ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und H. Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
von
Karl Weinhold.
Elfter Jahrgang.
1901.
Mit sechs Tafeln und Abbildungen im Text.
Jjoo.ko^H-
BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
Inhalt-
Abhandlungen und grössere Mitteilungen.
Seite
Uber die Bedeutung des Haselstrauchs im altgermanischeu Kultus und Zauber-
wesen. Yon K. Weinhold............................................1— IG
Die Reise der Seele ins Jenseits. Von Julius von Negelein (I. Abreise der
Seele. II. Reiseweg der Seele. III. Versuche die Seele an der Rückkehr
zu verhindern)................... 16—28. 149—158. 263—271
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol (Fortsetzung).
Yon J. Bacher (II. Geschichten in Luserner Mundart No. 16—83. III.
Meinungen, Bräuche und Sprüche 1—66). . . 28—37. 169—180. 290—298. 443—4o2
Geschichten aus Bamberg. 1 — 6. Mitgeteilt von Helene Raff................37— 39
Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazeit. Yon Bernhard Kahle .... 40— 48
Zwei alte Gerichtsstätten in den Rheinlanden. Yon 0. Schell (1. Feldkirchen
bei Neuwied; 2. Kyllburg in der Eifol; 3. Remlingrade im Bergischen;
4. Wildberg im Bergischen). Taf. I und IY.......... 47—49. 296—298
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder in Deutschböhmen und Nieder-
österreich. Von E. K. Blümml und A. J. Rott........................49— 64
Bastlösereime aus Anhalt. Gesammelt von 0. Härtung......................64— 66
.'Sagen aus Nordthüringen. Im Volke gesammelt von R. Reichhardt (I. Bann-
sagen. II. Hexensagen. III. Schatzsagen)................................68— 73
Braunschweigische Volksreime. Mitgeteilt von 0. Schütte..................73— 75
Die Eiserkuchen der Zerbster Gegend. Von F. Loose......................75— 78
Die altnordischen Rätsel. Von Andreas Heusler..............117—149
Ruthenische Hochzeitgebräuche in der Bukowina. Mitgeteilt von R. F. Kaindl
158-169. 280-286
Über einige Votivgaben im Salzburger Flachgau. Von Marie Eysn.....181—186
Zu Goethes Parialegende. Von Theodor Zachariae............186—192
Sankt Michaelsbrot. Von Max Höfler......................................193—201
Der Wassermann im schlesischen Volksglauben. Von P. Drechsler .... 201—207
St. Hubertus-Schlüssel. Von Max Höf 1er..................................207—210
Beiträge zur Flora der Friedhöfe in Nieder-Österreich. Von E. K. Blümml . 210—213
Die Frau im Islam. Von Martin H art mann................................237—252
Ein dänisches Märchen von Petrus und dem Ursprünge der bösen Weiber. Von
J. Bolt e..............................................................252—262
Abergläubische Gebräuche aus dem Mittelalter. Von G. Hertel..............272—279
Das deutsche Spottlied auf die Flucht des Königs Heinrich von Polen 1574. Mit-
geteilt von Adolf Hauffen............................................286—289
Zu dem Volksliede von der Tochter des Kommandanten zu Grosswardein. Von
Karl Reissenberger........................................298—304
Der böse Blick in nordischer Überlieferung. Von H. F. Feilberg. Mit vier
Beilagen........................ . . 304—330. 420—430
IV
Inhalt.
Seite
Karl Weinhold, Gedächtnisrede gehalten am 25. Oktober 1901 im Verein für
Volkskunde zu Berlin von Max Roediger..............................358—364
Chronologisches Verzeichnis der Schriften Weinholds. Von Max Roediger. . 3(54—376
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels. Von Johannes Bolt e (I. Verbreitung
und Inhaltsübersicht; II. Die älteste deutsche Fassung; III. Die portu-
giesische Fassung; IV. Die italienische Fassung; V. Die Deutungen der
Zahlenreihe 1—12)..........................376—406
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult. I. Von Julius von Negelein . 406—420
Von de la Martinières Reise nach dem Norden. Von Bernhard Kahle. . . . 431—443
Das Kellerrecht. Mitgeteilt von Hans Schukowitz..........................452—455
Die Hedwig-Sohlen. Von Max Höfler. Mit Tafel VI........................455—458
Kleine Mitteilungen.
Ein hochdeutscher Augensegen in einer Cambridger Handschrift des 12. Jahr-
hunderts.. Herausgegeben von K. Weinhold............ 79—82. 226
Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel. Von M. Höf 1er......................82
Zur Zeitschrift des Vereins für Volkskunde X, 100. Von C. F. Seybold. . . 82— 83
Blau als Trauerfarbe. Von K. Weinhold..................................83
Ein Viehsegen aus Mecklenburg gegen die neunerley Elven. Von R. VYossidlo 83— 84
Segen aus Preussisch-Litauen. Von U. Jahn hinterlassen....................84
Alt-Münchener Festgebäck. Von Helene Raff..............................84— 87
Ein Brauch in der Krossener Gegend. Von R. Mi elk e......................87— 88
Karl Julius Schröer f. Von IL Weinhold.................213—214
Der Palmbusch in den Niederlanden. Von K. W...............215—216
Das Notfeuer im Braunschweigischen. Von 0. Schütte...........216—217
Weiteres zu den Zauberpuppen. Von R. Mielke..............217—218
Bäuerliche Kraftspiele am Abersee (Salzburg). Von G Zeller..................218—219
Volksmcinungen von der bayerisch-österreichischen Grenze. Von Helene Raff 219—221
Sterbende werden auf die Erde gelegt. Von K. W............................221
Über das echte Tiiolerlied (nach Zangerle). Von K. W........................222
Wochenzettel, für den kärntischen Bauerntisch. Von K. W....................222—223
Das Hutzahaus im Egerland. Von Jos. Köhler............................223—224
Schwäbische Beiträge zu Bliimml und Rott, Verwendung der Pflanzen. Von
August Vetter. .....................................................224—226
Zu dem Cambridger Augensegen. Von K. W................................226
Nachtrag zum Traum vom Schatz auf der Brücke. Von A. Hauffen .... 226—227
Und wenn der Himmel wär Papier. Von Th. Zachariae....................331
Das Hänseln im Braunschweigischen. Von 0. Schütte. . .(........332—334
Der Nikolausabend am Abersee im Salzburgischen. Von G. Zell er..........334—335
Sagen vom Rübezahl......................................................336—337
Braunschweigische Sagen. Von O." S'c h fitte (Geister; Hexen; Unruhe im Grabe;
Spukende Tiere. Kreuzstein. Schöppenstedter Streiche)..................338—340
Kröte als Gebäckmodel. Von M. Höfler............................340—341
Ein uckermärkischer Brauch bei der Brautwäsche. Von R. Petsch.'..........341
Zum Hubertusschlüssel. Von 0. Schell....................................342
Zwei Volkslieder aus dem Geiselthal bei Merseburg. Von M. Adler..........459—461
Braunschweigische Abzählverse. Von 0. Schütte...................461
Drohung und Verspottung beim Versagen einer Bitte. Von 0. Schütte . . . 462
Erziehung zur Aufmerksamkeit. Von 0. Schütte............................462
Das Vogelnest im Aberglauben. Von H. Lewy..............................462—463
Volkstümliches aus Jonathan Swift. Von F. Ilwof..........................463—464
Zu Heinrich Kaufringer. Von K. Eulin g..................................464—465
Alexander Treichel f. Von E. Lemke.......................465—466
Inhalt.
V
Bücheranzeigen.
Seite
Archiv für Religionswissenschaft, herausg. von Th. Achelis III, B—4 (angezeigt
von K. Weinhold)...........................94
Bass, A.: Deutsche Sprachinseln in Südtirol und Oberitalien (J. Steck). . . 346
Bernstein, J.: Catalogue des livres parémiologiques composant la bibliothèque
de J. B. (A. Brûçkner)..............................................347
Brunck, A.: Volkskundliches aus Garzigar..................................346
Dähnhardt, O.: Heimatklänge aus deutschen Gauen I (K. Weinhold). . . . 104
Drechsler, P.: Das Verhältnis des Schlesiers zu seinen Haustieren und Bäumen
(K. Weinhold)......................................................283
Farsetti, K.: Quattro bruscelli senesi. — Befanate del contado toscano
(A. Tobler)........'..........................................232
Geyer, M.: Osterlandsagen. Sagen, Bilder und Geschichten aus dem Alten-
burger Ostkreise (K. W.) ...........................................100
Hager, G.: Die Weihnachtskrippe, ein Beitrag zur Volkskunde und Kunst-
geschichte (R. Mielke)................................................468
Herrmann, Max: Jahrmarkts fest zu Plundersweilern, Entstehungs- und Bühnen-
geschichte (R. M. Meyer)............................................97
Hoffmann von Fallersleben: Unsere volkstümlichen Lieder, 4. Aufl. bearb.
von K. H. Prahl (J. Bolte)..........................................102
•John, A.: Unser Egerland IV (K. W.)......................................344
Justi, F.: Hessisches Trachtenbuch II (K. Weinhold)......................233
Kallas, 0.: Achtzig Märchen der Ljutziner Esten (J. Bolte)................98
Köhler, R.: Kleinere Schriften herausg. von J. Bolte II—III (K. Weinhold) 95
Maclagan, R. Craig: The Games and Diversions of Argyleshire (E. Zupitza) 347
Meyer, Heinrich: Die Sprache der Buren (K. W.)..........................345
Deutsche Mundarten, herausg. von J. W. Nagl I, 4..........................345
atesa Sastri], Tales of Tennalirama (Rich. Schmidt)..................101
Politis, N. G.: Ilagoi/aicu I—II (K. Dieterich)..............105—108
Reiser, K.: Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus, Heft 17-19 (K. W.) 232
Rump e, R.: Wie das Volk denkt. Allerlei Anschauungen über Gesundheit und
Kranksein (M. Bartels)..............................................108
Schönbach, A. E.: Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt II: Zeug-
nisse Bertholds von Regensburg zur Volkskunde (M. Roediger)..........229
Schräder, 0.: Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde I — II
(E. Zupitza)......................... 89—94. 342—344
Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache IV
(K. Weinhold)......................................................466
Sé billot, P.: Contes des Landes et des Grèves. — Le coquillages de mer (K. W.) 100
Derselbe: Le Folklore des Pêcheurs (K. W.)................................407
Stieda, L.: Anatomisch - archäologische Studien I: Darstellungen der Leber,
II: Altitalische Weihgeschenke (M. Bartels)............................227
Tiffaud: L'exercice illégal de la médecine dans le Bas-Poitou (M. Bartels) 467
Vogt, Fr.: Die schlesischen Weihnachtspiele (J. Bolte)......................96
Wichmann, Y.: Wotjakische Sprachproben I—II (K. W.)....................348
Aus den Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde. Von M. Roediger
und J. Bolte (mit Tat. II-III)..... 109-116. 235—236. 349—352. 469-470
Register................................. 471—478
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ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und 77. Steinthal.
Im Auftrage (les Vereins
Karl Weinkold.
Elfter Jahrgang.
Heft 1. 1901.
BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
Mit drei Tafeln und mit Abbildungen im Text.
Die Zeitschrif t erscheint 4 mal jährlich.
m
I il li a 11.
Seite
Über die Bedeutung- des Haselstrauchs im altgermanischen Kultus und
Zauberwesen. Von K. Wein h old......................1
Die Reise der Seele ins Jenseits. Yon Dr. von Xege i ein ... 16
Yon dem deutschen Grenzposten Lusérn im wälschen Südtirol. Yom
Kuraten Josef Bacher (Fortsetzung) ...........28
Geschichten aus Bamberg. Mitgeteilt yon Helene Raff .... 37
Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazejt. Von Beruh. Kahle 40
Zwei alte Gerichtsstätten in den Rheinlanden. Yon O. Schell. (Mit
Tafel I). . ....... . . . • • • : • 47
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder in Deutschböhmen
und Niederösterreich. Von B. K. Blümml und A: J. Rott . . 49
Bastlösereime aus Anhalt. Gesammelt von Oskar Härtung ... 64
Sagen aus Nordthüringen. Im Volke gesammelt von R. Reichhardt 68
Braunschweigische Volksreime. Mitgeteilt von Otto Schütte. . . 73
Die Eiserkuchen der Zerbster Gegend. Von F. Loose.....75
Kleine Mitteilungen:
Ein hochdeutscher Augensegen in einer Cambridger Handschrift des 1 ~2. Jahrhunderts.
Herausgegeben von K. Weinhold. S. 79. — Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel. \on
M. Höfler. S. 82. — Zur Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. Von C. F. Seybold.
S. 82. — Blau als Trauerfarbe. Von K Weinhold. S. 8:'.. — Ein Viehsegen ans Mecklen-
burg gegen die neunerley Elven. Von R. Wossidlo. S. 8)1. — Segen aus Preuss.-Litauen.
Von Û. Jahn hinterlassen. S. 84. — Alt-Münchener Festgebäck. Von Helene Raff. S. 84.
— Ein Brauch in der Krossener Gegend. Von R. Mielke. S. 87.
Bücheranzeigen:
0. Schräder, Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde. S. 89. — Archiv
für Religionswissenschaft, herausg. von Prof. Dr. Ths. Achelis.. S. 1)4. — Kleinere Schriften
von R. Köhler. 2. Bd., 3. Bd. Herausgeg. von J. Boite. S. 11."). — Friedr. Vogt, Die
Schlesischen Weihnachtspiele. S. %. — Max Herrmann, Jahrmarkts fest zu Plundersweilern.
S. 97. _ Oskar Kallas, Achtzig Märchen der Ljutziner Esten, gesammelt. S. 98. —
Osterlandsagen. Herausgeg. von Prof. Dr. M. Geyer. S. 100. — Paul Sébillot, Contes
ries Landes et des Grèves/ S. 100. — Tales of Tcnnalirama (The famous court jester of
Southern India). S. 101. — Hoffmann von Fallersleben, Unsere volkstümlichen Lieder.
Herausgeg. und neu bearbeitet von K. H. Prahl. S. 102. — Heimatklänge aus deutschen
Gauen Ausgewählt von 0. Dähnhnrdt. S. 104. — N. F. JloXltov. Tlaooi-ftiai. Topo*
A' xaì B'. S. 105. — Wie das Volk denkt. Allerlei Anschauungen über Gesundheit und
Kranksein. Vom Standpunkte des Arztes beleuchtet von Dr. med. R. Rumpe. S. 108.
Aus den Sitzungs - Protokollen des Vereins für Volkskunde von M.
Roediger (Mit Taf. II. III) .............109
Beiträge für die Zeitschrift, bei denen um deutliche Schrift
auf Quartblättern mit Rand gebeten wird, Mitteilungen im
Interesse des Vereins, Kreuzbandsendungen, beliebe man an
die Adresse des Herausgebers, Geh. Regierungsrat Prof. Dr.
K. Weinhold, Berlin W., Hohenzollernstr. Î5, zu richten.
Bücher für Besprechung in der Zeitschrift wolle man an die Verlags-
Buchhandlung A. Asher & Co., W. Unter den Linden 13, senden.
Beitrittserklärungen zum Verein nimmt der Schriftführer Prof. Dr.
Roediger, Berlin SW., Wilhelmstr. 140, und der Schatzmeister entgegen.
Schatzmeister des Vereins ist Banquier Alexander Meyer Cohn.
Berlin W., Unter den Linden 11.
Der Jahresbeitrag ist 12 Mk., wofür die Zeitschrift an die Mitglieder
frei geliefert wird.
Über die Bedeutung des Haselstrauchs
im altgermanischen Kultus und Zauberwesen.
Yon K. Weinhold.
Die mythologische Botanik ist ein Ausschnitt der Mythologie von
mannigfachem Reiz, der durch zahlreiche Fasern mit den andern Teilen
verbunden ist. Das Leben, das alle Natur erfüllt, durchdringt das kleinste
Gras, wie den mächtigen weitschattenden Baum. Die geheimnisvollen,
Heil und Vernichtung bringenden Kräfte, welche der Mensch in unschein-
baren Kräutern durch die Erfahrung an seinem Leibe erkannt hatte, liess
ifm darin eine übermenschliche Kraft fürchten und verehren. Göttliche
oder halbgöttliche Gestalten glaubte man in den Bäumen wohnend und
wirkend und widmete ihnen ehrfürchtigen Dienst mit Gebet und Opfern.
Dazu kam die phantastische Übertragung der Baumgestalt auf baumartige
Wolkengebilde, in denen sich die gewaltigen Naturerscheinungen von
Wind und Wetter vollzogen und die Macht der grossen Götter sich sehr
fühlbar offenbarte. So war Grund genug, Pflanzen, Sträucher und Bäume
zu der dämonischen und mystischen Welt in Beziehung zu setzen und mit
dem Kultus in all seinen Verzweigungen zu verbinden. Nicht gerade für
alle lässt sich das noch wahrnehmen, wohl aber für eine gewählte kleinere
Schar. Ich sehe hier von den Kräutern ab und habe Bäume und baum-
artige Sträucher im Auge. Da ich auf meinem Grund und Boden zu
bleiben begehre, nenne ich nur deutsche: die Esche und Eberesche, die
Buche und Eiche, die Weide, dann den E Ixen- oder Elsenberbaum (prunns
padus), den Weissdorn (Crataegus), den Holunder (sambucus), den Wach-
older (juniperus) und die Hasel. Über letztere will ich mich hier ver-
breiten, weil alter Glaube, der im heutigen Aberglauben fortwirkt, ihr
eine ganz besondere Bedeutung und deshalb auch Verehrung zuerkannt hat.
Die Hasel war ein dem Gewittergott geweihter baumartiger Strauch.
Als die Dänen im Jahre 851 Dublin eroberten, machten sie es zum Mittel-
punkt der nordmännischen Macht. Das dort herrschende Geschlecht hiess
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 1
2
Weinhold:
Thonars- (Tomairs-) Geschlecht; ein grosser, dem Thonar geweihter Wald,
der Thonars oder Thórs-Hain (caill Tomair, irisch) breitete sich weithin
von der Stadt längs der Küste des Liffeyflod aus. Derselbe bestund nach
den irischen Quellen aus Haseln. Als der christliche Irenkönig Brian von
Munster im Jahre 998 Dublin erstürmte und verwüstete, liess er den
Thonars-Hain niederhauen und verbrennen. (Joh. Steenstrup, Normannerne
2, 359, wo bewiesen wird, dass Tomair der nordische Thonar ist; 3, 350).
Die Heidengötter wurden von den christlichen Bekehrern zu Unholden
(bösen Dämonen), zu Teufeln und Hexen herabgesetzt. Wenn es nun
noch jetzt in Luzern heisst, dass der Teufel den Hexen unter Haselstauden
begegne (Schweiz. Idiotikon II, 1675) und im Oldenburgischen, dass der
Teufel alle Bäume einmal in Haseln verwandeln werde (Strackerjan,
Aberglauben und Sagen aus Oldenburg, § 349), so hört man darin die
Nachklänge vou dem Glauben 1. au den Verkehr des Heidengottes mit
seinen Priesterinnen im Haselbusch, und 2. des Glaubens alter verstockter
Heiden, ihr Gott werde einst seine Heiligtümer wieder aufrichten.
Leider sind wir bei der Forschung in unsern Altertümern mehr als
gut auf Tradition verwiesen, auf von alters überlieferte, von Geschlecht
zu Geschlecht vererbte und natürlich oft entstellte Zeugnisse. Lassen sich
dieselben aber auf gesicherten Grund zurückführen, so dürfen sie ver-
wertet werden. So steht es auch mit dem folgenden.
Zweige oder Stauden der Hasel waren wie der ganze in kräftigen
Stämmchen aufschiessende, beim Nahen des Lenzes blühende Strauch
gottgeweiht und im Kultus verwendet. So als Opfergaben. In den
Schweizer Urkautonen glaubt man, wenn ein Kranker für sein Weh in
die Kapelle von Bertischwil wallfahrte und dort einen Haselzweig opfere,
so werde er geheilt (Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten,
S. 255). Ferner: wer den einjährigen Schoss einer Haselstaude, der auch
anderwärts als besonders kräftig gilt, breche und hinter den Altar der
Bertischwiler Kapelle lege, wo ein alter Rosengarten (d. i. alter Kirchhof)
ist, der könne ganz besondere Gnaden von Gott für die Yerstorbenen er-
bitten (ebenda S. 371).
Dann bei alten Kultushandlungen. Bei dem uralten Frühlings-
feuerfest des Scheibenschlagens am Sonntag nach Fastnacht werden im
nördlichen Breisgau die glühenden Holzscheiben, die Symbole der wieder
aufwärts steigenden Sonne, mit Haselstecken geschlagen (Heilig in Ztschr.
d. Vereins f. Volkskunde IX, 350).
Zu dem am Karsamstag neu zu entzündenden Feuer, einem von der
Kirche angenommenen alten Brauche, nimmt man in Oberösterreich als
Weihholz vorzüglich Holzstücke der Hasel (A. Baumgarten, Aus der
Heimat 1, 135).
In den Umzügen zu alten Festzeiten des Jahres leben verkümmerte
Ueste heidnischer Kultprozessionen fort. Nicht selten finden wir dabei
Über die Bedeutung des Haselstrauchs.
3
Haselstäbe getragen. Haselgerten werden in Holzheim in Schwaben von
den neun Knaben geführt, die an den drei Sonntagen 'vor Pfingsten unter
Hersagung eines Spruches von Haus zu Haus gehen (Panzer 2, 85). In
den Orten um Gmünd trägt zur Fastnacht der in Stroh gehüllte Butzeninann
eine Haselrute in der Hand (Birlinger, Volkstümliches aus Schwaben 2, 23).
Bei der Kirchweih zu Altenmuhr in Mittelfranken am ersten Sonntag nach
Jakobi geht eine Haselrute yon Tänzer zu Tänzer. Wer dieselbe gerade
hat, während eine von der Tanzlinde hängende brennende Lunte herab-
fällt, bekommt einen der am Baum hängenden Preise (Panzer, Bayerische
Sagen und Bräuche 2, 243). Die Pranger- oder Reifstangen, die im Salz-
burgischen vom Juni bis zum Erntefest bei den feierlichen Umgängen um
Felder und Wiesen zu ihrem Gedeihen und Schutz getragen werden, be-
stehen aus einer geschälten Fichten- oder Tannenstange, um welche eine
Haselrinde herumläuft, in die abwechselnd Bergblumen und grüne Blätter
gebunden sind (M. Eysn in Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde X, 90).
Eine besondere Stärkung gewinnt die alte religiöse Bedeutung des
Haselstrauchs bei den Germanen aus einer altschwedischen Runenschrift
auf einem Grabsteine von Rök in Östergötland, der in den Anfang des
10. Jahrhunderts gesetzt wird, worauf die Worte y nd go an ar hçsli stehen,
die zu den Worten und jardar h o sin in einem Gedicht des isländischen
Skalden Hallvardr Háreksblesi um 1030 stimmen. Nach übereinstimmender
Deutung von Konrad Gislason und Sophus ßugge1) wird hier die Hasel
als Weltbaum bezeichnet an Stelle der gewohnten Esche.
Doch bedeutenderes noch lässt sich für die sakrale Bedeutung der
Hasel anführen. Ihre Stauden haben in den altgermanischen Gerichts-
versammlungen und in den Kampfordnuugen eine wichtige Ver-
wendung zur Umhegung des unter göttlichen Schutz gestellten Platzes,
auf dem das Recht, sei es durch Urteil, sei es durch die Waffen, gefunden
werden sollte. Der Gott über Kampf und Recht war bekanntlich in
ältester erkennbarer Zeit der allgebietende Himmelsgott Tius. Ihm muss
die Hasel ursprüglich geweiht gewesen sein; ihre Übertragung auf den
Donnergott Thonar-Thórr ist bei der Abzweigung eines besonderen Ge-
wittergottes und bei dem Zurücktreten des Tius geschehen.
Genaue Schilderungen der Haselung der Dingstatt bieten die alt-
nordischen Sagas. Die Egilssaga beschreibt Kap. 56, § 42 die Einrichtung
der Gerichtstätte auf der Insel Gula in Nordhçrdaland für den Rechts-
verband des Gulathing. Auf einem ebenen Felde (vçllr slettr) war ein
Kreis durch Haselstangen (heslistengr) abgesteckt, die von aussen mit
Schnuren umzogen waren, die man heilige Bänder (vébçnd) hiess. In diesem
Ringe sassen 36 Richter, 12 aus jedem der drei vereinigten Fylki (Land-
1) S. Bugge, Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensage,
•deutsch von Brenner. S. 530. München 1Ö&5).
4
Weinhold:
bezirke). Über dem ganzen Gerichtsfelde (pingvçllr) lag eine besondere
Heiligung (pinghelgi), die nacli der Grágás von dem Groden am Vorabend
darüber ausgesprochen ward. Besonders geheiligt war der abgegrenzte
Ring (pingmark), den die Haselstangen mit den heiligen Bändern um-
schlossen x).
Yon der Umhegung der Dingstätten durch Seile oder Schnuren und
Stangen oder Pfähle wissen wir auch aus Deutschland2), nur wird die
Hasel nicht ausdrücklich dabei genannt. Doch lieisst es in einer Züricher
Öffnung von 1412 (Schweiz. Idiotikon 2, 1675) und in dem Weistum von
Borsikon (Grimm, Weistiimer 1, 49): Gericht solle man unter der Hasel-
staude halten. Der Stab des Richters ferner, auf den die Eide abgelegt
wurden, war in alter Zeit eine Haselgerte, eine hasla, wie es in der lex
Ribuaria 67, 5 heisst. Ich trete wenigstens Heinr. Brunner (Deutsche
Rechtsgeschichte 2, 429) bei der Deutung der Worte der betreffenden
Stelle in circulo et in hasla (var. in collore) id est in ramo auf den
Ridring und den Stab des Richters durchaus bei.
Ein Rechtssymbol ist die Hasel in einer Aargauer Öffnung von 1456
(Schweiz. Idiotikon 2, 1675), wonach der Eigentümer eines vom Maier
gepfändeten Viehs, wenn derselbe es nicht um ein bescheidenes Lösegeld
freigeben will, es dadurch lösen darf, dass er einen einjährigen Hasel-
schoss in das Dach des Maierhauses steckt.3)
Der Zweikampf und noch mehr die Volksschlacht galten den Germanen
als eine religiöse, unter der Gegenwart des Kriegsgottes stehende und von
ihm geleitete Handlung, die mit Gelübde, Gebet und Opfer verbunden
war. Der angreifende Heerkönig wie der zum Zweikampf fordernde
Mann bestimmte die Stelle des Treffens und wie nordgermanische Quellen
aussagen, haselte der Forderer den Platz, d. h. liess ihn mit Haselstecken
marken. Darüber habe ich in meinen Beiträgen zu den deutschen Kriegs-
altertümern S. 9f. (Sitzungsberichte der Preuss. Akademie d. Wissensch.
1891, S. 551 f.) gehandelt.
Das liasla vçll ist bei grösseren Scharen dfer Kämpfer nicht buch-
stäblich zu nehmen, sondern bedeutet dann nur das Walfeld bestimmen.
Bei Zweikämpfen war es Brauch, den Platz mit drei Furchen zu umziehen
und in die vier Ecken je eine Stange (hçslur) zu stecken: patt er vçllr
hasladr, er svá er gert, dann ist das Feld gehaselt, wTenn so geschehen
ist, Kormakssaga c. 10.
1) Vgl. auch Konr. Maurer, Die Bekehrung des norwegischen Stammes, II, 219. —
Auf Island, wo keine Haselsträucher wachsen, ward das Wort beibehalten, die Hasel-
stangen aber durch andere Holzstäbe ersetzt.
2) J. Grimm, Rechtsaltertümer, S. 810 (4. Ausgabe, II, 434). Meine Beiträge zu den
deutschen Kriegsaltertümern, 11 f.
8) "Vgl. auch die von Brunner a. a. 0. Anm. 31 erwähnte Verwendung einer virga
corilina als festuca in einer französischen Urkunde von 868.
Uber die Bedeutung des Haselstrauchs.
Sicher als Zeugnis, dass dieses Haseln auch in Deutschland Brauch
gewesen ist, können wir die örtlich in Schwaben erhaltene Gewohnheit
anziehen, beim Wettringen (dem Hosenlupf) den Platz mit Haselgerten
abzustecken (Birlinger, Volkstümliches aus Schwaben, 2, 446). Eine Er-
innerung an die Haselung schwebte wohl auch Konrad von Regensburg,
dem Dichter der Kaiserchronik 7130 f. vor, als er nach der fabelhaften
Schlacht des Baiernherzogs Adelger gegen die Römer bei Brixen, in der
König Severus fällt, den siegreichen Herzog seinen Ger bei dem heslînen
brunnen als Marke der Eroberung in den Boden stossen lässt.
Dem grossen Himmelsgotte geweiht, der über den Segen und die
Wetter der Wolken, über Sturm und Streit unter den Menschen gebietet,
in seinem Kultus verwendet, müssen der Hasel ausgezeichnete wunderbare
Kräfte innewohnen. Der beim Nahen des Lenzes schon blühende, sommer-
verkündende, im Herbst fruchtreiche Strauch ward zum leitenden Mittel
des göttlichen Kraftstromes.
Schutz des Friedens und heiliger Ruhe haben wir bereits von ihr aus-
gehen sehen. Weiter verfolgen wir ihre Wirkungen in der Abwehr des
schädlichen und feindlichen, in der Erhaltung und Spendung des Heils.
Weit verbreitet im bajuwarischen Gebiete1) ist der Glaube, dass der
Blitz in keinen Haselnussstrauch schlage und dass die Haselzweige, be-
sonders die belaubten, das Haus, an das sie angesteckt sind, oder auch
'den Menschen, der sie an sich trägt, vor Blitzgefahr schützen. In dem
Palmbuschen ist der Stecken gewöhnlich ein geschälter Haselstab, geschält,
damit nicht die Hexen zwischen Rinde und Holz schliefen und die Kraft
des Holzes hemmen (Leoprechting 169). Er würde schon allein den Blitz
abwehren, ist aber durch die blühenden Weidenzweige und die anderen
kräftigen Zuthaten, die den priesterlichen Segen vor dem Altar am Palm-
sonntage erhielten, noch von Seite der Kirche gestärkt. Etwas von der
Hasel gehört nach herrschender Meinung neben der Weide durchaus in
den Palmbusch (Zeitschr. f. Volkskunde 8, 226). In Oberösterreich werden
in den Buschen drei Haselzweige im Dreieck eingebunden und in die
Mitte des Ganzen ein kleines, nur aus Haselzweiglein gemachtes Bund
gesteckt (Baumgarten 1, 135).
Aber nicht bloss der Palmbusch, auch die einzelnen belaubten Hasel-
zweige schützen gegen das Gewitter. Sie werden entweder in die Fenster-
gitter geflochten (Schönwerth, Aus der Oberpfalz 2, 118; Baumgarten 1,
135) oder zwischen die Dachbalken gelegt, ja es hilft schon, wenn man
drei Stifte aus Haselholz in das Gebälk schlägt (Panzer 2, 200).
Im Dorfe Oberinn im unteren Eisakthaie gegen den Ritten hinan
sammeln sie zu Mariae Heimsuchung (2. Juli) vor Sonnenaufgang Hasel-
1) Panzer 2, 200. Leoprechting, Aus dem Lechrain, S. 169. Baumgarten, Aus der
Heimat 1, 135. Zeitschrift d. Vereins f. Volkskunde 8, 226. Zingerle, Sitten, S. 63. Heyl,
Sagen aus Tirol, S. 793.
6
Weinhold:
zweige und bewahren sie im Hause, um es gegen den Tunder (Donner)
und bösen Zauber zu schützen (Heyl S. 793).
In der Oberpfalz soll der Haselstrauch als Gewitterschutz in den
Gärten der Bauernhöfe gepflanzt werden (Wuttke, Yolksaberglaube § 142).
Die Legende leitet die blitzableitende Eigenschaft der Hasel davon,
dass die h. Maria während eines Gewitters unter einem Haselstrauch
Schutz gefunden habe1). Örtlicher und unbestimmter geben die Ober-
inner dem Haselzweig jene Kraft, weil Maria einst über den Bergrücken
ob ihrem Dorfe, den Sam, gegangen und unter einem Haselstrauche ge-
rastet habe (Heyl 793). Aber die h. Maria vertritt hier nur einen Heiden-
gott, den germanischen Thonar, der nicht rastete und Zuflucht suchte,
sondern der seiner geweihten Staude auch im Donnerwetter Friede hält.
Wenn der Haselstab gegen das Wildfeuer, den Blitz, solche Kraft
hat, so ist seine Hilfe gegen gewöhnliches Feuer noch begreiflicher.
Ein Schweizer Feuersegen wird gesprochen, nachdem mit einem Hasel-
stocke ein Kreis gezogen und in denselben Kreuze und zwei Herzen ge-
zeichnet sind (Yernaleken, Alpensagen, 446). Im Badischen ist ein Hasel-
zweig ein wesentliches Stück in dem Kräuter- und Blumenbusch, der zu
Maria Himmelfahrt in den Kirchen geweiht wird und den Brand löscht:
die Feuersbrunst wie die Brand genannte hitzige Krankheit (E. H. Meyer,
Badisches Volksleben, S. 106).
Auch gegen den Wind schützt die Hasel. Die" Windsbraut kann
dem zum Rösten auf ein Linnen gestreuten Flachs nichts anhaben, wenn
das Leintuch mit drei oder sieben oder neun Haselzweigen ansperlt (an-
gepflockt) ist (Baumgarten 1, 40. 135).
Der Wind ist ein dämonisches Wesen, das der verschiedensten Ge-
staltung fähig ist. Die wilde oder Nachtjagd, die Teufelsjagd, wird durch
Haselzweige, die ins Kreuz gelegt uud dadurch für den Christenmenschen
verstärkt wurden, zur Umkehr gezwungen (Baumgarten 1, 136). In Gralu-
bünden und in Vorarlberg heisst es, ein Hasel- und ein Holunderzweig
kreuzweise gebunden schütze vor dem Wüetenheer .(Yonbun, Beiträge zur
deutschen Mythologie, S. 127, Chur 1862). Wenn unserem Strauche solche
Macht vor einer ganzen Schar von Dämonen beigemessen wird, darf man
sich nicht wundern, dass er überhaupt verdächtiger oder böser Geister
Herr wird.
Wer zur Nachtzeit an verrufene Orte gehen muss, nehme einen Hasel-
stab mit, denn er schützt nach bayerischer Meinung gegen alles Böse
(weil die Hasel von der Mutter Gottes begnadet wurde. Meine Zeitschr.2)
8, 396).
1) Baumgarten 1, 135. Leoprechting S. 98. Alpenburg, Mythen und Sagen aus Tirol,
S. 393.
2) Der Kürze wegen sei die von mir herausgegebene Zeitschrift des Yereins für Volks-
kunde so citiert.
Uber die Bedeutung des Haselstrauchs.
7
Mit Haselgerten trieben einmal zwei Priester den in der Mühlirnatte
zu Aarau umgehenden Geist von da auf den Galgenhubel am Rombach,
wohin sie ihn bannten (Rochholz, Schweizersagen aus dem Aargau 1,
Nr. 104). Auch die feurigen Männer werden durch Schläge mit der Hasel-
rute vertrieben oder ganz vernichtet (Schweiz. Idiotikon 2, 1676). Selbst
die Haselblüte verjagt den bösen Geist aus dem Behexten, wenn sie vor
Sonnenaufgang gesammelt ward. Nach Sonnenaufgang gepflückt, stärkt
sie die Hexerei (Bartsch, Sagen aus Mecklenburg 2, 37).
Verzauberungen werden durch die Hasel gelöst. Wird die zur
Schlange verwandelte weisse Frau mit einer einjährigen Haselgerte be-
rührt, so ist sie erlöst, die Wiege ihres Befreiers soll aus Haselholz ge-
macht sein1). So unscheinbar dieser Satz lautet, eine so alte mythische
Vorstellung liegt darin: die verwünschte weisse Frau ist die über den
Winter gefangene sommerliche Wolkengöttin, die durch das Frühlings-
gewitter befreit wird. Der Haselstab ist das Symbol des Blitzes: Stab,
Ger oder Speer sind allbekannte Waffen des Himmelsgottes.
In einer englischen, aus dem 17. Jahrhundert stammenden Anweisung
Feen zu fangen, werden die dreijährigen Haselruten zur Citation der Feen
verwendet (meine Zeitschr. 5, 26). Nach den Akten des Hexenprozesses
gegen windische Weiber aus Marburg a. d. Drau 1546 befreiten die
Schläge mit drei Haselgerten den durch Frauenhaare gefesselten Teufel
(meine Zeitschr. 7, 189).
In ganz anderem Sinne als in der Sage von der weissen Frau steht
die Haselrute den Schlangen gegenüber, in der wTeit verbreiteten
Meinung, dass sie das Gewürm abwehre und banne. Die Legende er-
zählt, dass ein Haselstrauch die h. Maria gegen eine aufspringende Schlange
schützte, als sie im Walde Erdbeeren für das Jesuskind pflückte. Zum
Dank habe die Jungfrau dem Strauche die Kraft verliehen, alles Volk
gegen Ottern und anderes kriechendes Gewürm zu behüten (Vonbun,
Volkssagen aus Vorarlberg, Wien 1847, S. 72). Die Legende ist natürlich
jünger als der Glaube an die Kraft der Hasel gegen Schlangen, die sie
erklären will.
Mit der einjährigen Haselgerte kann man die Schlangen in einen
damit gezogenen Kreis bannen, worin sie sterben müssen (W. Hertz, Die
Sage vom Giftmädchen, S. 17, Anm.), gleichwie Plinius (hist. nat. XXV,
55) berichtet, dass die Betonica Schlangen in einen damit gezogenen Kreis
bannen könne, worin sie sich selbst tot beissen. In Süddeutschland ist
verbreitet, dass drei Streiche mit der Haselrute, auch wohl einer, sofort die
Nattern töten (Zingerle, Sitten, S. 63; Baumgarten 1, 136); der Hasel-
1) Eine schlesische Sage in meiner Zeitschr. IV, 452, eine Gottscheer bei Häuften,
Gottschee 99, eine Tiroler (Sähen) hei Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols, S. 392.
2) Von hier in die Grimmschen Kinder- und Hausmärchen 2, 483 (1857) und in
andere Sammlungen übergegangen.
8
Weinhold:
schoss muss aber nach Schweizer Bericht dreijährig und ganz gerade sein
(Schweiz. Idiotikon 2, 1675).
In einem von Fr. Panzer (Bayer. Sagen und Bräuche 1, 191) mit-
geteilten Märchen schlägt der Frankfurter Kaufmannssohn den sieben-
köpfigen Drachen mit einer Haselgerte einen Kopf nach dem andern
dreimal ab. Der schwedische Aberglaube verfährt milder und lässt der
Schlange durch Berührung mit der Haselgerte nur das Gift nehmen
(Dybek Runa 1848, S. 38).
Wenn an die abwehrende und schützende Kraft der liasel gegen ge-
fährliche Wesen so fest geglaubt ward, lag die Ausdehnung auf ihre Macht
gegen drohenden Schaden überhaupt nahe. Die argen Yerwüstungen
des Wildes jagdlustiger Herren in den Saatfeldern der Bauern, wogegen
die Leibeigenen hilflos waren, konnten wohl ihre Gedanken auf mystische
Schutzmittel leiten, und so gab es in Pommern dieses Rezept: Brich am
Karfreitag vor Sonnenaufgang stillschweigend eine Rute vom Haselstrauch,
die in einem Jahre aufgeschossen ist. Mache davon einen Ring und lege
diesen um den Arm, mit welchem Du das Getraide aussäest, so wird das
Wild die Säten nicht berühren (U. Jahn, Hexenwesen und Zauberei in
Pommern. Stettin 1886, Nr. 729). Hiernach wird die frühere Umzäunung
der Felder mit Haselsträuchern wohl den Zweck des Schutzes gegen
schädigende Tiere gehabt haben; in Oberösterreich bestunden die Gehäge
der Feldmarken grösstenteils aus Haselstauden, jetzt sind sie ausgerottet
(Baumgarten 1, 135). Im Berner Oberland machte man die Hage eben-
falls aus Haselsträuchern (Schweiz. Idiotikon 2, 1676). Salis-Seewis und
Matthisson gedenken der Haselhecken und -Zäune in ihren Gedichten
(Grimm, D. Wörterb. 2, 531. 534).
Fremdes Yieli darf man in der Schweiz nicht mit jedem Stecken,
sondern nur mit einjährigem Haselschoss aus seinem Felde treiben (Schweiz.
Idiotikon 2, 1675). Die beim Gericht verwendete Hasel bezeugt das Recht
des Eigentümers, seinen Besitz zu schützen. Rein aus der schützenden
und, wie wir sehen werden, segnenden Kraft der Hasel ist abzuleiten, dass
der Hirtenstab von Haselliolz sein muss. Er darf nie leichtsinnig weg-
geworfen werden, sondern der Hirt muss, wenn er einen neuen nehmen
will, den alten in drei Stücke zerbrechen (Wuttke, A7olksaberglaube, § 684).
In jedem oberösterreichischen Stall steckt ein Haselzweig, damit Glück
und Segen drin bleibe (Baumgarten 1, 135). Drei Kreuze, aus sechs
Haselzweigen gemacht, legt man, ehe das Einführen des Ariehes von der
Weide in den Stall beginnt, auf den Boden jedes Barn. Ebendort schneidet
man das innere, nur aus Haselzweigen bestehende Büschel im grossen
Palmbuschen nach der Segnung ganz klein und giebt es dem Yieh zwischen
zwei Broten, oder bäckt es in die „Yiehstöri".
Mischt man den Kühen gedörrte männliche Hasenkätzchen unter das
Salz, so geben sie reichlich Milch (Schweiz. Idiotikon 2, 1676). Wenn es
Über die Bedeutung des Haselstrauchs.
9
„im Stall fehlt", d. h. wenn die Kühe zu wenig Milch geben, peitscht man
im Lechrain die siedende Milch mit zwei einjährigen Haselruten, die am
Palmsonntag geweiht wurden (Leoprecliting S. 31). Ebenso heisst es in
einer Schweizer litterarischen Quelle von 1646: „So etwan einer Kuh der
Anken wird entwandt, da ist die gemeine Weis der Sennen und Vieh-
bauren, dass sie drei Haselschoss vor Sonnenaufgang brechen. Danach
die neue Milch zum Feuer wird gesetzt und mit dem Haselholz ge-
schwungen und verletzt, der Hexin weh zu tliun, dass sich der Zauber
löset'' (Schweiz. Idiotikon 2, 1676). Noch jetzt ist L uzerner Brauch, den
Rahm, wenn er nicht buttern will, mit drei Haselzweigen zu schlagen
(ebenda).
Im Lechrain streicht man der Kuh beim ersten Austrieb im Frühjahr
mit einem Haselstecken über den Rücken, in der Meinung, damit fremden
Kühen zu Gunsten der seinen die Milch zu nehmen (Leoprecliting S. 170).
Hier ist der alte segnende und weihende Hirtenbrauch, das Vieh beim
ersten Austrieb im Lenz mit dem Stabe zu berühren, zum neidischen
Hexenbrauch entartetx).
Auch auf die Rosse wirkt das wundersame Holz. Im Kanton Bern
hieb man an einem heiligen Sonntag während dem Kirchengeläute rück-
wärts gewandt einen Haselstock in den heiligen drei Namen aus dem Hag,
um den Hafer der Pferde damit umzurühren (Schweiz. Idiotikon 2, 1676).
Nimm von Haselstauden die Kätzchen, gieb sie dem Rosse mit dem Futter,
so wird es fest und mutig (Bartsch, Mecklenb. Sagen 2, 154), lautet ein
Mecklenburger Rezept.
Auch das Gretr ei de in der Scheune steht unter dem segnenden
Einflüsse des Strauches. In Ostpreussen schneidet man im Frühling einen,
grünen Haselstock und beim ersten Gewitter macht man damit über jeden
Getreidehaufen ein Kreuz, dann halten sich die Körner jahrelang unver-
dorben (Wuttke § 662). Die uralte Beziehung der Hasel zum Gewitter
tritt hier wieder hervor.
In den Weingegenden der Schweiz braucht man die Haselgerte auch
zur Frischhaltung des Weins im Fasse (Schweiz. Idiotikon 2, 1676).
So ist es wohl verständlich, dass die W irtschafts- und Stallgeräte mit
Vorliebe aus Haselholz gefertigt wurden, wie in Oberösterreich bis in
neue Zeit geschah (Baumgarten 1, 135).
Nicht minder begreiflich ist die Heilkraft, welche die Hasel bei Ge-•
brechen, Krankheiten und Wunden des menschlichen Leibes entwickelt2).
Will man das Fieber los werden, so kaufe man einen Haselstock
1) Im südslavischen Bienenzauber wird der Haselzweig verwendet, um fremden Bienen
den Honig zu nehmen und sie zu töten. Fr. S. Krauss im Urquell 3, 96 (1892).
2) Ganz vereinzelt und allem sonst von der Hasel gerühmten Guten gegenüber steht
die Mitteilung aus Wälschnoven (Heyl, Volkssagen aus Tirol, S. 7P5), dass durch Hasel-
und Eschenholz alles schwinde, was damit in Berührung komme.
10
Weinholcl :
ohne zu handeln, oder breche ihn vor Sonnenaufgang im Walde, gehe mit
ihm in die Kirche und lege ihn in eine Ecke, bete drei Vaterunser und
Avemaria und gehe fort. Wer den Stab an sich nimmt, bekommt das
Fieber und wird es nur los, wenn er den Stab in drei Stücke bricht und
verbrennt (Grohmann, Aberglaube aus Böhmen, Nr. 1171; Wuttke § 483).
Unter den neun vor Tagesanbruch geschnittenen Hölzern, die man
gegen das Schwinden oder Abmagern in einem Säckchen bei sich trägt,
darf Haselholz nicht fehlen (Yonbun, Beiträge zur Mythologie, 1*26).
Wer eine Haselgerte bei sich hat, ist schwindelfrei (Grohmann 695).
In der Nacht auf Peter Paul (29. Juni) schneidet man in Mecklen-
burg stillschweigend Haselruten und zwar von unten nach oben. Hat nun
jemand eine Schnittwunde, so betupft man die Iluten mit dem Blute, um-
wickelt sie mit einem Lappen von einem Mannshemde und trägt sie an
seinem Leibe bis zur Heilung der richtig verbundenen Wunde des Ver-
letzten. Legt man sie früher ab, so bricht die Wunde wieder auf (Bartsch,
Sagen, 2, 293. 371). Eine Wunde im Bein durch einen Beilhieb geschlagen,
hört durch Bestreichen mit dem kleinen Stück eines Haselzweiges sofort
zu bluten auf und heilt gut (Strackerjan, Aberglaube aus Oldenburg, 1, 80).
Nicht bloss Heilung bringt der wundersame Strauch; auch zu dem
Leben selbst, zu Liebe und Fruchtbarkeit steht er in enger Beziehung.
Als aphrodisiacuin dient Haselholzrinde in einem Rezept aus dem 15. Jahrb.
(Weimar. Hs. O. 565, Bl. 451): Wenn einer nit mynnen mag, item wenn
ein fraw einem thet, das er nicht möcht mynnen, der nem jung hasel-
staudenrinden, da sich ein ast an den andern reicht; dieselben rinden nym
und premi sie zu pulver. dasselb pulver nym und trincks in wasser etlich
tag wenn du wilt, so schaffstu mit einer frawen nach deinem willen.
Das Mittel hilft also nicht bloss gegen gewöhnliche Impotenz, sondern
bricht auch den Zauber, der sie erzeugt hat.
Aus dem Blühen der Hasel im Vorfrühling deutet man grosse oder
geringe Fruchtbarkeit des Jahres (Schweiz. Idiotikon 2, 1676). Viel Hasel-
nüsse, viel Kinder und besonders viel uneheliche (Baumgarten 1, 136.
Grohmann, Aberglauben, 100). Der Westfale sagt: Wann et viel Núete
gíet, dan gíet et òk viel Heâurenblâgen (Woeste in Zs. f. Mythol. 2, 96).
In der Mettennacht (Christnacht) werden heiratshalber die Haselstauden
geschüttelt (Baumgarten 1, 136).
Ein alter westfälischer Bauer erzählte von seiner Freite, dass er lauge
nicht zu Strich (tò Sträike) kommen konnte, bis er die Dierne, die er gut
leiden mochte, unter einem Haselstrauch traf. Da hatte er sofort das
Jawort (Kuhn, Westfäl. Sagen, 2, 45). Ein westfälisches Liedchen lautet:
Ainen Busk met Haselnúeten stäit an úesem Deïke; bai de Docliter friggen
well, maut de Meaner streiken (ebenda). In die Haselnüsse gehen,
1) Mitgeteilt von Dr. R. Petsch.
Über die Bedeutung des Haselstrauchs.
11
bedeutet in volksmässigen Liedchenx) das, was unsere mittelalterlichen
Lyriker bluomen (ròsen) an der lieide brechen gân nennen. Ein Lied
bei Herder (Volkslieder 1, 109. Leipzig 1778) beginnt: „Es wollt ein
Mädchen Rosen brechen gehn | Wohl in die grüne Heide. \ 2) Was fand
sie da am Wege stehn? | Ein Hasel die was grüne."
Die westfälische Redensart: die Krähe bringt mir eine Nuss (Woeste
in Zs. f. Myth. 2, 96) bedeutet: ich bekomme einen Mann, und steht zu
dem eben Ausgeführten in enger Beziehung, während das uralte, weitver-
breitete Bewerfen und Beschütten der Braut mit Getreide- und Frucht-
kernen, auch Nüssen, nur die Übertragung der Fruchtbarkeit auf sie
bedeutet (Meine Deutschen Frauen im Ma. I3, 382), und die Haselnuss
hier keinen eigenen Sinn hat.
Durch keine andere Verwendung ist die Haselgerte so volkstümlich
geworden, denn als Wünschelrute3), d. i. als Quellen- und Schatz-
finderin. Es wäre nur Wiederholung des längst über die Wünschelrute
Geschriebenen, wollte ich mich hier ausführlich über sie verbreiten.4)
Für uns ist das wichtigste, dass die beste Wünschelrute nach deutschem
Volksglauben vom Haselstrauch, namentlich der Weisshasel zu heiliger
Zeit (Dreikönig, Fastnacht, Karfreitagnacht, Johannisnacht, Mariae Heim-
suchung) unter besonderen Gebräuchen und Sprüchen geschnitten wird.5)
Sie ist gewöhnlich ein sich oben gabelnder zwieselichter Zweig, seltener
ein einfacher kurzer Stab; der einjährige junge Schoss ist auch hierzu am
tauglichsten.
Zwei W'erte sucht und findet sie: Wasser und Gold, beides hängt eno-
zusammen, denn die Haselzwiesel ist das irdische Bild des himmlischen
zackichten Blitzes, der das Wasser der Wolken und damit auch der Erde
weckt, und in dem und durch den das goldene Gewitterfeuer flammt, das
als Gold in die Erde aufgenommen, durch das Blitzsymbol wieder ent-
deckt wird.
1) Mannhardt in der Zeitschrift f. d. Mythologie 3, 97 f., wo allerlei durcheinander
gemischt wird.
2) Besser ist der Anfang in Wolfg. Schmeltzls Quodlibet v. 1544: Es wollt ein Magd
zum Tantze gan, Sucht Rosen auf der Heide.
3) Franz baguette divinatoire, engl, forked divined rod. In Oberösterreich und Tirol
auch Zeigrute genannt: Alpenburg, Sagen, 393. Baumgarten 1, loo. Zeitschr. f österr.
Volkskunde 2, 158.
4) Vgl. namentlich W. Schwartz in meiner Zeitschr. 2, 67—78.
5) Wuttke, Aberglaube, § 143. U. Jahn, Hexenwesen in Pommern, S. 147. Anzeiger
f. Kunde deutscher Vorzeit 1873, S. 228. Lommer, Aus dem Saalthal 19—21 (Kahla 1885).
E. Meier, Schwab. Sagen, 244. Panzer 2, 296. Leoprechting 98. Alpenburg 393. Vonbun,
Beiträge, 127. Schweizer. Archiv f. Volkskunde 3, 1/4. Seiler, Basler Mundart, S. 1G3.
_ Andr. (iryph. Leo Armenius IV, 2: Die Ruthe die ich nechst als zwischen Tag und
Nacht I Die gleiche Sonnen stund, aus vielen Haseist räuchern | Mit schwerer Müh erkor.
_ Sam. Butschky, Wohlbebauter Rosenthal, Nürnberg 1679, S. 728—31. S. Butschky,
Hochteutsche Cancelley, Bresslau 1666, S. 3181.
12
Weinhold:
Für die Gerte ist der ganze Strauch gesetzt, wenn nach ucker-
märkischer Sage unter einem Haselstrauche am Wellberge bei Blanken-
burg der Eingang zu dem im Berge verborgenen Schatz sein soll (Kuhn
und Schwartz, Nordd. Sagen, No. 84), oder nach badischer Sage an einer
Haselstaude die Schlüssel zu dem versunkenen Schloss von Burgstadel
hangen (Baader, Volkss. a. Baden, No. 186).
An Stelle des Schatzes erscheint die gleichbedeutende Glücksblume
in einer Salzburger Sage (Yernaleken, Alpensagen, S. 156), wonach eine
Gerte, von einem neunsprossigen Haselstrauch in der Neujahrsnacht ge-
schnitten, in der Walpurgisnacht zu der Glücksblume auf dem hohen
Göll weist.
Unter alten grossen Haselsträuchen wohnen geheimnisvolle AVesen,
der Haselwurm und die Alraune.
Der Glaube an den Hasel wurm lebt besonders in Tirol.1) Er wird
meist als weisse Schlange gedacht, zuweilen dick wie ein Wickelkind, oft
auch als solches erscheinend, zuweilen auch buntglänzend. Wem es glückt
einen Haselwurm zu fangen und der ein Stück von ihm isst, versteht die
Sprache der Yögel und Tiere, der Kräuter und Blumen, kann sich un-
sichtbar machen, sieht alle verborgenen Schätze und wird unermesslich
reich. Aber es gelingt wenigen ihn zu fangen. Schon dass er nur unter
Haseln wohnt, auf denen eine Mistel wächst, beweist seine Seltenheit.2)
Übrigens sei bemerkt, dass auch die Serben nach Afanassjew glauben,
unter einer Hasel, worauf eiue Mistel wächst, wohne stets eine Schlange
mit einem Edelstein auf dem Kopfe (Fr. Th. Koppen, Geograph. Verbreit,
d. Holzgewächse des europ. Russlands und des Kaukasus. St. Petersburg
1888. 1, 662).
In den Schweizer Urkantonen sind die Alraunen an Stelle der Hasel-
würmer getreten, teuflische Wesen in Kindsgestalt, oft einem Fisch ähnelnd,
die ihrem Besitzer das Geld vermehren; aber der dritte, der sie hat, ver-
fällt dem Teufel (Lütolf, Sagen der fünf Orte, S. 192). Auch hier ist die
Mistel auf weisser Haselstaude das Anzeichen für.» den Fund (Schweiz.
Idiotikon 1, 174. 2, 1676).
Ehe wir uns zu der Haselstaude als Zaubermittel wenden, sei noch
ihrer weissagenden Kraft gedacht, die übrigens schon in der Weisung
von Quellen und Schätzen sich äussert.
1) Alpenburg, Mythen, 378. Ztschr. f. österr. Volkskunde 2, 158. — Leoprechting 98
sagt nur, dass unter ganz alten zu Bäumen gewordenen Haselstauden die seltenen weissen
Schlangen Avohnen, die ihren König in der Mitte haben.
2) Nach gütiger Mitteilung Herrn Prof. Englers haben weder er noch Prof. Ascherson
je die Mistel auf der Hasel gesehen. E. Holtz, Über die Flora Südrusslands (Mitteil. d.
naturwiss. Vereins f. Neu-Vorpommern, 1863/64, S. 82—97), fand im Kreise Umea die
Mistel als grosse Waldplage, sah aber nur auf einer einzigen Hasel die Mistel. C. G.
Hagen, Chloris borussica 1829, S. 389, giebt die Mistel auf Corylus an, aber ohne Fundort.
Uber die Bedeutung des Haselstrauchs.
13
Nach den Prozessakten einer 1587 angeklagten Mecklenburgerin,
Gerdrut Schwarte, brauchte dieselbe zwei Haselruten, um bei den Kranken
zu erkunden, ob es eine böse oder eine gute Stunde sei (Bartsch, Meckl.
Sagen, 2, 33). Ein wegen Zauberei eingezogener Mecklenburger bekannte
1586, dass man erfahren könne, ob ein Mädchen noch Jungfer sei, wenn
man einen mit Hasenblut bestrichenen Haselstock ihm vor die Füsse
werfe. Dann mtisste sich derselbe emporrichten, wo es unehrlich wäre
(ebenda 32).
W enn man von einer Haselstaude einen sich gabelnden Zweig nachts,
während es zwölfe schlägt, abschneidet und denselben zwischen 12—1 auf
drei Streiche in eine angebohrte Birke treibt, so kann man nach Allgäuer
Meinung herausbringen, ob man eine gute Ehe haben werde oder nicht
(Reiser, Sagen, Gebräuche u. Sprichwörter des Allgäus, II, 434).
Nach norwegischem Aberglauben bedeuten rote Blüten an den Hasel-
sträuchern Krieg (Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 329).
Eine alte irische Sage sei hier angefügt. Sinned, die Tochter von
Lodan Lucharglan, dem Sohne von Ler, aus dem Lande der Yerheissuno-
ging zu Connlas Quelle, die unter dem Meere ist, um sie zu sehen. An
dieser Quelle stehen die Haselstauden der Weisheit (Wissenschaft) und
der Begeisterung (Poesie). In der gleichen Stunde brechen an ihnen
Früchte, Blüten und Blätter hervor, und dann fallen zugleich Regenschauer
auf die Quelle und eine purpurne Woge erhebt sich. Sinned ging die
Haselstaude der Begeisterung suchen, aber die Quelle überdeckte sie, und
als Sinned ans Land wieder gekommen war, starb sie. (The Voyage of
Bran at the land of the Living, edit, by Kuno Meyer I, 214. London 1895.)
Als voraussichtige Warnerin vor leichtsinniger Hingabe erscheint Frau
Hasel in dem verbreiteten alten Yolksliede1) vom Mädchen und der Hasel.
Sie mahnt die zum Tanz oder zum Buhlen gehende Magd, ihre Ehre zu
hüten; nach den meisten Texten kommt die Warnung zu spät.
Auch das alte Lied vom Ulinger kennt die Hasel, welche das vom
mordlustigen Liebsten in den Wald entführte Mädchen geheimnisvoll warnt.
In den Texten der Gruppe, welche den Mordplan durch die rettenden
Brüder vereiteln lässt, ist eine Turteltaube der Hasel beigegeben.2) In
1) Uliland, Alte Volkslieder, No. 25. Herder, Volkslieder, 1, 109 (1778). Erk-Böhme
Liederhort, No. 174 a—i. Hoffmann u. Richter, Schles. Volkslieder, No. .100-102. Meinert,
Volkslieder a. d. Kuhländchen, S. 29—81. in dem Text von der Saar (Köhler-J.Meier,
Volkslieder, No. 7, dazu S. 3t>9), in dem oberhessischen (Bockel No. 12) und dem Nassauer,
Text (Wolfram No. 59) hat d^r Lorbeerbaum die ilasei verdrängt! in dem Liede aus
Nordfranken (Schleicher, Vo'lkstüml. aus Sonneberg, S. 113) der Sadelbaum.
2) Erk-Böhme, Liederhort, No. 4!, a—e. g i. Das Gottscheer Lied bei A. Hauffen
Gottschee, No. 70 kennt nur die Taube ohne Hasel, 70b nur die sich verneigende Hasel,
70 a Taube und Tanne (statt der Hasel).
14
Wcinhold:
der zweiten Gruppe mit tragischem Ausgange ward der alte Zug vergessen;
in No. 42b bei Erk-Böhme heisst es nur: sie gingen miteinander fort, sie
kamen an eine Hasel dort.
Die ältesten Zeugnisse für die Hasel als Zaubermittel bietet die
norwegisch-isländische Sitte des tré nid, d. i. der Errichtung einer Schimpf-
stange (nidstong), die zur Verhöhnung und Schädigung eines Feindes auf-
gesteckt ward. Man nahm eine Haselstaude (heslistong)1), schnitt ein
Spottbild des Gegners hinein samt der Schadeformel (nid), steckte auch
zuweilen noch einen Rossschädel darauf und richtete die Stange nach der
Gegend des Feindes. So that Egill Skallagrims Sohn, als er Norwegen
geächtet verlassen musste, gegen König Erich Blutaxt und dessen Gemahlin
Gunnhild. Er sprach dabei diesen Spruch (formali): „Hier stelle ich auf
die Schimpfstange und wende diesen Holm gegen König Erich und die
Königin Gunnhild"; dabei drehte er die Stange landeinwärts; „ich wende
diesen Schimpf gegen die Landgeister, welche dieses Land bewohnen, so
dass alle wild herumfahren sollen und keiner das Seine finde, bis sie
nicht den König und die Königin aus dem Laude getrieben haben!"
Dann kehrte er auch den Pferdeschädel in das Land hin und ritzte die
Runen des Spruchs in die Stange (Egilssaga c. 57, § 55f.).2)
Das früher besprochene Umhasein eines Kampfplatzes findet einiger-
massen Entsprechendes in der Umhaselung eines Ortes zum Zauberschutze
gegen Feinde. Yon einem voigtländischen Schnapphahn aus der Zeit des
dreissigjährigen Krieges, namens Kresse, wird erzählt, derselbe habe einmal
das Dorf Staiz, als feindlich Volk anzog, mit Haselruten umsteckt, welche
jenes für lauter Musketiere ansah und deshalb stille abzog. Wenn auf
Kresse geschossen wurde, fing er die kleinen Kugeln in seinen Hemd-
ärmeln auf, die grösseren wehrte er mit einer Haselgerte von sich ab
(E. Köhler, Volksbrauch im Voigtlande. Leipzig 18G7, S. 549). Hier ist
jüngerer Gaukel- und Zauberspuk auf die uralte Grundlage heidnischer
Sitte getragen, durch Umfriedung eines Ortes mit der Hasel denselben
unter den Schutz des Kriegsgottes zu stellen.
Uralt ist auch der Regenzauber, der bei grosser und langer Dürre
mit einer Rute oder einem Stabe vollzogen wird, die man in ein Wasser
schlägt. Sofort steigen Wolken auf und entladen sich (meine Abhandlung
zur Geschichte des heidnischen Ritus, S. 23: Abhandlungend. Berlin Akad.
der Wissenschaften 1896). Dass dabei die Haselrute gebraucht wurde,
lässt sich an sich vermuten, ist aber aus der Schweiz durch Hexenprozess-
akten von 1625 belegt, wonach der Teufel einer Hexe einen Haselstab
überreichte, den sie in fliessendes Wasser schlagen musste, worauf ein
Platzregen niederging (Schweiz. Idiotikon 2, 1675).
1) Auf island musste ein anderes Holz die Hasel vortreten.
*2) Vgl. Finnar Jonssons Anmcrk. in seiner Ausgabe und namentlich Konr. Aiauier.
Bekehrung, 2, 64 f.
Über die Bedeutung des Haselstrauchs.
15
Die Haselgerte ist auch der Zauberstab bei wunderbaren Arbeiten.
Im Dallenwyl, im Hofe genannt die Tablete, stellte sich zur Zeit des
Heuens ein Bergmännchen (Zwerg) ein, das ganz vorzügliche Hilfe leistete,
wenn Regen oder Gewitter das Heu zu verderben drohte. Dann nahm es
zwei Haselzwicken (Zwieselruten), stellte »ich in die Grasmaht und schlug
gewaltig um sich, worauf das Heu vom Boden sich erhub, aufwirbelnd
nach dem Gaden sich hinbewegte und zu allen Öffnungen desselben hinein-
flog, während das Mandli fortwährend gegen das einfliegende Heu stark
losschlug (Liitolf, Sagen aus den fünf Orten, 489). Ganz dasselbe wird
von einem Knecht erzählt, der im Grosshaus zu Gurtnellen diente und die
schwersten Arbeiten spielend verrichtete. Gleich dem Bergmännlein auf
der Tableten jagte er mit einer Haselrute bei drohendem Regen das ganze
draussen liegende Heu in den Gaden hinein (ebenda 245).
Bei dem Zauber, einen Dieb zu zwingen, das Gestohlene zurückzu-
bringen, fehlt die Hasel nicht. Aus dem 17. Jahrhundert (1674) berichten
Schweizer Akten (Schweiz. Idiotikon 2, 1676), dass manche ein Feuer aus
lauter häslenem Holz aumachen, darüber ein Gefäss mit Wasser stellen,
drei Eier von einer ganz schwarzen Henne hineinwerfen und das siedende
Wasser schlagen. Die Schläge treffen den Dieb, der nun schleunigst das
Gestohlene an seinen Ort zurückbringt.
Ebenso wirkt die Haselrute nach böhmischem Aberglauben (Grohmann
]STr. 975) züchtigend in die Ferne, wenn eine Kuh verhext ist. Man kocht
die Milch, legt einige Schwanzhaare der Kuh hinein und peitscht den Sud
mit einer frischen einjährigen Haselgerte. Alsbald kommt die Hexe ver-
brüht und mit blauen Striemen am Leibe und bittet ihr ein Brot zu
borgen. Wird es verweigert, so muss sie sterben.
Nach Thüringer Meinung kann man verhexte Menschen oder Tiere
heilen, wenn man mit einem am Karfreitage oder einem goldenen Sonntage
vor Sonnenaufgang vom Haselstrauch geschnittenen Stecken, den man
schweigend bis zum Gebrauch verborgen hielt, dreimal um den leidenden
Menschen oder das Vieh in den drei höchsten Namen herumgeht, dann
seinen Hut abnimmt und auf diesen losprügelt. Dadurch werden die
Unholden getroffen und lassen den Menschen oder das Tier frei (Witzschel,
Sagen und Gebräuche aus Thüringen, 2, 274, No. 77).
Der Aberglaube ist weit verbreitet, dass man einen Entfernten durch-
prügeln könne, wenn man auf ein Kleidungsstück oder einen Lappen,
indem man an den Gemeinten denkt oder seinen Namen nennt, mit einer
einjährigen Haselgerte schlägt. Dieselbe muss, indem man nach Osten
schaut und die drei höchsten Namen bei den drei Schnitten nennt, zu
bestimmten Zeiten geschnitten werden: am Karfreitag vor Sonnenaufgang
(E. Meier, Sagen aus Schwaben, S. 245), in der Johannisnacht (Wuttke
§ 398), am Neumond, der auf einen Dienstag fällt (Rochholz, Aar-
gauer Besegnungen in der Zeitschrift für deutsche Mythologie 4, 124 [mit
16
von Negelein:
Spruch]. Schönwerth, Aus der Oberpfalz, 3, 201. Kulm, Westfälische
Sagen, 2, 192).1)
Wunderlich, aus dickem Aberglauben hervorgekommen, mit sehr altem
Staube bedeckt und dadurch verkrüppelt und entstellt, erscheint das meiste,
das sieh in der Volksmeinung und Überlieferung an den schönen Hasel-
strauch haftet. Aber wir können den Staub wegfegen und das Entstellte
mehr oder minder auf das Ursprüngliche zurückbringen. Wir sind von
der nachweislichen Verwendung der Hasel im altgermanischen Kultus aus-
gegangen. Sie diente darin als heiliges Werkzeug, denn sie war ein
heiliges Symbol. Der Haselstab galt als Waffe des Himmelgottes, und so
wohnte eine heilige Kraft in ihm, die zum Nutzen der Menschen nach
den verschiedensten Richtungen ausströmte.
Das Wort Hasel, ahd. hasala, das mit zufälliger Ausnahme des Gotischen,
allen germanischen Dialekten gehört, entspricht dem lateinischen corylus
und wohl auch dem altirischen coli (aus cosi). Die Bedeutung des zu
Grunde liegenden Stammes ist noch nicht festgestellt.
Die Heise der Seele ins Jenseits.
Von Julius von Negelein.
I. Abreise der Seele.
Während im allgemeinen die geistige Entwicklung der Völker eine
stete Ideen Veränderung zu Gunsten eines intellectuellen Fortschritts er-
kennen lässt, zeigt sich auf dem Gebiete des Seelenglaubens ein anderes
Phänomen. Die Quellen, aus denen er seit Urzeiten fliesst, weisen mit zu
unerbittlicher Notwendigkeit auf die Rückkehr zu denselben Ausgangs-
punkten hin, als dass eine derselben jemals für uns zu versiechen beginnen
könnte. Stets wird die Furcht vor dem Toten mit der Liebe zu dem
Toten, die Hoffnung, ihn in einer anderen Welt wiederzusehen, mit der
schauerlichen Gewissheit seines Befangenseius von einer undurchbrech-
lichen Grabesruhe streiten. So muss jeder einzelne Todesfall dem gegen
die Eindrücke des Naturlebens noch unabgestumpften Sinne des gesund
empfindenden Menschen ein reiches Feld widerstrebenden Fühlens, Denkens
1) Vgl. auch Baumgarten, Aus der Heimat, 1, 136. 2, 14. In Bayern wird statt des
Haselstecken eine Wacholdergerte in gleicher Art zum selben Zwecke gebraucht: Höfler,
Wald- und Baumkult, S. 110.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
IT
und Handelns werden, stets aber werden die Motive der in der Geschichte
der Völker und Zeiten sich so überaus mannigfaltig darstellenden Er-
scheinungen des Seelenglaubens sich als dieselben überall notwendigen
und dcöüalb liberali vorhandenen erweisen. Die überraschende Gleichheit
»1er hierher gehörigen Sitten und Gebräuche auf den verschiedenen Zonen
des Erdballs entspringt den naturgesetzlich notwendigen psychischen Keak-
tionen auf die immer gleichbleibenden Erscheinungen von Tod und Sterben.
Nicht die einzelne Rasse, nicht der einzelne Stamm hat den Glauben er-
funden, dass der Tote vielleicht noch der Speise bedürftig sei — nein,
jeder einzelne Todesfall erschafft diese Vorstellung von neuem. Deshalb
ist es unmöglich, eine Geschichte des Seelenglaubens unter Zugrunde-
legung der landesüblichen Stammeseinteilungen zu schreiben. Nicht die
Kasse, sondern das psychologische Motiv in seiner räumlichen und zeit-
lichen Begrenztheit kann hier die Einheit sein. Nie muss die Philologie
strenger naturwissenschaftlich verfahren, als da, wo sie eine Analysis der
Seelenvorstellungen zu liefern versucht.
Die folgende Darstellung geht von der Überzeugung aus, dass die
Paradoxie zwischen der handgreiflichen Thatsache, dass der Tote als ein
noch mit eventuellem Eeben begabtes Wesen aufzufassen sei, und der
verhältnismässig modernen Lehre von dem völligen Verlust des Geistes
unmittelbar nach Eintritt des Todes, das menschliche Gemüt stets überall
zunächst zu dem Glauben getrieben hat, der regungslose Körper bewahre
noch latent die ihn noch vor kurzem offensichtlich belebende Seele. Wir
wollen dabei grundsätzlich auf alle Spekulationen verzichten,'ja uns selbst
der Betonung der Analogie zwischen Schlaf und Tod enthalten1), vielmehr
lediglich aus zahlenmässigem Material, das sich natürlich bis ins Unend-
liche vermehren liesse, den Nachweis versuchen, dass die Seele „auch
nach dem Tode noch in Verbindung mit dem Körper"2) stehe, dass sie
sich „zunächst, doch auf sehr verschieden bemessene Zeit, noch in der
Nähe des Körpers aufhalte"8) und dass dem letzteren so lange, als er noch
nicht verwest ist, ein potenzielles Leben zugeschrieben wird, das um so
lebhafter ventiliert wird, je weniger der Leichenverfall fortgeschritten
ist4). Die Stationen des zunehmenden Verwesungsprozesses gelten in dem
schematisierenden Aberglauben der Völker gewissermassen an gewisse
Tage geknüpft, die jene markieren sollen; vor allem gilt dies von dem
1) Am besten zeigt wohl Caspari, Urgeschichte der Menschheit I, 96, „wie der
früheste Mensch mit kindlich naiver Anschauung die Leichen als in tiefem, lang an-
haltendem Schlaf versunkene indifferente Körper anschaute".
2) Lazarus und Steinthal, Zeitschr. für Völkerpsychologie XII, S. 307.
B) Lippert, Seelenglaube, 17. Vgl. auch Lexikon universale (eine Encyklopädie des
18. Jahrhunderts) unter: Blut der entseelten Körper: „Nach der Ansicht derjenigen,
welche einen Astralgeist annehmen, soll sich die Seele nach dem Tode noch etwas in dem
Körper aufhalten."
4) Vgl. Wuttke, Aberglauben, 439.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. "2
18
von Negelein:
3., 7., 9. und 40. Tage1) — Zahlen, die ohnedies überall als heilig gelten
und infolgedessen meist formelhaft angewendet werden. Ferner spielt
stets der Begräbnistag eine grosse Rolle. .Die in der ihm vorausgehenden
Nacht überall am Sarge angezündeten Kerzen sind der beste Beweis Cu*îc.-
dass man erst nach erfolgtem Begräbnisse die Grabesnacht angebrochen
wissen wollte.2) In Bayern werden drei Seelenämter abgehalten: am 1.,
7. und 30. Tage nach dem Tode.3) Als besondere Gedächtnistage hebt
man daselbst hervor den 7., 30. und den Jahrestag des Todes.4) In ganz
Bayern ist es gemeinsame Sitte, dass sich die Nachbarn, so lange die
Leiche im Hause liegt, anderwärts selbst bis zum 30. Tage, im Todes-
hause versammeln, um bei der Leiche mehrere Stunden lang zu wachen
und Rosenkränze zu beten.5) Man erwäge, dass diese Gebete vernunft-
gemäss nur der verscheidenden, nicht der verschiedenen, bereits im Jen-
seits befindlichen Seele gelten können, wie die auf die Gräber gesetzten
Speisen die materielle Anwesenheit des noch nicht völlig Verschiedenen
voraussetzen. In Bayern hat der Hochzeitslader am Grabe des Ver-
storbenen am 7. und 30. Tage nicht nur einen eigenen Abdankungsspruch
feierlich abzuhalten, sondern es trägt auch nach dem Gottesdienste, bei
welchem im Opfergange durch die drei nächstverwandten Frauen Kerzen,
ein zinnerner Krug mit Geld zum Wein und für vier Kreuzer Semmel
am Altar niedergelegt werden, die Totenfrau zwei Lichter auf das Grab6) ;
und in der Gegend von Fronau i. B. gilt oder galt die Sitte, dass man
sieben Tage nach der Beerdigung kleine Brotlaibchen, die man „Spende"
(d. h. Totenspende) nannte, unter die Armen verteilte7). Nach dem Glauben
meiner ostpreussischen Heimat bleibt die Seele bis zum Begräbnis in der
Leiche8), beim Begräbnis setzt sie sich auf den Sargrand, wie in der
Pfalz9) oder aber sie legt sich erst auf halbem Wege in die Truhe hinein,
die dann erst schwer wird. Sie bleibt im Hause, bis man sie hinauswirft,
indem man Stühle und Tische umkehrt, wenn der Kondukt auf halbem
Wege ist und den Strohhaufen erreicht hat, auf dem sie sodann noch die
1) Ygl. Lippert, Christentum, 414, der besonders Zahl 3 hervorhebt, die 9 und 40
aber ungerechtfertigterweise auf das Voigtland und Ostpreussen einschränkt.
2) Der Wach- und Bet-Abend, der dem Begräbnistage vorausgeht, wird in Deutsch-
land wohl überall inne gehalten. Die Sitte, Kerzen an den Sarg zu stellen, ist ebenso
allgemein. Die Kerzen haben im Aberglauben mystische Eigenschaften: sie erlöschen bis-
weilen von selbst und dürfen nicht ausgepustet werden, d. h. sie sind Symbole des von
selbst erlöschenden Lebenslichtes.
3) Bavaria, Zeitschrift für bayerische Volkskunde, 1865, S. 983.
4) Ebenda 1860, S. 413.
5) Ebenda 1860, S. 411.
6) Ebenda 1860, S. 993.
7) Ebenda 1863, S. 324.
8) Vgl. auch u. a. Wuttke, Abergl., 429; Toppen 108.
9) Bastian, Verbleibsorte der abgeschiedenen Seele, 20.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
19
letzte irdische Rast halten kann.1). Damit steht in einem Widerspruch,
der nur durch die früher allgemein gewesene Sitte der Ijeichenmalilzeiten
auf Gräbern erklärlich ist, die Einladung des Toten zum Sitzen, damit er
seine eigenen Leichenfeierlichkeiten mit ansehen könne, die Speisereste,
die ihm namentlich auch in litauischen Gegenden unter den Tisch ge-
worfen werden, der Stuhl, der bei der Rückkehr vom Begräbnis für deu
Toten an der Thür und alsdann beim Leichenmahl am Tisch für ihn leer
steht. Auch am Abend des Sterbetages wird ein Stuhl für den Toten
bereit gestellt; ein solcher steht bei der Leiche bis zum Begräbnis. Man
sagt dann bei uns: „Er (d. h. der Tote, dessen Namen man niemals
nennt) setzt sich darauf."2) Die Sitte, das Begräbnis am dritten Tage
nach Eintritt des Todes zu veranstalten, spricht ohnehin dafür, dass man
'»is dahin den Körper mit einem gewissen Leben begabt glaubt. Auch
die Zeit, in der man das „Wiederkommen" des Toten für möglich hielt,
ist hier wichtig: oft sind es die ersten drei Tage3), in Ostpreussen aber
z. B. die ersten 40 Tage4). Die Zahlen schwanken auch hier zwischen
den angegebenen Grenzen.5) Ja, man hat dieselben sogar religiös zu
sanktionieren versucht: 40 Tage lang nach dem Tode, wie Christus nach
der Auferstehung, muss jeder Gestorbene noch auf Erden wandeln6).
Den bayerischen Gebräuchen entsprechen diejenigen anderer katholischer
Gegenden: stets hebt sich in der Trauerzeit der 3., 7. und 30. Tag als
kirchlich begangener Pesttag hervor.7) An diesen Tagen werden Trauer-
mahlzeiten abgehalten, bei der dritten Mahlzeit (am 30. Tage) werden die
Kleider des Verstorbenen verschenkt und zugleich geht hier die Aus-
scheidung des Erbes vor sich8), d. h. bis zu dieser Zeit glaubte man den
Toten noch im Anrecht auf den Besitz seiner Habe befindlich. In Schwaben
wird vier Wochen (30 Tage) lang jeden Abend zu Hause ein Rosenkranz
gebetet; das weibliche Geschlecht brennt für den angehörigen Verstorbenen
• sogar ein Jahr lang beim Gottesdienst den Wachsstock.9) Das Jahr hat,
wie wir sehen werden, im Totenkult ebenfalls eine einschneidende Be-
deutung. Im alten Deutschland wurde das Erb- oder Seel-Bier in der
1) Bekannter Gebrauch in Ostpreussen und Pommern. Siehe auch z. B. Tylor, An-
fänge der Kultur, 2, 26.
2) Siehe auch Toppen 111, Anm. 3
3) So z. B. nach oldenburgischem Glauben (Wuttke 439) und häufig in Mähren.
4) Siehe im folgenden; auch private Information.
5) Im Yoigtland spricht man z. B. von den ersten neun Tagen. Wuttke 489:
Köhler, Voigtland, 443.
6) Wuttke 441.
7) Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch, S. 203.
8) Rochholz, S. 302. Hier finde gleich die singular dastehende Nachricht Platz,
dass die Leichen der französischen Könige nach ihrem Tode 7 resp. 40 Tage lang am
Tische bedient wurden: Bastian, Verbleibsorte, 7, Anm. 1.
9) [Rochholz 203], Birlinger, Schwaben, 315.
2*
20
von Negelein:
Regel am 7. oder 30. Tage nach dem Tode getrunken1) und an den-
selben Tagen Schmausereien mit Spenden aus der Erbschaftsmasse ge-
geben.2) Im alten Preussen hielten die Verwandten ihre Totenmahle am
3., 6., 9. und 40 Tage.3) Besonders bedeutsam ist es, dass, wenn sich die
Seele aus dem Leibe scheidet, sie nach deutschem Aberglauben in der
ersten Nacht bei St. Gertrud, der zweiten bei St. Michael, der dritten da,
wo sie verdient hat, weilt4), die Reise ins Jenseits also am dritten Tage
nach täglichen Stationen zurückgelegt hat5), ein schon den Avestatexten
bekannter Zug.
Noch deutlicher als bei den germanischen Völkern zeigt sich dieselbe
Ideengruppe bei den Slaven. Hier ist die Thatsache, dass man dem
Körper, wenn die Seele ihn eben verlassen, noch ein gewisses Leben zu-
schrieb6), dass man den Toten mit den Lebenden noch halb und halb in
Verkehr dachte7), und dieser Verkehr erst mit der vollendeten Verwesung
erlosch, bereits häufig erkannt.8) Bei den Russen wiederholt sich das
Totenmahl am 9., 20. und 40. Tage nach dem Tode.9) Als der Serben-
fürst Milosch Obrenowitsch I. im Jahre 1860 gestorben war, stand auf
dessen leerem Bette ein Öllicht, das 40 Tage lang fortzubrennen hatte.10)
Hier ist das Öllicht, wie viele Analogien beweisen, ein direktes Substitut
für den Toten. — Von den Bulgaren berichtet A. Strausz, dass bei der
Leichenklage zum Toten wie zu einem Lebenden gesprochen wird.11)
Man giebt ihm Aufträge für die vorausgegangenen Angehörigen ins Jen-
seits mit u. s. w. Bis zum Morgen nach der Beerdigung scheint dem
Leichnam sogar das Gehör geblieben zu sein: er kehrt nach Hause zurück,
wenn in dieser Zeit am Grabe geweint oder geredet wird.12) Drei Tage
nach dem Leichenbegängnis gehen täglich in der Frühe 3—5 Weiber zum
Grabe, zünden Licht an und setzen Wein und Wasser auf das Grab.13)
Doch stellt man auch in der Stube, wo der Tote verstorben ist, drei Tage
lang Butter und AVein für die noch immer im Hause herumirrende Seele
1) Weinhold, Altnordisches Leben, 501.
2) Ebenda, Anrn. 5.
3) Toppen 111, Anm. 3, und die dort citierten Quellen.
4) Grimm, Mythol.4, 2, 699.
5) Vgl. auch Grohmann, Mäuse, 34; Simrock, Mythol., 403.
6) Bei den Südslaven bezeugt: Zeitschr. f. Volkskunde 1, 180. Vgl. auch Grohmann,
Aberglaube, 188.
7) Grohmann a. a. O. 187.
8) Siebe Krek, Einl. in die slav. Litt.-Gesch., 418. Grohmann, Abergl., 190. Derselbe
meint ebenda 191, dass die Thatsache (??!), dass dem Toten Haare und Nägel im Grabe
weiter wüchsen, die Ursache zu der materialistischen Vorstellung von dem Weiterleben
des Toten im Grabe sei.
9) Tylor 2, 35.
10) Rochholz a. a. O. 196.
11) Strausz, Die Bulgaren. Leipzig 1398. S. 427.
12) Ebenda 453 f.
13) Ebenda 451.
♦
Die Reise der Seele ins Jenseits. '21
auf.1) Ebenso lange, in manchen Häusern aber auch 40 Tage hindurch,
wird früh und abends an die Stätte, wo der Tote gebettet war, ein Stein
gelegt und darauf eine brennende Kerze angezündet. Die Seele soll
nämlich noch 40 Tage lang nach dem Tode im Hause verweilen.2) Sechs,
an manchen Orten zwölf Monate hindurch wird am ersten Samstage jedes
40. Tages „prinos" gemacht, wobei man einen Widder, bezw. Schaf schlachtet.3)
Nach 9 Tagen erscheinen die Geister von ungetauft gestorbenen Kindern
als Vampyre, sogen. Ustrel, wieder.*) Die Seele des Erwachsenen irrt
abei 40 Tage lang auf Erden herum, dann erst zieht sie ins Jenseits ein.6)
Diesen Tag feiert man, indem ein Weib mit einem Priester zum Grabe
geht und ein Gebäck, etwas Eolivo und eine Flasche Wein auf den Hügel
stellt. Der Geistliche betet und räuchert, ebnet das Grab, worauf er in
dasselbe ein Loch gräbt und in dieses Wasser und etwas von den Speisen
einscharrt.6) — Bezüglich der specifisch sia vischen Vorstellung, nach der
•He Seelen von Verstorbenen bis zu ihrem endgiltigen Tode um Bäume
flattern, verweise ich auf meine Notiz im Globus.7) Über Totengebräuche
in Bosnien und der Herzegowina sind wir seit einiger Zeit durch Lilek
gut unterrichtet.8) Dort werden die Totenmahlzeiten in manchen Gegenden
am 7., 40. Tage, nach einem halben Jahre oder einem Jahre gehalten.
In anderen Gegenden gehen die Überlebenden am dritten Tage nach dem
Begräbnis mit Brot, Käse u. s. w., Branntwein zum Grabe. Am 7. Tage
nehmen sie auch Opferwein mit, um das Grab zu begiessen.9) In Sarajewo
geht man am 3., 7., 40. Tage, 1/2 Jahr und am Jahrestage nach der Be-
erdigung auf den Kirchhof, zündet am Grabe eine Kerze an, räuchert es
und betet für die Seele des Verstorbenen.10) Dieselben Zeiten für den
Totenkultus werden bei den muslimischen Bosnjaken eingehalten.11) Nach
der Meinung mancher Bosnjaken hält sich die Seele des Verstorbenen im
Sterbehause auf und schwebt besonders um seine Kleider 6—7 Tage lang.12)
Doch glauben die orientalisch-orthodoxen Leute dieses Landes, dass die
Seele des Verstorbenen nicht sofort in den Himmel fahre, sondern sich
nach der Trennung vom Leibe noch 40 Tage im Hause aufhalte und acht
gebe, dass ihrem einstmaligen Leibe kein Leid geschehe. Deshalb brennt
man (vgl. Anm. 2, S. 21) in Trebrinje im Hause des Verstorbenen 40 Tage
lang nach dem Tode eine Kerze oder Lampe. Man zündet auch nachts
eine Kerze am Grabe an. In Sarajewo schickt man durch 40 Tage je
eine Kerze und einen Teller gekochten Weizens in die Kirche oder stellt
den Weizen an die Stelle, wo der Tote gelegen hat.13) Auch die bosnischen
und herzegowinisehen Muslems glauben, dass die Seele bis zum 40. Tage
1) Strausz a, a. O. 446. — 2) Ebenda 451, 458. — 3) Ebenda 452. — 4) Ebenda
194. — 5) Ebenda 458. - 6) Ebenda 452. — 7) Globus, Jahrg. 1900, S. 289, Anm. 4. —
8) Lilek in dem 8. Bande der ethnolog. Mitteilungen aus Bosnien und der Herzegowina. —
9) Ebenda 409. — 10) Ebenda 411. — 11) Ebenda 420. - 12) Ebenda 408. — 13) Lilek
a. a. O. 408.
'22
von Negelein:
nach der Beerdigung in das Haus zurückkehren könne.1) Wir sehen:
diese Vorstellung ist echt slavisch und deshalb auf deutschem Boden nur
in dem von Slaven beeinflussten Ostpreussen zu finden.
Grellen wir nun zu den asiatischen Indogermanen über, so finden wir
natürlich auch bei ihnen den universellen Gedanken, dass der Tote sich
in der Nähe des Grabes aufhalte. Dies ist z. B. bei den Armeniern be-
zeugt.2) Dieselben kennen als Tage der Kultushandlungen für den ein-
zelnen Toten zunächst den Tag nach dem Begräbnis, sodann den siebenten
Tag.3) Davon sind die Festtage des Ahnenkults, der auf ganz anderer
Basis erwächst, natürlich streng zu scheiden. Nach einer Woche ist der
Tote zur Stätte des Gerichtes gekommen, seine Wanderung vorbei.4) Eine
andere Ideenreihe aber konnte sich damit nicht begnügen, den Toten
dorthin zu verfolgen. Sie heftete sich enger an den nach 7 Tagen noch
kaum in der Verwesung begriffenen Leichnam und liess die Seelenpflege
erst nach einem Jahre aufhören.4) Dann ist der Tote wirklich tot, bereits
ins Jenseits eingegangen. Wie die stets im Frühling sich erneuernde
Wiedergeburt der Natur, wie ihr stets sich im Herbst wiederholendes
Absterben auch den Menschen in den Kreislauf des ewigen Werdens und
Vergehens mit hineinreisst, so vernichtet der erste Donnerschlag des
Lenzes alle Geister des verflossenen Jahres und giebt dem Lebendigen
dem Toten gegenüber sein Recht.5) Ein volles Jahr lang also kann der
Tote zur Umgebung seiner Wohnung zurückkehren.6) Nach dem Glauben
der Tscherkessen kann der Tote acht Tage nach dem Begräbnis zum
Gastmahl im Verwandtenkreise zurückkehren, weshalb man nach Ablauf
der ersten Woche das aufgezäumte Schlaclitross des Verstorbenen vor sein
Grab führt und ihn zum Schmause einlädt.7) Wenn ein reicher Kirgise
stirbt, so wird ebenfalls am 7. Tage das Volk versammelt und ein Gast-
mahl gegeben.8) Nach der Lehre der altpersischen Avestatexte hält sich
die Seele drei Tage lang in der Nähe des Kopfes auf; das gilt von den
guten und bösen Seelen, doch empfinden schon in dieser Zeit dieselben
einen Vorgeschmack der Belohnung oder Strafe, die ihrer wartet.9) Nach
Ablauf dieser Zeit verbleibt die Seele des Guten am Orte der Erlösung,
unter Bäumen und in Düften weilend9), die des Bösen aber besucht nach
jüngerer Lehre ihre Verwandten an den fünf Schalttagen, die auf die
Besuchstage der Seligen folgen.10) Nach mittelpersischer Uberlieferung
hält sich die Seele drei Tage lang da auf, wo der Kopf lag.11) Man ver-
gleiche damit die Substituierung des Körpers durch einen Stein (s. oben).
— Nach der Lehre der vedischen Ritualbücher bleibt die Seele des Ver-
1) Lilek a. a. 0. 419. — 2) Abeghian a. a. 0. 18 und 24. — 8) Ebenda 22 f. —
4) Ebenda 18. — 5) Strausz a. a. 0. 454. — 6) Ebenda 18 und 23. — 7) Bastian, Vor-
stellungen von der Seele, 13. — 8) Zeitschr. f. Ethnologie 3, 307. — 9) Yasht 22; Geiger,
Altiranisches Leben, 263. — 10) Bastian, Vorstellungen u. s. w., 35. — 11) Mainyo-i-Rharad
Cap. 2.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
23
storbenen mit dem Körper eine Zeit lang zusammen.1) Währenddessen
wird die Ceremonie der ekkodistaçraddhâ vollzogen, nach einem Jahr
(oder drei Monaten) erfolgt mit Aufnahme in den Kreis der Manen das
sapindakarana, zuletzt erst das eigentliche Manenopfer, das pitrmedha, das
verhindern soll „neues Unheil zu stiften".2) über die Begräbnisceremonien
im modernen Indien sind wir sehr ausführlich z. B. durch Dubois3) unter-
richtet. Ich hebe folgende Einzelheiten hervor: Während des Weges zur
Stätte der Verbrennung hält man dreimal an, öffnet jedesmal den Mund
des 1 oten und wirft in denselben ein wenig feuchten, rohen Reis hinein,
damit dei" Tote zus-leich essen und trinken könne. Diese Sitte Avird so
1 ••
begründet, dass der Scheintote dadurch ins Leben zurückgerufen werden
könnte und der wirklich Tote wieder auflebe, wenn die Todesgottheit
sich vielleicht in ihm vergriffen und aus Versehen einen Falschen abgeholt
hätte.4) Am zweiten Tage der Begräbnisfeierlichkeiten giebt der Erbe
einem Brahmanen Reis, Erbsen und Gemüse, die er in ein ungebrauchtes
Linnengewand wickelt und dies zwar zu Gunsten des Toten, in der Er-
wartung, dass der Reis, das Öl, die Erbsen und das Wasser, welches man
ihm bereits dargebracht hat, nicht ausreichen, seinen Durst und Hunger
zu befriedigen und er in der anderen Welt keine Gelegenheit mehr haben
werde, seine Blosse zu bedecken.6) Vom Ablauf des dritten Tages an bis
zum neunten Tage wiederholen sich dieselben Gebräuche und bezwecken,
es zu verhindern, dass der Tote Hunger und Durst erleide oder nackt
bleibe und wollen ihm eine schnelle Wiedergeburt ermöglichen.
Bei den semitischen Völkern tritt der Totenkultus zurück. Bekanntlich
hat Frey ihn bei den Hebräern überhaupt geleugnet. Die Völkerpsychologie
verwirft mit Entschiedenheit diesen Versuch, den einzelnen Stamm aus
der geistigen Gemeinschaft der Völker herauszureissen und ihn vom Zwange
unumstösslicher Naturgesetze zu befreien. Denn in dem Bestreben, dem
im scheinbaren Schlummer befindlichen Körper so lange die Attribute des
Lebens zuzuerteilen, bis der scheinbare Schlaf von den Symptomen der
\ erwesung abgelöst wird, manifestiert sich nichts anderes als das Träg-
heitsprincip des menschlichen Geistes. So lange die in Bewegung gesetzte
Kugel ihres Weges rollt, bis die Reibung sie zum Stehen bringt, wird
der menschliche Geist sich von der tröstlichen Selbsttäuschung eines Weiter-
lebens des schon erkalteten Körpers nicht ganz befreien können. — Die
Beduinen der vorislamischen Zeit nahmen in ihren Gedichten häufig einen
jedes Fortleben nach dem Tode negierenden Standpunkt ein. In den alten
1) Hillebrandt, Rituallitteratur, 90. Caland, Ahnenkult, 22. Oldenberg, Religion der
Veda, 555.
2) Hillebrandt a. a. 0. 90.
3) Moeurs des peuples de l'Inde.
4) Ebenda 206.
5) Ebenda 211.
24
von Negelein:
Liedern wird der Gedanke nach allen Richtungen hin variiert, dass mit
dem Tode alles ans sei.1) Doch war diese Idee mehr dem aufgeklärten
Rationalismus einiger Sänger als dem Gemüt der grossen Menge eigen.
So verstehen wir es, dass, trotz dieses religiösen Nihilismus, Gebräuche
existierten, nach denen z. B. Freunde am Grabe eines Mannes zu seiner
Erinnerung tranken und etwa den Rest des Bechers auf sein Grab aus-
schütteten.2) Hierin zeigen sich Reste der Anschauung, dass der Tote als
noch nicht ganz verschieden, noch nicht aus der Gemeinschaft der Lebenden
ausgeschlossen gilt.3) Man giebt deshalb dem Toten seinen Anteil weiter,
bei den Hebräern von der Speise, bei den Arabern von dem Tranke.
Noch in anderer Weise setzen die Verwandten und Freunde die Gemein-
schaft mit dem Verstorbenen fort. Sie besuchen sein Grab und halten
sich daselbst lange auf, sie lassen ein Zelt über dasselbe schlagen und
können sich nicht von der Stelle losreissen. Wer am Grabe eines Be-
kannten vorüberkommt, ruft ihn beim Namen und grüsst ihn. Der Tote
hört sein %àÏQ£ und antwortet: „xal ov". Ja, man schwört bei des Toten
Leben und das vor einer Zeit, in der der Gedanke eines wirklichen zweiten
Lebens, wie der Koran es beweist, den Mekkanern als der reine Aber-
witz erschien.2) Als Analogie zu der bulgarischen Auffassung (S. 20, Anm. 12)
ist es bemerkenswert, dass der Verstorbene, wenn er zu Grabe getragen
wird, Äusserungen thut, die alle Tiere vernehmen, nur der Mensch nicht.
Er hört das Klappen der Schuhe des Gefolges und versteht, was man ihm
zuruft. Er hat zu leiden unter dem Wehgeschrei der Seinigen.4) Die
muslimische Doctrin älterer und jüngerer Zeit entsagt ebenso wenig wie
die talmudische der Vorstellung, dass die Seele sich nicht früher ganz von
ihrem Leibe und dem Irdischen befreien kann, als bis dieser der völligen
Vernichtung anheimgefallen ist.5) Wie im slavischen Aberglauben sitzt
im muslimischen der Verstorbene auf seinem auf den allgemeinen Be-
gräbnisplatz getragenen Sarge, oder es folgt sein Geist der Leiche bis
zum Grabe.6) In der vorausgehenden Zeit der Begräbnisvorbereitungen
fühlt derselbe alle Schrecken des Grabes voraus, er hat schwer unter der
rohen Behandlung1 seiner irdischen Hülle zu leiden und bittet deshalb die
Überlebenden, seine Kleider langsam und vorsichtig auszuziehen, das
Leichenwasser nicht zu warm und nicht zu kalt zu machen, ihm das Ge-
sicht nicht zu verbinden u. s. w. Er klagt über die ewige Trennung von
den Verwandten und weint über das Scheiden aus dem Leben.7) Ist der
1) Wellhausen, Reste arabischen Heidentums, 185.
2) Ebenda 183, vgl. Skizzen 3, 164.
3) Vgl. Wellhausen, Skizzen, 3, 162.
4) Wellhausen a. a. 0. 186.
5) Wolf, Maslimische Eschatologie, S. 78, Anm. 117. Bastian, Vorst., 27.
6) Ebenda 58.
7) Ebenda 41 ff.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
25
Tote einmal gebettet, so besucht sein Geist den abgestorbenen Leib am
3., 5. und 7. Tage und weint über den zunehmenden Leichenverfall.1)
Man sagt auch: der Gläubige erleide die Strafe' im Grabe 7 Tage, dei
Ungläubige 40 Tage lang, d. h. eine so lange Zeit nimmt die Wanderung
der Seele ins Jenseits in Anspruch.2) Ein volles Jahr aber dauert der
Konnex zwischen dem Geist und dem im Grabe geborgenen Leib. Der
Tote sieht, wer für ihn betet und um ihn trauert.8) Als interessante Ver-
mittlung zwischen den verschiedenen Auffassungen, nach denen die Seele
in der Nähe des Leibes sitzen und doch zu Gott eingehen muss, findet sich
auch die Angabe, die Engel machten zu Häupten des Toten ein Í enster
und zeigten ihm den für ihn bestimmten Ort im Paradiese.4) Der Talmud
stellt diesen Vorstellungen des arabischen Semitentums nicht fern. In
einer viel citierten Stelle erklärt er die Gebeine des Toten für ehrwürdig,
weil nach dem Begräbnis die Habal de garmin, der Hauch der Knochen,
um das Grab schwebe.5) Die Seele hält sich beim Grabe noch 30 Tage
lang auf, indem sie hofft, sie kehre wieder zum Körper zurück.6) Hier
zeigt sich die Idee des Leichnams als eines noch mit potentiellem Leben
begabten Körpers besonders klar lebendig. Dem entspricht, dass man
die Toten, obgleich der jüdische Ritus bekanntlich das sofortige Begräbnis
vorschreibt, doch in den drei ersten Tagen nach Eintritt des Todes unter-
suchen darf, d. h. man ihres wirklichen und definitiven Ablebens nicht
sicher ist.7)
Nur anhangsweise seien die klassischen Völker erwähnt, über deren
religiöse Gebräuche uns eine grosse und leicht zugängliche Litteratur zur
Verfügung steht. Nach Ciceros Ausspruche glaubte man im Volke, dass
die Toten unter der Erde den Rest des (im Diesseits nicht ausgelebten)
Lebens verbrächten.8) Dem entspricht die Auffassung des Schattens und
der Manen. Dass die Sitte der Verbrennung ihm nicht widerstreitet, geht
u. a. daraus hervor, dass z. B. die Leiche des Achilleus 17 Tage über der
Erde blieb, die des Hector 9 Tage9), und die Leichenspiele die Zeit bis
zur Bestattung ausfüllten, man also dem verfallenden Körper so lange als
möglich irdische Freuden zukommen lassen wollte. Auch das Blutopfer
des Odysseus, durch das dieser den Geistern die Sprache wiederverleiht,
gehört als Rest eines alten Kultus, der Tier- und Menschenopfer zu Ehren
der Manen kannte, hierher.
1) Wolf a. a. 0 76 f.
2) Ebenda 65.
8) Ebenda 78.
4) Ebenda 59.
5) Vgl. z. B. Rochholz, Glaube und Brauch, 220.
6) Bereschith rabba c. 100 bei Frey a. a. O. 206, Anm. 2, vgl. 120, Anm. 6.
7) Zeitschr. f. Geschichte d. Judentums 3, 216 f.
8) „Sub terra censebant reliquam vitam agi mortuorum, Cicero" bei Bastian, Elem, 26.
9) Homer co 63, Q 664. Buchholz, Realien zu Homer II, 2, 296.
26
von Negelein:
Die Verstandes- und gefühllosen Schatten Homers erhalten bei Voll-
ziehung- des atavistischen Gebrauchs blutiger Opfer die ihnen von Alters
her zustehende Gabe der Rede wieder.1) Die klassische Zeit kannte
Grabmahlzeiten am 3., 9. und 30. Tage nach erfolgtem Begräbnis.2) Nach
Ablauf der dreitägigen Fastenzeit wurde das Totenmahl vorgenommen.
Am dritten Tage wurde an dem mit Eppich bekränzten Grabe ein Toten-
opfer dargebracht, das Hauptopfer. aber fand am 9. Tage statt, wenn nicht
der 10. dazu genommen wurde, wie es uns einmal berichtet wird.3; Endlich
fand eine mit Opfer und Totenmahl verbundene Feierlichkeit am 30. Tage
nach dem Begräbnis statt.4) In (Jalymnos findet die Seele des Toten erst
am 40. Tage Ruhe.
Die vorausgehend verwerteten Materialsammlungen, die sich leicht
verzehnfältigen Hessen, werden bereits in ihrer jetzigen Gestalt zum Er-
weis der Behauptung ausreichen, dass alle indogermanischen sowohl, wie
die semitischen Völker mit überraschender Konkordanz den Seelensitz
nach Eintritt des Todes für eine bestimmte und beschränkte Zeit in den
Körper verlegten, und dass der Monismus von Geist und Materie um so
strikter aufrecht erhalten wird, je weniger die fortschreitenden Anzeichen
des Leichenverfalls die Frage nahe legten: Wohin ist das Leben, das der
zerfallenden Hülle nicht mehr eigen sein kann, entwichen? Wohin hat es
die Reise angetreten? Die irdische Sorgfalt, die den ewigen Schlummer
durch keinen Lärm und kein Weinen, die ewige Nacht durch kein Licht,
die Apathie des Todes durch keine Lockspeise zu durchbrechen vermag,
hat sich dem Verhängnis gegenüber als unzureichend erwiesen — die
Seele ist verreist. Ehe wir ihre Spuren ins Jenseits zu verfolgen ver-
suchen wollen, sei es vergönnt, die entwickelte Idee des Aufbruchs zur
Reise bei niederstehenden Völkern zu erkunden, um dieselbe so als eth-
nischen Elementargedanken zu erweisen. Wrir können hier den reichen
und zuverlässigen Materialsammlungen Bastians unbedingt folgen. Die in
der Nähe des Grabes verbleibende Seele des Irokesen irrt zum Leichen-
feste umher.5) Dann tritt sie bei den Algonkin eine viertägige Reise
an.6) In Efate musste die Seele sechs Das ein s stufen passieren, unter
welchen sie überhaupt erst starb.7) Bei den Khands werden die Toten
ohne weiteres verbrannt, aber nach zehn Tagen versammeln sich die
Verwandten und Freunde und trösten sich mit einem gemeinschaftlichen
Mahle und mässigem Trinken (Totenschmaus!). In Borneo weilt der
Geist vier Tage im Hause und erhält Reis gestreut, wird dann aber
ausgefegt, unter Zerbrechen eines Gefässes.8) Bei einer Gelegenheit er-
klärten die eingeborenen Tonganesen einem Europäer, ein vor mehreren
1) Vgl. in meiner Anzeige von Abeghians Arbeit im Globus den Abschnitt über
Totenopfer. — 2) Müller, Handbuch der klassischen Altertumskunde, 219. Vgl. Schömanu,.
Griech. Altertümer4, II, 572. — 3) ü G65. — 4) Müller, ebenda, 223. — 5) Bastian,
Elem., 26. — 6) Ebenda 19. — 7) Ebenda 23. — 8) Bastian, Vorst., 34.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
27
Monaten begrabener Mensch lebe noch.1) Der Leichnam des jüngst
Verstorbenen wird bei den Ureinwohnern von Formosa drei I age lang
unter dem Bette aufbewahrt, dann erst begraben.2) Nach der \ oi-
stellung der (welcher?) Indianer treibt sich die Seele noch ein Jahr
lang in der Nähe des Körpers umher und will durch Feste versöhnt sein. )
Die Eskimos glauben, der Tupilak, der Geist des Verstorbenen, um-
schwebe noch drei Tage nach dem Hinscheiden den entseelten Körper.4)
In Holontalo pflegen die reichen Leute die ersten vierzig Tage lang
denselben mit Blumen und Geld zu bestreuen.6) Auf Neu-Guinea nimmt
man zunächst einen kurzen Aufenthalt des Toten unter der Erde, dann
erst den Aufbruch zur Reise zum allgemeinen Versammlungsorte der
Abgeschiedenen an.6) Nach der Ansicht der Huronen verweilt ein Teil
der Seele beim Grabe7); ähnliches glaubt man auf Madagaskar ), in
Finnland9) und sonst vielfach10), so z. B. bei den Dacotah, bei denen
eine der vier Seelen neben der Leiche verweilt; und bei den Ghond, wo
ebenfalls eine Seele beim Körper bleibt, um allmählich zu verwesen.11)
Der Versuch, die Scheinexistenz des schlummernden Leibes durch Zu-
führung von Nahrung zu verlängern, hat bei einzelnen Völkern dazu ge-
führt, Speisen und Getränke dem Toten direkt einzutrichtern.12) Ich
erinnere an das parallele Einflössen von Nektar und Ambrosia in der
griechischen Mythe. Bekannt ist es, dass dem Toten am Bonny Schnaps
zugeführt wird13) und dass man ihm Speisen und Getränke durch eine am
Kopfende des Grabes gelassene Öffnung hinabschüttet.14) Die Tschuwaschen
thun das Gleiche am Gedenktage der Seelen.15) Bei den Sioux wird in
jedem Sarg die Öffnung gelassen und aus gleichem Zweck mögen sich
die runden Löcher erklären, die man an den Steinplatten der Dolmen in
Indien, Gallien, im Kaukasus u. s. w. findet.5 e) Die Toten der Tangale
werden in sitzender Stellung (vgl. die prähistorischen Gräber!) bis an
den Kopf eingegraben. Die Bube bestatten ihre Toten in sitzender
Stellung, und zwar so, dass der Kopf aus der Erde herausschaut.17) Odentes,
eines verkümmerten Sonnengottes der Goldküste, Wohnort wird so her-
gestellt, dass ein Knabe getötet wird; er wird stehend bestattet, so dass
der Kopf hervorsieht. Auf Anietyum wurden die Vornehmen in der Erde
begraben, so dass nur der Kopf heraussteckte. Auf den Gilberts-Inseln
herrschte der gleiche Brauch.17) Sicherlich ist hier immer das Bestreben,
dem Toten möglichst direkt Nahrung zuzuführen, iiir die Art der loten-
bestattung massgebend gewesen.
1) Tylor 1,4-M. - 2) Zeitschrift für Ethnologie 25,384. — B) Lippert, Seelenglauben,
30. — 4) Zeitschrift für Ethnologie 17, 164. - 5) Archiv für Religionswissenschaften 2,
207. — 6) Bastian, Eiern., 75. — 7) Bastian, Vorst. 17. — 8) Ebenda 13, Elem. 84. —
9Ì Tylor 2, 80. - 10) Ebenda 2, 27 ff. — 11) Bastian, Vorst., 18. - 12) Bastian, Elem., 80.
— 13) Zeitschrift für Ethnologie 21, 122. — 14) Bastian, Vorst., 34. — 15) Ebenda 35. —
16) Ebenda 13. — 17) Frobenius, Ursprung der Kultur I, 331.
Bacher:
Die weitverbreitete Sitte des Mumifiziereiis der Leichen, die doch
auch nur den Zweck gehabt haben konnte, das im Körper befindliche
Leben möglichst lange zu erhalten, wollen wir grundsätzlich übergehen,
weil die Zeit, die hier der Totenreise vorausgehen sollte, eine unabsehbar
lange sein musste. Auch der Glaube an die Auferstehung von den Toten
setzt in der Darstellung des Ezechiel die Erhaltung von deren Knochen
voraus. Dem entspricht aufs vollkommenste die moderne Yolksanschauung.1)
Doch haben wir es hier bereits mit einem Monismus von Kraft und Stoff
zu thun, der, mehr spekulativ als empirisch begründet, eine endlose
Vereinigung beider Elemente voraussetzt und deshalb die uns hier be-
schäftigende Frage nach dem Momente der Trennung von Seele und
Leib nicht aufwirft. Wir haben die menschliche Seele bis zu dem
Punkte ins Auge gefasst, der ihre Scheidung vom Körper als vollendet
bezeichnen lässt, und fragen nun: in welche mythischen Gebilde kleidet
sich die Idee dieses Scheidens? Können wir den Geist, den wir, da er
seine Hülle verliess, abreisen sahen, noch auf der Reise verfolgen?
Königsberg i. Pr.
(Fortsetzung folgt.)
Yon dem deutschen Grenzposten Lusérn im wälschen
Südtirol.
Vom Kuraten Josef Bacher in Unterfennberg bei Margreid in Südtirol.
(Fortsetzung von Bd. X, S. 417.)
16. Da g3venzrati? von strian.
kinder sain g^wëst se'm ah bstn-
and^r on dar bárba Tita hat-sn áuggontárt
a störird,? on 's máom Bärb^L is se'm
g^wêst is ö .... on est bil-s-mar nemsn
¿nsel dormila zo köda-'s-as aüx:
In an strçax nídar gga Lev? is-da
g'Avëst a(n) alts waih^ on hat ganurap a
kin vo sain sun on is gant áus az velt
16. Die von den Hexen Übrig-
gelassene.
Die Kinder waren dort alle beieinander
und der Vetter Johannes (Baptist) erzählte
ihnen ein Geschichtchen und die Base
Bärbele war auch dort .... und jetzt will
ich mich bemühen, es euch zu sagen:
Einmal war drunten in Leve ein altes
Weib und nahm ein Kind ihres Sohnes
und ging hinaus auf das Feld, zu holen
lj Ich verweise auf Schiller, Räuber V, I: „Das nackte Gefilde begann zu kreissen
und aufzuwerfen Schädeln, Rippen und Kinnbacken und Beine, die sich zusammenzogen
in menschliche Leiber und daherströmten unübersehlich, ein lebendiger Strom." Vgl. auch
die bildlichen Darstellungen der italienischen und niederländischen Meister.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
29
zo néma a drai tëgn, on bál-'s is gawëst
áus az velt díza waitn, hat-'s galegg 's
kin se'm af a zail vò patátn on is gant
in pa ákar zo nema aba da tëgn. Bala-
má® (h)at-sa gahçart an srça, on sí is
kent bahéma (baxema) z' séga von kint
on vint nemear 's kint af kúana sait.
Alóra darwist sa an wëga on geat huam
mëarar tçat bas lenta vo srak on ktit
sain snn, bás-da is gasëgat. On ër hat
dar wist an wëga on is gant an ggamaù
zo pita, ás-s'-an gë'm helf zo gïana
zo sfiaxa 's kin. 'n to moménto ala da
laüt vò Lèva sain gawëst úmar zo süaxa:
a tçal sain gant pa veldar, a tçal pa
wäldar, on a tçal sain gant in pa sea
zo visa; ma ala hä'm gamöxt kearn
bidrúm ana kin. In ta' dama sain - sa
wídar gant zo sttaxa-'s; ma nfamat
hat-'s net gavuntat. Drai täga hâ'm-s'-as
gasîiaxt on balamáio (h)á'm-sa gasaugat
áu an Pronta un hâ'm-'s gasëgg in-an-a
sáülana stël; ma zo glana in zo néma-'s
sáin-sa »et gawëst gáat. Alora sain-sa
kent aba gga Leva un hä'm ganump
kûbln on sain gant áu Óbar dïsa stël
on hä'm agahäioia an man on hä'm-an
äbamolart, on ër hat ganump 's kin an
arm on déna hát-ar ge't an zuk an da
kubl on dasein, bo-da sain gawëst áu
af da Óbar sait, hâ'm-an àugazôgat. On
bál-dar áu is gewëst, hâ'm-sa gavörst 's
kin, z' séga, bër-d'as hat vórtgatragg,
on 's kin hat köt: „Da is kent a suana
vrau on hát-ma gamüdlt in an a suana
dek on hát-ma gatragg áu an dasei stël,
bd-dar-ma hat gavuntat" ... on da laut
hä'm-'s gavörst z' séga, bäs-'s-an hat
ge't z' esa, on 's kin hat köt: „Sa hát-
rnar ge't gülas prçat on öpfl." On alóra
há'm-sa darwist an wëga on sain kent
huam betn kin. On da laüt hâ'm-an
ala pensärt, ke da hâ'm-'s vórtg*hat da
strïan, on vò d-rnsél taga ha'm-s'-ar ala
köt da g venzrata von strían.
(sich) einige Fisolen(hülsen), und als sie,
dieses Weib, draussen auf dem Felde war,
legte sie das Kind dort auf eine Erd-
äpfelzeile und ging hinein bei Acker, die
Fisolen zu pflücken. Da hörte sie einen
Schrei, und sie kam behende, nachzu-
schauen vom Kinde und findet nicht mehr
das Kind nirgends. Dann macht sie sich
auf den Weg und geht heim, mehr tot
als lebend vor Schrecken und sagt ihrem
Sohne, was geschehen ist. Und er machte
sich auf den Weg und ging in die Ge-
meinde(kanzlei) zu bitten, dass sie ihm
Hilfe geben zu gehen, (um) das Kind zu
suchen. In einem Augenblick waren alle
Leute von Leve herum zu suchen: ein
Teil ging über die Felder, ein Teil über
Wälder und ein Teil ging (ruderte) über
den See, (um) (auf)zufischen; allein alle
mussten wieder umkehren ohne Kind.
Am folgenden Tage gingen sie wieder,
es zu suchen; jedoch niemand fand es.
Drei Tage suchten sie es, und dann
schauten sie hinauf zum (Berg) Fronte
und sahen es drinnen in einer grausigen
Felswand; allein hineinzugehen, es zu
holen, waren sie nicht imstande. Dann
kamen sie hinunter nachLeve und nahmen
Seile und gingen hinauf ober diese Fels-
wand und hängten einen Mann an und
Hessen ihn herab, und er nahm das Kind
in den Arm und dann gab er einen Zuck
in das Seil, und die, welche droben auf
der Oberseite waren, zogen ihn hinauf.
Und sowie er hinauf war, fragten sie das
Kind (um zu sehen), wer es fortgetragen
habe, und das Kind sagte: „Es kam eine
schöne Frau und wickelte mich ein in
eine schöne Decke und trug mich hinauf
in jene Felswand, wo ihr mich gefunden
habt1' . . . und die Leute fragten es, (um
zu erfahren) was sie ihm zu essen gegeben
habe, und das Kind sagte: „Sie gab mir
goldenes Brot und Äpfel." Und dann
nahmen sie den Weg und kamen heim
mit dem Kinde. Und die Leute dachten
sich alle, die Hexen hätten es fortgehabt,
und von diesem Tage an hiessen sie sie
alle die von den Hexen Übriggelassene.
Bacher:
17. 's snáidarla.
In an strçax is gant a pü abb; von
Miiz in pa perg'n ¿na povaï. Bál-'s is
gawêst in af'n Ggostadsí sáin-an zúogant
zwça manan on hâ'm-'s gavörst z' séga,
be-'s wçast, bó-da is da Rógga Dampf,
on diza püabla hat köt: „Jä jâ, liaba
maina man-m, i bças-as bol; kent bat
miar, i zça'-s'-as (i lírn-s'-as)." On alora
dísa zwça man-m sain gant betn puabla,
on bál-sa sain gawëst nâmp dar rógga,
há'm-sa gahyart als a galürna, ás-'s-an
hâ'm gamöxt sopm da çarn zça net zo
kétna súrdat. On bál-da na-hat-galat 's
galürna, há'm-sa köt da manan: „Géa
est, snáidarla, géa voranahf, on zçag-as
de rógga est", on 's püabla is gant
vorán on is gant in pa rógga, on da
mansn sáin-an nagant. Bál-sa sain ga-
wëst in af d-> mit dar rógga, sáin-sa
ne mear g ; west guat zo glana vürsnan,
ombróm af da mit há'm-sa g'vuntat an
häuf slaggn, on alora dis* manan hâ'm
köt ggan püabla: „Beio snáidarla, est
is-'s ganua, wétar in géa-bar net; est
nim-dar áu da dar dísan slaggn!" On
's piiabla hat agavaiow zo láxa on hat
köt: „0 némp-s'-as nor iar-ándra da knotn;
í bil kuana, i géa est", on alora da
manan hâ'm an ge't a swánzaga on víimf
slaggn on hâ'm köt: „Beia géa est, snái-
darla!" on alora 's piiabla hat-sa nö ga-
vórst z' séga, ombróm sa kö'n-an „snái-
darla", on da manan hâ'm köt: „Géa
géa, do barst kernen a snáidarla." On
alöra 's püabla is áuvarkent vò dar
rógga un is gant durx híntar a vaüxt
za sáuga zua z' séga, bas-da tuaii da
manan, on se'm hat-'s gasügg, ke sa
hâ'm áuganump an sak vol slaggn vor
úan on sain gant. Alora 's püabla is
gant híiam is ö. Bál-'s is gawêst huam,
hat-'s áuvarganump da slaggn zo zçaga
sain laüt, on invêza bas zo sáina slaggn
sain-'s gawest viimf tçlar.
Déna sáin-da hígant a drai, vïar jar,
un guata laüt hâ'm gaholft an püabla
17. Das Schneiderle.
Einmal ist ein Bübchen von den (Fa-
milien)Muz über dieAlmen hineingegangen
um Zieger. Als es drinnen im Costegin
war, gingen ihm zwei Männer zu und
fragten es (um zu erfahren), ob es wisse,
wo die Rocca Dampf wäre, und dieses
Büblein sagte: „Ja, ja, meine lieben
Männer, ich weiss es wohl, kommt mit
mir, ich zeige sie euch." Und dann
gingen diese zwei Männer mit dem Büb-
lein, und als sie nahe der Höhle waren,
hörten sie lauter Geheule, (so) dass sie
sich mussten verstopfen die Ohren, um
nicht taub zu werden. Und als das Ge-
briillo nachgelassen hafte), sagten die
Männer: „Geh jetzt, Schneiderle, geh vor-
aus und zeig uns die (Fels-) Höhle jetzt",
und das Büblein ging voran und ging bei
der Höhle hinein, und die Männer gingen
ihm nach. Als sie in der Mitte der Höhle
waren, waren sie nicht mehr imstande,
vorwärts zu gehen, denn in der Mitte
fanden sie einen Haufen Schlacken, und
dann sagten diese Männer zum Büblein:
„Wohlan, Schneiderle, nun ist's genug,
weiter hinein gehen wir nicht; jetzt nimm
dir auf da von diesen Schlacken!" Und
das Büblein begann zu lachen und sagte:
„0, nehmt (sie) euch nur ihr die Steine;
ich will keine, ich geh jetzt", und dann
gaben ihm die Männer einen Zwanziger
(35 Kr.) und fünf Schlacken und sagten:
„Gut, geh jetzt Schneiderle!" Und dann
fragte sie das Büblein noch (um zu er-
fahren), warum sie (zu) ihm „Schneiderle"
sagen, und die Männer sagten: „Geh, geh,
du wirst werden ein Schneiderlein." Und
dann kam das Büblein heraus von der
Höhle und ging hinüber hinter eine Fichte,
zuzuschauen (um zu sehen), was die
Männer thun, und dort sah es, dass sie
einen Sack voll Schlacken jeder aufnahmen
und gingen. Dann ging das Büblein heim
(es) auch. Sobald es war daheim, nahm
es die Schlacken heraus, den Seinigen
zu zeigen, und anstatt Schlacken (zu sein)
waren es fünf Thaler.
Dann vergingen bei drei, vier Jahre,
und gute Leute halfen dem Büblein mit
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
31
bet an pish gelt, on alora 's piiabla is etwas Geld (aus), und da ging das Biiblein
gant zo lírna zo máxa *>n snaidar, on zu lernen (den) Schneider (zu machen),
vö se'in sáin-da áuvarkent da „snái- und von dort her rühren die „Schneidaria"
darla", bo-da nf> sain an tä' vö haüt az (-Familien), die noch heutzutage in Lusern
Lusérn. sind-
Bemerk.: „'s snáidarla": Da es in Lusérn nur drei eigentliche Schreibnamen giebt:
Nicolússi, Gásperi und Pedrazza, so fing man schon frühe an, durch Zunamen die einzelnen
Familien zu unterscheiden und zwar so, dass die eigentlichen Schreibnamen im gewöhn-
lichen Verkehr der Luserner untereinander gar nicht mehr genannt werden. Am meisten
sind die Zunamen notwendig beim Schreibnamen Nicolussi, da über 150 Familien den
Schreibnamen Nicolussi haben. Solche Zunamen sind z. B. Castellón, Leck, Muz u. s. w.
Offici eil werden dann die Familien oder einzelne Personen nach folgendem Beispiel be-
zeichnet: Nicolussi-Leck, Peter Nicolussi-Castellan .... Bald aber genügte auch der
einfache Zuname nicht mehr; so zweigte sich z. B. der Zuname Castellan aus in Pauláz,
^ eiss u. s. w. : in unserem Falle ist es der Zuname Muz, der durch die Familien Schneider
eine Auszweigung erhielt, also Nicolussi-Muz-Schneider. Auch der Schreibname Gaspeii.
den ungefähr '25 Familien führen, muss mit Zunamen versehen werden der deutlichen
Unterscheidung halber, z. B. Gasperi - Canaro, Gasperi - Knäpple (oder Knapp), Gasperi
Pecher, Gasperi - Dreizehue. — Vor Einführung der deutschen Schule in Lusérn waren
diese Zunamen möglichst italianisiert, z. B. Canéppele statt Knäpple, Baiz statt Weiss,
Moz (spr. Mos) statt Muz u. s. w ; weniger gelang dies bei Pecher (die Luserner sprechen
ganz genau Pex^r, während von ital. Beamten, z. B. bei Gericht, Pekar ausgesprochen
wird) und Dreizehne, welch letzteres Draizene geschrieben wurde. — Bei dem Schreib-
namen Pedrazza, den nur etwa sechs Familien führen, ist bisher ein unterscheidender
Zuname nicht gebraucht worden — Wie schon erwähnt gebraucht die Bevölkerung beinahe
ausschliesslich nur den Zunamen. Sic sagen z. B. di Ka stila - die Familien Castellan:
di Lekan die aus der Familie Leck: di mëntsan = die Familien Mensch; di Müz = die
■\on der (oder den) Familie(n) Mutz u. s. w. — — „is gant.....(3) na povái": die Kinder
"von Lusern gehen zur Sommerszeit, wenn die Almwirtschaft in Betrieb ist, täglich in die
näher gelegenen Almhütten, um frischen Zieger zu erhalten, der dann eine beliebte Zu-
speise zur „pult" (Polenta) abgiebt. Wird dieser Zieger sorgsam zubereitet, so schmeckt
ei ähnlich wie Maibutter. — Ggostadsf (ital. Costegïno) ist eine Alme neben dem Bísala,
und in ihr befindet sich „Rógga Dampf", von den Italienern „la rocca damf" genannt,
eine Höhle, „worin hundert Schafe Raum hätten".
18. Dar orgg.
Vor an étla jâr pan si'imar sáin-da
guwëst vïar raaiwn in an Bísala (Wísala)
zo mana 's hëwa.
Balama, ¿n gfanan áina da sun, fn
drai hä'm ganump da sëroast af da aggsl
011 sain kent áuvar huam. Vör-sa sain
partfrt zo kéma, ha'm - sa gurtiaft un
andar on hä'm gavorst z' séga, bé-dar
kint, on ër hat köt: „Na, nouét, am
éarstn bil-3 rívan", on da ándarn alora
ha'm darwíst un wëgu on sain kent.
Dar ándar hat garîft hör spät on
bál-dar is gawêst verta, hat-ar a pisla
garast4 on déna ís-ar partirt on is kent
ër ô; ma 's is aromái gawêst spät pa
18. Der (N)orgg.
Vor etlichen Jahren im Sommer waren
vier Männer drinnen im Wiesele, das
Heu zu mähen.
Allmählich bei Sonnenuntergang nah-
men zu dreien die Sense auf die Achsel
und kamen heraus heim. Bevor sie fort-
gingen (um heraus-) zukommen, riefen
sie dem andern und fragten (um zu er-
fahren), ob er komme, und er sagte:
„Nein, noch nicht, zuerst will ich be-
endigen", und die andern dann machten
sich auf den Weg und kamen (heraus).
Der andere beendigte spät (die Arbeit)
und als er fertig war, rastete er ein biss-
chen und dann brach er auf und kam
(heraus) er auch ; allein es war nunmehr
32
Bacher :
dar naxt un is gawëst tunkl, ás-ar-da
nixt hat gasëgg. On dísar man is kent
gráivana, on bál-dar is gawëst gga dar
htilb«? von kratiz, hát-ar gavuntat an orgg,
on darsél hat-an net gawölt lásan pasarn
un alöra dar man hat áuvarganump sal
mesar on hat-an ge't si'm stix »n orgg
on déna hat-ar ganump da kêar áu zúa
dan grísata térmar on is huam gsrlft
sïar tçat vo srak. Huam ás-ar is ga-
wëst hat-ar köt sain laüt, bäs-d'-an is
ga sëgat.
In ta' darn a hâ'm áugavaiaia a drai
manan on sain gant z' séga, bé-'s is
bar, gga dar hat abagastoxt an orgg; ma
bál-sa sain gawëst gga dar hülba von
kraiiz, há'm-s'-an gamöxt haltn »n paux
zo laxa, umbrúm dar man hat gahat
ge't sï'm stix sn an grfsatn knot, on vö
dansei täga än ansél man ha'm-s'-an hérta
köt: dar orgg.
19. Dar wil man on das
wil waiba. ,
In an strçax ís-da gawëst a man
un a waiba, bo-da hâ'm gahat zwça
kindar, a ptiabla on a dïarnla. Balamáio
's waiba is gastorbat on dar man is ga-
këart zo borata-sa. Das naüga waiba is
gawëst gúat betn kindar a ganzas jar.
Déna hát-s'-ar gakçaft sï ö úas a kin
on déna hat sa agavaioio zo sáina znixt
betn zwça ándarn kindar on hat hérta
köt ggan man, ás-ar sa vórttraiba da
zwça kindar. Ma dar man hát-ar nía
gawölt volgn, ombróm da kíndar hát-ar-
sa gahaltat gearn.
In an tâga dar man is gant an áldar
vrüa áus az velt, on vort ás-ar is ga-
wëst, hat-sa ge't a säkla äs vor-úan an
kindar on hat köt: „Geat est in pa wait
nä holz, ma geat sänana da äs, on déna
an kéarn bidrúm kent hérta na dar äs",
on asó ha'm-sa gatänt da kíndar. Da
stiafmuatar hat gasikt da kíndar in pa
wait, zça ás-da-sa vres épar a gawilt,
on invéza da kíndar sain gant on kent.
spät in der Nacht und dunkel, (so) dass
er nichts sah. Und dieser Mann kam
tastend, und als er war bei der Wasser-
grube am Kreuze, stiess er auf den Orgg,
und derselbe wollte ihn nicht vorüber-
lassen und da nahm der Mann sein
Messer heraus und gab (ihm) sieben
Stiche dem Orgg und dann wendete er
sich hinauf gegen den grauen Grenzstein
und langte daheim an beinahe tot vor
Schrecken. Heim gekommen sagte er
den Seinigen, was ihm begegnet ist.
Am nächsten Tage machten sich einige
Männer auf und gingen zu sehen, ob's
wahr ist, dass er den Orgg erstochen hat;
allein als sie dort bei der Wassergrube
am Kreuze waren, mussten sie sich den
Bauch halten vor Lachen, denn der Mann
hatte sieben Stiche versetzt einem grauen
Steine, und von jenem Tage an haben
sie (hat man) diesem Manne stets gesagt:
der Orgg.
19. Der wilde Mann und das
wilde Weib.
Einmal war ein Mann und ein Weib,
welche zwei Kinder hatten, einen Knaben
und ein Mädchen. Mit der Zeit starb
das Weib und der Mann hat sich wieder
verheiratet. Das neue Weib war gut mit
den Kindern ein ganzes Jahr. Dann hat
sie sich gekauft (sie) auch (eins) ein
Kind und dann hat sie angefangen bös zu
sein mit den zwei andern Kindern und
hat stets gesagt zum Mann, dass er sie
fortjage die'zwei Kinder. Allein der Mann
hat ihr nie folgen wollen, denn die Kinder
hat er (sie) gehabt gerne.
Eines Tages ging der Mann in aller
Frühe hinaus aufs Feld, und als er fort
war, gab sie den Kindern je ein Säcklein
Asche und sagte: „Geht jetzt hinein in
den Wald um Holz, aber gehet säend die
Asche, und dann bei der Rückkehr gehet
immer den Aschenspuren nach"; und so
haben (sie) gethan die Kinder. Die Stief-
mutter hat(te) geschickt die Kinder hinein
in den Wald, damit sie fresse etwa ein
wildes Tier, und statt (dessen) sind die
Kinder gegangen und gekommen. Und
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
33
On abas, bál-da sain húam garïft da
kinder, ís-sa-sa darzürnt on hat-sa ga-
maxt gían z' slava ána tsal.
In ta' darnfi dar vatar is wïdar gant
az velt, on dîsa znixt stíafmñatar hat-
an nage't a säkla salz an kíndar on hat-
sa wïdar gasikt nà holz. Da kíndar
sain gant sanan-? 's salz on sain gant
in wait in pa wait on bál-sa há'm ga-
hat ganíia holz, há'm - sa nemear ga-
vuntat m wëga zo keara bidrúm, om-
bróm 's is gawëst nas von tau on 's
salz ig gçst (gawëst) zorgánt. Alora
d ' arman kíndar há'm nemear gawist,
bo zo gíana on invçza bas zo kéma
z&o húamat, sáin-sa gant wetar in pa
wait.
Balamáio hä'm-sa gasëgg a haüsla on
se sain zuagant on hä'm gamägg^t (ga-
ñí eggat), on déna is áuvarkent das wil
waiba on hat köt: „O liaba maina kín-
dar, wo mài sáit-ar kent! ás-da húam
kint dar wil man, vríst-ar-as." On da
arman kinder hä'm köt: As-da sai, bás-
da got dar hear bil; wïar haint, ás-ar-
as dálat, plái'-bar da." „Bera", hat-'s
köt das wil waiba, „i hált-as da, ma
iar-ándiv möxt gían in untar 's pet on
stïan stila on swaign." „Ja ja", hâ'm-
sa köt da kíndar; déna das wil waiba
hat-an ge't épas z' ésa, on déna hát-
sa-sa gcmaxt gían ín úntar da lotér.
Balamáio is kent dar wil man on hat
gasmekt: „mf mf, da stinkt-'s nâ krístna
víais, da stinkt-'s na krístna víais; wem
hást-(d)o an haus, waiba?" „Niamat",
hat's köt das wil waiba, „swaiga, is on
trink, ön déna gëa z' sláva!" Ma dar
wil man hat-'s net gawölt glça'm on
hat wídar agavatoD zo sméka, on alora
das wil waiba hat - an zuagastrítít on
hat-an gamaxt gían z' slava.
Ma dar wil man is net gawëst guat
slava on hat gavörst das wil waiba
on hat köt: „Kii-mar waiba, bás-da asö
stinkt nfí krístna víais." „Ja", hät-'s
köt das wil waib?, „i ku-dar-'s ás-do-
mar vorh^ast nixt zo tüana." „Ja",
hat-ar köt dar wil man, „i vorhças-dar-'s,
Zeitschr d. Vereins Volkskunde. 1901.
abends, als die Kinder heim kamen,
wurde sie zornig und machte sie schlafen
gehen ohne Abendessen.
Am nächsten Tage ging der Yater
wieder aufs Feld, und diese böse Stief-
mutterhat ihnen, den Kindern, mitgegeben
ein Säcklein Salz und hat sie wieder um
Holz geschickt. Die Kinder gingen das
Salz säend und gingen weit hinein in den
Wald, und wie sie genug Holz hatten,
fanden sie nicht mehr den Weg zurück
(zukehren), denn es war nass vom Tau
und das Salz (ist) war zergangen. Nun
wussten die armen Kinder nicht mehr,
wohin zu gehen, und statt heimwärts zu
kommen, gingen sie weiter in den Wald
hinein.
Endlich sahen sie ein Häuschen und
sie gingen hinzu und klopften, und dann
kam heraus das wilde Weib und sagte:
„O meine lieben Kinder, wohin seid ihr
nur gekommen! wenn heim kommt der
wilde Mann, frisst er euch." Und die
armen Kinder sagten: „Es sei, was Gott
will; wenn Ihr uns hier lasset, (so) bleiben
wir heute (abends) da." „Gut", sagte das
wilde Weib, „ich behalte euch da, aber
ihr müsset gehen hinein unter das Bett
und still bleiben und schweigen." „Ja
ja", sagten die Kinder; dann gab ihnen
das wilde Weib etwas zu essen, und
dann machte sie sie hineingehen unter
die Bettstatt.
Mit der Zeit kam der wilde Mann und
roch: „mf mf, da riecht's nach Christen-
fleisch, da riecht's nach Christenfleisch;
wen hast du da im Hause, Weib?" „Nie-
mand", sagte das wilde Weib, „schweige,
iss und trink, und dann geh schlafen!"
Allein der wilde Mann wollte es nicht
glauben und fing wieder an zu riechen,
und dann verwies es ihm das wilde
Weib und machte ihn schlafen gehen.
Jedoch der wilde Mann konnte nicht
schlafen und fragte das wilde Weib und
sagte: „Sag mir, Weib, was da so riecht
nach Christenfleisch." „Ja", sagte (es)
das wilde Weib, „ich sag dir's, wenn
du mir verheissest, nichts zu thun." „Ja",
sagte der wilde Mann, „ich verheisse dir's,
34
Bacher:
i ttìa nixt", on alora das wil waiba hát-
's-an köt. „Ji'isto garext", hát-ar köt,
dar wil man, „'s diarnla hált-bar-'s vor
masérb on 's püabla vor temporels]a",
on aso há'm-sa gâtant; 's díarnla hat
g^holft dan wil waiba an dar árbat von
haus, on 's püabla há'm-s'-as galegg an
stai zo mesta.
In an täga hát-ar köt dar wil man:
„Est waib^ möxt-ma gían z' séga, bé-
da 's temporelala is vçast ganua", on
's díarnla hat-'s gehöart on is gant vor-
ána nídar an stai on hát-'s-an köt an
píiabla on lai hát-'s-sn ge't a sprúsala
on hat köt: „Rek-an áuvar 's spriisala
an wil man", on aso hat-'s gatânt an
étlan tâga 's píiabla, bál-da is gant dar
wil man z' séga, bé-'s is vçast: inveza
bas zo réka-n-an áuvar 's fíiaarla (vía-
arla), hat-'s-an áuvargarekt 's sprüsala.
Balamáií) hat-'s vorlört 's sprüsala, on
bál-da is gant dar wil man, hat-'s-an
áuvargamoxt rékan 's virarla on alora
dar wil man hat köt: „0, asó bol, est
pist-(d)o vyast gamia", on is gant áu
gga dan wil waiba, on hat köt: „Est
waiba 's temporelala is vçast ganua;
morgn gea-d-a zo néma 's gavátarlaüt,
on dü, intánto ás-a vort pin, max íibar-
lëgn an kesl vol bat wasar on borçat
da prua; max áuvarkeman 's temporelala
zo háka áu 's holz."
On aso há'm-sa gatant. Bál-'s áuvar
is gawëst 's temporelala, hat-s'an ge't da
hak on hat-an gazçagat da est (äst) on
hat köt, ás-s'-as áuhak kluà kláá; ma
's temporelala hat gahat kuan hákstok,
on alora hat-'s köt gga dan wil waiba:
„Saugat da, wfa tttan ana hákstok?"
on das wil waiba is gant on is-s^-sa
nfdargapükt zo lirna-'s, on 's piiabla
hát-ar hígahakt an kopf on déna hat-'s
ganump an laib on hat-an galegg an
kesl zo siada on an kopf hat -'s - an
g'legg an pet on hat - an zúagadekt
garext, on déna da zwça kíndar
ich thue nichts", und dann sagte es ihm
das wilde "VVeib. „Gerade recht", sagte
der wilde Mann, „das Mädchen behalten
wir als Magd und das Büblein als Mast-
stück", und so thaten sie; das Mädchen
half dem wilden Weibe bei der Arbeit
des Hauses, und das Büblein thaten sie
in den Stall zu mästen.
Eines Tages sagte der wilde Mann:
„Jetzt. Weib, muss man gehen zusehen,
ob das Maststückchen fett genug sei'\
und das Mädchen hörte es und ging vor-
aus hinunter in den Stall und sagte es
dem Büblein und zugleich gab es ihm ein
(dünnes) Holzstäbchcn und sagte: „Recke
(ihm) heraus das Stäbchen dem wilden
Mann", und so that das Büblein etliche
Tage, wenn der wilde Mann ging zu sehen,
ob es fett sei: anstatt ihm das Fingerlein
heráuszureeken, hat es hervorgereckt das
Stäbchen.
Allmählich verlor es das Stäbchen,
und als der wilde Mann kam, musste es
ihm herausrecken das Fingerlein und dann
sagte der wilde Mann: „0, so wohl, jetzt
bist du fett genug", und ging hinauf zu
dem wilden Weibe, und sagte: „Jetzt,
Weib, ist das Maststückchen fett genug;
morgen geh ich zu holen die Gevattern,
und du, während ich fort bin, lasse über-
setzen (über das Feuer) den Kessel voll
mit Wasser und bereite die Brühe; mach
heraufkommen das Maststückchen, (um)
das Holz aufzuhacken.
Und so thaten sie. Als das Mast-
stückchen herauf war, gab sie ihm die
Hacke (Axt) und zeigte ihm die Äste und
sagte, dass es sie aufspalte klein klein;
aber das Maststückchen hatte keinen Hack-
stock, und (dann) sagte (es) zum wilden
Weibe: „Schauet daher, wie (soll ich)
thun ohne Hackstock?" und das wilde
Weib ist gekommen und hat sich nieder-
gebückt, es zu lehren (zeigen), und das
Büblein hat ihr abgeschlagen den Kopf
und dann hats genommen den Leib
(Rumpf) und hat ihn gelegt in den Kessel
zum Sieden und den Kopf hats (ihn) ge-
legt ins Bett und hat ihn zugedeckt
ordentlich, und dann die zwei Kinder
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
35
hä'm-an ganump a pisla gelt on sain
V ob mint.
A pisla spçtar is zuagant dar wil
man un 's gavátarlaüt on hä'm níamat
gavuntat an haus on hâ'm gasëgg, gge 's
víais an kesl is gasötat, on se hä'm
agavaiaia zo ésa on hä'm gest das wil
waiba ana zo wisa (zo wçasa), wäs-sa
esan. Balamáia is-an áuvarkent a hant
m betn s^mmrat on alora há'ra-sa gasëgg,
bas-sa hä'm gest.
Dar wil man ig darsrákt 011 lai dar-
zürnt on hat gawölt naloavan an kin dar,
ma da ándarn hä'm-an net g-dat gTan.
Intanto da kindar sain gant huam
on hä'm gavnntat tçat on bográbat da
stlafmúatar on alora sáin-sa gastant se'm
bet sain vatar.
On dar wil man on 's gavátarlaüt
hä'm g^gaült das wil waiba, on déna
há'm-sa bográbat d¿n köpf, on déna 's
g'vátarlaiit is gant huam on dar wil
man is nö hérta in an wait, ma dar is
kent gfiat on vrist küan-ándra kindar.
20. Dar alt striü.
in an strçax is-da gawëst a man
on a waiba, bó-da hä'm gahat a dfarnla.
Dis? drai laiit sain galëbat batnandar
as-bé drai eml. Déna dar man is gastorbat
on hat hintargalat da wítova bét-(d)ar
tóxtar. Dïsa zwça laüt sain ö galëbat
as-bé da gúatn laüt.
Tn an mäl is-an zuagant a sáüladar
lósgatar áltar man on hat-an gavörst da
hérbaga dtsan zwça laüt. „Jätt, há'm-sa
köt dïsa zwça laüt, „bar bártn-as lëgn
épr-af-ana sait"; déna ha'm-s'-an ge't
épas z' ésa on déna hä'm-s'-an galegg
áu an a kamar z' släva. In tä' darna
dar man is áugastant un is gant úmar
pa wäldar zo lüsa áu g^gras, on bál-'s
is gawëst pala naxt, is-ar wïdar kent z'
slava ggan zwça wáibarlaüt, on asó
hát-ar gatíint an étlan täga.
haben ihnen (sich) genommen ein biss-
chen Geld und sind entgangen.
Ein bisschen später kam herbei der
wilde Mann und die Gevattern und fanden
niemand im Hause und sahen, dass das
Fleisch im Kessel gesotten sei, und sie
fingen an zu essen und assen das wilde
Weib ohne zu wissen, was sie essen.
Allmählich kam ihnen (beim Schöpfen)
eine Hand mit dem Fingerringe daran
heraus, und dann sahen sie, was sie
gegessen hatten.
Der wilde Mann erschrak und wurde
zugleich zornig und wollte den Kindern
nachlaufen, aber die anderen liessen ihn
nicht gehen.
Inzwischen sind (waren) die Kinder
heimgegangen und hatten die Stiefmutter
tot und begraben gefunden und dann
blieben sie dort bei (mit) ihrem Vater.
Und der wilde Mann und die Ge-
vattern beweinten das wilde Weib, und
begruben dann den Kopf, und dann gingen
die Gevatterleute heim und der wilde
Mann ist noch immer drinnen im Walde,
aber er ist gut geworden und frisst
keine Kinder mehr.
20. Der alte Hexenmeister.
Einmal war ein Mann und ein Weib,
welche ein Mädchen hatten. Diese drei
Leute lebten miteinander wie drei Engel.
Dann starb der Mann und hinterliess
die Witwe mit der Tochter. Diese
zwei Leute lebten auch wie die guten
Leute.
Eines Abends kam (ihnen) herzu ein
abscheulicher, schielender, alter Mann
und bat (sie) um (die) Herberge diese
zwei Leute. „Ja", sagten sie, diese zwei
Leute, „wir werden Euch unterbringen
etwa an einem Orte"; dann gaben sie
ihm etwas zu essen und dann wiesen
sie ihm (dr)oben eine Kammer an zum
Schlafen. Am nächsten Tage stand der
Mann auf und ging bei (in den) Wäldern
umher, zu sammeln Kräuter, und als es
beinahe (bald) Nacht war, kam er wieder
zu Schlafen zu diesen zwei Frauen, und
so that er etliche Tage.
36
Bacher: Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
Balamára da zwça laüt sain kent stüfo
zo hába se'm dísan alt man, on an an
mal hát-sa köt da mu atar gga dísan
man: „Est mal mentii moxt-ar-as siia-
Xan an ándarn gguartíaro, umbrúm da
kámar nüz-a-sa alúa." On alora dar
man hat köt: „Beio, est pin-a verta i ö;
i géa vort, on vor-d'-a gëa ktt-mar,
bas-i-dar géa suis» vor dísa zait, bó-do-
mar hast ge't z' slava." „Nixt", hat-'s
köt 's waiba, „wil-a net." On alora
dar man hat köt: „Bera, épas mox-adar
gë'm als uàs" on hát-ar ge't a kréadas
úLla on hat köt: „Sea díza tibia, on
bál-do wil, ás-da herkem a saiila wétar,
ni m an áisran löil on mis nïdar an da
itla on kü :
Onto bisónto
Sóto téra sggónto;
Yárda di non toggar
Né di ggua (qua) në di la —
Frrr áu pa kämax .... "
on lai dísar man is gant
áu on hä'm - an nímar mear
segg.
Da tóxtar intánto ás-da is gasegat
diza ís-sa vórtgawest, on bál - sa züa is
kent, da míiatar hat-'s-ar köt. Da dfarn
is darsrakt zo hçara asö, ma da alt is
gawëst àia lusta zo haba da lila.
A drai jar spëtar da dfarn is bo-
rátat on hat ganump an sun von an
wïrt.
In an täga dísa spusa is gawëst
se'm ggan héart hat-sa gvkoxt an vór-
mas. Balamáio is se'm garlft a rosnar
bat an tsótatn ros on hát-ar gavörst zo
trínka, on déna hát-ar köt, dar is aso
darsrákt, ombrúm bál-dar is gawëst an
da lest stikl zo rïva an wëga, hát-ar
gahçart höggn áu. an air on kö'n: „Ho
man bat ansai bohénkata ros, ku - dar
dò'm darsél suan spusa an lant, gge da
Píza-Páza is tóat an Häg." Da spusa
is kent bais a bé-da maur, umbróm da
Píza-Páza is gawëst saï muatar, on hat
Allmählich wurden die beiden Leute
überdrüssig, diesen alten Mann dort zu
haben, und eines Abends sagte die Mutter
zu diesem Mann: „Jetzt, mein Mensch,
müsst Ihr Euch ein anderes Quartier
suchen, denn die Kammer brauche ich
(sie) selber." Und dann sagte der Mann:
„Gut, jetzt bin (ich) fertig ich auch; ich
gehe fort, und bevor ich gehe sag mir,
was ich dir schulde für diese Zeit, wo du
mir hast zu schlafen gegeben." „Nichts",
sagte das Weib, „will ich (nicht)." Und
dann sagte der Mann: „Nun, etwas muss
ich dir doch geben" und gab ihr ein
irdenes (kreidenes) Häfchen und sagte:
„Da (hast du, nimm) dieses Häflein und
wenn du willst, dass herankomme ein
schreckliches Gewitter, nimm einen
eisernen Löffel und rühre hinein in den
Hafen und sag:
Onto bisonto
Unter der Erde versteckt;
Hüte dich zu berühren
Weder hier noch dort —
Frr hinauf zum Rauchfang . . . . "
kämax und dabei ging dieser Mann (durch) den
Schornstein hinauf und (sie) haben ihn
nimmer mehr (anders) gesehen.
Die Tochter ist, während dies geschah,
fort gewesen, und als sie herzu kam,
sagte es ihr die Mutter. Das Mädchen
erschrak, solches zu hören, allein die Alte
war ganz vergnügt, den Hafen zu besitzen.
Etwa drei Jahre später hat sich das
Mädchen verheiratet und hat den Sohn
eines Wirtes genommen.
Eines Tages war diese Gattin dort am
Herde hat sie gekocht das Mittagessen.
Da kam dort an ein Fuhrmann mit einem
hinkenden Rosse und verlangte (von) ihr
zu trinken, und dann sagte er, er sei so
erschrocken, denn als er in der letzten
Steilung war zu beendigen den Weg, habe
er gehört schreien (dr)oben in der Luft
und sagen: „Ho Mann mit jenem hinken-
den Rosse, sag (ihr) droben jener schönen
Gattin im Dorfe, dass die Piza-Paza tot
(ist) im Hag (liegt)." Die Frau wurde
weiss wie die Mauer, denn die Piza-Paza
war ihre Mutter, und (sie) wechselte ge-
Onto bisonto
Sotto terra sconto;
Yarda di non toccar
Ne di qua ne di là —
pa
ándarst ga-
Raff: Geschichten aus Bamberg.
37
lai gaweggslt 's vi'irta on is gant z' schwind die Schürze und ging zn sehen,
séga, bé-da saï müatar is dahúam. Ma ob ihre Mutter daheim sei. Allein sie fand
sa hat g^vuntat 's haus 1er on da úla das Haus leer und den Hafen des Alten
yü dsn alt hat-sa-sa gavunt4 afn heart, fand sie (ihn) auf dem Herde, und unten
on nídar na dar úla ís-da gawçst dar beim Hafen war der eiserne Löffel, und
aisra löfl, on se'm hat-sa darként, gge so erkannte sie, dass die Mutter beim
da mnatar is gant pa kämax áu. On Rauchfang hinaufgefahren sei. Und sie
sì hat áudarwist on is gant an Häg, machte sich auf und ging in den Hag,
on se'm hát-sa-da gavuntat da muatar und dort fand sie die Mutter tot; und
toat; on dasei is gawêst dar gawín, dies war der Gewinn, den sie hatten, den
bó-sa hä'm gahat zo géba de hérbaga alten, schielenden, hässlichen Mann zu
dan alt lósgat; saüla man; ombrúm in- beherbergen; denn anstatt ein Mann zu
vëza bas zo saina a man as-ba ala da sein, wie alle andern, wTar es ein Hexen-
ándarn is-'s gawëst a striu. meister.
Bemerk.: „Häg (oder Lanzi)"' wird ein Teil des Bergabhanges zwischen Lavráu
(I, avaro ne) und Ggalnéts (Caldonazzo) genannt. — „ ... da sprisa is gawêst se'm ggan héart
hat-sa gako^t . . . " dieser eigentümlich gebaute Satz müsste vollständig lauten: „. . . da
spfisa is gawêst ggan héart on se'm hat-sa gako^t . . . ähnlichen Sätzen werden wir noch
begegnen. Auch anderweitig unvollständige Sätze sind bisher bereits vorgekommen, z. B.
in „'s lox von gelt": „ .... on se sem zo httata" .... „on vort". Auf solche Weise geben
die Luserner ihren Erzählungen eine lebendige, anschauliche Darstellung. — spàsa wird
gewöhnlich für „Gattin" gebraucht, während „Braut" oder „Verlobte" noviza heisst; sie
hat sich verlobt = se ís-sa-sa gamaxt noviza.
Geschichten aus Bamberg.
Mitgeteilt von Helene Kaff.
1. Die lächelnde Mutter Gottes.
Wie in den siebziger Jahren die Cholera so arg' in München war und
es kamen auch sonst in Bayern, ganz besonders zwischen München und
Bamberg, häufig Cholerafälle vor — da hatten die Bamberger schreckliche
All§'st, sie könnte zu ihnen kommen. Es ging mancher von Grund aus in
und viele verlobten sich zur Mutter Gottes von der oberen Pfarr',
(''e ein wunderthätiges Gnadenbild ist, damit sie die Krankheit fernhalte.
r, ö
¿-lim gleichen Ende that auch der damalige Pfarrer von der oberen Pfarr',
em recht christlicher Herr, alle Tag ein Gebet — und einmal am Sonntag
lst er ganz beglückt und zuversichtlich auf die Kanzel gestiegen und hat
gesagt: „Kinder, thut's Euch nicht fürchten, die Cholera kommt nicht,
(lenn heute, als ich um Abwendung gebetet habe, hat unsre liebe Frau
nur zugelächelt." Das wrollten nun viele nicht glauben, aber doch ging es
uchtig hinaus, denn eine Stunde vor Bamberg w-aren die letzten Cholera-
fälle, zur Stadt hinein ist sie nicht gekommen.
38
Rafi':
2. Der nächtliche Ruf.
Der Bürgermeister von Bamberg war ein kernfester Mensch; er stellte
so recht einen Mann vor und war aneli noch nicht alt. Einmal hatte er
des Abends noch eine Besprechung in Gemeindesachen gehabt, und dar-
nach musste natürlich auch ein Schoppen getrunken werden — darüber
war es späte Nacht geworden. Der Bürgermeister wohnte hinterm Dom-
platz, wo jedes Kind weiss, dass es bei Nacht nicht richtig ist; wie er
nun das Dombergl hinaufgeht, hört er sich von rückwärts dreimal laut
beim Namen rufen. Er schaut sich überall um und sucht, aber niemand
war zu sehen und alles wieder still. Da ist er sehr ernst heimgegangen
und hat seinen Leuten gesagt: „Passt auf, das bedeutet mir was" — und
richtig ist er drei Tage drauf am Schlagfluss gestorben.
3. Die Erscheinung im Bischofspalast.
Es ist schon lange her, da haben die Bamberger einen Fürstbischof
gehabt, der war nicht eben unrecht, aber nicht gar so fromm wie ein
Bischof sein soll und mehr aufs Trinken aus als aufs Fasten. Sein Yater
— manche sagen, der war der nämliche, manche sagen, er war frommer
wie sein Sohn und nicht immer zufrieden mit seinen Sachen — hat auch
noch gelebt und war recht rüstig. Da giebt der Bischof eines Abends
ein grosses Essen, bei dem's denn am Wein nicht gefehlt hat. Es war
schön Mitternacht, da schickt der Bischof einen Diener ins Vorzimmer,
um Karten zu holen, und nach einer Minute kommt der Diener ganz ver-
dattert und sclilohweiss zurück und sagt: „Ach, Bischöfliche Gnaden,
draussen auf dem Stuhl sitzt Ihr Herr Yater, der hat ein langes Hemde
au und «ranz starre Auiren." — Der Bischof hat recht mit dem Diener
o o
geschimpft und ist dann selbst zur Thür gegangen — da sieht er draussen
im Yorzimnier seinen Vater, ganz wie's der Diener beschrieben hat; aber
gleich darauf war nichts mehr da. — Am nächsten Tage ist dem Bischof
angesagt worden, dass sein Vater in der Nacht, eben um die Stunde, wo
er sich im Palast sehen liess, gestorben war; darnach ist dann der Bischof
mehr in sich gekehrt und viel geistlicher geworden als vorher.
4. Die beiden Schildwachen.
Am Dom zu Bamberg ist ein steinernes Jungfrauenbild mit einer
wirklichen Leinenbinde um die Augen; das hat sieben Dachziegel in der
Hand und heisst die blinde Gerechtigkeit. Das Bild soll zum Andenken
gemacht sein, weil einmal eine schöne Jungfrau unschuldig zum Tode
verurteilt war und, da man sie am Dom vorbei zur Hinrichtung führte,
niederkniete und bat, unser Herr möge sie zum Zeichen ihrer Unschuld
lieber hier zur Stelle sterben lassen als von Henkers Hand. Da fielen
die Ziegel vom Dach und erschlugen sie; so kam ihre Schuldlosigkeit an
den Tag. — Aber geheuer ist es dort herum nicht, denn wenn dem Bild
Geschichten aus Bamberg.
39
die Binde vor den Augen verfault ist, so hört man nachts ein Weinen
und Wimmern, bis eine neue Binde hergeschafft wird, und die Schild-
wachen an der Residenz haben dann keine Ruh'. So stehn einmal ihrer
zwei bei Nacht auf Posten und hören allerhand Gewinsel und spukhaftes
Gethu'; zuletzt sagt der eine: „Horch', Kamerad, so kläglich thut sie um
ihr Bindlein; magst Du hier einen Augenblick allein sein, so will ich
schauen, dass ich ihr eins bring'." — „0 du Narr", sagte der andere,
„von mir aus plärrt sie wie sie mag; was geht's uns an?" — Wie er kaum
ausgeredet hatte, kriegte er eine Watschen, so dass er hintüber fiel und
vor Schreck fast die Fraisen bekam. In Zukunft hat keiner sich dort
mehr so grobe Reden zu führen getraut.
5. Der Dombaumeister.
Den Dom haben zwei Baumeister gebaut, und der eine ist dem andern
dadurch Herr worden, dass er mit dem Teufel einen Pakt gemacht hat,
und da sind alle Nacht zwei Kröten gekommen, die zerstörten, was der
andre geschafft hatte. Der dem Teufel Ergebene kam so natürlich zu
leichtem Sieg und vollendete den Dom, aber wie das geschehen war, stand
der Teufel da und wollte seinen Lohn; der Baumeister sprang verzweiflungs-
voll vom Dach herab; da fuhr der Teufel hinterdrein und schlug ihn an
eine Hausmauer gegenüber, dass 'das Hirn aus dem Schädel spritzte. An
dem Haus, wo das geschah, ist eine breite Stelle zu sehn, wo der Bewurf
rötlich und breiartig ausschaut — das soll des Baumeisters Gehirn sein.
6. Die Kutsche im Rentamt.
Als das Bamberger Rentamt nach Hallstatt überführt wurde, sagten
die Bamberger dem Rentamtmann gleich zuvor, dort könnte er sich genug
seheu und hören, denn es spuke im Haiistatter Amtsgebäude. Aber er
8'ab nichts darauf. — Nun, wie es halt sein will, einmal bei der Nacht
Wachen alle Einwohner im Rentamt auf, wreil die Stadelthür aufgemacht
wird und die grosse alte Amtskutsche fährt im schnellsten Trab heraus,
nach Bamberg zu. Dann war wieder Ruhe, aber über eine Weile kommt
Kutsche zurück und rumpelt ins Haus, und in der Küche fängt ein
kennen und Laufen an, als ob Feuer gemacht und Wasser zugesetzt
würde. Da steht der Amtmann mit ein paar Leuten auf, um nachzu-
schauen, aber im Stall war alles am Platze, und der Knecht verschwor
sich, dass nicht ans Pferd noch an die Kutsche sei gerührt worden; ebenso
war die Küche dunkel und leer, und der Herd war kalt. — In der
"ächsten Nacht ist plötzlich eins von den Kindern schwer krank worden,
'Ia hat man mit der Kutsche den Doktor von Bamberg müssen holen und
nachher in der Küche Tliee und Arzneien kochen — ganz um die gleiche
Zeit, wo in voriger Nacht der Lärm war. Da hat man freilich gesehen,
'tass es sich angezeigt hat.
40
Kahle :
Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazeit.
Yon Bernhard Kahle.
In dieser Zeitschrift Bd. X, S. 165 schreibt 0. Scliell in seinem Auf-
satz Bergische Hoclizeitsgebräu che: „Die Hochzeit wurde im Hause des
Bräutigams begangen; das ist beachtenswert, lind schon von Weinhold,
entgegen Engeltofts Meinung, festgelegt worden als allgemein - deutscher
Gebrauch. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann von einer Heim-
holung, von einem Brautzug oder Brautlauf nach altgermanischer Aus-
drucksweise die Rede sein." Es interessierte mich nun, zu sehen, inwie-
weit dieser Satz zu den altisländischen Yerhältnissen stimmt; ich sage
ausdrücklich altisländisch, nicht altnordisch oder altwestnordisch, da wir
über das altnorwegische Familienleben nur dürftig unterrichtet sind, wäh-
rend uns für das altisländische die Quellen um so reichlicher in den
Prosaerzählungen fliessen. Das Resultat meiner Untersuchung lege ich
hier in Kürze vor.
Uber den Vorgang bei der Hochzeit äussert sich Weinhold, Altnord.
Leben, 246, folgendermassen: „Die Festlichkeit hat die volle Ubergabe
der Braut und ihren Eintritt in das Haus des Mannes zum Zweck. Daher
bilden die Fahrt zum Brauthause, der Zug (Lauf) mit der Braut zum
Hofe des Bräutigams, die Einführung hierin und die Bewirtung die Be-
standteile der altnordischen und überhaupt der germanischen Heiratsfeier."
Und ebenda: „Zwischen Bräutigam und Brautvater entstand ein Wettstreit,
wer diese Hochzeit ausrichten solle. Der Sache nach kam es dem jungen
Manne zu, der seine Häuslichkeit damit einweihte und zu dem notwendig
die Heimführung geschehen musste. Aber reichere Geschlechter be-
trachteten dies allgemach wie eine Verkürzung ihres Rechtes und wie ein
Zugeständnis von Armut; sie hielten deshalb darauf, dass man den Braut-
lauf bei ihnen trinke. Es bedurfte also einer besonderen Bedingung vom
Bräutigam, dass der Hochzeitsschmaus in seinem Hofe gehalten werde,
und die Bewilligung ward vom Brautvater nur als nachgeben in einem
Rechte und als besondere Gunst und Ehre gegen den Bräutigam dar-
gestellt."
Wir wollen nun zunächst die Frage untersuchen, wo auf Island die
Hochzeit stattfand. Dass dies gewöhnlich im Hause der Brauteltern der
Fall war, führt Kâlund1) an, während Hildebrand sagt, dass die Hochzeit
entweder vom Vater der Braut oder vom Bräutigam ausgerichtet wurde,
ohne sich weiter darüber zu äussern, was das gewöhnliche war.2) Die
1) Aarb. f. nord. oldk. og hist. 1870, S. 307 u. Pauls Grdr.1 II2, S. 219.
2) Lifvet pâ Island under sagotiden, S. 97.
Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazeit.
41
von Lehmann angeführten1) Schriften von Thorlacius2) und Engelstoft3)
(so und nicht Engeltoft, wie Schell a. a. O. schreibt, lautet der Name),
sind mir leider hier nicht zugänglich.
Ich gebe nun im folgenden eine Ubersicht über die mir bekannten
♦Fälle, in denen der Ort der Hochzeit ausdrücklich angegeben ist. Diese
Zusammenstellung erhebt nicht den Anspruch auf absolute Vollständigkeit,
wird aber, denke ich, genügen, um die Frage zu entscheiden, welches die
gewöhnliche Sitte auf Island war.
1. a) Die Hochzeit findet im Hause der Brauteltern statt.
pórpr Ingunnarson mit Guprún Osuífrsdóttir Laxdóla 35, 1014);
Bolli porleikss. mit derselben ebenda 43, 135; Bolli Bollas. mit
pórdís Snorrad. ebenda 70, 211. Glúmr Oleifss. mit Hallgerpr
Hoskuldsd. Njál. 13, 64. Mprpr "Valgarpss. mit pórkatla Gissurard.
ebenda 65, 300; Hrútr Heriolfss. mit Unnr Marpard. ebenda 2, 5;
porvaldr Osuifrss. mit Hallgerpr Hoskuldsd. ebenda 10, 45. Skáld-
Hrafn mit Helga porsteinsd. Gunnlaugs. (ed. Mogk) 8, 19. porvaldr
porgilss. mit Sigripr Klakka-Ormsd. Yatnsdola 44,71 (in Fornsögur);
porgrimr mit porbiorg Skipad. ebenda 32, 52. Porgils pórparsson
mit Helga póroddsd. Flóam. s. (Forns.) 31, 156. porkell Geitiss. mit
Jórunn Einarsd. Liósvetn. s. (Reykjav. 1896) 12, 34; Finnbogi mit
Hallfripr Eyiolfsd. (Reykjav. 1897) 29, 55. Illugi Hrolfss. mit puripr
Grimkelsd. Harpars. og Holmveria (Reykjav. 1891) 11, 20; Indripi pór-
valdss. mit pórbiorg Grimkelsd. ebenda 19,42. Helgi Asbiarnars.
mit porlaug Bessad. Fliótdóla (ed. Kâlund) 33; derselbe mit pordis
ßiarnard. ebenda s. 35; Eyvindr Kálfss. mit porania Eyiulfsd. pórpar
s- Hrepu (ed. Vigfüsson) 8, 101; porgils Arason Vigastyrs. 21, 334
(Islend. II2); Barpi Gupmundars. mit Aupr Snorrad. ebenda 40, 392;
Búi Andrípars. mit Helga porgrimsd. Kialnesinga s. 17, 454 (Islend.
II2), porkell Gunnvaldss. mit Helga porgeirsd. Landn. II, 4, 72
(Islend. I2). Gullpórir mit Ingibiorg Gilsd. Gullpóriss. (ed. Kâlund)
20. porvaldr vípforli initYigdís Ôlafsd. Bisk. sog. I, 41 f. Bersi
mit Steingerpr porkelsd. Kormakss. 7, 14. Óláfr mit Helga Ynguil-
dard. Sturlunga II, s. 16; Sturla pórpars. mit Ingibiorg porgeirsd.
ebenda 43; Klaéngr Kleppiarnss. mit Guprún porvarpsd. ebenda 132;
i^orfinnr Onundars. mit Ingibiorg Gupmundard. ebenda 143; Gizurr
i'orvaldss. mit Ingibiorg Snorrad. ebenda 265f.; porvaldr Vatz-
1) Verlobung und Hochzeit nach den nordgermanischen Rechten des früheren Mittel-
alters, S. 3.
2) Borealium veterum matrimonia cum Romauorum Institutis collata 1784.
3) Forsög til en Skildring af Quindekjönnets huuslige og borgerlige kaar hos
Skandinaverna.
4) Die in der altnordischen Sagabibliothek enthaltenen Ausgaben citiere ich nach
diesen. Die erste Zahl giebt hier, wie auch sonst, das Kapitel, die zweite die Seite an.
42
Kahle :
firpingr mit pórdís Snorrad. ebenda 264 und 266. Kolbeinn ungi
Arnórss. mit Hallbera Snorrad. ebenda 279; Hrafn Oddzson mit
pórípr Sturlad. Sturi. II, s. 66; Oddr pórarinss. mit Randalinn
Philippusd. ebenda 81. Helgi porbiarnars. mit póra Hafsteinsd.
Yemundars. 14, 269ff. (íslend. II1).
Wahrscheinlich gehört hierher auch die Hochzeit des Oláfr Hos-
kuldss. mit porgerpr Egilsd.; wenn auch nicht ausdrücklich gesagt
wird, dass sie bei Egill stattfand, so heisst es doch gleich, nachdem er-
zählt worden ist, dass porgerpr mit ihm vermählt wurde „fuhr sie zur
Wohnung mit ihm nach Hiarparholt", Egilss. 78, 255. Die drei Hoch-
zeiten des Viglundr mit Ketilrípr Hólmkelsd., des Sigurpr spaki
mit Helga porgrimsd. und des Gunnlaugr ofláti mit Ragnhildr
Helgad. wurden zusammen gefeiert. Der Ort wird nicht genannt, doch
ist es jedenfalls nicht das Haus eines der Bräutigame gewesen, da es
heisst „darauf fuhr jeder heim zu seiner Wohnstätte", Viglundars. (ed.
Vigfüsson) 21, 91. Es wird also gemeint sein, dass die Hochzeit im Hause
der Eltern einer der Bräute war. Da jedoch die ganze Saga unhistorisch
zu sein scheint, kann man diese Fälle überhaupt übergehen. Ebensowenig
dürfen Fälle gerechnet werden, bei denen der Bräutigam ein Ausländer
war, wie der Norweger Geirmundr gnyr, der sich mit puripr Olafsd.
verheirate Laxd. 29, 84, oder wenn er, erst ins Land gekommen, überhaupt
noch keine Besitzung hatte, wie Geirr Ketilss., dem Skallagrimr erst
nach dessen Hochzeit mit seiner Tochter pórunn Land anweist, Egilss.
39, 114.
b) Die Hochzeit findet bei dem Vormund der Braut statt.
póroddr skattkaupandi mit der verwitweten puripr, beim Bruder,
dem Goden Snorri, Eyrb. 29, 104 Hoskuldr práinss mit Hildigunnr
Starkapard., beim Oheim, Njál. 97, 507. Suertingr Hafr-Biamars.
mit Hungerpr póroddzd., bei einem Verwandten der Braut, Gunnl. 11, 19.
Hersteinn Blundketilss. mit puripr Gunnarsd., aufAVunsch des Vaters
bei seinem Schwager und Pflegevater seiner Tochter, Honsnapóriss. (ed.
Heusler) 11, 17. porbiorn piópreks. mit porgerpr Oddleifsd., beim
Bruder, Hávarpars. (Reykjav. 1896) 4, 13. porsteinn mit Guprün, bei
einem Verwandten der Braut, bei dem sie früher Wirtschafterin war,
Liósvetn. (Reykjav. 1896) 13, 38. Grimr mit der Nichte der Ingimunds-
söhne in deren Hause, Finnb. 34, 65. Griss mit Sigripr Snsékollsd.,
beim Oheim, Suarfd. 15, 150 (Islend. II1), práinn Sigfúss. mit por-
gerpr Hallgerpard., bei ihrem Stiefvater, auf dessen Hochzeit mit ihrer
Mutter, Njál. 34, 133f. Sighuatr Sturlus. mit Halldóra T.úmas.; der
Vormund der Braut richtet die Hochzeit im Hause eines anderen aus,
weil den Sturlusöhnen der Weg in seine Wohnung zu beschwerlich war,
Sturi. I, 200; Grimr Suertingss. mit pórdis pórolfsd., bei ihrem
Oheim, Egilss. 77, 254f., Oraékia Snorras. mit Arnbiorg Arnórsd., bei
Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazeit.
43
ihrem Bruder, ebenda 314. porgeirr biskupss. mit Guprún por-
varpsd.; die Hochzeit findet á Hálsi statt, Sturi. I, 95, wo der Wohnsitz
ihres Yaters war, ebenda 99.1)
Hierher zu stellen sind wohl auch:
porgrimr porsteinss. mit pordís Súrsd., wahrscheinlich im Hause
der Brüder der Braut, wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt wird, Gisla
s. Súrss. I, 10 (ed. Gislason). Sturla Sighuatss. mit Solveig Ssemun-
dard., bei porvaldr Gizurars., dem die Braut und ihre Mutter die "Ver-
waltung ihres Vermögens übertragen hatten, Sturi. I, 262.
c) Die Braut richtet selbst die Hochzeit aus.
Dies ist natürlich nur ausnahmsweise der Fall: porkell Eyiolfss.
mit der Witwe Guprún Osuifrsd. Obwohl Snorri gopi, ein Verwandter
der Braut, sich bereit erklärt hatte, die Hochzeit auszurichten, schlägt die
stolze uud reiche Witwe sein Anerbieten mit der Begründung aus, es ver-
schlage ihr nichts, die Kosten dafür aufzubringen, sie wolle weder die
Mühe ihres Bräutigams noch irgend eines anderen in Anspruch nehmen.
Dass dies Vorgehen etwas ganz Ungewöhnliches war, erhellt aus der Ant-
wort Snorris: „Oft zeigst du das Guprún, dass du eine ganz hervor-
ragende Frau (kuennsknrungr) bist. Laxd. 68, 205. Selbst scheint
auch Guprún pórpard. ihre Hochzeit mit Sinmun porvarpss. aus-
gerichtet zu haben. Sie war eine selbständige Erbtochter, und es wird
wenigstens kein Vormund genannt. Auch scheint die Hochzeit bei ihr
stattgefunden zu haben, wenigstens wird nur kurz berichtet, dass, nachdem
die Ehe geschlossen, fór Simun í bú mep henni, was wohl soviel heisst
wie: er trat in ihre Wirtschaft ein, d. h. er nahm bei ihr Wohnung. Hätte
'l'e Hochzeit bei ihm stattgefunden, so wäre dies sicherlich erwähnt worden,
ebenso wie alsdann angeführt worden wäre, dass er mit seiner Frau von
dai n deren Besitztum übergesiedelt wäre. Dass er selbst eine Besitzung
gehabt habe, wird nirgends berichtet, ist auch nicht wahrscheinlich. Sein
^ ater, porvarpr kamphundr, war Dienstmann (hiiskarl) in Laufás,
also war er überhaupt eigentlich keine seiner Frau ebenbürtige Partie,
Avas auch ausdrücklich hervorgehoben wird, wenn es von ihm heisst: „Er
hatte zahlreiche Freunde (vins«11 inapr) und das schien eine gleiche
''artie mit ihr." Was ihm also an Vermögen und Stand abging, ersetzte
er durch seine Freundschaften. Sturi. I, 134 f., vgl. I, 171.
Im folgenden setze ich, soweit Gründe angegeben werden oder er-
kenntlich sind, weshalb die Hochzeit nicht im Hause der Braut u. s. w.
stattfindet, diese möglichst kurz hinzu.
1) Im Text steht fälschlich Guprún porgeirsd. Dass aber die Tochter des por-
Va*pr, des Sohnes des porgeirr Hallason, es war, die sich mit porgeirr, dem
kischofssohn verheiratete, "wird Sturi. I, 8S ausdrücklich gesagt. Der Index II, Sturi. II,
431 und das Geschlechtsregister des Bischofs Gupmundr, ebenda 493, geben denn auch
das Richtige an. Ob ein Fehler in der Handschrift oder ein Yersehen des Herausgebers
vorliegt, entzieht sich meiner Kenntnis.
44
Kalile :
2. a) Die Hochzeit findet im Hanse der Eltern des Bräutigams statt.
Oláfr feilan mit Alfdís Konálsd., im Hause seiner Grossmutter —
sein Yater war tot —, die, eine Königswitwe, die ganze Gegend in Besitz
genommen hatte, also die mächtigste Persönlichkeit war, Laxd. 2, 12.
Oláfr páe mit porgerpr Egilsd., Laxd. 23, 67. Hier wird ausdrücklich
angegeben, dass besonders verabredet wird, dass die Hochzeit bei den
Eltern des Bräutigams sein sollte, „die Hausfrau sollte man ihnen ins
Haus führen" und das wird als eine ehrenvolle Bedingung bezeichnet, vgl.
die Anmerkung Kâlunds. porgrimr Helgas, mit Arndís pórpars.,
Kialn. 2, 400 (Tslend. II2). Hallr Gizurarson mit Ingibiorg Sturlad.,
Sturi. II, 154 f.
b) Die Hochzeit findet im Hause des Bräutigams statt,
porvaldr Halldórss. mit Guprún Osuifrsd., der Bräutigam ist der
Sohn eines Goden, und der Schwiegervater sagt selbst, dass sie nicht gleich
vornehm wären. Laxd. 24, 98. Kiartan, von mütterlicher Seite aus
irischem Königsgeschlecht stammend und Dienstmann Olafs Tryggva-
sons, mit Href il a Asgeirsd., aus gutem bäuerlichem Geschlecht, das
sich aber mit dem Kiartans nicht messen konnte. „Nicht lässt Kiartan
sichs anders gefallen, als dass die Hochzeit in Hiarparholt (seinem
Wohnsitz) sei", Laxd. 45, 142. Gunnarr v. Hliparendi mit der ver-
witweten Hallgerpr. Er galt als der tapferste Mann Islands und war
sehr angesehen. Njál. 33, 128. Grímiceli mit Signy Yalbrandsd., der
Bräutigam ist Gode, Harpars. og Holmv. 3, 4; derselbe mit Sigrípr pór-
biarnard., ebenda 10, 20. pórir Hrafnkelss. mit der verwitweten
porgerpr, er ist Sohn eines Goden, Fliótsd. s. 2. Hoskuldr Dala-
Kollss. mit Jórunn Biarnard., Laxd. 18, 18. Biorn wird zwar ein
Mann von hoher Abkunft (stórséttapr) und reich (aupigr at fé) genannt,
und seine Tochter war die beste Partie in den Westfjorden, aber Hos-
kuldr war Gefolgsmann des Königs Hákon Apalsteinsfóstri und wurde
auf Island ein grosser Häuptling. Gunnarr mit Rannveig. Über ihre
beiderseitige Herkunft wird weiter nichts mitgeteilt, auch der Ort, wo die
Hochzeit stattfindet, nicht, jedenfalls gründet das neue Ehepaar erst nach
der Verheiratung sich eine Wohnstätte, aber es wird gesagt, dass der
Bräutigam das Gastmahl ausrichtet (byr hann pá veizlu), Fliótd. 28 if.
Hallstein mit der verwitweten Droplaug, ebenda 105 f. Sturla í
Huammi mit Gupny Bopvarsd., Sturi. 1,52. pórpr Sturlus. mitYal-
gerpr Arn ad., die er schon vorher in sein Haus genommen hatte. Ähnlich
hatte auch porgrimr Ottarss. die Pflegetochter Skútis, nach dessen
Ermordung schon vorher in sein Haus genommen, und „er verheiratete
sich alsdann mit ihr", also fand wahrscheinlich die Hochzeit in seinem
Hause statt, Yemuudars. 30, 319 (Islend. II1), pórir tott Arnpörss. mit
Herdis Einarsd., Sturi. II, 179. Seine Hochzeit mit der Gróa Alfsd. scheint
G i zurr p or val d s s. selbst bei sich ausgerichtet zu haben, Sturi. II, 102,
Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazeit.
45
und die Hochzeit, zu der Bischof Magnus Einarss. nach Skálholt
einladet, ist doch wohl auch seine eigene gewesen, wenn es auch nicht
ausdrücklich gesagt wird, Bp. I, 77.
c) Die Hochzeit findet bei einem Verwandten des Bräutigams statt.
Arnórr raupskinnr mit pordis Gizurard., im Hause seines Vetters
Glümr, auf dessen Veranlassung, Yigagl. c. 11 (Islend. II1, 351). Asbiorn
Hrafnkelss. mit Oddbiorg Gliimsd., wahrscheinlich, wofern die in den
Text aufgenommene Lesart das richtige hat, im Hause seines Bruders,
zugleich mit dessen Hochzeit, Fliótsd. s. 4. Helgi Arngrímss. mit Olof
Kol lad., im Hause des Oheims des Bräutigams, zugleich mit der Hochzeit
von dessen Tochter, Kialn. c. 17 (Islend. II2, 454). Snorri Sturlus. mit
H er di s Ber s ad., bei seinem Bruder Sighuatr, Sturi. I, 110 und 202.
d) Die Hochzeit findet bei einem Freund oder Beschützer des Mannes statt.
porkel] Sigurpss. mit pora porgrímsd., im Hause Finnbogis,
der den Freiwerber gemacht hatte; jedoch werden die zur Hochzeit nötigen
Vorräte vorher aus dem Gehöft des Bräutigams geholt, Finnb. s. 30, 57
(Reykjav. 1897). Gríss Saemingss. mit Kolfinna Avaldad., bei Mar,
einem Freunde des Gríss, der gleichfalls Freiwerber gewesen war und
die Partie ausgesucht hatte, Hallfr. 4, 89 (Forns.). Hrafn Brandss. mit
Guprün pórpard., bei Grimr Sn orras., dem Gefolgsherrn des Bräutigams,
Sturi. I, 135. Andrípr mit purípr, der Schwester des pormópr, bei
Helgi bióla, dem Herrn der Gegend, der ihm Land angewiesen und auf
seinen Wunsch auch die Frau ausgesucht hatte. Mit den Söhnen Helgi s
hatte Andrípr Bundesbrüderschaft geschlossen, Kialn. c. 2 (Islend. II2, 400).
Scheidet man die ganz zweifelhaften Fälle aus, so ergeben sich folgende
Zahlen für die einzelnen Gruppen: la) 37, b) 15, c) 2, zusammen 54;
^a) 3, b) 13, c) 4, d) 4, zusammen 24. Die Hochzeit wird also von der
Verwandtschaft der Braut in etwas mehr als doppelt so vielen Fällen als von
Seiten des Bräutigams oder dessen Verwandtschaft oder Freundschaft aus-
gerichtet. Dies Verhältnis würde allein schon genügen, um die Sitte, dass
die Hochzeit im Hause der Brauteltern stattfand, als die herrschende zu
^weisen. Dazu kommt, dass in diesem Falle meist nur die einfache That-
sache berichtet wird, während wir sahen, dass, wenn von dieser Sitte ab-
gewichen wurde, sehr häufig ein besonderer Grund angeführt wird oder
doch ersichtlich ist, wie dass vornehmere Geburt und Stand oder auch wohl
grosserer Reichtum die Veranlassung gegeben haben; oder aber es fühlt
derjenige, der für einen andern, der etwa sein Ding- oder Gefolgsmann
War, den Freiwerber machte, die Verpflichtung, nun auch für die Aus-
Achtung der Hochzeit zu sorgen. In einigen Fällen mag auch der Um-
stand mitgesprochen haben, dass es sich um eine Witwe handelte. Wir
werden also annehmen dürfen, dass in der weitaus grössten Menge der
lalle, in denen uns nur die Thatsache des Scliliessens einer Heirat be-
achtet wird, die Hochzeit im Hause der Brauteltern stattgefunden hat.
46
Kahle: Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazeit.
Unter den Bestandteilen der altnordischen Hochzeit führt Weinhold
a. a. 0. auch auf, nach der Fahrt zum Brauthause, den Zug zum Hause des
Bräutigams und die feierliche Einführung der Braut in dieses.
Davon finden wir in der isländischen Sagalitteratur, so weit ich sehe,
keine Spur. Hatte die Hochzeit im Hause der Brauteltern u. s. w. statt-
gefunden, dann begab sich das junge Paar nach Schluss der Festlichkeiten
in das Gehöft des jungen Ehemannes, und zwar ohne dass jemals irgend
ein besonderes Gefolge erwähnt, oder dass von einer besonderen feier-
lichen Einführung der jungen Frau in ihre Stellung berichtet wird.
Der Bericht lautet in der Regel in aller Kürze: „Nach der Hochzeit fuhr
sie (die junge Frau) heim mit ihm (dem jungen Ehemann)." So oder
ähnlich Njál. 11, 45. 14, 64. 65, 300; pòri». s. Hrepu 8, 101; Kialn. 17,
455 (ísl. IP); Egilss. 77, 255. 78, 255; Sturi. I, 43. 132. 143. 262. 279.
Oder der Mann fuhr mit seiner Frau heim: Gunnl. 11, 19; Liósvetn. 12,36;
Finnb. 29, 55; Fliótsd. 35; Flóam. 31, 156; Gullpóriss. 9, 20. Als einmal
drei Hochzeiten zu gleicher Zeit gefeiert worden waren, heisst es: „Und
es begab sich jeder nach seiner Wohnung," Yiglund. 21, 91. Auf ein fest-
liches Gîeleit darf man nicht etwa aus Njál. 34, 133 f. schliessen wollen,
wenn es da heisst, dass nach der Hochzeit der Brautvater westwärts und
die Rangseingar, zu denen der junge Ehemann Gunnarr gehörte, zu
ihren Wohnungen ritten. Hier hatte das junge Ehepaar einfach denselben
Weg wie ein Teil der geladenen Gäste. Ebenso wenig ist daran zu
denken, wenn erzählt wird, dass porgils Aras on angeritten kommt von
seiner Hochzeit, und dass der Gode Snorri mit ihm war, insgesamt zu
80 Mann, Viga-Styr ok Heiparv. 33, 378 (ísl. II2).
Zuweilen bleibt das junge Paar zunächst bei den Schwiegereltern,
meistens den Winter über, denn die Hochzeiten fanden ja mit Vorliebe
im Herbst statt; so z. B. ebenda 40, 393; Laxd. 43, 135; 70, 211. In
einem solchen Fall würde die feierliche Überführung der jungen Frau in
das Haus ihres Gatten überhaupt keinen rechten Sinn mehr gehabt haben.
Wir ersehen also aus allem, dass ein feierliches Geleit, eine Über-
führung der Braut in ihre neue Wohnstätte, woselbst sie dem ihrer
harrenden jungen Ehemanne in förmlicher Weise überliefert worden wäre,
nach dem Zeugnis der Sagas nicht stattgefunden zu haben scheint. Dass
diese Sitte, die wir ja nach den Ausführungen Weinholds als eine ur-
sprünglich zur germanischen Hochzeit gehörige betrachten dürfen, auf Is-
land nicht geübt wurde, lag in den Verhältnissen des Landes begründet.
Bei den weit, oft eine oder gar mehrere Tagesreisen voneinander entfernt
liegenden Höfen der die Ehe eingehenden Parteien, verbot sich ein feier-
liches Geleit von einer Wohnung zur andern von selbst.
Heidelberg.
O
Schell: Zwei alte Gerichtsstätten in den Rheinlanden.
47
Zwei alte Geriehtsstätten in den Rheinlanden.
Von 0. Schell.
(Mit Tafel I.)
1. Feldkirclieii bei Neuwied.
In No. 10 der Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins schreibt
Walther Lindner: „Die Gemeinde Feldkirch am Nordrande des Neuwieder
Beckens umfasst fünf Ortschaften mit evangelischer Bevölkerung. Die
alte, gemeinschaftliche Kirche liegt bei dem Orte Wallendorf, und vor
dem idyllisch gelegenen Pfarrhause steht eine uralte Gerichtslinde, von
einer halbkreisförmigen Steinmauer eingeschlossen. An der offenen Seite
dieser Mauer, vor der Linde, befindet sich der noch wohlerhaltene steinerne
Tisch, auf drei Seiten von Steinbalken umgeben. Daneben erhebt sich
der gleichfalls aus Steinen hergestellte Pranger, dessen Halseisen die
älteren Einwohner noch in Fahrfeldkirch gesehen haben, und zwar im
dortigen „Backes", dem früheren Gemeinde-Backhaus, jetzt noch Versamm-
lungshaus der Gemeinderäte."
Diesen Mitteilungen lässt sich noch einiges hinzufügen, was von nicht
unerheblicher Bedeutung ist. Zunächst einige Massangaben. Die Bank,
welche den Tisch umgiebt, ist ungefähr 2 m lang und besteht, wie auch
der Pranger, aus Basalt, während der Tisch aufgemauert und oben mit
einer Platte versehen ist. Letztere ist quadratisch und hat einen Durch-
messer von 75 cm. Auf dem Pranger ist ein etwas verwittertes Wappen
(rechtsschreitender Hahn) zu sehen. Der Pranger hat am oberen Ende
einen Einschnitt, welcher in der Halshöhe eines Mannes (wie mir ein
Bauer demonstrierte) angebracht ist, und welcher zur Fesselung des armen
Sünders diente.
Noch wird jährlich einmal unter dieser Linde eine A ersainmlung aller
Männer der Ortschaften Fahr, Wollendorf, Gonnersdorf und Hüllenberg
^gehalten. Feldkirchen (nicht Feldkirch, wie es in der Monatsschrift des
G-.-V. heisst; man vergi. Paul Vogt, Die Ortsnamen im Engersgau,
Neuwied 1890, S. 36. 49) selbst kommt als Ortschaft nicht in Betracht, da
hier nur die Kirche mit einem Pfarrhause stellt. An der Spitze dieser
^ Olksversammlung steht ein Achterausschuss, kurzweg die Achte genannt,
^vozu jede Ortschaft zwei Glieder stellt. Jährlich wird die Hälfte der
Achter neu gewählt. Diesen acht Männern liegt die Aufsicht über die
Gemeindewalduno-en ob. Nach den Mitteilungen dortiger Bauern nahm
einst der Richter, später noch der Bürgermeister an diesen Sitzungen teil.
Seit etwa 5—6 Jahren hat sich auch der Bürgermeister von diesen Ver-
sammlungen zurückgezogen.
48
Schell: Zwei alte Gerichtsstätten in den Rheinlanden.
Diese kurzen Mitteilungen sind vollkommen hinreichend, uns einen
Einblick in diese Einrichtung, welche in der jetzigen Verfassung nur ein
sehr verblasster Überrest alter Rechtsinstitutionen ist, zu gewähren. Wir
haben in dieser Linde mit dem Steintisch, den Bänken und dem Pranger
offenbar eine alte Gerichtsstätte vor uns; und zwar muss hier einst ein
Markengericht geliegt worden sein, welches die Markgenossen zu bestimmten
Zeiten (meist mehrmals im Jahre) vereinigte, um über das gemeinsame
Gut, den Gemarkenwald, und die Anrechte der einzelnen an denselben,
zu beraten. Ausgeschlossen ist keineswegs, dass an derselben Stelle auch
ein Gericht mit weitergehender Kompetenz abgehalten wurde, Avie es bei-
spielsweise in Elberfeld der Fall war, wo unter der Gerichtslinde das
Markengericht sowohl als das Landgericht abgehalten wurde.
Oft führte ein Adlicher oder sein Vertreter den A orsitz in den Ver-
sammlungen der Markengenossen, beraten von einer bestimmten Anzahl
von Schöffen. In diesen Versammlungen wurden neu eingetretene Marken-
genossen aufgenommen und vereidigt, wie auch die zu entrichtende Kur-
mut festgesetzt. Ausserdem wurden Waldfrevel zur Anzeige gebracht, mit
den gebührenden Strafen belegt, und andere Gemarkensachen erledigt.
Diese Gerichtsbefugnisse sind allmählich aus den Händen der einfachen
Bauern in die rechtskundiger Juristen gelangt, und man hat jenen nur
noch Aufseherrechte über den gemeinsamen Wald belassen. Aber die alte
Gerichtsstätte ist noch immer, wie in früheren Zeiten, der Schauplatz der
Wahl der Aufseher, welche, wie die alten Schöffen, hochgeachtet in ihren
Ortschaften sind.
(Bezüglich der rechtlichen Festsetzungen im alten Engersgau, wozu
unsere Ortschaften gehören, sei auf J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer,
II, 959, Günther 5, No. 113 verwiesen; hinsichtlich des Alters der Ort-
schaft Feldkirchen auf Beyer II, 218 und P. Vogt, Die Ortsnamen im
Engersgau, Neuwied 1890.)
2". Kyllburg in der Eifèl.
