betont, und das ist der Name des Heiligen,
St. Stolprian bei H. Sachs und St. Lenhard bei Yogel. Aber durch
diesen letzteren Namen sind wir im stände, einen weiteren Beweis für die
Abhängigkeit des berühmten Schusters von seinem Landsmann zu erbringen.
Im Jahre 1551, also 3 Jahre vor seinem Fastnachtspiele, dichtete H. Sachs
einen Meistergesang, der hierher gehört und ein nicht unwichtiges Glied
in der Kette der Stoffüberlieferung bildet. Da er bis jetzt ungedruckt ist,
lasse ich ihn hier folgen1):
Inn des Römers gesangweis.
Der baur, messner mit dem pfaffen.
1.
Ein beuerin die het im dorff den pfaffen holt,
bat in, das er sant Linhart fleissig bitten wolt
das ir man thet in drey tagen erblinden . . | .
das er zu ir möcht aus vnd ein gehn, wens gescheeh,
das in der alte eifferig bauer nit secb.
Den anschlag hört der knecht im rostal hinden . . | .
Ynnd sagt dem bauren das in kaim.
Der sprach, ich will des buben volck fein effen.
Als er vom acker ritt herhaim,
thett er, sam kund er das hofthor nit dreffen
vnnd ritt darneben an den zäun
ein mal, drey, vier, die beurin kam geloffen.
er sprach: weib mit mein äugen braun
sih ich kein stick vnd hab sie doch weit offen.
Da sprach sie: lieber haußwirt mein,
so hut mir nur der pollen,
wenn du hörest lauffen darein
hund oder schwein,
so schlag mit diser stangen drein,
das sie herauser trollen......| .
2.
Das weib wolt in probiren, haucht2) auf alle vier
kruch in polen, als ob sie wer ein wildes thier.
der man schlugs vbert lende mit der stangen
vnd schrie: aus hund! die frau war fro, dacht er ist blint,
vnd schickt nach dem pfaffen, der schlich inns Haus geschwint.
der bauer sah in wol, kam hinnach gangen . . . | .
1) Nach einer Abschrift des Herrn Archivrats E. Mummenhoff zu Nürnberg, dem ich
auch an dieser Stelle für seine Liebenswürdigkeit danke. Der Mg. befindet sich in der
Nürnb. Stadtbibliothek Solger 2° 56 I, 280b. Vergi. Boite zu Montanus' Schwankbücher
S. 611.
2) hauchen = sich ducken, kauern: Schmeller, B. Wb., I2, 1041.
I
Zu Hans Sachsens „Der plint Messner". 75
vber ein viertel stund inns haus,
zu besehen ir baider abentheuer.
die frau nach wein war hinten naus,
ein pfann mit heißem schmaltz stund ob dem feuer,
das gos er dem pfaffen in hals.
der sas in dem volbad vnnd war entschlaffen,
setzt sich zu sein pollen nachmals.
die fraw kam, fannd todt im volbad den pfaffen
die klagt die sach dem blinden man:
ich kann dir helfen nichte,
sprach er, weil ich mein gsicht nit han.
Sie raffet an
sant Lin h art, als bald wider gewan
der gut man sein gesichte.........| .
3.
Frue laint der bauer den pfaffen ant kirchen thur
Zum schlos. als darnach der mesner auch kam darfur,
wolt auffsperen vnd zu der fruemes leutten,
Fand den pfaffen, da sprach er: bona dies, herr.
er antwurt nicht, der messner het auch das geblerr,
zupft in, dacht, was mag der hart schlaff bedeutten.
Der pfaff fiel nieder vnd war todt.
Der mesner hart darob erschrocken ware
vnnd legt im an ein meßgwant rot
leint in zu dem meßbuch an dem altare.
als nu das volck gen opfer lieff,
kam der Schwindel in köpf eim alten weibe,
den pfaffen beim meßgwant ergrieff
vnnd zug in vrnb, da fiel sein todter leibe
auff sie vnd sie zu tode schlug,
legts in ein grab zu same.
so kam daruon der mesner klug.
der bauer zwug
dem pfaffen, vnd beym har umbzug
sein weib, bald er heim käme .... 1551.
Das erste, was an dieser merkwürdigen Version auffällt, das ist der
^anie St. Linhard. Es ist offenbar kein Zufall, dass H. Sachs diesen
Manien wählte. Er entnahm ihn der Erzählung H. Vogels und ersetzte
ïhn erst1) im Fastnachtspiel durch den St. Stolprian.
Und so sind wir schon jetzt gezwungen, die Hypothese des Herrn
Jaworskij abzulehnen. Dem St. Stolprian kann nicht die von ihm gewollte
üolle in der Quellenfrage des Schwankes zufallen, weil nicht nur in der
^testen bekannten deutschen Version, im Meistergesang des H. Vogel,
sondern auch in dem drei Jahre vor dem Fastnachtspiele gedichteten
1) Ich sage dies indes mit Vorbehalt, da uns nichts über das zwei Jahre früher ver-
käste verlorene Meisterlied „Der plint mesner" bekannt ist. Möglicherweise kam der St.
®t°lprian schon darin vor.
76
Stiefel:
Meistergesang H. Sachsens nur ein ernsthafter Heiliger vorkommt.
Die Verknüpfung des Spottheiligen St. Stolprian mit dem Stoffe ist und
bleibt das Werk des Nürnberger Schuhmachers, ob er nun den Namen
selbst erfunden, oder ihn von einem anderen überkommen hat.
Wenn wir uns jetzt nochmals zu dem Meistergesang „Inn des Römers
Gesangweis" wenden, so dürfen wir Dicht unerwähnt lassen, dass derselbe
von dem Yogelschen Liede sowohl als von H. Sachsens Fastnachtspiel
sehr wesentlich abweicht. Er bringt ganz neue Züge, so z. B. den, wie
der Bauer seine Blindheit glaublich macht, sein Hüten „der pollen", den
eigenartigen Tod des Pfaffen, der nicht durch einen Pfeilschuss, sondern
durch eino-esrossenes heisses Schmalz bewirkt wird u. s. w. Andererseits
O O
fehlen manche Momente, so z. B. die blindmachenden Speisen und Getränke.
Das blosse Gebet zu dem Heiligen veranlasst bereits die Erblindung des
Ehemanns. Fast möchte es scheinen, als ob Jaworskij mit seiner Behauptung
wenigstens bei diesem Gedichte Recht hätte; denn in derselben Weise wird
auch in dem oben erwähnten russischen Schwank von Doupliannskoy die
Erblindung herbeigeführt. Mit dieser russischen Darstellung bietet unser
deutsches Gedicht noch die weiteren Übereinstimmungen, dass der Ehe-
mann den Galan während einer momentanen Abwesenheit seiner treulosen
Ehehälfte tötet, so dass diese den Tod einem Unfall und nicht ihrem Mann
zur Last legt und dass mit dem Motiv vom verstellten Blinden noch die
vom Prestre con porte, bezw. vom Sacristain de Cluni) verbunden ist. Anderen
russischen Versionen ähnelt der Meistergesang insofern, als ein Diener
darin auftritt, der dem Ehemann die ehebrecherische Liebe der Frau verrät.
Gleichwohl ist an einen direkten oder indirekten russischen Einfluss auch
hier nicht zu denken. Manches in H. Sachsens Lied muss vorerst rätsel-
haft bleiben, oder lässt sich nur durch die Annahme erklären, dass wohl
damals von dem Schwanke neben der Version, wie sie in H. Vogels
Meistergesang dargestellt ist, noch eine zweite zirkulierte. Aber die eigen-
tümliche Kombination der zwei Motive, sowie eineine Züge erklären sich
durch das bei unserem Dichter beliebte Kontaminationsverfahren1). Die
Fabel vom „blinden Messner" ist im Grunde nur eine Variante des ausser-
ordentlich verbreiteten Themas vom Ehemann, der, nachdem er seine
treulose Frau und ihren Liebhaber durch List sicher gemacht und über-
rascht hat, den letzteren umbringt unci die That geschickt von sich abwälzt.
Dieses Motiv ist vornehmlich in Frankreich und zwar schon im 12. und
13. Jahrhundert zur Ausbildung gelangt und hat sich von da in zahl-
losen mehr oder weniger freien Nachahmungen über ganz Europa ver-
1) Hiervon habe ich sowohl für die Fastnachtsspiele als auch für die Schwanke des
Meisters' zahlreiche Belege gegeben. Vgl. meine Arbeit über die Quellen der H. Sachsischen
Dramen, Germania, Bd. 86, 1—GO, besonders S. 29, 31, 33 f., 36ff., 39 ff., 53 ff, 55 ff., Bd. 37
S. 209 ff., 2l3ff. u. s. w., soAvie meine H. Sachs-Forschungen S. 33—192.
Zu Haus Sachsens „Der plint Messner".
77
breitet. *) In den französischen Versionen und ihren deutschen Bearbeitungen
ist besonders der letzte Teil der Fabel, der das dem Orient entstammende
Motiv von der Umherwanderung eines Toten enthält, Gegenstand ausführ-
licher Behandlung geworden. Ist es zu verwundern, dass H. Sachs, welcher
so gern in seinen Schwänken ähnliche Geschichten verschmolz, auf den
Gedanken kam, auch in dem vorliegenden Meistergesang so zu verfahren?
In dem Fableau „du Prestre don porte" hat eine Frau ein sträfliches Ver-
hältnis zu einem Geistlichen. Der Mann bemerkt es, thut als ob er ver-
reise, kehrt aber heimlich zurück. Die Frau schickt nach dem Pfaffen,
welcher sogleich erscheint und zunächst ein Bad nimmt. Während das
Weib sich einen Augenblick entfernt, um in die Küche zu geheil,
kommt der verborgene „vilains" hervor, erdrosselt den eingeschlafenen
„prestre", schleicht sich stille davon und klopft gleich darauf am Thore,
als ob er eben erst angekommen wäre.
Soweit hat das Fableau mit dem Meisterlied des H. Sachs — wenn
man von der fingierten Erblindung des Ehemanns absieht, an deren Stelle
die fingierte Abreise desselben tritt — die grösste Ähnlichkeit. Diese
Übereinstimmung brachte den Nürnberger offenbar auf den Gedanken, die
verwandte Erzählung in ähnlicher Weise wie in dem von Frankreich
kommenden Märchen, mit der Fortschaffung des Toten weiterzuführen. Ich
spreche damit keine blosse Vermutung aus, sondern bin in der Lage
meine Behauptung zu beweisen.
H. Sachs benutzte für den Schluss seines Meistergesangs ein altes
Spruchgedicht des 15. Jahrhunderts „Von einem Pfarrer"2), das in einer
Handschrift dem Hanns Rosenplüt dem Schnepperer, in einer anderen
einem „Hanns Zapf zue Nurmberg Barb ir er" zugeschrieben wird, aber,
wie V. Michels sehr wahrscheinlich gemacht hat3), von Rosenplüt wirklich
herrührt. Es ist entweder eine sehr freie Nachbildung des eben erwähnten
Fableau clou prestre don porte oder, wahrscheinlicher, die Übersetzung einer
verlorenen französischen Version des Schwankes, deren es gewiss mehr
gegeben hat, als wir jetzt noch besitzen. Den Anfang der 306 Verse langen
Dichtung hat H. Sachs nicht benutzt. Darin wird der Tod des Pfarrers
ganz abweichend von den sonst bekannten älteren Versionen erzählt. Der
Geistliche stirbt nicht als ein Opfer seiner Sinnenlust, sondern durch die
Ungeschicklichkeit eines Schusters, der, als er ihm einen Schuh am Fusse
ausbessert, eine Ader trifft, wodurch jener „plutet sich also zue tath".
1) Über die Verbreitung vgl. Keller, Romans des Sept Sages, p. CCXXIII, Dioclet.,
Leben, Einleit. S. 61. Douce, Illustrations of Shakspere II, 378ff. Legrand, Fabliaux
1779, Bd. III, S. 388, von der Hagen, Gesamtabenteuer, III, p. XXXV—LXI, Bolte zu
Schumanns Nachtbüchlein, No. 19, S. 395 und Freys Gartengesellschaft S. 281, wo sich
noch weiter Angaben finden.
2) Oder „Vom pfarrer der zu fünff main starb." Abgedruckt in A. v. Kellers „Er-
zählungen aus altdeutschen Handschriften" (35. Pubi, des Litt. Vereins), S. 111—119.
3) Studien über die ältesten deutschen Fastnachtspiele, S. 148 ff.
78
Stiefel:
Der Schuster holt nun das Pferd des Pfarrers, setzt ihn mit Hilfe seiner
Frau darauf und führt ihn auf ein Haberfeld. Dort erregt der Tote als-
bald den Zorn des Besitzers, eines Bauern, der ihn mit einem Steine vom
Pferde schlägt und nun vermeint, ihn getötet zu haben. Der Bauer trägt
den Leichnam zur Thüre seines Nachbars und als dieser „den gattern
sties . . auf mit gewalt", so fällt der Pfaffe um. Der Nachbar glaubt, er
sei der Mörder und entledigt sich des Körpers, indem er ihn in das Haus
des Mesners trägt. Dort leimt er ihn über einen Backtrog und stopft ihm
den Mund mit Teig, so dass es den Anschein hat, als sei er beim Leeren
des Inhalts erstickt. Die List gelingt. Der Mesner ist ausser sich, als er
von seiner Frau, die den Pfarrer zuerst entdeckt hat, gerufen wird.
Soweit hat Sachs das Gedicht unbenutzt gelassen, wenn man nicht etwa
das Anlehnen des toten Geistlichen an die Kirchenthüre bei ihm auf das
Anlehnen des Pfarrers ans „Gatter" zurückführen will. Den Kest des
Schwankes hat Sachs nachgeahmt, ich gebe ihn hier mit einigen Kürzungen
wieder:
Der man sprach:------
Möchten wir neüer eins betrachten
Wie wir des pfaffenn körnen ab!
Die Frau jm paid do antburt gab
Ynd sprach: Ich weis kain pessern
synn,
"Wir tragen jne die kirchen hin
Ynd legen jm an sein meßgewant
Ynd stellen jn über den alter zu
hant
Ynd zihen darnach frümeß ane.
So dann die leut herzu wern gan
Vnd sehen, das er sich nit verrückt
So wollen sie wenn, er sey entzuckt
Ine grosser andacht, die er habe.
Sich, also kamen wir sein ab.
Der meßner — — — — —
— — hub de frümeß an zu ziehen,
Do kamen die pauern vnd begunden
knyen,
Hin zu dem altar vnd annders war.
Zue letzt ein altes weib kam dar,
Ynd zwischen den leüten sich ein hin
zwingen,
Ob sie ergrieff das meß gewannt.
Vnd do es jr wart jne die hannt,
Da fur sie zu dem mund darmit
Ynd wolt es küssen nach peuerischem sit
Ynd ruckt jn au ff' ein seytenn gar.
Do vil der pfaff auff sie dar
Ynd schlug sie schweres uals zu
todt.
Zum alter wart ein groß gelauff,
Den pfaffen wolten sie helffen auff.
Do was er gantz vnd gar erstart.
Das erschrackenn sie also hart,
Ynd hub sich zweyer hande not.
Ein teyl clagten des pfaffen tot,
Die andern wurden die frauen clagen
Die er het zue todt geschlagenn.
Do sie nun lang geklagt hettenn
Vnd alle sleglichenn tettenn,
Do westen sie pessers nit zu schaffenn,
Sie namen den pfaffen vnd die frauen
Vnd bestatten sie zu der erdenn droth. —
Vnd gundt gar uast zum altar tringen,
Die Übereinstimmung dieser Averse mit dem Schluss des Sachsischen
Meistergesangs im Inhalt ist eine auffallende. Selbst ein paar Yerse ähneln
einander. Und so unterliegt es wrohl keinem Zweifel, dass wir bei dem
wackeren Meister hier, wie so oft sonst, eine Kontamination anzunehmen
haben.
Sieht man zu, wie Sachs im letzten Teil seines Meisterliedes Wichtiges
ausgelassen und die Erzählung zusammengedrängt hat, so gerät man auf
Zu Hans Sachsens „Der plint Messner".
79
den Gedanken, dass er auch für die beiden ersten Teile ein ähnliches
^erfahren eingeschlagen und dass die Vereinfachung der Fabel, namentlich
die Weglassung der die Blindheit verursachenden Speise und Getränke
möglicherweise erst sein Werk war. Indes kommen wir in diesem Punkte
über die blosse Vermutung nicht hinaus.
Die Frage nach der Herkunft des Stoffes harrt aber noch ihrer Lösung;
denn wenn wir auch bezüglich der Quelle des Sachsischen Fastnachtspieles
Jetzt im Klaren sind, so wissen wir immer noch nicht, woher Hans Vogel
das Märchen nahm und wie H. Sachs zu den abweichenden Zügen im
ersten Teile seines Meistergesangs kam. Bezüglich dieser Fragen sind
^rir vorerst auf Vermutungen angewiesen. Ich glaube, dass der Schwank
8'leich anderen ähnlichen Charakters dem deutschen Boden durch fran-
zösische Vermittlung zufloss und nach Frankreich selbst auf demselben
Wege wie so viele orientalische Märchen gelangte.
Sicher scheint mir aber das Eine: Russland spielte in diesem Falle
nicht die Vermittlerrolle für Europa. Die von Jaworskij angeführten
russischen Versionen, sowie die beiden in den Kryptadia sind beinahe alle
viel zu kompliziert, als dass man sie für ältere, dem Osten näher stehende
formen des Märchens halten könnte. Die ursprüngliche einfache Idee,
dass der unbequeme Ehemann von der Gattin durch den Rat eines an-
geblich höheren Wesens mittels Speisen blind gemacht wird, ist in den
leisten dahin erweitert, dass er nach je einer anderen Speise auch taub,
bezw. stumm oder wahnsinnig wird, oder gar stirbt; es ist ferner in
mehreren einem Diener eine sehr wichtige Rolle eingeräumt, oder es fehlt
das leitende Motiv: die Untreue der Frau. Das alles sind Züge, welche
die russischen Märchen als abgeleitete jüngere Gestaltungen erkennen
lassen. Und so möchte ich denn die Behauptung des Herrn Jaworskij
Zukehren: H. Sachs bezw. H. Vogel haben die russischen Märchen beein-
flusst, wobei vielleicht die Westslaven die Vermittlerrolle spielten. Dass
der deutsche Meistergesang und die deutschen Fastnachtspiele besonders
die des H. Sachs weit über Deutschlands Grenzen hinaus ihre Wirkung
erstreckten, darf man ohne weiteres annehmen, für H. Sachsens Dramen
lst es übrigens schon erwiesen worden. Ich habe oben angedeutet, class
das Meisterlied des H. Vogel fast alle Elemente der verschiedenen modernen
Härchen bereits enthält. Ich will noch ein Wort über das Meisterlied des
Nürnberger Schumachers sagen. Die eigentümliche Verknüpfung der beiden
Motive vorn verstellten Blinden und dem „prestre c'on porte", die wir
darin und dann wieder in Russland, aber weder im europäischen Westen
uoch im fernen Orient treffen, verleihen meiner Annahme einen hohen
Grad von Berechtigung. H. Sachs hatte, wie wir oben sahen, die beiden
^offe erst selbst verschmolzen und war hierin, soweit unsere Nach-
forschungen bis jetzt reichen, der erste. Es hat wenig zu -bedeuten, dass
die Abenteuer des Toten in der einen russischen Version — die der anderen
80
Piger:
sind mir unbekannt — nicht mit denen des II. Sachs übereinstimmen; das
letztere Motiv für sich allein war so ausserordentlich verbreitet, dass die
Einschiebung anderer Abenteuer in unsere Fabel sich von selbst verstand.
Und nun zum* Sehluss noch ein Wort über den St. Stolprian. H.
Sachs konnte ihn in Verbindung mit unserer Erzählung — wie wir oben
sahen — nicht vom slavischen Osten erhalten haben, aber nichts steht im
Wege, dass der Iwan Kuscnyk und der wahrscheinlich nahe verwandte
Nicolas Doupliannskoy — so weit meine spärlichen russischen Kennt-
nisse reichen, etwa Nicolaus vom hohlen Baum — erst unter dem Ein-
flüsse des II. Sachs aber natürlich mittelbar, in das russische Märchen
geraten sind. Die Ersetzung eines ernsthaften Heiligen bei H. Sachs
durch einen scherzhaften versteht man vollkommen: der Nürnberger war
Protestant und wollte sich über den Heiligenkultus lustig machen. In den
russischen Volksmärchen dagegen erklärt sich der „etwas spöttische Heiligen-
name" nur durch eine bestimmte Überlieferung.
AYas aber diese russischen Waldheiligen, diese vermeinten Bewohner
hohler Bäume anbetrifft, die ein Weib in Liebesnöten aufsucht, um sich
bei ihnen Hats zu erholen, so erinnern sie an die altdeutsche Erzählung
„Der hol boum"1), worin ein Weib unzufrieden mit der Minne ihres
Mannes, ihn veranlasst zu einem hohlen Baume im Walde sich zu begeben,
„da sint heiligen innen,
die erhoerent aller liute gebet."
Die Frau schleicht sich vorher zum Baume und spielt den Heiligen ganz
wie in den russischen Märchen. Man sieht, auch dieses Motiv findet sich
sehr frühe in Deutschland.
München.
Fascliingsgebräiiclie in Prutz im Oberinntlial.
Von Franz Paul Piger.
Wer nie von Landeclc aufwärts den noch jungen Inn entlang ins
Engadin wanderte, hat wohl niemals von einem Dorfe Prutz gehört. Eine
kleine Stunde oberhalb der aus der Franzosenzeit rühmlich bekannten und
schon von den Römern benutzten Pontlatzbrücke (pons latus) liegt es auf
dem Erdreich, das die Fagga, aus den Gepatschfernern kommend, im
Laufe der Jahrtausende der Furche des Hauptthaies zugeführt. Der Inn
durchrauscht es und waldige Berge mit kahlen Scheiteln umstehen und
hüten es.
1) Abgedruckt in den Altdeutschen Wäldern III, 160 ff. und bei von der Hagen,
Gesamtabenteuer, II, 141. Ähnlich; Pauli, Seh. u. E., 185/36 uad Schumann, Nachtb., 50.
Faschingsgebräuche in Prutz im Oberinnthal.
81
In den ältesten Zeiten hausten im oberen Innthale die Räter, denn
v'on ihnen stammen jedenfalls die verwunderlichen Namen mancher Dörfer
und Fluren. Dann hatten jahrhundertelang die Romanen das Übergewicht
ani oberen Inn. Sie hinterliessen nebst vielen Flurnamen zahlreiche
Romanismen in der Mundart. Yom 6. Jahrhundert ab drangen die Baje-
aren flussaufwärts bis an das Bergfenster von Finstermünz (fenestra montis),
Und die Alamaunen schickten Zuzug über den Arlberg. Die Deutschen
eötsumpften die Thalsohle und gaben den tiefer gelegenen Fluren, sowrie
emzelnen Dörfern ihre Namen.
Wie überall, wo einst der Romanismus geherrscht, geht auch hier die
Faschingsfreude höher als im Norden und Osten Deutschlands, und sie
bleibt nicht auf das Gasthaus beschränkt. Es mischen sich offenbar in
den Gebräuchen des Fasching altgermanische Frühlingsgebräuche mit alt-
italischen Karnevalsfeierlichkeiten. In Rom fanden am 13. Februar die
Luperealien unter allerlei Mummenschanz zu Ehren des wolfabwehrenden
Lupercus statt. In Bocksfelle gekleidet liefen junge Burschen durch die
^tadt und peitschten die Entgegenkommenden mit Riemen aus Bockshaut,
brauen Hessen sich gerne schlagen, denn sie erhofften daraus Kindersegen
lmd Reinigung1). Es mag dabei nicht viel anders zugegangen sein als
beim Schönbartlaufen in Nürnberg, beim Schemenlaufen in Imst oder bei
^en Faschingsfreuden in Prutz.
In Prutz findet als Faschingsbelustigung unter dem Namen Blocli-
Zl eh en2) das Vermählungsfest des wilden Mannes und der wilden Frau,
r^er Fangga, statt, was offenbar auf germanischen Ursprung hinweist. Am
^ alpurgistag vermählt sich ja der Sonnengott mit der Erdgöttin, was eben
hier schon im Fasching geschieht. Das Riesenbrautpaar führt übrigens
Kreits ein Bübchen an der Hand, das offenbar den Frühling vorstellt.3)
letzte Blochziehen fand am „unsinnigen Pfinzti"4) (Donnerstag vor
Aschermittwoch) im Jahre 1887 statt. Das Bewusstsein, dass es ein Ver-
"l;ililtmg'sfest ist, geht allmählich verloren. Früher wurde überall, wo
Kalt gemacht wurde, daran erinnert: „Dies ist der Herr von Piackenthal
(Waldgegend im Gebirge) und vom steinig' Schrofen, der sich heute ver-
mählt mit seiner tugendhaften Braut."
Der wilde Mann, sein Weib und das Kind werden um die Mittagszeit
dein „Gries"5) (Heide am Innufer) abgefangen. Mann und Weib sind
1) Februura, daher Februarius = Reinigungsmonat. Der Bock wird noch heute in
"liehen Gegenden in Kuhställen gehalten, weil er Fruchtbarkeit und Gesundheit fördert.
2) [Zingerle, Sitten des Tiroler Volkes, 1342. Mannhardt, Wald-und Feldkulte, 1, 237.]
f, >' Der Gedanke der Götterhochzeit ist auch sonst nicht fremd. Im mährisch-schles.
'h'ge wird im Fasching eine Strohbraut iin Dorfe herumgetragen,
k 4) Pfinztag, der fünfte Tag der Woche, die bayerische Benennung des Donnerstags.
er Name stammt vom griechischen jzéf,mxog.
°) Gries bedeutet eigentlich grober Sand.
-e¡tschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 6
82
Piger:
riesig gross, ganz mit Waldmoos und Baumrinde bekleidet. Sind die
wilden Leute eingefangen, so ordnet sich der Zug. Voraus zieht die
Musikbande mit einem Yorreiter, hierauf folgt das hohe Brautpaar, ihr
Kindlein an der Hand führend. Hinter dem Brautpaare wird von den
Burschen ein ungeheurer, der Äste entkleideter Baumstamm (Bloch) auf
einem zweirädrigen Wagengestelle gezogen; der dünnere Teil streift die
Erde. Yorn am Bloche prangt, gleichsam als Entschuldigung gegenüber
der geistlichen Obrigkeit dienend, die solch heidnischen Brauch nur höchst
ungern sieht, in grossen Buchstaben der Burschen Wahlspruch:
Lustig gelebt und selig gestorben,
Hat dem Teufel sein Spiel verdorben.
. Auf dem Bloche sitzt die Bloclihexe, in finsterem Schweigen auf die
Menschen starrend. Uber die ganze Länge des Baumes hin tänzelt der
Narr und späht sich Opfer für seine losen Witze aus. Der Narr spricht
in Versen, die von einem Dorfdichter eigens zu diesem Zwecke verfertigt
werden; sie sind meist mundartlich. Um im allgemeinen seinen Stand-
punkt klar zu machen, erklärt der Narr des öfteren:
Die Leute glauben immer, Die Zeiten bleiben immer,
Die Zeiten werden schlimmer; Die Leute werden schlimmer.1)
Die Mädchen schreit er an:
Da geit's olta Madia
An olla Öka (Ecken) grad gnua,
Schaut nu, wia viel da stia (stehn)
Und passa affan Bua.
Vom Bräuer sagt er:
Das Bier wíard iatzt ô (auch) künstli
Aus Erdöpfel braut,
Zum Trieb (Gährung) nimmt ma Masigga2),
So macht man as heut.
Müller und Bäcker sind seit jeher verliasst. Daher singt der Narr:
Der Müller ist göga früar Da is das Wöggamuster3),
Gar numma beliabt, So gröass müesst er's macha,
Ma múass no fröa (froh) sei, Da trifft er da röchta Gusti,
Wenn ma da Sack z'rugg kríagt. Da weara d' Leut lacha.
Auch der Krämer bekommt seinen Teil:
Pisola (Bohnen) und Hanfsoma Und statt g'schwörzta4) Kaffee
Wéara zsâma g'riahrt d' Leut damit ang'schmiart.
1) Einen ganz ähnlichen Spruch» fand ich auf einer alten Schützetischeibe in Grünburg
in Ober-Österreich. Diese Allgemeinheit des Gedankens erklärt es auch, dass er in der
Schriftsprache abgefasst ist.
2) Masigga ist isländisches Moos. Das Wort stammt von dem lateinischen muscuS'
3) Hierbei zeigt er auf den Bloch. Wecken ist eine in Österreich allgemein bekannt^
Gebäckform.
4) Geschwärzt heisst soviel als gepascht.
Faschingsgebräuche in Prutz im Oberiimthal.
83
Auch der „neumodische" Schuster wird verspottet:
Die Schúastar, día arbeita Früher bróata Stiefel,
Iatzt alles verdraht, Iatzt Nuîmodischuh,
Es wiard muestens nu(r) g'nagelt, Verkrüppeita Zeacha
Bereits gar nüit mia g'naht. Und Hiiehneroga dazua.
Beim letzten Blochziehen waren 20 Musikanten und 82 mitspielende
Personen. Man sah Türken, Zigeuner, Dörcher1), Rastelbinder, Rasierer,
Stiefelwichser, Scherenschleifer u. s. w. Alle diese Leute sind bestrebt,
zu stehlen oder anderen Unfug zu treiben. Die „Polizei" sucht wohl
Ordnung zu schaffen, meist aber vergebens. Wenn der Rasierer sich an-
schickt, eine alte Jungfrau zu rasieren, wenn die Zigeuner ein gestohlenes
Mus (eine Art Brei) herbeibringen, will das Johlen und Schreien der
Menge kein Ende nehmen. So geht der Zug durch das Dorf. Yor jedem
^ irtshause wird Halt gemacht und ein „Brief" verlesen, worin das Braut-
paar vorgestellt wird. Beim letzten Wirtshause wird der Bloch versteigert.
^ on dem Erlöse und dem Gelde, das die Stiefelputzer, Rasierer und
Scherenschleifer verdienen, wird bis in die späte Nacht gezecht.
Mehr Spass als das Blochziehen bietet der Mooswagen, der manchmal
statt desselben „gezogen" wird. In ganz Tirol ist die Sage vom Sterzinger
Moos (Moor) bekannt, der zufolge die alten Jungfern nach ihrem Tode
a'if das Sterzinger Moos kommen, um daselbst für immerwährende Zeiten
als Gespenster zu weilen. Der Mooswagen soll nun diese alten Jungfern,
Y°n denen nicht mehr zu erwarten ist, dass sie noch einen Mann be-
kommen, nach Sterzing aufs Moos befördern. Der Grundgedanke dieses
etwas derben Faschingspieles liegt vielleicht darin, dass in der Zeit, in
der es in der ganzen Natur zu spriessen beginnt, dasjenige fortgeschafft
Verden soll, was dieser natürlichen Aufgabe alles Geschaffenen nicht mehr
Mitspricht. Das Volk erweist sich bis heute nicht milde gegen alte Jung-
frauen2), obwohl die Kirche, auf die Jungfräulichkeit Mariens hinweisend,
]hr Tjos als ein schier beneidenswertes hinzustellen bestrebt war.
Bevor der Mooswagen herankommt, stellen sich die Burschen, als alte
Jungfrauen verkleidet, vor Häuser, in welchen solche wohnen. In Rede
üüd Geberden ahmen sie die beklagenswerten Jungfrauen nach, bis sich
-Neugierige ansammeln. Kommt dann der Mooswagen, den man sich heute
bereits als Eisenbahnzug denkt, vom „Conducter" geführt, der fortwährend
ruft: „Einsteigen! Abfahrt nach Sterzing!" so fangen sie nach Mädchenart
Zli weinen an, fallen den Umstehenden, Abschied nehmend, um den Hals
1) Die Dörcher sind eine Art tirolischer Zigeuner, die meist als Geschirrhändler
'Weh das Land ziehen. — [L. v. Hörmann, Tiroler Volkstypen, Wien 1877, S. 39—57
^er die Dörcher; über die verschiedenen Erklärungen des Wortes ebenda S. 39 f., Anm.]
2) [Zu verweisen ist auf L. Tobler, Kleine Schriften zur Volks- und Sprachkunde,
H Büenfeld 1897, S. 132—156: Die alten Jungfern im Glauben uhd Brauch des deutschen
Volkes.]
6*
84
Piger: Faschingsgebräuche in Prutz im Oberinnthal.
und besteigen schluchzend den Wagen. Kommt einmal wirklich eine alte
Jungfer in ihrer weiblichen Neugierde dem Wagen nahe, so geht die Hetze
erst recht los. Der „Conducter" mahnt dringend zum Einsteigen, die
Burschen umdrängen sie und wollen sie auf den AVagen heben, und die
Zuschauermenge lacht erbarmungslos über das arme Opfer. Am besten
tliut sie, wenn sie durch witzige Reden ihre Bereitwilligkeit kund giebt,
da lässt das übermütige Yölklein bald von ihr ab; wenn sie aber schimpft
und schreit, so bleibt sie sicher für Monate der Gegenstand des Spottes
und Hohnes, da die Zuschauer durchweg gegen sie Partei nehmen.
Doch es giebt ein Mittel für die alten Jungfrauen, um im Dorfe
bleiben zu dürfen, die Jungfernmühle1), die im stände ist, sie wieder
jung zu machen. Rückwärts auf dem Wagen ist, nämlich eine Windmühle
angebracht, mit der man das Getreide von der Spreu zu reinigen pflegt,
und an deren Vorderseite prangt der vielversprechende Spruch:
Allhie dreht sich die Mühle um,
Wo werden die alten Mädle jung.
Will sich nun eine Jungfrau von den Ihrigen gar nicht trennen und
von der Fahrt zum Sterzinger Mose verschont bleiben, so kann sie durch
die Jungfernmühle wieder jung werden. Die als Mädchen verkleideten
Burschen lassen zur allgemeinen Heiterkeit dieses Verjüngungsverfahren
an sich vornehmen. Der als alte Jungfer verkleidete Bursche wird zum
Scheine rückwärts hineingeschoben und kommt vorn nach einigen Um-
drehungen der Windmiihlfìiigel als junges Mädchen wieder zum Vorschein.
In AVahrheit aber versteckt er sich unter den bereits auf dem Wagen
sitzenden alten Jungfern, die natürlich auch Burschen darstellen, und ein
anderer Bursche erhebt sich, mit der Maske eines jungen Mädchens an-
gethan, vor der Windmühle, wo das gereinigte Korn herunterzufallen pflegt,
aus dem Grunde des Wagens, der teilweise zu diesem Zwecke mit einem
Tuche verhüllt ist. Auch diese Lustbarkeit findet ihr Ende im Wirtshause.
Mögen diese Scherze etwas derb erscheinen, so sind sie doch nicht
das Ärgste, was ländliche Gemüter vertragen können. Böser fällt die
„Labära" aus, die manchmal am Faschingdienstag herumzugehen pflegt.
Labärum war einst eine römische Kriegsfahne aus Tuch oder Seide, die
an eine Querstange befestigt, von der Spitze einer Lanze herabhing. Zur
Zeit Konstantins des Grossen erhielt sie das Monogramm Christi als be-
sonderes Zeichen. In Prutz ist die „Labara" zunächst eine Leinwandtafel,
auf einer Stange angebracht und mit dem Bildnisse der Unbefleckten
bemalt; sie wird dem Leichenzuge eines Unverheirateten vorangetragen.
Die Burschen gebrauchen aber die Labara auch für ein Rügegericht, das
1) [J. Bolte hat in dem Aufsatz Die Altweibermüle. Ein Tiroler Volksschau-
spiel (Archiv für neuere Sprachen CII, 241—266) gezeigt, dass die Vorstellung von der
Verjüngung der "Weibei* in besonderen Mühlen in dem zweiten Viertel des 17. Jahrb.
beliebt wird.]
Härtung: Zur Volkskunde aus Anhalt.
85
ähnlichen Zwecken dient, wie das Haberfeldtreiben in dem benachbarten
Bayern.
Hat sich im Verläufe des Jahres viel ereignet des mit dem Gerechtig-
keitsgefühle der Dorfbewohner Unverträglichen, haben Dorfgenossen in
Unfrieden gelebt, hat einer seine Geliebte verlassen, waren Streitigkeiten
Unter Verwandten oder hat sich auch nur etwas besonders Lächerliches
lrri Verlaufe des Jahres zugetragen, so geht am Fastnachtdienstag die
Sabara um. Die Burschen nehmen grosse Blätter steifen Papiers, der
-Dorfkünstler malt darauf die zu rügenden Jahresereignisse und setzt dar-
unter mehr oder minder passende Spottverse. Eine solche Tafel wird
dann auf einer Stange befestigt und durch die Dorfgasse getragen. Kommt
111 an zum Hause eines der Rüge Verfallenen, so wird Halt gemacht und
betreffenden Spottverse im Tone der Bänkelsänger abgesungen und
einem Stock erklärend auf das Bild gewiesen. Geht man dann weiter,
^!rd die Tafel des Zunächstzurügenden aufgesteckt. Nicht selten entsteht
Schimpfen und Schreien im Hause von seiten des Gerügten und seiner
-Angehörigen, worauf dann die Burschen und die angesammelten Zuschauer
'achen und johlen und höhnische Spässe ins Haus hineinrufen. Hat es
Labara auf eine etwas ernstere Rüge abgesehen, so geht sie bei Nacht
Urn, denn eine gerichtliche Klage der also Gestraften ist nicht ausgeschlossen,
"U(l lange Feindseligkeiten sind nicht selten die Folgen dieses derben
-Faschingscherzes.
Selbstverständlich wird wiederum im Gasthause die Nachfeier gehalten,
(Wn am nächsteil Tage beginnt die heilige Fastenzeit, und in diese hinein
c'arf, wie es früher gestattet war, der Fasching nicht mehr verlängert
forden. Nur manchmal sieht man am Aschermittwoche bei Tagesgrauen
noch einen Burschen trübsinnig mit der Laterne durch das Dorf schleichen
~~~~ er sucht den Fasching.
Iglau in Mähren.
Zur Volkskunde aus Anhalt.
Von Dr. Oskar Härtung.
(Vergi. Zeitschrift VI, 429—438. VII, 74—93. 147—155.)
1. Erntekranzlieder und Reime.
Wenn das letzte Getreidefuder bei Schluss der Ernte in die Scheuer
fahr en wird, so singen die Erntearbeiter, die zugleich auf dem Wagen
atz genommen haben und an einer langen Gabel den Erntekranz empör-
ten, im Cöthener Kreise folgendes:
86
Härtung :
Heut' bringen wir den Erntekranz
Und morgen die gebratene Gans,
Vivat, vivat, hurrah!
In etlichen Orten lautet die 3. und eine 4. Zeile:
Übermorgen das fette Schwein,
Heute woll'n wir lustig sein!
Bei der Übergabe des Erntekranzes an die Gutsherrschaft, die
übrigens auch an einem späteren Tage erfolgen kann, spricht der Hof-
meister, der Vormäher oder auch die Frau des Vormähers die „ Kranz -
bitte" oder die „Erntekranzpredigt". Eine solche lautete in der
Sander siebener G egend :
Hier bringen wir dem Herrn den Erntekranz,
Dafür giebt's 'ne gebratene Gans;
Und ist es keine gebratene Gans,
So ist's ein fetter Hammelschwanz;
Und ist's kein fetter Hammelschwanz,
So ist's ein Kelchen Bier und Wein,
Dazu woll'n wir recht lustig sein.
Hier bringen wir dem Herrn das Roggenbund,
Der liebe Gott halte unseren Herrn gesund;
Hier bringen wir dem Herrn das Weizenbund,
Der liebe Gott halte unsere Madame gesund;
Hier bringen wir dem Herrn das Gerstenbund,
Der liebe Gott halte unsere Fräuleins gesund;
Hier bringen wir dem Herrn das Haferbund,
Der liebe Gott halte unseren jungen Herrn gesund;
Hier bringen wir dem Herrn das Erbsenbund,
Der liebe Gott halte das ganze Gesinde gesund.
So viel Wispen, so viel Rispen, so viel Ähren
Wünschen wir unserem Herrn in seine Risten, Kasten und Laden.
Und habe ich meine Rede recht gesprochen,
So geben Sie mir das Fleisch, meinen Kameraden die Knochen.
In Zuchau hiess eine alte Kranzbitte so:
Jetzt komme ich geschritten, Dabei woll'n wir fein lustig sein.
Hätt ich ein Pferd, so kam ich Ich wünsche der Herrschaft so viel
geritten. Trispen, so viel Traspen,
Da es aber nicht kann sein, So viele harte Thaler in ihre Kasten,
So komme ich zu Fusse ganz allein. So viel Ährchen,
Ich bringe der Herrschaft 'nen Ernte- So viel gute Jährchen.
kränz, Ich bin gereist durch das Land Hessen,
Dazu gehört 'ne gebratene Gans. Da gab es grosse Schüsseln, aber wenig
Ist es keine gebratene Gans, zu essen.
So muss es sein Ich bin gereist durch das Land Sachsen,
Ein dick, fett Schwein. Wo die hübschen Mädchen auf den
Ist es kein dick, fett Schwein, Bäumen wachsen.
So soll es sein ein Kännchen Wein. Hätt' ich mich recht bedacht,
Ist es kein Kännchen Wein, Hätt' ich dem Herrn Verwalter zwei bis
So soll'n 's die Heñ-n Musikanten sein, drei mitgebracht.
Zur Volkskunde aus Anhalt.
87
Aber da hab' ich vernommen,
Dass in der Nähe welche sein zu bekommen.
Habe ich meine Worte nun recht gesprochen,
So geben Sie mir das Fleisch und meinen Kameraden die Knochen.
Und habe ich meine Sache nicht recht gemacht,
So werde ich nachher ausgelacht.
Bis vor 50 bis 60 Jahren war
E rntekranzrede üblich :
Jetzt kommen wir angeschritten,
Hätten wir ein Pferd,
Dann kämen wir angeritten.
^ ir kommen von der hohen Lache
End können nicht viel Worte machen;
^ ir kommen von der grossen Breete
Und können nicht viel bereden.
Wir haben vernommen,
Dass der Erntekranz an Herrn N. und
seine liebe Frau soll kommen.
Das gehört zu dem Erntekranz:
f ür die Burschen Westen und für die
Mädchen Tücher,
■Musik und Tanz,
Eine gebratene Gans,
Ein Haufen Kuchen, eine Flasche
Wein,
Dann kann das Fest gefeiert sein.
in Gross-Kühnau (Kr. Dessau) folgende
Dies .... ich nicht von einer Gurke
Wer sich heut Abend zu mir setzt und
küsst mich nicht, das ist ein Schurke.
Nun wollen wir wünschen Herrn N. eine
Breite voll Kraut,
Und den Burschen einem jeden eine
recht reiche Braut
Und einen Stall voll munterer Pferde.
Und der Frau N. einen Hof voll munterer
Hühner, dass sie legen brav Eier,
Und den Mädchen einen recht reichen
Freier.
Die Scheunen, die sind voll,
Und die Felder, die sind leer,
Es ñiesst von den Arbeitern kein
Schweissti'opfen mehr.
Nun hängt den Kranz an die Wand!
Gott bewahre uns vor Feuer und Brand,
Uns alle insgemein,
Die wir hier versammelt sein.
2. Schlachtefestreime.
Die Zeit um Martini war einst die Zeit des Einschlachtens. Darauf
'leutet ein in Anhalt weit verbreiteter Spruch:
Martine
Schlachten die Leute ihre Schwîne.
Lichtmessen
Hab'n sie se wieder aufgegessen.
In Köselitz verkleiden sich nun, sobald in einem Hause ein Schwein
»eschlachtet wird, die Mitglieder der sogenannten Spinnstuben. In der
^egel sind es drei, die dabei beteiligt sind. Einer von ihnen trägt einen
nKober". Lautlos treten die Yermummteu in die Stube des Schlachte-
hauses, begrüssen die Anwesenden durch stumme Verbeugung und über-
reichen dem Hausherrn oder der Hausfrau einen Zettel, auf dein sie in
eineni Verschen ihr Anliegen, den Zweck ihres Erscheinens kundgeben.
y '
^wei solcher Verschen sind diese:
In unserem Dorfe schrie heute Morgen ein Schwein,
Das wird gewiss bei N. N. gewesen sein.
88
Härtung:
Da dachten wir in unserem Sinn,
Da gehn wir heute Abend hin.
Sie haben gewiss an uns gedacht
Und uns 'ne kleine Wurst gemacht.
Sie mögen sich nicht lange bedenken
Und uns 'ne grosse Wurst schenken.
Das andere lautet mit einem Wortspiele:
Wir kommen von Horstdorf
Und wollen nach Worstdorf.
Haben Sie auch an uns gedacht
Und uns 'ne kleine Worst gemacht,
Nicht zu gross und nicht zu klein,
Gerade dass sie geht in den Kober hinein?
Bisweilen tanzen alsdann zwei dieser Gestalten, die häufig als Ehe-
leute, als Mann und Frau verkleidet sind, noch in der Stube herum,
vielleicht ein Nachklang eines einstigen Opfertanzes. Haben sie darauf
von dem Hausherrn oder der Hausfrau eine bis zwei Würste erhalten, so
drücken die Vermummten durch Geberden ihren Dank aus und kehren
nun zur „Spinnichte" zurück. Durch gemeinschaftliche Beiträge haben
hier inzwischen die zurückgebliebenen Mitglieder Brot und Branntwein
eingekauft, und nun werden die erhaltenen Würste gemeinsam verzehrt.
In Massdorf verkleiden sich die Knaben als Mädchen. Sie
tragen ein langes Schleppkleid und einen grossen Strohhut, gehen in das
Haus, in dem geschlachtet wird und sprechen dort das nicht gerade
bescheidene Verlangen aus:
Ich habe gehört, Ihr habt geschlacht;
Habt grosse und kleine Würste gemacht.
Die grossen gebt ihr mir,
Die kleinen behaltet Ihr!
Ahnlich war es in Neudorf im Harze, nur lautete dort der aufgesagte
Spruch:
Ich habe gehört, Sie haben geschlacht,
Haben grosse und kleine Würste gemacht.
Sie werden sich nicht lumpen lassen
Und werden mir die grösste ablassen.
3. Verschiedenes.
Wenn eine Seuche unter dem Vieh ausgebrochen ist, vor-
nehmlich der Rotlauf unter den Schweinen, so räumt man in Fr ose allen
Mist aus dem Stalle, entfernt den Trog, gräbt an der Stelle, wo er ge-
standen, ein tiefes Loch und legt einen Wurf junger Hunde oder
Katzen hinein. Alsdann schüttet man das Loch wieder zu, bringt neue
Streu in den Stall und den Trog an seine frühere Stelle: die Krankheit
aber soll dadurch gehoben sein.
Zur Volkskunde aus Anhalt.
89
Wir haben in diesem Brauche ohne Zweifel die Reste eines alten
I ieropfers erhalten1). Es war ein Sühnopfer, das den Krankheitsdämonen
gebracht ward, die das Vieh des Stalles in ihre Gewalt zu bringen suchten.
In Frose wurde regelmässig bis vor ungefähr dreissig Jahren zu
Lichtmess ein festliches Mahl öffentlich abgehalten, das sogenannte
Bauern mahl. An demselben nahmen teil der herzogliche Domänen-
Pächter als Zehntenempfänger, die beiden Zehntsammler, der Ortsvorstand,
Richter und Schoppen, die Geistlichkeit: Pastor und Kantor, der Gemeinde-
bäcker und in jedem Jahre abwechselnd zehn von den Hausbesitzern, die
Zehnt gaben. An Speisen gab es stets in bestimmter Reihenfolge: Suppe,
Rindfleisch mit Rosinenbrühe, Kalbs- und Schweinebraten, an Getränken:
Schnaps und Bier. Trotzdem meist sehr stark gegessen und getrunken
wurde, war das Mahl doch so reichlich zugerichtet, class jeder Teilnehmer
ftoch von der ihm zugeschnittenen Portion eine nicht unbedeutende Menge
Qach Hause schickte. Ausserdem erhielt noch jeder Hausbesitzer, auch
die, welche in dem Jahre nicht am Mahle teilnahmen, einen sogenannten
Zehntkuchen, der vor der Schenke, dem Gemeindegasthause, gleich vom
^ agen herab an die erschienenen Empfänger abgegeben wurde. Die
beiden Zehntsammler erhielten zudem je eine gebratene Ente. Die Kosten
der Bewirtung trug der Zehntenempfänger, und die ganze Ausrichtung war
durch eigens festgesetzte Bestimmungen geregelt. Das Mahl wurde ge-
geben, so sagte man, um die zur Zahlung des Zehnten Verpflichteten
dadurch etwas zu entschädigen.
Zu Michaelis wurde auf den Dörfern der Rosslauer Gegend folgendes
eig'entiimliche Orakel über die zu erwartenden Getreidepreise angestellt.
Anstatt der Kaffeetassen wurden dort bis vor ungefähr 30 Jahren irdene
braune Näpfe benutzt, die ungefähr */2 Diter Inhalt fassten. Sie hatten
rechts und links einen horizontalstehenden, mit dem oberen Napfrande ab-
s°Miessenden Henkel. Zwei solcher Kaffeenäpfe wurden nun bis zum
Rande mit Getreide gefüllt, sodann umgestürzt und die darin befindlichen
Börner auf den Tisch geschüttet. Hierauf füllte man beide Näpfe wieder
111 ^ dem ausgeschütteten Getreide. Wurde hierbei der zweite Napf nicht
Y°H, so ward, wie man meinte, das Korn teuer, wurden dagegen beide
-Näpfe wieder voll, oder blieb gar etwas Getreide übrig, so galt dies als
ejIi Anzeichen, dass das Korn bald im Preise sinken werde.
In Radisleben (Kr. Badenstedt) traten bis vor einigen Jahrzehnten
ährlich zu Martini die Gemeindevorsteher und Schoppen mit denen
des angrenzenden preussischen Dorfes Sinsleben zusammen, um gemein-
schaftlich die Grenze zu besehen. Nach beendetem Umgange verzehrten
Teilnehmer zusammen die Martinsgans. Die Kosten für das Mahl
^Urden von beiden Gemeinden gemeinschaftlich gedeckt.
1) Vergi U. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht.
Oeslau ^1884. S. 14 f.
90
Eysn:
In Miihlstedt, Rodleben, Streetz und anderen Dörfern der Rosslauer
Gegend hatte bis vor einiger Zeit der jüngste Ehemann des Ortes die
Verpflichtung, seine sämtlichen Standesgenossen mitsamt ihren Frauen zu
einem Martinsschmause in sein Haus zu laden. Als feststehendes Gericht
gab es dabei Hammelbraten und Erbsen und dazu Zerbster Bitterbier.
Göthen in Anhalt.
Kleine Mitteilungen.
Pranger- oder Keifstaugen im Herzogtum Salzburg.
Im Juni, zur Zeit der höchsten Blütenentfaltung in den Alpenthälern, finden
in allen Gauen des Landes wiederholt feierliche kirchliche Umzüge um die Felder
statt. An acht Orten, und zwar in
Pfarr-Werfen, Markt-Werfen, Werfen-
weng, Bischof hofen, Mühl bach, Hüttau,
Murr, Zederhaus werden bei diesen
Prozessionen 8 — 10 m hohe, reich-
geschmückte Stangen mitgetragen ;
vor ungefähr 20 Jahren geschah es
auch noch in Rauris und Dorf Gastein,
aber heute ist dieser Brauch dort er-
loschen.
Jede Rotte der Gemeinde stellt
jährlich eine geschmückte Stange bei,
daher je nach der Grösse der Ge-
meinde eine grössere oder geringere
Zahl von Prangerstangen. Die Ausschmückung übernimmt alljährlich
ein anderes Gehöft, das auch einen seiner Insassen als Träger der
Stange während des Umzugs bestimmt.
Wie der Maibaum abgeschält, nur der Wipfel stehen bleibt und
mit bunten Bändern verziert wird, so geschieht es auch mit der Pranger-
stange, nur wird sie alljährlich wieder verwendet und daher ein frischer
Pichten- oder Tannenwipfel bogenförmig daran befestigt und der Halb-
kreis mit farbigen seidenen Bändern oder Fähnchen und Rauschgold
behangen.
Schon eine Woche vor der B^eier sind die Mägde und Töchter
des Hauses damit beschäftigt, seltene Blüten von den Bergen herab-
zuholen (denn ausser den Zweiglein von Buxus sempervirens wird
keine kultivierte Pflanze dazu verwendet), Blumen und Blätter höchst
sorgfältig und zierlich an die Rinde einer Hasel zu binden und so um
die Stange zu winden, dass abwechselnd ein Kreis farbiger Blüten oder
grünen Blattwerks erscheint. So folgt einer Windung von tiefblauem
Alpenvergissraeinnicht, duftender Nigritella oder Raute, goldfarbiger
Kleine Mitteilungen.
91
Crépis oder dem Johanniskraut stets eine Reihe von den Blättern des Frauen-
mäntelchens oder des Buxes. In Werfen, Bischofhofen, Mühlbach hat man in neuerer
Zeit als Ersatz für die Blüten krause bunte Wollfäden genommen, jede Handbreite
die Farbe wechselnd.
Die Umzüge im Sommer und am Erntedankfeste im Herbste sind an den
genannten Orten nicht gleichzeitig. In Pfarr-Werfen werden die Prangerstangen
schon am Dreifaltigkeitssonntag in feierlicher Prozession um die Felder getragen,
dann abermals am Frohnleichnamstage und dem darauf folgenden Sonntag, sowie
am Erntedankfest zu Michaelis ("29. Sept.). In Markt-Werfen, Bischofhofen er-
scheinen sie zum erstenmale bei dem Frohnleichnamsfest, in Zederhaus am Sonn-
"Wendtag (*24. Juni), in Murr zu Peter und Paul (*29. Juni). Nach jedem Umzug
finden sie ihren Platz im Mittelgang der Kirche, wo eiserne Klammern sie an den
Betstühlen festhalten. Überall aber werden sie am Tage des Erntedankfestes zum
letztenmale mitgetragen und dann ihres Schmuckes entkleidet.
Im Pongau und Pinzgau heissen sie Prangerstangen, von prangen, geschmückt,
geziert sein, besonders bei feierlichen Anlässen; im Lungau aber, dem hochgelegenen
Gau, wo im Juni oft der Reif die Blüte des Roggens und anderer Feldfrüchte
gefährdet, nennt man sie Reifstangen.
„Sie machen den Stadel voll Heu" sagt der Pinzgauer; „sie bannen den Reif"
dei' Lungauer.
Der festlich geschmückten Prangerstange mit dem grünen Wipfel wird die
Macht zugetraut, günstig auf die Vegetation einwirken zu können. Es geht daraus
hervor, dass der Stamm ein Wesen personifiziert, welches die bebauten Felder und
Wiesen schützt und schirmt, den Genius des Wachstums, der mit dem Erntefest
verschwindet, da das Werk des Numens, das segnend über die Fluren gewaltet
hat, abgeschlossen ist.
Mannhardt berichtet in seinem „Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbar-
stämme" S. 159—60 von ganz ähnlichem Brauche in Schweden und Norwegen,
von der Mitsommerstange, „deren mit Bändern und Kränzen geschmückte Spitze
sich in stolzen Halbbogen gegen die Mitte neigt, die am Johannistag aufgerichtet
vyird und um welche die jungen Leute in der Hoffnung auf eine reiche Ernte
singen und tanzen."
Salzburg. Marie Eysn.
Vorn Walser Birnbaum.
Der alte, sagenumwobene Birnbaum auf dem Felde des Dorfes Wals bei
Salzburg fiel von ruchloser Hand wenige Wochen nach dem Friedensschlüsse, der
am 10. Mai 1<S71 den grossen deutsch-französischen Krieg ruhmreich beendete.1)
Qher-Stabsarzt Dr. Heinrich Wallmann pflanzte einige Jahre später mit Hilfe und
Unterstützung meines Vaters, des Irrenarztes und Salzburger Historikers Dr. Franz
Valentin Zillner, einen, wie man glaubte, kräftigen Nachfolger, und hatte zu diesem
Zwecke ein kleines Landstück erworben, welches wenige Meter von der Stelle
entfernt ist, auf der der alte Baum gestanden hatte. Der Besitzer dieses Platzes
War nämlich zur Abgabe des gewünschten grösseren Ausschnittes aus seinem Felde
nicht zu bewegen gewesen. Dieser junge Baum aber fiel einem sehr strengen
1) [Nach Prof. J. Sepp in der Beilage No. 74 der Allgemeinen Zeitung vom 15. März
1882 wäre der Birnbaum in der ersten Mainacht 1871 niedergehauen worden.]
92
Zillner:
AVinter zum Opfer, und sein Nachfolger, für den mein Vater bald wieder Sorge
trug, erlag auch nach kurzer Frist einer Beschädiguug, die ihm entweder mut-
williger- oder boshafterweise zugefügt worden war. Hierauf stand der Platz leer,
bis endlich ein gut geeigneter, kräftiger Baum aufgefunden wurde, den (ungefähr
im Jahre 1882 oder 1883) mein Vater an die Stelle dieser Vorgänger setzte. Da
Ober-Stabsarzt Dr. Wallmann in Wien lebte, konnte er nur auf kurzen Sommer-
besuchen den Baum sehen, ihm aber nicht persönliche Fürsorge angedeihen lassen.
Mein Vater pflegte nun den Baum bis in seine letzten Lebensjahre, bis ihn hohes
Alter im Jahre 1893 zwang, die Sache aufzugeben. Dr. Wallmann übertrug nun
die Fürsorge für seinen Baum der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. Als
ich ein halbes Jahr nach meines Vaters Tode, im Sommer 1897, dem Baume
einen Besuch abstattete, fand ich ihn in einem Felde von Nesseln und Unkräutern;
die Weissdornheeke war in die Höhe geschossen und ihre Ranken umfingen die
Baumkrone, die sich nur durch die dunkle Farbe ihres Laubes verriet. Ich kam
bald wieder mit Säge und Schere, die Hecke erhielt ihre frühere Gestalt, der
Baum einen neuen Pfahl, die vier Marksteine wurden zurechtgesetzt und somit
ein ganz guter Zustand geschaffen. Ein Bauernsohn aus dem benachbarten Dorfe
Loig ist mir hierbei behilflich; sein Vater ist fest überzeugt, „die Untersberg-
mandeln" wiederholt gesehen zu haben, und somit sind er und sein Sohn leicht
zu gewinnen gewesen, mir zu helfen. Dr. Wallmann hat zwar bei seinem, im
Jahre 1898 erfolgten Tode den Baum der Stadtgemeinde Salzburg übergeben, ich
habe mir aber vom Plerrn Bürgermeister ausgebeten, die Pflege des Baumes in
meiner Hand behalten zu dürfen, so lange ich dieses im stände bin.
Salzburg, 10. Jänner 1900. Anna Zillner, Klavierlehrerin.
Wir fügen aus dem sogen. Brixener Büchel vom (Jntersberge (Brixen 1782)
folgendes bei:
„Weiters sagte der Mönch (aus dem Untersberge) dem Lazarus (Gitschner,
der 1«')29 den Untersberg seiner Wunder wegen bestiegen und von dem Mönch in
den Berg geführt worden war), dass nächst der Stadt Salzburg auf dem sogen.
Walserfeld eine schreckliche Schlacht wird geschlagen werden, wo Alles hinzu-
laufen und so ein schreckliches Blutbad seyn wird, dass denen Streitenden das Blut
vom Fussboden in die Schuh rinnen wird. — — Auch sagte der Mönch zum
Lazarus: Siehe! dort auf dem grossen Walserfeld steht ein ausgedorrter Birnbaum
zum An- und Vorgedenken dieser letzten Schlacht, so schon dreymal umgehauet
worden, aber seine Wurzel wurde dermass beschützet, dass er wiederum zu grünen
anfanget und wieder ein vollkommener Baum daraus werde. Viele Jahre, bevor
sich die gräuliche Schlacht in diesem Walserfeld wird ereignen, bleibt er aus-
gedorret da stehen: wann er aber zu grünen anfanget, wird es schon nahe seyn;
wann er aber anfangen wird, FYucht zu tragen, wird das Ereigniss bemeldter
Schlacht seinen Anfang nehmen An diesem Birnbaum wird ein grosser Fürst zur
letzten Schlacht seinen Wappen-Schild daran hangen, und wird Niemand verstehen
können, was dieses zu bedeuten habe. Und er wird dann diesen sammt seiner
Mannschaft verlassen."
Über die an dem Salzburger Untersberg und der Ebene bei Wals an der
Saalach lokalisierte Sage sei in Kürze verwiesen auf J. Grimm, Deutsche Mythol.2.
S. 908; E. H. Meyer, Germanische Mythologie, Berlin 1891, S. 243. 244.
Kleine Mitteilungen.
93
Salz- oder Berg-Weihe.
Herrn Bezirksarzt Dr. M. Roth in Berchtesgaden verdankt der Unterzeichnete
folgende Mitteilung:
„Am Heiligen 3 König (6. Januar) findet in Berchtesgaden die sog. Bergweihe
statt, wobei der Priester im Ornat, gefolgt von dem Salinen-Inspektor und Beamten
m Uniform, sowie Knappen den Bergwerksstollen begeht, benediziert und aus-
raucht. Hierauf werden auch die Soole-Hebmaschinen geweiht und es giesst dabei
ein Bergknappe eine Flasche Wein in jede Pumpe. In Ilsank vereinigen sich
dann die Celebranten zum herkömmlichen Mahle."
Vor der Glockenweihe ist es auf dem Lande in Oberbayern ebenfalls Brauch,
dass die neugegossenen Glocken von dem Bürgermeister in Amtstracht und dem
Gemeinde-Kollegium wie eine Persönlichkeit empfangen und in die Kirche zur
Weihung begleitet werden. Salz und Glocken sind dämonenvertreibende Mittel.
Das ältere Salz wird als heiliges 3 König-Salz am Epiphanien- oder Perchtentag
da und dort noch geweiht, wie man auch die Wohnungen zur Sicherung vor
Krankheitsschelmen noch ausräuchert. Die Berggeister in der Unterwelt erhalten
mit dem Weine ihr Versöhnungsopfer, damit sie kein Unheil bei der Salzgewinnung
veranlassen.
Bad Tölz 1900. Höfler.
Erinnerungs-Tafel au eine Sennerin.
Mitten im Längenthaie unter der Benediktenwand erhebt sich auf einem ab-
gestürzten Felsenblocke eine 1863 schlicht erbaute Andachtstätte, eine ungemein
Malerische, kleine, mit Holzbrettern bedachte Kapelle. In dieser hängt eine Er-
innerungstafel. Da der Inhalt der in Versen gehaltenen Widmung so ganz und
gar dem Innersten einer oberbayerischen Bauernseele entspricht, so darf deren
Wiedergabe an dieser Stelle als ein Beitrag zur A^olkskunde gelten. Herr Prof.
Gabriel Seidl hatte die Güte, Kapelle und Widmung zu kopieren und letztere dem
Unterzeichneten zu überlassen.
Nachruf
an die tugendreiche Jungfrau
Elisabeth Müller,
Bauerstochter vom Seiboldhof1).
Als fromme Senderin brachte sie viele Sommer auf dieser Alpe2) hin;
Gott und das Gebeth liess sie nie ausser Acht.
Sie lebte mit Gott bei Tag und Nacht.
Das liebe Vieh war ihre Freude,
Sie that keinem Thierlein was zu Leide;
Sie pflegt es mit grossem Kummer und vielem Fleiss,
Das ist dem lieben Gott bekannt, der alles weiss.
Ein jeder, der zu ihr ist hingekommen,
Wurde von ihr liebreich aufgenommen,
Mit Milch, Butter und Kaese bewirth,
Und dabei ein ordentlicher Tirschkurs3> geführt.
1) Gem. Wackersberg, Bez.-A. Tölz.
2) Längenthalalpe in unmittelbarer Nähe der Almkapelle.
3) discours.
94
Kohl:
Drum wollen wir auch noch in der Ewigkeit Ihrer gedenken
Und ihr ein Vaterunser schenken.
Gewidmet von Marie Eichner 1895.
Bad Tölz in Oberbayern. Höf 1er.
Zwei Tiroler Volkslieder.
Mitgeteilt von Franz Friedrich Kolil.
1. Wildschütz und Sennerin.
(Volkslied aus dem Leucken- und Brixenthale. Aufgezeichnet in Hopfgarten an der hohen
Salve von Franz Fr. Kohl im Jahre 1897. Mit Vorliebe sang es zur Harfe der sanges-
freudige, ehemalige Wirt „zum Tanner auf der hohlen Salve", Johann Sammer.)
\~r—r—f—J"
*•__' i i r i * — U (- U J u \- .-[_•> u p—
1. I bin a lu - stigs Bu-al1) z'Haus, koa Mensch will mi nid lob'n, auf da
nim - mar aus, weils gor All's is da - log'n; iatz
—0-—#-- --0—.——0----— 0--1----1--H-f-0-- -7!—♦—fi
~Ä~ ÍT~¡ —*-\--T~ —1--*--1 1- ' 1--L i— t- ^
bin i eascht no recht wohl z'fried'n und um das krin - ga2) druñ : i
-m- f ß r " dir—fr- 9* 0 =£iq
EBM" S l f E"h % Ê— ¡ ■ ç V U ■ rj i. ß ài
schaug, dass i a Bix bekimm und fang zu schia - ss'n uñ; á - ba
Hl—j—J-T5 FP r. r - e f. m "I 3—S
bfe_t (=•4- é l- k U ■ miß ß . J *> ■ * =]
nid auf die Dia-nal krâd auf das frisch Wild, weil da GamsbaTScht8) und
i--fi----,--i---0-»- t/rfr d *...... ».....'■/ ...L ~r—*—0~
: t S É - --Hl
's Födal auf'n Huat so schiañ spielt.
-ß-
—r----
Welt kenn'
ß—
Í—"
2.
's Bixal diis ist hea'k'richt4)
Und da Feuastoañ is drauf,
Iatz nimm i nu a Ranzal,
Wia's ban Jagern is da Brauch.
Âft geh i nu glei Âbends
Schoañ stad aufi auf die Alm
Und hun an frisch'n Juhschroa thuñ,
Das had da Senn drin g'fäll'n.
Da schreit häid dö Senndrin unta da Thü(r)
Frischa Wildschütz keah1' zua,
Geh nid âilwei' vü(r).
3.
Âft geh i dosclit da Hütt'n zua
Und kent a Pfeif voll ur5);
d'Senndrin dö geht hea zu mia
Und had an' Seufza thuñ.
Sag's Wildschütz, wenn's d' ma nit bist Feind,
So bleibst iatz dà bei mia;
Es weaschd ja schu bâid dunk'l heund,
Geh' morg'n in da Früah.
's is auf a jungs Dianal
Weida nid ra(r)
Dass s' iah1's uîikenna lâsst,
Dass iah1' aa schu drum wa(r)'.
1) Buabal, Bübchen. — 2) geringer, leichter. — 3) Gamsbart. — 4) hergerichtet. —
o) uñkent'n = anzünden.
Kleine Mitteilungen.
95
4.
Dm sàgat hâid dö Senn drin:
»Gelt Wildschütz heunt geht's spea1'1),
Koa Bött hun i nid auf da Schlöng2)
Und Heu hun i koa's meahr;
I woass koan ánda(r)n Rath hea z'göb'n,
Als schlafen muasst bei miar,
An' Wöcka häm ma aa daneb'n
Weg'n 's Aufstoahñ a da Früah."
A so send die Menscha,
Die Menscha, dö rar'n:
Und i wöttat a Määss,
Wo nid viel a so war'n!
Aft geh i frisch auf'i a d' Schneid
Und bleib a bissai stöh';
Es had mi ába nid lang g'freut,
I huñ glei uñg'fángt zu göh\
Aft hea15) i doscht6) wohl stoss'n
Und Stoa kug'ln üba. d' Wand',
5.
Z' morgast, bâid da Tag uri graut,
Dà steh i husig3) auf
Und d' Senndrin had a Rahmmuas 'kocht,
Wia 's z'Älm is da Brauch.
„Rahmmuas", sag i, „mag i koañs,
z' Früah thuat's ma nid an Mâgn;
Das g'heascht4) für söllö Seudrinna,
Dö áilwei' Hunga háb'n."
Da nimm i mei Bixal
Und Ranzal zu miar
Und a Juhschroa hun i thuñ
Und spring aus bei da Thüa1".
6.
Aft denk i ma glei' dâss'n7),
Dass Gambs vo'hánd'n send.
A frischa Bua muass öahm
Schuñ aufi z'steig'n trau'n,
Wo die Gamsal an G'wänd
Ihrö Trabbai8) aushau'n.
2. Hüatabua und Senndrin.
(Von einem Yolksdichter, dem Bauer Christian Blattl in St. Johann in Tirol [t 1865] in
den dreissiger Jahren des 19. Jahrh. in Wort und Weise erdacht. Es ist heute über das
Leuken-, Brixen- und Unterinnthal verbreitet. Nach Mitteilung der Kinder Blattls war das
Lied das erste, das er als Hüterbub auf der Alm machte.)
1. Iatz künnts a mai lo - sen a Pois0), i sing enk
G' - sangl a
Í3
wia lus - tig das is auf da Höh, wenn oa - nar aufs Gams - gebirg
.j. -r-
:=]:
dia Senn - drin dia jo - delt und schreit und die Gam - sal steign
4*-3"
cS#——i-
Üt
F=4-
/Ts
:t==i
I
hear - ü - ba d'Schneid gelt's Buam, das is
Freud.
2.
^ enn oana1' aufs Gamsgebirg steigt, I woass, es roit di g'wiss nid,
Uie Senndrin von weit'n hea'schreit, Geh nur eina, i zoag da mei Hütt,
»Grüass di Gott", sagt s', „liaba Bua, Ob' s' da g'fâllt oda nid."
Keahr dacht bei miar amai zúa,
1) spear in der Bedeutung von ärmlich. — 2) Schlöng, Schlenn, Schlemm = Senner-
Uger. — 3) hurtig. — 4) gehört. — 5) höre. — 6) dort. — 7) dieses. — 8) Fussspuren,
v°ü traben. - 9) Weile. Schmeller, Bayr. Wb., I2, 411.
96
Kohl:
3.
Dà geahñ ma Mid eini a d' Hütt;
Aba All's zoagt had s' ma nid.
Ma sitz'n glei zuahi zun Heaschd1),
Da Hoañgascht' had a nid lang g'wäascht2),
's Koch'n is eh öppas âlt's.
Sie schlägt ma sechs Oar in a Schmalz,
Dass i. starch wear an Bfâlz.
5.
Und bald hâid da Tag auffalâcht,
Had 's Böttstattl 's letzemái 'kracht.
Steh auf, mei Bua, du hast Zeit,
Da Weg, den du geahñ muasst, is weit;
Keah1' herä' fein aa wieda zua,
Wenn da d' Liegastátt g'fállt, lieba Bua,
Und süss4) aa was dazua.
Äft loahñ mar uns eini in's Bött,
Bua, d'Senndrin, wia freundli hâd s' krödt3);
Mia drahn' uns baid hin und báid her,
Das g'freut háid die Senndrin so sehr.
Und zeitweis hat 's Böttstattl 'krach,
Bua, âllahând Schnacks ho'm ma's g'mâcht,
Bis da Tag auffalâcht.
0.
I huñ's schon oft g'sagt und bleibt währ,
Wea dahoam bleibt in Land is a Nârr;
Dahoarn is a Gfrett und a Gnött5),
Wenn oana zu sein Dianal geht,
Muass scheuch'n an iaden kloan Huhn,
Wia1' a diebische Kâtz muass davuñ,
A ft magst nu oft nid uñ6).
Aba i Alm is ganz anders, mei Bua:
Kuñst d' Hos'n aufhänga mid Ruah,
Derfst scheuch'n koan' Hund und koan' Huhñ,
Wias willst, magst dazua und davuñ;
Kot nettar7) um dös muasst di gram'8),
Baid da Tag auffalâcht, muasst di drah'n,
Dass d' fein hoamkimmst zun Mahn.
Iatz wöll' ma geahñ singa aufhea'n,
Wea's probiascht had, dea glab's recht gearn.
Wenns d' a frischa Bua bist und hast Schneid,
So is da 's gen Alm gehñ nid z'weit.
Dahoam bist âiwei' in der Gfâhr,
Wo di da Baua nid heanimmt bann Hââr.
Gelt's Buab'n, dös is g'wiss währ.
Variante aus Rattenberg im Unterinnthal.
Iatz Buaben bleibt sit - zen a Pois,
-t-
i sing enk a G' - sangl a
nois, wia lus - tig das is auf da Hoch, wenn oa - nar ins Gams - gebirg
t—0-
P=i
geht, wo da Schild-hâhn scheañ grugelt und schreit und die Garns springa
hear - ii - ba d'Schneid ^elts Buabn dâs is
a Freud.
1) Herd. — 2) Heimgart = Unterhaltung — gewährt. — 3) geredet. — 4) sanft. —
5) Kummer und Not. — 6) ufimög'n = davonkommen. — 7) besonders. — 8) grämen, sorgen.
Kleine Mitteilungen.
97
Yom öffentlichen Baden in Nieder-Österreich.
"Wenn man zur Sommerszeit durch niederösterreichische Ortschaften wandert,
die in der Nähe von Bächen oder an solchen liegen, so wird einem immer eine
Schar halbnackter Buben und Mädel auffallen, die sich lustig im "Wasser herum-
tummeln, herausspringen, sich gegenseitig bewerfen oder „anbatzeln", wie sie es
nennen, und allerhand Kurzweil treiben. Halbe Tage lang bewegen sie sich im
Wasser oder am Ufer herum, nur mit einem blauen „Firta" (Schürze) bekleidet,
dabei lustig und munter wie die Fische. Kommt ein Fremder des Weges, so
giebt es keine Scheu vor ihm; wegen was sollten sie sich denn genieren? er thut
ihnen ja nichts und sie ihm nichts und dabei hat es sein Bewenden; höchstens
dass derselbe angeglotzt und gegrüsst wird.
Dass dieses Baden für die Kleinen beiderlei Geschlechts höchst nützlich ist
Und ihre Entwicklung fördert, ist sicher. Auch den Grossen thut es gut, und sie
naben es früher noch mehr als jetzt geliebt. Aber wenn es so öffentlich und mit-
einander geschah, hatte die Obrigkeit ein Auge darauf. So wird denn in den
üorftaidingen dagegen eingeschritten. Im Taiding von "Weikendorf1) vom 18. Januar
1697 heisst es:
„Weilen das baden der jungen menscher2) und bueben somerszeit sehr ärgerlich
und vili schlimbes nach sich ziehet, als wil hi emit solches die gnädige grund-
obrigkeit dergestalten abgeschafft haben daß, wann künftig wider diß und schon
vorhero ergangene verbott etwan schon erwachsene bueben oder menscher gesehen
Sölten werden, sie iedesmall mit 1 fl. 30 kr. bestrafft* werden sollen."
(Österreichische "Weistiimer, VIII, p. 54, sub 2.)
Doch scheint dieses Verbot, das schon auf frühere Verbote hinweist, ebenso-
wenig genutzt zu haben, wie die früheren, denn im Bannbuche zu Weikendorf,
datiert vom 1. Februar 1748, findet sich wieder folgende Stelle:
„Welche eitern ihren kindern öffentliches baaden zulüßen, sollen umb ain pfunt
4 ß gestraffet, die betroffen erwachsene aber alsogleich aufgehoben und eingespöret
werden." (1. c. Vi II, p. Gl, sub 45.)
Das scheint jedoch denselben Erfolg gehabt zu haben, wie die früheren Ver-
ordnungen, denn heute baden die kleinen und auch grösseren Kinder beiderlei
Geschlechts bis zu 14 Jahren noch lustig mitsammen und werden es auch in Zukunft
noch thun. Nur insofern haben die Verordnungen Erfolg gehabt, als die Grossen
beiderlei Geschlechts nicht mehr miteinander baden, sondern nur die Burschen zur
Sommerszeit jeden Samstag vor dem „Fensterlngehen" in der Nacht gemeinsam im
Bache baden, während sich die „Menscha" dieses Vergnügen, im Bache wenigstens,
nicht mehr gönnen.
Wien. E. K. Blümml.
Notizen über niederösterreicliische Sonnwendfeuer
im XVII. und XVIII. Jahrhundert.
Die Johannisfeuer, in Bayern und Österreich Sunnwendfeuer genannt, sind
<luch in Nieder-Österreich vor Zeiten allgemein am Vorabend des 24. Juni ange-
zündet worden. Sie haben aber seit dem 17. Jahrhundert durch die Polizeiverbote
1) Weikendorf, Markt am Weidenbache, am nordöstlichen Ende des Marchfeldes,
Y- ü. M. B.
2) Mädchen, aber nicht im verächtlichen Sinne.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
98
Blümml :
einen starken Niedergang erfahren. Denn diese belegten sie mit hohen Strafen
und verdarben dem Volke die Freude daran. Erst in jüngster Zeit haben sie sich
wieder mehr und mehr bei uns eingebürgert.
Grund zum Einschreiten der Obrigkeiten mochte der mit den Sunnwendfeuern
oft verbundene Waldfrevel geben.
Eine Hauptursache aber war wohl die Feuergefährlichkeit der Sonnwendfeuer,
wenn sie in der Nähe der Ortschaften abgebrannt wurden. Darauf beziehen sich
auch die Verordnungen von Grillenberg1) (aus 1747) und Aspern an der Donau2)
(c. 1760), die einander höchst ähnlich sind. Erstere besagt:
„Zu dem ende (damit nämlich kein Feuer auskomme) solle auch das scMssen
in dorf an rauchnächten, freuden- und hochzeittägen, wie dan auch sonnen-
wenthfeuer nächst am orth zu halten unter vorigen wand! (12 ß) und besonderer
leibstraff unterstellig verbleiben.
(Österr. Weistümer.3) VII, p. 395, sub Punkt 44.)
Der Wortlaut der zweiten Verordnung, von Aspern a. d. D. ist bis auf gering-
fügige Abänderungen obiger gleich, denn selbst die Strafe, 12 Schillinge bei Über-
tretung zu bezahlen, ist dieselbe:
„Derwegen (wegen Feuersgelahr) auch daß schiißen in dorf an denen rauch-
nächten, freuden- und hochzeittägen oder sonnenwenthfeuer nächst am orth
bei obigen wandl (12 schilling) und besonderen leibsstraff abgestelter verbleiben
solle." 9 (1. c. VIII, p. 295, sub Punkt 23.)
Ebenso giebt das Taiding von Weikendorf4) (aus 1748) die Feuersgefahr als
Ursache an:
„Gleichfahls wird zu abhaltung der feuersgefahr daß sonnenwenthfeuer,
item schüßen etc. alles ernst verbotten." (1. c. VIII, p. 61, sub Punkt 47.)
Ein früheres Taiding von Weikendorf, aus dem Jahre 1697 (18. Januar), ver-
bietet die Sonnwendfeuer wegen des grossen Ärgernisses, da der Abhaltungstag
(24. Juni) ein gebotener Fasttag ist, gleichzeitig wird auch der darauf meist statt-
findende Tanz aus eben derselben Ursache verboten. Die Übertretung des Ver-
botes wird strenge geahndet, und zwar ist eine Strafe von 1 0. 30 kr. zu entrichten:
„Solle wegen großer ärgernus in vigilia s. Joannis als an einen gebottenen
fastag nit gestattet werden das sonnenwethfeüer aufzurichten, noch weniger ein
danz. Welcher sich aber iber diß mehrmallen vergreifen und darbei sehen würde
laßen, solle mit 1 fl. 30 kr. abgestrafft werden." (1. c. VIII, p. 55 sub Punkt 9.)
Erfreulicher ist es, im Fischtaidinge zu Klosterneuburg, welches am 26. Juli
1609 abgehalten wurde, zu finden, dass den Fischmeistern vom Stifte Kloster-
neuburg aufgetragen wurde, das Verbot des Klosterneuburger Stadtrichters, der die
Abhaltung der Sonnwendfeuer verbot, nicht zu befolgen und dieses alte Herkommen
und Gebrauch nicht in Vergessenheit geraten zu lassen:
1) Grillenberg, Dorf südlich von Pottenstein im V. U. W. W.
2) Aspern, Dorf am linken Donauufer, östlich von Wien; Schlacht 1809. V. U. M. Ii.
3) Österreichische Weistümer. VIL Bd. Nieder-Österreichische Weistümer, im Auf-
trage der k. Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Gust. Winter. Teil I. Das
Viertel unter dem Wienerwalde, mit einem Anhange westungarischer Weistümer. Wien
1886. XXXIV +1102 S. — VIII. Bd. Teil II. Die Viertel oh und unter dem Manharts-
berge. Wien 1896. XXV + 1172 S.
4) Weikendorf, Markt am Weidenbache, am nordöstlichen Ende des Marchfeldes.
V. U. M. B.
Kleine Mitteilungen.
99
„Item, das yischmaister das sonabentfeuer altem herkumben und gebrauch
nach durch verbott des alhiegen stattrichters nicht gehalten und wider alles recht
abkumben und verbieten lassen."
(1. c. VIII, p. 1075 sub Nachträge zum ersten Teile (Bd. VII) zu no. 147, III, 3.)
Im Taidinge der Herrschaft Hosenburg zu Etzmannsdorf oder Rosenburg1)
von 1604 wird den jungen Burschen erlaubt, allen Leuten, die Pürfänge, die nicht
von altem Herkommen sind, vor den Fenstern haben, dieselben zu Sunnwend weg-
zubrechen und zu dem Sunnwendfeuer zu brauchen:
„So ist mer zu melden: all fürfäng voi1 den fenstern die nit von alter heer-
kumben sein, die sullen an dem sunnabent weckgebrochen werden, ob sie aber
nit weckgebrochen werden, so miigen si die jungen knecht zu dem sunabentfeur
abbrechen und sein niemant darumb pflichtig und als oft si ain tag nach dem
sunnabent ain tag steen und als oft ainer beclagt würdet, ist er als oft zu wandl
verfallen 72 9." (1. c. VIII, p. 787.)
Wien. E. K. Blüm ml.
Zu den Niedersächsischen Zauberpuppen.
(Zeitschrift IX, 333—335.)
Durch die interessante Mitteilung Dr. Richards Andree über die „Zauber-
puppen" im Museum zu Celle ward Prof. Dr. B. Kahle in Heidelberg veranlasst,
Herrn R. Andree auf eine Stelle in dem Buche von G. O. Hyltén-Cavallius: Wärend
och Wirdarne, Stockholm 1864, I, 146 aufmerksam zu machen, in der von einem
sogen. Elfenstein (elfvestenen) bei Bohrs Bruk in der schwedischen Landschaft
Westmannland gesprochen wird. Das ist ein 4' hoher, 9' langer und 7' breiter
Stein; in die obere Fläche sind 5, in die Seiten 4 kleine Löcher eingemeisselt,
etwa 1V2" breit und tief, 2" lang-). Die Weiber der Umgegend haben die Ge-
wohnheit, wenn eins ihrer Kinder krank wird, was nach ihrem Glauben von den
Elfen herkommt, den Stein mit Talg oder Butter zu salben, die in die genannten
Löcher eindringt, und dann kleine Puppen
oder Pocken aus zusammengewickelten
Lappen, die sie trolldockor, Zaubertocken,
nennen, zum Opfer in die kleinen Gruben
zu setzen. Die sehr kleine Abbildung
dieser Puppen bei Hyltén-Cavallius (S. 146)
geben wir etwas vergrössert hier wieder.
Herr Dr. R. Andree teilte mir den Brief W, SIK
des Herrn Prof. Kahle mit und bemerkte Wffljjjl
unter d. 20. Nov. 1899 hierzu: „Ich glaube |||Ä
kaum, dass die Puppen, von denen Hyltén-
Cavallius redet, mit denen des Celler Mu-
seums in Parallele gebracht werden dürfen.
Puppen aus Lappen hier und da — das ist alles übereinstimmende. Die Haupt-
sache bei dem schwedischen Brauche scheint mir das Salben des Steines zu sein,
denn dieses kommt durch die ganzen arktischen Regionen, bis tief nach Sibirien,
1) Kosenburg, Dorf mit Schloss am rechten Kampufer, südsüdwestlich von Horn;
Azmannsdorf, Dort' südwestlich von Rosenburg; beide im V. 0. M B.
2) In unsrer Zeitschr. VII, 51 ist eine kleine Abbildung dieses Steines wiedergegeben.
7*
100
Zachariae :
bei den Naturvölkern vor. Die Puppen sind nur Substitute für die kranken
Kinder."
Dass Puppen, d. h. rohe Menschenbilder, an die Stelle der Menschen bei
Naturvölkern in und ausser Europa wie bei den alten Kulturnationen (Griechen
und Römer) mit fortschreitender Kultur im Opferwesen gesetzt wurden, ist allgemein
bekannt; auch bei den Germanen und den Slaven geschah es. In den Votivbildern
von Eisen und Wachs in Gnadenkirchen und Kapellen, ferner in den Frühlings-
gebräuchen dauert es hier und da noch fort (Meine Verehrung der Quellen in
Deutschland, S. 50. Zur Geschichte des heidnischen Ritus, S. 26). Wie verbreitet
es war, gerade mit Lumpenpuppen, beweist schon der eine Titel in dem Indiculus
superstitionum et paganiarum v. 743 de simulacris de pannis factis.
Mit diesen Puppen ward auch Weissagung und Zauber getrieben, und daher
ist R. Andrees Erklärung der Celler kleinen Puppen gerechtfertigt. Da ich darüber
hier nicht weiter handeln will, begnüge ich mich, nur einen oldenburgischen Beleg
zu geben. L. Strackerjan in seinem inhaltreichen Buche: Aberglaube und Sagen
aus Oldenburg, Oldenburg 1867, I, 307 berichtet: Im Jeverlande erzählt man, dass
die Hexen in die Wiegen kleiner Kinder buntseidene Püppchen zwischen das
Bettzeug legen, wodurch die Kinder erkranken und sterben. Die Püppchen sind
untrennbar, und es giebt kein anderes Mittel sie unschädlich zu machen als sie
zu verbrennen. Manche behaupten, sie seien auch unverbrennbar, und es gebe
gar keine Hilfe dagegen.
K. Weinhold.
Nocli einmal zu Siddhi-Kiïv XV.
(Vgl. unsre Zeitschrift IX, S. 331 f.)
Herr Dr. Georg Jacob teilt mir folgende, der Abaraschika-Geschichte ähnliche
Erzählung mit, die er in den Spécimens de cent écritures Arabes pour la lecture
des manuscrits, Beyrouth 1885, S. 98 gefunden hat. Er bemerkt zu der von ihm
gefertigten Übersetzung, dass der Ductus der Schrift nach Nordwestafrika weise.
„Es wird erzählt, dass ein Dichter einen Feind hatte. Als er sich nun eines
Tages unterwegs befand, trat ihm plötzlich sein Feind entgegen. Der Dichter
wusste nun, dass sein Feind ihn auf jeden Fall töten würde, und sprach daher zu
ihm: O du da, ich weiss, dass mein Stündlein gekommen ist, aber ich beschwöre
dich bei Gott, wenn du mich getötet hast, geh zu meinem Hause, bleib am Thore
stehen und sprich:
Älä aijuha U-bintäni inna abäkumö.
(Holla, ihr beiden Töchter, euer Vater.)
Der sprach: ich höre und gehorche. Darauf tötete er ihn; und als er mit
seiner Ermordung fertig war, kam er zu seinem Hause, blieb bei der Thür stehen
und sprach:
Alá aijulia 'l-bintäni inna abäkuma.
Der Dichter hatte zwei Töchter; als die nun jenes von ihm hörten, antworteten
sie aus einem Munde:
qaülun hudä bit,-tari mim-man atäkumä.
(ist ermordet, nehmt die Rache an dem, der zu euch kam.)
Dann hängten sie sich an den Mann und schleppten ihn zum Richter; der
nötigte ihn zum Geständnis, und er gestand ihm seinen Mord. Da liess er ihn
hinrichten. Aber Allah weiss, ob es wahr ist."
Kleine Mitteilungen.
101
Ich benutze die Gelegenheit, um noch auf eine indische Erzählung hinzu-
weisen, in der vier bestimmte Silben ebenso eine Rolle spielen, wie die Silben
«prasikha in der aus dem Kathäprakäsa angeführten Erzählung. Die Erzählung,
die ich im Auge habe, ist die erste in der Jainica recensio der Simhäsanadvätrimsikä
(Weber, Indische Studien, XV, S. 301 ff.). In dieser Erzählung sind zwei Stoffe
vereinigt (Weber S. 307); demnach zerfällt sie in zwei Hälften. Ich teile den
Inhalt der für uns allein in Betracht kommenden zweiten Hälfte nach Webers aus-
führlicher Analyse im Auszuge mit; von der ersten Hälfte gebe ich nur so viel,
als zum Verständnis der zweiten erforderlich ist.
„In Vi,salii herrscht König Nanda; sein Sohn heisst Vijayapäla, sein Minister
Bahusruta. Der guru(Lehrer) des Königs, der weise Säradänanda (oder-nandana),
soll wegen eines falschen Verdachtes, den der König gegen ihn hegt, von Bahusruta
getötet werden. Der Minister aber lässt ihn in weiser Vorsicht nicht umbringen,
sondern versteckt ihn in einem unterirdischen Gemach seines Hauses.
Einst geht Prinz Vijayapäla auf die Jagd und verirrt sich. Von einem Tiger
verfolgt, flüchtet er sich auf einen Baum. Dieser wird von einem Affen, in dem
die Baumgottheit ihren Sitz hat, bewohnt. Der Prinz wird freundlich aufgenommen
und legt sich, als die Nacht anbricht, in dem Schosse des Affen zur Ruhe. Ver-
gebens sucht der unter dem Baume harrende Tiger den Affen zu überreden, ihm
den Menschen hinabzuwerfen. Nach einiger Zeit schläft umgekehrt der Affe in
dem Schosse des Prinzen. Der Tiger warnt nun den Prinzen vor dem Affen. So
lässt denn der Prinz, von Angst erfüllt, den Affen vom Baume fallen; der aber
bleibt im Fallen an einem Zweige hängen. Da schämt sich der Prinz seiner
Handlung. Der Affe aber spricht: Prinz! fürchte dich nicht vor mir; du erkennst
ja deine eigne That! Da wird es Morgen, und der Tiger geht fort. Die in dem
Affen wohnende Gottheit lehrt den Prinzen die vier Silben vi se mi rä, um damit
den Sachverhalt vor den Leuten zu verkündigen1), und lässt ihn vom Baume
hinabsteigen. Kaum hat der Prinz die Silben vi se mi ra gehört, so wird er
wahnwitzig2) und irrt im Walde umher. Dort findet ihn endlich der König, der
mit seinen Leuten ausgezogen ist, um den Prinzen zu suchen. Der Prinz ist ganz
1) Ganz abweichend die neupersische Bearbeitung der Simhäsanadvätrirnsikä in der
französischen Übersetzung von Lescallier, Le trône enchanté, New-York 1817, Tome I,
P- 77: Pour expier la faute que vous avez commise, répondit le singe, il est nécessaire
ciue vous receviez mon urine dans l'oreille. L'effet sera, de vous rendre fou, et c'est en
quoi consistera votre punition. Le singe exécuta la chose, et à l'instant même le prince
perdit entièrement la raison, il se mit à déchirer ses vêtemens, à roder, sauter, à tenir
des discours incohérens et sans suite: en un mot sa folie fut complete. — Le singe avoit
annoncé au prince que l'usage de la raison lui seroit rendu, lorsqu'une personne raconteroit
son aventure de point en point, et dans tous ses détails. Vgl. S. 84f. Ich habe die Stelle
hn vollen Wortlaut mitgeteilt, weil das Buch von Lescallier ausserordentlich selten zu
sein scheint. Vgl. Beni'ey, Pantschatantra, I, S. 123; Weber, Ind. Stud, XV, 186 n.;
Sergius von Oldenburg im Journal of the Royal Asiatic Society, New Series XX, 147.
Ein Exemplar des Buches ist neuerdings aus dem Vermächtnis Gildemeisters in die
Bibliothek der Deutschen morgenländischen Gesellschaft gelangt. — Uber die Passungen
unserer Geschichte im Kathäsaritsägara (Tawneys Übersetzung, I, 28f.) und in dem
buddhistischen Karmasataka vgl. Weber a. a 0., S. 307 ff.
2) Jeder Baum hat seine Gottheit, die Wahnsinn sendet, wenn jemand den Baum
beschädigt: Pischel, Gott. Gel. Anzeigen 1894, S. 424, der auf Sukasaptati, textus sim-
plicior 44, 3 verweist (vgl. textus ornatior 32, 9). Man beachte die Übereinstimmung im
Ausdruck zwischen Sukasaptati, text, simpl. 44, 3 (iyam grahilä samjätä) und Ind. Stud.,
XV, S. 304, n. 4; S. 305, n. 1.
102
Krayer: Kleine Mitteilungen.
verstört und sagt immer nur die Silben vi se mi ra vor sich her. Vergebens sucht
man ihn mit allen Mitteln, mit Sprüchen und Heilkräutern zur Vernunft zurück-
zubringen. Da verlangt der König nach dem weisen Säradänanda, den er hat
töten lassen. Der Minister rät ihm, nicht über Vergangenes zu klagen, sondern in
der Stadt bekannt zu machen, dass der, der den Prinzen wieder gesund mache,
die Hälfte des Reiches erhalten werde. Auf den Rat des Säradänanda muss der
Minister dem Könige mitteilen, dass er ein siebenjähriges Mädchen in seinem
Hause habe, das, wenn es den Prinzen sehe, wohl ein Mittel zur Heilung finden
werde. Der König kommt mit dem Prinzen in das Haus des Ministers, wo
Säradänanda hinter einem Vorhang versteckt ist. Als dieser nun vier Sanskritverse
recitiei't, die der Reihe nach mit visväsa, setum gatvä, mitradrohl, râjavs tram
beginnen (von denen die ersten drei die Treulosigkeit brandmarken, während der
vierte dazu rät, dieselbe durch Gaben zu sühnen): da lässt der Prinz nach jedem
Verse je eine der Silben vi se mi ra fort, kommt nach dem letzten Verse wieder
völlig zu sich und erzählt sein Waldabenteuer. Alle sind erstaunt. Der König
entdeckt den Säradänanda hinter dem Vorhange, verneigt sich vor ihm und preist
die Klugheit seines Ministers, der ihn vor der Sünde des Brahmanenmordes be-
wahrt und dem Prinzen damit das Leben behütet hat."
Halle a. d. S. Theodor Zachariae.
Hexensalbe.
In No. 41 der im „Schweiz. Archiv für Volkskunde", Bd. III mitgeteilten
Luzerner Hexenprozesse wird S. 310 als Salbe, mit der die für den Hexenritt
bestimmten Stühle eingeschmiert werden, die Arbonen-Salb genannt. Vielleicht
ist es einem auf dem Gebiete der Pharmakognosie bewanderten Leser dieser Zeit-
schrift möglich, über die Zusammensetzung dieses Zaubermittels Aufschluss zu
erteilen.
Zürich. E. Hoffmann-Krayer.
Laura IV einliold f.
\ 1
Am 10. Januar 1900 entschlief nach langen Leiden zu Reichenbach i. Schi.
Laura Weinhold, die letzte meiner Schwestern. Sie hat zu unserer Zeitschrift gut
erzählte Sagen beigesteuert: aus dem Reichenbacher Kreise, VII, 101—104, aus
dem EYankensteiner Kreise, VII, 443—447. Aber nicht deshalb allein gedenke ich
ihrer hier, sondern weil sie von früh an ein lebendiges Verständnis für alles hatte,
was wir heute Volkskunde nennen und schon 1846, als ich meine Sammlung
Schlesischer Sagen und Märchen anlegte, die ungedruckt in Krakau am 18. Juli 1850
verbrennen musste, neben meiner Mutter und meiner Schwester Albertine sie
möglichst zu fördern suchte.
Karl Weinhold.
Weinhold: Bücheranzeigen.
103
Bücheranzeigen.
Archiv für Religionswissenschaft, in Verbindung mit anderen Fach-
gelehrten herausgegeben von Prof. Dr. Ths. Ach eli s. Zweiter Band.
Freiburg i. B., J. C. B. Mohr (P. Siebeck), 1899. S. 380. 8°.
Der zweite Jahrgang dieses Archivs für Religionswissenschaft, das Prof Achelis
in Bremen herausgiebt, liegt abgeschlossen vor. Er hat sich in den Bahnen des
ersten gehalten, nur bringt er noch mehr als dieser Mythologie und Volkskunde,
anstatt des Hauptthemas der Religionswissenschaft. Ob das dem Unternehmen
vorteilhaft ist, darf fraglich sein: gerade eine strenge Beobachtung der Grenzen
scheint durch die mehrfache Konkurrenz geboten. Freilich ist, wie Steinthal bei
Besprechung des 1. Teils aussprach (unsre Zeitschrift VIII, 459), die Religion
5>ein Centrum, von welchem aus man zu allen Punkten der Peripherie des geistigen
Gebens gelangt."
Wir wollen die Hauptbeiträge nennen: C. A. Winter, Die Birke im Volksleben
der Letten, und Birkenverehrung bei den Jakuten. — 0. Waser, Dañaos und die
Danaiden. — L. Frobenius, Ideen über die Entwickelung der primitiven Welt-
anschauung. — M. Höfler, Krankheitsdämonen. — P. Sartori, Die Totenmünze. —
D. G. Brinton, The origin of the sacred name Jahva. — A. Vierkandt, Zur Psycho-
logie des Aberglaubens. — C. Hahn, Die alte Hierarchie bei den Chewsuren, ihre
Bethäuser und religiösen Gebräuche. — W. H. Roscher, Vier Briefe Willi. Mann-
hardts. — B. Kohlbach, Der Mythos und Kult der Ungarn. — H. Zimmern,
Lebensbrot und Lebenswasser im Babylonischen und in der Bibel. — E. Hardy,
Glaube und Brauch, oder Brauch und Glaube?
Dann kleinere Miscellen und die Besprechung einer Zahl von Büchern.
Eine Anmerkung möchte ich mir zu einer Äusserung (S. 301) von Herrn Prof.
H. Roscher über „das völlig unbenutzte und schwer nutzbare Manuskript
^lannhardts, Quellenschatz der Volksüberlieferungen", das in der Berliner Universitäts-
Bibliothek als „vergrabenes Kleinod" ruhe, gestatten. Erstens hat Mannhardt selbst
seine handschriftlichen Sammlungen (das ist der richtige Titel, nicht ein Manuskript)
reichlich in seinen zwei Bänden der Wrald- und Feldkulte und in den Mythologischen
Forschungen (1884) benutzt, und zweitens hat Prof. E. H. Meyer in Freiburg die-
selben aus der Vergrabung in der Berliner Universitäts-Bibliothek auf längere Zeit
erlöst. Die Verwaltung dieser Bibliothek hat den reichen Schatz Herrn E. H.
Meyer zur Verfügung gestellt, und dieser hat ihn für seine Deutsche Volkskunde
benutzt; die meisten Stücke, die er für sein Buch nicht verwerten konnte, wird
er anderen Ortes vorlegen (Vorr. zur D. Volkskunde, S. V). Das konnte man am
**• September 1898 auch in Würzen wissen und brauchte keine Mahnung an die
Berliner Akademie zu erlassen. K. Weinhold.
Sächsische Volkskunde. Herausgegeben von I)r. Robert Wuttke. Mit
260 Abbildungen, 4 Tafeln in Farbendruck und 1 Karte von Sachsen.
Dresden 1900. Verlag von G. Schönfeld. S. VIII. 520. 8°.
Nach jahrelanger, emsiger Sammeltätigkeit reifen endlich auf den weiten
Arbeitsfeldern der Volkskunde die ersten ährenschweren Garben. Wossidlos
104
John:
Mecklenburgische Volksüberlieferungen, Hugo Elard Meyers Volkskunde, Hans
Meyers Deutsches Volkstum sind gesegnete Erstlinge fruchtschwerer Jahre. Auch
das vorliegende AVerk schliesst sich diesen Gaben rühmlichst an, und es ist eine
Freude zu sehen, was alles schon gethan ist und wie es gethan wurde. Zwar
nennt der verdiente Herausgeber des Werkes dasselbe noch „einen ersten unvoll-
kommenen Versuch", indes bei dem gegenwärtigen Stand volkskundlicher Anfangs-
forschung ist schon dieser Versuch aller Ehren wert, umsomehr als die gesamten
Aufsätze aus Vorträgen in der Dresdener Gehestiftung hervorgegangen sind und
Abschluss und Vollendung weder gefordert, noch auf diesem Gebiete gegenwärtig
noch gegeben werden kann.
Ausgangspunkte und Grundlagen für die Darstellung des Volkslebens werden
immer die Natur, das Land und seine allmähliche Besiedelung sein müssen. Dies
geschieht in umfassender Weise in den Aufsätzen: Das sächsische Land (von Prof.
Dr. Ruge), Sachsens vorgeschichtliche Zeit (Prof. Dr. Deichmüller), Verlauf und
Formen der Besiedelung (Prof. Dr. E. 0. Schulze) und Anfänge des sächsischen
Städtewesens (Reg.-Rat Dr. Ermisch). Die Bevölkerung selbst, Stand und Wachstum,
Gliederung, Verbrechen, Selbstmord schildert der Herausgeber Dr. R. Wuttke auf
Grund historisch - statistischer Tabellen. Das geistige Leben des Volkes findet
seinen lebendigsten Ausdruck im Volkslied (Prof. Dr. Dunger), Dialekt (Dr. K.
Franke), Sitten, Bräuche, Aberglauben und Mythen (Prof. Dr. Mogk), Das künst-
lerische Wollen in Haus und Hof (0. Grauer), Kirche (Prof. Dr. E. Gurlitt),
bäuerliche Kleinkunst (Dr. A. Kurzwelly) und Tracht (0. Seyffert). Auch das
Volkstum der sächsischen Wenden findet erschöpfende Darstellung durch J.Walther
und Dr. Rentsch. Man sieht, ein ganzer Kreis hervorragender Forscher und Fach-
männer ist hier vereint, um die Grundlagen sächsischen Volkstums nach dem
neuesten Stand der Forschung darzustellen. Aber auch das Wie dieser Forschung
ist anregend. Sie trägt die frischen Züge des Selbstgesehenen und -Gehörten, wie
dies insbesondere in Dungers Aufsatz über das Volkslied, in Grauers Studie über
Haus und Elof und Gurlitts Kirchenbeschreibungen erfreulich zu Tage tritt Das
sind durchwegs mühsam errungene Eigenbeobachtungen auf Grund langjähriger
Wanderstudien und Sammelarbeiten. Sehr dankbar ist die umfassende Ausnutzung
der von Aug. Meitzen mit so grossem Erfolge in die historische Forschung ein-
geführten Flurkarten, als einer historischen Quelle ersten Ranges, zu begrüssen
und vielfach neue, von den bisherigen Anschauungen abweichende Ansichten. Der
stattliche Prachtband ist mit zahlreichen Abbildungen geschmückt, welche den Wert
des ganzen Werkes bedeutend erhöhen, Der grosse Erfolg im Buchhandel (die
erste Auflage von 3000 Exemplaren war in wenigen Tagen vergriffen) wird noch
überholt durch den idealen Erfolg, denn das Werk birgt Lebenskraft in sich und
wirkt aneifernd und zu neuen Forschungen und Sammlungen begeisternd in
Tausenden weiter.
Egei'. Alois John.
Mecklenburgische Yolksüberlieferungen. Im Auftrage des Vereins für
mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde gesammelt und her-
ausgegeben von Richard Wossidlo. Zweiter Band: Die Tiere im
Munde des Volkes. 1. Teil. Wismar, Hinstorffsche Hofbuchhandlung
VC, 1899. S. XIII. 504. 8°.
Auf den im Jahre 1897 erschienenen ersten Band dieser grossen Sammlung
der mecklenburgischen Volksüberlieferungen, der eine überraschend reiche Rätsel-
Bücheranzeigen.
105
Sammlung brachte (unsre Zeitschr. VII, 213), ist der erste Teil des zweiten Bandes
v°r einigen Wochen gefolgt. Dieser Band sollte nach dem ursprünglichen Plan
das Tier- und Naturleben in der Rede des Volkes enthalten, aber das Gefäss ward
übervoll und eine Zerlegung in zwei Teile musste geschehen, so dass das Natur-
^eben für den zweiten Teil aufgespart und von dem Tierleben nur ein Drittel des
ungeheuren Stoffes, den Mecklenburg bietet, herausgegriffen werden konnte: Tier-
Gespräche, Tiersprüche und Deutungen von Tierstimmen, Anrufe an Tiere, und
sonstige Tierreime und Lieder. Von den zahlreichen Tiersagen und Märchen
Wurden nur diejenigen hier aufgenommen, die vollständige Tiergespräche sind
oder Deutungen von Tierstimmen geben. Der vorliegende Band II, 1 bringt ein-
schliesslich der Varianten 4453 Überlieferungen! und damit ist der lebendige
Schatz noch durchaus nicht erschöpft, so dass Herr Wossidlo mit Recht betont,
die landläufigen Klagen über den Verlust des alten Erbgutes in der Gegenwart
'ftüssten endlich aufhören.
Aber zu dem Quell gehört auch einer, der ihn schöpft und in die Röhren
leitet, was nicht immer leicht ist. Erst dem unermüdlichen Fleisse und der zähen
Ausdauer bei vielen Schwierigkeiten und Hindernissen, die Oberlehrer R. Wossidlo
111 Waren seit Jahren in der Durchführung seines Lebenswerkes bewährt, konnte
es gelingen, diese gewaltige Sammlung zu gewinnen; nicht minder aber ist seine
auf gründliche Kenntnisse gebaute Einsicht in das Wesen und die Bedeutung der
Ü berlieferungen zu rühmen. Man wird überall mit Freude das Buch aufschlagen,
die Texte wie die Anmerkungen, und die Kenner werden auch die verschiedenen
Verzeichnisse und Register würdigen, welche die Nutzbarkeit des Buches erleichtern.
Dem zweiten Bande sollen nach dem jetzigen Plane zwei Bände Volks- und
Kinderreime sich anreihen und darauf mehrere Bände, Sagen und Gebräuche folgen,
"die eine erstaunliche Fülle echtester Volkspoesie enthüllen werden."
Mit Dank und Freude wird jeder vernehmen, dass Mecklenburg-Schweriner
Regierung und Stände weitere 6000 Mk. für das Werk bewilligt haben, ein schöner
V organg, dem die Strelitzer Regierung gefolgt ist, indem sie soeben 1000Mk. gewährte.
ist der Fortgang der Mecklenburgischen Volksüberlieferungen gesichert, die eine
unerschöpfliche Fundgrube der deutschen Volkskunde für alle Zeiten sein werden,
2ügleich ein Besitz, auf das ganz Mecklenburg stolz sein kann. Herrn R. Wossidlo
aber gebührt Lob und Lohn im vollen Masse. K. Wein h old.
Weinke, E., Volkstümliches in Ostpreussen. Dritter Teil. Alienstein, W.
E. Harich, 1899. S. XV. 184. 8°.
Den ersten Teil dieser treuen und gewissenhaften Sammlungen aus dem ost-
Preussischen Kreise Salfeld gab Fräulein Elisabeth Lemke 1884, den zweiten 1887
heraus (Mohrungen, W. E. Harich), beide nach dem Grundsatze, nichts aufzuzeichnen,
was sie selbst gehört und gesehen und zwar nur von Leuten sicher ost-
Preussischer Herkunft. Der 1. Teil enthielt Gebräuche, Meinungen, Aberglauben,
Volkstümliches aus der Tierwelt, Spiele und Reime, zuletzt ein Verzeichnis ost-
Preussischer Worte; der 2. Teil Sagen, Märchen und Nachträge zum Inhalt des
e|'sten. In dem nun vorliegenden dritten erhalten wir die Beschreibung von Wohnung,
Gerätschaften und Kleidung, dann Nachträge zum 1. und 2. Teil, die für die
|a§en und Märchen reichlich ausfallen; auch mehrere Lieder werden mitgeteilt.
1 aulein E. Lemke, die auf einem ostpreussischen Landgute aufgewachsen ist und
Ucls V olk aussen und innen kennt, beherrscht auch meisterlich die Denk- und
^usdrucksweise der Leute, und giebt nicht selten kleine Kabinetstückchen ost-
106
Weinhold, Boite:
preussischer Erzählung. Ihre Landsleute sollten für die drei Bändchen ihr zu
besonderem Danke verpflichtet sein. Aber auch wer kein Ostpreusse ist, wird
diese schönen Beiträge zur deutschen Volkskunde schätzen und ihre Urheberin
loben. K. Weinhold.
Sagen, Gebräuche, Sprichwörter des Allgäus. Aus dem Munde des
Volkes gesammelt von Dr. Karl Reiser. Kempten, Köselsche Buch-
handlung, Heft 14. 15. 16. (II, 257—448.)
Von diesem zuletzt in unsrer Zeitschrift IX, 102 f. angezeigten reichhaltigen,
aber langsam fortschreitenden Werke liegen wieder drei neue Hefte vor, die den
Abschnitt von den Gebräuchen fortsetzen: die Kinderfeste kommen zu Ende, die
Sitten und Aberglaube bei Geburt, Hochzeit und Tod werden dargestellt und dann
die übrigen Gebräuche beschrieben, mit einem Anhange von Aberglauben und
Volksmeinungen. Besonders anziehend sind die Hirtenbräuche und der Wild-
männlestanz in Oberstdorf (II, 401—419). Unsre Leser werden sich erinnern, dass
unsre Zeitschrift VII, 427—437 (1897) eine Besprechung dieses Tanzspiels brachte.
Leider ist dieselbe Herrn Dr. Heiser ganz unbekannt geblieben. K. W.
Sébillot, Paul, La Bretagne enchantée. Poésies sur des thèmes popu-
laires. (Conteurs et poètes de tous pays. Tome III.) Paris, J. Mai-
sonneuve (1899). S. 284. kl. 8°.
Ein neues zierliches Buch von Paul Sébillot, das ihn nicht bloss als forschenden
Sammler bretonischer Volksüberlieferungen, sondern auch als gewandten und glück-
lichen Dichter zeigt. Aus dein, was er meist selbst, daneben auch andere, in einer
Reihe von Büchern an sagenhaften Stoffen der Bretagne veröffentlichte, hat er mit
Geschmack und feinem Verständnis eine Auswahl getroffen und daraus 75 poetische
Erzählungen, teils in strophischer Forin, teils in gereimten Verspaaren, gestaltet.
La legende dorée, Les ames en peine, Le monde enchanté sind die drei Gruppen
betitelt. In kurzen Noten giebt Hr. P. S. am Schlüsse die Quelle jedes Gedichtes
sorgfältig an. K. W.
' Cristoforo Grisanti, Usi, credenze, proverbi e racconti popolari eli Isnello
raccolti ed ordinati. Palermo, Alberto Heber, 1899. S. V, 250. 8o.
Isnello ist ein Thal in der Mitte der Nordseite Siciliens, südlich von Cefalù
gelegen, dessen Bewohner sich abseits vom Verkehre nur mit Ackerbau und Vieh-
zucht beschäftigen. Professor Grisanti, ein Sohn dieses Thaies, hat seit mehreren
Jahren nach dem Vorbilde des um die Volkskunde Siciliens hochverdienten Forschers
Giuseppe Pitre die Bräuche und Sagen seiner Heimat gesammelt und nun die
teilweise schon in Zeitschriften veröffentlichten Ergebnisse dieser Thätigkeit in dem
uns vorliegenden Bande zusammengefasst. Die Ernte ist ergiebig ausgefallen; in
34 Kapiteln schildert er sachlich und knapp, aber oft lebendig die Gegend, dit1
Beschäftigungen der Bewohner, die Frauentracht, die Sitten bei Geburt, Hochzeit
und Tod, die Feste und Spiele, zu denen auch die Jagd auf Eìichse und wilde
Ziegen gehört, die abergläubischen Vorstellungen über Tote, Wehrwölfe, Zauberei,
vergrabene Schätze, Heilmittel u. dgl. Von besonderem Interesse sind die reich-
haltigen Zusammenstellungen von Sprichwörtern und Redensarten (p. 169—196)
Bücheranzeigen.
107
und Märchen (p. 196—241). Von letzteren hat Grisanti, während er nur zwei
Sagen (p. 22) antraf, 18 Nummern aufgezeichnet, die er aus dem Volksdialekte wörtlich
die Schriftsprache übersetzt. Ich führe kurz die einzelnen Märchen mit den
nötigsten Verweisen auf: p. 196. Gevatter Igel und Gevatter Fuchs (Kirchhof,
^rendunmut 7, 74). — 197. Hahn und Maus (Häufungsmärchen; Köhler, Kl. Sehr.
184). — 199. Wolf und Fuchs (Grimm No. 74). — 200. Wolf und Esel (Wett-
^auf, Jagd). — 201. Der Mützenmacher und die Affen (H. Sachs, Fabeln ed. Goetze
^0. 220). — 202. Teufel und Bauer (wetten, wer die Sonne zuerst aufgehen sieht;
Bauer blickt nach einer Bergspitze im Westen). — 203. Der Gevatter des
^°des (Grimm 44; diese Zeitschrift 4, 34. 6, 67 No. 19. Köhler 1, 291). — 206.
Onkel Drache (zum Anfange vergi. Grimm No. 12 ,Rapunzel' und Gonzenbach,
^icilianische Märchen No. 53; zum Schlüsse Grimm 15 ,Hänsel und Gretel'). —
Herr Nagel und Frau Blumentopf (Wette über das Thürzumachen; vgl. Bolte,
^as Danziger Theater 1895, S. 225; Zeitschr. f. vergi. Litteraturgesch. 13, 234). —
"^1. Tartuchella (Grimm 30 ,Läuschen und Flöhchen'. Köhler 1, 364). 213. Sor
ßeppo (der dreimal getötete Bettelmönch ; vgl. v. d. Hagen, Gesamtabenteuer, 3, LI.
Köhler 1, 65. 190. — 217. Der Bauer (stirbt beim dritten Eselswinde. Köhler
1, 135. 486. 505). — 219. Die Zauberpfeife (Grimm 64 ,Die goldene Gans'. Köhler
134. 192. 348. 418). — 220. Das Bferdchen (ist das Märchen von der gold-
haarigen Jungfrau; oben 6, 172 zu Gonzenbach 83, II; Köhler 1, 396. 467. 542.
^Tber die Frage des Vaters, ob die fortziehenden Söhne seinen Segen oder Sachen
begehren, vgl. Köhler 1, 188. 519). — 224. Don Piditol (Val. Schumann, Nacht-
''Üchlein 1893, No. 6; dazu Frey, Gartengesellschaft 1896, S. 278). — 228. Don
^°la Caulo (und der hilfreiche Fuchs. Ist das Märchen vom gestiefelten Kater;
V§1- Köhler 1, 558 und zu Gonzenbach No. 65). — 232. Der Schuhflicker (über-
dachtet in einem Spukhause und erhält einen Schatz). — 235. Das Waisenmädchen
(basile, Pentamerone 3,4. Oben 6, 72 zu Gonzenbach No. 35).
J. Bolte.
Feste di Santa Rosalia in Palermo e della Assunta in Messina.
Versioni dal Francese, dall' Inglese, dal Tedesco con note di Maria
Pi tre. (Con 22 illustrazioni.) Palermo, Alberto Reber, 1900. S. 163. 8°.
Die Feste der heil. Rosalia in Palermo und der Himmelfahrt Mariae in Messina
zWei grosse sicilianisehe Volksfeste. Die Tochter von Giuseppe Pitrè, dem
^°chverdienten Erforscher und Erläuterer des Volkslebens Siciliens, Fräulein Maria,
in den Spuren ihres Vaters wandelnd, alles gesammelt, was sie in der frän-
kischen, englischen, deutschen Litteratur auf diese Feste Bezügliches fand, es über-
Setzt und mit erklärenden Anmerkungen begleitet; das Buch aber gewidmet A mio
Padre, amore e guida della mia vita, che con la parola e con l'esemplo mi ispirò e
^antenne sempre vivo il culto della Sicilia e delle sue tradizioni. Das ist ein rührender
^ led erhall jener Worte, mit denen Giuseppe Pitre dem Andenken seiner Mutter
e grosse Arbeit der Bibliografia delle Tradizioni popolari d'Italia 1894 zuschrieb.
Aus dem Deutschen bringt Frl. M Pitrè nur zwei Stücke: den Brief Goethes
p er seinen Besuch der Kirche der hl. Rosalia auf dem Monte Pellegrino bei
^ er|no am 6. April 1787, und die kurze Schilderung des Assuntafestes in Messina,
^e'c^e Joh. Heinr. Bartels im 2. Teile seiner Briefe über Kalabrien und Sicilien
Böttingen 1789) gab.
Das Buch ist nur in 120 Exemplaren gedruckt. K. Weinhold.
108
Weinhold, Hein:
Danske Folkeviser i Udvalg veci Axel Olrik under Medvirkning af Icia
Falbe-Hansen. Udgivne for Dansklœrerforeningen. Kobenhavii, Gylden-
dalske Forlag, 1899. S. 91. 173. 8°.
Seitdem Wilhelm Grimm die Altdänischen Heldenlieder. Balladen und Märchen
in deutscher Übersetzung (Heidelberg 1811) herausgegeben, wusste man auch in
weiteren Kreisen bei uns diese schönen Blüten germanischer Poesie zu schätzen-
In Dänemark selbst war man um Sammlung und historisch kritische Untersuchung'
dieser epischen Lieder bemüht: vor allen hat Svend Grundtvig sich dabei grosse
Verdienste erworben. Nun hat einer der jüngeren, Axel Olrik, der die grosse
Grundtvigsche Sammlung Danmarks gamie Folkeviser (1851 —1890) in einem
6. 7. Bande (1898. 1899) fortsetzte, eine Auswahl von 51 Liedern für den dänischen
Lehrerverein veranstaltet. Es sind 16 Ksempe- und Trylleviser, 15 historische Lieder,
18 Ridderviser, 2 Scherzlieder. Einen bedeutenden Wert hat dieses Buch durch
die Einleitung Axel Olriks erhalten, in welcher er, der dazu ausgezeichnet gerüstet
war. über diese alten nationalen, ursprünglich zum Tanz gesungenen Lieder ein-
gehend spricht, auf den Schauplatz der meisten den adlichen Hof hinweist, der
keine turmreiche Burg war, sondern ein stattlicher Bauernhof, zuweilen mit einem
Steinhause, das in Gefahren Schutz gewährte; dann als Pfleger dieser Lieder den
dänischen Adel schildert, der über das ganze Land zerstreut auf einigen tausend
solcher Herrenhöfen oder auch auf Bauernhöfen hauste. Der König mit seinen
Hofleuten (hovermend), die Bauern (bonderne), die Knappen (svendene), die nicht
festen Grenzen zwischen dem Adel und den Bauern in älterer Zeit, Verhältnisse,
die für die alten Lieder charakteristisch sind, werden berührt; dann die zwei
Hauptthemen namentlich der Ridderviser, Fehde und Liebe, glückliche wie un-
glückliche, besprochen. Ein Abschnitt Avirft auf die historischen Stoffe Licht: die
ältesten gehören dem 12. Jahrh. an, mit dem J.ahre 1400 nehmen die geschicht-
lichen Lieder an Zahl und Wert ab. Besonders anziehend sind die Trylleviser,
in denen der altererbte, unter der Decke des Christentums fortglimmende Glaube
an überirdische Wesen und Mächte hervorbricht. Zu den Ksempeviser führt A. 0-
aus, dass dieser Name ursprünglich Liedern von grossen übermenschlichen Gestalten
aus ältesten Zeiten gehört. Zwei verschiedene Stimmungen machen sich darin
bemerklich: eine heitere, zuweilen scherzhafte, in den aus deutscher Dichtung'
stammenden, und eine düstere, in Liedern von unheilbringender Liebe, die mit
der nordischen Heldendichtung zusammenhängen, so in Havbor und Signild, das
der Sage von Hagbard und Signy entstammt, in Aage und Elselille, das an Helge
Hundingsbane und Sigrun erinnert. In Liedern wie Holger Danske und Stserk
Didrik dagegen spielt die Liebe kaum eine Nebenrolle. Hier erhält das dänische
Nationalgefühl seine Befriedigung. Der aus dem französischen Ogier umgebildete
Holger vertritt siegreich das Dänentum gegen den Vertreter der gefährlichen
deutschen nach Jütland vordringenden Macht, Dietrich von Bern.
Eine derbe Abart des alten Liedgesanges sind die nicht zum Tanz, sonden1
am Trinktisch gesungenen Scherzlieder (Sksemteviser), in denen groteske Über-
treibung und plumpe Schrauberei besonders beliebt sind.
Im IG. Jahrh. änderte sich das ganze Leben; zum Tanz spielten lärmende
Instrumente, die Lieder verstummten. Aber adlige Jungfrauen legten sich Samnv
lungen davon an: das älteste erhaltene Liederbuch ist um 1550 auf einem jütischen
Herrenhofe entstanden, enthält über 200 alte Lieder und liegt im Fräuleinkloster
Odensee. Lebendig blieben aber AVort und Weise unter den dänischen Bauend
die bis in neue Zeit an dem alten, auch durch neues vermehrten Liederschatz
festhielten. Ungefähr 500 sind ans dem Mittelalter bewahrt; dazu kommen an-
Büclieranzeigen.
109
gefähr 50 ans dem 16. und 17. Jahrhundert. Ausserdem kennt man mindestens
100 Scherzlieder, die zum grossen Teil vor dem 16. Jahrh. entstanden sind.
Anmerkungen und eine kleine Wortsammlung suchen die alte Sprache der
Lieder dänischen ungelehrten Lesern verständlicher zu machen. Bei seiner Arbeit
enreute sich Docent A. Olrik der Mitwirkung von Fräulein Ida Falbe - Hansen,
Cand. maxist. K. W.
Echte Tiroler-Lieder. Unter Mitwirkung mehrerer Freunde herausgegeben
von Franz Friedrich Kohl. "Wien, Anno Dmi. 1899. Im Selbst-
verlage des Herausgebers. S. XLII, 302. 8°.
Der Herausgeber, ein gebürtiger Tiroler und Obmann-Steilvertreter des deutschen
^ olksgesang-Yereines in Wien, hat schon seit Jahren sich bemüht, in seiner
Heimat echte Volkslieder zu sammeln; wiewohl seine Thätigkeit auf diesem Gebiete
ll0ch lange nicht als abgeschlossen angesehen werden soll, so fühlte er sich doch
Verpflichtet, um eine allseitige und planraässige Aufnahme der Lieder anzuregen,
Vorerst den vorliegenden Band zu veröffentlichen, der im ganzen 220 Gesangs-
Ummern in Wort und Weise enthält und ein ziemlich getreues Bild vom Denken
llnd Fühlen des Deutschen Tiroler-Volkes im Liede giebt.
„Die Anordnung der Gesänge", sagt der Herausgeber im Begleitworte, „ist eine
Scheinbar regellose; bei näherer Betrachtung wird man aber finden, dass sie zwar
nicht von einem musikalischen Gesichtspunkte aus, so doch nach ihrem Inhalte,
s° gut es eben ging, aneinandergereiht sind; so behandeln die Gesänge Nr. 1—24
tiroler Volkstum und Tirolergestalten, 25—45 Wildschützen- und Jagdleben,
^•—63 das Leben auf der Alm, 64—103 Buabman und Diandln, Liebe, 's Fensterin,
'"4—110 Rauflust und Spott, III —155 Frohsinn und Scherz, 152—182 Volkswitz
Ulld Bauernweisheit. No. 183—193 bringen einige Kriegsgesänge, Weihnachtslieder
Und zwei altdeutsche Gesänge. Den Schluss bilden die Jodler." Bei jedem Liede
'^gewissenhaft die Quelle, sei es eine gedruckte oder eine mündliche, und das Jahr
'(''' Aufnahme angegeben. Am reichlichsten iiiessen, wie es ja in der Natur der
ache liegt, die mündlichen Quellen; vor allem ist die „blinde Liesl" (Elise Blattl)
111 St. Johann in Tirol zu nennen, deren Vater (7 1864) so manches der in das
gedrungenen Lieder selbst erdacht und gesungen hatte. Eine nicht minder
Glche Quelle entströmte dem sangesfreudigen Munde des „blinden Heinrich"
¡-ein rie h Mulser) in Kastelrutt. Auch der Weber Sebastian Oberbrandtacher in
Martin in Passeier hat dem Herausgeber manch köstliches Liedlein verraten.
Bildet schon die Liedersammlung an und für sich ein reiches Material für
Wissenschaftliche Untersuchungen, so gewinnt das Buch durch die Einleitung, in
Richer Kohl das Wesen des Tiroler Volksliedes in erschöpfernder Weise behandelt,
°Ppelt an Wert. Vornehmlich zwei Fragen sind es, die der Herausgeber aus-
ithrlich behandelt: „Was ist ein echtes Volkslied?" und „Wie wird das Tiroler-
ed gesungen?" Bezeichnend für den allmählichen Verfall des Volksliedes ist es,
ass die wenigen im Jahre 1807 von J. Strolz veröffentlichten Tirolerlieder von
solchen kernigen Frische sind, wie sie heute von keinem Liede mehr erreicht
Wlrd (vgl. z. B. die Nummern 88 und 89); sie stammen aber auch aus einer Zeit,
noch keine verderblichen Einflüsse (wie Lieder im Volkstone und Bänkelgesänge)
aüf das Volk einwirkten.
^on einer kleinen Zahl von Liedern, deren Inhalt das Liebesleben behandelt,
^ ' Übte Kohl, dass sie für die Herausgabe nicht geeignet wären. Da aber nur die
. °§l¡chste Vollständigkeit eine genaue und vorurteilslose Erkenntnis des Volks-
es verbürgt, so habe ich den Herausgeber bewogen, wenigstens in dieser Zeit-
lio
Weinhold:
Schrift und als Beleg für die vorliegende Anzeige zwei Lieder erotischen Inhaltes
za veröffentlichen, auf die ich besonders verweise (oben S. 94—96). Man wird aus
ihnen entnehmen, in wie harmloser und dabei doch schalkhafter Weise, die nichts
Verletzendes in sich hat, der Gegenstand berührt wird. Diese zwei Lieder, die
bisher noch nicht veröffentlicht waren, bilden sonach eine recht wesentliche Er-
gänzung der Kohlschen Sammlung.
Floridsdorf bei Wien. Dr. Wilhelm Hein.
Neidhart mit (lern Veilchen von Konrad Gusinde (Germanistische Ab-
handlungen, begründet von K. Weinhold, herausgegeben von Fr. Yog't-
XVII. Heft). Breslau, M. & H. Marcus, 1899. S. VI. 242. 8°.
An die litterargeschichtliche Person Neitharts von Peuenthal, des ersten und
bedeutendsten Vertreters der höfischen Dorfpoesie im 13. Jahrh. sind eine Menge
Sagen und Fabeln angeflogen, die seinen Namen über das Mittelalter hinüber er-
hielten, meist unfein oder gar unflätig und den Eulenspiegelstreichen verwandt.
Am meisten behandelt ist die Geschichte von Neithart mit dem Veilchen, die mit
der alten Volkssitte, das erste Veilchen im Frühjahr aufzusuchen und zu feiern
zusammenhängt. Sie ward in gereimter Erzählung und in dramatischen Spieler-
behandelt, und die Aufgabe des vorliegenden Buches ist, diese Dichtungen, die
sämtlich nicht auf den echten Neithart zurückgehen, gesammelt vorzulegen und
zu untersuchen. Hr. K. Gusinde hat das fleissig, sorgsam und mit gutem Erfolg'
gethan; hätte er sich knapper gehalten und der breiten Art der jungen Germanisten
sich nicht angeschlossen, wäre das Buch um einige Bogen dünner, aber um einige
Grade angenehmer.
Unsre Zeitschrift pflegt nicht Literaturgeschichte und was Philologisches dazu
gehört; daher ziehen wir hier nur das Volkskundliche hervor, was der Verf. zuï
Erklärung des Ursprungs der Fabel und der Form der dramatischen Spiele (St-
Pauler Spiel, das grosse Neithartspiel, das Sterzinger Scenar und das kleine Neit-
hartspiel vorträgt. Er findet den Keim der Geschichte in dem volkstümlichen
Tanz um den Maibaum und der mit diesem Frühlingsfest verknüpften Maibulschaff-
d. i. der zu dieser Zeit sich knüpfenden sommerlichen Brautschaft junger Paare-
Der Tanz ist ein wesentlicher Bestandteil der Frühlingsfeiern und gründet sich in
dem religiösen uralten Charakter derselben. Aufzüge, Chorgesang, Tanz, drama-
tisches Spiel einfachster Art gehören zum heidnischen Kultus, das hätte wohl noch
bestimmter hervorgehoben werden können. Dass die Frühlingsfeiern schon zu1'
Fastnacht beginnen, hat schon J. Grimm gelehrt, und unser Verfasser daher
Recht in den Fastnachtspielen die Spuren der Maifeier hervorgehoben (S. 32 f.).
____K. W.
Melerai tieqI xov ßiov xai rijç ylcóoorjg rov eXXr¡viy.ov Xaov vno N. 1\ II o lltoV •
lìaooi.¡liai. Tôjuoç á. 'Ev Adïjvaiç, tvjwiç II. A. Zay.eAAaohv, 1899-
(Bißhodrjxrj Mapáohj.) S. ri. 600. 8o.
Professor Politis in Athen, der wohlbekannte griechische Gelehrte, legt i*1
diesem starken Bande den Anfang seiner grossen Arbeit über die neugriechischen
Sprichwörter vor. Wir hoffen später eine Besprechung des wichtigen Werkes ^u
bringen, für jetzt müssen wir uns begnügen, es überhaupt anzuzeigen. Auf ein6
grössere Einleitung folgen in diesem 1. Bande Sammlungen byzantinischer Sprich'
wörter und dann der Anfang des neugriechischen Sprichwörterlexikons, reichen0
von ■ äßctviaf bis aXum£uu.
Bücheranzeigen.
Ill
Schiepek, Josef, Der Satzbau der Egerländer Mundart. 1. Teil.
(Beiträge zur Kenntnis deutsch - böhmischer Mundarten, im Auftrage
des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen herausgegeben
von Hans Lambel. I.) Prag, Verlag des Vereins für Geschichte der
Deutschen in Böhmen, 1899. S. XIII. 206. 8°.
Die Beiträge zur Kenntnis deutsch-böhmischer Mundarten, welche der Verein
für Geschichte der Deutschen in Böhmen unter Aufsicht von Prof. Lambel in Prag
herausgiebt, werden durch das vorliegende Werk des Saazer Gymnasialprofessors
Schiepek in bester Weise eröffnet.1) Bekanntlich steht die Erforschung des
Satzbaues in unseren Mundarten hinter der Bearbeitung der Laut- und Formver-
hältnisse noch stark zurück; nur Anfänge sind dazu gemacht. Ausser dem, was
ui den besseren Dialekt-Wörterbüchern zu einzelnen Worten Einschlägiges bemerkt
tllid in dieser oder jener Schrift über einzelne Mundarten (so von A. Schleicher
Und von K. Regel) in kurzen Kapiteln ausgeführt ist, oder im Anschluss an unsere
Umgangssprache von Wunderlich dargelegt ward, lassen sich nur die Dissertationen
von Binz (Zur Syntax der Baselstädtischen Mundart. 1888) und von Reis (Zur
%ntax der Mainzer Mundart, 1891, mit einer Fortsetzung in Paul und Braunes Bei-
trägen XVIII, 475 ff.) als Anläufe zu grösserem nennen. Die Arbeit von Josef
Schiepek ist das erste umfassende und gründliche Unternehmen, das dem Satzbau
einer deutschen Mundart gilt und verdient schon deshalb alles Lob.
Aber auch die ganze Ausführung verdient volle Anerkennung. Es werden
Uicht besondere von der Schriftsprache abstechende Eigentümlichkeiten der nord-
&auischen Mundart des Egerlandes zusammengestellt, sondern alles, was die Satz-
formen überhaupt und was die einzelnen Wortklassen nach ihrer Bedeutung und
nach ihrer Verwendung im Satz angeht, legt der Verf. an seinem Dialekte ein-
gehend dar, indem er den Aufriss nach Miklosich und dem diesem folgenden
Erdmann macht. So bleibt denn auch gerade wie bei der Erdmannschen
deutschen Syntax das Nomen einem zweiten Teile vorbehalten. In einleitenden
Kapiteln hat Herr Schiepek das Tempo der Rede und die Betonung (musikalische,
dynamische) der Egerländer Mundart vorangestellt.
Es ist hier nicht der Ort, auf das Einzelne einzugehen. Sammelfleiss, Um-
geht, Vergleichung des allgemein Deutschen und der Dialekte, besonnenes Urteil
bildet man allenthalben, im Text wie in den Anmerkungen. Ich kann nur
Wünschen, dass das hier gegebene Beispiel zur Nacheiferung anrege; dann werden
Avir auch in der allgemeinen deutschen Syntax weiter vorrücken.
K. Weinhold.
^ ei'öff'entliclumgeii der Historischen Kommission für Hessen und
Waldek. I. Hessisches Trachtenbuch von Ferdinand Justi.
Erste Lieferung. Mit 8 Blättern im Farbendruck. Marburg, Elwertsche
Verlagshandlung, 1900. fol. (Text 14 S. fol.)
Auf das Hessische Trachtenbuch, dessen erste Lieferung mit acht Tafeln und
eitt Anfang des Textes vorliegt, möchte ich die Aufmerksamkeit aller richten, die
Ur Unser Volksleben Sinn haben. Es ist ein lang vorbereitetes Werk, ausgeführt
v°n einem der ersten deutschen Orientalisten, der aber als Sohn eines alten
. 1) Herr Schiepek hat Vorläufer des vorliegenden Buches in zwei Programmabhaud-
"gen des Gymnasiums zu Saaz, 1895 und 1896 herausgegeben.
112
W einhold :
hessischen Gelehrtengeschlechts für das Leben des Hessenvolkes von früh an
warme Liebe hatte und seit einem Vierteljahrhundert auf den Wanderungen durch
die heimatlichen Berge und Thäler mit Stift und Pinsel die Gestalten und die
Tracht seiner Landsleute aufnahm. In seinen Mussestundcn von der Bücher- und
Kathederarbeit schuf er nach und nach schöne Aquarellbilder nach seinen Auf-
nahmen, die eine Freude der Beschauer waren, und deren Wunsch erregten, sie
allgemeiner zugänglich zu machen. Nach manchen Bedenken entschloss sich Prof.
Dr. Perd. Justi der Bitte der neugebildeten Historischen Kommission für Hessen
und Waldek zu willfahren und seine Trachtenbilder mit erläuterndem Text der
Öffentlichkeit zu übergeben. Die Wiedergabe durch Farbendruck übernahm das
graphische Institut von Julius Klinkhardt in Leipzig. Wir erkennen an, dass die
Schwierigkeiten des Farbendrucks gut überwunden sind, müssen aber doch be-
kennen, dass die Schönheit der Original-Aquarellen nicht erreicht wurde.
Prof. F. Justi hat seine Absicht nicht bloss auf die Kleidungsstücke, sondern
auch auf die darin steckenden Menschen gerichtet. Er will seine Hessen abbilden,
und so hat er bestimmte Personen, deren Namen und Wohnort auch angegeben
werden, gemalt. Das ist das wissenschaftlich Richtige und das Wahre, das leider
bisher nicht erkannt worden ist. Nur einzelne Ausnahmen liessen sich nennen;
im allgemeinen geben die Trachtenbilder, und nicht bloss die auf den modischen
Postkarten, beliebige Larven, aber nicht Gesichter und Körper der Menschen be-
stimmter Volksstämme.
In dem Text der 1. Lieferung hat Prof. J. eine Einleitung gegeben, worin
sein Standpunkt in der Volkstrachtenfrage und allgemeinere Gesichtspunkte ent-
wickelt werden. Auf die Ausführungen und Beschreibungen des Einzelnen dürfen
wir bei den langen Studien des Herrn Verf. über die Geschichte der deutschen
Trachten uns freuen. Von Herzen sei dem Werke gute Fahrt zugerufen.
K. Weinhold.
Troels-Lund, Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten-
Autorisierte, vom Verfasser durchgesehene Übersetzung von Leo Bloch-
Leipzig, B. G. Teubner, 1899. S. V. '286. 8°.
Das Buch, das unter obigem Titel in der vortrefflichen Ausstattung des
Teubnerschen Verlages vorliegt, hat zu der Volkskunde unmittelbar keine Beziehung-
Wenn wir trotzdem die Leser unserer Zeitschrift darauf aufmerksam machen wollen,
so begründet sich das in dem reichen, interessanten und ganz eigentümlichen
Inhalt und in der geistreichen und gemütvoll-poetischen Auffassung und Behandlung
des Problems, das nichts anders ist als die Darstellung der Gottes- und Weltidee
zunächst bei den wichtigsten Völkern des Altertums. Der Verfasser, Di1. Troels
Lund, Professor an der Kopenhagener Universität, geht davon auf die Darstellung'
über, wie sich die Welt- und Lebensanschauung in Skandinavien während des
16. Jahrhunderts gestaltete und schiiesst mit einem Ausblick auf die Lebens-
beleuchtung der neuen Bildungsperiode, der Gegenwart. Das Buch entstund wahr-
scheinlich aus dem Plan des Verfassers, zu seinen früheren Untersuchungen über
das äussere Leben der Skandinavier im 16. Jahrh., von denen sein treffliches Buch
„das tägliche Leben in Skandinavien während des 16. Jahrh. (deutsche Ausgabe,
Kopenhagen 1882)" in Deutschland die verdiente Anerkennung gefunden hat, das
innere Gegenbild herzustellen, und da er die Sterndeutung und den Teufelsglauben
als Hauptstücke im Leben der Ileformationsperiode seiner Heimat fand, trieb es
ihn, die Beantwortung der Fragen: Was ist Licht und Dunkel, Tag und Nacht
Bücheranzeigen.
113
und wie weit ist es von der Erde bis zum Himmel? in ihrer geschichtlichen Beant-
wortung zu verfolgen. Das Bild, das sich die Völker des Altertums von dem
Himmel und der Erde machten, die Zeiteinteilung, die Vergöttlichung der himm-
lischen Mächte des Lichtes und des Dunkels begleitet der Verf. von den Assyrern
Und Babyloniern, den Persern, den arischen Indern, nach China und Ägypten, zu
den Juden und Griechen. Die Sterndeutung der Chaldäer, die persische Lehre von
Gott und dem Teufel, erscheinen als die sich weit verbreitenden Triebkräfte; aus
Ägypten, dem Sonnenlande, entspringt die Vorstellung, dass sich der Sonnengott
2nweilen aus Erbarmen auf der Erde in Tierform (Aspisstier) gebären lasse, so
wie der Glaube an eine Dreieinigkeit Gottes (Vater, Mutter, Sohn). Aber auch der
Glaube an die Unsterblichkeit des Menschen und zeitweilig auch der an einen
unsichtbaren Gott erhob sich in Ägypten. Diesen letzteren nahm Moses auf und
machte ihn zum Mittelpunkt seines Gesetzes, das den einzigen unsichtbaren Gott
als Volksgott der Juden, einsetzte. In Babylon empfingen die Juden den Teufels-
glauben hinzu, und aus dem Unglück des Volkes ging die Messiasidee auf, die
Hoffnung auf den künftigen Befreier und Erlöser. Schön ist das Kapitel von Jesus
von Nazareth, dem die Darlegung der griechischen Lebensbeleuchtung vorausgeht
Und der Mischung vom östlichen und westlichen Gedanken (östlich: Sterndeutung,
Lehre von Gott und Teufel und Dreieinigkeit — westlich die Idee einer Bruder-
schaft der Menschen sowie die Aufgabe der Hingabe eines für den andern), die
durch das Weltreich Alexanders sich vollzog. Wie die Lehre Jesus zur Lehre von
Jesu geworden, wie die Liebe vom Glauben abgelöst ward, und fremde Bestand-
teile in die Kirche eindrangen, die das Altertum abschloss; welche Bedeutung
für die jungen nordischen Völker die Kirche gewann, der die Araber mit ihrer
Toleranz und feinen wissenschaftlichen Bildung von dem Verf. entgegengestellt
Werden, diese Ausführungen schliessen den ersten und wesentlichsten Teil des
Buches ab.
In dem Abschnitt über die Weltanschauung, oder wieder Verf. sich ausdrückt,
die Lebensbeleuchtung, die im IG. Jahrh. über dem skandinavischen Norden lag,
unterscheidet Prof. Lund vier Elemente: die wiedererweckte römisch-griechische
-Naturauffassung oder die Renaissance; zweitens die Wirkung der Reformation;
drittens die Sterndeutung; viertens den Teufelsglauben. Das Ende wird dieser
Und überhaupt der alten Welt- und Lebensanschauung durch Kopernikus und
Giordano Bruno bereitet: durch die Entdeckung, dass die Erde nicht der Mittel-
Punkt der Welt sei, sondern dass sie gleich den andern Planeten sich um die
Sonne bewege; und ferner durch den Gedanken, dass der Fixsternhimmel nicht
die Grenze der Welt bilde, dass vielmehr die Welt unendlich sei. Damit beginnt
eine ganz neue Periode der Lebensbeleuchtung für den vom Kirchenglauben unab-
hängigen Menschensinn. Der Verf. hebt die Erforschung der Welt des Kleinen
^nd den Entwicklungsgedanken als wesentlich darin hervor, steht aber im ganzen
^0r einem noch ungelösten Rätsel, denn weder das Mikroskop noch die wissen-
schaftliche Entwicklungstheorie können das Herzensbedürfnis der Menschen befrie-
digen, und so macht denn der alte vertrauensvolle Peldruf den Schluss: „Glaube,
Hoffnung und Liebe, aber die Liebe ist die grösste unter ihnen!"
Wie man sich auch zu diesem Buch stellen möge, anziehend, anregend, eigen-
tümlich und gedankenreich ist es durchaus, und ebenso ist (nach der deutschen
Übersetzung zu schliessen) die bildliche Form, worin die Gedanken gern gegeben
Verden, sehr oft überraschend. Wir begreifen den Eindruck, den es in Skandinavien
bewirkt hat, wo es sogar eine Bibel der Humanität genannt worden ist. K, W.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
114
Frey:
Aus cien
Sitziings-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag*, den 15. Dezember 1899 fand clic Sitzung- des Vereins wie i in
Weihnachtsmonate 1898 im gütig bewilligten kunsthistorischen Auditorium der
Universität statt, und Vortragender war wiederum Herr Professor Dr. Karl Frey.
Er sprach über die bildliche Darstellung Christi von den ältesten Zeiten an und
führte die Darstellung zunächst bis zur Renaissance. Der Hauptgedankengang
seines Vortrages war folgender: Nirgends und zu keiner Zeit ist . Christus in gleich -
mässiger'Weise abgebildet worden, vielmehr herrscht nicht bloss in der Neuzeit,
sondern bereits im Urchristentume eine totale Verschiedenheit, die sich daraus er-
klärt, dass ein authentisches Bildnis Christi nicht überliefert worden ist, und auch
die litterarischen Quellen, die Evangelien vornehmlich, im Stiche lassen. Freilich
gab es bereits in sehr frühen Zeiten eine Unmenge von Christusbildern, aus leicht
erklärlichen Gründen — der Vortragende stellte eine Reihe diesbezüglicher Zeug-
nisse zusammen. Gewisse Sekten, wie z. B. die Karpokratianer, behaupteten,
im Besitze authentischer Portraits zu sein. Dennoch gehört alles in dieser Be-
ziehung in Wort und Bild Vorhandene ins Gebiet der Idealschöpfung, deren Ent-
wicklung an der Hand vorhandener Denkmäler sich bis jetzt freilich nur in
grossen Zügen verfolgen lässt.
In der sepulcralen Kunst, die zwar nach ihrer Formensprache wie Technik
zunächst in der Antike wurzelte, finden sich die ersten Typen Christi. Die Vor-
stellungen von Christus als dem wundermächtigen Gotte wurden zunächst in der
Gestalt von Symbolen bildlich gefasst; und der Vortragende gab eine Übersicht
von den vornehmsten Symbolen, die auf Christus Bezug haben, in möglichst
chronologischer Folge. Dann tritt die unmittelbare Darstellung Christi ein, auf
Katakombenbildern, Sarkophagen, endlich in Mosaiken, in den Geschichten von
der Geburt des Herrn bis zu seinem Tode und seiner Wiederkehr als Weltenrichter.
Zwei Typen begegnen da zunächst, die die Grundlage für alle weitere Entwicklung
bilden, beide wiederum Idealschöpfungen, also gleichsam ohne Verbindlichkeit:
einmal der Typus des schönen, jugendlichen Mannes, unbärtig, mit kurzem krausem
Haare, mit langer Tunica und mit Sandalen an den Füssen. Dann ein zweiter
Typus, der bisweilen fälschlich auch wohl der historische oder kallistinische
genannt worden ist, obwohl auch hier das Produkt l'reiwaltender Phantasie vorliegt.
Bei dem Bestreben nach Würde, Hoheit und Majestät des überirdischen Gottes-
sohnes wird ein bärtiger Typus geschaffen, offenbar wie der erste unter dem Ein-
flüsse der Antike, der in der Folgezeit, entsprechend der allgemeinen Entwicklung
der Kunst, in der Byzanz und der Osten dominieren, zu jenem länglichen, birn-
förmigen Oval mit hoher Stirn, bis auf die Schultern herabfallendem, gescheiteltem
Haare, mit Bart und zuletzt mit finsterem Ausdrucke sich umwandelt, wie es z. B.
von Triumphbögen und Apsiden der grossen römischen Basiliken her hinlänglich
bekannt ist. Längere Zeit mit jener ersteren Darstellungsweise parallel gehend,
herrscht er seit dem Beginne des 5. Jahrh. etwa immer ausschliesslicher, dabei
nach dem Können des Einzelnen wie nach den Anschauungen und den Geschmacks-
richtungen der Zeiten und Nationen unendlicher Variation fähig.
Im Abendlande lässt sich in der weiteren Entwicklung zunächst ein Prozess
verfolgen, der auf Vermenschlichung der Gestalt Christi ausging. Besonders io
den Passionsscenen ist derselbe aus naheliegenden Gründen zu konstatieren. Die
Protokolle.
115
späte, von Byzanz abhängige mittelalterliche Kunst hat z. B. die widerlichsten
Bilder des in körperlicher Qual sich zusammenkrampfenden Christus am Marter-
holze geschaffen. Die Blüteperioden der Kunst haben dagegen gemeinsam, dass
realistische Züge im Dienste einer durchaus idealen Auffassung, als Mittel zum
Zwecke also, verwandt werden, und eine Reihe von auch in formaler Beziehung
schönen Christusgestalten erscheinen. Besonders in der italiänischen Kunst lässt
sich diese Entwicklung verfolgen, z. B. im Zeitalter Giottos, in Deutschland in
der Blütezeit der Kunst im Zeitalter der Staufer (Hauptwerk der Crucifixus in
Wechselburg), während die darauf folgende Gothik in germanischen Ländern zu
keiner irgendwie bemerkenswerten und eigenartigen Darstellung Christi gelangen
konnte. Auf Giotto folgte zu Beginn des 15. Jahrh. Masaccio, und der von diesem
grossen Meister in der Brancacci-Kapelle zu Florenz geschaffene Christus wird für
die Renaissancezeit die Grundlage. Drei Richtungen lassen sich von Masaccio,
auch was die Darstellung Christi anlangt, ableiten. Einmal die krass realistische, die
auch in Deutschland zuletzt (z. B. in H. Holbein d. J.) Vertreter findet: Donatello,
Andrea del Castagno u. a. wurden hier genannt. — Sodann die klassisch-formale
Larstellungs weise: Ghiberti, Brunelleschi (mit Unterschieden), A. del Yerrocchio,
später Sansovino, Correggio und Tizian sind hier als Vertreter aufzuführen, zuletzt
im Anschlüsse an die Antike Michelagniolo und in totaler Veräusserlichung des
Typus: P. P. Rubens. Endlich die klassisch-idealistische Richtung, als deren Haupt-
meister Fra Angelico, Fra Hartolommeo und Raffael in erster Linie gelten können.
Der fast zweistündige Vortrag wurde durch eine äusserst grosse Anzahl von
Lichtbildern unterstützt, bei denen der Redner eine Fülle von speciellen Erläute-
rungen stilistischer wie auch ganz besonders inhaltlicher Art gab. Für einen zweiten
Vortrag ist die Fortführung des Themas bis zur Gegenwart in Aussicht genommen
worden. [K. Frey.]
Am Schluss der Sitzung wurde der bisherige Vorstand wiedergewählt.
Freitag', den 26. Januar 1900. Herr Geh. Sanitätsrat Dr. Max Bartels
sprach über den Herd. Sein Vortrag wurde illustriert durch Photographien und
besonders durch eine reiche Zahl von höchst anschaulichen und wirksamen Kreide-
zeichnungen, die Fräulein Julie Schlemm hergestellt hatte. Der Redner ging
davon aus, dass sich an die Feuerbereitung, eine der grössten und wichtigsten
Menschlichen Erfindungen, die Konstruktion mannigfacher Geräte zur Erzeugung
des Feuers und zu seiner Verwertung anschloss. Die Feuerstätte ist älter als das
Haus, und als man an ihr Speisen zu bereiten begann, wurde früher gebraten als
gekocht: denn zum Bratspiess genügte schon ein gespitztes Holz. Man briet bereits
1,1 der paläolithischen Periode: der Vortragende wies einen unter paläolithischen
besten gefundenen Tierzahn aus Mähren mit daran haftenden Kohlenstücken vor. In
der neolithischen Periode wird schon gekocht, wie Topfscherben aus ihr beweisen,
•^em Zusammensinken der Holzscheite beugte man durch untergelegte Steine vor,
den Wind wehrte man durch Steinsetzungen um die Feuerstätte ab. Eine feste
frerdstelle bildet sich bei einiger Sesshaftigkeit aus. Sie wird wegen der Feuers-
gefahr ausserhalb des Wohnraumes angebracht und bekommt mitunter ihr besonderes
Schutzdach. Bisweilen befinden sich unter ihm nebeneinander die Feuerstellen
Mehrerer Familien. Kochtöpfe giebt es zunächst noch nicht; man röstet das
fleisch auf seinem Fell. In Europa kommen Töpfe zuerst in der jüngeren Stein-
zeit vor. Sie haben einen halbkugeligen Boden, müssen also durch dagegen ge-
igte Steine gestützt werden, bis man einen Ring von Thon erfand. Dann ging
Man zum flachen Boden über, brachte Henkel, Griffe, Stiele an. Um den Inhalt
schneller zum Kochen zu bringen, wurden auch glühend gemachte Steine hinein-
116
Roedigcr: Protokolle.
geworfen. Allmählich giebt man dem Topf einen ausladenden Rand, unter den
eine Schlinge gelegt werden kann, so dass sich der Topf über dem Feuer auf-
hängen lässt. Das Gestell bilden drei aneinander gelehnte Stangen, dann ein
Galgen; der Kesselhaken' tritt hinzu. Aber auch auf Töpfe mit Beinen, sogen
Grapen, verfällt man. Wir finden sie schon in Hissarlik. Durch Ablösung der
Beine gelangt man zum Dreifuss. — Nachdem man mit der Behandlung des Feuers
vertrauter geworden war, legte man die Herdstelle in die "Wohnhütte selbst. Noch
brennt das Feuer auf der Erde und hat der Rauch kein besonderes Abzugsloch,
selbst dann noch nicht, als der Raum des Hauses wächst und eingeteilt wird.
Derartige Rauchhäuser finden sich heute noch selbst in Deutschland, z. B. im
Lippischen. Der Sitz am Feuer ist ein bevorzugter Platz, der dem Hausherrn
und Gast gebürt. Auch ebenerdige Feuerstellen giebt es noch jetzt, nur dass man
sie mit einem Rande von Steinen umzieht. Es dauerte lange, bis man sie zu be-
quemerer Hantierung erhöhte. Der Herd hat seinen Platz gegenüber der Eingangs-
thür oder an einer Seitenwand oder in einer Ecke; aber auch bewegliche Herde
stellte man her, Holzkasten mit Thonfüllung, die in der Mitte eine Mulde hat.
Man kennt sie in Dänemark, ähnlich in Japan. Auch gebacken wurde auf dem
Herde, wie sicher der Rigveda bezeugt. Da das Kochen dadurch gestört ward,
so legten die Germanen besondere Backöfen ausserhalb des Hauses an. Noch
fehlen Löcher für die Töpfe im Herde, die Feuerung unterhalb der Platte und das
Heizloch, die erst erstaunlich spät erfunden werden. Dagegen verbessert man den
Rauchabzug: man zieht vor dem Herd eine Querwand, bringt eine zweite Decke
unter dem Dach an, die nur lose gefügt ist und dem Rauche den Durchgang ge-
stattet, so dass er sich über ihr ansammelt und eine Räucherkammer entsteht,
Rauchfang und Schlot treten hinzu, zuerst aus Brettern. Der Schlot lässt sich
am bequemsten aussen anbauen, weswegen man den Herd in die Ecke rückt, in
eine Nische. In Russland wächst sich der Herd zum ungeheuren Ofen aus. Bänke
umziehen ihn, man sitzt und liegt auch auf diesem Ofen. Einen wirklichen Herd
besitzen aber noch die Badstuben, und er stellt wohl die frühere Form des Herdes
dar. Vor Erfindung des Feuerns unter der Platte umstellte man mitunter das
freie Feuer, um das Russen im Herdraum zu lindern. Herr Waiden erinnerte an
das Einhüllen der Braten in Lehm, das geübt wird, wenn eine Pfanne mangelt;
daran, dass das Braten auf dem Lande jetzt ganz verloren gegangen ist; dass man
zwar nicht mehr erhitzte Steine, aber noch glühende Eisen in den Topf legt, um
das Sieden des Wassers zu befördern, u. s. w. In Ostfriesland lebt alles in der
Küche. Neben der Gebrauchsküche besteht eine Prunkküche, in die man Fremde
geleitet. — Herr Geheimrat Weinhold legte die bisher erschienenen hessischen
Trachtenbilder von Prof. Justi vor, über die oben S. 111 zu vergleichen ist.
Er erstattete den Jahresbericht über die Thätigkeit des Vereins, der Schatzmeister
Herr Alexander Meyer Cohn den Kassenbericht. Wir verdanken es der von
neuem gütig gewährten Unterstützung des hohen Unterrichtsministeriums, dass er
nicht ungünstig ausfiel. In den Ausschuss wurden gewählt Fräulein Lemke und
die Herren Bartels, Priedel, Mielke, Boite, Marelle, Erich Schmidt, Moebius, Bastian,
Voss, Kossinna, Waiden. Da letzterer die Wahl ablehnte, trat Herr Rich. M. Meyer
an seine Stelle.
Max Roediger.
Was können die Toten?
Yon Dr. Max Bartels.1)
Wenn des Menschen letztes Stündlein geschlagen hat, wenn der Tod,
°der nach südslavischer Anschauung die Todesfrau, an das Fussende des
Bettes herangetreten ist, wenn nach dem talmudischen Glauben der Juden
der Todesengel den bitteren Tropfen von der Spitze seines Schwertes in
den Mund des Kranken hat fallen lassen, dann scheidet sich die Seele von
dem Körper. Nicht immer ist es nur eine Seele; in dem Glauben vieler
K ölker sind es deren zwei; aber auch an das Vorhandensein von dreien
°der sogar yon vier Seelen wird von einzelnen Volksstämmen geglaubt.
Das Schicksal dieser Seelen wollen wir hier nicht weiter verfolgen. Das-
selbe ist vor einiger Zeit in unserem Vereine in ausführlicher Weise von
Herrn Geheimrat Bastian erörtert worden.
/
Wir bleiben bei dem entseelten Leichnam zurück. Der liegt nun da,
starr und kalt, ein stummer Mann, als die leblose irdische Hülle des
Renschen.
Aber haben wir uns denn wirklich nun den Toten als einen völlig
willenlosen, unbelebten Gegenstand zu denken, dem jegliches versagt und
zu Ende ist, was an eine Lebeusäusserung erinnern könnte? Der Glaube
des Volkes ist nicht dieser Ansicht, denn er weiss von den Toten vieles
Zli berichten, was in ganz vollkommener Weise an das Gebahren der
Lebenden erinnert. Dergleichen abergläubische Anschauungen sind nicht
ai)f die Völker Europas beschränkt. Wir vermögen sie vielmehr auch
hei vielen Volksstämmen anderer Kontinente nachzuweisen. Somit haben
wir daher eine der Menschenseele im allgemeinen innewohnende Auffassung
111 dieser Anschauung zu erblicken, also eine Äusserung des Völker-
gedankens.
Es ist der Menschenseele eben auf kindlichen Stufen der Kultur un-
fftssbar, dass der Freund oder der Angehörige, der eben noch zur Stunde
a^e Zeichen des Lebenden erkennen liess, nun plötzlich völlig ohne Lebens-
äusserungen sein soll, tot und unbelebt, wie der Hauklotz des Hauses oder
1) Vortrag am 27. Januar 1899 im Verein, für Volkskunde gehalten.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900, 9
118
Bartels:
wie der Stein, der die Schwelle bildet. Wir sind somit also vollberechtigt,
in der Volkskunde die Frage aufzuwerfen :
Was können die Toten?
Eine der ersten Lebensäusserungen, die man an dem Toten bemerken
ltaiin, hat schon bald nach seinem Sterben statt. Sie ist noch im Sterbe-
zimmer zu beobachten, bevor er zu seinem letzten Gange fertig gemacht
wurde. Macht der Tote nämlich auf seinem Schrägen oder auf dem Leichen-
brette, oder wie man ihn sonst aufgebahrt haben mag, ein zufriedenes,
freundliches Gesicht, dann weiss man bei den Mecklenburgern1) ganz
genau, dass ihm bald ein Familienglied nachfolgen werde. Sein Gesicht
drückt somit seine Befriedigung aus, dass er nun nicht lange so einsam
und langweilig in der Grabesnacht zu liegen brauche, sondern dass ihm
bald eine Gesellschaft wird. Wenn seine Miene aber eine angstvolle ist,
dann sind seine Angehörigen gesichert. Es braucht sobald keiner zu ihm
hinunter.
Wenn der Tote eines seiner Augen immer wieder öffnet, so oft man
auch den Versuch macht, es ihm zu schliessen, so wissen die Griechisch
Orthodoxen in Bosnien und der Hercegovina2), dass er einen, der
ihm lieb war, nicht mehr gesehen habe. Nach diesem blickt er sich also um.
Auch in der Oberpfalz3) hat man einen ähnlichen Glauben.
Bei den Süd-Slaven4) scheint der Tote sich aber nach demjenigen
umzusehen, der ihm in den Tod folgen soll. Wenigstens gilt ihnen das
offenbleibende Auge für eine Todesvorbedeutung. Und in Kroatien,
Slavonien und auch in Kärnten weiss man, dass der dem Verstorbenen
bald Nachfolgende aus der nächsten Verwandtschaft sein wird, wenn das
rechte Auge offen bleibt, dass er aber ein entfernter Verwandter sein
werde, wenn das linke Auge sich nicht scliliesst. Auch sagen sie, dass
das offenbleibende rechte Auge den baldigen Tod eines männlichen, das
linke Auge den eines weiblichen Verwandten bedeute. Ähnlich ist der
Glaube in der Oberpfalz3), nur dass hier nicht das Geschlecht des zu-
künftigen Toten, sondern die Verwandtschaftslinie, der er angehört, an-
gezeigt wird.
So lange die Leiche über der Erde steht, ruht bei vielen Stämmen
jede Arbeit im Hause, und namentlich ist das Spinnen und das Backen
streng verboten. Die Masuren5) geben dafür wahrscheinlich die ursprüng-
1) Bartsch, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Bd. II, 8. 90 (285).
Wien 1880.
2) E m il i an Lilek, Volksglaube und volkstliümlicher Cultus in Bosnien und der
Hercegovina. Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegovina. Bd. IV,
S. 402. Wien 18%.
3) Schönwerth, Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen. Augsburgs 1857. I, S. 261-
4) Krauss, Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. Bd. II, S. 188. Berlin 1892.
5) M. Toppen, Aberglauben aus Masuren. 2. Aufl., S. 106. Danzig 1867.
Was können die Toten?
119
liehe Ursache an; denn sie sagen, dieses geschehe, damit der Verstorbene
die nötige Ruhe habe.
In Ostpreussen1) stellt man dem Toten eine Tasse mit Kaffee hin,
•denn „vielleicht hat er Appetit", sagen die Leute.
Toppen2) schreibt, dass beim Begräbnismahle bei den Ostpreussen
ein eigener, mit Speise und Trank besetzter Platz für den Toten offen
gelassen wird. Die alten Preussen luden ihre Verstorbenen in aller
Förmlichkeit zum Totenmahle ein und warfen die für sie bestimmten
Speisen unter den Tisch und gössen ebenso auch von dem Getränke für
sie auf den Boden. Speisen sollen in manchen Gegenden dem Toten auch
in den Sarg gelegt worden sein.
An vielen Orten giebt man dem Toten das ihm einst Gehörende mit
in den Sarg oder wenigstens in das Grab. Im Yoigtlande8) legt man
ihm sogar seinen Regenschirm und seine Gummischuhe zur Seite, und in
Bosnien4) ist es gebräuchlich, den Kindern auch ihre Schulhefte und ihre
Schiefertafel in den Sarg zu legen.
Dass die Sitte derartiger Totenbeigaben über den ganzen Erdkreis
Verbreitet ist, und dass sie bereits auch vor Jahrtausenden in Kraft gewesen
War. das ist eine zu bekannte Thatsache, als dass sie hier besprochen
Werden brauchte. Ein grosser Teil der reichen Schätze, welche unsere
archäologischen Museen bergen, haben wir diesem Gebrauche zu danken.
Der Tote bekommt seine Lieblingsstücke mit, weil er deren im Toten-
reiche bedarf, ganz ebenso, wie ihm vieler Orten Weiber, Sklaven und
Rosse mitgegeben wurden, oder wie man ihn in Skandinavien in und mit
seinem Wikiiigerschiffe begrub.
In Zezenow in Hinterpommern5) giebt man dem Toten ein Ge-
sangbuch mit in den Sarg, damit er singen kann. Aber die Hinter-
ponimern nehmen auch an, dass der Tote im Grabe sich langweilen
könne. Damit er nun einen Zeitvertreib habe, wird ihm ein Fischernetz
toit in den Sarg gegeben. An diesem knüpft der Tote die Maschen auf,
Und damit hat er lange Zeit zu thun; denn es gelingt ihm immer nur im
^ erlaufe eines Jahres eine einzige Masche zu lösen.
Die Trauerversammlungen der Freunde und der Angehörigen im
' rauerhause bieten selbstverständlich fast aller Orten die Gelegenheit, die
Charaktereigenschaften des Verstorbenen in ausgiebiger Weise durchzu-
sprechen. Nach dem Glauben der alten Israeliten bleibt dem Toten
1) E. Lemke, Volkstümliches in Ostpreussen. I, S. 59. Mohrungen 1884.
2) Toppen a. a. 0. S. 111.
3) Joh. Aug. Emst Köhler, Volksbrauch, Sagen und andere alte Überlieferungen
'm \ oigtlande, S. 441. Leipzig 1867.
4) Lilek a. a, 0. S. 406.
5) Otto Knoop, Volkssagen, Erzählungen, Aberglauben, Gebräuche und Märchen
ilUs dem östlichen llinterpommern, S. 164 (92. 95). Posen 1885.
9*
120
Bartels :
das Gesprochene nicht verborgen. So findet sich im M i drasch Kohelet1)
die Stelle:
„Rabbi Sera sagte: „Der Tote im Sarge hört das ihm gespendete
Lob wie im Traum."
Die Anschauung, dass der Tote noch zu hören vermöge, tritt uns auch
an anderen Orten entgegen:
Wenn der Tote zu seinem letzten Gange bereit ist, dann treten im
Yoigtlande2) die Familienglieder an ihn heran, um in aller Form von
ihm Abschied zu nehmen. Die jüngsten Y erwandten fangen an und so
tritt jeder Einzelne der Reihe nach hinzu, giebt dem Verstorbenen die
Hand und spricht dabei die Worte: „Ruhe sanft in Gottes Namen."
Trägt man bei den Wenden in der Oberlausitz3) den Sarg zum
Sterbehause hinaus, so muss er auf der Schwelle dreimal niedergesetzt
werden, damit der Tote sich ausruhen kann. Sie sagen dann: „Wir wollen
ihn auf der Schwelle ein bisschen ausruhen lassen."
Bei der Beerdigung tritt nun auch oft der Verstorbene schon in volle
Thätigkeit. Er besitzt nämlich das Y ermögen, Krankheiten in sein Grab
mit hinunter zu nehmen. Dieselben müssen ihm, nur in entsprechender
Weise mitgegeben werden. Dieser Glaube ist sehr weit verbreitet. Meisten-
teils ist es notwendig, dass der Tote den erkrankten Körperteil mit seiner
Leichenhand überstrichen habe. Oder es werden ihm Stückchen der er-
krankten Teile oder Yerbandmaterial von ihnen mit in den Sarg hinein-
gelegt. Aber mit Hilfe von Zauberformeln kann man auch auf gewisse
Entfernung hin dem Toten die Krankheit übergeben, wenn er bei dem
Leidenden vorbeigetragen wird.
Wenn bei den Masuren4) der Totengräber das Grab verlässt, dann
wandelt der Tote neben ihn her. Der Totengräber redet dann folgender-
massen zu ihm: „Habe ich Dein Bett gut gemacht? Wenn ich es Dir
nicht gut gemacht habe, so werde ich es besser machen." Danach erst
geht der Tote beruhigt in sein Grab.
Nun hat man den Verstorbenen zu seiner letzten Ruhe bestattet. Aber
nicht einem jeglichen Toten ist es beschieden, im Grabe nun auch wirklich
die erhoffte Ruhe zu finden. Denn viele Tote kommen bekannterrnassen
wieder, wie ein weit verbreiteter Volksglaube behauptet. Darum müssen
bereits bei der Aufbahrung, bei der Überführung zum Grabe und bei der
Beerdigung allerlei Vorschriften beachtet und allerlei Massnahmen getroffen
werden, um dieses unliebsame Vorkommnis zu verhindern. Dieses alles
hier durchzugehen, würde zu weit führen. Zu berücksichtigen haben wir
1) Aug. Wünsche, Der Midrasch Kohelet, S. 126. Leipzig 1880.
2) Köhler a. a. O. S. 253.
3) Köhler a. a. 0. S. 253.
4) Toppen a. a, O. S. 110.
Was können die Toten?
121
aber, dass man bei gewissen Toten unter allen Umständen eine "Wiederkehr
erwartet, wenigstens auf eine bestimmte Zeit.
Bei den Masuren1) glaubt man, dass dieses bis zum dritten, fünften,
neunten oder fünfzehnten Tage geschehe, oder bis zum Ablaufe von vier
Wochen. Man stellt ihm einen Stuhl ins Sterbezimmer und hängt ihm
ein Handtuch an die Thür. Auf dem Stuhle lässt er sich zum Ausruhen
nieder. Er weint dann sehr und trocknet sich danach an dem aufgehängten
Handtuche die Thränen ab. Nach diesem Besuche kehrt er dann nicht
wieder.
Besonders weit verbreitet aber ist die Anschauung, dass eine von dem
Tode dahingeraffte junge Mutter sechs Wochen lang allnächtlich wieder-
kehre, um ihr auf der Erde zurückgelassenes Neugeborenes zu säugen und
zurechtzulegen. Damit dies ordentlich geschehen könne, muss ihr alles
Nötige zurechtgestellt werden, und ihr wird auch allabendlich in gewohnter
Weise ihr Bett hergerichtet, das man dann am anderen Morgen einge-
knittert findet, als Beweis, dass sie darin geschlafen hat. Dass diejenigen
Verstorbenen, welche eine Sünde, ein Geheimnis oder einen Gram auf
dem Herzen haben, in dem Grabe nicht ruhen können, das ist eine all-
gemein bekannte Thatsache. Aber hier vermischt die Yolksphantasie
vielfach den Toten selber mit seiner umherirrenden Seele. Und von den
Seelen und Gespenstern soll hier nicht die Rede sein. Sicherlich ist in
fielen Fällen der Tote aber wirklich selber gemeint.
So empfing eine Ruthenin in Kluczów2) ein ganzes Jahr hindurch
Jede Nacht einen höchst unliebsamen Besuch ihres Eheherrn. Die Frau
erbat sich Rat und Hilfe, denn der Mann kniff sie und biss sie und liess
sie nicht schlafen. „Da hiess man sie, Mohn zu sich ins Bett zu nehmen,
den Kopf mit einem Kleidungsstücke zu umbinden, ihn dann mit einer
grossen Schüssel zu bedecken, eine Kerze anzuzünden und dann den Toten
zu erwarten. Komme er, so solle sie ihm den Mohn in das Gesicht streuen.
Er kam wirklich; sie begriisste ihn, wie es ihr vorgeschrieben war. Da
fragte er verwundert, wer ihr Ratgeber gewesen sei. Statt der Antwort
fuhr sie fort, den Mohn zu werfen. Er geriet in Wut, stürzte auf sie los
Und riss ihr mit aller Kraft die Schüssel vom Kopfe. Uberzeugt, er habe
*hr den Kopf abgerissen, machte er sich auf die Flucht. Die Thür warf
er so heftig zu, dass sie sich von oben bis unten spaltete, und morgens
fend man die Schüssel zerschlagen in Scherben weit von der Hütte. Seit-
dem hörten seine Besuche auf."
Sicherlich handelt es sich auch um den Verstorbenen selber, wenn wir
hören, dass er zu der den Toten freigegebenen Stunde, also um Mitter-
1) Toppen a. a. 0. S. 111.
2) Wladimir Bugiel, Aus dem rutenischen Volksglauben. Zeitschrift für öster-
leichische Volkskunde. Jahrg. I, S. 295. Wien 1895.
122
Bartels:
nacht, sein Grab verlassen hat und nun nicht in dasselbe zurückzukehren
vermag, weil ihm sein Totenhemd entrissen wurde. Hier sei an Goethes
Gedicht vom Türmer1) erinnert, und eine Erzählung der Siebenbürg er
Sachsen2) möge hier zur Bestätigung ihre Stelle finden:
„Eine Bäckennagd, die nachts um Bier geschickt, über den Kirchhof
zur Schenke ging, sah eine weisse Gestalt auf einem Grabe kauern. Sie
meinte, es sei ihr Geliebter, der Bäckergeselle, ging also auf die Gestalt
zu, zog ihr das Hemd aus und eilte davon. Es war aber nicht ihr Ge-
liebter gewesen, sondern ein Toter, der in der nächsten Nacht ans Fenster
der Maid kam und sie aufforderte, ihm das Hemd an derselben Stelle
wieder anzuziehen. Wie sie dies in der folgenden Nacht in Begleitung
des Bäckergesellen that, umfasste sie der Tote und war im Nu mit ihr
verschwunden."
Die Toten, die um Mitternacht ihrem Grabe entsteigen, lassen sich
nachher auf demselben nieder, oder sie führen auf dem Friedhofe einen
schauerlichen Totentanz auf. Dem einen oder anderen ist es auch gestattet,,
weitere Wanderungen zu unternehmen. In dem Talmud wird der Glaube
erwähnt, dass die Toten die Fähigkeit besitzen, in der Nacht spazieren
zu fliegen. Es ist dem Wortlaute nach allerdings nur von einem Umher-
schweifen die Rede. Da dieses Umherschweifen sich aber bis zu dem
Vorhänge des Himmels ausdehnt, so kann das natürlicherweise nur ein
Fliegen sein.
Wenn den Toten nun aber dieses nächtliche Umherschweifen möglich
sein soll, so ist es dazu erforderlich, dass sie ein anständiges Begräbnis
erhalten haben. Wir ersehen das aus folgender Geschichte3): „Es ereignete
sich bei einem Frommen (es soll Rabbi Jehuda, der Sohn des Baba
oder Rabbi Jehudah, Sohn des Hai gewesen sein), dass er gab einen
Denar einem Armen am Yorabende des Neujahrs in einem Jahre der
Hungersnot. Da seine Frau zürnte, ging er und übernachtete auf dem
Begräbnisplatze, und hörte, dass zwei Geister (d. h. zwei verstorbene
Mädchen) erzählten einer dem anderen. Es sagte die eine zu ihrer
Freundin: Komm mit mir! Wir wollen umherstreifen in der Welt und
wollen hören hinter dem Vorhänge, welches Leid kommen wird über die
Wrelt." Nach einer beigesetzten Erläuterung handelt es sich hier um „den
Vorhang Gottes, welcher am Neujahr alles bestimmt, was im ganzen Jahre
geschehen soll." Doch wir kehren zu unserer Geschichte zurück: „Es
sagte zu ihr (d. h. zu derjenigen, von der die Aufforderung ausgegangen
1) Der Todtentanz: Goethes Werke 1, 261 (Hempel)
2) Heinrich von Wlislocki, Volksglaube und Volksbrauch der Siebenbürgen
Sachsen, S. 199. Berlin 1893.
