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Bartels :
auch vollkommen begreiflich , denn der Kranke erbittet durch die Weihgabe ja natürlicherweise nicht ein krankes , sondern ein völlig gesundes Glied . Würde er ein krankes Glied opfern , dann könnte sich die Gottheit ja dieses als Beispiel für sein Gnadengeschenk wählen . Über den Zeitpunkt , wann die Kranken oder deren Angehörige derartige Exvotis in den Tempeln niedergelegt haben , ist man schiedener Ansicht gewesen . Die einen meinten , dass es bei der Erkrankung , die anderen , dass es nach der glücklich erfolgten Heilung stattgefunden habe . scheinlich ist beides vorgekommen , doch das erstere war gewiss das bei weitem häufigere .
Übrigens haben auch wohl nicht alle diese Nachbildungen von menschlichen Körperteilen mit Erkrankungen etwas zu thun . Hände mit den ausgestreckten drei ersten und dem eingeschlagenen vierten und fünften Finger , sogen . hände , sind vielleicht das sichtbare Zeichen eines abgelegten Gelübdes gewesen , während Füsse , und namentlich solche mit angeschnürter Sandale , vermutlich das Weihgeschenk entweder für eine bevorstehende oder für eine glücklich vollendete Reise gewesen sind .
Noch nicht hinreichend sicher erklärt in ihrer anatomischen Bedeutung sind die oben erwähnten Gebilde , die in so auffallend grosser Menge sich gefunden haben . Übereinstimmung über sie herrscht nur darin , dass sie nach der meinen Annahme bei Beschwerden des weiblichen Körpers geopfert worden sind . Schwer verständlich , auch in anatomischer Beziehung , sind die Darstellungen des geöffneten Unterleibs . Der Verfasser weist überzeugend nach , dass sie keinen Gegenbeweis gegen die allgemeine , wissenschaftliche Anschauung liefern , dass den alten Römern die Anatomie des menschlichen Körpers durch die Anschauung geöffneter Leichen unbekannt gewesen sei . Denn wir haben hier nicht den druck wissenschaftlicher Kenntnisse auf dem Gebinde der menschlichen gliederungskunst , sondern nur die schematischen Darstellungen von unwissenden Handwerkern vor uns , welche ihre Anschauungen von geschlachteten Tieren genommen haben . Unter welchen Umständen oder bei welchen Erkrankungen diese Stücke geopfert wurden , das ist bisher noch unaufgeklärt .
Vorangestellt hat der Verfasser die Beschreibung von drei Altertumsfunden , welche untereinander eine grosse Übereinstimmung besitzen . Es sind flache bilde mit abgerundeten Ecken , aus deren oberer , konvexer Fläche sich eigentümlich gestaltete , kegelförmige Fortsätze erheben . Das eine Stück , aus Bronze gefertigt , wurde bei Piacenza gefunden . Es ist von den Archäologen erst für ein gerät , dann für das Modell eines etruskischen Tempels und endlich für die stellung einer Leber gehalten worden . Ein anderes , um vieles älteres Stück , aus Marmor , fand sich in Babylonien , und das dritte Exemplar hat die Marmorfigur eines Mannes in der Hand , die den Deckel einer etruskischen Aschenurne in dem Museum von Volterra bildet . Der Verfasser tritt dafür ein , dass es sich hier bei allen drei Stücken um die Darstellung von Schafslebern handele , und er weist durch anatomische Untersuchungen nach , dass von allen Haustieren das Schaf die in ihrer Gestalt und Form am meisten Variationen bietende Leber besitze , und dass dieselbe aus diesem Grunde in ganz hervorragender Weise geeignet sei , den Opferbeschauern als günstige Grundlage für ihre Orakelsprüche zu dienen . Die beiden Stücke aus Piacenza und Babylonien hält er für Lehrmodelle für die Priesterschüler der Haruspices ; dafür spricht bei der babylonischen Leber eine Einteilung der Oberfläche in kleine Quadrate . In der Figur des Verstorbenen in Volterra muss man dann einen einstmaligen Opferpriester erkennen .