Wenn man durch das langgezogene Städtchen Kyllburg den schmalen
Bergrücken weiter hinansteigt, gewahrt man zwischen den Resten der
alten Burg und der bautechnisch bedeutsamen Stiftskirche rechts am Wege
eine ummauerte Erhöhung mit steinernem Thoreingang, während von der
anderen Seite eine kleine Steintreppe neben einer alten Steinbank auf
diesen Platz hinaufführt. Der Platz bildet ein stumpfes Dreieck von 30,
50 und 50 Schritt. Vier stattliche Linden beschatten denselben, Inter
ihnen erhebt sich eine runde Steinsäule von etwa 3 m Höhe, welche mit
einem steinernen Kreuz gekrönt ist. Auf dem Schaft der Säule liest man:
Renovatum 1786. Darunter befindet sich ein verschnörkelter Namenszug
und an dem Kreuz eine Hausmarke Ein kleiner oblonger Steintisch
steht vor der Säule.
Blümml und Rott: Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder.
49
Die Vermutung, welche sich bei einer genaueren Prüfung des Platzes
sofort aufdrängt, es hier mit einer alten Gerichtsstätte zu thun zu haben,
bestätigt die Yolkstradition.
In Verbindung mit dieser Gerichtsstätte darf man drei eingemauerte
Steinbilder unterhalb derselben bringen. Auf dem ersten erblickt man
einen Adler; auf dem zweiten liest man: „Stifts Freyheit" und ist auf
demselben eine Schwurhand eingehauen. Der dritte Stein weist ein
Wappen auf.
Elberfeld.
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder
in Deutschbökmen und Mederösterreich.
Von E. K. JBlümml und A. J. Rott.
In dem folgenden Aufsatz soll ein Ausschnitt aus dem Leben und
Reiben der Kinder vorgelegt werden, nämlich die Art und Weise, wie
Sle verschiedene Pflanzen zu ihrer Unterhaltung und namentlich in ihren
spielen verwenden. Bs ist darauf bisher sehr wenig geachtet, mindestens
sehr wenig darüber aufgezeichnet worden; was darin geschah, stellen wir
gleich nachher zusammen und vermehren das Vorhandene im folgenden
durch Sammlungen aus Deutschböhmen und durch Nachträge zu dem für
-Niederösterreich früher geleisteten. Vergleichungen mit dem aus anderen
•österreichischen Kronländern uns Bekannten sind beigefügt. Die mit
^bkürzungssiglen angeführte Litteratur ist diese :
B TT '
• E. K. Blümml und Fr. Höfer, Die Beziehungen der Pflanzen zu den Kinderspielen
Niederösterreich. Zeitschrift für österreichische Volkskunde. V. Jahrgang. Wien
jj S- 182—135 (für Niederösterreich).
" T- K. W. von Dalla Torre, Die volkstümlichen Pflanzemiamen in Tirol und Vorarlberg
üebst folkloristischen Bemerkungen zur Flora des Landes. Innsbruck (A. Edlinger)
p^, -^95. g0. 76 S. (für Tirol und Vorarlberg).
A. Pfeiffer, Einige oberösterreichische Trivialnamen der Pflanzen. Verhandl. der k. k.
zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. XLIV. Jahrg. Wien 1894. S. 35—48
(für Oberösterreich).
c " A. Schott, Über Pflanzen-Volksnamen im Böhmerwalde. IV. Deutsche botanische
Monatsschrift. XVII. Jahrg. Arnstadt 1899. S. 40-42, 73—76.
c r* H. Schreiber, Wiesen der Randgebirge Böhmens und ihre Verbesserung. Staab
(Selbstverlag) 1898. gr. 8. VII u. 251 S.
sch- Fr. Tschernich, Deutsche Volksnamen der Pflanzen aus dem nördlichen Böhmen.
Beilage zum Programm des k. k. akademischen Gymnasiums in Wien (I. Bez.) für
das Schuljahr 1896/97. Wien 1897. gr. 8°. 32 S.
Zeitschr. d. Vereine f. Volkskunde. 1901. 4
50
Blümml und Rott:
Wilh. Fr. Wilhelm, Volkstümliche Pflanzennamen am südlichen Hange und Fusse des
mittleren Erzgebirges. Erzgebirgs-Zeitung. XIX. Jahrg. 1898. S. 73—77, 103—105,
121—124, 150—153, 172- 174, 200 -202, 223—225, 247—249 (alle für Böhmen).
Die andere noch zum Vergleiche angezogene Litteratur wird bei den einzelnen Nummern
angegeben.
Bezüglich der einzelnen Abkürzungen auf Verbreitung wäre zu bemerken, dass „allgemein"
nur für Deutschböhmen und nicht für Niederösterreich, letzteres wird stets durch N.-Ö.
gekürzt, gilt, während B. = Böhmerwald, Pi. = Pilsener, PI. = Planer, Eg. = Egerer
Gegend, Erz. = Erzgebirge, R = Riesengebirge und N. ~ Nordböhmen bedeutet.
1. Ahorn (Acer spec.). Die Früchte, hauptsächlich von Acer plata-
noides L. und A. pseudoplatanus L. und zwar sowohl im grünen als auch
reifen Zustande, werden gespalten und als „Nasenzwicker" (B., Pi., Pl.,
Eg., Erz.) oder als „Nasenstiefl" (Wien) auf die Nase gesetzt, während
sie im reifen Zustande auch gerne in die Höhe geworfen werden (B., Pi..
Pl., R.) da sie sich beim Herabfallen fortwährend drehen, so dass sie den
Namen „Schmetterling" (Pi., R.) erhielten. Aus den Blättern werden
Körbchen gefertigt (B.).
2. Akazie (Robinia Pseudacacia L.). Die Stacheln dienen als Nägel
und zum Aneinanderheften der Blätter (N.-Ö. Oberhollabrunner Bezirk).
3. Apfel (Pirus malus L.). Derselbe wird durch Zickzackschnitte
quer in zwei Hälften geteilt (B., Pl., Eg., Erz.), und wird ein so zer-
schnittener Apfel „Schnupftabaksdose" genannt (B.). Die Kerne dienen
zum Schnellen (allgemein). Die Schale eines ganzen Apfels wird nach
rückwärts über den Kopf geworfen, wobei sie Figuren bildet, die mit
Buchstaben Ähnlicheit haben, aus denen verschiedenes (welches Mädchen
ein Knabe gern hat u. a.) erraten wird (Eg. selten, und Frischbier: Am
Urquell III, 247, wonach der Name des ersehnten Geliebten aus der
Figur der Schale erraten wird. Ein anderes Apfelorak^l teilt Wilh. S. 201
mit: Am hl. Abende zerschneidet jedes Familienmitglied einen Apfel und
aus der Zahl der mitzerschnittenen Kerne wird auf die Zahl der noch zu
lebenden Jahre geschlossen). »
4. Arnika (Arnica montana L.). Die Blüten werden in die Fenster
gegeben, damit kein Blitz einschlägt (Eg.), doch müssen sie am \ orabende
vor Johannis (24. Juni) gesammelt werden (Westböhmen, Sehr. S. 126),
denn ihre Blütezeit fällt um den 24. Juni („Hannstag" im Böhmerwalde),
daher auch ihr Volksname im Böhmerwalde „Hannslblume" lautet (Sch.
S. 74). Ygl. auch Ehrenpreis (Veronica chamaedrys L.).
5. Bärlapp (Lycopodium clavatum L.). Zu Kränzen (|B.j, auch
Sehr. S. 145 giebt an, dass die beschuppten Stengel allgemein zu Kränzen,
Fussdecken u. s. w. verwendet werden, während Louis Keller [Beiträge
zur Flora von Kärnten. Yerhandl. der k. k. zoologisch - botanischen Ge-
sellschaft in Wien. XLIX. Bd. Wien 1899. S. 363—386] S. 366 mitteilt,
dass in Kärnten [im Drauthale] ein anderer Bärlapp [Lycopodium compla-
natum L.] zu Allerseelen als grüner Aufputz zu Grabkränzen Verwendung
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder.
51
findet). Die Keimkörner (Sporen) — Drudlmehl (nach Sehr. S. 145 im
Böhmerwalde Hexenmehl oder Hexenstaub, im Riesengebirge Pimperlin-
pulver) genannt (PI.) — wurden, als noch Holz als Beleuchtungsmaterial
diente, in die Flammen geworfen (PL).
6. Bartflechte (Usnea barbata L.). Zu Barten (B., Pl., R.).
7. Binsen (Juncus spec.) Dienen zum Flechten (für N.-O. B. H.
S. 133, No. 3), zum Verfertigen von Sesseln. Körbchen (für N.-Ö. B. H.
S. 133, No. 3, für Böhmen [Erzgebirge] Willi. S. 173: Junge Mädchen
Hechten Körbchen daraus) und Hüten (allgemein; auch Sehr. S. 88 bemerkt,
dass die Binsen in den Randgebirgen Böhmens zu Geflechten, und das
Mark der Halme zu „Kirineskränzen" benutzt werden).
8. Birke (Betula alba L.). Der Stamm wird angebohrt, damit der
Saft herausfliesse, der getrunken wird (Pi., N.).
9. Bittersüss (Solanum dulcamara L.). Die Stengel werden gekaut
(Pi., Pl.).
10. Blasenstrauch (Colutea arborescens L.). Die Früchte dienen
zum Klatschen (allgemein, für N.-Ö. vgl. B. H. S. 133, No. 5).
11. Bohne (Phaseolus vulgaris L.). -le nach der Gattung haben die
Bohnen verschiedene Werte und Benennungen, so: Kaiser oder Türk,
Bummerl, Peterkappl (allgemein); Fleischhacker (rot und weiss), Schwefl-
kûclial (gelb und genau eiförmig), weisse Bimn, Tschëckla (Erzgebirge,
südliches und mittleres, nach Wilh. S. 201); kleine Bunn, Pfârebunn,
Kaulärsche (nördliches Böhmen nach Tscli. S. 28), Sträusselbohne (länglich,
^reiss oder gefärbt mit roten oder gelben Sprenkeln um die Haftnarbe),
^asaneln (braune oder rote, gelbgesprenkelte), Kaularscheln [rund kirschen-
ähnlich. Teplitz nach G. Laube, Volkstümliche Überlieferungen aus Teplitz
Und Umgebung (Beiträge zur deutschböhniischen Volkskunde. I. Band,
2- Heft. Prag 1896. gr. 8°.), S. 70]. Nur in einzelnen, von Wildern
umschlossenen Dörfern wird die Bohne wenig oder gar nicht zum Spielen
benutzt. Solche Bohnenspiele sind: 1. Grad und Ungrâd, wobei geraten
^ird, ob ein Kind eine gerade oder ungerade Zahl von Bohnen in dei
Hand hat; dieses Spiel, im Cechischen „Suda li eh a , wovon dei Name
"^oda licha" (N.) stammt, erlernten die deutschen Kindel ui sprilligli eh
den cechischen, wenigstens war es in Nordböhtuen so, worauf dei
dortige ähnliche Name hindeutet. (Ähnlich unserem Spiele ist das bei
Laube a. a. O. S. 71 unter No. 7: Schutnroten mitgeteilte Spiel, welches
jedoch grüne Erbsenhülsen mit den grünen Samen verwendet.) 2. „Mäusl,
Bauer, König", wobei eine Bohne gespalten und geworfen wird. (Im R.
^ird statt der Bohne ein rundes Holzstückchen der Länge nach gespalten
damit geworfen und lieisst das betreffende Spiel: „Richter, Gerichts-
diener und Angeklagter). 3. Andere Bolinenspiele sind noch: „Ins Löchl%
5>Streifalas" yon streifen und ,,Hëichalasu von hoch, höher. (\ gl. auch
G". Laube a. a. O. S. 70, No. 4: „Bunnschuppeln" und No. 5: „Bunnschieben",
4*
52
Bliimml und Rott:
auch Wilh. S. 201 streift das Spiel „Bunnaschie[b]m", in Blbogen „Tschê-
ga[r]n" geheissen.)
12. Bovist (Bovista spec. = Lycoperdon spec.). Die jungen Boviste
heissen „Hexeneier" (Pl.), Haseneier (Eg.), Quarksäcke (Erz.), die alten
„Tabaksbeutl" (Pl., in Tirol [Lienz| nach D. T. S. 41 „Blasbalg"). Aus
den letzteren werden die Sporen, die des „Teufels Schnupftabak" (Pi.,
auch N.-Ö., nach Pf. S. 44 auch hier und da in Oberösterreich so, nach
D. T. S. 41 in Tirol Judentabak) heissen, ausgestäubt (allgemein), kommt
einem iedoch solcher Sporenstaub in die Augen, so kann man blind werden
(B., Pl., R.).
13. Brunnenkresse (bitteres Schaumkraut, Cardamine amara L.).
Wird gegessen (B., Eg., R.; auch Sehr. S. 112 sagt, dass C. a. dem Menschen
schon im Winter und zeitlich im Frühjahre einen Salat und ein Suppen-
kraut liefere).
14. Buche (Fagas sylvatica L.). Die Buchein werden gegessen (B..
Pl., N.-Ö.). Das faule phosphoreszierende Holz wird an einen dunklen
Ort gegeben, um in der Nacht jemanden zu erschrecken (B., Pl.).
15. Distel (Carduus spec., Cirsium spec.). Mit den Dornen wird
auf Blätter gestochen und geschrieben (Pl., Erz., für N.-Ö. ygl. B. H.
S. 133, No. 8).
16. Distel, nickende (Carduus nutans L.). Böse Knaben stechen
mit den Blütenköpfen — Pudlhunde genannt — andere Kinder (Pl.)5 oder
sie binden dieselben — Bullenbeister — an eine Schnur und schwingen
sie gegen andere Kinder (Eg.).
17. Dorsche (Brassica napus L. var. esculenta D. C.). Dieselbe wird
ausgehöhlt, ein Gesicht ausgeschnitten und abends, mit einem Lichte im
Innern versehen, als ein Totenkopf aufgestellt (B., Pl., Eg., Erz., für N.-Ö.
vgl. B. H. S. 134, No. 29 unter Cucumis [soll dort richtig Cucurbita und
nicht Cucumis heissen] Pepo L.).
18. Dotterblume (Caltha palustris L.). «Beliebt zu Sträussen (all-
gemein). Wird auch wie die Hahnenfussarten (Ranunculus spec. s. d.)
unter das Kinn gehalten, damit man sieht, ob jemand viel Butter oder
Schmalz gegessen hat (Pl., Pi., Erz., N.; nach Wilh. S. 248 unter Trollius
europaeus L.), schliessen Kinder im Erzgebirge nach dem mehr oder weniger
gelblichten Schein, den eine unter das Kinn gehaltene Blüte dieser Art
(Tr. europaeus L.) hervorbringt, auf die Zahl der „Pfunde Butter", die
jemand schon genossen, oder, dass man sieht „wie fett einer ist" (B.).
19. Eberwurz (Carlina acaulis L.). Die Blütenboden werden ge-
gessen (R., auch Sehr. S. 101 führt dies für die Kinder an).
20. Ehrenpreis (Veronica chamaedrys L.). Gewitterbliimel (nach
Sehr. 'S. 76 Donnerblümla [R.], Wetterblüml [B.J und blaues Gewitter-
bliimel [B., R.], nach Willi. S. 248 führt Veronica arvensis L. und Lobelia
Erinus L. im Erzgebirge den Namen Donner- und Gewitterblume, während
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder.
53
Tsch. S. 39 den Namen Gewitterblum für Nordböhmen anführt, der sich
[Gewitterbleaml] auch in N.-Ö. [ Kodetschlag] findet). Reisst man solch
ein Blümchen ab, so kommt ein Gewitter (R., während nach Karl L. Petters
[Mitteilungen des nordböhmischen Exkursionsklubs. 11. Jahrg. Leipa 1888.
S. 30*2] bei einem Hause kein Ehrenpreis abgepflückt werden soll, da
sonst der Blitz einschlägt).
21. Eiche (Quercus spec.). Eicheln und Schüsselchen (Fruchtbecher)
dienen zum Spielen, letztere besonders den Mädchen zum Kochen (allg.).
Aus den ausgehöhlten Eicheln und Kastanien (Aesculus hippocastanum L.
s. dort) werden verschiedene dürre Blätter geraucht (Pi ). Die Blätter
werden mit Fichten- und Kiefernadeln zu Kränzen zusammengesteckt (Pi.,
N.), trockene auch mit Bürsten geschlagen, damit man das Blattgerippe
erhält, das man in Bücher legt (Eg., Erz., PI.) oder auf das man auch
Öfter Bildchen klebt (Eg., Erz., für N.-Ö. B. H. S. 133, No. 10).
22. Eisenhut (Aconitum napellus L.). Aus der Blüte werden die
zwei kleinen Blumenblätter herausgebogen und das sind die Pferdchen an
der Kutsche (allgemein), daher ihr Dialektname „Kutschapfadla (PI. =
Kutschpferdchen; nach Sch. S. 75 heissen im B. alle Aconitum - Arten
Rössln, nach Sehr. S. 141 heissen die Blüten von Ac. nap. im R. und Eg.
„Kutschn", im R. und B. „Kalessn", im Eg., B. und R. „Rössl", im R.
auch „Pferdlein", nach Tsch. S. 8 in N. „Pfärreiter" = Pferdereiter und
„Kutschl", in N.-Ö. „Kalesswägn"; alle diese Namen entstanden aus dem
Umstände, dass [nach Tsch.] „die Blüten, besonders nach Entfernung des
helmartigen Blattes an eine mit zwei Pferden bespannte Kutsche erinnern".)
23. Engelsüss (Polypodium vulgare L ). Der süsse Wurzelstock
^'ird gekaut (N., R.).
24. Erbse (Pisüm sativum L.). Wird mittels eines gespaltenen Holzes
fortgeschnellt (Erz.).
25. Erdapfel (Solanum tuberosum L.). Die in Scheiben zerschnittenen
Sollen geben eine Ladung für Knallbüchsen, die aus l1 ederkielen bestehen,
ab (allgemein, für N.-Ö. B. H. S. 133, No. 13), dienen auch zu Spinnrädern
N.) und zu „Fledermäusen", wobei eine Feder in den Erdapfel ge-
eckt und als Fledermaus in die Höhe geworfen wird (Pl., Erz.). Die
^eeren dienen zum Schleudern, indem sie an zugespitzte hölzerne Spiesse
.-^steckt und mittels derselben weit weggeschleudert werden (B., Pl., Eg.,
in N. heisst dieses Spiel „Schnetteiii". Die trockenen Blätter werden
111 Pfeifen aus Holunderästen geraucht (Pl., Eg.).
26. Erdbeere (Fragaria vesca L.). Erd- und Heidelbeeren (s. d.)
forden an Schmielen gesteckt (allgemein). Eine Beere, die dem Kinde
beim Pflücken entfällt, gehört den armen Seelen und wird nicht mehr
aufgehoben (B., R.); gehen die Kinder mit Beeren an einem Kreuze oder
eil*er Kapelle vorbei, so opfert jedes drei Beeren (Pl., Eg. doch nur an
einigen Orten).
54
Bliimml unci Rott:
27. Feuerlilie (Lilium bulbiferum L.). Mundartlich „Feuabloma'c
(Pl., in N. nach Tsch. S. 24 „Feuernilge", nach Willi. S. 174 am Fusse
des Erz. „Feuerneig", im Erz. „Feuerblum"). Mit dem Blütenstäube
machen sich die Kinder die Nasen gelb (allgemein).
28. Fichte (Picea vulgaris Link = Abies excelsa D. C.). Das Holz
findet zu verschiedenen Schnitzereien, zu Pfeilen (Pfitsclr'pfal Pl.), Schindel-
flinten, Säbeln, Wasserrädern u. a. (allgemein, auch in N.-Ö. ß. H. S. 133,
No. 14), zu Stangen zum Stelzengehen (B., Pi., Pl. Erz.) und zu den
„Stecken" der Spiele Verwendung. Solche Steckenspiele sind das „Schekern",
wobei auf ein aufgestelltes Stückchen Holz (Schek/'r® Sau) geworfen wird
(B , PI.) ; das „Sau ins Loch treiben1', wobei mit Stecken ein beiderseits
zugespitztes Holz in ein Loch getrieben wird (B., Pl., beide Spiele werden
immer seltener) und das „Schpacek-Spiel", wobei ein Stück Holz weiter-
geschlagen wird (allgemein; dazu vgl. G. Laube a. a. O. S. 70 unter No. 6:
Patschek oder Spatzek für Teplitz, B. H. S. 133 No. 16 und Anmerkung
und R. Weissenhofer, Jugend- und Yolksspiele in Niederösterreich. Zeit-
schrift für österreichische Yolkskunde. V. Jahrg., 1899 [S. 49—56, 113
bis 119], S. 50 für N.-Ö.). Letzteres Spiel heisst im R. „Titschkerl-Spiel"
(wie in N.-Ö. vgl. B. H. S. 133, Anm.), in N.-Ö. nebst „Flohspiel" und
„Titschkerlspiel" (B. H. s. oben), auch „Rädnschlagn" (Oberhollabrunner
Bezirk) und „Schnackspiel" (Retz, R. Weissenhofer a. a. 0. S. 50). Das in
Kugelform an der Rinde gefundene Harz wird gekaut, weil man davon
weisse Zähne bekommt und „Käupech" genannt (B., Pl.), auch wird das-
selbe in warmes Wasser gegeben und daraus, wenn es weich geworden ist,
verschiedene Tiere geformt (Pl.).
29. Fingerhut (Digitalis spec.). Die Blüten werden an die Finger
gesteckt (Pl.).
30. Flieder (Syringa vulgaris L.). Die Blüten werden im Daumen-
gelenk aufgestellt (allgemein, auch in N.-Ö. vgl. B. H. S. 133, No. 15),
die ineinandergesteckten Blüten in Büchern gepresst (allgemein). Die
Blätter werden mit Fichten- und Kiefernadeln zu Bändern und Kränzen
zusammengesteckt (Pi., Pl. [teilweise], Eg., Erz., s. auch Eiche) und dienen
auch zum Klatschen (Pi., Eg.) und Pfeifen (Wien und Umgebung); letzteres
wird dadurch erreicht, dass ein Blatt mit beiden Händen vor den Mund
gehalten und dann Luft darauf geblasen wird, wodurch ein eigentümlich
schriller Ton erzeugt wird, der so lange anhält, bis das Blatt durchreisst.
Die Rinde (der Bast) wird (N.-Ö.) im Frühjahre beim „in den Saft gehen"
als besonders leicht abgehend von den Knaben zu Pfeiferin abgeklopft
(vgl. auch Weide und Yogelbeerbaum), wobei verschiedene Sprüchlein
hergesagt werden (auch Wilh. S. 225 teilt dies für das südliche Erz-
gebirge mit).
31. Föhre (Pinns silvestris L.). Aus der Rinde werden Schiffchen^
Tiere u. a. geschnitzt (allgemein, auch N.-Ö. vgl. B. H. S 133, No. 16).
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder.
55
32. Frauenmantel (Alchemilla vulgaris L.). Die Blätter stellen
Bauernweiber dar (Pi.).
33. Gerste (Hordeum vulgare L.). Eine in den Ärmel gesteckte
Ähre wird nach oben geschoben (Pi., N., R.; in O.-Ö. wird dazu die Ähre
von Secale cereale L. verwendet, die auch dort ab und zu „Schliafhansl",
in N.-Ö. ist der „Schliafhansl" die Ähre von Hordeum murinum L. |B. H.
S. 134, No. 35], heisst [Pf. S. 47|).
34. Getreide (Secale cereale L. und Triticum vulgare Yill.). Die
Halme zum Pfeifen, zum Trinken and zum Erzeugen von Seifenblasen
(allgemein, N.-Ö.), wobei dieselben an einem Ende kreuzweise eingeschnitten
und ausgebogen werden, die dann beim Aufziehen des Seifenschaumes in
das Röhrchen eine grössere Oberfläche zum Haften der Blase bieten. Auch
wird mit Strohhalmen ins Wasser geblasen, damit dasselbe sprudelt (Eg.).
Die Blätter werden zum Pfeifen verwendet (allgemein).
35. Glockenblume (Campanula spec., besonders C. rotundifolia L.).
Die Blüte zum Klatschen (allgemein, daher besitzt C. rot. auch die Yolks-
namen Knockblume [Knackblume| und Knollblume [Knallblume], beide
im R. nach Sehr. S. 62).
36. Goldregen (Cytisus Laburnum L.). Die Blüten werden zum
Aussaugen des süssen Saftes aus der Blumenröhre hier und da (so in
Wien, ehemalige Gemeinde Weinhaus u. s. w.) benutzt (vgl. auch B. H.
S. 132, No. 1 unter Akazie u. s w.).
37. Grashalme. Zum Zusammenbinden von Blumensträussen (allg.),
auch werden dieselben den Bremsen (Tabanus spec.) in den Hinterleib
gesteckt und dieselben dann damit fliegen gelassen (allgemein).
38. Hafer (Avena sativa L.). Mit den abgestreiften Ährchen bewerfen
sich die Kinder gegenseitig, so viele davon hängen bleiben, so viele Kinder
bekommt der Beworfene oder so viele Sünden hat er (Eg.).
39. Hahnenfuss (Ranunculus spec.). Ist die eigentliche Schmalz-
oder Butterblume, s. Dotterblume (Caltha palustris L ).
40. Hainsimse (Luzula campestris D. C.), mundartlich ,,Konâsbrâllt"
(Pl., nach Sehr. S. 77 im Erz. „Khannesbra[u]tu, nach Wilh. S. 174 führt
im siidl. Erz. Luzula pilosa L. den Namen Johannesbrot und zwar wegen
ihres johaunesbrotfarbigen Blütenstandes), von den Dobrzaner Kindern
auch „Rauchfangkehrer" genannt und zwar der dunklen Ährenfarbe und
der Ähnlichkeit der Ähre mit einem Rauchfangkehrerbesen wegen (nach
Sch. S. 41 heisst im B. Phyteuma nigrum Schm. wegen ihrer dunkel-
violetten Ähren so, dasselbe gilt auch in N.-Ö. für Poterium Sanguisorba
Scop., das in Braunsdorf [Y. U. M. B, Gerichtsbezirk Oberhollabrunn]
^egen der dunkelbraunen Blütenähren so genannt wird). Ist zu den ersten
Sträussen im Frühlinge sehr beliebt (Pi., Pl.). «
41. Haselstaude (Corylus avellana L.). Die Nussschale dient zu
Pfeifchen (PI.)., die Zweige zu Angelruten und Spazierstöckchen (allgemein)*
56
Blümml und Rott:
42. Heidelbeere (VaccinumMyrtillus L.) s. Erdbeere (Fragaria vesca L.).
43. Herbstzeitlose (Colchicum autumnale L.). Die Samenkapseln
sind Schiffchen (Erz.).
44. Herzblume (Dielytra spectabilis D.C.). Nachdem man die
beiden grossen Blumenblätter weggenommen hat, erhält man eine mensch-
liche Figur (eine Tänzerin, R.).
45. Hirschstreuling (Elaphomyces granulatus [Nees] Fries) vulgo
Hirschbrunst" (Pl.). In die trockenen Schwämme wird ein Loch gemacht,
die Sporen werden herausgegeben und man hat dann ein Pfeifchen (Pl.,
Eg.), das „Mëis-Pfeifla" (Moospfeifchen) genannt wird (Eg.).
46. Holunder (Sambucus nigra L.). Die Aste zu Wasserspritzen
(allgemein für N.-Ö., vgl. B. H. S. 133, No. 19), zu Knallbüchsen (B., Pi.,
auch N.-Ö. B. H. S. 133, No. 19, die in Tirol nach D. T. S. 62 „Höler-
büchs" und „Holerspritz", in Siebenbürgen [Nösnerland] nach G. Kisch,
Nösner Wörter und Wendungen. Beilage zum Programm des evang. Ober-
gymnasiums A. B. in Bistritz [Siebenbürgen], Bistritz 1900 j 178 S.], S. 85
„knol^r" heissen), und das Mark zu Stehaufmännchen (allgemein, für N.-Ö.
B. H. S. 133, No 19), welch letztere durch Einstecken eines Zweckens
erreicht werden (südl. Erz. Wilh. S. 224). Aus den Ästen werden auch
Pfeifen gemacht, aus denen grössere Knaben Erdäpfel-, Königskerzen- und
Rosenblätter rauchen (Pl., Eg.). Drei Kreuzlein aus Holunderzweigen
werden am Walpurgis-Abend in den Basen, der vor die Stallthüre gelegt
wird, gesteckt, damit keine Hexe in den Stall komme (Pl., etwas Ahnliches
findet sich zu Gottschee, nur werden dort aus den zu Ostern geweihten
Palmruten [yon Salix spec.] kleine Kreuzlein geschnitten und dann auf
Thiiren gegen Hexenspuk angenagelt, s. Joh. Satter, Volkstümliche Pflanzen-
namen aus Gottschee. Beilage zum Programm des k. k. Staats - Unter-
gymnasiums zu Gottschee für das Schuljahr 1897/98. gr. 8°. Gottschee
1898. [21 S.], S. 18). In diesen Rasen können aber auch Zweige ver-
schiedener anderer Bäume gesteckt werden (B.).
47. Käsepappel (Malva spec ). Die Früchte zum Essen (nach Sehr.
S. 74 liefern auch die jungen Blätter für Grosse ein Gemüse) und Spielen
(allgemein, für N.-Ö. vgl. B. H. S. 133, No. 21).
48. Kalmus (Acorus Calamus L.). Die inneren zarten Blätter werden
gerne gegessen (Pl., Eg.; am Fusse des mittleren und am südlichen Hange
des Erzgebirges werden die Wurzeln von den Kindern gern „ausgeknatscht",
Wilh. S. 123).
49. Katzenpfötchen (Gnaphalium dioecum L.). Beliebt zu Sträussen
(allgemein).
50. Kirsche (Prunus cerasus L. et Pr. avium L.). Die Früchte als
Ohrgehänge und die Kerne zum Schnellen1) (allgemein, für N.-Ö. B. H.
1) Auch in Franz Freiherr Gaudys „Schülerliebe" spielt ein von der Hand des
Fräuleins Minna Grasmeier, ans Netra gebürtig, geschnellter Kirschenkern die Hauptrolle;
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder.
57
S. 184, No. 23). Das Kirschgummi (Niklas- oder Katzenpech) wird ge-
gessen, nachdem es zuvor „gesponnen", d. h. in feine Fäden ausgezogen
wurde (allgemein, s. auch Pflaumenbaum, Prunus domestica L,).
51. Klette (Lappa officinalis AIL). Die Blütenköpfe zum Bewerfen
(allgemein, für N.-Ö. B. H. S. 134, No. 27), zu Körbchen (für N.-Ö. B. H.
S. 134, No. 27), Teppichen und Kreuzlein (Pl., Pi., Erz.), die Blätter zu
Schirmen (Erz., für N.-Ö. vgl. B. H. S. 134, No. 27).
52. Knöterich, bitterer (Polygonum persicariaL. et lapathifolium L.),
s. Sauerampfer (Rumex acetosa L.).
53. Königskerze (Yerbascum spec.). Die Blätter werden geraucht
(Pl., Eg.), s. Holunder (Sambucus nigra L.).
54. Kohl (Brassica olerácea L. var. capitata L.). Die Blattstiele
geben „Kühe" ab (B., Pl., Eg.), die Stengel dienen als Wassereimer und
Trompeten (B., Pl., Pi., Eg.).
55. Kornblume (Centaurea cyanus L.). Zu Sträussen und Kränzen
(allgemein, für N.-Ö. vgl. B. H. S. 134, No. 25).
56. Kornrade (Agrostemma githago L.). Durch Zusammendrücken
des Kelches drehen sich die Blumenblätter und es entsteht eine „Uhr"
(R, teilweise auch PL). Die Samen werden gegessen (R., B.), obwohl
derselbe giftig sein soll, doch auch Sehr., der aus dem B. stammt, teilt
S. 81 mit, dass. er als Kind die Samen oft ohne Nachteil ass.
57. Krausemünze (Mentha crispa L.). Wird gerne in die Bücher
gelegt und in die Kirche mitgenommen (PL), s. auch Stabwurz (Artemisia
abrotanum L.).
58. Kürbis (Cucurbita Pepo L.). Die Früchte geben Totenköpfe
(Pi., N., N.-Ö.) ab, s. auch Dorsche (Brassica napus L. var. esculenta
B.C.).
59. Lärche (Larix decidua Mill. — L. europaea D.C.). Mit den
langen dünnen Zweigen bekränzen sich die Knaben gerne die Hüte (B.,
PL, R.).
60. Löwenzahn (Taraxacum officinale Wigg). Die Schäfte zu Ketten
(allgemein, für N.-Ö. vgl. B. H. S. 134, No. 32, für Tirol, in welchem
Lande die Pflanze der Ringel wegen [s. u.J „Ringelblüml" und in Würtem-
Wg „Kettenblume" heisst, D. T. S. 67), wobei die hohlen Stengel zuerst
ineinander gesteckt, wodurch ein Ringel (Sehr. S. 124, D. T. S. 67) ent-
steht, und dann diese Ringe zu Ketten ineinander geflochten werden.
Hauptsächlich beschäftigt dieses Spiel die Mädchen, während die Knaben
die hohlen Stengel zu Brummern (allgemein) und Farzern (Erz. nach
Wilh. s. 247, nach D. T. S. 67 auch in Tirol und in der Schweiz, E. L.
Rochholz, Alemannisches Kinderspiel und Kinderlied aus der Schweiz.
der später die Relegierung des Friedrich Gotthelf Fistel von Schulpforta und dessen
Lebensabenteuer veranlasste.
58
Bliimml und Rott:
Leipzig- 1857, S. 174, No. 288. Die Kinder blasen nämlich in den hohlen
Stengel und erzeugen einen trompetenartigen Ton, daher die ganze Pflanze
im Defereggenthale [Tirol, P. T. S. 67] Pi egg, dim. Pféggl [Wind] heisst)
verwenden. Auch Spiralen (B , PI, Eg., Erz., R., für N.-Ö. vgl. B. H.
S. 134, No. 32), „Leinwandstösse" (B.) genannt, werden daraus verfertigt.
Der Fruchtstand (nach Tsch. S. 37 in N. „Laterne", nach Sehr. S. 123 im
B. „Laterne", im Nordgau „Lambì" |auch in Gottschee nach Satter S. 19;
„Lampe"]) wird abgeblasen, was „Lichtausblasen" heisst (allgemein, Sehr.
S. 124, für N.-Ö. B. H. S. 134, No. 32, für Vorarlberg, wo der Pruchtstand
„Todtenliechtle" heisst, D. T. S. 67). So viel Früchtchen an den Kleidern
des Angeblasenen hängen bleiben, so viele Sünden hat er (Eg., vgl. auch
Hafer). So oft man auf das abgeblühte Körbchen (Latërr) blasen muss,
um alle Früchtchen beseitigt zu haben, so viel ühr ist es (Willi. S. 247
für das mittlere und südliche Erzgebirge). Mit den hohlen Schäften wird
auch in das Wasser geblasen, damit es sprudelt (Eg.), vgl. auch Getreide
und Pferde kii m mei.
61. Massliebchen (Bellis perennis L.). Gänkblemla. — Dieselben
werden im Frühlinge an Fäden zu Kränzen aneinander gereiht (Pl., Erz.)
oder es werden aus den Stielen mit den Blüten kleine Kränzchen geflochten
(Wien), auch werden sie öfter als Orakelblume benutzt (dasselbe geschieht
auch in O.-Ö., Pf. S 38 und in der Schweiz, E. L. Rochholz a. a. O.
S. 172—173, No. 280), s. auch Wucherblume (Leucantliemum).
62. Me hl beere (Sorbus aria Crtz.). In N.-Ö. (Oberhollabrunner
Bezirk) werden die Beeren als „Malbe'dl" (Mehlbeerl) gegessen.
63. Milchstern (Ornithogalum umbellatum L.). Die Blüte wird
gegessen (R.).
64. Mohn (Papaver somniferum L.). Die Narben der Kapsel dienen
als Stern zum Spielen (Erz.).
65. Moos (Musei). Zur Ausstattung von Krippen (allgemein, für
N.-Ö. vgl. B. H. S. 134, No. 36). Bei ärmeren Leuten wird es über Winter
in die Fenster gegeben, und legen die Kinder dann als Schmuck Vogel-
oder Schneebeeren darauf (allgemein).
66. Mutterkorn (Claviceps purpurea Tul.). Wird manchmal von
den Kindern gegessen (Eg , Pl., R.).
67. Narcisse (Narcissus poeticus L.). Wird gerne in die Kirche
mitgenommen (Pl.).
68. Nessel (Urtica dioeca L. et urens L.). Wird von schlimmen
Kindern in Blumensträussen versteckt, damit sich derjenige, der daran
riecht, brenne (B., PI. und a. 0.). Böse Knaben schlagen mit Nesseln
sogar anderen Kindern in das Gesicht.
69. Nussbaum ( Juglans regia L.). Die Schalen liefern Nusshämmerchen
(allgemein), die im R. „Pinkerinke" heissen. Yon den Blättern, die in
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder.
59
N.-O. auch geraucht werden, werden die Kippen bloss gelegt, doch so,
dass der Blattumfang nicht verletzt wird, was als eine Kirnst gilt (Erz.).
70. Pestwurz (Petasites albus Gärtn. et officinalis Mönch.). Die
grossen Blätter dienen zu Schirmen (It.), s. auch Klette (Lappa).
71. Pfaffenkäppchen (Evonymus europaeus L.). Die Früchte werden
zu Kränzen aneinander gereiht (B.).
72. Pferdekümmel (Anthricus sylvestris Hoffm.). Die Stengel zu
Pfeifchen (Pl., Eg., Erz.), Blasrohren (R.), und zum Hineinblasen in das
Wasser, damit es sprudelt (Eg.), s. auch Getreide und Löwenzahn.
73. Pfingstrose (Paeonia officinalis L.), im Dialekte „Popplra"sn"
(Pl., in O.-Ö. nach Pf. S. 45 „Boberrosn", in Tirol nach D. T. S. 46
„Pfingstpappel", in N.-Ö. „Bablrosn", in X. nach Tsch. S. 27 Hinl, Hânl,
wegen dieses Namens vgl. das folgende). Nach dem Abreissen der
Blumenblätter bleiben „Hanerl und Hennerl" (Hähnchen und Hennchen)
stehen (Pl., Erz., N.). Die Blumenblätter werden zum Pfeifen und Klatschen
verwendet (allgemein), sowie auch gerne in Bücher gelegt (allgemein).
74. Pflaumenbaum (Prunus domestica L.). Die Missbildungen (ver-
ursacht durch Exoascus pruni Fuck.) von Früchten (mundartlich „Sausäek
[Dobrzanj, Wassersäck [B.], Bettlmann" [PI.]) werden gegessen (allgemein).
Auch das Harz, sogenanntes Niklas- oder Katzenpech, wird, nachdem es
zuerst in feine Fäden ausgezogen (gesponnen) wurde, gegessen (allgemein,
s. auch Kirsche). Tn die Früchte werden Pflöckchen gesteckt und man
bildet so Tiere nach (Pi.).
75. Preisseibeere (Yaccinium vitis idaea L.) s. Weide (Salix spec.).
76. Reiherschnabel (Erodium cicuta,riunì L'Hérit.). Die Früchte
sind Uhrzeiger (N., vgl. auch für N.-Ö. B. H S. 134, No. 41).
77. Rohrkolben (Typha latifolia L ). Die Kolben werden geraucht
(Pl.).
78. Rohrschilf (Phragmites communis Trin.). Zu Pfeifchen, in
welche hinein gebrummt oder gesungen wird (Pi, N., R.).
79. Rohr, spanisches (Arando Donax L.). Zu Pfeilbogen und zum
Rauchen als Pfeifenrohre (allgemein, für N.-Ö. vgl. B. H. S. 134, No. 42).
80. Rose (Rosa spec.). Die Blätter werden geraucht (Pl., Eg.;.
81. Rosskastanie (Aesculus hippocastanum L.). Die Früchte zum
Spielen (allgemein), zu Spinnrädern (Pi., s. auch Eiche) und zum Hinein-
werfen ins Feuer (Pi.)> da sie darin knallen. Aus den ausgehöhlten
Kastanien wird geraucht (Pi, s. Eiche), während die Blätter zum Rauchen
(Wien und Umgebung) dienen, auch werden die Blattrippen bloss gelegt
(R., s. auch Eiche und Nussbaum).
82. Sauerampfer (Rumex acetosa L.). Wird gekaut (allgemein,
besonders häufig im R., auch in Schlesien, vgl. Gerhart Hauptmann, Die
versunkene Glocke [ein deutsches Märchendrama, 35. Aufl. Berlin 1897.]
I. Akt, S. 8, Z. 8, wo der Waldschrat sagt: „Kaue ein Stückchen Sauerlump").
60
Bliimml und Rott:
Die Blätter zu Brei geklopft, geben das „Ampferbrot1' (Pi.). Manchen
Kindern wird bitterer Knöterich (Polygonum persicaria L. et lapathifolium
L.) zum Kauen gegeben, indem man sagt, der sei noch besser als Sauer-
ampfer. Lässt es sich anführen, so wird es recht ausgelacht (B.).
83. Sauerklee (Oxalis acetosella L.). Wird gegessen (allgemein,
nach Sehr. S. 110 dient er beim Volke in den Randgebirgen Böhmens
zum Stillen des Durstes, gegen Appetitlosigkeit und als Gemüse).
84. Schierling (Aethusa cynapium L.). Bin Stengel mit aufgetriebener
Blattscheide gilt als Pistole (Pl.).
85. Schlehe (Prunus spinosa L.). Die Früchte werden gegessen
(N.-O., Oberhollabrunner Bezirk).
86. Schöllkraut (Chelidonium majus L.). Der Saft wird zum Ver-
treiben der Warzen (R.), besonders der Pingerwarzen (südlicher Hang und
Fuss des mittleren Erzgebirges nach Willi. S. 153, wo diese Pflanze auch
Wa[r]znkraut heisst) benutzt (auch in O.-Ö., Pf. S. 40; in Tirol wird nach
D. T. S. 64 dazu nebst Euphorbia spec. [s. Wolfsmilch] auch Sedum acre
L. verwendet, welches dort den Namen Warzenkraut, im Drauthale:
Warzengras führt).
87. Seidelbast (Daphne mezereum L.). Wer an den Blüten riecht,
bekommt eine grosse Nase (Pl.).
88. Sonnenblume (Helianthus annuus L.). Die Früchte werden
gegessen (Pi, N., R.).
89. Stab würz, Wermut (Artemisia abrotanuin L.). Wird gerne in
die Bücher gelegt und, wie Krauseminze (s. d.), in die Kirche mitge-
nommen (Pl.).
90. Stachelbeere (Ribes grossularia L.) s. Weide (Salix spec.).
91. Taubnessel (Lamium spec,). Die Blüten werden ausgesaugt
(allgemein, für N.-Ö. vgl. B. H. S. 132, No. 1) und die zerschnittenen
Stengelstücke zu Kränzen aneinander gereiht (B.).
92. Traubenkirsche (Prunus Padus L ). Die Zweige schmücken
am Palmsonntage die Palmbüschel. Zu diesem Behufe werden dieselben
schon einige Wochen zuvor abgeschnitten und zu Hause ins Wasser gesteckt,
damit sie bis Palmsonntag ausschlagen (B., Pi., Pl.).
93. Vergissmoinnicht (Myosotis palustris With.). Beliebt zu Sträussen
(allgemein; Sehr. S. 75 sagt: wie überall, so gilt sie auch in unserem Ge-
biete [Randgebirge Böhmens] als Sinnbild der Treue und wird zu Kränzen
verwendet oder abgeschnitten, auf Teller im Zimmer aufgestellt).
94. Vogelbeerbaum (Sorbus aueuparia L.). Die Früchte an Fäden
gereiht, gelten als Halsketten und Armbänder (B., teilweise Pl., Erz., R.),
im ausgefrorenen Zustande werden sie gegessen (B., PI ). Aus den
Zweigen werden Pfeifchen und Brummer gemacht (allgemein s. auch
Flieder und Weide) und, damit die Rinde besser abgeht, wird sie zuvor
geklopft, wobei verschiedene, oft derbe Sprüchlein gesagt werden (all-
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder. 61
gemein1); auch in N.-Ö , wo jedoch die Pfeiferin aus Flieder [Syringa
rulgaris L. s. oben] und Weide [Salix spec. B. H. S. 135, No. 51] gemacht
werden, sind solche Sprüche in Anwendung, vgl. diesbezüglich H. Mose:
Kinderreime beim „Pfeiferlmachen" im 11.-ö. Schneeberggebiete. Zeitschrift
für österreichische Volkskunde. II. Jahrg. 1896, S. 77—78; auch Böhmen
besitzt Sammlungen solcher Reime, so: J. Böhm, Bastlösereime [aus
Trautenau], Am Urquell, 3. Bd., S. 254; F. Hübler, Bastlösereime aus dem
Gebiete des Jeschken- und Isergebirges, Jahrbuch des deutschen Gebirgs-
yereins für das Jeschken- und Isergebirge, YI. Bd. 1896, S. 42—50; eine
umfangreiche Sammlung stellt H. Ankert, Bastlösereime aus Deutsch-
böhmen, Mitteilungen des nordböhmischen Exkursionsklubs, 19. Jahrg.,
Leipa 1896, S. 34- 42 und 20. Jahrg., Leipa 1897, S. 164—169 vor.).
Solche Sprüche sind:
I. Pfeif"'!, Pfeifa'l gäih 0,
Zëich da Kâtzn d' Haut 0
Bis am Schwoaz, bis am Schwonz,
Blei mä Peifa'l gaua goaz.
(B., teilweise Pl. H. Ankert teilt a. a. 0. 19. Jahrg., S. 38 und 20. Jahrg.
S. 166 folgende ähnliche Sprüche unter No. 52—55 und No. 104 mit:
1. Piepe, Piepe, malo [langsam], 3. Pfifo, pfifo, zui ma daKozen d' Haut o,
Zieh' der Katzen 's Fahl 0, Bis an Schwonz, bis an Schwonz,
Zieh' ser übern Schwanz, Bleibt ma Pfeifarl dennerst gonz.
Piepe, Piepe, bleibe ganz! [Eisenstein im B. No. 54.]
[Drum, Neder, Höflitz (B.), No. 52.] 4 Pfeiferl, Pfeiferl, pfifo,
2. Pfeifl, Pfeifl, Pfiff — 0! Zuig mr dr Kotz d' Haut 0
Zö ich da[n] Kâtza Haut 0 — Übrn Kopf un übrn Schwonz
Bis am Schwaa[n]z, Wird mei Pfeiferl wiedr gonz.
Bleibt ma[n] Pfeifl [Stubenbach im B. No. 55.]
Dennaht gaa[n]z. [Plan, No. 53.]
5. Pfeifrl, Pfeifrl, pfif 0,
Zoïch'n Stoïa [Stier] d' Haut 0,
Bis am Schwonz, bis am Schwonz,
Bleibt ma Pfeifrl denna wida ganz.
[Neugramatin bei Bischofteinitz, No. 104.];
II. Pfifferl, Pfeif eri, gäih o^a
Krëigst an raudn Thala.
Wenst ma niat oja göihst,
Schmeiss i di am Mist.
(Eg. Ankert teilt a. a. 0. keinen ähnlichen Vers mit.)
III. Neu'i gung Hund unta da Stüich,
Wann da uï seheisst, wiad da ona schëich.
(Pl. Ankert teilt a. a. O. 20. Jahrg , S. 166 unter No. 99 etwas Ähnliches mit:
1) Vgl. unsre Zeitschrift IY, 74—76 (mit Literaturnachweis), YI, 99—101. 295 f.,
VII, 62—66.
62
Bliimml und Rott:
Neu(n) junga Hund unta da Stöich,
Da1' alt dazou is a'" a Vöich. [Planer Gegend.])
IV. Biala, Biala, Pfeiila.
Ge'iht da Hund scheissa. (PI ).
(Ankert hat a. a. O. XX. Jahrg. S. 166 unter No. 101 einen Vers, dessen
Anfangszeilen unserem Spruche ähnlich lauten:
Biera, biera, Pfeifen —
's Hoïtas Hund gäiht scheissen.)
95. Wegerich (Plantago spec.). Die Blätter werden von den Blatt-
stielen abgerissen und zeigen die nun herausstehenden Fäden (Gefäss-
bündel) der Blattrippen an, wie viele Mädchen ein Knabe gern hat (B.,
Pi.; D. T. ft. 52 giebt für Tirol bei Plantago major L an: „Man pflegt
aus der Zahl der beim Zerreissen des Blattes heraushängenden „Fäden"
[Fibrovasalstränge| die Zahl der Lügen [wohl des betreffenden Tages?]
zu erschliessen).
96. Weide (Salix spec.). Die Zweige von Salix caprea L. (Palm-
weide) werden am Palmsonntage geweiht (allgemein), wobei in die Palm-
büschel auch grüne Zweige von Traubenkirsche (Prunus Padus L.), Stachel-
beere (Ribes grossularia L.), Preisseibeere (Vaccinium vitis idaea L.) u. s. w.
gesteckt werden (B., Pi., Pl., dazu vgl. auch R. v. Enderes, Der Palm-
strauss. Wiener Familienjournal [Beilage zum Wiener Tageblatt | 1894,
No. 78, S. 316). Geweihte Knospen werden auch hier und da noch ver-
schluckt, um vor Halzschmerzen gesichert zu sein (für N -Ö. vgl. B. H.
S. 135, No. 51; für das" Ganze1) A. Ritter v. Perger [Über den Gebrauch
unserer heimischen Pflanzen bei kirchlichen und weltlichen Festen. Ver-
handlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. Bd. XL
1861, S. 279—284], S. 282). Dort, wo der Vogelbeerbaum (Sorbus aucu-
paria L.) selten ist oder fehlt, werden aus den Zweigen Pfeifchen und
Brummer gemacht (für N.-Ö. vgl. B. H. S. 135, No. 51; s. auch Vogel-
beerbaum und Flieder), auch dienen dieselben zu Pfeilbogen (allgemein)
oder zur Herstellung einer Art Schlitten (Wiedlwâge, Heuwâge, B., Pi.,
teilweise auch Pl., Erz., N.). In einen gespaltenen Zweig giebt man unten
einen Stein und lässt denselben dann als „Wassermannl" schwimmen
(Pi., Erz.).
97. We inrebe (Vitis vinifera L.). Die frischen, grünen und saftigen
Ranken der Reben, sogen. „Granckerl" werden in den n.-ö. Weingegenden
von den Kindern wegen ihres sauren Geschmackes ausgesaugt. Die Blätter
werden geraucht (N.-Ö.).
98. Wei ssdorn (Crataegus oxyacantha L.). Die Früchte (Mehlfasserln)
werden gegessen (allgemein).
1) Vgl. auch M. Eysn in unsrer Zeitschrift VIII, 2*26.
Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder.
63
99. Weizen (Triticum vulgare L). Zwei Halme werden zu einem
Bändchen zusammengeflochten, das dann auf dem Hute getragen wird (B.,
Pi., Pl.), vgl. auch Getreide.
100. Wiesenbocksbart (Tragopogón pratensis L.). Die Stengel
Zuckerstengel — werden wegen ihres süssen Geschmackes gerne gekaut
(Pl., in Tirol nach D. T. S. 68 essen die Kinder den saftigen Blütenboden
wie Artischocken).
101. Wiesenfuchsschwanz (Alopecurus pratensis L.) Nach dem
Abstreifen der Ährchen wird die Blütenspindel zum Androhen der Haare
benutzt (allgemein).
102. Wiesenklee (Trifolium pratense L ). Die Blüten werden aus-
gesaugt (allgemein, für N.-Ö. vgl. B. H. S. 132, No. 1).
103. Wilde Rose (Rosa canina L.). Die von den Samen befreiten
Früchte, besonders die gefrorenen, werden im Winter gegessen (allgemein)
oder ausgesuzzelt (N.-Ö.). Die Blätter werden geraucht (Pl., Eg., s. auch
Rose).
104. Wolfsmilch (Euphorbia spec.). Der Saft soll die Warzen ver-
treiben (allgemein und N.-Ö., auch Willi. S. 247 und in der Schweiz,
E. L. Rochholz a. a. O. S. 180, No. 305; daher führt nach D. T. S. 31
Euphorbia cyparissias L. im Drauthale den Namen „Warzengras"). Vgl.
auch Schöllkraut.
105. Wucherblume (Chrysanthemum Leucanthemum L.). Gilt all-
gemein als Orakelbluine. Beim Ausreissen der Randblüten wTerden ver-
schiedene Sprüchlein gesagt, so:
„Sie (er) liebt mich vom Herzen, mit Schmerzen, ein wenig oder gar nicht."
(Allgemein.)
„Sie (er) liebt mich vom Herzen, mit Schmerzen, über alle Massen, kann von
mir nicht lassen, ein wenig oder gar nicht."
(B., Erz., für letzteres auch Willi. S. 173.)
„Sie (er) liebt mich von Herzen, mit Schmerzen, insgeheim, ganz allein, ein
wenig oder gar nicht." (R-> für das Erz. Wilh. S. 173.)
„Edelmann, Betlmânn, Kaiser, König, Jungfrau, Drecksau." (PI.)
(Nach diesen Anfangsworten, die auch das folgende Sprüchlein enthält,
heisst unsere Pflanze in N. „Edelmönblume" [nach Knothe, Wörterbuch
der schlesischen Mundart in Nordböhmen (Hohenelbe 1888), S. 200],
ebenso in O.-Ö. nach den Anfangsworten eines Spruches [s. nächsten], den
Kinder, um ihren künftigen Beruf zu erforschen, beim Zerzupfen der Blüte
herabsagen [nach Pf. S. 44].)
„Kaiser, König, Edelmann,
Bürger, Bauer, Bettlmânn,
Schuster, Schneider, Leinwandweber,
Kaufmann, Doktor, Totengräber." (Eg., Erz.)
u
Härtung :
(Auch M. Kronfeld, Zauberpflanzen und Amulette, Wien 1898, führt
S. 39 für Grosse ähnliche Reime an, die über den Beruf des Bräutigams
entscheiden, so: „Edelmann, Bettelmann, Bur [Bauer] . . . „Edelmann,
Major ..." u. s w.)
„Liebst du mich, liebst du mich nicht." (Pi.)
„Soll ich, soll ich nicht." (Eg.)
(So werden von den Kindern in Wien auch die Westenknöpfe gefragt.)
„Ja, nein." (Allgemein.)
Die Blüten werden von dem Blütenboden abgelöst, in die Höhe geworfen
und auf dem Handrücken aufgefangen. So viele Blüten (Zungenblüten)
nun auf diesem liegen bleiben, so viele Kinder bekommt man einst (B.,
Pl., Erz., N., R.) oder so viele Läuse hat man (Pi-)-
106. Zittergras (Briza media L.). Kleine Kinder schlottern (klappern)
damit (Pl.), daher die Pflanze auch „Schiodala" lieisst (Pl., Sehr. S. 55 führt
als Yolksnamen für den Böhmerwald: Schiodala, Schlapperl, Schlatterl,
für Ostböhmen und Böhmerwald: Schepperln [Schebala B., Scheterla Ost-
böhmen] an, auch in Schwaben nach Schmid, Schwäbisches Wörterbuch
[Stuttgart 1831], S. 548 „Zitterle"; auch eine Apfelart [Schlattereppl] giebt
es, deren Kerne nach dem Reifwerden im Innern der Kapsel klappern
[schlattern] s. Wilh. S. 201).
Wien und Pilsen.
Bastlösereime aus Anhalt,1)
Gesammelt von Oskar Härtung.
Pipe, willst du nicht geraten,
Schmeiss ich dich in unsern Garten;
Kommt die Kuh,
Frisst dich zu;
Kommt die Maus,
Frisst dich aus;
Kommt der Storch,
Frisst dich dorch;
Kommt das Kalb,
Frisst dich halb;
Kommt das Schwein,
Frisst dich über und düber 'nein.
Cöthen.
Pfeifchen, willst du nicht geraten,
Schmeiss ich dich in Schinders Garten;
Kommen Schinders Raben,
Stecken dich in'n Graben;
Kommen Schinders Hunde,
Beissen dich zu Grunde. Cöthen.
Päppert, Päppert, werde was!
Sonst kommst du in den Graben,
Da fressen dich die Raben,
Da fressen dich die Müllermücken,
Die in deinem Wanste stecken.
Schab ab, schab ab, 'nen Löffel voll Saft.
Radegast.
1) Vgl. Fiedler, Volksreime und Volkslieder aus Anhalt - Dessau. Dessau 1847.
S. 97 ff. R. Andree, Braunschweiger Volkskunde. Braunschweig 1896. S. 330 ff.
Bastlösereime aus Anhalt.
65
Dudel-Dudelsäckchen, bist du balde gar?
Bist du nicht geraten,
Schmeiss ich dich in Schinders Garten.
Kommt Schinders Hund,
Beisst dich wund;
Kommt Schinders Kalb,
Frisst dich halb;
Kommt Schinders Kuh,
Frisst dich ganz dazu.
Aken und Trebbichau.
Sippe, sappe, söpe,
Ich mach mir eine Flöte
Von Thymian und Majoran.
Und willst du nicht vom Baste gahn,
Dann schmeiss ich dich in'n Graben,
Da fressen dich die Raben. Wörbzig.
Pfeifchen, Pfeifchen, willst du ab!
Sonst schmeiss ich dich in Schinger
Kommt die Kuh, [Schäfers Garten.
Scharrt dich zu;
Kommt das Kalb,
Frisst dich halb;
Kommt die Gans,
Frisst dich ganz. Löbnitz.
Pfeifchen, willst du nicht geraten,
Schmeiss ich dich in Schingers Garten.
Kommen Schingers Knechte,
Hauen dich zurechte;
Kommen Schingers Mägde,
Harken dich zurechte;
Kommt Herr Schinger selber
Mit seine jungen Kälber.
Pfeif lein, zieh' ab! Pfeiflein, zieh ab!
Einen ganzen Kessel voll Saft!
Oster-Nienburg.
Päpert, Päpert, du musst raten,
Sonst schmeiss ich dich in Pfeifers
Kommt die Kuh, [Garten.
Frisst dich ruh;
Kommt das Schwein,
Frisst dich 'rein.
Päpert, du musst fertig sein! Wulfen.
Pfeifchen, Pfeifchen, willst du ab!
Sonst schmeiss ich dich in'n Graben.
Kommt Schinders Hund,
ßer beisst dich in'n Mund;
Kommt Schinders Karnickelbock,
sagt: Ich habe 'n neuen Rock.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901.
Zieh ab, zieh ab!
Ein Theeköpfchen voll Saft! Trinum.
Pfeifchen, Pfeifchen, willst du nicht
geraten,
Werf ich dich in Schinderschabers Garten.
Kommen die Raben,
Werfen dich in'n Graben;
Kommen die Mücken,
Stecken dich in'n Rücken;
Kommen die Schwalben,
Hängen dich an den allerhöchsten Galgen.
Rathmannsdorf.
Tippe, tape, Flöte,
Mache mir 'ne Flöte.
Wenn du mir keine machen willst,
Schmeiss ich dich in'n Graben,
Da kommen dann die Raben;
Kommt das Kalb,
Frisst dich halb;
Kommt die Kuh,
Rollt dich zu. Würflau.
Pfeifchen, geh ab!
Pfeifchen, geh ab,
Sonst schmeiss ich dich in Ringers Graben.
Kommt die Gans,
Frisst dich ganz;
Kommt das Kalb,
Frisst dich halb;
Kommt die Zicke,
Bist du flicke.
Schopp ab! Schopp ab! 'nen Löffel voll
Saft! Piethen.
Pfeifchen, Pfeifchen, geh doch ab!
Wenn du nicht willst abgehn,
Schmeiss ich dich in Müllers Graben,
Da fressen dich die Raben;
Kommen Müllers Tauben,
Die fressen dich in'n Gaumen;
Kommt Müllers Kalb,
Frisst dich halb;
Kommt Müllers Kuh,
Die scharrt dich zu. Maasdorf.
Pfeifchen, Pfeifchen, ich klopfe dich,
Wenn du mich liebst, dann ziehst du dich.
Wenn du dich nicht ziehen thust,
Schmeiss ich dich in'n Graben,
Da fressen dich die Raben. Maasdorf.
66
Härtung:
Pfeifchen, Pfeifchen, lass dir raten,
Schmeiss ich dich in Müllers Garten,
Kommt das Kalb
Und frisst dich halb;
Kommt die Biene
Und sticht dich
Tüchtig, tüchtig. Maasdorf.
Pfeifchen, Pfeifchen, willst du raten,
Schmeiss ich dich in Webers Garten,
Kommen "Webers Hunde,
Fressen dich zu Grunde;
Kommt Webers Küh,
Frisst dich halb zum Tode zu. Maasdorf.
Pfeifchen, Pfeifchen, willst du ab,
Sonst schmeiss ich dich in das Grab.
Kommt der Schinder Bock,
Beisst dich in den Rock;
Kommt die Schinder Schmidten,
Die beisst dich in den Rücken. Dohndorf.
Pfeifchen, Pfeifchen, platze nicht,
Sonst wirst du meine Pate nicht.
Schmeiss ich dich in'n Graben
Bei die alten Raben;
Fressen dich die Müllermücken,
Die dich hinten und vorne zwicken.
Zehmitz.
Pelle, pelle, Weide,
Wenn du dich nicht pellen willst,
Komm'n die tollen Hunde,
Beissen dich zu Grunde;
Kommt das Kalb,
Beisst dich halb;
Kommt die Kuh,
Scharrt dich zu. Elsdorf.
Holde, holde Weide,
Gieb mir Saft und Seide,
Gieb mir Saft und süssen Dreck,
Schipp es mit der Schippe weg!
Schab ab! Schab ab!
Drei Löffel voll Saft!
Wenn du das nicht thust,
Schmeiss ich dich in'n Graben,
Fressen dich die Raben,
Fressen dich die Müllerwecken,
Die in deinem Bette stecken. Spören.
Schrab, schrab,
Käsenapp!
Will mein Pfeifchen noch nicht ab,
So schmeiss ich dich in'n Graben,
Fressen dich die Raben;
Komm'n die kleinen Schweinichen,
Fressen dich alleinichen.
Schrab ab, schrab ab, 'nen Löffel voll Saft!
Trinum.
Klopfe, klopfe, Pfeifchen!
Willst du nicht geraten,
Schmeiss ich dich in'n Dorn,
Zieh ich dir ein Beinchen aus,
Da mach' ich mir ein Pfeifchen draüs.
Neudorf, Kr. Ballenstedt.
Pape, Pape, lass dir raten,
Komm mit in den Müllergarten,
Kommt die Kuh,
Nickt dir zu;
Kommt die alte Müllermücke,
Frisst sich hinten und vorne dicke.
Sandersleben.
Huppert, Huppert, lass dir raten,
Geh doch nicht in Schäfers Garten,
Kommt die Kuh,
Frisst dich zu;
Kommt das Kalb,
Frisst dich halb;
Kommt der Hans,
Frisst dich ganz. Nienburg a. S.
Hoppe, hoppe, Pipe,
Wennehr werste (wirst du) ripe?
Morgen, morgen Abend.
Wenn du denn nich ripe werst,
Schmîten mer dele in'n Graben,
Fräten dek de Mücken un de Mâden.
Frose, Kr. Ballenstedt.
Hoppe, hoppe, Pipe,
Wennehr werste ripe?
Hüte oder morgen?
Morgen um Sech se
Kömmt de öle Hexe,
Schmit dek in'n Graben,
Da fräten dek de Mücken un de Müden.
Frose.
Pipe, Pipe, Bastian,
Lât ininen Brummer gähn!
Wenn de den nich gâhen lätst (lässt),
Schmit ek dek in'n Graben,
Fräten dek de Mücken un de Mâden.
Frose.
Bastlösereime aus Anhalt.
67
Pfeifchen, Pfeifchen, lass dir raten,
<3eh ja nicht in Müllers Garten.
Geh nicht in den Hof hinein,
-Sonst bekommst du Angst und Pein.
Werben.
Pfeifchen, Pfeifchen, willst du raten,
Dann bekommst du Gänsebraten.
Schopp ab, schöpp ab!
Einen ganzen Kessel voll Saft! Wulfen.
Pipchen, Papchen, schäle dich,
Oder ich werd ärgerlich. Cöthen.
Schab ab, schab ab,
Einen Teller voll Saft,
Einen Teller yoII Pflanzen,
Der Schneider, der Schneider muss
tanzen. Drosa.
Schab ab, schab ab,
Drei Kessel voll Saft,
Drei Kessel voll Rüben,
Mein Pfeifchen, mein Pfeifchen muss
stieben. Trebbichau.
Päper, geh ab!
Eine Schüssel voll Saft,
Eine Schüssel voll Wanzen,
So muss der Päper tanzen. Cöthen.
Holle, holle Weide,
Saft, Saft, Seide!
Ging ein Männchen auf den Berg,
Hatte grüne Höschen an.
Als es wieder 'runter kam,
Hatt' es weisse Höschen an.
Schab ab, schab ab,
Drei Löffel voll Saft! Radegast.
Saft, Saft, Seide!
Hohle, hohle Weide!
Ging ein Mann den Berg hinan.
Wie er wieder 'runterkam,
War das Pfeifchen aufgethan.
Nienburg a. S.
Hänschen ging zum Berg hinan,
Hat ein rotes Höschen an.
Als er wieder 'runter kam,
Muss das Pfeifchen fixen-, fixen-, fixen-
fertig sein. Wulfingerode.
Zapf, zapf, Pfeife,
Auf dem Mühlenteiche
Da steht ein Mann,
Der heisst Johann,
Der hat so rote Strümpfe an. Cöthen.
Niclôs, Niclôs,
Mache mir mein Pfeifchen los!
Hans, Hans,
Lass mein Pfeifchen ganz!
Annagret, Annagret,
Mache, dass mein Pfeifchen geht!
Cöthen.
In Z e un dor f nehmen die Knaben die abgeschnittene Weidenrute in
'die Hand und sagen:
Schmied, Schmied, mein Pferd ist lahm,
Wie viel Nägel soll es haben?
Darauf nennen sie irgend eine Zahl, etwa fünf, sechs, sieben, oder
irgend eine andere und klopfen dann ebenso oft auf die Rute. Lässt sich
die Schale dieser nach der genannten Zahl von Schlägen noch nicht ab-
ziehen, so wiederholen sie den Spruch und das Klopfen, x
Dessau.
68
Reichhardt:
Sagen aus NordthilriDgen.
Im Volke gesammelt von R. Reichhardt.
I. ßannsagen.
1. Wenn man bannen will, so mnss man sich einen Zauupfalil zu ver-
schaffen suchen, welchen ein „Seheidemann", also ein geschiedener Ehe-
mann, in den Zaun gesetzt hat. Wenn diesen Zaunpfahl ein Hirt in
seinen Hürdenzaun, ein Gärtner in seinen Gartenzaun u. s. w. setzt, so
bannen sie damit die Spitzbuben, welche in ihre Besitzung eindringen
wollen.
2. Der gebannte Spitzbube. Der alte, längst verstorbene Förster
in Königsthal verstand das Bannen. Sobald er einen Spitzbuben auf seinen
Dienstländereien sah, ging er um denselben im Kreise herum. Wenn der
Kreis geschlossen war, murmelte er einen Spruch, und dann konnte sich
der Dieb nicht von der Stelle bewegen. So blieb ihm denn nichts übrig,
als den herzukommenden Förster flehentlichst zu bitten, ihn frei zu lassen.
Der Förster hielt den Gebannten jedesmal erst eine tüchtige Strafrede
und liess sie wieder frei, indem er um sie den Kreis wieder zurückging.
3. Die gebannte Hexe. In Immenrode lebte ein Mann, welcher
bannen konnte. Dieser bannte eine Frau, welche als Hexe verschrieen
war, in einen Dornenzaun. Sie musste so lange darinnen bleiben, wobei
sie sich schrecklich zurichtete, bis er sie durch seine Sprüche wieder löste.
4. Der Schäfer. Ein alter Schäfer in Steigerthal konnte bannen.
Wenn er des Nachts in seiner Schafbucht bei den Schafen lag, so bannte
er die Spitzbuben, welche Schafe hatten stehlen wollen. Am anderen
Morgen sassen die Diebe denn auf der Umzäunung fest, die gestohlenen
Schafe auf dem Rücken, ohne dass sie sich von der Stelle zu bewegen
vermochten. Erst auf ihre flehentlichen Bitten wurden sie vom Schäfer
wieder befreit.
5. Der Zwiebeldieb. In Ilfeld lebte ein Mann, welcher einst in
der Nacht aus seinen Büchern ersah, dass ihm ein Dieb auf seinem Acker
Zwiebeln stahl. Er sprach seinen Spruch, und alsobald war der Dieb
gebannt, so dass er nicht von der Stelle konnte. Am anderen Morgen
ging der Mann auf das Feld. Schon von weitem bat ihn der Dieb, er
möge ihn doch von seiner Qual erlösen. Das that dieser auch und da
ihn der Mann dauerte, so liess er ihm die Zwiebeln, ja er gab ihm noch
Geld dazu, warnte ihn aber davor, je wieder auf Stehlen auszugehen, da
es ihm sonst schlimmer ergehen würde.
Sagen aus Nordthüringen.
69
6. Der Kohldieb. Ein alter Lehrer in Obersachswerfen verstand
das Bannen. Einstmals war ihm in der Nacht Kohl gestohlen worden.
Als er das am anderen Morgen merkte, ging er in den Garten und nahm
das Mass der Fusstapfen des Diebes, indem er sie in Papier ausschnitt.
Dann sprach er seinen Spruch darüber. Kaum war dies geschehen, so
kam seine Magd atemlos aus dem Dorfe zu ihm gelaufen und erzählte
ihm', dass das Bein ihres Yaters zu schwellen anfange. Da sagte ihr der
Lehrer: „Ich will Deinem Yater helfen, wenn er zu mir kommt und zu-
giebt, dass er den Kohl gestohlen hat." Das Mädchen sagte das seinem
Vater, und so schwer es diesem wurde, er musste sich dazu entschliessen,
zum Lehrer hinken und ihm alles gestehen. Darauf murmelte dieser
seinen Spruch und die Schwellung des Beines verschwand.
7. Der gebannte Wagen. Ein Mann fuhr mit seinem Wagen ruhig
des Weges, bis er in die Nähe von Gudersleben kam. Dort blieb der
Wagen plötzlich halten, es hatte ihn jemand gebannt. Er stieg vom
Wa gen, versuchte die Räder zu lockern und den Weg, welcher tiefe
Gleise hatte, zu ebnen. Aber alles half nichts, die Pferde zogen nicht
an und der Wagen kam nicht vorwärts. Da wurde der Mann wütend und
schlug auf die Pferde los. Mit einem Male brachen einige Speichen, die
Pferde zogen an, und das Geschirr vermochte sich wieder von der Stelle
zu bewegen.
8. Die gebannte Düngerfuhre. In Stöckey lebte ein Bauer, welcher
das Bannen verstand. Yor seinem Tode lehrte er seinen Sohn diese
Kunst, dann starb er. Der Sohn machte jedoch keinen Gebrauch davon.
Nun sah er einstmals einen Knecht eine Fuhre Dünger mit vier Pferden
auf der Landstrasse fahren. Da kam ihm plötzlich die Neigung, einmal
zu erproben, was es mit dem Bannen für eine Bewandtnis habe. Er sprach
seinen Spruch und alsobald standen die Pferde; es war keine Möglichkeit
vorhanden, sie von der Stelle zu bringen. Der Bauer erschrak selbst vor
dem, was er angerichtet hatte. Er nahm die Peitsche, ging damit im Kreise
um das Geschirr herum und murmelte seinen Spruch dazu. Alsobald zogen
die Pferde wieder an. Das Bannen hat der Bauer nicht wieder geübt und
auch seine Söhne nicht darin unterwiesen, denn er hatte genug von dem
einen Male, wo er die Wirkung des Bannes kennen gelernt hatte.
II. Hexensagen.1)
9. Das Behexen des Yiehes. Ein altes Weib darf nicht in einen
fremden Yiehstall kommen. Geschieht dies dennoch, so muss die Alte
dasYieh schlecht machen, also etwa sagen: „Ist das aber ein erbärmliches
Vieh!" Lobt sie es dagegen, so wird es dadurch behext und wird krank.
1) Vgl. auch, meinen Artikel „Die Drostin von Haferungen", Bd. VI, S. 78—82 dieser
Zeitschrift.
70
Reichhardt:
10. Die Katze. Ein Bauer in Mauderode hatte eine Kuh, von
welcher er keine Milch bekam. Das kam ihm sonderbar vor, und er be-
schloss, dem Grunde nachzuspüren. Deshalb stellte er sich in der nächsten
Nacht auf die Lauer. Da sah er, wie eine schwarze Katze in den Stall
kam und der Kuh am Euter die Milch aussog. Am folgenden Morgen
erkundigte er sich bei Leuten, welche das wussten, danach, was er dagegen
zu than habe. Da erhielt er den Rat, er solle aus sieben Wäldern der
Grafschaft Hohenstein Eichenstöcke schneiden und die Katze damit schlagen.
Das that der Mann denn auch und schlug mit den sieben Stöcken in der
nächsten Nacht so auf die Katze los, dass sie wie tot da lag. Darauf
warf er sie zum Stalle hinaus. Am nächsten Tage starb eine alte Frau
im Dorfe, von welcher man sich erzählte, dass sie eine alte Hexe sei.
11. Der Ziegenbock. Eines Tages kam eine Frau zu einem Bauern
in Liebenrode, um sich von diesem einen Scheffel Korn zu kaufen. Sie
hatte aber kein Geld und wollte dieses später bringen. Der Bauer
hatte aber keine Neigung, auf das Geschäft einzugehen, denn er glaubte,
er werde doch kein Geld bekommen, deshalb sagte er, er habe schon
alles verkauft. Die Frau musste also wieder gehen, aber kaum hatte sie
das Gehöft verlassen, so begann der Ziegenbock, welcher bisher immer
munter auf dem Hofe umhergesprungen war, ängstlich zu meckern und
dann hin und her zu taumeln. Der Bauer ahnte nichts Gutes, als er das
sah; er wusste gleich, dass das mit der Frau zusammenhing, welche er
abgewiesen hatte. Deshalb schickte er sofort nach ihr und liess sie zurück-
kommen. Das that die Frau, und nun sagte der Bauer, es habe sich ge-
zeigt, dass er noch Korn habe, er wolle ihr welches ablassen. Dann sagte
er der Frau auch: „Seht nur einmal meinen Ziegenbock an, wie kläglich
der thut." Die Frau ging auf den Bock zu, fasste ihn beim Barte und
sprach: „Ei, du dummer Bock, was machst du denn für Dummheiten."
Kaum hatte die Frau diese Worte gesprochen, so war der Bock wieder
gesund.
12. Die melkende Hexe. In Wiedigshof lebte eine Frau, von der
man sich erzählte, dass sie eine Hexe sei. Sie stand auch im Verdachte,
dass sie die Kühe einer Bäuerin heimlich melkte; es war aber noch nicht
gelungen, sie dabei zu erwischen. Sie verstand es, sich unsichtbar zu
machen. Ihre Macht über das Vieh hatte sie dadurch erlangt, dass sie je
dreimal an einem Montag und Freitag von dem Bauer etwas geborgt hatte.
Da alle Bemühungen des letzteren fruchtlos gewesen waren, so liess er
sich endlich einen Mann kommen, welcher das Bannen verstand. Dieser
liess sich von dem Bauer einen Sack geben, sprach über denselben unter
Nennung des Namens der Hexe seinen Spruch, dann band er ihn mit drei
Knoten zusammen. Darauf forderte er den Bauern auf, den Sack mit
einem Stocke zu bearbeiten. Dieser liess sich das nicht lano-e ffesao-t
o O ö
Sagen aus Nordthüringen.
71
sein und schlug mit dem Stocke wacker auf den Sack los. Alsobald hörte
er, dass jene Frau, welche eine Hexe war, krank darniederläge und furcht-
bare Schmerzen auszustehen hätte.
13. Die Hexe von Salza. In Salza lebte eine Frau, die alte Apeln,
welche als Hexe verschrieen war. Sie lebte von dem Handel mit Geflügel:
sie kaufte auf den Dörfern Hühner, Gänse und Tauben auf, brachte sie
zur Stadt und verkaufte sie dort wieder. Die Kinder neckten die alte
Frau dadurch, dass sie die Stimmen der von ihr geführten Tiere nach-
ahmten. Die Alte ärgerte sich darüber, dass sie, wie die Sage geht, die
Kinder behexte. Die Gewalt, die Kinder zu behexen, bekam sie dadurch
über diese, dass sie sie freundlich anredete, ihnen auch wohl Geld gab
und so an sich lockte. Alsdann stellte sie drei Fragen und richtete sie
* O
so ein, dass die Kinder auf jede Frage mit „Ja" antworten mussten.
Hatten die Kinder das gethan, so hatte die alte Apeln die Macht der
Übertragung einer Krankheit auf die Kinder. Eines Tages fand man die
Alte erschlagen im Sethebache bei Salza liegen. Der Mörder ist nicht
ermittelt worden.
14. Der Schmiedegesell. Eines Tages ging ein wandernder
Schmiedegesell seines Weges mit wundgelaufenen Füssen. Da kam ein
Wagen gefahren, und der Schmiedegeseli bat den Fuhrmann, er möge
ihn mitfahren lassen. Der Fuhrmann aber antwortete nicht einmal auf
die Bitte. Im nächsten Gasthofe hielt der Fuhrmann an, und auch der
Schmiedegesell kehrte dort ein. Wiederum bat er den Fuhrmann, ihn
mitzunehmen, aber auch jetzt ging dieser auf die Bitte nicht ein. Da
trat der Schmiedegesell an das Fenster und sah scharfen Blickes auf die
Pferde. Als nach einer Weile der Fuhrmann weiter fahren wollte, begann
eines von den Pferden zu lahmen. Das Bein desselben schwoll bald so
an, dass es getötet werden musste. Der Schmiedegesell hatte das Pferd
behext.
15. Der Scharfrichter. In Immenrode waren einst einem Bauern
200 Thaler gestohlen worden. So eifrig man auch nach dem Diebe forschte,
man bekam ihn nicht heraus. Da wandte sich der Bauer an den Scharf-
richter von Ellrich, welcher Zahn hiess und von dem man wusste, dass er
hexen konnte. Derselbe kam auch, liess sich alles erzählen, dann nahm
er ein Blatt Papier und machte Zeichen darauf, die aber niemand ver-
stehen konnte. Darauf zog er eine kleine Gabel aus der Tasche. Mit
dieser Gabel stiess er fortwährend auf das Papier los, welches er an eine
Ecke des Tisches gelegt hatte. Kaum war dies geschehen, als sich draussen
vor dem Hause eine Stimme vernehmen liess, indem ein Mann rief:
„Nachbar, Nachbar helft mir, ich sterbe." Aber der Scharfrichter hörte
auf das Geschrei nicht, sondern stach immer schneller mit seiner Gabel
auf das Papier los. Da riss der Bauer das Fenster auf und sah, wie sich
72
Reichhardt: Sagen aus Nordthüringen.
ein Mann vor Schmerzen an der Erde wälzte. Da rief er ihm zu: „Warte
nur, nun kenne ich Dich, Du Spitzbube!" Nun hörte der Scharfrichter
auf, mit seiner Gabel auf das Papier loszustechen. Der Mann vor dem
Fenster aber gestand seinen Diebstahl ein.
III. Schatzsagen.
IG. Das Licht. Auf der Feldmark bei Bodenrode an der Nixeier
Chaussee sieht man des Nachts häufig ein Licht brennen, denn es liegt
dort ein Schatz der Nikolaikirche des wüsten Dorfes Bodenrode vergraben.
17. Der alte We i den stump f. Im Setheborn bei Liebenrode war
ein alter Weidenstumpf, auf dem es brannte. Nun wusste man, dass dort
ein Schatz zu heben sei. Zwei Mädchen Hessen sich den Spruch zur
Hebung desselben sagen und machten sich in der nächsten Nacht schweigend
auf. Das eine Mädchen versteckte sich, als sie zur Stelle waren, hinter
den Weiden, die dort standen, das andere trat hinzu und sagte den Spruch.
Assobald begann ein eiserner Topf sich aus der Erde zu heben. In dem-
selben Augenblicke erschien aber auch ein grosser Hund mit feurigen
Augen. Das Mädchen, welches sich versteckt hatte, schrie vor Schreck
bei dem Anblicke laut auf, augenblicklich aber verschwand Hund und
Schatz.
18. Der Knecht als Schatzgräber. In der Nähe von Wiedigshof
liegt an einer bestimmten Stelle ein Schatz vergraben. Eines Nachts
hörte ein Knecht, welcher Hans Rumpf hiess, eine Stimme, die ihm zurief:
„Hans Rumpf, geh' dorthin, wo der Schatz vergraben liegt, es soll Dein
Glück sein." Der Knecht dachte nicht weiter daran, was ihm in der
Nacht geschehen war. Aber auch in der nächsten Nacht hörte er dieselbe
Stimme und dieselben Worte wieder. Am nächsten Morgen erzählte er
dein Hofmeister sein Erlebnis. Dieser machte ihm Mut, der Stimme zu
folgen und in der nächsten Nacht nach dem Orte zu gehen, von welchem
die Stimme gesprochen hatte. Das that denn auch der Knecht. Als er
an Ort und Stelle war, gewahrte er vor sich eine Thür, an welcher ein
Schloss hing. Als er im Begriff war, mit einer mitgeführten Rodehacke
das Schloss zu erbrechen, sah er sich zur Seite plötzlich eine Gestalt
auftauchen, welche eine Flinte auf ihn anlegte. Da konnte er sich nicht
halten und stiess Laute des Schreckens aus. In demselben Augenblicke
verschwand die Thür vor seinen Augen.
19. Der Schatz bei Trebra. In der Nähe von Trebra war ein
Schatz vergraben. Man hatte davon gehört und es war auch mittels einer
Wünschelrute gelungen, den Platz zu ermitteln, wo der Schatz lag. So
machte man sich denn eines Nachts daran, den Schatz zu heben. Yon
den Schatzgräbern war bei der Arbeit kein Wort gesprochen worden, und
Schütte: Brauiischweigische Volksreime.
73
so war denn alles im besten Zuge, als plötzlich ein Wagen angefahren
kam, welchen ein Kutscher ohne Kopf lenkte. In demselben Augenblick,
wo der "Wagen nahe herangekommen war, erhob sich ein gewaltiger
Wind, die Laterne verlosch und die Schatzgräber liefen entsetzt davon.
Rotta bei Kemberg.
Es giebt unzählige Volksreime *) Teilweise eignen sie sich für das
Kindesalter und werden von den Kindern auf der Strasse gerufen, wenn
sie zusammenstehen und sich unterhalten, sei es dass es regnet, sei es
dass die Sonne scheint, sei es dass die Früchte reifen. Manche der Reime
schliessen sich an Yor- und Nachnamen an, die meisten abef enthalten
Wahrheiten, die auf einer langen Lebenserfahrung beruhen. Manche haben
auch ihren (¡rund in der Reimlust des Volkes allein.
Heileberen, Heileberen Und die Frau will Kaffee kochen,
Ët' ik geren, Hat der Mann das Geld versoffen.
Braiinschweigische Volksreime.
Mitgeteilt von Otto Schütte.
Ët' ik alle Dage geren.
Wer will mik denn dat verweren,
Sechs mal sechs ist 36,
Und der Mann ist noch so fleissig,
Und die Frau ist ärgerlich,
Haut den kleinen Friederich
Mit dem Besen in den Nacken,
Dass ihm gleich die Glieder knacken
Dat ik raupe Heileberen
Gële (sc. Birne)
Falle mik in de Kehle.
S annenregen, mak mik nich natt,
Mak de olen Wiwer natt,
Aber mine Grossmutter nich.
Wihnachtsmann, du gue Gast,
Wenn de wat im Sacke hast,
Haste wat, denn sett dik nedder,
Haste nist, denn pack dik wedder.
Regenblatt, mak mik nich natt,
Mak alle bösen Kinder natt.
Et langet an tau rënen,
De Voss hat wat in en Tänen.
Et fanget an tau snien,
De Voss hat wat in en Knieen.
Et fanget an tau sloten,
De Voss hat wat in en Knoken.
Et fanget an tau dauen,
De Voss hat wat in en Klauen.
Sechs mal sechs ist 36,
Und der Mann ist noch so fleissig,
Segg emal: Fensterschiwe.
Dine Mutter hat en Kind im Li we
Segg emal: Kerkenslöttel.
Bit op en Ferkenköttel.
Fünf Bücher Mose,
Flicke mine Hose.
Das Buch der Richter,
Mak s' en betten dichter.
Das Buch Ruth,
Is se all wedder kaputt.
1) R. Andree, Braunschweiger Volkskunde. Braunschweig 1896. S. 317 ff. 341 ff.
*
74
Schütte: Braunschweigische Volksreime.
Alle Menschen müssen sterben,
Nur der kleine David night,
Der soll meine Hose erben,
Wenn sie ganz zerrissen ist.
Alle Menschen müssen sterben,
Nur der Kantor Rüssemeier nicht,
Wer will seinen Klunzfuss erben,
Wer ihn kennt, der nimmt ihn nicht.
Köpken glatt un Fäutjen glatt,
Dat is de halbe Brutschatt.
Snei an en Wannen,
Fru K. hat witte Lennen.1)
Kort un dick
Hat kein Geschick,
Lang un snar
Dat let rar,
Aber en Mäken von mine Mate
Ziert de ganze Rosmarienstrate.
Ein hübsches Mädchen sehn
Und nicht dürfen küssen
Heisst an der Quelle stehn
Und dann noch dürsten müssen.2)
Hübsch muss er sein,
Fein muss er sein,
Geld muss er haben,
Sporen muss er tragen,
Dann kann er nach mir fragen.
Allnagrade tritt Hans
In 't Wams
Un Gretjen in 't Lifstticke.
En Barsch in Swae3)
Un en Mäken im Bae
Kann immer noch en Paar weren.
Täneweidage
Ts keine Plage,
Aber en Schatz hebben un den nich
seihn alle Dage,
Dat is ne Plage.
Ole Liebe rostet nich,
De nie halt de Düwel nich.
Kole Hanne — warme Liebe,
Warme Hänne — Liebe ohne Enne.
Wie schön lticht üsch de Morgensteren4),
Lütje Mäkens friet geren,
Grote noch vel leiwer.
Lütje Flöhe, grote Flöhe
Hucket op en Lennen,
Krieg' ik se mit den Tänen nich,
So krieg' ik se mit den Hännen.
Denn slag' ik se up de Köppe,
Denn knacket se wie de Nötte.
Aleke5) von Dörpe,
Wat kost jûe Gaus?
„Narr ut der Stadt,
Lick en Buren et Gat."
Anna — Kapanna.ß)
Anneken — Panneken Postpapier.
Emmele — Semmeie.
Hanne — Slapanne
Slöpt geren bim Manne,
Hat hundert Saldaten,
Kann 't lachen nich laten.
Ed e ward — de Zicke blarrt,
Gif se wat tau frëten.
Gifst se nist, sau wetste wat,
Sau deit se dik wat bläken.
Edeward — de Zicke blarrt,
Gif se wat tau supen,
Da kann se gut na pupen.
Ewald — de Hose knallt.
Fritze — mit der Mütze.
Fritze — schît in de Mütze,
Schît in en Sack,
Dann ward 't Tabak.
Fritze — schit in de Mütze,
Smit 't in de Luft,
Dat 't gut bufft,
Drägt 't na Finken,
Dat et ffut stinket.
1) Wurde früher (vor 60 Jahren) spottweise in Schöningen zu Sylvester umgesungen.
2) Früher Inschrift an einem Topfofen zu Hohenbüchen.
3) Im Schwaden: ein Gras oder Getreide mähender Bursch. — Im Bade: ein eben
getauftes Mädchen.
4) Vgl. bei Andree a. a. 0. 342 den mit Nun ruhen alle Wälder anfangenden Reim.
5) Aleke, Alke = Adelheid, alter Spottname niederdeutscher Bäuerinnen.
6) R. Andree a. a. 0. S. 332f.
Loose: Die Eiserkuchen der Zerbster Gegend.
75
Heinrich — von Scheinig
Hat Snurtjen am Beine,
Hat einen verloren,
Kriegt klapps einen hinder de Ohren.
H en n ig — twei Pennig,
Kartuffelnsalat,
Haste kein Geld, so licke mik im Ars.
Jakob — sperr 'n Ars op.
Julius — steig up en Busch,
Da brok de Busch,
Da fei de leivve Julius
Mit 'n Marse in en Dorenbusch,
Da broli e sik de Näse af,
Da krêg he 'n slimmen Hacken.
Krischan — schitt in de Dischlan.
K unrat — allunderlat
Schitt en Hucken in 't Verfatt.
Ivunrat — allunderlat
Schitt en Pott vull Pekedraht,
Gâ er midde in 'n Winkel,
Wo et nich stinket.
Beh m e — sitt mit '11 Arse im Lehme.
Engel — Bengel Bohnenstengel.
B r a u 11 s c h w e i g.
Brand — schitt in 't Land,
Schitt up 't Blech,
Bums is 't weg.
Kummt Duckstein,
Wollt 't ok mal seihn.
Gander — Gander gitt gitt gitt,
Biste vor en Marse witt?
Gaus — ist nicht zu Haus.
Hanne — schitt in de Panne.
Kelbe — schitt in de Elbe.
Kasten — haste keinen Gasten?
Haste keinen Weiten,
Kannste Kasten nich heiten,
Kruse — is nich tau Hase.
Küthe — de Danz is jetz ute,
Hei stickt et Geld in e Tute
Un kriegt wecke mit de Rute
An de Snute.
Meier — hat en Ding un twei Eier.
Osterloh — den bitt de Floh,
Sitt mit en Arse im Hawerstroh.
Schütte — schitt in de Hütte,
Schitt bitau — schitt in en Schauh.
Tappe — frit ut en Nappe.
Die Eiserkuchen der Zerbster Gegend.
Yon F. Loose.
In Zerbst und seiner Umgegend werden Waffelkuchen gebacken, denen
anstatt des Gitters oder in Verbindung mit demselben vielerlei anderer
Bilderschmuck aufgeprägt ist und welche dort zu Lande Eiserkuclien all-
gemein genannt werden. Ihr Verbreitungsgebiet ist im Westen und Süden
von der Elbe scharf begrenzt; es schliesst Dörfer bei Coswig a. E., Nedlitz,
Wiesenburg und Ortschaften bei Beizig ein, ohne dass mit dieser Angabe
die Grenzen nach Osten und Norden genau bezeichnet sein sollen. Un-
bekannt sind diese Kuchen mit ihrer mannigfaltigen Zeichnung im übrigen
Anhalt und -— nach allerdings nur gelegentlichen Erkundigungen — in
der Magdeburger Gegend, der Altmark, Mark Brandenburg und in anderen
deutschen Grauen, so dass es den Anschein hat, als wären sie jetzt auf das
beschriebene Gebiet ausschliesslich beschränkt.1)
1) [Über die westfälischen Iserkauken: Woeste, Wörterbuch der westfäl. Mundart, S. 1 Iii.]
76
Loose:
Ererbter Sitte gemäss wurden sie zu Neujahr und Fastnachten, sonst
aber im Laufe des Jahres nur zu dem Zwecke gebacken, Schwerkranken
und Wöchnerinnen des Dorfes ein Freundschaftszeichen damit zu ver-
ehren. Zu Neujahr wurden, wie ans einem Orte sicher bezeugt ist, aus
jedem Gehöft 7 Eiserkuchen dem Kantor geschickt, welche zu dessen
Dienstbeziigen gehörten. An die Hirten wurden Eiserkuchen geschenk-
weise nebst anderen Gaben verabreicht, wenn sie Neujahr den Bauern
ihre Wünsche für das Gedeihen des Viehes darbrachten. Desgleichen er-
hielten die Kinder, welche zu dieser Zeit bis zu ihrem 7. Lebensjahre von
ihren Paten einen mit Zuckerzeug, Äpfeln, Strümpfen oder Handschuhen
gefüllten „Bündel" sich zu holen pflegten, mit diesem zugleich Eiserkuchen
geschenkt. Zu Fastnachten wurden in Dörfern bei Rosslau die Bauern,
welche vom Hause des Schulzen aus in jedes Gehöft unter Vorantritt der
Musikanten zogen, überall, auch in den Häusern der Armeren, ausser mit
Wurst und Schinken, Bier und Branntwein mit Eiser- und anderen Kuchen
bewirtet (vgl. 0. Härtung über ackerbauliche Altertümer in den Mitteilungen
des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde, A'II. Band).
Nicht nur weil diese bäuerlichen Sitten allgemach schwanden, sondern
auch weil das Backen der gar dünnen Kuchen für die Hausfrauen recht
mühsam ist, gehört jetzt nicht mehr wie ehedem eine Eiserkuchenform
zum Geräte jeder Wirtschaft. Immerhin ist ihr Vorhandensein und Ge-
brauch noch keine Seltenheit. Aus 14 Ortschaften (Zerbst einbegriffen)
wurden bisher Abdrücke von 69 Kucheneisen gesammelt, von denen etwa
zwei Drittel eine Jahreszahl haben. Das älteste derselben, von dessen
Vorder- und Rückseite ein Bild in verkleinertem Mass gegeben ist (Fig. a, 6),
wurde 1571, das nächst älteste 1679, das jüngste 1863 angefertigt. Der
Zeitangabe ist häufig ein Familienname beigefügt. Mehrere Eisen zeigen
deutlichere oder undeutlichere Spuren der Umarbeitung, bei welcher reich-
haltigere Musterungen in der Regel durch einfachere ersetzt oder Namen
getilgt wurden. Man wird annehmen dürfen, dass die Umformung geschah,
wenn Haus und Hof nicht auf ein Kind vererbt, sondern an einen Fremden
verkauft war, während die leiblichen Erben des Hofes das überkommene
Eisen unverändert weiter benutzten.
Die einzelnen Höfe oder Häuser unterschieden sich voneinander durch
die Musterung der Kuchen und es sind weder in einem Dorfe nocli in
benachbarten Dörfern, es sind überhaupt noch nicht zwei gleiche Kuchen-
eisen gefunden worden. Zwar kehren gewisse Zeichen immer wieder,
wie Kreuz, Baum (Busch), Blume, Kugel, doch ist ihre Gruppierung überall
eine verschiedene.
Angefertigt wurden die Formen vom Schmied, welcher auf die Wahl
der Zeichen und Bilder den grössten Einfluss gehabt haben wird. Am
häufigsten verwandte er das Kreuz, welches äusserst selten fehlt. Es hat
die Grundgestalt X oder + und ist aus einfachen Linien, aus Schnüren,
Die Eiserkuchen der Zerbstcr Gegend.
77
aus Gabel und Strich, aus gekreuzten Schwertern, welche an die sächsischen
Kurschwerter erinnern, oder aus gekreuzten Säbeln gebildet, wenn nicht
die letzteren etwa eine Schere darstellen sollen. Uber die Mitte mancher
Kreuze ist ein Querstrich, eine Gabel oder ein zweites Kreuz, eine Kugel
oder Blume gelegt. In Einzelfällen gellt ein Strich von der Mitte nur
nach einer Richtung aus, oder ist er neben das Kreuz gezeichnet. Bis-
a Vorderseite.
weilen sind die Kreuzwinkel alle oder nur einige, auf gleiche oder ver-
schiedene Weise mit Kugeln und Blumen gefüllt. Am Ende der Kreuz-
arme findet man oft eine Blume, Kugel, Eichel, ein Herz, Aiereck oder
Sechseck, oder einen angelegten Haken. Ein vollständiges Hakenkreuz
bietet keiner der vorliegenden Abdrücke. Hin und wieder ist ein Kreuz
mit Kreis, Oval, Herz oder Schild umrandet. Unterbrochen ist solche
Umrandung nur auf einem Kuchen.
b Bückseite.
78
Loose: Die Eiserkuchen der Zerbster Gegend.
Der Baum, nächst dem Kreuz das beliebteste Ornament, ist auf
mannigfache Weise gezeichnet: die Enden der Zweige laufen in Eicheln.
Blumen, Kugeln, Sechsecke oder Kreuze aus; ein und derselbe Baum ist
öfters mit verschiedenen solchen Figuren ausgestattet; dann und wann ist
der Stamm durchkreuzt, die Spitze gegabelt, sitzen Vögel in den Zweigen;
in einem Fall ist der Baumstamm wie von einer doppelköpfigen Schlange
umwunden.
Andere Zeichen und Bilder sind der Drudenfuss (auf 3 Kuchen), das
Dreieck, Viereck, Sechseck, Achteck, der Haken, die Gabel, der einfache
Strich, die Schnur, die Rose, der Ball, die geschlängelte Linie unseres
Paragraphenzeichens, das Schaf, die Sichel (Mond?), das Hufeisen (?),
das Eirund, die Mandorlaform, das Herz, ein mit Stacheln besetzter Kreis
(Sonne?), das Mühlenbrot, die in der Zerbster Gegend „buntes Tuch"
genannte Figur, der Rost, das Gitter, dessen Felder in der Regel mit
Kugeln, Blumen oder dergl. ausgefüllt sind, der Schützenvogel.
Kleinere Figuren wie Blumen, Kügelchen finden sich auf vielen
Kuchen, sowohl im Innern als im Rande, in grossen Mengen; ihre An-
ordnung und die Teilbarkeit ihrer Gesamtzahl durch 3, 5 oder 7 macht
deutlich, dass dem betreffenden Schmied diese Zahlen bedeutsam waren.
Das Muster von 1571 hat auf der einen Seite 5, auf der anderen 3 ver-
einzelte Blumen.
Grössere Figuren, wie der Baum besonders, sind, wenn sie paarweise
angetroffen werden, nicht immer gleichmässig gestaltet. Die beiden
korrespondierenden Kuchenränder sind häufig, die beiden Kuchenflächen
durchweg voneinander verschieden. In Namen ist ein Minuskel- unter
Majuskelbuchstaben, in Zahlen eine verkehrt gestellte Ziffer keine
Seltenheit.
An etlichen Kuchenrändern ist eine offen gelassene Stelle oder ein
quer durchgelegter Strich, der zum sonstigen Randmuster nicht passt, auf-
fällig, an anderen weist die Behandlung der Ecken Unregelmässigkeiten
auf, sei es dass drei Ecken mit Zeichen gefüllt wurden, während die vierte
leer blieb, oder dass das Umgekehrte der Fall ist. Einige Kuchen haben
ausserhalb des Randes noch kleine Kreuze oder Blumen.
Die Inschrift: „Dieser Kuchen schmeckt gut zum Trunk" ist mehrmals,
„Zum Andenken" und „Soli deo gloria" nur einmal gefunden worden.
Grossmühlingen, Kr. Bernburg.
\
Weinhold: Kleine Mitteilungen.
79
Kieme Mitteilungen.
Ein hochdeutscher Augensegen
in einer Cambridger Handschrift des 12. Jahrhunderts.
Herausgegeben von Karl Weinhold.
M. R. James beschreibt in seinem Descriptive Catalogue of the Manuscripts in
the Library of Peterhouse, Cambridge 1899, S. 158 unter No. 130 ein lateinisches
Homiliarium aus dem 12. Jahrhundert. Auf fol. CCXIXb zwischen einer Passio SS.
Martyrum und einer auf der folgenden Seite beginnenden Homilienfolge ist ein
deutscher Segen eingetragen, mit der Überschrift Notum sit omnibus in Christo
fidelibus; Überschrift und Segen von verschiedenen, aber noch dem 12. Jahrhundert
angehörenden Händen. M. James hat den deutschen Segen abgedruckt, aber eine
neue Vergleichung der Handschriften erschien wünschenswert, und mein verehrter
Kollege, Herr Prof. Dr. Alois Brandl, der mich auf das Ganze aufmerksam machte,
vermittelte sie mir bei Herrn Prof. Dr. Karl Breul in Cambridge. Derselbe
schickte mir eine sorgsame Kopie, die ich hier zum Abdruck bringe, und für die
ich ihm schönsten Dank ausspreche. Der Segen ist in elf Zeilen geschrieben:
1. Ich bel'wer hivte dine hir bi dem hailigen xpe der fieli zemartervnne gap
2. durch alle man kvnne per fanctam mariani matrem doni'ni Im ieJ'u xpi
3. vnde bi dem hailigen blvte daz vz vuferf herren fiten ran vnde bi der
1. hailigen gebvrte vnde bi der hailigen vfferte vnd bi dem hailigen grabe
5. vnd bi dem vrtailichem tage daz vel vnd die hir vnd die suzblatrun
6. div wazer blater vnd der herbrate vnd allez daz gefüllte. N. daz in
7. dinem avgen fi daz hivte l'ich winnende l'i und daz rehte gefvne
8. drinne wählende fi fecüdum uoluntatë tuam dnë. In nomine dm
9. im iftv xpi dii'iv wort fien dir war vnde vefte vnd figehaffc del"
10. helfe mir div hailige gotef craft del' helfe mir div wihe minfrawe
11. sánete marie. amen.
Dieser in Oberdeutschland im 12. Jahrhundert auf eine leere Stelle des später
nach Cambridge geratenen lateinischen Homiliars eingeschriebene Segen gegen
kranke Augen ist der älteste deutsche Augensegen, der meines Wissens erhalten
ist. Er steht mit anderen jüngeren in näherer oder fernerer Verwandtschaft, wie
die Anmerkungen im einzelnen beweisen sollen, und beruht auf einer geistlichen
lateinischen Formel, die ich hier nicht genauer verfolgen will. Es kann an dieser
Stelle genügen auf folgende Passungen, die man mit unserer deutschen vergleichen
wolle, zu verweisen:
Conjuro te et omnem oculorum dolorem per corpus et sanguinem domini nostri
Jhesu Christi et per quinqué vulnera ejus, per mortem quam in patibulo crucis
passus est ut recedas ab oculis N. famuli dei
(Gothaer Hs., Germania XXXII, 455.)
Oremus. Salva domine Jhesu Criste oculos famuli tui. N. et expella maculam
et omnem dolorem oculorum per sanctum corpus et sanguinem tuum et preciosum
Signum S. crucis in quo suspensus fuisti pro nobis miseris peccatoribus.
(ebenda S. 456.)
80
Weinhold:
Die Beschwörung ist in Prosa gehalten; aber besonders im Anfang brechen
Reime durch:
Es ist also wohl bei der Beschwörungsformel im Anfang ein Gedicht benutzt
worden, ebenso wie am Schluss gereimte Formeln aus anderen geistlichen Ge-
dichten verwendet wurden.
Einzelne Anmerkungen:
1. Der Segen ist auf eine einzelne Person, deren bestimmter Name in Z. 6
seine Stelle durch N. angedeutet erhält, formuliert; so auch in den lateinischen
Beschwörungsformeln.
h ir f. dem dolor der lat. Formeln entsprechend. In Wund- und anderen
Segen gebraucht, wie die Stellen bei Schmeller, B. Wb. I2, 1155 zeigen. Aus der
litterarischen Sprache nur durch Lohengrin 7658 von der helle hir belegt. Ahd.
bei Notker hirlîch, vehemens; liirlîchi vehementia. Das ablaut. Zw. hërn, schmerzen,
erscheint im Prät. gehar in einem Wundsegen, Haupt, Zs. f. d. A. VI, 487.
Krist sich ze martervnne gap Spervogel, M. Friihl. 30, 13.
2. Lies allez, oder beim Versuch den alten Vers herzustellen mit Streichung
des alle: gap durch manchvnne, vgl. Yorauer Ged. 5, 6 unde er manchvnne an
sine stat gewunne, 96, 11 vur mankunni.
5. Nach den schwachen Dativen in 3. 4. sollte man auch hier vrtailichen er-
warten; indessen ist die starke Dativform nach bestimmtem Artikel genug belegt,
Mhd. Gr. § 525. — dem vrtailichem tage, als am Tage des jüngsten Gerichts, ist
nicht häufig: Wolfr. Wilh. 454, 25 (dagegen 13, 4. 134, 23. 424, 25 Entscheidungstag).
Georg 352. 1772 (hier nur in M).
daz vel, entsprechend der pellis oder pellis injusta der lat. .Segen, Häutchen
über der Pupille, Star: sô daz vel von der sehun kome, Frz. Pfeiffer, Arzneib I, 34
(Wiener Sitz.-Ber. 1863, S. 127). swem daz vel si fur daz onge gegangen IT, 7C
(ebenda S. 139). die vertreibent daz vel in den äugen, Megenberg 368, 15. daz
benimt den äugen daz vel und die vinsternüss 373, 16. Das Wort dauert in gleicher
Bedeutung in den folgenden Jahrhunderten fort: vel der äugen Z. d. Y. f. Yolksk.
1, 323. die feil in oder an denen Augen Germ. 26, 236. augenfel Diefenb. Gl. 141.
augfei Germ. 26, 235. feil und pladern German. 17, 76. fur bladern und feilen
26, 235. Auch im sogen. Albertus Magnusbuche findet sich noch Fell der Augen.
Gleichbedeutend mit vel mag das gewib sein, das S. Maria nach dem S.
Blasier Augensegen von 1617 der hl. Ottilia versegnete mit dem hürbraten, den
weissen und roten Mailen und Flecken, allem getrib und allem ungefüeg, was dir
so wehe in deinen äugen tuot (Mone, Anzeiger YI, 463). Angelsächsisches gevif
(Inden wir im Rezept einer Augensalbe, die helfen soll vip fleán on eágan (weisse
Flecken im Auge) and vip gevif, and vip mist (Nebel) and vip ter (Thränenfluss),
and vip vyrmas (Würmer) and vip deád flaesc (totes Fleisch), vgl. Frz. Dietrich
bei Haupt Z. f. d. A. XIII, 202f.
vel und blâter werden, wie unter vel schon belegt ist, als Augenleiden öfter
nebeneinander genannt; in Z. 5. 6 sind die suzblatrun und die wazerblater hinter-
einander aufgeführt, blatera blâtere blâter bedeutet dasselbe wie Blase, hier ein
auf dem Auge entstandenes Bläschen. In einer niederösterreichischen Besegnung
(German. 26, 235) heisst es: Windblader und Steinblader, Augenblatter gehe aus
dem Aug in Baum, aus dem Baum in Ast, aus den Ast in den Giepfel, aus den
1. 2. martervnne : mankvnne
2. domini : chrifti
3. blvte : fiten
4. gebvrte : vfferte
6. herbrate : gefüllte
9. 10. l'igehaft : craft
10. 11. wilie : Marie.
4. 5. grabe : tage
Kleine Mitteilungen.
81
Giepfel in eine willde ramarey (in die wilde Rômerie), wo kein Mann Math (mât,
mäht), kain Hann gräth (krset). — suzblatrun kann ich sonst nicht nachweisen:
vielleicht wäre bluotblatrun zu mutinassen.
Ein schwäbischer Augensegen kennt noch die Blattern:
Unsers Herrgotts sein Atem
Vertreibt dir dein Blättere,
Unsers Herrgotts sein Blut
Ist für die Augen gut.
(E. Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, S. 515.)
Zwischen 5 und 6 ändert sich die Satzbeziehung. Vorher war von dem ein-
leitenden ich befwer direkt das Objekt abhängig: daz vel, die hir, die suzblatrun.
Das Folgende ist zwar auch von befwer abhängig, aber das Objekt ist durch einen
daz-Satz ausgedrückt, dessen Subjekte im Nominativ vorausgestellt sind.
6. der herbrate. Dasselbe Wort auf ein Augenleiden verwendet, giebt der
St. Blasier Augensegen (Mone, Anzeiger VI, 463: Maria versegnet sant Ottilia ihre
Augen und hürbraten, den weissen und den roten, den Mail (Hs. Nagel) und den
Flecken. Entstelltes Herbran für Augenschmerzen hat eine Mecklenburger Be-
schwörung: Ketelhaken, ik klag di, De Heerebran dei plagen mi, Sei plagen mi
wol Nacht un Dag, Dat ik ni ruhen mag. Im Namen Gottes neunmal mit dem
Kesselhaken über dem schlimmen Auge gekreuzt.
Herebran ist entstellt aus Herbrand, ein niederdeutscher Name des Drachen,
mittelniederdeutsch bei Schiller-Lübben 2, 244; aus neuerer Zeit für den Feuer-
drachen des Aberglauben bekannt: in Westfalen hiärbrand: Woeste, Volksüber-
lieferungen aus der Grafschaft Mark, S. 40. A. Kuhn, Westfäl. Sagen, 2, 26. heâr-
brand, Jahrb. d. Vereins f. niederd. Sprachforschung, Jahrg. 1877, S. 129.
Unter den elbischen Geistern des Münchener Nachtsegens erscheinen neben-
einander herbrote und herbrant, die aufgefordert werden, in ein anderes Land zu
fahren: Herbrote unde Herbrant vart uz in ein andir lant! Schwerlich kann man
die beiden Namen anders als Herbraht und Herbrant deuten, den sunufatarimgôs
des Hildebrandsliedes Hiltibraht joh Hadubrant oder Hadubraht und Hiltibrant,
wie die Namen wechseln, vergleichbar. Es sind Heroennamen, die auf mythische
Geister übertragen sind, auf Krankheitsdä'monen, wie im Nachtsegen und in unserer
Augenbeschwörung, oder wie im westfälischen Aberglauben auf vorbedeutende und
feurige Erscheinungen. Beachtenswert ist, dass in einem voigtländischen Segen
gegen hitzige und blöde Augen der Drache als Vertreter des Dämons dieser
Krankheit erscheint: Die Rose und der Drache die zog'en miteinander zu Bache,
Drache Drache Drache im Namen Gottes, E. Köhler, Volksbrauch im Voigtlande,
Leipzig 1867, S. 408. Heribrand, der westfälische Feuerdrache, der Herddämon,
den im mecklenburgischen Segen der gesegnete Kesselhaken vertreibt, deckt sich
mit dem Herbracht, herbrat, der in Oberdeutschland den Augen feindlich ist.
7. Die Überlieferung ist unter dem Einfluss der veränderten Konstruktion ge-
stört. Ich vermute es ist zu lesen: daz ez hiute l'wînende l'î. Vgl. was dîr sô
wehe in deinen äugen tuot, das soll aus dir zerschwinen und vergohn, als die
seind zerschwinen und zergangen die got den herren hand gebunden und gefangen:
S. Blasier Segen, Mone, Anzeiger 6, 463.
Der formelhafte Gegensatz von swînen und wahsen ist bekannt.
9. diu wort sîn mir gewsere als unserm herren wsere, Müllenh. Scher., Denk-
mäler XLVI1. 3, 37. daz diu wort müessint sin als war als das wort das got
selber sprach, do er himel und erd an sach, und und diu wort sigent an die wasser
also vest alsdas paternoster ist in der mess, Mone, Anzeiger 3, 285. diu wort sîn
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 6
82
Höfler :
stête und veste als daz hêlig paternoster daz der priester in der stillmessen sprach,
German. 30, 410. disi wort müezzen heut sein als starch als die vil heylig gotz
chraft, disi wort sein heut also vest sicut sanctus paternoster, Zs. f. d. A. 24, 72.
10. 11. des helfe diu wîhe mîn frouwe sant Marie, Denkm. XLVII. 4, 91. 92
(Tobiassegen), des helf mir die weis mein fraw sand Marei, Z. f. d. A. 24, 208.
dîn schirm sì diu fríe mîn frouwe sant Marie, Tobiassegen 71. 72. beschirm uns
hint diu fríe, mîn frow sant Marie, Johannisminne 3, 1 (Uhland, Alte Volkslieder,
S. 822).
Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel.
Unter obiger Überschrift brachte im 10. Jahrg. dieser Zeitschrift (1900) S. 4"20
Herr Dr. W. Hein eine ganz lehrreiche Abhandlung über ein Gebärmutter-Votiv
in Gestalt eines sogen. Igels oder Kastanie, das nur im Gebiete des Kastanien-
baumes auf deutschsprechendem Boden vorkommt. Dass die Kastanie (Igel) dem
opfernden Volke als Vorbild für das Opferbild der Gebärmutter gedient hat, ist
ganz sicher aus Namen, Form und Verbreitung des Votivs zu entnehmen. Warum
aber hat das Südtiroler Volk nun gerade die stachelige Kcistanienfrucht dazu her-
genommen? Einesteils spielt Volksetymologie herein (Igel = Egel), andernteils
sucht das Volk bei seinem notorischen Mangel an anatomischen Kenntnissen innerer,
menschlicher Organe tastend bald da bald dort nach dem Bilde eines solchen
Organs. Findet es in den alten medizinischen Kräuter- und Heilbüchern kein
Vorbild, um ein Organvotiv darnach herstellen zu können, so greift es auf die ihm
bekannteren inneren Organe der schlachtbaren Haustiere über und entlehnt sich
aus der Anatomia culinaris oder aus der Veterinärmedizin seine Vorbilder. Über
diese Quelle der populären deutschen Krankheitsnamen hat der Unterzeichnete
bereits 1894 auf der Naturforscher-Versammlung zu Wien aufmerksam gemacht.
Desselben „Deutsches Krankheitsnamenbuch", das trotz aller Gunst der kompetenten
Kritik gerade in medizinischen Kreisen die ihm gebührende Beachtung nicht er-
fährt, giebt uns auch den Aufschluss S. 254b, warum Igel = Gebärmutter ist:
„Die bei der Umstülpung des entbundenen und vorgefallenen Tragsackes der
Kuh sichtbare frucht- (kalb-) ähnliche Geschwulst, die mit blumenkohlartigen,
gestielten, leichtblutenden Warzen (Rosen = Decidua serótina), wie mit Blutegeln
besetzt ist, heisst Igel kalb."
Igel = Egel, „einen Jgel stechen" = coire (ebenda S. 250). Das Muttersiech-
tum, wegen dessen also ein Igel (Kastanie) als Votivgabe geopfert wird, ist dem-
nach der Mutter-Vorfall (Uterus prolapsus), und wegen dieses leidenden Organ-
zustandes, der mit dem „Egelkalb" bei dem Uterus prolapsus der Kuh verglichen
wird, greift die Volksetymologie zum Kästen - „Igel", um die Krankheit abbilden
zu können.
Bad Tölz. , M, Höfler.
Zur Zeitschrift des Vereins für Volkskunde.
Bd. X, S. 100 (1900).
Die von Herrn Dr. G. Jacob mitgeteilte und von ihm nach den Spécimens
d'Ecriture arabe wohl als neueren Datums angesehene arabische Erzählung
von den zwei poesiekundigen Töchtern, die durch Ergänzung eines zuge-
hörigen Halbverses zu Rächern ihres Vaters werden, findet sich schon in dem
Kleine Mitteilungen.
83
gegen 800 d. H. (1400 n. Chr.) von dem Ägypter Abschîhi verfassten Allerwelts-
adabbuch Mostatraf, dem seither verbreitetsten Kompendium feinerer muslimischer
Bildung, am Schluss des 8. Kapitels in dem Abschnitt über die Beredsamkeit der
Frauen: Arab. Text, Ausgabe Kairo 1308, Í, S. 52; vgl. besonders auch die französ.
Übersetzung von Rat 1899, I, S. 177 (welche überhaupt den ganzen Bildungs- und
Anekdotenschatz allgemein zugänglich macht). Auch Harder hat diese Anekdote
in seine „Arabische Konversations-Grammatik", Heidelberg 1898, S. 390 aufge-
nommen (im Schlüssel S. 68 übersetzt). Ein früherer Beleg ist mir für diese wohl
viel ältere Geschichte nicht bekannt.
Tübingen. G. F. Seybold.
Blau als Trauerfarbe.
Als vor längerer Zeit ein Kollege bei mir anfragte, ob ich zu der in der
Schwalm (Hessen) üblichen blauen Trauerfarbe Entsprechendes kenne, musste ich
mein Nichtwissen gestehen. Inzwischen habe ich mich etwas verbessert. Vor-
nehmlich ist auf Blau als kirchliche Trauerfarbe zu verweisen, die in der Passions-
zeit und in der Karwoche in der Altar- und Kanzelbekleidung vor aller Augen trat
und eine Rückwirkung auf ausserkirchliche Trauerzeichen haben musst®.
In dem handschriftlichen Heldischen Trachtenbuch (Nürnberg l.r)60—80, in
der v. Lipperheideschen Bibliothek) giebt Bl. 118 das Bild einer Witwe „in der
andern veränderten kleidung". Sie trägt einen blauen Rock mit langen pelz-
gefütterten Hängeärmeln, gelbliche Unterärmel, gelblichen schmalen Gürtel und
ein weisses Schleiertuch. — Das Städtische Museum in Salzburg besitzt zwei
Trachtenbildchen aus dem 18./19. Jahrh.: eine Pinzgauerin in der Hauptklag, eine
Bäuerin bei Werfen im Pongau in der Hauptklag: jede trägt einen faltenreichen
blauen Rock und ein grosses weisses Umschlagetuch (Mitteil, von Frl. M. Eysn
in Salzburg). — In der ganzen Oberpfalz schliesst den Begräbniszug eine alte
Frau im blauen Schurz. Das ist dann auf die Umgänge um die Saatfelder und
auf Wallfahrten übertragen worden, bei denen ebenfalls das Letzte im Zuge ein
blaues Fürtuch sein muss (Schönwerth, Aus der Oberpfalz, 1, 255. 3, 176). —
Im Herzogtum Sachsen-Altenburg hatten die Weiber bei Begräbnissen und beim
Abendmahlgang Kopf und Kinn mit einem sehr blau gestärkten Schleier um-
wickelt (Friese, Historische Nachricht von "den merkwürdigen Geremonien der
Altenburgischen Bauern 1703. Neudruck, Schmölln 1887, S. 30).
Wenn die Braut oder der Bräutigam Trauer hat, so ersetzen bei den deutschen
Bauern an der ungrisch-steirischen Grenze, den Heanzen, die Burschen (Hochzeit-
knechte) das rote Band ihrer mit einem Rosmarinzweig geschmückten Astrachan-
mütze durch ein blaues (Bunker in unsrer Zeitschrift X, 299).
K. Weinhold.
Ein Viehsegen aus Mecklenburg gegen die neunerley Elven.
Auf dem Hausgute Gross - Schuresow bei Bützow in Mecklenburg war im
Jahre 1891 das alte Viehhaus abgebrochen worden. Als im November 1892 das
beim Abbruch gewonnene Holz von Gutstagelöhnern zu Brennholz zerschlagen
wurde, fiel aus einem der Balken ein Papierzettel heraus, der dann bald darauf
durch Vermittlung meines Vetters Crull, der auf dem Gute als Volontär sich auf-
6*
84
Raff:
hielt, in ineine Hände gelangte. Auf diesem Zettel steht in 7 Kolumnen der
folgende Segen:
Neunerley Elven die saugen sich zusammen sie sprachen wir
wollen in Hans chrichtian Sinlo sein hofstedt gehen In das vieh
haus und Saugen das vieh Ihr blut und fleisch aus und Ich gebre
che Sie Ihre gebeine und ich wil sie ihr hertz brechen Es sprach aber
unser lieber herr Jesus Christus das solt Ihr Nicht thun N e tz
n e u ç Netz ç net ç net Jesus christus
H 4 m 4 1 4 n.
Waren. R. Wossidlo.
Segen aus Preussisch-Litauen.
Gegen die Schmerzen.
't kern e rötet Mannke:
liât e rôdet Hôdke,
Hât e rôdet Krâchke,
Hât e rôdet Rockke,
Hât e rôdet Westke,
Hât e rôdet Hemdke,
Hât e rôde Schôkes,
Hât e rôde Strümpkes,
Hât e rôde Hôskes.
Wat will dat rôde Mannke ?
Es will die Schmerzen von N. N.
raustreiben.
So lât se gâne
Yon de Flûtz bis an de Le wer,
Yon de Lêwer bis an de grôte Tè.
Im Namen Gottes des Vaters f u. s. w.
Gegen die Pogg.
Lass die Schmerzen rausgehen aus N. N.
Unser Herr Jesus Christus ging auch aus seiner Krippe raus,
Lass die Schmerzen gehen in das rote atlantische Meer.
Es rûscht,
Es brûscht.
Pogg-, Pogg, Pogg!
Im Namen Gottes des Vaters f u. s. w.
Von U. Jahn hinterlassen.
Alt-Münchener Festgefoäck.
Von Helene Raff.
Man kann mitunter die Rede hören, dass, wer keinen Kalender hat, in die
Küche schauen solle, um zu wissen, was für ein Tag sei; wenn man statt „Küche"
genauer bezeichnend „Backofen" sagt, so hat der Salz insofern Recht, als der
Backofen mit Sicherheit die hohen Pesttage anzeigt. In Bayern sind, wie durch-
gehends im deutschen Süden, Mehlspeisen und Gebackenes überhaupt beliebt; der
Reisende trifft gewöhnlich jeden Sonntag ein Gericht „Strudel" oder „Spritzstrauben"
— eine Brandteigmasse, welche durch eine hölzerne Butterspritze gedrückt wird —
auf dem Küchenzettel. Die Kirchweihsonntage werden mit Kirchweihnudeln, runden
in Schmalz gebackenen Krapfen, gefeiert, welche ebensowenig wie die mit Ein-
gemachtem gefüllten Paschingskrapfen (in Norddeutschland Pfannkuchen genannt)
besondere Eigentümlichkeiten der Porm oder des Geschmacks aufweisen. Nur zu
einigen der christlichen Hauptfeste hat die Sitte bestimmter, nicht allgemeiner
Gebäckarten sich erhalten.
Kleine Mitteilungen.
85
An Ostern werden den Kleinen neben der Fülle von kunstreichen Häschen
und Lämmchen, welche der Zuckerbäcker feilhält, noch zwei trotz ihrer Einfachheit
höchst beliebte Gebäcke beschert, das „Ostermandl" und der „Osterhas". Ersterer,
aus Hefenteig gefertigt, hat die ungefähre Form eines Menschen, der mit beiden
Händen sich ein gefärbtes Hühnerei vor den Leib hält (Fjg. 1); der Osterhas ist
gleichfalls aus Hefenteig, sieht aber nur in der oberen Hälfte annähernd hasen-
mässig aus, während sein Unterteil mehr dem einer Henne gleicht, die ihr Nest auf
dem Schwänze trägt. In dies Nest ist ebenfalls ein Hühnerei eingelassen (Fig. 2).
Fig. 2.
Fig. 4.
Weder zu Pfingsten noch zu Johannis oder einem der Marientage herrscht der
brauch, etwas anderes als Kuchen und Nudeln zu backen; dagegen bringt Aller-
heiligen und Allerseelen, das ernste Totenfest, eins der merkwürdigsten Gebäcke,
den sogen. „Seelenzopf". In allen Grössen, Preislagen und Teigarten ziert er die
Schaufenster; seine bescheidenste Gestalt ist die geflochtene Zopfform, während er
m verkünsteltem Zustande einen ovalen Kranz mit Querbalken darstellt. Dann
besteht er aus feinem Bisquit- oder Makronenteig, dick belegt mit kandierten
£rüchten und Zuckerguss; seinen Hauptschmuck aber bilden bunte, auf Draht
86
Raff:
gesteckte Papierblumen, ganz gleich denen, welche am Allerseelenfeste die Gräber
zieren. Es ist Brauch, dass die Paten ihren Patenkindern einen solchen Seelenzopf
zum Geschenk machen. Fig. 3 zeigt einen einfachen und Fig. 4 einen verkünstelten
Seelenzopf.
Als Vorläufer des Christfestes erscheint Sankt Nikolaus, der von den Kindern
Ersehnte und Gefürchtete. Sein Abbild als heiliger Bischof mit dem Krummstab,
und das des Pelzmärtels mit Sack und Rute ist nun der Mittelpunkt der Zucker-
bäckerei, gewöhnlich in Lebkuchen- oder Marzipanmasse. Für den Heiligen selbst
ist die Darstellungsweise eine geradezu künstlerische, da die ersten Vertreter der
Bäckergilde sich neue Formen nach den prächtigen alten des Nationalmuseums
haben machen lassen. — Fig. 5 zeigt einen solchen Nikolaus aus der Bäckerei
von Anton Seidl, dem nunmehr verstorbenen Bruder Gabriel von Seidls, der uns
das neue Nationalmuseum erbaute. — Die Pelzmärtel dagegen pflegen derbe groteske
Figuren zu sein, denen durch aufgetropften Zuckerguss einige Zeichnung verliehen
wird (Fig. 6). — Ausserdem fertigt man noch Teufel, Bauern und seit neuester Zeit
„Bergfex'n" als Niklogebäck, doch sind dies moderne Zuthaten, die mit dem Feste
nichts zu thun haben.
Fig. 9.
|Fig. 8.
Von den zahllosen Weihnachtsgebäcken am volkstümlichsten ist das Kletzen-
brot, das äusserlich wie wirkliche kleine runde oder längliche Brotlaibe aussieht;
inwendig mit getrocknetem Obst, Rosinen, Mandeln u. a. gefüllt ist. — Die feineren
Süssigkeiten aber, Honigkuchen und Marzipane insbesondere, weisen wieder die
kunstreichen überlieferten Formen auf, wie deren das bayerische Nationalmuseum
eine grosse Fülle umschliesst. Zwei davon, die „Edeldame" und der „Reiter"
(Fig. 7 und 8) sind, vorzüglich nachgebildet, vom Hof-Wachszieher und Lebküchler
M. Ebenböck aufs neue in den Handel gebracht worden. Mindestens x/a Dutzend
solcher Edeldamen und Reiter finden sich in dem betr. Schranke des Museums,
alle in Kostümen des 17. und 18. Jahrhunderts; desgleichen stattliche Herren zu
Fuss, Herren und Damen nebeneinander, sowie martialisch dreinschauende Kriegs-
männer (Fig. 9). Ein Adelndes Musikantenpaar, ja selbst ein Kaiser ist in der
Sammlung; daneben sieht man Fische, schön ausgeführte Wappen, Herzen und
Kleine Mitteilungen.
87
Vierecke mit zierlichem Ornamentschmuck. Eine häufig wiederkehrende Form ist
die des Wickelkindes, eines allein oder gleich wiederholt, wie auf Fig. 10. — Nicht
minder oft begegnen wir religiösen Darstellungen: der Mutter Gottes mit dem
Kinde (Fig. 11), der drei heiligen Frauen, der Geburt Christi oder der Anbetung
Fig. 11.
der Hirten. Fig. 12, welche das letztere Motiv darstellt, ist nach einer Marzipan-
form aus Privatbesitz aufgenommen, doch sieht man in der Sammlung des Museums
ganz ähnliche. — So greifen Altes und Neues ineinander, Zeugnis dafür ablegend,
dass auch auf dem kleinsten Gebiete dasjenige, was der Gestaltungskraft de«
Volkes entstammt, auf Umwegen immer wieder zu diesem zurückkehrt.
Ein Brauch in der Krossener Gegend.
Ie einzelnen Dörfern bei Krossen (Rädnitz, Leitersdorf, Blumberg) sah ich
vor mehreren Jahren zur Osterzeit die Dorfstrasse in einer recht freundlichen
Weise ausgeschmückt. Die breiten, zwischen dem Damm und den Häusern
gelegenen Fusswege waren durch weissen Sand, Asche oder zerstampfte Ziegel-
Mielke: Kleine Mitteilungen.
abfalle mit geometrischen Zeichnungen bedeckt, die besonders reich vor den
Wohnhäusern ausgestaltet waren. Der Haupteingang hob sich dabei durch wirkungs-
volle Zeichnungen noch weiter hervor (Fig. 1 und 2). An Ort und Stelle konnte
ich nur in Erfahrung bringen, dass diese Verzierung in den nördlich der Oder
zwischen Krossen und Züllichau gelegenen Dörfern eine alte Überlieferung war,
dass aber den Zweck und die weitere Verbreitung niemand anzugeben vermochte.
Später fand ich den Brauch vor einem Hause in dem bei Werder a. H. gelegenen
Dorfe Kemnitz an einem September-Sonntag ganz vereinzelt wieder, hier aber zu
Fig. 1. Leitersdorf.
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Fig. 2. Leiters dorf.
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Fig. 3. Kemnitz.
£fa.zis.
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Ehren eines eben eingezogenen jungen Paares (Fig. 3). Von Herrn Lehrer Gander
in Guben erfuhr ich denn weiterhin, dass dieser den Brauch aus dem Munde
eines aus der Krossener Gegend stammenden Dienstmädchens kennen gelernt
hatte — aber mit Verlegung auf die Pfingstzeit. Da also weder Zweck, Heimat,
Ausdehnung noch zeitliche Anwendung feststeht, noch auch meines Wissens dar-
über litterarische Hinweise vorhanden sind, so bringe ich den Brauch hier in der
Hoffnung zur Kenntnis, dass von anderen Seiten ergänzende Mitteilungen-gemacht
werden.
Berlin. Robert Mielke.
Zupitza: Bücheranzeigen.
89
Biicheranzeigen.
ö. Schräder, Reallexikoii der indogermanischen Altertumskunde.
Grundzüge einer Kultur- und Yölkergeschichte Alteuropas. Erster
Halbband (Aal Musikalische Instrumente). Strassburg, Trübner,
1901. 560 S. gr. 8°.
Die harmlosen Zeiten der linguistischen Paläontologie sind vorbei. Spät, aber
nachdrücklich, ist uns die Erkenntnis gekommen, dass nie und nirgends die Kultur
eines Volkes aus seiner Sprache allein sich ermitteln lässt. Am wenigsten die
der Indogermanen, denn bei diesen kommt noch eine besondere Schwierigkeit
hinzu: vom Wortschatz des Indogermanischen wird immer der am wenigsten wissen,
der das Problem seiner Rekonstruktion am schärfsten erfasst. Wer l'ür die indo-
germanische Altertumskunde alles Heil von der Prähistorie erwartet, übersieht die
ganz eigenartige Lage, in der sich diese Wissenschaft befindet. Sie hat Material
in Hülle und Fülle, die Sammlungen Europas beherbergen reiche Überreste der
materiellen Kultur verflossener Jahrtausende, und täglich fördert der Spaten neue
Schätze zu Tage. Allein diese Zeugen uralter Vergangenheit sind stumm, die
Beile und Schwerter verraten nicht, wer sie geschwungen, die Thongefässe nicht,
wer in ihnen gekocht, aus ihnen getrunken hat. Eine Altertumskunde auf Grund
der vorgeschichtlichen Funde wird in den meisten Fällen namenlos bleiben müssen.
In die indogermanische Urzeit dringen wir auf diesem Wege nicht ein. Das
Unglück ist aber nicht allzu gross, denn über die Seiten der Kultur eines
Volkes, die uns im Grunde am meisten interessieren, belehren uns die Ifundobjekte
ja überhaupt nicht Ein einsichtiger Historiker, Ed. Meyer, ist von jeher für die
Auffassung eingetreten, dass die Erschliessung der ältesten Kulturzustände und
Wohnsitze der historisch bezeugten Einzelvölker die wichtigste und dankbarste
Aufgabe auch für den sei, der eigentlich darüber hinaus will. Im vorliegenden
Buche kommt diese Anschauung vollauf zur Geltung. Was über die ältesten Zu-
stände der Inder, Griechen, Römer u. s. w. verlautet, wird unter geeigneten Stich-
wörtern zusammengestellt, verglichen und, wo es angeht, aus gemeinsamer Wurzel
abgeleitet. Letzteres ist zweifelsohne ein plenum opus aleae, denn aul diesem Ge-
biete ist noch viel weniger als auf dem rein sprachlichen gemeinindogermanisch
gleichwertig mit urindogermanisch. In extremen Fällen, also wenn ganz singuläre
oder andererseits bei allen primitiven Völkern vorkommende Sitten, Gebräuche
und dergl. bei sämtlichen oder den meisten Indogermanen bezeugt sind, darf die
Zurückführung auf die Urzeit einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit bean-
spruchen. In die erste Kategorie gehören etwa die Hochzeitsbräuche (S. 353 ff.),
in die zweite der Brautkauf, die Blutrache. In der Mehrzahl der Fälle ist eine
Entscheidung der Frage, ob spätere Entlehnung, zufällige Übereinstimmung oder
Urverwandtschaft vorliegt, vorläufig mindestens ganz unmöglich. Auch hier ist
das Unglück zu verschmerzen, denn der Schwerpunkt der Forschung liegt in den
Einzelvölkern, und für deren Kulturentwicklung in späterer, historischer Zei
kommt es auf eins heraus, ob einige ihrer ältesten Gerätschaften und Waffen,
sittlichen und religiösen Anschauungen nun auch wirklich aus der Urzeit stammen
oder nicht.
90
Zupitza :
Ein ausserordentlich reiches Material ist in dem Schraderschen Buche auf-
gestapelt. Um alle Artikel würdigen und beurteilen zu können, müsste man Indo-
germanist und Semitist, Botaniker, Zoologe, Anthropologe, Prähistoriker und Ethno-
loge in einer Person sein. Die Specialisten werden zweifellos imstande sein, so
mancherlei zu ergänzen oder auch zu berichtigen, hoffentlich lockt gerade das
Schradersche Buch kleinere und grössere Monographien über diesen oder jenen
strittigen Punkt hervor. Die verschiedenen indogermanischen Einzelvölker sind
verschieden bedacht. Der Hauptanteil fällt naturgemäss denen zu, über die wir
am besten unterrichtet sind, bezw. für die am meisten vorgearbeitet ist, also den
Griechen, Römern, Indern und Germanen. Die übrigen treten gegen diese zurück,
manchmal mehr als erwünscht und auch nötig ist. Die vorgetragenen Wort-
deutungen und Gleichungen sind nicht immer ganz auf dei- Höhe (so sollte die
Verknüpfung von Haar mit aisl haddr eigentlich abgethan sein, dürfte Hose [380]
nicht zu bulg. kus gestellt werden), auch werden gelegentlich Wörter angeführt,
die nicht existieren (ae. ced 'Boot'278) oder doch sehr unsicher sind (z. B. ir.
ong 'Herd'). Im übrigen gehe ich auf die rein sprachliche Seite nicht näher ein
und lasse einige zwanglose Bemerkungen zu einzelnen Artikeln folgen.
S. 36ff. Alte Leute. Der Brauch, sich alter Leute durch Tötung oder Aus-
setzung zu entledigen, mag zum Teil in abergläubischen Vorstellungen begründet
sein. Die afrikanischen Bongo behaupten, dass alte Leute die Wälder nachts als
Teufel durchstreifen, dass sie mit bösen Geistern Rats pilegen, um den jüngeren
Tod und Verderben zu bereiten. An plötzlichen Todesfällen sind die Alten schuld,
Vgl. Schweinfurth, Im Herzen von Afrika, I, 336. Ein Beleg für viele. — 45 ff.
Arzt. Es hätte erwähnt werden sollen, dass die Trepanation ein der europäischen
Vorzeit wohlbekannter chirurgischer Eingriff gewesen ist. Analogien (bei den
heutigen Bewohnern von Montenegro, Albanien r,nd der Herzegowina, sowie bei
verschiedenen 'Naturvölkern') lassen darauf schliessen, dass die Trepanation bei
Geistes- und Nervenkrankheiten, sowie bei Schädelverletzungen vorgenommen
wurde, vgl. z. B. Korrespondenzbl. d. deutschen Ges. f. Anthropologie XXXI (1900),
18 ff., wo zahlreiche Litteraturangaben zu finden sind. Die diesbezüglichen Funde
auf deutschem Beden behandelt R. Lehmann-Nitsche in einer Münchener Dissertation
vom Jahre 1898, die den Titel führt: 'Beiträge zur prähistorischen Chirurgie nach
Funden aus deutscher Vorzeit'. — 51 ff. Aussetzungsrecht. Für die baltischen
Verhältnisse kommen besonders zwei Bullen des Pabstes Honorius III. vom 15. Mai
und 15. Juni 1218 in Betracht. In der ersten heisst, es: ... inter alia enormitatis
facinora, que perpétrant, femini sexus soboles, quoteunque mater pariat, inhumana
immanitate perimunt, preter unam, tanquam propagationi velint humani generis
obviare, vgl. Mierzyiíski, Mythologiae Lituanicae Monumenta II, 14 ff., wo weitere
Belege. Die Sitte der Kinderaussetzung spielt hinein in eine galindische Legende
(bei Petrus Dusburg., Cronica Terre Prussice, III, c. 4), die um so interessanter
ist, je weniger wir ihr an die Seite setzen können. Die von Brückner, Archiv f.
slav. Phil. XXI, 22 ff. behandelte Legende berichtet folgendes. Die Galinden (die
rodíváou des Ptolemaeus, vgl. Müllenhoff D. A. II, 19) hatten sich so stark vermehrt,
dass ihr Land sie nicht mehr ernähren konnte. Man gebot daher, alle Neugeborenen
weiblichen Geschlechts zu töten. Das half aber nichts, denn die Mütter umgingen
das Gebot. Nunmehr wurden auf Grund einmütigen Beschlusses allen Frauen die
Brüste abgeschnitten, damit sie nicht mehr nähren könnten. Die Frauen wandten
sich in ihrer Not an eine heilige und im Ruf einer 'prophetissa' stehende Ge-
schlechtsgenossin. Diese verkündete den Galinden, die Götter wollten, dass sie
alle ohne Waffen in den Krieg gegen die Christen zögen. Das geschah. Die
Bücheranzeigen.
91
Galinden machten reiche Beute, wurden aber auf der Rückkehr sämtlich erschlagen,
da ihre Waffenlosigkeit ruchbar geworden war. Brückner hat gesehen — man
gestatte mir die kleine Abschweifung —, dass in der Legende das wahre Motiv
der Verstümmelung der Frauen verkannt wird. Das Abschneiden der milch -
spendenden Brüste ist ein symbolischer Zauber gegen Hungersnot und Dürre.
Ich möchte hier darauf hinweisen, dass die Notiz des Paradoxographus Vatic.
Rohdii 25: Oí KsXtol otolsv y¡ dcpopía, y¡ "hi/mog jev/¡to.i, tolo, yuvcukclc, o^jtiuv xoXciÇovitlv
ojç airiaç rivv xxxÚjv auf dieselbe Anschauung führt. — 56 ff. Bad. Wenn es eines
Beweises bedarf, dass auch die Slaven das Baden in Flüssen liebten, wird er
durch die bekannte Stelle der Vita Sturmi erbracht, wonach man um 744 auf der
Strasse von Thüringen nach Mainz an der Fulda badende Slavenhaufen traf. —
60. Bär. Es konnte angeführt werden, dass die Arkader sich von einer Bärin
herleiteten. Zur Sage von Callisto vgl. Roscher, Mytholog. Lexikon s. v., wo die
Versetzung an den Himmel meines Erachtens mit Unrecht als junger Zug gefasst
wird. — 76 ff. Bestattung. Aus den Angaben über die Bestattungsweise der
Kelten und Germanen (78) könnte man den Eindruck gewinnen, als sei bei den
ersteren nicht wie bei den letzteren der Periode des Leichenbrandes eine solche
der Beerdigung vorausgegangen. Aber 3—4 Jahrhunderte vor Cäsar, als die später
verschwundenen Streitwagen noch in vollem Gebrauch waren, begrub man in der
Champagne die Toten (vgl. Revue Celtique XX, 119). Das 'premier âge de fer'
nach der französischen Bezeichnung ist durch Bestattungsgräber (z. B. Annoisin-
Chatelans) neben Brandgräbern vertreten (Chantre, Premier âge du fer, 44). In
der Bronzezeit überwog das Verbrennen, doch ist das aus der Steinzeit her be-
kannte Begraben nie ganz erloschen. — 98 ff. Blutrache. Die Blutrache war,
wie zu erwarten, auch den alten Preussen wohlbekannt, Petrus Dusb. III, 5: Si
homicidium committitur inter eos, nulla potest oomposicio intervenire, nisi prius
ille homicida vel propinquus ejus ab occisi parenti bus occidatur. — 106 ff. Bohne.
Sehr, giebt an, dass bei den Ägyptern die Bohne aus religiösen Gründen nicht
gegessen werden durfte. Bekanntlich galt dasselbe Verbot für die Pythagoräer
und Orphiker. Pythagoras fand nach der Sage seinen Tod, weil er ein Bohnenfeld
nicht zu überschreiten wagte und daher von seinen Verfolgern eingeholt wurde.
In Rom durfte der Flamen dialis die Bohne weder essen noch nennen. Alles
dies gehört in den Kreis der totemistischen Vorstellungen (vgl. z. B. S. Reinach,
Rev. Celt. XXI, 278 ff., der weitere Litteratur angiebt). — 109 ff. Brautkauf.
Für die Preussen bezeugt durch Petrus Dusb. III, 5 uxores suas emunt pro certa
summa pecunie. — 116 ff. Buche. Zu <py¡yog fagus buohha gesellt sich nunmehr
kurd. büz 'Art Ulme'. Meiner Ansicht nach müssen wir ehrlich zugeben, dass
auch dieses Wort in der Frage nach der Urheimat völlig wertlos ist, da wir seine
ursprüngliche Bedeutung auf keine Weise ermitteln können. — 165 ff. Eid. Sehr
interessant ist die Schilderung des Eides, den der litauische Fürst Kiejstut 1351
vor Ludwig von Ungarn ablegte, Mierz. II, 76 ff. 79 ff. K. liess einen roten Ochsen
kommen und öffnete ihm die Halsader. Das Blut schoss heraus: ein gutes Zeichen.
Nunmehr wurde das Tier enthauptet, und zwischen Kopf und Rumpf hindurch-
schreitend, also in dem Blute watend, schwor der Fürst, so sollte es ihm ergehen,
wenn er sein Wort bräche. Er brach es übrigens doch. Heinrich der Lette be-
richtet: Livones et Letthi inter se conjurarunt et gladiorum calcatione conjurationem
suam paganorum more confirmarunt. Wie leblose Gegenstände, z. B. Schwerter,
Aussagen kontrollieren können, geht recht deutlich hervor aus einer Stelle am
Anfang der mittelirischen Erzählung 'Das Krankenlager Cuchulinns'. Die Ulster-
leute hielten jährlich am Sommerende ein Fest in Mag Murthemni ab. An diesem
92
Zupitza :
pflegten die Helden wetteifernd ihre Thaten im vergangenen Jahre zu preisen und
die Zungen der erschlagenen Feinde vorzulegen (die Kelten waren Kopfjäger so
gut wie die Dayaks, doch begnügte man sich in Irland später mit den Zungen).
Es lag nahe, zur Erhöhung der Zahl ein paar Rindszungen einzuschmuggeln. Daher
war eine Kontrolle nötig. Diese übten die Schwerter aus, 'denn sie wendeten sich
gegen sie (ihre Herren), wenn sie betrogen. Es sprachen nämlich Dämonen aus
ihren Waffen zu ihnen und diese waren somit Bürgen für sie'. — 204. Erziehung.
Ich vermisse eine Erwähnung der aus dem german. Norden wohlbekannten Sitte
vornehmer Familien, die Kinder frühzeitig zur Erziehung aus dem Hause zu geben.
Entsprechendes bei Indern (vgl. z. B. Zs. f. Rsw. Y, 417), Iren, Kymren (Rhys und
Brynmor Jones, The Welsh People, S. 206 f.), vgl. auch Post, Entwicklungsgesch.
d. Farailienrechts, 37, Grundr. d. ethnol. Jurispr. I, 97. — 255 if. Freund und
Feind. Die Sitte der Blutsverbrüderung wird hier nur für die Germanen
belegt. Sie wird auch von den Skythen berichtet, vgl. Lucian Toxaris, 37. Die
Skythen schneiden sich in den Finger, fangen das rinnende Blut in einem Gefässe
auf, tauchen die Spitzen der Schwerter hinein und trinken zu gleicher Zeit daraus.
Auch bei den Kelten muss die Sitte bestanden haben. Im Ausgang der Republik
und später führen Aeduer und Arverner den ganz singulären Titel 'Fratres et con-
sanguinei populi Romani'. Dieser wird verständlich als Konzession der Römer an
die gallische Nationalsitte der Blutsverbrüderung (vgl. Hirschfeld, Sitzungsber. pr.
Akad. 1897, 1106 ff.). In der mittelirischen Sage 'Der Rinderdiebstahl von Cuailnge'
sind Cuchulinn und Fer Diad Blutsbrüder, wodurch die Tragik ihres gewaltigen
Zweikampfes noch erhöht wird, vgl. Zimmer, KZ. XXVIII, 463 11'., El. Hull, The
Cuchullin Saga, 186 ff. Angesichts der gallischen Sitte braucht man nicht mit
Zimmer, Zs. f. d. A. XXXII, 306 in dieser Episode den Einfluss der Vikinger zu
suchen. Über Blutsbrüderschaft bei aussereuropäischen Völkern z. B. Kohler, Zs.
f. vgl. Rechtsw. Y, 434 ff. XI, 424. — 269 ff. Gastfreundschaft. Hochberühmt
war im Mittelalter die Gastfreundlichkeit der heidnischen Preussen. — 304 f.
Gottesurteil. Die recht interessanten irischen Ordale findet man bequem in den
irischen Texten von Stokes und Windisch TII, 183 ff., in den Anmerkungen werden
namentlich auch kymrische Parallelen beigebracht. — 332 ff. Häring. Scadinavia
wird auf Grund von ir. scatan, kymr ysgadan 'Häring', ae. sceadd, ne. shad
'Maifisch' als 'Häringsinsel' gefasst. Sehr hübsch, nur stimmen die Laute nicht
recht. Ir. scatan und kymr. ysgadan können sich nun und nimmermehr verhalten
wie cretim und credu 'glauben', denn letztere sind durch späte Zusammenrückung
zweier Worte entstanden. Ich verfolge diesen Punkt hier nicht weiter. Auffallend,
ja geradezu unbegreiflich ist Schräders fragender Ansatz :¡: Scodanus für Codanus
sinus. Wie der Name der Stadt Danzig, in ältester Form Gyddanizc beweist?
ist für Codanus von einem *Küdan- auszugehen, vgl. Kossinna IF. YII, 287 ff.
-—- 335. Hase. Der Hase spielte auch im Aberglauben der Litauer eine Rolle.
In der russ. Hypatiuschronik findet sich zum Jahre 1252 die Notiz, dass der nur
scheinbar zum Christentum bekehrte Litauerfürst Mindog nach der Begegnung mit
einem Hasen nichts weiteres unternahm (so offenbar zu ergänzen, vgl. Mierz. I,
138 und 151). Die Litauer scheinen einen Gott in Hasengestalt verehrt zu haben.
— 336 ff. Haus. Dass die gallischen Häuser »loXoeiàeTç waren, also Rundbauten,
bestätigt die Archäologie. In Frankreich haben das alte Bibracte, sowie das
einstige gallische oppidum Marcens zahreiche Proben des Rundbaues geliefert, in
Spanien Citania und Sabroso (Hübner, Rom. Herrschaft in Westeuropa, S. 232 ff.).
Ygl. auch die runde Hütte mit Strohdach, die die gall. Göttin Nantosvelta (aus
Saarburg) in der Hand hält (Jb. d. Ges. f. lothr. Gesch. VII, 155 f.). Für Wales
Bücheranzeigeii.
93
ist der Rundbau noch im späteren Mittelalter durch Giraldus in seiner Descriptio
Cambriae I, c. 10 und 17 bezeugt (vgl. Rhys und D. Brynmor Jones, The Welsh
People, S. 200), zum irischen Hause vgl. O'Curry Manners and Customs I, CCXCVlL
Ein Seitenstück zu den rechteckigen Häusern der Pfahlbauer bildet jetzt die bei
Heilbronn freigelegte Wohnstätte aus neolithischer Zeit, vgl. Schliz, Korrespbl. 1900,
S. 23 und desselben Abhandlung 'Eine neolithische Wohnstätte bei Heilbronn', Sa.
aus Fundber. aus Schwaben YII (1899). Die Verschiedenheit der Häuseranlage
ethnisch deuten zu wollen, wäre verfehlt. Gerade die ältesten deutschen Haus-
urnen scheinen viereckig zu sein, vgl. Globus LXI, 114. — 347. Hebamme.
Die Sitte des Männerkindbetts klingt vielleicht in einem seltsamen Zuge der irischen
Sage nach. Angeblich infolge eines Fluches werden die Ulsterleute periodisch von
einer unüberwindlichen Schwäche befallen (cess nóiden), von der Weiber und
Kinder verschont bleiben. Vgl. E. Hull, Cuch. Saga, 292 und Sitzungsber. sächs.
Ges. d. Wissensch., phil.-hist. Kl. 1884, 336 ff. Übrigens kann man noch heute
jemandem anwünschen, er solle so schwach werden, wie ein Weib in Kindesnöten,
vgl. Larminie, West-Irish Folktales, S. 101 f. — 353 ff. Heirat. Bei den ver-
schiedensten Völkern der Erde ist der Verkehr des jungvermählten Paares in den
ersten Jahren gewissen Beschränkungen unterworfen. Mann und Frau dürfen sich
nicht bei Tage sehen oder sprechen, der Name darf nicht genannt werden u. dgl.
Auch bei den Indogermanen sind Spuren derartiger Gebräuche erhalten. In Sparta
durfte der junge Ehemann nur heimlich zur Naehlzeit zu seiner Frau schleichen
(Plutarch Lykurg 15). In der altindischen Legende von Pururavas und der Apsaras
Urvaoi (schon im Rigveda, die Prosaerzählung im Oatapathabrähm.) ist das Be-
stehen der Ehe an die Bedingung geknüpft, dass Urv. ihren Mann nicht unbekleidet
sieht, 'denn dies ist die Sitte der Frauen'. Die Erzählung gehört ja bekanntlich
in einen grossen Zusammenhang, vgl. z. B. A. Lang, Custom and Myth2, J. Kohler,
Melusinensage. — 367 ff. Herd. Die litauische 'Göttin des brennenden Herdes'
Polengabia (Matergabia) ist jetzt durch Brückner, Archiv f. slav. Phil., XXII, 271
aus der Welt geschafft worden Diese Gabia ist nicht anderes als die russische
Gapka Gafija, d. i. die heilige Agathe, von der das polnische Sprichwort zu sagen
weiss: chleb swiçty Agaty od ognia strzeze chaty. — 370 f. Himmelsgegenden.
Die Rolle, die der Osten in der Orientierung spielt, hätte vielleicht etwas aus-
führlicher dargelegt werden können. Für die Brahmanen besteht die Vorschrift,
beim Essen das Gesicht nach Osten zu wenden Baudh. II, 7. 12. 1, im Ritual tritt
der Osten sehr stark hervor (Einiges bei Leist, lus Gentium, 153). Für die Ger-
manen vgl. Grimm, DRA., 807. 813, Myth. 28 (Beten nach Osten, doch auch nach
Norden, E. H. Meyer, Myth., 187). Bei den Inselkelten bedeutet 'rechts' zugleich
'südlich'. Damit darf man in Verbindung bringen, dass bei den kontinentalen
Galliern die Toten noch in römischer Zeit mit dem Gesicht nach Osten bestattet
wurden (vgl. Sablón, Jahrb. d. Ges. f. Gesch. Lothr., VII, 195). Übrigens ist die-
selbe Orientierung auch sonst bezeugt, z. B. auf dem Glasinac, Korrespbl. XXV (94),
133, in Pommern, Mecklenburg, Posen u. s. w. aus slavischer Zeit (Zs. f. Ethn.
Verh. XXX [1898], S. 95). Gelegentlich mischen sich zwei Orientierungsweisen,
z. B. nach 0. und N., wie bei Buchheim, Amt Messkirch, Baden (Hallstattzeit), vgl.
Centralbl. III, 141. Dass Männer in anderer Richtung bestattet wurden als Frauen,
ist meines Wissens in Europa noch nicht beobachtet worden, doch könnte ein
solcher Brauch uns nicht überraschen. Er existiert thatsächlich in Afrika, bei den
Bongo und Niamniam (Schweinfurth, im Herzen Afrikas, I, 332. II, 38). — 412 ff.
Katze. Die Hauskatze ist in Indien schon zur Zeit des Atharvaveda bekannt
gewesen, vgl. Geldner, Ved. Stud. I, 313. — 454 ff. Kopfbedeckung. Die
94
Weinhold:
eigentümlichen 'Jesuiterhüte' der Situlenkunst hätten wohl mit einem Wort erwähnt
werden können. — 459 ff. Körperbeschaffenheit. Bei allen Völkern indor
germanischer Zunge können wir in historischer Zeit eine Verdrängung des blonden
(und langschädligen) Typus durch den brünetten (kurzschädligen) konstatieren.
Das Problem scheint einheitlich, kann aber in Wahrheit nur dadurch der Lösung
entgegengeführt werden, dass die speciellen Verhältnisse jedes einzelnen Landes
für sich untersucht werden. Eine der frappantesten Thatsachen ist, wie bekannt,
das Verschwinden des blonden, blauäugigen Typus bei den Kelten fd. i. den
Trägern eines keltischen Idioms). Bei den Bewohnern von Wales steht die Sache
ja nicht so schlimm, man wird da immer auf die Angabe des Tacitus, Agricola 11,
zurückgreifen: Silurum colorati vultus, torti plerumque- crines et posita contra
Hispania Hiberos veteres traiecisse easqne sedes occupasse fidem faciunt. Es ist
keineswegs undenkbar, dass die Siluren (zum Namen vgl. den spanischen Silurus,
Avien 433, die heutige Sierra de Tejeda, s. Unger, Philologus Suppl. IV, 1882,
S. 238) wirklich Iberer waren, und dass mit ihnen die sogen. Schwertstäbe aus
Spanien gekommen sind (M. Much, Kupferzeit, 133 ff.). Hier wäre man also sicherer
Träger des dunklen Typus habhaft geworden. Aber die grosse Masse der vor-
keltischen Bewohner Britanniens gehörte einer ganz anderen Menschenart an.
Tacitus berichtet: rutilae Caledoniam habitantium comae, magni artus Germanicam
originem adseverant. Diese Bewohner Calédoniens sind natürlich die sogen. Pikten,
die einst die ganze Insel innehatten und von den Kelten allmählich in den nörd-
lichen Teil zurückgedrängt worden sind (man vgl. auch die ursprüngliche Aus-
dehnung des Namens 'AXßiwv mit der späteren, Alba = Schottland). Die Pikten
waren auch die Ureinwohner Irlands (Zimmer, Zs. d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch.
Rom. Abt., XV, 214). Die irischen Kelten waren vermutlich von Haus aus wie
ihre britischen und kontinentalen Verwandten blond und blauäugig, wir erleben
es hier also, dass aus der Vermischung zweier blonder Rassen eine dunkle her-
vorgeht. Immer wieder kommt hier der Laie auf die Vermutung, dass es eine
spontane Änderung des Typus giebt, dass dieser eben nicht konstant ist. Erwähnt
sei noch, dass in der mittelirischen Sage das Haar besonders von schönen Frauen
buide 'blond' genannt wird, so bei Etain, Emer, Derdriu. Cuchulinn wird im all-
gemeinen schwarz gedacht, doch giebt es auch ganz abweichende Schilderungen
von ihm.
Ich schliesse mit dem Wunsche, dass das Buch Schräders recht viele Benutzer
finden möge. Niemand wird es aus der Hand legen, ohne reiche Belehrung
empfangen zu haben. E. Zupitza.
Archiv für Religionswissenschaft, lierausgeg. von Prof. Dr. Th. Aclielis.
Dritter Band, Heft 3. 4. Tübingen, Freiburg i. B., und Leipzig, J. C.
B. Mohr (P. Siebeck), 1900.
Die beiden ersten Hefte des 3. Bandes des Archivs sind in unserer Zeitschr. X,
348 f. angezeigt worden. Aus dem Inhalt von Heft 3. 4 heben wir hervor: Die
Allgemeine Einleitung in die Mythologie aus dem Nachlasse des würdigen H.
Steinthal von R. M. Meyer herausgegeben. Prof. Meyer macht mit Recht darauf
aufmerksam, dass in dieser fragmentarischen Studie ein letzter klassischer Aus-
druck der philosophisch-vergleichenden Schule in der wissenschaftlichen Mythologie
vorliege und dass sie schon deshalb historischen Wert habe. — Unter dem Titel
Buchreligion und Schriftauslegung erörtert Prof. H. Holtzmann in Strassburg das
Bücheranzeigen.
95
wechselnde Verhältnis der Schriftauslegung zu der heiligen Litteratur der Vorzeit,
insbesondere zu den heiligen Büchern des späteren Judentums und des Urchristen-
tums. — Prof. E. Müller behandelt auf Grund neuer buddhistischer und tibe-
tanischer Quellen die von ihm schon einmal berührte Sage von Uppalavannâ im
Zusammenhange mit dem ganzen Material, zu dem die Albanus- und Gregorius-
legende gehören. — Von den kleineren Beiträgen seien die umfänglicheren genannt:
H. Schukowitz, Über die Rosengärten, d. i. alte Friedhöfe (wie er fälschlich zu
meinen scheint nur der kleinen Kinder); auch sonst ist manches anfechtbar, das
er hier schreibt. Dasselbe muss ich über die Mythologischen Studien im Gebiete
des Baidermythus von Fr. Losch urteilen, die an desselben Verfassers Buch:
Balder und der weisse Hirsch (Stuttgart 1892) sich anlehnen, das bei manchem
Anzuerkennenden doch unmethodisch und ohne Beherrschung des Stoffes geschrieben
ist. Jetzt zieht Herr Losch auch das Spielmannsgedicht von König Oswalt zu dem
Baiderkreise., wegen des Hirsches und der Quellenerweckung! K. Weinhold.
Kleinere Schriften von Rein h old Köhler. II. Band. Kleinere Schriften
zur erzählenden Dichtung- des Mittelalters. Herausgegeben von
Johannes Bolte. Mit einem Bildnis Köhlers und zwei Abbildungen.
Berlin, E. Felber, 1900. S. XII. 700. 8°. — III. Band. Kleinere
Schriften zur neueren Litteraturgeschichte, Volkskunde und
Wortforschung. Herausgegeben von Johannes Bolte. Mit drei
Abbildungen. Berlin, E. Felber, 1900. S. XV. 659. 8°.
Dem ersten Bande der Kleineren Schriften von Reinhold Köhler, den wir in
unsrer Zeitschrift IX, 102 anzeigten, sind verhältnismässig rasch der zweite und
dritte gefolgt, mit denen die Sammlung schliesst. Es braucht nur an die hervor-
ragende, oder lieber einzige Stellung im Gebiete der Stoffkunde aller erzählenden
Dichtung erinnert zu werden, die R. Köhler erreicht hatte, an seine umfassende
Kenntnis alles volkstümlichen Lebens, um die grosse Bedeutung dieser Sammlung
der zerstreuten kleinen Aufsätze des Weimarschen Doktor Allwissend zu bezeichnen.
Dazu kommt, dass Johannes Bolte der Herausgeber ist, der dem Verstorbenen
sehr erfolgreich nacheifert und der ausser der sorgsamen Behandlung der Köhlerschen
Drucke und Handschriften Ergänzungen aus offener Hand spendete. So besitzen
wir in diesen drei Bänden ein unentbehrliches Hand- und Nachschlagebuch für
alle oben bezeichnete Forschungsgebiete, das Köhlers Andenken sehr lange erhalten
und dem trefflichen Sammler und Herausgeber viel Dank verdienen wird.
In dem zweiten Bande bilden den Gegenstand der Köhlerschen Forschungen
meist „einzelne Erzählungsstoffe, Motive, poetische Formeln, denen er durch alle
Länder und Jahrhunderte .nachspürt, um sie miteinander zu vergleichen".
Der dritte Band zerfällt in vier Abteilungen: 1. Zur neueren Litteraturgeschichte,
2. Zur Volksdichtung (Lied, Spruch, Rätsel, Sprichwort), 3. Zum Aberglauben und
Volksbrauch, 4. Zur Wortforschung. Hier vor allem tritt die weitumfassende Be-
lesenheit und Sachkunde R. Köhlers hervor, seine überall einsetzende Forschung
im einzelnen, zugleich seine strenge Sachlichkeit. Wenn die grosse Sammlung im
Übrigen nur bereits Gedrucktes, aber Ergänztes und Nachgeprüftes bietet, so ent-
hält der dritte Band auch bisher Ungedrucktes (No. 25. 29. 59. 63). Das un-
qualifiziertere Verhalten des Prof. Dr. Anton Herrmann in Budapest, der 1892 von
96
Boite :
Köhlers Schwestern ein Manuskript entlehnte und es hartnäckig zurückbehält, hat
den Abdruck dieser Reliquie hier unmöglich gemacht.
Erinnert sei zum Schluss an die durch J. Bolte und Erich Schmidt aus dem
Nachlasse herausgegebenen Aufsätze R. Köhlers über Märchen und Volks-
lieder (Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 1894, vgl. unsre Zeitschrift IV, 98),
die mit den Kleineren Schriften innerlich zusammenhangen. K. Weinhold.
Friedrich. Vogt, Die S chi e sis ch en Weihnachtspiele. Mit Buch-
schmuck von W. Wislicenus, sowie 4 Gruppenbildern der Batzdorfer
Weihnachtspiele. Leipzig, ß. G. Teubner, 1901. 8. XVI, 500. 8°.
Mit 2 Tafeln. (Schlesiens volkstümliche Überlieferungen, Sammlungen
und Studien der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, heraus-
gegeben von Friedrich Vogt, Band 1.)
In reicher, geschmackvoller Ausstattung tritt die erste grössere Veröffentlichung
der vor sechs Jahren begründeten schlesischen Gesellschaft für Volkskunde am
Jahrhundertende vor den Kreis der Freunde deutschen Volkstums. Dass wir von
Vogt eine wohldurchdachte, sorgsame Arbeit erhalten würden, stand zu erwarten.
Er hat sich jedoch keineswegs auf eine saubere Edition der zahlreichen, durch die
Mitglieder der Gesellschaft zusammengebrachten Texte beschränkt, sondern zugleich
eine Rekonstruktion und Entwicklungsgeschichte geliefert, die wir geradezu als
musterhaft bezeichnen dürfen. Hatte K. Weinhold 1853 in seinem grundlegenden
Werke „Weihnacht-Spiele und -Lieder in Süddeutschland und Schlesien" von dem
germanischen Feste der Wintersonnenwende ausgehend die Weihnachtsfeier der
christlichen Kirche des Mittelalters geschildert, um dann unter Einflechtung zahl-
reicher unedierter Texte die volksmässigen Weihnachtspiele des 16.—19. Jahrh.
durchzugehen und auch die Entwicklung des Weihnachtsliedes zu skizzieren, so
disponiert Vogt sein Buch nach den drei Klassen der schlesischen Weihnacht-
spiele: 1. Adventspiele, 2. Spiele von Christi Geburt und 3. Herodesdramen und
Sternsingerspiele. Von diesen drei Arten wird nur die erste und dritte auch für
sich allein aufgeführt, die Geburt Christi aber stets entweder mit dem Advents-
besuche des Christkindes oder mit dem Dreikönigspiele vereinigt. Während die
beiden letzten Stücke naturgemäss auf die Erzählung der Evangelien zurückgehen,
liegt uns in den Adventspielen ein Stück germanischen Heidentums in christlicher
Vermummung vor. Hier tritt ein bekränztes und verschleiertes Mädchen, welches
das Christkind vorstellt, in die Häuser, um nach dem Fleisse und der Frömmigkeit
der Kinder zu fragen, wobei ihm seine Begleiter, die Engel Gabriel und Immanuel,
Petrus und Ruprecht (auch Duprick oder Josef geheissen), Auskunft erteilen, und
die guten Kinder mit Gaben aus seinem goldenen Wagen belohnen. Klar zeigt
Vogt, nachdem er die verschiedenen Fassungen der schlesischen und der übrigen
deutschen Adventspiele besprochen, dass diese nicht aus den von gelehrten Schul-
männern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bearbeiteten Adventspielen
(aus Altenburg, Görlitz, Nürnberg, Zittau u. s. w.) erwachsen sein können, sondern
nach Form und Charakter ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Dies Kinderexamen
durch den heiligen Christ aber ist wiederum eine protestantische Umgestaltung der
mittelalterlichen Nikolausspiele, in denen der Schutzpatron der Schüler an seinem
Gedenktage durch Umzüge und Dramatisierung der auf ihn bezüglichen Legenden
gefeiert wurde. Neben der Gestalt des kinderfreundlichen Bischofs Nikolaus lebt
Büclieranzeigen.
97
nun in den Volksspielen von Christkindels Einkehr auch die Erinnerung an die
Erscheinung einer heidnischen Schicksalsgöttin, die in Süddeutschland Frau ßerchta^
in Mitteldeutschland Frau Hulda oder Holle heisst, und die Sitte der Umzüge ver-
mummter Gesellen zur Weihnachtszeit (Perchtenlaufen) fort. An jene mahnt noch
die weissverschleierte Frau der Adventspiele und ihr goldener Wagen; der Name
ihres zottigen Begleiters Ruprecht wird nicht mit Grimm als Hruodperaht (Ruhm-
glänzender, = Wuotan), sondern als Ruhpert, der rauhe ßercht (entsprechend dem
nd. Ptûklâs = rauher Nikolaus) gedeutet. — In den Kapiteln, welche den schlesischen
Christigeburt- und Herodesdramen gewidmet sind, geht Vogt die älteren Bear-
beitungen dieser Stoffe durch und zeigt, wie in den eingelegten Liedern und ein-
zelnen Zügen die mittelalterliche Tradition und das Vorbild des Hans Sachs und
anderer Dramatiker seiner Zeit sich bis auf den heutigen Tag lebendig erweist.
Aus Cochems Leben Jesu von 1680 stammt, wie schon Ammann erkannte, die
Scene des Prozesses wider den gefallenen Menschen und das Gespräch zwischen
dem Pilger und dem getreuen Hirten. Auch in diesen Abschnitten ist die Unter-
suchung mit Vermeidung alles überflüssigen Ballastes knapp und fasslich geführt.
Unter den in die Abhandlung eingestreuten Texten sind neben verschiedenen
Adventspielen und Sternsingerliedern das Batzdorfer Weihnachtspiel (S. 247), ein
in neun Varianten vorhandenes Sternsingerspiel (S. 317), ein Schmiedeberger Drei-
königsspiel (S 332) und drei Herodesdramen aus Breslau, von der Heuscheuer
und aus Friedersdorf (S. 340) hervorzuheben. Wo die Melodien der Liedereinlagen
zu erlangen waren, sind sie jedesmal mitgeteilt. Die Darsteller des Batzdorfer
Weihnachtspieles werden uns nach photographischen Aufnahmen vorgeführt.
Interessant ist der S. 339 geführte Nachweis, dass ein Batzdorfer Dreikönigslied
wörtlich aus einem tschechischen Liede übersetzt ist, das seinerseits freilich wieder
auf ein deutsches Original zurückgeht. Da aber Vogt die Volksüberlieferungen
nicht bloss für die Wissenschaft, sondern auch für das Leben nutzbar machen
wollte, hat er drei Stücke beigegeben, die er für Aufführungen bearbeitet und
1899 selber in Breslau zur Aufführung gebracht hat: 1. ein aus den verschiedenen
Riesengebirgsfassungen zusammengestelltes Adventspiel (S. 122), 2. ein schon durch
Volkmer bekannt gemachtes Glatzer (Lichtenwalder) Christkindelspiel (S. 257),
3. einen Glatzer Herodes, den schon Pfarrer Scholz aus den Friedersdorfer und
Reinerzkroner Aufzeichnungen mosaikartig gewonnen hatte (S. 423). Sorgfältige An-
merkungen legen über die benutzten Vorlagen im einzelnen Rechenschaft ab.
Berlin. Johannes Bolte.
Max Herrmann, Jahrmarktsfest zu Plundersweilern. Entstehungs-
und Biihnengeschielite. Nebst einer kritischen Ausgabe des Spiels
und ungedruckten Versen Goethes, sowie Bildern und Notenbeilagen.
Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 1900. 292 S. 8°.
Die vortreffliche und methodisch sehr interessante Untersuchung Herrmanns
bat insofern noch besondere Bedeutung, als sie an einem glücklichen Einzelfall
die nahen Berührungen von Volkskunde und Literaturgeschichte an den Tag legt.
Wohl geht sie in erster Linie literarhistorischen Problemen nach, indem sie
Goethes geniales Scherzspiel in dem ganzen Verlauf seines litterarischen Lebens
verfolgt, von dem ersten Auftauchen der Konzeption bis zu den letzten Ausläufern
seines theatralischen Nachlebens. Weil aber das „Jahrmarktsfest" derjenigen Periode
Zeitschr d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 7
98
Meyer :
iti Goethes Leben angehört, in der er zu der volkstümlichen Dichtung die engsten
Beziehungen unterhielt, so führt Herrmanns eingehendes Quellenstudium ohne
weiteres in interessante Gebiete der Volkskunde ein. Das wirkliche Jahrmarkts-
fest ist eine volkstümliche Schaustellung, die stets auf die erregte Teilnahme
weiter Volkskreise rechnen kann. Daraus geht dann bald eine Übersetzung dieses
bunten Treibens aus dem Markt auf die Bühne hervor; die Gebildeten sollen —
wie bei Goethe — der Anschauung dieses Volkslebens teilhaftig werden, ohne
sich selbst mitdrängen und stossen lassen zu müssen. Mit glücklichem Eifer hat
Herrmann Bühnenspiele zu diesem Typus aus verschiedenen Litteraturen gesammelt.
Und ferner: einzelne Gestalten aus dem Jahrmarktstreiben werden gewissermassen
von der Strasse in die Stube heraufgerufen. Die mannigfaltigen „Ausrufe" werden
in einer besonderen Litteratur gesammelt: die stehenden Ankündigungsrufe von
Milchmädchen und Kohlenmann — wieder ein von Goethe benutzter volkstümlicher
Typus. Endlich lebt aber schon inmitten des Jahrmarktstreibens selbst ein drama-
tischer Ansatz: der Guckkastenmann führt gleichsam Ausstattungsstücke, der
Schattenspielmann Pantomimen in kleinem Massstabe vor, während neben ihnen
das Affentheater die eigentliche Bühne verkleinert wiederholt. (Ein hübsches
Dichterspiel der verdienten Frau Elise Mentzel hat kürzlich den jungen Goethe in
der Mitte dieser volkstümlichen Marktscenen dargestellt.) So entwickeln sich auch,
zwischen „Volk" und „Gebildeten" schwebend, Volkslieder, die an das Jahrmarkts-
treiben symbolisch oder realistisch anknüpfen und ganz direkt auf den Dichter
von Plundersweilern gewirkt haben. Eine ganze neue Welt von volkstümlicher
Halbkunst wird in Herrmanns Buch uns wie in den kleinen, aber deutlich um-
rissenen Bildern des Guckkastenmanns sichtbar, und ein vortreffliches Register ge-
stattet uns obendrein, die sonst schnell verschwindenden Schattenrisse festzuhalten
und wieder aufzufinden. Auch geschickt ausgewählte Bilder verdeutlichen, was
Goethe vorfand; scheinen doch auch die typischen Darstellungen der bildenden
Kunst auf die Figuren seines Jahrmarktsfestes gewirkt zu haben. So erhalten
auch die Freunde der Volkskunde reiche Belehrung aus diesem wichtigen Beitrag
zur „Goethe-Philologie", dem nicht unverdient das Glück zu teil ward, noch un-
gedruckte Couplets von Goethe bringen zu dürfen!
Berlin. Richard M. Meyer.
Oskar Kallas, Achtzig Märchen der Ljutziner Esten, gesammelt. (Ver-
handlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft. 20. Bd., 2. Heft.)
Jurjew (Dorp at), Schnakenburg 1.900. (Leipzig, K. F. Koehler).
S. 83—405. 8°.
Im russischen Gouvernement Witebsk nahe bei der Stadt Ljutzin leben mitten
in die lettische Bevölkerung eingesprengt einige Tausend katholischer Esten, deren
interessante Kultur, Bräuche, Lieder, Rätsel und Märchen 0. Kallas 1893 im Auf-
trage der finnischen Litteraturgesellschaft genauer erforscht hat. Nach ihren eigenen
Überlieferungen sind ihre Vorväter „vor 4—6 Geschlechtern" aus dem „Lande der
Schweden" infolge der Drangsale der Leibeigenschaft und des Krieges nach Polen
ausgewandert, ein Ereignis, das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. stattgefunden
haben muss, da Livland 1710 russisch wurde. Ihr lutherisches Bekenntnis haben
sie in der Fremde mit dem katholischen vertauscht; auch ist ihnen das Bewusst-
sein, dass es ausser ihnen noch andere estnisch redende Stammesgenossen gebe,
abhanden gekommen. Mit Staunen und Freude wurden daher die estnischen
Bücheranzeigen.
99
Zeitungen und das Neue Testament in derselben Sprache, das ihnen Kallas gab,
aufgenommen.
Die Überlieferungen dieser lange isolierten Gemeinden mit denen der est-
nischen Heimat zu vergleichen, hat natürlich für die Forscher ein besonderes
Interesse. Denn wenn die Ljutziner Esten auch manche Lieder und Märchen von
ihren lettischen und russischen Nachbarn übernommen haben, so darf man doch
als ziemlich sicher annehmen, dass dasjenige, was mit der Volksdichtung der
übrigen Esten übereinstimmt, schon vor mehr als 200 Jahren von den Auswandrern
mitgebracht wurde; denn als auch hier die Leibeigenschaft begann, hörte jede
Verbindung mit dem Mutterlande auf. In der vorliegenden Arbeit giebt nun
Kallas ausser einer gut orientierenden ethnographischen Einleitung die 80 Märchen,
die er aufzeichnen konnte, im Originaltext (S. 203—405) und in einer Verdeutschung
(S. 115—202), die bei 12 Stücken vollständig ist, bei den übrigen aber sich auf
eine kürzende Inhaltswiedergabe beschränkt. Wenn auch vergleichende Anmerkungen
fehlen, so zeugt doch die Zusammenordnung der verwandten Nummern von der
Umsicht und Sorgfalt des Herausgebers. Neben vielen in ganz Europa und weiterhin
verbreiteten Märchen- und Schwanktypen finden wir auch eigentümliche Stücke,
wie 21. 25. 43—49. 52. 55; gut erzählt sind besonders die Fuchsmärchen.
Zur ersten Orientierung über die wertvolle Sammlung, die wir hiermit allen
Märchenforschern bestens empfehlen, mögen noch einige Verweise auf bekanntere
Parallelen folgen: No. 1 'Der Schützling des Steinkönigs': vgl. zum Anfange Grimm,
KHM. No. 136 (Eisenhans), zu den ausgeschnittenen Drachenzungen Köhler, Kleinere
Schriften 1, 399. 430. — No. 2—6 'Domka und Adamka': vgl. Grimm No. 60 'Die
zwei Brüder'. — No. 7 'Der entflohene Königssohn': Köhler 1, 388 und 330. —
No. 9 'Erbsenheld, Eichenbieger und Bergewälzer': Köhler 1, 437. 543. — No. 11
'Jaan der Königssohn': Köhler 1, 418. 551 (Tierschwäger). — No. 12 'Jaan der
Königssohn': Köhler 1, 161 (vergessene Braut); der Eingang kehrt in No. 34 wieder.
— No. 13—14 'Der Better der Königstochter': Köhler 1, 145. 432 (Traum von
künftiger Erhöhung) und 330 (Grindkopf). — No. 15—17 'Die klugen Brüder und
der einfältige Bruder': Köhler 1, 55. 551. — No. 18 'Die klugen Brüder und der
einfältige Bruder': Köhler 1, 539; zum Eingange Gonzenbach, Sicilianische Märchen
No. 64. — No. 19—20 'Der in eine Schlange verwandelte Mann': Köhler 1, 315;
zur Aufgabe 'nicht nackt, nicht bedeckt' ebenda 1, 447. — No. 22—23 'Die Königin
und ihre zwölf Söhne': Gonzenbach No. 5 (Gespräch der Schwestern) und 24
(verleumdete Frau); zum Schlüsse S. 148, Gonzenbach No. 25 und Köhler 3, 228.
— No. 24 'Die kämpfenden Brüder': Grimm No. 25 'Die sieben Raben', eigen-
tümlich umgestaltet. — No. 26 'Der Däumling': Grimm No. 37. — No. 27 'Dei-
Mann und der Wind': Grimm No. 36 (Tischleindeckdich u. s. w.). — No. 28—29
Gottes Sinn, des Hechtes Zunge': Köhler 1, 405. 588 (Pervonto). — No. 30—31
'Bruder, Schwester, des Bruders Knechte': Köhler 1, 304 (treulose Schwester, treue
Hunde). — No. 32—33 'Der Wunderring': Köhler 1, 440. — No. 35 'Des Schwarzen
Lehrling': Grimm No. 68. Köhler 1, 138. 556. — No. 36 'Der Bettelknabe bekommt
des Kaufmanns Habe': Köhler 2, 357. 679. — No. 37 'Der Aschenkönig': Köhler
558 (der gestiefelte Kater). — No. 38 'Die Wirtstochter und das Waisenmädchen
heizen die Badestube': Staufe No. 48 in dieser Zeitschrift 9, 88. — No. 39 'Die
Wirtstochter und das Waisenmädchen in der Unterwelt': Grimm No. 24 (Frau
Holle). — No. 40—42 'Der Bösen Tochter und die Waise': eine Verbindung der
Märchen von Aschenputtel und der vertauschten Braut, s. Köhler 1, 368; zu der
Wunderkuh und dem aus ihren Eingeweiden entsprossenen Apfelbaume s. Montanus,
Schwankbücher 1899, S. 592. — No. 50 'Die ermordete Schwester': Köhler. Aufsätze
100
Weiiihold:
über Volkslieder 1894, S. 79 (die Ballade von der sprechenden Harfe). — No. 56
'Der reiche Bruder und der arme Bruder': a) Köhler, Aufsätze S. 99; b) Köhler,
Kl. Schriften 1, 409. — No. 58 'Der Sohn tötet den Vater': zum Biegen der jungen
Birke vgl. Köhler 3, 42. — No. 59 'Ein Mann sucht des Lebens Ungemach': Bolte-
Seelmann, Nd. Schauspiele 1895, S. 42. Montanus S. 626. 658 (Buhler als Teufel
beschworen). — No. 60 'Der schlechte Sohn': Pauli, Schimpf und Ernst No. 326
(Geld im Brote). — No. 61 'Der gute Sohn' (tötet bei Hungersnot den Vater nicht):
Köhler 2, 324. — No. 62 'Hans der Dieb': verschiedene Streiche aus den Märchen
vom Meisterdieb (Köhler 1, 210. 307. 415. 447) und dem Volksbuch Salomon und
Markolf (v. d. Hagen, Narrenbuch 1811, S. 249. 264. 50(5). — No. 63 'Das einfältige
Weib': Frey, Gartengesellschaft No. 1. Köhler 1, 71. 341. — No. 64 'Gott und der
Böse': Grimm No. 198 und diese Zeitschrift 8, 21. — No. 67 'Des Weibes List':
Bolte, Ztsehr. f. vgl. Littgesch. 7, 456 No. 4. 11, 70 (Teufel kastriert). — No. 70
'Der Gehörnte und der Bär': Köhler 1, 72 (Schrätel und Wasserbär). — No. 72
'Der Fuchs als Gänsehirt': Köhler 1, 106. — No. 73 'Des Fuchses Stücklein':
Köhler 1, 71. 107. 197.
Berlin. Johannes Bolte.
Osterlandsagen. Sagen, Bilder und Geschichten aus dem Altenburger
Ostkreise. Herausgegeben von Prof. Dr. M. Geyer. Altenburg, A.
Tittels Verlag, 1901. S. XVI. 211. 8°.
Das Landgebiet, dem die Sagen und Geschichten dieses Buches angehören,
ist der Ostkreis des Herzogtums Sachsen-AI ten bürg oder die Altenburger Pflege
mit der Hauptstadt. Mythische Sagen sind nur zum kleineren Teil hier gegeben,
überwiegend sind es geschichtliche Überlieferungen, die dann auch meist schrift-
lichen Quellen entnommen sind, so den Kollektaneen des Monstaber Pfarrer Tauch-
witz (f 1633), den Nachrichten und dem Tagebuch des P. M. Sagittarius (1660—70),
der Kirchengalerie des Hofprediger Sachse (Dresden 1841 f.) u. a. Der Herausgeber
hat den einzelnen Stücken erläuternde Anmerkungen beigegeben. Wir glauben
gern, dass die Altenburger in dem Büchlein, das die Geschichten einfach und
schlicht wiedergiebt, gern lesen werden. Für mythologische Forschung bietet es
wenig. K. W.
Paul Sebillot, Contes des Landes et des Grèves (le I. vol. de la biblio-
thèque du glaneur breton). Rennes, Hyac. Caillière, 1900. S. XI. 306. 8°.
— Les coquillages de Mer. Paris, J. Maisonneuve, 1900. S.V.
109. kl. 8°.
Das erste dieser beiden neuen Bücher des unermüdlichen Herrn P. Sébillot
bringt Geschichten aus dem französisch sprechenden Teil der Côtes-du-Nord und
aus der llle-et-Vilaine. Alle sind nach 1882 gesammelt, und daher ist keine in
den drei Bänden der Contes populaires de la Haute-Bretagne gedruckt, wohl aber
wurden die meisten in einer ganzen Anzahl von Zeitschriften hier und da verstreut
veröffentlicht. Aus der Ille-et-Vilaine wurden nur 10 der 41 Erzählungen gewählt,
weil die dort erzählten Geschichten weniger eigentümlich und originell sind als
die der Côtes-du-Nord. Die interessantesten sind die Sagen von den Höhlen an
der Meeresküste, die in der Bai von Saint-Malo und der von Saint-Brieuc sich
Biicheranzeigeri.
101
finden. — Hingewiesen sei auf eine Variante der weit verbreiteten Polyphemsage
(No. 20, le géant qui n'avait qu'un oeil S. 198 f.), dann No. 30 die Geschichte vom
Gevatter Tod (le compère la Mort, wo also der Tod nicht weiblichen Geschlechts
ist, wie sonst im französischen, sondern männlichen, gleich dem niederbretonischen
Anku); No. 31 la Mort et le bonhomme, eine Variante des Schmidts von Jüterbog;
No. 28 l'homme qui vendit sa peau au diable, wo der Teufel durch den priester-
lichen Sohn des dem Teufel verschriebenen um seine Beute geprellt wird. — Den
Schluss machen zehn komische Geschichten, ziemlich zahme, da P. Sébillot die
bedenklichen hier ausschloss. Die Basse-Brétagne kennt sie nicht, wohl aber die
Haute-Brétagne und noch mehr die llle-et-Vilaine. Auch unter jenen zehn begegnen
wir mehr oder minder verbreiteten Motiven.
Les coquillages de Mer sind der Beginn einer Reihe volkskundlicher
Monographien, die unter dem Titel Melanges traditionnistes von den Herren P.
Sébillot und Julien Vinson in Aussicht stehen. In dem vorliegenden Büchlein
werden im 1. Abschnitt die lebenden Schaltiere nach Namen, Sprichwörtern, Rätseln,
Sagen und Aberglauben medizinischer Verwendung behandelt. Im 2. Kapitel er-
scheinen die Muscheln und Gehäuse nach gleichen Richtungen. Es ist die er-
weiterte Fassung eines in der Revue d'Ethnographie 1886 erschienenen Artikels.
K. W.
Tales of Tennalirama (The famous court jester of Southern India).
Madras 1900. S. VI. 46. 8°.
Pandit S. M. Natesa Sastri, ein südindischer Gelehrter, der weiteren Kreisen
bisher wohl nur durch seine Veröffentlichungen im Indian Antiquary bekannt
gewesen ist, hat im vergangenen Jahre eine Sammlung von 17, bezw. 16 Eulen-
spiegelstreichen unter dem Titel „Tales of Tennalirama" herausgegeben, die für
die Folkloristen immerhin von Interesse ist, zumal ja derartige Anekdoten gerade
in Indien nicht allzu häufig zu einem Ganzen vereinigt begegnen, so beliebt Witz
and allerlei Schwänke sonst auch in Indien stets gewesen sind. Im Katbäsaritsägara
wäre auf Buch 61 zu verweisen; ferner muss hier der Sukasaptati gedacht werden,
wenn auch die hier beliebten Scherze, dem Grundgedanken des Buches entsprechend,
sehr eintönig sind. Der Held ist der Hofnarr eines Königs Krsnadeva Raya, der
in das XVI. Jahrhundert gehört; seine Streiche sind noch heute in Südindien
wohlbekannt, und seine Witze gehen dort jetzt noch von Mund zu Mund. Nach
unserem Geschmacke sind die mitgeteilten Schwänke freilich recht albern — der
Ubersetzer macht in der Vorrede selbst darauf aufmerksam — aber sie sollen
auch gar nicht etwa ästhetisches Wohlgefallen erwecken, sondern vielmehr dem
Folkloristen bei seinen Untersuchungen willkommene Eigänzungen bieten und neue
Gesichtspunkte eröffnen; ausserdem gewährt uns das Buch einen tiefen Einblick in
das Treiben an indischen Königshöfen. Der beschränkte, despotische und launen-
hafte Herrscher; der lüsterne Hauspriester; die geldgierigen Brahmanen; die Hof-
dichter und -gelehrten, die so häufig in Angst und Sorge sind, es könnte ihnen
durch einen fremden Nebenbuhler ihre einträgliche Pfründe mit Erfolg streitig
gemacht werden — das alles sind Typen, die für die indische Welt so charakte-
^stisch sind: sie begegnen uns in der Litteratur auf Schritt und Tritt, z. B. auch
lni Bhojaprabandha, und sind für den Kulturhistoriker über allen Zweifel sicher
bezeugt. Auf dem Gebiete der vergleichenden Märchenkunde wird der Kenner
gewiss auch manchen alten Bekannten wiedererkennen; und was den Finger- und
Zeichensprachen-Scherz S. 37 anlangt, so wäre dazu etwa nachzulesen, was Vät-
102
Boite:
syäyana im Kämasütra S. 33 und Yasodhara S. 39 darüber bemerkt; übrigens er-
innert die Stelle auf das lebhafteste an ein Kapitel im Rabelais! Prof. Zachariae
verweist mich auf Köhler, Kleine Schriften, I, 513 und II, 179 ff. — Als Probe
diene No. 7: „When the mother of the Räyar (das ist der König) was about to
die, she wanted a mango fruit to eat; but before it was brought she expired. The
Rayar was very sorry that he was not able to fulfil the last wishes of his mother,
and sending for some Brâhmans he said to them: — „My mother set her heart
on a mango fruit, but died before it was given her. By what means can I appease
her soul?" To this they replied: — „If you make mango fruits of gold and present
them as gifts to Brâhmans on the occasion of the annual ceremony of your mother
her soul will be pacified." The Râyar believed it and made the gifts accordingly.
Next day Tennâlirâma invited to his bouse all those Brâhmans who had received
such gifts saying that the annual ceremony of his mother was taking place in his
house. There he heated the handle of an iron ladle and cauterized each guest in
two places. They all went away weeping and reported the matter to the Râyar.
The Râyar sent for Tennâlirâma and said, „Why did you do this outrageous act?"
He said: „My mother in her last moments was suffering from convulsions in her
hand and feet. Cauterizing was recommended. But before the hot handle of the
iron ladle could be brought she expired. To appease her soul, I acted in this
manner." On hearing this explanation the Räyar laughed long and loud." — Auf
S. 37 sind die Anmerkungen zu streichen. Zu beziehen ist das Buch durch Otto
Harrassowitz, Leipzig.
Halle a. d. S. Richard Schmidt.
Hoffmann yon Fallersleben, Unser» volkstümlichen Lieder. Vierte Auflage,
herausgegeben und neu bearbeitet von Karl Hermann Prahl. Leipzig,
W. Engelmann, 19C0. S. YIII. 349. 8°.
Mehr als dreissig Jahre sind seit dem Erscheinen der 3. Auflage von Hoffmanns
trefflichem Verzeichnis volkstümlicher Lieder verstrichen, und die Liederforschung
hat seitdem nicht gerastet, sondern manchen Schritt vorwärts gethan. Von vielen
namenlos umlaufenden Texten und Weisen ist durch tüchtige Gelehrte, wie Max
Friedländer, John Meier, Arthur Kopp u. a., Urheber und Entstehungszeit aufgedeckt
und sicher gestellt wTorden. Insbesondere hat Meier für eine grosse Anzahl von
Liedern, die von Volksliedersammlern aus dem Munde des Volkes aufgezeichnet
und als dessen Erzeugnisse betrachtet worden waren, die Herkunft aus dem Kreise
der Kunstdichter erwiesen und darauf seine Theorie gegründet, dass zwischen
Kunstlied und Volkslied überhaupt kein organischer Unterschied bestehe, sondern
das Wesen des letzteren im Anempfinden und Zurechtstutzen des zuvor von einem
Einzelnen Geschaffenen liege. Durch solche Einzelarbeiten ermutigt, hat sich Prahl
entschlossen, ihren Ertrag in einer umgestalteten Ausgabe des Hoffmannschen
Werkes zusammenzufassen, und wir dürfen uns dessen freuen.
Mit anerkennenswertem Fleisse hat er nicht allein die gedruckte Litteratur
studiert, sondern auch den hsl. Nachlass Hermann Kestners und Hoffmanns von
Fallersleben verwertet und ist auf ihren Pfaden selbständig weiter geschritten.