3) Talmud Babli, Traktat Berachoth, übersetzt von E. M. Pinner, Bl. 18. 2.
Berlin 1842.
Was können die Toten?
123
war) ihre Freundin: Icli kann nicht, denn ich bin begraben in einer Decke
von Rohr. Aber gehe Du, und was Du hörst, sage mir."
Die Arme kann also den Flug durch den Weltenraum nicht mit-
machen, weil ihr die Angehörigen aus Geiz oder Armut nicht ein ordent-
liches linnenes Leichentuch, sondern nur eine Matte aus Rohr umgelegt
hatten. Auf die Fortsetzung dieser Geschichte haben wir später noch
zurückzukommen.
Nicht immer bringen die Verstorbenen die ihnen freigegebene Mitter-
nachtsstunde unter freiem Himmel auf dem Friedhofe zu. In bestimmten
Nächten ziehen sie gemeinsam in die ihrem Begräbnisplatze benachbarte
Kirche, um dort einem Gottesdienste beizuwohnen, den ein ebenfalls bereits
verstorbener Priester abhält. Wehe dem Menschen, der aus Unkenntnis
der Verhältnisse unter diese schauerliche Schar der Frommen gerät!
Das begegnete einst einer Frau Evensen, die in einem-abgelegenen
Teile von Christiania1) lebte. „Sie wollte am Weihnachtsmorgen die
Frühpredigt hören. Als sie aufwachte, bemerkte sie, dass ihre Uhr um
halb zwölf stehen geblieben war, und durch ihr Fenster konnte sie sehen,
dass in der Kirche schon die Lichter brannten. Sie machte sich daher
schnell fertig und eilte zur Kirche. Es war auf der Strasse vollkommen
still, und sie sali nicht einen Menschen auf dem Wege. Als sie in die
Kirche kam, setzte sie sich in den Stuhl, in welchem sie gewöhnlich zu
sitzen pflegte; aber als sie sich umschaute, kam es ihr vor, als sähen die
Leute alle so bleich und seltsam aus, gerade als ob sie alle tot wären.
Sie erkannte niemand, dagegen glaubte sie viele schon früher gesehen zu
haben, wenn sie sich auch nicht erinnern konnte, wo dieses geschehen
War. Der Prediger, welcher auf der Kanzel erschien, gehörte nicht zu
der Geistlichkeit der Stadt; es war ein grosser, bleicher Mann, von dem
sie ebenfalls meinte, dass sie ihn kennen müsste. Er predigte gar schön,
Und man vernahm nichts von dem Husten und Räuspern, welches sonst
während der Frühpredigt am Weihnachtsmorgen stattzufinden pflegt, sondern
es war so still, dass sie hätte eine Nadel zur Erde fallen hören, ja so still,
dass ihr ganz angst und bange wurde."
„Als der Gesang wieder begann, beugte sich eine Frau, die neben ihr
Sfiss, zu ihr hin und flüsterte ihr zu: Wirf den Mantel lose um Dich und
geh, denn wartest Du, bis der Gesang zu Ende ist, so ist es um Dich
geschehen. Es sind die Toten, die ihren Gottesdienst halten."
Jetzt ward der Frau angst und sie erkannte in der Sprechenden ihre
-Nachbarin, die vor vielen Jahren gestorben war, und auch in dem Prediger
ÜI1d den Gemeindegliedern erkannte sie nun längst Yerstorbene. „Das
Blut erstarrte ihr, so angst wurde ihr. Sie warf den Mantel lose um sich
1) P. Chr. Asbjörnsen, Auswahl norwegischer Volksmärchen und Waldgeistersagen,
übersetzt von H. Dehnhardt, S. 11. Leipzig 1891.
124
Bartels :
und ging- ihrer Wege. Aber dà war es ihr, als ob sich alle umwendeten
und nach ihr griffen; und die Beine wankten unter ihr, dass sie fast zu
Boden gesunken wäre. Als sie auf die Kirchentreppe hinauskam, fühlte
sie, wie sie am Mantel ergriffen wurde. Sie liess ihn los und eilte, so
schnell sie konnte, nach Hause. Kaum war sie an ihrer Haustliüre, so
schlug es ein Uhr, und als sie hineinkam, war sie fast halbtot, so ängstigte
sie sich. Am Morgen, als die Leute nach der Kirche kamen, lag der
Mantel auf der Treppe; aber er war in tausend Stücke zerrissen."
Die Ruth en en in Sopów1) kennen eine ähnliche Erzählung:
„Bin Mädchen verlor seine Mutter. Um sie noch einmal zu erblicken,
versteckte es sich hinter die Kirchenthür. Nachts füllten die Toten die
Kirche. Jeder aber, welcher an dem Mädchen vorüberging, beschwerte
sich: Es stinkt hier ein unreiner Geist. Da fingen sie endlich an zu suchen.
Aus Furcht zog sie ihren Schafpelz aus, liess ihn am Boden liegen und
versteckte sich auf dem Chor. Des Morgens kamen die Leute in die
Kirche und holten sie ab. Sie war aber so erschrocken, dass sie nichts
sprechen konnte, und der Schafpelz lag, in acht Stücke zerrissen, an ver-
schiedenen Stellen der Kirche."
Eine ganz ähnliche Geschichte wissen auch die Masuren2) zu erzählen.
Auch liier zerrissen die Toten der Frau den Mantel, dessen Fetzen sich
Morgens auf den Gräbern fanden. Die Frau hatte solchen Schreck gehabt,
dass sie infolge desselben bald hinterher gestorben ist.
Da sind die Verstorbenen in der Oberpfalz3) doch freundlicher:
„Manche gingen schon um Mitternacht an dem Friedhofe zu Neustadt
vorüber, fanden die Kirche erleuchtet, traten ein und sahen im Schiffe der
Kirche die Verstorbenen der Gemeinde. Auf dem Altare aber brannten
Lichter, welche die noch lebenden Gemeindeglieder bedeuteten. Derjenige,
dessen Licht zuerst erlosch, musste zunächst sterben. Die Namen wurden
den Besuchern von einem Toten mitgeteilt, der ihnen bei der Thüre ent-
gegentrat."
Nach isländischem Glauben4) vermag ein Toter auch nachts die Ge-
liebte zu besuchen. Ein Kind, das solchem Verhältnis entstammte, war
ausgezeichnet durch Gaben des Körpers und Geistes. Herangewachsen,
wurde dieser Sohn des Toten zum Priester geweiht. Als er aber das
erste Mal in der Kirche den Segen sprechen wTollte, da stach ihn einer
aus der Gemeinde am Altare nieder und errettete auf diese Weise die
versammelten Gläubigen vor dem Untergang. Denn wenn der Totensohn
den Segen vollendet hätte, dann wäre die Kirche in die Erde gesunken.
1) Bugiel a. a. 0. S. 297.
2) Toppen a. a. 0. S. 114.
3) Schönwerth a. a. 0. I, S. 277 (10).
4) M. Lehmann - Filhès, Isländische Volkssagen. Aus der Sammlung von Jon
Arnason. I, S. 132. Berlin 18S9.
Was können die Toten?
125
Schon hatte sie begonnen zu versinken, da der Mann mit dem Erstechen
gezögert hatte. Yon dem Priester fand sich aber keine Spur; nur drei
Blutstropfen lagen vor dem Altare.
Dass das aber alles so kommen müsse, das hatte der Tote selber vor-
ausgesagt. Als er nämlich einst von seiner nächtlichen Wanderung zurück-
kehrte, fand er, dass eine beherzte Frau auf dem Rande des Grabes Platz
genommen und den Knäuel ihres Strickzeuges in das Grab hinunter-
geworfen hatte. Das machte dem Toten die Rückkehr unmöglich, und er
musste sich bequemen, über alles dieses ausführliche Auskunft zu geben,
bis die ihn examinierende Frau sich entschloss, den Knäuel aus dem Grabe
herauszunehmen. Nun legte er sich nieder und kehrte nicht mehr zurück.
Der Leichnam des Verstorbenen vermag im Grabe auch noch gewissen
körperlichen Veränderungen zu unterliegen. Hiermit meine ich natürlicher-
weise nicht den normalen Zersetzungsprozess, durch den der Mensch wieder
zur Erde wird, von der er genommen wurde. Hier ist etwas ganz anderes
gemeint. Im Volke weiss man allerlei merkwürdige Geschichten zu er-
zählen, nach denen diesem oder jenem Toten im Grabe noch erheblich
seine Nägel und seine Haare gewachsen sein sollen. Ja selbst die Zähne
sollen noch wachsen können. Henricus Kornmannus1) führt in seinem
Traktate: De miraculis mortuorum, d. h. Über die Wunder der
Föten, eine solche Beobachtung an. Danach sollen zur Zeit des Kaisers
I iberius in Sicilien einige Leichen ausgegraben sein, deren Zähne die
Länge eines Männerfusses übertrafen. Und dass demjenigen, der seine
Hand gegen die eigene Mutter erhoben hat, diese später aus dem Grabe
Nächst, das ist ja ein weitverbreiteter Glaube. Dass derselbe auf Wahr-
heit beruht, dafür weiss das Volk viele Beispiele anzuführen. Auch hierfür
bringt K ornmannus2) einen Beleg:
Eine Frau in Ingolstadt in Bayern hatte einen ungeratenen Sohn,
der sie nicht allein mit Worten, sondern sogar auch thätlich angriff. Da
die Mutter hiergegen nicht einschritt, wurde der Sohn von Gott selber
gestraft, indem ihn dieser in der Blüte der Jahre sterben liess. Als er
aber einige Tage im Grabe lag, wuchs ihm die Hand aus dem Grabe
heraus. Die Obrigkeit und die Geistlichen bestimmten nun einmütig, dass
die Mutter, welche die gegen sie erhobene Hand bei den Lebzeiten des
Sohnes zu strafen unterlassen hatte, nun an dem Toten die Strafe voll-
Zlehen müsse. Sie musste die aus dem Grabe gewachsene Hand mit Ruten
schlagen, bis sie blutete. Danach zog diese sich schnell in das Grab zurück.
Wir lernen aus der Erzählung von der aus dem Grabe gewachsenen
Hand zugleich, dass das Volk die Überzeugung hat, dass der Tote in
Seinem Grabe auch noch körperliche Schmerzen empfinden könne. Auch
1) Francofurti ad Moenum, 1694. III. c. 42, p. 92.
2) Ebenda III, c. 47, p. 94.
126
Bartels :
im Talmud1) begegnen wir diesem Glauben. Bei der Besprechung einer
Stelle aus dem Buche Hi ob heisst es: „Und es sagte Rabbi Jizchak:
Es ist schmerzhaft der Wurm für den Toten, wie die Nadeln im Fleische
des Lebenden."
Dass der Tote auch noch Druck empfinden kann, das ersehen wir aus
dem weit verbreiteten Wunsche, dass ihm die Erde leicht sein möge. An
manchen Orten sind, damit dieses auch wirklich geschieht, ganz bestimmte
Förmlichkeiten zu erfüllen.
Namentlich bei primitiven Völkerschaften herrscht ferner sehr häufig
auch die Anschauung, class der Tote dauernd der Zuführung von Speise
und Trank, ganz wie bei Lebzeiten, bedürfe. Dementsprechend finden
sich bei den Gräbern nicht selten Vorrichtungen, die von aussen direkt zu
dem Toten führen und durch die die Nahrung eingeschüttet wird. An
gewissen prähistorischen Gräbern lassen bestimmte Öffnungen vermuten,
dass sie ähnlichen Zwecken gedient haben mögen.
Yarrow2) bildet Weiber vom Stamme der Brulé-Sioux aus Nebraska
ab, wie sie dem Verstorbenen die ihm nötige Nahrung bringen.
Die Orientalisch-Orthodoxen in Bosnien und der Hercegovina3)
begiessen am siebenten Tage nach der Beerdigung das Grab mit Opfer-
wein. Von den Ärmeren wird Branntwein hierzu verwendet.
In China ist es nach dem Buche Wen-gun-zsja-li4) Gebrauch
gewesen, neben dem Sarge runde Körbe mit Fleisch gefüllt, sowie Körbe
mit Reis und Weizen und thönerne Gefässe mit Wein, gedörrtem Fleisch,
Essig und Fleischsuppen neben dem Sarge in die Erde zu graben. Der
Verfasser ist mit dieser Vorschrift unzufrieden und sagt: „Das alles ist für
den Leichnam des Entschlafenen selbst schädlich."
Dem Toten bleibt in seinem Grabe das Denken und das seelische
Empfinden erhalten. Er kann sich freuen und er kann sich grämen, er
vermag zu zürnen und er kann verzeihen, er kann über das Wohl und
Wehe seiner Dorfgenossen nachdenken und er kann sogar Rat erteilen.
Freude bereitet es dem Toten, wenn er von den Seinigen Geschenke
erhält, Totenopfer bei den primitiven Stämmen, Blumenspenden bei den
eivilisirten Völkern. Dass auch selbst unsere städtische Bevölkerung mit
der Niederlegung solcher Gaben am Grabe in vielen Fällen ganz sicherlich
unmittelbar an den dort unten ruhenden Toten sich wendet, das geht un-
1) Traktat Berachot. Bl. 18. 2. H. 14. 22.
2) H. C. Yarrow, A further contribution to the study of the mortuary customs of
the North-American Indians. First annual Report of the Bureau of Ethnology. Washington
1881. plate 16, p. 160.
3) Lilek a. a. O. S. 409.
4) Zwehtkoff, P., Häusliche Gebräuche der Chinesen. Aus dem Buche Wen-gun*
zsja-li ausgezogen. Arbeiten der Russischen Gesandtschaft zu Peking in China u. s.
Übersetzt von C. Abel und F. A. Meklenburg. Berlin 1858. Bd. I, S. 161.
Was können die Toten?
127
zweifelhaft daraus hervor, dass wir nicht selten auf den Gräbern der
Kinder festlich ausgeputzte Weihnachtsbäume beobachten können.
In der Nähe von Kalinovik in Bosnien sah Lilek1) auf einem
orthodoxen Friedhofe „mehrere geschmückte Stangen. Eine dieser am
Kopfende der Gräber aufgepflanzten Stangen endete in eine fünfzackige
Gabel. Auf jeder Gabel war ein bereits vertrockneter Apfel aufgesteckt.
Unterhalb waren Stücke von Schweiss- und Kopftüchern, Haarlocken,
Blumensträusschen und ein kleiner, runder Spiegel in einer Blechkapsel."
Gewisse Tote, die sich auf Erden eines besonders gottseeligen Wandels
befleissigten, vermögen auch noch von ihrem Grabe aus für die Lebenden
Heilung bringend und Segen stiftend zu wirken. Auf dieser Anschauung
beruht ja bekanntermassen ein Teil der Heiligenverehrung und des Reliquien-
kultus, wie diese von der katholischen Kirche gelehrt werden. Aber auch
die mohammedanischen Völker besitzen ihre Gräber der Heiligen, die zu
wichtigen Wallfahrtsorten werden. Es liessen sich hierfür viele Beispiele
geben aus allen drei Erdteilen, in welchen die Bekenner des Islam ihre
Wohnsitze haben. Mir selber ist es vergönnt gewesen, an zweien solcher
Heiligengräber zu verweilen. Das eine derselben befindet sich in der
Hercego vina in Blagaj an der Buna quelle wenige Kilometer von
M ostar. Es ist die letzte Ruhestätte eines mohammedanischen Glaubens-
helden.
Hier hat ein Frommer für den Gazi eine Tekia errichtet, ein Ge-
bäude, in dessen oberem Stockwerke die irdischen Reste des Heiligen
bestattet sind. Er ruht hier neben seinem Diener, jeder in einem einfachen
Holzsarge, welcher von Teppichen überdeckt ist. An der Wand daneben
hängt das Schwert und der Streitkolben des Heiligen, mit denen er die
Ungläubigen bekämpfte. Der Wächter stellt ihm allabendlich einen Krug
voll Wasser und ein Handtuch neben den Sarg. Denn der Tote verrichtet
dem Volksglauben nach in der Nacht die von dem mohamedanischen Ritus
Vorgeschriebenen Waschungen. An jedem Morgen findet sich, wie die
Gläubigen behaupten, der Krug bis zur Hälfte geleert und das Handtuch
Glicht. Für die mohammedanische Bevölkerung ist diese Tekia ein viel-
besuchter Wallfahrtsort.
Das andere mohammedanische Heiligengrab, das ich aus eigener An-
schauung kenne, befindet sich am Bosporus an der kleinasiatischen
^eite. Es liegt auf der Kuppe des Berges Bulgurlu, der sich hinter
Scut ari erhebt. Der Heilige, ein Scheich der Derwische, ist unter freiem
Himmel beerdigt. Sein Grab ist als ein sehr langes Rechteck von Feld-
feinen aufgebaut. Die grosse Länge deutet an, dass der hier Bestattete
6111 bedeutender Mann gewesen ist. Am Kopfende erhebt sich der Grab-
1) Lilek a a. O. S. 412.
128 Bartels:
stein, dessen oberes Ende einen grünangestrichenen Derwischhut bildet.
Eine dahinter errichtete grüne Holzplatte trägt eine ebenfalls grüne Holz-
kiste, die an ein Vogelbauer erinnert und wahrscheinlich zur Aufnahme
der Opfergaben dient. Eine Thonlampe von primitiver Form stand auf
der Brüstung des Grabes, das mit einer Cypresse bepflanzt war. Zahl-
reiche, sowohl an den Grabstein als auch an die Drahtumfriecligung des
Grabes gebundene Läppchen lieferten den Beweis, dass der Tote ein
wichtiger Heilungsspender in allerlei körperlichen Gebresten sei.
Wie bestimmte Tote hier Heilung gewähren können, so vermögen die
Verstorbenen im allgemeinen auch ihre Dorfgenossen vor Gefahren zu
warnen. So z. B. lassen sie in Bayern1) in den Gräbern ein Rauschen
hören, wenn eine Seuche in das Land kommen will.
Die Toten vermögen aber auch von ihrem Grabe aus günstigen Rat
zu erteilen. Es ist nur nötig, dass man ihn zu rechter Zeit zu erlauschen
vermag. Hier weiss wiederum der Talmud2) eine entsprechende Geschichte
zu erzählen. Der Anfang derselben wurde vorher schon berichtet. Es
handelte sich um den Rabbi Jeliuda, der im Anschlüsse an eine gute
That die Nacht auf dem Begräbnisplatze zubrachte und das Gespräch der
beiden Toten belauschte, von denen die in der Rohrdecke Begrabene den
Flug zum Himmel nicht mitmachen konnte. Von der anderen heisst es dann:
„Sie ging und streifte umher und kam zurück. Da sagte zu ihr ihre
Freundin: Freundin! was hast Du gehört hinter dem Vorhange? Jene
sagte zu ihr: Ich habe gehört, dass alles, welches man säen wird vor dem
ersten Frühregen (d. h. vor dem 17. des Monats), das wird der Hagel
schlagen. Darauf' ging er, nämlich Rabbi Jeliuda, und säete vor dem
zweiten Frühregen. Alle Saat von der ganzen Welt wurde geschlagen,
die seinige wurde nicht geschlagen." „Im anderen Jahre ging er (Rabbi
Jeliuda) und übernachtete auf dem Begräbnisplatze, und hörte dieselben
zwei Geister, welche erzählten einer dem anderen. Es sagt^ die eine zu
ihrer Freundin: Komme mit mir, und wir wollen umherstreifen in der
Welt und wollen hören hinter dem Vorhange, welches Leid kommen wird
über die Welt! Diese sagte zu ihr: Freundin! habe ich Dir nicht gesagt,
dass ich nicht kann? Denn ich bin begraben in einer Matte von Rohr.
Aber gehe Du, und was Du hörst, komme zu mir und sage mir! Sie ging
und streifte umher und kam zurück; da sagte zu ihr ihre Freundin:
Freundin! was hast Du gehört hinter dem Vorhange? Sie sagte zu ihr:
Ich habe gehört, dass alles, welches man säen wird vor dem zweiten Früh-
regen, dies wird der Brand schlagen! Darauf ging er und säete vor dem
ersten Frühregen. Alle Saat von der ganzen Welt wurde vom Brande
vernichtet, aber die seinige wurde nicht vom Brande vernichtet."
1) Friedrich Panzer, Bayerische Sagen und Bräuche. Bd. II, S. 29S. München 1855*
2) Traktat Berachoth. Bl. 18. 2.
Was können die Toten?
129
Hier ist der gute Rat der Toten also zufällig' erlauscht und er erscheint
zugleich im Lichte einer Belohnung für eine gute That.
Die Geschichte des Rabbi Jehuda lehrt uns zugleich, was wir aller-
dings auch schon aus einer der früheren Erzählungen zu ersehen ver-
mochten, dass die Toten sich im Grabe mit ihren Nachbarn unterhalten
können. Daher ist ihr Streben auch begreiflich, wenn sie in den Tod
gegangen sind, sich möglichst bald einen ihnen angenehmen Freund oder
Verwandten zu geselliger Zwiesprache nachzuholen.
Selbst in Yersen können die Toten reden und sich o-eo-enseitig; Grob-
O O O
heiten sagen. So wurde einst auf Island die alte Thorgunna1) begraben.
»Als man ihren Sarg in das Grab hineinsenkte, stiess derselbe auf die
Leiche eines Mannes, Namens Ani, welcher schon früher an derselben
Stelle beerdigt worden war." Da sagte die Tote:
Kalt á fótum
Ana Ijótum.
(„Kalt ist es an den Füssen bei dem hässlichen Ani.")
Dieser erwiderte aber sofort:
pacf er af pví a& fáir unna
porgunna!
(„Das kommt daher, dass wenige die Thorgunna mögen!")
Diese Thorgunna war nun allerdings eine ganz besondere Tote. Als
ßian ihren Sarg zur Kirche trug, war der Weg ein sehr weiter, und die
Träger mussten einen Bauern um ein Nachtquartier ansprechen. Der war
aber ein Geizkragen und gab ihnen nichts zu essen. Da erhob sich die
Tote und kochte ihnen die Abendmahlzeit und legte sich nach gethaner
Arbeit wieder in ihren Sarg.
Wie die Toten nun aber untereinander in dem Grabe reden können,
so ist es ihnen unter Umständen auch möglich, aus dem Grabe heraus für
die Lebenden vernehmbar und unmittelbar für diese bestimmt, ihre Stimme
erschallen zu lassen. Was sie dem Lebenden zu sagen haben, ist manchmal
eine Bitte, manchmal aber auch ein guter Rat, der dem Lebenden direkt
yon dem Toten erteilt wird. Solche Fälle weiss wieder Kornmannus2)
berichten. Er erzählt:
Simonides fand eineil Toten unbeerdigt auf dem Felde liegen und
dachte sich daran, ihn zu begraben. Er beabsichtigte aber, eine Seereise
anzutreten, und da forderte ihn der Tote auf, von diesem Vorhaben abzu-
stehen. Simonides folgte diesem Rate, und die anderen, welche sich
eingeschifft hatten, wurden sämtlich von den Wellen verschlungen.
Eine andere Geschichte von einem redenden Toten wird uns ebenfalls
v°u Kornmannus3) erzählt:
1) Konrad Maurer, Isländische Yolkssagen der Gegenwart, S. 61. Leipzig 1860.
2) a. a. O. IV, c. 31, p. 116.
3) a. a. 0. IY, c. 17, p. 108.
130
Bartels :
Ungefähr im dritten Jahre nach der Niederlage, welche Kaiser Sigis-
mund durch die Türken bei Nicopolis erlitten hatte, hörten das Schlacht-
feld Besuchende eine Stimme, welche den Namen Jesu Christi, des Er-
lösers, und der Jungfrau Maria rief. Als die Leute herzutraten, sagte der
Tote: Was stehet Ihr hier und staunet, Ihr Männer? Ich bin ein Christ,
der im Kampfe fiel, ohne die Beichte erlangt zuhaben. Die Mutter Maria
ist der Ansicht, dass ich nicht die ewige Verdammnis verdient habe. Darum
hat sie mir die Sprache erhalten, damit ich meine Sünden bekennen und
meine Seele unter den Apostolischen Heiligen wandeln könne, wenn ein
Priester mir die Absolution erteilt hat. Aus dem nächsten Orte wurde
nun ein Priester geholt, der die Beichte des Toten hörte und ihn feierlich
absolvierte. Seitdem ruht er in dem ewigen Frieden.
Im Buche Hi ob1) findet sich die Stelle:
„Sind seine Kinder in Ehren, das weiss er nicht,
Oder ob sie geringe sind, des wird er nicht gewahr."
Nach dem Wortlaute des Verses 14 ist es wahrscheinlich, dass mit
demjenigen, welcher von dem Ergehen der Seinigen nichts weiss, der Tote
gemeint ist. In einem Gespräche der T almudist en2) wird die gleiche
Anschauung ausgesprochen :
„Ihre eigenen Qualen empfinden sie, aber von der Qual eines anderen
wissen sie nichts."
Dass dieses aber keineswegs damals die allgemeine Auffassung war,
das gellt sofort schon aus dem weiteren Verlaufe dieser Unterredung hervor.
Denn Rabbi Jehuda, welcher nach Rabbi Jizchaks Berichte in der
Neujahrsnacht die Unterhaltung der beiden toten Mädchen belauschte, hatte
die grosse Unvorsichtigkeit begangen, über seine nächtlichen Ergebnisse
gegen seine Frau nicht reinen Mund zu halten. Der Talmud2) fährt in
seiner Erzählung fort:
„Es sagte zu ihm (dem Rabbi Jehuda) seine Frau: Warum ist im
vorigen Jahre alle Saat von der ganzen Welt geschlagen worden und Deine
wurde nicht geschlagen? Er erzählte ihr alle diese Dinge. Man erzählte:
Es waren nur wenige Tage verflossen, als ein Streit vorfiel zwischen der
Frau dieses Frommen und der Mutter dieses Mädchens (welches in einer
Decke von Rohr begraben war). Sie sagte zu ihr: Gehe mit, und ich will
Dir zeigen Deine Tochter, dass sie begraben ist in einer Decke von Rohr!"
„Im anderen Jahre ging er (Rabbi Jehuda) und übernachtete auf
dem Begräbnisplatze und hörte dieselben zwei Geister, welche erzählten
einer dem anderen. Es sagte die eine: Freundin! komme mit mir, wir
wollen umherstreifen in der Welt und wollen hören hinter dem Vorhange,
welches Leid kommen wird über die Welt! Diese sagte zu ihrer Freundin-
1) K. 14, V. 21.
2) Traktat Berachoth 18. 2.
Was können elio Toten?
131
Lass mich, denn die Worte zwischen mir und Dir sind längst gehört
worden unter den Lebenden."
„Also wissen sie ja!" fügt der Erzähler hinzu.
Auch noch an einer anderen Stelle des Talmud wird dieses Wissen
der Toten bestätigt:
„Rabbi Chi ja und Rabbi Jonathan sprachen miteinander und
gingen auf den Begräbnisplatz. Da entfiel ein himmelblauer Faden dem
Rabbi J onathan. (Es war das einer von den Schaufäden, welche jeder
Israelit an den vier Ecken eines viereckigen Kleides gebunden tragen
soll.) Es sprach zu ihm Rabbi Chija: Hebe ihn auf, damit sie (die
Toten) nicht sagen: Morgen kommen sie zu uns, und jetzt spotten sie
Unserer! Jener sagte zu ihm: Wieso wissen sie dies alles? Es steht ja
geschrieben (Prediger 9. 5):
„Und diese Toten wissen nicht das Geringste."
Dieser sagte zu ihm, wenn Du diese Worte gelesen hast, so hast Du
sie nicht zweimal gelesen; hast Du sie zweimal gelesen, so hast Du sie
nicht dreimal; hast Du sie dreimal, so hat man sie Dir nicht erklärt."
In unserer ersten Erzählung äussert Rabbi Jizchak die Vermutung:
„Vielleicht ist ein anderer Mensch unterdessen krank gewesen und
dahingegangen, und hat es ihnen gesagt."
Somit nimmt er also an, dass die frisch Begrabenen den schon länger
auf dem Begräbnisplatze ruhenden Toten die Neuigkeiten erzählen, die
sich nach ihrem Dahinscheiden auf der Erde zugetragen haben.
Im Anschluss an eine andere Erzählung sagt er2):
„Vielleicht ist Domali vorausgegangen und hat ausgerufen vor ihnen."
Das heisst: Domali, der Todesengel, hat, wie es in dem Scholion
lautet, „den Toten angezeigt, dass morgen jemand sterben und hierher-
gebracht werden würde, sonst hätte es die im Grabe Liegende nicht
gewusst."
Sehr bekannt und sehr weit verbreitet ist der Glaube, dass der im
^rabe ruhende Tote durch entsprechende Bewegungen seines Mundes einem
Lebenden das Blut aussaugen, ihn siech- und elend machen und ihn auf
'Hese Weise in den Tod nachziehen könne. Manche Tote verlassen zu
diesem Zweck nächtlicherweile ihr Grab, um ihr Opfer auf seinem Nächt-
iger zu beschleichen und nun das Saugen Nacht für Nacht fortzusetzen,
^is der beabsichtigte Zweck erreicht ist. Das sind die echten Vampyre.
ändere Verstorbene aber führen das Aussaugen des Blutes von ihrem Grabe
^er aus. Es ist das also eine Fernwirkung. Das sind die Nachzehr er,
(^e Totenküsser oder Dodelecker oder die Dobbelsuger u. s. w.
'aU kann sie unter Umständen ganz deutlich und vernehmbar in ihrem
^rabe kauen und schmatzen hören.
1) Traktat Berachoth 18. 1.
2) Ebenda 18. 2.
132
Bartels :
In der Oberpfalz1) sieht man es dem Toten schon bei seiner Auf-
bahrung auf dem Leichenbrette an, dass er derartige Absichten hege.
Seine Lippen werden nicht bleich, sondern sie behalten die natürliche
Röte und er macht wie die kleinen Kinder mit den Lippen bereits Leck-
bewegungen, um sofort nach der Beerdigung mit dem Saugen beginnen zu
können.
Aber auch gänzlich harmlose Tote, die garnichts Böses im Schilde
führen, können bekanntermassen sehr leicht dazu kommen, ein Doppel-
sauger oder Nachzehrer zu werden, wenn man sie in ihrem Sarge un-
geschickt bettet. Es muss auf das Sorgsamste vermieden werden, dass sich
in der Nähe ihres Mundes ein Baud oder ein Zipfel des Sterbekleides
befindet. Denn wenn das der Fall ist, dann versuchen sie aus langer
Weile den Kopf immer mehr und mehr auf die Brust zu beugen und so
lange lutschende und schmatzende Bewegungen mit dem Munde auszu-
führen, bis sie das betreffende Stück der Sterbekleidung in den Mund
bekommen. Wenn es nun aber erst darin ist, dann saugen sie unablässig
an demselben, und damit tritt die Fernwirkung ein, durch die ein anderer
in den Tod gesogen wird. Hat das Totenkleid einen Namenszug und
dieser kommt dem Toten zwischen die Lippen, dann ist derjenige das
auserlesene Opfer, dem der Namenszug angehört. Darum trennt man in
manchen Gegenden jeden Namenszug auf das Sorgfältigste aus der Wäsche,
die dem Toten zu seiner letzten Bekleidung bestimmt ist.
In gewissen Gegenden legt man dem Verstorbenen, von dem man
fürchtet, dass er ein Nachzehrer werden wird, einen Stein oder eine Münze
zwischen die Zähne, an denen er nun kauen und lutschen kann. Auf
diese Weise schützt man sich vor seiner schädlichen Einwirkung.
Dass man die Nachzehrer ausgraben muss, um ihnen die Bänder, an
denen sie lutschen, aus dem Munde zu nehmen, wenn das Nachsterben in
der Freundschaft aufhören soll, und dass man dem Yampyr zum gleichen
Zwecke mit dem Spaten den Kopf vom Kumpfe trennt oder einen Pfahl
durch den Brustkorb rammt, das ist ja hinreichend bekannt und kann
daher hier übergangen werden.
Dinge, die Lebenden gehören, soll man, wie in vielen Gegenden
gelehrt wird, ja nicht dem Verstorbenen mit in den Sarg legen. Denn
der Tote fühlt sich dann berechtigt, den Eigentümer nach sich in den
Tod zu ziehen.
So erzählt man in Mecklenburg2). Ungefähr im Jahre 1872 kam in
Hagenow folgender Fall vor:
„Ein junges Mädchen, welches gestorben war, wurde begraben und
behielt ein Halsband um, welches von dem Haare einer ihrer Freundinnen
1) Schönwerth a. a. 0. I, S. 245.
2) Bartsch a. a. 0. II, S. 90 (286).
w as können die Toten?
133
gemacht war. Dieses junge Mädchen erkrankte alsbald, und als alle Mittel
nicht helfen wollten, erinnerte sie sich jenes Halsbandes. Sofort wurde
die Leiche wieder ausgegraben, nachdem sie fast dreiviertel Jahre in der
Erde gelegen hatte, und das junge Mädchen wurde von Stund an sichtlich
besser."
Die Verstorbenen geben sehr eifersüchtig darauf acht, dass ihnen auch
nicht das Kleinste von ihrem Besitze entwendet werde. Hierfür weiss man
hl dem ATolke viele Belege zu erzählen. Yon dem gestohlenen Totenhemd
ist schon oben gesprochen worden, und es liessen sich entsprechende Ge-
schichten leicht aus anderen Landesteilen beibringen. Aber auch auf
anderen Besitz passen die Toten sorgfältig auf, dass ihn sich nicht ein
Fremder aneigne.
Ein ruthenischer Bauer1) „nahm von einem Grabe eine Mütze, die
er von jemandem vergessen wähnte. Da erschien am folgenden Abend
Unter seinem Fenster ein Toter und erhob ein markerschütterndes Geschrei:
Gieb mir die Mütze zurück! rief er. Der Bauer warf ihm dieselbe durchs
Fenster. Der Tote hob sie aber nicht auf." Dreimal wiederholte er den
Besuch und rief jedesmal: Gieb mir die Mütze zurück! Da überredeten
endlich die Hausgenossen den Bauern, die Mütze dem Toten eigenhändig
zurückzugeben. Kaum aber „war er aus der Hütte getreten, als der
fürchterliche Gast ihn packte und mit sich forttrug. Morgens fand man
ihn am Grabe erdrosselt."
Ja selbst nicht einmal eine Blume lassen die Toten von ihrem Grabe
entwenden. Bartsch2) berichtet aus Mecklenburg:
„Stehen auf einem Grabe beim Leichenstein Karthäusernelken und
111 an pflückt eine davon, dann hört man, wenn man den Kopf auf den
Grabhügel legt, in der Erde ein dumpfes dreimaliges Klopfen."
Bei den Wander-Zigeunern3) gilt es für unvermeidlich todbringend,
eine Blume von einem Grabe zu pflücken. In einigen ihrer Volkslieder
findet dieser Glaube Ausdruck:
„Falsche, böse Menschenschar, Schöne Rosen blühen dann
Hör' mein letztes Wort fürwahr! Auf dem Grab mir armem Mann.
Wenn ich einst gestorben bin, Doch, wer eine sich abpflückt,
Legt zur letzten Ruh' mich hin. Wird dem Leben bald entrückt!"
Auch in der Mark Brandenburg4) kennt man den Aberglauben,
(lass man das, was dem Toten gehört, ihm nicht nehmen dürfe, z. B.
Blumen von seinem Grabe, Blätter aus seinen Kränzen. Als Grund hierfür
^Vlrd aber nur angegeben, dass ihm das Unruhe machen würde. Wir
1) Bugiel a. a. O. S. 297.
2) Bartsch a. a. 0. II, S. 9S (349).
3) Heinrich v. Wlislocki, Vom wandernden Zigeunervolke, S. 278. Hamburg 1890.
v 4) H. Prahn, Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg: Zeitschr. d. Vereins f.
°lkskunde, Jahrg. I, S. 185. B. e. 20. Berlin 1891.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 10
134
Bartels:
finden hier also den ursprünglichen Glauben in einer erheblich abge-
schwächten Form.
Wir haben soeben gesehen, dass die Toten auf das Strengste ihre
Eigentumsrechte wahren. Andererseits aber fügen sie sich auch gehorsam
den in ihrem Vaterlande gültigen Gesetzen, wenn sie sich strafbarer Hand-
lungen bewusst sind. So berichtet eine isländische Erzählung, die Eyr-
byggja Saga c. 51 *) folgendes:
Der letzte Wille einer sterbenden Frau, dass ihr kostbares Bett ver-
brannt werden solle, war nicht erfüllt worden. Da kam sie wieder, brachte
den Insassen des Hofes Krankheit und bald waren von den dreissig Be-
wohnern achtzehn gestorben. Aber auch diese kamen jeden Abend wieder
und nahmen in der Stube am Feuer Platz, die nun von den Lebenden
geräumt werden musste.
Als nun wiederum eine der Einwohnerinnen auf die ganz gleiche Art
erkrankte, wie die achtzehn in den Tod Vorangegangenen, da holte sich
Kjartan, der Sohn vom Hause, Rat bei einem Priester. Kjartan ging
dann in das Haus „und sah, dass Thorocldr (sein verstorbener Vater), mit
den anderen Gespenstern am Feuer sass, wie sie es zu tliun pflegten. Er
nahm Th orgunnas (der zuerst Y erstorbenen) Bett herab, ging zum Feuer,
nahm eine Kohle", ging hinaus und verbrannte das Bett. Darauf kehrte
er zurück, rief jeden der Toten bei Namen auf und forderte ihn vor ein
Thürgericht, d. h. vor eine Gerichtssitzung, die an der Thür abgehalten
wurde, weil sie sich ohne Erlaubnis im Hause aufhielten und den Ein-
wohnern Gesundheit und Leben raubten.
„Alle die am Feuer sassen, fährt die Saga (c. 55) fort, wurden vorgefordert.
Dann wurde ein Thürgericht eingesetzt und die Sache verhandelt ganz wie
auf dem Thing; Zeugen wurden vorgeführt und das Urteil wurde gesprochen.
Als das Urteil über Thor ir Widleggr gefällt war, stand er auf und sagte:
„Gesessen habe ich so lange ich hier sitzen durfte." Danach ging er zur
anderen Thüre hinaus, wo das Gericht nicht sass." So geht es nun der
Reihe nach durch und jeder Tote fügt sich dem Urteil und verlässt mit
einer ähnlichen Bemerkung, wie der erste, das Haus. Als letzter scheidet
der frühere Hausherr mit dem Ausruf: „Hier ist jetzt kein Friede länger,
lasst uns alle fliehen!"
Wie der Tote seine Unzufriedenheit durch das sogen. Wiedergehen,
d. h. durch das Zurückkommen nach dem Tode äussert, wenn die Auge-
hörigen nicht dasjenige ihm mit in den Sarg gelegt haben, was er der
Landessitte nach verlangen kann, so entledigt er sich andererseits auch
dessen, was man ihm aufzwingt und was ihm eigentlich zuwider ist. Eine,
1) Alfred Lehmann, Aberglaube und Zauberei von den ältesten Zeiten an bis auf
die Gegenwart, übersetzt von Petersen. Stuttgart 1898. S. 68.
Was können die Toten?
135
diese Thatsache erläuternde Geschichte ans dem Marchfelde1) erzählt
ein Augenzeuge:
„Ein andermal starb ein reicher Ganz-Lehner (d. h. ein Besitzer von
mindestens zwölf Joch Land) und der wurde mit allem Zierate, den man
hei der Gelegenheit zu verwenden pflegte, aufgebahrt. Sein Haupt lag auf
einem roten Seidenpolster. Der Leib steckte im schwarzen Feiertagskleide.
Auf der Brust lag ein kleiner Christus, und die Hände umschlang ein
elfenbeinerner Rosenkranz. Es mochte etwa um Mitternacht sein, da
Pochte es plötzlich heftig an das Fenster, und es war, als wenn der Tote
erzitterte. Ein Modergeruch erfüllte den Raum, die Totenlichter flackerten
Mächtig auf — ich stürzte vor Angst zur Thüre hinaus, um die Kinder
des Bauern aus dem Nebenzimmer zu holen. Keines getraute sich aber
die Leichenstube. Wie es endlich Morgen wurde, fassten wir Mut und
traten ein. Es war beim ersten Blicke nichts verändert. Nur die Kerzen
^aren tief herabgebrannt und das Ollämpchen leuchtete dumpfer. Wie
^ir aber näher an den Sarg herantraten, da gewahrten wir zu unserem
Entsetzen, dass der Überdon, d. h. der Totenschleier, womit der Tote
Gedeckt war, stark zerknittert unter dem Tische und der Rosenkranz,
seinen Händen entwunden, nebenbei auf dem Sargdeckel lag."
Der katholische Priester, an welchen sich diese Angstlichen um Auf-
klärung wandten, gab ihnen eine Erläuterung in seinem Sinne. Denn es
heisst weiter in dem Berichte:
„Als wir uns später um die Ursache dieser schrecklichen Scene er-
kundigten, sagte uns der geistliche Herr, dass der Ganz-Lehner im Leben
heimlich Protestant geworden sei und also den Rosenkranz nicht ins Grab
^it verdient habe."
Folgen wir nun aber den gewöhnlichen Strassen, wie die Volksseele
Sle mit ihren Gedankengängen zu wandern pflegt, so würde die abzugebende
Erklärung hier allerdings eine ganz andere sein müssen. Der verkappte
Protestant will begreiflicherweise nicht den ihm verhassten Rosenkranz
^t in das Jenseits hinübernehmen. Darum schleudert er denselben, sobald
er sich unbeachtet weiss, weit von sich fort auf den auf der Erde stehenden
Meckel des Sarges.
Vielleicht darf ich hier in Parenthese bemerken, dass diese Geschichte
Y°n dem Ganz-Lehner, so schauerlich und phantastisch sie auch klingen
Inag, doch vollständig der Wahrheit entsprechen kann. Die dem Toten
auf ¿er Herzgrube gefalteten Hände verharren in dieser ihnen gegebenen
^age, so lange die sogenannte Totenstarre anhält, welche einige Stunden
Uach dem Tode regelmässig eintritt. Wiederum eine Anzahl von Stunden
später löst sich die Totenstarre aber wieder, wie der Kunstausdruck heisst,
-y. 1) Hans Schukowitz, Mythen und Sagen des Marchfeldes: Zeitschr. f. Österreich.
°lkskunde, Jahrg. Ii, S. 277. Wien und Prag 1897.
10*
136
Bartels:
d. h. die Gliedmassen des Toten werden wiederum weich, schlaff und
biegsam, wie die Glieder eines Schlafenden. Jetzt kann es nun sehr leicht
geschehen, namentlich wenn durch Zersetzungsgase der Leib der Leiche
aufgebläht wird, dass die gefalteten Hände langsam und allmählich aus-
einandergedrängt werden, und nun, dem Gesetze der Schwere folgend,
plötzlich von dem Körper des Toten heruntergleiten und an diesem nun
ausgestreckt zur Seite sinken. Hat man etwas auf die Hände gelegt, wie
in unserem Falle den Rosenkranz, so müssen diese Dinge natürlicherweise
von dem Toten zur Erde geschleudert werden, und der übergedeckte
Schleier muss, wenn er nur locker gelagert wird, herabfallen und muss
Zerknitterungen zeigen. Das Geräusch, das der geängstigte Mann als ein
Klopfen am Fenster deutete, ist selbstverständlich auch durch das Gleiten
der Arme und das Fallen des Rosenkranzes verursacht worden.
Auf diesen unwillkürlichen Bewegungen, welche bei der Lösung der
Totenstarre die Schwerkraft an den Gliedern des Toten vornimmt, beruhen
ja die vielen grausigen Geschichten, die man sich im Volke von wieder
aufgewachten Toten zu erzählen Vv'eiss. In dem Leichenhause hatte man
ihnen, wie es um die Wende unseres Jahrhunderts üblich war, an alle
Finger und Zehen Fäden gebunden, die mit leicht beweglichen Glocken
in dem Zimmer der Wächter in Verbindung standen. Oft hat man nun
die Glocken erklingen hören. Aber wTenn der Wächter auch noch so
schnell in das Leichenzimmer stürzte, fand er den, der geläutet hatte,
bleich und tot und ohne Bewegung. Das Volk lässt es sich natürlich
nicht ausreden, dass der Tote wirklich wieder zum Leben erwacht war-
Er ist scheintot, nur in einem Starrkrämpfe liegend, in die Leichenkammer
geschleppt worden. Und dass man ihn nun wirklich tot findet, das kann
ja selbstverständlich nicht überraschen. Denn als er aus seinem Starr-
krämpfe erwachte und sich in dieser schaudervollen Umgebung sah, da
ist er sofort vor Schreck gestorben, und nun kam natürlich alle Hilf©
zu spät.
Doch wir wollen nach dieser Abschweifung zu unserem eigentlichen
Thema wieder zurückkehren.
Die Toten wachen eifrig darüber, dass auf ihrem Friedhofe gute
Ordnung herrsche und dass man niemanden in ihre Gesellschaft bringe,
der in dieselbe nicht hineingehört. Das hatten die Norweger1) zu em-
pfinden, als sie auf dem Kirchhofe von Opheim eine Selbstmörderin
begraben wollten. „Am Thore angelangt, war es den Trägern unmöglich,
den Sarg hindurchzubringen ; doch konnte niemand etwas sehen, das ihnen
hinderlich entgegenträte. Dann versuchten sie den Sarg über die Mauer
zu heben, aber das war auch umsonst, obgleich sie alle mit gutem Willen
daran arbeiteten."
1) H. J. Feilberg-, Die Sage von dem Begräbnis König Erik Ejegods von Dänemark
auf Cypern: Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde, Jahrg. V, S. 248. 12. Berlin 1895.
Was können die Toten?
137
Es bedarf wohl nicht erst einer besonderen Erwähnung, dass es hier
die gerechten Toten waren, welche sich der Zuführung der Selbstmörderin
widersetzten.
Ganz ähnlich ist es Leuten in Jütland1) ergangen, welche eine Ge-
äderte begraben wollten. „Als sie die Tote über den Zaun zu führen
Versuchten, wurde es ihnen, wo sie auch hinkamen, gewehrt, bis sie nach
der Ecke kamen, wo die Selbstmörder begraben sind; da konnten sie die
Leiche hinüber bringen und dort wurde sie verscharrt."
An manchen anderen Orten finden wir, dass die Toten sich selber
helfen. Auf der Insel Ini smurray in Irland2) haben die Geschlechter
getrennte Friedhöfe. Wenn nun eine Frau zufälligerweise unter den
Männern bestattet wurde, so wurde in der Nacht die Leiche durch un-
sichtbare Hände zu den Frauen hinübergeführt und dort begraben, und
das Umgekehrte hatte statt, wenn ein Mann bei den Frauen bestattet
Worden war.
Auf einem Friedhofe in Island3) hatte man einen bösen Yogt beerdigt.
Da gingen die Toten aber energischer vor. „In der nächsten Nacht, als
(ler Glöckner in seiner Stube schlief, erhob sich auf dem Kirchhofe ein
gewaltiger Lärm, und eine Stimme rief durch das Fenster: Wirf Dein
Grabgerät heraus, wir wollen es haben! Der Mann war so erschrocken,
dass er dein Befehle Folge leistete; und nun begann ein fürchterliches
Graben und Schaufeln, und hinterher erhob sich ein Sturm, der die ganze
Kirche erschütterte. Als es still geworden war, wagte der Glöckner hinaus-
zugehen. Das Grab des Yogtes war leer. Er bestieg eine Anhöhe: im
forden war inmitten eines Waldes ein grosser Feuerschein, wie von einem
Jossen Scheiterhaufen zu sehen. Arn nächsten Tage sah man zwischen
zWei Eichen eine Eisenstange liegen, an welcher die verkohlten Uberreste
eines menschlichen Körpers hingen, und unter der Stange war eine ge-
waltige Grube, welche deutliche Spuren aufwies, dass hier ein mächtiges
-Feuer gelodert habe."
Aber nicht alle Tote sind der Meinung, dass sie solche Gewalttätig-
keiten besehen dürften. Und so handeln sie dann wohl nach dem bekannten
(, °
n>undsatze: Der Gescheidtere giebt nach. So wurde auf einem Friedhofe
1,1 Irland4) ein schlechter Mensch unter lauter Heiligen bestattet. Da
z°gen die letzteren in einer Nacht sämtlich auf das andere Ufer des
^ Düsses, wo sich nun jetzt der Friedhof befindet. Die Leiche des Böse-
^'clits aber blieb dort zurück, wo man ihn beerdigt hatte.
Nach dem Midrasch Bereschit Rabba5) suchen sich auch die
Juden nach ihrem Tode einen anderen Begräbnisplatz, wenn sie im Aus-
lände gestorben und begraben sind. Dabei ist ihnen Gott selber behilflich:
1) H. J. Feilberg a. a. 0. 243. 11. — 2) 243. 14. — 3) 242. 9. — 4) 242. 7.
i 5) Aug. Wünsche, Der Midrasch Bereschit Rabba, das ist die haggadische Aus-
ging Qer QenesjS; s. 474. Leipzig 1881.
138
Bartels :
„Rabbi Chanina sagte: Wer im Auslande gestorben und dort be-
graben ist, der ist zweimal gestorben. Darum sprach auch Jakob den
Wunsch gegen Josef aus: Begrabe mich nicht in Ägypten! Aber auf diese
Weise, wandte Rabbi Simon ein, würden doch die Frommen, welche im
Auslande begraben sind, einen Yerlust erleiden! Allein, was thut Gott?
Er macht für sie Höhlungen in der Erde und er thut sie in diese Höhlen,
und sie wälzen sich (wie Schläuche) fort, bis sie in das jüdische Land
kommen, wo ihnen Gott den Geist des Lebens giebt und sie auferstehen."
Unter Umständen sind die Toten auch imstande, den Lebenden ein
wichtiges Geschenk zu machen. Das machen sich die Weiber der Süd-
slaven1) zu Nutze, denen der für ihre sociale Stellung so durchaus er-
forderliche Kindersegen versagt ist. Bekanntlich darf der Ehemann bei
diesen Yolksstämmen eine kinderlose Gattin ohne weiteres Verstössen.
Solche vom Schicksal hart geprüfte Weiber suchen nun die Begräbnis-
stätte einer Toten auf, die vor der Niederkunft gestorben war. Hier
„rufen sie die Verstorbene beim Namen an, beissen mit den Zähnen das
auf dem Grabe aufsprossende Gras ab unter wiederholten Anrufungen der
im Grabe ruhenden Frau und beschwören sie, sie möge ihnen ihre Leibes-
frucht schenken. Schliesslich nehmen sie etwas Graberde mit und tragen
sie im Gürtel immer bei sich herum." Dann übermittelt die Verstorbene
der lebenden Bittstellerin ihr Kind, deren Ansehen nun in der Dorf-
gemeinde in erfreulicher Weise wiederhergestellt wird.
Dass der Verstorbene Rat und Hilfe und Beistand den Lebenden zu
gewähren vermag, dafür haben wir schon allerlei erläuternde Beispiele
kennen gelernt. Nach dem Glauben der südslavischen Völker1) vermag
er aber auch mit dem Lebenden in ein ordnungsmässiges Bündnis zu treten.
Die Südslaven haben eine Einrichtung, die sie mit dem Namen der
Wahlbruderschaft bezeichnen. Es ist das etwas ganz Ahnliches, wie
die Blutsbrüderschaft bei anderen Völkern, d. h. ein unter bestimmten
Förmlichkeiten geschlossenes Bündnis zu Schutz und Trutz.
In das Verhältnis eines Wahlbruders kann also, wie gesagt, nun auch
ein Verstorbener zu einem Lebenden treten. Allerdings muss die Initiative
von dem Letzteren ausgegangen sein. Will in Bosnien und bei den
Serben „ein Mädchen ihren ihr noch unbekannten Gatten als Trauni-
gesicht erschauen, so stiehlt sie unbemerkt von einem vergessenen Grabe
eine Scholle Erde und legt sie vor dem Schlafengehen unters Kopfpolster
mit den Worten: Bist Du ein männliches Wesen und alt, sei mir durch
Gott ein Wahlvater! Bist Du weiblich und alt, sei mir durch Gott eine
Wahlmutter! Bist Du männlich und jung, sei mir durch Gott ein Wahl'
brader! Bist Du weiblich und jung, so sei mir durch Grott eine Wahl'
1) Friedr. S. Krauss, Volksglaube und religiöser Brauch der Südslaven, S. 136-
Münster i. W. 1890.
Was können die Toten?
139
Schwester! Nun begiebt sich das Mädchen zur Ruhe, und wen sie im
Traume erschaut, der ist ihr vom Schicksal als Gatte bestimmt."
In Bosnien1) schliesst man aber die Wahlbruderschaft mit einem
Verstorbenen auch, um sich gestohlenes Eigentum wiederzuschaffen:
„Wenn jemandem etwas gestohlen wurde, dann geht der Bestohlene
zwischen 9 und 10 Uhr nachts auf ein bekanntes Grab, ruft den Ver-
storbenen beim Namen und sagt: So Dir Gott helfe, der Dich erschaffen,
und der Dich wieder zum Staube zurückkehren lässt! Sei mir Bruder in
Gott! Ich bitte Dich! sage mir, wer meine Sache gestohlen hat! Dann
geht der Betreffende nach Hause, ohne sich umzusehen, und legt sich sofort
schlafen. Der angerufene Tote erscheint ihm dann im Traume und spricht:
Weshalb beschwörst Du mich und beunruhigst mein Gebein? Deine Sache
hat der und der gestohlen!"
Interessant ist, dass auch in Masuren2) und in Mecklenburg3) der
Verstorbene zur Aufklärung eines Diebstahls helfen muss. In beiden
Bezirken wirft man einen Rest von dem Gestohlenen in das Grab, bevor
es zugeschüttet wurde. Dann muss der Dieb elend dahinsiechen. Der
Verstorbene zieht ihn also nach.
In der Oberpfalz4) glaubt das Volk, dass man sich die Hilfe des
verstorbenen Vaters zu Verschaffen vermöge, um die Hinterlassenschaft
zum Schaden der Geschwister aus dem Hause zu verschleppen. Dazu ist
es nötig, dass man mit dem „Überthan", d. h. mit dem grossen, weissen
Laken, mit welchem die im Hause auf dem Leichenbrette aufgebahrte
Leiche des Vaters überdeckt ist, sich das Gesicht abwischen muss.
Vielfach sind die Opfergaben oder die Liebeszeicheo, welche man dem
Toten zugedacht hat, an besondere festliche Tage gebunden, an den Ge-
burtstag oder Sterbetag des Verstorbenen, an den Allerseelentag u. s. wT.
Und nach der allgemeinen Auffassung würde es der Tote für eine grobe
Vernachlässigung betrachten, wenn an einem solchen Tage die Liebesgaben
au seinem Grabe nicht eintreffen würden. Aber auch aus anderen Gründen
kann der Tote gegen den Lebenden Zorn und Groll in dem Herzen tragen.
Namentlich vergisst er bisweilen Kränkungen und Beleidigungen nicht,
die ihm bei Lebzeiten zugefügt wurden. Bei den Basutho im nördlichen
Transvaal5) lässt er dann den Beleidiger dadurch seine Rache fühlen,
dass er ihm Kindersegen vorenthält. Aber auch Sterblichkeit unter den
Kindern, Viehseuchen und andere Schicksalsschläge mehr werden als eine
Strafe, von dem verursacht, betrachtet, der „an Gram gestorben ist."
Haben die Zauberer den vom Unglück Gebeugten über die Ursache
seiuer Heimsuchung aufgeklärt, so geht er in die Wildnis, sucht dort das
1) Lilek a. a. 0. S. 461.
2) Toppen a a. 0. S. 110.
3) Bartsch a. a. O. II, S. 91. (293 c).
4) Schönwerth a. a. O. I, S. 245.
5) Schlömann, Berliner Missionsberichte 1885, S. 417.
140
Bartels:
Grab des beleidigten Vaters auf, „und bekennt an demselben im Gebete,
was ihm Kummer macht: „Vater, ich habe keine Kinder, denn ich habe
an Dir gesündigt! Lass ab von Deinem Zorn und kehre mir Dein Herz
wieder zu! So fleht er, und dabei ergreift er irgend einen Gegenstand
beim Grabe, etwa ein Steinchen oder einen Zweig, und nimmt ihn mit
nach Hause. Dort wird derselbe zu seinem Fetisch, welchen er als Ainulet
mit sich herumträgt oder in seinem Hofraum irgendwo unterbringt. Die
nahe Beziehung, welche er nun mit dem von ihm verehrten Gegenstande
pflegt, soll die wiederhergestellte Gemeinschaft zwischen ihm und dem Ver-
storbenen andeuten, welchem dieser ganze Kultus gilt."
Bei dem deutschen Volke ist die Anschauung eine ganz gewöhnliche,
dass der Tote in seinem Grabe alles weiss, was auf Erden vorgeht, und
dass er ein lebhaftes Interesse und eingehenden Anteil daran nimmt.
Namentlich empfindet er es sehr schmerzlich, wenn seine Hinterbliebenen
sein Andenken nicht in würdigerWeise ehren, wenn sie das, was er mühsam
zu begründen suchte, böswillig vernichten oder es verkommen lassen, und
wenn sie einen Lebenswandel führen, der seinem guten Namen Schande
macht. Dann kann er nicht ruhig im Grabe liegen, und vor Kummer
legt er sich auf das Gesicht: Er hat sich im Grabe umgedreht!
Nach dem Glauben der Mohamedaner in Bosnien und der Herce-
govina1) kann ein Toter, wenn er zürnt, dem Beleidiger das Sterben
unmöglich machen, bis dieser des Toten Verzeihung erlangt. So verflucht
in einem bosnischen Volksliede die schwerbeleidigte Schwägerin bei ihrem
Tode die junge Frau. Als nun deren Stündlein auch geschlagen hat,
„kann sich ihre Seele nicht vom Leibe trennen. Deshalb bittet sie, dass
man sie an das Grab der Schwägerin trage.
Als sie in des Grabes Nähe kamen,
Aus dem Grabe eine Stimme tönte:
Die Verfluchte traget nicht hierher,
Eh' sie nicht genug vom Schmerz gebeugt ist!
Man trug dann die Sterbende ins Gebirge; das Gebirge wollte sie
auch nicht aufnehmen. Man trug sie ins Wasser; das Wasser spülte sie
aus. Nun brachte man sie abermals zur Schwägerin. Sobald ihr diese
verziehen, trennte sich sofort ihre Seele von der leiblichen Hülle."
Lilek fügt hinzu:
„Wieviel die inohamedanische Bevölkerung Bosniens und der
Hercegovina auf die Aussöhnung am Totenbette hält, kann man auch
aus der drohenden Redensart ersehen: Ich werde sterben, aber verzeihen
werde ich Dir nicht!"
Man kann die Toten auch unmittelbar in wichtigen Dingen um Aus-
kunft ersuchen, und man wird nicht vergeblich bitten.
1) Lilek a. a. 0. S. 417.
Was Können die Toten?
141
Auch hierfür bringt der Talmud1) einige Belege:
„Komme und höre! Denn dem Vater Schern uels waren aufzubewahren
gegeben Gelder der AVaisen. Als seine Seele verschied, war Schemuel
Dicht bei ihm. Sie nannten ihn Sohn des Verzehrers der Gelder der
Waisen. Er ging ihm nach auf den Hof des Todes (und) sagte zu ihnen
(nämlich den Toten): Ich suche Aba. Sie sagten zu ihm: Der Abas sind
viele hier. Ich suche Aba, Sohn Abas. Sie sagten za ihm: Der Abas,
Sohn Abas, sind ebenfalls viele hier. Er sagte zu ihnen: Ich suche Aba,
Sohn Abas, Vater Sehe mu el s, wo ist er? Sie sagten zu ihm: Er ist
hinaufgestiegen in die Schule des Himmels."
Nach einer eingeschobenen Geschichte, aus der hervorgeht, dass die
^oten hier im Kreise auf dem Begräbnisplatze sassen, heisst es dann
Weiter: Unterdessen kam der Vater. Er (Schemuel) sali, dass er weinte
Und lachte. Er sagte zu ihm: Aus welchem Grunde weinst Du? Dieser
sagte zu ihm: Weil Du bald kommen wirst. Aus welchem Grunde lachst
Du? Weil Du so sehr geschätzt wirst in dieser Welt. . . . Er sagte zu
ihm: Die Gelder der Waisen, wo sind sie? Dieser sagte zu ihm: Gehe,
nimm sie hervor aus dem Grunde der Mühle. Die oberen und die unteren
(Gelder) sind unser, die mittleren gehören den Waisen." Für diese Art
der Aufbewahrung giebt der Tote dann noch die Gründe an.
Eine andere Geschichte1) ist ähnlich:
„Komme und höre: Denn Se'iri hat gegeben aufzubewahren Geld bei
seiner Wirtin. Bis er zurückkam, da er gegangen war in das Lehrhaus
I^abs, war sie gestorben. Da ging er nach auf den Hof des Todes (und)
sagte zu ihr: Mein Geld! wo ist es? Sie sagte zu ihm: Gehe, nimm es
hervor unter dem Thürpfosten an dem und dem Orte."
Solche Besuche der Lebenden kann der Tote nun aber auch seiner-
seits gleich benutzen, um dem Besucher bestimmte Aufträge für die daheim
zurückgelassenen Angehörigen zu geben, falls er in seinem Grabe etwas
nötig hat. Auch die Wirtin des Se'iri, von der soeben die Rede war,
dem letzteren solchen Auftrag. Sie fuhr nämlich in ihrer Rede fort:
55Sage meiner Mutter, dass sie mir schicken soll meinen Kamm und meine
Wüchse mit Schminke durch diese und diese, welche kommen wird morgen"
(nämlich als eine dann soeben Gestorbene).
Somit vermag man also auch dem einen Toten für einen anderen etwas
nutzugeben.
Hiermit sind wir nun wiederum bei solchen Gegenständen angelangt,
Welche dem Verstorbenen in das Grab gelegt werden müssen, wenn er
^°rt die nötige Behaglichkeit finden und unter seinen Friedhofsgenossen
111 würdiger Weise erscheinen soll. Unmöglich aber ist, alle diese zum
Gebrauche des Toten in seinem Grabe bestimmten Dinge hier durch-
sprechen, da dieses Thema ein fast unerschöpfliches ist.
1) a. a. 0. Tractat Berachoth 18. 2.
142
Petzold:
„Wie sie so sanft ruh'n, alle die Seligen!"
erklingt gewöhnlich an norddeutschen Gräbern der Gesang. Nun wir
haben in dieser Besprechung gesehen, dass die Seele des Volkes durchaus
noch nicht die Überzeugung teilt, dass sie alle, die zu Grabe getragen
sind, sanft ruhen. Vielleicht, allerdings, sind es auch nicht sämtlich Selige!
Möge ihnen allen aber die ersehnte Ruhe zu teil werden:
Requiescant in pace!
Pfingstqiiaas.
Von Dr. A. Petzold.
Im tiefen "Winter, wenn sich die Fluren noch in eine dichte Schnee-
decke hüllen und der stürmische Nordwind darüber braust, wenn der holde
Lenz noch in weiter Ferne ist, fängt man in deutschen Landen schon an,
den Frühling zu feiern. Mannigfache Bräuche legen Zeugnis davon ab-
Ein splcher, dessen ursprüngliche Bedeutung allerdings längst verloren
gegangen ist, hat sich in der Zeitzer Gegend bis auf den heutigen Tag
erhalten. Wenn man dort zu Fastnachten durch ein Dorf wandert, bes;eo;net
-> O o
man Kindern mit Büscheln von Birkenreisern und Buxbaum. Diese Büschel
nennt man Frischegrünen. Am Montage sind die Knaben, am Dienstage
die Mädchen damit versehen. Frühzeitig, wenn noch alles vom Schlafe
umfangen ist — zur Winterszeit pflegt auch der Landbewohner etwas
länger zu schlafen —, springen die Kinder aus den warmen Betten und
machen mit ihren schon Tags zuvor besorgten Frischegriinen Vater und
Mutter, Bruder und Schwester frisch, indem sie ihnen einige Schläge auf
die dargebotenen Hände geben. Dafür erhalten sie ein Geschenk. Sie
gehen auch ins Dorf zu den Nachbarn oder Freunden der Eltern. Für
Kinder ärmerer Leute ist das Frischegrünen zugleich eine Erwerbsquelle.
Meist bekommen sie Brezeln als Lohn. Junge Bursche überfallen wohl
auch die drallen Mädchen, wenn sie nicht die gehörige Vorsicht haben
walten lassen. Alles frischegrünt.
Neben diesem Brauche haben sich, wie anderswo, so auch dort noch
manche andere Frühlings gebrauch e erhalten, an wirklichen Frühlings-
festen aber nur eins. Die Krone aller Frühlingsfeste ist das Pfingstfest.
Dort zu Lande begeht man es auf eine ganz besondere Art, es wird*
Qua as gemacht.
Grimm1) sieht das Wort Quaas als ein slawisches an, das schon früh
ins Niederdeutsche und Mitteldeutsche eingedrungen sei und zwei Be-
1) Grimms Grammatik l3, 1G9, Anm. 1). Wörterbuch VII, 23*28 (Lexer).
Piìngstquaas.
143
deutungen habe, einmal Gasterei, Schlemmerei, dann auch ein (russisches)
säuerlich schmeckendes und kühlendes, die Stelle des Bieres vertretendes
Getränk.
Ob es wirklich aus dem Slawischen ins Deutsche gekommen ist, oder
umgekehrt aus dem Deutschen ins Slawische, das ist noch nicht aufgeklärt.
Für jene Annahme spricht der Umstand, dass es sich gerade da, wo ehe-
mals Slawen sassen, erhalten hat, dass es auch in den Innungen der Stadt
Zeitz eine Rolle gespielt hat, während es z. B. in Victor Böhmerts Bei-
trägen zur Geschichte des Zunftwesens in Bremen gar nicht erwähnt wird.
Andererseits meint W. von Gutzeit in seinem Wörterschatze der
deutschen Sprache Livlands II, 417:
„Diese (Grimms) Annahme ist zu bezweifeln, denn das slawische kvas
findet sich in der Bedeutung von Schmaus nur im tschechischen, wo
auch kvasan conviva und kvasiti epulari vorkommt, und im obersorbischen,
wo es Hochzeit bedeutet, in derselben Weise, wie sich im deutschen Worte
Koste die Bedeutungen Schmaus und Hochzeit vereinigen. Da dasselbe
Wort im russischen, polnischen und in anderen slawischen Sprachzweigen
eine ähnliche Bedeutung nicht hat, das polnische kvas sogar neben Säure,
saurem Getränk (Sauerteig), auch Feindschaft bedeutet, so ist nicht zu
bezweifeln, dass das tschechische und obersorbische kvas, umsomehr, als
es in slawischen, mit deutsch durchsetzten Grenzgebieten vorkommt, dem
weit verbreiteten deutschen Quass entlehnt ist, welches überdies in viel-
fachen Ableitungen begegnet, die dem tschechischen und obersorbischen
ganz und gar fremd sind."
Wie dem aber auch sein mag, soviel steht fest, dass unser Qaaas nicht
mit dem russischen Getränke zusammenhängt. AVenn auch Pfingstquaas
und Pfingstbier so ziemlich dasselbe bedeutet und wenn auch beim Pfingst-
quaase Bier getrunken wird, zuweilen sogar sehr viel Bier, da man für
•50 Pfg. eine ganze Tonne und mehr vertilgen darf, aber nur Braunbier,
so ist doch das Biertrinken nur Nebensache für die Feiernden. Hauptsache
ist und bleibt immer der Tanz in einem eigens dazu erbauten Zelte. So
bezeugt auch der erst kürzlich verstorbene Musikgelehrte Professor Franz
Magnus Böhme in seiner Geschichte des Tanzes in Deutschland, S. 155
(Leipzig 1886):
„In einigen Dörfern des alten Pleissnerlandes . . . heisst der in einem
eigens hierzu erbauten, gedielten und mit grünen Laub- und Nadelholz-
reisern ausgeschmückten Brettersaale abgehaltene Pfingsttanz der Quaß
oder Pfingstquaß."
Auch werden das Wort Quaas oder Quass und seine Ableitungen
überall, wo sie uns begegnen, nie für Bier gebraucht, vielmehr haben sie
eine allgemeinere Bedeutung, nämlich Schwelgerei, Schlemmerei, Schmaus
und dergl. überhaupt, wie denn auch für „verschwenderisch umgehen",
î)Viel verbrauchen" das Wort verquasen noch jetzt vorkommt.
Dass es nirgends gleichbedeutend ist mit Bier oder einem Getränke
Überhaupt, das zeigt uns auch der Ursprung des Festes und seine Geschichte.
144 Petzold:
Im Mittelniederdeutschen Wörterbuche von Schiller und Lübben III,
397 findet sich folgende Stelle: vmrne des quasses wyllen so varen se to
den kermissen, to der brutlacht vnde sammelen sik in de kroghe.
Ferner steht geschrieben im Syrach Mathesij (das ist christlich . . . ,
Erklärung und Auslegung des schönen Hausbuchs, so der weise Mann
Syrach zusammengebracht hat und geschrieben, durch den alten Herrn
M. Johannem Mathesium, weyland Pfarrern in S. Joachimsthal, 1586), 1, 116 a
bei der Auslegung der Regel:
Sey nicht ein Brasser und gewene dich nicht zum Schlemmen.
„Gleichwie die «lüden in Göttlichen und Religionssachen gar viele
wörter und Namen ¡ damit sie ein ding nennen | vor andern Völckern
haben: Also haben auch die Deudschen als gute Schlucker und Zechbrüder
viel wörter, damit sie ihr quassen und schlampampen nennen . . . Aber
allhie werden die tollen, vollen, thörichten, wilden, wüsten . . . pancket
und weisen verboten .... Solch quassen und schlampampen verbeut
Syrach. Die deudsche Version und dollmetschung heisset es Brassen,
vielleicht von Pressen, Frass, Brass, Qua s s . ... u
Und weiter in einer Fastnachtspredigt (Syr. 2, 45 a):
„Wenn du zu viel gegessen hast, so stehe auff. Das ist, da ein junger
Mensch mit den Alten zu Tische gehet, und hat seine notturfft gessen und
getruncken, so stehe er desto ehe fein züchtig auff, stosse und werffe
nicht zuvor die Gleser mit Bier oder Wein umb . . . das ist gar eine
nützliche und nöthige Lehre für junge Studenten, welche hinein quassen
bis zu halber Mitternacht ..."
Und weiter in einer dritten Predigt (Syr. 2, 136b) :
„ . . . Wie kann der (Pfarrer) dem Altar dienen, der . . stetig . . mit
den Bawren beym Biere sitzet, in libris Regum umbgehet und spielet im
Breth, leufft auif alle gelach, quasserey und Kirchwey .... "
In einer Willkür und Polizeiverordnung vom 31. Merz 1463 heisst es:
„ .. man schilt, man flucht, man sleth, man tribett obberige queserie .
Oder in einer anderen von 1454:
„Ess mögen die schützen . . . vff iczliche zceit einen tag vnd nicht
lenger zcusampne gehn vnd sollen forder keyne quesse nicht haben,
sunder dyselbigen, dy do schyssen alleyne vnd nymandes mehr, dy mögen
des sontages im sommer einen bratten essen vff der trinckstoben und nicht
andirsswo . . . . "
„Auch sollen dyselbigen frauwen in den sechsswochen keyne quesse
czu den drin wochen noch anderczeit nicht machen, sunder dy frauwenr
dy zcu dem kinttauffen gebeten waren vnd nymandes mehr, dy mögen
vnderstunden des heiligen tages zcu ir wartten . . . . "
„Auch sollen die frauwen in Sonderheit keynen quass nicht haben . . .
auch sollen dy meidichen zcu vnser liben frawentagk wurtczewyhe keyne
qwesse nicht haben . ... u
Unser Pfingstquaas ist aus der Stadt auf das Land gekommen, und
zwar von den Innungen.
Pfingstquaas
145
Diese hielten, wie Rothe in seinen Nachrichten aus der Geschichte
der Stadt Zeitz näher ausführt, Quese oder Quaase ab, im 16. Jahrh. zu
Pfin gsten, Ende des 1(5. Jahrh. und später zu verschiedenen Zeiten, oft
auch nur ein Jahr um das andere und später gar nicht mehr. Die Quaase
bestanden hauptsächlich in Schmäusen und Trinkgelagen. Dabei unterhielt
man sich auch mit Musik, Komödien- und Kartenspiel. Die Festräume
wurden mit Maien und' Kränzen geschmückt. Zur Zeit der Reformation
hielten die Innungen jährlich dreimal grossen Quaas oder „gemeyn bir" ab, zu
Weihnachten, Fastnachten und zum Pfmgstfeste. Da hierbei sehr über die
Schnur gehauen wurde, so bestimmte der Rat (1560), dass jede Innung
künftig nur einmal und nur 2 Tage Quaas feiern dürfe. In wie wackerer
Weise gezecht wurde, ergiebt eine Rechnung über einen von der Kramer-
Innung in Zeitz abgehaltenen Quaas vom Jahre 1674, wonach ausser erheb-
lichen Quantitäten Bier 1lj2 Eimer (2 Eimer — 1 Tonne) Frankenwein
getrunken wurde. Im Jahrhundert vorher begnügte man sich mit Bier,
und nur den Oberfürmeistern und den Ratspersonen wurde Wein vor-
gesetzt. Wer bei dem Quaase Unvernunft übte, d. h. grobe, nachteilige
und anzügliche Reden gebrauchte, sich in Fluchen und Schwören und
überhaupt unehrbarlichem Verhalten erging, musste (nach der ältesten Ver-
fassung der Kramer-Innung in Zeitz) das Fass, woraus die Brüder tranken,
wieder füllen und konnte sogar verurteilt weiden, seinen Laden zu schliessen.
Auch eine Verordnung des Herzogs Moritz vom 5. August 1662 bedrohte
unehrbarliches Verhalten mit Strafe. Nicht zum Quaase geladen werden
galt als Hintansetzung, so dass man es sogar auf eine Klage ankommen
Hess. So heisst es in einer Klage an den Rat zu Zeitz vom 30.-Juni 1687:
„Weil mich aber das Handwerk nicht zum Quaas hat fordern lassen,
stehe ich in dem Gedanken, sie möchten was sonderliches auf mich wissen."
Von den Innungen der Stadt kamen die Quaase auf die Dörfer. Die
Bauern wollten es wenigstens im Trinken den Innungsmeistern gleich thun.
Die Ausschreitungen bewogen den Kurfürsten August von Sachsen im Jahre
1590 zu einer Verordnung, worin es heisst:
„Es ist auch eine sehr schändliche Gewohnheit eingerissen auf den
dörffein, dass die Bauren auf und an den hohen Festen, als Weyhnachten
und Pfingsten ihre Saufferey bald Abends des Festes anfangen und die
Nacht über treiben, und morgens die Predigt entweder ganz verschlaffen
oder truncken in die Kirche kommen und darinnen wie die Säue schlaffen
und schnarchen ....
An etliche Orten (in Sachsen) missbrauchen die bauren ihre kirchen ...
für ein kretschmar oder bierkeller, und sauffen es daselbst aus mit gottes-
lästerung und iluchen ....
Wie denn Gott selbst im 55. Jahre des Bauers Volck sonderlich ver-
warnet und erinnert hat, von solchen Schwelgen abzustehen, da er eben am
Pfingstsonntag unter der Predigt an vielen Orten das liebe Getreyde auf dem
Felde jämmerlich mit einem erschrecklichen Wetter in die Erde geschlagen,
146
Petzold:
und an etlichen Orten, da das Pfingstbier im Glockenturme gelegen ist
und die Bauren gewisslich ihre Gedanken mehr auf die desselbigen Tages
fürhabende Saufferey, denn auf die Predigt oder zum Gebet gerichtet,
hatten, in die Kirche unter dem Chor mit dem Feuerstrahl geschossen
hat. Und da sie ja wollen den Bauren das Pfingst- und andere gemeine
Biere erlauben, sollen sie ihnen doch nicht gestatten, 8, 10 oder 12 Vier-
theil Biers ihres Gefallens einzulegen, sondern ihnen eine gewisse Anzahl,
nach der Gemeine des Volcks vergönnen, und gebeten, dass sie dasselbige
friedlich, züchtig und bescheiden nach denen Feyertagen austrinken, bey
aufgesetzter Geld-Straffe, da von jemand ein greulicher Fluch oder un-
züchtige Rede gehöret werde."
Wie das Quaashalten weiter um sich griff, „dass es auf die Dörfer
unter die ledigen Bauernkerl gerathen", ist auch aus einem Schreiben vorn
27. Januar 1707 zu ersehen:
„Es hätten die jungen Pursehe seiner Gerichte, theils Söhne, theils
Dienstknechte, durch den Schultzen bitten lassen, dass ihnen, ausser der
Schencke, in eines Nachbarn Hause vergönnet sein möchte, dass sie lustig
sein, tantzen und nach alter Gewohnheit Quaas halten möchten. Demnach
ist die Sache allzu gemein und das Wort verachtet worden, dass man
auch den Schlemmer Lucae am 16. anders nicht zu beschreiben vermag,
als dass er in Quaas und Frass, in Saus und Braus, in Deramen und
Schlemmen gelebet, und daher auch die Quaaser der Handwerker abzu-
kommen beginnen."
Ein unserem Pfingstquaase ähnliches Fest wird übrigens schon ums
Jahr 1400 in einer Urkunde erwähnt, die sich im Archive der Domkirche
zu Meissen befindet. Sie ist abgedruckt in den Berichten der Deutschen
Gesellschaft zu Leipzig (1841):
„Alz bisher eyne gewonheit gewest ist, daz man undir den lynden bie
dem dorffe czu Russin in der pflege czu Missin an der Mittewuchin nach
• pfingisten czu lobetenczin wyn, bir adir mete geschancgkit hat . . . . "
Auch anderswo wurde nach alter Gewohnheit unter der Dorf linde auf
dem Anger oder sonstwTo im Freien getanzt.
Nach und nach starben nicht nur die Quaase aus, es verschwand sogar
die schöne Sitte, zum Pfingstfeste Kirche und Hans mit dem duftenden
Grün der Maien zu schmücken. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts
scheint man sich wieder auf die Quaase besonnen zu haben.
Darüber, wie über das Quaashalten überhaupt, geben uns die im Zeitzer
Kreisblatte vom Jahre 1853 ab regelmässig wiederkehrenden Einladungen
Aufschluss. Fast immer sind sie in Reimen verfasst:
„Am Feste, das mit duft'gen Maien
Schön pranget in der Blüthen Pracht,
Am Pñngstfest soll sich Alles freuen;
Zur Freude ist das Fest gemacht.
Es war ja schon in alten Zeiten
Bei unsern Yätern so der Brauch,
Dass Pfingsten sie dem Frohsinn weihten.
Wie sie, so machen wir es auch."
Pfingstquaas.
147
Und in einer Einladung vom Jahre 1893 heisst es:
„In Pirkau giebts zu Pfingsten Spass,
Nach hundeit Jahren ist endlich Quaas;
In einem Zelt ist hier noch keiner gewesen,
Das könnt Ihr in der Chronik lesen."
Ferner wird im Jalire 1862 berichtet, class sie in Lonzig seit 34 Jahren
keinen Quaas gehalten hätten, und die Kleinosidaer reimen im Jahre 1863:
„Hier, wo nun schon seit langen Jahren
Zu diesem. Pest wir stille waren."
Diese Einladungen zum Quaase geben aber auch nach verschiedenen
anderen Richtungen hin treffliche Auskunft.
Wir erfahren mittelbar, dass der wirkliche echte Quaas nur in einem
eng begrenzten Umkreise gefeiert wurde.
„Das schöne Pfingstfest kommt heran, Bei uns gehts aber anders zu
Es ist schon vor der Thür. Bei Alten und bei Jungen,
Und überall denkt man daran Wir schiessen hier in guter Ruh
An Quaas und Lichte-Bier. Und Niemand wird gezwungen."
(Meineweh 1863.)
Bei einem wirklichen Pfingstquaase tanzt man nicht im Saale des
Gasthofs, sondern in einer besonders erbauten „Quaasbude". Zwar heisst es:
„Gut Bier und so einen decorirten Saal
Findet man nicht überall,
Der schützt vor Wind und Wetter
Mehr noch als die grünen Blätter."
Indessen das ist eine Ausnahme, die nur die Regel bestätigt. Der
eigentliche Festort ist die Quaasbude.
„Zum Pfingstfest, in der Frühlingszeit Ein grosses, luftges Sommerzelt
Macht man sich lieber etwas breit, Von hier noch nie gesehner Pracht,
Drum baue ich der lustgen Welt Kurz: es wird eben Quaas gemacht."
Bisweilen schon wochenlang vorher wird das Fest in der Zeitung au-
fkündigt in "Versen, die die herrliche Lage preisen, die Geräumigkeit des
Heltes rühmen und seine Pracht und Schönheit schildern:
„Das Zelt das kommt in grüne Höhn,
Elf Stunden weit kann man es sehn."
Und:
„Zu Wittgendorf im freien Feld Das Zelt, in dem die Gäste sich bewegen,
Wird aufgebaut ein schönes Zelt, Ist sehr geräumig und bequem gelegen,
Wo Bäume blühn und Blüthenpracht, Fein und komfortabel eingericht
Dass Jung wie Alt das Herze lacht. Und dabei wind- und regendicht."
Oder:
„Wir bauen hier nach hergebrachter Weise
Den Pfingstsalon mit Laub und grünem Reise,
Und schmücken dann das luftge grüne Haus
Mit Blumenkränzen und Guirlanden aus."
148
Petzold:
Ferner:
„Dazu wird von uns aufgestellt Die innern Räume überziehn
Ein grosses comfortables Zelt; Wir mit der Maien frischem Grün.
Wir machens luft- und wasserdicht, An Blumenkränzen und an Licht
Dass uns stört Wind und Regen nicht. Gebrichts dem Tanzsalon auch nicht."
Die uns dort erwartenden Freuden und Genüsse werden in den
schönsten Farben gemalt:
„Unter Maien, da kann man recht fröhlich sein,
Auch die Sänger der Luft, sie stimmen ihr Liedchen mit ein.
Im Grünen — da schlagen die Herzen so warm,
Da fragt man nicht: „Bist du reich oder arm?"
Und sind unsre Freuden nur sittlich und gut,
Dann stehen wir auch unter Gottes Hut."
Oder:
„Nur lasse er daheim die Grillen Die Eintracht soll uns All' verbinden,
Und bringe mit ein frohes Herz. Und kreuzfidel soll jeder sein.
Den Becher soll die Freude füllen So kommt denn und Ihr werdet sehen,
Und ihn kredenzen heitrer Scherz. Wir sind auf Alles eingericht't.
Bei Tanz und Spiele sollen schwinden Man wird nicht unbefriedigt gehen,
Die Tage uns, bei Bier und Wein. Hoch achten wir des Gastrechts Pflicht."
Höchst anschaulich werden körperliche Genüsse angepriesen:
„Wird Kaffee gekocht, sind Kuchen gebacken,
Und Zucker geschlagen wie die Schmiedeschlacken.
Sind Fische gesotten und Hähnchen gebraten
Mit Krautsalat und andern Zuthaten.
Sind Kälber geschlachtet und Würste gestopft,
Ist Vorrath in Menge, 's ist Alles vollgepropft,
Sind Flaschen gestöpselt, mit lieblichem Wein,
Die Bowlen sie dampfen, der Kellner schenkt ein."
Und anderswo:
„Nun so kommt mit vollen Taschen,
Kehret bei uns freundlich ein,
Grosse Fässer, volle Flaschen
Wolln des Stoffs entbunden sein.
Alles habn wir aufgeboten
Dass es Euch recht wohl gefällt;
und Yorsichtigerweise fügt man hinzu:
Sollt es geben einen Todten,
Schwarzen Kaffee auch bestellt."
Wir sehen, es fehlt auch nicht an einem gewissen Humor. Ein solcher
offenbart sich besonders in einer Einladung zum Quaase auf der Wind-
mühle zu Sehmsdorf (vom Jahre 1857):
„Ihr Damen und Herren, Euch schönsten Gruss
Wir bringen mit frohem Gefühle,
Kommt her zum Quaas, theilt den Genuss
Auf Rehmsdorfs wind'ger Mühle.
Pfingstquaas.
149
Die Bude ist hundert Ellen lang,
Nehmt sie zu Eurem Ziele,
Mit Dielen unbeschreiblich blank,
Bei Rehmsdorfs wind'ger Mühle.
Die Musici, das sollt Ihr sehn,
Verblasen Hitze und Schwüle,
Sie blasen, dass sich selber die Flügel mit drehn
Von Rehmsdorfs wind'ger Mühle.
Ein Pñngstbier wird gebrauet fein,
So klar, so rein, so kühle,
Drum bitten wir, kehrt zahlreich ein
In Rehmsdorfs wind'ger Mühle."
Nicht in allen Dörfern macht man gleichzeitig1 Quaas, heuer hier und
übers Jahr anderswo. Unternehmer ist entweder der Gastwirt oder die
Jungen Burschen des Dorfes oder auch beide vereint.
Am Sonnabend fahren die Quaasburschen hinaus in den Wald und
holen die Maien, die teils die Quaasbude schmücken, teils vor den Thoren
der Häuser, wo junge Mädchen oder die Vornehmen des Orts (Pastor und
Schulmeister) wohnen, aufgerichtet werden. Dabei geht es lustig lier. Die
Dorfkapelle, die entweder mit hinausgezogen ist in den Wald oder dem
Maienwagen zur Begrüssung entgegengeht, strengt sich an, ihr Bestes zu
geben. Unter ihren Klängen werden die Maien im Dorfe herumgefahren
und gehörigen Orts gepflanzt. Alles befindet sich in der denkbar grössten
Aufregung. Man kennt keinen anderen Gesprächsstoff als den Quaas. Der
Pfingstsonntag ist noch der Ruhe geweiht. Das Zelt ist fertig. Die Quaas-
'nädchen sehen sich noch einmal die Ballkleider an, damit ja alles in
Ordnung ist. Am zweiten Feiertage, nach beendigtem Nachmittagsgottes-
dienste, holen die Quaasburschen mit Musik die Quaasmädchen ein. Den
^ug' begleitet ein Possenreisser, Beias (Bajazzo) genannt, angethan mit
emem bunten Kleide, das nur einmal im Jahre, zum Quaase, hervorgeholt
^ird. Er ist vor allen Dingen dazu da, die Schuljugend zu ergötzen. Sie
treibt ihre Neckereien mit ihm. Gelingt ihm aber die Ergreifung eines
fangen, der es vielleicht allzu toll getrieben hat, dann wehe ihm! Die
klappernde Holzpritsche saust unbarmherzig auf seinen Rücken hernieder.
„Auch Bajazzo wird zum Lachen,
Wie es Brauch ist bei dem Quaas,
Lustig seine Sprünge machen
Und gewähren uns viel Spass."
Unterdessen ist der Zug auf dem Pestplatze angelangt, und nun be-
gannt in der festlich geschmückten Quaasbude der Tanz. Besondere Tänze
Verden nicht aufgeführt; wie sonst, so tanzt man auch hier Walzer, Polka,
Rheinländer und Galopp. Aber jeder, der das Tanzbein schwingen kann,
n^iss mitmachen, und es wird nicht gern gesehen, vielleicht sogar übel
Vermerkt, wenn du die Schöne, die dir ein Bursche vortanzt, verschmähst.
^eitschr d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 11
150
Petzold: Pfingstquaas.
I)u thätest besser daran, 'dich nicht soweit vorzuwagen. Kannst du nicht
tanzen, so halte dich anderweitig schadlos. Du darfst soviel Pfingstbier
trinken, wie du willst und kannst. Allerdings hat man das nicht ganz
umsonst. Wer in die Quaasbude überhaupt eingelassen werden will —
ausserhalb giebts kein Freibier — der muss 50 Pfg. zahlen. Als Quittung
wird ihm ein seidenes Bändclien in ein Knopfloch des Rocks oder der
Weste geknüpft. Dafür darf man Braunbier trinken und dem Tanze
zusehen. Wer Lagerbier trinken oder sich durch Tanz vergnügen will,
muss besonders zahlen. Umsonst ist der Tod, heisst es hier (obwohl das
sonst nicht einmal ganz richtig ist).
Gegen Abend wird eine Pause gemacht, doch weniger des Essens
wegen. Zwar haben die Musikanten nicht bloss Durst,
Die Musikantenkehle, die ist ja wie ein Loch,
Und wenn sie nicht mehr trinken kann, dann trinkt sie immer noch,
und auch die Quaasburschen und Quaasmädclien bedürfen einer ordent-
lichen Stärkung, doch das ist Nebensache. Die Burschen müssen ihre
Pferde und die Mädchen das sonstige Yieh „beschicken". Nachher gehts
lustig weiter. Wenn der Himmel ein Einsehen hat und das Vergnügen
nicht stört, wird noch lange fortgetanzt, und erst nachdem längst schon
die mitternächtliche Stunde geschlagen hat, begiebt man sich nach Hause,
denn morgen ist ja auch noch ein Tag.
Am dritten Feiertage und häufig auch noch zu Kleinpfingsten findet
eine Wiederholung statt. Dann wird die Quaasbude abgebrochen, und im
Dorfe tritt wieder die alte Ruhe ein, aber oft noch erzählt man sich von
den Freuden des Quaases.
Werden wir wieder einmal nach Jahren einen Quaas machen? fragt
man sich jetzt zweifelnd. Geht doch das Gerücht, dass man von Staats-
wegen beabsichtige, zur Hebung und Förderung der Sittlichkeit nicht nur
die Tanzlustbarkeiten überhaupt einzuschränken, sondern die Quaase ganz
und gar abzuschaffen! Nach einer neuerlichen landrätlichen Bekanntmachung
dürfen im Weissenfelser Kreise keine Quaasfeste mehr in Zelten abgehalten
werden. Wie die alles gleichmachende Neuzeit besonders da, wo ein
reiches Gewerbsleben flutet, alles Alte zu verdrängen droht, wie die Volks-
trachten immer seltener werden, so kommen auch die Volksfeste immer
mehr ab, und damit verschwindet ein gut Stück alter, echter Volkspoesie.
Hoffen wir also, dass sich jenes Gerücht nicht bewahrheiten und jene land-
rätliche Verordnung nicht ansteckend auf den benachbarten Kreis wirken
möge. Ist doch der Quaas das einzige, wirkliche Volksfest, das sich dort
noch erhalten hat!
Bacher: Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol. ]51
Von dein deutschen Grenzposten Lusérn im wälschen
Südtirol.
Vom Kuraten Josef Bacher in Unterfennberg bei Margreid in Südtirol.
I. Geschichtliches.
Lusérn (officiell: Luserna) wird gewöhnlich als im Valsugana gelegen
bezeichnet, und diese Bezeichnung trifft auch zu, wenn man den politischen
Bezirk Borgo (lus. Burg»), den Gerichts- und Steuerbezirk Levico (Ley»), zu
denen Lusérn gehört, oder auch das Dorf Caldonazzo (Kalnéts) ins Auge
fasst, mit welchem beinahe ausschliesslich der ganze Verkehr der Luserner
stattfindet, von woher Lusérn seine Bedarfsartikel bezieht, welche beinahe
^glich auf Mauleseln (bis zu 8) nach Lusérn geliefert werden.
Auf dem Gebirge zwischen dem Valsugana und dem Astachthaie (ital.
■istigo) in einer Höhe von 1333 m über der Meeresfläche gelegen, muss
Lusérn indes in geographischer Hinsicht als zum Astachthaie gehörig be-
zeichnet werden, da es auf der Abdachung des Gebirges gegen das Astach-
thal auf einer kleinen Terrasse sich erhebt und sein Brunnenwasser —
ändere fliessende Gewässer sind in dieser wasserarmen Kalksteingegend
1:1 Jclit vorhanden — allsogleich vom Brunnen weg den jäh abfallenden Berg
hinunter der Astach zueilt.
So gehört Lusérn mit Casotto, Pedemonte (auch Brancafora genannt),
^afraún (italienisch Lavarone) und den Weilern Haslach (italienisch
^°sselari) und S. Sebastian zu den einzigen Gemeinden des Astachthaies,
(^e noch österreichisch sind, während das ganze übrige Thal italienisches
Gebiet ist.
11*
152
Bacher:
Wie der vom Astachthaie steil aufsteigende Berg nur ein kleines ebenes
Plätzchen in der Höhe für das Dörfchen Lusern bietet, so ist auch wenig
Raum vorhanden für Felder, die noch dazu im Laufe der Zeit sehr zer-
stückelt wurden beim Anwachsen der Bevölkerung. An Rührigkeit des
armen Yölkchens, der rauhen Natur und selbst den kahlen Felsen manches
Stück Feld abzutrotzen, hat es wahrlich nicht gefehlt. Der Fremde,
welcher Lusern besucht und vom Dorfe gegen die in südöstlicher Richtung
gelegene „Brach" hinausgeht, muss staunen, wie die aus dem Astachthaie
emporstarrenden Felsen oben bebaut und ringsum selbst noch ein Stück
weit hinunter mit kleinen Äckerlein eingefasst sind, deren herbeigeführte
Erde durch eine Unzahl von Mauern vor dem Abrutschen bewahrt wird.
Auf diesen so mühsam angelegten „hängenden Gärten der Semiramis"
gedeihen fast ausnahmlos Kartoffeln; fur Korn lohnt sich nicht der Anbau.
Die ganze Umgebung Luserns ist ausgeprägte Almgegend, wovon jedoch
Lusern nur einen sehr kleinen Anteil besitzt. Die Almen breiten sich im
Norden und Osten aus, während im Süden und Westen auf den steilen
Abhängen des Berges Äckerlein, zumeist aber spärlicher baumloser Weide-
grund, über den zahlreiche Steingerölle gesäet sind, sich ausbreitet.
Das Dörfchen selbst hat mit einigen Ausnahmen rohbauähnliche, un-
getünchte Häuser, was wohl dem Mangel an fliessendem Wasser, demzu-
folge kein guter Sand zu treffen ist, nicht zum geringsten Teil aber auch
der Armut der Bevölkerung zugeschrieben werden muss.
Bei der Beschränktheit der Bevölkerung an Grundstücken könnten
alle Leute mitsammen nicht einmal 3 Monate lang aus den Erträgnissen
der Felder leben, selbst wenn sie nur Kartoffeln gemessen würden; daher
ist der weitaus grösste Teil der Männerwelt gezwungen, auswärts bei
Strassen- und Eisenbalinbauten, bei Bachregulierungsarbeiten sich Verdienst
zu suchen, um ihre Familien unterstützen zu können. Gegen Winter
kommen dann viele nach Hause, um einige Zeit zu rasten und dann wieder
neuerdings auswärts Arbeit zu suchen.
Ihrer Heimat sind die Luserner sehr anhänglich, und auch ihre Mundart
halten sie hoch, weshalb das Beispiel eines einzigen Luserners, der,
ohne Zweifel von auswärts her beeinflusst, das Italienische zur Familien-
sprache zu machen suchte, auf seine eigene Familie beschränkt blieb und
weiter keine Nachahmung gefunden hat.
Was die Geschichte Lusérns anbelangt, so ist zu beklagen, dass sich
über die Anfänge Luserns sowohl, wie auch der ganzen stamm- und sprach-
verwandten Bevölkerung im weiten Umkreise, die aber grossenteils schon
italienisiert ist, nichts Stichhaltiges sagen lässt. Dal Pozzo, weil. Pfarrer
in einem Dorfe der Sette Comuni von Vicenza, widmete in seinem 1820
erschienenen Werke „Historische Denkmäler der Sette Comuni . ... a
(„Memorie storiche dei Sette Comuni ....") einen grossen Abschnitt
dieser Frage mit begleitenden Sprachproben und führte der Reihe nach
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälsclien Südtirol.
153
alle nichtitalischen Völkerschaften auf, die in der Geschichte nacheinander
auf italischem Boden auftreten mit Einschluss der Kelten und Hunnen.
Bas Ergebnis der ganzen Untersuchung bildet als letzte These die An-
nahme, dass dieser Volksstamm, von den Italienern Cimbern genannt, ein
Konglomerat aus versprengten Teilen all dieser Völkerschaften sei. Aus
Ausgrabungen in den Sette Comuni will er diesen Stamm aus einem vor-
christlichen Zeitalter herleiten.
Indessen hat aber die Mundart nicht das Gepräge eines solchen Alter-
tums und hätte sich ohne litterarische Pflege, getrennt, abgeschlossen, ver-
gessen von den übrigen Deutschen nicht in der Weise entwickelt, die eine
so grosse Ähnlichkeit mit den übrigen deutschen Mundarten zeigt.
Den Grund dazu dürften allerdings deutsche Völkerschaften in Italien
gelegt haben, aber ihr Einfluss war mehr oder minder vorübergehend, und
teilweise nahmen sie ja selbst, wie die Langobarden, wälsche Sprache und
Sitte an.
Dauernder wurde der Einfluss der Deutschen unter Karl dem Grossen,
besonders als er die anfänglich belassene Verfassung der Langobarden
aufhob und die fränkische einführte. Als nun vollends Tirol unter Otto I.
samt Verona und Aquileja an Deutschland angegliedert wurde (man beachte
auch die 13 veronesischen Gemeinden und die deutschen Enklaven bei
Udine) und Friedrich Barbarossa noch viel entschiedener Tiïol als deutschen
Besitz und in einem Schreiben Trient als deutsche Stadt erklärt hatte,
ßiuss auch mit dem erstarkten deutschen Einflüsse die deutsche Sprache
iß jenen Gegenden mehr zur Geltung gekommen sein. Von Bozen führte
uni Trient herum ein deutscher Handelsweg nach Venedig und wurden,
wie von hochachtbarer Seite mitgeteilt wird, deutsche Kolonisten im
13. Jahrhunderte zu dessein Schutze berufen, welche Lokaleinrichtung bis
ins 17. Jahrhundert sich erhielt und erst von da an vernachlässigt und
aufgelassen wurde.
AVas die Luserner insbesondere betrifft, so waren sie teilweise einst
wohl Bergwerkarbeiter, was die Namen Canéppele (=Knäpple), welche heute
noch von einigen Familien geführt werden, beweisen. Im mündlichen
Verkehr sagen die Luserner aber Knapp, z. B. der Mathä' Knapp. Auch
heisst eine Alme in der Nähe „Milligrobe" (= Tausend Gruben) und werden
der Umgebung Luserns auch noch Erzschlacken gefunden.
Ihrer Herkunft nach stammen die Luserner sehr wahrscheinlich aus
Lafraún und zwar ausnahmslos entgegen der verbreiteten Annahme, dass
Familienname aus dem Laimthale (Terragnolo bei Roveredo) herkäme.
In politischer Hinsicht bildete Lusern mit Lafraün eine Gemeinde bis
§'egen Ende des vorigen Jahrhunderts.
Kirchlich gehört Lusérn zur Pfarre Brancafora, von welcher aus Lusérn
111 den ersten Zeiten seines Bestehens versehen worden ist. Im Ehebuch
154
Bacher:
der genannten Pfarre, das mit 1617 beginnt, kommt Lusárn das erste Mal
vor gleich an zweiter Stelle, nämlich am 5. Februar 1617.
Erst 1715 wurde in Lusern eine Kirche gebaut und am 7. Oktober
eingeweiht, aber ohne Priester mit Wohnsitz in Lusérn. Die Seelsorgs-
stelle Lusérn wurde erst 1745 errichtet. Die Taufmatriken beginnen mit
13. Juli 1745, und als amtierender Seelsorger erscheint Simon avia [Strasser,
i tal. Strazzer, ist ein im Astachthale vorkommender Zuname].
1772 wurde die indes erweiterte Kirche und der angelegte Friedhof
eingeweiht von Pfarrer Adami von Brancafora mit bischöflicher Er-
mächtigung. Kurat von Lusérn war damals Jakob Yalzorgher, auch ein
im Astachthale vorkommender Name.
Bis in die achtziger Jahre des vorigen -Jahrhunderts gehörte Lusérn
mit Brancafora und Casotto zur Diöcese Padua, während Lafraún und bei-
nahe das ganze Yalsugana unter Feltre stand.
Im Jahre 1780 trennte sich Lusern von Lafraún und bildet seitdem
eine eigene Gemeinde.
Yon der Errichtung der Kuratie-Stelle bis 1862 hatte Lusérn nur ital.
Kuraten und wälsch wTar auch die Schule. Im letztgenannten Jahre am
2. Dezember kam Franz Zuchristian als Kurat nach Lusérn und entdeckte
hier bald zu seiner Überraschung einen deutschen Dialekt. Er machte
diese Entdeckung in Zeitungen, besonders im „Bote für Tirol und Vorarl-
berg" bekannt, woraufhin im Jahre 1866 der hochverdiente, mittlerweile
leider verstorbene Prof. Dr. Ignaz v. Zingerle in Begleitung des damaligen
Professors in Boveredo Christian Schneller, späteren Landesschulinspektors,
der auch als Schriftsteller und Dichter später bekannt und geschätzt wurde,
nach Lusérn sich verfügte. Näheres darüber im „Lusernischen Wörter-
buch" von Dr. Ignaz von Zingerle (Innsbruck, Wagner, 1869), woriu der
rühmlichst bekannte gelehrte Yerfasser mit liebender Hingebung die Er-
gebnisse seiner Sammlungen und Forschungen weiteren Kreisen zugänglich
gemacht hat.
Die genannten Herren schickten sodann deutsche Schulbücher nach
Lusérn, und am 4. Mai 1866 wurde die bisher italienische Schule in eine
deutsche umgewandelt, an welcher der Kurat Zuchristian (gebürtig aus
Überetsch bei Bozen) an der Oberklasse Lehrer war, während die Unter-
klasse teils seine Wirtschafterin, Elisabeth Spies aus dem Burggrafenamte,
teils ein fähigerer Schüler der Oberklasse besorgte.
Die Gemeindevorstehung und das ganze Yolk war für die deutsche
Schule eingenommen und alles ging gut und friedlich, bis im Sommer 1878
ein Modenese als Kooperator (Hilfspriester) nach Lusérn kam. Dieser
ting bald an gegen die deutsche Schule Stimmung zu machen. Lehrer an
der Schule war damals nicht mehr der Kurat Zuchristian, sondern der jetzt
noch in gleicher Eigenschaft in Lusérn thätige Simon Nicolussi, ein Luserner.
Auch diesen suchte der erwähnte Kooperator durch Lockungen und genau
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälsclien Südtirol.
155
bestimmte Versprechungen für seinen Plan zu gewinnen, nämlich die
deutsche Schule zu entfernen und auch den Kuraten Zuchristian aus seiner
Stelle zu verdrängen, dessen Amt dann besagter Kooperator übernommen
hätte. Der Lehrer wies diese Zumutung mit Entrüstung zurück, und bald
verschwand der Kooperator infolge Eingreifens der Bezirkshauptmannschaft
Borgo vom Schauplatze seiner stänkerischen Thätigkeit.
Die Gärung war aber nun einmal ins Volk hineingetragen und nicht
mehr ganz zu beseitigen. Allerdings fällt in diesen Zeitabschnitt die Zu-
wendung einer grossen Wohlthat an Lusern, nämlich die Errichtung einer
Spitzenklöppelschule im Jahre 1882, wofür sich Kurat Zuchristian eifrig
bemüht hatte; allein die einmal gesäete Zwietracht erhielt sich als still
schleichendes Gift, bis endlich im Herbste 1883 die verheerende Wirkung
äusserlich sich zeigte, denn von nun an entbrannte der heisse Kampf um
Erhaltung des Deutschtums, wurde der Friede der kleinen Gemeinde arg-
zerrüttet, treten zwei feindliche Parteien auf den Plan zu einem Kampfe,
der leider nur zu häufig in gehässig persönlicher Weise geführt wurde.
Man vermutet aus sehr triftigen Gründen, dass der Anstifter und Führer
im Kampfe gegen das Deutschtum durch die Vorspiegelungen und Hetzereien
des Advokaten Dr. Dordi in Trient zu diesem Schritte und zu einem so
plötzlichen Gesinnungswechsel verleitet worden sei, so dass er, seine eigene
Muttersprache verachtend, nicht bloss in seiner eigenen Familie das Wälsclie
als ausschliessliche Verkehrssprache einführte, wie weiter oben erwähnt,
sondern auch mit einer rastlosen Thätigkeit sich gegen alles wandte, was
sich mit dem Deutschtum in Lusern irgendwie in Beziehung bringen liess,
ohne Rücksicht auf Anstand in der Wahl der Kampfesmittel, ohne Rück-
sicht auf die Bedürfnisse des Volkes.
Als nun vollends im Jahre 1884 bei den Wahlen durch Verstellung
denWälschen es gelang, die deutsche Partei zu täuschen und viele Stimm-
zettel zu Gunsten ihrer Partei auszufüllen, und sie so in der Gemeindever-
tretung die Oberhand erhalten hatten, schien die deutsche Sache rettungslos
verloren, und die wälsche Genieindevertretung arbeitete auch mit Umsicht
darauf hin, die deutsche Schule zu entfernen.
Dass dies nicht gleich geschah, ist wohl dem Umstände zuzuschreiben,
dass die neuen Gemeinde-„Väter" das Volk nicht plötzlich überraschen
und dadurch einen Sturm gegen sich entfachen wollten. Sie fanden es
geratener, das A7olk nach und nach mit dem Gedanken an Entfernung der
deutschen Schule vertraut zu machen. Sie begannen daher mit der Spitzen-
klöppelschule, die als deutsche Einrichtung und Wohlthat ihnen im Wege
stand, und sie wollten sie in Lusérn unmöglich machen. Die deutschgesinnten
ïjuserner, obenan David Nicolussi-Castellan, wehrten sich aber energisch, und
so zogen sich die Streitigkeiten und Prozesse in die Länge und beschäftigten
sich die Gemüter vollauf mit der Spitzenklöppelschule.
156
Bacher:
Darüber verging- die Zeit, ohne dass die Wälschen sich ernstlich mit
der Volksschule befassen konnten, und der Zeitpunkt für eine Neuwahl
der Gemeindevertretung rückte schon immer näher. Für diese Wahl,
die auf den 27. November 1887 angesetzt war, mussten Vorbereitungen
getroffen werden, welche wieder den Angriff auf die deutsche Schule
zurückstellen hiessen, galt es ja doch für die Wälschen, sich in ihrer er-
schwindelten Stellung weiter zu behaupten.
Natürlich wurde auch auf Seite der Deutschen die o-rösste Rührigkeit
o o
entfaltet und Vorsicht gebraucht.
Den Höhepunkt der Thätigkeit bei beiden Parteien erreichte der Tag
vor der Wahl und besonders noch die dazwischen liegende Nacht. Die
Strassen und Gässchen Lusërns waren in dieser Nacht sehr belebt, Lichter
eilten hin und her, Gestalten huschten von Thür zu Thür, selbst das weib-
liche Geschlecht war an dieser Rührigkeit lebhaft beteiligt, Abwesende
waren aus mitunter weiter Entfernung zur AVahl herbeigerufen worden,
die Wälschen boten einem alten Manne 200 fl., aber ohne Erfolg, dem
Bäcker eine beträchtliche Menge Weizenmehl, wieder ohne Erfolg, da
diese Leute und noch andere auch angesichts jener Versprechungen nicht
auf Seite der Wälschen treten wollten. Der damalige Kur at Johann Steck
musste sein Wahlrecht reklamieren, da er in den Listen „vergessen"
worden war.
Auf solche fieberhafte Vorbereitungen folgte der belebten, schlaflosen
Nacht endlich der Wahltag.
Dichtgedrängt harrten die Männer nach abgegebener Stimme des Aus-
gangs, den sie schon mit mehr oder weniger Sicherheit während des Wahl-
ganges zu berechnen sich bemühten. Das Ergebnis wTar folgendes:
Wahlkörper Wahl- berechtigt Abgegebene Stimmen Deutsch W als ch
III. 148 74 40 34
II. 35 19 11 8
I. 12 6 fi —
Bei Verlautbarung dieses Ergebnisses brach unter den harrenden
Deutschen ein unbeschreiblicher Jubel aus und der errungene Sieg wurde
dann unverzüglich bei Wein in gehobener Stimmung noch besonders
gefeiert.
Um den guten Ausgang dieser Wahl hat sich besonders der schon
erwähnte Lehrer Simon Nicolussi verdient gemacht, indem er das Wahl-
gesetz so genau und gründlich durchstudierte, dass einerseits die Wälschen
nichts Ungesetzliches begehen, andererseits das Verhalten der Deutschen
so geregelt werden konnte, dass eine Ungültigkeitserklärung der Wahl im
Falle eines günstigen Ausganges derselben sicher ausgeschlossen war.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
157
Bei der nächsten Wahl 1890 machten die Wälschen nur mehr im
3. Wahlkörper einen Versuch, bei der Wahl 1893 und der nach G Jahren
am 11. Jänner 1900 wiederkehrenden Wahl gar keinen Yersuch mehr.
Aber gegen die Schule wurde die Wühlarbeit neu aufgenommen. Die
neue deutsche Gemeindevertretung trat zwar energisch dagegen auf, konnte
aber dennoch das Sammeln von Unterschriften und den Schwindel1) mit
denselben nicht verhindern.
Diesen Hetzereien reichte der wälsche Schulverein „Pro patria" die
Hand und erliess seinerseits in Zeitungen und durch Plakate Aufrufe an
die Bevölkerung, der italienischen Gemeinde Lusern, die der Gefahr
der Germanisierung ausgesetzt sei, zu helfen. Lusern sei eine italienische
Gemeinde mit ganz wenigen deutschen Sprachwurzeln.
Diese Aufrufe hatten bei der leichten Erregbarkeit der Italienisch-
Tiroler und infolge der geglaubten unwahren Darstellung Erfolg, und die
Summe zum Baue eines italienischen Schulhauses wurde zusammengebracht.
Die „Pro patria" machte nun am 6. August 1889 die Eingabe an die Gemeinde
Lusern um Bewilligung zum Baue eines Hauses auf Luserner Grund. Die
Gemeinde Lusern hatte aber keine Eile mit deren Erledigung. Erst am
12. November erfolgte dieselbe und zwar in deutscher Sprache und ab-
schlägig. Daraufhin ergriff die „Pro patria" den Beschwerdeweg beim
Landesausschuss in Innsbruck. Von diesem wurde die Gemeinde Lusérn
aufgefordert, anzugeben, ob gesetzliche Gründe für Verweigerung der Er-
laubnis vorliegen, anderenfalls aber die Erlaubnis zu erteilen. Dem Ge-
nieindevorsteher David Nicolussi-Castellan wurde ferner vom Landesaus-
scliusse eine Strafe von 20 fl. diktiert und der Gemeinde aufgetragen, mit
den Behörden Wälschtirols und mit den Parteien nur italienisch zu ver-
kehren.
Da die von der Gemeinde vorgebrachten Gründe alle als im Gesetze
nicht als hinreichend befunden wurden, sah die Gemeinde wohl ein, dass
ihr Widerstand fruchtlos sein werde, aber sie suchte das Unvermeidliche
Wenigstens so lange als möglich hinauszuziehen, und nicht sie wollte es
sein, von der der wälsche Schulverein die Bauerlaubnis erhalten sollte. Vor-
erst griff die Gemeinde das Verbot des Landesausschusses an, die deutsche
1) Um der „Pro patria" eine möglichst lange Reihe von lusernischen „Familien-
vätern" und „Familienmüttern" einsenden zu können, wurden die Listen mit den blossen
Hainen eingesendet und darin alle Erwachsenen und auch die Kinder dieser Familien
aufgeführt, vor die Namen aber überall Signor oder Signora (Herr oder Fräulein oder Fran)
8'esetzt, so dass es den Anschein hatte, als wären alle oder doch die meisten aufgeführten
Personen Familienväter oder -Mütter, oder wenigstens selbständige Personen. Es wurde
P>. ein Kind in der Wiege auch in die Liste aufgenommen und davor stand ganz stramm
der Titel „Signora". Schulkinder und noch kleinere rangierten in diesen Listen als Herren
uöd Frauen und Fräulein, und der mit den Verhältnissen nicht Vertraute musste deshalb
Notwendigerweise die Liste als eine Reihe von Namen selbständiger Personen ansehen;
a,1ch ohne Zustimmung, selbst ohne Vorwissen wurden einzelne Erwachsene in die Listen
au%enommen — und trotz alledem wurde eine klägliche Zahl von „Anhängern" erreicht.
158
Bacher :
Sprache bei Erledigungen für Wälschtirol zu gebrauchen und ergriff den
Rekurs an den Obersten Yerwaltungs-Gerichtshof in Wien (1. Febr. 1890).
Dadurch zog sich die Erledigang des Ansuchens um Baubewilligung'
wieder hinaus; aber die Gesellschaft „Pro patria" konnte in ihrer Ungeduld
die Erledigung nicht erwarten und hatte schon früher (31. August 1889)
das Fest der Grundsteinlegung in Lusérn angesetzt. Dazu waren am be-
zeichneten Tage auch zahlreiche geladene Gäste, Herren und Damen, er-
schienen aus Roveredo, Calliano, Trient, Borgo, Lavarone.
In der Frühe verkündeten Pöllersalven das ausserordentliche Ereignis
für Lusérn. Kaum hatte aber der Gemeindesekretär Lehrer Simon Isico-
lussi das Schiessen gehört, als er in Vertretung des abwesenden Gemeinde-
vorstehers die Schiessenden unverzüglich unter Androhung von Strafe in
die Gemeindekanzlei rufen liess, ihre Aussagen zu Protokoll nahm und
den beiden Führern der Wälschen Luserns ein Dekret zustellen liess mit
der entschiedenen Forderung und gegen Strafandrohung "von 100 fl., den
Beginn des Baues unverzüglich einzustellen, und sollte dieser Beginn auch
nur in der Grundsteinlegung bestehen, da sie die Erlaubnis hierzu noch
nicht erhalten hätten.
Nun verstanden sich die zwei wälschen Führer dazu, an die Gemeinde
eine schriftliche Eingabe um Erlaubnis zur Grundsteinlegung und zum
Schiessen zu machen, welche Bitte aber abgewiesen wurde.
Mittlerweile hatte Simon Nicolussi ins 3/i Stunden entfernte „Wiesele"1
geschickt, um den Yorsteher David Nicolussi - Castellan herbeizurufen.
Selbiger kam in Begleitung des ersten Gemeinderates Jakob Nicolussi-Galeno,
der gleichfalls im „Wiesele" gewesen war, in die Gemeindekanzlei. Dorthin
kamen bald auch die Festteiluehmer mit der Bitte, das Fest ihnen zu ge-
statten. Der Yorsteher erwiderte darauf: „Wenn ihr das thun wollt, so
habt ihr das Strafdekret schon in der Tasche." Einer der Festgäste, ein
Advokat, suchte zu feilschen und sagte: „Streichen wir von der angedrohten
Strafe eine Null und lassen Sie uns das Fest begehen! So können beide
Teile befriedigt werden." Der Yorsteher aber entgegnete, er lasse nicht
einen Kreuzer streichen. Daraufhin versuchte ein Dr. med. es mit schärferem
Geschütz: „Sie, passen Sie auf", sagte er zum Yorsteher, „was Sie thun!
Wenn Sie die Erlaubnis zur Grundsteinlegung und dem damit verbundenen
Feste nicht geben, dann werden sie in allen Zeitungen verrissen werden."
Darauf der Yorsteher: „0, das macht mir gar nichts; ich bin es so gewohnt
in Zeitungen verrissen zu werden, dass, wenn es nicht geschieht, es mich
ganz verdriesst." Diese Antwort trieb die Festteilnehmer wütend zur
Thür hinaus, indem der oben erwähnte Dr. med. noch voll Wut rief:
„Dieser da ist der Teufel, man kann nichts ausrichten (questo l'è '1 diavolo?
non se po '1 far niente)." Un verrichteter Dinge zogen die fremden Gäste
von Lusérn weg.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
159
Nun mussten sie wohl oder übel bis zum Erhalt der Erlaubnis warten,
und diese wurde der „Pro patria" gegen den Willen der Gemeinde vom
Landesausschuss am 28. Februar 1890 erteilt. Die Gemeinde ihrerseits
fasste und protokollierte am 27. April den Beschluss, weder der Gesell-
schaft „Pro patria", noch deren Erben, noch deren Nachfolgern, weder
Bau- noch Brennholz zu überlassen, weder ohne noch gegen Bezahlung,
und dass die Genannte nie ein Recht haben solle weder auf der Gemeinde
gehörige Objekte, noch auf deren Nutzniessung, und auch das Servituten-
recht für sich niemals beanspruchen könne.
Bald langte auch die Entscheidung des Obersten Yerwaltungsgerichts-
hofes vom 1. Mai 1890 über Lusërns Sprachenfrage ein, welche im wesent-
lichen folgendes enthält: Lusérn hat deutsch und italienisch zu erledigen,
je nachdem die Eingabe deutsch oder italienisch ist. Durch diese Ent-
scheidung ist die Verfügung des Landesausschusses bezüglich Erledigung
des Gesuches der „Pro patria" bestätigt, dessen allgemeiner Auftrag aber,
für Italienischtirol nur italienisch zu erledigen, aufgehoben worden.
Das italienische Schulhaus wurde nach erlangter Baubewilligung in
Angriff genommen und Mitte April 1893 die italienische Schule eröffnet,
in welche sogleich 27 Kinder eintraten. In den folgenden Jahren stieg
die Zahl allmählich bis 46 und sank dann wieder nach und nach;
im Jahre 1899 waren noch 33, heuer (1900) sollen nur etliche zwanzig
die italienische Schule besuchen; in der deutschen Schule waren nie
unter 100.
Den Deutschen gelang es, im Allgemeinen deutschen Schulverein einen
edlen Wohlthäter zu finden, und so konnte noch im Mai 1893 ein deutscher
Kindergarten in Lusérn eröffnet werden. Fräulein Mathilde Andre (jetzt
verehlichte v. Unterrichter) war die erste Kindergärtnerin; ihr fiel die
schwere Aufgabe zu, die Kleinen an diese Neuheit erst zu gewöhnen und
für die Schule zu erziehen, und sie hat. diese Aufgabe glänzend gelöst zur
vollsten Zufriedenheit ,der Bezirksinspektoren und zur Freude der Eltern;
ja selbst die gegnerische Partei rühmte unverhohlen die Tüchtigkeit dieser
Lehrerin.
Gleichzeitig wurde auch mit dem Bau eines neuen deutschen Schul-
hauses begonnen und dasselbe am 15. Oktober 1894 seiner Bestimmung
übergeben. Dieser massive Bau mit seinen dicken Mauern, als wäre er
zu. einer Festung bestimmt, enthält im Erdgelasse zwei hohe Säle für den
Kindergarten, im 1. Stocke zwei Schulzimmer, im 2. Stocke zwei getrennte
Wohnungen für die Lehrerinnen der A'olksscliule und des Kindergartens.
Die erste Kindergärtnerin lebt noch immer in gutem Andenken bei
den Lusernern; sie bleibt ihnen unvergesslich. Auch ihre Nachfolgerin,
Fräulein Auguste v. Lutterotti ist ihrer Aufgabe gewachsen und hat recht
schöne Erfolge erzielt.
160
Bacher:
An der Volksschule wirkten seit einer Reihe von Jahren mehrere
Lehrerinnen, aber keine hat durch Liebe zu ihrem Berufe, durch Geschick,
mit den Kindern umzugehen, sich die Hochachtung der Luserner in dem
Grade zu erwerben verstanden, wie Fräulein Luise Frick, die schon seit
neun Jahren in Lusern thätig ist.
Auch in der Kirche wurde das Deutsche allmählich zur Geltung ge-
bracht. Schon unter Kura.t Zuchristian hatte man angefangen neben den
bisher üblichen italienischen Liedern auch deutsche zu singen und während
der stillen Messe deutsch vorzubeten. Später wurden die Hirtenschreiben
nicht mehr italienisch allein, sondern auch deutsch verlesen; vom Juli 1899
an wurde das in den Kirchen übliche Verkünden in beiden Sprachen ein-
geführt und bald darauf bei der Feier der ersten Messe des ersten Priesters
aus Lusérn, Christian Nicolussi-Leck, der mit Unterstützung des Aligera,
deutschen Schulvereins mit sehr gutem Erfolge die Studien vollendet hatte,
auch deutsch gepredigt nach dem ersten italienischen Teile. Diese Predigt
hatte der ehemalige, schon oben erwähnte Kurat Johann Steck, seit einigen
Jahren Pfarrer und seit kurzem auch Landtagsabgeordneter, übernommen.
13er genannte Herr hat das grosse Verdienst, bezüglich der deutschen
Predigt Bahn gebrochen zu haben. Von nun an wurde stets abwechselnd
einen Feiertag deutsch (durch den neugeweihten Luserner Priester), den
anderen italienisch gepredigt, und diese Ordnung hält auch der gegenwärtige
Kurat Angelus Zorzi inne, trotzdem dass anfänglich einige der Wälsch-
gesinnten bei der deutschen Predigt demonstrativ die Kirche verliessen,
und trotzdem es nicht an solchen fehlte, die ihm den dringenden „guten"
Rat zur Verfügung stellten, die deutsche Predigt aufzugeben, auch trotz
anonymer Drohbriefe u. s. w.
Von Lusernern, die den Studien oblagen, wurde am meisten der
Lehrerstand gewählt, indem gegenwärtig, mit Einschluss des Lehrers in
Luserna, sieben in verschiedenen Schulen ihren Beruf ausüben, darunter auch
Matthäus Nicolussi an der deutschen Staatsschule in Trient und Hans Nico-
lussi-Leck an der städtischen Knaben-Volksschule in Bozen. Von den
genannten sieben Lehrpersonen ist nur eine Lehrerin, die heuer das erste
Jahr in einem Dorfe Deutschtirols thätig ist.
Von sonstigen Studienberufszweigen ist ausser dem schon erwähnten
neugeweihten Priester, ein Luserner, Matthäus Pedrazza, im Steuerfache
thätig, war überall sehr beliebt beim Volke als Steuerinspektor und ist
jetzt seit zwei Jahren Finanzrat. Der Universitätshörer Hans Nicolussi aus
Lusérn, der bisher die Studien mit ausgezeichnetem Erfolge zurückgelegt
hat und sich auf das Doktorat aus der medizinischen Wissenschaft vor-
bereitet, wird auch bald in das Berufsleben übertreten.
So hat denn die deutsche Sache in Lusérn trotz der schweren Stürme,
trotz Kampfes mächtiger und intelligenter Gegner schöne Erfolge erzielt,
und es ist für Lusern eine einzig schöne Auszeichnung, eine ruhmreiche
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
161
patriotische That, ihre deutsche Sprache hochgehalten und so mutig und
ausdauernd verteidigt zu haben; und diese That gewinnt umsoniehr an
Bedeutung, da Lusérn ein Grenzposten ist gegen das Wälsche, ein Mark-
stein, der aus der geschichtlichen Vergangenheit in die Jetztzeit hineinragt
und dem Yordringen des Wälschen ein gebieterisches Halt zuruft. Die
Gemeinden rings um Lusérn, sowohl im Yalsugana, wie im Astachthaie
und auf den Höhen von Follgereit und Lafraún waren einst deutsch; sie sind
allmählich in das wälsche Volkstum aufgegangen, vor Lusérn aber war
diese Bewegung gezwungen, halt zu machen.
Die Sprache der ehemals deutschen, nunmehr verwälschten Gemeinden
der Umgebung Lusérns, sowie der noch teilweise deutschen Sette Comuni
Vicentine wurde und wird von den Italienern die cimbrische genannt, was
ungefähr die Bedeutung hat, wie bei uns der Ausdruck: wälsch. In den
Gemeinden Lafraún, S. Sebastian, im Astachthaie u. s. w. wurde und wird
noch teilweise von wenigen alten Leuten das Cimbrische so gesprochen
wie in Lusérn; in den Sette Comuni weicht es etwas von der Luserner
Mundart ab, indem die Aussprache in den Sette Comuni (wie auch in
Piémont) schärfer klingt, das helle e mehr zur Verwendung kommt und
auch einige andere Wörter gebraucht werden. Der Satzbau ist im ganzen
und grossen überall gleich und wird von Dal Pozzo der ursprünglich
natürliche genannt: zuerst das Subjekt, dann das Verb mit dem etwa zu-
gehörigen Particip, gleich dahinter dann das Objekt u. s. w. Eben wegen
dieser Ähnlichkeit und trotz der kleinen Verschiedenheiten können sich
ein Luserner und z. B. ein Sieger (aus den Sette Comuni) ganz gut jeder
in seiner Mundart verständigen.
Schliesslich noch etwas von der Aussprache:
1. Das a wird immer schön und rein und korrekt wie im Schrifthochdeutschen
gesprochen, sei es lang oder kurz oder nasal.
2. Das ü wird sehr schön tief gesprochen, wie im korrekten Schrifthoch-
deutsch.
3. Das eu und äu wird stets wie aü gesprochen, was beachtet werden wolle,,
da in manchen der vorliegenden Sprachproben eu und äu stehen ge-
blieben ist.
4. Für tonloses e (= d) hört man oft auch einen a- oder o-ähnlichen Laut,
z. B. d^rkéñt oder darként oder dorként.
5. Ebenso tritt oft an Stelle des tonlosen i auch d oder a: di d¿ da = die.
6. u klingt oft auch wie o, besonders beim Wörtchen un = und, also un
oder on.
7. Für z steht hinsichtlich des Wörtchens zu zo za oft auch t, also: zu zo
za, tu to ta = zu.
Die Wahl der unter 4—7 bezeichneten Formen hängt von der Eigen-
heit und Neigung oder Vorliebe des Sprechenden für eine bestimmte
•^°nn ab und lässt sich demzufolge keine Regel dafür aufstellen. Wichtig
162
Schell:
ist nur zu merken, dass diese und viele ähnliche Formen, besonders auch
Vor- und Nachsilben stets nur eine und dieselbe Bedeutung haben; dann
wird man bald mit dieser anfänglich störenden Erscheinung hinlänglich
vertraut sein.
(Fortsetzung folgt.)
Bergische Hoclizeitsgebräuche.
Von 0. Schell.
(Schluss von Zeitschr. X, 48.)
Eine durch Volkssitte festgesetzte Frist zur Heimführung der Braut
nach vollzogener Verlobung gab es nicht. Dauerte das feste Verhältnis
aber ungebührlich lange, so durfte man beiderseits auf Hänseleien und
derbe Foppereien gefasst sein, und die Bezeichnungen ewiger Bräutigam,
ewige Braut" lassen darüber keinen Zweifel aufkommen.
Gern sieht es das Bergische Volk noch heute nicht, wenn eine Ver-
lobung rückgängig gemacht wird, und deutet es gar schon übel, wenn ein
festes Verhältnis wieder gelöst wird. Das Mädchen wird in solchem Falle
leicht zur alten Jungfer. Aber auch dem zurückgetretenen Burschen ver-
schliesst sich manche Tlrüre, welche ihm früher willig geöffnet worden
wäre. Auch für die Bergische Bevölkerung hat im grossen und ganzen
"Weinholds Wort noch Bedeutung: „Liebeleien oder Minnedienst kannte
der Germane in derZeit seiner unbefleckten Volkstümlichkeit nicht; hinter
der geäusserten Zuneigung stand jedesmal die Ehe oder wenigstens der
Antrag zu ihr, welche durch die Verlobung abgeschlossen, durch die bald
mehr oder minder rasche Heimführung der Braut angetreten wurde."
Streng wacht auch das Volk noch heute darüber, dass sich Verlobte
nicht die Rechte von Ehegatten anmassen. Die Kirche, namentlich die
protestantische Kirche, kam mit ihren Abschriften und Gesetzen, aber
auch ihren Strafen (Kirchenbusse u. s. w.) diesem Bestreben des Volkes
ganz und gar entgegen. Noch heute aber sagt man von einer Frau, welche
zu früh niedergekommen, sie habe einen Flecken in ihrer Schürze.
Am Vorabend der Hochzeit war — denn heute dürfte diese Sitte fast
ganz verschwunden sein — Polterabend. Hatte die strenge Kritik des
Arolkes, namentlich das Gericht der Altersgenossen über das sittliche Vor-
leben des jungen Paares nichts einzuwenden, was nach unseren früheren
Ausführungen (S. 43) durch Schabernack aller Art gerügt wurde, so beging man
•den Polterabend in grossem Massstabe. Die bösen Geister wurden unter
-entsetzlichem Getöse, unter dem Gemurmel alter Bannformeln u. s. w. aus
Bergische Hochzeitsgebräuche,
dem künftigen Heim der Brautleute ausgetrieben. Mit grossem Gepolter
wurde allen bösen Geistern der Ausgang zur offenstehenden Hausthüre
gewiesen, ein etwaiges Wiedereindringen aber durch sorgfältigen Verschluss
aller übrigen Öffnungen verhindert. An alle Wände wurde geklopft, jeder
Fleck mit Wasser begossen. So ging die wilde Jagd vom Speicher bis
zum Keller und endlich zur Hausthüre hinaus. In den dem Bergischen
angrenzenden Teilen des Sauerlandes hat sich noch vielfach ein Anklang
an den Polterabend darin erhalten, dass man alle im Laufe der Zeit an-
gesammelten Scherben am Yorabend der Hochzeit den Brautleuten vor
das Haus wirft und so mitunter recht ansehnliche Scherbenberge anhäuft.
In den Städten und vielfach auch in den Dörfern hat sich die Sitte des
Polterabends zu einer Abschiedsfeier aus dem Junggesellenstande verflacht,
wobei ein Gelage mit Ansprachen u. s. w. die Hauptsache ist.
War so in manchen Teilen des Bergischen die Feier des Polterabends
das untrügliche Siegel der sittlichen Unbescholtenheit, so hatte man noch zu
Montanus' Zeiten an der Agger vielfach (ob noch?) eine Art Ehrengericht voi-
der Hochzeit, welches einen etwaigen sittlichen Makel des Jünglings oder
«1er Jungfrau fortnahm. Mochte dieser oder jener Teil ein Verhältnis
gelöst haben oder verlassen worden sein, so musste vor Eingehung eines
neuen Verhältnisses die „Drühwäsch" (Trockenwaschung) erfolgen, wobei
der Jüngling durch einen bodenlosen Krat kriechen musste, die Jungfrau
aber durch ein Drugelsdu¿>k (langes Handtuch, dessen Enden zusammen-
gebunden wurden) gezogen wurde. Montanus führt diese Bräuche auf die
Rechtsformen unserer Vorfahren zurück, nach welchen der Treulose in
einem Korbe im Sumpfe ertränkt wurde, sonst aber ein Untertauchen im
Wasser zur Befreiung von jedem sittlichen Vorwurf für nötig erachtet
wurde (das Erteilen von „Körbchen" dürfte damit in Zusammenhang ge-
bracht werden können).
Die Verlobten dürfen bei der Verlesung ihres Namens nicht in der
Kirche anwesend sein. So will es noch jetzt in den meisten Gegenden
des Bergischen die Volkssitte.
Die Hochzeit selbst bildet den Abschluss dieser Zeit. Es erschien
nicht unwichtig, diesen hohen Festtag durch gutes Wetter verherrlicht zu
sehen, denn trübes Wetter am Hochzeitstage bewirkt Zank und Streit in
der Ehe. Darum muss die Braut die Katze gut füttern.
Es ist keineswegs gleichgültig, an welchem Tage die Hochzeit be-
gangen wird. Bei Elberfeld ist der Freitag seit altem dafür besonders
bevorzugt. So selten sonst dieser Tag als Hochzeitstag in Deutschland
Ausgewählt wird, so ist er doch bedeutsam für diesen Zweck, denn er ist
ftacli der Göttin Fría (Frigg) benannt, der Göttin der Ehe, der mütter-
lichen Gottheit, der in naher Verwandtschaft zu Freya, der Göttin der Liebe,
Gehenden Schwester des Gottes Freyr. Freya ist aber auch (nach Simrock,
Handbuch0, S. 337) die Göttin der schönen Jahreszeit, des holden Lenzes.
164
Schell:
Und in dieser Jahreszeit erfolgen seit alter Zeit die Eheschliessungen hier
zu Lande überwiegend.
Die Einladung zur Hochzeit übermittelte bis zur Mitte unseres Jahr-
hunderts noch ziemlich allgemein (selbst im Kirchspiel Elberfeld) der
Hochzeitsbitter. Ein guter Hochzeitsbitter war eine sehr gesuchte
Persönlichkeit. Viele Stunden weit holte man ihn herbei. Er ging,
festlich geschmückt, mit hohem Cylinderhut, von dem lange Bänder her-
niederflatterten, angethan, von Haus zu Haus und trug seinen Einladungs-
spruch vor. Derselbe hatte in Elberfeld, Neviges und Langenberg folgenden
Wortlaut:
Gon Dag! Do göft et ock en godden Dronk:
Hi sätt eck minnen Staf, Fussel on Bir,
Den Kusen däbi: Dat göft ock noch voll Pläsir,
Eck si willkommen oder nitt, eck si On ock en löstigen Spronk.
doch hi. Twölf Musikanten:
Eck häf en Eren tu bestellen Vir Dommen,
Van Brut on Bräutigam, Vir Stommen,
Am Frîdag Hochtid te fìren. On vir di dat Rueder füren.
Do gewent Plätze wi Karenräder, Fengent önk bi den Tiden en,
Schnieden hi van dännen bis no Köln — En Dumen dick vor Sonnenopgang,
Wenn de Weg nitt so wit wör, On en Hank bret vor Dag,
Dann däten si en ewen meten — Dann hant göt noch fröh genog,
Botter dropp so dick wi Dannenbot, Also, wie geseit, dat göft en schüan Fest,.
Ewer nitt so ha't dröcken On got Eten,
Dat dat Metz terbreckt. On för allen Dengen
On en gott Köppken Kolîee met Zucker, Den Bül met dem Geild nit vergeteli.
Dat göft ock en lecker Geschlubber. On dann loffe uss hollen bim grötsten
On en Hönschen en Botter gebroden, Tropp
Dat göft ock noch en got Eten. On sprengen ömmer dropp on dropp.
In Kronenberg lautete der Spruch folgendermassen:
„En Gruß van Brut on Bräutigam N. N., get mäuten (Angabe von Zeit)
110 Hochtied kuomen (von Ort). Et gewen Prumen wie Dumen, nit alge
(alge = arg, hier „ganz") so lang, Rosinen äs Klätschhäuern, nit alge so
decke, Suppe met Rosinen, Foschfliësch on Schenkefliësch met Witte-
buonen, Riesbrei met Prumen, dann en kaulen Dronk on en löstigen Spronk.
Friiö kuomen on lang dobliewen! Et Metzken on et Gäffelschen nit ver-
geten, et Biielschen met dem Geil gar nit!"
In der rechten Hand trug der Hochzeitsbitter einen langen Stab; wer
gesonnen war, zur Hochzeitsfeier zu erscheinen, reichte dem Einlader ein
Band (lint), welches dieser am Stabe befestigte und seines Weges weiter zog-
Nicht jeder war geeignet, einen Hochzeitsbitter abzugeben, sondern
nur ein redegewandter, geschickter Mensch mit einer guten Dosis Humor
und Witz begabt, eignete sich dazu; und darum verwaltete ein geschickter
Hochzeitsbitter oft viele, viele Jahre lang sein einträgliches Amt. Bei
kleinen Hochzeiten lud er nicht, meist nur bei Gebe-Hochzeiten, auf die
wir später zurückkommen werden. Die Einzuladenden waren genau be-
Bergische Hochzeitsgebräuche.
165
stimmt: es waren die Verwandten und die durch altes Herkommen fest-
gesetzte Nachbarschaft.
Die Hochzeit wurde im Hause des Bräutigams begangen; das ist
beachtenswert und schon von Weinhold, entgegen Engeltofts Meinung, fest-
gelegt worden als allgemein-deutscher Gebrauch. Denn nur unter dieser
Voraussetzung kann von einer Heimholung, von einem Brautzug oder
Brautlauf nach altgermanischer Ausdrucksweise die Rede sein.
Zur Abholung der Braut wurden mehrere junge Burschen und
Jungfrauen ins Haus der Braut gesandt. Nachdem letztere die Braut aufs
Beste geschmückt hatten, wurde der Weg zum Hause des Bräutigams an-
getreten. Der Weg, welchen der Brautzug nahm, war natürlich bekannt.
Auf allen Gehöften und in allen Dörfern hatten arme Kinder eine Schnur
gespannt. Sobald die Braut ihnen einige Geldstücke hingeworfen hatte,
wurde die Schnur losgelassen, und der Zug konnte weiter ziehen. In
einigen Gegenden, z. B. bei Ruhrort (Monatschrift des Bergischen Geschichts-
vereins III, S. 134), ist diese Sitte noch heute in Übung. Hierin haben
wir einen verkümmerten und entarteten Rest eines ehemals .statthaften
Brauches, nämlich des Brautlaufes, den Simrock für dunkel erklärte und
unergründet liess.x)
Ob die Brauttruhen, welche noch überall in Stadt und Land erhalten
geblieben sind, einst in besonders prunkhafter Weise (wie vielerorts üblich)
ins Haus des Bräutigams übergeführt wurden, kann ich nicht angeben.
Betrat das Hochzeitspaar das künftige Heim, so reichte die erste Auf-
wärterin zunächst dem jungen Paare das sogenannte „Kümpchen" (worüber
S. 166). Dann kreiste das Kümpchen unter den Hochzeitsgästen.
Der Eintritt der Braut in die neue Heimstätte erfolgte unter be-
sonderem Ceremoniell, denn es ist ein wichtiger Lebensabschnitt für die
Jungfrau, der sich nun vor ihr aufthut. Ihr Leben dreht sich von diesem
Zeitpunkt ab in erster Linie um das Haus, das seinen Mittelpunkt in der
Herdstätte hat. Dieser Ort ist aber auch der urälteste Begräbnisplatz
(Rademacher im Urquell IV, S. 57 ff.), der Aufenthaltsort der Geister der
verstorbenen Ahnen, deren Schatten in dieser oder jener Form darum in
den Sagen unseres Volkes sich hier so oft zeigen. An der Herdstätte mit
dem grossen Rauchfang hing (und hängt noch vereinzelt) ein Haken, eine
mit Zähnen versehene Stange zur Aufnahme des Kessels über dem Herd-
feuer. Das ist der Heihaken, Schriftdeutsch Hahl (mhd. hâhel, ahd. liâhala,
abgeleitet von hâhan, hangen).
Mannigfache Bräuche knüpfen nun an den Herd an, zunächst und
für uns hier allein in Betracht kommend die Eigentumsübertragung im
Kreise der Familie. Das versinnbildlicht das dreimalige Umwandeln des
Herdes oder des Heihakens. Die Braut, welche das künftige Heim nun
1) Über den Brautlauf Weinhold, D. Frauen, Is, 328. 362.
Zoitschr. (i. Vereins f. Volkskunde. 1ÍJÜU.
12
166
Schell:
als Gebieterin betritt, wird darum dreimal1) um das brennende Herdfeuer
geleitet und zwar von dem Bräutigam. Ein solches Umkreisen des heiligen
Herdfeuers war nur so lange möglich, als dasselbe inmitten des Hauses
frei aufloderte (wie noch heute in den alten Bauernhäusern der Lüne-
burger Heide). Als eine veränderte Bauart der Wohnhäuser zur Verlegung
des Herdfeuers an eine brandsichere Mauer nötigte, schwang man den
Heihaken dreimal um das Brautpaar. Das heisst: Um das Hei führen, um
das Hei leiten." Auch bei der neu eintretenden Magd, selbst bei Tieren
wandte man diesen Brauch an (Monatschrift des Bergischen Geschichts-
vereins, I, 8 ff.; Urquell, IY, 84). Weinhold ging noch weiter, wenn er
(Deutsche Frauen, 257 *) den Feuergott Loki, die Darstellung der zeugenden
Kraft, den deutschen Herdgott und Schützer des Hauses, zu diesem Brauche
in Beziehung setzte.
Noch vor kurzem war es bei Beyenburg u. s. w. gebräuchlich, dass
beim Empfang der Hochzeitsgäste die Braut ein sogenanntes „Kümpchen"
in der Hand hielt, ein mit Bändern und Blumen geschmücktes eigenartiges
Gefäss, welches mit süssem Anis und eingebrocktem Honigkuchen gefüllt
war. «leder Gast erhielt daraus einen Löffel voll. „Es sollen dazu früher
jene kleinen zinnernen Breikacheln gebraucht worden sein, die mehrfach
in Sammlungen vertreten sind. Diese zierlichen Gefässe, bei denen der
Deckel als Teller dient, stammen meist aus dem vorigen Jahrhundert und
zeigen mitunter edle, der Antike entlehnte Formen; rheinische Ausgrabungen
mögen die Yorbilder geliefert haben. Auch erinnere ich mich, dass wohl
ein Glas zu diesem Zweck gebraucht wurde, woraus jeder trinken musste"
(Albert Bras el mann).
Yon besonderem Schmuck ausser Brautkranz und Bräutigamsstrauss
weiss man bei uns am Hochzeitsfeste schon lange nichts mehr; doch
rauchte der Bräutigam aus einer langen Thonpfeife, welche mit Papier-
blumen und Flitterkram geschmückt war, der sogenannten Hiarenpipe.
Den Brautkranz übermittelte die Kirche, welche diese Sitte aus dem
klassischen Altertum beibehielt (Tertull. de coron, mil. 13; Chrysost. homil. IX
in 1. Timoth.). Schon das 13. Jalirli., das in Sitte, Brauch, Tracht u. s. w.
für unser Yolk von einschneidender Bedeutung ist, kannte den Brautkranz,
wie aus Bertholds Predigten ersichtlich ist.
Reiche und neue Gewänder zu tragen ist bis anhero das Bestreben
der Hochzeiter sowohl als der geladenen Gäste. Aber doch scheint im
Bergischen nach dieser Richtung kein Ubermass wie anderwärts vorge-
herrscht zu haben, da keine landesherrlichen Verordnungen dem Kleider-
luxus zu steuern suchten.
Ein besonderer Schmuck war in früherer Zeit die Brautkrone.
1) Vgl. dazu D. Frauen, F, 352. 3S0 f.
Bergische Hochzeitsgebräuche.
IG 7
Das Haar, der natürliche Kopfschmuck, wurde schon in frühester Zeit
hei den Germanen sehr geschätzt. Es erfreute sich bei den Männern und
Weibern, bei Vornehmen und Geringen, ganz besonderer Pflege. Es ist
bekannt, dass das frei herabwallende Haar (einzig und allein bei den
Sueven gekämmt und geknotet) bei den germanischen Stämmen das Zeichen
des freien Mannes war. Schon in jenen Zeiten wetteiferten nach den Mit-
teilungen von Plinius die Männer mit den Frauen in Germanien hinsichtlich
der Pflege des Haares mit Salben, Ziegentalg und Buchenasche.
War einst in den ältesten Zeiten unserer Yolksgeschichte das lange,
wallende Haar das Zeichen des freien Mannes gewesen, so ist noch bis
zum 19. Jahrhundert herab der alte Gebrauch in Deutschland in Übung
geblieben, dass die Jungfrau ihre unberührte Ehre durch freifallende Locken
öffentlich bekundete (Weinhold, Deutsche Frauen, I3, 340; Grimm, D.
Rechtsaltertiimer, S. 286 u. a.). Dass dieser Zierde darum besondere
Sorgfalt zu teil wurde, tst begreiflich. Für uns kommt hier das Künsteln
der Haare nicht in Betracht, sondern nur der Teil des äusseren Kopf-
schmuckes, der das Entstehen der sogen. Brautkrone erläutert, Hier bot
sich am natürlichsten ein Laub- oder Blumenkranz dar, der sich durchs
ganze Mittelalter verfolgen lässt, welcher vor allen Dingen beim Tanz
angewendet wurde. Dieser Kranz wurde seit höfischer Zeit Schapel genannt.
Der einfache Blumenkranz hi ess nachmals vielfach das Blumenschapel, zum
Unterschiede von dem künstlichen oder eigentlichen Schapel, einem Bande
(oder einer Schnur), welches um den Kopf geschlungen wurde, und welches
zuweilen mit Perlen oder Edelsteinen besetzt, aus lauterem Golde ver-
fertigt war. Yon diesem zuletzt beschriebenen Schapel zur Krone war nur
ein kleiner Schritt. Diese Krone bestand nämlich oft nur aus einem ein-
fachen Goldreifen, der nicht selten mit Perlen und Edelsteinen besetzt war.
Diese Krone zu tragen war ursprünglich kein Vorrecht fürstlicher Geburt,
sondern stand jeder freien Frau, vorzugsweise an ihrem höchsten Ehren-
tage, dem Hochzeitstage, zu.
Es ist einleuchtend, dass einen derartig kostbaren Kopfschmuck nicht
jedermann besitzen konnte und dass sich bald die Gepflogenheit ausbildete,
für eine Gemeinde, namentlich eine Kirchengemeinde, einen solchen Schmuck
zu beschaffen, der gegen Entgelt verliehen wurde.
So war es auch in Elberfeld. Die erste diesbezügliche Nachricht ist
in den Protokollbüchern der Elberfelder reformierten Gemeinde enthalten
und entstammt dem Jahre 1644, also der Zeit des grauenhaften 30jährigen
Krieges, der mit allen seinen Schrecken und Gräueln auch die kleine
Stadt an der Wupper heimsuchte. Es heisst unter den Eintragungen vom
-• Oktober des genannten Jahres: „Weil die Kirche allhier etliche Jahre
her, zu grossem Schaden und Nachteil keine Brautkrone gehabt, als ist
für ratsam angesehen worden, zu Köln eine neue und kleine zierliche
Krone zu bestellen, und soll das Geld, so von den neugemachten 6 Weiber-
12*
168
Schell :
bänken noch vorhanden ist, dazu angewandt werden." Da diese Gelder
aber nicht ausreichen würden, so beschloss man ferner, das erste für die
Kirche einkommende Geld hinzuzulegen. Da solches aber ausblieb, auch
die Einkünfte aus den Weiberbänken den gehegten Erwartungen nicht
entsprachen, so erklärten am 7. November 1644 einige Konsistorialen ihre
Bereitschaft, die benötigte Summe vorzuschiessen.
Bereits im März des folgenden Jahres war die Brautkrone fertig ge-
stellt und es wurde bestimmt, dass diejenigen Personen, welche dieselbe
an ihrem hochzeitlichen Ehrentage aufsetzen wollten, für jeden Tag, rso
lange sie dieselbe in ihrer Gewalt und Händen behalten", drei Kopfstücke
entrichten und dieselben bei der Wiederablieferung an die Kirchmeister
zahlen sollten. Dieses Geld floss der Kirchenbaukasse zu.
Doch durfte die Krone nicht von jeder Braut getragen werden. Dar-
über lässt ein Beschluss des Elberfelder Konsistoriums vom 5. August 1645
keinen Zweifel aufkommen. Derselbe lautet: „Diejenigen, so erfunden
werden, dass sie die Krone aufgesetzt, oder sonst kopuliert worden, und
hernach vor der gewöhnlichen Zeit ins Kindbett fallen, sollen alsbald,,
wenn sie wieder ausgehen, vor das Konsistorium citiert werden zu Reu-
und Leidwesen über ihre Sünden. Auch sich mit Gott, der dabei erzürnet,
und der Gemeinde, die dadurch geärgert worden, zu versöhnen und nach
Gelegenheit den Armen eine Beisteuer zu lassen ernstlich ermahnet werden."
Fünf Jahre hernach wurde die Geldbusse für eine solche Sünde auf
einen Rosenobel festgesetzt.
Schon im folgenden Jahre (1651) ereignete sich ein Fall, der viel
Staub in der Elberfelder Kirchengemeinde aufwirbelte und bedeutsame
Konsequenzen nach sich zog. Die Tochter des Bürgermeisters Knefel
wagte es nämlich, bei ihrer Hochzeit nicht die Kirchenkrone zu benutzen,
sondern eine eigene. Trotzdem sollte sie die üblichen 6 Kopfstücke be-
zahlen. Mit diesem Vorgänge war der Bann gebrochen, den die Kirche
nach dieser Richtung so lange geübt hatte. Schon im Jahre 1665 klagte
man darum, dass die mit grossen Kosten beschaffte und oft verbesserte
Brautkrone nur noch selten von den Hochzeiterinnen gebraucht würde,
sondern dass man auswärts den einen oder anderen Hauptschmuck leihe
und dadurch die Einkünfte der Kirche schmälere. Auch in solchen Fällen
sollte die festgesetzte Kronengerechtigkeit entrichtet werden. Dass man
mit dieser Forderung vielfachem Widerstand begegnete, ist klar. Die
Kirche war infolgedessen zu einigen Konzessionen genötigt und billigte
dieselben am 3. April 1667 mit folgender Festsetzung:
„Die Herren Kirchmeister zeigen an, dass'die Hochzeiter, welche die
der Gemeinde zuständige Brautkrone nicht gebrauchen, auch davon keine
Gerechtigkeit zahlen wollen.
Resol. Weil man nun in der Observantz ist, dass von denen, welche
Schmucksachen halten und damit die Gemeinde beschweren, die Kronen-
Bergische Hochzeitsgebräuclie.
169
gerechtigkeit als eine Kirchenrente bezahlt werden, müsste man auch
solches suchen zu unterhalten, und soll darum denjenigen, so solche Renten
nicht zahlen wollen, die Kopulation geweigert werden."
Schon im Dezember 1667 sah sich die Kirche genötigt, um diesen
kirchlichen Ansprüchen gegen Peter Wichelhaus, Johannes Garschagens
Eidam, der eine Schenkhochzeit gefeiert und keine Kronengerechtigkeit
bezahlt hatte, Nachdruck zu verleihen, den weltlichen Richter anzurufen.
Trotz aller kirchlichen Vorschriften und der Androhung richterlichen
Eingreifens fiel die Brautkrone der reformierten Gemeinde zu Elberfeld
bald der Vergessenheit anheim, wie eine Notiz im Protokollbuch des
Konsistoriums vom 4. Januar 1698 deutlich erkennen lässt: „Kirchmeister
Engel Teschemacher hat vorbracht, dass sich in dem Kistchen (das Kirch-
meisterkistchen enthielt bezügliche Dokumente u. s. w.) eine kostbare Braut-
krone, so unnütz da liege, befinde. Konsistorium giebt den Kirchmeistern
Kommission, solche nach ihrem Gutfinden zu verkaufen." Dieser Verkauf
erfolgte trotzdem nicht, denn noch im Jahre 1817 war diese Brautkrone
vorhanden (Hermann, Zeitschrift von und für Westfalen, 1817, S. 528).
Auch in der Elberfeld benachbarten Gemeinde Hardenberg war eine
solche Brautkrone vorhanden, welche dort aber ursprünglich Eigentum der
Herrschaft war. Der halbe Reichstlialer, der für die jedesmalige Benutzung
der Krone zu entrichten war, floss aber in die Kirchenkasse. In Harden-
berg blieb aber die Anwendung der Brautkrone länger im Gebrauch als
in Elberfeld. Im Jahre 1682 trat die Herrschaft diese Krone mit allen
Gerechtsamen erb- und ewiglich an die Kirche ab. Doch auch hier war
ihr Ansehen sehr gesunken und die ganze Einrichtung zur „blossen Finanz-
quelle geworden, die allen sittlichen Wert verloren hatte."
In einzelnen Gegenden Deutschlands bedient man sich noch heute der
Brautkrone (vgl. Weinhold, D. Frauen, Is," 335. 341; J. H. Schmitz, Sitten
und Sagen des Eifeler Volkes, S. 53; H. Hartmann, Bilder aus Westfalen,
S. 53; Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, I, 96, 343; v. Leoprechting,
Aus dem Lechrain, S. 242 u. s. w.).
Vorhin wurde der Kleider gedacht und die Behauptung gewagt, dass
nach dieser Seite keine namhaften Ausschreitungen zu verzeichnen gewesen
sein dürften.
Anders war es aber mit Speise und Trank.
Der Bergische Bauer lebte früher einfach und schlicht. Und auch
die Bewohner der kleinen Städte lebten bis zum ausgehenden 18. Jahrh.
durchweg einfach. Der Einfiuss Frankreichs, welcher im Anfang des
18. Jahrh. durch den prachtliebenden Kurfürsten Johann AVilhelm zunächst
an den Düsseldorfer Fürstenhof verpflanzt wurde, drang im Laufe des
Jahrhunderts in immer weitere Volksschichten, um am Ausgang desselben
alle Aolkskreise vollends zu verseuchen, als die Horden der französischen
Hepublikanerheere mit all ihren Lastern auch das platte Land bis in die
170
Schell :
entlegensten Winkel und verborgensten Thäler heimsuchten. Erst diese
Zeit mit all ihren Drangsalen schuf andererseits auch Wandel und liess
die alte, ehrbare Yätersitte und nüchterne Lebensweise der Ahnen wieder
zur vollen Geltung gelangen.
Nach diesen kurzen historischen Darlegungen kann es uns nicht mehr
Wunder nehmen, wenn wir vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Aus-
gang desselben (vorher niemals) eine Reihe von Bestimmungen der Regierung
treffen, welche der Unmässigkeit, der Schwelgerei und der Ausschweifung
auf den Hochzeiten ein Ziel zu setzen suchen (Bender, Hardenberg, S. 52;
Scotti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen für Jülich, Kleve, Berg
unter dem 13./I. 1708, 3./VIL 1711, 6./IX. 1743, 5./IV. 1756, 30./VIIL 1793,
l./VII. 1800).
Auch der Magistrat dieser oder jener Stadt war zu scharfen Mass-
nahmen genötigt. So bestimmte beispielsweise im Jahre 1777 der Elber-
felder Bürgermeister Wilhelm Siebel, dass fernerhin nicht mehr als fünfzig
Personen, eingerechnet die Musikanten, auf einer Hochzeit betroffen werden
durften, widrigenfalls der Hochzeiter in eine empfindliche Strafe genommen
wurde.
Wie bei den Kindtaufen oder am Neujahrstage, wurde auch bei der
Hochzeit ehemals viel geschossen. Mancher blühende junge Mann hat bei
solcher Gelegenheit diesen oder jenen Finger eiugebiisst und ist zum
Krüppel geworden. Dass Herzog Karl Theodor am 5. April 1756 dieses
Treiben verbot, ist darum gewiss zu billigen.
Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauerten ehemals drei Tage. Nachdem
am Freitag mit sorgenloser Fröhlichkeit, welche oft nicht frei von Aus-
gelassenheit blieb, die Hochzeit gefeiert worden war, zogen am dritten
Tage die Junggeselien, mit Blumen und Bändern reich geschmückt, unter
Geigentönen, tanzend und singend durch die Stadt zu den Hochzeitsgästen
und anderen Bekannten und bettelten Körbe voll Speck, Schinken, Wurst
und Bäckwerk zusammen, womit sich dieselben bei einem angestellten
Hutschiessen oder Kegelschieben bis nach Mitternacht belustigten. Der
Bräutigam hatte dazu einen Hut, die Braut aber Handschuhe und Strümpfe
zu stiften. Das waren die Preise, um welche man stritt, „da sie dann ihre
Amazonen nach Haus gespielt und bis früh morgens herum vagiert haben."
Damit erreichte das Fest sein Ende.
Wie fast überall bildete auch im Bergischen der Tanz ein hervor-
ragendes Stück der Belustigungen. Den Beschluss macht heut regelmässig
das Absingen des Reigenliedes:
"Wir winden Dir den Jungfern kränz
Aus veilchenblauer Seide. .
Ein Bestreben der Hochzeitsgäste, vor allen Dingen der Verheirateten,
geht dahin, während der Feier die Braut unter die Haube zu bringen,
d. h. ihr eine Haube aufzusetzen.
Bergische Hochzeitsgebräuche.
171
Bedeutungsvoller ist der noch bis heute geübte Raub der Braut
während des Hochzeitsmahls. Junge Burschen müssen unvermerkt, vor
allen Dingen ohne Wissen des Bräutigams, die Braut entführen. Sobald
der Hochzeiter das Fehlen der Braut gewahrt, fordert er die anwesenden
Männer (jüngere Frauen und Mädchen schliessen sich oft an) auf, ihm bei
der Suche nach derselben behilflich zu sein. In einem mehr oder weniger
entfernten Wirtshause haben es sich die Entführer der Braut mit dieser
inzwischen wohl sein lassen, während der Bräutigam mit dem anderen
Teile der Hochzeitsgesellschaft oft stundenlang sucht, bis er endlich die
Entführte findet. Nachdem der Bräutigam die Zeche beglichen, begeben
sich alle zum Hochzeitshause zurück.
Diese Sitte mag eiñ verzerrter Nachklang der uralten Sitte sein, dass
der Mann die Frau raubt (Weinhold, D. Frauen, I3, "269. 377). Auch in
Schwaben ist das Stehlen der Braut während der Hochzeit üblich (Birlinger,
Volkstümliches, II, 377, 393, 397).
Besonders lebhaft ging es auf den Gebe-Hochzeiten (Weinhold
a. a. O. I, 370) zu, welche die Landesherren zwar oft und mit Nachdruck
verboten, Avelche aber demungeachtet bis jetzt (wenn auch vereinzelt) in
Übung geblieben sind. Hier fehlte die Musik nie. Kam der Hochzeitszug
am Mittage aus der Kirche, dann schritt die Musik vorauf, und tanzend
bewegte man sich dem Festhause zu. Tanz-, Spiel-, oder Tanz- und Spiel-
hoclizeiten heissen die Gebe-Hochzeiten darum in der Mitte des 18. Jahrh.
in den Protokollen der reformierten Gemeinde zu Elberfeld kurzweg.
Und doch war der Tanz seit uralter Zeit bei den Germanen (Weinhold, D.
Frauen, I3, 363; Kuhn und Schwartz, Norddeutsche Sagen, 372; Seb. Frank,
Weltbuch CXXVIII der Ausgabe von 1534 u. s. w.) so sehr beliebt, der
protestantischen Kirche ein Greuel, welche durchs ganze 17. und 18. Jahrh.
hindurch jeden, der sich daran beteiligte oder solches in seinem Hause
geduldet hatte, unerbittlich zur Kirchenbusse heranzog. Bezeichnend ist
nach dieser Seite eine Konsistorial-Verhandlung in Elberfeld vom 19. Dezbr.
17-19, welche folgenden Wortlaut hat: „Inzwischen wurde bei Gelegenheit
der Konsistorialveränderung in Umfrage gebracht, ob Männer, die vor
einiger Zeit und zum Teil vielleicht vor langer Zeit getanzt, zur Wahl
mit- vorgeschlagen werden könnten; so thaten Prediger zwar, so viel an
ihnen war, die Erinnerung, dass man vor diesmal, da die bewusste ver-
driessliche Sache ohnedem nun ausgemacht, davon absehen und andere
vorschlagen möchte. Es wurde aber dem olmerachtet einhellig dahin
geschlossen, dass, weil die Censurien und Synodalschlüsse von Hochzeits-
tänzen reden, wobei des Wirts und der Wirtin gedacht wurde, mithin man
mit Grund vermutete, dass nur auf Gebhochzeiten gesehen werde, man
•lie, welche zwischen vier Wänden getanzet, nicht für incl. gible (?) halten
könnte, bis davon Synode darüber wohlausdrücklich verordnet, zu welchem
Knde dieser Schluss nächstvorstehendem synodo vorgebracht und angefragt
172
Schell:
werden solle, ob auch solche, welche bei Gratulationen oder Hochzeiten
zwischen 4 Wänden tanzen, auf gleiche Weise als die auf Gebhochzeiten
oder glimpflicher und quo modo alsdann censuriert werden sollen."
Diese Auslassung lässt nicht den geringsten Zweifel darüber auf-
kommen, dass die Gebe-Hochzeiten immer im Freien stattfanden, während
die anderen Hochzeiten in geschlossenen Räumen gehalten wurden.
Da nicht nur Verwandte und Freunde, sondern in kleinen Orten fast
die ganze erwachsene Einwohnerschaft geladen wurde, so war die Zahl
der Gäste so gross, dass das Haus sie nicht zu fassen vermochte; darum
war es Sitte, dass unter den Bäumen im Hofe gedeckt wurde. An langen
Tafeln nahm man Platz und that den reichlich aufgetragenen Gerichten
alle Ehre an. Man bediente sich dabei des eigenen Essbestecks, welches
jeder in einem Futteral mitbrachte (S. 164). Als letzter Gang wurde Reisbrei
aufgetragen, und war dieser verzehrt, dann rief ein Festordner laut in die
Versammlung hinein: „Nun kommt herein und bezahlt den Reisbrei!"
Inzwischen hatten im Wohnzimmer Braut und Bräutigam an einem Tische
Platz genommen. Vor ihnen stand ein mit bunten Bändern geziertes
grosses Glas, welches mit Zucker versüssten Branntwein enthielt; neben
ihnen sass ein Schreiber mit Tinte, Feder und Papier. Nun nahten die
Festgäste. Das Brautpaar erhob sich jedesmal und kredenzte jedem den
Becher. Mit einem herzhaften Trünke that der Gast Bescheid, um dann
dem Schreiber einen kleineren oder grösseren Geldbetrag, je nach seinen
Vermögensverhältnissen, hinzuschieben, welcher gewissenhaft mit Angabe
des Namens und Wohnortes des Geschenkgebers verzeichnet wurde. Nach
der Höhe der empfangenen Beträge richtete sich das neuvermählte Paar,
wenn es in der Folgezeit zu Gebe-Hochzeiten geladen wurde, mit seinem
Beitrage.
Nach anderen Berichten gab die Musik im A^erlauf des Festes gegen
10 Uhr abends das Zeichen zum Spenden. „Die Gäste traten dann an
einen Tisch und legten ihre Gaben in eine irdene Schüssel oder auf einen
Teller, wTas von einer oder zwei Personen sorgfältig in eine Liste ein-
getragen wurde. Es werden bei der Gelegenheit jene reich verzierten
Prunkschüsseln von Messing, Zinn, Delfter Fayence u. s. w. zur Anwendung
gekommen sein, welche ehemals wohl auf keinem däftigen Hofe gefehlt
haben."
Die Summe, wrelche bei einer Gebe-Hochzeit einkam, war oft recht
erheblich. Nach der noch vorhandenen Liste einer solchen aus dem Jahre
1820, welche auf einem Hofe der Gemeinde Luttringhausen begangen
wurde, belief sich dieselbe auf 1'79 Thlr. 43 1/a Stüber; die höchste Gabe,
zweimal gezeichnet, betrug 10 Thlr., die kleinste 30 Stüber.
In Kronenberg lud der Hochzeitsbitter die Gäste in ein Nebenzimmer
ein, in dem sich, wie er launig bemerkte, ein neuer Wirt niedergelassen
habe. Dort sassen an einem Tische zwei Verwandte oder gute Freunde
Bergische Hochzeitsgebräuche. 173
des Brautpaares, die dem Eintretenden einen Trunk darreichten, worauf
dieser sein Geschenk in einen Teller niederlegte.
Ein bezeichnendes Streiflicht auf die Gebe- oder Schenk-Hochzeiten
fällt aus einer Festsetzung des reformierten Konsistoriums in Elberfeld
vom 5. Dezbr. 1667. Unter anderem lautet es dort:
.... „Dass die grossen, volkreichen Schenkhochzeiten, wie sie von
unseren gnädigsten Landesfürsten und Herren verboten sind, also auch
gar unterlassen wurden.. Weil aber dieselbigen von Ihro Churf. Durchl.
noch gnädigst geduldet werden, so ist hochnötig, dass gleichwohl allerlei
Unordnungen nach Möglichkeit gewehrt und gesteuert werde."
Aber nicht nur in die vielfach ausgearteten Gebe-Hochzeiten griff die
Kirche, namentlich die evangelische, mit ihrer scharfen Zucht ein, sondern
in alle Stadien des Liebeslebens, die kurzen diesbezüglichen Bestimmungen
der Kirchenordnung ausführend und den einzelnen Fällen anpassend. Die
Kirchenordnung besagt folgendes: „Der Ehestand soll als eine Ordnung-
Gottes zwischen einer Manns- und Weibsperson, die gebührlichen Alters
sind, und. desselben nach der Regel des WTortes Gottes, der gemeinen
Hechten und landesfürstlicher Polizeiordnung, insofern sie nicht die Religion
und das Gewissen concerniert, mit beiderseitiger freier Bewilligung, wie
denn auch mit Wissen und Willen der Eltern, Vormünder und Freunde
angefangen und christlichem Brauch nach vollzogen werden; die sich aber
ohne Wissen und Willen der Eltern und Vormünder ehelich versprechen,
sollen von den Predigern nicht abgekündigt oder zusammengegeben
werden. W'elche sich vor eingesegneter Ehe fleischlich vermischen, sollen
zur Rede gestellt und nach Gelegenheit der Sache bestraft werden. Die
in der heil. Ehe eingesegnet werden wollen, müssen sich an drei nach-
einander folgenden Sonntagen mit Namen und Vornamen öffentlich ver-
kündigen, und längstens 14 Tage nach der letzten Verkündigung, wenn
keine erhebliche Verhinderungen vorfallen, sich einsegnen lassen. Eine
Witwe soll vor drei Vierteljahr nach ihres Mannes, ein Witwer vor einem
halben Jahr nach seines Weibes Tod ohne erhebliche Ursachen nicht
wieder heiraten. Wofern ein Evangelisch-Reformierter mit einer Person,
die einer andern im H. Römischen Reich zugelassenen Religion zugethau,
sich verheiraten würde, soll er erinnert werden, dass er sich vor Verleitung
hüte, und wenn ihn Gott mit Kindern segne, dieselben in der wahren
Gottesfurcht fleissig erziehe, und versprechen, demselben nach äusserstem
ermögen nachzukommen. Die Einsegnung soll durch einen Prediger
nach dem Formular in der Gemeinde öffentlich, wo es bisher bräuchlich,
weiter geschehen, und wo es nicht in Übung, eingeführt werden, es wäre
denn, dass aus erheblichen Ursachen in den Häusern die Kopulation gut-
gefunden wurde. Ein Ev.-Reformierter soll keine Dispensation in Ehe-
fällen bei den Römischkatholischen suchen noch die Ehesachen dahin
174
Schell:
bringen. Ehestreitigkeiten sollen gütlich geschlichtet, und erst, wo dies
nicht gelingt, vor die Obrigkeit gebracht werden."
Zunächst wachte die Kirche darüber, dass kein Ehegelöbnis gebrochen
wurde. Es ist geradezu rührend, in den umfangreichen Protokollbüchern
der verschiedenen Gemeinden zu verfolgen, welche Mühe es sich die Kon-
sistorien kosten liessen, einem drohenden Bruch zu begegnen. Zunächst
schloss man jeden, der das Eheversprechen nicht einlösen wollte, vom
Genuss des hl. Abendmahls aus und nahm ihn um keinen Preis als Tauf-
zeugen an. Ein weiterer Schritt war die erzwungene Bussbezeugung vor
dem Pfarrer, zu welcher in schwierigen Fällen noch mehrere Konsistorialen
zugezogen wurden. War die begangene Fehl noch grösser, dann musste
.Reue und Leidwesen vor dem ganzen Konsistorium bezeugt werden oder
es wurde gar die öffentliche Kirchenbusse angeordnet.
Die Trauung erfolgte ehemals durchweg in der Kirche. Nur in ver-
einzelten Fällen wurde die Trauung im Hause gestattet. Ein hierfür und
auch in anderer Hinsicht lehrreiches Beispiel entnehme ich dem Konsistorial-
Protokoll der reformierten Gemeinde zu Elberfeld aus dem Jahre 1666.
Herr Dr. Schäller hielt in jenem Jahre schriftlich an, es möge ihm ver-
gönnt werden, ausser der Kirche „inter privatas parietes" mit seiner Braut
sich ehelich einsegnen zu lassen, da er in hiesiger Stadt fremd sei und
gar keine von seinen Freunden und Verwandten zugegen habe und es
darum schimpflich stehen würde, wenn er allein, ohne Verwandten, den
öffentlichen Kirchgang halten sollte. Dabei erbot sich der Bittsteller, dass
nicht allein bei der Kopulation die Almosen sollten gesammelt werden,
sondern dass er auch für seine Person den L. (lieben) Armen zwei Malter
Koggen verehren wolle.
Das Konsistorium beschloss in Anbetracht der obwaltenden Umstände
für diesmal von der strikten Befolgung der Kirchenordnung Abstand zu
nehmen, doch sollte keine Konsequenz aus diesem Falle gezogen werden.
In Langenberg entrichtete man für eine solche Erlaubnis 12 Reichsort
= 3 Rthlr. an die Armen.
Drang so die Kirche mit vollem Nachdruck auf die Erfüllung des
einmal gegebenen Eheversprechens, so suchte sie andererseits manche ihr
unpassend dünkenden ehelichen Verbindungen zu hindern. Als beispiels-
weise am 6. Juni 1666 Peter Bloem und Trengen, die lahme Tochter des
Christians am Acker, begehrten, in der reformierten Gemeinde zu Elberfeld
ehelich proklamiert und kopuliert zu werden, resolvierte das Konsistorium,
dass, weil gemeldte Trengen auf 2 Krücken geht und darum zum Ehestand
und sonderlich zu nötiger Wartung und Verpflegung der Kinder unbequem
und unvermögend geachtet wird, auch obgedachter Peter Bloem mit seiner
vorigen Ehefrau also gelebt, dass diese Ehe nicht dienlich zu sein befunden
wird, so sind sie beide hin und abgewiesen worden, damit nicht hernach,
Bergische Hoch zeitsgebräu che.
175
wenn sie, wie zu besorgen, in Armut fallen würden, die Gemeinde hier-
durch beschwert werden möchte.
Überhaupt bot die Kirche alles auf, um Ehen notorisch Armer zu ver-
hindern; damit kam sie einem Zuge altgermanischen Yolksgeistes entgegen
(Weinhold, I). Frauen, I3, 79).
Erachtete die Kirche ihre Macht für unzureichend, um ihr nicht zu-
sagende Eheverbindungen zu hintertreiben, so rief sie den Schutz der
weltlichen Obrigkeit an. So war es im Jahre 1643 in Elberfeld der Fall,
dass ein ziemlich zu Jahren gekommener Witwer sich mit einem jungen
Mädchen verlobt hatte. Da die Mutter des Mädchens der Verbindung
geneigt, der Vater aber dagegen war, legte das Konsistorium den „casus"
der weltlichen Obrigkeit vor.
Es verdient Beachtung, dass im letzteren Falle ein grosser Alters-
unterschied zwischen den Brautleuten bestand. Ein solcher gab der Kirche
oft Anlass, ihre Einwilligung zu versagen; und damit begegnete sie sich
wiederum mit alten volkstümlichen Anschauungen nicht nur im Bergischen,
sondern im grössten Teile Deutschlands (Weinhold, D. Frauen, I3, 265).
Auch gegen Eheschliessungen in zu jugendlichem Alter schritt die
Kirche ein. Am 3. September 1679 bestimmte sie in Elberfeld: „Wenn
junge Leute aus dem Hospital werden ausgethan und dann heirathen
wollten, sollen sie nicht verkündigt werden, es sei denn zuvor im Konsistorio
darüber erkannt worden, wie also auch mit anderen minderjährigen, eltern-
losen, geringen Leuten geschehen und von denselben vernommen werden
soll, wie und womit sie sich zu ernähren vermögen, damit die Überhäufung
der Armen in der Gemeine so viel als thunlich verhütet werde."
Der Küster begrüsste den ankommenden Hochzeitszug in Langenberg
mit der kleinen Glocke, wofür er einen Reichsort empfing. Oft artete
dieses Läuten in Unfug aus, beispielsweise wurde schon morgens um 10 Uhr
geläutet, wenn die Kopulation erst am Nachmittage stattfand. Für das
Öffnen der Kirchenthiire hatte der Küster 7 l/a Stüber zu beanspruchen.