Ausgeschieden hat er Hoffmanns einleitende Charakteristik neuerer Sammlungen
und eine Reihe von Liedern, die heut nicht mehr als Volkslieder zu betrachten
sind, dafür aber so viele neue Lieder eingesetzt, dass ihre Zahl bis auf 1350 Nummern
(einige nachträgliche Einschaltungen ungerechnet) angewachsen ist. Eine praktische
Bücheranzeigen.
103
Neuerung ist ferner die Vereinigung der biographischen Nachrichten über Dichter
und Komponisten mit dem Namensverzeichnisse; das ehedem der Vorrede angehängte
chronologische Liederregister ist an den Schluss gestellt.
Leider wird unser Wohlgefallen an dem stattlichen und im ganzen recht zu-
verlässigen Werke, das weiteren Bestrebungen auf diesem Gebiete als willkommene
Grundlage dienen wird, einigermassen getrübt durch das Eingeständnis des Verf.s,
dass er nicht Musiker sei und daher die Melodiennachweise aus zweiter Hand
schöpfen müsse. So sind in der That manche Kompositionen übergangen, die
angeführt werden mussten; Georg Porsters Frische Liedlein sollen 1665 gedruckt
sein; Lindpaintner heisst konsequent Lindpaitner, Carl Loewe, der überhaupt sehr
stiefmütterlich behandelt wird, erscheint stets als Karl Löwe, Chr. Kalkbrenner
als Kaltbrenner, T. H. Bayly als Bagly u. s. w. — Manche Inkonsequenz zeigt
ferner die Datierung der Lieder. No. 751 'Jetzund kömpt die Nacht herbey',
eine Dichtung des 1639 verstorbenen Opitz, führt die Überschrift 'vor 1641^
während sie doch schon in Opitz' Teutscheri Poemata 1624, S. 9*2, gedruckt ist-
Über die Geschichte dieses Stückes vgl. Bolte, Zs. f. dtsch. Phil. 25, 34; Serapeum
1870, 154; Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied 2, 254 und Musica sacra
1896, No. 24; eine schwedische Übersetzung von Joh. Paulini bei Hanselli, Samlade
Vitterhetsarbeter 6, 259 (1863). No. 988 'Sassa geschmauset' soll seit 1557 (ver-
druckt 1757) existieren, weil damals Schildo den verbreiteten lateinischen Hexa-
meter 'Ede bibe lude, post mortem nulla voluptas' citiert. Das trochäisch gebaute
Lied 'Gestern Abend ging ich aus' (No. 493) soll aus dem 16. Jahrh. stammen,
weil Husemann 1575 eine gereimte lateinische Hasenklage aufgezeichnet (warum
wird da nicht lieber z. B. Hans Sachs, Fabeln und Schwänke ed. Goetze No. 165
genannt?); der gleichen Zeit soll die No. 412 'Es ritten drei Reiter zum Thore
hinaus' angehören, deren zweite Strophe damals in anderen Liedern vorkommt.
No. 436 'Es wollt ein Küferle wandern' erhält gar das Zeugnis 'seit dem 13. Jahr-
hundert'. In all diesen Fällen ist aber nicht scharf geschieden zwischen dem
Motiv und seiner vorliegenden Ausgestaltung; gelang es nicht, letztere zu datieren,
so musste eben das Datum in der Überschrift fortbleiben. Hingegen konnten
Uhlands Lieder leicht mit Hilfe der kritischen Ausgabe von Hartmann und E. Schmidt
noch genauer datiert werden. — Mehrfach hätten auch die litterarischen Hinweise
auf neuere, in Zeitschriften verstreute Liederforschungen reichlicher bemessen sein
dürfen; Böhmes Sammlungen, so wenig sie strengeren Ansprüchen genügen, sollten
z- B. bei No. 332, 817, 849 u. a. angeführt werden.
Ein paar anspruchslose Nachträge mögen folgen. No. 68 'An einem Iluss,
der rauschend schoss' steht dänisch bei J. Madsen, Folkeminder fra Hanved Sogn
ved Flensborg 1870, S. 133. — No. 317 'Ein Herz, das sich mit Sorgen quält'
vgl. Altpreuss. Monatschr. 31, 689 No. 98. — No. 332 'Ein niedliches Mädchen',
vgl. Köhler-Meier, Volkslieder von der Mosel JNo. 200. — No. 427 'Es war ein
Junges Mädchen', vgl. die Bearbeitungen von Weisse (Die Liebe auf dem Lande
1768) und Löwen (Romanzen der Deutschen 2, 178. 1778). — No. 441 'Es zogen
drei Bursche', vgl. meine Bemerkung über Uhlands Vorbild in Runzes Ausgabe
von Loewes Werken 10, VII (1901). — No. 590 'Ich bin der Doktor Eisenbart',
vgl- A. Kopp in der Zeitschrift für Kulturgeschichte 1900. — No. 840 'Mag auch
die Liebe weinen', vgl. Krummacher, Festbüchlein 1, 136 (2. Auflage 1810). —-
No. 1105 'Über die Beschwerden dieses Lebens', vgl Stieglitz in Steglitz (A. Kopp),
Die Friedenspfeife 1893, S. 41. — No. 1179 'Was brueht me i der Schwyz' geht
íiuf ein Lied des 17. Jahrh. zurück; vgl. Bolte, Der Bauer im deutschen Liede
'890, No. 7 (Acta germanica 1, 207).
104
Weinhold:
Die Frage, ob unter die Schar der von Prahl aufgenommenen, heute volks-
tümlichen Lieder nicht dies oder jenes fehlende Stück aufgenommen zu werden
verdiente, will ich nicht erörtern; hier wird der persönliche Geschmack meist
verschieden urteilen. Nur auf den Ursprung eines bekannten Liedes möchte ich
noch kurz hinweisen. Bei Ditfurth (Fränkische Volkslieder 2, 129 No. 173. 1855)
steht folgender in Bamberg aufgezeichneter Text:
Schwarzbraunes Mädchen, du hast ein schönen Kopf, juhe!
Der schöne Kopf ist deine,
Das Herzen dran ist meine,
Schwarzbraunes Mädchen, du hast ein schönen Kopf. (4 Str.)
Ahnlich im Leipziger Oommersbuch 1869, S. 174. Das Urbild dazu ist ein
Gedicht 'Susannchen' in der von Wilhelm Müller herausgegebenen ;Askania, Zeitschrift
für Leben, Litteratur und Kunst' 1, 469 (Dessau 1820), auf das ich durch eine in
Reinhold Köhlers Nachlass vorgefundene Notiz von K. Elze aus dem Jahre 1873
aufmerksam wurde. Der Verfasser, der sich hinter dem Initialen L. birgt, ist
vielleicht Otto Heinrich Graf von Löben, der an der Askania mitarbeitete:
1. Susannchen, Susannchen, 3. Susannchen, Susannchen,
Mit deinem Schwanenhals; Dein Aug' ist himmelblau;
Der Hals der ist zwar deine, Das Aug' das ist zwar deine,
Das Hälsen doch ist meine, Das Äugeln doch ist meine,
So hals' ich dich die ganze Zeit So äugeln wir die ganze Zeit
In lauter trauter Lieb' und Freud'. In lauter trauter Lieb' und Freud'.
2. Susannchen, Susannchen, 4. Susannchen, Susannchen,
Du bist mein liebes Herz; Im stillen kleinen Haus!
Das Herz das ist zwar deine, Das Haus das ist zwar deine,
Das Herzen doch ist meine, Das Hausen drin ist meine,
So herz' ich dich die ganze Zeit So hausen wir die ganze Zeit
In lauter trauter Lieb' und Freud'. In lauter trauter Lieb' und Freud'. L.
Berlin. Johannes Bolte.
Heimatklänge aus deutscheil Gauen. Ausgewählt von Oskar Dähnhardt.
I. Aus Marsch und Heide. Mit Buchschmuck von Robert Engels-
Leipzig, B. Gr. Teubner, 1901. S. XIX. 170. 8°.
Dr. 0. Dähnhardt, Gymnasiallehrer in Leipzig, ist uns schon durch die zwei
Bändchen Volkstümliches aus dem Königreich Sachsen (1898) und seine Natur-
geschichtlichen Volksmärchen (1898) als eifriger Freund der Volksüberlieferungen
und für seinen Beruf begeisterter Lehrer bekannt. Derselbe Zug geht auch durch
das neue Buch, eine fein ausgewählte Chrestomathie plattdeutscher Dichtungen in
Reim und schlichter Rede, in denen sich das innere Leben, das Denken und
Fühlen der niedersächsischen Stämme trefflich ausspricht. Es liegt dem Heraus-
geber am Herzen, ein Buch für die Jugend und ihre Lehrer herzustellen, ein Stück
Volkskunde, die der kleinere Schüler mit Freuden ins Herz schliesst und aus der
der grössere sein Vaterland verstehen lernt. In der richtigen Hand wird das Buch
segensreich auf die jungen Seelen wirken; aber auch ältere werden gern und mit
Gewinn diesen Heimatklängen lauschen, die in wohlgestimmtem volltönigem Geläut
aus Marsch und Heide uns erfreuen und erheben.
In zwei weiteren Bändchen werden die mittel- und oberdeutschen Gaue vor
uns vorüberziehen. K. Weinhold.
Bücheranzeigen.
105
jV. r. lio a íxov: IIagoijuíai. Tójuog A' xaìB'. (Bißfao&rjxrj MaoaoXrj, âgtfl/i.
08—71; 110 — 113.) 'Er :'A&ijvaiç, ximoig JZaxeLlagiov 1899. 1900.
LXXYITI und 600 S. 699 S. gr. 8o.
Unter dem bescheidenen Titel „Sprichwörter" verbirgt sich hier ein Werk, das
in der europüischen'Sprichwörterforschung eine Epoche bilden wird, sowohl durch
seinen Umfang wie durch seinen Inhalt. Es will zwar nur eine möglichst voll-
ständige Sammlung neugriechischer Sprichwörter sein, indessen schon die eine
Thatsache, dass die ersten beiden vorliegenden Bände nur den Buchstaben A, d. h.
die Sprichwörter enthalten, deren Hauptstichwort mit A beginnt, zeigt nicht
nur, dass wir es hier mit einem gross angelegten Sprichwörterlexikon zu thun
haben, sondern auch, dass dabei noch etwas Anderes im Spiele sein muss; denn
selbst der grosse Reichtum der heutigen Griechen an den Erzeugnissen der Spruch-
weisheit würde nicht hinreichen, um etwa zehn starke Bände zu füllen — denn
auf so viel dürfte das Werk voraussichtlich anwachsen. Aber es entspricht auch
gar nicht einem bloss registrierenden Wörterbuch; eher liesse es sich als ein ver-
gleichendes Wörterbuch der neugriechischen Sprichwörter bezeichnen,
indem nach dem Muster der sprachvergleichenden Methode zu jedem neugriechischen
Sprichwort alle seine europäischen, zum Teil auch aussereuropäischen Verwandten,
und zwar in der Ursprache nebst griech. Übersetzung, aufgeführt werden, wie
auch die griechischen dialektischen Varianten eines jeden. Diese gewaltige Arbeit
konnte dem Verf. nur möglich sein bei einer vollständigen Beherrschung der ge-
samten Sprichwörterlitteratur. Er hat in der Einleitung des 1. Bandes selbst
Rechenschaft über seine Quellen abgelegt, und wir entnehmen daraus, dass er von
fremden Sammlungen benutzt hat: 2 polyglotte, 14 italienische, 14 französische,
4 spanische, 3 rumänische, 4 keltische, 7 albanesische, 1 holländische, 6 deutsche,
1 bulgarische, 1 serbische, 2 russische, je 1 litauische und armenische, 5 asiatische,
3 arabische, 7 türkische und je 1 hebräische, lappische und japanische. Dazu ist
in den zahlreichen, oft ganze Abhandlungen bildenden Erläuterungen zu einzelnen
Fragen (vgl. z. B. I, 436 ff. über „Brot und Salz essen"; 562 ff. „Wer andern eine
Grube gräbt u. s. w."; II, 604ff. über das goldne Ei; 643ff. über das Ohrensummen;
226ff. über die Zwölfzahl des Gefolges; 62Iff. über den Einfluss bestimmter Monate
auf das Weiter u. s. w.) fast die ganze folkloristische Litteratur herangezogen worden,
so dass man ein Werk deutschen Gelehrtenfleisses vor sich zu haben glaubt,
jedenfalls ein solches, auf das die junge griechische Wissenschaft mit Stolz
blicken kann.
Denn dass in erster Linie die griechische Lokallitteratur nach gedruckten und
ungedruckten Quellen in reichlichstem Masse ausgebeutet ist, braucht kaum bemerkt
zu werden. Allein 139 gedruckte Sammlungen standen dem Verf. zu Gebote,
wozu noch zahlreiche handschriftliche aus den verschiedensten Gegenden griechi-
scher Zunge kommen, die sich auf etwa 18 000 Nummern belaufen, so dass das
ganze Werk etwa 25 000 Sprichwörter enthalten wird. Um einen Begriff zu geben
von der Fülle des Stoffes, der hier aufgehäuft ist, führe ich einige der häufigsten
Stichworte an, nach denen das Ganze angeordnet ist. Unter „Liebe", „lieben"
(a'7«zrv], ¿Lyunûl) sind 70 Nummern vereinigt (nur die griechischen Sprichwörter
werden gezählt); unter „kaufen" (otyopa'Çi«) 26, unter Schwester und Bruder
{¿ïïepc})oç -y¡) 43, unter „Luft" (dépôt,;) 25, unter „Blut" (cu/m) 25, unter „träge",
^Trägheit" 44, urfter „hören" (cocouai) 73, unter „Fuchs" (ui.sno-j) 50; „Wahrheit"
umfasst 59 Nummern; „Mann" (¿ívopag) 81; „Mensch" 72; „Der Adlige" (apy^ovrag)
48; „Geld" (áVn-pa) 40; „Ei" («/¿70) 97; „Ohr" (com) 49 Nummern. Dabei ist
t
106 Dieterich:
allerdings zu bedenken, dass viele davon nur Varianten sind, deren jeder eine
eigene Nummer angewiesen ist. Das ist aber ein offenbarer Mangel der Anlage
und zugleich ein Grund für die Breite des Ganzen. Wären alle diese unter einer
Grundform zusammengezogen, so wäre nicht nur viel Raum gespart worden, sondern
auch die Übersichtlichkeit hätte dadurch gewonnen, zumal jetzt die zusammengehörigen
Stücke oft an ganz verschiedene Stellen eines Stichwortes zerstreut sind und nur
durch ein etwas unpraktisches System von Verweisungen zusammengehalten werden.
In dieser Beziehung hätte das Material einer stärkeren „Durchknetung" bedurft,
Jedenfalls wird das Werk, wenn es sich auch etwas in die Länge ziehen wird
— zeitlich und räumlich —, eine unschätzbare Leistung darstellen und für die
vergleichende Volkskunde eine unerschöpfliche Fundgrube bilden eben durch
die Heranziehung des gesamten nichtgriechischen Sprich Wörtermaterials. Man darf
daher gespannt sein auf die Ergebnisse, die der Herausgeber im letzten Bande
zusammenzufassen gedenkt. Da jedoch darüber noch Jahre hingehen werden, die
beiden vorliegenden Bände aber schon genug Stoff in sich bergen, um einen vor-
läufigen Einblick in die Verteilung desselben zu erlauben, konnte es sich Ref. nicht
versagen, dem Herrn Herausgeber vorzugreifen und die zwei Bände daraufhin
durchzuarbeiten, wieviel und welche Sprichwörter darin allgemein europäisch, welche
nur osteuropäisch, bezw. „balkaniseh", und welche ausschliesslich griechisch sind.
Die erste Gruppe, welche die meisten Sprichwörter umfasst, interessiert uns
am wenigsten. Es sind meist alte Bekannte mit wenig veränderten Zügen. Um
so anziehender ist die zwar nur kleine zweite, osteuropäische, bezw. Balkangruppe,
denn ich zählte von ihr nur etwa 134 Nummern unter 35 Stichworten. Da die
meisten davon für osteuropäische Auffassung bezeichnend sind, führe ich einige
daraus an, wobei ich mich auf die in mehr als zwei Sprachen verbreiteten be-
schränke: „Die ungeladene Pistole erschreckt zwei" (ufeiavoç 4: griech., serb., russ.).
„Ich sprach und ich hörte" (axom« 35: griech., rum., türk.). — ,¥o man von
viel Kirschen (Trauben, Birnen) spricht, nimm ein kleines Körbchen mit (axev'uu
47—55: griech., alban., serb., rum.); entspricht dem Sinne nach unserm: „Viel
Geschrei und wenig Wolle". — 55"Wir haben Salz und Brot gegessen" (aXac 7:
griech., alban., türk., arab., russ.). Dazu giebt Politis eine lehrreiche Studie über
die Sitte. — „Klopfe nicht an andrer Thüre, dass man nicht an deine klopfe"
(alloc 156: griech., türk., russ.). — „Wer um andre Thränen vergiesst, dem ver-
siegen seine Augen" (a/.Xo? 166: griech., rum., türk., doch auch deutsch). — „Hier
reibst du mich und dort juckt es mich" (ci.lXov 22 und 50: griech., alban., rum.).
—- „Der Mensch ist stärker als Eisen und schwächer als Glas" («Vi}puu77oç 45);
türk. „ . . . schwächer als eine Rose"; russ. „Der Mensch ist stärker als Stein und
schwächer als Wasser". — „An der Unvermählten Thüre stehen hundert, und
einer ist der Esel" (d. h. der sie bekommt): griech., rum., russ. (¿vvnizvopoz 5, 6).
— Ein echt osteuropäisches Sprichwort — wenigstens der Form nach — ist aVrrp«,
31, 37, 39: (Spare) weisses Geld für schwarze Tage (griech., alban., serb.,
bulg., rum., türk., russ. und venetianisch; in letzteres offenbar erst eingeführt). —
„Weiss ist auch der Schnee, doch — ihn die Hunde" (cúmpoc, 11—13: griech.,
alban., rum.: von schönen, aber verdorbenen Menschen). — »Der scharfe Essig
schadet seinem Gefäss" (d-^vg: griech., alban., serb., türk., armen.).
Wenn ich nur die in wenigstens drei Sprachen verbreiteten Sprichwörter
herausgehoben habe, so geschah dies vor allem darum, weil es mir zweifelhaft
erscheint, dass so viele sich nur in zwei Sprachen finden sollen, zumal, wie
meistens, in so weit auseinander gelegenen wie das Griechische und Rumänische
oder das Griechische und Russische. Hier fehlen — davon bin ich fest überzeugt
Bücheranzeigeu.
107
— die verbindenden Mittelglieder des Südslavischen. Gerade die Südslaven haben
doch im Mittelalter die byzantinische Kultur und damit auch die Volkslitteratur
aus erster Eland erhalten, und erst durch sie kam sie zu den Russen und Rumänen.
Dass diese offenbare Lückenhaftigkeit aber nicht auf mangelnder Überlieferung,
sondern auf unzulänglicher Ausschöpfung der Quellen beruht, zeigt ein Blick auf
das Verzeichnis dieser; denn es geht daraus hervor, dass Politis gerade für das
Südslavische und auch für das Albanesische einige wichtige Quellen leider un-
bekannt geblieben sind, auf die schon G. Meyer, Byzant. Zeitschr. III, 398 f. hin-
gewiesen hat, z. B. für das Südslavische Kreks Einleitung in die slavische Litteratur-
geschichte2 788 ff., sowie die Sammlung in dem Sbornik des Bulgar. Unterrichts-
ministeriums I, 218f., III, 246 ff., 1Y, 194ff., V, 203—206, YI, 181 ff, VIII, 231 ff.,
IX, 187ff. Für das Albanesische vermisst man die allerdings sehr schwer zu er-
langende 'AXßavixvj Mshcrtra von Mitkos, sowie die eine Anzahl Sprichwörter ent-
haltenden Grammatiken von Rossi (Rom 1866) und Jarnik (Leipzig 1881)
Durch die Benutzung dieser Quellen würden sicher wesentliche Züge für das Bild
des osteuropäischen Sprichworts gewonnen werden.
Durch Politis' Sammlung werden wir nun auch in den Stand gesetzt, die
dritte Gruppe der spec, griechischen Sprichwörter festzustellen, was für die Er-
kenntnis des griechischen Volkscharakters natürlich höchst wichtig ist. Die Zahl
derselben ist ziemlich gross und beweist, dass die Griechen einen wertvollen Schatz
von Spruchweisheit ihr eigen nennen können. Einige charakteristische und zugleich
häufige Proben davon seien noch herausgegriffen: „Wen du liebst, den schimpf
auch mal, und wen du hassest, griisse" (dyctniv 64). — „Ein müssiger Mönch ging
auf die Fliegenjagd" (àhiavoç 3—10). — „Die Schwester schätzt den Bruder gleich
einem goldnen Kreuz, und der Bruder die Schwester gleich einem Sack voll Stroh"
(<x¿V)aJr/f 2). — Giebt es Galle unter Gatten, giebt es Kämpfe unter Brüdern?
(dò'shpor 11). — Ebenso bezeichnend als häufig ist: „In einem Land, das nicht viel
abwirft, lass dich ja nicht lange nieder" (àfìicufìópsTog). — „Ich hörte es und der
Schweiss brach mir aus, ich sah es, da trat er wieder zurück" (àxovuj 2, 3, 19). —
„Der Geizhals glaubt, er gewinnt und merkt nicht, wie er verliert" (dxpißcg 5—7).
— „Des Geizigen Habe kommt in Verschwenders Hände" (ebenda 27—32). —
„Kommt nur in die Mühle, Hunde, braucht kein Mahlgeld zu bezahlen" (¿Xsdvj
4—11: von Leuten, die ihr Eigentum den Zerstörern preisgeben; die Hunde fressen
gern den Müllern das Mehl auf). — "Weit verbreitet ist auch: „Der Fuchs hatte
Arbeitsleute gemietet und ging dann auf den Heuschreckenfang" (akznov 11—13:
von Leuten, die ihre Arbeit Fremden überlassen und ihrem Vergnügen nachgehen).
— „Was hat der Fuchs im Bazar zu suchen?" (ebenda 44—47). — „Wahrheit
ohne Lügen ist wie Speise ohne Salz" (aXv/ih;« 2, 7, 8 u. s. w.). — „Sprich die
Wahrheit und du hast Gott zum Helfer" (ebenda 46). — „Manolis war ein andrer
worden, d.h. er trug die Kleider anders" (aM.ot£(w 2—4). — „Hier ist der Mönch
und dort seine Kutte" (àlloìi 12, 15, 18, 29, 32—34). — „Kauf dir im Mai kein
Pferd und nimm zu Ostern keine Frau" 1, 3, 4, 20: weil nämlich im Mai
die Pferde am besten gefüttert und zu Ostern die Mädchen am meisten geputzt
sind). — „Des Bauers Arbeit zeigt sich erst auf der Tenne" (àhiïvi 5, 6). — „In
der Sünder Lande ist der Ungerechte Richter" (djuapTaiXog 7, 8). — „Der Weinstock
braucht einen Weinbauer und das Schiff Matrosen" (v-fx-nzhi 15—19). — „Entweder
sollst du sterben, Mann, oder ich will Witwe werden" (cmtyaç 2a, 40a, 45: charak-
terisiert mit falscher Antithese solche, die anscheinend den Ansprüchen andrer
nachgeben, in Wahrheit aber alles für sich beanspruchen). — «Dir ward ein böses
Schicksal, Mann; alle sind ertrunken und du bist entkommen" (ebenda 50, 59, 60;
108
Bartels: Büchel/anzeigen.
entspricht etwa dem deutschen: Unkraut vergeht nicht). — „Das Land hilft dir,
dass du so tapfer scheinst" (dvèpsiwusvoq 1—5: von solchen, die einen Zweck er-
reichen, weil ihnen die Umstände günstig sind). — „Gott macht wohl Verwaiste,
doch er macht auch ihr Geschick" (dpcpavog 17—20). — „Gott behüte dich vor
einem neugebackenen Reichen und vor einem stolzen Armen" (ap^oi/ra; 3, 33, 37,
44). — „Es fielen die Sterne herab und es frassen sie die Schweine" (a<rrpo 5, 6,
8, 11: von Vornehmen, die ins Unglück geraten sind und deren Reichtum in ge-
meine Hände fällt). — „Er hat Eier und Körbe verloren" (avyti 39, 47, 65: von
einem grossen, unerwarteten Verlust). —- „Eier sind nicht zum Einsalzen, sondern
zum Sieden" (ebenda 31, 44a, 82, 82a): so sagt der liebenswürdige Gastfreund,
wenn er sieht, dass die Gäste allzu ängstlich im Zugreifen sind). — Doch damit
muss es genug sein. Auf viele andere anziehende Probleme, zu deren Lösung
Politis' Werk erheblich beitragen wird, als z. B. ist der Ursprung der Sprichwörter,
ob sie auf altgriechische, auf Fabeln, Märchen oder auf die Bibel zurückgehen
(letzterer scheinen besonders viele zu sein), wie ihre geographische Verbreitung
sich verhält zu dem Vorkommen in fremden Sprachen (die nur in einzelnen
Gegenden vorkommenden scheinen am wenigsten aussergriechische Reflexe zu
haben), alles dies wird uns der Herr Verfasser am besten selbst sagen können,
wenn er die Summe aus seinem Werke ziehen wird. Möge es ihm vergönnt sein,
dass es recht bald geschehe! Der Dank aller Freunde der Volkskunde ist ihm
schon jetzt sicher. Denn sein Werk ist von internationaler Bedeutung und ver-
dient internationale Verbreitung. Der billige Preis (6 Frc. der Band) wird auch
dazu beitragen.
München. Karl Dieterich.
W ie das V olk denkt. Allerlei Anschauungen über Gesundheit und Krank-
sein. Vom Standpunkte des Arztes beleuchtet von Dr. med. Robert
Rumpe. Braunschweig (Friedrich Vieweg & Sohn) 1900. VIII und
131 S. kl. 8°.
Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, die Ansichten und Meinungen des
Volkes — und nicht immer nur der untersten Schichten desselben — über die
Krankheiten und über die Gesundheitspflege, wie sie dem praktischen Arzte so
häufig entgegentreten, nach dem heutigen Standpunkte der medizinischen Wissen-
schaft daraufhin zu prüfen, ob sie auf einem berechtigten Untergrunde ruhen, oder
ob sie unberechtigt und vielleicht sogar auch schädlich sind. Um seinen reich-
haltigen Gegenstand in übersichtlicher Weise anzuordnen, spricht er die haupt-
sächlichsten Abschnitte der menschlichen Entwickelung und des menschlichen
Lebens der Reihe nach durch: die ersten Lebenstage, die Zahnung, die Pubertät,
die Ehe, das Wochenbett, das Säugen, das Altern und das Sterben, und fügt darauf
noch eine Besprechung der im Volke bekanntesten Krankheiten an. Er ist be-
müht, dasjenige, was bei diesen Dingen im Körper vorgeht, in populärer Dar-
stellung einem weiten Leserkreise begreiflich zu machen. Dann nimmt er bei
jedem einzelnen Abschnitt die kritische Beleuchtung der hierher gehörigen An-
schauungen der Volksmedizin und der Volksgesundheitslehre durch. Wer sich
also von den Volkskundeforschern für diese letzteren interessiert, der findet sie in
diesem Buche in systematischer Beziehung zusammengestellt.
Ref. möchte hier aber darauf aufmerksam machen, dass alles, was in das
Bereich der Volksmedizin im weiteren Sinne hineingehört, nicht ohne weiteres
als ein unmittelbarer und ursprünglicher Ausdruck der Regungen und Äusserungen
Roediger: Protokolle.
der Volksseele angesprochen werden darf. Nicht wenige von diesen Dingen,
welche heutigen Tages das Volk auf diesem Gebiete glaubt, sind früher, vor längst
vergangenen Zeiten, auch die Meinung der wissenschaftlichen und gelehrten Ärzte
gewesen. So ist es also oft veraltete Magistralmedizin, welche im Volke noch
unerschüttert ihr Dasein fristet. Lange mag es seiner Zeit gedauert haben, bis
diese Lehren so tief in das Volk eingedrungen waren, dass sie ihm allmählich in
Fleisch und Blut übergegangen sind. War aber dieser Zustand einmal erreicht,
dann vermochten auch die Jahrhunderte nicht diese Ansichten wieder dem Volke
zu rauben, obgleich die gelehrten Mediziner sie längst schon verlassen und ver-
worfen hatten. Aus den untersten Schichten des Volkes drangen sie dann schritt-
weise auch in die gebildeten Kreise hinein, auf dem für derartige Dinge gewöhn-
lichen Wege, d. h. durch die Wochen- und Kinderstuben. Nun haften sie natürlich
auch hier; denn selten wohl wird es einem Arzte gelingen eine Neuerung in dem
Krankenzimmer durchzuführen, wenn eine erfahrene weibliche Verwandte oder
Vertrauensperson eine gegenteilige Meinung vertreten sollte.
Der Verfasser bringt für das soeben Erörterte, wahrscheinlich unbeabsichtigt,
einige treffende Belege, indem er zeigt, dass die gleiche Anschauung, wie das
Volk sie verteidigt, auch schon der alte Hippokrates gehabt habe. Nun ist es
aber keineswegs notwendig, anzunehmen, dass in dem Volke noch aus vorchrist-
licher Zeit diese Anschauungen haften geblieben sind, denn wir dürfen nicht ver-
gessen, dass die Lehren des Hippokrates noch bis in das 17. Jahrhundert hinein
die wissenschaftliche Medizin sämtlicher Kulturvölker Europas beherrschten. Also
nur vor wenigen Jahrhunderten brauchen derartige Meinungen in unserem Volke
sich festgesetzt zu haben, und das ist ja in der Volkskunde keine ungewöhnliche
Erscheinung. Die von dem Verf. getroffene Anordnung, alle die volkstümlichen
Ansichten, welche er bespricht, durch gesperrten Druck besonders augenfällig zu
machen, wird dem Volkskundeforscher, der das Buch zu benutzen gedenkt, die
Übersicht wesentlich erleichtern. Max Bartels.
Aus den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 23. November 1900. Herr Geheimrat Dr. Max Bartels sprach
über den Schmied und erläuterte seinen Vortrag durch mehr als 50 Projektions-
bilder. Er ging diesem Künstler und Handwerker durch alle Zeiten und Länder
nach, behandelte seine Geräte, ihre Ausbildung und Anwendung, sowie seine
Leistungen nach allen Seiten, wobei auch der Kurschmiede und berühmter Schmiede
aus Sage und Legende gedacht und des heiligen Eligius, des Schutzpatrons der
Schmiede, nicht vergessen wurde. Dem überaus inhaltreichen Vortrag im einzelnen
hier zu folgen, ist ausgeschlossen.
Freitag, den 28. Dezember 1900. Herr Geheimrat Weinhold legte das
Schweizer Trachtenwerk vor, von dem Z. VIII, 358 gehandelt ist, ausserdem
Abgüsse von eisernen Formen, in denen zu Neujahr und Fasnacht, auch für Kranke
und Wöchnerinnen Eiserkuchen gebacken wurden. Sie sind zum Teil mit Orna-
menten versehen, die der Kunstfertigkeit der die Formen liefernden Dorfschmiede
110
Roediger:
ein günstiges Zeugnis ausstellen. Die Formen stammten sämtlich aus dem An-
haltischen und gehörten in die Jahre 1571—1863. — Sodann berichtete Herr Ober-
lehrer Richard Wossidlo aus Waren über seine Sammelfahrten, deren Er-
gebnisse zum Teil in den beiden Bänden der Mecklenburgischen Volksüberliefe-
rungen niedergelegt sind, deren oben S. 104 f. und im 7. Bande unsrer Zeitschrift
S. 213 f. rühmend gedacht ist. Angeregt zu seinen Bestrebungen wurde er durch
den um die niederdeutsche Sprach- und Geschichtsforschung hochverdienten. 1893
verstorbenen Gymnasialdirektor Karl Ernst Herrn. Krause in Rostock noch auf
dem Gymnasium. Dem Studenten spendete ein alter Lehrer in der Rostocker
Heide die ersten Beiträge; ein Rademacher erzählte ihm tagelang und Mitglieder
der Familie desselben ergänzten diese Mitteilungen. Bei dem von nun an eifriger
betriebenen Sammeln unterstützte ihn Max Dreyer, der Verfasser des Probekandi-
daten, und als der Vortragende nach Wismar und Waren übersiedelte, begannen
seine systematischen Sammelfahrten, mit denen ihn später der Verein für mecklen-
burgische Geschichte und Altertumskunde beauftragte und wofür die mecklen-
burgischen Regierungen und Landstände als erste in Deutschland Mittel anwiesen.
Herr Wossidlo ging nun näher auf die Technik seines Verfahrens ein. Er rühmte
die selbstlose Unterstützung seiner Arbeiten nicht nur durch viele Lehrer, sondern
auch durch einfache Leute, einen Büdnersohn in der Hagenower Heide, eine
Fischerfrau u. s. wt. Es ist nicht leicht, den Leuten das Gewollte begreiflich zu
machen und sie zum Reden zu bringen. Mit Segen u. dgl. halten sie oft zurück,
aus Furcht vor dem Pastor, denken auch mitunter, dass der Sammler mit der
Steuerbehörde in Verbindung stehe. Für einen Klennermaker (Kalendermacher)
sieht man ihn an, einen Dichter, weil er updikteert (nach Diktat aufschreibt), für
einen Naturforscher, und nicht selten wird er bedauert und ihm geraten, sein Ge-
schäft, das keinen Tagelohn bringt, an den Nagel zu hängen, oder man hält ihn
gar für verrückt. Im allgemeinen ist das Volk aber offen und zutraulich, nur
muss der Frager die Mundart beherrschen. Altes Sprachgut hat sich am besten
im Südwesten Schwerins gehalten. Schwer zu sammeln sind Reime. Einzelne
Personen offenbarten eine erstaunliche Gedächtniskraft und nicht selten kommt
über die Zuhörer der Erzählungen eine weihevolle Stimmung. — Am Schluss der
Sitzung wurde der Vorstand durch Zuruf wiedergewählt.
Am 26. Januar 1901 beging der Verein die Feier seines zehnjährigen Be-
stehens. Um ihre Einrichtung hat sich Herr Fabrikant Sökeland in unver-
drossener Arbeit die grössten Verdienste erworben und gütige Spender nahmen
der Kasse die Kosten ab. Zu allgemeiner Betrübnis war es dem verehrten Vor-
sitzenden, Herrn Geheimrat Weinhold, der den Verein von Anbeginn geleitet
und liebevoll gehegt hat, um einer Erkrankung willen nicht möglich, dem Fest-
abend vorzustehen, und der anwesende zweite Vorsitzende, Herr Geheimrat V ircho w,
übertrug dies Geschäft dem ersten Schriftführer Prof. Dr. Roediger. Er verlas
folgenden Bericht:
Bericht über den Verein für Volkskunde.
1891—1900.
Yon Karl Weinhold.
Am 23. Januar 1891 versammelte sich in der Aula des K. Wilhelmsgymnasium
zu Berlin eine stattliche Anzahl älterer und jüngerer Männer, auch an Frauen
fehlte es nicht; es war die erste Sitzung des Vereins für Volkskunde, der damit
in die Öffentlichkeit trat. Im Sommer 1890 waren rege Verhandlungen zwischen
Protokolle.
Ill
Mitgliedern des Vereins für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, den
Leitern der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft und anderen
Freunden der Volkskunde über die Bildung des neuen Vereins gepflogen worden;
die ursprüngliche Absicht, nur eine neue Abteilung des anthropologischen aufzu-
thun, war an Statutenbestimmungen gescheitert, und so hatte sich im November 1890
in einer grösseren Versammlung der Verein für Volkskunde unter diesem Namen
gebildet, die Satzungen waren entworfen und die Herausgabe einer Vereinszeitschrift
an Stelle der Lazarus-Steinthalschen Zeitschrift, welche die Herausgeber und die Ver-
leger aufgaben, beschlossen worden. Die Bestätigung und Bestallung sollte nun die
erste ordnungsmässige Sitzung bringen. In derselben entwarf zuerst Prof. K. Wein-
hold die Aufgaben der Volkskunde und bezeichnete die Ziele des Vereins. Geh.
Rat Dr. A. Meitzen sprach über Land und Leute der Saalegegenden, in denen er
die älteste feste Heimat der in Europa einwandernden Germanen erblickte. Gymnasial-
lehrer Dr. Ulrich Jahn stellte sodann sechs Personen in echter Vierländer Tracht
vor, deren Schmuck und Stickereien er eingehend beschrieb. Stadtrath Priedel
legte endlich die Nachbildung einer schwedischen Stickerei aus, die ein Maifest
darstellt. Hierauf wurden der Vorstand und der Ausschuss durch Stimmzettel
gewählt und der Verein war nun mit 143 Mitgliedern ins Leben getreten. Den
Vorstand bildeten die Herren Weinhold, Virchow, U. Jahn, Minden, Alexander
Meyer Cohn, \V. Schwartz und A. Meitzen. Zum Obmann des Ausschusses wurde
Herr E. Priedel gewählt. An die Stelle von U. Jahn ist dann als erster Schrift-
führer zuerst Herr Alexander Brückner, dann Herr Max Roediger eingetreten. Die
übrigen genannten haben durch Wiederwahl ihre Stellen noch inne, mit Ausnahme
des I¡s99 von uns durch den Tod geschiedenen Herrn Wilh. Schwartz, als dessen
Nachfolger Herr Sökeland eintrat.
Der Grundriss der ersten Sitzung ist für alle übrigen beibehalten worden.
Zwar war es nicht möglich, sie an Vorlagen und Vorführungen anschaulicher
Gegenstände so reich auszustatten als die erste, zumal unser Verein grundsätzlich,
mit Rücksicht auch auf das Museum deutscher Volkstrachten und Hausgeräte, auf
eigene Sammlungen verzichtet hatte. Aber wenn auch zeitweise es nach dieser
Seite spärlicher zuging als der Vorstand wünschte, ganz unterbrochen wurden
diese Aus- und Vorstellungen nicht und seit einiger Zeit suchen wir jedesmal
etwas Interessantes in Bild oder Sachen auszulegen.
Den Schwerpunkt gründen wir freilich in die Vorträge, die in grosser Fülle
die verschiedensten Punkte des weiten Gebietes der Volkskunde berührten und
^ erhandelten, und an die sich, wenn die knappe Zeit es zuliess, mehr oder minder
¡ordernde Unterredungen angeschlossen haben. Danken müssen wir allen, welche
diese Vorträge übernommen haben, denn gerade in Berlin, wo an jeden einzelnen
die vielseitigsten Ansprüche sich andrängen und wo nicht immer in den Hunderten
von Vereinen auf eine lohnend zahlreiche Zuhörerschaft gerechnet werden darf
wegen der Konkurrenz der Sitzungen, Beratungen, Gesellschaften, bringen die
^ ortragenden ganz andre Opfer als in kleineren Orten. Trotzdem haben sich 45
'»ereit gefunden, grössere Mitteilungen zu geben, darunter nicht wenige zu mehreren,
ja bis zu zwölf Malen. Ihnen allen sei gedankt!
AVenn die Vorträge nur den Berliner Mitgliedern des Vereins zu gute kommen
können, bietet die Zeitschrift des Vereins, im Auftrage herausgegeben von
Karl Weinhold, die Mittel auch den Auswärtigen die Arbeiten im Dienste unsrer
Sache zur Kenntnis zu bringen; ja um ganz Deutschland, sowie alles Ausland
über das, was wir bringen und leisten, zu unterrichten. Durch unsre Zeitschrift
sind wir für Deutschland in den Wettstreit mit England, Skandinavien, Niederland,
112
ßoediger:
Nordamerika, Prankreich, Italien und den slavischen Ländern in Bezug auf den
Ausbau der Volkskunde, des Folklore, der Traditions populaires eingetreten. Die
Zahl unsrer Mitarbeiter an den abgeschlossenen zehn Bänden beläuft sich auf 199.
die verstreut sind von Island bis Neapel, von Nordamerika bis Bulgarien.
Der Kern freilich ist und bleibt Deutschland. Die deutsche Volkskunde vor
allem zu fördern, haben wir von Anfang uns vorgesetzt, die deutsche im vollsten
Arndtschen Umfang dieses Wortes, und so freuen wir uns sehr, dass die Deutschen
in Österreich ganz besonders treue Mitarbeiter an unsrer Zeitschrift geworden sind.
Die Gründung unsers Vereins hat in den einzelnen Ländern des Reichs Nach-
folge gefunden, und darüber hinaus entstanden in Wien für ganz Österreich, in
Zürich für die ganze dreisprachige Schweiz Gesellschaften für Volkskunde mit
litterarischen Organen. In Breslau, Dresden, Prag und Eger, in Würzburg, in
Giessen haben sich Vereine gebildet, teils für ganze deutsche Staaten, wie die
Königreiche Bayern und Sachsen, für Deutsch - Böhmen, teils für einzelne alte
Länder, wie Schlesien, das Egerland, für Oberhessen, die rüstig sammeln und in
kleineren Zeitheften wie zusammenfassend in Büchern ihr fruchtreiches Leben er-
freulich bethätigen. Anderwärts thaten sich ohne Vereinsbildung Freunde des
Volkslebens und seiner Geschichte zusammen, wie in Freiburg im Breisgau, die
durch Umfragen, mündlich und schriftlich gethan, bienengleich den Stoff' zusammen-
trugen. und den verarbeiteten in stattlichen Büchern ausgestellt haben. So besitzen
wir die Braunschweiger Volkskunde von Richard Andree (1896), die Sächsische
Volkskunde von Robert Wruttke (1900* 2. A. 1901), das Badische Volksleben im
1 !>. Jahrhundert von Elard Hugo Meyer (1900). Grossartig angelegt ist die Sammlung
der Mecklenburgischen Volksüberlieferungen, die im Auftrage des Mecklenburgischen
Geschichts- und Altertumsvereins und mit Unterstützung der Mecklenburgischen
Regierungen und Stände Richard Wossidlo mit wunderbarem Erfolge ausführt.
Und als eine Anleitung und eine unterrichtende Übersicht über den ganzen weiten
Volksplan dient das gute Werk: Deutsche Volkskunde (1898) von E. Hugo Meyer.
Es wird nicht anmasslich erscheinen, wenn wir dieses fast plötzliche Auf-
flammen der lange schon glimmenden Feuerbrände dem frischen Hauche zuteilen,
der von der Gründung unsers Berliner, für ganz Deutschland bestimmten Vereins
für Volkskunde ausgegangen ist. Schon die Chronologie der Vereinsstiftungen
bezeugt es. Und schon darum dürfen wir von der Gründung unsers Vereins als
einer bedeutenden, für die wissenschaftliche Volksforschung folgenreichen That
reden, deren heute in festlicher Versammlung zu gedenken wir das Recht erworben
haben. Wir wissen sehr wohl, dass alles menschliches Thun ein Stückwerk bleibt,
wir kennen die Hemmungen unsers guten Willen, wir müssen uns in vielem be-
scheiden; aber wir wollen auch die Zuversicht nicht sinken lassen, dass der Verein
für Volkskunde in Berlin in seiner zweiten Dekade nicht bloss seinen guten Namen
behaupten, sondern lebenskräftig aufstreben werde, als ein thätiges nützliches Wesen
zur Erkenntnis des deutschen Volkes, eine Verbindung deutscher Männer und
Frauen zu Ehren des grossen Vaterlandes!
Darauf hielt Herr Prof. Dr. Heusler einen Vortrag über altnordische
Rätsel, den unsre Leser umgestaltet im nächsten Hefte der Zeitschrift finden
werden. Sodann führten Damen und Herren aus Malchin, denen wir ebenso
wie ihrem Führer, Herrn Oberlehrer Richard Wossidlo für ihre uneigennützige,
gütige Hilfe zu herzlichstem Danke verpflichtet sind, eine von Herrn Wossidlo
zusammengestellte Scene „Winterabend in einem mecklenburgischen Bauernhause"
auf, die Herr Sökeland, von dem auch der folgende Bericht über diese Aufführung
herrührt, durch erläuternde Worte einleitete. Das Lebensbild sollte zeigen, wie
Protokolle.
113
zu früheren Zeiten in einem wohlhabenden Bauernhause wohl der Abend verbracht
wurde. Um die Darstellung- in jeder Hinsicht stilgerecht zu machen, hatte das
Museum für die deutschen Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes die
Bühne aus seinen Beständen mit schönen alten geschnitzten Stühlen, einem Tisch,
wertvollem Ess- und Trinkgeschirr, einer Kredenz u. s. w. ausgestattet; auch die
alten Trachten waren zum Teil seinen Beständen entnommen, zum anderen Teile
stellte sie Herr Rohde in Rehna zur Verfügung. — Wir sehen die alte Bauern-
stube, inmitten derselben den grossen Tisch; um ihn sitzt der Bauer mit Familie
und Gesinde beim Abendessen. Der lmbiss ist beendet, es wird abgeräumt, und
nun gruppieren sich sämtliche Insassen des Hauses, im ganzen zehn Personen,
alle in farbenfrohen Trachten des Schweriner Landes, im Zimmer zur Feierabend-
beschäftigung. Diesen Moment stellt unser erstes Bild dar. Vorn rechts befinden
sich die beiden Mägde beim Spinnrade, dann kommen die Töchter mit Handarbeiten
beschäftigt. Im Hintergrunde die Bäuerin, „Vadders" Weste flickend, neben ihr
der Bauer mit seiner Pfeife. Links vorn schnitzt der Hütejunge an einer Kelle;
dann folgt Vadder Behrens, der Kuhfütterer, mit einem Korbe beschäftigt; Jochen,
der Grossknecht, mit seiner Peitsche, und Grossmutting im Lehnstuhl am warmen
Ofen. Ein stimmungsvolles Bild, welches allgemein fesselte. Draussen heult der
Sturm, wie der Hausherr feststellt, und Grossmutting fürchtet, dass „äwer Nacht
dei will Jagd küinmt". Nun wird sie von den Töchtern und den Mägden bestürmt,
etwas von der wilden Jagd zu erzählen. Sie erzählt aber nicht von der wilden
Jagd, sondern vom Nibelungenlande. Als jemand in alten Zeiten einmal dorthin
kam, seien da an einer Stelle lauter Zwerge gewesen, und die hätten Särge gebaut.
Jedesmal, wenn dann ein Sarg fertig geworden, sei ein Name darauf geschrieben
worden und dann sei der Mensch, dessen Namen der Sarg trug, gestorben. Als
nun wieder ein neuer Sarg kam, habe der Jemand gefragt: „Für wen ist denn
dieser bestimmt?" und die Antwort erhalten: „Dat is sin Sarg". Nun musste
Vadder Behrens etwas „Grugliches" erzählen. Er berichtet sehr anschaulich von
zwei verwaisten Kindern, die von der Mutter allerhand Zauberkünste erlernten, bis
der Oheim dahinter kam. Auf seine Veranlassung urteilte d;is Gericht sie ab und
bestrafte sie mit dem Tode. Bald darauf erschienen dem Oheim zwei schwarze
Raben, aus deren Gekrächz er deutlich hören konnte: „Einmal gesworen, ewig
verloren". — Bei den Insassen der Bauernstube hat die grauliche Stimmung nun
ihren Höhepunkt erreicht, deshalb muss auf „Muttings" Wunsch zu Heiterem
übergegangen werden. Es kommen Rätsel an die Reihe. Aus deren grosser Anzahl,
die Schlag auf Schlag folgten und auf die nicht nur die Insassen des Hauses
aufmerksam achteten, wollen wir nur zwei vom Kuhfütterer vorgetragene heraus-
greifen. 1. Wat is dat Beste an de Flöh? Dat se keene Hufeisen hebben; süs
brekens us de Ribben kort un kleen. 2. Welches sind die beiden dümmsten
Kreaturen? Die Ziege und eine Mutter mit ihrem Kinde. Denn wenn die Ziege
auch die ganze Raufe voll Futter hat, ruft sie doch immer noch: „Miähr, miähr",
und trotzdem die Mutter ihr Kind auf dem Arme hat und deutlich sieht, fragt sie
immer: „Wo bit de denn, min lütt Rinding? Wo bit de denn, min lütt?" Zu
dem nun losbrechenden Jubel erklärt aber Mutting: „De Mannsliid weern to drist!
Annmariek, stud dat mal un sing uns dat schöne Lied von de twee Königskinner!"
Annmariek lässt sich auch nicht nötigen und singt mit weicher, wohllautender
Stimme alle Verse dieses weit bekannten wehmütigen Sanges. Reicher Beifall
bei offener Scene lohnte dafür. Als Hochzeitsbitter angezogen trug nun Jochen,
der Grossknecht, seinen Spruch vor. In langer launiger Rede lud er alle An-
wesenden zur bevorstehenden Hochzeit ein. Die zu erwartenden kulinarischen
Genüsse wurden sehr ausführlich geschildert:
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 8
114
Roediger:
„20 fette Ochsen un 20 fette Swin Un de lüttste Fisk auf den Grund
Un 40 fette Gäus soll'n auch dabei sin; Wiegt alleen schon 100 Pund" u. s. w.
Darauf kamen die früher bei Hochzeiten allgemein üblichen Leberreime, während ein
mit Grün und Blumen gezierter Teller von Hand zu Hand ging. Grossmutting begann:
„Die Leber ist vom Hecht und nicht von einem Lamm.
Unser Herr Christus ist mein Bräutigam."
Dass es bei dem jungen Volke an gegenseitigen Hieben und Neckereien nicht
fehlte, lässt sich denken. Yon der einen Magd hörte man:
„Wenn Junggesellen küssen un hebben keen Boart,
Dann het dat Küssen gar keen Oart"
und der Kuhfütterer meinte: „0 wär'n alle Berge doch von Butter, und möchten
die Thäler gefüllt mit Grütze sein. Wenn dann die liebe Sonne schien, dann
flöss die Butter in die Grütz hinein, dat mot een schönes Freten sin." Nun musste
Grossmutting etwas singen. Sie sang:
„Wie grün, wie grün sind doch die Tann."
Auf Ermunterung durch den Bauern sang darauf Thriendört. die zweite Tochter,
mit Jochen, dem Grossknecht, zweistimmig:
„Hans hatte grossen Durst, Bist ja mein liebster Kerl,
Das macht die Leberwurst. Bist ja mein Hans."
Dann folgte die erste Magd mit dem lustigen:
„Oll Mann wili riden, un het keen Pierd."
Zum Schluss soll nun auch Vadder Behrens singen, er erklärt aber: „Een Hals
tom Slingen heb ick woll, aber keen toni Singen"; statt dessen wolle er etwas
anderes, auch so ein Stück aus der alten Zeit zum besten geben, nämlich einen
Schäfergruss. Jochen und er ziehen sich als Schäfer an und tragen den ausser-
ordentlich humoristisch wirkenden Schäfergruss vor, der Kuhfütterer als Schaf-
meister, der andere als Geselle. Der Gruss beginnt mit der Frage des Schafmeisters
an den zugereisten Gesellen: „Wo kümmst du her?" Dieser antwortet: „Von der
Überresidenz", und nun beginnt ein Examen, in dessen Verlauf der Geselle zeigen
muss, ob er etwas lernte und ob sein Hund etwas versteht. „Wie heet din Hund?"
„Min Hund heet Fix." „Fix? Fix is nix!" „Min Hund heet Guillaume." „Dat
is en Name." Zum Schluss des Examens erklärt der Schafmeister: „Wenn din
Hund keene Hündin un wenn er en beeten gröter un wenn er nich so bunt wär,
dann wär et en Staatshund." Nach der Ansicht Berufener ist der Schäfergruss
die schönste Stelle im ganzen Stück. Hier in Berlin brachte er seine volle Wirkung
nicht hervor, weil gerade hierbei leider das Plattdeutsche nicht voll verstanden
wurde. Fiek, die erste Magd, brachte nun den Erntekranzspruch, häufig von
Beifall unterbrochen, zum Vortrag. In der Einleitung bittet sie um Nachsicht,
wenn sie nicht alles glatt aufsagen könnte, denn:
„Gestern Abend wollt ich studeeren,
Da kam mein Feinsliebster anzumarscheeren.
Da hat er dann bei mir gesessen
Und da hab ich das ¡Studeeren vergessen."
Im weiteren Verlauf wünscht sie mit vielen Knixen der gesamten Familie des
Gutsherrn so viel Glück, „so viel Tropfen vom Himmel regnen". Die Mamsell
und der Entspekter kommen auch noch einigermassen gut davon, weniger erbaut
werden aber die Mägde von den ihnen gewidmeten Wünschen gewesen sein. Zum
Schluss ruft sie:
„Spielet auf Musikanten!"
Protokolle.
115
und während diese einige Takte einer lustigen Polka hören lassen, erklärt die
Rednerin tanzend :
„Un mit Tanzen soll et gähn,
Dat uns die Röcke öberslahn."
Hierdurch ist die Lust zum Tanzen bei Herrschaft und Gesinde geweckt. Als der
Bauer auf seine Frage, ob man nicht noch etwas tanzen wolle, allerseits freudige
Zustimmung findet, schickt er den Hütejungen mit der von Mutting angezündeten
alten Laterne zum Nachbarsohne: „sie wollten noch en Beeten mit de Been speelen".
Nach kurzer Zeit traf dieser ein und nun begannen in der rasch ausgeräumten
Stube eine Reihe interessanter Volkstänze. Die Mitwirkenden hatten in bunter
Reihe einen Kreis geschlossen, und während alle unter Begleitung der Musik
Freut euch des Lebens" sangen, tanzte Grossmutting. Dann folgte der Bauer mit
Mutting. Sie sangen:
„Mann kumm her, will'n danzen! — Mann, dat geilit up Socken,
Fru, ick hem kein Schau! — Man immer lustig tau!"
Hierauf die älteste Tochter, „Mutter Witsch" singend, dann die zweite, von der
man hörte:
„Zwei Ochsen, zwei Kälber, eine schwarzbunte Kuli,
Die schenkt mir incin Vater, wenn ich heiraten thu" u. s. w.
Der Nachbarsohn, der Grossknecht, die beiden schmucken Mägde, der Kuhfütterer
und der Hütejunge, jeder musste einen Solotanz zum besten geben, während die
übrigen seinen Tanzreim mitsangen. Beim Hütejungentanz sang man:
„Lütt Mann is de Rock entwei.
Vadder soll 't Geld ut'n Büdel säuk'n
Un lütt Mann 'n Röcking köpen"
und beim Kuhfütterer, dessen Sprünge die grösste Heiterkeit hervorriefen:
„Ich unci mein altes Weib Sie mit dem Bettelsack,
Können schön tanzen, Ich mit dem Ranzen" u. s. w.
•letzt folgten auf Mahnung des Bauern Gruppentänze; zuerst der alte, jetzt nur noch
wenig bekannte Kiekebusch, ein Tanz von schöner Wirkung, zu dem alle sangen:
„Kiekebusch, ick seihe di! —
Dat du mi seihst, dat freuet ini."
Dann, durch Grossmutting veranlasst, der Schustertanz. Während gesungen wird:
..Du kleiner Schuster du, Die Schuh die sind entzwei,
Du flickst mir meine Schuh. Der Schuster ist dabei",
kniet jeder Tänzer vor seiner Tänzerin. Diese stellt ihren E^uss auf das vor-
gebogene linke Knie des Tänzers, der mit den Armen die Bewegungen eines
Schusters macht. Nach Schluss obigen Vierzeilers springen alle Tänzer rasch
auf, umfassen ihre Mädchen und tanzen einige Takte mit ihnen; dann knieen sie
nieder und das Spiel beginnt von vorn. Unser Bild zeigt diese Scene sehr an-
schaulich. Nachdem aller Augen sich eine Zeit lang an dem wunderhübschen
Tanz mit seiner Gruppierung erfreut, bittet Grossmutting, nun auch noch ihren
liebsten Tanz „Gah von mi" zum besten zu geben. Auch hier lassen sich die
Tänzer nicht lange zureden. Unter Singen des Textes:
„Gah von mi, gah von mi,
Ick mag di nich seihn",
zur eigenen Dame, mit ganzer Wendung zur fremden:
„Komm to mi, komm to mi,
Du bist ja so schön"
8*
116
Koediger: Protokolle.
wird auch dieser schöne Tanz unter mehrfacher Wiederholung zu Ende geführt,
und damit ist auch das hochinteressante, lehrreiche und vergnügliche Stück aus.
— Brausender Beifall lohnte den Darstellern. Es war, wie allgemein anerkannt
wurde, ganz ausgezeichnet gespielt worden. Man sah aber auch den Mitwirkenden
an, mit welchem Eifer sie sich in ihre Rollen vertieft hatten und welche Freude
es ihnen machte, in Berlin und vor einem so empfänglichen Publikum aufzutreten.
Interessant war uns u. a. auch, die verschiedene Wirkung zu beobachten, die das
Stück in Malchin und in Berlin hervorrief. Während in Mecklenburg besonders
die rein plattdeutschen Stellen wirkten, waren in der Reichshauptstadt die hoch-
deutschen die wirksameren; die plattdeutschen Partien verstand man hier nicht so
gut, wie schon oben beim Schäfergruss angedeutet wurde. Im ganzen überstieg
aber der Erfolg weit alle Erwartungen. Herr Wossidlo hat sich mit diesem Stück
und seiner Einstudierung ein grosses Verdienst erworben. Wir haben auf diese
Weise wieder einmal kennen gelernt, wie viel Schätze noch in unserem Volkstum
stecken und wie verhältnismässig leicht gute und gediegene Unterhaltung zu be-
schaffen ist, wenn sich nur mehr Leute finden wollten, um Bestrebungen, wie sie
das Museum für die deutschen Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes
und der Verein für Volkskunde betreiben, zu unterstützen. Beide Vereine geben
sich redliche Mühe, aber beide würden weit mehr leisten können, wenn die Mit-
gliederzahl sich steigerte. Unserer Ansicht nach ist nichts geeigneter, dem ver-
derblichen und öden Unwesen der vielen Specialitäten- und Variété theater Abbruch
zu thun, als derartige gut geleitete Volksunterhaltungen. Viele im Volke haben
Freude an solcher gesunden Zerstreuung. Vielleicht finden sich auch noch andere
Dichter, die nach der Übersättigung mit den stark nach französischen Vorbildern
duftenden Erzeugnissen einmal unser eigenes Volk mehr studieren und zum
Ausgangspunkt nehmen. Wie das von Herrn Prof. Hamdorf in Malchin gegebene
Beispiel zeigt, bei dessen volkstümlichen Unterhaltungsabenden unser Stück zuerst
aufgeführt worden ist, hätte auf diese Weise jede kleine Stadt, ja selbst manches
Dorf die Möglichkeit, für gute Unterhaltung zu sorgen. Als Gewinn nebenbei
würden Darsteller und Zuschauer ihr eigenes Volksleben von früher und jetzt
kennen lernen, und da mit der besseren Kenntnis desselben auch die Liebe zu
ihm und zur Heimat wachsen muss, so ist es in letzter Linie die Vaterlandsliebe,
die Nutzen von diesen Bestrebungen haben würde. [H. Sökeland.]
Beim gemeinsamen Abendessen dankte Herr Geheimrat Dr. Vire how den
zahlreichen Gästen für ihr Erscheinen, insbesondere aber den Malchiner Herr-
schaften. Herr Geheimrat Dr. Johannes Schmidt trank auf den Verein und
seinen ersten Vorsitzenden, Herr Syndikus Dr. Minden auf die Damen. Einen
hohen Genuss bereitete Herr Privatdocent Dr. Max Friedländer der Gesellschaft
durch den Vortrag mehrerer Lieder, und Herr Prof. Marelle steigerte die fröhliche
Stimmung durch ein in wirksamer Weise halb gesungenes, halb gesprochenes
französisches Scherzgedicht. Nach der Tafel machte eine liebenswürdige Freundin
des Vereins durch ihr Klavierspiel ein Tänzchen möglich, das früher ein Ende
nahm, als die angeregten Gespräche, denen erst der nahende Morgen ein Ziel
setzte. Wir wurden durch unerwartet reichen Besuch erfreut, denn der grosse
Saal des Architektenhauses vermochte nicht sämtliche Speisende zu fassen. Dass
unsere Gäste sich wohl bei uns gefühlt haben mögen und samt den Mitgliedern
befriedigt waren, ist der Wunsch und die Hoffnung des Vorstandes.
Max Roediger. [H. Sökeland.]
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II Lichtdrucken, Folio, in Mappe. 1883. M. 48 —
Virchow, Rudolf. Crania ethnica Americana. Sammlung auserlesener
Amerikanischer Schädeltypen. Mit 27 Tafeln und 29 Textillustrationen.
Folio. 1892. cart. Mk. 36 —
Druck von Gebr. Unger in Berlin, Bornburger Str. 80.
ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde,
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und IT.- Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
Karl Weinhold.
Elfter Jahrgang.
Heft 2, 1901,
Mit mehreren Abbildungen im Text.
BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
Die Zeitschrift erscheint 4 mal jährlich,
Inhalt.
Seite
Die altnordischen Rätsel. Von Andreas Heusler......117
Die Reise der Seele ins Jenseits. Yon Julius von Negelein (Forts.) 149
Ruthenisclie Hochzeitgebräuche in der Bukowina. Mitgeteilt von
Dr. R. Fr. Kaindl ....................158
Yon dem deutschen Grenzposten Lusérn im wälschen Südtirol. Yom
Kuraten Josef Bacher (Fortsetzung)..........169
Uber einige Yotivgaben im Salzburger Flacligau. Yon Marie Eysn 181
Zu Goethes Parialegende. A7on Theodor Zachariae.....186
Sankt Michaelsbrot. Yon Dr. Max Höfler . ........193
Der Wassermann im schlesischen Volksglauben. A on Dr. P. Drechsler 201
St. Hubertus-Schlüssel. Yon Dr. Max Höfler ........ 207
Beiträge zur Flora der Friedhöfe in X.-Österreich. Yon E. K. Blüm ml 210
Kleine Mitteilungen :
Karl Julius Schröer f. Von IL Weinhold. S. 214. — Der Palmbusch in den
Niederlanden. Von K. W. S. 215. — Das Notfeuer im Braunschweigischen. Von Otto
Schütte. S. 216. — Weiteres zu den Zauberpuppen. Von R. Mielke. S. 217. —
Bäuerliche Kraftspiele am Abersee (Salzburg). Von Gustav Zeller. S. 218. — Volks-
meinungen von der bayerisch - österreichischen Grenze. Von Hellene Haff. S. 219. —
Sterbende werden auf die Erde gelegt Yon K. W. S. 221. — Uber das echte Tiroler-
lied. Von K. W. S. 222. — Wochenzettel für den-kärntischen Bauerntisch. Yon K. W.
S. 222. — Das Hutzahaus im Egerland. Von Jos. Köhler. S. 223. — Schwäbische Bei-
träge zu Bliimml und Rott, Verwendung der Pflanzen. Yon August Vetter. S. 224. —
Zu dem Cambridger Augensegen. Von K. W. S. 22(5. — Nachtrag zum Traum vom
Schatz auf der Brücke. Von Ä. Hauffen. S. 227.
Bücheranzeigen :
L. Stieda, Anatomisch-archäologische Studien. S. 227. — Studien zur Geschichte
der altdeutschen Predigt. Von Anton E. Schönbach. S. 229. —Knisella Farsetti,
Quattro bruscelli senesi preceduti da uno Studio sul bruscello in genere. S. 231. —
Befaiiate del contado toscano edite con un' introduzione. S. 232. — Sagen, Gebräuche
und Sprichwörter des Allgäus. Aus dem Munde des Volkes gesammelt von Dr. K. Reiser.
S. 232. — Paul Drechsler, Das Verhältnis des Schlesiers zu seinen Haustieren und
Bäumen. S. 233. — Hessisches Trachtenbuch von Ferd. Justi. S. 233.
Aus den Sitzungs - Protokollen des Vereins für Volkskunde von M.
Roediger....................235
Beiträge für die Zeitschrift, bei denen um deutliche Schrift
auf Quartblättern mit Rand gebeten wird, Mitteilungen im
Interesse des Vereins, Kreuzbandsendungen, beliebe man an
die Adresse des Herausgebers, Geh. Regierungsrat Prof. Dr.
K. Weinhold, Berlin W., Hohenzollernstr. 15, zu richten.
Bücher für Besprechung in der Zeitschrift wolle man an die Yerlags-
Buchhandlung A. Asher & Co., W. Unter den Linden 13, senden.
Beitrittserklärungen zum Verein nimmt der Schriftführer Prof. Dr.
Roediger, Berlin SW., Wilhelmstr. 140, und der Schatzmeister entgegen.
Schatzmeister des Vereins ist Banquier Alexander Meyer Cohn,
Berlin W., Unter den Linden 11.
Der Jahresbeitrag ist 12 Mk., wofür die Zeitschrift an die Mitglieder
frei geliefert wird.
Die altnordischen Eätsel.
Yon Andreas Heusler.
Es kann auffallen, dass die altnordische Litteratur nicht eine reichere
Fundgrube für Eätsel ist. Die geschichtlichen Prosaerzählungen, die uns
das gesellige Leben yon so vielen Seiten kennen lehren und uns Zank-
und Spottverse wie auch Sprichwörter in so reicher Fülle zuführen, sie
erwähnen nirgends, dass zur Unterhaltung Rätsel aufgegeben wurden; sie
teilen nirgends ein einzelnes Rätsel in gebundener oder ungebundener
Rede mit.1)
Als einzigen Vertreter der änigmatischen Gattung haben wir in einer
der sagenhaften Erzählungen ein umfängliches Rätselgedicht oder vielmehr,
wie sich uns zeigen wird, eine Rätselreihe, eine Art Rätselsammlung. Es
sind die bekannten Rätsel der Hervarar saga, die ,Heidreks gátur', wie sie
flie eine der alten Handschriften, die Hauksbók, nicht ganz zutreffend
nennt, die ,getspeki Heidreks, H.s Rateklugheit', wie man sie auf Island
im 17. Jahrhundert sachlich richtiger bezeichnet hat.
Die beste Ausgabe der Hervarar saga ist die von Bugge: Norrone
Skrifter af sagnbistorisk Indhold S. 203 ff. (Christiania 1873).
Nach den allgemeinen litterarischen Familienmerkmalen hat man diese
Rätselreihe zu der eddischen Dichtung zu stellen, und zwar in die Gattung
der Sprüchpoesie, woselbst sie die Species des Rätsels als einziges Exemplar
darstellt. An wahrhaft volksmässiger Haltung lässt wenigstens ein Teil
unserer Strophen so ziemlich die gesamte übrige Eddadichtung hinter sich
zurück.
Ein mehrfach anzuziehender Aufsatz von F in nur Jónsson, Germa-
nistische Abhandlungen zum 70. Geburtstag Konrad v. Maurers S. 508—520
1) Über das Rätselcitat in der 3. grammatischen Abhandlung sieh unten S. 131. —
folgende abgekürzte Titel, ausser den im Texte selbst erklärten, werden gebraucht: Gátu
^iima: in den Faeröiske Kvseder saml. ved Hammershaimb 2, 26 ff. Kopenhagen 1855.
Heinzel; Über die Hervararsaga. Wien 1887. Landstad: Norske Folkeviser. Christiania
1S53. Petsch: Neue Beiträge zur Kenntnis des Volksrätsels. Berlin 1899. Wossidlo:
Mecklenburgische Volksüberliei'erungen. 1. Band: Rätsel. Wismar 1897.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 9
118
Heusler:
(Göttingen 1893), beschäftigt sich hauptsächlich mit den drei Fragen:
nach dem Wert der beiden handschriftlichen Redaktionen; nach dem ur-
sprünglichen Bestand und der Ordnung der Rätselkette; nach Alter und
Heimat der Strophen.
Der grössere Teil der Hervarar saga und mit ihm die Rätsel sind in
zwei Fassungen auf uns gekommen.1) Beide haben aus selbständiger
mündlicher Überlieferung geschöpft (vgl. Heinzel S. 9. 21. F. Jon s son,
Hauksbók S. XCIIIff.). Ob daneben auch eine gemeinsame schriftliche
Quelle benutzt wurde, ist fraglich. Die Gedicht© der Saga scheinen in
der That ein Beispiel für das ,Zersingen' eines poetischen Textes zu ge-
währen, ein in der eddischen Überlieferung sehr seltener Fall. In den
Gátur zeigt sich die Abweichung der beiden Redaktionen am stärksten in
der Reihenfolge der Rätsel und im Wortlaut der prosaischen Auflösungen
(sieh unten S. 135. 137). Weniger stark in dem Bestände der Reihe: der
Text H bringt 35 Rätsel (die Schlussfrage abgerechnet), der Text R 29,
wovon nur eines in der längeren Reihe fehlt, so dass H sieben, R eine
Plusstrophe besitzt und die Summe 36 beträgt. Zahlreich, aber im ganzen
nicht tiefgreifend sind die Unterschiede der beiden Fassungen im poetischen
Wortlaut: eine sehr lange getrennte Überlieferung hat hinter den beiden
ersten Aufzeichnungen offenbar nicht gestanden.
Wir stellen die zuletzt genannten Abweichungen, die in den Rätsel-
strophen selbst, hier zusammen. Die Rätsel werden gezählt nach der
Reihenfolge in H.
H hat die vermutlich ursprünglichere Lesart in diesen 24 Fällen2):
H R
1, 2. (er) ek haföa í gser. (pat) í gser haföa.
Der Reimstab ist h.
2, 2. ... geröak. . . . gerda.
2, 4. vegr var undir. var peim vegr undir.
3, 4. miçd'r né mungát. né enn heldr mungát.
3, 6. pó gekk ek . . . ok gekk ek . . .
4, 3. ok hefir hann pser fyrr of farit. ok hefir hann fyrrum um farit.
6, 5. en vicT hiçrd [lies içrd] sakask. ok içrd sakask.
9, 4. ókyrrir tveir. ókvikvir tveir.
16, 6. skialli hvítara. skildi hvitara.
17, 5. vara pat ... ei var pat . . .
18, 4. 5. mser vid" meyiu mçg of getr. par til er mçg um getr.
19, 2. 3. er um sinn dróttin vápnalausar er sinn dróttin vápnlausan vega.
vega [lies besser vegask].
1) In der Hauksbók, um 1325, und in der Hs. 2845 4° der alten kgl. Sammlung in
Kopenhagen, 15. Jahrh. Die alte Hauksbók selbst bricht in der Auflösung des zweiten
Rätsels ab und wird für das Folgende durch zwei Papierabschriften vertreten (h 1 uiid h 2
in Bugges Ausgabe). Wir bezeichnen die erste Fassung mit H, die andere mit R (cod. regius).
2) Die abweichenden Worte, die neutral oder in R ursprünglicher sind, stehen in
runden Klammern.
Die altnordischen Rätsel.
119
21, 2. er ganga syrgiandi. er ganga margar syrgiandi.
21, 5. ... enar bvitfçldnu. ... enar hvitfçldudu.
21, 6. ok eigu í vindi at vaka. ok eigu peer í vindi vaka.
23, 2. er ganga brimserkium i. er ganga í brimskerum.
F. Jonsson a. a. O. S. 513 zieht brimskerium ,Brandungsklippen' vor,
da brimserkium ,Brandungshemden' das Rätsel zu durchsichtig mache.
Aber der Felsengrund, worüber die Wogen rollen, wird in Zeile 4 als
das ,harte Bett' der Frauen vorgeführt; wäre er schóh vorher als ihr
Pfad genannt, so würde die Anschauung gestört.
23, 5. . . . enar hvitfçldnu. . . . enar hvitfçldudu konur.
24, 6. iór (er andarvani), pá iór (var andaryanr).
25, 6. ok rennr sem hann má [1. wahrseb. ok fylgia pvi margir miçk.
mit Bugge: ok rennr er renna má].
26, 6. gefr líf sumura. gefr líf firum.
fimm steht schon in Zeile 4. ' ' i;
28, 6. ok optasi (óhreinn). ok iafnan heldr (saurugr). ,) ' , ,
31, 3. ok eru sextán saman. sáttir allir saman.
32, 2. sôlbiçrgum í. sôlbiçrg of á.
32, 3. verdung vaka. bad" ek vel lifa.
Umgekehrt darf R als ursprünglicher gelten an folgenden 21 Stellen:
H H
1, 1. hafa ek pat vilda. hafa vildak.
1, 3. konungr, gettu . . . vittu . . .
V ist Reimstab; konungr könnte nicht stablos vorausgehen, auch ist
die Anrede des Königs gegen den Stil der Rätsel (unten S. 132).
1, 5. ok orda tefill. orda tefill.
5, 3. ... vçtn ok veisur. . . . vçtn ok vid".
Der Versbau verbietet den Schiusa L-.
6, 4. hçldum [1. çldum] hann bergr. hçldum [1. çldum] bergr.
8, 3. fyrir Dçglings durum. fyrir Dellings durum.
16, 6. 7. skapti réttara, (skialli) hvítara. (skildi) hvítara, skapti réttara.
17, 7. 8. pá er fyrir eyiar útan pó var fyrir eyiar litan
ordigr sá er ker g0rd"i. çriîigr, sá er gord"i.
18, 6. 22, G. ok eigu pser pess vardar at vera, ok eigut peer (par) varder vera.
5. alla daga. um alla daga.
6. en hinar fegri fryia. en hinar fegri fara.
^0, 5. pger á vetrum vid" sídu bera. paer um vetr bera.
2. er margar ganga saman. er ganga margar saman.
4. 5. mçrgum hafa manni pair mçrgum mçmnum hafa pser . . .
^4, 6. iór er (andarvani). (pá) iór var (andar vanr).
8. líf sitt gumi. lík.sitt gumi.
1- 2. fiorir ganga, fiorir hanga. fiorir hanga, fiorir ganga.
Die meisten der vielen auswärtigen Gegenstücke stellen das ,hängen'
dem ,gehn' voraus.
6. (ok optast) óhreinn. (ok iafnan heldr) saurugr.
óhreinn ergäbe überschüssigen Reimstab.
1. sat ek á segl. sat ek á segli.
5. í eyra Baldrs. í eyra Baldri.
^6, 6. ádr hann var ... ácfr hann vseri ...
9*
120
Heusler:
Daran sclüiesst sich der einzige Fall, wo eine Vermischung zweier
(oder dreier) Strophen stattgefunden hat. Die beiden ersten WellenrätseL
No. 21. 22, ordnen ihre zweiten Halbstrophen in H anders als in R:
H R
hadda bleika mçrgum mçnnum
hafa paer enar hvitfyldnu hafa paer at meini orilit,
ok eigu í vindi at vaka. viö" pat munu pser sinn aldr ala.
myrgum hafa manni hadda bleika
paer at meini komit, hafa pser enar hvitfolduöu,
ok eigut paer par variier vera.*) ok eigut paer par variier vera.
Die Schlusszeile der ersten Strophe in H (ok eigu í vindi at vaka)
kehrt in R wieder als Schluss eines dritten, in H nicht vertretenen Wellen-
rätsels (Strophe 21 in R).
Es lässt sich zeigen, dass die Zusammenfügung dieser Bausteine in R
besser ist als in H. Die Zeile morgum hafa manni nimmt sich in H
hinter der Halbstrophe:
hveriar ró paer meyiar,
er margar ganga saman
at forvitni fodur
wegen des wiederholten iriargr weniger gut aus als hinter dem Helming:
hveriar ró paer snótir,
er ganga2) syrgiandi
at forvitni foilur.
Der Schlussvers:
ok eigut paer par variier vera
gehört hinter paar enar hvitfoldnu (-foldudu), wie in R; der Gedanke ist:
die Frauen haben keine Männer, obwohl sie den Kopfputz, den weissen
faldr der Verheirateten tragen. Endlich schliesst sich auch der erste
Strophenschluss in R:
vili pat munu paer sinn aldr ala
an den Gedanken ,Manchen haben sie Verderben gebracht' passender an
als die Zeile in H:
ok eigu í vindi at vaka.
Somit hat der Text R diese beiden Wellenrätsel in anscheinend ur-
sprünglicherer Ordnung bewahrt.
An den folgenden Stellen ist eine Entscheidung, ob H oder R den
Vorzug habe, nicht zu treffen:
1) So nach R berichtigt; H (d. h. die beiden Papierabschriften h 1 und h 2) hat einen
verderbten Text.
2) Dass R hier ein margar einschiebt, ist ein zweifelloser versüberladender Fehler.
Die altnordischen Rätsel.
121
H
R
4, 5. 6. ok hefir munna tvá,
sá er á gulli einu gengr.
5, 2. er ferr mold yfir.
8, 5. visar heliu [1. heliar] til.
sá er hefir munna tvá
ok á gulli einu gengr.
er liör mold yfir.
visar á helvega.
fram liör sú vsetr.
ok berr ofar . . .
12, 7. ferr hart sii vsetr.
14, 6. berr pat ofar . . .
Ursprünglich wohl: berr ofarr kné en kvid.
17, tí. né hamri klappat.
19, 4. enar içrpsku [1. iorpu] hlifa.
22, 5. ... at meini komit.
28, 4. tveir hundum veriask [1. veria].
29, 2. er sefr i çskugrûa.
29, 3. ok er af grióti einu gyrr.
32, 7. 8. en œpandi çlker stóffu.
né hamri at klappat.
enar iarpari hlifa.
. . . at meini orfîit.
tveir hundum var<1a.
er sefr í osgrúa.
ok af grióti einu gçrr.
en œpanda çlker stôô".
Die erste Lesart ist metrisch korrekter, sachlich weniger zutreffend.
35, 4. en einn hala.
ok einn hala.
Dazu kommen noch eine Anzahl äusserlicher Schreibversehen. Es
sind in H etwa doppelt so viel wie in R; dies beruht ohne Frage darauf,
dass der grösste Teil von H nur in den jungen Abschriften bewahrt ist.
Sehen Avir von diesen oberflächlichen Fehlern ab, so müssen wir die
beiden Texte H und R, was den poetischen Wortlaut der Rätsel betrifft,
als ziemlich gleichwertig anerkennen.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die gemeinsamen Fehler der
beiden Fassungen. Wir rechnen folgendes hierher:
1. Unebenheiteil der Form, die vermutlich von Anfang an den Versen
anhafteten, nicht auf späterer Verderbnis beruhen:
•S, tí. en fótum til solar snyr;
das stablos vorangestellte Nomen fótum ist hart.
den Stabreim zu gewinnen, hat eine Papierhandschrift haust, eine
andere hávetr an Stelle von vetr eingesetzt (vgl- Bugges Ausgabe S. 250).
Aber im Blick auf den folgenden Vers eil svartan um sumar muss man
das einfache vetr unbedingt beibehalten, so dass der fragwürdige Reim
2. Schreibfehler, worin zwei Handschriften unabhängig zusammen-
treffen konnten:
6, 4. hol du m statt des durch den Stabreim geforderten oldum (Bugge).
19. 1. 2. Hveriar ró paer brúSir,
er um sinn dróttin;
der Stabreim fehlt, vermutlich ist brüäir (das auch in der Anfangszeile
von Rätsel 17 und 23 steht) für ein anderes Wort eingetreten: die Aus-
gaben setzen drósir ein; da aber die Rätsel sonst nirgends den llauptstab
20, 4. 5. hvitan skiçld pser um vetr (á vetrum H) bera;
hv: V vorliegt.
122
H e,usier:
in die Schlusshebuiig der Langzeile verlegen, müsste man mit Ettmüller
(Lesebuch S. 38) umstellen:
er um drottin sinn,
and dies ist nicht rätlich, da stabendes Pronomen vor seinem Substantiv
beliebt ist (vgl. Háv. 104, 5. Taf. 7, 2. Grimn. 52, 5. Lok. 12, 2. 40, 2);
man hat also snótir anzunehmen (wie in Rätsel 21).
22, 6 (= R 20, 6) ist auf beiden Seiten die Negation in eigut aus-
gelassen.
34, 3. blóSs hold statt blóds hol (= Eedr, Ader). Ein Missverständnis
des Wortspiels schon in der mündlichen Überlieferung ist liier schwerlich
anzunehmen.
3. Entstellungen, die zwar den Sinn antasten, aber doch schon der
mündlichen Überlieferung zuzutrauen sind:
Rätsel 17 (das Ei der Schwäne) lautet:
báru brunir
bleikhaddaöar,
ambáttir tvser,
çl til skemmu;
vara pat hçndum horfit >
né hamri at (f. H) klappat,
H: pá er fyrir eyiar útan R: pó var fyrir eyiar útan
çriîigr sá er ker gorâï. sá er goríi.
Nach der Lesart von R müsste man die ganze zweite Halbstrophe auf
ol beziehen, was keinen Sinn giebt: das weder mit Händen noch mit dem
Hammer behandelte ist das Biergefäss, die Eierschale. Den Text von H
könnte man mit geringer Änderung logisch machen, z. ß. mit Bugge:
pá er fyrir eyiar útan
çrffigr ker gorül,
oder noch besser mit Beibehaltung des doppelt überlieferten sá er und
näherem Anschluss an R:
pó var fyr eyiar útan
çrcTigr, sá er ker gorffi.
Diese Lesart würde nicht unbedingt verwehren, das pat in Z. 5 auf das
ker in Z. 8 zu beziehen; aber der Satzbau wäre für unsere Rätsel be-
fremdend künstlich; da jenem pat in der Zeile unmittelbar vorher das
Neutrum ol vorangeht, würde sich die Anknüpfung des pat an ol fast un-
vermeidlich einstellen. Als ursprüngliche Form möchte ich vermuten in Z. 4:
çlker til skemmu,
alles übrige nach R. Diese Änderung, wobei der gewünschte Sinn ein-
wandsfrei herauskommt, ist nicht gewaltsam; metrisch gerechtfertigt wird
sie durch die schweren Füllungen der zweiten Halbstrophe. Schon in der
mündlichen Überlieferung mag das ker aus Z. 4 in den Schlussvers geraten
sein (wie in H).
Die altnordischen Rätsel.
123
24, 3, . á sat naftr á nái,
so auch im cod. Worm, der 3. gramm. Abh. (Isl. gramm. Litt. 2, 31). Das
Richtige ist á sat nár á nái, wie die genannte gramm. Abh. in der Hschr.
AM. 748 I 4° hat. Das die Lösung vorwegnehmende naär braucht nicht
durch ein Schreibversehen hereingekommen zu sein; auch mündlich um-
laufende Rätsel enthalten Verderbnisse, wie man aus den Varianten der
Rätselsammlungen ersehen kann.
Ob nicht auch in der ersten Zeile des Wortspielrätsels No. 34 eine
Entstellung vorliegt? Sie lautet:
sat ek á segli (segl H).
Eine sichere Deutung ist mir nicht bekannt (vgl. Bugges Ausg. S. 361);
als Auflösung bringt H : par saztu á vegg, R: par saztu á veg. Statt segli
erwartet man ein mit d anlautendes Stabwort: der 2. Yers lautet:
sa ek dauffa raenn;
ich habe an sat ek á digli gedacht: ,auf dem Tiegel, Kessel'; á digli = á
velli (zu vellir, fervefaciens) = á velli (zu vollr, Feld). Doch würden
dann die beiden Homonyma nur in einem Casus obliquus zusammen-
stimmen (velli)!
4. Zwei Fälle, wo man kaum umhin kann, einen Fehler in einer ge-
meinsamen schriftlichen Vorlage anzunehmen. Es handelt sich um stablose
Zeilen, deren Form nicht wohl unabhängig durch zwei Aufzeichner oder
Abschreiber entstanden sein kann.
27, 1. 2. Miok var fordum
nysgás vaxin;
vor fordum schiebt h 2 fyrre ein. Um den Stabreim zu erhalten, setzt eine
Papierhandschrift nser statt miok, eine andere nóg; Bugge schreibt varp
für var und erblickt darin ein Reimwort zu vaxin. Aber nosgás muss
Stabträger sein, und das verlorene Wort mit dem n-anlaut wird an der
Stelle von forSum zu suchen sein. Schwerlich miok var naastum (nuper).
Ith Hinblick auf neuisländisches sá eg fyrir sunnan svartan köttinn vaga
(Jón Árnason No. 962, vgl. No. 942. 944), mecklenburgisches keem'n diert
ut nuurden (Wossidlo No. 424a), wo eine Himmelsgegend ohne inneren
Bezug auf den Gegenstand aufgeführt wird1), möchte man vermuten:
miçk var fyr nordan.
Die zweite Stelle gehört der Schlussfrage an:
36, 3. áffr hann vseri (var H) á bài hafcîr.
Die den Stabreim herbeischaffende Besserung der .Papierhandschriften . . . á
bài um borinn (vgl. Vegtamskvida 11, 7) ist wohl die einzig mögliche.
1) Vgl. auch Svend Yonved C 43. 44 (Grundtvig 1, 244) die Rätsellösung:
for asten stod deu íisk i flod,
for vesten staar de foler i stod,
for norden hlaeser den haarde vind.
124
Heuslei':
Die Entstellung dieser einfachen Form kann man weder der mündlichen
Überlieferung- noch zwei selbständigen Aufzeichnungen zutrauen.
Die Frage, ob hinter den beiden Redaktionen H und R eine gemein-
schaftliche Aufzeichnung stehe, könnte jedoch nur auf Grund des ganzen
Sagatextes beantwortet werden. Die Bätseistrophen für sich geben durch
ihre gemeinsamen Fehler, wie wir sahen, nur unsicheren Anhalt zur Be-
jahung der Frage.
Die Rätselreihe ist in die Handlung der Saga hineingestellt. Das
Wesentliche an der Rahmenerzählung ist dies:
Ein Schuldiger soll sich frei kaufen können dadurch, dass er Rätsel
stellt, die der König Heidrek nicht zu lösen vermag.1) In der Gestalt
des Schuldigen Gestumblindi aber erscheint Odin, der wahre Gestumblindi,
und nachdem alle seine Bätsel geraten sind, stellt er eine letzte Frage,
die der König nicht beantworten kann, und an der er den Gast erkennt:
er hat das Spiel verloren, und da er sich an dem Gotte vergriffen hat, ist
er einem baldigen ruhmlosen Tode verfallen.
Zwei voneinander trennbare Abstellungen sind hier verwoben: das
Halslösungsmotiv, und zwar in der häufigeren Form, dass der Straffällige
nicht durch Rätselraten, sondern durch Stellen einer unlösbaren Frage
sein Leben erwirkt. Sodann das Motiv: der weise König hat sich auch
einmal mit dem weisesten der Götter gemessen, und ihm unterliegt er.
Odin ist nicht nur der grosse Zauber- und Runenkünstler, und der Kenner
der forn spioll fira: auch Rätsel weiss er aufzugeben wie kein Zweiter.
Als Odins gátur, Odinsrätsel, geben sich thatsächlich die Fragen der
Hervarar saga.
Für die Personen der Erzählung ist daher das episch - dramatische
Interesse an dem Auftritt ein anderes als für den eingeweihten Hörer der
Saga: jene sehen den Befreiungsversuch des Verbrechers, dieser den Wett-
kampf zwischen dem Gott und dem König.
Das zweite der genannten Motive gehört echt nordischer Anschauung
an: es stellt sich neben die geistigen Siege Odins in den Grímnismál,
Yaffirúdnismál, auch dem zweiten Odinsbeispiel. Das erste Motiv, das
der Halslösung, ist mehr internationaler Art; vgl. Petsch S. 15ff. Aber
bei den sonstigen Halslösungen pflegt ein Rätsel gestellt zu werden, das
der Beantwortung spottet und sogleich die Befreiung herbeiführt. In
unserem Falle haben wir einen langen Dialog, einen Wettkampf ohne
Wechsel der Rollen, dieselbe äussere Form, die in den Alvíssmál und den
Fiolsvinnsmál angewendet ist.
1) Der Text H fügt das überladende Motiv bei: er soll die Königstochter bekommen,
wenn er Sieger bleibt.
Die altnordischen Rätsel.
125
Die beiden letztgenannten Gedichte nebst den Vaffmídnismál hat man
häufig als weitere Rätselstücke neben die Heidreks gátur gestellt. Aber
offenbar mit Unrecht. Denn sie prüfen nicht die Ratekunst, sondern die
Gelehrsamkeit; es sind Wissensproben, keine Rätsel. Zwar ist die Grenze
zwischen diesen zwei Dingen flüssig: die Wissensfrage kann sich in die
verhüllende Sprache des Rätsels kleiden. So sehen wir es in manchen
Strophen des Rigvedaliedes 1, 164, das Haug, Sitzungsberichte der bayr.
Akademie 1875, 2, 457ff., erläutert hat1); z. B. Strophe 44:
„Drei Behaarte erscheinen, (jeder) zu (seiner) Zeit; einer von ihnen
mäht während des Jahres ab; einer beschaut das All durch (seine) Hilfe-
leistung1 (es beschützend); von einem sieht man den Lauf, aber nicht die
Gestalt";
nach Haug: Agni in verschiedenen Gestalten und Regionen. Als reine
Prüfung der Kenntnis würde die Frage vom umgekehrten Ende angefasst,
etwa so: in welchen drei Handlungen erscheint Agni? Allein die be-
treffenden Eddalieder, im besondern die Yafprúdnismál, legen in ihre
Fragen keinerlei Versteckspiel und sondern sich dadurch von der Rätsel-
gattung aufs deutlichste ab.
Dies führt uns auf jene Strophe der Heidreks gátur, die den drama-
tischen Abschluss des Dialogs bildet. Die Frage nach Odins letzten
Worten an Baldr. Es ist klar, dies ist kein Rätsel, sondern eine Wissens-
probe. Als solche steht sie stillos am Ende unserer Scene, dagegen ist
sie — inhaltlich übereinstimmend, im Wortlaut verschieden — der ange-
messene Schluss des Kataloggedichtes Yafprúdnismál.
Es sieht wie ein wunderliches Spiel des Zufalls aus, dass auf der
einen Seite die Rätselkette mit einer Wissensprobe endigt, auf der andern
Seite eine Reihe von mythologischen Wissensfragen in ein Rätsel ausläuft.
'Hes ist nämlich der Fall in der Vegtamskvida. Die Halbstrophe 12:
hveriar ró pser meyiar,
er at muni gráta
ok á himin verpa
halsa skautum?
ist nach Anlage und Ausdruck der nächste Verwandte unserer Gátur, im
besondern der Wellenrätsel.2) Nun hat man mit Recht bemerkt (Finnur
•'ónsson, Litt. hist. 1, 147. Niedner, Ztschr. f. d. Altert. 41, 310), dass
Odins Abschiedsworte an Baldr dasjenige wären, was man als Schluss der
Vegtamskvida fast notwendig erwartete; auch das Kenntlichwerden Odins
vor der Seherin würde durch diese Frage weit besser begründet als durch
die vorliegenden Rätselzeilen. So wie die Vegtamskvida überliefert ist,
1) Die kurzen Charakteristiken der Götter Rigveda 8, 29 (übers, bei tìeldner und
Siebenzig Lieder, No. 53) erheben kaum den Anspruch Rätsel zu sein, da sie den
beistand nicht auf Umwege führen.
2) Bugge, Studien S. 263fl'., Wimmer, Laesebog4 S. 15G deuten die Halbstrophe auf
die Wellen, Uhland, Schriften b, 187 auf die Wolken.
126
Heusler:
kann der poetische Sinn, wie mir scheint, nur der sein: die Frage ,wer
wird Baldr beweinen?' wird von Odin nicht mehr, wie die vorausgehenden
Fragen, direkt gestellt, sondern in ein Rätsel verkleidet; an der geheimnis-
vollen Unlösbarkeit erkennt die Yolva den Gott. Dem Dichter muss dieses
absichtlich dunkel gehaltene Rätsel als ebenso unratbar gegolten haben,
wie auch die letzten Worte an Baldr niemand wusste und wissen durfte,
und wer sich heute um die Antwort bemüht, der geht über die dichterische
Intention dieser Abschlussfragen hinaus.
Man wird natürlich nicht annehmen, dass Heidreks gátur und Vegtams-
kvida durch einen . seltsamen unerklärlichen Tausch zu ihren jetzigen
Schiassfragen gelangt seien! Aber auch den Gedanken, dass die Rätsel-
scene einst einen anderen, stilvolleren Ausgang hatte und erst nach dessen
Verlust die Anleihe bei den VafprúSnismál machte, werden wir verwerfen.
Das Thema ,Odins Worte an den toten Baldr' war traditionell, als die
unlösbare Frage par excellence: es konnte auch als dramatische Spitze
eines Rätselwettkampfes zur Not gebraucht werden, zumal es die erforder-
liche Eigenschaft hatte, Odins Maske zu lüften.
Dass die Heidreks gátur einfach aus den YafprúSnismál entlehnt
hätten, dagegen spricht der stark abweichende Wortlaut:
Heiflr. 36 Vafpr. 54
hvat mselti üfl'inn hvat mselti OfTirrn,
í eyra Baldri, ácTr á bài stigi,
äör hann vseri á bài haför. sialfr í eyra syni.
Der Helming links ist, sobald man die schlagende Emendation . . . á
bál um borinn (oben S. 123) einführt, tadellos. Die andere Fassung hat
zwei störende Formhärten: das stabende ádr (statt bál) und das stablose
eyra (dem folgenden Nomen untergeordnet).1)
Die Sage von König Heidrek bot also einen episch - dramatischen
Rahmen dar für eine Folge von Rätseln. An diesen Rätseln selbst haben
wir dreierlei zu unterscheiden: ihren Inhalt, ihre dichterische Ausgestaltung,
ihre Verbindung zur Rätselreihe.
Nach ihrem Inhalt haben die Rätsel Verwandte in fremden Littera-
turen bezw. Volksüberlieferungen, wie Miillenhoff, Zeitschr. für deutsche
Mythologie 3, 1 ff. (1855) zuerst im einzelnen gezeigt hat (vgl auch
Uhi and, Schriften 3, 184 ff. 6, 260ff.). Die Rätselstoffe gehörten, wie
die Sprichwörter, wie die Märchen und Novellen, zu den Wandermotiven,
1) Es sieht so aus, als sei der Text der Vafpr. ursprünglich für episches Yersmass
geprägt worden:
hvat mselti Baldri,
ádr á bál stigi,
Odimi í eyra
Die altnordischen Rätsel.
127
die sich schon yor den Zeiten litterarischen Austausches über die Völker
verbreiteten. Blosse Übereinstimmung im Gegenstande der Frage genügt
nicht, um Verwandtschaft aufzustellen; z. B. haben, die beiden Brücken-
rätsel, das neuisländische bei Jón Arnason No. 270:
Fór eg yfir fjörölnn snar,
á fáknum très óvondum,
fjórar voru í fjalirnar,
fiatar á bdöum löndüm
und das unserer Saga No. 2:
sá ek á. veg vega,
vegr var undir
ok vegr yfir
ok vegr á alla vega •
keine Berührung- miteinander. Erforderlich ist, dass derselbe Zug zur
Kennzeichnung des Gegenstandes gewählt werde; Ubereinstimmung im
Motiv. So kann auch bei ungleichem Gegenstande Motivähnlichkeit und
unter Umständen thatsächlicher Zusammenhang vorhanden sein (mehrere
Beispiele im folgenden).
Wenn wir uns demnach auf entschiedene Motivähnlichkeit beschränken,
so finden wir unter alten und neuen Rätseln auffallend wenig Gegenstücke
zu den 36 Heidreks gátur. Diese nehmen, im ganzen betrachtet, eine
abgesonderte, einsame Stellung ein. Selbst die färöische Ballade Gátu
Rima, der eben unsere Sagascene zu Grunde liegt, hat bis auf zwei oder
drei Fälle, Str. 22 ff.1), neue Rätselinhalte eingeführt.
Aus den etwa 90 altenglischen Rätseln des 8. Jahrh. (in Grein-
Wülkers Bibliothek 3, 183 ff'.) lassen sich wohl nur die folgenden Stücke
vergleichen:
No. 17 der Anker:
oft ic sceal wip waege wintian and wip winde feohtan,
somod wip pam ssecce, ponne ic secan gewite
eorpan ypum peaht — — —- — — —
Ic him pset forstonde, gif min steort polap
and mec stipne wip stanas inoton
faeste gehabban;
Heben unserer Gáta No. 6:
Hverr er sá h inn mikli,
er mçrgu raeör
ok horfir til heliar hálfr?
çldum hann bergr,
en vicF iprö" sakask,
ef hann hefir sér veltraustan vin.
1) Da hier nur die Antwortstrophen bewahrt sind, bleibt die Form der Fragen und
]hre Übereinstimmung mit den alten Gátur zweifelhaft.
128
Heusler:
No. 37 das Mutterschwein, neben der Gâta No. 12; vgl. unten S. 142.
No. 58 die Hagelkörner1):
peos lyft byrei lytle wihte
ofer beorghleopa, pa sind blace swipe,
swearte, salopade — — — — —;
neben unserem Rätsel No. 10:
hvítir fliúgendr
hellu liósta.
en svartir í sand grafask.
Die Ähnlichkeit ist überall nur eine sehr entfernte, ein (mittelbarer)
Entstehungszusammenhang kann nur bei dem Rätsel vom Mutterschwein
in Betracht kommen. Noch geringfügiger ist der Anklang des Rätsels
No. 51, das Feuer, an Gata No. 29. Die zehn bis zwölf übrigen Rätsel,
die vielleicht (oft ist ja die Deutung ganz unsicher) im Gegenstande mit
den nordischen Fragen übereinstimmen, zeigen keine Motivverwandtschaft.
Die sechs Reichenauer Rätsel (10. Jahrh., MSD. No. A ll) bieten keine
Parallele, ebensowenig das Traugemundslied (um 1200, MSD. No. XLVIII),
die Rätselsammlung der Weimarer Hschr. (15. Jahrh., Köhler, Kl. Sehr.
3, 499 ff.) und das Strassbnrger Rätselbuch (von 1505, herausg. von Butsch
Strassburg 1876).
Unter den neueren Sammlungen von Yolksrätseln stellt sich die islän-
dische von Jón Arnason (Islenzkar Gátur. Kph. 1887), mit ihrer statt-
lichen Zahl von 1194 Nummern, abseits von den übrigen. Einige dieser
Rätsel nämlich verraten deutlich eine unmittelbare, litterarische Einwirkung
der alten Heidreks gátur, die seit dem 17. Jahrh. auf Island wieder bekannt
waren und mit der anderen Eddadichtung abgeschrieben wurden. Die
klarsten Fälle sind diese:
Die beiden Eirätsel, No. 764:
í hverju báru meyarnar
mjöiina til skemmunnar?
pai var hvorki mei höndum gert
né hamri slegiö
und No. 1038: (der Anfang abweichend, dann) pad var hvorki med höndum
gert eda med hamri smídad. Ygl. Gáta No. 17 oben S. 122.
Das Rätsel von der Mühle No. 814 hat seinen Schluss:
m ser h var elur meyu vii
mög á reginfjalli
unserem Angelikarätsel No. 18 entlehnt ( . . . á reginfialli, elr vid kván
leona, maer vid meyiu inog of getr).
Ausserdem halte man No. 1099 die Sonne ( . . . en voru nú vargar
tveir med henni) neben Strophe 15 ( . . .. ok keppask um pat vargar
1) So nach Trautmanns Deutung; nach Dietrich die Schwalben oder Staare oder
Mücken !
Die altnordischen Rätsel.
129
ávallt)1); No. 684 die Wellen (hverjar eru hreinar meyar hvitfaldactar,
aldrei nema í vindi vaka) neben Strophe 21, oben S. 120; No. 683 die
Schneehühner (hverjar eru ávallt á hvítum klaectum á vetrum en dökkvum
'à sumrin) neben Strophe 20 (hvítan skjold paer á vetrum bera, en svartan
um sumar).
Bei dieser Sachlage können wir kein einziges der neuisländischen
Rätsel mit Sicherheit als unabhängiges Gegenstück der Heiäreks gátur
hinnehmen; die Ähnlichkeit kann immer auf Nachbildung der litterarisch
überlieferten alten Strophen beruhen.
In anderen Sammlungen finde ich an bemerkenswerten Gegenstücken
zu unseren Gátur folgendes.
In erster Linie das ehrwürdige Kuhrätsel (No. 28), das von den Alpen
bis zum Polarmeer vielleicht nirgends fehlt. Der altnordischen Fassung:
fiorir hanga,
fiorir ganga,
tveir veg visa,
tveir hundum varila,
einn eptir drallar
ok optast saurugr
kommt, so viel ich sehe, die dänische am nächsten (bei Grundtvig, Gami
danske minder, 2. Ausg., 1, 223):
Fir hengen, fir sprengen, tow viser Vsej, tow virjer far e Hun, se
gammel Man kommer slonten sebag setter.
Die übrigen zahllosen Varianten haben von den beiden Zügen des
Wegweisens und des Hundeabwehrens zum mindesten den einen fallen
'assen. Die gemütliche Schlusswendung (ok optast saurugr) kehrt nirgends
nieder. Ygl. Miillenhoff a. a. O. S. 4f. Landstad S. 807. Faerosk Antho-
logi 1, 324, No. 35. Svenska Landsmâlen VII. 4, No. 125. Jón Árnason
254. 255. Rochholz, Kinderlied S. 221. Wossidlo S. 80. Renk in
dieser Zeitschrift 5, 151. Köhler, Kl. Sehr. 1, 267. — Jedenfalls haben
Nvir hier nicht blosse Motivgemeinschaft vor uns, sondern eine poetisch
geprägte Urform liegt zu Grunde. Es fragt sich, ob wir sie uns stabreimend
°der endreimend zu denken haben. In den altisländ. Yersen ist sozusagen
der Schein des Stabreims gewahrt: die beiden ersten Langzeilen erzielen
die Stäbe nur durch Wiederholung der Zahlwörter, die erste hat daneben
den ohrenfälli gen, zweifellos ursprünglichen Endreim, die zweite übertönt
den Stab t durch die Binnenallitteration veg: visa2); in der tadellos stabenden
1) Allerdings ist die Vorstellung von den Sonnenwölfen auf Island noch lebendig,
Arnason, pjodsögur 1, 658f. 2, 549.
2) Man darf nicht in veg: visa: varda die drei Stäbe der Langzeile erblicken; denn
ein Hauptstab könnte nicht hundum stablos vorangeschickt sein. Auch in der Sammel-
te, No. 7, kommt die Betonung der beiden ersten Verse:
hverr byggir há figli,
hverr fellr í diúpa dali
tesser zu ihrem Recht, wenn man Binnenstabreim annimmt (h: h, d: d).
130
Heusler:
dritten Langzeile ist der letzte Kurzvers vermutlich Zugabe. Die Grund-
gestalt möchte ein Gemisch von Endreim und Binnenstabreim gewesen
sein1); vgl. unten S. 133.
Die Ähnlichkeit geht in keinem zweiten Falle so weit, dass ein ge-
meinsamer AVortlaut als Grundlage zu erschliessen wäre; ausgenommen
etwa die zwei einfachen Zeilen in No. 7:
hverr andalauss lifir,
hverr aeva pegir
neben den Versen des norwegischen Rätselgedichts (Landstad S. 370 Str. 4):
hot er defí, som tyt o g aldri tiger . . .
og hot er defî, som andelaust liver;
Antwort: Wasserfall und Fisch.
Der Reiter zu Pferd wird in den Yolksrätseln häufig durch die Zahl
der summierten Glieder gezeichnet, z. B. bei Wossidlo No. 424a:
keem -n diert ut nuurden, hadd vier uhren,
hadd söss fööt, hadd'n langen start.
Indem der heidnische oder wenigstens mythenkundige Is'ordmann hier
seinen einäugigen Göttervater und dessen achtbeiniges Ross einsetzte,
gelangte er erst zu der richtigen Pointe, einem überraschenden Zahlen-
verhältnis, ohne dass dabei der schlichte sprachliche Ausdruck im mindesten
gesteigert wurde:
No. 35. Hverir ró peir tveir,
er tiu hafa foetr,
augu priu,
en einn hala?
Zu der toten Schlange, die auf der Eisscholle treibt (Strophe 24), hat
Bugge S. 358 seiner Ausgabe neunorwegische Rätsel gleichen Gegenstandes,
doch weit einfacherer Form angeführt. Mit den verschiedenen Eirätseln,
die den Inhalt dem Bier, die Schale einem absonderlich gezimmerten
Gefäss vergleichen, hat die malerisch reich ausgestattete Str. 17 (oben S. 122)
nur eben diese beiden Grundmotive gemein. Die im Schädel nistende
Ente (Str. 27) berührt sich auch nur dem allgemeinen Umriss nach mit
den Rätseln vom ,Lebendigen im Toten' (unten S. 141).
Geringfügige Anklänge, wie die Yergleichung des Mistkäfers mit der
Sau (Str. 11: Dybeck Runa 1850, No. 33. Svenska Landsmâlen VII. 4,
No. 102 2J), das ,Kopf unten, Wurzel oben', hier auf den Lauch, dort auf
den Eiszapfen oder die Oberzähne angewandt (Str. 8: Gátu Rima v. 16.
1) Vergleichbar die altdeutschen Segenssprüche MSD. 1, 1.6—18 und in andrer Weise
das Sprüchlein der Sturlunga saga 1, 249:
Loptr er í Eyium, bitr lundabein,
Ssemundr er á heidum, etr herin ein.
2) Die Spinnenrätsel bei Jón Arnason No, 219. 942. 944 verbinden den schwarzen
Eber der Strophe 11 mit einem Motiv aus Strophe 14.
Die altnordischen Rätsel.
131
Landstad S. 372, No. 14. S. 809, Nr. 22. Jón Árnason No. 574), würden
sich noch weiterhin anreihen lassen, und ausgebreitetere Belesenheit könnte
wohl noch die eine und andere Parallele beifügen. Aber soviel wird, wie
ich glaube, in Geltung bleiben: moderne Rätselsammlungen wie etwa die
von Wossidlo und von Jón Arnason erscheinen sowohl unter sich wie auch
mit Sammlungen der Reformationszeit nah verwandt, dagegen von der
Rätselreihe der Hervarar saga durch einen grossen Abstand getrennt.
Es ist zu bemerken, dass auch die Menge der altnordischen Sprichwörter
in dem modernen Gnomenschatze befremdlich wenig Verwandte hat. In-
dessen wird man doch nicht annehmen, dass fünf Sechstel der Heidreks
gátur auch ihrer inneren Form nach dem Auslande gefehlt hätten, auf
Island bodenständig waren. Das Material an ungelehrten Rätseln, das uns
das Mittelalter zur Yergleichung darbietet, ist zu dürftig. Unmittelbar auf
nordische oder gar isländische Heimat weisen nur ein paar unsrer Gátur
hin (unten S. 140).
Die zwei Vorgänge: die poetische Ausgestaltung der Rätsel und
ihre Verbindung zur Reihe könnten an und für sich zusammenfallen;
d. h. der Mann, der den Wettkampf König Heidreks darstellen wollte,
hätte die Rätselmotive in Prosa oder in einer ihm nicht zusagenden Vers-
form angetroffen, und er selbst hätte dann die uns vorliegenden Strophen
gebaut; die von ihm gedichtete Reihe könnte später durch Zuthaten ver-
mehrt worden sein. Von dieser Voraussetzung geht F. Jónsson a. a. 0. aus.
Ebensowohl möglich ist aber, dass der Hersteller der Gestumblindi-Scene
emzeln umlaufende, fertige Rätselstrophen zusammentrug; dass er also im
Wesentlichen Sammler war.1) Das Vorhandensein stabreimender Einzel-
i'ätsel im Island des 12. Jahrhunderts kann nicht befremden; die Annahme
^äre selbst dann kaum zu entbehren, wenn man den Grundstock unserer
Atrophen einem Dichter zuschreibt, denn dieser hätte doch wohl Vorbilder
haben müssen, und die späteren Zuthaten würden dem Schatze der Einzel-
Rätsel entstammen.2)
Für die erste Auffassung, die Hand eines Dichters, spricht, soviel ich
sehe, kein Umstand; die andere Auffassung kann sich auf folgende vier
T hats ach en berufen.
1) Diese Auffassung deutet Möllenhoff an, a. a. O. S. 5. Heinzel S. 39 drückt sich
Unbestimmter aus: „auch die Gesamtheit der Eätsel, welche Gestumblindi-Odin dem König
Heidrek vorlegt, wird nicht gleichzeitig mit der Geschichte von dem Konflikt zwischen
^eidrekr und Gestumblindi entstanden sein."
2) Wenn Olafs grammatische Abhandlung (verfasst um 1250), nachdem sie die erste
älfte des Eisschollenrätsels angeführt hat, fortfährt: ßesskonar fígúru knllum vér gátu,
?.. ei k°n iafnan sett í skáldskap, so bedeutet dies wohl nicht, Rätsel in Yersform seien
äufig gewesen, sondern Umschreibungen, die dem Rätsel innerlich verwandt sind, pflege
in der Dichtung anzuwenden. Die Stelle steht Islands gramm. Litt. 2, 114. Ähnlich
ln der Laufáss Edda SnE. 2, 633.
132
Heusler:
Zuerst ein Punkt, der allein genommen nichts zu beweisen vermöchte.
Die Rätsel selbst enthalten nirgends eine Anspielung auf die Personen
des Gesprächs oder auf den sagenhaften Zusammenhang — wobei von den
Kehrreimen, der Zuthat des Ordners, natürlich abzusehen ist. Ein paar
scheinbare Widersprüche sollen rasch berührt werden:
1, 3 liest der Text H:
konungr, gettu hvat pat var,
also mit Anrede des Königs. Die Zeile ist verderbt, das Richtige hat die
Hschr. R:
vittu hvat pat var;
das stablose Substantiv zu Anfang ist fehlerhafter Einschub.
In dem Eingangsrahmen (Str. 8ff.):
hvat er pat undra,
er ek úti sá
fyrir Dellings durum
liest H doglings statt Dellings, und Bugge S. 356 ist geneigt, dies für das
Richtige zu halten: doglingr wäre = Heidrekr also eine Anspielung auf
die Sagascene. Aber fyr Dellings durum ist doch sicher die alte Formel
mit geheimnisvollem Anklang, dieselbe wie in den Hávamál 160, 3, und
auch bei der Schreibung Doglings hat der mythische Eigenname vorge-
schwebt, der auch in den Handschriften der Snorra Edda in diesen beiden
Formen auftritt (vgl. Mogk, Beitr. 6, 525).
Das nur in H überlieferte Pfeilrätsel No. 13 lautet:
ovarlega (1. ofarlega) flygr,
arrnlod (1. arnhliód?) gellr,
hardar eru hillm:
Die entstellte Schlusszeile wird von Bugge ergänzt zu:
harcTar ró, hilmir! greipr;
durch diese Konjektur würde eine Anrede au den König geschaffen, die
Buu'se selbst als bedenklich bezeichnet. Vorzuziehen wäre da wohl der
o O
Dativ hilrni: „gefährlich sind dem Fürsten die Klauen." Aber auch dies
befriedigt nicht;, denn da die vorausgehenden Yerse auf den leibhaftigen
Adler zutreffen, muss die Schlusszeile ein klares einschränkendes Element
bringen, das die Deutung auf den Pfeil hinlenkt; ein solches läge z. B. in:
haröar ró hiálmum greipr,
man vergleiche bryngagl ,volucris loricae' als Umschreibung für Pfeil;
hlifurn statt hiálmum läge weiter von der handschriftlichen Lesart ab.1)
Demnach ist nirgends eine Hindeutung auf König Heidrek anzuerkennen;
die Rätsel sind neutral, setzen keine bestimmte epische Situation voraus.
1) Als Vers 2 vermute ich: arnliod gelr „es (das fliegende Wesen)-singt ein (zaube-
risches) Adlerlied", vgl. vargliód MHu. I. 42, 3, aucli Darradarliód 10 (Niála c. 157) ist
gewiss sigrlióda, geirlióda zu leseli. Das Verbuni gala würde gut in das Bild vom Vogel
passen.
Die altnordischen Rätsel.
133
Zweitens ist mit der Annahme des rätse]sammelnden Ordners leichter
vereinbar die Ungleichheit des Strophenmasses: zwei Drittel der Rätsel
sind im gmomischen Masse (Liódaháttr), ein Drittel im epischen (Fornyr-
(tislag) verfasst. Nun hat allerdings F. -lónsson in seiner Abhandlung die
Strophen epischer Form zu den nachträglichen Erweiterungen der Reihe
gerechnet. Allein, die Ausscheidung dieses Drittels wird weder durch die
äussere Überlieferung noch durch Reihenfolge, Inhalt oder Stil der Rätsel
nahe gelegt; sie findet ihre Begründung nur in der Annahme, die wir hier
auch von anderen Seiten zu widerlegen suchen, in der Voraussetzung des
einheitlichen Dichters. Und selbst unter dieser Voraussetzung zögert man,
die metrische Zwiespältigkeit als etwas Unursprüngliches anzusehen. Gab
es doch in der isländischen Uberlieferung des 12. Jahrhunderts - diesen
Zeitraum nimmt auch F. Jonsson an — Gedichte genug, skaldische und
eddische, die die beiden Masse mischten, gleichviel ob die Mischung ur-
sprünglich war oder erst durch Zersingen bewirkt. — Im besondern spricht
gegen die Beseitigung der epischen Strophen das Rätsel von Odin auf
Sleipnir, das im epischen Masse gehalten ist: es steht in beiden Texten
vor der mythologischen Schlussfrage und soll offenbar die Überleitung
dazu bilden. Ich finde es wahrscheinlicher, dass dieser Gedanke auf den
Ordner, als dass er auf einen Interpolator zurückgeht. — Darauf möchte ich
kein Gewicht legen, dass Rätsel 1, eine gnomische Strophe, die zweifellos
zum ursprünglichen Bestände gehört, Ausweichungen der Form zeigt, die
an das beim Kuhrätsel beobachtete erinnern (oben S. 129): der zweite
Helming:
ly ¡Ja lemill,
orfìa tefill
ok orda upphefill
hat durchgehenden Endreim bezw. Assonanz, dagegen lückenhaften oder
abnorm gestellten Stabreim. Nach einem blossen Schreiberverderbnis (etwa
]yda statt yta) sieht es nicht aus.
Sobald wir in der Rätselscene eine Sammlung schon vorhandener
Strophen erblicken, kann die metrische Uneinheitlichkeit nicht befremden.
Gegen den einen Dichter der Rätsel zeugt drittens die grosse Un-
gleichheit des Stils. Sie erstreckt sich ebenso auf die innere wie auf die
äussere Form. Manche Rätsel sind von primitiver Einfachheit der An-
schauung, manche gefallen sich in malerischem Beiwerk oder in kühn
phantasievoller Ausdeutung der Wirklichkeit. Die einen entfernen sich in
W ortschatz und -Stellung kaum von der Prosa, die anderen greifen zu
gesteigerten dichterischen Ausdrucksmitteln. Die ganz verschiedene Gestalt
^ei> Eingänge, der Rahmenelemente fällt besonders in die Ohren. Um
e*nen halbwegs gleichartigen Grundstock übrig zu behalten, müsste man
111 ^er Ausscheidung sehr schonungslos vorgehen.
^eitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 10
134
Heusler:
Das vierte Argument liegt darin, dass nur die Rätselfragen in Verseil,
die Auflösungen in Prosa gehalten sind. Schon ein isländischer Schreiber
des 17. Jahrhunderts hielt dies für eine Verderbnis und setzte die Ant-
worten ebenfalls in Verse um — wobei denn freilich Stil und Versbau
auf Schritt und Tritt das junge Machwerk verraten. In dieser unechten
Gestalt wurde die Rätselreihe, nach einer seither verlorenen Handschrift,
von Stephanus Biörnonis gedruckt (Hervararsaga ok Heidreks kongs. Hafniae
1785) und darnach in den späteren Ausgaben (vgl. besonders Fornaldar
sögur 1, XXVI), bis Bugge die echten alten Texte vorlegte. Aber auch
Bugge noch (Ausg. S. 241. 263. 370) nahm an, dass die Prosa — wenigstens
teilweise — Verse ersetze, und Heinzel S. 29 rechnet „Prosa statt der
Verse in der Auflösung der Rätsel" zu den Abweichungen vom ursprüng-
lichen. Mit F. Jónsson a. a. 0. S. 514 können wir diese Ansicht nicht
teilen. Es wäre unerklärbar, dass die poetische Form nur in den Ant-
worten durchgängig zerstört, in den Fragen im ganzen wohl bewahrt worden
wäre. Vielmehr haben wir in dieser Verbindung von Rätselvers und
Lösungsprosa einen ursprünglichen Zug zu erkennen: die einzeln um-
laufenden Rätsel, die der Sammler vorfand, hatten Versform, ihre Lösungen
nicht — das normale Verhältnis in der Rätselgattung, wie jedes Sammel-
werk zeigen kann1); verlangt man doch von dem Ratenden nicht, dass er
Verse improvisiere oder gar eine schon geprägte Lösung auswendig wisse.
Diesen Stand der Dinge behielt der Sammler einfach bei. Hätte er als
Dichter eine Rätselkette neu gedichtet, dann wäre allerdings zu erwarten,
dass er zugleich auch die Lösungen in Verse gebracht, dass er also ein
wirkliches Rätselgedicht hergestellt hätte. Aber ein Rätselgedicht — wie
das Traugemundslied, wie das norwegische Volkslied Pá grönalidheidi (Land-
stad S. 369if.), die färöische Gátu Rima, das Kranzsingen (Uhland, Volkslieder
1,7ff.), neuere Wechselstrophen zwischen Jüngling und Mädchen (z. B. bei
Wossidlo S. 123ff.) — wollen die Heidreks gátur nicht sein; sie sind eine
durch äusserliche Haften verbundene Rätselsammlung, und einer solchen
gebührt die ursprüngliche, prosaische Form der Auflösungen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Sammler zu einzelnen seiner
Rätsel eine versifizierte Lösung vorfand; er musste die dann naturgemäss,
wollte er seinen eigenen Plan nicht durchkreuzen, in Prosa umsetzen.
Spuren von poetischer Fassung zeigt, wie ich glaube, nur die Lösung der
Sammelfrage, No. 7 (bloss in H überliefert):
hrafn byggir iafnan á hám fiçllum, en dçgg felli' iafnan í diúpa dali,
fiskr liílr andalauss, en piótandi fors pegir aldregi;
man beachte besonders das stabende Epitheton ornans piótandi. Dass
auch die Antwort auf die mythologische Schlussfrage unserem Sammler in
1) Unter den 1194 Nummern der neuisländischen Sammlung sind etwa acht Neuntel
der Rätsel in Versen, poetische Auflösungen finden sich nur fünf.
Die altnordischen Rätsel.
135
gebundener Rede vorlag, ist sehr wahrscheinlich. Aber die allenfalls her-
zustellenden Yerse dürfen wir nicht in den Text der Sagascene einsetzen,
da König Heidrek nicht zu guter Letzt aus der Rolle fallen und eine
¡Strophe improvisieren kann !
Von der hier begründeten Auffassung aus halten wir es für aussichtslos,
einen Teil der Strophen zu entfernen, um einen möglichst einheitlichen
Kern übrig zu behalten. Denn an eine zusammengetragene Reihe von
Strophen dürfen wir nicht den Massstab anlegen wie an ein individuell
geformtes Spruchgedicht von der Art der Hávamál Teil I. Und über die
Ingleichartigkeit im Stil kämen wir, wie schon bemerkt, doch nicht
hinweg.
Was die Zahl der Rätsel anlangt, so mag immerhin die Absicht der
Erzähler und später der Abschreiber im ganzen auf Vermehrung gegangen
sein. Aber um gerade die Plusstrophen der beiden Fassungen als An-
wüchse zu erweisen, fehlt es an bestimmtem Anhalt. Bei der obscönen
Frage No. 30 z. B., einem Plusrätsel von H, sind die beiden Möglichkeiten,
dass der erste Ordner sie des Gottes nicht würdig fand (Heinzel S. 39),
und dass ein späterer Schreiber Anst.oss an ihr nahm, doch wohl gleich-
wertig. Die Behandlung desselben Gegenstandes in mehreren Rätseln
muss nicht notwendig der ursprünglichen Anlage abgesprochen werden,
finden wir doch sogar in einem echten einheitlichen Rätselgedicht, dem
norwegischen P;i grönalidheidi, zweimalige Vorführung der Sonne (in
Str. 16. 17 und 20. 21).
Wenn die Reihenfolge der Rätsel in den beiden Texten so stark
abweicht, so ist daraus wohl weniger auf Willkür der Abschreiber zu
sehliessen als auf die Freiheit, die dem mündlichen Vortrag in diesem
funkte zustand. Ihre feste Stelle hatten die drei ersten Rätsel: sie geben
s'ch als neuliche Erlebnisse des Rätselstellers und bilden dadurch eine
•^t Einführung (F. Jónsson a. a. O. S. 517), ohne dass sie irgendwie auf
'tas Schicksal Gestumblindis und die besonderen Umstände bei seinem
(,ang /uni Königshofe Bezug nähmen. Die Erwähnung des gestern ge-
sunkenen Bieres, des Weges über die Brücke, des unterwegs gesogenen
Taues erinnert an die ebenfalls persönlicher gehaltenen Eingangsfragen
'tas Traugemundsliedes :
wâ Isege du hinaht?
oder wâ mite wrere du bedabt?
oder in welre hande wise
bejageste kleider oder spise?
Ferner hat das letzte Rätsel, das von dem reitenden Odin, seine wöhl-
'gründete Stellung vor der unlösbaren Odin-Baldr-Frage (oben S. 133).
In der Anordnung der übrigen Rätsel scheint die Fassung R stellen-
weise ein Streben nach Verbindung des stofflich Verwandten zu verraten:
'dasebalg hinter Goldschmiedehammer (Ko. 4. 5), saugende Ferkel, trächtige
• " ' ' ■: •' •' ■ 4 iö*; " 1 ' :
136
Heasler :
Sau, Kuli beisammen (No. 25—27). Doch geht dies nicht über einzelne
Anläufe hinaus. Dagegen wirkt in dem Texte H unverkennbar der Grund-
satz, den man als den näher liegenden gelten lassen mass: die Räte) mit
gleichen Eingängen gehören zusammen. Vor allem stehen die neun Strophen
mit dem breiten Rahmenelement hvat er pat undra . . . (oben S. 132) ge-
schlossen hintereinander (No. 8 — 16); ebenso die sechs Strophen mit dem
Anfang hveriar ró (No. 18—23). Yon den vier Fragen mit hverr er sá
liinn (No. 4—6. *29), von den füllten mit ek sá oder sá ek (No. 24. 30.
32 34) halten bloss je dreie zusammen. Die beiden Eingänge hvat er
j>at dyra (No. 25. 26) folgen einander (dies auch in R No. 16. 17), die
beiden hverir ró peir stehen getrennt (No. 31. 35). Folgerichtig ist daher
auch dieser Gesichtspunkt nicht durchgeführt.
Worauf sich die ursprüngliche Anordnung begründet haben mag, ist
nicht zu entscheiden.x)
Die Thätigkeit des Sammlers äussert sich in den Kehrreimen, die
er den Rätseln anhängte. Den mündlichen Einzelrätseln kann die be-
schliessende Langzeile :
Heidrekr konungr,
hyggffu at gátu
noch nicht angehört haben. Auch in den beiden Fällen, wo sie die Acht-
zahl der Kurzverse auffüllt (No. 28. 30), kann man sie nicht als not-
wendigen Bestandteil' der Fornyrdislagstrophe bezeichnen (Heinzel S. 39) :
hier liegen eben sechsversige Gruppen vor, neben den achtversigen und
den vierversigen, wie auch in so manchen Eddaliedern; bei No. 28, dem
berühmten Kuhrätsel, kann kein Zweifel sein, dass es einmal unabhängig
von König Heidrek bestand. Allgemeinere Aufforderungen zum Raten
kennen wir aus den altenglischen Rätseln: ra.'d, hwaet ic ni;ciie! rece, gif
])ú cunne! u. ähnl. Neuere Formeln bei Petsch S. 58 ff.
Der wiederkehrende Satz, der die Lösungen einleitet,
gót) er gâta pin, Gestumblindi, getit er pei rar (pessar R)
wird von den Herausgebern als Gruppe von drei Kurzversen aufgefasst,
während F. Jónsson a. a. O. S. 514 den Verscharakter bezweifelt. Bugge
Ausg. S. 235 denkt daran, das dritte Stück habe einst gelautet:
getit er gátu peirar;
dann wäre das Ganze ein LióSahátthelming. Wahrscheinlicher ist inir>
dass das blosse:
g ó 0" er gâta pin, getit er peirar,
eine regelmässige Langzeile, als formelhafte Einleitung von Rätsellös ungen
1) Die 17 Rätsel, die F. Jónsson als ursprünglich heraushebt, stehen nach a. 0.
S. 516 f. in dieser Reihe: 1. Bier, 2. Brücke, O.Tau, 4. Goldschmied ehammer, 5. Blasebalg,
(1. Spinne, .7. Lauch, 8. Angelika, 9. Eisscholle, 10. Bretspiel, 11. Bretspiel, 12. Feuer,
18. INebel, 14. Bretspiel, 15. Schneehühner, IG. Anker, 17. Wellen. Eine Ordnung nach
dem Gegenstande wäre jedenfalls auch hier nur in sehr loser Weise befolgt.
Die altnordischen Rätsel.
137
vorlag-: indem der Ordner den Namen der Sagenfigur, Gestumblindi, ein-
schob, gelangte er zu der ungewöhnlichen dreigliedrigen Stabreimgruppe.
Die Auflösungen selbst hatten keine überlieferte feste Form; ihre
Stilisierung war dem jeweiligen Erzähler anheimgestellt, und unsere beiden
Sagatexte gehen in diesem Punkte am weitesten auseinander. Darüber
ausführlich F. Jónsson S. 514 f. Die sachlich treffendere Deutung des
Rätsels findet sich ungefähr ebenso oft in H wie in R; manche Fälle sind
neutral. H neigt zu breiterem Ausdruck, nur in vier Fällen (No. 4. 9.
20. 31) ist R wortreicher. Vor allem aber liebt es H, die epische Situation
in lebendige Erinnerung zu bringen, die beiden Rätselkämpfer aus ihrer
Rolle heraus sprechen zu lassen: R thut dies nur in 2 Fällen, H in 14.
Die Frage, was das ,Ursprünglichere' sei, wird man hier nicht aufwerfen
wollen: schon dem allerersten Erzähler dieser Rätselscene stand der eine
We g so gut offen wie der andere.
Dass zum Teil Missverständnisse in den Lösungen stecken, haben
Hugge und F. Jónsson gezeigt. Mit Bugge S. 357 bin ich der Meinung,
dass die Auflösung von Rätsel No. 17 (oben S. 122) in dem Texte H nur
scheinbar einen phantastischen Irrtum enthält. Sie lautet:
pat eru sedar t-vaer, pser er eggium verpa; eggin eru eigi gor met) h am ri
né hondura, en piónustumeyiar bara olit í eggskurninni:
nachdem der betreffende Schreiber bis zu né honduin gekommen ist, fällt
ihm ein, dass der Ausdruck ambáttir báru ol noch eine Erläuterung be-
dürfe, und die giebt er mit den Worten: „die (von dir so genannten)
iMägde' trugen das ,Bier' in der Eierschale".
Anderseits glaube ich in zwei weiteren Lösungen ein bisher nicht
bemerktes Missverständnis zu erkennen.
Rätsel No. 2 bezeichnet die Brücke als ,Weg der Wege'1):
vegr var undir
ok vegr yfir
ok vegr á alla vega.
Die Auflösung besagt, in H und R sachlich übereinstimmend: unter
('ir hattest du den Fluss, über dir und zu beiden Seiten flogen Vögel,
,das war deren Weg'; sie bezieht also den Schlussvers auch noch auf die
l-uft. In Wirklichkeit muss er auf den Erdweg, die Erde schlechthin (den
foldvegr) .gehen; denn es ist klar, dass die drei Zeilen drei verschiedene
,W ege' meinen, Fluss, Luft, Erde.
Rätsel No. 10, nur in H überliefert, lautet:
hvítir fliiigendr
hei lu li osta,
en svartir í sand grafask.
Die Prosa erklärt dies für Hagel und Regen. Das Richtige ist: der
Hagel allein. Man übersetze: „als weisse fliegende schlagen sie auf die
1) sá ek ;í veg vega, spectavi iu viam viarum, nicht aspexi in via vias.
138
Heusler:
Felsplatte auf, aber als schwarze [wenn sie geschmolzen und durchsichtig
geworden sind] graben sie sich in den Sand." Wir haben somit hier
keine Sammelfrage; die Schlusszeile würde auch nicht genügen, um die
Regentropfen zu kennzeichnen.
Als Entstehungszeit der Rätselscene wird man das 1'2. Jahrhundert
annehmen dürfen: in diesem Zeiträume traten die sogen. Fornaldar sogur
in Blüte, in deren Kreise die Hervarar saga zu den altertümlicheren ge-
hört. Mit der Saga kann auch der Rätselkampf nur auf Island, der
Heimat der Fornaldar sogur, die Rundung, die kunstmässige Gestaltung
erlangt haben. Die Rätselkette im ganzen wirkt nicht als eine Sammlung,
die in gelehrter, litterarischer Absicht unternommen wurde.1) Mit den
mancherlei wissenschaftlichen, philologischen Bestrebungen, die in dem
Island des 12./13. Jahrhunderts in so merkwürdiger Weise auftreten und
in dem Skaldenlehrbuch Snorris ihre bedeutendste Schöpfung hervorbringen,
kann man sie nicht in Zusammenhang setzen. Sie will keine ,jungen
Skalden' belehren, wie sie ja auch nicht als Excerpt aus litterarischen
Denkmälern entstanden ist. Sie giebt sich durchaus als Unterhaltungs-
litteratur.
Das Alter der einzelnen Rätselstrophen -— um dies hier gleich anzu-
schliessen — entzieht sich der Bestimmung. F. Jónsson a. a. O. S. 520
bemerkt, dass in Rätsel No. "25 die Liódaháttvollzeile:
ok er iárni bringt utan
ein utan mit Kürze verlangt, eine Form, die erst mit dem 12. Jahrhundert
auftritt. War also die Strophe älter, so wird es einst:
ok er iárni litan kringt
gelautet haben (so druckte Ettmüller in seinem Lesebuch). Über die
Heimat der Rätselinhalte vgl. oben S. 129 f. Wie viele der Rätsel-
strophen als originale westnordische Dichtung entstanden, wissen wir
nicht; den Anteil von Mutterland und Insel zu sondern, kann man nur in
ein paar Fällen wagen : ausser dem Obsidianrätsel (unten S. 140) möchte
ich für eigenartig isländisch halten: das überkünstliche Homonymenrätsel
(unten S. 142f.), die. kenninggewürzte Strophe 27 von der Ente im Schädel
(unten S. 141) und wohl auch das humorvoll übermütige Rätsel von den
saugenden Ferkeln No. 32 (unten S. 146).
Es bleibt uns übrig, die Rätsel unabhängig von ihrer Umrahmung,
als Kulturzeugnisse und dichterische Gebilde, nach ihren bezeichnenden
Eigenschaften zu betrachten.
Die Stoffe sind zu zwei Dritteln der Natur entnommen: während das
Steinreich einen Vertreter hat (No. 16 Obsidian), das Pflanzenreich zwei
1) Eine andere Ansicht spricht F. Jónsson aus a. a. O. S. 519 f. Litt. hist. 2, 162.
Die altnordischen Rätsel.
139
(-No. 8 Laucli, No. 18 Angelika), giebt das Tierreich, zwölf Fragen her,
wobei das Fehlen der heimischen Raubtiere Fuchs, Wolf, Bär, Adler be-
merkt werden mag. Die Elemente und meteorischen Erscheinungen sind
sehr reichlich, mit elf Rätseln bedacht.
Das übrige Drittel bringt Erzeugnisse des menschlichen Gewerbes,
darunter nicht weniger als drei verschiedene Bretspielarten.
Sein Gepräge erhält das Stoffgebiet, verglichen einerseits mit mehr
gelehrten Rätseln wie den altenglischen, anderseits mit neueren Rätsel-
massen, vor allem durch diese negativen Züge:
es fehlt alles Fremdländische, alles, was nicht dem Beobachtungsfelde
des Nordländers, ja sogar des Isländers auf der eigenen Insel angehörte;
es fehlen gewisse modernere Kulturgegenstände, mit denen sich sonst
das Yolksrätsel gern abgiebt, wie die Geige, der Spiegel, der Wetterhahn;
alles mit der Schreibekunst Zusammenhängende: Tintenfass, Feder, die
24 Buchstaben. Den weitverbreiteten Fragen aus der volkstümlichen Tier-
kunde des Mittelalters1) gehört nur der Fisch als der ohne Atem lebende
an (No. 7);
es fehlt alles Biblische, das in der späteren echt volksmässigen Rätsel-
litteratur so beliebt ist; auch die Gegenstände des Gottesdienstes wie die
Glocke, die Hostie;
es fehlt endlich, wie nicht anders zu erwarten, das Ritterliche, Ro-
mantische, das dem altdeutschen Traugemundsliede schon ein paar be-
zeichnende Farben leiht.
So erscheint die Welt, die sich in den Heidreks gátur spiegelt, als
eine nordische, vorlitterarische, vorchristliche, vorritterliche. Demgemäss
darf man wohl sagen: es ist die Yikingzeit, deren Kultur in unseren
Rätseln lebt. Nicht als ob damit über das Alter der Motive oder der
A erse ausgesagt würde! Haben doch die grossen neuen Kulturmächte,
das Christentum um das Jahr 1000, das litterarische Schreiben vier
Menschenalter später, das Leben auf Island nicht so tief durchdrungen,
dass eine beschränkte Auslese von Rätselstrophen ihre Spuren tragen
müsste. Den Stempel der Vikingzeit führen die Gátur insofern, als keine
Zeile in ihnen das Neue der späteren Epochen voraussetzt. Es ist auch
nicht vorzugsweise der Gedankenkreis des Seeräubers und Eroberers, in
den uns die Rätsel einführen.2) Kriegerische Gesinnung äussert sich in
der Wahl der Stoffe nur zweimal: No. 13 der Pfeil, No. 26 der Schild;
und von den so beliebten Tieren des germanischen Schlachtfeldes streift
uns nur der Rabe und zwar als Bewohner der hohen Berge (No. 7). Aber
mindestens ebenso bemerkenswert, wenn wir andere Sammlungen daneben
halten, erscheint das Fehlen aller Fragen aus der eigentlich bäuerlichen
1) Der Yogel oline Zunge u. ähnl.; vgl. besonders Köhler, Kl. Sehr. 3, 519 ff.
2) Ygl. F. Jónsson a. a. O- S. 519.
140
Heusler :
Wirtschaft (Gegenstände wie Pflug, Rechen, Butterfass, Mühlstein, Back-
ofen). Und in der poetischen Ausmalung drängt sich doch die Freude
am Kampfe mehrmals unverkennbar vor: der Anker „schirmt die Menschen
und verfehdet sich mit der Erde" (No. 6); der Blasebalg „siedet den
Wundenlauch", d.h. das Schwert (No. 9); die Bretsteine „erschlagen ein-
ander waffenlos für ihren Herrn" (No. 19); die Schneehühner sind Ge-
fährtinnen. die mit weissem oder schwarzem Schild die Lande durchziehen
(No. *20). Auch das eigenartigste aller Rätsel, das von dem Schwein mit
den Ferkeln (No. 32), entführt uns durch seine Einkleidung aus der fried-
lichen Enge des isländischen Bauernhofes an den Fürstenhof mit seinem
streit- und trinkbaren Herrengefolge.
Ein paar ausgesprochen nordische Züge fehlen dem Gesamtbilde
nicht: die von den mythischen Wölfen verfolgte Sonne (No. 15) und Odin
auf seinem Rosse Sleipnir (No. 85), dies die beiden einzigen aus dem
Mythus schöpfenden Rätsel, denn wenn die Wellen in den Prosaauflösungen
die ,Töchter /Kgirs' genannt werden, so ist diese Anspielung in den Strophen
selbst nicht gegeben: die Yergleichung mit Frauen war auch oline den
sagenhaften Hintergrund hier ebensowohl möglich wie bei den Kohlen,
den Bretsteinen und anderen Gegenständen. Als nordisch darf man auch
ansprechen die Pflanze Angelika auf dem Gebirg (No. 18) und die in die
felsige Bucht rollenden Meereswogen (No. 23); dazu das Wortspielrätsel
(No. 34), das auf dem norrönen Sprachschatz fusst.
Ausschliesslich isländisch, dem Inhalte nach, ist das Rätsel No. Iti,
das die auffallenden Eigenschaften des vulkanischen Gesteins Obsidian
schildertx):
„Härter als Horn,
schwärzer als ein Rabe,
weisser als ein Eihäutchen,
stracker als ein Schaft."
Nach ihrer inneren Anlage sondern sich drei Rätsel ab: sie enthalten
eine — zwar nicht für den sagenhaften König, aber doch für den natür-
lichen Menschenverstand — unratbare Aufgabe; sie bringen nicht eine
beliebig zu wiederholende Beobachtung, sondern ein zufälliges, sehr indi-
viduelles Erlebnis. Dadurch stellen sie sich in die Gruppe der sogen.
Halslösungsfragen, zu deren Wesen die Unratbarkeit gehört.
Rätsel No. 27, die Ente, die zwischen Kinnladen und Gaumendach
eines Rinderschädels ihr Nest gebaut hat, ist ein deutlicher Vertreter der
Gattung. Das allgemeine Motiv gebendes Getier, das in einem Gerippe
1) Wie wenig die frühere Forschung geneigt war, der in isländischer Sprache über-
lieferten Dichtung isländischen Ursprung einzuräumen, mag diese Bemerkung aus den
Antiquités Russes 1, 118 (1850) zeigen: l'existence de cette énigme nous renvoie princi-
palement aux contrées des Oarpathes, qui sont ... le seul lieu où l'on rencontre l'obsi-
dienne au nord des Alpes en Europe.
Die altnordischen Rätsel. ]4]
1 Jaust' kehrt in mannigfachen Spielarten wieder: bald ist es eine Vogel-,
bald eine Ratten fami lie, bald ein Stock Bienen oder ein Fliegenscliwarm ;
der Aufenthaltsort meist ein Pferdeschädel oder -Skelett — statt dessen
aber auch der Leichnam eines Erhängten oder endlich auch ein abgestorbener
Baumstamm oder ein Kornbehälter; der Gegensatz des Lebendigen zum
Toten wird häufig betont. Ygl. Wossidlo No. 967 mit den Nachweisen
S. 323, dazu Antiquar. Tidsskrift 1849—51, S. 315 if. No. 55 (färöisch).
Svenska Landsmâlen VII. -1, No. 151. Jón Árnason No. 298. 303. 1093
(dies ausdrücklich als Halslösungsfrage bezeichnet). In der dichterischen
Ausführung entfernt sich unsere Gâta sehr weit von diesen Gegenstücken:
sie führt das nistende Tier anschaulich vor und legt den Nachdruck darauf,
die ungewöhnliche Umgebung des Nestes durch skaldische Umschreibungen
noch rätselhafter zu machen; ja man kann sagen, zum ,Rätsel' wird die
Atrophe überhaupt nur durch diese Umschreibungen:
„gar sehr war vor Zeiten1)
die Nasengans (Ente) herangewachsen,
die kindergierige, die trug
Zimmerholz zusammen (baute ihr Nest);
es schirmten sie
die strohbeissenden Schwerter (Kiefern),
dazu lag des Trankes
Dröhnfelsen (Gaumendach oder Schade] im allgem.) darüber."
Ebenfalls jenseits der Lösbarkeit liegt das Eisschollenrätsel No. 24
(vgl. oben S. 130), worin wieder der Gegensatz von Leben und Tod. wenn
;|uch in anderer Weise, eine Rolle spielt.
Und drittens darf man zu den unratbaren Fragen rechnen No. 12:
„zehn hat es Zungen,
zwanzig Augen,
vierzig Beine,
rasch bewegt sich das Wesen
(nach R: vorwärts schreitet das Wesen)":
(biss dies gerade eine Sau mit neun Jungen im Leibe sei, wäre aus dem
W ortlaut nicht zu entnehmen. Zwei neuisländische Rätsel (Jón Árnason
*o. 447. 448) bestätigen, dass man ebenso gut an eine entsprechend ge-
segnete Hündin oder Katze denken kann. Es tritt hier ein besonderer
Umstand herzu. Der Rätselsteller hat das Tier draussen gesehen — also
Nieder das zufällige einmalige Erlebnis —, und nun lässt der König die
^au schlachten, und es zeigt sich, dass die Zahl der Jungen richtig geschätzt
^ar- Die Prosasätze, die dies erzählen, sind nicht müssige Zugabe, sondern
gehören notwendig zum Verständnis des Ganzen. Bugge hat (Studien
1()3) darauf hingewiesen, dass dieses Motiv schon in der antiken Dichtung
v°rkommt. Vgl. noch Ohlert, Rätsel und Gesellschaftsspiele der alten
1) Zu dieser verderbten Zeile vgl. oben S. 128.
142
Heus 1er:
Griechen (Berlin 1886) S. 36ff. Immisch in Fleckeisens Jahrbüchern für
klass. Piniol. Suppl.-Band 17, 160. Das alte Gedicht ,Melampodie', das
einige dem Hesiod zuschrieben, erzählt einen Wettstreit zwischen den
Sehern Kalchas und Mopsos in Kolophon. Mopsos errät, dass ein eben
vorübergehendes Mutterschwein mit zehn (nach einem anderen Excerpt
mit drei) Jungen trächtig gehe, darunter ein männliches (bezw. ein weib-
liches). Wie dies zutrifft, stirbt Kalchas aus Gram. Man sieht, es handelt
sich hier -— wie auch bei den übrigen Fragen des Seherwettkampfes —
nicht um ein wirkliches Rätsel, sondern um eine Scharfsinnsprobe. Der
Zug steht im Zusammenhang mit einer unübersehbaren Reihe von Anekdoten
orientalischen Ursprungs, worin eine verwickelte Naturerscheinung mit
wunderbarem Spürsinn erfasst wird.1) In unserer Saga ist die Frage zwar
als Rätsel stilisiert; aber sie hat sich von dem begleitenden äusseren Vor-
gang und von der erfolgreichen Bewährung des Scharfblicks noch nicht
losgelöst. Es ist eine mittlere Stufe. Einen Schritt weiter thut das Rätsel
Aldhelms (Seti Aldhelmi opera ed. Giles p. 266: De scrofa praegnante):
Nunc mihi sunt oculi bis seni in corpore solo
Bis ternumque caput, sed caetera membra gubernat.
Nam gradior pedibus suff'ultus bis duodenis,
Sed novies deni sunt et sex corporis ungues.
Synzygias numero pariter simulabo pedestres.
Populus et taxus, viridi quoque fronde salicta
Sunt invisa mihi, sed fagos glandibus uncas.
Fructíferas itidem ñorenti vertice quercus
Diligo, sic numerosa simul non spernitur ilex.
Hier ist die für das wahre Rätsel notwendige Eindeutigkeit vorhanden.
Die thätliche Spürsinnsprobe fällt weg; das Rätsel ist selbständig geworden.
Das altenglische Rätsel No. 87 hat mit dem Aldhelms sehr wenig gemein;
es ist in seinem mittleren Stück dunkel, aber auf eine kenntliche Be-
schreibung der Tierart scheint es ebenfalls auszugehen — im Gegensatze
zu der Heidreks gâta.
Die uneigentlichen Rätsel, die auf einem Wortspiel beruhen, haben
einen Vertreter in unserer Reihe, No. 34. Es liegt hier nicht blosse Ver-
tauschung von Homonyma vor, wie sie auch den neueren "V olksrätseln
geläufig ist (Petsch S. 28 ff.); sondern das Homonymum wird weiterhin
durch ein Synonym uni ersetzt. Der Gedanke valr bar aedi „ein Falke
trug eine Eidergans" wird demnach verkleidet in: daudir menn báru
blódshol „tote Männer trugen eine Bluthöhle"; denn:
1) "Vgl. z.B. in dieser Zeitschrift. 4, 347 ff. Reiche Zusammenstellungen giebt Bolte
zu Wetzeis Reisen der Söhne Giaffers S. 198 ff. von der Leyen, Das Märchen in den
Göttersagen der Edda S. 74.
Schlachtfeldleichen = tote Männer,
Die altnordischen Rätsel.
143
Bluthöhle.3)
Schon die Griechen wandten genau dieselbe Art doppelter Wortver-
tauschung an; z. B. -yfjç ë&avev xaraôéojuov ist zu deuten als Ai'aq TsXa-
luhvoç i'ßavi:, weil yfjç — aî'aç = Ala g und xaz aôéojuov — reAa/uwvoç —
TeXajucàvoç-, sieh Oblert a. a. 0. S. 162. In der altisländischen Litteratur
tritt das Spielen mit Homonymen besonders häufig hervor; ja es wird von
den Skalden geradezu zum System ausgebildet: manche Kenningar beruhen
darauf, wenigstens nach der von Snorri gegebenen Erklärung (Sn. Edda,
herausg. v. F. Jónsson S. 80. 83. 95. 113), und für gewisse Spielarten in
Snorris Liste der Versmasse ist die Homonymenvertauschung wesentlich
(ebenda S. 156); vgl. auch Olafs gram m. Abhandlung c. 11 (Isl. gramm.
Litt. 2, 66 f.).2) Die Hauptstellen in der Sagalitteratur sind Króka-Refs
saga S. 34 ff. und Eiríks saga málspaka bei Saxo Grammaticus S. 205 f.
Auch in der neuisländischen Zeit wird das künstliche Wortspielrätsel viel
gepflegt, vgl. die Strophen der Laufáss Edda (Su. Edda, herausg. von Sv.
Egilsson S. 239) und zahlreiche Rätsel in Jon Arnasons Sammlung.
Die sämtlichen übrigen Strophen sind richtige Sachenrätsel. Die Rat-
barkeit, das erforderliche Mass von Deutlichkeit kann man ihnen bei nicht
zu strengen Ansprüchen wohl allen zuerkennen, ausgenommen die kurzen
Fragen des Sammelrätsels.
Jede Strophe behandelt einen — unter Umständen zusammengesetzten
— Gegenstand, mit einziger Ausnahme von No. 7, einem Plusrätsel von
H: dies ist eine , Sammelf rage' von genau demselben Bau, wie er die
Strophen des Traugemundsliedes, die Schlussgruppe ausgenommen, beherrscht
und auch schon in einigen der vedischen Ratestrophen erscheint (Haug
a- a. O. S. 471. 497. Wilmanns Zeitschrift f. d. Altertum 20, 250): in vier
teilen je eine stofflich uud sprachlich unabhängige Frage3):
Antwort: der Rabe, der Tau, der Fisch, der Wasserfall. — Diese
Form haben auch zwei Strophen im Háttalykill Rognvalds (No. 23),
Wobei die Antworten den zweiten Helming füllen; die eine der Strophen
lautet:
1) Zu der ersten Zeile des Rätsels vgl. oben S. 123. Auch die vierte Zeile wurde
schon von den alten Schreibern ungleich aufgefasst und hat bei den Herausgebern sehr
Verschiedene Deutung gefunden.
2) Das raffinierteste in dieser Richtung leistet eine Stelle der Laufáss Edda, SnE. ed.
Arnam. 2, G32 f., womit zu vergleichen ebenda 8, 548.
3) Zweigliedrige Sammelfragen begegnen häufig; eine fiinfgliedrige sieh in dieser
Zeitschrift 7, 387, Y. 82—86, sie geht auf eine viergliedrige zurück, bei Köhler, Kl. Sehr.
3, 473.
(wer bewohnt die hohen Berge?
wer fällt in die tiefen Thäler?
wer lebt ohne Atem?
wer schweigt niemals?"
144
Pleusler:
hverr ryör hvassar eggiar?
hverr brytiar mat vargi?
hverr gerir hiálma skúrir?
hverr eggiacïï styriar?
Haraldr rauf)' hvassar eggiar
herr brytiar mat vargi;
hiálmskúr gorir Hogni;
Hiarrandi reö gun tri.
Dagegen Str. 40 in Snorris Háttatal ist anders geartet: die vier Fragen
gehen auf ein und denselben Gegenstand, so wie die Fragen in der Schluss-
gruppe des Traugemundsliedes. Vgl. auch die achtgliedrige Fragenreihe
ritualen Inhalts Hávaraál 144.
Die von uns hervorgehobene Ungleichartigkeit des Stils zeigt sich
schon im Blick auf die Rahmenelemente1). Etwas mehr wie die Hälfte
der Strophen behilft sich ohne diesen Bestandteil. In den übrigen treffen
wir die sechs Arten von Rahmen: einfaches ,ich sah' (ek sá oder sá ek) in
No. 24. 30. 32. 33; das breit entfaltete archaisierende hvat er pat undra . . .
(oben S. 132) neunmal, in No. 8—16; sodann die persönlicher gehaltenen
Wendungen ,ich sass . . . ich sah" in No. 34, ,von Hause zog ich aus, von
Hause brach icli auf, ich sah . . . ' in No. 2, , . . . ich trank . . . ' in No. 3,
,haben möcht ich, was ich gestern hatte: merke, was das war' in No. 1.
Der Kern der Rätsel zeigt als beherrschendes Motiv ausnehmend oft
die Belebung des Leblosen: den 22 Belegen dafür stehen nur vier Strophen
gegenüber, die den toten Gegenstand als solchen aufführen: No. 2 die
Brücke, No. 3 der Tau, No. 16 der Obsidian, auch No. 17 das Ei (denn
die Eierschale, der eigentliche Gegenstand des Rätsels, wird mit dem
,Biergefäss' verglichen). Auch Lebendiges wird ebenso oft in ein anderes
Lebewesen verkleidet (No. 11 der Mistkäfer als Eber, No. 20 die Schnee-
hühner als kriegerische Jungfrauen, No. 24 der Wurm als blinder Reitender,
No. 32 die Ferkel als Hofgefolge, No. 34 der Falke als ,tote Männer'),
wie es ohne eine solche Umwandlung vorgebracht wird (No. 12 die Sau,
No. 14 die Spinne, No. 27 die Ente, No. 28 die Kuh, No. 35 Odin auf
Sleipnir). Die Personifikation wird meist mit äusserst lebendiger An-
schauung festgehalten — „der mythischen Belebung sehr nahe" nennt sie
Uhland 3, 186 —, sie unterwirft sich alle die Einzelheiten, die von dem
Gegenstände ausgesagt werden; man vergleiche beispielsweise die intensive
Belebung in dem Rätsel vom Anker No. 6 (oben S. 127). Das Angelika-
rätsel No. 18 (oben S 128) verdankt sein ganzes Motiv, das Zeugen des
Weibes mit dem Weibe, der doch mehr oder weniger zufälligen Ein-
kleidung der Engelwurzstauden in weibliche Wesen.1)
1) Diesen Ausdruck gebraucht Petsch in der mehrmals angeführten Schrift, der icli
mancherlei Anregung verdanke. Für die stilistische Betrachtung schienen mir in dem vor-
liegenden Falle andere Einteilungslinien nützlicher als die von Petsch S. 83ff. gezogenen.
2) Der Weinstock als kindei'gebärende Jungfrau findet sich in der Anthologia graeca
und bei Sympliosius. Ohlert a. a. O. S. 152.
Die altnordischen Rätsel.
145
Dage gen fehlen ganz die ,Ichrätsel' (worin der zu ratende Gegenstand
sich in der ersten Person einführt), diese schon bei den Griechen, bei
Symphosius, Aldhelm, in der altenglischen Sammlung und im lebenden
A olksrätsel so beliebte Form.
Die Belebung ist überwiegend mit einer Benennung verknüpft, die
zu Anfang steht und dem Phantasiebild von vornherein den bestimmteren
Umriss giebt: „wer sind die Gespielinnen . . ?" No. 25. 26; und specieller:
„ein Pferd sah ich ..." No. 30; auch die substantivierten Adjektiva zu
Anfang sind als Benennungen zu betrachten: „wrer ist der schallende . . ?"
Ko. 4 u. ähnl. Wo die Benennung fehlt, da behält die Belebung etwas
All gemeineres, Farbloseres (No. 8 der Lauch, No. 9 der Blasebalg, No. 10
der Hagel, No. 15 die Sonne), wenn nicht die spätere Beschreibung be-
zeichnende Linien nachträgt, wie in dem Pfeilrätsel No. 13 (oben S. 132),
wo wir das adlerhafte Wesen vor uns sehen, oder auch in dem Feuer-
rätsel No. 29.
Benennung findet sich auch zweimal ohne Belebung: bei der Brücke
Ko. 2, die als ,Weg der Wege', und bei dem Tau No. 3, der als ,Trank'
gleich zu Anfang benannt wird.
Die ausser der Benennung (a) in unsero Gátur angewandten Mittel
der Beschreibung unterscheiden wir folgendermassen: es werden angegeben
b) Eigenschaften (Farbe, Form, Zahl; innere Eigenschaften); c) Handlungen,
begleitende Umstände, Umgebung, e) ,hemmende Elemente' d. h. Züge,
die einer naheliegenden falschen Deutung vorbeugen.
Diese viererlei Angaben zusammen mit der Benennung treten in sehr
ungleicher Mischung auf. Der Versuch, die sämtlichen Heidreks-Rätsel
111 die hierdurch bestimmten Abteilungen zu gruppieren, führte zu einem
^'enig anschaulichen Gesamtbilde; ich begnüge mich deshalb hier, eine
Auswahl von ausgeprägten Stiltypen gegeneinander zu stellen.
I. Lauter Benennung: No. 1 das Bier:
„der Leute Lähmer,
der Worte Hinderer
und der Worte Anreger";
mit der letzten Zeile vergleiche man den Ausdruck màis heilsa für ,Met'
im Háttatal Str. 25. Das Rätsel hat trotz seiner einfachen Anlage etwas
Künstliches, weil es seinen Gegenstand ganz abstrakt kennzeichnet. Ein
richtig volkstümliches Bierrätsel z. B. bei Landstad S. 812 No. 47.
II. Lauter Eigenschaften: hierher die drei Rätsel vom Obsidian No. 16
(oben S. 140), der Kuh No. 28 (oben S. 129), dem reitenden Odin No. 35
(oben S. 130); sie gehören stilistisch zu den einfachsten und volksmässigsten.
III. Benennung 4- Handlung: No. 5 der Nebel:
„wer ist der Gewaltige,
der über die Erde hin zieht?
er verschlingt Seen und Wald;
146
Heusler:
den Windzug fürchtet er,
aber Männer nicht,
und verübt Feindschaft wider die Sonne."
Auch die übrigen Rätsel dieser Form geben eine ganze Reihe von
Handlungen: No. "20 die Schneehühner, No. 30 der Webstuhl; die beiden
Wellenrätsel in dem Text R No. 19. 21.
IY. Benennung -j- hemmendes Element: No. 3 der Tau:
„was für ein Trank ist das,
den ich gestern trank?
es war weder Wein noch Wasser,
weder Met noch Bier
noch irgendwelche Speise,
doch ging ich durstlos von dannen."
Y. Eigenschaft Handlung: No. 14 die Spinne:
Ferner hierher No. 9 der Blasebalg, No. 10 die Hagelkörner (oben
S. 137), No. 12 die trächtige Sau (oben S. 141), No. 13 der Pfeil (oben
S. 132). Auch dies einer der einfachen Rätseltypen.
YI. Benennung (a) -f- Eigenschaft (b) -f- Handlung (c): No. 19 die
Bretsteine :
„wer sind die Frauen (a),
die um ihren Herrn
waffenlos (b) sich erschlagen (c)?
Die braunen (b) stehn zur Abwehr
Tag aus, Tag ein (c),
aber die leuchtenderen (b) rücken aus (e).'1.
Auch die beiden anderen Bretspielrätsel (No. 25. 31) kann man hierher
stellen, ausserdem No. 4 der Groldschmiedehammer, No. 24 die Eisscholle.
YII. Benennung (a) -f Eigenschaft (b) -4- Handlung (c) + Umstand (d):
No. 32 die saugenden Ferkel:
Hier ist auch ein einleitender Rahmen vorhanden (Zeile 1), es ist die
reichste Form innerhalb der Heidreks gátur. Zu derselben Gruppe noch
No. 20 in R und No. 23 die Wellen, No. 26 der Schild.
YHI. Benennung (a) 4- Eigenschaft (b) -f Handlung (c) -f hemmendes
Element (e): No. 11 der Mistkäfer:
„einen schwarzen (b) Eber (a)
sah ich im Kote schreiten (c),
und keine Borste erhob sich ihm auf dem Rücken (e).'"
„Beine hat es achte,
aber vier Augen,
trägt die Knie höher als den Bauch."
„ich sah im Sommer
beim Niedergang der Sonne (d)
die Hofmannschaft (a) wachen (c).
gar nicht vergnügt (b);
es tranken die Jarle (a)
schweigend (b) das Bier (c),
aber schreiend stand
das Biergefäss (d)."
Die altnordischen Rätsel.
147
Das Rätsel vereinigt auf engstem Räume einen grossen Reichtum'von
Zügen, ohne sich doch yon der Haltung eines guten Volksrätsels zu ent-
fernen.
Unter den Eigenschaften der Gegenstände wird verhältnismässig oft
die Farbe aufgegriffen; auch ein bezeichnendes Zahlen Verhältnis; auf-
fallend selten dagegen die Form in unmittelbarer Benennung.
Die Handlungen des Gegenstandes werden mit mehr Liebe gezeichnet
als im modernen Volksrätsel, auf den Verba in den Gátur liegt viel Nach-
druck. Darauf beruht in erster Linie das reichere poetische Leben, das
diesen altnordischen Rätseln eignet.
Man hat die Landschaftsmalerei der Heiäreks gátur gelobt. In der
1 hat erstreckt sich die scharfe, feine Beobachtungsgabe, wovon unsere
Strophen Zeugnis ablegen, auch auf den Naturschauplatz. Aber was die
V erse selbst uns vorzaubern, enthält sehr wenig an landschaftlichen Zügen.
Die Meereswogen, die Angelikapflanzen auf dem Gebirge standen ihren
Dichtern gewiss recht lebhaft vor dem Auge; aber die sprachliche Dar-
stellung personifiziert so durchgreifend, dass von dem landschaftlichen
Stoffe fast nichts übrig bleibt: in dem Wellenrätsel No. 23 nur der eine
^atz „es geht ihr Zug der Bucht entlang", in dem Engelkrauträtsel No. 18
nur das Wort ,,á reginfialli" : alles Andere muss sich erst der Rätsellöser
zum Naturgemälde wandeln. Die altenglischen Rätsel vom Stürm (No. 2—4)
bieten ein lehrreiches Gegenstück: wenn sie unvergleichlich farbigere
^andschaftsbilder malen, so liegt das, abgesehen von der grossen Aus-
führlichkeit, daran, dass die Phantasie des Dichters weit mehr an dem
Natur vorgange selber haften bleibt. So steckt auch innerhalb unserer
<látur am meisten direkte Landschaftsanschauung in zwei Strophen, deren
verpersönlichung unbestimmter gehalten ist: No. 5 der Nebel, No. 10 die
Hagelkörner. Sehr selten auch fügt der Dichter einen entbehrlichen, die
Scenerie malenden Nebenumstand bei: „vor den Inseln draussen" in dem
'^rätsel No. 17, „bei Sonnenuntergang" in dem Rätsel von den Ferkeln
Ho. 32.
Anderwärts finden wir das umgekehrte Verfahren: das landschaftliche
^ild bringt erst der Dichter des Rätsels zu dem Gegenstand hinzu. So
hei Wossidlo No. 31 e das Ei:
„in einem weissen Berg blüht eine gelbe Blume . . .
^°- 33 a der Brief:
„auf einem weissen See,
da steht eine Rose rot . . .
Nicht wenige der Rätsel haben eine entschieden gehobene Stimmung,
^as schon in dem ausseralltäglichen Wortschatz, bei No. 8—Iß auch in
"eili mythisch anklingenden Rahmen begründet ist. Einigemale erreicht
es eine geradezu heroische Haltung, verwandt mit dem Tone altgermanischer
148
Heusler: Die altnordischen Rätsel.
Heldenpoesie; so in No. 5 Nebel, No. 6 Anker, No. 13 Pfeil, No. 19 Bret-
steine, No. 26 Schild. Auf der anderen Seite spielt ein gemütlicher Humor
in den Rätseln vom Biere und von der Kuh (No. 1 und 28), und die
witzige Ironie, womit Strophe 32 die Ferkel in adelige Krieger verkleidet,
gemahnt uns an die Laune des ersten Odinsbeispiels und der Hárbarzliód.
Dass sich ein anständiger Rätselstoff in obscöner Hülle birgt, erweist
sich durch umfassende, unbeschnittene Sammlungen wie zumal die von
Wossidlo als das eigentliche Lebenselement neuerer volkstümlicher Rätsel-
kunst, und schon der sogen. Cynewulf kann sich darin nicht leicht genug
thun. Daneben nimmt sich das einzige Beispiel in unserer Saga, No. 30
(das Weben mit dem Bespringen einer Stute verglichen), massvoll und
unlüstern aus. Die Zurückhaltung nach dieser Seite erscheint bezeichnend
für das altnordische Schrifttum, diese vermutlich decenteste der mittel-
alterlichen Litteraturen.
Überblicken wir die Gátur im ganzen, so stellen sie sich oline Frage
zu den allerbesten Erzeugnissen der Rätseldichtung. Sie haben einerseits
mehr Fülle und Bewegung, stellen sich die poetische Aufgabe weit höher
als die meisten Volksrätsel der letzten Jahrhunderte. Anderseits wahren
sie doch einen echten Rätselstil, sie zerfliessen nicht zu epischer Breite
und Weichheit: davor schützt sie schon das strophische Band. Sie behalten
immer noch das Gepräge der Spruchdichtung, die zugespitzte Schärfe und
straffe Gliederung.
Fragen wir, wieweit diese Rätsel volkstümlich waren, so müssen wil-
den besonderen gesellschaftlichen Yerhältnissen Islands Rechnung tragen,
und dann kann die Antwort nur lauten: sie waren durchaus volkstümlich,
d. h. dem Verständnis der weltlichen Bevölkerung, der Bauern und Fischer,
zugänglich, ebenso wie die grosse Menge der eddischen und skaldischen
G edichte und der Sagawerke. Einen gelehrten, buch massigen Charakter
hat keine der Gátur; nirgends eine Anspielung, die etwas von klerklig list,
lateinischer Bildung voraussetzte. Das Wahrscheinliche ist, dass die Rätsel
sämtlich für die mündliche Weitergabe, nicht mit der Feder in der Hand
gedichtet wurden. Etwas anderes ist die Frage, wiefern den Strophen
das zukomme, was wir im Blick auf neuere Produkte volksmässigen
Rätselstil nennen würden. Ohne subjektive Abschätzung kommt man hier
nicht aus, weil innere wie äussere Eigenschaften der Gátur auf die Wage
zu legen sind, und weil in der modernen Yolksänigmatik so vielerlei
zusammenströmt.x)
Ungefähr ein Drittel der Heidreksrätsel darf man wohl als richtige
Yolksrätsel in dem angedeuteten Sinne bezeichnen: No. 3 der Tau, No. 7
die Sammelfrage, No. 8 der Lauch, No. 10 der Hagel, No. 11 der Mistkäfer,
1) Von der neuisländischen Sammlung kann man den Massstab nicht hernehmen,
da sie sehr -viele entschieden kunstvolle, uneinfache Gebilde umfasst.
von Negelein: Die Reise der Seele ins Jenseits.
149
ivo. 12 das trächtige Schwein, No. 14 die Spinne, No. 15 die Sonne, No. 16
der Obsidian, No. 28 die Kuh, No. 35 der Reiter. Man könnte sich diese
Strophen ohne weiteres in eine deutsche Mundart übertragen denken. Am
wenigsten primitiv, dem Volksrätsel am fernsten stehend, erscheinen etwa
No. 1 das Bier, No. 6 der Anker, No. 17 das Ei, No. 27 die Ente im Schädel,
No. 32 die Ferkel, No. 34 die Homonymenfrage. Die übrigen nehmen
eine mittlere Stufe der Kunstmässigkeit ein.
B erlin.
Die ßeise der Seele ins Jenseits.
Von Julius von Negelein.
(Fortsetzung von S. 28.)
II. Reiseweg der Seele.
Es muss auffallen, dass die Zahl der Tage, die der Tote zur völligen
Trennung von allem Irdischen braucht, stets, wie wir sahen, von dem Be-
gräbnis-, nicht von dem Todestage an gerechnet w7ird. Das ist wichtig.
Nicht der Todestag ist es, der den noch den vollen Schein des Lebens
bewahrenden Körper1) uns für immer entreisst, sondern der Moment, in
dem die irdische Hülle von uns durch die schwere Decke der Grabeserde
getrennt wird. Die Liebeserweisungen, die der unbestatteten Leiche gelten
konnten — das in ihre Hand gelegte brennende Licht, mit dem man die
^rabesnacht erhellen wollte, das ihr aufs Herz gesetzte Brot, das sie er-
"ähren sollte2) — hören damit auf, dem Toten zu nützen, und langsam,
<iber unabweislich, drängt sich eine mehr spiritualistische Anschauung in
^;is Gebiet der Seelenvorstellungen ein. Erst da, wo der Leichnam dem
körperlichen Auge sich zu entziehen beginnt, können Spekulation oder
Phantasie ihn mit frischem Leben ausstatten. Sicherlich war nichts der
' örderung eines specifischen Seelenbegriffs so hinderlich, als das uralte
Aussetzen des Toten. Mag das zähe Festhalten an der Materie selbst
Il0ch Opfer am Grabe, Brennen von Lichtern u. s. w. als Liebesdienste
für die persönlich und räumlich vorhanden geglaubte Anwesenheit des
begrabenen auf beschränkte Zeit zulassen — sicherlich setzt mit der Ver-
schleierung des schauerlichen Bildes der Verwesung eine diesem Prozesse
1) Lenau, Albigenser, sagt trefflich, den Sinn dieses Gedankens wiedergebend, von
01ïl Leichnam, er sei ,.das tote Nichts, das starr und still noch immer das Verlorene
Rheinen will.«
-) Armenischer Brauch bei Abeghian a. a. 0. 9.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. H
150
von Negelein:
zwar parallel gehende, ihn aber ideell verschönernde Ideengruppe ein.
Zum erstenmale beginnt der Tote als ein ganzes, als begriffliche Ein-
heit, gefasst zu werden. Deshalb handelt es sich jetzt nicht mehr um
die Pflege seines Leibes; nicht mehr darum, die etwa verwesenden Teile
seines Körpers durch frische zu ersetzen1) — wie das der strikt durch-
geführte Materialismus fordern müsste —, sondern darum, den jeder Pflege
Entzogenen seinen unheimlichen Weg ins Jenseits ungehindert gehen zu
lassen und ihn an einer eventuellen, die Uberlebenden schädigenden Rück-
kehr zu verhindern. Es entfernt sich der Tote von uns begrifflich immer
mehr, je länger ihn der Hasen deckt. Diese begriffliche Entfernung wird
unter dem Bilde eines räumlichen Weiterrückens, einer Reise dargestellt.
So kommt die Sage von dem Totenwege auf. Damit ist aber auch
zugleich der Charakter dieser Sage gegeben. Wie der Totenweg selbst
nichts anderes als die objektivierte Empfindung der ideellen, sich immer
mehr vergrössernden Spaltung zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen
Tod und Leben ist, so wird der ihn betretende Tote zum Träger der
Empfindungen der Überlebenden. Daher die überall wiederkehrende Sage
von der Trauer des Toten auf seinem düsteren Wege.2) Wir wollen uns
jedoch im engen Rahmen dieser Darstellung jeder Beschreibung des Toten-
pfades enthalten und uns beschränken, seine ideelle Existenz zu erweisen
und den Spuren des Toten zu folgen, bis sie unserem Auge entschwinden.
Unser Yolksmund braucht unter den zahlreichen Wendungen für
„sterben" häufig Ausdrücke wie: einpacken, abspazieren, losziehen, sich
1) Die Auferweckung von don Toten hat (vgl. Anni. 1, S. 28) stets diese Voraussetzung.
Vergi, das Märchen von der Auferweckung eines Toten durch Petrus, der dessen Knochen
erst in der richtigen Weise zusammenstellen muss, um seine Zauberformel wirksam zu
machen, und siehe das Einsetzen der künstlichen Schulter hei Pelops u. s. w. Siehe auch
liochholz, Deutscher Glaube und Brauch, Kapitel über Knochenkultus. Die alten Gesichts-
masken der Felsengräber hatten wohl den Zweck, das verfallende Antlitz durch ein unver-
wesliches zu substituieren. Man vergleiche auch den hässlichen Versuch Ottos II., Karls d. G.
Leichnam dadurch wiederherzustellen, dass man ihm eine goldene Nase an Stelle der ver-
westen ansetzte.
2) Hier kehren mit grosser Hartnäckigkeit immer dieselben Vorstellungen von dem
mit Nadeln oder spitzen Messern gepflasterten Totenwege wieder: im deutschen Märchen
hat. die Seele über eine Schwertbrücke zu laufen, Tundalus hat eine mit Messern und
Stacheln besetzte Brücke über den Höllengrund zu passieren (Bastian, Verbleibsorte, 13t.);
nach deutscher Auffassung ist der Weg zur Unterwelt mit scharfen und spitzigen Scheer-
inessern besetzt (Bastian, Eleni., 41), die brittischen Barden haben den Höllenweg ähnlich
geschildert: Grimm, Myth.4, 2, 69(1, und die slavisclie Vorstellung entspricht dem genau:
Grohmann, Abergl., 194f. Manchmal schliesst sich das Motiv an, dass der Tote, wenn er
als Gespenst die Lebenden besuchen will, die spitzen Nägel, welche auf dem Wege ein-
geschlagen sind, zählen muss (so ist z. B. der Weg zum Grabe in Klein-Russland mit
Mohnkörnern bestreut, welche der Vampyr aufzulesen hat, ehe er wiederkommen kann:
Zeitschr. f. Ethnol. 21, 143). Damit hängen unzweifelhaft wieder alle diejenigen Sagen
zusammen, die von Elfen, Zwergen und Heinzelmännchen berichten, dass dieselben vor
ihrer Rückkehr zu menschlichen Wohnungen hingepflanzte oder gestreute Grashalme,.
Erbsen u. s. w. zählen müssen. Elben und Zwerge sind Totengeister.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
151
auf die Wanderschaft begeben, ins ferne Land gehen, in die bessere Welt
wandern u. s. w.v) Dem entsprechen die mythischen Auffassungen der
verschiedensten Völker. Die Miris, ein bengalischer Stamm, rüsten ihre
Toten beim Begräbnisse so aus, als ob sie eine lange Reise vorhätten.
Vollständig angekleidet, bewaffnet, mit Kappe und Fouragesack versehen,
liegt der Körper in einem tiefen Grabe, dessen Seiten durch eingerammte
Pfähle gestützt werden, damit die Erde nicht auf den Toten falle.2) Nach
Ansicht der Indianer Nordamerikas müssen die Toten Monate lang wandern,
um das im Westen gelegene Land zu erreichen.3) Die Schatten der Odjib-
wäer verfolgten einen weiten und betretenen Pfad, der nach Westen führt.4)
Ben Mintras und Blandass steht ein langer Weg bevor, bis sie zu ihren
Fruchtinseln gelangen.5) Bei den Kowzas wurde der Tote mit Mokassim
begraben, wie auch in Kalifornien, um für die lange Reise durch Schuhe
gerüstet zu sein; Schuhe fand man auch in schwäbischen Gräbern.6) Be-
sonders aber ist Begriff und Ausdruck: „weite Wege wandeln" für „sterben1"
urgermanisch. Der Tod wird häufig „der lange Gang" genannt. In der
Ldda heisst es: „Sie (Brunhild) liess sich nicht verleiden den langen Gang."7)
¿um Totenreich der Zwerge führt im Märchen stets ein weiter Weg. Die
heidnische Hellja lag tief unten nach Norden (d. h. nach Mitternacht) hin.
Als Hermodr zu Baldr gesandt wurde, ritt er neun Nächte lang durch
dunkle, tiefe Thäler.8) Zu dieser weiten Wanderung ins Totenreich.
Welche die meisten zu Fuss machten, bedurften sie guter und festgebundener
Schuhe . . . Dies war ein Gebrauch, der bei sächsischen und hochdeutschen
Stämmen ebenfalls bestand. In den Alemannengräbern am Lupfen fanden
sich als Grabmitgaben ausser Früchten und Trinkgefässen, worin ursprünglich
gewiss ein Getränk gegossen war, Lichtstöcke, ein Wanderstab und Schuhe.9)
Pei der auch in Deutschland herrschenden Meinung von der weiten
W anderung des Verstorbenen dürfen wir annehmen, dass ihm neue
und derbe Schuhe auch zur Zeit der Hügelbestattung mitgegeben wurden.10)
h ine lange, enge Gasse führte in die Hölle der heiligen Theresia.u) Dem-
zufolge heisst die dem Sterbenden gereichte Kommunion „Wegzehrung"
°der „viaticum".12) Aber selbst der Islam sagt in einer arabischen Schrift,
auf den Toten bezüglich: Du gehst einen weiten Weg und Dir fehlt die
Peisekost.13) In Griechenland war neben der Hadesvorstellung und wohl
;'iter als diese die Idee von dem Entrücktwerden durch die Schicksals-
1) Köhler, Voigtland 386, berichtet, dass das voigtländische „gehen" ebenfalls
«sterben" bedeute. Vgl. in dem bekannten Volks- und Studentenlied: „Ein Sträusschen
®ln Hute" den Vers: „Nun hat er verlassen die irdische Bahn, da tritt er die himmlische
Wanderschaft an." — 2) Zeitschr. f. Ethnol. 5, 200f. — 3) Buchholz, Homerische Realien
'1, 52. — 4) Tj'lor 2, 76. — 5) Bastian, Elem., 78. — 6) Zeitschr. f. Ethnol. 6, 305.
. ler verweise ich auf Sartoris Arbeit über die Bedeutung des Schuhes im Volksglauben
Uß 4. Bande der Zeitschr. f. Volkskunde. — 7) Sigurdarkvida 3, 42. — 8) Grimm, Myth.4,
-, 669. — 9) Weinhold, Altnord. Leben, 494. — 10) Weinhold, Totenbestattung, Anna. 1.
11) Bastian, Elem., 23. — 12) Rochholz a. a. 0. 191. — 13) Wolf a. a. 0. 38.
11*
152
von Negelein:
göttinnen, die Keren, lebendig. Zum psychologischen Verständnis der Idee
vom Totenweg dringen wir am sichersten vor, wenn wir hören, class nach
der Anschauung der Avestatexte auch die Seele, die ins Paradies gelangen
soll, diesen (dreitägigen) Weg zurückzulegen hat. Ahuramazda verbietet
die Erforschung der Wanderung zum Paradiese mit den Worten: „Fraget
sie (die ins Paradies gegangene Seele) nicht; sie kommt auf dem grauen-
vollen Wege der Trennung des Leibes und der Seele."1) Hier wird
also ganz klar die dem Totenpfade zu Grunde liegende Idee der Scheidung
von Leib und Seele, des materialistischen und amnestischen Princips, als
solche angegeben. Der Beweis dafür, dass die Konservierung des Körpers
jedem eigentlichen Seelenglauben im Wege steht, liegt auch darin, dass
z. B. auf Bali der Tote mittels der Verbrennung sogleich in Indraloka
eingeht, während ihm sonst ein langer Wanderweg bevorsteht.2)
Wir haben die Idee des Totenweges bei den verschiedensten Völkern
wiedergefunden. Wir wollen jetzt versuchen, die Eigenart dieses finsteren
Pfades zu ergründen, soweit dies zur Konstatierung seiner gesonderten
Existenz notwendig ist. Abgesehen davon, dass er überall als beschwerlich
und finster gilt3), ist er namentlich auch der gerade Weg, der keine
Kurven und hin- und herführende Schlingungen kennt — so gerade, so
unabweislich in ein unbekanntes Land führend, wie der Tod selbst. Dafür
einige Belege:
Das wütende Heer in Rossdorf durchzieht die Häuser geradeaus.
Im Würtembergischen zu Neubrunn durchzog das wütende Heer immer
drei Häuser, in welchen drei Thüren gerade hintereinander waren und
ebenso das Nachtvolk auf dem Klaeslefeld.4) Ganz unbezweifelbar hängt
damit der noch heute selbst in gebildeten Kreisen vorhandene Aberglaube
zusammen, dass der Blitz da einschlägt, wo zwei hintereinanderstehende
Thüren offen sind; denn der wilde Jäger mit seinem wütenden Heer ist
ein seelenentführender Sturm- und Gewitterdämon. —- Das zwischen dem
litauischen und deutschen Kirchhof gebaute Haus in Ragnit stürzte zu-
sammen, weil es den Geistern der Verstorbenen im Wege stand. Die
Scheune in Oberkainsbach muss stets offen stehen, sonst wird sie von
einem durchfahrenden Geisterzug des Rodensteiner zertrümmert.4) Man
vergleiche nnn den Rat, den der wilde Jäger im Mecklenburgischen häufig
giebt: „Halt den Mittelweg", d. h.: „Kreuze mir nicht den Pfad."5) Er
zerreisst diejenigen, welche sich ihm in den Weg stellen. So verbietet
auch ein ostpreussischer Aberglauben, den Weg zu kreuzen, den eine
Leiche gefahren ist. Eine Analogie dazu bietet die alte Idee von dem
Toten- oder Heiwege, der, w^enn kein Unglück geschehen soll, lediglich
1) Geiger, Altiran. Leben, 281. — 2) Bastian, Zeitschr. f. Etlmol. 21, 123. — 3) Vgl.
Anm. 2 auf S. 150 und den vorausgegangenen Hinweis auf die stereotype Mitgabe von
Lichtern (Lämpchen) in das Grab. — 4) Bastian, Ztschr. f. Etlmol., 21, 149. — 5) Bartsch,
Mecklenburgische Sagen, 1, 1 ff.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
153
für Leichenzüge reserviert bleiben muss1) und ferner gehört die über-
raschende Thatsache hierher, dass die Häuser der Nordinsel Neu-Seelands
längsrichtig gebaut waren, um den Seelen das Durchstreifen zu ermöglichen.2)
Auch der Weg der Krankheitsdämonen kommt hier in Betracht, denn sie
sind den Seelen der Verstorbenen ihrer Natur nach nahe verwandt, ja
vielfach aus diesen entstanden, oder ihre Träger. — Der Weg der Pest
ist nach der Anschauung der Balkanvölker gerade; ihr Weg ist die breite
Landstrasse, sie liebt die Steige und Pfade nicht und meidet die von Ge-
strüpp und Dornen besetzten Wege.3) Das Gleiche gilt von den Mahren.
In den zahllosen Sagen, die von ihnen berichten, heisst es gewöhnlich,
dass sie verschwinden, wenn man ihnen die Öffnung zeigt, durch die sie
einwanderten.4) „Wo wir hinein, da müssen wir heraus", sagt Mephisto-
pheles in Goethes Faust. Wenn dem so ist, so ist es Sache der Lebenden,
dem Toten den Weg ins Jenseits zu eröffnen, indem man seine Schritte
derartig zu beeinflussen versucht, dass sie ihn geradeaus und natürlich von
den Lebenden hinweg führen. Das ist um so wichtiger, als man dem Vor-
wärts- und Rückwärtsgehen mystische Bedeutung zuschrieb.5) Hier greift schon
der Glaube an die Wichtigkeit der Fussspur ein. Ihr adhäriert die Wesenheit 1
des Menschen; wer meine Spur ergrïlïën hat, hat mich ergriffen.6) Das
vedische Gebet bei der Totenbestattung bittet den Toten, seine Strasse zu
ziehen für sich allein, geschieden von dem Wege der Menschen.7) Um
dieses zu erreichen, trägt man den Toten überall mit den Füssen nach
vorn aus dem Hause heraus. Wuttke bezeichnet dies als allgemein-
deutsche Sitte8), und Rochholz führt eine Anzahl hierher gehöriger Bei-
spiele an.9) Man kann den Gebrauch z. B. aus Pommern10), Ostpreussen11),
der Oberpfalz12), Braunschweig13), Mecklenburg14), den Marschen an der
Unterweser15) und Tirol14) belegen. Doch reicht derselbe auch bis zu
anderen Völkern und selbst bis nach Armenien hin.16) Er findet sich bei
den Pehuenches17), im ältesten18), wie im alten18) und neuen20) Griechen-
land; ebenso in Rom21). Man scheint selbst das zurückgehende Gespenst
eines Tieres zu fürchten. Wenn ein Haustier stirbt, so vergräbt man es
an der Thür und zwar so, dass der Kopf nach dem Ausgang zu gerichtet ist.
Dann stirbt kein anderes Haustier ihm nach.22) —- Eine Konsequenz
1) Weinhold, Totenbestattung, 88. — 2) Bastian, Verbleibsorte, 78. — 3) Zeitschr. f.
Volkskunde 9, 200. — 4) Laistner, Rätsel der Sphinx, Iff. — 5) Zeitschr. f. Ethnol. 15,
11.) ff. __ (j) Ygi Sartori a. a. 0. 42 ff. — 7) Vgl. Schröder, Indische Litt. u. Kult. Kap. I,
Geldner und Kaegi, 70 Lieder des Rigveda. — 8) Wuttke, Aberglauben, 434. — 9) Roch-
holz, Glaube und Brauch, 197. — 10) Bastian, Verbleibsorte, 56. — 11) Toppen 103. —
12) Bavaria 1863, S. 322. — 13) Andree, Braunschweig. Volkskunde, 292. — 14) Alpenburg
a- a- 0. >267. — ]5) Zeitschr. f. Volkskunde 9, 54. — 16) Privatmitteilung eines Armeniers.
17) Bastian, Elem., 67. — IS) Iwan von Müller, Handbuch d. klass. Altertumskunde,
214 weist auf Homer T 212 hin. — 19) Schoemann, Griechische Altertümer4, II, 567. —
20) Schwartz, Ztschr. f. Ethnol. 9, 284. — 21) Buchholz a. a, O. II, 2, 294. — 22) Wuttke
a. a. 0. 407. Ganz eigentümlich ist die entgegengesetzte jüdische Sitte, den Leichnam
154
von is egelein:
dieser Anschauung zeigt sich z. B. in dem Aberglauben, dass der Täufling*
der Slovaken, wenn man ihn zufällig mit den Füssen der Thüre zuge-
wendet hingelegt hat, sterben muss.1) Wenn das bulgarische Kind zu
gehen beginnt, so darf es beim ersten Ausgang aus dem Hause nicht
rückwärts hinausschreiten.2) Die Murava, die wendische Mahr, der Geist
des Alpdrückens, entweicht, wenn man die Schuhe nicht mit den Spitzen
nach dem Bett, sondern abgewendet hinstellt oder an die Thür einen
Pantoffel legt mit dem Schnabel nach aussen. Ähnliches findet sich in
Mecklenburg und Tirol.3) Man sieht, wie der Dämon durch die irre-
leitende Fussspur getäuscht werden soll. Häufig findet man ein Umdrehen
von Gegenständen zu gleichem Zweck: man dreht seinen Pantoffel, sein
Hemd, einen Dachziegel, den Sattel des Reitpferdes4) um. Besonders
interessant aber ist folgende Einzelheit: Nach der indischen Sage der Urans
wird unter den Gespenstern besonders der Tschorail gefürchtet; das ist
der Geist einer im Wochenbett verstorbenen Frau, welcher auf Grabsteinen
sitzt und umgekehrte Füsse hat.5) Wir sehen, dass die Idee, der Tote
könne nur geradeaus seines Weges gehen, so konsequent durchgeführt ist,
dass man seine Rückkehr nur unter der Annahme verstehen konnte, seine
Füsse seien plötzlich umgebogen worden. War es nun dem Menschen
versagt, das Reiseziel zu kennen ■— die Reise führt eben zu einem schritt-
weisen objektiven und subjektiven Verschwinden des Reisenden — so war
doch der Trieb, in das Totenland einen Einblick zu erhalten, im Menschen
zu mächtig, als dass er auf jede Hoffnung, von dem Toten Kunde zu er-
halten, ganz hätte verzichten wollen. W^ohin der Weg führte, das wusste
niemand - überall hören wir von dem Hause des Todes als der Region
des Kummers, der Finsternis, des Schweigens sprechen6) — so bemühte
man sich wenigstens, den Reiseweg der Seele zu beobachten und ihr den
gefährdenden Rückzug abzuschneiden. Beides aber geschah, indem man
ihre Spur verfolgte und diese eventuell vernichtete. Ein solches Verfahren
muss uralt sein. Es führt über die Aera des selbstbewussten Willenlebens
der Menschheit hinaus bis zu dem Zeitalter des Yorwaltens tierischer
Instinkte. Der Indianer verehrt, ja vergöttliclit den Hund, er benennt sich
mit Hundenamen und nimmt dieses Tier als Vorfahr in seinen Stammbaum
auf, weil er ihn in der Kunst überlegen weiss, die Fährte des Wildes zu
mit dem Kopf voran hinaus zu tragen. Dies geschieht offenbar, weil im Kopf die Seele
lokalisiert gedacht wird: Zeitschr. d. deutschen Palästina-Yereins 6, 188 f.
1) Ethnolog. Mitteilungen aus Ungarn 5, 30.
2) Strausz, Bulgaren, 298
3) Alpenburg a. a 0. 267.
4) Letzteres ist Sitte bei den Kirgisen: Zeitschr. f. Ethnologie III, 307.
5) Zeitschr. f. Ethnologie (3, 344.
G) Typisch für diesen Vorstellungskreis ist die hebräische Scheöl-Auffassung, die ich
bei anderer Gelegenheit mit den entsprechenden indogermanischen Mythengebilden ver-
gleichen zu können hoffe.
Die Reise der Seele ins" Jenseits.
155
erkunden. Spürnase zu sein und zu heissen war ihm ein Ideal. Die
Wüste Arabiens wäre für den Beduinen jeder Poesie bar gewesen, wenn
nicht die Spur seines Kamels und des abgebrochenen Zeltes seiner Ge-
liebten sich dem gelben Sande aufgedrückt hätte.*) Deshalb ist die Er-
kenntnis der Fussabdrücke bei den alten Arabern bis auf den heutigen
Tag zu einer völlig selbständigen Kunst geworden.2) Doch noch ein
anderes Element spielt in die Völkersitte mit hinein. Ich lioife, es bei
anderer Gelegenheit darthun zu können, was ich bereits an einem Beispiel
gezeigt habe3), dass der Begriff des Eigentums dem Gefühl der leiblichen
und lebendigen Zugehörigkeit des betreffenden Gegenstandes zum Menschen
erwuchs. Die Kraft der Riesen und Zwerge unserer Sagen knüpft sich
gewöhnlich an die unmittelbare Berührung ihres Leibes mit einem kon-
kreten Besitztum, das, abgelegt, den Träger seiner magischen Macht beraubt.
Im Aberglauben ist die Vorbedingung für die Wirksamkeit eines Zaubers
stets in der Berührung des die Zauberwirkung vermittelnden Dinges auf
blossem Leibe gegeben. Die subjektive Eigenart der lebenden Person
teilt sich dem in unmittelbarem Kontakt mit ihr stehenden Gegenstande
gewissermassen durch Überströmen eines geistigen Fluidums derartig mit,
class Besitzer und Besessenes zu einer begrifflichen Einheit verschmelzen.
Wenden wir diese Idee auf die Fussspur an, so erkennen wir, dass auch
sie, und sie in erster Linie, die Trägerin der ganzen menschlichen Sub-
jektivität sein muss. Die Spur des Toten muss bei ihrer Berührung den
Lebenden töten, wie z. B. die zweier einander beissender Hunde Zank
verursachen muss.4) Daher die in manchen Gegenden Bayerns, so namentlich
■am rechten Ufer des Innthaies, von den Einzelhöfen herabführenden
Totenwege, die ausschliesslich nur mit Leichen befahren werden5), sowie
mannigfache Zaubergebräuche der Gegenwart. In Bulgarien nimmt die
Hebeamme am Tage nach der Geburt das Kind auf den Arm und hält
ein Sieb, in das sie die Fusslappen des Vaters hineingelegt hat, über das
Kind, damit es - wenn es ein Knabe ist — dereinst auch Vater werde.6)
Ganz offenbar zeigt sich hier das Bestreben, die Eigentümlichkeit der
Vaterschaft auf das Kind durch die hier offensichtlich aus den Fusslappen
herausdestillierte Eigenart ihres Trägers zu übermitteln. Zahllos sind die
betränke, vermöge derer man Heilungen auszuführen versucht, indem man
■dem Patienten den Abdruck seiner eigenen Fussspur eingiebt. Denn die
Volksmedizin heilt Gleiches mit Gleichem. Die Spur als Krankheits-
1) Vgl. Jacob, Leben der vorislamischen Beduinen unter dem Kapitel: Kamel.
2) Ich verweise hier abermals auf P. Sartoris Arbeit im 4. Bande der Zeitschr. f. Volks-
kunde. Im folgenden sind selten Belege gegeben, die sicli dort bereits finden.
3) Globus a. a. 0.
4) Wuttke a. a. 0. 253.
5) Bavaria I, S. 412. München lHiO.
(i) Strausz a. a. 0. 294.
156
von Negelein:
erregerin muss auch das angestiftete Unheil gutmachen.1) So ist denn
auch die Fussspur des Toten vom höchsten diagnostischen Wert für den
Überlebenden und deshalb die Bemühung verständlich, etwa Staub oder
Asche an die Stelle zu streuen, die uns sein Wiedererscheinen hoffen oder
befürchten lässt. Uberaus instruktiv ist in dieser Beziehung der Bericht
Nottrotts über die Erfolge der Gossnerschen Mission unter den Kolhs,
einer indischen Völkerschaft.2) Der Tote, dessen Körper man eben ver-
brannt hat., wird von dem Pahan (Oberpriester), dem Teufelspriester und
den Gästen nach vollendetem Leichenschmaus auf einem Felde, das ihm
angehört hatte, gesucht: „Wo bist du jetzt? Bist du in der Chatu (einem
aufgestellten Wassergefäss) oder bist du unter dem Dornstrauch?" Da
keine Antwort erfolgt, wendet sich der Teufelspriester zu den Umsitzenden,
die gemütlich ihr Sukull rauchen: „Nun was weiss ich, wo er ist!" Jetzt
wendet sich der Zug zu dem Bauernhause, das der Familie des Gestorbenen
angehört hatte, zurück. Sie finden es verschlossen; mit dem Stocke schlägt
der Pahan dreimal auf das niedrige Dach und fragt, wer drinnen ist. Er
will erforschen, ob der Verstorbene sich in seinem Hause aufhalte. Und
richtig, eine Stimme antwortet aus demselben: „Ich bin hier, was bringst
du da draussen, bringst du Freude oder Schmerz?" Die Antwort lautet:
„Für Trauer bringe ich Freude" — und sofort öffnet sich die Thür und ein
Mann, der sich vorher heimlich hinter dieselbe gestellt hatte, tritt heraus.
Alle, der Pahan an der Spitze, blicken nun in das Haus, um zu sehen,,
ob in der fingerdick auf dem Erdboden gestreuten Asche noch weitere
1) Hier seien ein paar besonders typische Erscheinungen des Volksglaubens erwähnt:
In Bulgarien holt die Heilkünstlerin gewöhnlich von den Orten, wo der Kranke in letzter
Zeit gegangen, etwas Erde; ferner "Wasser aus den Quellen, aus denen er getrunken.
Wasser und Erde inengt sie zusammen, hält den Brei über den Bauch gewisser Kräuter
und wäscht dann damit den Kranken. Den Rest giesst sie über den Ort, den der Kranke
in letzter Zeit betreten hat: Strausz a. a. 0. 426. Bei einer ungenannten Kinderkrankheit
wird das Blut aus der Ferse des Kindes diesem zu trinken gegeben: ebenda 407. Die
Heilkünstlerin legt auch bei gewissen Fällen von dem Herde Asche auf die Erde und
heisst den Kranken blossfüssig in die Asche treten; dann nimmt sie, von neun bis eins
nach rückwärts zählend, aus der Fussspur etwas Asche, giebt dem Kranken davon zu
trinken, den Best aber giesst sie an einen Baum oder auf einen Stein. (Das letztere Ver-
fahren gründet sich auf den so weit verbreiteten Aberglauben, dass man Krankheiten in
Bäume bannen könne). Oder sie legt Asche vor den Herd, und auf dieselbe eine Schaufel,
mit der das Brot in den Ofen geschoben wird. Nun treibt sie den Kranken mit dem
Besen über die Schaufel hinweg und während sie ihm den Rücken mit dem Besen schlägt^
spricht sie eine Zauberformel. Dann geht der Kranke noch einmal über die Schaufel
hinweg. Nun wird die Schaufel weggenommen und die Asche untersucht: wenn sich
etwas, etwa eine Kohle, darin findet, so gilt das als die Krankheit: ebenda 399. Der
letztere Gebrauch beabsichtigt offenbar, mit der Brotschaufel, einem geweihten Instru-
mente — das Brot und alles, was zu seiner Bereitung dient, ist immer heilig —, den
Krankheitsdämon aus dem Körper des Leidenden in der Weise zu vertreiben, dass man
ihn aus der Ferse des Patienten (das Unglück heftet sich an die Ferse) in" die Asche
bannt, wo er sich irgendwie bemerkbar machen muss.
2) Vgl. Sonntag, Totenbestattung, 37 ff.
Dio Heise der Seele ins Jenseits.
157
Spuren enthalten seien, als die an der Thür von dem Manne herrührenden.
Man ist befriedigt, als man nichts entdeckt. „Auf seinem Felde ist er
nicht", sag't einer, „in seinem Hause auch nicht, wer weiss, wo er ist?"
„Ob er aber in der Nacht nicht wieder in sein Haus kommt?" meint ein
anderer; „wo soll er schlafen, wenn er keine Stätte gefunden hat?"
„Gewiss, er kann noch kommen", bestätigt ein anderer (der Palian),
„darum macht die Asche glatt und bindet die Thüre zu, dass niemand
hineinkomme." Nach dieser Weisung wendet sich der Mann seinem Hause
zu, und auch die übrigen Gäste zerstreuen sich. Kaum graut der Morgen,
als sich auch schon vor dem Hause eine ziemliche Menge Menschen ver-
sammelt hat, die nur auf den Teufelspriester wartet, um das Haus zu
untersuchen. Die nächsten Angehörigen des Verstorbenen sind natürlich
am ersten auf dem Platze; geht es sie doch am nächsten an, ob ihr Haus
künftig der Tummelplatz eines Geistes, vielleicht eines bösen Bonga, sein
werde, oder ob sie weiter in Frieden unter dem Dache wohnen können.
Da tritt der unheimlich aussehende Mann auch schon in den Hof und ... .
nun untersucht der Pahan genau die auf den Boden gestreute Asche. Aber
so sorgsam er auch bis in den äussersten Winkel spürt, er findet nichts
und erklärt heraustretend, der Verstorbene müsse wohl bei Singbonga,
dem guten Gotte . . . einen Wohnort gefunden haben, auf der Erde gehe
er nicht umher. Die Freude der Angehörigen ist gross, und sofort gehen
sie daran, das Haus von der Asche zu reinigen und wieder wohnlich zu
machen." — Deutlicher als hier können wir die Idee der Furcht vor dem
Toten und der Mittel, die Einwirkung des Geistes eines Verstorbenen aus
dem Auftreten von dessen Fussspuren zu erkennen, nicht zu finden wünschen.
Ein schöner Beweis für den spontanen Parallelismus in der Verkörperung-
ethnischer Elementargedanken liegt nun aber in der Thatsache, dass wir
in einem ostpreussischen Brauche ein ganz entsprechendes Mittel finden,
der Geister der Verstorbenen gewissermassen ansichtig zu werden. Am
Neujahrstage wird nämlich in meiner Heimat die Ofenbank für die Seelen
freigehalten, das Feuer im Herde oder im Ofen angezündet und auch in
manchen Gegenden ein Licht die Nacht hindurch brennen gelassen;
sodann Sand vom Ofen bis zur Thüre (oder auf der kuhrischen Nehrung
rings um den Tisch herum1]) gestreut. Man erwartet dann — ich habe
diese Erwartung mehrmals aussprechen hören —, dass die Toten, welche
ja iu den Zwölften erscheinen, ihre Spuren im Sande zurücklassen werden.
Ganz unzweifelhaft verfolgt das Streuen von Sand vor der Thür eines
Totenhauses denselben Zweck, denn man erzählt bei uns Sagen von
1) Gerade im litauischen und lettischen Aberglauben spielt der Familientisch als
Opferherd für den Ahnendienst noch eine gewisse Rolle: das auf dem Tische liegende
Brot darf nicht durch Verletzung mit scharfen Instrumenten entheiligt werden („das
thut den Seelen weh"). Brotkrumen werden stillschweigend den Ahnen auf die Erde
geworfen u. s. w.
158
KaincU :
Gespenstern, deren Zurückkommen man an den Fusseindrücken in diesem
Bande erkannt hätte. So fügt sich alles zusammen, um den Beweis dafür
zu liefern, dass man auf das Vorhandensein und die specifische verderben-
bringende Eigentümlichkeit der Geister Verschiedener vorzüglich aus dem
Auftreten von ihrer Fussspur schloss. Es fragt sich nun: wie vernichtet
man die Fussspur und damit den Geist selbst? wie verhindert man die
Rückkehr desjenigen, dessen Abreise man nun einmal zu verzögern sich
ohnmächtig fühlte ?
Königsberg i. Pr.
(Schluss folgt.)
Butkeniscke Hochzeitgebräuche in der Bukowina.
Mitgeteilt von Dr. II. Fr. Kaindl.
Die ruthenisclien Hochzeitgebräuche zeichnen sich durch ihre Mannig-
faltigkeit, die zahlreichen Lieder, endlich durch Spuren althergebrachter
Rechtsgebräuche (Kauf der Braut, Botmässigkeit des Weibes) aus. Mit
der Gegend — Vorgebirge, Gebirge (Karpaten), Flachland — wechseln
auch einzelne der Gebräuche, wenn auch der Hauptverlauf der Feier der-
selbe bleibt.1) Wir beginnen mit der Schilderung der Hochzeit bei den
ruthenischen Vorgebirglern (Pidhirjany) zwischen Wiznitz und Ber-
homet am Sereth.
I.
Kinder werden in ihrer Unmündigkeit niemals verlobt. Der junge
Mann heiratet erst nach erreichter Grossjährigkeit und nachdem er der
Militärpflicht Genüge geleistet hat, d. i. nach dem zurückgelegten 24. Lebens-
jahre. Das Mädchen dagegen heiratet, entsprechend ihrer körperlichen
Entwickelung, zumeist vom 18. Jahre angefangen, ausnahmsweise wohl
auch früher.
Nur sehr selten werden im Volke Ehen nach der Eingebung des
Herzens geschlossen. Im allgemeinen sind es Konvenienzehen, welche
durch Vermittlung der Werber (starosty) zu stände gebracht werden, wobei
die beiderseitigen Eltern (swaty) bestimmend einwirken. Ihnen fügen sich
die Brautleute ziemlich willenlos. Die Werbung (swatanie) besorgen stets
1) Für das Zustandekommen der im folgenden mitgeteilten Sammlung- von Hochzeit-
gebräuchen bin ich dem Herrn Konsistorialrat A. Manastyrski, ferner den Herren Pfarrern
G-ramatowicz und Kozariszczuk zu besonderem Danke verpflichtet.
Ruthenische Hochzeitgebräuche in der Bukowina.
159
die Freunde des Vaters des Bräutigams oder die Freunde des letzteren,
wenn dessen Vater nicht mehr lebt. Bevor man zur Werbung schreitet,
findet zumeist erst ein Familienrat statt.
Die Werbung findet gewöhnlich im Herbste nach der Ernte statt.
Zu diesem Zwecke kommen die Werber in das elterliche Haus der in
Aussicht genommenen Braut zur Abendzeit und bringen daselbst ihre Ab-
sicht zum Ausdrucke. Die Eltern des Bräutigams und dieser selbst sind
nicht zugegen, um sich nicht der etwaigen Absage persönlich auszusetzen.
Das Mädchen wird höchstens der Höflichkeit wegen um ihre Einwilligung
liefragt. Nachdem die Werber von den Eltern des Mädchens die-Zustimmung
erhalten haben, wird dem von den Werbern mitgebrachten Branntweine
zur Bekräftigung des Jawortes (siowo) fröhlich zugesprochen. Ohne die
Bewilligung der Eltern kommt selten eine Ehe zu stände; das Volk hält
eine solche Verbindung für unzulässig und unglücklich. Nur wenn die
Eltern tot sind, verfügen die grossjährigen Kinder frei über ihre Hand,
während die minderjährigen durch die Vormundschaft beschränkt werden.
Gewöhnlich heiratet der älteste Sohn und die älteste Tochter zuvor: nur
wenn die älteren heiratsunfähig sind, gehen ihnen die jüngeren voran.
Dagegen ist die Heirat der männlichen Geschwister durch jene der weib-
lichen und umgekehrt nicht behindert. Zumeist heiraten junge Leute aus
demselben Orte, die demselben Bekenntnisse und derselben Nationalität
angehören. Unter Blutsverwandten ist gemeiniglich die Ehe erst im 6. Grade
gestattet, auch Gevatterschaften gelten als kanonische Hindernisse, die auch
vom Volke streng beobachtet werden. Eine Verlobung wird nur in den
zwingendsten Fällen, etwa bei Krankheit, unsittlichem Lebenswandel und
dergl. rückgängig gemacht. Ist ein Teil an der Lösung des Verlöbnisses
schuldig, so leistet er dem anderen Teile für die etwa bereits aufgelaufenen
Kosten Ersatz.
Schon beim Trinken des Siowo wird auch über die Aussteuer der
Braut (drestra) und Mitgift (wino) der Brautleute verhandelt. Die end-
gültigen Verabredungen darüber werden vor dem Hochzeittage durch die
beiderseitigen Schwiegereltern getroffen. Mitunter wird ein schriftlicher
Heiratsvertrag geschlossen. Das Mädchen erhält gewöhnlich die häusliche
Ausstattung, Kleider, Wäsche, Bettzeug, eine Truhe (skrynia), Geld und
Viehstücke; nur äusserst selten werden Grundstücke dem Mädchen als
Heiratsgut gegeben, weil diese in der Regel den männlichen Erben zu-
gedacht sind.
Zwischen der Werbung und der Hochzeit (wisilie) verstreicht gewöhnlich
ein Zeitraum von sechs Wochen, während welcher die Vorbereitungen
getroffen werden. Durch den Ertrag der Fruchtfechsung ist der Landmann
u,n diese Zeit im stände, die nötigen Auslagen zu bestreiten. Natürlich
sind die Vorbereitungen nach den Vermöffensverhältnissen sehr verschieden.
T •
jedem Falle sucht man aber das Möglichste zu leisten. Im Hause der
p
160 Kam eli:
Braut wird für diese die längst vorbereitete Aussteuer vollendet; der
Bräutigam besorgt sicli neue Festkleider. Hierzu kommt die Vorbereitung
der Geschenke. Der Bräutigam (molodej) beschenkt das Mädchen mit
gelben neuen Stiefeln (zouti czoboty) und mit einem weissen Kopftuche
(pokrywalo), das am zweiten Hochzeittag den Kopf der Braut bedeckt.
Die Braut (moloda) dagegen beschenkt ihren Bräutigam mit einem neuen
Hemde und einem Halstuche. Ausserdem muss die Braut, wenn sie in
das Haus des Bräutigams eingeführt wird, für den Schwiegervater, die
Schwiegermutter und die Anverwandten des Bräutigams beliebige Geschenke
mitbringen. Für die Hochzeit werden ferner ein oder auch mehrere
Schweine, sowie Geflügel gefüttert und geschlachtet. In der Mühle wird
Getreide gemahlen. Dann wird mit dem Priester verhandelt. Auch ver-
III . .
gisst man nicht, rechtzeitig mit den Musikanten einig zu werden, denn
ohne diese ist eine rechte Bauernhochzeit undenkbar. Bemerkt muss noch
werden, dass diese Vorbereitungen sowohl im Hause der Eltern des Bräutigams
als der Braut vor sich gehen, weil die Hochzeitfeier in beiden stattfindet.
Schliesslich gehört zu den Vorbereitungen auch die Wahl der Trauzeugen,
d. i. des Brautvaters (bat1 ko) und der Brautmutter (matka); ferner die der
Brautjungfern (druzki), welche die Braut, und die der Brautführer (druzby),
welche den Bräutigam zur Trauung begleiten. Druzki und druzby bedienen
auch die Gäste beim Hochzeitmahle. Schliesslich gehören zum Hochzeit-
zuge der Braut und des Bräutigams einige junge Bursche, welche Bojaren
heissen.
Am Vortage der Hochzeit sind bereits alle Vorbereitungen getroffen.
Im Hause der Braut wird an diesem Ta«'e ffe^en 2 Uhr nachmittags
7 . .
der Tisch in die Mitte des Zimmers gestellt, mit einem weissen Tischtuche
gedeckt und darauf zwei Brote oder ein paar Kolatschen1) mit einem
Stössel Salz, daneben eine irdene Schüssel voll schönen Immergrüns gestellt.
Die Braut, auf das Schönste gekleidet, erwartet ihre Kranzeljungfern,
welche bald im Sonntagsstaate erscheinen und nach der üblichen herzlichen
Begrüssung, die Braut in ihre Mitte nehmend, sich zum Tische setzen.
Hierauf wird das auf dem Tische befindliche Immergrün, welches zum
Brautkränze bestimmt ist, ausgewählt, sortiert und sorgfältig geputzt.
Nachdem dies geschehen ist, erscheint die Mutter der Braut im Zimmer,
setzt sich nieder und legt ein Polster auf ihren Schoss. Über demselben
beginnt sie dann die geputzten Blätter auf ein rotes, wollenes Band, politeka
genannt, aufzunähen. Hierbei wird gesungen:
Oj zeleneiikij barwinku, O grünes Immergrün,
Kupuwalam tia na rynku, Ich kaufte dich am Ringplatz,
Zamykalam tia u skryñku, Verwahrte dich im Schrank,
A teper tia ruszu Jetzt taste ich dich an •
Taj zapiakaty muszu. Und muss weinen.
1) Das sind kranzförmig geflochtene Kuchen aus Weizenmehl.
Ruthenische Hochzeitgcbräuclie in der Bukowina.
161
Hierauf übergiebt die Mutter clie Arbeit ihren nächsten Freundinnen
zur Fortführung;. Diese singen hierbei:
Gieb Mütterchen die Nadel
Und den Seidenfaden,
Anzufangen das Kränzlein
Der Braut fürs Köpflein.
Der Kranz wird mit Flittergold verziert; ist er schliesslich fertig, so
wird o'esuno-en:
Daj mamko holku
Taj nytku z szouku,
Zaczenaty winoezok
Molodi na hotouku.
De se dita,
Ta de se podiia
Motodoji maty;
Czomu ne prystupyt
Taj ne wikupyt
Winoezok wid swaszoczok.
"Wo ist denn,
Ja wo ist
Die Mutter der Braut?
Warum kommt sie nicht
Und kauft nicht
Das Kränzlein von den Nähterinnen'?
Die Mutter, welche inzwischen ihren Hausfrauenpflichten nachging,
erscheint nun wieder und muss den Kranz von den Angehörigen gegen
eine kleine Gabe auslösen, wobei gesungen wird:
Oj my winky szyty
Taj holoezky polomyly,
Treba nam hroszi daty,
Szoby holky pokupuwaty.
O wir haben Kränze genäht
Und die Nädelchen zerbrochen;
Man muss uns Geld geben,
Damit wir uns Nadeln kaufen.
Hierauf wird die Braut von der Mutter frisiert; inzwischen wird
gesungen:
Stawajko ridna mamko na stilezyk
Taj dosiahny iz swotoka hrebiiiczyk,
Zaczesaty rosu kosu pid winezyk.
Eudy moja rosa kosa majaty,
Ty budysz ridna maty plakaty,
Bo ne budy komu rano wstawaty,
Na horodi zilieezko poiywaty,
Budysz mamko potywaty samaja
To piznymy taj ranyray zoriamy
Taj hustymy i dribnymy stozamy.
Steige Mütterchen auf den Schemel
Und reiche vom Deckbalken den
Kamm herab,
Zu kämmen den blonden Zopf für
den Brautschmuck.
Mein blonder Zopf wird glänzen,
Du Mütterchen wirst weinen,
Denn niemand wird zum Früh-
aufstehen da sein,
Im Garten die Pflanzen zu begiessen,
Du selbst Mütterchen wirst begiessen
Am Abend und am Morgen
Mit dichten kleinen Thränen.
Dabei wird der Kranz von Abater und Mutter auf den Kopf der Braut
gelegt und der Braut Glück, Gesundheit und langes Leben gewünscht.
Hier wird gesunken :
Czomu moiodenka ne tuzysz?
Uze bilsze diwoezkou ne budysz,
Uze weezirne hiilianieczko zabudysz,
Z parubkamy na rozmowi ne budysz.
Warum trauerst du Bräutchen nicht?
Du wirst nicht mehr Mägdelein sein,
Die Abendunterhaltung wirst du ver-
gessen,
Mit den Burschen wirst du nicht mehr
plaudern.
162
Kaindl:
Schliesslich wird der Braut und den Kranzelmädchen je ein Kolatschen
an den rechten Arm gebunden. Ist dies alles geschehen, so werden Braut
und Kranzeljungfern ins Dorf ausgeschickt, um die Hochzeitgäste persönlich
einzuladen. Sie sind hierbei von Musikanten begleitet; auch Branntwein
und Kolatschen werden mitgetragen. Bei den Vornehmsten wird der
Anfang gemacht; gewöhnlich geht man zum Pfarrer zuerst, weil er in der
Gemeinde der Angesehenste ist. Nachdem die Gäste geladen sind, ver-
sammeln sich alle und setzen sich zum Nachtmahle; während der Mahlzeit
werden Geschenke zwischen Braut und Bräutigam ausgetauscht.
Inzwischen hat sich im Hause der Eltern des Bräutigams ganz Ähn-
liches zugetragen, wie im Hause der Braut. Auch der Bräutigam hat mit
seinen Brautführern die Gäste geladen, die sich am Abend in seiner Eltern
Hause versammeln. Nun schickt die Braut dem Bräutigam durch ihre
Bojaren ein Hemd und ein zu diesem Zwecke eigens ausgenähtes Tüchel.
(szerenka). Beim Empfange dieser Sachen wird gesungen:
Nasza soroczka iz samoho lenu, Unser Hemd ist aus reinem Flachs»
Naszi czoboty iz safljanu, Unsere Stiefeln aus Safianleder,
Nasza soroczka iz ceroczkamy, Unser Hemd ist mit Stickereien,
Naszi czobitky iz pidkiukamy; Unsere Stiefel sind eisenbeschlagen;
Naszu soroczku swaszoczky szyly, Unser Hemd nähten die Nähterinnen,
Naszi czobitky szewczeki szyly. Unsere Stiefel die Schuster.
Der Bräutigam übernimmt diese Gaben und als Gegengeschenk über-
mittelt er der Braut ein Paar gelbe Stiefel und ein weisses Tuch (pokrywafo).
Während die Braut diese vorn Bräutigam geschickten Gaben empfängt,
wird gesungen:
Taj rychtuj se, moloda, rychtuj se, O richte dich, richte dich, Braut,
Taj w zouti czoboty uzuj se, Ziehe die gelben Stiefel an,
Taj wozmy wsi worohy pid nohy, Nimm alle Feinde unter die Fiisse,
Szoby se wstupyly z dorohy. Damit sie aus dem Wege weichen.
In diesem Austausche der Geschenke besteht die ganze Wechsel-
beziehung zwischen dem Bräutigam und der Braut an diesem Tage. Darauf
wird in beiden Häusern getrennt die ganze Nacht getanzt, gescherzt und
gelacht. Dieser Polterabend wird ruthenisch „zawodeny" genannt. Er
findet gewöhnlich an einem Samstag statt.
Am nächsten Morgen, zumeist einem Sonntag, wird früh der Feiertags-
staat angelegt. Im Hause der Braut und des Bräutigams finden sich ge-
trennt die Gäste und die Würdenträger bei der Hochzeit ein. Letztere
erhalten kleine Sträusschen aus Immergrünblättern mit Schaumgold ver-
ziert (kwitkie). Hierauf werden Anstalten getroffen, um in die Kirche zur
Trauung zu gehen. Zu diesem wichtigen Gange erbittet sich die Braut
durch einen eigens dazu bestellten Redner den Segen der Eltern. Dieser
wird folgendermassen erteilt. Die Eltern setzen sich auf eine Bank, auf
dem Schosse Brot und Salz haltend; die Braut kniet vor ihnen nieder,,
während der dazu bestimmte Redner folgendermassen spricht:
Ruthenische Hochzeitgebräuche in der Bukowina.
163
Es kniet eure Tochter vor Gott, vor
Vater und Mutter, und bittet um den
Segen; vielleicht hat sie euch einmal
beleidigt, erzürnt, euch nicht gehorcht
oder euch nicht Genüge gethan; des-
halb bittet sie euch, ihr zu verzeihen
und sie zu seg-nen.
Prykliakajy donika wasza pered
Bohom, pered otcem i matereu, i
prosyt o blahosiowenie; moze ona
was koly ukoryla, hniwala, ne slu-
chala abo ne dohodyla, to prosyt
was, abysty proszczaly i jiji biaho-
slowyly.
Nach dieser Anrede segnen die Eltern die Braut, indem sie ihren
Kopf mit Brot und Salz berühren, sie küssend und umarmend. Nach
diesem nimmt die Mutter die Braut bei der Hand und umgeht den in der
Mitte des Zimmers stehenden Tisch dreimal, dieselbe mit Weihwasser
besprengend und ihr Weizen unter die Füsse streuend. Darauf nimmt
die Braut Abschied, indem sie den Eltern die Hände küsst, und schickt
sich zum Grange zur Kirche (d.i. zur Trauung) an. Hierbei wird gesungen:
Stupyla molodeiika iz poroha: Das Bräutchen trat von der Schwelle:
Buwaj meni moja mamko zdorowa. Lebe wohl mir mein Mütterchen.
Taj perszyj raz, molodeiika, perszyj raz Vor allem, mein Bräutchen, vor allem
Poklony sia mojij manici do sto raz,
Neige dich dem Mütterchen hundertmal,
Weil es viel dem Mütterchen gekostet
Bis es diesen Dank erlebte. [hat,
Ich danke dir Mütterchen für dies Brot,
Dass du mich aufgezogen hast.
Bo bollato twoja mamka kieltuwala,
Doky sych pokloniu sia doczekala.
Diakuju tobi moja mamko za twij chlib,
Szos mene wyhoduwala na sej swit.
Nun erfolgt die Abfahrt zur Kirche. Die Braut besteigt mit den
Kranzelmädchen und der Brautmutter die für sie bestimmten Wagen; die
ältere der Brautführerinneii trägt ein mit Federn, Bändern und Blumen
geschmücktes Tannenbäumchen. Die anwesenden Frauen werfen der Braut
in den Busen Zucker, Brot, Salz, Knoblauch und Geld: Zucker, damit ihr
das Leben süss sei; Brot und Salz, damit der Hausfrau es nie daran fehle;
Knoblauch als Schutz gegen Zauber; endlich das Geld als Wahrzeichen
künfti gen Reichtums.
Auf dem Wege zur Trauung wird gesungen:
Am Sonntag-Morgen
A u nediliu rano
More se rozihralo;
A ne more toto hraje,
Ale sonce se kupaje;
To ne sonce se kupaje,
To molodyj potopaje
Ta na molodu pokrykaje:
„Molodyczko, holuboczko,
Ratuj mene z moria!" —
,,„Ta ne moja tota wola,
Ratuwaty tebe z moria,
Ani czouna, ani wesla,
Wogte das Meer;
Nicht das Meer wogt,
Sondern es badet die Sonne;
Es badet nicht die Sonne,
Es sinkt der Bräutigam unter
Und ruft der Braut zu:
„Bräutchen, Täubchen,
Rette mich aus dem Meere!'' —
„„Es hängt nicht von mir ab,
Dich zu retten aus dem Meere,
Ich habe weder Schiff, noch Ruder,
Alles hat der Sturm entführt.""
Use buria taj widnesla.""
Also singend gelangt man bis zur Kirche. Hier wird Halt gemacht
und auf das Erscheinen des Bräutigams gewartet, wTenn er nicht schon da
164
Kamdl:
ist; denn auch dieser hat sich inzwischen, begleitet von den Seinen, aus
dem elterlichen Hause zur Kirche aufgemacht. Sind Bräutigam und Braut
erschienen, so gehen beide in die Kirche, wo sie das Sakrament der Elie
empfangen. Nach der Trauung begiebt sich die Braut (wieder ohne
Bräutigam, der mit den Seinen zunächst ins elterliche Haus zurückkehrt)
mit ihren Angehörigen in die Wohnung ihrer Eltern zurück. Auf dem
Heimwege wird gesungen:
Üj my u cerkwi buiy, O wir waren in der Kirche,
Szczos my tarn wydily? Was haben wir dort gesehen?
Dwa winci na stiuci, Zwei Kränze am Tischchen,
Molodym na holouci. Den Brautleuten am Kopfe.
A pope, pope, batko nasz, O Pope, Pope, Väterchen,
A pope jich i zvvinczau, Du hast sie getraut,
Dvvoje dity z mezy nas, Zwei von unseren Kindern,
Odno detiatko N. N, Ein Kindchen N. N.,
Druha N. N. Das andre N. N.
A diakujem popoczkovvy, Wir danken dem Pfarrerlein,
Swomu baticzkowy, Unserem Väterlein,
Szo nas ne zabavvyu Dass er uns nicht aufhielt
Ne bohato u nas prawyu, Und von uns nicht viel forderte,
Lesz zoutoho czerwonoho Nur einen Dukaten
Wid pana molodoho. Vom Herrn Bräutigam.
Die Braut wird von ihren Eltern am Eingange des Hauses mit Brot
und Salz empfangen, worauf sie zwischen ihren Kranzelmädchen nebst
den übrigen Angehörigen zum Tische sich setzt. Auf diesen wird auch der
Hochzeitbaum gestellt. Während gespeist wird, kommt der Bräutigam
mit seinen Angehörigen in den Hofraum des Hauses. Sobald man bei
der Tafel der Braut hiervon Kunde erhalten hat, wird daselbst gesungen:
Oj stij ziatiu za woroty Steh, o Schwiegersohn, hinter dem
Na zeleni paporoty! Am grünen Farnkraut! [Thore
Taj naj na tia snizok ide, Mag auf dich Schnee fallen,
Taj naj na tia m etil mete Mag Schneesturm dich umwehen
Ta na koni woroniji Und die schwarzen Pferde
Taj na druzby molodiji. Und die jungen Brautführer.
Während das Lied gesungen wird, schickt der im Hofraum wartende
Bräutigam seine Bojaren mit seinem Kolatschen, den er am rechten Arm
getragen hat, zur Braut, welche ihn gegen den ihren austauscht. Darauf
treten die Brautführer ins Zimmer ein und kaufen die Kranzelmädchen
gegen kleine Beträge aus, d. h. sie bewegen die Kranzelmädchen von der
Seite der Braut zu weichen. Andererseits erhalten die Brautführer von
den Brautmädchen ebenfalls kleine Geschenke. Bei diesem Auskaufen
wird folgendes gesungen:
U nas druzba krasnyj Unser Brautführer ist schön
Jak misiac jasnyj, Wie der helle Mond,
Posiahne w kyszcniu Er greift in die Tasche
Ruthenische llochzeitgebräuche in der Bukowina.
165
Ta wytiahne hroszyj zmeniu, Und zieht eine Handvoll Geld heraus.
Ta ne mnoho, druzbo, ne mnoho, Nicht viel, Brautführer, nicht viel.
Lysz odnoho czerwonoho! Bloss einen Dukaten!
Hierauf verabschieden sich die Krauzeljungfern von der Braut, wobei
gesungen wird:
Zaptakaia druzeczka, Das Brautmädchen brach inThränen aus,
Zaplakaìy obi: Beide Brautmädchen weinten:
„Cy ne ¿al se widdawaty „Thut dir nicht leid zu heiraten
Towaryszko tobi?" Gefährtin?"
„,,Oj cy ¿al, cy ne zal, „„Ob es weh thut oder nicht,
Ne budu kazaty, Ich werde es nicht sagen;
Jak se budesz widdawaty, Wenn du dich verehelichen wirst,
Tohdy budesz zuaty."" Dann wirst du es wissen.""
Endlich verlassen Brautführer und Kranzelmädchen das Zimmer. An
die Stelle der Kranzelmädchen .setzt sich nun der jüngste Bruder der
Braut, oder, wenn ein solcher nicht da ist, der nächste jüngste männliche
"V erwandte. Ist dies geschehen, so tritt der Bräutigam mit seinen Güsten
ins Zimmer ein, nähert sich dem Tische und kauft von dem eben erwähnten
Anverwandten der Braut diese für einen geringen Betrag. Hierauf wird
gesungen:
Oj tatar, bratczyk, tatar 0, ein Tatar, Brüderchen, ein Tatar
Prodau sestru za talar, Verkaufte die Schwester für einen Thal er,
Rosu kosu za szustak, Den blonden Zopf für ein Sechserl,
Rumniane lyezko taki tak. DasrosigeGesichtchengeradezuumsonst.
Sodann stehen alle vom Tische auf, nur die Brautmutter mit der
Braut bleiben sitzen. Letztere verschleiert ihre Augen und beugt das
Haupt über ihren Kolatschen. Eines der angesehensten Familienglieder
nimmt sodann das auf dem Tische stehende Hochzeitbäumchen in eine Hand
und reicht die andere dem Bräutigam; dieser ergreift die Hand eines
dritten u. s. w., bis alle Hochzeitgäste eine Kette bilden. Nun umgehen
sie den Tisch dreimal, wobei gesungen wird:
Na kalynoczci dwi jahidozki. Auf der Schneeballstaude sind zwei Beeren.
Rozszyriaj swatu chatu Erweitere Vater deine Hütte
Taj kalynowi stiny, Und deine Wände aus Schneeballholz,
Szoby bojary siiy; Damit die Bojaren niedersitzen;
Sily bojary siiy, Es setzten sich die Bojaren,
Az se zdrehnuiy stiny. Dass die Wände zitterten.
Beim Umgehen des Tisches berührt der Bräutigam, während er bei
der Braut die zwei ersten Male vorbeigeht, den Schleier derselben. Beim
drittenmale hebt er den Schleier auf und setzt sich neben seine Braut.
Nun wird gesungen:
Oj zietiu, zietiu emberiu (?) 0 Schwiegersohn, Schwiegersohn
Wiwywaj rantuch z paperiu, Wickle aus dem Papiere das Handtuch,
Ta pokryj swoju druzynu Bedecke deine Gefährtin
I rozwesely rodynu. Und erheitere die Familie.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 12
166
Kaindl:
Während dieses Lied gesungen wird, wickelt der Bräutigam ein Stück
weisse Leinwand, welche er mitgebracht hat, auseinander und übergiebt
diese dem jüngsten Bruder der Braut, von welchem er diese vorher gekauft
hatte. Dieser breitet sodann die Leinwand auf zwei einjährige Schosse
von einem Weidenbaum, hebt sie mittels der Stöckchen in die Höhe,
schwenkt sie hin und her und bedeckt zuletzt mit der Leinwand den
Kopf der Braut. Die Weidenbaumschosse werden gleich in kleine Stücke
zerbrochen. Hierauf wird gegessen, getrunken, gespasst und gelacht.
Schliesslich wird gesungen :
„Oj biysnuia koliasoczka na mosti,
A szczoz toto moja mamko za hosti?"
„„Oj do tebe, mij synoczku, do tebe,
Choczut tebe wziety wid mene.""
„Cy ja tobi mamko ne detyna,
Cy ja tobi po szczyrosty ne robyla,
Szo ty mene dajysz priczki
Protyu niczki."
„Auf der Brücke wurde ein Wäglein
sichtbar,
Was für Gäste sind das Mütterchen?"
„„0 zu dir, mein Söhnchen1), zu dir,
Sie wollen dich von mir nehmen.""
„Bin ich nicht dein Kind, Mütterchen,
Habe ich dir nicht redlich gearbeitet,
Dass du mich weg giebst
Da die Nacht naht?"
Während dieses Gesanges schickt sich der Bräutigam an, mit der Braut
in das Haus seiner Eltern zu ziehen. Auch die Aussteuer der Braut wird
auf dem Wagen, den die Brautleute benutzen, mitgenommen. Die Braut
nimmt Abschied von ihren Eltern, von welchen sie mit gebratenen Hühnern,
Kolatschen, Brot und Schnaps versehen wird, damit sie nicht mit leeren
Händen zu den Schwiegereltern komme.
Beim Weggehen wird gesungen:
Ne placz moja mamko za mnoju,
Ta ne wse ja zaberaju z soboju,
Lyszaju dribni slozy po stoiu
A husti slidy po dworiu.
Weine nicht, Mütterchen, um mich,
Ich nehme nicht alles mit mir,
Ich lasse kleine Thränen beim Tische
Und zahlreiche Spuren im Hofe.
So zieht die Braut unter Sang und Klang mit dem Bräutigam und
begleitet von allen ihren Hochzeitgästen mit Ausnahme ihrer Eltern, welche
zu Hause bleiben, bei
den Schwiegereltern ein.
Yor der Eingangsthüre
wird folgendes gesungen:
Utwory mamko nowyj dwir,
Wedemo tobi newistoczku w twij
dim,
Utwory mamko wikonce,
Wedemo tobi newistoczku jak sonce.
Öffne, Mütterchen, das neue Thor,
Wir führen das Schwiegertöchterchen
in dein Haus,
Öffne, Mütterchen, die Fenster,
Wir führen dir das Töchterchen wie
eine Sonne.
Die Eltern des Bräutigams kommen entgegen, empfangen ihre Schwieger-
tochter mit Brot und Salz und laden sie mit den übrigen angelangten
Gästen ins Zimmer und zugleich auch zum Tische ein, an dem die früheren
1) Darunter ist die Braut zu verstehen.
ßuthenische Hochzeitg'ebräuche in der Bukowina.
167
schon sitzen. Es wird sodann lustig gegessen und gezecht. Dazwischen
wird, wie übrigens auch schon im Hause der Braut, getanzt. Der Tanz
findet auf dem Hofe oder -— bei schlechtem Wetter — im geräumigen
o o
Yorhause statt, denn die Stube bietet hierfür keinen Raum. Es sei auch
noch erwähnt, dass Braut und Bräutigam stets auf dem Ehrenplatze bei
Tische sitzen, also unter der Ostwand des Hauses, an welcher auch die
Heiligenbilder hängen.
Nach Mitternacht oder auch erst gegen Tagesanbruch geleitet die
Brautmutter die Brautleute in eine eigens hierzu vorbereitete Schlafkammer.
Beim Auskleiden ist der Bräutigam der Braut behilflich, worauf diese
zuerst das Bett besteigt. Am nächsten Morgen dürfen die Brautleute so
lange die Schlafkammer nicht verlassen, als bis sie von der Brautmutter
wieder abgeholt werden. Nachdem das junge Ehepaar sich in die Kammer
zurückgezogen hat, begeben sich die Gäste, auch die Brautmutter, nach
Hause.
Am nächsten Morgen gehen die Brautführer zur Brautmutter, um sie
in das Hochzeitshaus zu geleiten. Auf dem Wege singen sie:
Szczaslywa hodyna hodynoczka n as tala Das glückliche Stündchen ist gekommen,
Motoderika za matkou pistala, Die junge Frau hat um die Mutter geschickt,
Pislala cztery koni, pietej wiz, Sie schickte vier Pferde, als fünften den
Wagen,
A szestoho firmaneczka, szoby matku Als sechsten den Fuhrmann, damit er die
pre wiz. Mutter bringe.
Z uamy matoczko, z namy Mit uns Mütterchen, mit uns
Na kaiynowi sany, Auf den Schlitten aus Schneeballholz,
Na kedrowi mosty, Über die Brücke aus Cedernholz,
Do swoich finia u hosti. Zu deinen Kindern zu Gast.
Die Brautmutter wird bei ihrer Ankunft auf das Freundlichste em-
pfangen und begiebt sich allsogleich zu den Brautleuten in die Schlaf-
kammer. Nun erfolgt durch die Brautmutter, oder auch durch die sie
begleitenden Weiber, die Feststellung der bis zur Brautnacht bewahrten
Jungfräulichkeit der jungen Ehefrau. 1st diese festgestellt, so wird im
Hofe des Hauses eine rote Fahne aufgepflanzt. Dies geschieht auch, wenn
der Bräutigam selbst schon früher die Blume gepflückt hat: er verrät eben
dann den Mangel der Braut nicht. Findet dagegen der Bräutigam sich
getäuscht, so wird zwar die Gültigkeit der Ehe nicht bestritten, wohl wird
aber das junge Weib häufig allgemeinem Spotte preisgegeben. So schiebt
man ihm bei der folgenden Festtafel einen Löffel mit einem Loche unter,
singt Spottlieder u. dgl.
Wenn die jungen Eheleute unter Leitung der Brautmutter die Schlaf-
kammer verlassen, wird gesungen:
^ ichody molodenka iz komory, Komm, o junge Frau, aus der Kammer,
Pokazy swoje lyczko rodowy. Zeige dein Gesichtchen der Familie.
12*
168
Kaindl: Ruthenische Hochzeitgebräuche.
Hierauf werden sie in das Gastzimmer gebracht. Hier wird die Frau
ihres jungfräulichen Kopfschmuckes, giordane genannt, entledigt, von der
Brautmutter frisiert und ihr Kopf nach Weiberart mit einem Handtuche
eingewickelt. Dann setzt man sich zu Tisch.
Auf dem Tische sind neben anderen Ess- und Trinkvorräten zwei mit
roten Bändern aneinander gebundene Flaschen, parowi szepe]) genannt,
nebst zwei Schnapsgläsern aufgestellt. Nun werden die Kolatschen, welche
Bräutigam und Braut während der Hochzeit am rechten Arm getragen
haben, in kleine Stückchen zerbrochen, auf einen Teller gelegt und mit
Honig übergössen. Sodann wird ein zweiter Teller mit Weizenkörnern
gefüllt und inmitten derselben jene zwei Schnapsgläschen aufgestellt. Die
Braut giesst nun aus den zwei mit roten Bändern verbundenen Flaschen
in die Gläser den Schnaps ein, und bewirtet die Gäste nach der Reihen-
folge ihrer Würde. Jeder muss beide Gläser leeren, dem jungen Ehepaare
hierbei Glück wünschend; sodann legt jeder eine kleine Gabe in Geld für
dasselbe nieder. Die anwesenden Frauen spenden auch Flachs, Leinwand,
Kopftücher u. dgl. Diese Gaben heissen pounecia, und der ganze Vorgang
wird propij genannt.
Ist diese Ceremonie zu Ende, so wird wieder gezecht und gegessen.
Schliesslich begeben sich alle Gäste nach Hause.
Am dritten Tage gehen die Brautleute mit Kolatschen und Salz zum
Pfarrer, um durch rituell vorgeschriebene Gebete sich Gottes Segen zu
erflehen. So endigt die Hochzeit.
Nun bringt die junge Frau die nächsten Tage mit den häuslichen
Beschäftigungen zu. Sie ordnet ihre Wirtschaft. Ihren Mädchenschmuck
und ihren Brautkranz bewahrt sie als teures Vermächtnis für ihre Nach-
kommen auf. Erst am Sonntag werden dann gewöhnlich die ersten
Besuche gemacht und zwar zuerst bei den Eltern des Mannes, dann
beim Brautvater und bei der Brautmutter, endlich bei den Eltern der
Frau. Bei diesen Besuchen bringt das junge Ehepaar Brot, Salz und
Branntwein zum Geschenk. Dass diese Besuche mit Belustigungen und
Schmausereien verbunden sind, ist selbstverständlich. Diese Sitte heisst
smeiny2).
Das Vermögen ist unter den Eheleuten gemeinsam und wird „unser
Gut (nasze dobro)" genannt. Die Frau beansprucht als ihr frei verfügbares
Taschengeld etwa den Erlös von Geflügel, Eiern, den Verdienst vom
Spinnen, Weben und Nähen. In ihre häuslichen Geschäfte darf sich der
Mann nicht mengen. Die Ehe (malzenstwo) gilt dem Volke für unauf-
löslich. Ehebruch wird zumeist verheimlicht. —
1) Die gepaarten Flaschen (rumänisch säpu = Flasche).
2) Diese Bezeichnung dürfte doch mit zmieniety = wechseln, also hier Gegenbesuch
erstatten, zusammenhängen.
Baclier: Von dem deutschen Grenzposten Lasern im wälschen Südtirol.
169
Am Schlüsse mag noch bemerkt werden, class in den Hochzeitgebräuchen
eine Änderung eintritt, wenn die Matter der Braut tot ist. In diesem
Falle wird statt der ersten fünf Lieder folgendes gesungen:
Dibrowa weiekaja,
Szo u tobi pniu ranoho,
Zelenoho ni odnolio.
Hej raotoda molodenka,
Szo u tebe mamiu mnoho,
Ridneiikoji ni odnoji.
Tvvoja maty w hrobi lezyt,
Na ehrest ruki derzyt,
U Boba se prosyt:
„Pusty mene, Bozo, domiu,
Swoje ditie sporidety
Taj na posah poradety."
Oj tarn ludy, nc tatary,
Uze twoje ditia ubraly,
Ubraly jeji jak kwitoczku
Posadyly seritoezku.
Oj ne uwes tut rid,
Ne wsia tut rodenoezka,
Piszliu woronu w czuzu storonu
Po ridnu rodynoezku,
Piszliu seneciu w seru zemneciu
Po ridnonku sestreciu.
Grosser Eichenwald,
In dir sind viele Stämme,
Keiner ist aber grün.
Hei du junges Bräutchen,
Viele Mütter sind hier versammelt,
Aber nicht deine leibliche.
Deine Mutter liegt im Grabe,
Hält die Hände übers Kreuz geschlagen
Und bittet Gott:
„Lass mich, Gott, nach Hause,
Mein Kind in Ordnung zu bringen
Und dasselbe auszustatten."
0, dort sind Menschen, nicht Tataren,
Sie haben schon dein Kind angekleidet,
Sie schmückten es wie ein Blümchen
Und liessen die Waise sich niedersetzen.
0 hier ist nicht der ganze Stamm,
Nicht die ganze Familie,
Ich werde die Krähe in die Fremde schicken
Nach der leiblichen Familie,
ích werde die Meise in die kalte Erde senden
Nach dem leiblichen Schwesterchen.
Czernowitz in der Bukowina (Österreich).
(Schluss folgt.)
Von dem deutschen Grenzposten Liisern im wälschen
Stidtirol.
Vom Kuraten Josef Bacher.
(Fortsetzung von Zeitschrift XI, Ìi7.)
21. Di alt un di juio stria.
Vor húndart jär is da g^wëst an álta
«n ab hä'm köt, ke s' is a stria. In
saï haus ís-si-da gawëst alita on nfdar
na d<m sal haus ís-da g'wëst 's haus
V(> sain sun. Dfsar sun hat g^hat a
jurons dfarnlí?, on díza dïarnL? is hérta
gant z' slava bét-dar nona.
"21. Die alte und die junge Hexe.
Vor hundert Jahren war eine Alte,
von der alle sagten, sie sei eine Hexe.
In ihrem Hause wohnte sie allein und
unterhalb bei ihrem Hause befand sich das
ihres Sohnes. Dieser Sohn hatte ein junges
Töchterchen, und dieses Mädchen kam
stets, um bei der Grossmutter zu schlafen.
170
Bacher:
Balamáií> an a mal 's diarnla hat ge-
warnt, gge da nona is áugastant un is
gant aus an haus on déna is herkent
a sáüla wétar; on bál-da na-hat-galat das
isáüla wétar, di nöna is gant badrum in
an di stüba, on asö is-'s gasëgat a-n
étla mal.
On an an strçax 's diarnla hat-si
wïdar gahöart áustían un 's diarnla is
áugastant is ö on ís-ar na-gant aus an
haus on se'm hat-'s gasëgg, gge in untar
an heart ís-da a lox, on in an diza lox
sáin-da gawëst a kúta tìlala, un di nona
is gant on (h)at gamist bét-an áisran
lofi nïdar an a ülala on lai hat-sa-sa ga-
hçart Spas bruntl(n), on déna hat-sa-sa
neméar gasëgg. Un is is gant on (h)at
ganump an áisra löfl on (h)at gamist
nxdar an ülala, bo-da hat gamist di nona
on déna is-'s lai gahëft on is gant pa
kémax au an da wolknan. Déna is her-
kent a sáüla wétar, on bál-da na-hat-
galat 's wétar hat-'s gavuntat da nona
on déna sáin-sa gakeart badrum pat-
nandar on sain gant pa kéma^ nïdar.
s diarnla hat-sa gasëgg lçada tu haba
gatant asó, un di nöna hat-'s hí - ga-
swöagat, on déna hat-s'-as galirnt to
máxa di stria.
In an tága an vátar von diarnla ís-
an darkránkt a-n oggs, on ër hat gartìaft
an vetranarjo on a par manan, bo-da-
sa-n-an vorstfan na an vlx, un kuandar
hat net darként, bas-vor-an beata-da
hat dar oggs. On dfsar man, dar vátar,
hat-'s-an köt an diarnla, on 's dïarnle
hat köt: „E dasél is ni^t, i pesr'-an bol
ï an oggs, on is kent áu an haus vö
dar nona on dar oggs is lai gawëst ga-
sunt. Un alora dar vátar hat-'s gavörst
z' séga, bfa-'s hat gatânt to pésra an
oggs, on 's diarnla hat-'s-an köt, bía-'s
hat gatânt, on dar vátar is darsrákt un
is gant on (h)at-'s köt an faf on hat
köt, dar segat-'s líabar tçat sal kin,
bas to wisa, gge 's-is a stria, un alöra
hat-ar köt dar faf: „Ja, a sáüla sáxan
is-'s bol, un as-do-'s wil máxan ster'm,
Da eines Abends merkte dasMädchenr
dass die Grossmutter aufgestanden und
in die Küche hinausgegangen war, worauf
dann ein schreckliches Gewitter heran-
zog; als dann dies schreckliche Gewitter
nachgelassen hatte, kam die Grossmutter
wieder in die Stube zurück. So geschah
es einige Abende.
Einmal hörte das Mädchen sie wieder
aufstehen, und auch das Mädchen stand
auf und ging ihr nach hinaus in die
Küche und sah dort, wie unter dem
Herde ein Loch war, und in diesem
Loche befanden sich eine Menge Häf lein,,
und die Grossmutter ging hin und rührte
mit einem eisernen Löffel drin in einem
Häflein, und zugleich hörte es sie etwas-
brummen, und dann sah es sie nicht
mehr. Und es (das Mädchen) ging hin,
nahm den eisernen Löffel und rührte im
Häflein drinnen, in welchem die Gross-
mutter gerührt hatte, und schwebte dann
empor znm Schornstein hinaus und fuhr
hinauf in die Wolken. Darauf brach
ein abscheuliches Unwetter herein, und
als es nachgelassen hatte, fand das Mäd-
chen die Grossmuter und beide kehrten
mitsammen zurück zum Schornstein hin-
unter. Das Mädchen reute es, solches
gethan zu haben, aber die Grossmutter
beruhigte es und lehrte es die Hexenkunst.
Eines Tages erkrankte dem Vater des
Mädchens ein Ochse. Er rief den Tier-
arzt und einige Männer, die beim Vieh
(etwas) verstehen, und keiner erkannte,
was für eine Krankheit der Ochs habe.
Dieser Mann, der Vater, sagte es dem
Töchterchen, und das Mädchen sprach:
„Oh, das macht nichts, ich heile den
Ochsen schon" und ging hinauf in das
Haus der Grossmutter und der Ochs war
sofort gesund. Der Vater fragte es dann,
wie es gethan habe, den Ochsen zu heilen,
und das Mädchen erklärte es ihm, wie
es gethan habe, und der Vater erschrak
und ging hin und sagte es dem Priester
und bemerkte, er sähe sein-Kind lieber
tot, als zu wissen, es sei eine Hexe. Da
sagte der Priester: „Ja, eine missliche
Sache ist das allerdings, und wenn du
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
171
lírn-a-da f, bïa du hast zo ttiana: Est
kim-a ï to paixta-'s un zo borixta-'s
un dü antánto borçat galäbat (gawärmp)
an kesl wásar, on déna hák-bar-'s a
pi sia an an zéarn, on déna le'- bar-
's nîdar an das lába wásar, on se'm
stírb^t-'s bét-an sflasan tçat. Un asö
ha'm-sa gâtant, on 's díarnla is ga-
storbat.x)
Déna sain-sa gant z' séga vo dar
nona, on hâ'm-sa ne(d)inear gavuntat,
në sï, né an oggs an stai, un nimar-
méar-ándarst hâ'm-sa net gasëgg né di
nona, né an oggs.
"22. Dar man, bó-da hat vorkçaft
di séal an talivl.
In an strçax is-da gawëst a júioar
man, bó-da net hat gahat lust zo árbata,
on zo gíana zo petla hat-ar-sa gasëmp.
On vö dansei hat-ar net gawist, bla zo
ttiana, zo ga\vína-'n-an z' ésa. On êr
an an mal hát-ar garüaft an taüvl, ás-
ar-an preia gelt. On dar taüvl is kent
on hat-an gaprera an sali vol gelt on
hat köt: „Da han-a-dar-san gapreiow an
sak vol gelt, ma orna díza gelt wil-a
hä'm dai seal on las-da nö dá zwçanzak
jar, on déna kim-a to néma-sa." Dísar
arm man hat aganump 's gelt von taiivl
un is gawëst áldar lusta zo haba-'s.
Bál-da pala sain áusgawest di zwçan-
2 k jar, dar man hat ag* he ft to vörta-sa
von taüvl, un alora hát-ar agivamo zu
tüana garext.
In an mal is-ar gant an di kirx un
(h)at gapitat usar Liaba Vrau, ás-s'-an
h elf. Déna is-ar gant hüam. Bál-dar
is gawëst hüam, ís-an zuagant dar taüvl
es zum Sterben bringen willst, lehre ich
dich, wie du zu thun hast: Jetzt geh ich
hin, es Beicht zu hören und zu versehen,
und du bereite indessen einen Kessel
laues Wasser, dann schneiden wir ihm
ein bisschen in eine Zehe und legen
es dann in das laue Wasser hinein, und
dort stirbt es dann eines sanften Todes.
So thaten sie, und das Mädchen starb.
Dann gingen sie, um bei der Gross-
mutter Nachschau zu halten, und fanden
w7eder sie, noch den Ochsen im Stall,
und nimmer mehr haben sie die Gross-
mutter, oder den Ochsen gesehen.
22. Der Mann, welcher die Seele
dem Teufel verkauft hat.
Einmal war ein junger Mann, welcher
keine Lust zu arbeiten hatte, und betteln
zu gehen schämte er sich. Daher wusste
er nicht, wie er sich das Essen verdienen
könnte. Er rief nun eines Abends den
Teufel, auf dass er ihm Geld bringe. Der
Teufel kam (wirklich) und brachte ihm
einen Sack voll Geld und sagte: „Da hab'
ich dir einen Sack voll Geld gebracht,
aber um dieses Geld will ich deine Seele
haben und (ich) lasse dich noch zwanzig
Jahre hier; dann aber komme ich sie zu
holen." Dieser arme Mann nahm das
Geld vom Teufel an und war ganz fröh-
lich, es zu besitzen.
Wie die zwanzig Jahre bald um waren,
fing der Mann an, sich zu fürchten vor
dem Teufel und begann dann recht-
schaffen zu leben.
Eines Abends ging er in die Kirche
und bat unsere liebe Frau, dass sie ihm
helfe. Sodann ging er heim. Zu Hause
angekommen ging ihm der Teufel zu und
1) Diese höchst sonderbare Ansicht über die Gewalt eines Vaters und Mitwirkung
eines Priesters, deren Übereifer das Kind in vorliegender Sage zum Opfer fiel, wird heut-
zutage von niemand mehr festgehalten, was aber nicht ausschliesst, dass die Sage als
geschichtliche Thatsache geglaubt wird von so manchen, besonders älteren Frauenspersonen.
F s dürfte bei dieser Sage wohl die Erinnerung an die Hexenprozesse vergangener Zeiten
einigermassen sich noch erhalten haben. Mit der Erwähnung der Beichte (und Kommunion)
bn gegenwärtigen Stücke dürfte auch die Drohung, oder mitunter blosse Neckerei, zu-
sammenhängen, womit häufig kleine Kinder geschreckt werden: „Pait, i máx-di paixtn
von faf!" = Warte, ich lasse den Priester kommen, um dich Beicht zu hören!
172
Bacher:
un (h)at köt: „I sï'-'s ke 's tüat-där ant
zo haba-mar vorkçaft dal seal, ma lu-
san, 's ís-da nô uäs, bó-da-dar möga
hélvan: i lás-dar nô zait sï'm tâga, on
dona kim-a, on as-do wçast, wíavl we-
gala-da sáin-da ¿n main gärt, senk-a-
dar als-'s gelt, bö-d'-a-dar han ge't, on
lás-dar dal seal ö." Dar man is ga-
wëst áldar lúsfo to hç'ara aso, on hat
aganump 's wort von taüvl.
ßal-da vort sain gawëst drai tägr?,
dar man hat wídar agahëft zu verta-
si, umbróm dar hat net gawist, bía zo
ttiana to gfana an gärt von taüvl zo zela
da wëga.
Balamáia ís-ar gant pa wëga von lant
aus, un (h)at boként an alts \vaib->. On
dfsa alt hat-'s-an agakent, ke dar hat
épas, bö-d'-,>n géat lez, on sí hat-r/n ga-
vörst z' sega, wás-ar hat, un dar man
hat-'s-ar köt. „Beio beio", hat-s^ köt di
alt, ,,bál-do nixt ándarst hast zo sáina
traura, dü vört-(d)a ni^t, un las-ma tíian
mí to zela di wëga.
Déna dar man is gant búam on da
alt is ô gant, bö-s; hat g^hat to gfana.
Bal-'s, is gawëst abas an lcém^n da
naxt, da alt is gant to kçava-n-ar a pisb>
pigi on dena is-sa gant huam un (h)at
of> gatrent di zíax von pet un déna ís-
sa-sa bopïglt vö z' üntrast z' obrast, on
déna is-sa gabëglt (gawëglt) ín-an da
vëdarn von pet. Bal-sa is áuvarkent
von vëdarn, hát-má net darként, be-'s-is
a vögl odar bas-vor-a vïx 's-is, un
aso ís-s > gant in-an gärt von taüvl.
A wáila spëtar is - ar zuagant dar
taüvl un (h)at agaisrnekt díza dink un
(h)at köt: „In main gärt sáin-da naün-
unatinz/k wég-da on ï pin gant híntar
un viïr vil vart, ma a sola sátila dink
hán-3-da nía gasëgg", on déna ís-ar-
s' gakéart un (h)at köt ggan gártnar:
,,Sáuga-da díza dink bil-¿> net, ás-do-
mar-'s Srtiarst; las-as gían híntar on vtir,
bo's bil, on ttia-d'-an net lezas!" on déna
dar taiivl is gant na saina wëga on dar
gártnar is gant tu árbata.
sagte: „Ich seh's, dass es dir leid that
mir deine Seele verkauft zu haben; je-
doch höre, es giebt noch ein Ding, das
dir helfen kann: ich lass dir noch sieben
Tage Zeit und dann komm' ich, und wenn
du weisst, wie viele Weglein in meinem
Garten sind, schenk' ich dir das ganze
Geld, welches ich dir gegeben habe, und
lasse dir auch deine Seele." Der Mann
war ganz fröhlich, solches zu hören und
ging auf das Wort des Teufels ein.
Als drei Tage vorbei waren, fing der
Mann wiederum àn sich zu fürchten,
denn er wusste nicht, wie er in den Garten
des Teufels gelangen könnte, um die
Wege zu zählen.
Nun ging er durch die Strassen des
Dorfes und begegnete ein altes Weib.
Diese Alte sah es ihm an, dass er etwas
habe, was für ihn misslich sei, und fragte
ihn, was er habe, und der Mann teilte es
ihr mit. „Nun nun", sagte die Alte, „wenn
du nichts anderes hast, traurig zu sein,
so fürchte dich nicht und lass mich
machen, die Wege zu zählen."
Alsdann ging der Mann heim, und
auch die Alte ging ihre Wege.
Sobald es Abend war bei Anbruch der
Nacht, ging die Alte sich, ein bisschen
Harz zu kaufen, und dann ging sie heim,
trennte den Bettüberzug auf und bestrich
sich (mit Pech) von zu unterst bis zu
oberst und wälzte sich dann in den Bett-
federn. Wie sie von den Biedern heraus-
kam, konnte man nicht erkennen, ob das
ein Vogel, oder was für ein Tier es sei,
--und so ging sie in den Teufels-
garten hinein.
Eine Weile später ging ihr der Teufel
zu, roch dieses Ding an und sagte: „In
meinem Garten sind neunundneunzig
Weglein, und ich bin (darauf) für und
um gegangen vielmals, aber so ein ab-
scheuliches Ding hab' ich nie gesehen."
Dann wendete er sich und sagte zum
Gärtner: „Schau da dieses Ding will ich
nicht, dass du mir's anrührst; lass es für
und um gehen, wo es will und thu ihm
nichts zu leide!" Dann ging der Teufel sein e
Wege, und der Gärtner ging zu arbeiten.
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Siicltirol.
173
Bál-sa voi't sain gawëst ab pçada,
da alt is gant kráblana fin g'gan gátar
von gärt on déna ís-s^ áug^stant un is
gant húam. Dahuam hat-S'-da gavuntat
an man zu páita1), z' séga, bë-s; épas
hat gâtant. On si alora hat-'nköt, was-
da liât köt dar taiivl. On ër is huam-
gant áldar lust-*.
Bál-da áus sain gawëst di sï'm tâga
dar tati vi is kent on hat-an g^vörst z'
séga, bé-dar-'s wçast, wíavl wëga da
sáin-da an sain gârt, un dai- man hat-'s
gawist (gawçast) un (h)at-'s-an köt. Un
alóra dar taiivl is darzürnt2) un (h)at
vorvlQaxt an man un das saüla dink,
bo-da is gawëst an sain gärt, ma 's
hat-an nixt mear gaholft, ombrúm dar
man hat-'s-<n köt g^räd-^, biavi wëga
sáin-da an gärt.
On dar taiivl is vórtgant lürnana un
(h)at-sa nímar g4at- sêgn von man. On
dar man hat ganüzt 's gelt, bo-d'-ar nö
hat gahat, un (h)at g-tant garext un (h)at
g» hol ft dar altn un is áuvarkent a gua-
tar bravata r man,
23. Di trat.
In an strçax ís-da gawëst a juicas
náügas par spusan, un an an mal sáin-
sa gant z' slava, un an pet ás-sa sain
g-'west, há'm-sa gahçart gïan lai sa lais-?
pa stub' in, un als a slrçax dar spüs is
ne(d)méar giwëst guat tu riiara-sa, ne
zo réda un (h)at agivamo za kráista, un
alora di spusa hát-san gewarnt un (h)at-
ge't an supf un alora êr hat-s? wídar
gamögg rtiarn un (h)at wídar gamögg
r?'n un (h)at köt, gga bál-sa hâ'm ga-
hçart gïan pa stüba in, als a strçax
is-an gaspruiDio épas afri laib on déna
is-ar neméar rawest guat né tu rilara-
O • • CD
né to reda, on bal-s'-an sí hat ge't
supf, is WTdar vórtgant dasél swër
Als beide fort waren, kroch die Alte
bis zum Gitter des Gartens, stand (dort)
auf und ging heim. Zu Hause traf sie
den Mann, der wartete, um zu erfahren,
ob sie etwas gethan habe. Und sia
teilte ihm dann mit, was der Teufel
gesagt hatte. Er ging heim frohen
Mutes.
Als die sieben Tage vorbei waren,
kam der Teufel und fragte ihn, ob er
es wisse, wie viel Wege es in seinem
Garten gäbe, und der Mann wusste es
und sagte es ihm. Da wurde der Teufel
zornig und verfluchte den Mann und das
abscheuliche Ding, das in seinem Garten
gewesen war, allein es hat ihm nichts
mehr genützt, denn der Mann sagte es
ihm recht, wie viele Wege im Garten
wären.
Der Teufel ging heulend fort und
liess sich nicht mehr sehen vom Manne.
Der Mann aber hat das Geld verwendet,
welches er noch hatte, hat rechtschaffen
gelebt, der Alten geholfen und ist ein
guter, braver Mann geworden.
23. Die Trute.
Einmal war ein junges, neues Ehe-
paar, und eines Abends gingen sie
schlafen, und als sie im Bette waren,
hörten sie ganz ¡eise zur Stube herein-
gehen, und auf einmal war der Gemahl
nicht mehr im stände sich zu rühren,
noch zu reden und hat angefangen zu
stöhnen, und (dann) die Frau merkte
dies und gab ihm einen Stoss, worauf
er wieder sich rühren und reden konnte
und sagte, dass, sobald sie zur Stube
hineingehen gehört hatten, ihm auf ein-
mal etwas auf den Leib gesprungen,
und er sodann nicht mehr im stände
gewesen sei sich zu rühren, oder zu
reden, und als sie ihn schupfte, sei dieses
1) Zu ergänzen etwa: bo-da is gawëst se'm zu páita.
2) Man erwartet hier eine rückbezügliche (reflexive) Wendung des Zeitwortes: dar
taiivl is-sa-sa darzürnt. Um jedoch den Zustand zu bezeichnen, wird die obenstehende
U)rm angewandt; ähnlich auch: 's is borostagat = es ist verrostet, 's is darrist = es ist
zerrissen; dar krank ist áugadekt = der Kranke ist zugedeckt — dar krank ís-sa-sa áug¿-
dekt = der Kranke hat sich zugedeckt.
174
Bacher:
sá%an, bo-dar hat gihat afn laib. Die
spusa hat gilüsant un (h)at niárnoa sí
g>wist, bas-is is dasei. In tä' darna
sáin - sa áugistant dís¿ zwça laüt on
déna há'm-sa-'s-ar köt dar múatar von
spüs, un si hat agi vaio® tu laxa un
(h)at köt, ggi 's is di trüt. Àbas bál-sa
sain gant z' slava is-'s wfdar gisëgit a-
bé 's mal in ta' vora, un asó is-'s gi-
sëgit an étlan tag;, on dar spüs is hérta
kent lézar, umbrúm di trüt hat-in gi-
tutslt 's plúat.
In an mà! dar spüs invëzi was zo
gíana z' slava is - ar - sí áugilüant na
dar tür vo dar st üb,? bot 9n ggaviz von
ros in d-; hänt, un di spíisa is gant m
pet. Balamaio hát-ar-si gihçart ër gían
di trüt pa stíag> au, un ër, bal-s9 is gi-
wëst af d; tur, hát-ar-ar víirgilegg 's
ggaviz, on di trüt is gant in ggaviz un
is kent a ros. Un alora dar spüs is gant
to rilava in smït tu boslága d-> vtîas von
ros (= zo lega di áisandar an ros). Dar
smït is áugistant von pet un is gant on
(h)at-'s boslágg, on déna is-ar wfdar
gant huam un (h)at givuntit saï waibi
in pet1) hat-'s giweab^t vo beata, om-
brimi s'-is giwçst si di trüt; on lai as
bé-dar hat g'hät iia-miägg4 di nëgl in di
vüas von ros, sáin-da g^wëst iioimäggit
di nëgl in di hänt on in di víias vö sain
waibi. Bal-d'-ar hat gasegg aso dar smït,
ís-ar gikéart bidrúm ggan spüs un (h)at-
in g^pit't, ás-ar-in las áuszfagn di negl
von ros, umbrúm si-nç sai waibi möxt
ster'm vö weata in di hänt on in d-> vüas.
Un alora hä'm-sa darként, béla 's-is di
trüt, on dar smít hat-in g/möxt vor he) as n
in spüs za stráita zuar sain waib', un
as - 's nemear gea zo tútsla - n - in 's
pluat.
Un déna hát-ar-in àus-gilat-zïagn di
nëgl von ros un (h)át-ar vorzáigit, on dar
smït is gant húam un hat ingimäggit an
nâgl in di maur un (h)at köt ggan waibi,
bál-si hat lust zo tútsla in di laüt, as-
si géa zo tútsla m nâgl, un aso hat-sf
gitánt un is nímar mear ándarst gant zu
tútsla in spüs.
schwere Ding wieder gewichen, das er
auf dem Leib gehabt hatte. Die Ge-
mahlin horchte, und auch sie wusste
nicht, was dies sei. Am nächsten Tage
standen diese zwei Leute auf und sagten
es der Mutter des Ehemannes, und sie
fing an zu lachen und sagte, dies sei die
Trute. Abends, als sie schlafen gingen,
geschah es wieder, wie am Abend zuvor,
und so ging es einige Tage lang fort,
und der Gemahl wurde stets schwächer,
da ihm die Trute (das) Blut gesaugt hatte.
Eines Abends lehnte sich der Gemahl
nahe der Thür der Stube mit einem
Rossgebiss in den Händen auf, anstatt
schlafen zu gehen, und die Frau ging
zu Bette. Da hörte er die Trute die
Stiege heraufgehen, und er legte ihr,
als sie an der Thür war, den Zaum vor,
und die Trut ging ins Gebiss und wurde
ein Ross. Dann ging der Gemahl (hin),
den Schmied zu rufen, um das Ross zu
beschlagen. Der Schmied stand vom
Bette auf, ging und beschlug es und ging
dann wieder heim und fand (da) sein
"Weib im Bette, wie es ächzte vor Schmer-
zen, denn sie war die Trute; und gerade
so, wie er die Nägel in die Hufe des
Rosses eingeschlagen hatte, waren die
Nägel in die Hände und Püsse seines
Weibes eingeschlagen. Wie der Schmied
solches sah, kehrte er wiederum zum
Gemahl zurück und bat ihn, dass er ihn
die Nägel vom Rosse herausziehen lasse,
denn sonst müsse sein Weib sterben vor
Schmerzen in den Händen und Füssen.
Da erkannten sie, (welche) wer die Trute
sei, und der Schmied musste dem Gemahl
verheissen, seinem Weibe einen Verweis
zu geben, und sie solle nicht mehr ihm
Blut auszusaugen gehen.
Sodann liesser ihn dieNägel vom Rosse
herausziehen und verzieh ihr, und der
Schmied ging heim undschlugeinenNagel
in die Mauer hinein und sagte zum Weibe,
sobald sie Lust habe, anden Leuten zu sau-
gen, solle sie hingehen, an dem Nagel zu sau-
gen, und so hat sie gethan und ist nie mehr
gegangen vom (jungen) Gemahl zu saugen.
1) Eine bei Gesprächen manchmal mitunterlaufende Zusammenziehuug.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
175
24. A díarn, bo-da is gawestatrüt.
In an strçax sáin - da gant zwça
díarnan von an perga nfdar zn gtana an
a täl ggan ar xntìl zo néma-n-?n a ggarga
raël. Bál-sa sain gawëst gga dar mû],
há'ni-sa gakçaft 's mêl, un déna ha'm-
s'-as áuganump un sain g^keart badrum.
Bál-sa sain gawëst af hal'm wëga,
hä'm-sa nídargalegg tu rásta, un úana is
antsláft, un lai is - ar kent a búbu pa
maul áuvar, on déna is-sa se'm gastant
sovl as-bé a tçata. Da ándar dfarn, bal-
S-) bat gasëgg asó, is-sa darsrákt un (h)at
agivamo to stStla un to rilava dar ant-
siávatn; ma di antslávata ís-sa-sa net ga-
ruart, ombróm sa hat nixt gahçart. A
písla spétar ís-ar wfdar gant dar búbu
an maul un pa bals nïdar, un déna is-sa
darwékt. Alora da ándar díarn hat-sa
gavörst z' sega, bás-vor-an béate si bat,
ás-sa se'm is g;wëst a solana wáila
as-bé a tçata, un dasél, bo - da is ga-
wëst antsláft, hat köt: „Beio i kü-dar-'s,
ma i pit-(d)a, ku gga níamat nixt: i
pin a trüt, on pal-d'-a pin gawest ant-
sláft, pin-a vórtgawest za tútsla plüat
von-an man áu an tisar lant." D' ándar
hát-ar vorhçast to köda nixt gga nía-
mat, on déna sáin-sa kent húam.
A drai jar spétar dís-> zwça díarnan
hä'm gabat épas to küda (= zo straita)
b^tnándar un alora hát-sa-'s-ar köt se'm,
bo-da sain ga west a kúta laüt, un (h)at
köt: „Swaiga dñ on liti net au dan án-
dar, ombrúm ás-ma bil kü'n as-bé-'s-is:
du pist a trüt." Un alöra da ándar is
vôrtgakëart gáülana un (h)at nímar ga-
strít-^t bat níamat.
25. Di pu alan — a trüt.
In an strçax is-da gawëst a pua
un a dîarn, zwça púallaüt. Disa zw9a
laüt hâ'm-sa gahalt>t gearn anándar.
Balamáio dar púa hat agavaioio tu
gíana umanándar bet'n tsein an da án-
darn haüsar, un an an mal ís-ar gant
24. Ein Mädchen als Trute.
Einmal gingen zwei Mädchen von
einem Berge hinab in das Thal zu einer
Mühle, um eine Bürde Mehl zu holen.
Als sie bei der Mühle waren, kauften
sie das Mehl, nahmen es sodann auf
und kehrten wieder zurück.
Als sie die Hälfte Weges zurückgelegt
hatten, stellten sie nieder um zu rasten,
und eine schlief ein, und es kam ihr
dabei eine Hummel zum Munde heraus,
und sie blieb dann dort (regungslos), wie
eine Tote. Das andere Mädchen, als es
solches sah, erschrak und fing an die
Eingeschlafene zu schütteln und zu rufen;
allein die Eingeschlafene rührte sich nicht,
denn sie hörte nichts. Ein bisschen später
ging ihr die Hummel wieder in den Mund
(zurück) und zum Hals hinunter, und
dann wachte sie auf. Alsdann fragte das
andere Mädchen sie, um zu erfahren,
was für eine Krankheit sie habe, dass
sie dagelegen ist eine solche Weile, wie
eine Tote, und die, welche eingeschlafen
war, sagte: „Wohlan, ich sag's dir, aber
ich bitte dich, sage zu niemand etwas:
ich bin eine Trute, und als ich einge-
schlafen war, bin ich fortgewesen, Blut
zu saugen von einem Manne droben in
unserem Dorfe." Die andere verhiess
ihr, zu niemand etwas zu sagen, und
dann gingen sie heim(wärts).
Etwa drei Jahre später hatten diese
zwei Mädchen miteinander zu zanken,
und da hat sie es ihr vorgehalten dort,
wo eine Menge Leute waren und sagte:
„Du schweig und schimpfe nicht andere
aus, denn will man sagen, wie es ist: du
bist eine Trute." Und dann machte sich
die andere weinend fort und hat nimmer
mit jemand gestritten.
25. Die Geliebte — eine Trute.
Einmal waren ein Bursche und ein
Mädchen, zwei Verliebte. Diese zwei
Leute hatten sich einander gern.
Allmählich fing der Bursche an, her-
umzugehen mit den Kameraden in (die)
andere(n) Häuser, und eines Abends ging
176
Bacher:
an a haus, on se'm hä'm-s'-sn áukot
vil lez¿s vò sáindar püabn, un On ta'
darna ís-ar-s¿ gant to véna dísa díarn,
on dísa díarn hat-¿n g<*vörst z' séga,
bo-d'-ar is g^wëst ála dísa zait, bó-d'-
ar-sa ne-mear is g^wëst to véna. Un
dar pua hát-'s-ar köt, on lai hát-ar köt,
gg> haint is-'s das lest mal, bó-d'-ar-s=>
geat tu véna, ornbrúm »r biL-s^ net. Un
dísarn díarn hát-'s-ar ant gâtant, un
(h)at agivamo to gáüla un (h)at köt:
„Be© gea, i bárt-dar-'s záln." Un dar
pua is áugjstant un is gant vort.
In ta' darna daz ábas dar páa is
gant z' slava áu-af-a têts, un bal am àia
hát-ar gvhöart gían pa hántstlag> au un
pa têts in, un als a strçax is-ar nemear
gávvest guat tu r "fiara-s¿, un aso ís-sn
g^sëgst an etla mal, fin as-da dísar
pua nemear is g-nvêst guat to gíana
úmar vo lez, bó-d'-ar is gvwëst.
En a mal ís-¿n kent in sint, ki 's-
möx sain trCit, bó-d'-<m gëat za tút-
sla 's plfiat, un ër ^n ta' darna hát-ar-
9n g^nump an hámar un is gant áu-af-
d^> têts un is-s<?-s¿ áugalüant na-dar tür.
Balamáro hát-ar gvhöart gían pa stíag¿
au lais¿ lais;, un êr hat gssaug^t un
(h;at g^sëgg, gg¿ 's-ís-a kaz. Un ër,
bal-s¿> is g^wëst z' fíbivst, hát-ar-ar ge't
an strçax afn kopf petn hámar, un dísa
kaz hat ge't an sáiilan sniáusiolar1) un
is gavait obar d¿ stíag¿ aba.
En ta' darna dar pua is kent vö
dar têts Abs un (h)at boként sal pfiabn
betn kopf ángapuntvt, un alora hát-ar
g^sëgg, bêla 's-is d¿ triit, un hat-'s ga-
sëgg gearn, ás-ar-ar hat g¿hat ge't
(oder: ás-ar-ar hat g'hät ge't) di zúa.
26. Di drai Maríala.
In an strçaX sáin-da gawëst drai swés-
tarla, bo-da hä'm g *hat tçat vatar un m fiatar,
un (h)â'm g^hat vil suln, bó-d'->n híntar-
hâ'm-gjlat sains laiit, bál-sa sain gvstorbst.
er in ein Haus, und dort erzählte man
ihm viel Übles über seine Geliebte, und
er ging tags darauf dieses Mädchen zu
besuchen, und dieses Mädchen fragte ihn,
wo er diese ganze Zeit hindurch gewesen
sei, in welcher er nicht mehr sie zu be-
suchen gekommen war. Und der Bursche
sagte es ihr und fügte hinzu, heute sei
es der letzte Abend, an welchem er zu
ihr auf Besuch komme, denn er wolle sie
nicht (mehr). Und dieses Mädchen hat
es geschmerzt, und (sie) fing an zu weinen
und sagte: „Gut, gehe, ich werde dir's
zahlen." Und der Bursche stand auf
und ging fort.
Am nächsten Tage abends ging der
Bursche schlafen hinauf auf den Dach-
boden, und allmählich hörte er (etwas)
zur Leiter herauf und über den Dachboden
hineingehen, und auf einmal war er nicht
mehr im stände sich zu rühren, und so
geschah ihm etliche Abende, bis dass
dieser Bursche nicht mehr im stände war,
herumzugehen vor Schwäche.
Eines Abends fiel ihm ein, es müsse
dies die Trute sein, die komme Blut zu
saugen, und er nahm sich tags darnach
einen Hammer, ging auf den Dachboden
und lehnte sich neben der Thür auf. Nun
hörte er sie die Stiege heraufgehen ganz
leise, und er schaute und sah, dass es
eine Katze (ist) war. Und er gab ihr, als
sie zu oberst war, einen Schlag auf den
Kopf mit dem Hammer, und die Katze
gab einen abscheulichen Schrei von sich
und fiel über die Stiege hinab.
Am folgenden Tage kam der Bursche
vom Dachboden herunter und begegnete
seine Geliebte mit verbundenem Kopfe,
und alsdann erkannte er, wer die Trute
ist, und er war froh, dass er ihr den
Korb gegeben hatte.
26. Die drei Marielein.
Einmal waren drei Schwesterlein, die
Vater und Mutter (tot) verloren und viele
Schulden hatten als Hinterlassenschaft
nach dem Tode der Ihrigen (ihrer Eltern).
1) STiiàuraraln = miauen; davon werden die Hauptwörter: sniáuraralar (Katzenlaut) und
sniáuradarin oder sniauranlarsn = beharrliche Hervorbringerin dieses Katzenlautes gebildet.
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
177
Balamáio diséln, bó-da hä'm g hat tu
hába 's gelt, hä'm-'s g^wölt hä'm, un di
arman kíndar gelt hä'm-sa kuàs g¿hat,
oa s¿ hä'm g«hat a pisl¿ g<jplatra von
haus un 's haus, bó-sa drin sain g^wëst,
un (h)ä'm an ge't dasél ¿n súlman¿n.
Déna ha'm-sa köt dïs; arnwn kindar:
„Bïa bárt - bar tüan est ána haus?"
„VÖr't-bar-as nixt", hat-'s köt das éltarst;,
„got dar héar bárt-as hélvan; est géa-
bar dbar d¿ welt to síiaxa-n-as an plaz
tu gíana z' stíana", — un (h)á'm áudar-
wist on sain gant. In kéman di naxt
sain-s¿ garlft in an wait, un ¿n dïsan
wait sain-s^ gant zo vorlúr un (h)ä'm
neméar g^wist af wsla sait zo gíana
un alora há'm-sa köt-' „Beio, est stea-
bar da un máxan-as áu a haüsD", un
asó há'm-sa gâtant. Sa hä'm zuag4ragg
ráisar un (h)ä'm-an áug^maxt a haüsis,
un déna hä'm-s'-an hTg^hakt 's här un
(h)ä'm g^maxt drai wait-? zöpf (drai zöpf
v5 vil straioan) un petn zöpf hä'm-s'-ss
gedekt 's haüsD. Déna is ingant das
éltarst? swéstarb z' sëga, bë-'s is grças
g-múa 's haüsl¿ vor ab drai, un bal-'s
in is g^wëst, hat-'s zuag<?spert 's tttrb
un (h)at-si? net ingölat ds ándarn, un sí?
hä'm áudarwist un sain gant pa wait in
gáülans.
Balamáio hä'm-sa boként an man áu
bét-ana purd¡? vlékan un darsél hat-s^
g^vörst z' séga, bás-sa hä'm, ás-sa asó
gaül(n), un se hä'm-'s-^n köt. ,,Ë beia",
hát-ar köt dar man, „dasél is nixt; vor
uàs max-s-'s áu ï 's haiisla, un vor das
andar bart ttian got dar hear", on lai
dïsar man hat agsvaioio to máxa-'s àu,
un (h)at-'s gadekt bet vlékan, un déna
is ingant das mítar dïarnb un (h)at gs-
*pert 's tiirls» un alóra das juiaarsta is
se'm g^stant aluä un is hat áudarwist
un is gant pa wait in gáülans.
Bal-'s is gawest an tçggo vür, hat-'s
boként an man án pét-anar pui'dr> ài,san
un dfsar man hat-'s g^vórst z' séga,
bäs-^s hat, un is hát-'s-sn köt, bás-d'-
3n hä'm g^tänt di zwça swéstarla. ,,Ë
bern", hát-ar köt dar man, „swáigs un
Raiil net! i máx-dar í áu uàs a haüsl¿>",
Mit der Zeit wollten die Gläubiger das
Geld haben, und die armen Kinder hatten
keines, sie hatten (nur) ein bisschen Haus-
geräte und das Haus, worin sie wohnten,
und gaben dasselbe den Gläubigern. Dar-
auf sprachen diese armen Kinder: „Was
werden wir nun anfangen ohne Haus?"
„Seien wir nicht verzagt (fürchten wir uns
nicht)", sagte das älteste, „Gott (der Herr)
wird uns helfen; jetzt gehen wir in die
Welt hinaus, um uns einen Dienstplatz
zu suchen", — und sie machten sich auf
und gingen. Bei Anbruch der Nacht lang-
ten sie in einem Walde an und verirrten
sich in diesem Wald und wussten nicht
mehr, nach welcher Richtung sie gehen
sollten, und sprachen dann: „Wohlan,
bleiben wir da und erbauen wir uns ein
Häuschen", und so thaten sie. Siebrachten
Reiser herzu und bauten ein Häuschen
auf, und schnitten sich dann das Haar ab
und machten drei breite Zöpfe (drei Zöpfe
aus vielen Haarstrangen) und mit den
Zöpfen deckten sie das Häuschen. Dann
ging das älteste Schwesterchen hinein,
um zu sehen, ob das Häuschen gross genug
sei für alle drei, und als es drinnen war,
sperrte es das Thürlein zu und liess die
andern nicht hinein, und sie machten sich
auf und gingen weinend den Wald hinein.
Nach einerWeile begegneten sie einem
Manne beladen mit einer Bürde Bretter
und derselbe fragte sie, was sie hätten,
dass sie so weinten, und sie sagten's ihm.
„Ei nun", sagte der Mann, „das macht
nichts; für eines mache ich das Häuschen
(auf), und für das andere wird Gott sor-
gen", und sogleich fing dieser Mann an,
es zu bauen, und deckte es mit Brettern,
und dann ging das mittlere Mädchen hin-
ein und schloss das Thürlein, und das
jüngste stand nun allein da und machte
sich auf und gingweinend denWaldhinein.
Als es ein Stück vorwärts war, be-
gegnete ihm ein Mann, beladen mit einer
Bürde Eisen und dieser Mann fragte es,
was ihm fehle, und es sagte es ihm, was
ihm die zwei Schwesterlein gethan hätten.
„Ei nun", sagte der Mann, „schweig und
weine nicht! ich baue dir ein Häuschen"*
178
Bacher:
un lai hát-ar-an áugamaxt a áisra haüsla
un hat-'s-an gadekt bot áisran platn, un
dona hát-ar-an g^rnaxt drai áisran? negl
un (h)at köt: „Sea dlsa drai negl, un
est géa ín-an haüsla un sper di tur un
tua nïamat ofa, un ás-da épar uas wil
inkeman per fçrza, gltian di nëgl un
rek-an aus dasein, ke sa stian lai tçat."
Un déna dar man is gant.
In dansei wait, bo-da sain gawêst di
drai díarnla, ís-da gawêst an áltar par,
bo - da berta (härta) hat gnvçast als,
bás-da gasëgat in dmsel wait, un êr is
partírt un is gant tu suaxa das earst
haüsla un (h)at -'s gwunt-t, un alüra
hát-ar-an garîiaft un (h)at köt: „Hö Ma-
rïala, tüa-mar ofa!" un 's díarnla hat köt:
„Na-na, i ttia-dar net ofa", un alora hat-ar
köt dar par: „Beio, ás-do-mar net ofatüast
bet'n guatn, tíiast-(d)o-mar ofa bet'n znixtn",
un lai ís-ar gant áu afs dax un (h)at ofa
g'proxt 's dax un is nfdar gant un (h)at-'s
gavrest, un déna ís-ar gA'éart badrurn.
's mal darna ís-ar wídar gant to stìaxa
das ándar haüsla un hat-'s gavunt t un
hat garuaft-an díarnla un (h)at köt: „Hö
Maríala, ái(l), tua-mar ofa!" „Na", hat-
's köt 's díarnb, „i tüa-dar nixt ofa."
„Beia", hát-ar köt, „ás-to-mar net o fa
tuast betn gúatn, tüast-(d)o-mar ofa betn
znixt", un is gant afs dax un (h)at áuga-
zert d-' vlékan un is nídargant un (h)at's
gavrest un déna ís-ar gant badrum.
In ta' darná ís-ar gant to suaxa 's
haüsla vô dan jiiioarst; swéstarla un (that-
's gavuntat, un bál-d'-ar hat gasêgg, gge
's is a sola starkas, ís-ar darsrákt, un déna
hat-ar garîiaft an díarnla un 'vh)at köt:
„Hö Maríala, ái(l) tua-mar ofa!" „Na-na",
hat-'s köt 's díarnla, „i tua níamat ofa."
„Beio", hát-ar köt dar pär, „i bças an
ákar puan; ái(l), bar gían-sa tu néma!"
„Na", hat-'s köt 's díarnla, haiit kim-a
net, ma morgn kim-a." „Beta", hát-ar
köt dar par, „morgn gea-bar." „Ma wa
vrüa géa-bar?" hat-'s köt 's díarnla.
„Di axta", hat-ar köt dar par. „Un bö
is dar ákar?" hat - 's köt 's díarnla.
und sofort machte er ihm ein eisernes
Häuschen und deckte es mit eisernen
Platten, und dann machte er ihm drei
eiserne Nägel und sagte: „Da hast du drei
Nägel, und jetzt geh hinein ins Häuschen
und schliess die Thür, und thu niemand
auf, und wenn etwa jemand mit Gewalt
hinein will, glühe die Nägel und recke
ihnen dieselben hinaus, sie bleiben (dann)
gleich tot." Und dann ging der Mann.
In demselben Walde, wo die drei
Mädchen waren, hauste ein alter Bär,
welcher stets alles wusste, was im Walde
vorgehe, und er machte sich auf und ging,
das erste Häuschen zu suchen, und fand
es, und dann rief er ihm (dem Mädchen)
und sagte: „Ho Mariele, mach mir auf!"
und das Mädchen sagte: „Nein, nein, ich
mache dir nicht auf", und dann sagte der
Bär: „Gut, wenn du mir nicht aufmachst
mit Gutem, machst du mir auf mit Bösem",
und dabei ging er hinauf aufs Dach, riss
es auf und stieg hinunter und frass es,
und kehrte dann wieder zurück.
Am nächsten Abend ging er wieder,
das zweite Häuslein zu suchen und fand
es und rief dem Mädchen und sagte: „Ho
Mariele, komm, mach mir auf!" „Nein",
sagte das Mädchen, ich mach dir nicht
auf." „Gut", spgte er, „thust du mir nicht
auf mit Gutem, thust du's mir mit Bösem",
und stieg aufs Dach und riss die Bretter
auf und stieg hinunter und frass es und
kehrte dann zurück.
Tags daraufging er das Häuschen des
jüngsten Schwesterlein zu suchen und
fand es, und sobald er gesehen hatte,
dass es ein so starkes sei, erschrak er,
und rief sodann dem Mädchen und sagte:
„Ho Mariele, komm, thu mir auf!" „Nein,
nein", sagte das Mädchen, „ich thue
niemandem auf." „Gut", sagte der Bär,
„ich weiss einen Acker (voll) Bohnen;
komm, wir gehen, sie zu holen!" „Nein",
sagte das Mädchen, „heute komme ich
nicht, aber morgen komm' ich." „Gut",
sagte der Bär, „morgen gehen wir."
„Aber wie früh gehen wir?" sagte (fragte)
das Mädchen. „Um acht Uhr", sagte der
Bär." „Und wo ist der Acker?" sagte das
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
179
„Se'm sö un aso", hat-ar köt dar par,
un hat-yn köt, bo-da is dar ákar. „Beia,
géa est", hat's köt 's díarnls, „un morgn
di axt-> ai(l)!" Un dar par is gant.
In tä dama 's díarnly is áugystant
di seggs¿ un is gant tu néma di púan,
un bál-da is gant d-?r par za rüava-n-
yn, hat-'s an áusgyla^t un (h at köt: „Géa
géa du pïïr, i pin da is-.->-s<? ï di púan."
Un dar par alöra hat köt: „Beio, i bças
an ákar râ'm; ái(l), bar gían - sa zo
néma!" „Na haiit net", hat-'s köt 's
diarnla, „ma morgn gea-bar." „Beia",
hat-ar köt dar par, bar gían di síbatiy
inoran." „Ja", hat-'s köt 's díarnly,
„ma kü-mar, bó-d'-ar is dar ákar."
„Se'm aso un aso", hat-ar köt dar par,
un (h)at - yn köt, bo - da is dar ákar.
„Beio", hat-'s köt 's díarnly, „un morgn
di síbany ái(l)." Un alora dar par is
gant.
In tä' darna 's díarnb is áugystant
di vümvy un is gant tu néma di râ'm,
un net bol as-'s is gywëst bídrum betn
râ'm, is gant dar pïïr un (h)at-,/n g/-
rttaft m díarnly „Haha", hat-'s köt 's
díarnly, „du pist wol kent vrïïa, ma du
pist kent haüt ö gar za spat, i pin da
síad-y-s* î di râ'm." Alöra dar par hat
köt: „Beia, i bças an ákar tsüggn; ái(l),
bar gían-sa to néma!" „Na-na", hat-'s
köt 's díarnly, haüt net, morgn kim-y;
ma du moxst-mar kü'n, bo-d'-ar is dísar
ákar. „Na-na", hát-ar köt dar par, „i
kü-dar-'s net." „Beio", hat-'s köt 's
köt 's díarnly, ombrúm du wçast koana
tsüggn." „Jäu, hat-ar köt dar pïïr, „sa
sain se'm aso un aso", un hat-s'-m gy-
lírnt, „un morgn", hát-ar köt dar par,
„ s tea-bar au yn áldar vrtìa un gían-sy
zu néma." „Jä", hat-'s köt 's díarnly,
„géa est, un morgn ái(l)!"
In tä' darna 's díarnly is áugystant
vör'n tägy un is gant zo néma di tsüggn,
un dar par is ö áug«stant yn áldar vrtía
un is gant ggan häusly un (h)at-yn gy-
rtlaft un (h)at köt: „Hö Marfaly, ái(l),
bar gían zo néma ti tsüggn!" Ma 's
Mariais is no net gawëst bsdrum. „Hö
baüt pala vin-a-dy", hat-ar köt dar par,
Mädchen. „Dort so und so", sagte der Bär,
und sagte ihm, wo der Acker ist. „Gut, geh
jetzt", sagte das Mädchen, „und morgen
um acht Uhr komm!" Und der Bär ging.
Am nächsten Tage stand das Mädchen
um sechs Uhr auf und ging, die Bohnen
zu holen, und als der Bär kam, es zu
rufen, lachte es ihn aus und sagte: „Geh.
geh, du Bär, ich bin da (und) esse (ich)
die Bohnen." Und der Bär sagte dann:
„Wohlan, ich weiss einen Acker Rüben;
komm, wir gehen sie zu holen!" „Nein
heute nicht", sagte das Mädchen, „aber
morgen gehen wir." „Gut", sagte der Bär,
„morgen gehen wir um sieben Uhr." „Ja",
sagte das Mädchen, „jedoch sag mir, wo
der Acker sich befindet." „Dort so und
so", sagte der Bär, und sagte ihm, wo
der Acker sei. „Gut", sagte das Mädchen,
„und morgen um sieben Uhr komm!"
Und dann ging der Bär.
Am nächsten Tage stand das Mädchen
um fünf Uhr auf und ging die Rüben zu
holen, und kaum dass es mit den Rüben
wieder zurück war, kam der Bär und rief
dem Mädchen. „Haha", sagte das Mäd-
chen, „du bist wohl früh gekommen, aber
doch bist du auch heute zu spät, ich bin
da (und) siede (ich) die Rüben." Da sagte
der Bär: „Gut, ich weiss einen Acker
Kürbisse; komm, wir gehen sie zu holen!"
„Nein nein", sagte das Mädchen, „heute
nicht, morgen komm ich; allein du musst
mir sagen, wo dieser Acker ist." „Nein
nein", sagte der Bär, „ich sag dir's nicht "
„Recht", sagte das Mädchen, „denn du
weist keine Kürbisse." „Ja", sagte der
Bär, „sie sind doft so und so", und be-
zeichnete sie ihr, „und morgen", sagte
der Bär, „stehen wir auf in aller Frühe
und gehen, sie zu holen." „Ja", sagte das
Mädchen, „geh jetzt, und morgen komm!"
Tags darauf stand das Mädchen vor
Tagesanbruch auf und ging die Kürbisse
zu holen, und der Bär stand auch in aller
Frühe auf und ging zum Häuschen, rief
ihm und sagte: „Ho Mariele, komm, wir
gehen die Kürbisse zu holen!" Allein
das Mariele war noch nicht zurück. „Ho
heute finde ich dich bald", sagte der Bär
180
Bacher: Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
im is gant aus zúa an ákar. Bál-d'-ar
pali? is gawëst an ákar, 's dfarnla hat-an
gawârnt, un is hat ausgeholt da grçasarsta
tsügga un is vorporgat in drin.
Dar par is gant un hat-'s net g^sçgg
an ákar un ër is gant un (h)at áuganump
da grçasarsta tsügga un is gakéart badrum
ggan haüsla un is gant áu afs tax im
(h)at köt: „Dfsa värt voioK)east-(d)o-mar
net, umbróm bál-do kinst zo gfana in
an haüsla, spriio - a nfdar un vaio-da."
Un déna ís-ar-sa nfdargalegg un is ant-
shift.
's dfarnla antanto is no hérta gawest
in an da tsiigga, un bál-sa hat gahöart an
par snarxln is-'s kent laisa laisa yù dar
tsügga áuvar un is kent äba an haüsla
un (h)at gaslost di tur un an slósan da
tur dar pËr is darwekt un (h)at gahöart
's dfarnla in an haüsla un ër is-sa-sa
darzürnt, „'s is nixt, be-do áioaa pist
in; du barst áuvar keman ö — — i
hán-da a süana tsügga z'ésa" — un lai
umaniim di tsügga un
's ]ox, un alora hát - ar
's dfarnla hát-ar-'s húam-
hat-ar gakéart
(h)at gasëgg
darként gge
gapretoio ër.
Intanto 's dfarnla hat agazüntat 's
vaür un (h)at gagluant di nêgl un déna
hat-sa-sa gastekt pa tax au un bat-sa
gamaxt gfan garâda in pa paux an par,
un dar par hat ge't a drai lürnar un is
gavait von tax âb; un is ggrepart.
Un 's dfarnl-» is áuvarkent von haüsla
un hat-/11 ábagazogat di haut an par un
déna is-'s gant in d> stat tu vorkçava-sa.
Na-di weg"1 hat-'s boként an man, bo-
d'an hat àugama^t 's haüsla, un darsél
hat-'s g-mlrst z' séga, bo-'s göat, un is
hat-'s-an köt, un dar man is gant betn
dfarnla un (h)at-«n gaholft tu vorkçava
di haut'un déna hat-ar's ga vii art' an rext
un se'm hä'm-s' an ge't an häuf gelt an
ggúnto, as-'s hat gatöt^t an par, un déna
is-'s gant bet'n man un is hérta gapilbat
bet ansel fin as-'s is ffastorbat.
und ging hinaus dem Acker zu. Wie er
bald am Acker war, gewahrte ihn das
Mädchen, höhlte den grössten Kürbis
aus und verbarg sich darin.
Der Bär kam und sah es nicht im
Acker und ging (hinzu) und nahm den
grössten Kürbis auf und kehrte zum
Häuschen zurück und stieg auf das Dach
hinauf und sagte: „Diesmal entgehst du
mir nicht, denn sobald du kommst, um
ins Häuschen zu gehen, springe ich hin-
unter und fange dich." Und dann legte
er sich nieder und schlief ein.
DasMädchen war indessen noch immer
drinnen im Kürbis, und sobald sie den
Bären schnarchen hörte, kam es leise
leise aus dem Kürbis heraus und kam
hinab in das Häuschen und schloss die
Thür und beim Schliessen der Thür er-
wachte der Bär und hörte das Mädchen
im Häuschen drin und er wurde zornig.
„Es macht nichts, wenn du auch drinnen
bist; du wirst herauskommen auch--
ich habe da einen schönen Kürbis zu
essen" — und dabei wendete er den
Kürbis um und um und sah das Loch
und erkannte dann, dass er das Mädchen
heimgebracht hatte.
Inzwischen machte das Mädchen das
Feuer an und glühte die Nägel und steckte
sie durchs Dach hinauf und liess siegerade
hineingehen in den Bauch des Bären,
und der Bär stiess einige Schreie aus,
fiel vom Dache herab und verendete.
Das Mädchen kam aus dem Häuschen
heraus, zog dem Bären die Haut ab und
ging dann in dieStadt um sie zu verkaufen.
Auf dem "Wege begegnete es den Mann,
der ihm das Häuschen aufgebaut hatte,
und dieser fragte es, wohin es gehe, und
es sagte es ihm, und der Mann ging mit
dem Mädchen und half ihm die Haut ver-
kaufen, und dann führte er es zu Gericht
und dort gab man ihm eine Menge Geldes
dafür, dass es den Bären getötet, und
dann ging es mit dem Mann und blieb
stets bei demselben, bis es starb.
Unter feu nber g boi Margreid (Südtirol).
(Fortsetzung folgt.)
Eysn: Uber einige Votivgaben im Salzburger Flachgau.
181
Über einige Votivgaben im Salzburger Flachgau.
Von Marie Eysn.
Unter den mannigfachen Weihgeschenken an den kleinen Wallfahrts-
orten um Salzburg findet man einige, die in neuerer Zeit nur noch selten,
andere, die gar nicht mehr dargebracht werden. Zu letzteren gehören
jene Thongefässe, welche die Form eines menschlichen Kopfes
haben. Sie sind auf der Töpferscheibe gemacht, hell, schwach gebrannt,
Augen, Augenbrauen, Nase und Ohren sind im Relief aufgesetzt, doch
fehlen letztere, sowie die Augenbrauen oft gänzlich oder sind nur mit
schwarzer Farbe aufgemalt. Sie sind oben offen und stehen auf flache]]
Boden, wie Fig. 1 aus St. Alban bei Lamprechtshausen. Neben diesen
Fig. 3.
und weit zahlreicher kommen andere Köpfe vor, welche oben konvex, unten
aber offen sind und meist einen längeren Hals haben. Wendet man sie
um, so dass die Halsöffnung nach oben kommt, um sie mit irgend etwas
zu füllen, so bleiben sie durch ihre kugelig abgerundete Form nicht stehen,
auch ist das Gesicht dann verkehrt: Fig. 2 aus St. Valentin shaft im obersten
Mattigthal. Sie sind durchschnittlich 12—16 cm hoch und haben 42—48 cm
im Umfang; kleinere sind selten, und nur einmal kam ausnahmsweise ein
gut modellierter weiblicher Kopf vor, dessen Rückseite eingeritzte Linien
zeigt, die aufgestecktes Haar andeuten (Fig. 3).
'Man hat hier für beide Formen keinen Namen mehr, und nur an
einem einzigen Ort ihres Vorkommens wusste man noch aus Uberlieferung,
dass die „Köpft" mit Getreide gefüllt geopfert wurden, doch nicht mehr
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901.
182
Eysn:
zu welchem Zweck. Jedoch verwendet man diese einstmals dargebrachten
„Köpfl" heute noch gegen Kopfleiden und findet sie in den betr. Kirchen
meist auf einem an der Mauer neben oder hinter dem Altar angebrachten
Brette stehen, von dem der Leidende einen herunternimmt, auf seinen
Kopf stellt, damit dreimal den Altar umschreitet und ihn dann wieder auf
den früheren Platz zurückgiebt. Durch diese Art der Benutzung verringert
sich ihre Zahl allmählich, denn hält der Träger sich nicht sehr stramm,
so gleitet der Thonkopf leicht ab, fällt zu Boden, und er wird durch
keinen neuen mehr ersetzt.
Auch Nachbildungen von Heiligenköpfen lässt man sich in Salzburg
und im angrenzenden Bayern gegen Kopfschmerz aufsetzen. Das kleine
Museum von Reichenhall besitzt zwei aus Holz geschnitzte „St. Johawns-
köpfe", welche jenem Zwecke in dem Kirchlein auf dem St. Johannshögel
gedient haben; und in der alten gotischen Klosterkirche auf dem Nonn-
berge zu Salzburg wird am 30. Juni, dem Todestage der hl. Erentraut
(Arindrud VIII. ssec.), sowie am 4. September, dem Übertragungstage ihrer
HeliquieD, der aus Silber getriebene und vergoldete Kopf der Heiligen
aus dem Jahre 1316 den Gläubigen auf das Haupt gesetzt als Hilfe gegen
Kopfweh. Im Salzburgischen kommen diese „hohlen Köpfe" selten und
nur im nördlichen Teile des Flachgaues vor (ebenso auch noch in dem
angrenzenden Ober-Osterreich), in Wallfahrtskirchen, wo sich Bild oder
Figur des hl. Koloman befinden, oder in Kirchen, welche Heiligen geweiht
sind, denen das Haupt abgeschlagen wurde, wie St. Alban, St. Johannes,
St. Valentin.
Am linken Ufer der Salzach, im bayrischen Gebiet, wo derselbe Volks-
stamm wohnt wie am rechten österreichischen Ufer, wurden diese Thon-
köpfe wiederholt gefunden, so in der Kolomanskirche bei Lebenau1), zu
St. Koloman bei Fridolfing2), Taubenbacli bei Simbach und Haselbach
nächst Braunau3). In der Kolomanskapelle zu Hochstatt am Chiemsee
fand J. Arnold ganz ähnliche hölzerne Votivköpfe, die ihm als „Opfer
gegen Kopfweh und für das Heiraten" bezeichnet wurden; zu Langwinkel
aber fand derselbe Forscher solche aus Thon, und hier wurden sie „bei
Kopfschmerz und von Heiratslustigen und Schwangeren mit dreierlei Ge-
treide überschüttet und gefüllt dargebracht"4). M. Höfler erklärt, dass
1) J. Würdinger, Oberbayr. Archiv, Bd. XXXIV, S. 885 (1874—75).
2) M. Höfler, Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Bd. IX, S. 134.
3) Nach briefl. Mitteilung von H. v. Preen, von dem in den Mitteil. d. Anthrop. Ges.
in Wien, Bd. XXXI (N. F. XXI), Heft 2 gleichzeitig ein eingehender Bericht über dieselben
erscheinen soll.
4) Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Bd. VIII, S. 40 (1888).
M. Höfler, Über Votivgaben und Bd. IX, S. 81 Votivgaben beim St. Leonhardskult in Ober-
bayern. — W. v. Schulenburg, Zeitschrift für Ethnologie 1888, S. 157. — In der Bavaria,
Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern, I, 1001 (München 1860) berichtet F. Dahn
von der Kirche des hl. Hermann bei Bischofmais im Bayrischen Wald: „Auch findet man
Über einige Voti vgaben im Salzburger Flachgau.
183
ilie Kopfdreier (so heissen sie in Oberbayern) durch den „Dreyer, ein
Gemenge von dreierlei Getreidearten, welches im Oberland angebaut zu
werden pflegt"*), den Namen erhalten haben. J. Undset weist auf ihre
grosse Ähnlichkeit mit den italischen Gesichtsurnen hin2), wie das auch
W. v. Schulenburg nicht entgangen ist. W. M. Schmidt bringt noch den
weiteren Namen „kedere Köpfl" für sie bei, berichtet über ihr Vorkommen
im Yils- und Rotthal und in der südlichen Oberpfalz und dass sie „von
ledigen Personen um die Neigung einer gewissen Person des anderen Ge-
schlechtes, von Eheleuten aber, um Kindersegen zu erhalten, mit dreierlei
geschenktem3) Getreide gefüllt geopfert wurden."4)
Bindemittel zwischen diesen süddeutschen Votivgefässen in Kopfform
und den italischen Gesichtsurnen können die in Wien in neuster Zeit ge-
fundenen, aus römischer Zeit stammenden Urnen bilden, über welche
Fr. Kenner berichtet hat (Geschichte der Stadt Wien, I, S. 135, Fig. 86
und Fr. Kenner, Berichte über römische Funde in Wien, 1901, S. 59. 72.
Fig. 54. 75).
Gleichwie diese modernen Gesichtsurnen im Yerschwinden begriffen
sind, ebenso sind es jene Holzschnitzwerke, welche bei Erkrankung
innerer Organe geopfert wurden und an deren
Stelle jetzt kleine Nachbildungen aus AVachs getreten
sind.
Diese einfachen, von den Dorftischlern hergestellten
Schnitzwerke, Lungin genannt, sind 35—55 m lang-
uì] d bestehen zumeist aus Luftröhre, Lunge, Herz und
Leber und der schwach angedeuteten Wirbelsäule (Fig. 4).
Die ornamental behandelten Lungenflügel, sowie das
Herz sind stets rot, die gleichgrossen Leberlappen
braun, die Trachea, deren Knorpelringe durch eine
Schraubenwindung dargestellt sind, nebst den übrigen
Teilen hell bemalt oder in Holzfarbe belassen. Oft-
mals sind obigen noch das eine oder andere Organ
beigefügt, wie Magen, Blase u. a., dann aber meist
unverhältnismässig vergrössert, als sollte es als eigent-
licher Sitz der Krankheit besonders hervorgehoben
werden (Fig. 5, 6 und 7). Die glatte Rückseite trägt
dort häufig die rohen Köpfe von gebranntem Thon, in denen Gerstenkörner eingeschlossen
sind; man opfert sie wegen chronischen Kopf leiden."
1) Schmeller l2, 561.
2) Zeitschr. f. Ehnologie, Bd. XXII, S. 109 (1890): J. Undset, Über italische Gesichts-
urnen. L. Lindenschmit, Die Altertümer unserer heidnischen Yorzeit, Bd. I, HeftYI, T. VI.
Fig. 8. 10. 13. Mainz 1858.
3) „In Almosen ersamblet" (.1517).
4) Oberbayr. Archiv, Bd. 49, Heft 2 (1896): W. M. Schmidt, Moderne Gesichtsurnen.
13*
Fig. 4.
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I A ^
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184
Eysn :
nebst der Jahreszahl meist Namen und Wohnort des Opfernden. Auf einer
der jüngsten steht: „Crescenzia Brandstätter aus Thalgau 1850.u
Fiff. 0.
Fier. 5.
10~>
--Í&
Q
Fig. 7.
A
Fig. 8.
Neben diesen Gebilden finden sich noch solche, die dem Beschauer
unverständlich sein würden, kämen sie nicht an den gleichen Orten vor
wie jene, aus deren Formen sie zusammengeschrumpft
sind. Fig. 8 zeigt eine solche dreilappige Figur, die
rotbraun angestrichen ist und um deren emporstehendes
rundes Holzstück eine spiralförmige weisse Linie läuft.
Der gut erhaltene Anstrich zeigt, dass es eine Yotiv-
gabe aus neuerer Zeit ist. Diese verschiedenen Schnitz-
werke findet man in kleinen Wallfahrtskirchen (Etten-
berg, St. Pankratz bei Weitwörth), in Waldkapellen
bei als heilsam gerühmten Quellen (Augenbründl bei
Friedburg), am häufigsten aber vor dem Bilde oder
„CM<. der Statue des hl. Leonhard, wie in Heiligenstatt, wo
*—8---■> °
sie neben zahlreichen Yotivtafeln aufgehängt sind,
zwischen Ketten, Fesseln, weiten Eisenringen, Sensen, Bruchbändern,
Pessarien, roten Seidenfäden, Eisennägeln, menschlichen Zähnen und Haar-
zöpfen, wächsernen Körperteilen und Tierfiguren, unter welchen Krücken
und schwere, rohe, zur Sühne herbeigeschleppte Holzkreuze liegen. Die
Über einige Yotivgaben im Salzburger Flachgau.
185
Bilder auf den Täfelchen, die einen Zeitraum yod zwei Jahrhunderten
umfassen, und die Weihgeschenke daneben zeigen, dass der hl. Leonhard
weit öfter bei menschlicher Krankheit und Not, denn als Patron für Rosse
und Rinder angerufen wird. So stellt auch das Altarbild in der Kirche
von St. Leonhard bei Grödig am Untersberg eine Gruppe leidender Menschen
dar, und darunter findet man kleine, 8—10 cm lange Weihgeschenke aus
dünnem Wachs, der moderne Ersatz für die oben beschriebenen aus Holz,
bei denen sich aber nur noch Trachea und Herz zwischen kleinen form-
losen Wülsten erkennen lassen.
Unverändert aber haben sich an einigen Orten im Herzogtum Salzburg
die „lebendigen Opfer" erhalten, wenn auch ihre Zahl in letzter Zeit sehr
zurückgegangen ist
In der Marienkirche zu Grossgmain, dem alten Muona und einst viel-
besuchten Wallfahrtsort, hängen an den beiden Innenwänden der Turmhalle
zwei mächtige Yotivtafeln mit vielen einzelnen Darstellungen von Unglücks-
fällen, darunter immer die Angabe des Motivs der Opfernden, die Wunder-
thätigkeit und das gelobte Opfer. Die Mehrzahl der Bilder ist durch
atmosphärische Einflüsse fast verlöscht und die Schrift unleserlich geworden.
Am Rande einer der Tafeln liest man noch: renovirt 1535, 1687, 1778.
Nachstehend gebe ich einige der noch lesbaren Angaben von diesen
Tafeln.
Ein Kind war ertrunken in einem Bade, da das die muetter vernam
mit betriebten Herzen, hat sie das Kind her verlobt mit einem lebendigen
Opfer und ward wider lebendig.
Hans Schnell hat sich verlobt mit einem lebendigen Opfer in einem
schitfpruch zu Venedig, von stunden ist er erledigt worden.
Ein saw hat ein Kind das häupl gar erpissen und zerissen und ward
her versprochen mit einem lebendigen Opfer und ward gesundt.
Ein Mägdlein hat sich erhenket an einer zerissenen Pfaid, die da hangt
für ein Handtuch, die Muetter erschroken verlobte das Kind mit einem
lebendigen Opfer und ward wieder lebendig.
Ein ehrbarer Burner zu Reichenliall war über ein Wasserdurchlass
abgefallen, in solchem Fall verlobte er sich zu V. L. F. auf die Gmain
mit einem lebendigen Opfer und wurd erlöst.
Ein Kind von einer todt muetter gebracht ist zur tauff komen, alspald
der Vater sich verlobt hat mit einem lebendigen opfer.
Es lässt sich aus den Inschriften nicht entnehmen, woraus das „lebendige
Opfer" bestund, aber der lebende Hahn und die lebende schwarze Henne
sind nebst Tauben heute noch das gebräuchliche Weihgeschenk.
Vor etwa 25 Jahren stund in der Apsis der Kirche zu Grossgmain
noch ein hölzerner Hühnerstall, in welchen die Opfernden die Tiere ein-
schlössen, nachdem sie dieselben während der Messe dreimal um den
Altar getragen hatten. Letzteres geschieht noch jetzt, doch wird das Huhn
186
Zacharias :
dann gleich in den Pfarrhof gebracht, von wo dafür ein geringes Entgelt
an die Kirche abzuführen ist. Viel zahlreicher sind solche Opfer in dem
nahen Marzoll, dessen Kirche dem hl. Valentin, dem Helfer gegen Epilepsie,
geweiht und wo auch seine Statue ist, zu der die Frauen gern ihre Zu-
flucht nehmen, deren Kinder an Eclampsie erkrankt sind. Die Rückseite
des Altares ist durch zwei kleine Gitterthürclien unterbrochen, durch welche
der Opfernde die Tiere nach dreimaliger Umkreisung des Altars während
des Grottesdienstes einlässt. Noch werden jährlich 40—50 Hühner und
70—80 Tauben dargebracht, doch soll vor 50 Jahren die Zahl der Opfer das
Zehnfache erreicht haben. Äusserst selten bringt man ein junges Lamm dar.
Ebenso werden dem hl. Veit (Vitus), der bei Veitstanz, wie bei allen
epileptischen und hysterischen Krämpfen angerufen wird, zu St. Veit bei
Goldegg, wo auch eine Statue des hl. Valentin ist, lebende Hühner gebracht.1)
In der Kirche zu Untereching mit der Holzskulptur des hl. Areit, sowie zu
St. Koloman bei Lebenau dienen hohe Drahto'itter hinter dem Altare zur
o
Aufnahme der lebenden Opfer, und ein Hühnerstall in dem kleinen Wall-
fahrtsort von Valentinshaft verrät genügend die Art der Weihgeschenke.
Die Mirakelbücher von Imhenhofen und die „Wunderzeichen des hl.
Wolfgang am Abersee" erwähnen wiederholt der „lebendigen Opfer", dar-
unter auch des Huhns.
Um Eching, Ibm, Eggeisberg war es vor nicht langer Zeit noch Brauch,
bei Erkrankung eines Familiengliedes eine schwarze Henne in die Herd-
grube zu vermauern, und im Salzburgischen hört man nicht selten jemand,
der schon lange erwartet wird und endlich kommt, mit den Worten be-
grüssen: „Jetzt hätt' i bald a schwärze Heim' verlobt."
Salzburg.
Zu Goethes Parialegeude.
Von Theodor Zachariae.
(Vergi, unsre Zeitschrift II, 4t>ff.)
Im ersten Bande seiner Zeitschrift Orient und Occident (1862) S. 719
bis 732 hat Benfey eine Abhandlung über Goethes Gedicht: Legende
(Werke 1840, I, 200) und dessen Indisches Vorbild veröffentlicht. Erzeigt
1) In dem Prager Dom auf dem Hradschin, der dem hl. Veit geweiht ist, steht die
Bildsäule dieses Landespatrons Böhmens mit einem schwarzen Hahn, Grohmann, Aber-
glauben aus Böhmen, S. 74, Anra. Am Veitstage (15. Juni) wallfahrteten früher viele
Böhmen zu den Elbquellen und opferten dort schwarze Hühner, Weinhold, Quellen-
verehrung, S. 43. Auch im Elsass wurden dem hl. Veit auf seinen Altar schwarze Hühner
geopfert, Stöber, Sagen des Elsass, S. 259. 1. A.
Zu Goethes Parialegende.
187
darin, dass Goethe den Stoff zu seinem Gedichte aus 0. Dappers Asia
(Dürnberg 1681) entlehnt hat. Die Dappersche Darstellung geht — mittelbar
— zurück auf eine alte indische Legende, deren wahrscheinlich älteste
Gestalt im Mahäbhärata vorliegt. Benfey teilt die Mahäbhäratalegende in
deutscher Ubersetzung mit1) und bemerkt, dass sich mehr oder minder
ausgeführte Darstellungen der Legende auch in anderen sanskritischen
Werken, besonders in den sogen. Puranas, vorfinden. Die Darstellung im
Kälikäpuräna weicht von der im Mahäbhärata fast gar nicht ab; die Fassung
der Legende im Bhägavatapuräna wird, da sie in einem Punkte mit der
Dapperschen und Goethischen Fassung übereinstimmt, in deutscher Über-
setzung gegeben. Benfey wendet sich jetzt zu der Darstellung der Legende,
wie sie sich bei Dapper findet, und teilt sie im vollen Wortlaut mit.2)
Aus einer Vergleichung dieser Darstellung mit Goethes wunderbarer
Schöpfung ergiebt sich, dass zwischen beiden eine breite Kluft liegt. In
einem sehr wesentlichen Punkte schliesst sich Goethe eng an die alte
indische Legende an. Auf den ersten Anblick könnte man daher glauben,
dass eine andere treuere Quelle, als die Dappersche Darstellung der Legende,
die Grundlage des Goethischen Gedichtes bilden müsse. Allein Benfey
hat die Schriften über Indien, von denen sich annehmeu lässt, dass Goethe
sie gelesen, vergebens durchforscht. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
dass Goethen die Legende nur durch Dappers Asia bekannt geworden ist.
Dafür spricht auch der Umstand, dass Goethe selbst in Wahrheit und
Dichtung bemerkt, er habe die Indischen Fabeln aus Dappers Reisen
zuerst keimen gelernt und gleichfalls mit grosser Lust in seinen Märchen-
vorrat hineingezogen. Die Abweichungen der Goethischen Legende von
der Dapperschen Fassung erklären sich aus Goethes wunderbarer dichte-
rischer Gestaltungsfähigkeit. Mit einer Ausnahme. Am auffallendsten ist
bei Goethe die Yertauschung der Köpfe, die sich weder bei Dapper noch
in der alten indischen Legende findet, während sie doch ebenfalls indischen
1) Früher schon mitgeteilt von Wilson in seiner englischen Übersetzung des \isnu-
puräna, London 1840, S. 401 f. = Wilson, Works IX (18G8), 19fl.
2) Ganz dieselbe Darstellung bei Philipp Baldaeus, Wahrhaftige Ausführliche
Beschreibung der Berühmten Ost-Indischen Küsten Malabar und Coromandel, als auch der
Insel Zeylon, Amsterdam 1672, S. 491 ff. Beide Darstellungen stimmen meist fast wörtlich
über'ein; der Hauptunterschied zwischen Dapper und Baldaeus besteht darin, dass
letzterer Vistnum (d. h. Yisnu) statt Mahadeu gehraucht. So beginnt die Erzählung bei
Baldaeus: 'Seine (des Prassaram) Mutter Reneca hatte durch ihre Gottesfürchtigkeit von
Vistnum ein Tuch überkommen, welches Wasser hielt, so dass es nicht durchlief oder
tropfte, in welch Tuch sie täglich aus dem Fluss Ganges Wasser höhlte.' Woher es kommt,
dass Dapper und Baldaeus so genau übereinstimmen, habe ich hier nicht zu untersuchen.
Über Baldaeus vgl. Rhode, Über religiöse Bildung, Mythologie und Philosophie der Hindus
(Leipzig 1827), I, 150. Benfey scheint das hochinteressante Werk des Holländers Baldaeus
gar nicht gekannt zu hahen, sonst würde er nicht sagen, dass die falsche Schreibweise
'Altar' für Avatara, deren sich Goethe in Wahrheit und Dichtung bedient, nur bei Dapper
vorkomme (Or. u. Occ. I, 728). Baldaeus gebraucht die Form 'Altar' beständig.
188
Zachariae:
Ursprungs ist. Das indische Märchen, worin die Vertauschung der Köpfe
•die Hauptrolle spielt, ist die sechste Erzählung der Sammlung Vetäla-
pañcavimsatiká. Von hier gelangte die Erzählung in die persischen
Bearbeitungen der Sukasaptati, in die Bücher, die den Titel Tuti Nam e h
führen. Eine dieser Bearbeitungen, die des Qädiri, wurde von.Ilten
nach einer englischen Übertragung ins Deutsche übersetzt (Stuttgardt 1822).
Goethe lernte diese Übersetzung bereits im Jahre 1820 kennen.1) Hier
— in der 24. Erzählung des Qlidin — fand Goethe das Motiv von der
Vertauschung der Köpfe vor.
Soweit Benfey. Seine Behauptung, dass Goethe die Vertauschung der
Köpfe aus Ikens Übersetzung des Tuti Nameli entlehnt habe, ist gläubig
nachgeschrieben worden von Oesterley in seiner Übersetzung der Baitäl
Pachisi (Bibliothek orientalischer Märchen und Erzählungen, I. Bändchen,
Leipzig 1873), S. 196. An Oesterley schliesst sich Tawney an in seiner
Übersetzung des Kathäsaritsägara, vol. II, p. 264, Note. Auch der verehrte
Herausgeber dieser Zeitschrift (siehe IL, 47 f.) steht augenscheinlich noch
unter dem Banne der Benfeyschen Ausführungen. Weinhold meint, Goethe
habe das Motiv von der Vertauschung der Köpfe in Ikens Buch gefunden;
und weiter: die herrliche Beziehung der Legende auf die Parias sei Goethes
volles Eigentum.
Aber Benfey befand sich im Irrtum. Drei Jahre vor dem Erscheinen
von Benfeys Abhandlung hatte Düntzer in seinen Erläuterungen zu Goethes
lyrischen Gedichten die Quelle der Goethischen Legende nachgewiesen.
Nicht Dappers Asia in Verbindung mit ikèns Übersetzung des Tuti Nam eh
ist Goethes Quelle, sondern die Geschichte von der Mariatale, der Frau
des Büssers Schamadagini und der Mutter des Parassurama, in Sonnerats
Reise nach Ostindien und China (Deutsch Zürich 1783), I, S. 205ÍF. In
einer Berichtigung (Orient und Occident II, 97) hat Benfey seinen Irrtum
eingestanden; bei Sonnerat ist, bemerkt er hier, die Legende ganz so
mitgeteilt, wie sie Goethe nachgedichtet hat. Später hat Benfey seinen
Freunden gegenüber die Abhandlung über Goethes Gedicht 'Legende' als
die missratenste aller seiner Arbeiten bezeichnet (siehe Bezzenberger in
den Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Sprachen, VIII, 241). Es
ist allerdings unbegreiflich, wie Benfey, der doch Sonnerats Heise aus-
drücklich unter den Büchern' nennt, die er nach Goethes Quelle durch-
forscht habe (Or. und Occ. I, 728), die Geschichte von der Mariatale bei
1) Auf S. 154—155 seines Buches berichtet Iken, dass er [vor der Drucklegung des
Ruches] einige Erzählungen als Proben eines noch unbekannten Originals Sr. Excellenz
dem Herin Geh. Rat von Goethe zur Beurteilung iibersandt habe, und dass sich diese
Proben einer günstigen Aufnahme zu erfreuen das Glück hatten. Weiterhin teilt Iken
mit, dass einige Bruchstücke seiner Übersetzung im Dezemberheft des (mir nicht zugäng-
lichen) Morgenblattes von 1.S21 erschienen sind. (Diese Angaben fehlen bei Benfey, Orient
und Occident I, 729.)
Zu Goethes Parialegende.
189
Bonner at ganz hat übersehen können. Ein sonderbarer Zufall ist es
— um Benfeys eignen Ausdruck zu gebrauchen — der ihn zum Besten
hatte.
Obwohl nun Düntzer1) in der zweiten Auflage seiner Erläuterungen
II, 451 f. den Sachverhalt bereits klargelegt hat, so habe ich es doch für
nötig gehalten, auch in dieser Zeitschrift noch einmal darauf hinzuweisen,
dass sich Benfey zwar geirrt, seinen Irrtum aber bald nach dem Erscheinen
seines Aufsatzes über Goethes Legende berichtigt hat. Zugleich möchte
ich eine Frage aufwerfen, eine Frage, die allerdings für den Goetheforscher
von untergeordneter Bedeutung, für den indischen Philologen jedoch von
nicht geringem Interesse ist, — die Frage nach der Herkunft der Sonnerat-
schen Legende. Wie, wann und wo vollzog sich die Umwandlung der
alten indischen Legende zur Parialegende? Ich will versuchen, diese Frage
zu. beantworten, so weit es mein Material gestattet.
Mariatale — bei Baldaeus S. 456ff. heisst sie Patragali2) — ist
eine südindische Volksgöttin, die grosse Göttin der Parias (Sonnerat I, 206);
sie ist die Göttin der Blattern, die Göttin, die die Blattern erweckt und
hinwegnimmt (Baldaeus 459). Als Göttin der Blattern entspricht sie der
nordindischen Sítala, über die man sich am besten .in dem vortrefflichen
Buche von Crooke, An introduction to the popular religion and folklore
of Northern India, Allahabad 1894, p. 78ff. unterrichten kann. Yon der
Mariatale sagt Sonnerat: 'Die Indier bezeugen vor dieser Göttin viele
Furcht und richten ihr in allen Flecken Tempel auf: Aber man stellt
bloss ihr Haupt in das innere Heiligtum, und die Indier aus den echten
Stämmen verehren auch nur dieses; ihr übriger Körper wird an die Thüre
des Tempels gestellt und daselbst von den Parias angebetet.' Um diese
merkwürdige Sitte zu erklären, oder auch, um die halb göttliche, halb
unreine Natur der Mariatale verständlich zu machen8), hat man, so scheint
1) Düntzer teilt auch die Sormeratsche Legende im Wortlaut mit; danach bei
H. Baumgart, Goethes 'Geheimnisse' und seine 'Indischen Legenden', Stuttgart 1895,
S. 87f. Dieselbe Legende im Auszug bei Eh o de, Über religiöse Bildung der Hindus, II,
257 (vgl 1541'.). Hätte Benfej das Buch von Rhode (das die ältere, jetzt fast vergessene
Litteratur über indische Mythologie getreulich verzeichnet) benutzt, so wäre ihm vermutlich
"weder die Sonneratsche Legende, noch das Meiste von dem, was ich in dieser Abhandlung
vorzubringen vermag, entgangen. — Übrigens irrt Düntzer, wenn er II, 452 schreibt,
dass die Vertauschung der Köpfe im indischen Märchen des Pantschatantra I, 21 erscheine.
Benfey im Or. u. Occ. I, 72:) sagt nur, dass man wegen der Vetälapaiicavimsati [seine
Übersetzung des] Pantschatantra I, 21 vergleichen möge.
2) Siehe auch Rhode a. a. O. II, 254.
3) Ähnlich Rhode II, 257. Nachdem er die Sonneratsche Legende mitgeteilt hat,
fährt er fort: 'Der Sinn dieser Zusammensetzung des Körpers der Mariatale scheint die
Zusammenschmelzung einer Göttin der. Urbewohner, der Pareas, mit der Kali der Hindus
darzustellen.' Vgl. dazu namentlich Crooke p. 78: As she [Sítala] comes to be promoted
into some form of Kali or Devi, she is provided with a regular fane.
190
Zachariae :
es, die Mariatale an die Stelle der Renukâ in der alten Legende gesetzt1)
und zugleich das Motiv von der Kopfvertauschuug hineingebracht.
Wann die Umwandlung der alten Legende zur Parialegende statt-
gefunden hat, dürfte schwer festzustellen sein. Die Heimat der Paria-
legende ist aber oline Zweifel die Gegend Indiens, die Sonnerat haupt-
sächlich bereiste, die Gregend, wo er die 'Nachrichten' gewann, die er in
seinem Buche vorträgt: das Land der 'Tamuler', die Koromandeiküste
(Sonnerat I, 165. 172. 177), oder allgemeiner, Südindien. Sonnerat giebt
die Quelle, der er seine Parialegende entnommen hat, nicht an. Er muss
jedoch einen guten Gewährsmann dafür gehabt haben, — denselben viel-
leicht, dem er die 'Fabeln der Indier' verdankt, die er I, 117ff. mitteilt
und mit den bemerkenswerten Worten einleitet: 'Lie Indier haben mora-
lische Fabeln, deren hohes Alter beweist, dass wir diese Art von Sitten-
lehre keinem anderen als diesem Volke zu danken haben.2) Die hier
folgenden, welche ganz wörtlich und ungeschminkt übersetzt sind, werden
sehr deutlich beweisen, dass die meisten Fabeldichter aus dieser Quelle
geschöpft haben.' — Es ist meines Erachtens sehr wahrscheinlich, dass
sich die Sonneratsche Legende in irgend einem Werke vorfindet, das in
einer südindischen Sprache, im Tamil oder etwa im Telugu, abgefasst ist.
Jetzt steht Sonnerat mit seiner eigentümlichen Parialegende nicht
mehr allein da. In dem Jahre, wo Benfey seinen Aufsatz über Goethes
Legende veröffentlichte (1862), erschien in Madras der dritte Band von
William Taylors Catalogue Raisonnée of Oriental Manuscripts.3) Auf
S. 207—211 analysiert Taylor ein Teluguwerk Namens Parasurämavijaya.4)
Da die Handschrift lückenhaft ist, so ist die Analyse unvollständig. Das,
1) Dass es gerade eine Legende von Parasuräina ist, die zur Pärialegende umgeformt
wurde, beruht gewiss nicht auf Zufall. Parasuräma hat tür Südindien — wo Sonnerat die
Legende kennen lernte — eine ganz besondere Bedeutung; wird doch die Enstehnng des
Landes Malealon (= Malayälam), 'welches wir die Küste Malabar nennen', dem Paras uram a
zugeschrieben: Sonnerat I, 141 (vgl. 31). Vgl. ferner die Auszüge aus Baldaeus u. a. bei
'Rhode I, 192ff.; Graul, Reise nach Ostindien, III, 226. 332 (Anm. 75); Taylor, A
Catalogue Raisonnée of Oriental Manuscripts I, 162f. G67; Wilson, Works IX, 24. Die
alten Legenden von Parasuräma zusammengestellt bei Muir, Original Sanskrit Texts, I2,
442ff. Zufolge der Tamulischen Tradition, berichtet Sonnerat I, 141, lebt dieser Gott
[Parasuräma] noch auf der Küste Malabar, wo man ihn unter einer schrecklichen und
widrigen Gestalt abbildet. Dafür malt man ihn auf Koromandel grün, mit einem viel
sanfteren Gesicht und giebt ihm in eine Hand eine Axt und in die andere einen Fächer
aus Palmen blättern.
2) Wie man sieht, ist die Benfeysche Theorie von dem Ursprung und der Wanderung
der Fabeln und Märchen mindestens so alt wie Sonnerat.
3) Pi schei (Vorrede zu seiner Ausgabe des Rudrata und Ruyyaka S. 9) bezeichnet
diesen Katalog als 'curiously unscientific, but not at all useless'.' Ich selbst habe eine
Variante zu der Geschichte Canis (in der Historia Septem Sapientum) aus Taylors Buch
mitgeteilt in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen von 1892, S. 649, Anm. 1.
4) Nach Wilson, The Mackenzie Collection2 (Madras 1882) p. 290 heisst der Verfasser
des Werkes: Bhavagna.
Zu Goethes Parialegende.
191
was nach Taylors Meinung fehlt, ergänzt er 'aus anderen Quellen'. Auf
S. 210 heisst es:
Towards the close of the poem, the Brahmans remind Pdrasu Ráma,
of the fault, concerning his mother, which is rather equivocally expressed;
but most probably alludes to the following circumstance:
Jamaclagni's wife, the mother of Pdrasu Ráma, was named Renuca;
and one day for a mental transgression of strict conjugal fidelity, the father
in anger told Pdrasu Rama, to take his axe, and cut oft' her head. He
obeyed, and cut off the head of his mother, near a parolieri, or hamlet of
outcast people; as well as the heads of some of those persons, on their
opposing his design. The father, approving his proceeding, asked what
reward he required; when he requested, that his mother's body might be
re-animated. The father consented to his request, having at the same time
power to fulfil it; and gave directions to his son, as to the mode in which
the head and body should be joined together, promising him to re-unite,
and re-animate them. In the hurry of the moment, instead of his mother's
head, Pdrasu Ráma applied the head of an outcast woman, to his mother's
lifeless trunk: when the whole became re-animated. It is stated, that on
this legend the Pariars (or outcasts) found their worship of various local
numina, being none other than ideal forms of the wife of Jamadagni, con-
sidered to be divine, as having given birth to an alleged incarnation of
the divinity.1)
Hier haben wir also die Sonneratsche Legende mit der Kopfvertauschung
und der Beziehung auf die Parias: nur wird bei Taylor der Kopf einer
Arerworfenen auf den leblosen Rumpf der Mutter gesetzt, und diese heisst
Renukä, nicht Mariatale. Seine Quelle giebt Taylor ebensowenig an wie
Sonnerat.
Noch eins. Wenn Benfey meinte (Orient und Occident I, 728f.), Class
Goethe kraft seiner wunderbaren dichterischen Gestaltungsfähigkeit an die
Stelle des Tuches, worin JRenuka bei Dapper das Wasser heimträgt, das
freiwillige Ballen des Wassers zu einer krystallenen Kugel gesetzt habe,
1) Erst nachdem ich diese Arbeit abgeschlossen hatte, sah ich, dass Taylor bereits
im zweiten Bande seines Catalogue Raisounée, Madras 1860, Introduction p. LXXIV, die
Parialegende gegeben hat. Ich teile auch diese Fassung im Wortlaut mit, da sie den
Anfang der Fassung bei Taylor III, 210 in will komm euer Weise ergänzt: Jamadagni was
a rishi or sage; who with his wife Renuca and his son Ráma, lived in a sort of hermitage,
in some place north of India. The wives of such sages were pati vriita, pre-eminently
chaste; and so cold, that ice did not melt when held by their fingers. If it did, that was
proof positive of libidinous thought at least, if not more. One day Jamadagni sent his
wife to a river to fetch a block of ice; and, on her bringing it, it was found to be partially
dissolved in her hands. Iu great wrath the sage commanded his son to strike oli her head,
which he did with (párasu) an axe. Some women of the villagers (paras) interposed, and
liáma struck off their heads likewise. The sage, repenting his rashness, proposed to restore
his dead wife; but, in the hurry of the moment joined her head to a pariah's body, and
the head of another para to her body. Hence the Pariahs worhip Renuca as a goddess.
Zachariae: Zu Goethes Parialegende.
so wissen wir ja jetzt durch Diintzer, class Sonnerats Reise Goethes
Quelle war. Aber gerade der von Benfey berührte Zug: Die schöne Frau
des hohen Bramen bedarf beim Wasserholen keines Kruges, keines
Eimers;
Seligem Herzen, frommen Händen
Hallt sich die bewegte Welle
Herrlich zu krystallner Kugel —
dieser Zug lässt sich auch noch anderwärts nachweisen. In Paris erschien 1788
ein Buch unter dem Titel: Bagavadam ou doctrine divine, ouvrage Indien,
canonique; sur l'être suprême, les dieux, les géans, les hommes, les diverses
parties de l'univers, etc. Dieses Buch ist die französische Übersetzung
eines tamulischen Werkes, das eine Umarbeitung und zugleich eine
Abkürzung des alten Bhagavatapuräna repräsentiert. Es ist, wenn ich nicht
irre, identisch mit dem Werke, das Taylor, Catalogue Raisonnée III, 94ff.,
zum Teil analysiert hat. Näheres bei Rhode, Über religiöse Bildung,
Mythologie und Philosophie der Hindus I, 112ff. und bei Gildemeister,
Bibliothecae Sanskritae Specimen (Bonnae ad Rh., 1847) p. 56 n. Eine
deutsche Übersetzung des Bagavadam ist in der mir nicht zugänglichen
Sammlung Asiatischer Originalschriften I, Zürich 1791, enthalten. Im
französischen Original wird die Geschichte von der Tötung und Wieder-
belebung der Renukä wie folgt erzählt (S. 267f.):
Benougueij femme d' Yemadacny, alla un jour chercher de l'eau à la
fontaine; elle vit un ange Guendarver qui passoit en l'air, et il étoit d'une
rare beauté, elle le considéra avec trop de complaisance pendant quelques
moments. Bientôt elle reprit courage, et rejeta un mouvement d'amour
qu'elle avoit senti. Cependant lorsqu'elle voulut prendre de l'eau à son
ordinaire sans vase ni cruche, en la ramassant comme une boule,
cela lui fut impossible. La pureté de l'aine qu'elle avoit perdue, l'avoit
fait décheoir de ce privilège. Son époux ayant ainsi reconnu sa faute,
ordonna à ses enfants de la tuer. Par asr amen seul déférant à la parole
de son père, la tua, et aussi ses frères rebelles à ses ordres. Tout le
monde désapprouvoit cette cruauté; mais Yemadacny satisfait de l'obéissance
de Parasramen lui demanda ce qu'il souhaitoit de lui. Celui-ci demanda
la vie de sa mère et de ses frères. Le Patriarche lui remit sa Baguette
et il les ressuscita-
Halle a. d. Saale.
Höfler: Sankt Michaelsbrot.
193
Sankt Michaelsbrot.
Yon Dr. Max Höfler.
Die heutigen deutschen Gebildbrote erscheinen als sogen. Kultgebäcke
zu bestimmten Zeiten und zwar an christlichen Festtagen, sowie an weltlichen
oder Familienfeiertagen; erstere sind hauptsächlich Neujahr, Weihnachten,
Ostern, Pfingsten, Fastenzeit (Fassnacht), Allerseelen, Martini, Nikolaus;
letztere sind die Sippen- und Innungsfeste (Schützenfeste z. B.), Hochzeiten,
Wochenbett, Taufe u. s. w. Das s diese Gebäckformen nicht ursprünglich
den christlichen Festen ihre Existenz verdanken können, ergiebt sich aus
den frühzeitigen, diesbezüglichen Verboten der Kirche, die so und so oft
wiederholt wurden, und weiterhin aus der Thatsache, dass die Gebräuche
des Volkslebens aus verschieden-zeitlichen Entwickelungsstufen der Kultur-
epochen sich gebildet haben. Wie die Volksgebräuche Glieder einer langen
kulturgeschichtlichen Kette sind, an der jedes Glied selbst wieder aus ver-
schiedenem, altem und jüngerem Materiale oder Schichten gebildet ist, so
entsprechen auch die heutigen Kultgebäcke vom einfachsten und ältesten
Brei bis zu dem feinsten modernen Tortengebäcke den verschiedenen Zeit-
epochen des deutschen Volkstums. Die Hauptkultzeiten des germanischen
Jahres sind nach dem für die Volkswirtschaft ausschliesslich massgebenden
Sonnenstande die mit dem Frohnfasten verbunden gewesenen vier Zeiten
(quatuor tempora, Qiiatember, Frohnfasten): die Sommer-Sonnenwende
(Sommer-Weihnachten), die Winter-Sonnenwende (Winter-Weihnachten)5
die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche,' die Herbst-Tag- und Nachtgleiche;
jede war wahrscheinlich mit einer 1 — 2wöchentlichen Vor- und Nachfeier
verbunden. Mit dem Abschlüsse der landschaftlich verschieden langdauernden
Weidezeit begann für den wirtschaftlich thätigen Germanen der Winter,
und mit dem Winter begann das germanische Neujahr. Die Verwechselung
dieses germanischen Neujahrs mit dem später kirchlich eingeführten und
auf verschiedene Zeiten festgesetzten christlichen Neujahre erklärt auch
die Verwirrung in der Deutung der verschiedenen Volksgebräuche, die
sich an verschiedenen Festtagen des Jahres bis auf die Neuzeit erhalten
haben. In die Zeit des germanischen Neujahrs fällt nun auch das Sankt
Michaelsfest der christlichen Kirche. Mit dem Zeitpunkte der herbstlichen
Tag- und Nachtgleiche begannen die Tage der Aussenarbeit kürzer zu
werden; das Abend- oder Lichtwirken, die Abendarbeit wurde länger; das
Niedergehen des Sonnenrades gab das Zeichen, dass auch die elbischen Nacht-
gestalten thätiger zu werden anfingen; die Geistereinflüsse wurden stärker.
In der Versöhnung dieser beim niedersten Sonnenstande am meisten thätigen
Marengestalten, d. h. in der Totenfeier liegt nun vor allem der Grund zu
den mit einer festgesetzten Speiseordnung (Fasten = „festgebundene Speise-
194
Höfler:
Ordnung) einhergehenden grossen Yolksopfern, die nicht nur den Göttern,
sondern noch mehr den gefürchteten Seelen (Maren) der abgestorbenen
Sippengenossen galten. Das Speiseopfer ist ursprünglich nur ein Seelen-
opfer. Den zur Zeit des höchsten, namentlich aber des niedersten Sonnen-
standes am häufigsten wiederkehrenden Geistern der Ahnen mussten be-
stimmte, sie günstig stimmende Lieblingsspeisen vorgesetzt werden-, ins-
besonders galt dies beim Beginn eines neuen Jahres, dessen kommende
Fruchtbarkeit im ganzen von der Gunst und dem Wohlwollen der elbischen
Geister wesentlich abhing. Wer eine andere als die so durch Brauch und
Herkommen üblich gewordene Speise an einem solchen Tage der Wieder-
kehr der Geister zu sich nahm, dem schnitten diese nach der Volkssage
den Bauch auf und füllten ihn mit Häckerling, oder er wurde von ihnen
im Alptraume zur Rachequal getreten.
Diese zeitweise nur erscheinenden Geister (Totenvolk und dessen
Anführer) leben nun in der Volkssage unter verschiedenen Namen (W'ode,
Perchta, Hulda Holle, Schimmelreiter, wilder Jäger, wildes- Gejaid, Tyrann,
alter Landrichter, Spinnerin, Frohnfastenmütterli u. s. w.) fort. Ihre Tage
des Wiederkehrens sind also eigentlich Totenfeste. Da von der Gunst
dieser Geister auch der glückliche Ausfall der kommenden oder erfolgten
Ernte abhing, so konnten Toten- und Erntefeier sogar zusammenfallen;
daher erklärt sich auch, dass die Totenfeier der alten Marsen beim Tempel
der nahrungverleilienden und erntespendenden Göttin Tanfaua, der Gemahlin
des Tius, in diese Zeit um Oktoberanfang fiel; dies war die Zeit der
blutigen und unblutigen Dankopfer für die erhaltene Erntefülle, aber auch
die Zeit der Versöhnung der Totengeister, der Sühneopfer für die Ver-
storbenen, von deren Gunst die Fülle der Ernte abhing. Bei den Angel-
sachsen und Schweden hiess darum der Oktober und November Blôtmônath
(schwed. blotmânad) = Opfermonat; bei den Niedersachsen, Niederländern,
Friesen und Dänen Schlacht- oder Ochsenmonat; bei den alten Isländern
gormànadr (Schlachtmonat); bei den Deutschen ist seit dem 13. Jahrh.
landschaftlich Fulmânt, Fulmonet, volle mân für den September in der
Regel, selten für den November belegt (Weinhold, Die deutschen Monat-
namen, Halle 18G9, S. 59).
Solche Totenfeste lebten auch im Christentume fort und scheinen als
solche im christlichen Allerseelentag vereinigt worden zu sein. Mit diesem
germanischen Totenfeste unmittelbar nach der Erntezeit oder im Beginn
des Winters, am germanischen Neujahre erklären sich auch die verschiedenen
auf den St. Michaelstag fallenden Volksgebräuche, die jetzt noch zum Teil
üblich sind und deren hier erst Erwähnung gemacht werden muss, ehe wir
auf das eigentliche Thema, das Michelbrot, eingehen können, wobei daran zu
erinnern ist, dass St. Michaelstag, St. Nikolaustag, Weihnachten und Neujahr
als Schimmelreitertage mit Geschenkspenden im Volksbrauche identisch sind,
was sich eben nur durch das germanische „Neujahr" erklären lässt.
Sankt Michaelsbrot.
St. Michael, der sacer Mars Christianorum und praepositus paradisi,
dessen Kirche zu Rom am 29. September 493 eingeweiht wurde, und
dessen Bildnis auf dem früheren deutschen Reichsbanner stand, ist der
Führer der Seelen vor Gottes Gericht, die er mit der Wage bemisst am
jüngsten Tage, Patron der sterbenden und der verstorbenen Seelen, mit
dessen Kult die ersten christlichen Missionare bestrebt waren, die volks-
wirtschaftlich so wichtigen germanisch-heidnischen Totenfeste zu ersetzen.
Die ältesten Kirchen Süddeutschlands sind darum die St. Michaelskirchen.
In der Schweiz sind St. Michael namentlich häufig die Friedhofkapellen
geweiht. Am Sonntag nach Michaelis wird noch die Mi ssa aurea pro de-
functis in katholischen Kirchen gelesen; lauter deutliche Zeichen dafür,
dass ehemals auf diesen Tag eine Totenfeier fiel. St. Michaelsschlaf ist
darum der ewige Schlaf oder der Tod. Der Freitag vor St. Michaëlis
heisst in Unterfranken der Helltag (Hella = Todesgöttin). Die in den
Lüften und mit den Winden einherziehenden Seelengeister, an deren Spitze
Woden mit seinem Geisterheere umzog, flogen in dieser Zeit nach der
herbstlichen Tag- und Kachtgleiche mit den Äquinoctalstürmen durch die
Länder. Yon der Gunst dieser Seelengeister hing, wie schon gesagt, die
zukünftige Erntefülle ab; daher hat der Micheliswind, wie der Allerseelen-
oder Neujahrswind, das ganze Jahr das Vorrecht; daher ist St. Michael
Wetterpatron. „Donnert der Michel — viel Arbeit die Sichel" (d. h. im
neuen Jahre); darum sind auch die Galläpfel am St. Michaelstage nach
ihrem Inhalte ein Prognostikon für die Fruchtbarkeit des kommenden
Wirtschaftsjahres. Ein altes Lied (Scheible IX, 243) lautet: „Ayns zyts
nach sant michelstag, da der summer endes pflag, alle die feld berôbet
sind und das lôb der kalte wind zerfüret und zerströbet." Auch die am
St. Michaelstage volksüblichen Yerbóte des Kornsäens (Herbstsaat), der
Feldarbeit, des Spinnens hängen mit dem gefürchteten bösen Einflüsse
der Seelengeister auf die Saat und Frucht und mit der früheren Stellung
des Heiligentages als Hohe Zeit oder Hochfest zusammen, dessen Erinnerung
■sich bis auf - den heutigen Tas; so erhalten hatte.
O O
Mit dieser höchst bedeutsamen germanischen Totenfeier war der Ge-
dächtnistrank, der Minnetrunk verbunden, der in nordischen Sagas als
„Michaelsminni" erwähnt ist; darum ist „auf Michaëlis Kirchweih im
Himmel und auf Erden" (Oberbayern), d. h. sowohl die Verstorbenen im
Himmel, deren Minne getrunken wird, als die überlebenden Sippegenossen
auf Erden, die Gemeinde, haben ihren mit Opfertrunk verbundenen Fest-
tag, mit dem die (siidd.) Meinwoche (Gemeinwoche), (niederd. hillige
mên-weke) begann, in der die Sippegenossen nach uraltem Brauche zum
gemeinsamen Totenfeste sich vereinigten, daher St. Michaelstag im Eng-
lischen ganging-day (Gangtag) heisst.
Noch heute ziehen ohne geistliches Begleite die Bauern des Isarwinkels
auf 6—8 Stunden Entfernung als Sippen zur hochgelegenen St. Michaels-
196
Höfler
kirche in Gaissacli, wo ein „Hellweg" und ein „heiliger Acker", sowie
zahlreiche Kohlenreste nnd Steinkreise unter Gräberhügeln, ein „um-
gehender" Landrichter ohne Kopf u. s. w. auf das frühere Vorhandensein
einer heidnisch-bajuwarischen Toten-Kultstätte deutlich genug hinweisen.
An die mit diesem Tage zusammenhängenden Opfer erinnern auch
die nach demselben benannten Blumen, mit welchen vermutlich die Opfer-
gabe geschmückt wurde: Colchicum autumnale (Michelblume), Hypericum
perforatum (Jage-Michel nd.), Chrysanthemum tanacetum (Michelkraut).
Gerichtstage und Opfertage fallen im germanischen Kalender zusammen.
St. Michaelstag, als ehemaliger germanischer Festtag, erscheint auch
als herbstlicher Zins- und Dingtag. Ein Volksding mit Märkten (Messen),
Schlichtung von Streithändeln und Erlegung der Zehenten war mit jedem
solchen Volksfeste verbunden; daher war die heute noch übliche „Galli-
Stift" unmittelbar nach Michaelis, in der Galli-Woche, als Zeit der Ge-
meindeabgaben festgesetzt; darum heisst „Michel" in der Schweiz auch die
letzte Garbe; daher ist der „Michel-Hahn" ein Zinshahn, d. Ii. eine das
ursprüngliche Huhnopfer ersetzende oder ablösende Abgabe, an die auch
die englische „Michaelis-Gans" (Kuhn und Schwartz, Nordd. Sagen, S. 517)
erinnert. Auch die Volkssage (ebenda 172), dass Ochsen oder Pferde
immer dann fielen, so oft die Bildsäule des hl. Michael im früheren Kloster
Michaelstein bei Blankenburg a. H. am Amtshause von ihrer Stelle genommen
wurde, ist ein Hinweis auf das frühere Tieropfer, das am St. Michaelistage
gebräuchlich war und dessen Unterlassung Tierseuchen zur Folge haben sollte.
Dass mit St. Michaelstag ein neues Wirtschaftsjahr, das Neujahr, be-
gann, erhellt nicht nur aus dem Vorrechte des Michaeliwindes fürs ganze
Jahr, sondern auch aus dem Volksbrauche, dass in Aichach (Oberbayern)
der Geineindehirte von Michaelis bis wieder auf Michaelis gedungen wurde;
denn das war ein ganzes Jahr mit Anfang und Ende; auch im Havellande
geht zu Michaelis die Dienstzeit der bäuerlichen Mägde um (Kuhn und
Schwartz, Nordd. Sagen, S. 401).
Die gabenspendenden und opferempfangenden Dämonen zogen am
Beginne des neuen Jahres durch die Gaue; darum ist in der Schweiz St.
Michael als personifizierter Kalendertag des germanischen Neujahrs, wie
das Christkind oder St. Nikolaus, ein Gabenspender (und Gabenempfänger);
St. Michael fliegt dort während der Vesper als Erzengel in den Häusern
umher, um braven Kindern zu bescheren (Einsiedler Kalender 1851). Darum
„läutet es auch, nach dem Schweizer Volksausdrucke, am St. Michaelstage
dem Klaus aus dem Himmel", d. h. St. Michael und St. Nikolaus haben
Anspruch auf die gleiche Kultzeit; darum treten sowohl St. Michael als
St. Nikolaus als Schimmelreiter, d. h. als Seelenführer, die gabenspendend
und geschenkeempfangend erscheinen, auf.
Das Opfer, welches die Totengeister erhielten, war am St. Michaels-
tage ein von den Sippegenossen zusammengetragenes Speiseopfer, das zur
Sankt Michaelsbrot.
197
Zeit des Beginns des Abend- oder Lichtwirkens dargebracht wurde. Ein
Überbleibsel dieses Kultopfers ist der Ulmer Lichterschmaus, der sächsische,
hannoversche, Würzburger und schwäbische Lichtbraten, der niedersächsische
Krüselbraden u. s. w. Im Münsterlandewerden am St. Michaelstage Heringe
(als Fastenspeise am Vorabende) zum gemeinsamen (Sippe-) Essen, wrie
ehemals die Kultspeisen zum Opfermahle, gesammelt oder zusammen-
getragen. Aus der Masse des zusammengetragenen, vegetabilischen Ma-
terials, der „Samtregede", ergab sich das lokal verschiedene Michelsbrot,
das zwar ursprünglich ein Brei gewesen sein wird, das aber später am
häufigsten Weck en form angenommen hatte. Zeitliche Vorläufer dieses
Kultbrotes waren die in der unglücklichen Saatwoche,, in der die Seelen
besonders rührig sind, in der sogen. Burkartswoche, im Hennebergschen
üblichen BorkelswTecken (Fig. 1), welche einen ungemein langen schmalen
Fig. 1.
Keil oder Zwick mit sehr vielen Teilfurchen oder Querrissen, also ein
deutliches Sippe - Opferbrot darstellen. Dasselbe wird in Würzburg am
St. Nikolaustage gebacken; wieder ein Beweis, dass auch St. Nikolaustag
einen Teil des germanischen Neujahrs übernommen hatte. Sonst war der
Borkeis- oder Burkartswecken am Burkartsmarkte am Dienstag nach
St. Burkart als Patenbrot geschenkt worden. In einem niederdeutschen
Kinderliedchen heisst es darum: „Buckäucken vom Halverstadt, bring'
niîn klën' Kindiken wat!" d. h. einen Burkartsweck vom Krammarkte.
„Beim Feste der Goldenen Messe zu Hildesheim, die zum Schlüsse
der sogen. Gemeinwoche, 14 Tage nach Michaelis, begangen wurde, hatte
das Hildesheimer Stift alle herbeigekommenen Gäste und Fremden nach
altbestimmter Norm zu bewirten. Aber das dabei allen gleiclimässig
Zukommende war ein grosses Zweckbrot. Als der Kloster-Reformator
Bruschius eben zur Zeit dieses Festes das Stift besuchte, erhielt er neben
den übrigen satzungsmässigen Gerichten, dem bestimmten Quantum Tafel-
wein und den vorgeschriebenen vier Schillingen Zehrgeld ein ,weisses'
Weckenbrot von solchem Umfange vorgesetzt, dass nach seiner Versicherung
alle damaligen Tischgenossen zusammen daran genug gehabt hätten" (Roch-
liolz, Deutscher Glaube und Brauch, I, 310). Hier lag sicher eine alte,
früher von den Sippengenossen unterhaltene, später auf das Stift über-
tragene Totenopferspende vor, wofür auch schon die weisse (an das Toten-
mehl erinnernde) Farbe des Weckens und dessen zur Verteilung geeignete
Grösse spricht.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 14
198
Höfler:
„Am Tage nach St. Michael, am 1. Oktober (Remigius), fand zu Her-
ford (Reg.-Bez. Minden), das heute noch durch seine Zuckerwaren bekannt
ist, die altsächsische Weckings- (Wittekinds-) Spende, d. h. die Verteilung
der Timpensemmeln an die Schüler statt, um das Angedenken des am
Nordhofe bei Enger begrabeneu Sachsenherzogs Widukind zu feiern. Die
benachbarten Höfe und Dörfer steuerten nach ihrer besonderen Pflichtigkeit
bei: das ganze Kirchspiel schmauste mit" (Rochholz a. a. 0. I, 313).
Dieses aus Semmelmehl hergestellte Gebäck muss nach seinem Namen
ein eckiges (mnd. die timpe, westfäl. der timpen, Zipfel), vielleicht ein
dreizipfliches Brot gewesen sein, das der Timpendreher (mnd. timpendreier)
u. a. zum Timpkenfeste herstellte und das auch zum honigsüssen Tiinpen-
brei verwendet wurde1); es wird identisch sein mit dem Salzufeler Timpen-
stuten.
In Westfalen erhielt früher das Gesinde auf Michaelis (die Zeit des
wirtschaftlichen Jahresanfangs) eine Tonne Bier und Stutenbrei, d. h.
eine mit Stutweckenbrot eingeschnittene Milchsuppe (Schiller-Lübben,
Mnd. Wörterbuch, 4, 455). Diese Stutwecken, die der Stütner (1520 stutenâr)
herstellte und die als „Stutenbrot" jetzt noch bei ostfriesischen Leichen-
begängnissen verteilt werden, haben ihren Namen von ihrer Gestalt, die
wie der obersächsische Stollen und hamburgische Kloben die Vereinigung
des stangenförmigen Weckens mit dem weiblichen alòólov darstellt. Das
Stützel ist das Deminutiv zu Stute und hat deutlich die Cunnusform;
daher mnss Stuten als Backwerk in seiner Etymologie dem sächsischen
Stollen oder bayerischen Stützen entsprechen oder dem Frankfurter Weck-
stotzen. Als „Stute" (ndl. stuite, mnd. 1631 stoete, stuyte = panis triticeus
quadratus, uropygium) gehört das Wort dem nd. Sprachgebiete an und hat
seine Verbreitung von Holland und Schleswig an bis Köln und Halle.
Die rundkonvexen Bauernstuten im Bergischen mit einer deutlich an
die Rima vulvae erinnernden tüchtigen oberen Kerbe oder Kluft sind die
wahren typischen Stuten. Auch die Quedlinburger Mutzstützel haben die
gleiche Cunnusform wie die Maultasche oder Maulschellen (Mutschellen,
Mutzelen); kurzum etymologisch und nach der Form haben wir es dabei
mit einem heute als obscön geltenden Gebildbrote zu tliun, wie beim
Spaltgebäcke des Stollens.
1329 legte der Bischof Heinrich zu Naumburg dem Bäckergewerbe
daselbst als Entgelt für das erteilte Innungs-Privilegium auf, gleiclimässig
an dem (älteren Neujahrstage) St. Michaelstage, und am Geburtstage
Christi (der auch einmal Neujahrstag war) 12 Gulden Meissner und zwei
lange Weizenbrote, Stollen genannt, zur bischöflichen Hofstatt zu ent-
richten (Lcpsius, Kl. Schriften, I, 253). Diese Stollen (Fig. 2) sind, wie
1) Nach Woeste, Wörterbuch der westfäl. Mundart, Norden 1S82, S. 271 ist der
Timpenbrî eine Kaltschale aus Branntwein, Zucker und Pffeflerkuchen, die auf Hochzeiten
gereicht wird.
Sankt Michaelsbrot.
199
gesagt, verlängerte Kloben oder weckenlange, pfostenartige Spaltgebäcke,
die die phallische Wecken- oder Keilform mit der des (hamburgischen)
Klöwen (zu klieben = spalten) (Fig. 3) und des thüringischen Schiedchens
(zu scheiden = spalten) (Fig. 4) vereinigen. Charakteristisch für diese
•drei Gebäckformen ist der obere Längsspalt und die keilförmige Länge.
Der Wecken und der längsgespaltene Stollen sind eben Fruchtbarkeits-
symbole, die als frühere Opferbrote den die Fruchtbarkeit beeinflussenden
Seelengeistern oder Gottheiten beim Beginn eines neuen Jahres dargebracht
wurden. Der obersächsische Stollen ist also durchaus nicht ein specielles
Weihnachtsgebäck (man wollte sogar ein Wickelkind in seiner Form
erblicken).
In Flandern bäckt man zum Michaelistage eine Art Weissbrot, VolJ-
<erte genannt, die man den Kindern des Nachts heimlich unter das Kopf-
kissen steckt, damit sie dieselben am Morgen (des früheren Neujahrs)
beim Erwachen finden, ähnlich den Ostereiern, die man auch im Bette
versteckt.x)
Dass die Zeit von St. Michaelis eine germanische Kultzeit war, erhellt
auch aus dem englischen Brauche der Michaelskuchen. „Die protestan-
tischen Einwohner der im Westen von Schottland liegenden Insel Skye
haben auf Michaelistag einen Aufzug zu Pferde in jeder Pfarre. Einige
Familien backen dazu St. Michaelscakes, welche auch St. Michaelsbannok
(Hafer- oder Erbsenmehlkuchen) lieissen. Ebenso halten die Einwohner
1) Nach Schuermans, Algeineen Vlaamsch Idioticon. Leuven lí-(>5 TO, S. S26 ist
volarci, vollaord ein langer Kuchen, der zu Weihnachten und Neujahr in \\ estflandern
gebacken wird.
Fig. 2.
Fig. 3.
14*
200
Höfler: Sankt Micliaelsbrot.
des Dorfes Kilbar in derselben Gegend auf St. Michaelis einen grossen
Umritt und ziehen dabei um die Kirche. Sobald diese Feier vorbei ist,
eilt jede Familie nach alter Gewohnheit den Michaeliskuchen zu backen,
von welchem an diesem Tage alle Familienglieder und auch die Fremden
essen. Zu St. Kilda war es bis kürzlich unter den Insulanern allgemeine
Sitte, in jeder Familie auf St. Michaelistag einen Laib Brot oder einen
Kuchen von Brot zu backen, ungeheuer gross und von verschiedenen Be-
standteilen (um den Segen für alle diese Feldfrüchte zu erlangen). Dieser
Kuchen gehörte dem Erzengel Michael (d. h. dem Totenführer) und heisst
nach ihm. Ein jeder in der Familie, Fremder wie Dienstbote, bekam
seinen Teil von diesem Schaubrote und hatte somit Anrecht auf die
Freundschaft und den Schutz dieses Heiligen" (Jahn, Opfergebräuche, 249).
— An anderen Orten erhält dieses Michaelbrot der Pfarrherr an St. Michaels-
kirchen, z. B. in dem schon oben erwähnten Pfarrorte Gaissach bei Tölz,
wohin der ganze Isarwinkel die runden Altarlaibe am Kirchweihtage
(St. Michaeltag) aus uralter Gepflogenheit brachte und am Kirchenaltar
opferte. Dieser Brauch gab sogar Anlass, dass in unmittelbarer Nähe von
Gaissach unterm „Heltweg1) eine Ortschaft „Pfistern" (pistrina) entstand,
in der die Bäckerei, die doch sonst nur eine Hausarbeit, wenigstens in
den dortigen bäuerlichen Kreisen war und noch ist, schon sehr früh als
ein eigenes Dorfgewerbe ausgeübt werden konnte infolge des Concursus
populi zur uralten Sepultur daselbst.
Auch die Schweizer haben ein eigenes St. Micliaelsbrödli.
Die erste Woche nach St. Michael war die heilige Mein- oder Gemein-
woche, nd. Mêneweke, die Woche der goldenen Messe, missa aurea pro
defunctis in Niedersachsen, von der die „drei goldenen Samstagnächte"
ihren Namen haben, die in die drei Wochen nach Michaelis fallen. Auch
an diesen mit dem Totenkulte zusammenhängenden Tagen fanden (nach
Höfer I, 306) Wallfahrten mit Semmelopfergaben statt, und es wurden
für die Verstorbenen der' ganzen Gemeine Messen gelesen.
Eine zeitlich etwas hinausgeschobene Gebäckspende, die aber ebenfalls
mit dem Totenkulte der Herbst-Tag- und Nachtgleiche Zusammenhang hat.
bilden die schlesischen Gebäcke am St. Hedwigstage (17. Oktober), über
welche künftig berichtet werden soll.
Aus obiger Zusammenstellung der Michaelsbrote mit den am St. Michaels-
tage volksüblichen Gebräuchen ergiebt sich zur Genüge, dass das germa-
riische Neujahr mit einer ganz ausgesprochenen Totenfeier und einem
Erntefeste verbunden war.
Erklärlich und selbstverständlich ist es, dass sich nun im Laufe der
Jahrhunderte von diesem germanischen Neujahre verschiedene Gebildbrote
1) In den Niederlanden heisst dieser Totenweg likweg (Leichenweg), nood-weg, ree-weg
(vgl. Rê-Brett).
Drechsler: Der Wassermann im schlesischen Volksglauben.
201
auf andere Neujahrstage, St. Nikolaus, Weihnachten und das moderne
Neujahr übertragen haben müssen, nachdem der Jahresbeginn durch die
verschiedenen Kalender der christlichen Kirche einmal vom St. Michaels-
tage verschoben worden war. Es ist sogar zu erwarten, dass durch den
Einfluss der Kirche an den christlichen Neujahrstagen die ehemaligen
heidnischen Gebildbrote sich noch mehr häufen. Dadurch erklärt es sich
auch, dass am St. Michaelstage die Zopfgebäcke, das typische germanische
Totenbrot, fehlen, da sie ganz und gar entweder auf das moderne Neujahr
oder auf den christlichen Totenfesttag (Allerseelen) übertragen wurden,
während die Erntefeier- oder Fruchtbarkeitsgebäcke inniger am wirtschaft-
lichen Neujahrs- oder dem St. Michaelstag haften geblieben waren.
Bad Tölz.
Der Wassermann im schlesisclien Volksglauben.
Von Dr. Paul Drechsler.
Nach altem Glauben sind Quellen und Brunnen, Bäche und Flüsse,
Seen und Teiche belebt, aus ihnen kommen die Kinder, hierher kehren
ihre Seelen nach dem Tode. Aus diesem Seelenglauben erklärt sich die
Verehrung des Wassers bei allen Völkern; vgl. Mogk im Grunclriss der
german. Philologie, III, S. 296. Ins Wasser darf man wrecler spucken
noch harnen. Letzteres gilt auch nach christlicher Umdeutung für einen
Frevel, der nichts anderes bedeutet als dem lieben Gott ins Angesicht
harnen, und wer ins Wasser spuckt, spuckt nach lebendigem Glauben in
Oberschlesien und der Grafschaft Glatz der Mutter Gottes ins Antlitz.
Andererseits spuckt man im polnischen Oberschlesien (Beuthen O.-S., Zabrze)
ins Wasser, wenn man die Pferde in die Schwemme reitet oder sie im
Wasser tränkt, um durch das Spucken böse Wirkungen, hier Bauchschmerzen
der Pferde, abzuwenden, denn Geistern ist das Ausspeien der Menschen
zuwider: Grimm, Mythologie, S. 481. 565.
Auf den alten Seelenglauben geht auch die Wunderkraft mancher
Quellen und Brunnen zurück, und allenthalben giebt es auch in Schlesien
Wunderbrünnel und wunderkräftige Heilquellen, so die vielen Hedwigs-
brunnen, der Mirakelbrunnen bei Liegnitz (Schles. Provinzialblätter 1864,
S. 336) u. v. a.
In Brunnen und Teichen wohnen elbische Wesen, wohnt Frau Holle1),
1) "War ihr der Hollenberg bei Striegau geweiht, au1 dem früher ein Wunder-
brünnel floss?
Drechsler:
an deren Stelle später vielerorten die Jungfrau Maria tritt, und wohnt
besonders der Wassermann oder Wassernix (Bunzlauer Monatschrift
1791, S. 106) mit seinem Weibe, der Wassernixe, Wasserlisse, W'asser-
lixe oder Wassermannin (Mitteil, der Scliles. Gesellschaft, I, S. 15) und
seinen Töchtern, den Nixen. Letztere stecken in der Klodnitz und in
den Teichen um Zabrze in den dort häufigen grossen Wasserlilien ihre
Köpfe hervor. — In Niederschlesien bis über Breslau hinauf, hier und da
im Gebirge, Reichenbach, an der Neisse, der Oder, in der Gegend von
Löwen und Brieg herrscht die weibliche Gestalt und Namensform Wasser-
lisse vor; wo polnisches Sprachgebiet anfängt, tritt scharf umrissen der
Wassermann (wodne chlup, Topielec oder Utopletz) auf.
Wie der Wassermann, wenn auch nicht die kleinen Kinder, so doch
wenigstens das neugeborene Vieh bringt (Glatzer Vierteljahrsschrift, III.
S. 140), so zieht er die lebenden Wesen, besonders die Kinder, wenn sie
an seinem Ufer spielen, an einem unsichtbaren Stricke in die Tiefe. Für
diesen Glauben bringt W. Müller in Geschichte und System der altdeutschen
Religion, Göttingen 1844, S. 375 (Anm. 4) ein älteres Zeugnis aus der vita
S. Sulpicii bituricensis (-j- 614) in act. Bened. sec. 2, p. 172 bei: „si aliquis
causa qualibet ingrederetur eundem (sc. gurgitem), repente funibus daemo-
niacis circumplexus amittebat crudeliter vitam." Statt eines Strickes bedient
sich der Wassermann auch, wie die nordische Meeresgöttin Rân. eines-
Netzes, vgl. Kuhn, Mark. Sagen, S. 371, oder, in Niedersachsen, aber auch
in Mittel- und Oberdeutschland, eines Hakens, daher Hakemann genannt
(Mogk a. a. 0. S. 297). Seine älteste Natur ist wild und menschenfeindlich,
entsprechend der unheimlichen, oft verderblichen Gewalt der tiefen Wasser:
Tgl. Weinhold, Beitrag zur Nixenkunde auf Grund schlesischer Sagen in
der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, V, S. 122. Eigentümlich ist
dem Wassermann das unheimliche Kichern und Lachen, eine lautliche
Malerei des plätschernden, ans Ufer klatschend anschlagenden Wassers.
Ähnlich bedeutet im Griechischen KayyJÄ'Qco „laut lachen" und „plätschern,
sprudeln". („Sprudeln" gebraucht man im Schlesischen auch gern für das-
„Kirineln" (Lustäusserung) und Lachen kleiner Kinder.) Auch hört man
ihn im Wasser oft glucksen1) (Katscher, Beuthen O.-S.).
Besonders liasst der Wassermann die Müller, weil die Mühlräder den
freien Fluss des Wassers hemmen, sich dienstbar machen und in den
Machtbereich des Wassergeistes gleichsam störend eingreifen. Daher geht
zur Julzeit das mächtigste schwedische Wasserwesen, der Neck, aus seinem
stillen Wasser in alle Ströme und zerbricht die nicht gehemmten Mülil-
1) Bekanntlich führt man auf diesen Gluckt on und seine ursprünglich niederdeutsche
Bezeichnung kielen das Wort Kielkropf zurück (Grimm, D. Wb., 5, 681). Diese Er-
klärung kennt auch Fischer in seinem Buche vom Aberglauben 1791, S. 57: Kielkropf
(so heissen die Nickertskinder, weil es in ihrem Kropf stets kiehlt oder kluchzet)."
Der Wassermann im schlesischen Volksglauben.
203
riider: E. H. Meyer, German. Mythologie, S. 131. Von der Feindschaft des
Wassermanns gegen den Müller weiss das Volk viel zu erzählen.
Der Wassermann stritt sich oft mit einem Müller herum, der gegen
ihn rücksichtslos war und seiner Macht spottete. Eines Tages hatte der
Müller am Mühlrade etwas zu thun und musste ins Wasser. Da stieg es
plötzlich höher und höher, umflutete ihn von allen Seiten und drohte ihn
zu ersticken. Da merkte der Müller die Nähe des Wassermanns, beschwor
ihn, sein Leben zu schonen, und versprach, ihm dafür sieben Leben zu
opfern.1) Sofort fiel das Wasser, und der Müller konnte sein Rad aus-
bessern und den Bach verlassen. Kurz darauf warf seine Hündin sieben
Junge. Er trug diese zum Mühlbach und warf sie mit den spöttischen
Worten hinein: „Hier, Wassermann, hast du die sieben Versprochenen!"
Nicht lange darauf fiel ein Kind des Müllers in den Mühlgraben und er-
trank. Ihm folgte bald das zweite und dritte in den nassen Tod. Da
wurde es dem Müller nur zu klar, dass sich der Wassermann die ver-
sprochenen Opfer hole. So sehr sich auch die zwei letzten Kinder der
Müllersleute vor dem Wasser in acht nahmen und von den anderen bewacht
wurden, bald zog man sie als Leichen ans Ufer. Als man das fünfte Kind
aus dem Wasser hob, glitt die Müllerin aus, fiel in den Graben und ertrank.
Voller Verzweiflung stürzte sich der Müller jetzt selber ins Wasser, und
der Wassermann hatte die sieben versprochenen Leben (Beuthen O.-S.,
Tarnowitz, Rybnik, Sorau).
Tritt in dieser verbreiteten Sage die leibliche Erscheinung des Wasser-
manns hinter seinem Elemente ganz zurück, so zeigen ihn andere Sagen
in verschiedenen Gestalten. Oft erscheint er in Oberschlesien als Fisch,
der am Ufer auf- und niederschnellt, um Vorübergehende anzulocken, ihn
fangen zu wollen; vgl. dazu Weinhold a. a. 0. S. 123, wo reichliche, aber
nur norddeutsche Litteraturangaben verzeichnet sind. Ein anderes Wasser-
tier, dessen Gestalt der Nix annimmt, ist die Gans (Beuthen O.-S.). Die
Vogelgestalt bezeugt auch folgende Erzählung eines Gewährsmannes aus
der Umgegend von Beuthen (1900): „Vor 30 Jahren, als ich noch ein Kind
war, wateten wir zu unserem Vergnügen in den Dorfteich. Plötzlich erhob
sich aus dem Wasser eine Gestalt, das war der Wassermann. Er sah aus
wie ein grosser Adler, hatte auf dem Kopfe eine rote Zipfelmütze und
stand auf den Beinen. Er flatterte mit den Flügeln und schlug um sich,
und als wir flüchteten, verschwand er lachend im Wasser."
Uni Beuthen, Tarnowitz und Lublinitz stellt sich die Einbildung des
Volkes den Wassermann auch als Hund vor, in der Gegend um Ratibor
als schwarzen Pudel. Mir wurde voriges Jahr erzählt: Vater, Mutter und
Tochter gingen an einem Sommerabende (d. h. nach dem Abendläuten)
an der Bâche spazieren. Da erblickten sie im Wasser den Wassermann,
1) Vgl. zu diesem Zuge Grimm, Kinder- und Hausmärchen, No. 181.
Drechsler:
er sali aus wie ein Hund. Er seh warum aber nicht, wie es ein Hund zu
thun pflegt, sondern watete in dem Bache hin wie ein Mensch, auf den
Hinterbeinen aufrecht stehend. Was aber das Merkwürdigste war, er er-
schien jeder Person in anderer Grösse und Farbe. Auch der schottische
waterkelpie erscheint als Seehund, vgl. E. H. Meyer a. a. O. S. 131. Öfters
nimmt der Wassermann die Gestalt eines Pferdes an. So heisst er im
schottischen Hochland geradezu riverhorse, und auch auf Island hat der in
Rossgestalt erscheinende nykur den Namen „Wrasserpferd" (vatnahestr),
Mogk, Grundriss, III, S. 296; vgl. auch Liebrecht, Gervasius, S. 133.
Auch dazu stimmt der schlesische Glaube. Im polnischen Oberschlesien
wird folgendes gern erzählt: Ein Mann ging über Land; sein Weg führte
an einem Bache hin. Da sali er am Ufer im Sande einen grossen Fisch
auf- und abschnellen. Er eilte hinzu, packte geschwind den Fisch und
steckte ihn in seinen Brotsack, den er umgehängt hatte. Als er erfreut
weiterschritt, wurde ihm der Sack immer schwerer. Plötzlich hörte er
aus dein Wasser eine Stimme fragen: „Mann, wo steckst du denn?" —
„Seit einer halben Stunde hier im Sacke!" antwortete es an seiner Seite.
Da wurde es dem Manne grauerlich; auch war die Last nicht mehr zu
.ertragen. Er warf den vermeintlichen Fisch hin und sieh da! ein kleines
nacktes Männlein sprang lachend zu seinem Weibe ins Wasser: es war
der Wassermann.
Nach geraumer Zeit ging der nämliche Mann wieder über Land.
Auch diesmal führte ihn der Weg an einem Wasser hin, über eine Wiese.
Da sali er ein gesatteltes Pferd in seiner Nähe grasen, und weit und
breit war kein Mensch zu sehen, dem es hätte gehören können. Behutsam
näherte er sich dem schönen Pferde und ergriff seine Zügel. Gewiss ist
es aus dem Dorfe fortgelaufen, dachte er bei sich; ich will es mitnehmen.
— Um bequemer fortzukommen, schwang er sich in den Sattel und ritt
auf dem mutigen aber willigen Rosse dem nahen Dorfe zu. Kurz vor
seinem Ziele lag der Dorfteich. Bei ihm hielt das Pferd an, der Mann
stand plötzlich auf der Erde und vor ihm der Wassermann und sagte:
„Neulich hast du mich getragen, heute habe ich dich getragen: wir sind
quitt." Lachend verschwand er im Wasser. — Dieser neckische Zug am
Wassermann begegnet in Sagen sehr oft. Auch zeigt diese Sage, dass der
Nix einen ihm geleisteten Dienst mit gleicher Münze zurückzahlt; vgl.
W. Müller, Gesch. u. System u. s. w., S. 374f.
In Zabrze wurde mir vor kurzem erzählt: Ein Müller hatte in der
Nähe seiner Mühle eine Wiese. Jedesmal, wenn er das Gras abgemäht
hatte und zum Trocknen liegen Hess, kam in der Nacht ein fremdes
schwarzes Pferd und frass ihm eine „Kappe" lieu. Der Müller wusste
sich keinen Rat und erzählte es schliesslich dem Pfarrer. Dieser riet
ihm: „Nimm einen geweihten Strick, geh um Mitternacht auf die Wiese
und fang das Pferd ein. Aber hüte dich, ihm jemals Wasser zu geben!"
Der Wassermann im schlesischen Volksglauben.
205
Der Müller befolgte den Rat und fing das Pferd, das ihm bei der vielen
Arbeit zu statten kam. Einmal war er in die Stadt gegangen und hatte
seinem Knechte hinterlassen, er solle das Pferd füttern. Der Knecht that
es, bemerkte, dass das Pferd sehr mager war und sprach halblaut vor
sich hin: Wie kommt's nur, dass der Gaul bei dem Futter so mager ist?
Da hörte er zu seinem Erstaunen das Pferd reden und sagen: Gieb mir
etwas W asser! Der Knecht brachte das Verlangte. Da bat ihn das Pferd,
er möchte ihm doch ein bisschen den Strick abnehmen. Der Knecht that
auch das. Kaum war das Pferd frei, so war es im Wasser verschwunden.
Der Knecht hörte nur noch eine Stimme, die ihm zurief: Sag deinem
Herrn, dass ich ihn dafür, dass er mich gefangen hat, ertränken werde!
Als der Müller nach seiner Rückkehr alles erfuhr, erschrak er sehr und
hütete sich vor dem Mühlgraben. Später kam er einmal an einen Fluss:
da sprang ein kleiner Mann heraus und zog ihn in die Tiefe.
Diese Yerwandlungsfähigkeit stellt den Wassermann neben den be-
kannten griechischen Meergreis Proteus, der sich in alle möglichen Ge-
stalten zu wandeln vermochte; durch die Annahme der Rossgestalt tritt
er zu dem Meerbeherrscher Poseidon, der auch als Ross erscheint. Bei
allem handelt es sich um Veranschaulichungen des in rasch wechselnder
Mannigfaltigkeit dahinflutenden Wassers.
Nicht immer rauscht das Wasser verderbenbringend. Sein sanft an-
schlagendes und in regelmässigem Wechsel zurücksinkendes Wellenspiel
bestrickt das Gemüt mit übermächtigem Zauber, dem es sich willig hin-
giebt, ohne sich jedoch des Grauens vor der geheimnisvoll dämonischen
Macht des Wassers ganz erwehren zu können. Wie dieser Steigerung des
Naturgefühls die duftigsten Blüten der Dichtkunst entspriessen (man denke
an Goethes „Fischer"), so entspringt ihr im Volksglauben die Auffassung
der Wassergeister als lach- und tanzlustiger, frohsinniger Wesen, die
besonders den vertrauten Verkehr mit warmfühlenden Menschenkindern
suchen, für die die Verbindung allerdings zuletzt zumeist mit Leid endet.
Hier finden zahlreiche schlesische imagen ihre Beleuchtung und Erklärung.
Ich berücksichtige nur solche vom Wassermann.
Bei Dombrowa, in der Nähe von Beuthen, ist ein Teich. An seinem
Ufer hüteten drei Mägde die Kühe. Da sprang auf dem Wasser auf einmal
ein kleiner lustiger Mann herum und lockte die Mädchen zum Tanze.
Schon wollten sie herangehen, da kam ein Jäger aus dem Walde und
warnte sie, dem Männlein zu folgen: es sei der Wassermann; er würde sie
packen und in die Tiefe ziehen. Doch die eine von den Mägden ging
nahe heran, und da ihr das Männlein rote Bänder und Schmuck zuwarf,
folgte sie ihm aufs Wasser, und sie tanzten zusammen. Da liess sich
auch die zweite verlocken und tanzte mit ihm. Jetzt wollte er sich auch
mit der dritten Magd benecken. Die aber sprach: „Komm nur, du kleiner
Schwindler!" Weil sie gesegnetes Brot bei sich hatte, warf sie ihn
206
Drechsler: Der Wassermann im schlesischen Volksglauben.
damit, packte ihn dann und schlug ihn mit der linken Hand, so dass er
sich nicht zu helfen wusste. Endlich liess sie ihn los, und er verschwand
mit den beiden Mägden in die Tiefe. — Ähnliches erzählt man vielerorten.
Fragen wir nach der leiblichen Erscheinung, durch die er sich der
menschlichen Bildung annähert, so hören wir in Schlesien:
Der Wassermann ist ein kleines ältliches Männlein von Kindergestalt.
Er hat grüne Zähne, langes zottiges Haar, zuweilen mit grünen Wasser-
pflanzen durchflochten, trägt eine rote Kappe und rote1) Strümpfe; sein
Gesicht ist greisalt mit Glotz- oder Fischaugen. Wegen der roten Kleidung
erscheint der Wassermann in oberschlesischen Sagen auch als roter Husar
(Beuthen O.-S., Zabrze). Auf die roten Strümpfe zielt auch ein schlesisehes
Kinderspiel, das Wassermannspiel. Ein Kind steht in einer Vertiefung,
die den Wassergraben vorstellt, die anderen Kinder springen am Ufer
herum und singen spottend dabei:
„Wassermannel, zieh mich rei(n)!
Ich hô-'n rût'n Strümp verlorn,
Ich möcht'n garne wieder hon."
(Kreis Leobschütz und Kreis Brieg.)
Der Wassermann hascht nach den Kindern und sucht eines von ihnen
in die Tiefe zu ziehen; vgl. Weinhold, Zeitschr. Y, 54.
Ähnlich tanzen an der Tauber die Kinder am Ufer herum und rufen:
Wasserfrale, Wasserfrale, zieh mi nei di Tauber!" E. H. Meyer, Badisches
Volksleben, 1900, S. 51 f. — Im polnischen Oberschlesien, wo der Wasser-
mann noch heute eine grosse Rolle spielt, beschreibt man ihn als ein
nacktes graues Mäunlein, das man im Wasser glucksen höre oder in mond-
hellen Nächten auf dem Ufer oder auf dem Flusswehre sitzen sehe. Oft
läuft es aus einem Wasser ins andere; dann trägt es ein rotes Gewand
oder rote flatternde Bänder, die es auch am Ufer hinbreitet, um Kinder
damit anzulocken. Gern zieht der Wassermann auch Jünglinge in die
Tiefe und verheiratet sie in seinen prachtvollen Wohnungen (vgl. Wolf,
Beiträge, 2, 290) mit seinen Töchtern oder behält sie zu seiner Bedienung:
Lompa in Schles. Provinzalbl. 1862, S. 395; vgl. Liebrecht, Zur Volkskunde,
S. 357. Vor dem Palaste des Wassermanns liegt auch nach schlesischen
Sagen eine Wiese; über sie müssen die (wohl ursprünglich nur vom W asser-
mann hinuntergezogenen) Toten. So erscheint der Wassermann als Todes-
gottheit wie die Eân. Dies meint auch ein hierzulande geläufiges polnisches
Sprichwort: „Der kann's noch weit bringen oder: der wird schon fort-
kommen, wenn ihn die Liska nicht aussaugt", d. h. nicht ins Wasser
zieht und durch Aussaugen des Blutes (Lebens) tötet. Vgl. zu der Redensart
„der Nix hat sie gesogen" Wolf, Beiträge, 2, 292. Vielleicht hängt mit
diesem Worte Liska die schlesische Form Lisse, Wasserlisse zusammen.
1) Vgl. Wolf, Beiträge, 2, 282; Liebrecht, Gervasius, S. 121.
Höfler: St. Hubertus-Schlüssel.
207
Sie begegnet bei Gryphius im Peter Squenz: die Wasser-Lüss, bei Rössler.,
wie der Schnabel gewachsen, S. 165:
iinse Uder-Lisse
Treibt ôch ihre Kniff und Risse.
Bis zu Johannis fordert der Wassermann jährlich drei Opfer (Beuthen
O.-S ); in der Gegend um Liegnitz, Leobsehiitz, Katseher begnügt er sich
mit einem. Wer abends badet, fällt ihm gewöhnlich zum Opfer.
Der Wassermann ist besonders in ganz Oberschlesien zu Hause. Doch
findet er sich auch in der Grafschaft, wo er einen Sack auf dem Rücken
trägt, an der Neisse und an der Oder an mehreren Stellen; wer die betritt,
muss sofort versinken. Um Wolilau lockt er mit dem Rufen: „Hol über!"
die Menschen ins Yerderben.
Wer geweihtes Brot bei sich trägt oder sich neunmal geweihtes
Johannisbrot (vgl. oben Johannistag) in die Kleider näht oder zweimal
gebähtes Brot isst, über den hat der Wassermann keinen Fug; vgl. Mitteil,
der Schles. Gesellschaft für Volkskunde, I, S. 26. Auch mit einem ge-
weihten Stricke ist er zu fangen, mit der linken Hand zu bewältigen,
oben 204. 206.
Zabrze Ò.-S.
St. Hubertus-Schlüssel.
Von Dr. Max Höfler.
Umstehende Abbildung giebt zwei St. Hubertus-Schlüssel wieder,
welche mir durch Vermittelung des Herrn Reuling aus dem Besitze des
Herrn Weber, Forstmeister im Spessart, überlassen wurden. Dieselben
waren begleitet von einer gedruckten Gebrauchsanweisung, die auf ihrer
Aussenseite beschrieben ist. Diese sogen. „Schlüssel"' sind aus Eisen
gefertigte, 12 bezw. 5 cm lange Nägel, deren Köpfe petschaftartig ver-
breitert und flach sind. Diese Fläche dient als Brandmarke und soll ein
Jägerhorn darstellen, welches an einer Schlinge hängt. Nach der er-
wähnten, nachstehend abgedruckten Gebrauchsanweisung wird dieser Nagel
an dieser Fläche glühend gemacht und bei der Hundswut der Tiere
entweder auf die Bissstelle oder — was ganz wichtig ist — auf die Stirn
des wütenden Tieres bis zur schmerzauslösenden Nervenschicht der Haut
aufgedrückt, ersteres als Cauteri um der Bissstelle, letzteres als Brandmarke
auf der Stelle der Hirn- und Nervengeister. Es würde den verfügbaren
Raum weit überschreiten, wollte ich hier Alter, Zweck und Ursprung
dieses Hubertuskultes und der volksmedizinischen Behandlung der Hundswut
-JOS
Höfler:
eingehender besprechen ; ich erlaube mir diesbezüglich auf die beste Mono-
graphie zu verweisen: La rage et St. Hubert (Paris, A. Picard 1887) von
Henri Gaidoz, der das Thema gründlich und meisterhaft behandelte. Hier
möge nur kurz erwähnt sein, dass die ursprüngliche und älteste Legende
des St. Hubert nichts von dessen Jäger- und Hunde-Patronat weiss, dass
sein Kult im wildreichen Hochwalde der Ardennen entstand, von wo er
sich durch Frankreich und Deutschland namentlich unter den Jägern und
Forstleuten, welche die Gefahr wütender Wölfe und Hunde kannten, aus-
breitete; dass dieser horntragende Nagel unter Beibehaltung des Namens
„St. Hubertus-Schlüssel" den eigentlichen „goldenen" Schlüssel verdrängte,
welchen nach der späteren Legende St. Hubert vom heil. Petrus, bezw.
Frankreich und Italien, ausserdem im Maestricht); St. Martins-Schlüssel
im Bordeaux - Lande; St. Dionys-Schlüssel in Rozières im Jura, St.
Ullrichs-Schlüssel in Augsburg und (1829) in Wessobrunn in Ober-
bayern. Auch mit dem Aldinger Schlüssel von Aldingen bei Tübingen
brannte man (1756) die bei Menschen gesetzten Wunden, die vom Bisse
wütender Tiere herstammten; auch holte man sich diesen Schlüssel von
Aldingen zu diesem Zwecke. Über St. Ruprecht-Schlüssel (1879) zu
Westhausen bei Ellwangen schreibt A. Birlinger (Aus Schwaben, I, 106).