Auch an anderen Orten schlichen sich mit dem Läuten ähnliche Miss-
stände ein. Eine genaue Regelung erfuhr diese Angelegenheit in Elberfeld
am 5. Dezbr. 1667. Die Eintragung im reformierten Konsistorial-Protokoll
von diesem Tage hat folgenden Wortlaut: „Weil daraus viele und mancherlei
grosse Unordnungen entstehen, wenn der in der Woche angestellten Hoch-
zeitspredigten wegen der Hochzeiter spätere Kirchgänge so lang auch wohl
gar bis über den Mittag verzogen werden, ehe sie angehen, daher es dann
geschieht, dass nicht allein viele Leute, die sonst noch wohl mit zum
Gottesdienst kommen würden, bei solcher ungelegenen Zeit zurückbleiben,
sondern auch, dass viele von denen, welche noch mit den Hochzeitern zur
Kirche gehen, sich des Morgens bei so langsamen Auszug etwa mit Brannt-
wein oder andern starken Getränken zu viel übernehmen, und also zur
fruchtbaren Anhörung und Betrachtung des göttlichen Wortes und zu an-
176
Schell:
dächtigem Gebet untüchtig und unbequem sind.: und dass darauf dann auch
das hochzeitliche Mahl so spät ja wohl gar am Abend allererst angeht,
und folgens dann die Hälfte bis in die späte Nacht aufgehalten werden,
ehe das Festmahl geendigt und das Geben geschehen, welches dann denen,
so von aussen hereingekommen sind, oftmalen zu sonderlicher Ungelegen-
lieit und Beschwernis gereichet, dass sie so lange warten müssen, ehe sie
wieder nach Hause gehen können, wozu denn auch noch sonderlich diese
unleidliche sündhafte Unordnung kommt, dass viele von den Hochzeitsgästen
bis über Mitternacht, ja oftmals fast die ganze Nacht hindurch in dem
Hochzeitshause verharren und mit übermässigem Schwelgen und Saufen,
mit leichtfertigem, üppigem Tanzen und Springen, auch wohl mit unchrist-
lichem, daraus entstehendem Hadern und Zanken, Rufen und Schreien
und allerlei anderni nächtlichen Mutwillen auf der Gasse Gott im Himmel
höchlich erzürnen, ihre Nächsten vielfältig beleidigen und ärgern und ihr
eigenes Gewissen schwerlich verletzen. Welchem allem ohne grosse Gefahr,
dass nicht dadurch der Zorn Gottes über die ganze Gemeine möchte gereizt
werden, länger nicht kann noch mag zugesehen werden; und wäre darum
wohl zu wünschen, dass die grossen, volkreichen Schenkhochzeiten, wie
sie von unsern gnädigsten Landesfürsten und Herren verboten sind, also
auch gar unterlassen würden. Weil aber dieselbigen von Ihro Churfürstl.
Durchlaucht noch gnädigst geduldet werden, so ist hochnötig, dass gleich-
wohl allerlei solchen Unordnungen nach Möglichkeit gewehret und gesteuert
werde. Und ist darum aus gottseligem, schuldigem Eifer im Konsistorium
einhellig' geschlossen, dass bei den Hochzeitspredigten ein Viertel vor zehn
Uhr die Glocke solle geläutet werden, und darauf die Hochzeiter alsbald
zur Kirche gehen, so dass sie um 10 Uhr vor der Kirche seien. Welche
aber darnach, wann die Uhr geschlagen, einkommen würden, denselben
soll keine Predigt geschehen, sondern nur die Kopulation und Einsegnung
verrichtet, und darauf dann die Almosen in dem Hochzeitshause über der
Mahlzeit gesammelt werden: und soll dann bei solcher Gelegenheit das
Uhrwerk in seinem richtigen Gang gelassen und keinem zu Gefallen vor-
gerückt oder aufgehalten werden. Und damit auch die Hochzeiter und
deren geladene Gäste in dem Hochzeitshause vor der Mahlzeit nicht so
lange warten müssen, noch auch darnach so spät verbleiben möchten, so
soll die Mahlzeit praecisse um ein Uhr angehen, wonach sich die Wirte
und Gäste zu richten, und wird auf eines ehrsamen Rates hierselbst Ver-
ordnung und Befehl das Hochzeitshaus des Nachts um zehn Uhr zuge-
schlossen werden. Weil auch das üppige Tanzen als ein unchristliches
heidnisches Werk an anderen Orten in wohlbestellter reformierten Gemeine
nicht zugelassen wird, so soll dasselbe auch affilier hinfüro auf Hochzeiten
und Gastmahlen verboten sein, und da es noch Einige wider Yerhoffen
thun würden, die sollen so lange vom heil. Abendmahl abgehalten werden,
bis sie deswegen in Consistorio deprecieren. Nachdem auch eine Zeit her diese
Bergische Hoclizeitsgebräuche.
177
Unordnung allgemach eingerissen, dass bei den angestellten Hochzeiten der
Bräutigam die Junggesellen aus dem einen oder andern Wirtshause mit
Spielleuten thut abholen und ärgerlicher und spöttischer Weise über die
Gasse nach dem Hochzeitshause hinführen, so soll solches gleichfalls hiermit
ernstlich verboten sein und die Contravenienten darum der Gebühr ange-
merkt und censuriert werden."
Das Brautpaar wurde bei seinem Eintritt ins Gotteshaus mit Gesang
seitens der Schüler empfangen (Bouterwek, Geschichte der Lateinischen
Schule zu Elberfeld, S. 15, 158). Dafür empfing der jedesmalige Vor-
sänger von dem Bräutigam und seiner Begleitung ein genau festgesetztes
Trinkgeld, ein Benefizium, über dessen Verteilung unter die Meister, sobald
die Schule mehr als einen und später auch einen Lateinischen Meister
zählte, das Konsistorium nicht selten besondere Anordnungen treffen musste.
Das Brautpaar nahm auf der Brautbank (1643 in Elberfeld erwähnt)
Platz, welche sich mutmasslich unmittelbar vor dem Altar befand.
Bis zum Jahre 1697 hatte man in Langenberg die Almosen während
der Hochzeitspredigt eingesammelt, später wurden sie von den Provisoren
bei Tisch gesammelt, weil sich da die meisten Leute einfänden (Bender,
Hardenberg, S. 193). Im Jahre 1670 sammelte man auf einer Hochzeit
in Elberfeld 3 Rthlr. 26 Alb. ein. Diese Gelder waren ausschliesslich für
die Armen bestimmt.
Auch auf die Hochzeitsfeier selbst suchte die Kirche mit grossem
Nachdruck einzuwirken und ihren Einflass geltend zu machen. Hier wie
fast allerwärts waren wüste und grosse Hochzeitsgelage, oft ungeachtet der
schwersten Zeitläufte und Kriegsnöte, im Schwange. Lange Hessen Obrig-
keit und Kirche der Sache ungehindert ihren Lauf, denn die Festsetzung
der Brüchtenordnung vom Jahre 1554, welche wir vorhin erwähnten, war
doch zu allgemein und unbestimmt gehalten, um Abhilfe zu schaffen.
Bezeichnend ist für die Stellung der Kirche zu diesem Treiben eine Stelle
im Langenberger Konsistorial-Protbkoll vom 24. Mai 1690: „Es hat Rüttger
Bruchmann den Armen zu Langenberg verehret 500 eschen hölzerne Teller,
gezeichnet mit L. A. A., welche auf die Hochzeiten der Armen durch die
Provisores sollen verlehnet werden vor ein gewisses Geld, und verorduet
Konsistorium, dass zeitliche Provisores dieselben zu verwahren, und was
davonkommt, wieder dabei zu verschaffen haben, auf ihre eigenen Kosten,
dieselben aber sich an denen, welche die Teller verloren oder beschädiget,
sich wieder erholen mögen."
Einen weiteren Einblick gewährt die verbürgte Nachricht, dass zu
Bonsfeld bei Langenberg im Jahre 1697 eine Hochzeit gefeiert wurde, an
welcher 230 Personen persönlich und durch Geschenke beteiligt waren,
darunter nur etwas mehr als 40 Frauen und Jungfrauen. Alle diese Gäste
lieferten dem jungen Paare allerlei Hausgerät und steuerten zu den Hoch-
zeitskosten mit 478 Rthlr. 271/2 Stbr. bei.
178
Schell:
Den ersten festen Damm (in der Folgezeit allerdings oft durchbrochen)
zog ein Edikt des Kurfürsten Johann Wilhelm im Jahre 1710, nach welchem
höchstens 15 Paare zur Hochzeit eingeladen werden durften.
Schlimmer und in den Augen der Kirche weit verdammungswürdiger
war das Gebahren auf' der Hochzeit. In allen Orten klagte man immer
wieder aufs neue, dass Tanzen, Spielen und anderes unchristliches Wesen
auf der Hochzeit sich breit mache. Unnachsichtlich wurden die Wirte, in
deren Häusern solches vorkam, wie auch die Hochzeiter und ihre Gäste
von dem Konsistorium censuriert und mit Kirchenstrafen belegt. Aber
alles blieb fruchtlos. Zwar war das Ansehen der Kirche noch vermögend,
fast ausnahmslos eine Bussbezeugung der Übelthäter zu erzwingen, welche
auch durchweg zu einer Gabe an die Armen (früher vielfach nach Belieben,
später durchweg fest normiert) bewogen wurden, aber eine nachhaltige
Besserung der Dinge war nicht zu erzielen, der Hochzeitstanz namentlich
war nicht zu verdrängen. Oft suchte das tanzlustige Yolk wenigstens den
Hochzeitern grössere Unannehmlichkeiten zu ersparen. So wird 1681 aus
Elberfeld berichtet, dass, nachdem das Spielen und Tanzen im Hochzeits-
haus verboten worden, die jungen Leute nach gehaltenem Hochzeitsmahl
daraus in die Wirtshäuser gehen und allda solch unordentliches sündliches
Wesen fast die ganze Nacht hindurch treiben.
Oft begannen die Gäste (Elberfelder reform. Konsist.-Protokoll vom
11./Y. 1684) schon des Morgens, „sich mit hitzigem Getränk zu über-
nehmen." Darum wurde von der Kanzel herab verboten, dass kein Hoch-
zeiter bei Strafe der Kirchenbusse am Hochzeitstage den Gästen Brannt-
wein oder Brentzels schenken solle. Dieser Morgen trunk wurde Brautwein
genannt und es erfolgten besondere Einladungen dazu (Reform. Konsist.-
Protokoll vom 3./VII. 1690).
Weitere Einblicke gewährt folgende Stelle des Elberfelder Konsist.-
Protokoll vom 3./X. 1685:
„Es ist auch vorkommen, dass sämtliche jungen Leute auf Hochzeiten
mit Spielen, Saufen, Tanzen den Tag und Nacht allerlei Sünden begehen,
auch dann noch neulicher Zeit am hellen Tage über Gassen und Strassen
allerlei Mutwillen und Ungebundenheit getrieben. Weil aber dieses ein
heilloses und unchristliches Unwesen, sonderlich zu diesen kläglichen Zeiten,
als soll
1. bei den Vorbereitungs-Predigten öffentlich abgelesen werden, dass
alle, so auf Hochzeiten mit Spielen, Saufen, Tanzen und anderer Unordnung
ein grosses Ärgernis geben, vom Gebrauch des h. Abendmahls sollen ab-
gehalten werden und insbesondere diejenigen, welche jüngst auf des K . . •
Hochzeit am hellen Tage über die Gassen und Strassen gelaufen und allerlei
Mutwillen verübet, welche alle, so dabei gewesen und sich mit daran
schuldig gemacht, so lang zurück bleiben sollen, bis den Herren vom Kon-
sistorium ihr Leidwesen bezeugt und Besserung verheissen und erwiesen." etc.
Berg'ische Hochzeitsgebräuche.
179
Eine etwas sonderbare Mitteilung über dieses Tanzen (oft mit Ver-
kleiden verbunden) finde ich im Elberfelder Kons.-Prot, vom 12. Juli 1733:
„Desgleichen ist Dan. Morgenroth samt seiner Frau citiert, er aber allein
erschienen, befragt 1. Wer auf seiner Hochzeit getanzt habe? Seine Frau
und seine Brüder. 2. Wer den Hut gewonnen? Peter Teschemacher."
Es braucht hier nur erwähnt zu werden, dass die Kirche äusserst
streng darauf hielt, dass die Ehe unter Beobachtung der allgemeinen
christlichen Moral geführt wurde und dass sie jede sittliche Leichtfertigkeit
in allen Graden unnachsichtlich bekämpfte.
Das etwas geschäftsmässige Gebahren der Kirche verleugnete sich bei
der Hochzeit ebensowenig als bei der Taufe, dem Begräbnis und bei jeder
halbwegs geeigneten Gelegenheit. So fragte der Provisor Katterberg am
7. Mai 1656 im Elberfelder Konsistorium an, weil viele Leute nur einen
Tag Hochzeit zu halten pflegten, daher den L. Armen nichts zukomme,
„ob nicht der Wirt oder der Bräutigam könne gehalten werden, den Armen
etwas von den übrigen Brocken beizulegen." Der Bescbluss des Konsisto-
riums lautete: „Die Armen mögen selbst in der Küche suchen, ob es bei-
standen sei, und so nichts von der Hochzeit überblieben, sich zufrieden
geben, und sich also in die Zeit schicken, weil es vor diesem nicht üblich
gewesen."
In Langenberg wurden alle bei der Hochzeit übrig gebliebenen Speisen
gesammelt und unter die Armen verteilt.
Zum Schluss möchten wir die Hochzeit im Spiegel einiger heimischer
Sprichwörter kurz vorführen:
1. Wenn de reite Maria kömmt, mot de Josef bêden (Wenn die rechte Jung-
frau kommt, muss auch der schlimmste Hagestolz das Ehejoch auf sich
nehmen).
2. We de Dauter freien well, mot seek got met der Mulder háulen.
3. Dem Enen gefällt de Murder, dem Angern die Dauter.
4. Wî sid nitt kopellêrt (vgl. Woeste, Westf. Wörterbuch, S. 139).
5. Frei Nobersch Keng. dann wLs du, wat du hess.
6. Jongfer Brût —
De godden Dâg sind ût.
7. Wenn de Mad ess Brût,
Ess et Jôr ût. (Auch auf Mietsverhältnisse aller Art bezogen).
8. Freien on Heudrûgen geschut voll ömsöss.
9. Et ess keng Hank voll, songern en ganz Lank voll.
10. Et get meek nitt öm et Vü^gelschen, et gêt meek öm et Körfken (sagte
eine junge, arme Bauerndirne, als sie einen reichen, alten Bauern heiratete).
11. Am Hagedorn bleibt jeder hangen (Siegthal; Mädchen, die Burschen an-
locken, um mit ihnen ihr Spiel zu treiben, steckte man ehemals in der
Mainacht einen Hagedorn an die Thüre).
180
Schell: Bergische Hochzeitsgebräuche.
12. Auf den Kirschbaum klettert jeder hinauf (Siegthal; Mädchen, deren sitt-
licher Wandel nicht fleckenlos ist, pflegt man einen Kirschbaumzweig an
die Thüre zu heften).
13. "Wenn die Braut geht umb den Herd, so seind die Freyer der Ehe unwert
(Elberfelder Sprichwort aus J. Zinckgreffs Apophthegmata, III. Teil, Leyden
1644).
14. Wä et Glöck het, dä lett de Brut hêm (Storck, Kalleroden2, II, S. 1-S2).
15. Heiraten ist kein Kinderspiel.
16. We gelôvt well sin, de mot stärvven, we geschängt well sin, mot seek
bestâden.
17. Me löppt wal vam Hoff, äwer nitt vam Trog (namentlich mit Bezug auf
das Verhältnis junger Eheleute zum alten und neuen Heim angewandt).
18. Von einem grauen Alten, der sich an ein jung Meidlin bestattet, prognosti-
zierte ein Glöckner zu Elberfeld: Wann es auff den Bergen reif he, so sey
es gewiss im Thal kalt (Zinckgreff u. s. w., 2. Teil, 1693).
19. Petrus Curtenius, Prediger zu Elberfeld, pflegte von alten, abgelebten Wit-
männern, die gleichwohl nach jungen Dirnen und Witweibern zu laufen
pflegten, zu sagen: Wann Gott einen Geck haben will, so lest (lässt) er
einen alten Mann zum Witmann werden.
20. Wenn me keng Jongfern het, mot me met den Huaren danzen.
21. Die Frauen on Katten hüaren en et Hus.
22. De Wîwer hant lange Hör on kotten Verstank.
23. En besôpen Wîv ess en Engel em Bett.
24. Petrus Curtenius, Prediger zu Elberfeld, pflegte zu sagen: Es were zu
allen Dingen Rath und Mittel, allein zu einer ungeratenen Ehe wer kein
andere Medicin oder Mittel als der Tod (Zinckgreff u. s. w.).
25. Eck on ming Tring,
Wî trecken en Ling.
26. Wer seine Frau beschimpft, beschimpft sich selbst.
27. De Mann ess de Kopp en der Hûshaulung, äwer de Frau ess de Kruan
drop.
28. Lieb mich allein —
Oder lass gar sein. (Auf einem Glase vom Jahre 1715; Eigentum des
Bergischen Geschichtsvereins.)
29. Et gêt nitt ömmer Butz-di-lek,
Et göfft ock get met'm Bessensteck.
30. He geit doher wî en bestadde Béckstadt.
Kaff: Münchner Stadtsagen und Sprüche. J81
Münchner Stadtsagen und Sprüche.
Mitgeteilt von Helene Raff.
1. Der Baumeister der Michaelskirche.
Die St. Michaelskirchen muass oans gsegn ham, zuan wenigsten wer
a richtis Münchner Früchtl is. S' Gewölb von der Decken liagt ganz frei,
da siehgst koan Bogen un koa Säuin, und doch hoassts, dass d' ganze
Decken nur 12 cm dick is; dös möcht ma freili net moane, wann ma denkt,
dass alle Tag heilige Messn, an die Sonntäg Militärgottesdienst un in da
Charwochn grosse Musi mit'n erleuchten Kreuz ghaltn werd. Wia seiner-
zeit d' Michaelskirchn baut worn is, sollen hübsch viel Baumeister, die wo
den Bau gern ghabt hättn, drum eigebn habn; es hatn aba a Fremder, a
Wälscher glaub i, zutlioalt kriagt, der glei von z'allererst gsagt hat, er
will a freigspannte Deckenwölbung maclin, dass d' Münchner nur so schaugn
solln. Natürli warn iatz die Andern recht neidig un ham den fremdn
Baumeister gern eingehn lassn wolln, drum ham's ean bei'n Herzog aus-
gericht un sau vorstelli worn, dass ganz gwiss a Unglück gschicht, wenn
zua'n erstnmal Leut in da Kirchn san; es kunnt ja gar net sein, dass die
Decken wirkli hebet. Auf dös viele Redn hin lasst also der Herzog an
Baumoaster bekannt gebn: im Fall, dass ja die Decken einfallt oder sonst
ein Unglück gschicht, soll er, der Baumoaster, hingricht' wern. Der hat
si zwar, scheint's, net gforchtn, denn noch a paar Tag darnach hat er zua
an Kamradn gsagt, mit dem er am neuen Jesuiterkolleg hinter der Kirchen
(wo's iatz zur Mayburg hoasst) vorbeiganga is: „Schau, da baun's iatz an
Thurm (den Thurm hat nämli a seiniger Konkurent baut)! mei Kirchen-
deckn fallt net ein, der Thurm da aber bald." — Net lang darnach war
die Kirchn ferti, un wirkli scliean, so dass nixn drüba aufgstandn is, un
wia d' Leut schon san : mitsamt allen Fiirchtn un Maulaufreissn san s' doch
haufenweis zu der Einweihung kemma, so dass d! Kirchn gsteckt voll war.
Wia d' Musi anfangt, hat freili Alles a bisl an Datteri eh kriagt und 'nauf-
gspitzt zur Deckn, ob s' a halt — aba gut is ganga, nix is gschehgn, un
nach'n Gottsdienst hättn s' Alle an Baumoaster suchen wollen, um zu lobn
un zu gratulirn. Lang hain s' ean gsuacht, auf d' Letzt ham s' ean gfundn,
aber aiser toter in da Sakristei — mittendrin hat er 's mit da Angst
kriagt un eam selm derhängt. — Die Kirchn aba un ihr Deckengwölb
hebt wie Stahl un Eisn bis heutigs Tags, während dem dass der Thurm
vom Jesuiterkolleg, ganz wia's der arme Baumoaster anzoagt hat, scho
lang eigfalln is.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 13
182
Raff :
Zweite Fassung der vorigen Geschichte.1)
Es hat der nämliche Baumoaster d' Michelskirchn und Thurm von die
Jesuiten baut, und Kontrakt gemacht, dass wenn sein Gebauts halt, er
hübsch viel Geld kriagt, in'n andern Fall aba werd earn der Kopf runter-
gschlagn. — Iatz war er mit Bauen no net lang ferti, da muess, wie's grad
sein will, der Thurm zsammafalln, und Alle, die wo aus Neid an Bau-
moaster net ham schmecka kenna, ham earn vorgredt, d' Kirchn steht aa
nimmer lang, ma siechets scho wackeln. Da is der Baumoaster ganz
närrisch worn, hat's Köpftwerden net derwartn mogli un hat si selber von
seiner Kirchn bei'n Dach nuntergstiirzt. Derweil aba hebt die Kirchn
heut no, und wann er lebn blieben wär, hättn s' eam gar nix gmacht.
2. Der Schatz im Jesuitenkolleg.
Da, wo heutigs Tags die alte Akademie der Wissenschaften is, ham
früher d' Jesuiten ihr Kolleg gliabt. Iatz, wie der Befehl kemmn is, sie
sollen schaugn, dass s' weiter kemmn, ham s' gm o ant, es werd so weit net
gfehlt sein und sie derfn scho bald wieder einischlieffn in ihr Häusel.
Deswegn ham s dös viele Geld, wo s' für ihre hoamlichn Gschichten
brauchn, in Kreuzgang eingrabn, und dös liegt iatz no da, un dös is der
Grund, dass s' alleweil so drucken, um wiada rein z' derfn in's Land —
sie möchtn halt wiada zu ihrn Gerstl.
8. Kaiser Ludwigs Leiche.
In da Frauenkirch' is 's grosse scheane Grabmal von Ludwig dem
Baiern; früha is's in da Mittn gstandn, iatz ham s' es ganz hintn gschobn.
Es ham aba von allen Anfang die Goastlichn rechte Köpf gmacht, dass
ana den Kaiser, der wo im Bann gstorbn is, in da Kirchn begrabt; unds
hoasst, dass s" ean hoamlicherweis ausgrabn hättn und in d' alti Augustiner-
kirchen, wo iatz 's Zollamt is, untern Fussboden einigrabn. Was Bstimmtes
is ilia net aufkemmn, grad so a bisl was hat ma gspannt, dass bei ana
Visitation in da Frauenkirchn 's Grab soll ganz laar gwest sein. Aba in'n
Zollamt nachschaugn traut si doch Koans, denn wanns wirkli an dem war,
wurd an nixn drausskemmn als wie a rechter Durchanand.
4. Das Haus in der Kreuzgasse.2)
Grad schräg hinüber von der Kreuzkirchn steht a Haus, dös alle Bott
andre Inwohner hat, wreil die Mehrern net übers halbi Jahr drin aushaltn
könna, sondern glei zua'n nächsten Ziel kündn. Das Haus hat nämli der
1) Ob den verschiedenen Fassungen der, alten Münchnern wohlbekannten, Baumeister-
geschichte etwas Historisches zu Grunde liegt, weiss ich nicht. H. R.
2) Ganz irrige Yolksraeinung. Weder hat die Yehme je ein Haus in München gehabt,
noch hfcisst die Strasse deshalb Kreuzstrasse.
Münchner Stadtsagen und Sprüche. 283
Yehme ghört vor viele hundert Jahr, deshalb war aussn a Kreuz daran,
darvon ma d' Strassen ghoassn hat. All die armen Seein, dia von der
Yehm verurtheilt und gericht worn san, geistern in den Haus umanand
und miissn solang geistern, bis in der Kreuzkirchn hundertmal so viel
heilige Messn gelesen san, als arme Seelen in Haus wohne.
5. Der Thurm im Residenzhof.
In'n Hof von da Miinchna Residenz, wo ma bein Apothekerthor naus-
geht, is a halbrunda Thurm gstandu, von dem war die Red, dass wenn er
zsammfallt, miissat nnser Königshaus aussterben. Der alt König Ludwig
is dös inna worn und hat den Thurm verbauen lassn, so dass ma nixn
mehr dervo siegt, „denn kein Baiern soll sein ohne AYittelsbach" — hat
er gsagt, inser Ludwig.
G. Die schwarze Frau im Schloss.
In der Residenz geht a Weibsbild um — es hoasst, sie war a Gräfin
un hat ihre Kinder umbracht1) — die kimmt jedesmal, wann a Unglück
oder a Todesfall in'n Königshaus bevorsteht. Sie tragt sich ganz schwarz
mit an schwarzn Schleier, nur oben am Hals a bisl a Pelzl und in der
Hand an Apfl — so is sie gmalen im Schleissheimer Schloss, wo s' auch
manchmal umanand geistern soll. — A Soldat, der Schildwach gstandn is
im Münchner Schloss, un a Galeriediener in Schieissheim ham alle zwoa
ausgsagt, sie hätten die schwarze Frau kurz vor'n Tod von unsern selinga
König umgehn selign, aber ob dös wahr is?
7. Das Hungerbrünndl.
Bei der Frauenkirchn links auf der Seiten abi, bald ma vom Haupt-
portal kimmt, is a Brünndl in der Mauer hinter an Gitter, un drüber is
gmaln, wia ma die Domglocken einbracht hat. Es steht auch dabei ge-
schriebn, dass kranke un mühsame Leut si in dem Brünndl sein Wasser
waschn un dervo trinken solln un wahr is 's: es hilft auch. Aba weiters
is noch a Prophezeiung auf den Brünndl, nämli dass, wenn dös amai aus-
trocknet, a grossi Hungersnoth daherkimmt. Und richti: zu Zeiten von'n
Yater Max, wia die grosse Trocknen war un darnach die Hungersnoth, da
is "s Brünndl mittendrin weggwesen — und dös war s1 bis jetz 's oanzige Mal.
8. D er Belgradwein.
In'n Keller vo der Residenz ham s' no an etlen Flascherln von ganz
an bsundern Wein, den hat Max Emanuel noch bei der Erstürmung vo
Belgrad mitgnomma. A on den Wein derf nia net trunka wem, ausser bei
Hochzeitn in unsern Königshaus; dann muass die zuagmachte Flaschn her-
1) Es ist ganz die Geschichte der weissen Frau im Hohenzollernhause; im Anzug
steckt der einzige Unterschied.
18*
184
Baff:
bracht un vom Oberhaupt des Hauses aufbroch'n wern, der nacha draus
mit'n Brautpaar Gesundheit trinkt un die ganz königliche Famiii aa. Der
Trunk, so hoassts, bringt an Brautpaar Glück.
9. Der schwarze Pudel.
Um a zwölf! rum bei der Nacht lasst si unten in der Residenz manchmal
a fürchtig grosses schwarzes Yiach von an Pudel sehgn, der a recht a
wilds feurigs Gschau hat un dem dia helle Glut aus'n Maul geht. Dös
soll die verfluachte Seel von an untreuen Diener sein, der amai — war's
wie d' Schweden kemma san oder wie Mtinka per Gwalt österreichisch war?
an Feind 's Platzl verrathen hat, wo'n Kurfürsten sei Geld eigrabn war.
Er soll dafür hoamlicherweis hingricht worn san, aber geistert noch um-
anand, hat d' Schildwachn scho a paarmal zuan Tod derschreckt; un 's
Geld, wo er für sei Schlechtigkeit kriagt hat, muass er in da Hölln ge-
schmolzn fressn, drum speit er nix wie Feuer aus.
10. Das Bild mit gesenkten Händen.
Im Dom is a Bild aufghangn, wo viele Leut mit aufgehobne Händ zur
Muttergottes beten; nur a oanzige Frau kniet mit gesenkte Händ dazwischen.
Oos Weib hat amai bei ara Erbschaft die andern Gefreundeten um's beste
Theil gebracht, un wia später die ganz Famiii mitanand dös Bild in d'
Kirchn hat stiften wolln, is sie mit ihra Yerwandtn zsammtroffa und da
ham s' auf ihr gstichelt zwegn der Erbschaft. Sie hat aber ganz heilig
gethan un gsagt: „Net im Traum käm ihr so a Schlechtigkeit, unser Herr-
gott soll ihr die betenden Händ nunterdrückn, wenn dös wahr is." Da
hat sie mit oan Mal d' Händ nimmer in d' Höh bracht. Doch aber is
sie zu der übrigen Freundschaft auf's Bild nauf kemma, weil der Maler
scho angfangt ghabt hat; wie nachha 's Bild fertig war und aufghangen,
Alle mit erhobne Händ, san über Nacht ihrem Abbild alloanig die Händ
niedergesunken, un bleibn a so, so lang wia's Bild bleibt.
Münchner Sprüch (Sprichwörter).
Bald der Bettelmann auf's Ross kimmt, kann ihn selbst der Teufll
nimmer derreitn.
Schöne Schüssin geben schöne Scherbn.
Bettelleut un Zigeuner han nia um (d. h. kein Weg ist kein Umweg"
für sie).
Was recht is, hat Gott lieb — wer a Schwein stiehlt, is a Saudieb.
Wenn unsa Herrgott an Narrn ham will, lasst er an altn Ma sei Frau
sterbn.
Wia heiliger die Zeit, wia teuflischer die Leut.
Die kloan Schelln mit ihrn Gwackel machn an allermeist!! SpetakL
Münchner Stadtsagen und Sprüche.
185
Scheane Wiegenkinder, wüste Gassenkinder; wüste Gassenkinder,
sclieane Leut.
Die Liab fallt auf 'n Küahdreck un auf an Butterweck.
Gott behiit uns vor Leuten, die net redn un net deutn.
Wer net schaffen (anschaffen, befehlen) un net folgen kann, den schaugt
mil für gar Neamd an.
Kloane Mannsbilder san gern eitel und kloane Frauenzimmer san auf's
Regieren aus.
Spitze Nasn und spitzigs Kinn, steckt der Teufl zweimal drin.
Koa Mensch derf valangn, dass mer eam immer „Miezele" ruft; er
muss's aa derleidn, bald's amai heisst „Katz".
Münchner Wetterregeln.
Wenn der geistlich Herr bei der Mess die greane Pfoad (das grüne
Messgewand) anhat, nachher regnet's.
Wenn's am Tag Maria Heimsuchung regnet, dann regnet's acht Täg
lang, denn so wie unser Frau übern Berg geht, nass oder trocken, so geht
«' aa wieder z'ruck.
Wohin unser Herr am Auffahrtstag (Christi Himmelfahrt) 's Gsiclit
hinkehrt, daher kommt's erste Gewitter. (NB. Der Brauch in der Kirche,
eine den Heiland darstellende Puppe, die obiges Orakel ertheilte, zur Decke
und durch ein Loch in derselben steigen zu lassen, ist jetzt abgekommen.)
Wenn ein recht gutes Jahr ist, soll am Magdalenentag (22. Juli) der
erste Kornschnitt schon vorbei sein; die Regel heisst: „Kommt Sankt
Magdalen, muss sie über Stoppeln gehn."
Der Februar spricht zum Januar: „Wenn ich so könnt' wie Du, del-
iri eret's Kalb in der Kuh."
Maikäfer in Menge bedeuten ein Kornjahr, viele Mäuse ein Hungerjahr.
Wenn's Kraut gedeihen soll, muss man fein andächtig zum heiigen
Jakob (25. Juli) sein; wenn aber oans die Wetterherrn net ehrt, derschlagt
eam der Schauer 's Korn. (Die Wetterherren: St. Peter und Paul, 29. Juni.)
Regnet's am Dreifaltigkeitsfest, so regnet's drei Sonntäg nachanand;
scheint die Sonn, nachher bleibt's drei Wochen schön. Wer auf einen
hohen Berg steigt, sieht leicht drei Sonnen an dem Tag, dann hat er drei-
fachen Erntesegen.
Corpus Christi hell und klar (d. h. der Frohnleichnamstag) deutet ein
»Utes und frohes Jahr.
■o
Nach Gregor (12. März) is gut aussäen, weil da die Erdn zum der-
warmen anhebt, denn St. Gregor steckt den Brand in Boden.
186
Boite:
Volkstümliche Zahlzeichen und Jahreszahlrätsel.
Yon Johannes Bolte.
Wenn Feilberg in einem sehr lesenswerten Aufsatze dieser Zeitschrift
(4, 243. 374) die Bedeutung des Zählens und der Zahlen im Glauben und
Brauch des Volkes erörtert bat, so möchte ich im folgenden auf die bild-
liche Darstellung der Zahlen und die Vorstellungen, welche das Yolk mit
den Ziffern verbindet, hinweisen. Freilich vermag ich nur vereinzelte
Notizen zu geben; aber auch diese können vielleicht den einen oder anderen
Leser zu weiteren Mitteilungen anregen.
Schon Feilberg (Zeitschr. 4, 244) hat darauf verwiesen, dass der
dänische Bauer, wenn er an der Thür oder am Balken Rechnungen ver-
merkt, sich häufig besonderer Zahlzeichen bedient: mm = 5; ~8- = 10;
ir = 11; 3 =19. Dasselbe Zeichen für 5 wird nach E. H. Meyer (Deutsche
Volkskunde 1898, S. 286) von den Dreschern bei Husum und von den
Torfbauern bei Bremen gebraucht, während R. Petsch (Mitteilungen und
Umfragen zur bayerischen Volkskunde 1899, No. 4, S. 1) das Zeichen ^
für 5 angewendet fand und im Voigtlande folgende Rechnungsmethode
sah: ein einzelnes Stück ward gar nicht notiert, bei zweien ward ein senk-
rechter Strich gemacht, bei dreien zwei solche, eine 5 sah so aus: TTT".
Auf den Braunschweiger Kerbhölzern des 16.—17. Jahrh. *) erscheinen
durchweg die für das Einschneiden sehr geeigneten römischen Ziffern
I, V, X, deren sich nach E. H. Meyer noch heut die Kellnerinnen der
Fuhrmannsherbergen auf dem Brenner bedienen. Die Zahlzeichen der
alten Kalender, Rechnungsbücher, Desemer u. s. w. harren noch einer zu-
sammenfassenden Behandlung. In diesem Zusammenhange wird uns eine
Stelle des Nürnberger Dramatikers Jakob Ayrer (1540—1605) erst recht
verständlich. In dem Fastnachtspiele 'Der Hämpel, so Doctor werden will'
(Ayrers Dramen ed. Keller 1865. 5, 2932) fragt nämlich der Edelmann den
Bauerntölpel, den seine thörichten Eltern gern studieren lassen wollen, ob
er denn rechnen, schreiben und lesen könne; und Hämpel erwidert selbst-
bewusst, er habe ja das Heu auf der Wiese mit dem Rechen zusammen-
gerechnet und dem Nachbarn geholfen, seine Weinstöcke abzulesen, und
fährt fort:
Junckherr, ich kann wol fünff und viertzig schreibn,
Das mach ich nach einander an ein Strich.
Als der Edelmann diese Kunst zu sehen begehrt, nimmt Hämpel ein
Stück Kreide und dociert:
1) Andree, Braunschweigische Volkskunde 1896, S. 182—184. Zu der dort verzeichneten
Litteratur über Kerbhölzer vgl. noch A.Tille, Ztschr. f. Kulturgeschichte 1897, 452, und
Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter 1896, S. 95 f.
Volkstümliche Zahlzeichen und Jahreszahlrätsel.
187
Secht, die Kunst ist mein lauter eign.
Yon einem Wirth thet ich sie lehrn,
In der Statt da thet ich bey im zehrn.
Derselb war gar ein gschwinder Mann,
Keins Pfennigs schrieb er zu wenig an;
Wie wol ich sah ihm eben drauff,
Das meinst theil schrieb er oben nauff.
Secht, das Ringlein thut dreyssig machn,
Und zehen da das mittler Zaichn,
Und fünffa da das unter krumm,
Macht grad fünf und viertzg die gantz Summ.
Diese Scene Ayrers hat dann Rad. August G o sky in einem Zwischen-
spiele seines Dramas 'Lyra tragi-comica vel Tychotechnia seu Proba Fortuuae
Musae'1) (Halberstadt 1634, Bl. B 4b. Akt 1, Sc. 3) nachgeahmt, nur
class hier ein Bauer Menalcas seinem Nachbar von seinem gelehrten Sohne
Mopsus erzählt:
Ja, er kan auch lesen und schreibn,
Und wenn er will die Zeit vertreibn,
So rechet er zusamn das Hew,
Lieset den Hopffen ohne Schew,
Schreibt einen Buchstab auff und niedr, A
Mit andern fehrt er hin und wiedr, >
Grade zu, der hat keine Rrümb, —
Bald fehrt er wieder halb hertimb, C
Und wieder halb D, bald um und umb. O
O, o, ist das nicht Wundr thun?
Ja, er kan auch wol 50. schreibn,
So bald man ihm langet die Kreidn;
Wann das Ringlein thut 30. machn,
Und 10. da das ober Zeichn,
Und 5. da das unten Krümmn:
Macht grade funfftzig in der Summ.
Hier wird uns zwar nicht gesagt, welche Gestalt das Zeichen für 10
und 5 hatte; allein deutlich bezeugen Ayrer und Gosky die Verwendung
des Kreises für die Zahl 30, und ersterer weist auf den Strich hin, welcher
die zusammengehörigen Posten der Summe vereinigte.
Verschieden von solcher eigenartigen Zahlenschrift, doch gleichfalls aus
der Anschauung des ungelehrten Volkes entsprossen sind einige gereimte
Denkverse auf historische Ereignisse, welche, statt die Jahreszahl schlechtweg
zu nennen, die Gestalt der lateinischen Zahlbuchstaben beschreiben, und
für welche Mone (Anzeiger 3, 232. 1834) die Bezeichnung Jahreszahl-
rätsel eingeführt hat. Das Zeichen für 1000 (flß, CIO oder 11t) wird hier
gedeutet als ein Ring mit einem Dorn (Schnalle), eine Taschenklappe, ein
Herz, ein Kessel, ein türkischer Bogen, ein A mit i gestickt,, ein dreifacher
1) Die Haupthandlung entlehnte Gosky aus einer lateinischen Breslauer Schulkomödie
G. Seidels 'Tychcrmaea s. Stamatus' 1613 (vgl. Allgem. deutsche Biogr. 33, 618).
188
Boite:
Strick; C versteckt sich unter dem Namen eines Hufeisens, Halbmondes,
Flaschen- oder Taschenhenkels, Horns, einer Wurst; L heisst eine Axt, Sense,
Pfeil, ein halber Galgen, Thürpfosten, Hausbalken, Säule; X ein Kreuz, ge-
nauer ein Andreas- oder burgundisches Kreuz, ein Taubenfuss, auch Tischfuss;
Y ein Halbmond, halbes Kreuz, Sparren oder eine Ofengabel; I ein Fändel
(d. i. wohl nicht eine Fahne, sondern ein kleiner Fant, der im Schach-
spiele jetzt als Bauer bezeichnet wird), Schlange, Säule, Kreuzstock, Nagel
oder Pfahl; D (=500) eine Bogensäge. Bisweilen tritt eine Umschreibung
ein, die aus dem Liede von den zwölf heiligen Zahlen (Kraus, Geschichte
der christlichen Kunst 2, 441; Erk-Böhme, Lied erhört., No. 2130 f.) ge-
schöpft ist; statt 12 heisst es 'der Apostel Zahl', statt 3 'der Patriarchìi
Zahl', statt 6 'die Zahl der Krüge' (auf der Hochzeit zu Kana).
Diese Jahreszahlrätsel, welche nicht vor dem Ende des 14. Jahrh.
scheinen und sich bis ins 16. Jahrh. fortpflanzen, treten an die Stelle dp
im 14. Jahrh. üblichen lateinischen Denkverse, in denen die Ziffern,
der Jahreszahl zwar ebenfalls häufig einzeln aufgeführt, aber nicht mit
der Gestalt eines anderen Gegenstandes verglichen werden. So war z. B.
an der Lübecker Marienkirche zu lesen:
Turris principia sunt M, tria C, duo bina (1304).
Einen halb deutschen Yers gleicher Art bringt die Osnabrücker Chronik
(Meibom, Scriptores 2, 221) zum Jahre 1350:
M et ter C et L,
Do schiodi de doet de lude vil schnell.
Heinrich von Laufenberg (Aufsess, Anzeiger 1, 41) reimt:
Ein M, vier C, vier X, ein i,
Do wart gedieht dis bücheli1).
Einen Übergang zu den Jahreszahlrätseln bildet ein deutscher Hexa-
meter auf eine 1315 aufgetretene Hungersnot, in dein für die Zahlbuch-
staben drei ebenso anlautende Vogelnamen eintreten2):
Ut lateat nullum tempus fames, ecce CVCVLLVM (= MCCCXV).
Ein Meyse, drey Creyen, drey Vinken w^set den hunger.
Ich stelle nun die mir zugänglichen Beispiele deutscher Jahreszahl-
rätsel nebst einem lateinischen, über das mir Herr Dr. Koppmann nähere
Auskunft gab, zusammen und bemerke, dass ich etwa die Hälfte derselben
schon in Reinhold Köhlers handschriftlichen Kollektaneen verzeichnet fand.3)
1) Solche Denkverse sind gesammelt bei Wackernagel, Kleinere Schriften 2, 26 f.
Forschungen zur deutschen Geschichte 18, 22. 33—36. 40. 571. Ii), 634. Monumenta
Germaniae, Scriptores 17, 639. Chroniken der deutschen Städte 20, 463.
2) Theodoricus Eugelhusius, Chronicon bei Leibniz, Scriptores Brunsvicensia ill. 2,
1125 = Österley, Forschungen zur deutschen Geschichte 18,-33.
3) Dabei schliesse ich natürlich aus scherzhafte Erweiterungen von Jahreszahlen, wie
in einer 1509 gedruckten Spottpraktik: 'Tausend groschen, fünifhundert maß weyns, neun
protwurst' (Weller, Serapeum 1865, 238) oder in der 1540 erschienenen 'Lasstafel und
Volkstümliche Zahlzeichen und Jahreszahlrätsel.
189
1. Ein ringe und sin dorn, CIO
Tru roßyßin verkorn, CCC
Ein zimmeraxst und der gelten [Krügejzal LYI
Da [ver]fyel Basel überal.
(Auf eine Feuersbrunst und Pest in Basel 1356.) a) Joh. Schmidt von
Elmendingen (f 1455) in Birlingers Alemannia 13, 148. — b) Giessener
Hs. im N. Archiv f. ä. dtsch. Gesch. 4, 81 — Forsch, z. dtsch. Gesch. 19, 634.
— c) Joh. Schweykofer in Neresheim (um 1550); Alemannia 11, 98. —
d) Wurstisen, Basler Chronik 1580, S. 176. — e) Joh. Gross, Urbis Basileae
epitaphia et inscr. 1624, p. 466 — Draheim, Deutsche Reime 1883, S. XIY.
— f) Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, 1896, S. 518. —
g) Bernoulli, Anzeiger f. schweizerische Geschichte 1882, 50.
2. Ein M, drey wörste, ein L, twe X, Otto forste, MCCCLXIX
Eins myn ek melde, all' hilgen wint Alvelde.
(Auf die Einnahme Alfelds durch Otto den Quaden am Allerheiligen-
tage 1369.) Engelhusius bei Leibniz, Scriptores 2, 1130 = Wagner, Archiv
f. d. Gesch. deutscher Sprache 1, 221. Haltaus, Calendarium Medii aevi
1729, S. 149.
octo :i i) ti i
o. Octo serpentes caudas ex more tenentes,
m° ccc
Qui triplo fune iungunt tria babbata lune
XC
Prime dando crucem, girantes prodere lucera
Gregorii festo, signant, quo tempore mesto
Gregorius fregit templum, Geor. hoc que relegit.
(Inschrift an der Südseite der Marienkirche zu Rostock, wohl vom
Rektor derselben, Henning Wacholt, verfasst, auf den Umbau der Kirche
von 1398 bezüglich.) Haltaus 1729, S. 150. Krause in Koppmanns Bei-
trägen zur Geschichte der Stadt Rostock 1, 2, 75 (1892). Schlie, Die
Kunstdenkmäler des Grossherzogtums Mecklenburg-Schwerin 1, 18 (1896).
— Schlie übersetzt das geschraubte, schwer verständliche Latein: 'Acht
Schlangen halten, wie üblich, ihre Schwänze; sie verbinden mit dreifachem
Tau drei Hufeisen unter Beigabe eines Kreuzes mit dem Neumond (also:
mcccxciiiiiiii), im Zeitlauf das Licht heraufzubringen für das Gregoriusfest;
sie bezeichnen, wie in der Fastenzeit Gregorius (12. März 1398) die Kirche
niederbrach und Georg (23. April 1398) sie neu errichtete.1
4. Ein sinwel rinck mit einem dorn, CIO
Vier hufeisen auserkorn, CCCC
Zwei kreuz, der patriarchen zal XXIII
Da wart dis buch geschrieben überall.
(Bruder Heinrich im Gültbuche des Klosters Schönthal zu Heilbronn
1423.) G. Bossert, Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1882, 304.
Practica des Doctor Grillen': 'Als man zalt Tausent ayer, Fünffhundert pratwürst und
viertzig seydel kûmist' (Wackernagel, J. Fischart 1870, S. 62. Zeitschr. f. dtsch. Altertum
15, 511. 36, 297), und gelehrte Spielereien wie hei Langius, Democritus ridens 1689, S. 237 :
'1460 = Multi Caeci Cardinales Creaverunt Caecum Leonem X'.
190
Boite:
5. Ain rink mit seinem dorn,
Yier roßeisen ußerkorn,
Zwae kreuz und dreier fändel zal
Wart Hohenzoller zerstört gar.
(Auf die Eroberung der Burg Hohenzollern durch den schwäbischen
Städtebund 1423.) SteifF, Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs
1899, S. 14, No. 2; vgl. noch Alemannia 13, 148.
6. Die Zeit des Kriegs vor Austigk
Hat man geschrieben dis Geschigk:
Ein Ringk von einer Taschen, CIO
Vier Oer von einer Flaschen, CCCC
Ein Sewl von einem Thor I
Und dritthalb Andres Creutz davor. XXV
(Auf die Zerstörung von Aussig durch die Hussiten 1426.) P. Albinus,
Meissnische Land- und Berg-Chronica, 1580, S. 211 = Haltaus 1729, S. 149.
7. Do man zalt ain ringk mit irem thorn
Und vier roßeissen außerkoren
Und ain 1 an der zal
Und siben venden auch mit der vval.
(Jeronimus Müller zu Augsburg 1457.) Merzdorf, Die deutschen
Historienbibeln 1, 54 (1870) aus Cgm. 206.
8. Drei von den rain gerad vnd fein III
Stunden bey halbem mondes schein, V
In einer schmittten kurtzer weil
Machten si ainen langen pfeil L
Von vier hufeisen stollen los, CCCC
Dauon Widern stat vnd schlos
Im hertzen ein schwere Wund empfing ^M
Vnd gar darob zu boden gieng.
(Auf den Fall der Feste Widern 1458.) Lorenz Fries (f 1550) in den
Geschichtsschreibern von Würzburg ed. Ludwig 1713, S. 820 = Heffner und
Reuss, L. Fries 1853, S. 21.
9. Do men schreeff einen Ring von der Taschen CIO
Und veer Hengen van veer Flaschen, CCCC
Vieff Duven Vöte XXXXX
und negen i III III III
Dar gedencket men Hartog AdolfT by,
Do werd manch Oge geweenet roth
Wol ümb des Edlen Forsten Dodt.
(Adolf VIII. von Holstein, Graf von Schleswig, f 1459.) C. Danck-
werth, NewTe Landesbeschreibung der zwTey Hertzogthümer Schleswich und
Holstein 1652, S. 63. Arnkiel, Cimbrische Heyden-Religion 1, 400 (1702)
= Kinderling, Geschichte der niedersächsischen Sprache, 1800, S. 158.
Ratjon, Handschriften der Kieler Universitätsbibliothek 2, 260 (1854).
Volkstümliche Zahlzeichen und Jahreszahlrätsel.
191
10.
a) Ain A mit aim J gestikt,
Dar zìi vier hufisen gschmit
Und ain zimmerakst mit der aposteln zal
Geschach die niederlag im Neckertal.
b) Ein alt lid auf einer taschen,
Drei ring an einer flaschen,
Ein zimmeraxt und apostel zal
Geschach die groß schlacht obm Neckertal.
c) Als ein A mit einem J geziert,
Vier hüfeisen waren formirt etc.
(Auf die Schlacht bei Seckenheim 1462.) Steiff, Geschichtl. Lieder
Württembergs 1899, S. 46, No. 12. Haltaus 1729, S. 150.
11.
a) Do men schreef eenen Ring an de Flaschen CIO
Und veer Oerde up de Taschen CCCC
Und enen Balken in dat Huus, L
Dartho dörtehalv Andreaskrus. XXV
Kieler Hs. SH. 170 M, S. 12; vgl. Ratjen 2, 247.
b) Ein Ring von einer Täschen,
Vier Oehr von einer Flaschen,
Eine Saul und dritthalb Andreas Kreüz,
Lag Herzog Karl vor Nüssz.
Setz darzu noch zwei i,
So lag er todt vor Nansy.
(Auf die Belagerung- von Neuss 1475 und den Tod Karls des Kühnen
1477.) Notes and Queries 6. Series 12, 262 (1885).
c) Een gherspe (Schnalle) van der tassche,
Vier oren van der flassche,
Eenen styl van der dueren,
Twee crucen en half daer vueren
Ende dan twee nagelen daerby
Bekent, hoe langhe dad-t zy,
Dat hertoch Kaerle bleef voor Nanchy.
Aus einer Genter Handschrift bei Mone, Übersicht der niederländischen
Volkslitteratur 1838, S. 327.
12. Ein Rincke von einer Fuhrmanns-Tasche, CIO
Vier Oehre von einer Bier-Flasche CCCC
Und ein halber Galgen empor, L
Zwey Burgundische Creutz davor, XX
Ein Sparr aufwärts, drey Seul darzu VIII
Brachten Halle in Müh und Unruh.
(Auf die Eroberung von Halle durch den Erzbischof Emst von
Magdeburg 1478.) G. Olearius, Halygraphia 1667, S. 207 = Haltaus 1729,
S. 150.
192
Boite :
13. Ein guter Ring mit seinem Dorn CIO
Und vier Rosseisen auserkorn, CCCC
Eine Zimmeraxt, drei Kreuz dabei LXXX
Und vier Kreuzstöck als klei IUI
Das ganze Haus mitt sammt dem Dach
Erbauen ward in Dach und Fach.
In 13 Wochen dieß geschah,
Da man kein Tropfen Regen sah.
(Am alten Kauf hause zu Baden.) Notes and Queries 6, 12, 262.
14. Als man das Jar zeichnet mit einem gelegten kessel (zur seiten, wie die
Gänß gehn, wann es regnet) oder einem Rincken mit seinem dorn, vnnd vier hufí-
eisen (von Niclaußport und S. Leonhart auß Bayern), auch einer zimmeraxt mit
angehenckten zwo spindein (auß dem Allgäw), zwen (Ancken oder) schmaltzhäfen
(vom ordentlichen Marckt zu Zabern) vnnd zween krüg (auß der Schlesi, vnd
weissen Kräußlein, darauß die guten Weingurgeln die Funcken mit Messern treiben
. . . alsdann, sag ich) ward dises geprochtiziert.
Anfang yon Fiscliarts Schrift 'Aller Practick Großmutter' 1572 (Neu-
druck 1876). Die Zusätze der zweiten Bearbeitung von 1574 habe ich
nach Scheibles Kloster 8, 555 in Klammern beigefügt.
15. Awar es wirt ain Jar harschleichen
Kezaichnet mit aim Pogen,
Mit fünff Spintain, trei hafenbäuchen.
Fischart, Geschichtklitterung 1575, Kap. 2, S. 62 = 1891, S. 49. —
Die entsprechende Stelle in Kabel ais' Gargantua lautet:
Mais l'an viendra, signé d'ung arc turquoys,
De cinq fuseaulx et troys culz de marmite,
was Regis folgendermassen wiedergiebt:
Doch kommt das Jahr, mit einem Türken-Bogen,
Fünf Spindeln, drei Topfböden auch signiert.
16. Als me schreif: eine Klap der Taske CIO
Fünf Elengels an der Fiaske, CCCCC
Eine Seisse mit en Stihl, L
Veier Andreias Kruisen, einen Pin, XXXXI
Fall de Eberstein in Geisekc in.
(Inschrift am Stadtkirchen-Chor in Geseke.) "W. Fricke, Das Mittel-
alterliche Westfalen, 1890, S. 211.
17. Als nach Christi Geburt die Jahrzahlen
Gleichnißweiß sich ließen abmahlen
In einem Bogen-Sägen runden D
Und durch ein Hirten-Horn gewunden,
Das er zum Treiben blasen muß, C
Auch durch einen einfachen Tisch-Fuß, X : * ;
Durchs Haupt von einer Ofen-Gabel Y
Und drei Pfähl mit gespitzten Schnabel, lit
Stadt Meinung an der Werr beriiemt,
Der Franken Pfort, ihrn Anfang nimmt,
/
Volkstümliche Zahlzeichen und Jahreszahlrätsel.
19S
Welch vor ein wüste Eining gar
Und lange Zeit ein Viehhof war,
Ris dass im Sumpf die Burg zuletzt
Auf Erlen-Pfähl und Rost gesetzt.
(Auf die sagenhafte Gründung1 von Meiningen durch den Pranken-
herzog Genebald 618.) Bechstein, Sagenschatz des Thüringerlandes n. A.
3, 204 (1862).
Bisher hatten wir es mit Deutungen römischer Zahlzeichen zu thun;
doch auch die arabischen Ziffern wurden den Schülern durch Yer-
gleichung mit Gegenständen von ähnlicher Gestalt anschaulich gemacht.1)
So vergleicht das nachstehende Poem die 3 mit einem Schweineschwanz,,
die 4 mit einer Wurst, die 9 mit einer Keule:
i y
Unum dat zungel, kruck duo significant,
3 . 2
Smwanczque tria, würstfül dat tibi viere,
M 6
Reffstab dat funfe, wider d dat tibi sechsse,
A « 9
Süben gesperre, ethwe kette, nün kolb significabit,
10
Ringel cum zingel tibi decern significabit,
°
Si zingel desit, ringel nichil significabit.
Diesen von Wackernagel, Zeitschr. f. dtsch. Altertum 5, 413 aus einer
Strassburger Handschrift des 15. Jahrh. mitgeteilten deutschlateinischen
Hexametern stelle ich eine Niederschrift aus dem 14. Jahrh. im Berliner
Mlq. 2, 94b zur Seite, die E. Yoigt (Ysengrimus 1884, S. CXX) heraus-
gegeben hat:
Unum dat vinger, cropil duo significabit,
Schwinczagel dat dri, worstehogel dat tibi vire,
Redeslab dat fumfe, weyderd signât tibi seyße,
Septem gesperre, keden octo, nouem tibi kide,
Finger cum ringel decern tibi significabit.
Yon der Jahreszahl 1711 finden wir bei A. Sutor (Der hundertaugige-
blinde Argos 1740, S. 969) folgende Beschreibung:
Wann du sie recht wilst nennen,
Drey Säulen must zum Galgen stellen,
So gibt sie sich zu kennen.
1) Dagegen wird in den verschiedenen mittelalterlichen Ausdeutungen des Alphabets
fast nie auf die äussere Gestalt der Buchstaben Rücksicht genommen; es sind entweder
spitzfindige, rätselartige Aufzählungen von allerlei Eigenschaften oder willkürliche Orakel
aus dem aufs Geratewohl aufgeschlagenen Psalter (Omont, Bibl. de l'Ecole des chartes
42, 429. 1881. Jubinal, Nouveau recueil de contes 2, 428. 1842. Rois de Cambrai ebda..
2, 275 und Hist. litt, de la France 23, 263. Reliquiae antiquae ed. Wright and Halliwell
1, 164. Rituale ecclesiae Dunelmensis p. 197. Ztschr. f. dtsch. Altert. 17,84. 18, 81. 297..
21, 189. 34, 1).
194
Kahle:
Und in einer pommerschen Volkssage (U. Jahn 1889, S. 506, No. 628)
wird die Jahreszahl 1691 schon ganz in der Weise eines Rätsels charak-
terisiert: 'Ihr Hinterstes und Vorderstes, Oberes und Unteres ist alles
ganz gleich1.
Sollten nicht ähnliche Deutungen der Zahlzeichen noch heut im Volke
lebendig sein?
Alis schwedischem Volksglauben.
Von B. Kahle.
Die rühmlichst bekannte Sammlerin schwedischer Volksüberlieferune\
o7
Frau Eva Wigström, hat unter dem Titel 'Folktro ock sägner' in den
'Nyare bidrag tili kännedom om de svenska landsmâlen ock svenskt folklif'
VIII, 3 (Heft 61 und 65), 1898 und 1899 eine vortreffliche, noch nicht
ganz vollendete Sammlung schwedischen Volksglaubens und volkstümlicher
Erzählungen aus den südlichen Landschaften Schwedens veröffentlicht, und
zwar nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen. Da das an dieser Stelle
niedergelegte interessante Material manchem Forscher nicht zugänglich
sein dürfte, möchte ich dazu beitragen, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise
auf diese Veröffentlichung zu lenken, und auf einige Punkte von allge-
meinerem Interesse kurz hinweisen.
Uber die Art und Weise ihrer Sammlerthätigkeit hat die Verfasserin
höclit beachtenswerte Aufschlüsse in VIII, 1 derselben Zeitschrift (1888)
gegeben in dem Aufsatz 'Vandringar i Skâne ock Bleking', dessen Studium
allen Forschern auf gleichem Gebiet dringend empfohlen werden kann.
Es ist erstaunlich, welche Schätze alter Überlieferung- und volkstümlichen
Glaubens noch heut im schwedischen A'olke leben, und bewundernswert
ist die Kunst, mit der die Verfasserin es verstanden hat, sie ans Tageslicht
zu bringen. Ich • hebe folgendes daraus hervor, die Zahlen bedeuten die
Paragraphen.
Bekanntlich hat Willi. Schwartz betont1^, dass der wilde Jäger häufig
als der im Gewittersturm einherziehende Dämon erscheint. Dazu stellt sich
der 'Norschütze'. Er muss von Anfang der Welt bis zum Ende die Trolle
durch die Luft jagen, und seinen Hunden schlägt Feuer aus dem Rachen
und den Augen (352. 354), Funken fliegen um die Hufe seines Pferdes (353).
Wenn er zurückkommt von seiner Jagd, trägt er einen toten Troll auf
1) Zuletzt in dieser Zeitschrift VIT, 231 ff., woselbst auch die Litteratur aus früherer
Zeit.
Aus schwedischem Volksglauben.
19.")
dem Rücken (355), was wohl eigentlich heissen soll, dass er ihn über den
Rücken seines Pferdes geworfen hat, wie sonst der wilde Jäger das Weib,
das er verfolgt hat.1)
Der grösste Feind aber der Trolle und Riesen ist der Donner. Diese
Anschauung kommt in zahlreichen Erzählungen vor und scheint fest im
Volksglauben zu haften. Mit dem Worte Troll verbindet sich nicht not-
wendig die Nebenbedeutung des Riesischen, sondern die nordische Sprache
bezeichnet im allgemeinen damit die unholden Geister2), die allerdings
vielfach von übermenschlicher Grösse erscheinen. In heidnischer Zeit war
Thor der Hauptgegner des Riesengeschlechts. In dem heutigen Volks-
glauben werden wir aber doch wohl die ältere Anschauung sehen dürfen,
aus der heraus sich dann die zahlreichen volkstümlichen Erzählungen vom
riesenbekämpfenden Thor entwickelt haben, während das umgekehrte,
dass wir es mit einer verblassten Erinnerung an das Wesen des Gottes zu
ihun haben, mir weniger wahrscheinlich erscheint.3) Wenn z. B. in einer
Erzählung (180) vom Tode eines weiblichen Troll gesagt wird 'es kam
der Donner ihr nach und schlug sie zu Tode' (/com tordönen efter hänne ock
slog hänne ijäl), so ist von da bis zur wirklichen Personifikation des
Donners nur ein Schritt, ähnlich, wenn es in einer anderen Erzählung (177)
heisst, dass, als der Troll über einen Bach zu setzen versuchte, 'der
Donner ihm auf den Fersen war bis auf die andere Seite' ([tordönan] har . . .
varit i hälarna pä dem in över pâ andra sidan). Beim Gewitter suchen
die Riesen und Trolle unter allerlei Verkleidungen Schutz, wenn der
Donner 'ihnen auf den Fersen ist' (269), so kommt z. B. ein Troll als
Katze in eine Stube (270, vgl. auch 275), oder er verwandelt sich in eine
Sau (271). Auch in ein Knäuel schaffen sie sich um, und man kann sie
dann das Dach entlang rollen sehen, wenn der Donner hineinschlägt (275).
Ein Troll, der im Gewitter Schutz bei den Mensch zu suchen pflegte,
verwandelte sich in eine Katze, einen Hund, einen Vogel z. B. eine Gans,
oder in einen Hasen, gewöhnlich aber in eine alte arme Frau (276. 277).
Ein AValdgeist verwaudelte sich auch einmal in eine Feuerkugel, die einer
Frau zwischen den Füssen einherrollte. Als diese einen Rock fallen liess,
blieb die Kugel darunter und sofort fuhr der Blitz darauf nieder (280).
Gefährlich ist es, im Freien bei Gewitter irgend ein Kleidungsstück
über dem Kopf zu schwingen, weil leicht ein Troll sich darin verbergen
kann, und dann schlägt der Donner den Menschen zu Tode (272).
Die Angst vor dem Donner erstreckt sich auch auf Menschen, die von
Trollen geraubt sind. Einem Manne war seine Frau von diesen fort-
,genommen worden. Nach einiger Zeit, als sich der Mann schon wieder
1) Vgl. E. H. Meyer, Germ. Mythologie, S. 247.
2) Vgl. Golther, Handbuch d. germ. Mythologie, S. 117.
3) Doch vgl. Grimm, Mythol.4, S. 444.
196
Kahle:
verheiratet hatte, steht die Verschwundene plötzlich an der Biertonne, aus
der sie Bier für die Trolle stehlen will. Der Mann fragt sie, ob sie bei
ihm bleiben will, worauf sie zusagt, wenn er 'niemals den Donner nennt
oder sagt, dass sie sich beeilen solle'. Der Mann war froh darüber, dass
er zwei Frauen haben sollte, und die beiden Frauen wurden die besten
Freunde. An einem Sommertage kam der Mann eilends in die Stube und
sagte: 'Frauen, es sieht gefährlich nach Donner aus. Ihr müsst euch
beeilen und die Wäsche hereinnehmen!' Yerschwunden war die 'fort-
genommene' für alle Zeit (233).
Auch die Wassergeister, die Necker, sind der Yerfolgung des Donners
ausgesetzt. Viele hat er getötet (3C8).
Die Trolle sind eigentlich böse Engel.
Als unser Herr sie, wie ein Soldat sich ausdrückte, 'rangierte' (rongerade),
wurde ein Teil von ihnen zur Erde niedergestürzt (154). Der Glaube,
dass Riesen, Elben, überhaupt dämonische Wesen, eigentlich zur Schar
der von Gott verworfenen Engel gehören, begegnet auch anderweitig1)
und erklärt sich aus dem Bestreben, die Existenz dieser Wesen, die ja
die christliche Kirche keineswegs leugnete, zu motivieren. In einer anderen
Erzählung (182) klagen Trolle, die ein gutes Verhältnis zu benachbarten
Bauern unterhielten, einem Pfarrer, der sie vertreiben wollte, ihre Not.
Sie wären herabgestürzte Engel, die als Trolle leben sollten bis zum
jüngsten Tage. Sie fragten ihn, ob sie wohl Hoffnung auf Erlösung hätten.
Auch diese Sehnsucht der Geister, besonders der Wassergeister, der Er-
lösung teilhaftig zu werden, begegnet oft und hat vielfach einen rührenden
Ausdruck gefunden.2) Unsere Erzählung ist nun in sehr interessanter
Weise mit dem Tannhäusermotiv vom blühenden Stab verknüpft. Der
Pfarrer stösst erzürnt seinen alten Stock in die Erde und bricht in die
Worte aus: 'Ebensowenig wie dieser Stab grünen kann, ebensowenig er-
haltet ihr Gnade.' Nach einiger Zeit erfasst ihn Reue, er geht zu dem
Hügel, in dem die Trolle wohnten, zurück und hört, wie sie beten, dass
der Stab grünen möge, so dass sie Hoffnung auf Gnade bekämen. Das
rührte den Pfarrer, und er stimmte in ihre Bitte ein. Darauf ging er,
um seinen Stock zu holen. Da sah er, dass er grünte. Froh darüber,
thaten nun die Trolle dem Pfarrer seinen Willen und zogen fort vom
Hügel.
Das Stabmotiv begegnet des weiteren in einer eigentümlichen Er-
zählung (510). Ein Bauer, der eine Fuhre Holz zu verkaufen hatte, ver-
irrte sich und traf in abgelegener Einöde einen Mann, der an einer Pforte
wohnte, die in die Erde nieder führte. Der Mann nannte sich Pal Störje
1) Ygl. Mogk in Pauls Grunclriss der german. Philologie2, I, 297. Thorpe, Northern
Mythologie, II, 115.
2) Ygl. Grimm, Mythologie4, 408 f. Thorpe a a. O. II, 152. Maurer, Bekehrung des
norweg. Stammes, T, 234; Anm. 13. Golther, Handbuch der german. Mythologie, 171.
Aus schwedischem Volksglauben.
197
und hatte Lust, das Holz zu kaufen. Er bezahlte den doppelten Preis
dafür. Sie verabreden, dass der Bauer jedes Jahr wieder kommen und
den gleichen Preis für das Holz erhalten solle. So ging1 der Handel drei
Jahre hindurch. Im dritten Jahre bat Pal Störje den Bauer, ihm za einem
Wall zu folgen und ihm einen grossen Dienst zu thun. Nun bewahrheitete
sich die Vermutung des Bauern, dass Pal Störje an der Pforte der Hölle
Wache hielt, und dass er sein Holz an den Bösen selbst verkauft hatte.
Pal Störje war ein grosser Sünder und war zur Strafe verurteilt worden,
so lange als Thorwächter des Abgrunds zu leben, bis ihn irgend jemand
von des Lebens Bürde dadurch erlösen würde, dass er ihn dreimal mit
seinem Stock über den Rücken schlüge. Der Bauer war bereit, ihm den
Dienst zu erweisen, war aber begierig, zu wissen, wie es seiner Seele
ergehen würde. Ja, das wusste Störje nicht, aber der Bauer solle nur
seinen Stab in die Erde über dem Grabe stecken und nach einem Jahr
wiederkommen. Wenn da der Stab grünen würde, so wären seine Sünden
vergeben, wäre er aber dürr, dann ginge es ihm nicht gut. Nach langer
Zeit erst, als der inzwischen durch seinen Holzhandel reich gewordene
Bauer Gewissensbisse über die Grundlage seines Reichtums fühlt, begiebt
er sich zum Grabe Störjes und sieht zu seiner Befriedigung, dass der alte
Stock in einen grünen Baum verwandelt ist. Da wurde er heilfroh, denn
er glaubte nun auch auf Gnade hoffen zu dürfen, obwohl er dadurch reich
geworden war, dass er sein Holz der Hölle verkauft hatte.
Etwas anders gewendet, aber doch insofern hierhergehörig, als das
scheinbar Unmögliche geschieht, ist das Motiv in einer anderen Erzählung
(511). Hier handelt es sich um die Frau eines armen Pfarrers, die sich
dem Bösen nach ihrem Tode versprochen hatte, wenn sie kinderlos bleiben
würde. Als sie zu Jahren kommt, bereut sie ihren Pakt und offenbart
sich ihrem, der schwarzen Kunst kundigen Manne. Dieser versucht zwar
seine Frau durch Zauberei vom Teufel zu befreien, zweifelt aber doch,
ob sie Gnade erlangen könne. Als sie gestorben war, pflanzte er drei
junge Bäumchen unter einen steinerneil Tisch in seinem Garten und sagte,
wenn einer dieser Bäume mit seiner Krone durch die Steinplatte wachsen
könnte, sollte ihm dies ein Zeichen dafür sein, dass die Thür der Gnade
für seine Frau geöffnet worden wäre. Und man denke: nicht ein, sondern
alle drei Bäume wuchsen durch die Steinplatte.
Taubstumme oder missgestaltete Kinder hielt man früher weit allge-
meiner als jetzt für Wechselbälge. Deshalb durften sie nicht auf dem
Kirchhof beigesetzt werden, sondern man begrub sie an der Grenze
zwischen den Grundstücken, und ein Pfahl wurde durch ihren Körper
geschlagen (wohl um das Umgehen zu verhindern). Aber einmal ereignete
es sich, dass auf einem solchen Grabe Maiglöckchenblätter wuchsen, und
auf einem der Blätter stand geschrieben: 'Gott sei Lob, dass ich Speise er-
hielt, und Gott sei Lob, dass ich satt wurde ! Auch dieser wird selig' (26*2).
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
198
Kahle ;
Yon den Trollen ist ferner zu berichten, class sie vielfach im Gegen-
satz zn der Sehnsucht nach der Erlösung als dem Christentum feindlich
erscheinen. Das spricht sich in dem Zug aus, dass sie den Namen Gottes
nicht aussprechen können. Einmal hatte ein Mann, der mit einem Bären
herumzog, durch diesen ein spukendes Frauenzimmer und eine ganze
Schar kleiner Trolle aus einem Zimmer vertrieben. Ein paar Menschen-
alter später stand einmal ein Mann draussen im Wald und hieb Holz.
Da kam eine grosse, lange alte Frauensperson zu ihm und fragte: 'Lebt
die grosse Katze in Norrholt noch?' 'Ja, sie liegt auf dem Ofen und hat
sieben Junge, und alle schlimmer als sie selbst', antwortete der Mann,
denn er hatte die Geschichte gehört. Der Ausruf des Trolls lässt sich nun
nicht gut übersetzen. Sie rief: 'Vares, vares därifrari — bevara konnte
sie nicht sagen, denn das bedeutet igud bevare' = Gott bewahre. Und so
drehte sie sich um, und da war sie hohl im Rücken.
Diese Geschichte erinnert an eine isländische, auf die ich einmal an
anderer Stelle aufmerksam gemacht habe.1) Sie gehört dem Kreise der
Leonorensagen an. Hier kann der tote Liebhaber den Namen seines
Mädchens, Gudrun, nicht aussprechen, da der erste Teil des Namens das
Wort gud — Gott enthält, und sagt dafür G-arùn.
Auf der anderen Seite fehlen aber auch nicht Erzählungen vom
Gottesdienst der Toten und Trolle, den man sich hier wie anderwärts
besonders in der Julnacht denkt (486); hauptlos sitzt die Gemeinde da,
und hauptlos ist der Pfarrer auf der Kanzel (488).2)
Aus dem Kreise der Trollen- und Dämonengeschichten sei nun noch
auf folgende aufmerksam gemacht.
Ein weiblicher Troll, Israelifrau genannt, weil sie im Israelihügel
wohnte, verkehrte freundschaftlich mit den Leuten der Nachbarschaft.
Einer der Dorfbewohner liess sich näher mit ihr ein, und die Israelifrau
gebar ihm Zwillinge. Nun verlangte sie von ihm, er solle sie heiraten.
Der Mann war aber ein richtiger Fuchs, denn er bat um Aufschub der
Hochzeit, bis er die Saat geerntet habe, die er nun säen wolle. Darauf
ging sie ein. Da säete er Eicheln, und die Saat ist bis jetzt noch nicht
geerntet, denn das ist der kleine Eichenwald in der Nähe des Herrensitzes,
den man Tuvehain nennt (Tuve hiess der Mann), und der in Ehren
gehalten wird als ein altes Erinnerungszeichen (179). Diese Erzählung
gehört zu den Geschichten, in denen der dumme Teufel betrogen wird.
Gerade im Norden sind die Beispiele häufig, in denen an die Stelle des
Teufels ein Riese, ein Troll tritt. Hierin haben wir sicherlich die ältere,
1) Germania XXXVI, 369 ff., vgl. Arnason Islenzkar pjodsögur og seventyri 1,280 ff.
Maurer, Island. Yolkssagen der Gegenwart, 74.
2) Vgl. die Litteraturnachweise von Weinhold, diese Zeitschrift VI, 442.
Aus schwedischem Volksglauben.
199
volkstümliche Form zu sehen, während der Teufel seine Ttolle hier wohl
christlicher Substitution verdankt.1)
Ein altes Märchenmotiv findet sich in folgenden drei Erzählungen.
Ein Mann, Ola Sona, der wegen siebenfachen Mordes für vogelfrei
erklärt worden war, wohnte Wand an Wand in einem Hügel mit einem
Troll (174). Eines Tages hörte er den Troll von seinen Ziegen sprechen.
'Ola Sona schiesst wohl unsere Graue', sprach eine Stimme. 'Das kann
er nicht, bevor er nicht ausgeht, weder gewaschen noch ungewaschen,
weder rasiert noch unrasiert, weder gekämmt noch ungekämmt', antwortete
eine andere Stimme. Da wusch sich Ola Sona das halbe Gesicht, rasierte
den halben Bart und schnitt das Haar auf der einen Seite des Kopfes.
So ausgerüstet ging er aus und konnte da die Ziege erlegen (175).
Eine Waldfrau hatte einen schneeweissen Hirsch mit einem silbernen
Glöckchen urn den Hals. Viele Jäger hatten den Hirsch gefehlt. Schliesslich
erfuhr einer, wie man es anstellen müsse. Er sollte kommen weder ge-
kämmt noch ungekämmt, weder gewaschen noch ungewaschen, weder satt
noch nüchtern. Da ordnete er sein Haar mit den Fingern, wusch sich in
seinem eigenen Wasser und ass einen Bissen Knoblauch. So schoss er
den Hirsch (328). Mit geringer Abweichung — es handelt sich nur um
die beiden ersten Bedingungen — wird dieselbe Geschichte aus anderer
Gegend erzählt (329).
Dass dieses Motiv schon in alter Zeit dem Norden bekannt war, be-
weist die Erzählung von der Aslaug, die vor dem König Ragnarr Lodbrók
erscheinen sollte weder bekleidet noch unbekleidet, weder satt noch nüchtern,
weder allein noch von irgend jemandem gefolgt. Sie hüllt sich in ihr
Haar, verspeist etwas Lauch und lässt sich von einem Hunde begleiten.2)
Wir sehen zugleich, dass das Essen des Lauches alt ist.
Das antike Motiv vom 'Niemand' begegnet umgekehrt in folgender
Erzählung. Köhler und Theerbrenner hatten Feuer auf eine Waldfrau
geworfen, als sie zu nahe herangekommen war und ihr eingebildet, dass
sie 'Selbst' hiessen. Nun rief sie nach ihrem Mann und sagte, dass sie
Schaden durch Brand erlitten hätte. Darauf fragte er: lYon wem?' 'Yon
selbst." 'Selbst thun, selbst haben', erhielt sie zur Antwort, denn ihr
Mann glaubte, dass sie es selbst gethan hätte. Die Antwort soll wohl so
viel heissen, wie 'wenn du es selbst gethan hast, musst du auch selbst den
Schaden tragen'.
Wenn auch nicht in dieser Erzählung, so kommt doch in einer anderen
einmal ein Troll vor, und zwar ein weiblicher, nach Art der antiken Cy-
klopen mit einem Auge mitten auf der Stirn (160).
Weit verbreitet sind noch Opfer mancherlei Art, auf die ich hier nur
kurz hinweisen will. So hält man am Julabend Bier für die Wichte
1) Vgl. Grimm, Mythol.4, I, 454 ff.
2) Fornaldur sögur I, 246.
14*
200
Kahle:
bereit (293. 294) oder man opfert ihnen süsse Milch von einer schwarzen
Kuh (295). Sehr unwillig werden sie, wenn das Waschwasser, in dem
man ein neugeborenes Kind gewaschen hat, auf ihren Aufenthaltsort
gegossen wird. Dann kann man sie nur durch ein Milchopfer versöhnen
(296. 297). So kann man auch ganz allgemein allerlei Übel, das einem
durch Wichte zugefügt wird, abwenden, indem man die Wichte durch ein
Milchopfer versöhnt oder durch ein Opfer von Milch, Erbsilber und Weizen-
brot (311).
Die Kobolde (tomtenissar) hält man vielfach für gute Wichte (449.
450. 452) und deshalb opfert man ihnen Speisen oder auch Kleider, be-
sonders am Julabend> aber auch an anderen hohen Festen (449—452).
Ebenso lässt man auch etwas von der Julspeise in der Nacht auf dem
Tische stehen, denn in der Julnacht kommen die abgeschiedenen Familien-
mitglieder 'und da sollen sie auch etwas Gutes haben' (482, vgl. auch 592).
Wenn man dem 'Bachpferd' oder 'Bachmann' ein Stück Geld opfert,
leuchtet er dem späten Wanderer nach Hause (365); bezahlt man ihm das
versprochene Geld nicht, kann es einem das Leben kosten. Aber schlimmer
noch ist es, ihm das Geldstück zu geben; denn am jüngsten Tage tritt er
da vor unseren Herrn und sagt: 'Siehe, diesen Pfennig habe ich von einem
Christen verdient!' Und dann kann es geschehen, dass diese arme christ-
liche Seele ihre Seligkeit bei dem Handel verwirkt hat (366). Beim
Baden opfert man gern einige Brotkrumen oder spuckt in Ermangelung
derselben ins Wasser, 'was keineswegs Yerachtung ausdrückt, sondern im
Gegenteil eine Art Opferhandlung an heimliche Mächte ist' (367). Auch
die Meerfrau ist eine grosse Freundin von Opfern. Bekommt sie diese,
macht sie gut Wetter; im entgegengesetzten Fall erregt sie Sturm (421).
Will man im Meere baden, soll man vorher etwas der Meerfrau opfern,
darauf einen Bissen 'Badebrot' essen und nicht vergessen, ins Wasser zu
spucken (425). Als einmal zwei Boote kurz vor Weihnachten auf der See
waren, kam die Meerfrau, setzte sich auf die Reling des einen Bootes und
sprach: 'Warte Wind, trolle dich nach Hause, sonst bekommst du ein
kaltes Julfest!' Der Schiffer warf ihr seinen Handschuh als Dankopfer zu.
Aber die Bemannung des anderen Bootes wollte nichts geben. Der Sturm
kam, und das Meer nahm einen Mann der Besatzung. Aber das erste
Boot kam glücklich ans Land (427). Die Meerfrau verkauft auch Wind
für Geld (430).
Yon der Meerfrau, wie überhaupt von den Wassergeistern, werden
eine Anzahl Geschichten über ihren intimen Verkehr mit den Menschen
erzählt. Yon ihnen hebe ich folgende zwei hervor, weil sich in diesen
eine Yermischung der Meerfrau mit solchen Druckgeistern zeigt, die ihre
Enstehung im erotischen Albtraum haben.
Ein Bursche hatte ein Zauberbuch. Er legte es zuletzt unter eine
Brücke. Ob er dadurch oder durch irgend etwas anderes in die Gewalt
Aus schwedischem Volksglauben.
201
der Meerfrau gekommen, wusste der Erzähler nicht. Als sicher aber stellte
er es hin, dass sie jede Nacht halb als Weib halb als Fisch anzusehen zu
dem Burschen kam. Dieser litt entsetzlich dabei, aber er musste sich so
lange mit ihr abgeben, bis sie ihn qualvoll ums Leben gebracht hatte (434).
Noch deutlicher tritt die Natur der Meerfrau als Druckgeist in der anderen
Erzählung zu Tage. Eine Meerfrau pflegte ein Bauerngehöft zu besuchen.
Eines Nachts kam sie in eine Scheune, in der Mädchen und Burschen
schliefen. Das eine Mädchen war wach und sah, 'wie die Meerfrau auf
einem schlafenden Burschen trampelte und darauf ihn zu küssen versuchte'
(435).
Ins mythologische Gebiet gehören noch die drei, vielfach im ger-
manischen Volksglauben auftretenden Hähne.1) Ein Bursche, der ein paar
neue Schuhe bekommen hatte, rief in seiner Freude aus: 'Nun will ich
tanzen mit Röepang selber — einem Gespenst — bis zum hellen Tag.'
Am Samstagabend ging er aus, um an einer Weihnachtsbelustigung teil-
zunehmen. Auf dem Wege traf er das Gespenst und musste mit ihm
tanzen, so dass Sohlen und Oberleder in Stücke gingen. Nun gings weiter
auf Strümpfen. Beim ersten Hahnenschrei sagte Röepang: 'Nun kräht der
Hahn der weisse, den achte ich nicht mehr als Scheisse.' Als der Hahn
zum zweitenmale krähte, sagte er: 'Nun kräht der Hahn der rote, zur Erde
sollen alle die Toten.' Aber er tanzte noch eine Weile mit dem Burschen.
Als der Hahn zum drittenmale krähte', sagte er: 'Nun kräht der Hahn der
schwarze, nun öffnet sich des Himmelreichs Pforte!' Und da musste er
den armen Burschen loslassen. Aber da war es auch heller Tag (623).
Einen eigentümlichen Aberglauben hat die Sammlerin nur an einer
Stelle, in Gärds härad, gefunden. Vielleicht vermag einer der Leser dieser
Zeilen weitere Parallelen anzuheben. In der Kammer einer Gastwirtschaft
spukte es. Gleichwohl liess sich eine Dame, wegen Überfüllung des
Hauses, ihr Bett dort bereiten. Um Mitternacht kam eine Frau mit
langem, hellem Haar an ihr Bett. Das Fräulein nahm da sein reines
linnenes Schnupftuch, legte es über seinen Mund und fragte so, was der
Geist wolle — 'denn das Fräulein wusste das, dass die Toten immer
antworten müssen, wenn man sie durch reines Linnen fragt.' Der Geist
offenbarte sich nun als die von ihrem Ehemann, dem Wirt, und einem
Mädchen ermordete frühere Wirtin, von der man angenommen, sie sei mit
einem Manne durchgegangen. Unter der Diele in diesem Zimmer sei sie
begraben. Da flocht das Fräulein seinen Verlobungsring in das lange
Haar der Frau und bat sie, in Frieden zu ruhen, denn nun sollte Gerechtig-
keit geübt werden. Das geschah auch, die Dame liess die Diele auf-
brechen, man fand das Gerippe, und bei der Hirnschale lag der Ring an
eine Haarlocke geflochten. Der Wirt und das Mädchen wurden am Leben
gestraft (631).
1) Vgl. E. H. Meyer, German. Mythologie, S. 111.
202
Passler:
Eine ähnlich auch anderwärts vorkommendex) Meineidsgeschichte wird
aus Pottland berichtet. In der Nähe der Kirche von Bro finden sich ein
paar merkwürdige Steine. Zwei Frauen stritten mit der Kirche um ein
Stück Acker, welches diesen verliehen war. Als die Sache auf dem um-
strittenen Platz entschieden werden sollte, thaten die Frauen Erde in ihre
Schuhe und leisteten einen Eid, 'dass sie auf ihrer eigenen Erde standen'.
Aber kaum war der Meineid über die Lippen der Frauen gekommen, als
ihre Körper zu den zwei Steinen verwandelt wurden, die noch bei der
Kirche stehen (504). Nach einer anderen Erzählung sind es zwei Frauen,
die um den Besitz eines Waldes streiten. Die Frau, die Unrecht hatte,
legte die Erde aus dem umstrittenen Wald in ihre Schuhe — offenbar
muss es eigentlich heissen, dass sie Erde von ihr unstreitig zugehörigem
Besitz nahm —, und leistete den Eid, dass die Erde, auf der sie stand, ihr
zugehöre. Da versank der Wald, und ein Sumpf trat an seine Stelle (505).
Zum Schluss sei erwähnt, dass der Glaube an Himmelsbriefe sich
auch hier findet.2) Zwei solche sind 474 f. abgedruckt.
Heidelberg.
Ein Hochzeitbraucli aus dem Wippthale in Tirol.
Von Gymnasial-Professor P. Passler.
Im Wippthale und auf dem Innsbrucker Mittelgebirge werden die
Ehen mit Vorliebe in der Faschingzeit abgeschlossen. Der Hochzeit pflegt
eine kleine Reise zu folgen, deren Ziel einer der nahegelegenen Wall-
fahrtsorte ist: Waldrast, Absam u. a. In der ersten Nacht nach der Rück-
kehr wird den Neuvermählten ein eigenartiges Ständchen gebracht: die
Burschen des Dorfes ziehen, mit Töpfen, Hafendeckeln und ähnlichen In-
strumenten ausgerüstet, vor das Haus und singen das Lied „Das faule
Weib". Nach je zwei Strophen fällt ohrenbetäubend die Katzenmusik
ein. Nach dem Inhalte des Liedes und der begleitenden Musik sollte man
glauben, ein solches Ständchen sei der Ausdruck der Verachtung, des
Volksunwillens. Aber gerade das Gegenteil ist richtig; jedes neuvermählte
Paar würde es als bittere Kränkung und Zurücksetzung empfinden, wenn
1) Maurer, Island. Volkssagen, S. 203, vgl. ferner Rochholz, Schweizersagen aus dem
Aargau, I, S. 301 und II, S. VIII und 113; Schweizer Archiv für Volkskunde III, S. 341 f.
2) Eingehend behandelt die Himmelbriefe Sandfeld Jensen in Dania III, 193 ff. Auf-
merksam will ich an dieser Stelle machen auf den von Sütterlin, Alemannia XXIV, 15 ff.,
abgedruckten Himmelbrief, der zur Klasse der angeblich in Holstein niedergefallenen
gehört.
Ein Hochzeitbrauch aus dem Wippthale in Tirol.
203
ihm diese Aufmerksamkeit versagt bliebe. Zur Deutung- dieses Rätsels
mögen verwandte Hochzeitgebräuche herangezogen werden.
In Defereggen (Seitenthal des Iselthals in Ost-Tirol) wird beim „trühe
fü?rn", d. i. bei der Überführung der Habseligkeit der Braut in ihr neues
Heim „Klause gimacht". Burschen — auch Mädchen — sperren den Weg
mit einer Stange, dass der hochbeladene Wagen anhalten muss. Einer
der Klausemachenden geisselt in witzigen Reimen die "Vorkommnisse der
jüngsten Zeit, wobei auch Braut und Bräutigam mancher derbe Hieb ver-
setzt wird.1)
Im Pusterthale muss sogar der Brautführer die Angriffe der Klause-
machenden auf die Braut abwehren.2) Ähnlich ist es auch im deutschen
Teile Steiermarks.3) Uberall erblickt man im Klausemachen trotz aller
Derbheiten und Anzüglichkeiten eine Ehrung. „Ö?s ischt nit a mal Klause
gimacht worschtn", sagt man in Defereggen von der Hochzeit eines Paares,
auf das man über die Achsel liinabschaut.
Es scheint hier der Billigkeitssinn des Deutschen, der gern Ehre er-
weist, mit der Scham, den Gefühlen Ausdruck zu verleihen, im Konflikt
zu stehen; deshalb griff das Yolk zum Humor, sich aus der Klemme zu
ziehen.
Das Lied hat Theresia Thum, Bäuerin in Lans, einem meiner Freunde
vorgesungen, der es aufgezeichnet und dreistimmig gesetzt hat. Es wird
auf dem Innsbrucker Mittelgebirge und im Wippthale, z. B. bei Steinach,
so gesungen. In Bezug auf die Schreibweise halte ich mich an V. Hintner,
Der Deferegger Dialekt. Wien 1878: á bezeichnet das nach o gesenkte
lange a, à denselben kurzen Vokal; folgt im Druck auf einen Yokal ein
anderer umgestürzt, so werden beide rasch nacheinander, zusammen-
geschliffen, ausgesprochen.
Das faule Weib.4)
[Jrî .. —tí- —-ds-m-»- qg=¿=L- -J- 'À -J—|—e-m— g)——G-m— "S;—;—i—: — #--y#-0--
-Í= — *•.--m-ß-i U 1 fS ß J - 1 1 O- ß J w r - î- V-- ß
1. Hietz kimmt die lusch - ti - ge Fasnacht - zeit, da gian drei Bauern spa-
1) Ygl. Dr. Y. Hintner, Ztschr. f. österr. Volkskunde, Bd. III, S. 326 ff. Wien 1897.
2) J. A. Heyl, Yolkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol. Brixen 1897. S. 770,
779. Die Angriffe auf die Braut sind aus naheliegenden Gründen nicht aufgenommen.
3) F. Ilwof, Ztschr. f. österr. Volkskunde, Bd. III, S. 42 f.
4) [Das Thema dieses Liedes: ein Mann ersehnt die Erlösung von seinem alten Weibe,
hat aber nachher von dem zweiten, jungen weit Schwereres zu leiden, ist in volkstümlichen
Liedern beliebt. Der Tod der Alten schliesst eine ältere Fassung; die zweite Ehe ist
jüngere Fortbildung; vgl. u. a. Ehland, Alte h. und nd. V.-L. No. 292. Erk-Böhme, Lieder-
hort, No. 913. 914. Hoffmann, Schles. V.-L., No. 199. Ditfurth, Frank. V.-L., II, No. 199.
Hruschka u. Toischer, V.-L. a. Böhmen. Schlossar, Deutsche V.-L. a. Steiermark, No. 298.
Wolfram, Nassauische V.-L., No. 271. E. Meier, Schwab. V.-L., No. 194.]
204
Passler:
biaz z=z=zt= -¿zzzgzzi _ j=c==z=^=rtz=znt_^-—#—#=J
??. i r ^ T T •?. i i r* r r
■p. I I /ff T T "F. i I I r,
i ! I i i \ v
zi - ara, da gian drei Bauern spa - zi - ara, der erschte der
—H_T__I-_,_T_--T—_..T__j-4
*J * ♦ I I
-9-- -0- #
hat an bra - vin Knecht, der an - dre a stol - zi Diarn,
ja
---1--1—J— —M—0—3— r—er — —«---1-|
—mG---0— - -B). • -/=•-
Knecht, der an - dre
!
stol
2. Der dritti deor hát a faules Weib,
deor raág wol trauri sein,
mág alle Morgen frü» austion
und selber kentn1) ein.
(Katzenmusik.)
3. Der Mànn de»r gisng ins Holz,
z' Mittágszeit widrum há»m,
dá lág sei faules Weib im Bött
und streckt dàs îre Gebáon2).
4. Der Mànn deor gisng in di Kirchen
und klaget Gott sei Noot:
„o reicher Gott von Himmel,
schenk mei-n Weib3) in To»d!"
(Katzenmusik.)
5. Und àls er widrum háom kam,
war di faule schu»n krank;
er knislt si4) vor der Bôttstàtt hin
und sagt: „Gott Lowb und Dánk!"
zi Diarn.
6. Und àls er widrum austànd,
wár dàs Weib wal toot —
„o reicher Gott, o liober Gott,
hilfst du mr von der No»t!"
(Katzenmusik.)
7. Der Mànn dewr gisng zum Nàchbàr hin
und bittet în recht schoon,
er mög 'm5) sei Weibl zum Freithof
er we»rn 's 'n fleißi lo»n°). [fiora,
8. „Wás miwssn mr denn drau7) fiarn?"
„dreihundarscht Fuöder8) Stá,on;
's ist, wenn si wider auferstànd,
ná»r9) kâm si widrum háom."
(Katzenmusik.)
9. Dá stands kam10) àn a halbes Jôr,
hát er a anders Weib,
die schisnere, di hübschere
hát an stolzen Leib.
10. Dá stands kam an drei Wochen lang,
nâm si în schon bein Grind11).
„o reicher Gott von Himmel,
wi» háb i mi versindt!12) (Katzenmusik.)
1) einheizen. — 2) Alle Viere von sich strecken bezeichnet cien eingetretenen Tod,
aber auch den höchsten Grad von Faulheit. — 3) . . . meinem Weibe. — 4) kniet sich.
— 5) ihm. — 6) er werde es ihm . . . lohnen. — 7) darauf. — 8) Was man auf einen
Wagen auflegen kann. — 9) nachher käme. Vielleicht richtiger: nàcher. Vgl. das erste
Schnaderhüpfel S. 205. — 10) kaum. — 11) Kopf. — 12) versündet.
Ein Hochzeitbrauch aus dem Wippthale in Tirol. 05
IL Mei àlts Weib hát mr göbn 12. Wenn meiWeibele Kiochlin2) bàcht,
alle Tág mei Föderbött; vergunnt si mr kam in Gschmàeh3);
dio geit mr a tschippele1) Taxn, dà bindet si mr alle viore zsàm
magst lign oder nit. und hengt mi unters Dàch4)."
(Katzenmusik.)
Nach Beendigung des Liedes werden folgende Schnaderhüpfel gesungen:
Wenn áoner an stáonrigin Aker hát. O du mei lieber Seppi8)
braucht er an birchinin5) Pfluog; hiotz wiinsch-mr dir a guoti Buoh
wenn doner an àltn Tuifl6) hát, a Stûbn voll rotzige Buobn
nàcher hát er genuog. und a roggas0) Broot dazuo.
Wenn áoner an Stadl voll Hai7) hát, Dort entn bei den Kastl10)
weord ím di Kuoh nit máger; dà lâfft a blaui Maus;
wenn áoner a schiene Schwäster hát, wenns eorschte Jôr an Buobn ôgab
kriog er glei an Schwäger. dö/s war já gár nit aus.
Hatte der neuvermählte Mann früher ein Verhältnis mit einem anderen
Mädchen des Dorfes unterhalten, oder wusste man auch nur, dass ein
solches ihn „gerne gesehen" hatte, so zieht die Gesellschaft zu der Ver-
lassenen, um ihr den „Obnttànz" zu machen. Dabei werden nach frei
gewählter Melodie oder nach der des faulen Weibes Spottlieder gesungen
wie folgendes:
Und du mei liobes Nannile11)
hiotz kem-mr halt ze dior;
dei Liobstef hát an andre gnommen,
do/s ist a rechter Stior.
(schreiend) aus is, hin is, gôr is
schád is, dass 's wár is. (Katzenmusik.)
Diese empörende Rohheit hat, wie Theresia Thum mitteilt, schon
manches der bedauernswerten Mädchen in den Tod getrieben.
1) Dimin. zu tschuppe = buschiges Bäumchen, besonders von der Fichte gebraucht
(vgl. Y. Hintner, Der Deferegger Dialekt, S. 46). In weiter entwickelter Bedeutung be-
zeichnet tschippele ein Bündel, also hier ein Bündel Zweige von Nadelbäumen.
2) Krapfen.
o) Geruch: Schmeller, Bayr. Wb., II, 541.
4) Ausdruck der äussersten Geringschätzung. Wie man dieFelle geschlachteter Tiere unter
das Dach hängt, ohne sich weiter um sie zu bekümmern, so verfährt das Weib mit dem Manue.
5) Pflug aus Birkenholz.
6) Gemeint ist das böse Weib.
7) Scheune voll Heu.
8) Hier wird der IS'am e des neuvermählten Mannes eingesetzt.
9) Brot aus Roggenmehl.
10) Dimin. zu kàstn, ein Nebengebäude zur Aufbewahrung von Milch, Butter, Käse,
Getreide.
11) Hier wird der Name der "Verlassenen eingesetzt.
Ho rn in Nieder-Osterreich.
206
Weinhold:
Zum Hochzeitcharivari.
Von Karl Weinhold.
Der Brauch aus dem Wippthale und auf dem Mittelgebirge um Inns-
bruck, den Herr Prof. P. Passler im voranstellenden Aufsatz schilderte,
ist ein lärmendes Abendständchen bei jungen Eheleuten, zuweilen fort-
gesetzt vor dem Fenster verlassener Liebsten. Es ist der Rest einer weit-
verbreiteten uralten Sitte bei Eingehung von Ehen. Unter dem Titel
„Über den Ursprung der Katzenmusiken, eine kanonistisch-mythologische
Abhandlung" hat der seiner Zeit bekannte Kanonist und Rechtshistoriker
George Phillips eine kleine Schrift (Freiburg i. Br. 1849) herausgegeben,
die den als Charivari (charivarium, charivari cum, charivarit) in französischen
Diöcesanstatuten und Synodalbeschlüssen des 14. 15. Jahrh. mit Recht
verbotenen Unfug bei Hochzeiten zum Ausgang nimmt. Es waren ärger-
liche, die jungen Eheleute mit Spott und Schimpf angreifende, gewöhnlich
von Vermummten ausgeführte Versammlungen teils während der Trauung
in der Kirche selbst, teils vor der Wohnung der neuen Paare. Ganz
besonders fanden diese mit dem Tosen lärmender Geräte verbundenen
insultationes, clamores, ludi obnoxii bei der Hochzeit von Witwen statt.
Die Kirche schritt gegen den Unfug, der auch der Gotteshäuser nicht
achtete, streng aber erfolglos ein, so dass noch im Jahre 1609 eine Synode
von Narbonne Geldstrafen und die Exkommunikation über die Teilnehmer
an dem Charivari verhängte. Die Herzöge von Anjou und die Könige
von Frankreich haben einzelnen Städten sogar als Privilegium das Recht
verliehen, dass dieser Unfug nicht in ihnen ausgeübt werden dürfe. Auch
in Spanien, Italien, im wallonischen Flandern, in England lässt sich die
üble Sitte nachweisen. Für Deutschland fehlt es nicht an Beweisen, dass
sie auch ausserhalb Tirols vorhanden war oder noch in Resten besteht.
Da ich keine Abhandlung hier schreiben, sondern nur zu der Mit-
teilung des Herrn P. Passler eine Erläuterung geben will, begnüge ich
mich mit folgenden Sätzen: 1. Lieder, ernste und heitere, bei der Hoch-
zeitfeier waren uralte Sitte, vgl. meine Deutschen Frauen im Mittelalter,
I3, 368. 2. Es erschienen auch dabei vermummte Personen, die ursprünglich
als Vertreter der Hausgeister (Ahnengeister) zu deuten sind, vgl. ebenda
I3, 353. 3. Der Lärm, der mit schallenden Geräten, Glocken, Schellen,
metallenen und irdenen Schüsseln, Tellern, Töpfen, die auch zerschlagen
werden, gemacht wird, bezweckte ursprünglich, die bösen Geister zu er-
schrecken und zu verjagen. 4. All dieses fand nicht bloss bei Wieder-
verheiratung von Witwen, gegen welche das Volk wie die Kirche lange
Zeit Abneigung bewiesen hat (meine Deutsche Frauen, IIs, 36 f.), sondern
Zum Hochzeitcharivari.
207
bei Eheschliessungen überhaupt statt. Es waren also uralte Bräuche, die
aber entarteten und zu grobem Unfug verwilderten.
Aus Deutschland lässt sich folgendes anführen.
In Westfalen versammelt sich am Abend der Verlobung oder wenn
die A'erlobten zum erstenmale von der Kanzel verkündet werden, das
unverheiratete junge Yolk und macht vor den Häusern der Brautleute
mit Peitschen, Blechkannen, Topfdeckeln u. s. w. argen Lärm; auch wird
geschossen. Die Verlobten bewirten mit Branntwein (A. Kuhn, Westfäl.
Sagen, 2, 36). Auch in der Eifel ward von den zum Hillig (Verlobung;
Hillig aus hileih entstellt) Versammelten geschossen. Bei Heiraten eines
Witmann oder einer Witfrau wurde vor der Thür getrommelt oder ge-
pfiffen (Schmitz, Sitten und Bräuche des Eiflor Volkes, 51 f.). In thürin-
gischen Orten knallten früher bei Verlobungen die Burschen mit Peitschen
vor dem Hause (Witzschel, Sagen, Sitten und Gebräuche aus Thüringen,
2, 234). Am Abend vor der Trauung ist das lärmende Zerbrechen von
irdenem Zeug unter Lärm und Lachen in Thüringen (Witzschel 2, 228)
wie anderwärts allgemein (meine D. Frauen, I3, 373). Peitschenknallen
und Schiessen kommt auch an diesem Polterabend vor.
Im westlichen Teile des oberösterreichischen Hausruckkreises ist am
Tage nach der Hochzeit, an der Nachhochzeit, ein dem Charivari sehr
ähnlicher Brauch durch Amand Baumgart (Aus der volksmässigen Über-
lieferung der Heimat 3, 87. Linz 1870) bezeugt. Im Laufe des Tages
bildet sich ein Zug aus verkleideten Buben, Männern in Weiberkleidern,
aus allerlei Knaben und Burschen, darunter solchen mit Spritzbüchsen,
und aus den beiden letztjüngsten Ehemännern, die schon Väter geworden.
Der Zug, von einem Hauptmann geführt, geht zum Hause des neuen Ehe-
paares, bespritzt dasselbe oder bewirft es im Winter mit Schnee, wobei
die Angegriffenen sich in gleicher Art verteidigen. Dann werfen die als
Weiber verkleideten Männer aus ihren Buckelkörben Töpfe und Schüsseln
gegen das Thor. Andere Vermummungen treten auf und endlich wird das
Haus gestürmt. Die beiden letztjüngsten Ehemänner tragen ein Gebäck
in Form einer Wiege mit Kind in die Stube; Bewirtung, Gesang und Tanz
folgen.
Die bittere Verhöhnung der verlassenen Geliebten im Tiroler Gebrauch
findet sich auch sonst. In der Eifel ist oder war üblich, dem Mädchen in
der Nacht einen Strohmann aufs Dach zu stellen, aber auch dem Burschen,
falls seine Liebste ihm untreu geworden und einen anderen heiratete, ein
Strohmädel. Gröber noch ist das Körben, wobei die Burschen das ver-
lassene Mädchen, die Mädchen den aufgegebenen Burschen durch einen
bodenlosen Korb ziehen (Schmitz a. a. 0. 52).
208
Reichhardt:
Yolksaiiscliauungeii über Tiere und Pflanzen
in Nordthüringen.
Mitgeteilt von R. Reichhardt.
I. Tiere.
Kauft man in einem anderen Dorfe ein Haustier, so darf man es
nicht durch das Eingangsthor in den eigenen Stall führen, sondern es muss
das durch das Hinterhaus über den Hof zum Stalle geschehen, damit es
besser gedeiht. Verkauft man ein Stück Vieh, so darf man den Fleischer
nicht zuerst in den Stall eintreten lassen, auch inuss der Fleischer wenigstens
einen Teil des Kaufpreises im Stalle bezahlen, weil er sonst das Glück
aus dem Stalle mit fortnimmt. Über den passendsten Termin zum Ein-
kaufen des Viehes sagt die Bauernregel:
Michael kauf am besten Vieh,
Den Verkauf aber brich nicht übers Knie.
Wird ein Stück Vieh gekauft, so bekommt der Käufer einen sogen.
Traustrick als Zugabe mit. Derselbe soll bewirken, dass sich das Tier
bald an den neuen Stall gewöhnt, seiner neuen Behausung „traut". Beim
Ankauf eines Tieres nimmt auch der Käufer etwas Stroh aus dem Stalle
oder ein Stück Brot aus dem Hause des bisherigen Eigentümers mit.
Das Stroh wird in den neuen Stall gelegt, und das Brot bildet die erste
Nahrung darin. Wird ein Stück Vieh verkauft, so wird ihm ein Büschel
Haare ausgerissen und in eine Ritze des Stalles gesteckt. Dann sehnen
sich die zurückbleibenden Tiere nicht danach. Beim Schlachten darf man
das Tier nicht bedauern, sonst stirbt es schwer. — In der Zeit der heiligen
Zwölf können die Haustiere nachts von 11—12 sprechen. Sie erzählen
sich vornehmlich von den guten und bösen Erfahrungen, welche sie bei
ihrer Herrschaft machten. Ein Mann hatte sich im Pferdestalle versteckt
und vernahm dort, wie seine Pferde über ihn bittere Klage führten. Ihm
wurde angst und bange; doch er bekam einen Todesschrecken, als das
eine Pferd sagte: „Der uns behorcht, den werden wir nach 6 Wochen tot
hinausfahren." Und so geschah es: der Bauer erkrankte, starb und ward
in der vom Pferde angegebenen Zeit zum Kirchhof gefahren.1) — Will
man das Vieh vor Krankheit bewahren, so muss man einen ange-
kohlten Pfahl vom Osterfeuer in das Tränkefass stellen. — Überschreitet
eine gekaufte Kuh die neue Thürschwelle, so legt man vorher ein Messer
darunter, damit das Tier darüber geht und spricht dazu: Im Namen u. s. w.
Dann gedeiht und „traut" es. Geben Kühe blaue Milch, so gehe man,
1) Ygl. oben S. 50.
Volksanschauungen über Tiere und Pflanzen in Nordthüringen.
209
während es zur Kirche läutet, in den Keller, stelle sich vor das Kellerloch
und ziehe dreimal in die Quer Kreuze über das Loch, indem man dazu
spricht: „Im Namen des Täters" u. s. w. Oder man fülle ein Gefäss mit
der blauen Milch und setze es um Mitternacht auf einen Kreuzweg. Wenn
nun jemand über dieses Gefäss weg'fährt oder wegschreitet, so verschwindet
die blaue Milch bei den Kühen dessen, welche dieselbe hatten, und sie
stellt sich bei den Kühen desjenigen ein, der über das Gefäss gegangen
oder gefahren ist. — Wenn man einem neugeborenen Kalb die Stirn
mit Wasser benetzt, so wird es später ein gutes Zugtier und verträgt
Hitze und Kälte. — Wird ein Kalb verkauft, so ist es geraten, einen
Stein an seinen Standort zu legen und den Strick des Kalbes daran zu
binden. Die mütterliche Kuh beruhigt sich dann leichter. Soll ein Kalb
abgesetzt werden, so muss es rückwärts an seinen Platz geschoben werden.
— Ein Schwein darf nicht mit einem Besen geschlagen werden, sonst
kommen Würmer in den Speck. Überhaupt soll man kein Haustier mit
einem Besen schlagen. — Wählt man aus einem Stamm Ferkel eines
aus, so darf man nur einmal zugreifen. Das zuerst ergriffene Tier inuss
man behalten. Behält man es nicht, sondern wählt ein anderes aus, so
gedeiht es nicht. — Allgemein ist der Aberglaube, dass ein zu Vollmond
geschlachtetes Schwein einige Pfund schwerer wiege als sonst. — Ist eine
Krankheit unter den Schafen ausgebrochen, so hängt man den Kopf
eines Schafes über der Stallthür auf. — Trifft man auf einer Heise eine
zur Linken weidende Schafherde, so wird man am Ankunftsorte nicht
gern gesehen. — Wenn ein Hund besonders kläglich heult, so bricht im
Hause bald Feuer aus. — WTenn die Hunde Gras fressen, so wird Regen
eintreten. Wenn der Hund mit den Füssen scharrt, so wird von den
Hausbewohnern bald einer krank. — Maikatzen, also Katzen, welche im
Mai geboren sind, muss man ersäufen, denn sie fangen keine Mäuse. —
Wenn sich die Katze im Hause putzt, so giebt es Besuch. Putzt sie sich
mit den Pfoten über die Ohren, so kommt vornehmer Besuch. — Eine
schwarze Katze darf man nicht töten, denn sie bringt dem Hause Glück.
— Sollen Katze oder Hund an das Haus gewöhnt werden, so lässt man
sie in das Ofenloch oder in den Spiegel sehen und giebt ihnen ein unter
der Achsel gewärmtes Stück Brot. — Läuft ein Hase durchs Dorf, so
bricht ein Feuer aus. Läuft ein Hase über den Weg, so kehre man um.
— Wenn der Yater über Land gewesen ist, so bringt er den Kindern die
Reste des mitgenommenen Butterbrotes mit. Er sagt den Kindern, der
Hase habe das Brot im Maule gehabt und ihm gegeben. Das „Hasen-
brot" schmeckt den Kindern besonders gut.
Wenn ein Huhn auf dem Hofe kräht, so zeigt das Unglück an. Am
Peterstage (22. Februar) soll man die Hühner in einem Reifen füttern,
damit sie nicht anderswohin legen. Wenn Küken am Gründonnerstage
aus dem Ei gekrochen sind, so behalten sie die Farbe ihrer Federn nicht,
210
Reichharclt :
sondern wechseln sie jedes Jahr. — Sind junge Gänse aus dem Ei
gekrochen, so mnss man ihnen, so viele ihrer vorhanden sind, je ein
Federchen vom Schwänze abschneiden, dies in ein Papier thun und unter
das Gänsenest legen. Hat man das gethan, so bleiben die jungen Gänse
(„Billechen" nennt sie der Nordthüringer) stets zusammen und zerstreuen
sich nicht. — Aus dem Brustknochen der Martinsgans kann man ersehen,
wie der kommende Winter sich gestalten wird. Ist der Knochen sehr rot,
so steht ein harter Winter bevor, ist er mehr blass als rot, ein gelinder.
— Die Schwalbe ist ein heiliges Tier. Wer eine Schwalbe tötet, begeht
nach der Yolksanschauung einen grossen Frevel. Wirft eine Schwalbe,
die an oder in einem Hause oder Stalle ihr Nest hat, ein Junges aus dem
Neste, so stirbt ein Glied der Familie des Hauses. Wenn Schwalben in
einem Stalle bauen, so stirbt darin kein Yieli.
Der Storch gilt als Wetterprophet. Zeigt er bei seiner Ankunft im
Frühjahre ein weisses Gefieder, dann hat man auf einen trocknen Sommer
zu rechnen, zeigt er aber ein graues und schmutziges, auf einen nassen.
Ehe es aber ordentlicher Sommer wird, muss es erst noch siebenmal in
das Storchnest schneien. — Die kommenden Kraniche bringen den
Sommer, die abziehenden den Winter. Man beobachtet sie, ob sie hoch
oder tief fliegen. Danach will man die Temperatur der oberen Luft-
schichten bemessen. — Wenn die Wachteln sehr schreien, so wird alles
sehr teuer. Der Wachtelruf im Getreidefeld giebt an, wie viel Thaler
das Getreide gelten wird.
Tote Eulen nagelt der Landmann an das Scheunenthor, um Haus und
Hof vor Feuersgefahr und Hexen zu schützen. — Im Monat Juni können
die Raben nicht saufen. Sie laufen ängstlich trippelnd an den Rändern
von Bächen und Teichen umher, aber Wasser zu sich nehmen dürfen sie
nicht. Es soll das die Strafe dafür sein, dass der von Noah zur Zeit der
Sintflut ausgesandte Rabe nicht wieder zur Arche zurückkehrte. — Eine
im Mai geschossene und im Stalle aufgehängte Elster wehrt ansteckenden
Krankheiten. — So oft man den Kuckuck hintereinander schreien hört,
soviel Jahre lebt man noch. Wenn der Kuckuck ruft, muss der Speck
und Schinken angeschnitten werden. Wenn der Kuckuck die erste Korn-
mandel auf dem Felde stehen sieht, hört er auf zu schreien. — Der
Brachvogel ruft zur Zeit der Kornreife: „Korn riep, Korn riep." —
Thun sich die Sperlinge zu einem Knäuel zusammen und zanken sich,
so sagt man: Sie wählen sich einen Schulzen. — Der grosse Würger
(Lanius excubitor) lieisst der Neuntöter, weil er die Singvögel tötet. Um
die Yögel besser anlocken zu können, ahmt er deren Stimmen nach. Er
soll neun verschiedene Stimmen können, weshalb er Neuntöter lieisst. Die
Köpfe der getöteten Yögel spiesst er vor seinem Neste auf. — Der Fink
ist der rechte Wetterprophet. Wenn er singt: „'s trieft, 's trieft", dann
giebt es Regen. — Der Wiedehopf ist durch seinen Geruch berüchtigt.
Volksanschauungen über Tiere und Pflanzen in Nordthüringen.
211
Die Bezeichnung des Wiedehopfes als „Küster des Kuckucks" ist auch in
Nordthüringen bekannt. — Das Käuzchen ist der Totenvogel. Es ruft:
„Komm mit, komm mit."
Das Sonnenkälbchen, Marien- oder Herrgottskäferchen (coccinella
septempunctata) heisst „Mukuh". Man darf es nicht töten, denn es
bringt Glück. Die Kinder singen das bekannte Käferliedchen „Mukuh von
Halberstadt", indem sie das Tierchen auf die Hand setzen und fliegen
lassen.
Man muss eine Stubenfliege im Winter überwintern, das bringt
Glück. Giebt es im Sommer viel Fliegen, so giebt es im Winter viel
Schnee. — Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen, Spinne am
Abend ist tröstend und labend. Die kleinen Spinnen bedeuten Glück,
wenn sie sich von oben auf Hand oder Gesicht niederlassen. Sitzt die
Spinne in der Mitte ihres Netzes, dann erfolgt schönes, sitzt sie aber am
Rande desselben, stürmisches Wetter. — Bienen verkünden Regen, wenn
sie sich massenweise, ohne beladen zu sein, nach ihrem Stocke zurück-
ziehen oder wenn sie sich nur wenig von ihm entfernen. — Eine Unke
im Keller hilft Reichtümer sammeln, ein Maulwurf im Keller bedeutet
Unglück. Wollen sich die Kleinen das Haar nicht kämmen lassen, so
schreckt sie die Mutter damit, dass dann die „böse Unke" sich in dieses
einnistet und verwirrt. — Wenn es in der Wand klopft, so sagt man, dass
das Klopfen einen Todesfall im Hause ankündet. Das Klopfen rührt vom
Holzwurm oder Holzbock (annobium pertinax) her.
II. Pflanzen.
Wenn ein junger Baum im Garten zum erstenmale Früchte trägt, so
holt man sie in einem grossen Korbe herein. Manche lassen sie auch von
einem Kinde abnehmen, dann trägt der Baum besser. Wenn man von
einem Baume die Früchte abnimmt, so lässt man eine Frucht auf dem-
selben. Wünscht man von Bäumchen, welche noch nicht getragen haben,
dass sie später viel Früchte haben, so muss man sie kräftig schütteln,
wenn die Glocken geläutet werden und ein Brautpaar zur Kirche rufen.
Wenn in der Christnacht die Bäume sich „rammeln", dann tragen sie im
nächsten Jahre viel. Trägt ein Baum nicht, so legt man Steine auf seine
Zweige und markiert damit die Früchte. Der Baum wird sich ihrer
schämen und im nächsten Jahr reichlich tragen. Stehen die Obstbäume
in der Blüte („Blut", wie das Yolk sagt) und es blitzt „hinein", so missrät
die Obsternte. Die Blüte einer Blume oder eines Baumes darf man nicht
zählen, sonst fallen sie ab. — Ein Span, ain Allerheiligentage aus einer
Buche gehauen, zeigt die Natur des folgenden Winters an. Die Regel
lautet:
212
Reichhardt :
Ob der Winter kalt oder warm soll sein,
So geh' am Allerheiligentage so fein
In das Gehölz zu einer Buchen.
Allda magst du folgendes Zeichen suchen:
Hau' einen Span davon, und ist er trucken,
So wird ein warmer Winter herrucken.
Ist aber nass der abgehauene Span,
So kommt ein kalter Winter auf den Plan.
Die zum Veredeln der Bäume erforderlichen Pfropfreiser (Botzinken
in Nordthüringen genannt) bricht man vom Baume, wirft sie aber nicht
von oben auf die Erde, sondern trägt sie herunter, damit das künftige
Obst nicht vom Baume falle. — Gerste muss man säen, wenn die Bäume
grün werden; Bohnen legt man in den Garten, wenn die Apfelbäume
blühen. Hülsenfrüchte dürfen nicht an den Wochentagen gesäet werden,
die mit „Tag" endigen, also nur am Mittwoch und Sonnabend. Erbsen
muss man vor Sonnenaufgang, Roggen vor Kreuzerhöhung (14. September)
säen. Als allgemeine Regel gilt: Was unter der Erde wächst, muss bei
abnehmenden, was darüber wächst, bei zunehmendem Monde gesäet werden.
Wenn man säen ging, so nahm man früher einige Ähren oder Samen-
körner in den Mund und warf sie nach dem Säen den Sperlingen hin mit
den Worten: „Das für dich und das für mich." Wollte man die Ähren
vor Brand bewahren, so nahm man bei dem Bestellen des Ackers eine
dampfende Pfeife in den Mund. Hülsenfrüchte muss man stillschweigend
säen, sonst missraten sie. Hülsenfrüchte, welche man bei Neumond säet,
geben viel Blüten, aber wenig Schoten. Damit der Weizen den Brand
nicht bekommt, wird er gekälkt. Zu dieser Arbeit muss man einen neuen
Besen nehmen und den Samen nur nach einer Seite umarbeiten. Dann
muss man drei Kreuze in den Weizen eindrücken. Die ganze Arbeit
muss schweigend verrichtet werden. Die Petersilie muss, wenn sie gesäet
ist, erst nach Rom reisen und sich vom heiligen Petrus die Erlaubnis zum
Aufgehen holen. In sechs Wochen ist sie wieder zurück. Beim Aussäen
des Leinsamens schüttet derjenige, welcher zu säen hat, den Leinsamen
aus dem Sacke in das Säetuch. Danach wirft er den leeren Sack in die
Höhe und wünscht dabei laut, dass der Flachs so hoch werden möge wie
der Sack fliegt. Diejenigen, welche dabei stehen, rufen denselben Wunsch
laut aus und springen dazu in die Höhe. Je grössere Schritte man bei
dem Leinsäen macht, um so grösser werden die Pflanzen. — Kohl, der
von Raupen befallen ist, muss mit Birkenruten geschlagen werden, dann
sterben sie, gleichviel ob man sie beim Schlagen trifft oder nicht. —-
Wenn man die Hasen vom Kohl fernhalten will, so muss man auf die
Ecken des Planes vier Hölzer stecken, an welchen die Würste im Rauche
gehangen haben. Am Ab dontage (31. Juli) stellt man Erlenzweige in
jede Ecke der Scheune und bewahrt dieselbe dadurch vor Mäusen.
Volksanschauungen über Tiere und Pflanzen in Nordthüringen.
213
Mäuse gehen aneli nicht an das Getreide, welches durch einen Kranz gesäet
worden ist. — Doppelähren schützen vor Feuer und Blitz. Darum
hängt sie der Landmann in der Stube auf. Wer den ersten Koggen blühen
sieht, muss, um sich vor Fieber zu schützen, eine blühende Ähre durch
den Mund ziehen. — Am „Walpertage" (1. Mai) muss die Saat schon
so weit gediehen sein, dass sich ein Rabe in ihr verstecken kann. Zur
Blütezeit betrachtet der Landmann die Roggenä'hren. Sitzen die Staub-
gefässe am Ende derselben, so blüht das Korn „von oben": die Getreide-
preise werden steigen; blüht es von unten, so fallen sie; blüht es in der
Mitte, so wird ein Wechsel des Preises vorläufig nicht zu erwarten sein.
Der Wind fegt durch die Felder, und ihr Auf- und Abwogen erklärt der
Landmann damit, dass er sagt: „Es sind wilde Schweine im Korn."
Die Halme werden bleich und reif zur Ernte — „Peter und Paul
(29. Juni) brechen dem Korn die Wurzel" und um Jakobi (25. Juli)
beginnt zumeist in Nordthüringen der Anschnitt des Roggens.
Liegt ein Strohhalm vor der Thür, so kommt Besuch. Trägt er
eine Ähre, so bedeutet er Damenbesuch, wenn nicht, Herrenbesuch. —
Die Zweige der Saalweide (salix caprea) stellte man früher als „Palm-
zweige" am Sonntage Palmarum in den Kirchen auf. Auch hing man
Mistelkronen über die Kirchenthüren. — "Wenn man Dost (origanum
vulgare) in der Walpurgisnacht pflückt und im Hause aufhängt, so wird
es vor Hexerei geschützt. — Krankes Vieh kann man mit der Alp rute
heilen. Eine Alprute stellt man sich her, indem man aus der Saalweide
einen Stock schneidet, an welchem man oben an der Spitze drei Ästchen
hat stehen lassen, die also eine Gabel bildete. Mit der Alprute hat man
das kranke Vieh zu berühren und dazu zu sprechen: Im Namen des
Vaters u. s. w. Wenn man das dreimal gethan hat, wird das Vieh wieder
gesund.
Als der Herr am Kreuze hing, fiel sein Blut auf die Blätter des
Knabenkrautes (orchis maculata), davon haben die Blätter der Pflanze
noch heute die dunkelroten Flecke. Das Knabenkraut heisst auch Kuckucks-
kraut, weil es blüht, wenn der Kuckuck ruft. Es heisst auch Gotteshand,
weil seine knollenförmige W'urzel einer Hand ähnlich sieht. — Der Haus-
lauch (sempervivum tectorum), welcher auf den Dächern, zwischen den
Ziegeln wächst, schützt das Haus bei Gewittern vor Blitz. Die Blätter
kühlen Wunden. — Wenn man stets eine Kastanie bei sich in der Tasche
trägt, wird man von der Gicht nicht heimgesucht. — Die gelbe Ringel-
blume (calendula) heisst im Volke Totenblume. Sie darf nur auf dem
Friedhofe wachsen und gehört nicht in den Blumengarten. — Wenn man
einen Apfel wagerecht zwischen Narbe und Stiel quer durchschneidet, so
zeigen sich auf jeder Hälfte, rings um das Korngehäuse, zehn Punkte.
Diese bedeuten die heiligen zehn Gebote, an welche jeder Apfel den
Menschen erinnern soll. — Das Stiefmütterchen hat fünf Blütenblätter.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 190U. 15
214
Kuhn :
Das oberste, die Stiefmutter, sitzt auf zwei ßlütenstielen, welche man
Stühle nennt; die beiden nächsten, ihre eigenen Kinder, sitzen je auf
einem Stuhle; die beiden letzteren, ihre Stiefkinder, müssen sich dagegen
beide mit einem Stuhle begnügen. — Wer am Flieder (Citrenehen in
Nordthüringen genannt) ein fünfteiliges Blütenblatt findet, hat Glück,
wenn er dies Blütenblatt isst. — Epheu darf man nicht an menschliche
"Wohnungen pflanzen, denn es bringt dem Hause Unglück, da seine Stätte
an Gräbern und Ruinen ist.
Rotta bei Remberg, Prov. Sachsen.
Kleine Mitteilungen.
Ein Brief Wilhelm Mannhardts an Ernst Kuhn.
Als Ergänzung zu dem oben S. 27 ff. mitgeteilten Briefwechsel zwischen
Mannhardt und Schwartz bringe ich nachstehend einen Brief Mannhardts an mich
selbst mit dem Bemerken zum Abdruck, dass die beiden Bände seiner „Wald- und
Feldkulte" im Jahrgang 1877 des Literarischen Centralblattes seinem Wunsche
gemäss von Bursian besprochen worden sind.
München, April 1900. E. Kuhn.
Danzig, 19./12. 1876.
Verehrter Herr Professor!
Erlauben Sie mir, mich freimütig und loyal über eine mich nahe angehende
Angelegenheit auseinander zu setzen. Sie betrifft die Besprechung meines Buches
Wald- und Feldkulte für das Literarische Centraiblatt. Alle meine bisherigen
Schriften 1. Germanische Mythen, 2. Götterwelt, 3. Weihnachtsblüten in Sitte und
Sage, 4. Boggenwolf, 5. Lasitius, G. Korndämonen, 7. Klytia, 8. Baumkultus sind
sowohl der Redaktion des Centralblattes von den Verlagshandlungen (soviel ich
irgend weiss), als Ihrem Herrn Vater, dem lange Zeit alleinigen Recenscntcn für
Mythologie, von mir zugestellt worden. Davon haben aber nur die beiden ersten
je eine kurze Besprechung erhalten, welche insofern für mich sehr unvorteilhaft
ausfiel, weil sie über den Inhalt dieser Bücher eigentlich nichts mitteilte, sondern
sich auf die Registrierung einer Anzahl wirklicher oder vermeintlicher Einzelver-
sehen beschränkte. Die folgenden fünf blieben ganz ohne Anzeige. Ich musste
daraus schliessen, dass Ihrem Herrn Vater die Besprechung meiner Arbeiten aus
irgend welchem Grunde unlieb sei. Deshalb erbat ich mir bei Übersendung des
Baumkultus die Recension von Ihnen. Ich erfuhr durch Bartsch, dass Sie das
Recensionsexemplar erhalten. Wenn nun nach zwei Jahren die Besprechung noch
aussteht, so sind vielleicht die Arbeiten Ihres neuen Amtes davon die Ursache,
möglicherweise auch andere Gründe. Ich weiss es nicht, ich mache Ihnen daraus
keinen Vorwurf, aber die Thatsache ist vorhanden. Jetzt sende ich den zweiten
Band in die Welt (dieser soll Ihrem Vater die nächste Woche zugehen), in dessen
Vorrede ich so ehrlich sein musste mit Belegung durch einige Beispiele die
Differenzen meines Standpunktes von denjenigen Ihres Vaters und Onkels, zu
Kleine Mitteilungen.
215
donen ich im Laufe der Zeit gelangt bin, offen und klar darzulegen, ich glaube,
das ist geschehen, ohne dass ich einen Augenblick die Ehrerbietung vor einem
Manne vergessen habe, dem die Wissenschaft und ihre Jünger, ich unter ihnen,
so viel verdanken und mit dessen überlegenem Wissen im allgemeinen mich zu
messen ich mir nicht einfallen lasse. Einer mit Gründen belegten objektiven
Bekämpfung meiner Ansichten zum Vorteil der Sache sehe ich mit Vergnügen
entgegen, und es wäre mir lieb, wenn das gute Verhältnis eines ehrlichen Wert-
kampfes zwischen zwei Gleichstrebenden, die in der Hauptsache einverstanden,
auf etwas verschiedenen Wegen nach dem gleichen Ziele steuern, unter uns nicht
gestört würde. Wie nun aber steht es mit dem Referate im Centralblatt? Da
dasselbe bei seinem kurzen Räume wesentlich nur das Urteil des Referenten ohne
eingehendere Begründung hinstellen kann, erscheint es als ein Richterspruch, der
bei der Macht dieses Blattes von dem grössten Einflüsse ist. Würde ein solcher,
nachdem über alle meine früheren Arbeiten Stillschweigen beobachtet ist, ich also
gewissermassen zum erstenmale vors Publikum trete, bei allem Bemühen nach
Objektivität von einer Seite abgegeben, welche als Partei in eigener Sache spricht,
so könnte das möglicherweise eine bedenkliche Schädigung meiner Interessen
werden. Wollte ich nun Ihnen, verehrter Herr Professor, die Zumutung stellen,
meinen zweiten Band zu recensieren, so denke ich mir Sie leicht in eine peinliche
Verlegenheit gesetzt Denn entweder stimmen Sie meinen Auseinandersetzungen
nicht bei, und dann dürfte es vielleicht Ihnen schwer werden zu vergessen, dass
mein Widerspruch zweien Ihnen persönlich so nahestehenden Gelehrten gilt, und,
wenn das nicht, läge für Sie die Gefahr nahe, dass der eine oder der andere Ihren
Auslassungen irrige Motive unterschöbe. Wofern Sie aber mir beipflichten könnten,
würde es Ihnen doch schmerzlich sein, sich gegen Ihren Vater und Oheim zu
erklären, Sie würden in diesem Falle es vorziehen, mein Buch auch ferner un-
besprochen zu lassen. Ein Referat im Centralblatt ist aber jetzt endlich ein Lebens-
bedürfnis für mich geworden.
Ich trage Ihnen die ganze Sache vor, um Sie zu fragen, ob ich trotz alledem
Ihnen durch Zarncke den zweiten Band „Antike Wald- und Feldkulte aus nord-
europäischer Überlieferung erläutert" übermitteln soll, ob Sie sich stark und bereit
fühlen, ein völlig unbefangenes, objektives Urteil über beide Bände zusammen
abzugeben? Oder wäre Ihnen der folgende Vorschlag genehm? Ich wollte Zarncke
ersuchen, Professor Bursian in München die Recension zu übertragen. Er ist der
"vergleichenden Richtung nicht principiell abgeneigt und hat zu mir keinerlei per-
sönliche Beziehungen, ich habe niemals mit ihm einen Brief gewechselt, er steht
also den Arbeiten Ihres Herrn Vaters und den meinigen gleich unbeteiligt gegen-
über und ist, da meine diesmalige Arbeit sich auf dem Boden der griechischen,
römischen und vorderasiatischen Kulte bewegt, von einer Hauptseite her durchaus
kompetent, und wird selbst strenger zu urteilen geneigt sein, als jemand, der vom
Boden der komparativen Mythologie ausgeht. Lassen Sie mich, ich bitte, Ihren
Entschluss möglichst umgehend wissen, damit ich danach die Übersendung des
Buches an Zarncke verfügen kann. Wie wird es mit dem ersten Bande? Ich
wiederhole, dass ich zwar der Zuversicht lebe, eine Anzahl von sicheren Zu-
sammenhängen aufgefunden zu haben, dass aber ich im übrigen meine Zusammen-
stellungen als diskutierbare Versuche betrachte auf einem Gebiete, dessen Be-
arbeitung vielfach erst nach tausend irrtümlichen Versuchen zum Richtigen führen
"wird; auch meine Methode erkenne ich als noch sehr unvollkommen und erst im
Ringen nach dem begriffen, was mir vorschwebt. Um so besser verstehe ich zu
würdigen, dass selbst das, was ich in Ihres Vaters Arbeiten und Methode nach
15*
216
Weinhold:
meinem jetzigen Standpunkt als Irrtümer bezeichnen muss, bahnbrechend und mit
den Anfängen einer so jungen Wissenschaft gewissermassen unvermeidlich ver-
knüpft gewesen ist und in keinem Falle die Achtung vor seiner wissenschaftlichen
Bedeutung bei mir herabmindert. Vielleicht ist es die Schuld des Stoffes, mit
dem ich mich während der letzten Jahre vorzugsweise beschäftigte, dass ich in
Bezug auf die bisherigen Resultate der indoeuropäischen Romparation"'so skeptisch
geworden bin. So sehe ich noch heute in den Maruts, Rudra und Indra treffende
Analogien zum wilden Heere, Wuotan, Thunar, wage aber nicht mehr für gewiss
zu bejahen, dass diese Vorstellungen schon in arischer Urzeit ausgebildet waren.
Weitere Forschungen mögen aber die letztere Überzeugung wieder stärken. In
meinen Ergebnissen treffe ich mehrfach mit Tylor zusammen. Ich kam darauf
durch einfache Gedankenentwicklung aus den Korndämonen und lernte Tylor erst
kennen (Januar 1874) als der „Baumkultus" druckfertig da lag, so dass ich ihn
nur noch zur Nachtragung für einige Anmerkungen benutzen konnte. Um so er-
freulicher war mir die unerwartete Ähnlichkeit in mehreren Ansichten. Zur Lösung
der schwierigen Aufgaben der Mythologie werden wir nicht auf einem Wege,
sondern erst durch Verbindung und Durchdringung der indogermanisch-komparativen,
ethnologischen und historisch-philologischen Richtung, dass ich es so bezeichne,
ganz allmählich gelangen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebenster Wilhelm Mannhardt.
Ulrich Jahn
Am 20. März 1900 starb zu Berlin nach kurzer Krankheit an Herzlähmung
Dr. phil. Ulrich Jahn. Derselbe hatte einen sehr wesentlichen Teil an der Gründung
unseres Vereins für Volkskunde und somit auch unserer Zeitschrift; er ist litterarisch
auf dem Gebiete, das wir pflegen, hervorragend thätig gewesen; und so widme ich
ihm an dieser Stelle, als sein ehemaliger Lehrer schon dazu berufen, einige Worte
der Erinnerung.
Ulrich Jahn ward am 15. April 1861 in Züllchow bei Stettin geboren. Sein
Vater war Gustav Jahn, der Vorsteher der Züllchower Anstalten, seine Mutter
Dorothea, eine geborene von Dieskau. Die Familie war seit zweihundert Jahren
in dem anhaltschen Städtchen Sandersleben an der Wipper ansässig gewesen, als
Ackerbürger und Weissgerber. Auch Ulrichs Vater hatte dort Landwirtschaft und
das ererbte Handwerk betrieben, hatte als Bürgermeister die Stadt verwaltet, war
daneben aber auch ein bekannter frommer Dichter und volkstümlicher Schrift-
steller geworden. All das führte 1858 zu seiner Berufung als Hausvater des
Züllchower Rettungshauses und Vorsteher der dortigen Brüderanstalt. Er war der
rechte Mann dafür, und unter seiner kräftigen Leitung haben die Züllchower An-
stalten einen ungeahnten Aufschwung genommen. Er starb am 29. März 1888.1)
Ulrich erhielt seine Bildung auf dem Stettiner Gymnasium und studierte von
1879—1884 in Leipzig, Berlin und Breslau Theologie und dann deutsche Philologie.
x\ls er 1882 nach Breslau kam, las ich gerade über germanische Mythologie.
Diese Vorlesung ward von grosser Bedeutung für ihn, denn er begann mit
der ihm angeborenen Energie sofort eigene Sammlungen namentlich über die
1) Bilder aus dem kirchlichen Leben und der christlichen Liebesthätigkeit in Pommern.
II, 1. Gustav Jahn, von seinem Bruder Franz Jaho. Stettin 1896.
Kleine Mitteilungen.
217
noch lebenden Reste heidnisch-germanischer Kultgebräuche. So entstand seine
erste grössere Arbeit, die er der Brcslauer Philosophischen Fakultät für seine
Promotion vorlegte. Nach gut bestandenem Examen erlangte er den 15. April 1884
den Doktorgrad. Ein Jahr später bestund er vor der Wissenschaftlichen Prüfungs-
Kommission in Breslau das Staats-Examen und erhielt in Religion und Deutsch
die Lehrbefähigung für alle Klassen eines Gymnasium.
Die Doktorarbeit erschien vollständig unter dem Titel: Die deutschen
Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht. Ein Beitrag zur deutschen
Mythologie und Altertumskunde. Breslau 1884, als drittes Heft der von mir her-
ausgegebenen Germanistischen Abhandlungen (S. 350). Jahn hatte sich absichtlich
auf Deutschland beschränkt und ein sehr bedeutendes Material, fast durchweg aus
schriftlichen Quellen, wohlgeordnet vorgelegt, dasselbe auch meist verständig und
ohne phantastische Schlüsse behandelt Die Beschränkung auf die deutschen Ge-
bräuche gewährte Vorteil und Nachteil, letzteren darin, dass der Blick des Verf.
oft zu eng begrenzt blieb; auch das geschichtliche Verhältnis der Götter und der
älteren Naturdämonen war nicht immer richtig erkannt und den Vorgängern auf
den Wegen der Untersuchung in jugendlicher Keckheit wenigstens im Anfang des
Buches ihr Recht geschmälert. Doch im grossen und ganzen ward die inhaltreiche
Arbeit überall günstig beurteilt und im Verfasser ein hoffnungsvoller Mythologe
gesehen.
In die pommersche Heimat zurückgekehrt, begann U. J. eine gründliche und
ausgedehnte Erforschung des ganzen Volkslebens der Provinz. Sagen, Märchen,
Sitten und Gebräuche wollte er wenigstens litterarisch erhalten und den Mythologen,
Ethnologen, üialektforschern und Kulturhistorikern wertvolle Stoffsammlungen
bieten. Teils in den Insassen der Züllchower Anstalt, teils auf Wanderungen
durch das ganze Land entdeckte er mit grossem Geschick und mittels der Gabe,
sich den Leuten des Volkes gleich zu stellen und sie richtig zu behandeln, eine
grosse Fülle dessen, das er suchte. So erschien Ende 1885 der stattliche Hand
seiner Volkssagen aus Pommern und Rügen (Stettin 1886. S. 541), dem ein
halbes Jahr später sein Buch „Hexenwresen und Zauberei in Pommern"
(Stettin 1886. S. 196) folgte, eine reiche Sammlung von Zaubersegen und Zauber-
mitteln, womit die Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde
den 17. Kongress der deutschen anthropologischen Gesellschaft am 10.—1*2. August
1886 in Stettin begrüsste. Dieser Kongress ward für U. Jahn dadurch sehr wichtig,
dass er ihm die Bekanntschaft und die Gunst Rudolf Virchows erwarb, der die
grossen Gaben und die frische Kraft des blühenden jungen Mannes bald erkannt
hatte. Auf Virchows Empfehlung und auf die guten Zeugnisse erhielt J. ein
Lehramt an einem Berliner städtischen Gymnasium und siedelte nun nach Berlin
über. 1887 gründete er seinen eigenen Hausstand.
Bei dem Sammeln der mündlichen Überlieferungen hatte Jahn auch die stoff-
lichen Reste früherer Zeiten, die er in den Bauernhäusern land, kennen und
beachten gelernt. Namentlich in Mönkgut auf Rügen, dann im Pyritzer Weizacker
ünd in der alten Friesenkolonie Jamund bei Köslin, brachte er, durch einen Freund
■nit Geldmitteln versehen, höchst wertvolle Sammlungen von Trachten, Hausgeräten
und anderen Baueraltertümern zusammen, die den Grundstock dann für das im
Herbst 1888 begründete Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des
Hausgewerbes in Berlin bildeten, an dessen Spitze R. Virchow trat.
Berlin bot dem lebhaften, an Entwürfen und Plänen reichen, seines Talentes
auch für äussere Unternehmungen mehr und mehr bewussten Manne ein weites
Feld. Zunächst interessierten ihn noch wissenschaftliche Dinge, und er trat zu
218
Weinhold:
Lazarus und Steinthal in Beziehungen, deren Zeitschrift für Völkerpsychologie und
Sprachwissenschaft ein Zufluss an frischem Blute erwünscht sein konnte. Jahn
übernahm die Leitung einer neuen Abteilung für Volkskunde. Aber nur ein Band
und zwar der letzte brachte dieselbe.
Ich ward Ostern 1889 an die Berliner Universität berufen, Jahn empfing mich
mit warmer Freude. Im nächsten Jahre trat er mit dem Flane eines Vereins für
Volkskunde an mich heran, zunächst noch mit dem Gedanken, denselben der
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte anzugliedern. Als
aber die Verhandlungen des von uns gebildeten Komitees mit dem Vorstande jener
grossen Gesellschaft an statutarischen Bestimmungen derselben scheiterten, schritten
wir im November 1890 zur Gründung eines selbständigen Vereins mit einer eigenen
Zeitschrift, deren Leitung mir übertragen ward. Die Herren Lazarus und Steinthal
verzichteten auf die Portsetzung der ihren. U. Jahn übernahm das Amt des
Schriftführers, aber bereits bei der Wahl des Vorstandes für das zweite Vereins-
jahr (1892) lehnte er eine Wiederwahl ab ,,wegen ethnographischer Reisen", die
er vorhabe. Er hat 1892 noch einige Vorträge in unseren Sitzungen mit Vorlegung
aus seinen Sammlungen gehalten, den letzten am 20. Januar 1893. Seine letzte ge-
druckte grössere litterarische Leistung war der erste Teil der Volksmärchen aus
Pommern und Rügen (Norden und Leipzig 1891, S. 382). Die zwei weiteren
Bände sind leider nicht erschienen; der dritte sollte eine genaue Zusammenstellung
der Märchenlitteratur und eine Abhandlung über das Märchen bringen. Voran-
gelaufen waren dem Sagenbande „Schwänke und Schnurren aus Bauern-
Mund (Berlin 1889)", die er in Pommern gesammelt hatte.
Die ethnographischen Reisen, die J. vorhatte, waren Fahrten durch ganz
Deutschland, um Bauernaltertümer zu erwerben. Ausser dem Berliner Trachten-
Museum hatte er ein ähnliches Museum in Altona eingerichtet, indem er durch
längere Zeit Sonnabend und Sonntag dort arbeitete. Dann fasste er den Plan zu
einer Ausstellung deutscher Volkstypen in echter Tracht, mit Hauseinrichtung u. s.w.
in London und führte ihn mit Hilfe eines Geldmannes, der aber übel dabei fuhr,
aus Das nächste war darauf das deutsche Dorf, das er auf der Kolumbus-Welt-
ausstellung in Chicago 1893 aufbaute. Die grossen Mittel dazu gab ein Konsortium
von Bankinstituten und Bankfirmen in Deutschland und New-Vork, das Jahn für
sein Unternehmen zu gewinnen wusste. Ein Beutezug von Friesland bis Südtirol
und in die Schweiz lieferte die Ausstellungssachen.a) Er reiste zwischen Amerika
und Europa hin und her. Damit vertrug sich keine wissenschaftliche Arbeit und
noch weniger sein Lehramt, auf das er nach mehrjährigem, nachsichtig gewährtem
Urlaub verzichten musste. Hatte er anfangs noch das Direktorat eines deutschen
Volksmuseums, mit dem er ruhige Studien zu verbinden gedachte, als sein Lebensziel
hingestellt, so war es seit London und noch mehr seit Chicago ganz anders geworden.
Er War zu industriellen Geschäften und Unternehmungen entschieden begabt, er
lernte das amerikanische Treiben kennen, er wollte, wie so viele Amerikaner,
rasch ein grosses Vermögen erwerben, denn er brauchte Geld. Wie sein Verkehr,
seine Freunde nun ganz andere w7urden, so veränderte sich der ganze Mensch
immer mehr. Mit Bedauern sahen wir es, er war für uns und für edlere Ziele
verloren. Seit Anfang 1893 habe ich ihn nicht mehr gesehen.
1) Die sogen. Chicago-Sammlung ist 1899 glücklicherweise Eigentum des Museums
für deutsche Volkstrachten in Berlin geworden, dank einer Schenkung der Besitzer, welche
bis auf eine Bankfirma, die abgefunden werden musste, auf ihre Anteile verzichteten.
Kleine Mitteilungen.
219
Durch ein Reiseabenteuer wurde er später auf einer seiner Fahrten in einen
üblen Prozess verwickelt, der nach zweijähriger Dauer mit seiner vollen Frei-
sprechung durch das Schwurgericht in Güstrow abschloss. Doch ward Jahn da-
durch bestimmt, seinen Wohnsitz von Berlin nach London zu verlegen, wo er in
guter Gegend ein hübsches Haus mietete und wie ein kleines Museum einrichtete.
Aber so wenig wie in Berlin, wohnte er im Sinne dieses Wortes in London. Er
war ein „Altertumhändler" im grossen Stil geworden, erwarb viel Geld, gab aber
auch viel Geld aus, reiste fortwährend, kam auch oft nach Deutschland und be-
suchte auch gern die Züllchower Heimstätte, denn die Liebe zu den angeborenen
Seinen hielt er trotz allem anderen fest. Durch die mit Dr. Karl Peters in Berlin
geschlossene und in London fortgesetzte Verbindung war er auch kolonialen Unter-
nehmungen nahe getreten. Genug, der reich und gut angelegte Mensch war auf
Wege geraten, die ihm von Haus aus ganz fremd waren, er vergeudete seine
Kraft in ungestümem, sittlich und geistig leerem Bingen nach Geld; was er einst
verheissen, war nicht gehalten.
Ein rascher Tod hat ihn im 39. Lebensjahre hin weggerafft. In Züllchow liegt
er bestattet. Mit ernsten Gedanken blicken wir ihm nach.
K. Wein h old.
St. Nothburga auf Ziegel platten.
Auf jeder Ziegelplatte des mit 40 000 solcher Dachplatten bedeckt gewesenen
Schlosses Hohenburg bei Tölz befindet sich ein Abdruck einer Bilder-Reihe (I),
welche sich am Rande der Ziegel-Oberfläche viermal herumzieht. Das zwischen
diesen beiden Rand-Bilder-Reihen (I) verbleibende Band ist von einer anderen
Bilder-Reihe (11) ausgefüllt. Diese Ziegelplatte und die beiden Reihen I, II sind
auf beifolgenden Illustrationen wiedergegeben.
Die Reihe II giebt zweimal wieder: a) stilisierte Löwenzahnblätter; b) einen
Hirsch; c) eine Gemse auf Epheublättern; und d) eine schwer zu deutende (Helm?-)
Figur.
Die Reihe I kehrt, wie gesagt, viermal wieder und stellt dar: a) ein kirchliches
Parament (Monstranz) mit je einem Leuchter vor bezw. nach dem Sanctissimum;
darauf b) einen Schubkarren fahrenden Mann; c) Mann und Weib auf einem ge-
schränkten Tische mit Klötzen hantierend; d) ein langgschweiftes Tier (Pferd),
welches einen truhenartigen Karren zieht; e) eine mit einem Strahlenhaupte ver-
sehene weibliche Person, welche in der Linken eine Sichel emporhält und in der
Rechten ein glockenähnliches Gerät trägt; dann beginnt dieselbe Bilderreihe wieder.
Über dieser Bilderreihe I befinden sich die Buchstaben ISM. und MI.; da-
zwischen die Jahreszahl 1818.
Die Deutung der Bilderreihe I ist: Es wird die Tagesarbeit eines Ziegel-
arbeiters dargestellt; nach dem Morgengebete oder der Morgenmesse wird der
Lehm herbeigefahren, auf Tischen von Männern und Frauen zu Ziegelsteinen geformt,
und diese in einem Wagen von einem Pferde (früher vielleicht von einem „Hunde",
so heisst bei Grubenarbeitern der zu Tag fahrende Karren) fortgeführt unter dem
Geleite der „Feierabend" - Patronin Nothburga (s. diese Zeitschrift 1894, S. 133)
zum Hausbau. Die Buchstaben sind vermutlich als Bezugs-, bezw. Fabrikations-
Ort zu deuten, wahrscheinlich als Ismanning bei München, woselbst seit langer
Zeit Ziegelfabriken sich befinden.
Kleine Mitteilungen.
221
Das Schloss Hohenburg bei Tölz dürfte das im Bezirke Tölz zuerst mit
Ziegelplatten bedachte Privatgebäude sein. Im Alpengebiete von Oberbayern war
bis dahin die Holzbedachung die durch das Klima und durch das lokal zur Ver-
fügung stehende Material bedingte ausschliessliche Art der Dächerbedeckung
gewesen bis auf unsere Tage.
Die Bilderreihe II dürfte die von Hirschen und Gemsen belebte Berggegend
andeuten, in der sich das Hohenburger Schloss befindet, zu dessen Bedachung die
geschilderten Ziegelsteine 1818 verwendet und verfrachtet wurden.
Jedenfalls ist die Art, derartige Scenen aus dem Arbeiterleben auf Ziegelplatten
zum Abdrucke zu bringen, für Oberbayerns Volkskunst höchst bemerkenswert;
ebenso ist diese etwas an die Hieroglyphen erinnernde Wiedergabe der Haus-
Patronin St. Nothburga auf Ziegelplatten eine der Veröffentlichung in dieser Zeit-
schrift werte Aufgabe.
Bad Tölz in Oberbayern. Höfler.
Deutung der Tier stimmeil1) im Braunschweigischen.
Nicht nur der Dichter, sondern auch das Volk glaubt aus den Stimmen der
Tiere Worte zu vernehmen, zumal aus denen der Vögel, besonders solcher, die
schlagen oder rufen. Ja, man meint sogar, dass sie dem Menschen tadelnde oder
warnende Worte zurufen. So kräht der Hahn:
Kikeriki!
Botter is düer
Vorn Mattier.
Er zeigt auch die Ankunft der Soldaten an: Kummt Militär.
Den Storch, dessen Ankunft stets freudig begrüsst wird, fragt der Mensch
nach seiner Abreise:
Heilebart, du Laugbein,
Wannehr wutte nan Himmel flein?
Und dieser antwortet:
Wenn de Roggen ripet
Un de Müse pîpet,
Wenn de Keren in Kisten klappert
Un de Nötte im Sacke wackelt.
Die Wachtel bittet: „Tritt mik nich", sie ruft dem Schnitter zu: „Ritt vor
Ritt", dem weniger fleissigen: „Bücke dik, Pott vull Wost", dem unverständigen:
«Bist verrückt." Alle Menschen aber ermahnt sie zur Furcht Gottes, zu seinem
Preise und zum Danke gegen ihn:
Fürchte Gott (im Frühlinge),
Lobe Gott (im Sommer),
Danke Gott (im Herbste).
Gelehrte Spielerei legt ihren Tönen die Worte unter: Die cur hic.
Die Lerche lobt das weibliche Geschlecht:
Dat Wiwertüch, dat Wiwertüch,
Dat is so niedlich Tüüüch.
1) Vgl. die reiche Sammlung von Deutungen der Tierstimmen bei Wossidlo, Mecklen-
burgische Volksüberlieferungen, II, 1, S. 45—142. Wismar 1899.
222
Schütte:
Der Goldammer ist ein undankbarer Vogel, sagte mir ein Bauer. Im Winter
ruft er: „Gieb, gieb" und im Sommer verachtet er uns.
Die Krähe ist gierig, sie ruft: „Fleisch."
Die Dohle zeigt Schneefall an: „Snei, Snei."
Die Krähe tritt auch im Wechselgespräche mit ihresgleichen auf:
Ik wett ne Brâ.
War denn?
Hindern Barge, hindern Barge.
Is se fett?
Knokendrö, knokendrö.1)
Der Rabe sagt gelehrt: Cras, eras, vgl. die Verse in den „Künstliken Werlt-
spröken", einer Sammlung niederdeutscher Sprüche:
De moth vorswinden gelick dem Kaue,
De dar sprickt Cras Cras also ein Rane.
Unter den Vögeln des Waldes ruft der Pirol: „Bier hol" oder „Hugo" oder
„Kop von Tylo" oder „Koch von Kiilau."
Der Fink schlägt fröhlich: „Sieh, sieh, sieh, ich bin ein Bräutigam" oder
„Seben, seben, seben Jahr sind et all, dat ik efrît hew.
Die Graudrossel freut sich über den Fruchtsegen im Garten: „Ach wat sitt
er vor vele Z wets eh en "
Der Zaunkönig ruft dem Mädchen zu: „Spinn dicke."
Die Meise, die zumal im Winter viel in unsere Gärten kommt, beschuldigt
den Menschen als „Schinkendoif, Schinkendeif". Die jungen Mädchen warnt sie:
„Sieh dich für, sieh dich für." Den Mann aber, dessen Ehe lange ohne den
gehofften Kindersegen bleibt, schilt sie aus als einen „Stümperklot" oder „Tündel-
klot".
Oft treten auch mehrere Tiere auf und geben ihre Ansichten kund. Die
Kuh, die während der Hochzeitfeier vernachlässigt wird, brüllt: „1s de Hochtit
nich balle ute?" Dem Hahn aber, der während der Zeit in der Banse nicht
gestört wird, ist es recht, wenn sie recht lange dauert, er kräht daher: „Wenn se
man noch acht Dage dure."
Das Huhn sagt: „Ik will mine Fott, Fott, Fott verköpen." Der Hahn aber
ist damit nicht einverstanden, er widerspicht: „Dat darfste nich daun."
Während die Lerche die Mädchen lobt: „Ach wie hübsch, ach wie fein sind
alle junken Mäken", tritt ihr die Schwalbe nach ihrer Erfahrung mit den Worten
entgegen: „Wenn du se seihst, wie ik se seih, du mostest dik brëken."
Die Enten kommen vom Wasser hungrig auf den Hof gewackelt und schnattern:
„Gasten, Gasten, Gasten." Der bescheidene Erpel aber ist zufriedener: „Wenn't
wat is, wenn't wat is, wenn't wat is "
Hahn, Ente und Gans unterhalten sich auch über die Vermögensverhältnisse
ihres Herrn:
Hahn: Ach, wat vor vele Schuld.
Ente: Ach wat, ach wat, ach wat.
Gans: Dat geit, dat geit.
Dasselbe thun Hund und Gans, der eine lobend, die andere herabsetzend:
Hund: Grauten Hof, grauten Hof.
Gans: Luter Beddelie, luter ßeddelie.
1) Knochentrocken, d. h. sehr trocken.
Kleine Mitteilungen.
223
Der Hahn musste in einem Falle für seine geringe Verschwiegenheit das
Leben büssen. Er krähte auf einem Hofe: „Op usen Howe is so grote Schuld."
Da sagte der Bauer: „Wenn de den Hals nich hölsl, sau smit ik dik dot." Der
Hahn aber erwiderte: „Ja, se möt ok alle betalt weren." Das ärgerte den Bauer
noch mehr, er nahm einen Stock und warf das Tier tot. Als seine Frau ihm Vor-
würfe darüber machte, sagte er: „De bruke dat im ganzen Dörpe nich ut tau plappern,,
dat we sau vele Schulden het."
Recht behielt dagegen der Sperling, der oben auf der Dachrinne sass und
ein paar Leuten, die zum Helmstedter Markte wollten, um sich eine Hose zu
kaufen, zurief: „Zwilch, Zwilch." Sie aber erwiderten: „Ja, seg man nich Twilch,
et sali Manchester weren." Als sie jedoch zurückkamen, ohne eine Hose gekauft
zu haben, weil ihnen all ihr Geld durch die Kehle gerollt war, und der Spatz
wieder sein Zwilch, Zwilch erschallen liess, da riefen sie ihm zu: „Ja, et is noch
nich emal Twilch eworren."
Braunschweig. Otto Schütte.
Zur Heilung- der Pferdekolik.
Die Heilung der Kolik ist in ähnlicher Weise, wie sie R. Andree (vgl. diese
Zeitschrift 1899, S. 335) aus dem Lüneburgischen mitgeteilt hat, auch früher (vor
50 und weniger Jahren) im Praunschweigischen versucht worden. In Grasleben
bei Helmstedt wurde in Bauernhöfen der erstgeborene Junge sofort nach der
Geburt vom Vater auf ein Pferd gesetzt. Blieb er am Leben und wurde gross,
so vermochte er die von der Kolik befallenen Pferde zu heilen. Wenn er nämlich
mit ihnen umherritt, so ritt er die Kolik tot. Derselbe Brauch und Glaube herrschte
in Mackendorf bei Helmstedt.
Braunschweig. Otto Schütte.
ii raun seh w e igisclie Tauf- und Hoclizeitsgebriiuclie.
1. Taufbräuche.
Beim Patengeschenke für Mädchen legt man in manchen Ortschaften bei
Braunschweig sinnig in das Papier, in das das Geschenk hineingewickelt wird,
eine Nadel und einen seidenen Faden, für Jungen aber eine Peitschenschnur. Im
Kreise Gandersheim legten vor mehreren Jahrzehnten sämtliche Gevattern, nachdem
die Hebamme das Kind genommen und damit das Haus verlassen hatte, ihr Ge-
sangbuch auf die Thürschwelle des Hauses und traten darüber, damit das Kind
dereinst recht fromm würde.
2. Hochzeitbräuche.
Wie um das Rad des Brautrockens stets eine rote1) Schnur gelegt war, so
wurde um den Brauthaspel statt gesponnenen BMachses ein Wickelband gedreht,
um auf den künftigen Kindersegen in der Familie hinzuweisen.
Wenn aber das neuvermählte Paar getraut war, so setzte sich vor der Thür der
Kirche eine Abteilung Musiker an die Spitze des Hochzeitszuges und blies einenMarsch,
dem man einen Text unterlegte, der in manchen Fällen richtig gewesen sein mag:
1) Über die rote Farbe in der Tracht der Braut: Weinhold, Deutsche Frauen im
Mittelalter, I3, 339.
224
Schütte:
„Soll diese Braut noch Jungfer sein?
Ei, das thut mich wundern.
Sie mag' wohl eine, sie mag wohl eine, sie mag wohl eine gewesen sein,
Aber nicht jetzundern."
Wenn das junge Paar aus der Kirche zurückkommt, so wird auf den Höfen
auch heute noch alles Vieh gefüttert.
Wer am Morgen nach der Hochzeit um neun Uhr nicht zum Frühstück er-
schienen war, wurde mit der Mistbahre geholt und darauf gesetzt. Wollte er
nicht sitzen, so wurde er festgebunden, ein Brauch, der auch bei der Fastnacht-
feier geübt wurde.
Braunschweig. Otto Schütte.
Die Bräutigamsmagd.
W ährend bei grossen Eiochzeiten im Herzogtum Braunschweig die Brautmagd
den Spinnrocken, die Stuhhnagd den Spinnstuhl schenkte, überreichte die dem
Bräutigam am nächsten verwandte weibliche Person, die „Breddigamsmagd", den
Haspel1). Hierbei sprach sie folgende Verse:
„Ich bin als Bräutigamsmagd hier Zum Hemde, Bette, Wickelband,
Auf diesem hohen Festpläsier Was jeder braucht in seinem Stand.
Und bringe einen Haspel mit, Drum wünsch' ich, dass in eurem Zimmer
Was bei uns ist die alte Sitt*. Der Haspel fleissig schnurret immer,
Denn der gehört ins Haus hinein, Und dass in eurem Hausgemach
Weil Leinewand muss immer sein: Es nie an Leinwand fehlen mag!"
Dünn folgen Ermahnungen des jungen Ehemannes, die als allzu persönlich
hier wegbleiben können.
Eine andere Fassung, die etwa ebenso alt ist, wohl fünfzig Jahre, lautet:
„Guten Abend alle insgemein! Die Jungfer Braut soll haben keinen
Ich bitt' ein wenig still zu sein Kummer.
Und meinen Worten hören zu, Dran sitzen sechs Krücken,
Die ich noch weiter reden thu. Ich wünsche Braut und Bräutigam viel
Ich schenk' euch einen Haspel fein, Glücke.
Denn ohn' ihn kann kein Ehstand sein, Dies ist ein Haspel und der geht rund,
Und wird gesponnen auch noch so viel, Ich wünsche, dass ihr lange lebet und
So kommt der Haspel und bringt Mass bleibet gesund,
und Ziel. So lange wie es Gott gefällt,
An dem Haspel sitzt ein Hammer, Der euch nimmt aus dieser Welt.
Die Jungfer Braut soll nicht mehr schlafen Nehmt diesen Haspel hier mit Freuden
allein in der Kammer. an von mir,
An diesem Haspel sitzen viele Nummern, Ich schreib' es euch zur Regel für."
Alter als diese Verse war die Einladung eines Umbidders (vgl. Andree a. a. 0.
S. 217), von der ich leider nur die beiden letzten Verse erfahren konnte:
„Ik lae jüch als Gäste,
Aber ik borge keine Meste."
Der Schlussvers weist auf den alten Brauch hin, der auch heute noch in der Heide
üblich ist, dass man sich zu Festlichkeiten Messer und Gabel selbst mitbringen musste.
1) Uber den Haspel (Garnwinde) R. Andree, Braunschweiger Volkskunde, Braun-
schweig 1896, S. 174.
Braunschweig. Otto Schütte.
Kleine Mitteilungen.
225
Notizen zum niederösterreichischen Bienenrechte
ira XV.—XVII. Jahrhundert.
Die Bienenzucht, die in Niederösterreich schon frühzeitig durch Urkunden
nachzuweisen ist, obwohl davon Anton Pfalz (Die Entwicklungsgeschichte der
Bienenzucht in Niederösterreich. Sonderabdruck aus „dem Bienenvater". Wien
1*89. 8°) nichts weiss, wurde in Deutschland durch eigene Zeidlergenossenschaften
gepflegt (vgl. unsre Zeitschrift X, 25), und hatte von einzelnen Kaisern und Landes-
tursten eigene Ordnungen erhalten. Für Niederösterreich und Österreich überhaupt gilt
als ältestes Bienengesetz jenes noch heut giltige der grossen Kaiserin Maria Theresia
vom 8. April 1775 (vergi. Pfalz 1. c. und Paul Ritter Beck von Mannagetta, Das
Bienenrecht in Österreich. Wien 1887. kl. 8°). Doch finden sich schon in früheren
Zeiten, wenn auch vereinzelt, in den niederösterreichischen Weistümern Bestimmungen
über Bienen aufgenommen, die jedoch bis heute nicht beachtet wurden, was der
folgende Beitrag dadurch gut machen will, dass er alle bis jetzt aus den nieder-
österreichischen Weistümern bekannten Stellen über das Volks - Bienenrecht in
Niederösterreich zusammenstellt.
Die erste bezügliche Bestimmung findet sich im Freibuche über Grafenwerd
(Markt unweit der Einmündung des Kamp in die Donau, V. O. M. B.) aus dem
Jahre 1433. Sie verordnet, dass, wenn jemandem ein Bienenschwarm abschwärmt
und sich auf eines anderen Grund setzt, so soll derselbe mit Wissen und Willen
der Grundherrschaft geschöpft werden und seinem früheren Besitzer nur dann
zugewiesen werden, wenn derselbe bald nach der Anlegung des Schwarmes daher
kommt und seine Ansprüche nachweisen kann, wobei er jedoch dann der Herrschaft
eine Ehrung geben muss. Wer dieser Verordnung zuwiderhandelte, musste 32 Pfund
Strafe erlegen:
„Item, mehr wierdt insonderheit vermeldt: ob sich begäb das ainem in der
gegenwiertigen herrschaft ein schwärm pein minder oder mehr über sein willen
von handen gieng oder hinflug ab seinen aigenthaften grünten, wo er sich dan in
der herrschaft auf ander leüt grünten anlegt, der seelb schwarn pein soll mit der
herrschaft Wüllen und wüssen des das lantgericht ist, geschepft sein und werden:
wan derselb schwarn pein der sich selbs von seiner rechten herberg entfrembt und
auf ein andern grünt legt, des mag sich die herrschaft von lantgerichts weegen
understeen; währ aber sach das ihme jener des dan der schwarn pein gewesen
•st ein fueßstapfen nachkumbt und bewart, das der schwarn pein vor sein sei ge-
wesen, ehee das er entflogen sei, demnach soll demselben der schwarn pein von
glük1) wegen widerumben mit erlaubnuß nachvolgen, doch dermaß das der herr-
schaft ain zimbliche ehrung davon geben wert. Wer sich aber in anderer gestalt
darin hielt und füer sich seelb im lantgericht underwunde, der ist zue wandel
auch „verfallen zweiunddreüssig pfunt."
(Österr. Weistümer, Vili. Bd., p. 672—73, sub Punkt 49.)
Im Banntaiding von Hirschstetten (Dorf zwischen Aspern und Kagran, V. L.
^1- B.) aus der ersten Hälfte des 16. Jahrh. findet sich eine grausame Bestimmung,,
die besagt, dass der, welcher Bienenstöcke beraube oder aufbreche, wenn er er-
griffen würde, damit bestraft werden solle, dass man ihm den Leib aulschneide,
seine Gedärme herausnehme, an einen Bienenstock anhefte und ihn so lange
um denselben herumführe, bis kein Darm mehr in ihm sei. Komme er dann
1) Geschenkte Bienen bringen nämlich Glück. Ein Glaube, der durch ganz Deutsch-
'and, Österreich, Ungarn, Bosnien, die Schweiz u. s. w. verbreitet ist.
226
An (Ire e:
noch mit dem Leben davon, was jedoch höchst zweifelhaft ist, so sei das nur für
ihn gut:
„Man ruegt auch: wo ain gueter man hett peinstöck, die sollen mit frid stcen,
wo si sein oder er dieselben hat; wo aber ein böß mensch kam der dieselbigcn
■aufpräch oder beraubet und er darüber, es sei wo es wöll, begriffen wurt, so soll
man im den leib eröffnen und sein gedärm heraußnemen, an den peinstock an-
heften und in hinumb füeren biß so lang kain darm in im ist; kombt er darnach
darvon, raicht im zu guetem. (1. c. VIII. Bd., p. 305.)
Milder ist der Ratschluss des Marktes Poisdorf (Markt im nordöstlichen Ende
des V. U. M. B.) von c. 1660, 'der befiehlt, dass jeder, der Bienenstöcke beraubt
oder stiehlt, wenn er erwischt würde, 5 il. Strafe zu bezahlen habe:
„Ainundzwainzigisten. und weilen die peinstöck ohne daß so iedem wißent
zu rauben oder zu stellen hoch verbothen sein, alß ist solcher welcher in derlei
gestalten betretten würdet um 5 il. in der straff."
(1. e. Y11I. Bd., p. 120, sub Punkt 21.)
Wien. E. K. Blüm ml.
Pferdescliädel wendet Unheil ab.
In dem abgelegenen Dorfe Ruhen, braunschweigischen Amtes Vorsfelde, fand
ich noch vor kurzem über den Balken der grossen Thüre des sächsischen Hauses
No. 18 einen von aussen nicht sichtbaren Pferdeschädel angebracht. Dem Besitzer,
so erläuterte man mir, seien nach und nach stets die Pferde gestorben; da habe
er zu einem alten Mittel gegriffen und zur Abwehr der Krankheiten den Pferde-
Schädel über seinem Thore befestigt. Seitdem standen die Pferde.
Ruhen ist ein ursprünglich wendisches Dorf, dessen Rundlingsbau noch gut
erkennbar.
Ich teile diese Anwendung des Pferdeschädels als unheilabwendendes, bis in
unsere Tage fortlebendes Mittel hier um deswillen mit, weil sie die schlagende
Parallele zu dem ist, was J. Grimm (D.M. (326. 4. Aufl. 550, mit einem hässlichen
Druckfehler) nach der Weltbeschreibung des Prätorius anführt. Danach pflegten
die undeutschen Leute (Wenden) zur Abwehrung und Tilgung der Viehseuchen um
ihre Ställe herum Häupter von toten Pferden und Kühen auf Zaunstaken zu stecken;
auch ihren Pferden, welche nachts vom Mahr oder Leeton matt und müde geritten
wurden, einen Pferdekopf unter das Putter in die Krippe zu legen, das hemme
die Macht des Geistes über das Tier.
Indessen auf die Wenden ist dieser Aberglauben nicht beschränkt gewesen,
und M. Fugger (1584) bringt in seinem Kapitel „Von Artzeneyen, genommen von
Pferden"' die Mitteilung, dass ein auf den Gartenzaun gesteckter Stutenschädel
Raupen und Ratten vertreibe Wie weit noch anderwärts die unheilabwehrende
Eigenschaft des Pferdeschädels benutzt wird, habe ich nachgewiesen in meinen
Ethnographischen Parallelen, Stuttgart 1878, S. 128 ff.1)
1) [Vgl. auch U. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht.
.Breslau 1884. S. 18—'25. 48. 231.]
Braunschweig. Richard Andree.
Kleine Mitteilungen.
E ili oberbayrischer Palm.
Herr Hofrat Dr. M. Höfler zu Bad Tölz in Oberbayern
schickte mir einen sogen. Palm zu, der auf abgelegenen
Bauernhöfen seiner Gegend vor dem Palmsonntag von alten
Frauen zu Kauf angeboten wird. Es ist ein blau weiss,
also in den bayerischen Farben, bemaltes 25 cm langes
Stäbchen, an dessen oberem Ende 6/7 cm lang Weiden-
kätzchen (Palmen) schuppenartig übereinander befestigt sind.
Zu ihrer Verzierung sind auf drei Seiten Zweigspitzen vom
Sevenbaum (juniperus sabina) angebracht, der nach ver-
breiteter Meinung zum Palm gehört (Unsere Zeitschr. VIII,
226). Unter den Palmkätzchen ist ein rotes Bändchen um
das Stäbchen geknüpft. Über den Weidenkätzchen bildet
eine aus violetten und goldenen Papierschnitzeln hergestellte
Blume die Krönung des zierlichen Palms, der am Palm-
sonntag in der Kirche geweiht und hinter das Kruzifix des
Herrgottwinkels oder auch hinter den Spiegel der Stube
gesteckt wird. Bei Gewittern wird der Palm zum Schutz
des Hauses und Hofes im Herdfeuer verbrannt.
Die nebenstehende Zeichnung veranschaulicht diesen
kleinen Palm. K. W.
Das Halmmessen.
Bekannt ist das Lied Walthers von der Vogel weide In
einem zwîvelliehen wân was ich gesezzen (Lachmann
65, 33 bis 66, 20), worin der Dichter erzählt, wie er im
Zweifel über die Erwiderung seiner Liebe einen Halm ge-
messen habe, indem er nach der Weise von Kindern das
-»sie liebt mich, liebt mich nicht" daran abmass. Wie oft
fr es wiederholte, so war der Ausgang immer gut.
Die Erklärer sind über die Ausführung dieses Halm-
ftïessens nicht einig. Für das wahrscheinlichste hielt K.
Siinrock in der ersten Ausgabe seiner Übersetzung Walthers
(1833) die Vermutung W. Wackernagels, dass der Halm
abwechselnd zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten
ünd der linken Hand gefasst werde, so dass immer eine
Hand die andere ablöst, indem sie ihre Pinger über die
der anderen legt, bis die Spitze des Halmes mit den ent-
scheidenden Worten erreicht ist — Ich kann diese Aus-
legung nicht teilen und habe von Anfang an, seit ich das
Gedicht kennen lernte, an ein Abzählen der Knoten des Stroh-
halmes (ich maz daz selbe kleine strô 66, 7) gedacht.
Auch andere scheinen das gethan zu haben, aber ich fragte
bisher vergebens nach Zeugnissen für solches Halmmessen,
■^un finde ich in dem kleinen Hefte des lothringschen Lehrers
Lerond: Lothringische Sammelmappe. VIII. Teil. Metz
l89y- S. 40 unter Beziehung auf die Waith ersehe Strophe
die Worte: „Das Halmmessen bestand im Abzählen der
228
Weinhold:
Knoten eines Hahnes, um daraus die Zukunft zu erforschen. Auch sie ist noch in
Lothringen erhalten und habe ich sie in meiner Jugend oft geübt."
Als ich vor nicht langer Zeit das Walthersche Lied mit mehreren jungen
Freundinnen des Sängers von der Vogelweide las, kannte keine derselben, die aus
verschiedenen deutschen Landen stammten, diese Art des Halmorakels, wohl aber
ein paar andere, und zwei zeichneten das ihnen bekannte auf, was ich zu weiterer
Anregung mitteilen will.
Fräulein Emma Martens aus Vorpommern:
1. Man pflückt vier Grashalme von gleicher Länge, fasst sie in die Mitte und
hält die vier Spitzen dem Gefährten hin. Dieser muss sich nun etwas wünschen
und im Gedanken an die Verwirklichung des Wunsches aus den vier ihm zuge-
kehrten Enden zweimal zwei Knoten knüpfen. Nun werden die Halme umgekehrt,
so dass die Knoten nach unten und die unteren Enden der Blätter nach oben
gerichtet sind, und der wünschende schlingt nochmals zweimal zwei Knoten.
Dann wird die Hand geöffnet und das Werk betrachtet. Ist aus den verknüpften
Halmen eine Art Kranz entstanden, so geht der Wunsch in Erfüllung; fallen da-
gegen die einzelnen Teile der Kette auseinander, so ist das Schicksal dem fragenden
nicht hold.
2. Von dem Reigras (lolium perenne) pflückt man eine Ähre und zupft von
den wechselständigen Blüten eine nach der anderen ab mit Ja, Nein oder dem
bekannten „Er liebt mich, von Herzen, mit Schmerzen, über alle Massen, kann's
gar nicht lassen, klein wenig, fast gar nicht".
Fräulein Martha Dege aus der Umgegend von Sondershausen: „Drei geschmeidige
Halme werden in der Mitte so gefasst, dass sowohl die oberen wie die unteren
Enden frei bleiben. Der fragende bindet nun zwei Halme an jeder Seite zusammen,
und zuletzt werden auch die noch un verbundenen Enden über die haltenden Finger
hinweg verknüpft. 1st das geschehen, so sieht man nach, ob die drei Halme einen
einzigen Ring bilden, denn nur in diesem Falle erfüllt sich der fragliche Wunsch."
Für die Verwendung des Halmes zur Entscheidung einer Frage muss auch
das Losen mit einem kürzeren oder längeren Halme geltend gemacht werden.
Dagegen liegt der Halm als Rechtssymbol (J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer,
121 fi'., 168 ff. 2. A.) hier ganz ab.
K. Weinhold.
Dat geit mit'n Snellert.
[„Ähnlich diesem Odenberger Heer (in Niederhessen in der Nähe von Gudens-
berg) ist der Auszug des Rothenthalers im Aargau, des Rodensteiners nach dem
Schnellerts: J. Grimm, D. Mythol.2, 2, 893." — „Das Schnellertsschloss bei Ober-
keinsbach im Odenwald: Der Schnellerts ist durch das wilde Heer berüchtigt,
welches nach der Sage mit Pferdegetrab, Hörnerschall und Peitschenknall, mit
Krachen und Hundegebell und mit solcher Kraft und Schnelligkeit den Berg hinab
und nach der Burg Rodenstein stürmte, dass sogar einmal bei gänzlicher Windstille
der Staub aufflog. Zog das wilde Heer aus dem Schnellerts, so stand Krieg bevor:
Panzer, Bayerische Sagen und Bräuche, 1, 195."]
Auf der Delmenhorster Geest im Oldenburgischen ist es noch völlig gebräuchlich
und allgemein verständlich, eine ungewöhnlich rasche Fahrt, auch wohl eine sonstige
schnelle Bewegung mit dem Ausdruck: „Dat geit mit'n Snellert" zu bezeichnen.
Wenngleich es fraglich erscheint, ob der Zusammenhang Snellerts mit der
wilden Jagd dem Volke bewusst geblieben ist, so ist doch nachfolgendes Gespräch
Kleine Mitteilungen.
229
ein Beweis wenigstens dafür, wie lange und wie unverdorben sich dergleichen
Redewendungen erhalten haben.
Zu Vielstedt, im Ksp. Hude, waren zwei ältere Personen, ein Mann und eine
Frau, am Wege ins Gespräch gekommen; in einiger Entfernung näherte sich rasch
ein Wagen.
Der Mann: Ik kenn era woll, et is de Swinköper; ik kenn em an sin bunt-
koppt Perd.
Der Händler (im raschen Vorbeifahren, ohne anzuhalten): Ji wölt jo Swine
wto11 noch beholen?
Der Mann: Ja. (Dem um die Biegung des Weges die Anhöhe hinauffahrenden
nachsehend, zur Frau): Dat geit mit'n Snellert.
Die Frau: Dat geit mit'n Diiwels Gerödel (mit Teufels Gerassel; die Antwort
der Frau wiederholt nur die Bemerkung des Mannes mit anderen Worten).
Mythologischen Ursprungs scheint auch die dasselbe bezeichnende und in
derselben Gegend gebräuchliche Wendung: „Dat geit Kugeis Fährt", „Kugels
Fährt gung't dorhen". Vgl. dazu Grimm a. a. 0. S. 835 f. Fährt bedeutet rasche
Gewalt: „Se hettet dar to väl Fährt achter" zu Neulingen bei ländlichen Arbeiten,
die sich unnötig abmühen und besser thäten, wenn sie weniger sich dabei
quälten.
Ganderkesee (Grossh. Oldenburg). Willi. Ramsauer.
Aberglaube und Besprechungen aus Zöllmersdorf in der Nieder-Lausitz.
1. Wenn Vieh auf den Markt gebracht wird zum Verkauf, werden ihm Haare
abgeschnitten und verbrannt; das lockt Käufer an.
2. In der Weihnachtsnacht um 12 Uhr wird die Viehtränke im Hofe mit Heu
belegt und das Vieh herausgeführt und gefüttert; schützt vor Krankheit.
3. Während der heil. 12 Nächte wird jeden Morgen das Vieh gefüttert mit
Brot, in welches Kräuter, die in der Johannisnacht gepflückt und getrocknet sind,
eingebacken sind; schützt vor Krankheit.
4. Die Diet ken e (mundartliche Pluralbildung für die Dietken1).
Ein Bauer hat auf seinem Acker gepflügt; da sei eine Art Hügel gewesen,
;>us dem sei plötzlich ein Dietken (das sind Menschen so gross wie die Puppen)
hervorgekommen und habe dem Bauern gesagt, er möchte nun aufhören zu pflügen,
s'e wollten backen; der Bauer zieht mit seinem Gespann auf einen anderen Acker,
als er aber anderen Tages zurückkehrt, ist der Hügel verschwunden.
<r>. Ein alter Bauer hat sich regelmässig von seiner Dienstmagd das Haarband
geben lassen; das hat er den Winter über an das Tischbein gebunden; im Frühjahr
aber hat er es um die Hörner des jungen Stieres gebunden, der zum erstenmale
hat ziehen müssen, und so lange dort gelassen, bis es von selbst abgefallen ist.
(Der Stier lernt dadurch leichter ziehen.)
1) Diese Benennung der Zwerge ist auffallend, da der gewöhnliche Name der Zwerge
bei den Wenden lutki ist. Herr Prof. Dr. A. Brückner weist auf meine Anfrage mir nach,
dass nur die von Ceray aus dem Wend. Volkstum von Schulenburg angeführten Noöne
zedki (Nachtgeister im Walde) zu den obigen Dietken sich anführen lassen, während
Sechisch und russisch dëdki die gewöhnliche Benennung der Hausgeister und Kobolde ist.
K. W.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
230
Kleine Mitteilungen.
6. Bei demselben haben sich am Weihnachtsheiligenabend alle Hausgenossen
zu gleicher Zeit zu Tisch setzen müssen, ebenso aufstehen; und während der
Mahlzeit hat niemand sich erheben dürfen.
7. Derselbe hat am Weihnachtsheiligabend einen grossen Topf Salz auf den
Tisch gestellt; dann ist das Salz sorfältig aufgehoben und der "Weizen zur Saat
damit im Herbste vermischt worden.
8. Wenn die Stute gefohlt hat, hat der Bauer das Mädchen mit einem Topfe
roll abgeschnittenen Pferdshaaren dreimal um die Scheune geschickt; das Fohlen
lernt so leichter fressen.
9. Wenn die Kuh gekalbt hat, sind Bauer und Bäuerin allein in den Stall
gegangen, und die Magd hat nicht eher hinein gedurft, als bis das Kalb trocken
gewesen ist.
10. In einem Hause der Gemeinde Hollmersdorf (bei Baltzer) haben die
Hollrige1) gewohnt; eines Tages backt die Frau Plinsen eine ganze Mulde voll;
mit einemmale kommen die Hollrige und essen die Plinsen auf; wie aber die
Frau näher zusieht, liegen die Plinsen auf der Ofenbank; die Hollrige haben
hinten im Halse ein Loch gehabt.
11. Die Hollrige haben in Waltersdorf Kirchgang gehalten und viel Geld
gehabt; auch hat die Gemeinde Zöllmersdorf für sie aufbringen müssen (Geld
aufbringen in der Gemeinde-Versammlung); auch haben sie in Zöllmersdorf eine
Ackerbreite gehabt, die aber in der Separation abhanden gekommen ist.
12. Einen Zauberspruch darf man nicht einem älteren Menschen mitteilen,
sondern nur einem jüngeren (ich habe darum ein Kind herbeigeholt, in dessen
Gegenwart wurde dann der Spruch aufgesagt).
13. Spruch bei entzündeten Augen:
Es kamen drei Jungfrauen vom Himmel geflogen,
Die erste brachte das Laub an den Bäumen,
Die zweite das Fell, die Hitze, die Spinne, die Pickel vor dem Auge,
Die dritte brachte das Gras auf der Erde.
14. Gegen Herzspann der Kinder:
Herzspann, ich streiche dich, du sollst weichen;
Weichst du nimmer mehr, so streiche ich immer mehr.
15. Blutbesprechen:
Blut, steh' stille,
Das ist mein Wille.
16. Gegen Brand:
Brand, Brand,
Du fliegst unter meine Hand.
17. Spruch, wenn der Felddieb nicht vom Feldhüter (Pfänder) ergriffen
werden will:
Der Himmel ist meine Hut,
Die Erde mein Schutz.
Unser Herr Christus ist mein Hort und Schwert,
t Auf dass mich niemand sucht und begehrt.
(Dieser Spruch ist sehr wirksam; die alte Felddiebin, die ihn mir mitteilte,
sagte, sie sei in ihrem Leben von keinem Pfänder gekriegt worden.)
1) Entstellt aus Holdechen.
Drechsler: Bücheranzeigen.
231
18. Gegen die Rose:
Es kamen drei Jungfrauen vom Rosmarienberg,
Johanni kehren sie wieder;
Da soll das Heilige verwachsen und verschwinden.
19. Beim Vieh:
Petrus und Pilatus gingen über Feld,
Da begegnete ihnen der kalte Brand,
Der Pibelbrand und der heisse Brand.
20. Gegen Gicht:
Ich gebiete deiner Gicht Du sollst vergehen vor meinem
Durch Gottes Macht und Gottes Kraft, ganzen Geschlecht,
Du sollst nicht mehr reissen, Das sei die 77erlei (?)
Du sollst nicht mehr schmerzen, Du sollst vergehen,
Du sollst nicht mehr gechen, Sowie der Mann verschwand,
Du sollst nicht mehr brechen, Da Jesus am Kreuze stand.
21. Schmerzen besprechen:
Unser Herr Jesus ging über das Land,
Er hatte einen Schmerz an seiner Hand,
Der Schmerz ging raus und nicht rein,
Dieser Schmerz soll auch nicht sein.
22. Blut besprechen:
Unsers Herrn Christ Wunden
Wurden nicht verbunden.
Sie bluten nicht, sie schweren nicht, sie schmerzen nicht:
Also soll diese Wunde auch nicht bluten, nicht schweren, nicht schmerzen.
23. Mutter Maria und Hille,
Sie spielten beide in einem goldenen Ring,
Mutter Maria gewaun die Rose, die verschwand.
24. Es zogen drei Geister auf den Berg,
Sie suchten das Kraut Heiligen werk;
Sie haben das Kraut gefunden,
Die Pulsa (?) ist verschwunden.
25. Muttermilch und Christi Blut
Ist für Zahnschmerzen gut.
26. Beim Vieh besprechen:
Hat dies gethan ein Weib, so helfe dir Herr Christus heut.
Hat dies gethan ein Knecht, so helfe dir Christus aus göttlicher Gerecht.
Hat dies gethan eine Magd, so helfe dir die reine Magd.
Blicheranzeigen.
Friedrich Beyschlag (in Neustadt a. H.), Volkskunde und Gymnasial-
unterricht. Leipzig, Teubner, 1900. 45 S.
Die vorliegende Arbeit, ein Sonderabdruck aus Lyons Zeitschrift für den
deutschen Unterricht, 14. Jahrg., 1900, 1. Heft, ist dem Andenken Rudolf Hildebrands
16*
232
Drechsler:
gewidmet und ist im Geiste dieses gründlichen und feinfühligen Meisters gehalten.
Der Verfasser spricht in der Einleitung sein Bedauern darüber aus, dass trotz
regster Vereinsthätigkeit und Mitarbeit der breitesten Schichten, die Kunde vom
Thun und Meinen des deutschen "Volkes vollständig zu erschliessen und seiner
Stämme reiche Gliederung nach Mundart und Dichtung, Glaube und Sage, Sitte
und Brauch zu einem Gesamtbild zu vereinigen, gerade das Gymnasium, die
Pflanzstätte deutsch-nationalen Geistes, sich diesen Bestrebungen bisher nicht sehr
zugänglich gezeigt habe. Damit weist er auf eine allerdings nicht wegzuleugnende
Thatsache hin, die in dem heftig tobenden Kampfe für und wider das humanistische
Gymnasium zu seinem Nachteile ausgebeutet werden dürfte. Um hierin aber
richtig zu sehen, müssen wir die Frage beantworten: Wer studiert hauptsächlich
Philologie? Nicht die Söhne des Volkes, dies Wort im Sinne der Volkskunde
genommen. Der Sohn des Bauern und des kleinen Mannes, in deren Umgebung
allein noch in reicher Fülle die geistigen Besonderheiten und Bedürfnisse des
Volkes unverflacht fortleben, fällt der Kirche und, reichen die Mittel zum Studieren
nicht aus, dem niederen Beamtenstande und dem Dienste der Volksschule zu. In
diesen Kreisen erfreut sich die Volkskunde selten reger Förderung, und um so
löblicher sind die Ausnahmen. Die Kirche bekämpft das Volkstümliche, wenn es
sich ihr überhaupt zeigt, als Aberglauben, und die beiden anderen Kreise, besonders
der Lehrer, der nur widerwillig die Bezeichnung „Volksschullehrer" hört, antworten
—- ich spreche hier aus vieljähriger Erfahrung — auf volkskundliche Fragen mit
Achselzucken: dem Bildungsdünkel und der Vornehmthuerei ist das alles, nach
Weinholds treffendem Ausspruch, toter Schutt und taubes Gestein. Der Gymnasial-
laufbahn wenden sich die Söhne des Bürger- und Beamtenstandes zu. Beiden
liegt das Volkstümliche in seiner unmittelbaren Lebendigkeit etwas fern; es tritt
ihnen als ein Lernobjekt, als etwas erst in der Tiefe zu Erfassendes, in seiner
Eigenart erst zu Begreifendes gegenüber. Es fehlt ihnen meist die Beobachtungs-
gabe, das Ohr, um aus der Unterhaltung das Mundartliche in Form und Wendung
herauszuhören, es fehlt ihnen das Auge, um ringsum die Spuren alten Volks-
brauches wahrzunehmen, kurz, es fehlt der innere Kontakt, das stimmungsfähige
Gefühl für des Volkes Wesen und Art. Und das Volk selbst öffnet nicht jedem
und nicht schnell seines Hauses und Herzens stilles Kämmerlein: nur dem stillen,
rastlosen Bemühen, der schlichten, treuherzigen Annäherung weicht das Misstrauen
und sprudelt der Born, der seit tausend Jahren in unzähligen Bächen, Bächlein
und Rinnsalen des Volkes tiefinnerliche Eigenart bis zur Gegenwart weiterführt.
— Der mit Volkskunde vertraute und geschulte Philologe wird Treffliches leisten.
Dafür zeugen die gerade in letzter Zeit von Gymnasiallehrern veröffentlichten
Arbeiten auf diesem Gebiete. Es sei mir vergönnt, statt vieler einen hier zu
nennen, meinen Freund Ulrich Jahn, der der Volkskunde allzufrüh iind fern der
Heimat verloren ging, und ihm ein treues Gedenkblatt auf das noch frisch auf-
geschüttete Grab zu legen.
Wer aber von den Philologen deutsches Volkstum in der Schule verwerten
will, wird in Beyschlags Schrift vieles finden, was ihn anregt und fördert, in
einem allgemeinen Teile wird kurz die Volkskunde und der erziehende
Unterricht, in einem besonderen Teile ausführlicher die Volkskunde und die
einzelnen Lehrfächer, der deutsche Unterricht (mit Beigabe je eines Kanons
poetischer und prosaischer, die Volkskunde berührender Lesestücke), der Unterricht
in der deutschen Geschichte, der Geographie und Naturkunde, der Gesangunterricht
und zuletzt der Unterricht in den alten und den modernen Sprachen erörtert. Der
Verfasser ist mit dem einschlägigen Stoffe wohl vertraut, und seine Ausführungen
Bücheranzeigen.
233
verdienen meist ungeteilten Beifall. Hoffentlich wird er später das Thema, zu
dessen Skizzierung er in vorliegender Arbeit bescheiden nur den ersten Versuch
gemacht haben will, erschöpfend behandeln.
Zabrze, Ober-Schlesien. Paul Drechsler.
€. Schumann, Yolks- und Kinderreime aus Lübeck und Umgegend.
Beiträge zur Volkskunde. Lübeck, Gebrüder Borchers, 1899. XVI
und 206 S. 8°.
Herr Schumann, der unseren Lesern durch zahlreiche wertvolle „Beiträge zur
Lübeckischen Volkskunde" in den letzten Jahrgängen der „Mitteilungen des Vereins
für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde" bekannt sein dürfte, legt hier in
Buchform das reiche Ergebnis eifriger und glücklicher Sammlerthätigkeit auf dem
Gebiete des Kinderliedes im engeren Sinne, mit vorläufigem Ausschluss der Spiel-
reime, und eine bedeutende Anzahl von scherzhaften Reimen der Erwachsenen vor.
Die Anordnung, die sich im grossen und ganzen an die mustergiltige Dungersche
Aasgabe vogtländischer Kinderreime anschliesst, ist übersichtlich. Auch hat der
Herausgeber ein vollständiges Verzeichnis der Anfänge beigefügt. Weit weniger
erschöpfend sind, was nicht gerade zu tadeln ist, seine Hinweise auf andere
Sammlungen. Fast durchweg verfehlt aber sind seine mythologischen Erklärungen ;
leider reiht sich der verdiente Sammler auch in dieser Beziehung Hrn. Dr. Eskuche
an. Man höre nur die Erklärung des bekannten Verschens: „Maikäfer flieg" auf
S. 49: „Der Vers verdankt seine Entstehung dem Abendrot und der Sage vom
Weltenbrand und dem letzten Götterkampfe. Der Maikäfer, Hollas (Freias) heiliges
Tier, wird aufgefordert zu Hilfe zu eilen." Hoffentlich hält Herr Schumann seine
künftig erscheinenden Sammlungen von solchem Unsinn rein und erweitert statt
dessen lieber seine wertvolleren kulturgeschichtlichen Anmerkungen.
Würzburg. Robert Petsch.
I»erond, H., Lothringische Sammelmappe. VII. Teil. Metz, Paul
Even, 1897. S. 54. kl. 8°. VIII. Teil. Ebenda 1899. S. 60. kl. 8°.
Seit mehreren Jahren giebt ein lothringischer Lehrer, Herr H. Lerond, kleine
Hefte unter obigem Titel heraus, in denen er seine gesammelten Notizen über
deutschlothringisches Leben, Sein und Sprechen veröffentlicht, mit der Absicht,
auch andere zum Sammeln anzuliegen. Der 7. Teil bringt Mitteilungen aus dem
Wortschatze, Deutsches und Walsches, und aus Laut- und Wortbildung. Der 8.
beschreibt die Bauart in lothringischen Bauerndörfern, handelt über Flurteilung,
Feldgebräuche, Pflanzennamen u. dergl., zuletzt über lothringische Zunamen. Es
sind an sich anspruchslose Aufzeichnungen, die nur durch allerlei mythologische
und sonst gelehrte Lesefrüchte aus Quellen geringeren Wertes schief beleuchtet
werden. Die einfache Sammlung wäre verdienstlicher. K. AV.
F. X. Kiessling, Die Brünndlein von Drosendorf und Umgebung.
Ein Beitrag zur Volkskunde. (Sonderabdruck aus dein „Boten aus
dem Waldviertel", No. 520, 521, 522, 523, 524 und 525.) Horn (N.-
Österreich), F. Berger, 1899. S. 38. 8°.
234
Hein:
Drosendorf ist ein Städtchen in Niederösterreich nahe der mährischen Grenze
und vom Weltverkehr ziemlich abgelegen; es hat sich daher in seiner Umgebung
mancher Überrest aus dem alten Leben bis auf den heutigen Tag ungeschmälert
erhalten, der in Franz Xaver Riessling einen aufmerksamen Beobachter fand.
Das vorliegende Büchlein enthält einen nicht unwesentlichen Beitrag zur altgeübten
Quellenverehrung, der umsomehr Beachtung verdient, als es sich um eine sonst
fast unbeachtete Gegend handelt. Nicht weniger als sechs Quellen in unmittelbarer
Nähe Drosendorfs spielen in Sage und Glauben des Volkes eine mehr oder weniger
bedeutende Bolle, vor allen das Jäger-Brünndl im Schreitelwalde, der einem
neckischen Kobold „Schreitel" seinen Namen verdankt. Die Schreitelsage ist
übrigens eine ziemlich verbreitete, für welche sich, namentlich in Österreich, viele
Belege erbringen liessen. Auch der Name des Jägerbrünndls haftet besonders an
solchen Quellen, welche im Volksglauben eine Verehrung gemessen. Mit einer
Sorgfalt und Genauigkeit, die für ähnliche Beschreibungen als Muster aufgestellt
werden kann, verzeichnet der Verfasser alle Weihe- und Wallfahrtsbilder und
sonstige Weihegaben, welche er an 35 Bäumen angeheftet fand. Es ergeben sich
auf Grund von derartigen genauen Aufnahmen von selbst manche Thatsachen, die
sonst unberücksichtigt blieben. Wir ersehen z. B., dass die Marienverehrung den
Christuskult überwiegt, wie überhaupt der Jungfrauenkultus das Denken und Fühlen
des Volkes beherrscht. Sehr einleuchtend ist die Erklärung und Deutung eines
alten gedruckten Gebetes als „Wende- oder Segenspruch". Auch ein in einen
Baum eingeschlagenes Hufeisen führt zu manchen Vergleichen; vor allem denkt
man an die dem heiligen Leonhard geopferten Hufeisen. Das Siegmarter- und das
Königsbrünndl wTerden mit ein und derselben Sage in Verbindung gebracht, wonach
eine Königin der Stadt schrecklich fluchte, weil ihr Gemahl sie nicht bezwingen
konnte. Beim ersteren Brünndl zieht auch die wilde Jagd vorüber, ebenso zeigt
sich dort der Reiter ohne Kopf. Zum Schlüsse bespricht der Verf. das „Brünndl-
Räumen", das nach anhaltender Trockenheit und Dürre von drei (?) „wirklichen"
Jungfrauen (im Alter von 14—21 Jahren) vorgenommen wird. Noch vor zwei
Jahren fand ein solches feierliches Brünndl-Ausräumen statt, bei welchem das
ganze Quellwasser ausgeschöpft wird.1)
So klein das Büchlein ist, es enthält eine Menge von Thatsachen, die für das
Studium des Volksglaubens von Belang sind.
Floridsdorf bei Wien. Dr. Wilhelm Hein.
Chr. Villads ChriStensen, Baareprtfven, dens historie og stilling i forti-
dens rets-og naturopfattelse. Kopenhagen, Det nordiske forlag, bog-
forlaget Ernst Boiesen; 1900. 289 S. 8°.
Diese sehr tüchtige Kopenhagener Doktordissertation trägt mit grossem Fleisse
zusammen, was wir aus den Quellen über das Bahrgericht oder die Bahrprobe
erfahren, geht deren Ursprung nach, behandelt die Erklärungsversuche bei den
Scholastikern, in der Renaissancezeit und zur Zeit der Reformation, schildert
Blütezeit und Verfall des Bahrgerichtes, wirft einen Blick auf die poetische Aus-
nutzung des interessanten Brauches und giebt schliesslich ausführliche Berichte
aus dänischen Archiven über die Anwendung der Bahrprobe in Dänemark.
Gegenüber meinem Aufsatze in den germanistischen Abhandlungen für Konrad
Maurer ist die Abhandlung insofern zweifellos ein Fortschritt, als der Verfasser
1) K. Weinhold, Verehrung der Quellen in Deutschland. Berlin 1898. S. 84—36.
Biicheraiizeigen.
235
die theoretischen Erklärungsversuche, auf die ich absichtlich nicht eingegangen
war, auf S. 97—184 einer ausführlichen Erörterung unterzieht, und das Auftreten
des Brauches in seinem Heimatlande seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts durch
zahlreiche Belege nachweist (S#251—283). Allerdings ist das eigentliche Problem
dadurch nicht erheblich weiter gefördert, als durch meine Untersuchung. Die
Frage, woher das Bahrgericht stammt, ist auch nach Christensen eine offene,
und es ist ihm nicht gelungen, weiter zurückliegende Fälle, als die von mir ange-
führten des 12. Jahrh. aufzufinden. Vom Chrestien von Troyes abgesehen, ist
bisher die wichtigste Stelle der in dieser Zeitschrift Bd. VI, S. 208 abgedruckte
Bericht des Petrus Monoculus. Meines Erachtens muss das Bestreben dahin gehen,
ältere oder gleichzeitige Belege zu sammeln. Ich selbst habe solche bisher in
Heiligengeschichten nicht gefunden, aber das schliesst nicht aus, dass anderen
dies gelinge. Der Verfasser, der ohnehin schon Schwierigkeiten hatte, das Material
zu sammeln (siehe die Vorrede), scheint vor Versuchen nach dieser Richtung
zurückgeschreckt zu sein, vielleicht unternimmt er sie noch nachträglich. Soviel
ergiebt sich immerhin aus Christensens Arbeit, dass wir jede Zurückführung des
Brauches auf die germanische Vorzeit bis auf weiteres für eine reine Hypothese
ansehen müssen. Als wahrscheinlich (nicht als so sicher, wie der Verfasser meint),
ist andererseits der heidnische Ursprung zu erachten; die Ausbildung zum
Gottesurteil gehört erst einer späteren Zeit an. Angesichts dieser Momente lenkt
sich der Blick immer wieder auf die Kelten. Vielleicht gelingt es späterer
Forschung, aus altkeltischen Denkmälern die frühesten Spuren des Auftretens zu
eruieren. Einstweilen ist auch dies nur Hypothese.
Am wenigsten befriedigt hat mich die Darstellung der juristischen Partien
(S. 74—93). Der Verfasser hätte hier nicht bloss ausführlicher sein können,
sondern auch das Problem schärfer erfassen sollen. Er legt z. B. zu viel Gewicht
auf den Reinigungseid und hat mich missverstanden, wenn er S. 91 annimmt, ich
hätte in meiner Abhandlung die Bahrprobe für einen Reinigungseid erklärt und
wäre erst später dazu übergegangen, sie für ein Lnquisitionsmittel in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt zu erachten. Vielmehr sprach ich mich von vornherein dafür
aus, dass sie ursprünglich Inquisitionsmittel war, und habe nur der Möglichkeit
gedacht, sie als Reinigungseid anzusehen.
Dem Verfasser kann man zu dieser Erstlingsarbeit nur Glück wünschen.
Rostock. Karl Lehmann.
Teste patronali in Sicilia, descritte da Giuseppe Pitrè (con 24 illustra-
zioni). (Biblioteca delle tradizioni popolari Siciliane vol. XXI.) Torino-
Palermo, Carlo Clausen, 1900. S. LXVI. 572. 8°.
Wir haben oben S. 107 ein Buch von Fräulein Maria Pitrè angezeigt, welches
französische, englische und deutsche Berichte über das Fest der hl. Rosalia in
Palermo und das Fest Mariae Himmelfahrt in Messina in italienischer Übersetzung
brachte. Es war ein Vorläufer des grösseren Werkes von Vater Giuseppe Pitrè
über die Patrociniumfeste in Sizilien, das wir jetzt unseren Lesern bekannt machen.
Es ist dieses neue Werk G. Pitrès eine Fortsetzung seiner Spettacoli e Feste
popolari siciliane, die 1881 erschienen, und beschreibt die sogen. Festini, die
köstlichkeiten, welche die sizilianischen Kirchgemeinden ihren Schutzheiligen an
deren Tagen veranstalten, gerade ein Schock aus 92 Gemeinden der Insel. Vier-
undzwanzig Bilder, deren mehrere wir aus der Schrift von Frl. M. Pitrè kennen,
veranschaulichen die Schilderungen.
286
Weinhold:
Das vorliegende Buch bringt zuerst eine einleitende Abhandlung über die
Patrociniumfeste in Sizilien und dann die ausführliche Beschreibung jener sechzig
Festini. Wir wollen aus der Einleitung einiges herausheben.
Die grossen Städte der Insel haben eine grössere Zahl von Schutzheiligen:
Hauptpatrone, dann gewöhnliche Patrone teils vom Senat gewählt, teils von den
Gemeindevätern. In Palermo war von 1654—1701 die Zahl der letzteren auf 31
gestiegen, im Jahre 1773 zählte man dort bis 15 Hauptpatrone, und über 20 vom
Senat gewählte. Die Patrone wechseln auch. Hat bei einem Unglück, einer
öffentlichen Gefahr ein Heiliger sich besonders kräftig erwiesen, so verdrängt er
einen anderen, der weniger hilfreich war (S. XVI). In manchen Orten stehen sich
auch zwei Heilige als Nebenbuhler gegenüber und jeder hat seine Partei, so sind
in Modica der hl. Georg und der hl. Petrus Nebenbuhler, und die Einwohner teilen
sich in Giorgesi und Petresi; in Comiso verehren die Nunziatari die Maria Annun-
ziata, die Immacolatari die Maria Immacolata u. s. w. (S. L).
Fast alle Schutzpatrone haben ihre Legende, weshalb sie an dern oder dem
Ort verehrt werden. Sie brachten z. B. in einer Pestepidemie die Rettung, wie
S. Rosalia in Palermo, der Crucifixus in Monreale, der hl. Geist in Gangi, S. Ca-
logero in Naro u. s. w. Oder in Hungersnöten schickten sie Getreideschiffe in die
Häfen, so S. Maria in Messina, S. Lucia in Syrakus, S. Cono in Naso. Zur Er-
innerung daran werden für die Prozession des Festes prächtige Galeren gezimmert
und auf den grossen Plätzen umgefahren. Nicht weniger verbreitet ist die Legende
von einer Statue oder einem Bilde meist der hl. Maria (selten eines Heiligen),
das von seinen Verehrern verlassen auf einem Ochsenwagen nach dem Orte fährt,
wo es fortan verehrt sein will; ein Typus, der in katholischen Ländern oft vor-
kommt. Andere Legenden betreffen die wunderbare Herstellung oder die Auf-
findung der Bilder der Ortsheiligen, oder die Hilfe, welche die verehrte Madonna
der Stadt den Normannen im Kampfe gegen die Sarazenen geleistet hat.
Verehrung ist kaum das richtige Wort; bei der lebhaften Sinnlichkeit der
Sizilianer und bei dem Übergewicht des Kultus über die innerliche Religion muss
man Anbetung der Heiligen sagen (S. XXVII). Ganz vorwiegend ist der Kultus
der hl. Maria, die mit den verschiedensten Beinamen verehrt wird: Annunziata,
Immacolata, Addolorata, Assunta, Madonna del Rosario, delle Grazie, dei Miracoli
u. s. w. Von den Heiligen wird S. Giuseppe am häufigsten verehrt, nächstdem
S. Giovanni Battista, S. Niccolò di Bari, S. Giorgio, S. Vito, Sa. Lucia, Sa. Rosalia.
Die Feste selbst werden mit einem Lärm und Gepränge ausgeführt, wie es
nur ein so heissblütiges Volk als das sizilianische leisten kann. Der ganze Ort
und alle Schichten der Einwohner beteiligen sich. Die Hauptfeste fallen in Frühling
und Sommer, und die in dem Winter liegenden, wie S. Lucia und S. Agata di
Catania, liegen eben in einem südlichen Winter. Den Mittelpunkt der Aufzüge
bilden die hochaufgebauten Triumphwagen der Heiligen, vergoldet, bemalt, mit
bunten Tüchern bekleidet, hoch über der ganzen Masse schwebend die Statue der
rosenumkränzten Heiligen, die von Engeln umgeben ist. Der berühmteste ist der
carro trionfale der hl. Rosalia von Palermo; aber auch die hl. Agata in Catania
erfreut sich eines ausgezeichneten, der gleich dem der hl. Rosalia zur Nach-
bildung ringsum verlockte. Der Lorberschmuck wird namentlich in Cerami an den
grossen Votivfahnen angebracht, von der auch Erzeugnisse der Jahreszeit: Hasen,
Kaninchen, selbst Schildkröten, dann Seidentücher und alles Mögliche herabhängt, ein
presente, ursprünglich das Opfer eines Hirten- und Fischervolkes für seine Gottheit.
In den Prozessionen ziehen noch andere wunderbare Gestalten auf, so die
stockwerkhohen Figuren des Riesen und der Riesin, und die kleinere des Kamels
Bücheranzeigen.
237
in Messina. Unter den lebenden Teilnehmern aber seien nicht vergessen die
nackten Büsser, wie sie in Melilli (Prov. Syrakus) noch in ganz mittelalterlicher
Art aufziehen, die, wie G. Pitre sagt (S. XLI1), keiner vergisst, der sie auch nur
einmal sah, dann die gefesselten Büsser, die lange Ketten, deren Gewicht sich
nach der Schwere der Sünden richtet, an ihren Füssen nachschleppen, wie man
sie in Mirabella Imbaccati und in Valguarnera an den Festen des hl. Joseph und
des hl. Christopherus, in Aidone am Philippustage sehen kann. Am schrecklichsten
aber ist lo strascico della lingua in S. Paolo in Palazzolo und in Solarino (Prov.
Siracusa), ausgeführt von Leuten niedrigster Art, die in irgend einer gefährlichen
Lage sich verlobten, in einer dieser Pauluskirchen auf dem Boden wie eine Schlange
kriechend von der Pforte bis zum Hochaltar das sandige Pflaster mit ihrer Zunge
zu lecken. Kommen sie an ihrem Ziele an, dann rufen sie wie trunken mit dem
blutenden Munde: Viva S. Pauluzzu beddu! und hoffen fortab von S. Paulus vor
allem Unheil geschützt zu werden.
Es wird genug sein, um auf dieses Buch aufmerksam zu machen, dem man
aus Frankreich, Spanien, Polen, Deutschland ähnliche Bücher zur Seite sehen
möchte. Denn es ist hier für den Volksforscher und Archäologen, für den Psycho-
logen, für den Ethiker eine Fülle des merkwürdigsten Stoffes geboten.
K. Weinhold.
Frederick Starr^ Catalogue of a Collection of Objects illustrating
the Folklore of Mexico. (Publications of the Folklore Society.
XLIIL) London 1899. 132 S. 8°. Mit 32 Abbildungen »ach Photo-
graphien.
Der Verfasser, Professor an der Universität Chicago, hat schon seit einer
Reihe von Jahren die Volkskunde des modernen Mexiko zum Gegenstande seines
besonderen Studiums gemacht. Durch Fragebogen, die er aussandte, und durch
wiederholte Reisen, die ja durch die vielfach das Land durchschneidenden Eisen-
bahnen jetzt sehr erleichtert sind, hat er ein ansehnliches Material zusammen-
gebracht und hat auch einzelne Abschnitte (die Rirchenfeste und ein volkstümliches
Schauspiel, das am 2j. Juli in Guadalajara aufgeführt wird) schon in besonderen
Abhandlungen beschrieben. In der heutigen, ausMischung spanischen und indianischen
Bluts hervorgegangenen christlichen Bevölkerung Mexikos hat sich viel von dem
spanischen Wesen der alten Zeit erhalten. Man findet zum Teil hier noch Gebräuche,
die im Mutterlande längst erloschen sind. Dabei haben sich auf dem fremden
Boden und durch die fremde Beimischung Besonderheiten herausgebildet, die eben die
Mexikaner zu einer besonderen Nation, die Bewohner dieser und jener Provinz zu
einer besonderen Schattierung dieser Nation machen. Das gegenwärtige Buch ist
eine Beschreibung einer Sammlung auf die Volkskunde dieses modernen Mexiko
sich beziehender Gegenstände, die der Verf. der Folklore Society zum Geschenk
gemacht hat, und die jetzt im University Museum of Archaeology and Ethnology
in Cambridge (England) aufbewahrt wird. Es ist nicht bloss eine durch Abbildung
einzelner Gegenstände illustrierte Aufzählung, sondern der Verf. hat bei jedem
Abschnitt ziemlich eingehende Erläuterungen gegeben, die das Buch in der That
zu einer Art Handbuch der Volkskunde wenigstens für gewisse Teile des heutigen
Mexiko machen.
Der Verf. beginnt mit einer Aufzählung der Erzeugnisse lokaler Industrien, die
ja jedem, der heute das Land besucht, bekannt sind, über die man aber doch mit
Interesse die genaueren Mitteilungen, die hier gegeben sind, lesen wird. Er
238
Selcr :
behandelt dann weiter Ladenschilder, Ausrufer, Volksbelustigungen (Stierkämpfe,
Hahnenkämpfe, Puppenspiele), Spielzeug und Kinderspiele, volkstümliche Feier der
kirchlichen Festtage, Amúlete und Zaubermittel, Zukunftsbefragung, Volksmedizin,
Weihgeschenke und die Marterwerkzeuge religiöser Busse.
Von besonderem Werte sind die Aufzeichnungen Starrs über Kinderspiele,
denen 32 Druckseiten (p. 34—75) gewidmet sind. Zahlreiche im Freien von
Knaben und Mädchen gespielte Spiele werden hier beschrieben, mit den Reimen,
die dabei gesprochen oder gesungen werden. Merkwürdige Figuren reproduziert
der Verf., die von den Kindern auf dem Boden aufgezeichnet werden und deren
verschiedene Abteilungen, nach gewissen Regeln, auf einem Beine hüpfend durch-
messen werden müssen. Herr Sidney Hartland, der Starrs Buch mit einigen Worten
einleitet, verweist auf die von Dr. Feilberg in Folklore vol. VI, p. 359 beschriebenen
Hüpfspiele der dänischen Kinder. Mir fiel in den Figuren ein von zwei Diagonalen
durchzogenes Rechteck auf, das als „Gesicht" bezeichnet wird, weil diese Figur
ganz ähnlich auf den vier Armen des Kreuzes vorkommt, das die altmexikanischen
Patolli-(Würfel-)spieler auf den Boden zeichneten.
Ein reiches Kapitel sind ferner die volkstümlichen Feiern kirchlicher Festtage.
Von den heiligen drei Königen bis Weihnachten ist jeder besondere kirchliche Tag
durch eine besondere allgemeine Feier, ein Gebäck, eine dramatische Vorführung
oder eine Belustigung ausgezeichnet, die mit dem Fest oft nur noch in losem
Zusammenhang steht. Am Karneval spielen ausgepustete Eier (cascarones), die
das ganze Jahr für dieses Fest gesammelt werden, und die bemalt, in wunderlicher,
oft sehr kostbarer Weise zu Masken oder ganzen Figuren ausgestattet werden, eine
grosse Rolle. In der Osterwoche werden Palmen, am Karfreitag Holzknarren ver-
kauft, und am Sonnabend vor Ostern eine mit Feuerwerkskörpern ausgestattete
Judasfigur verbrannt. Am Frohnleichnam wird in den Städten der Landschaft
Mechoacan den Kindern ein Tarasca gekauft, eine Art geflügelter Schlange, die,
auf einem kleinen Wägelchen gezogen, sich hebt und senkt. Es ist das wahr-
scheinlich eine Erinnerung an alte Gebräuche der Heidenzeit. Denn in derselben
Provinz werden an diesem Tage auch in den Kirchen Umzüge veranstaltet, wobei
allerhand Gewürm und Reptilien eine Rolle spielen. Am '25. Juli wird in einigen
Dörfern bei Guadalajara ein Drama aufgeführt —■ die Tastoanes (d. h. Tlätöua-
nimê „die Herren") —, das den Sieg der Christen über die heidnischen Indianer
feiert, und wobei die Darsteller sehr merkwürdige bemalte Thonmasken tragen.
Allerseelen wird durch verschiedene, der Bedeutung des Festes angemessene
Zeremonien im Hause, in den Kirchen und auf den Kirchhöfen gefeiert. Die
Indianer setzen ihren verstorbenen Angehörigen Speise und 'Crank hin. wobei die
Thüren weit aufgemacht werden, den Hunden aber ein Maulkorb angelegt wird!
Ausserdem aber werden überall aus Zuckergebäck hergestellte Bilder von Toten,.
Begräbnissen u. dergl., aber auch von allerhand Tieren, Früchten oder sonstigen
Gegenständen, zum Verkauf ausgestellt, und die Kinder und die Dienstboten damit
beschenkt. Aber auch aus Thon hergestellte Gliederpuppen (musizierende Skelette)
und anderes Spielzeug der Art. Gegen Weihnachten werden Christkrippchen auf-
gebaut, der Gesang der Hirten dramatisch aufgeführt, und in den Familien bittet
die Jungfrau Maria auf der Flucht nach Ägypten um Herberge. Im Korridor oder
auf dem Hofe wird die piñata aufgehängt, ein Topf, der mit allerhand angenehmen
oder spasshaften Dingen gefüllt ist. Nach ihm wird mit verbundenen Augen
geschlagen. Und wenn er getroffen ist, stürzt sich alles auf seinen Inhalt.
Von den Amuletten seien die Katzenaugen (kalkige Deckel von Kreiselschnccken)
erwähnt, die gegen bösen Blick getragen werden, und Kolibri, spanische Fliege,
Bücheranz eigen.
Totenflnger und Totenwirbel, die von Kaufleuten und von Dirnen getragen werden,
damit ihr Geschäft blühe. Für den noch allgemein verbreiteten Glauben an
Zauberei und Zauberer zeugen die Naguales, menschenköpfige Tierfiguren, aus
Thon gefertigt und mit Wolle bekleidet, die neben anderen Tierfiguren aus Thon
als Spielzeug für die Kinder verkauft werden. Nagual oder Naual nannten die
alten Mexikaner nämlich die Zauberer, die nach Belieben eine bestimmte Tier-
gestalt annahmen und in dieser allerhand Böses verübten.
Weihgeschenke — einzelne Glieder, menschliche Figuren, Herdentiere u. dgl.
mehr — werden en miniature und vorzugsweise aus Silber gefertigt. Sie sind an
allen Wallfahrtsorten zu finden und werden dort umgekehrt auch wieder an die
Gläubigen verkauft. Die religiösen Marterwerkzeuge, Brustgürtel, Geissein, sind
gegenwärtig wohl nur noch vereinzelt im Gebrauch. Doch haben private Sammler
noch ganz ansehnliche Serien dieser Dinge zusammenbringen können. An die
irischen cairn, die peruanischen apacheta erinnern die Steinhaufen, die man in
Kapellen oder vor Kreuzen am Wege findet, und denen jeder Wanderer einen
neuen Stein hinzufügt.
Sammlungen, wie die hier besprochenen, können natürlich nicht entfernt den
Anspruch auf Vollständigkeit machen. Auch erstrecken sich die Beobachtungen
Starrs hauptsächlich auf den durch die Eisentahnen erschlossenen nördlichen Teil
von Mexiko. Aber es ist an sich ein grosses Verdienst, dass solche Dinge, an
denen die meisten achtlos vorübergehen, gesammelt und sorgfältige Aufzeichnungen
darüber gemacht worden sind. Das Buch Starrs wird dem modernen Reisenden
nicht minder wie dem Volkskundigen eine willkommene Gabe sein.
Steglitz, April 1900. Ed. Seier.
Dr. Kudo 11' Temesváry, Frauenarzt in Budapest: Volksbräuche und
Aberglauben in der Geburtshülfe und der Pflege des Neugeborenen
in Ungarn. Mit 16 Abbildungen im Text. Leipzig, Th. Griebens Verlag
(L. Fernán), 1900. S. VIII. 148. 8°.
Unter den volkskundlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre mehren sich
solche in erfreulicher Weise, welche . dem weiten und vielseitigen Gebiete der
Volksheilkunde angehören. Die Volksgebräuche, welche hier bestehen, sind in
ganz besonders hohem Masse gefährdet, zu verschwinden und der Vergessenheit
anheim zu fallen. Denn glücklicherweise macht die Aufklärung über gesundheit-
liche und hygienische Anforderungen mit der sich steigernden Ausbreitung und
Vermehrung der Verkehrswege immer grössere und wichtige Fortschritte selbst in
solchen Ländern Europas, in welchen alter Brauch und alte Volkssitte bisher fast
unerschütterlich festzustehen schien. Es ist daher auch in diesen Ländern bereits
die allerhöchste Zeit, das noch Bestehende sorgfältig zu sammeln und für die
Volkskunde festzulegen. Für Ungarn mit seinen vielen Völkerschaften hat dieses
in Bezug auf dasjenige, was sich auf die Fortpflanzung des Menschen bezieht, in
sorgsamster Weise Temesváry gethan. Er hat einen 43 Fragen enthaltenden
Fragebogen ausgearbeitet und denselben über das ganze Land verschickt. "Von
120 Ärzten und von 170 Hebammen sind ihm ausführliche Antworten zu teil ge-
worden, und ungefähr 12 000 Angaben hat er in seinem Buche verarbeitet. Die
Menstruation, die zufällige und die künstliche Sterilität, die Schwangerschaft, die
Geburt, das Wochenbett, das Säugegeschäft und die Pflege des jungen Kindes
sind darin berücksichtigt worden. Jedes dieser Hauptkapitel ist noch in eine
240
Bartels: Bûcherai!zeigen.
Anzahl von Unterabteilungen zerlegt. Wie es uns nicht überraschen kann, ist
mancher der angeführten Gebräuche in der gleichen oder in ähnlicher Form auch
bei anderen Völkern Europas gebräuchlich. Vieles aber ist auch ganz eigenartig
und bisher von anderen Stämmen nicht bekannt. Das, was man in der Volksmedizin
in kurzem als Dreckapotheke zu bezeichnen pflegt, wird in überreichem Masse in
Anwendung gezogen. Die Furcht vor der Reinlichkeit und vor einer verständigen
Körperpflege zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Gebräuche
hin. Der Glaube an übernatürliche Kräfte spielt natürlicherweise auch eine wichtige
Rolle. Die dem Buche beigegebenen Abbildungen führen allerlei Wiegen und Lauf-
stühle vor. Bei alle den vielen Thatsachen ist mit möglichster Genauigkeit angegeben,
an welchem Platze des weiten Landes der betreffende Gebrauch noch herrschend ist,
und um welchen Volksstamm es sich handelt. Denn in Ungarn wohnen bekanntlich
oft mehrere Volksstämme dicht durchmischt auf dem gleichen Gebiete zusammen, und
doch hat hier oft jedes einzelne Volk streng seine eigenen Gebräuche erhalten.
Das ist natürlich um so mehr der Fall, wenn auch noch Glaubensunterschiede
hinzutreten; denn neben dem Katholiken begegnen wir dem griechisch-orthodoxen
Christen, und neben dem Juden dem Zigeuner, dessen äusserliches Christentum
nur den Deckmantel eines echten Heidenglaubens bildet. Temesvárys Buch ist
gut geordnet und gut ausgestattet, und bei der grossen Zahl der interessanten
Angaben wird ihm ein weiter Leserkreis sicher sein.
Max Bartels.
Einlaufe.
Bei Verwechslung von Volkskunde mit Völkerkunde, sogar mit Volkswirtschaft;
ebenso bei der Annahme, dass unsere Zeitschrift gleich der Lazarus-Steinthalschen
Vorgängerin die Sprachwissenschaft in ihren Bereich ziehe, senden die Herren
Verleger nicht selten Bücher und Schriften ein, die nicht zur Besprechung kommen
können. Wir bitten also um geneigte Berücksichtigung dieser Note und wollen
für dieses Mal die Titel solcher Bücher aufführen, die wir zurücklegen müssen:
Bernhard Schmidt, Die Insel Zakynthos. Erlebtes und Erforschtes. Freiburg i. B.
Fehsenfeid, 1899.
Zd. Schubert v. Soldern, Die Baudenkmale von Samarkand. Wien, Spielhagen
und Schurich, 1898.
Derselbe, Bochara. Architektonische Reiseskizzen. Wien, ebenda, 1899.
John Mathew, Eaglehawk and Crow, a study of the Australian aborigines, including
an inquiry into their origin and a surwey of Australian languages. London,
David Nutt, 1899.
Otto Hübners, Geographisch - statistische Tabellen. 48. Ausgabe für 1899 von
Fr. v. Juraschek. Frankfurt a. M., Keller.
Herrn. Osthoff, Vom Suppletivwesen der indogermanischen Sprachen. Heidelberg,
A. Wolff, 1900. 4°.
F. Blumentritt, Die Philippinen. Hamburg (vorm. J. F. Richter) 1900. 8°.
Forschungen zur Geschichte Bayerns. Vierteljahrsschrift, herausgegeben von
K. v. Reinhardstöttner. Vili, 1. Berlin, H. Bermühler, 1900. S9.
Roediger: Protokolle.
241
Aus den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 23. Februar 1900. Fräulein M. Lehmann-Filhés legte im
Anschluss an ihre Funde und Erörterungen Zeitschr. 9, 24 ff. neu von ihr erworbenes
Material zur Brettchen - Weberei vor, das Herr Sökeland erläuterte. Auf
seiner armenischen Reise kaufte Herr Dr. Karl Lehmann in Mosul einem webenden
Manne sein ganzes Gerät und das in Arbeit befindliche Band ab. Der Apparat
stimmt genau zu dem a. a. 0. geschilderten, von Herrn Geheimrat Di'. Bartels in
Kutais gefundenen. Herr Dr. K. Lehmann ist der Ansicht, dass diese primitive Weberei,
wie so viele Künste des Ostens und Westens, ursprünglich in Babylonien heimisch
sei. An einem in grossem Massstab hergestellten Apparat und einem von Fräulein
Lehmann-Filhés gewobenen Musterband, angefertigt mit Hilfe von "24 Täfelchen zu
je 4 Fäden, führte Herr Sökeland den Hergang bei der Arbeit vor. — Darauf
sprach Fräulein Elisabeth Lemke über den Wachholder. Es wurden zunächst
die verschiedenen Namen angeführt und erörtert: Wachholder, Weckholder, Queck-
und Quickholder, Machholder, Machandel, Kranewitt, Kaddick, Feuerbaum u. s. w.
An die heilkräftige und abergläubische Verwendung des Räucherns mit Beeren,
Harz und Holz schloss sich die Bedeutung des grünen Strauchs, u. a. der zur
„Lebensrute" dienenden Zweige (Pfeffern, Schmackostern, Wepel-rôt, Balm), der
Benutzung bei Festlichkeiten, auf Kirchhöfen u. a. mehr. Sodann ward auf
mancherlei Zauberwerk, auf Sagen und Märchen verwiesen, in denen der Wach-
holder gleichfalls Bürgschaft für gedeihliches Leben wie Abwehr des Übels be-
deutet oder vermittelt. Hieran knüpften sich die Mitteilungen aus der Heilkunde
sowie die Verwertung des Wachholders in der Küche und bei Herstellung von
Bier und Schnaps. Die Benutzung des Holzes bei Drechslern, Tischlern u. s. w.
und ein kurzer Hinweis auf ein buntes Allerlei, in dem der Wachholder eine Rolle
spielt, bildeten den Schluss. — Endlich zeigte Herr Geheimrat Weinhold Leb-
zeltenformen aus Hallein. Die Pfefferküchler schnitten sie selbst, wie u. a. aus
Holteis Gedicht von Lessing und dem Pfefferküchler hervorgeht. Von besonderem
Werte sind die menschlichen Figuren, insofern als sie über die Tracht der Ent-
stehungszeit Auskunft geben. Das hiesige Trachtenmuseum sammelt deswegen
auch Lebkuchen- und Butterformen. . Der Vortragende legte Formen mit Dameii
des 17. Jahrhunderts, mit einem Herrn und einer Dame aus dem 18. vor. Andere
zeigten Maria mit dem Christkind und den Erzengel Michael (17. Jahrhundert),
wieder andere einen Hahn, aber auch den zauberhaften Hahnreiter, über den
Zeitschrift 6, 320 ff. zu vergleichen ist, teils als wirklichen Reiter, teils angedeutet
durch einen Menschen mit Hahnenkopf. — Der Ausschuss wählte zu seinem Ob-
mann Herrn Geheimrat Ernst Priedel von neuem.
Freitag-, den 23. März 1900. Herr Geheimrat Weinhold wies eine etwa
apfelgrosse, mit langen Stacheln besetzte Kugel vor, beides aus Holz im
Suldener Thal gefertigt. Man bringt sie in Tirol und der Westschweiz zum Opfer
^ar, als abwehrendes oder heilendes Mittel gegen Krankheiten der Gebärmutter.
Herr Geheimrat Friedel machte Mitteilungen über berlinische Strassenaus-
rufe, veranlasst durch den Weinholdschen Hinweis auf hamburgische (vgl. Zeit-
schrift 9, 349). Sie stehen in Zusammenhang mit der bildlichen Darstellung von
Scenen aus dem Leben des Volkes oder einzelner Gesellschaftsklassen, wie wir
242
Roediger:
sie bei Murillo, den Niederländern, bei Callot, Hogart und unserem Chodowiecki
sehen. Typen mit ihren Ausrufen finden wir zuerst in den Diverse figure des
Annibale Carracci, Bologna 1G00. 1711 erschienen dann The crys of London,
1748. 49 schweizerische Rufe, 1750. und 89 Les cris de Paris, 1791, Leipziger, 1775
"Wiener, 1740 Göttinger, 1789 Nürnberger. Der Titel Cris steht fest für derartige
Werke, auch für die deutschen. Les cris de Berlin sind wahrscheinlich 1790
herausgekommen. Es sind 12 Bilder von Strassenverkäufern und Verkäuferinnen,
die auch durch die Gebäude u. s. w. des Hintergrundes Wert haben. Die
Ausrufe stehen darunter, den des Äpfelhändlers „Appel, Appel, Appel, Äpp"
kann man heute noch hören, freilich nicht mehr in den feinen Stadtgegenden.
Auch andere Ausrufe erschallen noch in Berlin. Herr Rektor Monke hat ihrer
gegen 100 zusammengebracht. — Schliesslich sprach Herr Prof. Brandl über den
Ursprung der englisch - schottischen Balladendichtung. Seit dem Jahre
1720 ist keine Ballade in England und Schottland mehr entstanden. Die letzte
behandelt die Hinrichtung der vornehmen Schottin Mary Hamilton in Petersburg,
•einer Geliebten Peters des Grossen. Zur Form der Ballade gehört der Endreim,
sie kann also erst nach dem 10. Jahrh. ihren Anfang genommen haben. Der
Name wechselt seine Bedeutung. Im 14. Jahrh. versteht man in England unter
Ballade ein Gedicht, worin alle Strophen mit demselben Wort oder Verse schliessen.
Zu Shakespeares Zeit ist sie ein Bänkelsängerlied, im 18. Jahrh. und heute noch
ein Lied im allgemeinen. In unserem Sinne wird das Wort erst seit 1765 ge-
braucht, wo Percys Reliques of ancient English Poetry erschienen, in Deutschland
seit Bürger und Herder. Man versteht darunter ein frisches, volkstümliches,
kühnes, sangbares Gedicht, das ernsthaft oder scherzhaft sein kann. Es darf nicht
Standespoesie sein, sondern muss sich an alle wenden. Auch Bänkelsängerlieder
gehören nicht dazu. Das wichtigste Kriterium einer Volksballade ist: sie muss
im Volksmunde leben, muss Variationen erzeugen. Sie darf von einem Kunst-
dichter herrühren, wird aber umgedichtet. Solche echte Volksballaden giebt es in
England und Schottland gegen 300. Ihre Betrachtung lässt ein metrisches Merkmal
hervortreten: ihre Verse bestehen alle aus vier Füssen mit paarweisen Reimen.
Der Rhythmus ist lose, die Senkungen dürfen mehrsilbig sein oder auch fehlen.
Der Vers zerfällt in Dipodien und hat eine Cäsur in der Mitte. In jeder Reim-
zeile darf nur eine Thatsache vorgebracht werden. Diese Eigentümlichkeiten
sind gut bewahrt in Goethes König in Thüle und im Erlkönig, nicht aber im
Sänger. Was den Stil anlangt, .so finden wir keine Fremdwörter, die nach dem
14. Jahrh. ins Englische aufgenommen sind. Es giebt keine komplizierten Satz-
konstruktionen, z. B. keine Absichtssätze; auch keine Tropen und schmückenden
Beiwörter. Inhaltlich sind die Balladen nie lehrhaft, nie philosophisch, nie morali-
sierend, aber auch nie schlüpfrig, sondern immer naiv. Die Gattung erbt sich
fort durch Lernen aus Vorbildern. Sie ging von den Gebildeten aus und kam
dann ins Volk, während die Gebildeten eine neue Mode annahmen — der ge-
wöhnliche Gang der Entwicklung. Zuerst treffen wir diese Form um 1170 bei
den Geistlichen, und zwar für erbauliche Stoffe; in der ersten Bälfte des 13. Jahrh.
bei weltlichen Dichtern, in der zweiten Hälfte schon beim Volk. Allitterierende
Volkslieder giebts nicht mehr. Im 15. Jahrh. finden die ersten Aufzeichnungen
statt. Die süd- und mittelenglischen Balladen sind lustig, die nordenglischen und
schottischen ernst. 1375 kommt die erste Anspielung auf Volksballaden in Barbours
Epos Robert Bruce vor, also in Schottland, zur selben Zeit in England eine An-
spielung auf Balladen von Robin Hood. Auch innere Spuren deuten auf das Ende
des 13. Jahrh. als Entstehungszeit der Volksballaden. Die Kulturverhältnisse
Protokolle.
243
gaben einen mächtigen Antrieb zum Erzählen von wunderbaren und anekdoten-
haften Dingen her. und die volkstümlichen Dichter bedienten sich dazu der sang-
baren, von den Geistlichen aufgebrachten Balladenform. Die Dichtung der Ge-
bildeten drang nicht ins Volk, denn sie war nicht sangbar und normannisch. —
Die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen den Balladen und den alten epischen
Einzelliedern besteht, ist sehr schwierig zu beantworten. Wir besitzen keine
sicheren Einzellieder; allenfalls sind Siegmunds Drachenkampf und das Lied von
Finn dafür anzusehen. Aber dann klafft eine Lücke von Jahrhunderten. Der
Gesamttypus des germanischen Heldensanges und der Balladen lässt sich ja ver-
gleichen. Es kommt an 1. auf das Gefolgswesen. das in der Ballade noch lebendig
ist. Wir finden noch den Kampf des Helden für das Allgemeinwohl und den
König: der Kunstdichtung ist das fremd, da ist der Held ein Abenteurer. 2. Das
altgermanische Heldenlied wie die Volksballade detaillieren nicht, sind weder ruhig
noch objektiv, heben nicht das Körperliche, Äusserliche hervor, sondern das Inner-
liche, das Gemütsleben. 3. Beiden sind alte Motive gemein, z. B. Entführung und
Verfolgung, und 4. mythische Stoffe und Figuren. Bei den zwei letzten Punkten
sind allerdings die Stoffwanderungen zu beachten, sodass nicht notwendig ein un-
unterbrochener Zusammenhang dadurch erwiesen wird. Aber eine Nachwirkung
der alten epischen Lieder scheint doch vorhanden zu sein und zur Ausbildung der
Balladen beigetragen zu haben. Rein romanisch oder keltisch sind sie nicht.
Daher fanden sie auch so begeisterte Aufnahme in Deutschland und ist umgekehrt
immer dann ein Blühen der englisch - schottischen Ballade festzustellen, wenn
deutscher Einlluss auf England waltet.
Freitag, den 27. April 1900. Herr Syndikus Dr. Minden stellte ein bürger-
liches Brautkleid aus, das zu Alt-Strelitz im Jahre 18*21 getragen worden ist. Es
zeichnete sich durch die Trefflichkeit des Seidenstoffes und der Nähte, und überaus
einfache Machart aus. Herr Geheimrat Dr. Weinhold legte einen zierlichen Palm
aus der Nähe von Tölz vor, über den oben S. 227 zu vergleichen ist. Herr Privat-
docent Dr. Huth erfüllte sein im November 1897 gegebenes Versprechen, dem
Verein über den wissenschaftlichen Ertrag seiner Reise zu den Tungusen am
Jenissei Mitteilungen zu machen, indem er von der Volkspoesie der Tungusen
und ihrer ethnologischen Ausbeute nach eigenen Aufzeichnungen berichtete. Nur
durch Zusammenleben des Reisenden mit den Tungusen in ihrem Zeltlager gelang
es, nach früheren vergeblichen Versuchen, ihnen Erzeugnisse ihrer volkstümlichen
Dichtung abzugewinnen, und zwar unter Hilfe oft wiederholter Schnapsspenden.
Das Diktieren, die Hinzufügung einer russischen Übersetzung waren diesen völlig
unterrichtslosen Leuten sehr unbequem. Der Rest eines Epos war in einer alter-
tümlichen Sprache abgefasst, die sie selbst nicht mehr verstanden. Der Redner
teilte 1. ein Wiegenlied mit, worin die Mutter ihre Freude über ihren schlafenden
Knaben äussert. 2. Ein Lied von einem Mädchen, dass sich einem jungen Manne
hingegeben hat und Verstössen wird. Es sind vier Strophen zu je vier Versen mit
Allitteration — die auch bei den sprachverwandten Stämmen ganz gewöhnlich ist
— und Parallelismus membrorum. Kaufpreis und Mitgift des Mädchens werden
erwähnt, sie fallen aber bei der Entführten fort. Das Lied äussert mehr Ärger
über das Entgehen des Kaufpreises als über die Schande. Aus der Notiz eines
Reisenden über analoge Vorfälle bei den Baikal-Tungusen schliesst der Redner,
dass diese minder habgierig und ehrliebender seien, giebt aber zu, dass auch
Unterschiede obwalten können, je nachdem das Mädchen mit oder wider Willen
entführt worden ist. o. Ein sehr inniges und ergreifendes Klagelied eines ver-
waisten Mädchens, das neben entsprechenden Stücken aus der Poesie anderer
•J44 Roediger: Protokolle.
»
Völker vollauf bestehen kann. Auch hierin AIlitteration. Es ist ein altes Lied.
Zu Eingang spricht ein Chor, der wohl zweigeteilt ist, dann eine einzelne Stimme.
Solche Verteilung ist auch für No. 2 wahrscheinlich. 4. Brüchstück ans einem
alten epischen Liede, ebenfalls allitterierend. Es handelt von einem Helden Moräwul
und seinem "Weibe. Eine ähnliche Sage findet sich bei den Golden am Ussuri.
5. Ein Schamanenspruch gegen schmerzende Gliedmassen. Nur wenige Worte,
die eine Anrede an den Krankheitsdämon bilden. Herr Dr. Huth schilderte das
Verfahren bei der Anwendung des Spruches. Die Tungusen sind übrigens Christen,
wenn auch nur äusserlich. 6. Ein Schamanenspruch gegen die Pocken. Alle
Hunde im Dorf sollen getötet werden; ihre Geister sollen den Dämon in das
Dorf, woher er kam, zurücktreiben. So erklärte der tungusische Gewährsmann
den Spruch: in Wahrheit sind die Hunde eine Lockspeise, die den Dämon ver-
anlassen soll, aus dem Körper herauszukommen. 7. Ein Schamanenspruch bei
langsamem Gebären und <S. ein Heiratsspruch. Der Stil aller dieser Erzeugnisse
ist einfach und schmucklos. — Herr Sökeland hat aus der Niederlausitz erfahren,
dass die Braut vor der Trauung zwei Citronen auf den Altar lege. Er fragt,
ob das auch anderwärts vorkomme? Herr Geheimrat Weinhold kennt die Citrone
als sakrales Opfer aus Sizilien, aus Deutschland aber nur ihren Gebrauch bei
Begräbnissen, indem die Leichenträger, sowie der Geistliche, der Kantor und der
Küster, welche bei der Beerdigung sind, Citronen erhalten, die sie in der Hand
tragen, wahrscheinlich zum Schutz gegen den Leichengeruch. So in Schlesien.
Bei den Heanzen, den Deutschen an der ungarisch-steirischen Grenze im Öden-
burger Komitat, schliesst den langen Hochzeitzug zur Kirche die einzige teil-
nehmende verheiratete Frau, die zwei Orangen in einem weissen Tuche trägt, die
rechts und links auf den Altar gelegt werden, als Opfer für den Geistlichen.
Max Roediger.
Sclilesische Pflngstgebränche.
Von Paul Drechsler.
Mai und Pfingsten, das liebliche Fest, fallen in Sitte und Brauch
vielfach zusammen. Die Natur entfaltet sich in drängender Fülle zum
blütenreichen Sommer und zieht den Menschen mit Allgewalt ins Freie,
damit er sich in gemeinsamem Regen und Bewegen der hohen Zeit erfreue.
Hinter dieser echt volksmässigen Naturfreude tritt die kirchliche Seite
des Pfingstfestes etwas zurück, und ziemlich formelhaft verblasst klingt
der alte Pfmgstgruss: Ich wünsche Euch glückliche und gesunde Feiertage
und die sieben Gaben des heiligen Geistes! (Mitteil. d. Schles. Gesell-
schaft f. Volkskunde, IV, 53.)
Ganz besonders ist oder war es Urvätersitte, zu Pfingsten, wie ander-
wärts am 1. Mai, das Vieh auszutreiben. Wird am ersten Pfmgsttage
das Vieh im Tau gehütet, giebt es reichlich Milch, heisst es in der Saganer
Gegend, wie nach dem Glauben der Viehzucht treibenden Bergbewohner
in Steiermark der Pfingsttau das liebe Vieh gegen die Hexen schützt
(Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde 1895, 407). Daraus entwickelte sich
fin wetteiferndes Spiel der Hirten, ' das dem früher Austreibenden Ehre,
dem zuletzt Kommenden Spott einträgt. Am Abende des ersten Pfingst-
tages gehen die Hütejungen unter lautem Peitschenknall und „Getute"
(besonders um Sprottau) im Dorfe herum und zeigen hierdurch an, dass
anderen Morgen das Vieh zum erstenmale auf die Hutung getrieben
wird. Wer am nächsten Morgen verschläft und als der letzte austreibt,
heisst der Rauchfiess, Rauhfiest oder Rauchfeiz, Rauchfistel, auch Rau-
pfiez, in polnischen Gegenden Rochwist. Er wird nachmittags ganz in
Laub gekleidet, mit einer Binsenkrone gekrönt und mit Schellen, Bildern
"nd Bändern behängt, auf einen freien Platz gestellt, wo er Gegenstand
'les Spottes ist; oder er wird unter Peitschenknall inmitten einer grossen
Schar Begleiter durchs Dorf geführt, wobei ein Vorläufer mit einem langen
Besen von Dornen voraneilt und die Strassenjugend abwehrt. Bei jedem
Hause wird Halt gemacht und eine Gabe erbeten (Sprottau, Glogau, Oels);
vgl. Schles. Provinzialbl. 1864, 258. Abends vereinigt ein Tanz die Teil-
^eitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. ^
246
Drechsler :
nehmer. Diesen Verlauf, mit örtlichen Abänderungen, Zuthaten oder
Weglassungen, nahm früher überall in Schlesien das Rauchfiessaus-
treiben. In neuerer Zeit ist es fast gänzlich verschwunden, lebt aber
noch in der Erinnerung der älteren Leute. Auf meine Frage,, warum man
diesen allgemein beliebten und geübten Brauch einschlafen lasse, ant-
wortete mir in Ellgut bei Kreuzburg eine alte Bäuerin: „Das ist jetzt halt
nicht mehr! Heute haben wir StaUfutterung, und es wird nur noch selten
gehütet, denn wir kriegen ja keine Hütejungen. — Statt Hütejunge zu
spielen, geht der Hütejunge als Handlanger oder sonst etwas wohin, hat das
,grosse Leben' und bekommt womöglich eine Mark auf den Tag." Andere
Zeiten, andere Sitten. — In Kortnitz bei Sprottau freute sich eine Alte
über die Erwähnung des Rauchfiesses und wurde lebhaft bei der Erinnerung
an den allgemeinen Dorfjubel, der zu Pfingsten einst dabei laut wurde.
Sie hatte bei dem Rauchfiess-Umzuge selbst mitgesungen:
Rauchfiess, Rauchfiess,
Aller Leute — wisch!
Gestern als der Puscli (Busch) brannt',
Kam der Rauchfiess angerannt.
Hätt' er nicht so lang geschlafen,
Braucht' er heut nicht Rauchfiess lafen! —
Der Rauchfiess, der in einem rauhen Gewände steckende Fiess oder
Fiez, ein Spottwort, das im Schlesischen geläufig ist und in Hemdefiess,
Hosenfiez, Klösselfiez, Taubenfiez u. s. w. begegnet (doch sieh unten S. 248
Weinholds Erklärung), ist der Wintergeist, der im Busche den Winter-
schlaf hielt und von der Sommersonne endlich vertrieben wird.
Wer in der Grafschaft Glatz am Pfingstsonntag zuletzt aus den Federn
kroch, wurde wie der Rauchfiess als Pfingstlümmel oder Pfingstl1)
gehänselt; auch umsteckte man liier und da sein Bett mit grünen Zweigen.
— Wer zu Mittag zuletzt austrieb, hiess in Waltersdorf bei Sprottau
„Tellerlecker": „Tellerlecker, andrer Leute — quecker!"
Auf der rechten Oderseite hat sich, als der gemeinsame Yiehaustrieb
schon aufgehört hatte, das Austreiben des Wintergeistes folgendermassen
erhalten: Am Nachmittage des zweiten Pfingstfeiertages wurde ein er-
wachsener Knabe, der sich freiwillig dazu erboten hatte oder der gewählt
worden war, als Raup fiess2) aufgeputzt. Er hat alte Kleider an, in recht
bunten, auffälligen Farben wie ein Pöjäz (Bajazzo), trägt als Obergewand
ein altes Hemde und auf dem Kopfe einen alten Hut mit recht breiter
Krämpe. So nimmt er auf dem Vordergestell eines gewöhnlichen Arbeit-
wagens Platz. Auf den die Deichsel einschliessenden Scheren, die sich
hinter der Achse verlängern und durch das Rückscheit verbunden sind,
werden, gleich den Vorderrungen, noch zwei starke Stäbe aufrecht befestigt.
1) Derselbe Name wie in Niederbayern: Panzer, Bayr. Sagen and Bräuche 1, 235 f.
2) Raup- für Rauch- begegnet auch im schlesischen Raupbeere für Stachelbeere.
Schlesische Pfingstgebräuche.
247
Dieser Halbwagen wird mit grünen Laubreisern vollständig ausgeschmückt
und so weit nach oben ausgeflochten, wie die Stäbe reichen, so dass der
Raupfiess in einem viereckigen Laubraume steht. Hierhin nimmt er sich
€in Gefäss voll nicht zu weichen Schlammes mit. An den Wagen spannen
sich vier oder sechs Burschen als „Färe" (Pferde); vor ihnen geht ein
Pfingstbursche mit langer Peitsche, um durch Knallen und Schreien das
iSahen des Rauchfiesses zu verkünden. Der Zug wird von der Dorfjugend,
umringt und auf alle Weise geneckt. Wird der Spass den „Pferden" zu
arg, so halten sie und rufen: „Rauchfiess, wirf aus!", worauf dieser den
Schwärm mit Schlamm bewirft und unflätig schimpft. Häufig hört man:
Alte Hure, mich durstet!
Unterdessen gehen zwei Burschen in Feiertagskleidung, mit schönem
blumengeschmückten Hute und feinen Stäben, die mit roten Bändern geziert
sind, in der Hand, als Rauchfies sbitter von Haus zu Haus. Beim
Eintritt spricht der eine folgende Pfingstbitte:
Ist der Herr Wirt und die Frau Wirtin
zu Hause?
Doch fürchtet nicht, wir kommen zu
keinem Schmause.
Wir wollen nur erzählen, nicht
schmausen:
Die schwarze Katze will mausen;
Doch nicht die schwarze nur allein,
Die weisse will auch dabei sein. —
Wir waren auch verreist in fremder
Welt,
Doch da bekamen wir fast gar kein
Geld.
Wir sind z. B. gewesen in Sachsen,
Wo die jungen Mädchen auf den
Bäumen wachsen.
Da sind sie auch sehr wohlfeil,
Man kriegt ein halb Schock für ein
Strohseil.
Wir sind auch gewesen in Ungern,
Da litten wir Durst und mussten
hungern.
Wir sahen daselbst auch viele gekappte
Lerchen,
Die fanden in die Wirtshäuser besser
als in die Kirchen.
Durst und Hunger hat uns gezwungen,
Dass wir sind nach Frankreich
gekummen.
In Frankreich sollten sein die Bauern
reich,
Doch wir fanden 's anders allsogleich:
Der erste musste sterben,
Der andre musst' verderben,
Der dritte musst' entlaufen,
Der vierte musst' verkaufen,
Der fünfte nahm den Bettelsack
Und schlug den sechsten bis in Grab.
So sind wir nun wieder in Eut er Mitten
Und wollten den Herrn und die Frau
schön bitten,
Dass sie uns möchten eine Gabe mitteilen,
Damit wir auch können den kranken
Rauchfiess heilen.
• Sobald der Bittende eine Gabe an Geld in Empfang genommen hat,
sagt der andere den Dank dafür:
Habt Dank, habt Dank für Eure Gaben,
Die wir von Euch empfangen haben.
Wenn Ihr werd't kommen auf unser Feld,
So werd't Ihr finden eine Metze Geld.
Werdet Ihr 's Euch nicht aufheben,
So dürft Ihr uns keine Schuld geben.
17*
248
Drechsler:
Der Ertrag der Sammlung wird unter die Genossen verteilt. Zum
Schluss wird der Rauchfiess wieder aus dem Dorfe hinaus und zu einem
nicht zu tiefen Teiche gefahren, worein er mit dem Wagen zur allgemeinen
Belustigung geworfen wird.1) Dieser Brauch dauerte in Nieder- und
Mittelschlesien bis gegen 1850 (vgl. Provinzbl. 1870, 289 f.; Mitteil. Y, 59f.)^
wozu ich ganz ähnliches in Waltersdorf bei Sprottau hörte. — Der Winter-
geist wird also wie der Tod am Lätaresonntag, der bekanntlich auch nur
den Winter versinnbildlicht, ausgetrieben und schliesslich von dem vor-
dringenden Sommer vernichtet. „Hätte er nicht so lange geschlafen", so
brauchte er jetzt nicht mit Spott abzuziehen.
In der Ohlauer Gegend bekleidet man den Rauchfiess mit Erbsenstroh
(wie zu anderer Zeit der Erbsenbär zugerichtet wird) und steckt ihn in
einen grossen Spreukorb. An dem Hute trägt er einen Flederwisch, in
der Rechten schwingt er einen riesigen grobgeschnitzen Kochlöffel, womit
er aus einem Eimer auf die neckenden Jungen Schlamm wirft und nasse
Ohrfeigen austeilt.
Im 17. Jahrhundert zeugt für Rauchfiess die schon oben aus der Graf-
schaft Glatz beigebrachte Bezeichnung Pfingstlümmel des Leobschützer
Wenzel Scherffer, der in seinen Gedichten (Brieg 1652) S. 410 erklärt: „Ein
Pfingstlümmel ist ein fünfzigfacher Lümmel, wohl wegen der unflätigen Reden,
die der grobe ,Lümmel von Pfingsten' ausstösst." Jetzt führt diesen Namen
hin und wieder noch der Festordner beim Rauchfiess-Umzuge und bei der
darauf folgenden Tanzmusik. Im polnischen Ober-Schlesien heisst eine
dem Rauchfiess ganz verwandte Gestalt bald Król, König, bald Niedzwiez,
Bär, was wieder an den Erbsenbär erinnert. Hierauf fusst Weinhold und
erklärt, dass Rauchfiess aus Rauchfuss entstellt sei und den Bären bezeichne
(Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde, III, 7).
Die Bedeutung des Pfingstfestes für die Herden bezeugt in Schlesien
auch das noch vielfach übliche Bekränzen des Viehes oder doch der Kühe
und namentlich des Zuchtstiers, des Bremmeis, worauf das landläufige
Sprichwort hinweist: „aufgedonnert, d. h. aufgeputzt, wie ein Pfingstochse".
Vielleicht wurde, wie in der Mark, auch hier zu Lande das erste Tier,
welches auf der Weide anlangte, aufgeputzt (Grimm, Mythol.2, 655). Heute
neckt man in Kreuzburg O.-S. den am 1. April oder 1. Mai Gefoppten
mit dem Zurufe: „A Pfingst-, a Pfingst-, a Maiochse!" Doch mag der
blumenbekränzte Pfingststier auch auf ein altes Frühlingsopfer hinweisen.
Pfingsten ist ferner bei Czechen und Polen das Sommerfest (letnica),
das im Freien inmitten des üppigen Blatt- und Blumenschmuckes der
Natur begangen wurde. Reste von solchem Brauche haben sich auch in
deutschen Gegenden Schlesiens mit Zustimmung der Kirche erhalten. Zu
1) Vgl. über verwandte Bräuche: K. Weinhold, Zur Geschichte des heidnischen Ritus,
Berlin 1896, S. 20. — E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde, Strassburg 1898, S. 144f.
Schlesische Pfingstgebräuclie.
249
Pfingsten schmückt man im ganzen weiten Schlesien in den Gotteshäusern
die Altäre und Bankenden mit jungen Birken, ziert die Wohnhäuser an
Thüren und Fenstern mit frischen Stämmchen und Reisern, mit Schilf,
Kohr und anderem Grün, besonders mit Kalmus, das auch auf die Stuben-
dielen gestreut wird. Selbst der Müller putzt die Windmühlflügel mit
Birkenreisern, und durch den rauch erfüll ten Industriebezirk Oberschlesiens
saust die elektrische Bahn, mit Grün geschmückt. Auch der Volksglaube
knüpft hier an. Ruten aus Pfingstmaien, wie die Pfingststämmchen heissen,
sind in der Kindererziehung besonders wirksam (Rothenburg, Sprottau).
Pfingstmaien an den Hausthüren und Kammerfenstern halten das Böse ab
und bringen Segen (Ober- und Niederschlesien). Dem Absud von Kalmus
schreibt mau Heilkraft zu und badet darin kranke Kinder (Sprottau,
Breslau, Beuthen O.-S.).
In der Nacht vom Pfingstsonnabend zum Sonntag werden, wie am
1. Mai, vor den Häusern und auf freien Plätzen mit Bändern, Tüchern
und Reisig geschmückte Pfingststangen, Pfingstbäume, Maien er-
richtet und bleiben bis nach den Feiertagen stehen, worauf sie in fest-
lichem Aufzuge unter Scherz, Musik und folgendem Tanze wieder herab-
gelassen werden.
Früher flammten am Vorabende des Pfingstfestes von den Hügeln
und Bergen, von dem nach Schlesien streifenden Karpathenzuge die
Höhenkette und ihr Vorland entlang bis hin zum Riesengebirge, die
Pfingstfeuer in die Ebene hinab, wovon J. G. Berndt in seinem Versuch
zu einem schlesischen Idiotikon S. 96 (Stendal 1787) zuletzt ausführlich
berichtete. Am späten Nachmittag des zweiten und dritten Pfingstfeiertags,
gewöhnlich kurz bevor die Abendglocke ertönte, entzündeten die Hirten
Jachandel- (Wachholder-) und Fichtenäste und dämpften die Flamme, so
dass möglichst viel Rauch über die Felder zog, um dadurch die Hexen
von Saat und Vieh fernzuhalten. " Um die schwelende Glut wogte bald
lautes Leben und kecke Lust, wie um die Feuerstätte am Johannisabend:
man ersann allerlei Scherz- und Gaukelspiel, schwang brennende Besen-
strünke (Besenstumpfe) und „glühnige" Feuerbrände, drehte sich im Tanz
und sprang in frischem Schwünge lustig durch die Lohe. Allmählich sind
diese Feuer erloschen. In den letzten Jahrzehnten sind sie in der Süd-
"westecke Schlesiens, auf dem Hulberge bei Bratsch zwischen Leobschiitz
und Jägerndorf, zum Scherze das eine oder andere Jahr einmal wieder
aufgeflackert.
Die bisher erwähnten Gebräuche zeigten Pfingsten als das Fest des
beginnenden oder zur Blüte drängenden Sommerlebens und bezogen sich
auf damit zusammenhängende Erscheinungen, den Viehaustrieb und diesem
verbundene Vertreibung der letzten Auszügler der Winterherrschaft, auf
<lie in üppiger Lebensfülle prangende Natur und die Abwehr der dem
^ ieh und der Saat feindlichen Mächte. Auf letzteres scheint auch eine
250
Drechsler:
Sitte zu zielen, die wohl nur bei der katholischen Bevölkerung im Zobtener
Halt und um Rybnik lebt. Da ist es Brauch, dass am Pfingstheiligentage^
sobald die Mittagglocke geläutet wird, die Bauern unter freiem Himmel
im Garten und auf der Feldflur ein bestimmtes Pfingstgebet verrichten.
Den zweiten Pfingstfeiertag füllten früher gemeinsame Volksfeste
aus, womit immer ein Wettkampf oder Wettspiel verbunden war; man
vgl. Weinhold in der Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde, III, 3 ff. Dies
war von jeher ein Teil des Festes, das die Hirten und Landbauern in
Dankbarkeit und Verehrung der segenspendenden Gottheit veranstalteten.
Das Ziel war vornehmlich der Maibaum, die Pfingststange, das Kult-
zeichen der Frühlingsgottheit. Bis in unsere Zeit hinein haben sich diese
Wettspiele in Schlesien erhalten.
Wenn in den Dörfern bei Breslau die Pfmgstburschen vom Umzüge,
der mit der sinnbildlichen Vernichtung des Rauchfiess-Wintergeistes ge-
endet hatte, zurückkehrten, fand das Maiensteigen, das Erklettern des
Maibaums, statt (Provinzbl. 1793, 285). Dasselbe geschah in den Dörfern
am Zobten, um Schweidnitz, Striegau, Jauer u. a. m. Wem es gelange
die glatte Maistange zu erklimmen und die oben hängenden Ehrenpreise
herabzuholen, liiess Pfingstkönig, seine Geliebte aber die Pfingstbraut.
Tanz und Gelage im Kretscham, wohin der König, der den Maibaum trug,
mit der Festgesellschaft schliesslich zog, beendete das Frühlingsfest: vgl.
Schroller, Schlesien, III, 271 f. Lebendiger gestaltete sich das Fest, wenn
damit ein Wettrennen zu Pferde nach dem Maibaume und ein Umzug
verbunden war. Auch diese Lustbarkeit (wTenn auch infolge von Aus-
schreitungen, die dabei vorkamen, von der Polizei verboten) hat sich bis
in die jüngste Zeit hinein erhalten, besonders gut in einigen Dörfern des
Striegauer Kreises. Schon lange vorher werden die Pferde eingeritten
und das Reitzeug in Ordnung gebracht. Am Pfingstdienstag am frühen
Morgen, später am Nachmittage, beginnt auf der Dorfaue das Wettrennen
der Bauernsöhne und Grossknechte nach der mit Blumen, Kranz und
Bändern ausgeputzten Maistange. Der Sieger wrird Pfingstkönig, und
jeder muss sich an diesem Tage seinen Anordnungen fügen. Der schlechteste
Reiter, der unter dem Jubel der Anwesenden sich vergebens bemüht hat,
den anderen beim Wettritt nachzukommen, wird zum Rauchfiess erklärt.
Am Pfingstbaume wird der König von den abgestiegenen Reitern auf die
Schultern gehoben und klettert schnell an der Stange empor, um sich den
Maien, den Blumenstrauss und den Kranz, herabzuholen. Unterdessen ist
der Rauchfiess in den Dorfkretscham geeilt, wo er rasch dreissig Semmeln
anbeisst und vier Flaschen, die je ein Quart Kornbranntwein enthalten,
antrinkt. Ihm folgt mit Busch (Schmöcker) und Kranz an der Spitze der
Reiterschar der König. Ist der Rauchfiess vor ihrer Ankunft mit dem
Anbeissen und Antrinken fertig und begrüsst er jenen mit einer Rede und
einem Glase Bier, so muss der König alles bezahlen; im anderen Falle
Schlesische Pfingstgebräuche.
251
liegt dies dem Rauchfiess ob. Nach der Kirchzeit reitet der stattliche
Zug durch das Dorf, voran der blumengeschmückte Pfmgstkönig, der jetzt
den Maien trägt, hinter ihm der Rauchfiess in umgedrehten Kleidern,
einem grossen Flachsbarte und den Pfingstkranz auf dem Kopfe; ihm
folgen als Wächter zwei vermummte Reiter. Vor jedem Gehöfte hält der
Zug, die beiden Wächter steigen ab, zerren den Rauchfiess in das Haus
und fordern von der Hausfrau einen Beitrag zur Bartseife für den Rauch-
fiess, weil er gar „zu grande ums Maul aussehe". Dem Herkommen
gemäss können sie von essbaren Dingen alles mitnehmen, was sie unver-
schlossen in Flur und Küche finden. Endlich bewegt sich der Zug vor
das Haus, wo die Liebste des Königs wohnt. Sie wird als Pfingstkönigin
begriisst und erhält passende Geschenke: ein buntes Band, ein Tuch, eine
Schürze. Der König empfängt als Ehrenpreis eine Weste, ein Halstuch
und dergleichen und hat das Recht, den Pfingstbaum vor seines Herrn
Hof zu pflanzen, wo er zum ehrenden Andenken an diesen Tag bis zum
folgenden Jahre stehen bleibt. Hierauf begiebt sich der Zug in den
Kretscham. König und Königin eröffnen den Tanz und bald dreht sich
alles, nicht zur geringsten Erheiterung, lustig „um die Saule" (Provinzbl.
1870, 291). Ähnlich gestaltete sich das Pfingstfest um Glogau, Oels, Militsch,
Guhrau, Breslau, Wohlau, Brieg, Ohlau, JSeisse, Leobschütz, von der Kirche
beider Bekenntnisse meist geschont.
Im Kreise Leobschütz, in Sabschütz, tritt der Maibaum ganz zurück,
während der Gedanke an ein Opferfest mehr im Vordergründe steht. Die
Bauernsöhne und Dienstknechte kamen am Pfingstmontage in feierlichem
Aufzuge mit Musik zum Hochamt, nahmen nahe dem Hauptaltare Platz
und hielten zum Offertorium einen Opfergang um den Altar. Dabei hielten
die Pferdejungen, wie die Knechte heissen, denen die Pflege der Pferde
obliegt, anstatt der brennenden Kerzen ihre mit roten Bändern und Blumen
geschmückten Peitschen in Händen. Indem durch den Opfergang die
Peitsche eine gewisse Weihe erhielt, sollte Gottes Segen auch über die
Pferde herabkommen, die der Bauern wertvollster Besitz und der Pferde-
jungen grösster Stolz sind. (Ein ähnliches Opfer für die Pferde findet in
Ostroppa unweit Gleiwitz am S. Georgstag, 23. April, statt.) Nach dem
Gottesdienste begann dasPfingst- oder Königsreiten, wozu jeder Bauer
fin junges, mutiges Pferd stellte. Auf einer Höhe versammelte sich Ross
und Reiter, und bald begann ein wildes Rennen und Jagen herab über
fine lano'o-estreckte Wiesenfläche bis zu einem bestimmten Ziele. Mehr-
oö
mais wiederholte sich dieses Schauspiel. Die Sieger wurden als Pfingst-
könige mit Abzeichen geschmückt und unter Jubelgeschrei ins Dorf
geleitet, wo im Kretscham Gelage und Tanz den Tag beschlossen (vergi.
E- Vogt, Aus alten Tagen, 228 f.). Auch im Strehlisehen (Strehlen) fand
früher ein Wettrennen oder Wettreiten der Pferdejungen statt (Fr. A.
Zimmermann, Beiträge zur Beschreibung von Schlesien. Brieg 1783. I, 8).
252
Drechsler:
Selbst in Breslau hat sich das Pfingstreiten bis in das 18. Jahrh.
erhalten. Wir erfahren aus Gomolke, Breslauer Merkwürdigkeiten, III,
180 f., dass das Kennen in der Nikolai-Vorstadt statthatte und der erste
Sie g'er einen Ochsen, den Pfingstochsen, und der schlechteste Reiter ein
Spanferkel erhielt. Um Neumarkt bestimmte schon 1818 statt des früheren
Pferderennens ein Pussrennen nach der Malstange den Pfino-stkönio-.
o o o
In mehreren Dörfern des ehemaligen Fürstentums Neisse ist das
Königsreiten zum Flur umritt, ähnlich dem österreichischen Saatreiten,
geworden: die Bauern reiten unter Absingung frommer Lieder um die
Felder und verrichten zuletzt einige Gebete vor einer Kapelle. So ver-
fuhr man bis vor kurzem auch im Kreise Leobscliütz in der Gegend nahe
der österreichischen Grenze.
Neben den Wettläufen der Männer bei dem Frühlingsfeste der Hirten
treten Wettspiele des anderen Geschlechtes, allerdings mehr unter den
Erntefestbelustigungen auf. Doch auch ein Pfingstbrauch der Kinder
hat sich erhalten. In St. Georgenberg bei Kolbnitz (Kreis Jauer) wurde
in früherer Zeit an Pfingsten um den Pfingsttopf getanzt. Auf dem
Dorfanger war durch eine an Pfählen befestigte Blumenkette ein Kreis
abgegrenzt. In seiner Mitte war auf einem bekränzten Pfahle, der den
Pfingst- oder Maibaum vertritt, ein Topf befestigt, mit allerlei Blumen,
Pfingströschen und Buchsbaumzweigen völlig bedeckt, während das Innere
ein mächtiger Blumenstrauss ausfüllte. Am zweiten Pfingstfeiertage ver-
sammelten sich nachmittags die Kinder aus Georgenberg, Kolbnitz und
Ratschütz unter Führung der Eltern und Lehrer auf dein Festplatze.
Während sich ein Knabe in dem abgegrenzten Räume in die Mitte stellte,
bewegten sich die anderen Kinder, Knaben und Mädchen, im Ringelreihen
um ihn herum unci saugen:
Grünes Gras, grünes Gras unter meinen Füssen,
Ich hab' verlorn mein feines Lieb, ich hab: mir's suchen müssen
Hier und dort und anderswo
Unter diesen allen;
Die ich mir jetzt nehmen soll,
Thut mir Wohlgefallen.
Darauf ging der in der Mitte stehende Knabe auf ein in der Reihe
befindliches Mädchen zu und forderte es durch eine Verneigung zum Tanze
auf. Während sie tanzten, sangen die übrigen Kinder:
Es giebt gar schöne Leute hier. —
Ei ja freilich! — Wer ich bin, der bleib' ich.
Ich bleibe, wer ich bin. —
Leb wohl, mein Kind. —
Nun trat ein anderer Knabe in den Kreis, und das Spiel begann von
neuem, bis alle „dran waren". Alsdann veranstaltete man ein Topf-
schlagen, wobei ein Knabe zum Pfingstkönig, ein Mädchen zur
Pfingstkönigin ernannt wurde.
Schlesische Pfingstgebräuche.
Zu Pfingsten wurden in alter Zeit die Dorf- oder Malgerichtv
abgehalten. Daran erinnert ein Brauch, bei dem es sich um ein Hals-
gericht handelt. Oft spielt ein Mensch oder sein Vertreter, eine Puppe,
oft ein Tier den armen Sünder. Eine lebensgrosse Strohpuppe, mit einem
roten Hute, einem sogen. Dreistützer bekleidet, wird zwischen zwei ver-
mummte bewaffnete Wächter auf einen Wagen gesetzt und unter grossem
Gefolge zur Richtstätte gefahren; ein Hanswurst versieht den Kutscher-
dienst. In aller Form wird der Goliath, den man lange gesucht und
endlich eingefangen habe, zum Tode verurteilt. Zuletzt wird er auf dem
Richtplatze an einen Pfahl gebunden. Dann gehen die Burschen mit
verbundenen Aug-en auf ihn zu und suchen ihn mit einem Spiesse zu
schlagen oder zu stechen. WTer ihn trifft, wird König, seine Geliebte wird
Königin. Dieses Goliathschiôn oder Goliathstecha ist in der Striegauer
Gegend üblich (vgl. Schroller, Schlesien, III, 272; dazu Mannhardt, Wald-
uud Feldkulte, I, 352. 365).
Andererseits wählte man Hähne, in böhmischen Orten einen Frosch
und anderes. Doch gehört das Hahnenschlagen, wie das dem Goliathstechen
ähnliche Puppen- oder Jungfernstechen in Schlesien gewöhnlich unter die
Ernte Vergnügungen.
Reste der alten Pfingstfeier und seiner Wettspiele sind die heute bei
Tierschaufesten, Königsschiessen und Pfingstmärkten errichteten Kletter-
stangen, das bei festlichen Gelegenheiten geübte Sackhopsen, das Topf-
schlagen, gewiss auch das beliebte Plumpsackspiel u. a. m., vor allem
das volksbeliebte Schützenfest und Königsschiessen mit seinen Würden
und festlichen, ursprünglich zur Feier der Frühlingsgottheit veranstalteten
Aufzügen und Belustigungen.
In Leobschütz wird zu Pfingsten beim Schiesshause, wo zu gleicher
Zeit das Königsschiessen stattfindet1), ein Jahrmarkt abgehalten. Dieser
ï'fingstmarkt hat den Namen Trlisch. Die vielen Pasch- und Zucker-
bäckerbuden, die sich an diesen Tagen erheben, sind von den Kindern
umlagert. In den Provinzblättern 1870, 294 berichtet Knötel, dass in
Glogau ein Kinderfest, das seit 25 Jahren eingegangen, in Beuthen a. 0.
und anderen Orten Niederschlesiens aber noch im Gange sei, Trauschke
hiess. Am Trauschkemontage (Pfingstmontage) hatten die Töpfer „töpperne"
Eulen, Schweine, Kühe, Pferde u. dergl. feil, die sämtlich mit „Pfeiflan"
versehen waren. Die Kleinen kauften sich diese Tiere und liefen den
Tag über pfeifend in der Stadt herum. Über die Bedeutung dieses Festes
konnte der Berichterstatter nur erfahren, dass es auf das erste Aus-
treiben desYiehes Beziehung hatte. Ich vermute, in Trusch, Trauschke
birgt sich ein Spottname für den Rauchfiess, denn Drûsch, Trûschke
bedeutet im Wasserpolnischen einen dummen, einfältigen Menschen. — In
1) "Vgl. A. Kuhn in Haupts Zeitschr. f. d. Altertum 5, 479 ff.
254
Polívka:
Strehlen heisst der grösste der jährlichen Yieh- und Krammärkte, der
bald nach Ostern stattfindet, die Drauschke; ebenso in Grünberg
(Breslauer Zeitung vom 27. April 1872). Dazu vgl. man die handschrift-
liche Ferienordnung des Stadtgerichts zu Breslau aus der letzten Hälfte
des 17. Jahrhunderts: „Es werden auch etliche Tage die gebundenen Tage
genennet, in welchen kein Eid in ordentlichem Landrecht wird verführet;
die erste seind am Sonntage Septuagesimae bis auf den, Freitag in der
Drauschkenwoche, die andere der Advent mit folgenden Tagen bis auf
den Freitag nach der heiligen Drei Könige Tag." Mit der Drauschken-
woche ist also hier die Osterwoche gemeint (Provinzbl. 1871, 81).
Zum Schluss sei noch ein Glätzer Aberglauben erwähnt: Der Pfingst-
regen ist schädlich, er fällt auf feurige Zungen; der Dreifaltigkeits-
regen (am Sonntag darauf) heilt dagegen den Schaden des Pfingstregens
aus. Er wird in Schüsseln aufgefangen und als Weihwasser aufbewahrt
(Glatzer Yierteljahrschrift, III, 222).
Zabrze in Oberschlesien.
Tom Tit Tot.
Ein Beitrag zur vergleichenden Märchenkunde von G. Polívka.
Unlängst hat Edward Clodd1) das englische Märchen Tom Tit Tot
zum Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung gemacht. Er unter-
suchte nicht so sehr die Fragen nach dem Ursprung und der Heimat des-
selben, als vielmehr die ihm zu Grunde liegenden Ideen, besonders den
mit dem Namen verbundenen Aberglauben. Er hat zwar eine Anzahl von
Beispielen dafür aufgehäuft, aber wir könnten nicht sagen, dass er viel
zur Erklärung des Märchens beigetragen hätte. Er belehrt uns gar nicht,
ob und wie weit die zu Grunde liegenden Ideen alien den "Völkern zuzu-
schreiben sind, bei denen es erzählt wird. Er führt zahllose Belege für
die Bedeutung des Namens in dem Vorstellungskreise des primitiven
Menschen aus allen Weltteilen an, aber das Märchen selbst ist durchaus
nicht bei allen Völkern bekannt und viel weniger verbreitet als andere
Märchenstoffe, z. B. als Aschenbrödel, der gestiefelte Kater, Doktor All-
wissend und andere. Es ist fast ausschliesslich auf die westeuropäischen,
romanischen und germanischen Völker beschränkt, und nur durch deren
Einfluss unter nichtgermanische Völker vorgedrungen. Hierdurch ist schon
1) Tom Tit Tot. An Essay on savage Philosophy in Folk Tale by Edward Clodd.
London, Duckworth and Co., 1898.
Tom Tit Tot.
255
bestimmt, welchen Völkern die dem Märchen zu Grunde liegenden mythischen
Vorstellungen angehören und wo sein Ursprung zu suchen ist. Aber ausserdem
wird das Märchen Tom Tit Tot fast bis in das minutiöseste Detail gleich
in Sicilien erzählt, in Deutschland, Frankreich und England, so dass wir
notgedrungen annehmen müssen, dass es auf einem bestimmten Orte ent-
standen und von dort aus zu anderen Ärölkern übertragen ist. Sind wir
aber zu der Annahme des individuellen Ursprungs des Märchen gezwungen,
so können wir nicht mehr den ihm zu Grunde liegenden Vorstellungen
allgemeine Bedeutung zuerkennen, d. h. das Märchen Tom Tit Tot kann
an und für sich uns nicht die ursprüngliche Existenz derselben mytho-
logischen Vorstellungen in Sicilien, Deutschland, Frankreich und England
beweisen. Wir werden sie nur demjenigen Volke zuschreiben können,
bei welchem wir noch andere Sagen und Märchen finden, die mit dem
Typus Tom Tit Tot nicht enger verwandt sind, mit demselben nicht
genetisch zusammenhängen, aber dieselben mythischen Vorstellungen zur
Grundlage haben.
Wir wollen nun die uns bekannten Versionen des Märchens Tom Tit
Tot vergleichen und nach ihrer Ähnlichkeit wie Verwandtschaft gruppieren.
Hieran schliessen sich dann andere unverwandte Sagen an, in welchen wir
die gleichen Ideen antreffen.
Aufgezeichnet wurde das Märchen bereits am Anfange des 18. Jahrh.
von Mlle. Lhéretier in ihrem Buche „La Tour ténébreuse, Contes anglais",
das im Jahre 1705 erschien (Lh.). Ein Prinz bemerkt, wie ein altes
Weib seine Tochter, ein junges, hübsches Mädchen, beschimpft, und die
Blumen auf den Boden wirft, die es sich im Garten gepflückt hatte, und
zwar deswegen, weil es gegen ihr Verbot von Morgen bis Abend fleissig
spinnt. Der Prinz sagt ihr, sie solle ihre Tochter der Königin abtreten,
da diese die Spinnerinnen sehr gern habe. Das Mädchen wurde also in
das Schloss geführt und dann in ein Gemach gebracht, wo Flachs aller
Sorten aufgehäuft war. Das Mädchen aber glaubte nicht, dass es allen
den Flachs aufspinnen könnte, lief in den WTald und wollte sich in einen
Abgrund stürzen. Indem erschien ein grosser Mann und fragte sie nach
«1er Ursache ihres Kummers. Er gab ihr eine Wünschelrute, mit welcher
sie alle Arten von Hanf und Flachs und zwar so fein sie wünsche, spinnen
könne, sie brauche ihn nur damit zu berühren. Er lieh ihr die Rute auf
drei Monate unter der Bedingung, dass sie ihm dieselbe zurückgeben müsse
mit den Worten „Nehmt Ricdin Ricdon, da habt Ihr Eure Rute". Wenn
sie sich auf den Namen nicht mehr erinnern könne, werde er der Herr
ihres Schicksals und sich nehmen können, was ihm beliebe. Sie vergass
wirklich den Namen. Der Prinz aber, der sie währenddem geheiratet hatte,
1) Em. Cosquin Contes pop. de Lorraine, I, 271. Paul Sebillot, Legendes et curio-
sités des métiers XV, Les fileuses p. 25.
256
Polívka:
sah zufällig, als er sich auf der Jagd zu einem alten zerstörten Schlosse
verirrte, einige hässliche Personen und unter ihnen einen mageren, schwarzen
Mann, der sang „Wenn das junge Weibchen in ihrem Gehirne behalten
hätte, dass ich Rie din Ricdon heisse, würde sie nicht in meine Gewalt
kommen." Der Prinz merkte sich das Liedchen, erzählte von dieser Be-
gegnung seiner Frau und rettete sie so.
Ziemlich ähnlich wird das Märchen noch heute im nordwestlichen
Frankreich1) erzählt (F1): Ein reicher Herr nahm ein Mädchen zu sich,
über welches die Mutter wegen seines Ungehorsams und seiner Faulheit
klagte, und versprach es binnen Jahr und Tag als die fleissigste Spinnerin
im Lande zurückzubringen. Der Herr legte dem Mädchen auf, in einem
Jahr eine gewisse Masse aufzuspinnen. Das Mädchen klagte aber nur und
machte nichts, und das Jahr ging schon zu Ende. Da erschien ihr ein
Zwerg, ein ganz schwarzes Männlein, und gab ihr eine Wünschelrute, mit
welcher die Arbeit in einem Augenblick gemacht war. Er bedang sich
dasselbe wie im ersten Märchen: sie solle ihm nach zwei Monaten die
Rute zurückgeben mit den Worten „Hier nimm Furti F urto n Deine Rute."
Der Herr traf auf einer Wiese eine Menge Zwerge um ihren ganz schwarzen
Herrn tanzend und die Worte singend: „Die Schöne weiss nicht mehr seinen
Namen Furti Fur ton."
Auch in der französischen Erzählung aus Poitou2) (F2) schlägt eine
Frau ihre Tochter, lobt sie aber einem jungen Herrn gegenüber als eine
fleissige Arbeiterin, obschon sie in der Wirklichkeit faul war. Es kam
dann ein Mann zu ihr, der von selbst nähende Nadeln verkaufte und
seinen Namen (Ra cap et) nannte. Wenn sie sich nach 6 Monaten nicht
mehr auf seinen Namen erinnere, so führe er sie weg. Auch den erblickt
ihr Mann • zufällig auf der Jagd und hört sein Lied „Drehe dich, drehe
dich meine kleine Mühle für die Schöne, die morgen kommt. Erinnert
sie sich nicht mehr an Racapet, so führe ich sie weg." Anstatt der
Wünschelrute finden wir hier selbstnähende Nadeln.
In dem ganz gleich anfangenden italienischen Märchen aus Tirol3)
(Itt) hilft ein rot angezogenes Männlein einer Frau den Flachs spinnen
unter der Bedingung, dass sie ihm gehöre, wenn sie nicht seinen Namen
errate. Wie in den anderen Erzählungen trifft auch hier der Mann auf
der Jagd das Männlein, und zwar sieht er eine Menge Teufelchen Flachs
spinnen und unter ihnen auf einem Thron ein rot angezogenes, gekröntes
Männlein, das fortwährend seinen Namen Tarandadò nannte. Das Märchen
ist noch erweitert: der Mann giebt seiner Frau noch einen grösseren
Haufen Flachs zu spinnen auf. Da half ihr die listige Tante: sie steckte
1) Mélusine I, 1877, S. 150 f.
2) Léon Pineau, Contes populaires du Poitou 1891, S. 131 f.
3) Ch. Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol 1867, S. 158 f., No. 55.
Tom Tit Tot.
257
sich unter den Arm eine tote, mit Blut und Fett gefüllte Henne; als sie
auf Besuch kam, blutete sie und klagte, dass sie von lauter Spinnen eine
Beule unter ihrem Arme habe. Darauf durfte die Frau nicht mehr spinnen.
Es ist dies ein Motiv, das aus einer anderen Gruppe von verwandten
Erzählungen herübergenommen wurde, welche wir später besprechen
werden.
In dieser, wie in der grösseren Anzahl der hierher gehörigen Er-
zählungen hat die Frau den Namen des ihr helfenden Zwerges zu erraten.
In einigen Erzählungen werden die Schläge, die das Mädchen bekommt,
dadurch erklärt, dass sie ihrer Mutter die für sie bereitete Speise aufass.
So in der sicilischen Aversion1) (Sic). Hier heiratet ein König das Mädchen,
welches die Mutter als eine überaus fleissige Spinnerin lobte, stellt ihr
aber die Aufgabe, vorher eine gewisse Menge Flachs in einem Monat auf-
zuspinnen. Der Braut erscheint ein feiner Herr und verspricht ihr den
ganzen Flachs bis Ende des Monats fertig zu spinnen, sie müsse ihm aber
seinen Namen sagen, wenn er ihr das Gewebe bringe. Den geheimnis-
vollen Spinner findet nicht der König (der Bräutigam oder Gemahl),
sondern ein Bauer, und hört ein eigenes Lied „Spinnt, spinnt, spinnen
wir, eine schöne Frau erwarten wir, spinnt, spinnt fleissig, ligna di scupa
heiss ich." Der Bauer erzählt das vor der traurigen Braut und bekommt
die Belohnung, die der König dem versprochen hat, der seine Braut zum
Lachen bringt.
Während in Sic. das Mädchen die für die Mutter gebratenen Fische
aufisst, verzehrt es in der Version aus Mantua2) (Itm) sieben Töpfe
Xudeln. Die Mutter läuft erbost auf die Gasse und schreit „Mia figlia
sette." Gerade ging ein Kaufmann vorüber und fragte die Frau, was sie
meine. Diese fängt nun ihre Tochter an zu loben, dass sie sieben Pfund
Flachs in einem Tage verspinne. Der Kaufmann bat darauf um ihre Hand
und brachte dann seiner jungen Frau soviel Flachs, dass sie durch das
ganze Jahr täglich sieben Pfund zu verspinnen hatte. Die Arbeit rückte
¡Iber nicht vom Flecke und sie klagte bitter in ihrem Zimmerchen, dessen
Fenster auf die Strasse ging. Es ging nun ein Mann vorüber, der sich
erbot, die ganze Arbeit für sie zu verfertigen unter derselben Bedingung
Vyie in Sic. Ein Diener bemerkte in einem Hause, wie 100 Teufel spannen
und wie mitten unter ihnen ein ganz rothaariger herumsprang und sang:
»Zorobubii, Zorobubii, entweder kennst du meinen Namen, oder ich
verwerfe dir die Arbeit." Damit sie nicht weiter mit dem Spinnen sich
plagen müsse, half ihr ihre Mutter mit einer ähnlichen List wie die Tante
Ju Itt und besonders wie in der von Giamb. Basile erzählten Version,
kie zog ein mit Nusssohalen ausgefüttertes Korset an, so dass es bei
1) Laura G-onzenbach, Sicilianische Märchen 1870, II, S. 155, No. 84.
2) Fiabe mantovane, raccolte da Isaia Visentini 1879, No. 22.
258
Polívka:
Tische bei jeder ihrer Bewegungen krachte — so krache es in ihrem Körper
vom übermässigen Spinnen.
In der englischen Erzählung1) (Engl) isst das Mädchen fünf Kuchen
auf, die für die Mutter bestimmt waren. Die Mutter setzte sich nun zum
♦Spinnrade an die Thür und sang „Meine Tochter hat fünf gegessen, fünf
Kuchen heute . . .", wahrer also als in Mantua. Der König, der zufällig
vorüberging, versteht die Worte nicht und frägt. Darauf schämte sich
die Mutter und verbesserte sich „My darter ha' spun five, five skeins to-day."
Der König will sich nun mit der fleissigen Spinnerin verheiraten. Durch
elf Monate darf die Braut sich ganz nach ihrem Belieben unterhalten, aber
den letzten Monat muss sie täglich fünf Strähnen spinnen; wenn ihr das
nicht gelingt, will er sie töten. Als er sie nun den letzten Monat in
ihr Zimmer führt und ihr sagt, sie müsse bis zum Morgen fünf Strähnen
gesponnen haben, sonst hacke er ihr den Kopf ab, bricht sie in ein ver-
zweiflungsvolles Weinen aus. Da klopft plötzlich jemand, und es tritt
eine kleine schwarze Gestalt mit einem langen Schweife ein. Der Zwerg
kommt nun täglich den ganzen Monat hindurch, und täglich kann sie dreimal
seinen Namen raten. Der König trifft dann selbst den Zwerg auf der Jagd
und hört dessen Liedchen „Ninimy nimmy not, my name 's Tom Tit Tot."
Ganz gleich beginnt ein kleinrussisches Märchen, das unlängst im
Bez. Buczacz in Ostgalizien aufgezeichnet wurde.2) Ein arbeitsames W'eib
brachte für sieben Garngebinde sieben Schüsseln Mehl nach Hause und
buk daraus sieben Brote; sie befahl der Tochter, mit dem Brote zu sparen,
damit sie sieben Tage ausreichen. Diese aber lud andere Mädchen aus
dem Dorfe ein, und so wurden alle Brote auf einmal aufgegessen. Als
die Mutter nach Hause zurückkehrte und das erfuhr, prügelte sie ihre
Tochter. Deren Geschrei hörte man weit aus ihrer Hütte, die am WTege
lag. Es kam ein Herr angefahren, der schickte den Kutscher nachfragen,
was es gebe. Diesem und dann dem Herrn selbst antwortete das Weib
ebenso wie in Sic, Itm, Engl. WTie der Herr dann nach Hause kam
und alle seine Kammern voll gehechelten Hanf, Flachs und Wolle fand,
erinnerte er sich an die gelobte Spinnerin und meinte, diese könne ihm
alles aufspinnen. Er heiratete sie daher. Als er dann seiner jungen Frau
diese Vorräte zeigte, kroch eben eine grosse Raupe an der Wand. Die
Frau bricht in ein heftiges Weinen aus und erklärt ihrem Manne, diese
grosse Raupe hätte auch täglich durch sieben Jahre ein Garngebinde ver-
sponnen und hätte sich dann in eine Raupe verwandelt. Wrenn sie das-
selbe thun sollte, würde sie dasselbe Schicksal erreichen. Durch diese
List befreite sie sich vom Spinnen. — Eine gewiss sehr eigentümliche
1) Joseph Jacobs, English Fairy Tales3, London 1898, No. 1. Clodd S. 9 f.
2) Etnograficuyj Zbirnyk, Bd. VI. Haliéko - ruski anekdoty. Zibral Volodymyr
Hnatjuk. Lemberg 1899. S. 72. No. 208.
Tom Tit Tot.
259
Wendung, die wir in anderen Erzählungen nicht finden. Wenn statt der
Raupe eine Spinne dort gekrochen wäre, könnten wir diesen Zug vielleicht
aus der deutschen Mythologie erklären.
In anderen Erzählungen fehlt jener Anfang, und es wird bloss erzählt,
dass eine Frau ihre faule Tochter schlägt und als Ursache davon angiebt,
dass sie viel zu fleissig spinne, ebenso wie in Lh., F., Itt. Hierher gehört
das mährische Märchen1) (Cm). Der König verspricht hier das Mädchen
zu heiraten, wenn es in einer Nacht allen Flachs, mit dein die Kammer
angefüllt ist, aufspinne. Zu Hilfe kam dein Mädchen ein Zwerg, nachdem
es ihm seinen Erstgeborenen versprochen hat. Der Zwerg schickte sieben
schmierige Spinner, und diese hatte die Braut dann auf ihre Hochzeit zu
laden. Dem König sagte sie, es seien ihre Verwandten, und sie seien so
hässlich und schwarz von zu vielem Spinnen geworden. Durch diese
Lüge erreichte die Braut, dass ihr der König künftighin zu spinnen verbot.
Dieses Motiv werden wir in noch einer Reihe von Erzählungen finden.
Als nun die junge Frau einen Knaben gebar, kam der Zwerg ihn holen,
versprach ihr aber, ihn noch ein Jahr zu lassen auf ihre dringenden Bitten.
Als das Jahr zu Ende ging, verirrte sich der König auf der Jagd und sah,
wie um ein Feuer einige vermummte Personen sassen und über das Feuer
ein hässlicher Zwerg sprang und immerfort sang „Morgen habe ich den
Prinzen, sehr freue ich mich, Tingi tangí heisse ich, die Königin weiss
nicht meinen Namen. AVürde sie ihn wissen, würde sie lustig sein." In
der Nacht kam der Zwerg, um das Kind zu holen; als aber die Mutter
dringend bat, versprach er nicht mehr nach dem Kinde zu fragen, wenn
sie seinen Namen errate. Das konnte die Königin nun leicht, da es ihr
der König erzählt hatte. Im Unterschiede von den anderen Versionen hat
der Zwerg diese Bedingung vorher nicht gestellt.
In der ungarisch - slovakischen Version2) (Csl) sagt die Frau, sie
schlage ihre Tochter, weil sie nichts könne, als goldene Fäden aus Hanf
spinnen. Der Fürst verspricht, das Mädchen zur Frau zu nehmen, wenn
es allen Hanf, der in der Stube aufgespeichert ist, zu goldenen Faden
Verspinne. Dem verzweifelnden Mädchen kommt ein kleines Männchen
mit einer roten Mütze zu Hilfe, unter der Bedingung, dass sie binnen drei
Ta gen seinen Namen errate und sage woraus seine Stiefeln gemacht seien.
Ein Bettler erblickt ihn dann im Walde und hört ihn singen, dass er
Kinkas Martinko heisse und dass er Stiefeln aus Lausleder habe.
In der magyarischen Version3) (Mag) wird die Tochter von ihrer
1) Pohádky z Morvsy. Sebrala Fr. Stránecká. V Praze 1868. S. 25 f.
2) Boiíena Nemcová, Slovenské pohádky a povësti I, S. 137 í. Alex Chodzko. Coates
des paysans et des patres slaves 341 f. Das Märchen ist nicht aus Russland, wie Clodd
°P- c. 241 meint.
3) The Folk-Tales of the Magyars. Translated and edited by the Rev. VV. Henry
Jones and Lewis L. Kropf 1889. S. 4tìf.
260
Polívka:
Mutter gescholten, weil sie nicht gern spinne, obwohl sie sonst sehr fleissig
arbeitete. Sie wird von der Mutter bis auf die Gasse mit dem Spinnrocken
verfolgt, weil sie noch mehr Flachs wolle, wie die Mutter einem Prinzen
sagt, der eben vorüberfährt. Der Prinz führt das Mädchen in eine mit
Flachs vollgestopfte Kammer und verspricht es zu heiraten, wenn es in
einem Monat damit fertig werde. Am Ende dieses Termins kommt ein
eine halbe Elle langes Männchen mit einem anderthalb Ellen langen Bart
und bietet sich an allen Flachs aufzuspinnen, wenn das Mädchen seinen
Namen nennen könne, bis er mit dem Spinnen fertig werde, sonst werde
es mit ihm gehen müssen. Den Zwerg fand ein Diener und hörte wie er
seinen Namen nannte: Dancing Vargaluska. Yon der Hochzeit wird
zum Schlüsse noch erzählt, dass drei verunstaltete Bettlerinnen kamen,
eine mit so grossen Augenlidern, dass sie ihr ganzes Gesicht bedeckten,
die andere mit einer so langen Unterlippe, dass sie bis zu ihrem Knie
reichte, und die dritte mit einem Hinterteil so platt wie ein Pfannkuchen.
Alle waren so verunstaltet durch zu eifriges Spinnen. Der König fürchtete,
dass auch auf seine Frau das Spinnen so wirken könne und verbot es ihr
daher. Dieser Schluss des magyarischen Märchens ist ebenso wie das
ähnliche Motiv in Cm aus anderen verwandten Märchen übernommen, die
weiter unten besprochen werden.1)
Ahnlich wie Cm, nur ausführlicher und mit einer etwas abweichenden
Einleitung wird das Märchen in Hessen2) (Dil1) erzählt: Ein Müller prahlt,
dass seine Tochter Gold aus Stroh spinnen könne und bringt sie in das
königliche Schloss, damit der König selbst ihre Kunst prüfe. Sie wird
in eine mit Stroh angefüllte Kammer gebracht: wrenn sie nicht bis in die
Frühe alles Stroh aufspinnt, soll sie sterben. Es hilft ihr ein Männchen
und bekommt dafür vom Mädchen dessen Halsband. Den anderen Tag
legt ihr der König noch einen grösseren Haufen Stroh zum Spinnen vor,
und das Männchen bekommt zum Lohn des Mädchens Ring. Den dritten
Tag bekam sie einen noch grösseren Haufen Stroh, und der König ver-
sprach sie zu heiraten, wrenn sie diese Arbeit vollbringe. Das Mädchen
hatte nichts mehr, womit sie das Männchen belohnen konnte, es musste
ihm also ihren Erstgeborenen versprechen. Als dann die Königin ein
schönes Kind zur Welt brachte, erschien das Männlein und verlangte, was
sie ihm versprochen; es bewilligte ihr dann auf ihr inständiges Flehen
eine Frist von drei Tagen; kenne sie dann seinen Namen, so dürfe sie
das Kind behalten. Es wurden Boten nach allen Gegenden ausgesandt,
1) Es ist noch eine zweite magyarische Version, in welcher der Zwerg Panczimanczi
heisst: Zeitschrift f. roman. Philologie, II, 351. Jones und Kropf 332. Mir ist sie nicht
näher bekannt.
2) Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm, No. 55. Dieses
Märchen findet sich bereits in dem 2. Bande der „Straussfedern". Berlin und Stettin,
Fr. Nicolai, 1790. Vgl. Archiv f. Literaturgeschichte XIY, 446.
Tom Tit Tot.
261
miri einer von ihnen kommt vor ein kleines Haus, vor welchem ein Feuer
brennt, über welches ein lächerliches Männchen springt, das fortwährend
schreit, wie gut es sei, dass niemand wisse, dass es Rumpelstilzchen
heisse. — Besser erhalten ist noch eine andere Yersion aus Hessen, worin
der König selbst (wie gewöhnlich zufällig auf der Jagd) Zeuge dieser
Scene wird. *)
Arerwandt ist noch eine Erzählung aus Pommern2) (Dp1); sie unter-
scheidet sich aber dadurch, dass, als die Königin dem Zwerge nicht ihr
Kind gab, dieser mit der stillen Drohung wegging, der Knabe werde doch
einmal ihm gehören. Wirklich ertrank der 14jährige Prinz, als er zu
Pferde über einen Fluss setzen wollte, und kam in die Gewralt dieses
Männchens und dessen Weibes, einer Zauberin. Er befreite sich aber,
als er die von der Zauberin auferlegten Aufgaben mit Hilfe der ver-
zauberten Prinzessin löste. Es ist also hier unser Märchen mit einem
anderen Märchenstoffe vermengt und dabei abgeändert worden, um sich
mit demselben enger verschmelzen zu können.
Der Anfang, den wir aus Dh1 und Csl kennen, ist in einem anderen
hessischen Märchen verdorben3) (Dh2): Das Mädchen ist traurig, dass es
immer nur goldenes Gewebe und nicht Flachsgewebe spinnt. Ein Männchen
verspricht ihr Hilfe aus aller Not; ein Prinz werde vorübergehen und sie
heiraten, sie müsse ihm aber ihren Erstgeborenen versprechen. Das Dienst-
mädchen der Königin sieht das Männchen, wie es auf einem Kochlöffel um
das Feuer herumfährt, und hört sein Liedchen. Es heisst ebenso wie in Dh1.
Auch in der westfälischen Yersion4) (Dw1) muss eine Frau dem ihr
helfenden Zwerg das versprechen, was sie unter der Schürze habe; aber
wenn sie seinen Namen errate, dürfe sie ihm garnichts geben. Die Frau
giebt das Versprechen, denn sie wusste nicht, dass sie etwas unter der
Schürze hatte. Als sie das gewahr wurde, sagte sie alles ihrem Manne.
Der Mann selbst hört den Zwerg im Walde singen: „Dat is gaut, dat de
gnädige Frû nicht weit, dat ik Zirkzirk heit." — In einer anderen west-
fälischen Erzählung5) (Dw2) hilft ein Zwerg einer Spinnerin, als sie ihm
ihre Hand verspricht. Sie wurde ihn glücklich los, als sie ihm zurief:
„Sech, hêste nitt Hoppetinken?" Hier ist also das sehr wichtige Motiv
ausgefallen, wie die Frau den Namen des Zwerges erfährt.
In der Yersion aus Dithmarschen6) (Dd) quält die Stiefmutter das
Mädchen mit dem Spinnen und giebt ihre Einwilligung zu ihrer Heirat,
1) KHM. III3, 1856, S. 94.
2) Ulr. Jahü, Volksmärchen aus Pommern und Rügen, I, No. 1.
3) Grimm a. a. 0.
4) Adalb. Kuhn, Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen, I, S. 298 f., No. 337.
5) Ebenda S. 150 f., No. 150.
6) K. Miillenhoff, Sagen, Märchen, Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und
Lauenburg, S. 307 f., No. 417.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
262
Polívka
wenn sie binnen drei Wochen allen Flachs aufspinne, mit dem das halbe
Zimmei^gefüllt ist. Ein Männlein verspricht der Braut seine Hilfe; sie
muss sich aber seinen Namen (Gebhart) merken, sonst müsse sie seine
Frau werden. Der Bräutigam sieht zufällig das Männlein in einem Häuschen
das Licht umspringen und hört sein Liedchen mit dem Namen singen.
An Lh, F1 und F2 erinnern die masurische1) (Mas) und schwe-
dische2) (Scliw1) Erzählung, in welchen beiden die junge Frau des
Prinzen von einem Zwerge Handschuhe statt der Wünschelrute oder selbst-
nähenden Nadeln bekommt, die bewirken, dass sie Gold spinnt, sobald sie
sie anzieht. In beiden heisst der Zwerg Titelituri. In Schw1 sieht der
Prinz zufällig auf der Jagd einen kleinen Greis an einem Wacholder
herumspringen, in Mas den in einen Vogel verwandelten Zwerg.
In dem Märchen aus der oberen Bretagne3) (F3) bedroht ein Mann
seine Frau mit dem Tode, wenn sie nicht in einer Woche allen Hanf, der
in der Scheuer aufgespeichert ist, aufspinne. Die Frau selbst trifft den
Zwerg bei einem Baum, als sie abends um Feuer zu holen zum Nachbar
geht, und hört seine Worte: „Wenn die alte gute Frau wüsste, dass ich
Rigaut-Séné heisse, würde sie tanzen." Ganz gleich wird.es auch in
der unteren Normandie4) (F4) erzählt, nur hört das Weib, als es Reisiclit
im Walde sammelt, wie der Weber arbeitet, ein Liedchen dabei singt und
lacht: „Wenn sie wüsste, dass ich Hin don heisse." Ebenso kommt in
der Erzählung aus Lothringen5) (F5) die Frau unter eine grosse Eiche, auf
welcher der Teufel sitzt und in der Mitte anderer Teufelchen webt. Der
Teufel sagt fortwährend: „Ich heisse Ropiquet; wenn die Frau meinen
Namen wüsste, würde sie Freude haben." Der Teufel bietet sich selbst
der Frau an, als sie Hanf zum Weber trägt, dass er ihr in zwei Stunden
den Hanf in Leinwand verspinnen wolle, sie müsse aber seinen Namen
erraten.
Gleichfalls bietet sich in der Erzählung aus dem Departement Ille et
Yillaine6) (F6) ein fein angezogener Herr einem armen WTeibe selbst an,
zu verspinnen, was die Nachbarin brächte; was er aber sich hierfür aus-
bedinge, spricht er nicht vollends aus, nur dass sie seinen Namen wissen
müsse, bis er zurückkehre. Die Frau dachte sich gleich, dass es der
Teufel sei, und wusste nicht, was sie vor Aufregung machen solle. Indem
stürzt ihr Mann hinein und erzählt, er habe einen fein angezogenen Baron
auf einem roten Gras wie auf glühenden Kohlen sitzen und schnell den
1) M. Toeppen, Aberglauben aus Masuren 1867, S. 138 f.
2) Schwedische Volkssagen und Märchen. Nach mündlichen Überlieferungen ge-
sammelt und herausgegeben von G. O. Hyltén-Cavalliiis und George Stephens. 1848. S. 210 f.
3) Paul Sébillot, Contes popul. de la Haute Bretagne 1880, S. 301 f.
4) Jean Fleury, Littérature orale de la Basse Normandie 1883, S. 190 f.
5) Em. Cosquin I, 268 f.
6) Revue des traditions populaires Vili, 369 f.
Tom Tit Tot.
263
Spinnrocken bewegen sehen, und ein Liedchen singen hören: „Mein Name
ist Mirkikevir, ich sage ihn ihr nicht, die gute Frau im gelben Unter-
rock wird in drei Tagen meine Geliebte sein, wenn sie nicht meinen
Namen errät."
Das alte Motiv von der faulen Braut ist also in einer Reihe von Er-
zählungen verloren gegangen. Ebenso in dem Märchen aus Beauce et
Perche1) (E7), in welchem eine geizige Frau dieselbe Aufgabe dem Dienst-
mädchen auferlegt. Dem Mädchen bietet sich gleichfalls ein unbekannter
Herr an, droht ihm aber, es in die Hölle zu bringen, sobald es nicht seinen
Namen errate. Das Mädchen schlich sich selbst ihm nach und hörte, w7ie
er bei einer Drehorgel seinen Namen Yirlouvet brummte.
In einem Märchen endlich aus der Picardie2) (F8) hilft ein grün an-
gezogenes Männchen nicht mehr einem Weibe, sondern einem Manne,
einem Weber, unter derselben Bedingung: wenn er in drei Tagen nicht
seinen Namen errate, verliere er seine Seele. Der Weber ging auf den
Rat seiner Gevatterin, einer Fee, in den Wald und sah dort einen Teufel
auf einem Baume und hörte ihn schreien: „Dick et Don ist mein Name!
Er weiss nichts!"
In einer anderen Reihe von Erzählungen hilft ein weibliches Wesen
(eine Zauberin) statt des Zwerges, Teufels u. a. Diese Geschichten gleichen
fast ganz manchen der oben erwähnten Märchen. So ist folgendes3) (Dhp)
besonders ähnlich Dh1: Ein Mann klagt, er könne kein ordentliches. Dach
haben, denn seine Tochter verspinne das Stroh vom Dach und das Moos
aus den Wänden.4) Der König nimmt sie zu sich und prüft sie, ob sie
wirklich so rasch spinnen könne. Sie hat zuerst ein Fuder Hede in acht
Tagen zu spinnen. Das Mädchen konnte aber überhaupt nicht spinnen
und sass den letzten Tag weinend auf der Schwelle des Hauses. Ein altes
Weib verspricht ihr alles aufzuspinnen und verlangt zur Belohnung bloss
«inen Knust Brot mit Zwetschenmus: Dann giebt der König dem Mädchen
auf, ein Fuder Flachs zu spinnen. Nun muss das Mädchen dem Weibe ihr
«rstes Kind versprechen. Als auch diese Arbeit vollendet war, heiratet
der König das Mädchen. Zur Hochzeitstafel' erscheint die Frau und be-
o
kommt von der Königin das versprochene Stück Brot mit Zwetschenmus.
Als dann die Königin ihr erstes Kind gebar, kam sie nach demselben,
üess ihr es aber noch vierzehn Tage und erlaubte ihr, es überhaupt zu
behalten, wenn sie ihren Namen errate, ebenso also wie in Dh1. Der
1) Revue des traditions populaires XIII, 633 f.
2) Romania Vili, 222 f. Carnoy, Contes français 227 f.
3) Heinrich Pröhle, Märchen für die Jugend, 1854, S. 85 f., No. 20.
4) Dies hängt wahrscheinlich mit dem im Fichtelgebirge aufgezeichneten Glauben
zusammen, dass die Holzfräulein das-Moos von den Bäumen mit einer Spindel spinnen:
^ • Mannhardt, Wald- und Feldkulte, I, 70.
18*
2f> 4
Polívka:
König- selbst sieht die Frau um ein Feuer springen und hört sie das
Liedchen mit dem Namen singen.
In einem anderen Märchen vom Unterharz1) (Dhz1) meldet sich ein
armes Mädchen selbst im Königsschloss, dass es Gold und Silber aus
Kornstroh spinnen könne. Es hilft ihr Frû Frêen mit dein grossen Daumen.
Abweichend von der vorhergehenden Version nimmt Frû Frêen das erste
Kind der Königin, und erst als sie nach dem zweiten Kinde der Königin
kommt, sagt sie ihr, sie könne dasselbe behalten, ja auch das erste
zurückbekommen, wenn sie ihren Namen errate. Der König kommt auf
der Jagd zufällig vor eine Höhle, in welcher das Weib war, sah es und
hörte dessen Name (Pampernelle). Frû Frêen war nach der Erzählung'
nur der Zuname. Die Königin sagte dann, dass sie bald sterben müsse,
der König solle das Kind aus dem Walde holen, und dieses solle all ihr
Gold von ihr haben. v
Das poinmersche Märchen2) (Dpa) wurde unter dem Einflüsse einer
Reihe anderer Erzählungen verändert, worin drei Zauberinnen (Spinnerinnen)
anstatt des Zwerges oder Teufels auftreten. In der pommerschen Geschichte
verbreitet eine Zauberin von einem verwaisten Mädchen, einer königlichen
Prinzessin, dass dieselbe Gold spinnen könne. Den ersten Tag hilft dem
Mädchen ein Zwerg; den zweiten Tag spinnen drei alte Hexen, nachdem
es ihnen ihr erstes Kind versprochen hat. Als dasselbe geboren wird,
bewilligen sie der Mutter eine dreitägige Frist; sie könne das Kind be-
halten, wenn sie den Namen der ältesten Hexe errate. Den dritten Tag
erzählt ein Jäger, wie er im Wald Hexen um ein Feuer tanzen sah und
in ihrem Liede den Namen Swaart Hex hörte. Sie kann sich nun zwar
das Kind behalten, aber die Hexe verzaubert es später, als das Kind zu
(jiner schönen Jungfrau herangewachsen ist, samt dem ganzen Schlosse in
oinen hundertjährigen Schlaf (Dornröschen).
Ziemlich gleich lautet ein polnisches Märchen aus der Gegend von
Pinczow im Gouvernement Kiel ce3) (P). Im Unterschied von den ge-
wöhnlichen Erzählungen geht ein Mädchen die Wette ein, dass sie den
nächsten Abend allein für alle ihre Genossinnen das gesamte von ihrer
Herrin bestimmte Garn aufspinnen wolle. Den Abend kamen in die
Küche, wo die Mädchen sassen, drei weissgeldeidete, grossköpfige Weiber.
Ohne etwas zu sprechen, fingen sie an zu spinnen und waren in einem
Augenblick fertig. Weggehend sagten sie dem Mädchen: „Erinnere dich,
was du versprochen hast, dass du uns giebst, was du in einem Jahre haben
wirst." Es heiratete das Mädchen bald und bekam in einem Jahre einen
Sohn. Der junge Vater ging in ein anderes Dorf eine Patin suchen und
1) H. Pröhle, Unterharzische Sagen, 1856, S. 210.
2) U. Jahn No. 41.
3) Zbiór wiadomosci do antropologii krajowéj. Bd. IX. Abt. 3. S. 54.
Tom Tit Tot.
265
erblickte auf dem Wege drei unbekannte Weiber in der Nähe springen, hörte
ihre Namen nennen Ciacia, ¿acia und Lup-cup-cup po drodze, und
sagen, dass sie zu der Frau dieses Bauern gehen und ihr das Kind nehmen
würden. Erschrocken kehrte der Bauer nach Hause zurück und erzählte
alles seiner Frau. Als dann die drei Weiber kamen, bewilligten sie der
Frau auf ihr Klagen und Weinen, sie würden das Kind nicht nehmen,
wenn sie ihre Namen wüsste. — Die Spinnerinnen sind hier identifiziert
mit den weiblichen mythischen Wesen „boginki", welche bei den Polen
und Kleinrussen insbesondere Kinder auswechseln, wie die Feen in der
Bretagne.
Wir finden unser Märchen auch auf Island1) (Isl): Ein junger Bauer
befahl seiner unwirtschaftlichen, faulen Frau über den Winter eine gehörige
Masse WT,olle zu verweben. Der Frau, die die Arbeit' immer aufschob,
kam ein altes, hochgewachsenes Weib zu Hilfe und versprach ihr bis zum
Anfang des Sommers alles zu weben, sie müsse ihm aber seinen Namen
sagen, bis es die Arbeit abliefere. Die Bäuerin machte sich damit so viel
Sorgen, bis sie erkrankte, bekannte dann alles ihrem Manne und machte
auch ihm Angst, dass das Weib vielleicht sich ihrer bemächtigen wolle.
Da fand der Bauer einmal das alte Weib unter Felsen bei einem Webe-
stuhl sitzen und hörte, wie es zu sich sagte „Haho, hoho, die Bäuerin
weiss nicht, wie ich heisse; haho, hoho, ich heisse Gilitrutt."
Endlich gehört hierher noch die baskische Erzählung2) (B) : Eine Zauberin
hilft dem Mädchen sieben Hemden nähen, welches diesem ein Ritter in
einem Tage zu vollenden befohlen hat, mit dem Versprechen, dass er sie
dann heiraten werde. Die Zauberin bedang sich nur aus. dass sie ihren
Namen (Marie Kirikitom) merken müsse, wenn sie binnen Jahr und
Tag wieder komme. Ein anderes Weib, welches die Zauberin im Walde
sah und hörte, brachte ihr den Namen in das Gedächtnis.
Weiter verwandt ist das litauische Märchen3) (Lit1): Eine Bäuerin
kann wegen zu viel Feldarbeit mit der Leinwand nicht fertig werden und
Sagt oft: „Meine Leinwand werden die Laume fertig spinnen müssen."
Es kam auch wirklich einmal eine Laume und bot sich ihr zur Hilfe an
Unter der Bedingung, dass sie ihren Namen errate, bis sie fertig sein
^erde. Abweichend von den gewöhnlichen Erzählungen spinnt die Laume
hei der Bäuerin. So konnte sie leicht hören, wie die Laume bei der
Arbeit sagte: „Das spinnt, spinnt Bigutte."
Yon diesen Erzählungen weicht eine andere Gruppe von Erzählungen
in welchen ein Zwerg oder ein anderes überirdisches Wesen dem
Mädchen einen anderen Wunsch erfüllt.
1) Konrad Maurer, Isländische Volkssagen der Gegenwart, 1860, S. 42 f.
2) W. Webster, Basque legends 1877, S. 56. Melusine I, 150.
3) A. Schleicher, Litauische Märchen, Sprichwörter u. s. w., S. 96 f.
266
Polívka:
So bedingt sich in einer Erzählung1) (Dlip2) der Teufel von der
Braut dafür, dass er ihr die Mitgift verschafft, aus, dass sie ihm verfällt,
wenn sie in einem Jahre nicht seinen Namen errät. Der jungen Braut
brachte ein Schafhirt die Nachricht, dass er im Walde verschiedene Ge-
stalten um ein Feuer tanzen sah; einer unter ihnen war besonders lustig
und sang, dass es hübsch sei, dass sie nicht seinen Namen (Hipche)
kenne.
In einem niederösterreichischen Märchen2) (Dnö1) hilft der Teufel
einer Taglöhnerstochter Gräfin werden; sie muss sich aber seinen Namen
merken. Das Mädchen war etwas vorsichtiger, sie schrieb sich den Namen
auf einen Zettel auf und legte den in ihr Gebetbuch. Leider verlor sie
aber den Zettel. Ein Jäger sah im Walde einen schwarzen Hund herum-
springen und sich freuen, dass die Gräfin nicht seinen Namen'behalten
habe (Springhunderl). — In einem anderen niederösterreichischen
Märchen3) (Dnö2) wünscht der König kein anderes als ein schwarzäugiges,
und schwarzhaariges Mädchen zur Frau. Diesem Wunsche entsprach die
Tochter eines Köhlers. Ihr begegnete ein Männlein auf dem Wege zum
König, und sie muss ihm versprechen, dass sie nach drei Jahren noch seinen
Namen (Kruzimugeli) sagen könne, sonst müsse sie seine Frau werden.
Das Männlein sah im Wald der königliche Förster und hörte den Namen.
Ähnlich ist das böhmische Märchen aus dem Budweiser Kreise4) (Ob):
Ein armes, sehr schönes Mädchen hörte, dass sich der Herr nur mit einem
Mädchen verheiraten wolle, welches goldene Haare habe. Das Mädchen
kam einst in den Wald und sah dort ein Männlein, das beim Feuer Suppe
und Erbsen kochte, um das Feuer herumsprang und sang: „Koche Suppe,
wallet Erbsen auf, es ist gut, dass niemand weiss, dass sie mich Kul-
fácek heissen." Das Männlein zeigte dem Mädchen einen Brunnen, in
welchem sie ihre Haare vergoldet, verlangte aber, dass sie ihn mit seinem
wahren Namen bewillkommne, wenn er in sieben Jahren zu ihr kommen
werde; sonst werde sie ihm als seine Frau folgen müssen. Wie gewöhnlich
trifft auch hier der Fürst zu Ende der Frist das Männlein im Walde und
hört sein Liedchen mit dem Namen.
Hierher gehört auch das Märchen aus der oberen Bretagne6) (F9):
Der Teufel verlieh einem armen, hässlichen Mädchen, welches in einen
Jüngling verliebt war, der eine andere Braut bereits hatte, einen solchen
Zauber, dass es sehr schön wurde, aber nur in den Augen seines Ver-
ehrten. Der Teufel bedang sich dafür nur aus, dass sie ihm mit Leib
und Seele gehören solle, falls sie ihm nicht seinen Namen sagen könne,
1) H. Pröhle, Kinder- und Volksmärchen, No. 23.
2) Th. Vernaleken, Österreichische Kinder- und llausmärchen, 1864, S. 11 f., No. 3.
3) Ebenda S. 341 f.
4) Národní pohádky, písne etc. Yjdává spolek Slavia. 1873—74. I, H. 4, S. 6f.
5) Paul Sébillot, Contes populaires de la Haute Bretagne, 1880, S. 297 f.
Tom Tit Tot.
267
wenn er in einem Jahre zurückkehre. Er teilt dem Mädchen seinen
Namen (Rodo m ont) mit, verbietet ihm aber, ihn sich aufzuschreiben,
oder jemand anderem mitzuteilen, denn sonst verliere der Zauber seine
Macht. Der Gemahl hört dann Vögel in Sträuchern singen: „Wenn Marie
Mariton (so hiess die junge Frau) den Namen Rodomont wüsste, würde
sie lachen." Ygl. Mas.
Nach dem deutschungarischen Märchen1) (Du) erzog der Zwerg ein
Mädchen, das ihr armer Vater im Walde verlassen hatte, und brachte es,
als es erwachsen war, in königliche Dienste. Der König wollte das
Mädchen heiraten. Der Zwerg machte seine Einwilligung von der Be-
dingung abhängig, dass sie seinen Namen erraten müsse. Ein Diener des
Königs sieht den Zwerg im Walde herumspringen und hört sein Liedchen
mit seinem Namen (Winterkölbl). Gleicherweise wollte in der pommer-
schen Version2) (Dp3) der Zwerg ein hübsches Mädchen zur Frau, gab
es aber dann unter derselben Bedingung frei. Die Nachricht von dem
Zwerge brachte dem Mädchen ein Fischer, der viele Zwerge beim Mond-
licht tanzen sah und einen rufen hörte: „Wenn meine Braut wüsste, dass
ich Doppeltürk heisse, würde sie mich nicht nehmen." Ahnlich erzählt
ein niedersächsisches Märchen3) (Dns) von einem in ein Hirtenmädchen
verliebten Zwerge, der abgewiesen ward und drohte, er werde wieder-
kommen und das Mädchen mit Gewalt nehmen, wenn sie nicht seinen
Namen nennen könne. Den Zwerg spürte ein anderer, in das Mädchen
verliebter Hirt aus, hörte sein Liedchen und darin seinen Namen (Holz-
rührlein, Bonneführlein). In einer ähnlichen Erzählung von Silt.4)
(Dsi) suchte das Mädchen selbst den Zwerg auf und hörte sein Lied mit
seinem Namen (Ekke Nekkepenn). In einer anderen Sage von der-
selben Insel5) (Ds2) überraschte Ekke Nekkepenn ein Mädchen, als es
ini Knabenanzug baden ging. Er versprach ihr niemandem zu verraten,
dass sie ein Mädchen sei, wenn sie ihn in Jahr und Tag heiraten wolle.
Das Mädchen stimmte aus Furcht zu, damit es etwa nicht gleich in seine
Höhle geschleppt werde. Ekke Nekkepenn sang sehr oft zu Hause oder
auf dem Hügel bei Sonnenschein, dass er seine Hochzeit mit dem und
dem Mädchen vorbereite und dass er so und so heisse. Die Dorfleute
hörten alles. — Diese Erzählung ist offenbar verderbt, denn der Zwerg
stellte dem Mädchen gar keine Bedingung, wie es sich befreien könne.
1) Th. Vernaleken S. 7 f.
2) J. D. H. Terame, Die Volkssagen ans Pommern und Eugen, 1840, S. 256 f.
3) Harrys Sagen, Märchen und. Legenden Niedersachsens, I, No. 5. C. und Th.
Colshorn, Märchen und Sagen, 1854, No. 29. J. W. Wolf, Beiträge zur deutschen Mytho-
logie, II, 322.
4) K. Müllenhoff S. 309, No. 419.
5) J. P. Hansen, Friesische Sagen und Erzählungen, 1858, S. 148. Am Urquell, V,
1894, S. 249 f.
268
Polívka:
Besser ist eine andere Erzählung von dort erhalten, denn hier stellt wirklich
der Zwerg- die stereotype Bedingung. Das Mädchen hört das Lied des
Zwerges, als sie einmal am Meeresufer spazieren geht.
In einer Erzählung aus Schleswig1) (Dschl) führt der Zwerg den
König und dessen Tochter aus dem Walde hinaus, als sie sich darin ver-
irrten, nachdem das Mädchen ihm versprochen hat, ihn in 40 Tagen zu
heiraten, wenn sie nicht seinen Namen errate. Gelinge ihr das, so bekomme
sie noch dazu seinen goldenen Bart. Ein Kuhhirt hört das Lied des
Zwerges und seinen Namen „Tepentiren".
Bei Bozen in Tirol2) (Dtb) wurde unser Märchen mit dem Aschen-
brödel - Stoff vermischt. Ein Jäger führte ein armes, über ihr Elend
weinendes Mädchen zu einer Eiche und zeigte ihr in derselben Edelsteine,
Gold und silberne Kleider. Sie kann sich daraus nehmen wie viel sie
will, doch darf sie das nicht verraten und muss sich seinen Namen (Cisti
i in Körb el) merken. Er kehre in 7 Jahren zurück, und wenn sie dann
seinen Namen nicht wisse, werde sie höchst unglücklich werden. Das
Mädchen hat dann dieselben Schicksale wie das Aschenbrödel. Es wurde
Frau Gräfin, vergass dann den Namen und fiel in tiefere und tiefere Trauer
und Schwermut darüber. Sie erinnerte sich aber zuletzt selbst an den
Namen, als sie einmal im Garten sah, wie ein Arbeiter eine Cisti (Trag-
korb) in sein Körbl warf.
In einer Erzählung aus Schleswig3) (Dschl2) verspricht der Teufel
einem Manne Geld zu bringen, wenn er ihm das erste Kind, was ihm
geboren würde, überlasse, sobald es fünfzehn Jahre alt wäre, wenn er
dann nicht wisse, wie er heisse. Den Tag ehe die Frist endet, begegnet
der Yater einem unbekannten Mann im "Walde; der erzählte ihm, wie er
soeben einen Menschen traf, der fortwährend sagte „Knirrficlcer" heisse
ich, ich kenne ein junges Mädchen, ich werde es mir morgen holen."
Noch für andere Dienste verlangt der Zwerg (Teufel) u. a. eine solche
Belohnung oder stellt dieselbe Bedingung. Ganz eigentümlich ist ein
Märchen aus Preussisch-Schlesien4) (Ds): Ein graues Männlein beschenkt
ein armes Mädchen mit schönen Kleidern, ladet es mit seinem Bräutigam
in sein Schloss, das sich unter dem Wasser befindet, macht es zur Königin
und ihn zum König, verlangt aber hierfür ihren Erstgeborenen. Nachdem
sie dazu ihre Einwilligung gegeben, befinden sie sich augenblicklich in
einem unterirdischen Reiche. Nach einem Jahre kam das Männlein, um
das versprochene Kind zu holen. Die Eltern baten ihn flehentlichst, er
möge ihnen das Kind lassen, und er liess sich so weit erweichen, dass er
1) Müllenhoff S. 308, No. 418.
2) Kincler- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Zingcrle, I, S. 5 f.
No. 2, 1852.
3) Müllenhoff No. 416.
4) Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, VIT, 441 f.
Tom Tit Tot.
269
ihnen eine dreitägige Frist bewilligte: erraten sie in der Zeit seinen Namen,
so können sie das Kind behalten. Der König trifft dann das Männlein
im AValde nnd hört sein Liedchen „Wenn die Königin wüsste, dass ich
Friemel, Friemel, Frumpenstiel heisse, mtìsste ich ihr das Kind
lassen."
Viel einfacher sind andere Erzählungen. So kommt in einer Version
aus Tirol1) (Dt) der Zwerg einem Mädchen gegen einen Stier zu Hilfe,
verlangt aber dafür, sie sollo ihm in sein Reich als Braut folgen. Das
Mädchen bittet um Freilassung und verspricht ihm dafür ein schönes rotes
Röckchen. Der Zwerg stimmt zu, doch müsse sie in drei Tagen seinen
Kamen erraten. Das Lied des Zwerges mit seinem Namen (Kugerl)
hört ein Knabe, der nahe bei dessen Höhle arbeitete.
In einer anderen Erzählung aus Tirol2) (Dt2) droht der Waldmann
den Grafen, der in sein Reich geriet, nicht lebend aus dem Walde zu
lassen, oder er nehme sich seine Frau, lässt sich aber dann erweichen
unter der Bedingung, dass er in einem Monate seinen Namen wisse. Die
Gräfin begiebt sich zur bestimmten Zeit selbst an den vom Zwerg bestimmten
Ort, kommt zu dessen Häuschen,- und hört unbemerkt sein Liedchen mit
seinem Namen (Pur z in igele).
In einem Märchen aus Hessen3) (Dh3) gerät die Frau in die Macht
eines schwarzen Mannes, als sie in einen Garten schlüpft, um sich Kirschen
zu pflücken. Sie muss ihm ihr Kind versprechen. Er will es ihr lassen,
wenn sie seinen Namen errät. Der Gemahl späht den Mann selbst aus
und hört seinen Namen (Flederflitz). ^
Nach der niedersächsischen Sage4) (Dns2) verfielen den Zwergen die
Frauen, die ohne Haube aus dem Hause gingen. So fing einst der Zwerg
eine junge Frau und meldete ihr, er werde um sie zu holen den nächsten
Samstag kommen, und nur wenn sie seinen Namen errate, werde sie frei
sein. Es fand und hörte den Zwerg (Verlefränzchen, in einer anderen
Version Hoppentienchen) ein Jäger und erzählte davon, als er zufällig
in das Haus jener Frau kam und die Ursache ihrer Trauer erfuhr.
In einer niederösterreichischen Erzählung5) (Dnö3) verlässt der Teufel
eine königliche Prinzessin unter derselben Bedingung. Ein Schäfer er-
blickte im Schlossgarten ein grün angezogenes Männlein und hörte, wie er
sich freute, dass die Prinzessin nicht seinen Namen (Ziliguckerl) kennt.
In einer anderen niederösterreichischen Version6) (Dnö4) verspricht der
Teufel den König zu heilen, aber die Königin mnss nach zehn Jahren
1) Ignaz und Josef Zingerle: Kinder-und Hausmärchen aus Süddeutschland, II, 278 f.
2) Zingerle I, 1852, S. 225 f, No. 36.
3) Grimm, KHM. III8, S. 94 f.
4) G. Schambach und W. Müller, Niedersächsische Märchen und Sagen, S. 300, 369.
5) Yernaleken 342.
6) Ebenda 343.
270
Polívka:
noch seinen Namen (Felix) wissen. Sie vergass ihn jedoch und erfahr
ihn glücklicherweise von einem Bauer, der zufällig im Walde einen
buckeligen Mann traf und seine Worte hörte. Verwandt ist hiermit eine
Sage aus Tirol1) (Dta), in welcher ein winziges Manndl eine Fürstin von
ihrer schmerzlichen Krankheit heilt, nachdem sogar Doktor Theophrastas
umsonst seine Kunst versuchte. Das Manndl sagt nur der Fürstin: „Wenn
es' von heute nach einem Jahre wiederkomme und sie seinen Namen
,Hahnenkikerl e' vergessen habe, so müsse sie mit ihm als seine Braut
unter die Höttinger Klamm ziehen.u Ein armes Dienstmädchen suchte
das Manndl in seiner Klamm auf und hörte sein Liedchen.
Bisweilen verlangt das überirdische Wesen einen anderen Lohn für
die geleistete Hilfe. So schenkt in einer Tiroler Erzählung2) (Dt3) ein
Jäger dem Bauer, der über grosses Elend klagte, sieben Eber und bedingt
sich nur aus, dass er in sieben Jahren seinen Namen wisse. Der Bauer
vermutet, dass der Jäger wahrscheinlich „Danna" sei. Es hilft ihm ein
Einsiedler, der aus einem hohlen Baum den Jäger sah und hörte, wie er
seinen Namen (Spitzbartele) nannte. In einer anderen Tiroler Sage3)
verfolgt die in das Pechmannl verliebte Magd ihren Liebsten, um zu er-
fahren, wer und woher er sei, und hört sein Lied „Güngele spinn, Haspele
wind, ist guat, dass mein Braut nit weiss, dass i klein Waldkügele
heiss." Vom Spinnen ist aber keine Rede in dieser Sage. Ganz gleich
wird es auch in Schleswig-Holstein erzählt4); in dem Liedchen des Zwerges,
aus welchem das Mädchen den Namen ihres Bräutigams (Hans Donnerstag)
hörte, ist jede Reminiscenz vom Spinnen verschwunden. Eine andere
Dirne5) gewahrte schon früher, dass ihr Geliebter der leibhaftige Teufel
ist. Ein Priester versprach sie zu befreien, wenn sie dessen Namen an-
geben könne. Den erfahren zwei Knaben, die aus einem Yersteck in der
Nacht einmal sein Lied hören und darin seinen Namen (Kälberfuss).
Bloss das Grundmotiv haben mit den erwähnten Erzählungen gemein
einige lokale Legenden; so eine schwedische6) (Schw2): Ein Riese ver-
spricht dem hl. Laurenz eine Kirche aufzubauen und verlangt dafür, falls
er nicht seinen Namen errät, bis die Kirche fertig gebaut ist, Sonne und
Mond oder seine beiden Augen. Der Heilige hört selbst den Namen des
Riesen, als die Riesin ihr weinendes Kind beruhigt, das ihm sein Vater,
Jaetten Finn, Sonne und Mond oder beide Augen des hl. Laurenz bringen
werde. Es ist dies eine jüngere Version einer älteren nordländischen Sage7),
1) Joh. N. R. v. Alpeiiburg, Mythen und Sagen Tirols. Zürich 1857. S. 807.
2) Zingerle a. a. 0.
3) Ignaz v. Zingerle, Sagen aus Tirol2, 1891, S. 81 f., No. 134.
4) Miillenhoff No. 594.
5) Ignaz v. Zingerle a. a. O. S. 381, No. G77.
6) Cosquin I, 271.
7) Grimm, D. M., I4, 454.
Tom Tit Tot.
271
nach welcher der Riese dem König Olaf von Norwegen sich erbot, eine
Kirche in gewisser Zeit aufzubauen und sich dafür nur Sonne und Mond
oder beide Augen des hl. Olaf selbst ausbedang. Dieser hört bei derselben
Gelegenheit wie der hl. Laurenz den Namen des Riesen und verscheucht
ihn durch Nennung seines Namens. Der mythologische Charakter ist stark
verwischt in der verwandten Sage aus Schleswig-Holstein1): Ein Bergmann
(Kobold) erbietet sich in kurzer Zeit die Kirche zu bauen, der Baumeister
müsse aber bis dahin seinen Namen ausfindig machen. Der hört aus einem
Hügel einen ähnlichen Spruch, mit welchem des Kobolds Kind augen-
scheinlich gestillt werden sollte: „ . . . Morgen kommt dyr, Vader Zy mit
Christenbloet för dy!"
Anstatt des Zwerges, Teufels u. s. w. tritt auch in diesen Erzählungen
ein weibliches Wesen, obwohl sehr selten, auf. So in der niederöster-
reichischen Erzählung aus Mödling2) (Dnö5): Die Zauberin verspricht
einem Mädchen Kleider für den Hofball, verlangt aber hierfür ihr Kind;
es sei denn, dass sie ihren Namen nennen könne. Ein Hofmann hört die
Zauberin im Walde singen und erfährt ihren Namen hierbei (Siperdintl).
Hierher gehört auch ein schottisches Märchen3) (Sc1): Ein grüngekleidetes
altes Weib verlangt von einer Witwe deren Kind als Belohnung dafür,
dass sie ihr Schwein heilt. Auf ihr Flehen ist sie dann bereit, es ihr zu
lassen, wenn sie, bis sie in drei Tagen wiederkommt, ihren wahren Namen
errät. Die Witwe selbst späht die Fee im Walde aus, wie sie bei ihrem
Spinnrad sass und singt, und hört in dem Gesänge ihren Namen (Whup-
pity Stoorie, in einer anderen Yersion Fittletetot, ähnlich also dem
Tom Tit Tot). Recht hübsch und eigenartig wird dann die Scene zwischen
der Mutter und der Fee geschildert, ehe sie ihr ihren Namen sagt, und
zum Schluss der Eindruck, den das unerwartete Erraten des Namens auf
die Fee macht. Anstatt dreimal zu raten, bot sie statt ihres Kindes zuerst
das Schwein, dann sich selbst an. '
Ganz verdorben ist eine Erzählung aus dem Harz4) (Dhz2): Ein alter
Zwerg kommt zu einer Frau und will ihr das Kind nehmen, wenn sie nicht
sein Rätsel errät, das ganz gleich ist mit dem „Liedchen" des Zwerges in
den anderen deutschen Erzählungen. Es ist nicht erwähnt, dass die Frau
seinen Namen (Fidlefitchen) erraten soll. Die Frau errät nicht das
Rätsel, und so nimmt ihr der Zwerg ihr Kind und schiebt ihr ein Zwerglein
unter.
Manchmal verlangt der Zwerg (Teufel u. s. w.) nicht, dass sein Name,
sondern dass sein Alter erraten werde. So wird in der mährischen Wallachei
1) Müllenhoff No. 410. Ein Bruchstück dieser Sage ist No. 411, der Zwerg heiss+
da ähnlich wie in Schw2 Vaader Finn.
2) Vernaleken 341.
3) Chambers Popular Rhymes of Scotland 1870, S. 72 f. Clodd 18.
4) Pröhle, Harzsagen 193. Am Urquell V, 1894, S. 248.
272
Mielke:
erzählt1) (Cv): Der Teufel verspricht einem armen Menschen einen Sack
voll Geld, wenn er in drei Tagen wisse, wie alt er sei. Zweimal rät er
schlecht, den dritten Tag endlich kriecht er auf einen Birnbaum hinauf
und schreit dreimal wie der Kuckuck, gerade als sich der Teufel nähert.
Es war eben Weihnachten, und der Teufel rief höchst erstaunt aus: „Ich
bin schon 7 X 777 Jahre alt, aber ich habe noch nicht um Weihnachten
den Kuckuck gehört." — Eine ganz ähnliche Erzählung wurde auch in
Lothringen2) (F10) aufgezeichnet, nur dass sich hier der Teufel noch
ausbedang, wenn der Mensch es nicht errate, dass er sein Diener sein
und ihm überall folgen müsse.
Prag.
(Schluss folgt.)
Verschwindende Erntegebränche.
Von Robert Mielke.
(Mit 31 Abbildungen.)
Seitdem das Korn einen Wert als Tauschobjekt erhalten hat, ist es
überall zur Gewohnheit geworden, die Ernteergebnisse in gleichförmigen
Bündeln aufzustapeln, deren gruppenartige Aufstellung auf dem Acker es
dem Besitzer leicht ermöglicht, den Ertrag mit einem Blicke zu übersehen.
Form, Zahl und Namen dieser Bündel sind landschaftlich verschieden und
gehen in einzelnen Fällen sicher in eine sehr frühe Zeit zurück. Auch
hier löst die Gegenwart mehr und mehr die alte Gebundenheit, und es
dürfte die höchste Zeit sein, das noch Vorhandene für die Yolkskunde zu
retten, bevor es vollends verschwindet. Die Gründe dieses Verschwinden«
sind nicht schwer zu erkennen und überzeugen bald, dass der Untergang
der alten Formen in absehbarer Zeit abgeschlossen sein dürfte. Die
Maschine, welche auch in kleineren Gehöften schon ihren Einzug hält,
trägt ebensoviel bei wie der Wechsel des Gesindes, das vom Osten nach
dem Westen und auch vom Süden nach dem Norden strömt und die alten
Anordnungen vergisst, verändert und nach den Gesetzen eines rationellen
Betriebes einförmige, leicht zu zählende Haufen bildet. Auch in der
Industrie, die unter anderem das alte Kornseil zum Binden der Garben
durch exotische, für diesen Gebrauch unmittelbar geschaffene Seile ersetzt,
ist eine Bedrängerin entstanden.
So rechtfertigt es sich vielleicht, wenn ich im folgenden einige Beob-
achtungen mitteile, die noch weit entfernt hier eine klare Übersicht zu
1) M. Václavek, Valasské pohádky a povësti, II, 1874, S. 60 f.
2 Cosquin 271.
Verschwindende Erntegebräuche.
273
geben, doch vielleicht durch Berichtigungen und Ergänzungen von anderen
Seiten zu einer Grundlage des Wissens gemacht werden können.
Vorausschicken möchte ich, dass es bei dem Aufstellen der Getreide-
fracht von "Wichtigkeit ist, der Luft einen möglichst ungehemmten Durch-
gang zu gestatten, um die noch frischen Garben zu trocknen. Doch
scheint man vereinzelt dieses Grundgesetz vernachlässigt zu haben zu
Gunsten einer bestimmten, von der Windrichtung unabhängigen örtlichen
Anordnung oder zu Gunsten einer sehr altertümlich anmutenden Garben-
bindung wie im hannoverschen Artlande. Dass die Getreidearten selbst
Unterschiede bedingen, liegt nahe, ist jedoch bei einzelnen vielfach ver-
wischt.
Ich beginne mit den Kornarten, die in einzelnen Garben oder Haufen
(Puppen, Mandeln, Staufen, Hocken, Stiegen, Kupken) geschichtet werden.
Im ersteren wird die Garbe aufgestellt, nachdem sie durch ein Kornseil
gebunden ist. Diese Aufstellung, die ich bei Krakau und zwischen
Regensburg und WTeiden beobachtet habe, ist häufig mit Haufen-
schichtung vermischt; sie ist vermutlich die ältere Form (Fig. 1). Ferner
in Westpreussen (Kr. Rosenberg), jedoch nur bei Gerste. Bei Krakau
und in Oberschlesien (Gleiwitz) erhält diese Garbe noch eine besondere,,
aus Korn gebundene Schutzhaube (Fig. 2), die die Ähren verdeckt. Es
ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass dies nur bei bestimmten Kornsorten
zutrifft. (AVelche?)
Fig. 1.
Fiff. 2.
Fis-.
Eigenartig ist die Behandlung von Gerste und Hafer in dem hannover-
schen „Artlande", das südlich vom Grossh. Oldenburg (Kr. Bersenbrück)
liegt und die Kirchspiele Menslage, Gehrde, Bodbergen und Talge
umfasst. Mein Gewährsmann (Gutsbesitzer Gieske-Trimpe in Talge) be-
richtet darüber eingehend: „Dieser Bezirk hat, wie der Name schon an-
deutet, fast nur gute Bodenarten, aber sowohl hinsichtlich der Bewirt-
schaftung der Äcker und Wiesen als auch des Volkslebens im allgemeinen
seine Eigentümlichkeiten. Hier wird sämtliches Getreide mit der ,Sägel"
(Sichel) gemäht (der gute Boden bringt recht viel Lagerfrucht und darum
ist ein Mähen mit der Sense recht schwierig). Zwei Mäher beschäftigen
eine Binderin. Diese stellt die gemähte Garbe aufrecht vor sich, schlägt
mit der Rechten die Ähre über den linken Arm; dann wird vom Stoppel-
ende von beiden Seiten der Ährenzopf zugedeckt, ein Seil unten von der
274
Mielke :
Garbe abgezogen und über das eingeschlagene Ende gebunden. Die
Binderin drückt dann jede fertige Garbe einzeln neben sich in folgender
Form (Fig. db). Die Felder gewähren dann den Anblick, als ob sie ganz
mit riesigen Pilzen besetzt wären. Der lokale Ausdruck lautet ,kotte
Gärwen' (kurze Garben). Diese Bindeart kommt fast nur im Art-
lande vor."
Derselbe Gewährsmann berichtet zugleich über die Opfergarbe, eine
Schilderung, die wegen ihrer lokalen Färbung vielleicht verdient mitgeteilt
zu werden. Er sagt: „Während der Getreideernte wird von früh 7 Uhr,
bis abends die ersten fünf Sterne sichtbar, gemäht. Dann legt sich alles
auf dem Acker nieder und stimmt heitere Lieder an, soweit es nach der
harten Tagesarbeit bei guter Stimmung noch geht. Nach etwa einer halben
Stunde wird dem Hause zugesungen, das Abendessen eingenommen und
schleunigst das Bett gesucht, da gegen 472 Uhr am nächsten Morgen die
Arbeit wieder ruft. Ist sämtliches Getreide bis auf einen kleinen Rest,
der sich mit Mühe zu einer einzigen gewaltigen Garbe zusammenbringen
lässt, gemäht, so wird von Schnittern und Bindern um diesen Rest ein
Rundtanz gehalten, und der Bauer ist verpflichtet, ordentlich Bier und
Branntwein zu spendieren. Wenn dann die Garbe gemäht und zusammen-
gebunden, muss sie einzeln aufrecht stehen können, wird ceremoniell mit
dem Namen ,Ährenmoor' (Erntemutter)1) getauft und ein lange dauerndes
Gelage bei derselben gehalten. Erntebiere, Erntefeste u. s. w. sind hier
unbekannt, all dies ersetzt der eine Abend bei der Ährenmoor."
Liegende Einzelgarben sind von mir nur einmal bei Regensburg beob-
achtet worden; doch ist es nicht ausgeschlossen, dass dies nicht der end-
gültige Aufbau war.
Die Gruppenstellungen sind sehr verschieden. Ich möchte zunächst
je nach der Packung vier verschiedene Arten unterscheiden: Kreisförmig
und reihenförmig stehende, haufenartig und kreuzartig lagernde.
Bei der ersten, der kreisförmig geordneten Aufstellung werden je zwei
und zwei radial gegenübergestellt, bis sie zusammen 16 Garben enthält,
deren Ähren oben noch mit einem Ährenseil zusammengebunden werden
(Fig. 4 a, b). So sind sie in Hessen (Giessen, Marburg), im südlichen
Hannover (zwischen Münden und Göttingen), in Thüringen (zwischen
Hildburghausen und Arnstadt) zu finden. Häufig ist dabei der ge-
nieinsame Ährenschopf von einer Haube zusammengehalten (Göttingen,
Giessen) (Fig. 5). Merkwürdigerweise trifft man diese, ebenfalls mit
einer Haube eingedeckte Stellung auch in Polen (zwischen Wilna und
Kowno); nur wird hier eine streng kreuzförmige Gegenstellung bevorzugt
(Fig. 6). Einfacher, aus einer Mittelgarbe und sieben radial gegengelehnten
1) [Ährenmutter heisst die letzte Garbe in Oberosterreich (Mauthausen). Bei Grottkau
in Oberschlesien heisst die letzte Garbe, die von den Binderinnen unter Gesang- auf den
Wagen gestellt wird, Heimmutter. Mannhardt, Mythologische Forschungen, S. 319.]
Verschwindende Erntegebräuche.
275
Garben bestellend, kommt diese Art bei Fulda und in Mittelschlesien
in Anwendung, in beiden Fällen ,,Puppe" genannt (Fig. 7), während sie
im östlichen Posen (bei Wreschen) „Kupki" heisst. In dem erwähnten
„Artlande" wird Roggen und Weizen nach älterer Weise in „Hocken"
aufgestellt, die aus je vier, oben und unten gebundenen Garben bestehen.
Die reihenförmige Aufstellung ist in Deutschland am gebräuchlichsten;
sie zeigt jedoch in ihrem Aufbau bemerkenswerte örtliche Unterschiede.'
Mit einer gewissen künstlerischen Sorgfalt wird sie zwischen Münden und
Göttingen (Ndr. Scheden) ausgeführt, doch kommt man auch hier mit
der Zeit davon zurück, weil das zugezogene Gesinde nicht daran gewöhnt
ist. Bei dieser Aufstellung werden zuerst zwei Mittelgarben aneinander-
gelelint, denen auf jeder Seite wieder drei Paare angegliedert werden,
dann wird das Mittelpaar durch zwei aussen gegengestellte verstärkt und
das Ganze gegen den Seitendruck durch je eine, an den Ecken diagonal
Fig. 5.
Fi»'. G.
//// v\m
/i '
//' !
Fis-. 7.
Fier. 8.
ÜliWf
uw+i
Fis. 9.
Fig. 10.
Fig-. 11.
illliii JlllIJl.
Fig. 12.
ft".
Mil
gerichtete Stützgarbe geschützt (Fig. 8). Die zusammengestellten Garben-
paare heissen „Staufen", die aus 20 Garben bestehenden Gruppen „Stiegen".
Eine einfachere Anordnung stellt in derselben Gegend fünf Staufen neben-
einander, zwischen sie von aussen auf jeder Seite vier und an den Enden
je eine Garbe (Fig. 9). Im allgemeinen liegt ein Unterschied nur in der
Anzahl der Garben; die Gegenstellung wird selten verlassen. In Iiinter-
pommern (Stolp), in Posen und Westpreussen stellt man 5x2 oder
6X2 Garben zusammen und bildet so eine „Hocke". Im Warthebruch
zwischen Küstrin und Landsberg werden Mandeln von 14 („offene" oder
„Halbmandel") oder 16 („geschlossene" oder „Vollmandel") Garben derart
gestellt, dass die durch je eine Garbe gestützten Schmalseiten nach Osten,
bezw. Westen stehen (Fig. 10). Es scheint, als ob die Vollmandel nördlich,
die Halbmandel südlich des Flusses vorherrscht. Mandeln von 7x2 oder
8x2 Bündeln sind in der Rathenower Gegend (Hohennauen) üblich.
In S ieversdorf (Prignitz) und in Genshagen, südlich Berlin, hat man
die Mandel zu 8X2 Garben. Desgleichen bei Neustadt a. d. Dosse, wo
276
Mielke:
die Mandeln mit der Langseite parallel der längeren Seite des Ackers
stehen und an der der Windrichtung entgegengesetzten Seite durch zwei
Diagonalgarben gestützt sind (Fig. 11). Abweichend ist bei Königsberg
in Pr. eine dreifache Reihe zu 15 oder 16 Garben beliebt (Fig. 12), d. h.
mit oder ohne Endgarbe. „Hocken" oder „Stiegen" zu je 20 Garben
finden wir endlich noch in der Prignitz (Pritzwalk) und Vorpommern
(Uckermün de).
Wesentlich verschieden yon der letzten ist die dritte, von mir haufen-
artig lagernde Art genannte. Ich fand sie zuerst am Rhein zwischen
Eltville und Mainz, wo die etwa 15 gebündelten Garben, mit dem
Ährenende in derselben Richtung, in einfach wagerechter Schichtung lagerten
(Fig. 13). Ähnlich sah ich sie dann bei Regensburg, wo sie einmal
auch zu Gruppen von je drei Bündeln vorkam. Es scheint diese Lagerung
eine Verkümmerung der vierten Art zu sein, deren Verbreitungsgebiet
hauptsächlich Thüringen ist.
Fig. U
Fig. 14.
W
M\
Das Charakteristische dieser anscheinend1) zu Mandeln vereinigten
Lagerung ist, dass die wagerecht geschichteten Garben drei- oder vierfach
radial liegen, auf diese Weise ein Y oder -f- im Grundriss bildend. Die
untersten Garben liegen dann meist auf einem in die Erde gesteckten
gabelförmigen Stück Holz (Y), um die Luft durchzulassen. In dieser Weise
fand ich sie auf dem ganzen Wege zwischen Themar, Arnstadt und
Erfurt bis Halle. Bisweilen (Grossheringen) wird die kreuzförmige
Schichtung durch drei Garbeil oben abgedeckt, so dass von jeder der vier
Seiten immer drei Garben mit dem Ährenende abwechselnd kreuzweise
übereinander lagern und dann noch einmal drei in derselben Richtung
(Fig. U).
Zu grösseren Beständen wird das Stroh auf den Feldern aufgestapelt,
die allgemein als Mieten, provinziell auch Diemen (Holstein, Hannover)
und Schober (Neumark) bezeichnet werden. Hier sind ebenfalls mancherlei
Abweichungen zu verfolgen, deren Ursprungsform, der ungebündelte Haufen,
doch überall noch hindurchschimmert. Je grösser und schwerer der Haufen
ist, um so mehr setzt er durch seine eigene Festigkeit den Winden Wider-
stand entgegen, im anderen Falle wird seine innerere Standfestigkeit durch
verschiedene Mittel verstärkt.
1) Ich konnte meine Beobachtung nur von der Eisenbahn aus machen.
yerschwindende Erntegebräuche.
277
Der einfache, ungefähr kubische Haufen (Trebbin) ist nicht so häufig,
wie man annehmen müsste; er wird vereinzelt auf grossen Gütern, wo das
Dreschen mittels Dampfmaschine schon auf dem Felde besorgt wird, in
dieser kompakten Weise geschichtet. Der Landmann stellt lieber geringere
Mengen zusammen, die durch einen senkrechten Mittelbaum (Fig. 15,
Züllichau) hauptsächlich gehalten werden, oft jedoch noch durch ein
sorgfältig hergestelltes Schutzdach (Fig. 16, Ukro, Oderberg i. M., Belitz,
lvolpin bei Storkow i. M., Burg i. Spr.) besondere Abdeckung erhalten.
Dieses Schutzdach führt schliesslich dahin, den ganzen Haufen hausförmig
mit Dach, Walm zu errichten (Fig. 17, Sarmund i. M.).
Fig-. 17.
Fig. 15. Fig. 16.
4 1
ljisL. felJll
í'%
Fig. 18.
Fig. 19.
Eine örtlich zusammengedrängte Übersicht über die vom Einfachsten
zu reich ausgestaltenen architektonischen Packungen sich entwickelnde
Form der Strohmiete lässt sich in Holland, bezw. Belgien verfolgen. Die
Verhältnismässig einfache, nur um einen Stab aufgeschüttete Miete (Fig. 18 a,
Mecheln) wird leicht zu einem Rundbau, dessen Zeltdach bald mit
Stricken umschnürt (Fig. 186, Komptich bei Thienen), bald in mehr-
fachen Abstufungen sorgfältig gedeckt ist (Fig. 18c, Muysen b. Antwerpen).1)
Kine andere Entwickelungsweise bildet die vierseitige Packung, bei der
man sich in den einfacheren Fällen mit Überdeckung hilft (Fig. 19, Mecheln),
die wohl weiter ausgebildet bis zur Erde fortgesetzt wird und dann nicht
selten ein Muster solider Strohbindung ist (Fig. 20, Ros endaal an der
belg.-niederl. Grenze). Oder es wird der Haufen von allen Seiten nach
Unten glatt gestrichen, wobei dann die Grundfläche etwas eingezogen ist,
uni — ein Beispiel für die sorgfältige Beobachtung tektonischer Gesetze —
1) Eine ausgesprochene Vorliebe für Strohbindereien bezeugen auch die nieder-
ländischen Hausdächer, die in ihrer Art künstlerische Gebilde darstellen. Namentlich ist
Abtreppung ein ornamental glücklich angewandtes Motiv.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
278
Mielke:
das nach unten ablaufende Regenwasser abzuleiten (Fig. 21, Haag Kars pel).
In windreichen Gegenden bringt man auch innere und äussere Holzbelastungen
an, die den Haufen zusammenschnüren (Fig. 22, Buitenpost b. Groningen).
Der hausähnliche Charakter wird dabei immer auffallender, bis selbst ganze
Strassenreihen entstehen, mit Gassen und selbst Giebelbekrönungen (Fig. 23,
Ditz Hamrich b. Nieuwe Schanz). Neben dieser Reihe wird in grösseren
Gehöften eine andere ausgebildet, die sicher schon sehr alt ist. Yier Masten
Fig. 20.
Fig. 21.
Fig. 23.
Fig. 22.
Fig. 24.
Fig. 25.
Fig. 26.
tragen ein vierseitig abfallendes Strohdach, das auf einem Rahmen ruht
und mittels Pflöcken hoch oder niedrig zu stellen ist (Fig. 24, Haag
Kar spei). Bald wird auch noch ein oberer Rahmen hinzugefügt (Fig. 25,
Berghout b. Horn) und schliesslich auch die untere Hälfte mit Brettern
verschlossen, und ein regelmässiger Eingang freigelassen (Fig. 26, Utrecht
und Leiden). Auch in sechseckiger Grundanlage ist dieser Schutzbau
nicht selten, obwohl diese Weiterbildung erst neuerdings entstanden zu
sein scheint.
Dass wir es in dem vierseitigen Schutzgestell mit einer älteren
Uberlieferung zu thun haben, ist sicher, denn es kommt schon auf
älteren Bildern westdeutscher und niederländischer Maler vor (z. B. auf
einem kleinen mit T bezeichneten Bilde in der Altertümer-Sammlung zu
Frankfurt a. M.). Es liegt aber noch eine andere Beziehung vor, die auf
ein noch höheres Alter und auf friesischen Ursprung deutet.
Bekanntlich besteht der Kern des friesischen Wirtschaftshauses aus
einem ähnlichen vierseitigen Gebälk — dem Gulf oder Fach —, um das
Verschwindende Erntegebräuche,
2 79
Fig-. 27.
sich die Dreschdiele, der Pferdestall und Kuhstall gliedern. In ihm lagert
das Getreide unmittelbar auf dem Boden, das von dem aufgesetzten Dache
geschützt ist. Wenn auch keine direkten Beziehungen zwischen dieser
Scheuer und dem Feldgestell nachzuweisen sind, so liegt es doch nahe,
dass beide denselben gemeinsamen Ausgang genommen
haben, wodurch das Alter des letzteren in eine sehr
frühe Zeit hinaufgerückt wird.
Das Gestell hat sich — wenn auch erst neuer-
dings — im südlichen Hannover verbreitet, findet
sich aber auch in der Gegend zwischen Kattowitz
und Krakau und im nördlichen Ostpreussen, wo
es, mit einem Holz- oder Binsendach versehen, die
Heuvorräte birgt. Ob es hier eingeführt oder selbständig entstanden ist,
sei dahingestellt (Fig. 27, bei Königsberg i. Pr.).