Aber nicht bloss der Heilige wechselte, auch die Form dieser „Schlüssel"
war wechselnd: hornartig, kreuzförmig, ringgestaltig u.s.w., kurzum, aus
dem Wechsel der Form des Schlüssels und des Heiligen lässt sich s eh li e s sen,
dass es sich bei dieser volksmedizinischen Behandlung der Hundswut um
von einem seiner Nachfolger,
erhielt, der aber verschwunden
seiu soll und durch einen in
Sainte Croix de Liege aufbe-
wahrten „kupfernen" Schlüssel
aus dem IX. Jahrh. ersetzt worden
war. Solche bei der Hundswut
der Tiere und des Menschen
benutzte sogen. Schlüssel gab es
auch in Deutschland und seinen
Nachbarländern mehrere, so gab
es einen St. Hubertusschlüssel
in Wappendorf, sowie in Gro-
ningen (Würtemberg), der holil-
eisenartig war und mit dem der
Schmied die gebissenen Personen
unter dem linken Daumenballen
brannte; einen St. Peters-
Schlüssel (hauptsächlich in
St. Hubertus Schlüssel.
eine je nach der Lokalität" verschiedene.-Ausübung einer älteren, von einer
Kültperson vollzogenen Schädel - Kauterisationsmethode handelt. Diese
schloss sich wahrscheinlich an die uralte Trepanation des Schädels der
Besessenen an oder wird sich vielmehr von dieser ableiten. Man wollte
ehemals wohl den im Schädel sitzenden Dämon durch eine künstliche
Öffnung desselben herausbefördern oder vertreiben; vielleicht ist das
Brennen der Stirn bei wütenden Menschen, Pferden, Hunden und bei
drehwurmkranken Schafen (!) nur das Überbleibsel der früheren eigent-
lichen Trepanation, deren Ausführung oder Technik nur wenigen eigen
war und die dann allmählich vom Stirnschnitte und von der Brandmarke
ersetzt wurde. Doch ist dies, wie gesagt, nur eine hier ausgesprochene
Vermutimg.
Es folgt nunmehr zum Schlüsse die dem St. Hubertus-Schlüssel bei-
gegebene Gebrauchsauweisung.
Gründlicher Bericht
Zum Brauch der Schlusselen des Heiligen
Hub erti.
Die eisenc Schlusselen oder Horner | so die Heilige Stol des Heiligen Huberti
berührt | und unter gewöhnlichem Gebett gesegnet worden | haben die Krafft | das
Vieh ¡ so damit bezeichnet | von allem Wüten zu beschützen | das Vieh | aber so
mit rasender Sucht oder Zufall behafft | also gleich zu heilen: oder wenn es stirbt [
nachdem es damit bezeichnet | geschehet solches ohne Schaden.
Folget wie man sich dieses Schlüssels
gebrauchen soll.
Sobald als man spüret,, daß einiges Vieh von einem anderen so wütend \
gebissen worden | muss der Schlüssel gluend gemacht werden | und so es füglich
geschehen mag auff den Schaden | so aber nicht | auff der Stirn | biß zum lebhaften
Fleisch gedruckt werden.
Nachmahlen aber fünff oder neun Tag lang | nach ewrer Andacht betten fünff
Vatter - Unser und Englische Graß | zu der Ehren Gottes | seiner glorwûrdigen
Mutter I und des Heiligen Huberti, und in wahrenden fünff oder neun Tagen dem
gebissenen Viehe täglich vor allem anderen Essen ¡ ein Stuck gesegneten Brods j
oder aber gesegnete Haber langen. Es muß also gleich geschehen j dennn die
Erfarnuß lernet ¡ daß es gefährlich seye | lang zu warten.
Es wird auch gar nützlich seyn | daß das beschädigte Viehe invvahrenden
neun Tagen eingeschlossen werde ¡ auff daß das Gifft nicht durch unmäßige Be-
wegung auß gebreitet werde.
Hierneben wird auch angezeigt | daß fein bessere Artzney oder Mittel zu
finden | gegen allem rasenden Zufall | als daß man sich bey zeit in die Bruder-
schafft des Heiligen Huberti einschreiben lasse | und wegen ihres Viehes einen
jährlichen Zinß nach ihrem Belieben und Andacht außrichte ¡ gleichwie in vielen
Orten zu geschehen pfleget | welche deßwegen befreyet worden seynd | und täglich
befreyet werden: daß aber solches geschehe | Gott dem Herrn die Ehre und dem
Heiligen Huberto.
-210
Bliimml:
Solche Wirckung angesehen ist gnugsamb kutìdbahr | in welcher Ehr der
gemelte Schlüssel gehalten werden soll | wird auch hierneben angezeigt | daß nichts
anders damit zu brennen als allerley Vieh, da zu selbiger Schlüssel allein ist ver-
ordiniret worden.
(Auf der Rückseite mit Tinte geschrieben)
Receu de Mr. Devver poenitent. de S: Hubert1) le 4 juillict 1757.
Bad Tölz.
Beiträge zur Flora der Friedhöfe in Niederösterreicli.
Yon E. K. Blümml.
Geradeso wie die Flora der Bauerngärten dem Gebiete der Volkskunde
angehört, ebenso gehört auch die Flora der Friedhöfe am Lande dem
Forschungskreise dieser Wissenschaft zu. Leider ist jedoch über diesen
Gegenstand noch wenig veröffentlicht worden und sind dem Yerfasser dieses
nur drei diesbezügliche Arbeiten bekannt und zwar: 1. Franz Unger, Die
Pflanze als Todtenschmuck und Gräberzier, Wien 1867, 27 S.; 2. Franz
Woenig, Die Pusztenflora der grossen ungarischen Tiefebene, Leipzig 1900,
worin als 5. Kapitel „Ein Blick in die Pusztengärten und Friedhöfe"
(S. 39—43) und 3. meine Anzeige dieses Buches in den „Mitteilungen der
Anthropologischen Gesellschaft in Wien", XXX. Band, Wien 1900, S. 157
bis 158, die einige diesbezügliche Angaben über Niederösterreich bringt.
Yerfasser dieses ist es nun gelungen, in verhältnismässig kurzer Zeit
50 solcher Friedhofspfianzen, deren Aufzählung unten folgt, in nur wenigen
Friedhöfen aufzufinden. Zunächst möge auf eine Äusserung Ungers (a. a. O.
S. 22) hingewiesen werden: „Ausser diesen (Cupressus, Hederá, Vinca,
Buxus, Seduin, Saxífraga, Rosa canina, Ulinus, Populus, Morus, Calendula
und Eucalyptus) haben sich wohl noch viele andere Pflanzen gleichfalls
auf die Gräber begeben oder sonst, wie bei Leichenceremonien ein-
gedrängt, sie sind jedoch kaum als Charakterpflanzen zu betrachten,
indem sie den Sinn, den man ursprünglich in die Grabespflanzen legte,
keineswegs verraten." Dazu wäre zu bemerken, dass es doch noch einige
Charakterpflanzen giebt, die oben nicht angeführt wurden und zwar 1. der
Rittersporn (Delphinium consolida L.), der schon den alten Griechen ge-
1) Unter „poenitent de S. Hubert" versteht sich hierbei ein zu St. Hubert (ein in
den belgischen Ardennen zwischen Namur und Luxemburg gelegenes, ehemals Andage
oder Andain genanntes Städtchen, wohin man 825 den Leichnam des hl. Hubertus gebracht
hatte) mit dem St. Hubertus - Schlüssel oder mit dem Stirnschnitte behandelter Mann
(Mr. Weber?), welcher daselbst seine Beicht (penitence) oder Busse abgelegt hatte.
Beiträge zur Flora der Friedhöfe in Niederösterreich.
211
m einsam mit Delphinium Ajaeis L. als Trauerblume galt, 2. Lilium candidimi
L. (weisse Lilie), die dein Volksglauben nach der Sitz der Seele des Ver-
storbenen ist (man vgl. M. E. Marriage, Poetische Beziehungen des Menschen
zur Pflanzen- und Tierwelt im heutigen Volkslied auf hochdeutschem
Boden. Alemannia, XXVI. Jahrg., Bonn 1898, S. 127—135 und die dort
angeführte Litteratur über diesen Gegenstand) und 3. Salix babylonica L.
(Trauerweide). In der unten folgenden Aufzählung wurden die Charakter-
pflanzen mit einem + bezeichnet, während jene Pflanzen, die auf das
Capitulare „De villis imperatoris" Karls des Grossen zurückgehen (gut er-
läutert wurde dasselbe durch Kurt Sprengel, Geschichte der Botanik,
1. Band, Altenburg und Leipzig 1817, S. 194—198 und Anton Kerner, Flora
der Bauerngärten in Deutschland. Verhandlungen des zoologisch-botanischen
Vereins in Wien, V. Bd., 1855, S. 787 ff.) und daher mit denen der Bauern-
gärten übereinstimmen, mit ++, und jene Pflanzen, die später als Zierpflanzen
verwendet wurden und daher auch Eingang in die Friedhöfe fanden, mit
+++ bezeichnet werden.
Wichtig erschien es dem Verfasser, bei jeder Pflanze auch den Fried-
hof, wo er dieselbe fand, mitzuteilen, um dadurch gleichzeitig einer Be-
arbeitung der Friedhofspflanzen nach geographischen Gesichtspunkten vor-
zuarbeiten. Bei jenen Pflanzen, die sich in allen diesbezüglich durch-
suchten Friedhöfen fanden, wurde von einer Mitteilung der Fundorte
Abstand genommen. Die auf Friedhofspflanzen durchsuchten niederöster-
reichischen Friedhöfe sind nun folgende: E. = Egelsee (V. O. M. B.,
Bezirkshauptmannschaft und Bezirksgericht Krems\ R,. = Roseldorf, Br. =
Braunsdorf, G. = Goggendorf und Si. = Sitzendorf (alle im V. U. M. B.,
Bezirkshauptmannschaft und Gerichtsbezirk Ober-Hollabrunn), Fr. = Frauen-
dorf und X.-S. = Nieder-Schleinz (V. U. M. B., Bezirkshauptmannschaft
Ober-Hollabrunn, Gerichtsbezirk Unter-Ravelsbach) und B. = Burgsclileunitz
(V. 0. M. B., Bezirkshauptmannschaft Horn, Gerichtsbezirk Eggenburg).
+ + 1. Antirrhinum majas L., Löwenmaul. Si (für Ungarn Woenig a. a. 0. S. 40).
+ 2. Aster bellidiflorus Willd., Aster. Si. (für N.-ü. Blümml a. a. 0. S. 157).
++ + 3. Aster chinensis L. und
4. Aster Tripolium L., Aster. Si , G., Br., R., B., N.-S., Fr. (für N.-ü.
Blümml a. a. 0. S. 157).
"++"r 5. Begonia boliviensis D.O., Begonie. Si.
G. Borago officinalis L., Boretsch. Si.
+ 7. Buxus sempervirens L, Buchs. E., Si. (für Ungarn Woenig a. a. 0. S. 41
und Unger a. a. 0. S. 20 führt diese Pílanze als eine in Europa beliebte
Grabespflanze an).
+ 8. Calendula officinalis L., Totenblume. Allgemein (für N.-Ü. G. Beck,
Ritter von Managetta, Flora von Nieder - Österreich, II. Bd., Wien 1893,
S. 1223; für Ungarn Woenig a. a. ü. S. 39; für Süddeutschland im all-
gemeinen Unger a. a. O. S. 20).
"+++ 9. Canna indica L. E.
~++ 10. Cheiranthus Cheiri L., Goldlack. Si.
212
Blümml: Beiträge zur Flora der Friedhöfe in Niederösterreich.
+++ 11. Chrysanthemum coronarium L., Goldblume. Si.
+ 12. Delphinium consolida L., Rittersporn. Hr., Fr., Si.
+++ 13. Dianthus barbatus L., Bartnelke. E., Fr., G.
+++ 14. Dianthus caryophyllus L., Nelke. E, Si.
15. Eupaterium eannabinum L., Wasserdost. E.
+++ IC. Gladiolus communis L., Schwertlilie. Br., G., Si., Fr, N.-S., B., E.
+ 17. Hederá helix L., Epheu. B., R., Si. (Unger a. a. 0. S, 21 für Griechenland).
+++ 18. Helianthus tuberosus L., Topinambur. G.
+++ 19. Hyssopus officinalis L., Hyssop. Fr., Si. (für Ungarn Woenig a. a. 0. S. 40).
+++ 20. Ibcris umbellata L., Bauernsenf. G.
+++ 21. Impatiens balsamina L., Balsamine. Br., G., Si.
22. Lactuca muralis Gärtn., Mauersalat. G. (dürfte wild und nicht angepflanzt
sein).
f 23. Lilium candidum L., Weisse Lilie. Si.
+++ 24. Linum usitatissimum L, Flachs. Fr., G., Si.
+++ 25. Malva Alcea L , Pappelrose. Si.
+++ 20. Matthiola annua Sweet., Blauer Feige). Br., G., R , Si.
+++ 27. Nigella damascena L., Gretchen im Busch. Fr., G., Si. (für Ungarn Woenig
a. a. 0. S. 40).
+++ 28. Paeonia officinalis L., Pfingstrose. Fr., G., Si.
++ 29. Papayer somniferum L, Mohn. Br., Si.
+++ 30. Pelargonium zonale Ait, Pelargonie. Br, B., E., Fr., N.-S., R., Si.
31. Rheum australe Don., Rhabarber. Si.
+++ 32. Robinia pseudacacia L., Akazie. Fr.
+ 33. Rosa canina L , Hundsrose. Fr., G., Si. Nach Unger a. a. 0. S. 18—19
war die Hundsrose auch im alten Griechenland eine Grabespllanze, wie
aus interessanten Stelen von Kypros hervorgeht. Die Früchte dieser
Pflanze werden gleichzeitig mit denen von Symphoricarpus racemosa Mchx.
(s. No. 41) und denen von Ligustrum vulgare L. (in Wien) zu Allerheiligen
zum Verfertigen von auf den Gräbern eingelegten Kreuzen und Kränzen
verwendet (allgemein).
.++f 34. Rosa centifolia L., Kose. Br., G., Si.
+ 35. Salix babylonica L., Trauerweide. E., Si. (für Ungarn Woenig a. a. 0.
S. 40, für N.-ü. Blümml a. a. 0. S. 157).
+++ 3G. Saponaria officinalis L., Seifenkraut. Br., B., Fr., G., Si. (für N.-Ü. Blümml
a. a. 0. S. 157; war ehemals eine Gartenpflanze, und schon Carus Sterne,
Herbst- und Winterblumen, Prag 1886, S. 368 weist darauf hin, dass sie
sich in Friedhöfen findet).
++ 37. Satureja hortensis L., Sadarei. G.
+++ 38. Sedum album L., Mauerpfeffer. Si.
+++ 39. Sedum japonicum Sieb. Fr., G., Si. (Unger a. a. 0. S. 22 führt für die
österreichischen und bayerischen Gebirgsländer Sedum sexangulare L. und
S. Telephium L. an).
40. Silene otites Sin., Leimkraut. Si.
+++ 41. Symphoricarpus racemosa Mchx., Schneebeerstrauch. R., Si. Der Strauch
heisst „Schneeball1-', die Früchte „Todtnbiär" und werden letztere zu Aller-
heiligen in Form von Kreuzen auf die Gräber gelegt (Oberholl.abrunner
Bezirk allgemein). Diese beiden Volksnamen finden sich bei F. Höfer und
M. Kronfeld, Die Volksnamen der niederösterreichischen Pflanzen, Wien
1889, nicht.
I
Weinhold: Kleine Mitteilungen. 213
+++ 42. Tagetes patula L., Studentenblume. Fr.
++ 43. Tanacetum vulgare L. (Chrysanthemum vulgare Bernh.), Katzenschwanz. E.
+ 44. Thuja occidentalis L. Br., B., E., Fr., N.-S., R, Si. (für N.-Ö. G. Beck
a. a. 0. I. Bd., Wien 1890, S. 10). Nach Unger a. a. 0. S. 13—14 ersetzt
diese Pflanze im kalten Klima Cupressus fastigiata D.O.
+++ 45. Typhoides arundinacea Mönch. (Phalaris arundinacea L.) var. pietà L.,
Bandgras. E., Si.
46. Yerbascum thapsiforme Schrad., Königskerze. Fr. (wohl wild und nicht
angepflanzt).
+++ 47. Verbena chamaedryfolia Juss., Eisenkraut. Si.
T 48. Vinca minor L., Singrün. E., Fr., G., Si. War ehemals bei Bestattungen
sehr beliebt, und im 18. Jahrhundert durften weder Jungfrauen noch Jüng-
linge bestattet werden, deren Leichen nicht mit einem Kranze dieses
Krautes geschmückt waren (s. Unger a. a. 0. S. 20—21).
49. Viola tricolor L., Dreifaltigkeitsblume. Br., G., Si.
50. Viola odorata L., Veilchen. Si. Vielleicht könnte auch das Veilchen als
Charakterpflanze aufgeführt werden, es möge dabei an Shakespeare, Hamlet,
V.Aufzug, 1. Scene (Shakespeares dramatische Werke, herausg. durch die
deutsche Shakespeare-Gesellschaft, VI. Bd., Berlin 1869, S. 146) erinnert
werden, wo Laertes in Bezug auf seine Schwester Ophelia sagt:
Legt sie in den Grund,
Und ihrer schönen unbefleckten Hülle
Entspriessen Veilchen!
Soweit reichen die Ergebnisse der bisherigen Erforschung der Fried-
hofsflora in Meder-Osterreich, die gewiss noch eine Erweiterung und Ver-
tiefung zulassen werden, was auch von Seite des Verfassers angestrebt wird.
W i e n.
Kleine Mitteilungen.
Karl Julius Schröer
Am 16. Dezember 1900 starb zu Wien K. J. Schröer, emer. ord. Professor der
deutschen Litteratur an der technischen Hochschule, der auch an unsrer Zeitschrift
mitgearbeitet und die Wissenschaft der Volkskunde in verschiedenen Zweigen
gefördert hat. Wir widmen ihm ein Wort der Erinnerung.
K. J. Schröer war ein Deutschungar. Die Eltern waren Tobias Gottfried Schröer,
Professor am Presburger evangelischen Lyceum, unter dem Namen Christian Oeser
als Verfasser eines litterargeschichtlich-ästhetischen Lehrbuches bekannt, und Eleonore
Theresia Langwieser, jene geistvolle Frau, mit der K. v. Holtei in langem Brief-
wechsel gestanden. In Presburg ward diesem Paare der Sohn Karl Julius am
11. Januar 1825 geboren. Er erhielt seine Bildung auf dem evang. Lyceum seiner
Vaterstadt von 1843—46, besuchte dann die Universitäten Leipzig, Halle und Berlin
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 15
214
Weinhold:
und trat darauf als Supplent seines Vaters bei dem Presburger Lyceum ein. Im
Sommer 1849 schickte ihn der Statthalter von Ungarn, Baron Geringer, unerwartet
mit wichtigen Briefen in das österreichische Hauptquartier zum Höchstkomman-
dierenden, Feldzeugmeister v. Haynau, und dieser behielt ihn als seinen Sekretär
bei sich. Erst im September gelang es ihm, davon enthoben zu werden. Er
ward dann zum supplir. Professor für deutsche Litteratur an der Pester Universität
■ernannt. Seine definitive Anstellung, die der Universitätssenat im Oktober 1851 in
Wien beantragte, scheiterte aber bei Graf Thun an seinem protestantischen Be-
kenntnis. So nahm er denn Anfang 1852 die Professur der deutschen Sprache
und Litteratur an der Presburger Oberrealschule an, in der er bis 1861 blieb, wo
ihm das beginnende Anstürmen des Magyarentums gegen alles Deutsche - seine
Stellung verleidete. Er bewarb sich um das ausgeschriebene Direktorat der ver-
einigten evangelischen Schulen in Wien und erhielt es Anfang 1861. Nach fünf
Jahren gab er dieses Amt auf und trat 1866 als Docent für deutsche Litteratur an
die technische Hochschule über. Im November 1867 erhielt er eine ausserordentliche
Professur, 1891 das Ordinariat. Nach Vollendung des 70. Jahres trat Sehr, be-
stimmungsgemäss in den Ruhestand, Dezember 1895. Leider waren seine letzten
Lebensjahre durch schwere Krankheit heimgesucht, in der die Liebe seiner treff-
lichen Gattin, Frau Hermine von Kohányi, und seiner Kinder sein Trost und Licht
waren. An dem Tage nach der Enthüllung des Wiener Goethedenkmals, für das
er jahrelang eifrig gewirkt und gekämpft, schloss er seine Augen. —
Schröer ist litterarisch sehr thätig gewesen; besonders hat er sich mit Goethe
beschäftigt und in seinen Vorlesungen wie in Büchern davon Kunde gegeben.
Seine sechsbändige Ausgabe von Goethes Dramen in Kürschners Nationallitteratur,
dann der in drei Auflagen verbreitete kommentierte Faust seien nur angeführt.
Wir müssen uns hier auf seine Beteiligung an den Arbeiten für Kenntnis der
Sprache und des geistigsittlichen Lebens des Volkes beschränken. Als Presburger
Schulprogramm erschien 1855 sein Beitrag zur Mythologie und Sittenkunde aus
dem Volksleben der Deutschen in Ungarn. Durch mein Buch: Deutsche Weihnacht-
spiele und -Lieder aus Süddeutschland und Schlesien (Graz 1853) angeregt, forschte
er in deutschen Gegenden Ungarns nach entsprechendem, und die Frucht waren
die wichtigen „Deutsche Weihnachtspiele aus Ungarn" (Wien 1858, dazu ein Nach-
trag in einem Presburger Programm, Presburg 1858. 4°). Im selben Jahre er-
schienen die Ergebnisse einer Forschungsreise in die Zips, um die dortige deutsche
Mundart nach Laut- und Wortbestand aufzunehmen: Beitrag zu einem Wörterbuche
der deutschen Mundarten des ungrischen Berglandes, Wien 1858 (dazu Nachtrag
im selben Jahre). Dazu gehören als Fortsetzungen: Versuch einer Darstellung
der deutschen Mundarten des ungrischen Berglandes, Wien 1864. Die Laute der
deutschen Mundarten des ungrischen Berglandes 1864 (sämtlich in den Sitzungs-
berichten der Wiener Akademie). Später besuchte Schröer die deutsche Sprach-
insel von Gottschee in Krain zu gleichem Zweck. Was er gewonnen, gab er in
seinem Ausflug nach Gottschee, Beitrag zur Erforschung der Gottschewer Mundart
(Wien 1869) und Weitere Mitteilungen über die Mundart von Gottschee (Wien
1870). Es sind das Arbeiten, besonders die über das ungrische Bergland und die
deutschungrischen Weihnachtspiele, die ihren Wert behalten werden; sie sind von
jener warmen Liebe zu dem Deutschtum mitten in fremder gefährlicher Umringung
getragen, die Schröer erfüllte. Warmherzigkeit und Begeisterung für das Gute
und Schöne waren hervorstechende Charakterzüge des Vielen lieben Mannes.
K. Weinhold.
Kleine Mitteilungen.
I
215
Der Palmbuscli in den Niederlanden.
Wir haben in unsrer Zeitschrift wiederholt Mitteilungen über den Palmbusch
in Tirol, Steiermark, Österreich und Salzburg, sowie in Oberbayern erhalten (III, 44
und Tafel 1. VIII, 226. 445. X, 227). Der oberrheinische Palmen ist jüngst von
E. EL Meyer in seinem Badischen Volksleben (Strassburg 1900) S. 92 f. genau
beschrieben worden. So wird es denn auch nicht uninteressant sein, von dem
Palmpaasch in den Niederlanden das zu vernehmen, was in der Volkskunde,
Tijdschrift voor Nederlandsche Folklore (Gent, Deventer) XIÍ, 229. XIII, 52. 81. 104
berichtet worden ist.
Der Palmpaasch ist in Nord-Niederland, namentlich im Osten, sehr bekannt.
Er besteht aus einem Stock, der mit Buchsbaumzweigen (buxus sempervirens L.)
und allerlei Leckereien umgeben ist und wird am Palmsonntag von Kindern in den
Orten herumgetragen, indem sie singen:
Palm, palmpaschen! hei, koerei!
Nog maar eene zondag, dan krijgen wij een ei!
Eén ei is geen ei, Twee ei een half ei,
Drie ei een Paaschei!
Aber es giebt auch verschiedene Formen des Palmpaasch, worüber verwiesen
wird auf Ter Gouw, Volkvermaken (1871), S. 202—205, für die gesungenen Liedchen
auf Nederl. Baker-en Kinderrijmen 4. A. (1894), S. 71. 72 und auf Boekenoogen,
Onze Rijmen in der Zeitschrift De Gids 1894, S. 290.
Herr Dr A. Beets in Leiden, der die Frage nach dem Osterpalm in der Volks-
kunde anregte, beschreibt daselbst XII, 230 einen sehr grossen Palmpaasch, den
er am Palmsonnabend 1900 aus Kam pen in Overyssel erhielt. Das Hauptstück
daran war ein 35 cm hoher Schwan aus Brotteig mit 14 kleinen Schwänchen in
zwei Reihen auf dem Rücken und einer Schwanfrau auf dem Kopf, alles mit Bux-
z we igen und Fähnchen besteckt und mit Schnüren von kleinem Gebäck, Feigen
und Rosinen behangen. Das Ganze war auf einen Dreizack aus Weidenzweigen
gesetzt, in dessen Mitte eine Apfelsine lag. Alles zusammen war 80 cm hoch.
Im Anschluss hieran beschrieb (Volkskunde XIII, 52) Herr L. Knappert in
Assen (Drenthe) einen Palmpaasch, den er Ostern 1889 in Purmerend kaufte.
An einem 60 cm langen Stock waren von unten an gerechnet befestigt ein Apfel,
•eine Feige, ein ausgeblasenes Ei, eine Apfelsine, wieder ein leeres Ei, ein Korinten-
brötchen, dann noch ein Apfel und eine Feige, und an dem Ende ein Schwänchen
aus Kuchenteig. Ausserdem zierten den Palm in dem untersten Apfel zwei Papier-
fähnchen, links blau, rechts orange, und zwei Stechpalmzweige. Im nächsten Apfel
stak an Kupferdraht ein aus Papier geschnittenes Pferd mit zwei Stechpalmzweigen;
ebenso war das Korintenbrötchen mit zwei Fähnchen, einem papiernen Pferde und
mit zwei Stechpalmzweigen besteckt, die das Schwänchen beschatteten.
In Dockum in Friesland kannte man den Palmpaasch vor einigen Jahren
noch; der Teigvogel hiess aber hier eine Ente.
In Deventer (Volkskunde XIII, 81) hat der Palmpaasch den alten Namen
verloren und den neuen Krekelink bekommen. Ein Weissbrotgebäck in Radform
ist das Hauptstück. Die Felgen sind dick, die Speichen dünn. In die Felgen
sind in gewissen Abständen Hölzchen gesteckt, die durch Guirlanden aus Drähten
verbunden sind, worauf Rosinen oder Korinten gezogen wurden. In den Speichen
stecken hier und da Hölzchen mit Rosinen, Fähnlein aus buntem Papier und kleine
Schwänchen mit einem Palmzweiglein auf dem Kopf. Ganz kleine Schwänchen
sind zwischen die Speichen eingebacken. Mitten auf dem Rade sitzt eine Apfelsine
15*
216
Weinhold:
ari einem Stöckchen. Das Ganze ist ziemlich dicht mit Palmzweigchen besetzt
und auf einem horizontal liegenden hölzernen Andreaskreuz befestigt, das auf
einem mit buntem Papier beklebten Tragstocke ruht. "Wenn die Kinder mit ihrem
Krekelink bei den Bauern herumgehen, singen sie:
Pallem, Pallempaosen, ei koerei, ei koerei!
Dan houwe (= hebben we) nog ieene zündag, dan houwe'n ei.
leen ei, dat is gien ei,
Maar twiee ei, dat is'n pallempaos-ei.
Im Limburgschen werden nach der Beschreibung von Dr. J. Schrijnen
(Volkskunde XIII, 106 f.) die Palmhoutjes oder Palmbessems nicht mit- einem
Schwan, sondern einem Hahn gekrönt. Auch in Amsterdam finden wir diesen
Vogel: v. Reinsberg-Düringsfeld beschreibt die dortigen Palmpaschen als Kränze
oder Brezeln aus Brotteig, in denen ein Kreuz liegt, das an einen schön verzierten
Stab gebunden wird. Zwischen Kreuz und Kranz in den vier Winkeln liegen
kleine gebackene Hähnchen, ebenso auf dem Kranz; oben auf dem Stock sitzt ein
etwas grösserer Hahn von Teig. Der ganze Palm ist mit Buchsbaum geschmückt
(Das festliche Jahr S. 124).
Am Palmsaterdag wird in Roermond und Venlo und anderen limburgischen
Orten ein Markt mit Gestellen für den Palmpaasch gehalten, die aus einem Dreizack
von Weidenzweigen mit vielen Palmruten daran bestehen. Diese Gestelle werden
aufgeputzt, und in der Nacht bringen dann die Engel die Palmhoutjes den Kindern.
Diesem niederländischen Palmpaasch ist in der Herstellung und Ausstattung
der oberrheinische Palmen verwandt, der eine 10—12 Fuss lange Gerte oderStange
von verschiedenem Holz zum Halt hat, an deren Spitze eine Krone sitzt, von der
bunte Seiden- oder Papierbänder, Äpfel und bekränzte Heiligenbilder herabhängen;
unter der Krone ist ein quirlförmiger Büschel von Wacholder oder Buchs befestigt.
Aber der oberrheinische Palmen wird in der Kirche geweiht und seine Bestandteile
haben die Kraft geweihter Dinge. Das ist bei dem niederländischen Palmpaasch
vergessen, da die Orte, von denen er geschildert ist, auf protestantischem Boden
liegen. Aber im katholischen Venloo tragen die Kinder ihre Palmhoutjes in die
Kirche und lassen sie gleich den Palmtakjes und Palmbundeis der gläubigen
Menge weihen (Volkskunde XIII, 107).
In seiner einfachsten Gestalt, als buchsbauingeschmückter Stock, ist der Palm
gleich den schlesischen „Sommern" nur die Verkündigung des Frühjahrs in der
Hand gabenheischender Kinder und hat mit den kirchlichen „Palmen" gar nichts
gemein. Auch die Äpfel gehören nicht hierzu, sondern zu den Bäumchen und
Zweigen der Frühjahrszeichen. Das Gebäck, das eine Gabe für die Kinder ist,
welche die Lenzbotschaft bringen, hat sich in dem niederländischen Palmpaasch
fast zur Hauptsache entwickelt. Die Schwangestalt ist charakteristisch für das
Wasserreiche Land, in dem sich auch die Schwansage eine Heimat gesucht hatte.
K. W.
Das Notfeuer im Braunschweigischeii.*)
So viele Orte ich auch auf meinen häufigen Fusswanderungen und Radfahrten
in unserem Herzogtum berührte, fast überall wussten mir die alten Leute vom
„wilden Feuer" zu erzählen, sei es aus eigener Anschauung, sei es aus Mitteilungen
ihrer Eltern, mochte es nun im eigenen oder in einem naheliegenden fremden
1) "Vgl. R. Andree, Braunschweiger Volkskunde, S. 312—316.
Kleine Mitteilungen.
217
Dorfe entfacht sein. Aber der unbestimmten Angabe gegenüber, man habe bei
dem Rotlaufe der Schweine durch ein Stück Holz ein Loch gebohrt und einen
Flachsstrick so lange hindurchgezogen, bis es Feuer gegeben habe, und der ein
wenig sichereren, man habe in Schöningen etwa 1840 in einem Hohlwege bei der
Saline ein Feuer angezündet und die kranken Schafe hindurchgetrieben, stehen
folgende vier bestimmteren Angaben:
In Rennau, hart an unserer Greuze, war im Jahre 1820 eine Schweineseuche.
Da rieben zwei Brüder nach Sonnenuntergang zwei Hölzer so lange, bis sie in
Brand gerieten. Es wurde dann Feuer in einem Hohlwege entfacht, an dessen
beiden Seiten eine Hecke war, und die leidenden Schweine hindurchgetrieben und
zwar mit bestem Erfolge.
In Nordsteimke war 1830 eine Schweineseuche ausgebrochen. Da ent-
zündeten zwei Brüder dadurch Feuer, dass sie ein dünnes Brett in einem Loche
im Eckständer rieben, bis es in Brand kam. Das Feuer wurde mit Zunder auf-
gefangen und in einem Hohlwege mit Stroh, Holzschuhen und Schuhschiarmen
(alten, zerrissenen Schuhen) genährt. Dreimal wurden die Schweine hindurch-
getrieben.
In Papenrode wurde 1850 ein Notfeuer entzündet. Zwei Brüder setzten an
der Drehbank des Stellmachers zwei Hölzer in Brand, fingen das Feuer mit Zunder
auf und trugen es nach einem Hohlwege, der von Hecken eingefasst war. Durch
diesen wurden die kranken Schweine hindurchgetrieben.
In Naensen wurde das letzte Notfeuer Mitte der fünfziger Jahre des 19. Jahr-
hunderts angezündet. Hier rieb der Drechsler ein Stück Holz trocken mit einem
stumpfen Eisen, bis Feuer kam. Dann wurde von jedem Besitzer Stroh gebracht,
und der Hirt ging mit den Schweinen durch das Feuer hindurch. Einen Teil der
Asche nahm sich jeder mit und gab sie den Schweinen ins Futter.
Braunschweig. Otto Schütte.
Weiteres zu den Zaiilberpuppen.
Die von Feilberg (Zeitschrift X, S. 420) gegebene und von R. Andree (IX,
S. 335) angedeutete Erklärung der Zauberpuppen als Dragedukker bezvv. Hecke-
männchen findet eine geradezu entscheidende Bestätigung in einer merkwürdigen
Erzählung aus Herzhorn (Holstein), die von dem dort lebenden Diakonus Hieronymus
Saucke (1694—1739) in seiner „Stormaria oder Hardes-Hörnischen Chronica" auf-
gezeichnet ist und sich handschriftlich in dem dortigen Pfarrarchive befindet.
Müllenhoff hat in seinen Sagen (S. 209) nur den Anfang, D. Detlefsen in seiner
Geschichte der holsteinischen Elbmarschen die ganze Erzählung abgedruckt (Bd. II,
S. 427), der die folgende Inhaltsangabe entnommen ist.
Diese Erzählung, die bei Saucke unter dem Titel „Von der sogenannten
Teuffels Poppe Mönöloke, welche die Leute vormals, umb reich zu werden, haben
hi ihren Kisten sitzen gehabt, auch Von den guten Johann" steht, beginnt mit den
bezeichnenden Worten: „Es hat kurz vor den keyserlichen Kriege sich allhie, ja
durchgehens im lande begeben, dass ein Gespräch unter den Leuten auskommen,
so dass, wenn einer Stillschweigens reich geworden, man von ihm gesaget, es
sehet ihm die Mönöloke aus dem Schubsack." Er berichtet dann, dass diese
Mönöloke eine Teufelspuppe aus weissem Wachs gewesen und erzählt mit Namen-
nennung aller Beteiligten, wie ein Mann zu einer Nachbarin geht, um sich einen
Kornsack zu leihen, wie er die Frau nicht antrifft und von der Tochter an einen
218
Zell er:
Kasten gewiesen wird und dort die mit Rillen an den Blässen versehene Pappe
findet. Auf seine Präge erklärt das Kind: „Wenn meine Mutter Säcke nähet, so
wächset sie den Zwirn damit, welches sehr gut." Nun bricht sich der Nachbar
einen Puss ab und nimmt ihn mit, um auch etwas von dem Zauber zu haben.
Als die Mntter heimkehrt und den Sachverhalt erfährt, geht sie zu dem Nachbar
und fordert den Fuss zurück. Die Sache wird aber ruchbar und gelangt durch
den Verwalter, der die Puppe einzieht, an den Landdrosten. Der Nachbar muss
100 Thaler, die alte Prau eine nicht genannte Busse zahlen. Saucke fügt dann
weiter hinzu, dass der Schwager des Verwalters, bei dem die Puppe deponiert
blieb, sich dieser mehrfach bemächtigte und dadurch reichen Ertrag auf Fisch-
und Jagdzügen hatte. Schliesslich ist die Zauberpuppe von Soldaten aus einer
„kleinen Lade" geraubt und fortgeschleppt werden.
Den seltsamen Namen Mönöloke bringt Detlefsen a. a. 0. mit dem gotischen
manleika, dem althochdeutschen mannalîhho = Menschenbild, Mannesgleich, zu-
sammen. R. Mie Ike.
Bäuerliche Kraftspiele am Abersee (Salzburg).
An den Ufern des Abersees (S. Wolfgangssee im Salzburgischen) besonders
in der vom Verkehrswege ziemlich abseits gelegenen Ortschaft Ried am Fusse
des Schafberges haben sich in der Bevölkerung zwei höchst originelle Kraftspiele
erhalten, die zu gelungener Durchführung eine ganz riesige Muskelstärke er-
fordern.
Die robuste Art dieser beiden Spiele ist so eigenartig, dass man mit Recht der
Vermutung Raum geben darf, sie stammen in ihrer Urwüchsigkeit aus längst ver-
flossenen Zeitläufen und haben sich in einer Gebirgsgegend erhalten, welche durch
ihre noch bis vor wenigen Jahrzehnten bestandenen Weltabgeschiedenheit einen
günstigen Boden für derartige Volkseigentümlichkeiten bot.
Hier in kurzen Zügen eine Beschreibung jener beiden Spiele, welche, wenn
auch selten, so doch ab und zu bei besonderen Festlichkeiten oder Anlässen unter
freiein Himmel, meist auf einer Wiese, vor versammelten Zuschauern von den
kräftigsten Bauernburschen der Umgebung ausgeführt werden.
1. Das Morschen oder Modern.
Auf die Schultern eines aufrechtstehenden Mannes (A) setzt sich ein zweiter
(B) derart, dass dieser seinem Partner den Rücken kehrt. A umklammert Püsse
und Schenkel des auf ihm Sitzenden, diesen so auf Schultern und Nacken fest-
haltend.
B lässt nunmehr seinen Oberkörper bei hochgestreckten Armen über des A
Rücken herabfallen und schlägt mit geballten Fäusten wuchtig in die beiden Knie-
kehlen des aufrechtstehenden A in der Absicht, diesen zu Fall zu bringen. Trotz
der auf ihm ruhenden Körperlast und trotz der Verschiebung des Gleichgewichtes,
welche B durch das Fallenlassen seines Oberkörpers hervorbringt, ist hingegen A
bestrebt, seine Kniesehnen möglichst straff anzuspannen, um so dem dawider ge-
führten Schlage zu begegnen. Gelingt dem A dieser Widerstand nicht,' knickt er
er mit den Knieen ein, oder kommt derselbe gar zum Sturze, so sind seine
Muskeln und Sehnen „morsch" oder „moderig", und daher der Name des Spieles.
Kleine Mitteilungen.
219
2. Das Stockklieben oder Holzspalten.
Zur Durchführung' dieses Kraftspieles sind sechs Männer erforderlich, die sich
in zwei gleich starke Parteien sondern.
I. Partei. Zwei Bauernburschen (A und B) liegen mit voll ausgestrecktem
Körper neben-, besser gesagt aufeinander am Boden, so dass die Püsse des A
dem Kopfe des B gegenüber sind. Mit Armen und Händen umklammert jeder die
Füsse seines Partners und presst sie mit voller Kraft an sich. Zwischen ihren
Körpern, womit sie gleichsam einen Baumstamm oder Holzblock darstellen, liegt
ein dritter Bursche (C), welcher einen in den Block eingedrungenen Keil bildet.
Sein zwischen A und B eingeklemmter Körper ist möglichst spitzwinkelig abgebogen,
so zwar, dass Kopf, Arme und'Füsse auf der einen Seite des „Baumstammes"
vorstehen, während sein Gesäss auf der entgegengesetzten hinausragt.
II. Partei. Weitere zwei Männer (D und E) fassen nunmehr den sechsten
Mitspielenden (F) derart, dass sie je einen Arm und Fuss des F hochziehen,
wodurch auch dessen Körper, ähnlich jenem des C in einen spitzen Winkel ge-
bracht wird.
Nach diesen Vorbereitungen beginnt das eigentliche Spiel, indem D und E
den von ihnen gehaltenen Körper des F in schwingende Bewegung setzen, die
gesteigert wird, bis der Unaussprechliche des F mit voller Wucht auf das Hinter-
teil des C stösst, welcher dadurch aus seiner Umklammerung durch A und B
geschleudert werden soll.
Die grösste Muskelkraft haben bei diesem Volksspiele die den Holzblock
bildenden A und B aufzubieten, um ungeachtet des heftigen Stosses, welchen C
durch F empfängt, diesen zwischen ihren Körpern festzuhalten, die Spaltung des
Holzes durch den Keil gleichsam verhindernd, während C und F im wahren Sinne
des Wortes eine leidende Rolle spielen müssen.
Ohne zerrissene Kleider, Verletzungen, ja selbst Blutvergiessen geht es bei
diesem Kraftspiele wohl selten ab.
Salzburg. Gustav Zeller.
YTolksmeinungen von der bayerisch-österreichischen Grenze.
1. Die Hallthurmer Festungswerke.
Wia noch koa Weg durch'n Wald herauf war un die vieln Händel zwischen
die Boarischen herüb'n und den Bischöflich Salzburgischen drüb'n gwen san, wor
die ganzi Passhöh so vermauert, dass koa Murmentel net durch hot schlieff'n
könna. Da is aaf'n gross'n Thum, der wo noch bei der Bahnstation steht, a Wächter
g'standen, der jed'smal, wenn er von Weiten was hot ôrucka sehg'n oder nur vom
Hören gespannt hot, zu die andern Wächter hot nüborschrei'n müss'n; die ham
nachher zruckgeschrie'n und im ganz'n Wald hot's gehallt — dessweg'n hoasst's
da heunt noch bei'n Hallthurm Es wären auch die Festungsmauern net zu'n der-
zwingen g'wen, wenn net oamôl Oaner aus'n feindlichen Haufen den hoamlichen
Gang ausg'funden hätt', der von die Untersberger Manndl'n gegraben is und mitten
in die Festung führt, da wo's Nixloch liegt.1) Daraufhin is d' Festung zu Fall
1) Das zwischen den Resten der sehr anselmlichen Hallthurmer Festungsmauern
gelegene sogen. Nixloch führt thatsächlich in einen unterirdischen Gang, durch den ein
Erwachsener sich nur mühsam hindurchzwängen kann; doch ist derselbe jetzt teilweise
verschüttet.
220
Raff:
kemma, aber die Mauern siecht ma noch stundenweit im Wald, dô a Trumm un
dort a Trumm; un bei der Nacht thuat's oft noch an langgezognen Schroa, wie
wenn die Wächtersleut' einand rufen thaten.
2. Das Bedauern.
Beim Fuchswirt in Hallthurm war Schlachttag; eine der Dirnen, die Lisi,
stand draussen vor der Thür und gab auf die Frage, warum sie nicht hineingehe,
zur Antwort: „Weil drin a Fâckl abgstochen werd, un dös derbarmt mi so viel,
un damit das Vieh net so arg leid'n muss, geh' i aussi." — Da sie nicht gleich
verstanden ward, erklärte sie sich näher: — „Wenn Oans in der Stub'n is, das
gar z' viel Bedauern mit der Kreatur hat, kô dös Schlachtvieh net versterb'n,
sondern muss si umanandquälen, bis dasjenige, wo also barmherzi is, aus'n Haus
geht. Mei' Vata war a Metzger, un wenn dem amôl a Kaibl net glei auf's Erst'
hî worn is, hat er laut gefragt, wen von die Hausleut dös Thierl gar a so der-
barmt? der soll si schleunen, dass er ausser kimrat, denn ehnder wird dös arme
Viech net hin, wenn aa 's Herz eam mittendurch gestoch'n waar. Mit die Christen-
leut is's schier net viel anders — die leiden aa länger un versterben härter, bald
zu ein grosser Jammer is. Die alt' Wirtin hot's selm verzählt, dass sie net hat
heim bleib'n derf'n bei an Todesfall von ihre Leut', weil sie si so bekümmert
hot, dass in ihren Beisein das Sterbende net hat verscheid'n könna."
3. Vom Auskehren.
Die Wirtin zu Melleck hôt erst a Magd gehabt, dös war eine Schlampen un
eine Raffel. Die Stub'n hôt s' net alii Tag' ausgefegt, bios vor'n Sonntag, un
nachher hôt s' die Thür aufgesperrt, an Reiserbes'n g'numma un Alles, was in'n
Weg war, hinuin herum bei der Thür ausser gekehrt. Wer aber so thut, der
kehrt's Gute mit'n Bös'n aus'n Haus; ordentliche Leut' nehmen a Schauferl her,
laden dös Sach bedachtsam drauf un stauben 's bei'n Fenster naus. Dessweg'n
hôt aa d' Frau die Magd net g'halten; sie hôt alleweil geforchten, die kunnt' ihr
z'letzt noch 's Glück ausserfeg'n.
4. Überschätzter Wert.
Im Österreichischen drüb'n war a alt's Wei', was sie mühsam mit der Milli
von ihre zwoa Geiss'n ernährt hôt. Amol so sitzt s' an der Strass'n un strickt un
lasst die Geiss'n gros n, nachher kimmt a hocher Herr daher, der auf Sommer-
frisch' in der Gegend war, un fangt mit ihr's Reden an. Wia er's gespannt hôt,
dass die Alt' so arm dran is, hôt er ihr well'n a Geiss abkaufen; sie aber hôt si
einbildt', er macht grad an G'spass, un zur Antwort geb'n: sie losst si' net der-
bleck'n. Jetz hôt ers ihr auseinand g'setzt, dass 's eam Ernst is, aber sie hôt
net mög'n un gesagt, koane Geiss kô sie nit herlass'n, sie muass dervô leb'n.
Darauf thut der Herr in sein' Eifer ihr recht a hoch's Gebot auf die eine Geiss
— da hebt das alt' Wei' zu'n Weinen an un sagt: „Jetz hôbt's Ös derzwung'n,
denn jetz muss i's geben, ob ich schon net will. Ös hôbt's die Geiss überboten,
dös is gerad so wia wenn sie war beschrieen word'n — ich hätt' nia mehr a
Glück dermit, also muss i' s' jetz verkaufen." Un sie hôt's Geld mit Weinen
anff'numma un die Geiss dem Herrn nach Haus trieben.
O
5. Die Gedenkladen.1)
Auf dem ganzen Weg von Schnaizlreut bis Lofer sind an den Häusern dunkle
Holzbretter, mit und ohne Bemalung, angenagelt; es ist immer das mittelste Brett
1) Über clie Toten- oder Röbretter vgl. unsre Zeitschrift IV, 4G3. VIII, 205—209. 346.
Kleine Mitteilungen.
221
von denen, worauf ein Toter aufgebahrt gewesen, und trägt die Inschrift „Gedenk-
laden des ehrengeachteten X. X." oder „Christliches Andenken an die tugendsame
X. X." — nebst dem Datum des Todes und einem frommen Spruch. Manche
Hauswand ist völlig von solchen Brettern bedeckt und trägt die Totenliste einer
ganzen Familie. Ein Mann aus Unken, wegen der düstern Sitte befragt, antwortete
mit der Gegenfrage: „Soll eines Menschen Andenken denn in seinem Haus nicht
zurückbleiben?" — und fügte hinzu: ein solches Brett aus Mutwillen oder Eigen-
nutz zu entfernen, sei schwere Sünde, wofür die Seele des verunehrten Gestorbenen
dem Thäter keine Ruhe lassen werde.
München. Helene Raff.
Sterbende werden auf die Erde gelegt.
In der Vita Bennonis episcopi Osnabrugeneis cap. 38 (Monumenta German,
hist. Script. XII. 81), die im 11. Jahrh. vom Abt Norbert von Iburg geschrieben
ist1), wird erzählt, dass der Bischof Benno, als er im Sterben liegt, unter den
Gebeten des Abts und der Mönche aus dem Bett auf eine Decke am Fussboden
gelegt wird (in tapetico deponitur) und dort verscheidet.
Der Brauch, Sterbende aus dem Bett zu heben und auf Stroh auf den Boden
zu legen, ist noch heute aus mehreren deutschen Landschaften nachweisbar
(A. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, § 724) und gehört zu
den mancherlei Volksmitteln, den Todeskampf zu beschleunigen und zu erleichtern.
In Ostpreussen wird der Sterbende zuweilen, wenn er zu schwer stirbt, aus
dem Bett gehoben und auf Stroh oder ein Kissen auf die Erde gelegt (E. Lemke,
Volkstümliches in Ostpreussen, 1, 56. Mohrungen 1884). Um einem Sterbenden
den Tod zu erleichtern, bettet man ihn in Schlesien (Bunzlauer Gegend) auf Stroh
auf den Wechsel, d. i. auf die Stelle, wo die Enden der Stubendiele mit der
Querdiele zusammenstossen (Mitteil. d. Schles. Gesellschaft f. Volkskunde VIII, 14).
In sächsischen Dörfern Siebenbürgens legt man, wenn anderes nicht hilft, den
schwer Sterbenden vom Federbett weg auf Erbsstroh, denn unter den Federn
könnten Taubenfedern sein, auf denen ein Mensch nicht ersterben kann. Schwer-
sterbende Kinder legt man samt dem Bette auf die Stelle, wo sonst der Tisch
steht, also auf den Fussboden (G. Schuller, Volkstümlicher Glaube und Brauch
bei Tod und Begräbnis im Siebenbürger Sachsenlande, Schässburg 1863, S. 40).
In der Oberpfalz legt man den Kranken, der nicht ersterben kann, auf den
Fussboden auf Stroh (Bavaria II, 1, S. 322).
Ein eigentümliches Missverständnis hat den Brauch im Vogtlande, wo er bis
ins 19. Jahrh. bekannt war, verändert: wenn einem Sterbenden der Tod schwer
wurde, stieg jemand auf den Hausboden und drehte eine Schindel im Dache um.
An die Stelle des Fussbodens der Stube ward hier der Dachboden gesetzt und
und dann ein Sympathiemittel für Erreichung des Zwecks erfunden (Witzschel,
Sagen, Sitten und Gebräuche in Thüringen, S. 261. Wien 1878). K. W.
1) Scheffer - Boichorst, Norberts Vita Bennonis eine Fälschung? in den Berliner
Sitzungs-Berichten 1, 132 ff. 1901.
222
Weinhold:
Über das echte Tirolerlied.
In den Innsbrucker Nachrichten vom 13. 14. März 1901. No. 60. Gl unter
dem Strich hat sich Herr Hans Zangerle über die Pflege des echten deutschen
Volksliedes in Tirol und über die Bedrängnis und Gefährdung desselben mit
voller Kenntnis der Verhältnisse ausgesprochen. Die Feinde sind die gewerbs-
mässig in grossen Mengen erzeugten „Salon-Tiroler", die von den meist unter
falscher Plagge segelnden, in irgend einer imitierten Tiroler Tracht in der Welt
herumreisenden „Tiroler National - Sängergesellschaften" mit allerlei Faxen auf-
getischt werden. Dann die abgeschmackten und nichtsnutzigen, nicht selten zoten-
haften Wiener Bänkellieder, die von den Soldaten der seit mehreren Jahren in
Wien und Linz stehenden Tiroler Kaiserjäger-Regimenter bei ihrer Heimkehr
mitgebracht werden. Dem echten Tirolerliede entgegen wirken vielfach auch die
zahlreichen deutschen Gesangvereine im Lande, welche die angeblichen Kärntner-,
Steirer- und Oberösterreicher Lieder von Koschat, Gauby, Blümel u. a. mit Vor-
liebe pflegen und künstlichen Ersatz dem echten Liede vorziehen, das durch seine
natürliche Lebensfreudigkeit sich scharf unterscheidet von der Empfindelei und
Süsslichkeit des sogen. Liedes im Volkston. Herr Zangerle verweist als auf eine
Mustersammlung des wahren Tiroler Volksgesangs auf die „Echten Tiroler Lieder.
Unter Mitwirkung mehrerer Freunde herausgegeben von Franz Friedrich Kohl.
Wien 1899", die unsre Zeitschrift bereits im 10. Bande, S. 109 gebührend em-
pfohlen hat.
Wir wollen über den Vortrag des Tirolerlieds noch einiges aus Hrn. Zangeries
Aufsatz herausheben.
Der Tiroler singt sein Lied auf den Bergen ohne Instrumentbegleitung, im
Thal zur „Quitarre"; im Unterinnthal und seinen Seitenthälern zur Zither. Hack-
brett und Maultrommeln sind fast verschwenden. Am häufigsten wird der ein-
stimmige, wie der meist zweistimmige weibliche Gesang von Zither und Laute
begleitet.
Die Männergesänge hört man meist vierstimmig. Träger der Melodie ist der
erste Tenor oder zuweilen ein kräftiger Bariton. Die hohen Töne der beiden
Tenore, manchmal auch des ersten Basses (e f g) werden fast ausschliesslich mit
Fistelstimme gesungen. Der erste Bass, im Volke der Grade oder der Aushalter
genannt, singt, soweit die Harmonie es gestattet, fast durchaus die Quinte zur
Melodie. Der zweite Bass singt ganz schlicht den Grundton.
Der Jodler scheint früher in Tirol durchaus nicht so häufig gewesen, als
heute, wo er selbst im Schnaderhüpfl manchmal jedem Strophenverse zugefügt
wird. Ja es werden in Tirol selbst Jodler, ohne sich einem Liede mit Worten
anzuschliessen, ein-, zwei- und auch drei- und vierstimmig gesungen. Trotz aller
Vorliebe der heutigen Tiroler für den Jodler ist derselbe nach dem Urteil von
Hrn. Z. nicht so reich entwickelt als in Steiermark. K. W.
Wochenzettel für den kärntischen Banerntiscli.
Aus der Gemeinde Stockenboj.
Erstes Frühstück (Frúastik) bei Tagesanbruch, Sommers um 4—5 Uhr.
Plenten, d. i. schmarrenartige Polenta aus Mais(Türken oder Kukurutz)-
Mehl, mit abgekochter (gsottner) süsser Milch.
Kleine Mitteilungen.
22,3
Zweites Frühstück (Vorjausen oder Hàlbmittàg) um 9—10 Uhr.
Schwarzbrot (Roggenbrot) mit saurer Milch oder mit Käse (Käs) oder
mit Gselchtm (Räucherfleisch) oder mit Speck und mit Schnaps, d. i.
echtem Obst- oder Beerenbranntwein, der leider vom Kärntner Landvolk
übermässig genossen wird.
Mittagessen (Jausen, slovenisch jushina, Ableitung von jug, Süd, Mittag).
Tägliches Vorricht oder Vormahl ist im Sommer Salat mit selbst-
gemachtem Essig und saurem Rahm oder Leinöl. Das eigentliche Mahl
besteht
Sonntags aus Gerstbrein, d. i. Brei oder Mus aus enthülster Gerste (g'rolltem
Gerschtl), gekocht in der Brühe von gselchtem Schwein- oder Rindfleisch,
welches in Würfel geschnitten, eingelegt wird. Dazu im Sommer grüner
Kopfsalat oder frische Gurken (Murkn), im Herbst Krautsalat (Köpflsalat)
mit Kartoffeln (Grundbirn, Flötzbirn) oder Ronen (roten Rüben) und Brot.
Montags: Störzerknödel, d. s. Knödel aus Mehl und gesottenem oder geselchtem
Fleisch in der Fleischbrühe, mit Sauerkraut oder Salat.
Dienstags (Erchtigs): Plenten mit Schmalz (zerlassener Butter) oder Speck und
saure Milch.
Mittwochs (Mittigs): Nudeln, d. s. Nocken gefüllt meist mit Schotten oder Topfen
(weichem Molkenkäse), gemischt mit Brei aus Hirse oder Pfenich (Kolben-
hirse, panicum) und Kerbel kraut, oder gefüllt mit Klötznmöl (zerriebenen
gedörrten Birnen) und Kartoffelbrei, oder mit Mohn (mâgn) oder Obst-
gehäcksel.
Donnerstags (Pfinztigs), wie Sonntags.
Freitags, wie Mittwochs.
Samstags, wie Dienstags, oder Mehlbrein (Mus aus Maismehl) gemischt mit Hirse.
Wird statt des gewöhnlichen Hirses Fenich genommen, so heisst es
Kleinbrein.
Vesperbrot (Schpâtjausn) um 3—4 Uhr: Schwarzbrot mit saurer Milch oder mit
Branntwein oder mit Obst.
Nachtmahl um 7—8 Uhr, gewöhnlich Hirsebrei in Wasser gekocht mit Speck;
dazu saure Milch oder Milchsuppe mit Brotschnitten, oder Farferln (d. i.
zerriebene Teigbrocken) mit Speck in Wasser oder ohne Speck in Milch
gekocht. Ei wird selten den Farferln beigemischt.
Samstagsabend werden Plattlen (tellerförmige Kuchen), oder Germnudeln mit Salat
(im Sommer) gegessen; darnach Milch mit eingebrockten Nocken oder
Plattlen.
An den grossen Feiertagen, den Kirchtagen, Kindlmalen (Taufschmausen), Hoch-
zeiten, Bestattungen (Begräbnissen) giebt es eine Menge anderer Speisen,
worüber man sehe E. Schatzmayr, Deutschlands Norden und Süden,
Braunschweig 1870, S. 28—31. K. W.
Das Hutzahaus im Egerland.
Sowie die Mädchen des Egerlandes zur Winterszeit ihre Rockenstuben hatten,
so sammelten sich die jungen Burschen in den „Hutzahäusern", um die langen
Winternächte in Geselligkeit zu verbringen. Hutzen gehen heisst auf Besuch gehen,
Schmeller, B. Wb. Ia, 1195; Hutzenhäuser sind also Häuser, in denen man auf
Besuche eingerichtet ist.
224
Köhler, Vetter:
Die Besitzer dieser Hutzahäuser waren keine Bauersleute, sondern Häusler
mit ein wenig Feldbau und einer oder zwei Kühen. Sie lebten meist in Dürftig-
keit, genossen aber wegen ihres sicheren und dreisten Auftretens bei der bäuer-
lichen Bevölkerung ein gewisses Ansehen, wenn auch nicht bei den Alten, so
doch bei den Jungen. Sie waren die in alle Verhältnisse des Dorfes und der
einzelnen Familien Eingeweihten und somit oft wichtige Vertrauenspersonen, als
welche sie dann jede günstige Gelegenheit in schlauer Weise für sich und ihre
Zwecke ausnützten. Doch mussten sie dabei viel Unannehmlichkeiten mit hin-
nehmen: so eine jeden "Winterabend von Neugierigen überfüllte, qualmende Stube,
welche den nächsten Morgen einer gründlichen Reinigung bedurfte, manche un-
ruhige schlaflose Nacht, manch derbes Wort. Der Vorteile halber aber nahmen
sie diese und noch andere Widerwärtigkeiten gern in den Kauf.
Die Unterhaltung im Hutzahaus war verschieden. War „Geld beim Zeug",
dann füllte ein „Färbi" oder „Einundzwanzig-Spiel"1) die Zeit des Abends aus;
kam einmal der gewandte und gewohnte Erzähler der Räuber- und Schauer-
geschichten herein, dann lauschte alles in atemloser Stille diesem; sollte der
„Nikles" irgendwo seinen Unfug treiben, von hieraus wurde er geschickt; wollte
man einem Missliebigen im Dorfe einen Schabernack anthun, z.B. den Wirtschafts-
wagen auf das Dach stellen, hier wurde es ausgetüpfelt; konnte man zu Zeiten
durch „Spiessrecken"2) einen guten Bissen erlangen, von hier aus gingen die
Töpfe; kam die Zeit des Schweineschlachtens, des Pökelfleisches, des geräucherten
Fleisches, dann wurde Lug und Trug getrieben, um Fleisch aus der Speisekammer,
aus dem Fasse oder aus dem Rauchfange der Besitzer — oft der eigenen Eltern —
zu bekommen; im Hutzahause war der Schmaus. Zuweilen fing man die Gänse
und Enten in der Nacht aus dem Teiche oder aus dem Stalle, um sie in Gemein-
schaft zu verzehren. Hier trieb man auch das „Tisch!rucken""3) und das „Sieb-
laufen" 4).
Der „Hutzavota" und die „Hutzamouta" aber gingen bei all diesem Treiben
nie leer aus. Wer keinen Teil an all dem daselbst hatte, das war die „Wawa"
(Grossmutter) im Hause, die jeden Abend ihr Spinnrad drehte und allen Vorgängen
gegenüber blind und taub und stumm zu sein schien. Und „hinta da Holl"
(hinterm Ofen) sassen zuweilen zwei Liebende, gleichfalls für ihre Umgebung
teilnahmslos, denn obwohl hierzulande gewöhnlich nur aus praktischen Rücksichten
geheiratet wurde, so schlich sich doch auch nicht selten die echte Liebe in die
Herzen zweier Egerländer ein.
Mühlessen bei Eger. Jos. Köhler.
Schwäbische Beiträge zu Blümml und Rott, Verwendung der Pflanzen.
(Oben S. 49ff.)
Gerade wie die Taubnessel (No. 91) giebt die Akelei (Akelei, Aquilegium
vulgare) in ihren spornähnlichen Blumenblättern den „g'schlürigen" Knaben und
Mädchen einen süssen Trunk.
1) „Färbl" und „Einundzwanzig-Spiel", letzteres gewöhnlich „Hoppen" genannt, zwei
in früheren Zeiten hier sehr gebräuchliche Hazardspiele.
2) Beim „Spiessrecken" schickte man in die Häuser, wo Kindtauf- oder Hochzeits-
schmause abgehalten wurden, Töpfe, um Kücheln, Fleisch, Knödeln u. a. zu erhalten.
3) Das „Tischlrucken" bestand darin, dass man von einem in Bewegung gesetzten
Tischlein Auskunft über die Zukunft verlangte.
4) Das „Sieblaufen", ein abergläubisches Mittel, um Diebstähle zu erkundschaften.
Kleine Mitteilungeil.
225
Die Früchte der Essigbeere (Berberís vulgaris) erfreuen sich bei unserer
Jugend einer sehr grossen Beliebtheit. Diese Beeren bilden stets in dem Inventar
der Hosentasche eines Buben aus den Lechauen einen Hauptbestandteil.
Zu 14. Buche. Die jungen Blatttriebe werden mit besonderer Vorliebe ver-
speist.
Zu 25. Die Früchte der Kartoffel heissen im Ries, Gegend um Nördlingen
im bayerischen Nordschwaben, Stucka und werden dort von den Kindern als
Wurfgeschosse benutzt, .indem man sie an spitzige Holzstäbe spiesst und fort-
schleudert.
Das „Hasaschättele" (Aegopodium podagraria) liefert in seinen jungen Trieben
schon um Ostern herum Material zu Nestchen für die Osterhaseneier; auch werden
die Blättchen dieses Krautes zum Bemustern der mit einem Abend von Zwiebel-
schalen braun gefärbten Ostereier sehr häufig benutzt.
Zu 43. Herbstzeitlose. Im Ries nennt man die Früchte dieser Giftpflanze
„Heemutschla", man steckt vier kleine kurze Hölzchen darein, und das Kind bildet
sich dann eine kleine Viehherde als Spielzeug.
Das Hiëtatâschla (Hirtentäschchen, capsella bursa pastoris) liefert den Gärtner
spielenden Kindern in seinen Früchtchen das für den Einkauf nötige Geld.
Zu 46. Holunder. Aus etwa 30—35 cm langen und ungefähr 3 cm starken
Aststücken wird das Mark herausgenommen. In die dadurch entstandene Röhre
wird mittels eines Stöpsels, welcher leicht in dieser Röhre sich auf- und nieder-
bewegen lässt und unten einen verdickten Handgriff hat, aus gewöhnlich mit
Speichel angefeuchtetem Wergstück ein Pfropfen gebildet und mittels jenes Stöpsels
bis an die vordere Öffnung der Röhre geschoben. Dann wird ein zweites solches
Wergstück angefertigt und mit kräftigem Stosse in die Röhre hineingetrieben, so
dass ein lauter Knall entsteht und die zuerst hineingestossene Wergkugel hinaus-
getrieben wird. Dieses Spielzeug wird „Holderknalle" geheissen und erfreut sich
bei der Rieser Jugend der grössten Beliebtheit.
Der „türkische Holder" (Syringa vulgaris) liefert „de schwäbische Mädla"
einen sehr billigen, schönen und zugleich wohlriechenden Schmuck. Die Blüten-
kelche werden ineinander gesteckt, bis ein Ring oder eine Kette entsteht. Solcher
Schmuck gilt als was besonders Feines, es gehört aber Kunstfertigkeit dazu.
Die Frucht des Löwenzahns gilt kleinen Kindern als Laterne und wird, wo
sie nur zu erhaschen ist, gierig ausgeblasen und mit den Fingern nach dem
davonfliegenden Samen gehascht.
Zu 61. Massliebchen (Bellis perennis). Die kleinen, auf dem dicken Frucht-
boden aufsitzenden Blütchen werden abgelöst, in die Höhe geworfen und mit dem
Handrücken aufgefangen. Wieviel nun solcher Blütchen auf dem Handrücken zu
fallen kommen, soviel Kinder wird man dereinst erhalten. (Haunstetten, 6 km
südlich von Augsburg.)
Papaver Rhoeas, Mohn. Die kleinen Mädchen machen „Docken", d.i. Puppen,
indem sie die Blumenblätter zurückbiegen; die Samenkapsel mit den Staubfäden
bildet das Köpfchen und die Blumenblätter das Kleid.
Zu 81. Die Früchte Rosskastanie werden durchlöchert an Schnüre gefasst
und von kleinen Kindern als Halsschmuck getragen.
Saponaria officinalis, das Seifenkraut, liefert im Sommer badenden Knaben
und Mädchen billiges Seifenmaterial, denn aus dem Kraut und hauptsächlich aus
der Wurzel wird ein seifenartiger Schaum gepresst, der die der Seife bedürftigen
jugendlichen Körper säubern soll.
226
Weinhold: Kleine Mitteilungen.
Die Wasserrosen (nuphar luteum) soll man nicht brechen, denn wo sie
wachsen, hat das Wetter ins Wasser geschlagen. Aber man reisst sie doch hier
und da heraus und macht aus den der Reife nahen Fruchtknoten „Butterbäplau
und „Ölkrügla".
Zu 95. Die Wegerichblüte wird in Oberschwaben von den Kindern als
„ Butter brötle" gegessen.
Zu 100. Der Wiesenbocksbart heisst im Ries: Guggl und auch Met, und
wird meistens von den Kindern ganz und gar verzehrt; in der Gegend gegen das
Allgäu zu nennt man ihn auch „Purzenstengel".
Augsburg. August Yetter.
Zu dem Cambridger Augensegen.
(Zeitschrift XI, 79.)
Z. 5 für suzblatrun ist zu lesen scuzblatrun, wie zu lernen ist aus dem Deutschen"
Krankheitsnamenbuch von M. Höfler, München 1899, S. 52. 877.
Zu G wäre zu verweisen gewesen zunächst auf die Althochdeutschen Glossen
von Steinmeyer und Sievers III, 476, 30—34: ordiolus est paruissima et purulenta
€ollectio in pilis palpebrarum constituía in medio lata, ex utroque conducta, ordei
granum simulans hertprat, wozu Steinmeyer anmerkt: bisher unbekannter Name
des Gerstenkorns. Er deutete das Wort, und hält noch jetzt daran fest, als „hartes
Fleisch*. Auch hier hätte von mir auf Höflers Deutsches Krankheitsnamenbuch
verwiesen werden sollen, S. 879, der die Bedeutung Gerstenkorn betont und
schriftlich den weissen und den roten hürbraten des St. Blasier Augensegen daraus
erklärt, dass das Gerstenkorn unreif rot ist und durch die Eiterung weiss wird.
Höfler verweist auch auf weitere Wortbelege in der Zeitschrift Alemannia, die ich
genauer und durch andere vermehrt hier geben will.
Aus cod. palat. germ. 244: Alemannia XXV, 264 ich segen dir aus deinen
äugen das weis und das rodt und den frischen herbroten und das flos und das
fell — S. 265. du seiest bloter, du seiest male, du seiest iliech — du seiest röde
oder du seiest laider h er brate.
Ebendaher: Alemannia XXVII, 108 bistu feil oder augenfeil, prafell, aug-
geschwer, vngenant giht, schus, wetter, der herbrant, der nageil, das hippischert,
das maslaid. — S. 110. das das feil noch der nebel noch der nagel noch der
herbrodt noch der zinck noch der zamse noch das geschos noch das gehilb noch
das vberbluet noch die bloter noch das dobent gesuecht nicht mer in den äugen
zunemen.
In dem Segen gegen Fleck im Auge, den H.Zahler, Die Krankheit im Volks-
glauben des Simmenthals (Bern 1898), S. 106 mitteilt, heisst es: was hest in deinen
äugen den nagel oder den fläcken den weissen oder den rotten oder den bluts-
rodten oder den heirbratden und die siben und sibentziger lei gesücht.
K. W.
Nachtrag zum Traum vom Schatz auf der Brücke.
(Zu Zeitschrift X, 432.)
In den „Blättern für pommersche Volkskunde" 9, S. 49f. teilt nun A. Brunk
eine sehr interessante Fassung dieser Sage aus Garzigar in Hinterpommern mit.
Bartels: Biiclieranzeigen.
227
Das Ergebnis spielt sich hier auf der „grünen Brücke" in Berlin ab. Ferner
werde ich erst jetzt darauf aufmerksam gemacht, dass V. Tille in Veckenstedts
Zeitschrift für Volkskunde 3, S. 132—136 noch einige czechische Versionen bei-
bringt und auf ein verwandtes Motiv in 1001 Nacht (ed. Weil. 1890, IV, S. 46/7)
hinweist. A. Hauff en.
Bxicheranzeigen.
L. Stieda, Anatomisch-archäologische Studien. I. Über die ältesten
bildlichen Darstellungen der Leber. Mit 5 Abbildungen auf Tafel I.
II. Anatomisches über alt-italische Weihgeschenke (Donaría). Mit
28 Abbildungen auf den Tafeln II. III und IV. V. Sonderabdruck
aus Bonnet-Merkels Anatomischen Heften (Band 15. 16). Wiesbaden,
Verlag von J. F. Bergmann. 131 S. gr. 8°.
Die Sitte, Nachbildungen menschlicher Körperteile, wie wir sie aus unseren
deutschen Alpenländern und durch Heinrich Heines bekanntes Gedicht aus der
Wallfahrtskirche in Kevelaar kennen, ist, wie zahlreiche archäologische Funde
beweisen, auch im heidnischen Altertum gebräuchlich gewesen. Allerdings waren,
soviel wir wissen, diese antiken Votivgaben nicht aus Wachs gefertigt worden,
wenigstens sind uns keine solchen erhalten geblieben; was davon auf uns ge-
kommen ist, das besteht überwiegend aus gebranntem Thon; einige wenige Stücke
sind auch aus Marmor. Der Verfasser behandelt nur die in Italien gefundenen
Donaria, deren er eine sehr grosse aus eigenem Augenschein kennen gelernt hat.
Die Mehrzahl derselben stammt aus dem alten Tempel des Äskulap auf der Tiber-
insel in Rom, dessen Cella vor vielen Jahrhunderten unterspült und in den Tiber
hinabgestürzt war, und dessen in dieser Cella niedergelegten Votivgaben frommer
Stifter bei den Baggerarbeiten der Tiber - Regulierung im Jahre 1888 gehoben
wurden; ferner aus Veji, Civita Lavinia, Civita Castellana u. s. w. und endlich
auch aus einem Heiligtum der Diana in Nemi, welche Göttin als Geburtshelferin
verehrt und hierdurch auch wohl zur Helferin in allerlei anderen Leiden des
Körpers wurde. Aber auch bei anderen Ausgrabungen hat man solche römischen
Exvotis gefunden. Über die Häufigkeit derselben, von denen sich viele Stücke
in den verschiedensten Museen Europas finden, erhalten wir eine Vorstellung,
wenn wir hören, dass in dem Museo nazionale in Rom von der Nachbildung
eines einzigen Körperteils (eines Unterleibsorgans der Frauen) 102 Exemplare vor-
handen sind. Diese Votivgaben sind gewöhnlich aus einem rötlichen Thone her-
gestellt, und bei vielen Stücken vermag man noch die deutlichen Spuren einer
Bemalung zu erkennen.
Es handelt sich um ganze oder halbe Köpfe, Augen, Ohren, Nasen, Lippen,
Hände, Füsse, Brüste und Unterleibsorgane, und dann noch um eine sehr merk-
würdige Gruppe, welche aufgeschnittene Bäuche darstellt. Für die plastische
Wiedergabe von Krankheitssymptomen bieten diese Donaria keinen Anhalt; denn
es handelt sich hier in allen Fällen um gesunde Körperteile. Das ist für uns
228
Bartels:
auch vollkommen begreiflich, denn der Kranke erbittet durch die Weihgabe ja
natürlicherweise nicht ein krankes, sondern ein völlig gesundes Glied. Würde er
ein krankes Glied opfern, dann könnte sich die Gottheit ja dieses als Beispiel für
sein Gnadengeschenk wählen. Über den Zeitpunkt, wann die Kranken oder deren
Angehörige derartige Exvotis in den Tempeln niedergelegt haben, ist man ver-
schiedener Ansicht gewesen. Die einen meinten, dass es bei der Erkrankung, die
anderen, dass es nach der glücklich erfolgten Heilung stattgefunden habe. Wahr-
scheinlich ist beides vorgekommen, doch das erstere war gewiss das bei weitem
häufigere.
Übrigens haben auch wohl nicht alle diese Nachbildungen von menschlichen
Körperteilen mit Erkrankungen etwas zu thun. Hände mit den ausgestreckten
drei ersten und dem eingeschlagenen vierten und fünften Finger, sogen. Schwur-
hände, sind vielleicht das sichtbare Zeichen eines abgelegten Gelübdes gewesen,
während Füsse, und namentlich solche mit angeschnürter Sandale, vermutlich das
Weihgeschenk entweder für eine bevorstehende oder für eine glücklich vollendete
Reise gewesen sind.
Noch nicht hinreichend sicher erklärt in ihrer anatomischen Bedeutung sind
die oben erwähnten Gebilde, die in so auffallend grosser Menge sich gefunden
haben. Übereinstimmung über sie herrscht nur darin, dass sie nach der allge-
meinen Annahme bei Beschwerden des weiblichen Körpers geopfert worden sind.
Schwer verständlich, auch in anatomischer Beziehung, sind die Darstellungen des
geöffneten Unterleibs. Der Verfasser weist überzeugend nach, dass sie keinen
Gegenbeweis gegen die allgemeine, wissenschaftliche Anschauung liefern, dass den
alten Römern die Anatomie des menschlichen Körpers durch die Anschauung
geöffneter Leichen unbekannt gewesen sei. Denn wir haben hier nicht den Aus-
druck wissenschaftlicher Kenntnisse auf dem Gebinde der menschlichen Zer-
gliederungskunst, sondern nur die schematischen Darstellungen von unwissenden
Handwerkern vor uns, welche ihre Anschauungen von geschlachteten Tieren her-
genommen haben. Unter welchen Umständen oder bei welchen Erkrankungen
diese Stücke geopfert wurden, das ist bisher noch unaufgeklärt.
Vorangestellt hat der Verfasser die Beschreibung von drei Altertumsfunden,
welche untereinander eine grosse Übereinstimmung besitzen. Es sind flache Ge-
bilde mit abgerundeten Ecken, aus deren oberer, konvexer Fläche sich eigentümlich
gestaltete, kegelförmige Fortsätze erheben. Das eine Stück, aus Bronze gefertigt,
wurde bei Piacenza gefunden. Es ist von den Archäologen erst für ein Acker-
gerät, dann für das Modell eines etruskischen Tempels und endlich für die Dar-
stellung einer Leber gehalten worden. Ein anderes, um vieles älteres Stück, aus
Marmor, fand sich in Babylonien, und das dritte Exemplar hat die Marmorfigur
eines Mannes in der Hand, die den Deckel einer etruskischen Aschenurne in dem
Museum von Volterra bildet. Der Verfasser tritt dafür ein, dass es sich hier bei
allen drei Stücken um die Darstellung von Schafslebern handele, und er weist
durch anatomische Untersuchungen nach, dass von allen Haustieren das Schaf die
in ihrer Gestalt und Form am meisten Variationen bietende Leber besitze, und
dass dieselbe aus diesem Grunde in ganz hervorragender Weise geeignet sei, den
Opferbeschauern als günstige Grundlage für ihre Orakelsprüche zu dienen. Die
beiden Stücke aus Piacenza und Babylonien hält er für Lehrmodelle für die
Priesterschüler der Haruspices; dafür spricht bei der babylonischen Leber eine
Einteilung der Oberfläche in kleine Quadrate. In der Figur des Verstorbenen in
Volterra muss man dann einen einstmaligen Opferpriester erkennen.
Bücheranzeigen.
229
33 sehr gute Abbildungen auf 5 Tafeln, die zum grössten Teile in Autotypie
ausgeführt worden sind, hat der Verfasser zum besseren Verständnis seinem Werke
beigegeben. Eine Fortsetzung dieser Untersuchungen, für welche der Verfasser
als Professor der Anatomie ganz besonders berufen ist, hat derselbe in Aussicht
gestellt. Es muss hier, wie wir gesehen haben, noch manche volkskundliche
Frage ihrer endgültigen Lösung entgegengeführt werden. Max Bartels.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt. Von Anton E. Schim-
bach. 2. Stück: Zeugnisse Bertholds von Regensburg zur
Volkskunde. Aus den Sitzungsberichten der Wiener Akademie,
philos.-hist. Klasse, Bd. CXLII, No. VIT. Wien, Gerolds Sohn, 1900.
156 S. 8°.
Soweit als man die Predigten des grossen Minoriten Berthold für die Kultur-
geschichte ausnutzte, hielt man sich an die deutschen, da von den lateinischen
nicht eben viele gedruckt sind. Um so dankenswerter ist, dass Schönbach bei
seinen umfänglichen und eindringenden Studien über die mittelalterliche Predigt
in Deutschland unter Benutzung der gedruckten Reden und von sechs oder sieben
handschriftlichen Sammlungen gerade die lateinischen Aufzeichnungen ausgebeutet
hat, und zwar im besonderen für die Volkskunde. Dass er diesen Begriff nicht
zu eng fasste und allerlei heranzog, was sich mit der Gelehrsamkeit des Mittel-
alters berührt, war wohlgethan. So finden wir gleich zu Anfang einen Hinweis
auf Ansätze zum Seelenglauben in der kirchlichen Lehre und mit der Legende
von der heil. Afra dürfte es zusammenhängen, wenn in Augsburg Venus Ver-
ehrung genossen haben soll. Parallel dazu Astaroth in Baiern. Nur sehr vor-
sichtig deutet Sch. hierbei auf die nicht unangefochtene Göttin Ostara, hätte aber
die Personen- und Ortsnamen mit Ostar als erstem Teil lieber nicht heranziehen
sollen, da Ostar in ihnen, wie entsprechende Bildungen mit West, Süd, Nord
lehren, nur Lage oder Herkunft in oder von Osten bezeichnet und ihr häufigeres
Vorkommen im deutschen Osten nicht erstaunen kann. Gelehrten Anstrich hat
auch noch Bertholds Deutung der deutschen Namen der Wochentage, wobei Dienstag
— natürlich als dies servitù gefasst — einen merkwürdig frühen Beleg für das
Eindringen dieser Bezeichnung in Bayern an Stelle des heute noch dort üblichen
Eri- Er- Erchtag liefert. Auf eine nicht ganz sichere Stelle über Wassergeister
folgt eine, die Sch. auf gespenstische Bosse beziehen möchte. Es muss aber in
dem Worte demonum der Verbindung equi demonum timbratici ein Fehler stecken,
nicht sowohl deswegen, weil in den verwandten Stellen bei equi timbratici, equi
umbrátiles das demonum fehlt, als deswegen, weil man sich gespenstische Rosse
kaum als scheu und furchtsam denken wird und der Zusammenhang lehrt, dass
hier leibhaftige Pferde verglichen werden. Vielleicht ist statt demonü zu lesen
dementes. Umbráticas, umbratilis aber ist ein Pferd, wenn es an der timbra, mhd.
scheine, nhd. Schemen leidet, einer Augenkrankheit, die es am deutlichen Sehen
hindert; vgl. Lexer 2, 698. D. Wb. 8, 2538, No. 5. (Die Konjektur zu Ulrich
von Lichtenstein kann ich gerade wegen der von Sch. citierten Verse aus der
Virginal nicht annehmen.) An anderen Stellen aber ist wirklich vom nächtlichen
Reiten der Dämonen und Hexen die Rede.
Da die Termini technici in den Predigten gern deutsch gegeben werden, kann
uns Sch. aus ihnen den bis jetzt ältesten mhd. Beleg für Werwolf liefern. Es
folgen Angaben über die Tauf- und Sterbekerze, über Wahrsagerinnen und Wahr-
Zeitschr. d. Vereins i. Volkskunde. 1901 lß
230
ßoediger:
sager — merkwürdig die Enthauptung als Strafe! — und andere Gauner, über
allerhand ans Heidentum gemahnende und gespenstische Wesen: Holden und Un-
holden, Bilwisse, Nachtfahren und Nachtfrauen, Maren, Truten (Alpe). Die saligen
Fräulein werden als felices dominae hier zum erstenmale ausdrücklich genannt; man
rüstet ihnen zur Nacht einen Tisch mit Speisen. Verschiedene Arten von Zauber
und Aberglauben stehen mit religiösen Cärimonien und Anschauungen in Verbindung:
Zauber mit der Hostie, Parodien der Taufe, das Totbeten (mortbeten) u. s. w. Zum
Zauber mit Wachsbildern wäre noch auf unsre Zeitschrift 9, 332 f. zu verweisen.
Behufs der Weissagung werden Fingernägel, Schwerter, Wasser, Knochen beschaut;
ein Verfahren mit Schafschädeln wird nicht klar. An der Stelle, die vom Ersatz
des herausgenommenen Herzens durch Stroh handelt, scheint mir noch ein zweites
erwähnt zu sein, das Sch. nicht heraushebt: de palea pro corde, quod puer sit mutalus
— das Verwechseln der Kinder, worauf auch eine später erwähnte Äusserung
führen dürfte. Sie bleibt leider, wie so manche andere, dunkel, weil diese Predigten
nicht völlig ausgearbeitet sind, sondern nur Anhaltspunkte für das Gedächtnis
geben und sich nicht selten mit Stichworten begnügen. Neben das Niederwerfen
des Handgeldes, des ersten Erlöses, durch den Verkäufer stellt sich das nicht er-
wähnte Bespeien. Über den A.ngang sagt Berthold u. a.: Si occurrit sanctus sacerdos,
timet malum; si canis immundus, scabiosus, sperat bonum. — similiter, si lupus et
lepos. Sch. hält den unreinen, räudigen Hund für identisch mit dem Wolf, wo-
gegen sich doch similiter sträubt.
Eine höchst lehrreiche und anziehende Erörterung von 15 Seiten wird den
Namen der Betonica officinalis und ihrer Rolle im Aberglauben gewidmet. Sie
ergiebt, dass im Grunde nichts volkstümlich Deutsches daran ist, was Sch. denen
warnend vorhält, die den Aberglauben zur Grundlage der Mythologie machen
möchten. Der Glaube an die Wirkungen der Betonica wurzelt in der antiken
Gelehrsamkeit. Ähnlich stehts mit dem Glauben an die Kräfte von Steinen, deren
Berthold ebenfalls gedenkt. Hier hätten S. 98 die Steinbücher herangezogen werden
können, was nur S. 53 f. geschehen ist. Merkwürdig ist der stählerne Schild im
Weinberg als Abwehr von Unwetter.
Zu den litterarischen Gebieten leiten uns andere Excerpte hinüber. Im An-
schluss an sie sind S. 56—89 die Klassen der Spielleute und ihre Bezeichnungen
sorgsam untersucht worden. Von einigen Bedenken, die ich hege, erwähne ich
nur, dass in ahd. scern das n nicht wurzelhaft sein kann, weil das Verbum scerôn
und scherzen, scherz, scharz davon abzutrennen wirklich kein Grund vorliegt und
wir an lat. scurra, griech. crxa'pw und xópòc.^, skr. kürdati unzweifelhafte Verwandte
besitzen (E. Zupitza, Die german. Gutturale 155). Sie führen aber alle auf die
Grundbedeutung Springer, Tänzer, nicht Karrikierer, antarâri, wozu stimmt, dass
in den ältesten Stellen scirno als Glosse für scurra dient, das zugleich durch
tamari wiedergegeben wird, d. h. eben Springer, Tänzer. Vgl. auch thymelicus
scirno. Ferner kommen zur Sprache Volkslied und Volksepos, — Crimhilt,
Chreimhilda, mit dem treffenden Beiwort amara, in der milderen Auffassung der
späteren Zeit; mit dem rumor de Ditrico, der nur aus aliquibus verbis besteht,
kann schwerlich Eckenlied oder Laurin gemeint sein, sondern nur eine kürzere
Ballade —, der starke Boppe (wichtig!), märchenhafte Züge, Sprichwörter und
Redensarten, die der Tierfabel nahe stehen, und andere. Qui amant bella, moriuntur
gladio verdiente als Sprichwort bezeichnet zu werden: es specialisiert den Spruch
„Wer sich in Gefahr begiebt, kommt darin um". Adolescens arbor a principio in
aliam partem flex a rix unquam in contrarium flecti potest hat nicht den Sinn „Was
ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten", sondern von „Jung gewohnt
Büeheráñzeigen.
alt ge than". „Ein X für ein U nvachen" findet hier eine neue und beachtenswerte
Beleuchtung. Hochzeitsbräuche, die Krönung der Maikönigin (warum denn gerade
ein Bauermädchen? Der rusticus vorher hat ja damit nichts zu schaffen!) reihen
sich an. Zu grübeln giebt das Abziehen des pil(l)eus hospitalis. Strafeli für ver-
brecherische Tiere und Menschen, das Bahrrecht berührt Berthold. Die drei
ictus mortis halte ich aber nicht für Todesstrafen, sondern für drei Angriffe des
Todes auf den Menschen, drei Stadien des Absterbens. Beim Stigmatisieren der
Verbrecher und dem französischen T. P. der Bagnosträflinge fiel mir Andersens
Roman O. T. ein: mit diesen Buchstaben zeichnete das Zuchthaus (tugthuus) von
Odense seine Insassen. An der eigenartigen Einsetzung des kärntischen Herzogs
sind auch die Rechtsaltertümer 2, 353 ff. nicht vorübergegangen.
In den Beigaben teilt Sch. aus der Fülle seiner Sammlungen noch eine grosse
Zahl von Segen und Beschwörungen mit und liefert Zusätze zum Hauptteil. Meine
Angaben konnten seinen Inhalt ganz und gar nicht ausschöpfen, auch von den
umsichtigen Erörterungen der einzelnen Stellen und der Masse der litterarischen
Nachweise keinen Begriff geben. Aber hindeuten muss ich noch auf die metho-
dischen Winke für die Ausnutzung derartiges Materials und auf die ruhige Ab-
schätzung seines Wertes für die Volkskunde, wobei im besondern die Segen
klassifiziert und gewürdigt werden. Die Mahnung, die mittelalterlichen Hand-
schriften auszubeuten, möge Gehör finden und ebenso reiche Erträge hervorrufen,
wie diese vorbildliche Arbeit uns bietet.
Berlin. Max Roediger.
Knisella Farsetti, Quattro bruscelli senesi preceduti da uno Studio
sul bruscello in genere. Firenze, Seeber, 1899. XL. 48 S. 8o.
I
Wie der Begriff der volkstümlichen Dichtungsart zu bestimmen sei, die man
in Toskana bruscello nennt, ist nicht leicht zu sogen. Dass das Volk selbst die
verschiedenen Namen, mit denen es seine im Freien sich vollziehenden Aufführungen
von Unterredungen in strophischer Form zwischen mehreren Personen bezeichnet,
so sorgfältig voneinander scheide, wie es für den wissenschaftlichen Beobachter
bequem sein würde, scheint mir nicht gewiss. Die Bevorzugung der Oktave als
Form der dichterischen Rede, die Verknüpfung der Oktaven untereinander durch
Reim zwischen dem Schluss der einen und dem Beginn der anderen, daneben
Verwendung kürzerer Strophen für die Scenenschlüsse sind wohl den meisten
bruscelli eigen. Daneben aber geht die grösste Ungleichheit in Bezug auf die
Gebiete einher, denen die Stoffe entnommen sind: ist hier die Götterwelt der
Alten, dort die antike Heldensage die Quelle, aus der geschöpft wird, so sieht
anderwärts der Zuschauer sich vorgeführt, was in seiner Umgebung sich täglich
vollziehen kann, oder hat er Gelegenheit, lächerliches Gebahren seiner Zeitgenossen
in lustiger Verzerrung dargestellt zu finden.
Ist manchmal eine kleine, einfache Handlung gegeben, oder auch eine längere
Reihe von Begebenheiten in wenige Strophen von Reden und Gegenreden zu-
sammengefasst, so ist anderswo über das blosse Auftreten und Sichselbstvorstellen
göttlicher Persönlichkeiten kaum hinausgegangen. Natürlich ist auch das gestaltende
Vermögen der (zum Teil bekannten) Urheber solcher Spiele sehr ungleich; manche
sind Lesens und Schreibens kaum mächtig und nicht immer sicher, das Mass des
elfsilbigen Verses richtig zu treffen, andere versuchen höher gehenden Anforderungen
zu genügen. Die Verfasserin giebt über die heute noch nicht seltenen Aufführungen
IG*
232
Tabler:
der bruscoli]; über frühere Versuche, die Gattung auch akademisch zu verfeinern,
über die Weise des musikalischen Vortrags dankenswerte Auskunft, die man zu
dem von D'Ancona und von Giannini Gesagten gern hinzunehmen wird; versucht
dann festzustellen, wie der bruscello vom maggio sich unterscheide (beide sind
nach dem als Mittelpunkt des Schauplatzes aufgepflanzten Bäumchen benannt) und
teilt endlich vier in ihrer Ungleichartigkeit gut gewählte Proben der Gattung mit.
Kurz nach der besprochenen Schrift hat die Verfasserin im nämlichen Verlag
eine zweite erscheinen lassen:
Befanate del contado toscano edite con un' introduzione. 1900. XXXIV,
36 S. 8°.
Sie handelt in der Einleitung von dem Aufkommen der kirchlichen Feier
des Tages der heil, drei Könige und dem Zusammenhang solcher Feier mit
den Anfängen des geistlichen Schauspiels und andererseits mit den sehr wenig
erbaulich gewordenen Weisen, den Vorabend der epifanía in den Gassen der
Städte und auf dem Lande mit Lärm und Herumfahren eines weiblichen Popanzes
zu begehen, dessen Name befana (aus epifania, mit Anlehnung an beffa) zum In-
begriff lächerlicher Hässlichkeit in Weibesgestalt geworden ist. Sie kommt dann
auf die Bräuche zu sprechen, die heute mit dem Herumfahren der Befana sich
verbinden, das Singen von Liedern, in denen milde Gaben erbeten werden, und
die mannigfachen Weisen diesen Zweck mit dem Singen von der Befana zu ver-
binden. Eine längere geistliche und durchaus nicht volksmässige, sechs kürzere
weltliche und endlich eine noch vor zwei Jahren zur Aufführung gekommene
dramatische (gleichfalls durchaus weltliche) Befanata reihen sich an, in welcher
letzteren das eigentlich fremde Element des Entzweisägens einer Alten und das-
jenige komischer Testamente mit aufgenommen sind oder vielmehr das der eigent-
lichen Befana völlig verdrängt haben, so dass man sich fragen darf, ob diese an
sich ganz bemerkenswerte Probe etwas roher Bauerndichtung in den Kreis der
Befanate zu ziehen ausreichender Grund vorhanden ist. Adolf Tob 1er.
Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus. Aus dem Munde des
Volkes gesammelt von Dr. Karl Reiser. Kempten, Köselsche Buch-
handlung. Heft 17. 18. 19 (Bd. II, 449—640). 8°.
Von diesem wichtigen Werke für das Volkstum des Allgäus, das wir von
Anfang an mit Teilnahme begleiteten (zuletzt X, 106), liegen wieder drei Hefte
vor. Das 17. und der grösste Teil des 18. Heftes enthält eine Darstellung der
Mundart des Allgäus oder genauer dessen Mundarten, da das Allgäu teils dem
alemannischen, teils dem schwäbischen Dialekt angehört und diese sich wieder
spalten. Dr. Reiser ist nicht bloss ein geborener Allgäuer, sondern auch germa-
nistisch geschult und mit der neueren Mundartenforschung vertraut. So erhalten
wir denn hier eine sehr beachtenswerte wissenschaftliche Übersicht über die Volks-
sprache des schönen Alpcngaus. Die Lautlehre erhält, wie die Sachen zur Zeit
liegen, den Hauptraum. Indessen sind auch für Deklination und Konjugation die
charakteristischen Verhältnisse klar und übersichtlich vorgetragen.
Dieser grammatische Abschnitt leitet den dritten Teil des ganzen Werkes ein,
der ausserdem die Sprichwörter, Ptedensarten, Volksreime und den Wortschatz
Büch eran zeigen-
233
des Allgäus bringen wird. Der Rest des 18. und das ganze 19. Heft enthält die
Sprichwörter, die alphabetisch nach Schlagwörtern in Gruppen geordnet sind. Sie
sind in mundartliche Form gefasst, das Ganze ist ein sehr wertvoller Beitrag zur
deutschen Sprichwörterkunde. K. AV.
Drechsler, Paul, Das Verhältnis des Schlesiers zu seinen Haus-
tieren lind Bäumen. Ein Beitrag zur deutschen Volkskunde. Beilage
zum Jahresbericht des Progymnasiums zu Zaborze, 1901. Zabrze 1901.
S. 18. 4°.
Das erste Osterprogramm des im oberschlesischen Kohlen- und Hüttenbezirk
neu entstandenen Progymnasium in Zaborze-Zabrze bringt eine Abhandlung seines
Direktors, Dr. Paul Drechsler, der den Lesern unsrer Zeitschrift bereits näher
bekannt ist. Unter den Lehrern unsrer Mittelschulen gewinnt die Erkenntnis immer
mehr Boden, dass es nützlich sei, die Schüler auf das hinzulenken, das sie im
eigenen Volke als ureigene Art und Sitte umgiebt. Und so hat denn auch Dr. P. Dr.
sich für das Programm ein seinen Schülern, aber auch allen Freunden der Volks-
kunde anziehendes Thema gewählt, die Darstellung, wie sich der Schlesier zu
seiner nächsten Umgebung in Haus und Hof, den Tieren und zu den Bäumen des
Gartens verhält. Der Verfasser hat seit lange in den verschiedensten Gegenden
Schlesiens fleissig gesammelt und auch seine früheren Schüler an anderen Schulen
des Landes als Quellen benutzt. So verwertet er nun ein reiches Material. Die
Namengebung der Tiere, das Verhältnis zu den Kühen, zu dem Hunde, die Bräuche
zum Schutz des Stalles, bei Aus- und Eintrieb, bei den Festen des Jahres, bei
Familienereignissen treten namentlich hervor, und damit wird das verbunden, das
die Obstbäume als fast belebte Zugehörige zum Leben des Hauses erscheinen
lässt. Die Abhandlung steht in naher Beziehung zu einer umfassenden Darstellung
von Sitte, Brauch und Volksglauben der Schlesier, die Dr. P. Drechsler als zweiter
Band der von der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde ausgehenden „Volks-
tümlichen Überlieferungen Schlesiens" im Teubnerschen Verlage in Leipzig bald
herausgeben wird. K. Weinhold.
Hessisches Trachtenbuch von Ferdinand Jus ti. Zweite Lieferung mit
8 Trachtenbildern. Marburg, Elwertsche Verlagsbuchhandlung, 1901.
(S. 15—42 Text.) fol.
Die erste Lieferung dieses für die deutsche Trachtenkunde wichtigen Werkes
haben wir in unrer Zeitschrift Bd. X, S. 111 angezeigt. Wir freuen uns der zweiten,
die acht neue Bildtafeln (5 ganze Gestalten, 3 einzelne Kleidungsstücke) und den
Anfang der Beschreibung der Trachten der einzelnen Bezirke bringt. Der Herr
Verfasser erinnert zunächst noch einmal kurz an die Entstehung der Volkstrachten,
wie er sie in der ersten Lieferung dargethan: eine ungeschickte Nachahmung der
vornehmen und reichen Tracht, mit einzelnen selbständigen Veränderungen, vor
allem mit der nötigen Anpassung an die Bedürfnisse des Landlebens; die Tracht
bleibt aber schon wegen der dauerhaften Stoffe hinter der städtischen Mode mehr
und meiir zurück; manche Teile der Kleidung werden zäher festgehalten als die
anderen, manche rascher der vornehmen Mode nachgebildet. Die Volkstracht ist
also aus zeitlich verschiedenen Teilen zusammengesetzt und Aufgabe der Trachten-
234
Weinhold: Büclieranzeigen.
künde ist, Alter und Herkunft der einzelnen Stücke zu bestimmen, was nur bei
der Beschränkung auf kleine Gebiete möglich wird.
Prof. Perd. J. behandelt nun zuerst die Tracht im Breidenbacher Grunde oder
dem Perfgau (pagus Pernaffe), der sich in das Ober- und in das Untergericht teilt.
Er stellt gleich an die Spitze den grossen Unterschied zwischen der Männer- und
Frauentracht. Die erstere schliesst sich der städtischen möglichst an und ist sehr
unscheinbar: bei einem Pfingstreigen, dem Hr. J. 1895) hinter Steinperf zusah,
schien ihm als ob Edelfräulein mit ihren Knechten tanzten. Er stellt die Männer-
tracht also zunächst ganz in den Hintergrund und beschäftigt sich allein mit der
weiblichen, indem er die einzelnen Stücke sehr eingehend beschreibt. Die ganze
Kleidung besteht aus dem langärmlichen Leinenhemd, dann dem sogen. Büffel,
einem ärmellosen anschliessenden wollenen grünen Kleide, über dem ein Ärmel-
leibchen oder ein feines Oberhemd liegt. Das Oberkleid teilt sich in ein weites
offenes Mieder (Samtbrust, oder Brust), das mit schmalem geblümtem Bande ver-
schnürt wird. Diese Verschnürung hält auch das darunter liegende gestickte
Brusttuch fest, das eigentliche Zierstück der hessischen Frauentracht. Hr. J. handelt
hier im besonderen über die hessische Stickerei, die mit Vorliebe Rose, Tulpe
und Grasblume (Nelke) zur Darstellung wählt. — Den zweiten Teil des Oberkleides
giebt der Rock oder Kittel. Hiernach werden Schürze, Strümpfe, Schuhe be-
schrieben, sowie die Haartracht (Zöpfe) und die Mütze. Letztere ist im Perfgau
eine den um den Kopf gelegten Zopf bedeckende und für den Hinterkopf aus-
geschnittene kegelartige Röhre, die aus steifem Papier gemacht wird, das mit
Tuch überzogen ist. Herr J. weist (S. 24. 25) nach, dass sich hierin die mittel-
alterliche brabantische Mütze erhalten hat, die mit der Herzogin Sophie von Brabant,
der Tochter der hl. Elisabeth, 1248 nach Hessen gekommen ist.
Im Untergericht des Perfgaus ist die weibliche Kleidung im wesentlichsten
dieselbe. Leider kommt das Brusttuch in der Gegenwart hier ab und wird durch
das sogen. Tuch, das ihm auch im Obergericht schon hinderlich ist, ein baum-
wollenes Halstuch, verdrängt. Die Mütze, die den elliptisch hinten aufgesteckten
Zopf bedeckt, heisst Stülpehen und ist von der brabantischen Mütze des Ober-
gerichts verschieden. Das Stülpehen besteht aus einer am Hinterkopf sitzenden,
13 cm hohen Röhre, die unten an den Seiten Ohrlappen mit kleinen Schuppen hat,
und aus der eigentlichen Mütze, deren Boden eine flache runde Scheibe bildet.
Gotische gestickte Ornamente bedecken die Röhre wie die Scheibe. Herr Justi
weist diese Kopfbedeckung auf Bildwerken des ausgehenden 15. und des 16. Jahr-
hunderts nach. Jedenfalls ist das dem Obergericht im Perfgau eigentümliche
Stülpehen sehr alt. Beim schwarzen Traueranzuge und in der Kirche ist es weiss.
Die weissen Abendmahlstülpchen sind mit sehr schöner weisser und schwarzer
verschiedenartiger Stickerei geschmückt.
Unter No. H wird die Frauentracht westlich der Lahn beschrieben. Vor liegt
als erstes Stück der Kreis Marburg. Die Teile der Kleidung sind dieselben, aber
mit Besonderheiten. So wird über dem Büffel ein weissleinenes knappes Mieder
getragen, das Kimmetche oder Halstuch, mit weiten glockenförmigen Ärmeln, die
bis an den Ellbogen reichen und die Hemdärmel bedecken. Herr J. macht liber
diese Ärmel eine lehrreiche geschichtliche Ausführung (S. 32—34). Über das
Oberkleid samt dem oft prächtig gesticktem Brusttuch wird noch ein zweites
Kimmetche (das schwarze oder obere) getragen, das indessen jetzt von dem Motzen,
einer schwarzen vorn zugehakten Oberjacke, verdrängt ist. Schwarz ist überhaupt
die Farbe der ganzen Kleidung bis auf die weissen Strümpfe, und eine solche
Kirchgemeinde macht einen ungemein ernsten feierlichen Eindruck. Die jetzige
Jugend stellt sich leider in Gegensatz hierzu und nimmt bunte Tracht an.
Roecliger: Protokolle.
235
Der Herr Verfasser handelt dann von der schwarztuchenen Mütze, der Schneppe-
kapp, und ihrem etwaigen Alter; dann über den Trauermantel und den schwarzen
Schleier, die beide ursprünglich zur feierlichen Tracht überhaupt gehörten, keines-
wegs nur bei Begräbnissen. Im Kreis Eschwege heisst der Mantel „der Hauken",
dasselbe Wort wie die Heuke der Limburger Chronik zu 1349. 1351. Herr J.
spricht nun über diese im Nordwesten und besonders in den Niederlanden bekannten
Heuken, deren Namen (wie ursprünglich die Sache) aus dem spanischen Arabien
stammt (arab. haik).
Das hier Mitgeteilte.wird die Bedeutung des Justischen Werkes für die deutsche
Trachtenkunde erraten lassen. Bemerken will ich noch, dass die technische Aus-
führung der Bildtafeln mir gegen das erste Heft im Fortschritt begriffen erscheint.
K. Weinhold.
Aus den
Sitznngs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag-, den 22. Februar 1901. Herr Geheimrat Friedet sprach über
Fischereigeräte und legte dahin gehörige Gegenstände aus dem Märkischen
Provinzial-Museum vor, die aus der ältesten bis in die Neuzeit reichten. Denn
die Spuren der Fischerei gehen sehr weit zurück, obwohl die gemeiniglich an-
genommenen Etappen der menschlichen Entwicklung : Jagd und Fischerei, Hirten-
leben, Ackerbau keineswegs allgemeine Gültigkeit haben. Ergiebige Fischerei ist
ohne Werkzeuge unmöglich. Sie setzt aber, wie paläolithische Funde in Frankreich
und Belgien beweisen, schon frühzeitig ein, auch in Amerika. Die beste Übersicht
liefert das Werk von Bau, Prehistoric fishing in Europe and North-America, her-
ausgegeben vom Smithsonian Institute 1884. Der Vortragende wies nach, dass
die Geräte sowohl für die stille, wie für die bewegte Fischerei eine merkwürdige
Ubereinstimmung und Dauer der Formen erkennen lassen, selbst bei komplizierten
Stricknadeln für Netze oder bei Otterfallen. Statt des Eisens wendet man noch
jetzt gern Stein und Knochen an. Von hervorragender Schönheit war eine neo-
lithische Harpune. Es wurden auch Stücke vorgelegt, die in junger Zeit beim
Fischhandel dienten, z. B. ein Masshecht. — Darauf verlas Herr Sökeland den
Kassenbericht des Schatzmeisters für 1900, wobei der wiederum bewilligte und
so notwendige Beitrag des hoben Ministeriums mit ehrerbietigem Danke zu er-
wähnen war. Da die Aufstellung für richtig befunden war, erhielt der Herr
Schatzmeister Entlastung. In den Ausschuss wurden gewählt Fräul. Lemke und
die Herren Priedel, Bartels, Mielke, Bastian, Erich Schmidt, Boite, Marelle, Voss,
Brandl, Heusler, Moebius. Schliesslich erörterte Herr Prof. Dr. Martin Hartmann
die Stellung der Frau im Islam in einem Vortrag, der in der Zeitschrift weiter
ausgeführt erscheinen wild.
Freitag-, den 22. März 1901. Herr Fabrikant Sökeland führte W tin schei -
i'uten in Thätigkeit vor und erklärte ihre Bewegungen aus der Art, wie sie
gehalten werden, bei gewolltem oder unwillkürlichem Anstoss durch den Träger.
Das dazu prädestinierte Holz ist die Hasel (oben S. 11), doch benutzt man auch
Ti
236
Roedrger: Protokolle.
anderes Holz, auch Metall, überhaupt alles, was in der Hand federn kann. Die
Zeit des Schneidens und die Sprüche dabei wechseln. Gewöhnlich ist es ein
gabeliger Zweig; wird er zerstört, so arbeiten die einzelnen Stücke. Der Gebrauch
der Rute ging vom Wasser- und Schatzsuchen aus, gewann aber immer weiteren
Umfang. Zuerst in Prankreich, dann auch in Deutschland bediente sich ihrer die
Justiz zur Entdeckung von Übelthätern; denn die Rute zeigt, so behauptete man,
die feinen Atome an, die aus dem Körper des Verbrechers ausdämpfen. Auch
die Untreue der Frauen sollte sie anzeigen, verborgene Reliquien; Wahrsager
benutzten sie. Dass Satan dabei die Hand im Spiele habe, wurde behauptet und
bestritten. Man suchte auch das Perpetuum mobile und Plugmaschinen aus
Wünschelruten zusammenzusetzen. Dieses Treiben, worüber man sich aus Zeidlers
Pantomysterium unterrichten kann, währte bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts;
der Quellen findenden Wünschelrute erstand sogar noch ein Verteidiger unter den
Zuhörern. Das sogen, siderische Pendel, das Herr Sökeland noch spielen
liess, nimmt seine Richtung unter dem ungewollten Einflüsse des Haltenden. —
Über Shakespeares Hexen sprach sodann Herr Prof. Dr. Brandl. Am wichtigsten
sind die Hexen im Macbeth. Sie sind dort Symbole, verkörpern die Schicksals-
mächte, denen der Held sich nicht entziehen kann. Es wird dadurch seiner Gestalt
eine unheimliche Grösse gegeben und zugleich Mitleid mit ihm erweckt. Erfunden
hat sie Shakespeare nicht, sondern fand sie schon in seiner Quelle Holinshed, der
ein Preund von Sagen war. Hier sehen wir bei der ersten Begegnung Nornen,
bei der zweiten eine Hexe. Holinshed wieder entnahm die übermenschlichen
Wesen dem älteren Chronisten Winthoun. Germanisches, Antikes, Biblisches
mischt sich in ihrer Ausgestaltung bei Shakespeare. Bei der ersten, unerwarteten
Begegnung im Sturm und Regen auf der Heide sind sie noch deutlich germanische
Windgöttinnen, denen aber das Wissen der Nornen und die Bosheit der ebenfalls
germanischen Hexen anhaftet. Stellt Hekate sie zur Rede, so ist das antike Bei-
mischung. Das zweite Mal werden die Hexen aufgesucht. Wieder spielt Hekate
hinein, aber auch von germanischen Elfen ist die Rede und dazu lassen sie Er-
scheinungen auftreten, wie die Hexe von Endor 1. Sam. 28; und wie diese den
erschrockenen Saul erquickt, heitern die Hexen Macbeth durch Musik und Tanz
auf. Beim Publikum machten diese Scenen einen ungeheuren Eindruck und
weckten Nachahmungen; es sei nur an Byron und Goethe erinnert. Hexengläubig
war Shakespeare nicht, so wenig wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen, wenn-
gleich Rückfälle in den alten Wahn selbst der englischen Justiz nicht erspart
blieben. Hätte der Dichter an Hexen geglaubt, so würde er sich gescheut haben,
sie als poetisches Mittel zu verwenden. — Zum Obmann des Ausschusses wurde
Herr Priedel gewählt.
Dienstag, den 2. April 1901, hatte Herr Geheimrat Priedel unter Beistand
des Herrn Kustos Buchholz die Güte, den Mitgliedern des Vereins und ihren
Angehörigen die neu geordneten Sammlungen des ihm unterstellten Märkischen
Provinzial-Museums zu erklären. Er beschenkte bei dieser Gelegenheit unsre
Bibliothek mit der reich ausgestatteten Pestschrift der Museums-Direktion beim
25jährigen Bestehen des Museums, die über die Geschichte und Leistungen der
Anstalt unterrichtet und eine Abhandlung des Herrn Priedel über das einzig da-
stehende Königsgrab von Seddin in der WTestpriegnitz enthält, der sechs Tafeln
Abbildungen beigegeben sind. Die Putide ruhen im Museum.
Max Roediger.
Verlag yon A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den Linden 13.
Im unterzeichneten Verlage erschienen soeben:
Neue Südsee-Bilder
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Arthur Baessler.
Mit 35 Tafeln, 6 Textabbildungen und einer Karte.
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Von demselben Verfasser erschienen 1895:
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l'introduction des métaux
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geheftet und 1 Band von 134 Tafeln in Mappe gross 4 .
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Ein ausführlicher Prospekt steht auf Wunsch zur Verfügung.
Verlag von A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den Linden IB.
Bastian, A. Religions-philosophische Probleme auf dem Forschungs-
gebiete buddhistischer Psychologie und der vergleichenden Mythologie.
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Behla, Robert. Die vorgeschichtlichen Rundwälle im östlichen Deutsch-
land. Eine vergleichend-archäologische Studie. Mit einer prähistori-
schen Karte im Maassstabe von 1 : 1 050 000. X und 210 Seiten gr. 8.
1888. geh. M. 6,50
Joest, Wilhelm. Tätowieren, Narbenzeichnen und Körperbemalen. Ein
Beitrag zur vergleichenden Ethnologie. Mit 11 Tafeln in Farbendruck,
I Lichtdrucktafel und 30 Zinkätzungen nach Originalzeichnungen von
O. FINSCH, CL. JOEST, J. KUBARY und P. PREISSLER, nebst
Original-Mitteilungen von O. FINSCH und J. KUBARY. X und
112 Seiten Folio. 1887. In Halbleinwandband. M. 40 —
Joest, Wilhelm. Spanische Stiergefechte. Eine kulturgeschichtliche Skizze.
113 Seiten. Mit 3 Lichtdrucktafeln gr. 8. 1889. geh. M. 3 —
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde
Ostasiens. Jedes Heft M. 6 —
Schroetter, Leopold von. Die Hochzeitsbräuche der Esten und einiger
anderer finnisch-ugrischer Völkerschaften in Vergleichung mit denen
der indogermanischen Völker. Ein Beitrag zur Kenntnis der finnisch-
ugrischen und der indogermanischen Völkerfamilie. VHI und
265 Seiten gr. .8. 1888. geh. M. 5 —
Virchow, Rudolf. Das Gräberfeld von Kobau im Lande der Osseten,
Kaukasus. Eine vergleichend-archäologische Studie. 1 Band Text,
157 Seiten mit zahlreichen Holzschnitten, 4. geh. und ein Atlas von
II Lichtdrucken, Folio, in Mappe. 1883. M. 48 —
Virchow, Rudolf. Crania ethnica Americana. Sammlung auserlesener
Amerikanischer Schädeltypen. Mit 27 Tafeln und 29 Textillustrationen.
Folio. 1892. cart. Mk. 36 —
Druck von Gebr. Unger in Berlin. Bernburger Str. 30.
ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und Ii. Steinthal.
Elfter Jahrgang.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
Karl Weinhold.
Heft 3. 1901.
Mit Tafel iv und einer Abbildung im Text.
BERLIN.
Verlag von a. Asm er & Co.
Die Zeitschrift erscheint 4 mal jährlich.
Seite
Die Frau im Islam. Yon Martin Hart mann........237
Ein dänisches Märchen von Petrus und dem Ursprünge der bösen
Weiber. Von J. Bol te . . . . . ..........252
Die Reise der Seele ins Jenseits. Yon Julius v. Negelein (Schluss) 263
Abergläubische Gebräuche aus dem Mittelalter. Yon Prof. Dr. G. Hertel 272
Ruthenische Hochzeitgebräuche in der Bukowina. Mitgeteilt von
Dr. R. Fr. Kaindl (Schluss) ...........280
Das deutsche Spottlied auf die Flucht des Königs Heinrich von Polen.
1574. Mitgeteilt von Adolf Hauffen ......... 286
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol. Yom
Kuraten Josef Bacher (Fortsetzung)..........290
Zu dem Yolksliede von der Tochter des Kommandanten zu Gross-
wardein. Yon Karl Rei ssenb erg er..........298
Der böse Blick in nordischer Überlieferung. Yon Dr. H. F. Feilberg 304
Kleine Mitteilungen:
Und wenn der Himmel war Papier. Von Th. Zachariae. S. 331. — Das Hänseln
im Braunschweigischen. Von 0. Schütte. S. 332. — Der Nikolausabend am Abersee
im Salzburgischen. Von G. Zeller. S. 334. — Sagen vom Rübezahl. S. 336. — Braun-
scliweigische Sagen. Von 0. Schütte. S. 338. — Kröte als Gebäckmodel. Von M. Höfler.
S. 340. — Ein uckermärkischer Brauch bei der Braut Wäsche. Von R. Pets ch. S. 341. —
Zum Hubertusschlüssei. Von 0. Schell. S. 342.
Bücheranzeigen:
0. Schräder, Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde. S. 342. — Unser
Egerland. Zeitschrift d. Vereins f. Egerländer Volkskunde. Herausgegeben von A. John.
S. 344. — Deutsche Mundarten. Zeitschrift für Bearbeitung des mundartlichen Materials.
Herausgegeben von Dr. Joh. Willibald Nagl zu Wien. S. 345. — Meyer, Heinrich, Die
Sprache der Buren. S. 345. — Bass, Alfred, Deutsche Sprachinseln in Südtirol und Über-
italien. S. 346. — A. Brunck, Volkskundliches aus Garzigar. S. 346. — R. Craig
Maglagan, The Games and Diversions of Argyleshire (Pubi, of the Folk-lore Society,
XLVII). S. 347. — Katalog dziel tresci przysiowiowej sktadajacych bibljotekç Ignacego
Bernsteina S. 347. — Wotjakische Sprachproben. Herausgegeben von Yrjö Wichmann.
S. 348. . .
Aus den Sitzungs - Protokollen des Vereins für Volkskunde von M.
R o e d i g e r............•. . . i . . . . 349
Beiträge für die Zeitschrift, bei denen um deutliche Schrift
auf Quartblättern mit Rand gebeten wird, Mitteilungen im
Interesse des Vereins, Kreuzbandsendungen, beliebe man an
die Adresse des Herausgebers, Geh. Regierungsrat Prof. Dr.
K. Weinhold, Berlin W., Hohenzollernstr. 15, zu richten.
Bûcher für Besprechung, in der Zeitschrift wolle man an die Verlags-
Buchhandlung A. Ash er & Co., W. Unter den Linden 13, senden.
Beitrittserklärungen zum Verein nimmt der Schriftführer Prof. Dr.
Roediger, Berlin SW., Wilhelmstr. 140, und der Schatzmeister entgegen.
Schatzmeister des Vereins ist Banquier Alexander Meyer Cohn.
Berlin W., Unter den Linden 11.
Der Jahresbeitrag ist 12 Mk., wofür die Zeitschrift an die Mitglieder
frei geliefert wird.
Die Frau im Islam.1)
Von Martin Hartmann.
„Ich kenne in der ganzen Weltgeschichte keinen handgreiflicheren
Beweis für den vielangefochtenen Satz von den kleinen Ursachen und
grossen Wirkungen, als dass noch im 19. Jahrhundert über 200 Millionen
Menschen von jedem sittlichen Einfluss edleren weiblichen Wesens aus-
geschlossen sind und immer ausgeschlossen bleiben müssen — weil im
Jahre 625 ein fahriges vierzehnjähriges Ding von Araberin ein Halsband
im Werte von ein paar Mark verloren hatte."
Mit diesen Worten schliesst August Müller den Abschnitt seiner Ge-
schichte des Islams, in dem er den Zwischenfall mit der „Mutter der
Gläubigen", der Lieblingsfrau des Propheten, "Ä'ischa, behandelt (S. 133f.).
Der Fall eÄ'ischa, an sich unbedeutend, ist in der That für die äussere
und innere Entwicklung des islamischen Orients von hoher Bedeutuno-
"ö
geworden. Aus den Berichten, die vorliegen, lässt sich mit einiger Sicher-
heit folgendes Bild gewinnen.2)
Ä/ischa war vom Propheten auf einen Beutezug mitgenommen worden
(im vierten Jahre nach der Übersiedlung von Mekka nach Medina). Bei
der Rückkehr, nicht weit von Medina, verlor die vierzehnjährige junge
Frau die Fühlung mit der Karawane: sie vermisste eine Muschelhalsschnur,
und während sie danach suchte, war man aufgebrochen mit ihrer Sänfte,
in der man sie sitzend wähnte. Es war Nacht, und der Armen blieb
nichts übrig als am Lagerorte auszuharren, bis man sie holte. Sie schlief
ein. Am Morgen kam ein Mann vorüber, der sie früher gesehen. Er er-
kannte sie wieder. Sie warf ihr Kopftuch über. Er liess sie auf sein
1) Erweiterter Abdruck des am 22. Febr. 1901 im Verein für Volkskunde von Prof.
Dr. M. Hartmann gehaltenen Vortrags.
2) Der Hauptbericht liegt vor im hadxt aPufk Buchäri (ed. Kairo, Maim, 1309)
3,25 : nach ihm giebt die Erzählung der "A'ischa Sprenger, der sie „von ihren Bewunderern
verbessert (?) und von Zohry redigiert" nennt, Leben und Lehre des Mohammed 3, 63ff.
In der Kette bei Buchârï a. a. 0. ist Zohrï nicht erwähnt: dort ist der Redaktor Ibn
Schihab, der eingestanden die Brocken von vier ungleichwerfigen Gewährsmännern (cUrwa
b. Azzubair, Said b. Almusaijab, cAlqama b. Waqqas und Tbaidallfih b. "Abdallah b. " Otba
b. Mas'iid) zusammengeschweisst hat.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 17
238
Hartmann:
Kamel steigen, das er führte. Am Mittag holten sie das Heer ein. Die
bösen Zungen waren geschäftig. Der Prophet selbst zweifelte. Zwei
Vertrauensmänner bat er um Rat, darunter seinen Yetter und Schwieger-
sohn All. cA1ï riet ihm, gegen die verdächtige Gattin die Scheidung aus-
zusprechen, eine Stellungnahme, die ihm den unauslöschlichen Hass der
Gekränkten eintrug und damit schweres Unheil über die Muslims brachte.1)
Muhammed folgte nicht.2) Sein Einlenken — er hatte die Verdächtige,
die vor Erregung ernstlich erkrankt war, etwa einen Monat lang vernach-
lässigt — kleidete sich in die Form einer Offenbarung. Es wird nirgend
im Islam bestritten, dass die Verse im Anfang der 24. Sure, die von der
untreuen Frau handeln, sich auf den Fall cA'ischa beziehen. Gott ver-
kündete (Vers 11—19)3): „Die da mit Lügen kommen, | Ein Trupp von
euch: o haltet dies | Nicht für ein grosses Übel; | Es ist für euch nur
besser. | Denn jedem Mann von ihnen bleibt | Was er gewirkt von Sünde;
I Und wer davon beging das schwerste, | Dem wird auch grosse Strafe.
(12) Wenn aber ihr dergleichen höret, | O möchten gläubige Männer oder
Frauen | Dann bei sich selbst das beste denken | Und sagen: Das ist
offenbare Lüge. (13) O möchten sie darüber doch j Vier Zeugen bringen,
oder wenn ¡ Sie keine Zeugen bringen, | So sind vor Gott sie Lügner.
(14) Und wäre nicht die Gnade Gottes über euch | Und sein Erbarmen |
Hienieden und in jener Welt, j Euch hätte längst betroffen | In dem, worin
ihr euch ergiesset, schwere Strafe, | Wenn ihr's mit euern Zungen auf-
nehmt, I Und sagt mit euern Mündern | Wovon ihr doch kein Wissen
habt, I Und haltet's für gering, doch ist's bei Gott ein Grosses. (15) O
möchtet ihr, wenn ihr es höret, sprechen: | Uns steht nicht zu, davon zu
reden, | Behüte! das ist arger Lug. (16) Gott mahnet euch, dass ihr nie
wieder solches thut, ¡ Wenn ihr wollt Gläubige heissen. (17) Gott offen-
baret euch die Zeichen, | Und Gott ist weis' und kundig. (18) Die so da
wünschen, dass auskomme Schmähliches | Uber die, so da glauben, | Der-
selben wartet Strafe peinvoll (19) In dieser Welt und in der andern; |
Und Gott weiss, und ihr wisset nicht."
Dem peinlichen Geklatsch war durch die göttliche Bestimmung, Un-
treue der Gattin kann nur durch vier Zeugen erwiesen werden, ein Ende
gemacht. Aber es sollte den bösen Zungen zugleich eine scharfe Lektion
erteilt werden, und so wurde ferner verkündet (V. 4): „Doch die be-
schmitzen züchtige Frauen | Und dann nicht kommen mit vier Zeugen, |
1) Die spätere Ge s eli i chts fais eli un g lässt die Mutter der Gläubigen über ihr Verhalten
gegen 'Ali Reue empfinden und die faule Ausrede des qadar maqdiir, des Verhängnisses,
gebrauchen, s. Albaihaql, kitäb almahäsin walmasäwi ed. Schwally 322f.
2) Sprenger a. a. 0. nimmt an, 'Ä'ischa sei in der That auf den- Rat cAlïs von
Muhammed Verstössen worden.
3) Ich folge bei dieser und den andern hier mitgeteilten Qur'änstellen der form-
vollendeten Übersetzung Rückerts. Von denen,"[die bei Rückert fehlen, gebe ich eigne
Übersetzung.
Die Frau im Islam.
239
So streichet ihnen achtzig Streiche, ¡ Und nehmet nie mehr Zeugnis an
von ihnen, | Dieselben sind Abtrünnige." Zwei der Hauptankläger liessen
sich als aufrichtige Gläubige die Strafe gefallen.1)
Die Geschichte ist unerfreulich. Sie widert uns geradezu an, weil
hier um einer Eifersuchtregung willen der Apparat der göttlichen Inspiration
in Bewegung gesetzt wird. Aber mit welchem Recht urteilt Müller, der
Islam von heute sei von jedem sittlichen Einfluss edleren weiblichen
Wesens ausgeschlossen und müsse es immer bleiben, weil vor 1300 Jahren
die 14jährige 'Ä'ischa ein Halsband verlor? Müller deduziert: es sei doch
klar, dass einem Manne, der zur Erhärtung der Untreue seiner Frau vier
Augenzeugen braucht, nichts übrig bleibt, als sie einzusperren. Sonderbare
Logik! Als ob die Araber nicht ebenso gut wie alle andern Völker des
Orients und Occidents gewusst hätten, was in allen Volksbüchern von
dem Vorbild des Pantschatantra bis in die neuesten Heftchen „gedruckt
in diesem Jahr" zu lesen ist, dass der Eifersüchtige, der die Gattin hinter
Schloss und Riegel hält, erst recht genarrt wird! Die Schwierigkeit, den
Schuldbeweis zu erbringen, konnte höchstens Anlass für den Muslim
werden, bei dem geringsten Verdacht das ihm gesetzlich zustehende Recht
der Scheidung auszuüben. Müller behauptet auchy das angebliche Schleier-
gebot sei eine Folge des Falles 'Ä'ischa. Das ist ein Irrtum. Die Stelle
des Qur'äns, die allein in Betracht kommt2), gehört in die Zeit nach dem
Abenteuer der Lieblingsfrau des Propheten. Die Hauptsache ist aber,
dass sich bei näherem Betrachten dieser Stelle das ganze Gerede von dem
Verschleierungsverbot in eitel Dunst auflöst. Es heisst Sure 33, 59: „Du,
o Prophète, sprich zu deinen Frauen, | Zu deinen Töchtern und den
Weibern ¡ Der Gläubigen, sie sollen senken | Auf sich ein Teil von ihren
Uberwürfen. | So ist's geschickter, dass man sie erkenne, doch [richtiger:
und infolgedessen] nicht kränke." Wenn die meisten Exegeten und Rechts-
lehrer aus dieser Stelle folgern, dass die Muslime (Muhammedanerin) das
1) Mistah und Hamna, die Tochter des Dschahsch, s. Sprenger 3, 67.
2) Müller sagt nur allgemein a. a. 0. „Ferner wurde ihnen und den andern Weibern
der Gläubigen vorgeschrieben, sich in Gegenwart von Fremden zu verschleiern." Damit
kann nur die gleich zu besprechende Stelle Snre 33, 59 gemeint sein, denn nur in ihr ist
von einem allgemeinen Gebot die Rede. Gewiss war Müller irregeleitet durch Sprenger,
der 3, 64 "Ä'ischa erzählen lässt: „Es war damals schon das Gebot, dass die Frauen sich
verschleiern müssen, geoffenbart worden." Bei Buchfiri heisst es ba'da mä unzil-
alhidschäbu; diese Worte können sich allein auf die einzige Stelle des Qur'äns beziehen,
in welcher das Wort hidschäb in Bezug auf Frauen vorkommt, Sure 33, 53. Dort handelt
es sich aber nur um die Frauen des Propheten, und selbst in Bezug auf sie ist die Vor-
schrift so gefasst, dass sich die gut bezeugte Thatsache, dass Frauen des Propheten in
Gegenwart männlicher Besucher unverschleiert waren (vgl. auch "Ä'ischa in der Kamel-
schlacht), sehr wohl mit ihr vereinigen lässt; es heisst in der angeführten Qur'änstelle:
„Und wenn ihr seine Frauen bittet um Gerät, | So bittet so, dass zwischen sei ein Vor-
hang. I Das ist euch unverlänglicher für eure Herzen und für ihre Herzen, | Und nicht zu
kommt es euch zu kränken | Den Abgesandten Gottes, | Noch zu heiraten seine Frauen je
nach ihm; | Denn das war euch bei Gott ein grosses."
17*
240
Hartmann:
Gesicht za verhüllen habe, so ist das ein wichtiges Beispiel dafür, wie
spätere Sitte die Auslegung der heiligen Bücher und die Aufstellung-
religiöser und rechtlicher Satzungen beeinñusst. Auch ist von Bedeutung,
dass in einem bestimmten Fall der Frau ausdrücklich die Nichtverhiillung
des Gesichtes zugestanden wird, nämlich beim Gebet, wenn auch zuzugeben
ist, dass diese Bestimmung jene andere von der Gesichtverhüllung vor
nicht blutsverwandten Männern nach islamischer Rechtsanschauung nicht
ausschliessen würde.
Doch viel wichtiger als die Frage: Sind die theoretischen Klügeleien
der Rechtsgelehrten gerechtfertigt? ist die andere nach den Thatsachen,
die wir aus den besten historischen Quellen entnehmen. Da zeigt sich, es
geht aus unzähligen Berichten hervor, dass bis ins zweite Jahrhundert
nach der Flucht, also bis etwa 750 u. Z. die Frau in reger Weise am
geselligen und öffentlichen Leben teilnahm. Das ist sehr unwahrscheinlich,
wären schon damals die Frauen zur Gesicht Verhüllung verurteilt gewesen.
Dass diese auch vor dem Islam nicht bestand, wenigstens nicht obli-
gatorisch war, dürfen wir annehmen. Freilich wissen wir über die Stellung
der Frau in Arabien vor dem Islam nicht viel Sicheres. Eines ist gewiss,
dass die vorislamische 4-ra^ei'in gleich beim Eintritt ins Leben mit dem
Leben schwer zu kämpfen hatte. „(60) Wird ihrer einem angesagt ein
Mädchen, | So wird sein Antlitz dunkel, | Und Ärger würget ihn. (61) Er
birgt sich vor den Leuten ob | Der Schmach des Angesagten; | Wird er's
behalten mit Yerachtung? | Oder verscharrt er es im Staub? ¡ WTie übel ist
ihr Urteil!" So lässt sich Gott in der 16. Sure vernehmen. Und an zahl-
reichen andern Stellen werden die Araber ermahnt, nicht ihre Kinder zu
töten. Dass die Mädchen vorzugsweise von diesem Schicksal betroffen
wurden, wissen wir auch aus andern Berichten. Ihnen war mit Vorliebe
das Los des lebendig Begrabenwerdens zugedacht. Im Gegensatz zu dem,
was heut als im Orient allgemein üblich gilt, ermahnt der Prophet die
Gläubigen, die Kinder beider Geschlechter mit gleicher Freude zu begrüssen.
Die Hauptsorge Muhammeds war, die Stellung der Frau in der Ehe
zu regeln. Unter seinen Landsleuten fand er in diesen Dingen eine grosse
Willkür. Das ist das Kennzeichen des vorislamischen Arabiens, dass seine
Bewohner nicht einer Gleichartigkeit in der Lebensführung sich erfreuten.
Vom beduinischen Standpunkte aus war das ein Vorzug, denn der Beduine
hasst den Zwang. Aber Arabien besass zu Muhammeds Zeit auch eine
nicht unbeträchtliche Menge von sesshaften Bewohnern, eine Anzahl grösserer
Verkehrscentren. Die verschiedenen Institutionen, die sich fanden, mit-
einander zu vergleichen und ein System daraus zu machen, wäre eine
höchst schwierige Arbeit gewesen. Die Aufgabe liess sich leichter lösen:
unter den Arabern lebten zahlreiche Juden1), und die hatten das, was
1) Über sie s. meinen Vortrag „Muhammed und die Juden" in: Allgemeine Zeitung
des Judentums 189 J, No. 6—9.
Die Frau im Islam.
241
jenen fehlte: ein ausgebildetes Gesetz. Die Befruchtungen, die Muhammed
von seinen jüdischen Landsleuten erhielt, sind bekannt. Die Forin, unter
welcher die Legenden von den sogen. Erzvätern und andere biblische
Stoffe im Qur'än erscheinen, deckt sich auffallend mit der der legenden-
haften jüdischen Litteratur. In Bezug auf die Frau ist ihm seine Ver-
trautheit mit dem jüdischen Wesen besonders nützlich geworden. Die
Bestimmungen des jüdischen Gesetzes sind nachweislich zum Teil von ihm
übernommen wrorden.- Das Hauptsächlichste ist folgendes:
Der Mann darf bis vier Frauen heiraten (Sure 4, 3).1) Die Wahl ist
nicht an den Glauben gebunden, wenigstens nicht in Bezug auf Frauen,
die zu den Buchbesitzern (ahi kitäb, d. h. Christen und Juden) gehören;
denn wenn es auch Sure 2, 220 heisst: „Und heiratet nicht die Viel-
götterinnen, bis sie glauben, und fürwahr, eine gläubige Sklavin ist besser
als eine (freie) Vielgötterin, mag sie auch gefallen", so wird diese Be-
stimmung durch den Vers Sure 5, 7 eingeschränkt: „Erlaubt sind euch
die Züchtigen von den Gläubigen und die Züchtigen von denen, die vor
euch das Buch erhalten haben, wenn ihr ihnen ihren Lohn [ihre Mitgift]
gebt." Zu bemerken ist dazu, dass andrerseits die in der ersten der beiden
Stellen (Sure 2, 220) gegebene weitere Vorschrift „Verheiratet nicht an
Vielgötterei', bis sie glauben, fürwahr, ein gläubiger Sklave ist besser als
ein (freier) Vielgötterei', mag er euch auch gefallen" bedingungslos ist,
dass also eine Muslime unter keinen Umständen einen Nichtmuslim heiraten
darf.2) Besonders sympathisch berührt uns die Aufforderung, sich nicht
durch Rücksicht auf Vermögen leiten zu lassen und die Ehe auch bei
Armut beider Teile im Vertrauen auf Gott einzugehen (Sure 24, 32):
„Verheiratet die Gattenlosen unter euch, 1 Die Frommen auch von euren
Knechten | Und euern Mägden! wenn sie arm sind, | Gott wird sie machen
reich von seiner Gnade, | Und Gott ist weit umfassend, kundig." Aber
andererseits soll der junge Muslim nicht blind clrauf los heiraten und wo-
möglich gleich von der Erlaubnis der Vierzahl der Frauen Gebrauch machen.
1) Die Talmudisten setzten fest, dass kein Jude über 4 Weiber zugleich, ein König
höchstens 18 haben sollte. Bei den Aschkenazim ist seit etwa 14o0 die Einehe die Regel,
hei den Sefardim scheint das nicht der Fall zu sein; wenigstens war es in Beirut um 1880
stadtkundig, dass ein dort wohnhafter angesehener jüdischer Kaufmann zwei Frauen hatte.
2) Die ratio ist klar: Heiratet die Muslime einen Fremden, so fällt sie ab, die Ge-
meinde wird kleiner; auch wird in der ersten Zeit des Islams in Arabien Mangel an Frauen
geherrscht haben, obwohl man bei den besseren wirtschaftlichen Verhältnissen, die der
beutemachende Islam mit sich brachte, nicht mehr nötig hatte, die Töchter, das fressende
unproduktive Kapital, aus der Welt zu schaffen. Übrigens wurde es mit der rigorosen
Vorschrift nicht immer streng genommen, namentlich wenn die Staatsraison oder die Gewalt
ein Wörtlein mitsprach. Jedenfalls befand sich die kaschgarische Muslime, die nach der
Eroberung von Kaschgar im Jahre 1759 in den Harem des grossen Kaisers K'ien-long
aufgenommen wurde, und der zu Ehren der Fürst eine Moschee nahe dem Palaste bauen
liess, sehr wohl dabei, und auch ihre Glaubensgenossen nahmen, scheint es, keinen Anstoss
daran (s. Devéria in Journal Asiatique 1897, II, 447).
242
Hartmann :
Darum steht Sure 4, 3 der Weisimg: „Spendet gern den Frauen ihre
Mitgift, und wenn sie euch gutwillig etwas davon erlassen, so verzehrt es
mit Behagen" die Ermahnung gegenüber: „Wenn ihr aber fürchtet, dass
ihr nicht gerecht seid, so heiratet nur eine Frau oder was eure Rechte
hält" (eine Sklavin). Pertier heisst es Sure 24, 33: „Enthalten aber sollen
sie sich, ¡ Die keine Heirat finden, | Bis Gott sie machet reich von seiner
Gnade." Die Konkubinenwirtschaft, die im Islam später so allgemein
wurde, und die so grosse Verheerungen angerichtet hat, ist im Qur'än
durchaus gemissbilligt. Nur die Unfähigkeit, für eine rechtmässige Gattin
die Mitgift zu zahlen und sie angemessen zu unterhalten, giebt ein Anrecht
auf das Halten einer Sklavin. Wer eine oder mehr rechtmässige Frauen
hat, soll mit ihnen leben „züchtig, nicht Unzucht treibend und nicht
Konkubinen nehmend" (Sure 5, 7).
An zahlreichen Stellen spricht der Qur'än von Mann und Frau neben-
einander, denen in gleicher Weise gute und schlechte Handlungen ver-
golten wrerden: „Ich lasse nicht verloren gehn eine Handlung irgend eines
unter euch, Mann oder Frau" (Sure 3, 193); „Wer aber Gutes thut, von
Männern oder Fraun, | Und ist dabei ein Gläubiger, | Dieselben führen
wir zum Garten, | Sie werden nicht verkürzt um eine Faser" (Sure 4, 123).
Die frommen Ehegatten werden auch im Paradiese vereint sein: „Ja die
Genossen | Des WTonnegartens heute sind | Beschäftigt froh, || Sie selbst
und ihre Frauen, | Im Schatten auf Ruhbetten hingelehnet" (Sure 36, 55.
56); ferner: „Die da geglaubt an unsre Zeichen, | Und waren Gottergebne, ¡J
Geht ein zum Garten, ihr und eure Fraun, durchwonnet!" (Sure 43, 69. 70).
Ebenso schuldig wie die Männer sind die Frauen, wenn sie die Botschaft,
mit der Gott den letzten aller Propheten und ihren Schlussstein gesandt,
nicht annehmen: „Aber strafe die Heuchler und Heuchlerinnen, | Götzen-
diener und Götzendienerinnen, | Die meinen über Gott die schlimme
Meinung, | Über sie die Umkreisung | Des Schlimmen, Orott zürnt über
sie I Und fluchet ihnen und bereitet ihnen | Die Hölle, schlimm ist sie zur
Einkehr" (Sure 48, 6). Die angeführten Stellen stehen freilich nicht ganz
in Einklang mit einer Ansicht von der Frau, die Muhammed dem Judentum
entnommen hat. Es ist bekannt, wie das Alte Testament von der Frau
spricht, und dass es nur der natürliche Ausfluss jener alttestamentlichen
Vorstellungen ist, wenn der Jude im täglichen Gebete Gott dafür dankt,
dass er ihn als Mann, nicht als Weib, erschaffen. Ähnlich rohe An-
schauungen finden sich auch im Qur'än: Die Frauen werden bezeichnet
Sure 43, 17 als „die aufwachsen im Putz und ohne Vernunft streiten."
Der Mann hat zu befehlen, die Frau hat zu gehorchen, und ist sie un-
gehorsam, so wird sie geprügelt. Es heisst Sure 4, 38: „Die Männer
gehen vor den Weibern, | Weil Gott gab Gnadenvorzug einem vor dem
andern, | Und auch weil sie aufwenden ihr Vermögen. | Ehrbare Frauen
aber sind | Gehorsam und bewahren das Geheimnis, weil sie Gott bewahrt.
Die Frau im Islam.
243
I Doch deren Widerspenstigkeit ihr fürchtet, | Dieselbigen vermahnet | Und
scheidet euch yon ihrem Lager, | Und schlaget sie! doch wenn sie euch
gehorchen, | Suchet gegen sie keinen Weg! | Denn Gott ist hoch und
mächtig."
Freilich, gleich darauf folgt ein Spruch, der diese harte Bestimmung
erheblich mildert. Es kommt nämlich nur darauf an, ob sich die Frau
eine gemeine, rohe Behandlung gefallen lässt, ob sie in das Hineinwerfen
in die Rolle eines Tiers willigt. Muhammed hat sich sehr weise gesagt:
jede Frau hat den Mann, den sie verdient, und lässt sich eine die Miss-
liandlungen eines rohen Patrons gefallen, so verdient sie ihn. Lässt sie
sich sie nicht gefallen, so giebt ihr Gott selbst das Mittel an die Hand,
dem unwürdigen Zustande abzuhelfen (Sure 4, 39): „Befürchtet ihr Zer-
würfnis eines Ehebundes, | So bringt zur Stelle einen | Schiedsrichter von
des Mannes Seite, | Und einen von des Weibes Seite. | Und wenn die
beiden sich vertragen, ( So wird Gott ihren Bund befestigen, | Denn Gott
ist weis' und kundig."1) Vertragen sie sich aber nicht, so erfolgt die
Trennung, die auch vom Richter festgesetzt werden kann. Es sind eben
dem Missbrauch der Rechte, die der Islam dem Mann zu Ungunsten der
1) Yon ehelichem Zwist handeln noch die Sprüche Sure 4, 127 und 129: „Fürchtet
eine Frau von ihrem Gatten Ungerechtigkeit oder Vernachlässigung, so ist's keine Schande
für sie beide, dass sie Frieden zwischen sich schaffen, denn der Friede ist besser; sind
doch die Seelen der Menschen selbstsüchtig erschaffen; seid ihr aber gütig und meidet
Ungerechtigkeit, so weiss Gott, was ihr thut. (129) Und trennen sich die Gatten, so hilft
Gott jedem darüber fort aus Fülle seiner Macht, und Gott ist weitumfassend, kundig."
Das Einzelne haben dann die Rechtsgelehrten später festgelegt, oder vielmehr: in der
islamischen Gemeinde haben sich für das Verhalten in ehelichen Zwistigkeiten feste Normen
gebildet, und diese sind dann von den grossen Rechtslehrern bei Ausbau des Systems ver-
wandt worden. Dass dann die einmal in Rechtsbüchern festgelegten Arten der Behandlung
solcher Fälle völlig in das Bewusstsein des Volkes übergingen und so wiederum die
gelehrte Forschung die Volkssitte beeinflusste, darf kaum erwähnt werden. Es muss aber
auf die gewöhnlich nicht genügend beachtete Seite des islamischen Rechtes hingewiesen
werden, dass es ausserordentlich biegsam ist, und dass es, soweit Qur'än und Sunna nicht
scharf ausgesprochene Einzelvorschriften enthalten (und das ist selten der Fall), der Rück-
sicht auf den bestehenden Brauch (eurf) und der Verwendung der menschlichen Geistes-
thätigkeit zur Auffindung des Angemessensten einen weiten Spielraum lässt. Das ist auch
gerade im Eherecht der Fall. Nach den Sitten der verschiedenen islamischen Länder und
nach dem persönlichen Standpunkt der Rechtslehrer gestalten sich auch in Dingen der
Ehegesetzgebung und in Fragen der Behandlung der Frau nach allen Richtungen die
Einzelvorschriften recht mannigfaltig. Dass diese sich in den Rechtsbüchern zu einer uns
oft wunderlich erscheinenden Kasuistik auswachsen, und dass diese Kasuistik mit Vorliebe
in der Erörterung aller möglichen und oft unmöglich scheinenden physiologischen Zustände
förmlich schwelgt, wird dem nicht wunderbar erscheinen, der die Arbeitart der mittel-
alterlichen Theologen kennt. Die islamische Rechtsforschung steht ja noch heut auf dem
Standpunkte der Scholastik, ebenso wie die pseudowissenschaftliche Forschung eines grossen
Teiles der christlichen Theologie es noch heut thut. Frappante Analogien in der eben
angedeuteten Hinsicht, d. h. in der weitschweifigen Erörterung physiologischer Zustände,
die vielmehr in den Bereich des Mediziners und Psychologen als in den des Theologen,
d. h. im Islam Rechtsforschers gehören, finden sich in den Werken über die Theologia
Moralis, die in der römischen Kirche Geltung haben, auch in den neuesten.
244
Hartmann :
Frau gewährt, Grenzen gezogen. Man nimmt bei uns gewöhnlich an, das
islamische Recht gestatte dem Manne, die Frau mit einem schweren
Schimpfwort aus dem Hause zu jagen, weil sie die Suppe hat anbrennen
lassen. Es ist richtig, dass der Muslim die Gattin fortschicken kann, ohne
ihr oder irgend jemandem einen andern Grund angeben zu müssen als
„Sic volo sic jubeo", und das ist unzweifelhaft eine Härte, die, so nackt
und schroff hingestellt, uns das tiefste Mitleid mit der islamischen Frau
fühlen lässt, freilich kaum grösseres als mit der Frau der Frankenwelt,
die auch in Kulturstaaten ersten Ranges bis in die neueste Zeit durch
den geschlossenen Bund an einen verachtungs- und hassenswerten Mann
mit unlösbaren Fesseln gebunden war und selbst dem Zwange der täglichen
Lebensgemeinschaft, dem Unterworfensein unter Rohheiten und Nichts-
würdigkeiten nur mit Aufbietung eines grossen Apparates entgehen konnte.
Im Islam scheint das Gegenteil der Fall zu sein, die Verbindung so lose,
dass der Mann jeden Augenblick die Trennung aussprechen kann, die
Frau, wenn sie nur einigermassen geschickt ist, den Mann zum Aussprechen
der Trennung veranlassen, und wenn er das durchaus nicht will, leicht
durch richterliche Einmischung eine Befreiung erlangen kann. Man weiss
aber nicht, dass die Trennung an eine Anzahl wirtschaftlicher Bedingungen
geknüpft ist, dass sie für den sie äusserlich herbeiführenden Teil nicht
unerhebliche materielle Opfer mit sich bringt. Nun muss man zugeben,
dass der Begüterte durch das Abfindungsprinzip, das in weitem Umfange
das Eherecht des Islams beherrscht, zu Übergriffen geradezu verleitet
wird, und dass die Frau, die vermögenslos und zu selbständigem Erwerb
unfähig in die Ehe tritt, das grösste Interesse hat, sich wenigstens den
befristeten Teil der Mitgift zu sichern, und sich dem Yerlust nicht aus-
setzen wird, den sie erleidet, wenn sie loskommen will. Das Leben sorgt,
wie schon bemerkt, dafür, dass der Bund nicht zu lose ist, und die meisten
Muslims überlegen es sich sehr wohl, ehe sie das Band, das sie übrigens
in der Regel nur mit einer und nicht selten zärtlich geliebten Frau ver-
bindet, durch ein heftiges Wort zerschneiden.
Es giebt von der Scheidung ein zweimaliges Zurück ohne weitere
Formalitäten, und sogar ein drittes, das freilich an die Zwiscbenehe der
Frau mit einem andern Mann gebunden ist. Ebenso kann der Mann die
Wirkung der besonderen Art von Trennung, die durch das Wort „du
sollst für mich sein wie meine Mutter" herbeigeführt wird, aufheben,
indem er einen Sklaven befreit; eine Bestimmung, die des Humors nicht
entbehrt: ein Sklave wird frei, ein andrer spannt sich erst recht fest in
das Joch, dem er ungestüm entlaufen wollte. So hängt denn wirkliche
dauernde Trennung an tausend Fäden, und die Zahl verstossener und ver-
lassener Ehefrauen wird in den Frankenländern eher grösser sein als im
Islam. Dem gegenüber ist freilich im gesamten Islam nur in ganz ver-
einzelten Fällen die erhabene Form der Ehe zu finden, die in unsern
Die Frau im Islam.
245
innerlich am meisten vorgeschrittenen Kulturländern, wenn nicht die Regel,
so doch recht häufig ist, die innige Lebensgemeinschaft, die auf liebe-
vollem Sichineinanderfinden und dem Sichausgleichen zu schöner Harmonie
beruht. Im Orient ist vorwiegend die Ehe ein Äusserliches, so sind es
auch die Konflikte, und so. ist es auch die Beilegung dieser. In den
Kulturländern ist ja mit dem innerlichen Ausreifen der Frau notwendig
auch die Erscheinung verbunden, dass tiefere Weseiisverschiedenheit zwischen
Ehegatten zu der innern Trennung führt, für welche die äussere dann nur
noch eine gleichgültige Erscheinungsform ist.
Ist in der Ehe die Frau nach dem Wortlaut des Gesetzes an den
Willen des Mannes gebunden, so ist sie ausser der Ehe vollständig frei,
und niemand hat das Recht, einen Zwang auf sie auszuüben. Nur in
zwei Punkten teilt sie nicht vollständig die Rechte des Mannes: sie gilt
in Nachlasssachen und beim Zeugnisablegen vor dem Richter nur als ein
halber Mensch. Das erscheint uns als eine Härte, wir werden es milder
beurteilen, wenn wir bedenken, dass bei den heidnischen Arabern und
nach dem jüdischen Gesetz die Frau in Nachlasssachen und in Zeugnis-
sachen noch viel schlechter gestellt ist: die Tochter ist bei Vorhandensein
von Söhnen völlig ausgeschlossen vom Erbe, und vor dem israelitischen
Richter gilt nur der freie Israelit als Zeuge, nicht die Frau. Dass Mu-
hammed der Frau so viel Recht erkämpfte, muss hoch anerkannt werden.
Ob und in welcher Weise seine Bestimmungen sich mit den heute geltenden
Anschauungen der Kulturvölker werden in Einklang bringen lassen, muss
hier unerörtert bleiben. Mir ist unzweifelhaft, dass sich ein Auso-leich
' O
finden wird, der auch den Muslims strengerer Observanz annehmbar ist.
Erste Bedingung ist, dass der Islam sich freimacht von dem überwuchernden
Beiwerk, das die Theoretiker um die einfache Lehre des Propheten ge-
schlungen haben, und das zwischen ihr und dem fränkischen Empfinden
eine schier unüberbrückbar scheinende Kluft geschaffen.
Ganz konnte die Theorie nie das volle reiche Leben unter ihren
grauen Zwang beugen. Wundersam ist es gemischt und bleibt es, mögen
auch die feinsten Systematiker die strammsten Schablonen ersinnen, all
seine tausend Regungen hineinzuzwängen. Gewiss, unheilvoll, höchst un-
heilvoll war die Wirkung, die das Spinthisieren der islamischen Juristen
über möglicherweise sich ergebende Rechtsfälle übte, unheilvoller noch,
dass diese Spinthisierereien weltfremder Grübler zur Lebensregel wurden.
In Fesseln geschlagen wurde die Entwicklung der Völker, die unter dem
Banne dieser Gesetzesmache standen, und ihre Rache war, dass sie der
Rechtsbildung keine neuen Säfte und Kräfte zuführten. Nur ein Element
der islamischen Gesellschaft ist fast ganz von diesem Prozess verschont
geblieben, das Element, aus dem der junge Islam seine Hauptkraft sog,
und das in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens noch mächtig und
glücklich in ihm wirkte, die Beduinen. In dem vorislamischen Arabien
246
Hartmann:
war dieses Element das herrschende. Es war ein physisch und moralisch
gesundes ■Volk, diese Söhne und Töchter der Steppe, und vor allem besassen
sie das, was das höchste Gut des Menschen ist: Persönlichkeit. Dass
Muhammed und seine Nachfolger, auch noch die Staatshäupter und Staats-
männer der ersten zwei Jahrhunderte des Islams, vor diesem Besten
Respekt hatten, das die Araber in den neuen Glaubeil mitbrachten, ist
das Geheimnis des wunderbaren Erfolges, mit welchem ein bis dahin fast
unbekanntes Volk über die Welt dahinfegte, das eine der beiden Reiche,
die sich in die Macht teilten, völlig zertrümmernd, dem andern die besten
Stücke abreissend.
Persönlichkeit — in den mächtigen Reichen ausserhalb Arabiens war
dieses Höchste des Individuums mit Füssen getreten worden. In Byzanz
und in Ktesiphon sass der Wurm, der die Macht der beiden Weltreiche
zerfrass: das war die kleine Schaar, die jeden Einzelwillen unbarmherzig
brach, wenn persönliches Interesse oder Laune es gebot, sich versteckend
hinter dem mit der Maske der Göttlichkeit versehenen Fürsten, soweit
dieser nicht selbst zu herrschen sich anschickte, statt nur unter der Herr-
schaft der Höflinge zu regieren, wobei es dann manchmal noch schlimmer
zuging. Muhammed stellte in Bezug auf das Yerhalten der Menschen
gegen Gott grosse Anforderungen: hier wurde unbedingtes Sichfügen ver-
langt, und obwohl die Bewegungfreiheit des Einzelnen dadurch nicht
unerheblich behindert, ihm ein höchst lästiger Zwang auferlegt wurde,
hierbei gewöhnten alle Araber sich schnell, ein Opfer zu bringen. Aber
für das Yerhalten gegen Menschen wurden ihnen keine Zumutungen ge-
macht. Der ersten Zeit des Islams sind alle Beschränkungen der Persön-
lichkeit, die ausserhalb der Rechtsordnung liegen, völlig fremd, und diese
Rechtsordnung vermeidet es ängstlich, mehr festzulegen, als für ein ge-
ordnetes Zusammenleben dringend nötig ist. In allem spricht sich der
Grundsatz aus: alle Muslims sind einander gleich, es giebt keinen Unter-
schied der Abstammung nach Familie oder Volk; Führer soll sein, wer
am besten die Interessen der islamischen Gemeinde wahrzunehmen weiss.
Mit diesem Prinzip wurde gebrochen, und der Yerfall bereitete sich
vor, als der Chalifenhof vom Persertum1) verseucht wurde, und als damit
eine Richtung in dem religiösen und zugleich in dem sozialen Leben zur
Herrschaft gelangte, die dem Geiste des Religionsstifters völlig zuwider
1) Die Perser, mit denen die Araber bei ihrem Eintreten in die Geschichte bekannt
und von denen sie alsbald beeinilusst wurden, hatten eine fertige, uralte Kultur. Die
Frage nach deren Ursprung sei hier nur gestreift. Wie weit sind Erscheinungen der alt-
persischen Kultur und Sitte der Berührung mit dem äussersten Osten, China, zuzuschreiben?
Stammt nicht dorther die persische Haremswirtschaft? Für die Vergleichung liefert China
gutes Material: „in der grossen Encyclopädie t'u-su-tsi-ö'öng sind 58 chinesische Bände
(pön) lediglich dem Leben des Weibes in allen seinen Phasen gewidmet" (Hirth, Zur
Kulturgeschichte der Chinesen, München 1898, S. 7 [S.-A. aus Beil. Allg. Ztg.]).
Die Frau im Islam.
247
war: die Fesselung des Individuums in den Schranken kleinlicher Einzel-
bestimmungen des Rechts.
Auf die Stellung der Frau hatte das Eindringen des Persertums den
schwerwiegenden Einfluss. Nicht mit Unrecht gelten die Bewohner
Persiens seit den ältesten Zeiten als in hohem Grade der Lüge zuneigend.
Durch und durch unehrlich war das Verhältnis zwischen Fürst und Volk,
denn dem Volke wurde vorgemacht, der dem gemeinen Auge sich ver-
bergende Fürst sei etwas Gottähnliches, und das Volk gab sich den Schein,
als glaube es das, die Wissenden aber, die Haruspices, kicherten. Un-
redlich war auch das Verhältnis von Mann und Weib. Scheinbar ist der
Mann der unumschränkte Herr im Hause, in Wirklichkeit ist er der Sklave
nicht der rechtmässigen Gattin, sondern der Nebenfrau, die in den per-
sischen Harems in zahlreichen und schlimm ausgewachsenen Exemplaren
vertreten war. Als die Araber in die Geschichte eintraten, herrschte dieses
Treiben im Sasanidenreiche genau so wie vor ihm in dem der Arsaciden
und der Achäineniden, und von Persien aus hatte es sich die Welt voll-
kommen unterworfen, die den damaligen Kulturlümmel züchtete. In Byzanz
ging es nicht anders zu als in Ktesiphon, und wie hier hatte die Sitte des
Hofes den verderblichen Einfluss auf das ganze Land geübt. Man glaube
nicht, dass das oströmische Reich als ein christliches sich in Bezug auf
wüstes Treiben von dem persischen wesentlich unterschied. Namentlich
über die Stellung der Frau herrschten hier dieselben Vorurteile wie in
dem feindlichen Reiche, mit dem man sich in die Weltmacht teilte.
Die Frauen sassen bei öffentlichen Anlässen hinter dem Gitter wie in der
übrigen Welt des Orients, und wie es noch heut üblich ist, bewacht von
den unglücklichen Kreaturen, die das Verbrechen, das die Menschheit an
ihnen beging, noch immer mit den Plagen gerächt haben, die sie über
die beiden Geschlechter brachten, von denen sie keinem ganz an-
gehören: die freien und würdigen Frauen zu Sklaven herabwürdigend
halfen die Eunuchen den unfreien und unwürdigen bei allen Abscheulich-
keiten, und wieder mit deren Hilfe beherrschten sie nicht selten voll-
kommen die, die sich Herrscher in Haus und Reich wähnten. Es ist
nun höchst beachtenswert, dass sich Arabien vor dem Islam und auch in der
ersten Zeit nach dem Islam von der allgemeinen orientalischen Konkubinen-
und Eunuchenwirtschaft völlig frei gehalten hat. Man wende nicht ein,
dass ja im Qur'än selbst von Nebenweibern die Rede ist; die Art, wie es
geschieht, zeigt jedem, der sehen will, dass es sich dabei nur um ein nicht
gerade empfohlenes Auskunftmittel handelt (vgl. die oben S. 242 angeführten
Stellen).1) In keinem Falle dürfen wir den Islam für die unwürdige
1) Von Eunuchen wird selbst in den grösseren Verkehrs centren Arabiens wenig zu
sehen gewesen, sie werden kaum mehr als dem Namen nach bekannt gewesen sein. Nicht
mit Sicherheit ist die Erwähnung der nichtswürdigen Verstümmelung im Qur'än fest-
zustellen, doch mag zugegeben werden, dass besonders an sie der Prophet in dem Qur'än-
248
Hartmann :
Stellung der Frau im Orient verantwortlich machen, sie war da, ehe er da
war, mit Ausnahme des kleinen. Stückes Arabien, und dieses hat sich
tapfer gegen die Verseuchung mit dem ihm fremden Wesen gewehrt. Man
könnte vielleicht sagen, der Islam hätte die zerfressene alte Welt durch-
säuern, einen neuen bessern Zustand herbeiführen sollen. Jedenfalls darf
nicht das christliche Frankenland aus Nichterfüllung solcher Forderung
einen Vorwurf herleiten, denn mit Recht würde der Islam fragen: wie
sah es denn nach vierzehn Jahrhunderten der Herrschaft der christlichen
Lehre am Hofe des allerchristlichsten Königs und in den edelsten Familien
seines Landes aus?
Es ist ein trübes Bild, das der islamische Orient zeigt, seitdem die
Kraft der jugendfrischen ersten Träger des Islams, der Araber, gebrochen
ist. Selbst der schlimmste Verfall konnte aber nicht ganz gewisse Rechte
aus den Gesetzbüchern verbannen, die der Frau in den Quellen zugesichert
waren. Da half man sich durch eine Perfìdie: man versetzte die Frau
von vornherein in eine schiefe Lage, in eine Lage, die ihr die Ausübung
jener von Gott selbst ihr verbürgten Rechte geradezu unmöglich machte.
Man trat frech mit der Scheinvorstellung auf: 1. die Frau dürfe vor
niemandem als den nächsten Blutsverwandten ihr Gesicht zeigen, 2. der
Frau sei jeglicher gesellige Verkehr mit andern als jenen untersagt.
Damit war ihr das Todesurteil gesprochen. Der Gesichtsschleier ist ja
nur der Exponent der wunderlichen Vorstellung, dass die Frau an sich
etwas Anstössiges sei, er stellt aber ausserdem das Prinzip der völligen
Trennung der Geschlechter dar. Das Verbot des geselligen Verkehrs mit
nicht blutsverwandten Männern bedeutet für die Frau die Unmöglichkeit,
von Leben und Welt mehr zu sehen, als ihre nächste Umgebung sie
sehen zu lassen fähig oder gewillt ist. Die Frau soll nicht lernen, sie
soll sich nicht unterrichten, sie soll vor allen Dingen um Gotteswillen
nicht ihre Rechte kennen lernen, damit man sie nach Laune und Willkür
wie eine Sache behandeln kann. Aber auch die Ledige und selbst das
Kind soll nicht lernen. Für das Mädchen ist keine Schule da. Ist es
bessern Standes, so bringt man ihm wohl die Anfangsgründe des Lesens
und. Schreibens bei, dafür wird ihm dann aber erst recht jede Ausbildung
in gewerblichen Fertigkeiten vorenthalten als unschicklich und nur be-
stimmt für die, die damit sich das Brot verdienen müssen. Worauf das
alles hinaus will, liegt klar zu Tage, und ganz offen wird es ausgesprochen
in einer kulturhistorisch nicht unwichtigen Thatsache, die bisher nicht
gewürdigt scheint: in Egypten wird die Frau, ob alt ob jung, wenn sie
nicht reiche Kleider anhat, und man ihr deshalb mit dem Titel „Madame"
verse 4, 118 gedacht hat: „Dem [Satan] fluchte Gott, er aber sprach: | Ich.will von deinen
Knechten nehmen | Den mir beschiednen Teil, und will sie irreleiten, | Will sie zu Wunsch
und Wahn verführen, | Will ihnen heissen, dass sie sollen | Des Viehes Ohren stutzen, | Will
ihnen heissen, dass sie sollen | Verstümmeln Gottes Schöpfung."
Die Frau im Islam.
249
(já sitt) schmeichelt, angerufen: ja ulije, d. h. o Unmündige. Die es
anwenden, sind sich dabei der ursprünglichen Bedeutung des Wortes kaum
bewusst, aber das ist es eben: gedankenlos werden dem rechtlosen weib-
lichen Geschlecht die schwersten Beleidigungen ins Gesicht geschleudert,
gedankenlos werden sie von ihm hingenommen: „es war ja immer so;
unsere Mütter und Grossmütter waren ja glücklich dabei."
Man wende nicht ein, dass es bedeutende Frauen in Politik, Poesie
und Wissenschaft auch im dekadenten Islam gegeben habe. Diese Frauen
hatten nichts weniger im Sinn, als das Los ihrer Schwestern zu bessern,
den Stand des weiblichen Geschlechts zu heben.
Muss es ewig so bleiben? ist keine Hoffnung, dass eine Änderung des
Zustandes eintritt, der das tiefe Mitgefühl jedes wahrhaften Menschen-
freundes erwecken muss? Keine Frage ist, dass die, die unter diesem
Zustande leiden, das Beste thun müssen. An ihnen ist es, zu zeigen, dass
sie die Unwürdigkeit ihrer Lage empfinden, und dass sie eine Änderung
herbeizuführen entschlossen sind, an ihnen ist es, die ganze Kraft des
Geistes und Willens für das hohe Ziel einzusetzen. Die Schwierigkeiten,
die sie zu überwinden haben, sind ungeheure. Auch im Frankenlande
fielen, als die Frauenbewegung begann, die seichtesten Köpfe mit albernen
Witzen über die Heldinnen her, die oft unter Entbehrungen und Bitter-
nissen einen Kampf kämpften, dessen Bedeutung die meisten ihrer Gegner
auch nicht einmal ahnten, während auf der anderen Seite die „Ernsten"
etwas von falscher Kultur oder gar von Untergrabung der Familie und
der Gesellschaft faselten. Die Frauen des Islams, die für die Frauensache
ernst arbeiten, müssen darauf gefasst sein, nicht bloss Spott von Witzlern
und Anzweifelung von den Stützen der Gesellschaft zu ernten, nein, sie
müssen auf Gefährdung von Leib und Leben gefasst sein. Wenigstens in
den Ländern mit islamischer Regierung. Denn in ihnen allen ist die
Macht in den Händen von Personen, die, wenn nicht selbst allen wirk-
lichen Fortschritt im tiefsten Innern grimmig hassend, die Dunkelmänner
gewähren lassen müssen, denen nichts heiliger ist als das Forterben der
ewigen Krankheit „Gesetz und Sitte."
Sonderbar! Nicht unter islamischer Herrschaft, sondern unter un-
gläubiger, winkt dem Islam Hoffnung auf Erneurung, die mit Hebung der
Frau beginnt. In Egypten, wo der islamische Fürst nur noch eine Schein-
regierung führt und die Ungläubigen die wahren Herren sind, hat eine
Bewegung von unabsehbaren Folgen eingesetzt. Ihre Bedeutung liegt
nicht darin, dass sie mit einer gradezu elementaren Gewalt, mit einer in
dem schlaffen und trägen, im Traditionsdusel verkommenden Orient ganz
ausserordentlichen Macht aufgetreten ist. Denn nichts bürgt dafür, dass
morgen anderes die Geister packt und die Frage von der Tagesordnung
verschwindet. Aber das ist sicher, dass sie sich nicht mehr völlig aus
der Welt schaffen lässt. Dazu hat sie in der öffentlichen Meinung Egyptens
250
Hartmann:
— denn eine solche giebt es auch dort — zu tief Wurzel gefasst. Ein
besonders glücklicher Umstand hat der Bewegung sofort den grossen
Charakter gegeben, dessen sie bedurfte, um auf die schwerfällige Masse
zu wirken, nicht auf einen kleinen Kreis von social-organisatorischen
Experimentlern und philosophierenden Feinschmeckern beschränkt zu
bleiben. Frauen hätten nichts ausgerichtet, selbst mit Begabung und
starkem Willen; denn noch haben sie in Egypten keine Stimme, und noch
ist die Schar der Kämpferinnen an Zahl und Schulung zu unbedeutend.
Auch nicht ein besitz- und titelloser Habenichts trat für die neue Idee
ein. Die Eechte der Frau hatten in Egypten das Glück, einen männlichen
Vertreter zu finden, der mit lebhaftem Geist und guten Fähigkeiten und
Kenntnissen den Besitz reichlicher Mittel und eine angesehene Stellung
verbindet, und allenthalben als ein Mann von durchaus ehrlicher Gesinnung
und besten Absichten geschätzt wird. Kasim Bey Amin [qasini amìn],
Bat am einheimischen Berufungsgericht in Kairo, hat mit wachem Auge
die socialen Verhältnisse seines Heimatlandes beobachtet und auch die der
Frankenländer sorgfältig studiert. Er hat sich davon überzeugt, dass die
erste Bedingung zu einer Wiederbelebung seines islamischen Heimatlandes
und zur Beseitigung der Fremdherrschaft, die natürlich allen Egyptern
verhasst ist, die Hebung des weiblichen Geschlechts ist, und er hat dieser
Überzeugung in packenderWeise zuerst in seinem Buche tahrir almar'a
d. h. die Befreiung der Frau, erschienen in Kairo 1899, Ausdruck gegeben.
Das Buch erregte einen wahren Sturm. Die gesamte Presse Egyptens,
die nicht unbeträchtlich ist, beschäftigte sich damit. Durchschlagend für
seinen Erfolg war, dass der äusserst fähige und weitsichtige Herausgeber
der grössten Kairenser Tageszeitung, des in allen Teilen der islamischen
Welt verbreiteten Blattes Almu'aijad, Herr "Ali Jüsuf, der sich in der
Hauptsache auf Seite des Verfassers stellte, Monate hindurch Zuschriften
über das umstürzlerische Buch von freundlicher und feindlicher Seite auf-
nahm. Vor wenigen Wichen nun ist ein neues Buch des Kasim Bey Amin
erschienen unter dem Titel almar'a algadida cl. h. die neue Frau, und
wieder hat es einen Sturm in den Geistern entfacht.1) Unter den Stimmen,
die bisher darüber laut geworden sind, wiegt am schwersten die des
egyptischen Ministers des Innern Mustafa Fehmi Pascha. In der Nummer
des Almu'aijad vom 29. Januar d. J. ist ein Brief von ihm an Kasim Bey
Amin abgedruckt, in welchem er seine volle Zustimmung zu den in der
„Neuen Frau" vertretenen Ansichten ausspricht. Bedingungslos tritt er
für die Notwendigkeit einer gründlichen Erziehung des weiblichen Ge-
schlechtes ein, auf der allein das Glück der Familie und der Fortschritt
1) Einige Mitteilungen über dieses Buch und im Anschluss daran über freiere
Regungen im modernen Islam Egyptens machte .I)r. Ernst Harder in dem Artikel „Die
,neue Frau' im Orient", Tägl. Rundschau, Unterhaltungsbeilage No. 42 vom 19. Febr. 1901
Die Frau im Islam.
251
der menschlichen Gesellschaft beruhe; zugleich erkennt er an, dass eine
solche gründliche Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts nicht
möglich sei mit der bisherigen Schleierwirtschaft.
Wie sich die zu der neuen Bewegung verhalten, die sie zunächst an-
geht, die islamischen Frauen selbst, lässt sich noch nicht sagen. Es
scheinen bemerkenswerte Äusserungen aus ihrer Mitte noch nicht vorzu-
liegen. Doch hat seit längerer Zeit die Frau energisch die Partei des
vielangefochtenen Kasim Bey ergriffen, die man insofern als an der Spitze
der Frauenbewegung im arabischen Orient stehend betrachten kann, als
sie das einzige arabische Blatt herausgiebt, das sich selbst als Frauenblatt
bezeichnet und von einer Frau geleitet ist, die Zeitschrift Anï s algal is
d. h. der Vertraute des Freundes. Frau Alexandra Avierino, der griechisch
orthodoxen Familie Churi in Beirut in Syrien entsprossen, bringt in der
letzten Nummer ihres Monatsblattes vom 31. Januar d. J. einen längeren
Artikel über die „Neue Frau" und tritt für die Anschauungen des Verfassers
ein, wie nicht anders zu erwarten war. Denn die mutige und geschickte
Frau hat bereits mehrfach in ihrer Zeitschrift in sympathischer Weise
über die fränkische Frauenbewegung berichtet und hat auch selbst schon
unabhängig von Kasim Amin für die Hebung des Unterrichts ihrer Landes-
genossinnen das Wort ergriffen. Als Christin durfte sie natürlich an die
religiösen Vorstellungen der islamischen Bevölkerung nicht rühren. Sie
hätte dadurch Misstrauen erweckt und der Sache nur geschadet. Jetzt,
wo von den angesehensten Muslims des Landes das angebliche Schleier-
gebot als eine Erfindung der Theologen gebrandmarkt ist, darf sie freier
sprechen. Sie wird nicht allein bleiben. Immer fester wird sich in die
Köpfe und Herzen auch der islamischen Frauen der Gedanke graben: Nur
der gewinnt sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.
Ein schöner Anfang ist gemacht. Freilich noch lange werden die
Strenggläubigen widersprechen und sich immer von neuem darauf berufen,
das Prinzip sei nun einmal durch Gottes Gebot geheiligt: die Frau
muss gehorchen und muss auch die übelste Behandlung des Mannes ohne
zu murren wie ein Hund über sich ergehen lassen. Gehorchen! wie sagt
Iphigenie?
Von Jugend auf hab ich gelernt gehorchen
Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit,
Und folgsam fühlt ich immer meine Seele
Am schönsten frei.
Freiheit im Gehorsam, durch den Gehorsam, Gehorsam in der Freiheit
und durch die Freiheit. Lasst, ihr Muslims, eure Frauen sich frei ent-
wickeln, gebt ihrem Empfinden, ihrem Denken Nahrung, opfert ihnen vor
allem einen Teil eures Selbst, eures Eigensinns, eurer Eigensucht, dann
"werdet ihr sie nicht ungehorsam finden. Dann werden sie euch dienen,
nicht weil das Gesetz es verlangt, sondern weil ihr Herz danach verlangt,
252
Boite:
dann werden sie euch nicht durch Launen und Ränke kränken, durch
kindischen Trotz zu heftigem Wort oder gar zu sie und euch entwürdigender
thätlicher Züchtigung euch reizen; sie hebend werdet ihr von ihnen ge-
hoben, hinausgehoben über den Islam, wie ihr zumeist ihn heut versteht,
zu dem Islam, den eure Besten bekannt, zu dem auch wir uns bekennen,
zur liebenden Ergebung, zur ergebenden Liebe, die in der Vernichtung
des Ich das Ich befreit,
Denn wo die Liebe waltet, stirbt
Das Ich, der finstere Despot.
So lasst ihn sterben in der Nacht
Und atmet frei im Morgenrot.
Ein dänisches Märchen Yon Petrus und dem Ursprünge
der bösen Weiber.
Yon Johannes Bolte.
Yor zwanzig Jahren gab Yiggo Sâby zu Kopenhagen einen merkwürdigen
dänischen Prosaschwank des 17. Jahrhunderts in sauberem Neudrucke heraus,
der in Deutschland kaum Beachtung gefunden zu haben scheint:
En Lystig Tractat Om S. Peders Trende Dottre, Deris Herkomst oc Giftermaal,
saa oc hvor fra de onde Qvinder hafiVer deris Oprindelse saare kortvillig* at lsese
□ Nu Nyligen til Trycken Fordansket Äff N. H. C. R. Prentet Aar 1667. 4 Bl. b°.
Da der dänische Anonymus N. IL C. R. sich nur als Übersetzer be-
zeichnet und sich, wie Sâby bemerkt, Germanismen zu schulden kommen
lässt, wird man dem letzteren beipflichten müssen, wenn er in dem Büchlein
eine Reproduktion einer bisher unbekannten deutschen Flugschrift sieht.
Zur Ermittlung dieses Originals möchte ich auffordern, indem ich die
beiden den Kern des Traktats bildenden Märchen hier in deutscher Sprache
wiedergebe.
I.
Zur Zeit da unser Herr und Sankt Petrus in der Welt wanderten,
kehrten sie in einem Schmiedekrug ein, wo sie gut aufgenommen wurden.
Und im Rausche verlobte Petrus einem Schmiedegesellen seine Tochter
Petronella. Bald darauf kam ein andrer und bat auch um ' sie. Petrus
hatte die erste Zusage vergessen und versprach sie ihm auch. Eine Stunde
oder zwei danach kam der dritte Schmiedegesell zu ihm und sagte: „Guter
alter Yater, ich habe erfahren, dass Ihr eine schmucke Tochter habt; kann
Ein dänisches Märchen von dem Ursprünge der bösen Weiher. 253
ich nicht mit Euch handelseins über sie werden?" Petrus sagte auch
diesem Gesellen seine Tochter zu.
Aber als am andern Morgen Petrus erwachte und bedachte, dass er
drei Töchter verlobt hatte und doch nur eine daheim hatte, verdrossen
ihn seine Zusagen, und er bat den Herrn, ihm ein paar Töchter zu schaffen,
damit er seinem Versprechen nachkommen könne und die Schmiedegesellen
nicht ärgerlich würden und ihm seine Stirn zerschlügen. Darauf soll der
Herr erwidert haben: „Petrus, du hast ja eine Tochter, die schöne und
fromme Petronella1); die beiden andern will ich dir verschaffen. Zu der
ersten Kreatur, die dir morgen früh an der Thür begegnet, wenn du
vom Bett aufstehst, sollst du sagen: Guten Morgen, meine Tochter!
Dann wird sie zu einem schmucken Mädchen werden. Und übermorgen
ebenso."
Was geschah? Arn ersten Morgen traf er eine Sau. Petrus sagte:
„Guten Morgen, meine Tochter!" Und alsbald ward sie ein schmuckes
Mädchen. Am zweiten Morgen traf er an der Thür eine Gans. Petrus
sagte: „Guten Morgen, meine Tochter!" Und flugs verwandelte sie sich
und ward ein schönes Mädchen und sagte: „Keg geg, lieber Yater, hier
bin ich." So hatte Petrus drei Töchter für seine drei Schwiegersöhne.
Bald darauf wurden die Hochzeiten festgesetzt, auf denen jeder seine
Braut heimführte. Was geschah? Eine Woche später oder zwei rüstete
Petrus ein Mahl und lud seine drei Schwiegersöhne dazu. Und als das
Mahl vorüber war, fragte Petrus den ersten: „Lieber Sohn, wie gefällt dir
meine Tochter, wie stellt sie sich an?" Er antwortete: „Yäterchen, sie
ist wohl hübsch, tüchtig und schön; aber sie ist sehr schweinisch und
schmutzig." „Ja", sprach Petrus, „Söhncheu, du musst mit ihr zufrieden
sein; denn ihre Mutter war ebenso beschaffen." — Damit redete Petrus
den zweiten an: „Und wie gefällt dir meine Tochter?" Er antwortete:
„Dass sie schmutzig ist, kann ich nicht behaupten; aber sie ist sehr ein-
fältig und gänsedumm." Petrus antwortete: „Ihre Mutter war ebenso, und
ein Sprichwort heisst: Die Tochter tanzt in der Mutter Hemde." — Dann
sprach er zum dritten: „Und wie gefällt dir meine Tochter?" Er ant-
wortete: „Yater, ich habe ein ehrliches, frommes, züchtiges, häusliches
und gutes W^eib, sie ist auswendig und inwendig fromm, und wird kein
Gebrechen oder Mangel an ihr erfunden." Petrus antwortete: „Ja, sie
schlägt nach ihrer Art; denn ihre Mutter war ebenso."
Die Schwiegersöhne verwunderten sich über seine Worte und wollten
wissen, wie das zusammenhinge, bis Petrus ihnen erzählen musste, wie
es sich mit diesen drei Töchtern verhielt. Yon diesen drei Töchtern des
hl. Petrus haben, wie einige meinen, verschiedene Frauen in der Welt
ihren Ursprung genommen.
1) Petronilla erscheint auch sonst in der Legende als Tochter des Petrus.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 1&
254
Boite:
IL
Als unser Herr und Petrus einstmals durch einen Wald wanderten,
■sah Petrus den Teufel unter einer Linde bei einer hübschen Jungfrau
stehen, sie küssen und liebkosen. Darüber ward Petrus zornig und sprach:
„Schöpfer, siehst du, wie der Bösewicht das junge Blut verführt? Soll
man so die Jugend erziehen?" Darauf soll der Herr geantwortet haben:
„Lass ihn, Petrus! Denn der Teufel ist von jeher ein Schalk." Petrus
sprach: „Willst du, Herr, so schlage ich ihm den Kopf ab." Darauf soll
der Herr geantwortet haben: „Petrus, wenn dein Fischermesser nicht
scharf ist. so lass es bleiben! Denn den Teufel erschlägt man nicht wie
Hornvieh." Petrus aber schlich sich sacht von hinten heran und hieb so
kräftig zu, dass beiden, dem Teufel und dem Mädchen, von dem einen
Schlage das Haupt abfiel.
Petrus warf die Wehr von sich, fiel auf seine Knie und rief: „Schöpfer,
Schöpfer, ich habe übel gethan, dass ich die schöne Jungfrau enthauptete.
Gieb ihr das Leben wieder, da du alle Dinge vermagst!" Der LIerr ant-
wortete: „Petrus, das Blut ist noch warm; setz ihr rasch den Kopf auf,
so wird sie lebendig." Petrus ward von Herzen froh, lief hin und vergriff
sich; denn er ergriff den Teufelskopf und setzte ihn dem Mädchen auf.
Da ward sie lebendig, sprang auf, fluchte und keifte, schlug ihn mit den
Fäusten und schalt ihn wegen seines doppelten Missgriffes. Petrus wollte
ihr nun den Kopf wieder abhauen, damit sie ihren eignen Kopf wieder
bekäme; aber das ward ihm nicht erlaubt.
Von diesem Weibe sollen, wie einige meinen, alle bösen Weiber
ihren Ursprung haben, da viele Frauen schöne und stattliche Venustöchter
sind und doch einen Teufelskopf oder Mund haben.
Man erkennt leicht, dass diesen beiden Märchen die satirische Absicht
innewohnt, zu zeigen, dass auf vier Weiber nur ein gutes kommt; die
übrigen gleichen der Gans, dem Schweine oder dem Teufel. Bevor wir
jedoch der Quellenfrage nähertreten, und uns nach parallelen Erzählungen
umsehen, müssen wir bemerken, dass in Dänemark mehrere jüngere Varianten
existieren, die vermutlich aus dem Yolksbuche von 1667 abstammen und
für dessen Beliebtheit Zeugnis ablegen. So erwähnt Peder Syv, der be-
kannte Sprachforscher und Volksliedersammler (1631—1702), ein Lied
über die drei Töchter Sankt Peters; Svend Grundtvig besass ein in
Vendsyssel aufgezeichnetes Volksmärchen, das allerdings verschiedentlich
vom Volksbuche abwich1); und gedruckt liegen uns vor zwei im wesent-
lichen übereinstimmende jütische Volksschwänke bei Kristensen, JyskeFolke-
minder 4, 336, No. 430 und Danske Skœmtesagn 1900, S. 105, No. 50.
1) Diese beiden Nachweise liefert Sâby in seiner Vorrede.
Ein dänisches Märchen von dem Ursprünge der bösen Weiber.
255
Dagegen möchte es schwer fallen, eine dem ersten Märchen des Volks-
buches entsprechende bulgarische Erzählung1), in der nur statt Petrus
Noah, statt Sau und Grans aber Katze und Esel genannt werden, gleichfalls
aus dem dänischen Drucke abzuleiten. Wir werden eher eine Verbindung
mit dem deutschen Originale des letzteren annehmen, wenn wir die folgende
böhmische Sage2) betrachten, in der Jesus ganz an die Stelle seines
Jüngers Petrus getreten ist und letzterer nur als stummer Zuschauer dem
Wunder beiwohnt.
Jesus kam auf seinen Wanderungen in ein Dorf, in dem die Männer
strickend, spinnend und waschend vor der Thür sassen. Er fragte den
ersten, warum er eine Arbeit verrichte, die nur Weibern gezieme. Der
Mann antwortete: „Ich habe kein Weib." Darauf verhiess ihm der Herr
ein Weib zu senden. Und ebenso that er bei den übrigen Bewohnern
des Dorfes, die er mit Weiberarbeiten beschäftigt antraf. Als er dann
mit Petrus weiterzog, begegnete ihnen nach einer Weile auf der Landstrasse
eine Gans. Jesus verwandelte sie in ein Weib und sandte sie sogleich in
das Haus des ersten Mannes. Ebenso that er mit einem Pfau, den er als
Weib zu dem zweiten Mann gehen hiess, mit einer Katze, Taube, Schlange,
Elster, Biene, Ricke, Krähe, Eule, einem Fisch und einer Sau. -— Nach
Jahr und Tag kehrte der Herr wiederum in dem Dorfe ein und fragte
den ersten Hauswirt, wie er mit seinem Weibe zufrieden sei. „Ach, Herr",
seufzte der Mann, „mein Weib ist gar einfältig und schnattert den ganzen
Tag wie eine Gans." „Sie verleugnet ihren Ursprung nicht", meinte
Jesus lächelnd und schritt weiter. Und so hörte er auch in den andern
Häusern meist Schlechtes von den Weibern; sie waren stolz wie ein Pfau,
naschhaft wie eine Katze, falsch wie eine Schlange, geizig wie eine Elster,
hässlich wie eine Eule, unsauber wie eine Sau. Einige aber waren zärtlich
wie eine Taube, sanft wTie ein Reh und fleissig wie eine Biene. Die
Weiber besassen eben die Eigenschaften der Tiere, aus denen sie ent-
standen waren. Darum giebt es noch heutzutage so verschiedene Arten
von Weibern.
Offenbar reihen sich diese drei engverwandten Schwänke, der dänische,
der bulgarische und der tschechische, den zahlreichen ungalanten Satiren
ein, die einzelne Eigenschaften der Frauen mit bestimmten Tieren in
Verbindung bringen und deshalb diese Frauen von den entsprechenden
Tieren abstammen lassen. So berichtet eine rabbini s che Tradition, die
Hans Sachs 1557 in einem Spruchgedichte „Der Hundschwanz" behandelte
und spätere Erzähler mit Behagen variieren3), wie Gott eine Gehilfin für
1) Strauss, Die Bulgaren, 1898, S. 44.
2) Waldau in den von A. Luksic herausgegebenen Slavischen Blättern 1, 241 (1865):
„Die Weiber im Dorfe."
3) H. Sachs, Folioausgabe 2, 4, 71b = Fabeln und Schwänke ed. Kroetze 1, 522,
No. 182; vgl. 2, XVII. Zincgref-Weidner, Apophthegmata 4, 414 (1655) citiert als Ge-
256
Boite-:
Adam erschaffen wollte und dem Schlafenden eine Rippe aus dem Leibe
nahm, habe ein Hund den Knochen gepackt, um damit zu entlaufen. Aber
der Herr erwischte ihn, schnitt ihm den Schwanz ab und schuf daraus
Eva. — Noch weit älteren Datums sind zwei von Stobaios aufbewahrte
griechische Gedichte des Simonides von Amorgos und des Phokylides
von Milet1), die wohl beide einen alten Volksspruch reproduzieren. Sie
stimmen darin zu dem dänischen Schwanke, dass sie mehrere Tiere namhaft
machen, während ihnen eine scherzhafte Motivierung dieses Ursprunges
der Weiber, wie sie sowohl das dänische Volksbuch wie die angebliche
rabbinische Überlieferung bietet, durchaus mangelt. Nüchtern und kühl
erzählt Simonides, Gott habe des Weibes Sinnesart verschieden geschaffen,
teils von der Sau, teils vom Fuchse, Hunde, von der Erde, vom Meere, vom
Esel, Wiesel, von der Stute, vom Affen oder von der Biene:
XcoqIç yvvaixòg Oeòg sjr.otijosv vóov
Ta n orino. ' T/Ì]V juèv If vàç ravvTQi/oç etc.
Von den neun Typen böser Weiber des Simonideischen Frauenspiegels
erscheinen bei dem um ein Jahrhundert jüngeren Phokylides nur drei
wieder, nämlich die von der Stute, der Sau und der Hündin herstammenden;
die vierte Art, die der guten Frauen, leitet er, wie sein Vorgänger die
zehnte, von der Biene ab. Beide Gedichte wurden im Zeitalter der
Renaissance bewundert und nachgebildet: das des Phokylides 1562 durch
Hans Sachs2), der Frölichs elf Jahre zuvor erschienene Verdeutschung des
Stobäus benutzte, das des Simonides durch Buchanan und Taubmann in
lateinischen Versen, sowie durch Titz, Rachel und Henrici in deutschen
Reimen.3) Am freisten verfährt dabei der Leipziger Gelegenheitspoet
währsmann einen Doktor Langenberg; vgl, Stiefel in der Nürnberger Festschrift Hans
Sachs-Forschungen 1894, S. 138. De Geest van Jan Tamboer 1664, p. 210 = Der Geist
von Jan Tambaur (um 1690) S. 190 = Mancherley artige annehmliche Historien, Augspurg
1675, Bl. 1) 7a: „Weiber sind von einem Hundsschwantz gemacht" (Männer von einem
Katzenrücken). Tho. Moore, Works 1826, p. 467: 'The rabbinical origin of women.' Vgl.
Birch, Notes and Queries 6. Ser. 4, 302 (1881). De Gubernatis, Die Tiere in der indogerm.
Mythologie 1874, S. 3693. De Mont en de Cock, Vlaamsche vertelsels 1898, S. 448:
„De oorsprong der vrouw". Gaster, Magazin f. d. Litt, des Auslandes 1879, 596 (nach
Ispirescu, Snóve sau Povesti populare 1875, p. 92). A. Strauss, Die Bulgaren 1898, S. 45
(Hunds- oder Teufelsschwanz). L. Schischmánoff, Légendes religieuses bulgares 1896, p. 33
(Teufelsschwanz). Krauss, Sitte und Sage der Südslaven 1885, S. 184. Leite de Vascon-
cellos, Tradiçùes pop. portuguezes 1882, p. 200 (Hunds- oder Katzenschwanz). Marelle,
Èva, Affenschwantz, Queue-d'chat 1888, p. 9 = Herrigs Archiv 76, 233.
1) Poetae lyrici Graeci ed. Bergk 2, 446 No. 7 und 69 No. 3 (1882).
2) Folioausgabe 5, 3, 372 b = Fabeln ed. Goetze 2, 634 No. 385; vgl. S. XXIII.
3) Buchanan, Poemata 1665. p. 401 (lambón lib. 1). Taubmann, Melodaesia 1615,
p. 570: „Gynaeceum poeticum". Titz, Gedichte hsg. von Fischer 1888, S. 113: „Poetisches
Frauenzimmer". Rachel, Teutsche Satyrische Gedichte 1664, No. 1. [Chr. Fr. Henrici],
Picanders Gedichte 5, 185 (1751). In Prosa giebt Joh. Sommer, Ethographia mundi 2, 62
(1610) die Erzählung des Simonides wieder. — Die Gedichte von Buchanan, Taubmann
und Titz hat Klenz in seiner fleissigen Dissertation (Die Quellen von J. Rachels erster
Ein dänisches Märchen von dem Ursprünge der bösen Weiber.
257
Henri ci mit der Fabel des Simonides, die er gleich Taubmann und Titz
zum Schmucke einer Hochzeitsgratulation ausnutzt. Ein „Tausendkünstler"
Crispinus, erzählt er, hatte sieben Söhne, die gern freien wollten und
ihrem Täter die erkorenen Bräute vorstellten. Dieser lobte die Schönheit
der Jungfrauen, griff dann jedoch nach seinem Zauberstabe, um auch ihre
Herzen zu prüfen.
Die erste hatte schwarze Augen,
Durchdringend und verschmitzt und frey,
Und was am meisten konnte taugen,
So war auch Freundlichkeit dabey.
Der Alte streckte mit dem Stabe
Die Hand nach ihrem Herzen aus,
Und sieh ! es sprung im vollen .Trabe
Ein rasend Tygerthier heraus.
Nicht besser ergehts den andern Schönen; bei ihnen zeigt sich eine
Schlange, ein Affe, eine Gans, ein Schwein, ein Sperling und ein Krokodil.
Hier bricht Henrici die Erzählung ab, um dem Hochzeitspaar zu versichern,
dass bei ihnen Gleiches nicht zu befürchten sei. Die Frage nach der
Herkunft dieser inneren Verwandtschaft zwischen Weib und Tier berührt
er gar nicht.
Parallel neben diesen Nachahmungen des Simonides geht eine Gruppe
von Erzählungen einher, die man zuweilen fälschlich in direkte Abhängigkeit
von dem griechischen Iambographen hat bringen wollen.x) Johannes
Agricola2) erläutert 1529 das Sprichwort „Die Weiber haben drei Häute"
in folgender Weise: „Die Weiber haben erstlich ein hundshaut; das ist,
wann man sie schilt oder straffet, so bellen sie hinwider wie ein liund:
Biff biff. Die ander haut ist ein sawhaut, da muß man scharf liawen, sol
man hindurchhawen; wirt sie aber getroffen, die sawhaut, so kreisset sie:
Och och, wie ein saw. Die dritt haut ist die menschenhaut; wer die trifft,
der hört ein solche stimm: Ach hertzlieber mann, ich wil alles thun, was
dir lieb ist." — Hier ist also nicht von mehreren Frauen die Rede, die
jede einem andern Tier verglichen werden, sondern ein und dasselbe Weib
hat verschiedene tierische Laster, die nur durch die beliebte Prügelkur
Satire. Freiburg i. B. 1899) mit Rachels Satire verglichen, dabei aber auch Scheffers gleich
zu erwähnende lateinische Dichtung hineingezogen, ohne ihre Abhängigkeit von Hans Sachs
zu erkennen.