Das frische Heu wird im allgemeinen zum Trocknen nur ausgebreitet,
zu kleinen Haufen zusammengeharkt und wieder ausgebreitet, bis es in
den Scheunen untergebracht werden kann. Bei der Braunheubereitung
bleibt das Heu auf den Wiesen, wo es zu Mieten (Neumark, Mittel-
mark) oder Diemen (Hannover), wohl auch Sehmahd (Ostpreussen,
doch unsicher!) und in „Kapizen" (Wartheniederung, Oderbruch)
aufgeschichtet wird. Auch diese Haufen erhalten einen Mittelbaum, der
o '
durch Sprossen (Fig. 28, S chi al ach, Kunersdorf i. M.) für die innere
Festigung sorgt. Sie werden auch durch Belastung von oben her geschützt,
■die durch an ein Bundseil gebundene Holzkloben gebildet wird (Fig. 29,
Züllichau, Tschicherzig).
Fig. 29.
Fig. 30.
Fig. 28.
In Gegenden, die leicht der Überschwemmung ausgesetzt sind, wie im
Spreewalde, im Oderbruch und an der Warthe, setzt man die Kapizen
nicht auf den unmittelbaren Boden, sondern auf einen Balkenrahmen,
dessen vier Ecken auf ebenso vielen, oft 1 m hoch aus der Erde auf-
ragenden Pfählen ruhen (Fig. 29 u. 30, O derb erg i. M.). Dies Gestell
führt im Oderbruch dem Namen „Micke"1); es wurden früher ge-
schickte Leute gesucht, die das Heu gut auf die Gestelle packen konnten.
1) Nach Grimms Wörterbuch bezeichnet das Wort bei Kanonen und einzelnen tech-
nischen Betrieben ein Gestell. Ich kann hier noch eine Anzahl von Beispielen anführen,
19*
•280
Kaindl :
Im Voranstehenden habe ich einzelne Wahrnehmungen zusammen-
gestellt, die ich auf verschiedenen Wanderungen gemacht habe und die ebenso
lückenhaft sind, wie sie vielleicht in einzelnen Fällen der Berichtigung,
bedürfen. Es fehlen z. B. die Formen des Hochgebirges, die beim Auf-
stapeln des Getreides (St. Gotthard) und des Heues (Berchtesgaden,
Norwegen) bestimmte Gestelle haben, die ich aber, weil ich sie nur aus
dem Gedächtnis skizzieren könnte, nur erwähnen will. Jedenfalls sind
auch hier mit der Zeit lokale Gruppen zusammenzustellen, die nicht ohne
Interesse sein dürften.
Berlin NW.
Napoleons-Gebete und -Spottlieder.
Mitgeteilt von R. Fr. Kaindl.
Noch heute giebt es viele Polen, welche in Napoleon I. den Retter
und Befreier ihrer Nation erblicken; nur der einsichtigere Teil ist zur
Erkenntnis gelangt, dass der Franzosenkaiser mit den Polen ebenso un-
lauter verfuhr wie mit anderen Völkern.
die für die aussergewöhnliche Verbreitung1 in Deutschland sprechen. Bei den Soldaten
heisst die zusammengestellte Gewehrpyramide Micke. In dem Havelland wird der gabel-
förmige Ständer, der auf den Bauernhöfen die Waschleine trägt, ebenfalls Micke genannt
(Hohennauen bei Rathenow, Falkenhagen bei Spandau). Dann hörte ich den Ausdruck an
der bayerisch-württembergischen Grenze (Nördlingen), wo die Hemmvorrichtung an den
Wagen „Micke" heisst und schliesslich bezeichnet man in Mittelschlesien auch ein Knaben-
spiel mit „Micke", bei dem ein Brett über eine Grube gelegt werden muss.
Der Klee wird in der Mark Brandenburg gewöhnlich zu kleinen
dicken Garben gebunden, die in langen Reihen und einzeln aufgestellt,
Fig. 31. Puppen genannt werden. In der Prignitz.
^ (bei Pritzwalk) ist für den oberen Teil
der Garbe der Ausdruck „Spitze", für den
unteren das Wort „Bold" üblich. Andera
jedoch in den reichen Kleegegenden, die
von Halle an sich bis nach dem Harz und
Thüringen erstrecken. Hier wird er zu
grossen Haufen geschichtet, die als Kern
ein dreifussartiges Gestell haben, dessen
Ständer mit Sprossen versehen sind (Fig. 31,.
bei Halle). Sie werden als Kleereiter oder
Kleeböcke bezeichnet.
Napoleons-Gebete und -Spottlieder.
281
Zu Anfang des Jahrhunderts war die Bewunderung und Verehrung
Napoleons unter den Polen eine ungeteilte und ungemessene. Dies ist
nichts Neues. Unbekannt dürften aber bisher einige kleine litterarische
Denkmäler sein, welche man geradezu als Napoleonsgebete bezeichnen
muss und welche die sprechendsten Beweise dafür sind, dass die Be-
wunderung des Franzosenkaisers unter den Polen geradezu zum Kultus
ausartete, vergleichbar der Vergötterung der römischen Cäsaren.
Zunächst ist ein dem „Vaterunser" nachgebildetes Gebet zu nennen,
es führt den Namen ,,Pacierz Gali cy i ski", d. h. „Galizisches Vaterunser".
Dasselbe fand sich in einer Sammelhandschrift, die ein gewisser J. B. im
Jahre 1824 anlegte und die sein in P. wohnhafter Enkel L. besitzt. In
deutscher Ubersetzung lautet dieses Gebet folgendermassen: „Vater unser,
Napoleon, Kaiser der Franzosen, der du bist in Paris, geheiliget werde
dein Name wie in dem deutschen, preussischen, so auch in unserem
g'alizischen Lande; eine polnische Regierung gieb uns heute. Du aber,
Franz, vergieb uns unsere Schulden, als auch wir vergeben deinen nieder-
trächtigen Beamten. Führe uns nicht zu voreiliger Versuchung1), sondern
erlöse uns vom üblen teuflischen deutschen Volke. Amen!"
Überrascht uns schon diese Profanierung des Gebetes der Gebete, so
finden wir im folgenden überdies einen versteckten Wunsch, dass der
regierende Kaiser Franz bald sterben möge. Dieses Gebet ist dem „Ave
Maria" nachgebildet. Die deutsche Ubersetzung lautet: „Gegriisset seist
du, Frankreich, voll der Gnaden, Napoleon ist mit dir; du bist gebenedeit
unter den Völkern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes: Napoleon,
der Erlöser des polnischen Volkes. Heilige Cousine, Mutter Napoleons,
bitte für uns Galizianer, jetzt und in der Stunde des Todes Franz'.
Amen."
Ebenbürtig reiht sich diesen Gebeten eine ähnliche Parodie des
^Credo" an: „Wir glauben an Napoleon, den Kaiser der Franzosen, den
mächtigen Retter des polnischen Volkes und an seine Familie, der empfangen
ist von dem heil. Geist, geboren aas dem glücklichsten Weibe, damit er
das Martyrium erleide durch die Intriguen der Engländer und der feind-
lichen Völker, und dass er sterbe in den Herzen der feindseligen und ihm
nicht geneigten Völker. Abgestiegen nach Preussen, nach Warschau; dort
schlug er zunächst die Deutschen und dann die Preussen und Russen,
errettete die Polen; dann kam er nach Spanien, dort sitzt er am Throne;
von dannen er durch Wien nach Krakau kommen wird zu richten den
noch lebenden Teil der Deutschen für ihre Niederträchtigkeit. Wir glauben
an den heil. Geist, welcher Napoleon mit grossem Verstände begabte; die
allgemeine Kirche sei zwischen allen gutgesinnten Polen, damit sie keinem
1) d. h. offenbar zu einem übereilten, fruchtlosen Aufstand.
282
Kaindl:
Gegner verzeihen und vergeben, dann werden wir für unser Land erringe»
ein ruhiges, sicheres und ewiges Leben. Amen."
An vierter Stelle ist eine Yerballhornung der zehn Gebote anzuführen-
Der polnische Yerfasser fasste das Verhältnis offenbar so auf, als ob
Napoleon diese Gesetze dem österreichischen Kaiser und den Deutschen
vorgeschrieben hätte. Sie lauten in Übersetzung: „Ich bin dein Herr, der
dir schon einigemal Deutschland iiberliess und dich von der Vernichtung
bewahrte. Wegen deines schweren Vergehens wirst du aber niemals mehr
zur Freiheit gelangen, vielmehr werde ich den Polen die Gewalt geben,,
damit sie die Deutschen für ihre Niederträchtigkeiten strafen und schlagen.
1. Du sollst nicht haben einen anderen Monarchen über mir.
2. Du sollst nicht mehr meine Worte (Befehle) verachten.
3. Gedenke, dass du den Tag der Vernichtung feiern sollst, wenn
Gott über die Deutschen Strafe gesendet haben wird.
4. Achte meine Rechte und jene der mit mir verbundenen Völker.
5. Du sollst nicht mehr Unschuldige töten.
6. Du sollst fortan fremde Grenzen nicht belästigen.
7. Du sollst keine fremden Besitztümer unter dem Vorwande von
Anleihen stehlen.
8. Du sollst nicht falsche Nachrichten durch deine Schriften und
Zeitungen verbreiten.
9. Du sollst nicht mehr verlangen Warschau; du sollst nicht mehr
nehmen weder Ochsen, noch Pferde, noch Schafe, noch Schweine, noch
Geld, noch irgend eine Sache, welche sein ist.
10. Du wirst nicht mehr den Nachlass verstorbener polnischer Guts-
besitzer einziehen."
Die vorstehenden vier Nummern rühren insgesamt aus der handschrift-
lichen Quelle, welche oben genannt wurde. Es ist unzweifelhaft, dass sie
in Galizien verbreitet waren; das erste bezeichnet sich geradezu als
„galizisches" Vaterunser, und das zweite ist durch den Satz ,,bitt für uns
Galizianer" deutlich gekennzeichnet. Sicher haben diese geschmacklosen
Parodien Polen zu ihren Urhebern. Das Gegenstück, welches wir aus
derselben Quelle nun mitteilen wollen, hat aber wohl einen Deutschen
zum Urheber. Es knüpft an die überaus bekannte Bibelstelle über die
Versuchung Christi durch den Satan an. Der Wortlaut ist folgender:
„Napoleons Evangelium. In der Zeit wurde Napoleon vorn Geiste nach
Russland geführet, damit er vom Teufel versuchet werde, und da er mit
seiner Armee bei Wilna 40 Tage und Nächte gefastet hatte, da hungerte
es alle und der Versucher trat zu ihm und sprach: „Bist du Napoleon, so
nimm deine Schrotmühle, die du aus Frankreich mitgebracht hast, und mahle
aus diesem Steine Brot." Napoleon erwiderte aber: „Franzosen, Italiener,
Bayern, Württemberger samt Schwaben leben nicht vom Brot allein, sondern
Napoleons-Gebete und -Spottlieder.
283
sie wollen wie in Österreich guten Brot, Wein u. clgl. haben." Da führte
ihn der Teufel in eine grosse Ebene, die voll Moräste war, wo seine
Kanonen bis auf den Grund gesunken waren, und sprach zu ihm: „Bist
du Napoleon, so hilf dir selbst; denn es steht geschrieben: Der Kaiser
Alexander wird seinen Kosaken den Befehl erteilen, dass sie dich plagen
und martern und dir Tag und Nacht keine Ruhe lassen sollen." Da ant-
wortete Napoleon: „Es steht auch wieder geschrieben: Du sollst den
Beherrscher der Europäischen Kontinenz (!) nicht versuchen." Hierauf
führte ihn der Teufel auf einen hohen Berg und zeigte ihm viele Länder
der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach: „Dieses alles hast du grössten-
teils an dich gebracht; aber Kaiser Alexander wird sie dir wieder ab-
nehmen, wenn du nicht vor ihm niederfällst und ihn anbetest." Da sprach
Napoleon: „Geh hinweg, Satan, denn es steht geschrieben, du sollst mich
allein anbeten und mich bedienen." Da verliess ihn der Teufel und siehe,
da traten seine Mameluken zu ihm und setzten ihn auf einen Schlitten
und führten ihn mit grosser Mühe davon."
Gegenüber der in den polnischen Gebeten zu Tage tretenden Ver-
ehrung Napoleons und der Franzosen, wird in diesem „Evangelium" auf
die Macht des russischen Kaisers mit Nachdruck verwiesen. Dasselbe ist
in dem folgenden Gedichte der Fall, das jedenfalls auf besonderen poetischen
Wert keinen Anspruch erheben kann.
Das vorstehende kleine Gedichtchen ist auch der bereits oben er-
wähnten Sammelhandschrift entnommen. Ein ähnliches, das zum
Schlüsse folgen mag, rührt aus der Liedersammlung eines deutschen
Kolonisten in Rosch bei Czernowitz her. Es lautet:
Gesang.
1. Es lebe weit und breit
Der Russen Tapferkeit,
Gott schenke Glück und Heil
Auf Alexander Teil.
3. Napoleon, deine Macht
Wird weit und breit verlacht,
Napoleon ganz allein
Soll nichts als Unheil sein.
2. Es steige mehr und mehr
Der Russen Heil und Ehr,
Es lebe voller Pracht
Der Russen Krieges-Macht.
4. Napoleons hoher Glanz
Verdunkle sich jetzt ganz,
Napoleons kluger Krieg
Sei ganz ohne Sieg.
(Gespräch zwischen einem Franzosen und einem Russen.)
1- Gott grüss dich, Kamerad,
Fürwahr du bist ein Russ',
Ich sag dir offengrad,
2. Ich bin ja Kamerad
Für dich, du Elendskind,
Ein russischer Soldat.
Du bist ja nicht zu Fuss. [brannt, Du sollst wissen, wer ich bin,
Der Branntwein hat dich ganz ver-
Marschieren bist du nicht gewohnt:
Ich sag' dir's ins Gesicht,
Ins Schlachtfeld taugst du nicht.
Der sich hat vor den Feind gesteckt;
Jetzt zeigst du mir gleich viel Respekt,
Friss dich mit Haar und Haut,
Fnyizos bis auf das Kraut.
284
Raff:
3. Herr Russ', ich bin Franzos
Aus stolzer Nation,
Man nennt mich stark und gross
Seit dem Napoleon.
Als Napoleon triumphiert,
Krone und Zepter hat regiert,
Seitdem war Paris
Das zweite Paradies.
4. Nicht so, Franzmann, nicht so;
Das allergrösste Reich
Ist Russland in der "Welt,
Dem zweiten Himmel gleich.
Als Alexander triumphiert,
Krön und Zepter hat regiert.
Rassland, Franzmann,
Grenzt an Himmel an.
Czerno witz.
5. Wenn Russland Himmel war
Und euer Kaiser Gott,
Dann bliebe im Schlachtfeld
Kein einziger Russe tot.
Schau jetzt nur die Anzahl an,
Dort liegen dreihunderttausend Mann,
Da kann man sehn geschwind
Wie die Russen sind.
6. Du lügst Franzmann, du lügst,
Wie du die Welt betrügst.
Nur sechzigtausend Mann,
Schau jetzt die Anzahl an.
Du machst sie noch dreimal so gross.
Lumpenkerl, du Franzos.
Ich bin ein Offizier,
Hast Lust, komm 'raus mit mir.
Bayerische Geschichten.
Mitgeteilt von Helene Raff.
I. Geschichten von Amper und Ammersee.
1. Der Herrgott als Zeuge.
In Wildenroth hat a Mannsbild g'lebt, der ganz bekannt für an Ruacli
(gieriger Mensch) und an verlogenen Tropf war. Gegenüber seiner war a
Hof, der an guaten dummen Kerl g'hört hat, im an dem is 'n Xaverl sei
Bosheit meistens 'nausgangen. Amai wieder so hat er 'n zua an Geld-
geschäft bered'n wöll'n — es war ganz was Hirnrissiges, was der Andre
gar net recht vastehn hat könna — un der Nachbar hat richti sei ganzes
Capital, an etliche Tausender, den Xaverl iibergeb'n. Yon den G'schäft
aber war koa Wörtl net war, un dös Geld hat der Xaverl einfach earn
selber angeeignet, un wia über a Weil der Andre fragt, wia 's denn mit 'n
Geld is, hat er 's ganz kalt in Abred' gstellt, dass er Überhaupts je a
Geld kriagt hat. Der Nachbar war in grössten Schreck'n, un hat 'n Xaverl
an Alles erinnert, wia 's bei der Abred' zuagang'n is, aber Zeug'n warn
koane derbei g'west und der Xaverl hat einfach g'sagt: „Du bist a Narr."
— Da is der arme Tropf, der sei ganzes Gerstl verlorn g'habt hat, vor
lauter Kränken in a schwere Krankheit g'fall'n, un wia 's mit eam auf 's
Letzte ging und er mit 'n Pfarrer alloanig war, hat er 'n Xaverl nochmal
ruf'n lass'n. Der is kenima, hat si aber bluatweni kümmert, obschon der
Sterbende eam nochmal recht bewegli um 's Geld bitt hat und der Pfarrer
Bayerische Geschichten.
285
aa zugeredt hat: wenn er 's wirkli hat, soll er doch nur net so verstockt
sein, sondern soll 's rausgeb'n. Wia s' alle zwoa gar net mit Reden aus-
lass'n hab'n, werd mittendrin der Xaverl fuachtig, haut an sein' Hosensack
un schreit: „Wenn die Rederei von den Geld wahr is, soll mir glei misa
Herrgott von oben runter a Loch in 'n Hosensack einischlagn!" — Die
Red' war kaum herausst, da thuat 's an Rumpler in der Stuab'n un aus
der Herrgottsecken über'm Tisch fallt 's Kruzifix mit 'n geschnitzten Herr-
gott abi, so hart an 'n Xaver vorbei, dass es an seiner Taschen hängen
bleibt un sie halbet 'nunter reisst. — „Siehgst es, Xaver", sagt der Pfarrer,
„unser Herrgott macht selm an Zeugn; i bitt di, thua einbekennen/' —
Aber nixn hat 's g'nutzt: der Xaver is bei sein Läugnen un Yerschwörn
blieben, un der arme angeführte Kamerad hat in allen Kummer versterb'n
müss'n. Freili lang hat der Xaver aa koa Freud g'hat mit sein' gstohlna
Geld, denn in gleichen Jahr is er gstorbn — in sein Bett hat mer ihn
g'funden mit ganz schwarzen G'sicht, die Zung' herausser und an Hals
ganz umdraht — es wird ean scho wer g'holt hab'n, vor dem er nimmer
1 eugna ko.
2. Des Teufels Sitz.
An gleichen Ort, wo dös von 'n Xaver passirt is, waren zwoa gottlose
Leut, a Mann un a Frau. So lang s' verheirat gwen san un Haushalt
g führt ham, hat koans an Armen a Stiickl Brot geb'n un arbeit't ham s'
aa net mehra wia andre Leut, Überhaupts: von Gutthan war koa Red' net.
Aba guat ganga hats eana desz'wegen doch, un oft hat mer hör'n könna,
wia s ihr Geld zählt ham. Da is amai nach 'ii Aveläuten recht a armer
mühsamer Mensch an ihr'n Häusl vorbeiganga un is earn unwillkiirli der
Gedanken kommen, wia die Zwoa so schlecht san, wia koa Mensch sie
mag un doch ham sie 's schön auf der Welt — wo denn da die G'rechtig-
keit is. — Da sieht er in' Dämmer auf'n grossen Holzstoss hinter 'n Haus,
wo 's Brennholz z'sammg'scheitelt is, Jemand sitzen, un wia er näher zu-
schaugt, is 's der Teufl; der sitzt un kringlt sein' Kuhschwoaf un spitzt
bei 'n Fenster nein so greulich vergnügt auf die drinna, wia a Katz, wann
s' an fetten Yogel oder a Maus spannt. — Dem Mann hat 's graust: er
hat oa Kreuz über 's andre g'schlag'n un is schleuni abgschobn, aber
tausch'n hätt' er mit die Zwoa nimmer mögn; un seitdem kann ma öfters
die Red hör^n: „Bei dem X. (oder der X.) hat aa schon der Teufl auf
die Scheitl'n g'sessen."
3. Spuk in Miililfeld.
Vom Schloss Mühlfeld am Ammersee war scho von jeher die Red1,
dass 's net ganz richti dermit is, un a jeder Besitzer hat 's aa g'wisst,
aber net gern viel Wort' drum gemacht. Jetz san zu'n vorigen Besitzer
amal a paar Herrn aus Münka auf Besuch kemmen un über Nacht blieb'n
286
Kaff:
— sogar an Offizier war dabei — die sail in's Fremdenzimmer g'legfc
worden, was am gleichen Gang war wie die Thür zur Galerie von der
Schlosskapell'n. Mitt'n in der Nacht wacht einer von die Herrn auf, weil
er so a wunderscheane ganz sanfte Musi hört; er weckt 'n Offizier auf,,
der hört die Musi grad a so, un sie gengan mitanand auf 'n Gang 'naus,
weil s' wiss'n ham woll'n wo dös herkimmt. Sie san glei inna worn, dass
die Musi in der Kapell'n drin is un ham vor der Thür a weng zuag'lost
un durch 's Schlüsselloch einigschaut; da war die Kapell'n ganz erleuchtet
wie von lauter Kerz'n, aber Leut hat ma keine g'sehgn. Jetz hat der eine
Herr die Thür g'schwind aufgemacht, aber in'n nämlich'n Augenblick war
Alles finster und mäuserlstad. Sie ham a Viertelstund g'wart, un wie
All's still blieb'n is, san s' wieda in's Bett ganga. Am andern Morgen san
die Herrn abgereist un Mittags in Andechs zuakehrt, am heili'n Berg; da
ham s' an Frater die G'schicht verzählt, der hat g'lacht un g'sagt: „Ja. dös
glaub i schon — dös kimmt in Mühlfeld bereits jede Woch'n amai vor —
san halt arme Seel'n."
4. Die Vorzeichen.
Bei Bruck liegt a Wirthshäusel ganz dicht bei'n Wald, da war a
Wirthin drauf, recht a brave Frau; die hat a schlimme Krankheit kriagt
un so un so viel Monat dermit umanand zog-'n — bald a bisl besser, bald
schlimmer. Jetz is die eine Nacht im Sommer der Strassenwächter amai,
wie er immer hat thun müss'n, die Strasse am Wald un durch 'n Wald
abmarschirt, — da kimmt eam der Wald so eigens unruhig vor: es flüstert
un rauscht, als ob alle Bäum' lebendi word'n warn. Un wia der W'ächter
besser hinschaut, da is's, als wenn ein Baum um 'n andern 's Geh'n anfangt
und langsam in Prozession hinter die andern hersteigt; der Mann hört ganz
genau, wie's umadum wispert: ,,Wohin? — Wohin?" — — ,,Auf'n Fried-
hof! — Auf'n Friedhof!" — — Da is den Wächter ganz unheimli word'n;
er geht 'nauf in d' Wirthsehaft un sagt zu die Leut: ,,Ös werdt's es scho
sehgn, morgen muss d' Wirthin sterbn!". — Und richti, den nächsten Tag"
hat s' ihren letzten Schnaufer than.
II. Spukgeschichten aus Hallstatt am Main.
1. Das fremde Kind.
Zu Anfang des Jahrhunderts war eine Zeit lang das Rentamt von
Bamberg hinüber nach Hallstatt verlegt, in ein altes Kloster, wo man von
eh gewusst hat, dass es da geistert. Der Rentamtmann hat 's nie erlaubt,
dass Eins davon redt, denn er war mehr neumodisch und aufgeklärt. Wenn
aber des Rentamtmanns Kinder auf dem grossen Kornboden gespielt haben,
ist alle Tag ein fremdes Kind gekommen und hat mit ihnen gespielt, ist
dann mit einmal verschwunden gewesen. So ging das eine kurze Zeit,
Bayerische Geschichten.
287
bis die Kinder sich einmal verschwatzt und über Tisch dem Vater von
dem fremden Kind erzählt haben; von da ab liess es sich nie mehr sehen.
2. Der Schatz des Müllers.
Gleich beim alten Rentamt steht eine Mühle, von der, wie von andern
Haiistatter Häusern auch, das Gerede geht, es wären noch grosse Schätze
aus der Schwedenzeit da vergraben. Vor gar nicht lang war dort ein
Müller, der hatte eine hübsche Frau ohne Geld genommen, und sie lebten
miteinander sehr gut, wussten aber vor Schulden nicht wohinaus. Da kam
dem Müller bei, sich den vergrabenen Schatz einzubilden, so dass er in
einer Tour darauf studierte, wie er ihn finden könnte. Seine Kameraden
haben ihn erst noch getratzt und aufgehetzt, hingegen eine Base war, die
ihm immer sagte: ,,Seppele, lass 's lieber gehn — Blut is mehr wie Gut"
— womit sie meinte, was viele wissen, dass in einem Haus, wo ein Schatz
gefunden wird, gern ein Todesfall vorkommt. Der närrische Mann aber
hat immer fort gethan mit Klopfen und Graben. Eines schönen Tages
hat er auch wirklich so viel Geld gehabt, dass er alle seine Hypotheken
abzahlen und ein nobles Leben anfangen konnte; zwar hat er niemand
eingestanden, wie er zu dem Geld kommt, aber jeder hat sich gleich
gedacht woher, und gewiss hat man's gewusst, wie die hübsche junge Frau
im selben Jahr an der Zehrung gestorben ist. Da war der Müller mit
samt seinem Geld elender wie vorher.
3. Der Spuk auf dem Main.
Nach der Wasserseite schläft in den Haiistatter Häusern niemand gern,
denn auf dem Wasser geht's um, namentlich wenn Hochwasser oder Treibeis
ist — und das kommt daher: Gegenüber von Hallstatt liegt Dörfleiu —
die Dörfleinser aber mussten und müssen noch in die Haiistatter Kirche
zum Gottesdienst, dazu kamen sie' dann meistens mit Kähnen angefahren.
An einem Frühjahrssonntag war furchtbarer Eisgang auf dem Main, die
Schiffer trauten sich nicht fahren, und viele rieten überhaupt, von der
Kirchen daheim zu bleiben; aber andere, zumal Frauen, mochten das nicht
und stellten sich also, ein ganzer Haufen, auf die grosse Schiffbrücke, um
sich hinüber schaffen zu lassen. Gerad in der Mitte waren sie, da kommt
ein solcher Eisstoss, dass die ganze Schiffbrücke mit allen darauf unter-
geht, und keins kann gerettet werden. Schaudervoll soll es gewesen sein,,
wie die Weiber in den steifen, faltigen Röcken, die nur langsam voll
Wasser wurden, zwischen den Eisstücken herumtrieben und Hilfe schrieen,
bis sie untergingen. — Seitdem hört man dort nachts, am meisten bei
Eisgang, einen Ton, als ob jemand ins Wasser fiele, und dazwischen ruft
es ganz dumpf: ,,Hol über! Hol über!"
288
Bünker:
Eine heanzische Bauernhochzeit.
Yon J. R. Biinker in Ödenburg.
Bevor ich auf die Schilderung einer lieanzischen Bauernhochzeit ein-
gehe, erachte ich es für notwendig, erst einiges über den Volksstamm zu
sagen, den man den lieanzischen oder die Heanzen nennt. Es ist ein
deutscher Yolksstamm, der die westlichen Teile der Komitate Eisenburg;
und Ödenburg in Westungarn bewohnt. Das Centrum des heanzisehen
Yolksstammes bildet die „Heanzerei'', die Gegend um Güns, Rechnitz,
Güssing, Pinkafeld und Bernstein im Eisenburger Komitat.
Die Deutung des Namens, welcher diesem Yolksstamm beigelegt wird,
„Heanzen" und des daraus gebildeten "Wortes „Heanzerei" ist noch nicht
gelungen. Die verschiedenen mir bekannten Varianten der Namensdeutung
stellte ich seinerzeit in einer Arbeit über das heanzische Haus zusammen.1)
Obwohl die deutschen Bewohner des Ödenburger Komitates sich nicht
Heanzen nennen, bilden sie mit den deutschen Bewohnern des Eisenburger
Komitates entschieden einen Yolksstamm. Vor allem spricht die Gleich-
artigkeit des Dialekts dafür. Ob nicht auch die westimgarischen Deutschen
des Wieselburger und des Pressburger Komitates, vornehmlich wieder in
Bezug auf die Mundart, zum heanzisehen Yolksstamme gerechnet werden
müssen, ist bis heute noch nicht mit Sicherheit entschieden. Der heanzische
Dialekt ist, worauf ich durch den Herausgeber dieser Zeitschrift, Herrn
Univ.-Prof. Dr. K. Weinhold aufmerksam gemacht worden bin, von Prof.
K. J. Schröer als eine bajuvarische Mundart und der steirischen nahe ver-
wandt erklärt worden.2) Auf die nahe Verwandtschaft des heanzisehen
Dialektes mit dem steirischen habe ich selbst auch schon hingewiesen.3)
Das unterscheidende Merkmal ist das charakteristische heanzische „ui" für
„u" in Wörtern wie „Krui" (Krug),' „Pui" (Bube), „Kui" (Kuh), „guit"
(gut) u. s. w., das man jenseits der Grenze, im Steirischen, wo „ua" für
„ui" gesprochen wird, absolut nicht mehr zu hören bekommt. Umfassendere
Proben des heanzisehen Dialektes habe ich übrigens auch schon in dieser
Zeitschrift geboten.4)
1) Meine Arbeit: „Das Bauernhaus in der Heanzerei (Westungarn)" in Bd. XXV der
„Mitteil d. Anthrop. Gesellsch. in Wien", S. 89. — Ygl. auch: Irene Thirring-Waisbecker,
„Zur Volkskunde der Hienzen" in Bd. V der „Ethnol. Mitteil, aus Ungarn", S. 11 f.
2) Vgl. Bd. VII d. Zeitschr., S. 307, Anm. 1 und Frommanns Zeitschrift, Die deutschen
Mundarten, VI, S. 21—23, 179—185, 330—348.
3) Meine Arbeit: „Das Bauernhaus in der östlichen Mittelsteiermark und in benach-
barten Gebieten" in Bd. XXVII der „Mitteil. d. Anthrop. Gesellsch. in Wien", S. 155 ff.
4) Meine „Heanzische Schwanke, Sagen und Märchen" in dieser Zeitschrift, Bd. VII
und VIII.
Heanzische Bauernhochzeit.
289
Die Abstammung- der Heanzen ist bis jetzt noch in Dunkel gehüllt.
Meine Anschauung, dass die Heanzen deutsche Uransiedler aus vormagya-
rischer Zeit sein dürften1), habe ich aufgegeben, seit ich durch Flurstudien,
die ich während der letzten Jahre auf heanzischem Gebiete durchgeführt,
zu der Ansicht kam, dass die Einbürgerung der Heanzen durch Kolonisation
unter den ersten ungarischen Königen, namentlich unter Stephan I. und
Géza II. geschehen sein wird, für welche Annahme einzelne Urkunden
sprechen.2) Heute umfasst der heanzische Yolksstamm, zahlt man hierzu
nur die Deutschen der Komitate Ödenburg und Eisenburg, etwa 230 000
Seelen.
All die Unsicherheit, mit welcher man über den heanzisclien Yolks-
stamm, sein Alter, seine Herkunft, ja selbst über seinen Namen spricht,
beweist am besten, dass man sich mit ihm vom Standpunkte der Yolks-
forschung noch recht wenig beschäftigt hat. Vielleicht trägt die folgende
Schilderung- einer heanzischen Bauernhochzeit ein wenig dazu bei, diesen
halb vergessenen deutschen Yolksstamm im fernen Osten in weiteren
Kreisen nicht nur bekannt zu machen, sondern für ihn besonders in den
Kreisen der Yolksforscher auch jenes Interesse zu erwecken, das er seiner
interessanten Eigenheiten wegen gewiss verdient.
Die Hochzeit bildet wohl das schönste und grösste aller Feste, die
im heanzischen Bauernhause gefeiert werden. Die zumeist tiefernsten
Reden, die gelegentlich der Yerlobung, am Yorabend der Hochzeit und
am Hochzeitstage selbst gesprochen werden, bilden den Mittelpunkt der
festlichen Handlungen. Sie haben sich wohl schon durch Jahrhunderte
von Generation zu Generation bis auf unsere Tage vererbt und lassen
einen tiefen Blick in das innere Leben des heanzischen Yolkes zu, in dem
sich, wie es eben diese Reden am besten beweisen, wahres religiöses
Gefühl mit praktischer Weltanschauung paart. Daneben geben heitere,
gereimte und ungereimte Reden und Sprüche den Beweis dafür, dass
dem Yolke auch ein gesunder und urwüchsiger Humor nicht fehlt. Es
war mein eifrigstes Bestreben, besonders diese Reden, wie sie, sowohl in
den Dörfern des Ödenburger, als auch des Eisenburger Komitates, fast von
Wort zu Wort gleich, üblich sind, und die, auffällig genug, worauf ich
besonders hinweisen will, nicht nur ihrem Geiste nach, sondern häufig
auch durch ganze Wortfügungen und Bilder an die Hochzeitsreden der
Siebenbürger Sachsen erinnern3), in ihrem vollen Umfange zu sammeln,
was meines Wissens bis jetzt noch nicht geschehen ist. Wie diese Reden
1) Ygl. meine Arbeit: „Typen von Bauernhäusern aus der Gegend von Ödenburg in
Uugarn" in Bd. XXIV der „Mitteil. d. Anthrop. Gesellsch. in Wien", S. 115 und die schon
citierte Arbeit in Bd. XXY ders. „Mitteil.", S. 89.
2) Die Ergebnisse meiner Flurstudien legte ich in einer Arbeit nieder, die demnächst
hi den „Mitteil. d. Anthrop. Gesellsch. in Wien" erscheinen wird.
3) Fr. Fr. Fronius, Bilder aus dem sächsischen Bauernleben in Siebenbürgen, S. 65ff.
290
Bunker:
nachstehend folgen, wurden sie von mir zum grössten Teil aus einem
geschriebenen Buche des Landmannes Michael Reiter, H.-No. 90, in Harkau
(572 kwi südlich von Ödenburg) abgeschrieben. Wo ich Reden und Sprüche
aus anderen Orten bringe, soll dies stets erwähnt werden. Alle diese
Reden werden in der Schriftsprache gehalten, freilich schlägt der Dialekt
dabei häufig durch.
Durch die gütige Vermittelung des hochw. Herrn Seniors und evang.
Pfarrers Heinrich Renner in Harkau wurde es mir ermöglicht, am 11. Febr.
letzten Jahres einer Hochzeit in Harkau beizuwohnen, die im Hause No. 78
des Michael Mahder abgehalten wurde, dessen 25jähriger Sohn Michael das
23jährige Mädchen Theresia Schindler aus dem Hause No. 72 zur Frau
nahm. Weitere zwei Hochzeiten besah ich mir dann noch in Agendorf
(7 km westlich von Ödenburg). Die Ermöglichung, an denselben teilnehmen
zu können, verdanke ich der Yermittelung des dortigen evangelischen
Pfarrers Edmund Scholtz. Herr Hofphotograph Michael Rupprecht hatte
die Freundlichkeit, mich auf diesen Exkursionen zu begleiten und für mich
Aufnahmen zu machen. Ihm verdanke ich die Bilder, welche diese Arbeit
illustrieren (Taf. I, II, III).
Da, wie oben gesagt, der grösste Teil der hier folgenden Hochzeits-
reden aus Harkau stammt, soll im nachfolgenden hauptsächlich eine Har-
kauer Bauernhochzeit geschildert werden. Abweichende Gébrauche, soweit
sie mir aus anderen heanzischen Orten bekannt geworden sind, sollen an
passender Stelle eingeflochten werden.
Das Liebesleben der Jugend des heanzischen Yolksstammes beginnt
früh, gewöhnlich schon, wenn das Mädchen kaum 15 oder 16 und der
Jüngling 17 oder 18 Jahre alt geworden ist, doch vergeht noch eine Reihe
von Jahren, bis die Paare, die sich gefunden, Mann und W^eib werden
können. In neuerer Zeit ist es, veranlasst durch die Wehrstandsgesetze,
zur Gepflogenheit geworden, dass der junge Mann seine Auserwählte erst
dann zum Altar führt, wenn er seiner Militärpflicht Genüge geleistet hat.
Der Bräutigam ist dann bereits 25—28, das Mädchen 23—25 Jahre alt.
Heiraten bei jüngerem Alter, besonders seitens des männlichen Teiles,
kommen nur ganz ausnahmsweise, etwa in Fällen vor, dass der Bräutigam
zum Militärdienste untauglich befanden worden ist.
Zur Ermöglichung der Ehe ist für das Brautpaar die Zustimmung der
Eltern unter den gegebenen bäuerlichen Verhältnissen unumgänglich not-
wendig. Es kommt nämlich nur in den seltensten Fällen vor, dass ein
Bauernsohn oder eine Bauerntochter bei fremden Leuten in den Dienst
tritt. Dass sich also Burschen oder Mädchen auf diese Weise vor der
"Verheiratung etwas erwerben könnten, und wären es auch nur einige
hundert Gulden, mit denen sie aus eigener Kraft sich einen eigenen Herd
zu gründen vermöchten, kommt kaum vor. Sowohl die Söhne als auch
Heanzische Bauernhochzeit.
291
die Töchter arbeiten, bis sie heiraten, in der Wirtschaft der Eltern mit,
ohne dass sie dafür einen Lohn bekämen oder dass sie zu ihren Eltern in
einem Verhältnisse stehen wie Dienstboten, was — nebenbei erwähnt —
in den österreichischen Alpenländern vielerorts häufig vorkommt.
Es gehört auch zu den seltenen Fällen, dass sich ein heanzischer
Bauer von seiner Wirtschaft zurückzieht, sich zur Ruhe setzt oder „in die
Ausnahme geht", es wäre denn, dass er durch Krankheit oder ein sehr
hohes Alter arbeitsunfähig geworden und sich zu diesem schwersten Schritt
in seinem Leben gezwungen fühlen würde. Da die Alten sonach ihr Gut
so lange in Händen behalten und bewirtschaften, als es ihnen nur möglich
ist, so ist ein junges Paar, das sich mit dem Gedanken an die Gründung
eines eigenen Haushaltes trägt, unbedingt von der Unterstützung der beiden
Elternpaare abhängig. Diese aber wird nur gewährt, wenn der Ehebund
mit der Zustimmung der Eltern geschlossen wird. Die Bedingung zur
Einwilligung seitens der Eltern besteht nun oft weniger in der Makellosig-
keit des zukünftigen Schwiegersohnes oder der zukünftigen Schwieger-
tochter, sondern mehr in den Yermögensverhältnissen. Auch dieses nicht
gerade ethisch zu nennende Motiv findet seine Begründung in den bäuer-
lichen Verhältnissen der Gegend. Das Heiratsgut, das nach alter Gewohn-
heit den Brautleuten von den beiderseitigen Eltern verbrieft wird1), besteht
nämlich nicht in barem Gelde, sondern in einigen Parzellen Ackerland,
in einem oder zwei Weingärten und dem nötigen Wn'tschaftsgeräte. Da
nun die Bauernbesitztümer auf dem ganzen Gebiete, das der heanzische
Volksstamm bewohnt, in der Regel so klein sind, dass sie kaum eine
Familie ausgiebig ernähren können, so sind die Eltern gezwungen, die
Wahl ihrer heiratsfähigen Kinder im Interesse der gesicherten Zukunft
derselben sorgsam zu überwachen. Es wird sehr darauf gesehen, dass die
Braut in Sachen der Mitgift dem Bräutigam ebenbürtig sei, dass ihre
Eltern ihr mindestens ebensoviel als Heiratsgut verschreiben, als die Eltern
des Bräutigams ihrem Sohne zuzusichern imstande sind.
Hat sich also der Bursche seinen Eltern und das Mädchen sich den
ihrigen erklärt, und haben die Eltern beiderseits keine Einwendung gegen
das geplante Bündnis gefunden, so beginnen die Täter gelegentlich unter
sich die Verhandlungen bezüglich des Heiratsgutes. Sind diese zu einem
befriedigenden Abschluss gekommen, so können die Vorbereitungen zur
Verlobung, die man das Brautinachen nennt, getroffen werden.
Das Brautmachen geschieht in der Regel vierzehn Tage vor der
Hochzeit und fällt wie diese selbst in die Faschingszeit, während welcher
fast alle Hochzeiten in den heanzischen Dörfern abgehalten werden. Nur
ausnahmsweise finden Hochzeiten auch zu anderen Zeiten des Jahres statt.
Zum Brautmachen, das fast immer auf die Abendstunden eines Samstages
Verlegt wird, wählt sich sowohl der Bräutigam als auch die Braut zwei
1) Vgl. den unten S. 303 abgedruckten Heiratsbrief.
292
Biinker:
ältere Männer aus der Verwandtschaft, die gelegentlich der Hochzeit als
Trauzeugen fungieren und von denen je einer auch redegewandt, d. h. mit
den Hochzeitsreden und -sprächen vertraut sein muss. Die beiden Ver-
trauensmänner des Bräutigams heissen Betmänner (Bittmänner) und die
der Braut Ausgeber. Der Wortführer sowohl der Betmänner, als auch
der Ausgeber wird Redmann geheissen.
Gegen Abend des festgesetzten Samstages erscheinen die Betmänner
sonntäglich gekleidet im Hause des Bräutigams. Dort lassen sie sich noch
einmal genau über die bereits gepflogenen Abmachungen unterrichten und
begeben sich dann, von den besten Wünschen begleitet, in das Haus, wo
sie die wichtige Angelegenheit des Brautmachens durchzuführen haben.
Es warten ihrer dort ausser den Familienmitgliedern des Mädchens,
um das sie werben sollen, zur anberaumten Stunde bereits auch die beiden
Ausgeber.
Nachdem die beiden Betmänner in die blank geputzte „Feierstube"
(das Prunkgemach des Hauses) eingetreten sind und allen Anwesenden
zum Grusse die derbe Rechte gereicht haben, richtet der Redmann der
Betmänner an die beiden Ausgeber folgende Ansprache:
„Zwar, meine lieben Freunde, wir sind geschickt von dem ehrsamen
und bescheidenen N. N. und seiner lieben Ehewirtin, nebst ihrem lieben
Sohn. Sie lassen durch uns Euch einen glückseligen guten Abend wünschen.
Übrigens werd'fc Ihr Euch zu erinnern wissen, dass Gott1) den ehrsamen
und bescheidenen N. N. nebst seiner lieben Ehewirtin mit einem Sohn
gesegnet hat, welchen sie, so viel in ihren Kräften stand, christlich auf-
erzogen haben. So ist er zu seinen fruchtbaren Jahren gekommen. Jetzt
hat er sich durch seiner Eltern und guter Freunde Rat und That erinnert,
dass es nicht gut sei, dass der Mensch allein sei, sondern er sich um eine
Gehilfin umsehen soll, die um ihn sei, welches er auch gethan hat. Er
hat sich umgesehen unter den Jungfrauen (Witfrauen) und ihm (sich) eine
ausgesehen und in sein Herz eingeschlossen, als nämlich des ehrsamen
und bescheidenen N. N. und seiner Ehewirtin ihre ehrlich (ehelich) er-
zeugte Jungfrau Tochter, mit welcher er sich soweit, bis auf des Priesters
Hand und Kopulation ehrlich verpflichtet und versprochen hat.
"Weil aber unser(es) Bräutigams Vater und seine Ehewirtin dieses
christliche Werk allein nicht verrichten können, so haben sie mich und
meinen Kameraden gebeten, wir möchten ihnen in Lieb und Freundschaft
eine Gottwohlgefallung in dieser Behausung thun und in ihrem Namen
sowohl, als in ihres Sohnes Namen Euch einen guten Abend anwünschen.
Wenn mir Gott und gute Leute dienen und helfen, dass aus diesen
beiden Freundschaften eine gedeihen soll, so will er sich mit der ver-
langten Person offen ehelich verloben und versprechen.
Im übrigen bitt' ich, lieben Freunde, was ist Euer Verlangen zum
Heiratsgut?"
1) Das Wort „Gott" war in der Handschrift Reiters stets durch einen durchstrichenen
Kreis (-e-) ersetzt. Der Schreibende war eingedenk des 2. Gebotes und fürchtete durch
das Ausschreiben des Wortes „Gott" eine Handlung zu begehen, wodurch der Name
Gottes missbraucht werden könnte.
Hearizische Bauernhochzeit.
293
Zur Bewirtung der ausgesandten Boten des brautwerbenden Burschen
steht auf dem Stubentische Wein und Brot bereit-, sie nehmen aber von
dem Dargebotenen nichts an, bevor sie mit der Verhandlung um das
Heiratsgut nicht ins Reine gekommen sind. Auch werden die Abmachungen
stehend durchgeführt und die Reden stehend gehalten, denn es ist schon
Öfter vorgekommen, dass die Betmänner unverrichteter Dinge wieder ab-
ziehen mussten, sei es, dass der Brautvater von dem Versprochenen im
kritischen Augenblicke noch etwas abhandeln zu können glaubte oder dass
den Werbenden aus Rache oder sonstigen unlauteren Ursachen ein Korb
erteilt worden ist.
Führen jedoch die Unterhandlungen zu dem gewünschten Ende, so
überreicht der redende Betmann der Braut im Namen des Bräutigams ein
Geschenk, das in Harkau gewöhnlich in einem grösseren Geldstück, zumeist
in einem Dukaten besteht und das Drangeid genannt wird, mit folgender
Rede:
„Wertgeschätzte Freunde!
Weil es nun so weit gelungen, ist, dass zwischen uns vier ehrsamen
Männern ein ehrlicher Handschlag gegeben wurde, so konnte unser Jung-
herr Bräutigam nicht unterlassen, seiner Jungfrau Braut ein Geschenk
oder Eheband zu überbringen zur grösseren Versicherung und Glaub-
würdigkeit. Er wollte aber dabei wünschen, dass sie das Präsent schätzen,
seine Person aber desto höher lieben und ehren möchte.
Ich übergebe es Euch im Namen des dreieinigen Gottes; er sei ihr
Anfänger und Vollender von nun an bis in Ewigkeit!"
Das Geschenk, welches die Braut von ihrem Bräutigam erhält, wird
von dieser durch ein weisses Tuch, dessen Ränder und Ecken kunstvoll
mit Blumen und Herzen durch ihre eigene Hand bestickt wurden, und
durch einen in die Falten des Tuches gesteckten Rosmarinzweig erwidert.
Das Tuch wird „Fetzen" genannt. Den Rosmarinzweig trägt der Bräutigam
bis zu seinem Ehrentage am Hute, an diesem selbst jedoch im Knopfloche
seines Rockes. Das weisse Tuch bildet einen Schmuck im Hochzeitstaate
des Bräutigams. Es wird in Harkau, in der Form eines Quadrates zu-
sammengelegt, an der linken Brustseite des Rockes aussen befestigt.
Durch den über die Schultern gehängten kurzen Pelz wird es zum Teile
verdeckt (s. Taf. I, No. 1; der Bräutigam steht im Bilde ganz vorne links).
In Mörbisch (10 km nordöstlich von Ödenburg am Neusiedlersee gelegen)
und in Agendorf befestigt man das weisse Tuch, nachdem es seiner ganzen
Länge nach schmal zusammengefaltet wTurde, über der linken Brustseite
an der Wieste, so dass es wie eine Schärpe unter dem Rocke hervorhängt.
Das Tuch wird von dem wortführenden Ausgeber den Betmännern im
Namen der Braut mit folgenden Worten übergeben:
„Zwar, meine lieben Freunde, weil Ihr erschienen seid in dieser Be-
hausung und habt uns einen freundlichen guten Abend gewunschen Eurem
Zeitschr. d. Vereins i. Volkskunde. 1900.
294
Biinker:
Jüngling zu Lieb', Ehr' und Treu', welches — Gott sei Dank! — geschehen
ist, dass zwischen uns ehrsamen vier Männern ein ehrlicher Handstreich
gemacht worden ist bis auf des Priesters Hand und Kopulation.
Jedoch kann die Braut nicht unterlassen, dem Jungherrn Bräutigam
ein Präsent oder Ehebündnis zur Versicherung zu überschicken, wobei
ich aber nebst der Jungfrau Braut wünsche, dass der Jungherr Bräutigam
nicht dieses Präsent, sondern ihre eigene Person noch viel mehr lieben
und in Wert halten möchte.
So übergieb ich es im Namen des dreieinigen Gottes; er segne ihren
Eingang und Ausgang von nun an bis in alle Ewigkeit!"
Erst nach dem Austausche der Geschenke thun die Betmänner Be-
scheid und nehmen von dem ihnen angebotenen Brot und Wein an. Sie
setzen sich auch auf kurze Zeit an den Tisch, „um den Schlaf nicht aus-
zutragen", verabschieden sich dann, überbringen dem harrenden Bräutigam
die Kunde ihrer Werbung und überreichen ilim das Angebinde der Braut,
wobei der Redmann folgendes sagt:
„Mein lieber Jungherr Bräutigam!
Deine versprochene Jungfrau Braut konnte aus Liebe zu Dir und zur
grösseren Glaubwürdigkeit und Versicherung nicht unterlassen, dieses
Eheband zu überschicken, wo sie aber vor allem wünscht, Du möchtest
nicht nur allein dieses schätzen, sondern die Person vielmehr als Deine
versprochene und zugesagte Jungfrau Braut achten, lieben und sie in
Ehren halten, damit der Ausspruch der Worte in Erfüllung gehe, wo es
heisst: Also sollen die Männer die Weiber lieben als wie sich selbst,
denn wer eine solche Hausfrau hat, der bringt sein Gut in Rat und hat
eine treue Gehilfin an der Seite, an der er sich trösten kann."
Welch tiefere Bedeutung dem Fetzen, dem weissen reich bestickten
Tuche, das die Braut dem Bräutigam als Yerlobungsangebinde übersendet,
in früherer Zeit beigelegt worden sein musste, konnte ich, obwohl ich der
Sache nachging, nicht ergründen. Eigentümlicherweise findet das Tuch
im späteren Leben sonst keine Verwendung mehr als die, dass es bei ein-
getroffenen Todesfällen hervorgeholt wird, um damit für die Zeit, während
welcher der Tote noch im Hause weilt, den Spiegel zu verhängen. Das
Tuch wird in den Reden der Betmänner und Ausgeber Eheband und
Ehebiinclnis genannt, das die Braut zu grösserer Versicherung und
Glaubwürdigkeit dem Bräutigam übersendet. Es dürfte also als Symbol,
als das sichtbare Band anzusehen sein, womit die Braut öffentlich bedeutet,
dass sie sich dem Bräutigam verbunden, sich an ihn verkettet habe. Bei
den Heanzen des Eisenburger Komitates ist das weisse Tuch nicht mehr
im Gebrauche. Dort vertritt die Stelle desselben ein von der Braut selbst
genähtes Hemd und ein paar Taschentücher, welche Dinge die Braut dem
Bräutigam am Vorabend der Hochzeit selbst übergiebt (Oberschützen bei
Pinkafeld). Nebenbei mag hier erwähnt werden, dass in Oberschützen
die verheirateten Frauen noch vor dreissig Jahren ein im Dreiecke ge-
faltetes weisses Kopftuch trugen, das im Genicke gebunden und ebenfalls
Heanzische Bauernhochzeit.
295
Fetzen genannt wurde. Ob zwischen diesem Fetzen und dem Fetzen, den
in der Gegend von Ödenburg die Braut dem Bräutigam als Eheband über-
giebt, nicht ein innerer Zusammenhang besteht, wird sich vielleicht noch
feststellen lassen.
Den Schluss des Verlobungsfestes bildet in Harkau ein Mahl, zu dem
die Betmänner mit dem Bräutigam und dessen Vater zurückkehren. Nur
sie mit den Ausgebern und den nächsten Familienangehörigen der Braut
nehmen an diesem Mahle teil.
Die vierzehn Tage zwischen der Verlobung und dem Hochzeitsfeste
sind der Vorbereitung gewidmet. Während dieser Zeit muss das Brautpaar
an den drei aufeinander folgenden Sonntagen in der Kirche verkündigt
werden. „Das Brautpaar wird", heisst es im Volksmunde allenthalben,
„von der Kanzel herabgeworfen." Die Kranzeljungfern richten ihre Kleider,
und auch die Alten, die an der Hochzeit teilnehmen, sehen nach, ob ihr
Festkleid in Ordnung ist. Am meisten Sorge haben die Eltern von Braut
und Bräutigam um die Zurichtung und Beschaffung dessen, was Tisch und
Keller am Ehrentag und dessen Vorabend bieten müssen. Da muss gar
manches Huhn und Spanferkel, in jedem der beiden Häuser mindestens
ein Frischling (junges Schwein), in den Häusern reicherer Bauern aber
ein Ochse das Leben einbüssen, denn die Gäste sind zahlreich und zumeist
bringen sie auch einen gesegneten Appetit mit sich. Die Hausmutter
allein ist auch gar nicht imstande, all die viele Arbeit zu bewältigen,
darum spricht sie drei oder vier jüngere Frauen ihrer Freundschaft als
„Köchinnen" an. Die Hälfte der letzten Woche hindurch sind sie eifrig
beschäftigt mit dem Backen der Krapfen und Kränze (kranzförmige Kuchen),
der Bäugel (strudelähnliches und mit Mohn gefülltes Gebäck aus Hefeteig)
und des nötigen Brotes, mit dem Rupfen der Hühner und Putzen der
Spanferkel. Die grossen irdenen Hochzeits-Töpfe (Hâzat-Hëif'n), welche
jahrelang unbenutzt auf dem Dachboden des Hauses standen, müssen herab-
geholt, gereinigt und ausgebrüht werden. Die grösseren unter ihnen sind
über 7a m hoch und fassen einen ganzen Metzen (etwa 50 Liter). In
einem der Töpfe werden zu gleicher Zeit 6—8 Hühner, im anderen etwa
50—60 kg Rindfleisch, im dritten eine Unmasse von Sauerkraut mit ge-
räuchertem Schweinefleisch und im vierten die klein geschnittenen Teile
des Rindermagens, die drei Tage am Feuer stehen müssen, bis sie weich
Verden, gekocht. Ich konnte mir es leicht erklären, als ich vier solcher
vollgefüllter Riesentöpfe um das offen flackernde Feuer auf dem Herde
stehen sah, der einen Backofen in sich schloss, woher die Sprünge an der
Herdwand stammten, auf die die Brautmutter mit besorgter Miene hinwies.
Am Samstag vor der Hochzeit beginnt die Einleitung zum Ehrentage
im Hause der Braut mit einem grossen Gastmahle, das an Zahl und Menge
der Speisen, die dabei aufgetragen werden, dem Hochzeitsmahle gleich
20*
296
Bünker:
kommt. Dieses Mahl wird der Braut zu Ehren ihr von ihren Eltern
gegeben und Allamarsch (vom magyar. Aldomás = Kauftrunk, Leikauf)
genannt. An diesem Mahle nimmt die Freundschaft der Braut, ferner der
Bräutigam und dessen Yater und die Ausgeber und Betmänner teil. Der
Bräutigam, sein Yater und die Betmänner werden durch die zur Hochzeit
aufgenommenen Musikanten abgeholt und zum Mahle in das Brauthaus
„hingeblasen". Das Mahl beginnt in Harkau gewöhnlich um 2 Uhr und
dauert bei Musik und heiterer Stimmung bis in den Abend hinein.
Wenn der Abend herannaht und die Gesellschaft noch an den Tischen
sitzt, erscheint der erste Brautführer, ein noch unverheirateter Freund
des Bräutigams mit einem der Hochzeitsknechte im Auftrage des Bräutigam-
vaters im Brauthause und ladet mit folgenden Worten die versammelten
Verwandten der Braut zum morgigen Hochzeitsmahle. Dies wird nämlich
vom Yater des Bräutigams gegeben und findet in dessen Hause statt. Die
Ladung lautet:
„Wertgeschätzte Versammlung!
Ihr dürft es uns nicht übel nehmen, dass wir Euch so spät in der
Nacht überlaufen, denn es wird Euch wohl bekannt sein, dass der All-
mächtige dem ehrsamen und bescheidenen N. N. und seiner Ehewirtin
einen Sohn hat erleben und erwachsen lassen. Derselbe ist zu seinen
fruchtbaren Jahren gekommen und hat sich durch Gottes und guter Leute
Rat erinnert, dass er sich umsehe um eine Gehilfin, die um und bei ihm
sei. So hat er sich auch umgesehen unter dem weiblichen Geschlecht
und hat sich eine auserkoren und in sein Herz geschlossen, nämlich des
ehrsamen N. N. ehelich erzeugte Jungfrau Tochter, mit der er sich ver-
sprochen und verpflichtet hat bis auf Priesters Hand und Kopulation.
"Weil aber unser Hochzeitsvater das christliche "Werk allein nicht ver-
richten kann, so hat er uns als Boten hergeschickt und lässt Euch ein-
würdigen alle, die hier versammelt sind, nämlich den Herrn Brautvater,
die Herren Ausgeber, Koch und Kellner, Kranzeljungfern, und auch die
Herren Musikanten und das ganze Hausgemein. Er lässt Euch auf das
Allerschönste bitten, Ihr möchtet ihm am morgenden Tage die Lieb und
Treu erweisen und ihm die Jungfrau Braut helfen begleiten zur Kirche und
zur heiligen Kopulation und alldort mit einem christlichen Gebet und
Vaterunser beiwohnen, damit das angefangene Werk desto besser gedeihe
zu Gottes Lob, Ehr und Preis, und nach verrichteter Kopulation wieder
in des Hochzeitsvaters Behausung, wo er den Willen hat, den christlichen
Ehrentag anzustellen. Da wird er Euch vortragen lassen Brot und Wein
und andere Speisen und Gaben Gottes, alles was ihm Gott durch seine
Gnade an reichem Segen bescheret und gegeben hat.
Im übrigen wollet Ihr Euch meine Worte gefallen lassen und mir einen
Bescheid geben, damit ich und mein Mitkonsort eine gewisse Post (sichere
Nachricht) nach Hause bringen können."
Ist das Mahl beendet, so spricht einer der Ausgeber folgende „Dank-
sagung" :
„Zwar, meine lieben Herren und Freund', ich bitt' mir ein paar
Wort' aus.
Heanzische Bauernhochzeit.
297
Weil der Allmächtige unser beiderseitiges Gebet und Wünschen erhört
hat und ist aus diesen beiden Freundschaften eine gediehen, auch zwischen
uns vier Männern ein ehrlich Bündnis geschlossen worden so weit, bis
auf des Priesters Hand und Kopulation, so hat aber der ehrsame und
bescheidene N. N. samt seiner Ehewirtin nicht unterlassen können, ihrer
Jungfrau Tochter eine Mahlzeit anzustellen, als nämlich den heutigen Tag,
wozu er uns alle, wie wir hier versammelt sind, einwürdigen liess. Er
hat uns lassen vortragen Speis' und Trank und alles, was ihm Gott, der
Allmächtige, durch seinen gnadenreichen Segen gegeben hat. Weil er
nun dieses alles, ob es jetzt viel oder wenig war, aus liebevollem Herzen
darreichte, so bitte ich, es möge sich ein jeder begnügen lassen. Im
übrigen bitte ich, Ihr möchtet Euch diese Worte lieben und gefallen
lassen, und in dem, was zurückgeblieben sein möchte, so möchtet Ihr es
mit einem Bissen Brot oder einem Trunk Wein erstatten.
So wollen wir aber auch des Dankes gegen Gott nicht vergessen und
mit dem Sänger einstimmen:
Du schenkst uns, Gott, so väterlich
Jetzt Speis' und Trank so gnädiglich,
Denn alles, was uns stärkt und nährt,
Wird uns durch Deine Huld beschert.
Sieh', Deine Gaben nehmen wir
Mit Freuden, Vater, hin von Dir.
Oh, lass uns den Genuss gedeih'n
Und Dir dafür auch dankbar sein! Amen."
Nach der Danksagung werden Tische und Stühle aus dem Zimmer
geräumt, und der Tanz beginnt, um erst gegen Mitternacht sein Ende zu
erreichen.
In den heanzischen Dörfern des Eisenburger Komitates findet am
^ orabend der Hochzeit das „Brautgutführen" statt. Die Aussteuer der
Braut wird auf einen Wagen geladen und derselbe unter dem Jauchzen
der begleitenden Burschen in das Haus des Bräutigams gebracht. Einer
der Abgesandten des Bräutigams richtet hierbei an den Tater der Braut
und an den Ausgeber, der bei der Übernahme des Brautgutes stets zugegen
zu sein pflegt, folgende Anrede:
„Mein lieber Herr Vetter1) Ausgeber und Herr Hauswirt, ich hätte
noch einige Worte zu melden, wenn ich soviel Erlaubnis hätte, dieselbigen
vor Euch zu bringen.
Wenn sich vielleicht die Jungfrau Braut in ihren jungen Jahren etwas
erworben oder erspart möchte haben, es sei entweder Bettgewand, Gold
oder Silber, so möchte ich jetzt bitten, wenn ihr möchtet so gut sein und
solches auf- und übergeben, dass wir es könhten an Ort und Stelle bringen,
wohin es gehört und gebührt."
Am Abend desselben Tages werden dort auch zwischen Bräutigam
l|rid Braut die Geschenke ausgetauscht. Der Bräutigam überschickt der
1) Es ist bei den Heanzen Sitte, dass jeder ältere Mann von den jüngeren und
hindern mit Vetter angesprochen wird.
298
Bünker:
Brant durch ein paar Junggesellen ein Paar Schuhe, die Brautschuhe,
welche die Braut am nächsten Tage, am Tage der Hochzeit trägt, und
die Braut erwidert dieses Geschenk durch ein Hemd, das sie selbst ge-
macht hat.
Beim Überbringen der Brautschuhe hält einer der Burschen folgende
Ansprache :
„Guten Abend, raein lieber Herr Hauswirt! Ich glaube, Ihr werdet
uns nicht böse sein, dass wir so spät zu Euch ins Haus kommen. Wir
sind drei reisende Handwerksburschen, wir haben uns verlaufen und
wissen jetzt nicht aus und ein. So ist der Tag vergangen und die Nacht
angebrochen. Da haben wir gehört, bei Euch wäre ein Wirtshaus, und
haben auch das Licht gesehen, darum möchten wir höflichst bitten, wenn
Ihr so gut wäret und uns über Nacht behalten würdet. Könnte es aber
nicht sein, dann möchten wir bitten, wenn Ihr uns einen Wegweiser
geben würdet, der uns in die nächste Ortschaft führt. Er soll ganz
gewiss recht gut bezahlt werden."
Der Hausvater verlangt hierauf einen Reisepass. Nachdem er den-
selben für gut und in Ordnung befunden, gewährt er gutherzig den drei
Burschen Nachtquartier. Der eine derselben setzt nun seine Rede fort:
„Mein lieber Herr Hauswirt! Wir haben auch gehört, dass Ihr eine
Braut in Eurem Hause habt. Da sind wir auch ausgeschickt worden auf
einen Jahrmarkt, um etwas einzukaufen für die ehrsame Jungfrau Braut,
was für sie gehört und gebührt.
So sind wir nach Wien, Graz, nach Fürstenfeld und hinaus in die
weite Welt gewandert und haben nichts gefunden, was unser Wunsch
gewesen wäre. Erst auf dem ganz kleinen Markt in Pinkafeld haben wir
eingekauft, was sich für die ehrsame Jungfrau Braut schickt und gehört.
Auf der Rückreise sind wir durch einen grossen Wald gegangen, da
sind uns die schweren Kaufleute (Räuber) begegnet, die haben uns alles
weggenommen, was wir gekauft haben. Ein einziges Paar Schuhe haben wir
dadurch erhalten, dass wir es in einen Dornbusch hineingeworfen haben.
Wir selbst sind davongelaufen, um nur unser Leben zu retten.
Darum, lieber Herr Brautvater, Ihr werdet uns diesmal verzeihen, dass
wir nichts Besseres haben, und uns erlauben, unsere Ware auszulegen."1)
Wenn hierauf die Braut den Abgesandten ihres Bräutigams das Hemd
überreicht, so spricht sie:
„Hier gebe ich dem Bräutigam Aus schönster Leinwand
Das Hochzeitshemd Ist es gemacht
Und hoffe, dass er sich Und mit freudigem Herzen
Nie damit schämt. Ihm dargebracht.
Ein reines Herz, das bring ich ihm
Und einen guten Namen.
Weil es so Gottes Wille ist,
So kommen wir zusammen.
Er soll uns seinen Segen geben
Und ein ruhig friedlich Leben."1)
1) Mir mitgeteilt von Mathias Graal, Maurermeister, in Wolfau.
Heanzisclie Bauernhochzeit.
299
Der Hochzeitstag wird eingeleitet durch das Laden der Hochzeitsgäste
zur Hochzeit. Dies haben die beiden Brautführer, der des Bräutigams
und der der Braut zu besorgen. Dies geschieht in Harkau dreimal hinter-
einander und zwar um 12, 1/2i und 1 Uhr. Die Hochzeit findet gewöhnlich
um 2 Uhr statt.
Die ersten beiden Male spricht der Brautführer des Bräutigams:
„Der Hochzeitsvater und Jungherr Bräutigam lassen Euch durch uns
einwürdigen, Ihr möchtet ihnen die Ehre erweisen und ihnen die Kraut
begleiten helfen zur Kirche und von dort nach vollbrachter Kopulation
zurück in das Hochzeitshaus, woselbst er Euch mit Speis' und Trank
aufwarten möchte."
Zum drittenmale erscheinen die Brautführer bereits in vollem hochzeit-
lichen Staate, angethan mit schwarzer enganliegender Hose, die in hohen
glänzenden Stiefeln steckt, mit ebenfalls schwarzem Rock, über dem der
reichverschnürte kurze Pelz lose auf den Schultern hängt. Auf dem Kopfe
tragen die Burschen eine Astrachan-Mütze, die mit einem Rosmarinzweig
und einem roten Seidenbande geziert ist. Wenn entweder die Braut oder
der Bräutigam in Trauer sich befindet, so vertritt die Stelle des roten
Bandes ein blaues. Jeder der beiden Brautführer trägt einen mit Bändern
gezierten Stock in der Hand. Zum drittenmale wird zum Hochzeitsmahle
geladen. Hierbei sagt der Brautführer des Bräutigams folgende Worte:
„Wir sind erschienen als Boten vom Hochzeitsvater. Derselbe lässt
Euch einen guten Tag anwünschen und lässt Euch durch uns herzlich
bitten, Ihr möget Euch nach der Kopulation erscheinen lassen (einfinden)."
Die soeben aus Harkau mitgeteilten Einladungsansprachen scheinen,
wenn man sie mit den in Agendorf und Mörbisch gebräuchlichen ver-
gleicht, schon stark zusammengeschrumpft zu sein. Auch in diesen Orten
wird stets dreimal geladen, die dritte Einladung, welche den beiden ersten
im Wortlaute und Umfange fast gleichkommt, wird aber erst nach der
Kopulation und zwar zu der Zeit, während welcher die Hochzeitsgäste
ihre wertvollen und schweren Kleider mit leichteren vertauschen, angebracht.
Der eine der Brautführer hält in Mörbisch hierbei folgende Ansprache:
„Wir werden geschickt von dem Jungherrn Bräutigam sowohl, als auch
von seiner vielgeliebten Jungfrau Braut und von der beiderseitigen Freund-
schaft. Sie lassen Euch und Eurer Hauswirtin, samt Eurer Jungfrau Tochter (
einen glückseligen guten Tag vermelden. Wenn's Euch möchte Wohl-
ergehen, wär's ihnen eine grosse Freude anzuhören. Im übrigen werdet
Ihr Euch wohl zu erinnern wissen, dass Ihr ihnen das christliche Ehren-
geleit habt helfen geben von Gassen zu Kirchen und in des Priesters
Hand und Kopulation, alldort beigewohnt habt mit einem christlichen
Gebet oder Vaterunser und nach verrichteter Kopulation wieder das christ-
liche Ehrengeleit habt helfen geben von Kirchen zu Gassen und in das
christliche Hochzeitshaus. Da will er Euch lassen setzen zu Tische neben
Herren, Frauen, Junggesellen und Jungfrauen, da will er Euch lassen
vortragen Brot, Wein und andere Speisen, welche ihnen der allmächtige
300
Biinker:
Gott durch seinen reichen Segen beschert hat. Das sollt Ihr ihnen helfen
verzehren in guter Gesundheit. Das steht dem Jungherrn Bräutigam
sowohl, wie auch seiner vielgeliebten Jungfrau Braut dienstbarlich zu
verschulden und zu vergelten."1)
In Agendorf besteht die Sitte, dass der Bräutigam auch seine Braut
durch seinen Brautführer am Morgen des Hochzeitstages zur Hochzeit
laden lässt. Die Rede, welche der Brautführer an die Braut zu richten
hat, ist in vielen Stellen der oben mitgeteilten aus Mörbisch fast gleich.
Sie lautet folgendem!assen:
„Ehrsame Jungfrau Braut! Ich komme jetzt herein, aber nur ganz
allein, nicht vielleicht aus Scherz oder Übermut, sondern um einen ge-
wissen Bescheid. Ich werde geschickt von unserem Jungherrn Bräutigam,
auf dass ich soll einladen die Jungfrau Braut, denn ohne Braut kann die
Hochzeit nicht bestehen. Dann müssen wir auch dabei haben Herren
und Frauen, Junggesellen und Jungfrauen, auch die Herren Musikanten,
die uns den christlichen Ehrentag helfen begleiten von Gassen zur Kirche
und auch zur christlichen Kopulation und nach verrichteter Kopulation
wieder zurückbegleiten helfen auf Ort und Stelle, nämlich in unseres
Jungherrn Bräutigams seine eigene Behausung. Da wird man Euch vor-
tragen Brot und Wein, auch andere Gaben Gottes, die ihm Gott, der
Allmächtige, durch seinen mildreichen Segen bescheret hat. So will ich
bitten, Ihr möchtet mich einen guten Boten sein lassen, möchtet Euch
bereit machen bis 12 Chr."
Zur festgesetzten Zeit versammeln sich die geladenen Gäste und zwar
die Verwandten der Braut im Vaterhause der Braut und die Freundschaft
des Bräutigams in dessen Yaterhause. Die verheirateten Männer erscheinen
in Harkau angethan so wie die Burschen, nur tragen sie statt des kurzen
verschnürten Pelzes einen langen, bis unter die Knie reichenden und am
Halse mit Pelz verbrämten Mantel, den man ebenfalls „Pelz" nennt. Sehr
alte Männer tragen noch den aus ihren jüngeren Jahren stammenden
weiten, vielfältigen und mit einem langen, bis über die Hüften hinab
reichenden Kragen versehenen, dunkelblauen Radmantel. Die Farbe des
Mantels, wie er heute getragen wird, ist wie die Farbe des ganzen An-
zuges schwarz.
Burschen und Männer versammeln sich in einem Zimmer und die
Mädchen in dem anderen. Jeder der Eintretenden, die im Hochzeitshause
vom Bräutigam, dessen Yater und den beiden Betmännern empfangen
werden, spricht bei seiner Ankunft folgende Worte:
„Weil uns der Jungherr Bräutigam angesprochen hat, wir sollen ihm
etliche Schritte zu Gefallen thun, so haben wir uns erscheinen lassen."
1) Diese Rede wurde mir nebst anderem von Herrn Lehrer S. Kurz in Mörbisch
mitgeteilt. Herr Kurz hat mich in meiner Sammelthätigkeit schon wiederholt so eifrig
unterstützt, dass ich mieli gedrungen fühle, ihm auch hier meinen besten Dank für seine
Zuvorkommenheit auszusprechen.
Heanzische Bauernhochzeit.
301
Verheiratete Frauen nehmen mit Ausnahme einer weder am Hochzeits-
zuge, noch an der Hochzeitstafel teil. Sie sind in Küche und Keller so
sehr in Anspruch genommen, dass sie hierzu nicht Zeit finden. Dafür
aber gehen alle Kinder der Männer, welche am Zuge teilnehmen, im
Hochzeitszuge als „Hochzeitsknechte" oder „Kranzeljungfern" mit. Die
kleinsten der Kinder werden dabei von den Vätern an der Hand geführt,
während die grösseren, auch solche schon, die kaum 7 oder 8 Jahre zählen,
in Reih und Glied marschieren. Es ist besonders in Agendorf recht drollig,
wTenn man sieht, dass jeder Knabe genau so wie die Alten mit einem
Spazierstocke in der Hand einherstolziert (Taf. I, Fig. 2).
Sind alle Gäste, die der Bräutigam in seinem Hause erwartet hat,
versammelt, so begeben sie sich, in einen Zug geordnet, in das Haus der
Braut. Voran schreitet die Musikkapelle, einen Marsch blasend. Ihr folgt
der Bräutigam, diesem schliessen sich, nach ihrer Grösse geordnet, die
Kranzeljungfern mit ihren Führern paarweise an. Den Schluss bilden die
Männer, die ebenfalls paarweise gehen.
Im Brauthause betreten die männlichen Glieder der Hochzeitsgesell-
schaft wieder jene Stube, in der sich die männlichen Verwandten der
Braut versammelt hatten, und die weiblichen gehen in die Stube, in der
sich die Braut mit den Mädchen ihrer Verwandtschaft und der Mutter der
Braut befinden. Jeder der verheirateten Männer erhält jetzt von einer
Verwandten der Braut einen Rosmarinzweig, den er sich in ein Knopfloch
des Mantels steckt.
Wenn sich die Männer alle versammelt haben, so tritt der Bräutigam
vor und spricht:
„Wertgeschätzte Freunde! Ich bitte hiermit jeden einzelnen von Euch
öffentlich um Verzeihung, so ich einen oder den anderen beleidigt haben
sollte."
In Wandorf (3 km westlich von Ödenburg) leistet der Bräutigam auch
seinen Schwiegereltern (Schwägerleuten) Abbitte, indem er sagt:
„Nun, herzliebster Schwäger und Schwägerin, ich erinnere mich heute
mit betrübtem Herzen, aber auch mit gerührter Seele an Euch und lege
den herzlichsten Dank ab, welchen ich Euch als treues Kind schuldig bin.
Ich danke Euch, mein lieber Schwäger und Schwägerin, dass Ihr sie (die
Braut) habt in der Furcht Gottes auferzogen und hat jetzt auch ihre
fruchtbaren Jahre erreicht. Für dieses alles sage ich Euch herzlichen
Dank davor. Und kann ich das Gute, was Ihr an ihr habt gethan von
Kindheit an bis diesen Tag nicht vergelten so wie ich es Euch schuldig zu
vergelten wär', so wird doch der Herr im Himmel Euer Bezahler sein,
Denn Eure Treu' wird Gott belohnen Die die Kinder treu erziehen.
Dort in jener Ewigkeit Gott wird segnen Euer Mühen,
Mit den Himmelsehrenkronen, Er wird Euch nach diesem Leben
Die den Eltern sind bereit, Einst die Himmelsfreuden geben."1)
1) Abgeschrieben aus einem geschriebenen Buche des Bauern Karl Tschuri in Wandorf.
302
Biinker:
Wenn der Bräutigam in Harkau im Hause der Braut seine Abbitte
geleistet hat, so tritt der Redmann der Betmänner vor und hält an die
Versammelten folgende Ansprache:
„"Wertgeschätzte Freunde! Ich hoffe, es wird einem jeden unter uns
ohnedies bekannt sein, zu welch wichtigem Zwecke wir uns heute, (nämlich)
Menschen zu lieben und Gott zu ehren, in dieser Behausung versammelt
haben.
Es ist heute. die feierliche Stunde, wegen welcher wir vier ehrsame
Männer vor etlichen Tagen geworben haben, damit dieses von uns be-
gonnene Werk voll Heil und Segen für die beiden Brautpersonen werde
und sie einst am Ziele ihrer vollbrachten Laufbahn mit Freuden an den-
jenigen Tag zurückdenken mögen, wo sie von uns bekräftigt und auch
von des Priesters Hand eingesegnet wurden.
Nun, der allmächtige Gott wolle, dass sie forthin bis an ihr vollbrachtes
Ziel in rechter Liebe und Treue miteinander verbunden bleiben möchten,
zu welchem Ende ich ihnen den Segen des Gottes aller Gnade von
Herzen wünsche."
Auf diese Anrede antwortet einer der Ausgeber, wie folgt:
„Ganz gut, mein lieber Freund! Weil wir denn also zu solch wichtigen
Zwecken versammelt sind, so wollen wir auch sehen, ob das unter uns
vier ehrsamen Männern Verabredet' und Beschlossene auch pünktlich ver-
fasst und auf Papier gebracht wurde."
Es erfolgt jetzt die Yerlesuug des an einem dér vorhergehenden Tage
abgefassten Heiratsbriefes. Auf die Ausstattung der Heiratsbriefe wurde
bis in die jüngste Zeit grosses Gewicht gelegt. Die erste Seite wurde am
Rande mit Guirlanden von Rosen, Nelken und Yergissmeinuichten bemalt
und dabei nicht vergessen, an passender Stelle auch zwei brennende
Herzen, das Symbol glühender Liebe, anzubringen. Die ersten Zeilen des
Textes bestanden aus bemalten und kunstvoll verschnörkelten Buchstaben.
Solche Heiratsbriefe findet man in den Bauernhäusern der Gegend nicht
selten unter Glas und Rahmen an der Wand hängend. So wie das Äussere
der Heiratsbriefe mit der Zeit stets schmuckloser geworden ist, so wurde
auch der Inhalt immer liebloser und kälter. Heute kommt der Text eines
Heiratsbriefes dem eines trockenen gerichtlichen Kontraktes gleich. Ich
halte es für notwendig, dass im Rahmen dieser Arbeit, um sie so vollkommen
als möglich zu machen, auch ein Heiratsbrief zum Abdrucke komme,
bietet doch gerade ein solcher auch wieder einen tieferen Blick in das
Leben des heanzischen Volksstammes. Er beleuchtet wohl mehr die
materielle Seite im Hochzeitsgetriebe, doch auch diese Seite muss in das
Licht gerückt werdeil, um das Bild einer heanzischen Bauernhochzeit zu
einem klaren zu gestalten. Wie übrigens die Feinfühligkeit des Volks-
geistes darnach trachtete, dem Vertragsakte seine geschäftliche Nüchternheit
zu nehmen, mag aus dem nun folgenden Heiratsbrief ersehen werden. Es
ist nämlich nicht einer von heute, sondern er stammt aus älterer Zeit, aus
dem Jahre 1708 und lautet:
Heanzische Bauernhochzeit.
303
„Ich Pauli Sigli, Ein Junger Gesell, gebürtig allhier in Harkaw, deß
Ehrsamben Hannß Sigli, Mitnachbar allhier, Catharina seiner Ehewirtin,
Als derer beden Ehrlichen erzeugter Sohn : : Bekenne mit diesem Offenen
Heuraths Brief vor Menniglichen, wenn der zu Lesen vorgebracht wird
Demnach ich mich auß sonderbahrer Schickung Gottes des Allmechtigen
und dann mit Hilffe Rats und Beystandt guter Herren und Gönner in den
Staudt der H : : Ehe eingeschlossen habe Als zu der Ehr und Tugentsamben
Jungfrauen nahmens Maria, deß "Weil: Ehrsamben Jacob Poschen gewester
Mitnachbar alhier nun mehr seel, Maria seiner gewesten Ehewirthin so
noch in Leben, Als derer beden Ehrlichen erzeugten Jungfrauen Tochter,
Welcher jetzt gemelten meiner Lieben Jungfrauen Braut, und zukünftige
Ehewirthin habe ich in Oeffentlichen Heuraths Beschluß zu einer freuen
Morgen gab verheurath und zu gesagt, Thue solches auch noch mallen in
Krafft dieses Briefes : : Als
Erstlichen Alle Conlichen1) Lieb und Treu : :
Andern, Den Vierten Theil an meines Liebsten
Vatters, und Mutters Behaussung, so neben Pauli
Rossner Mitnachbaren alhier Behaussung liegent :::
Dritten an statt eines Weingarten Fünf
und Dreyßig Gulden Kaisl. gelt : :
Vierten undt Letzten, Ain barr Stertzen2),
sambt ein Halben Eyssernen Wagen :|:
Diese benannte Stück, sambtlichen treu, und Ledig, Ihren gefallen
damit zu thun und zu lassen, wie es ihr beliebt, ohne iemandes einredt
Hinternuß oder widersprechen :|:
Die Lieb ist groß, die gab ist klein,
Gott weiß, daß ichs von Hertzen mein
O bleib bestendig in der Liebe.
) _ X- (
i i V n
Gott sihet das Hertz an.
Jedoch mit dieser Bescheidenheit: Da es sich nach den willen Gottes
begebe und zu trüge, daß vor gemelte meine Liebe Jungfrau Brauth und
zukünfftige Ehewirthin vor meiner ohne Leibes Erben solte dess zeitlichen
Todes verscheiden, so sol ich mein ihr vor vermachtes Heurathsguth, von
ihren nechsten Erben oder Befreunten, mit Sechzehen Gulden Kaysl. gelt
macht haben, ab zulesen, Was wir aber sonsten gewinnen erkauffen, daß
soll alles nach der Königl. Freystadt Oedenburg3) mit sonderen Treuen
ohne gefehrte gehalten werden : :
Dessen zu wahrer Uhrkunt habe ich Anfangs bekenneter Junck Herr
Bräutigam Pauli Sigli diesen Heuraths Brieff lassen aufrichten, und meines
Theils zu Herren Beystänten erbeten die Ehrsamben zwen Männer, Alß
Matthias Krenner Gerichts geschworner wie auch Pauli Rossner der Zeit
Besteiter H :|: Wachtmeister aida, Wie auch gleicher weiß, sindt auch auff
meiner Lieben Jungfrauen Braut seiten, erbeten worden die Ehrsamben
1) konlich = ehelich.
2) "junge Ochsen.
3) Will heissen: nach den Rechten der kgl. Freistadt Ödenburg gehalten werden.
304
Biinker :
zwenn Männer, Alß Georg Kolb und Gregorius Krenner, Alle sambt Hauß
gesessene Männer und Mitnachbarn alhier, daß sie disen unseren auff-
gerichten Heuraths Brieff mit ihren aigenen und gewöhnlichen Pättschafften
haben yerfertiget ohne Nachtig. schaden : : gegeben und beschehen in
Harckaw d. 27 Novembr dess 1708 Jahr."
(L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.)
Nachdem der Heiratsbrief verlesen und durch die vier Beistände
unterfertigt worden ist, begeben sich die männlichen Hochzeitsgäste in die
Stube, wo die weiblichen Gäste um die Braut versammelt sind. Dort
richtet dann der Redmann der Ausgeber folgende Worte an die Braut:
„Vielgeliebte Jungfrau Braut! So komm nun im Namen Gottes und
thu den heiligen Schritt, der Dich in das eheliche Leben führt, thu ihn
aber zugleich mit dem ernsten Vorsatz, Dein ganzes Leben hindurch Dich
nach dem "Willen des Allerhöchsten Deinem Manne ganz zu widmen,
d. h. ihm in allen Stücken soweit es Pflicht und Gewissen fordert, Folge
zu leisten, damit auch von Dir einst die Worte gelten mögen: Wer eine
solche Hausfrau hat, der bringt sein Leben mit Ruh' und Friede vor
Gott und allen Menschen glücklich in der Welt fort."
Hat der Ausgeber dies gesprochen, so führt er die Braut den Betleuten
zu, übergiebt sie diesen und hält dabei folgende, an die Betleute gerichtete
Anrede:
„Vielgeliebte Freunde! Weil Ihr nunmehr erschienen seid in dieser
Behausung, um diejenige Person, welche Ihr vor etlichen Tagen geworben
habt, um sie nach diesem in das Haus des Herrn zu führen, damit dort
beide Brautleute vor Gott und den öffentlich versammelten Zeugen durch
den Priester ehelich kopuliert und gesegnet werden, so wünsche ich
unterdessen im Namen aller anwesenden Freunde und Verwandten den
Segen des Herrn über beide Brautpersonen. Der Gott aller Gnaden segne
und stärke und erhalte sie in wahrer Liebe und im seligmachenden
Glauben, damit sie immerdar wandeln auf Gottes Wegen bis an ihr
seliges Ende."
Der eine der Betmänner übernimmt jetzt die Braut, führt sie an die
Seite des Bräutigams und übergiebt sie ihm mit folgenden Worten:
„Werter Jungherr Bräutigam! Hier übergieb ich Dir Deine Jungfrau
Braut im Namen des dreieinigen Gottes. Gehe hin mit ihr in das Haus
des Herrn, um abzulegen das Gelübde, welches allen denen vorbehalten
ist, die ein Herz und eine Seele zu sein versprochen, und wandle dann
einher auf dem Wege, der zur Tugend und Gottseligkeit führt. Schütze,
schirme und verteidige sie nicht sowohl in guten Tagen, sondern vielmehr
in bösen. Sei ihr aber auch am Ende ihrer Tage ein Tröster, Leiter und
Begleiter hinüber in das Land der ewigen Wonne."
Jetzt wendet sich der Betmann in seiner Rede an beide, den Bräutigam
und die Braut, und spricht weiter:
„Wohlan denn, wertes Brautpaar, so ist denn die Zeit oder vielmehr
der Tag und die Stunde soweit herangekommen, wo wir uns nächst Gott
und seinen geleisteten Beistand als erste Beförderer zu Eurer Verbindung
ansehen und anzuerkennen haben. Ob wir zu einem glücklichen oder unglück-
. Heanzische Bauernhochzeit.
305
lichen Ehestand verholfen haben, wir wissen es nicht. Gott weiss es. Wir
können zu diesem Zwecke nicht das Mindeste beitragen, weder zu einer guten
Sache, noch viel weniger zu einem bösen Verein. Gott wird das letztere,
einen unglücklichen Ehestand, wohl fernhalten, vor allem und hauptsächlich
liegt der Grund und die nächste Ursache in Euch selbst. Obwohl Gott gütig
ist, ist er aber nur dann ein wahrer Gott, Geber alles Guten und Segen-
verleiher, wenn Ihr Euch vor ihm eines aufrichtigen Wohllebens und
Wirkens befleissiget.
Um dies zu erlangen, so höret die Worte: Haltet vor allem einerlei
Sinn untereinander und trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes. So
Ihr das thuet, so bleibet Ihr in Gott und Gott wird dann in Euch bleiben.
Amen."
Nach dieser Rede übergiebt der Bräutigam die Braut den Brautführern
und spricht dabei:
„Hier übergieb ich Euch meine Jungfrau Braut im Namen des drei-
einigen Gottes. Führet sie hin in das Haus, wo nur Gottes Ehre wohnet."
Darauf antwortet einer der Brautführer:
„Ja, wir übernehmen sie, Deine gegenwärtige Jungfrau Braut und
wollen ausführen das christliche Werk, das Du uns anvertraut hast."
Diese Worte sind gleichzeitig das Zeichen zum Aufbruche zur Kirche.
Der Zug ordnet sich in folgender Weise:
Yoraus geht die Musik, unaufhörlich Märsche blasend. Ihr folgt in
einem Abstände von 4—5 Schritten der Bräutigam ganz allein. In seiner
Hand trägt er einen ganz kleinen Rosmarinkranz, durch den er gewöhnlich
den Daumen gesteckt hält. Auf den Bräutigam folgen dann paarweise
die Hoclizeitsknechte mit den Kranzeljungfrauen, der Grösse nach geordnet.
Ihnen schliesst sich die Braut an, die mit dem in ein weisses Taschentuch
gewickelten Gesangbuche unter dem Arme zwischen den beiden Braut-
führern geht. Nach ihnen schreiten die verheirateten Männer, meist nach
Alter und Würde geordnet, an der Spitze die Betmänner und Ausgeber
und der Hochzeitsvater mit dem Brautvater, ebenfalls paarweise einher.
Wie die Braut, so sind auch die Kranzeljungfern mit der weissen gestickten
Schürze und dem Myrtenkranze geziert. Jedes Mädchen hält ein weisses
Taschentuch in der Hand und hat ein kleines Sträusschen an der Brust.
Das Bild (Taf. I, No. 1) zeigt den am 11. Februar in Harkau auf-
genommenen Hochzeitszug. Voran, links im Bilde, steht der Bräutigam,
durch das weisse gestickte Tuch, den „Fetzen", an der Brust zu erkennen.
Das letzte Mädchen im Zuge, das eine weisse Schürze trägt, ist die Braut.
Wie man mir sagte, trug in früheren Jahren der Bräutigam jenes
Kränzchen, von dem ich oben bemerkte, dass es aus Rosmarinzweigen
geflochten sei, nicht auf den Daumen gesteckt in der Hand, sondern auf
dem Kopfe, und wie ich gelegentlich eines Osterausfluges (1900) nach
Mörbisch erfuhr, besteht diese Gepflogenheit dortselbst auch heute noch.
Der Kranz wird durch einen Seidenfaden festgehalten.
306
Bacher:
So wie in Harkau, trägt auch in Mörbisch die Braut schwarze Kleidung
und eine weisse, von ihr selbst reich gestickte Schürze. Verdeckt vom
Myrtenkranze, trägt auch die Braut ein solches kleines Rosmarinkränzchen,
wie es der Bräutigam hat, über dem Scheitel ihres Kopfes. Es ist sowohl
bei ihr, als auch beim Bräutigam das Zeichen der sittlichen Unbeflecktheit.
(Schluss folgt.)
Yon dem deutschen Grenzposten Lusérn im wälschen
Südtirol.
Vom Kuraten Josef Bacher in Unterfennberg bei Margreid in Südtirol.
(Fortsetzung.)
II. Geschichten in Luserner Mundart.1)
Zur Schreibung (1er Dialektstücke.
Das einzige angewandte Zeichen der vokalischen Länge ist der Strich über dem Vokal.
Jeder geschriebene Yokal wird gesprochen, also prüeder (prüadar) = Briiëder.
~ über einem Vokal bezeichnet seine Nasalierung. — e offenes e. — e geschlossenes,
dem ö sich näherndes e. — a tonloses e. — 9 offenes 0. — f scharfes f, v weiches f. —
X = ch. — 15 Gutturalnasal, ng. — s hartes sch. — s weiches sch.
1. Dar pär un dar vink.
A juioar par is gant in pa 'n an wald
géulana und lürnana. Déna hat an gahöart
a vink un darsei hat an garüaft un hat
köt: „Was bast du, as du sö lürnst un
a so geulst, liawar mat par?" Un dar
par hat köt: „I han varlört mal máma
(múatar) un i va© koan andra milx." „E,
was is dasei", hat an köt dar vink, „i
han ö nia koana gavaioia milx un lewa
als oans." „E", hat an köt dar ptîr,
„vink, vink, ma kent dars à an da sink,
du hast gapapat koana milx.
1. Der Bär und der Fink.
Ein junger Bär ging waldeinwärts
weinend und brüllend. Da hörte ihn
ein Fink und dieser rief ihm und sagte:
„Was hast du, dass du so brüllst und
weinest, mein lieber Bär?" Und der
Bär sagte: „Ich habe meine Mutter ver-
loren und bekomme keine Milch mehr."
„Ei was", sagte der Fink (daran ist nichts
gelegen), „ich habe nie Milch bekommen
und lebe dennoch." „Ja", sagte der Bär,
„Fink, Fink, man kennt dirs an in den
Beinen, dass du keineMilch gesogenbast."
Bemerk.: gant, das schwache Mittelwort, = gegangen; im Lusernerschen werden
alle Zeitwörter ohne Ausnahme schwach oder gemischt abgewandelt. — géulana un lurnana:
die gerundive Mittelform der Gegenwart wird in Luserna häufig gebraucht. — gapapat:
Dieser Ausdruck wird angewendet bei kleinen Kindern; von Tieren sagt man sonst taidan,
du hast gataidat.
1) Beim Auffinden und Sammeln der Geschichten aus Lussrn wurde der Verfasser in
entgegenkommender Weise unterstützt von einem befähigten Luserner Mädchen, Ursula
Gasperi-Kamiro (aus der Familie der Kanär), deren nunmehr verstorbener Vater Simon bei
den denkwürdigen Gemeindewahlen 1889 eine kräftige Stütze der deutschen Sache war.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
307
2. Dar pua,
wo da nä hat gajukt an ágslstek
an par.
Vor vüxzig, sexzig jär sain da gawëst
vbr manan vö Lusern zo wegsla da hülza
hütn af an wälisan perga. Sa harn ga-
möxt neman 's gahülz von altn hütn zo
träga 's af an andarn plaz zo maxa aú
da kSsarn vö néugum. Da manan sain
kent ala mal z' slava an Wïsala un daz
morgas sain sa augastant un sain gant zo
maxa saï árwat.
In an morgan sain sa augastant zo
giana zo árwata. A ju©ar púa an da
zwoanzi(g) jâr is gant voranahï siiaana
un wísplana. Da ándarn ham an nàga-
hôggat: „Krist sau, da kint dar par, sau
da kint dar par!" Er hats nat gaheart
Un is gant síioana vursnan. Da andarn
ham wïdar gasrïgat; déna hat ar an ga-
segg ar ö. Er is lai gant zo wöla vaiaan
an par tswisnan arm un haltn an zo
paita, wo da zúorifn (zuokeman) da an-
darn mat n en pail zo töata an par.
Af halman wëga tswisn an kasarn ham
sa áu gahat garixtat a holz zo léga drau
zo rasta. Bai d'ar is ga west së(w)m,
dar pua is gawëst af óandarn sait vò
dar rast un dar par af dar andarn. Dar
pia hat ägasaugg an par un dar pär is
augakeai't pa 'n ar stikl lait un dar púa
hat an nàgajukt an agslstek un hat an.
d^rwist an pär an da vorä sink. Dar
par hat sa a pi sie umgakeart un hat
àgasaugg an púa un dêna is ar gant
vúrsnan aú pa lait un is gant öwars
«gg in; wen ar is gawëst ín zált 'n egg
is ar wïdar gakeart wïdar um afz egg
Un hat gasaugg wïdar âr zuor an pua.
Drai vert hat ar gamaxt dar par dasél
spïl un déna hat ar gevamo an wald un
hat hant galegg (àgahôft) a so seula zo
lürna, as ar hat gamaxt zitarn ala da
baldar. Dar púa, wo da sa vorä nat
gavör(x)tat in höarn 'n par is kent zo
darkena was da is dar par.
2. Der Bursch,
welcher den (Achsel-) Tragstock
dem Bären nachgeworfen hat.
Yor fünfzig, sechzig Jahren waren
vier Männer von Luserna auf einer ital.
Alme, um die (Senn-) Hütten zu wechseln
(zu übertragen). Sie mussten das Holz
der alten Hütten nehmen, um es an einen
anderen Platz zu tragen, um die Senn-
hütten von neuem aufzustellen. Die
Männer kamen alle Abende ins „Wiesele"
zu schlafen und morgens standen sie auf
und gingen, ihre Arbeit zu verrichten.
An einem Morgen standen sie auf,
um arbeiten zu gehen. Ein junger Bursch
in den zwanzig Jahren ging voraus singend
und wispelnd. Die anderen schrien ihm
nach: „Christian, schau, da kommt der
Bär, schau, da kommt der Bär!" Er
hörte es nicht und ging singend vorwärts.
Die anderen schrien wieder; da sah auch
er ihn. Er ging sofort, zu wollen er-
fassen den Bären zwischen den Armen
und ihn halten, um zu warten, bis die
anderen herankämen mit einem Beil, um
den Bären zu töten. Auf halbem Wege
zwischen den Sennhütten hatten sie ein
Holz aufgerichtet gehabt, um beim Rasten
daraufzustellen. Sobald er dort war,
war der Bursche auf einer Seite und
der Bär auf der anderen Seite der Rast.
Der Bursch schaute den Bären an, und
der Bär machte sich über einen steilen
Berghang (Leite) hinauf, und der Bursch
warf ihm den Tragstock nach und traf
den Bären an den Yordertatzen. Der Bär
wendete sich ein bisschen und schaute
den Burschen an und ging dann vorwärts
hinauf die Leite und ging über den
Hügel hinein; sowie er ein Stück hinein
war über den Hügel, kehrte er wieder
auf den Hügel zurück und schaute wieder
hinab gegen den Burschen. Dreimal
machte es der Bär so und dann wendete
er sich in den Wald und fing an so ab-
scheulich zu brüllen, dass er alle Wälder
zittern machte. Der Burche, der sich
vorher nicht gefürchtet hatte, kam, als
er den Bären hörte, zur Erkenntnis, was
der Bär ist.
308
Bacher:
Bemerk.: nä hat gajukt, auch: „hat g-ijukt nä", eigentümliche Trennung und
Wortstellung in Nebensätzen. — Agslstek, ein Stock, mit dem man beim Tragen einer
schweren Last auf einer Achsel von der anderen Achsel aus durch Unterschieben die Last
unterstützt. — zo wegsla da hülza hütn: auf den grösseren Yezzena-Almen befinden
sich zwei Sennhütten, die eine beträchtliche Strecke voneinander entfernt sind und ab-
wechselnd benutzt werden; in manchen Almen wird jährlich, in anderen zu je zwei Jahren
die Sennhütte gewechselt. Dies gilt von den gemauerten. Sind aber die Sennhütten von
Holz, dann finden sich uicht zwei vor, sondern, wenn für ein bestimmtes Jahr ein anderer
Platz für das Almpersonal bequemer erscheint, wird die bisherige Sennhütte zerlegt, ihre
Teile auf den neu ausersehenen Platz übertragen und dort wieder zusammengefügt und
aufgerichtet. — Wisala heisst eine kleine Thalmulde zwischen Luserna und Vezzena,
welche einigen Luserner Familien gehört In dieser Mulde sind meistens Wiesen und
einige Weideplätze; auch ein Wirtshaus fehlt nicht im Wiesele, dem „Emaus von Luserna".
— zo rna^a (zo wegsla, zo träga, zo ma^a aú, z' slava u. s.w.): die Nennform des Zeit-
wortes endiget sonst in an oder 'n, wenn aber davor zu, zo, z' steht, dann endiget
sie auf a. — zo wöla varaan »n pär: varaan = fassen, nehmen (vaiaan an Avega = den
Weg nehmen, wählen, varaan pa dir hand = bei der Hand nehmen); bekommen, erhalten
(varaan an gülan = einen Gulden bekommen, varaan di sardáln = Stockschläge auf die Hand
bekommen): erwischen, einholen (pait, i vaia di = warte, ich erhasche dich); varaan áu =
sich aufmachen: — is áugakeart = hat die bisherige Richtung verlassen und ist seitwärts
hinaufgegangen; — drai vert dreimal; das Luserner „mal" bedeutet Nachmittag, Abend;
— seula wird auch zur Steigerung verwendet: seula lai), wait, grças, lez u. s.w.
3. Dar lustige púa áu afn
perga Kost' Alta.
Dersél lustige púa, wo da hat gahat
zo tftana mat 'n par in af dan wälisan
perga, an an sumar is ar gawest küd-
sarar áu an Kost' alta; diza is gawest
segsundraisigar jar, dasei jär, da an da
nàpm lant is da gawest dar kolera. In
an morgan is zuogant a Kropf vö Leva
zo sega von ar kua, un er is ar zua-
gant dTsar kua, zo vörsa wia 's ar geat,
z' sega, wa sa vint zo vrésa, wa s' ar
gè'm salz, wa sa sa haltn gearn un
wa s' an git vil milx un a so vort.
Dar lustiga pua hat an gas egg un hat
an ausgalüsnat, was ar küt ga dlsar kua
un hat gamoant, dar man is nárat Dëna
dar man is gant zuo dar kasar un dar
pua is an gant s ime to un hat köt : „Du
möxst wisan, 's is as kent gasaft, as
war ham zo roaxa ala da leut, wo da
keman inar an da kSsar zoa za bohüata
'n as vö dlsan lez weata, wo da umar
is, umbrúm dà ga 'n fis is da nö net
koanar." Un dar Kropf hat an gavörst
z' sega, bë sa nö ham garoaxt andre
ö, un dar púa hat köt vo ja, un dar
Kropf hat köt:
3. Der lustige Bursche auf der
Alme Cost' alta.
Der gleiche lustige Bursche, welcher
mit dem Bären zu thun hatte drinnen
auf der italienischen Alm, war an einem
Sommer Kuhhirte droben in Cost' alta;
dies war in dem sechsunddreissiger Jahre,
demselben, da in den nahen Dörfern die
Cholera herrschte. — An einem Morgen
kam ein Mann von Levico herbei, um
nachzusehen wegen einer Kuh, und er
ging zu dieser Kuh, (sie) zu fragen, wie
es ihr gehe, um zu sehen, ob sie zu
fressen finde, ob sie ihr Salz geben, ob
sie sie gern haben und ob sie ihnen viel
Milch gebe u. s. w. Der lustige Bursche
hatte ihn gesehen und ihm zugehorcht,
was er dieser Kuh zuspreche, und meinte,
der Mann sei närrisch. Darauf ist der
Mann gegen die Sennhütte gegangen und
der Bursche ist ihm entgegen gegangen
und hat gesagt: „Du musst wissen, dass
wir den Auftrag erhalten haben, dass wir
alle Leute räuchern müssen, welche in
die Sennhütte hereinkommen, um uns zu
schützen vor dieser üblen Seuche, welche
herum ist, denn da bei uns ist noch
keine." Und der Fremde fragte ihn, um
zu erfahren, ob sie noch andere auch
geräuchert hätten, und der Bursche sagte:
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
309
„Was d'ar hat gâtant matn andar, tüat
mat miar ö." Dêna dar púa hat an
ingavuart an da kasar, hat an agahärara
mat an soal urna da mit (uman laib),
hat gvjukt 's soal öwar a holz, wo da
is gawest áu an kämix un hat gazögat
an Kropf áu an kämix un hat an àga-
puntat au hoax* Dëna hat ar ingatragg
grüana tasn un hat ägamaxt 's vaür.
Vö dTsan tasn is da áugant a seuladar
stinkatar roax,. Dar man hat hant ga-
legg zo gorgia un zo gerarca un hat
varproxt 's soal un is gavait fir af da
mit vò vaür. Als a strçax is ar ga-
sprurara zo vüasn un pa tur aus loafana
un hat gawölt vorarafan un dar lustiga
pua is an nàgaloft dïsan man, as ar sa
áuhalt un as ar kear wldar um, d'ar
git an z' esa, un dar L^vagar hat köt,
ar keart nat mêar wïdar úm in an da
kasar un dar púa hat an gamöxt tragn
z' esa aus af da ez.
„Was ihr mit den anderen gethan habt,
thuet mit mir auch." Da hat ihn der
Bursch in die Sennhütte hineingeführt,
hat ihn mit einem Seil um die Mitte an-
gehängt, hat das Seil über ein Holz ge-
worfen, das droben im Kamin war, und
hat den Mann in den Kamin hinauf-
gezogen und hat ihn droben angebunden.
Dann trug er grüne Nadelbaumzweige
(Taxen) hinein und machte das Feuer
an. Von diesen „Taxen" stieg ein häss-
licher stinkender Rauch hinauf. Der'
Mann begann zu schelten und auszu-
schlagen, zerbrach das Seil und fiel hinab
mitten ins Feuer. Auf einmal sprang er
auf und zur Thür hinaus, laufend, und
wollte entrinnen, und der lustige Bursche
lief diesem Manne nach, dass er innehalte
und umkehre, er gebe ihm zu essen, und
der Leviger sagte, er komme nicht mehr
zurück in diese Sennhütte, und der
Bursche musste ihm zu essen hinaus-
tragen auf den Weideplatz.
Bemerk.: Kiidsarar von kiia gebildet, wie käsar-ar von küs; — „Kost' alta" ist eine
der Gemeinde Lusern gehörige Alme etwa s/4 Stunden von Lussrn entfernt: — kolára
ist (analog dem Italienischen) männlich und hat entgegen dem Deutschen den Accent auf
der langen vorletzten Silbe; — Kropf: diesen wenig zarten Ubernahmen geben die
Luserner ganz allgemein den Bewohnern von Levico und hinab übers Valsugana bis Borgo.
Im Sommer nehmen die Luserner aus dem Valsuganatbale (Levico, Barco, Strigno u. s. w.)
Kühe, wofür sie je nach der Güte 10—20 fl. und auch darüber zahlen und auf ihren
Weideplätzen grasen lassen müssen: dafür gehört der Milchnutzen den Mietern; auch eine
solche gemietete Kuh wird wegen ihrer Herkunft „kropfa" genannt; — gorgeln = gurgeln,
sehr häufig aber auch schelten, schimpfen, einen anfahren; — geraiaan (eigentlich: ggeraraan)
= ausschlagen bei Tieren; — stinkatar róax: hier ist das adjektivisch gebrauchte Mittel-
wort der Gegenwart, das viel seltener vorkommt, als das gerundive.
4. Dar sávar untar da trupfn.
Vor jär is da gawest a sävar an das
Owarwfsala mat sain üwm. In a mal
is ar kent äwa gan diarnan von Untar-
wlsala zo gasa. Sêwm hat ar áukontart
3n diarnan, ka ar hat an riraan släf; as
da sa oäs rüart, is ar lai wáxant, un
da diarnan ham 's an nat gawölt glçawm
un ham an ausgdaxt. Vort as ar is
gawèst, ham s' as ausgaredat an fra se
zo provara z' sega, wo 's is war ödar
net. Ma möxt wisan, ka da kiidsarar
un da sávar slävan nat in an da kasar,
uia sa ham kloana hütla, augamaxt
Zeitschr d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
4. Der Schäfer unter den Tropfen.
Vorjahren war ein Schäfer im Ober-
wiesele mit seinen Schafen. An einem
Abend kam er herab zu den Mädchen
von Unterwiesele zu heimgarten. Dort
erzählte er den Mädchen, dass er einen
leisen Schlaf habe; wenn sich eins rührt,
sei er sofort wach, und die Mädchen
wollten es ihm nicht glauben uud lachten
ihn aus. Als er fort war, vereinbarten
sie untereinander zu probieren, um zu
sehen, ob es wahr ist oder nicht. Man
muss wissen, dass die Kuhhirten und
die Schäfer nicht in der Sennhütte drin
schlafen, sondern sie haben kleine Hütt-
21
310
Bacher:
m>t holz un unter sain da zwça laioa
staiam, as mä möga hêfn 's hütla un
trâgans wo ma wil. In an a solas hat
gasláft dar sávar ö. In an mal, dopo
nîdar (áini) d-» sun hat da gasaint siià
dar ma un da diarnan von Unterwïsala
hâm áudarwist un sain gant du ofn perga
von Owarwïsala un ham gavàioio da hiit
matn sávar drin un ham sa gatragg nïder
an täl vÖ dar Tüfar (vo prünla) a hálwa
ür vort vò perga un ham sa galegg
untar da trupfn, wo da keman vò krçz
âwa.
Dar sávar hat nô herta gaslâft. Az
morgas, bal 's is kent tak, dar sávar is
darwekt un hat g^höart da trupfn är az
dax von hiitle un hat gamçant 's reßio.
A pisla spatar hat ar gasëgg leuxtn da
sun in pa gasördar vò dar hüt, un alöra
hat ar ofa gatänt da tnr un hat gasaugat,
wo da is da sun un hat gasegg, ka 's is
pala mitertäga un lai hat ar gasêgg, wo
d' ar is. Alöra hat ar galat sëwm da
öwm zo hüata an andarn savar un hat
áugavaMB un is gant hoam un is nimar
mear änderst kent an Wïsala.
chen, gefertigt aus Holz, und unterhalb
sind zwei lange Stangen, damit man
könne das Hüttchen heben und tragen,
wohin man will. In einem solchen schlief
auch der Schäfer. An einem Abende
nach Sonnenuntergang schien der Mond
schön, und die Mädchen von Unterwiesele
machten sich auf und gingen auf die
Alme „Oberwiesele" und fassten die Hütte
mit dem Schäfer darin und trugen sie
hinunter in das „Thal von der Tufer"
(Brünnlthal) eine halbe Stunde fort von
der Alme und stellten sie unter die
Tropfen, die von den Felsen herab-
kommen.
Der Schäfer schlief noch immer. Am
Morgen, als es Tag wurde, wachte der
Schäfer auf und hörte die Tropfen herab
auf das Dach des Hüttchens und meinte
es regne. Ein bisschen später sah er
die Sonne hineinleuchten durch die
Ritzen der Hütte und öffnete dann die
Thür und schaute, wie hoch die Sonne
stehe, und sah, dass es bald Mittag sei
und sah auch, wo er sei. Nun überliess
er dort die Schafe den anderen Schäfern
zu hüten und machte sich auf und ging
heim und kam nie mehr ins Wiesele.
Bemerk.: Owarwïsala ist eine Alm, auf der Anhöhe oberhalb des Untarwïsala,
letzteres auch Wïsala schlechthin genannt, gelegen; — mal = Nachmittag, Abend: 's
ganz mal = den ganzen Nachmittag; das deutsche „mal" wird im Lusernerschen mit wçta
oder vert gegeben: einmal = a wçta oder a vert, zweimal, dreimal u. s. w., jedoch nur
zwoa vert, drai vert u. s. w., zo gasa dafür wird häufig auch gebraucht: ar is gant a filo 5
— krçz: der Felsen heisst gewöhnlich dar krçz, Felsenwand = wand; nur in geographischen
Benennungen kommt auch der Ausdruck knot (z. B. dar Haspiknot) und kofl (z. B. dfr
Lerxkofl) vor, sonst wird „knot" im allgemeinen für „Stein" gebraucht; während kofl nur
mehr in Zusammensetzungen bei geographischen Benennungen sich erhalten hat.
5. 's gapitata wasar.
Vor jär is da gawest a séulana dür
un 's vïx af da pergn hat nat mear ga-
funtat koa wasar zo trinka, umbrúm da
hülwm sain gawest alla gatmknt.
In an täga is da garlft afn Kamp a
walisas waibla zo sega vò sai vïx un
hat gasegg, 's is a sotana seulana dür
un is sa sa nïdargaknoioiD nà an an knot
un hat ägavaBE» zo pëta un hat so vi
gapitat un gapëtat fin as da à hat ga-
vaiDB zo kema wasar pa knot áuvar, un
5. Das erbetete Wasser.
Vor Jahren war eine grosse Trocken-
heit und das Vieh auf den Almen fand
kein Wasser mehr zu trinken, denn die
Pfützen waren alle ausgetrocknet.
Eines Tages langte auf dem Kamp
ein italienisches Weiblein an, um von
seinem Vieh nachzusehen und sah, dass
eine so grosse Trockenheit sei und kniete
sich bei einem Steine nieder und fing
an zu beten und bat und betete so sehr,
bis Wasser beim Steine heraufzukommen
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
311
vò dansei tags à is da herta kent wasar
afn konfin tswisn an Kamp un en Viaz
un sai da dür wia grças sa wil, sëwm
wasar kint 's an da herta un is an da
herta.
anfing, und seit demselben Tage an gabs
immer Wasser auf der Grenze zwischen
dem Kamp und den Viaz, und sei die
Trockenheit wie gross sie will, dort
kommt hervor und ist immer Wasser.
Bemerk.: da hiilwm: da die Yezzena Almen sehr an Wassermangel leiden, so
finden sich auf jeder Alm mehrere Pfützen, aus welchen das Yieh trinken kann. Diese
Pfützen werden an den Einsenkungen des Bodens gegraben und die lehmartige Erde fest-
gestampft, so dass das hei Regenwetter darin angesammelte Wasser nicht versickert. Das
Wasser erhält sich darin auch verhältnismässig frisch, nur wird es zu oft getrübt, da die
Kühe beim Trinken ein Stück weit hineinwaten und dabei den am Boden befindlichen
Schlamm aufrühren.
6. Dar fluax vÖ dar muatar.
Vor Sinzig jär sain da gawest zwoa
borátata leut az Lusern, wo da ham
gahat an sun aloà. Dïsar pua is gearn
gant pa wald in nà an gawild. Saï
muatar hats nat gasegg gearn, as ar
herta úmergea zo varspïla da zait.
In an taga hat ar g^nump wïdar saï
wêr un sain hunt, zo giana in pa wald.
Saï muatar is sa sa darzürnt un hat an
variluaxt. Sa hat köt: „Gea, d^r hunt
"wart sain daï faf un da wër wart saï
daï kerz!" Dar pua is gant an wald
un hat gavuntat an has. Ir is gant na
clisan has, is gant aus délant Montarúf
Un hat gava©© an wega vö Lfis. Saï
öl hat an garüaft un hat köt: „Kear
Wïdar um!" un ar hat köt: „I wil an
uàgian, umbrúm as is a has, wo da
hat an rçatn tsugg afn köpf " Dar
tsöl is gakeart wïdar um un er is gant
uïdar af da glar vö Kalnéts. Sëwm hat
varlört an hâs un is gakeart wïdar
Um un is kent az Montarúf spat pa dar
uaxt. Sëwm is da gawest a hüt, wo
sa hâm varkoaft prçat un waï pan sumar,
un pan wintar is da gawest níamat ga-
stánt (gaplïp). Sëwm hat ar gawölt
àmaxan 's vaür matn vaür aisn, vaür-
knot un zuntar un is nat gawest guat
zo züntns ä. Dëna hat ar mat dar wer
g^ost inz strça, wo da 's an is ga-
sest, un 's strça hat ö nat gawölt vaioan
vaür.
6. Der Mutter Fluch.
Vor siebenzig Jahren waren zwei
Eheleute in Lusern, welche einen ein-
zigen Sohn hatten. Dieser Bursche ging
gern in den Wald dem Wilde nach.
Seine Mutter hat es nicht gern gesehen,
dass er immer herumgehe die Zeit zu
verschwenden.
Eines Tages nahm er wieder sein
Gewehr und seinen Hund, um in den
Wald zu gehen. Seine Mutter wurde
zornig und verfluchte ihn. Sie sagte:
„Geh, der Hund wird dein Priester und
das Gewehr wird deine Kerze sein!"
Der Bursche ging in den Wald und
jagte einen Hasen anf. Er ging diesem
Hasen nach, ging über Monteroff hinaus
und nahm den Weg über den Las. Sein
Kamerad rief ihm und sagte: „Kehre
zurück!" und er sagte: „Ich will ihm
nachgehen, denn es ist ein Hase, der
ein rotes Büschel auf dem Kopfe hat.
Der Kamerad kehrte zurück und er ging
hinunter auf das Stein- und Sandgerölle
von Caldonazzo. Dort verlor er den
Hasen und kehrte wieder zurück und
kam nach Monterovere spät bei der
Nacht. Dort war eine Hütte, in welcher
zur Sommerszeit Wein und Brot verkauft
wurde, und im Winter war niemand
dort geblieben. Da wollte er das Feuer
anmachen mit dem Feuereisen, Feuer-
stein und Zunder und war nicht imstande
es anzuzünden. Sodann schoss er mit
dem Gewehr ins Stroh, wovon (etwas)
da war, und auch das Stroh wollte nicht
brennen.
21*
312
Bacher:
Dar arm pua is kent pa wald ín->r
zuo hoara. Bai d'ar is gawest inar pa
wald af halm an wega tswisn Montariif
un Masétn hat ar gahuiaart un gefrört
un is gawest müada un is nat mear ga-
west guat zo kern a inarvârt. Dêna is
ar ss nídargalegg. In ta (an tâga) darnà
is gant oandar dar saî vraünt pa Las
nïdar. Giananta aus pa wald (an giana
'n aus pa wald) hat ar gavuntat an púa
toat. Af oana sait is da gawest dar
hunt un af da andar sait hat ar g¿hat
saï wêr. Sal muatar hat wol gahOggat
un gaklâgat un gageult, bal sa hat dar-
vart, dar púa is tçat; sëwm hat 's an
nixt mear gahelft, un a sö hat sa dar-
ként, wia wait da is gant sal fluax-
Der arme Eursche kam (nun) den
Wald herein der Heimat zu. Sobald
er den Wald herein auf halbem Wege
zwischen Monterovere und Masetti war
hungerte und fror er und war müde und
war nicht mehr imstande hereinwärts zu
kommen. Da legte er sich nieder. Am
anderen Tag ging einer seiner Verwandten
über den Las hinunter. Auf dem Wege
durch den Wald fand er den Burschen
tot. Auf einer Seite war der Hund und
auf der anderen hatte er sein Gewehr.
Seine Mutter hat wohl geschrieen und
gejammert und geweint, als sie erfuhr,
der Bursche sei tot; da hats ihr nicht
mehr geholfen, und so ist sie zur Er-
kenntnis gekommen, wie weit ihr Fluch
gegangen ist.
Bemerk.: Vraünt hat nur die Bedeutung „Verwandter"; das deutsche „Freund"
geben die Luserner mit tsöl, Kamerad, Geselle. — gaklâgat: klagen nennt man in Lusérn
die mit Weinen begleiteten Ausrufe bei Todesfall eines nahen Angehörigen. Bei diesen
Ausrufen werden die guten Eigenschaften des Verstorbenen, seine wie immer gearteten
Vorzüge, von Weibern und Kindern aus dem Stegreife in einem gesangartigen Kecitativ
hervorgehoben. Dieses Kecitativ hat wohl durchgehends die Melodie: hhahagg,
gahhahagg und erinnert sehr in Rhythmus und Melodie an das in Italien und
Spanien u. s. w. übliche Glockenspiel, das auch in Südtirol (im wälschen Anteil) üblich ist
und auch in Luserna seit kurzem erst etwas eingeschränkt wurde. Dabei raufen sie sich
mitunter auch Haare aus und schlagen sich und setzen diese jammernden, singenden
Ausrufe mit einer Beharrlichkeit fort, dass die Kehle rauh und die Stimme kreischend
wird, bis sie beinahe ausser srande sind, noch einen Ton hervorzubringen. Vor Jahrzehnten
hat dieser Brauch noch viel massloser gewaltet als gegenwärtig, war und ist übrigens
auch in den „Sette Comuni'4 üblich, was schon Pfarrer Dal Pozzo in seinem Werke:
„Memorie storiche ..." rügt.
7. Da Französn in an Wêsn.
In da jär, wo da derNapoleù hat gawölt
gim öwar ala welt, is da gawest a famíldsa
vò Kasçto an Wesn zo maxa d? wirt.
In an taga sain gant a kuta soldadn
vò Napoleû zo giana zuo Leva. Bal sa
sain gawest an Wesn ham sa gawölt ham
z' esa un zo trinka. Da wTirtsleut ham
nat gahat zo goba 'n an, was sa ham
gawölt. Vò d-msél di soldadn sain sa
darzürnt un ham köt: „War wartn keman
wTdar úm zo grüasa 'n as." Dëna sain
sa gant.
In tà(g) darnà sain d'arar gakeart
widar úm zwölva un sain gant an Wesn.
Az halm an Le vagar Las ham sa bokent
an knext mat zwoa kindar, wo d'ar hat
7. Die Franzosen in Vézzena.
In den Jahren, als Napoleon die ganze
Welt erobern wollte, war eine Familie
von Casotto in Vézzena als Wirtsleute.
Eines Tages zog eine Schar Soldaten
Napoleons aus, um nach Levico zu mar-
schieren. Als sie in Vézzena waren,
wollten sie zu essen und zu trinken
haben. Die Wirtsleute hatten nicht, ihnen
zu geben, was sie wollten. Darüber
wurden die Soldaten zornig und sagten:
„Wir werden wieder zurückkommen, um
euch zu grüssen." Darauf gingen sie.
Am nächsten Tage kamen ihrer zwölf
wieder zurück und gingen nach Vézzena.
Auf der Mitte des Leveger Steiges be-
gegneten sie den Knecht mit zweiKindern,
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
313
gavüart ga Lèva zo giana ga sual. Ga
dansei ham sa köt: „Du hasts darrätat
zo giana vort."
In Wesn is da gawëst dar alt wirt
un da alt, a boratatar sun un sai vrau
un a jurats kin un a diarn vö zwoanzi(g)
jâr, a zíngaro an pet krank un a süslar
vò Lusern ('s Paula Draízana). Das
éarst wo sa ham gatant da FranzÓsn,
bal sa sëwm sal g'rift, ham s' an ga-
maxt gewm zo esa un zo trinka Dëna
ham sí gavamiD an sun vò wirt, ham an
gafüart au an a kamar un ham an ga-
puntat da hänt afn ruggn un dëna ham
sa on gahäiaia áu.
Dëna ham sa g^vaiaia an alt un da
díarn un da vrau vö sun un ham sa
awagr>stoxt- In Draizana, en süslar, ham
sí an gaspert in an a kämarla un ham
köt: „Du plaiwa sëwm!" Dëna ham
sa g/vaiata da alt un ham sa gazógat
pa stiaga nïdar an dan tiaf keldar: sëwm
hat sa an gamöxt lírnan 's geld un
dëna ham sa sa gatöatat mat an hiilzan
slegl.
Dar safar vö soldad n hat gamaxt
gliianan an ovan zo juka (werfa) drin 's
kloä kin vö drai mänat, zo varprena.
Oandr vö densein zwölva hat gasëgg
diza kin, wo d' an a so a hat galaxt
Uti ar hat köt: „Lat mars miar diza
kin!" Un dar safar hat köt: „Ja, war
tasn dars, az du wil gian an saï plaz
ln an övan." Bai da dar soldado hat
g"höart a so, hat ar in galat jukan 's
kin. Das lest ham sa g4eatat ¿n zíngaro.
Dar Lusêrnar, wo da is gawëst ga-
?pert in an kämarla, hat gaheart als.
^al d' ar hat gahöart, da sain in an da
kamar vö zíngaro, hat ar of* gazert da
un is áuvarkent laisa laisa un hat
g'mump sul zúa afn ruggn un is voia-
rí)ant: Bal d' ar is gawëst afz egg vö
^resn, hat ar hintargasaugat un hat ga-
s^gg 's haus prenan. Dêna is ar kent
Wis ala un hat köt an leut, was ar
hat gasegg un gaheart. Bal ar is garïft
311 Wïsala, hat ar gasëgg, d' ar hat sai
die er nach Levico führte, um in die
Schule zu gehen. Zu demselben sagten
sie: „Du hast's erraten, fortzugehen."
In Vezzena waren der alte Wirt und
die Alte, ein verheirateter Sohn und seine
Frau und ein kleines Kind und ein
Mädchen vonzwanzigJahren, einZigeuner
im Bette krank und ein Hafner von Lusern
(der Paul Gasperi-Dreizehne) Das erste,
was (sie) thaten die Franzosen, als sie
dort angekommen waren, war, dass sie
sich zu essen und zu trinken geben
machten. Dann ergriffen sie den Wirts-
sohn, führten ihn in eine Kammer hin-
auf, banden ihm die Hände auf den
Rücken und hängten ihn auf.
Sodann ergriffen sie den Alten, das
Mädchen und die Frau des Sohnes und
erstachen sie. Den Hafner Dreizehne
sperrten sie in ein Kämmerlein und
sagten: „Du bleib hier!" Darauf fassten
sie die Alte und zogen sie die Stiege
hinunter in den tiefen Keller: dort musste
sie ihnen zeigen das Geld und dann
töteten sie sie mit einem hölzernen
Schlegel.
Der Befehlshaber der Soldaten machte
den Ofen heizen, um das drei Monate
alte Kind hineinzuwerfen, es zu ver-
brennen.
Einer von diesen zwölf sah dieses
Kind, das ihn so anlachte und sagte:
„Gebet mir dieses Kind!" Und der
Befehlshaber sagte: „Ja, wir lassen dirs,
wenn du an seiner Stelle in den Ofen
hinein willst." Wie der Soldat dies hörte,
liess er das Kind hineinwerfen. Zuletzt
töteten sie den Zigeuner.
Der Luserner, der in einem Zimmer-
chen eingesperrt war, hörte alles. Sowie
er hörte, sie seien drin in der Kammer
des Zigeuners, rüttelte er die Thür auf
und kam ganz still heraus und nahm
seinen Korb auf den Rücken und ent-
ging. Als er auf dem Hügel von Vezzena
war, schaute er zurück und sah das
Haus brennen. Sodann kam er ins
Wiesele und sagte den Leuten, was er
gesehen und gehört. Als er im Wiesele
angekommen war, bemerkte er, er habe
314
Bacher:
zúa afn ruggn; vorä hat ar vor srak
un vor vort n4 gawist zo häba da zúa.
In ta darnä sain ingant da Lusêrnar
un ham gavuntat als vorprent. Dar knext
vò Wesn is ö gakeart wïdar úm vö
Leva un hat gavuntat als vorprent. Dëna
is ar gant un hats köt an kapitano vö
soldádn; darsél hat nägavörst, wëla da
sain vórtgawést dansél tága un hat sa ga-
vuntat ala zwölva un darsél, wo da hat
g">wölt haltn 's kin, hat an köt als, wia
's is gawêst un was sa ham gatänt.
Bal da dar kapitano hat gawoast als,
hat ar sa gamaxt häroioan ala zwölva.
Bemerk.: famildsa: Die Luserner sprechen ital. Wörter, in denen gl vorkommt,
so aus, als wäre lg geschrieben (famiglia = familgia). Auch in den Briefen oder sonstigen
Schriftstücken älterer Leute, die nur ital. Schulunterricht genossen hatten, kommt durch-
wegs diese Umstellung vor, z. B. melgio — statt meglio, Cara molgie — statt moglie. —
an ta darnä: das g ist beinahe gänzlich unhörbar, eher erhält das a einen leisen,
näselnden Klang; — lirnan hat nebst ,lernen" auch die Bedeutung „lehren", „zeigen".
— süslar = „Hafner", besonders aber ein Häfen- und Schüsselhändler.
seinen Korb auf dem Rücken; vorher
hatte er vor Schrecken und vor Furcht
nicht gewusst, dass er den Korb (mit-)
habe.
Am nächsten Tage gingen die Luserner
hinein und fanden alles verbrannt. Der
Knecht von Vézzena war auch wieder
zurückgekehrt von Levico und hatte alles
verbrannt gefunden. Alsdann ging er
(hin) und sagte es dem Hauptmanne der
Soldaten; dieser fragte nach, welche an
demselben Tage fort waren und fand
alle zwölf, und derjenige, welcher das
Kind hatte behalten wollen, sagte ihm
alles, wie es war und was sie gethan.
Sobald der Hauptmann alles wusste,
liess er sie alle zwölf hängen.
8. 's Tüsala Marüsfla.
Vor zaitn isda gawest a armas kin,
wóda hat gahat tçat an vatar on da
muatar (muatar) on hat gahoast Tusóla
Marusala. Diza kin is limar gant zo
petla zoa net zo sterwa vo buraar.
In an taga is gant in pa wald on
hat gavuntat 's h aus vö dar Líawm Nona
— das wil waiwa. Is is íngant zo vñrsa
épas z' esa on da Liawa Nona hat-'s úaa-
spert an sai haüsla.
's Túsala Marusala is kent stüfo on
saur zo stfana ÍDaspert on alöra hats
garuaft dar Liawm Nona on hat köt:
„Liawa Nona, tüa mar ofa!" un da
Líawa Nona hat köt: „Ziaga pan päntla,
geats offa !" 's Tüsala Marusala hat ga-
wölt of4üan on is net gawest guat on
is hat wïdar garuaft: „Liawa Nona, tüa
mar ofa, i han lçat z' saisa!" on da
Vor Zeiten ist gewesen ein armes
Kind, welches hat gehabt tot den Vater
und die Mutter und hat geheissen Túsele
Mariisele. Dieses Kind ist herumgegangen
zu betteln, um nicht zu sterben vor
Hunger.
Eines Tages ist (es) gegangen hinein
bei Wald und hat gefunden das Haus
der Lieben Grossmutter — das wilde
Weib. Es ist hineingegangen zu bitten
etwas zu essen und die Liebe Gross-
mutter hats eingesperrt in ihrem Häus-
chen.
Das T. M. ist geworden müde (Zeit-
lang) und überdrüssig zu bleiben ein"
gesperrt und dann hats gerufen de1
Lieben Grossmutter und hat gesagt-
„Liebe Grossmutter, thu mir auf!" und
die Liebe Grossmutter hat gesagt: „Ziehe
beim Bändchen, (dann) gehts auf!" Das
T. M. hat gewollt aufmachen und is^
nicht gewesen im stände und es
wieder gerufen: „Liebe Grossmutter, thu
mir auf, ich habe Notdurft!" und die
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
315
Líawa Nona hat köt: „Sais 3n da hant
on juk an da want!" 's TtisaL Marüsela
hat wïdar garüaft: „Nä, Liawa Nöna> i
pifo (i pit da), tiia mar o fa!" un alöra
da Líawa Nona hat ofa gâtant on hats
àgahâraia pa n' söala (oder küwala) on
hats molárt nïdar öwar a vénsterla; dëna
da Líawa Nona hat köt: „Hásto gasaist?"
„Nö a pisi?." „Hásto gasaist?" „Nö a
ggägala." „Hásto gasaist?" „Ja, Líawa
Nona, zíag m.' aú èst!"
Intánto 's Túsala Maríisab hat äga-
häioio a stökla un is is voiaioánt. Da
Líawa Nona zíagat on zíagat on zíag¿t
aú 's stökla.
Balda da líawa Nona hat gasêgg an
stok, is sa s) darzürnt on is an näga-
loaft, ma 's Tüs-da Martisala is sua ga-
west vort avis an a grçasa "Wis, wóda
is g^west 's hëwa ín da süwar on is
gant ín untar das klîînarsta söwarla.
Da Líawa Nona is gant on hat
xímgajukt ab da grçasan sowar on hat
köt: „As do net pist untar dan grças,
neáwiaa untar dan klùà, as do net pist
untar dan grças, neáraioa untar d-*n klùà"
on hat ùmgajukt ala da grçasan söwar
on an klùà hat s' an galat vest. Bal
sa hat gasêgg, ka sa fint 's net, is sa
wïdar gant widrùm huam zo léga n'ar
à da sua, ombróm sa hat àgahat da
zoggln.
Intanto 's Ttisala Martisala is aùs-
voMuint von süwarla on is gant gan pax;
sèwm saínda gawest da waiwar, wóda
hâm gawäst, on 's Tusóla Marüsala is
gant in untar da ggonsót von ar grçasan
wasaran.
Net wöl ásda 's Tu s al e Marüsala is
gawest vorpórgat, is gant da Líawa
Nòna on hat gavörst: „Hátar net ga-
sêgg 's Titsala Marüsala?"
Liebe Grossmutter hat gesagt: „Sch . . . ,
in die Hand und wirf an die Wand!"
Das T. M. hat wieder gerufen: „Nein,
Liebe Grossmutter, ich bitt dich, thu
mir auf!" und dann die Liebe Gross-
mutter hat aufgethan und hat es ange-
hängt an (bei) einem Seilchen und hat
es gelassen hinunter über einem Fenster-
lein; dann hat die Liebe Grossmutter
gesagt: „Hast du gesch.....?" „Noch
ein bisschen." „Hast du gesch.....?"
„Noch ein Gägelchen." „Hast du ge-
sch .....?" „Ja, Liebe Grossmutter,
zieh mich hinauf jetzt!"
Inzwischen das T. M. hat(te) ange-
hängt ein Stöcklein und ist entflohen.
Die Liebe Grossmutter zieht und zieht
und zieht hinauf das Stöcklein.
Wie nun die Liebe Grossmutter hat
gesehen den Stock, hat sie sich erzürnt
und ist ihm nachgelaufen, aber das T. M.
ist schon fortgewesen draussen in einer
grossen Wiese, wo das Heu geschobert
gewesen ist, und ist gekrochen hinein
unter das kleinste Schöberchen.
Die Liebe Grossmutter ist gekommen
(gegangen) und hat umgeworfen alle die
grossen Schöber und hat gesagt: „Wenn
du nicht bist unter den grossen, (bist du)
auch nicht unter den kleinen, wenn du
---------, und hat
umgeworfen alle die grossen Schöber
und den kleinen hat sie (ihn) gelassen
stehen. Wie sie hat gesehen, dass sie
findets nicht, ist sie wieder gegangen
zurück heim zu ziehen sich an die
Schuhe, denn (weil) sie hat angehabt
die Holzschuhe.
Inzwischen das T. M. ist (heraus-
entgangen) entschlüpft vom Schöberchen
und ist gegangen zum Bach; dort sind
gewesen die Weiber, welche haben ge-
waschen, und das T. M. ist gekrochen
hinein unter die Röcke einer grossen
Wäscherin.
Nicht wohl (kaum) dass das T. M.
ist gewesen verborgen, ist gekommen
die Liebe Grossmutter und hat gefragt:
„Habt ihr nicht gesehen das T. M.?"
316
Bacher:
„Ja", haben (sie) gesagt die Weiber,
„wir haben es gesehen." „Wohin ist
(es) gegangen?" hat (sie) gesagt die
Liebe Grossmutter. „Ja", haben (sie)
gesagt die Weiber, „es ist über den
Bach gegangen." „Wie hat es gethan?"
hat (sie) gesagt die Liebe Grossmutter,
und die Weiber haben gesagt: „Es hat
(ab)gemessen und geschwungen und ist
übergesprungen." Und die Liebe Gross-
mutter ist gegangen und hat gemessen
und gesprungen und ist dreingesprungen
und dann das T. M. ist hervorgekommen
von unter den Röcken der Weiber und
hat gesagt: „Jetzt hast du's, Liebe Gross-
mutter, du hast (mich) gewollt fressen
mich und anstatt (dessen) jetzt bist (du)
gegangen du zutrinken; trink, trink zur
Genüge! Allein die Liebe Giossmutter
hat nichts mehr gehört, denn sie ist
gewesen schon ertrunken und das T. M.,
wenn (es) nicht ist tot, lebet noch.
Bemerk.: wo da: da ist eine sehr häufig vorkommende Partikel, die in vorliegenden
Proben manchmal mit den Wörtern, an die sie sich anlehnt, zusammengeschrieben wurde;
— diza: das Neutrum von dis^r lässt stets z statt des s-Lautes hören; — vo liuraar: vol-
li oder Yokalen steht gewöhnlich vo oder von ohne nasalen Klang. Liawa Nona wird
das wil waiws euphemistisch genannt. — an sai (sal) haüsla: Die Luserner gebrauchen,
analog dem Italienischen sai für das deutsche Possessiv ihr. — stüfo aus dem ital. stut'o
= müde; — is net gawest guat eine dem Italienischen nachgebildete Redewendung für
nicht im stände sein; — lçat statt nçat. — söala statt söalala; das Seil heisst oft auch
di küwal (demin. das küwala); — naároraa, ital. neanche. — galat vest dem ital. lasciar
fermo nachgebildet: in Ruhe lassen. — zoggln (ital. zòccolo) = Holzschuh. In Lusérn
trägt das Frauenvolk an Werktagen Holzschuhe, wenn es trocken ist sehr häufig auch die
„fSts" = Filzschuhe. In müssigen Stunden vernähen die Weiber Filzstücke so lange mit
tausenden von Nadelstichen mit einem groben Zwirn, bis diese Filzstücke zusammengenäht
fest und hart werden, wie ein Brett. Ein solches aus mehreren Filzlagen zusammen-
genähtes Filzstück bildet dann die Sohle des „föts" (vgl. das Wort pçts im Tiroler Dialekt).
— ombróm bedeutet warum und weil, wie das ital. perchè.
„Jä", ham sa köt da waiwar, „war ham
's gasegg." „Wo is gant?" hat sa köt
da Liawa Nona. „Jä", ham sa köt da
waiwar, „'s is pasart an pax-" „Wia
hats gatant?" hat sa köt da Liawa
Nona, on da waiwar ham köt: „'s
hat gawumo on gaswuM» on is iibar-
gaspruioio." Un da Liawa Nona is gant
on hat gawuioio on gaspruM) on is drúoa-
spruiiiK) on alöra 's Túsala Mar usala is
aúvarkent vö untar da ggonsöt von
waiwar on hat kö.t: „Là, là, Liawa
Nona, du hástma gawölt vrésan mi on
inweza èst pisto gant dú zo trínka;
trink, trink an paux vol!" Ma da Liawa
Nona hat nixt mear gahöart, ombróm
sa is gawest siiä dartrunkt on 's Túsala
Marttsala, as net is tçat, lëwat nö.
9. Kawórzio.
Wâs wils móanan 's wort Kawórzio?
Nà maina laüt, i wçasas sélwart net,
ma i wças, ka Kawórzio hat gahçast a
stat, wóda is gawest sewm, wóda est is
dar sea vö Kalnéts, sewm tswísan Per-
san, Plaif, Kalnéts on an pergla vö San
Valantîn, on höart, wia 's is gasegat
asda est sewm is dar sea.
Yor a par hundart jär isda gawest
a armar man, wóda limar is gant zo
Was bedeutet das Wort Kawórzio?
Na, meine Leut, ich weiss es selbst nicht,
indessen weiss ich, dass K. eine Stadt
geheissen hat, die gewesen ist dort, wo
jetzt ist der See von Caldonazzo, dort
zwischen Pergine, Calceranica, Caldo-
nazzo und dem Berglein von S. Valentin,
und höret, wie es ist geschehen, dass
jetzt dort ist der See.
Vor ein paar hundert Jahren ist ge-
wesen ein armer Mann, welcher umher
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im Avälsclien Südtirol.
317
petla, on is gant an clisa stat zo vór-
sanan épas zo lêwa. Dar hat àgavaioio
zúntrast dar stat on is gant fin züwrast
hérta vorsana épas z' esa on níamat
hátan nixt get; on bal dar is gawest
zSwrast is ar gant in an das lest haus
on sewm hat ar gavunM a arma witova
on saï sun, on sewm hat ar wïdar g->-
vôrst épas z' esa, ma diza arm waiwa
hat nixt ándarst gahat, was a pisla prçat
z esa da tsaï, on si hat gatçalt watan
arm man, on bal dar hat gahat gest,
hat ar köt: „Vorgels got (got dar hear)"
on dèna hat ar köt: „Lusan i laiit, i
möxas épas kíin: haint pa dar naxt
kint a saüla wétar, ma iar and tv saugst
nixt aus né pa tiir né pa fénstar, om-
bróm sanò gaats as aba lez!" on déna hat
ar köt „guata naxt" on is gant.
ist gegangen zu betteln, und ist gegangen
in diese Stadt zu erbitten sich etwas
zum Unterhalt. Er hat angefangen zu
unterst der Stadt und ist gegangen bis zu
oberst immer bittend etwas zu essen und
niemand hat ihm was gegeben, und so-
bald er ist gewesen zu oberst, ist er
gegangen hinein in das letzte Haus und
dort hat er gefunden eine arme Witwe
und ihren Sohn, und dort hat er wieder
gebeten (um) etwas zu essen, allein dieses
arme Weib hat nichts anderes gehabt,
als ein bisschen Brot für das Nachtmahl,
und sie hat geteilt mit dem armen Mann,
und sobald er hat(te) gegessen, hat er
gesagt „vergelts Gott" und dann hat er
gesagt: „(Loset) Horchet Leute, ich muss
euch etwas sagen: Heute bei der Nacht
kommt ein schreckliches Gewitter, aber
ihr (da) schauet nichts hinaus weder zur
Thür noch zum Fenster, denn sonst er-
geht es euch übel!" und dann hat er gute
Nacht gewünscht und ist gegangen.
Mit der Zeit etwa ein Stündchen nach
(Beginn der) Nacht hat es angefangen zu
blitzen und zu donnern und zu regnen,
als wenn der Himmel offen wäre. Der
Bursch hat geschaut zum Fenster hinaus
und dann ist ihm gekommen ein Splitter
hinein (bei) in das Auge und hat ihn
erblindet auf demselben Aug, und dann
ist ihm gekommen in den Sinn, was hat
gesagt der Mann, und ist fortgegangen
vom Fenster und ist gegangen (zu)
schlafen er und seine Mutter auch. Und
morgens am Tage darnach, als sie auf
sind gestanden, haben sie gesehen alles
Wasser und nichts mehr von der Stadt,
ausser die Kirche und das Haus, wo sie
(eben) drinnen waren. Und heutigen
Tages ist noch immer der Caldonazzer
See dort, wo vor zweihundert Jahren ist
gewesen Cavórzio.
Bemerk.: Die Gegend am See von Kalnéts (Caldonazzo) von Per s en (Pergine) bis
Lèva (Levico) gehört zu den schönsten Tirols. In Kalnéts ist Absteige-Station der neuen
Valsuganabahn für jene, die nach Lusérn, Lafraún oder ins Astachthal wollen. - 's pergla
v<~> San Valentin ist ein langgestreckter Hügel zwischen dem See von Kalnéts und dem
von Leva, an der Seite des Kalnetser Sees mit Rehen bepflanzt und oben mit dem Dörfchen
Tenna geziert; auch steht auf diesem „Berglein" das Kirchlein S. Valentin, das von der
Bevölkerung der Umgebung gern besucht wird. — waiwa: man beachte den Unterschied
der Aussprache zwischen waiwa und waibla (plur. waibla. — Balamá© kommt ohne
Balamáia épar an Ürla dopo naxt
hats àgavaioio zo plízaga on zo tóndra on
zo regna vil as hat gamögg. Dar pua
(pua) hat gasaugat pa venstar aus on
alora is an gant a ri'xom in pa 'n an
oaga on hátan darplúnt^t af dasél oaga,
on alöra is an kent in sint, wásda bat
köt dar man, on is vortgakeart vò venstar
on is gant z' slava ër on saï muatar ô.
On mórgas an ta darnà, bal sa aú sain
gastant, ham sa gas^gg als a wasar on
nixt mear vö dar stat was da kirx on
s haus, wo sa drin sain gawest se. On
9n tá vò haüt is da no herta dar Kal-
netsar sea sewm, wóda vor zwçahundart
jär is gawest da stat Kawórzio.
318 Bacher: Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
Zweifel vom ital. man a mano = nach und nach, sachte, mit der Zeit u. s. w. — haint:
haut = heute Vormittag, haint — die Zeit nach Mittag. — vorgéls got, viel häufiger
aber sagen die Lusêrner: vorgéls got, got dsr hear, wobei also die beiden Worte
vorgcls got mitsammen als ein Verb behandelt werden. Übrigens wird ausser in der
Redensart in gots näm das Wort got sehr selten allein gebraucht, sondern gewöhnlich
noch dsr hear hinzugesetzt. — da kirx: am nördlichen Ufer des Kalnetser Sees am
Fusse des pergls steht noch eine kleine uralt aussehende Kirche, und an diese knüpft
sich die vorliegende Sage.
10. 's Jakomlnsn lox*
Awé dar wist vor axt tags pin-? gs-
west ga Siegs on höart, líaws mains
laüt, was i han g-^höart kön:
Bálds pals pin gswest afs Kamporúf,
pínsms nídargssozt zo rasta on sewm
sain mar zúakent zwça alt) waibla on
sain ss nídargssozt sa ö on i han àg-<-
vaioB zo rôda vò dsn stia wäldar, wóda
sain af dssél saitn on alöra d!s> zwça
waibla ham àgsvaioio zo kontaramar au
ss 5. „Ja, jâ", ham sa köt, „'s sain da
wol suans wäldar, ma saiilana löxsr ö."
I zo höara a so pins gswest koriösat
on han nàgsvôrst on alöra diss waibla
hSm köt: „Höart, durx namp Gäls
(Gallio) is da a grçasar wald on af ds
mit dísan wald is da 's Jakomïnsn lox
on sn diza lox jukan sa nïdar als ds
laüt, wóda dopo bogräwst n4 mögn
stian an da gswaigats eards. "
I, bálds han gehört a so, hans ss
aúsgslaxt on han köt: an mal lant bo-
gráwarss ais ds laüt, bálsa sain tçat, ma
áuvar vò grab han3 no net gshöart kön
as da sain kent ni am at." On alöra diss
waiwsr hâm mar köt a so: „Ja, líawss
mal mens, 's is a sö, dar möggs glçawm,
on pa ünsarn gsdénkan ham s' ar da
gatragg sua zwça drai." On i alöra
han köt: „On wia wçastar iar andrs,
ks diza odar dasei mögs net stian sn
da gswaigats éarda?" On ss ham mar
köt a sö: „Ds laut kernen als bogräwst
on dasein, wóda net mögn stian sn ds
gswaigats éarda, sn ta darnâ vent ma
Wie ihr wisset, bin ich vor acht Tagen
in Slége (Asiago) gewesen, und hört,
meine lieben Leute, was ich habe sagen
hören :
Als ich nahe Camporóvere war, habe
ich mich niedergesetzt zu rasten, und
dort sind mir zugekommen zwei alte
Weiblein und haben sich niedergesetzt
sie auch und ich habe angefangen zu
reden von den schönen Wäldern, die
sind in jenen Gegenden und dann diese
zwei Weiblein haben angefangen zu er-
zählen mir sie auch. „Ja, ja", haben
sie gesagt, es sind da wohl schöne
Wälder, aber schauerliche Löcher auch."
Bei solchen Worten bin ich gewesen
neugierig und habe nachgefragt und dann
diese Weiblein haben gesagt: „Hört,
drüben nahe Gallio ist ein grosser Wald
und mitten in diesem Wald ist das Jako-
mïnen Loch und in dieses Loch wirft
man hinunter alle Leute, welche nach
(ihrer) Beerdigung nicht können bleiben
in der geweihten Erde."
Wie ich solches hörte, habe ich sie
ausgelacht und habe gesagt: „in meinem
Dorfe begraben wir alle Leute, wenn
sie tot sind, aber aus dem Grabe herauf
habe ich noch nicht gehört sagen, dass
jemand gekommen sei." Und dann diese
Weiber sagten mir folgendes: „Ja, meine
Liebe, es ist so, Ihr dürft (könnt) es
glauben und bei unserem Gedenken haben
sie deren schon zwei drei (hin)getragen."
Und ich habe dann gesagt: „Und wie
wisset ihr, dass dieses oder jenes nicht
kann in der geweihten Erde bleiben?"
Und sie haben mir gesagt: „Die Leute
werden alle begraben und jene, welche
nicht können bleiben in der geweihten
Erde, findet man am anderen Tage
Höfler: Der Klausenbaum.
wieder über der Erde und dann lässt
(lassen sie sie) man sie dort bis abends
Nacht und dann geht der Priester und
vier starke Männer und nehmen den
Sarg und tragen ihn fort und setzen ihn
nieder hundert Meter bevor sie das Loch
erreichen. Sobald sie den Sarg nieder-
gestellt haben, kommen entweder ein
Schwärm Krähen oder ein Schwärm
Haben, heben und wenden den Sarg und
in einem Augenblick ist der Sarg fort
hinunter zum Loch. Reden darf niemand
von jenen, die dort sind, denn wenn
etwa einer redet gehts ihm übel: einmal
haben sie (hin'getragen ein Weib und
einer hat wollen die anderen lachen
machen und hat gesagt: ho hopp! (da)
sind gekommen vom Loch herauf ein
Schwärm Raben und sind ihm nach-
geflattert. "Wäre nicht dort gewesen der
Priester und die anderen Männer ihm
beizustehen, hätten sie ihm zerhackt den
Kopf mit den Schnäbeln.'1
Bemerk.: kontárn (ital. raccontare) = erzählen. — Gab (Gallio) eine Ortschaft der
Sette Comuni. — koriósat (ital. curiosa) = neugierig. — stian = stehen, bleiben. — gëwm
aú da kear = lupfen, umkehren, wenden. — dar snägg = der Schnabel; snaggn aú = auf-
picken mit dem Schnabel.
(Fortsetzung folgt.)
sa wîdar öwar da éarda on alora lásansa
s¿> sëwin fin áwas pa dar naxt un dòpo
geat dar faf on viar stark» manan on
neman an paur on tragnan vort on lêgnan
nîdar hundart metra vorä sa rívan gan
loX- Postart nídar as sa ham an paur
keman ödar a kuta kra odar a kuta
rawm on gêwm au kear an paur on an
áugnplik is vort dar paur nTdar pa lox-
Rëdn tür nïamat vo denséln, wóda sain
sewm, ombróm as da épar óandar rêdat
geats an âwa lez; ?n an strçax ham sa
da gatragg a waiwa un óandar hat ga-
wölt max^n laxan da andarn on hat köt:
ho hop! sain kent pa lox áuvar a kuta
rawm on sain an nägaflatert. Wéda n4
sewm warat gawest dar faf on da andarn
manan zo hélvanan, hátatn s' an darhakt
an köpf wetn snägg."
Der Klausenbaiim.
Yon Dr. M. Höfler.
In der neueren Zeit verschwinden immer mehr im oberbayerischen
Landvolke diejenigen Gebräuche, die bei der älteren Nikolausfeier bislang
üblich waren; sie übertragen sich immer mehr auf die neuere Weihnachts-
zeit, wenn auch immer noch der „Nikolo-Tag" wie ein sogen, abgeschaffter
Feiertag gehalten wird. Solche auf den St. Nikolaus- oder Klausen-Tag
fallende Yolksgebräuche des oberbayerischen Volkes waren, bezw. sind: das
Papier-Schiffchen-Spiel; die Herstellung von Nikolaus-Gebäcken : Bischofs-
Figuren, Reiter-Figuren, Frauen- und besonders Spinnerinnen-Figuren
aus Honig- oder Lebkuchenteig; Männlein, Hirsch, Hase, Hannsl und
Grretl-Figuren, die Kinder bringende Greti mit der Butte; Lebkuchen in
Form von Schultafeln und Buchstaben; sog. Schifferle (viereckige Plätzchen);
Klausenbrot (mit Nikoló-Birnen oder Birnklötzchen gefüllt); Nudeln und
320
Höfler:
Krapfen werden gebacken. Früher war auch das Schweinskopf- Essen
üblich, das durch Frauenthaler-Geschenke an die Klöster abgelöst wurde.
Nikolaus-Umritte fanden statt und Bergfeuer wurden angezündet; kurzum,
der Kalendertag des hl. Nikolaus ist ein aus der germanischen Zeit über-
nommener Feiertag und zwar ist er, wie K. Weinhold (s. diese Zeitschrift
1898, S. 231) annimmt, als Vorfeier der germanischen Winter-Sonnen-
wende aufzufassen, in welche sich auch die christliche Adventzeit ein-
mischt. Dass hierbei die Anführer der in den Sonnenwendzeiten lebhaft
schwärmenden elbischen Geister besonders in Erinnerung blieben, geht
hervor aus den Schimmelreiter- und Gockel - Reiter-Figuren, aus dem
„Klaubauf" oder Wauwau, entsprechend dem Knechte Ruprecht (in Tirol
Nikoló-„Partei" genannt), den Figuren der Spinnerin (Perchte), den Hannsl-
(männliche) und Greti- (weibliche) Figuren. Die Perchte-Figur wird im
Schwäbischen direkt die Perchtel genannt, in Augsburg (in Analogie zum
Buzemann) die Buze-Percht, weshalb es in Oberhausen hiess: „Heut
kommt der Klas, morgen die Puzepercht." Nicht unwahrscheinlich spielt
auch der Name Ruprecht an diese Perchte an. Jedenfalls stehen sich
in den Nikolaus-Gebäcken eine reitende männliche und eine spinnende
oder Kinder bringende weibliche Figur gegenüber. Geschenke spendend
und Gaben (Goeb) empfangend zogen diese Anführer der Geisterscharen
(Wode und Perchte) durch das Land.
An die Stelle des männlichen Geistes trat nun unter christlichem Ein-
flüsse der Kinder liebende Bischof (episcopus = speculator), der Patron der
Schuljugend, der Jungfrauen, der Armen, der Schiffer, Klöster, Kalk-
brenner u. s. w., der hl. Nikolaus mit den 3 Broten in der Hand, episcopus
puerorum (speculator s. speculatius), custodia gregis (Wolfs Beiträge, II,
116). Die Erinnerung an die Kinder bringende Perdita hat sich aber
ebenfalls an diesem Tage noch erhalten. Wie der tirolische Nikolo-
„P er tel" nur eine männliche Perchta-(Pertel-)Figur ist, so auch Ru„precht"
als Begleiter des Kinder liebenden Bischofs, der, wie Perchta, in Spinn-
stuben umgeht. Das „Butten"-Mannl wird in Berchtesgaden in tierähnlicher
Maske des wilden Dämons herumgeführt und erinnert durch sein Zistel
an die „Butte" oder das Schaff (Schäffel) des Nikolaus, in dem die (ein-
getragenen) Kinder sitzen (vergi. Greti mit der Butten). In Steiermark
und Kärnthen kommt gleichfalls mit dem Nikolo an dessen Abend der
„Bartel" (Strohbartel, Schmutzbartel u. s. w.). (Bartel = Barchtold, Berchtold;
auch dieser Name klingt an Perchta an, welche auch Perchtfrau lieisst).
Im Augsburger Jareinmal (aus der Mitte des 18. Jahrh.) (Birlinger, Aus
Schwaben, II, S. 155) lieisst es ebenfalls:
„So ist es auch ein schändlich Spotten,
dass des Christ-Kindleins zwey Vorbotten
die Bercht und Ruprecht müssen seyn,
die sich der Zeit auch stellen ein."
Der Klausénbaum.
321
Mit der Zeit wurde ein guter Teil der älteren Nikolaus-Gebräuche in
die Zeit der christlichen Weihnachten (Geburt Jesus-Fest) übertragen und
so in dieser volksüblich erhalten. Die Christbürde der Weihnachtszeit
stammt wohl aus der Nikolauszeit. Vom erstmaligen Nikolaustage au,
nach der Taufe, schickt in Altbayern der Pate alljährlich seinem Godi
den Seneldos, d. h. das Nikolaus-Geschenk; und auch der Weihnachts-
baum der neueren Zeit hatte in Altbayern einen Vorläufer im Klausen-
baum, dessen übliche Herstellung in nachstehender Abbildung (Fig. 1)
illustriert ist.1)
Fig. 1.
Drei mit Buxzweigen geschmückte feine abgeschälte Holzruten neigen
sich im Winkel mit ihren Spitzen gegen einen Apfel, in welchem die
letzteren eingesteckt sind; die Mitte und die Basis der drei Ruten steckten
ebenfalls in je drei Äpfeln, welche durch vergoldete, eingesteckte Nüsse
verziert sind. (Dieses Einstecken von Wertgegenständen in Opfermaterial,,
z. B. in Wachs, ist christlich; die Stefansgroschen wurden als Opfergabe
u. a. am Stefanstage in 9 Steffels-Äpfel gesteckt; jedenfalls stellen die
vergoldeten Nüsse und Äpfel Opfergaben, aber auch Fruchtbarkeits-Symbole
1) Das Original aus Lander a, d. Isar verdankt Verfasser dem Herrn Lehrer Aigner
in Ellbach.
322
Höfler:
dar, die der kinderliebende Bischof den Kindern „einlegt".) Die Leb-
kuchen-Figur dieses Heiligen mit dem Kindlein in der Butten oder im
Bade-Schäffel steht inmitten des grünen Buxbaum-Gerüstes; vor ihm ein
brennendes Wachskerzchen; ein solches ist auch auf dem obersten Apfel,
der den Gerüstgipfel darstellt. Das Ganze ist eine Art Hausaltar in Gestalt
eines künstlichen Buxbaumes, der selbst sich wieder ableitet yon dem
lebensfrischen grünen Baume, den man als Verkörperung des Fruchtbar-
keits- oder Vegetations-Dämons ansah, frischgrün aus dem Walde herein-
holte und wie einen Fruchtbarkeit und Kindersegen bringenden Schutz-
geist ins Haus „einbrachte". In dem Innern der grünen Baumhülle barg
sich dieser Geist, dem man Opfergaben vorlegte, in Gestalt von süssen
Honigkuchen, Birnbrot, Äpfel, Nüsse, welche Opfergaben sich dann in
Spenden an die Kinder (Taufpaten, Schulkinder) verwandelten, während
der Vegetations-Dämon allmählich in eine Kinderscheuche oder auch in
den strafenden Episcopus umgewandelt wurde.
So kam die Lebkuchen-Figur des St. Nikolaus in den grünen Laub-
altar, bezw. in den Klausenbaum, wie auch das „Nikolaus-Guterl" und
das Weihnachts-Konfekt an den grünen Waldbaum angehängt wird. St.
Nikolaus in der stark abgeschwächten Baumhülle ist die unter dem Ein-
flüsse christlicher Vorstellungen abgelöste Form eines ursprünglich im
Walde hausenden Vegetations-Dämons oder des Wachstums-Genius, der
vielleicht früher eine puppenartige Nachbildung erfahren hatte, wie „der
grüne Georg" (Mannhardt, Wald- und Feldkulte, 313. 316. 606); dieser
sollte den im Walde oder im Baume wohnenden Schutzgeist des Hauses
oder der Sippe darstellen. Vor solchen Bäumen, die als Wohnsitz eines
mythischen Naturgeistes galten, hat man im alten Norden Gebete und
Opfer dargebracht an Donnerstag-Abenden (Elbenopfertag) und an den
Vorabenden der grossen Feste, um Siechtum, Unglück und Unheil von
Menschen und Vieh abzuwehren (Mannhardt 59). Analogien zum Klausen-
baume sind der die Prognose für die Nachkommenschaft stellende Lebens-
baum bei Hochzeiten, welcher dem Brautpaare vorgetragen wird (so in
Hannover, in der Mark, in Schwaben, im Voigtland u. s. w.), sowie die
Wepelrot im Saterland (Mannhardt 46 ff. 247). St. Nikolaus ist demnach
im Klausenbaum die kalendarische Personifikation des in der Zeit der
Wintersonnenwende, d. h. in der Zeit des Elbenschwarms mit Opfergaben
verehrten Wachstumgeistes.
Auch in der Schweiz hängt man (nach Stalders Idiotikon 2, 299) am
Nikolausabende die Gaben für die Kinder an ein mit Flittergold und
kleinen W^achslichtchen verziertes Bäumchen.
In dem „Magazin häuslicher Scenen und Beschäftigungen in 24 Kupfer-
tafeln vorgestellt nebst beygefügter Erklärung für die Jugend. Nürnberg
in der Johann Trautnerischen Buchhandlung" (Ende des 18. Jahrh.) ist
auf der Tafel 12 „das Weihnachts-Geschenk" betitelt, der Weihnachts-
Der Klauseiibaum.
323
bäum1) als grüner Laubbaum dargestellt in Gestalt eines Bündels von
9—12 Zweigen, die zusammen in einer buntgezierten und angestrichenen
Butte in der Zimmerecke stehen (Fig. 2). Man scheint demnach früher
den Weihnachtsbaum, wie die noch üblichen Pfingstmaien, in einem
Wasserbottich bei grüner Belaubung erhalten zu haben; jedenfalls war es
kein Fichtenbaum, wie unser moderner Weihnachtsbaum, der damals ver-
wendet wurde. Das Gleiche ergiebt sich auch aus der Abbildung1) eines
Lebkuchens, der eine Schüler-ABC-Tafel darstellen soll und aus dem
Fig. 2.
^8. Jahrh. stammt (Fig. 3); auch hier steht im künstlich beleuchteten
Zimmer ìd der Ecke ein runde Früchte tragender Blattbaum, d. h. drei
Laubzweige sind in eine kleine Wasserbutte gesteckt.
Dieser grüne Busch entspricht dem „Perchtel"-Boschen, der hierorts
in der Weihnacht auf der Gattersäule des Eschzaunes aufgesteckt wurde,
in welcher Zeit auch die Elemente (Windgeister) mit ausgestreutem Grün-
futter und Ähren beschert wurden.
Nach der Volkssage blühen auf Weihnachten (in der heiligen Zeit
der Winter-Sonnenwende) die Weihnachtsrosen, Barbarazweige, Jerichorosen,
1) Diese zwei Abbildungen verdankt der Einsender dem Herrn Ilof in München.
324
Höfler: Der Klausenbaum.
Alraunwurzeln, Apfelbäume u. s. w. Dieses sagenhafte Blühen kann wohl
eine Erinnerung sein an die volksüblichen grün erhaltenen Bäume des
germanischen Winteranfangs oder Neujahrs.
Fig. 3.
IM
11 Durch Alexander Tille (Deutsche Weihnacht 36) ist es sicher gestellt,
dass erst dadurch, dass sich die an den germanischen Winteranfang*
(Martini-, Andreas-, Nikolaus-Tag) haftenden Gebräuche mit dem (813
als viertägiges Fest) kirchlich eingeführten Geburt Jesus-Feste vermählten,
das deutsche Weihnachtsfest seit dem Ende des 14. Jahrh. entstand. Im
Volksbrauche aber konnte die alte germanische Neujahrszeit, die mit dem
Winteranfänge oder Herbstschlusse begann, nicht ganz und gar ver-
schwinden. Eine solche Erinnerung ist der hiermit beschriebene immer-
grüne Klausenbaum.
Bad Tölz.
Polívka: Kleine Mitteilungen.
325
Kleine Mitteilungen.
Nachträge zum Aufsatz „Tom Tit Tot" von G. Polívka.
(Zeitschrift X, 254—272.)
Zu S. 261. Die ostpreussische Version (E. Lemke, Volkstümliches aus Ost-
preussen, II, S. 128 f.,-No. 23) unterscheidet sich dadurch, dass die königliche
Braut nicht ihren Erstgeborenen dem Zwerge versprechen muss, sondern wie in
Dd ihn heiraten, wenn sie seinen Namen (Ettle-Pettle) vergisst und zwar bereits
den dritten Abend. Wie gewöhnlich hört der Bräutigam das Liedchen des Zwerges
im Walde.
Zu S. 263. Diese Geschichte ist sehr populär, das Lied des geheimnisvollen
Spinners findet sich auch selbständig, so z. B. in der Umgebung von Antwerpen,
wo der Zwerg Kwispeltolje heisst (L. de Baecker, De la religion du nord de la
France, 179. Herr W. Bugiel in Paris excerpierte mir liebenswürdig die Stelle
aus diesem mir unzugänglichen Werke).
Zu S. 265, Anm. 2. Ganz gleich lautet die Erzählung bei Cerquand, Legendes
et Récits populaires du pays basque, I, 42. Deren Kenntnis verdanke ich der
Liebenswürdigkeit des Herrn W. Bugiel in Paris.
Zu S. 270. In einer Erzählung aus der Oberpfalz (Fr. Schönwerth, Aus der
Oberpfalz: Sitten und Sagen, II, 353 f.) führt ein grüngekleideter Zwerg einen
armen Weber , in eine Felsenhöhle und verspricht ihm, dass ihm alle dort auf-
gehäufte Schätze gehören sollen, wenn er binnen drei Tagen seinen Namen erraten
könne. Der Zwerg ist vom ewigen Richter verdammt, diese von Räubern mit
Blut erworbenen Schätze so lange zu hüten, bis ein armer Vater seinen Namen
errate und laut ausrufe. Der Weber und seine Frau trafen den dritten Tag im
Walde den Zwerg, der im Dickicht versteckt war und klagte, dass auch der Mann
nichts wage, obzwar so leicht wäre aus seinem „Spitzbärtl" seinen Namen zu
wissen. Als die Frau dann den Namen „Spitzbärtl" weit in die Luft hinausrief,
flog eine weisse Taube von der Stelle auf, wo soeben der Zwerg gestanden hatte,
der Felsen spaltete sich und liess das Geld erscheinen, welches die glücklichen
Gatten sammelten.
Zu S. 271. Diese Sage ist auch im Oldenburgischen bekannt und wird so
ziemlich gleich erzählt; das alte Männchen, welches die Kirche anstatt des Bauern
aufbaut, heisst gleichfalls Vater Fink (L. Strackerjan, Aberglaube und Sagen aus
dem Herzogtum Oldenburg, I, 274 f., No. g). In einer zweiten Version stellt das
gleichnamige Männchen nicht diese Bedingung, sondern verlangt vom Zimmermann,
was seine Frau unter der Schürze trage. Der Zimmermann wurde befreit, dadurch
dass die Bauleute durch den Hahnenschrei verscheucht wurden, als sie gerade die
Spitze auf den Turm aufsetzen wollten (ebenda I, S. 274, No. f.)
Ein Volkslied im Kindermunde.
R. Petsch hat in dieser Zeitschrift (X, 66 f.) ein hübsches Beispiel für die
Entstellung eines Kunstliedes im Volksmunde gegeben und besprochen. Als ein
kleines Gegenstück möchte ich hier die Umgestaltung zeigen, die ein Volkslied
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 22
326
Meyer:
im Kindermund erfuhr. Wie die Psychologie der Kinder und der „Unkultivierten"
sich ja so vielfach berührt, zeigen auch hier sich vielfach ähnliche Züge.
Mein zweiter Sohn ist nicht sehr musikalisch, aber sehr ehrgeizig. Was der
ältere lernt, sucht er sich anzueignen, bei Liedern Text und Musik. Das Lied
„0 Strassburg, o Strassburg", sang er, vier einviertel Jahr alt, wie folgt (ich habe
es während seines Singens aufgezeichnet):
0 Strassburg, o Strassburg, du wunderschöne Stadt,
Darinnen liegt ein Graben, solch trefflicher Soldat.
Der Vater, die Mutter, die gingen vor Herrn Hausmanns Thür,
Ach Hausmann, lieber Herr Hausmann, geben Sie uns doch den Sohn heraus!
Lustig wirkt hier wieder die um den Sinn völlig unbekümmerte Art, mit der
ein bekannteres Wort für ein selteneres („ein Graben" statt „begraben") ein-
geschoben wird; wie in dem öfter citierten Fall des Kindes, das sang „nie Kanone-
wonne" für „nie kann ohne Wonne ich dein Antlitz sehn" oder in R. Hildebrands
prächtiger „Geldstahlbrücke" statt „Göllschthalbrücke" („Aufsätze und Vorträge"
S. 152). Ferner verschmilzt die Erinnerung an „des Hauptmanns Haus" an der
(für das Kind neuen) Bildung „des Hausmanns" und „Haus" wird nun, ohne
Rücksicht auf den Reim, durch „Thür" ersetzt.
Bin Vierteljahr später sang derselbe Kleine das gleiche Lied bereits wesentlich
anders :
0 Strassburg, o Strassburg, du wunderschöne Stadt,
Liegt in Strassburg begraben so mancher Soldat,
Liegt in Strassburg begraben so mancher Soldat,
So mancher, so schöner, so tapferer Soldat
Liegt in Strassburg begraben, so mancher Soldat.
Der Vater und lieb Mutter so lang verlassen hat.
Der Vater, die Mutter, die gingen vor Hauptmanns Haus,
Ach Hauptmann, lieber Herr Hauptmann, geben Sie unseren Sohn heraus.
Ich kann Euren Sohn nicht geben für so und so vieles Geld,
Eurer Sohn der muss marschieren im weit und breiten Feld.
Die charakteristische Zeile „Der Vater und lieb Mutter" blieb ein isolierter
Anlauf.
Grammatisch lehrreich ist ausser dem Dativ am Schluss die Analogiebildung
„Eurer Sohn" nach dem unmittelbar vorhergehenden „Euren Sohn". Im übrigen
erinnert das endlose Wiederholen von „mancher Soldat" an primitivste Gesangsart
bei Naturvölkern (Burdach, Zeitschrift für deutsches Altertum, 27, 349) und
Kindern (Groos, Spiele der Menschen, S. 41 f.). Endlich heb ich noch hervor,
wie fest der Gedichtanfang sitzt — was wieder zu den Erfahrungen aller Volks-
liedsammler stimmt.
Berlin. Richard M. Meyer.
Der Tod von Basel.
Spinnstubenlied aus Gross-Küdde bei Neu-Stettin in Pommern,
aus dem Munde der Plodder-Jett (Piauder-Henriette), Frau Rüting,
aufgezeichnet im Herbst 1899 von Marie B,ehsener.
Die Mädchen singen:
Und als ich achtzehn Jahr alt war, da nahm ich mir ein Weib.
Das war eine gar sehr alte, ein bitterböses Weib!
Heidu, heidu, heidallala, heidu, heidu, heida!
Kleine Mitteilungen.
327
Die Männer singen:
Das war eine gar sehr alte, ein bitterböses Weib.
Mädchen: Ich ging wohl auf den Kirchhof und bat den lieben Tod,
Er möchte mir abnehmen die altverfluchte Hex.
Heidu, heidu, heidallala u. s. w.
Männer: Er möchte mir abnehmen u. s. w.
Mädchen: Und als ich nun nach Hause kam, da war die Alt che krank.
Ich sollt ein wenig essen, vor Freuden sagt ich Dank.
Heidu u. s. w.
Männer: Ich sollt ein wenig essen u. s. w.
Mädchen: Und als es gegen die Mitternacht kam, da kratzt sie an der Wand.
Da kam der Tod gegangen und griff sie bei der Hand.
Heidu u. s. w.
Männer: Da kam der Tod gegangen u. s. w.
Mädchen: Und als sie nun gestorben war, da legt ich sie auf Stroh;
Ich sollt ein wenig weinen, von Herzen war mir froh!
Heidu u. s. w.
Männer: Ich sollt ein wenig weinen u. s. w.
Mädchen: Ich ging wohl in die Stadt, bestellte Träger, sechs:
Mein Weib ist mir gestorben, die alt verfluchte Hex.
Heidu u. s. w.
Männer: Mein Weib u. s. w.
Mädchen: Und als ich auf den Kirchhof kam, das Grab ward schon gemacht:
Ihr Träger tragt nur leis und sacht, dass Altchen nicht erwacht.
Heidu u. s. w.
Männer: Ihr Träger u. s. w.
Mädchen: Ich nahm wohl eine Feder und steckt sie in den Tint
Und strich ihr unter die Nase, dass sie nicht wiederfindt.
Heidu u. s. w.
Männer: Und strich ihr u. s. w.
Mädchen: Der Kuckuck nahm die Seele, der Sperling nahm den Leib,
Der Teufel nahm das andre, weg war das ganze Weib.
Heidu u. s. w.
Männer: Der Teufel nahm u. s. w.
Mädchen: Und als ich nun nach Hause kam, alle Winkel warn zu weit.
Ich wartet kaum drei Tage lang, nahm mir ein junges Weib.
Heidu u. s. w.
Männer: Ich wartet kaum u. s. w.
Mädchen: Das junge Weibchen, das ich nahm, das schlug mich alle Tag.
Ach lieber Tod von Basel, hätt ich meine Altche noch!
Heidu u. s. w.
Männer: Ach lieber Tod von Basel u. s. w.
Die Erzählerin sagte bei anderer Gelegenheit: „Wir Mädchen haben das Lied
so gesungen und die Männer haben es (bei der Wiederholung) dann verändert."
— Vergi, den Text bei Erck-Böhme, Deutscher Liederhort, No. 914 und die dort
angeführte Litteratur.
_Li_5 : ' -
22*
238
Bacher:
Di Prozesiún (Prozession).
(Lied aus dem Vintschgau von Jakob Yischler vulgo Krump-Jaggl.)
-f-
-N-
3ËËi=^É
1. Wenn si mu - si mçxnj wen dï pö - lar krçxn> wen di gloggn gëbm îrn
i
-X-
—f
s---H"
—».
:=J=i:
he§x?tn tön, wen sí úm - gaio - hgltn, di juia'n und dï çltn und grod
—tí"
-«■-
=|:
's festog - gwantl legn §n.
2. Wen sï 'n himl1) priron,
Páiaa lÍBwa2) siraan
Und g'rod s [ignari tïan
Kraiz hin kraiz her:
G'fçlt mir 's musi(g)mçxn
Mit so fïbn sçx9n
G'rod am pestan nou
Bai mainar ër.
3. Wen di tramai klumpart,
Dï trumpetn sumpart,
Di posáun arsalt
Und 's klarinét;
Wen di glöklain kliraan
Und dï hearn3) siraan
Ung g'rod nidarknialn
Zum Gapét.
4. Púa do tuat's an lupfan,
Muas siar gor farhupfan,
For lautar sian sain
G'folt's mier "woul;
Wös di lait çls mçx3n
Tir a wúndarsQX9n
Fçst gör nfana sou
In gonz Tiroul.
5. Sigst 'n Senkantóni
Mit dar zeramóni4),
Odar wia si 's gestarn
Hoban g'nent? —
Der k§n 's óxitapaln
Af di zç'pfnklapaln5),
Hçt a nóglnuis
Instramént.
Uli
6. Dër müas kompaniarn
Und a dirigîarn,
Wail er çlas rext
Und guat farstëat;
Müas as z'somansteln
Fir di músigseln
Und saugn, das çlas
Rext guat geat.
7. Franz dar órgltretar
Mit dam klarinetar
Hçt wol a sun íaz das
Zwçata waib;
Ër kçn gaigan flikn
Und di kindar zwikn,
Siast zuwáiln dextar
Aus dar saib'.
8. Franz dar órglstimar
Wéard wol a net jiraar,
Wen ar sun çls rext
Und gáat farstëat;
Er mög wol áuigraifan
Und drauf umarpfaifan :
Ist huiar dextar elter
Wíadar féart6).
9. Und dar Topfar-Sepl
Ist fol plötarstepl7),
Hçt wol a net gör
An grçasan múat;
„Hçt a liabas tSnl",
Sçgt di megstar8)-Lenl
Und miar g'fçlt ar g'röd fon
Herzan gúat.
1) Tragbaldachin. — 2) Pange lingua, Anfangsworte eines kirchlichen Sakraments-
hymnus. — 3) die Priester. — 4) ein bis zur Unkenntlichkeit verdrehtes Fremdwort für ein
Musikinstrument. — 5) der kann's herabtappen auf den Zapfenklappen (des Instrumentes).
— 6) vorig Jahr. — 7) Blatter- (Pocken-) narben. — 8) Metzger Leni (Deminutiv von
Magdalena).
Kleine Mitteilungen.
329
10. Und dar spitöl-Andar1)
Mit (d)an lçngangglandar2)
Sïap g'röd ç'lawail
Pçl in pçl aus;
Dër muas inigëbm3)
Gröd af laib und lëb m
Und di augan sprizan
Im sfar aus.
11. Dër dort hintn ent'n4),
Túat sí a práf stent'n5),
Hot an ça^arpalgl
Um sain kin0);
Ist wol gör a f9astar —
I glab Jçggl bçast 9v -
Ist a dokt-?r aus dar
Medizin.
12. Saug! ö dër múas lekan
An sain'n pfáifanstekan
Und mit firoar klapaln
Darfbar hë;
Er mög wol zuismekn,
Di nösn inistekn,
Ist- hçlt dextfr hear fon
Ax und \vë.
13. Und dar Jansar-Tç'ma
Und dar snaidar z'sgma
Und dar sen in di
Traxtar7) tfan8)
Und dar Lexnar-smekar,
Darsei wildarsrekar :
Noxar géat di míisi(g)
Erst rext sfan.
14. Dort ist a nou pandar,
Ist wol gör a klyandar,
Sçu a spozanfrakl
Hçt ar ün;
Hçt an1 prç'at'n pfifl9)
Und a g'sláinigs grifl10)
Fon (da)n Pirxar sogg man
Ist's a sün.
15. Gröd um hundart guld'n
War'n zu fersuld'n,
Wen di músi wearn
Sol rext sfan.
0 di weit ist aiti,
Niamat wil in'n paitl
G'röd um gots-wiin
Ini tfan.
16. Wër hçt dös dardixtat
Und a sou parixtat?
Mçanst dar krumpa Jçggl
una zeax?11)
Dër kçn knitl mçxn
Und darglaix^n sçxn
Und hçt çlwi12) saini
Oltan stréax13).
Vorstehendes Lied hörte ich im Sommer 1888 zu Schlanders im Vintschgau
singen. Infolge meiner Bemühungen erhielt ich es im Jahre 1889 (Winter) zum
Abschreiben, während ich die Singweise nur nach dem Gedächtnisse beisetzen
konnte. Zur Yeranschaulichung des Denkens und Empfindens einfacher, biederer
Landleute bei kirchlichen Feierlichkeiten dürfte das mitgeteilte Lied nicht belanglos
sein und zeigen, dass es immer noch auch im Tiroler Volke Freunde des Liedes
giebt, die sich auch selbst im Liede versuchen. So lernte ich im Sommer 1892
in Neumarkt (Südtirol) ein Bäuerlein aus dem Pusterthale kennen, das, obwohl
schon bei 60 Jahre alt, noch immer Freude am „Dichten" hatte. Dieser Mann
trug bei seinen Reisen stets ein ziemlich dickes Heft selbstgefertigter „Gedichte"
mit sich und las damals in Neumarkt einige vor. Sie waren ernst religiös, meist
Naturbetrachtung, enthielten auch teilweise recht schöne Stellen. — Anfangs der
80er Jahre lernte ich eine Bauernfamilie in Tschötsch bei Brixen (Tirol) kennen,
die, nur aus Eltern und sechs Rindern bestehend, weitum einen guten Ruf als
1) Andreas. — 2) Geländer; hier sind damit die länglichen Keife der Posaune ge-
meint. — 3) hineinblasen. — 4) drüben. — 5) sich bemühen. — 6) hat einen Knebelbart
"wie der Pelz eines Eichhörnchens um sein Kinn. — 7) Trichter, Schallkessel der Musik-
instrumente. — 8) thun; hier: blasen. — 9) breites Mundstück. — 10) schleunigen Griff
— 11) Zehe. — 12) allweil. -- 13) Streiche, Flausen.
330
Schütte :
Sänger besonders für Volkslieder genossen. Eine Tochter aber, die Mçidl, ver-
legte sich leidenschaftlich auf das Dichten lustiger Hochzeitlieder für Hochzeit-
lader, für das Hochzeitmahl, zum Zwecke des sogen. Zaunmachens. Ich war
damals Gymnasialschüler und weilte zur Ferienzeit öfters in dieser Familie.
Manchmal an Sonntagen verschwand die Mçidl plötzlich aus dem Kreise der
Familie; nach einiger Zeit kam sie wieder herbei, um uns Stück für Stück die in
einsamer Kammer angefertigten Gedichte vorzulesen, die bezüglich Yersmass und
Heim nicht so genau gehalten, aber voll Humor und derber Schalkheit waren.
Ihr Bruder, der schneidige „Weingarter Much" wurde weithin in entfernte Ge-
meinden als Deklamator bei Hochzeiten und anderen feierlichen Gelegenheiten
gerufen.
Fennberg. Bacher.
Braunschweigisclie Dorfneckereien.
Das alte wahre Sprichwort „Was sich liebt, das neckt sich" kann man getrost
weiterführen und sagen, was sich nicht liebt, neckt sich noch mehr. Die Lust
am Spotte, der ja häufig mit der Neckerei verbunden ist, liegt eben tief im mensch-
lichen Herzen begründet. Es necken sich die Kinder, die Erwachsenen, es necken
sich die Bataillone der einzelnen Regimenter und wiederum die Regimenter unter-
einander, es necken sich die Bewohner der Dörfer, der Städte, der Länder. So
ist es jetzt, so war es einst und so wird's ewig bleiben. Die Neckereien werden
so alt sein wie die Menschen selbst. Aber bei den einzelnen Neck- oder Schimpf-
worten das Alter anzugeben, ist fast immer unmöglich. Wer möchte es bei den
Versen bestimmen, die 0. Schade in seinen deutschen Handwerksliedern (S. 143)
anführt:
Dresden in Sachsen
Wo die schönen Mädels wachsen.
und S. 141 :
Zwar in Polen ist nichts zu holen,
Und aus Thoren kommt man nicht ungeschoren.
Bei einer einzigen Verspottung der Bewohner des braunschweigischen Ortes
Rotenkamp im Amte Königslutter vermag ich festzustellen, dass sie schon über
200 Jahre alt ist. Die Rotenkämper werden noch heute als „langhärige" gescholten.
Als solche bezeichnete sie oft in seinen Predigten J. Spring, Pfarrer der Ge-
meinden Scheppau und Rotenkamp bis zum Jahre 1658. Er ärgerte sich nämlich
über die Anmassung der Bauern, die glaubten, ebenso gut wie die Prediger lange
Haare tragen zu können. Auch die Mädchen in Rotenkamp werden noch heute
als Rotenkämper Stripphaare gescholten.—Den Bewohnern vieler Ortschaften
werden weniger feine Sitten nachgesagt, was sich besonders zeigt in dem zu vollen
Einschenken der Tassen. So wird in Weferlingen in der Altmark eine zu voll-
geschenkte Tasse eine Schwanefeldsche genannt, in Leinde bei Wolfenbüttel
eine Fümmelsche, in Wedtlenstedt bei Braunschweig ne Bortfeldsche oder
Woltörpsche, in Ummendorf bei Magdeburg ne Beilebische, in Schöningen
ne Heyersdörpische (Hoyersdorf ist ein kleiner Ort dicht bei Schöningen), in
Lenne bei Stadtoldendorf ne Emmerbornsche.
Von dem oben genannten Schwanefeld bei Helmstedt sagt man, mir unver-
ständlich, die Verse:
In Swanefeld,
Wo 't de Hunne vor'n Marse bellt.
leine Mitteilungen.
331
Hildesheim heisst im Volksmunde der Pott. So fragt man am Hilse: „Biste
mal nân Potte west?"
Den Bauern Denstorfs bei Braunschweig dichtet man eine gewisse Trägheit an:
Weitste nich, wo Denstorp lit?
Denstorp lit im Grunne,
Wo dë fulen Buren sind,
Stinket wie de Hunne.
Trotzdem heisst es aber:
In Denstorp,
Da backet se guën Torp.
Als unpraktisch gelten die Bauern des Dorfes Lamme bei Braunschweig.
Sie nehmen angeblich die Grepe mit Mist auf die Schulter und drehen sich dann
herum. Wohin zufällig Mist fällt, bekommt der Acker Dünger. Daher die
Redensart: „Mist streuen wie de Lammeschen."
Döhren war früher ein ansehnliches Dorf gegenüber den benachbarten braun-
schweigischen Ortschaften, wie dem Puterdorfe Mackendorf und dem Bessenbinner-
neste Grasleben mit seinem Hungerberge. Deshalb hiess es seit langer Zeit:
Döhren, dat let sik hören
An allen Ecken un Ören.
oder: In Döhren,
Da is wat tau hören.
Die Bewohner mancher Orte gelten als roh:
Geiste hen na G e il de (bei Schladen)
Da kriegste wecke mit en Beile.
Geiste hen na Döhren (hei Schladen),
Da smît se dick mit Beren.
Dasselbe gilt von den Bewohnern mancher Strassen in Braunschweig:
Bruch, Mauernstrasse, Morgenland (Klint)
Haben freche Zunge, lose Hand.
und: Mauernstrasse, Klint und Weder (Werder),
Davor hüte sich ein jeder.
Schöppenstedt wird umgedreht in Steppenschet, um es herabzusetzen. Wer
aus Ummendorf ist, stammt natürlich aus Dummdörp, und wer in Wellen bei
Magdeburg geboren ist, „hat einen mit 'en Socken ekregen". Wenn aber einer
von Natur dumm ist, so sagt man: „Dë mot na Ossendörp (Ochsendorf bei
Königslutter) op de hoge Schaule un mit den Ossen dorch 't Gitter knurren."
Als arm gilt Kathendorf in der Altmark. Dort bellt der grosse Hund, der
sonst täglich nur eine Kartoffel, am Jakobstage aber zwei bekommt: „Jakobsdag,
kumm ball ball ball." Ebenso Münstedt und Oberg bei Peine:
Pracher Münstedt,
Bettel Oberg.
Salder und Lebenstedt streiten sich um ihre Bedeutung. Es heisst:
Salder is de Hauptstadt,
Lebenstedt schit de Hund wat.
und umgekehrt.
Naheliegend sind die Reime:
In Tanne (Harz) | Da slapet de Fruen bim Manne.
In Wolfeshagen (Harz) | Da können die Mädchen 'en Druck vertragen.
Detten (Dettum bei Wolfenbüttel) | Is beschetten.
332
Müller:
In Wipshusen (bei Braunschweig) | Is nich vel tau musen.
In Peine I Da is de Luft nich reine.
In Lütjen Polen (Kl. Bartensieben bei Helmstedt)
Is nist tau holen | As wie Steweln ohne Sohlen.
Bortfaller (Bortfelder) | Hosenknaller.
In Beuchte (bei Schladen) | Da is de Weg tau feuchte.
In Lenge (bei Schladen) ¡ Da is de Weg tau enge.
Wispenstein e ¡ Lit an der Leine.
In Wetteborn (bei Gandersheim) | Da gift et dicke, fette Knorrn.
Scherensliper Ackermann | Kummt mit siner Kare an,
Kummt e hen na Hessen (Dorf in Braunschweig),
Da pisset de Mäkens dorch en Bessen,
Foirt e hen na Anderbeck | Da sind de Mäkens dick un fett.
Braunschweig. Otto Schütte.
Der Schlag mit der Lelbensrute.
W. Mannhardt hat in seinen „Wald- und Feldkulten" (I, S. 251—303) aus-
führlich auch über den in deutschen und slawischen Gebieten weit verbreiteten
Gebrauch gehandelt, dass junges weibliches Vieh oder junge Mädchen zur Zeit
des Wiedererwachens der Natur mit frischen und womöglich blühenden Zweigen
geschlagen werden. Der tiefere Sinn dieser vielfach verstümmelten und heute
meist zu Bettelbräuchen der Kinder herabgesunkenen symbolischen Handlungen
ist, wie der genannte treffliche Forscher ausführte, der, dass durch die Berührung
mit dem sprossenden Zweige die Kraft und Fruchtbarkeit der Pflanze auf Mensch
und Tier übertragen und zugleich alle schädigende Wirkung feindlicher Dämonen
ferngehalten werden soll. Einen kleinen noch nicht bekannten Beitrag zu diesem
Kreis von Volkssitten fand ich im oberen Aupathale im böhmischen Bäesengebirge.
Hier ziehen die Kinder zu Ostern mit künstlich geflochtenen und mit bunten
Bändern geschmückten Weidenzweigen von Haus zu Haus und schlagen vorwiegend
weibliche Personen an die einzelnen Körperteile, indem sie dabei Gaben heischend
folgende Verse absingen (vgl. dazu Mannhardt, Wald- und Feldkulte, I, 262):
1. Schmeckostern ima Zinnen, 10. Schmeckostern ims Öberbrat
Ich will inr wos verdienen. Das is 1000 Thaler (Gulden)
2. Schmeckostern im de Füsse, 11. Schmeckostern ima Rücke,
Schmeckostern is zuckersüsse. Ihr seid gruss un dicke.
3. Schmeckostern im de Woda, 12. Schmeckostern ima Finga,
Wir sein gute Komeroda. Das thut gut klinga.
4. Schmeckostern im de Kniee, 13. Schmeckostern ima Arme,
Es is gut für da Fliehe. 's is dass Gott derbarme.
5. Schmeckostern im de dicken Beene, 14 Schmeckostern ima Nacka,
Wir sein nie ne alleene. 's sein de Kucha âgebacka.
6. Schmeckostern im de Plaudermeste 15. Schmeckostern ima Hals,
Unser Herrgott is der beste. (vulva), Es is nu bald alls.
7. Schmeckostern ima Aorsch, 16. Schmeckostern ims Kinne,
Wenns weh thut, da sog's. Hatr 'n Branntwein hinne?
8. Schmeckostern ima Bauch, 17. Schmeckostern ims Maul,
Es is dr alte Brauch. Mir sein ne faul.
9. Schmeckostern um'n Nabel, 18. Schmeckostern imma Kopp,
Das kribbelt und krabbelt. 's schlôt keen tôb.
Kleine Mitteilungen.
333
19. S ehm e cko stern ima de Nòse,
Dort diba rennt a Hòse.
20. Schmeckostern im de Age,
Wir warn wohl heit ne säge.
21. Schmeckostern im'n Kopp,
Wir sein 'ne grob.
22. Schmeckostern im de Hände,
Schmeckostern nimmt e Ende.
23. Schmeckostern im de Ohrn,
I kim da morga scho von Morn (Ortschaft bei Trautenau).
24. Schmeckostern ima Bîma (Geldstück),
Ze Jôre kim i wieda.
Dieser Brauch, „Schmeckostern" genannt, in Anlehnung an poln. smigac,
peitschen, stäupen, das volksetymologisch zu Ostern, wo es meist stattfindet, in
Beziehung gesetzt wird (Mannhardt, Wald- und Feldkulte, S. 259x), findet sich
auch bei uns in Sachsen, wenn auch nur in abgeblassten Formen. Im Erzgebirge
ist das „Frischegrünepeitschen" (Werdau, 2. Weihnachtsfeiertag), das „Oster-
schmicken" (Kühnhaide, Obererzgebirge), ebenso wie das „Aschabkehren" (in
Leipzig am Aschermittwoch mit den Worten: „Aschabkehren is Mode mit der
grünen Knote") nur noch ein Anlass zum Gabenheischen der Kinder.
Löbau i. S. Dr. Curt Müller.
Unter dieser Aufschrift bringt das Salzburger Intelligenzblatt vom Jahre 1796
eine Nachricht vom 16. März desselben Jahres.
„In der jetzigen Fastenzeit ist zu Nixdorf — bei Schluckenau im Leitmeritzer
Kreise eine sonderbare Schauspieler-Gesellschaft entstanden. Sie spielt nämlich
das Leben, die Kreutzigung und den Tod Jesu Christi. Sie suchte erstlich um
Erlaubnis beym hiesigen Oberpfarrer P. Fürle an, und erhielt sie bald. Die
beiden Kapläne P. Schulz und P. Ignaz widersetzten sich dem Unfuge, den man
mit der Religion treiben wollte, und ob sie schon Ex-Mönche sind, so erhielten
sie doch diesmal von der vernünftigen Welt vollkommen Beifall. Die Commödianten
Wendeten sich darauf an das Justizamt zu Hanischbach — Marktflecken, dem
Grafen Salm gehörig —, und der Bescheid war: alle diejenigen zu arretieren und
nach Hanischbach zu schaffen, die sich' unterfangen würden, dieses Spiel auszu-
führen. Man wendete sich darauf an das kk. Kreisamt zu Leitmeritz, und unter
der Bedingung, allen Überfluss von dem dabei einzunehmenden Gelde in die
Armenkasse zu geben, wurde es mit Nachsicht gegen die Vorurteile des Volkes
erlaubt.
Und nun wurde fast alle Tag gespielt, und soll bis Ostern täglich fortgesetzt
werden. Die Hauptpersonen, welche diese geistliche Comödiantentruppe anführen,
sind: Florian Hoke, ein Strumpfwürker und Anton Richter, ein Garnsammler.
Der Teufel hat dabei eine Hauptrolle zu spielen und macht zugleich den Harlequin.
Der Zuspruch vom gemeinen Volke ist zahlreich; einige lachten und spotteten,
andere geriethen in grosse Traurigkeit, als man auf dem Theater die verkappte
Person, so Jesum darstellte, einen Schein um den Kopf hatte und in fleischfarbigte
Leinwand genäht war, hin- und herwarf und riefen aus: Jesus Maria! wie gehen
sie mit unserm Herrgott um! Ein Kind fragte den Vater, wer der schwarze Mann
gewesen wäre? Der Teufel! war die Antwort. Und das Kind wunderte sich
darüber, dass der Teufel so ein Ding wäre.
1) [Yergl. bereits K. Weinhold, Beiträge zu einem schlesischen Wörterbuche. Wien
!855. S. 85 a.]
Passionskomödien in Böhmen,
334
Strele:
Überhaupt war es auffallend und wohl von sehr nachteiligen Folgen für die
Jugend, als unter der Schar, die Jesum gefangen nahm, auch kleine Knaben waren,
die reine Unschuld in ihren zarten Gesichtern, die sich doch zwingen mussten,
den verstellten Jesum zu foppen, zu verspotten und zu verlachen. Diese Gesell-
schaft ist entschlossen auch die Auferstehung nach den Ostertagen zu spielen, wo
ebenfalls die Teufel wieder viel zu thun haben sollen; und dieses soll an mehreren
Orten in Böhmen geschehen, weil man diese Schauspiele einträglich findet.
Welchen Schluss wird man von diesem abscheulichen Missbrauch der heiligen
Geschichte auf die gerühmte Aufklärung in Böhmen machen!"
Einige mir hier zugängliche Werke über Böhmen, sowie andere mir von der
Prager Universitätsbibliothek gütigst übermittelte gaben keinen Aufschluss. Nun
wandte ich mich auch brieflich an den hochwürdigen Herrn Dechant Winkler in
Nixdorf, der mir freundlichst mitteilte, „dass von dem besagten Spiele hierorts
nichts bekannt ist und von demselben nie eine Erwähnung gemacht wurde. Sollte
zur damaligen Zeit ein Schriftstück hierüber verfasst worden sein, so ist selbes
sicherlich beim Brande 1842 mit zu Grunde gegangen, da sämtliche Matriken und
andere Schriften gänzlich verbrannt sind.---Herr Pfarrer Fürle starb am
5. Mai 1803 im 59. Jahre."
Möglicherweise wäre Näheres im Salmschen Archive oder in den Akten des
Kreisamtes zu Leitmeritz zu finden.
Salzburg. R. v. Strele.
Silberne Votivgaben der Cnbaner.
In der amerikanischen Zeitschrift The Puritan, Yol. VII, No. 2, November 1899
hat Miss Kate Jordan in einem Aufsatz Prayers in silver Mitteilungen über
silberne Votivgaben auf Cuba gemacht, von denen wir hier das wesentliche mitteilen:
Man kann nicht eine Woche in Cuba leben, ohne zu bemerken, dass Ver-
trauensseligkeit ein hervorragender Charakterzug des Cubaners ist. Wenn er einem
Menschen vertraut, glaubt er alles, was ihm dieser sagt. Das „Milagro" ist ein
Beweis dafür. „Milagros" (Wunder) heissen alle Gattungen kleiner (etwa 2—3 Zoll
grosser), meist silberner, oft auch goldener und juwelenverzierter Votivgaben.
Man könnte sie sichtbare Gebete nennen, denn kein konkreter Wunsch, den ein
Menschenherz hegen kann, ist vom Silberarbeiter vergessen worden. Nach dem
Gottesdienste an einem Feiertage werden die verschiedenen Gegenstände geopfert.
Wir beobachteten einen solchen Opfergang. Ein kleines Mädchen opferte einen
silbernen Hut mit wehender Feder, ein alter Mann ein silbernes Gebiss, ein ält-
liches Frauenzimmer eine Hütte und ein ganz altes Mütterchen, das seine Gabe,
bevor es sich davon trennte, inbrünstig an die Lippen fiihrte — eine silberne Kuh.
In eine Fahne, die vor dem Altare der Muttergottes drapiert war, legten die
Gläubigen ihre Geschenke nieder, in dem festen Glauben, dass ihnen nun die Er-
füllung ihrer Wünsche gesichert sei. Es war ergreifend zu sehen, welche hervor-
ragende Holle die Sehnsucht nach Gesundheit dabei spielte. Ein Lahmer opferte
ein Paar schöner gerader Beine, ein Schwindsüchtiger einen kräftigen Brustkorb,
die Mutter eines verkrüppelten Kindes einen kleinen, im vollen Laufe begriffenen
Cherub. Auch alle Gattungen von Tieren und die verschiedensten Kleidungsstücke
waren schliesslich vor der Muttergottes aufgehäuft.
Nach nicht langer Zeit bekamen wir die „Milagros" abermals zu Gesicht: In
einer Pappschachtel in dem Laden eines Pfandverleihers! Für zwei Pesetas konnten
wir jedes dieser Dinge haben, die alle einen heissen Herzenswunsch verkörperten.
Kleine Mitteilungen.
335
Wir fragten den Besitzer des Geschäftes, der uns mit seinen schmutzigen Händen
die silbernen Kleinigkeiten vorlegte, auf welche Weise er in deren Besitz ge-
langt sei?
„Die Milagros werden gesegnet und dann gehören sie den Geistlichen, die
verkaufen sie an uns."
„Und das Geld?"
„Geht an die Kirche zurück." M. v. Wendheim.
Mährische Marterln.
Auf einer Radfahrt, die ich am 1. Juli 1900 von Brünn nach Wien unternahm,
fand ich bei Pohrlitz auf der Brünner Reichsstrasse beim Kilometerstein 4/24 eine
auf einem Pflock befestigte Martertafel aus Blech, welche unterhalb der Darstellung
der schmerzhaften Muttergottes einen beim Pflügen verunglückten Bauern zeigt.
Die Inschrift lautet: „Georg Ludwig aus Mohleis No. 45 geboren am 25. Okt. 1825
wurde am 24. Juni 1864 von seinen scheu gewordenen Pferden beim Pflügen zu
Tode geschleift." Das Bild zeigt die Unglücksscene auf der Strasse, wo der
Mann unter dem doppelspännigen Pfluge liegt. An der Strasse liegen einige
naturgetreu gemalte Schotterhaufen. Der Meilenstein zeigt auf dem Bilde die
Bezeichnung 6/1800. Der Kopf des toten Christus befindet sich auf der linken
Seite Marias.
Bei Muschau sah ich an einem Baume ein altes, bereits stark verwittertes,
auf Blech gemaltes Marterlbild, das oben die hl. Maria mit dem Jesukind und
unten einen mit Säcken beladenen zweispännigen Wagen zeigt, unter dessen Rädern
ein Mann liegt. Eine Inschrift ist nicht vorhanden. Oberhalb Muschaus (gegen
Brünn zu) soll sich noch ein zweites Marterl befinden, das ich jedoch übersah.
Bei Nikolsburg sah ich endlich ein ebenfalls auf Blech gemaltes und auf
einem Pflock befestigtes Marterl mit der Darstellung der schmerzhaften Muttergottes.
Die Inschrift lautet: „Schmerz. Mutter Gottes hilf uns! Hier ist der Ort, wo der
verunglückte Winzersohn Fr. Schmid im 16. Lebensjahre durch den Schlag eines
Pferdehufes am 19. Februar 1900 seinen Geist aufgab." Dieses dürfte wohl das
jüngste Marterl sein, das in Mähren errichtet wurde. — Die hier mitgeteilten Marterl
sind sämtlich im deutschen Gebiete Mährens gelegen und deshalb beachtenswert,
weil sie alle das Muttergottesbild zeigen, während die bis jetzt bekannt gewordenen
slavischen Marterln aus Mähren den jeweiligen Namenspatron des Verunglückten
zur Darstellung bringen.
Wien. Johann Ziskal.
Sonnwendfeuer in Tirol.
Die Gemeindevertretungen von 46 Ortschaften in der näheren und weiteren
Umgebung von Innsbruck haben heuer die Sonnwendfeuer auf ihrem Gebiete ver-
boten, nach den Tagblättern zu urteilen unter klerikalem Einfluss. Es sind dadurch
blutige Auftritte herbeigeführt worden. Der Bann hat bis Matrei an der Brenner-
bahn, bis Telfes im Stubai, Sigmund im Seilrain und Werberg bei Schwaz gereicht.
Einen Protest gegen das Verfahren der 46 Landgemeinden erhub ein sehr
grosser Teil der Landeshauptstadt Innsbruck durch eine Thalfeier des Sonnwend-
abends am 20. Juni d. J. Auf dem festlich geschmückten Ausstellungsplatze ver-
sammelte sich schon beim Anbruch des Abends eine sehr zahlreiche Menge aus
336
Weinhold:
allen Schichten der Bevölkerung, Männer und Frauen, die Häupter der Stadt und
fast der ganze Gemeinderat, viele Professoren der Universität, sehr viel Studenten und
Bürger von Innsbruck. Der Vicebürgermeister Dr. Erler begriisste die Versammlung
und betonte in seiner Rede, dass sie nicht einen heidnischen Brauch neu beleben
wollten, „uns ist es nur zu thun um die Erhaltung des immer schönen alten
Brauches, um die Erinnerung an das reiche Geistes- und Gemütsleben unserer
Vorfahren, um die ewig wahre Idee vom Kampfe zwischen Licht und Finsternis
und vom endlichen Siege des Lichtes. Fern ist uns auch die Absicht, diese Feier
zu einer irreligiösen oder antipatriotischen zu gestalten; was wir thun, geschieht
offen und frei vor jedermanns Auge, und viel zu hoch steht uns dieses Fest, als
dass wir es zu einer politischen Hetze gestalten würden. Wohl aber soll es sein,
und das verkünde ich ebenso frei und offen, eine gewaltige und feierliche Kund-
gebung unseres wiedererwachten Volksbewusstseins, ein freies und ehrliches Be-
kenntnis unserer Zugehörigkeit zur deutschen Nation." (Innsbrucker Nachrichten
vom 21. Juni 1900, No. 140, S. 4). Auf die mit grossem Beifall aufgenommene Rede
und den Vortrag eines begeisterten Festgedichtes von Anton Renck, folgte ein
Fackelreigen der Jungmannschaft des deutschen Turnvereins, an dessen Schluss
die hundert Tänzer über das in der Mitte des Platzes lodernde Sonnwendfeuer
sprangen und ihre Fackeln in dasselbe warfen. Einen zweiten Fackelreigen führte
zum Schluss der Innsbrucker Turnverein aus, trotz des herniederströmenden
Regens. Es war eine schöne, erhebende Feier. Die reichlich fliessenden Eintritts-
gelder werden den Schulen der bedrohten deutschen Gemeinden in Südtirol zu
gute kommen. K. W.
Citronen, auf den Altar gelegt.
In Heft 2 dieses Jahrg. unserer Zeitschrift wird (S. 244) berichtet, dass in der
Niederlausitz die Braut vor der Trauung zwei Citronen auf den Altar lege, und
es wird gefragt, ob dieser Brauch auch anderwärts vorkomme. Die zum Teil auf
Trauungen, zum Teil auf Beerdigungen sich beziehenden Antworten sind hinzu-
gefügt. Hiermit möchte ich noch einen Beitrag liefern, den ich einem soeben
erschienenen kleinen Hefte „Kirchliche Sitten in Westpreussen, im Auftrage des
westpreussischen Pfarrervereins dargestellt von Hevelke, Prediger an St. Barbara
in Danzig" (Danzig, A. Müller vorm. Wedeische Hof buchdruckerei) entnehme. Es
heisst dort (S. 19): „In Heia legt die Braut dem Pfarrer nach der Trauung eine
Citron e auf den Altar."
E. Lemke.
Braunschweigische Sprechübungen.
Unter den Pfänderspielen auf dem Lande und in den kleinen Städten sind
beim Volke in Braunschweig besonders die Sprechübungen beliebt. Es handelt
sich dabei um das richtige Nachsprechen eines kürzeren oder längeren Satzes.
Wer sich verspricht, muss ein Pfand geben. Kurze Sätze wie „Der Metzger wetzt
das Metzgermesser" müssen mehreremale schnell hintereinander gesprochen werden-
Unter den längeren Sätzen wählt man besonders solche aus, deren Wörter alle
mit demselben Buchstaben beginnen, z. B. mit d: „De dicke Döbber draug dë
dicke Dube dorch den dicken deipen Dreck; da danke dë dicke Dube den dicken
Döbber, dat dë dicke Döbber dë dicke Dube dorch den dicken deipen Dreck
Kleine Mitteilungen. 337
draug." Oder mit h: „Hans, Heinrich, Henrich, horch, höre hierher, hale hinder
Heinrich Haken Huse hasselhainen höldern Holt her." Unter allen diesen Sprech-
übungen ist mir die als die anmutigste erschienen, in der dem Gesinde und dem
Vieh des Herrn ein charakteristischer Name beigelegt wird. Bei dieser Übung
musste jeder dieselben Verse sagen und zwar alle der Reihe nach zunächst den
ersten Vers, dann den zweiten mit dem ersten und so fort.
1. Et war emal en Mann, 2. Et war emal en Mann,
Dë Mann, dë harr 'en Knecht. Dë Mann, dë harre ne Magd.
Da fraugen alle Leute, Da fraugen alle Leute,
Wie dë Knecht wol heite. Wie dë Magd wol heite.
„Hebberecht het min Knecht." „Sewernsaat het mine Mâd."
Wurde nach dem Mädchen gefragt, so hiess es: „Häkebäke het min Mäken."
Wenn auf diese Weise auch alle Tiere von jedem mit ihrem Namen genannt
waren, so wurden zum Schlüsse von jedem der Reihe nach noch einmal sämtliche
Namen, mit denen das Gesinde oder Vieh belegt war, aufgezählt, also:
Hebberecht | Het min Knecht, Stech herein | Heisst mein Schwein,
Sewernsaat | Het mine Mâd, Triftraf | Heisst mein Schaf,
Lusebunge | Het min Junge. Langhals | Heisst meine Gans,
Stîfstert oder Hicher | Het min Perd, Kiicheran | Heisst mein Hahn,
Liktau oder Fötau | Het mine Kau, Hedeldumdé | Het mine Klucké."
Braunschweig. Otto Schütte.
Die Hornspraclie im Yolksmunde.
Wie man noch heutiges Tages den Signalen des Hornisten einen Text unter-
legt, indem man ihn am Abend blasen lässt: „Soldaten sollen nach Hause kommen,
der Hauptmann hat's gesagt" und am Morgen fragen lässt: „Habt ihr noch nicht
lange genug geschlafen?" so legte man früher auch den Tönen, die die Hirten
ihren Hörnern entlockten, Worte unter. So blies der Kuhhirt in Denstorf bei
Braunschweig am Morgen: „Min leiwe, beste Dortjen, kumm, slap düse Nacht bi
mik", in Bortfeld: „Karline, backe Tuerholt1) vor mik un minen Sohn" und:
Et kêk ne Kättche dor den Tun, Dat will ik minen Vader seggen,
Ik dacht', et wörr 'n Ule, Dë sali dik et Lock vertunen.
In Grasleben bei Helmstedt blies der Kuhhirt grob und deutlich:
Fule Brut, fule Brut,
Wutte balle rut, lat de Käue rut !
Nicht weniger selbstbewusst trat der Schweinehirt in Lamme auf:
Rut, erut, erut,
De Sween, dë hat etut.
Höflicher dagegen war der Schweinehirt in Wedtlenstedt bei Braunschweig,
denn er begründete seine Aufforderung näher:
Anndortjen, lat de Swine rut, Dat ik ut en Dörpe kome,
Ik mot ja nn weg, Tateratera, tateratata.
1) Käse; daher das Rätsel: „Weck is et beste Holt?" Dat Tuerholt.
Braunschweig. Otto Schütte.
338
Schütte, Bacher:
Vernageln der Zahnschmerzen.
Seine Zahnschmerzen los zu werden, nimmt das Volk gern einen Nagel,
berührt den kranken Zahn damit und schlägt dann den Nagel in einen Baum ein,
mit Vorliebe in eine Linde, vgl. Andree, Braunschweigische Volkskunde, S. 307.
Hierbei bedient es sich folgender Verse:
„Nägel, ik klage dik,
Min Tän, dë plaget mik,
In mik vergeit,
In dik besteit,
Dat et mik sin Lewe nist wedder angeit."
Dass aber dieser Nagel aus Eisen oder Draht sein muss, hat man in Wedtlen-
stedt bei Braunschweig vergessen und an Fingernägel gedacht. Man verwendet
daher diese Formel, indem man von den Fingern und Zehen abgeschnittene Nägel
drei Feiertage hintereinander nach Sonnenuntergang in die Erde gräbt.1)
Braunschweig. Otto Schütte.
Wie die Wälschen fluchen.
Dass das italienische Volk über einen ansehnlichen Vorrat von Schimpfwörtern
verfügt, welche an die Ausdrücke und Ausdrucksweise der Orientalen erinnern,
wie z. B. figlio d'un can', figlio d'una vacca (Hundesohn, Kuhson), dürfte wohl
bekannt sein, und davon ist auch Lusern nicht unberührt geblieben. Dass die
wälsche Bevölkerung in einer das deutsche Gemüt oft empörenden Weise heilige
Namen behandelt und gebraucht, wovon auch Lusern so manches von seinen
wälschen Nachbarn geerbt hat, war Ursache, dass scharfe kirchliche Massregeln
gegen diesen Hang zum Fluchen getroffen werden mussten. Dass bei einer tiefer
gehenden Gemütserregung der Fluchende sich niederkniet und mit ausgestreckten
y Armen eine ganze Flut heiliger Namen in nicht gerade frommer Weise hersagt,
das weiss auch der Führer der Wälschen in Lusern; — die denkbar höchste
Steigerung des Fluchens in Wort und Zeichen dürfte aber doch den heissbliitigen
Wälschen im eigentlichen Italien vorbehalten sein. Diese reissen nämlich bei
.. grosser Erregung und Wut ihre Kopfbedeckung herunter und rufen eine Menge
von Heiligen(namen) in den Hut hinein mit allen möglichen vom Ärger eingegebenen
Titeln. Sind endlich die Ströme der Verwünschungen erschöpft, werfen sie den
Hut zu Boden und zertreten denselben in hellem Zorn. Nun kommt ihnen mittler-
weile dabei in den Sinn, dass sie in ihrer Wut auch den Namen di Sant' Antonio
di Padova in den Hut hineingerufen hatten. Sie nehmen dann den Hut reuerfüllt
auf, rufen il grande S. Antonio heraus, um so die gegen ihn verletzte Ehrfurcht
zu sühnen; aber dann werfen sie den Hut wieder zu Boden, treten um so herz-
hafter darauf und zerstampfen ihn, da es nunmehr bloss den übrigen Heiligen
noch gelten kann.
Fennberg in Südtirol. J. Bacher.
1) Über das Vernageln der Zahnschmerzen J. Huemer, Ztschr. f. österr. Volkskunde,
II, 363 f. Zahrer, Die Krankheit im Volksglauben des Simmenthals, S. 33. 60. Wuttke,
Deutscher Volksaberglaube, § 490.
Kleine Mitteilungen.
339
Anfrage über Gebräuche und Aberglaube, die sich an den Anbau
des Hirses knüpfen.
In einer längeren Zuschrift des Herrn N. W. Thomas in Kiel (Feldstrasse 41)
wünschte derselbe etwaige abergläubische Gebräuche und Meinungen, die sich an
den Bau des Hirses („der ältesten Getreideart", wie er sich ausdrückt) knüpfen,
zu erfahren. Da die Zuschrift nichts Thatsächliches mitzuteilen weiss, verzichte
ich auf den Abdruck derselben, will aber auf die Frage selbst aufmerksam machen,
und was gerade zur Hand liegt, nicht zurückhalten.
Die Bedeutung, welche der Hirse, über dessen älteste Geschichte V. Hehn in
seinem bekannten Buche „Kulturpflanzen und Haustiere" belehren mag, auch bei
den Deutschen vor Zeiten hatte, ergiebt sich daraus, dass er bei Festen auf
dem Tisch des Bauern nicht fehlen durfte: noch heute oder wenigstens vor einigen
Jahrzehnten fordert alte Hausregel den Hirsebrei (gern mit Milch gekocht) am
Weihnacht- und Neujahrsabend (Thüringen, Vogtland, Brandenburg, Wuttke,
Deutscher Volksaberglaube, § 75. 78), ferner zu Lichtmess (Hessen, Wuttke § 95)
und Fastnacht (Bayern, Franken, Wuttke § 97). In der Schweiz führte der tollste
Karnevalstag davon den Namen HirsmOntag.
Am Christabend und zu Sylvester wird als Beilage der fastengemässe Hering
gegeben; zu Lichtmess und Fastnacht aber Wurst, was den Hirse selbst nicht als
Fastenspeise erscheinen lässt. Dass er es nicht war, beweist sein notwendiger
Platz auf dem Kirchweih- und auf dem Hochzeittisch. Im Egerlande darf Hirsebrei
bei der Kirchweih nicht fehlen (v. Reinsberg, Festkalender, 531). Ka5 Kirte'r-ône
Brei~, ist ein altbayerisches Wort (Schmeller l2, 353). In Oberbayern, besonders
im Isarwinkel, fehlt er auch nicht bei dem Hochzeitessen (Bavaria 1, 407). Wenn
mich meine Jugenderinnerungen nicht ganz täuschen, war auch in Schlesien bei
den Kirmsschmäusen ein Hirsegericht ein gewöhnlicher Gang.
Die Beobachtung des alten Brauches zu Neujahr belohnte sich durch die
sichere Aussicht auf Geld und Glück während des ganzen beginnenden Jahres
(Wuttke § 75).
Deshalb wurden oder werden auch die Hühner zu Weihnachten oder Neujahr
mit Hirse gefüttert, denn sie legen dann gut (Wuttke § 673f.); ja auch den feurigen
Drachen, den Geldbringer, sollte nach dem Aberglauben sein Besitzer mit Hirse
füttern (Wuttke § 49).
Der Lichtmesshirsebrei verbürgt das Gedeihen des Flachses (Wuttke § 95),
wofür auch andere Gebräuche dieses Tages wirken, und der Fastnachtbrei bewahrte
vor Fieber im ganzen Jahre, woneben er auch auf stets vorhandenes Geld Aussicht
gab (Wuttke § 97).
Selbst weissagende oder die Zukunft erschliessende Kraft schreibt (oder schrieb)
man dem Genuss des Hirses zu. Im Erzgebirge glaubte man, dass ein Mädchen,
das des Mittags am Andreastage sich mit einem Löffel Hirsebrei ans Hausthor
stellt und die Speise Punkt 12 geniesst, im ersten vorübergehenden Manne seinen
künftigen Gatten erblickt (Wuttke § 364).
So beliebt bei den Menschen, ist der Hirse auch bei den Vögeln. Lustig wie
die Vögel im Hirse; drinn sitzen wie eine Wachtel im Hirse, sind Schweizer
Redensarten (Schweizerisches Idiotikon II, 1633). Eben deshalb suchte der Bauer
aber die Hirseaussaat besonders zu schützen. In Westfalen schüttete man beim
Aussäen die Hirsekörner unter dem Namen Gottes durch ein Hosenbein, denn
dann fressen die Vögel nichts davon, auch wenn sie dicht dabei sitzen (A. Kuhn.
Westfäl. Sagen, 2, 68).
340
Bliimml: Kleine Mitteilungen.
Als diätetisches Gebot galt im Vogtlande, dass Kinder unter einem Jahre
keinen Hirse essen dürfen, weil sie sonst Prickeln ins Gesicht und Gerstenkörner
in die Augen kriegen, also hirsekornartige Missbildungen (Wuttke § 605).
Hirsebau ist dereinst über ganz Deutschland einschliesslich der Schweiz ver-
breitet gewesen. Wie den Anbau aller Hülsenfrüchte, hat auch den des Hirses
die Kartoffel zurückgedrängt. Im Braunschweigischen besäete früher jeder Bauer
ein kleines Stückchen Land mit Hirse, von dessen Ertrag dann die Hesegrütte
bereitet wurde. In jedem Haushalte war eine Hêsepumpe (Hirsestampfe). Aber
das ist alles abgekommen (R. Andree, Braunschweiger Volkskunde, S. 188), und
nur höchst selten sieht man noch ein kleines Hirsefeld, oder in Süddeutschland
ein schönes Pfenichfeld (panicum italicum, Kolbenhirse). Zwei oder drei Metzen
Pfenich (muddi penikas) stehen unter den Leistungen, die das münsterländische
Stift Prekenhorst im 9. Jahrh. von seinen Zinsleuten erhob. Hirse (panicium),
dessen Anbau Karl der Grosse in dem Capitulare de villis von 812 auf seinen
Meiereien angeordnet hatte (c. 44), ward also damals auch in Westfalen gebaut.
Neben Pfenich und dem gemeinen Hirse (panicum miliaceum) baute man in Tirol
auch noch eine dritte Art, den Mohrenhirse, sorghum vulgare (holcus sorgum L.
die Dhorre der Araber), im Tiroler Urbar von 1280 als surch öfter genannt, das
heute in Südtirol Sürch, Zürch heisst (I. Zingerle in Germania XI, 176; Schmeller
I2, 325).
K. Weinhold.
Aus der Vergangenheit des niederösterreichischen Safranbaues.
M. Kronfeld (Vergangenheit und Gegenwart des niederösterreichischen Safran-
baues, Blätter d. Vereins f. Landeskunde v. Niederösterreich. N. P. XXVI. Jahrg.
Wien 1892. S. 69—75) versuchte eine Geschichte des niederösterr. Safranbaues,
der einst sehr bedeutend war, heute jedoch ganz darniederliegt, ohne auf Voll-
ständigkeit seiner Skizze Anspruch zu erheben. Er zählte 25 Ortschaften auf, in
denen der Bauer einst Safran baute, von denen jedoch 1892 nur noch 7 diesen
Bau pflegten. Heute haben jedoch auch die meisten von diesen jenen Anbau auf-
gelassen. Das Ende des einst berühmten Crocus austriacus (Crocus sativus L-
var. culta autumnalis) ist gekommen und es ist nun an der Zeit, Daten, die sich
aus Urkunden darüber finden, zu sammeln, um dadurch-eine vollständige Geschichte
dieses einst für N.-Österreich so wichtigen Kulturgewächses vorzubereiten.
Für eine Ortschaft, die in obiger Arbeit nicht als safranbauende angegeben
ist, sollen die weiter unten folgenden Urkunden (von 1447 und 1452) den Nachweis
erbringen, dass auch dort einst Safran gebaut wurde. Diese Urkunden sind um
so wichtiger, da sie, infolge ihrer A.usstellungsjahre, der zweit- und drittälteste
Beleg für den Safranbau in N.-Österreich sind, da die bis jetzt bekannte älteste
Urkunde, worin derselbe für Wien angegeben wird, von 1423 stammt (Blätter d.
Vereins f. Landeskunde v. N.-Österr., V. Bd., 1871, S. 4, No. 240 und Kronfeld 1. c-)-
Dieselben betreffen Hausleiten (V. U. M. B.) und zwar beurkundet die erste (vom
16. Oktober 1447, kurz bei A. Kerschbaumer, Die verschollene civitas Trebensee,
Blätter d. Vereins f. Landeskunde v. N.-Österreich, 1878, S. 40 erwähnt) die Ver-
mehrung der Kaplanstiftung am Niklasaltar zu Hausleiten um einen Safrangarte11
und die zweite (vom 25. Jänner 1452) den Umtausch eines Ackers' gegen einen
Safrangarten. Da die erste auch noch andere Sachen enthält, möge sie hier m
Form eines Regestes gegeben werden, ebenso die zweite.
Brückner : Bücheranzeigen.
341
1. 1447, Oktober 16, sannd Gallentag des Heiligen Peichtinger.
Peter Chadolt, Kaplan am Set. Nikolausaltar in Hausleiten, widmet zur Besserung
seines Benefieiums zuerst 3/4 "Weingärten, gelegen zu Rustpach (Russbach), dann
eine Wiese, Pfaffenwiese genannt und „ein saffran geleg(en) zu Haasleiten vnderm
Huntzperg zenagst Jörgen des Seidleins setz vnd veitten des Dawn agker von dem
man jerlich dint zu sannd Jörgentag eim Capplan zu St. Stockcherau fumf phenig."
(Original-Pergament im Pfarrarchive zu Hausleiten. — Vollständiger Abdruck
in Blätter d. Vereins f. Landeskunde v. N.-Österr. N. P. XXVII. Jahrg. 1893
S. 229 f.)
2. 1452, Jänner 25, sannd Paulstag der bekerung.
Wilhelm Stachel, Pfarrer zu Hausleiten im Wagram, tauscht einen Acker, den
er von Peter Chadolt. Kaplan des St. Nikolausaltares der Agathenkirche zu Haus-
leiten, erhalten hat, gegen den „Sa ff rangar ten, der do 1 igt vnder dem pharrhof pey
des Veytn Dawn sez."
(Vollständiger Abdruck in Blätter d. Vereins f. Landeskunde v. N.-Österreich.
N. F. XXVII. Jahrg. 1893. S. 229/30.)
Wien. E. K. Blümml.
Biicheranzeigen.
Slavische Volkskunde. Übersicht periodischer Publikationen.
Wir nennen, mit Übergehung der uns unzugänglichen russischen, die polnischen,
böhmischen, kleinrussischen und kroatischen periodischen Publikationen des letzten
Jahres und erwähnen ausserdem einige selbständige Werke.
Unter den polnischen behält die Warschauer Wisla auch unter einer neuen
Redaktion ihre alte Bedeutung; an Stélle von Dr. Karlowicz ist Herr Erazm
Majewski Herausgeber geworden und statt vierteljähriger bekommen wir nunmehr
monatliche oder zweimonatliche Hefte. Majewski ist von Haus aus Archäologe
und giebt als solcher den „Swiatowit" heraus (der Göttername ist russische Form
des „Swantewit deus terre Rugianorum"), von dem 1900 der zweite Band er-
schienen ist (Warschau, 261 S., 16 Tafeln und 58 Illustrationen): wir machen
deutsche Archäologen auf diese sehr reichhaltige und verlässliche Publikation mit
ihren vielen Fundberichten und informierenden Artikeln besonders aufmerksam.
Aus den Artikeln des XIII. Jahrg. der Wisla sei hier einer genannt, der auch
in Deutschland ein gewisses Aufsehen erregen könnte. Es handelt sich um die
hannoverschen „Wenden", die alten Drevani, die bis an das XIX. Jahrh. Sprache
und Sitten der Vorfahren gerettet hatten. Bisher wussten wir, auf Grund der An-
gaben des Kreisphysikus Jugler (1809), dass 1798 in Cremmelin Warratz gestorben
ist, der als der letzte noch das wendische Vaterunser hersagen konnte. Und nun
finden wir auf einmal, dass bei der Volkszählung von 1890 585 Personen (258 Männer,
327 Frauen) im Luchower Kreise (Hannover) sich als „Wenden" haben eintragen
lassen. Wie kamen diese Leute dazu? An die Spreewenden der Lausitz ist
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. -,J
342
Brückner :
nämlich auch nicht einen Augenblick zu denken. Während des ganzen XIX Jahrh.
wussten wir nichts mehr von „Wenden" im Hannoverschen, woher sind sie nun
mit einem Male aufgetaucht? Vielleicht löst die diesjährige Zählung das Rätsel.
Über anderes müssen wir uns kurz fassen. Der Herausgeber bespricht die Rolle
der Fledermaus in Brauch, Aberglauben und Sprüchen des Volkes, andere steuern
Material, Sagen, Märchen, Lieder u. dgl. bei, eine Fortsetzung der systematischen
Übersicht polnischer Volksdämonologie nach Art der spreewendischen des Cerny
u. s. w. Die Litteraturangaben, ja, der ganze Umfang der Zeitschrift kamen uns
etwas geschmälert vor.
Das Schlussheft (November-Dezember, S. 609—705) brachte einen Aufsatz des
Herausgebers über die Eule in der Volksüberlieferung und kleinere Skizzen anderer
(Sonnwendfeuer, Kinderspiele u. dgl.). Der neue, XIV. Jahrg., weist, nachdem
die ominöse XIII, die offenbar mit einer schweren Krise selbst die Existenz der
Wisla bedroht hat, vom Titelblatte verschwunden ist, einen erheblichen, schon
äusserlich durch die schönere Ausstattung in die Augen fallenden Fortschritt auf.
Es liegen die Hefte Januar-April vor, S. 1—240; sie enthalten eine Studie des
Herausgebers (Majewski) über die Rolle der Raben in Sage und Aberglauben;
dann die Fortsetzung der erschöpfenden Sammlungen von S. Udziela über den
Dämonenglauben des Krakauer Volkes (nach dem Vorgange von Cerny bearbeitet);
Skizzen litauischen Volkstums (der sogen. Dzuken), aus dem Masurenlande in
Preussen (Reiseeindrücke), von der Hausindustrie (Siebmacherei in Bilgoraj),
Judenbräuche bei Verlobungen und Hochzeiten, Volkslieder, Märchen, Sprich-
wörter u. dgl. m. Allerlei kleine Mitteilungen und litterarische Berichte (nicht
systematisch genug) bereichern den Inhalt. Der Rührigkeit des neuen Heraus-
gebers wTiinschen wir den besten Erfolg.
Von den Publikationen der Krakauer Akademie der Wissenschaften
gehört hierher der neue (IV.) Band der Materyaly antropologiczno-archeologiczne i
etnograficzne (1900, 125 und 285 S. 8°). Die erste Abteilung enthält wertvolle
archäologische Aufsätze, z. B. von Talko-Hryncewicz über ostasiatische Grab-
hügel (in Transbajkalien) und von Dr. Wi. Demetrykiewicz über prähistorische
Bronzekronen (polnischer Funde), die von S. Müller, Lindenschmit und Estorf als
Halsbänder oder sogar Hundehalsbänder (!), von Sadowski als corona vallaris, also
römischen Ursprunges, aufgefasst wurden — der Verfasser entscheidet sich mit
Recht für die Deutung als Kopfschmuck, zumal des Frauenhaares. Der zweite
Teil enthält Materialsammlungen, aus denen besonders hervorragen die noch 1869
von dem (1898) verstorbenen Krakauer Slavisten L. Malinowski aufgezeichneten
Volkssagen und Lieder aus dem Teschenschen, in streng phonetischer Form, sehr
charakteristisch für das schlesische Polnisch, das stellenweise mit böhmischen
Elementen (hauptsächlich im Wortschatz) stark durchsetzt ist. S. 81—210 umfasst
die Schilderung eines Dorfes, Przebieczany (bei Wieliczka) von S. Cercha, nach
Sitte, Sprache und Überlieferungen, von grosser Fülle und Genauigkeit. Anderes
Material, Volksmärchen, Rätsel u. dgl. sei nicht mehr besonders genannt.
Das Organ der Lemberger volkskundlichen Gesellschaft, der Lud, hat den
5. Jahrg. beendigt (392 S., mehrere Tafeln Stickmuster) und ist in deiTF. eingetreten
(S. 1—112 und 2 Tafeln). Der Inhalt ist noch immer etwas bunt zusammen-
gewürfelt, die Litteraturangaben und Besprechungen sind etwas planlos, doch is^
das Erstarken der Gesellschaft, das Ausstrecken von Fühlern über ganz Galizien
in Gestalt von Zweigvereinen, eine grössere Sicherheit und Zielbewusstheit ganz
unverkennbar. Von einzelnen Artikeln wären Witorts auf Autopsie beruhende
Auslassungen über das Rechtsleben der — Kirgisen besonders zu nennen: es is1
Bñcheranzeigen.
343
ganz interessant zu sehen, wie russische Rechtsnormen, mohammedanische Glaubens-
satzungen und kirgisisches Heidentum sich amalgamieren; ausserdem desselben
Veri, referierende Aufsätze über Animismus und dergl. Zwei Beiträge betreffen
wiederum eine slavische Sprachinsel im deutschen Meere; diesmal sind es die
pommerschen Slovinzen (Kaschuben), über deren Sprache, Litteratur (Drucke und
Handschriften des XVI. und XVII. Jahrh.) und Zahl Nadmorski und Ramuit
(der Verfasser eines grossen kaschubischen Wörterbuches und einer eingehenden
kaschubischen Statistik) sich nicht recht einigen können; Ramults — wie mich
auch Dr. Lorenz versichert — übertriebene Angaben scheint Nadmorski doch
allzusehr herunterzudrücken.
Heft 2 (S. 113—224) und 3 (S. 225—320) enthalten ausser den Sitzungs-
berichten allgemein gehaltene Ausführungen über den Animismus, zumal nach
Tylor, von Witort; von Br. Gustawicz über die Leute und ihre Bräuche und
Sprache in dem anmutigen Iwonicz (Badeort), von Józ. Sznaider über die Huzulen
— nach langem Schweigen, eigentlich noch seit den Tagen des Belletristen
Korzeniowski her (1844), wendet sich jetzt das allgemeine Interesse dem Berg-
völkchen und seinem eigenartigen Treiben zu. Wir könnten noch aus dem Warschauer
Ateneum 1900, Juniheft, S. 487—516 den Aufsatz von E. Luniriski, Na Hucul-
szcyznie, erwähnen, wo neben Räubertraditionen (vom berühmten Dowbosz, ermordet
1745) und anderen Überlieferungen eine sehr interessante Parallele zu dem Aufsatz
von Prof. Polivka Seit welcher Zeit werden die Greise nicht mehr getötet (Ztschr.
d. Vereins f. Volkskunde 1898, 25—29) geliefert wird. Eine besondere Studie
des hochbegabten, leider früh verstorbenen Historikers Gumplowicz (Sohn des
bekannten Gratzer Rechtslehrers) ist den Polen in Ungarn (im Arvaer Komitat)
gewidmet. Beiträge aus alten Handschriften (Verspottungen der Masuren), Drucken
(apokryphe Texte), Gerichtsakten (Hexenprozess von 1763), allerlei kleine Mit-
teilungen und Rezensionen vervollständigen den Inhalt.
Der Natur des Kronlandes (Galizien) entsprechend findet im Lud auch klein-
russisches Material (z. B. Aufzeichnungen über die Huzulen der Karpathen) und
jüdisches (Namen u. dgl.) Berücksichtigung.
Da wir schon einmal der Kl ein rus s en gedacht haben, wenden wir uns nun-
mehr ihnen zu. Das Kleinrussentum ist in seiner organischen Entwicklung ausser-
ordentlich gehemmt; die Hauptmasse des Volkstums befindet sich in Russland,
wo ihr jegliche autonome oder gar separatistische Regung, und wäre es nur auf
dem Gebiete der Litteratur, ganz und gar unmöglich ist; der in Ungarn befindliche
Bruchteil des Volkes wird von den „liberalen" und „parlamentarischen" Magyaren-
Semiten in der unerhörtesten Weise drangsaliert; nur den in Galizien lebenden
drei Millionen Kleinrussen oder Rutenen ist menschenwürdiges Dasein gesichert,
und daher bildet Lemberg den Mittelpunkt ihrer litterarischen Thätigkeit. Dieselbe
wendet sich mit Vorliebe dem Studium des Volkstums zu und findet in der
Sevcenko-Gesellschaft (so nach dem bedeutendsten Dichter des Volkes benannt)
die ausgiebigste, oder besser gesagt, die einzige systematische Förderung, denn
die in Russland erscheinenden Publikationen von volkskundlichem Material sind
mehr ein Werk des Zufalls. Der Sevcenkoverein unter seinem äusserst rührigen
Vorsitzenden, Prof. Hrusevsky, publiziert nun eine ethnographische Sammlung,
Etnograficnyj Zbirnyk, wovon bis jetzt 7 Bände erschienen sind; die neuesten
enthalten, ausser einer Sammlung von Sagen und Märchen Ostgaliziens (bei Brody)
in Bd. VII, die stattlichste Sammlung von Volksanekdoten, die slavische Litteraturen
überhaupt aufweisen können in Bd. VI; der Herausgeber, Herr Wolod. Hnatjuk,
hat den überreichen Stoff gegliedert nach Ständen (Bauern, Bettler u. s. w.),
23*
344
Brückner:
355 Nummern, und Völkern (Juden, Zigeuner u. s. w.), No. 356—586; No. 587—700
sind historische Anekdoten, Münchhausiaden und Narrengeschichten (Halyékoruski
anekdoty, Lemberg 1899, XII und 370 S.); reichhaltig sind auch die vergleichenden
Litteraturangaben. Neben ethnographischen veröffentlicht die Gesellschaft auch
ethnologische Materialien, deren 2. Band (Lemberg 1899, 144 S.) ausserordentlich
interessant ist; er behandelt nämlich das Bergvölkchen der Huzulen. Über diesen
eigenartigen Stamm besitzen wir auch deutsche Aufzeichnungen, z. B. von Kaindl,
doch betreffen dieselben die Huzulen der Bukowina; jetzt hat Prof. Wolod.
Szuchewicz auf Grund 20jähriger Beobachtungen und reicher Sammlungen (auch
im Lemberger Gräfl. Dzieduszyckischen Museum) höchst lebendig und anschaulich,
mit zahlreichen Illustrationen im Text und Vollbildern, Land und Leute geschildert;
dieser erste Teil behandelt Oro- und Hydrographie, Plora und Pauna, Anthropologie
und Statistik, Dorf und Haus, Kleidung und Nahrung; in die Schilderung werden
die lokalen, huzulischen Ausdrücke fortwährend verwoben; noch wichtiger verspricht
der zweite Teil zu werden, der Bräuche, Glauben, traditionelle Litteratur u. dgl.
bringen wird, wir gedenken denselben seinerzeit zu besprechen und enthalten uns
daher einzelner merkwürdiger Hinweise, die schon auf Grund des vorliegenden
Materials des ersten Teiles gegeben werden könnten. Wir müssen uns versagen,
auf den Inhalt der (jetzt 36 Halbbände füllenden) Zapysky, d. i. Memoiren oder
Mitteilungen, der Gesellschaft, näher einzugehen, da uns die historischen und
philologischen Aufsätze, die dieselben, nebst Bücherbesprechungen, meist füllen,
entfernter liegen; doch seien aus ihnen wenigstens die reichen Beiträge zur Kenntnis
der ungrorussischen Dialekte eines J. Werchratsky und W. Hnatjuk genannt,
da sie die im Aivhiv für slavische Philologie erschienenen Abhandlungen von
Werchratsky und Olaf Broch erweitern und vervollständigen. Besondere Erwähnung
verdient die Sammlung und Übersetzung der weit verstreuten, russisch und bulgarisch,
oft unter Pseudonymen, erschienenen, auf weitem Wissen beruhenden und anregend
geschriebenen Abhandlungen und Aufsätze des verstorbenen, einst in Kiew, Genf
und Sophia thätigen Mich. Dragomanov, die sich mit Sagenkunde, Analysen
der Stoffe und ihrer Wanderungen, zumal bei den Slaven, ihrer apokryphen
Legenden u. dgl. beschäftigen; es erschien davon bisher ein Band (1899, 260 S.).
Dr. Iw. Franko fügte dem ersten, alttestamentlichen Apokryphenbande nunmehr
den zweiten, neutestamentlichen hinzu: Apokryfyczni jevanhelija, 1899, LXXVIIt
und 443 S., 8°; für diesen fliessen die volkstümlichen J^assungen, z. B. aus ungro-
russischen Handschriften des XVII. und XVIII. Jabrh., sogar in metrischer Form,
ungleich reichlicher als für den ersten; die ausführliche Einleitung bespricht
Quellen, Alter und Verbreitung der apokryphen Evangelien bei Ost- und West-
slaven; die Texte sind mit Varianten aus anderen, zumal grossrussischen Hand-
schriften versehen. Endlich wäre das bisher zweibändige Werk von Prof. Mich.
Hruszewsky über die Geschichte der Kleinrussen zu nennen, Istoryja Ukrainy-
Rusy (I, 1898, 495 S. und II, 1899, 403 S.), welches diese Geschichte bis 1250
etwa (Mongoleneinfälle) darstellt und auch das archäologische Material berück-
sichtigt; eine tüchtige Leistung, mit der wir jedoch in Einzelnheiten, z. B. in der
Behandlung der Waräger-Normannen-Frage, nicht übereinstimmen können.
Wir gehen zu böhmischen Publikationen über. Von dem Národopisny
Sborník Ceskoslovan sky der böhmischen ethnographischen Gesellschaft und
Museum liegen Heft 4—6 vor; 4 u. 5 (194 S., Prag 1899) noch von Prof. Pastrnek,
6 (233 S, Prag 1900) von Prof. Polivka als Redaktoren gezeichnet. Ich hebe
aus den Heften nur zwei Abhandlungen hervor, um an dieselben methodologische
Ausführungen zu knüpfen.
Bücheranzeigen.
345
Prof. Polívka bespricht, VI, S. 94—143, das Märchen vom Gold vogel und
zwei Brüdern (wer den Kopf des Vogels isst, wird König u. s. w.), in seiner
Verbreitung über Europa und Asien; stellt die einzelnen Motive und deren Ver-
knüpfung fest und gelangt zum Schlüsse, dass das Märchen nicht, wie René Basset
annahm, auf indischem Boden, sondern weiter im Westen, in Persien etwa, er-
wachsen ist, von wo es einerseits zu Tataren und Russen, andererseits zu den
Arabern kam, von welchen es über den Balkan wieder zu den Russen gelangte; nach
Westeuropa kam es über die Mittelmeerländer. In der Einleitung bespricht er seinen
Standpunkt, den er den Ausführungen des polnischen Ethnologen Dr. St. Ciszewski
(der auch durch Arbeiten in deutscher Sprache, z. B. über Künstliche Verwandt-
schaft bei den Südslaven, Leipzig 1897, bekannt ist) entgegenstellt. Ciszewski
hatte nämlich in einem Märchenstudium (Bajka o Midasowych uszach, Midasohren,
Abhandlungen d. Krakauer Akademie d. Wissenschaft, philolog. Klasse, Bd. XXVIII,
Krakau 1899, S. 221—246) behauptet, dass es bei dem heutigen Stande der Wissen-
schaft verzeihlicher wäre, selbständigen, unabhängigen Ursprung derselben Märchen-
motive an mehreren Orten anzunehmen, als Entlehnung und Wanderung dieser
Motive und deren Wege nachweisen zu wollen.
Das Märchen von den Midasohren ist nun deshalb ausserordentlich
belehrend, weil wenn je, so an dessen Einzelnùeiten grade, die Langsche ethno-
graphische Methode plausibel gemacht werden kann. Offenbar ist es einer Anekdote
entwachsen, welche den Kopfputz gewisser Stämme oder Gegenden verspottete;
die Mitteilung des enthüllten Geheimnisses der Erde, dem Schilfe u. s. w. erinnert
an ähnliche, noch heute, z. B. in Afrika beobachtete Bräuche, Beschlüsse, die
geheim gehalten werden sollen, der Erde anzuvertrauen; endlich die Schaffung
künstlicher Verwandtschaft (der König u. s. w. isst von dem mit Muttermilch an-
gemachten Kuchen des Jungen, Barbier u. s. w. und wird so sein Milchbruder und
kann ihm nichts mehr anthun) ist ebenfalls wirklichen Bräuchen entnommen. Hier
entferne ich mich nun von Ciszewski: letzterer nimmt dieses Verwandtschaftsmotiv
wegen seiner Altertümlichkeit als dem Midasstoffe inhärierend an; die Überlieferung
der Alten, z. B. Ovid, hätte dasselbe vergessen oder als barbarisch und roh fallen
gelassen. Ich behaupte das Gegenteil: die Ovidsche Passung ist nicht nur zeitlich
die älteste, sondern auch überhaupt die ursprünglichste; das Verwandtschaftsmotiv
ist erst später hinzugedichtet, als dem Erzähler der Appell an die blosse Gnade
und Nachsicht des Königs dem schwatzhaften Barbier gegenüber nicht mehr ge-
nügte. Dagegen bestreitet Ciszewski mit Recht die Benfeysche Annahme eines
westlichen Ursprungs dieses Märchens und ebenso erscheint mir Polivkas Aus-
einandersetzung über den Ursprung des Goldvogelmärchens willkürlich, im Grunde
nur von der stillschweigenden Annahme, dass alle Märchenstoffe aus dem Oriente
kommen mussten, diktiert. Das Märchen ist ein völlig phantastisches, nicht auf
i'eale Bräuche, wie die Midassage, gepfropft; daher das Suchen nach Ursprungsort
und Verbreitungswegen haltlos; es hat mich sehr gewundert, dass der Verf. des
Ausweichens der westlichen Fassungen in die Portunatusgeleise mit keinem Wörtchen
gedacht hat, und doch ist diese Ausweichung zu dem alten Märchenmotiv ebenso
spät und willkürlich hinzugetreten, wie etwa das Motiv der künstlichen Verwandt-
schaft zu der Midassage.
Ein anderes Thema behandeln die Herren Dr. J. Peisker und K. Kadlec:
das Thema von der angeblich urslavischen Zadruga, dem lokalen Namen für die
»Hauskommunion", das ungeteilte, das Zusammenwirtschaften ganzer, bis an
dreissig oder gar sechzig Personen zählender Grossfamilien unter einem gewählten
Oberhaupte, welches die Kommunion nach aussen, z. B. vor Staat und Gericht
346
Brückner :
vertritt und innerhalb der Kommunion Lasten und Pflichten regelt und verteilt.
Noch Meitzen geht in seinem grossen Werke von der Zadruga als der Grundquelle
slavischen wirtschaftlichen Lebens ohne weiteres aus. Gegen diese Annahme und
gegen die Schrift von Kadlec (Rodinny nedil cili zádruha v právu slovanském,
Prag 1898 = B^amilienungeteiltheit oder Zadruga im slavischen Rechte) wandte
sich nun scharf Peisker, welcher die Unursprünglichkeit der Zadruga, die lokale
und späte Entstehung derselben auf speciell südslavischem Boden unter dem Ein-
flüsse des byzantinischen, serbischen und türkischen Fiskalismus zu erhärten suchte.
In diese Polemik griff auch der polnische Rechtshistoriker 0. Balz er ein. Aber
Kadlec und Balzer identifizieren Zadruga und ungeteilte Familienwirtschaft, was
meiner Ansicht nach verkehrt ist; wohl kannten alle Slaven, wie auch Deutsche,
Norweger u. a., die Sitte, dass z. B. Brüder auf ungeteiltem Grundstück zusammen
weiter wirtschafteten, aber das ist noch keine Zadruga, denn z. B. vor Gericht und
sonst konnte nicht ein Bruder, ausser mit bestimmter Vollmacht der übrigen, sie
vertreten, Verbindlichkeiten eingehen u. dgl.; es gab somit kein Haupt, keine ein-
heitliche anerkannte Leitung einer solchen Gemeinwirtschaft und jeden Augenblick
(bei Grossjährigkeit, Heirat und dergl.) konnte diese Gemeinsamkeit ohne weiteres
aufgehoben werden. Dass die ächte, südslavische Zadruga auch den Polen z. B.
je bekannt gewesen wäre, wäre erst zu erweisen; blosses Zusammenwirtschaften
von Brüdern erschöpft noch nicht die Merkmale der „Hauskommunion". Qui bene
distinguit, bene docet. Im Sbornik nehmen die Aufsätze von Peisker, Heft IV,
S. 38—110, und von Kadlec, Heft VI, S. 50—93 ein; Peisker hat das Thema auch
in deutscher Sprache behandelt, in der Zeitschrift für Sozial- und Wirtschafts-
gèschichte, VII, 1900, S. 211—326.
Wir übergehen kleinere Aufsätze anthropologischen und ethnographischen In-
haltes, über die Wallachenfrage (in Mähren), Themen der Hausindustrie u. dgl.
und verweisen auf die reiche Übersicht der traditionellen Litteratur für 1897 von
Polivka in Heft IV, S. ICO—187; in VI fehlt sie und wird erst für das VII. Heft
in Aussicht gestellt; ausserdem bespricht Polivka ausführlicher einzelne Publikationen,
und ich hebe hier nur IV, S. 147 f. hervor, wo Polivka wieder gegen den Stand-
punkt Vsev. Millers, Skizzen aus der russischen Volkslitteratur (Moskau 1897,
464 S., russisch) sich wendet: Miller, der selbst stets den sagenvergleichenden
Standpunkt vertritt, erklärt doch, etwa wie Ciszewski: leider vergleicht sich die
mündliche Wanderung (eines Stoffes) nicht einem Briefe, der in seinen Stempeln
die Spuren des durchlaufenen Weges beibehält; es heisst den Wind im freien
Felde greifen zu wollen, wenn man die Wege auffinden will, auf denen mündliche
Tradition im Laufe der Jahrhunderte wanderte. Polivka wendet sich zwar gegen
diese Skeptik, die die Resultate der Millerschen Arbeit selbst bedrohe, aber ich
fürchte, dass Miller und Ciszewski gegen ihn Recht behalten werden.
Der Öesky Lid des Dr. 0. Zibrt bedarf ebenfalls keiner besonderen Ein-
führung mehr; auch der neue, IX. Jahrg. (bisher Heft 1—4, 6 Hefte bilden den
Jahrgang, S. 1—304) hält sich in den bewährten Bahnen seiner Eigenart, kürzere,
oft reich illustrierte Berichte über Leben und Wohnen, Kleider und Arbeit, Tanz
und Spiel, Gesang und Erzählungen, Aberglauben und Zauberei des Volkes i'1
alter und neuer Zeit, aus Akten und Stadtbüchern, aus mündlichen und schrift-
lichen Aufzeichnungen zu bringen. Daneben giebt der Herausgeber eine erstaunlich
reiche, räsonnierende Übersicht der kulturhistorischen und ethnographischen Litteratur
für 1898—1899 aus aller Herren Länder; dieselbe umfasst im IX. Jahrgang die
Nummern 877—1275 in buntester Folge. Die geradezu bewunderungswürdig6)
unermüdliche Arbeitskraft des Herausgebers bewährt sich von neuem in dem frisch
Bücheranzeigen.
347
erschienenen Riesenbande, Bibliografie ceské historie (Bibliographie böhmischer
Geschichte), Verlag der böhm. Akademie, XVI und 674 S., gr. 8°, 1. Teil, die
Buchkunde und die Hilfswissenschaften umfassend, als Heraldik, Genealogie u. s. w.
in Doppelspalten. Um zum Lid zurückzukehren, hatte der VIII. Bd. im Juli 1899
mit VIII und 432 S. abgeschlossen; die vier Hefte von Bd. IX setzen zum Teil
einzelne Arbeiten aus VIII, wie auch die Litteraturangabe fort; besonders zahlreich
sind die Beiträge für Volkstrachten (z.B. der mährischen Kroaten; über böhmisches
Spitzenklöppeln; über alte Trachten — von 1826 — aus der Klattauer Gegend;
über Erneuerung der altnationalen Stickerei; ostschlesische Trachten u. s. w.); zur
Geschichte der Robott, ihrer Lasten, und der Bauernunruhen in ihrem Gefolge;
Tänze und Kinderspiele; Hexenprozesse aus den Gerichtsakten des XVI. und
XVII. Jahrh. (Frauen und Schäfer betreffend); Kirchenbräuche und Volksfeste,
Krippenspiele und dergl.; Einzelnheiten der Dämonologie, vom Berggeist, Toten-
erscheinungen u. s. w. So wird der Sinn für nationale Traditionen jeglicher Art
geweckt und geschärft; dafür verzichtet der Lid auf eine wissenschaftliche
Bearbeitung oder Darstellung, jetzt vollständiger als dies zuvor der Fall war.
Slovakisches wird auch nur mehr ausnahmsweise mitgeteilt; dafür giebt im Lem;
berger Lud Dr. E. Radzikowski (IV, 238—255 und 298—320) eine erschöpfende
Übersicht aller einschlägigen slovakischen Publikationen.
Der westlichste Ausläufer des Slaventums, die Kassuben, hat in den letzten
Jahren, als hiesse es frühere Versündigung und Vernachlässigung gut zu machen,
Forschungen der verschiedensten Männer, Deutsche wie Bronisch, Lorentz und
Tetzner, Polen wie Poblocki, -Lçgowski, Parczewski und Ramult, Finnen
sogar, wie Mikkola, veranlasst. Eine Übersieht der gesamten, namentlich der
deutschen kassubischen Litteratur giebt Dr. F. Tetzner in seinem Werke, die
Slowinzen und Lebakaschuben, Land und Leute, Haus und Hof, Sitten und Ge-
bräuche, Sprache und Litteratur im östlichen Hinterpommern mit einer Sprachkarte
und 3 Tafeln (Berlin, E. Felber, 1899, VIH und 272 S., 8°. — 8. Bd. der Beiträge
zur Volks- und Völkerkunde). Die meisten der genannten Arbeiten und auch die
Tetznersche behandeln nicht die Kaschubei in Westpreussen, an die wir bei diesem
Namen zuerst denken könnten, sondern die kleine, westlich vorgelagerte Sprach-
insel am Lebasee und Gardensee in Pommern. Vorausgegangen war eine Ab-
handlung von A. Parczewski, szczatki kaszubskie w prowincyi pomorskiej
(Kaschubenreste in Pommern) im XXII. Bande der Annalen der Posener Gesell-
schaft d. Freunde d. Wissenschaften, 1896 (124 S. im Sep.-Abdr.). Ein besonderes
Verdienst von Tetzner war, aufmerksam gemacht zu haben auf die in der Schmol-
siner Pfarrbibliothek vorhandenen Unica kaschubisch - polnischer Drucke (Krofejs
luthersches Gesangsbuch, Danzig 1586 und des M. Montanus-Brückmann Katechismus,
Busspsalmen und Passionshistorie, Danzig 1643). Dann bringt er seitenlange Aus-
züge aus älteren Schriften, namentlich denen des russischen Slavisten Hilferding,
der zuerst die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt auf das vergessene Ländchen
und Völkchen gelenkt hat, sowie aus alten Reiseberichten (z. B. des Bernoulli)
und Werken wie Zeitschriften (Brüggemanns Beschreibung von Pommern 1779 u. s.w.,
Pommersche Provinzialblätter 1821 u. s. w.). Endlich berücksichtigt er nicht nur
die slavische, sondern auch die deutsche Sprache dieser Kaschuben; die Lieder,
Sprüche und andere Texte, die er mitteilt, sind fast ausschliesslich deutsch. Das
Ganze ist eine verdienstliche, fleissige, mühselige Kompilation, Stückwerk, geordnet
in vier Abteilungen, die Kaschubei (Namen und Grenzen); die Bewohner (ihre
Trachten u. s. w.); aus der Geschichte und Kulturgeschichte derselben (nach Kreisen
und Ortschaften); Schrifttum und Sprache. Der Verfasser, kein Slavist, hat sich
348
Brückner :
in sein Thema fleissig eingearbeitet; allerdings unterlaufen ihm einzelne Fehler; in
manchem (Name der Kaschuben, ihre sprachliche Stellung) kann er zu keinem
reinlichen Urteil gelangen. Das Kassubische ist ein altpolnischer Dialekt; der
Name, ein Spottname, von der Tracht herstammend, ist wechselnden Umfanges.
Die sprachliche Seite behandelt ungleich eingehender Bronisch in seinen Kaschu-
bischen Dialektstudien I und II, Leipzig 1896 und 1898, deren 2. Teil Texte,
Märchen und Sagen bringt (Parallelen dazu gab Polivka im Lud IV, S. 180—185).
Dass mein Vorwurf, Tetzner hätte nicht alles richtig verstanden, nicht unbegründet
erscheine, dafür sei hier nur eine Stelle von S. 78 genannt. Bei der Darstellung der
Hochzeitsbräuche werden je zwei „Ehrenfrauen" (doch wohl Ehrenfräulein) „Prze-
danka" (Überlieferinnen, von przedac verkaufen herstammend) genannt; ein Ethno-
graph könnte gleich an die Kaufehe denken, aber gemeint ist nur przydanka (nach
kaschubischer Aussprache przedanka) = die beigegebene, die Gefährtin.
Von südslavischen Publikationen — ein neuer Band des bulgarischen
Sbornik ist noch nicht eingetroffen — wird hier nur die Agramer besprochen, der
Zbornik za narodni zivot i obicaje Juznih Slavena, Bd. IV, in 2 Halb-
bänden, Agram 1899, 324 S., 8°, akademische Publikation, herausgegeben von
Dr. Ant. Badie. Die Einteilung des Stoffes verblieb die alte: Abhandlungen;
kleinere Beiträge; Materialien; Anzeiger. Von den Abhandlungen wird L. Kubas
über nationale Tonkunst (Melodien, Instrumente, Charakter u. s. w.) zu Ende ge-
führt; der für seinen Gegenstand begeisterte Verfasser fordert systematische Er-
forschung des noch Vorhandenen, noch von der Stadt und ihren Tingeltangeln
nicht verdorbenen oder zersetzten. Radié weist nach, dass der altkroatische
Dichter H. Lucie (1480—1535) den Stoff zu seinem Drama Robina (die Sklavin)
einer volkstümlichen, noch heute in der Heimatsgegend des Dichters gesungenen
Romanze (deren Text er nach mehreren Aufzeichnungen herstellt) entlehnt ist.
Ciszewski macht aufmerksam auf Anschauungen, die bei Völkern aller Zeiten
und Länder mit dem absurdus praegnantium appetitus und den Gefahren, die ent-
stehen können, wenn solche ihre Lust nicht stillen können, verbunden sind.
Besonders reichhaltig sind die Materialien, die Beschreibung von Brauch, Sitte
und Leben verschiedener Gegenden von kundigen Einheimischen, mit zahlreichen
Abbildungen, einer farbigen Trachtentafel von 1861 aus Norddalmatien, einer
grossen Abbildung des Mädchenreigens (Kolo) u. s. w. Sehr anregend liest sich
der Bericht des Herausgebers über seine eigene Reise in Bosnien und Hercegovina
im Juli und August 1899, zur Sondierung des Terrains für die Zwecke des Sbornik
und Gewinnung von verlässlichen Korrespondenten.
Berlin. A. Brückner.
Archiv für Religionswissenschaft, herausgegeben von Prof. Dr. Ths.
Ach eli s. Dritter Band. Heft 1. 2. Tübingen, Freiburg i. B. und
Leipzig, .T. G. B. Mohr (P. Siebeck), 1900. 8°.
Das 1. Heft beginnt mit einem Briefe von Privatdocent Dr. C. Fr. Lehmann
in Berlin an den Herausgeber mit Mitteilungen von seiner mit Dr. Belck unter-
nommenen Reise in Kaukasien und Armenien, deren Zweck die Erforschung der
Inschriften und Felsenbauten der alten Chalder war. Religionsgeschichtliche
Forschungen lagen den Reisenden beiseite, und so sind die hierher gehörigen
Bemerkungen Dr. C. Lehmanns auch nur bescheidene. Doch werden die Mit-
teilungen über die Euphrat- und die Tigrisquellen und ihre Verehrung interessieren,
Bücheranzeigen.
349
ebenso die über Spuren des Baumkultus, wobei es auffallen kann, dass die sogen.
Lappenbäume Herrn Lehmann etwas Unbekanntes waren. — Prof. L. H. Gray
von der Kolumbia-Universität in New-York behandelt in englisch geschriebener
Abhandlung die Indo-iranische Gottheit Apam Napät. — Pfarrer H.Haas in Tokio
untersucht in einem in das 2. Heft hinüberreichenden Artikel den Zug zum Mono-
theismus in den homerischen Epen, und bei Hesiod, Pindar und Aeschylus. —
Dr. R. Lasch in Horn in N.-Österreich beschäftigt sich mit den Finsternissen von
Sonne und Mond in der Mythologie und im religiösen Brauch der Völker, sammelt
und ordnet geographisch die einschlägigen Nachrichten über die mit den Finster-
nissen verbundenen Yolksmeinungen und sucht den ursächlichen Zusammenhang
derselben zu ergründen. Er stellt fünf Kategorien von F'insternismythen auf, von
denen er nahe Verwandtschaft oder gar Gleichheit der Grundgedanken behauptet.
Als Miscellen werden gegeben eine Mitteilung von Dr. H. Schukowitz in
Graz über den ober- und niederösterreichischen Brauch des 16. 17. Jahrh., dass
die Pfarrer am Thomastage (21. Dez.) den Marktrichtern eine Standespredigt halten
mussten, die Richterlehre nach der Benennung des Volkes. Sodann ein bedeutenderer
Artikel von Jan Karlowicz in Warschau über germanische Elemente in slavischem
Mythus und Brauch.
F. Justi, E. Hardy, R. M. Meyer, A. v. Gall, G. Knaack und P. Sartori haben
Besprechungen litterariscber Erscheinungen beigesteuert.
Unser Egerland. Blätter für Egerländer Volkskunde. Zeitschrift des
Vereins für Egerländer Volkskunde in Eger. Herausgegeben von
Alois John. Dritter Jahrgang. 1899. Lex.-8°. 66 und 4 S.
Der von Alois John gegründete und umsichtig geleitete Verein für Eger-
länder Volkskunde hat sich in den drei Jahren seines Bestandes eine achtung-
gebietende Stellung unter den Schwestergesellschaften errungen. Die von ihm
herausgegebene Zeitschrift legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Am Schlüsse des
Jahres 1898 zählte der noch junge Verein bereits 418 Mitglieder, von welchen
sich eine verhältnismässig grosse Zahl als Mitarbeiter an der Zeitschrift beteiligt.
Aus dem abwechslungsreichen Inhalte möge vor allem auf die verschiedenen Bei-
träge über die Kreuzsteine hingewiesen werden, besonders auf die Abhandlung
..Zur Kreuzsteinforschung im allgemeinen und im Egerlande im besonderen" von
Franz Wilhelm, dessen Studien auf diesem Gebiete schon in weiteren Kreisen
Aufmerksamkeit erregt haben. In teilweisem Zusammenhange damit steht desselben
Verfassers Mitteilung über das „Gellerer-Singen", das sonst als „Neujahrssingen"
bekannt ist. Prof. Wilhelm führt aus der Umgebung von Eger zwei Kreuze an,
bei welchen der Sage nach ein oder drei „Gellerer-" oder „Neujahrssänger" er-
mordet wurden.
Ganz besonderen Wert haben die von John aus Rat Sebastian Grüners
Handschrift „Über die ältesten Sitten und Gebräuche der Egerländer" mitgeteilten
Kapitel über den Tanz der Egerländer (mit einer Original-Abbildung aus dem
Manuskript) und über die Kleidertracht des männlichen und weiblichen Geschlechtes,
welche ein lebendiges und detailliertes Bild von dem Egerer Volke im Anfange
des 19. Jahrh. geben.
Als erste zusammenfassende Darstellung der volkskundlichen. Überlieferungen
Und Verhältnisse eines bestimmten Ortes beginnt Oberlehrer Hans Uhi in Absroth
23**
350
Weinhold:
in diesem Bande eine eingehende Schilderung der Gemeinde Absroth, deren Dorf-
anlage, Haus und Hof er ausführlich beschreibt.
J. Köhler veröffentlicht einige Kinderlieder aus dem Egerlande samt den
"Weisen.
Es ist ein nicht geringes Verdienst des Begründers und Obmanns Alois John
durch planmässiges Arbeiten im ganzen Gebiete der Egerländer Volkskunde das
allgemeine Interesse an der Sache wachzurufen und die geeigneten Persönlichkeiten
zur Bearbeitung des Stoffes heranzuziehen.
Der Verein hat die Herren Geheimrat Weinhold und Geheimrat Meitzen,
die beiden besten Kenner deutschen Volkstums, zu Ehrenmitgliedern ernannt, deren
bahnbrechendes Wirken in der Zeitschrift eine gerechte Würdigung findet.
Floridsdorf bei Wien. Wilhelm Hein.
Malay Magic being an introduction to the folklore and popular religion of
the Malay Peninsula by Walter William Skeat with a preface by
Charles Otto Blagden. London, Macmillan and Co., 1900. S. XXIV.
685. 8°.
Mr. W. W. Skeat hat während seines mehrjährigen Aufenthaltes als Beamter
in den malayischen Schutzstaaten Grossbritanniens, besonders in Selangor, aus
gedruckten Büchern, einheimischen Handschriften und durch eigene Beobachtungen
ein reiches Material über die Volksüberlieferungen, religiösen Meinungen und Ge-
bräuche, und besonders über das Zauberwesen der Malayen auf der Halbinsel
gesammelt, das er in dem stattlichen umfangreichen Buche der öffentlichen Be-
nutzung übergiebt. Da er am Anfang dieses Jahres England mit der Cambridge
Expedition zur Erforschung der Nordstaaten der Halbinsel verlassen musste, als
erst 100 Seiten des Werkes gedruckt waren, übernahm Mr. Blagden, Mitglied der
K. Asiatischen Gesellschaft, die Revision, der als ehemaliger Beamter der Straits
Settlements den Dingen nicht fern stand, und er schrieb auch die Vorrede.
Die Malayen der Halbinsel sind Muhamedaner, gläubige Sunniten; aber ihre
Vorstellungen von der übernatürlichen Welt und dem Verhältnis der Menschen zu
ihr sind eine Mischung von ursprünglich Malayischem mit Muhamedanischem,
Hindostanischem und Buddhistischem.
Das Werk zerfällt in sechs Kapitel: I. Die Natur (Schöpfung. Phänomen).
II. Der Mensch und seine Stellung im Universum (Schöpfung. Heiligkeit des
Körpers. Die Seele. Tier-, Pflanzen- und Mineralseelen). III. Beziehungen zur
übernatürlichen Welt (Der Zauberer. Geweihte Orte. Die Riten). IV. Die ma-
layische Götterwelt. V. Zaubergebräuche, die sich auf Luft, Erde, Wasser und
Feuer beziehen. VI. Zaubergebräuche, die das Leben des Menschen betreffen. —
Eine reiche Sammlung von Zauberformeln in malayischer Sprache und ein guter
Index zum Ganzen schliessen das Buch, das eine Fundgrube für malayische Volks-
kunde bleiben wird. K. W.
Petsch, Kobert, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen. Berlin,
Weidmannsche Buchhandlung, 1900. S. XI. 85. 8°.
Das kleine Buch, mit dem sich Dr. R. Petsch an der Würzburger Universität
soeben habilitiert hat, ist ein Ausschnitt aus seinen stilistischen Untersuchungen
Bücheranzeigen.
351
über das Volksmärchen. Es behandelt etwas Formales, das formelhafte Ende der
märchenhaften Erzählung; denn formelhaft ist nicht bloss ihr Anfang und Vortrag,
auch der Schluss derselben: das Märchen ist epische Poesie. Der Verf. beschränkt
sich nicht auf das deutsche Märchen, da wir es mit einem allgemein menschlichen
Geisteserzeugnis zu thun haben. Seine Quellen sind auf S. VI—XI verzeichnet.
Es tritt nun auch bei diesen Schlussformeln die bildungsreiche Kraft der volks-
mässigen Epik an den Tag und zwar in deutlichen Unterschieden. Dr. P. unter-
scheidet fünf Arten von Schlüssen der Märchen: 1. den nackten einfachen Schluss;
2. den fortführenden Schluss, der über den Abschluss der Erzählung auf darauf
Folgendes ein Licht wirft; 3. den zusammenfassenden Schluss, ein Rückblick auf
das Erzählte, zuweilen mit gezogener Moral; 4. die Abschlussformeln, welche der
Erzähler braucht, um den Zuhörern zu sagen, dass die Geschichte aus ist; 5. die
persönlichen Schlüsse, d. h. Formeln, durch welche der Erzähler sich zu seiner
Geschichte in ein Verhältnis setzt.
Der Verf. hat ein sehr grosses Material mit aufmerkendem Fleiss und mit
feinem Verständnis durchgearbeitet und auf solchem Wege sichere Ergebnisse
gewannen, die der Märchenkunde gewiss sehr nützlich sein werden. Dem hübschen
Buche hätte ich nur einen Index gewünscht. K. Wein h old.
Weise, O., Prof. Dr., Die deutschen Volksstämme und Landschaften.
Mit 26 Abbildungen (Aus Natur und Geist. 16. Bündchen). Leipzig,
B. G. Teubner, 1900. S. VI. 128. 8°.
Die schöne Aufgabe ist von dem viel schreibenden Verfasser nur flüchtig
behandelt, daher das Büchlein ohne wissenschaftliche Bedeutung. Ansprechend
sind die beigegebenen Bilder. K. Weinhold.
Lechner, Ernst, Das Oberengadin in der Vergangenheit und Gegenwart.
Mit 12 landschaftlichen Ansichten. Leipzig, Wilh. Engelmann, 1900.
S. VII. 188. 8°.
Das gut ausgestattete Werk ist eine 3. Bearbeitung des Lechnerschen Buches
„Piz Languard und die Berninagruppe 1858. 1865." Der Verf. hat sich seit langer
Zeit im Engadin häuslich niedergelassen, im Ober-, dann im Unter- und nun
wieder im Ober-Engadin und kennt also Land und Volk gründlich. Der bedeutendste
Abschnitt ist die Übersicht über die Geschichte des Oberengadins. Angeschlossen
sind dem einige Mitteilungen über Volksbräuche, weshalb wir das Buch überhaupt
hier anzeigen (S. 92—95). Für eine künftige Auflage möchten wir eine aus-
führlichere Behandlung dieses Gegenstandes wünschen, die sich nach allen Seiten
lohnen würde.
352
Minden: Protokolle.
Aus den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 25. Mai 1900. Herr Geheimrat Weinhold legte ein Gebäck
in Gestalt einer Etile vor, etwa 15 cm hoch, das in dem sogen. Eulenspiegel-
hanse zu Braunschweig noch gebacken wird, in dem Till Eulenspiegel als
Bäckergeselle gearbeitet haben soll. Das Backwerk gründet sich auf die 19. Historie
im Eulenspiegelbuche, worin erzählt wird, dass der Meister, der den zugewanderten
Ulenspiegel als Beckerknecht angenommen, ihm auf die Frage, was er backen
solle, spöttisch antwortete: „Bistu ein Beckknecht und fragst erst was du bachen
solt? was pfligt man zu bachen? Eulen oder Merkatzen." So formte denn Eulen-
spiegel aus dem ganzen Teige Eulen und Merkatzen und verkaufte das Gebäck
am anderen Tage mit grossem Vorteil (Till Eulenspiegel. Abdruck der Ausgabe
vom Jahre 1515. Halle 1884. S. 27 f.). Im Anschluss hieran legte Herr Prof.
A. Brandl am Schluss der Sitzung ein Exemplar des Facsimiledruckes der sehr
seltenen ältesten englischen Übersetzung des Eulenspiegels (Howkglas) vor.
Mit Bezug auf eine Mitteilung des Herrn Sökeland in der Sitzung vom 27. April
(vgl. oben S. 244) über Citron en bei Trauungen teilte Herr Geheimrat Weinhold
mit, dass bei den Deutschen im Ödenburger Komitat, den sogen. Heanzen, die
einzige verheiratete Frau, die an dem sehr grossen Hochzeitszuge teilnimmt und
diesen Zug schliesst, zwei Orangen in einem Tuche trägt und sie als Opfer für
den Geistlichen auf den Altar niederlegt. — Auch in Dorf Hornhausen im Magde-
burgischen trägt eine der Brautjungfern, und zwar ein kleines Mädchen, zwei
Citronen und opfert sie für den Geistlichen auf dem Altar. — Herr Geheimrat
Bartels hielt einen Vortrag über Schafsknochen in volkskundlicher Hinsicht.
Weitverbreitet war der Gebrauch der Sprungknochen (talus oder astragalus) des
Schafes, welche annähernd kubische Form zeigen, zum Würfelspiel in der antiken
Welt. Man findet auch Nachbildungen derselben aus Krystall, Bronze und Thon.
Die Astragalenspiele waren sehr verschiedener Art. Auch in Chokand und im
Lande der Osseten finden sich die Astragalen ; ebenso in Kindergräbern bei Tiflis.
Bei Wernigerode im Harz spielen die Mädchen „Unterhändchen" mit solchen
Knochen. Eine isländische, neuerdings dramatisirte Sage, lässt den Helden, einen
„Geächteten", einen Panzer aus solchen Knochen tragen. Der metatarsus (leggur)
des Hinterbeins dient in Island zum Weben, der metacarpus des Vorderbeins, um
die Wollfäden aufzuwickeln. In einen angebohrten Schafsknochen lässt man den
bösen Geist hineinschlüpfen, indem man ihn überlistet, schliesst dann die Öffnung
und hat den Geist gefangen. Das Zungenbein des Schafes darf nicht zerbrochen
werden, wenn man ein Kind erwartet, sonst stottert es. Aus dem dreikantigen
Schlüsselbein wird bei Kirgisen, Kalmücken und Südslaven geweissagt. Das Widder-
horn (schofar) dient als heiliges Musikinstrument bei den Juden. — Hr. stud. phil.
Waiden erinnerte im Anschluss an den Gebrauch von Citronen und Orangen bei
Hochzeiten an den symbolischen Gebrauch von Liebesäpfeln.
G. Minden.
Hamlet in Iran.
Von Otto L. Jiriczek.
Der iranische Königssohn Sijawusch ist mit F eren gis, der Tochter des
turanischen Schah Afrasiab vermählt und herrscht, von allen seiner Güte
wegen geliebt, als Friedensfürst über ein Reich, das ihm sein Schwieger-
vater verliehen hat. Der tückische Bruder des Schah, Gersiwas, weiss jedoch
den Schah mit Argwohn gegen Sijawusch zu erfüllen, um so leichter, als böse
Träume den Schah beunruhigt und gegen Sijawusch misstrauisch gestimmt
haben. Afrasiab zieht mit Heeresmacht gegen ihn aus; Sijawusch, der im
Bewusstsein seiner Unschuld keinen Widerstand leistet, wird gefangen
genommen und auf Anstiften des Gersiwas ermordet.
Mit Mühe bewahrt der treue Piran, ein Grosser des Reiches, die
Königstochter vor gleichem Lose. In seiner Obhut giebt sie einem Knaben
das Leben. Pirans Bitten und Vorstellungen gelingt es, den Schah zur
Milde zu stimmen; er schenkt dem Knaben das Leben, befiehlt jedoch,
ihn fern vom Hofe im Gebirge bei Hirten, unkund seiner Abstammung,
aufziehen zu lassen.
Der Knabe, Kei Chosro, wird früh schon stark und heldengross; Piran
nimmt ihn, als er herangewachsen, zu sich und pflegt seiner liebevoll.
Den Schah plagen Angst und Gewissensbisse. Er befiehlt Piran, ihm den
Enkel zu bringen, damit er seine Art erkenne; wenn Kei Chosro von der
Vergangenheit wisse und schlimmen Sinn offenbare, müsse er gleich seinem
Vater sterben. Piran beruhigt den Schah, indem er vorgiebt, Kei Chosro
sei geistesschwach. Dann eilt er zurück, seinen Schützling zu holen und
trägt ihm auf, sich verrückt zu stellen.
Zu ihm er sprach: „Die Vernunft treib aus;
Bringt er Kampf vor, antwort' ihm Schmaus.
Nah ihm wie ein Selbstvergessener
Und rede nur wie ein Besessener;
Zeige nicht von Vernunft eine Spur
Und friste dich für jetzo nur." (II, 156.)
Zeitsehr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
354
Jiriczek:
Der Jüngling folgt dem Rate. Afrasiab stellt ihn auf die Probe.
Er fragt ihn: „O Hirtenjüngling sag,
Was hast du für Kunde von Nacht und Tag?
Was hast du bei Schafen und Geissen erwählt?
Wie hast du die Böcke und Widder gezählt?"
Er gab zur Antwort: „Die Jagd ist steil,
Ich habe nicht Bogen, Senn' und Pfeil!"
Nach seinem Leben fragt er ihn drauf,
Nach gutem und bösem Tageslauf.
Zur Antwort gab er: „Der reissende Leu
Macht den streitbaren Hund nicht scheu."
Zum dritten befragt er ihn sofort
Um Wetter und Wolken und Himmelsort.
Zur Antwort er gab: „Wo der Pardel haust,
Grausts einem Manne von starker Faust."
Er fragt ihn: „Willst du nach Iran gehn,
Willst du den Schah der Helden sehn?"
Zur Antwort er gab: „Die Bergwüstenei
Ritt mir neulich ein Reiter vorbei."
Da lachte der Schah wie die Rose frisch,
Zu Chosro sprach er schmeichlerisch:
„Willst du nicht lernen Wissenschaft,
Nicht üben am Feinde der Rache Schaft?"
Er sprach: „In der Milch ist kein Rahm geblieben;
Die Hirten seien vom Feld getrieben!"
Der Herrscher lachte ob seinem Wort,
Zum Pehlewan sprach er sofort:
„Der hat nicht das Herz wie man's haben muss;
Ich frage vom Kopf und er sagt vom Fuss.
Von ihm wird keiner nicht bös noch gut,
Ein solcher Mensch hat nicht Rachemut." (II, 156 f.)1)
Auf Befehl des Schahs wird Kei Chosro seiner Mutter wiedergegeben.
Er wird nachmals Herrscher von Iran, führt lange und erbitterte Kriege
mit Afrasiab und tötet ihn sowie Gersiwas eigenhändig, als sie in seine
Gewalt gekommen sind (III, S. 221 ff.).
Fasst man die Motive dieser Sage zusammen, so ergeben sie folgenden
epischen Typus: Ein Fürst wird von einem nahen Verwandten unversehens
seines Thrones und Lebens beraubt (I); sein Sohn wächst in Niedrigkeit
auf (II); der Frevler fürchtet seine Rache und stellt seinen Verstand auf
1) Die Citate beziehen sich auf Firdosis Königsbuch (Schahname), übersetzt von
Friedrich Rückert. Aus dem Nachlass herausgegeben von E. A. Bayer. Gedruckt mit
Unterstützung der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. 3 Bde. Berlin 1890. 94. 95.
Die Übertragung Bückerts ist citiert, da er nach dem berufenen Zeugnisse von Orientalisten
wie Nöldeke „möglichst wörtlich übersetzt" (Lit. Centr. 1893, 1823f.). Bei Schack findet
sich diese Stelle im 2. Bande der Heldensagen des Firdusi (Cottasche Bibliothek der
Weltlitteratur), S. 200.
Hamlet in Iran. 355
eine Probe, der Jüngling aber spielt die Rolle eines Verrückten und erteilt
scheinbar1) thörichte Antworten (III); dadurch entgeht er dem Tode und
rächt nachmals seinen Yater an dem Urheber der Frevelthat (IY).
Die Ubereinstimmung mit der Hamletsage springt in die Augen. Ich
bin nicht in der Lage festzustellen, ob die Parallele schon irgendwo notiert
ist; sie fiel mir bereits vor Jahren auf und ich habe im Jahre 1896 in
einem Vortrage auf sie Bezug genommen. Sie scheint mir allgemeiner
Beachtung wert, da sie bei der in den letzten Jahren öfter aufgerollten
Präge nach dem Ursprung der Hamletsage methodisch entscheidend ins
Gewicht fällt.
Die Hamletsage weist bekanntlich wieder Ähnlichkeit mit der Brutus-
sage auf, eine Ähnlichkeit, die dahin gedeutet worden ist, dass letztere
die Quelle der ersteren sei. Beide enthalten gewisse gleiche Grundelemente:
der Held verliert durch einen nahen Verwandten Angehörige (hier Oheim
und Schwestersohn [Brutus], bezw. Brudersohn [Hamlet]), der Mord trifft
den Bruder (Vater und Bruder) [Brutus], bezw. den Vater [Hamlet] des
Helden; durch verstellten Wahnsinn rettet sich der Held und rächt
schliesslich den Frevel.
Wenn zwei Varianten eines Sagentypus vorliegen, wird sich die Frage
nach ihren Beziehungen unwillkürlich einstellen, und ihre Beantwortung
scheint ziemlich einfach. Zwar dass Saxo die Erzählung selbst nach dem
Modell der Brutussage erfunden hätte, ist ganz ausgeschlossen. Eine so
geniale Umformung, durch die aus wenigen Grundelementen eine neue,
ganz eigenartige Erzählung mit echt nordischem Gepräge entstellt, als
bewusste Schöpfung eines mittelalterlichen Historikers, der den alten Sagen
euhemeristisch und rationalistisch gegenübersteht, ist schon psychologisch
undenkbar; selbst ein Shakespeare hat seinen Quellen gegenüber nie eine
so souveräne Umgestaltungskraft gezeigt; und Missverständnisse der Sage
bei Saxo, die Axel Olrik in höchst scharfsinniger Weise aufgedeckt hat,
erhärten zur Genüge, dass er einen traditionellen Stoff wiedererzählt,
natürlich nicht ohne ihn nach seiner Weise zuzustutzen. Wie weit diese
Retouchierungen bei ihm gehen, liess sich nur an der Hand psychologisch
verwandter nordischer Sagen und auf Grund innerer Wahrscheinlichkeits-
1) Die Antworten Kei Chosros liaben offenbar einen verborgenen Sinn und beziehen
sich auf seine Lage. Diesen Sinn genau zu deuten, wage ich nicht auf Grund blosser
Übersetzung. Darf man ihr wörtliches Zutrauen schenken, so scheint die Meinung zu sein :
Meine Lage ist gefährlich, und ich habe keine Mittel mich zu wehren (Bild von Jagd
ohne Pfeil). Ich gebe mich zwar nicht verloren trotz der grösseren Macht des Schahs
(Leu und Hund), doch graust auch den Starken vor dem gefährlichen Feind (Pardel).
Der Weg nach Iran steht dem, der fliehen will, offen (Erwähnung des Reiters, der durch
die Wüste zog). Die Frage nach der Rache wird wieder bildlich beantwortet: man hat
die Milch des Rahms beraubt, d. h. ein Frevel ist geschehen, doch die Hirten (Feinde)
sollen dafür vertrieben werden (noch deutlicher, doch im ersten Teile abweichend, falls
die Übertragung die Nüance richtig erfasst, bei Schack: „Kein Rahm wird übrig bleiben,
ich will die Hirten von dein Feld vertreiben").
24*
356
Jiriczek :
Schlüsse mutmassen; eine dritte Variante der Sage vom Hamlettypus ergiebt
aneli für diese Frage erwünschte äussere Stützen. Aber in anderer Weise
kann natürlich die Brutussage zu Grunde liegen; sie könnte auf dem
langen Wege der Tradition nach dem Norden gekommen sein, und wie
Ornamente und Typen von Yolk zu Volk wandernd, immer weiter sich
verändern und dem nationalen Geschmacke anpassen, bis zuletzt ein ganz
abweichendes neues Ornament entsteht, das zwar seinen Ursprung in letzter
Linie von fremden Mustern herleitet, aber national umgebildet und in
diesem Sinne original ist, so kann es auch mit Sagen geschehen, und ist
nachweislich oft der Fall gewesen. In diesem Sinne könnte zwischen der
römischen und der nordischen Sage ein Zusammenhang bestehen. Tritt
nun eine dritte Variante dazu, so wird dieser Zusammenhang dadurch
zwar nicht als unmöglich erwiesen; aber die Beziehungen werden lockerer,
die Möglichkeiten der Erklärung im einzelnen erweitern sich und werden
noch unfassbarer, als sie bereits bei blossem Doppelverhältnis waren.
Betrachtet man die drei Sagen in ihren Einzelheiten, so tritt dieselbe
Erscheinung zu Tage, die an allen selbständigen Varianten desselben Typus
zu beobachten ist: feste Gruppierungen wie bei einem Handschriftenstamm-
baum ergeben sich nicht, das Gruppenverhältnis springt vielmehr bei den
einzelnen Zügen um. Die persische Fassung steht isoliert mit dem Zuge,
dass der Rächer ein nachgeborenes Kind ist, ebenso in vielen anderen.
Umgekehrt stimmt sie mit der römischen darin überein, dass sie Kriege
zwischen dem Usurpator und dem Rächer kennt, dass die Verwandtschaft
zwischen beiden auf der Mutter des Helden beruht u. a. m. Wieder in;
anderen Zügen geht sie mit der nordischen Sage gegenüber der römischen
zusammen. Die Gruppen wechseln also in mannigfachster Weise: RN-P,
RP-N, PN-R, und ergeben so viele Combinationen, als überhaupt mit drei
Elementen »möglich sind. Da jede selbständige Variante das Endresultat
einer längeren Reihe von Umformungen uud im letzten Stadium die litte-
rarische Aufzeichnung eines Dichters oder Schriftstellers ist, der sie seinen
Zwecken dienstbar macht, wird mau gut thun, in allen Einzelheiten von
vornherein der Beweglichkeit epischer Phantasie einen möglichst weiten
Spielraum zuzugestehen. Wichtig und massgebend dürften da nur zwei
Hauptzüge sein, welche die persische und die nordische Sage miteinander
gegen die Brutussage verbinden. Letztere endet mit der blossen Ver-
treibung des Tyrannen, während die Rache des Helden in den beiden ersteren
eine persönliche und eigenhändige ist. Und im Mittelpunkte des epischen
Aufbaues steht in beiden die ausführlich erzählte Versuchung, welcher der
O 7
Held durch rätselhafte Antworten, die einen geheimen Sinn in sich schliessen,
ausweicht, offenbar ein Glanzpunkt der Sage voll dramatischer Spannung.x)
1) Dass Saxo diese Versuchung, deren episches Detail natürlich Avieder abweicht, der
Tradition entnommen hat, beweisen die von Olrik aufgedeckten Missverständnisse in sein'11*
Deutung der Bätselantworten.
Hamlet in Iran.
357
Davon zeigt die römische Sage keine Spur. Es ist zwar auf das Verhalten
des Brutus zum delphischen Orakelspruch als Parallele hingewiesen worden.
Das Orakel verkündet, wer seine Mutter zuerst küsse, werde die Herrschaft
gewinnen: Brutus fällt nieder und küsst die Erde. Aber der Zusammen-
hang ist ganz anders, Versuchungsfragen und Antworten fehlen vollständig,
und Brutus errät den Sinn einer dunklen Antwort, während hier der Held
auf Fragen eine dunkle Antwort erteilt, also so ziemlich das Gegenteil
von dem Motive der Brutussage.
Bei einem Versuche, die Varianten genealogisch miteinander in Ver-
bindung zu bringen, fallen diese engeren Beziehungen zwischen der nor-
dischen und der persischen Form schwer ins Gewicht. Nach der Bedeut-
samkeit der Übereinstimmungen hätte eine engere Verkettung beider mehr
für sich, als die Verbindung der Brutus- und der Hamletsage. Die per-
sische Sage müsste als das Vorbild der nordischen in Anspruch genommen
werden; gemeinsame Ableitung aus der Brutussage scheitert daran, dass
die abgezweigten Sprossformen untereinander näher stimmen als mit ihrer
angenommenen Grundform. Eine Linie, die von Rom nach dem Orient
und von dort nach dem Norden geführt hat, wäre ja natürlich theoretisch
denkbar. Ja man könnte sie sogar in ihrem zweiten Teile scheinbar stützen.
Die schwankhaften Zuthaten der Sage bei Saxo (Scharfsinnproben Hamlets
am englischen Hofe) sind von Axel Olrik als ursprünglich orientalische
Wandermotive nachgewiesen worden (Weinholds Zeitschrift II, 120. Olrik
Sakse II, 158); könnte nicht auch die ganze Sage, früher oder gleich-
zeitig, aus Vorderasien über Osteuropa nach Jütland gekommen sein?
Liessen sich nicht die Rätselantworten Hamlets aus der dem Orient eigenen
Freude am Rätselspiele bildlichen Wortes erklären? Aber auch der Norden
liebte solche Bildersprache, wie die Kenningpoesie beweist, und Hamlets
Antworten sind echte Kenninge, aufgelöst in Erzählung, wurzelnd in der
jütischen Natur. Nur verkettende Zwischenstufen oder scharf lokalisierte Züge
der Sage erlauben die schattenhaften, viel verschlungenen Pfade mündlicher
Tradition zu bestimmen, und beides fehlt hier. • Es ist nicht undenkbar,
•dass die römische Sage nach Persien drang, es ist ebensowenig undenkbar,
dass die persische wieder nach Nordeuropa gewrandert sei; aber die Chro-
nologie der litterarischen Aufzeichnungen ist natürlich kein Beweis dafür,
und andere Anhaltspunkte fehlen; ebensogut könnte der Orient die gemein-
same Quelle der zwei europäischen Fassungen sein.
Ein merkwürdiger Zug der Hamletsage in Saxos Bericht ist mit Recht
als nahe Parallele zur Brutussage hervorgehoben worden (Detter, Zeitschr.
f. d. Altertum 36, 1 if.). Brutus wird den zwei Söhnen des Tarquinius, die
zum delphischen Orakel reisen, mitgegeben; er opfert dort seinen mit
Gold gefüllten Reisestab, als Symbol seines verborgenen Verstandes.
358
Jiriczek:
Hamlet wird mit zwei Begleitern zum König von England geschickt; das
Schreiben, das dem König aufträgt, Hamlet zu töten, ändert er heimlich
dahin um, dass dieses Los seine Begleiter treffen soll. Er lässt sich dann
für sie Wergeid zahlen, schmilzt dieses ein und füllt das Metall in zwei
hohle Stäbe. Bei seiner Heimkunft nach den Begleitern gefragt, weist er
die Stöcke vor und erklärt: hier sind sie, was allgemeine Heiterkeit her-
vorruft. Abweichungen wie die, dass Brutus Nebenperson, Hamlet aber
Hauptperson bei dieser Entsendung ist, kommen nicht in Betracht, sie
fallen in den freien Umformungsspielraum. Die Ähnlichkeit bleibt bestehen.
Auffallend aber ist das Verhältnis dieser Situation zum Gaiiffe der Sage
O o
und ihre Bedeutung. In beiden Beziehungen bestehen wesentliche Unter-
schiede. Der Stab des Brutus spielt in der Sage gar keine Rolle, seine
Bedeutung ist eine rein persönliche für Brutus. In der Hamletsage da-
gegen muss der Held notwendigerweise über den Yerbleib seiner Begleiter
Auskunft geben und eine Frage darüber erwarten; seine Antwort ist höchst
sinnreich, ein echtes Hamleträtsel, und zugleich, wie sich unten zeigen
wird, aus echt nordischer, volkstümlicher Ironie hervorgegangen. Die ganze
Reise Hamlets ist zwar nicht unentbehrlich und vielleicht nicht einmal
ursprünglich, aber doch jedenfalls mit der Sage wohl verknüpft; die Reise
des Brutus ist unter allen Umständen eine Episode ohne Zusammenhang
mit der Entwicklung der Sage. Lägen die zwei Sagen als moderne Märchen-
aufzeichnungen ohne chronologischen Anhalt vor, kein Märchenforscher würde
zweifeln, in dem verkümmerten Brutusmärchen einen Ableger des Hamlet-
märchens zu erblicken, da wohl verknüpfte, ausgebildete Motive des letzteren
in ersterem als nur halbverstandene Reste vollerer Überlieferung aus ihrem
Zusammenhange geraten und entstellt sind. Wie vorsichtig man bei solchen
Schlüssen sein muss, zeigt sich eben hier; diese an sich sehr wahrschein-
liche Erklärung scheitert an dem zeitlichen und örtlichen Abstand; zudem
kommt der umgekehrte Fall, dass eine Version Elemente der anderen in
besseren Zusammenhang bringt und tiefer begründet, ebenso oft vor. Von
dieser Seite her ist nichts für unseren Fall zu gewinnen, ausser dem Zweifel,
ob hier wirklich Zusammenhang vorliegt. Dieser Zweifel erhält Nahrung
durch weitere Momente. Die Reise Hamlets nach England ist, wie schon
oben bemerkt, entbehrlich für den grossen Gang der Sage, wie nicht nur
die persische Variante beweist, sondern auch die sehr ähnliche, vielleicht
verwandte Sage von Frotho und seinen Neffen darthut, deren Beziehungen
zur Hamletsage Detter a. a. O. S. 9 eingehend besprochen hat; sie entbehrt
bei grosser Ähnlichkeit im ganzen Aufbau und in der Katastrophe dieses
Reisemotivs. Die Englandreise Hamlets scheint mir überhaupt bereits
dem erweiternden novellistischen Stadium der Sage, das der Aufzeichnung
durch Saxo unmittelbar vorhergeht, anzugehören, und ist vielleicht nicht
ohne Zusammenhang mit dem romanhaften zweiten Teile, selbst im Brief-
motive, über dessen Ursprung Olrik (Sakse II) das entscheidende bei-
Hamlet in Iran.
359
gebracht hat. Ist dem so, dann ist ein älteres Stadium der Hamletsage
ohne Reise wahrscheinlich — dass die Rachesage und die Erminthruda-
novelle (Teil II) miteinander ursprünglich nichts zu thun haben, ist
zweifellos — und die Einwirkung der Brutussage als Hilfsannahme ganz
entbehrlich. Was aber weiter für Zufall spricht, ist der Umstand, dass
das Motiv vom Gold im Stabe auch sonst erscheint. Bolte (Köhler, Kleine
Schriften I, S. 137) verzeichnet zu Bladés Contes populaires de la Gascogne
3, 368, No. VII: „Die alte Geschichte vom Golde in dem Stabe, den
der Schuldner vor der Eidleistung seinem Gegner übergiebt: Gaster,
Monatsschrift f. d. Geschichte d. Judentums 1880, 316; Wünsche, Zeitschr.
f. vergi. Littgesch. 11, 48—59; Grässe, Sagenbuch d. preuss. Staates 1, 40,
No. 26, 1868." Gold im Stabe ist ein verbreitetes Motiv volkstümlicher
Tradition; seine Auslegung oder Verwendung ist verschiedenartig. Ent-
scheidend wäre also nur, wenn auch in der Brutussage das Gold als Wer-
geid symbolisch einen Erschlagenen bedeutete; da es aber ganz anders
gedeutet und das Motiv abweichend verwendet wird, löst sich die scheinbar
so enge Ubereinstimmung zweier Versionen wieder in dem grossen Meere
traditioneller Erzählungsmotive zur Gleichheit zweier Tropfen desselben
Wassers auf. Für die grimmige Ironie, die darin liegt, dass Hamlet wirklich
mit Recht sagen kann, diese Stöcke seien seine Begleiter, da das Wergeid
sie vertritt, fehlt in der Brutussage ohnedies jeder Anhaltspunkt. Man
könnte ja darauf hinweisen, die Erklärung des Goldes als Abbild vom
wahren Wesen Brutus' sei der Ausgangspunkt einer solchen Ideenreihe;
die Association der Gleichung Wergeid — Mann wäre aber doch eine höchst
künstliche Leistung verzwickten Scharfsinns. Dass eine solche Ausdrucks-
weise vielmehr dem Nordländer ganz nahe lag, zeigt eine in der Saga-
litteratur öfter begegnende Phrase. Hjarrandis Bruder Björn ist im Zwei-
kampfe erschlagen worden. Hjarrandi weigert sich, auf eine Versöhnung
einzugehen und sagt: ich will meinen Bruder nicht im Geldbeutel tragen
(kvaz eigi mundu beva bródur sinn i sjódi, Grettissaga c. 22); ebenso (a. a. O.
c. 24) heisst es von drei gefallenen Brüdern, die keiner die Rache für
den anderen durch ein Wergeid sich ablösen lassen wollten: keiner von
ihnen wollte den anderen im Geldbeutel tragen( weitere Stellen verzeichnet
Fritzner, Ordbog s. v. sjódr). In ganz gleichem Sinne kann daher Hamlet
seine Stäbe als seine Begleiter vorweisen. Wollte man Haare spalten, so
Hesse sich sagen, Hamlet hätte den Geldbeutel vorweisen können ; dadurch
würde er sich aber verraten haben, da der Ausdruck sofort verstanden
worden wäre. Verschiedenartige Elemente, Gold im Stabe, Wergeidbild,
Reise mit Uriasbrief, die jedes für sich ihre Geschichte haben, sind in
dem Kaleidoskop novellistisch-traditioneller Erzählung aneinander geraten
und befinden sich in einer Stellung, welche äusserlich an ähnliche Züge
eines anderen kaleidoskopischen Bildes erinnert; aber sie bilden andere
360
Jiriczek:
Figuren, und Zufall, nicht Nachahmung-, wird hier gewaltet haben.1) Will
man eine solche Erklärung nicht gelten lassen, und hält daran fest, dass
nun einmal diese Nebenmotive, einerlei ob ihre Verwendung noch so ab-
weichend ist, mit einer Hauptsage von grosser Übereinstimmung verbunden
sind, so wären sie eben zu den anderen Punkten zu stellen, welche eine
Gruppe RN konstituieren; die anderen Gruppierungen, welche einer ein-
seitigen Ableitung von N aus R widersprechen, werden dadurch nicht auf-
gehoben.
Betrachtungen über den Spielraum, der bei Yergleichung analoger
Erzählungsstoffe oder Motive dem Zufall einzuräumen ist, werden methodisch
nie ein allgemein giltiges Princip ergeben. Jede solche Yergleichung
muss sich aus unzählbaren Einzelerwägungen zusammensetzen, die sowohl
die allgemein literarhistorischen und kulturgeschichtlichen Möglichkeiten,
als die einzelnen Elemente des Stoffes betreffen, und hierin wieder doppelte
Betrachtung, analytische und synthetische, erfordern. Fehlerquellen sind
dabei so reichlich vorhanden, dass es selten gelingen wird, Irrtümer ganz
zu vermeiden. Ein absolutes Mass für den Grad der Übereinstimmung,
welcher Zusammenhang wahrscheinlich macht, ist eben undenkbar; un-
scheinbare Züge können auf Zusammenhang beruhen, schlagende Ähnlich-
keiten auf Zufall. Solche Ähnlichkeiten können sich oft sehr weit er-
strecken, sogar ganze Ketten von Einzelzügen umfassen. Beispiele dafür
bieten sich jedem, der daraufhin traditionelle Überlieferungen durchmustert,
in unzähliger Menge. Sie werden niemals eine individuelle Beweiskraft
für den einzelnen Fall haben, aber bilden doch eine allgemeine Warnung,
Ubereinstimmungen nicht principiell als Beweis für Zusammenhang anzu-
sehen, und dem Zufall bei der Abwägung der Möglichkeiten sein gutes
Recht zu lassen. Lehrreich sind in dieser Beziehung namentlich Analogien
in Stoffen, bei denen jede Berührung vollständig ausgeschlossen ist. Ein
Zusammenhang der indianischen Sagen mit der Edda ist ganz unmöglich;
und doch weisen sie verschiedene, oft ganz überraschende Ähnlichkeiten
auf, die wirklich einen phantasievollen Kopf verführt haben, Einfluss der
Skandinavier von Grönland aus auf Kanada anzunehmen (Leland, The
Algonquin Legends of New-England, London 1884). Für ganze Ketten
von Übereinstimmungen bietet die Sage vom Vater unsers persischen
Hamlet einen auffallenden Beleg. Es gehört gar keine Phantasie dazu,
in der Erzählung von seinem Tode (Rückert II, 100—147, Schack II,
1) Bei Nachahmung käme natürlich noch in Frage, ob nicht Saxo, durch seine
Kenntnis der Brutussage veranlasst, diese episodischen Züge eingefügt habe [wie Gollancz,
Hamlet in Iceland, annimmt]; aber die oben erwähnten Gründe scheinen mir auch diese
Form des Zusammenhanges wenigstens fraglich zu machen. Auch hier wäre der Aus-
gangspunkt für eine so abweichende, vortreffliche Erfindung zu schwach, um eine solche
Ideenassociation zu stützen.
Hamlet in Iran.
361
152—190) Züge aus der Passion des Heilands zu finden. Sijawuscli ist
königlichen Stammes wie Christus; sein Reich wird als ein Paradies des
Friedens geschildert. Er wird verleumdet, nach königlicher Herrschaft zu
streben; ein tückischer Grosser spielt eine Judasrolle. Vor seiner Ge-
fangennahme hat der Held eine Stunde tiefster Seelenangst; er sagt voraus,
dass nach seinem Tode Verwüstung und Krieg über das Land kommen
werden. Die Schar, die ihn gefangen nimmt, wird von Gersiwas-Judas
geführt. Auch Sijawusch hat Begleiter; sie wollen zu den Waffen greifen,
aber ihr Herr verbietet ihnen, sich zu wehren, und spricht seine Ergebung
in den göttlichen Willen aus. Er wird gefesselt und so misshandelt, dass
ihm Blut über das Angesicht fliesst. Der König, sein Richter, schwankt
in seinen Erschliessungen; gleich Pilatus erklärt er „nichts Böses an ihm
mein Auge sah"; wie Pilatus durch seine Gattin, wird er durch seine
Tochter gewarnt und beschworen, den Unschuldigen freizusprechen. Die
Henker führen Sijawusch zu Fuss, den Nacken in ein Joch gepresst, zur
Mordstätte; bei seinem Tode erhebt sich (Schack S. 190) ein Sturm, der
Sonne und Mond verfinstert. Weitere Analogien auszuspinnen wäre un-
schwer. Die Abweichungen sind geringer als bei dem angenommenen
Verhältnis der Odin-Yggdrasil-Mythe zur Kreuzigung Christi, die Über-
einstimmungen grösser. Dass christliche Einflüsse nach Persien ge-
drungen sein können, ist zweifellos; Zusammenhang wird gleichwohl
nicht bestehen.
Um zur Hamletsage zurückzukehren, so sei noch auf ein interessantes
Beispiel für den Zufall hingewiesen, der in eine sekundäre Quelle der
Hamletsage Züge hereingebracht hat, die sich in Saxo nicht finden, aber
mit der persischen Version stimmen. In der isländischen Ambalessaga,
die etwa ein halbes Jahrtausend nach Saxo aufgezeichnet ist, und aus
zwei Quellen schöpft, einem volkstümlichen Märchen vom Hamlettypus
und dem Berichte Saxos (wie Axel Olrik jüngst treffend dargelegt hat,
Arkiv for nordisk Filologi XV, S. 360 ff.)1), wird Ambales auf Befehl
des Königs zu den Viehhirten geschickt und lebt eine Zeit lang mit ihnen
(vgl. Kei Cliosro, der auf Befehl des Schahs bei Hirten erzogen wird);
davon weiss Saxo nichts. Ebenso auffallend ist die Ubereinstimmung,
dass in der Saga wie in der persischen Version ein bejahrter Ratgeber
seinen hohen Einfluss auf den König dazu benutzt, der Familie des ge-
stürzten Fürsten beizustehen und sie zu schützen; die Ausführung im
einzelnen weicht natürlich wieder ab. Hier zeigt sich dasselbe Verhältnis,
das oben bei dem Goldstabmotive angenommen wurde: zufällig associierte
ähnliche Motive in zwei Stoffen, die schon an sich Berührungen und
1) Ich nehme hier gern Anlass, zu erklären, dass ich diesem Resultate, das meine
früher ausgesprochene Ansicht (Saxo als einzige Quelle für die Saga) modificiert, beifalle.
362
Jiriczek:
Analogien zeigen, daher auch für Zusammenhang jener Einzelzüge zu
sprechen scheinen; hier ist gleichwohl spätere, unabhängige Association
durch Zufall sicher.
Es liegt nicht in der Absicht dieses Aufsatzes, auf die Geschichte der
nordischen Hamletsage als solcher, ihre Beziehungen zu ähnlichen oder
verwandten nordischen Sagen und das Verhältnis der sekundären Quellen
zu Saxos Bericht einzugehen; die Abschweifung im vorigen Abschnitte war
nur notwendig, um die Zugehörigkeit gewisser Nebenmotive zu den Grund-
elementen zu untersuchen. Kehren wir zu unseren drei Varianten zurück.
Ihre Ubereinstimmung lässt, rein theoretisch genommen, nur drei Erklärungs-
möglichkeiten zu, nachdem eine direkte Ableitung im Filiationsverhältnis
sich als undurchführbar erwiesen hat: alle drei sind Fortpflanz ungen einer
gemeinsamen Sage der indogermanischen Urzeit — die Übereinstimmungen
beruhen ganz auf Zufall — die Sagen sind Erscheinungsformen eines
Wanderstoffes, der bald hier bald dort aus dem grossen Unterstrome der
Litteraturen, der mündlichen Überlieferung auftaucht, ohne, dass wir seine
Bahnen zu erkennen vermögen.
Zur ersten Erklärung wird man nicht gern greifen: der chronologische
Abstand ihrer litterarischen Erscheinung von der nebelhaften Urzeit der
arischen Yölker ist zu gross, als dass wir ohne zwingende Gründe über
die gähnenden Klüfte der Jahrtausende einen Brückenbogen zu spannen
versuchen dürften.
Ob Zufall anzurufen ist, kann nur die Betrachtung der Motive bis zu
einem gewissen Grade entscheiden. Diese liegen nun alle im Bereiche
des gewöhnlichen Ideenkreises epischer Sage, bezw. heroisch-barbarischen
Lebens. Die Sage ist völlig frei von Verwicklungen, sie baut sich im
Grunde genommen nur auf einein Motive auf: Mord und Rache. Dass es
sich in allen drei Fällen um Arerwandtenmord handelt, ist nur eine Steigerung
des Gefühlsanteils, und Geschichte wie Sage führen solche Familientragödien
oft genug vor. Damit verbunden ist hier das Motiv verstellten Wahnsinns,
durch den der künftige Rächer, hilflos dem Mörder preisgegeben, sich
Leben und Zukunft rettet. Auch darin wird man nichts Auffälliges er-
blicken dürfen. Verstellung ist so alt als Gewalt, und verstellter Wahn-
sinn als Schutz vor Verfolgung lag dem Ideenkreise barbarischer Zeiten
oder primitiver Kulturen gewiss in Leben wie in Dichtung auf das aller-
nächste. Schon die heilige Schrift erzählt, wie David sein Leben durch
verstellten Wahnsinn rettete (1. Samuelis, 21, Vers 10 ff.):
„Und David machte sich auf und floh vor Saul, und kam zu Achis,
dem Könige zu Gath."
„Aber die Knechte Achis sprachen zu ihm: Das ist der David, des
Landes König....."
Hamlet in Iran.
363
„Und David nahm die Rede zu Herzen und fürchtete sich sehr vor
Achis, dem Könige zu Gath";
„Und verstellete seine Geberde vor ihnen und kollerte unter ihren
Händen und stiess sich an die Thür am Thor, und sein Geifer floss ihm
in den Bart."
„Da sprach Achis zu seinen Knechten: Siehe, ihr seht, dass der Mann
unsinnig ist; warum habt ihr ihn zu mir gebracht?"
„Habe ich der Unsinnigen zu wenig, dass ihr diesen herbrächtet, dass
er neben mir rásete? Sollte der in mein Haus kommen?"
Fr. York Powell, der (in Eltons Ubersetzung yon Saxo, p. XCY) diese
schon öfter notierte Parallele mit Recht wieder heranzieht, erinnert auch
an Odysseus, der sich verrückt stellt, um nicht in den Krieg ziehen zu
müssen (vgl. Prellers Griech. Mythologie, II, S. 416), und an die Frotho-
sage (bei Saxo VII, p. 218, Holder), die vielleicht in naher Beziehung
zur Hamletsage steht (vgl. ZfdA. 36, S. 13). Der Schutz, den verstellter
Wahnsinn bot, ist gewiss auch im Leben öfter verwertet worden, und geht
auf weitverbreitete primitive Anschauungen zurück; den Wahnsinnigen
schützt nicht so sehr seine Harmlosigkeit — die ja an sich recht zweifel-
haft ist — als vielmehr die Scheu, die in der animistischen Erklärung der
Besessenheit als Ausfluss eines dem Menschen innewohnenden Dämons
wurzelt (s. Tylor, Anfänge der Kultur, II, 128 und die weitere dort an-
geführte Litteratur).
Liegen so die Grundelemente der Sage überall unter gleichen Lebens-
formen auf der Hand, so wird man sich zunächst vergegenwärtigen müssen,
welche Entwicklung sie in dichterischer Behandlung, in der Sagenpflege,
einschlagen konnten, bezw. auf Grund der gleichen poetisch-psychologischen
Triebe der schaffenden Phantasiethätigkeit einschlagen mussten. Fasst
man die poetischen Möglichkeiten, die fruchtbaren Momente, welche in
den Motiven liegen, ins Auge, so werden Übereinstimmungen in der Aus-
führung, sofern sie im WTege organischer Entfaltung denkbar sind, auch
in verschiedenen Sagenformen nichts Auffallendes sein. Die drei Sagen,
die hier in Frage stehen, zeigen nun in jeder Beziehung die denkbar
grösste Einfachheit: nur zwei, ganz allgemein menschliche primitive Motive
sind verkettet, und eine solche Verbindung konnte wiederholt unabhängig
vor sich gehen, denn das Motiv von der Ermordung des Vaters durch
einen Verwandten und der späteren Rache des noch jugendlichen Sohnes
bedurfte einer Erklärung, wieso der Wehrlose sich retten konnte, da dem
mörderischen Gewalthaber die Klugheit gebot, den Spross des Erschlagenen
zu vernichten. Sehr viele Erklärungen für die Schonung seines Lebens
boten sich nicht eben dar, und von den vorhandenen war die, welche das
Motiv verstellten Wahnsinns an die Hand gab, eine ebenso glückliche als
episch fruchtbare. Die Ausführung im einzelnen weicht aber nirgends von
der einfachsten Entfaltungslinie ab. Die Herbeiführung der Rache ist
364
Jiriczek: Hamlet in Iran.
überall verschieden, so class für wirklichen Zusammenhang kein Anhalt
vorhanden zu sein scheint. Eigenartiger ist nur das Rätselspiel in der
Versuchung, und hier möchte eher ein individualisierender Zug vorliegen,
der auf einen Wanderstoff deutet. Leider versagt die römische Version
ganz. Vielleicht nur scheinbar, denn die Berichte der Historiker zeigen
doch nur die Verschmelzung der Sage mit historischen oder doch für
historisch gehaltenen und so behandelten Erinnerungen an politische Er-
eignisse; die A^olkssage selbst kann wohl noch ähnlicher gewesen sein.
Für einen Wanderstoff spricht möglicherweise auch die Existenz einer
vierten Pariante, obwohl die Mehrheit der Belege selbstverständlich die
spontane Entstehung nicht in Frage stellt. Fr. York Powell verweist
(a. a. 0. S. 410) auf den Typus einer alten Sage, die in Grossbritannien
und Irland auftritt: ein frevelhafter König reisst die Herrschaft an sich,
der Held der Erzählung stellt sich wahnsinnig und führt die Rache herbei,
indem er den König mit seinem ganzen Palaste und Reiche unter der See
begräbt. Die Angaben sind zu dürftig, um Einzelheiten erkennen zu lassen;
sie zeigen jedenfalls eine vermutlich keltische Sage (— keltische Versionen
werden citiert —), die in gewissen Zügen an den Hamlettypus erinnert.
Bestätigt sich die Ähnlichkeit auch noch im einzelnen, so läge die
Sage in vier national verschiedenen Überlieferungen., einer klassischen,
einer nordischen, einer persischen und einer keltischen vor; es fehlt nur
noch eine slavische, um die Analogie zu den Uberlieferungsformen der
Hildebrandssage vollständig zu machen. Kenner der reichen slavischen
Sagen- und Märchentraditionen werden vielleicht auch hier eine Parallele
zu nennen wissen, wie ich überhaupt nicht bezweifle, dass systematische
Erforschung der Märchentraditionen noch manche nähere oder fernere
Parallelen zu Tage fördern wird. Doch werden die bereits bekannten
genügen, erkennen zu lassen, dass wir in der Hamletsage einen Stoff vor
uns haben, der nicht bloss mit der Brutussage Ähnlichkeit zeigt, sondern
viel weiter verrankt ist; ob die Parallelen Zufall sind oder auf Wanderungen
beruhen, wrer wollte das mit einem Machtspruche entscheiden? Das letztere
hat einige Wahrscheinlichkeit für sich. Die Eigenart jeder Version zeigt
aber auch hier wie bei anderen ähnlichen Stoffen, dass keine die direkte
Kopie der anderen ist. Sie sind Bäumen vergleichbar, die aus weithin-
getragenen Samenkörnern derselben Art erwachsen sind; wie viele Glieder
zwischen ihnen und dem Baume stehen, von dem sie stammen, und wo
dieser seine Äste entfaltet hat, bleibt eine verlorene Frage; mit der anderen
Erde, in der sie Wurzel fassten, haben sie zugleich ein Stück Eigenart
ihrer Heimat angenommen, und unter wechselndem Wolkenzug sicli ab-
weichend entwickelt.
Münster i. W.
Biinker: Eine heanzische Bauernhochzeit.
365-
Eine heanzische Bauernhochzeit.
Yon J. R. Biinker in Ödenburg.
(Sehluss von S. 306.)
Yor wenigen Jahren noch soll der Hochzeitszug in Harkau anders-
formiert worden sein. Der Unterschied bestand darin, dass dem Bräutigam
die Hochzeitsknechte und Kranzeljungfern nicht paarweise folgten, sondern
dass nach ihm zuerst die Hochzeitsknechte in einer Reihe nebeneinander
und dann ebenfalls in einer Reihe nebeneinander die Kranzelj ungfern
gingen.
Noch origineller zusammengestellt bewegt sich auch heute noch der
Hochzeitszug in Agendorf durch die Hauptgasse zur Kirche.
Yoran schreitet, wie in Harkau, die Musikkapelle. Ihr scliliesst sich
in einiger Entfernung- der Bräutigam an. Er trägt seinen Pelz nicht wie
der Harkauer Bräutigam über die Schulter geworfen, sondern angezogen.
Ihm folgen die beiden Betmänner und die beiden Ausgeber Mann für
Mann. Nach ihnen kommen, immer einer hinter dem andern, die übrigen
verheirateten männlichen Hochzeitsgäste, nach ihrem Alter geordnet.
Den Sehluss der Männerreihe bildete gelegentlich der ersten Hochzeit,
die ich im Fasching letzten Jahres in Agendorf mitmachte, der Hoch-
zeitsvater, der Yater des Bräutigams, der derzeitige Richter (Gemeinde-
vorstand) von Agendorf, Andreas Schätz. Dem Hochzeitsvater schliessen
sich die Knaben der beiden Yerwandtschaften an. Jeder ist mit einem
Stäbchen bewehrt (Taf. I, Fig. 2). Den Knaben folgen die Mädchen,
auf diese die Kranzeljungfern (Taf. II, Fig. 3). Ihnen schliessen sich
die Hochzeitsknechte an. Alle tragen sie ihre Pelze über die Schultern
gehängt, und in den Händen halten sie Stöcke wrie die Männer und Knaben.
Zwischen den beiden letzten der Burschen — es sind die beiden Braut-
führer — geht die Braut. Den Sehluss bildet die einzige verheiratete
Frau im ganzen Hochzeitszuge, eine ältere nahe Verwandte der Braut.
Sie trägt, in ein weisses Tuch gehüllt, „die Klag' nach". Was sie im
Tuche trägt, sind — zwei Orangen, die rechts und links auf den Altar
gelegt werden und dem Pfarrer zufallen, und eine kleine Geldspende, die
der Kirche geweiht wird. Was es ehemals für eine Bewandnis mit dem
„Nachtragen der Klage" gehabt haben muss, konnte ich bis jetzt nicht mit
Sicherheit ergründen.
Der im Gänsemarsch heranschreitende imposante Hochzeitszug um-
fasste ausser den 8 Musikanten, dem Bräutigam und der Braut 23 Männer,
23 Knaben, 6 Mädchen, 9 Kranzeljungfern, 9 Burschen, tlie eine verheiratete
Frau und 8 kleinere Kinder, die von einzelnen Männern an der Hand
geführt wurden, im ganzen also 89 Personen.
366
Biinker:
In Agendorf war es noch vor wenigen Jahren Gebrauch, class alle
Burschen des Dorfes, die unter dem Namen „die Bursch" eine Vereinigung
bilden und der bis zum Tage seiner Hochzeit auch jeder Bräutigam an-
gehört, dem aus der Bursch tretenden jungen Manne gelegentlich seines
Ganges zur Trauung eine Ehrenbezeugung leisteten, welche „ Aufwartung"
genannt wurde.
Die Aufwartung bestand darin, dass die Burschen, angethan mit fest-
licher Kleidung und umgürtet mit der „Libre"1) — das ist ein Gürtel in
zumeist weisser und roter oder gelber und roter Farbe, der eine Schür-
macher-Arbeit ist und Ähnlichkeit hat mit der Feldbinde der uno-arischen
o
Honvéd- (Landwehr-) Offiziere — in Abständen von 10—15 Schritten dem
Hochzeitszuge ein vom Brauthause bis zur Kirche reichendes Spalier
bildeten.
In Harkau hat sich der Gebrauch der „Aufwartung" bis auf den
heutigen Tag erhalten, nur wird das Spalier dort nicht auf offener Strasse,
sondern zu beiden Seiten vor dem Kirchenthor gebildet. Für diese Ehren-
bezeugung dankt der Bräutigam der Bursch sowohl in Agendorf, als auch
in Harkau durch ein Viertel (*/4 hl) Wein.
Ist der Hochzeitszug vor der Kirche angekommen, so gehen zwei
Betraute des Bräutigams und zwar der eine zum Pfarrer und der andere
zum Lehrer, um die Ankunft des Hochzeitszuges anzumelden. Auch diese
Meldung geschieht durch eine immer wieder gleichmässig wiederkehrende
Ansprache. Sie lautet in Agendorf folgendermassen:
„Ich werde hergeschickt von meinem lieben Vetter, sowie von seinem
lieben Sohn, welcher sich in den Stand der Ehe begeben will. Sie lassen
Ihnen einen schönen Gruss hereinsagen, und Sie möchten so freundlich
sein, diejenigen Angelegenheiten, welche Ihres Amtes sind, in Ordnung
zu bringen."
Während die übrigen Hochzeitsgäste in der Kirche ihre Plätze ein-
nehmen, bleiben die Hochzeitsknechte noch eine kurze Zeit vor der
Kirchenthüre und tanzen dort, indem sie sich die Hände reichen und einen
Kreis bilden, einen Reigen im Csárdás - Schritt, den sie das „Werben"
nennen. Das Wort und auch die Tanzweise erinnern an den Werbertanz,
der in früherer Zeit durch die die Werbekommission begleitenden Soldaten
aufgeführt wurde. Das Werben wird nach vollzogener Trauung, während
der Zeit, als sich der Zug wieder in derselben Ordnung, wie er gekommen
ist, zusammenstellt, durch die Hochzeitsknechte wiederholt. Meines Wissens
wird dieser eigenartige Tanz, der auch an den slavischen Kolo gemahnt,
nur bei Hochzeiten und im deutschsprachigen Westungarn nur in Agendorf
aufgeführt (s. das Bild Taf. II, Fig. 4).
1) In dem Worte Libre ist jedenfalls das franz. livrée zu erkennen. In Harkau wird
der mit Bändern geschmückte Strauss, den die Burschen an der Mütze tragen, Libre
genannt, man unterscheidet dort eine rote und eine blaue (Trauer-) Libre.
Heanzische Bauernhochzeit
367
Während der Trauungsfeier in der Kirche nehmen in Harkau die
männlichen Hochzeitsgäste auf der einen, die weiblichen auf der anderen
Seite in den ersten Bänken vor dem Altar Platz. Nur der Bräutigam
allein steht und zwar ungefähr 5 Schritte vor dem Altar.
Wird die letzte Strophe eines passenden Chorales gesungen, tritt der
Pfarrer vor den Altar. Dann erheben sich die beiden Brautführer, und
der ältere derselben reicht der Braut den Zipfel eines weissen Tuches.
An diesem Tuche führt er, der Braut voranschreitend, während der zweite
Brautführer ihr folgt, die Braut an die rechte Seite des Bräutigams. Beide
Brautführer umgehen das Brautpaar und kehren, stets hintereinander her-
gehend, wieder auf ihre Plätze zurück.
Nach der Kopulation wird die Braut wieder auf dieselbe Weise auf
ihren Platz geleitet, der Bräutigam aber bleibt stehen, bis der Pfarrer den
Altar verlassen hat und das Schlusslied zu Ende gesungen worden ist.
Yor der Kirchenthüre bildet die Bursch wieder Spalier, lässt den
Hochzeitszug passieren und begleitet ihn dann hinaus durch den Pfarrhof
auf den freien Dorfplatz. Hier veranstaltet die Bursch zu Ehren der Braut
angesichts der ganzen Dorfgemeinde drei Ehrentänze, an denen sich seitens
der Hochzeitsgesellschaft nur die Braut und die Brautjungfern beteiligen.
Die Tänzer sind ausschliesslich Mitglieder der Bursch (s. das Bild Taf. III,
Fig. 5; in der Mitte steht die Braut im Arme eines der Burschen). Die
Kranzeljungfern überreichen gelegentlich der Ehrentänze dem ersten der
Tänzer das Sträusschen, das sie an der Brust getragen haben. Zumeist
ist es wohl immer der Bursche, der das Sträusschen erhält, den das
Mädchen unter allen am liebsten sieht, und oft ist dieses Sträusschen das
erste öffentlich abgelegte Zeugnis dessen, dass das Mädchen dem aus-
gezeichneten Burschen in herzlicher Liebe zugethan ist.
In Ag-endorf werden die drei Ehrentänze erst nach der Rückkehr des
Hochzeitszuges in das Haus des Bräutigams und zwar vor demselben oder
im Hofe desselben getanzt. Hier beteiligen sich aber nur die Braut, die
Kranzeljungfrauen und die Hochzeitsknechte an den Tänzen (s. das Bild
Taf. III, Eig. 6).
Sind die Hochzeitsgäste im Hause des Bräutigams angelangt, so über-
giebt der ältere Brautführer in Harkau dem Bräutigam die Braut mit
folgenden Worten:
„Wertgeschätzter Jungherr Bräutigam! Hier übergebe ich Dir Deine
gegenwärtige Jungfrau Braut, und das Werk, dass Du uns anvertraut hast,
haben wir vollendet. Gott segne Deinen Anfang, Fortgang und Ausgang!"
Vor der Thür des Hauses nimmt dann der Bräutigam die Glück-
wünsche seiner Gäste entgegen.
Der eine der Gäste sagt:
„Fleiss, Redlichkeit und Treue wohnten von jeher in diesem Hause;
sorge, dass dieselben auch fürderhin allhier zu finden seien!"
368
Biinker:
Der andere spricht clie bekannte Liederstrophe:
„Üb' immer Treu und Redlichkeit
Bis an Dein kühles Grab
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab."
Und wenn einer nicht mehr zu sagen weiss, sagt er eben in treu-
herziger Weise:
„Ich wünsch' dir halt auch viel Glück und Gottes reichsten Segen."
Die Gäste gehen hierauf nach Hause, um ihre Feierkleidung abzulegen
und sich leichter zu kleiden. Nach kurzer Zeit erscheinen sie dann wieder
im Hochzeitshause zum Hochzeitsmahle. Die tanzenden Mädchen im Bilde
(Fig. 6) liess ich in der Kleidung aufnehmen, in der sie zum Mahle
kommen. Bs ist die Sonntagstracht. Die Mädchen tragen ein schwarzes
seidenes oder samtenes Miederleibchen, über das ein buntfarbiges, mit
Fransen versehenes Seidentuch geschlungen ist. Die mit gehäkelten Spitzen
versehenen Hemdärmel lassen den Vorderarm frei. Der farbige Rock ist
mit Sammetbordüren versehen und vorn durch die weisse Schürze bedeckt.
In Harkau kommen die Mädchen mit hellen anliegenden Jäckchen
zum Malile. Es ist ein schöner Anblick, die Kranzelmädchen fast alle in
blendend weisser Kleidung vor sich zu sehen.
In der Feierstube des Hauses sind gewöhnlich fünf Tische für je
8—9 Personen gedeckt.
Am 1. Tische, dem Herrentische, sitzen die vier Beistände, der Hoch-
zeitsvater und Brautvater, Pfarrer und Lehrer, oder, wenn diese am Mahle
nicht teilnehmen, zwei oder drei der nächsten männlichen Verwandten;
am 2. Tische nehmen die weiteren verheirateten Männer Platz;
am 3. Tische sitzt die Braut im Tischwinkel auf einem Polster und
mit einem Schemel unter den Füssen und mit ihr noch die Kranzeljungfern;
am 4. Tische sitzen die Brautführer und die Hochzeitsknechte;
am 5. Tische finden die Musikanten Platz.
Der Bräutigam kann sich nicht setzen. Er muss als angehender Haus-
vater seine Gäste bewirten und trägt die Speisen auf. Ihm zur Seite stehen
noch vier „Kellner", meist jungverheiratete Männer, zwei aus der Ver-
wandtschaft des Bräutigams und zwei aus der Freundschaft der Braut.
In Agendorf sitzt der Bräutigam im Ehrenwinkel neben der Braut.
Die Bedienung besorgen dort am ersten Tage die Hochzeitsknechte, am
zweiten Tage die Kranzeljungfern.
Sind die Gäste alle zum Mahle versammelt, so kann mit dem Auf-
tragen der Speisen begonnen werden. Das Mahl besteht aus folgenden
Gerichten, die fast überall dieselben sind und in gleicher Reihenfolge
serviert werden:
1. Rindssuppe mit gerösteten Semmelschnitten,
2. Rindfleisch mit Essigkren (Meerrettich in Essig),
Heanzische Bauernhochzeit.
3. Reis (Reis in Hühnersuppe breiartig gekocht und mit Hühner-
fleisch durchsetzt),
4. Kuttelfleck (Rindermagen in saurer Sauce),
5. Sauerkraut mit aufgelegtem Selchfleisch (geräuchertes Schweine-
fleisch).
Dieser ersten Abteilung des Mahles folgt das Besehe id es sen. Vom
Bescheidessen wird nichts genossen. Jeder Gast bekommt von jedem
Gericht seinen Anteil. Alles legt er auf einem reinen Teller zusammen.
Dieser wird dann, hochgetürmt mit Speisen, in eine Serviette gebunden
und den Familienmitgliedern jedes einzelnen Gastes, die nicht am Hoch-
zeitsmale teilnehmen können, nach Hause geschickt. Das Bescheidessen
besteht aus folgenden Gängen:
6. Rinderbraten (in ganzen Stücken zu 10—15 kg für einen Tisch
aufgetragen),
7. Schweinebraten,
8. Spanferkel (für jeden Tisch eines),
9. Krapfen (auf jeden Tisch kommt eine Schüssel mit so viel Stücken,
dass auf jede Person zwei kommen),
10. Beugel (ringförmiges Gebäck, auf jeden Tisch so viele, dass auf
jeden Gast ein Viertel kommt).
Dein Bescheidessen folgt als dritte Abteilung die Fortsetzung des
eigentlichen Mahles, das aus folgenden weiteren Gängen besteht:
11. gekochte Zwetschken,
12. Triett (Semmelschnitten in warmem gezuckertem Wein),
13. Milchreis (eine Art kalter Pudding aus in Milch gekochtem Reis
mit Zibeben und zerhackten Mandeln),
14. schwarzer Kaffee.
Während des Hochzeitsmahles werden Reden gehalten und allerlei
Kurzweil getrieben. Der Reigen der Reden wird gewöhnlich mit einer
an das Brautpaar gerichteten Ansprache durch den Pfarrer eröffnet. Ihm
folgt gewöhnlich der Lehrer mit einer Rede auf die Eltern des Braut-
O O
paares. Dann rühmt wohl auch der Dorfnotär das Mühen der Beistände,
die einen solch schönen Bund zusammengebracht u. s. w.
Für die Heiterkeit der Gesellschaft haben vor allem die Brautführer
zu sorgen. Sie versäumen es gewiss nie, der Braut in derber Anzüglich-
keit das Schwänzchen eines Spanferkels zu servieren, das die Braut dann
so rasch als möglich unter dem Tische verschwinden lässt, was natürlich
die Lachmuskeln der ganzen Gesellschaft reizt. Oder sie legen unter die
Krapfen, die auf den Tisch der Braut kommen, eine Puppe, die anzeigen
soll, dass man hofft, die Braut werde im nächsten Fasching als junge
Mutter bereits ein Kind in ihren Armen wiegen. Auch tragen die Braut-
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 2O
370
Blinker:
fährer durch heitere Sprüche und Reden viel zur Belustigung der Hoch-
zeitsgesellschaft bei.
Einzelne davon habe ich aus dem geschriebenen Buche des Bauern-
burschen Mathias Lampel, der bei den Hochzeiten, die ich im Februar in
Agendorf mitmachte, Brautführer war, abgeschrieben. Lampel nennt diese
Ansprachen „Sprüche zum Gesundheitstrunk". Er hat sie damals auch
zum Besten gegeben.
Sie lauten :
L
Der Henker hol' die Grillen,
Es lebe guter Wein!
Lasst uns die Gläser füllen
Und ewig- freudig sein.
Hoch lebe das Brautpaar,
Hoch leben die Gast,
Und was Ihr gelobet,
Das haltet auch fest!
Das höchste Gliick
Soll Gott spenden,
Des Herzens Frieden
Niemals enden! Vivat!
Ich wünsche Euch, Ihr trautes Paar,
Von Jahr zu Jahr und immerdar,
Was Euch im Eh'stand nützlich war.
Ihr habt Euch heut im Eh'stand zwar
Wohl mutig eingefunden,
Aber alle AVeit, die weiss es auch,
Da giebt's viele böse Stunden.
Der Herr und Frau macht's oft zu toll,
Drum sage ich Euch beiden,
Wie Ihr Euch verhalten sollt,
Wohl heut beim Hochzeitsschmause.
Das Weib muss nicht zum Fenster stehn,
Nach andern Männern gaffen.
Der Mann hat bloss auf sie zu sehn,
Mit andern nichts zu schaffen.
Der Mann ist Herr, nicht was er will,
II.
Ich kann nicht unterlassen,
Einen freundlichen Trunk zu machen,
Besonders einen, der Euch freut
Samt die Herren Betleut',
Ausgeber und Spielleut',
Samt unsern Jungherrn Bräutigam,
Samt seiner vielgeliebten Jungfrau Braut.
Bräutigamvater und Brautvater,
Herren und Frauen,
Junggesellen und Jungfrauen!
Allen eingeladenen Hochzeitsgästen,
Sämtlichen gute Gesundheit! Vivat!
III.
Muss er zu streng gebieten.
Und brummt er viel,
So schweig Du still
Und halt' Dein Maul in Frieden.
Nun wachsen kleine Kinder an
In Segen und in Ehren,
Der Herr befiehlt es früher schon:
Die Welt, die soll sich mehren!
Da habt dabei nur frohen Mut,
Der sie Euch schenkt, ist immer gut,
Er wird sie Euch ernähren.
Und wenn er Euch dereinstmal scheid't,
Nimmt Gott Euch wieder höchst erfreut
Zusammen in die Ewigkeit.
Spielleut, spielet einen Vivat auf!
Die Musikanten spielen nach jeder Rede und nach jedem Spruch einen
Tusch. Auch das Spanferkel, das Hauptgericht im Hochzeitsmahle, wird
in Agendorf durch die Musikanten mit einem Tusch empfangen. Der
Brautführer hält auch jetzt einen Spruch bereit:
„Weil das Gitscherl (Ferkel) war so keck, Jetzt helft uns, Leute, zu tranchieren,
Und ist in dem Garten g'steckt, Dass sich der Jungherr Bräutigam
Hat uns den Salat gefressen, Und die Jungfrau Braut
Haben wir's in die Bratröhrn g'steckt. Kann's Göscherl (Mund) schmieren."
Heanzisclie Bauernhochzeit.
371
Gegen das Ende des Hochzeitsmahls wird fast bei allen Hochzeiten
die Gesellschaft durch eine falsche Braut belustigt. Gewöhnlich ist es
eine der Köchinnen, die sich mit städtischer Kleidung anthut. Dabei
darf Hut und Schleier nicht fehlen. Letzterer schon deshalb nicht, weil
durch ihn das Gesicht verdeckt und die falsche Braut unerkennbar gemacht
werden muss. Im Arme trägt die falsche Braut eine Puppe, die ein
Wickelkind darstellt. Sie wird durch den Brautführer, einen wortgewandten
„Kellner" oder durch einen witzigen Musikanten in die Stube und mitten
unter die Hochzeitsgäste geführt. Dabei hält ihr Begleiter eine Ansprache,
<lie ungefähr wie die folgende klingt, die ich nach der in Harkau gehörten
aus dem Gedächtnisse niedergeschrieben habe:
„"Wertgeschätzte Hochzeitsgäste! Es wird Euch allen nicht unbekannt
sein, dass unser Jungherr Bräutigam drei Jahre lang als Kanonier beim
Militär gedient hat. Das letzte halbe Jahr brachte er in Trebinje in
Bosnien zu. Ihr wisset es auch alle, dass unseren feschen Kanonieren
die Mädchen gerne zulaufen. So hat sich auch an unseren Jungherrn
Bräutigam eine angemacht, und die Liebschaft ist nicht ohne Folgen
geblieben. Sie hat ein Kind erhalten und sagt, dass es von ihm sei.
Und wenn Ihr das Kind ansehet, dass sie hier bei sich hat. so muss man
es wohl glauben, denn es ist ihm ganz aus dem Gesicht geschnitten.
Es könnte auch einer sagen, dass nach einem halben Jahre noch kein
Kind da sein könne. Da muss ich aber sagen, dass in Bosnien die
Weiber nicht so lange tragen wie bei uns. Dort unten ist es viel
wärmer als bei uns, und darum sind die Kinder schneller ausgebacken.
Sie hat nun in Erfahrung gebracht, dass unser Jungherr Bräutigam in den
Ehestand treten will. Das hat sie aber nicht zugeben wollen, weil
sie ein älteres Anrecht auf ihn hat. Weil aber die Kopulation schon
geschehen und sie um etliche Stunden zu spät gekommen ist, so bittet
sie wenigstens um eine Reiseentschädigung und die ihr gebührenden
Milchkreuzer."
Die falsche Braut geht hierauf ans Sammeln. Sie sammelt die Spenden
— es giebt in der Regel jeder Gast 20—30 Kr. — in einem blechernen
Suppenschöpfer, an den sie fortwährend mit einem Kochlöffel klopft. Das
Erträgnis der Sammlung fällt der „Mundin", der leitenden unter den
Köchinnen zu.
Der Sammlung für die Mundin folgt eine Sammlung für die Musi-
kanten. Auch diese Sammlung wird stets durch eine schnurrige Rede
eingeleitet. Sie wird von einem der Musikanten gehalten. Ein aus Agen-
dorf stammender Bauer, Namens Andreas "Wodl, der nachmals Wirt in
Harkau war und zudem auf Hochzeiten in der Musikkapelle sein Instrument
hlies, hat mir zwei solcher Reden aufgezeichnet. Ich halte sie beide des
Abdruckes wert:
I.
_,Guten Abend, meine Herren! Wir möchten morgen nicht so früh
zusammenkommen, darum sage ich heute so spät, was ich Euch zu sagen
habe.
372
Blinker-:
Wir Musikanten haben uns eine grosse Reise nach Venedig vor-
genommen darum, weil hier die Saiten zu teuer sind. Dort kostet das
Tausend drei Wochen und bei uns vierzehn Tage. Ich hab' lauter arme
Kameraden, obwohl ich aus einem reichen Hause bin, und das ist mein
Unglück. Mein Vater hat ein grosses Haus gehabt, das hatte drei Stock
unter der Erde und einen grossen Hof, dass wir mit einer Scheibtruhe
(Schiebtruhe, Schubkarren) umkehren konnten, wenn wir durch Aufheben
etwas nachhalfen. Mein Vater war ein reicher Kaufmann: vormittags
haben wir das Brot erbettelt und nachmittags verkauft. Ich selbst bin
ein tapferer Kerl, hab' dreizehn Jahr in einem Sommer beim Maikäfer-
krieg mitgemacht. Beim Militär war ich fein montiert, ich habe Felfer1)-
Joppen2) und eine Binsenkappe und einen schleissigen Stallkittel getragen.
Mein Vater hat mir auch viel Geld mitgegeben, 2 Kreuzer grobes und
4 Kreuzer kleines.
Als wir ans Meer kamen, bauten wir uns ein Schiff aus Papier und mit
Rohr einen Segelbaum. Damit sind wir glücklich übers Meer gekommen
und haben uns Saiten gekauft. Als wir dann nach Hause reisten, ist uns
ein grosses Malheur passiert. Da sind wir an einen grossen Breiberg
gekommen. Da war kein anderer Ausweg, wir mussten uns durchgraben.
Wir arbeiteten fleissig, aber je mehr wir wegschafften, desto mehr kam
nachgerutscht. Es blieb nichts übrig, wir mussten in die Stadt und holten
uns beim Lebzelter 200 Mann zu Hilfe und viel Werkzeug: Krampen und
Grabschaufeln. Ich war der Anführer und hatte als solcher den grössten
Krampen. Ich war aber recht unglücklich damit. Auf einmal ist mil-
der Stiel vom Krampen abgegangen und ist mir hinten hineingefahren
und vorn heraus. Auch jetzt steht mir noch ein Trum (Stück) davon
heraus. Obwohl ich viel Geld für Operationen verausgabt habe, konnte
doch kein Doktor diesen Schaden heilen. Endlich sind wir dann durch
den Berg hindurchgekommen. Als wir aber durch waren, standen wir
vor einem grossen Hause, in dem Musik war. Da wollten wir hinein, um
zuzusehen. Weil ich ziemlich die beste Kleidung an hatte und auch der
Tapferste war, ging ich zuerst hinauf. Wie ich aber hinkam, wichen mir
alle Leute aus, weil sie glaubten, ich sei aus einem JNFarrenhause davon-
gelaufen. Es ist wahr, meine Montur war um und um schleissig und in
der Mitte geflickt. Nach einem Augenblick bin ich allein im Zimmer
gewesen und als ich hinauswollte, sah ich, dass sie mich eingesperrt
hatten. Jetzt bin ich da gestanden, wie die Butter in der Sonne. Ich
wusste kein anderes Mittel, bin fort und habe mir einen Kälberstrick
gekauft. Damit habe ich mich durch das Fenster hinabgelassen. Als der
Strick nicht mehr langte, hab' ich losgelassen und bin auf eine Kletten-
staude gefallen. Daran bin ich hängen geblieben und bin drei Tage
darauf gesessen. Als mir die Zeit zu lang geworden ist, bin ich nach
Hause gegangen um Krampen und Grabschaufel und habe die Klettenstaude
ausgegraben, dass ich herabkommen konnte. Ihr könnt Euch denken,
was wir da ausgestanden haben!
Weil wir jetzt aber so glücklich sind, dass wir heute das erste Geschäft
machen können, so thäten wir halt bitten um eine Beisteuer, damit wir
die alten Schulden, die wir auf der Reise gemacht haben, zahlen können-
1) Salweide. — 2) Jacke.
Heanzische Bauernhochzeit.
373.
Reisset dem Beutel die Gosche (Mund) recht auseinander, fahret hinein
bis zum Ellbogen, thut heraus, was darin ist, das andere könnt Ihr
behalten."
IL
„Guten Abend, meine Herren! Wir möchten morgen nicht so früh
zusammenkommen, darum sage ich heute so spät, was ich Euch zu sagen
habe.
Weil das Spielmannsgeschäft so schlecht geht, haben wir einen Vieh-
handel angefangen, haben uns eine Kuh angeschafft, die alle Jahre zwölf
Kälber ausschüttet. Die Kuh hat einen Halmbarren (Scheunenteil, in dem
das Getreide, die Halme aufgespeichert werden) voll Milch gegeben und
einen Stadel voll Rahm. Den Rahm haben wir mit dem Tennrechen
(ein sehr grosser Rechen) abgezogen, aber wenn man kein Glück hat, ist
alles vergebens. Die Kuh hat über Nacht der Nudelbeisser (Puppenräuber,
Calosoma sycophanta) erdrückt, und die Kälber hat der Maikäfer zertreten,
der Stadel hat einen Riss bekommen, und so ist jetzt der ganze Profit
beim Teufel.
Weil wir uns das Geld zum Handel zu leihen genommen haben und
es nicht zurückerstatten konnten, mussten wir vom Hause fort und sind
auf die Reise gegangen. Da sind wir in einen grossen Wald gekommen.
Es standen dort drei Eichen und eine Haselnussstaude. Darin sind wir
uns vergangen, aber nach drei Tagen haben wir doch wieder heraus-
gefunden. Wie wir vom Walde hinauskamen, sahen wir ein grosses
Wasser vor uns. Jetzt war guter Rat teuer. Die Not, sagt man, lehrt
beten und erfinden, wir aber thaten beides nicht. Wir fanden am Ufer
ein Schiff lein, das haben wir gestohlen und wollten damit über das
Wasser fahren. Am Anfang ist's ganz gut gegangen, aber als wir auf
mitter See waren, ist ein grosser Sturm kommen und hätt' uns richtig
das Schiff bald umgeworfen. Zum Glück haben wir aber einen Nackten
bei uns gehabt, dem haben wir unsere Saiten und Instrumente in die
Taschen und den Busen gesteckt, dass nichts nass geworden ist. Dann
hatten wir auch einen Weitseher bei uns. Der hat am Ilmitzer Turm
(Ilmitz, ein Dorf am Neusiedler See) ein einäugiges Mücklein gesehen,
das hat uns schnell einen Fuss herübergestreckt und hinausgezuckt. Könnt
Euch denken, wie froh wir waren! Aber jetzt, was anfangen? Wir waren
alle voll Hunger und Durst. Da mussten wir unseren Feinschmecker zu
Hilfe nehmen. Der ist auch gleich beim Zeug gewesen, hat seine grossen
Nasenlöcher aufgespreizt und hat dieses Haus gefunden, wo wir jetzt sind.
Der Hunger und Durst, meine Herren, ist soweit gestillt. Wir thäten
daher nur noch bitten um eine Unterstützung, dass wir unsere Reise
fortsetzen können. Reisset daher dem Beutel die Gosche recht ausein-
ander, fahrt hinein bis zum Ellbogen, thut heraus was drin ist, das andere
könnt Ihr behalten."
Hat die Sammlung für die Musikanten ihren Abschluss erreicht — *
jeder Hochzeitsgast giebt gewöhnlich 1 oder 2 H. — so hält jener Musikant,
tier um die Beisteuer bat, auch eine Danksagung. Andreas Wödl zeichnete
mir çiuch diese auf. Sie lautet auf beide Reden gleich und zwar wie
folgt:
374
Bunker:
„Wir danken, meine Herren, für die Beisteuer. Wir werden schauen,
dass wir die Schulden bezahlen können. Wenn was übrig- bleibt, so
werden wir es schon zurückgeben. Wenn Euch aber der Kopf früher
nicht weh thut, als bis Ihr was zurück bekommt, werdet Ihr Euer Leben
lang keinen Doktor brauchen."
Mit dem Abschlüsse der eben mitgeteilten Belustigungen und heiteren
Reden erreicht gewöhnlich auch das Hochzeitsmahl sein Ende. Nachdem
das letzte Gericht aufgetragen und verzehrt worden ist, spricht in Harkau
einer der Betmänner folgende Danksagung:
„Vielgeliebte Herren und Frauen! Da durch Gott, den Allmächtigen,
das Werk dieser Feierlichkeit so weit gelungen ist, dass von uns ehr-
samen vier Männern als bekräftigende Zeugen ein ehrliches Ehebündnis
geschlossen ist, welches heute durch den Priester öffentlich bestätigt und
eingesegnet wurde, allwo nun zwei Glieder in einer Liebe wandeln, zu
dem Ende konnte deshalb unser lieber Hochzeitsvater N. N., nebst seiner
lieben Ehewirtin aus Liebe zu ihrem Sohne nicht unterlassen, ihm einen
christlichen Ehrentag anzustellen und zwar den heutigen Tag, zu welchem
wir alle, nämlich Herren und Frauen, Junggesellen und Jungfrauen, sowie
auch die Herren Musikanten hier öffentlich versammelt sind. Alles dieses
so zu veranstalten und in Ausführung zu bringen, hat er vor etlichen
Stunden durch seine ausgeschickten Boten uns all bereits Gegenwärtigen
einwürdigen lassen, um die verlobten Personen aus ihrer Behausung zur
heiligen Kopulation in die Kirche, als an den Ort, wo Gottes Ehre wohnet,
um dort dem Höchsten ihr Gelübde zu thun, zu begleiten und von dort
wieder in diese Behausung, allwo wir jetzt sein, da er uns vortragen liess
Speis' und Trank, welche ihm Gott durch meinen gnadenreichen Segen
bescheret und gegeben hat.
Weil nun dies alles, war es jetzt viel oder wenig, unser Hochzeitsvater
aus liebevollem Herzen dargereicht, so bittet er, es möchte sich jeder damit
begnügen lassen.
Ehe ich meine kürzen Worte schliesse, so will ich, zu erinnern des
Gebers, von dem alle guten und vollkommenen Gaben herabkommen,
nicht vergessen. Und ihm solches zu danken und ihn zu loben, so lasset
uns einstimmen in den Gesang:
Du schenkst uns, Gott, so väterlich
Jetzt Speis' und Trank so gnädiglich u. s. w."
Nach der Danksagung folgt die Einleitung zum Tanze in einer Auf-
forderung der Braut durch den Brautführer zum Ehrentanz. Die Anrede,
welche hierbei gehalten wird, hat sich meines Wissens in Mörbisch am
besten erhalten, es sei deshalb eine solche aus diesem Orte, die mir mein
Kollege S. Kurz vermittelt hat, mitgeteilt. Der Brautführerr tritt vor un<l
spri cht :
„Ich wünsche den ehrsamen Herren, Frauen und Jungfrauen einen
guten Abend. In Ehren bitte ich die Herren, ich hätte ein Wort oder
zwei vorzubringen, ob sie es schon wollten anhören oder nicht.
Schickt mich der Jungherr Bräutigam zu seiner ehr- und tugendsanien
Jungfrau Braut und lässt ihr einen guten Abend anmelden.
Heauzisclie Bauernhochzeit.
375
Hat er mich bestellt
Und erwählt
Auf seinen christlichen Ehrentag,
Dass ich mit seiner Jungfrau Braut
Ein paar "Worte vorhaben mag.
Weil es aber anders
Nicht mag sein,
So nimm ich mir dazu
Ein Glas mit Wein,
Welcher gewachsen ist
Zu Köln am Rhein.
Ist er nicht gewachsen
Zu Köln am Rhein,
So ist er doch gewachsen
Unter Sonn- und Mondenschein.
Griiss ich die Jungfrau Braut
In dem Rosengarten,
Wo ich allzeit schuldig bin,
Ihr aufzuwarten.
Gute Gesundheit wünsche ich dem Jungherrn Bräutigam, sowie auch
seiner ehr- und tugendsamen Jungfrau Braut.
[Gute Gesundheit wünsche ich dem hochwürdigen geistlichen Herrn,
samt seiner Frau und Familie. Sie leben hoch! Yivat!
Gute Gesundheit wünsche ich dem alten Herrn Lehrer, samt seiner
Frau und Familie. Sie leben hoch! Vivat!
Gute Gesundheit wünsche ich dem jungen Herrn Lehrer. Er lebe
hoch! Yivat!]2)
Gute Gesundheit wünsche ich den Kranzeljungfrauen!
Sie sollen leben, Diese Bahn
Gott aber wolle Mit dem Ehestand
Ihnen die Freude geben, Treten an. Yivat!
Dass sie auch möchten
Gute Gesundheit wünsche ich den beiden Hochzeitsvätern und Hoch-
zeitsmüttern! Gott wolle sie auch ferner behüten, dass sie alle ihre
übrigen Kinder so glücklich verheiraten in Ehren. Yivat!
Gute Gesundheit wünsch' ich allen übrigen Hochzeitsgästen und Hoch-
zeitsfreunden. Gott wolle sie auch ferner begleiten,
Gute Gesundheit wünsch ich den Köchinnen und Kuchelweibern, die
draussen bei dem Feuer stehn.
Wir thun ihnen einen schuldigen Dank sagen,
Für die Speisen, die sie uns so gut bereitet haben. Yivat!
Er hat sich was Schönes ausersehn
Und was er sich gewünscht,
Das liess ihm Gott geschehn.
Aber dass sein Ehestand
Nicht in Wehestand
Mög' Übergehn,
Das soll und kann man
An allen Dingen sehn. Yivat!1)
Gute Gesundheit wünsch' ich
Den Beiständen und Beistandsfrauen,
Die uns heut geholfen haben
Den Ehrentag erbauen.
Wir thun ihnen
Einen schuldigen Dank sagen
Für den Dienst,
Den sie dem Brautpaar erwiesen haben.
Yivat!
Dass sie in Fried' und Ruh'
Ihre Lebenszeit bringen zu.
1) Nach jedem „Yivat" spielt die Musik einen Tusch.
2) Die eingeklammerten Stellen werden nur gesprochen, wenn die Betreffenden an
der Hochzeit anwesend sind.
376
Bünker:
Gute Gesundheit unserem dienstfertigen Kellner.
Er soll nur brav und fleissig sein,
Damit es uns nicht fehlt an gutem Wein. Vivat!
Gute Gesundheit wünsche ich der alten und neuen Freundschaft.
Sie sollen leben Und wenn wir jenseits des Grabes
Gott aber wolle ihnen die Freude geben, Einst wieder auferstehen,
Dass sie bis zum Tod So sollen sie sich auch im Himmel
Als gute Freunde leben. Wieder als Freunde sehen. Vivat!
Die Herren Musikanten,
Ich glaub', sie sind noch vorhanden,
Thun Sie Ihr Zeug nicht verschonen,
Wenn wir ein übriges Geld haben,
Werden wir Euch belohnen. Vivat!
Und auf mich hätt' ich bald vergessen. Ich trink' mir auch eine gute
Gesundheit zu.
Gott aber, der Allerhöchste,
Helfe mir dazu,
Dass ich bald kann treten
In die Brautpaar-Schuh'. Vivat!
Also bitt ich die Herren und Frauen, Auf drei christliche Ehrentanz.
Jungfrauen und Junggesellen, Ist die Braut schwach und krank,
Sie möchten sich ein wenig So geht sie leise nach der Bank.
Auf die Seite stellen, Ist sie aber frisch und wohl bei Mut,
Und die Jungfrau Braut So tritt sie her auf meinen Hut,
Mit ihrem grünen Kranz Tritt sie aber daneben,
Hervortreten lassen Muss sie mir drei Reichsthaler geben."
Nach dieser Aufforderung legt der Brautführer seinen Hut auf den
Tisch. Die Braut steigt auf den Tisch und auf den Hut tretend, steigt
sie auf einen bereitstehenden Stuhl herab, von dem sie zu Boden springt.
Nicht minder originell ist die Aufforderung des Brautführers zum
Elirentanze, wie sie bei den Heanzen des Eisenburger Komitates gesprochen
wird und wie eine solche Frau Irene Thirring-Waisbecker aus Jabing bei
Oberwarth aufgezeichnet hat.1) In Jabing muss der Brautführer den
Hochzeitsvater, der am Ehrentage die Stelle des Brautvaters vertritt
und Trauzeuge der Braut ist, erst um die Erlaubnis bitten, den Ehrentanz
beginnen zu können. Er thut dies dort durch die im nachfolgenden
wiedergegeb on e Ansprache :
„Mein lieber Herr Hausvater, Der Hausvater glaubt,
Ich steh' wohl bei der Thür. Ich trau' mich nicht herfür."
Der Bursche tritt dann an den Tisch heran und setzt fort:
„Ich steh' wohl bei dem Tisch,
Der Herr Hausvater hat das Maul
Nicht abgewischt.
1) Vgl. „Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn", JBd. Y, Heft 1—3, S. Ii).
Heanzische Bauernhochzeit.
377
Mein lieber Herr Hausvater, ich bin heute schon weit unci breit herum-
gelaufen und habe noch keinen guten Freund angetroffen. Ich bin ge-
kommen auf einen kleinen Berg, vom kleinen Berg auf einen hohen Berg,
da hab' ich von weitem einen Feigenbaum gesehen und diesem bin ich
zugeeilt und zugelaufen. Und wie ich in die Nähe gekommen bin, da
hat sich ein Ast heruntergebogen und hat mich in das Hochzeitshaus
hereingeschoben. Und da bin ich flink herumgelaufen, da habe ich eine
bei der Tafel erkannt, auf die wollt ich mich spitzen und steifen, und ich
hoffe, das wird die Jungfrau Braut sein. Wenn mir der Herr Hausvater
möcht erlauben die Jungfrau Braut auf drei christliche Ehrentänz', so
spendiere ich dem Herrn Hausvater einen Birnbaum. Der Birnbaum steht
halbscheid Hälfte auf meiner Seite und Hälfte auf dem Herrn Hausvater
seiner Seite.