1) Vgl. darüber Stiefel in dieser Zeitschrift 8, 163.
2) Sprichwörter (1534) No. 414. — Danach u. a. Fischart, Ehzuchtbiichlein 1578
(Werke herausg. von Hauffen 3, 265). Sommer, Ethographia mundi 2, 63 (1610). Ambr.
Metzger, Meisterlied vom 21. Juli 1626 (Göttinger cod. mscr. philol. 196, S. 418). Vgl.
Possidio, Mecklenburgische Yolksüberlieferungen 1, 154, No. 568 (drei Arten Frauen:
Hühner-, Gans- und Schweinsart). — Für das Alter dieser Vergleiche verdient die von
Klenz S. 25 citierte Stelle aus Joa. Nevizanus, Sylva nuptialis 1522 Bl. 37 a angeführt zu
zu werden: „Septem mulierum proprietates, sanctas in ecclesia, angelos in accessu, daemones
domo, bubones in fenestra, picas in porta, capras in horto, fetorem in lecto." Vgl.
Scheffer bei Sommer, Ethographia mundi 2, 71 (1610).
258
Boite:
vertrieben werden können. Die Zahl der Häute erscheint dann in einem
1539 gedichteten Spruche des Hans Sachs1) auf das dreifache gesteigert:
neun Häute hat ein einziges böses Weib, nämlich von Stockfisch, Bär,
Gans, Hund, Hase, Pferd, Katze, Sau und endlich Mensch, und auch hier
meint ein Freund des Dichters jede Haut besonders durclibläuen zu müssen;
allein der wackre Meister entgegnet ihm, solches zieme einem Bieder-
mann nicht:
Man mus mit krieg nicht halten haus,
Sunder mit frid und freuntschaft mer.
Das zweite Märchen des dänischen Volksbüchleins, zu dessen Be-
trachtung wir uns nunmehr wenden, erhebt noch schärfere Anklagen wider
die bösen Weiber, indem es sie nicht der Abstammung von Tieren, sondern
vom Teufel selbst beschuldigt. Es erfreut sich keiner geringeren Verbreitung
als das erste; doch vermag ich kein älteres Zeugnis beizubringen als eine
Stelle aus der 1672 (also fünf Jahre nach dem dänischen Drucke) er-
schienenen deutschen Bearbeitung von Shakespeares 'Taming of the Shrew':
„Kunst über alle Künste Ein bös Weib gut zu machen."2) Hier bedauert
der als Vorredner auftretende geduldige Iiiob, dass der Bändiger der
bösen Katharina nicht schon zu seiner Zeit gelebt habe: „Ich hätte bei
ihm wollen lernen, einem bösen Weibe den Irrthum auss dem eigensinnigen
Gehirn zu treiben oder den Teufelskopf, welchen sie ihrem eigenen
Bekäntnüss nach aufsetzen, bei sich liegen zu lassen." Es scheint nach
dem Wortlaut allerdings, als ob der Autor hier nicht auf die Enthauptung
durch Petrus und dessen Vertauschung der Köpfe, sondern eine abweichende
Erzählung anspiele.
Fast völlig stimmt dagegen ein 1719 im Druck veröffentlichtes Gedicht
von Christoph Friederici3) mit dem dänischen Schwanke überein:
1) Folioausgabe 1, 5, 519 b = Fabeln ed. Goetze 1, 164, No. 54; vgl. 2, XIII. 4, 132.
— Danach z. B. Schades Wissenschaft!. Monatsblätter 1878, 173. Huberinus, Spiegel der
Hauszucht 1565 (W. Kawerau, Die Reformation und die Ehe 1892, S. 49). Seb. Scheffer,
Poemata 1572 Bl. 193 = Melander, loci atque seria 1603 No. 485 = Ellinger, Deutsche
Lyriker des 16. Jahrh. 1893 S. 45 = Klenz 1899 S. 22 = Sommer, Ethographia mundi 2, 67
(1610. Mit deutscher Übertragung). Seelmann, Mnd. Fastnachtspiele 1885, S. 78 (v. J-
1641). Zwei Folioblätter des 17. Jahrh. in Berlin und Nürnberg (Weller, Annalen 2, 485
u. 487, No. 1035 u. 1052). Der visierliche Exorcist S. 18 (an dem Alamodisch - techno-
logischen Interim 1675). Biederer, Das Poetische Schertz-Cabinet 1713, Bl. D3a, No. 63.
Stranitzky, Ollapatrida des durchgetriebenen Fuchsmundi 1711, S. 225 = 1886, S. 168.
Gregander, Leben F. W. v. Kyau 3, 20 (1751). Berliner Ms. germ. qu. 616, No. 191.
Wiener Hs. 14914, S. 1024, No. 162.
2) Herausgegeben von R. Köhler 1864, S. 6.
3) Christopherus Friederici, Oel und Wein, gegossen auf die Wunden der Lebendig-
Toden, oder Curieuser Zeit-Vertreiber ... In deutlichen Teutschen Versen Monathlich
herfür gebracht, Zweite Spendage. Anno 1719. Franckfurt, zu finden in der Buch-Gassen
(Berlin Yk 1741), S. 49—59.
SB
Ein dänisches Märchen von dem Ursprünge der bösen Weiber.
259
Die ausfündig gemachte Teuffels-Köpfe.
1. 7.
Ich hab mich hin und her befraget,
Wie und woher es immer komm,
Was man von denen Weibern saget,
Daß deren wären wenig fromm,
Und daß (wer sucht es zu vergraben?)
Sie alle Teuffels-Köpfe haben.
Kaum giengen sie dreyhundert Schritte
So sah'n sie einen grossen Streit.
Der Jünger gieng auf JEsu Bitte
Hinzu und fragt, was das bedeut,
Was das vor eine neue Mähre
Und vor ein toll Gefechte wäre.
Ich kunte nirgends Nachricht kriegen,
Ein Jeder wollt, dass mans verbürg.
Doch musst sich eines Tages fügen,
Daß ich in die Cathol'sche Kirch
In einer Reichs-Stadt bin gekommen,
Wo ich es ohngefehr vernommen.
3.
Ein lust'ger Pater, den ich kennte,
Hielt eben damahls die Sermon;
Der klatschte gleichsam in die Hände
Und discurrirte nett davon.
Ich hoffe niemand zu verstören,
Wann wir Ihn selber reden hören:
4.
Wie unser Heiland noch auf Erden
In Tagen seines Fleisches war
Und seine Jünger offt begehrten,
Daß er einmahl spatzieren fahr,
Und wo nicht fahr, doch etwan gienge,
Damit er frischen Athem flenge,
So hat der Herr sich überwunden
Auf Ihrer Aller grosse Eitt
Und nahm zu Fuß auf etlich Stunden
Den lieben Jünger Petrum mit,
Der gern sich (wie der Pfaff gedachte)
Zu unserm lieben Herren machte.
6.
Sie giengen über Feld und Lande
Bald dahin und bald dort herum.
Der Petrus hatte Anverwandte
Nächst bey der Stadt Capernaum;
Drum wollten sie auch diese Strassen
Sich ihre Füsse tragen lassen.
Allein wie man Ihm ohne Zweiffei
Nicht gleich Bericht gab, wie es passt,
So sah Er selber, wie der Teuffel
Ein altes Weib beym Kopf gefast,
Und wie Sie, ob er gleich nicht siegte,
Von ihm viel hundert Dachteln kriegte.
9.
Gestalt das Weib auch ausdermassen
War hitzig, rasend, wild und toll,
Ihn suchte sie beim Halß zu fassen,
Und wann ich nichts verschweigen soll,
Sie hätt ihm bald, wie man geschwatzet,
Die Augen aus dem Kopff gekratzet.
10.
Hat er zwo Kopf-Nüß ihr versetzet,
Gab sie ihm deren wieder vier;
Hat Er Ihr Arm und Bein verletzet,
Erdrosselt Sie den Teuffel schier,
Weil das Gefechte lange währte
Und keines abzusteh'n begehrte.
11.
Warum Sie sich also zerschlagen,
Darum befragt man Haus vor Haus;
Doch Niemand kunt die Ursach sagen.
Zwar endlich brach der Handel aus,
Daß Sie sich beederseits besoffen
Und es zwei Batzen angetroffen.
12.
Der Teuffel blieb so viel dem Weibe
Als Debitor vor Pension.
Drum käme Sie Ihm so zu Leibe
Und fordert den verdienten Lohn,
Daß leichtlich unter diesen Tollen
Ein Mord hätt draus entstehen sollen.
'260
Boite :
13.
Der Petrus sähe lang den Handel
Mit grimmigen Geberden zu.
Ablegt Er eilig seinen Mantel [du?
Und sprach: 'Was, Teuffei, machst doch
Weist du im Frieden nicht zu leben?
Gleich will ich dir dein Tranck-Geld
[geben.'
14.
Der Teuffei sah sich um und stutzte
Und fuhr heraus: 'Herr Petre, meyn,
Wie sieht Er aus so gar verdutzte!
Er laß sein Eiffersüchtig-seyn!'
Doch hinterrücks hat es geheissen:
'Dem Kahl-Kopf will ich Feigen weisen.'
15.
Damit zuckt Petrus seinen Degen,
Den er trug heimlich an dem Leib
Zumahl auf seiner Reise wegen,
Und haut dem Teuffei und dem Weib
Auf einem Streich und trefflich munter
Die zwey verfluchte Köpff herunter.
16.
Indem kommt Er zum Heyland wieder;
Doch der war nicht damit content,
Er sprach : 'Thun das auch andre Brüder?
Verdammt sind deine Mörder-Händ.
Du sollst mit deinen grauen Haaren
Hinunter in die Grube fahren.
17.
Du alter Gecke bist so hitzig.
Lern doch die Sanfftmuth einst von mir !
Der Eiffer macht dich aberwitzig.
Gleich geh und packe dich von hier!
Du sollst nicht mehr wie andre Frommen
An meine grüne Seite kommen.'
18.
Den Petrum fieng es an zu reuen,
Er bat den Rabbi gleich um Gnad;
Er soll Ihm dasmahl nur verzeyhen,
Weil Er es ja nicht gerne that;
Der Eiffer hab Ihn überloffen,
Daß er Sie durch die Hälß getroffen.
19.
Mein Heyland gab mit dem Bedinge
Dem Petro ungesäumt Pardon,
Daß Er hin zu den Toden gienge,
So trag Er doch das Lob davon,
Um Ihnen statt des Degen-Wetzen
Die Köpffe wieder auffzusetzen.
20.
Sanct Peter durfft 'Ich mag nicht' sagen;
Er that, was Ihm sein Meister schafft,
Er wills in seinem Nahmen wagen
Und in desselben Wunder-Krafft,
Wiewohl er (weiß nicht, ob aus Possen)
Darbey hat einen Bock geschossen.
21.
Dann da die Köpffe lagen drunten
Und er Sie nicht mehr recht erkennt,
Auch das war in den Abend-Stunden,
Da schon der Tag lieff meist zu End,
Gleich da, wie sich die Sonn verkrochen,
Die Demmerung ist angebrochen,
22.
So krieget er des Teuffels Kopffe
In seine Hände ohngefehr,
Den setzt Er auf des Weibes Schopffe
In Meynung, daß er Ihrer wär,
Wie Gegentheils dem Teuffei dorten
Des Weibs Kopf aufgesetzt ist worden.
23.
Seytdem (rieff drauf gantz laut der Pfaffe)
Hängts unsern Weibern immer an.
Der Teuffei wurd der Menschen Affe,
Und wann Ihn niemand bänd'gen kan,
Kan Ihn doch ein alt Weib betäuben
Und leichtlich in ein Bocks-Horn treiben.
24.
Woraus ich dann den Ursprung schöpffe,
Die alte Weiber nicht allein,
Sie haben Alle Teuffels-Köpffe,
Sie mögen noch so junge seyn.
So wirds im Reden und im Schreiben
Bey lauter Teuffels-Köpfen bleiben.
Die weiteren Sclieltreden des Dichters wider die bösen Weiber, die
noch 19 Strophen einnehmen, übergehen wir und lassen es auch dahin-
Ein dänisches Märchen von dem Ursprünge der bösen Weiber.
261
gestellt, ob seine Quellenangabe, er habe die Geschichte von einem Amts-
bruder Abrahams a St. Clara als Predigtmärlein vernommen, auf Wahrheit
beruhe. Verweilen wir nur noch einen Augenblick bei der wichtigsten
Abweichung von der dänischen Erzählung! Jene berichtet, Petrus sei
über die Liebkosungen entrüstet gewesen, mit denen der Teufel ein junges
Mädchen bethörte; bei Friederici dagegen sucht er den erbitterten Streit
zu schlichten, den ein altes AVeib mit dem Teufel ausficht. Die meisten
späteren Versionen stimmen hierin zu Friederici, und in der That scheint
dieser die ursprüngliche Tradition bewahrt zu haben, die uns an den auf
Bilderbogen des 17. Jahrhunderts erscheinenden Kampf zwischen Weib
und Teufel1), an die ältere Novelle von Belfegor2) oder die von der Alten,
die schlimmer ist als der Teufel3), gemahnt.
Eine entstellte Fassung im A7ade M e cum für lustige Leute 7, 22,
No. 35 („Wodurch die bösen Weiber in die Welt gekommen." Berlin,
A. Mylius 1777) setzt an die Stelle des rasch zufahrenden Apostels einen
beliebigen Reiter, der den Teufel Notzucht verüben sieht; nachher heiraten
der Teufel und das Mädchen einander, und von ihnen stammen die argen
Frauen ab. Ferner gehören hierher ein siebenbürgisches Gedicht
„Die böse Frau" bei Firmenich, Germaniens Völkerstimmen 2, 826, ein
pommerscher Volksschwank „Warum die Weiber den Teufel im Kopfe
haben" (Blätter f. pommersche Volkskunde 1, 166. 1893), zwei vlämische
Märchen bei A. Joos (Yertelsels van het vlaamsche Volk 3, 74: „Van het
Wijf en het Serpent." 1891) und P. de Mont en A. de Cock (Vlaamsche
Yertelsels 1898, S. 341: „Waaroni de Vrouw iets duivelachtigs heeft"),
mehrere französische Erzählungen (Wallonia 1, 171: „La femme et le
diable." Thuriet, Traditions populaires de la Haute-Saône 1892, p. 469:
„Pourquoi les femmes ont la tête du diable." Revue des traditions pop.
2, 62 und 10, 661), zwei italienische (De Nino, Usi e costumi abruzzesi
4, 68. 1887: „San Pietro rappiccica le teste." Pitrè, Usi e costumi del
popolo siciliano 4, 84. 1889: Christus und Paulus), eine catalanische
(A. Mestres, Tradicións catalanas — Folklore catalá 1, 59, No. 25: „L'equi-
vocació de Sant Pere." 1895), zwei portugiesische (Leite de Vasconcellos,
Tradiçôes populars portuguezes 1882, p. 200f. Braga, Contos trad, do povo
portuguez 1883, 2, 158) und eine litauische Variante (Veckenstedt, Mythen
der Zamaiten 1883, 1, 283, No. 75).4)
1) Lübecker Spiele von 1462 und 1470 (Goedeke, Grundriss2 1, 477). ß. v. Lichten-
berg-, Über den Humor bei den deutschen Kupferstechern 1897, S. 52, Taf. 11. Boite,
Zeitschr. f. Völkskunde 8, 24 und Archiv f. neuere Sprachen 102, 253. Kunst über alle
Künste 1864, S. 39, 9.
2) Dunlop-Liebrecht, Prosadichtungen S. 273. Benfey, Pantschatantra 1, 519—534.
H. Sachs, Fabeln 1, 502, No. 177 u. s. w. Eine ausführliche Untersuchung bereitet Adolf
Gerber vor.
3) Oesterlev zu Kirchhofs Wendunmut 1, 366. R. Köhler, Kleinere Schriften 3, 12.
4) Ich vervollständige hier einige Ztschr. 8, 465 (zu p. 341) gegebene Notizen, indem
ich zugleich dankbar von einigen Citaten R. Köhlers und Feilbergs Gebrauch mache.
262 Boite: Ein dänisches Märchen von dem Ursprünge der bösen Weiber.
Die Verwechslung, deren sich Petrus beim Wiederaufsetzen der ab-
geschlagenen Köpfe schuldig macht, wird schon manchem Leser Goethes
wundervolle Legende vom Paria ins Gedächtnis gerufen haben, in der der
Sohn des Brahmanen das Haupt der Mutter auf den Leib der gleichfalls
enthaupteten Yerbrecherin fügt. Goethe fand diesen Zug in der ihm aus
Sonnerats Reise nach Ostindien 1, 205 (1783) bekannten Geschichte der
Mariatale vor, während Benfey1) irrig eine Entlehnung aus den 25 Er-
zählungen eines Dämons vermutete, in denen eine Frau die Köpfe ihres
Gatten und seines Freundes vertauscht. Ob nun die letztgenannte alt-
indische, öfter nacherzählte Geschichte2) auf unsern Schwank eingewirkt
hat, möchte ich vorläufig weder behaupten noch in Abrede stellen. Das
Abnehmen und Yertauschen oder Umschmieden von Weiberköpfen wird
aber seit 1650 öfter auf französischen und deutschen Bilderbogen dar-
gestellt und in Gedichten erläutert.3) Ein solcher Holzschnittbogen könnte
auch die deutsche Vorlage des besprochenen dänischen Traktätchens ge-
wesen sein.
Nicht identifizieren kann ich folgende Verweisung Köhlers: „Wigström, Skämtssägner frân
Skáne No. 7."
1) Orient und Occident 1, 729; vgl. 2, 97. Weinhold in dieser Zeitschrift 2, 47.
Zachariae diese Zeitschrift 11, 191.
2) Katha Sarit Sagara transi, by Tawney 2, 264. E. F. Burton, Yikram and the
Vampire, Tales of Hindu devilry 1893. Oesterley, Baital Pachisi 1873, S. 195, No. 6.
Iken, Touti Nameh 1822, S. 104, No. 24; vgl. Pertsch, Zs. der d. morgenl. Ges. 21, 530.
De Gubernatis, Die Tiere, 1874, S. 235. Bosen, Tuti Nameh 2, 169. D. Lescallier, Le
trône enchanté, contes indiens trad, du persan 1808, 1, 194. Wieland, Dschinuistan =
Werke 30, 115 ed. Hempel; nach H. Pajón, Histoire des trois fils d'Ali Bassa (Cab. des fées
34, 206). In einem altrussischen Märchen setzt, wie Viehoff (Goethes Gedichte 1869, 1, 282)
bemerkt, der Erzengel Raphael aus Versehen des Teufels Kopf auf den Rumpf eines Ge-
richtsschreibers. — Vielleicht darf ich dabei noch an die Schwanke erinnern, in denen ein
abgeschlagener Kopf nicht vertauscht, sondern verkehrt aufgesetzt wird. So sucht in
einem teilweise auf italienischen Quellen beruhenden picaresken Romane ,.Das Teutsche
Gespenst Authore Gasparo Lolivetta" (Leipzig 1684, S. 219—237) Flaminio Veraldo den
Tod, wird aber von einer alten Frau, dem Leben, geheilt; sie haut ihm nämlich den Kopf
ab und setzt ihn dann verkehrt auf, bringt ihn aber nach zwei Stunden wieder in Ordnung.
Bei Schönwerth, Aus der Oberpfalz 3, 308 (1859) schlägt Petrus bei einer Rauferei einem
Burschen das Haupt ab, setzt es dann verkehrt auf und entschuldigt sich bei Jesus, der
Kerl sei ein Seiler, der bei der Arbeit ohnehin immer rückwärts gehe. Vgl. R. Sigismund,
Was das Schwarzburger Land erzählt S. 23 und F. Müller, Siebenbürgische Sagen No. 172
= 2. Aufl. No. 232. Bei Abraham a St. Clara (Etwas für Alle 3, 229. 1711 = Werke, Passauer
Ausgabe 14, 352) ist Mars an Stelle des jähzornigen Petrus getreten; den Kopf setzt Vulcan
auf Jupiters Befehl wieder auf.
3) Vgl. meine Zusammenstellung über den Meister Lustucru und Moscheroschs Köpf-
kram im Jahrbuch f. Gesch. Elsass-Lothringens 13, 165; dazu noch Poirters, Het masker
van de wereldt afgetrocken 1741, S. 343—351.
von Negelein: Die Reise der Seele ins Jenseits.
263
Die Reise der Seele ins Jenseits.
Von Julius von Negelein.
(Schluss von S. 158.)
III. Versuche, die Seele an der Rückkehr zu verhindern.
Dass Gespenster und Krankheitsdämonen ineinander übergehen, ist
bereits hervorgehoben worden. Es ist deshalb wichtig festzustellen, dass
man sich letzterer ebenso wie ersterer zugleich mit der Vernichtung ihrer
Spur zu entledigen versuchte und dass der heutige Volksbrauch ebenfalls
entsprechende Verfahren kennt. — Auf Rügen legt man, um sich vor
dem Mahrreiten zu schützen, einen abgefegten, stumpfen Besen unter das
Bett, damit die Hexe keine Macht mehr daran habe und ihn nicht zum
.Reiten benutzen könne.1) Der Besen ist wie das Sieb ein Sitz djer weib-
lichen Krankheitsdämonen, die eine späte Zeit Hexen genannt hat, wie
alle heidnischen Gottheiten gleichen Geschlechts. Es liegt hier die sehr
richtige hygienische Idee zu Grunde, dass der Staub der Wohnungen der
wichtigste Infektionsträger ist.2) Deshalb sind alle Reinigungsinstrumente
Attribute von Krankheitsdämonen. Die Zugehörigkeit einer ideellen oder
wirklichen Persönlichkeit zu einem Tier oder Gegenstand wird aber in
Sage und Mythe stets dadurch ausgedrückt, dass man erstere auf letzteren
stehen oder reiten lässt. Deshalb reiten die Hexen auf Sieben, Schaufeln
und Besen.3) Der Alp, der den Kranken besuchen will, benutzt also
in dem obigen Falle den Besen als Reitinstrument, erkennt ihn aber als
ungeeignet und hört auf, den Kranken zu quälen. Man erwäge, dass das
Alpdrücken gewöhnlich als der Plug einer dämonischen Seele aus ihrem
eignen Leibe zum Zweck des Besuches des Patienten gedacht wurde.
Es liegt mithin der Mystik, die sich selbst um den Besen herum
spinnt, der Gedanke zu Grunde, dass man die Spur der Dämonen in dem-
selben o-efangren hält. Ihr Dasein ist so unauflöslich an das die Quint-
O o
essenz ihrer Wesenheit, den Staub, beherbergende Instrument (den Besen,
die Schaufel u. s. w.) gebunden, dass selbst die lokalen Verschiebungen
des einzelnen Dämons nur unter Vermittlung jenes Prägers ihres Wesens
gedacht werden konnten. Unter diesem Gesichtspunkt erklären sich viele
1) Zeitschrift für Ethnologie 23, 454.
2) Ich verweise auf den vortrefflichen Aufsatz von Höfler über Krankheitsdämonen
im 2. Bande des Archivs für Religionswissenschaft.
3) Vgl. das allgemein-mythische Reiten von Göttern auf Tieren, die ihre Wesenheit
symbolisieren oder ältere Formen derselben darstellen: die Sonnengötter der Indogermanen
reiten auf Rossen oder lassen sich von denselben fahren, die semitischen Licht-
götter reiten auf den Sonnenvögeln, die babylonischen stehen vielfach auf attributären
Tieren.
264
von Negelein:
Volksbräuche. — Man darf die Füsse eines Menschen nicht „anfegen",
sonst wird er krank.1) In Slavonien sagt man: Willst du dich jemandes
für immer entledigen, so lade ihn zu dir ein, bewirte ihn und sobald er
fort ist, kehre die Stube hinter ihm aus.2) An dem Tage, an welchem
der Hausvater verreist, darf man die Stube nicht kehren, sonst kommt er
nicht zurück oder es trifft ihn ein Unglück.3) Am Marthatage (ersten
März, der für Frühlingsanfang gilt4) fegt man in Bulgarien das Haus
sehr sauber aus, um es vor den vielen bösen Geistern das Jahr hindurch
zu schützen.5) Nach Sonnenuntergang soll man daselbst den Schafstall
nicht fegen, sonst erkranken die Tiere, d. h. ihre Spur wird zugleich mit
dem Mist den Nachtdämonen überliefert6); nach Berliner Aberglauben
bindet man einen Besen au den Fuss und zieht ihn so um den ganzen
Garten herum.7) Hier ist die rationalistische Erklärung, dass es sich um
ein einfaches Ausfegen von Raupen handele, nicht angebracht. Die Insekten
sind für den Volksglauben stets Geister, Elben, die man bespricht, be-
schwört, wie Menschen und Ahnen mit Milch und Butter speist und sogar
enthauptet.8) So will man hier ihre Spuren, nicht sie selbst vernichten.
Zugleich spielt das Ziehen eines geweihten Kreises die landesübliche
Rolle.
Genau analog ist die Behandlung des Toten. In meiner ostpreussischen
Heimat wird, wenn der Tote „auf halbem Wege" ist, das Haus sorgfältig
gereinigt und der Kehricht weggetragen; auf halbem Wege sucht man ja,
wie erwähnt, die Entfernung des Toten auf jede mögliche Weise zu er-
reichen. — Wenn nach beendigter Totenmahlzeit der altslavische Priester
die Geister der Verstorbenen aus dem Hause treiben will, so fegt er das
Haus aus.9) Auf Glasinar und in Gacko wird das Haus gekehrt, sobald
der Tote zur Bestattung gehoben worden ist. Der betreffende Besen wird
verbrannt.10) Es ist in Bulgarien verboten, die Thürschwelle zu kehren;
sonst werden dem Mädchen, dass dies Gebot übertritt, die Brüste gross,
was als unschön gilt.11) Die Thürschwelle ist sehr häufig der Wohnsitz
der Seelen, die unter dem Eingang zum Hause gedacht werden — von
Indien bis Deutschland hin.12) Am Tage nach dem Tode eines Familien-
angehörigen wird in Bulgarien das Haus gefegt und gereinigt, „damit das
Glück von neuem einziehe".13) Nach abgehaltenem Totenmahl fegt in
Samogitien der Priester die Stube, um die vorher gesättigte Seele zu ent-
1) Mecklenburgischer Aberglaube (Privatinformation). — 2) Unsre Zeitschr. f. Volks-
kunde 1, 152. — 3) Strausz, Bulgaren, 282. — 4) Also wieder der Zusammenhang der
Geister mit dem Jahreskreislauf! Siehe im vorigen. — 5) Strausz 335. — 6) Ebenda 286.
— 7) Ztschr. f. Ethnol. 15, 93. — 8) Bezüglich des letzteren ist der mir bekannte aber
gläubische Gebrauch interessant, dreimal mit der Sichel über das Kornfeld zu schlagen,
um Raupen zu vertreiben. Hier sollen offensichtlich die Geister der Raupen, die
menschenähnlich gedachten Dämonen, enthauptet werden. — 9) Tylor 2. 39. — 10) Lilek
a. a. 0. 407. — 11) Strausz 299. — 12) Die Belege hierfür werden in einem späteren Aufsatz
folgen. — 13) Strausz 451.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
265
fernen.1) Auf Borneo wird der Geist eines Verstorbenen, den man vier
Tage lang mit Reis bewirtet hat, nachher ausgefegt und dabei seine Speise-
gefässe zerbrochen.2) Die Tonquinesen vermeiden die Reinigung des
Hauses während des Festes, wo die Seelen der Verstorbenen zur Neu-
jahrsvisite in ihre alten Häuser zurückkehrten.3) In Kongo wird das
Sterbehaus ein Jahr hindurch nicht gefegt [„damit nicht der Staub den
empfindlichen Geisterleib verletze"??].4) In Rom war das Recht, die
Leichenhäuser zu reinigen, auf die Everriatores beschränkt. Der zu-
sammengefegte Kehricht wird wohl überall bei Seite geschafft sein, hier
und da wird er auf den Kirchhof getragen.5) Die Betschuanenstämme
sollen ihre Häuptlinge innerhalb ihrer Hürden begraben und dann das
Vieh ein paar Stunden lang an der Stelle herumtreiben, um alle Spuren
des Toten zu verwischen.6)
Andere Handlungen versuchten der Pussspur auf direkterem Wege zu
Leibe zu gehen: man lässt das Rasenstück, auf dem der Feind gestanden,
im Rauch vertrocknen7), man vergräbt die Spur des Gegners in einem
Grabe8), man nagelt sie mit einem Sargnagel fest9) [wodurch man schon
zu Plinius Zeit10) Pferde zum Lahmen brachte, wie noch heute].11) Daher
die Furcht wendischer Bauern, den Mist von der Stelle zu geben, auf der
das Vieh gestanden.12) Man versucht sogar Geister festzunageln, wenn
man bei den Bulgaren und Altserben, sobald man die Leiche emporgehoben,
in die Aufbahrungsstelle einen Nagel hineintreibt, um die Todesfrau an
jene Stelle zu bannen.18) Bei den alten Arabern wurde bisweilen die
Ergreifung eines Räubers dadurch möglich gemacht, dass man seine Spur
in einer darüber geworfenen Schüssel auffing.14)
Wir haben diese Mittel zur Vernichtung der Fussspur erwähnt, weil
sie sämtlich der Vertilgung von Totengeistern ihrer Natur nach hätten
dienen können; wir haben sie so kurz wie möglich skizziert, weil wir
nicht zu erweisen imstande sind, dass sie diesem Zwecke wirklich jemals
gedient haben. Die jetzt zur Besprechung kommenden, den gleichen
Zweck verfolgenden Mittel waren hingegen nachweislich direkt zur Un-
schädlichmachung des Toten bestimmt und zwar in der Weise, dass man
entweder die Spur als solche vernichtete oder dem rückkehrenden Geist
den Weg verbaute oder den Ausmarsch ins Jenseits ihm unmöglich zu
machen versuchte.
1) Zeitschr. f. Ethnol. 21, 121. — 2) Bastian, Vorst., 34. — 3) Tylor 1, 448. Bastian,
Verbleibsorte, 34. — 4) Bastian, Vorst., 34, Verbleibsorte, 34. Tylor 1,448. — 5) Bastian,
^ erbleibsorte, 56. — 6) Livingstone, Südafrika und Madagaskar3, 52. — 7) Sartori a. a. 0.
Wuttke a. a. 0. 173. Grimm, Myth.4, 2, 915. Andree, Braunschw. Volkskunde, 307. Perger,
deutsche Pflanzensagen, 89. — 8) Litteratur bei Sartori a. a. 0. Bezzenberger, Litauische
Forschungen, 69. — 9) Wuttke 389. Bartsch a. a. 0. 235 f. — 10) Plinius 28, 10 bei
Mytb.4, 2, 943. — 11) Aberglaube aus Ostpreussen, vgl. Sartori a. a. 0., Grimm,
Myth.4, 2, 915 u. a. — 12) Schulenburg, Wendische Sagen, 160. — 13) Unsre Zeitschrift
für Volkskunde 1, 157. — 14) Wellhausen, Skizzen, 3, 152.
266
von Negelein:
Den barfüssigen Kongobewohnern wurde das Umgehen ihres Gespenstes
durch Dornenbestreuung „gelegt", die vom Grabe aus den Totenpfad ent-
lang führte1); die Dayak umgeben die Grabstätten mit spitzen Pfählen2);
ebenso die Bewohner von Borneo.3) Mehrfach wird der Weg, auf welchem
die Leiche aus dem Hause nach dem Grabe geschafft ist, mit Bambù
versperrt, damit das Gespenst nicht zum Krankmachen zurückkehren
kann4), oder das Grab anderswie eingehegt5); oder man sperrt die
Hütte des Toten ab.6) Dornenumzäunung fand Livingstone auf seiner
Reise nach Südafrika und Madagaskar.7) Sie zeigt sich aber auch sonst
bisweilen. — Auf die Versuche, Elben, Heinzelmännchen, Zwerge und
Vampyre durch Streuen von Mohnkörnern, Erbsen u. s. w. zu ver-
scheuchen, machten wir bereits aufmerksam. Was zeigt sich in diesen
Sagengebilden im letzten Grunde anderes als der Yersuch, durch hin-
gestreute Reiser, Brotkrumen u. s. w. den verschlungenen Weg ins Todes-
dickicht entweder zu zeigen oder durch entsprechende Mittel ihn zu ver-
bauen? — Die Hexen kommen nicht in ein Gehöfte, wenn man ver-
schiedenes Kraut auf die Fusssteige gestreut hat.8) Hexen, Nymphen
und Geister haben eine Idiosynkrasie gegen gewisse Kräuter und zweifellos,
wenn auch für mich einstweilen noch nicht nachweisbar, sind magisch
wirkende Kräuter, wie Weihrauch, namentlich als Austreibungsinittel gegen
Dämonen bekannt gewesen.
Bisweilen bindet man die Füsse des Toten zusammen, ihn an der
Wiederkehr zu verhindern. Dies geschah im ältesten Indien.9) Bei den
Tupis in Südamerika werden dem Leichnam alle Glieder fest zusammen-
gebunden, damit der Tote seine Freunde nicht mit seinem Besuche be-
unruhigen könnte.10) In Fidschi geschah das Gleiche zu gleichem Zweck.11)
Die ägyptischen Troglodyten begruben ihre Toten, indem sie ihnen mit
Wegdornruten den Hals gegen die Beine banden.12) Die Bewohner von
Dahome bindeil die Füsse des Toten fest zusammen.13) Doch selbst in
Armenien fesselt man die Zehen der Leiche mit einem Faden aneinander,
um ihre Wiederkehr zu verhindern.14) — Nicht selten verwischt man die
Totenspur durch A.usgiessen von WTasser. Dies ist z. B. auch noch in Ost-
preussen Sitte. Früher (kaum irgendwo noch heute) wurde bei uns das
zum Waschen der Leiche gebrauchte Wasser vor der Thür ausgegossen,
1) Bastian, Elem., 18, Verbleibsorte, 14, Vorst., 30. — 2) Bastian, Verbleibsorte, 14.
— 3) Ebenda 40. — 4) Ztschr. f. Ethnol. 21, 147. — 5) Ebenda 6, 359. — 6) Livingstone
a. a. O. 336 f. — 7) Zeitschr. f. Etbnol. 6, 359 berichtet dies von dem indischen Volk der
Maler. — 8) Schulenburg, Wendische Sagen, 161. — 9) Der wedische Gebrauch der „den
Schritt verwischenden Fussl'essel" bedarf einer speciellen Untersuchung und hat sie ge-
funden: Roth, Festgruss an Boethling, 98. Bloomfield, American Journal of Philology,
Vol. XI, No. 3, S. 355. Ebenda XII, No. 4, Artikel: The meening of the root yup. —
10) Lippert, Kulturgeschichte d. Menschheit I, 113 f. Sartori a. a. 0. 423. — 11) Zeitschr.
f. Ethnol. 21, 144. — 12) Strabo 16,17. — 13) Bastian, Yerbleibsorte, 40. — 14) Abeghian
a. a. 0. 12.
Die Reise der Seele ins Jenseits.
267
und das sollte bedeuten: wenn der Tote zurückkommen will, so ist das
für ihn ein See und er kommt nicht hinüber.1) Der ausgetragen en Leiche
wird in Franken Wasser nachgegossen.2) Dasselbe ist z. B. auch aus
Bayern bezeugt, wo noch die richtige Begründung für den Brauch angegeben
wird3) und ebenfalls vom Lechrain4) und sonst mehrfach.6) Bei den
muslimischen Bosniaken wird das Zimmer oder der Ort, wo der Tote
gelegen hat, mit Wasser besprengt, damit er nicht wiederkehre.6)
Sehr weit verbreitet ist die Sitte, beim Tode eines Familienmitgliedes
das Fenster zu öffnen. Auch darin liegt eine indirekte Abwehr gegen
den Toten: er soll daran verhindert werden, auf dem gewöhnlichen Wege
ins Zimmer zurückzukommen. Der Brauch ist in ganz Deutschland ver-
breitet.7) Er findet sich in Mecklenburg8), Braunschweig9), Bayern10),
im Yoigtlandeu), wo man schon vor dem Tode der Seele den Austritt
auf diese Weise gestatten will, bei den Böhmen, die dem in die Höhe
strebenden Geiste vorzugsweise die obersten Fenster öffnen1*), ja selbst
in Armenien13), bisweilen mit der interessanten Modifikation, dass man
die Fenster nur einen Augenblick offen lässt14): man fürchtet die Rück-
kehr des Geistes auf demselben Wege.
Die Thür des Totenhauses, durch welche die Leiche zum Kirchhof
getragen wurde, ist damit zum Ausgangspunkt des unheimlichen Toten-
pfades geworden. Man meidet sie, wie man das erste Betreten einer
Brücke, eines Hauses meidet: die Gottheit will ihr Opfer haben. Man
schliesst deshalb die Thür, wenn jemand gestorben. Yergisst man dies,
so stirbt der erste der durch dieselbe Hineingehenden dem Toten nach.15)
Oder: man macht nach eingetretenem Todesfall sofort die Hausthüre zu.
Die zuerst ins Haus kommende Person zeigt dann, von welchem Geschlecht
die nächststerbende sein wird.lü) In der Lika schliesst man gleich nach
dem Hinaustragen des Verstorbenen die Hausthüre ab, damit niemand
hinauskönne. So verhindert man, dass nicht bald jemand im selben Haus
dem Toten nachfolge oder nachgehe.17) Die Alfuren schliessen die Thür
bei der Geburt eines Kindes, damit dessen Seele nicht herauskönne18),
dagegen machen die Bulgaren bei gleicher Gelegenheit Thür und Fenster
auf.19) Es scheint also, als ob verschiedene Theorien über die Inkarnationen
der Seele entgegengesetzte Handlungsweisen verursacht hätten: während
die einen das Neugeborene mit einem Leben begabt glauben, das, nur
flüchtig an den zarten Leib geheftet, vor dem Entschlüpfen durch Ein-
1) Toppen a. a. 0. 108. — 2) Bastian, Elem., 67. — 3) Bavaria 1865, S. 983 und 1863,
323. — 4) Bastian, Elem., 60. — 5) Bastian, Vorst., 30. — 6) Lilek a. a. 0. 419. —
7) Wuttke 429, vgl. 444. — 8) Bartsch a, a. 0. 237. — 9) Andree, Braunschw. Volksk., 224,
266. — 10) Bavaria 1867, S. 407 und 1863, S. 322. Zeitschr. f. Volkskunde 8, 397. —
11) Koehler a a. O. 251 und 440. — 12) Grohmann a. a. 0. 193. — 13) Mitteilung eines
Armeniers. — 14) Rochliolz, Glaube und Brauch, 171. — 15) Wuttke 435. — 16) Ebenda
^0- — 17) Unsre Zeitschrift für Volkskunde 1, 157. — 18) Bastian, Elem. II, Vorw. 31.
~~ 19) Strausz a. a. 0. 293.
268
von Negelein:
Sperrung bewahrt werden muss, nehmen die anderen — dies ist das völker-
psychologisch Gewöhnliche — die Beseelung des Kindes im Momente der
Geburt an und wollen deshalb dem eintretenden Geist Thür und Thor
öffnen. Nur andeutungsweise sei hier erwähnt, dass es also derselbe
Geisterweg ist, auf dem die den alten Körper verlassende und den neuen
aufsuchende Seele wandelt. Wer könnte die Identifizierung beider unter-
lassen und hier nicht die überall auftretende Lehre von den sich stets neu
inkarnierenden Ahnengeistern wiederfinden? — Häufig wird die Thür
dem Fenster gleich gesetzt — verrichtet sie doch im primitiven Hause
beinahe dieselbe Funktion — und, wie dieses, nach dem Tode eines Haus-
genossen geöffnet.1) Da aber das Fenster stets geschlossen gehalten
werden kann, so eignet es sich zum Ausgangspunkt des Totenpfades mehr
als die Thüre, durch die schon mancher Lebende dem Toten nach ins
Schattenreich gewandelt sein mag; deshalb verfielen verzweifelte Eltern
in Ostpreussen sowohl wie in Bulgarien darauf, den Rest ihrer Kinder
sich dadurch zu erhalten, dass man das letzte der schnell hintereinander
Verstorbenen zum Fenster hinausreichte: die Sitte ist mehrfach bezeugt.2)
Dem entsprechend will man die junge Frau eines Mannes, der schon
mehrmals Witwer geworden, dadurch erhalten, dass man sie nicht durch
die Thür, sondern durch das Fenster ins Haus einziehen lässt3) und einem
Kinde den Eintritt in das (eigentliche, d. h. christliche) Leben (bei der
Taufe) dadurch sichern, dass man den Täufling beim Gange nach der
Kirche wie bei der Rückkehr durch das Fenster reicht.4) In Grönland
scheint der Brauch, den Toten durch das Fenster hindurch fortzuschaffen,
allgemein üblich zu sein.5) Doch selbst in Ostpreussen ist er beobachtet,
wie auch in Thüringen, wo man die Leiche eines Selbstmörders zum
Fenster hinaustransportiert hat. Selbstmörder pflegen ohnedies immer
„spuken zu gehen".6) — Besonders interessant sind die häufig vorkommenden
Fälle, in denen man besondere, meist bald wieder zu verschliessende
Öffnungen in der Mauer des Sterbehauses schafft, um durch diese den
Körper hindurchzuziehen. Die Leiche des Siamesen wird durch ein in die
Wand gebrochenes Loch, die Fiisse voran, und dann dreimal in schnellem
Laufe um das Haus getragen, damit sie den Eingang vergesse und keinen
Spuk treibe.7) Den gleichen Brauch befolgt der Grönländer, wenn er im
Sommerzeit ein eignes Loch zum Herausbefördern des Toten macht.8)
Südafrikanische Wilde handeln ebenso.9) Die Ojibway begraben den Ver-
storbenen eiligst, damit er nicht andere nachziehe und bringen ihn nicht
zur Thür, sondern zu einem an der Seite gebrochenen Loch aus dem
1) Grimm, Aberglaube, 664, vgl. auch z. B. Toppen 108. — 2) Bastian, Elem., 67.
Wuttke 367 und 737. Toppen 112. — 3) Wuttke 350. — 4) Ebenda 367. — 5) Rochholz,
Glaube und Brauch, 197. Tylor 2, 26. — 6) Lippert, Christentum, 391 f. Wuttke 444.
— 7) Lippert, Kulturgesch. d. Menschheit I, 113f. Sartori, Zeitschr. f. Volkskunde 4, 442f.
Tylor 2, 26. — 8) Rochholz, Gl. u. Br., 197. — 9) Lippert, Christentum, 391 f.
Die Reise dei- Seele ins Jenseits.
269
Hause.1) Die Muskolgee begraben den Verstorbenen in einem Loche des
Hauses.2) Bei den Algonkin wurde der Tote durch eine Öffnung der
Hütte, der Thür gegenüber, hinausgetragen, unter klopfendem Lärm
(durch den man die Totengeister verscheuchen wollte).3) Die Hottentotten
handeln ebenso.4) Die Samojeden hüten sich, die Toten durch die Thür
ihrer Jurte hinauszutragen. Sie machen zu diesem Zweck eine eigne
Öffnung, die sie nachher wieder sorgfältig verkleben, in der Meinung,
dass der irrende Geist nun den Rückweg nicht mehr finden werde.5) Der
König von Somo-Sömo auf den Fidschi-Inseln liess seinen sterbenden
Körper durch ein Loch, das man in die Wand der Hütte machte, heraus-
befördern, während die zu seiner Begleitung getöteten Weiber durch die
Thür herausgetragen wurden.6) Weiber wie Kinder und Sklaven sind
seelenlos, deshalb bedarf es bei ihren Leichen einer besonderen Prophy-
laxe nicht. — Doch auch in Indien darf unter gewissen, ungünstigen Kon-
stellationen die Leiche weder durch die Thür, noch durch das Fenster
zum Hause herausgetragen werden. Es ist absolut notwendig, zu diesem
Zwecke eine Öffnung in der Mauer zu schaffen.7) Bei den Wakikuyu
darf der Bestatter, d. h. derjenige, welcher den Leichenweg bahnt, beim
Rückwege nach Hause nicht durch das Dorfthor schreiten, sondern muss
sich einen Weg durch den Dorfzaun brechen.8) Sollten wir in dem nor-
dischen Glauben, dass z. B. der Nisk zu Owschlag in einem Loche in der
Wand wohnte9), nicht einen Nachklang derselben Sitte zu sehen haben?
Durfte doch nach altnordischem Ritus der Tote nicht zur Tliüre heraus,
zu welcher die Lebenden ein- und ausgingen. Man legte also in der
Wand, welche hinter dem Kopf lag, ein Stück nieder und trug ihn hier
rückwärts hinaus; oder man grub unter dem Grund der südlichen Wand
ein Loch, durch welches der Leichnam gezogen ward. Das scheint all-
gemein germanisch zu sein, denn wir finden Gleiches in Ober- und Nieder-
Deutschland bei den Leichen von Missethätern und Selbstmördern beob-
achtet, die nicht zur Thür, sondern unter der Schwelle oder der Wand
hinausgeschleppt wurden.10)
Der letzte der Weo'e, den die irdische Hülle vom Hause der Lebenden
o ?
ausgehend zu wandeln gezwungen werden kann, um nie mehr zurück-
zukehren, geht durch das Dach. „Hier ist das Fenster, dort die Thiire,
ein Rauchfang ist dir auch gewiss" — damit bezeichnet Goethes Faust
dem Mephistopheles die Wege, die ein Höllengeist wandeln kann. Oft
1) Gerland und Waitz, Anthropologie, 3, 199. — 2) Bastian, Zeitschr. f. Ethnol., 6,
304. — 3) Bastian, Verbleibsorté, 20, vgl. 40. — 4) Tylor 2, 26. — 5) E. Simon, Gesch.
d Gl. d. Völker an eine Fortdauer d. Seele, S. 268. — 6) Sonntag a. a. 0. 88, vgl. Christ-
niann und Oberländer, Océanien, die Inseln der Südsee, 32. — V) Dubois, Moeurs, 225. —
8) Zeitschr. f. Ethnologie 10, 404. — 9) Müllenho'ff, Sagen, 322. — 10) Weinhold, Altnord.
Leben, 476. . ; . j . . < ■
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 190t. ^
270
ron Negelein:
gehen Teufel durch den Rauchfang, wie in der Odyssee Athene als Schwalbe
sich dieses Weges bedient. Die Hexen des Mittelalters wählen den gleichen
Ausgang. Geister gehen nach wendischem Aberglauben gern durch eine
Dachöffnung des Hauses1); offenbar hat durch den Rauchfang ein reger
Seelenyerkelir stattgefunden. In einem Landhause bei Zürich darf eine
Öffnung im Dache nie zugelegt werden, weil da immer ein Geist ins Haus
kommt.2) Eine Seele, die umgehen soll, reisst beim Abscheiden ein Loch
in das Dach, so glaubt man im Aargau.3) Der nordische Niss, ein Haus-
geist, ist in den Giebelluken zu sehen oder in Schleswig in dem Eichen-
balken des Hauses.4) Diesem Glauben entsprechend, deckt man hier und
da beim Tode eines Menschen das Dach ab, um der Seele den Austritt
zu erleichtern6), oder man nimmt einen Dachziegel aus dem Hause0),
derer in älterer Zeit sogar drei7), oder mehrere8), dreht auch wohl eine
Schindel einfach um, dem Sterbenden den Todeskampf zu verkürzen9),
oder bemühte sich etwa auch, die entwichene Seele in einem Loche auf-
zufangen, das man an der Decke der Hütte gemacht hatte, um die so
Eingefangene dann dem Toten wieder einzuhauchen. Dieser Brauch ist
aus Madagaskar bezeugt.10) Zum Verständnis des Parallelismus zwischen
Fenster und Dachluke in dieser Volkssitte sei bemerkt, dass man z. B. in
Ostpreussen, aber auch wohl in anderen deutschen Provinzen gläserne
Ziegel als ein Mittelding zwischen Dachbedeckung und Fenster auf den
Häusern sieht; dass ferner im alten Deutschland die sogen. Tungkeller
ihr Oberlicht durch eine Dachluke bekamen und in Island der Brauch
herrschte, mit der Eihaut eines Kalbes Dachluken zu überziehen.11) Die
Chinesen machen ein Loch in der Wand, um beim Tode die Seele heraus-
zulassen.12) In Indien ist es eine rituelle Pflicht von der höchsten Wichtig-
keit, dass man dem Toten am Todestage in seine Wohnung ein kleines
Wassergefäss hinstellt, über das man vom Dache aus einen Faden herab-
hängen lässt. Diese Vorrichtung muss der armen Seele des jüngst Ver-
storbenen zu gute kommen, da diese die ersten zehn Tage hindurch längs
dem Faden herabsteigt, um das Wasser zu trinken. Weil sie aber nicht
trinken kann, ohne zu essen, setzt man auch einen Reisnapf hinzu.13)
Deutlicher als hier kann sich die Auffassung nicht zeigen, dass der Pfad
der Seele von oben herab auf die Erde zurückführt. Von oben kommt
das Leben und geht nach oben wieder zurück.
1) Schulenburg, Wendische Sagen, 164. — 2) Wuttke 444. — 3) Bastian, Verbleibs-
orte, 60. — 4) MüllenhofT, Sagen, 332. 337. — 5) Bastian a. a. 0. 10, vgl. 39. —
6) Wuttke 429. — 7) Grimm, Myth.4, 2, 988. — 8) Bavaria 1865, S. 365. —: 9) Wuttke 429.
Grimm a. a 0. — 10) Sonntag a. a. 0. 117. Siehe die dort citierte Litteratur. — 11) Zeit-
schrift für Ethnologie 29, 599. — 12) Tylor 1, 447, vgl. Bastian, Verbleibsörte, 20. —
13) Dubois a. a. O. 209.
l)ie Reise der Seele ins Jenseits.
271
Wir sind am Schlüsse angelangt. Unsere Untersuchung' lehrte, dass
die Seelenvorstellung' gerade da, wo sie am volkstümlichsten war, wo
sie am unmittelbarsten sich dem menschlichen Gemüte aufdrängte —
denn wo musste dies mehr der Fall sein als bei der Wesschaffuns: des
O o
Toten? — einen absoluten Monismus von Seele und von Leib, Geist
und Körper darstellt; dass man das Bild des Lebens, die im schein-
baren Schlummer befangene Leiche, noch mit Leben ausgestattet glaubte
und die Bedürfnisse desselben ihr um so unbedingter zugestand, je
täuschender der Schein des Lebens auf ihr lag. Je grösser die räumliche
und begriffliche Trennung zwischen Tod und Leben in Begräbnis und
Leichenverfall wurde, um so mehr liess die Sorgfalt der Überlebenden
nach, die jetzt die begriffliche Scheidung unter dem parallel laufenden
Vorstellungsbilde einer Reise sich zum Bewusstsein brachten. Der Antritt
der Reise ist meist mit dem Begräbnis als dem Akte gegeben, der die
erste undurchbrechliche räumliche und damit auch ideelle Scheidung ver-
aiilasst; die Stationen derselben, rein temporäre Elemente, heften sich an
traditionell geheiligte, hier also bestimmte Entwicklungsphasen darstellende
Zahlen, ihr Abschluss aber naturgemäss an den Augenblick, mit dem man
die Verwesung einerseits und den absoluten Mangel jeder Verbindung mit
der Welt des Lebens andererseits als vollkommen hinstellt. Umgekehrt
wird jede Wiederaufnahme der metaphysischen Beziehungen zwischen
Toten und Lebenden, wie sie sich räumlich namentlich durch den Weg-
ergiebt, auf welchem die Leiche fortgeschafft wurde, und wie sie überhaupt
durch jedes sich aufdrängende Erinnerungsmoment an den Toten zu stände
kommen muss, als eine Rückkehr von der Reise — ein Geister-
besuch u. s. w. appercipiert und daher eine Vernichtung dieser Erinnerungs-
inale — der wirklichen sowohl (durch Zerstörung der Wohnung des Ver-
storbenen u. s. w.) wie auch der rein ideellen (durch Verwischen einer
aus der Reisevorstellung' sich ergebenden imaginären Fussspur) — an-
gestrebt. Das Beharrungsvermögen hatten wir als den psychologisch
leitenden Faktor für die Konstruktion der Vorstellung- von dem Totenwege
und den Selbsterhaltungstrieb als die entsprechende Grundbasis für die
Zerstörungsversuche des letzteren kennen gelernt. Damit sind aber zwei
der leitenden Instinkte der Menschennatur als völkergeschichtlich vorhanden
und mythologisch bildungsfähig erwiesen.
Königsberg i. Pr.
19*
272
Hertel:
Abergläubische Gebräuche aus dem Mittelalter.
Von Prof. Dr. G. Hertel.
In der Bibliothek des Domgymnasiums in Magdeburg' befinden sich
zwei Handschriften1), welche ausser Werken meist theologischen Inhalts
auch interessante Mitteilungen über Aberglauben enthalten. In dem ersten
Codex (So. 113) steht auf Blatt 350v—377: Johannis Wuschilburgk
s. théologie professons necnon iuris canonici licentiati tractatus de super-
stitionibus et miraculis. Der Traktat ist wahrscheinlich wie die s^nze
Handschrift in Erfurt entstanden, obwohl sich der Verfasser in der Erfurter
Universitäts-Matrikel nicht findet. Die Zeit der Entstehung ist das 15. Jahr-
hundert, wie aus der mehrmaligen Erwähnung der Hussiten hervorgeht.
Noch genauer lässt sich die Zeit dadurch bestimmen, dass der vom Ver-
fasser oft citierte Traktat des Wilhelm von Paris 1469 gedruckt ist. Man
darf wohl annehmen, dass dieser ihm gedruckt und nicht handschriftlich
vorgelegen hat, zumal er auch von dem Verfasser des andern Codex benutzt
ist. 1483 ist die Handschrift mit Wuschilburgks Traktat schon im Besitz
eines Magdeburger Klerikers gewesen, so dass er also in den siebziger
Jahren entstanden sein muss.
Der Hauptinhalt des lateinisch geschriebenen Traktates ist natürlich
theologischen Inhalts. Mit vieler Gelehrsamkeit wird der Aberglaube als
Irrlehre und Götzendienst (ydolatria) nachgewiesen, wozu nicht nur zahl-
reiche Stellen aus der heiligen Schrift, aus den Legenden und den Kirchen-
vätern, sondern auch aus den Werken mehrerer theologischen Schrift-
steller herangezogen werden. Die ganze Ausführung hat wenig wissen-
schaftlichen Wert, dagegen sind die an mehreren Stellen eingefügten
Mitteilungen über abergläubische Gebräuche der Zeit höchst interessant
und beachtenswert.
Die zweite Handschrift (Çod. No. 193) enthält auf Blatt 345v— 356v
gleichfalls lateinische Praecepta quaedam propter superstitiones.
Auch in diesen ist die Tendenz die, dass der Aberglaube als Sünde nach-
gewiesen wird. Die hier angeführten abergläubischen Gebräuche finden
sich nun zum Teil auch in der ersten Handschrift, manchmal sogar ziemlich
übereinstimmend im Ausdruck. Demnach haben beide Verfasser dieselbe
Quelle benutzt, und dieses ist der schon oben genannte Tractatus de fide
et legibus Wilhelmi episcopi Lugdunensis eximiique sacre pagine doctoris
Parisiensis2). Näheres über Wllhelmus Parisiensis — so wird er immer
1) Eine Beschreibung der Handschriften und eine kurze Inhaltsangabe hat Dr. Hermann
Dittmar in dem Programm des Domgymnasiums von 1880 gegeben.
2) In der Inkunabel der Königl. Bibliothek in Berlin ist als Jahr des Druckes 1469
angegeben. In dem Exemplar in der Bibliothek des Königl. Domgymnasiums hier habe
ich eine Angabe des Jahres nicht finden können.
Abergläubische Gebräuche aus dem Mittelalter.
273
citiert — vermag ich nicht anzugeben. Da nun beide Verfasser diesen
Traktat benutzt haben, so müssen auch die Praecepta propter superstitiones
am Ende des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Auf diese Zeit weist auch
der Charakter der Handschrift in beiden Codices.
Der Traktat Wilhelms von Paris ist ein ziemlich umfangreiches Werk,
welches auch sehr gelehrt sich über Glauben und Unglauben verbreitet
und besonders eingehend über das jüdische Gesetz und seine Eigentümlich-
keiten handelt. Da sind dann auch gelegentlich interessante Nachrichten
über alte Gebräuche eingestreut, von denen in unseren Codices einzelne
Abschnitte aufgenommen sind. Aber doch finden sich in diesen noch eine
Menge selbständiger Mitteilungen, auch eigene Erlebnisse, wie z. B. die
Erzählung von dem Kreuz in der Bamberger Diöcese, bei Wuschilburgk.
Was von eigentlichen abergläubischen Gebräuchen hier erzählt wird,
soll im folgenden in der Hauptsache mitgeteilt werden; was aus Wilhelm
von Paris entlehnt ist, wird besonders bemerkt werden. Die Handschriften,
die schon an und für sich schwer lesbar sind, sind zudem nicht ohne
Fehler, besonders die zweite. In dieser finden sich aber mehrere Glossen,
die einigere seltenere Worte in deutscher Form wiedergeben. Der Schluss
von W'uschilburgks Traktat lautet: et sic terminator, ista mirabilis kôcke-
lerey (Gaukelei, Possenzeug).
Aus dem Cod. No. 113 teile ich folgendes mit:
Geweihte Dinge werden angewendet, um Gesundheit zu erwerben
oder Krankheiten zu beseitigen bei Menschen wie bei unvernünftigem
Vieh, Fruchtbarkeit der Bäume und Äcker herbeizuführen, gegen Donner
und Hagel; z. B. Weihwasser, Besprengungen mit Wachs von Osterkerzen
oder anderen geweihten Kerzen, Palmen, Kräuter, ein aus Palmenholz
gemachtes Kreuz.
Auch nicht geweihte Dinge verwendet man. Bäder zu Weih-
nachten und Aschermittwoch schützen gegen Fieber, Zahnschmerz u. a.
Wer am Aschermittwoch badet oder den Kopf wäseht, hat in dem Jahre
keine Rückenschmerzen, und in demselben Jahre soll man nicht am
Dienstag baden. Fett, welches übrig ist von den Kuchen (pastillis) am
Aschermittwoch, hebt man auf als Salbe für gewisse Gebrechen, besonders
wenn man mit dem Fusse in einen eisernen Nagel getreten ist. — Land-
leute, wrelche die Kälber absetzen (ablactare) wollen, fangen damit an an
dem Tage, auf welchen Weihnachten gefallen ist (tali die, qualis fuit
uativitas domini).
Man sagt, in welchem Hause in der Weihnachtsnacht ein Ton
gehört wird, in dem stirbt in demselben Jahre jemand. Ferner, wer am
Weihnachtstage auf dem Wege zur oder von der Kirche hinfällt, stirbt in
"lem Jahre. — Am Aschermittwoch prüfen sie die Sonne: wenn diese
morgens schnell erglänzt, soll es gut sein, frühmorgens Lein zu säen. —
Am Abend vor Johannis Baptistae reissen sie einen Feuerbrand aus dem
274
Hertel
dami angezündeten Feuer und tragen ihn in den Garten, damit nicht die
Würmer das Gemüse verderben und zernagen. — Am Donnerstag in
den Quatembern essen manche kein Fleisch, um damit das Fieber in
dem Jahre abzuhalten. Andere fasten und thun Gelübde gegen das Fieber
und andere Krankheiten oder um Reichtümer und Ehren zu erlangen;
besonders berühmt sind die, welche nach Aachen wallfahrten und auf
den Gräbern dort beichten, um der Armut zu entgehen und Reichtümer
zu erwerben.
Gegen die fallende Sucht wird ein Aberglaube beobachtet bei dem
heiligen Valentin mit dem Ziehen von Lichtern (observatur aput S. Valen-
tinum cum extraccione candelarum?). — Knaben und Greise werden mit
Roggen gewogen (ponderaciones puerorum vel senum ad equalitatem sili-
ginis). — Wein oder Wasser giesst man auf Lebensholz (lignum vite) und
giebt es zu trinken gegen das Fieber. Andere nehmen einen Nagel, von
dem es heisst, dass er die Hand des Erlösers durchstochen habe, durch-
bohren damit Groschen und geben davon (!) zu trinken gegen das Fieber
und andere Krankheiten. Andere verwenden Oblaten, die bei der Messe
z. B. der heil, drei Könige am Altar am Tage SS. Fabiani et Sebastiani
gereicht sind, oder vom Brot, welches über dem Kruzifix am Karfreitag
gereicht ist. Geistliche reichen dem Yieli Weihwasser gegen den Biss
der Wölfe. Hirten segnen die Herde, dass kein wildes Tier, Wolf oder
Bär sie verletze; dies thun sie vor Sonnenaufgang. Oder am Sonntage
gehen sie um die Herde herum, indem sie Worte sprechen, die von der
Kirche verboten sind. Andere Hirten nehmen die ihnen gereichte Hostie
mit oder kaufen eine von den Chorknaben (campanatoribus) und verwahren
sie in ihren Stäben oder in ihren Kleidern gegen den Raub der Wölfe.
Andere räuchern sich mit geweihten Kräutern und Palmen, schliessen sich
mit Kreisen ein beim Gebären (in puerperio), schneiden mit Messern in
die Schwellen, verbrennen Haare und Nägel (ungues). Andereschreiben
auf das Evangelium: lutum fecit ex sputo, andere: Jesus transiens per
medium illorum ibat; andere schreiben gegen das Fieber oder Zahn-
schmerz auf einen Apfel, Oblate, Blei oder Lorbeer (lauribacca); andere
besprechen die Pferde, die Würmer haben. Andere machen Zaubermittel
(malificia) zur Liebe oder zum Hass.
Wenn jemand Rückenschmerzen hat, soll er sich treten (calcari) lassen
von einem Weibe, welches Zwillinge geboren hat, dann wird er gesund.
— Wenn ein Junges (vitulus) Zahnschmerzen (!) hat, soll man es mit
der Hose eines Mannes oder Weibes (braca virili sive feminali) reiben,
dann weicht der Schmerz. — Bauernfrauen heften, wenn eine Kuh des
Nachts auf dem Felde geblieben ist, eine Sichel in die Schwelle (subli-
minare), damit das Tier vor den Wölfen sicher sei.
Kohlsamen, in Weihwasser angefeuchtet, ist vor den Erdflöhen
sicher.
Abergläubische Gebräuche aus dem Mittelalter.
275
Wenn ein Knabe nach der Taufe innerhalb von acht Tagen stirbt,
nehmen abergläubische Weiber ein Band oder ein Stück Holz von der
Länge des verstorbenen Knaben, überziehen es mit Wachs für einen
Pfennig und beten mit gebeugten Knien vor dem Kruzifix, bis das Holz
verbrannt ist. Was sie dann von Gott erbitten, erlangen sie.
Wenn ein Kind (puer) krank ist, legen sie es auf die Schwelle
des Hauses gegen die Sonne und gehen dreimal herum (faciunt tres circuitus),
indem sie den Yers sprechen:
Du bist raeyn fleisch und meyn blut,
Das sey dir vor den rechen gut.
Ferner, einen mit einer bestimmten Krankheit behafteten Knaben
tragen sie zu einer sprudelnden Quelle und baden ihn darin (ex hoc) an
drei Tagen vor Sonnenaufgang und nehmen von dem AVasser etwas mit
und tragen den Knaben in eine Pferdekrippe, die sie mit dem Wasser
begiessen, indem sie den Reim sprechen:
Loß dich lung und leber von dem ripp,
Als das futir von der cripp.
Ferner Kinder, die häufiges Erbrechen haben, legen sie auf einen
Zaun (super sepem) und lassen die ausgebrochene Masse von den Yögeln
fressen; dann wird das Kind gesund.
Wenn ein Todkranker kurz vor seinem Ende einen Apfel isst, kann
er das heil. Abendmahl nicht nehmen und wird verdammt.
Wenn jemand in einem Hause stirbt, so taugt der Lein, der in dem
Hause ist, nicht zum Samen, es sei denn, dass man für ein Ei anderen
Lein kauft und hinzuthut; auch tragen sie den Lein nicht durch die Thür
des Gestorbenen, sondern durch die Hinterthür, wenn sie ihn auf den
Acker bringen wollen.
Worten und Schriften wohnt vieler Aberglaube inne. Wenn diese
nach Art von Segenswünschen, Gebeten oder Beschwörungen vorgebracht
werden, legen ihnen manche Zauberer solche Kraft bei, dass Menschen
und Tiere dadurch sterben. So lieisst es von einem jüdischen Zauberer1)
im Leben des heil. Silvester, dass er durch das blosse Murmeln von Worten
Stiere getötet habe, indem er hinzufügte, dass kein Mensch jene Worte
hören oder jene Schriften sehen könnte, ohne sofort zu sterben. Deshalb
habe er jene Worte , lernen müssen, indem sie in Weihwasser geschrieben
wurden, wo die Buchstaben beim Entstehen auch gleich wieder vergingen.
Einige murmeln diese Worte den Pferden in die Ohren oder hängen sie
ihnen an den Hals, um die Würmer zu töten.
Sünde ist es, wenn Priester den Leib Christi um ein brennendes
Haus trafen. — Ein Hufnagel oder ein anderer in die Wand geschlagener
o o
^agel oder einer unter dem Hufe eines schlecht beschlagenen Pferdes
1) Wilhelm von Paris, Pars IX, Kap. 14.
276
Hertel:
wird gebraucht, um Fäulnis (putredinem, Eiter) hervorzurufen oder ein
Auge auszuschlagen.
Manche glauben, wenn sie Worte des heil. Evangeliums geschrieben
bei sich tragen, könne ihnen kein Übel zustossen, sie könnten nicht ge-
fangen oder verwundet werden oder ertrinken. Mit diesen Worten dürfen
aber keine anderen Zeichen als höchstens ein Kreuz aufgezeichnet werden.
— Beim Sammeln von Heilkräutern sollen keine Besprechungen oder
Gebräuche angewendet, sondern nur das Gebet des Herrn gesprochen
werden. — Über Kinder und Kranke darf man singen (carminare), aber
nichts Abergläubisches, sondern Heiliges; denn es kommt vor, dass über
einen Apfel oder Gürtel Gebete gesprochen werden.
Einige glauben, dass durch 15 Paternoster 15 Sünder bekehrt und
15 aus dem Fegefeuer erlöst und 15 Gerechte in der Gerechtigkeit bestärkt
werden. Dem heil. Gregor wird zugeschrieben, dass in jeder Messe eine
Seele aus dem Fegefeuer befreit und ein Sünder bekehrt wird.
Mit gewissen Worten und Gebeten, die nicht den Vorschriften Gottes
entsprechen, wird ein Trank geweiht, der haustus sancti Johannis
heisst. In manchen Gegenden finden bei der Hochzeitsmesse Weihungen
des Weines statt und Trinkgelage (bibiciones) in der Kirche, als ob man
im Gasthause wäre.
Die verschiedenen Zeiten, Jahre, Monate, Tage werden sorgfältig
beobachtet: die einen gelten für glückbringend, andere für unglücklich,
und ebenso wird den Namen der Tage und Monate eine gewisse Kraft
beigemessen. So wird der Name des Tages, an dem man den Donner
zuerst gehört hat, an die Wand der Häuser geschrieben zum Schutze
gegen Blitzschlag. Auch Tag und Stunde eines Kampfes (duelli) wird
angemerkt, um daraus den Ausgang zu erkennen. Manche Tage sind
günstig, manche ungünstig für den Beginn eines Unternehmens, mögen
es nun die sogen, ägyptischen Tage1) sein oder andere, wie der 1. Januar.
Die ägyptischen Tage gelten für unglücklich, weil an ihnen die Ägypter
mit den Plagen heimgesucht wurden. Ebenso gilt der Tag der un-
schuldigen Kinder (28. Dezember), ja sogar jeder Wochentag, auf
welchen jener in dem Jahre fällt, für unglücklich.
Vorbedeutend für das Glück oder Unglück eines Tages, Monats oder
Jahres sind die Handlungen, die jemand zuerst thut2), z. B. wenn
einer beim Aufstehen aus dem Bette zuerst den linken Teil oder Fuss
bewegt, oder den linken Schuh eher als den rechten erfasst, oder das
Kleidungsstück, welches er zuerst anziehen muss, verkehrt und nicht richtig
anfasst; solche Anfänge eines Zeitabschnittes gelten für unglücklich.
1) Wilhelm von Paris, Pars IX, Kap. 15,
2) Ebenda Kap. 16.
Abergläubische Gebräuche aus dem Mittelalter.
277
Wenn einer ein Nest1) findet mit dem brütenden Weibchen oder mit
Jungen und es bei sich verwahrt, von dessen Hause wird Fruchtbarkeit
und Überfluss niemals weichen. — Alte Weiber glauben, dass das Finden
eines kleinen Stückchen Eisens besser sei als eines grossen Stückes
Goldes oder eines Hellers als einer grossen Münze (obolus-nummus).
Unglück bringt es, wenn man auf einen Stier oder ein Scliaf stösst,
Glück dagegen, wenn man einen Wolf oder eine Schlange, Drachen
oder Kröte trifft. Die Barbaren gehen in diesem Unsinn sogar soweit,
dass sie jedes Wesen, welches sie an einem Tage zuerst treffen, anbeten,
mag es auch ein Schwein oder ein Hund sein.
Ein aus drei gelegentlich gefundenen Nägeln hergestellter eiserner
Ring wird mit Erfolg gegen Krankheiten getragen.
In einer Stadt der Bamberger Diözese sah der Verfasser ein an einer
Bildsäule hängendes Kreuz, welches die Bewohner der Stadt und Um-
gegend wegen seines Alters allgemein den heiligen Geist nannten, denn
sie glauben, dass mehr Göttliches (plus numinis) in alten, als in neuen
Bildern sei. Darum sagen alte Weiber, dass Bilder erst 60 Jahre nach
ihrer Herstellung Kraft erhielten. Darum wurden jenem alten Holzkreuz
wegen seines hohen Alters viele Wunder zugeschrieben, andrerseits stand
das Sakrament des Abendmahls nur in geringer Ehre. Sie hatten es mit
t) Überzügen (Röcken, tunicis) bekleidet, von denen 6 aus Seide und 3
aus feinem Leinen (byssus) waren; diese konnten nur unter grosser Gefahr
weggenommen werden.
OD ________ _________
Nicht minder interessant sind die in der andern Handschrift angeführten
abergläubischen Gebräuche.
Manche wollen die Zukunft verkünden aus dem Schwatzen (garritus)
der Yögel, dem Fluge oder anderen Bewegungen derselben. Diese heissen
anguria (!), zu deutsch wogelwicken2). — Andere sprechen bei den
Götzenaltären nichtswürdige Gebete und bringen unheilvolle (funesta) Opfer
dar oder erhalten durch Gebräuche und Feierlichkeiten die Antworten der
Dämonen; diese heissen arioli, zu deutsch alterwicken. -— Andere aus
gewissen Beschaffenheiten und Zuständen von Leichen (ex quibusdam dis-
posicionibus et habitudinibus) in Farbe, Gestalt und Lage der Glieder;
diese heissen nigromantici, deutsch swertekunsten. -— Andere versuchen
die Zukunft vorherzusagen aus dem Niesen und dem Springen (? sal tu)
der Glieder; diese heissen salisatores, deutsch sprinckunsten. Wenn
nämlich irgend ein Teil der Glieder sich springend bewegt hat (salierit),
sagen sie, dass irgend etwas besonders Glückliches oder Trauriges geschieht.
-— Andere prophezeihen aus Losen (sortibus) und heissen sortilegi, deutsch
g'heluckekunsten. — Wenn man ein Buch öffnet, glauben sie die Zukunft
1) Wilhelm von Paris, Pars IX, Kap. 17.
2) nd. wicken, zaubern, wahrsagen, wogelwicken = Vogelwicken.
278
Hertel:
ans dem, worauf das Auge zuerst fällt, zu erkennen. — Oder wenn ein
S eli uh geworfen und gefragt wird, ob der Werfende in dem Jahre zu
Hause bleiben oder nach auswärts kommen werde. — Andere, die aus
den Linien der Hand wahrsagen, heissen ciromantici, deutsch hantwicken.
— Andere aus dem Knistern (sonitu) und der Gestalt des Feuers; diese
heissen piromantici, deutsch wuerwicken. — Andere wollen die Zukunft
erkennen aus dem Beschauen eines Spiegels (speculi) oder eines Schwertes
(spate) oder eines Fingernagels.
Manche wenden zur Abwehr von Krankheiten gewisse Sprüche (vocales
prolaciones) an oder Schriften von unbekannten Worten oder von bekannten
Zeichen (caracteribus), die sie an den Hals binden, oder Aufschriften auf
Apfel, oder sie stossen einen Hufnagel (gunfum, teutonice hoefnagel) durch
einen Zettel gegen den Zahnschmerz.
Ein Überbleibsel des Götzendienstes ist die göttliche Verehrung des
Feuers.1) Dahin gehören: Erleuchtungen (illustrationes) durch Feuer
oder angezündete Lichter, das Springen durch das P^euer oder das Hin-
durchtragen der Kinder zum Zweck der Gesundheit u. a. Oder sie ver-
brennen Haare und Nägel und üben andere Gebräuche mit dem Feuer.
Besondere Kraft wird den Feuern zugeschrieben, die am Abend vor
Johannis Baptistae angezündet zu werden pflegen. Auch hier springen und
tragen sie hindurch oder gehen um das Feuer herum, weil sie das Feuer
wie Gott verehren.
Zufällige Begegnungen werden sorgfältig in acht genommen.
WTenn einem auf dem Wege ein Hase oder Schaf begegnet, so gilt das
für das Zeichen eines Unglücks, glückbringend dagegen ist es, wenn man
einen WTolf oder eine Schlange trifft.
Wer beim Wandern anstösst, soll nach Hause umkehren.
Wem Mäuse das Gewand zernagen, wird Unglück haben.
Die, welche solche Beobachtungen anstellen, heissen augures, deutsch
wedderwicken.
Die einzelnen Zeiten sind für ein Unternehmen teils glückbringend,
teils unheilvoll. Wenn man zu einer bestimmten Stunde zu einem Kriege
oder einer Seefahrt auszieht, so gerät es wohl, zu einer andern, so missrät
es. Der Montag ist für den Anfang eines Unternehmens unglücklich.
Wenn einem am Montag von einem Gläubiger Geld abgefordert wird, so
zahlt es der Schuldner nicht, weil er es übelnimmt.
Die ägyptischen T age gelten bei vielen wegen derPlagen für unheilvoll.
Auch die Anfaugshàndlungen2) gelten für bedeutsam.
Kaufleute und Gastwirte und andere legen dem Preise, den sie zuerst
erhalten, eine besondere Bedeutung für einen günstigen oder ungünstigen
1) Wilhelm von Paris, Pars IX, Kap. 3.
2) Dieser Abschnitt stimmt mit dem oben S. 276 mitgeteilten überein.
Abergläubische Gebräuche aus dem Mittelalter.
279
Verkauf ihrer Waren bei; auch kommt es auf die Person des Käufers
dabei an.
Manche verehren den Neumond, indem sie sprechen dieses oder
ähnliches:
Biß gud welchome, nuwer maen, holder here,
Mach mir mynes gudes mere.
Dabei zeigen sie ihm die offenen Börsen (bursa) und ihr Geld, oder
schütteln und bewegen es, indem sie dadurch Glück für den Monat zu
erlangen glauben und Vermehrung ihrer Reichtümer. Den Mond nennen
jene Himmelskönig (celi regina).
Auch gefundene Sachen haben abergläubische Bedeutung, z. B. ein
Vogelnest1). Wenn man ein Vogelnest findet, die Mutter wegfliegen
lässt, die Jungen aber behält, so bringt dies Glück und ein solcher wird
lange leben. — Ebenso ist der Fund von einem Eisenstückchen verheissungs-
voller als der von einem grossen Stück Goldes. Besonders der Fund einer
Nadel ist glückbringend.
Manche bewahren in ihren Schränken (? servitiis) einen toten Eis-
vogel (amiculam), eingewickelt in seidene Tücher (pannis) und mit goldenen
Ringen um den Hals, weil sie glauben, dass es ihnen, so lange sie diesen
aufbewahren, nicht am Unterhalt (temporalia) fehlen wird, und dass sie
an Wohlstand und Ehren zunehmen. Manchmal wird ein solcher toter
Vogel auch unter den Altar gelegt, wenn Messe gelesen wird.
Auch mit dem Kopfe eines toten Hundes treiben einige Unfug
zur Erlangung der Gesundheit oder zu anderen Zwecken.
Wieder andere glauben, dass gewisse Geister (numina quedam) die
Häuser besuchen und die Gefässe, die sie offen oder schlecht zugedeckt
gefunden haben, austrinken und essen, und sie dann wieder füllen. Wenn
sie aber die Gefässe zugedeckt und für sich verschlossen finden, werden sie
beleidigt und es droht daher dem Hause Unglück. Der Verfasser leitet
den Ursprung dieses Aberglaubens davon ab, dass die Ungläubigen ihre
Gefässe offen halten wollten und keine Deckel darauf legten, damit sie
zum Götzendienst geeignet seien und damit sich Reptilien (!) wie Mäuse,
Wiesel und Eidechsen darin fingen, weil solche den bösen Geistern an-
genehmer wären, als andere.
Dies sind etwa die in beiden Handschriften enthaltenen abergläubischen
Gebräuche. Viele von ihnen haben sich bis auf unsere Zeit erhalten und
geben dadurch den Beweis, wie fest jene uralten Anschauungen und Ge-
bräuche mit dem Leben eines Volkes verwachsen sind, und dass es keine
Gewalt giebt, sie auszurotten, und sollte es selbst eine so grosse sein, wie
sie der christlichen Kirche und der Wissenschaft zu Gebote steht.
1) Wie oben S. 277.
Magdeburg.
/
280
Kain dl:
Euthenisclie Hochzeitgebräuche in der Bukowina,
Mitgeteilt von Dr. ß. Fr. Kaindl.
(Vgl. oben S. 169.)
II*
Einen ähnlichen Verlauf nimmt die Hochzeitfeier bei den Ruthenen
im Flachland. Man vergleiche Kaindl, Die Ruthenen in der Bukowina. I.
(Czernowitz 1889). Hier mögen daher nur die meist abweichenden Lieder-
texte mitgeteilt werden, welche am citierten Orte weder im Urtext mit-
geteilt noch vollständig angeführt sind. Sie rühren her aus dem rusniakischen
Dorfe Slobodzia Banilla am unteren Czerëmosz. Ihre Yergleichung mit
den im vorhergehenden Abschnitte mitgeteilten ist interessant.
Beim Nähen des Brautkranzes:
„Podaj mamko hotku
Taj nytoczku z szouku,
Naj pryszyju try tystoczki barwinoczki
Motodeñky na hotouku."
,,„Oj winczyku, barwinczyku,
Kupuwatam tia u rynku,
Zamykatam tia u skryriku,
Teper tia ruszu,
Zaptakaty muszu.""
Beim Nähen der Hochzeitzier für den Bräutigam
Czertene more h ralo,
Sonce sia kupaîo,
Moîodyj potopaje,
Za motodeñkou zahybaje.
Dwa pauny zemliu stoczyly,
Dwa bratczyky u misto chodyty,
Taj szouczykn nakupyly,
Taj winoczok nakupyly.
Dwa kaczury zemliu stoczyly,
Dwi sestryci u misto chodyty,
Taj pozlitky nakupyly,
I winoczok nazlotyly.
„Mütterchen reich die Nadel
Und den Seidenfaden,
Dass ich drei Blätter Immergrün
Dem Bräutchen näh zum Kopfkranz.
„„Ach, du Kranz aus Immergrün,
In der Stadt kauft ich dich,
In der Truhe barg ich dich,
Jetzt muss ich dich räumen,
Und mein Leid beweinen.""
Das rote Meer tönet (braust),
Die Sonne badet sich;
Bräutigam vergeht vor Sehnen
Nach der Braut, der schönen.
Zwei Pfaue stampften die Erde,
Zwei Brüderchen gingen nach der Stadt,
Kauften dort Seide,
Kauften Immergrün.
Zwei Entriche stampften die Erde,
Zwei Brüder gingen nach der Stadt,
Kauften das Flittergold,
Vergoldeten den Kranz.
Wenn dem Bräutigam das Hemd und Schnupftuch gebracht wird,
wird am Wege dahin gesungen:
Oj iszla, iszla, neutomyla sy,
Sita pid duba, zaholyla sy,
Sita pid duba, taj chechechocze,
Do mene chtopci, bo my sia choczy,
O sie ging, ging, ermüdete nicht,
Setzte sich unter den Eichenbaum und
entblösste sich,
Setzte sich unter den Eichenbaum und
kicherte:
Zu mir Bursche, weil ich Bekehren habe.
Ruthenische Hochzeitgebräuche in der Bukowina.
281
Oj icha, icha Pentelyicha,
Chepenke, prypinke, bida z horicha,
Dajty my micha ne dirawoho,
Zrobiu warn chlopcia kuczerawoho.
Beim Bräutigam angekommen,
Oj czy wy swaty w lisi rosly,
Szczo wy ne zuajete, czo my pryjszly,
Oj my ne pryjszly, tut noczuwaty,
Lysz my pryjszly, tut pohuliaty.
Oj prosym my was, ne barite ñas,
Szczo nasze dito, widradite nas.
Auf dem Wege in die Kirche:
Kuda my sia wyradzajem, •
Czy w lis, czy w dibrowu,
Ani w lis, ani w dibrowu,
Lysz do Bozoho domu.
Oj ne more toto hraje,
Molodeñka potopaje.
ïaj na diediu poklykaje:
„Oj neñku, ty mij neiiku,
Ratuj mene z moria."
„„To ne moja, synku, wolia;
Ale toho synku, pana,
Szczo z nym budesz sliubok brala.""
Auf dem Wege aus der Kirche:
Hej my w cerkwi buly,
Bohu sia molyly,
Taj Bohowy nebesnomu;
I popowy napastnomu,
A diakowy bezczasnomu,
Palamarewy smarkaczewy.
Hej my w cerkwi buly,
Szczos my tarn wydily
Dwa winoczki na prystoli,
Molodenkym na holowi.
-----Unglück aus der Nuss,
Gebt mir einen nicht zerlöcherten Sack,
So mache ich euch einen lockigen Knaben.
wird gesungen:
Seid ihr, Vater, im Wald aufgewachsen,
Dass ihr nicht wisset, warum wir kamen?
O wir kamen nicht, hier zu nachten,
Sondern wir kamen, uns zu unterhalten.
O wir bitten euch, haltet uns nicht auf,
Lasset uns unser Vorhaben ausführen.
Wohin geht die Reise heut,
In den Wald und Hain so weit? •
Nicht zum Hain und Wald ihr Leute,
In die Kirche ziehn wir heute.
Ach, es tönt das Meer nicht so,
Das Bräutchen weint vielmehr.
Hüft den Vater an im Schmerz:
„Liebes trautes Vaterherz,
Bette mich aus diesem Meere."
„„Wenn dies, Kind,, mir möglich wäre
Das hängt ab von jenem Herrn,
Der dich wird zur Frau begehren.""
Aus der Kirch' wir wiederkehren,
Beteten zu Gott, dem Herren,
Zu dem Herrn, der uns erschaffen;
Dankten unserm schlimmen Pfaifen,
Auch dem Kirchensänger trotzig,
Und dem Kirchendiener rotzig.
Aus der Kirch' wir gehen,
Haben dort gesehen
Kränze zwei auf dem Altare,
Dann aufgesetzt dem jungen Paare.
Bei Ankunft der Braut vor
:: Wyjde nene protyu mene : :
Z pleczenymy kolaczamy
I z dobrymy wolyczkamy.
Czomu nene ne wychodysz,'
Czomu mia sia ne pytajesz,
Czy daleko my chodyly,
Czy harazd tam my hostyly?
Harazd, nerìko, harazd,
Daly slubok zaraz.
ihrer Eltern Hause:
:]: Komm lieb Mutter mir entgegen : :
Mit Kolatschen schön geflochten
Und mit gutem Willen.
Willst du mich denn nicht begrüssen,
Willst von mir du gar nichts wissen,
Ob von ferne wir gelangen,
Wie es uns dort ist ergangen?
Trefflich, Glück hab ich erschauet,
Gleich hat man mich angetrauet.
282
Kam dl:
Beim Einziehen in das Haus:
Nasza moloda wid slubu pryjszia,
K stolowy nawertaje:
„Hej stote, stole, roziuko moja,
Meni, neneczko, z tobou."
Oj zaiy, zaiy, bar wink om wije,
Ne kaiynka sia lomyt,
Molodeñka sia klonyt,
Witcewy, matyronci.
Beim Auflegen des Handtuches
Bile pokrywaio,
Wiczne zawywaio;
Oj budesz ho zawywaty,
I nikoiy ne skydaty.
Beim Abschied der Braut von
dem Bräutigam:
Oj ne tuzy moja marako za mnoju,
Ta ne wse ja zaberaju z soboju;
Lyszaju ty dribni slozy po stolu,
Szcze dribnijszi, zalibnijszi po dworu.
Beim Eintreffen der Braut vor
Oj utwory mytyj swaty wikonce,
Wedemo ty nevvistoczku jak sonce;
Oj utwory myia neiiko worota,
Wezemo ty newistoczku jak z ziota.
Oj utwory mylyj swaty siu chatu,
Wezemo ty newistku rohatu.
Beim Einzug in das Haus:
Hopa, hopa, hopasza,
Ne zahubit kodasza,
Bo nasz kodasz ne weiyczkyj,
Ta wsadyu sia do meinyczky,
A metneczka dobra buia,
Koho liubyt, wse zabuia.
Jetzt kommt die Braut von der Trauung
Und wendet sich zum Tische:
„Tischchen, Tischchen mein, es muss
geschieden sein,
Von dem Mütterchen mein."
Ach ein grosses Leid zieht durchs Immer-
grün,
Nicht die Schneeballstaude knickt,
Den Abschiedsgruss nickt vielmehr die
Braut,
Denn sie zieht vom Vater, von der Mutter.
auf den Kopf der Braut:
Weiss ist die Umhüllung dein,
Ewig wird sie sein;
Wirst damit dich stets umgeben,
Immerdar durchs ganze Leben.
ihren Eltern vor dem Wego-ehen mit
oo
Traure nicht nach mir, lieb' Mütterchen,
heute,
Denn nicht alles schaff' mit mir ich bei
Seite;
Lasse zum Danke heisse Zähren im Hause,
Noch heissere Thriinen aber da draussen.
dem Hause der Schwiegereltern:
Öffne lieber Swat das Fenster vorWonnr,
Denn wir bringen die junge Frau gleich
einer Sonne;
Lass liebe Mutter das Thor öffnen der
Holden,
ihr, die wir bringen, der Goldnen.
Schnell die Riegel vom Hause entfernet,
Denn wir bringen die junge Frau euch
gehörnet (!).
Hopp, hopp, hopp,
Verliert nicht den Kodasch1),
Denn unser Rodasch ist nicht gross,
Doch drängt er sich zur Müllerin,
Diese war aber gut,
Wen sie liebt, sie vergisst's..
1) Aus dem Rumänischen (von canda) = der Letzte, nämlich der letzte, jüngste
Bursch im Zuge.
Kuthenische Hochzeitgebräuche in der Bukowina.
283
Am dritten Hochzeitstage singen
Ehepaares:
Za wse nam dobre, lysz odno hydno,
Szo molodiat tutky ne wydno.
Dem Brautführer:
Oj u pole, pole staweszczy,
Zawiazaly druzbu wuzyszczem.
Ta za szczo joho zwiazaly?
Szczo wziau N. N. wid mamy.
Um die junge Frau zu necken:
Ponedilczyku, zradczyku,
Zradyu-jes nam diwoczku,
Wczera bula u winoczku,
A sehodnia w rantuszoczku.
Yor der Einladung zum Essen:
Oj stawleno, postawleno,
Lyszeri nas ne proszeno,
Szczoby my jily, pyly,
Hrecznu woliu robyly,
Sej dim weselyly ....
Byjte kotoczke u labky,
Do zapicznoji babky,
Szczoby sia dohadala,
Nam peczeni dala ....
die Gäste vor Erscheinen des jungen
Alles war gut, nur eins uns verdriesset,
Dass man das junge Piirchcn vermisset.
Im Feld ist ein Teich,
Man fesselte den Brautführer mit einem
Rutenbund.
Wofür hat man ihn gebunden?
Weil er die N. N. von der Mutter nahm.
O Montag1), du Verräter,
Hast uns das Mädchen verraten;
Gestern war es im Kranz,
Heute schon im Handtuch.
Speis und Trank ist hingestellt,
Doch es an der Bitte fehlt,
Dass wir Durst und Hunger stillen,
Und bezeugen unsern Willen,
Dieses Haus mit Freud erfüllen u. s. w.
Schlagt dem Kätzchen auf die Pfötchen,
Unserm alten Küchenmädchen,
Dass sie sich doch mög erbarmen,
Braten reichen uns den Armen u. s. w.
III.
Auch die Hochzeit bei den Gebirgsruthenen (Huzulen) nimmt
in den Hauptzügen denselben Yerlauf. Man vergleiche Kaindl, Die
Huzulen ("Wien 1893). Hervorzuheben ist, dass bei diesen Kuthenen keine
bestimmten Hochzeitlieder gesungen werden.
Hier folgen zunächst Hochzeitgebräuche aus dem Huzulendorfe Ploska
am Putillabache.
Zur Brautschau (obzorynie) geht der Yater, der Sohn und ein Freund.
Haben diese, nachdem sie in ein Haus gekommen sind, ihre Absicht merken
lassen, so schenken sie von dem mitgebrachten Branntwein ein und bieten
das Gläschen den Eltern, dann dem Mädchen an. Trinken diese, so gilt
dies als Zeichen der angenommenen Werbung. Hierauf wird sogleich das
„Jawort" getrunken (slowo zapywaty).
Die Yorbereitungen zur Hochzeit geschehen wie anderwärts. Sie
finden in beiden Häusern statt, nur bei Armen wird sie in einer
Wohnung zusammen abgehalten. Als Trauzeugen werden gern die Tauf-
1) Die lirautnacht findet zumeist vom Sonntag auf Montag statt.
284
Kaindl :
paten der Brautleute gewählt. Die Einladungsformel für die Gäste lautet:
„Es verneigen sich euch (grüssen euch) der Yater und die Mutter der
Braut (kniahynia mohdoja, d. h. junge Fürstin), auch wir verneigen uns
und bitten, dass Ihr nicht verschmäht, zur Hochzeit zu uns zu kommen."
Die Gäste bringen Geschenke, und zwar Butter, Speck, eine Schüssel voll
Getreidekörnern, zwei geflochtene Kolatschen, Tücher und Handtücher für
die Braut. Alle diese Geschenke zusammen heissen kolacz, wahrscheinlich
weil das Wichtigste derselben der Brotkuchen ist. Deshalb sagen die
Gäste beim Überreichen der Geschenke: „Wir bitten auf Kolatschen"-,
und die Antwort darauf lautet: „Wir danken schön; möget Ihr so prächtig
und ansehnlich sein, wie Eure Kolatschen."
Am Yortage der Hochzeit wird der Kranz genäht. Jede anwesende Frau
näht ein bis zwei Blätter. Ist er fertig, so wird die Braut auf folgende
Weise zum Empfange desselben eingeladen: „Wir bitten Söhnchen (!)
unter den Kranz; von uns klein, von Gott berühmt und gross." Dabei
wird zunächst der Kopf dreimal mit deip Kranze berührt, und dann dieser
erst aufgesetzt. Der Braut pflegt man auch das Gesicht mit Honig zu
bestreichen, damit ihre Zukunft süss sei. Nach der Aufsetzung des Kranzes
bewirtet die Braut die Gäste mit Schnaps und wird von ihnen beglück-
wünscht. Dann gehen alle in den Hof und. tanzen dort. Hierauf begeben
sich wieder alle, die Braut mit sich führend, ins Haus. Hiervon hat diese
Sitte den Namen zawodyni, Heimführung (zawodyty = hineinführen). Beim
Bräutigam findet die Feier ganz ähnlich statt. Auch ihm wird ein Kranz
auf die Mütze gesetzt. Diese mit dein Kranze gezierte Mütze nimmt er
vor niemandem ab und behält sie auch bei Tische auf; denn er ist nun
kniaz (Fürst). Der Bräutigam schickt an diesem Abende zur Braut und
diese zu ihm eine Botschaft, ohne dass diese Geschenke an Kleidungs-
stücken überbrächten. Ebenso sind ähnliche Geschenke an die Anver-
wandten hier nicht Regel. Die Hochzeitbäumehen werden dagegen auch
hier für die Braut und den Bräutigam geschmückt. Man schneidet sie
vormittags in glücklicher Stunde, damit Gott das junge Paar vor bösen
Geistern schütze.
Die Trauung findet am Donnerstag oder Sonntag statt, und zwar
immer am Vormittag zur glückbringenden Zeit, zum Schutz gegen böse
Geister und Zauber. Wenn die Braut das Haus verlässt, um zur Kirche
zu reiten, giesst sie hinter sich ein Glas Wasser aus, damit das Glück wTie
Wasser komme. Die Brautleute haben an ihrer rechten Hand kleine, aus
getrocknetem zähem Käse gemachte Ringe befestigt (Kolatschen); ausser-
dem hängen ihnen um den Hals gewöhnliche Brotkolatschen über den
Mantel herab. Die Braut bindet diesen mit dem Handtuch um, das am
nächsten Tage dazu dient, ihren Kopf nach WTeiberart zu umwickeln. Auf
dem Ritte zur Kirche beobachtet man allerlei Yorzeichen. Schlechtes
WTetter deutet auf böses Schicksal: entweder stirbt einer der Ehegatten.
Ruthenische Hochzeitgebräuche in der Bukowina.
285
bald oder das Eheglück wird auf eine andere Art gestört. Manche sagen
sogar, dass auch die Kinder, Enkel lind Urenkel unglücklich würden und
die Nachkommenschaft das siebente Glied nicht erreichen werde. Ebenso
weissagt man Unglück, wenn der Braut der Kolatschen, welchen sie am
Tuche um den Hals befestigt trägt, herunterfällt oder gar zerbricht.
Während des ganzen Kittes muss sie schweigen. Sobald sie bei der
Kirche den Bräutigam erblickt, begrüsst sie ihn, mit dem Kolatschen
winkend. Er giebt ihr einen leichten Schlag mit der Peitsche, zum Zeichen,
dass er nun die Herrschaft über sie ergreift. Welches von den Brautleuten
früher die Kirchenschwelle überschreitet, wird im Hause die Oberherrschaft
führen; ebenso welches zunächst den Teppich vor dem Altar betritt. Die
Braut soll bei der Trauung (winczanje) ein Stück Zucker im Busen tragen,
damit ihr immer süss sei. Beugt die Braut bei der Trauhandlung den
Kopf unter das Evangelienbuch und fällt ihr hierbei der Kranz herab, so
ist dies ein Unglück verheissendes Vorzeichen. Dasselbe bedeutet die
Begegnung eines Leichenzuges bei der Kirche. Der Verlust des Trauringes
zeigt den nahen Tod an. Nachdem die jungen Leute die Kirche verlassen
haben, giebt der Bräutigam der Braut wieder einen Schlag. Nun bitten
beide ihre Gäste zum Besuche und verteilen an diese sogleich die am
Halse hängenden Kolatschen.
Die Braut eilt zunächst nach Hause, wo sie von ihrer Mutter und
ihrem Vater empfangen wird. Jene giebt ihr Honig zu kosten; dieser
reicht ihr Brot und Salz. Der Bräutigam kommt etwas später, ohne zuvor
sein Elternhaus aufgesucht zu haben. Jetzt findet der Austausch der Käse-
kolatschen statt: Der Bräutigam bindet den von der Braut erhaltenen an
seine Hand, sie den von ihm .bekommenen au die ihre. Der Bräutigam
jagt den Bruder der Braut von deren Seite mit der Peitsche weg und
giebt ihr zum drittenmale einen Schlag. Bei Tische trinken die Brautleute
einander zu; dann küssen sie sich dreimal, und die Braut giebt dem
Bräutigam Speise in den Mund.
Der Bräutigam bringt sein Hochzeitbäumchen mit. So lange er im
Hause der Braut weilt, stehen beide Bäumchen auf dem Tische.
Die weiteren Vorgänge sind den oben S. 165 ff. beschriebenen in den
Hauptzügen gleich.
Am Schlüsse noch einige Bemerkungen über hierher gehörige Gebräuche
aus der Ortschaft Sadeu im Suczawathal. Wenn der Zug der Braut zum
Hause ihrer Eltern gekommen ist, bleiben die Gäste vor dem Hause stehen,
Werden hier mit Getränken bewirtet und tanzen wohl auch. Sodann wird
jedem geehrten Gaste ein Kolatschen, der an einem Handtuche hängt und
an dem überdies ein buntes Tüchlein mit einer schönen Stecknadel ge-
heftet ist, mit dem Handtuche um den Hals gehängt. Indem sich sodann
alle die Hände reichen, begeben sie sich ins Haus.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901.
286
Hauffen:
Nach der Verehelichung ist das Weib unrein, „weil Blut floss". Sie
muss sich daher in die Kirche zum sogen. „wiwid" begeben. Die Frau
legt zu diesem Zwecke über ihr Kopftuch den Brautkranz; der Mann
kommt in der mit einem Sträusslein geschmückten Pelzmütze, die er als
Bräutigam trug. Vor der Kirchenthür beten sie, bis der Priester kommt
und sie hineinführt, um über ihnen zu beten und sie mit Weihwasser zu
besprengen.
Ebenso ist das Weib nach dem Kindbette unrein und wird erst durch
eine ähnliche kirchliche Ceremonie aus diesem Zustande befreit.
Schliesslich halten sich die huzulischen Weiber auch während der
menses für unrein und glauben, während dieser Zeit in die Kirche nicht
gehen zu dürfen. So erzählte dem Berichterstatter ein Pfarrer folgenden
Fall. In der Georgskirche zu Suczawa liegt bekanntlich die Mumie des
Landespatrons der Bukowina, des hl. Johannes Novi. Zu derselben strömen
fast das ganze Jahr hindurch fromme Pilger, besonders ist dies aber am
Johannestage (14. Juni), an welchem der grosse Ablass stattfindet, der
Fall. Aus weiter Ferne kommen an diesem Feste die Wallfahrer, um am
Grabe des Heiligen zu beten. Unter diesen befand sich vor einigen Jahren
eine Huzulin, welche aus ihrem fernen heimatlichen Dorfe kommend, von
der Krankheit überrascht worden war. Da sie es für eine Sünde hielt, in
diesem Zustande in die Kirche zu gehen, so wandte sie sich in ihrer Ver-
zweiflung an den Geistlichen, um ihn um Rat zu fragen. Diesem gelang
es erst dadurch sie zu bewegen, in die Kirche zu gehen, dass er ihr er-
klärte, die Sünde, welche sie dadurch begehen würde, solle auf ihn fallen.
Czernowitz in der Bukowina (Osterreich).
Das deutsche Spottlied auf die Flucht des Königs
Heinrich toh Polen. 1574.
Mitgeteilt von Adolf Hauffen.
Als .der letzte jagellonische König von Polen Sigismund II. August am
7. August 1572 gestorben war, musste der polnische Adel das bis dahin nur
theoretische Recht der Königswahl nun thatsächlich ausüben. Verschiedene
Bewerber bemühten sich um die frei gewordene polnische Königskrone.
Endlich wurde am 15. Mai 1573 Heinrich von Anjou, der zweite Sohn der
Kön'iginmutter von Frankreich Katharina von Medi eis zum König von Polen
gewählt. Diese Wahl erregte in Deutschland namentlich in protestantischen
Kreisen Erbitterung und Spott, weil Heinrich hier wegen seines Anteils
Das deutsche Spottlied auf die Flucht des Königs von Polen.
287
■an den,Greueln der Pariser Bartholomäusnacht 1572 allgemein yerhasst
war. So wurde schon auf die Wahl Heinrichs ein Spottlied gedichtet:
„Dass die Pollacken Narren seindt
Erweist ihr jüngste Wahl gar fein" u. s. w.
(24 Beimpaare abgedruckt im Anzeiger des germanischen Nationalmuseums 1898, S. 94 f.)
Heinrich kam am 26. Januar 1574 nach Krakau, beschwor die Pacta
conventa und wurde am 15. Februar gekrönt. Er fühlte sich in Polen
sehr unglücklich, wie in der Verbannung, und sehnte sich glühend nach
Paris zurück. Schon nach wenigen Monaten, am 13. Juni, erhielt er die
Nachricht, dass sein Bruder König Karl IX. am 30. Mai gestorben und
dass ihm hierdurch die Krone Frankreichs zugefallen sei. Nun dachte
Heinrich nur noch an die Heimreise. Seine Umgebung suchte ihn zu
halten, er müsse noch die Verhältnisse ordnen, noch seinem jüngeren
Bruder Franz von Alençon die Nachfolge auf dem polnischen Thron sichern
u. s. w. Heinrich hörte nicht darauf. In der Nacht vom 16. auf den
17. Juni floh er, nachdem er sich kostbare Juwelen des Kronschatzes mit-
genommen, wie ein Übelthäter aus dem Schlosse zu Krakau und beeilte
sich, da er verfolgt wurde, die österreichische Grenze zu erreichen. Da
er das Jahr vorher bei den deutschen Fürsten die Zeichen einer feind-
seligen Stimmung deutlich bemerkt hatte, wählte er jetzt den Weg über
Wien und Oberitalien nach Frankreich, wo er erst im September ankam.1)
Die im höchsten Grade würdelose Flucht Heinrichs aus Polen erregte
natürlich allgemeines Missfallen und laute Schadenfreude, die am kräftigsten
in einem deutschen Spottlied zum Ausdruck kam.
Wir kennen dieses Spottlied bereits in einer jüngeren Fassung, in
dem sogen. Ambraser Liederbuch 1582 (Bibliothek des litterarischen Vereins
Bd. 12, No. 152). Ich habe nun die ältere und vollständigere Fassung in
einem Flugblatte gefunden, das in einem Mischbande der Müncliener Hof-
und Staatsbibliothek (4°. L. eleg. m. 730) mit dem „Offenlichen Aus-
schreiben", dem deutschen Reveille matin und anderen Schriften der Jahre
1574 und 1575 zusammengebunden ist. Das Flugblatt selbst ist ohne
Datum, aber sicher bald nach dem behandelten Ereignis, also wahr-
scheinlich noch 1574 gedruckt worden. Dass dieses von einem unbekannten
Verfasser herrührende Lied viel gesungen und rasch volkstümlich geworden ist,
ergiebt sich daraus, dass die um acht Jahre jüngere Fassung des Ambraser
Liederbuches um zwei Strophen weniger und zahlreiche grössere und
kleinere Änderungen aufweist. Das Münchener Flugblatt hat Druckfehler
und Versehen, so dass einige der Ambraser Lesarten vorzuziehen sind.
Die Melodie, nach der das Spottlied gesungen wurde: „Was wollen wir
auf den Abend thun" war sehr beliebt2) und ihres parodistischen Charakters
wegen dem Texte gut angepasst.
1) Vgl. u. a. H. Martin, Histoire de France 9, S. 403.
2) Ygl. Erk-Böhme, Deutscher Liederhort 3, No. 1120.
20*
288
Hauff en:
Die Aiifangsworte: Pomey, Pomey sind vielleicht eine Verballhornung
des polnischen: Pomagaj = Hilf! Es pflegen ja auch sonst deutsche historische
Lieder mit dem Ausruf „Hilf" oder „Helft" anzuheben.
Ich gebe nun den Münchener Text mit den wichtigeren Varianten der
Ambraser Fassung. Das Münchener Flugblatt hat nur zwei Blätter in Quart:
[la] Ein schon New
zierlich Lied | vom groffen lob
vnd rühm der Polen | wie sie jren
weit vnnd hochberumpten König
erwöhlt I vnd wie er das König-
reich widerumb verlassen hat.
(Bildnis Heinrichs)
Im Thon.
Was wollen wir auff den Abend thun |
schlaffen wollen i 2C.
[Ib] 1.
Pomey, Pomey ihr Polen,
Gott grüß euch allzugleich,
Ewern König follt jhr holen,
So fern in Franckenreich,
Darumb riift dich fein
Verkaufet den Ochsen, behalt die Schwein,
Juch holcha bobo dey!
2.
Darumb laß dichs nicht verdrieffen
Und mach dich auff die fart,
Ir werts wol genieflen
Bey euwers König zart.
Er ift gar mild vnd lobenswert,
Gab euch ein Efel für ein Pferd
Juch hofcha hobo dey.
3.
Ift das nicht grofi'e fchande,
Euch Polen allzugleich,
Das jhr in difen Landen,
Darzu im Römifchen Reich,
Nicht wußten einen Herren
Der ewer König folt werden
Juch . . .
4.
Die Raut die war euch bitter,
Der adler dir gram,
Darumb Ichickt jr auß ewer Ritter
Vnd manchen Edelman
Mitt groffem pracht vnd prallen
Eweren König in zu hollen.
Juch . . .
5.
Wie ift euch nun gerahten
Der junge Königes Mann,
Der fo vil Ritterlichen thaten
Zu Pariß hat gethan.
Danck habt jr l'toltzen Polifchen Knaben,
Ein J'olchen König wolt jr haben
Juch . . .
6.
Ewer König leßt euch bitten
Zu einem abendt tantz
Vnd thut euch freundtlich fchicken
Von Lilgen einen krantz,
Daran folt jr Polen riechen,
Ewer König thut fich bald kriechen
Juch . . .
Anmerk.: Die Zahlen über den Strophen und die Interpunktion rühren von mir her.
Auch sind im Original die Terse, nicht abgesetzt. Amb. hat 1, 4f. „rüft euch zu, fchmiert
die fchuh, | verkaufft den ochfen, behalt die kuh." In 1,5; 2, lf. steht oben, wie mir
scheint, nur irrtümlich die 2. Pers. Sing.; Amb. hat hier überall richtig: euch. Y. 4, 2
adler nach Amb.; im Münch. Flugblatt steht irrtümlich alter. Gemeint sind hier die
Wappenbilder der übrigen Bewerber, die durch die Lilie Frankreichs (V. 6, 4) verdrängt
wurden. Mit dem Adler spielt das Lied auf den Kaiser Maximilian II. an, der den poln.
Königsthron gern für seinen Sohn Erzherzog Ernst erworben hätte. V. 5, 3f. Anspielung
auf die Pariser Bluthochzeit, August 1572.
Das deutsche Spottlied auf die Flucht des Königs von Polen.
289
Nun tanzt ihr Polnifchen knaben
Zu Crackaw auff der Veit,
Den König wollt jhr haben,
Der war der aller beft.
Drumb haben gut acht, halt gute wacht,
Das euch der König nicht entweich
(Ihr mül't jetzt eilen brey für filch)
Juch . . .
[2 a] 8.
Wie fchmecken euch die Braten,
Darzu der küle Wein?
Sind das nicht lame zotten,
Ihr feind gefchlaffen ein!
Darüber ift ewer König entrannen,
Die Polifche Krön mit ('ich genommen
Juch . . .
9.
Ein Jprichwort bey den alten
Hat man geredt aufl's best,
Für ein fauler Vogel wirdt der gehalten,
Der befcheißt fein eigen Neft,
Allo hat ewer König gethon,
Ein gut lob hat er nach gelan.
Juch . . .
10.
Darumb rath ich euch Polen,
Euch allzusamen gleich,
Thut ewern König holen,
Ziecht mit in Franckreich,
Waget leib vnnd darzu Gut,
Wehret ewerm König fein vbermuth
Juch . . .
11.
Darumb thut euch Gefellen
All bey den Teutfchen hauff,
Thut euch zufammenftellen
Ynnd ziehet mit hinnauff.
Da ift fo mancher redlicher Mann,
Der Leib vnd leben fetzt daran.
Juch . . .
12.
Wer sol euch nun beklagen,
Das weiß der liebe Gott,
Ir müßt ewer lebenlang tragen
Den Hon vnd auch den l'pott.
Die Polen haben fich volgefoffen,
Darüber ift jr König entloffen
Juch . . .
13.
Ewer König beut euch ein gute nacht,
Ir Polen allzugleich,
Hat fich bey zeit daruon gemacht,
Ift wider in Franckreich,
Die Polifche Krön mit fich genommen.
Ein Schaubhut folt ir wider bekommen
Juch . . .
14.
Der vns das Liedlin erftmal fang-,
Fein wol gelungen hat,
In Sachfen ift er wol bekant
In einer freyen Statt.
Die Polen feind betrogen,
Der Yogel ift ja entpflogen,
Juch hofcha hobo dey.
Ende.
AnmerL: Y. 7, 7 ist überschüssig. In Amb. lautet diese Strophe überhaupt fast
ganz anders. Strophe 8 u. 9 fehlen in Amb. ganz. Y. 8, G Anspielung darauf, dass Heinrich
Edelsteine der Krone mitgenommen hat. Y. 13, 6 Schaubhut in Amb. fchaffshut, was
falsch ist. Der Schaubhut, der schlichte Strohhut, als Kopfbedeckung der einfachen Leute,
wird zur Krone in Gegensatz gestellt.
Werlins Liederhandschrift vom Jalire 1646 (München) bringt mit einer
abweichenden Melodie nochmals die erste Strophe unseres Spottliedes
"wieder mit neuen Lesarten (V 5 f. Nun rüft euch bald und fchmiert die
Schuh, verkauft den Ochfen und die Kuli). Vgl. Erk-Böhme, Deutscher
Liederhort 2, No. 299.
Präs:.
290
Bacher:
Yon dem deutschen Grenzposten Lusérn im wälschen
Südtirol.
Vom Kuraten Josef Bacher.
(Vgl. oben XI, 180.)
27. Dar Péatar Supf.
In an strçax sáin-da gawëst zwça
püabla vô Ggalnéts, bö-da hä'm gahat
tçat di muatar, un dar vátar is gakëart
zo boráta. Di stíafmQatar is gawëst a
z'nixta un hat gâtant vïl lezas an kindar.
In an taga disa kindar sain vomoánt
un sain kent pa Las áuvar, un bál-sa
sain gawëst z' Öbrast, ha'm-sa gavuntat
a tía vas lox, an nfdar na dfsan lox is-
da gawëst a grçasar lerx, un se sain-sa
gazög?t ín untar dísan lerx un sain se'm
gjstant drai tags.
Balamâio hä'm - sa gahat an sáülan
humar, ás-sa nemear hä'm gamögg. „Be©",
ha'm-sa köt diss kindar, 's-is pesar, ás-
bar ster'm y o hiuoar, bas zo glana huam."
Ma dar húiaar is hérta kent mearar, un
das juia hat köt: ,,'s-is pesar, ás-bar spriiaan
nídar dâ, bas zo stérba vö húiaar." „Ja",
hat-'s köt das alt, „sprira-bar nfdar; ma
spriia du vora, ombrúm sa-no dû sprimst
net." „Beia", hat-'s kötdas jura, „i hán-
da a sçala; est häio-bar-as a pçada b¿t-
nandar, un dû spriiost vora un zfagast-
ms na mi o." Un asó ha'm-sa gatant,
un bal-'s is gawëst zu spríraa, hat-'s köt
das alt: „Péatar supf!" un das jura hat
gaspert di çagn un hat ge't an supf an
priìadarìa, un sain gaspruM) pçada bat-
nandar pa lox nldar; ma tçat sáin - s »
net gestant.
Bál-da di Ggalnéts ^r hä'm gawärnt,
gge da vein di kindar sáin-sa-sa gant to
sttüxa un hä'm-sa gavuntat z' iintrast an
lox5 un se'm di kindar hà'm-an köt, bás-
sa hä'm köt, un dena sain-sa gastorbat.
Un vo dansel taga an ansel lox ha'm-
s'-an härta köt: Dar Péatar Supf.
27. Peter Schupf.
Einmal waren zwei Biiblein von Cal-
donazzo, die ihre Mutter tot hatten, und
der Vater hatte sich wieder verheiratet.
Die Stiefmutter war bös und that den
Kindern viel Übles.
Eines Tages entgingen diese Kinder
und kamen (über) den Las herauf, und
als sie zu oberst waren, fanden sie eine
tiefe Schlucht, und drunten bei dieser
Schlucht war ein grosser Lärchenbaum,
und sie begaben sich unter diese Lärche
hinein und blieben dort drei Tage.
Mit der Zeit hatten sie einen schreck-
lichen Hunger, (so) dass sie (es) nicht
mehr (aushalten) konnten. „Wohlan",
sagten diese Kinder, „es ist besser, dass
wir sterben vor Hunger, als heimzugehend
Allein der Hunger wurde immer grösser,
und das junge (Büblein) sagte: „Es ist
besser, da hinabzuspringen, alsvorHunger
zu sterben." „Ja", sagte dasalte, „springen
wir hinab; aber springe du voran, denn
sonst springst du nicht." „Gut", sagte das
junge, „ich habe da ein Seilcben; jetzt
hängen wir uns beide miteinander an, und
du springst voran und ziehest mich auch
nach." Und so thaten sie, und als das alte
zu springen (bereit) war, sagte es: „Peter
schupf!" und das junge schloss die Augen
und gab dem Brüderlein einen Schupf, und
sie sprangen beide miteinander in die
Schluchthinab;jedoch tot blieben sie nicht.
Als die Bewohner von Caldonazzo be-
merkten, dass die Kinder abgängig seien,
gingen sie zu suchen und fanden sie zu
unterst in der Schlucht, und dort sagten
ihnen die Kinder alles, was sie gethan und
gesagt hatten, und darauf starben sie.
Von jenem Tage an nannte man jene(s)
(Loch) Schlucht stets: Peter Schupf.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
291
Bemerk.: Anlass zu dieser Sage gab die enge, tiefe Schlucht, welche auf dem Saum-»
"Wege zwischen Oaldonazzo und Monteróvere (lus. Montarúf) ganz plötzlich dem nichts-
ahnenden Wanderer entgegengähnt. "Von dieser Schlucht weg führt der Saumweg den
Namen „oggsnwega" (Ochsenweg) und man gelangt durch einen Waldsattel nach dem
schon erwähnten Montaruf und hat dann den beschwerlichen Aufstieg von Kainets her
überwunden. Montarúf ist ein gern besuchtes einfaches, ländliches Gasthaus, von wo aus
man bequem auf ebener Strasse in 5 km das Dorf Lusern erreicht.
"28. Das arm Nöbala.
In an strçax sáin - da gawëst zwça
müatar. Pçadu hä'm gahat a kúta kindar,
un an an súnta ha'm-sa galat dahuam di
zwça éltarstn dfarnla ggan kindar, wo-sa
hä'm gahat in da wïaga, un se sain gant
gga mis.
Di díarnla, invëza bas zo stïana se'm
ggan kindar, sáin-sa gant aus af'n wëg'?
z' spila. Un se'm nâmp an wëga, bô-sa
hä'm gaspTlt, is-da gawëst a venstar vón-
ar stùba vón-ar andarn famildsa, on dïsa
dïarnla sain gant un sain gakräblt pa
áisandar von venstar áu un hä'm g-ísaugat
in an da stüba.
Balamáio ha'm-sa gasegg a kluäs tsó-
tats mänla betn här gga perga un bét-ar
kúrzan pruax un bet wáisan hosan un
bét-an rçatn ggorpétla un bét - an haspl
in da hänt gían nídar un án pa stûba, un
bal-'s is gawëst nämp an venstar hat-'s
agalaxt di kindar. Un dis? kindar hä'm
zúagasaugat an mänla, fin-as-da pala sain
kent di mïïatar vö mis. Balamáio sain-an
kent an sint di kindar, un sa sain gant
huam.
Un bal-da sain kent di müatar vö
mis, hä'm-s'an köt, bás-sa hä'm gasëgg,
un di müatar hä'm-'s köt *n àndarn laüt,
un di àndarn hä'm köt, ggé-'s is gawëst
das arm Nübala, ombróm bal-'s is gawëst
tçat, is-'s gawëst agalegg a so.
Di laüt, bo-da sain gastant an haus,
bö-sa hä'm gasëgg 's Nübala, hä'm-'s
net gawölt glça'm. On an an mäl is-
sa-sa nïdargalegg z' slava a tóxtar von
patru un a spàsa. Un di tóxtar is lai
antsläft, un di spusa hat gapëtat.
Balamáio hat-sa g h(>art gfan pa stüba
áu an man, un si hat gasaug4 un (h)at
gasëgg sì ö diza mania, un si hát-ar
28. Das verstorbene Nöbele.
Einmal waren zweiMütter. Beidehatten
eine Schar Kinder, und an einem Sonntag
liessen sie zu Hause die zwei ältesten
Mädchen bei den Kindern, welche sie
in der Wiege hatten, und sie gingen zur
Messe.
Die Mädchen, anstatt bei den Kindern
zu bleiben, gingen hinaus auf den Weg
zu spielen. Und dort nahe dem Wege,
wo sie spielten, war ein Fenster einer
Stube, (die) einer andern Familie (gehörte),
und diese Mädchen gingen (hin) und kro-
chen an den Eisenstangen des Fensters
hinauf und schauten in die Stube hinein.
Nach einiger Zeit sahen sie ein kleines
hinkendes Männlein mit gesträubten Haa-
ren in kurzer Hose und weissen Strümpfen
und rotem Gilet und mit einem Haspel in
den Händen auf- und abgehen in derStube,
und als es nahe dem Fenster war, lachte es
die Kinder an. Und diese Kinder schauten
dem Männlein zu, bis dass baid die Mütter
von der Messe kamen. Da endlich kamen
ihnen die Kinder in den Sinn, und sie
gingen heim.
Und als die Mütter kamen von der
Messe, sagten sie (die Kinder), was sie
gesehen hätten, und die Mütter sagten's
den andern Leuten, und die andern sagten,
dies sei das verstorbene Nöbele gewesen,
denn als es tot war, sei es so gekleidet
gewesen.
Die Leute, die im Hause wohnten, wo
sie (die Kinder) das Nöbele gesehen
hatten, wollten es nicht glauben. Und
eines Abends legten sich eine Tochter
des Hausbesitzers und eine Gattin (zu)
schlafen. Und die Tochter schlief sofort
ein, und die Gattin betete.
Da hörte sie einen Mann in der Stube
(auf) [und ab] gehen, und sie schaute
und auch sie sah dieses Männlein, und sie
292
Bacher:
áugadekt an köpf, un 's mani? is gant un
(h)át-ar gazögat pan Militar un si hat
garuaft an vatar vò sain spüs, ás-ar géa
z' séga, ber-da se'm is, un dar vatar is
gant z' sega un bal-d'ar is gawëst af di
tür vò dar stub?, 's Nöbala is gaspruiaio
Óbar 's pet hï un (h)at gavaioia an kopf
vo dar tóxtar un hat-sa gazögat Óbar 's
pet nidar. Un di díarn hat ge't an srça,
un 's Nöbala is lai vorswúntat.
❖ *
Aus zúa sii laioas dar patru von haus
is gant zo perga an Bísala êr un al? sains
laiit dus vò dar tóxtar un vò dar spúsa.
Balamáró an an mal há'm-sa wídar ga-
hçart gfan pa stüb? áu un se hä'm ga-
saugat un (h)am wídar gasëgg 's N8b?l?,
un s? hâ'm-an úntargadekt an kopf, un
alora 's Nöbala hat ge't drai nistln betn
haspl dar spúsa, un déna is-'s gant.
In ta' darna sáin-sa áugastant diss
zwça laiit un di spàsa hat darwíst an
weg¿ un is gant zo perga un hát-'s-ar
köt sáindar swígar, un sai swígar hat-'s-
an köt-an patrü, un êr hat gava®© an
weg? un is kent an lant un is gant ggan
faf un hat-'s-an köt als, bás-da is ga-
sëgat sain laüt, un lai hát-ar g?saft drai
misan vor 's Nöbala, on vò dansei mal
aus hä'm-sa-'s nemëar gasëgg.
29. 's kin on dar wurm.
En an stryax is-da gawëst a múatar
bét-an kin vò zwça jär nídar an da ro-
volt von Pölaz.
Un an an mal hat-s'an ge't a hülza
süsala drin bot pult un rnilx dísan kin
un hat-'s galégg aus afn wëga z' ésa
díza kin. Un balamáto di muatar hat-'s
gahçart rê'n 's kin, un si hat galttsant
un hat gahöart dïsa wört: „Pap áu ggnö-
14a ö, net ala mila!" un lai hat-'s ga-
jukt betn löil afn kopf von wurm.
Un di múatar hat gasaugat un is dar-
srákt un is gant un hat ganump 's kin
un (h)at-'s neméar gasozt afn wëga z' ésa.
deckte sich, den Kopf zu, und das Männ-
lein ging (hin) und zog (ihr) an den Lein-
tüchern, und sie rief dem Vater ihres Ge-
mahls, dass er komme, um nachzusehen,
wer dort sei, und der Vater kam und als
er an der Stubenthür war, sprang das
Nöbele über das Bett hin und fasste den
Kopf der Tochter und zog sie über das Bett
hinunter. Und das Mädchen that einen
Schrei, und dasNöbele verschwand sofort.
Gegen den Frühling zu ging der Haus-
herr auf die Alme ins „Wiesele" und alle
seine Leute ausser der Tochter und der
Gattin. Da eines Abends hörten sie wieder
über die Stube gehen und schauten und
sahen wieder das Nöbele, und sie deckten
sich den Kopf zu, und da gab das Nöbele
drei Streiche mit dem Haspel der Gattin,
und dann ging es.
Am folgenden Tage standen diese zwei
Leute auf, und die Gattin machte sich
auf den Weg und ging auf die Alme und
sagte es ihrer Schwiegermutter, und ihre
Schwiegermutter sagte es dem Haus-
besitzer, und er machte sich auf den Weg
und kam (heraus) ins Dorf und ging zum
Priester und sagte ihm alles, was seinen
Leuten geschehen, und zugleich ordnete er
dreiMessen fürs Nöbele an, und seit jenem
Abende hat man's nicht mehr gesehen.
29. Das Kind und die Schlange.
Einmal war eine Mutter mit einem
Kinde von zwei Jahren drunten in den
Gewölben der (Familien) Pauláz.
Und(einmal) einesNachmittags gabsie
(ihm) dem Kinde ein hölzernes Schüssel-
chen, worin Pult und Milch, und setzte
(es) das Kind hinaus auf den Weg, um
(dort) zu essen. Nach einiger Zeit hörte
die Mutter das Kind reden, und sie horchte
und hörte diese Worte: „Iss auch Knöll-
chen (Bröcklein) auf, nicht bloss Milch!"
und dabei schlug es mit dem.Löffel auf
den Kopf der Schlange.
Und die Mutter schaute und erschrak
und ging und nahm das Kind und hat es
nicht mehr an den Weg gesetzt zu essen.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Siidtirol.
'293
30. 's gawéggslata kin.1)
Se'm in a lant is-da gawëst a waibla,
wo-da is gant an an -taga aus az velt to
árbata un hat naganump-ar das jüioarsta
kin, wo sa hat gahat, laLin da wíaga
un (h)at agaheft to árbata. Sa is herta
gant rürsnan árbatanta un (h)at nemear
ûmgasaugat, was-da tuat 's kin. Bal sa
hat g'hät garîft is sa gant widrúm (ba-
drum) un (h)at gasaugat von kin. Ma
dar srak, wo sa hat ga varar» is g'ëst
grças, umbrum sai kin is nemear ga-
wëst dasél, umbróm das sai kin is ga-
wëst uàs dar stianarstn von lant, un
das-sé], wo sa hat gavuntat an da wlaga,
is gawëst a sáülas, 's hat-an naáraraa
mëar g-dixt; ma húam hat-sa-as g-miöxt
trâg'n als uàs. Ma la pasión is hérta
kent grçasar, ombrúm si hat darként,
(gge) 's kin is plint. Un sï un ala di
laut hâ'm gaglçabat un glça'm nö haiit,
gge da hát-'s-ar argataust a stria áus
az velt.
30. Das vertauschte Kind.
Dort in einem Dorfe war ein Weib-
lein, das eines Tages aufs Feld hinaus-
ging zu arbeiten, und sie nahm das jüngste
Rind,, das sie hatte, nur so in der Wiege
mit sich. Als sie auf dem Acker war,
setzte sie die Wiege nieder und fing an
zu arbeiten. Sie ging stets weiter bei
der Arbeit und sah sich nicht mehr um,
was das Kind mache. Sobald sie fertig
geworden war, ging sie zurück und schaute
vom Kinde nach. Jedoch der Schrecken,
den sie erhielt, war gross, da ihr Kind
nicht mehr dasselbe war, denn ihr Kind
war eines der schönsten des Dorfes, und
jenes, das sie in der Wiege vorfand, war
ein hässliches, es hat ihm nicht einmal
mehr gleichgesehen; jedoch heimtragen
musste sie es dessenungeachtet. Aber das
Leid wurde immer grösser, denn sie er-
kannte (entdeckte), dass das Kind blind
sei. Und sie und alle Leute glaubten
und glauben noch heute, eine Hexe habe
es ihr auf dem Felde draussen vertauscht.
31. a striárats kin.
Mà hat gaglçabat un glçabat nö haüt
von an waiba, wo-da is gant tu pétla,
gge to lása-'s vórtgian ana ggaritá gasëgat
épas lezas an haus. A so épas ís-da
vörkent in a haus un di laüt ggontárn-
;s nö haüt; das-sél is gawëst a so:
In an súnta antanto dar grçasan
mis2) is gant díza waiba an a haus un
(h)át-da gavuntat a waiba pét-an juraan
kin. Se hat gavörst épas, a-wé si hérta
31. Ein verhextes Kind.
Man hat geglaubt und glaubt noch
heute von einem Weibe, das betteln ge-
gangen ist, dass, wenn man es ohne
Almosen fortgehen lässt, etwas Übies im
Hause sich ereigne. So etwas kam vor
in einem Hause, und die Leute erzählen's
noch heute; das war so:
An einem Sonntag während des Hoch-
amtes ging dieses Weib in ein Haus und
fand da ein Weib mit einem kleinenKinde.
Sie bat um etwas, wie sie stets that;
1) Die Nummern 30 bis einschliesslich 33, dann die Melodien zu III (Kinderlieder
und -Sprüche) 2, 3, 5, 7, ferner einige Nummern in IV (Meinungen, Bräuche und Sprüche)
verdanke ich dem Luserner Mädchen Josefa Gasperi, einer nahen Verwandten der zu Be-
ginn der Luserner Geschichten erwähnten Ursula Gasperi, welche den weitaus grössten
Anteil an dem Zustandekommen der vorliegenden Sammlung hat. Einige Sprüche, sowie
besonders No. 2G5 der Abteilung IV vermittelte mir in entgegenkommender Weise der
Oberlehrer an der deutschen Staats-Volksschule in Trient, Namens Matthäus Nicolussi aus
Lusérn, welcher einst dem unvergesslichen Dr. Ign. Zingerle als junger Schüler bei An-
fertigung des Lus. "Wörterbuches behilflich war. Eine Lehrerin in Deutschtirol, Maria
Gasperi, Schwester der Ursula, hat für die Abteilung IV auch dankenswerte Beiträge
geliefert.
2) grçasa mis = gesungene Messe, auch Amt oder Hochamt genannt.
294
Bacher:
hat gâtant; ma 's waib? hát - ar nixt
gamögg gê'm, ombróm saine? swïgarn
(swígarlaüt) hä'm vórtgahat ala di slüsl-
dar1). Bal-sa-'s ar hat köt dísarn, ís-sa
gant zorna un is gant miírmlana aus pa tur.
Vort as-sa is g'ëst hat ágaheft to
sráiga 's kin un to ridia sa áu2) vö
wéata. D' arm muatar hat-sa prçpio
gasëgg Içada, si is neraéar gawêst gnat
to swoaga-'s hi. Si hat-sa provárt ala3),
ma als hat ni^t gahelft.
's kin is déna an a par tags gastorbat,
un sí hä'm ge't di suit an waiba un kü'n,
gge-'s is gawëst a stria.
Un dçpo ás-da is gasëgat darsei ggaso,
wé-sa àio Eia kémat húndart vert áf-an täga,
ala di húndart vert gëbatn-s'-ar, bas-sa
vôrst, umbrixm ím->n ándarn nimp-'s-an
niamat aus von kopf, ke's kin is gastorbat
pëgn dar stria.
32. Di pça(d)n daggâna.
Dar daggano vö Leva is gant an an
strçax tu véna an daggano vö Pérsan.
Se'm hâ'm-sa garëdat von wétar, un dar
daggáno vö Leva hat köt, d'-ar is guat
to máxa herkeman a sáüla wétar un
darsei vö Persan hat köt, gge ër, ás-ar
bil, is-ar gáat tu mà^a-'s saura als an
sain hof4). Dar daggano vö Leva hat-'s
net gawölt glça'm un is gant húam. Dar
daggano vö Pêrsn6) hat köt déna ggan
mësnar: „Sau6), das éarst wölkanla,
bo-du sí'st, ái-mar to rtiava súbito!"
allein das Weib konnte ihr nichts gebenT
weil ihre Schwiegereltern alle Schlüssel
fort hatten. Als sie es dieser sagter
wurde sie zornig und ging murmelnd
zur Thür hinaus.
Als sie fort war, fing das Kind an zu
schreien und sich zu winden vor Schmer-
zen. Die arme Mutter wusste sich gar
nicht zu helfen, sie war nicht mehr im-
stande, das Kind zu beruhigen. Sie ver-
suchte alles, aber alles half nichts.
Das Kind starb dann in ein paar Tagen,
und sie gaben die Schuld dem Weibe
und sagen, es sei eine Hexe gewesen.
Und seit diesem Vorfalle, wenn sie
auch hundertmal im Tage käme, alle
hundertmal gäben sie ihr, was sie ver-
langt, denn ihnen redet es niemand aus,
dass das Kind wegen der Hexe gestorben
sei.
32. Die beiden Dekane.
Der Dekan von Leviko ging einmal
den Dekan von Pergine zu besuchen.
Dort redeten sie vom Wetter, und der
Dekan von Leviko sagte, er sei imstande
ein schreckliches Gewitter heranziehen zu
machen, und jener von Pergine sagte, er^
wenn er wolle, sei imstande, den ganzen
Hagel in seinen Hof (Platz vor dem Hause)
kommen zu machen. Der Dekan von
Leviko wollte es nicht glauben und ging
heim. Der Dekan von Pergine sagte dann
zum Mesner (Küster): „Schau, sobald du
das erste Wölklein siehst, komm, mich zu
rufen sogleich!"
1) Das Weib konnte also die Kästen und Truhen, worin die Speisevorräte verwahrt
waren, nicht öffnen, um davon der .Bettlerin etwas zu geben.
2) Der Ausdruck: 's kin rïdlt-sa áu vô wéata, oder: dar wéata rïdlt-'s áu 's
kin wird besonders von den Erscheinungen der Krampfanfälle bei Kindern und Erwachsenen
gebraucht.
3) Diese Redensart wird stets so, also mit Auslassung des Hauptwortes gebraucht in
der Bedeutung alle Mittel, oder alles anwenden. Ähnlich ist auch: i hán-ar provárt
ganúa = ich genug ausgehalten, zu erdulden, zu ertragen gehabt.
4) d. h. er sei imstande zu bewirken, dass der Hagel nur auf den Platz beim Pfarr-
hause niederfalle und nicht die umliegenden Felder verheere.
5) Statt Persan hört man häufiger Pêrs(a)n, wobei dann das e gedehnt klingt.
6) Mit dem Worte „sau" beginnt wieder einmal ein eigentümlicher Satzbau, wie solche
in anderer Form schon mehrfach in den bisher mitgeteilten Sprachproben (Geschichten)
vorgekommen sind.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
295
Kurz? zait dçpo is gant dar mësnar
to ruava-'n-an, ombrúm 's hat agahëft
zu gahílba-sa. Dar dogano is gant az
vënstar pet-'n libar in da bänt un (h)at
gasëgg an mçto a sáüla wétar. Alora
bát-ar-an úmgdegg di stola un (h)at
agahëft zu wáiga 's wétar. A fçrza tu
wáiga hát-ar gaswizt as wía an ça. Dar
saur is kent, 's hat parïrt, gge-da bil
vain di welt, un bal-'s nä-hat-g'hät ga-
lat, hát ar gasikt an mësnar z' séga, bo-
da is gavait dar saur.
Dar mësnar hat gavuntat an saur aln
an hof, un drin at di mit an daggano vo
Leva tçat.
33. Sambinëlo.
• in an tâga is-da gawëst dik dar nëbl.
A waiba is gant nä holz an sel tâga in
an da LöXar (ggamáuwalt). Di laüt
hä'm-'s-an köt vor-'s is gant, às-'s net
géa, gge haüt is-da dar nëbl an da éarda
un mft's gïan zu vori Ór. Ma is hat nia-
mat ausgalusant un is gant als uàs. In
as-'s is g'ëst an wait, hat-'s-an gamaxt
's liolz un déna hat-'s áuganump di
ggarga.
Als a strçax hat-'s gasëgg a mania
gamstat rçat vora Iman, bó-d'-an hat
gamaxt mçto as-s'-an nagea Iman, 's
waibla is-an hérta nagant un 's mitnb
anvëza tu vuara-'s girada, hat-s'-as ga-
vfiart hérta tíavar in pa wait, fin-as-da
"s waiba hat neméar gawist, bö-'s-is,
un a so hat s'-as úmargavüart vïaron-
zwçanzak urn hérta pet-dar ggarga áf-an
ruggn.
In tâga darna sain gant di laüt zo
siiaxa-'s, un hâ'm-'s gavuntat in ggan
trügla von Pred,sondo (an ggamáuwalt)
hérta pet-dar ggarga afn ruggn.
Alöra hat s'-an ggontart il ggaso,
un di laüt hä'm köt:
„Jä alora pist-du gawëst in da trit
von sambinelo."
Vor a vüxza séxza jär is gasëgat a
so ¿il an man o vö Lusern. Darsel is
Kurze Zeit darnach ging der Küster, ihn
zu rufen, denn es hatte begonnen wolkig
zu werden (sich zu umwölken). Der Dekan
ging zum Fenster mit dem Buche in der
Hand und sah in Anzug ein schreckliches
Wetter. Da legte er die Stola um und fing
an zu segnen das Wetter. Vor lauter
Segnen schwitzte er wie ein Ei. Der Hagel
kam, es schien, als wolle das Weltall
stürzen, und als es nachgelassen hatte,
schickte er den Küster, um nachzusehen,
wohin der Hagel gefallen sei.
Der Küster fand den ganzen Hagel im
Platze, und inmitten desselben den Dekan
von Leviko tot.
33. (Irr)nebel.
Eines Tages war dichter Nebel. Ein
Weib ging denselben Tag um Holz hinein
in die Löcher (Gemeindewald). Die Leute
hatten sie gewarnt vor ihrem Weggeben,
sie solle nicht gehen, heute krieche der
Nebel auf der Erde, und sie könne sich
verirren, xillein es (das Weib) horchte auf
niemand und ging dennoch. Als es drinnen
war im Walde, sammelte sie das Holz und
nahm dann die Bürde auf (die Schultern).
Auf einmal sah es ein Männlein, rot
angezogen, vor sich, welches ihr winkte,
dass sie ihm nachgehe. Das Weiblein ging
ihm immerfort nach, und das Männlein,
anstatt sie direkt zu führen, führte sie
immer tiefer in den Wald hinein, bis das
Weib nicht mehr wusste, wo es sei, und
so führte es sie vierundzwanzig Stunden
immer mit der Bürde auf dem Rücken
herum.
Tags darauf gingen die Leute, es zu
suchen, und fanden es drinnen bei den
Tröglein, von Predsóndo (im Gemeinde-
wald) immerfort mit der Bürde auf dem
Rücken.
Nun erzählte sie ihnen den Fall, und
die Leute sagten:
„Ja dann bist du in den Tritten von
Sambinelo gewesen."
Vor fünfzehn, sechzehn Jahren geschah
so auch einem Manne aus Lusern. Der-
296
Schell:
ga wèst dar arm Nçk. Dorsel is gant in
an da Fratn von Ggamp ana swäm. Da-
húam hâ'm-s'-an gapltat abas, ma dar
is ninnar garïft hüarn. Saina laiit hâ'm
pensárt, gge dar bart in-sain-gakëart
épar-af-ana sait. In ta dypo is-ar wfdar
nixt kent un alora hâ'm-sa gainait laiitn
ala di ggloggn zça-as-da gían vìi laiit
2.0 stìaxa-'n-an.
Sa hâ'm - an gavuntat áu an Gaso
námp-an-ar hülba aln ansemanïrt. On
dasei hülba tragg nö haüt an nam: „di
hülba von Nok", on da latit kö'n, gge
darsei ö is gawëst an da trit vò sam-
binélo.
selbe war der verstorbene Nok. Dieser
ging in die Fratn des Camp hinein um
Pilze. Daheim erwarteten sie ihn abends,
allein er kam nimmer heim. Seine Leute
dachten (dann), er werde etwa irgendwo
eingekehrt sein. Am folgenden Tage kam
er noch nicht, und dann liess man alle
Glocken läuten, auf dass viele Leute
gehen, ihn zu suchen.
Sie fanden ihn droben im Gaso nahe
an einer Pfütze ganz verwirrt. Und die-
selbe Pfütze trägt noch heute den Namen:
„Die Hiilbe von Nok", und die Leute
sagen, derselbe sei auch in den Tritten
Unterfennber <
von Sombinelo gewesen,
bei Margreid (Südtirol).
(Fortsetzung- folgt.)
Zwei alte Gerichtsstätten in den Bheinlanden.1)
Von 0. Schell.
(Mit Tafel IY.)
1. Remlingrade im Bergiscken.
Unweit des Kirchdorfes Remlingrade, an einem Kreuzwege, erhebt
sich eine alte Linde, im Volksmunde „Vehmlinde" genannt. Eine genauere
Untersuchung des Baumes ergiebt, dass es eigentlich nur ein starker Ast
ist, der aus einem im Boden fast verborgenen, knorrigen Stammende all-
jährlich neues Leben treibt.
Nach dem Remlingrader Weistum (Hofesrolle), welches Herr Woeste
im 9. Bande der Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins (S. 39 ff.)
veröffentlicht hat, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass wir unter
dieser Linde die alte Dingstätte dieser Gegend, welch erstere dank der
Pietät der dortigen Bevölkerung erhalten blieb, zu suchen haben. Der
Name „Vehmlinde" giebt nur eine festere Unterlage für diese Auffassung,
denn dieselbe Bezeichnung kommt bei Wildberg vor. Beide Orte liegen
aber hart an der Grenze von Westfalen, dem klassischen Boden der Vehme,
so dass eine Übertragung dieses Namens leicht möglich war, namentlich
in einer Zeit, in welcher die alten Rechtsinstitutionen den Lebenden fremd
geworden waren.
1) Man vergleiche S. 47 ff. dieses Bandes der Zeitschrift.
Zwei alte Gerichtsstätten in den Rheinlanden.
297
Die betreffende Stelle im Remlingrade! Weistum hat folgenden Wort-
laut: „Wert sacke, dat eimand dat liff verbort liette, den sal men nemen
vnd foren an dat cruitze vnder die linde vnd richten dan darouer, wat
recht is, dan van der linden mit an die veste, vnd doin eme dair syn recht."
Wir begegnen also in Remlingrade wie in Kyllburg (diese Zeitschrift,
Band XI, S. 48) einem Kreuze unter der Gerichtslinde, wodurch man
offenbar die Heiligkeit des Ortes erhöhen wollte, was im Hinblick auf das
Recht des dortigen Hofesgerichts, Todesurteile zu fällen (dat lift* verbort),
leicht begreiflich erscheint.
Der Hof zu Remlingrade gehörte demselben Weistum zufolge zu den
äusserst seltenen Freihöfen des ehemaligen bergischen Landes, denn es
lautet dort: „duse vorss. hoff is so fry, wert sacke, dat eymand dat liff
verbort hedde vnd queme off disen hoff, die is yar vnd dach fry, vnd wan
yar vnd dach vmbe wer vnd queme dan ses schride van der fryet, vnd
weider vngefangen oder gebunden off den hoff oder fryet, so sal hey ouer
yar vnd dach fry syn."
2. Wilclberg- im lì ergi sehen.
Hart an der ehemaligen Grenze von Berg und Mark, wo sich nun
Rheinland und Westfalen scheiden, wo sich die Wasserscheide zwischen
Sieg und Ruhr hinzieht, liegt das alte Wildberg, einst Woleberg oder
Wolberg genannt. Sehr alte Silbergruben befinden sich dort, welche auch
heute noch reiche Erträge bringen. Hier ist die älteste Münzstätte des
Bergischen Landes zu suchen, welche aber Graf Adolf im Jahre 1275 mit
Genehmigung König Rudolfs in das befestigte Wipperfürth verlegte. WTild-
berg ist demnach eine der ältesten Siedelungsstätten der einstigen Graf-
schaft Berg in dein bis zur Gegenwart herab wenig erschlossenen Hinter-
lande desselben. Dort muss schon früh, durch die oben angedeuteten
Umstände dringend geboten, ein Gericht (wahrscheinlich mit weitgehenden
Befugnissen) eingesetzt worden sein.
Auf einer Anhöhe bei Wildberg liegt an einem kleinen Waldvorsprung
der sogen. Fronberg, ein seit Jahren im Rückgange begriffenes Gehöft,
an dem auch verschiedene Sagen haften. Nur wenige Schritte von diesem
Gehöfte entfernt, am Waldrande, von wo aus man die ganze Umgegend
überschauen kann, steht eine mächtige, 5 m ini Umfang haltende Linde,
in der ganzen Umgegend unter dem Namen „Yehmlinde" bekannt. Diese
Linde ist noch anscheinend von einer gemauerten, fast kreisförmigen Er-
höhung umgeben, welche aber heute von Strauchwerk und Rasen über-
deckt ist.
Dass auch diese Linde den Namen „Yehmlinde" trägt, kann nach den
Ausführungen über die Gerichtslinde von Remlingrade leicht erklärt werden.
^ ielleicht tragen aber (man vergleiche die obigen Mitteilungen über Remling-
298
Reissenberger:
rade), nur solche Gericlitslinden diesen Namen, unter denen auch über
Leib und Leben gerichtet wurde. Leider ist eine zu geringe Anzahl
aller Dingstätten heute nachweisbar, um solche Schlüsse mit Sicherheit
ziehen zu können.
Elberfeld.
Zu dem Volksliede
you der Tochter des Kommandanten zu Grosswardein.
Von Karl Reissenberger.
Das Volkslied von der Tochter des Kommandanten zu Grosswardein,
das durch „Des Knaben Wunderhorn" (I, 64, 1806) unter dem Titel „Die
Eile der Zeit in Gott" zur allgemeinen Kenntnis gebracht wurde, ist uns
auch in anderen Fassungen bekannt geworden, die Bolte in der Zeitschrift für
deutsches Altertum 34, 18. 36, 95 übersichtlich zusammengestellt hat. Einen
Nachtrag brachte er in dem zweiten Bande der von ihm herausgegebenen
Kleineren Schriften Reinhold Köhlers1) S. 226. Doch kommen zu den von
ihm gebotenen Belegen noch zwei Versionen aus dem siebenbürgischen
Sachsenlande, die von A. Schullerus in dem Korrespondenzblatt des Vereins
für siebenbürgische Landeskunde XVI, S. 129 f. und XIX, S. 120 f. mit-
geteilt wurden. Das von Stöber (Sagen des Elsasses S. 23) und nachher
von anderen citierte Gedicht von A. Nodnagel (Sieben Bücher deutscher
Sagen und Legenden, Darmstadt 1839, S. 132 f.) wird von Bolte erwähnt,
aber mit der Bemerkung, er habe es nicht gesehen. Ich habe es gelesen,
jedoch die Überzeugung gewonnen, dass es gar nicht in diese Zusammen-
stellung gehört, da es eine freie Gestaltung des Stoffes durch Nodnagel ist.
Über das Verhältnis der volkstümlich überlieferten Fassungen unseres
Liedes zu einander soll hier weiter nicht gehandelt werden, wohl aber
über die Herkunft des in denselben enthaltenen Stoffes.
In seinem Buche über die Siebenschläferlegende (Leipzig 1883) S. 40ff'.
hat J. Koch unter Berufung auf Stöber a. a. 0. und Hertz (Deutsche Sage
im Elsass S. 263ff.) das Lied in den weiteren Kreis dieser Art von Legenden
einbezogen und im besonderen neben C. AV. Müllers „Der Mönch von
Heisterbach" gesetzt.. An letztere Dichtung erinnert bei unserem Volks-
liede auch R. Boxberger in seiner Ausgabe von „Des Knaben Wunderhorn"
(I, 166 ff. der Hempelschen Bibliothek) und Gustav Heinrich (Ung. Revue
1886, S. 818ff.). Für „sehr ähnlich" der mittelhochdeutschen Legende von
1) Vgl. meine Besprechung in der Zeitschrift für das Kealschulwesen XXVI, S.
Zu dem Volksliede von der Tochter des Kommandanten.
299
dem Mönche Felix erklärt W. Grimm gelegentlich des Abdruckes derselben
aus der Gothaer Handschrift (Altd. Wälder II, S. 71 f.) das Lied von der
Tochter des Kommandanten zu Grosswardein und ebenso bringt Franz
Pfeiffer in den Münchener gelehrten Anzeigen 1851, S. 735 ff. dieses Yolks-
lied mit dem mittelhochdeutschen Felix in Verbindung. Während alle
Vorhergehenden das Volkslied von der Tochter des Kommandanten zu
•Grosswardein ohne weitere Beschränkung zu jenen Überlieferungen in
Verwandtschaft setzen, denen stofflich „Der Mönch von Heisterbach" oder,
was dasselbe besagt, die mittelhochdeutsche Legende von dem Mönche
Felix (vgl. auch v. d. Hagen, Gesamtabenteuer III, 613ff.) angehört, sieht
Bolte (Ztschr. f. d. Altertum 34, 28ff.) in unserem Volksliede eine Variante
einer in der A7olkspoesie Deutschlands, Hollands, Skandinaviens häufig
behandelten Legende, die man etwa die Entführung einer heidnischen
Jungfrau durch Christus nennen könnte und deren verschiedene Gestaltungen
Bolte in drei Gruppen teilt: A) den Bliimelmacher, B) die Sultanstochter,
C) die Tochter des Kommandanten zu Grosswardein. Allerdings lenkt
auch noch Bolte der zweite Teil des Liedes in die Legende von dem
Bruder Felix über. „Als Theresia (die Tochter des Kommandanten) nach
zwei Stunden heimkehrt, erkennt sie niemand in der Stadt, denn inzwischen
sind 120 Jahre vergangen, man schlägt in alten Chroniken nach und bringt
ihr Speise, sie aber verlangt nach dem Sakrament und verscheidet, nach-
dem sie es erhalten." Bei Erk-Böhme, Deutscher Liederhort ¡II, S. 813ff.
steht das Volkslied von der Tochter des Kommandanten zu Grosswardein
zwar auch unmittelbar hinter den Fassungen des „Blümelmachers" und der
„Sultanstochter", aber eine Ansicht über die Herkunft und Zugehörigkeit
unseres Volksliedes ist dort nicht ausgesprochen.
Mich dünkt, dass unser Volkslied auch in seinem ersten Teile aus der
Legende von dem Bruder Felix stammt und nicht aus der von dem Bliimel-
macher herzuleiten ist. Darauf weisen schon die Unterschiede zwischen
der letzteren und dem Volksliede von der Tochter des Kommandanten.
Wie Bolte selber hervorhebt, verlegen die im Bänkelsängertone gehaltenen
Peimereien der Gruppe C die Handlung auf christliches Gebiet und
übergelien demgemäss die Sehnsucht der Jungfrau nach dem Meister der
Blumen ganz. Sodann wird die Jungfrau in der Gruppe C nicht in ein
Kloster oder vor die Himmelspforte geführt, sondern in den freudenreichen
himmlischen Garten. Was aber in dem Volksliede von der Tochter des
Kommandanten zu Grosswardein Motiven in den beiden anderen Gestaltungen
ähnlich ist, das kann aus der Mönchslegende und ihren Varianten erklärt
werden.
Bevor ich dies weiter ausführe, halte ich es für notwendig, die Über-
lieferungen, in deren Kreis die Felixlegende gehört (nach Bolte, Köhlers
■Kleinere Schriften II, S. 239 „von dem verzückten Mönche, den ein Vogel
ins Paradies leitet") näher ins Auge zu fassen und wenigstens im all-
300
Reissenberger:
gemeinen1) zu gruppieren. Bei solcher Sichtung ergeben sich mir zwei
Gruppen: die eine wird durch die Felixlegende selbst, die andere durch
die von Schwarzer in der Ztschr. f. d. Piniol. XIII, S. 338 f. mitgeteilte lat.
„Yisionslegende"2) vertreten. Obwohl nun die letztere uns in einer Hand-
schrift aus dem 13. Jahrhundert erhalten ist, das mittelhochdeutsche Gedicht
erst in Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts, und obwohl wir dieses
seiner Entstehung nach nicht vor die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts
setzen können, so ist die Gestalt der Sage, wie sie in der Felixlegende
vorliegt, entschieden altertümlicher und ursprünglicher als in der Yisions-
legende. Die Felixlegende steht zweifellos der Urform näher, aus der
beide Fassungen geflossen sein müssen. In der Felixlegende ist auch die
Mönclislegende konsequent durchgeführt. Der über die himmlische Selig-
keit nachgrübelnde Mönch wird durch den süssen Gesang eines Vögleins
verleitet, ihm zu folgen. Durch die wonnevollen Töne glaubt er sich der
Erde entrückt (110 ff. er liete gesworn, daz das himelisch paradis waere
dà in allen wis). Darüber vergehen hundert Jahre, während er nur wenige
Stunden verflossen meint. Er kehrt zum Kloster zurück, man kennt ihn
jedoch dort nicht, und erst durch die Auskunft eines alten siechen Mönches
und das Totenbuch des Klosters wird festgestellt, dass er der vor hundert
Jahren verschwundene Mönch Felix sei. In der Yisionslegende ist dieser
Stoff umgestaltet und erweitert. An die Stelle des Mönches ist ein gottes-
fürchtiger, keuscher Herzogssohn getreten. Dieser wird von seinen Eltern
genötigt, sich, zu verheiraten. Alles ist zur Hochzeit bereit. Yorher reitet
der fromme Jüngling zu einer Kirche, um zu beten. Auf dem Rückwege
trifft er einen Engel in Gestalt eines Greises auf einem weissen Maultier,
den er zu seiner Hochzeit einladet. Der Gast erscheint, ersucht jedoch
den jungen Mann bei seinem Scheiden, nach drei Tagen den Besuch zu
erwidern. Auf dem beigestellten Maultiere gelangt sodann der Jüngling
in das Land der Seligen, das mit den lebhaftesten Farben geschildert wird.
Er glaubt sich drei Stunden verweilt zu haben, statt deren sind dreihundert
Jahre vergangen, als er heimkehrt. Unterdes ist aus dem Schlosse ein
Kloster geworden, das seine Eltern schmerzerfüllt über sein Yerschwinden
gegründet haben. Der Abt, hocherfreut über die wunderbare Rückkehr
des verloren Geglaubten, lässt ein Mahl anrichten, doch der Herzog altert
und stirbt, sobald er irdische Speise berührt.
Den hier in allgemeinen Zügen skizzierten Inhalt der Yisionslegende
geben später einige Yarianten mit mehr oder weniger grossen Abweichungen
wieder: eine mitteldeutsche Fassung, die 1811 Vulpius in seinen Kuriosi-
1) Genaueres hoffe ich in einer Specialuntersuchung über das Gedicht von dem
Mönche Felix zu geben.
2) Ich behalte diesen von Schwarzer eingeführten Titel der Kürze halber bei, obwohl
ich sonst dem von Köhler, Ztschr. f. d. Philol. X1Y, S. 96 ff. gebrauchten Titel ^Legende
vom italienischen jungen Herzog im Paradiese" den Vorzug geben möchte.
Zu dem Volksliede von der Tochter des Kommandanten.
301
täten, I, S. 179—189 in modernisierter Sprache und mit manchen kleinen
Auslassungen und jüngst Bolte in Köhlers Kleineren Schriften II, S. *228 f.
korrekt und vollständig herausgegeben hat, eine lat. Legende, die Mussafia
in den Wiener Sitzungsberichten, Bd. 48 skizziert hat, die Geschichte von
der Hochzeit des Loringus in Korners Chronik, das schweizerische Märchen
No. 13 bei Sutermeister und das kärntnische „Der Königssohn im Paradiese"
in der Carinthia (1866, S. 48f.), sowie das tschechische Lied von Theophilus
bei Feifalik (Wiener Sitzungsberichte, Bd. 39). Die Zusammengehörigkeit
aller dieser Versionen1) und ihr Verhältnis zur Visionslegende hat. bereits
Reinhold Köhler in der Zeitschr. f. deutsche Philologie XIV, S. 96f.2) mit
den Worten festgestellt: „Es sind dies alles verschiedene Passungen einer
und derselben Legende, die man bezeichnen kann als die Legende von
dem jungen Herren oder Fürsten, bei dessen Hochzeit ein Engel gegen-
wärtig ist und der bald nach seiner Hochzeit den Engel im Paradiese
besucht und dort nur Stunden verweilt zu haben glaubt, in der That aber
Jahrhunderte verweilt hat und bei seiner Rückkehr an der Stelle seines
Schlosses ein von seinen Hinterbliebenen gegründetes Kloster findet."3)
Aus der mündlich fortgepflanzten und vielfach geänderten Überlieferung
■dieses Stoffes ist, wie ich glaube, auch hervorgegangen, was nicht bloss
den zweiten, sondern auch den ersten Teil des Volksliedes von der Tochter
des Kommandanten zu Grosswardein ausmacht. Es ist wohl einer der
letzten Ausläufer der Visionslegende, den wir da vor uns haben. Aus dem
verlorenen Bräutigam ist in der Überlieferung und Dichtung des Volkes
eine verlorene Braut geworden, an deren Seite der weltliche Bräutigam4)
ganz selbstverständlich ist. Aber auch der Umstand braucht uns nicht zu
wundern, dass einer Jungfrau gegenüber der himmlische Freund oder
Gefährte zu einem Bräutigam wird, der zur Besiegelung der Verlobung
ihr ein Ringlein giebt und von ihr Rosen empfängt. Das entwickelt sich
alles ganz konsequent. Der hohe Stand wie die grosse Frömmigkeit der
Hauptperson ist wie in der Visionslegende, ebenso sind die Motive ge-
blieben, dass sich jene infolge ihrer Religiosität schwer zur Ehe versteht,
von den Eltern dazu gedrängt wird und sich nach einer überirdischen
O O
Person sehnt. Dass diese in unserem Volksliede Jesus ist, wie in den
Versionen vom Blümelmacher und von der Sultanstochter, weist nicht
1) Zu welchen Bolte (Köhlers Kl. Sehr. II, S. 225) noch ein Märchen aus Mähren
hei Vernaleken, Österr. Kinder- und Hausmärchen, No. 30, Anm. hinzufügt.
2) Nun auch Kl. Sehr. II, S. 225.
3) Leider hat R. Köhler die hier versprochene Monographie über diesen Gegenstand
nicht mehr geliefert. Doch hat Bolte bei dem Wiederabdrucke der oben genannten Ab-
handlung einige Ergänzungen gebracht, für die wir ihm sehr dankbar sein müssen.
4) Der weltliche Bräutigam, welcher von den Eltern der Jungfrau aufgedrängt wird,
fehlt übrigens sonst in der Gruppe A und B und findet sich nur in der Inzigkofener
Passung. Diese, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts überliefert, aber nach Bolte erheblich
früher entstanden, stellt die älteste Gestalt der Legende von dem Blümelmacher dar.
Zeitsctir. d. Vex-eius f. Volkskunde. 1901. 21
302
Reissenberger:
notwendig auf diese Dichtungen als Quelle hin. Entführt doch in der
Inzigkofener Legende, also der ältesten Fassung des Blümelmacher, auch
nicht Jesus, sondern ein Engel die Jungfrau. Und so kann denn auch
bei dem Übergänge von dem Stoffe der Visionslegende zu dem des Volks-
liedes aus dem Engel Jesus geworden sein. Dass die Braut, um ihr Herz
zu erleichtern, ins Freie, in den Garten geht, dort Jesum anruft und mit
ihm zusammenkommt, ist in der Visionslegende und ihren Varianten auch
bereits vorgebildet. Hier begiebt sich der Jüngling heimlich von der
Hochzeit hinweg zu einer Kirche, die am Fusse des Berges liegt, um dort
zu beten. Bei dieser Gelegenheit trifft er mit dem Engel zusammen.
Deutlicher treten die Beziehungen des Volksliedes zu der Visionslegende
jedoch darin hervor, dass. die Braut von dem Bräutigam in den himmlischen
Garten geführt wird, der von Blumen und Früchten, von Musik und Gesang
erfüllt ist, und in welchem silberweisse Bächlein klar und rein fliessen.
Dadurch wird man lebhaft an die Schilderungen erinnert, wie sie in der
Visionslegende und in deren Varianten gegeben werden. In der Visions-
legende heisst es (Zeitschr. f. d. Philol. XIII, S. 342) von dem Herzogs-
sohne unter No. 10: „Superatis angustiis venitur ad planiora, pulchris
pulchriora succedunt et postremo pulcherrima terra se offert, cui nunquam¡
ille similem conspexisset. Aer lenis et lucidus, campi lati plani que pre
oculis omnes illi spectandi prebuere delicias. Lilia rose violeque per campos,
sed et omni s florum nobilitas solum obtexerat et tan quam purpura distincta
coloribus pulcra varietate vernabat. Arbores hinc fiorifere illinc pomifere
spargebantur diverse generibus statuque diverse, ut sui decoris plenitudinemi
ostentarent et terre de suo nichil aufferrent. Aves in arboribus rare speciebus.
et vocibus clare, auditu visuque amabiles, nullam ignobilium ac quicquidi
est corvini generis admitientes, sed lete ac mansuete omnes, siquidenr
maledictio spinarum et veprium ibi non est, tribulus, urtica, cardus aut
cicuta non apparet, omne postremo arborum vel herbarum genus ignobile
ibi non germinai, nil denique nisi quod tactu, quod olfactu, quod visu
similiter et usu complaceat." In der md. Legende (Kl. Sehr. II, S. 232)
wird erzählt: „Vnd als balde do quam er vff eyn wiet schön feit, des er keyn
ende gesehin konde; vnde da was sulcher grossser lust, das er nicht anders,
wolt weilen, dan es were das paradiss. Da waren schone beüme myt allirley
susssen vnd edeln fruchten. Etliche hatten ire czittigen fruchte, etliche
stunden yn der bluth. Da was eyn liplicher boden myt gras vnd myt
blumen alles von edelm geroche. Da waren schone vnde luter flussse,
dar vss scheyn das golt vnd allirley edelgesteyne. Do was dye sussest
melodye von allirley fogel gesang, als ab es engel weren. Da was sulcher
grossser lust vnde freude, das es keyn totlicher mensch nort gedencken
mocht, das der jungeling meynete, das nichtes lustigers noch freydenrichers
geseyn mocht yn hymel vnd vff erden." In der von Mussafia skizzierten
Erzählung der Wiener Hofbibliothek kommt der Jüngling „in eine wunder-
Zu dem Volksliede von der Tochter des Kommandanten.
303
liebliche Gegend". Die Luft ist hell und milde, lachende Fluren, blumige
W iesen, Bäume mit Blüten und Früchten empfangen ihn, überall Duft und
Glanz. Die Vögel begrüssen mit süssem Gesänge seine Ankunft. Korners
Erzählung von der Hochzeit des Loringus (Germ. IX, S. 267) erwähnt nur
ène wunnelike wise. Aber in dem kärntnischen Märchen gelangt der junge
König nacheinander in drei Gärten, die Leute sind alle freundlich gegen
ihn und geben ihm Obst und Blumen. Und in dem schweizerischen Märchen
bei Sutermeister S. 39 stehen der junge Herzog und sein Begleiter mit
einem Male auf einer grünen Heide, welche ganz mit Rosen und Rosmarin
bewachsen ist, und die Luft ist allenthalben voll Balsamduft.
In dem Yolksliede von der Tochter des Kommandanten zu Grosswardein
fordert Jesus die Braut nach einigem Verweilen in seinem himmlischen
Garten auf, nun zurückzukehren: „Meinen Garten habt Ihr nun beschaut;
ich will Euch geben das Geleit in Euer Land, es ist nun Zeit." Ähnlich
lautet es in der md. Legende (Kl. Sehr. II, S. 235): „Nu, liber bruder,
du hast eyns teyls gesehin, das dyn hercz begert hat. Szo ist es nu
czit, das du von hynnenn scheiden salt; dan du magst auch zu di&ssen
cziten nicht bey uns bleibin." Bei Korn er ruft der himmlische Freund
Loringus zu: „de tîd is dat dû seist, wò id to hüs Schapen is£í, und auch in
dem kärntnischen Märchen wird der Jüngling daran gemahnt, dass er heim-
kehren solle.
Näher der Visionslegende und ihren Varianten, als der bisher be-
sprochene Teil des Volksliedes, steht dessen zweiter, wie das schon oben
angedeutet wurde. Die Veränderungen, die mit den Örtlichkeiten vor-
gegangen sind, fehlen allerdings im Liede. Die Braut kommt heimkehrend
vor die Stadt und begehrt, als Tochter des Kommandanten, Einlass. Der
habe keine Tochter, wird ihr erwidert. Doch wird an ihrer Kleidung ihr
hoher Stand erkannt, und sie wird vor die Herren der Stadt geführt, aus
der sie vor zwei Stunden gegangen zu sein behauptet. „Die alte Schrift"
bringt auch hier, wie schon in der Felixlegende und in den meisten anderen
Fassungen dieses Stoffes, die Lösung. Die Jungfrau ist unverändert, doch
bei der Berührung irdischer Speise naht der Tod, und sie empfängt über
ihr Verlangen noch das Sakrament wie in der Visionslegende.
Was den zweiten Teil des Liedes betrifft, so kann demnach kein
Zweifel sein, dass dieser auf die Arisionslegende und ihren Variantenkreis
zurückgeht. Aber auch der erste lässt sich daraus herleiten, wie ich
meine, ohne dass es nötig wäre, zwei nach ihrer Herkunft verschiedene
Bestandteile des Volksliedes anzunehmen. Allerdings sind die Verände-
rungen, welche der erste Teil erfahren hat, grösser als die des zweiten.
Aber welche Verdunkelungen und Verstümmelungen, Erweiterungen und
anderweitigen Umgestaltungen nehmen wir sonst in den Uberlieferungen
wahr, die sich im Munde des Volkes von Geschlecht zu Geschlecht, von
Land zu Land fortpflanzen! Und so kann wohl auch das Volkslied yon
21
304
Feilberg:
der Tochter des Kommandanten zu Grosswardein in seinem ganzen Um-
fange als Abkömmling oder, um die oben gebrauchte Bezeichnung zu
wiederholen, als einer der letzten Ausläufer der Yisionslegende angesehen
werden.
Bielitz, Österreich. Schlesien.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
Yon Dr. H. F. Feilberg.1)
im grossen Reiche des Aberglaubens kann man einzelne ziemlich wohl
begrenzte Provinzen, wenn man genauer zusieht, entdecken; eine solche
ist die, worin das böse Auge oder der böse Blick regiert. Unter Natur-
völkern nimmt das menschliche Auge einen besonderen Platz ein, wovon
sich etwas unter uns civilisierten Völkern in den „Resten" wiederfindet,
die wie Stücke zertrümmerter Gebäude aus der Zeiten Schutt noch immer
hervorragen. In der mittelalterlichen skandinavischen Uberlieferung findet
man wie anderswo Erzählungen von Menschen, die sich in Tiere ver-
wandeln und dadurch unkenntlich werden, wenn sie sich nicht durch ihr
menschliches Auge verraten; am Auge wird der Mensch (selbst der Gott)
in der tierischen Verhüllung erkannt.
Mit dem Blicke eines Menschen ist es eine eigene Sache. Etliche
Menschen sind geistersichtig, sie haben irgendwie diese Fähigkeit erworben;
andere, gewöhnliche Menschen sind es nicht, können aber unter besonderen
' O
Umständen geistersichtig („synske") werden, wenn sie durch ein natürliches
oder ein künstlich hervorgebrachtes Loch hindurch schauen. Wenn Fuhr-
mann oder Reiter bei Nacht von geisterhaften Wesen aufgehalten werden
und nicht aus der Stelle kommen können, gucken Kutscher oder Reiter
durch das Loch, das durch Zusammenhalten der Ohren eines Pferdes oder
eines Hundes gebildet wird. Man sieht dadurch, wie durch ein Schlüssel-
loch in ein verschlossenes Zimmer, in die verborgene Welt der Geister
hinein, entdeckt, wer das Pferd aufhält, ob es ein Spukgeist, ein Teufel,
ein Wichtel ist. So erkläre ich mir wenigstens die Sache.
Der Yersuch kann auf mannigfache Art variiert werden. Man guckt
durch die Halfter, das Zaumzeug, das Pferdegebiss, die Hakkoppel, das
Geschirr des Pferdes oder unter dessen Bauch, durchs Loch von einem
Lederstück ans einem Sarge, durch ein Stück Papier, durch ein Astloch,
—:-----f
1) Abkürzungen: (D.) Dänemark, (N.) Norwegen, (S.) Schweden.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
305
durch eins der Löcher eines Melkstuhls, durch ein Loch an einem Toten-
kopfe, durch die Kehle eines Wolfes, durch einen natürlich durchlöcherten
Stein, durch eine Öse von drei Haaren einer Wichtelfrau gebildet, durch
eine Egge, einen Hemdärmel, ein Sieb, durch die Röhre eines Webstuhles,
eine Haarlocke, ein Tuch, durch den eigenen Arm oder den eines anderen,
immer aber durch ein Loch.
Hierzu kommt noch der Blick über die rechte oder linke Schulter
oder durch die Beine hindurch.
Auf diese WTeise wird dem Menschenauge eine magische Kraft ver-
liehen. So lange man durchs Loch hineinguckt, schaut man das verborgene
Land und seine Bewohner, wer sie auch sein mögen: man wird geister-
sichtig.
1. Das böse Auge ist von Natur magisch, ist oftmals ohne das Wissen
oder den WTillen des Besitzers giftig, und (so kann es wohl in aller Kürze
ausgedrückt werden) es verderbt, macht krank, tötet durch sein Gift alles
was sein Blick treffen mag.
Im Dänischen hat das Volk verschiedene Ausdrücke für die unheil-
bringende Wirksamkeit des bösen Auges; „at forse" wird wohl am nächsten
durch „versehen" wiedergegeben werden können; „ildesé", „slemse" ist:
übel oder schlimm ansehen; „oversé" entspricht dem englischen „to over-
look", übersehen, etwas starr ansehen, so dass man alle Einzelheiten über-
sieht.x) Allgemein wird von einem gesagt, er habe „et ondt öje", „et
ondt öjesyn", d. h. ein bôsés Auge, einen bösen Blick, oder auch „et slemt
öje", ein schlimmes Auge. Aus dem Schwedischen habe ich mir die Aus-
drücke angemerkt: „ha skarnsk auga" (Gotland), „ha ful ögfäl" (Yäster-
botten), und in der schwedischen Reichssprache: „lia onda" oder „elaka
ögon" alles dasselbe: böse Augen haben.
Noch giebt es zwei besondere Ausdrücke: „skogese" ist der eine, er
lässt sich wohl am leichtesten durch „hurensehen" übertragen, indem man
den Blick eines unzüchtigen Weibes als unheilbringend betrachtet hat,
wenigstens wenn er ein nacktes, neugeborenes Kindlein oder die entblösste
Brust einer säugenden Mutter traf. Der andere ist „uglesé", einen wie
die Eule anblicken, oder „ulvesé", einen wie ein Wolf anblicken. Beide
Formen und Deutungen der Dialektwörter sind möglich und lassen sich
verteidigen. Über „ulvesé" später; die Eule hat auch betreffend ihren
tötenden Blick einen bösen Ruf, sieh z. B. Gaidoz, Melusine LA7, 481 aus
Italien.
"2. Wie verhält es sich nun aber hiermit? Ist also die Wirkung des
bösen Auges dem Willen des Besitzers unterworfen oder nicht?
Aus Italien, dem Lande des mal'occhio, wird von dem verstorbenen
1) "Vgl. verschieren, beswögen, Müllenhoff, Sagen, 560a, Schütze, Holst. Idiot. IV, 43.
306
Feilberg:
Pabste Pio Nono erzählt, class die Römer vom Mittelstande den Einfluss
seines bösen Blickes im hohen Grade fürchteten. Die Fremden sind es
gewesen, welche Spalier längs seinem/Wege bildeten. Sobald die römischen
Damen ihn von Ferne entdeckten, eilten sie in Seitengassen oder kehrten
sich um, damit sie nicht seinem Blicke ausgesetzt würden; die Männer
flüchteten in Butiken oder Alleen; die Weiber aus der Campagna machten
knieend das Fica-Zeichen unter ihren Schürzen, und die Bewohner der
ewigen Stadt scheuten gewöhnlich die St. Peters-Kirche an den grossen
Festtagen.x) Nun kann doch kein vernünftiger Mensch annehmen, dass
das Oberhaupt der katholischen Kirche mit Wissen und Willen Böses
thue und seinem eignen Yolke Schaden zufügen wolle, sobald er seine
Hand über dasselbe segnend ausstrecke. Giebt es böse Menschen, deren
Gift durch böse Augen ausstrahlt, so giebt es andere, denen ein böses
Auge ein unheilvolles unglückbringendes Vermächtnis ist, dessen Macht
sie auf keine Weise zu entgehen vermögen, und das ihr Leben unglücklich
macht. Besser versteht man, dass König Yictor Emmanuel bei Solferino
auf einer Anhöhe gegen die Österreicher das Fica-Zeichen machte oder
dass Crispi, um nicht durch die bösen Augen der Opposition zu leiden,
sich mit roten Korallen wappnete.2) Hier ist der Wille zu schaden un-
zweifelhaft.
Es ist nun ganz eigentümlich, dass in nordischer Überlieferung das
böse Auge öfters als eine unheilvolle Naturgabe, unter welcher der Besitzer
seufzt, hervortritt. Einige Menschen, so heisst es, haben böse Augen ohne
es zu wollen. Eine Witwe, Bodil Mikkelsdatter, war deswegen bekannt;
wenn man mit Brauen beschäftigt war, wo sie hinkam, wurde eilig das
Bier verhüllt; niemand wurde doch auf sie zornig, sie konnte nicht
dafür. Anderswo wird erzählt, dass eine Bettlerin, die von einer Bauern-
frau einen Krug Milch erhielt, dieselbe bat, ein Kreuz über den Krug zu
)( machen: „Ich habe, weisst du ja, ein böses Auge!"3) Ähnliches trifft man
auch in Deutschland an. Strackerjan (Aberglaube aus Oldenburg I, 299.
210. II, 116. 419) sagt: „Der böse Blick ist nicht immer freiwilliger
Zauber, sondern mitunter auch eine unselige Eigenschaft guter Menschen.
Die Hexen aber üben das ,Entsehen' oder ,Schieren' absichtlich." Yon
der Insel Man heisst es, dass das böse Auge in gewissen Familien erblich
sei und dass auch gute und wohlwollende Menschen mit der furchtbaren
Gabe des „overlooking" gequält sein können.4)
1) Mélusine IV, 419.
2) Mélusine Vili, 108. Ons Volksleven VII, 159.
3) Jydske Sarnl. I3, 59. Kristensen, Sagn VII, 212. 737. Anholt (i3. 135'.
4) Folklore II, 511; „the evil eye" war in gewissen Familien erblich und 'wurde
bewusst gegen Unfreunde angewandt. Walt. Gregor, Folklore of N. East of Scoti., p. 31;
vgl. Urquell VI, 273. 232 bei galizischen Juden.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung. 307
3. Man kann sich doch auch den bösen Blick erwerben. Unbewusst
geschieht es, wenn ein entwöhntes Kind abermals an die mütterliche Brust
gelegt und gesäugt wird. Ein solches nennt man „Tvädäggling" (S.),
Zwiegesäugtes, es erhält böse Augen und wird unglücklich in allen Unter-
nehmen. x) Mit Wissen und Willen kann sich der erwachsene Mann diese
böse Macht verschaffen, wenn er sich von einem Weibe säugen lässt; thut
er solches, heisst es weiter, müssen alle lebendigen Schöpfungen, den
Menschen ausgenommen, vor seinem Blicke sterben. Dasselbe gilt doch
wohl auch von Frauen (N.).2) Eine englische Anweisung3), etwas Ähn-
liches zu erreichen, scheint mir nicht ganz klar. Der Mitteiler hat in
Yorkshire ein altes Weib, das an das böse Auge glaubte, angetroffen.
Sie erzählte von einem jungen Mädchen, das von dem bösen Blicke ge-
troffen, von langsam zehrender Krankheit ergriffen wird und stirbt, niemand
weiss, wovon. Er fügt dann hinzu, dass er der Alten das Geheimnis, wie
man das böse Auge erhalten könne, entlockte. Man soll alle Nächte aus-
gehen, bis man neun Kröten gefunden habe; die sollten an eine Schnur
gebunden miteinander in ein Loch in der Erde begraben werden und so
wie die Kröten unter der Erde hinsterbeil, so verzehrt sich das Leben
der Person, die du mit bösem Auge angeblickt hast und sie stirbt ohne
irgend eine Krankheit. Dieses scheint mir eher ein sympathetisches
Mittel, wodurch man einem Menschen ein Leiden zufügt als die Wirkung
des bösen Auges.
In einer dänischen Sage wird noch erzählt, wie ein Prediger, nachdem
er einen Spukgeist gebannt hat, sich die Augen volle neun Tage zubinden
lässt. Erklärung wird nicht gegeben.4) Möglich wäre immer, dass man
durch Anblick eines höllischen Geeistes das böse Auge erwerben könne.
Ich bin jedoch nicht in Besitz von Hinweisen, welche hier Licht bringen
könnten; die Erzählung mag ein loser Yogel sein.
4. Unter denen, die das böse Auge haben, nehmen in der Neuzeit
die Hexen den ersten Platz ein, ich dürfte vielleicht sagen, den einzigsten;
Huren und Verbrecher, geheime sowohl als offene, müssen gewiss dazu
gerechnet werden, treten jedoch im Vergleich mit den Hexen sehr in den
Schatten. Meistens offenbaren sie bei den täglichen häuslichen Arbeiten,
wenn sie beim Buttern, Backen zusehen, ihre Bosheit. Ohne jetzt hierauf
einzugehen, will ich eine Reihe von Beispielen der Macht ihrer bösen
Augen anführen.
So wird irgendwo in Fühnen erzählt, dass auf einer Bauernhufe ein
alter Mann starb, und der Zufall wollte, dass der Sarg nicht bei dem
1) Rääf, Ytre Härad I, 129.
2) Folkevennen XI, 475. 87.
3) Choice Notes, Folklore 129.
4) Kristensen, Sagn IY, 1G2. 5(55.
308
Feilberg:
Sohne der Hexe, welcher Zimmermann war, bestellt wurde. Was geschah?
Es war von dem Tage an unmöglich zu buttern. Der Hausvater suchte
bei einem Klugen Rats, er hiess Niels, wurde gewöhnlich der Huge Niels
genannt. Das erste Mal wurde ihm jedoch nicht geholfen, weil die Hexe
den Hufner auf dem Wege zum Klugen gesehen hatte. Dreimal wurde
noch der Weg vergeblich versucht, es gelang der Hexe jedesmal, den
wandernden Mann zu sehen, und er musste unverrichteter Sache wieder
nach Hause kehren. Erst das vierte Mal kam er ungesehen an der Hexe
vorüber und nun konnte die Hausmutter wieder Butter erlangen.1)
Hier eine andere Geschichte vom nördlichen Jutland, wo eine gewisse
Lisa Mette eine berüchtigte Hexe war. Ihr Sohn war bei einem Bauern
im Dienst und zog sich eines Tages von dessen Viehknecht eine ernstliche
Ohrfeige zu. Ein paar Tage später kam der Viehknecht an Lisas Wohnung
vorüber, wurde von ihr angesprochen, bald darnach erkrankte er, wurde
kränker und kränker, bis er gar nicht weiter konnte. Nun wurde ihm
gesagt, er solle die sehr berühmte kluge Frau in Vindbläs, deren Wirk-
samkeit noch nach ihrem Tode bis auf den heutigen Tag von Wunder
umgeben ist, um Hilfe ansprechen. Sie gab dem kranken Viehknecht ein
Rezept für die Apotheke, aber mit der bestimmten Warnung, Lisa Mette
dürfe ihn nicht in den ersten drei Tagen sehen. Gelänge ihr das, so
wäre er rettungslos verloren. Seine Frau war den ganzen ersten Tag auf
Wache und hielt die umherschleichende Lisa Mette weg, ebenso am zweiten
Tage. Wie es aber geschah, wusste niemand zu erklären, auf einmal
stand die Hexe in der Stube, ging an das Bett des Kranken, und brach,
da sie an der verzweifelten Frau vorüberging, in ein schallendes Gelächter
aus. Eine Zeit lang lag der Viehknecht noch schwer krank, dann starb
er unter grossen Schmerzen. „Hätte die Frau doch irgend etwas in die
Hand genommen und damit die Hexe blutig geschlagen, so würde der
Zauber alle Macht verloren haben!" so schloss die Erzählerin.2)
Sieht eine Hexe Messer oder Schere, womit jemand seine Nägel ge-
schnitten hat, so kann sie dem Manne ein Leides anthun. Man entgeht
dem Übel, wenn man gleich nach dem Gebrauche in ein Stück Holz
schneidet.3) Und gelingt es der Hexe, irgend ein Stück von den Gerät-
schaften, die zum Buttern gehören, anzublicken, kann sie alles verzaubern
und man muss das Ganze von neuem wieder machen lassen.4)
Verschiedene Vorsichtsmassregeln müssen, wenn die Hexen am St.
Johannisabend zum Blockberg reisen, in acht genommen werden. Sie
fahren in grossen Scharen auf Besenstielen durch die Luft; sehen sie das
grasende Vieh des Bauern, dann wird es krank. Darum wird in der
--I
1) Skattegraveren IX, 79. 254.
2) Kristensen, Sagn VII, 235.
3) Kristensen, Folkeminder IV, 399. 572.
4) J. Kamp, Folkeminder, 211. 187.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung. 30Í}
Johannisnacht alles Vieh in den Ställen eingeschlossen. Und ihr böser
Blick hat Macht nicht nur über Yieh, sondern auch über die Saaten des
. . .
Bauern. Er setzt längs jedem Flachsfelde Weidenreiser, damit es nicht
unter den sengenden Augen der bösen Weiber welke.1)
Ein Beispiel aus Schweden ist folgendes. Noch immer, wenigstens-
zu unserer Zeit um 1881, wurde allgemein von solchen bösen Hexen-
künsten geredet. Ein böses Weib war es, immer drehte sie sich so in
der Kirchenthür, dass sie rücklings eintrat, und es gelang ihr immer auf
dieselbe Weise in private Häuser einzugehen. Eines Tages passte sie
einem Dienstjungen auf. Er kam mit einem Sacke voll flaclisenen Garnes,
das zum Bleichen geschickt wurde. Der Junge musste an ihrem Hause
vorbei passieren, und da sie in der Thiire stand, wünschte sie das Garn
zu sehen, was er ihr nicht auszuschlagen wagte. Der Sack wurde ge-
öffnet. nur einen Augenblick rupfte sie ein wenig hin und her in den
Fitzen, aber als das Garn gewoben werden sollte, versuchte es die Haus-
mutter ein Mal nach dem anderen, immer vergeblich, die Röhre „legte
sich". So wurde ihr geraten, ausgeliehene Röhren zu benutzen, es ging
auf keine Weise anders, es ist wahr, was ich Ihnen erzähle; am Ende
wurde ein neugeborenes, blindes Kätzchen dreimal durch die Scheide
geführt. Das half wenigstens soviel, dass das angefangene Stück Leine-
wand fertig gewoben werden konnte, das übrig gebliebene Garn musste
sie als Einschlag verwenden.3)
In Norwegen, so scheint mir es wenigstens, sind sehr altertümliche
Züge dieses Aberglaubens bewahrt. Eine gewisse Maren wurde, als sie
mit ihren Zauberschwestern, die bei des Teufels „Osterspiel" gewesen
waren und in grossen Haufen auf Besenstielen vorüber ritten, von einem
Schützen erkannt; er rief ihren Namen und augenblicklich war ihre Luft-
fahrt zu Ende, sie fiel herunter und brach ihr Bein, wurde gefänglich
eingezogen und zum Feuertode verurteilt. Als sie auf den Scheiterhaufen
geführt wurde, erbat sie als eine Gnade, dass ihr die Binde von den
Augen ein wenig weggenommen werden möge. Es wurde ihr bewilligt,
man war aber so vorsichtig, sie mit dem Gesichte gegen die Felsen und
nicht gegen Felder und Wiesen zu kehren, und wo ihr Blick traf, welkte
alles, die fernen Wälder standen, als ob sie vom Feuer versengt waren.8)
Ich nenne diesen Zug altertümlich, weil man in der Sagalitteratur Ent-
sprechendes antreffen kann. In der Laxdaela Kap. 37 ist ein Bericht von
einem der auf Island häufigen Familienfehden. Halbjörn Schleifsteinsauge
wird von seinen Feinden ergriffen, ein Balg über seinen Kopf gezogen,
von Hrut und seinen Söhnen auf die See geführt; erst dort wurde er vom
Balge befreit, während sie ihm einen Stein um den Hals knüpften. Mit
1) Kristensen, Sagn VII, 108. 386, 103. 355.
2) Wigström, Folkdiktning II, 350.
3) Asbjörnsen, Norsk e Huldre-Eventyr3, 116.
310
Feilberg:
schielenden Augen schaute Halbjörn nach dem Lande. „Es war ein
Unglückstag", sprach er, „da wir bei Kamsnäs anlangten und mit Thorleik
zu thun bekamen, und das wünsche ich, dass Thorleik hinfort keine guten
Tage erlebe und dass alle, welche sich in seinem Hause setzen, einen
schweren Sitz erhalten!" So geschah es auch teilweise. Darauf ertränkten
sie ihn und ruderten zurück. Was hier nicht deutlich ausgesprochen wird,
die Macht seines bösen Auges, wird im nächsten Kapitel (38) von seinem
Bruder Stigande erzählt. Er wurde durch die List eines Weibes gefangen
genommen. Sie zogen auch ihm schlafend einen Balg über den Kopf.
Stigande erwachte, da sie aber viele um einen waren, widersetzte er sich
nicht. Nun fand sich aber am Balg ein Loch, wodurch es Stigande zu
blicken möglich wurde. An der Seite der Berghalde war ein schönes
Stück Land mit reichem Graswuchse. Da es aber von seinem Auge ge-
troffen wurde, war es, als ob ein Wirbelsturm darüber hinfuhr, und von
•der Zeit an wuchs dort kein Gras mehr. Die Stelle wurde Brenna (die
verbrannte) genannt.
Hierher ziehe ich noch einen Bericht aus der Landnáma III, Kap. 4. Ein
Überfall ist geplant und gelingt; da erscheint die alte Hexe Ljót, rücklings
gehend, vorüber gebeugt, den Kopf zwischen den Füssen, ihre Kleider
auf ihrem Rücken. Jökul hieb Hrolleifs Kopf ab und warf ihn in das
Gesicht der Ljót, da sprach sie, dass sie zu spät gekommen wäre, „oder
die Erde würde sich vor meinen Augen umgekehrt haben und Ihr würdet
alle wahnsinnig geworden sein." In Yatnsdœla Kap. 26, wo derselbe Auf-
tritt erzählt wird, fügt der Verfasser noch hinzu, dass ihr Blick abscheulich
war, und dass sie, hätte sie ihre Feinde gesehen, ehe sie von ihnen ge-
sehen würde, sie toll geworden und auf dem Wege wie verwilderte Tiere
umhergesprungen wären.x)
Indem ich die besonderen Fälle, wo das böse Weib durch die Beine
rücklings sieht, verlasse, ziehe ich ein paar andere Beispiele an. Aus
Island wird von einem Zauberweibe erzählt, dem ein Schafknecht, da es
bei einem Geräusche aufblickte, in die Augen sah. Er wurde sogleich
ohnmächtig, und es dauerte lange, ehe er wieder zu Besinnung kam. Ein
anderes Zauberweib, Jarngerdur, hatte so böse Augen, dass alles'Lebendige,
was sie sterbend ansah, gleich verfaulte. Es wird durch den Anfall
eines Hundes getötet; sterbend starrte es den Hund an, welcher in Staub
aufgelöst wurde; sie starben beide, sowohl das Weib als der Hund.2)
Yon Svanhild giebt es zwei Berichte: der alte Soraner Mönch Saxo
redet von der schönen Frau ritterlich, sagt, dass es verlautete, ihre Schön-
heit wäre so wunderbar, dass selbst den Pferden grauete, ihre reizende
Glieder durch ihre schmutzigen Hufe zu zertreten. Erst als Svanhild auf
1) Sieh Beilage IV.
2) Arnason, Thjodsögur II, 91. I, 250—51.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
311
das Gesicht gelegt war, traten sie die Pferde nieder. Es scheint einein
diese ganze Barstellung fremd und der Bericht in der Völsunga-Saga
(Kap. 40) wahrscheinlicher: da Svanhild ihre Augen aufschlug, wagten die
Pferde es nicht, sie zu zertreten, ein Balg wurde über ihren Kopf gezogen
und nun liess sie ihr Leben.1) So versteht es das Yolk. Yon einer
anderen Person Saxos dürfte es auch gelten, dass sie, wenigstens wie wir
die Sache jetzt ausdrücken würden, ein böses Auge gehabt habe, nämlich
Ole, welcher so scharfe Augen hatte, dass, was andere durch Waffen ihren
Feinden gegenüber ausrichteten, das vermochte er durch seine Augen, die
auch wohl den Stärksten erschreckten. Ein Mädchen, das er ansieht,
wird beinahe vor Furcht ohnmächtig, und bei einer Gelegenheit schloss
er die Augenlider, um die Anwesenden nicht zu verscheuchen.2) Noch
ein Beispiel aus 0. Tryggvesons Saga (Kap. 208) teile ich mit. Der
König, so heisst es, bestimmte, dass Sigurd von Hunden zerrissen werden
sollte. Nackt ausgezogen war er und an den Händen gebunden. Kein
Hund aber grifi ihn an, denn Sigurds Auge war so scharf, dass sie sich alle
weg von ihm kehrten. Am Ende zerriss ihn der Hund des Königs, Yige.
Hier muss doch die Bemerkung eingeschoben werden, dass ein scharfer,
durchdringender Blick oft den Helden als Zier beigelegt wird. So heisst
es von dem norwegischen König Olaf dem Heiligen, er habe sehr schöne,
funkelnde Augen, die alle, die ihn, wenn er zürnte, anblickten, erschreckten
(Saga Ol. H., Kap. 25, Snorre 151, 287, Münchs Übersetzung).
So in den Zeiten längst vergangen. Yon den Inseln Ösel, Mon, Dago,
an der russischen Ostseeküste, von Schweden bewohnt, wird berichtet, das
es dort Menschen gebe, deren Augen eine magische Kraft besitzen, einen
bösen Einfiuss auf Menschen, Tiere, Gegenstände, teilweise von ihrem
Willen unabhängig, ausüben.3) In den Winkeln aller Länder dürften
entsprechende Yorstellungen zu finden sein. In der etwas korrigierten
schwedischen Übersetzung von dem Werke eines Engländers über Sitten
in Schweden, schreibt der Yerfasser, was mir auch aus mündlicher Mit-
teilung sonst bekannt ist, dass das Volk plötzliche Krankheitsfälle dem
Einfiuss des bösen Blickes zuschreibt, das Pferd verliert den Mut („blir
modstulen"), und Zauberweiber können schon durch ihren Blick töten.4)
Aus dem Volksglauben eines Indianerstammes Nordamerikas kann hier
der Vergleichung wegen angeführt werden, dass, wenn ihr Volksheld aus-
ging und die Bergziegen anblickte, fielen sie tot um, und seine Augen
töteten alle und alles, das er ansah. °)
1) Müller-Saxo 414, 4.
2) Müller-Saxo 368, 4. 371, 5. 20.
3) Mélusine III, 108. Holzmayer, Verb. d. esthn. Gesellschaft VII, 78, Dorpat 1873.
Ein solches Auge nennt der Esthe: böses, neidisches, tückisches Auge, die Wirkungen
^ind unzählig.