Und wenn mir aber der Hausvater
Die ehrsame Jungfrau Braut thut erlauben,
So kann er auf seiner Seite und meiner Seite
Die Birn' zusammenklauben.
Der Herr Hausvater ist ein rechter Lump. Wie ich die Birn' hab'
wollen zusammenklauben, hat's der Hausvater schon auf dem Boden
(Dachboden) gehabt.
Wenn mir der Herr Hausvater die Braut thut erlauben, so spendiere
ich ihm noch einen Birnbaum.
Der Birnbaum ist ein dürrer Kränken,
Dennoch hat jede Birn einen Zenken.
Wenn mir der Herr Hausvater die Braut noch nicht will vertrauen, so
spendiere ich dem Herrn Hausvater ein Paar Ochsen.
Die Ochsen haben lange G'hürn1),
Sie werden dem Herrn Hausvater die Birn"
Vom Kopf herunterstürn2).
Wenn mir der Herr Hausvater
Die Jungfrau Braut thut erlauben,
So spendiere ich. ihm vier Pferd',
Ist ein jedes 1000 Gulden wert."
Der Hausvater will ihm die Braut noch nicht überlassen. Der Bursche
fährt darum fort:
„Ich weiss nicht, kennt mich der Herr Hausvater nicht? Ich habe ihn
von damals erkannt, wie wir alle zwei sind heruntergegangen über die
roten Fichten, wie der Herr Hausvater die scheckige Kuh hat gestohlen.
Der Herr Hausvater hat gezogen
Und ich hab' geschoben,
Und wenn s'_ den Herrn Hausvater
Thun reissen und schlagen,
Bin ich auch nicht faul,
Prügel zu tragen.
Der Herr Hausvater ist ziemlich stolz,
Ich glaub', er ist wie von Rinden und von Holz.
1) Gehörn =. Hörner. — w2) herabstossen.
378
Bunker:
Wenn mir der Herr Hausvater die Jungfrau Braut noch nicht will ver-
trauen, so will ich dem Herrn Hausvater drei Bürgen aufstellen:
Der 1. Gott Vater, der 2. Gott Sohn,
Her 3. Gott heiliger Geist,
Welchen die ganze Schöpfung preist."
Jetzt sagt der Hausvater: „Es ist erlaubt."
Der Junggeselle schwenkt ein Glas Wein in der Hand und spricht
dabei zur Braut:
„Ich habe ein Glas Wein, Ihre fünf Finger durchscheint.
Der ist gewachsen Und wenn die Jungfrau Braut
Zwischen Sonn- und Mondenschein. Von mir einen Trunk annehmen möcht',
Der ist so klar und fein, Dann wüsste ich,
Dass er durch der Jungfrau Braut Dass ich ihr nicht bin zu schlecht."
Die Braut greift nach dem Glase, der Brautführer zieht es aber schnell
zurück, indem er weiter spricht:
„Halt, ich kann den Wein nicht lassen,
Ich muss ihn selber kosten."
Er trinkt hierauf ein wenig davon, dann setzt er, indem er seineil
Hut auf den Tisch legt, seine Rede fort:
„Ist die Braut krank,
So steigt sie über die Bank.
Ist die Braut frisch,
So steigt sie über den Tisch.
Ist sie aber frisch und wohl bei gutem Mut,
So steigt sie über meinen schwarzbraunen Federhut."
Wenn die Braut über den Tisch schreitet, inuss sie bedacht sein, dass
sie nicht etwa eine Flasche oder ein Glas umwirft. Dies gebe Anlass zu
bösen, zumeist scharf anzüglichen Bemerkungen. Ist sie aber glücklich
und ohne Unfall über den Tisch hinweggekommen, so ist ihr das ein
gutes Zeichen für die Zukunft, und sie wird mit Jubel in der Mitte der
Gäste aufgenommen.
Jetzt werden rasch die Tische, Bänke und Stühle aus der Stube ent-
fernt, und der Ehrentanz beginnt. Sowohl in der Aufforderung aus Mörbisch,
als auch in der aus Jabing ist von „drei christlichen Ehrentänzen" die
Rede. In Oberschützen bei Pinkafeld (Eisenburger Komitat) bittet der
Brautführer auch um drei Ehrentänze und setzt dazu: „Den ersten für
mich, den zweiten für den Herrn Bräutigam und den dritten für alle ehr-
samen Hochzeitsgäste" (vgl. weiter unten). Es ist dies aber nicht so zu
verstehen, als ob die Braut nur drei Tänze zu tanzen hätte, wobei sie
durch den ersten den Brautführer, durch den zweiten den Bräutigam und
durch den dritten alle übrigen Hochzeitsgäste zu ehren hätte. Sie tanzt
den ersten Tanz mit dem Brautführer, den zweiten aber nicht mit dem
Bräutigam, sondern mit ihrem eigenen Yater, den dritten mit dem Vater
des Bräutigams, die nächsten Runden mit den Betmännern, dann weiter
Heanzische Bauernhochzeit.
379
mit den Ausgebern, ferner mit den weiteren verheirateten Männern ihrem
Alter nach, zum Ende noch mit jedem der Hochzeitskueclite und ganz
zuletzt mit dem Bräutigam, der allen anderen den Vortritt lassen muss.
Der Ehrentanz dauert gewöhnlich eine ganze Stunde lang, doch wird er
in gemessenem Tempo getanzt, so dass die von Arm zu Arm wandernde
Braut kaum merklich ermüdet.
Wenn der Ehrentanz y-u Ende getanzt worden ist, wird der Tanz
allgemein. In manchen Orten wird er um die Mitternachtsstunde unter-
brochen. Da und dort hat sich nämlich noch die alte Sitte des „Kranzel-
Abtauzens" erhalten, so z. B. auch in Oberschützen bei Pinkafeld. Der
Brautführer hat zur Einleitung des Kranzeï-Abtanzens wieder eine An-
sprache zu halten. Ich habe dieselbe in Oberschützen aus einem ge-
schriebenen Buche („Omnibus") des Landmaunes Tobias Posch aufgezeichnet.
Sie lautet:
„Herr Vetter1) Ausgeber, wenn ich die Erlaubnis hätte, der Jungfrau
Braut ihren grünen Kranz von ihrem Haupte zu nehmen und denselben
ihr nimmermehr aufzusetzen:1 Vivat!"
(Wird noch zweimal wiederholt; auf jedes Vivat spielt die Musik einen
Tusch. Nachdem der dritte Tusch erfolgt ist, nimmt der Brautführer der
Braut den kleinen grünen Rosmarinkranz vom Kopfe herab und spricht
dann weiter) :
„Nun, Jungfrau Braut, sieh' an diesen Deinen schönen grünen Kranz,
den Du Dir in Deiner Jugend so schön gezieret und gepflanzet hast. 1st
das nicht ein schöner Kranz, den man in der Jugend zieren und pilanzen
kann? Denn nicht jede Braut kann einen solchen grünen Kranz auf
ihrem Haupte tragen. Vivat!
So wenig soll (fürderhin) die Jungfrau Braut einen grünen Kranz auf
ihrem Haupte tragen, als dürre Disteln rote Rosen tragen; eher werden
dürre Disteln rote Rosen tragen, als die Jungfrau Braut einen grünen
Kranz auf ihrem Haupte trägt. Vivat!
Jetzt, Jungfrau Braut, musst Du alle Burschen meiden
Und musst bei Deinem Mann verbleiben.
Und Du, Herr Bräutigam, alle Mädchen meiden
Und musst bei Deinem Weib verbleiben. Vivat!
Jetzt heisst's Kranzerl weg und Häuberl her,
Jungfrau g'west und nimmermehr!
Und wenn sie gleich kein' Jungfrau ist,
So ist sie doch ein Weiberl,
Und trägt sie gleich kein Kranzerl nicht,
So trägt sie doch ein Häuberl. Vivat!
Nun, Herr Vetter Ausgeber, ich möchte mir unterthänigst ausbitten,
wenn ich die Erlaubnis hätte, die Jungfrau Braut auf drei christliche
Ehrentänz aufzufordern und zwar:
1) In vielen Orten des deutschen AVestungarn werden ältere Männer von jüngeren
und Kindern mit „Vetter' angesprochen.
380
Biuiker:
den ersten-für mich,
den zweiten für den Herrn Bräutigam, und
den dritten für alle ehrsamen Hochzeitsgäste. Vivat!"
Die Braut geht im Tanze wieder von Arm zu Arm in der oben
geschilderten Weise, bis die Reihe der Tanzenden mit dem Bräutigam
schliesst.
In Mariasdorf bei Oberschützen wurde das Kranzel-Abtanzen noch
vor wenigen Jahren in einer Weise abgeschlossen, die mir sonst ron
keinem anderen Dorfe bisher nachgewiesen worden ist.
Sollte nämlich zum Schlüsse im Tanzen mit der Braut die Reihe an
den Bräutigam kommen, so bekam jede der Kranzeljungfern eine brennende
Kerze in die Hand, alle anderen Lichter in der Stube aber wurden aus-
gelöscht. Mit den brennenden Kerzen in der Hand bildeten die Kranzel-
jungfern einen Kreis um die Braut, und der Bräutigam musste sich auf
die Zeit der Vorbereitungen in das Vorhaus oder in ein an das Zimmer
stossendes Stübchen begeben. Auf ein Zeichen des Brautführers begannen
die Musikanten zu spielen. Bei den ersten Klängen der Musik stürzte
dann der Bräutigam in das Zimmer, um die Braut zu erhaschen. Sobald
jedoch die Thüre aufging, verlöschten die Mädchen ihre Kerzen. Es war
dann zumeist der Fall, dass der Bräutigam statt der Braut eines der
Kranzelmädchen erfasste. Wurden die Lichter wieder angebrannt, und
hielt der Bräutigam gar eine alte Frau statt der Braut in den Armen, so
war natürlich des Lachens kein Ende. Die Braut aber war mittlerweile
im Dunkeln entwischt und der Bräutigam war genötigt, nach ihr auf die
Suche zu gehen, bis er sie unter dem erneuten Jubel der ihn Begleitenden
in der Küche hinter dem Herde hockend oder im zweiten Zimmer in
einem Schrank stehend entdeckte. Jetzt erst konnte der Bräutigam mit
ihr den zweiten Ehrentanz vollführen. Dauerte er dem jungen Volke
etwas lang, so mischte sich bald ein Paar nach dem anderen in den frohen
Reigen, so dass der Tanz wieder allgemein wurde und erst im Tagwerden
sein Ende fand.
So endet der Ehrentag eines heanzischen Brautpaares. Die Hochzeit
ist hiermit, besonders wenn das Paar wohlhabenderen Häusern entstammt,
noch keineswegs zu Ende. Die Vorräte sind noch lange nicht alle auf-
gezehrt, und da um die Faschingszeit die Arbeit in Feld und Flur noch
ruht, im Hause aber alles auf das beste bestellt ist, so kann es sich der
Bauer gestatten, noch weiter zu feiern.
Um 10 Uhr vormittags versammelt sich am zweiten Tage die ganze
Hochzeitsgesellschaft wieder im Hause des Bräutigams. Die Tische sind
bereits gedeckt und die Flaschen und Weinkrüge gefüllt. Man setzt sich
wieder zum Mahle. Die Gänge werden in gleicher Zahl und in gleicher
Reihenfolge aufgetragen, wie am vorhergehenden Tage. Bedienen bei
«iner Hochzeit in Agendorf am ersten Tage die Hochzeitsknechte, so
Heanzische Bauernhochzeit.
381
werden sie am zweiten Tage durch die Kranzeljungfern in dieser Arbeit
abgelöst. Nach dem Mahle beginnt wieder der Tanz. Es kommt wohl
vor, dass sich die älteren der Männer in das zweite Zimmer zurückziehen,
beim Weinglase ein Spielchen zu spielen, die Genieindeangelegenheiten
besprechen oder sich gar mit Politik befassen-, sie halten es dabei aber'
nicht lange aus. Das heanzische Volk tanzt ausserordentlich gern, und so
iiiischen sich denn gar bald unter die jugendlichen Paare auch wieder die
gesetzten Männer mit ihren Frauen. Auch die Grossmutter ziert sich nicht
lange und tritt ein in den Reigen, geführt vielleicht von ihrem Enkel-
sohne. Dabei dreht sich alles so schön und gemessen, ohne Hasten und
Aufregung. Ist die Art, wie sich die Paare umschlungen halten, wohl
nicht überall schön (s. das Bild Fig. 6), so habe ich in bäuerlichen Kreisen
doch noch nie so würdevoll und gewandt tanzen sehen, wrie bei unseren
Heanzen. Am zweiten Hochzeitstage währt der Tanz gewöhnlich bis 2
oder 3 Uhr nach Mitternacht.
Der dritte Tag ist der Tag des „Hausierens". Die Hochzeitsgesell-
schaft versammelt sich wieder im Hause des Bräutigams. Von da aus
geht die ganze Gesellschaft mit der Musikkapelle an der Spitze der Reihe
nach in jedes der Häuser, aus dem Gäste an der Hochzeit teilgenommen
haben. Überall wird getanzt, und die Einkehrenden w-erden mit
„Geselchtem" (geräuchertes Schweinefleisch), Brot und Wein bewirtet.
Schliesslich kehrt die Gesellschaft wieder in das Hochzeitshaus zurück,
woselbst der Tanz fortgesetzt wird. Um Mitternacht des dritten Tages
erreichen endlich Tanz und Fest ihr Ende.
Erst jetzt können sich Bräutigam und Braut voll und ganz angehören.
Als Heimstätte wird den Jungvermählten in der Regel die „hintere Stube"
im Vaterhause des Bräutigams angewiesen, während die Eltern des Bräutigams
die gegen die Gasse gerichtete „Feierstube" beziehen. Die zwischen den
Stuben gelegenen beiden Räume: die Küche und der vor ihr liegende
Vorraum (Lab'm — Laube) werden gemeinschaftlich benutzt. Die jungen
Leute bewirtschaften dann das ihnen übergebene Heiratsgut, und das Er-
trägnis desselben bildet ihr oft freilich recht karg bemessenes Einkommen,
bis der junge Mann oder die junge Frau das Gut der Eltern oder einen
Teil desselben als Erbe überkommt.
Zum Schlüsse mag hier noch erwähnt werden, dass auf dem ganzen
heanzischen Gebiete dem Brautpaare nur dann ein „Ehrentag angestellt
werden kann", wenn die Brautleute beide „ehrlich" sind, d. h. wenn das
Verhältnis zwischen beiden — im Auge der Öffentlichkeit wenigstens —
ein sittlich reines wTar.
Ich sah vor einigen Jahren in Agendorf ein Brautpaar zur Kirche
schreiten, das sich nicht mehr „ehrlich" nennen durfte, denn die Braut
war durch den Bräutigam zu Fall gebracht worden. So musste sie denn
ohne den bräutlichen Kranz, ohne Musik und ohne „Aufwartung" angesichts
Polívka :
■des Dorfes cien schweren Gang- zur Kirche antreten. Im Gefolge des
Brautpaares befanden sich nur zwei Trauzeug-en.
Wie traurig nahmen sicli diese wenigen, gesenkten Hauptes einher-
schreitenden Personen aus im Vergleich zu dem unter Musik und Gejauclize
ihm auf den Schritt folgenden grossen Hochzeitszuge eines „ehrlichen"
Brautpaares, das ich zu gleicher Zeit der Kirche zustreben sah!
Die Kosten einer „ehrlichen" heanzischen Bauernhochzeit, wie ich sie
im vorstehenden beschrieben, belaufen sich, wie ich mir von Eingeweihten
mitteilen liess, bei mittelmässig bemittelten Bauern auf 2—300 fi., bei
reicheren dagegen selbst auf 4—600 fl. Es soll durchaus kein seltener Fall
sein, dass bei einer Hochzeit, welche, wie die beschriebene, nach alter Ge-
pflogenheit drei Tage dauert, an Wein allein f>—6 hl aufgebraucht werden.
Iis ist darum kein Wunder, wenn der heanzische Bauer schon im
Hinblick auf diese hohen, durch eine Hochzeit herbeigeführten Auslagen,
noch mehr aber mit Rücksicht auf die schweren wirtschaftlichen Verhält-
nisse, in denen er lebt und auf die ja eingangs hingewiesen wurde, in
-derb-komischer Weise sagt:
„Heiraten ist kein Pferdekauf,
Lümmel, mach' die Augen auf!"
Odenburo- in Ungarn.
o o
Tom Tit Tot.
Ein Beitrag zur vergleichenden Märchenkunde von (t. Polívka.
(Schluss von S. 272.)
Ein nicht unwichtiges Motiv müssen wir besonders hervorheben, das
wir bei unserer Gruppierung nicht berücksichtigen konnten, nachdem wir
hierbei auf andere, unserer Meinung nach wichtigere Motive mehr Riick-
-siclit nehmen mussten.
In einigen Erzählungen nämlich, und zwar in der geringeren Anzahl,
sagt das überirdische Wesen selbst seinen Namen und verlangt bloss, dass
sich der Mensch denselben bis zu einer gewissen Frist merke, in anderen
Erzählungen muss aber der Namen erraten werden. Wenn wir hiernach
die aufgezählten Erzählungen gruppieren wollten, so kämen in die 1. Gruppe:
Lh, F1, F2, Dd, B, Dnö1, Dnö2, Dnö4, F9, Dtb, Dta und teil-
weise Cb; und in die 2. Gruppe:
Itt, Sic, Itm, Engl, Cm, Csl, Mag, Dh1, Dh2, Dw\ Maz,
Schw, F3, F4, F°, F6, F7, F8, Dhp, Dhz1, Dp2, P, I>1, Lit, Dhp',
Ds, Du, Dp3, Dsi, Dschl, Dschl2, Dt, Dt2, Dh3, Dns2, Dnö3, Dt3,
■Schw2, I)n-öB, Sc, teilweise Dhz2 und Dns.
Tom Tit Tot.
383
In einigen Erzählungen haben wir ein Motiv gefunden, das, wie wir
bereits bemerkten, aus einem anderen verwandten Märchenstoff herüber-
genommen wurde.
So halfen in Dp2 drei alte Hexen dem Mädchen spinnen den zweiten
Tag, nachdem den ersten Tag ein Zwerg geholfen hat; ähnlich P, bloss
die drei Spinnerinnen. In Cm schickte der Zwerg dem Mädchen sieben
schmierige Spinner, die zur Hochzeit geladen werden sollten und so
schmierig von lauter Spinnen waren. Wie verunstaltend übermässiges
Spinnen wirkt, wird auch dem Ehegemahl vordemonstriert, so in Itt, Itm;
in Mag kamen drei hässliche Bettlerinnen, die vom Spinnen verunstaltet
waren, zur Hochzeit, obzwar sie früher gar nicht in das Geschick der Braut
eingriffen.
Dieses Märchen ist ebenfalls sehr bekannt in Süd-, West- und Centrai-
Europa, drang auch weiter nach Osten durch als das erste, doch nur ver-
einzelt. Schriftlich ist es schon im 17. Jahrh. aufgezeichnet worden. Es
erzählt dasselbe bereits Prätorius1) (Pr) in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh.:
Ein Mann heiratete ein Mädchen, welches die Mutter schlug, weil sie es
vom Spinnen nicht losbringen konnte, und weil es mehr Flachs verspann,
als ihm die Mutter geben konnte. Der Bräutigam brachte dem Mädchen
gleich einen grossen Haufen Flachs. Erschrocken hebt die Braut den
Flachs in der Kammer auf und sinnt nach, was sie beginnen soll. Indem
erscheinen unter ihrem Fenster drei Weiber. Die eine ist so breit vom
Sitzen, dass sie nicht durch die Thür kann, die zweite hat eine ungeheuere
Nase, die dritte einen breiten Daumen. Sie bieten ihre Dienste an und
versprechen, allen Flachs aufzuspinnen und bitten sich nur aus, zur Hoch-
zeitstafel als Muhmen der Braut geladen zu werden. Als dann der
Bräutigam erfährt, dass die „Muhmen" so vom Spinnen verunstaltet sind,
verbietet er seiner Braut das Spinnen.
Früher noch, bereits am Anfange des 17. Jahrh., bearbeitete dieses
Märchen der neapolitanische Novellist Giambattista Basile2) (Pent) natürlich
in seiner halb humoristischen, halb zur Satire geneigten witzigen Weise
und verwischte gänzlich dessen mythologischen Charakter. Er erzählt:
Ein altes Weib bettelte sieben Speckschwarten und eine Schürze voll
Späne zusammen und befahl ihrer Tochter, sie zu kochen. Kaum kochten
sie aber, als das Mädchen nicht widerstehen konnte und alle Speckschwarten
aufass. An ihrer Stelle zerschnitt sie eine alte Schuhsohle in sieben Stücke
und steckte diese in den Topf. Die Mutter liess sich aber nicht täuschen
und schlug deswegen grausam ihre Tochter. Einem Kaufmann, der eben
vorüberging, sagte sie, sie schlüge sie, weil sie zu viel arbeite, in der
1) Der abenteuerliche Glückstopf 16G9, Grimm, KHM. HF, 24.
2) Der Pentamerone oder das Märchen aller Märchen von Giambattista Basile. Aus
dein Neapolitanischen übertragen von Felix Liebrecht. II, 1846, S. 41 f.
Polívka:
Frühe bereits sieben Spindeln voll spinne und dadurch ihre Gesundheit
schädige, da sie auf Monate erkranken und grosse Auslagen für den Arzt
verursachen könnte. Der Kaufmann heiratete das so gelobte fleissige
Mädchen. Als er Saporita in sein Haus einführte, kaufte er am Markt
"20 Gebund Flachs und versprach ihr eine reichliche Belohnung, wenn er
in "20 Tagen etwa vom Jahrmarkte zurückkehrend allen Flachs gesponnen
vorfinde. Die junge Frau war aber nichts weniger als fleissig, sondern
sehr faul und genäschig. Als nun ihr Mann nach Hause zurückkehren
sollte, dachte sie nach, was anfangen, wenn ihr Gemahl den Flachs un-
berührt, die Kasten und Krüge aber leer finde. Sie nahm eine lange
Stange, wickelte daran ein ganzes Gebund Flachs mit allem Werg, steckte
einen Kürbis auf eine grosse Gabel, band die Stange an das Dach und
liess eine kolossale Spindel vom Dache hinunter; ein grosser Kessel mit
Maccaronibrühe diente ihr als ein Topf Wasser und begann dann so fein
zu spinnen, als ob sie Schiffstaue machen würde. Da kamen drei Feen
hinzu und ergötzten sich so an diesem Schauspiel und lachten so sehr,
dass sie fast barsten; zum Danke wünschten sie der Spinnerin, dass der
ganze Flachs sogleich in fertige weisse Leinwand verwandelt werde. Als
nun ihre Arbeit so im Nu fertig war, dachte sie nach, wie sie das anstellen
möchte, dass sie ihr Mann nie mehr mit einer solchen Arbeit belästige.
Sie erdachte eine eigene List: sie schüttete das Bett voll Nüsse, legte sich
darauf, und als der Mann kam, fing sie so zu jammern und sich herum-
zuwerfen an, dass sie die Nüsse zerbrach und man glauben konnte, es
krachten ihre Rippen so. Sie klagte dem Manne, es sei ihr sehr schlecht,
sie sei von der Arbeit so zerschlagen, dass kein Knochen in ihrem Körper
ganz blieb. Der erschreckte Gatte lief sogleich nach dem Doktor, während
dem ass sie alle Nüsse auf und warf die Schalen durch das Fenster hinaus.
Der Doktor fand freilich keine Krankheit, aber der besorgte Gemahl war
nicht zufrieden und wollte nach einem anderen Doktor schicken. Saporita
beruhigte ihn aber, der Anblick des Doktors habe sie schon geheilt, es
fehle ihr nichts mehr. Arbeiten durfte sie nun nicht mehr.
Wie viel an dieser Erzählung echt volkstümlich ist, dem Volke treu
entnommen, und wieviel der selbständigen Erfindung des Verfassers zuzu-
schreiben, lässt sich schwer bestimmen. Wir glauben liier ein ziemlich
stark umgearbeitetes Volksmärchen vor uns zu haben. Es ist freilich sehr
bemerkenswert, dass einige italienische Versionen einzelne ganz gleiche
Motive haben. Sic und die mit ihm näher verwandten Märchen haben
denselben Anfang. Die Schlussepisode mit den Nüssen erinnert sehr stark
au den Schluss in Itm, so dass wir hier einen näheren Zusammenhang
zwischen beiden voraussetzen müssen. Ein direkter Zusammenhang ist
kaum anzunehmen, da die Motivierung in Itm viel natürlicher ist, als bei
Giamb. Basile, welcher stark gesucht und grotesk erzählt.
Tom Tit Tot.
385
Die in der neueren Zeit bei den europäischen Völkern aufgezeichneten
Varianten unseres Märchens hängen weit mehr mit dem von Prätorius er-
zählten zusammen, als mit dem von Giamb. Basile verarbeiteten Märchen.
So ist dem ersteren ähnlich die pommersche Version1) (Dp4), nur die
Beschreibung der Spinnerinnen ist eine andere : die erste hat eine dicke
Nase und dicken Mund, die zweite geschwollene und gesprungene Finger,
die dritte ungeheuere Füsse.
So ziemlich gleich ist auch die Nylandsche Erzählung2) (Nyl), illu-
der Anfang ist verschieden: Der König geht an einem am Wege spinnenden
Mädchen vorüber und fragt es, wie viel es spinnen könne. Dreist ant-
wortet es 310 Pfund. Der König nimmt es beim Wort und verspricht, es
zu heiraten, wenn es in einer Nacht wirklich so viel Flachs aufspinnen
werde. Zu dem weinenden Mädchen kamen nacheinander drei verunstaltete
alte Frauen: die erste hatte ausserordentlich dicke Füsse und ein dickes
Hinterteil, die zweite dicke Daumen und Hände, die dritte grosse dicke
Lippen.
Der Anfang des Grimmschen Märchens8) (Dgr) weicht ab: Die Königin
fährt gerade vorüber, als das Mädchen von seiner Mutter wegen seiner
Faulheit und Unlust zum Spinnen geschlagen wurde. Die Königin nimmt
dann das Mädchen auf ihr Schloss und verspricht ihm ihren Sohn zum
Gemahl, wenn es allen in drei Kammern von unten bis oben aufgehäuften
Flachs aufspinne. Zur Hilfe kamen dem Mädchen drei Weiber, von denen
das erste einen breiten Plattfuss hatte, das zweite eine so grosse Unter-
lippe, dass sie über das Kinn hinunterhing, und das dritte einen breiten
Daumen. Mit diesem deutschen Märchen stimmt fast vollständig das
böhmische Märchen4) (Cw) überein. Ebenso wird es in Ostpreussen5)
(Dopr1) erzählt; die erste Base hatte eine solche dicke Lippe, dass sie
von der Mitte der Stube bis ans Fenster reichte, vom Lecken; die zweite
hatte solchen dicken Finger, dass es ganz gefährlich aussah, vom Ziehen;
die dritte hatte einen schrecklich dicken Fuss, vom Treten. Das Gespinst
der drei Basen war lauter Gold und Silber.
Nach einer anderen ostpreussischen Erzählung6) (Dopr2) kroch das
Mädchen einmal, als es wegen seiner Unlust zum Spinnen wieder Prügel
bekommen hatte, vor Angst auf das Dach, kratzte dort Moos und weinte.
Da kam eben der König angefahren und erfuhr von der Frau, dass ihre
Tochter immer geschlagen werden müsse, weil sie nicht genug Flachs zum
Spinnen bekomme; sie verstehe so vortrefflich das Spinnen, dass sie aus
1) Otto Knoop, Volkssagen aus dem östlichen Hinterpommern 1885, S. 2*23 f., No. 12.
2) Archivio per lo studio delle tradizioni popolari XVIII, 1899, S. 87 f.
3) Grimm, KHM. No. 14 f.
4) Alfred Waldau, Böhmisches Märchenbuch 1860, S. 278f.
5) E. Lemke, Volkstümliches in Ostpreussen, II, S. 122 f., No. 120.
6) Ebenda S. 124f., No. 21.
Q)(\
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde- 1900.
386
Polívka:
Haferstroll Seide spinne. Nach der Einleitung würden wir erwarten, was
in anderen Versionen erzählt wird, dass das Mädchen sogar das Moos vom
Dach verspinnt. Der König nimmt nun die gerühmte Spinnerin auf sein
Schloss und legt ihr auf einen Tag alles Haferstroh, was in einer Kammer
aufgespeichert war, zum Yersp innen vor. Er wiederholt diesen Auftrag
noch durch zwei Tage, und jedesmal kommt dem Mädchen ein anderes
altes Weibchen zu Hilfe. Das erste hatte eine dicke Lippe vom Faden-
Lecken, das zweite einen breiten Daumen vom Faden-Klopfen, das dritte
einen platten Fuss vom Spinnrocken-Treten.
In der dritten ostpreussischen Yersion1) (Dopr3) wird das faule
Mädchen von seinem Yater geschlagen, weil er nicht mehr weiss, wo er
den Flachs herbekommen soll, und es gar verlangt, das Moos vom Dach
zu spinnen. Der Prinz nimmt das Mädchen auf sein Schloss, da seine
Mutter gerade eine gute Spinnerin sucht. Die drei alten Weibchen er-
scheinen ganz geheim und spinnen alles auf, während das Mädchen schläft.
Die dritte Nacht passt das Mädchen auf und fragt die Weibchen, als sie
weggehen wollen, wie es ihnen danken solle. Das ist ein ganz selbständiger
Zug, der sonst nicht vorkommt. Die Antwort war die gewöhnlich gestellte
Bedingung, sie sollen als Tanten zur Hochzeit eingeladen werden. Das
erste Weibchen hätte grosse Zähne vom Abbeissen der Flachsknoten, das
zweite eine erbärmlich grosse Lippe vom Anfeuchten des Fadens, das
dritte eine abscheuliche Schulter, weil es vor lauter Spinnen nicht einmal
seine Kinder auf den Schoss nahm, sondern sie immer über die Schulter
warf. Auch das ist ein eigentümlicher sonst nicht vorkommender Zug.
Es gleicht auch noch ein englisches Märchen8) (Engl2), dessen Anfang-
stark an Engl1, Sic, Itm und Pent erinnert: Die Tochter isst sieben
Puddings auf, wie in Pent sieben Speckschwarten und in Itm sieben
Töpfe Nudeln.
Gleich wie Dgr ist auch die Yersion aus der Oberlausitz3), nur die
Spinnerinnen werden etwas anders beschrieben: die erste hat triefende
Augen von lauter Schmutz, der ihr vom Flachs in die Augen fiel, die zweite
hat einen grossen Mund von einem Ohr zum anderen von lauter Netzen
des Fadens, die dritte ist dick und ungelenkig von lauter Sitzen.
In einer anderen böhmischen Yersion4) (Cr) will ein Weib dem
König weiss machen, dass dessen Tochter sogar das Stroh vom Dache riss,
um es zu verspinnen, da sie keinen Flachs mehr hatten, vgl. Dh1, Dhp,
Dopr2, Dopr8. Die Spinnerinnen werden wieder etwas anders beschrieben:
1) E. Lemke a. a. O. S. 125, No. 22.
2) Henderson, Notes of the Folklore of the Northers Counties of England and the
Borders 1866, S. 222 f. Vgl. Heidelberg. Jahrb. d. Litt. 1868, S. 88. R. Köhler, Kleinere
Schriften, I, S. 47 f., 64 f.
3) Grimm a. a. 0. III3, S. 25.
4) J. K. z Radostova Národní pohádky2 1872, I, S. 60 f.
Tom Tit Tot.
387
die erste hat so lange und spitzige Zähne, dass ihr Mund wie eine Hechel
aussah; die zweite so glotzende Augen, dass sie ihr jeden Augenblick
herausfallen konnten; die dritte Hände wie Schaufeln und so dünne Finger
wie Fäden. Sie bedungen sich aus, dass sie die Braut als ihre Basen bei
der Hochzeit begrüsst und küsst.
Dieses Märchen drang weiter nach Osten vor, als das in dem ersten
Teil dieses Aufsatzes untersuchte. Mit den erwähnten deutschen Märchen
stimmt ein litauisches1) (Lit2) überein: in demselben helfen dem Mädchen
drei Laumes spinnen, die ganz ähnlich beschrieben werden: die erste hat
ejne lange Nase, die zweite dicke Lippen, die dritte ein ungeheueres
Hinterteil.
Ganz ähnlich ist die lettische Version2) (Let). Durch drei Tage legt
da der Herr der vermeintlich überaus fleissigen und flinken Spinnerin und
zwar eine immer grössere Menge Flachs zum Spinnen auf, und die drei
Spinnerinnen treten nacheinander jeden Tag eine andere auf. Beschrieben
sind sie gleich wie in Lit2. Das Märchen schliesst aber nicht wie die
vorhergehenden, sondern es wird noch weiter erzählt: Ein Jahr nach der
Hochzeit kamen die drei Weiber zur Frau in der Abwesenheit ihres Ge-
mahls und verlangten den Lohn für ihre Arbeit. Die Frau giebt ihnen
alles, was sie hat, aber das befriedigt sie nicht. Wenn sie nicht mehr
gebe, drohen sie, werden sie alles dem Herrn sagen und sie wegführen.
Die Frau aber überlistet sie: sie führt sie in die Badestube, und dort
bringt sie alle um. — Auch in Südrussland im Gouv. Jekaterinoslav3)
(R,s) wird es erzählt: in diesem weigert sich die Mutter, ihre Tochter mit
dem Prinzen zu verheiraten, dessen Yater die Bedingung stellt, dass das
Mädchen früher drei Scheuern vollspinnen solle und zwar in drei Tagen.
Es kommen ihr drei Weiber zur Hilfe, dem ersten hängt die Lippe bis
auf die Brust, das zweite hat einen Fuss wie eine Schlange, das dritte
hat eine Hand wie ein Fäustling (ohne Finger). Die Weiber bedingen
sich zwar nicht aus, zur Hochzeit geladen zu werden, kommen aber doch.
Der Schluss ist wie gewöhnlich.
In dem schwedischen Märchen4) (Scliw2) will die Mutter des Prinzen
■ein fleissiges und arbeitsames Mädchen zur Schwiegertochter und prüft
die Braut ihres Sohnes ähnlich wie in Lh, Dgr, Dopr1, indem sie ihr
befiehlt, eine grössere Menge Flachs bis Morgen auszuspinnen. Die Spinne-
rinnen kommen gleich wie in Let eine nach der anderen durch drei Tage.
Storfata-mor mit dem grossen Fusse, Storgumpa-mor mit dem grossen
1) Aug. Schleicher a. a. 0. S. 12 f.
2) Th. J. Treuland, Latysskija narodnyja skazki 1887, No. 123.
3) B. D. Grincenko, Etnografièeskije materialy, sobrannyje v cernigovkoj i sosêdnich
s nej gubernijach I, 1895, No. 112.
4) Schwedische Volkssagen und Märchen, G. O. Hyltén Cavallius und Georg Stephens,
S. 214 f., No. 11.
26*
388
Polívka:
Hinterteil unci Stortumma-mor mit clem grossen Daumen. — Etwas ab-
weichend wird das Märchen in Norwegen1) (Nor) erzählt: Die Dienst-
mädchen sagen der Königin, ihre Genossin hätte sich geprahlt, class sie
hinnen 24 Stunden ein Pfund Flachs verspinnen könne. Die Königin
legte dem Mädchen wirklich diese Aufgabe auf. Dem in einer eigenen
Kammer klagenden Mädchen kam ein Weib zu Hilfe, verlangte aber, class
sie an dessen Ehrentage von ihm Gevatterin genannt werde. Als die
Königin sehr zufrieden war mit dem so feinen Gespinst, sagten ihre Ge-
nossinnen, sie hätte sich geprahlt, das Gespinst in 24 Stunden auch zu
weben und den anderen Tag noch Hemden daraus zu nähen. Es kamen
ihr noch zwei Weiber zu Hilfe. Zur Hochzeitstafel erschienen drei häss-
liche, alte Weiber: die eine hatte eine überaus lange Nase, die zweite
ein sehr breites Gesäss, die dritte tellergrosse, rote, triefende Augen.
Das Märchen wurde hier selbständig überarbeitet unter dem Einflüsse
des verbreiteten Märchen von den neidischen Brüdern.2)
Das Märchen aus dem Dithmarsischen3) (Dd) unterscheidet sich von
allen uns bisher bekannten dadurch, dass der König das als fleissige
Spinnerin belobte Mädchen nicht zu sich in sein Schloss nimmt, sondern
zu Hause lässt. Er befahl ihm, in drei Tagen drei Pfund Seide zu spinnen.
Da das Mädchen aber nicht spinnen konnte, ging es in den Wald, setzte
sich auf einen Stein und weinte. Den dritten Tag kam ein Yöglein heran-
O o
geflogen und führte das Mädchen tief in den Wald bis zu einer Hütte, in
welcher drei Hexen spannen, die so ziemlich wie die Weiber in Dgr aus-
sahen. Das Mädchen bat sie, die Seide für es zu spinnen. Zur Hochzeit
soll es#sie in der Weise laden, class es sie durch drei Morgen am Fried-
hofe je dreimal ruft. Den dritten Morgen vergass es aber, die erste Hexe
(Bretfoet) zu rufen. Es kam daher diese, um den Erstgeborenen zu holen,
liess sich aber erbitten und gewährte die Bedingung: wenn es in drei
Tagen ihren Namen errate, dürfe es sich das Kind behalten. Es wurde
also in diese Yersion das Motiv herübergenommen, welches das vorher
untersuchte Märchen besonders charakterisiert. Ygl. Dhp, Dhz1, Dp2-
Zufälligerweise hörte ein Hirtenknabe das Lied und den Namen (Ruinpen-
trump en).
Manchen Zug hat mit dieser Yersion eine schottische Erzählung4)
(Sc2) gemein: Ein reicher Herr heiratete ein Mädchen, von dem er er-
wartete, eine fleissige Spinnerin zur Frau zu bekommen, die täglich bis
12 Knäuel spinnen könne. Die junge Frau konnte aber überhaupt nicht
1) Norwegische Volksmärchen, gesammelt von P. Asbjörnsen und Jörgen Moe-
Deutsch von Friedr. Bresemann, 1847, I, S. 80f., No. 13.
2) Ygl. Köhler, Kleinere Schriften, I, 547 f.
3) K. Müllenhoff a. a. O. S. 409 f.
4) R. Chambers a. a. O. S. 76f. P. Sébillot, Légendes et curiosités des métiers
Les fileuses.
Tom Tit Tot.
389
spinnen, und ihr Mann wurde darüber sehr missmutig. Eines Tages begab
sich der Mann auf eine Reise und trug seiner Frau auf, während seiner
Abwesenheit spinnen zu lernen und 100 Knäuel aufzuspinnen. Die Frau ging
nun einmal spazieren und kam zu einer Höhle, wo sie sechs grüngekleidete
Frauen bei einem kleinen Spinnrad sitzen sah und ihr Liedchen hörte.
Dieses Liedchen stimmt fast vollständig mit dem in Sc1 überein, wurde
wahrscheinlich aus diesem herübergenommen und zwar ganz mechanisch,
denn es passt gar nicht in diese Erzählung hinein, und von einem Erraten
des Namens wird nichts erwähnt. Die Frau trat in die Höhle ein, setzte
sich eingeladen auf einen Sessel und beobachtete die Spinnerinnen. Sie
bemerkte, wie allen der Mund auf eine Seite verzogen war. Auf ihre
Frage, warum sie so unglücklich aussähen, erzählte sie ihnen ihr Leid
und dass ihr Gemahl ein reicher Mann sei, sie es daher nicht nötig hätte
zu spinnen. Sie versprachen ihr zu helfen und baten sich nur aus, am
Tage der Rückkehr ihres Gemahls zum Speisen geladen zu werden. Die
Frau nahm sich gar nicht die Mühe spinnen zu lernen. Als der Herr
nach Hause zurückkehrte, fand er, wie das ganze Haus mit der Zubereitung
des Mahles beschäftigt war, und hatte gar keine Gelegenheit, seine Frau
nach dem Spinnen zu fragen. Dann kamen sechs grüngekleidete Damen,
die wie Prinzessinnen aussahen, und wurden vom Hausherrn sehr höflich
empfangen. Als er dann hörte, dass ihr Mund von lauter Spinnen so ver-
zogen wäre, befahl er sogleich seinen Dienern, alle Spinnräder, Spinnrocken
und Haspeln zu verbrennen. — Abweichend von den gewöhnlichen Versionen
treten hier also sechs Spinnerinnen auf statt drei. Abweichend auch kommen
sie zur Tafel, ohne dass die Rückkehr des Gemahls ihnen kund gegeben
worden wäre, und ohne besonders gerufen zu sein.
Ähnlich ist auch der Schluss der Yersion aus Irland1) (Irl): Der
Prinz hörte nicht die Worte, mit welchen eine Witwe ihre hübsche aber
faule Tochter schalt, aber es wird eine ziemlich gleiche Erklärung des
Scheltens wie in Engl1 und den verwandten Versionen gegeben: sie
spinnt, so fängt ihre Mutter an sie zu loben, drei Pfund Flachs in einem
Tage, verwebt den Flachs zu Leinen den anderen Tag und vernäht alles
zu Hemden den dritten Tag. Der Prinz führt sie nach Hause, da seine
Mutter eben ein solches Mädchen sich wünscht und sie vielleicht zur
Schwiegertochter machen wird. Vgl. Schw2, Lli, Dgr, Dopr1. Die
Königin Mutter legt dem Mädchen durch drei Tage dieselbe Arbeit auf,
und der Weinenden und Klagenden kommen nacheinander drei Weiber
zur Hilfe. Den ersten Tag verspinnt ihr allen Flachs ein Weib, das einen
ungestalteten grossen Fuss hat; den andern Tag verwebt den Zwirn zu
Leinen ein Weib mit Schultern, die bis über die Hüften hinabhängen
(mighty wTell-shouldered about the hips); den dritten Tag vernäht die
1) P. Kennedy, The Fireside Stories of Ireland, S. 63 f.
390
Polívka:
Leinen zu Hemden ein Weib mit einer ungemein roten Nase. Alle diese
Weiber nennen bei ihrem Erscheinen zugleich, ihre Namen und wünschen
zur Hochzeit geladen zu werden. Doch muss nicht die Braut selbst sie
bei ihren Namen rufen, sondern sie melden sich selbst an. Auch ladet
sie die Braut nicht eiu, sondern der Bräutigam heisst sie als die Tanten
seiner Braut willkommen. Abweichend von der gewöhnlichen Erzählung
frägt nicht der Bräutigam, sondern dessen Mutter die Tanten, wodurch sie
so verunstaltet seien. Der Prinz verbot dann seiner Braut für immer der-
gleichen Arbeit, als er von der ersten Tante hörte, sie hätte einen so
grossen Fuss, weil sie ihr ganzes Leben bei dem Spinnrad verbrachte;
von der zweiten, sie wäre so missgestaltet vom ewigen Sitzen bei dem
Webestuhle, und von der dritten, ihre Nase sei so gross und rot, weil sie
immer über das Nähen gebeugt war.
Ganz ähnlich wird unser Märchen noch weiter im Südwesten erzählt, in
Yentimiglia bei Genua1) (Iti1). Auch hier will zuerst ein Prinz prüfen,
ob das Mädchen wirklich eine so fleissige Arbeiterin sei, wie es dessen
O J
Mutter lobte. Er sperrt es in ein Zimmer, welches voll von Kleidern und
Geschmeide war, und befahl ihm, eine gewisse Menge Flachs zu verspinnen.
Das pntzsüchtige Mädchen denkt aber nicht an die Arbeit, sondern nur
auf den Putz. Es vergeudet damit die ganze Zeit und als nur wenige
Minuten zur bestimmten Frist fehlen, in welcher es mit der Arbeit fertig
sein soll, fängt es an, heftig zu weinen. Indem erscheint ein Weib und
spinnt ihm alles in einer kurzen Zeit, verlangt hierfür nur zum Hochzeits-
schmaus geladen zu werden und dass es nicht dessen Namen (Columbina)
vergesse. Als dem Mädchen dann die beiden folgenden Tage der Prinz noch
grössere Massen von Flachs zu verspinnen auferlegt, erscheinen zur Hilfe
unter denselben Bdingungen noch zwei Weiber (Columbara und Co-
lumbun). Es vergisst aber diese Namen und fällt in tiefe Trauer. Der
Prinz versucht umsonst es aufzuheitern. Es gelingt ihm erst, als er ihm
von seinem Jagdabenteuer erzählt, wie er drei Namen (Columbina, Colum-
bara, Columbun) rufen hörte und drei Weiber mit ungeheueren Nasen er-
blickte. Abweichend von den gewöhnlichen Erzählungen bekannten diese
Weiber nach dem Hochzeitsschmause, dass sie selbst den Flachs gesponnen
haben; hätte das die Braut gethan, so würde sie eine ebenso ungeheuere
Nase bekommen, wie sie. — Es wurden hier also wieder beide Motive
verbunden, ähnlich wie in Dd.
Eine andere Version aus derselben Gegend, von Mentona2) (Iti2)?
erinnert mit ihrem Anfang an Pent, Itrn, Sic und an Engl1 und Engl"-
Ein Weib hatte eine ungemein gefrässige Tochter; einmal ass sie sechs
Teller Suppe auf und wollte noch einen. Die Mutter rief erstaunt aus:
1) J. B. Andrews, Contes ligures 1892, S. 220 f., No. 47.
2) Ebenda S. 18 f., No. 4.
Tom Tit Tot,
391
„Gar sieben!" Indem ging ein Jüngling vorüber und fragte: „Was sieben?"
„Stellen Sie sich vor", antwortete das Weib, „was für eine arbeitsame
Tochter ich habe, sie hat schon sieben Bündel Hanf verarbeitet." Der
Jüngling heiratete das Mädchen, und da er als Seemann bald abreiste,
überwies er ihr ein Zimmer voll Hanf zum Spinnen. Seine Frau war
aber eine faule Person und that nie etwas. Die Mutter schickte ihr ihre
drei Tanten zur Hilfe: Sessi, Persi und Funni. Es ist also hier dieselbe
Verwandtschaft mit den Spinnerinnen, wie in Kr. Die erste hatte sehr
grosse Augen, die zweite grosse Lippen, die dritte grosse Zähne.
Die dritte Version aus derselben Gegend1) (Iti8) beginnt fast ganz
gleich wie Iti2. Im Unterschiede von der gewöhnlichen Erzählung lobt
das Mädchen ob ihres Fleisses nicht die eigene Mutter, sondern ihre Nach-
barin, die Wirtin, in deren Gasthaus der Prinz abstieg. Die bekannte
Scene spielt sich erst nach einigen Jahren ab, als der Prinz in den Krieg
ziehen soll. Erst jetzt überweist er seiner Frau drei Zimmer voll Hanf.
Vordem prüfte er also nicht seine Braut, ob sie wirklich eine so flinke
Spinnerin sei. Sie konnte aber nicht einmal den Spinnrocken halten. Es
kamen ihr ebenfalls drei Weiber zur Hilfe und verlangten, dass sie zum
Mittagsmahl bei der Rückkunft ihres Gemahls geladen werden und zwar
mit den Worten: „Tante Persi, Tante Sophie, Tante Cruci, die Stunde
der Ankunft hat geschlagen." Der ersten hangen die Augenwimpern bis zu
den Knieen, der zweiten fielen die Lippen bis zur Taille, die dritte fegte
mit ihren Händen den Boden.
In der Erzählung aus Florenz2) (Itf) wurde unser Märchen eng ver-
bunden mit einem anderen Märchenstoff, wie eine Mutter dem Verhältnisse
ihres Sohnes mit einem Mädchen feindlich gesinnt ist und ihre Einwilligung
von der Lösung schwerer, schier unlösbarer Aufgaben durch das Mädchen
abhängig macht. Die erste Aufgabe war, Hülsenfrüchte auseinander zu
klauben, die zweite, 100 Pfund Hanf in einem Monate zu verspinnen und
zu verweben. Es half dem Mädchen hierbei eine alte Frau und meldet
ihm bei der zweiten Arbeit, dass ihm drei Weiber zu Hilfe kommen
werden. Die Königin-Mutter fragt die Weiber, wovon sie so verunstaltet
seien. Zum Schluss verwandelt die Mutter noch ihren Sohn in ein Schwein,
und da kommt wieder dieselbe alte Frau und sagt dem Mädchen, auf
welche Weise ihr Bräutigam wieder die menschliche Gestalt erhalten und
zugleich auch grosse Schätze bekommen könne.
Das spanische Märchen aus Estramadura3) (Sp1) hat so ziemlich den-
selben Anfang wie Iti3: auch in diesem lobt die Wirtin das Mädchen als
eine ausserordentlich fleissige Arbeiterin einem Herrn gegenüber, welcher
1) J. B. Andrews a. a. 0. S. 95 f., No. 23.
2) A. de Gubernatis, Le tradizioni popolari di S. Stefano di Calcinaia, 1894, S. 119f.,
No. 2.
3) Contes espagnols traduits par Paul Sébillot. Paris (1898), S. 53 f., No. 7.
392
Polívka:
in der Herberge abgestiegeil ist. Das Mädchen flüchtete sich soeben
dorthin vor seiner Mutter, die es schlug, weil es das Essen ganz allein
verzehrte und die Wohnung nicht zusammenräumte. Die Art und Weise,
wie die junge Frau dann auf einem Balkon spann und hierdurch drei
vorübergehende Feen zum Lachen brachte, erinnert lebhaft an Pent. Sie
bedauerten sehr die hübsche junge Frau, dass sie so etwas arbeiten müsse
und sprachen den W'unsch aus, die erste, dass sogleich aller Flachs ver-
sponnen sei, die zweite, dass die Hälfte des Leinen sich in Tischtücher
und Servietten sogleich verwandele, und die dritte, dass die andere Hälfte
zu Taschentücher und Bettdecken werde. Ebenso wie in Pent zeigte die
Frau auch ihrem zurückkehrenden Gemahl, wie ihre Knochen von lauter
Arbeit krachen. Die Schlussscene mit dem Doktor ist hier ausgefallen.
Wir müssen nach dem einen sehr engen Zusammenhang zwischen Sp1
und Pent voraussetzen.
In einer anderen spanischen Erzählung1) (Sp2) sind an die Stelle der
Hexen Feen, selige Geister getreten. Eine um ihre brave und fromme
Nichte besorgte Frau lobte dieselbe überaus einem jungen, reichen Herrn
/gegenüber und dass sie auch so flink spinnen könne, dass sie ein Strehn
fertig bringe, eh ein anderer ein Glas Wasser austrinke. Als nun der
Bräutigam dem Mädchen eine grössere Menge Flachs zum Spinnen aufgab,
empfahl es sich in der Angst in den Schutz der seligen Seelen. Es er-
schienen ihm drei schöne, ganz weiss gekleidete Seelen und spannen ihm
alles in einem Augenblick fertig. Dann bekam die Braut drei Hemden
zu nähen und endlich noch eine Atlasweste zu sticken. Alles machten
dieselben Seelen, aber sie verlangten zur Hochzeit geladen zu werden.
Zu dieser erschienen sie verunstaltet wie die Hexen in den anderen euro-
päischen Versionen. Die erste hatte eine ungemein kurze und eine überaus
lange Hand, die zweite hatte einen Höcker und einen ganz verkrüppelten
Körper, der dritten traten ihre roten Augen wie bei einem Krebse heraus.
Sie wurden auch dem Bräutigam als die Tanten der Braut vorgestellt.
Ahnlich und mit diesem letzteren eng verwandt ist noch ein drittes
spanisches Märchena) (Sp3): Die Tante, die in einer Herberge bediente,
lobte ihre Nichte einem reichen Herrn gegenüber, der eben aus Indien
mit viel Geld zurückkehrte und sich nun mit einem einfachen, arbeitsamen
Mädchen verheiraten und in einem stillen Dorfe niederlassen wollte. Auf
dessen Anfrage bejahte sie noch, dass ihre Nichte auch Spitzen klöppeln
könne. Sogleich wurden ihr drei Spulen schwarzer Seide für Spitzen
geschickt. Drei schöne Geister, die sie seit ihrer Geburt fortwährend in
den Augen hatten, machten aus der Seide in einem Augenblick eine
1) Fernán Cavallero, Cuentos y Poesías populares andaluces 1859. Jahrbuch f. román-
uncí engl. Litteratur, III, 1861, S. 214 f.
2) Contes espagnols, S. 99f., No. 13.
Tom Tit Tot..
393
wunderbare, mit Blumen und Vögelchen geschmückte Mantille, ohne darum
gebeten zu sein und ohne ein Wort zu sagen. Die anderen zwei Tage
prüfte der Herr die Kochkunst des Mädchens, und dieselben Geister
bereiteten die angeschafften Speisen. Zum Danke hierfür verlangten die
guten Geister, dass zur Hochzeit drei arme, sehr kranke, missgestaltete
Mädchen aus dem Spital geladen würden. Die erste hatte einen so grossen
Buckel, class ihr Kinn ihre Taille berührte, und hatte so kurze Arme, dass
sie nicht länger waren als die Flossen eines Fisches. Die zweite hatte
so geschwollene Hände, dass jede so gross war wie der Körper und man
kaum sagen konnte, was das wäre; auf der Stirn hatte sie eine grosse
Beule, die an das Horn des Rhinoceros erinnerte. Die dritte endlich
hatte eine runzelige und mit Narben besäete Haut, und ihre roten Augen
traten ihr aus dem Kopfe heraus wie einem Hummer. Sie waren so ver-
unstaltet, wie sie dem Bräutigam erzählten, die erste von lauter Spitzen-
klöppeln und die beiden anderen vom Bereiten jener Speisen, die er
seiner Braut anbefohlen hatte.
Auch in dem Märchen aus der oberen Bretagne1) (F11) hat sich die
Braut mit der Kenntnis aller Hausarbeiten auszuweisen und zwar im
Spinnen, Stricken, Kochen und Kehren. Unter Einfluss des Märchens vom
Aschenbrödel und vom Mädchen, das von seinem Vater entfloh, als er es
zur Gattin wollte, wird der Eingang des Märchens erzählt. Die Mutter
willigt nur in die Heirat ihres Sohnes mit der Hirtin, wenn sie die ge-
nannten Hausarbeiten kenne. Es helfen ihr die ersten drei Tage alte,
ungestaltete Weiber, den vierten Tag ein alter Mann, dem ein grosser
Besen am Rücken hängt. Sie müssen natürlich auch alle zur Hochzeit
geladen werden, aber class sie durch ihre Hässlichkeit die junge Frau vor
diesen Arbeiten bewahrt hätten, wird nicht erzählt.
In der portugiesischen Version2) (Port) brüstet sich die Mutter, was
alles ihre Tochter könne, als der König in deren Schönheit verliebt um
ihre Hand bat. Der König gab dann seiner Braut auf, was sie eben nach
ihrer Mutters Worten verstand, und zwar soll sie 1. ein so feines Hemd
machen, dass es durch ein Nadelohr gezogen werden kann, 2. hören, was
er drei Meilen weit sagt, und -3. in einer halben Stunde ein ganzes Strähn
Faden aufwinden. Die Weiber, welche dem Mädchen zu Hilfe kamen
und als Tanten am Hochzeitstage begrüsst werden sollten, waren ebenfalls
missgestaltet: die erste hatte weit vorstehende Augen, die zweite überaus
lano-e Ohren, die dritte sehr lange Hände.
O y c
An die spanischen Erzählungen Sp2 und Sp3 erinnert die griechische
Version aus Zakynthos3) : statt der guten Geister treten drei Mören auf.
1) Paui Sébillot, Littérature orale de la Haute Bretagne 1881, S. TB.
2) Portuguese Folk-Tales, collected by Consigliere Pedroso 1882, S. 79 f., No. 19.
3) B. Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder, S. 65 f.
394
Polívka:
Sie nähen der Braut die letzte Nacht ihre Aussteuer. Sie sind ebenso
gräulich, wie die Spinnerinnen in den west- und mitteleuropäischen
Versionen. Der ersten, die webte, hing die Nase bis zu den Füssen
herab; die zweite, die nähte, hatte eine ebenso lange Unterlippe, und die
dritte hatte ein Hinterteil grösser, als ihr ganzer Körper war. Sie ent-
hüllten sich dem Mädchen als seine Mören (Schicksalsgeister), die ihm
das Los erteilt hatten, faul zu sein, wollten aber nicht, dass es sich auch
ihrem Bräutigam so zeige. Auf der Hochzeit stellte sie die Braut als
ihre Freundinnen vor.
Die Spinnerinnen treten gewöhnlich als die Tanten der Braut auf. Es
war daher leicht, das Verwandtschaftsverhältnis enger zu verknüpfen nicht
bloss mit der Braut, sondern auch mit ihrer Mutter, und darnach die Erzählung
von Anfang an umzuarbeiten. So entstand die kroatische Erzählung aus der
Nähe von Karlstadt1): In derselben verfertigen der Braut ihre Aussteuer
die drei Spinnerinnen schon vorher mit Wissen ihrer Mutter, ihrer eigenen
Schwester. Als dann später der junge Graf das Mädchen als eine aus-
gezeichnete Spinnerin zu sich nahm und ihm viel Spinnen auferlegte, lud es
auf den Rat ihrer Mutter diese drei Tanten ein. Sie sind ebenso verun-
staltet, wie sonst erzählt wird: die erste durch eine lange Nase, die zweite
durch grosse Zähne, die dritte durch ein ungemein breites Hinterteil.
Ganz verdorben ist eine Version aus Hessen2), in welcher der König
seinen drei Töchtern auftrug, während seiner Abwesenheit einen grossen
Kasten voll Flachs aufzuspinnen, und die Königin jene drei missgestaltete
Spinnerinnen zur Hilfe rief und sie dem König bei seiner Rückkehr vor
die Augen brachte.
Endlich sind noch einige Erzählungen zu erwähnen, in welchen bloss
eine einzige Hexe (Spinnerin) auftritt.
So hilft in der Version aus der oberen Bretagne3) nur ein einziges,
mit einer grossen Zunge ausgestattetes Weib ein gewisses Quantum Flachs
zu verspinnen. Ähnlich ist die schwedische Erzählung4) (Schw3): Das
Mädchen selbst prahlte einem Herrn gegenüber, dass es gesponnen habe,
was es gerade auf den Markt trug. Ein Weib erschien in dessen Kammer
und versprach ihm zu helfen, wenn es nicht mehr lügen werde. Es bedang
sich dafür aus, dass ein eigener Tisch bei der Hochzeit und zwar im
Vorzimmer für es gedeckt werde.
Hier ist noch eine oberlausitzische Sage5) zu erwähnen, die stark
verderbt ist. Ein Herr hört, dass ein Mädchen von der Mutter geprügelt
wird, weil es alle Dächer aufspinnen will, und weiss dem Abhilfe. Er
1) R. Strohal, Hrvat. narod. pripovied, I, S. 144, No. 34.
2) Grimm, KHM., III3, S. 24.
3) Revue des traditions populaires IX, S. 279.
4) G. O. Hyltén a. a. 0. S. 369.
ô) Adolf Cerny, Mythiske bytosce luziskich Serbow, S. 116f.
Tom Tit Tot.
395
bittet sich nicht das Mädchen als Braut aus, sondern schickt bloss durch
drei Tage je einen Wagen, den ersten Tag mit groben Spinnrocken
gefüllt, den zweiten Tag mit Mittelwerg, den dritten Tag mit feinem aus-
gehechelten Flachs. Dem Mädchen kam die hródkowska smjerc (der Tod
aus Spremberg) zu Hilfe, die den ersten Tag mit den grossen Zähnen,
den zweiten mit den grossen, breiten Fingern, den dritten mit den grossen
Augen arbeitete. Der Herr heiratete das Mädchen. Hiermit bricht die
Erzählung ab.
Hierher gehört auch die kroatische Erzählung aus Warasdin1) (Kr2),
obzwar sie sonst abweicht. Die junge Frau kam gar nicht zum Spinnen.
Während ihr Mann in die Stadt ging, ein Spinnrad zu kaufen, kam zu
ihr eine Bettlerin und versprach ihr zu helfen. Sie nahm von ihr einen
Korb Eier und setzte sich am Wege in die Eier mit ihrem nackten
Hinterteil. Als der Mann aus der Stadt zurückkehrte mit dem Spinnrad,
fragte er das Weib, was es denn so klage. Dieses antwortete, es habe
sich den Afterdarm angesponnen, so eine ungemein fleissige Spinnerin
wäre es. Der Mann belohnte die Frau für ihre W'arnung und zerbrach
das Spinnrad. Eine gewiss sehr witzige und selbständige Yersion, die
teilweise au die Tante in Itt und die List der Mutter in Itm erinnert.
Wir haben hier also zwei Märchen vor uns: In dem ersten (A) hilft
ein Zwerg oder ein anderes überirdisches W'esen, seltener ein weibliches
Wesen spinnen und bindet daran die Bedingung, dass sein Name erraten,
zuweilen dass er gemerkt werden müsse. In dem zweiten (B) helfen drei
hässliche, verunstaltete Weiber (Feen u. a.) spinnen unter der Bedingung,
dass sie als Basen oder Muhmen von der Braut anerkannt und zur Hoch-
zeitstafel geladen werden. Diese zwei ursprünglich wohl selbständigen
Märchen, obgleich ihre Grundvorstellung verwandt ist, treten miteinander
in nähere Yerbindung: in das zweite wird manchmal die Bedingung über-
nommen, dass der Name des überirdischen Wesen erraten werde, und
auch in dem ersten treten hier und da neben dem Zwerge noch die drei
Spinnerinnen auf. Ausserdem ist noch in manchen Erzählungen ein nicht
unbedeutender Einfluss anderer Märchenstoffe unbestreitbar und von uns
auch konstatiert worden. Insbesondere wurde aus dem Kreise der Sagen
vom Teufel u. ä. herübergenommen, dass dem überirdischen Wesen für
gewisse Dienste das erstgeborene Kind verschrieben werde. Ursprünglich
hing dieses Motiv wohl nicht mit diesem Märchenstoff (weder A noch B)
zusammen.
Der Ursprung und die Heimat beider Märchenstoffe A und B ist wohl
bei den germanischen Tölkern zu suchen. Nach deren Glauben „treiben
Elben und Zwerge das von Frau Holde und Frikke begünstigte Spinnen
1) Eres. IV, 1884, S. 87 f., No. 5. Deutsch bei Dr. Friedrich S. Krauss, Sagen und
Märchen der Südslaven, I, S. 267 f., No. 58.
396
Polívka: Tom Tit Tot.
und Weben. Die fliegenden Spinneweben im Herbst hält der "Volksglaube
für ein Gespinnst von Elben und Zwergen. Schwedisch bedeutet dverg
ausser nanus auch aranea, dvergsnät (Zwergsnetz) ein Spinneweb" (Grimm,
DM.4, I, 390). Es war der Glaube wohl auch den Kelten nicht fremd,
Grimm bemerkt a. a. 0. „auch bretagnisch korr bedeute beides: Spinne
und Zwerg." So erklärt sich leicht die grosse Verbreitung dieser Märchen
bei den germanischen Völkern und in England. Yon diesen wurden sie
zu den romanischen Völkern und nach Osten zu den slavischen Völkern
u. s. w. übertragen. Bei den Litauern übernahmen die Rolle der Spinne-
rinnen die Laumes, in Griechenland die Mören — das Märchen drang zu
den Griechen jedenfalls durch romanische Vermittelung —, in Spanien
lichte Geister.
Auch die von den Zwergen gestellte Bedingung, den Namen zu erraten,
bezw. nicht zu vergessen, scheint mit Recht den germanischen und viel-
leicht auch den keltischen Völkern zuzuschreiben sein. Wir finden sie
in einer grossen Reihe von Erzählungen, die mit A nicht verwandt sind,
aus deutschen Ländern, aus Schweden, England und ausserdem noch aus
der oberen Bretagne. Das oben erwähnte südböhmische Märchen ist gewiss
deutschen Ursprungs, und auch in dem polnischen Märchen ist deutscher
Einfluss unleugbar.
Alle Versionen von B sind sich so ähnlich bis auf einige fferingfiiffiffe
o O o o O
Züge, dass sie alle auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen. Auch deren
Heimat wird nach dem, was schon bemerkt wurde, mit ziemlicher Wahr-
scheinlichkeit in germanischen Ländern zu suchen sein. Es liegt ihm
wohl ein mythisches Element zu Grunde, und möglicherweise hängen die
drei Spinnerinnen mit den alten germanischen Nornen zusammen, wie
J. W. Wolf voraussetzte1). Das Märchen ist nur in Mittel- und West-
Europa stark verbreitet und im skandinavischen Norden. Nach Osten drang
es nur vereinzelt: etwas öfter wird es bei den Litauern und Letten erzählt,
unter deutschem und vielleicht auch schwedischem Einfluss. Bemerkenswert
ist der Zusammenhang der mazurischen Version mit der schwedischen,
auf welche bereits Em. Cosquin hinwies.2)
1) Beiträge zur deutschen Mythologie 2, S. 201 f. Göttingen 1857.
2) Cont. pop. de Lorraine I, S. 269, Anni. — Bei diesem Aufsatze waren mir vom
grössten Nutzen die reichen bibliographischen Nachweise, die Dr. Joh. Bolte aus dem
Nachlasse R. Köhlers mit zahlreichen eigenen Nachträgen in dieser Zeitschrift (VI, S. 172
zu Gonzenbach No. 84) gab. Leider war es mir unmöglich sie vollständig auszunützen.
P r a g.
O
Rehsener: Aus dem Leben der Gossensasser.
397
Aus dem Leben der Gossensasser.
Yon Marie Rehsener.1)
1. Das Heiraten.
Heiraten macht Müh'. Einer, der eine Witwe heiraten wollte, dachte:
Es ist leichter etwas erwarten als erwischen, ging zu ihr, setzte sich und
sagte: „Jetzt sprechen wir einmal eine halbe Stund' mitanaiid"; aber die
Frau redete gar nicht. Da sagte er noch: „Gelobt sei Jesus Christ"
und ging.
Manche sagen auch geschwind „ja". Als ein Witwer ein Mädchen
ums Heiraten fragte, antwortete sie schleunig „ja" und setzte gleich hinzu:
„Gehn wir noch heute in den Widum (ins Pfarrhaus, das Aufgebot be-
stellen)?" — Ein Schneiderssohn aus Wiesen bei Sterzing fahr mit Fuhr-
werk. Er wollte auf die Brennerpost fahren und dort die Witwe heiraten.
Unterwegs in Gossensass sprach er zufällig von seiner Absicht zu seinem
Freunde W. Der, welcher keinen Prinzen, sondern nur Töchter hatte,
fragte darauf: „AYillst Du nicht lieber beim Weizen als beim Spitzweizen
sein?" Das sollte heissen: „Warum Avillst du nicht nach Gossensass hei-
raten? Hier gedeiht der Weizen und auf dem Brenner nur der Hafer
(Spitzweizen); ich gebe Dir auch meine Tochter." Der R. heiratete darauf
die Tochter des W.
Wenn du willst geschimpft sein, musst du heiraten, wenn du willst
gelobt sein, sterben. Erst kommt der Heiratshusten und dann der Freit-
hofshusten.
Der N. hat den ledigen Zorn, sagte eine Boznerin, d. h. er ist zornig
aufs Ledigsein, will heiraten. „Ich heirate", ruft ein Mädchen, „ob es mein
Glück oder Unglück ist. Nachbarschaft hin, Nachbarschaft her!" (künimre
mich um kein Gerede).
Man hat etwas gehört. Yor ihrer Thür im Eck hat die N. mit ihrer
Freundin gesprochen. „Da kann man nicht mitanand sprechen", sagte sie
später, „es sind zu viel Schindeln auf den Dächern, die gleiten leicht ab
(zu viel Leute, die einen beobachten). Der eine hat dies gehört, der
andre etwras anders."
Ein Mädchen hat von einem Buebn die Capare genommen (italienisch
caparra, Handgeld, wras er bei der Verlobung giebt und sie zurückgeben muss,
falls diese zurückgeht). Die Brautleute sind im Widum gewesen, jetzt
gehn sie umanand. „Die Triefler (armen Tröpfe)! Stâte (langsam) mit
der Braut, sonst fallt sie ins Kraut." Da hebt einer an zu reden: „Dass
1) Im Anschluss an Zeitschrift III, 40—55. IV, 107 — 133. VI, 304—319; 395—407
VIII, 117-129.
398
Rehsener:
der cl i e mag! Wenn man sie in Schmalz backte, würde sie nicht rot"
(gebräunt, sonst von Gebacken gebräuchlich, die Braut ist blass). „Und
stolz ist sie", ruft ein Mädchen. „Worauf ist sie stolz? auf die Not? grad
die Not schaut ihr bei Kalzik1) aussr (aus der Tasche? hervor)."
An andrer Stelle im Dorf hebt ein andrer an: „Dass die den nimmt!"
Wrohl meint eine Frau: „Es ist ein schöner, feister Mann"; eine zweite
aber setzt hinzu „ein breitgrindiger, loabiger" (grossköpfiger, dicker). Eine
andere erinnert, dass er den ganzen Tag auf der Gant sei (wie auf einer
Versteigerung hin- und herlaufe, in den Wirtshäusern). Und man glaubt,
spricht sie bedenklich: „Wenn einer mit den Weiberleuten alles derwichst
(durchbringt), bleibt er, wenn er heiratet, zu Hause; wenn im Wirtshaus,
lässt er das Wirtshaus nicht." Eine Frau raunt der andern zu: „Er ist ein
Mensch ohne Boden (nicht zu sättigen), säuft wie ein Bote." Da erinnert
die freundliche Nanne: „Das Ehrabschneiden und Ohrenblasen ist das
Argigste; denn das bringt man nimmer zurecht. Wenn ich mich de-
kommandier, hab' ich genug zu thun. Man sagt nicht umsiist: Wenn ein
jeder vor seiner Thür kehrte, wär es überall rein auf der Welt."
Doch dort reden zwei Ehemänner ernst miteinander: „Wir sind über
den K-Müller, der heiratet", ruft der eine mir zu, der zweite sagt: „Dass
der M. heiratet, ist eine Notwendigkeit" und darauf wieder der erste: „Der
Müller ist ein G'wisser (einer, der alles gewiss haben muss). Er hat mir
gesagt: Wenn ich gewiss wiisste, dass ich mein Haus verkaufte, hockte
ich bei meinem Geld nieder und heiratete nicht." — „Ein G'wisser ist er"
— stimmt der zweite zu, „das Heiraten ist auch etwas Gewisses — ein
Sakrament."
Ein Paar war schon verkündigt, aber ein gutmeinender Freund hat
ihm vom Heiraten abgeredet, es annarret (zum Narren gehabt, aufgehetzt)
bis zum letzten Abdruck.
Doch der Hochzeitmorgen bricht an. Kugelbrennen (Böllerschiessen)
verkündet den Beginn der Feier.
Wer heiratet? fragt die Toarete (die Harthörige), die vom lieben
Gott zu einer Busse noch die Gabe der Wunderlichkeit (Neugierde) er-
halten hat.
Zur Hochzeit sind nur Männer geladen. Die Braut ist die einzige
vom schönen Geschlecht unter ihnen. Sie allein im Zuge der Männer
•nach und aus der Kirche gehen zu sehen, macht sich höchst merkwürdig.
Auf dem Kirchplatz hält eine Schar Knaben Stangen wagerecht über den
Weg. Der Bräutigam greift in die Tasche und wirft Kleingeld für die
Kinder auf die Strasse; dann lassen sie die Stangen fallen, um dieses auf-
zuheben, wobei einer den anderen überrennt und überpurzelt. Der Braut
1) Wird wohl zu ital. calzare, Fussbeklcidung, gehören.
Aus dem Leben der Gossensasser.
399
gegenüber, welche neben einem älteren Manne als letzte im Zuge geht,
werden die Buebn zudringlich, halten sie bei den Armen fest, bis sie auch
Geld giebt. Die X. hat, wie sie zur Trauung ging, den Gensdarm auf-
gestellt, damit die Kinder ihr nicht den "Weg versperrten, um ein Geld-
geschenk zu erhalten; sie sagen, deshalb habe die Frau keine Kinder
bekommen.
Vor der Kirchstiege treiben Vermummte, welche mit Larven versehen
sind, Scherz, auch sie erhalten ein Geldgeschenk. Sie führen dem jungen
Manne das Gewerbe, dem er obliegt, vor, aber in absichtlich angeschickter
Weise, um Lachen zu erregen. Wir sahen einen in ein Butterfass stossen,
so eifrig, dass alles umher mit Buttermilch bespritzt wurde. Ein andermal
zwei Leute dreschen, die so standen, als wollten sie in die Knie brechen
und mehr auf alles andere als auf das Korn schlugen.
Als der Mesner Z. aus der Kirche von der Trauung kam, hat ihm
der X. das Mesneramt dargestellt. Vor der Gasthausthür stand ein läng-
licher Tisch und darauf vier eiserne Küchenleuchter mit Inseltkerzen. In
der Hand hatte der X. einen umgekehrten Trachter (Trichter), an dem
noch ein fünftes Licht befestigt war, welches brannte. „Sie kommen,
zünde die Lichter an", riefen die Umstehenden ihm zu. Mit dem fünften
Licht zündete er nun die anderen an und löschte sie dann wieder mit
dem Trichter aus.
Hinter dem Hochzeitszuge kam aus der Kirche ein junger Mann mit
einem grossen Kelch voll Wein. Von diesem, dem Johannissegen, hat
zuerst das Brautpaar nach der Trauung zu trinken erhalten, dann die An-
wesenden in der Kirche und zuletzt wird er den Herumstehenden auf der
Strasse kredenzt.
Während der Trauung müssen die Brautleute nahe bei einander knieen,
dass die Zwietracht nicht zwischen kniet. Auf wessen Seite das Licht auf
dem Altar schneller niederbrennt, der stirbt ehnder. In Gottes Namen
giebt man die Leut zusammen — auseinander gehen sie von ihm (sich)
selber. — Wenn der Zug aus der Kirche kommt, wird wieder geschossen.
Die Braut hat ein einfaches, farbiges Wollkleid an, eine seidene
Schürze vor und trägt einen Kranz von künstlichen Myrthen- oder Orangen-
blüten. Früher hatten die Bräute, wie die Mädchen am Blutstag (Frohn-
leichnam), das Haar um den langen Haarpfeil gewunden, rote Maschen
(Ösen) aus Seidenband darüber gesteckt und darauf ein Rosmarinkränzl1)
(Fig. 1) oder auch ein kleines Krönchen befestigt.
Auch der Bräutigam trug einen Kranz, aber so gross wie ein Laib
Brot. Dieser war um den rechten Oberarm gebunden. Eigentümlich ist,
dass in der Mitte desselben sich eine grosse Phantasieblüte befindet, die
von den anderen Blumen wie umkränzt erscheint (Fig. 2). Den Kranz
1) Die Kinder trugen eins von Karwendel (carduus marianus oder benedictus).
400
Rehseucr:
brauchte sich der Bräutigam nicht zu kaufen, den besassen die Gastwirte,
und der, bei dem das Hochzeitsmahl gehalten wurde, lieh ihn her.
„Sollte der Kranz den Schmuck des Armes bedeuten, mit dem der
junge Mann hauptsächlich arbeitet?" fragte ich. „Es kann sein, aber ich
glaube", antwortet der Gefragte, „wie man den Ehring an der rechten
Hand trägt, weil man nicht mehr frei ist, so soll auch der Kranz bedeuten,
dass man gebunden ist." Der Hochzeiter trug ausserdem einen langen
Tuchrock und noch am Hut einen Buschen von gemachten Blumen.
Fi«-. 1
Im Gasthause angelangt, setzt sich die Gesellschaft zu Tische und isst
und trinkt, mitunter bis 12 Uhr nachts. Der Gastwirt und die Bediensteten
müssen die Bauern zum Essen nötigen, ihnen die Speisen von den Schüsseln
auf die Teller legen, sonst essen sie nicht genug und beklagen sich später,
nichts bekommen zu haben. Kommt das Sauerkraut, die Beigabe zu den
fast täglich wiederkehrenden Knödeln, auch auf die Hochzeitstafel, so knallt
es noch einmal, und zwar dieser Speise zu Ehren, durch die Thäler.
ist der Krautschuss.
Aus dem Leben der Gossensasser.
401
Die Braut ist bei der Tafel die Gefeierte, sie wird dem Bräutigam
sogar noch gestohlen und versteckt, er muss sie suchen, und hat er sie
gefunden, mit Geld auslösen. Gegen Abend kommt die Freundschaft —
Schwestern, Baseln, fernere Yerwandte — zum Besuch und alle essen und
trinken noch mit. Nach dem Mahl zieht die ganze Gesellschaft durchs
Dorf von einem Wirtshaus zum andern — das Gasserln.
Darauf fährt oder geht alles heim.
Jetzt werden die ineisten Trauungen um 3 Uhr früh vollzogen, weil
die Hochzeitsreise gern mit dem Frühzug angetreten wird.
Am 7. Februar 1899 fanden ihrer drei nachts statt. „Die erste Braut
hat einen weissen Kranz aufgehabt, das war schiene! Die beiden andern
hatten Hüte; die hatten schon ihren Jungfraunkranz derrissen."
Ein Hochzeitswagen mit einem jungen Paar fuhr an der Kirche Lurx
bei Sterzing vorbei, wurde von einem Manne angehalten, und die junge
Frau gab letzterem ein paar Sechser, dass er sie fahren liesse. Doch das
erhaltene Geld war dem Manne nicht genug, auch wusste er, dass die
Frau etwas hatte, der junge Mann aber nichts; er stellte sich erstaunt
und entrüstet über die empfangene Gabe und rief: O du grüne Welt, es
ist nichts als Klausengeld, d. h. nur Geld von der Frau, deren Yater sie
allm Klausen geheissen haben.
Eine andere junge Frau, welche eben getraut worden, wurde geführt
(gefahren). Sie war noch hinter Hall her und kam nach Sterzing. Unter-
wegs sah sie oft zum Wagen hinaus, wo er wTohl halten würde — die
grossen, doppelten Hausthüren gefielen ihr sehr und sie wünschte, der
Wagen möchte vor einer solchen halten — ; da hielt er, und es ging eine
halbe Thüre auf (zu ihrem neuen Heim). Später hat ihr Mann dann
noch ein grosses Gasthaus gekauft, wo auch Fuhrleute zukehrten.
Kommt das Ehepaar ins Wirtshaus, um das Hochzeitsmahl zu bezahlen,
so wird, nachdem alles berichtigt ist, der Frau mit einer grossen eisernen
Gabel ein hartgesottenes Ei serviert, welches sie zerschneiden und allein
aufessen muss.
Aus dem Ridnaunthal wurde erzählt: Bei einer Hochzeit wird ein
gebackener Kalbskopf, der ganz mit künstlichen Rosen besteckt ist, auf
den Tisch gestellt. Die Burschen nehmen sich die Rosen, stecken sie an
die Hüte und gehen damit heim. Der Braut werden Schmalzeier in
grosser Pfanne gebracht und mitten darin steckend ein Poppele, ein finger-
langes Püppclien. Sie muss schnell danach greifen, sonst krâlen sie ihr
alles, Eier und Poppele, durcheinander.
Zwei Buebn werden mit dem Rücken zusammengestellt, an den
Hüften zusammengebunden, hocken nieder und kriechen auf allen Tieren,
der eine vor, der andre rückwärts in der Stube umher. Sie wTerden als
Esel verlacht, und einer hockt sich als Reiter darauf. Vielleicht eine
Vorführung dessen, wie es geht, wenn einer an der verkehrten Seite zieht.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 19U0. 27
402
Rehsener:
Dieser Ausdruck wurde gebraucht, als von einem Ehepaar die Rede war,
bei dem es trotz alles Fleisses der Frau nicht gehen wollte, weil der
Mann ein Säufer war.
Kommt das Paar von der üblichen Hochzeitsreise zurück, so wird ihm
an einem der nächsten Abende „Das faule Weib" gesungen.1)
Der Postmeister hatte die Frau verloren und zum zweitenmale geheiratet.
„Heute singen sie ihm das faule Weib", hörten wir.
Wir gingen gegen Abend auf den Platz vor der Post und fragten:
„Ist es wahr, dass das faule Weib heute gesungen wird?" — „Sie sagen
es wohl", lautet die Antwort, „man wird ja sehen."
Dort gehen Männer und Buebn, sollte man die fragen? „Die wissen
auch nichts rechts, die kommen selbst zu losen (horchen)."
Weiter vor dem Gasthaus des Kern stehn Frauen beisammen: „Singt
man das faule Weib?" — „Ich glaub schon", antwortet eine, „denn im
Gastzimmer wird es hell, und es gehen Leute hinein. Sie pflegen hier
immer zusammen zu kommen und noch zu üben. Erst muss es dunkler
werden, ehe sie gehen."
Da kommt ein einzelner mit einer Glocke durch die Strasse und
schellt. „Jetzt ruft er die Leut zusammen, jetzt wird es gleich angehen."
Bald zeigt sich ein kleiner Zug und lärmende Musik wird hörbar.
Im Dunkel der Nacht leuchtet eine auf hoher Stange getragene, bunte
Laterne voran. Man unterscheidet Gestalten wie die Rüpel im Sommer-
nachtstraum, den Maurer mit Schurzfell und bestäubten Kleidern. Sie
suchen mit der Laterne das Haus des jungen Ehepaares. Einer unter
ihnen spielt den Unkundigen. Die ganze "Vorderseite des Hauses wird
beleuchtet und gesucht, bis die rechten Fenster, vor denen gesungen
werden soll, gefunden sind. Es sind die, hinter welchen sich das Paar
befindet und auch die Aussteuer steht.
Jetzt beginnt eine Art improvisierter Komödie. Durch Fragen und
Antworten wird zuerst festgestellt, wer Hochzeit gehabt hat. „Also der
Postmeister." Dann wird danach geforscht, wen er geheiratet. Es beginnt
ein Suchen nach der Frau Namen, und wie er Mühe gehabt, die Rechte
zu finden. Ein Weibis hatte er schon im Hause. Ist's die? „Die Dirn?
die hat er nicht geheiratet." — Er ist viel beim Karlmetzger gewesen,
vielleicht ist es dort die Kellerin (Kellnerin)?" — „Nein, die kanns nicht
sein. Die heiratet den Weber-Franz. Yiel öfterer noch war er im untern
Krummerladen (Krämerladen) beim Nannele." — Dann ist es die; lasst
uns ihnen das faule Weib singen. — „Nein, halt! was wollt ihr?" ruft
eine starke Stimme. „Die ist es nicht, das weiss ich ganz genau." Und
so geht es weiter. Noch soll er eine Alte und schliesslich eine Krumpe
1) Vgl. hierzu oben S. 202 ff.
Aus dem Leben der Gossensasser.
403
(Verwachsene) zur Frau genommen haben. Da spricht, wie überlegend,
ein Alter aus der Menge: „Der Postmeister ist die letzte Zeit so oft in
Trens1) gewesen."
Was soll das? wird der Sprecher unterbrochen, nach Trens geht man
zu beten, aber nicht um ein Weibis. (Es erfolgt Gelächter.) Mein Lebtag
hab ich das nicht gehört! — „Vielleicht war er um einen Petschierlack
(Siegellack) dort", meint ein Harmloser, und die Heiterkeit steigert sich.
„Nach Trens um ein Weibis zu gehen?" lässt sich ein Zweifler vernehmen,
als schüttele er dazu den Kopf, „Trens ist weit!" — „Was schadet das,
der Steifen (Stephan) hat lange Haxen (Hacken)." — „Aus Trens muss
er sich das Weibis geholt haben", spricht einer das entscheidende Wort.
„Ich hab gestern zwischen Licht und Dunkel einen Wagen von dort her-
auffahren sehen, das waren sie; aber wen kann er geholt haben? Art
lässt von Art nicht. Ich denke es wird auch eine Postmeistertochter
gewesen sein. Ja, die Moidl, die muss es sein." — „Die Moidl ist es",
rufen alle. „Also, nun wir es wissen, lasst uns ihnen ,das faule Weib'
singen":
O mein lieber Steifen, was hast Du jetzt Jetzt hast Du wohl Runter2) Herr!
Dass Du s' jetzt geheirat'hast?! [than! Du hast gethan a Schnitt.
Jetzt bist Du wohl a g'schlagner Mann A selles Weib a Gott b'hüt,
Und hast e feine Last. Kei selles mag i nit.
Ei ja, ei ja, das Ledigsein, das Ledigsein ist fein.
Sie ist Dir ja schon viel zu alt, Und bal's einmal um acht Uhr geht,
Sie hat ja keine Zähnte mehr, Da sitzt sie auf vom Bett,
Sie ist ja vierzig Jahr schon alt, Zu Nudeln, Schupfen, ist's schon zu spät4),
Du bist fein ummeg'rennt3). Auch wenn sie alles hätt.
Ei ja, ei ja, das Ledigsein u. s. w.
Sie legt ihr wohl recht langsam an5) Zur Marend6) nahm sie a Butterbrot,
Und macht ihr ein Kaifee, . Sie sagt, sie kocht a Mus,
Und sagst Du was, du armer Mann, Das hört man in ihrer Heimat schon,
Da heisst's, es ist a Thee. Das Kochen ist ihr Buss.
Ei ja, ei ja, das Ledigsein u. s. w.
Und als der Bauer von der Arbeit kam, Wenn einer a greidigen7) Acker hat,
Da sitzt sie hinterm Haus, Da braucht er a hudern8) Pflug;
Sie lasst halt fünfe grade sein Wenn einer a böses Weib z'Haus hat,
Und lacht die andern aus. Hat einer z'hausen gnug9.
Ei ja, ei ja, das Ledigsein u. s. w.
1) Maria Trens, Wallfahrtsort bei Sterzing.
2) Kleinvieh.
3) gut angerannt, angekommen.
4) Die Speisen zu kochen, Schupfen, zerpflückte Nudeln, in Schmalz gebacken.
5) zieht sich wohl recht langsam an.
6) Marend (ital. marenda), Vesperessen.
7) Ein Acker voll Sand und Steine.
8) lumpigen Pflug.
9) genug im Hause zu thun, zu wirtschaften.
27*
404
Rehsener:
Zum Weibernehm'n, zum Weibernehm'n Unsr Liedl ist jetzt gsungen,
Ist jetzt a schlimme Zeit. Und's G'sangl ist jetzt gar2.
Die Hosen sein zu plump, plump, plump Gelt, zornig ham wirEnk recht nit gemacht?
Und die Strümpfe sein zu weit!1) Es ist nit alles wahr.
Ei ja, ei ja, das Ledigsein, das Ledigsein ist fein.
Jetzt wünschen mir Enk viel tausend Glück!
Und das uns a nit minder.
Und wenns Enk noch derklecken3) thät,
A zwölf, a fuchzehn Kinder!
Und alles Buebn! und alles Buebn!
"Wie beim Refrain wird der Wunsch mit Pauken und Rasseln be-
gleitet, wozu auch Tierhörner, Trichter und Blechdeckel verwendet werden.
Es öffnet sich das Fenster, yor dem die bunte Laterne Halt gemacht hatte,
der Postmeister in Hemdärmeln wird sichtbar und reicht einen Geldschein
heraus: fünf Gulden. Danach Rückzug zum Wirt, der den Sängern so
lange zu trinken giebt, als das Geld reicht.
Beim Müller, der gleich nach seiner Hochzeit hergezogen, hier fremd,
nichts von dem Brauche, und wie man sich dabei zu verhalten habe,
wusste, gestaltete sich der Vorgang anders. Als der Mann den Lärm
hörte und unterschied, dass nach seiner Mühle geforscht wurde, öffnete er
das Fenster, um zu sehen, was es gäbe. „Der Esel (Mülleresel) schaut ja
schon bei Fenster aussr. Das ist die Lochmühle", rief man belustigt.
„Mit dem Esel war ich gemeint", sagte der Müller, als er davon erzählte,
und fuhr fort: „Erst muss man sich verarbeiten lassen und nachher noch
zahlen. Ich bin weit in der Welt herumgekommen, aber das hab ich nie
gesehen. Da sieht man, dass die Narren und Dummen nicht alle werden."
Es sollen hier durch dieses Singen Leute um den Frieden gekommen sein;
denn dass gar nichts in einer Ehe ist, das giebt's nicht. Die Frau hat
doch etwas von dem Zeug geglaubt und es dem Mann immer fürgehalten.
Noch hörten wir einige Yerse, „das Sangl verändert für einen Witwer",
liiess es, ein Vergleich der zweiten mit der ersten Frau.
Das alte faule Weib.
Mei' altes "Weib hat mir gebn Mei' altes Weib hat mir gebn
Allzeit mei' Federbett, Allzeit a Krügele Wein,
Die giebt mir a Schippele Taxen4), Die giebt mir a Krügele Wasser
Mag ich liegen oder net. Und schenkt mir nimmer ein.
Mei' altes Weib hat mir gebn
Allzeit mei Bratl und Fisch,
Die giebt mir a Schüssel e rubenes Kraut
Und stellt mir's auf den Tisch.
1) Die Brautleute sind abgemagert.
2) fertig.
3) Wenn es Euch genügen würde.
4) zerhackte Tannen. Vgl. oben S. 205.
Aus dem Leben der Gossensasser.
405
Ist ein Bube von einem Mädchen trotz aller Bewerbung abgewiesen
worden und verlobt sicli dieses mit einem andern, so wird der erstere
gefoppt: „Lass den Kalzik ausserhangen." Am Abende ihrer Hochzeit
aber wird dem zurückgewiesenen Freier eine Katzenmusik gebracht —
er ausgetrommelt.
Der Unverheiratete, ist er noch so angesehen und erreichte er das
ehrwürdigste Alter, heisst immer Bueb. Die Buebn aber passten ehnder
einem Mann, wenn er oft zu einem fremden Weibis ging, auf. War er
erwischt, wurde ihm ein Stock zwerchs (quer) über den Rücken durch
seine beiden Rockärmel gesteckt, dass er mit ausgespannten Armen heim-
gehen musste, wenn ihn nicht schon vor seinem Hause eine gutmütige
Seele befreite. Einem, der immer zu einer Witwe lief, haben sie nicht
nur die Arme ausgespannt, sondern ihm auch noch eine Karre hinten an-
gehängt.
Für den Mann (Ehemann) begann früher auch mit der Vermählung
eine Verpflichtung der Gemeinde gegenüber. Was die Verwaltung, an
deren Spitze der ,Dorfmeister' stand, dieser mitzuteilen hatte, musste ein
Bote für 10 Kreuzer bestellen, gleichviel, ob die Bestellung an einem Orte
oder in 10 Häusern zu machen war. Den Boten aber hatte der zuletzt
Vermählte zu bezahlen, bis der nach ihm Heiratende ihn ablöste. Dem-
entsprechend muss der zuletzt Begrabene den Friedhof hüten — nach
dem Glauben der Gossensasser -— bis er von dem nächsten Toten ab-
gelöst wird.
Ein Herr, der heiraten wollte, aber die damit verbundene Mühe
scheute, sagte zu seiner Häuserin: „Ich heirate Dich, doch Du musst
warten, dass es nicht zu viel Kinder abgiebt." Sie wartete, und als sie
geheiratet hatten, gab es gar kein Kind.
Eine Frau beklagte sich bei einem Mädchen, dass sie so viel Kinder
habe. „Du bist wohl auch ledig (unverheiratet) geboren, hast es so gewollt!"
antwortete dieses.
Dreierlei Leut', hat der Kinast-Naz (Ignatius) gesagt, wären zu wenig
auf Erden erschaffen: solche für die Notigen (Armen) zu zahlen, solche
für die Reichen zu sterben und solche für die delikaten Frauenzimmer ins
Kindbett zu liegen.
„Ehe ich einschlafe, bete ich für Dich ein Vaterunser, wenn ich auf-
wache, sage ich Dir guten Morgen und recke meine Hände nach Dir aus
über Berg und Thal", schrieb ein junger Bursche an sein Mädchen.
Die A. ist arbeitsam und fleissig, aber wer weiss, wenn sie heiratet,
wie es bei der Spielerei (dem Liebesgetändel) wird.
Wie konnte die B. vorehnder ôchnsehen (hinabsehen, die Augen
niederschlagen) jetzt, als Bäuerin, ist sie ein rechter Fahraus.
406
Rehsener: Aus dem Leben der Gossensasser.
Zuerst, als die C. ins Haus kam, hat alles geglänzt, ist ihr schön er-
schienen. Sie war reich, und es heisst, die Eheleute hätten den Pflerschern
den Weg mit Bankinotten (Banknoten) pflastern können. Zugehen soll
es jetzt bei den Leuten — unauszuhalten.
Wenn einer eine rechte Schlumper erwischt, spottet man: Der hat
wohl immer in einen Fackenhafen (Schweinetopf) hineingebetet oder nie
ein rechtes Kreuz gemacht. Ein solcher Mann wurde gefragt, wie bist Du
nur zu Deiner Frau kemmen? — „Sie hat für mich gestrickt, gearbeitet,
und wir sind vorm Kersenum (Kyrie eleison) ums Opfer gangn" (es ist
vor der Trauung nicht, wie es sollte, zugegangen).
Der T. J., der eine Nahterin geheiratet hatte, behauptete immer: Die
drei letzten Mittel, zu etwas zu kemmen, wären: Eine Nahterin heiraten,
einen alten Hut flicken und Soldat werden.
Die D. redet zu anderen über ihren Mann. Wenn eine den Mann
überall ausrichtet, hat er schon gefressen (genug). Es heisst der Spruch:
Ausrichten — vernichten.
Der E. ist viel über die Krippe gekrochen (es ist viel über sie ge-
kommen).
Die M. M., welche ins Pflersch geheiratet hat, soll seitdem allm reren
(immer weinen), weil sie das Heiraten ruit (gereut). Dort heiraten sie
immer in der Fruindschaft (Verwandtschaft), selten kommt ein anderer
hinein. „Das hätt' ich der M. sagen können, dass sie ein jedes dort an-
sieht, als hätt' sie Hörner auf (wäre nicht ebenbürtig)."
Bei einem noch kinderlosen Ehepaar liegt der Mann immer auf dem
Ofen und fragt: „Frau, kann ich wiegen? Frau, kann ich wiegen?"
Ein anderer hatte Kinder und wiegte sie. Er wiegte sie auch in der
Nacht und schalt die Frau, wenn sie die unschuldigen Kinder schalt.
Auch musste er stricken, und sie sass dabei und that nichts. Jetzt betet
er nur noch und betet allm (immer). Sie sagen, er wäre narrig geworden.
Ein Bauer, dem ich die Munterkeit seiner Frau trotz ihrer vielen
Arbeit und vielen Kindern rühmte, antwortete behaglich: „Ja, das ist mit
ihr wie bei den Soldaten: wer frisch zu den Schützen kommt, ist es auch
nachher, und wer koderich hinkommt, bleibt es auch. Meine Frau ist
frisch vorher und frisch nachher."
Bacher: Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol. 407
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen
Südtirol.
Vom Kuraten Josef Bacher in Unterfennberg bei Margreid in Südtirol.
(Fortsetzung von S. 319.)1)
11. Dar Jaggl Hçal.
Dísa jar ís-da g-nvëst a arrays waibla
nïdar gga Masétn, bo-da nixt hat gahat
zo lêba; 's hat nixt gahat ne z' ésa ne
zo trinka.
In an strçax hat-'s gahçart kó'n, ke
durx »n da Graciait ís-da d-;r Jaggl
Hçal on darsei hat àia dar sçrt. On díza
waibla an an mal is gant áns af da tur
vò sain haus on (h)at garüaft:
„Hö, Jaggl Hçal,
PrÍK-mar miar ö main tçal!"
on déna is ('s) gant z' slava.
In ta' darna is ('s) áugastant on (h)at
gavuntat a halbes waiba áug^haioro an da
tür. Díza waibla is d^rsrákt on (h)at
net gawist (gawçast), be-'s-as hat zo trága
in an sai haus Ödar was as hat zo tuana,
on is is gant áus afs Lavrau zo vórsa
an faf z' séga, bas-as hat zo tüana. On
dar faf hat köt asó: „Géa huam, on
haint, bal-'s is naxt, leg(a) an hunt an
11. Jaggl Hoal.
Vor Jahren war ein armes Weiblein
drunten in Masetn, welches nichts hatte
für den Lebensunterhalt; es hatte nicht
zu essen noch zu trinken.
Einmal hörte es sagen, dass drüben
in der Graselait der Jaggl Hoal ist, und
dass selbiger allerlei (Sachen) hat. Dieses
Weiblein ging (nun) eines Abends hinaus
zu ihrer Hausthür und rief:
„Ho, Jaggl Hoal,
Bring mir auch meinen Teil!"
und dann ging es schlafen.
Am andern Tage stand es auf und
fand ein halbes Weib aufgehängt an
der Thür. Das Weiblein erschrak und
wusste nicht, ob sie es in ihr Haus tragen,
oder was es thun solle, und es ging hin-
aus nach Lavrau den Priester zu fragen
(um zu sehen), was es thun solle. Und
der Priester sagte folgendes: „Geh heim,
und heute abends, sobald es Nacht ist,
1) Yon nun an wird in der Darstellung der Mundart zwecks besserer Hervorhebung
einzelner Wortbestandteile ohne Beeinträchtigung der richtigen Betonung eine kleine Ver-
änderung in folgenden Punkten vorgenommen:
1. Anlehnung tonloser W Örtchen an betonte (-), z. B. ktt-mar (statt küinar) hat-sa-sa
(statt hatsasa).
2. Ausfall von Lauten in gewissen Fällen: tä', aber täga, hä'm: zo hába, kö'n:
zo köda.
3. wird der genaueren Aussprache gemäss, manchmal auch wegen der schwankenden
Anwendung öfters w durch b, d durch t u. s. av. ersetzt.
Um Missdeutungen in Bezug auf Aussprache des Textes zu beseitigen, sei hier noch
folgendes bemerkt:
Der genäselte Klang der Vokale ist in den Fällen, wo er auch im Hochdeutschen
auftritt, z. B. vor n, nicht besonders bezeichnet, da es sich in diesen Fällen von selbst
versteht; es ist ist also z. B. statt gänt, lésân stets einfach gant, lésan geschrieben u. s. w.
in ähnlichen Fällen.
Die Lautverbindung bb ist (analog dem g g) als ein hart abschliessendes i¡>, oder viel-
mehr âls d mit nachlautendem g oder gg zu sprechen; also roía = rag (ragg), z. B. gavaina =
gavaiag (gavaragg) oder gavägg.
408
Bacher:
haus, da kaz afa heart on an pésom
(pésum) híntar da tttr, on déna rftaf-an
wídar on ktt:
Hö, Jaggl Hçal,
Ai(l), nim-an dain tçal !
on déna gea on le' d«? nidar an pet,
ma antslav net, stéa wáxant on pêt
o-lai, Iii san z' séga, was-da (bas-da)
gasêgat.
On asö hat-'s gatant díza arm waiba.
Balama bal-'s is gawëst pala das úa an
da naxt, is-ar kent dar Jaggl Hçal on
(h)at köt: „'s is bol ás-do hast an hunt
an haus, da kaz afn heart on an pésom
híntar da tttr, sa-nÖ bolast-(d)o bol se®,
bás-i-dar tttanat." On dena hát-ar ga-
nump saï halbas waiba on is gant.
Das arm waibla hat gapëtat on ga-
waxt on geliisant da ganz naxt on ^h)at
gahçart als, bäs ar hat köt on bas ar
hat gatânt. Mórgas is(-'s) áugastant, ma
's is gawëst mearar tçat bas lenta yo
dar vor't, bö-'s hat gahat, on (h)at köt:
„Nimar mear ándarst bárt-i net rüavan
an Jaggl Hçal!"
Bemerk.: Die Sage vom „Jaggl Hçal" ist auch im Fersenthaie bei Pérsan (Pèrdine)
unter den dortigen Deutschen bekannt und zwar noch ausführlicher. Hans Nikolussi-Leck,
ehemals Lehrer in Ausser-Florúz (Fersenthal), hat nebst mehreren anderen Sagen des
Fersenthaies auch die vom Jaggl Hçal im „Bote für Tirol und Vorarlberg" veröffentlicht.
Der genannte Lehrer ist ein Luserner und wirkt jetzt an der städtischen Knabenvolksschule
in Bozen, wie schon in dieser Zeitschrift („Geschichten aus Lusérn" — oben S. 160)
erwähnt. — „Masétn" (italienisch Maséti) ist ein kleiner, zur Gemeinde Lavratt (ital.
Lavaron?) gehöriger Weiler, ungefähr eine halbe Stunde von Lusern entfernt, während die
Entfernung von Masétn nach Lavratt 2 Stunden beträgt. Sprachlich muss Masétn wohl
als italienischer Weiler bezeichnet werden; jedoch die ältesten Leute dieses Weilers sprechen
das Cimbrische noch rein und gut als Muttersprache, während die jüngeren es nur un-
vollständig beherrschen, da sie hauptsächlich nur durch den Verkehr mit Lusern dasselbe
kennen lernen und anwenden können. — Graselait ist ein dem Weiler Masétn gegenüber-
liegender Bergabhang auf der anderen Thalseite, zu Lavraü gehörig — is is gant áus ais
Lavrau: wie gemeindlich, so gehört auch in kirchlicher Beziehung Masétn zur Seelsorge
Lavrau.
thue den Hund in die Küche, die Katze
auf den Herd und den Besen hinter die
Thür, und dann ruf ihn wieder und sage:
Ho, Jaggl Hoal,
Komm, nimm (ihn) deinen Teil!
und dann geh und lege dich nieder im
Bette, aber schlafe nicht ein, bleibe
wachend und bete auch dabei, horche
(um zu sehen), was geschieht."
Und so hat dieses arme Weib gethan.
Endlich, als es bald ein Uhr nachts war,
kam der Jaggl Hoal und sagte: „Es ist
gut, dass du den Hund in der Küche,
die Katze auf dem Herde und den Besen
hinter der Thür hast, sonst (wenn nicht)
würdest du wohl sehen, was ich dir'
thäte." Und dann nahm er sein halbes
Weib und ging.
Das arme Weiblein betete und wachte
und horchte die ganze Nacht und hat(te)
alles gehört, was er gesagt und was er
gethan hat(te). Morgens stand es auf, aber
es war mehr tot als lebendig wegen der
Furcht, die es gehabt ha(te), und sagte:
„Nie mehr werde ich rufen den Jaggl
Hoal!"
12. Dar Púaxwald.
Vor hundart on füxzag jär áus afs
Lavráu ís-da gawëst a vatar, bo-da hat
gahat zwça sün. Dfsa zwça sün sain
gawest bravai, sa hä'm gaarbatat da gánzan
tíiga áus az velt on hä'm gaholft sain vatar
das méararsta, bó-sa hä'm gamögg.
Baiami dar vatar is darkrankt on
gastorbat; ma vör-dar is gastorbat, hát-ar
12. Der Buchenwald.
Vor hundertfünfzig Jahren draussen
in Lavarone war ein Vater, welcher zwei
Söhne hatte. Diese zwei Söhne waren
tüchtig, sie arbeiteten die ganzen Tage
draussen auf dem Felde und halfen ihrem
Vater so gut sie konnten.
Mit der Zeit (allmählich) erkrankte
und starb der Vater; aber vor seinem
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
409
gamaxt testament on hat galat als saï
gaplätra sain zwça siin, ás-sa-'s-an tçaln
af da mit on ás-s'-as neman halbas vor
uà, aus von Puaxwalt, bo-d'-ar hat ga-
hat nídar untar di kiix Ensél hát-ar
köt ás-d'-an halt darsei sun, bö-da-'s-an
gawint.
Di árman pua'm hâ'm àugatçalt als
das andar gaplätra dus von wait. Betn
wait há'm-sa net gawist wfa zo ttìana.
Alora sáin-sa gant an rext on hâ'm ga-
vôrst an dsudiza, z' sega, bfa-sa hâ'm
zo tuana; on darsél hat ô net gawist,
bïa zo lirna-sa, on sa sain gakéart wfdar
huam. On an gíanan huam ha'm-sa-'s-
an áusgaredat aso: est géa-bar huam,
on huam ás-bar sain, sláif-bar-as a
mésar vor üan, on morgn, bál-da áu-
stêat da sun, géa-bar dus an wait on
hévan a zo stráita on zo júka an an-
ándar, on bér-da gawint vò dansél hat
zo sáina dar wait.
On asó há'm-sa gatânt; sa saia gant
huam, on ha'm-an gaslaift a mésar vor
lian on dena sáin-sa gant z' slava.
In tä' dama sáin-sa áugastant zo
gíana zo straita, ma bál-sa sain gawëst
nämp an wait, sáin-sa dorstánt, umbrúm
invëza bas zo sáina-da dar wait, ís-da
gawëst a sea — un alora da pua'm
hâ'm nixt mear gastrite an fra se on
hâ'm galat an sea an ggomáü vò La-
vrau.
On se'm dar sëa is-da nô an ta' vo
haüt ö, on drín sáin-da da vis, on bál-
da da visar gfan zo visa, zíagn-sa nô
h érta áuvar a tïabas a pttaxa rais.
Tode hat(te) er Testament gemacht und
sein ganzes Hab seinen zwei Söhnen
hinterlassen, dass sie es sich teilen mitten
und dass sie nehmen jeder eine Hälfte,
mit Ausnahme des Buchenwaldes, den
er drunten unter der Kirche hatte. Diesen
(Buchenwald) sagte er, behalte jener
Sohn, der sich('s) ihn verdient (der es
verdient).
Die armen Burschen teilten auf das
ganze (andere) Besitztum mit Ausnahme
des Waldes. Mit dem Walde wussten
sie nicht, wie sie thun sollten. Sie gingen
(dann) zu Gericht und fragten den Richter
(um zu erfahren), was sie thun sollten,
und dieser wusste auch nicht, wie sie zu
belehren (was er ihnen raten solle), und
sie kehrten wieder heim. Und auf dem
Wege nach Hause trafen sie unterein-
ander folgende Abmachung: „Jetzt gehen
wirheim, und zu Hause angelangt, schleifen
wir uns ein Messer für einen (schleift sich
jeder) und morgen, bei Sonnenaufgang
gehen wir hinaus in den Wald und be-
ginnen zu kämpfen und draufzuschlagen
(auf)einander, und wer gewinnt (siegt),
dem soll der Wald gehören.
Und so thaten sie; sie gingen heim,
und es schliff sich jeder ein Messer, und
dann gingen sie schlafen.
Am Tage darnach standen sie auf, um
zum Kampfe zu gehen, allein als sie nahe
dem Walde waren, waren sie erstaunt,
denn statt (zu sein) des(r) Waldes war
ein See da — und dann kämpften die
Burschen nicht(s) mehr miteinander und
(über) Hessen den See der Gemeinde
Lavarone.
Und dort ist der See noch heutzutage,
und drinnen sind (die) Fische, und wenn
die Fischer gehen zu fischen, ziehen sie
noch immer herauf manchmal ein bu-
chenes Reis.
Bemerk.: „Lavráü" dürfte vielleicht aus einer Zusammenziehung von (Unsere) „Lieba
Vrau" entstanden sein; indes ist „Unsere liebe Frau" nicht Schutzheilige der Pfarrkirche,
sondern einer der Pfarre unterstehenden Expositur in Lavrái?, Kapéla (Cappella) genannt.
— ... „da pua'm hâ'm nixt méar gastrïtat", wörtlich . . . haben nichts mehr gestritten;
ähnlich sagen auch die Kinder, wenn sie etwas nicht thun wollen, statt na oder net
gewöhnlich nixt, was einer sehr scharfkantigen Willensäusserung gleichkommt.
410
Bacher:
13. 's lox von gelt.
Au obar 's lant vö Lusern sáin-da
da wäldar von Lavraunar on se'm is-
da(-n)-a tçko wait, bó-da-sa rtiaft dar
„Klapf", on af da mit disan wait ís-da
a lox, bö-da-sa rtiaft „'s lox von gelt":
Vor vïl vïl jar sáin-da gawëst da
mägn an plaz vo Vanëda zo halta a
rëda on se'm há'm-sa köt, ke bál-da
is kríaga da ráixan latit bogrä'm 's gelt
lintar da éarda on dena vomoïan-sa vort
von lant, on ás-sa net stían gatçatat
von solda(d)n, ás-sa nö kearn bidrúm
anlant, venan s' as wídar; ma ás-sa
neméar hâ'm g-dük zo kéara bidrúm,
's gelt steat ?n taüvl, on dar taüvl,
bál-'s is húndart jar, ás-ar-'s hat, légg-
ar-'s an da sun zo süna; ma dar lat-'s
net sëgn, ke 's-is gelt: ben lát-ar'-s
sëgn an a züäla salât, bon an an hauf
sçatln on ben an an álbar gavast bat
rçasan. On bér-da se'm is zo hëva-'s
on zo traga-'s vort, bas-da dar taíivl
zçagat, vÔ dansel is al-'s gelt, bo-da is
vorpórgat se'm an dansel plaz. On lai
há'm-sa áukontart, ke da ís-da(-n) a
lox an wait von ggamau vö Lavraa
obar 's lant vö Lusern, bö-da-san is
bograb4 a hauf gelt, on az füxzana
Ódar séxzana vö ludsio dar taüvl légg-'s
zo siina.
Se'm an plez (pläz) sáin-da gawëst
vïl laüt zo lfisna on lai sáin-da gawëst
zwça manan, bó-da ala jar sain kent
zo pérga bet sain vïx an Milagriia'm,
nn hâ'm-'s gahçart on lai há'm-sa ga-
wçast, bo-da is 's lox, on sa sain kent
zo perga dansel ö sumar, on az füxzana
on sexzma vö lúdsio há'm-sa gahüat4
da ganzan täga úma díza lox her.
Balama az sexz-ma abas ís-da her-
kent a saüla wetar, plízagar, tóndrar,
saur on wint on re», ás-'s hat gamaxt
da vor't — — on se se'm zo htiata.
Balama is kent pa lox áuvar a züäla
13. Das Geldloch.
Droben oberhalb des Dorfes Lusern
befinden sich die Wälder der Lavrauner
(von Lavarone), und dort giebt es ein
Stück (Strecke) Wald, der heisst der
Klapf, und mitten in diesem Wald ist
ein Loch, welches das Geldloch heisst:
Vor vielen vielen Jahren waren die
Zauberer auf dem Platze zu Venedig,
eine Rede zu halten, und da sagten sie,
dass, wenn es giebt Krieg, die Reichen
das Geld unter die Erde vergraben und
dann vom Dorfe (Lande) fliehen, und
wenn sie nicht durch die Soldaten um-
kommen, wenn sie wieder in ihr Dorf
(oder Land) zurückkehren, finden sie es
wieder; allein wenn sie nicht mehr Glück
haben zurückzukehren, (so' verbleibt das
Geld dem Teufel, und der Teufel, wenn
es hundert Jahre wird, dass er es hat,
legt (er) es an die Sonne zu sonnen;
jedoch er lässt es nicht sehen, dass es
Geld ist: bald lässt er es sehen in einem
Körbchen Salat, bald in einem Haufen
Holzabfälle, (und) bald in einem Baume
bedeckt mit Blüten. Und wer dort ist zu
(be)heben es und zu tragen es fort, was
der Teufel zeigt, dem gehört alles Geld,
das verborgen ist an jenem Platze. Und
dabei erzählten sie, dass es ein Loch gebe
in einem Walde der Gemeinde Laverone
oberhalb des Dorfes Lusern, wo (davon,
dessen) ist vergraben eine Menge Geld,
und am fünfzehnten oder sechzehnten
(von) Juli legt es der Teufel zu sonnen.
Dort auf dem Platze waren viele Leute
zu lauschen, und gerade waren (auch)
zwei Männer (zugegen), die alle Jahre
kamen auf die Alme mit ihrem Vieh nach
Milagrua'm, und hörten es, und zugleich
wussten sie, wo ist das Loch, und sie
kamen auf die Alme jenen Sommer auch,
und am fünfzehnten und sechzehnten Juli
passten sie auf die ganzen Tage um
dieses Loch herum.
Da, am sechzehnten abends, kam
daher ein schreckliches Gewitter, Blitze,
Donner, Hagel und Wind und Regen,
(so) dass es Furcht gemacht hat — —
und sie dort zu beobachten. Da kam
Yon clcm deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol. 411
salât, on së vaia^n dísa zuä .... on
vort. Sa sain nsáioiaa gant méar zuor
ggan käsarn, sa hâ'm híntargálat 's vïx
on 's gjplätra, bó-sa na hâ'm g¿hat on
sain gant háam bét-dar zuä on se'm
is's kent plças^s gelt, ke sa há'm-san
g^hat g'-nua vor se on hâ'm-san g¿lat
an hauf sain kindar ö; on aso is 's
áuvarkent, ás-da 's lox, bo-da fin alora
hat g<?hçast 's lox von Klapf, est hçast
's lox von gelt.
A-bé-da kö'n d¿ altn, sáin-da vor
jär gant nïdar pa dísar tfavan hol nídar
pa éard-? zwça püa'm z' séga bía-'s is.
Sa hä'nwn nag-mump a lantern, on an
tçko nídar há'm-sa gavunt^t puand^r vö
tçatn laüt on vö tçatn vïx, on s¿ sain
nö gant nïd^rwârt, on bál-sa sain g¿-
wëst nïdar an süan tçko is-^n darlöst
's li^xt; sa hâ'm áuvarg^nump 's zuntar
on d¿ swéb^la on 's vaiiraisan zo kénta
(ziinta) a 's liext; ma sa sain net g¿-
wëst guat; 's liaxt bat neméar g-^wölt
prinm on sa sain neméar gawest guat
zo hába (zo zïaga) 011 ätn vö dar tüf,
bo-da da nïdar is g^wëst on alóra sáin-
sa gskéart b¿drúm éna zo haba g¿vunt4
kuà gelt, on hâ'm köt, ke nimar méar
ándarst bártn-sa net gían nídar pa lox
von gelt.
❖ ❖
In an strçax sáin-da gant drai díar-
n¿n on a pua áu m MiLgrua'm na ra-
díggn. Bál - sa sain gswëst gga dar
hülb9 von Pontárn Ódar von Swant, bía-
mä bíl-ar ko'n, sáin-sa-s¿ àusgatçalt:
dar pua un nana a dïarn sain gant durx
zúa ?n Swant on d¿> ándarn zwça diar-
nsn sain gant af d¿ sait von Srotn.
Balama ís herkent a süäs warmss
làiaasrëgaL, on dís¿ zwça dfarnla sáin-
S3 gazögft in tintar a vaiixt. Balama
há'm-sa gàhçart an grçasan tóndrar on
lai há'm-sa g^sëgg a satila lox se'rn
nâmp ím¿n-ándarn on diza lox hâ'm-
s'-as nía gahat gesëgg vora; on s¿ sain
zum Loche herauf ein Körbchen Salat,
und sie ergreifen diesen Korb .... und
fort. Sie sind nicht einmal gegangen mehr
hinzu zu den Sennhütten, sie haben zu-
rückgelassen das Yieh und die Sachen,
welche sie mithatten, und sind heim-
gegangen mit dem Korb, und dort ist's
geworden lauter Geld, dass sie davon
genug gehabt haben für sich und eine
Menge davon hinterlassen haben ihren
Kindern auch; und so ist es gekommen,
dass das Loch, welches bis dorthin hiess
Loch von Klapf, jetzt heisst das Geldloch.
* ❖
«
Wie die Alten sagen, sind vor Jahren
hinabgestiegen in diese tiefe unterirdische
Höhle zwei Burschen, um zu sehen, wie
es ist. Sie nahmen sich mit eine Laterne,
und ein Stück (weit) drunten fanden sie
Gebeine von toten Leuten und von totem
Vieh, und sie gingen noch abwärts, und
sobald sie hinunter waren ein schönes
(beträchtliches) Stück, erlosch ihnen das
Licht; sie nahmen hervor den Zunder und
Schwefelkerzchen Und das Feuereisen, zu
zünden an das Licht; allein sie waren es
nicht imstande; das Licht wollte nicht
mehr brennen, und sie konnten nicht mehr
atmen wegen der Stickluft, die da drunten
war, und dann kehrten sie zurück, ohne
Geld gefunden zu haben und sagten, sie
würden nie mehr hinabsteigen in das
Geldloch.
❖ %
Einmal gingen drei Mädchen und ein
Knabe hinauf in Milegruabn um Cichorie-
salat. Sobald sie bei der Wassergrube von
Pontärn (Steilung) oder Schwand, wie
man sie nennen will, waren, haben sie
sich verteilt: Der Knabe und eines ein
Mädchen gingen hinüber dem Schwand
zu, und die andern zwei Mädchen gingen
gegen die Schrotten (steinübersäete Fläche).
Da kam ein schöner warmer Frühlings-
regen, und diese zwei Mädchen begaben
sich (hinein) unter eine Fichte. Da hörten
sie einen starken Donnerschlag, und zu-
gleich sahen sie ein grosses (eig. abscheu-
liches) Loch dort nahe (bei) ihnen, und
dieses Loch haben sie nie gesehen vor-
412
Bacher:
gant dui'X nämp z' séga, bäs vor a lox
's is.
Als a strçax há'm - sa gahçart an
ggregg on lai nídar z' tìntosi an lox
há'm - sa gasëgg a suas naügas ziiäla
vol salât, on se isaugn hintar on vür
z' séga, bé-sa sain guat zo gíana nfdar
zo néma da zuä; ma sa sain net ga-
wëst gúat.
Alora sáin-sa gant z' séga, bé-sa
venan da àndarnzwça, on hër an Swant
ha'm-sa-sa gavunt^t. On se'm hâ'm-s'-an
köt, bas-sa hâ'm gasëgg on gahçart, on
lai há'm-sa áuganaioio ála betnándar zo
gíana z' sega on lai zo néma da zúa
on da salát. — Ma bál-sa sain gawest
badrum in an de srotn há'm-sa gastiaxt
hî on hër, ma në 's lox ne da zúa në
da salát há'm-sa-sa nemear gavuntat.
Déna sáin-sa kent húam on há'm-'s
köt sain laüt, on a(n) áltar man hat-'s
gahçart on alora hat-ar köt, ke se'm
is-da untar 's gelt von taiivl on ansel
tâga hát-ar-'s gahat áus zo süna, on
bé-sa hätatn ganump da zuà vor sa
sain vôrtgakëart, hatatn-sa gahat 's gelt;
on aso dar taûvl hat-'s bïdar ganump
badrum.
On diza is g<?sëgat vor sexzag jâr
gga laioas on úans von sein dí*rnla lëbat
nö on kontärt-'s nö an tä' vö hatìt, bfa
's is gasëgat.
14. Da Wölf.
In an strçax sáin-da gawëst zwça
prttadar, úandar hat gamaxt an sáltnar
on dar ándar is gastant dahúam zo
máxa an paur.
In an täga is huamkent dar sáltnar
früadar bäs da ándarn mal on hat köt
an pruadar, ke dar hat gasëgg húndart
wölf, on dar juia pruadar hat-'s-an net
gawölt gl ça'm on (h)at köt: „Na na, i
glça'-dar-'s net." „Beio", hát-ar köt
dar sáltnar, „alöra sáin-sa gawëst natìn-
zag." „Natìnzag sáin-sa ö net gawëst",
hat-ar köt dar juia. „Alora", hat-ar
her; und sie gingen hinüber nahe, um
zu sehen, was für ein Loch es sei.
Auf einmal hörten sie einen Krach
und zugleich drunten zu unterst dem Loche
sahen sie ein schönes neues Körbchen voll
Salat, und sie schauen hin und her (um
zu sehen), ob sie imstande wären, hinab-
zugehen, den Korb zu nehmen; allein
sie konnten nicht.
Dann gingen sie zu sehen, ob sie die
andern zwei fänden, lind herüber auf dem
Schwand haben sie sie gefunden. Und
dort sagten sie ihnen, was sie gesehen
und gehört, und dabei haben sich alle
miteinander aufgemacht, um sehen zu
gehen und zugleich zu nehmen (holen)
den Korb und den Salat. — Allein als sie
wieder zurück in den Schrotten waren,
suchten sie (wohl) hin und her, aber
weder das Loch, noch den Korb, noch
den Salat konnten sie (sie) (nicht) mehr
finden.
Dann gingen (kamen) sie heim und
sagten es den Ihrigen, und ein alter Mann
hörte es und sagte sodann, dass dort ist
unten das Geld des Teufels, und am selben
Tage hatte er es heraussen zu sonnen,
und wenn sie den Korb genommen hätten,
bevor sie fortgegangen sind, hätten sie
gehabt das Geld, und so hat es der Teufel
wieder zurückgenommen.
Und dies ist geschehen vor sechzig
Jahren im Frühlinge, und eins von jenen
Mädchen lebt noch und erzählt es noch
heutzutage, wie es geschehen ist.
14. Die Wölfe.
Einmal waren zwei Brüder, einer war
Saltner (Feld-, Waldhüter) und der
andere blieb zu Hause als Bauer.
Eines Tages kam der Saltner früher
als die anderen Abende heim und sagte
dem Bruder, er habe hundert Wölfe ge-
sehen, und der junge Bruder wollte es
ihm nicht glauben und sagte: „Nein, nein,
ich glaub dirs nicht." „Gut", sagte der
Saltner, „dann waren es ihrer neunzig."
„Neunzig waren (sie) es auch nicht",
sagte der junge. „Dann", sagte der Saltner,
„waren es achtzig." „Achtzig auch nicht",
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
413
köt dar sáltnar, ,,sáin-sa gawëst axzag."
„Axzag 5 net", hat-ar köt dar ju©, on
dar sáltnar hat hérta köt zëna min dar,
fin ás-ar hat köt: „Beio, alora bart-'s
sain gawëst úandar." „Niánka fian
hást-(d)o net gasegg", hát-ar köt dar
juio. „Bern", hat-ar köt dar sáltnar,
„alora bart-'s sain gawëst a stok"--
on vö d-^nsel taga an anseln zwça prua-
dar hâ'm-s'-an hérta köt „da wölf".
Dísan zwça prtiadar is-an kent an
sint zo boráta-sa, on alora sáin-sa gant
zo p fíala on sain gant pçada gga'n ar
dïarn, on se hat-sa ganump an vorhça-
som ala pçada, on alora dïsa zwça
pQa'm hä'm net gawist, wía zo tuana,
on sa hä'm köt an fra se-ándra: „Beia,
wïar mäxl-sa a pçada, bar hä'm ganfia
bat uan-an waiba an tisar haus. Est
gea-bar ggan faf on kü'n-an, ás-ar s'-as
las maxi" • • on sain gant ggan faf,
ma dar faf hat-s'-en net galat mfixln;
on sa sain gant zo pita an véskovo, ás-
ar s'-an las mSxln.
Dar éltar hat-an ganump da súa af
da aggsln, on dar ju® hat-an agalegg da
gélbarn.
Bál-sa sain gawëst vorán-an paláz
von véskovo, dar éltar is ingant an paláz
zo gïana garáda vorán-an véskovo, on dar
juio is gastant se'm af da tttr.
Bál-dar is gawëst vora dar tur vö
dar kamar von véskovo dar alt, darsei
bö-da se'm is gawëst zo hiiata, hat-an net
gawölt lásan ingían, on ër hat sovl gâ-
tant, fin ás-ar-an hat galat gían.
Bál-da dar véskovo hat gasëgg dfsan
man, hát-ar-an g^vörst z' séga, bas-ar
ttìat betn sua áu af da aggsln, on ër
hat köt: „Da sua lég-a-sa a, bál-d'-a
gëa vora d^n nöblisan laüt" — — on
dar véskovo hat an gavörst z' sëga,
bas-ar bil, on er alora hat köt: „Sirgum
et in sergum sergum", on dar véskovo
is darsrákt on hat köt gga dansein,
bö-da se'm sain gawëst: „Varnoan on
vfiart-an vort ansei arm man!" on se
hä'm-an gavuart aba afn wëga.
sagte der junge, und der Saltner sagte
immer zehn minder, bis (dass) er sagte:
„Gut, dann wird es einer gewesen sein."
„Auch nicht einen hast du gesehen",
sagte der junge. „Also", sagte der Saltner,
„dann wird es ein Stock gewesen sein"
--und von jenem Tage an hat man
diese zwei Brüder stets die Wölfe ge-
heissen.
* ❖
❖
Diesen zwei Brüdern kam in den Sinn,
sich zu verheiraten, und daher gingen sie
zu buhlen und gingen beide zu einem
Mädchen, und dieses hat beiden zugesagt,
und dann wussten diese zwei Burschen
nicht, wie zu thun, und sie sagten unter
sich: „Wohlan, wir heiraten sie beide,
wir haben genug mit einem Weibe in
unserem Hause. Jetzt gehen wir zum
Priester und sagen ihm, dass er sie uns
lasse heiraten" . . und gingen zum Priester,
allein der Priester Hess sie nicht sie hei-
raten; und sie gingen den Bischof zu
bitten, dass er ihnen erlaube, sie zu
heiraten.
Der ältere nahm sich die Schnhe auf
den Achseln (mit), und der junge zog
sich die Holzschuhe an.
Sobald sie vor dem Palaste desBischofs
waren, ging der ältere in denPalasthinein,
um ohneweiters vor den Bischof zu treten,
und der junge stand dort am Thore.
Sobald der ältere vor der Zimmerthür
des Bischofs war, wollte ihn der Wächter
(Diener, der zu wachen hatte) nicht lassen
hineingehen, und er hat so viel gethan,
bis er ihn hat gehen lassen.
Sobald der Bischof diesen Mann sah,
fragte er ihn (um zu erfahren), was er
thue mit den Schuhen (droben) auf den
Achseln, und er sagte: „Die Schuhe ziehe
ich an, wenn ich vor vornehme Leute
trete"--und der Bischof fragte ihn
(um zu erfahren), was er wolle, und er
dann sagte: „Sirgum et in sergum sergum"
und der Bischof erschrak und sagte zu
Anwesenden: „Nehmet ihn und führt ihn
fort diesen armen Mann!" und sie führten
ihn hinab auf den WTeg.
414
Bacher:
Se'm ís-da gawëst dar juD prúadar
zo páita, on êr hat-an g^vörst: „Bfa
ís-'s-dar ábagant, prúadar?" ,,'s-ís-mar
gant lez, i han - 's áuganump gar zo
hçax; géa du, ma nim-'s net áu aso
hçax."
On alora is gant dar ju® on bál-dar
is gawëst voran-an véskovo ís-ar-sa
nidargaknôgat on hat köt: „'tsalénza da-
bit, misererà nobis" ... on dar véskovo
hat agavaioia zo láxa on hat köt: „Géa
géa, armar man, dfi o" ... on dar man
is áugastant on is kent z' üntrast dar
stíaga, on se'ra hát-ar gavunt-vt an prua-
dar on darsal hat-an gavörst z' séga,
bía 's-is gant. „Guat gúat", hát-ar köt,
„gea-bar est" — on hä'm áudarwist on
sain kent zua hüamat.
❖ ❖
❖
Húam ás-sa sain gawëst, há'm-sa
borgata als, bas-da bil sain zo máxa
an hçasat, on déna sáin-sa gant nídar
dn tâl zo néma a pälgla waï.
Bál-sa hä'm g^hat an wal, hát - ar
köt dar ju®: „Est du, prúadar, nim an
wain on géa, ombóm ï möx nö gian-da
gga Üsarn fraünt zo lada-sa ggan hça-
sat" .... on dar citar hat áuganump
011 palga on is kent.
Bál-dar is gawëst af hal'man wëga,
hát-ar nídargalegg zo rásta on lai zo
gíana a wëga aba zo molara nídar da
prúax-
Bál-dar is gawëst a wëga äba, hát-
ar gasëgg' an müdl pa wëga nídar lça-
vana ... on ër darwist an wëga . . .
on pa wëga áuvar Içavana, umbrúm dar
hat gamúant, 's is dar wolf, on invéza
is-'s gawëst dar palga von wat.
On dar púa, bál-dar is gawëst húam,
ís-ar dorláixtat on is gastorb4 yo srak,
on alora da laüt há'm-an gatragg áu af
da tets, zça ás-ar stéa vris on ás-ar net
stink.
A pisL (sputar) spétar is nSkent dar
juia on hat boként an palga pa wëga
nídar kuglana, on ar nimp áu an palga
on kint húam. Bál-dar is gëst huam,
hát-ar gavörst von prúadar, on da laüt
hä'm an köt, dar is tçat. Alora hát-ar
Dort war der junge Bruder (um) zu
warten, und er fragte ihn: „Wie ist es
dir ergangen, Bruder?" „Es ist mir
schlecht ergangen, ich habe (hatte) es
gar zu hoch genommen; geh du, aber
nimm's nicht auf so hoch!"
Und dann ging der junge, und als er
vor dem Bischof war, kniete er nieder
und sagte: ,,'cellenz dabit, miserere nobis"
. . . und der Bischof fing an zu lachen
und sagte: „Geh, geh, armer Mann, du
auch" . . . und der Mann stand auf und
kam zu unterst der Stiege, und dort fand
er den Bruder und selbiger fragte ihn
(um zu erfahren), wie es gegangen sei.
„Gut gut", sagte er, „gehen wir jetzt!"
— und (sie) machten sich auf und kamen
heimwärts.
❖
Als sie daheim waren, bereiteten sie
alles (vor), was es braucht zu einer
Hochzeit, und dann gingen sie hinunter
in das Thal um ein Schläuchlein Wein.
Sowie sie den Wein hatten, sagte der
junge: „Jetzt du, Bruder, nimm den Wein
und geh, denn ich muss noch zu unseren
Verwandten gehen, sie zu laden zur
Hochzeit" .... und der ältere hat (sich)
den Schlauch aufgeladen und ist gegangen.
Als er auf halbem Wege war, setzte
er nieder, (um) zu rasten und auch (um)
vom Wege abseits zu gehen, die Hosen
hinunter zu lassen.
Als er vom Wege ab war, sah er einen
Knäuel beim Wege hinablaufend (rollend)
. . . und er macht sich auf den Weg . . .
und den Weg herauf, laufend, denn er
meinte, es sei's der Wolf, und statt dessen
war's der Weinschlauch.
Und der Bursche, als er daheim war,
wurde ohnmächtig und starb vor Schrecken,
und dann haben ihn die Leute hinauf-
getragen auf den Dachboden, damit er
frisch bleibe und nicht stinke.
Ein bisschen später kam der junge
nach, begegnete den Schlauch, der den
Weg hinabkollerte, und er nimmt den
Schlauch und kommt heim. Als er daheim
war, erkundigte er sich um den Bruder,
und die Leute sagten ihm, er sei tot-
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
415
agavaraia zo gaüla, zóa zo maxa sëgn an Da bat er angefangen zu weinen, um zu
laüt, ke dar tüat an ant, on lai hát-ar-'s zeigen den Leuten, dass er (der Bruder)
gasëgg géarn, ombróm aso is an gaplîbat ihm leid thue, und dabei sah er es gern,
da spusa iman aluä. denn so blieb ihm die Braut (ihm) allein.
On an täga, bo - da sain kent da Und am Tage, als die Verwandten
fraiint z' ésa an hçasat, ha'm-sa earst kamen zum (das) Hochzeitsmahl (zu essen),
bograbat an sáltnar on déna dar ju© haben zie zuerst den Saltner begraben und
prüadar hat an gakoxt a guata tsaî. dann hat der junge Bruder ein gutes
Nachtmahl gekocht (herrichten lassen).
Bemerk.: ... „sáin-sa gant zo púala"; „púaln" ist der gewöhnliche Ausdruck für:
«ine Liebschaft haben und hat durchaus nicht verächtliche oder gemeine Bedeutung; das
Gleiche gilt auch von Wörtern: púal = Geliebter, und: püalin = Geliebte. — ganump di
Sua af da aggsln: in manchen Berggemeinden Südtirols tragen die Leute Holzschuhe;
wenn sie dann in eine grössere Ortschaft oder Stadt hinuntergehen, nehmen sie die Leder-
schuhe in einem Hand- oder Eückkorb mit und ziehen diese Lederschuhe erst kurz vor
dem Eintreffen in die Stadt an. Der Hand- oder Rückkorb dient dann zugleich vorzüglich
dazu, das Eingekaufte nach Hause zu liefern. Diese Sitte ist z. B. im Fersenthaie noch
allgemein, in Lusern aber bei den Männern nicht mehr üblich, da diese fast ausschliesslich
auch zu Hause nur Lederschuhe tragen. Die Frauen und Mädchen in Lusárn tragen
Holzschuhe, oder wenn die Wege einigermassen trocken sind, Filzschuhe, sogen, „föts".
«Gehen nun diese Frauen oder Mädchen z. B. nach Leva, so tragen sie „föts" und erst, wo
•die Thalebene beginnt, werden dieselben mit Schuhen vertauscht. — . . . „i han-'s áuga-
nump gar zo hçax" heisst: ich habe gar zu hoch, zu gelehrt, zu sublim, zu gewählt ge-
sprochen. Hier kann dieser Ausdruck auch als ein Wortspiel aufgefasst werden mit Be-
ziehung auf die Schuhe auf den Achseln und auf die hochaufgerichtete Körperhaltung des
Bittstellers, was der jüngere Bruder durch sein Benehmen vermeiden wollte. Dass von
diesen ungebildeten Männern lateinische Ausdrücke gebraucht werden, oder solche, welche
sinnlos, aber dem Lateinischen bezüglich Endungen nachgebildet sind, ist nichts Unge-
wöhnliches in Orten mit ital. Zunge (der Schauplatz dieser Schnurre ist nämlich nicht
Lusern und auch nicht das Fersenthal). Ganz einfache Leute wollen sich durch solche
fehlerhafte oder sinnlose, dem Lateinischen ähnliche Ausdrücke einen gelehrten Anstrich
geben, imponieren. Man vergleiche, wie im Romane „I promessi Sposi" Renzo zu seinem
Kurateu sagt, er verstehe nicht latinorum, freilich hier ohne Absicht zu imponieren. —
„a pälgla wai": In hochgelegenen Ortschatten Südtirols bedient man sich noch häufig der
Schläuche aus gegerbtem Ziegenfell zur Herbeischaffung von Wein. Die glatte Seite
dieser Schläuche ist nach aussen gekehrt, während die behaarte inwendig bleibt. Ist der
Schlauch seines Inhaltes entleert, wird er aufgeblasen und bis zum ferneren Gebrauche
aufgehängt. — ..da laüt hä'm-an gatragg áu af da têts". In Tirol kommt es manchmal
bei sehr entfernten Höfen und Weilern vor, dass die Leichen bei reichlichem Schnee nicht
begraben werden können, sondern bis zum Eintritte einer milderen Temperatur und besserer
Wegverhältnisse auf dem kalten Dachboden aufbewahrt werden müssen.
15. Da alt in an wait.
In an strçax ís-da gawëst a(n) alts
waiba in an an wait, is on sai tóxtar.
Balamán is gant dar sun von sáltnar
in pa dïsan wait zo hélva sain vátar,
on hat gasëgg da toxtar vo dísar altn,
on ër is zuogant on hat ag-muoia zo
rëda bet dxsarn díarn. Dísa díarn is
gawëst a süana on an sun von sáltnar
hát-s'-an gavait. On dísar púa hát-sa
15. Die Alte im "Walde.
Einmal war ein altes Weib drinnen in
einem Walde, es und seine Tochter.
Da ging der Sohn des Waldhüters
hinein bei diesen Wald, seinem Vater zu
helfen, und sah die Tochter dieser Alten,
und er ging hinzu und fing an zu reden
mit diesem Mädchen. Dies Mädchen war
schön, und dem Sohne des Saltners hat
sie (ihm) gefallen. Und dieser Bursche
416
Bacher: Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
gsvörst z' séga, be-s'-sn nimp, on si hat
köt vo jâ, on dar pua is kent bidrúm
húam áldar lústs on hat köt sain laiit,
ke dar nimp dísa díarn. Sains laiit sain
gswëst als lust? se 5 on hä'm köt, ke
sa sëB-'s géarn.
In ta' darna hat gsvaM sn weg?
dar pua on sai vatar on sain gant zo
néma ds díarn on hâ'm-ss gsviiart húam
on déna dar pua hat-ss gsmaxlt. Dîsa
laut hä'm gswölt, ás-da kern ds múatar
yô dar dfarn ö húam, ma se hat net
gswölt kéman on alora ha'm-sa-ss se'm
gslat.
Dar sáltnar is gant als tags in pa
wald on is hérta zúagskéart z' sega vö
dar altn, on lai hát-ar-ar hérta gatragg
als, bäs ss hat gshat vo nüatom.
A jar dçpo boratat diss zwça laiit
sain kent zo häba-n a díarnls. Sa sain
gswest als lusts zo haba díza díarnls.
Déna ís-da vórtgant an étla jâr on díza
díarnls is kent grças on bravat on hat
agsvama zo gíana a tíabas a vart zo
vena ds nona in sn wait.
In an Súnta dar sáltnar is net gant
in pa wait, on alora ds spúsa hat köt
ggan díarnls: „Séa diza ztìàls gsplätra
on trä' - 's dar nöna in an wait!" 's
díarnls hat gsnump 's züäls on is gant.
Bal-'s is gswëst in nämp sn haüáls,
hat-'s gsmäggst (gsmeggst) on ds nona
hat-sn ofs gstant on déna ís-ss gant sn
pet z' sláva, on 's díarnls hat-sn gs-
nump an stúal on is-ss-ss gssozt durx
nâmp sn pet on hat agssaugst ds nona
on hat köt: „0 liaba mal nöna, bet
la©s zän dar hat!" on si hat köt: „Vö
éltum, mal kin!" „0 liaba mal nona,
bet grçass çagn dar hat!" „Vö éltnm,
mai kin!" „0 liaba mal nöna, beta
grças^s maul dar hat!" „Vö éltum,
mal kin .... ai(l) du pis mai, ai(l)
du pis mai!" .... on ds nona hat
gssluntst 's kin bst gélbarla on als —
— — ma invézs bäs zo sáina gswëst
ds nona in sn pet is-'s gswëst dar wolf,
fragte sie (um zu erfahren), ob sie ihn
nehme, und sie sagte zu, und der Bursche
kam wieder heim ganz vergnügt und sagte
es den Seinigen, dass er dies Mädchen
heirate. Die Seinigen waren ganz erfreut
(sie) auch und sagten, sie sähen es gern.
Am nächsten Tage machte sich auf
den Weg der Bursche und sein Vater und
gingen, das Mädchen zu holen und führten
es heim, und dann hat der Bursche es
geheiratet. Diese Leute wollten, dass die
Mutter des Mädchens auch heim komme,
allein sie wollte nicht kommen, und dann
Hessen sie sie dort.
Der Waldhüter ging alle Tage hinein
(bei) den Wald und kehrte stets ein, um
bei der Alten nachzusehen, und auch trug
er ihr stets alles zu, was sie von nöten
hatte.
Ein Jahr nach der Heirat (verheiratet),
kamen diese zwei Leute (dazu), ein Mäd-
chen zu haben. Sie waren ganz glücklich,
diesesMädchen zuhaben. Dann vergingen
etliche Jahre, und dies Mädchen wurde
gross und brav und fing an, zu gehen
manchmal zu besuchen die Grossmutter
im Walde.
An einem Sonntag ging der Saltner
nicht bei Wald hinein, und dann sagte
die Gattin zum Mädchen: „Da hast du
dieses Körbchen Sachen, (und) trage es
(zu) der Grossmutter in den Wald!" Das
Mädchen nahm das Körbchen und ging.
Als es drinnen war dicht am Häuschen,,
klopfte es, und die Grossmutter that ihm
auf, und dann ging sie ins Bett zu schlafen,
und das Mädchen nahm sich einen Stuhl
und setzte sich drüben nahe am Bette und
schaute die Grossmutter an und sagte:
„0 meine liebe Grossmutter, was lange
Zähne Ihr habt!" und sie sagte: „Von(m)
Alter, mein Kind!" „0 meine liebe Gross-
mutter, wie grosse Augen Ihr habt!" „Vom
Alter, mein Kind!" „0 meine liebe Gross-
mutter, was für ein grosses Maul Ihr habt!"
„Vom Alter, mein Kind .... komm, du
bist mein, komm, du bist mein!" ....
und die Grossmutter verschlang das Kind
mit Holzschuhen und allem — — —
jedoch anstatt gewesen zu sein die Gross-
Feilberg: Zu den niedersächsischen Zauberpuppen.
417
bo-da hat gilt (gdhat) gvsögg 's dfarnL
gfan betn züäb, on ër ís-sn gant vora
zça zo vrésa d<? nöna on 's kin ö, on
am éarstn hát-ar g->Yrest d¿ nona on
déna, bál-'s se'm is g^ríft, hát-ar g^vrest
's diami» 5.
Dj laüt von kin abas há'm-s'-sn
pensárt, ke's kin släft in gga dar nona,
on hä'rcwn nixt vurg^nump ; on s>n ta'
dama dar sáltnar is áug^stant in áldar
früa on is gant in pa wait garäd» zua
ggan h au s z' séga von kin on hat oh
g¿vunt4 da tur on êr is lai ingant on
hat g¿sauget on hat gvsügg ?n wolf in
¿n pet Alöra is-ar áldar darsrákt; ma
das éarst, bo-dar hat gâtant, hát-ar g5-
nump sai swert on hat híg¿hakt ¿n köpf
¿n wolf. Déna hat-ar-sn áuvarg¿zog¿t
von pet zo oad->ga-n-¿n aus.
Balaman (h)at-ar g^hçart rtìavan:
„Ttiat láiss!" on hat net gjwist, vö wö-
da kint diza g^réda On er hat ag¿-
vaiDia zo háka nidar pa paux von wolf
zo tüana-n-¿n ofV, on bál-dar hat g¿hat
a lox, slgg-ar 's kin, on ër hakt on hakt,
fin ás-ar hat g¿hat 's lox grças g¿núa,
on déna hat-ar aúvarg<?nump 's kin nö
lent.» on g¿sunt. On déna hát-ar gmump
's kin afn arm on is gant h nam on hat
kontárt als, bás-da is gvsëg4, on déna
bä'm-sa gämaxt an guatn vórmas on
hä'm gest on g/trunkt, on ás-sa net sain
stiifo z' ésa on zo trínka, ésan-sa on
trínkan-sa no.
mutter im Bette drin, war's der Wolf,
welcher gesehen hatte das Mädchen
kommen mit dem Körbchen, und er war
ihm vorausgegangen um die Grossmutter
zu fressen und das Kind auch, und zu-
erst frass er die Grossinutter und dann, als
es dort ankam, frass er das Mädchen auch.
Die Angehörigen des Kindes dachten
sich abends, das Kind schlafe drinnen bei
der Grossmutter, und haben sich keine
Sorge gemacht; und am nächsten Tage
stand der Saltner in aller Frühe auf und
ging bei Wald hinein direkt hinzu zum
Hause, nachzusehen vom Kinde, und fand
die Thür offen und er ging unverzüglich
hinein und schaute und sah den Wolf
drinnen im Bette. Da erschrak er über und
über; allein das erste, was er that (war,
dass), nahm er seinen Säbel und schlug
dem Wolfe den Kopf ab. Dann zog er ihn
heraus, vom Bette, um ihn auszuweiden.
Da hörte er rufen: „Sachte!" und
wusste nicht, von woher dieses Reden
käme. Und er fing an, drunten am Bauche
des Wolfes zu schneiden, um ihn zu
öffnen, und wie er ein Loch hat, sieht er
das Kind, und er schneidet und schneidet,
bis dass er hatte das Loch gross genug,
und dann nahm er das Kind noch lebendig
und gesund heraus. Und dann nahm er
das Kind auf den Arm und ging heim
und erzählte alles, was geschehen ist,
und dann bereiteten sie ein gutes Mittag-
essen und assen und tranken, und wenn
sie (es) nicht müde sind zu essen und zu
trinken, (so) essen und trinken sie noch,
ig folgt.)
Zu den niedersächsischen Zauberpuppen.
Yon H. F. Feilberg.
In unserer Zeitschrift 1899, S. 333 hat Dr. R. Andree einen Fund
von Puppen in dem verborgenen Räume einer alten Truhe besprochen.
Das Geheimnis unwidersprechlich zu lösen vermag ich allerdings nicht;
etwas den Puppengiauben Betreffendes unter den nordischen Yölkern werde
ich allerdings darlegen können.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. ^8
418
Feilberg:
1. Norwegen. Ein Kindlein war behext, die Mutter vergass am Abende
beim Zubettgehen das Kind zu segnen, d. h. das Kreuzzeichen zu machen;
es bekam darum „Ligsvek", eine zauberhafte Krankheit, deren wahre
Natur durch Bleigiessen entdeckt wird. „Hm, hm, hm", sprach die Zauberin
leise, doch laut genug, um gehört zu werden, „es giebt doch noch ein
Mittel." „Welches?" fragte die Mutter zugleich froh und neugierig. „Es
giebt nur ein Mittel, schwierig ist es, muss aber benutzt werden. Ich
werde ein Wickelkind zurechtmachen, das begrabe ich auf dem Kirchhofe;
die Toten werden dann wähnen, dass sie das Kindlein erhalten haben.
Hilf mir Gott, wenn sie es anders verstehen!"
Asbjörnsen, Norske Huldreeventyr3 (1870), S. 245.
2. Schweden, a) Wenn Kindlein des Nachts weinen und sehr un-
ruhig sind, nimmt man drei Steine, den einen aus dem Bache, den andern
von der Landstrasse, den dritten vom Walde; diese werden geglüht und
ins Wasser geworfen. Derjenige, welcher am meisten zischt, offenbart die
Krankheit als herrührend von dem „Waltenden" (Râ), der in der Natur,
aus welcher der Stein genommen ward, lebt. Die verschiedenen Steine
müssen dorthin gelegt werden, woher sie genommen sind, weshalb man
sich sehr genau die verschiedenen Stellen merkt. Neben den Stein,
welcher am meisten gezischt hat, legt man eine nach dem Geschlechte
des Kindes angezogene Puppe, indem man spricht: „Nimm du diese Puppe
und lass mein Kindlein ruhig schlafen!"
L. Fr. Rääf, Ytre Härad i Östergötland I (1856), S. 125.
b) Für Kinder, welche an Skrofeln litten, suchte man durch Opfer
an die Elfen Heilung, was meistens einem alten Weibe, das mit solchen
Geschäften vertraut war, überlassen wurde. Es suchte eine „Elfenmühle"x)
(Älfkvarn) auf, d. h. kleine Yertiefungen im Felsen oder Spuren prä-
historischer Gletscherbäche, Riesentöpfe, von welchen das Volk meint, sie
seien durch die Tänze der Elfen am Berge entstanden. Sobald eine solche
Elfenmühle entdeckt war, bestrich die Alte sie mit einem Stück Pflaumen-
mus, womit auch das kranke Kind bestrichen wurde. Danach folgte das
eigentliche Opfer. An einem Donnerstagabende bei Sonnenuntergang
wurden neben die Elfenmühle oder auch neben einen Bach, eine Quelle
oder irgend einen Wasserlauf aus Tuch verfertigte Puppen, „Tultingar"
genannt, hingelegt. Auch wurde ein Säckchen mit verschiedenen Sachen:
Nägeln, Stecknadeln, zerbrochenen Nähnadeln, Getreide, Schwefel, Zwirn
und dergl., meistens 9 Stücke von jeder Art, dort hingethan.
Bore, Bärgmanslif (1891), S. 45.
c) Um die Elfen los zu werden, nimmt man etwas von alledem, was
im Hause zu finden ist, Fetzen von den Kleidern des Kranken, von Leine-
1) Vgl. unsre Zeitschrift VII, 51. X, 99.
Zu den niedersächsischen Zauberpuppen.
419
wand, wollenem Zeuge, Abgefeiltes von irgend einem eisernen Hansgeräte,
von Messing, Blei, auch Silber von einem Trauringe, Holzsplitter vom Haus-
geräte, drei oder neun abgebrochene Nähnadelspitzen und dergl. Ferner
muss man versuchen, sich verschiedene andere Sachen zu verschaffen, am
liebsten geweihte oder kirchliche, z. B. Abgefeiltes von einem Kirchen-
schlüssel oder von der Glocke, etwas vom Altartuche, vom Messgewand, von
•der Kleidung des Pastors u. s. w. Yon diesem allen werden drei Puppen
verfertigt, welche an drei Donnerstagabenden nacheinander bei Sonnenunter-
gang dort wo „Elfenmühlen" gefunden werden oder wo man meint, dass
Elfen verkehren, geopfert wTerden. Sie müssen über die linke Achsel
geworfen und dabei, geschieht das Opfer für ein Kind, gesprochen werden :
„Spiele mit dem, was ich dir gebe, lass mein Kind in Frieden\le
Aminson, Södermanlands äldre Kulturhistoria, YI, 110.
d) Eine Variante: Drei Puppen werden von der eben benutzten
Wäsche des kranken Kindes gemacht, in jede Puppe wird eine neue,
unbenutzte Stecknadel gesteckt. Zudem wird ein kleines Paket von einem
Läppchen seines Hemdes, in welches etwas vom Haare und von den
Nägeln aller Finger und Zehen gewickelt ist, zusammengebunden. Die
beiden Sachen, die Puppen und das Paket werden als ein Opfer an die
Elfen unter einen nahen, wilden und am liebsten freistehenden Laubbaum
am Donnerstagabend nach Sonnenuntergang begraben, indem der" Opfernde
spricht: „Nimm das zu deinem Spielzeuge und lass N. N. in Frieden!"
Aminson II, 108.
e) Hier kann noch bemerkt werden: Wenn ein Kindlein unruhig ist
und nicht schlafen will, so rührt es davon her, dass eine Unvorsichtigkeit
mit der Wiege stattgefunden hat, wodurch reizbare Elfen beleidigt worden
sind und deshalb das Kind kneifen und an seinen Zehen oder Fingern
saugen. Es wird dann nötig, eine Mütze oder Jacke des Kindes auf einen
Stecken zu hängen und vor die Thür zu stellen. Dabei muss man zu
den „Unsichtbaren" sprechen: „Mit diesem Spielzeuge kannst du dich
unterhalten, lass mein Kind in Frieden!"
Sv. Landsmâlstidskr. YIII, 3. Wigström, Folktro och Sagner,
S. 92. 299. Ygl. E. Wigström, Folkdiktning II (1881), S. 276.
f) Leidet eine Kuh von der Mahrt, so trockne man den Schweiss
des Tieres mit einem Fetzen von Fischgarn ab und hänge ihn unter dem
Dache des Stalles auf, indem man spricht: „Hier hast du etwas, womit
du spielen kannst, lass die Kuh in Frieden!"
Sv. Landsmâlstidskr. Y II, 9. Renvall, Alandsk Folktro, S. 25.
3. Aus anderen Ländern füge ich hinzu: a) Wenn ein Kind heftig
schreit und sich nicht beruhigen lässt, so ist es „vermeint". Das kommt
von der Nachtwuone (der Hexe, die dies dem Kinde angethan). Um das
Kind von der Verwünschung zu befreien, macht man aus Lumpen oder
28*
420
Hein :
Stroli eine Puppe, setzt ihr die Haube cles Kindes auf, trägt sie zur Ziller
und wirft sie mit abgewandtem Gesichte in den Bach mit den Worten:
„Nachtwuone, da hast du dein Kind!" Dann läuft man eiligst nach Hauser
und das Kind ist beruhigt.
J. Zingerle, Sitten und Bräuche des Tiroler Volkes2 (1871), S. 7. 53.
Ygl. Wolf, Ztschr. f. Myth. I, 237; Melusine VII, 18.
b) Wenn ein Kind krank ist, verfertigt man aus den Windeln des-
selben eine Puppe, die auf dem Dache unter freien Himmel ausgesetzt
wird, indem man dreimal wiederholt: „Sieh, hier ist Kind für Kind!"
Mélusine VIII, 272. F. II, 4 (Ottomanische Juden).
4. Dänemark. Noch kennt das Volk, die Alten wenigstens, eine Art
von Zauberpuppen, welche „Dragedukker" genannt werden. Das Wort
bedeutet nicht „Drachenpuppen", sondern „Tragpuppen", d. h. Puppen,
die Reichtümer nach Hause zu ihrem Besitzer tragen. Wie solche gemacht
werden, scheint vergessen zu sein, ich habe wenigstens darüber keinen
klaren Bescheid erhalten können. In einem handschriftlichen dänischen
Wörterbuche Moths, aus dem Schlüsse des 17. Jahrh., wird die Erklärung
gegeben: „Dragedukke ist eine kleine beinerne Puppe oder eine solche
von der Alraunenwurzel, welche nach dem Wahne des gemeinen Mannes
Geld aus dem Besitze anderer trägt und es ihrem Hausherrn liefert."
Vgl. Werlauff, Antegnelser til Holbergs Lystspil (1858), S. 497.
Die Puppen, die im Geldbehälter der Truhe im Celler Museum
gefunden sind, gehören wahrscheinlicherweise zu der Familie
der ,,Dragedukker".
Die Opfer-Bärmutter als Staclielkugel.
Von Dr. Wilhelm Hein.
(Mit 3 Abbildungen.)*)
Die gewöhnliche Form der Gebärmutter, welche Frauen bei Gebär-
mutterleiden zu opfern pflegen, ist die Kröte, über deren verschiedene
Arten und ihr Verbreitungsgebiet in dieser Zeitschrift eine ausführliche
Darlegung erscheinen wird. In einem engbegrenzten Gebiete, und zwar
in Südtirol, findet man in den Wallfahrtskirchen anstatt der Kröte, viel-
leicht auch neben ihr eine aus Holz geschnitzte Kugel mit vielen ein-
O O
gesetzten Stacheln, aufweiche im Vorjahre F. Weber aufmerksam gemacht
1) Die Abbildungen wurden von Robert Karl Lischka in Wien gezeichnet.
Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel.
421
liât. „In Tiroler Wallfahrtskirchen", schreibt er, „wie z. B. in Weissen-
stein bei Bozen, in Heilig Drei - Brunnen bei Trafoi tritt an Stelle der
Kröte als Votivgabe bei Gebärmutterleiden ein holzg'eschnitzter eiförmiger
Körper mit vielen langen Stacheln versehen, ähnlich einem Seestern oder
Seeigel, bald in Naturfarbe des Holzes, bald rot bemalt."1) Fräulein
Marie Eysn in Salzburg hatte schon vor Jahren diese Stachelkugeln in
Agums, Gemeinde Prad, Gerichtsbezirk Glums gesehen und wurde durch
die Mitteilung Webers veranlasst, sich durch die Yermittlung des Hans
Sepp Pinggera in St. Gertrud im Suldenthal solche Kugeln senden zu
lassen, von welchen sie eine Herrn Geheimrat Dr. Karl Weinhold und
Fig. 1.
Bärmutter vou Zirbenholz von S. Gertrud im Suldenthal.
«ine mir übermittelte. Herr Geheimrat Weinhold sprach über diesen
Gegenstand im Verein für Volkskunde am 23. März 19002) und ich in
der Anthropologischen Gesellschaft in Wien am 10. April.3) Auf eine An-
frage erhielt Frl. Eysn von Pinggera die Mitteilung, dass solche Kugeln
Fideli Reinstadler in den Gampenhöfen zu St. Gertrud (am Fusse des
1) F. Weber, Prähistorische Spuren in mittelalterlichen Chroniken. Korrespondenz-
blatt der deutschen Gesellschaft f. Anthropologie, Ethnologie u. Urgeschichte, XXX. Jahrg.,
1899, S. 59.
2) Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, X. Jahrg., 1900, S. 241.
3) Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, XXX. Band, Sitzungs-
berichte, S. 152.
422
Hein :
Ortlers) schnitze. Allgemein werden sie „Bärmuttern" genannt, manchmal
auch „Spiess", aber mehr von den Leuten, die sie nicht kennen. Bestellt
werden sie unter dem Namen „Bärmutter". Reinstadler macht sie aus
Zirbenholz und lässt sie je nach Wunsch roh (in der Holzfarbe) oder
bestreicht sie mit roter Farbe. Sie werden auch in Laas, Trafoi, Weissen-
stein bei Bozen und in Einsiedeln (in der Schweiz) gegen Unterleibsleiden
geopfert; hier und da auch bei einem Kreuze (in Tirol), meist aber in
Marien- oder Wallfahrtskirchen. Yon Frau Altbürgermeister Zeller in
Salzburg erfuhr Frl. Eysn, dass zu St. Nikolaus bei Kaltem zwei der-
artige Kugeln hängen, die mehr Stacheln hatten, aber etwas kleiner waren,
als die von Pinggera gesandten. Fig. 1 zeigt die von Frl. Eysn mir
überlassene „Bärmutter", welche nicht gestrichen ist und 19 Stacheln von
7,5 cm Länge besitzt. Uer Körper ist fast kugelrund, die Stacheln sindi
eingeleimt.
Yon Fideli Reinstadler erhielt ich auf Bestellung zwei fleisch-
farben gestrichene „Bärniuttern", von welchen eine in Fig. 2 abgebildet
Bärniuttern geopfert sind. „Ich hab'", schreibt er, „solche Bärmutter noch
wenige gemacht. Die werden auch von manchen Tischlern und anderen
Personen gemacht. Das ist wohl keine Kunst, so was zu machen. So
viel ich weis, wird die Bärmutter meistens von Unterleibskrankheiten
geopfert. Das beste ist also, Gnediger Herr, das Sie ein recht grosses
Vertrauen haben an den Lieben Gott und zur seligsten Jungfrau Maria,
den durch Ihre Fürbitte hilft der Liebe Gott eher."
Der hochwürdige Herr Expositus von Trafoi, Gottfried Prieth, schrieb
mir: „Diese Yotiven wurden nach Aussage hiesiger alter Leute von ge-
wöhnlichen Tischlermeistern gemacht. Leider ist hier über diese und
Bärmutter aus Zirbenholz.
Fig. 2.
ist. Der Körper ist bei beiden
eirund und mit 43, bezw. 37 Stacheln
von 9 cm Länge besetzt. Ob die
ungerade Zahl der Stacheln (19,
37, 43) beabsichtigt ist, weiss ich
nicht. Für die Anfertigung der
beiden Bärmuttern verlangte Reiit-
stadler 2 Kronen 40 Heller, für das
Anstreichen 1 Krone 40 Heller. Auf
die Anfrage, welchem Heiligen man
die Bärmutter opfern müsse, damit
es sicher helfe, stellte er mir dies
gänzlich frei; denn „der eine hat
zu dem das Zutrauen, der andere
wieder zu einem andern." In einem
späteren Briefe schrieb er, dass in
der Wallfahrtskirche zu Trafoi viele
Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel.
423
andere alte Votivgeschenke gar nichts aufgeschrieben. Geopfert wurden
sie, wie die Alten sagen, yon weiblichen Personen, wenn sie auf Fürbitte
der Mutter Gottes von Trafoi von Krämpfen befreit wurden und wohl
auch für glückliche Entbindung. Sie werden auf Anrufung der Gnaden-
mutter Maria, also nicht anderen Heiligen geopfert. Die Leute nennen
diese Votiven auch Stacheligel oder einfach Igel; ein anderer Name ist
nicht bekannt. Dieser Brauch ist ein sehr alter. Jetzt kommt er wohl
ganz ab; es ist schon lange nicht mehr ein solches Yotiv geopfert worden."
Herr Oberamtsrichter F. Weber in München hatte die Freundlichkeit,
die von ihm im Korrespondenzblatt veröffentlichte Mitteilung brieflich zu
ergänzen; er schrieb mir: „Auf Ihre schätzbare Zuschrift vom 12. März
beehre ich mich zu erwidern, dass ich auf die fraglichen Stachelvotive
zuerst in Trafoi (heilige drei Brunnen) aufmerksam wurde, dort jedoch
über Zweck und Grund fraglicher Objekte nichts erfahren konnte; das
Aussehen derselben war auch sichtlich schon alt, die Grössen und Formen
verschieden. Dass es Votive waren, blieb nicht zweifelhaft, da sie mit
anderen bekannten Gebilden vereinigt waren.
Sodann fand ich sie wieder zahlreich in der Wallfahrtskirche zu
Weissenstein bei Bozen. Wie mir dort nach mehrfachen vergeblichen
Anfragen ein altes Weiblein geheimnisvoll mitteilte, werden sie in Frauen-
krankheiten (,ftir die Bärmutter') geopfert. Hier fand ich auch anscheinend
neuere Stücke. Weiteres konnte oder wollte die alte Frau nicht sagen.
Endlich fand ich sie im vergangenen Herbst, nachdem der Aufsatz im
Korrespondenzblatt schon gedruckt war, wieder in der Grabkirche zu
Innichen, woselbst mir der alte Mesner angab, sie würden bei ,Magen-
krankheiten' geopfert und noch gegenwärtig angefertigt."
Eine belangreiche Mitteilung verdanke ich Herrn Regierungsrat
Dr. Ludwig von Hörmann zu Hörbach, wohl dem besten Kenner
Tirols, welcher mir am 29. März 1900 schrieb:
„Das von Ihnen Stachel-Bärmutter genannte Yotivbild wird in Tirol
,Muetter', hier und da auch ,Bärmuetter' genannt. Es wird vorzüglich
,verlobt' zur Abhilfe gegen die ,aufsteigende Muetter', eine hysterische
Krankheit. ,Sie steigt mit den Spitzen bis zum Hals, dann geht sie wieder
zurück. Wenn man sich verlobt, dann wird es besser.' Man findet eiserne,
hölzerne und wächserne. Die mittlere ist die häufigste. Am. meisten
verbreitet sind diese Yotivbilder (Muettern) in Südtirol, Pusteithal und
Yintschgau. Auch im Eisackthal kommen sie vor, verhältnismässig weniger
in Nordtirol. Man findet sie in St. Leonhards- und Yeitskirchen,
sowie fast in allen eigentlichen Wallfahrtskirchen, z. B. Trens bei Ster-
zili g, Riffian bei Meran, Schoberstöckl zwischen Bruneck und Reischach,
Absam u. s. w.
Bemerken will ich noch, dass nach meiner Erinnerung diese Muettern
nicht eiförmig, sondern rund sind, wenigstens die eiserne, die ich in der
424
Hein :
St. Leonhardskirche bei Kundl (Unterinnthal) sah. In Georgenberg ist
eine wächserne."
Einen unerwarteten und höchst dankenswerten Beitrag zum vor-
liegenden Gegenstande erhielt ich von Herrn P. Emmeram Heindl
0. S. B. in Kloster Andechs (Oberbayern), der auf eine an das Kloster
in Bezug auf krötenförmige Bärmutterdarstellungen gerichtete Anfrage
mich auf ein altes Votivgemälde aufmerksam machte, das seiner Meinung
nach in den Bereich der gestellten Frage gehöre. Nach der eingesandten
Skizze erkannte ich auf dem Gemälde die Stachelkugel und bat Herrn
P. Emmeram Heindl um eine photographische Aufnahme. Zu meiner
Freude erhielt ich leihweise auch das Original selbst.
Das Bild ist auf Leinwand gemalt
in der Luft eine eisenfarbige Stachel-
kugel, welche in Fig. 3 yergrössert abgebildet ist und nach dem Inhalte
der Widmung zweifellos eine Bärmutter vorstellt, um so mehr, als das
Bild aus Südtirol stammt. Rechts unten befindet sich die Datierung:
M : S : (= Maria Simonerin) Ex VOTO 1685. Die Widmung im weissen
Felde lautet:
„Maria Simonerin von Viten aüß Thyrol war lange
„Jahr muettersiech. in dißem yblen Zuestandt verlobt Sie sich
„Zu Y :L Frauen auff dem H: Berg Andechs mit einer Wal-
„fart vnd H. Meß Sambt dißer Tafl, worauf!: sie
„alsobalt Von ihrem Schmertzen erlediget, vnd lebt
„anitzo frisch vnd gesund. Gott vnd Maria
„Seye ewiges lob vnd Preiß."
Herr P. Emmeram Heindl, dem ich für diesen wertvollen Nachweis
zu besonderem Danke verbunden bin, legte mit Recht auf die angedeutete
Krankheit besonderes Gewicht und schrieb mir, ohne von dem Vorkommen
der Stachel-Bärmutter in Tirol eine Kenntnis zu besitzen: „Einen Finger-
(24 X 21 cm) und befindet sich in einem
schwarzen Holzrahmen. Es zeigt eine
in Wolken schwebende Maria - Hilf-
Darstellung- und eine knieende Frau
in schwarzem Gewände mit weisser
Halskrause und weisser Schürze. Unter
dem schwarzen Hute trägt sie eine
schwarze Haube, die mit einer kurzen
Spitze in die Stirn ragt und den hinten
aufgesteckten Zopf freilässt; der Zopf
selbst ist mit einem eingeflochtenen
roten Band verziert. In den gefalteten
Händen hält sie einen Rosenkranz
aus roten Perlen mit einem roten
Kreuz. Rechts neben der Frau schwebt
Eiserne Bärmutter auf einem Votivgemälde
von 1685 aus Ulfen in Südtirol.
Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel.
425
zeig1 für die Bedeutung der rätselhaften, igelähnlichen Beigabe dürfte das
Wort ,muettersiech' geben."
Zweifellos hatte die Maria Simonerin die gemalte Bärmutter, welche
der Farbe nach zu urteilen aus Eisen war, nebst dem Bilde in der Kirche
zu Andechs der Mutter Gottes geopfert; sie ist aber leider verloren ge-
gangen.
Die Gemeinde Ulten liegt im Gerichtsbezirk Lana (Bezirks-Haupt-
mannschaft Meran). Der Herr Pfarrer von St. Gertraud in Ulten, Josef
Schwienbacher, schrieb mir am 16. Juni 1900: „Bezüglich Ihrer Anfrage
wegen sogen. ,Muettern' kann ich Euer Wohlgeboren mitteilen, dass diese
Kugeln unter den hiesigen Müttern bekannt sind. Wenn eine Gebär-
Mutter ein diesbezügliches Leiden hat, macht dieselbe manchmal ein
Gelübde, unter der Bedingung der Befreiung von diesem Übel eine Wall-
fahrt zu machen; und wenn die Erhörung geschehen ist, wird die Wallfahrt
unternommen und zum Zeichen der Dankbarkeit manchmal noch eine
,Bärmutter' am Wallfahrtsorte aufgehängt. Diese ,Bärmutter' soll nach
hiesiger Meinung ein Ebenbild sein der inneren sogen. Gebärmutter,
welche die Schmerzen verursachen soll."
Das Votivgemälde von Kloster Andechs, das auch als Trachtenbild
Beachtung verdient, beweist, dass die „Bärmutter" als Stachelkugel in
Südtirol schon seit Jahrhunderten üblich ist. Doch bleibt es vorläufig
noch eine offene Frage, welchen Ursprung diese Form der Bärmutter hat.
Vorläufig müssen wir uns damit begnügen festzustellen, dass die Stachel-
Bärmutter ihr Hauptgebiet in Südtirol hat, namentlich in der Gegend von
Bozen, Meran und im Suldenthal, dass sie ferner im Pustertlial (Innichen),
im Eisackthal und wohl sehr vereinzelt in Nordtirol (Kundl, Georgenberg)
vorkommt. Es wäre noch zu untersuchen, ob nicht derartige Bärmutter-
Darstellungen, wenn sie in Nordtirol vorkommen, aus Südtirol stammen.
Das Vorkommen der Stach el-Bärmutter ausserhalb Tirols, wie in Kloster
Andechs, beweist, dass die Tiroler auch mit dem Auslande in reger Ver-
bindung standen oder stehen, weil sich sonst nicht der Ruf von einzelnen
Wallfahrtsorten bis in die entlegenen Gebirgsthäler verpflanzen konnte.
Es wurde selbst Einsiedeln in der Schweiz als ein Wallfahrtsort bezeichnet
(und zwar von einem Siidtiroler selbst), an dem die Stachel-Bärmutt.er
geopfert wird. Doch erhielt ich auf eine diesbezügliche Anfrage durch
die Gütige Vermittlung des Herrn Prof. Jakob Heirli in Zürich von dem
O o o
Pfarrer in Einsiedeln die Versicherung, dass derartige Darstellungen dort
nicht geopfert wurden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, da das vereinzelte
Vorkommen dieser Opferfigur leicht übersehen werden kann.
Die Bezeichnung dieser Opfergabe als „Bärmutter", „Bärmuetter"
oder abgekürzt als „Muetter" steht fest. Eine andere Benennung ist nicht
üblich. Der Name „Igel" oder „Stacheligel" ist gewiss nicht volkstümlich,
ebenso wenig wie die Bezeichnung „Kröte" für die krötenähnliche Bär-
426
Schütte:
mutter, die ja auch nur kurzweg „Muetter" heisst. Desgleichen ist die
Benennung ,,Spiessu keine richtige und wird nur von solchen angewendet,
welche die wahre Bedeutung der Stachelkugel nicht kennen.
Endlich steht fest, dass diese Stachelkugel thatsächlich die Darstellung
der Gebärmutter sein soll, obwohl es sich heute noch nicht ausmachen
lässt, warum gerade diese Form neben der Kröte entstanden ist und woher
sie ihren Weg nahm. Die Meinung, dass die Stacheln ein Symbol der
Schmerzen sein sollen, ist von vornherein abzuweisen, weil sich dazu in
den übrigen Opferfiguren gar kein Analogon bietet und weil dem auch
der übliche Name „Bärmutter" oder „Muetter" widerspricht.
Für eine weitere Untersuchung stellt es sich demnach als unerlässlich
heraus, zunächst das Verbreitungsgebiet dieser Form der Opfer-Bärmutter,
sei sie nun aus Eisen, Holz oder Wachs, genau festzustellen und womöglich
zu bestimmen, ob sie in Tirol heimisch oder dorthin — etwa aus dem
Süden — eingewandert ist.
Floridsdorf bei Wien.
Braunschweiger Volksreime.1)
Mitgeteilt von Otto Schütte.
Wer de Morgenstunne verlît
Hat en ganzen Dag keine Tit.
Ach, sau genau,
Segt Mumme,
Schitt keine Kau,
Min Junge.
Wer ft'oih upsteit,
Sin Gut vertêrt,
Wer lange slöpt,
Den Gott ernêrt.
Man mot sik nich wider strecken,
Als de Decke will recken.
Wer lange slöpt
Un dralle löpt,
Aprillenwetter und Frauensinn
Ist veränderlich von Anbeginn.
Kummt midde »dt dem, de froih upsteit De m dg da
I n Itinrpoarvi ívai4-
Un langsam geit.
Wer nich will lêren rëken, lösen un
schriwen,
De Häuner, dö da kreit,
Sind wert, dat man se glik et Genicke
umedreit.
Dë. mot Ossen un Esel driwen.
Unrecht Gut gedeihet nich,
Tau sik nemen fackelt nich
In den Himmel. Amen!
Unrecht Gut gedeihet nich,
Speck fröten gilt nich.
Malien kriegt so lichte 'n Lack,
Wie de witte Schörte en Plack.
Hunger un Dost,
Hitze un FVost,
Kein Tüg op en Liwe
Un dat sind fiwe.
1) Vgl. R. Andree, Braunschweiger Volkskunde. Braunschweig 1896. S. 341 ff.
Braunschweiger Volksreime.
427
Meddel
Jëgt en Buren ut en Beddel.
Wer sinen Kindern gift sin Brot
Un mot naher sülwer liden Not,
Den slage man mit der Küle dot.
Ut ander Lüe Hüen (Häuten)
Is gut Rimen snien.
Je doller — je woller.
Gut ekaut
Is half verdaut.
Hol stets Kop, Buk un Hanne warm,
Sneure nich tauvel in dinen Darm,
Lat stets de Hinderporte open,
Denn brukste nich na'n Doktor to lopen.
Ein gutes Oberkleid
Decket alles Herzeleid.
Hundert Daler in der Slippen
Dë latct sik balle verwippen.
Wenn 't regent, is 't natt,
Denn deit de Bure en lütjen Liien wat.
Wat?
Wenn et regent, is 't natt,
Wenn 't früst, is 't glatt,
Wenn 't snit, is 't witt,
Den dummen Näsewitt.
Wer dat glöft
Un 't Bedde verköft,
Mot mit'n Hindersten up'n Stroh liggen.
Hahne, wutte mal von use Dële,
Süs kost et dik glik Kop un Kehle.
De Gander un de Gaus,
Dë betten sik um ne Maus,
De Gaus beit dulder
Un beit den Gander in en Snulder.
Danze, dicke Deren,
Kann 't Arslock nich bören.
Dit is en Mann, dë kann 't maken,
Hei schitt in 't Bedde un wickelt et in 't
Laken.
Haste de Susemännsche nich eseihn?
Se kummt hüte Abend un will 't Hitjen
aftein,
Un kummt se hüte Abend nich,
Denn kriegt se wahrhaftig et Hitjenfell nich.
Wat maket denn ole Lohr?
Hei kiket ober de Dör.
Wat maket denn sine Mamsell?
De deit, wat se well.
Wat maket denn sine Zicken?
Se schit ne wat in de Ficken.
Ach, nu wart et wedder Morgen.
Wo kreige we denn den Brennewin her?
Kräuger Sagebeil will uns keinen mehr
borgen,
In Westerbrak da gift et keinen mehr,
In Baukhagen het we keinen Kredeit
Un hen na Linse is gar tau weit.
Eins zwei drei,
Alt ist nicht neu,
Neu ist nicht alt,
Warm ist nicht kalt,
Kalt ist nicht warm,
Reich ist nicht arm,
Arm ist nicht reich,
Krumm ist nicht gleich,
Gleich ist nicht krumm,
Klug ist nicht dumm,
Dumm ist nicht klug,
Wagen ist kein Pflug,
Pflug ist kein Wagen,
Singen ist kein Sagen,
Sagen ist kein Singen,
Kettenreime.1)
Tanzen ist kein Springen,
Springen ist kein Tanzen,
Flöhe seien keine Wanzen,
Wanzen seien keine Flöhe,
Hirsche seien keine Rehe,
Rehe seien keine Hirsche,
Faul ist nicht frisch,
Frisch ist nicht faul,
Ochse ist kein Gaul,
Gaul ist kein Ochse,
Hasen seien keine Füchse,
Füchse seien keine Hasen,
Zungen seien keine Nasen,
Nase ist keine Zunge,
Leber ist keine Lunge,
1) Teilweise ganz gleich lauten die Volksreime, die J. Sackmann in einer seiner
Predigten gegeisselt hat.
428
Schell:
Lunge ist keine Leber,
Bauer ist kein Weber,
"Weber ist kein Bauer,
Süss ist nicht sauer,
Sauer ist nicht süss,
Hände seien keine Fiiss',
Klocke eine
Sleit mik min Vader an de Beine,
Klocke twei
Deit et noch wei,
Klocke drei
Is 't wedder gut,
Klocke veire
Gâ ik na'n Beire,
Klocke ñwe
Kom' ik wedder,
Klocke sesse
Lopt de Yösse,
Braunschweig'.
Füsse seien keine Hände,
Giebel seien keine Wände,
Wände seien keine Giebel,
Testament ist eine Bibel,
Bibel ist ein Testament,
Darum hat das Lied ein End'.
Klocke sebene
Komet se wêer,
Klocke achte,
Wat de Hund schit, dat betracht' e.
Klocke neune
Tut't de ole Keune,
Klocke teine
Sind alle Schötteln reine,
Klocke elwe
Siti' ik im Gewölbe
Un Klocke twölwe sitt' ik im Toren
Un hebbe alles verloren.
Nachträge zu den „Belgischen Hochzeitsgebräuchen'V)
Von 0. Scliell.
1. Wenn in der Gegend von Linde bei Lindlar ein Bursche mit einem
Mädchen ein Verhältnis anknüpfen möchte, so geht er unter irgend einem
Vorwande in die Wohnung des Mädchens. Dort ahnt man wohl den Zweck
des Kommens und richtet dementsprechend sein Verhalten ein. Der Bursche
merkt bald, ob er genehm ist oder nicht. In ersterem Falle wiederholt
er nach vier Wochen seinen Besuch. Dann fragt er das Mädchen, ob sie
gemeinschaftlich das neuntägige Gebet halten sollten. Nur selten verneint
dieses. Die jungen Leute nehmen nun an den folgenden neun Tagen
gemeinschaftlich an einem bestimmten Gottesdienste teil, wobei sie bezüg-
liche Gebete sprechen. Das Verhältnis ist nun als fest zu betrachten und
w7ird nur äusserst selten wieder gelöst.
2. Alphons Thun, Die Industrie am Niederrhein (Staats- und social-
wissenschaftliche Forschungen von G. Schmoller, II3, S. 158), schreibt:
„Oben in Velbert und Langenberg herrscht unter den Bauern eine merk-
würdige Sitte. Wenn dort eine Tochter erwachsen ist, so wird für sie die
Stube links am Eingange hergerichtet, wo sie sitzt und arbeitet. Dann
1) Jahrgang X, 37, 162.
Nachträge zu den „Bergischen Hochzeitsgebräuchen"
429
darf jeder Fremde kommen, mit ihr plaudern und um sie werben. Wehe
ihm aber, wenn er sich nach 5 Uhr nachmittags im Dorfe blicken lässt;
dann jagen ihn die Bursche des Orts davon."
3. A. Yogt schrieb im Anfang der 70er Jahre über die Annäherung
der jungen Leute im Oberbergischen unter dem Titel „Land und Leute
des Amtes Steinbach" im Wipperfürther Volksblatt folgendes:
„Eine unserer Heimat ganz eigentümliche Veranlassung zum Zusammen-
rotten und Umherlaufen junger Burschen ist die hier übliche Karesse. In
anderen Gegenden, wo die Leute auch zerstreut auf Höfen wohnen, hat
man die Makler oder Freierswerber, welche die Heiratsangelegenheit so
weit zu stände bringen, dass der junge Mann ohne Furcht und Bedenken
zu jeder Zeit bei seiner Zukünftigen erscheinen kann. Da aber, wo man
nur in Dörfern wohnt, heiratet man in der Kegel nicht aus dem Dorfe,
man kennt sich also von Jugend auf, hat ohne die Nacht Zeit und Gelegen-
heit, sich zu sehen und zu einigen; früh genug ist die Sache so weit ge-
diehen, dass es selten einem anderen einfallen wird, den Rivalen zu spielen.
Bei uns ist beides nicht der Fall. Der Junge kennt oft das Mädchen
nicht, was ihm als passend bezeichnet worden ist. Da er nun nicht weiss,
wem er und wie vielen er in fremder Gegend ins Gehege kommt, so muss
er eine hinreichende Bedeckung mit sich nehmen, die dann nebenher
vielleicht auch ihre Geschäfte besorgt. Auf diese Weise treffen oft zwei,
drei Parteien, 12—20 Personen ein, wenn die Stube gross genug ist, so
viele Leute zu fassen. Missmut und Ubermut begegnen sich, Witzworte
fliegen herüber und hinüber; es fallen auch wohl Stichelreden, und da ist
es wohl nicht zu verwundern, wenn später die eine Partei von der anderen
im Freien überfallen wird."
4. Heute noch werden die Mädchen in Oberpleiss am Siebengebirge
versteigert. In Ägidienberg am Siebengebirge giebt es noch Reijungen
und wird Reije gehalten.
5. Das Tischrücken wendet man in Ägidienberg als Liebesorakel an.
Man fragt: „Bekommt die N. N. den und den zum Manne?" Klopft es
dann, so ist sie sicher, dass sie ihn bekommt.
6. Wer an der Ecke eines Tisches sitzt, bekommt in 7 Jahren keinen
Mann, bezw. keine Frau (Barmen).
7. Wenn in Windhagen ein Bursche von einem Mädchen einen Korb
oekommt, so tragen ihm die anderen Burschen einen schweren Stein ins
Haus.
8. Kam am Deilbach ein willkommener Freier, so wurde er in die
beste Stube geladen und ihm Speckpfannenkuchen vorgesetzt. Einen miss-
li ebi^en Freier forderte man auf, Kartoffeln zu schälen.
9. Die Bezeichnung „Schlutgang" (oben S. 41) ist der Bevölkerung
am Deilbach noch geläufig.
430
Schell:
]0. In Lieberhausen wird am Samstag vor dem ersten Aufgebot der
Hîleng (S. 46) im Hause der Braut oder des Bräutigams gehalten.
11. In den Sendgerichts-Protokollen der Gemeinde Neukirchen vom
Jahre 1691 heisst es: „Weil auch eine grosse Unordnung auf Heylingen
vorfällt, so dass sich das junge Volk ganze Nächte dabei aufhält, auch
abends fremde und ungeladene Gesindlein sich dabei einfindet, grossen
Mutwillen üben; so ist mein Begehren, dass sich niemand länger auf
solchen Heylingen aufhalte bis abends 9 Uhr; auch soll keinem mehr vom
Bräutigam aufgetragen und gezapft werden, wenn aber der Bräutigam liier-
wieder würde handeln, so soll derselbe in die Kirchenstrafe verfallen,
2—-3 Rthlr. zahlen, die Gäste ebenfalls 1[2 Rtlilr."
12. In Wipperfürth wirft man alle im Laufe der Zeit angesammelten
Scherben am Polterabend vor das Haus der Braut oder des Bräutigams.
13. In Hackenberg bei Bergneustadt wird die Hochzeit (wohl aus
rein praktischen Gründen) am Samstage gefeiert. In Lieberhausen wird
die Hochzeit gewöhnlicher Leute am Sonntag, die der besser gestellten
am Freitag und Samstag begangen.
14. In Lieberhausen wurde die Braut ins Haus des Bräutigams geholt.
Vorher wurde der Brautwagen geladen. Die jungen Burschen des Ortes
besorgten das. Zuerst kam das Spinnrad an die Reihe. Zuletzt wurde
die Braut auf den Wagen gesetzt und unter Schiessen setzte sich der Zug
in Bewegung.
15. In Wittlaer war es vor kurzem noch Sitte, dass bei einer Hochzeit
abwechselnd Mann und Frau in langem feierlichem Zuge ins Hochzeitshaus
hineinzogen. Eine Frau eröffnete den Zug und eine andere schloss ihn
Alle Frauen trugen Hauben mit langen Bändern, welche nur bei der
Hochzeit getragen zu werden pflegten. Ernst und gemessen bewegte sich
der Zug vor dem Herd her, wobei die erste und letzte Frau einen Topf
vor demselben zur Erde warfen. Auch umschritt der ganze Zug die leer-
stehende Wiege.
16. Wenn in Bockum bei Kaiserswerth die junge Frau ins Haus des
Bräutigams gebracht wird, dann führt man sie zuerst herum und setzt sie
dann auf einen Stuhl. Man wirft dann eine Schaufel glühender Kohlen
unter dem Stuhle durch (früher glühende Holzscheite), damit sie „munter"
wird. Dann wird von den Frauen das „Kümpchen" geleert (S. 166). Das
nennt man das Hehlen der Braut. Hiernach nimmt man der jungen Frau
die Mütze vom Kopfe, schlägt dieselbe, als wenn man sie stärkte, und setzt
sie der Neuvermählten wieder aufs Haupt. Darauf bringt man eine
Kuchenpfanne herein, hält die russige Seite derselben der Braut dicht vors
Gesicht und spiegelt sie, ob sie hübsch sei. Die Braut sitzt dabei auf
einem Stuhl. In der Hochzeitsnacht aber führen die Frauen die Neuver-
mählte mit einer brennenden Laterne in den Garten und lehren sie Kohl
Nachträge zu den „Bergischen Hochzeitsgebräuchen''.
431
pflanzen, indem man den Kopf desselben in die Erde steckt und die
Wurzeln nach oben richtet. Auch tritt während der Hochzeitsfeier regel-
mässig eine Magd, welche eine Schürze mit Sand umgebunden hat, in die
Stube und fragt den jungen Bauer: „Kannst Du säen?" Dann fährt sie
fort: „Ich will es Dich lehren!" Alsdann wirft sie ziemlich rücksichtslos
Hände voll Sand unter die Geladenen.
17. In Müllenbach herrscht bei der Hochzeit folgender Brauch: Man
legt eine Karre auf die Seite, so dass ein Rad in der Luft schwebt und
leicht herumgedreht werden kann. Dann setzt man Braut und Bräutigam
auf dasselbe und dreht es einigemale herum (vgl. Liebrecht, Zur Volks-
kunde, S. 303). Die Karre wird gleichsam zur Mühle, auf welcher die
jungen Eheleute gemahlen werden. Mahlen und Zeugen weisen aber eine
nahe Verwandtschaft auf. Die Karre wird also zum Symbol einer menschen-
mahlenden, d. h. sie hervorbringenden (oder verjüngenden) Mühle, wozu
niemals eine günstigere Gelegenheit sich bietet als bei der Hochzeit.
18. In Wittlaer und Bockum trugen die Frauen bis zur Mitte unseres
Jahrhunderts eine eigentümliche Kopfbedeckung bei Festlichkeiten, nament-
lich bei Hochzeiten. Über ein winklig gebogenes Ohreisen (aus Silber
gefertigt und mit goldenen oder vergoldeten Spitzen versehen) zog man
straff ein kleines schwarzes (oder auch weisses) Mützchen, welches einen
Teil des Hinter- und Mittelkopfes bedeckte, seinen Halt aber teilweise an
der dicken Haarkrone fand. Darüber hing man ein aus feinen weissen
Spitzen hergestelltes Häubchen, welches gefältelt wurde. Auch eine „Zieh-
mütze" trug man wohl, ebenfalls aus weissen Spitzen gefertigt, aber viel
grösser als jene.
19. In Ägidienberg sind die jungen Burschen während der Hochzeits-
feier, welche meist im Wirtshause abgehalten wird, bemüht, der Braut die
Schuhe auszuziehen. Dasselbe unternehmen die Mädchen beim Bräutigam.
Erhalten die Mädchen die Schuhe nicht, so müssen sie eine Busse zahlen;
dasselbe gilt von den Burschen. Dieses Geld wird gemeinschaftlich ver-
jubelt.
Weiter nach Asbach zu ist dasselbe mit dem Goldschmuck (goldenes
Halskreuz, Ringe u. s. w.) der Fall. Später werden Schuhe und Gold-
schmuck Bräutigam und Braut zurückgegeben.
*20. Wer an der unteren Wupper eine Hochzeit vor dem allgemeinen
Aufbruch verliess, wurde von den jungen Leuten zurückgeholt, indem sie
ihn auf einen Zingbohm (Zing = Zuber; Zingbohm, ein etwa 4 Fuss langer,
starker Stock zum Tragen des Zubers) setzten und zurücktrugen. Er
hiess dann Zingbohmrukter (Zingbaumreiter).
21. In Elberfeld herrscht noch die Sitte, dass die Jungfrauen nachts
um 12 Uhr den Schleier der Braut zerreissen und Fetzen desselben als
glückbringend sorgfältig aufbewahren (nur von einer Seite mitgeteilt).
432
Hauffen :
22. War das Wetter bei einer Hochzeitsfeier (welche im Freien
gehalten wurde) ungünstig, so verschob man dieselbe. Im Freien wurde
auch ein Feuer angezündet und über dasselbe ein grosser Kessel gehangen,
worin das Essen gekocht wurde. Am Deilbach kochte man regelmässig
Reisbrei, Schinken, weisse Bohnen mit Sauerkraut. War das Essen fertig,
so bliesen die Spielleute zu Tisch. Dieser war unter den Bäumen des
Hofes gedeckt.
23. In Hackenberg bei Berg-Neustadt sind die Gebe-Hochzeiten noch
allgemein. Sie werden im Wirtshaus begangen. Doch wird die Höhe
der Geldsumme nicht mehr notiert; im Durchschnitt werden 3—5 Mark
gegeben. Die Trauung erfolgt im Hause. Hier, wie auch in Koverstein,
Lantenbach u. s. w. sind oft 150—300 Personen versammelt. Nachmittags
giebt man Kaifee, dann Bier und um 12 Uhr wieder Kaffee.
24. Den Gebe-Hochzeiten entgegengesetzt waren gewisse Hochzeiten
an der unteren Wupper, bei welchen die Geladenen das Essen umsonst
erhielten. Das war das Liwesmahl (Liebesmahl). In Neukirchen an der
unteren Wupper stellte man noch vor 30 Jahren, wenn man zur Hochzeit
ging, selbst seinen Platz (Art Weissbrot) nebst Butter und nahm dies
zum Feste selbst mit. Doch hatten die Brautleute auch für Vorräte «-e-
o
sorgt, falls sich jemand nicht vorgesehen hatte. Auch schickten die Ge-
ladenen vor der Feier Milch ins Hochzeitshaus, welche zur Bereitung des
Reisbreies, der nie bei der Hochzeit fehlte, verwandt wurde.
25. Die liochfürstlich Schwarzenbergische Polizei-Ordnung für die
„freie Reichs-Herrschaft Gimborn und inkorporierten Amt Neustadt" vom
Jahre 1766 bestimmte, dass bei Hochzeiten höchstens 18 Paare und bei
Heiratsschlüssen nicht mehr als 9 Paare, die nächsten Verwandten ein-
gerechnet, erlaubt sein sollten. Das öffentliche Schenken wurde dabei
streng verboten.
Elberfeld.
Kleine Beiträge zur SagengescMchte.
Von Adolf Hauffen.
1. Zum Traum vom Schatz auf der Brücke.
Die Sage vom Schatz, dessen Fundort (im eigenen Hause oder
nahe dabei) der Held infolge eines Traumes auf einer weit entfernten
Brücke erfährt, ist seit alters bei verschiedenen Völkern verbreitet.
Jakob Grimm hat über die Wanderungen und den Wert dieser Sage,
die .gleichnisweise ausdrückt, „dass der Mensch, was er in der Ferne
Kleine Beiträge zur Sageilgeschichte.
433
sucht, in seiner eigenen Heimat liegen habe" in einer schönen Akademie-
rede (Kleinere Schriften 3, S. 414—428) gehandelt. Er zeigt hier, dass
die Sage zuerst im Karl Meinet und zwar lokalisiert auf die Brücke in
Paris erscheint, dass sie demnach schon im 12. Jahrh. in Frankreich um-
gehen musste, und bespricht hierauf die Fassungen aus England, Schottland,
Irland, Dänemark, Mähren, Persien und die in Deutschland seit Agrícolas
Sprichwörtersammlung vielfach zu belegenden landschaftlichen Sagen. Den
Nachweisen, die Grimm hier und in der Mythologie (2, S. 960, vgl. auch
Brüder Grimm, Deutsche Sagen 1, No. 212 und S. 258) beibringt, hat
Ignaz Zingerle, Sagen aus Tirol (2. Aufl., S. 654) neue Belege hinzugefügt.
Wir ersehen hieraus, dass in den deutschen Sagen je nach der Landschaft
verschiedene Brücken als Stelldichein für die beiden Träumer bezeichnet
werden: Bremen, Hameln, Heidelberg, Kassel, Kempen, Lübeck, die Werra-
brücke bei Münden, die Feigenbrücke in Bozen u. v. a. Eine czechische
Sage aus Mähren, deren Inhalt J. Grimm (a. a. O. S. 422) nach der
Sammlung von B. M. Kulda: Moravské národni pohádky, povesti, obyceje
a povery No. 89 wiedergiebt, und die im wesentlichen genau mit der Sage
von der Zirler Brücke (Zingerle No. 624) übereinstimmt, versetzt das Er-
eignis nach Prag. Es giebt aber noch zwei czechische Fassungen dieser
Sage, die am Schlüsse so charakteristisch von allen übrigen Überlieferungen
abweichen, dass ein Hinweis auf sie mir wichtig erscheint. Sie sind abge-
druckt in der Sammlung von J. Svátek, Prazské povesti a legendy (Prager
Sagen und Legenden), S. 117 f. Die erste lautet in wörtlicher Übersetzung:
Der Schatz auf der Prager Brücke.
„In einem Dorfe unweit von Prag wohnte ein Häusler, welcher bei
seiner Hütte ein Gärtchen mit einem Apfelbaum besass. Mit seiner zahl-
reichen Familie litt er oft Not und bat darum Gott und den heil. Johannes
von Nepomuk um Hilfe. Einmal in der Nacht träumte es ihm, dass der
heil. Johannes zu ihm trat und ihn aufforderte, auf die Prager Brücke zu
gehen, wo er einen Schatz finden werde. Der Häusler schenkte dem
Traum keinen Glauben. Als ihm aber der Heilige ein zweites und ein
drittes Mal erschien und das Gleiche wiederholte, machte er sich auf nach
Prag, mn auf der Brücke den Schatz zu suchen. Aber er ging bis zum
Abend vergeblich auf der Brücke auf und ab, bis ein Soldat, der in der
Mitte der Brücke tagsüber auf Wache stand, auf ihn aufmerksam wurde
und ihn frag, was er denn hier so lange suche. Der Häusler erzählte ihm
seinen Traum und den Grund, warum er auf die Prager Brücke gekommen.
„Das ist merkwürdig", erwiderte der Soldat, „auch ich hatte durch drei
Nächte einen Traum, wonach mir der heil. Johann den Auftrag gab, mich
auf den Weg zu begeben, bis zu einem Dorf, wo auf einem Felsen drei
Kreuze aufgerichtet sind. Dort sollte ich das letzte Häuschen aufsuchen,
in dessen Garten ein Obstbaum am Zaune steht. Unter diesem Baume
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900. 29
434
Hauff en:
würde ich einen Schatz finden." — „Das ist ja mein Häuschen, das ist ja
mein Obstbaum!" ruft der Häusler. „Bei uns stehen drei Kreuze auf
einem Felsen! Jetzt hat sich uns beiden der Traum erfüllt und der Schatz
ist unser! Bedanken wir uns dort beim heil. Johannes mit einem Gebete
und gehen wir dann in unser Dorf und suchen wir unter dem Obstbaume
den Schatz, den ich mit Gottes Hilfe doch auf der Prager Brücke gefunden
habe." Und sie gingen zur nahen Bildsäule des heil. Johannes von Nepomuk,
darnach aber begab sich der Soldat mit dem Häusler in dessen Dörfchen.
Dort fingen sie gleich an, unter dem Obstbaum zu graben und kamen
bald auf eine eiserne Truhe voller Gold- und Silbermünzen. Ehrlich
haben sich die beiden in den Schatz geteilt und lebten nun als reiche Leute."
In einem Anhang hierzu giebt Svátek Nachricht von einer ganz ähn-
lichen mährischen Fassung, in der eine ungenannte Brücke, statt des heil.
Johannes ein Engel, statt des Apfel- ein Birnbaum erscheint, und der
Häusler zum Schluss zwar den Schatz allein hebt, aber um nicht undankbar
zu sein, dem Soldaten seine einzige Tochter zum Weibe giebt. — Im
Gegensatze zu allen übrigen Fassungen lässt nur in diesen zwei czechischen
Sagen der Finder des Schatzes den Mann, dem er die Kenntnis des
Fundortes verdankt, an seinem Glück teilnehmen. Warum sind die anderen
Nationen nicht auf diesen selbstverständlichen Zug der Dankbarkeit ver-
fallen? Ich erkläre es mir daraus, dass der unbekannte Mann, der dem
Träumer auf der Brücke den Fundort nennt, ursprünglich ein mythisches
Wesen ist, gewissermassen ein Abgesandter aus dem Reiche der Geister,
die den Menschen den Weg zum Schatze weisen. Mit einem mythischen
Wesen brauchte man natürlich nicht den Schatz zu teilen. Und der alte
Schluss blieb in der Uberlieferung haften, bis er schliesslich einmal in
einer ganz christlich-frommen Fassung geändert wurde.
Die Prager Fassung ist ganz und. gar lokalisiert, indem hier auch der
Landespatron Böhmens Johannes von Nepomuk eine entscheidende Rolle
spielt und sein Standbild erwähnt wird, das auf der Prager Brücke, an
jener Stelle, wo König Wenzel IY. den Heiligen 1393 in die Moldau
werfen liess, errichtet ist. Die Prager Brücke erschien bisher nur in
czechischen Fassungen unserer Sagengruppe. Doch dieser grossartige Bau,
den Karl IY. 1357 anlegen liess, hatte genug weit reichenden Ruhm, um
auch in Sagenfassungen, die sich in der Ferne ausgebildet hatten, Raum
zu finden. In der That hat vor kurzem "Hü s er in seinem Programm
„Beiträge zur Yolkskunde, II. Teil. Warburg 1898" nach dem Yolksmunde
folgende Sage aus Westfalen mitgeteilt.
„Yor einigen Jahren lebte im Busch bei Atteln ein armer Mann, der
im Traum die Stimme vernahm:
„Zu Prag auf der Brück
Da wirst du finden dein Glück!"
Kleine Beiträge zur Sagengeschichte.
435
Anfangs hielt er es für Thorheit, auf den Traum etwas zu geben. Als
dieser sich aber in zwei darauf folgenden Nächten wiederholte, machte er
sich auf nach Prag. Auf der Brücke daselbst wurde er von einem Wanderer
gefragt, wer er sei und was er wolle. Er erzählte darauf seinen Traum.
Der Wanderer erwiderte ihm, auch er habe einen Traum gehabt, nämlich
auf der hl. Seele unter einer Linde, da sei ein Topf voll Gold vergraben,
aber Gott möge wissen, wo die hl. Seele wäre. Als der arme Mann das
hörte, wurde er hocherfreut. Denn die Iii. Seele kannte er ganz gut, lag
sie doch nur eine halbe Stunde von seiner Heimat. Er kehrte daher
schleunigst zurück, grub an der bezeichneten Stelle nach und fand den
Schatz."
In der deutschen Sammlung der „Prager Sagen" von C. von Weyli-
rother 1863 und 1864 findet sich keine Sage dieser Art. Auch im übrigen
deutsch - böhmischen Sagenschatz ist mir vorläufig noch keine Variante
untergekommen.
2. Zur Schweizer Pilatussage.
Die Schrift: „Ein aufs Meyland vberschribener Bericht, inn was gestalt
der Schweitzerischen Catholischen Sechs Ortten Gesanten ... zu Moyland
seind Empfangen worden. 1589." (Goedekes Grundriss 2, S. 501, No. 47)
enthält ausser einer Vorrede von Fischart mehrere aus dem Latein über-
setzte Stücke: den Bericht über den in Mailand 1588 abgeschlossenen
Bund zwischen den katholischen Schweizer Kantonen und Spanien, eine
hierbei gehaltene Rede und schliesslich eine sehr wohlwollende Beschreibung
der Schweiz. Dieser Abschnitt, der die Sitten, Bräuche und Lebensver-
hältnisse der Eidgenossen schildert, bringt auf Blatt D 3 a, b einen kurzen
Bericht über die Pilatussage. Da dies eine ziemlich alte Aufzeichnung
der Schweizer Volksüberlieferung ist', teile ich sie nachstehend mit:
D 3 a. „Ich kan auch nicht vinbgehn zuuermelden, das zu Lucern sey
der Pilatus Berg in sieben Joch oder Hohen abgetheilet zwischen welchen
ligt inmitten jnnen der See vnd dieweil Pilatus wie etliche sagen auff dem
Berge eine Zeitlang ist verbannet gewesen oder aber wie es andere dafür
halten, sein (D 3b) Leichnam inn den See geworffen, so lasse sich sein
Geist alle Charfreitag am selben Ort sehen in gestalt eins Richters, der
die Hände weschet, vnd dann gegen Abend wiederumb verschwindet. Vnd
wann die Oberkeit dess orts nicht so gute scharpffe w7acht halten Hessen,
das niemands das geringste steinlein von oben herab hinein werffen könte,
wurde sich ein solch vnmessig vngewitter erheben, das, wie es die erfalirung
zum offtermal gegeben, die Stat im Wasser versencken vnd vndergehen
möchte. So sagen auch die Bauersleut, das sie vilmals kleine Männlein
vmb den See zusehen pflegen, welche mit steinlein nach jnen werffen vnd
darnach nicht mehr sehen können, wrahin sie kommen seind."
29*
436
Hauffen :
Die Pilatussage, deren reiche mittelalterliche Entwicklung wiederholt
behandelt worden ist (so von W. Creizenach in Paul-Braunes Beiträgen 1,
S. 89—107 und besonders eingehend auf Grund eines grossen gelehrten
Materials von Schönbach im Anzeiger für deutsches Altertum 2, S. 166
bis 212) ist in den jüngeren Yolksüberlieferungen nicht allein auf den
Pilatusberg lokalisiert worden, sondern auf verschiedene Seen der süd-
deutschen Gebirgsgegenden (vgl. Schönbach a. a. 0. 211 und Sepp, Alt-
bayerischer Sagenschatz 1876, S. 459), so besonders in Tirol auf den
Jochersee bei Merari und den Pillersee in Nordtirol (vgl. Z in gerle, Sagen
aus Tirol3, S. 148 und 623, No. 239, wo die weitere Litteratur über diese
Volkssage genannt ist, und jetzt Heyl, Yolkssagen aus Tirol, S. 64, No. 24).
Yon den verwandten Sagen des Pilatussees im Gebiete von Norcia in
Mittelitalien handelt ausführlich A. Graf, Miti, Leggende e Superstizioni
del Medio Evo 1893, II, S. 141—166.
3. Zur Stoffgescliichte yon Lenaus Anna.
Es ist bekannt, dass Lenau zu seinem epischen Gedicht Anna von
einer ihm mündlich erzählten schwedischen Sage angeregt worden ist.
Bolte hat mit Benutzung von Reinhold Köhlers Kollektaneen im Euphorion 4,
S. 323—333 die Geschichte dieses Sagenstoffes auf Grund von zahlreichen
nordischen, keltischen, romanischen, deutschen u. a. Fassungen behandelt.
Diesem reichen Material ist nun noch hinzuzufügen eine südrussische
Fassung, die J. Jaworskij in der Zeitschrift für österreichische Volks-
kunde 4, S. 47 nach der mündlichen Mitteilung einer Ruthenin in Holo-
wetzko (Galizien) mitgeteilt hat und eine deutsch-böhmische Sage, die mir
einer meiner verlässlichsten Mitarbeiter, der junge Landwirt Alois Fietz,
nach der Erzählung der Frau Katharina Lifka in Deslawen, einem deutschen
Dorfe Westböhmens, übergeben hat. Da diese Fassung namentlich am
Schlüsse einzelne ganz neue, eigenartige Züge aufweist (— am nächsten
kommt sie noch der süditalienischen Sage bei Bolte S. 331 —), teile ich
sie hier wörtlich mit:
„Es war einmal eine Grafentochter. Die war sehr schön, aber auch
sehr eitel, und hätte ihre Schönheit gern bis ins Alter behalten. Sie ver-
mied daher alles, was ihrer Schönheit hätte Abbruch thun können und
wollte auch von einer Heirat nichts wissen, um nicht durch das Gebären
von Kindern ihre Schönheit einzubiissen. Da ereignete es sich, dass ein
junger, wunderschöner Graf um ihre Hand warb. Die Grafentochter ver-
liebte sich auch in ihn und versprach nach Jahresfrist ihm angehören zu
wollen. Als aber der Graf fort war, befiel sie eine grosse Angst. Die
Abneigung gegen Kinder und die Befürchtungen wegen des Verlustes ihrer
Schönheit liessen ihr keine Ruhe. Da kam einmal eine alte, wahrsagende
Zigeunerin ins Schloss. Diese gab der Grafentochter den Rat, wenn sie
Kleine Beiträge zur Sagengeschichte.
437
keine Kinder gebären wolle, so müsse sie den Inhalt eines vollen Mohn-
kopfes vor Sonnenaufgang in ein Gartenbeet säen. So viele Mohnköpfe
aus dem ausgestreuten Mohn entstünden, so viele Kinder würde sie ge-
bären. Wenn nun alle Köpfe verblüht hätten, so solle sie, wieder vor
Sonnenaufgang, eine Sichel nehmen und die unreifen Mohnköpfe abschlagen
und verbrennen oder in ein fliessendes Wasser werfen, so würde sie nie
Kindersegen haben. Die Grafentochter befolgte pünktlich den Rat der
Zigeunerin, und siehe, es gingen vier Samenkörner auf und trugen je eine
schöne Blüte. Yor Sonnenaufgang sichelte sie dann die grünen Mohnköpfe
ab und verbrannte sie. Bald darauf fand die Hochzeit statt. Das junge
Grafenpaar lebte viele Jahre in Glück und Frieden mitsammen. Der
einzige Gram des Grafen aber war, dass ihm seine Gemahlin kein Kind
schenkte. Mit der Zeit machte er ihr dies laut zum Vorwurf, was sie um so
mehr schmerzte, da sie in letzter Zeit selbst Kindersegen gewünscht hatte.
Sie verfluchte die Zigeunerin, die ihr den bösen Rat gegeben. Sie erkannte
auch, dass sie eine grosse Sünde begangen hatte. Da erschien ihr einmal
im Traume ein Gesicht, welches ihr dringend anriet, das Geheimnis ihrem
Gemahl anzuvertrauen. Sie zögerte aus Angst vor dessen Zorn mit der
Mitteilung. Als aber allnächtlich das drohende Gesicht wiederkehrte, da
widerstand sie nicht länger und that das Geheimnis ihrem Manne kund.
Dieser war erst von der traurigen Botschaft niedergeschmettert. In seiner
Verzweiflung ging er zu einem Einsiedler, sich Rat zu holen, wie seine
Frau es anzustellen habe, um Vergebung ihrer Sünde erwarten zu können.
Der alte Einsiedler erklärte, sie miissten nach Rom zum hl. Vater pilgern
und dort Ablass begehren. Er fügte sich willig darein.
Als sie nach Rom kamen und der Papst die Beichte der Gräfin gehört,
da sagte er, das Grafenpaar solle nur thun, was man von ihnen verlange.
Am Abend wurden sie in eine Kirche geführt. Da wurde beiden bedeutet,
die ganze Nacht ununterbrochen zu Gott und der hl. Jungfrau Maria zu
beten. Sie thaten, wie man sie geheissen. Als die Mitternachtstunde
heranrückte, da entzündeten sich plötzlich alle Kerzen des Altars und
grosse Helligkeit verbreitete sich um sie. Mit einem Male öffnete sich
die Thüre und hereintrat ein Priester im bischöflichen Kleide, dann zwei
schwarzgekleidete Herren, zuletzt eine Nonne. Aber jeder der vier
Personen fehlte der Kopf. Der Priester trat an den Altar und begann
eine Messe zu lesen, der eine Herr begab sich auf das Kirchenchor und
spielte die Orgel, der andere Herr und die Nonne setzten sich in einen
Kirchenstuhl. Als eine Stunde vorüber war, verschwanden die vier kopf-
losen Gestalten und die Lichter verlöschter;. Am nächsten Morgen er-
zählten die Beiden ihrem Beichthörer den Vorfall, und er erklärte ihn
folsendermassen: Vier Kinder hättet Ihr bekommen sollen, drei Söhne und
o '
eine Tochter. Der eine Sohn wäre Bischof, der zweite ein grosser Musiker,
4er dritte Euer Stammhalter, die Tochter aber Äbtissin geworden.
438
Polívka: Nachträge zum Aufsatz „Tom Tit Tot".
Das Grafenpaar musste sich die nächste Nacht wieder in jene Kirche
begeben, doch mit dem Unterschiede, dass man sie jetzt in zwei getrennte
Räume schied. Als Mitternacht herankam, hörte der Graf im Nebenraume
seine Frau ein jämmerliches Geschrei ausstossen, so dass er entsetzt zu
Hilfe eilen wollte. Er war aber festgebannt und konnte sich nicht weg-
rühren. Am nächsten Morgen fand man im Gemach der Gräfin nichts als
ihre Kleider. An der Decke flatterte eine weisse Taube, die durch die
Thür entwich. Man sagte dem Grafen, dass die Gräfin durch ihre Sünde
getötet, aber durch die Busse gereinigt worden sei. Der Graf verblieb in
Rom und liess sich in ein Kloster aufnehmen."
Nachträge zum Aufsatz „Tom Tit Tot".
Von G. Polívka.
(Zeitschrift X, 254—272.)
Zu S. 261 f. Hierher gehört noch eine oberlausitzische Erzählung:
Statt der Mutter jagt der Vater das faule Mädchen mit einem Stock um
das Haus herum; einem Herrn gegenüber sagt er dann, dass seine Tochter
allen Flachs aufgesponnen hat und nun aus Haferstroh Seide spinnt. Ein
graues Männchen verspinnt ihr alles Stroh, das der Herr in zwei Kammern
aufgespeichert hat, wenn sie ihm verspricht, seine Frau zu werden. Das
Männlein ist bald mit der Arbeit fertig und will sich das Mädchen nehmen,
indem tritt der Herr ein, und das Männchen verschwindet mit der Drohung,
es müsse seine Frau werden, falls es nicht seinen Namen errate. Die Braut
weint fortwährend, und auch die Scherze der Hochzeitsgäste können sie
nicht aufheitern. Der Herr schickte nun zwei Diener aus, um etwas Neues
zu erblicken. Sie sahen ein Männchen über Holz springen und hörten
es ein Liedchen singen: „Wenn die Braut wiisste, wie ich heisse, hätte
sie schon längst gelacht; ich bin Cyketarusk." Der Name ist ähnlich
wie in Dw1 Zirkzirk. Bald nachdem die Diener mit dieser Nachricht
zurückkehrten, kam auch das Männchen zum Hochzeitsschmaus. Die Braut
ratet dreimal: „Bist du der rotzige Peter?" „Bist du der dumme Hans?"
Endlich: „Bist du also Cyketarusk?" Das Männchen verschwand und
hinterliess so einen Gestank,, dass alle Gäste auseinander liefen (Ad. Cerny,
Mythiske bytosce luziskich Serbow, S. 90 f.).
Herr Prof. Zubaty teilte mir freundlichst noch folgende lettische Version
aus Anns Lerchis Puschkaitis, Latweeschu tautas Pasakas I Jelgawa (Mitau)
1891, S. 154 mit: Eine Mutter schickte ihre Tochter um Moos. Es fuhr
Andree: Kleine Mitteilungen.
439
gerade ein Edelmann vorbei und fragte die Tochter: „Was willst du Mädchen
mit dem Moos machen?" „Ich werde Seide spinnen, die Aussteuer mir
schaffen", antwortete sie scherzend. Dem Edelmanne gefiel die Seiden-
spinnerin; er verneigte sich vor der Mutter und führte sich das Mädchen
als Braut weg. Zu Hause füllt der Edelmann das Zimmer mit Moos, dass
das liebe Weibchen genug Arbeit habe. Aber das Weibchen ist in schreck-
licher Bedrängnis: aus dem Moose kann es nichts spinnen, lässt den Spinn-
rocken und fängt bitter an zu weinen. Da kroch auf einmal aus dem
Moos ein Männchen heraus und sagte der Frau: „Wenn du dich verbindest
meinen Namen zu erraten, so werde ich sorgen, dass, wenn du anfängst
zu spinnen, ein seidener Faden dir herauskommen wird." Am Morgen
ging der Edelmann zufällig durch den Wald und hörte folgendes Liedchen:
„Selbst bin ich klein, mein Name ist Neezinsch (Nichts)." Als er nach
Hause kam, erzählte er dies seiner Frau, und sie hatte Freude daraus.
Abends kroch das Männchen wieder aus dem Moos: „Nun, Edelfrau, kennst
du meinen Namen?" „Ich kenne ihn, dein Name ist Neezinsch." Und
gleich wurde aus dem Moosfaden ein seidener, und das Männchen stolperte
durch die Thür hinaus und brach sich das Genick, als es über ein Kraut-
häuptel fiel, und verschwand auch gleich.
Kleine Mitteilungen.
Zur Frage nach den hannoverschen Wenden.
Mit Recht wundert sich Herr Prof. Á. Brückner (diese Zeitschrift oben S. 341),
dass, nach der Wisla und amtlichen preussischen statistischen Angaben, heute
noch im Lüneburgischen 585 wendisch sprechende Leute leben sollen. Hier liegt
in der einen oder anderen Richtung sicher ein Irrtum vor, denn heute giebt es in
den in Frage kommenden Kreisen Lüchow und Dannenberg, wie dort jedermann
weiss, nicht einen einzigen Menschen mehr, welcher die alte Sprache der Polaben
zu sprechen verstände, was ja auch der neueste Schilderer, Dr. P. Tetzner, der
1899 das Land behufs ethnographischer Studien bereiste, zu bestätigen weiss.
(Die Polaben im hannoverschen Wendlande. Globus, Band 77, No. 13 und 14.)
Ungefähr ein Dutzend Ausdrücke sind aus der nachweislich vor hundert Jahren
erloschenen slawischen Sprache im heute dort allgemein gesprochenen Niederdeutsch
hängen geblieben und als sicheres Zeichen wendischer Abkunft kann man die
Aussprache der mit h beginnenden Wörter ansehen, welche der Wendensprössling
ohne Aspiration spricht, während er das h bei den mit einem Vokal beginnenden
Wörtern setzt — ganz, wie es bei germanisierten Wenden der Niederlausitz der
Fall ist. Seiner wendischen Abkunft ist sich der Bauer im Drawen wohl bewusst;
aber er ist heute ein guter Deutscher oder welfischgesinnter Hannoveraner.
440
Bliimml :
Wie aber erklärt sich bei solcher Sachlage die oben angeführte statistische
Angabe von wendischredenden Leuten im Lüneburgischen?
Die preussische Volkszählung vom Jahre 1890 hat auf ihren Zählkarten eine
Frage No. 11 nach der Muttersprache jeder Haushaltung gestellt, ob diese deutsch,
litauisch, polnisch, kassubisch, wendisch u. s. w. sei. Das zutreffende Wort war
auf der Zählkarte zu unterstreichen. Die so erhaltenen Ergebnisse liegen, mit
Karten versehen, in vortrefflicher Bearbeitung von A. von Fircks vor, in einer
grossen Abhandlung „Die preussische Bevölkerung nach ihrer Muttersprache und
Abstammung" (Zeitschr. d. königl. preuss. statist. Bureaus, Jahrg. 1893). Hier sind
nun unter „AVenden" zunächst die Sorben der Lausitz verstanden, welche heute
noch slawisch reden; ihnen zugezählt sind auch die über die ganze Monarchie
zerstreut lebenden Wenden, und da erscheinen in der Provinz Hannover 626,
jedoch ist angegeben, dass unter ihnen nur 95 wendisch als Muttersprache an-
führen. Wir werden wohl nicht fehl greifen, wenn wir annehmen, diese 95 seien
aus der Lausitz in die Provinz Hannover eingewanderte Wenden gewesen. Es
bleiben somit noch 531 „Wenden" in der Provinz übrig. Diese sind im Kreise
Lüchow angeführt, welcher nach der Statistik noch 20,6 pro Mille Wenden haben
soll. Diese Zahl ist aber so wie so unrichtig, denn abgesehen von der Stadt-
bevölkerung und deutschen Zuwanderern, ist die Einwohnerschaft des ganzen
Kreises wendischer Abkunft, wenn auch kein Sterbenswörtchen wendisch (polabisch)
dort mehr erklingt. Ich vermute, dass die unrichtige Angabe daher stammt, dass
ein Teil der dortigen Bauern im Bewusstsein wendischer Abkunft sich als „Wenden"
in die Zählkarten eintrug. Fircks (S. 266) scheint mit den Sprachverhältnissen
des hannoverschen Wendlands nicht vertraut gewesen zu sein und hat daher in
seiner amtlichen Schrift die falsche Meinung weiter verbreitet, als würde die pola-
bische Sprache im Kreise Lüchow noch von einigen hundert Leuten gesprochen.
Thatsächlich aber spricht sie dort kein einziger mehr und zwar seit hundert Jahren.
Braunschweig. Richard Andree.
Einige Kinderspiele aus Nieder-Österreich.
Es ist erstaunlich, welche Fülle von Erfindungsgeist und Witz in den volks-
tümlichen Kinderspielen liegt, die leider immer mehr und mehr der Vergessenheit
anheimfallen, so dass es an der Zeit ist, dieselben (wie ja auch in Deutschland
fleissig geschehen ist) zu sammeln und der Forschung dienstbar zu machen. Dies
für Nieder-Österreich, unter Berücksichtigung der schon erschienenen Arbeiten,
anzustreben, ist der Zweck der nachfolgenden Beiträge, die auch in vergleichender
Weise auf die anderen Kronländer Österreichs Rücksicht nehmen.
Für Nieder-Österreich sind zwei grössere Arbeiten über diesen Gegenstand
vorhanden, die R. Weissenhofer1) und G. Galliano2) zu Verfassern haben. Dieselben
werden hier nur zur Vergleichung benutzt, denn die nachfolgenden Beiträge
sollen bisher noch Unbekanntes bieten, wobei überall der Ort, wo das Spiel in
Übung ist oder war, sowie der Gewährsmann angegeben wird. Findet sich kein
Gewährsmann genannt, so bin ich es selbst.
1) Robert Weissenhofer, Jugend- und Volksspiele in Nieder-Österreich. Zeitschrift
für österreichische Volkskunde. V. Jahrg. 1899. S. 49—56, 113—119.
2) Gustav Galliano, Uralte Volksspiele in Nieder-Österreich. Der niederösterreichische
Landesfreund. II. Jahrg. 1893. Baden bei Wien 1893, S. 5—7, 11—14. Vgl. auch E. K.
Blümml und Fr. Höfer, Die Beziehungen der Pflanzen zu den Kinderspielen in Nieder-
Österreich. Zeitschrift für österreichische Volkskunde. V. Jahrg. 1899, S. 132—135.
Kleine Mitteilungen.
441
1. Grünes Gras, grünes Gras.1) Ein Spiel, das nur Mädchen oder kleine
Kinder spielen, wobei die Kinder, ausgenommen das, welches ausgezählt wurde
und in die Mitte des Kreises zu stehen kommt, sich an den Händen fassen und
im Kreis herumhüpfen, folgendes Versehen singend:
Grünes Gras frisst der Has' Nimm das Mädchen bei der Hand,
Unter meinen Füssen! Gieb ihr einen Kuss,
Welche wird die Schönste sein, Dass alles steh'n bleib'n muss.2)
Diese werd' ich küssen!
Das in der Mitte stehende Kind küsst eines im Reigen, welches nun an seine
Stelle tritt. Das Spiel wird dann fortgesetzt.
(Braunsdorf, Bezirk Oberhollabrunn, Y. U. M. B.)
3. Farbenraten.3) Yon den mitspielenden Kindern werden zwei ausgezählt,
von denen eines den Teufel, das andere einen Engel vorstellt, die beiseite treten
müssen, während sich die anderen jedes im geheimen eine Farbe oder auch die
Farbe einer Rose (rote, weisse, gelbe u. s. w. Rose) wählen. Ist dies geschehen,
so kommt eines der Kinder, der sogen. „Farbnhändler", zu jedem einzelnen und
frägt, welche Farbe es sich gewählt habe, worauf er von jedem die Angabe erhält,
jedoch so, dass es der Engel und Teufel nicht hört. Nun kommt zuerst der Engel
und sagt: „Kling, kling!" Darauf der Händler: „Wer ist draussen?" Engel: „Der
Engel mit'n gold'nen Staberl." Der Händler: „"Was will er?" Engel: „Eine Farbe"
oder „eine Rose". Der Händler: „Was für eine?" Darauf nennt der Engel eine,
und der Händler antwortet, ob diese da ist oder nicht; ist sie da, so übergiebt
er das betreffende Kind, welches diese Farbe gewählt hat, dem Engel, und dieser
geht damit ab; errät derselbe jedoch keine der vorhandenen auf das erste Mal, so
muss er noch zweimal raten, errät er aber keine, so muss er abgehen, d. h. er
wird fortgejagt. Jetzt folgt der Teufel: „Bumm, bumm!" Der Händler: „Wer ist
draussen?" Der Teufel: „Der Teufel mit'n Knödlhäfn (Knödeltopf) oder Schür-
haken!" Das Weitere ist ganz wie oben beim Engel, er darf ebenfalls nur dreimal
raten; errät er nichts, so wird er fortgejagt. Dann geht das Spiel weiter, es treten
abwechselnd Engel und Teufel auf, bis keine Farben und Blumen mehr da, d. h.
alle erraten sind. Nun ruft der Engel und der Teufel: „Meine Engerln" und „meine
Teuferln", worauf sich alle erratenen Kinder versammeln; wer von den beiden am
meisten hat, hat gewonnen. Zu bemerken ist nur noch, dass der Engel mit sehr
feiner, der Teufel mit sehr tiefer .Stimme spricht.3)
(Braunsdorf, Bezirk Oberhollabrunn, Y. U. M. B.)
1) Vgl. Deutsches Kinderlied und Kinderspiel, herausg. von Fr. M. Böhme, Leipzig
1897, S. 484.
2) Dasselbe Spiel findet sich auch in Teplitz und Umgebung (Böhmen), vgl. Gustav
Laube, Volkstümliche Überlieferungen aus Teplitz und Umgebung. Prag 189G (Beiträge
zur deutsch-böhmischen Volkskunde. Herausgegeben von der Gesellschaft zur Förderung
deutscher Wissenschaft, Kunst und Litteratur in Böhmen. 1. Band, 2. Heft). Die zweite
Hälfte des Liedchens lautet hier (S. 72):
Husch, husch, husch
llollerbusch!
N. N. die bekommt den Kuss.
Dort besteht auch die Variante, dass sich das gekiisste Kind umdrehen muss; das Spiel
dauert so lange, bis alle Kinder umgedreht sind.
3) Variante des Engel- und Teufelspiel, Böhme a. a. O. S. 523 ff.
4) In Wien wird das Spiel ebenso gespielt, nur muss sich der Engel oder Teufel den
Erratenen immer einfangen, gelingt ihm dies nicht, so kehrt letzterer wieder auf seinen
442
Blümml:
o. Kaiser von Pilatus.1) Ist ein Mädchenspiel, wobei zwei ausgezählt
werden, die sich den anderen, die sich in eine Reihe stellen, gegenüberstellen und
sich dann vorwärts bewegen, indem sie singen:
Es kommen zwei Herrn aus Niniveh, Niniveh, Kaiser von Pilatus!
Sie verbeugen sich hierauf und kehren rücklings auf ihren Platz zurück.
Hierauf schreiten die anderen vorwärts, verbeugen sich und kehren wieder
zurück, indem sie singen:
Was woll'n die Herrn aus Niniveh, Niniveh, Kaiser von Pilatus?
Die ersten zwei wie früher:
Sie woll'n die jüngste Tochter hab'n, Tochter hab'n, Kaiser von Pilatus!
Die anderen wie früher:
Was woll'n sie für die Tochter geb'n, Tochter geh'n, Kaiser von Pilatus?
Nun nennen die zwei ersten einen Preis (beliebig) in derselben Singweise, etwa:
Wir geb'n dafür einen Blumenkranz, Blumenkranz, Kaiser von Pilatus!
oder statt Blumenkranz: Strohhalm u. s. w. Sind die gegenüberstehenden mit
diesem Preise einverstanden, so ertönt ihr Gesang mit:
Die jüngste Tochter sollt ihr hab'n, sollt ihr hab'n, Kaiser von Pilatus!
wenn nicht, so erklingt:
Die jüngste Tochter geb'n wir nicht, geb'n wir nicht, Kaiser von Pilatus!
und in diesem Falle geht der Handel weiter, so lange, bis der angebotene Preis
entspricht. Ist dieses der Fall, so tritt ein Mädchen zu den zweien hinüber und
das Spiel fängt wieder an:.
Es kommen drei Herrn aus Niniveh, Niniveh u. s. w. u. s. w.
bis endlich alle Mädchen auf der entgegengesetzten Seite sind.2)
(Braunsdorf, Bezirk Oberhollabrunn.)
Es ist zu beachten, dass diese drei Spiele in Braunsdorf nur im Winter und
zwar in den Stadln (Scheuern) gespielt werden und nicht im Sommer.
ursprünglichen Platz zurück, wählt sich jetzt jedoch eine andere Farbe. — Ganz gleich
wird dieses Spiel in Teplitz und Umgebung gespielt (Laube a. a. O. S. 76, No. 20), nur
giebt es dort keinen Händler, sondern es sprechen die Kinder selbst an Stelle des letzteren
das, was demselben oben in den Mund gelegt wurde. Auch wählen sich dort die Kinder
nicht verschiedene Rosen, sondern überhaupt verschiedene Blumen. — Weissenhofer a. a. 0.
S. 52—53 schreibt: „Letzteres (dass Engel und Teufel miteinander ringen) geschieht auch
beim „Farbeneingeben". Hier kommt der Engel mit „Klingkling" und dem „goldenen
Stabe" in der Hand, der Teufel mit „neunundneunzig Rosshax'n" (Pferdefüssen) in die
Stube. Beide müssen die eingegebenen Farben erraten und so ihren Anhang für den
Kampf werben, welcher das Spiel schliesst." Also von unserem Spiele ebenfalls ver-
schieden.
1) Variante des verbreiteten Kinderspiels vom Herrn von Ninive, vgl. Fr. M. Böhme,
Deutsches Kinderlied und Kinderspiel. Leipzig 1897. S. 508—521.
2) Laube a. a. 0. S. 73/74, No. 13 führt ganz das Gleiche für Teplitz und Umgebung-
(Böhmen) an.
Wien.
E. K. Blümml.
Kleine Mitteilungen.
443
Yon dem Hochzeitbitter im Egerlande.
Der Hochzeitbitter war im Egerlande gewöhnlieh aus dem Stande der Häusler
oder Handwerker und zugleich Musiker und Spassmacher. Wurde derselbe von
den Brautleuten „Haochzatalodn" geschickt, dann strengte er seinen ländlichen
Witz an, um die Einladung in der originellsten Weise einzuleiten. Allerhand
Vorwände, Verstellung und List mussten herhalten, um die Einzuladenden auf-
zuziehen, was jedoch zuweilen unangenehme Situationen schuf, so dass den Ge-
ladenen das Erscheinen - beim Hochzeitfeste erschwert, wenn nicht unmöglich
gemacht wurde.
So kam ein Hochzeitbitter zu dem Pfarrer in F., um ihn einzuladen. Nach
dem üblichen Grusse um sein Begehren gefragt, sagte er: „Der Hullabaua aus A.
schickt mich her. Herr Pfarrer möchten einmal die 2 Kar Hafer zahlen, welche
Sie vor 3 Jahren für Ihre Pferde von ihm gekauft haben, es wäre schon einmal
an der Zeit, die Schuld zu begleichen." Man kann sich die Überraschung des
Geistlichen, der von einem ausgeborgten Hafer selbstverständlich nichts wusste,
denken und am Ende auch dessen Erregung, bis der Hochzeitbitter sich endlich
entpuppte und in althergebrachter Weise die Einladung zur Hochzeit vorbrachte.
Ein anderer wieder kam einmal zu dem Pfarrer in N. und brachte folgendes
vor: „Herr Pfarrer, ich habe gehört, dass an der hiesigen Kirche infolge eines
Todesfalles die Stelle eines Mesners frei sei und bin deshalb gekommen, um diesen
Posten zu bitten," Der Geistliche, der den Mann nicht kannte, wehrte anfänglich
ab und meinte, dass der Mesnerdienst zu wenig eintrage, um davon leben zu
können. Als jener aber nicht nachgab, fragte ihn nun der Pfarrer, wie er heisse
und was für eine Beschäftigung er sonst habe. Darauf gab der Prokurator zur
Antwort: „Na, bei mir wird's schon auswerden; bei Tage würde ich halt den
Mesnerdienst versehen und in der Nacht ein kleins wen'g stehlen gehn."
„Was!" rief der ländliche Pfarrherr, „Sie sind gewiss der Teufels-Hiatseff (ein
allbekannter Hochzeitbitter des Egerlandes) von „Muas" (Dorf im Egerland)!" Der
Pfarrer hatte gut geraten. Darauf folgte die Einladung zur Hochzeit.
Zuweilen waren auf einer Hochzeit zwei Prokuratoren. Diese hatten beide
Spassmacherdienste zu verrichten. Dabei suchte einer den anderen zu übertrumpfen,
was natürlich Veranlassung zu der grössten Heiterkeit gab. Vor 4U Jahren bei-
läufig wurde im Dorfe D. eine Hochzeit gefeiert. Während des Mahles nun kamen
die beiden Hochzeitbitter in Zank und Streit — natürlich alles nur zur Unterhaltung
der Gäste. Der Streit ging aber so über die Grenzen, dass viele Gäste den Ernst
oder Spass nicht mehr zu unterscheiden vermochten. Als es zu Thätlichkeiten
und zum gegenseitigen Hinauswerfen kommen sollte, schrie der eine: „Das will
ich seh'n, das war' schön, ich geh' in diesem Hause schon 40—50 Jahre ein und
aus, ich will sehen, wer hier mehr Recht hat, ich oder du!" Auf das hin kam
der alte, sonst stille und betsame Vater, der allein und zurückgezogen in der
Stubenkammer sein Essen verzehrte, erregt unter die Hochzeitsgäste heraus und
rief: „Das will ich seh'n, das wär' schön! der da geht schon all mein Tag in
diesem Hause ein und aus, der bleibt da; Du aber kannst gehn!" Allgemeines
Hallo und schallendes Gelächter folgten den Worten des greisen Vaters. Der
eine Prokurator hatte unter Spott und Hohn den kürzeren gezogen.
Ein Hochzeitbitter musste auch einmal den Gutsherrn in W. zu einer Hochzeit
einladen. „Gnädiger Herr", führte er sich ein, „ich bin heute gekommen, um den
mir auf der letzten Treibjagd versprochenen Posten als Waldheger anzutreten."
Der Herr sprach verwundert: „Aber mein Lieber, ich kenne Sie ja gar nicht. Ich
war weder auf der besagten Treibjagd, noch weniger habe ich jemandem einen
444
Tr eich el :
Posten als Heger versprochen!" Der Prokurator liess sich jedoch nicht abwendig
machen und beteuerte immer wieder aufs neue unter Anführung der verschiedensten
Wahrheitsbeweise das ihm gegebene Versprechen, bis dem Herrn endlich die
Geduld riss. Er griff nach der Klingel, um den aufdringlichen und jedenfalls
auch irren Menschen durch seinen Diener entfernen zu lassen. Nun erfolgte unter
grosser Erheiterung des Gutsherrn die Einladung zur Hochzeit.
Eines Tages hatte ein solcher Hochzeitbitter einem höheren Beamten, der
selbst ein Egerländer Kind war, die Einladung zu einer( Hochzeit zu überbringen.
„Herr Justizrat", sprach er den Beamten an, „ich hätte eine Bitte." „Also, was
wünschen Sie?" fragte der so Angeredete. „Ja, Herr Justizrat, ich hätte halt eine
grosse Bitte." „Also, was wollen Sie denn?" fragte der Beamte bereits ungeduldig.
„Ich hab' gehört", fuhr jetzt der Prokurator nach einigem Stottern, Husten und
Verblüfftthun fort, „ich habe gehört, dass Sie der Mann sind, der die Schulden
löscht. Wollten Sie mir nicht auch meine Schulden löschen?" „Haben Sie denn
auch", fragte der Beamte stramm, den Mann beobachtend, „die Quittungen mit,
oder aber haben Sie das Geld mit?" „Nein", gab der einfältig dreinschauende
Mann zur Antwort, „Quittungen und Geld habe ich nicht." „Ja Mann, sind Sie
närrisch?" schrie ihn der Beamte an, und mit diesen Worten gab er seinen hoch-
aufhorchenden Unterbeamten und Schreibern das Zeichen, diesen Menschen hinaus-
zuführen. Auf das hin lud nun der Prokurator den Herrn in wohlgesetzter Rede
zur Hochzeit eines im Egerlande wohnenden Verwandten ein. Die Kanzlei hallte
wieder von dem heiteren Gelächter aller Anwesenden. Nach einem reichlichen
Trinkgelde sprach der Herr Justizrat: „Jetzt gehn Sie schnell zu meiner Frau,
und machen Sie das dort noch einmal."
Mühlessen bei Eger. Jos. Köhler.
Sclimackostern, Kleiderfortnahme und Thorverlegung nach dem
Deutsch-Ordens Tresslerbuche.
Der Verwalter der Schatzkammer des deutschen Ordens in Preussen am hoch-
meisterlichen Hofe zu Marienburg, der Tressler, musste natürlich ein Rechnungs-
buch führen für Einnahmen und Ausgaben. Nur ein geringer Bruchteil davon,
welcher das Jahrzehnt 1399—1409 umfasst, ist bis auf unsere Zeit erhalten ge-
blieben und 1896 in Königsberg durch Archivrat Dr. Joachim veröffentlicht worden.
Seinem Zwecke gemäss enthält es nur starre Zahlen, wird aber lebendiger, indem
es daneben den Zweck und das Wofür kurz hinzusetzt. Wer hierin zu lesen ver-
steht, der muss einen sonst gänzlich mangelnden Einblick aus jener preussischen
Zeit in allerlei Verhältnisse gewinnen. Welch eine Fülle von Leben steckt nun
darnach bemessen in jenem alten Buche!? Und dennoch sollte man kaum ver-
muten, dass sich daraus Ergebnisse auch für die Volkskunde erzielen liessen.
Gewiss könnte man den Geist der Zeit mit ihrer vielfachen Abspiegelung besonders
höfischer Sitten und prunkender Gepflogenheiten gleichfalls als ein Latifundium
der Volkskunde hinstellen und deren gerade in überstarker Anzahl darin belegt
finden. Daneben steckt denn unter erdrückendem Material veilchengleich verborgen
die Hindeutung auf einige Gebräuche, die noch heutzutage in unseren Provinzen, teils
ganz ebenso, teils in etwas übertragenem Masse, in Geltung sind. Für unser Land
wird es kaum dafür eine ältere oder genauere Beweisstelle geben. Auch Schriftsteller
späterer Zeit möchten kaum davon sprechen, da sie die Äusserungen des Thuns und
Lassens des Volkes für die Wiedergabe wohl als zu geringfügig erachteten. Und
hier finden wir neben den Zahlzeichen auch die Zeichen für derlei Andeutungen.
Kleine Mitteilungen.
Zuerst erwähne ich den Gebrauch des Schmackosterns, wie er noch heut-
zutage gültig ist. Es ist das unter Anlehnung an die biblische Zeit der Ostern
gepflegte Streichen mit Ruten, der Schlag mit der Lebensrute, wodurch Kraft und
Fruchtbarkeit auf den Geschlagenen übertragen werden soll, zugleich zur Abwehr
von feindlichen Dämonen. Zuweilen hat man diese meist von der Birke entnommene
Rute schon längere Zeit vorher gebrochen und in einer wassergefüllten Flasche im
warmen Zimmer stehen lassen, damit sie schön „ausgrüne". Dies vermehrt ja
die Einbildung. Mit solchen Ruten sucht man nun jemanden unvermutet, also
meist des Morgens und im Bette zu überfallen und mehr oder minder liebevoll
zu streicheln! Auch geschieht es durchgängig, dass diese Prozedur von den Ge-
schlechtern einander wechselweise angethan wird, da es bei gleichem Geschlechte
kaum einen Reiz hätte. Ebenso kommen beiderseits nur jüngere Leute in Betracht.
Diese ziemlich allgemein verbreitete Sitte, welche sich lokal verschieden am
Morgen des ersten oder des zweiten österlichen Feiertages vollzieht, will das
Ostern eben zu schmecken geben. Gehört nun der erste Morgen dem weiblichen,
so der nächste dem männlichen Geschlechte. Auch in den Familien ist die Sitte
des Schmackosterns allgemein. Die Hausfrau streicht mit der Rute Vater und
Kinder; Kinder schmackostern Vater und Mutter und gehen dazu auch wohl
nahebei zu Onkel und Tante, auch zu den Paten, selbst zu mit ihrem Elternhause
befreundeten Familien. Tritt zu diesem gebräuchlichen Thun der für uns wohl
ebenfalls ererbte Umstand der Lösung durch eine Gegengabe hinzu, so mag diese
im geschilderten Falle eine kleine oder gewählte sein, je nach den Verhältnissen.
Sie besteht dabei keineswegs immer. Die Thatsache wird nur im Scherz erwähnt
und gilt vielleicht nur als eine Heldenthat gegenüber dem Langschläfer. Sie hat
aber ebenso viel Stolz auf sich, als wenn das Kind, das zuerst seine Suppe fertig
ass, freudig ausruft, es sei „König", wie ebenso viel Schande, als wenn es beim
Unterhaltungs-Kartenspiele Kaschlan (eigentlich polnisch Kasztelanka, Kastellanin,
Burg- oder Schlossvogtin, vertreten durch Carreaudame als höchstwertende Karte)
für denjenigen, der zuletzt die Karte in der Hand behält, schimpflich heisst, etsch,
er sei „Kaschlan geworden", geblieben, auch mit dem Zusätze „er müsse mit der
Kaschlan zu Bette gehen". Auf jener Lösungsgabe beruht aber auch, dass unter-
geordnete Personen, arme Kinder, alte Frauen u. a. von gleicher Lage daraus ein
Bettelgewerbe machen, indem sie in die Häuser reihum schmackostern gehen.
Diese Attentäter erhalten dann als Geschenke Fladen, Stücke Speck, Eier, oft
buntgefärbt und gekratzt, Mehl, Brot, sonstige Kleinigkeiten aus der "Wirtschaft
oder von den gerade zur Osterzeit üblichen besonderen Herrichtungen oder auch
Geldstücke.
Dieser Gebrauch wird als ein symbolischer dahin gedeutet, dass in der neu
erwachenden Natur auch der Mensch aus dem Schlafe zu erwachen habe, bezw.
zu erwecken sei.
Ein Reim beim Schmackostern ist: Ostre, schmackostre, grên Ostre, fîf Flâde,
sess Eier, e Stock Speck, denn ga öck glîk weg. (Variante: f îf Eier, sess Schölling.)
Hennig (Preuss. W. B. 1785, S. 175) schreibt schmeckostern, Nesselmann
schmagostern; ich selbst hörte, wie angeführt, schmagustern. Frischbier scheint
eine ungewohnte Ableitung geben zu wollen, indem er hinzusetzt, dass schlagen,
peitschen im Lit. smagóti, smógti, im Poln. smagac, im Lett, schmangt heisse.
Der Gebrauch und das Wort sind auch in Brandenburg, Schlesien, Mähren, Böhmen,
Vogtland, Oberhessen bekannt. Zu vergleichen darüber wären C. C. Mr on g o vi us,
Ausführl. deutsch-poln. Wörterbuch, S. 658ö. — A. W. Pierson, Altpreuss. M. S.
VIII, 367. — L. Sperber-Niborski, Volkes Rede, S. 28. — G. H. F. Nessel-
446
Treichel:
mann, Forsch., Teil 3, 220, in N. Pr. Pr.-BI. VI, 206 und X, 116 (Preuss. Volks-
kalender). — Frischbier, Preuss. Wörterbuch IL, 292; Volksreime 226, 797. Vor
allem Mannhardt, Wald- und Feldkulte, I, 259 ff.
In unserer Provinz (Berent u. a. westlichere Kreise von Westpreussen) hörte
ich auch dafür den auch in Brandenburg vorkommenden Ausdruck stipen oder
stîpern, d. i. stäupen, schlagen, verwandt mit stûpen; stîpen und smagac bedeuten
also dasselbe: schlagen, peitschen.
Im Tresslerbuche steht nun vermerkt: S. 537 (1409, April 9): „item 4 scot
den vymayden, als sy smackosterten". Über den Ort des smackostern ist sicheres
nicht zu sagen; da aber der Grosscomthur zu Marienburg diese Ausgabe, etwa 2 Mk.
nach heutigem Gelde, leistete, so ist wohl bestimmt anzunehmen, das Schmack-
ostern habe dem Hochmeister selbst gegolten. Gewiss gab es keine höhere Freude
für jene Mägde, als dass sie sich selbst an die gefürchtete Grösse des hohen
Meisters heranwagen durften! Somit kommen wir durch Schlussfolgerung zu der
Annahme, dass dieser Gebrauch in seinem heutigen Umfange schon 1409 bestanden
habe, als Ulrich von Jungingen Hochmeister war.
Ausser diesem Falle kommen im Tresslerbuche die Viehmägde aber noch an
fünf Stellen voi', unter welchen ihrer mindestens zwei darauf hinweisen, dass es
sichu ebenfalls um dieselbe Sache gehandelt habe. Es spricht dafür dieselbe Ge-
ringfügigkeit der Geldsumme, heute etwa 1 Mk., welche, wenn man sie nicht als
konstante Hergabe betrachten will, zumal deren Leistung schon vom Hochmeister
Konrad von Jungingen vollzogen wurde, eigentlich betreffs der Teilung auf eine
nur geringe Anzahl von Viehmägden an betreffender Stelle schliessen liesse, wie
andererseits die wirklich erwähnte Oster- oder ihr doch möglichst nahe einfallende
Zeit der Leistung, endlich auch an einer Stelle, die bestimmt unter den Begriff
der Lösung fallen könnte, die günstige Gelegenheit, obschon bestimmt sonst nirgends
erwähnt ist, dass das Geld aus jenem Anlasse gegeben sei; das spräche vielleicht
für die währende Gepflogenheit. Es lauten aber jene Stellen: S. 158 (1402, März 28):
„item 2 scot den vymeiden zu Ostern gegeben am dinstage" und S. 471 (1408,
März 15): „item 2 scot den vymeiden zu Marienburg gegeben von des meisters
geheise, als her us syme marstalle" ging " Die gleiche kleine Summe wird dann
noch gemeldet S. 548 (1409, ohne Datum): „item 2 scot den vyemaiden in Ragnit."
Von dort ist ein Ochsengarten bekannt; gewiss war hier die Anzahl der Viehmägde
eine grössere, als wie in Marienburg, und dennoch dieselbe Summe; also vielleicht
unter denselben Begriff einzubeziehen. Von den weiteren Stellen, in denen Vieh-
mägde, um diese ganz zu beleuchten, begabt werden, dürften natürlich nicht dazu
gehören die 16 scot, welche S. 14 (1399, Januar 5) die meyt uf dem viehofe (Neiden-
burg?) von des meisters geheise erhält; ferner die des Schulzen Sohn zur nuwen
molen empfängt; noch der 1 Firdung (3,15 Mk.) von S. 488 (1408, etwa Mai) eyner
fyemait zu Ragnith, der eyn kint was gemacht, noch ebenda die 18 sch. (3,70 Mk.),
welche ebenfalls zu Ragnit die vyemaide und Ruskinnen empfangen. Vielleicht
auch fiel diese Gabe grösser aus, weil sie unter mehr Empfängerinnen zu teilen
war. Die erwähnten Russinnen, die wir uns wohl als Preussengänger vorzustellen
haben, werden ausserdem noch bei Marienburg erwähnt und erhalten ebenfalls
Geld; so 1399 (S. 21) 10 Mk. an den Schulzen von Liebenthal bei Marienburg
samt 1 Mk. für eine Kuh, dann 1403 (S. 244) 1 Firdung in Marienburg selbst.
Im weiteren haben wir uns mit einer Lösung zu beschäftigen, welche gänzlich
abweicht von dem sonstigen Inhalte dieses Begriffes, nämlich entweder von der
Lösung aus der Unfreiheit, Kriegs- oder sonstigen Gefangenschaft, wie sie an etwa
21 Stellen vorkommt, oder von der Lösung aus der Herberge für bevorzugte Per-
Kleine Mitteilungen.
447
semen, namentlich des Auslandes, die gar auf 197 Stellen weniger beansprucht, als
in fürstmeisterlichen Gnaden erteilt wird. Gerade diese Abweichung macht den
Anspruch auf das Volkstümliche.
Nach den uns überkommenen Meldungen tritt sie ein, entweder wenn es sich
um fortgenommene Kleider handelt oder aber um ein verlegtes Thor.
Ersteres kommt gar zwei Male vor. Dieser Gebrauch deutet nach der Jahreszahl
auf die beiden hochmeisterlichen Brüder hin. Während die Thorverlegung aber
nur den geringen Gabensatz von 2 scot der schmackosternden Viehmägde verlangt,
müssen die (den Krüppeln) zum Scherz fortgenommenen Kleider noch geringer
mit heute 80 oder 60 Pfg. eingelöst werden. Dies letztere geschieht aber auch
nicht dem Hochmeister selbst, sondern den sogen. Krüppeln, also Zwergen, deren
die Hochmeister in starker Zahl, wie viele andere Vornehme jener Zeit, an ihrem
Hof unterhielten und zu verschiedenen Diensten, also nicht bloss zur Kurzweil,
verwendeten, so dass der Hochmeister in gewissem Sinne für sie aufzukommen
hatte, als sie wahrscheinlich doch nur beim Baden, da warme Junizeit, in der Er-
ledigung ihrer Kleider so unvorsichtig gewesen waren. Natürlich, hätte dieser
Brauch nicht bestanden, so wäre an ein notwendig vorauszusetzendes Aufpassen
der Frauen nicht zu denken, denen die Sache gewiss ein gar grosses Vergnügen
sonderer Art bereitete.
Die einschlägigen Stellen vermelden nun S. 399 (1406, Juni 12): „(item x/2 M.
den Schalunkynnen vom Nuwenhuse) item 4 sch. den selben frauwen vor Kunczechin
den cröpil zu losen." Hier passiert es nur einem Krüppel, Namens Kunzchen.
Diese führen sonst auch Spitznamen, wie dänischer König, auch wohl krol (król,
König), doch wohl oxymoristisch. Die Nuwenhäuser, schwer im einzelnen fest-
zustellen, sind aber eben die Bezeichnung für die vor kurzem vom D. 0. erbauten
Ordenshäuser in Samaiten. Die Schalunkynnen, auch Schalwekynnen, sind Scha-
lauerinnen, weibliche Bewohner der Landschaft Schalauen. Die Wortbildung auf
kin, kinnen ist ähnlich, wie bei Russkinnen, Prusskinnen, Tatarkinnen und scheint
nur bei Landschaften oder Ländern Platz gegriffen zu haben. Sodann heisst es
S 548 (1409): „item 3 sol. den Schalweken, dy den Kropeln dy cleyder nomen."
Hier passierte es also ihrer mehreren. Es geschah das auf der Reise des Hoch-
meisters nach Memel, Ragnit, Labiau. Unter gleichem werden auch grössere
Gaben für Schalwen und für Schalwekynnen sonst erwähnt. Ich mutmasse als
Ort der That wieder Ragnit, wo damals grosses Leben herrschte; die Ausgaben
zeigen borner-, zygel-, muwer-, steynknechte.
Auch das männliche Geschlecht macht in demselben Geschäfte und ähnelt
daher darin dem Gebahren der Senser zur Erntezeit auf dem Felde, die gewisser-
massen auch den Weg (durch Binden) versperren wollen. S. 461 (14(>8 für 1407,
Dezbr. 18; vielleicht Neidenburg) meldet als Ausgabe: „item 2 scot des meisters
stalknechten und des covents stalknechten, als sie den meister das thor vorleget
hatten.Weil aber von einem Verlegen die Rede, so scheint dieser Brauch sich
nicht nach heutigerWeise durch Bindung mit Strohseil oder Vorhaltung einer Schnur
vollzogen zu haben, sondern vielleicht durch vorgelegte Holzstücke oder durch Uten-
silien des Reitens, weil zu ihrem Geschäfte gehörig. Ähnlich kommt es heute auch
vor, dass der Senser seine Sense dem Herrn zu Füssen legt, um ihm den Weg zu
versperren. Der Zweck bleibt immer die Erwirkung einer Geldspende.
Über das einschlägige Thema vom Binden (und vom Hänsen) schrieb ich
bereits in Altpreuss. M. S. 1889, Bd. 26, S. 332ff. und S. 508ff.
Hoch-Palleschken. A. Treichel.
448
Höfler :
Was das Schatzkästlein einer oberbayerischen Bäuerin enthält.
In meiner Heimat, im Isarwinkel, verfertigen die sogen. Kistler in Tölz kleine
Schränkchen mit Geheimfächern, aus Holz, zum Teil mit imitierter Intarsien-Arbeit
bemalt oder mit der buntfarbigen Blumenmalerei (blau, rot und weiss) ausgestattet,
wie sie Architekt Zell in München in seinem Werke Oberbayerische Bauernmöbel
so vortrefflich wiedergegeben hat (unsre Zeitschr. 1899, S. 344). Nicht jedermann
ist es vergönnt, einen neugierigen Blick in die verschiedenen Abteilungen eines
solchen Holzschränkleins werfen zu dürfen. Bei der Verteilung der Erbschaft
einer alten Weberswitwe zu Tölz, die eine Bauerstochter vom „Wasensteiner am
Rieschenhof" war, hatte ich Gelegenheit dazu, diese bäuerlichen Separanda und
Intima zu sehen. Das darin befindlich gewesene Goldgeld war natürlich schon
längst unter die lachenden Erben verteilt; aber ein gut von Mädchenhand mit
Bleistift geschriebener Zettel gab Aufschluss darüber, dass darin 581 Gulden in
Gold verborgen gewesen waren und wie schwer jedes Goldstück sein sollte. Jedes
Schublädchen gehörte für je 2 Kinder der Rieschenbäuerin am Wasenstein, deren
Namen aussen fein säuberlich aufgemalt waren; die oberste für Georg und Jakob,
die zweite für Michael und Marie, die dritte für Anna und Katharina, die letzte
für die zukünftigen, noch zu erwartenden Kinder.
Fig. 1. Fig. 2.
Die Silberringe, Brustgeschmeide und Taufgelder waren nicht mehr darin zu
finden; aber 2 Lotterie-Zettel aus dem Jahre 1861, die noch 49 Jahre die Hoffnung
erwecken durften, dass die auf Ambo gesetzten Zahlen 6, 65 und 23, 56 einen
Gewinn von 13 fi. 30 Kr., bezw. 18 fi. erhebbar machen Hessen. Obwohl die Lotterie
schon längst aufgehoben war, konnte sich die Erblasserin doch nicht von dem
Reize der Hoffnung auf diesen Gewinn trennen. Messingene Gnadenpfennige,
Klosterfrauen - Stickereien, Wachs - Heiligenbilder, gemusterte Seidenbänder, das
hölzerne Auge der hl. Dreifaltigkeit, ein zinnerner Weihbrunnenkessel - Deckel;
diese mit dem religiös-christlichen Kulte zusammenhängenden Gegenstände waren
ebenso sorgfältig bewahrt gewesen als das hexenabwehrende „Palmkätzel" und die
sogen. „Feige", die einst der Bursch ihr (der Bauerstochter) als Angebinde und
Anfrage zugleich geschenkt hatte. Schickt das altbayerische Bauernmädchen ihrem
Bewerber die silberne oder beinerne Miniatur-Ê^eige wieder zurück, so ist's aus
mit allen Annäherungsversuchen; schickt es aber als Gegengabe ein silbernes
„Herz" (Fig. 1), dann ist die gegenseitige Zustimmung sicher; es trägt dann der
Bursche das Herz an der Uhrkette, das Mädchen die „Feige" (ein Arm mit ge-
schlossener Hand, wobei der Daumen zwischen dem Zeige- und Mittelfinger durch-
gesteckt ist, Fig. 2) am Brustgeschnür. Da es in unserem Falle nur beinern, nicht
silbern war, so wurde es von den Erben im Schatzkästlein belassen.
Kleine Mitteilungen.
449
Der Gebrauch der Feigengeste ist wohl aus Italien nach Oberbayern und ver-
mutlich nach ganz Deutschland gedrungen; vgl. darüber diese Zeitschrift 1893,
S. 26; meine Volksmedizin S. 195; Schmeller I, 697; mein Krankheitsnamenbuch
S. 127 unter Feige 5. Über das Palmkätzl s. diese Zeitschrift 1898, S. 226 und
445; Wuttke § 196; Allgemeine Zeitung 1896, 29./III. No. 88. — Palmkätzchen
am Hochzeitstage in der Tasche getragen sind ein Mittel gegen eheliches Unglück
und Zauber, ebenso wie die Korallen und die Feige am Brustgeschniir.
M. Höfler.
Das Vernageln der Zahnschmerzen.
Auf S. 338 unserer Zeitschrift Ed. X nimmt Herr 0. Schütte an, dass beim „Ver-
nageln der Zahnschmerzen" die Wedtlenstädter irrtümlicherweise statt des eisernen
Nagels Fingernägel anwenden. Aber sollte hier nicht doch eine tiefere Beziehung
zwischen den in der Substanz so ähnlichen Gebilden, den Zähnen und Fingernägeln
anzunehmen sein? Wenigstens entsinne ich mich, dass mir als Kind alle Freitag
Vormittag die Fingernägel geschnitten wurden mit der Begründung: „sonst bekomme
man in der Woche Zahnschmerzen". Meine Mutter bestätigt mir das und fügt
hinzu, sie habe dies von ihrer aus Bromberg stammenden Mutter gelernt. Liegt
hier ein allgemeiner Brauch vor? Bei der Provenienz aus Bromberg könnte der-
selbe deutschen oder polnischen oder jüdischen Ursprungs sein. Die Nägel an
Händen und Füssen durften „bei einem Lebendigen" nicht am selben Tage be-
schnitten werden. Der Grund für letztere Vorschrift ist klar: weil dem Toten an
allen Extremitäten die Nägel beschnitten werden, hütet man sich, dasselbe an
einem Lebendigen zu thun.
Ähnlich ist auch die Vorschrift, dass, wenn man sich an einem Kleidungs-
stücke etwas nähen lässt, während man damit bekleidet ist, man während dessen
einen Faden oder ein Stück Papier kauen müsse: jedenfalls auch, weil die Kleider
an Toten geordnet werden, ohne dass sich derselbe bewegt.
Berlin. G. Minden.
Nachtrag zn „Napoleons-Gelbeten nnd -Spottliedern".
Das von Herrn Kaindl mitgeteilte Napoleonlied (Zeitschr. d. Vereins f. "Volks-
kunde X, Heft 3, S. 283) ist nicht nur in einer Sammelhandschrift des Herrn L.
zu finden, es ist wohlbekannt unter der studierenden Jugend der galizischen Mittel-
schulen. Diese legt aber dem Liedchen eine zweischneidige Bedeutung zu Grunde,
welche Herrn Kaindl entgangen zu sein scheint, da er meint, es werde in demselben
„auf die Macht des russischen Kaisers mit Nachdruck verwiesen". Dies ist zwar
der Fall, wenn man das Gedicht strophenweise (1, 2, 3, 4) von oben nach unten
liest. Aber schlage man nur eine andere Ordnung ein — und eben darauf beruht
diese Zweischneidigkeit — so wird sich etwas ganz Entgegengesetztes ergeben.
Fasse man die Verse der Strophen 1 und 3, 2 und 4 als Halbzeilen auf, verbinde
sie dann zu Langzeilen und lese:
1. Es lebe weit und breit 3. Napoleon, deine Macht,
Der Russen Tapferkeit Wird weit und breit verlacht u. s. w.,
so stellt sich wieder die unbedingteste Lobpreisung Napoleons und Verspottung
Russlands heraus. Die erste, gewöhnliche Lesart ist nur zum Scheine da; als die
„wahre" gilt die zweite, die ungewöhnliche. Der galizischen Jugend liegt nichts
Zeits hr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
450
Hoffmann Krayer :
ferner, als die Verherrlichung der russischen Kriegsmacht. Der auf gekünstelte
Weise verhüllte Sinn des Liedes in Beziehung auf russische Verhältnisse, legt den
Schluss nahe, dieses Lied in Russisch-Polen, nicht in Österreichisch-Polen (Galizien)
entstanden sein zu lassen.
Wien. Jan Jakobiec.
Friedrich S. Krau s s über die Schweizerische Oesellschaft für
Volkskunde.
Eine Entgegnung.
In Atim. 167 seines Berichtes über die Erscheinungen auf dem Gebiete der
Volkskunde (Krit. Jahresber. ü. d. Fortschritte d. Born. Phil. Bd. IV) sagt Herr
Dr. Fr. S. Krauss folgendes über die Schweiz. Gesellschaft f. Volkskunde: „Mich
wunderte es nicht wenig, dass diese Gesellschaft in kürzester Frist fast 700 Mit-
glieder in ihrer Liste aufzählte; denn eine solche Begeisterung für unsere Disciplin
erwartet von vornherein niemand in der Schweiz. Alle Adressen stehen hier
genau verzeichnet. Meine Verwunderung steigerte sich, als ich von den an alle
diese Leute versandten Probe-Exemplaren meines Urquells mehr als 200 mit dem
postalischen Vermerk ,Inconnu — unbekannt' zurückgestellt erhielt. Eine zweite
Liste der Vereinsmitglieder war schon magerer ausgefallen. Die Liebe zur Volks-
kunde hört bei sehr vielen Menschen vor den Schnüren des Geldbeutels auf."
Diesen Behauptungen gegenüber lassen wir folgende Thatsachen sprechen:
Erste Mitgliederliste, von Anfang November 1896 (s. Archiv I, 83): 29« Mit-
glieder; dazu Ergänzungsliste von Ende Februar 1897 (Archivi, 169): 174, Summe:
472. Zweite Liste, von Anfang 1898 (Archiv II, 77): 514 u. s. w.
Wenn Krauss seinen „Urquell" auf Grund unserer ersten Liste an „fast 700"
Mitglieder geschickt hat, so müssen wir uns nur wundern, dass nicht mehr als
200 Exemplare zurückgekommen sind.
Wir halten es für unsere Pflicht, diese Richtigstellung in einem weitverbreiteten
Organ zu veröffentlichen, einesteils um unrichtigen Vorstellungen über unsere
Gesellschaft, die denn doch nicht aus obskuren Existenzen zusammengesetzt ist,
zu begegnen, andernteils um die Unzuvcrlässigkeit der Kraussschen Angaben dar-
zuthun. jm Namen ¿es Vorstandes
Basel. E. Hoffmann-Krayer.
Die Ausstellung für deutschhöhmische Hausindustrie und Volkskunst
in Bodenhach. August 1900.
Der „Bund der Deutschen in Böhmen" hat im verflossenen Sommer zu Boden-
bach an der Elbe eine Ausstellung für deutschböhmische Hansindustrie und Volks-
kunst veranstaltet, die als ein wohlgelungenes Unternehmen bezeichnet werden
kann. Die Hausindustrie (der Hausfleiss, die Heimarbeit, das sogen, traditionelle
Gewerbe) bildet gerade in grossen Gebieten .von Deutschböhmen einen überaus
wichtigen Erwerbszweig der Bevölkerung und bietet in den waldigen Randgebirgen
(im Erz-, Riesen-, Adlergebirge, im Böhmerwalde), wo die magere Erdscholle die
Bewohner nicht zu ernähren vermag, Tausenden die einzige Möglichkeit in der
Heimat zu verbleiben. Die nach landschaftlichen Gruppen angeordnete, von rund
Kleine Mitteilungen.
451
400 Ausstellern aus 100 Ortschaften beschickte Hauptabteilung der Ausstellung
„Hausindustrie", auf deren Einzelheiten wir ja hier nicht eingehen können, ver-
schaffte dem Besucher ein umfassendes lehrreiches Bild des häuslichen Gewerbe-
fleisses in Böhmen, der zu einer so hohen und vielgestaltigen Entwicklung gediehen
ist und mit seinen Erzeugnissen in den fernsten Ländern reichen Absatz findet.
In der zweiten, kleineren, aber sehr sehenswerten Abteilung „Volkskunst"
wurden ebenfalls in landschaftlicher Anordnung mehrere abgerundete*ethnographische
Bilder der verschiedenen deutschböhmischen Gaue: Hausbau und Tracht, die auf
alter Überlieferung beruhenden künstlerischen Erzeugnisse und die mit Sitte und
Brauch langverbundenen Gegenstände der vier deutschen Stämme in Böhmen vor-
geführt. Besonders reichhaltig vertreten war das Egerland, dessen urwüchsiges
Volkstum sehr eigenartige Kunstäusserungen gezeitigt hat. Die betreffende Samm-
lung wurde zum grössten Teile von dem rührigen (1897 durch Alois John ge-
gründeten) Verein für Egerländer Volkskunde besorgt, der zahlreiche Pläne
und Photographien von Bauernhäusern, alte farbige Bilder von Volkstypen, Trachten,
Bräuchen, Bauernhochzeiten, kostbare Trachtenstücke, Möbel, Zinnwaren, Feder-
und Filigranbilder und vieles Andere ausgestellt hat. Die alte Weberzunft in
Wartenberg stellte schöne Innungswappen, Meisterkannen, Zunftbücher u. a. aus,
Lehrer J. Stibitz in Deutsch-Giesshiibel bemalte Bauernkrüge, Teller, Schüsseln,
Marktkörbe, Glasbilder, Brautschmuck und Trachtenstücke, der nordböhmische
Exkursionsklub in Leipa Aquarelle und Photographien von Bauernhäusern, die
Ortsgruppen Nixdorf, Weckersdorf, Budweis u. a. vollständige Figurinen mit männ-
lichen und weiblichen Volkstrachten u. s. w.
Auf alle Gebiete Deutschböhmens bezogen sich die 270 Ausstellungsgegenstände
der „Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Litteratur in
Böhmen". Sie boten eine Auswahl aus der (seit Jahren von dem Unterzeichneten
geleiteten) Sammlung der deutschen Volksüberlieferungen in Böhmen. Zumeist
photographische Aufnahmen von alten Bauernhäusern und Volkstrachten, darunter
z. B. grosse vielblättrige Aufnahmen von Hochzeiten in Lauterbach und in Braunau,
ferner Zeichnungen und Grundrisse, zahlreiche handschriftliche, mit hübschen
Malereien versehene Gebetbücher, Liedersammlungen, Zauber- und Zunftbücher
aus dem 18. Jahrhundert u. a. m.
Wie reichhaltig und vielseitig auch die Abteilung Volkskunst ausgefallen ist,
als vollständig konnte sie natürlich nicht betrachtet werden. Sie machte aber so
recht den Wunsch rege nach einer grossen zusammenfassenden und erschöpfenden
ethnographischen Ausstellung des gesamten deutschen Volkstums in Böhmen. Bei
thatkräftigem Zusammenwirken der berufenen wissenschaftlichen und nationalen
Vereine, sowie der verschiedenen deutschböhmischen Städtemuseen (die in den
letzten Jahren die heimische Volkskunde fleissiger berücksichtigt haben) könnte
eine solche Ausstellung mit sicherem Erfolge ins Werk gesetzt werden. Sie
würde die Ursprünglichkeit des deutschen Volkstums in Böhmen jedermann über-
zeugend vor die Augen führen.
Prag. Adolf Hauffen.
30*
452
Petsch:
Bücheranzeigen.
Wuttke, Adolf, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart,
Dritte Bearbeitung von Elard Hugo Meyer. Berlin, Wiegandt und
Grieben, 1900. S. XYI. 536. 8°.
Die zweite Bearbeitung des trefflichen Werkes, das wir dem längst verstorbenen
Hallischen Professor der Theologie, Dr. Adolf Wuttke, verdanken (Berlin 1869),.
und das eine ungemein fleissige und zuverlässige Zusammenstellung des noch in
Deutschland lebenden Aberglaubens giebt, ist von Prof. E. H. Meyer in Freiburg
i. Br. in dem vorliegenden Buche neu herausgegeben worden. Eine Umarbeitung
ist es nicht, wie der Titel vermuten liesse. Der Herausgeber sagt in seinem Vor-
wort selbst, dass er den Grundstock des Buches fast unangetastet liess, auch das,
was in den Ansichten Wuttkes ihm zweifelhaft erschien, höchst selten entfernte
und sich auf Einfügung des inzwischen sehr vermehrten neuen Stoffes namentlich
aus dem Südwesten beschränkte, wo Prof. Meyer, wie sein Badisches Volksleben
bewiesen, selbst fruchtreich gesammelt hat. Am meisten verändert sind die
§§ 209—212, die Geschichte des Hexenwesens, über die der neue Herausgeber
ganz anders denkt, als Wuttke oder dessen Meister J. Grimm. Unter den Nach-
trägen wird man kaum etwas Wesentliches vermissen, wie die grosse Stoffkenntnis
des Herausgebers erwarten liess. Bei § 221 hätte wohl auf meine akademische
Schrift: Die altdeutschen Verwünschungsformeln, Berlin 1895, verwiesen werden
können. So wird denn das Buch Wuttkes, wie es im wesentlichen unveraltet
blieb, so auch im wesentlichen unverändert noch lange „die reichste Schatzkammer
des deutschen Volksaberglaubens" bleiben, aus der jeder entlehnen wird, der sich
mit Volkskunde ernstlich beschäftigt. K. Wein h old.
E. H. Meyer, Badisches Volksleben im neunzehnten Jahrhundert.
Strassburg, Trübner, 1900. S. XII. 628. 8°.
Die eifrige landschaftliche Sammelthätigkeit, wodurch sich die jüngste Epoche
volkskundlicher Arbeit in Deutschland auszeichnet, hat da und dort schon zu
grösseren Veröffentlichungen geführt. In Baden sind die Professoren E. H. Meyer,
Kluge und der Bibliothekar Pfaff mit der Sammlung und Sichtung des überreichen
Stoffes beschäftigt und einer dieser Herren, dem wir u. a. das erste Kompendium
dei' deutschen Volkskunde, sowie die Neubearbeitungen der „Deutschen Mythologie^
von J. Grimm und des „Deutschen Volksaberglaubens" von Wuttke verdanken,
beschenkt uns jetzt mit einer umfänglichen Darstellung badischer Sitten und
Bräuche, einem Werke, das wir an Reichhaltigkeit und Gediegenheit des Inhalts
getrost den grösseren, landschaftlichen Einzelarbeiten an die Seite stellen dürfen.
In liebevoll eingehender (bisweilen vielleicht zu eingehender) Darstellung, die
oft genug reiche Proben der Volksdichtung einfliessen lässt, begleitet M. den
Lebenslauf des badischen Volkskindes von der Wiege bis zur Bahre, zeigt uns,
welche abergläubischen Meinungen, welche Sitten und Bräuche mit den Haupt-
abschnitten des menschlichen Lebens verknüpft sind und ergeht sich in der Mitte
des Werkes in weit ausladender Schilderung des häuslichen Lebens, zeigt uns das
Biicheranzeigei).
453
Volk bei der Arbeit und bei seinen Pesten, lenkt unseren Blick auf das volkstüm-
liche Haus und lässt uns auch einen Blick auf die Tracht des Volkes werfen.
Überall wird den einzelnen Bräuchen die Gegend beigefügt, aus der die jeweiligen
Belege in den Sammlungen der badischen Forscher stammen. M. greift zur Er-
klärung des Gebotenen oft auf die ausserbadische Volkskunde über, spricht auch
wohl von den landschaftlichen und konfessionellen Verschiedenheiten. Immerhin
wäre es wohl recht dankenswert gewesen, wenn M. eine Zusammenfassung des
Stoffes nach diesen Gesichtspunkten versucht hätte. Der Verf. verfolgt mit seiner
Arbeit nicht bloss rein wissenschaftliche, sondern auch praktisch-pädagogische
Zwecke. Ob es ihm freilich gelingen wird, volkstümliche Sitten und Anschauungen
zu stärken, wo sie schwinden, wiederzuerwecken, wo sie sich überlebt haben,
steht dahin. Ein kostspieliges, wissenschaftliches Werk dringt kaum in die Kreise,
die noch in lebendigem Verkehr mit dem Volke stehen. Immerhin wollen wir
M. für sein mannhaftes Auftreten, etwa gegen die Abschaffung der Spinnstuben,
Dank wissen.
Der überreiche Inhalt des Buches spottet jedes Heranziehens verwandter Er-
scheinungen; der Gesamteindruck ist der eines sicher begründeten, ernst aufgefassten
und gediegen durchgeführten, echt wissenschaftlichen Werkes, das die volkskund-
lichen Arbeiter in anderen Gegenden sich gern zum Muster nehmen werden.
Würzburg. Robert Petsch.
Roscher, Willi. Heinrich, Ephialtes, eine pathologisch - mythologische
Abhandlung über die Alpträume und Alpdämonen des klassischen
Altertums. (Abhandlungen der pliil. hist. Cl. der k. Sachs. Gesellschaft
der Wissenschaften. XX, 2.) Leipzig, B. Gr. Teubner, 1900. S. 132.
gr. 8°.
Die besonnene und kritische Untersuchung W. H. Roschers über die Dämonen
des Alpdrucks in der antiken Mythologie ist um so dankenswerter, als L. Laistner
in seinem Buche „Das Rätsel der Sphinx, Grundzüge einer Mythengeschichte"
(Berlin 1889. 2 Bde.) .mancherlei Verwirrung in unklassischen Kreisen angerichtet
hatte, ganz abgesehen von seinem Versuche, den Alptraum zum Grundprinzip aller
Mythologie zu machen, ein Versuch, der, obschon durchaus haltlos, dennoch auf
manchen germanistischen Mytbologen mehr Einfluss gehabt hat, als man glauben
sollte. Herr W. H. Roscher legt in Kap. 1 die Ansichten der heutigen Medizin
über Wesen, Inhalt und Entstehung des Alptraums dar, der aus vorübergehender
Atemnot, zuweilen auch aus Diätfehlern stammt, oft nach dem Erwachen fortdauert
und in gefährliche Hallucinationen bei häufigem Auftreten übergehen kann. Nach
ihrem Inhalte sind die Alpträume entweder angstvoll oder wollüstig; die Alpwesen
erscheinen teils in tierischer, teils in menschlicher Gestalt. — In Kap. 2 wird
gezeigt, dass die Ansichten der antiken Ärzte durchaus mit denen der neuen über-
einstimmen, dass sie den Volksaberglauben von bösen Dämonen im Alptraum be-
kämpften und besonders diätetische Mittel dagegen verordneten. — Im 3. Kap.
werden die griechischen und lateinischen Namen des Alps gesammelt und im 4.
die wichtigsten Alpdämonen uns vorgestellt: Pan, die Satyrn, der dem Pan ver-
wandte Faunus und Silvanus. Die zottige, bockartige Gestalt ist allen gemein.
In einem Anhange handelt dann Herr R. über die Bedeutung des Namens
Mephistopheles, den er auf der sehr Nützliche, zurückführt und
als einen dienstbaren Hausgeist nach seinem ursprünglichen Wesen deutet. In der
454
Weinhold:
Renaissancezeit kommen vielfach griechische Dämonennamen auf, die dann ver-
stümmelt wurden. — In einem anderen Anhange teilt Herr R. einen merkwürdigen
Bericht des Abt Tritheim aus den Hirschauer Annalen mit über das epidemische
Auftreten der Alpträume verbunden mit kynanthropinem Wahnsinn in einem Nonnen-
kloster der Utrechter Diöcese im 15. Jahrhundert. K. W.
Kunze, Friedrich, Der Birkenbesen ein Symbol des Donar. Eine mytho-
logische Untersuchung. (Sep.-Abdr. ans dem Internationalen Archiv
für Ethnographie. XIII.) Leiden, E. J. Brill, 1900. S. 55. gr. 4°.
Das Urteil über diese Schrift fällt dem Ref. nicht leicht, denn sie ist aus
Begeisterung für volkskundliche Arbeit entsprungen und ist mit unermüdlichem
Pleisse aus sehr viel Büchern und Zeitschriften zusammengetragen, die der Verf.,
Yolksschullehrer zu Suhl im Thüringer Walde, sich mit Opfern erworben hat.
Sie ist aber schon im Grundstein verfehlt. Auf die unbegründete und unbewiesene
Behauptung des Herrn Heino Pfannenschmid in seinem für vortrefflich gehaltenen
Werke „Germanische Erntefeste". Hannover 1878. S. 28. 62 (nicht S. 11, wie
Herr K. citierty\ dass die Birke dem Donnergotte geweiht sei (Herr Pfannenschmid
wieder beruft sich als Gewährsmann auf Herrn Brockhausen, Die Pflanzenwelt
Niedersachsens in ihren Beziehungen zur Götterlehre. Hannover 1865), hat Herr
Kunze seine ganze Arbeit gegründet, und alles, worin er den Birkenbaum, die
Birkenrute und den Besen in Gebräuchen, Meinungen und Aberglauben des Volkes
auffand, zu dem germanischen Donnergotte und seinem Kultus in Beziehung zu
setzen gesucht. Diese fleissige aber derWissenschaft unnütze Arbeit muss wieder einmal
eine Warnung für alle sein, die ohne die nötige Vorbildung und Schulung an die
Mythologie sich wagen wollen. Sie glauben den Aussprüchen und Behauptungen
von Männern, die unverdienterweise als Autoritäten gelten, und irren dann auf den
Holzwegen immer tiefer in das Dickicht ihrer Irrtümer hinein. R. AV.
Henk, Aliton, Der Tod in den Alpen. Innsbruck, Wagnersche Univers.-
Buchhandlung, 1900. S. 97. kl. 8°.
Das hübsch ausgestattete Büchlein, dessen Umschlag mit einer guten farbigen
Zeichnung, nicht mit „Buchschmuck" betitelter Kritzelei versehen ist, rührt von
einem jungen Tiroler Poeten her, dem wir als Schilderer des Lebens seiner Heimat
in dieser Zeitschrift früher schon mehrmals begegnet sind. In dem ersten Abschnitt
„Unsere Toten" überschrieben, erhalten wir Mitteilungen über die Vorzeichen und
Anmeldungen des Todes, über Begräbnis und Wiederkehr der Verstorbenen, über
büssende Seelen und ihre Erlösung, dann über Denkmäler der Toten, womit die
Brücke zum zweiten Abschnitt gebaut ist, der wesentlich Grabinschriften bietet
und gerade nicht zutreffend, der Tod in den Alpen, sich betitelt. Der Schluss ist
dem Andenken eines jungen Mädchens gewidmet, das dem Radsport zum Opfer fiel.
Die thatsächlichen Mitteilungen sind eingeflochten in Betrachtungen, Gefühls-
ergüsse, persönliche Erzählungen. Dass der Verfasser kein fester Germanist ist,
beweist manches, so: im Vegtamsquidha S. 30, Walhölle S. 33, Waburlohe S. 35.
K. W.
Bücheranzeigen.
455
v. Jan, Hermann Ludwig, Erzählungen aus dem Wasgau (Zweite Auflage).
Strassburg i. E., Yerlag von Le Roux & Co., 1899. S. 176. gr. 8°.
Im Jahre 1887 erschien die erste Auflage dieser elsässischen Dorfgeschichten,
die zweite ist um zwei Erzählungen vermehrt. Der Yerf. ist durch Arbeiten aus
der Kultur- und Kunstgeschichte des Reichslandes, sowie durch geschickte Be-
arbeitungen- französischer und englischer Romane bekannt und hat auch bei dem
ersten Erscheinen der Erzählungen aus dem Wasgau durch seine einfache und
gute Darstellung und die treue Wiedergabe des Volkswesens und Fühlens viel
Beifall erworben.
Die Geschichten knüpfen gewöhnlich an einen Brauch oder eine Sage des
Elsass an, so die Pfingstidylle aus dem Hanauer Ländel „Der Kreisspielschatz" an
die sonntäglichen Zusammenkünfte der heranwachsenden Jugend vom Frühlings-
anfang bis zum Pfingstmontag, bei denen jedes Mädchen dem Partner, „dem Kreis-
spielschatz", jedesmal ein Blumensträusschen schenkt. Dann der St. Gangolfs-
brunnen, eine Geschichte, die an eine altheilige Quelle in einem Seitenthale des
Lauchthals im Oberelsass anknüpft, welche nach dem Volksglauben sich blutrot
färbt, wenn ein dem Gatten untreues Weib seine Hand hineintaucht.
Der Durchbruch des Beichensees zu Weihnachten 1740 bringt in der Erzählung
„Durchs Wasser ausgeglichen" die Lösung der Verwicklung. Und so beruhen
auch die anderen Geschichten auf einem Kern, der in der Sage oder der Sitte des
Elsass liegt. Eine Ausnahme macht die letzte „Eine küchengeschichtliche Sylvester-
erzählung" Pâté de foie gras, die humoristisch den Erfinder der Strassburger
Gänseleberpastete zum Helden hat. K. W.
Lusern in Südtirol. (Nationale Reiseführer lío. 1.) Herausgegeben vom
Landesverband Baden des A. D. Schulvereins zur Erhaltung des
Deutschtums im Auslande. Freiburg i. Br. C. Troemers Universitäts-
Buchhandlung. 8°.
Das Schriftchen umfasst 19 Seiten und bringt in kurzen Skizzen: „Von Trient
nach Lusern", „Die Mundart", „Die nationalen Verhältnisse" und „Lusern im
April 1900". Warme Liebe zum wackeren Volke von Lusern und rege Anteil-
nahme an seinem Wohl und seinem Ringen um die Erhaltung der ererbten deutschen
Sprache durchziehen das ganze Heft und muten wohlthuend an. — Als Ungenauig-
keiten seien erwähnt die Bezeichnungen „Städtchen" für Pergine und Caldonazzo,
denn im ganzen Valsugana ist nur eine Stadt, und das erst seit einigen Jahren,
nämlich Levico. Eichberg (Monte Rovere) ist nicht Ortschaft, sondern Wirtshaus.
Lusérn hat 1333 m Seehöhe.
in der mitgeteilten Sprachprobe wäre „probata" durch „bravata" zu ersetzen;
weiters will ich mich mit derselben nicht befassen, da sie auf phonetische Dar-
stellung nicht Anspruch macht.
Die Anmerkung S. 11 soll sich wohl auf eine deutsche Übergab-ürkunde der
Pfarre „Plaiff" (— Calceranica) beziehen. — Die Angabe über die Einführung der
deutschen Schulsprache ist ungenau. Die Schule war bis zum 4. Mai 1866 ganz
italienisch, und wenn die Kinder Schwierigkeiten hatten mit dem Verständnis und
der Aussprache des Italienischen, so wurden sie vom Lehrer (dem Kuraten)
„Todesconi", d. i. so viel als Tedeschi (Deutsche), aber mit verächtlicher Neben-
bedeutung, geschimpft.
Fennberg. - J. Bacher.
456
Weiiiholrì:
Aus der \ ergangenheit und Gegenwart des königlich freien Marktes
Agnetheln. Mit 28 Abbildungen. Hermannstadt, W. Krafft, 1900.
S. 228. 8°.
Vom 23.—26. August 1900 hielten der Verein für siebenbürgische Landes-
kunde, der Gustav Adolf-Verein und der allgemeine evangelische Frauenverein für
Siebenbürgen ihre Hauptversammlung in dem Markte Agnetheln ab. Als Festgabe
widmeten das Marktamt und das evang. Presbyterium A. B. von Agnetheln den
drei Vereinen das vorliegende schön ausgestattete Buch, welches folgende Aufsätze
enthält: Aus alter und neuer Zeit von V. A. Eitel; Heilige Zeit von Fr. Rosler;
Die Gründung von Agnetheln, Volkslegende von Daniel Schmidt (Gedicht in
Siebenbürger Mundart); Volkswirtschaftliches und Statistisches, von M. Schuller;
Zur Geschichte des kirchlichen Lebens und das kirchliche Leben in der Gegenwart,
von V. A. Eitel; Drei Predigten von Dr. G. D. Teutsch (einst Pfarrer in Agnetheln,
später Bischof der sächsischen Landeskirche A. B.). Der grösste Teil dieses Inhalts
liegt ausser den Grenzen der Volkskunde, wenn auch die geschichtlichen Mitteilungen
über den blühenden Ort, dessen Bürger von Anfang an Landwirtschaft und Gewerbe
betrieben haben, und auch die über das kirchliche Leben unser Interesse erregen
können; so auch die eingeflochtenen, durch gute Abbildungen erläuterte Beschreibung
der burgartigen evangelischen Kirche, deren vier alte Verteidigungstürme in den
Umfassungsmauern von den Zünften der Schuster, der Schneider und Kürschner,
der Fassbinder und der Schmiede und Wagner besetzt wurden, die auch heute
noch das Benutzungsrecht derselben haben. Zu dem Zunftwesen, das sich bis
heute in Agnetheln erhielt, bekommen wir hier schätzenswerte urkundliche Beiträge.
Aus dem Leben der Zünfte und Bruderschaften entwirft Fr. Rosler in dem Aufsatz
„Heilige Zeit" ein gutes Bild. Unter heiliger Zeit versteht man dort den festlichen
Zunfttag, der immer am ersten Mittwoch nach dem Geschworenenmontag abgehalten
wird, sowie das Ladenforttragen, d. i. den Umzug, mit dem die Zunftlade acht
Tage später von dem alten Zunftmeister zu4dem neuen und die Bruderschaftslade
von dem alten Gesellenvater zu dem neuen vierzehn Tage nach dem Zunfttage
gebracht wird. Dieses Ladenforttragen ist der eigentliche Glanzpunkt der heiligen
Zeit und durch die Vermummungen der den Zug begleitenden Urzeln (verlarvte
Burschen) und ihre Spässe und Tänze eine besondere Lust der Bevölkerung.
Während der Zunfttag der Meister mit einem guten Mahle schliesst, ist das Essen,
womit das Ladenforttragen der Gesellen endet, sehr einfach, Kraut und etwas
Mehlspeise. Aber ein vergnügter Tanz bis zum nächsten Morgen schliesst das
Ganze.
Hervorgehoben werde schliesslich, dass der letzte freigewählte Sachsengraf,
Ivonrad Schmidt, der 1884 als Präsident des evang. Oberkirchenrats in Wien starb,
in Agnetheln geboren ist; ferner dass der unvergessliche Sachsenbischof G. D.
Teutsch von 1863—68 Pfarrer von Agnetheln war und dass dessen Nachfolger im
Pfarramt (1868—86) Fr. Fr. Fronius gewesen ist, als Geistlicher wie als Schrift-
steller ausgezeichnet, dem wir u. a. die trefflichen „Bilder aus dem sächsischen
Bauernleben in Siebenbürgen" (Wien 1879) verdanken. K. Weinhold.
Volksscliauspiele aus dem Böhmerwalde. Gesammelt, wissenschaftlich
untersucht und herausgegeben von J. J. Ammann. 3. Teil. (Beiträge
zur deutsch-böhmischen Volkskunde, geleitet von Prof. Dr. Ad. Hauffen,
III, 1.) Prag 1900. S. XXIII. 160. 8°.
Bücheranzeigen.
457
Den 1. und 2. Teil dieser Böhmerwaldspiele haben wir in unserer Zeitschrift
VIII, 233. IX, 220 angezeigt. Der vorliegende 3. Teil bringt den Schluss der
Texte in fünf Schauspielen: Der bairische Hiesel, Schinderhannes, Das Spiel vom
hl. Johann v. Nepomuk (wertvollere Parallele zu No. V), Graf Karl von Königs-
mark, der türkische Kaiser: also zwei Räuberstücke, ein legendarisches Drama,
ein Ritterstück, ein historisches Spiel voll wunderlicher Verwirrung der Geschichte.
Prof. Ammann hat in der Einleitung diese Volksdramen im einzelnen kurz be-
sprochen und auch einige allgemeine Mitteilungen über die Spielweise gegeben:
so, dass die Spieler unaufhörlich beim Sprechen auf der engen Bühne auf- und
abgehen (also gleich den Spielern des Weihnachtdramas in Oberufer in Ungarn),
dass sie die hochdeutsche Schriftsprache eigentümlich betonen, dass die weiblichen
Personen alles mit untergestützten Armen reden. Der 4. Band soll ausführlicher
über die Aufführung, über die Überlieferung, die Quellen und das Herkommen
der Texte handeln. Sicher wird er für die Geschichte unseres Volksschauspiels
von grossem Werte sein. K. W.
Lauge, R., Lieder aus der japanischen Volksschule. — Japanische
Kinderlieder. (Aus den Mitteilungen des Seminars für Orientalische
Sprachen in Berlin. Jahrgang III, Abteilung 1. Ostasiatische Studien.
Berlin 1900. 8°.) S. 1—24. S. 25—40.
Zwei dankenswerte Mitteilungen, welche Herr Dr. R. Lange, Professor des
Japanischen am Orientalischen Seminar in Berlin, gemacht hat. Die Lieder aus
der japanischen Volksschule sind Kunstprodukte: Worte und Weisen rühren von
Herrn Isawa Shüji, Direktor des höheren Lehrerseminars in Tokyo her und sind
aas dem 1. Bändchen seiner Singelieder für die Volksschule genommen. Nur
einige sind Bearbeitungen wirklicher Kinderlieder, alle aber sind für die japanische
Volkserziehung sehr interessant.
Die Japanischen Kinderlieder der zweiten Mitteilung hat Herr Prof. R. Lange
selbst in Tokyo mit Hilfe eines dortigen Volksschullehrers gesammelt; es ist der
erste Versuch nach dieser Richtung1), für den wir dankbar sind und dem wir
Nachfolge wünschen, sei es von Japanern, sei es von dort lebenden Europäern.
Da die japanische Poesie keinen Reim kennt, sind diese Liedchen reimlos; sie
bestehen aus Versen von sieben oder fünf Silben, gewöhnlich beide Arten gemischt,
so dass meist die siebensilbigen den fünfsilbigen vorangehen. Manche der Liedchen
erinnern im Inhalt an deutsche oder europäische überhaupt; so das Schneckenlied:
„Schnecke, Schnecke, stecke deine Hörner raus! stecke deine Stöcke raus, Schnecke!
denn dort giebts Krawall. Stecke deine Hörner raus, deine Stöcke raus!"
Wie die deutschen Reime an Käfer (Maikäfer, Marienkälbchen) den Brand
des Häuschens oder des ganzen Landes dem Käfer verkünden, so japanische den
heimziehenden Vögeln. In Tokyo singen die Kinder den Raben, die abends zu
Nest fliegen: „Rabe, Herr Kanzaïmon! dein Haus brennt ab. Hurtig geh dahin
und giesse kaltes Wasser drauf! Hast du kein kaltes Wasser, so giesse heisses
Wasser drauf! Hast du kein heisses Wasser, so giesse Thee darauf!" In Osaka
singen die Kinder: „Die Weihe ruft tötö, des Vaters Haus brennt ab. Der Rabe
schreit käkä, der Mutter Haus brennt ab. Schnell kehrt zurück und giesset
Wasser drauf!"
1) Die Lieder in dem Buche „Jung-Japan beim Spiel" sind freie Erfindungen, wie
Herr Prof. L. bemerkt S. 25, Anm.
458
Weinhold:
Die Fledermäuse werden durch diesen Gesang gelockt herabzukommen: „Fleder-
maus, Biedermaus! Bergpfeffer sollst du haben. Unter der Weide das Wasser
sollst du zu trinken haben. Das Wasser dort ist uns zu scharf, das Wasser hier
ist süss." — Die Kinder in Osaka singen: „Fledermaus komm! Wenn du herab-
gefallen, werd ich dir Eiweiss geben."
Die Libelle wird gelockt sich fangen zu lassen: „Fliegst du dorthin, da ist
der Höllenfürst; kommst du hierher, lass ich dich frei." Ein längeres Liedchen
lautet: „Gehst du über diese Strasse, gehst du über jene Strasse, in der dritten
Strasse vorn ist ein Born gegraben. Die Reifen sind von Eisen, das Schöpffass
ist von Gold. Oben auf dem Fass zum Schöpfen sitzt 'ne Wasserjungfer. Husch,
fliege Wasserjungfer, he fliege Wasserjungfer! Wenn du aber sitzen bleibst,
zwack ich dir die Flügel ab, zwack ich dir die Flügel ab!"
Diese Proben werden genügen, um den Wunsch zu rechtfertigen, durch eine
möglichst vollständige Sammlung japanischer Kinderlieder die Mittel zu ver-
gleichenden Studien zu erhalten, die auch auf manche Entstellungen und Ver-
dunkelungen in unseren Kinderreimen Licht werfen würden. K. W.
Euling, Karl, Studien über Heinrich Kaufringer. (Germanistische Ab-
handlungen, herausgegeben von Fr. Yogt. XVIII.) Breslau, M. und
H. Marcus, 1900. S. X. 126. 8°.
Heinrich Kaufringer war ein bayrischer Dichter und Spruchsprecher. der auf
der Scheide des 14. und 15. Jahrh. dichtete, einer jener oberdeutschen Reimer,
die mit der mittelhochdeutschen Litteratur noch in Verbindung stehen. Als Ver-
fasser von novellenartigen Erzählungen ist Konrad von Würzburg sein Muster;
seine moralisierenden und geistlichen Sprüche stehen unter des Teichners Einiluss.
Weder in Technik noch in Begabung und Bildung kommt er an jene Meister
heran. Er war ein fahrender Mann, der vor dem Landvolke Oberbayerns seine
Reden und Erzählungen vortrug und dieselben naturgemäss seinen Zuhörern an-
passte. Darum sind dieselben von Bedeutung für das Studium der oberbayerischen
Bauern des 14./15. Jahrh. und für das Charakterbild, das die Volkskunde von
den deutschen Stämmen der vergangenen Jahrhunderte wird entwerfen müssen.
Ausserdem bieten Kaufringers gereimte Geschichten auch Stoff für die Geschichte
der mittelalterlichen Novellen, und der Verfasser des vorliegenden Buches, Dr.
K. Euling, hat fliesen Stoff mit viel Kenntnis verwertet. Auch nach dieser Seite
hin war also-Anlass, das Eulingsche Buch hier zu erwähnen. Die „Studien" sind
eine Folge der Ausgabe der Texte, die Herr Euling unter dem Titel „Heinrich
Kaufringers Gedichte, Tübingen lö88" für den litterarischen Verein in Stuttgart
besorgt hat. K. W.
Johannes Jiililing, Die Tiere in der deutschen Volksmedizin alter
und neuer Zeit. Mit einem Anhange von Segen u. s. w. Nach den
in der Kgl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden vorhandenen gedruckten
und ungedruckten Quellen. Mittweida, Polytechnische Buchhandlung
(B. Schulze). S. VIII 355. 8°.
Es war einmal eine Zeit, in der man nur die Kräuter-Stein(messer)- und
Wort-Busse oder -Besserung in der volksmedizinischen Therapie kannte. „Krüt
steine unde wort, hânt an kreften grôzen hört" schrieb darum auch Vridank.
Bücheranzeigen.
459
Diese therapeutische Trias der Urmedizin erfuhr erst durch die verschieden-
artigen Ablösungsformen des blutigen, d. h. Kult-Tier-Opfers eine namhafte Ver-
mehrung des damaligen Arzeneischatzes. So lange die Medizin in den Banden
des Kultes sich befand, war das blutige Kultopfer ein Allheilmittel, welcher Wirk-
samkeitsglaube sich auch auf das Rudiment und Substitut des blutigen Kultopfers
übertrug. Erst mit dem Verschwinden des letzteren konnten die verschiedenen
Mittel aus der Sphäre der Tierwelt vom alles versuchenden Menschen, der Hilfe
in Krankheitsfällen erlangen wollte, in ausgedehnterer Menge zur Verwendung
gelangen; dabei dauerte aber die Herrschaft des Kultortes, der Kultzeit u. s. w.
immer noch an; denn kein volles Opfer verschwindet ohne Rudimente oder An-
deutungen seiner ehemaligen Kultbestimmung zu hinterlassen.
Jiihling hat nun die mühevolle Aufgabe übernommen, die in den Codices der
Dresdener Königl. Bibliothek auffindbaren Arzneimittel aus der tierischen Sphäre
auszuziehen und übersichtlich gesammelt in Buchform herauszugeben, eine Aufgabe,
die eine gewisse Begeisterung oder Liebe zum Stoffe voraussetzt, aber auch
berechtigten Anspruch auf den Dank gleichgesinnter Forscher 'machen darf, für
die ja Jiihling sich nach seinem Vorworte in erster Linie der langwierigen und
mühseligen Arbeit unterzog.
Das J.sche Buch teilt sich in vier Abschnitte. Der I. und Hauptteil behandelt
diejenigen Tiere, welche zur Materialkammer der Volksmedizin Beiträge abgeben;
dies sind vor allem die das ehemalige Menschenopfer im Kulte ablösenden Haustiere,
deren blutiger Opfertod durch den des blutig erlegten Jagdtieres ersetzt wurde, so dass
Teile des letzteren einen volksmedizinischen Heilwert erlangten, z. B. Hase, Hirsch,
Huhn u. s. w.; weiterhin diejenigen Tiere, welche die Elbengestalt vorstellen konnten
oder die, weil unheimliche kriechende Gestalten, als Fetischtiere galten, welche
Gift anziehen oder absondern. Solche Tiere gehörten zum Reiche der teuflischen
Dämonen und konnten durch den Wortzauber gebannt oder dem Heilkünstler
dienstbar gemacht werden.
Der Ii. Abschnitt „Anhang" enthält grössere Auszüge aus geschriebenen
älteren Arzeneibüchern, die auch andere als tierische Mittel enthalten, z. B. anti-
konzeptionelle Mittel, Wund- und Blutsegen, Schwindsuchtsegen, Pflanzengrabsegen,
auch „einen Wundsegen, ehe der (infizierende) Baibier dazukommt" u. s. w.
Das III. Kapitel „Erklärung der vorkommenden Krankheitsnamen" ist durch
die in den vorangegangenen Kapiteln gegebenen bezüglichen Fussnoten überflüssig
und wäre in dem „Nachschlagebuche" besser durch ein sorgfältig angelegtes
Krankheitsnamen- oder Sach-Register zu ersetzen, wofür dem Autor sicher jeder
Forscher mehr Dank wüsste als für die nicht immer richtig abgeschriebenen
Kopien aus des Referenten Krankheitsnamenbuch.
Der „Nachtrag" enthält wieder volksmedizinische Mittel.
Das „Quellen-Verzeichnis" führt 116 Büchertitel auf.
Wenn J.'s Buch auch ein Erstlingswerk ist, so muss man ihm, der so viel
Zeit und Kenntnisse an dieses Gebiet der Volkskunde und Medizingeschichte ver-
wendet hat, doch für die sorgfältige Drucklegung und Sichtung des bisher unge-
druckten Materials danken, und obwohl Referent dem Buche bereits ein Geleitswort
beigegeben hatte, so hat sich derselbe doch auf AVunsch des allverehrten Herrn
Geheimrats Weinhold entschlossen, auch in dieser Zeitschrift ein gutes Wort dafür
einzulegen, das es wirklich verdient.
M. Höf 1er.
460
Roediger:
Den Daiiske Hpjskole. Et Tidskrift udgivet af Holger Begtrup. Kcben-
havn, Anton Andersen. 1. Aargang 1900—1901. Hefte 1. S. 80. 8°.
„Die dänische Hochschule" will ein zuverlässiges und vollständiges Bild von
dem geistigen Leben geben, das sich auf den dänischen Volkshochschulen ent-
wickelt hat. Die Zeitschrift wird deshalb ihren Lesern Proben der volkstümlichen
Vorträge bekannter Lehrer derselben bringen, Abhandlungen über aufgeworfene
Anfragen und Beiträge zur Geschichte der dänischen Hochschulen im ablaufenden
Jahrhundert. Die Zeitschrift wünscht eine Art Fachzeitung für die Arbeiter an den
Volkshochschulen zu sein, aber zugleich den Freunden der Grundtvigschen Richtung
eine genaue Kunde über Ziele und Mittel jener Unterrichtanstalten zu geben.
Das 1. Heft bringt die schöne altdänische Ballade Harpens Kraft: Villemand
og hans vsene Brud; dann einen Aufsatz von Holger Begtrup über die dänische
Hochschule; einen Vortrag von Ludwig Schröder über Shakespeares Leben und
Wirken; ein Gedicht von Paul la Cour: eine Karfreitagserinnerung; einen Vortrag
von H. Begtrup über Morgiane (die Mutter des Öhlenschlägerschen Aladdin);
endlich eine briefliche Notiz über einen in Smyrna im Jahre 1846 lebenden
dänischen Buchbinder C. Kold, und zuletzt ein Tagebuchblatt von N. F. S.
Grundtvig.
Den Danske Hojskole wird in jährlich 6 Heften erscheinen und 6 Kronen der
Jahrgang kosten.
Alis den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 26. Oktober 1900. Herr Bartels sprach über Verbotzeichen.
Er ging von den bei uns gebräuchlichen und auch dem Uneingeweihten verständ-
lichen aus (Wegsperren durch einen Quergraben, ein Reisig- oder Dornenbündel
u. dergl.), gelangte zu den konventionellen (z. B. ein Strohwisch an einer Stange),
wobei namentlich die Bezeichnung gesperrter Weinberge erörtert wurde, und endlich
zu den Matakáus, den Verbotzeichen der Malaien. Während die unsrigen nur
wirken, wenn der ihnen Begegnende zu gehorchen willig ist oder dazu durch
Wächter gezwungen wird, wirkt das Matakáu durch den ihm innewohnenden, all-
gemein gefürchteten Zauber. Aus der Form des Zeichens kann der Übertreter
erkennen, welches Unheil ihm droht und ihn unfehlbar treffen wird: Krankheit
verschiedener Körperteile, baldiger Tod durch ein wildes Tier oder einen Feind
u. dergl. Der Vortragende liess zahlreiche Abbildungen von Matakáus und andere
erläuternde Bilder herumgehen — Herr M i elk e handelte vom Volks m und.
Alle unbefangene Rede enthält über das Notwendige hinausgehendes Beiwerk,
das man in persönliches, örtliches und volkliches scheiden kann. Hinter ihm aber
werden die Umrisse einer allgemein menschlichen Urschicht bemerkbar, die in
ihren Naturlauten auf eine Stimmung deutet, die mit der Musik in naher Ver-
wandtschaft steht und durch Klang, Dauer, Rhythmus der Töne wirkt und sich
verständlich macht, also im äussersten Gegensatz zu jener Fülle steht. Gesteigerte
Protokolle.
461
Empfindung bringt diese Laute hervor, wie sie sich auch im Schimpfwort entlädt.
Diese werden übrigens zum Teil vom Volk in ziemlich harmloser Weise als An-
reden gebraucht, schwächen ihre Bedeutung ab und verlieren alle Anschaulichkeit.
Im Grunde wollen sie schädigen und reizen, während der seiner Entstehung nach
verwandte und sich ähnlich entwickelnde Fluch ursprünglich Schaden abwehren
will. Zu Schimpfwort und Fluch stellt sich noch das Anreden lebloser Gegen-
stände oder Tiere, das einfache Wiederholen des bereits Gesagten — alles
schliesslich eine Wortverschwendung. Neben ihr geht innerhalb gleichgestellter
Klassen und Berufe Wortknappheit einher, und zwar dann, wenn Vorgänge zum
Reden veranlassen, die den Sprechenden nicht innerlich berühren, sein Empfinden
nicht steigern. Um Eindruck zu machen, greift man zu fremdartigen, unbegriffenen,
ja sinnlosen Bildern und Vergleichen. Solche Wendungen werden in der Stadt
leicht stereotyp, eher als auf dem Lande, wo sie auch minder gekünstelt zu sein
pflegen. Sie können zu Gesprächen führen, bei denen kaum noch gedacht wird,
die aber trotzdem einen gescheidten, witzigen Eindruck hervorrufen, während der
Landmann schwerfällig erscheint. Der Redner hob noch die Bedeutungsver-
schiebungen in der Volkssprache hervor, die Furcht und Abneigung seine Zu-
friedenheit zu bekennen, die Neigung zum Misstrauen, Räsonnieren und Urteilen.
Der Sprecher stellt sich dabei in den Mittelpunkt oder Vordergrund und möchte
mitreissen, Stimmung machen. Die ruhige Überlegung leidet darunter, und das
Wort wird fast zum blossen Laute, wie jene Interjektionen des erregten Gefühles
sind. — Herr Sökeland führte einen Schimmelreiter (vgl. Zeitschr. 7, 23011.)
vor, dessen Ausrüstung er erworben und dem Museum für Volkstrachten geschenkt
hat. Er sah ihn am Aschermittwoch dieses Jahres in Niemaschkleba bei Guben
in Thätigkeit. Dort ist er bisher regelmässig erschienen. Er ist in eine anliegende
weisse Jacke gekleidet, trägt eine kleine weisse Kappe und hat das Gesicht weiss
angemalt. Seine Beine stecken in dem Schimmel, dessen Vorder- und Hinterteil
durch zwei Siebränder gebildet ist, über die ein weisses Tuch herabhängt, und
dessen Hals aus einem ausgestopften .weissen Frauenstrumpf mit aufgemaltem
Maul und Augen besteht. Der Schimmelreiter oder Schimmel ist verwandt mit
dem in der Rheinprovinz, Westfalen und Holland am 6. Dezember erscheinenden
heil. Nikolas, stellt sich aber auch dort und in Mecklenburg an einigen Orten
zum Weihnachtsabend ein. Man nennt ihn Klas, Klawes Bur, Bullerklas, in
Mecklenburg Ruklas. Der Vortragende teilte mecklenburgische Sprüche und eine
Geschichte von ihm mit, die er Herrn R. Wo s s idi o verdankt. — Zum Schlüsse
liess Herr Sökeland aus seiner Erinnerung eine Heilmittelverkäuferin vor den
Zuhörern lebendig werden, die er vor Jahren in Namur beobachtet hatte. Sogar
die Musik der eleganten Marktschreierin fehlte nicht.
Max Roediger.
462
Die Mitarbeiter der ersten zehn Bände.
Die Mitarbeiter an den ersten zehn Bänden der
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde.
Am Schluss des zehnten Bandes unsrer Zeitschrift verzeichnen wir dankbar
die Namen derer, die uns geholfen haben, unsre Aufgabe zu lösen. Haben wir
das gesteckte Ziel einigermassen erreicht, so verdanken wir es nicht zum mindesten
den Getreuen, die von Anfang an, das letzte Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts
hindurch, uns begleitet und gefördert haben. Mehr als einer ist inzwischen in
das dunkle Land des Todes gegangen. Wir danken auch den Geschiedenen und
wollen hoffen, dass uns für die folgenden Bände die alten Mitarbeiter treu bleiben
und dass neue Freunde sich uns gesellen. Wie lange noch ich den leitenden
Stab führen werde, liegt in Gottes Hand.
Am Serapionstage 1900, Karl Weinhold.
Amalfi, Gaetano, Dr. jur., Avellino bei Neapel.
Ammann, J. J., Gymn.-Prof., Krummau, Böhmen.
Andree, R., Dr., Herausgeber des Globus, Braunschweig.
Arendt, C., Prof. am Orient. Seminar, Berlin.
Bacher, J., Kurat, Fennberg bei Margreid, Südtirol.
Back, Fr., Dr., Bibliothekar, Berlin.
Bahlmann, P., Dr., Bibliothekar, Münster i. W.
Bartels, M., Dr., Geh. Sanitätsrat, Berlin.
Baumgart, Aug., Pastor, Fürstenau i. Schi, f
Beck, H., Cand. theol., Nordsteimke, Braunschweig.
Ben es, Jul., Prof., Wiener-Neustadt.
Bern heim, E., Dr., Univ.-Prof.,' Greifs wald.
Bethany, Köln a. Rh.
Biegeleisen, Dr., Lemberg.
Blüm ml, E. K., Wien.
Boersçhel, E., Bibliothekar, Posen.
Bolle, Ii., Dr. med., Berlin.
Bolte, Joh., Dr., Gymn.-Prof., Berlin.
Bruchmann, K., Dr., Gymn.-Prof., Berlin.
Brückner, Alex., Dr., Univ.-Prof., Berlin.,
Bünker, J. R., Lehrer, Ödenburg, Ungarn.
Carstens, H., Lehrer, Darenwurth, Holstein.
Christaller, J. G., Missionar, Schorndorf.
Cohn, Alex. Meyer, Bankier, Berlin.
DavicTsson, Olafur, Cand. phiL, Kopenhagen.
Di els, H., Dr., Univ.-Pro f., Geh. Reg.-Rat, Berlin.
Dirksen, C., Lehrer, Meiderich, Niederrhein.
Do eri er, A. F., Dr. phil., Innsbruck.
Drechsler, P., Dr., Leiter des Progymnasium, Zabrze, O.-Schl.
Drexler, W., Dr. phil., Greifswald.
Engler, A., Reallehrer, München.
Die Mitarbeiter der ersten zehn Bände.
463
Eysn, Marie, Fräulein, Salzburg.
Feilberg, H. F., Dr. phil., Pastor ein., Askov, Jütland.
Finck, F. N., Dr., Privatdocent, Marburg.
Flaischlen, Cäsar, Dr. phil., Berlin.
Fränkel, L., Dr., Pteallehrer, Aschaffenburg.
Fri edel, E., Geh. Heg.- und Stadtrat, Berlin. .
Frischauf, E., Dr. jur., Wien.
G ai do z, H., Direktor der Melusine, Paris.
Gerhardt, Marie, Fräulein, Joachimsthal, Uckermark
Gittée, Aug., Lycealprof., Verviers, Belgien.
God den, G., Miss, Ridgefield, England.
Gol dz ih er, J., Dr., Univ.-Prof., Budapest.
Greussing, P., Schriftsteller, Telfs, Tirol.
Haase, K. E., Gymn.-Prof., Neu-Ruppin.
H am nier s h aim b, V. U, Probst, Lyderslev, Dänemark.
Hanauer, G.. Heidelberg.
Hartmann, M., Dr., Prof, am Orient. Seminar, Charlottenburg.
Härtung, O., Dr., Gymn.-Prof., Cöthen, Anhalt.
Hauffen, A., Dr., Univ.-Prof., Prag.
Haupt, H., Dr., Ober-Bibliothekar, Giessen.
Hauser, Chr., Gymn.-Prof., Innsbruck.
H e er wagen, H., Dr., Museumspraktikant, Nürnberg.
Heilig, 0., Gymn.-Prof., Kenzingen, Baden.
Hein, W., Dr. phil., Floridsdorf bei Wien.
Hell, Th., Dr. med., Welsberg, Tirol, *J-
Herrmann, A., Prof., Budapest.
Heu s 1er, A., Dr., Univ.-Prof., Berlin.
Hoffmann-K ray er, E., Dr., Univ.-Prof., Basel.
Höfler, M., Dr. med., Hofrat, Tölz, Ober-Bayern.
Hönig, B, Dr. phil., Wien.
Hoops, J., Dr., Univ.-Prof., Heidelberg.
11 le, E., Professor, München.
Ilwof, Fr., Dr., Reg.-Rat, Graz.
Ivan o ff, S., Gutsbesitzer, Hasan-Tarsie, Bulgarien.
Jahn, Ulr., Dr. phil., Berlin, j
Jarnik, J. U., Dr., Univ.-Prof., Prag.
Jaworskij, Julian, Lemberg.
Jensen, Chr., Lehrer, Oevenum, Föhr.
Jiriczek, 0. L., Dr., Prof., Münster i. W.
John, Alois, Schriftsteller, Eger.
Jon jDorkelsson, Dr. phil., Kopenhagen.
Kahle, B., Dr., Univ.-Prof., Heidelberg.
K a in dl, R. Fr., Dr., Univ.-Prof., Czernowitz.
Kauffmann, Fr., Dr., Univ.-Prof, Kiel.
Klemm, K., Dr. phil., Berlin.
Knoop, 0., Gymn.-Oberlehrer, Rogasen.
Kohl, Fr. Fr., Custos am Hofmuseum, Wien.
Köhler, C., Lehrer, Grube v. d. Heydt, Kr. Saarbrücken.
Köhler, Jos., Lehrer, Mühlessen bei Eger.
Köhler, Reinhold, Dr., Ober-Bibliothekar, Weimar, f
464
Die Mitarbeiter der ersten zehn Bände.
Kollmann, Dr., Reg.-Rat, Oldenburg.
Königsberger, B., Dr., Rabbiner, Pase walk.
Kosch, Marie, Frau, Ebreichsdorf, Nieder-Österreich.
Kossinna, G., Dr., Professor, Gross-Lichterfelde.
Krauss, Fr. S., Dr. phil., Wien.
Krejcí, J., Dr. phil., Prag.
Kretschmer, P., Dr., Univ.-Prof., Wien.
Krüger, K, Gymn.-Oberleiber, Bromberg.
Kiick, E., Dr., Gymn.-Oberlehrer, Friedenau-Berlin.
Kuhn, E., Dr., Univ.-Prof., München.
Kunze, Fr., Lehrer, Suhl i. Th.
Landau, A., Dr., Wien.
Lange, R., Dr., Prof. am Orient. Seminar, Berlin.
Laski, Alice, Fräulein, Hamburg.
Laue, M., Dr., Bibliothekar, Berlin.
Lehmann, K, Dr. jur., Univ.-Prof., Rostock.
Lehmann-Filhès, Marg., Fräulein, Berlin.
Lemke, Elisabeth, Fräulein, Berlin.
Lewy, H., Dr., Gymn.-Oberlehrer, Mülhausen i. E.
Loh me y er, E., Bibliothekar, Kassel.
Lovarini, E., Dr., Prof., Padua.
Loewe, R., Dr. phil., Berlin.
Lübeck, K. L., Gymn.-Lehrer, Gabrovo, Bulgarien.
Lukas, Fr., Dr., Gymn.-Prof., Wien.
Marelle, Ch., Professor, Berlin.
Mason, O. T., Kurator des U. St. Museum, Washington,
v. Maurer, Konr., Dr. jur., Univ.-Prof., Geheimrat, München,
v. Medem, J., Baronin, Florenz.
Meitzen, Aug., Dr., Univ.-Prof., Geh. Reg.-Rat, Berlin.
Mencik, F., Scriptor a. d. Hofbibliothek, Wien.
Menghini, M., Univ.-Prof., Rom.
Meyer, R. M., Dr., Prof., Berlin.
Mielke, R., Zeichenlehrer, Berlin.
Minden, G., Dr. jur., Syndikus, Berlin.
Mogk, E., Dr., Univ.-Prof., Leipzig.
Müller, G. A., Dr. phil., München.
Müller, K, Dr. phil., Oberlehrer, Löbau i. S.
Müll en h off, K., Dr., Realschul-Direktor, Berlin.
Ne h ring, Wl., Dr., Univ.-Prof., Geh. Reg.-Rat, Breslau.
Nyrop, Kr., Dr., Univ.-Prof., Kopenhagen.
Olrik, A., Dr., Univ.-Prof., Kopenhagen.
Olsen, Björn, Rektor, Reykjavik, Island.
Otto, E., Dr., Schuldirektor, Offenbach a. M.
Otto, P., Lehrer, Fröhden bei Jüterbogk.
Pappenheim, M., Dr. jur., Univ.-Prof., Kiel.
Passler, P., Gymn.-Prof., Horn, Nieder-Österreich.
Pedersen, H., Dr. phil., Kopenhagen.
Petak, A., Dr., Gymn.-Lehrer, Wien.
Peter, Joh., Lehrer, Gross-Meiseldorf bei Wien.
Petsch, R., Dr., Privatdocent, Würzburg.
Die Mitarbeiter der ersten zehn Bände.
465
Petz old, A., Dr., Amtsgerichtsrat, Berlin.
Pfeifer, E., Lehrer, Altenburg i. S.
Pfleiderer, 0., Dr. theol., Univ.-Prof., Gross-Lichterfelde-Berlin.
Pichler von Rautenkar, A., Dr., Univ.-Prof., Hofrat, Innsbruck, -j-
Pichler, Fr., Dr., Univ.-Prof., Graz.
Piger, P. P., Gymn.-Prof., Iglau, Mähren.
Pischel, R., Dr., Univ.-Prof., Halle.
Polek, J., Dr., Bibliothekar, Lemberg.
Polivka, G., Dr., Univ.-Prof., Prag.
Prahn, H., Lehrer, Berlin.
Prato, Stan., Dr., Gymn.-Direktor, Fabriano, Italien.
Prem, S. M., Dr., Gymn.-Prof., Bielitz, Österr.-Schlesien.
Rademacher, C., Rektor, Köln a. Rh.
Raff, Helene, Fräulein, München.
Ramsauer, W., Cand. theol., Ganderkesee, Oldenburg.
Rehsener, Marie, Fräulein, Gossensass, z. Z. Berlin.
Reichhardt, R., Pastor, Rotta bei Remberg.
Reiterer, K., Schulleiter, Donnersbachwald, Steiermark.
Renk, A., Schriftsteller, Innsbruck.
Roediger, M., Dr., Univ.-Prof., Berlin.
Sajaktzis, G., Wien.
Sartori, P., Gymn.-Oberlehrer, Dortmund.
Schatzmayr, E., Dr., Lycealprof., Mantua, f
Schell, 0., Bibliothekar, Elberfeld.
Scheppig, Dr., Professor, Kiel.
Schlossar, A., Dr., Bibl. Kustos, Graz.
Schmidt, Erich, Dr., Univ.-Prof., Berlin.
Schröder, Edw., Dr., Univ.-Prof., Marburg.
Schröer. K. J., Dr., Professor, Wien.
Schuko witz, H., Dr., Bibliotheksbeamter, Graz.
Schütte, 0., Oberlehrer, Braunschweig.
Schwartz, Wilh., Dr., Prof., Geh. Reg.-Rat, Berlin, -j-
Seler, E., Dr., Univ.-Prof, Berlin.
Siebs, Th., Dr., Univ.-Prof., Greifswald.
Sieger, R., Dr., Gymn.-Prof., Wien.
Singer, S., Dr., Univ.-Prof., Bern.
Söhns, Fr., Dr., Gymn.-Oberlehrer, Gandersheim.
v. d. Steinen, K, Dr., Univ.-Prof., Berlin.
Steinthal, Ch., Dr., Univ.-Prof, Berlin. -f
Stiefel, A. L., Dr., Professor, München.
Stolz, Fr., Dr., Univ.-Prof., Innsbruck.
Storck, K., Schrifsteller, Ettingen, Schweiz.
v. Strele, R., Vorstand der Studienbibliothek, Salzburg.
Thomas, N. W., Bibliothekar, London.
Thumb, A., Dr., Univ.-Prof., Freiburg, Breisgau.
Tienken, A., Dr. phil., Steinkirchen bei Stade.
Tille, A., Dr. phil , Lektor, Glasgow.
Tobi er, L., Dr., Univ.-Prof., Zürich, f
Treichel, A., Rittergutsbesitzer, Hochpalleschken, Westpreussen.
Tschiedel, Joh., Dr., Rom.
91
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1900.
466
Die Mitarbeiter der ersten zehn Bände.
Ullrich,"H., Dr., Gyran.-Oberlehrer, Chemnitz
Unger, Th., Archivbeamter, Graz, y
Vogt, Fr., Dr., Univ.-Prof, Breslau.
Voretzsch, C., Dr., Univ-Prof., Tübingen.
Weber, Albrecht, Dr., Univ.-Prof, Berlin.
Weinhold, K., Dr., Univ.-Prof., Geh. Rcg.-Rat, Berlin.
Weinhold, Laura, Fräulein, Reichenbach i. Schi, -j-
v. Wendheim, Marie, Fräulein, Salzburg.
Wieth, Franz, Stud. phil. 1878, aus Tscherbeney, Kr. Glatz.
Wilhelm, Fr, Dr. phil., Jena.
Winter, A., Libau, Kurland.
Wossidlo, R., Gymn.-Oberlehrer, Waren, Mecklenburg
Zachariae, Th., Dr., Univ.-Prof., Halle.
Zillner, A, Fräulein, Lehrerin, Salzburg.
Zingerle v. Summersberg, Ignaz, Dr, Univ.-Prof., Innsbruck. *J-
Zingerle v. Summersberg, Oswald, Dr, Univ.-Prof., Czernowitz.
Ziskal, Job, Museumdiener, Wien.
Zupitza, E, Dr, Privatdocent, Berlin.
Register.
Abaraschika-Geschichte 100.
Abbitte des Bräutigams 301.
Abdontag 212.
Abschied vom Toten 120.
Ähren 218.
Ährenmoor (Erntemutter) 274.
Ätiologische Sagen 35.
S. Agatha 236.
Agnetheln 456.
Agums 421.
Allamarsch (Aldoraás) 296.
Allerseelenfest, mexikanisches 238.
Allgäuer Gebräuche 106.
Almosen bei Hochzeiten 177—179.
Alphabet, Deutung 193.
Alpdämon 453. -rute 213. -segen 63. -träum
200. 453.
Altweibermühle 84.
Amabalessage 361.
Ammersee, Amper 284.
Andechs, Kloster 424.
André, Mathilde 159.
Anhalt, Volkskundliches 85—90.
Antonius von Padua 338.
Apfel 213. 323.
Arbeitsruhe bei Todesfall 118.
Arbonensalbe 102.
Archiv für Religionswissenschaft 103.
Artland, hannoversches 273.
Aschabkehren 333.
Aslaug 199.
Assuntafest in Messina 107.
Astachthal, Astico 151.
Astragalus 352.
Aufwartung (Spalierbildung) 366.
Auge der Toten 118.
Aupathal 332.
Ausgeber (Vertrauensmann der Braut) 292.
297. 304.
Ausnahme (Ausgedinge) 291.
Ausstellung, deutschböhmische 450.
Austrieb des Viehs 245. 253.
Jiachmann, Bachpferd 200.
Baden, öffentliches 97.
Badisches Volksleben 452.
Bahrgericht, Bahrprobe 234.
Balladeudichtung, englisch-schottische 242.
Bär 58. 198. B. u. Bursch 307. B. u. Fink 306.
Bärmuttervotiv 420—26.
Bartel 320.
Bartels, M. 115. 460.
Basel, Tod von 326.
Basile, Giamb. 383.
Bauernhochzeit 288—306. 365-382.
Bauernmahlzeit 89.
Bäugel 295.
Baumgeist 101. 322.
Baumschaden bestraft 101.
Baumsegen 65.
Bayrische Geschichten 281—87.
Begräbnismahl 119.
Beichensee 460.
Belgische Arzneihändlerin 461.
Berchtesgaden 93. 320.
Bergische Hochzeit 37—48. 162—180. 428—32.
Bergweihe 93.
Bescheidessen 369.
Besen 209. 408. 454.
Betmann (Vertrauensmann des Bräutigams)
292 f. 301. 304: 374.
Beute (Bienenwohnung) 25.
Bienen 16—26. 211. Bienenrecht 21. 225.
Bigutte 265.
Binden 447.
Birke, Birkenbesen 454.
Birnbaum, Walser 91.
Blattl, Chr., Tiroler Volksdichter 95.
Blinde Sänger 109.
Bloch ziehen 81.
Blutsegen 63.
Bodenbacher Ausstellung 450.
Bock 81.
Bolte, J. 72 f. 77. 396.
Botzinken 212.
Brachvogel 210.
Brand im Getreide 212.
Brandl, AI. 242.
Braten 115.
Braunschweigisches 62f. 221—23. 330. 336 — 38.
Braut abgeholt 165. falsche 371. -flechten 4t;.
einführen 430. -führer 296. 299f. 367. 3691.
374. 396. -geschenk "¿93. -gutführen 297.
299. -helen 430. -kauf 46. -kleidung 399.
-kränz 166 f. 399. -krone 167—69. -machen
291. -mühle 431. -schleier 431. -schuhe
298. 431. -sprung 376. 378. -stehlen 171.
401. -Verlobung 48. 162. -wein 178. -Wer-
bung 45. 292. -zug 165. 171. 398.
Bräutigamsmagd 224. -hemd 298. -tracht 299.
31*
468
Register.
Bretagne 106.
Brettchenweberei 241.
Briefe von Mannhardt und Schwartz 27—36.
von K. Müllenhoff 36.
Brixener Büchel 92.
Brunnenräumen 234.
Brutus s age 355. 357.
Bueb, lediger Mann 405.
Bule, bulen 415.
Burs eh, die 365.
Bursch, lustiger 308.
Bursian, K. 215.
Biisser 237.
Buttenmannel 320.
Butterhexe 51.
Caldenazzo (Kalnetsch) 316.
Caparre 397.
Cechische Zeitschriften 344.
Cholera 308.
Christusbilder 114.
Ciacia, íiacia 265.
Cimbern 153. 161.
Cisti im Körbel 268.
Citrenchen (Flieder) 214.
Citronen 244. 336. 352. 365.
Cries, les 242.
Cuba 334.
Dancing Yargaluska 260.
Danksagung 296.
David 362.
Dëdki 229.
Defereggen 203.
Denkverse, lateinische 188.
Deutschböhmen 480.
Dichten, volkstümliches 329.
Dick et Don 263.
Diebstahl entdeckt 139.
Diemen 276.
Dietken 229.
Donner 195. Donnergott 454.
Donnerstag 418. 419.
Donnerstag, Hans 270.
Doppelähren 218. Doppeltürk 267.
Dörcher 83.
Dorfneckereien 330.
Dost 213.
Drache, feuriger 339.
Dragedukker 420..
Drangeid 293.
Drauschkenmontag, -woche 254.
Dreieinigkeit 113.
Dreifaltigkeitsregen 254.
Drosendorf 234.
Drügelsduk, Drühwäsche 163.
Düsel, Tissel 55.
Egerland 349. Egerländer Hochzeitbitter 443.
Mundart III. Volkskunde 451.
Eheband, -bündnis (Brautgeschenk) 294.
Ehebrecher gestraft 405.
Eheerfahrungen 406.
Ehehindernisse 175.
Ehemann, jüngster 90. 207. 405.
Eheversprechen 174.
Ehrentag (Hochzeittag) 295.
Ehrentänze 367. 374. 380.
Ehreuwinkel 368.
Ehrliche Brautleute 381.
Eier, Brautessen 401. ausgeblasene 238.
Eifel 207.
Einäugige Trollweiber 199.
Ekke Nekkepenn 267.
Elbenopfer 322. 418.
Elfensteine 99. 419.
Elster 210.
Engel, gefallene 196.
Engel- und Teufelspiel 441.
Entlobung 163. 174.
Epheu 214.
Ephialtes 453.
Erbsenbär 248.
Erdbeben 60.
Erde, geweihte 318.
Erlösungsbedürfnis der Dämonen 196.
Ermordete gehen um 201.
Erntedankfest 91.
Erntegebräuche 273—280.
Erntekranz 85.
Erntemutter 274.
Erzählungen, Wasgauer 455.
Erzählungsstoffe 360. 362.
Esel 53. Eselreiter an Hochzeiten 401.
Essbesteck 164. 172.
Eule 210. Eulenspiegel 352.
Eyrbyggjasaga 134.
Facken 53.
Fanggen 81.
Färb en Wirkung 12.
Faschiuggebräuche, Fastnacht 80—85. 110.
Fei.erstube 292.
Feige, Angebinde 448. Feigengeste 449.
Felix 270.
Fersenthal 415.
Festini 235.
Fetzen 293.
Feuerbereitung 115. -hund 55. -kugel, ge-
spenstische 165.
Fidlefitchen, Fittletetot 27 t.
Fiess, Fiez 246.
Fink 210.
Finn, Riese 270.
Firdusi 353.
Fische 61.
Flachs 212. -säen 65.
Flederflitz 269.
Fledermauslied 458.
Flieder 214.
Fliege 211.
Fluchen 50. 338.
Flurumritt 252.
Franzosen 312.
Frêen, Fríi 264.
Freitag Hochzeittag 163.
Frey, K. 114.
Frieclel, E. 241.
Friemel Frumpenstiel 269.
Frischegrünen 142. 333.
Frischling 295.
Frohnleichnamstag 91.
Fronius, Fr. 456.
! Frosch 253.
I Frothosage 358.
Frühtrauungen 401.
I Furti Furton 256.
>
Register.
469
Gangolfsbrunnen 455.
Gans 56. 210.
Garbenstellung 273—280.
Gasserln 401.
Gebärmutter, Votiv 241. 420f.
Gebehochzeiten 171. 432.
Gebet, neuntägiges 428.
Gebhart (Zwerg) 262.
Gedöhn 39.
Geisse 52.
Geld wird gesonnt 410. Geldloch 410.
Geschichten, bayrische 284—87. aus Lusern
306—319. 407—417.
Getreidepreise erforscht 89.
Gilitrutt 265.
Glockenweihe 93.
Gold im Stabe 359. aus Stroh spinnen 260.
Goliath schlagen, stechen 253.
Gossensasser Leben 48—62. 397—406.
Goethe 1—16.
Gott 318. Gotteshand 213.
Gottesdienst der Toten und Trolle 198.
Grabblumen 133. -erde 138. -inschriften 454.
Gras, grünes, Kinderspiel 441.
Grenzbegang 89.
Grillen 59.
Grisanti, Cr. 106.
Grüner, Rat 15.
Gstraun 52.
Gusinde, K. 110.
Haar, langes 167. 330.
Haberfeldtreiben 85.
Hagedorn 179.
Hahn 222. -reiter 241. -schlagen 253.
Hahnenkikerle 270.
Hähne, drei, weiss, rot, schwarz 201.
Hallstatt a. Main 286.
Halm messen 227.
Hamletsage 353—64.
Hand aus dem Grabe 125.
Handschlag 293.
Hansel und Gretel 320.
Harkau 290.
Hase, Hasenbrot 209.
Hasel 91.
Hauben 170.
Hausieren 381.
Hauskommunion, slavische 345.
Hauslauch 213.
Hausruckkreis 207.
Haustiere sprechen 208.
Haustrauung 174.
Hausvater 376.
Heanzen, Heanzische Hochzeit 288—306. 365
bis 382.
Heiligenberg 56. -gräber 127.
Heilkraft der Toten 120. 127.
Heimleuchten 200. -mutter 274.
Heiratsbrief 302f. -gut verbrieft 291. -orakel
41.
Heihaken (Hahl) 165 f.
Hennen 56.
Herd 115. 165. um den H. führen 166. 430.
Hermann und Dorothea 8f.
Hermler (Wiesel) 59.
Herz, Liebesgeschenk 448. Herzspan 63.
Hese brand 63.
Hexen 56. 100. -salbe 102.
Hileich, Hiling 461*. 480.
Himmelsbild 112. -brief 202.
Ilipche 266.
Hirse, Hirsmontag 339.
Hirsch, weisser 199.
Hirten 50.
Hochzeitgebräuche, bergische 37—4S. 162—80.
428—32. Braunschweiger 223. heanzische
288—306. 365—82. Gossensasser 397—406.
Hochzeitbäumchen 322. -bitter oder -lader
164. 296. 299. 330. 443. -charivari 202—7.
402. -geschenke 172. 177. 293. -knechte*
301. 366. 368. -kosten 382. -läuten 175.
-lieder 206. 402. -Ordnungen 169. 173—78.
432. -reden 370 — 380. -reise 202. 401.
-speisen 295. 868. 432. -tag 430. -tanz 171.
178. 366. -töpfe 295. -vater 376. -wetter
432. -zug 305. 365.
Hojskole danske 460.
Hocken 275.
Hohenburg bei Tölz 219.
Holdichen, Hollrige 230.
Höllenpförtner 197.
Holzrührlein Bonneführlein 267.
Holzschuhe 316. 415.
Hoppetienken 261. Hoppentienchen 269.
Hornjoch 50. -spräche Ì337.
Hufeisen 234.
Huhn 209.
Hund 54. 209. Hund, Katze, Besen, Geister-
schutz 408. Hundenamen 54.
Huth, G., Dr. 243.
Huve (Bienenhütte) 18. 21.
Huzulen 344.
Innsbrucker Sonnwendfeier 335.
Innthal, oberes 81.
Iranische Hamletsage 353 f.
Isnello 106.
Israeiifrau (weiblicher Troll) 198.
Jacominenloch 318.
Jaggl Hoal 407.
Jahn, Ulrich 216—219.
Jahrzahlrätsel 187.
Jakobitag 213.
Japanische Kinderlieder 457.
Jaworskij, J. 71 f.
Johannisfeuer 97.385. -kraut 41. -segcn 399.
John, Alois 349.
Julnacht 198.
Jungfern, alte 83. -miihle 84. -stechen 253.
Justi, Ferd. 111.
Kalb 209. Kälberfuss 270. Kalbskopf mit
Rosen 401.
Kaempeviser 108.
Karesse 429.
Karre als Hochzeitmühle 431.
Käser 51.
Kassuben 347.
Kastanie 213.
Katze 55. 209. 408. Katzenmusik 202. 405.
Kaufringer, H. 458.
Käuzchen 211.
Kaworzio 316.
Keltische Sage im Hamlettypus 364.
Kerbhölzer 186.
Kesküchlein, Meistergesang 7*8.
470
Register.
Kesselhaken 116.
Kielce 264.
Kiesbröck 43.
Kinderfest 252. Kitiderlieder und Reime 233.
457. K.-segen 65. 407. 437. K.-spiele 238.
441.
Kiukas Martinko 259.
Kirchenburg 456. -feste 235f. 23?. -zucht
171. 173—77.
Kirikitom, Marie 265.
Klage nachtragen 365.
Klause (bei der Hochzeit) 203. 319. 323. 39S.
401.
Kleegestelle 2*0.
Kleidertausch der Geschlechter 88.
Kleinrussen 343.
Knabenkraut 273.
Knirrficker 268.
Knot 310.
Kofel 310.
Kohl 212.
Königsreiten 251. -schiessen 253.
Kopflos die Toten 198.
Kopftuch 294.
Korb durchkriechen 163.
Kostüm 4.
Krakauer Akademie 342.
Kranich 210.
Kranz (Braut-, Bräutigamkranz) 305. 306. 379.
399.
Kranzel abtanzen 379. Kr.-jungfern 301. 368.
Kranzkuchen 295.
Krauss, Fr. S. 450.
Kreisspielschatz 455.
Kropf 309.
Kröte 425.
Kroz 310.
Kruzimugeli 266.
Kuckuck 210. 272.
Kugel 229. feurige 165.
Kugerl 269.
Kühe 49. 51. 208.
Kuhn, A. und E. 214.
Kiimpchen 45. 166. 430.
Kunstlied umgestaltet 66 f.
Kuscnyk, J. 71. 80.
Labarum Labara 84.
ijacia 265.
Larven bei der .Hochzeit 397.
Latein, falsches 413—15.
Laubeinideidung 246.
Lausitzer Aberglaube 229.
Lausleder 259.
Läuten bei der Hochzeit 175.
Lavarone Lavraun 408.
Lebensbeleuchtung 113.
Leoensrute 332.
Lebzeltenformen 241.
locken des Kirchenpflasters 237.
Leichdorn 62
Leinwand zwingt Gespenster 201.
Leitmeritz 333.
Lemke, E. 105. 241.
Lenaus Gedicht Anna 436.
Lenorensage 198.
S. Leonhart 73. 74.
Lescallier 101.
Letnica 248.
! Levico 309.
Libellenreim 4ö8.
Lid Cesky 346.
Liebesbrief 405. -Verhältnisse 3!».
Ligna di scupa 257.
Lockhuve 21. 23.
Lösung weggenommener Kleider 4 17.
Lothringisches 233.
Lübecker Kinderreime 233.
Lud 342.
Lund-Troels 112.
Lunganer Reifstangen 91.
i Lup-cup-cup 265.
Luperealien 81.
Lusern 151—162. 455.
Luserner Sprachproben 306—19. 407—17.
Ljkaonsage 35.
>1 aasliebe 41.
Mägdepalm 40.
Maibaum 40. 45. 110. 250. -bulschai't 110.
Maien 249. -steigen 250. -schmuck 146.
Maifeier 110. -käferlied 457. -lehen 40. -ochse
248.
Mandeln 275.
Mannhardt, W. 27-36. 103. 214-16.
Märchen vom Goldvogel, von den Midasohren
345. sizilianische 107. vom Spinnen 214
bis 272. 3b2 —396. 438.
Märchenvergleichung 254—72. 382—96. 438.
S. Maria 54. 236. Mariae Himmelfahrt 107.
Marterln, mährische 335.
Martini 87. 89. 90.
I Masigga (island. Moos) 82.
Matakáus, malayische 460.
Maulwurf 211.
Meineid 202.
Meistergesang 73. 74. 79.
Mephistopheles 453.
Merfrau 200. 201.
Mesner, blinder 71 f.
Messina 107.
Mexikanisches Museum 237.
Micke (Heugestell) 279.
Mielke, R. 460.
Mieten (Strohmieten) 276.
Milagros 334.
Milchopfer 200.
Mirkikevir 263.
! Mispel 43.
¡ Mistel 213.
Mitarbeiter der Zeitschrift 462—466.
Mittsommerstange 91.
Moos, Sterzinger 83.
Mooswagen 83.
Muetter 423. 425.
Müllenhoff, K. 36.
Münchener Sprüche 184. Stadtsagen 181.
Murmeltier 59.
Mussstreppen 39.
Mutterfluch 311.
Nachhochzeit 207.
Nachtwuone 419.
Nachzehrer 131.
Nagelschnitzel 338. 449.
Napoleon-Gebete und -Lieder 230f. 449.
Nationalität 15.
Naturanschauuugen 34.
Register.
471
Nebenbuhlerschaft der Schutzheiligen 236.
Neidhart mit dem Veilchen 110.
Netz im Sarge Iii).
Neuntöter 210.
Nicoltissi. S. 154f.
Niemandgeschichte 199.
Nikolaus Douplianskoy 72. 80. Nikolausfeier
) 9.
Ninive, Herr von, Kinderlied 442.
Nork 54.
S. Notburga 219.
Oberstdorfer Wildmännletanz 10G.
Oclisen 49.
Ohreisen 431.
Olrik, A. 108. 3,"5. 357.
Opfer an Wichte und Trolle 199.
Opferbärmutter 420f.
Opfergang liir die Pferde 251.
Orakel 89.
Ostpreussisches Volkstum 105.
Palermo 107.
Palmbusch 227. 243. -kätzchen 449.
Pampernelle 264.
Panczimanczi 260.
Passion Christi, verwante Motive 361.
Passionspiele 333.
Pelz 293. 300.
Perdite 320. Perchtelbosehen 323.
Peter und Paul 213.
Petersilie 212
Pfarrer, von einem, Gedicht 77.
Pfefferkuchenformen 241.
Pfenich (panicum) 340.
Fferdekolik 223. -schädel 226.
Pfinostbitte 247. -braut 250. -feuer 249.
-gebrauche, schlesische 245—254. -könig
250. 253. -lümmel 246. 248. -ochse 24«.
-quas 142—150. -regen 254. -reiten 250.
252. -stangen 249. 250. -topf 252.
Pfinztag, unsinniger 81.
Pllanzenorakel 41. 211.
Pfropfen 212.
Pilatussage 435.
Pit rè, Maria 107.
Politis, N. G. 110.
Polivka, G. 345.
Polterabend 162. 207. 430.
Powell, Fr. Y. 363.
Pozzo, dal 152.
Prager Brücke 433.
Prangerstangen 90.
Prätorius, J. 383.
Prestre con porte 76.
Probenächte 41.
Prozession (Gedicht) 328.
Prozessionen 90. 236.
Pro patria, Gesellschaft 157.
Prutz im Oberinnthal 80.
Puppen (Getreide-) 275. Zauber- 417 f.
Puppenopfer 100. 418.
Purzinigele 269.
Pusterthal 203.
(Juas 142 f.
Quelle durch Gebet entsprungen 310.
Quellen, heilige 234.
Rabe 210. Rabenlied 457.
Racapel 256.
Rätselantwnrten 357.
Räuchern 309.
Rauchfiess 245—48. 250. Raupfiess 24(5.
Rauchhäuser 116.
Redmann 292. 294. 302. 304.
Reifstangen 91.
Ricdin Èiedon 255.
Rigaut-Séné 262.
Rindon 262.
Rindon 262.
Ringelblume 21.3.
Rodo mont 267.
Roediger, M. 14.
Ropiquet 262.
8. Rosalia 107. 235.
Rose (Krankheit) 64.
Ifosen am Kalbskopf 401.
Rosenplüt 77.
Rosmarin 293. 301. 305. 399.
Ross 53
lióte Farbe 223. 399.
Rotkäppchen, Märchen 416.
Rûklâs 461.
Rumpelstilzchen, Märchen 261.
Ruprecht, Knecht 320.
Sachs, Hans 71—80.
Sacristain de Cluny 76.
Säen 212.
Safranbau 312.
Sagen, bayrische 284—87. Luserner 310.314.
318. 407. 415. Münchener 181.
Sagengeschichte, zur 432—38.
Salben der Steine 99.
Saltner 412.
Salzbergweihe 93.
Salzburg 90—92.
Sandwerfen bei Hochzeiten 431.
Satzbau, mundartlicher 111.
Saxo grammaticus 355—60.
Sébillot, P. 106.
Segen 62f. 230 f. 459.
Selbstgethan 199.
Seneklôs 321.
Sennerin, Erinnerungstafel 93. S. und Hirt
95. S. und Wildschütz 94.
Sette comuni 152. 161.
Seuchenopfer 88.
Sevenbaum 227.
Siddhi-Kür 100
Sim h asan ad vâtri m s ikä 101.
Siperdintl 271.
Sizilianische Märchen 107.
Skfemteviser 108.
i Sjoffi bera 423.
Slavische Voikskunde 341—48.
Snar 63.
Sncllert 228.
Sökeland, H. 241. 244. 461.
Sommerfest 248.
Sonnenkälbchen 211.
Sonnwendfeuer 91. 97. 335.
Speisezettel 89. 90. 295. 368. 432.
Sperling 210. 22H.
Spielhochzeiten 171.
Spinne 211.
Spinnen im Märchen 254—72. 382—96. 438.
472
Register.
Spinnstuben 87. Spinnstubenlied 326.
Spitzbartele 270.
Sprechübungen 336.
Sprichwörter, bergische 179. neugriechische
110. sizilische 106.
Springhunderl 266.
Sprüche, Münchener 184.
Spucken als Opfer 200.
Spukgeschichten 286.
Stab, grünender 196.
Stachelbärmutter 423.
Staufen 275.
Steiermark 203.
Steine gesalbt 99.
Steinhaufen (cairns) 239.
Stiefmütterchen 213.
Stiegen 275.
Stier 50.
Stîpen, stùpen 446.
Stolprian 72. 75. 80.
Storch 210.
Strascico della lingua 237.
Strassburg 2. 326.
Strassenrufe 241.
Suldenthal 421.
Surch (Hirseart) 339.
Swaarfc Hex 264.
Scliafe 52. 209. Schafsknochen 352.
Schäfer unter den Tropfen 309.
Schatzkästlein, bäuerliches 448.
Schenkhochzeiten 173.
Schiepek, J. III.
Schimmel (Schnee) 53. Schimmelreiter 461.
Schlacht, letzte 92.
Schlachtfestreime 87.
Schlangen bei mexikan. Kirchweihfesten 238.
Schlemm, J., Frl. 115.
Schlesische Pfingstgebräuche 245—54.
Schlutgang, Schnutgang 41. 429.
Schmackostern 333. 445.
Schmidt, Konr., Sachsengraf 456.
Schnaderhüpfel 205.
Schneckenfabel 58.
Schnellert 228.
Schnutgang 41. 429.
Schreitel, Schratel 234.
Schröer, K. .J. 288.
Schutzgestell 278f.
Schutzpatrone 236.
Schwalbe 210.
Schwärmen der Bienen 17. 23.
Schwartz, W. 27—36. 214.
Schwedischer Volksglaube 194f.
Schwein 53. 209. Schweine im Korn 213.
Schweinskopfessen 320.
Schweizerische Gesellschaft f. Volkskunde 450.
Tannhäusermotiv 196.
Tanz 171. 178. 366. 381.
Tarandadò 256.
Tatermann 59.
Taufbrauch 223.
Tekia (Heiligengrab) 127.
Teufel 51. 198. Teufelsglaube 113.
Teutsch, G. D. 456.
Thorgunna 129. 134.
Thüringen 207—14.
Tiere 48—62. Tierreden 50. 208. Tiere in
der Volksmedizin 459.
Tierfiguren, tönerne 239.
Tierjagen 44. -opfer 88. -stimmen gedeutet
221.
Tingltangl 259.
Tiroler Volksdichter 329.
Titelituri 262.
Tod von Basel 326.
Tölz 227.
Tom Tit Tot 254—72. 325. 382—96. 438.
Tomtenissar 200.
Thonmasken, mexikanische 238.
Töpfe 115.
Tote, was sie können 117—142. besuchen die
Weiber 121. 124. essen und trinken 126.
führen Aufträge aus 141. halten Ordnung
136. rächen sich 139. raten und warnen
128. 139. 140. wissen alles 140.
Tote in den Käsern (Alphütten) 51.
Totenbeigaben 119. -blume 213. -gottesdienst
123. -bemd geraubt 122. 133. -mahl 119.
-opfer 126. 139. -starre 135. -Wanderuns-
122.
Tracht, Tiroler 424. Trachtenbuch, hessisches
III.
Trafoi 421. 423.
Trauerklage 312.
Traum vom Schatz auf der Brücke 432.
Trauschkenmontag 253.
Trauung 174. 177. 366. 399.
Trient 153.
Triumphwagen 236.
Trolle 195—198.
Trolldockor 99. Trollweiber, einäugig 199.
hohlriickig 198. verkehren mit Männern
198 f.
Truheführen 203.
Trusch 253.
Trylleviser 108.
Tuch des Bräutigams 293.
Tultingar 418.
Tungusen 243.
Tüsele Marüsele 314.
Überdon 135. 139.
Uhu 60.
Ulten 425.
Unfruchtbarkeit beseitigt 13S.
Ungrische Volksmedizin 239.
Ungewaschen ungekämmt 199.
Unke 211.
Untersberg 92.
Vampyre 131.
Vegetationsgeist 91.
Venediger 410.
Verbotzeicheu 460.
Verkleidung 87. 88. 179. 207.
Verlassenes Mädchen 205. 207.
Verlefränzclien 269.
Verlobung 45. 47. 291. 294.
Vermeint 419.
Vernageln 338. 449.
Verschlafen des Festes 246.
Versöhnungsopfer 93.
Versunkene Stadt 316.
Verwandlung 195.
Viehaustrieb 245. 253.
Register.
473
"Viehseuche 88. 209.
Viehverkauf 208. 229.
Villgratten 55.
Vintschgauer Gedicht 328.
Yirlouvet 263.
Yogel, H., Meistersinger 73.
Vögel 59—61. 339.
Volksaberglaube 194. 452.
Volksdichter, Tiroler 109. 329.
Volkskunde und Goethe 1—16. V. und Gym-
nasium 231.
Volkskunde, sächsische 103. slavische 349.
Volkskunst 451.
Volksleben, badisches 452.
Volkslied und Goethe 5. V. im Kindermund
325
Volkslieder, dänische 108. Tiroler 94—96. 109.
Volksmärchen, formelhafter Schluss 350.
Volksmedizin 239. 458.
Volksmund 460.
Volkspoesie, tungusische 243.
Volksreime, Braunschweiger 426.
Volksschauspiele im Böhmerwald 456.
Volkstrachten 112. 424.
Volkstum 16. Volkstümliches in Ostpreussen
105.
Volksüberlieferungen, Mecklenburger 104.
Voss, Luise 8.
Votivfahnen 236.
Votivgeschenke 239. 241. 334. 420.
Wachholder 241. 249..
Wachtel 210.
Wahlbrüderschaft 138.
Wahnsinn, Strafe des Baumschadens 101. W.
verstellter 362.
Wald zum See versunken 409.
Waldfrau 199. 314.
Waldkügele 270.
Wallfahrtkirchen, Tiroler 422.
Walpurgis 213.
Walser Feld 91. 92.
Webeknochen 352.
Wechselbälge 197.
Weib, faules, Lied 203. 402—4. W.wildes 314.
Weihgeschenke 239.
Weihnachten 50. 2*29. 230. 321. 324.
Weihnachtbaum 321. 323. -krippen 238.
Weinhold, K. 15. 241. 244.
Weinhold, Laura 102.
Weinschlauch 415.
Weisel 18 f.
Weissenstein 423.
Wenden, hannoversche 341. 439.
Werbetanz der Hochzeitknechte 366.
Westfalen 207.
Wetterregeln 185.
Wettrennen 250f.
YVhuppily Storie 271.
Wiedehopf 210.
Wiederkunft der Toten 120. 134.
Wiesele 308. 310.
Wigström, E. 104.
Wilde Leute 81. Wilder Jäger 194. Wildes
Weib 314.
Wildmännletanz 106.
Wildstand 58.
Wind verkaufen 200.
Winteranfang 324.
Wintergeist 246. Winterkölbl 267.
Wintersonnenwende 320.
Wippthal 202.
Wisla 341.
Witwenhochzeit 206.
Wölfe (Scherzgeschichte) 412.
Wossidlo, R. 105.
Wucherblume 41.
Wünschelrute 255.
Zahlzeichen, volkstümliche 186.
Zähne der Toten wachsen 125.
Zahnschmerzen vernageln 338. 449.
Zahnsegen 64.
Zapf, Hans 77.
Zauberpuppen 99. 417—20.
v. Zedlitz, J. Chr. 67.
Zeidelwirtschaft 24.
Zeit, heilige 456.
Zeitschriften, slavische 349f.
Ziegelplatten mit Bildern 219.
Ziliguckerl 269.
Zingbaumreiter 431.
v. Zingerle, Ign. 154.
Zirkzirk 261.
Zorobubù 257.
Zorzi, Ang.
Zuchristian 154. 160.
Zunftwesen 456.
Zweikampf von Brüdern 409.
Zwerg 54. 396. 4-17.
i
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1900. Taf.
Fig. 1. Sammlung zum Kirchgang.
Fig. 2.
Hochzeitszug, Spitze.
Eine heanzische Bauernhochzeit.
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1900.
Taf. II,
Eine heanzische Bauernhochzeit.
Taf. III.
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1900,
Fig\ 5. Ehrentanz in Markau.
Eine hcanzische Bauernhochzeit.
Fig. 6. Ehrentanz in Agendorf.
MHSSfl!
n ist.
jL.SJ2-4.33
-3. Sep. 1336
.
/ '
" r*. Okt. •*
^ S. Wa\ ^30
—.......—■ ——
• / I
U&Z7.2, 1909
t e. 87,
L.8.15.3.20*
I ftl '
?9f%
I V*,
• «•» 13, Sï Qâu
•AU*,
5_S.i6.lO. 3 5,
L.S.19.8 » '
' 22. QKU942
I Y W 0
Universitätsbibliothek der HU Berlin
00001100034697
ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und H. Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
Karl Weinhold.
BERLIN.
Verlag von A. As h—