4) Lloyd, Svenska Almogens Plägseder (1871), S. 50.
5) Journal of Am. Folkl. IX, 258. Tsetsaut-Indianer.
312
Feilberg:
5. Ioli lasse hiermit, vorläufig wenigstens, Zauberer und Zauberinnen
fahren, um eine andere Gruppe zu betrachten. So wirds von den Alten
hier in Jutland gesagt, dass, wenn jemand fastend von einem Weibe oder
einer Katze gesehen wird, er erkrankt, doch mit dem bestimmten Vor-
behalt, class er zuerst von ihnen, ehe er sie entdeckte, gesehen wurde.1)
So heisst es ganz im allgemeinen. Die Weiber scheinen allerdings, so-
wie man die Sache zu unsrer Zeit versteht, am meisten bösaugig zu sein,
doch gilt das nicht von guten, jungen, schönen Frauen; dagegen sind un-
keusche, besonders ältere Weiber mit triefenden Augen, wenn sie geheim
Unzucht treiben, gefährlich. Man hat das Wort „skögese", um dies aus-
zudrücken, gebildet; wenn eine im geheimen unzüchtige Frau („Lönhore")
ein schwangeres Weib oder ein neugeborenes Kind oder die blosse Brust
einer säugenden Mutter sieht, so folgt darnach notwendig Krankheit für
Mutter oder Kind.2) Ja, die Sache ist im Grunde noch ernstlicher, denn
nach südschwedischem Volksglauben braucht nur ein unzüchtiges Weib,
während das Kind noch ungetauft daliegt, über die Schwelle zu treten,
oder die Mutter von einer solchen wTährend ihrer Schwangerschaft Besuch
zu erhalten8), und die bösen Folgen treten ein. Noch ist eine Sitte in
Schonen erinnerlich, eine Sitte, deren Aufhören noch in unseren Tagen
von alten Weibern bedauert wTird, dass alle Dienstmädchen des Kirchspiels
von den Frauen untersucht wurden und die in Verdacht von geheimer
Schwangerschaft stehenden mussten sich das Umbinden eines Tuches um
den Kopf gefallen lassen. Es könnte diese Sitte als ein Ausbruch des
Sittlichkeitsgefühls der verheirateten Frauen betrachtet werden, und es
mag vielleicht ein solcher gewesen sein; doch ist es nicht das allein,
sondern zugleich eine Vorsichtsmassregel, denn wenn ein solches Mädchen
von einer schwangeren Frau barhaupt gesehen wurde oder sie träte in
das Haus einer solchen, erkrankte das noch ungeborene Kind am Huren-
übel („Horeskäver", d. h. an Skropheln, durch den Blick einer Hure ver-
ursacht). 4)
Mit den schlechten Frauenzimmern werden schlechte Menschen, Per-
sonen, wteiche Schlechtes gethan ohne dafür zu leiden, Mörder, Miss e -
thäter zusammengestellt. So heisst es aus Schweden: Wenn eine geheime
Hure oder Diebe, Mörder, Missethäter die entblösste Brust einer schwangeren
Frau oder eines neugeborenen Kindes sieht, bekommt das Kind Skropheln.5)
Wenn ein Verbrecher, dessen Schuld nicht ans Licht gebracht ist, besonders
ein unzüchtiges Weib, dessen Schuld niemand kennt, eine entblösste Stelle
1) Kristensen, Folkeminder VIII, 275, 66.
2) J. Kamp, Folkeminder 211, 187. Jydske Saml. IV, 239.
3) Wigström, Folkdiktning II, 219.
4) Wigström, Allmogeseder, S. 51 ; sieh Beilage I.
5) Cavali., Wärend I, 378.
Der böse Blick in nordischer Uberlieferung.
313
am Leibe eines Kindes sieht, wird das Kind krank.1) Geschieht es, dass
schlechte Menschen die entblösste Brust einer säugenden Frau sehen, ver-
liert sie die Milch; darum verhüllet sie immer ihre Brust. Ein Kind
kann von einem Bösewichte „übersehen" werden und wird dann krank.3)
6. Zunächst bemerke ich, dass man in der Sagazeit sorgfältig einem
Blicke von dem noch geöffneten Auge eines Toten auswich. In der Eyr-
byggja Kap. 33 erscheint es am deutlichsten. Thorolf war gestorben, da
ging Arnkell in das Haus, nahete sich Thorolf von hinten und bat jeder-
mann, sich zu hüten ihm von vorn nahe zu treten, so lange dem Toten
nicht „nábjargir" geleistet war. Darnach hüllte er ein Tuch um den Kopf
Thorolfs und verfuhr mit ihm nach Gewohnheit. Zu „nábjargir", Leichen-
hilfe, gehörte, dass man Augen und Lippen des Toten schloss.3) Eine,
soweit mir bekannt, einzelstehende Erzählung kann hier angezogen werden.
Der Wiedergänger, welcher die Bauerntochter verfolgt, will sich mit ihrem
Anblick begnügen. Arnthorr, welcher das durchgesetzt hat, hüllt ein grosses
Tuch um den Kopf des Mädchens, dass sie weder sehen noch hören kann.
Da sagt der Draug, wäre sie nicht auf die Weise verhüllt gewesen, würde
er sie wahnsinnig gemacht haben.4) Hierher, scheint mir, gehört auch
die Erzählung von Grette s Kampf mit dem Wiedergänger Glám. So
stark auch Gretter war, er musste seine letzten Kräfte, um Glám zu fällen,
auwenden. Da sie so auf der Erde ringend lagen, zogen die Wolken von
dem Monde, da öffnete Glám die Augen weit, und Gretter hat selber
gesagt, dass dieser Anblick der einzigste war, der ihm je Furcht ein-
geflösst habe.5) Yon der Zeit an fürchtete sich Gretter immer, wenn es
zu dunkeln anfing. Es ist in diesen Berichten des Toten Auge, dass die
Lebendigen fasciniert; so ist es im Mittelalter Volksglaube gewesen; wahr-
scheinlich sind noch dunkle Spuren davon in neueren Spukerzählungen
überliefert, wenn es heisst, dass Menschen, denen allerlei Spukgeister oder
Wieder obliger begegnet sind, wunderlich oder gar wahnsinnig werden.
Da die Elfen im nordischen und keltischen Volksglauben wohl ohne
Zweifel ursprünglich Seelen der Toten sind, könnte, was in einem eng-
lischen Bericht sich vorfindet, auch hier angeführt werden: wenn jemand
von dem Auge eines Elfen (fairy) getroffen würde, müsste er sein Leben
lang deswegen leiden.6)
Ich kann mit mythischen Wesen fortfahren. Im dänischen Aberglauben
sind die sogen. Bergleute („Bjärgmänd") diejenigen, die man wohl am
1) Jonsson, Folktro i Möre 7 (S.).
2) Kristensen, Sagn VII, 274; dess. Folkeminder VI, 364. 100 (D.): vgl. Gasslander
Wässbo Härad S. 29 (S.); Melusine V, 161. VII, 251. VIII, 134: Pitré Usi IV, 243.
3) Weinbold, Altnord. Lebeu, S. 474, vgl. Egil Skallegrims S. Kap. 51, vgl. hier S. 310.
4) Arnason I, 299.
5) Grettes S. Kap. 35.
6) Denham, Tracts I, 116.
314
Feilberg:
häufigsten antrifft. Sie wohnen in den Hünengräbern und unterhalten
sehr oft allerlei Verhältnisse mit dem ansässigen Bauern. So hatte einst
ein „Bergmann" während eines Gewitters Obdach in der Wohnstube des
Bauern gesucht und sich ganz ruhig neben den Ofen gesetzt, alle aber
im Hause fürchteten sich vor ihm. Sie hatten einen sehr starken Dienst-
knecht damals, der griff den Fremden an und es gelang ihm, ihn auf-
zuheben und fortzuschleppen. Nun geschah es aber, dass der „Bergmann"
im Ringkampfe um sich griff und den Bettumhang zerriss; im Bette aber
lagen, wie es in früheren Zeiten ganz allgemein war, die eben gebackenen
Brote, um langsamer abgekühlt zu werden; der „Bergmann" aber sah das
Brot, ehe er zur Thür hinausgeworfen wurde. Alle waren froh, da sie
seiner los wurden; als aber das Brot angeschnitten wurde, war es un-
geniessbar, sie waren gezwungen, den Ofen für ein neues Gebäck zu
heizen. *)
Mit den Bergleuten sind die „Trolle" verwandt, sie gehören vielleicht
mehr Norwegen und Schweden als Dänemark an. Da sass einmal ein
Troll am Abhänge des Berges und der Bauer kam an ihm vorübergegangen.
„Du sitzt hier?" sprach der Bauer. „Das thue ich", antwortete der Troll.
„Wonach siehst du?" „Ich sehe die Knechte an, die dort unten pflügen,
es wäre drollig, ihnen einen Streich zu spielen." „Wie das?" fragte der
Bauer. „Ich möchte sie alle verwildern, dass sie kreuz und quer pflügen."
„Das kannst du nicht!" „Das kann ich!" sprach der Troll und fing an.
den Acker und die Leute, die unten pflügten, anzustarren. Nur einen
Augenblick dauerte es, so fingen die Knechte nach allen Seiten, kreuz
und quer, aufwärts und abwärts zu pflügen an, nur einer verblieb in der
Furche. „Siehst du?" sprach der Troll. „Jawohl", antwortete der Bauer,
„woher kommt es aber, dass der eine ruhig seine Arbeit fortsetzt, während
alle die anderen irregehen?" „Das Pferd ist erstgeboren, der Knecht ist
erstgeboren und er hat „Flogrogn" (Eberesche an einem anderen Baume-
gewachsen) im Pfluge.2)
Der Troll ist hier, wie oftmals in der Volkssage, ganz gutmütig und
kann mit der Macht seiner Augen scherzen. In der Edda sind alle Ge-
stalten wilder und unheimlicher. Thor besuchte den Riesen Hymir, der
spät abends heim von der Jagd kam, „ihm war, als er kam, der Kinn-
wald gefroren."
„Heil dir, Hymir, sei hohes Muths,
der Sohn ist gekommen in deinen Saal,
den wir erwartet vom langen Wege.
Ihm folgt hierher der Freund der Menschen,
unser Widersacher Weor genannt.
1) Kristensen, rolkemincler VIH, 27. 54. Skattegraveren I, 9, 7.
2) Aasen, Pröver af Landsmaalet i Norgo (1853), S. 4, vgl. Melusine Y, 300, das
böse Auge bringt Leute zum Irregehen (Albanesen).
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
315
Du siehst sie sitzen an des Saales Ende,
so bangen sie, dass die Säule sie birgt."
Die Säule zersprang von des Riesen Sehe,
entzweigebrochen sah man den Balken.1)
Mit den mythischen Gestalten des nordischen Volksglaubens bin ich
jetzt fertig, ob die vielen anderen auch in Besitz des fascinierenden Auges
sind, ist wahrscheinlich, mir sind aber keine Aufzeichnungen darüber
bekannt.
7. Ein paar Völker giebt es, die wegen ihrer Zauberkunst und der
Macht ihrer Augen bekannt sind. Zuerst die Finnen, die, welche wir
jetzt gewöhnlich Lappländer nennen. Es lieisst von ihnen, dass, wenn sie
ergrimmen, die Erde sich vor ihrem Angesichte umkehre, und erscheint
vor ihren Augen ein lebendiges Wesen, stürzt es gleich tot nieder. Um
dieser unheilbringenden Macht ihrer Augen zu entgehen, verbirgt sich vor
ihnen der norwegische König Erik in ihrer „Gamme", und da sie ent-
schlafen sind, zieht er durch die Hilfe der wunderschönen Gunild einen
Balg über ihre Köpfe, und so wurden sie von den Begleitern des Königs
getötet.2)
Mit den Lappländern verwandt sind wohl die Bjarmer und Amadoxer,.
die von Olaus Magnus in seiner Historia de gentibus septentrionalibus
besprochen werden. Die Bjarmländer wohnten östlich von „Gandvig",
der Zauberbucht, dem jetzigen Weissen Meere, und oft wird in den Sagas
von den abenteuerlichen Fahrten der Nordländer nach ihrer Heimat er-
zählt. Die Bjarmer und Amadoxen, sagt Olaus, können Menschen sowohl
durch ihren giftigen Blick als durch Zauberworte und andere Greuel
binden. Der Mensch verliert dadurch das Bewusstsein, alle Freiheit und
wird besinnungslos.8)
8. Hiermit verlasse ich vorläufig die Menschen, um mich zu ver-
schiedenen Tieren zu wenden. Es wird von Marder und Iltis erzählt,,
dass sie bei Nacht auf dem Rücken liegend Hühner anstarren, bis sie
verzaubert herunterfallen (D.). Gegen den Fuchs wird dieselbe Be-
schuldigung vorgebracht (N.). Sollte der Wolf einen Mann sehen, ehe er
von ihm entdeckt wurde, wird er heiser. Das Mittel, wodurch der Mensch
seine Stimme wieder zurückerhalten kann, ist, dass er dreimal in einen
Ofen oder in eine Rübengrube: „Gieb mir den Gebrauch meiner Stimme
zurück!" ruft.4) Dieser Aberglaube scheint sich in weiten Kreisen vor-
zufinden, in Deutschland, Frankreich und als antiker Aberglaube in Italien.5)
1) Hymiskvida 11, Sirarocks Übersetzung.
2) Olaf Tryggvesens S. Kap. 3. Munch, Snorre, S. 52: sieh Beilage III.
3) Mélusine III, 107, Citat von Olaus Magnus, Antwerpen 1561, 1 verso, dessen Buch
mir nicht zugänglich gewesen ist; sieh Beilage II.
4) Gaslander S. 4P. Cavali., Wärend I, 339 (S.).
5) Wuttke Kap. 271. Rolland, Faune popul. I, 117. Pliniiis, Hist. nat. VIII, 34.
316
Feilberg :
Sieht der Wolf den Jäger an, geht sein Schuss nicht los.1) In Norwegen
wird dem Wolfe eine besondere Macht zum Binden zugesprochen. Sieht
ein Hirte den WTolf, ehe er von ihm gesehen ist, so muss er ihm gleich:
,,klums haai!" entgegenrufen, dadurch wird der Wolf „geklumst" (bezaubert),
so dass, wenn er mit offenem Rachen kommt, er ihn nicht wieder zumachen
kann und umgekehrt, und dieser Zustand dauert so lange, bis man ihn
aus dem Gesicht verliert. Während dieser Zeit kann er nichts rauben,
und wenn er in die Schafherde fällt, so schlägt er nach den Schafen mit
dem Schwanz und die Getroffenen folgen ihm nach, um von ihm zerrissen
zu werden, wenn seine Bezauberung vorüber ist. Sieht dagegen der Wolf
den Hirten zuerst, so wird dieser bezaubert und sprachlos, in welchem
Falle es gut ist, wenn er in den Kockkragen oder Handschuh, kurz in
etwas Wollenes, oder auch über die beiden Gelenke des Daumens beisst,
oder endlich sich so viel wie möglich bückt; thut er dies, dann geht die
Bezauberung über.2)
Yon solchen bösen Tieren, wie die oben genannten, versteht man,
dass ihr Blick Unheil stiften kann; wie aber des Menschen Freund, das
Pferd, dazu kommt Böses zu thun, verstehe ich nicht. Es wird bestimmt
und von einem sehr kundigen Forscher, dem längst verstorbenen norwegischen
Volksschullehrer Storaker, in einem Aufsatze über das Pferd in der Korske
hist. Tidskrift ausdrücklich gesagt: man muss sich hüten seinen Milcheimer
so zu tragen, dass das Pferd hineinsehen kann. Geschieht es, so wird die
Milch unbrauchbar. Meines Wassens steht dieser Zug ganz vereinzelt da,
es ist nicht leicht etwas darüber zu sagen.3)
Dass Schlangen die Zauberkraft des bösen Blicks besitzen, ist wohl
allgemeiner Volksglaube. Die Schlange hat eine solche Macht in ihren
Augen, dass sie durch ihren blossen Blick Yögel anziehen kann. Viele
haben es gesehen und erfahren, dass die Schlange mit offenem Rachen
liegt, während der Vogel in immer kleineren Kreisen um sie fliegt, bis er
am Ende jämmerlich schreiend in den Schlund der Schlange hineinfliegt.
Ja, einige wTollen wissen, dass der Vogel gleich zu singen angefangen habe,
als die Schlange getötet wTurde.4)
Ob die strahlenden Augen an den Schwanzfedern des Pfauhahns im
nordischen Volksglauben wie anderswo6) Unheil mit sich führen, ist mir
unbekannt.
Ich gehe jetzt auf eine Gruppe ganz fabelhafter Tiere über, unter
denen der Basilisk, durch die allgemeine Verbreitung der Sagen über
1) Nyland IV, 88 (Finnland).
2) Folkevennen XI, 454. 265. Liebrecht, Volkskunde, 334. 180. Aasen erklärt „klumsa"
von Menschen: sprachlos machen, von Tieren, ein solches am Beissen hindern.
3) S. 19 im Sonderdrucke, Kristiania 1871.
4) Folkeyennen XI, 474. 479 (N.).
5) Vgl. Revue de trad. pop. I, 47. II, 195. VI, 473.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
317
ihn, obenan steht. In einer Mettonne oder aus einem Hahnenei entstanden,
tötet er alle, die er anblickt. Sieht einem ein Basilisk in die Augen,
wird man gebunden, kann sich nicht fortbewegen, weder Hand noch Fuss
rühren, darum muss man sich dem Tiere immer von hinten nähern. Oder
es heisst gar: sobald der Basilisk eine Person ansieht, fällt sie augen-
blicklich um; oftmals wohnt das Tier im Brunnen, und geschieht es, dass
die Frau beim Wasserschöpfen hinunterblickt und vom Basilisk gesehen
wird, sinkt sie tot nieder. Sieht er aber sein eigenes Bild, in einem
Spiegel z. B., so muss er sterben, darum ist es immer das sicherste, dass
der Brunnenreiniger, ehe er hinabsteigt, sich mit Spiegeln umhängt.x)
Aus Schonen wird ähnliches berichtet.2)
Zu der greulichen Sippe dieses Ungetüms gehören noch ein paar
wundersame Gestalten aus Island. Zuerst nenne ich den Skoffin, welcher
wohl am nächsten dem Basilisk entspricht. Nach einigen ist er aus dem
Hahnenei entstanden, nach anderen, wie mir vor einigen Tagen ein Isländer
.erklärte, ein Bastard von einem Kater und einer Füchsin. Alles was dieses
Untier anblickt, sinkt tot um. So geschah es einmal auf Island: der Kirchen-
dienst war vorüber und die Versammelten gingen auseinander, aber alle, die
zur Thür hinaustraten, fielen tot um. Der Pastor wusste Rat. Nachdem er
einen Spiegel an eine lange Stange festgemacht hatte, streckte er, selber
innen stehend, die Stange mit dem Spiegel aufwärts, damit der oben im
Kirchturme sitzende Skoffin sein eignes Bild sehen möchte und sterben.
So wurden die Menschen gerettet. Sein nächster Verwandter ist Skus'O'a-
° o Ö
baldur, Bastard eines Fuchses und einer Katze, auch ein scheussliches
Ungetüm („skrymsli", „meinveettur"), das alles Lebendige durch seinen
Blick tötet. Der dritte aus diesem Geschlechte ist der Urctarköttur,
der mit einer Leiche auf dem Kirchhofe begraben, dort drei Jahre unter
der Erde zugebracht hat; sein Auge ist auch so böse, dass niemand weder
Mensch noch sprachloses Tier seinen Blick ohne zu sterben aushalten kann.
Die beiden letzten Untiere können nur mit Silberknöpfen erschossen werden.3)
Unter den fabelhaften Tieren sei noch der Lint wurm genannt; alles
■was er anblickte, starb.4) Aus dem nördlichen Norwegen ist der We i ss -
wurm („Hvidorm") wegen seines bösen Blickes berüchtigt, d. h. wenn er
eine Person ansieht, ehe dieselbe von dem Wasser, worin der Wurm lebt,
1) Kristensen, Sagn II, 226. 214. 216; Folkeminder III, 81. 113. IV, 61. 80. 81.
Thiele, Folkesagn II, 300; vgl. Pitré Usi IV, 471. 86; Plinius, Hist. nat. VIH, 33; Mélusiiie
IV, 571. V, 16.
2) Hazelius VI, 27.
3) Arnason, Tbjodsögur I, 613; Urdarköttur soll sonst der Name der wilden Katze,
felis catus, sein; Skuggabaldur ist von dem isl. Dichter Matth. Jochumsen als Name des
Teufels benutzt. Zu dieser Sippe dürften aus Frankreich ein Drache (dragon) und ein
Meertier, halb Pferd, halb Schaf gehören (Bosquet, Normandie, S. 206. 216, ebenso der
Catoblepas des Plinius (Hist. nat. VIII, 32), welche alle durch den Blick ihrer Augen
Unheil anrichten.
4) Kristensen, Sagn II, 179. 11.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 22
318
Feilberg:
getrunken hat; man wird dann wahnsinnig. Hat man aber aus dem Wasser
getrunken, ist er machtlos.x) In Schweden sagt man von einem Menschen,
der wegen eines bösen Auges verdächtig ist: „han glor som än anima!"2)
(er glotzt wie eine Oinme). Es ist schwer bestimmt zu sagen, welches
Tier die Omme ist; mir ist vor Jahren die Larve einer Sfinx Ligustri
mit Furcht und Beben gezeigt. Andere zeigen als solche verschiedene
zottige Larven. In Schweden fürchtet man ihren Blick, doch auch wie
bei uns ihren Hauch. Der „Bläseorm", der Wurm, welcher bläst, vermag
Gift durch sieben Kirchenmauern zu blasen, nicht aber durch ein einzelnes.
Paar von gestrickten Strümpfen.3)
9. Also die, welche das böse Auge haben, Menschen, phantastische
Gestalten des Yolksaberglaubens, Tiere, stören, verderben, töten; niemand
entgeht dem unheilvollen Einflüsse ihrer Blicke; am meisten werden Kinder
und junge Tiere davon angegriffen, doch auch dann und wann ältere. So
wird von einem hartherzigen Gutsbesitzer erzählt, dass er bei einem armem
Manne Auspfändung veranstaltete. Das alte Weib im Hause bat, dass sie'
zum Fenster getragen werden möge, damit sie den Gutsbesitzer sehe.
Es geschah, und sobald er von ihrem Blicke getroffen war, rief er zu seinem
Knecht: „Meine Beine sind gebrochen, setze mich in den Wagen!" 4)¡
Auch werden Braut und Bräutigam vermahnt, vor dem Altar dicht neben-
einander zu stehen, damit nicht böse Augen zwischen ihnen sehen mögen
und Zwietracht verursachen.5) So wird auch in Schweden gesagt: wenn
böse Augen oder eine schwangere Frau (!) eine Wunde ansehen, könne
dieselbe nimmer geheilt werden.6) In Verbindung hiermit führe ich an,
dass der Schmerz geschlachteter Tiere durch das böse Auge verlängert
wird. Auf einem Gehöfte waren die Leute mit dem Schlachten einer
Kuh beschäftigt, das Tier lag gebunden auf der Erde, die Hausfrau hatte'
das Messer in ihrer Hand bereit zum Stechen, als die alte Hexe hinzutrat.
Die Frau stach ein Mal nach dem andern, aber kein Blut kam, und sie
war wegen der Leiden des Tieres ganz unglücklich. Eben als die Hexe
wegging, kam ein alter Bettler zur Thür herein und da er hörte, was los
war, nahm er das Messer, wetzte es ein paar Mal, und als die Frau
wiederum stach, strömte das Blut wie aus einer Schleuse hervor. Der
Bettler wurde durch Butterbrot und Schnaps für seine Hilfe belohnt.7)
1) Hagemann, Blandt Lapper og Bumänd, S. 57.
2) Cavali., Wärend I, 336 (S.).
3) Mein Jütisches Wörterbuch unter bläseorm und oinme; vgl. Pomm. Volkskunde VII,.-
164. Die Kreuzotter rühmte sich: „Ich beisse durch Eisen und Stahl!" Gott aber sagte zu
ihr: „Du sollst nicht einmal durch einen Wollfaden beissen!"; sieh unsre Zeitschrift IX, 212.
4) Kristensen, Sagn IV, 201. 678.
5) Nyland IY, 24 (Finnland).
6) Aminson VIII, 109 (S.); sieht ein Mensch mit bösem Blicke eine offene Wunde,,
heilt sie nimmer, Cavali., Wärend I, 376 (S.).
7) Aminson V, 103. Kristensen, Folkeminder III, 258. 340.
Der böse Blick in nordischer Uberlieferung.
319
Wenn man ans seinem Bette aufsteht, muss man genau aufpassen, dass
die Bettdecke über die Lagerstätte gelegt ist, damit sie kein schielendes
Auge sehen möge. Einst kam eine alte böse Frau zu Besuch. Es wurde
bemerkt, dass sie an das Bett tretend, die Decke hob und hineinsah.
Niemand wagte, sich in das Bett zu legen. Da kam es einem ein, die
Katze zu nehmen und sie ins Bett zu legen. Gleich wurde die Katze
krank, schlich sich einige Zeit elend herum und starb.1)
Aber, wie schon früher bemerkt, Kinder und junge Tiere sind für die
Macht des bösen Blicks besonders empfänglich. Wird ein Kind „über-
sehen", erkrankt es an den Skropheln; wird es unruhig, so hat ein Weib
mit bösen Augen die entblösste Brust der säugenden Mutter gesehen. Yon
einer alten Frau wird gar gesagt, dass alle., neugeborene Kinder, die sie
ansieht, in kurzem sterben. Ein Kind, das von bösen Augen verzaubert
war, konnte gar nicht geheilt werden, weil es alt genug war, um ein
Vaterunser hersagen zu können. Am sichersten ist, den Fremden, der
zufällig in eine Stube tritt, wo sich ein Kind aufhält, zu bitten, das Kind
anzurühren, damit es nicht von seinem Blicke an Skropheln erkranke.2)
In meinen ersten Predigerjahren, in den Fünfzigern des 19. Jahrhunderts,
geschah es einmal, was zu der Zeit keine Seltenheit war, dass es uns un-
möglich war, zu buttern. Alle Mittel wurden versucht, alles vergebens.
So kam eines Abends der Grossknecht zu mir, um sich Erlaubnis, einen
„klugen Mann" zu holen, zu erbitten. Im Gespräche erfuhr ich, dass es
Menschen gebe, welchen die Bauern nimmer ihres bösen Blicks wegen in
ihre Ställe zu treten erlauben. In späteren Jahren habe ich dasselbe
mehr als einmal bei Nachfragen erfahren. Wenn solche Personen in den
Stall hineinkommen, die Kühe ansehen oder gar befühlen3), werfen die
Kühe ihre Kälber oder verlieren ihre Milch, oder es*wird unmöglich zu
buttern. Beispielsweise kann erzählt werden, dass eine Bettlerin vor Jahren
in ein Gehöft hineintrat. Missvergnügt mit ihrem Almosen, sali sie im
Weggehen in den Stall hinein, am nächsten Tage war jedes Tier krank.4)
1) Thiele, Overtro No. 192. Kristensen, Sagn VII, 355. 1334.
2) Kristensen, Sagn VI, 276. VII. 138. 483. 274; Folkemiuder VI, 255. 30. Sundblad,
Gammeldags Seder och Brak2, 382. Vgl. Möllenhoff, Sagen, 212, „kleine Kinder hütet
man vor ihrem (der Hexen) Blicke". Henderson, Notes on the Folklore, 187, „when a
child pines or wastes away the cause is commonly looked for in witchcraft or the evil eye",
vgl. Ons Volksleven IV, 9. 16; wenn Personen mit schwarzen Augen oder ein Scharfrichter
ungetaufte Kinder oder Jungvieh anblicken, werden sie unruhig oder krank, Urquell VI, 65
(Pommern).
3) Kristensen, Folkeminder IV, 398. 562; vgl. P. de Mont, A. de Cock, Volkskunde
VII, 7, „men wachte zieh wel het vee aan verdachte lieden te toonen . . . vooral op
kinderen, varkens en rundvee hebben zy het gemunt".
4) Feüberg, Fra Heden, S. 50. Kristensen, Sagn VII, 212. 732. 743; „wenn eine gut
milchende Kuh plötzlich aufhört Milch zu geben, so ist sie . . . verhext, sei es bloss durch
den bösen Blick einer ungünstigen Nachbarin", Blätter f. Pomm. Volkskunde VII, 24. 15.
21; „some persons eies are very offensive .... Twas reported of one in N. W. that he
22*
320
Feilberg:
Wenn das alte Weib auch nicht gerade Unheil anstiften will, so vermag
es doch durch seinen Blick allerlei Schabernack zu thun. Yon einem
solchen wird erzählt, dass es Kühe auch mitten im Winter durchgehen
machen konnte. Viele sahen, als das Weib einst eine Kuh anblickte, dass
diese ihren Schwanz erhob und weglief. Einst kamen ein paar Männer
mit Ochsen gefahren und traten bei der Alten ein, sie waren etwas besoffen
und mögen grob mit ihr gescherzt haben. Auf einmal trat sie zum Fenster:
„Was ist mit Euren Ochsen los? sie laufen ja über alle Felder!" So war
es, und die beiden Männer hatten vollauf zu thun, die Ochsen wieder ein-
zufangen.1) Hier führe ich an, was von den Hebriden erzählt wird, dass
eine Person im Besitz des bösen Auges so scharf die Pferde eines
pflügenden Mannes anstarrte, dass sie ganz machtlos stehen blieben und
umfielen, ohne imstande zu sein, sich wieder aufzurichten.2)
Die Ferkel sind durch das Auge übelwollender Menschen allerlei
Krankheiten ausgesetzt. „Wir hatten einst das schönste Ferkel und die
Frau bemerkte eben: „Käme die Hexe doch nicht es anzusehen!" Sie
kam aber am nächsten Sonntage, süss und kriechend in ihren Worten, wie
gewöhnlich. Das Ferkel stand aussen im Hofe, und sobald es von ihr
entdeckt wurde, trat sie zu ihm hin, strich es längs dem Rücken: „Wie
ist das Ferkel doch gross und fett!" Von dem Tage an stand das Ferkel
auf seinen Beinen nicht mehr, liegend frass es, und wir mussten es bald
schlachten."3) Es giebt mehr solche Geschichten. Ein Bauer hatte auf
dem Markte zu Viborg ein Ferkel gekauft. Nach Hause gekommen, zog
er es aus dem Sacke, das Ferkel war aber ganz toll, wollte immer auf-
wärts, ja, gar auf den Boden hinauf. Eine „kluge Frau" wurde um Rat
angegangen, sie sagte gleich, dass jemand das Tier mit bösen Augen an-
gesehen hatte. Das war richtig; ein Mann auf dem Markte hatte in den
Sack hineingeblickt. Dem Ferkel wurde etwas eingegeben und es wurde
wieder gesund.4) In Farsö ist ein „kluger Mann", der ein grosses Ver-
trauen unter dem Volke besitzt, er ist ein ganz ausgezeichneter Helfer,
wenn jemandes Ferkel „übersehen" worden sind. Ist das der Fall, so
stehen ihre Haare verkehrt, sie schreien ohne Unterlass, können alles,
had such urentes oculos, that he bewitched his owne cattel, sit fides pene", Aubrey, Re-
mailles of Gentilisme (1881), S. 80; „in the Highlands if a stranger looks at a cow, the
common people think that the animal will waste away from the evil eye", Ch. Notes,
Folklore, S. 257; „some are of so venomous a constitution . . . that they pierce and kill
. . . whatever creature they first set theyr eye on in the morning; so was it with Walter
Grahame, who killed his own cow . . . and shot a hair with his eyes . . . such was the in-
fection of ane evill eye", Kirk, Commonwealth of Elves (1893), S. 54; „the evil eye is still
cast upon horses and cattle and even upon children", J. of Amer. Folkl. VI, 66 (Isle of
Man), vgl. Henderson, Folklore, 189.
1) Kristensen, Folkeminder VI, 179. '248.
2) Folklore IX, 90.
3) Wigström, Folkminnen I, 142 (S.).
4) Kristensen, Sagn VII, 213. 739 (JD.).
Der böse Blick in nordischer Uberlieferung.
321
was man ihnen vorgiesst, auffressen unci werden doch nie satt. Der
Kluge schreibt ein Rezept, hängt dem kranken Tiere einen Zettel in
einem kleinen ledernen Beutel um den Hals und sie genesen.1)
Ein paar'Bemerkungen noch und ich bin mit den Tieren fertig. Der
Bettler setzt seinen Stab vorwärts und glotzt des Bauers Hund mit grossen
Augen an und er geht unberührt am Tiere vorüber.2) Sofern die Gänse
in der Begattungszeit durch böse Augen augesehen werden („slemses"),
steckt man in einen Federkiel des Gänseflügels eine Nähnadel und alles
wird wiederum gut.3)
10. Ich komme jetzt auf verschiedene Arbeiten, die in des Bauers
Heimat häufig vorfallen. Ganz im allgemeinen kann gesagt werden, dass,
wenn einer von denen, die den bösen Blick haben, irgend eine Arbeit
ansieht, sie missraten wird.4)
Zuerst das Brotbacken. Nimmer muss man einem Fremden in den
Ofen zu sehen erlauben, so lange der „schwarze Mann" nicht ausgejagt
ist, d. h. so lange der Ofen nicht zu gliihen angefangen hat. Geschieht
solches, wird das Brot missraten.5) Es sollte einst auf einem Gehöfte im
Kirchspiel Lime (D.) für die vorstehende Beerdigungsfeier gebacken werden.
Alles ging schön in Ordnung, der Teig war gegoren und die Brote sollten
eben in den Ofen gesetzt werden, als ein altes Weib zur Thür hereintrat.
Sie sah die Brote an, strich mit ihrer Hand über sie hin, „nun wünsche
ich Euch Glück", sprach sie, „zu der Arbeit!" und die Leute meinten, sie
habe dadurch die Brote „versehen". Gewiss ist, dass die Brote schön
aussahen; als sie aber aus dem Ofen genommen wurden, waren sie ganz
klitschig und ungeniessbar; sie mussten ein neues Gebäck versuchen, und
da die Alte sich wieder einstellte, wurde vor ihr die Thür geschlossen.6)
Es ist jetzt zu verstehen, dass man nimmer ein Brot mit dem angeschnittenen
Ende gegen die Ausgangsthür liegen lassen darf; es könnte von bösen
Augen gesehen werden, wodurch das Gebäck seinen Währungswert ver-
lieren würde.7)
So darf auch kein Fremder in die Küche, wenn die Hausfrau mit
Bierbrauen beschäftigt ist, zugelassen werden. Es ist geschehen, dass
eine Hexe bei dieser Arbeit eingetreten ist, das Bier wurde von Ungeziefer
1) Kristensen, Folkeminder VI, 159. 226 (D.); vgl. Folklore VIII, 118: „people said,
she had the evil eye and if she looked evilly at somebody's pigs, then the pigs would fall
ill and die" (Suffolk).
2) Kristensen, Sagn VI, 345. 955.
3) Thiele III, No. 289.
4) Cavali., Wärend I, 376 (S.).
5) Thiele III, No. 233. Kristensen, Folkeminder VI, 294. 413. J. Kamp 171, 57.
6) Kristensen, Folkeminder VIII, 292. 502; Sagn VII, 212, 736. 74, 246, vgl. Blätter
Ï. Pomm. Volkskunde III, 185: „rührt eine Frau den Kuchen ein, so darf niemand dabei
zusehen, sonst gerät der Kuchen nicht."
7) Thiele III, No. 184.
322.
Feilberg-:
erfüllt, lief in der Bierkufe umher und war ganz ungeniessbar. Wo man
das böse Auge fürchtete, wurde die Kufe sorgfältig mit einer Decke ver-
hüllt; da war das Bier geborgen; sonst konnte das Bier, so wird bestimmt
versichert, obenaus überkochen.1)
Ganz besonders scheint das böse Auge dem Buttern und allem, was
dazu gehört, gefährlich. „Niemand darf in den Milcheimer in der Zeit
zwischen dem Melken und dem Seihen der Milch der bösen Augen wegen
sehen. Meine Mutter erlaubte niemand in die Gelte zu blicken", erzählte
eine Bauernfrau. Ausserdem wird behauptet, man müsse genau darauf
achten, wenn eine Kuh, die eben gekalbt hat, das erste Mal gemolken
werden soll, dass man geschwind eine Schürze über den Eimer wirft,
damit böse Augen das erste Mass Milch nicht sehen, die Zitzen der Kuli
werden sich dami gesund halten. Im grossen Ganzen kann gesagt werden,
dass man keinem Fremden erlaube in den Milchkübel zu blicken und bei
Melken, Seihen, Buttern anwesend zu sein.2) Dem Angeführten entsprechend
lieisst es aus Norwegen, dass, wenn der Kübel über den Hofraum getragen
wird, deckt man ihn mit einer Decke zu oder mit einem männlichen
Kleidungsstücke, Kittel, Hose, Schurzfell u. s. w.8)
Wo es dennoch geschieht, dass jemand unversehens, wo gebuttert
wird, eintritt, muss er über die Thürschwelle hineinspringen, damit er die
Butter nicht wegnehme.4) Im Kirchspiel Kjermind (D.) war eine alte
Frau, Kok-Stine genannt, die so ungewöhnlich dick war, dass man sie
leichter rollte als schob. Sie ging überall hin Milch betteln, und niemand
durfte ihr Milch- oder Buttergefäss anzublicken erlauben. „So stand ich",
erzählte die Bäuerin, „eines Tages mit Buttern beschäftigt, da die Mutter
ausrief: „Da kommt ein böses W'eib, achte darauf, dass es nicht ins Butter-
gefäss hineinblicke!" Ich hatte mich doch nimmer um solches gekümmert
und blieb ganz ruhig bei meiner Arbeit. Die Alte trat ein, erhielt ein
bisschen Milch, stand einen Augenblick uns anblickend da; arri Ende trat
sie ans Buttergefäss hin: „Ich muss wohl ein wenig das Gefäss anfassen,
dass ich nicht, wie du wohl fürchtest, deine Butter wegnehme!" Sie
wusste ja genau, was man von ihr glaubte, stampfte ein paar Mal mit dem
Butterstiele, womit sie die Butter von sich schob und konnte uns nichts
7 S.
nehmen. Ich erhielt auch Butter augenblicklich."5)
1) Kristénsen, Sagn VII, 74, No. 246; 212, No. 735. 737; Folkeminder IX, 73. 773.
2) Kristensen, Folkeminder VI, 291. 376; Sagn VII, 302. 1145. J. Kamp 212, 188;
vgl. Gr. Myth. III4 451. 503: zum Kuhmelken lasse man niemand Fremdes in den Stall.
3) Liebrecht, Volkskunde 318, 45, vgl. Wuttke, Aberglaube, No. 706: Trägt man ein
Milch- oder Buttergefäss, leer oder gefüllt, über die Strasse, so bindet man eine Schürze
darüber oder bedeckt sie sonstwie, weil sonst böse Leute hineinsehend es behexen oder
der Kuh die Milch nehmen können; No. 709: Die Butter darf man nur verdeckt über die
Strasse tragen, sonst kann ihr etwas angethan werden.
4) Kristensen, Folkeminder VI, 291. 377.
5) Kristensen, Folkeminder VI, 181. 251; Sagn VII, 212, 736; vgl. Bartsch, Sagen II,
136. 599: Wer schielt, „kein gut Auge hat", darf nicht beim Buttern zugegen sein, sonst
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
323
Es folgt hieraus auch, dass alle Gerätschaften, die zum Buttern ge-
hören, wenn sie nicht benutzt werden, so hingestellt werden müssen, dass
sie niemand sieht, denn alles kann durch Hexen verzaubert werden, wo-
gegen man nichts vermag, ohne alles von neuem wieder anzuschaffen.1).
Natürlich kann man sich, wenn man solches versteht, an der Hexe rächen:
ist es unmöglich vom Rahme Butter zu erhalten, wird eine Tasse voll
über das Feuer gesetzt, darin entdeckt man das Bild der Hexe, die mit
bösen Augen den Rahm ansah.2) Kennt man den Übelthäter, so hat man
Mittel genug ihn zu strafen.
Es giebt auch andere häusliche Arbeiten, die durch das böse Auge
vernichtet oder wenigstens gestört werden können. In alten Zeiten (es
ist mir solches aus der Kindheit erinnerlich) benutzte man kleine eiserne
oder thönerne Lampen mit Unschlitt oder Thran gefüllt und mit Docht
vom Marke einer Binsenart (Juncus conglomeratus oder effusus), die von
dem Boden herabhängen. Bei festlichen Gelegenheiten wurden Lichter
gegossen. So geschah es einmal, dass sie in Dagbjärg (I).) mit dieser
Arbeit beschäftigt waren, die Mutter hatte ein kleines, thönernes Butter-
fass, das aber zum Lichtergiessen nicht zu brauchen war, dazu war immer
ein hölzernes Butterfass, das nachher rein gemacht werden konnte, nötig.
So waren denn die Leute mit dieser Arbeit im vollen Gange, der ge-
schmolzene Talg im Butterfass, in welchen die Dochte getaucht wurden,
und der Talg hatte begonnen die Dochte wohl anzufassen, da trat ein
Mann aus Engedal hinein, sah die Arbeit an und verliess uns wieder.
Jetzt war es aber mit dem Lichtergiessen vorüber, der Talg sammelte
sich in Klumpen an den Dochten, nichts war zu tiran, wir mussten alles
wieder abkratzen und von vorn anfangen, dann erst wurden wir damit
fertig.3)
Dass Hexen durch ihren bösen Blick ein Gewebe in Unordnung
bringen können, ist schon besprochen worden.4)
Im Jägeraberglauben hat das Auge auch eine Rolle gespielt; bei uns
ist davon nur wenig aufgezeichnet worden. Wollten die Jäger ohne den
alten Schützen auf die Jagd gehen, war es ihm immer genug, ehe sie den
Edelhof verliessen, sie anzusehen, sie würden dann höchstens einen einzigen
Fuchs den ganzen Tag schiessen können.5) Ein Jagdgewehr kann „gebunden"
bekommt man keine Butter; sieh noch Wuttke No. 708. Folklore Journal VII, 281: she
cast a quick glance on the churn and without speaking another word, rushed from the
house. The cream was churned all that day into night and all the next day, but no
butter was got (Skotl.); Mélusine Y, 295 aus Schottland, Frankreich, Pendschab; Black,
-Folk Medicine, 22 (Schottl.).
1) J. Kamp 211. 187.
2) Skattegr. X, 28. 61.
3) Kristensen, Folkeminder YIII, 291. 499.
4) Vgl. Aminson YIII, 110.
5) Kristensen, Sagn YI, 245. 724 (D.), vgl. Folklore II, 244 (Finnland).
324
#
Feilberg:
werden, wenn jemand, mit der Hand seine Geschlechtsteile anfassend, das
Gewehr, womit ein anderer zielt, starr anblickt, dann geht der Schuss
nicht los.1) Auf ähnliche Weise verhält es sich mit dem Fischfang;,
sieht ein böses Auge das Netz, wird nichts gefangen.2)
Und Hexen können noch mehr Böses ausrichten. Es war die Yacht
Helgesen, die nach Island bestimmt schon mehrere Tage fertig zur Abreise
lag. Jeden Morgen kam aber ein altes Weib, das man als Hexe ansah,
aus ihrer Thür und betrachtete eine Weile das Schiff, was ja genug war,
um Unglück über dasselbe zu bringen. Das Schiff musste am Ende fort,
obschon das Weib auch am Tage der Abfahrt es mit ihren bösen Augen
angestarrt hatte. Nimmer wurde von ihm später gehört, es ging, wie man
sagt, mit Mann und Maus unter.3)
11. Auch an leblosen Gegenständen vermag das böse Auge seine
Marke zu hinterlassen. Ein Weib, das im Verdacht eines bösen Auges
war, kam einst zu dem „Klugen", Christen Spielmann- Einer Hexe kann
auch etwas übel geraten. Um sicher zu gehen, brachte er sie dazu, in
einen Spiegel zu sehen. Da sie wieder ihre Augen wegkehrte, fanden
sich an der ^Oberfläche zwei dunkle Flecke, die man vergeblich wieder
abzuputzen versuchte.4)
Ein ergötzliches Beispiel der Macht des bösen Auges aus der Heimat
unserer alten Stammgenossen in Yorkshire muss mir erlaubt sein, mit-
zunehmen. Im 19. Jahrhundert wurde ein Yorkshire-Farmer als schuldig
am Absterben eines Birnbaumes angesehen. „Sieh mal, Herr!" sagte der
Erzähler, „sieh mal den Birnbaum dort! Yor wenigen Jahren war es ein
grüner, fruchtbarer Baum. Es ist aber die Sitte des Besitzers, dass er
jeden Morgen, sobald er seine Thür öffnet, den Baum dort ansieht, damit
er keinen vorübergehenden Fremden anblicke, und jetzt, sehen Sie, der
Baum ist gestorben."5)
Ja, sonderbar genug! während in Dänemark der Glaube an den bösen
Blick auch in den finstersten Winkeln kaum zu finden sein möchte, wird
aus England behauptet, dass derselbe bis über die Mitte des 19. Jahr-
hunderts auch unter Gebildeten sich erhalten habe. Geschah es doch, dass-
wenn Mr. Hawker, ein Geistlicher, einem Menschen mit einer besonderen
Pupille, zu einer Zeit licht und hell, zu anderer durch ein Häutchen ver-
1) Kristensen, Folkeminder IX, 75. 793.
2) Säve, Hafvets Sagor, 20.
3) Kristensen, SagnVII, 213. 742.
4) Kristensen, Sagn VII, 213. 740—41 (D.).
5) Black, Folkmedicine, 22. Hartl. u. Wilkinson, Folklore, 69; vgl. Folklore VIII, 11:
,If you plant a tree or trees, and you are very anxious that they should thrive . . . you
must not look out of the window at them on an empty stomach. There is a blasting
influence in your eye . . . the explanation is: a hungry man looking on the trees, they
thereby become sympathetically starved.
Der böse Blick in nordischer Uberlieferung.
325
dunkelt, oder mit einer doppelten Pupille mit zwei Ringen (ringed twice)
oder mit dem linken Auge grösser als dem rechten, begegnete, er nimmer
vergass, den Daumen in die bekannte Stellung zwischen dem Zeige- und
Langfinger, um dem Übel abzuwehren, zu setzen.1) Ich kann mir auch nicht
eine Mitteilung aus Schottland versagen: viele Personeil, besonders rothaarige
Weiber haben den bösen Blick; alle Tiere, die Esel ausgenommen, ja
selbst Kinder werden dadurch geschädigt (blinked): sie zehren hin und
sterben.2)
12. Wie entgeht man der Einwirkung des bösen Auges? Alle ab-
wehrenden Mittel sind gewiss den heilenden vorzuziehen. Man deckt ent-
blösste Stellen seines Körpers zu. „Dem bösen Auge entgeht man am
besten, wenn man seinen Hals mit einem Tuche zudeckt." Tritt eine
verdächtige Person zur Thür herein, wirft man geschwind ein Tuch über
das Kindlein oder man bedeckt sein Lager.3) Es entspricht dieses der
pommerschen Sitte: man stelle die Wiege nie so, dass die Blicke der in
das Zimmer tretenden Personen direkt auf das Kind fallen können.4) Wie
man sich durch die Decke gegen das böse Auge wehrt, so kann eine
Decke über die schädigende Person geworfen (wovon schon ein paar
Beispiele gegeben sind), der bösen Wirkung steuern.
Wo man aber den bösen Blick fürchtet, wehrt man sich auf ver-
schiedene Weise. Das südeuropäische „Fica"- oder „Hörner" - Zeichen
kenne ich aus dem Norden durchweg nicht, ich habe wenigstens niemand \
angetroffen, der etwas davon wusste. Dagegen scheint man die rote Farbe
als abwehrende zu kennen. Ganz deutlich sind die Mitteilungen jedoch
nicht. Einer Bauernfrau, die sehr Bezauberung fürchtete, wurde von der
vielberühmten „klugen" Windbläsfrau der Rat erteilt, sie solle eine Brille,
von welcher ein roter Faden hänge, tragen (D.). Aus Schonen heisst es,,
dass, wenn eine Kuh durch das böse Auge bezaubert sei, müsse man
weisse und rote Korallen samt „Höllensamen" unter das Pflaster des
Standes im Stalle hinlegen; dann werde das Tier wieder gesund.5) Noch
wird gesagt, dass, wenn eine geheime Hure die entblösste Brust einer ,
schwangeren Frau oder eines neugeborenen Kindes sehe, erhalte das Kind
„Höre - Skerfvan" (Huren - Skropheln); darum tragen alle verheirateten
Frauen nach alter Sitte Halsketten, wie man um den Hals eines Kindes
1) Black 22.
2) Folklore VIII, 16 (Innishoven).
3) Skattegr. VII, 51, 188. Kristensen, Sagn IV, 580, 09; 615, 18.
4) Urquell VI, 173.
5) Kristensen, Sagn VII, 229, 882—83. Wigström, Folkminnen I, 142, vgl. red coral
was among the Romans, as among ourselves, tied round the neck of infauts to protect
them from the evil eye ... A piece of red, worsted thread round the cows' tails . . .
secured the cattle from the evil eye, Black, Folk-Medicine, S. 22. 112.
326 Feilberg:
immer einen wollenen Faden bindet.1) Es fehlt hier, wie man sieht, die
genauere Beschreibung des Amulets und der Farbe.
In der roten Farbe hat man seit dem Mittelalter oder wohl gar früher
Hilfe gegen Krankheit und Schmerz gesucht; sie ist ja übrigens, sonderbar
genug, durch Finsens Entdeckung des heilenden roten Lichtes bei Kinder-
blattern zu Ehren gekommen. Mit dieser Farbe mag auch das Holz der
Eberesche in Verbindung stehen, und so erzählte ein alter Mann aus Jüt-
land, dass sein Yater immer ein Stück Holz von einer wilden Eberesche
aus Furcht vor den bösen Augen seiner Nachbarfrau in der Binde seiner
Hosen eingenäht hatte.2) Ein sicheres Mittel ist auch der Hexe das Blut
ablassen. Muss ich annehmen, dass jemand den bösen Blick habe, so
time ich am besten, wenn er mir auf meinem Felde entgegentritt, ihn zu
schlagen bis er blute.3)
Unter die Abwehrmittel gehört auch das Feuer. Eine Bettlerin, die
mit der empfangenen Gabe unzufrieden war, kam am Stalle des Gehöftes
vorüber, öffnete die Thür und starrte mit bösen Augen das Yieh an. Am
nächsten Tage war jedes Stück Yieh krank. Da der Bauer gleich begriff,
woran die Schuld lag, setzte er der Hexe nach und bewog sie für schönes
Geld mit ihm zurückzukehren. Wieder am Hause angelangt, ergriff sie eine
Feuerschaufel mit glühenden Kohlen angefüllt und stiess dieselbe mit
solcher Gewalt in die Mäuler der Tiere, dass das Blut floss, wonach sie
gleich wieder gesund wurden. Ist ein Mensch von bösen Augen versehen,
so schlägt man mit Stahl und Stein Feuer über ihn. Ist ein Besuchender
des bösen Auges verdächtig, kann es geschehen, dass man dem Weggehenden
Feuer nachwirft (S.). 4)
Damit ein Kind auf keine Weise vom bösen Blicke versehen werden
könne, muss man eine Katze über der Wiege schwingen, was so geschieht.
Man erfasst die Katze an den Beinen, darnach schwingt man sie hin und
her, bis man sie gewaltsam auf den Platz des Kindes in der Wiege hinab-
wirft. Es ist nämlich unmöglich auf andere Weise sie dort einige Augen-
blicke ruhig zu erhalten; das Kind ist dann sicher.5)
Ist das Kind von einer Hure versehen worden und hat Skropheln
I bekommen, so wird es gesund, wenn man die erste beste Gelegenheit
benutzt, ihr den Hintern des Kindes zu zeigen. Hiervon kann eine Ge-
schichte erzählt werden. Ein Erwachsener kann vom Wolfsblick getroffen
werden („blive ulvesét"), ein Kind vom Hurenblicke („blive skjögeset"),
wenn die Hure des Kindes entblössten Kopf oder die Sohlen seiner Füsse
oder die nackte Brust der Mutter sah. Am besten ist, wenn man in
1) Cavali., Wärend I, 378.
2) Kristensen, Folkemiüder VIII, 265. 451.
8) Kristensen, Folkeminder IX, 13. 116.
4) Kristensen, Sagn VII, 214, 743. 733. Hazelius Y, 37.
5) Kristensen, Folkeminder VI, 255, 31.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
327
solchem Falle der Hure den blossen Hintern des Kindes zeigen kann.
Ein betrogenes Mädchen wohnte mit seinem Kinde in einem Dörfchen
Jütlands, und mit dem Wickeln des Kindes beschäftigt, entdeckte sie
ausserhalb des Fensters ein berüchtigtes, etwas loses Weib. „Ach, was
ist jetzt zu thun?" sagte das Mädchen. Die alte Frau, die innen am
Webstuhl sass, antwortete: „Gieb mir geschwind dein Kind!" Dem ein-
tretenden Weibe hielt sie den Hintern des Kindes entgegen: „Schau ihm
mal zuerst in den blanken Arsch, nachher kannst du sein anderes Ende x
ansehen!"1)
13. Jetzt komme ich zu den H eilungen, die auf verschiedene Weise
herbeigeführt werden können. Eine Anweisung lautet: ist ein Kind „skjö-
gesét", so muss man, wo möglich, sich das Manns- oder Frauenhemd des
Übelthäters ohne sein Wissen verschaffen, in diesem Hemde muss das
Kind schlafen und wird dann wieder heil.2) Auch ist mir bekannt, dass
ein solches krankes Kind mit der Hand eines Toten gestrichen worden ist.
Demnächst bespreche ich eine Reihe Mittel, die wohl unter die Vor-
stellung von einer bildlichen Wiedergeburt zusammengefasst werden können,
obwohl auch der Gedanke an Abstreifen oder Uberführung des Übels auf
andere Gegenstände die Vorstellung mit beeinflusst haben mag. Ein Mittel,
■das mit kranken Kindern auch unter solchen Umständen benutzt wird,
ist, das Kind lebendig zu begraben und wieder aus dem Grabe auf-
zunehmen, wodurch doch wohl ohne Zweifel ein Absterben und eine Auf-
erstehung bezeichnet wird. Ein Paar von den ausführlichsten Gebräuchen
führe ich an. Ist ein Kind durch den Blick einer Hure getroffen, schneidet
man aus einem neuen Grabe drei Rasenstücke, stellt zwei lotrecht, das eine
wagerecht über die beiden lotrechten, so, das ein Loch gebildet wird: j~ï-
Das kranke Kind wird gewöhnlich nach Sonnenuntergang oder vor Sonnen-
aufgang nackt, den Kopf voran, mit der Sonne, schweigend, durch dies
Loch dreimal gezogen. Ist dies vorüber, nimmt die Mutter ihr Kind, trägt
es dreimal um die Kirche, die Kirchenthür jedesmal anrührend. Nach
Hause gehend darf sie nicht durch das Pförtchen des Friedhofs gehen,
sondern muss mit ihrem Kinde über die Umwallung klettern und zu Hause
gekommen nicht durch die Thür gehen, sondern das Kind durch das Fenster
hineinbringen. Ein einzelnes Rasenstück mit Loch an einer Kreuzscheide,
o '
wo die Felder von vier Eigentümern zusammenstossen, gegraben, kann
.auch gute Dienste thun.3) Andere äquivalente Mittel sind: das Kind durch
ein Messgewand oder ein Kumtkissen zu ziehen. In einer Erzählung sagt
<der Kranke, dass er fühlte, als er durch das Kissen gezogen wurde, wie
das Übel „unten aus ihm wegglitt", und er wurde gleich gesund.4)
1) Kristensen, Folkeminder VIII, 328, 558. Thiele III, No. 492.
2) Jydske Saml. III, 94.
8) Jydske Saml. I2, 55. III, 94. Kristensen, Sagn IY, 580, 09.
4) Skattegr. VII, 39, 90. Kristens , Folkem. VIII, 328; vgl. unsre Ztschr. II, 81. VII, 42.
328 Feilberg:
<te>
Noch andere Heilmethoden geben auf Getränke, die der versehene
Mensch einnehmen muss, Anweisung-. Ist jemand vom bösen Blicke ge-
troffen, muss er zu einer Brücke, über welche gute und böse Menschen
schreiten, hingehen und drei Tage nacheinander von dem fliessenden
Wasser unter der Brücke trinken.1) Das lässt sich hören, schwieriger
aber scheint das andere Mittel für gewöhnliche Menschen zu benutzen,
ist ein Kind von einem bösen Menschen versehen worden, pisst die Mutter
in ihren rechten Schuh und lässt ihr Kind am Morgen dreier Donnerstage
daraus trinken, so wird es gesund.2) In Schweden muss der linke Schuh
der heimlichen Hure herbeigebracht werden, woraus das Kind trinken
muss.3) Eine ausführliche Anweisung ist aufgezeichnet worden und lautet:
„Ist das Kind vom Blicke einer Hure getroffen, so nimm einen Fingerhut
voll Milch und mische einen Tropfen von deinem eiguen "Wasser darunter.
Du musst dir demnächst den rechten Schuh dessen, welcher dir verdächtig
ist, zu verschaffen suchen, gieb dem Kinde daraus an einem Sonntag- oder
Donnerstagmorgen zu trinken, aber vor dem Aufgang der Sonne. Du
musst zugleich das Kind an diesen drei (!) Morgen in einem langen weissen
Tuche wägen. Ist das ausgerichtet, so knüpfe drei Knoten in ein Tuch
und wirf es vor den Hund, nimm es wieder fort und lege es, wie es ist,
unter die Fiisse des Kindes, bis es am anderen Morgen wieder benutzt
wird. In selbigem Kleide musst du den Hund an denselben Tagen wägen."
Hier ist die Aufschrift dunkel, die Fortsetzung ist wohl auch ziemlich
überflüssig, nur sei bemerkt, dass die Brust des Kindes zuletzt mit Pflaumen
gerieben werden muss und mit einem Stück Papier von einem Zuckerhute
gedeckt.4)
Man kann auch von elbischen Wesen Hilfe erwarten, wenn man die
Sache versteht. Hat ein loses Weib das Haus besucht und muss man
Krankheit (Skropheln) fürchten, so geht man an die See und spricht dreimal
zu der Seefrau (ihr Ruf ist ja eben nicht der beste): „Ich bitte um Wasser
für mein krankes Kind als Heilmittel gegen Magenskropheln („Magskäver"),
Gliederskropheln („Ledskäver") und alle Arten von Skropheln („Skäver").
Der Seefrau, verstehst du ja wohl, darf man nichts sagen, das anzüglich
sein könnte.5) Hat man seinen Eimer gefüllt, so dankt man der Seefrau
und badet das Kind im heimgetragenen Walser; auch kann man ihm
davon 9 Tropfen eingeben, weiss man nicht gewiss, an welcher Art Skropheln
das Kind leidet.
1) Vgl. Folklore VIH, 92: draw water between sunset and sunrise from a stream
crossing a public road, which has been passed over by the living and the dead (Schottl.)r
Mittel gegen dasselbe Übel.
2) Kristensen, Folkeminder VI, 364, 100 (D.).
B) Jonsson, Möre 7. Cavali., "VVärend I, 402.
4) J. Kamp 366, 1119.
5) Man nennt darum nicht ..Hurenskropheln".
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
329
Hat man nicht voraus versucht, das Kind gegen die üblen Folgen
von loser Weiber Besuch zu schützen, indem man ein Loch in ein Dielen-
brett in der Nähe der Thürschwelle gebohrt, mit Wasser von der Seefrau
erbettelt, gefüllt hatte, so muss man solches thun, wenn man das letzte
Mal Wasser gegen Skropheln bettelt. Man bewahrt in diesem Bohrloch
so \riel von dem Wasser auf, dass man dem Kinde davon dreimal 9 Tropfen
eingeben kann.*)
Giebt es inwendige Mittel, so giebt es auch auswendige, um die Macht
des bösen Auges zu lähmen: man muss um 12 Uhr auf einem Kreuzwege
drei Messerspitzen voll Erde aufsammeln, dieselben in einen Lappen ein-
genäht um den Hals des Kindes binden und es damit schlafen lassen. Man
führt auch das Kind in der Mitternachtsstunde in die Kirche und bindet ihm
Sand, dort vor dem Altar aufgesammelt, in einem Säckchen um den Hals.2)
Nachträglich füge ich noch hinzu, dass in Schottland eine kleine,
herzförmige Brosche nicht ungewöhnlich an einem der Unterröcke, meistens
hinten, zur Abwehr des bösen Auges getragen wurde. Leidet ein Kind
an einer zehrenden Krankheit, so wird das Übel oft der Macht des bösen
Auges angerechnet. Yor Sonnenaufgang wird es zu einem Grobschmied
von der 7. Generation gebracht und nackt auf den Amboss gelegt. Der
Schmied erhebt seinen Hammer, als ob er auf das glühende Eisen schlagen
wollte, führt ihn aber ganz leise über den Körper des Kindes herab. Ist
dies dreimal gethan, wird das Kind von der Stunde an gesund. In dem
nordwestlichen Schottland benutzt man unter solchen Umständen silbernes
und goldenes Wasser. Ein Schilling und ein Sovereign werden ins Wasser,
womit das Kind bespritzt wird, geworfen.3) Die Macht des bösen Auges
bei einem Menschen wird, wenn man ihm nüchtern dreimal ins Gesicht
spuckt, vernichtet.4)
Eine vereinzelte Bemerkung, mit welcher ich nichts anzufangen ver-
mag, sei endlich hinzugefügt. Es wird von Kristensen erwähnt, dass man,
wenn eine Kuh eben gekalbt hat und das erste Mal gemolken wird, ge-
schwind eine Schürze über den Eimer werfen muss, damit weder Sonne
noch anderes Licht, noch böse Menschenaugen es treffen mögen.6) Wie
das aufzufassen ist, weiss ich nicht. Ist die Sonne als Auge eines Gottes
aufgefasst? Vgl. Grimm, Myth.2 665, Tylor, Anf. d. Civilis. I, 345. 1st.
dieser Fall damit zusammenzustellen, dass der Troll vom Auge der Sonne
getroffen in Stein verwandelt wird, ein Motiv, das in nordischen Sagen
und Märchen überaus häufig vorkommt?
1) Wigström, Folktro ocli Sägner, 185, 440. (S.)
2) Kristensen, Sagn IV, 580, 09. Skattegraveren VII, 39, 89.
3) W. Gregor, Folklore of the N. East of Scotland, S. 8. Henderson, Folklore of the
N. Countries, 187.
4) Black, Folk-Medicine, 184.
5) Kristensen, Sagn VII, 302, 1145.
330
Feilberg: Der böse Blick in nordischer Uberlieferung.
Indem ich hiermit schliesse, bleibt die Frage zurück: ist hier alles
Phantasie und Einbildung, oder sollte eine Wirklichkeit, eine Realität
dieser Vorstellung zu Grunde liegen? Einer meiner Universitätslehrer,
der längst verstorbene Professor Forchhammer in Kopenhagen, trug in
einer seiner Vorlesungen den Satz vor, das Volk nimmt richtig wahr,
deutet aber die gemachte Wahrnehmung sehr oft phantastisch. Ist das
wahr, wie ich glaube, so dürfte unter diesem Aberglauben eine wirkliche
Observation von der Gewalt des scharfen Blicks eines Auges sich bergen.
Bekannt genug ist es ja, dass man-den bissigen Hund durch festes An-
blicken fern von sich halten kann.
Es scheint ebenso eine allgemeine Wahrnehmung, dass Raubtiere und
Schlangen eine gewisse Macht durch ihren Blick auf ihre Beute besitzen.
Auch sind in den letzten Jahren unter den vielen Versuchen, die sich
mit der Ergründung von Suggestion und Hypnotismus beschäftigt haben.
Verhältnisse sehr sonderbarer Art entdeckt worden, die einigermassen er-
klären oder doch begreiflich machen können, wie das Volk eine Theorie
wie die von dem bösen Blicke ausbilden konnte. Ist einmal ein solches
Motiv heimisch im Volksglauben geworden, so wird es immerfort wuchern
und neue Sprossen treiben. Das Schauspiel des norwegischen Dichters
IL Ibsen, „Fruen fra Havet" wird allen bekannt sein. Sie ist glücklich
verheiratet, - auf einmal erscheint ein Fremder, sein Wesen, seine Stimme,,
besonders aber sein Blick lähmt, bezaubert sie, wie der Blick der Schlange
das erschrockene Vögelein. Es dürfte von ärztlicher Seite mehr als eine
Schrift, die Fascinationen dieser Art schildern, vorliegen; ich kann hier
auf einen ähnlichen Fall, von Prof. Preyer in seinem Buche: Ein merk-
würdiger Fall von Fascination (1895) geschildert, hinweisen. Seine Heldin
heisst, wie Ibsens, Ellida, die mit einem braven Manne verheiratet ist.
Hier erscheint auch ein Fremder, der sie mittels Drohungen, Heftigkeit,
Stimme, besonders aber durch seinen Blick, den „Tigerblick" bezwingt.
So oft sie dieser Blick traf, wurde sie, obschon völlig wach, Automat,
fahl, blass, ihre Gesichtzüge erstarrten, ihre Hände wurden kalt, das Reden
wurde ihr schwierig. Mit eingedrückten Ellenbogen und vorgestreckten
Händen folgte sie ihm wider ihren Willen — und doch liebte sie ihren
Mann und ihr Kind.
Sollten nicht ähnliche Fälle, die einst wahrgenommen worden sind,,
bei primitiven Völkern den Glauben an den Zauber des bösen Blicks
haben entstehen lassen?
• Askov bei Vejen, Jütland.
(Die Beilagen folgen im 4. Heft.)
Zachariae: Kleine Mitteilungen.
331
Kleine Mitteilungen.
Und wenn der Himmel war Papier.
Reinhold Köhler hat in zwei Aufsätzen (wiederholt in seinen Kleineren
Schriften III, 293—318) die dichterische Formel „Und wenn der Himmel war
Papier" in verschiedenen Gestaltungen und Anwendungen durch eine grosse Zahl
von Litteraturen hindurch verfolgt. Ich gestatte mir hier einen kleinen Nachtrag
zu geben, auf die Gefahr hin, dass das, was ich anzuführen habe, unter den Nach-
trägen Köhlers vorkommt, die sich seit dem Jahre 1892 in Budapest befinden und
von dort nicht zurückzuerlangen sind (s. diese Zeitschr. XI, S. 95 f.).
Philipp Baldaeus behandelt in seinem Buche über Indien (Beschreibung
der Ost - Indischen Küsten Malabar und Coromandel u. s. vv., Amsterdam 1672)
S. 467 ff', die zehn Verwandlungen oder Altare (skr. avatära) des Gottes Visnu.
Seinen Bericht über den achten Altar, d. h. die Verwandlung des Visnu in den
Krsna, schliesst er auf S. 550 mit folgenden Worten:
„Die Heyden bezeugen einhälliglich | wann schon das gantze Meer Dinten
wäre I die gantze Erde Papier | und alle Einwohner in hundert tausend Jahren
nichts anders tähten dann schreiben | tag und nacht | so wäre es nicht möglich [
alle Wundertahten Kisna in Schriften zu verfassen I die er allein in Zeit von
hundert Jahren verrichtet hat | in der dritten Weltzeit | Duapersinge genant | welche
gewähret hat acht hundert vier und sechzig tausend Jahr."
Man beachte, dass bei Baldaeus nicht der Himmel, sondern die Erde als
Papier gedacht wird. Vgl. dazu Köhler a. a. O. S. 298. 303f.
Die hundert tausend Jahre bei Baldaeus erinnern an die Tausende von Welt-
altern in der Väsavadattä des Subandhu: sieh Benfey bei Köhler S. 306f.;
eine metrische Fassung der Väsavadattästelle habe ich mitgeteilt in der Guru-
püjäkaumudi (Festgabe zutn fünfzigjährigen Doktorjubiläum Albrecht Weber dar-
gebracht von seinen Freunden und Schülern, Leipzig 1896) S. 39.
Zu der aus Baldaeus angeführten Stelle findet sich auf S. 550a folgende Rand-
bemerkung: „Desgleichen wird von Christo Jesu auch bezeuget | Joh 21: 25. von
welchem also diese Heyden ohne zweifei etwas müssen gehöret haben."
Die Stelle im Evangelium Johannis 21, 25 lautet: „Es sind auch viele andere
Dinge, die Jesus gethan hat, welche, so sie sollten eins nach dem andern ge-
schrieben werden, achte ich, die Welt würde die Bücher nicht begreifen, die zu
beschreiben wären."
Wie Baldaeus, so giebt auch 0. Dapper in seinem Buche: Asia | Oder: Aus-
führliche Beschreibung Des Reichs des Grossen Mogols Und eines grossen Theils
Von Indien | Nürnberg 1681, S. 58 ff. eine Darstellung der Verwandlungen oder
leiblichen Erscheinungen des Visnu. Diese Darstellung ist, wenn ich recht sehe,
zu einem grossen Teile aus Baldaeus abgeschrieben. Den aus Baldaeus S. 550
angeführten Worten entspricht folgende Stelle bei Dapper S. 102 ziemlich genau:
„Und obgleich | wie die Brahminen bezeugen | alle Seelen zu Dinten | der
ganze Erdboden zu Papier | und alle Innwohner 100 000. Jahr Tag und Nacht un-
ausgesetzt schreiben würden | so wäre es doch unmöglich | alle Wunderwerke des
Kisnas | die er in der Zeit seiner Regierung von 100. Jahren auf Erden verrichtet,
j zu beschreiben."
„Seelen" bei Dapper Druckfehler für „Seeen" (?).
Halle a. d. S. Theodor Zachariae.
332
Schütte:
Das Hänseln im Brannschweigisclien.x)
Seitdem die Gesangvereine sich auf dem Lande gebildet haben, hat man in
den meisten Ortschaften von der alten Sitte des Hänseins abgelassen und giebt
nur etwas zum besten, wenn man in einen Verein eintritt. Wo aber das Hänseln
noch stattfindet, sind meist die früheren Bräuche aufgegeben, man begnügt sich
mit Trinken und dem Gesänge von Soldatenliedern. Das war früher anders.
Man muss sich wundern, welch grosse Fülle studentischer Lieder auf den Dörfern
bekannt gewesen ist :
Ich nehm' mein Gläschen in die Hand. (Der erste Vers dieses Liedes,
das in den Breslauer Burschenliedern steht, fehlt auch im all-
gemeinen deutschen Kommersbuche).2)
Lasset die feurigen Bomben erschallen.
So leben wir.
Der Papst, der fährt nach Rom. (Eine Umwandlung des bekannten
Liedes vom Abt von Philippsbrunn.)
Ihr Brüder, wenn ich nicht mehr trinke.
Trinkt, Brüder, trinkt.
Ein lustiger Bruder weiss immer noch Rat.
Bald tanz' ich.
Europa hat Ruh'.
Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren?
In einigen Ortschaften sang man besondere Lieder. In Volkmarsdorf be-
kamen vor dreissig Jahren die Enken beim Hänseln, für das auch die Ausdrücke
„Einkaufen, Bengeln und Hulligen" gebraucht wurden, einen Hut aufgestülpt, ein
Glas Bier in die Hand, und dann sang man im Anklänge an den Landesvater:
„Der tolle Hut, Ein Hundsfott, der uns schimpfen thut.
Der steht dir gut, Die Hasen, die da laufen,
Den thu ich dir aufsetzen Die Burschen, die da saufen,
Und mich daran ergötzen. Die Mädchen, die da haben das Geld,
Mein Bruder, sauf nur zu! Die brauchen wir auf dieser Welt.'-
Darauf redete der Altknecht den Enken an: „Mein Sohn, wenn du auf Wache
kommandiert wirst, musst du aussehen wie ein Bär, Rotz von der Backe, Haare
unter dem Tschako, und als wenn du zehn Teufel gefressen hast zum vi zum
vallera. Nun, mein Sohn, setz an! Aus, aus, aus!"
In Lamme ging man, nachdem in der Wirtsstube getrunken war, auf die
Däle, auf die der Schlachtetisch gesetzt war. Auf diesen mussten sich die Enken
einer nach dem andern mit dem Leibe legen, der Kopf wurde niedergehalten und
sie kriegten die „Britze Bratze". Vorher aber begann der Altknecht zu singen
und alle stimmten ein, indem sie die Mützen abnahmen:
„'rein, 'rein, 'rein! Dafür soll er die Pritsche hân
Es fehlt der letzte Mann, Vom Hacken in den Nacken,
Der hat uns was zu Leide gethan, Dat Arschlock sali ne smacken!"
Wer sofort nach dem Gesänge die Mütze nicht wieder aufsetzte, bekam die
Pritsche wieder.
1) Vgl. R. Andree, Braunschw. Volkskunde, S. 286 und Braunschw. Magazin 1898,
S. 197 und 1899, S. 31.
2) [Vgl. Hoffmann v. Fallersleben, Unsere volkstüml. Lieder. 4. Auflage von Prahl.
Leipzig 1900. S. 139.]
Kleine Mitteilungen.
333
In Gross-Dahlum, wo das Hänseln in früherer Zeit an dem 6. Januar statt-
fand, sang man neben dem Fürsten von Thoren auch:
„Hier sitzen die drei Könige mit ihrem Stern,
Sie fressen und saufen, bezahlen nicht gern.
Schneebellje Quadrille,
Charmante Margret,
Schöne Spielewerke
Und schöne Rarität."
In Harvesse, wo man auch heute noch häufig gleich auf dem Felde beim
Roggenmähen hänselt, indem man beim Mähen an dem zu Hänselnden vorbei und
um ihn herum mäht, so dass er wie ein begossener Pudel in der Mitte steht,
singt man:
„Ins versoffene Lager ziehen wir,
Da giebt es hübsche Mädchen, Wein oder Bier.
Unsre ganze Gesellschaft, die soll leben.
Das geschieht dem Herrn zu Ehren.
Der Herr soll leben vivat hoch."
"Wenn der Enke sein Glas Schnaps, den er selbst hatte holen müssen, aus-
getrunken oder einen grossen Schluck aus der Flasche genommen hatte, sang
der Chor:
„Dass du, mein Bruder, gut saufen kannst,
Das sieht man dir an der Nase an,
Du hast einen guten Meister gehabt,
Der dir das Saufen gelernet hat."
In Rautheim, wo sich der Gehänselte am Schlüsse mit den Worten bedankte:
„Ik bedanke mik for de ganze Gesellschaft un den guen Willen", stimmte man
dreimal hintereinander das Lied an:
„Prost, Bruder, prost!
Morgen kommt der Trost.
Morgen kommt der Mann von Celle,
Bringt den Beutel mit dem Gelle,
Prost, Bruder, prost!"
In Engelnstedt sang man in der Weise des kirchlichen Absingens beim
Hänseln einen Wechselgesang. Der Altknecht fing an und ein anderer antwortete:
,,a) Peiter Christian, bist du nicht mein getreuer Knecht?
b) Was bin ich schuldig für den Rest?
a) Geh hin zu den Bauern und sag', sie möchten uns schicken ein "Vergnügen.
b) Ja, die Bauern haben sich ganz anders bedacht und haben uns einen Pfennig
mitgebracht, einen Pfennig, einen kling klang Glorius, zuerst Yictorius."
(Ob vollständig?)
"Wurden die Enken mancherwärts zuletzt durch einen Pfuhl getrieben oder
mussten sie durch eine Kiepe oder ein offenes Fass ohne Boden kriechen, wobei
es an Schlägen nicht fehlte, so mussten sie in Söllingen durch ein „Hänghimme"
(Hemd ohne Ärmel) schlüpfen, in Wahrstedt aber schlug man sie beim Sprung
vom Stuhle, auf den sie sich hatten setzen müssen, mit der Schaufel vor das Ge-
säss. Milder war man in Flechtorf. Dort zogen vier Bengel — der älteste hiess
der Heerbengel — den zu Bengelnden über ein Bierfass, und es wurde mit dem
Dreschflegel nicht der Enke, sondern das Fass geschlagen dass es dröhnte.
"Wie die Enken, so wurden auch die Mädchen gehänselt, und auch heute noch
geschieht es, z. B. in Eischott und Delligsen. "Weitere Kunde habe ich nicht er-
langen können. "Wie sie aber vor vierzig Jahren etwa in Dibbesdorf eingeweiht
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 28
334
Zeller:
wurden, wenn sie zum erstenrnale zum Melken auf die Weide kamen, so wird es
auch anderswo gewesen sein. Hier fasste sie ein Mädchen unter die Arme und
ein paar andere an die Beine, und dann wurden sie mit dem Gesässe auf die
Erde gestuppt. In Eischott behandelt man sie zarter. Dort zieht man die
Mädchen bei der Kindtaufe, wenn sie zum erstenrnale Gevatter stehen, über den
Tisch oder setzt sie auch nur sanft darauf. In Delligsen aber beschränkt man
sich darauf, von den Mädchen, die erstmalig bei der Roggenernte thätig sind, ein
„Einstandsgeld" zu nehmen, das 25—40 Pfennige beträgt, wofür Bier oder süsser
Schnaps gekauft wird.
In dem letztgenannten Orte werden auch die Frauen gehänselt. Wenn nämlich
eine junge Frau zum erstenrnale nach ihrer Verheiratung Kuchen oder Brot backt,
so muss sie im Backhause den anwesenden Frauen eine Flasche Kirschschnaps
zum besten geben.
Braunschweig. Otto Schütte.
Der Nikolausalbend am Albersee im Salzlburgischen.
In dem Thale, welches den Aber- oder St. Wolfgang-See umschliesst, sind
mehrere kleine Gemeinden, deren Häuser ziemlich weit verstreut liegen. In diesen
Gemeinden findet sich eine uralte Sitte, den Abend des Nikolaus-Tages (6-. Dezember)
durch einen Mummenschanz zu feiern.
Sobald es Nacht geworden ist, versammeln sich die Burschen einer Gemeinde
bei einem aus ihrer Mitte, jeder bringt sich seine Yermummungsstücke mit, und
unter Singen und Spässen wird das Ankleiden bewerkstelligt. Alte Pelzjacken
werden umgekehrt, dass die rauhe Innenseite nach aussen kommt, andere hüllen
sich in langhaarige Bock- oder Ziegenfelle, um sich selbst zum zottigen Untier zu
machen, wieder andere binden vorn und hinten lange, mit Russ geschwärzte
Schürzen um; dann werden Tiermasken aufgesetzt von den verschiedensten Sorten,
ein Hirschgrind, ein Ochsenkopf, Gemskopf, Bock, Fuchs, Bär — alles muss Dienste
thun, und je hässlicher, desto besser —, je scheusslicher der Kopfschmuck aus-
sieht (den Perchten-Masken ähnlich), um so schöner wird er befunden. Um den
Leib werden Stricke oder Ketten befestigt, daran bei dem einen oder anderen eine
grosse Kuhglocke oder alte ungeheuere Schellen-Rollen hängen; die Hände werden
geschwärzt, auch in umgekehrte Pelz-Fäustlinge gesteckt und auf solche und ähn-
liche Weise der Grossteil der Versammelten ausstaffiert. Diese bilden den Chorus
oder Tross.
Der unvermeidliche Klaubauf ist ganz in schwarze Bockfelle gehüllt, hat eine
Teufels- oder gehörnte Tiennaske auf dem Kopfe und trägt die schwersten Ketten,
um recht rasseln zu können, in den Händen. Stöcke, Besenstiele, Mistgabeln oder
dergleichen sind weitere Beigaben beim Chor.
Nun kommt die Hauptperson, der heil. Nikolaus. Dieser kleidet sich in lange,
weisse Tücher nach Art des Priestergewandes, hat Inful und Stab gleich einem
Bischöfe. Das Gesicht ist durch eine ordentliche, anständige Larve gedeckt. Der
heil. Nikolaus bekommt einen, manchmal auch zwei Begleiter in Gestalt von
Hirten mit Zistel oder Tragkorb versehen, worin sich die Geschenke befinden,
welche er, mit seinem Gefolge umherziehend, an die „Braven" austeilt.
Eine Art Soldat oder Nachtwächter mit Hellebarde bewehrt, ist der Anführer
des Zuges und zugleich derjenige, welcher Ordnung macht und Ruhe gebietet,
wenn der Zug bei einem Hause ankommt.
Kleine Mitteilungen.
335
Sobald das Ankleiden und Vermummen vollendet ist, begiebt sich die ganze
Schar, denn es sind ihrer meist über 15—20 Köpfe, ins Freie und es beginnt der
Zug, der durch einen Höllenlärm, durch Singen, Juchzen, Schreien, Pfeifen, Läuten,
Schellen, Rasseln, weithin, ja durchs ganze Thal vernehmbar ist. Licht wird
nicht mitgenommen.
Mit solchem Lärm und Gepolter wird nun von Haus zu Haus, aber nur in
der eigenen Gemeinde^ gezogen und vor dem Hause, wo Kinder sind, Halt gemacht;
bei allen Penstern hineingebrüllt und hineingesungen, bis endlich der Anführer
Ruhe gebeut. Dieser stellt sich nun zur Hausthüre, pocht einigemale tüchtig an
und spricht: „Vater öffne uns dein Haus, es kommt zu Gast Herr Nikolaus."
Hierauf geht der Hausvater zur Hausthüre und antwortet den draussen Befindlichen:
„Seid ihr brav und fein, lass ich euch herein" und öffnet von innen die Thüre.
In der Stube hatte sich längst, sobald man den Zug näher kommen hörte,
Gross und Klein, Alt und Jung versammelt und im Kreise um den grossen Tisch
enge aneinander gedrückt, insbesondere die Kinder, denen man den ruhigeren Eck-
winkel einräumt. Aber auch die erwachsenen Töchter, Dirnen oder Dienstboten
weiblichen Geschlechtes suchen sich hier Plätze zu erobern, um rückenfrei, d. h.
rückensicher zu sein, weil sie sich vor dem „Gestohlenwerden" zu fürchten haben.
Jetzt wälzt sich der wilde Chor in die Stube, wo der Lärm nochmals von
neuem ertönt, bis der Anführer Ruhe schafft.
Da tritt der Herr Nikolaus (Niglá) hervor und an den Tisch, schaut nach den
Kindern und fragt diese der Reihe nach aus. Die kleineren lässt er das heil.
Kreuz machen, andere das Vaterunser beten, oder er stellt Fragen aus dem Kate-
chismus u. s. w. Ist dies vorbei, so werden die Kinder von seiner Hand mit
Nüssen, Äpfeln, Lebkuchen, gedörrten Zwetschken und dergl. beschenkt, dann
wünscht er Glück und Segen dem Hause und friedlich gute Nacht und wendet
sich zum Gehen.
Ist der Herr Nikolaus zur Stubenthüre hinaus und sind junge Dirnen da, dann
hält der Chorus seine Jagd und sucht die eine oder andere zu haschen. Das
giebt nun ein Gelächter und eine Schadenfreude, wenn eine richtig erfasst und
fortgeschleppt wird. Es geschieht der „Gestohlenen" auch nichts, als dass sie
einige Minuten von den wilden Gesellen — die lauter Bekannte sind — mitgezerrt
und dann wieder freigelassen wird; aber bis dieses geschieht, wenn es auch nur
Augenblicke dauert, ist doch die Gestohlene schon überall berusst und angeschwärzt,
kommt also wie ein Mohr in den Kreis ihrer Leute zurück, von denen sie noch-
mals recht ausgelacht wird, dass sie sich „nicht besser hat wehren mögen". Wehrt
sich aber eine Dirne recht tapfer, am besten durch gegenseitiges festes Einhängen,
so dass sie nicht von dem Kreise getrennt und zur Stube hinausgebracht wird,
dann wird das wilde Heer tüchtig verlacht und verhöhnt. Auch lässt der Anführer
nicht lange Zeit zum Raube, sondern drängt zum Abzug.
Draussen wird das Hausthor wieder geschlossen und der Zug johlt und jauchzet,
schreit und lärmt fort in die dunkle Nacht hinein zum nächsten Hause, wo ein
Besuch beabsichtigt und bis die Runde gemacht ist. Dann gehen die Burschen
lustig auseinander, und am nächsten Sonntage unterhalten sie sich in der Schenke
bei einem Kruge Bier über den Nikolaus-Abend und die dabei gehabten Aben-
teuer.
Salzburg. Gustav Zeller.
336
J ahn :
Sagen vom Rübezahl.
Die nachfolgenden Sagen wurden 1882 von dem damaligen Breslauer Studenten
Ulrich Jahn auf einer Fusswanderung aus dem Munde der Erzähler aufgezeichnet,
und mir übergeben. [K W.]
Rübenzal.
Ein Gebirgsbauer erzählte: Rübenzal1) oder Eulenspiegel .nennen ihn die Leute;
sein eigentlicher Name aber ist der Berggeist. Ruft man ihn Rübenzal, was gleich
Rübenschwanz ist, so hört er allerdings sofort; doch fühlt er sich schwer beleidigt,
und spielt dem Spötter die grössten Possen.
Gar oft hat er schon derartige Leute, die ihn im Gebirge geärgert haben,,
durch Wind auf entfernte Berge geblasen; und wenn die Ärmsten dann trostlos in
der Irre umherliefen, so war ihm das eine wahre Herzensfreude. Das hat ihm
dafür aber auch den Namen Eulenspiegel eingebracht.
(Mündlich aus Raspenau und Mildenau in der Herrschaft Priedland in Böhmen.)
Rübenzal schenkt Laub.
Einer Frau, welche für ihre Ziegen Futter holen wollte, schenkte der Rübenzal
einst einen ganzen Sack voll Laub. Wie das Weib nun im Stalle den Tieren das.
Futter reichte, schwollen denselben die Leiber gewaltig an, und nach kurzer Zeit,
fielen sie tot hin.
Nachdem sich der Berggeist an der Angst und dem Jammer der armen Frau,
genug geweidet hatte, machte er das Yieh wiederum lebendig.
(Mündlich aus Raspenau und Mildenau, Herrschaft Friedland.)
Rübenzal auf Hochzeiten.
Rübenzal oder der Berggeist ging ehemals oft auf die Bauernhochzeiten in,
Rengersdorf. Dort tanzte er mit den Mädchen; für gewöhnlich aber trieb er aller-
hand Unfug. Trotz alledem sah man sein Kommen gern, denn er brachte den.
Hochzeitleuten regelmässig die reichsten Geschenke mit.
(Mündlich aus Rengersdorf bei Marklissa, Kr. Lauban.)
Rübenzal und Rengersdorfer Bauern.
Rübenzal traf einst Rengersdorfer Bauern, die sich im Gebirge verirrt hatten..
Diensteifrig erbot er sich sie zurecht zu weisen und führte sie nun bis in die tiefe
Nacht hinein auf Kreuz- und Quer wegen herum. Als es endlich so dunkel ge-
worden war, dass man die Hand nicht mehr vor dem Auge erkennen konnte,
verschwand er plötzlich, und die armen geprellten Bauern mussten die Nacht über
in der Wildnis zubringen.
(Mündlich aus Rengersdorf bei Marklissa, Kr. Lauban.)
Rübenzal beschenkt eine arme Frau.
Einst traf der Rübenzal im Walde eine arme Frau beim Holzlesen. Er half
dem Weibe bei ihrer mühsamen Arbeit, und als sie damit fertig war, gab er ihr
noch obendrein ein paar Reiser mit dem Bemerken, sie solle dieselben ja recht
sorgfältig aufbewahren.
1) Zu dem Namen Riibenzäl (ruobenzagel) sei auf clas siebenbürgisch - sächsische
Ropenzögel, Roppenzuogel (J. C. Schuller, Beiträge zu einem Wörterbuche der siebenbürg. -
sächs. Mundart, S. 51. Prag 1865) aufmerksam gemacht, womit jetzt ein verhütteter Mensch
bezeichnet wird, das ursprünglich aber einen Zwerg oder Kobold benannt hat. Kobold-
sagen bilden einen grossen Teil der Rübezahlsagen. K. W.
Kleine Mitteilungen.
337
Anfangs wollte die Frau die unscheinbaren Hölzchen fortwerfen, behielt sie
aber doch schliesslich bei sich. Wie sie aber zu Hause die Reiser wieder besah,
hatten sie sich in reines Gold verwandelt.
(Mündlich aus Rengersdorf bei Marklissa, Kr. Lauban.)
Riibenzal spielt die Fiedel.
Der Rübenzal oder der Berggeist wohnt eigentlich in der Schneekoppe. Es
hat früher noch andere Berggeister gegeben, die man „Gauner" nannte. Doch
machten einem diese nur „blauen Dunst" vor; eigentliche Macht hat immer nur
der Rübenzal gehabt.
Er versteht die Menschen auf alle mögliche Weise zu ärgern. So führt er
Leute, die ihn verspottet haben, auf Irrwege und macht aus dem schönsten Wetter
die gräulichsten Gewitter. Man nennt ihn auch den Geigenfriedel oder den Fiedel-
fritze, weil er so gern fiedelt.
Sitzt er mal auf einem Felsen, und kommt da allerlei lustiges Volk an, die
rufen: „Fiedelfritze, Fiedelfritze." Da ward der Rübenzal böse und fing an zu
.geigen; und wie er geigte, mussten alle tanzen und konnten nicht eher ausruhen,
bis sie ihm die schönsten Worte gegeben hatten, er möge doch nur mit dem
;Fiedeln wieder aufhören.
Überhaupt liebte er die Eulenspiegeleien, weshalb man ihn auch oft Eulen-
.spiegel nannte. "Wer aber ehrbar war und ihn nicht ärgerte, dem hat der Rübenzal
nie etwas gethan. Ja er half den Verirrten oft wieder auf den richtigen Weg und
•erwies sich in jeder Beziehung als ein durchaus mitleidiger Geselle.
(Von einem alten, 80jährigen, Leinweber aus Liebwerda, Herrschaft Friedland
in Böhmen, wie er es von Grossvater und Urgrossvater oft gehört hat.)
Die Prinzessin vom Kynast und der Fiedelfritze.
Auf der Burg Kynast lebte einmal eine Prinzessin, die war schwanger. Eines
Tages ritt sie aus und kam in eine öde Waldgegend, wo der Fiedelfritz sass und
geigte. Spöttisch lief sie ihm zu: „Fiedelfritze, Fiedelfritze!"
Wie sie nun bald darauf über einen Bach kam, lag drinnen ein Totenkopf,
welcher die Prinzessin so recht angrinste. Voller Schreck ritt dieselbe jetzt nach
Hause und genas eines Knäbleins, welches in allen Stücken aussah wie ein andres
Menschenkind, nur statt des Kopfes hatte es einen abscheulichen Totenschädel.
Viele Ärzte suchten das Kind zu heilen, aber keinem mochte es gelingen.
Da ritt die Prinzessin ganz traurig in den Wald und begegnete einem alten Manne,
welcher ihr sagte, er wisse wohl einen guten Doktor, der dem Kinde helfen könne.
Und als die Prinzessin sehr bat, versprach der Alte, den Arzt am andern Tage
auf das Schloss senden zu wollen.
Wirklich kam derselbe auch am folgenden Morgen an; und nach einiger Zeit
bekam das Kind Fleisch auf dem Schädel und noch ein bisschen, da war es wie
ein anderer Mensch.
Hocherfreut wollte die Prinzessin den Arzt reichlich belohnen, doch der sagte
nur: „Ärgert künftig den Fiedelfritz nicht mehr" und verschwand.
(Mündlich von einem SOjähr. Leinweber aus Liebwerda, Herrschaft Friedland.)
338
Schütte:
Braunschweigische Sagen.
I. Geister.
a) Spukgeist.
Einst ging ein Mann von Vechelde bei Braunschweig nach Wierthe. Als er
nach dem Busche kam, schien es ihm, als stände da jemand. Er sagte guten
Abend, bekam aber keine Antwort. Da sagte er: „Ik segge noch einmal guden
Abend", erhielt aber wieder keine Antwort. Das dritte Mal wollte er zufassen.
Da kriegte er aber einen Schlag an den Kopf, dass ihm gleich der Hut so weit
wegflog, dass er ihn nicht wiederfand. Der Schlagende aber war ein Geist ge-
wesen.
b) Mann ohne Kopf.
Im Ochsenbruche bei Sophienthal, unweit Braunschweig, war es nicht richtig.
Einst gingen zwei Männer dahin, um Weiden zu holen. Da sahen sie einen Mann
ohne Kopf dastehen, sodass sie es nicht wagten, Weiden zu stehlen.
II. Hexen.
a) In Schöningen legt eine Frau noch heutigen Tages, wenn eine Käsefrau
kommt, die, wie sie glaubt, ihrer Enkelin etwas angethan hat, einen Reisbesen
vor die Thür. Denn über ihn können Hexen nicht gehen, sondern müssen zurück..
b) Auf Lodahls Hofe in Gross-Dahlum bei Schöningen starb vor vierzig Jahren
immer viel Yieh. Da sagte jemand, es sei behext. Der Besitzer solle einmal ein
Stück Knäuel kochen. Sobald dies ins Kochen käme, würde es klopfen. Aber er
solle vorher Fenster und Thüren schliessen und niemanden einlassen. Wer dann,
klopfe, behexe das Yieh. Es dauerte auch nicht lange, da kam die Nachbarin,
eine alte Frau, und klopfte, aber es wurde nicht aufgemacht. Darauf rodete man;
das Knäuel unter der Schwelle des Pferdestalles ein, und von da ab starb kein
Vieh mehr.
III. Unruhe im Grabe.
a) Auf dem Amte in Gross - Dahlum geht allnächtlich um zwölf Uhr eine
Mamsell mit einem Bunde Schlüssel umher.
b) Ein junges Mädchen, das bei Kahmanns in Gross-Dahlum diente, war
plötzlich gestorben, ohne 25 Pfennig, die sie sich geborgt hatte, zurückgegeben zu
haben. Das liess ihr im Grabe keine Ruhe. Sie erschien jeden Mittag um 12 Uhr
beim Essen in der Stube. Endlich schickte man zum Pfarrer, und der fragte sie,,
was sie hätte. Da antwortete sie, sie hätte von ihrer Mitmagd 25 Pfennige geborgt,
aber vor ihrem Tode nicht zurückgegeben. Das liesse ihr keine Ruhe, denn ihre
frühere Mitmagd verfluche sie. Da sprach der Pfarrer, ihre Schuld sei vergeben,,
und der lebenden Magd redete er zu, die Gestorbene nicht mehr zu verfluchen..
Nun fand sie Ruhe im Grabe und kam nicht wieder.
IV. Spukende Tiere.
1. Welthund.1)
a) Vor dem Thore Alversdorfs bei Schöningen sass der Welthund auf einem'
Steine. Er lief auch in den Gassen des Dorfes umher und hatte Augen so gross
wie eine Butterschwarbe.
1) Th. Yoges, Sagen aus dem Lande Braunschweig. Braunschweig 1895. No. 112.
114. 118. 119. 120. 121.
Kleine Mitteilungen.
339
b) Auf dem Wege von Räbke nach Warberg bei Schöningen zeigte sich der
Welthund, that aber niemandem etwas, der ihn zufrieden liess. Eines Abends
nach eingetretener Dunkelheit ging dort ein Mann und wollte sich gerade eine
Pfeife anstecken. Schon hatte er Pinkeschwamm hergekriegt, als er am Boden
Feuer sah. Da dachte er, dann sollst du dir gleich was aufnehmen, griff aber in
die feurigen Augen eines grossen Hundes, der ihm sofort an die Kehle sprang.
Yon dem Schrecken wurde der Mann so krank, dass er bald starb.
2. Der blaue Kater.
Up dem Rysbarge (Rieseberg bei Königslutter) hat it sik, as de Lüde segget,
ofte seihn laten — de blaue Kater — un hat de Lüde vorfert. Dat was ein Spok.
(Joh. von Scheppau [f 1667], 3. Osterpredigt S. 13.)
3. Der eiserne Bulle.
Ein eiserner Bulle gebt bei Alversdorf im Nackenthaie auf einer Wiese, die
rings von Bergen umgeben ist.
4. Pferd mit einem Strohschwanze.
In Ingeleben bei Schöningen ging ein Pferd mit einem strohernen Schwänze.
Eines Abends kam jemand in Eimekes Stube und sagte, ihr Füllen stände vor
dem Hofe. Da sagte der Vater zu seinen Söhnen: „He je wedder en Stall open-
elaten? Halt et rin!" Als sie es aber in den Stall brachten, sahen sie, dass es
einen Strohschwanz hatte. Da liessen sie es schnell wieder hinaas. Eine Stimme
aber erscholl, für diesmal sollten sie keine Strafe haben, aber in Zukunft sollten
sie stehen lassen, was ihnen nicht gehörte.
Y. Krenzstein.
Bei Wahrstedt, unweit Öbisfelde, stand früher ein Kreuzstein, der sich jede
Nacht um 12 Uhr herumdrehte.
Tl. Schöppcnstedter Streiche.
1. Ziege ausläuten.
In Wangelnstedt bei Stadtoldendorf erkrankte die alte Frau eines Landwirtes,
der dicht bei der Schule wohnte, gefährlich. Demselben Landwirte war aber auch
eine Ziege krank geworden und gestorben. Sein Nachbar, der yon der schlimmen
Krankheit der Ziege gewusst hatte, fragte ihn: „Is se daute?" „Ja", sagte der
Mann. Das hörte der Schulmeister und läutete sofort die Ziege aus, denn er
hatte gedacht, die Frau wäre gestorben.
2. Ehrung des Bullen.
In Lenne bei Stadtoldendorf war Sommermusik. Aut dem Platze bei der
Kirche war ein Zelt aufgeschlagen und alles in vollem Schwünge. Als aber der
Hirt zurückkehrte, wollte der Bulle sein Recht behaupten und auf dem gewohnten
Wege in seinen Stall zurückkehren. Da fand er den Weg durch das Zelt versperrt
und brüllte: „Wat is denn düt?" Der Vorsteher, der da meinte, es frage ein
Vorgesetzter, antwortete: „Gnädiger Herr, es ist Ball." Da sagte der Bulle: „Na
nu, na nu!"
3. Grabschrift in Lenne.
In demselben Lenne soll auf dem Kirchhof ein Grabstein liegen mit folgender
Inschrift:
„Hier unter diesem Leichenstein Dass er ein Ochse werden sollt',
Da liegt des Tischlers Ochsen Söhnelein. Drum nahm er ihn aus dieser Welt
Der liebe Gott hat nicht gewollt, Wohl in sein liebes Himmelszelt."
340
Höfler:
Ich habe aber den Stein trotz mehrfachen eifrigen Suchens nicht finden können,
wiewohl mehrere Leute in benachbarten Dörfern ihn gesehen haben wollten und
mir sogar die Stelle genau bezeichneten, wo er läge.
4. Tanzlust in Lenne.
Bei einer Beerdigung war gerade Tanzvergnügen in der Wirtschaft. Als man
mit der Leiche vor dem Wirtshause angekommen war, machte man Halt und ging
hinein, um erst einmal zu trinken. Dabei kamen die Leidtragenden in Geschmack,
fingen an zu tanzen und vergassen ganz den Sarg, der auf der Strasse stand.
5. Mainzholzen wird verkauft.
Dem Dorfe Mainzholzen bei Stadtoldendorf wurde einst vom Staate eine Steuer-
last von achtzehn Thalern jährlich auferlegt. Die glaubte der Gemeinderat nicht
aufbringen zu können. Er richtete daher an das Staatsministerium ein Schreiben,
dass die Gemeinde bereit sei, lieber ihren ganzen Besitz für achtzehn Thaler zu
verkaufen.
Braunschweig. Otto Schütte.
Kröte als Gebäckmodel.
Das Münchener neue National-Museum birgt gegenwärtig (Mai 1901) in seinen
Nebenräumen eine Sonder-Ausstellung „München im XVIII. Jahrhundert". Unter
den vielen für Volkskunde höchst wichtigen Ausstellungsgegenständen (vor allem
u. a. der geradezu einzige Leinwandschrank) fiel darin dem Unterzeichneten als
bisher ihm Neues auf das aus Kupfer ge-
triebene Model einer hierorts sonst bloss
in Eisen oder Wachs hergestellten Votiv-
kröte, deren Abbildung anbei steht. Das
Model hat die gewöhnliche Grösse und
Form eines sogen. Gugelhupfs oder Napf-
kuchens, d. h. es ist ein in Kupfer ge-
triebener Hohl-Model für ein etwa 15 cm
hohes Hefegebäck, welches sonst meist
einen Fisch (Karpfen), eine Melone, Traube,
Muschel1), Schnecke, Krebs, also frutti
dimare darstellt. Der Venediger Kupfer-
handel brachte wohl auch die Kupfer-Model
für solches Gebäck nach Süddeutschland
und in die besseren bürgerlichen Küchen
Das betreffende Kröten-Model stammt aus
der bayerischen Hofküche der Münchener
Residenz und stellt eine Schildkröte dar,
genau so wie sie in Wachs an verschiedenen
Wallfahrtsorten und zu verschied enen Zeiten
geopfert wird (s. Beiträge zur Anthropologie
Bayerns IX, 1891, 109, Abbild. 16 u. 26); in bürgerlichen Küchen war dies Model
dem Unterzeichneten bis jetzt unbekannt. Viele solcher Gebäck-Model mögen
wohl auch als Sulzformen verwendet worden sein; ursprünglich aber waren sie
für Teigformen bestimmt. Dieses Küchengebilde, das von der Küste des Mittel-
1) Auch das Fastengebäck im Beiram zu Kairo hat Muschelform.
Kleine Mitteilungen.
341
meeres kam, erklärt vielleicht auch, warum an deutschen Kultorten die „Schild-
kröte", die doch nie in Süddeutschland (ausser Cistudo lutaria?) einheimisch war,
in Wachs geopfert wird. Der Künstler (Wachszieher, Lebzelter) stellte sie nach
der Form des kupfernen Küchen-Models her, welches die importierte Schildkröte
darstellt. Die vom Eisenschmied hergestellten Votivkröten aber sind fast aus-
schliesslich nur einheimische Kröten (Krotten, Brotzen, Höppin, Metz) [Rana buffo];
d. h. das Schildkröten-Votiv ist importiert, das Kröten-Votiv dagegen
einheimisch.
Ein anderes Napfkuchen-Model dieser Sammlung aus der bayerischen Hofküche
zeigt auf seinem Grunde auch eine Weiberfratze; es ist dies vermutlich die Frau
Bäbe, Baba, oder das dieser exogenen Dämonin dargebrachte Kuchenopfer. (Über
Baba siehe Schöppner, Sagenbuch T, 200. Ztschr. f. österr. Volkskunde 1896, 218.
Spiess, Idiotikon, 18. Weinhold, Schles. Wörterbuch, 7. Schmeller I, 190. Ur-
quell II, 149. Archiv f. Religionswissenschaft 1900. Bavaria III, 295. Scheible,
Kloster IX, 70. Verhandl. d. Berliner Anthropolog. Gesellschaft 1898, 389.
M. Höf 1er.
Ein uckermärkischer Brauch hei der Brautwäsche.
In Joachimsthal in der Uckermark herrscht noch folgender Brauch: Wenn die
Brautwäsche für ein junges Paar gewaschen ist, so wird der Trockenplatz reich
mit Kränzen und Gewinden geschmückt, ehe das erste Stück Wäsche über die
Leine gehängt wird. Später tritt dann die älteste Waschfrau auf die Braut zu
und spricht:
Ich habe vernommen,
Dass die Jungfer Braut ist gekommen.
Wir haben der Jungfer Braut ihre Wäsche gehangen
Sie wird sie empfangen,
Und wird sie so erhalten,
Wie sie ihre Mutter hat gehalten.
Nehmen Sie mir es übel,
So nehme ichs Ihnen gern wieder vom Stiebel.
Die Jungfer Braut soll leben
Und der Herr Bräutigam daneben!
Yivat hoch, hoch, hoch!
Dann geht alles im langen Zuge um den Trockenplatz herum; voran die Braut
mit ihrer Familie, dann die Waschfrauen und wer etwa sonst bei der Wäsche be-
hilflich gewesen ist. Dabei wird nach den Klängen einer Ziehharmonika gesungen:
Schürt den Ketel ut,
Dat is mine Brut;
Soll sie dat nich sin,
Schleit der Kuckuck drin,
Backebeern und Klüte.
Endlich wird unter der flatternden Wäsche ein Tänzchen veranstaltet, und die
Braut muss den Waschfrauen zutrinken und ein Trinkgeld spenden.
Ich wüsste den hübschen Brauch bis jetzt nicht in anderen Teilen unseres
Vaterlandes nachzuweisen und wäre für jede weitere Nachricht dankbar.
Würzburg. Robert Petsch.
342
Zupitza:
Zum Hubertusschlüssel.
Zu den von Dr. Max Höfler auf S. 208 dieses. Jahrgangs der Zeitschrift des
Vereins für Volkskunde verzeichneten Orten, an welchen St. Hubertusschlüssel
aufbewahrt wurden, möchten wir ergänzend Hardenberg bei Elberfeld hinzufügen..
L. Bender schreibt darüber in Picks Monatsschrift (III, S. 597) folgendes: „Als
1682 die Regentin der Bergischen Unterherrschaft Hardenberg, Isabella Margaretha
von Bernsa, verwitwete von Schaesberg, ihren Unterthanen durch ihre häufigen
Verordnungen, die Hunde festzulegen, lästig wurde, und diese sich darüber beklagten,
rechtfertigte sie sich damit, dass sie einen Brief des (katholischen) Pastors Offer-
mann in dem benachbarten Niederwenigen vorzeigte, worin derselbe sich von ihr
den St. Hubertusschlüssel erbat, weil ein toller Hund seine Schweine gebissen."
Elberfeld. 0. Schell.
Bücheranzeigen.
0. Schräder, Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde.
Zweiter Halbband (Musikalische Instrumente — Zwölften). Strassburg,
Trübner 1901. S. XL u. 561—1048. gr. 8°.
Der zweite Band des Schraderschen Werkes (vgl. das erste Heft dieses Jahr-
ganges S. 89 ff.) bringt zunächst die Vorrede, in der Schräder seine Methode aus-
einandersetzt und gegen Angriffe in Schutz nimmt. Im allgemeinen kann ich die
besonders gegen Kretschmer und Kossinna gerichteten Ausführungen formell und
sachlich nur billigen. Eine rein linguistische Paläontologie ist ein Unding. Wer
aber die Linguistik aus der Altertumsforschung ganz und gar verbannen will,
schüttet wieder einmal das Kind mit dem Bade aus. Der Wert der Lehnwörter
ist zumal von Kossinna viel zu niedrig geschätzt worden. Vereinzelt beweisen
sie nichts, w7ohl aber, wenn sie in geschlossenen Gruppen auftreten. Wir wissenr
dass der kontinentale Sport aus England gekommen ist; der Altertumsforscher wird
es in ein paar Jahrtausenden, wenn andere Beweise fehlen, aus den englischen
Sportausdrücken mit dem besten Gewissen von der Welt folgern dürfen. In der
wichtigen Frage nach dem Ursprung des irischen Christentums versagen alle Argu-
mente, mit Ausnahme der sprachlichen, vgl. Zimmers Artikel „Keltische Kirche"
in der Realencyklopädie für protest. Theologie und Kirche, Bd. 10, S. 212. In
ausserordentlich zahlreichen Fällen lässt sich freilich angesichts einer Wortgleichung
nicht sagen, wo und wann Entlehnung stattgefunden hat, ja ob überhaupt eine
solche im engeren Sinne vorliegt. Für die Altertumskunde sind solche Reihen
völlig unfruchtbar. Wir stehen z. B. meines Erachtens der Gleichung ai. ayas :
lat. aes : got. aiz machtlos gegenüber und müssen auf ihre kulturgeschichtliche
Ausdeutung einfach verzichten. Schräder ist hier anderer Ansicht und schreibt
den ungeteilten Indogermanen die Bekanntschaft mit dem Kupfer zu. Möglicher-
weise hat er Recht. Mehr lässt sich nicht sagen, und das ist für uns alle, die
wir nach wissenschaftlicher Erkenntnis streben, eigentlich recht wenig. Wer sich
mit indogermanischer Altertumskunde befasst, muss eben lernen, sich zu bescheiden,
dies predigt implicite noch mehr als explicite das vorliegende Buch.
Biicheranzeigen.
343
Bei der grossen Menge des verarbeiteten sprachlichen Materials kann es nicht
verwundern, dass einige und zwar nicht ganz unbedenkliche Irrtümer mit unter-
laufen. Das S. 622 mit arcus verglichene irische diubarcu „Pfeil" ist ein miss-
verstandenes di-burgun „wrerfen". S. 725 dän. n0gle „Schlüssel" ist keines-
wegs „eigentlich Nagel", sondern aitisi. 1 y kill. S. 799 kymr. llwyth ist ir. lucht,
nicht sii cht. S. 861 gr. vasc, att. vsJq „Tempel" kann wegen äol. vcvïcq nicht
mit vaOc, „Schiff", zusammenhängen.
564 ff. Mutterrecht. Bei den brittischen Kelten glaubt man Spuren des für
die Pikten bezeugten Mutterrechts zu finden, vgl. Rhys, Welsh People, S. 37 ff.
Es wäre das eine sekundäre Übertragung. — 371 ff. Nahrung. In das Kapitel
der Speiseverbote gehört ein uralter Zug, den die mittelirische Sage vom Tode
des Cuchulinn bewahrt hat. C. darf nicht vom Fleisch des Tieres essen, dessen
Namen er trägt (cú = Hund). Als er es dennoch thut, wird die Hand, mit der er
das Fleisch ergreift, gelähmt. Ohne Zweifel ist der Name Cuchulinn wirklich
totemistisch; als man von solchen Vorstellungen nichts mehr wusste, erfand man
zu seiner Erklärung die bekannte Sage (El. Hull, The O. Saga, S. 139 ff.). — 606 ff.
Orakel. Weissagende Frauen sind keineswegs auf Griechen und Germanen be-
schränkt. — 620ff. Pfeil und Bogen. Es hätte sich wohl verlohnt, die ver-
schiedenen Typen des Bogens, wie sie bei idg. und anderen Völkern vorkommen,
kurz zu beschreiben. Man unterrichtet sich darüber bei v. Luschan, Zeitschr. f.
Ethnologie, 31 (1898), Verh. S. 221 ff., Festschrift f. 0. Benndorf 1898, 189 ff. Es
kann nichts schaden, wenn man versteht, warum es den Freiern eigentlich so
schwer fiel, den Bogen des Odysseus zu spannen oder vielmehr zu bespannen. —
Wurfpfeile (?) werden bei den Kelten des Altertums namhaft gemacht von Strabo
IV, 4, 3: etrr¿ ô's ti xoù 7pocrfyuj èoixoç, fyAov, ex "^sipìc, ovx ê£, àyxvXyç «cjjte/xevov, ty¡).í-
ßoi.w'repcv xcti ßeXovç, u> p.r¿kigt& xcù npoç, tolç, râlv ipvsuov ^puuVrcu flïjjsotç. Auch die
Kymren des Mittelalters schleudern Pfeile laut Giraldus Descr. Cambriae II, c. 3.
— 663 f. Rechts und links. Die Rechtshändigkeit des überwiegenden Teils
der Menschheit scheint doch einwandsfrei aus der stärkeren Blutzufuhr in der
linken Gehirnhälfte erklärt werden zu können. — 669 ff. Religion. Einer der
meines Erachtens am wenigsten gelungenen, allerdings auch schwierigsten Artikel
des Werkes. Faktisch wissen wir von der Religion des Urvolks nichts, aber auch
gar nichts, denn die durch ein vergleichendes Studium aller Völker des Erdballs
blossgelegte Grundschicht religiöser Vorstellungen (Seelenglaube, Totemismus etc.)
lässt sich zwar auch für die Indogermanen einigermassen wenigstens nachweisen,
ist aber eben nur die indifferente Unterlage des weiteren Baues, von dem wir in
erster Linie etwas wissen möchten. Und da versagen unsere Hilfsmittel vollständig.
Wenn Schräder S. 681 folgenden Satz aufstellt: „In dem Vordergrund der Ver-
ehrung müssen die grossen Naturmächte, und unter ihnen wieder der Himmel
(dyâùs), gestanden haben", so sagt er bei weitem mehr, als wir wirklich ver-
antworten können. Im Eingang des Artikels werden die Belegstellen angeführt,
aus denen hervorgehen soll, dass die Religion der altidg. Einzelvölker wirklich in
der Verehrung „des Himmels und der von ihm ausgehenden und mit ihm zu-
sammenhängenden Naturmächte" gipfelte. Hier bestraft sich der philologische
Hang, litterarisch bezeugte Meinungen zum Range sachlich erwiesener Fakten zu
erheben. Wenn man bedenkt, dass die Nachrichten, auf denen Schräder fusst,
grösstenteils nichts weiter sind als dunkle Gerüchte, aufgegriffen und verbreitet
von Leuten, die den fremden Geist weder verstehen wollten noch verstehen konnten,
so wird man sich hüten, einen solchen Untergrund noch weiter zu belasten. Da&
gilt auch für Caesars Angaben über die germanische Religion, wie schon Grimm
344
Zupitza:
und Müllenhoff gesehen haben. Ich zweifle keinen Moment daran, dass auch das
Urvolk den Himmel irgendwie verehrt, zum mindestens mythisch verarbeitet hat,
etwa nach Art des griechischen Uranusmythus oder der Rangi-Papa-Sage der
Maori. Aber dass wir im Himmelskult den Ausgangs- und Mittelpunkt der idg.
Religion überhaupt zu sehen haben, ist eine persönliche Überzeugung, die niemand
zu teilen verpflichtet ist. Ferner scheint mir Schräder, darin keinem geringeren
als H. Usener folgend, die Bedeutung der litauischen Sondergötter für die Re-
konstruktion einer älteren und ältesten Religionsstufe zu überschätzen. Einer Ver-
wendung des litauischen Materials muss eine eingehende Prüfung seiner Quelle
vorausgehen. Diese Quelle ist bekanntlich das Büchlein des Lasicki „De diis
Samagitarum". Sie strömt recht trüb. Ehe man aus ihr schöpft, müssen die Um-
stände, unter denen die Arbeit entstand, die Zeitlage, das Verhältnis zwischen
Laskowski und Lasicki u. s. w. sorgfältig geprüft und -erwogen werden. Brückner,
der in seinen Aufsätzen „Litwa, ludy i bogi" in der Bibl. Warszawka 1897 u. 98
auf diese Notwendigkeit aufmerksam gemacht hat, zieht jetzt im Archiv f. slav.
Phil. XXII, 569 ff. Dinge an den Tag, die den libellus in höchst bedenklichem
Lichte erscheinen lassen. Also Vorsicht! Die Namen dieser Sondergötter sind
zum Teil ganz junge Bildungen, auch ihre Verständlichkeit ist verdächtig. Die
Litauer haben einst grosse Göttergestalten besessen, für sie ist jedenfalls der
Zustand, den Lasickis Arbeit schildert, sekundär. Dass er darum sachlich sehr
alt sein kann, soll nicht bestritten werden, aber die Übereinstimmung mit den
römischen Indigitamenta nimmt nun doch ein anderes Gesicht an. Auch den
„mythologischen" dainos bringt Sch. ein ungerechtfertigtes Vertrauen entgegen,
sie unterliegen samt und sonders dem Verdacht, Kunstprodukte zu sein. — 7*24.
Schleuder. Diese altertümliche Waffe, die Strabo IV, 4, 3 den Kelten zuschreibt,
ist den mittelirischen Sagentexten ganz geläufig. Cuchulinn bedient sich ihrer mit
grösstem Erfolge. Der irische Name ist cranntaball, er deutet darauf hin, dass
auch Holz zur Herstellung der Schleuder verwendet wurde, vgl. Maclagan, Games
of Argyleshire 229 f. und Tafel II. Man schleuderte natürlich Steine. Die Sage
weiss ausserdem zu berichten, dass die Ulsterleute sich Wurfkugeln aus einer
Mischung von Kalk und dem Gehirn erschlagener Feinde bereiteten. Einem solchen
Geschoss fällt König Conchobar zum Opfer. — 878 if. Urheimat. Der Artikel
ist massvoll gehalten, doch sollte Ratzel nicht nur citiert, sondern auch gründlich
verarbeitet werden. Wir können noch sehr viel von ihm und seiner Behandlung
der Urheimatsfrage lernen. — 987. Ziegel. Eine Erwähnung verdienten die um-
fangreichen prähistorischen Ziegelbauten (Briquetages) des Seillethals in Lothringen
(Korrespbl. f. Anthrop. XXXII, 26). E. Zupitza.
Unser Egerlanil. Blätter für Egerländer Volkskunde. Zeitschrift des
Vereins für Egerländer Volkskunde in Eger. Herausgegeben von
Alois John. Vierter Jahrgang. Eger 1900, Verlag des Vereins.
S. 66. 4°.
Unter den deutschen Landvereinen für Volkskunde ist der Egerländer ein sehr
rühriger. Sein Stifter und Leiter, der Schriftsteller Alois John in Eger, weiss durch
mannigfache Veranstaltungen das Vereinsleben in regem Flusse zu halten, von
wackeren Genossen unterstützt und durch den patriotischen Sinn der Egerländer
getragen. Das Vereinsblatt, das er herausgiebt, das sechsmal im Jahre erscheint,
beweist auch nach aussen und in die Weite, wie verständig die Aufgaben der
Bücheranzeigen.
345
Volkskunde in Eger genommen werden. So bieten denn die vier vollständigen
Jahrgänge bereits recht schätzbares Material für die Kenntnis des Egerländer Volks-
lebens und Landes. Aus dem vierten Jahrgang (1900) möchte ich auf die mancherlei
Sagen aufmerksam machen, auf den umfänglichen Artikel H. Uhls über die Ge-
bräuche, Aberglauben, Volksdichtung in Absroth, auf die aktenmässigen Erhebungen
über einen Bauernhof vor 200 Jahren, auf das Bild der hl. Kummernuss in der
Franziskanerkirche zu Eger, auf die Mitteilung über den auch Goethe bekannten
Scharfrichter K. Huss und seine Sammlungen (jetzt in Königswart), auf die sogen.
Neidköpfe in Eger u. s. w. Möge der Verein weiter gedeihen, gehoben durch das
Bewusstsein, auf einem wichtigen Vorposten zu stehen, dessen Verteidigung ihm
anvertraut ist. K. W.
Deutsche Mundarten. Zeitschrift für Bearbeitung des mundartlichen
Materials. Herausgegeben von Dr. Joli. Willibald Nagl zu Wien.
Bd. I, Heft 4. Wien, C. Fromme, 1901. S. I—VI. 269—383. 8°.
Wir haben von dieser Zeitschrift in Band VI, VII, IX kurze Nachricht gegeben.
Nach längerer Pause ist nun das Schlussheft des 1. Bandes (1895—1901) aus-
gegeben worden, das wie auch die vorausgehenden Hefte grösstenteils von Hrn. N„
selbst herrührt. Dankenswert ist die Fortsetzung der Mundartenbibliographie von
F. Mentz.
Meyer, Heinrich, Die Sprache der Buren. Einleitung, Sprachlehre
und Sprachproben. Güttingen, Franz Wunder, 1901. S. XA7!. 105. 8°.
In der Festschrift, welche Göttinger Gelehrte Pfingsten 1900 der Jahres-Ver-
sammlung des Hansischen Geschichtsvereins und des Niederdeutschen Sprach-
vereins darbrachten, fand sich ein Aufsatz über den Ursprung der Burensprache
von Dr. Heinr. Meyer, Assistenten an dem Göttinger Institut für das Grimmsche
Wörterbuch. Es ist sehr dankenswert, dass der Verfasser seine Aufgabe, sehr er-
weitert und tiefer gegründet auf ein weit reicheres Material, unterstützt auch durch
einen geborenen Kapholländer, für weitere Kreise noch einmal gelöst hat, und so
die Sprache des tapferen wackeren Burenvolkes nach Ursprung und Wesen ins
klare Licht stellt und selbst zu praktischen Zwecken ihre Kenntnis in seiner Arbeit
vermittelt. Er hält sich deshalb von der sprachwissenschaftlichen Behandlung des
Stoffes absichtlich fern und setzt keine gelehrten Kenntnisse für das Verständnis
der Grammatik voraus.
Die Heimat der Burensprache ist in Nordholland zu suchen: von hier und
besonders aus Amsterdam werden die meisten der ursprünglichen Ansiedler des
17. Jahrhunderts gewesen sein. Aber sehr früh gestaltete sich das Kapholländische
um, unter welchen Einflüssen ist noch nicht ganz klar, nach Dr. Meyers Vermutung
in dem mündlichen Verkehr der holländischen Afrikafahrer unter sich und mit
den Küstenbewohnern, besonders den malaiischen Portugiesen oder Kreolen, mit
denen sie am meisten zu thun hatten. Die grammatischen Endungen gingen ver-
loren, die sprachlichen Mittel wurden überhaupt vereinfacht und so diese merk-
würdige Sprache geformt, die kaum Grenzen zwischen den Wortklassen kennt,
die dürftigsten Ivonjugations- und Deklinationsformen besitzt und daher auch eine
ungemein einfache Syntax hat. Bis vor wenig Jahrzehnten hat diese Sprache nur
im mündlichen Verkehr gedient; unter dem Drucke der im öffentlichen Leben zur
346
Weinhold:
Herrschaft dringenden englischen Sprache im Kaplande wurden von patriotischen
Buren, besonders der Genootskap van Regte Afrikaners, seit 1874 Versuche ge-
macht, ihr Idiom zur Schriftsprache zu erheben. Aber der neue Freistaat Trans-
vaal nahm nicht das Afrikanische, sondern das Holländische als Staatssprache an,
und so stehen nun drei Sprachen, das Englische, das Holländische und die Buren-
sprache auf dem Plan um die Oberhand in Südafrika. Über diese Verhältnisse
und alles einschlägige Geschichtliche und Litterarische giebt „die geschichtliche
Einleitung" Dr. Meyers Auskunft.
Auf die Grammatik der Burensprache folgt noch eine Sammlung von Sprach-
proben, die von lehrreichen, nützlichen Anmerkungen und einem Wortregister
begleitet ist. K. W.
Bass, Alfred, Deutsche Sprachinseln in Südtirol und Oberitalien.
Eine volkskundlich - sprachwissenschaftliche Untersuchung'. Leipzig,
Selbstverlag des Verfassers, 1901. 8°.
Dieses Buch bietet auf 104 Seiten 8° wohl die umfangreichste Sammlung alles
dessen, was über die Örtlichkeit und Volkskunde aller deutschen Sprachinseln in
Welschland gesagt werden kann und laut Schriftennachweis bisher geschrieben
wurde. Eine sprachwissenschaftliche Erörterung jedoch enthält es nur in geringem
Masse, der Verfasser verweist vielmehr auf Sprachproben, die in einem anderen
Heft enthalten sein sollen. Die Darstellung ist grossenteils „touristisch", mitunter
weitschweifig. Sehr eingehend wird Lusern behandelt, die vom welschen Schul-
verein „Lega nazionale" am meisten befehdete und darum wichtigste Enclave Süd-
tirols. Eine Landkarte und einige Ansichten gewähren dem Auge angenehme Rast.
Mit stiller Wehmut liest man den Abschnitt über die 7 und 13 Gemeinden in
Oberitalien, die dem deutschen Volk aller Voraussicht nach verloren sind. Eine
Zierde des Werkes bildet das reichhaltige Verzeichnis von deutschen Seelsorgern
in der Provinz Vicenza, welche im 14., 15. und 16. Jahrhundert für die unter dem
Löwen von San Marco hausenden Deutschen wirkten. Tempi passati! sagt der
Italiener. Volle Anerkennung verdient der Sammelfleiss des Verfassers, und noch
mehr seine Liebe für den Gegenstand, eine Liebe, die sich dem Leser unwill-
kürlich mitteilt. Möge sein Weckruf beitragen, das Interesse für die deutschen
Inseln in AVelschtirol zu steigern, damit selbe aus dem Kampfe um ihr altes
Volkstum siegreich und heil hervorgehen. Nach der urkundlichen Darstellung des
tirolischen Geschichtsforschers Rudolf Kink, dem der. Verfasser verständnisvoll
beipflichtet, siedeln sie dort schon seit dem 12. und 13. Jahrhundert, haben also
ein Anrecht auf die Forterhaltung der Muttersprache und auf die Teilnahme der
Stammesbrüder.
Margreid in Südtirol. Joh. Steck, Pfarrer.
A. Brunck, Volkskundliches aus Garzigar. Druck und Verlag von
Straube in Labes, 1901. S. 60. 8°.
Garzigar ist ein Dorf im östlichen Hinterpommern, in einem verdeutschten
Striche Kassubiens, wo Herr Oberlehrer Dr. Brunck fünf Ferienwochen zubrachte,
in denen er fleissig und mit guter Unterstützung volkskundlich Interessantes sammelte.
Das vorliegende Heft ist aus den Nummern 3. 4. 6. 7. der Blätter für Pommersche
Volkskunde, Jahrg. 1901 zusammengedruckt. Es enthält Märchen, Schwänke und
Bücheranzeigen.
347
Schnurren (S. 4—36), Volksglaube (36—39), Lieder und Reime (39—55), Rätsel
55—60), and bezeugt aufs neue den merkwürdigen Reichtum, den Pommern noch
jetzt an alten volkstümlichen Überlieferungen hat, zugleich auch die Verwandt-
schaft des pommerellischen Volkstums mit dem mecklenburgischen.
ß. Craig Maclagan, The Games and Diversions of Argyleshire (Pubi, of
the Folk-lore Society, XL Vit). London, D. ISTutt, 1901. VII, 270 S.
Das alte Airer Góidel (Land der Gaelen), das heutige Argyleshire, ist einst
eine der ersten Etappen des erobernden Iren gewesen, der von Irland kommend
den Pikten nach Osten zurückwarf. Heute wird es von einer teils gaelisch, teils
englisch sprechenden Bevölkerung bewohnt. Im Verein mit Mitarbeitern, die im
Vorwort namhaft gemacht werden, hat Maclagan versucht, einen Teil des reichen
Schatzes volkstümlicher Tradition zu heben. Er beschränkt sich auf Mitteilung
des Materials. Vergleiche, zu denen das bekannte Werk von Mrs. Gomme (diese
Ztschr. IV, 223; IX, 103) geradezu herausfordert, werden absichtlich vermieden.
Der Leser findet ohne besonderes Suchen manchen alten Bekannten. Eine Nach-
prüfung des Gegebenen ist natürlich ausgeschlossen. E. Zupitza.
Jiatalog dziel tresci przyslowiowej skladaj;}Cych bibljotekç Igiiacego
Bernsteina. Catalogue des livres parémiologiques composant la biblio-
thèque de Ignace Bernstein. Varsovie 1900. Bd. I, XX u. 560 S.;
Bd. II, 650 S. Lex. 4°. (Zu beziehen durch Otto Harrassowitz in
Leipzig.)
Ein reicher Warschauer Bürger, Herr Ignaz Bernstein, war 1865 durch
einen Zufall, durch einen in Berlin gehörten Vortrag über die Weisheit der Völker
in ihren Sprüchen, über deren ethische und völkerpsychologische Bedeutung, zum
Sammeln einer Bibliothek der Sprichwörter aller Völker und Zeiten, gedruckter
und handschriftlicher, selbständiger Werke und Ausschnitte aus Zeitschriften, an-
geregt worden. Nach fast vierzigjährigem Sammeln entstand eine Sprichwörter-
Bibliothek, die ihresgleichen auf der Welt nicht hat; sie umfasst 4761 einzelne
Nummern, darunter grosse bibliographische Seltenheiten, in über 150 Sprachen, in
Sprachen sogar wie Ambundu, Uganda, Ronga u. s. w. Besonderes Gewicht ist
natürlich auf die slavischen Sprachen gelegt, namentlich auf das Polnische, das
mit 300 Nummern der Drucke vertreten ist; von den (70) Handschriften ist über
die Hälfte polnisch.
Diese Bibliothek ist nun nicht bloss Frucht der zufälligen Sammelwut eines
Mannes, dessen Mittel ihm gestatteten, alle Antiquariate der Welt für diese Specialität
sich dienstbar zu machen; sie hat bereits erfreuliche, bleibende wissenschaftliche
Verdienste auf ihrer Rechnung. Denn das grosse polnische Sprichwörterlexikon
von S. Adalberg, über welches wir seinerzeit (1895) in der Zeitschrift berichteten,
ist erst durch diese Bibliothek und ihre Bestände ermöglicht worden, die der
Sammler dem Arbeiter willig zur Verfügung stellte; ein zweites Verdienst ist jetzt
die Herausgabe des Katalogs derselben, der für die gesamte Sprichwörterkunde
der Welt einen ausserordentlich reichhaltigen und belehrenden Beitrag gewährt.
Die Ausstattung des Werkes ist eine monumentale: Drugulins Officin in Leipzig
musste alle möglichen Schriften liefern; in Warschau wurden die über 300 Repro-
duktionen, meist der Titelblätter der verschiedensten Seltenheiten, hergestellt; der
348
Weinhold: Bücheranzeigen.
erklärende Text ist polnisch, nur Titel und Vorrede sind auch französisch. Die
Bedeutung dieses Katalogs für jeden, der sich mit Sprichwörtern beschäftigt, bedarf
keiner weiteren Hervorhebung und es wäre nur zu wünschen, dass auch für andere
Gebiete, nicht nur speciell fürs Polnische, diese Mustersammlung ausgenützt würde.
Das Sprichwort unter allen Schöpfungen des Volksgeistes seiner Natur nach am
meisten kosmopolitischen Stempels, verlangt gebieterisch eine komparative, möglichst
weit ausholende Behandlung; die Ähnlichkeit der Sprichwörter bei den meisten
Völkern ist längst aufgefallen; es giebt sehr interessante, specielle Berührungen,
z. B. der südslavischen und russischen Sprichwörter mit den griechischen; Ent-
lehnungen und Beeinflussungen spielen hier eine weit grössere Rolle, als man
noch bis unlängst anzunehmen gewohnt war. Für alle diese Arbeiten der Zukunft
bildet schon der Bernsteinsche Katalog eine Hilfsquelle ersten Ranges, wenigstens
durch das Verzeichnen der einschlägigen Litteratur, durch die bequeme, zuverlässige,
reichhaltige Einführung in die vorhandenen Bestände: doppelt glücklich freilich
bleibt derjenige, der diese Schätze selbst für die Wissenschaft wird flüssig machen
können; die aufgewandte Mühe wird durch neue, interessante Ausblicke auf die
viel verschlungenen Pfade ethnischer Berührungen, Austausche, sicher gelohnt
werden. Möchte doch die reiche Sammlung im Sinne der Düringsfeldischen Arbeiten
möglichst bald und fruchtbar ausgenützt werden.
Berlin. A. Brückner.
Wotjakisehe Sprachprofoeii. Herausgegeben von Y r j ö W i eh m an n.
I. Lieder, Gebete und Zaubersprüche. Helsingfors, finnische
Litteratur-Gesellschaft, 1893. S. XX. 200. 8°. — II. Sprichwörter,.
Rätsel, Märchen, Sagen und Erzählungen. Ebenda 1901. S. IV
und 200. 8°.
Die Wotjaken gehören zu den finnisch-ugrischen Völkern im östlichen Russland.
Ihre Sprache, die in ziemlich viel Dialekten gesprochen wird, hat seit einigen
Jahrzehnten die Aufmerksamkeit der finnländischen und ugrischen Sprachforscher
auf sich gezogen, und bei dieser Gelegenheit sind auch für die Volkskunde Früchte
abgefallen. Die Sprachproben konnten eben nur dem Volksmunde entnommen
werden. In den vorliegenden zwei Bänden, welche in dem Jahrbuch der finnisch-
ugrischen Gesellschaft in Helsingfors XI, 1. XIX, 1 erschienen, hat Herr Yrjö
Wichmann die volkskundlichen Sammlungen, die er als Stipendiat der Gesellschaft
auf wiederholten Reisen zu den Wotjaken machte, veröffentlicht. Der erste Band
bietet die verschiedensten Lieder in vier Dialekten: Hochzeit- und Liebeslieder,
Loblieder, Festlieder, Rekrutenlieder, vermischte, Scherzlieder, Klagelieder der Braut
beim Abschied, der Gatten und der Eltern beim Tode der Angehörigen. Dann,
folgen Gebete (die Wotjaken sind russische Christen) und Zaubersprüche und Be-
schwörungen, alles uns fremdartig, von einer anderen Kulturstufe. Das gilt natürlich
auch für die im zweiten Teil erschienenen Sprichwörter und Rätsel und mehr oder
minder für die 55 Märchen und Sagen. Es finden sich unter denselben Stoffe,
die uns im Westen auch bekannt sind, z. B. No. 51 Die Hebamme und der Wasser-
geist. Während unser Wassermann sich der helfenden Frau dankbar erweist, zum
Teil auch noch in kommenden Geschlechtern, ist der Wassergeist hier undankbar
und roh. In No. 28 Der Wassergeist und der Bär erscheint eine Variante der
verbreiteten Geschichte von dem dummen Teufel, der von der Feldfrucht, die der
Mensch säet, das eine Mal die obere, das andere Mal die untere Hälfte zu seinem
Roediger: Protokolle.
349
Schaden wählt (vgl. unsre Zeitschr. YIII, 21). Nach No. 15 stammen die Bären
von einem Menschen ab, der sich Haare über den ganzen Leib wünschte, als er
nackt auf einen Baum kletterte und die Zweige ihn schlugen. In No. 9 begegnen
wir in echt wotjakischem Gewände jener Fabel gegen die hochmütige Überhebung
über die natürlichen Verhältnisse, die der mittelhochdeutsche Dichter der Stricker-
in seinem Kater als Freier und auch andere (.Weinhold, Mittelhochdeutsches Lese-
buch, 4. A., S. 166) bearbeitet haben. Auch Geschichten nach Schöppenstedter Art
fehlen nicht, No. 49. 50. Yon mythischen Wesen tritt der Waldgeist, häufiger aber
der Wassergeist auf. Die Geschichten sind nicht uninteressant. Ich will nur er-
wähnen, dass der Wassergeist seine Tochter einem Wotjakenknaben verheiratet
und dass das Paar eine Zeitlang bei den menschlichen Eltern lebt, dann aber zu
dem Vater der Frau geht und hier bleibt. Der deutsche Wassermann straft den
Verkehr seiner Töchter mit den Menschensöhnen. Jedenfalls verdienen diese
Wotjakischen Sprachproben des Herrn Y. Wichmann die Aufmerksamkeit aller
Volkskundigen. K. W.
Aus den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 26. April 1901. Herr Robert Mielke wies die 1. Lieferung
des grossen, vom Verbände Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine heraus-
gegebenen Werkes „Das Bauernhaus im Deutschen Reiche und in seinen Grenz-
gebieten" vor, das bei G. Kühtmanñ in Dresden erscheint, für Subskribenten 60,
sonst 80 Mk. kostet und 120 Tafeln enthalten wird. Seine Bedeutung für das
Studium des deutschen Hauses leuchtet ein. Darauf gab Herr Oberlehrer Dr,
Schulze-Veltrup eine Geschichte der westfälischen Bauernhöfe. Die
alten Sachsen, die von Karl dem Grossen dem mächtigen Frankenreich einverleibt
wurden, lernten durch die Klöster Werden, Essen, Corvey, Herford, Frecken-
horst u. a. die Segnungen des Christentums kennen; diese Pflanzstätten der Kultur
haben belehrenden Einfluss auf Acker- und Wiesenbau. Nicht allein als Kaufleute
an der Ostsee, im fernen Russland, in Bergen und im Stahlhof zu London, sondern
auch als vorzügliche Kolonisten treffen wir die Westfalen schon im 12. Jahrh. in
dem Elbgebiet und bald darauf in Holstein, Mecklenburg, Pommern, Preussen und
Livland. Der westfälische Bauernhof ist noch heute das unverfälschte Bild der
germanischen Ansiedlungsform; mit seinem ungeheuren Langbau, in dem Menschen
und Vieh nebeneinander hausen, und den zerstreut liegenden Nebengebäuden macht
derselbe einen patriarchalischen Eindruck, der die Beschreibung, die Tacitus in
seiner Germania von den deutschen Ansiedlungen giebt, in uns wach ruft. Etwas
abseits von der Landstrasse liegt das Gehöfte inmitten stattlicher Eichen, Buchen
und Linden. Der westfälische Bauer hat noch Ehrfurcht vor den Eichen, und es
kostet ihn nicht selten grosse Überwindung, dieselben zu fällen. Von der alten
Villikations- und Markenverfassung haben sich an einigen Stellen noch Reste er-
halten Der Villicus oder Schulze war im 11. Jahrh. noch Beamter des Grund-
herrn; als sich dann im 12. und lo. die alte Hofesverfassung änderte, wurde er
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. OA
350
Roediger:
erst Zeit-, dann Erbpächter der Salhufe. Er übte die niedere Gerichtsbarkeit aus,
die aber im Jahrhundert der Reformation sehr eingeschränkt wird. Die Besitzer
der Lathufen waren glebae adscripti. Auch wurden Güter nach römisch-fränkischer
Weise an Coloni gegeben. Die Hörigkeit der meisten Höfe gründete sich zunächst
auf eine Schutzhörigkeit. Besonders im 12. und 13. Jahrh., wo die Zustände auf
dem Lande immer unsicherer wurden, begaben sich die freien Bauern in den
Schutz eines geistlichen oder weltlichen Grossen und bezahlten für diesen Schutz
Abgaben; damit sind sie vom Heerbann frei und gegen Ubergriffe und Willkür
besonders der aufkommenden Ministerialen, die bald eine Macht wurden, gesichert.
Diese Abgaben wurden aber später nicht selten von dem Herrn willkürlich er-
weitert und die Bauern wurden bedrückter; sie werden zum Teil sogar leibeigen.
Die Abgabe, die das Volk am schwersten traf, war das Mortuarium, Kurmede oder
auch Besthauptrecht genannt. Die Reformation lindert die Leiden der Bauern
nicht. Auch durch harte Kriege (den niederländisch-spanischen, den 30jährigen,
die Kriege Bernhards von Gahlen und den 7jährigen) hatten die westfälischen
Gemeinden sehr zu leiden: schwere Kontributionen wurden ihnen auferlegt; aber
treu haben die westfälischen Bauern auf ihrer ererbten Scholle ausgehalten. Erst
der Anfang des 19. Jahrh. bringt ihnen die langersehnte Freiheit wieder. Ungeteilt
geht der Hof auf einen der Söhne über, bald auf den ältesten, bald auf den
jüngsten, je nachdem Majorat oder Minorat Sitte ist. [Schulze-Veltrup.] —
Herr Geheimrat Meitzen knüpfte hieran Bemerkungen über die Vorgeschichte
Westfalens.
Zum Schlüsse sprach Herr Robert Mielke über niederdeutschen Bauern-
schmuck. Derselbe hat neuerdings Beachtung gefunden und ist in vielen Museen
gesammelt worden (Hamburg, Altona, Glückstadt, Meldorf, Apenrade, Kiel, Lübeck,
Lüneburg, Braunschweig, Berlin). Er unterscheidet sich in der Technik und den
Gebrauchsformen nicht unwesentlich von süddeutschem, Tiroler und schweizerischem
Schmuck, der auch in der Bewertung als Hochzeitsgabe anders geartet ist. Der
Hochzeitstag ist im allgemeinen der Geburtstag des Schmuckes — schon seit dem
16. Jahrh., in dem besondere Hochzeitsmedaillen mit entsprechenden Inschriften
geschaffen wurden. Indessen lässt sich das Alter der in unseren Sammlungen ver-
einigten Stücke selten über das 18. Jahrhundert zurückverfolgen, obwohl es an An-
deutungen über das hohe Alter einzelner Formen nicht fehlt. So lassen sich
skandinavische und holsteinische Ringe in Schlangenform mit einem solchen aus
einer Amrumer vorgeschichtlichen Graburne in Beziehung setzen, so deutet auch
eine Bemerkung Thietmars von Merseburg, nach der Seeräuber bei einem Überfall
Stades 994 den Frauen allein die Ohrringe rauben — die danach einen besonderen
Wert gehabt haben müssen —, auf eine alte Überlieferung der merkwürdigen
Ohrgehänge in Ost- und Westfriesland hin. Es ist auch nicht ausgeschlossen,
dass die eigenartige friesische Goldhaube sich bis zu den salischen Franken zurück-
verfolgen lässt, falls eine malbergische Glosse der Lex Salica richtig gedeutet ist.
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bilden sich immer mehr landschaftliche und
örtliche Gruppen aus, die wie die Tracht zu Erkennungsmarken einzelner Kirch-
spiele wurden, was andererseits wieder eine blühende, selbst auf Dörfern sich
festsetzende Goldschmiedekunst in Niederdeutschland erstehen liess (Lüneburg,
Rotenburg, Stade, Buxdehude, Winsen, Vierlande [Neuengamme, Bergedo'rf], Elms-
horn, Krempe, Glückstadt, Schönberg in der Probstei u. a.). In dieser landschaft-
lichen Gruppierung stehen — von Holland abgesehen — Ostfriesland und die nord-
friesischen Inseln obenan, von deren Bewohnern die Chronik des Häuptlings Unico
Manninga bereits für das 16. Jahrhundert eine besondere Vorliebe für Schmuck
Protokolle.
351
bezeugt. Bemerkenswert unter den Schinuckgegenständen Ost- und Nordfrieslands
sind Halsketten, Spangen, Ohr- und Pingerringe, Schlösser, Hefteln, Schnallen,
Nadeln, die neben einer vollen, üppigen Umrisslinie eine hohe Vollendung der
Filigrantechnik zeigen. Die nordfriesischen Inseln haben sich nicht nur als eigene
Gruppe mit besonderen Verschiedenheiten abgetrennt, sondern fast für jede Insel
einen besonderen Typus bewahrt, wie er auch in den Holsteiner Elbmarschen und
in Ditmarschen sich herausgebildet hat (Kremper-, Wilstermarsch, Ostenfeld). Nach
Osten zu wird das Filigranwerk einfacher, in der Rendsburger Gegend und mehr
noch nach Lübeck und Schwerin hin immer massiger und schwerer. Allein die
Probstei hat die gute Filigrantechnik bewahrt; sie dürfte auch die Heimat einer
eigenartigen, ersichtlich aus den Verschnürungen eines Kettenmieders heraus-
gestalteten Spange sein, die sich über ganz Holstein und über den Geestrücken
Hannovers bis nach Braunschweig hin verbreitet hat. Eine Brücke zu diesem
bilden die hannoverschen Elbmarschen (das Alte Land, Kehdingen) und die Vier-
lande mit besonderer Ausbildung des Schmuckes. In der Provinz Hannover selbst
sind Anklänge an Ostfriesland nachweisbar, indessen leiten die Einzelformen schon
zu der südhannoverschen Gruppe mit Braunschweig einerseits, mit dem nördlichen
Westfalen andererseits über, wenn auch städtischer und mitteldeutscher Einfluss
hier stark hervortreten. [Robert Mielke.] Seinen Vortrag illustrierte der Redner
durch Besprechung ausgewählter Stücke aus der dem Museum für Volkstrachten
gehörigen, überaus reichen Sammlung von bäuerlichen Schmuckstücken, die 1892
in Chicago ausgestellt war.
Freitag, den 17. Mai 1901. Im Anschluss an den Vortrag des Herrn Ge-
heimrats Priedel über Fischerei in der Märzsitzung des Vereins (oben S. 235)
legte Herr Sökeland aus den Beständen des „Museums für deutsche Volkstrachten
und Erzeugnisse des Hausgewerbes" eine interessante Schlagfalle vor, die in
den oberbayerischen Seeen zum Fangen der Hechte benutzt wird; ferner drei aus
Holz geschnitzte, sehr eigenartig geformte Schwimmer für Angelschnüre, die an-
geblich aus dem Pyritzer Weizacker stammen sollen. Der eigenartigen, fast an
ägyptische oder indische Vorbilder erinnernden Form wegen hat die Museums-
verwaltung Zweifel, ob die Abstammung richtig angegeben sei. Herr Geheimrat
Priedel glaubt bestimmt versichern zu können, dass die vorgelegten Schwimmer
nicht in Deutschland in Gebrauch gewesen sein können. Weiter legt Herr S. eine
unter dem Namen Lungi in Süddeutschland bekannte, in Holz ausgeführte Nach-
bildung innerer, menschlicher Organe — Speiseröhre, Lunge, Herz, Leber u. s. w. —
vor, die als Votivgabe in vielen Kirchen der Umgegend Salzburgs gefunden wird.
Frl. Marie Eysn in Salzburg schenkte diese Nachbildung dem Trachtenmuseum.
Ausführliche Beschreibung und Abbildung findet sich im vorliegenden Bande
S. 183ff. unsrer Zeitschrift. Sodann wurden von Herrn S. sogen. Trudensteine
vorgelegt, welche ebenfalls Frl. Eysn dem Trachtenmuseum stiftete. Diese Steine
waren und sind zum Schutz gegen die Traden (Hexen) an den Fenstergittern der
Pferdeställe in Orten der Salzburger Gegend befestigt. Es sind gewöhnliche flach
geriebene Steine in verschiedener Grösse und Form, aber alle mit einem natürlich
entstandenen Loch versehen, welches das besondere Kennzeichen zu sein scheint.
Der Glaube an das Verhexen des Viehes ist bekanntlich leider auch heute
noch, und nicht nur auf dem Lande, sehr verbreitet. Um zu sehen, inwieweit
dieser Aberglaube bei seinen eigenen Leuten vertreten sei, fragte Herr Sökeland
vier derselben, ob ihnen bekannt sei, dass man zum Schutz gegen das Behexen
des Viehes oder der Pferde durchlochte Steine an das Fenster des Stalles hänge
oder ob sie sonst etwas vom Behexen wüssten. Die Antworten lauteten: No. 1,
352
Eoediger: Protokolle.
aus Schlesien gebürtig: „Nee, so was macht man bei uns nich, das is ja Unsinn,
das hilft ja auch nich. Aber bei uns in Schlesien legt man einen Reisbesen unter
die Schwelle der Stallthür. Wenn ein neues Stück Yieh oder ein Pferd in den
Stall kommt, muss es drüber schreiten und dann kann nie etwas passieren." No. 2,
aus Pommern stammend. „Steene an 't Fenster? Nee! Daran glauben wir in
Pommern nich. Aber wenn man bei uns ein neues Stück Vieh bekommt und
will nun gegen alies sicher sein, dann legt man ein Stück Brot unter die Thür-
schwelle, über die das Tier gehen muss, dann ist man gesichert. Denn das ist
wirklich wahr und dafür habe ich Beweise, dass einem manchmal das Vieh von
einem anderen verhext wird, so dass es von Stunde an nicht mehr annimmt."
No. 3, aus Wilmersdorf bei Berlin stammend, schon älterer Mann, früher lange
Berliner Droschkenkutscher. Kutscher: „Nee, Herr S., mit die Steene, an so'n
Unsinn jloobten wir nich." S.: „Dann kam also in Wilmersdorf ein Verhexen des
Viehes überhaupt nicht vor?" K.: „Natierlich kam det vor! Ick sage Ihnen, wir
hatten arme Bauerfamilien, die konnten machen wTat se wollten, et half aliens
nischt." S.: „Was war denn mit diesen Leuten?" K.: „Na, allet Vieh wat se
kriegten, janz eenjahl, Ferde oder Kühe, aliens krepierte, un weil det jar nich
anders wurde, da war et ja janz sicher, det der Stall uf irgend eene Weise ver-
hext war. Un da haben se denn nachgesucht, um et zu finden. Allens wurde
rausgerissen, det Flaster uffgenommen, un da haben se't ooch gefunden. Wie
se unter't Flaster rinbuddelten, da fanden se'n eisernen Topp mit'n Deckel druff,
un wat war drin? Injeseefte Wäsche war drin! Nu war ja aliens klar.
Beese Menschen hatten mit den Topp unn die injeseefte Wäsche den Stall verhext.
Da musste ja det Vieh sterben!" S.: „Woher wissen denn aber schlechte Menschen,
dass ein Topf mit eingeseifter Wäsche so schädlich ist?" K.: „Ja, sehen Se,
Herr S., der Topp un die Wäsche alleene machen det doch ooch nich; bei det
Inbuddeln is der Topp mit die Wäsche un der Stall besprochen. Det sind
so'ne Menschen, die haben, wie meine Mutter sagte, noch een siebentet Buch
Mo sis, da steht all so wat drin." An das Besprechen des Viehes glaubte ferner
No. 4 — aus der Provinz Posen gebürtig — unbedingt. Die wiedergegebene
Unterhaltung kann wohl als Beweis dafür dienen, wie allgemein auch heute noch
an das Verhexen des Viehes geglaubt wird. — Zum Schluss wurden dann noch von
Herrn Sökeland eine sogen. Knudelmühle und ein Stein vorgelegt, die Herr Pastor
Handtmann in Seedorf bei Lenzen dem Trachtenmuseum überwies. Die Knudel-
mühle, welche noch viel in Lenzen gekauft wird, dient zum Massieren, während
mit dem Stein Zahnschmerzen und Gicht geheilt werden können. [Sökeland.]
Herr Prof. Dr. Bolte behandelte, von Roseggers Roman „Der Gottsucher"
ausgehend, das in ganz Europa verbreitete Gesprächslied von den heiligen
Zahlen 1 —12, seine Verwendung in Märchen, Weihnachts- und Nachtwächter-
liedern, Deutungen der Spielkarten und weltlichen Parodien. Seinen Ursprung
suchte er nicht in dem erst im 15. Jahrh. auftauchenden hebräischen Liede aus
der Pesach-hagadah (Echad mi jodea), sondern in der vor 440 entstandenen Zahlen-
symbolik des Bischofs Eucherius von Lyon, die in letzter Instanz auf die mystische
Spekulation der Pythagoräer zurückgeht. [Bolte.] An der Diskussion beteiligten
sich die Herren Minden, Rich. M. Meyer, Sökeland, Friedel. Eine Ab-
handlung über dieses Thema wird in unsrer Zeitschrift erscheinen.
Max Roediger.
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ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und, TT. Steinthal.
Elfter Jahrgang.
Heft 4. 1901.
BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
Mit Tafel V und VI.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
von
Karl Weinliold.
Die Zeitschrift erscheint 4 mal jährlich.
m
I n li a 11.
Karl Weinhold; Gedächtnisrede, gehalten am 25. Oktober 1901 von
Max Roe dig er (mit Taf. V).............
Chronologisches Verzeichnis der Schriften Weinholds. Yon demselben
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels (I—Y). Yon Joli. Boite
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult I. Yon Julius v. Negelein
Der böse Blick in nordischer Überlieferung, 1. bis 4. Beilage. Von
FI. F. Feilberg.................
Von de la Martiuières Reise nach dem Norden. Von Bernhard Kahle
Von dem deutschen Grenzposten Lusérn im wälsclien Südtirol, III:
Meinungen, Bräuche und Sprüche. Von Josef Bacher . . .
Das Kellerrecht. Mitgeteilt von Hans Schukowitz......
Die Hedwig-Sohlen. Von Max Ilöfler (mit Tafel VI).....
Kleine Mitteilungen:
Zwei Volkslieder ans dem Geiselthal bei Merseburg, mitgeteilt von M.Adler S. 459.
— Braunschweigische Abzählverse; Drohung nnd Verspottung beim Versagen einer Bitte:
Erziehung zur Aufmerksamkeit, mitgeteilt von 0. Schütte S. 461. — Das Vogelnest im
Aberglauben, von H. Lewy S. 46ü. — Volkstümliches aus Jonathan Swift von F. Ilwof
S. 463. — Zu Heinrich Kaufringer, von K. Euling S. 4<i4. — Alexander Treichel f, von
E. Lemke S. 465.
Bücheranzeigen :
Schweizerisches Idiotikon IV S. 466. ,P. - Scbillot, Le Folklore des Pêcheurs
S. 467. — Tiffaud, L'exercice illégal de la médecine dans le Bas-Poitou. Les toucheurs
et les guérisseurs S. 467. — G. Hager, Die Weihnachtskrippe, ein Beitrag zur Volkskunde
und Kunstgeschichte S. 468.
Aus den Sitzungs - Protokollen dës Vereins für Volkskunde von
J. Bol te . . . .................469
Register......................471
Beiträge für die Zeitschrift, bei denen um deutliche Schrift
auf Quartblättern mit Rand gebeten wird, Mitteilungen im
Interesse des Vereins, Kreuzbandsendungen, beliebe man an
die Adresse des Herausgebers, Prof. Dr. Johannes Bolte, Berlin
SO., Elisabethufer 37, zu richten.
Bücher für Besprechung in der Zeitschrift wolle man an die Verlags-
Buchhandlung A. Asher & Co., Berlin W. Unter den Linden 13, senden.
Beitrittserklärungen zum Verein nimmt der 1. Vorsitzende Prof. Dr.
Max Roediger, Berlin SW., Wilhelmstr. 140, der 1. Schriftführer Prof.
Dr. Johannes Bolte und der Schatzmeister Banquier Alexander Meyer
Cohn, Berlin W., Unter den Linden 11, entgegen.
Der Jahresbeitrag, wofür die Zeitschrift an die Mitglieder gratis und
franco geliefert wird, beträgt 12 Mk. und ist im Januar an den Schatz-
meister zu zahlen.
Seite
353
364
376
406
420
431 .
443
452
455
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1901, Taf y
Dr. Karl Weinhold
Karl Weinhold.
Gedächtnisrede, gehalten am 25. Oktober 1901 im Verein
für Volkskunde zu Berlin,
von Max Roediger.
Anders, als wir es vermuten und hoffen durften, treten wir am heutigen
Tage nach der Sommerruhe zu unseren winterlichen Vereinigungen wieder
zusammen. Lange hatten wir der Leitung unseres ersten Vorsitzenden
entbehren müssen, selbst bei der Feier des zehnjährigen Bestehens unseres
Vereins war es uns versagt, ihn zu begrüssen. Aber mit dem Fortschritt
des Frühjahrs besserte sich das Befinden des Leidenden: eine Sitzung des
Vorstandes hielt er am 21. Juni frisch und ohne Beschwerden ab, und als
er gegen die Mitte des Juli auf die Reise nach Nauheim ging, schien es
mir und anderen, die Genesung sei nur noch zu festigen. Das war auch
seine eigene Meinung. Nicht bloss der Form wegen hatte er seine Kollegien
für den Winter angekündigt und den Mitgliedern des Germanischen
Seminars anzeigen lassen, was er zu betreiben gedächte, damit sie sich
darauf rüsten könnten: sein Vertrauen in die Zukunft stand fest. Leise
Mahnungen der besorgten Gattin wies er fast ärgerlich zurück. Und sie
hat doch schärfer gesehen. Weinholds Nachrichten über den Einfluss der
Bäder lauteten bald ungünstig, und am 15. August verschied er. Statt
der Begrüssung des Gesundeten eine Totenfeier, ein Rückblick auf eine
abgeschlossene Erdenlaufbahn statt der erhofften Glückwünsche für ein
neues Lebensjahr.
Denn morgen wäre Karl "W einhold 78 Jahre alt geworden. Er ist
am 26. Oktober 1823 zu Reichenbach in Schlesien geboren, wo sein Vater
Prediger war. Karl war das älteste, blieb aber nicht das einzige Kind
im Hause: sechs andere folgten, aber nicht so wuchsen die knappen Mittel
der Familie. Dennoch lebte er keine freudenleere Jugend. In die er-
wartungsvollen Schauer der Adventszeit mit dem pelz verhüllten Ruprecht,
den Besuchen des Christkindes im Geleit von Gabriel und Petrus, dem
im Nachbarhaus erbauten Krippel, in den Glanz des Christbaumes mit den
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 25
354
Roediger:
darunter ausgebreiteten Gaben lässt uns Weinhold in seinem Weihnachts-
buch hineinschauen und die heiligen drei Könige mit den goldenen Kronen
und den weissen, buntbebänderten Kleidern an uns vorüberziehen.
Frühzeitig, als der Knabe erst fünf Jahre zählte, begann der private
Unterricht, schon mit sechs Jahren führte man ihn ins Lateinische ein
und setzte ihn an das Klavier. Zu Ostern 1834 trat er in die öffentliche
Schule und machte sich bald darauf ans Griechische. Regeres Interesse
für Geschichte knüpfte sich zunächst an die Schicksale der Yaterstadt,
und Ausflüge weckten den Sinn für Natur und schärften den Blick für
die Eigentümlichkeiten der Heimat, denen auch die Mutter ihr Augenmerk
zuwandte. Am Gründonnerstage 1838 wurde Karl konfirmiert und kam im
Oktober nach Schweidnitz auf das Gymnasium, für dessen Secunda er sich
im Examen reif erwiesen hatte. 1840 rückte er in die Prima auf.
Yon dem Treiben auf dem Gymnasium hat Weinliold in dem liebe-
vollen und aufschlussreichen Lebensbilde des Grafen Moritz Strachwitz,
das er der Gesamtausgabe von dessen Gedichten voranstellte, 1877 er-
zählt. Der Rektor Dr. Julius Held gab der Prima das Gepräge. Durch
die Lektüre des Horaz, Homer, Sophokles öffnete er den Schülern die
Augen für das klassische Altertum, trug ihnen daneben die Geschichte
der deutschen Litteratur vor und suchte sie namentlich für Goethe zu er-
wärmen. Aber auch der neueren Dichtung verschloss er sich nicht und
gönnte ihr Platz in der für die Primaner von ihm gegründeten Bibliothek.
Im Winter veranstaltete er Abendunterlialtungen, bei denen sie vor ge-
ladenen Gästen sich als Musiker oder Deklamatoren hören liessen. Heimlich
that man sich zu einem Verein oder Comment, wie dergleichen damals
hiess, später daneben zu einem kleinen Kränzchen Auserwählter zusammen,
strebte, sich der dumpfen, stockenden Zeit in schwärmerischer Erhebung
zu entrinden, genoss die moderne Poesie und versuchte sich, dem den
o J O 1
Schlesien! angeborenen Triebe folgend, selbst im Dichten. Bei Weinhold
bricht, wohl ein Erbteil vom Yater her, die Gabe, ein treffendes und
eigenartiges Wort za finden, früh hervor und kräftigt sich später unter
dem unverkennbaren Einflüsse Jacob Grimms. Er hat sich auch gern und
zu allen Zeiten poetischer Form bedient für ernsten und scherzhaften
Inhalt, hat noch in Kiel bei kleinen Aufführungen agiert und bewies als
Erzähler und Reiseschilderer scharfe Beobachtung und eine unverächtliche
Gestaltungskraft. So steuerte er denn auch alsbald zu dem Musenalmanach
der Breslauer Studenten auf das Jahr 1843, den der damalige Privatdocent
Gustav Freytag als gequälter Berater der „stolzen Knaben" seufzend zum
Druck rüstete, vier Gedichte bei, seine erste Arbeit, die unter die Presse
kam. Aber bedeutsamer, als dass der ihm befreundete Strachwitz ihn
zum Dichten anregte, war es für Weinhold, dass er durch ihn Percys
Balladensammlung sowie die Vilkina- und Yölsungasaga in Ubersetzungen
kennen lernte und dass ihm damals als erste altdeutsche Originale Ett-
Gedächtnisrede auf Karl Weinhold.
355
nriillers Kunech Luarin und von der Hägens Nibelungenausgabe in die
Hände fielen. Das bestandene Abiturientenexamen machte diesen Zu-
sammenkünften im März 1842 ein Ende, und am 23. April liess sich
Weinhold in Breslau immatrikulieren.
Zuvörderst als studiosus theologiae, wie dem Pastorensohn am nächsten
lag. Allein schon 1843 beginnt er an der Hand von Grimms deutscher
und Bopps Sanskrit-Grammatik sich ernstlich mit diesen Sprachen zu be-
schäftigen, hört im Winter Altnordisch bei Theodor Jacob i — unter den
Zuhörern war auch Albreclit Weber, der Meister des Sanskrit — und
tritt 1844 förmlich in die philosophische Fakultät über. Seine Wendung
zum Deutschen war entschieden, und zwar durch Jacobi.
Dieses begabten, feinsinnigen Forschers Leistungen haben erst nach
dem vorzeitigen Tode des kränklichen Mannes, als der Betrieb der
deutschen und vergleichenden Grammatik reger ward, volles Verständnis
und die ihnen gebührende Anerkennung gefunden. Weinhold war er
Lehrer und Freund zugleich. Er führte ihn nicht nur in die Grammatik
und alte Litteratur und Kultur ein, sondern gab ihm auch Beispiel und
Antrieb für die wissenschaftliche Behandlung der neueren Litteratur,
namentlich durch seinen Aufsatz über Goethes Tasso, und unterstützte den
Schüler noch kurz vor seinem Tode lebhaft, da Weinhold zuerst als volks-
kundlicher Sammler an die Öffentlichkeit trat.
In den Erinnerungen an Jacobi hebt Weinhold den ausgeprägt
provinziellen Charakter der Breslauer Universität hervor. Er deutet an,
dass es ihm, als er Ostern 1845 nach Berlin zog, erging wie acht Jahre
früher seinem Lehrer: ihn befiel anfangs ein heimwehartiger Kleinmut.
„Dann aber arbeitete er sich bald in die neuen Verhältnisse mit ihren
weiteren Aus- und Einsichten und dem rascheren Flusse des Lebens" ein.
Anhalt gewährte ihm, dass er Albrecht Weber dort wiederfand, mit dem
ihn von nun an treue Freundschaft bis zum Tode verknüpft hielt, und
class er einen gleich beständigen Bund mit seinem älteren Landsmann
Julius Zacher schloss, an den ihn Jacobi gewiesen hatte. Ihre Wege
haben sich von da an mehrfach gekreuzt und verschlungen.
Weinhold hörte Vorlesungen bei Karl Lachmann. Wir sehen ihn
in Wreinholds Mitteilungen über Lachmann leibhaftig auf der Strasse
dahinschreiten, und er neben Yahlen hat ihn uns durch veröffentlichte
Briefe menschlich näher gerückt und von dem Rufe der Kälte befreit.
Auf Jacob und Wilhelm Grimm „schaute sein junges, von Begeisterung
für deutsche Art und Geschichte erfülltes Herz mit aller Andacht". Jacob
rühmt er als warm und bieder. „Seine wunderbare Natur" zog ihn
vor allem an, seine Forschungs- und Darstellungsweise hat sich ihm am
tiefsten eingedrückt. Die Alemannische Grammatik ist Jacob „in treuer
Verehrung gewidmet". Persönlich haben diese Begründer der deutschen
Philologie nur kurze Zeit auf ihn gewirkt: er war damals schon mit seiner
25*
356
Roediger:
Doktordissertation beschäftigt, dem Spicilegium formularum, Formel-
sammlungen aus den ältesten Dichtungen aller Germanen, durch die, in
Erweiterung eines Jacob Grimmschen Yorbildes, nicht nur der Stil ihrer
Poesie, sondern auch ihre Lebensanschauungen und -Einrichtungen auf-
geklärt werden sollten. Er wurde daraufhin, 22 Jahre alt, am 14. Januar
1846 in Halle zum Doktor promoviert.
Damit waren die Lehrjahre abgeschlossen. Es ging nun schnell vor-
wärts. Durch Heinrich Leo unterstützt, konnte sich Weinhold am 15. April
1847 in Halle als Privatdocent habilitieren. Er reichte eine Abhandlung
über das indische Gedicht Völuspa ein, die nicht gedruckt worden ist,
aber in einem kleinen Aufsatz in der Zeitschrift für deutsches Altertum
eine Spur hinterlassen hat. Nordische Zeugnisse sollten ihm auch die Be-
deutung des rätselhaften, durch seine Natur ganz für sich dastehenden
Gottes Loki enthüllen, und wenn der hiermit zuerst den schlüpfrigen
Boden mythologischer Untersuchungen Betretende es auch so wenig zu
allgemeiner Anerkennung seiner Resultate brachte, wie irgend ein anderer
Forscher über Loki vor oder nach ihm, so hat er doch das Material voll-
ständig vereinigt und besonnen geprüft und etliche bedeutsame Gesichts-
punkte richtig festgelegt. Die kleinen Aufsätze über Niördr und ver-
wandte "Wörter und Frau Zucht erschienen gleichfalls in dieser Zeit, und
in einem Nachtrag zu der Grimmschen Notiz „Frau kein wildes Tier"
spricht er von seiner Sammlung schlesisclier Sagen, Märchen und Gebräuche,
macht einen oberschlesisch - slavischen Hochzeitsbrauch bekannt und an
anderer Stelle ein gläzisclies Christkindelspiel. Damit rühren wir an die
Bande, die den treuen Schlesier, wo er auch immer weilte, an die Heimat
gefesselt haben. Die Beschäftigung mit ihr durchzieht sein ganzes Leben
als eine Frucht der Heimatliebe, die in seinem Elternhause gepflegt ward.
Ich deutete bereits Jacobis Anspornen und Helfen bei diesen Unter-
nehmungen an. Ernstlich setzen sie 1846 seit der Rückkehr des jungen
Doktors nach Reichenbach ein. Er beobachtet das volkstümliche Leben
Schlesiens, trägt Sagen und Märchen zusammen, wendet sich aber vor-
nehmlich der Mundart zu. Als Jacobi ihn in Reichenbach besucht, wird
beschlossen, ganz Schlesien für die Sammlungen aufzurufen. Jacobi
wusste den neu gegründeten Yerein für Geschichte und Altertümer
Schlesiens zur Teilnahme anzuregen, und 1847 ging Weinholds „Auf-
forderung zum Stoffsammeln für eine Bearbeitung der deutsch-schlesischen
Mundart" ins Land. Die Stürme des Jahres 1848 verwehten die Blätter,
die von Jacob Grimm das Prädikat musterhaft bekamen. Weinhold aber
hielt zäh an seinem Plane fest, auch als ihm seine Sammlungen 1850
durch Feuer vernichtet worden waren. 1852 handelte er präludierend und
noch unsicher über Deutsches und Slavisches aus der deutschen Mundart
Schlesiens in der neu begründeten Zeitschrift für vergleichende Sprach-
forschung, trat aber bereits 1853 mit der gewichtigen Schrift „Über deutsche
Gedächtnisrede auf Karl Weinhold.
357
Dialektforschimg" hervor, deren ersten Teil eine Neubearbeitung der
„Aufforderung" bildet. Der weite Umfang dessen, was Weinhold unter
Dialektforschung damals versteht und immer verstanden hat, eröffnet sich
uns: nicht bloss Grammatik, sondern Zusammentragen des ganzen mundart-
lichen Sprachschatzes nach Gruppen, die das gesamte Leben, Fühlen
und Denken des Volkes umfassen und so zugleich den nichtgrammatischen
Zweigen der Volkskunde Stoff liefern. Weinhold beschränkt sich in
unserem Buch auf die Grammatik, aber er hebt seine Darstellung auf
eine höhere Stufe, indem er Verwandtes in anderen Dialekten vergleicht.
Er ist auch später nicht am Schlesischen haften geblieben und hat sich
immer mehr zum Dialektforscher ausgebildet. Es sei gleich erwähnt, dass
er dem siechen Mittelniederdeutschen Wörterbuch durch sein Eintreten
auf der Philologenversammlung zu Innsbruck 1874 das Leben rettete und
den hiesigen Studenten für das Jahr 1899 und 1900 die Preisaufgabe
stellte, den Berliner Dialekt zu untersuchen. Beiträge zu einem schlesischen
Wörterbuch gab er 1854 und 55 auf knappen 100 Seiten, und sie blieben
das beste Hilfsmittel für das Schlesische, das er selbst erst im vergangenen
Jahre durch einzelne weiter ausgeführte Artikel in den Mitteilungen der
Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde überholt hat. Schlesien in
sprachlicher Hinsicht hat er auch einmal im allgemeinen geschildert und
zur Aufhellung seiner Ortsnamen beigetragen. An Schlesiens mytho-
logischen Resten, seinen Märchen, Sagen, Bräuchen ist er in seinen ver-
gleichenden Studien nie vorübergegangen, hat auch einzelnes davon mit-
geteilt; einen kurzen Gesamtüberblick aber bietet das inhaltreiche, mit
voller Beherrschung des Stoffes geschriebene Büchlein „Die Verbreitung
und die Herkunft der Deutschen in Schlesien", das Mundart und Namen,
Recht, Feldeinteilung und Hausanlage, Sagen und Aberglauben, Sitten und
Gebräuche neben den historischen Zeugnissen benutzt, um sein Ziel zu
erreichen. Und es fügte sich, dass seiner Forschung Lauf das Ende an
den Anfang schloss, indem er über den schlesischen Berggeist Rübe-
zahl sich äusserte, schlesische Weihnachtspiele anzeigte und in seinem
letzten Vortrag in der Akademie am 18. Oktober 1900 die Zeitpartikeln
des schlesischen Dialekts behandelte, Heut vor einem Jahre ward er im
Druck ausgegeben.
Diese schlesischen Arbeiten wollte ich zusammenfassen, nehme aber
nun den chronologischen Faden wieder auf.
In Halle traf Weinhold Zacher an und katalogisierte mit ihm Förste-
manns Bibliothek. Dann aber liess er den Freund hinter sich und rückte
schon im März 1849 in das durch Jacobis Tod erledigte Extraordinariat
zu Breslau. Bald begannen Verhandlungen wegen einer Professur in
Krakau, und am 18. April 1850 zog er in die Universitätsstadt der
Jageilonen ein. Trauriges hatte er alsbald mit ihr zu erdulden, denn der
«•rosse Brand am 18. Juli 1850 zerstörte auch seine Häuslichkeit und seine
358
Roediger:
Sammlungen, und nur durch einen Zufall wurde das fertige Manuskript
•1er „Deutschen Frauen im Mittelalter" gerettet. Als glücklicher Bräutigam
hatte er das Buch 1847 in Halle begonnen, nun konnte er am 1*2. August
1850 sich mit seiner erwählten Heimatgenossin Anna Ellger vermählen
und über der Asche des Junggesellensitzes den eigenen Hausstand er-
richten. Freilich musste er sparsam gehalten werden, aber das gerettete
Werk zeugt nicht von Unlust. Der Glanz aufsteigenden Eheglücks und
reiner Frauenverehrung ruht auf seinen Blättern; der Dankbarkeit gegen
Mutter und Grattin giebt die Yorrede der ersten und die Widmung der
zweiten Auflage Ausdruck; „Fromm Weib des Lebens Heil!" steht auf
der letzten Seite. Ein besseres Geschlecht von Männern erwartet Wein-
hold in den trüben, gebeugten Tagen jener Zeit durch Deutschlands
Frauen, und wohl uns, dass dreissig Jahre darauf die Schlusssätze anders
lauten durften. Aber ein Zeichen der Zeit war es auch, dass so lange
Jahre verstreichen mussten, ehe dieses warme, auf ernste Forschung und
umfassende Gelehrsamkeit begründete, trotzdem zu allen Gebildeten
redende Buch eine zweite Auflage erleben konnte. Die dritte folgte ihr
nach fünfzehn Jahren.
Schon acht Monate nach der Begründung wurde der junge Hausstand
nach Graz verlegt oder, wie Weinhold mit berechtigter Vorliebe für die
ältere und echtere Form des verdeutschten Slavennamens sehreibt, nach
Gräz in der Steiermark. Hier kam Weinhold für eine Reihe von Jahren
zur Ruhe, und die dort verlebte Zeit war wohl die sonnigste im Leben
des Ehepaares. Feste Freundschaft wurde mit Karl von Holtei geschlossen,
der ein Jahr vorher nach unstätem Wanderleben gleichfalls hier sesshaft
geworden war und sich zur Abfassung seiner Romane sammelte. Wein-
hold widmete dem „teuren Freunde" 1862 von Kiel aus seinen Vortrag
über Martin Opitz und gedenkt dabei der „traulichen Abende, die wir in
Gräz während einer Reihe von Jahren selbdrei verlebten, wo von der
Heimat, ihrer Art, ihrer Rede- und Denkweise so gern gesprochen und
auch Opitz oft genannt ward". Holteis Schlesischen Gedichten hat er
1857 ein Glossar beigefügt, das er später erweiterte und überarbeitete;
Holtei hat er mehr als eine poetische Spende gewidmet und ihm am
24. Januar 1878 in Breslau den Gruss Schlesiens zum 80. Geburtstagsfeste
dargebracht. Von den weiteren Freunden erwähne ich nur den Zoologen
Oskar Schmidt, der später als Weinhold den Weg nach Krakau und Graz
gezogen war und dessen Sohn Erich den alten Freund des Hauses in Berlin
als Kollegen begrüssen sollte. Von den Schülern muss Ma ti lj i as Lex ci-
genannt werden: noch kurz vor seinem 1892 erfolgten Tode hier AVein-
liolds Gast, in Graz sein Helfer beim Sammeln der Weihnachtspiele und
Lieder, und von ihm zu seinem Kärntischen Wörterbuch angeregt.
In der Steiermark hat sich Weinliold heimisch gemacht. Er hat mit
O
liebevoller Sauberkeit Handschriften der reichen Grazer Bibliothek abge-
Gedächtnisrede auf Karl Weinhold.
359
schrieben und sie gelegentlich verwertet oder von ihnen Kunde gegeben.
Er war ein eifriges Mitglied des historischen Vereins und bog in den
Untersuchungen über den Dichter Grafen Hugo von Montfort und den
ihm verwandten Minnesinger von Stadeck von der litterarischen stark zur
historischen Forschung ab. Er hat den Anteil Steiermark« an der deutschen
Dichtkunst des 13. Jahrhunderts festzustellen versucht. Er hat ein reich-
haltiges steirisclies Idiotikon angelegt. Er hat vor allem dem lebendigen
Volkslied und Volksbrauch auf vielen Fahrten durch das Land nachgespürt,
hat den Historischen Verein zur Sammlung der steirischen Volkslieder
und Volksreime angeregt, die ihm unterstellt ward und zu der er An-
leitung in einem Aufruf vom Jahr 1858 und Proben in den Mitteilungen
des Vereins 1859 lieferte. Rosegger und Heuberger und besonders
Schlossar haben dies von Weinhold begonnene Werk mit reichem Erfolge
fortgeführt. In der Stille war vor ihnen der Freund und Gönner der
Steiermark, Erzherzog Johann von Osterreich, in dieser Richtung thätig
gewesen, Prinz Johann, den das Volk selbst im Liede gefeiert hat. Er
unterstützte Weinhold durch Hergabe von Liedern und andern Aufzeich-
nungen über Volkstümliches, woraus der Verstorbene, eigene Funde hinzu-
fügend, uns im 8. Band unsrer Zeitschrift Proben darbot. Es sei hervor-
gehoben, dass Weinhold schon in Graz über Volkskunde las, wohl als
erster Universitätslehrer, wie auch nach langer Pause seine letzte Vor-'
lesung in Berlin im Winter 1900/1 von Altertums- und Volkskunde handelte.
Er zuerst hat auch damals Weihnachtspiele und Weihnachtlieder aus dem
Dunkel hervorgezogen, nachdem er als Vorläufer jenes gläzische Christ-
kindelspiel in der Zeitschrift für deutsches Altertum vorausgesandt, das nun
verbessert in dem schon erwähnten umfänglichen Werke Weihnacht-Spiele
und Lieder aus Süddeutschland und Schlesien, Graz 1853, wiederkehrte.
Zugleich entwarf er darin die Geschichte dieser Poesie, gab Proben für
ihre Entwickelungsphasen und deckte die Quellen des Weihnachtsfestes in
der heidnischen Feier der Wintersonnenwende auf, die christlich umge-
staltet und mit christlichen Zuthaten versetzt ward. Er hat an dieser Meinung
späteren Angriffen gegenüber festgehalten und sie im 4. Band unserer
Zeitschrift kurz, aber wirksam verteidigt. Karl Julius Schröer und Lexer
folgten bald mit weiteren Weihnachtspielen und-Liedern nach, ihnen eine
lange Reihe Anderer; keine Sammlung aber hat Weinhold mehr gefreut,
als die der schlesischen von Friedrich Vogt, der auch in der Quellenfrage
auf seine Seite trat.
Der Archäologie näherte sich Weinhold ebenfalls in dieser Grazer
Zeit, wo Ausgrabungen dazu lockten. Über mehrere neu aufgedeckte
Gräber hat er in den Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark
gehandelt und zusammenfassend die Fundberichte über heidnische Toten-
bestattung aus Deutschland und der Schweiz in den Sitzungsberichten
der Wiener Akademie, deren korrespondierendes Mitglied er 1854, deren
360
Roediger:
wirkliches er 1860 ward, in systematische Ordnung gebracht. In
Kiel ist er später noch einmal auf die Einteilung der Heidengräber
zurückgekommen. Es führte ihn zur Archäologie aber auch die Be-
schäftigung mit den altnordischen Zuständen. Aus ihr ging 1855 das
dem Vater gewidmete Werk Altnordisches Leben hervor, das die äusseren
und inneren Zustände, vorwiegend freilich mit Hilfe der altnordischen
Litteratur behandelte. Wieder nimmt hier Weinhold die Führerstelle
ein und ist im Grunde mit seiner umfassenden, zuverlässigen Darstellung
selbst den Skandinaviern voran. Auch hier strebte er über die gelehrten
Zwecke und Kreise hinaus nach erziehlicher Wirkung: er wollte „die matte
und charakterlose Gegenwart" aufrütteln und stärken. Das ist begreiflicher-
weise dem Buche, wie anziehend und inhaltreich es ist, in noch minderem
Masse gelungen, als dem verwandten über die deutschen Frauen. Erst in
den letzten Jahren wünschte der Verleger eine neue Auflage, Weinhold
lehnte sie jedoch ab, da er ein neues Buch für nötig hielt.
Die akademische Abhandlung über die Riesen des germanischen
Mythus bleibt im Norden, bei den Gebilden, die die Phantasie seiner
Bewohner aus der rauhen Natur des Landes oder in unbeholfener Spekulation
schuf. Yon der Entstehung bis zur Zerstörung der Welt greifen sie in ihre
und der trotter Geschichte ein, verbinden sich zuweilen mit ihnen, be-
kämpfen sie noch öfter. Bis jetzt kann man nirgends besser als bei
Weinhold diese mythischen Begebenheiten verfolgen.
Nach Prag zu gehen, hatte Weinhold abgelehnt, aber Miillenhoffs
Nachfolger in Kiel zu werden, nahm er 1861 an und begann seine Tliätig-
keit im Herbst mit Vorlesungen über deutsche Grammatik und Goethe.
Sie deuten zwei Richtungen an, die seine Forschung dort verfolgte. Ich
spreche an dieser Stelle von beiden kurz.
Seines Vortrags über Opitz gedachten wir. Das Komische im alt-
deutschen Schauspiel zu verfolgen, konnten ihn die Seitenstücke zu den
Weihnachtspielen anleiten. Über Goethe und Schiller hatte er schon in
Graz gelesen und bewies sein auf der Schule gewecktes, durch Jacobi ge-
nährtes Interesse für ersteren von nun an durch allerhand kleine Beiträge
sowohl als durch die Edition des Tasso in der Weimarer Ausgabe, womit
er direkt an Jacobi anknüpfte. Auch Goethes unglücklicher Jugendgenosse
Lenz hat ihn viel und bis zuletzt beschäftigt, zeitweilig der Maler Müller.
Papiere, die ihm in Kiel zugänglich wurden, riefen das Buch über Boie
und einen Aufsatz über den zum Stolbergschen Kreise gehörigen Schönborn
hervor. Anderes sei übergangen.
Kühn war der Schritt, den er mit seiner Alemannischen Grammatik 1863 Y
unternahm: es galt eine Vorführung der historischen Entwickelung des
Dialektes von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart, fast ohne Vorarbeiten,
nur aus den Quellen. Es war eine gewaltige Arbeit. Sie konnte natürlich
nicht in allen Punkten gelingen, und Weinhold selbst hat sie in dem Seiten-
Gedächtnisrede auf Karl Weinhold.
361
stück, der Bairischen Grammatik, die das Österreichische mit umfasst, 1867
hier und da korrigiert. Für das bajuvarische Sprachgebiet boten wenigstens
Schmellers Arbeiten kräftige Hilfe, auch Lexers Kärntisches Wörterbuch.
Schmellers Andenken, als dessen Schüler Weinliold sich bekannte, ist der
Band gewidmet, der erste, wissen wir, Jacob Grimm. Ihm musste Wein-
liold noch im selben Jahre 1863 die Totenrede halten.
Den Kieler gelehrten Gesellschaften und einem wissenschaftlichen
Kränzchen schloss er sich an, verfolgte mit regem Interesse die politischen
Ereignisse in den Herzogtümern und führte zu den Zeiten der Krise ein
genaues Tagebuch. 1872 überbrachte er die Glückwünsche der Universität
Kiel zur Einweihung der Strassburger, im selben Jahre nahm er als ihr
Vertreter im Herrenhaus an den Abstimmungen über die Kirchengesetze
teil. Er hatte ein paar Monate vorher das Rektorat niedergelegt, nachdem
er es zwei Jahre hintereinander geführt. Wackernagel in Basel zu er-
setzen, lehnte er 1870 ab.
Trotz all diesen Ablenkungen ruhte weder die eigentlich philologische
Arbeit, besonders auf dem Gebiete des Althochdeutschen — ich erwähne
nur die von Grammatik und Glossar begleitete Ausgabe des Isidor —, noch
auch die antiquarische. Die Abhandlungen über die deutschen Zwölfgötter,
die Polargegenden Europas nach den Vorstellungen des deutschen Mittel-
alters, über die Fried- und Freistätten, die Jahrteilung, die Monatnamen,
die Personennamen des Kieler Stadtbuchs, Wesen und Recht der alt-
deutschen Familie gehen uns näher an, auch die Schrift über die gotische
Sprache im Dienste des Christentums, die er 1870 seinem Vater zum
50jährigen Amtsjubiläum widmete. Im folgenden Jahre verlor er ihn, die
Mutter blieb ihm bis in ihr 85. Lebensjahr, bis 1883 erhalten.
Im April 1876 fasste Weinhold wieder in der Heimat Fuss: er war
zum zweitenmale nach Breslau berufen worden. Seine Lehrthätigkeit
konnte sich hier reicher und fruchtbringender entfalten, wie die von ihm
für Arbeiten seiner Schüler begründeten Germanistischen Abhandlungen
bezeugen. Das Handbuch der Mittelhochdeutschen Grammatik erwies sich
als wünschenswert und ward so dankbar aufgenommen, dass es nach
wenigen Jahren einer neuen Auflage bedurfte. Spendete es doch zum
ersten Male eine Gesamtdarstellung der ober- und mitteldeutschen Mund-
arten vom 12. bis ins 14. Jahrhundert und führte wenigstens zum Teil
die Alemannische und Bairisclie Grammatik fort. Aus dem Anhange des
trefflichen, längst eingebürgerten, 1850 zuerst erschienenen Mittelhoch-
deutschen Lesebuches ging die Kleine mittelhochdeutsche Grammatik
hervor. Auch die Ausgabe des Pilatus und der Dichtungen des Franzis-
kaners Lamprecht von Regensburg gehört in die Sphäre des Mittelhoch-
deutschen. Daneben legte Weinhold von seiner Beschäftigung mit Lenz
und Goethe durch mehrere Schriften Zeugnis ab und waltete 1879/80 des
Rektorates.
362
Roecliger:
65 Jahre zählte Weinhold, als er nochmals und zum letzten Male den
Schauplatz seines "Wirkens wechselte und, wiederum als Nachfolger Müllen-
hoffs, Ostern 1889 einem Rufe nach Berlin folgte. Er war in dem Alter,
' .......'mW-in JUIUIIMlWWWW^u.itW«*
wo man, zumal nach so rastloser Arbeit, Ausruhen für erklärlich und er-
laubt gehalten hätte, und entfaltete im geraden Gegensatz dazu, wie mit
frischer Kraft begabt, die regste, vielseitigste Thätigkeit. Er kam allen
Ansprüchen des Lehramts und des Ordinariates der grossen Universität
nach, erfüllte alle Pflichten eines Mitgliedes der Akademie, hielt Vorträge
in der altangesehenen Mittwochsgesellschaft, begründete diesen Verein für
Volkskunde, leitete ihn länger als zehn Jahre und gab ebenso lange seine
Zeitschrift heraus; stand zehn Jahre an der Spitze der von Dilthey ins
Leben gerufenen Litteraturarchiv-Gesellschaft und trug als Siebziger die
schweren Lasten des Universitäts-Rektors. Wenigstens blieben Dank und
Anerkennung nicht aus, weder von Seiten des Staates noch der Freunde,
Schüler und Amtsgenossen. Die Feier seines 70. Geburtstages bewies es, in
grossartigerer Weise noch sein goldenes Doktorjubiläum am 14. Januar 1901.
Zu allen Ehren fügte die Göttinger juristische Fakultät dem Manne, der
als Supplent Jahre lang in Graz über deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte
gelesen und von seiner jugendlichen Abhandlung über Reipus und Achasius
an bis zu der vom Tins Things und darüber hinaus so manchen fördernden
Beitrag zum altdeutschen Recht gespendet hatte, der in seiner Rektorats-
rede kräftig und erfolgreich für ein Wörterbuch der deutschen Rechts-
sprache eingetreten war, den Doctor iuris honoris causa.
Still wurde am 5. März 1898 das 50jährige Professorenjubiläum, still
1900 die goldene Hochzeit begangen. Weinholds letzte Schwester Laura,
die verständnisvolle Helferin bei seinen sclilesischen Sammlungen, die auch
zu unserer Zeitschrift beigetragen hat, war nicht lange vorher gestorben,
und so mancher alte und jüngere Freund und Arbeitsgenosse in den
letzten Jahren. Zuerst Zacher; dann Lexer, Ignaz Victor Zingerle, der
Schlossherr von Gufidaun, dem für Belehnung mit dem Hexenturm AYein-
hold einmal in einem scherzhaften mittelhochdeutschen Poem gedankt
hatte; Steinthal, Schwartz, «lalin. Ihnen allen und noch manchem anderen
erwies er den Dienst, ihr Leben und Wirken für die Geschichte aufzu-
zeichnen. Er empfand diese Verluste als leise Mahnungen. Der Tod
klopfte an, trat nicht, wie in jener Inschrift, die der Arerblichene uns einmal
mitteilte, unangekündigt zu ihm herein. „Wie lange noch ich den leitenden
Stab führen werde, liegt in Gottes Hand", schrieb er im Jahre 1900. Er
war nicht mehr so wetterfest wie früher, aber noch gleich unermüdlich in
' O *
der Arbeit und Forschung.
Sie gehörte jetzt weit überwiegend der Mythologie und Volkskunde.
In rascher Folge erschienen die grossen akademischen Vorträge und Ab-
handlungen über den Wanenkrieg, über Kriegsaltertümer, Glücksrad und
Lebensrad, über das Märchen vom Eselmenschen, die altdeutschen \ er-
Gedächtnisrede auf Karl Weinhold.
3B3
wünschungsformeln, über heidnische Riten, die Neunzahl',' die Quellen-
verehrung, Aus unsrer Zeitschrift scliliessen sich ihnen an der Aufsatz
über den Wettlauf, den Haselstrauch und, abgesehen von der Menge der
Anzeigen und Recensionen, schier unzählige kleinere Beiträge. Allem ist
Weinhold gerecht geworden, was nach seinem Programm, von der physischen
Erscheinung abgesehen, der volkskundlichen Forschung zufällt: Nahrung,
Tracht und Wohnung, Sitte und Beschäftigung, Religion und Aberglaube,
Dialekte, Formeln, Namen, die Poesie in ihrem ganzen Umfange, die
Kunst. Und wenn wir hinzunehmen, was er sonst als Philolog geleistet
und die ganze Fülle ermessen, so ergreift uns staunende Bewunderung
über die Ausdehnung und Bereitschaft seines Wissens, die Schärfe und
Findigkeit seines Blicks, das Geschick seiner Kombinationen. Er war noch
ein Philolog nach alter Art, der die ganze Flur zu beackern trachtete,
nicht mit kleinen Streifen sich begnügte. Kein besserer Herausgeber der
Zeitschrift war denkbar, aber niemand kann auch ihr und den Zielen des
Vereins treuer dienen, als er es that.
Denn unser Verein und die Wirkungen und Erfolge, die sich an-
erkanntermassen an ihn und seine Zeitsclirift knüpften: Aufschwung und
wissenschaftliche Vertiefung der Volkskunde, waren seines Alters Freude
und Stolz. Wrie viel mehr Arbeit hat er der Zeitschrift zugewandt, als
vor Augen liegt! Wie viel Beiträge sind durch ihn erst geformt, umge-
schrieben und druckfähig gemacht worden, wie viel Übersetzungen hat er
selbst angefertigt oder anfertigen lassen! Alles in der Stille ohne Klagen
und Rühmen, ohne des Zeit- und Geldaufwandes und der Arbeit zu achten.
Nie hat er sich seine Auslagen ersetzen lassen, nie hat er das ausgeworfene
Redaktionshonorar angenommen und ist darüber hinaus noch dem Verein
ein stiller Wolüthäter gewesen. Mancherlei Sammlungen und Aufzeich-
nungen hat er ihm testamentarisch zugewiesen, und dies Vermächtnis ist
von seiner Witwe noch freigebig vergrössert worden. Beiden danken wir
von Herzen.
Weinhold erschien manchem stolz und unzugänglich: allein er war
frei von Uberhebung, hielt nur darauf, dass ihm zu teil wurde, was er nach
Verdienst und Stellung beanspruchen durfte, und verschwendete nicht gern
Zeit und Worte. Sein Herz war liebevoll und teilnehmend, und er zögerte
nicht zu helfen, wo er konnte. Er war ernst, besonders in den letzten
Jahren, wo mancherlei Trübes ihn befiel, aber kein Feind der Freude und
des Scherzes, den auch er zu üben verstand. Seine Meinung und sein
Urteil hat er nie verhohlen oder verhüllt; man wusste stets, wie man mit
ihm daran war, und war seiner sicher — denn er war treu und ehrlich,
und krumme Wege ist er nie gegangen.
Er war erfüllt von jenem Gefühl der Pflicht, mit dem, wie er kernig
in seiner Rede beim Antritt des Berliner Rektorats sagte, der gesunde Teil
unseres Volkes jeden Morgen aufsteht und jeden Abend sich niederlegt, und
Roediger:
wollte selbst in der letzten Krankheit nicht eher ruhend sich erholen, als bis
er wusste, dass wenigstens für Seminar und Vorlesung- gesorgt sei. An seinem
Todestage wollte er sich erheben, da er ins Kolleg gehen müsse. Seil)
Abschiedswort an mich galt unserer Zeitschrift, und aus Nauheim noch hat
der vom Tode Gezeichnete den Text unseres Glückwunsches zu Yirchows
80. Geburtstag eingesandt. „Pflicht zur Arbeit ist die Losung für uns alle!"
— das rief unser Meister als Rektor Kollegen und Studenten zu, daran
soll uns sein Bild mahnen, das von nun an auf unsere Versammlungen blicken
wird. Arbeiten wir daran, ein jeder nach Pflicht und Vermögen, dass seine
Schöpfung bestehen bleibe und gedeihe, dem deutschen Volkstum zum
Nutzen, Weinholds Namen zur Elire!
Chronologisches Verzeichnis der Schriften Weinholds.1)
1843.
Musen-Almanach der Universität Breslau auf 1843. Herausgegeben von Dr. Freytag.
[Breslau.] Darin: Drei Gedanken. Meine Liebe. Mein Rittertum. Nachbarlich. S. 91—95.
1840.
Spicilegium formularum quas ex antiquissimis Germanorum carminibus congessit
Carolas W. Phil. Dr. Halis. 32 S.
1847.
Aufforderung zum Stoffsammeln für eine Bearbeitung der deutsch-schlesischen Mundart.
Reichenbach, 28. Febr. 1847. (Benutzt in der Schrift Über deutsche Dialektforschung 1853.)
1848.
Zu Völuspä. Ztschr. f. deutsches Altertum 6, 311—318.
Ein gläzisches Christkindelspiel. Ebenda S. 340—349. (Verbessert in den Weih-
nachtspielen, 1853, S. llOff.)
Niördr. ISTordr. Niörun. Norn. Neorxu. Ebenda S. 4G0f.
Frau kein wildes Tier. Ebenda S. 462—464.
Frau Zucht. Ebenda S. 464f.
1849.
Die Sagen von Loki. Ztschr. f. deutsches Altertum 7, 1—94.
Reipus und Achasius. Ebenda 539—544.
1) Dankbar hebe ich die Unterstützung hervor, die mir bei dieser Zusammenstellung
Frau Geheimrat Anna Weinhold, Joh. Bolte und Herr Direktor Dr. Ippel von der
Königlichen Bibliothek haben angedeihen lassen. Auch den Herren Professoren Grün-
hagen und Vogt in Breslau sowie Dr. Max Herr mann in Berlin bin ich für gütige
Mitteilungen verpflichtet. Letzterer wies mir einige Stücke nach, die in der Bibliothek
deutscher Privat- und Manuskriptdrucke zu Berlin aufbewahrt werden. Aus der Zeitschrift
unseres Vereins sind nur die Artikel aufgenommen, zu denen sich Weinhold durch Unter-
schrift bekannt hat.
Verzeichnis der Schriften Weinholds.
365'
1850.
Mittelhochdeutsches Lesebuch. Mit einer Laut- und Formenlehre des Mittelhoch-
deutschen und einem Wortverzeichnisse. Wien. VIH, 186 S. Vgl. 1862. 1874. 1891.
Recensionen in der Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1, S. 873—377 Deutsche Lehrbücher
für Obergymnasien (Beilhack und Vollmer, Übersicht der sprachlichen und litterarischen
Denkmäler. Kehrein, Proben. Henneberger, Lehrbuch. Schädel und Kohlrausch, Elementar-
buch. Gödeke, Elf Bücher deutscher Dichtung). 839—843 Bratranek, Handbuch der deutschen
Literaturgeschichte. 915—917 Auras und Gnerlich, Deutsches Lesebuch.
1851.
Berichtigungen zu Weinholds Mittelhochdeutschem Lesebuche. Ztschr. f. d. österr.
Gymn. 2, 170—172.
Die deutschen Frauen in dem Mittelalter. Ein Beitrag zu den Hausaltertümern der
Germanen. Wien. VI, 498 S. Vgl. 1882. 1897.
Recensionen in der Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 2, S. 61—65 Eiselein, Sprachlehre
für Schulen. F. Bauer, Nhd. Grammatik. Vilmar, Grammatik. Hahn, Grammatik. 22 L
bis 224 Köster, Die poetische Litteratur der Deutschen. 329—332 Ph. Wackernagel, Edel-
steine deutscher Dichtung. 471—475 Diefenbach, Pragmatische deutsche Sprachlehre.
555—557 Stamm, Vorschule zum Ulfila. 727—735 Götzinger, Deutsche Sprachlehre. Ost-
feller, Leitfaden zum Studium der deutschen Sprache. 817—826 Schäfer, Grundriss der
Geschichte der deutschen Litteratur. W. Wackernagel, Geschichte der deutschen Litteratur I.
Hillebrand, Die deutsche Nationallitteratur. 871—874 Heyse, Deutsche Schulgrammatik.
Heyse, Leitfaden. E. Schäfer, Leitfaden beim Unterrichte in der deutschen Sprache.
1852.
Deutsches und Slavisches aus der deutschen Mundart Schlesiens. Zeitschr. f. vergi.
Sprachforschung 1, 245—258.
Über deutsche Rechtschreibung. Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 3, 93—128.
Recensionen ebenda S. 44—47 J. Zingerle, Tirols Anteil an der poetischen National-
litteratur. H. Kurz, Geschichte der deutschen Litteratur. Barthel, Die deutsche National-
litteratur, 459—472 Schmitt, Ayrer. Guttmann, Opitz. J. Herrmann, Gryphius. Passow,
Lohenstein. 638-642 Kelle, Lehrbuch der deutschen Sprache. Zeising, Grammatik der
deutschen Sprache. Zeising, Leitfaden.
1853.
Über deutsche Dialektforschung, die Laut- und Wortbildung und die Formen der
schlesischen Mundart. Mit Rücksicht auf Verwandtes in deutschen Dialekten. Ein Versuch.
Wien. VI, 144 S. Vgl. 1847.
Weihnacht-Spiele und Lieder aus Süddeutschland und Schlesien. Mit Einleitungen
und Erläuterungen. Mit einer Musikbeilage. Graz. VIII, 456 S. Neue (Titel-) Ausgabe
Wien 1875.
Zur Kenntnis der deutschen Philologie. Mit Rücksicht auf ihre Pflege in Österreich.
Österr. Blätter f. Litteratur u. Kunst. Beilage zur Österr.-Kaiserl. Wiener Zeitung No. 44
bis 47. 50-52.
Zur Beurteilung der Beckersclien Grammatik. Ztschr. f. d. österr. Gymn. 4, 61 — 73.
Recensionen ebenda S. 119—121 Huhn, Geschichte der deutschen Litteratur. 340—343
Sengschmitt, Österreichische Volkssprache. Bahr, Das deutsche e. Baumgarten, M. Denis.
Bernd, Ayrenhoff. Graf, Goethes Leben. 385 F. Bauer, Nhd. Grammatik. 385f. Timm,
Das Nibelungenlied. 577—579 W. Wackernagel, Geschichte der deutschen Litteratur.
H. Kurz, Geschichte der deutschen Litteratur. Schröer, Geschichte der deutschen Litteratur..
1854.
Die Bauernspiele in Innerösterreich. Deutsche Wochenschrift, herausg. von Gödeke,,
S. 147-156.
Deutsche Philologie. 'Ebenda S. 239—247.
Über Dichtungen in den deutschen Mundarten. Ebenda S. 641—652.
366
Roediger:
Recensionen in der Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 5, S. 38—40 Kehrein, Grammatik
der nhd. Sprache; Schulgrammatik. Lüning, Schulgrammatik. 313—316 Schaefer, Tabellen
zur deutschen Litteratur. San-Marte, Walther von Aquitanien. Barthel, Lehen Hartmanns
■von Aue. 552-554 J. W. Wolf, Deutsche Götterlehre. Colshorn, Deutsche Mythologie.
1855.
Zum 24. Januar 1855. 4 S. (Gedicht zu Holteis Geburtstage.)
Beiträge zu einem schlesischen Wörterbuche. 1. Abt. A—L. 55 S. 2 Abt. M—Z
S. 59—110. Anhänge zum 14. und 16. Bande der Sitzungsberichte der philos.-histor. Klasse
■der Wiener Akademie. Vgl. 1900.
Recensionen in der Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 6, S. 56—58 Hoffmann und Schade,
Weimarisches Jahrbuch I. 377—379 Pangkofer und Frommann, Deutschlands Mundarten
I—II. 379f. Lübben, Wörterbuch zu der Nibelungen Not. 611—£13 Schier, Vergleichung
der slavischen Sprache mit der deutschen. Schöpf, Yolksmundart in Tirol. Schopf, Ulrich
von Liechtenstein. K. Werner, Kulturgeschichte von Iglau. Schuldramen in den Piaristen-
schulen (anonym). Schröer, Lesebuch für Mittelschulen.
185«.
Altnordisches Leben. Berlin. VIII, 512 S.
Das deutsche Weihnachtsfest. Die Grenzboten Jahrg. 1856, 4, 441 — 448.
Recensionen in der Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 7, S. 283f. Janota, Übersetzung von
Psalmen aus dem 14. Jahrh. Haltrich, Zur deutschen Tiersage. Schröer, Beitrag zur
deutschen Mythologie aus Ungern.
1857.
Über den Dichter Graf Hugo VIII. von Montfort, Herren zu Bregenz und Pfannberg.
Mitteilungen des Historischen Vereines für Steiermark 7, 127 — 180. ,
Über das Bruchstück einer Handschrift von Philipps Marienleben. Ebenda S. 181—1S4.
Gunnlaug Schlangenzunge. Ein altnordisches Dichterleben. (Nach dem Isländischen.)
In: Für den Friedhof der evangelischen Gemeinde in Gratz in Steiermark. Erzählungen,
vermischte Aufsätze und Gedichte von 126 deutschen Gelehrten, Schriftstellern und Dichtern.
. . . Braunschweig, Wien und Gratz. S. 250—263.
Karl von Holtei, Schlesische Gedichte. 3. Auflage. Mit einem Glossar von K. W.
Breslau. Für die 9. Aufl. (1865) und auch später noch überarbeitet und erweitert.
Züge aus dem Leben der süddeutschen Bauern des 13. und 14. Jahrhunderts. Ztschr.
f. deutsche Kulturgeschichte, herausg. von Müller und Falke 2, 467 — 477.
Auf einer steirischen Alm. Westermanns Illustrierte Monatshefte 2, 259—261.
Über einige Reihen oberdeutscher Geschlechtsnamen. Deutsche Mundarten 4, 198—20?.
Die deutschen Mundarten. Über Frommanns Monatsschrift, III. Bd. Die Grenzboten
Jahrg. 1857, 1, 321—332.
Recensionen in der Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 8, S. 288f. Lexer, Der Ablaut in der
deutschen Sprache. 289 Schuster, Wodan.
1858.
Aufruf zu einer Sammlung der steirischen Volkslieder und Volksreime. Graz im
April 1858. Der Ausschuss des Histor. Vereines für Steiermark. 2 S.
Über ein zu Strassengel aufgedecktes Grab. Mitteilungen des Histor. Vereines für
Steiermark 8, 140—150.
Die Riesen des germanischen Mythus. Sitzungsberichte d. Wiener Akademie, philos.-
histor. Kl., Bd. 26, 225—306.
Über den ersten der beiden durch v. Karajan iüngst veröffentlichten Sprüche aus
heidnischer Zeit. Ebenda 28, 281—284.
1859.
Ein schön neu Lied in verschiedenen Tönen zu singen von einem Junker aus der
Schlesien wie es ihm wunderlich ergangen ist. Sehr nützlich und lieblieh zu lesen und
hören. Zuvor im Drucke nicht gesehen. [Holzschnitt: Zwei Ritter.] Gedruckt in diesem
Jahr. 8 S. (Zu K. von Holteis Geburtstag, 24. Jan.)
Verzeichnis cler Schriften Weinholcls.
Gelegenheits-Spiel zum 24. Januar 1859. Nur für Freunde als Manuskript gedruckt
1(5 S. (Beate Frau A. Weinhold. Ratei K. Weinhold. Piefke Prof. Oskar Schmidt.)
Steirische Bruchstücke altdeutscher Sprachdenkmale. Mitteilungen des Histor. Vereines
f Steiermark 9, 51 - 60.
Über das deutsche Volkslied in Steiermark. Ebenda S. fil—84.
Die heidnische Totenbestattung in Deutschland. 1. Abt. (mit 3 Taf.) Sitzungsher. der
Wiener Akademie, philos.-histor. Kl., Bd. 29, 117—204. 2. Abt. (mit 2 Taf.) ebenda Bd. 30,
171—22G.
Festrede auf Schiller. Am 10. November 1859 in der Aula der Universität zu Grätz
gehalten. Zum Besten der Schillerstiftung gedruckt. Grätz.
1860.
Über den Anteil Steiermarks an der deutschen Dichtkunst des 13. Jahrhunderts. Ein
Vortrag, gehalten in der feierlichen Sitzung der Wiener Akademie am 21. Mai I860.
Wien. 35 S.
Über den Beilaut mit besonderer Rücksicht auf den alemannischen Vokalismus
Sitzungsber. der Wiener Akademie, philos.-hist. Kl., Bd. 35, 132—151.
Der Minnesinger von Stadeck und sein Geschlecht. Ebenda S. 152—189.
Vor hundert Jahren. Ein deutsches Lebens- und Sittenbild. Erzählung im Feuilleton
der Grazer Tagespost.
1861.
Grab-Altertümer aus Klein Glein in Untersteiermark. Mitteilungen des Historischen
Vereines für Steiermark 10, 265—96.
1862.
Martin Opitz von Boberfeld. Ein Vortrag in der Harmonie zu Kiel am 15. Febr. 1862
gehalten. Kiel. 31 S.
Über die deutsche Jahrteilung. Rede, am 6. Oktober 1S62 gehalten. Schriften der
Universität zu Kiel Bd. 9, 1862. VI, 3. 20 S. 4°.
Mittelhochdeutsches Lesebuch. 2. umgearbeitete Auflage. Wien. VII, 286 S. Vgl.
1850. 1874. 1891.
Schlesien in mythologischer Hinsicht. Schles. Provinzialblätter N. F. 1, 193—197.
Schlesien in sprachlicher Hinsicht. Ebenda 2, 521—524.
1863.
Alemannische Grammatik. (Grammatik der deutschen Mundarten. 1. Teil. Das
alemannische Gebiet.) Berlin. XVIII, 477 S.
Bemerkungen gegen Herrn Prof. Franz Pfeiffers Recension von Weinholds Mittelhoch-
deutschem Lesebuch. Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 14, Beilage zu Heft 1, S. 1—4. Vgl.
ebenda 13, 723—30 Pfeiffers Recension.
Rede auf Jakob Grimm. An der Kieler Universität am 2. Nov. 1863 gehalten. Schriften
der Universität zu Kiel Bd. 10, 1863. VI, 1.
1864.
Über die deutschen Fried- und Freistätten Einladungsschrift. Schriften der Univers,
zu Kiel, Bd. 11, 1864. VI, 1. 19 S. 4°.
Mitteilungen zur Altertumskunde der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauen-
burg. Herausgeg. von Prof. Dr. K. W. Kiel. (= 24. Bericht der Schlesw.-Holst.-Lauenb.
Gesellschaft für die Sammlung und Erhaltung vaterländischer Altertümer.) Darin S. 1—20
Die Einteilung der Heidengräber. 34—42 Anzeige von Thorsen, De danske Runemindes-
mserker I. 42—49 Anzeige von Kemble, Horae ferales.
Karl Bartsch, Schlesische Märchen und Sagen. Schles. Provinzialbll. N. F. 3 (1864),
S. 224—226, und 4 (1865), S. 25—27. 91. (Nach Auszügen aus Weinholds 1850 verbrannter
Sammlung.)
368
Roediger:
1805.
Über das Komische im altdeutschen Schauspiel. Jahrb. f. Littgesch. von Gosche 1,1—44.
Nekrolog auf Wilhelm Junghans von Wfeinhold]. [Otto] R[ibbeck]. Chronik der
Universität Kiel 1865, S. 4—6.
1867.
Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg
Bd. 9. Darin S. 31—39 Beitrag zur Kunde von Kiel im XV. und XVI. Jahrhundert.
S. 40—106 die Personen-Namen des Kieler Stadtbuchs von 1264— 1288. S. 142—150 Über
Franz Hegewisch. S. 151 —154 Sigmunds von Herberstein Reise durch Holstein und
Schleswig. S. 155—157 J. M. Lappenberg.
Bairische Grammatik. (Grammatik der deutschen Mundarten. 2. Teil. Das bairische
Gebiet.) Berlin. XVI, 394 S.
1868.
Heinrich Christian Boie. Beitrag zur Geschichte der deutschen Litteratur im 18. Jahr-
hundert. Halle. X, 389 S. (Dazu eine berichtigende Selbstanzeige Zeitschr. f. deutsche
Philol. 1, 378 ff.)
1869.
Der Tannewetzel und Bürzel. Zeitschr. f. deutsche Philol. 1, 22—24.
Die deutschen Zwölfgötter. Ebenda S. 129—132.
Selbstanzeige von Boie (1868). Ebenda S. 378—388.
Die deutschen Monatnamen. Halle. [Der germanist. Abteilung der 27. Versammlung
deutscher Philologen und Schulmänner zur Begrüssung in Kiel am 27. Sept. 1869.]
Ei du goldne Tafellust, Lass dich nun besingen. Tischlied, gesungen bei der Philo-
logenversammlung in Kiel 1869. 6 Strophen nach der Melodie Mihi est propositum. 1 S. 4°.
Zum 26. [korrigiert in 16.] November 1869. (Festspiel in Versen.) 8 S.
Friedrich Heinrich Jacobi. Preuss. Jahrbücher 24, 645—678. (Bespricht Zoeppritz,
Aus Jacobis Nachlass.)
1870.
Die gotische Sprache im Dienste des Christentums. Festschrift zu dem 50jährigen
Amtsjubiläum seines Vaters Herrn Pastor primarius K. Weinhold in Reichenbach in Schlesien
von Dr. K. W., ord. Professor an der Universität Kiel. Halle. 38 S.
G. F. E. Schönborns Aufzeichnungen über erlebtes. Herausgeg. mit Einleitung und
Beigaben. Zeitschr, d. Ges. f. d. Gesch. d. Herzogt. Schleswig, Holstein und Lauenburg
1, 129—220.
Bruchstücke von vier Handschriften des jüngeren Titurel. Ztschr. f. deutsche Philol.
2, 80—108.
Bericht über die Verhandlungen der Germanistischen Sektion auf der 27. Versammlung
deutscher Philologen und Schulmänner zu Kiel. (Am 27.—30. September 1869.) Ebenda
S. 216—219.
Recension von Andresen, Sprache J. Grimms. Ebenda S. 376 f.
1871.
Die Polargegenden Europas nach den Vorstellungen des deutschen Mittelalters.
Sitzungsber. der Wiener Akademie, philos.-histor. Kl., Bd. 68, 783—808.
Recensionen in der Zeitschr. f. deutsche Philol. 3, S. 244—246 Haym, Romantische
Schule. 370—372 Redlich, Poetische Beiträge zum Wandsbecker Bothen. 481—483 v. Räumer,
Geschichte der germanischen Philologie.
1872.
Über die Bruchstücke eines niederfränkischen Gesprächbüchleins. Sitzungsber. der
Wiener Akademie, philos-histor. Kl., Bd. 71, 767—806.
Von dem geselligen Ton der höfischen Zeit unsers Mittelalters. Zeitschr f. deutsche
Kulturgeschichte, herausgeg. von Müller, N. F. 1, 31—36.
Anton Matthias Sprickmann. Ebenda S. 261—290.
Maler Müller und Goethe. Preuss. Jahrbb. 30, 51—67.
Verzeichnis der Schriften Weinholds.
369
1873.
Die deutsche geistige Bewegung vor hundert Jahren. Rede, gehalten am 22. März
1878. Schriften der Universität zu Kiel Bd. 20, 1873. VI, 3. 17 S. 4°.
Walwein, Der Abenteuer Vater. Ein Bild aus dem romantischen Mittelalter. Ztschr.
f. deutsche Kulturgesch., N. F. 2, 129—155.
Die Zimmerische Kronik über das Aussterben des Schauenburgischen Hauses in
Schleswig und Holstein. Zeitschr. d. Ges. f. d. Gesch. der Herzogt. Schleswig, Holstein u.
Lauenburg 3, 125—130.
1874.
Die altdeutschen Bruchstücke des Traktats des Bischof Isidoras von Sevilla de fide
catholica contra Judaeos. Nach der Pariser und Wiener Hs. mit Abhandlung und Glossar
herausgegeben. (Bibliothek der ältesten deutschen Litteratur-Denkmäler. VI. Bd.) Pader-
born. 133 S.
Zur Erinnerung an Hoffmann von Fallersleben. Schles. Provinzialblätter, N. F. 13,
121—123.
Dr. Rudolf Usinger, ord. Prof. der Geschichte an der Universität Kiel. Ein Lebens-
lauf. Schriften der Universität zu Kiel Bd. 21, 1874. VT, 4. 16 S. 4°.
Zur Erinnerung an Theodor Jacobi. Zeitschr. f. deutsche Philol. 5, 85—98.
Recension von Andresen, Altdeutsche Personennamen. Ebenda S. 120f.
J. M. R. Lenz ist Verfasser der Soldaten. Ebenda S. 199—201.
Beiträge zu Maler Müllers Leben und Schriften. Archiv für Littgesch. 3, 495—523.
1875.
Mittelhochdeutsches Lesebuch. Mit einer kurzen Grammatik des Mhd. und einem
Glossar. 3. durchgesehene Auflage. Wien. IV, 277 S. Vgl. 1850. 1862. 1891.
Wesen und Recht der altdeutschen Familie. Zeitschr. i. deutsche Kulturgeschichte
N. F. 4, 1—21.
Baudissin, Gräfin Karoline Adelheid Cornelia v. Allg. deutsche Biographie 2, 136.
Jahresbericht für 1873—74 an die Gesellschaft erstattet. Ztschr. d. Ges. f. Schleswig-
Holstein-Lauenburg. Gesch. 5, 390—394.
1876.
Die Sprache in den altdeutschen Predigten und Gebeten. In Wackernagels Altdtsch.
Predigten u. Gebeten, Basel. S. 446—516. (Nach der Schlussbemerkung 1871 geschrieben.)
Karl Simrock. Ein Nachruf. Schles. Presse vom 25. Juli, No. 511.
Boie, Heinrich Christian. Allgem. deutsche Biographie 3, 85.
Brückner, Ernst Theodor Johann. Ebenda S. 399.
Brun, Friederike. Ebenda S. 438.
Recension von Andresen, Deutsche Volksetymologie. Ztschr. f. deutsche Philol. 7, 376.
1877.
Mittelhochdeutsche Grammatik. Ein Handbuch. Paderborn. XII, 525 S. Vgl. 1883.
Zu dem deutschen Pilatusgedicht. Text, Sprache und Heimat. Zeitschr. f. deutsche
Philol. 8, 253-288.
Schildereien aus Tirol. Von Ign. V. Zingerle. Schles. Presse No. 39.
1878.
Rede bei der Feier des 80. Geburtstages Karl von Holteis am 24. Januar 1878. Mit
Prolog von Max Kalbeck. Zum Besten der Holteistiftung gedruckt. Breslau. 29 S.
Seiner Hochehrwürden Herrn August Baumgart Pastor von Fürstenau zum 30. März
1878 in Freundschaft gewidmet von K. W., Dr. phil. Prof. ord. Vratislav. Der pfaffeheit
ist gar nôt guoter künste unde guoter wìsheit. Br. Berthold von Regensburg. 4 Blätter,
wovon 4 S. ein Gedicht in Blankversen.
Ein unbekanntes Gedicht Höltys. Archiv f. Littgesch. 7, 187—194.
Gräfin Agnes zu Stolberg. Von ihr und über sie. Ebenda S. 204—215.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 26
370
Roediger:
1871).
Anmerkungen zu dem Text der Schweidnitzer Chronisten im XI. Bande der Scriptores
rerum Silesiacarum (Breslau 1878). Ztschr. d. Vereins f. Gesch. u. Altertümer Schlesiens
14, 573—581.
1880.
Lamprecht von Regensburg, Sanct Francissen Leben und Tochter Syon. Zum ersten
Mal herausg. von K. W. Paderborn VI, 645 S.
August Baumgart, Biblische Festblüten für das evangelische Kirchenjahr. Mit einem
Vorwort von Prof. Dr. K. W. Striegau. [Baumgart gehörte dem Strachwitzschen poetischen
Kränzchen an. Gedichte, daher auch das Vorwort (S. III —V) in Blankversen.]
Ein Tag in Vilnöss. Schles. Presse vom 26. Sept, erste Beilage zu No. 676.
Recension von Bintz, Leibesübungen des Mittelalters. Litteraturbl. f. germ. u. rom.
Philol. 1, 269.
Recension von Amelie Sohl-, Heinrich Rückert in seinem Leben und Wirken dargestellt.
Schles. Presse No. 865.
1881.
Kleine mittelhochdeutsche Grammatik. Wien. IV, 100 S.
Karl von Holtei. Westermanns Illustr. deutsche Monatshefte 50, 228—245.
Recension von Staub und Tobler, Schweizerisches Idiotikon, 1. Heft. Litteraturbl. f.
germ, und rom. Philol. 2, 393 f.
Recension von Schlossar, Volkslieder aus Steiermark. Ebenda S. 429—431.
1882.
Die deutschen Frauen in dem Mittelalter. 2. Aufl. 2 Bände. Wien. VI, 413 und
375 S. Vgl. 1851. 1897.
Recension von Henning, Das deutsche Haus. Litteraturbl. f. germ. u. rom. Philol.
3, 409—413.
Drei Gedichte von Jac. M. R. Lenz. Zu Weihnachten 1882 einbeschert von K. W.
Als Handschrift gedruckt. 4 S.
1883.
Mittelhochdeutsche Grammatik. 2. Ausgabe. Paderborn. XII, 604 S. Vgl. 1877.
Luther als Vorbild für das deutsche Haus. In: Luther-Vorträge, gehalten zu Breslau
aus Anlass des 400jährigen Luth er-Jubiläums. Breslau. S. 53—85.
1884.
Dramatischer Nachlass von J. M. R. Lenz. Zum ersten Male herausg. und eingeleitet
von K. W. Frankfurt a. M. VIII, 337 S.
Recension von Staub und Tobler, Schweizerisches Idiotikon, H. 1—6. Litteraturbl.
f. germ. u. rom. Philol. 5, 352 f.
Philo vom Walde [Johann Reinelt], Schlesien in Sage und Brauch. Mit einem Vor-
wort [S. VI If.] von K. W. Berlin.
1885.
Jakob Grimm. Zum 4. Januar 1885. Die Nation No. 15, S. 197—199.
188«.
Gustav Freytag. Deutsche Dichtung 1, 29—31.
Fürst von Pückler-Muskau. Daheim 22. Jahrg., No. 47, S. 740—746.
Zur Notiz. Litterar. Centralbl. No. 30, S. 1038. (Ankündigung des Neudrucks von
Lenzens 1782 erschienener Sizilianischer Vesper; vgl. 1887.)
1887.
Die Sizilianische Vesper. Trauerspiel von J. M. R.Lenz. Herausgegeben von K. W.
Breslau. VIII, 72 S.
Ein Brief lein Goethes an Lenz. Chronik des Wiener Goethe-Vereins 2, 27 f.
Verzeichnis der Schriften Weinholds.
371
Zur Entwicklungsgeschichte der Ortsnamen im deutschen Schlesien. Zeitschr. des
Vereins f. Gesch. u. Altertümer Schlesiens 21, 239—296.
Die Verbreitung und die Herkunft der Deutschen in Schlesien. Forschungen zur
deutschen Landes- und Volkskunde herausg. von A. Kirchhoff, 2. Bd., Heft 3, S. 161—244.
Stuttgart.
1888.
Gräfin Auguste zu Stolberg über Goethes Werther. Chronik des Wiener Goethe-Vereins.
3, 23 f.
Julius Zacher. Beitrag zur Geschichte der deutschen Philologie. Zeitschr. f. deutsche
Philologie 20, 385-429.
Ein Buch über Schlesien. National-Ztg. vom 8. Dezember. (Über Franz Schroller,
Schlesien. 3 Bde.)
188!).
ïius Things. Zeitschr. f. deutsche Philol. 21, 1—16.
Friedrich Becker. Nekrolog. Ebenda S. 73—75.
Recensionen. Ebenda S. 122—125 Socin, Schriftsprache und Dialekte. S. 254 Toischer,
Sprache Ulrichs von Eschenbach. S. 254f. Specht, Gastmähler und Trinkgelage bei den
Deutschen.
Rede bei Enthüllung des Denkmals Walthers von der Vogelweide zu Bozen am
15. September 1889 gehalten. Als Handschrift des Verfassers gedruckt. Reicheubach in
Schi. 8 S. Wiederholt im Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 84
(1890), S. 115—117.
Knebel über Goethe 1780. Von Knebel an Lavater. Chronik des Wiener Goethe-
Vereins 4, 53—55.
Anfang eines phantastischen Romans von Lenz, von dessen eigner Hand. Mit An-
merkungen. Goethe-Jahrbuch 10, 46—70. 89'—105.
Goethes Werke herausgegeben im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen.
10. Bd. Weimar. Darin Torquato Tasso herausgegeben von K. W. Vergi, dazu den Bericht
im Goethe-Jahrbuch 11 (1890), 210.
1800.
Was soll die Volkskunde leisten? Zeitschr. f. Völkerpsjchol. 20, 1—5.
Goethe oder Lenz? (Zum Gedicht: ..Ach, bist du fort?".) Chronik des Wiener Goethe-
Vereins 5, 18 f.
Antrittsrede bei fier Aufnahme in die Berliner Akademie. 3. Juli 1890. Sitzungsber.
der Berliner Akademie 1890 XXXIV, S. 780f.
Über den Mythus vom Wanenkrieg. Ebenda XXIX, S. 611—625.
Recensionen: Zeitschrift für deutsche Philologie 22, 246f. Liming, Die Natur. 2471.
Becker, Wahrheit und Dichtung bei Ulrich von Lichtenstein.
Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen u. Litteraturen 84, 149 v. Edlinger, Bildung
der Begriffe. 150 Joerres, Sparren . . . von Sprache, Sprüchen und Spielen. 152f. Hurch,
Zur Kritik des Kürenbergers. Holz, Zum Rosengarten. 341—343 Walther, Deutsche Bibel-
übersetzung des Mittelalters I. 85, 62 f. Kauffmann, Geschichte der schwäbischen Mundart.
63 Löwe, Dialektmischung im Magdeburgischen Gebiete. 320 Steinhäuser, Wernhers Marien-
leben. 320f. Horák, Entwickelung der Sprache Hallers I.
1801.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 1 herausgegeben. Darin: Zur Einleitung
g_ i_9. Volksüberlieferungen aus Eisenerz 215. Über Bielensteins Grenzen der Letten
344. Die Regenkatze 444. Kakukakilla 444. Todesnachrichten: F. Liebrecht 103.
Jos. Zingerle 344. A. Birlinger 449. A. Kretschmer 450. Anzeigen: S. 106 Bucher,
Zunftordnungen von Krakau. 112 Dania. 221 Schweizerisches Idiotikon. 225f. Schlossar,
Deutsche Volksschauspiele. 229 Philo vom Walde, Dorf hexe. 345 Brenner u. Hartmann,
Bayerns Mundarten. 345 Hartland, Science of fairy tales. 346 Andree, Flutsagen. 451 f.
E. H. Meyer, Eddische Kosmogonie. 454 Questionnaire de Folklore. Bulletin de Folklore.
26*
372
Roediger:
454f. Pineau, Contes populaires du Poitou. 455 Brader Grimm, Deutsche Sagen. 458
Wilhelm, Aberglaube im Karlsbad-Duppauer Gelände. Martiny, Aberglaube im Molkerei-
wesen. Widmann, Brucker St. Nikolaus-Spiel.
Beiträge zu den deutschen Kriegsaltertümern. Sitzungsber. der Berliner Akademie
1891 XXIX, S. 543-567.
Mittelhochdeutsches Lesebuch. 4. Aufl. Wien. VI, 286 S. Yergl. 1850, 1862, 1875.
Hans von Yintler. Deutsche Revue 17, 124—126.
Gedichte von J. M. R. Lenz. Mit Benutzung des Nachlasses Wendelins v. Maltzalm.
Berlin. XXII, 328 S.
Zur Erinnerung an Theodor Körner. Beilage No. 222 zur Allg. Zeitung No. 264 vom
23. September.
Recension von Richard Gosche. Erinnerungsblätter für seine Freunde. Deutsche
Litteraturzeitung No. 15, Sp. 545f.
Recension von Brandstetter, Prolegomena zu einer Geschichte der Luzerner Mundart.
Archiv f. d. Studium u. s. w. 86, 309.
Wolfram von Eschenbach von Karl Lachmann. 5. Ausgabe. Berlin. (Yon W. besorgt.
Seine Vorrede S. XL VI.)
1892.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 2 herausgegeben. Darin: Zu Goethes
Parialegende S. 46—50. Nachtrag zu der Sage von den sieben Grafen 206f. Erlöschen
der Altarkerzen 208. Nekrologe: H. Frischbier 87. M. v. Lexer 208. J. Zingerle von
Summersberg 442. E. L. Rochholz 446. Anzeigen: S. 87 Ploss u. Bartels, Das Weib in
der Natur- und Völkerkunde. 88 Glock, Symbolik der Bienen. Meyer, Germanische
Mythologie. 90 List, Deutsch-mythologische Landschaftsbilder. 95 Jacobs, Celtic Fairy
Tales. Hyde, Beside the lire. Brenner u. Hartmann, Bayerns Mundarten. 211 Leeby
Sagen Niederösterreichs. Franziszi, Kärntner Alpenfahrten. 211 f. Bulletin de Folklore.
212 Ammann, Passionsspiel des Böhmerwaldes. 213 Kollmann, Deutsche Puppenspiele.
214 Kotelmann, Gesundheitspflege im Mittelalter. 328 Stöber u. Mündel, Sagen des
Elsasses. 329 Monseur, Le Folklore Wallon. 329f. The Folklorist.
Glücksrad und Lebensrad. Abhandlungen der Berliner Akademie 1892. 27 S. 4°.
Mit 2 Taf.
M. v. Lexer. Zeitschr. f. deutsche Philol. 25, 253—255. Allgem. Zeitung Beil. No. 99.
Zur Erinnerung an Ignaz Zingerle von Summersberg. Allgem. Zeitung Beil. No. 230.
Recensionen im Archiv f. d. Studium u. s. w. Bd. 88, S. 85 Walther, Deutsche Bibel-
übersetzung des Mittelalters II. 86 Brandstetter, Reception der Schriftsprache in Luzern.
91 Horák, Entwickelung der Sprache Hallers, Schluss. 91 Längin, Sprache des jungen
Herder. 91f. Willomitzer, Sprache und Technik Hebels. 89, 341 f. Walther, Deutsche Bibel-
übersetzung des Mittelalters, Schluss. 342 f. Olbrich, Goethes Sprache und die Antike.
181)3.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 3 herausgegeben. Darin: Der Wettlauf im
deutschen Volksleben S. 1—23. Der Wolf mit dem Wockenbrief'e. Märchen, erläutert von
K.W. 195—205. Schwur unter dem Rasen 224f. Volksreime auf Bettlerhochzeiten 228
bis 230. Anzeigen: 107f. Staub u. Tobler, Schweizerisches Idiotikon. 109f. Günther,
Aus dem Sagenschatz der Harzlande. llOf. Pineau, Le Folklore du Poitou. Ill Harou,
Folklore de la Belgique, lllf. Hofer, Weihnachtspiele. 112 Branky, Eulennamen. 2301".
Symons, Ontwikkelingsgang der Germaansche Mythologie. 231 Sander, La Mythologie du
Nord. 232f. Gaidoz, Un vieux rite médical. 233f. Cox, Cinderella. 338f. Jacobs and
Nutt, Folk-lore Congress 1891. 339f. Uppsalastudier tillegnade Sophus Bugge. Germanistische
Abhandlungen für K. v. Maurer. 342 Brenner u. Hartmann, Bayerns Mundarten. 344
Merkens, Was sich das Volk erzählt. 466 Jacobs, More English Fairy Tales. 467 Harou,
Traditionisme de la Belgique. Folklore de Godarville. 467 La Comtesse Martinengo-
Cesaresco, La poésie populaire. 467 f. Lewalter, Deutsche Volkslieder aus. Niederhessen.
Recensionen im Archiv f. d. Studium u. s. w. 90, S. 40S Eicke, Rolandsage in Deutsch-
land und Frankreich. 408 v. Greyerz, Neuere Sprachentwickelung in der deutschen
Verzeichnis der Schriften Weinholds.
373
Schweiz. 408f. Brandstetter, Luzerner Kanzleisprache. 409 Lenz, Handschuhsheimer
Dialekt, Nachtrag. 409 Hessel, Kreiznach is Trump. 418f. Jellinghaus, Niederländische
Volksmundarten. 419 Seitz, Niederdeutsche Allitterationen. 419f. Schröder, Redentiner
Osterspiel.
Germanische Philologie. In: Die deutschen Universitäten. Für die Universitäts-
ausstellung in Chicago 1893 unter Mitwirkung zahlreicher Universitätslehrer herausgegeben
von W. Lexis. 2 Bde. Berlin. Bd. 1, 475—481.
Rede bei Antritt des Rectorats gehalten ... zu Berlin am 15. Okt. 1893. 16 S. 4°.
Über das Märchen vom Eselmenschen. Sitzuugsber. der Berliner Akademie 1893
XXIX. S. 475—488.
1804.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 4 herausgegeben. Darin: Bekehrungs-
geschichten der Jesuiten S. 91. Abermals der Schwur unter dem Rasen 214f. Sammlungen
der volkstümlichen Überlieferungen in Deutschland 217 f. Das Lied vom Pater Guardian
334. Steyermarckischer Raufjodl 335f. 459f. Nachrichten aus dem Bereiche der Volks-
kunde 33(5f. 459. Aus der Steiermark 451 f. Schlesische Sagen 452—458. Lösung des
Zungenbandes 458f. Anzeigen: R. Köhler, Aufsätze über Märchen und Volkslieder 98.
Tille, Geschichte der deutschen Weihnacht lOOf. John, Litterarisches Jahrbuch 101 f.
Bartels, Medizin der Naturvölker 102. v. d. Steinen, Unter den Naturvölkern Centrai-
Brasiliens 104 f. A. il. P. Horn, Friedr. Tribukeits Chronik 105. Pitrè, Bibliografia delle
Tradizioni popolari d'Italia 218f. Rand, Legends of the Micmacs 219f. Gomme, A Dictio-
nary of British Folklore I, 1 223. Eckart, Niederdeutsche Rätsel 224. Annuaire des
Traditions populaires 337 f. Schweizerisches Idiotikon 338. Erk u. Böhme, Deutscher
Liederhort 338f. Chatelain, Folk-Tales of Angola 340—343. Sébillot, Les travaux publics
et les mines 343. Beyer, Ferienwand er ungen 344. Schwartz, Prähistorischer Volksglaube
im Homer 460. Georgeakis et Pineau, Le Folklore de Lesbos 461-463. Wardrop, Georgian
Folk Tales 463. Hein, Verbreitung der Totenbretter 463f. Brenner u. Hartmann, Bayerns
Mundarten 464. Doehler, Unser Vogtland 464f. Merkbuch, Altertümer aufzugraben 465.
Zill' Bedeutung der Zahl Neun. Am Ur-Quell 5, 1 f.
Mitteilungen über Karl Lachmann. Sitzungsbor. der Berliner Akademie 1894 XXXIII,
S. 651-687.
Hans Sachs-Forschungen. Festschrift zur vierhundertsten Geburtsfeier des Dichters.
Im Auftrage der Stadt Nürnberg herausgegeben von A. L. Stiefel. Nürnberg. Dazu Vorwort
von K.W. S. III-VI.
1805.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 5 herausgegeben. Darin: Zur süddeutschen
Namenskunde S. 119f. Beitrag zur Nixenkunde auf Gruud schlesischer Sagen 121 —133.
Die Widderprozession von Virgen und Prägratten nach Lavant im Pusterthal 205—208.
Über ein schlesisches Wiegenlied 214—216. Nachrichten aus dem Bereiche der Volks-
kunde 217. Zu den Anfängen der Webekunst 325f. Zur Hiilebille 327f. Heinrich Pröhle f
329f. Arbeiten von Stanislaus Prato 330f. Vom heiligen Ulrich 416—424. Lesefrüchte
(Das Notfeuer im Braunschweigischeu) 452f. Ludwig Tobler f 456—458. Anzeigen:
Ratzel, Völkerkunde 108f. 217 f. Hartland, The legend of Perseus I llOf. Jacobs, More
Celtic Fairy Tales 111. Erk u. Böhme, Deutscher Liederhort 112f. Hansjakob, Schnee-
ballen 114. Hauffen, Gottschee 220. Tyson and Windle, The Pygmies 221 f. Gander,
Niederlausitzer Volkssagen 222f. Kock och Carl af Petersens, Peder Laies ordsprák 233.
Le Braz, La légende de la Mort 333. Voges, Sagen aus Braunschweig 334. Treichel,
Volkslieder aus Westpreussen 352f. Zu der Recension von Strack, Blutsaberglaube 353.
Hardy and Nutt, The Denham Tracts 462-f. Reiser, Sagen des Allgäus 465f. Dirksen,
Volkstümliches aus Meiderich 466. Fortier, Louisiana Folktales 466. Sébillot, Légendes
et Curiosités des Métiers 467. Hellmann, Meteorologische Volksbücher 468.
Die altdeutschen Verwünschungsformeln. Sitzuugsber. der Berliner Akademie 1895
XXXI, S. 667—703.
Recension von Längin, Deutsche Handschriften in Karlsruhe im Archiv für das
Studium u. s. w. 94, 421 f.
374
Roediger :
18%.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 6 herausgegeben. Darin: Ethnographical
Survey über Britannien 101. Der Tod der ist ein grober Mann 211. Beschwörung des
Alps 213—-215. Märchen vom Hahnreiter 320 — 322. Die Schweizerische Gesellschaft für
Volkskunde 329. Zusätze 441. 442. Gegen Bücherdiebe. Klosterinschrift 446. f Dr. Fritz
Staub 447. Anzeigen: Cox, An introduction to Folk-lore 103. Hartland, The Legend
of Perseus II 103. Meyer and Nutt, The Voyage of Bran 104. Brenner u. Hartmann,
Bayerns Mundarten II 106. Drechsler, W. Scherffer und die Sprache der Schlesier 106f. Larsem
Dansk Soldatensprog 107. Jacobs, Barlaam and Josaphat 223. Schweizerisches Idiotikon
III 226. Outrera, I riccottari 228. Hellmann, Bauern-Praktik 228. Lang, Mythes, cultes
et religion, traduit par Mariliier 329 f. Reiser, Sagen des Allgäus 331. Laube, Volks-
tümliche Ueberlieferungen aus Teplitz 331. Lincke, Rübezahlforschnngen 332. Bergen
and Newell, Current Superstitions 332f. Edwards, Bahama Songs and Stories 341. Mielke,
Volkskunst 341 f. Katalog der Lipperheideschen Sammlung 343. Hartland, The Legend
of Perseus III 451 f. Andree, Braunschweiger Volkskunde 453f. Haas, Rügensche Sagen
und Märchen 454f. Schröder, Die Tänzer von Kölbigk 455f. A., E., H. Bielenstein, Studien
zur lettischen Archäologie u. s. w. 456f. Kaindl, Festkalender der Rusnaken und Huzulen
457. Trombatore, Folklore Catanese 459f. Nagl, Deutsche Mundarten 461 f.
Zum Gedächtnis des 18. Januar 1871. Rede bei der Erinnerungs-Feier der Universität
in Berlin am 18. Januar 1896. 22 S. 4°.
Zur Geschichte des heidnischen Ritus. Abhandl. der Beri. Akademie 1896. 50 S. 4°.
18!)7.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 7 herausgegeben. Darin: Zu dem Märchen
von Tod und Begräbnis des armen Sperlingsweibchens 159—162. Weiteres zu der Heil-
kraft gewisser Familien 212. Rat J. S. Grüners Werk über die Sitten und Gebräuche des
Egerländer Volkes 329. Verein für sächsische Volkskunde 329. Zwei alte Gcrichtsstätten
404f. Der Wildemännlestanz von Oberstdorf 427—437. Fruchtbarkeit im hohen Alter
447. Anzeigen: Köhler und Meier, Volkslieder von der Mosel und Saar 108. Zibrt,
Rychtárské Právo 109. Thätigkeitsbericht des akademischen Vereins für tirolisch-vorarl-
bergische Heimatkunde 109. Wossidlo, Mecklenburgische Volksüberlieferungen I 213 f.
Knoop u. Haas, Blätter für Pommersche Volkskunde 214. Eskuche, Siegerländische Kinder-
liedchen 214. Schumann, Kultur Pommerns in vorgeschichtlicher Zeit 216. Wandbilder
der Völker Österreich-Ungarns 216f. Schweizer - Trachten I 217. Katalog der Lipper-
heideschen Sammlung 217 f. Lutsch, Das Bauernhaus 218. Kaindl, Haus und Hof bei
den Huzulen und Rusnaken 218 f. Böhme, Kinderlied und Kinderspiel 332f. Reiser,
Sagen, Gebräuche, Sprichwörter des Allgäus 333. Pitré, Indovinelli, Dubbi, Scioglilingua
del popolo Siciliano 333f. Sapper, Das nördliche Mittel-Amerika 335f. Matthews, Navaho
Legends 336. Schriften von Prato 337. Ludw. Tobler, Kleine Schriften zur Volks- und
Sprachkunde 447 f. Olrik, Folkeminder 448. Renk, Im obersten Innthal 448 f. Oourthion,
Les veillées des Mayens 449. Sébillot, Petite légende doreé de la Haute-Bretagne 450 f.
N'agi, Deutsche Mundarten 454. Heierli, Die Schweizer-Trachten II 454f.
Die deutschen Frauen in dem Mittelalter. 3. Aufl. 2 Bde. IV, 393 und 353 S.
Vergi. 1851, 1882.
Die mystische Neunzahl bei den Deutschen. Abbandlungen der Berliner Akademie
1897. 61 S. 4°.
Recension von Mayer u. Rietsch, Mondsee-Wiener Liederhandschrift im Archiv f. d.
Studium u. s. w. 99, 436.
1898.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 8 herausgegeben. Darin: Professuren für
Volkskunde 97. Hirtensprüche 336—339. Ein Diebsegen 346. Zur Hillebille 347. Vom
Verein für Egerländer Volkskunde 847. Aus Steiermark. Volkstümliches in ' alphabetischer
Reihe 439—448. Das tausendjährige Jubiläum der Wurst 456f. Die Ausstellung nieder-
ländischer Trachten in Amsterdam 458. Anzeigen: Mitteilungen aus dem Museum für
Verzeichnis der Schriften Weinholds.
375
deutsche Volkstrachten zu Berlin 99f. Schell, Bergische Sagen 105. f. Asmus und Knoop,
Sagen aus dem Kreise Kolberg-Köslin 106. Haas, Rügensche Skizzen 106. Dähnhardt,
Naturgeschichtliche Volksmärchen 10(5f. Löwenstimm, Aberglaube und Strafrecht 108f
Wandbilder der Völker Österreich-Ungarns 109. Heierli, Die Schweizer-Trachten III 109f.
462. Nyrop, Kulturhistoriske Skizzer I 111. Hansjakob, Waldleute 112. Weinhold,
Verehrung der Quellen 230f. Weineck, Knecht Ruprecht 231. Bahlniann, Münsterländische
Märchen u. s w. 233. Ammann, Volksschauspiele aus dem Böhmerwalde I 233f. Sächsische
Volkstrachten und Bauernhäuser 236f. Müllenhoff, Die Natur im Volksmunde 355f.
Dähnhardt, Volkstümliches aus Sachsen 356. 462. Bünker, Das Bauernhaus in Mittel-
steiermark 357. John u. Czerny, Egerländer Volkslieder 462f. Dreselly, Inschriften 466.
Zahler, Die Krankheit im Volksglauben 466f.
Die Verehrung der Quellen in Deutschland. Abhandlungen der Berliner Akademie
1893. 69 S. 4U.
1899.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 9 herausgegeben. Darin: Die alte Gerichts-
stätte (il Banco de la Resóu) zu Cavalese im Fleimser Thal in Südtirol 68—71. Das
englische Kinderspiel Sally Water 89. Franz Magnus Böhme f 95f. Noch einmal die
Amsterdamer Ausstellung nationaler Trachten vom Aug. bis Nov. 1898 204Í. Die Spelte
und die Drihe. Zur Geschichte der Weberei 205—207. Fledermaus und Maulwurf 207.
Chajim Steinthal f 208 f. Sanct Kummermiss 322—324. Wilhelm Schwartz f 328—330.
Kinderpuppengräber (Gredlgräber) in Nieder-Österreich 333. Anzeigen: Strausz, Die
Donauländer 96f. Zíbrt, Literatura kulturuë historická a ethnografická 97. Zweck,
Litauen 97. Dennett and Kingsley, Notes on the folklore of the Fjort 100. Köhler,
Kleinere Schriften I 102. Reiser, Sagen u. s. w. des Allgäus 102f. ïestschrift lür Prof.
Lemke 103. Gomme, The Traditional Games 103-105. Frömmel, Kinder-Reime u. s. w.
105. Schweizerisches Idiotikon 105. Kaindl, Ethnographische Streifzüge in den Ost-
karpathen 10(3. Ammann, Volksschauspiele aus dem Böhmerwalde II 220. Petsch, Bei-
träge zur Kenntnis des Volksrätsels 222f. Sébillot, Littérature orale de l'Auvergne 223.
Teit and Boas, Traditions of the Thompson River Indians 224f. Höfler, Deutsches Krank-
heitsnamen-Buch 342. Haas, Schnurren u. s. w. von der Insel Rügen 342. Sébillot,
Légendes locales de la Haute-Bretagne 343. Sébillot, La Veillée de Noël 348f. Scherman
u. Krauss, Allgemeine Methodik der Volkskunde 448f. Max Müller, Nouvelles études de
mythologie, traduites par Job 452. Pichler, Aus den Tiroler Bergen 457. Feilberg,
Dansk Bondeliv 457f. Chauvet, Folklore Catalan 458f. Gittée, Curiosités de la vie
enfantine 459Í. Nagl, Deutsche Mundarten 461. Bächtold, Kleine Schriften 461 f. Vergi.
1900 am Schluss
1900.
Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 10 herausgegeben. Darin: Zu den nieder-
sächsischen Zauberpuppen 991. Laura Weinhold f 102. Zum Hochzeitscharivari 206f.
Ulrich Jahn f 216—219. Ein oberbayrischer Palm 227. Das Halmmessen 227f. Sonn-
wendfeuer in Tirol 335f. Anfrage über Gebräuche und Aberglaube, die sich an den Anbau
des Hirses knüpfen 339f. Anzeigen: Achelis, Archiv für Religionswissenschaft II 103.
Wossidlo, Mecklenburgische Volksüberlieferungen II, 1 104f. Lemke, Volkstümliches in
Ostpreussen III 105f. Reiser, Sagen u. s. w. des Allgäus 106. Sébillot, La Bretagne
enchantée 106. Maria Pitrè, Le Feste di Santa Rosalia in Palermo e della Assunta in
Messina 107. Olrik, Danske Folkeviser 108f. Gusinde, Neidhart mit dem Veilchen 110.
Schiepek, Satzbau der Egerländer Mundart I 111. Justi, Hessisches Trachtenbuch I Ulf.
Troels-Lund, Himmelsbild und Weltanschauung ll2f. Lerond, Lothringische Sammelmappe
233. Pitrè, Feste patronali in Sicilia 235—237. Achelis, Archiv für Religionswissenschaft
348f. Skeat and Blagden, Malay Magic 350. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volks-
märchen 350f. Weise, Die deutschen Volksstämme und Landschaften 35lf. Wuttke u.
E. H. Meyer, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart 452. Roscher, Ephialtes 453f.
Kunze, Der Birkenbesen ein Symbol des Donar 454. Renk, Der Tod in den Alpen 454.
v. Jan, Erzählungen aus dem Wasgau 455. Aus der Vergangenheit und Gegenwart von
376
Boite :
Agnetheln 456. Ammanii, Volksschauspiele aus dem Böhmerwalde III 456 f. Lange,
Lieder aus der japanischen Volksschule; Japanische Kinderlieder 457f. Euling, Studien
über Heinrich Kaufringer 458.
Proben aus dem Schlesischen Wörterbuche. Mitteilungen der Schles. Gesellschaft f.
Volkskunde, herausgeg. von F. Vogt, Jahrg. 1900, Heft VII, No. 2, S. 19—26. Breslau.
Vgl. 1855.
Die Zeitpartikeln des schlesischen Dialekts. Sitzungsber. der Berliner Akademie 1900
XXXIX, S. 860—886.
Recension von Bächtold, Kleine Schriften im Archiv f. d. Studium u. s. w. 105, 372f.
Vgl. 1899 am Schluss.
1001.
Zeit s ehr. des Vereins f. Volkskunde 11, Heft 1—3 herausgegeben. Darin: Über
die Bedeutung des Haselstrauchs im altgermanischen Kultus und Zauberwesen 1 — 16. Ein
hochdeutscher Augensegen in einer Cambridger Handschrift des 12. Jahrhunderts 79—82.
Blau als Trauerfarbe 83. Bericht über den Verein für Volkskunde 1891—1900 110—112.
Karl Julius Schröer f 213f. Der Palmbusch in den Niederlanden 215f. Sterbende werden
auf die Erde gelegt 221. Über das echte Tirolerlied 222. Wochenzettel für den kärntischen
Bauerntisch 222 f. Zu dem Cambridger Augensegen 226. Sagen vom Rübezahl 336 f.
Anz eigen: Achelis, Archiv f. .Religionswissenschaft 94f. Rh. Köhler, Kleinere Schriften II—III
95 f. Geyer, Osterlandsagen 100. Sébillot, Contes des Landes et des Grèves: Les coquillages
de mer 100 f. Dähnhardt, Heimatklänge aus deutschen Gauen I 104. Reiser, Sagen u. s. w.
des Allgäus 232f. Drechsler, Das Verhältnis des Schlesiers zu seinen Haustieren und
Bäumen 233. Justi, Hessisches Trachtenbuch II 233—235. John, Unser Egerland 344f.
Nagl, Deutsche Mundarten 345. Heinr. Meyer, Sprache der Buren 345 f. Wichmann, Wot-
jakische Sprachproben 348f. Im vorliegenden Heft: Schweizerisches Idiotikon IV. Sébillot,
Le folklore des pêcheurs.
Recension von Vogt, Schlesische Weihnachtsspiele im Archiv für das Studium u. s.w.
106, 369 f.
In: Litterarische Mitteilungen. Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Litteratur-
archiv-Gesellschaft. Berlin: Goethes Christel. Facsimile S. 14. J. M. Miller an H. Chr. Boie
15—20. Heinrich Heine an Karl Simrock 105 f. D. F. Strauss an H. v. Treitschke 108 f.
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
Von Johannes Bolte.
I. A7erbreitung und Inhaltsübersicht.
Yer s chi e denti ich begegnet uns in den europäischen Yolkslitteraturen
des 19. Jahrhunderts eine geistliche Deutung der Spielkarten, in den
Rahinen einer schwankhaften Erzählung eingefasst. Ein Soldat, der während
des Gottesdienstes ein Kartenspiel hervorzieht und betrachtet, wird des-
wegen bei seinem Offizier angezeigt und soll bestraft werden; doch weiss
er sich, indem er die Karten als sein Gebetbuch und seinen Kalender
rühmt, so gut zu verantworten, dass ihn sein Vorgesetzter mit einem Geld-
geschenke entlässt. Die weite Verbreitung dieser Geschichte wird man
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
377
aus der nachfolgenden Zusammenstellung' erkennen, für die ich einige
Notizen Reinhold Köhlers und. Feilbergs dankbar benutzt habe.1)
Französisch (A—E).
A) Explication morale du Jeu de Cartes, anecdote curieuse et intéressante, sous le
nom de Louis Bras-de-Fer, engagé au service du Roy, Bruxel. et Paris. 12°. (Citiert von
J. G. J. Breitkopf, Versuch den Ursprung der Spielkarten zu erforschen 1784, S. 33, Anm. f.
— Eine Ausgabe 'Bruxelles 1778' citiert Chatto, Facts and speculations on the origin and
history of playing cards 1848, p. 320.)
B) Histoire du jeu de cartes du grenadier Richard, ou explication du jeu de cin-
quante-deux cartes en forme de livre de prières, par Hadin, employé au ministère des
finances 1809. 12°. (Vgl. G. Brunet, Notice bibliographique sur les cartes à jouer 1842,
p. 9-11.)
C) Histoire du jeu de cartes du grenadier Richard. — Abgedruckt bei MUe M. A.
Le Normand, Les souvenirs prophétiques d'une Sibylle, sur les causes sécrètes de son
arrestation 1814, p. 340—356: 'Un soldat, nommé Richard Middleton' . . . Scheint bis auf
einige Auslassungen mit B übereinzustimmen.
D) Luzel, Légendes chrétiennes de la Basse-Bretagne 2, 231 (1881): 'Le jeu de cartes
servant de livre de messe' (1847 erzählt). — Vgl. Prato, Archivio delle tradiz. pop. 11, 271.
13, 587.
E) Colsou, Ce qu'on peut voir dans un jeu de cartes. Wallonia 3, 54—56 (1895).
Nach zwei Handschriften, von denen eine um 1860 in Lüttich entstanden ist: 'Sermon sur
le jeu de cartes'.
Englisch (F—J).
F) The Perpetual Almanack, or Gentleman - Soldier's Prayer - Book. Printed by
J. Catnach, 2, Monmouth Court, Seven Dials. — Abgedruckt bei Chatto, Origin and history
of playing cards 1848, p. 320—323.
G) Cards Spiritualised; or the Soldier's Almanack, Bible, and Prayerbook: Showing
how one Richard Middleton was taken before the Mayor of the City he was in, for using
a Pack of Cards in the Church during divine service; being a droll, merry, and humorous
account of an odd affair that happened to a Private Soldier in the 60th Regiment, New-
castle. — Abgedruckt bei Ed. S. Taylor, The history of playing cards, London 1865,
p. 442—444 und danach bei Mrs. John King van Rensselaer, The devil's picture-books.
A history of playing-cards 1893, p. 180—184. Vgl. auch Ch. S. Burne, Folk-lore Journal
7, 315 f. (1889) und Gaster, Folk-lore 1, 133 (1890). — Eine gereimte französische Über-
setzung verfasstc der Chevalier J. B. F. E. de Chatelain (vermutlich gedruckt in seinen
Beautés de la poésie anglaise 1862—64).
H) A new Game at Cards, between a Nobleman in London and one of his Servants.
— Vgl. Singer, History of Playing Cards 1816, p. 53a, Chatto 1848, p. 323 f. und Taylor
1865, p. 445.
J) Gartenlaube 1875, 596: 'Ein religiöser Kartenspieler' (Richard Lee in Glasgow.
In Glasgow lässt. auch G die Geschichte sich zutragen).
Schwedisch (K—M).
K) En Nöjsam Historia, Om den förwandlade Kortieken, Nyttjad til Almanach och
Bönebok; Ganska lustig att läsa . . . och efter mängas âstundan nu för första gangen till
I) Nachdem ich schon gelegentlich in dieser Zeitschrift 7, 332 (zu Bols No. 50)
auf den Stoff hingewiesen, fand ich in Reiiihold Köhlers Nachlass die Fassungen X und Y.
Herr Dr. H. F. Feilberg, machte mich freundlichst auf N und Z aufmerksam, worauf ich
in dem auf der Kopenhagener Bibliothek aufbewahrten Nachlasse Svend Grundtvigs weitere
Umschau hielt; und Fräulein Dr. Marriage sandte mir eine Kopie von Qa.
378
Boite:
Trycket befordrad och irán Engelskan öfwersatt af S. D. N. samt med Tillämpning försedd
af Undertecknad. Wexiö 1814, Tryckt bos Director. Sv. Rask och fär ej ai nágon efter-
trycka. 16 S. 8o. — Ferner ebenda 1818. 1837. Stockholm 1823. 1828. 1832. Norrköping
1825. Boras 1827. Wisby 1828. Westerás 1832. 1834. Westerwik 1836. Fahlun 1843.
1844. Jönköping 1833. 1844. Ekesjö 1846 etc.
L) En Fritänkares qwickhet, som nyttjat sin Kortlek tili Ainanacha och Bönebok.
Sanfärdig Berättelse. Linköping 1824, Tryckt i Petreska Boktryckeriet. 8 S. 8°.
M) Berättelse om en Betjent wid narnn Jean, som förklarade sin Kortlek bade för
dess Almanach och Bönebok. Malmö 1828. Tryckt Berlingska Boktryckeriet. 8 S. 8°. —
Ferner Lund 1833. Jönköping 1832. Norrköping 1833. Linköping 1833. (Vgl. Bäckström,
Svenska folkböcker 1848 2, öfversigt S. 153 f.)
Dänisch (N—P).
N) En smuk Historie om en Tjener Navnlig Jan, som brugte et Spil Kort til sin
Almanach og Bonnebog, samt hvorledes han af sine Medtienere blev anklaget for hans
Herre, men formedelst sin Snedighed slap lykkelig og vel for sine Medtieners Beskyldninger.
Trykt 1803. 4 Bl. 8° (in Svend Grundtvigs hsl. Nachlass Bd. 22, wo auch ein Druck von
1799 citiert wird). — En meget smuk Historie . . . Trykt hos Thiele (Kopenhagen). - En
meget smuk Fortaelling. Om en Tjenner ved Navn Jan, som brugte et Spil kort til sin
Almanack og Bönnebog. Trykt og faaes hos Th. Petersen i Hj erring. Eolioblatt um 1830,
mit grossem Holzschnitt (Grundtvigs Nachlass 22). — Christiania o. J.
O) Grundtvig, Gamie danske Minder 2, 309 No. 448: 'Den fromme Tjener' (1857). —
Aus Westjütland.
P) Feilberg, Die Zahlen im dänischen Volksglauben. Zeitschr. d. Vereins f. Volks-
kunde 4, 253—255 (1894) = Dania 2, 199 (1893): aus Vejen in Jütland.
Deutsch (Q—U).
Qa) Das Cartenspiel in der Kirche. Gedruckt in diesem Jahr. — Flugblatt in 8°,
wahrscheinlich in Hannover zwischen 1805 und 1814 gedruckt (London, British Museum
11 521 ee 28, No. 54). Unten S. 382 nach einer Abschrift von Fräulein Dr. M. E. Marriage
abgedruckt.
Qb) Das ganz neue Kartenspiel. Yerlag von H. Haake in Bremen. — Folioblatt, um
1875 gedruckt (Hannover, Kestnermuseum).
Ii) Pröhle, Kinder und Volksmärchen 1853, S. 219, No. 68: 'Ein Windbeutel legt das
Kartenspiel von einer guten Seite aus'. — Nach der Handschrift eines Soldaten.
Sa) Arcliut, Die Kartenpredigt. Blätter f. pommersche Volkskunde 3, 53 f. (1895). —
Aus dem geschriebenen Hefte eines Soldaten.
Sb) A. Haas, Schnurren, Schwanke und Erzählungen von der Insel Rügen 1899, S. 5,
No. 5: 'Die Spielkarten'. Nach einer alten Handschrift. — Vgl. Rogasener Familien-
blatt 1, S. 13.
T) Wossidlo, Mecklenburgische Volksüberlieferungen 1, 235, No. 986: 'Deutung der
Spielkarten'; vgl. S. 327 (1897). a) gereimt: 'Ich will es Ihnen sogleich erklären, Es dient
hier zum Gebetbuch mir' ... b) in Prosa.
U) Reuschel, Das geistliche Kartenspiel. Zeitschr. für österreichische Volkskunde 6,
154 — 156 (1900): 'Es war einmal eine Kirchenparade zum Gottesdienst befohlen, Das
Regiment stellt sich zusamm und macht sich auf die Sohlen' . . . 19 Str. zu 4 Zeilen: aus
Nordböhmen.
Niederländisch (V).
V) Bols, Honderd onde vlaamsche Liederen 1897, No. 50: 'Het geestelijk Kaartspel',
12 Str. zu 12 Zeilen. Anfang: 'Een duitsch soldant g'heel sterk en kloek Kwani in de kerk
zonder verduiken, In plaats van eenen kerkeboek Een gansch spei kaarten te gebruiken.'
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
379
— Ebenda wird verwiesen auf zwei ähnliche Gedichte 'Christelyk liedekens van het kaerte-
spel' nach der Weise: 'Moet ik nog lang op schildevagt staen' in- den Flugblättern des
Genter Buchhändlers Van Paemel No. 34 und 80. Auch in den Flugblättern von J. Thys
in Antwerpen No. 1.
Spanisch (W).
W) Duran, Romancero general 2, 353 No. 1323: 'La baraja' (1851), Lied von einem
Flugblatte. Anfang: 'Emperatriz de los cielos, Madre y Abogada nuestra'. — Vgl. F. Wolf,
Studien zur spanischen Nationallitteratur 1858 S. 548. Das Stück scheint auf französischer
Vorlage zu fussen.
Portugiesisch (X).
X) Puras verdades do soldado Ricardo. Porto, J. E. da Cruz Coutinho (1880). 15 S.
kl. 8o. (Weimar, Reinh Köhlers Nachlass). — Unten S. 383 abgedruckt.
Italienisch (Y).
Y) Difesa di un soldato prussiano. Stamperia Salani (in Florenz). Folioblatt, ein-
seitig bedruckt, offenbar um 1866 entstanden. Über dem Text ein Holzschnitt, der einen
preussischen Soldaten vor einem sein Kartenspiel haltenden Offizier stehend darstellt.
(Weimar, Reinh. Köhlers Nachlass.) — Unten S. 386 abgedruckt. Vgl. Dixon, Notes and
Queries 4. Series 1, 219 (1868) und Giannini, Rassegna padovana di storia 1 (1891) laut
Archivio 11, 267.
Isländisch (Z).
Z) Ólafur Davídsson, islenzkar Skemtanir 1888—92 S. 340 f.
Diese Fassungen, denen sich gewiss manche andere anreihen lassen,
sind teils fürs Volk gedruckte Flugschriften (ABFGHKLMNQab\ bcWNY),
teils von Gelehrten aus dem Yolksmunde oder handschriftlicher Uber-
lieferung veröffentlicht (DEOPRSabTUVaZ). Gereimt sind nur TaUVW;
die übrigen Fassungen zeigen prosaische Form.
Bei der Betrachtung des Inhalts haben wir zwischen der epischen
Einkleidung und der Zahlendeutung zu unterscheiden. Zumeist ist der
Held der Erzählung ein Soldat; er führt die Kamen Louis Bras-de-Fer (A),
oder Richard (BWX), genauer Richard Middleton (CFG) oder Richard Lee
(J), auch Franz (Sab) oder Pipi Talduff (D). Das italienische Flugblatt
(Y) macht ihn, offenbar in Erinnerung an das 1866 geschlossene Waffen-
bündnis mit Prenssen, zu einem preussischen Soldaten; das vlämisclie Lied
(V) zu einem deutschen Soldaten; sonst wird in der Regel vorausgesetzt,
dass der Held der eigenen Nation angehört, obwohl der englische Name
Middleton in der französischen Fassung C auffällig ist. In einem englischen
Volksbuche und mehreren von diesem abhängigen skandinavischen Er-
zählungen (HMNO; vielleicht auch KL) ist der Kartendeuter kein Soldat,
sondern ein Bedienter (Jean in M; Jan NO), der von seinen Kameraden
beim Herrn verklagt wird. Die gesondert dastehende isländische Anekdote
(Z) bringt die Geschichte mit dem Pfarrer Thorsteinn Petursson in Stadar-
bakka in Verbindung. Der Schluss besteht darin, dass der Offizier oder
Dienstherr den Kartenliebhaber nicht bestraft, sondern mit einer Belohnung
entlässt. Nur die französische 'Histoire du grenadier Richard' (C) lässt
380
Boite:
den Obersten zugleich eine Strafe und eine Beförderung aussprechen:
'Richard, vous aurez trois mois de cachot; vous êtes simple fusilier; en
sortant de prison, je vous avancerai en grade.'
Geben uns schon diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede Fingerzeige
über das Verwandtschaftverhältnis der einzelnen Recension en, so ist dies
auch bei der Auslegung der Zahlen der Fall. Gewöhnlich erscheint zu
jeder Zahl nur eine Deutung, nur die französischen Fassungen BC und
die portugiesische X geben mehrere (bis zu 12) an, die wir jedoch nicht
alle wiederholen wollen.
Das As bedeutet den einen Gott (CDEFGHJOPQabRSabTUVWXYZ),
einen Glauben, eine Taufe (EVX) u. s. w.
Zwei das alte und neue Testament (CHWX), Leib und Seele (CZ),
Gottvater und Christus (DFGJ), die zwei Naturen Christi (EPQabRSabTbXY),
die beiden Schacher (Eb), Tugend und Laster (H\ die beiden Sakramente
(0), die beiden Gesetzestafeln (X).
Drei die Dreieinigkeit (CDEFGJOPQabRSabTbVWXYZ), die Tage,
die Jonas im Walfisch verweilte (H), die Grazien (H).
Vier die letzten Dinge: Tod, Gericht, Hölle, Paradies (CEYX), die
Evangelisten (DEbFGJOPQabRSabTbVWXY), die Jahreszeiten (CH), die
Stände (Z).
Fünf die klugen Jungfrauen (DEcFGJWX), die Wunden Christi
(EOPQabRSabTbVXYZ), die Sinne (CH).
Sechs die Schöpfungstage (CDEcFGHJOQabRSTbVWXY), die Arbeits-
tage (P), die Bitten im Vaterunser (!) (H), die Pilgerreise des Menschen
(Z, nach der isländischen Bezeichnung dieser Karte 'Post').
Sieben den Ruhetag (CDEFGJPQRSabTbVWYZ), die Worte Christi
am Kreuz (CO), die Sakramente (CUX), die Bitten im Vaterunser (TaX),
die Weltwunder (CH), die Planeten (H).
Acht die Familie Noahs (CEcFGHJOPQabRSabTbVWXYZ), die Selig-
preisungen der Bergpredigt (CDHTaUX), die Calvarienberge (E).
Neun die undankbaren Aussätzigen (CEcFGJPQabRTbVWY), die
Engelchöre (CSabTaU), die Jungfrauen, die Christus anbeteten (E), die
Musen (HX), die Stunden, während deren Christus am Kreuz hing (OZ).
Zehn die zehn Gebote (DEFGHJOPQabRSabTÜVWXYZ).
Von den Buben legt der Erklärer den Treffbuben oder Kreuzbauer
(EFGHJOPQabRSabTaU; Klaverzot Vb; Camallo X) oder Pikbuben (PY)
bei Seite, um ihn nachher auf den Verräter Judas und seinen eigenen
Angeber zu beziehen; die übrigen deutet er auf die Knechte, die Jesuin
misshandelten (CDPQabSaUVbY) oder auf die hl. drei Könige (E).
Die Damen bezeichnen entweder die Königin von Saba (CDEFGJT
VbWX; wobei FGJ die Geschichte einschalten, wie Salomon die gleichge-
kleideten Mädchen und Knaben beim Händewaschen unterschied) oder Maria
(COPQabSabYZ) und die drei Frauen am Grabe Christi (QabSabTaUY).
Eine geistliche Auslegung dès Kartenspiels.
381
Die Könige Gott (FGJRSabXZ), den Landesherrscher (EFG), Herodes
(P) und die hl. drei Könige (CDPQaSabTbYbY), die Richter Christi (R)
oder die Evangelisten (TaU).
Die vier Farben die Jahreszeiten (HOPY); Rot und Schwarz das
Blut und Leiden Christi (E); Carreau (Raute) 'l'endroit où fut placée la
croix de Jésus-Christ" (CY) oder die vier Ecken der Kirche (PQabRSabY);
Pique (Schippen) den Speer (CQ.abRSabY Y) oder das Grab Christi (P);
Coeur die Liebe Christi (CQabSabYY) oder die Andacht des Kirchgängers
(P); Trèfle 'l'union, le zèle et l'amour des trois femmes qui allèrent au
tombeau' (C), das Kreuz (PQabRSabY) oder die Dornenkrone (Y).
Die 12 Kartenbilder bedeuten die Monate (CEOPSabTbYXY), die
52 Karten die Wochen (CDEHOPSbTbYWX), die 365 Points die Tage des
Jahres (CDEHJSbTbWXY).
Leider sind uns die Fassungen A, B und H nicht zugänglich, und wir
können schon deswegen über die Entstehung der Erzählung, die man ent-
weder nach Frankreich oder nach England setzen wird, vorläufig nicht ins
Klare kommen. Wenn aber auch, wie es scheint, das Büchlein erst in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zusammengestellt sein sollte,
so sind seine Elemente doch erheblich älteren Ursprungs. Geistliche
Deutungen des Kartenspiels erscheinen schon im 15. Jahrhundert
mehrfach1); aus dem 17. führe ich an Joseph a S. Barbara (Geestelyk
Kaert-Spel met Herten Troef, oft het Spei der Liefde. Antwerpen 1666)
und Andreas Strobl (Das Geistliche Teutsche Karten-Spil, d. i. Ausführliche
Erzehlung, wasmassen das Israelitische Volck im Alten Testament so
wunderlich vermischt, und hin und wieder getrieben worden. Yier Thail.
Sultzbach 1691. 4°), deren für unsern Geschmack ungeniessbare Werke
wiederholt aufgelegt wurden; aus dem 18. ein niederländisches Lied 'Een
geestelijck tydt-verdryf, of het kaerte-spel der Godt-minnende Zielen, vol
wondere en seer schoone Hemelsche Meditatien', über das Bols2) nach
einem Liederbuche von 1717 berichtet. Auch die Häufung von vielen
Aufzählungen der verschiedensten Art, die wir in den Fassungen BCX
antrafen, lässt sich in Schwankbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts mehr-
fach nachweisen3) und erinnert an ältere Priameln und Satiren wie Huttens
1) In°old, Das goldene Spiel 1882, S. 61 ; dazu XXV. XXX (Johannes von Basel.
Geiler). Bernardinus Senensis, Opera 1, 196a (1745). Antoninus, Summa 2, tit. 1, cap. 23,
§8. Singer, History of playing cards 1816, p. 24 f. — Ferner Kirchhof, Wendunmut 5, 55.
Guarinoni, Grewel der Verwüstung Menschlichen Geschlechts 1610, S. 1258.
2) Oude vlaamsche Liederen 1897, S. 116.
3) C. A. M. v. W., Kurtzweiliger Zeitvertreib er 1666, S. 514—526 (die Zahlen 3-10).
Schola curiositatis s. antidotum melancholiae 1, 192 — 195. Das Einmahl Eins cum notis
variorum, Dreßden u. Lpz. 1703 (365 S. 8°). J. F. Riederer, Die Zahl Sieben, 1719 (sein
älteres Buch über die Zahl Drei habe ich nicht gesehen).
382
Boite :
Vadiscus oder die Quaterniones mundaiii1). Endlich begegnet uns die zur
Einrahmung der Kartendeutung dienende Anekdote bereits in einem ähn-
lichen, von Singer2) angeführten älteren Schwanke, in dem jedoch statt
des Soldaten ein Predigermönch die Hauptrolle spielt. Dieser zieht in
der Kirche statt des Breviers aus Versehen ein Spiel Karten aus der Tasche,
fasst sich aber schnell und trägt seinen Zuhörern eine erbauliche Auslegung
der Karten vor. Wann, wo und von wem diese einzelnen Züge zu einem
Ganzen vereinigt wurden, das bleibt, wie gesagt, vorderhand noch eine
offene Frage.
II. Die älteste deutsche Fassung- (Qa).
Zwey ganz neue auserlesene Lieder. Das erste: Testament eines durstigen Bruders.
Wenn ich dereinstens nicht mehr trinke, &c. Das Zweite: Wann ich ein Vöglein war, &c.
Das Cartenspiel in der Kirche. Einige scherzhafte Fragen and Antworten. Gedruckt in
diesem Jahr. 8°.
Das Cartenspiel in der Kirche.
Ein Regiment machte einst an einem Sonntage Kirchen-Parade, ein
Soldat setzte sich beim Eingang in die Kirche, und wie man dachte er
nehme ein Gebet- oder Gesangbuch, zog er ein Spiel Garten aus der
Tasche und legte selbige auseinander vor sich her. Der Feldwebel so
dabei stand sah ihm zu und befahl ihm: er sollte seine Carten in die
Taschen stecken und solches nicht wieder tliun; der Soldat gehorchte dem
Feldwebel nicht und verantwortete sich auch nicht, sondern betrachtete
sein Cartenspiel beständig. Während der Zeit war die Kirche wieder aus,
der Feldwebel wartete vor der Thür auf den Soldaten bis er aus der
Kirche kam, führte ihn dann zu seinem Major und verklagte ihn um das
was er in der Kirche gesehen hatte.
Der Major: Wie du hast dich unterstanden in der Kirche Carten zu
spielen? Verantworte dich sogleich oder du sollst ohne Gnaden Gassen
laufen.
Der Soldat: Wenn sie mir gnadig erlauben so werde ich mich hin-
länglich verantworten. Die Kirche ist ein heiliger Ort und ich habe
niemand in seiner Andacht gestôhrt sondern alle in Ruhe gelassen.
Der Major: Ich merke es ist nicht wahr, verantworte dich besser
oder ich schicke dich sogleich in Arrest.
Der Soldat (Hierauf zog er seine Carten wieder aus der Tasche,
zeigte sie dem Major und sagte): Sobald ich ein Aß sehe das zeiget mir:
1) Vgl. auch 'Quaternio. Ein schöner Tractat, in welchem 125. stuck von vier dingen,
Aulì dem H. Lehrer Thoma vonn Aquin gezogen, Nit minder nutzlich dann lustig zu lesen1,
o. J. 1558 (Innsbruck, Ferdinandeum). Andere Beispiele bei Uhi, Die deutsche Priamel 1897.
2) Researches into the History of Playing Cards 1816, p. 532. — Eine ähnliche Ge-
schichte aus 'The Women's Advocate or the Fifteen real comforts of Matrimony' (1683)
steht bei Chatto, Origin of playing cards 1848, p. 321.
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
383
daß ein Gott ist der Himmel und Erde erschaffen hat; eine zwei: die zwei
Naturen in Christo nenüich die göttliche und menschliche; eine drei: die
drei Personen in der Gottheit; eine vier: die vier Evangelisten Matthäus
Marcus Lucas und Johannes; eine 5: die 5 Wunden Christi; eine 6: daß
Gott 6 Tage gearbeitet und am 7ten geruhet welches wir aber nicht thun
sondern ihm dienen müssen; eine 8 zeiget mir au: die achte die in der
Arche das Leben erhalten haben, das ist ISToali sein Weib und ihrer Sohne
Weiber; eine 9: die 9 undankbar Gesundgewofclenen weil nur eiuer Gott
fur seine Gesundheit gedankt hat; eine 10: die zehn Gebote Gottes welche
Gott Mose auf dem Berge Sinai gegeben hat. (Wie nun der Soldat alle
Paß-Karten durchgegangen war nahm er den Kreutz-Bauer, legte ihn auf
die Seite und sagte): Dieser war nicht ehrlich, die andern «Irei sind Schinder-
knechte welche Christum den Herrn auf Befehl Pilati gegeiselt haben;
das Herz sagt mir daß Gott seine Kirche habe zum Gotteshaus bauen
lassen; die Schellen zeigen mir daß alle Kirchen viereckigt sind; die
Schuppen zeigen mir das Speer Nagel und die dornene Krone welche
Christum den Herrn durch Mark und Bein gedrungen; so bald ich ein
Kreutz sehe stell ich mir das Kreutz vor an welchem Christus der Herr
gekreuziget ist; die vier Könige zeigen mir die vier Könige aus Mohren-
land; die vier Damen zeigen mir die vier Weiber welche zum Grabe
kamen Christum den Herrn zu suchen. Ich sage ihnen daß mir ein Spiel
Carten sowohl zu meiner Andacht dient als ein Gebet- oder Gesangbuch.
Der Major: Du sagst mir aber doch nichts von dem Kreutz-Bauer
weichein (sie) du auf die Seite gelegt hast und sagtest er wäre nicht
ehrlich.
Der Soldat: Mein Herr Oberst-Wachtmeister wenn ich ohne Strafe
soll davon kommen, so will ich es sagen.
Der Major: Sag nur her mein Sohn, es soll dir nichts geschehen.
Der Soldat: Der Kreutz-Bauer welchen ich auf die Seite gelegt und
gesagt habe: er wäre nicht ehrlich, das ist der Verräther Judas; oder dieser
Feldwebel welcher hier steht und mich bei Ihnen verklagt hat.
Der Major: Da (und schenkte ihm sechs Louisd'or) mein Sohn! trink
meine Gesundheit, du bist der allerpolitisch[t]e Windbeutel den ich je
gesehen habe. Ich habe viel Leute gesehen die in den Carten studirt
haben, es ist ihnen aber unmöglich gewesen solches zu finden was du mir
jetzt gesagt hast.
III. Die portugiesische Fassung- (X).
Puras verdades d'um soldado chamado Ricardo. Curiosas e chistosas res-
postas, que elle deu, quando na occasiao de estar a ouvir missa, abriu um bnralho de
cartas, sendo depois mandado prender por um sargento da companhia. Nova traduçâo, e
nova ediçao augmentada com os versos dedicados á morte do alteres Brito. Por Tiburcio
Pedra. Yende-se na livraria de J. E. da Cruz Coutinho, editor. 15 — Rua do Almada — 17.
Porto. 16 S. 12°.
384
Boite:
0 Soldado ouvindo niissa por um baraïho de cartas.
Um sargento da companhia d'este militar (em Buenos-Ayres) que
julgou acto escandaloso um seu sobordinado estar n'aquelle logar tào entertido
com as cartas de jogar o prenden á saliida da egreja, e sem querer ouvir
as suas razôes o levou á presença do commandante para applicar ao soldado
o castigo condigno.
O commandante que era dotado d'uma severidade austera, para mantel'
a disciplina no corpo confiado ao seu commando, tambem era cordato,
attencioso e justiceiro, e por isso interrogou o soldado da seguinte maneira:
Porque motivo, assistiudo á missa. entre tens camaradas, te tornastes
tao odioso pelo teu comportamento, rebelde para com as leis da disciplina,
irreverente para com o logar, sem respeito para com os teus superiores,
e escandaloso para com o publico? Pensavas que esse desacato näo chegaria
ao meu conhecimento, e que nao saberia castigar um mau soldado?
Mau soldado, meu commandante? Mau soldado? . . . Eu que fui con-
decorado por ter tomado urna bandeira ao inimigo, e que fui elogiado
pela parte que tornei, coni a minha companhia, na ultima batalha, e que
nunca recebi senäo elogios dos meus superiores, durante toda a minha
carreira militar, e agora pelo simples facto de possuir um almanak illustrado,
ou porque faço de um baralho de cartas um livro instructivo de religiäo,
ou um innocente passatempo quando quero distrahir-me, chamam-me um
mau soldado! . . .
Nâo comprehendo nada do que dizes, explicate depressa se queres que
te attenda.
Já que Y. Sa- me dà licença, eu explico a rasäo porque uso do baralho
de cartas, como meio economico para evitar a compra de um livro de
oraçôes. E tirando o baralho de cartas da algibeira, diz ao commandante:
Este à'L representa-me um só Deus verdadeiro, urna so Igreja, um só
baptismo, um só Pontifice e urna só arca de Noè; urna é a egreja Catholica,
onde se tem de salvar os que n'ella vivem e morrem como fieis christàos.
— Mostrando o dois, disse: Este me faz lembrar as duas taboas da lei, a
duas naturezas de Christo, os dois patos em que se sustentou o mundo,
os dois pontos do P. Nosso, oraçào e petiçào, novo e velilo testamento,
dois minutos cresce o dia na Primavera, e dois minutos mingua cada dia
no Outomno. — Mostrando o tres, disse: Lembra-me a tres pessoas da
SS. Trindade, as tres potencias da alma, as tres virtudes theologaes, as
tres leis, natural, espiritual, e de graça, os tres inimigos da alma, os tres
reis Magnos, as tres Marias, as tres cousas para a. salvaçào, jejuni, esmolas,
e oraçào, os tres filhos de Noè, os tres reis que tiveram os judeos, Aud,
David e Salomâo, os tres cravos que pregaram a Christo na Cruz, tres
cousas fazem a um homem nobre e famoso no mundo: virtudes, armas, e
letras. — Mostrando o quatro, disse: Lembra-me os quatro evangelistas,
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
385
os quatro novissimos do hörnern, as quatro partes do mundo, os quatro
heroes da fama, Viriato, Allibai, Sipiäo, Pompeo, os 4 dons da Igreja latina,
e os 4 da grega; quatro sào as mais formosas cidades da Europa: Roma em
Italia, Pariz em França, Lisboa em Portugal e Londres em Inglaterra, por
sua grande povoaçâo e commercio. — Mostrando o cinco, disse: Lembra-me
as cinco virgens loucas, os cinco sentidos corporaes, os cinco mandamentos
da Igreja, as cinco cidades abrazadas com fogo do Ceo, as cinco chagas
de Christo, cinco vezes chorou Christo no Presepio, na Circumcisäo, na
Resurreicáo de Lazaro, vendo a cidade de Jerusalem e quando expirou na
Cruz. — Mostrando o seis, disse, que Deus fez o mundo ao 6° dia da
semana e os seis peccados contra o Espirito Santo. — Mostrando o sete
disse: Lembra-me os sete Sacramentos da Egreja; os sete dons do Divino
Espirito Santo; as sete obras de misericordia, corporaes e espirituaes; as
sete petiçôes do Padre Nosso; os sete peccados mortaes; os sete psalmos
penitenciaes; as sete luzes do candieiro da arca do testamento, sete annos
serviu Jacob a Labào seu tio, por casar com a formosa Raquel sua prima,
em sete montes está fundada Lisboa: S. Vicente, Graça, o Castello, Santa-
Auna, Trindade, Chagas, e Santa Catharina. — Mostrando o oito, disse:
Lembra-me as oito pessoas que se salvaram du Diluvio, e as oito bema-
venturanças — Mostrando o nove, disse: Lembra-me as nove muzas do
Parnazo com que os poetas adornavam os grosseiros povos da terra. —
Mostrando o dez, disse: Lembra-me os dez Mandamentos da Lei de Deus.
— Mostrando a sota, disse: Lembra-me a rainha de Sabá que veio admirar
a sabedoria de Salomäo. — Mostrando o rei, disse: Este me faz lembrar o
rei do céo a quem devo o ser que tenho. — Guardón as cartas e nada
disse do cavallo.
Grandemente te tens defendido, disse o commandante, e de certo nào
mereces o castigo que te tinha determinado; näo deixo de reparar que näo
dissestes nada do cavallo?
O soldado respondeu: Eu podera lembrar-me do cavallo P,. . . que
está no céo, como dizein os poetas, ina se Y. S"* promette de me nào castigar,
direi o melhor que representa. E tendo o consentimento do commandante,
disse: Aquelle cavalla representa o snr. sargento que me trouxe á presença
de Y. Síl- sem me querer ouvir.
Mas, retorquiu o commandante, tambem quero que me digas, como te
serve o baralho de almanak, como dizes?
As 12 figuras, me fazem lembrar os doze apostolos, os doze mezes do
anno, os doze patriarchas, os bois de Methab que sustentaram o mar em
si; os doze pares de França, os doze mezes do sacrificio, os doze signos;
todo o baralho tem cincoenta e duas cartas que sao 52 semanas do anno
que fazem 366 dias, de sorte que elle me serve de livro de oraçôes, catlie-
cismo, folhinha, e de devertimento quando jogo.
Zeitschr. el. Vereins f. Volkskunde. 1901. 27
386
Boite :
Ficou o commandante satisfeito com as respostas do soldado; recom-
mendou-lhe que nào uzasse mais das cartas na egreja, e soltou-o. Valeu
ao soldado a agudesa d'engenho; e o sargento ficou confundido por ser vencido
por aquelle, que julgava de menos iiitelligencia.
IV. Die italienische Fassung (Y).
Difesa (li un Soldato Prussiano condannato a dieci giri divergile, passando in
mezzo a '200 uomini, per avere in Chiesa, ed in tutto il tempo della Messa contemplato
un mazzo di carte.
Era un giormo di festa, e come vi è il costume e dovere che i Soldati
vanno alla Messa; succede clie mentre un Reggimento Prussiano era alla
Messa, uno dei Soldati invece di prendere in mano qualche libro di de-
vozione, si levò di tasca un mazzo di carte da gioco e se ne stette per
tutto il tempo della Messa meditandole ad una ad una. — Il Sergente che
l'osservò gl'impose di deporle, ma il Soldato ne rispose, ne obbedì, e seguitò
la sua meditazione sin a tanto che la Messa non fu terminata.
Il Sergente sdegnato di un tale affronto, terminata la Messa lo conduce
dal Maggiore, narrandogli il tutto. Il Maggiore acceso di sdegno contro
costui gli disse: Come tu ardisci in Chiesa tener le carte da giuoco in mano,
invece di libri devoti? Ebbene, se tu dunque domani non saprai difenderti,
passerai per dieci giri di verghe fra 200 uomini. — Allora il Soldato rispose
al Maggiore: Lei dice bene che il luogo è santo, e che ognuno deve
attendere alle sue meditazioni, come io pure attendeva alle mie. — Non
basta ciò per scusarti, dice il Maggiore, preparati dunque domani a subire
il castigo annunziato. — Allora il Soldato ripigliò il mazzo di carte di
tasca, e disse al Maggiore: Ecco la mia difesa, facendo ad una ad una la
seguente spiegazione :
Qualora io vedo un asso, rifletto che vi è un Dio solo creatore del
Cielo e della terra. Il due, mi significa che vi sono due nature in Cristo,
cioè divina e umana. Il tre, me significa le tre persone ed un solo Dio.
Il quattro, i quattro Evangelisti, cioè Matteo, Luca, Marco, e Giovanni.
Il cinque, le cinque piaghe di Christo. Il sei, mi fa considerare i sei giorni
della creazione del mondo. Il sette, che dopo i sei giorni della creazione
del mondo, il settimo si riposò. L'otto, mi rappresenta le otto persone
che si salvarono dal Diluvio nell' Arca, cioè Noè, sua moglie, con tre loro
figli, e le loro mogli. Il nove, i nove uomini risanati dal Signore che
ingrati non gli rese le dovute grazie. Il dieci mi fa rammentare i dieci
comandamenti che Mose ha ricevuti da Dio sul monte Sinai tra mezzo a
lampi e tuoni.
Dopo il Soldato prese tutte le figure e messe a parte solo il fante di
picche dicendo: Tu disonorato infame non devi rimanere fra gli altri.
Questi poi (cioè li altri tre) sono i manigoldi che hanno crocifìsso il nostro
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
387
Signore Gesù Cristo. Le quattro dame rimostrano Maria colle tre donne
che visitarono il S. Sepolcro. I quattro Re, mi significano i Re Magi che
vennero dall' Oriente ad adorare il Re incomparabile, cioè Gresil Cristo
appena nato. Ogni qual volta io vedo le carte a fiori, mi viene in mente
che il Redentore invece di essere coronato di fiori fu coronato di pungen-
tissime spine. Yidendo picche mi fa memoria la lancia, i chiodi, che gli
trafissero il costato, mani e piedi dell' adorato nostro divin Redentore.
Vedendo i cuori mi rammentano il grande amore di cui arse Gesù morendo
per noi. Vedendo i quadri mi danno a conoscere che la Chiesa si dilatò
per tutte le altre parti del mondo. Di più osservo che nelle carte vi sono
366 punti, e 366 sono i giorni dell' anno. Le Figure sono 12, e 12 sono
i mesi dell' anno. I quattro colori significano le quattro stagioni. — Le
bestemmie che mandano i giucatori mi ricordano quelle che i Giudei
mandavano a Gesù Cristo. Il denaro che giuocano significano le 30 monete
per le quali fu da Giuda venduto. L'allegria poi che segue sul giuoco, mi
rammenta l'allegria di quelle anime Sante del Limbo nell' atto che vengono
da Dio liberate. Il diritto ed il rovescio delle carte mi significano il Paradiso
e l'Inferno. Altro non saprei dirle, o Signor Maggiore, in mia difesa solo
ch'io vo meditando molto meglio un Mazzo di carte che sopra a qualunque
altro libro di divozione.
Allora il Maggior gli domanda che vuol dire quel fante a picche che
hai messo a parte dicendo che era un infame e un disonorato! — Questo
(rispose il soldato) è quello che mi ha condotto qui davanti V. S. Illu-
strissima per farmi gastigare.
Il Maggiore udendo una tale difesa, lo assolvè immediatamente dal
suaccennato gastigo e colmò d'applauso la sua prontezza di spirito.
Imparate dunque a dubitare male su dei vostri fratelli, se no, figurerete
sempre come il fante di picche.
— Stamperia Salani —
V. Die Deutungen der Zahlenreihe 1—12.
Wir müssen zum Schlüsse der weitverzweigten Sippe gedenken, in
die sich die obigen Volksbüchlein durch die geistliche Auslegung der
Kartenzahlen 1 —10 einreihen, und in aller Kürze auf die in vielen Liedern
und Märchen enthaltenen Listen der heiligen Zahlen 1—12 und ihrer Be-
deutungen eingehen. Denn obwohl verschiedene verdiente Forscher dieser
interessanten Gruppe Aufmerksamkeit geschenkt habenso inangelt es doch
1) Ich nenne hier nur Pratos umfänglichen Aufsatz 'Le dodici parole della verità' im
Archivio delle tradizioni popolari 10—15 (1891—1896), Feilberg in dieser Zeitschrift 4,251
und Köhlers Kleinere Schriften 3, 369. — Auch der 1890 zu Hannover verstorbene Volks-
liedforscher Hermann Kestner hat Kollektaneen über dies Thema hinterlassen, aus denen
ich einige unedierte Fassungen entnommen habe. Böhmes Nachweise (Deutscher Lieder-
hort 3, 829 f. 1894) sind leider recht lückenhaft und durch Druckfehler entstellt.
27*
388
Boite:
bisher an einer vollständigen und eingehenden Untersuchung. Möge die
folgende bescheidene Zusammenstellung des mir zur Zeit bekannten Materials
zu einer solchen anregen!
Yon den deutschen Zahlenliedern1) enthält die älteste Aufzeichnung,
das 1768 gedruckte Züricher Kinderlied 'Guter Gesell, ich frage dich', in
Form von Frage und Antwort die Zahlendeutungen: 1 Gott, 2 Tafeln Mosis,.
3 Patriarchen, 4 Evangelisten, 5 Bücher Mosis, 6 Krüge zu Kana, 7 Gaben
des heiligen Geistes, 8 Stück der Seligkeit, 9 Chöre der Engel, 10 Gebote,
11 tausend Märterer, 1*2 Artikel des Glaubens; und zwar werden bei jeder
folgenden Strophe die Antworten der vorhergehenden mit wiederholt. Noch
altertümlicher aber klingt der von Schröer mitgeteilte Text aus der 1773
entstandenen Handschrift des Ragendorfer Weihnachtspiels. Er gehört zu
den Rätselfragen, welche die Darsteller dieser Schauspiele einander auf-
zugeben pflegten:
Grüß euch Got, Meistersinger hochgeboren!
Gott hat dich z einem Meistersinger außerkoren.
Ich frag dich mit meinen Witz und Sin also fein,
Sag mir, was das erste Stück im Himmel mag sein.
Dank euch Got, Meistersinger, mit aln dein Fragen,
Daß du mich so trostreich tust befragen.
Daß erste Stück wil ich euch wol sagen,
Ir wert mich um das ander weiter fragen
Von Gott dem Herrn.
Das erste ist Got der Herr auf dem Perg Sinai,
Der allein lebt und schwebt im Himmel und auf Erden.
Dadurch hoffen wir alle selig zu werden
Yon Got dem Herr.
1) Schweiz (Ulrich, Sammlung jüdischer Geschichten 1768, S. 138. Rochholz, Alem.
Kinderlied 1857, S. 267), Elsass (Stöber, Elsäss. Volksbüchlein2 S. 62. 147), Oberösterreich
(Ziska, Österr. Volksmärchen 1822, S. 95. Tschischka-Schottky 1844, S. 35), Tirol (Zingerle,
Sitten, Bräuche und Meinungen 1857, S. 150. Deutsche Mundarten 3, 509. 6, 224), Steier-
mark (Schlossar 1881, No. 7. Rosegger, Der Gottsucher4 1886, S. 572), Ungarn (Schröer,
Nachtrag zu den deutschen VYeihnachtspielen, Progr. Presburg 1858, S. 10), Nassau (Wolfram
1894, No. 6. Erk- Böhme No. 2131), Rheinland (Simrock 1851, No. 335. Schmitz 1, 113.
1856. Becker 1892, No. 30. Erk-Böhme No. 2131), Franken (Ditfurth 1855 2, 302, No. 399),
Böhmen (Erk, Liederhort 1856, No. 198. Berggreen, Folkesange ogMelodier 5, No. 48. 1863),
Westfalen (Biermann, Der kleine Liederfreund, Münster 1852, S. 82. Sachse, Über Volks-
und Kinderdichtung, Progr. Berlin 1869, S. 20 = Archivio 14, 490. Erk-Böhme No. 2131),
Oldenburg (Strackerjan, Aberglauben und Sagen 1867 2,50: Vechtaer Pfingstlied), Altmark
(Parisius 1879, No. 4 A—ß), Brandenburg (Erk-Irmer 2, 1, 48, No. 41. 1841). — Einige
unedierte Fassungen aus Wien, Salzburg, Aulendorf in Bayern, Rheinfranken, Münsterland,
Meppen, Northeim besass Kestner, der sie zum Teil durch L. Erk erhalten hatte. I)a die
Texte keine besonderen Eigentümlichkeiten bieten, übergehe ich sie und gebe nur die
Singweisen wieder. Zu der dritten Melodie bei Erk-Böhme 3, 827 trage ich nach, dass
laut einer Mitteilung Erks an Kestner vom März 1877 dies von Lewalter zu Niederreifen-
berg- im Untertaunuskreise aufgezeichnete Kinderlied beim Filetstricken gesungen wurde.
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
389
Während die Zahlendeutungen hier über das übliche Mass hinaus bis
94 fortgesetzt werden1), weist uns die Anrede 'Meistersinger' ins 16. Jahr-
hundert zurück, in die Zeit, da der Meistergesang durch Hans Sachs zu
erneuter Blüte gebracht und durch die wandernden Handwerker weithin
bis nach Danzig und Königsberg, nach Mähren und Ungarn verpflanzt
wurde.2) Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir auch in dem verderbten
ersten altmärkischen Texte3):
Singe, du bist wohlgemut,
Sage mir nun wieder das erste Gebot . . .
und in der brandenburgischen Fassung:
Ach Seele, sei doch wohlgemut
Und sage mir doch wiederum das erste Gebot . . .
dieselbe Anrede 'Singer' oder 'Meistersinger' einsetzen und nebenbei, auch
den Ausdruck 'Gebot' für eine Entstellung erklären.
Zu den von Erk, Ditfurth, Böhme, Parisius und Wolfram veröffent-
lichten Melodien möchte ich noch einige von Hermann Kestner gesammelte
Yarianten hinzufügen:
1. W. v. Zuccalmaglio 1866 aus Rheindorf in Rheinfranken.
/T\ ^
:t=:
*
=cr
Hüll
ïfc
Gu - ter Freund, ich fra - ge dich.
3=4
Gu - ter Freund, was fragst du mich?
. f2--i.
Sag mir, was ist Ei - nes?
Eins und Eins ist Gott allein.
der da lebt und der da schwebt im Himmel und auf Er - den.
1) 13 ist Himmel und Erde, 14 Sonn und Monschein, 15 Adam und Eva, 16 Salomon,
17 Sara und Abraham, 18 Moses und Aran, 19 Absalem, 20 Simson, 21 Gabriel Michael
und Rabuel, 22 Menschwerdimg, 23 ßeschneidung, 24 Johannes Taufe. Man sieht, es sind
willkürliche Zusätze, die mit den Zahlen nichts zu thun haben. Vgl. übrigens Lootens-
Feys 1879, p. 260.
2) Durch die Thätigkeit derselben Kreise sind ja auch geistliche Dramen des Hans
Sachs im bayrischen und österreichischen Volke bis in unsere Tage fortgepflanzt worden.
— Fremden Singern legte man auf der Schule Fragstücke vor; unbescheidene und un-
christliche Fragstückc verbot der Rat zu Freiburg i. Er. 1574; vgl. H. Schreiber, Das
Theater zu Freiburg 1837, S. 49.
3) Auch der zweite, ziemlich entstellte altmärkische Text (Parisius No. 4b), der aus
dem Anfange des 19. Jahrhunderts stammt, beginnt:
0 Meister, meinen Gott
Lob und Dank
Preis' dein Gesang.
Hier wird »7 als der Sonnenschein, 8 als der Jungfrauen Schon (vgl. dazu Köhler,
Kl. Schriften 3, 22), 9 als Gottes Sohn, 11 als der Kirchengang gedeutet, was nirgends
sonst vorkommt und offenbar auf einer Verderbnis der Überlieferung beruht.
390
Boite :
2. L. Erk aus dem Münsterland.
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Gu - ter Freund, ich fra-ge dich. Gu-ter Freund, was fragst du mich?
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Gott allein.
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der da lebt und der da schwebt im Himmel und auf Er - den.
3. B. Hölscher ans Münster.
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Gu - ter Freund, ich fra- ge dich. Gu - ter Freund, was fragst du mich?
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Sag mir, was ist Ei - ne?
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der da lebt, der da schwebt im Him - mei und auf Er - den.
4. A. und A. von Haxthausen 1866 aus W estfalen.
Lehrer Schüler
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Lieber Freund, ich fra - ge dich. Gu-ter Freund, -was fragst du mich?
Lehrer Schüler
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Sag mir, was ist Ei - nes?
Eins und eins ist Gott allein,
der da lebt und der da schwebt im Himmel und auf Er - den.
5. Bibliothekssekretär Kahle in Hannover 1865 ausNortheim bei Einbeck.
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Liebster Freund, was fragst du mir?
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Eine geistliche Auslegung' des Kartenspiels.
391
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der nur kann im Himmel sein, im Himmel und auf Er - den.
6. Ohne Quellenangabe.
Gu-ter Freund, ioli fra - ge dir. Bester Freund, was fragst du mir?
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Sag mir, was ist Ei - ne? Ein-mal ein ist Gott allein,
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der da lebt, der da schwebt im Him - mei und auf Er - den.
Gleichartige Wechsel- oder Einzelgesänge treffen wir bei den Ylam-
ländern1), Dänen2), Schweden3), Norwegern4) und Engländern5), den
Franzosen6), Italienern7), Spaniern8), Rumänen9), Neugriechen10), den
1) Coussemaker, Chants pop. des Flamands 1856, No. 43 = Erk-Böhme No. 2132.
Lootens-Feys, Chants pop. flamands 1879, p. 2G0. Bond den Heerd 3, 367. Bevue des trad,
pop. 13, 503 = Archivio 17, 514.
2) Thiele, Folkesagn 3, 146. Nyerup-Rasmussen, Udvalg af d. Viser 2, 253 (1821).
Grundtvig, Gamie danske Minder 2,68. Berggreen, Folkesange l3, No. 211 (1869). Boisen,
Viser af og for danske Folk 1868, S. 220. Kristenseu, Jyske Folkeminder 11, 201 (1891)
und Danske Dyrefablor 1896, S. 165 f. Feilberg in dieser Zeitschrift 4, 251.
3) Dybeck, Svenska visor 2, 8 (1847). Russwurm, Eibot'olke 2, 120 (1855). Vester-
götlands fornminneforenings tidsskrift 2, 61 (1872) = Archivio 3, 61.
4) Lindemann, Aeldre og nyere uorske Fjeldmelodier 1, 82 No. 128 (1853): 'Tolvtals-
visen'. Ahlström, 300 nordiska folkvisor p. 154, no. 252a. 253b.
5) Gilbert, Christmas carols 1823, No. 13. Sandys, Christmas carols 1833, p. 59. 133.
135 und Christmas tide3 p. 238. 327. Sylvester, Christmas carols 1861, p. 136. Chambers,
Popular rhymes 1870, p. 44. 42. Notes & Queries 1. Ser. 9, 825. 4. Ser. 2, 824. 452. 599.
3, 90. 183. 10,412. 499. 11, 213. 5. Ser. 12,509. 6. Ser. 1,61. 305. 314. 481. 2, 254f. 504.
12,485. 7. Ser. 1,96. 118. 206. 315. 413. 7,264. W. H. Long, Dictionary of the Isle of
Wight dialect 1836, p. 152. Tylor, Anfänge der Kultur 1, 87 (1873). A. Lang, Longman's
Magazine 13 (1889), 328. 439. 556. Newell, Journal of american folklore 4, 215 (1891).
6) Tarbé, Romancero de Champagne 1, 3 (1863). Arbaud, Chansons pop. de la Pro-
vence 2, 42 (Archivio 14, 479). Montel-Lambert, Chants pop. du Languedoc 1880, p. 478
- Revue des langues romanes 3, 211 (1872) = Archivio 14, 177. Revue des trad. pop.
10 650. 11, 114. 396. Gagnoli, Chants pop. du Canada 1865, p. 299. 869. 582 (als Tanzlied
benutzt. Archivio 14, 480). Beauquier, Chansons pop. recueillies en Franche-Comté 1894,
p. 302 (Tanzlied).
7) Mit Rahmenerzählung: Giannini, Rassegna padovana di storia 1 (1891. Eine von
Andrea Vituri in Padua 1468 gemachte Aufzeichnung) nach Archivio 11, 266. 'Le dodexe
parole de la Adversità come le so fate', in einer Oxforder Hs. des 15. Jahrh. nach Ungarelli,
Archivio 12, 86. Busk, Folklore of Rome 1874, p. 255. Finainore, Tradiz. pop. abruzzesi
1, 2, 126 (1835). Andrews, Contes ligures 1892, No. 45. Archivio 1, 416. 2, 97. 7, 493.
10, 499—508. 11, 265. 12, 378. 532. 571. — Ohne Rahmenerzählung: Bernoni, Preghiere
392
Boite:
Bretonen11) und Basken12), den Wenden13), Böhmen14), Russen15) und
Litauern. So lautet z. B. ein in Brest üblicher Kinderreim, den Luzel
nach einer Aufzeichnung von L. F. Sauvé brieflich an Köhler mitteilte:
— De quoi y a-t-il un? (bis)
— N'y a qu'un seul Dieu
Qui règne dans les cieux. etc.
Letzte Strophe:
— De quoi y a-t-il douze? (bis) Aux noces de Cana en Galilée,
— Les douze apôtres, Les cinq livres de Moïse,
Les onze mille vierges, Les quatre évangélistes,
Les dix commandements, Les trois patriarches,
Les neuf choeurs des anges, Les deux testaments,
Les huit béatitudes, L'ancien et le nouveau,
Les sept sacrements, N'y a qu'un seul Dieu
Les six urnes qui furent changées Qui règne dans les cieux.
In Gettana und Perleda bei Ravenna zeichnete Prof. Godehard Müller
aus Hildesheim 1865 folgendes Kinderlied auf16):
Str. 1. — Eh uno! eh uno!
Il prim' ch'è nato al mondo
E stato il nostro Signor etc.
12. — Eh dodece! eh dodece; I sei gai in cantoria,
I dodece apostoli, Le sante cinque piaghe,
Le undece mille vergini, I quattro Evangelisti,
I dece commandamenti, I santi tre re magi,
I nöff cori degli angeli, La luna e il sol,
I vott portun' di Roma, Il primo ch'è nato al mondo
Le sett' allegrezz' della Madonna, E stato il nostro Signor.
pop. veneziane 1872, p. 34. Ferraro, Canti in dial, logodurese lt91, p. 40. Archivio 7, 557.
10, 264. 50«—511. 12, 87. 573. 17, 513.
8) Archivio 2, 104. 14, 477 f. S o garra, Poesías populares 1862, p. 4. 131. Biblioteca
de las trad, pop esp. 2, 180. Briz, Gansons de la terra 3, 3 (1871). Milá y Fontanals,
Romancerillo catalan 1882 No. 52. — Portugiesisch: Coelho, Romania 3, 269 und
Revista lusitana 1, 246 — 254. Archivio 11, 272. 14, 181. 474. Mit Rahmenerzählung:
Archivio 2, 100. 10, 512 f.
9) Hasdeu. Cartile poporane aie Românilor 1880, p. 567—608. Gaster, Literatura
popolara romana 1883, p. 468. Archivio 11, 267. 14, 484.
10) Sanders, Volksleben der Neuçriechen 1844, S. 328. NsosUfjvixà 'Avalenxa 2, 30,
Anni. (1874). Eine hsl. Fassung aus Athen fol¿t weiter unten.
11) Villemarqué, Chants pop. de la Bretagne 1, 4 (1846); vgl H. d'Arbois de Jubain-
ville, Revue crit. 1867, 2, 321—327. Revue celt. 2, 58. 6, 500 = Quellien, Chansons des
Bretons 1889, p. 195. Luzel et Le Braz, Soniou Breiz-lzel 1890 1, 89: 'Les vêpres de
Cornouaille' (Archivio 10, 514) und 95: 'Les vêpres des grenouilles'. Über die Melodie
vgl. Fleischer, Sammelbände der internationalen Musikgesellschaft 1, 38—53 (1900).
12) Cerquand, Légendes du pays basque 2, 25. Vinson, Folklore du pays basque 1883?
p. 11 = Sébillot. Contes des provinces 1884, p. 146. Archivio 11, 269.
13) Haupt-Schmaler, Volkslieder der Wenden 2, 120 (1841).
14) Wenzig, Westslavischer Märchenschatz 1857, S. 293. Waldau, Böhmische Granaten
2, 86 (1860).
15) Archivio 2, 227. 11, 268.
16) Handschriftlich in Kestners Nachlass.
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
393
Ans Calabrien sandte Girolamo de Rada in Cerigliano 1874 folgenden
Dialog des Yolkes an Hermann Kestner:
Le tredici parole dellu munnu.
Str. 1. Chi vene a dire unu?
— Unu sulu Diu chi c'ha creatu.
12. Chi vene a dire dodici? Le cinque piaghe di Cristu,
— Li dodici apostoli di Cristu, Li quattru Evangelisti
L'undici patriarchi, Luca, Marcu, Giuanni eGiammatista,
La decima di Cristu, che cantavano l'Evangelo avanti
Li nove cori d'angioli, Christo,
Le otto anime giuste, Tre li ire patriarchi,
Li sette 'legrizzi della Madonna, Lu sole e la luna,
A sei canta lu gallu e gallinella, E unu sulu Diu che si ha creatu.
13. Chi vene a dire tredici?
— Tredici non ci è puntu ;
Va lu diavulu e fa un schiantu.
In Athen waren, wie Andr. Bruskos 1871 an Kestner schrieb, folgende
Yerse bekannt:
"Evaç uovoç ó 0sóg, 'Enza xa fivovr¡Qia,
Avo r¡ ¡Iavayla, 'Oy.xwrj',l°v ipáXXo¡ÁEV,
Tola r¡ Ayía Tou/.ç, Evvéa ra ray/iaxa,
Tsaaao' oí EvayyeXioxaí, Aéxa siv ai evxolai,
TIÉvte tov Xqlgxov eoQxaí, 'Evdsxa oí lloofpijxa.i,
'Et; Jjfiégaç ÈoyaQov, Acódex' oí 'Ajióozo/.oi.
Aus Russisch-Litauen stammt eine bisher gleichfalls uiigedruckte
Yersion, die von Herrn Geh. Hofrat Hugo Weber in Weimar für R. Köhler
verdeutscht wurde:
— O Gesell, du bist ein Gottesgelehrter,
Was ist im Himmel?
— Ein, ein Herr Gott
Im Himmel und auf Erden etc.
Letzte Strophe:
— O Gesell, du bist ein Gottesgelehrter, Sechs Kardinäle,
Was ist im Himmel? Fünf kluge Jungfrauen,
— Zwölf grosse Propheten, Vier Bücher der Evangelisten,
Elf Stühle der Jünger, Drei oberste Engel,
Zehn Gebote Gottes, Zwei Tafeln Mosis,
Neun Chöre Erzengel, Ein Herr Gott
Acht Patriarchen, Im Himmel und auf Erden.
Sieben Sakramente,
Die skandinavischen Lieder beginnen meist: 'Steh auf, Sankt
Simeon, und sag mir, was Eins ist!' Wer aber dieser Simeon ist, wird
nicht gesagt. Die portugiesischen Fassungen dagegen bezeichnen den
Frager ausdrücklich als den Teufel und den Antwortenden als den Schutz-
engel :
394
Boite:
— Schutzengel, mein Freund!
— Schutzengel bin ich, aber dein Freund nicht.
— Sag mir die heiligen Worte!
Diesen Eingang macht uns in mehreren portugiesischen, spanischen,
baskischen und italienischen Aufzeichnungen eine besondere Rahmen-
erzählung verständlich. Ein armer Mann nimmt seine Zuflucht zum
Teufel und erhält unter der Bedingung Hilfe, dass er ihm nach Ablauf eines
Jahres die 'zwölf Worte der Wahrheit' angebe; sonst sei er ihm mit Leib
und Seele verfallen.1) Der verhängnisvolle Tag kommt heran; da erscheint
dem verzweifelnden Manne ein hilfreicher Heiliger (St. Martin, St. Nicolaus,
St. Cyprianus, der Schutzengel, einmal auch das Bild des Jesuskindes)
und beantwortet, als der Böse an die Thür pocht, dessen Fragen über die
Zahlen 1—12. Obwohl das hohe Alter dieser Legende durch zwei mir
leider nicht zugängliche italienische Fassungen aus dem 15. Jahrh. bezeugt
wird, ist doch die Zahlendeutung nicht von Anfang- an mit einer solchen
Erzählung verbunden gewesen, sondern hat in früherer Zeit für sich allein
existiert.
Es ist sehr wohl denkbar, dass die Zahlenlied aus einem lateinischen
Dialoge 'Die mihi, quid est unus' herstammt, der im mittelalterlichen
Gottesdienste Verwendung gefunden zu haben scheint, dessen ältere Ge-
schichte aber noch zu erforschen bleibt.2) Er kommt zuerst in einer
Motette der 1602 verstorbenen venezianischen Musikers Theodor Clinius
und 1646 in Hans Mikkelsen Kavns Heptachordum Danicum p. 41—70
(Adam est primus homo) vor.3) 1617 benutzte ihn der Stettiner Drama-
tiker Heinrich Kielmann, als er in seiner zur Jahrhundertfeier der Re-
1) Diese Bedingung erinnert an die Aufgabe, den Namen des Zwerges Rumpel-
stilzchen zu erraten (Grimm, KHM. No. 55. Köhler in dieser Zeitschrift 6, 172 zu Gonzen-
bach No. 84).
2) Erk, Liederhort 1856, S. 409 (Clinius vor 1 (»02). Coussemaker 185G, p. 132 (nach
Villemarqué 1, 25, der aus einer 1650 gedruckten Sammlung von Guéguen schöpft). Feilberg
in dieser Zeitschrift 4, 251 (Ravn 1646). Notes & Queries 4. Ser. 2, 557. 7, 23. Mich. Weber,
Lateinisches Gesangbuch für Studierende 1825, S. 15 ('Die mihi, quaeso, die mihi, quot siiit
Dii.' Melodie im Anhange S 5). — Eine scherzhafte, haib weltliche Parodie: 'O lector
lectorum, die mihi, quid est unus. Unus est oeeonomus, qui régnât super ancillas in culina
nostra' steht bei Wagenseil, Jüdisch - teutsche Red- und Schreibart 1699, S. 97 ; Kopp,
Deutsches Volks- und Studentenlied 1899, S. 208; Kindleben, Studentenlieder 1781, S. 72;
vgl. Erk-Böhme 3, 831. Sieht auch in einer Merseburger Handschrift von C. F. Cuno
(um 1730). Deutsch nach Wesselofsky im Archivio 14, 482: vgl. 490. — Ein ähnliches
geographisches und ein grammatisches Fragelied bei M Weber 1825, S. 21 und 24.
3) Möglicherweise sind aus jenem lateinischen Dialoge auch die Texte geflossen, die
man im Mittelalter den gebräuchlichen Melodieformeln der acht Tonarten (Tropen) unter-
legte: 'Adam primus homo, Noe secundus, tertius Abraham, quatuor Evangelistae, quinqué
libri Mosis, sex hydriae positae, Septem scholae sunt partes, sed octo sunt partes' (Forkel
Allgemeine Geschichte der Musik 2, 171. 1801. Baumker in Wetzer-Weltes Kirchen-
lexikon2 12, 103).
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
395
formation verfassten Komödie1) den Papst inmitten seiner Geistlichkeit
vorführte.
Papa mit seinen Cardinälln, Bischöffen, Münchn," Sacraments Heußlein,
Weiwasser Träger kompt vnnd wird auff einem Stuel getragen. Papa
extollit voccm: 'Oho lector lectorum, die mihi quid sit unum.'2) Monachi
et caeteri respondent: 'Vnus est Dominus Deus omnipotens, qui régnât in
coelis, Sancta Maria.'
Die letzte Strophe lautet:
Duodecimi Domini Discipuli, Undecim Apostoli, Decern sunt praeeepta,
Novem sunt Musae, Octo sunt partes, Septem sunt artes, Sex hydriae
positae in Cana Galileae, Quinqué libri Moysis, Quatuor Evangelistae,
Tres Patriarchae Abraham Isaac et Jacob, Duae tabulae Moysis, Vnus
est Dominus, Deus omnipotens qui habitat in coelis, Sancta Maria.3)
Längst ist jedoch noch ein anderer Ursprung vermutet worden. Schon
1699 wies Wageiiseil4) darauf hin, dass das Lied 'Einig, das weiß ich,
einig is unser Gott', welches 'die Juden, sonderlich die Weibsbilder unter
denenselben, sowol sonsten als sonderlich an dem Oster-Pest zu singen
pflegen', entweder zufolge 'einem alten lateinischen Trinkliede, so von den
München herkommen soll, gemacht worden sei oder dass die Juden zu
diesem lateinischen Liede '0 lector lectorum B) die Anleitung gegeben
hätten. Das jüdisch-deutsche Lied erwies sich nun als eine freie Über-
setzung eines hebräischen Dialoges 'Echâd mi jôdêa', der seit dem 15. Jahr-
hundert der Liturgie des Passahfestes0) angehängt worden wTar und der
wörtlicher wiedergegeben folgendermassen beginnt:
1) H. Kielmann, Tetzelocramia, daß ist eine lustige Comoedie von Johan Tetzeis
Ablaßkram 1617. Wittenberg, 131. Cjb (Akt 2, Scene 2). — Fast wörtlich benutzt Martin
Rinckhart (Indulgentiarius confusus, oder Eißlebische Mansfeldisçhe Jubel-Comoedia 1618,
Blatt M3b = 1885, S. 155: Akt 4, Sc. 11) diese Stelle.
2) Intonatio Papae:
—■—♦—f
Olio lee - tor lee - to - rum die mi - hi quid sit unum ?
8) Im 3. Quodlibet des Musikalischen Zeitvertreibers von 1643 steht, wie mir Fräulein
Dr. M. E. Marriage mitteilt, folgende Parodie: 'Sex hydriae appositae in Cana Galilaeae,
Quinqué libri Moysis, Quatuor Evangelistae, Tres Patriarchae Abraham Isac et Jacob,
Duae sunt tabulae Moysis, Onus est Herr Calmeiser, qui régnât in scholis.'
4) Belehrung der Jüdisch-Teutschen Red- und Schreibart 1G99, S. 96 f. — Der Text
folgt in hebräischen und deutschen Lettern auf S. 105; er ist wiederholt bei C. A. Teuber,
Muthmaßung von dem jüdischen Osterliede 1732, S. 56 = Erk-Böhme 3, 829; Bodenschatz,
Kirchliche Verfassung der heutigen Juden 1, 307 (1748) = Gräter, Iduna und Hermode
1812, 159; Ulrich, Sammlung jüdischer Geschichten 1768, S. 137.
5) Vgl. oben S. 394, Anm. 2.
6) D. Cassel, Die Pesach-Hagada, 8. Aufl. 1897, S. 32. A. Eman, Die Festgebräuche
und Rechte für Pesach 1863, S. 60. Berggreen, Folkesange 10,4 (1870) mit Melodie; vgl.
Erk-Böhme 3, 829 f. Uber die Zeit des Liedes Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der
Juden 1832, S. 126 = 1892, S. 133. Darmesteter, Romania 1, 223. — In der jüdisch-
deutschen Übersetzung (oben Anm. 4) sind die Fragen sämtlich fortgefallen, und es sind
entsprechend den deutschen Liedern (oben S. 3881) die Worte 'der da lebt, der da schwebt'
in die erste Strophe eingefügt worden.
396
Boite:
— Eins wer weiss es? — Eins, ich weiss es.
Eins ist unser Gott im Himmel und auf Erden.
— Zwei wer weiss es? — Zwei, ich weiss es.
Zwei sind des Bundes Tafeln,
Eins ist unser Gott im Himmel und auf Erden.
Die Melodie dazu lautet nach Berggreen so:
W^=r=;:l':¡Í!=ri:
dê - a? E - kad
E=d
kad e - lo - häj - nu sehe ba - sclia - ma - jim u - va - a - rez.
P s 1 ^===q
SJ==gz=g=:]j!^=:-»—?-=
Sch'na-jim a - ni jo - dê - a.
Sch'na-jim mi jo - dê - a?
Sch'näj lu - koth ha-brith, — E - kad e - lo - häj-nu sebe bascha-
=#=
ma - jim u - va - a - rez.
Kestner dagegen hat 1867 in Hannover eine abweichende Weise ver-
nommen, die ich mit Weglassung seiner Klavierbegleitung hier wiedergebe,
sie zugleich aus dem ursprünglichen F-moll um einen Ton transponierend:
E-chad mi jo - de - a? E-chad a - ni jo - de - a.
f --Í
• 2
m
E-cbad
lo - be - nu, sclie ba - scha - ma- jim u - ba - a - rez.
Es folgen dann 3 Väter, 4 Mütter (Sara, Rebekka, Lea, Rahel), 5 Bücher
der Thora, 6 Ordnungen der Mischila, 7 Tage der Woche, 8 Tage bis zur
Beschneidung, 9 Monate bis zur Geburt, 10 Gebote Gottes, 11 Sterne (die
Joseph im Traume sah), 12 Stämme Israels, 13 Eigenschaften Gottes.
Somit erscheinen überall statt der christlichen Deutungen alttestamentliche.
Während nun Wagenseil die Frage nach der Priorität offen liess, haben
fast alle Späteren, die sich mit dem Zahlenliede beschäftigten, die hebräische
Fassung für das Original und die christliche für die Nachahmung erklärt,
wobei vielleicht die Beobachtung,' mitwirkte, dass auch ein andres bei
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
397
Wagenseil abgedrucktes Lied der Pesach-Haggadali 'Ein Zicklein' gegen-
über dein verwandten deutschen Kinderliede 'Der Bauer, schickt den Jäckel
aus' grösseren Anspruch auf Originalität zu besitzen schien.1)
An sich ist es jedoch ebenso denkbar, dass ein jüdischer Dichter dem
christlichen Frage- und Antwortliede von dem theologischen Werte der
Zahlen sein Glaubensbekenntnis in gleicher Katechismusform entgegenstellte.
Für diese Möglichkeit fällt ins Gewicht, dass es schon seit der ersten
Hälfte des 5. Jahrhunderts eine entsprechende christliche Auslegung der
Zahlen 1 —12, freilich nicht in Gesprächsform, gab. Sie rührt von dem
Bischöfe Eucherius von Lyon her, der sie in seinem Werke über geist-
liche Auslegungen biblischer Worte und Begriffe vortrug2), und ist von
Kabanus Maurus, Bridfertus u. a. weiter fortgepflanzt worden. Im letzten
Grunde freilich geht diese Zahlensymbolik, die den ganzen mittelalter-
lichen Gottesdienst, die kirchliche Kunst und Poesie beherrscht3), auf die
mystische Spekulation der Pytliagoräer4) zurück, die in den Zahlen nicht
mehr Prädikate einer anderen Substanz, sondern die Substanz der Dinge
selbst sahen und die Dinge als Abbilder der Zahlen bezeichneten.
Auch im Orient begegnen uns Seitenstücke, sowohl muhammedanische
als buddhistische und altpersische.6) Iii einer vielleicht noch vor die
Sassanidenzeit zurückreichenden Pehlevi-Erzählung giebt der Zauberer
Akht dem Gôsht-i Fryano im Rätselwettkampfe zehn Fragen auf: Was ist
das Eine? Was die Zwei? u. s. w. bis Zehn. Der Lehre Zoroasters gemäss
lauten die Antworten: 1 die Sonne, 2 das Einatmen und Ausatmen, 3 die
guten Gedanken, Worte und Thaten, 4 Wasser, Erde, Bäume und Tiere u. s.w.
Natürlich wechseln die Deutungen in den niuhammedanischen und bud-
dhistischen Fassungen. In jenen ist 1 Gott, in diesen die Nahrung als
Hauptursache des Lebens, 2 in jenen Sonne und Mond, in diesen Wesen
und Form u. s. w.
Lenken wir nunmehr den Blick zurück auf die weiteren europäischen
Verwandten unsrer Zahlendeutungen, so fallen uns zunächst die geistlichen
1) Erk-Böhme No. 2133; vgl. E. Köhler, Kleinere Schriften 3, 355. Dagegen nennt
F. Delitzsch, Zur Geschichte der jüdischen Poesie 1836, S. 81 das aramäische 'Chad gadja'
eine Nachahmung des deutschen Volksliedes.
2) Eucherius, Formulae spiritalis intellegentiae cap. 10: De numeris (Migne, Patrologia
lat. 50, 769 = Corpus script, ecclesiast. lat. 31, 39). Rabanus Maurus (Migne 111, 489).
Bridfertus zu Beda (Migne 90, 693). Pseudo-Melito (Pitra, Spicilegium Solesmense 3, 282.
Archivio 13, 585).
3) Vgl. die Zusammenstellungen Lei Otte, Kunstarchäologie des deutschen Mittel-
alters5 1, 489 (1883) und Kraus, Geschichte der christlichen Kunst 2, 1, 442. Was der
'Zahlendäinon' bei einem karolingischen Dichter oder vielmehr Überarbeiter für "Wirrwarr
angerichtet hat, zeigt hübsch Winterfeld, Archiv f. ältere deutsche Geschichtskunde 25, 381.
4) Über den Neupythagoräer Nikomachos vgl. Zeller, Philosophie der Griechen 3, 2,122
(1881); ebenda 391 über Philo, 635 über Amelius, 702 über Iainblichos.
5) Köhler, Kleinere Schriften 3, 365.
398
Boite :
S túnel exilie cl er ins Auge. Um 1630 ist folgende lateinische Morgen-
andacht1) für Klosterbrüder niedergeschrieben:
Prima sonat: Primo fratres habiternus in unum.
Hora secunda sonans duo suggeriti Ite, venite!
Tertia: Continuo celebretur trina potestas.
Quarta est: Bis duo sunt lux evangelia nobis.
Quinta est: Quinqué deum veneremur sensibus unum.
Sexta: Dies sex urget opus, totidemque labora!
Séptima: Sola deo sit séptima sacra dierum.
Octo pios octava canit, quos arca reclusit.
Fert nona, Christe, novem, quos permitiendo beasti.
Decima verba docet decern moderamina vitae.
Impare gaudentem resonas undecima Judam.
Sortege completos bis sex duodecima fratres.
Ein deutsches Lied2), das zuerst 1631 in Corners Grossem katholischen
Gesangbuch No. 20 auftaucht, mahnt beim ersten Glockenschlage an den
einen Gott, dann an Leib und Seele, die Dreifaltigkeit, die vier letzten
Dinge, die fünf Wunden Christi, die sechs Schöpfungstage, die sieben
Gaben des heiligen Geistes, die acht Seligkeiten, die neun Engelchöre,
die zehn Gebote, die elfte Stunde, in der die Arbeiter für den Weinberg
gedingt wurden, und endlich an die zwölf Apostel. — Aus Friedrich Spees
Lied auf alle Stunden des Tags8) hebe ich nur hervor, dass er auf eine
geistliche Deutung von 11 verzichtet:
Von Elfen find ich sonders nicht,
Nur dass man geht zum Essen.
Last nehmen dann, was zugericht,
Und Gottes nicht vergessen!
Ausserordentlich unbeholfen klingt folgendes bisher unedierte Gedicht
des 17. Jahrhunderts, das ich dem Berliner Ms. germ. qu. 1036, Bl. 22a
entnehme; ein ohne Ort und Jahr erschienenes Plugblatt4) bietet stellen-
weise einen besseren Text.
1) Notes & Queries 4. Ser. 2, 390 (nebst einer englischen Übersetzung: 'When watch
strikes one, then thinke yet in one hand'). Sandys, Christmas carols 18B3, p. 133 (Man's
duty, or meditation for the twelve hours of the day). Deutung der geistlichen Horae bei
Gui. Durandus, Rationale divinoruin officiorum lib. 5, cap. 5—10.
2) Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied 5, 1266, No. 1515: 'So off't ich schlagen
hör die Stund'. Die Melodie bei Baumker, Das katholische deutsche Kirchenlied 2, 244.
3) Spee, Güldenes Tugendbuch 1649, S. 594: 'Ein Glaub allein, ein Gott allein.'
4) Drey Schöne Geistliche Lieder. Das Erste, Ich weiß mir, ein Blümlein ist hübsch
vnd fein. Das Ander Lied. O Christe Morgensterne, Leucht vns mit hellem schein. Das
dritte Lied. Yon den XII. stunden des Tages, So ein jeder Christen mensch, wenn die
Yhr schlegt, betrachten mag. Im Thon, Hört auff mit weinen vnd klagen. Die Geistliche
Vhr. Das ist, was der Mensch alle Tag, Zur jeden Stund betrachten mag, Begreifft in
einer kurtzen Summ, Den Christlichen Catechismum. 4 Bl. 8°. (Berlin, Hyinn. 7029.)
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
399
Die gaistlich Ur.
Zwellff Stundt im Thag sindt, Christus spricht.
Wer gerecht darin wandelt, der stost sich nicht.
Das ist auff ain jeglichen Stundt im Tag,
Was ain Christenmensch bethrachten mag,
Begreifft in einer kurtzen Sum
Den [christlichen] Cattacissmum.
Wans 1 schlecht.
Ain ainger Gott in Ewigkaitt,
Der Himel vnd Erd hat beraitt,
Den sollen wir von Hertzen rain
Firchten, lieben, eren allein.
Wans 2 schlecht.
Zway Menschenbildt im ßaradeis
Erschueff Gott Man vnd Weib mit Fleis,
Hatt dazumall den Ehstandt auffgerichtt,
Ainander zu verlassen nicht.
Wans 3 schlecht.
Drey Pershonnen allermeist,
Gott Vatter, Son, hailliger Gaist,
Die betten wir als ainen an,
Wie Abraham [schon] hat gethon.
Wans 4 schlecht.
Vier haillig Evangelisten
Haben virgeschriben vns Christen
Des Herren Zukunfft in die Weltt,
Sein wortt vnd werckh klerlich erzellt.
Wans 6 schlecht.
Sechs Werckh der Barmhertzigkeit
Soll ain Christ ieben alle Zeitt,
Seines Glaubens Fricht zu zaigen an.
So wurtt er am jingsten Tag woll bestan.
Wans 7 schlecht.
Siben Bitt hatt vns Christus der Herr
Gellernett im Yatter vnsser,
In wellichen wir von Gott dem Herren
Der Sellen vnd Leibs Haill begeren.
Wans 8 schlecht.
Acht Thag nach der haillige[n] Geburtt
Jesus das Kindt beschnidten wurdt,
Durch welliches vns ist gerichttet auff
Das Bundtzaichen, die hailligc Tauff.
Wans 9 schlecht.
In der neindten Stundt verschiden ist
Am Creitz das ware Lamb Jessus Christ,
In wellichem vns sein Leib vnd Bluett
Im Abenttmall wurtt dargereicht zu guett.
Wans 10 schlecht.
Zehen Gebott sind vns gegeben
Yon Gott, darin wir vnser Leben
Sollen spieglen, wie mir sollen wandlen
Vor Gott, mitt vnssern Nesten handien.
Wans 5 schlecht.
Vinff Wunden rott am Chreitzesstam
Erlitt das ware Gotteslamb,
Dardurch wir [all] sindt worden haill
Erlangt ewiges Erbthayll.
Wans 11 schlecht.
Ail ff' gerechter Jinger Christus hett,
Dennen er sich offenbaren det,
Gab inen den Schüssel der Ruy,
Er streckt sich selbs auff alls ain Diener threy.
Wans 12 schlecht.
Zwelf Artickell in vnserim christelichen Glaben
Bekinen wir ain hertzlichs Vertrauen
Zu Gott: der well vns allen geben
Durch Jessum Christ das ewig Leben.
Ob diese im 17. Jahrhundert auftretenden Moralisationen des trlocken-
schlages zuerst von einem katholischen Autor ersonnen wurden, ist zweifel-
haft, da schon 1597 im evangelischen Dresdener Gesangbuche ein gleichartiges
400
Boite:
Stundenlied1) erscheint, das vielfach abgedruckt und z. B. auch von Kirchhof
1603 in seiner Schwanksammlung 'Wendunmut'2) benutzt wurde. Es nennt
einen Gott, zwei Menschen im Paradies, die Dreieinigkeit, vier Evangelisten,
fünf Wunden Christi, sechs Werke der Barmherzigkeit, sieben Bitten im
Yaterunser, acht Tage bis zur Beschneidung Christi, die neunte Stunde,
in der Christus starb, zehn Gebote, elf fromme Jünger, zwölf Artikel des
Glaubens. — Ein dänisches Lied, das, wie Svend Grundtvig3) bemerkt,
seit 1712 in Plugblättern vorkommt und auch in schwedischer Fassung*)
mindestens seit 1701 existiert, weiss jedesmal statt einer Zahlendeutung
nicht weniger als sieben vorzuführen. Ich teile es nach einem etwa 1800
erschienenen Flugblatte5) mit: 'Trende Gudelige Yiser. Den Forste: Jeg
tilstaaer, at alting er etc. Den Anden: En Yise vil jeg siunge etc. . . .
Trykt i dette Aar.' 4 Bl. 8°.
Erindring om hvert Klokkeslet.
1.
3.
En Yise vil jeg siunge
Om nogle Skrifters Tal
O g det met Mund og Tunge,
Som I nu höre skal
Dens Kraft og Indehold,
Hvad han har at frembsere,
Det gaaer fra Eet til Tolv.
2.
Een Gud Alting regierer,
Een Troe og saligt Haab,
Een Jesum Preiser kiere,
Eet Livsens-Ord, een Daab,
Een Himmel med Behag,
Een Soel oplyser Verden,
Een sidste Dommedag.
To Mennesker Gud giorde,
To Lovens Tavler gav,
To Testamenters Orde,
To Lys paa Himlen brav,
To Navne Jesus Christ,
To Naturer i Christo,
To Veie er forvisi
4.
Tre Engler kom til Sodom,
Tre Troes Artikler er,
Tre Personer i Guddom,
Tre Patriarker kier,
Tre Yise af 0sterland,
Tre Qvinder ud til Graven,
Tre Msend i Ovnens Brand.
1; Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied 5, 324, No. 514: 'O Mensch, mit Fleiss
bedenk all Stund'. Ein Flugblatt von 1598 in Berlin Eh 4160: 'Ein schön new Geistlich
Lied, von den Zwölff standen. Im Thon, Es ist gewislich an der zeit etc. Gedruckt zu
Magdeburg, Bey Wilhelm Roß, 1598,' 4 Bl. 8°; ein andrer Einzeldruck vom Jahre 1609,
vermutlich zu Hamburg erschienen, liegt ebenfalls in Berlin Yd 7853, 1: 'Zwey schöne
andechtige Lieder. Allen frommen Christen sehr tröstlich zu singen. Das I. Von den
zwölff Stunden, O Mensch mit Fleiß bedenck all Stund' etc. Über die Verbreitung- vgl.
A. F. W. Fischer, Kirchenliederlexikon 2, 195 (1879). — Das von Köhler, Kleinere Schriften
3, 274 citierte Gedicht bei Bernh. Schilling, Vier Predigten von Gewittern (Erfurt 1613)
S. 106 vermag ich augenblicklich nicht nachzuschlagen.
'2) 7, 197: 'Merck und erinnere dich, so es schlägt eins, dass nur ein gott, in einem
unzertrennlichen göttlichen wesen seye' u. s. w.
3) Hsl. Nachlass 32b (Ksempevisernes Efterklang A 58).
4) In Grundtvigs Nachlass 19 liegt ein 1767 zu Gefle gedrucktes Flugblatt: 'Twenne
Gudeliga Wisor, De fromma Christna til fägnad, och de syndaktige til" upmuntring til
Gudaktighet. Den Första: Min Födelse-dag, förtjenar at jag etc. Den Andra: En Wisa
wil jag sjunga, om Tal etc.'
5) Grundtvigs Nachlass 19.
Eine geistliche Auslegung- dos Kartenspiels.
40 L
F ire Evangelister,
Fire Slags Sœdejord,
Fire er Aarsens-Tider,
Fire Propheter stor,
Fire Veie i Verden er,
Fire er Elementer,
Fire store Monarkier.
6.
Fem ere Mose-Beger,
Fem Sind Mcnnesket har,
Fem ero Lserestykker,
Fem Christi Yunder var,
Fem Bred, fem tusind Mand,
F e in Jo m fruer de kl oge,
Fem daarlige paa Stand.
Sex Steenkar udi Cana,
Sex Arbeidsdage du har
Sex Dago sankes Manna,
. Sex Timer Merket var,
Sex Alen Goliath stserk,
Sex Dage Gud og skabte
Sex Giernings store Vasrlc.
8.
Syv Ord mon Jesus tale,
Syv Benner i Fader-Vor,
Syv Dage i Uger alle,
Syv Verdens Under stor,
Syv fulde Ax oprandt,
Syv Aar paa Templen bygges,
Syv nye Bast Samson bandt.
9.
Otte Siele Gud priste
I Nose Ark paa Stund,
Otte Saligheder viste
Christus vor Frelsermand,
For os stor Smerte har
Otte Dage af Aider,
Da han omskaaren var.
10.
Ni Slet Jesus med Mede
Raabte saa jammer!ig,
Ni Slet Jesus og dede,
Aanden opgav fra sig,
Ni Ting priser Syrak,
Ni hundred' Aar Adam levede,
Ni Spedalsk' uden Tale.
11.
Ti Plager Gud udsente
Over Pharao med Skiel,
Ti Spedalske blev rensde
Af Guds Sen Christo selv
Og strax helbredet giort,
Ti Jomfruer omtales,
Ti ere Guds Bud-Ord.
12.
El le ve i Urtegaard forlade
Deres gode Frelsere;
Elleve ved Bordet sadde,
For dem Jesus sig lod see,
Da han opstanden var;
Elieve bestandig bleve
Om Christo vidne bar.
13.
Tolv var de smaa Propheter,
Tolv Israels SIsegter var,
Tolv var Christi A postier,
Tolv Maaneder i et Aar,
Tolvt' Aar Christus Irerte dem,
Tolv ere Dagens Timer,
Tolv Porte for Jerusalem.
14.
Saaledes vii vi ende
Vor Sang med disse Tal.
Gud os sin Naade sende,
Naar vi bortvandre skal,
Og giv os Himmerig,
At vi ham love og prise
Altid og eviglig.
Ein niederländisches Seitenstück hierzu bietet uns ein auf der
Berliner Bibliothek (Zf 7591, Bl. 7) aufbewahrtes Flugblatt aus dem Ende
des 18. Jahrhunderts:
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 28
402
Boite •
Geestelyk Uer-slag.
Op de Wyse: Ik drink den nieuwen Most.
1.
Christene menschen al
In dit droef aerdsche dal,
Hier wel op let en in uvv hert vast prent!
U word beduyd't oud en nieuw Testament ;
Want al 't gene gy hier hoort,
Js gefondeért op Christus heylig Woórd.
Wilt dit heyliglyk mediteéren
Het geén ons ieder lier
Gaet leeren de Schriftuer!
2.
Slaet de Ivlok e en, peyst wel
Eenen Hemel en eon Hel, [leéft,
Ook eenen Godt, Schepper van al dat
Een Maegd, die den Zone Godts gebaert
Een Aerde, een Zee, oen Dal, [heéft,
Een dood, een Serpent den mensch
bragt lot val,
Ook een Geloof en een waere Kerke,
In 't Paradys gaf Godt
Aen Adam een Gebod.
3.
Slaet de Klok twee, hoort aen,
Godt regeért Zon en Maen. [ons gaf,
Twee groote lichten den Schepper aen
Tweedooden Godt verwekten uyt hetgraf,
Twee steene Tafels wel
Gaf Godt Moyses voor't volle van Israël,
Waer in klaer stond h un Wet geschreven,
Twee mannen men ook zand
Nae het beloófde Land.
4.
Komt de Klok dry te slaen,
Dry Koningen die gaen [heyd.
Met hun verstand op Godts Almogend-
Dry Persoonen ook eenen Godt beleyd,
Dry ueren naer den noen hong Godt
en mensch [rantzoen,
Aen't Kruys, stierf de dood voor ons
Den derden dag is hy verreien.
Petrus drymael misdaen,
Drymael kraeyde den Haen.
5.
Wanneer de Klok slaet vier,
Peyst, wat gchuyl getier,
Als eens vier winden zullen opstaen
En wy menschen ons lest oórdcel ontfaen.
Vier tyden geeft ons 't jaer,
Vier Evangelisten beschryven !t klaer
Christus woórd van 's weêrelds eynde
Met geknersel en getier
Vergaen zal door het vier.
6.
De Klok vyf neren slaet.
Denkt uwen Godt, die gaet
Met vyf Hroeykens in de Woestyne groot;
Vyf duyzend mannen spyst inhongers-nood.
Vyf Keykens nam don Held
David, daer hy den Reus heeft me geveld,
Vyf dwaese Maegden ende vyf wyse,
Vyf Wonden kreég Godts Zoón
Aen 't Kruys voor ons rantzoen.
7.
Wie ten zes ueren leéft,
Peyst, op zes dagen heéft
Den goeden Godt Hemel en Aerd na wensch
Geschapen, al wat behoefd den mensch.
Cana in Galile
Zes Kruyken Wyn van water Jesum de.
Zes dagen mögt men het Manna raepen
In de Woestyne wel
Voor het Arolk van Israël.
8.
Slaet de Klok zeven, mensch,
Denkt, zeven Woordekens [zoete tael
Sprak Godt aen 't Kruys, ook met een
Gaf zyn Apostels in het Avondmael
Syn Liehaem tot een spys,
Syn dierbaer Blocd voor drank toot een
Do zeven heylige Sacramenten, [gepeys,
Ook den zevensten dag
Een-ieder rusten mag.
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
403
9.
Zoo haest de Klok slaot acht,
Jsemt dat in uw gedacht: [tc saein,
Acht dagen oud was Godt en Mensch
Kreég de Hesnydenis en Jesus Naem.
Acht Zaligheden leert [keert.
Godt alle menschen, die tot deugden
Acht menschen Godt in d' Arle van Noe
Acht wonderheden deed [spaerde,
Godt aen Elias den Propheét.
10.
Als 't negen ueren slaet,
Denkt, dat den Heer dan gaet [kruyd
H ueren Werk-Ii en in den Akker, om 't
Te wieden en te roeyen het quaed uyt.
Wel negen raaenden was
David in zonden, cor Godt hern genas.
Tegen negen ueren was d' aerde duyster,
Zon en Maen zonder kracht,
Als Godt riep: 't is volbragt.
11.
Mensch, als de Klok slaet tien,
Wilt ten Hemelvvaert zien, [heeft
Peyst: Goeden Godt, die ray geschapen
En in uw Wet my tien geboden geeft.
Denkt de ongeloovigheyd
Aen Thomas van tien getuygen gezeyd.
Tien zvvaere plaegen in Egypten
Godt Pharo over zand
Om synen tegenstand.
12..
Slaet de Klok elf, vriend,
Den Yader des huysgezind
Gaet weder uyt en werk-volk vergaerd,
Om t' arbeyden in's Heeren Wyngaerd,
leder krygt eenen loon.
Elf Apostelen bezitten Godts Throon,
Om dat sy zyn getrouw gebleven
In sraert, raoeyt en arrebeyd,
Kroont Godt, die 't zelver zeyd.
1 9
Lo.
Slaet de Klok two If, mensch,
Weest gedachtig, dat Godts Geest
Zond in 't hert van twelf Apostels al,
Want sy Godts woórd prekten met bly
Tvvaelf Maenden heeft cen Jaer, [geschal.
Twaelf Planeten raaeken 't ons kenbaer,
Tvvaelf geslachten der Israëlieten,
Twaelf steenen door Godts last
Aen Arons borstlap vast.
14.
Och goedertieren Godt,
Plant uw Wet en Gebod
in onsc ziel op dit droef traenen dal,
Dat raen u eert en keuno boven al!
Den Wyser, die is rond. [stond!
Wie weet syn dood, wat tyd, wat uer oft
Wilt dit gestadig mediteéren
Godts Gebod ieder uer!
Want den tyd vliegt snel deur.
Weit wertvoller als diese trockenen Reimereien ist ein deutsches
Naehtwächterlied, das die Stunclenrufe 9—1"J und 1—4 mit geistlicher
Zahlensyrnbolik ausstattet und wohl aus dem 18. Jahrhundert> herstammt:
'Hört, ihr Herrn und lasst euch sagen.'x)
Warum uns dieselben Zahlendeutungen häufig, wenn auch entstellt, in
englischen Weihnachts'liedern entgegentreten, ist meines Wissens noch
nicht, ausgesprochen worden. Den Anlass dazu gab offenbar die Zwölfzahl
der heiligen Tage von Weihnachten bis zum Dreikönigstage, wie durch
den Refrain eines bei Sandys2) abgedruckten Textes deutlich bezeugt wird:
1) Erk-Böhme, Liederhort No. 1580—81. Vgl. Ii. Köhler, Kleinere Schuften 3, 83
und 273 f. — Dagegen fehlt in dem Kinderliede 'Ammenuhr' (Arnim-Brentano, Wunder-
horn 2, 784 ed. Birlinger - Crecelius. Böhme, Kinderlied 1897, S. 71) jegliche Zahlen-
deutung.
2) Christmas carols 1833, p. 135 = Gilbert 1823, No. 13. Über die anderen englischen
Texte s. oben S. 391''.
28*
404
Boite;
In those twelve days, and in those twelve days let us be glad,
For God of his power hath all things made.
Ein Seitenstück zu den oben behandelten Auslegungen der Spiel-
karten, auf die ich hier nicht mehr einzugehen brauche, bildet die mittel-
alterliche Legende von der Entstehung des Würfels. Wie Reinmar von
Zweter erzählt, schuf der Teufel ihn zum Verderben der Menschen und
setzte auf seine sechs Felder die Zahlen 1—6, um dadurch Gott, Himmel
und Erde, die Dreieinigkeit, die Evangelisten, die fünf Sinne des Menschen
und die sechswöchigen Fasten zu verhöhnen.1) Peter Suchenwirt deutet
die Zahlen 1—12, andere die Zahlen 1—18, die man mit zwei oder drei
Würfeln erhalten kann, in ähnlicher Weise.2)
Während nun all diese Reihen von Zahlendeutunsen an den «'eist-
o o
liehen und biblischen Personen und Begriffen festhalten, setzen andere
Lieder und Märchen, denen man bisweilen die parodistische Absicht
anmerkt, an ihre Stelle weltliche Auslegungen. So antwortet in einer
ditmarsischen Erzählung3), deren Verlauf den oben S. 391 f. erwähnten
italienischen und portugiesischen Märchen entspricht, der Bauer dem Teufel
nach Anweisung eines fremden Wandrers: 'Eins ist eine Schiebkarre, "3 eine
Karjole, 3 ein Dreifuss, 4 ein Wagen, 5 die Finger an der Hand, 6 die
Werkeltage in der Woche, 7 das Siebengestirn.' — Erotische Ausdeutungen
giebt in dem kyprischen Liede von den hundert Sprüchen4) der Liebhaber
auf die Fragen der spröden Jungfrau nach den Zahlen 1—10 und den
folgenden Zehnern bis 100. Auch in mehreren anmutigen italienischen
Liebesliedern knüpft der Jüngling seine Werbung litaneiartig an die
Zahlen 1—12, zumeist reizvoll mit dem Reime spielend.5) So beginnt ein
Gesang aus den Bergen von Lucca:
1) Reinmar von Zweter, lierausgeg. von Roethe 1887, S. 466. 599. Vgl. Bolte, NcL
Jahrbuch 19, 92. 21, 145 f. (Prosalegende. Josep. Bamberger Verse von 1489. Klingler).
Arîioul Greban, Mystère de la passion 1878 v. 25746 í".
2) Liederbuch der Hätzlerin 1840, S. 205; dazu Geuther, Studien 1899, S. 127. Ingolt,
Goldenes Spiel 1882, S. 52 und XXVII (Joh. Hcrolt). 21 Sünden bei Bernardinus Senensis,
Opera 1, 195b; vgl 3, 246b (1745); Antoninus, Summa 1511, torn. 2, tit. 1, cap. 23, § 6;
Barletta, Sermones 1571, p. 148b; Nd. Jahrbuch 19, 93.
3) Müllenhoff, Sagen aus Schleswig 1S45, S. 303, No. 41 ó. Seitenstöcke weisen
Köhler, Kl. Schriften 3, 3702 und Feilberg in dieser Zeitschrift 4, 255 f. nach. Prato,
Archivio 14, 488. J. Cortils y Vieta, Ethología de Bláues (Folk-lore catalá 3. 1886), p. 89:
'ISTou mentidas o nou veritats'.
4) Sakellarios, Tà Kvjigiaxá 2,42 (1891) : vgl. Liebrecht, Zur Volkskunde 1879, S. 164.
Wlislocld, Volksdichtungen der Zigeuner 1890, S. 308 = Zeitschrift für vergi. Literatur-
geschichte 2, 355.
5) Giannini, Canti popolari della montagna lucchese 1889, p. 240—247. Casetti-
Imbriani, Canti pop. delle provincie meridionali 2, 191. 445 (1872). Gianandrea, Canti
pop. marchigiani 1875, p. 259. Corazzini, I componimenti minori della lett. ital. 1877r
p. 208—211.
Eine geistliche Auslegung des Kartenspiels.
405
Uno La mi' dama porta brano,
Porta bruno per su' ma'.
Amami, bolla: nun m' abbandona!
Dua La mi 'dama è più bella della tua:
S' 'un ò vero, facciam giudica.
Trea La mi 'dama è bella e la vorrea,
E su' padre 'un me la vuol dà'.
Quattro Tutte le vecchie mi chiamano '1 matto,
Alle giovanni nun ni fa.
u. s. w. bis
Dodici E compita la dozzina.
La mi 'dama si chiama Caterina.
All' amore 'un vo' più fa'.
Amami, bella: nun m' abbandona!
In Scherzliedern wird die Form des Zahlenliedes zu einer steigernden
Aufzählung von den Mahlzeiten eines zarten Fräuleins an sechs Tagen1),
von den Geschenken, die ein Liebhaber seinem Mädchen oder ein Vater
seiner Tochter zur Aussteuer macht2), oder zu freien Heimspielen3) ver-
wandt.
Ferner stehen auch verschiedene Arbeitslieder, die beim Klöppeln
und Stricken gesungen werden und die Zahl der Maschen oder Nadeln,
bei der sich der mechanisch Beschäftigte irgend etwas denken wollte, mit
einem Reimwort oder einer Art Auslegung begleiten, in einem gewissen
Zusammenhange mit den geistlichen Zahlenliedern. AVenn gleichwohl
Bücher in seinem trefflichen Buche 'Arbeit und Rhythmus' (1899, S. 92l)
eine solche Beeinflussung bestreitet, so vergleiche man nur die in den
Dörfern von Ille-et-Vilaine übliche Zahlenliste der Strickerinnen: 'Une,
le père; Deux, le fils; Trois, le Saint-Esprit; Quatre évangélistes; Cinq
plaies de Notre-Seigneur; Six commandements de l'Eglise; Sept sacrements;
1) Meier, Volksmärchen aus Schwaben 1852, No. 83 ('Guter Gesell, ich frage dich/
Also deutliche Parodie). Cénac Moncaut, Litt. pop. de la Gascogne 186S, p. 274 (Suppe
zum Weihnachtsfest). Lootens-Feys 1879, p. 261. Giannini, Canti lucchesi 1889, p. 216.
2) Gagnon 1865, p. 80. 856. Coussemaker 1856, p. 133. Bugcaud, Chants pop. de
l'Ouest 1,267 (1866). Durieux et Bruyelle, Chants du Cainbresis 1,125. Rolland, Chansous
populaires 1, 317 (1883). A. Wolf, Volkslieder aus dem Egerlande 1869, No. 17. De La
Fontaine, Luxemburg. Kinderreime 1877, S. 49. Halliwell, Nursery rhymes 1853, p. 184.
Chambers, Popular rhymes 1847, p. 198 und 1870, p. 42. Corazziui p. 378.
8) Archivio 10,517 (aus Paris); 11, 271 (Tradition 6, 169: Les sept propos du Gascon).
J. Cortils y Vieta, Ethología de Blaues 1886, p. 138 (A la una la mi mula); Aiilá y Fon-
tanals 1882, p. 61 (Las non veritats) Nyerup-Rasmussen 2,255, Anm. — Dagegen gehört
das vlämische Lied von den 12 Gläsern (Coussemaker No. 119) vielmehr zu den Katalogen
der verschiedenen Trünke (Bolte, Nd. Korrespondenzblatt 21, 56) und der verschiedenen
Zecher (Bolte, Nd. Jahrbuch 19, 167: Nd. Korrespondenzblatt 18, 76. 21, 55. 83), die
gleichfalls gern an der Zwöll'zahl festhalten.
406
von Negclein:
Huit béatitudes; Neuf choeurs des auges; Dix commandements de Dieu:.
Ouze mille vierges; Douze apôtres'1) u. s. w. bis 20.
Zu so vielfältiger Verwendung der mystischen Zahlenspielerei in Sage
und Brauch des Yolkes geselle sich zu guterletzt noch eine listige Nutz-
auwendung, die in einem arabischen Schwanke2) ein armer Schulmeister
davon macht. Er fragt auf dem Markte einen etwas einfältigen Schuster
nach dem Preise eines Paars Pantoffeln. 'Zwölf Pfennige', ist die Antwort.
O *
"Freund", sagt er, "du bist von der Sekte Mulhad, die die zwölf Monate
verehrt." — 'Nun so gieb elf.' — "Ei, das riecht nach Aberglauben an
-Josephs elf Brüder." — 'Zehn.' — "Das liiesse der zehn Jünger des Pro-
pheten spotten." — 'Aber neun.' — "Glaubst du, ich sei ein Jude, der an
die neun Gebote Moses glaubt?" — 'Dann acht.' — "Aber das ist ja die
Zahl der Engel, die den Thron Gottes tragen." — 'Nun, wenigstens sieben.'
— "Scheust du dich nicht, die Lehre der Sabäer zu bekennen, die soviel
auf sieben halten?" — 'So bleiben wir bei sechs stehn!" — "Das ist die
Zahl der Schöpfungstage." — 'Aber wenigstens fünf.' — "Das ist ja die
Zahl der gesetzmässigeu täglichen Gebete." — 'Nun, so schliesseu wir mit
vier ab.' — "Nein, den vier rechtgläubigen Sekten will ich nicht zu nahe
treten." — 'Drei.' — "Was, kannst du vergessen, dass die Religion die
Zahl drei durch die Monate Redscheb, Sellaban und Ii am asan heiligt?" —
'Zwei.' — "Ei, der abscheuliche Manichäer." — 'Nun, dann einen." —
"Gottloser, eins ist nur Gott." — Da sagt der Schuster: 'Nimm die Pantoffeln
in Gottes Namen hin; sonst verleidest du mir meinen Glauben ganz und gar.
Berlin.
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult.
Von Julius von Negelein.
I.
Eine höchst eigentümliche Ceremonie des vedischen Rossopfers
schreibt den an diesem beteiligten Priestern vor, den Schwanz des Opfer-
rosses anzufassen. „Denn die Menschen kannten den Weg zur Himmelswelt
nicht, aber das Pferd kannte ihn. So nimmt es sie zur Himmelswelt
1) Mielck, Nd. Korrespondenzblatt 4, 04 (Masclienmerkreim aus Wismar: 1—20)-
A. Müller, Volkslieder aus dem Erzgebirge 1881), S. 214. 224. Oben S. 3881. Feilberg in
dieser Zeitschrift 4, 249f. Lootens-Feys 1879, p. 262 (77 Dornen in der Dornenkrone Christi).
Orain, Folklore de l'Ille-et-Vilaine 1897, p. 30 = Melusine 3, 14. Melusine 1,217. 8,95. —
Auch ebenda 1,78. Archivio 14, 177—180 (Abzählreime der Kinder). Über die Verwendung
zum Tanzliede in Frankreich und Spanien vgl. oben S. 391 f. und Prato, Archivio 14, 480
2) Hammer, Rosenöl 2, 273 (1813. Ohne Quellenangabe).
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult.
407
mit."1) In seiner aphoristischen Sprache drückt hier der altindische Text
den Gedanken ans, dessen Verfolgung uns zu beschäftigen haben wird:
die Idee, dass das Ross vermöge seines glücklichen Instinktes den Menschen,
sei er lebendig oder tot, in die unermesslichen Fernen zu tragen imstande
sei, iu denen der Völkerglaube das gelobte Land, das Paradies, die Gegend
der Glasberge vermutete2). Im ganzen Bereich der Religi oiisübungen
dürfte sich keine naivere Ceremonie als die eben beschriebene finden,
kein naiverer Yersuch, des Unerreichbaren sich zu bemächtigen. An die
Stelle des Rosses tritt sehr häufig die Kuh. Nach den Vorschriften der
altindischen Ritualbücher sollen die Teilnehmer an einem Leichenbegängnis,
nachdem sie gebadet und neue Kleider angelegt haben, einen Stierschwanz
anfassend, zu ihrem Dorf zurückkehren3). Noch heute führt man an das
Lager eines Sterbenden eine Kuh mit ihrem Kalbe. Die erstere ist reich
geschmückt. Man lässt sie an den Kranken herantreten, der sie beim
Schwanz ergreift, und zu gleicher Zeit rezitiert der Purohita ein Mantram
(liturgische Formel), damit sie (die Kuh) den Kranken wohl-
behalten zur anderen Welt hinüberführe4). Auch nach dem Zeug-
nisse anderer Berichterstatter bringen die Hindus sterbenden Brahmanen
eine schwarze Kuh, um sich die Überfahrt über die Vaitaranï, den Todes-
fiuss, zu sichern, und halten sich oft beim Sterben am Schwanz einer Kuh
fest, als ob sie wie ein Hirt herüberschwimmen wollten5). Die
Begründung ist hochwichtig: dieselben Spuren, die dem vordringenden
Arier den Weg .durch das Dickicht der indischen Einöden wiesen und
ebneten6), sollten ihm die Entdeckung des unbekannten Landes er-
möglichen. Wie sich der Hirt am Schwänze der Kuh, am Schweif des
Rosses über Bäche und Weiler hinüberschwang, so wollte er auf gleiche
W eise sich über den Totenfluss hinübersetzen lassen. Ähnliche Ideen
sind der späteren Zeit nicht fremd. Das Anklammern an den Schweif
des Rosses bekundete Zugehörigkeit zu diesem und eventuell seinem
Reiter, z. B. auch im deutschen Mittelalter7). Tote oder zum Tode ver-
1) Apastambaçrautasûtra 13, 4 erläutert durch Taiftiriyabrähmana 3, 8, 22, 1.
2) Ich verweise hier auf meinen Aufsatz oben S. IG ff.
3) Hillebrandt, Rituallitteratur 92; vgl. Kâtjayanaçrautasûtra 21, 3, 4.
4) „afin qu'elle (la vache) le conduise par un bon chemin dans l'autre monde".
Dubois, Moeurs des peuples de l'Inde 203.
5) Tylor, Anfänge d. Kultur 1, 466f. Colebrooke, Essays I, 177. Ward, Hindoos II,
62. 284. 331. Auch in Ostpreussen setzen die „Pferdejungen" auf gleiche Weise über
Weiler weg.
6) Vgl. Pischel u. Geldner, "Vedische Studien 2, 287 ff zu gavyüti; dasselbe bedeutet
zunächst die von dem Vieh festgetretenen Wege, dann z. 15. in Ptigveda 10, 14, 2 den Weg
ins Jenseits, „den unsere Vorfahren gingen.'1
7) Wenn in Speier der neue Bischof von Bruchsal her seinen Einritt hielt und aus
der Stadt Verbannte sich an seinen Zaum, Sattel oder selbst an das Pferd hielten oder
hingen, so durften sie mit in die Stadt. . . . Noch im dreissigjährigen Kriege, wenn
eine Stadt mit Sturm genommen wurde, liessen die Soldaten den, der sich losgekauft
hatte, den Schweif oder Bügel des Pferdes anfassen und führten ihn so sicher durch
408
von Nog cl ri m :
dämmte1) Verbrecher wurden auf Pferde oder Pferden an den Schwanz
gebunden, um von diesen „in das bessere Land" mitgenommen zu werden.
Die Toggenburger Rheinthaler banden im Jahre 1541 einen Verstorbenen .
einefri Pferde an den Schweif und liessen ihn zu Grabe schleifen, und
ein Jahr darauf banden sie einen Toten nackend auf ein Pferd und führten -
ihn zu Grabe2). Der heilige Stephan wurde an ein Ross nach seinem
Tode gebunden, und man begrub den Heiligen da, wo das Ross stehen
blieb3). Man liess sich in einer gewissen Kulturepoche, einem ethnischen
Elementargesetz zufolge überhaupt gern von der unbeirrten Sicherheit des
Tieres leiten4), vornehmlich natürlich desjenigen Tieres, das für das
betreibende Volk von grösster socialer Bedeutung war, also des Pferdes
bei den Indogennanen, des Kameeies bei den Semiten. Die den Tieren
zugeschriebene Divinationsgabe erhebt dieselben zum Rang von Geistern,
sie ist also ein ausschliessliches Produkt der sogen, animistischen Periode.
Kulturell wirksam zeigt sie sich zunächst in der Sitte, durch Tiere,
namentlich also durch Pferde, unter denen wieder der Schimmel bevorzugt
war5), social wichtige oder social geweihte Plätze bestimmen zu lassen
oder aus der Richtung, die das freigelassene Ross einschlägt, die Zukunft
zu enträtseln. Wenn der zur Schichtung des altindischen Feueraltars not-
wendige Thon gegraben wird, erwartet man von dem voranschreitenden
Pferd das Zeichen, wo gegraben werden soll6). Der Weg, den ein ge-
weihtes Pferd läuft, deutet bei den Buräten Glück oder Unglück an. Man
setzt einem solchen eine Schale Milch auf das Kreuz und lässt es ohne
Zaum frei. Läuft es nach Osten oder Süden, so beweist dies Glück, nach
Westen oder Norden aber nicht viel Glück '). Im christlichen Mittelalter
wird das Pferd nur einmal als Wegweiser genannt und zwar in der Weise,
dass es den Platz zu einer Kirche anweist8). Maulesel und Rind treten
bisweilen an die Stelle des Pferdes9), Maultiere sollen wegweisend bei
das Gewühl der Menge; Grimm, Rechtsaltortümer4 1, 368f. Nach färöischer Sage fasst
ein altes Troll-Weib einen entlaufenden Dieb an den Schwanz des Pferdes, um ihn zu
fangen: Liebrecht, Volkskunde 317f.
1) Das Festbinden von Verrätern auf Pferde kommt z. B. auch in Griechenland und
Siam vor: Liebrecht, Volkskunde 402.
2) Rochliolz, Deutscher Glaube und Brauch 1, 163.
3) Jahns, Ross und Reiter 1, 390.
4) Wellhausen, Reste arabischen Heidentums 201; Wellhausen, Skizzen 3, 1.47f.: Man
liess eine Kamelin laufen, um zum Wasser geführt zu werden .... denn das Tier handelt
auf höheren Befehl. Durch die Suche nach verlorenen Tieren wird man seiner Bestimmung
zugeführt. Vgl. Wellhausen, Reste 196f.: das Kamel soll bei den heidnischen Arabern,
wenn jemand sich in der Wüste verirrt hat, selbständig den richtigen Weg linden, wenn
man es befragt hat.
, 5) Vgl. Zeitschr. f. Ethnol., Jahrg. 1901, S. 79 ff.
(!) Hillebrandt a. a. O. 183.
7) Klemm, Allgem. Kulturgesch. 3, 115. Hopf, Tierorakel 1888 S. 74 f.-
i 8) Hopf a. a. 0. 74. Miillenhoff, Sagen 111.
9) Vgl. meinen Anm. 5 citierten Aufsatz über die volkstüml. Bedeutung der weissen
Farbe in der Zeitschr. f Ethnol.
Das Pferd im Seelen glauben und Toten kuit.
4er Gründung des Klosters Maulbronn aufgetreten sein1). Nach alter
schwäbischer Sage hat ein Esel den Ort, wo das Kloster Allerheiligen
gegründet werden sollte, angezeigt2). Eine Kuh zeigt dem Cadmus den
Ort seiner Ansiedlung, Iviilio zeigen in einer schwedischen Sage (Wieseigren
408) den Ort an, wo eine Kirche gebaut werden soll, säugende Kühe
weisen die Stelle für den Kirchenbau, ein schwarzer Stier den für den
Schlossbau an (Müllenhoff 112f.) .... Ochsen zeigen die Stelle, wo ein
im Wasser dahergeschwominenes, hölzernes Kreuz aufgerichtet werden
«oll, und ein Ochs ist es, der den Platz für die Errichtung des Klosters
Ochsenhausen weist3). Das Ross war also in christlicher Zeit dazu be-
stimmt, den Baugrund für Kirchen, wie in heidnischer den für Opferplätze
zu erwählen4). Ganz eigentümlich mutet uns die Yerquickung beider
Elemente an, die uns lehrt, Avie christliche Gotteshäuser direkt aus Wodans-
tempeln entstanden, dabei aber als Wahrzeichen ihres heidnischen Ursprungs
-das Hufeisen (etwa in der Form des Attributes zu dem Boss eines
Heiligen) unverändert beibehielten3). Eine andere Beurteilung verdienen
die alten-"Heiligtümer, die an der Stelle der Trappen des Wotan- oder
Baldr-Rosses entstanden sind. Hier ist die mythisch aus dem Hufschlag
der Götterpferde entstandene Quelle das Primäre.
Die Geisterhaftigkeit des Rosses zeigt sich namentlich in seinen
Orakeln. Die • altindischen Ritualbücher bewahren bei Beschreibung des
Pferdeopfersden von ihnen bereits völlig missverstandenen Brauch, das
Pferd (das zum Zweck des glücklichen Gelingens eines bevor-
stehenden Feldzuges geschlachtet wird) dadurch zum Wiehern zu
bringen, dass man ihm Stuten zuführt. Unwillkürlich denken wir dabei
an die List des Darius, die ihn zum König machte7). Dass das alt-
indische Ritual sich des gleichen Orakels häufiger bediente, lehrt die
sogen. kârrrïsti-Ceremonie8), welche in der Weise veranstaltet wird, dass
man ein Pferd zum Wiehern bringt. AVenn es wiehern sollte oder sich
schüttelt oder Kot oder Harn lässt, so regnet es bald. Im allgemeinen
aber bedeutet das Schnaufen des in dein gesamten Altertum ausschliesslich
zu kriegerischen und socialen Zwecken verwandten Tieres einen bevor-
stehenden Kampf und Glück in demselben. Daher die Provozierung
des Wieherns in dem altindischen Brauche und die Verabredung bei der
persischen Königswahl. Die semitische Traumprophetie tritt dem gegen-
über als ein die beiden Rassen scheidendes Element bei den Indogermanen
völlig zurück9). Wie das holländische „wichelen" zugleich „wiehern" und
1) Grimm, Myth.4 3, 329. — 2) Birliuger, Ytl. aus Schwaben 1, 3S9. — 3) Hopf
a. a. 0. 78. — 4) Vgl. Petersen, Hufeisen 199. — 5) Jaehns, Ross und lì eiter 1, 367.
Weinhold, Quellenverehrung 63. — 6) z. B. Apastambaçrautasûtra l3, 5—7. 7) Herodot
1, 189; 3, 84; 7, 55. Justin 1, 10, 5. Menzel, Odin 174. Gubernatis, Die Tiere 26P,
Anm. 4. — 8) Hillebrandt a. a. 0. 120. — 9) Über die von den heidnischen Beduinen
angenommene Bedeutung der Traumvisionen bei Beginn eines Krieges vgl. Jacob, Leben
der vorislamischen Beduinen 127.
410
von NVgelein:
„wahrsagen" bedeutet1), so schreiben Germanen seit ältester Zeit dem
Rosse die vorbedeutende Mahnung zum Kampf zu. Nach Tacitus2) galt
das Schnaufen und Wiehern des Rosses als vorbedeutend, und weder beim
Volk noch bei den E dein und Priestern gab es ein Wahrzeichen, das für
zuverlässiger gehalten wurde. Abergläubische horchen Weihnachts 12 Uhr
auf Scheidewegen, au Grenzsteinen: vermeinen sie nun Schwertgeklirr
und Pferdegewieher zu hören, so wird im künftigen Frühling ein Krieg
entstehen3). Noch spät galt das Gewieher der Pferde eleu abergläubischen
Soldaten als Vorbedeutung4). Slavische Stämme meinen noch heute in
dem ungewöhnlich starken Wiehern und Schnauben der Rosse die Pro-
phezeiung baldigen Krieges finden zu können5). In das Familienleben
greift das Wiehern des Rosses als glückbringendes Vorzeichen6), namentlich
als Vor Verkündigung baldiger Ehe ein. Wenn ein Mädchen, das an der
Thür des Pferdestalles lauscht, ein Pferdewiehern hört, so verheiratet es
sich im nächsten Jahre7). Namentlich in der Zeit der Zwölften, dem ge-
heiligten Beginn des heidnisch-germanischen Jahres, prophezeien die Rosse.
Mägde horchen um jene Zeit an der Schwelle des Pferdestalles auf das
Wiehern der Hengste, und vernehmen sie es, so wird bis zum 24. Juni
(Sommersonnenwende!; ein Freier erscheinen8). Auch den Slaven in der
Lausitz bedeutet das Wiehern eines Pferdes am Weihnachtsabend dem es
erlauschenden Mädchen, d.iss es sich im nächsten Jahre verheiraten wird9).
Schon früh ist dem Pferde, wie allen weissagenden Tieren, die Gabe
der menschlichen Rede zugesprochen worden. Aus den vedischen Texten
ist mir allerdings kein Beispiel dafür bekannt, obwohl dieselben den
Tieren im ganzen einen Teil des allgemeinen Sprachvermögens zu-
erkennen10), wie auch die bekannte animistische Idee, dass das Tier die
Geister der Verstorbenen spüre11) resp. die Wehklage des zu Grabe ge-
tragenen höre12), sich selbst bei den Semiten findet. Über das bekannte
analoge Phänomen auf germanischem Boden braucht man kein Wort zu
verlieren: das Scheuen, Schaudern, Schnaufen der Rosse sagt den Tod au.
1) Ersch und Gruber, Realencyklopädie unter „Orakel pferd" und Hopf a. a. 0. 69.
/ 2) Tacitus, Germania 9 und 10; vgl. Jaehns J, 269. Grimm, Myth.4 2,932.
3) Grimm a. a. 0.
4) Jaehns 1, 423. Grimm, Myth.4 2, 548.
5) Grohmann, Aberglaube aus Böhmen und Mähre.n 53; dors., Mäuse 31.
6) „Wer Pferdegewieher hört, soll lleissig zuhören," heisst es in der Rockenphilo-
sophie, „denn sie deuten Glück an"; Jaehns 1, 374.
7) Wuttke, Aberglaube 185f.
8) Grimm, Myth.4 2, 932.
9) Hopf 74.
10) Rigveda 8, 100, 11. Kausitakibrähinana 30, 7, Aitareyabrähmana 2, 17.
11) "Wellhausen, Reste 151.
l'i) Nach Ansicht der heidnischen Araber hören alle Tiere, Avas die zu-Grabo getragene
Leiche eagt, nur der Mensch nicht: Wellhausen, ebenda 151, Anni. 7. Die Wehklage des
zu Begrabenden ist ein specioll semitischer Zug : siehe oben S. 24.
Das l'ioni im Seelenglauben und Totenkult.
411
Wir werden darauf zurückzukommen haben. Die Tod verkündende
Sprache der Rosse (der Glaube an sie fehlt keinem indogermanischen
Volk) ist zweifellos der liest eines universell gewesenen Tier- und Ahnen-
kultus, der später in den Dienst der Veneration anthropomorpher Gott-
heiten trat. Nicht etwa weil das Ross im Dienst des Frey stand, wurde
es mit dem Attribut der Prophétie ausgestattet, sondern weil es als Almen-
wesen und deshalb als prophetisch galt, eignete der aufkeimende Kult
des Frey es sich an, ohne die dem Tierkult eigentümlichen Elemente
völlig ertöten zu können1). Zu diesen gehört in erster Linie die Gabe
der prophetischen Rede, für die das klassische Beispiel der Rosse des- —
Achill, die diesem den Tod verkünden, bekannt ist2). Auf römischem
Boden findet sich die Nachricht, dass dem Augustus ein Esel seinen Sieg
bei Actium prophezeit habe3). Caesar erfuhr von seinem menschen-
füssigen Ross, dass er die Welt erobern werde4). Man achtete bei den
Etruskern beim Einzug des neuen Magistrats auf den Angang der Rosse
und zog daraus politische Schlüsse5). Die Redegabe ist namentlich bei
den Rossen der altdeutschen Helden ein stehendes Attribut. Ein Haupt-
merkmal, Helden zu erkennen, ist, dass ihnen kluge Pferde eigen sind, -
mit denen sie Reden führen6).
Der Aberglaube der deutschen Lande kennt diese Fähigkeit der Pferde
nicht minder7) als die bulgarische Sage8) und der armenische Mythos9).
Der katholische Ritter de Cabrerus pflegte sich stets bei seinem Pferde
"Hat zu holen10). Die Anähnlichung des Rosses an seinen Reiter kommt
1) Vgl. Zeitschr. f. Etlinol., Jahrg. 1901, S. 8011 Das Verhältnis wird gewöhnlich so
gefasst, dass man das Tier als blosses Werkzeug einer Gottheit auffasst, also eine ganz
sekundäre Entwickcl'ungsphasc als primar betrachtet. So sagt z. B. auch Buchholz,.
Humerische Realien I, 2, 168f. und ebenda 193 fast mit denselben Worten, dass „in den
Tieren wegen des in ihnen wohnenden natürlichen Instinkts die göttliche Natur
jauterer und ungetrübter hervortritt."
2) 1 lias 19, 407ff. 415ff. Buchholz, Homerische Realien 2, 1, 133 sagt: Überhaupt ist -
das sociale Verhältnis der homerischen Griechen zu ihren Tieren fast ein vertrautes und
inniges, namentlich das Verhältnis des Kämpfers zu seinem Schlachtrosse, ,mit welchem
er im genauesten Umgang lebt und eine Art von Verständnis unterhält, welches ihn mit-
unter sogar veranlasst, sein Tier, als ob es mit Vernunft begabt wäre, an-
zureden. So fordert Hektor seine Rosse auf, ihm ihre Fliege zu vergelten und die
Achäer rasch zu verfolgen (<9 185). Achilles spricht zu seinen Rossen Xanthos und
Balios, Antilochos feuert beim Wagenrennen die Rosse Nestors mit Worten an: W 402.
3) Nachricht des Plutarch bei Hopf 20.
4) Jaelins 1, 363, Anm. 2.
5; Hopf GS; Grimm, Myth.4 2, 944; vgl. noch Cicero, de div. 1, 35, Livi us 22, 3r
Y erg. Aen. 3, 537; 10, 860; 11, fc9, Valerius Maximus 1, G, G, Claud., Rapt. Pros. 1, 285;.
Stat, Theb. 6. 424.
G) Grimm, Myth.4 1, 325, vgl. 2, 927.
7) Vgl. Grimm, Wörterbuch unter Pferdesprache.
ti) Strausz, Bulgaren 232.
9) Aheghian, Armenischer Volksglaube 101 f.
10) Bastian, Zeitschr. f. Ethnol. 1, 176.
412
von Negelein:
völkergeschichtlicli nachweisbar durch die seelische Sympathie des ersteren
mit letzterem zum Ausdruck1), die durch die Redegabe vermittelt wird.
Wie deshalb der arabische Beduine behauptet: „Es (das Pferd) versteht
alles wie ein Sohn Adams, nur dass ihm die Sprache fehltu2), plaudert
der nordamerikanische Indianer mit seinem Ross, als ob es Vernunft
hätte3). Gleich dem Tatos der Ungarn4) redet im deutschen Märchen
F alada, deren abgeschlagenes Haupt5) die Gabe der Prophétie sich be-
•" wahrt. Man vergleiche das redende Haupt des Mimir.
Den germanischen Stämmen, die ja die gespensterhaft Umherirrenden
ohne Kopf darzustellen pflegten, galt das Haupt als Seelensitz. Auch
den Pommern und Esthen6) hatte das Pferd weissagende Kraft. Der
Sterndeuter Kaiser Friedrichs II., Scotus, führte neben anderen Vorzeichen
für den Ausgang eines beabsichtigten Unternehmens als Orakeltier unter
anderen das Pferd an. Es mag diese Schrift des gelehrten Scotus aus
dem 13. Jahrhundert als der letzte Versuch gelten, den Tierorakeln wissen-
schaftlichen Anstrich zu geben7), die sich aber bis über das Ende des
Heidentums hinaus erhalten haben. Eigentümlich ist es, dass beim ger-
manischen und griechischen Pferdeopfer die aus den Eingeweideteilen des
Rosses sich ergebenden Omina eine grosse Rolle gespielt haben müssen,
während die altindischen Ritualbücher nichts dergleichen kennen, das
Bestreben, die Zukunft zu erforschen, vielmehr bei dem vedischen Opfer
überhaupt völlig zurücktritt. Die ominöse Zauberkraft des Opfertieres
spielt dort gar keine Rolle. — Als divinatorisches Wesen tritt uns das
1) „Das Pferd als vertrauter Gefährte des Menschen wird fast ganz menschlich ge-
lassi; das Heldenpferd spricht, verteidigt seinen Reiter, lacht und weint; ja manch-
mal hat es fast menschliche Gestalt": Gubernatis '262, vgl. Anm. 43.
2) bei Brehm, Tierleben1 4, 27.
3) Tylor 1, 460.
4) Mannhardt, Zeitschrift für deutsche Mythologie 2, 269; Schwartz, Poetische Natur-
anschauung 2, 134.
5) Vgl. S. 408, Anm. 9: Die Volkstümlichkeit der Vorstellung von dem Reden der Rosse
geht auf das Einheitsbewusstsein von Ross und Reiter zurück, für das sich das Prototyp
in Wodan und seinem Sleipnir findet. Ein altes Rätsel fragt: wer sind die zwei, die zum
Thing fahren? Drei Augen haben sie zusammen, zehn Füsse und einen Schweif und reisen
so über Land? — Die Lösung ist der einäugige Odhin auf dem achtfiissigen Sleipnir, vgl.
Jaehns 1, 345. Wotans Ross blickt bei Haddings Entführung hinter dem Mantel hervor:
Simrock® 241 ; d. h. in der späteren Sprache des Christentums: der Teufel zeigt plötzlich
seinen Pferdefuss. Als Drosselbart, d. h Pferdebart, ist Wotan halb Mensch, halb Ross.
Nach Tiroler Glauben wohnt ein Wildg'fahr (d. h. ein Wesen, das wild dahinfahrt) im
Rofnerwaldgute bei Naturns unweit Meran. Das hat eine Gestalt, als ob zwei Pferde
zusammengewachsen wären, mit nur einem Kopfe und nur einem Schweife, aber an jeder
Seite zwei paar Beine: Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols, 54. Hier zeigt sich noch
ganz deutlich der alte Sleipnir, dem gegenüber der Reiter vergessen ist. Die eingeborenen
Amerikaner ergriffen beim Anblick der eisten Spanier, die ihren Boden betraten, als vor
einem vermeintlichen Doppelwesen schleunig die Flu-clit; Deutsche hippologische
Presse 12, 4L2. — Mimirs und Faladas Haupt vergleicht schon Simrock, Myth.®, 533.
6) Grimm, Myth.4 2, 553, Anm. 2.
1) Michael Scotus in seiner Pliysiognomia (c. 56) bei Hopf a. a. 0. 31 und TO.
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult. 41 o
Pferd namentlich im livländischen Kult entgegen. Die Liven brachten kein
Blutopfer (Menschenopfer) dar, ohne dass das heilige Orakelpferd darüber
entschieden hätte, ob das Opfer dem Gott angenehm sei oder nicht, und
zwar kam es darauf an, ob das Pferd über einen auf die Erde gelegten
Spiess mit dem Lebens- oder mit dem Todesfuss schritt1). Dem heutigen
norwegischen Volksglauben gilt das Pferd durchaus als ein guter Angang2).
Auch bei den Slaven war die prophetische Gabe des heiligen Rosses hoch-
geschätzt. Pferdekultus findet sich in allen Haupttempeln der Slaven in
Riedegost .... in Arkona und in Stettin bei Pommern3), wobei das
Uberschreiten von Speeren durch die weissagenden Mosse angewendet
wurde.
Die Jahreswende übt auf die attributiven Gaben des Rosses nicht nur
einen potenzierenden, sondern auch materiell verändernden Einfluss aus.
Mit dem Glauben an das jetzt gerade hervorragend entwickelte Ver-
mögen der Prophétie4) verbindet sich die Furcht vor diesem Vermögen;
denn dem Propheten schreibt man in leicht verständlicher Begriffsübertragimg
schicksalbestimmenden Einfluss zu. Die in Norwegen herrschende Sitte,
jedem einzelnen Stück Vieh am Weihnachtsabend sein Abendfutter mit
den Worten zu reichen: „Friss gut, gedeihe gut, heute Abend ist Weihnacht-
abend"5), und der auf den lettischen Teilen der kurischen Nehrung fest-
gehaltene Brauch, am Sylvesterabend den Pferden kurz vor Mitternacht
noch einmal Futter zu bringen6), sind als Besänftigungsversuche gegen-
über der in der Prophétie der Pferde sich verkörpernden Schicksalsmacht
aufzufassen. Denn von der Zeit der Zwölften, die ja den im Verlauf des
Jahres Verstorbenen ein gespensterhaftes Leben wiedergiebt, erwartet man
vor allem die Beantwortung der Frage nach der Dauer der eigenen
Existenz in dem kommenden Jahreskreislauf — eine Frage, die bald als
berechtigt gilt, bald als das Schicksal herausfordernd verworfen wird.
Daher gesellt sich zu dem als solchen hingestellten Glauben, dass man
durch Schlafen im Pferdestall, Liegen in der Pferdekrippe7), Belauschen
iler Tiere an dem Stallthor8) u. s. w. in jenen Tagen zukünftige Dinge
erfahren kann, die abergläubische Warnung vor diesen Handlungen9)
und ein ganzes Heer von Sagen, das davon erzählt, wie Neugierige mit
furchtbaren Ohrfeigen von Geisterhand abgespeist worden seien8), oder
die Prophezeiung ihres baldigen Todes hätten mitanhören müssen.10) So
gerät das Ross, dessen frühzeitige Verwendung im Totenkult wir bereits
kennen gelernt haben, in den Verdacht, als Verbündeter der Macht des
1) Hopf 37. — 2) Liebrecht, Volkskunde 328. — 3) Hanusch, Die Wissenschaft des
slavischen Mythus 315f. — 4) Vgl. z. B. Jaehns 1, 295. Weinhold in der Zeitschrift für
Volkskunde 1, 218. — 5) Liebrecht 312. — 6) Eigene Information. — 7) Grimm, Myth.4
2,932. Jaehns 1, 295. — 8) Privatinformation. — 9) Vgl. Liebrecht 320. — 10) Vernaleken,
Alpensagen 342; Mythen 291. Panzer, Beitrag zur deutschen Mythologie 1, 224. Fried-
reich, Realien S. 734.
414 Ton Nogelein :
Todes aufzutreten. Unzweifelhaft hat die typische Eigenart des Pferdes
diesen Glauben befestigen geholfen. „Das Pferd kann sich verwundern,
kann stutzen, kann über unbedeutende Dinge wie ein Kind er-
schrecken . . 1), ohne erklärlichen Grund gerät es häufig in Furcht,
wird unbändig, nervös. Wie sollte nicht der Glaube, dass es z. B. die
Gabe des zweiten Gesichts besässe2), damit unmittelbar als eine Art
•«causaler Erklärung" zusammenhängen? Sein Schaudern, seine Nacht-
schweisse, die unerklärliche Verwirrung seiner Kammhaare — das Alles
verlangt eine auf dein Gebiete der Dämonologie liegende Erklärung. Noch
ein Faktor von hoher Wichtigkeit kommt hinzu. Erteilte der Animismus
dem Rosse die Gabe der namentlich das Todeslos einschliessenden Pro-
phétie, so machte die Vorstellung von dem Entrücktwerden des Ver-
storbenen durch fremde Mächte eben dieses Ross als schnellstes Tier zum
Träger des Entriickungsgedankens. Nirgends sicherer als hier können
o o O O
wir von einem „indogermanischen" Gedanken reden: indische, germanische
und slavisclie Vorstellungen fallen völlig in dem Glauben an diese Funktion
des Rosses zusammen. Erkannte man den Toten als entschwunden, so
war man eben gezwungen, das flüchtige Ross der heimatlichen Steppe,
-das ohnehin der natürliche Sitz des Lebendigen gewesen war, als Träger
¡les befreiten Geistes anzunehmen. Eine schöne und überraschende Analogie
liegt in der Thatsache, dass den Semiten der Strauss als schnellster
Wüstenvogel zugleich Gespensterreittier ist3). So wird das Ross zum
Todestier xax êÇoy/jv, und alles, was an ihm unerklärlich erschien, dieser
Tendenz untergeordnet. Sein Wiehern und Schnauben scheint den Todes-
ritt des Erkrankten zu verkünden, sein nächtlicher Schweiss beweist, dass
der Geist des Erschöpften bereits in ein anderes Land herübergegangen
ist, sein Blick prophezeit dem Manne, den er erwählt, dass dieser sich
' zum langen Ritte rüsten müsse4);, scheut es, so fürchtet es sich vor den
an der Schwelle des Hauses lauernden Todesdämonen oder den Geistern,
•die am Kirchhofe oder sonst irgendwo Wache halten5). Ein mächtiger
Hebel zur Befestigung und Variation dieser Jileen liegt in der kultur-
geschichtlichen Thatsache, dass man die Leichenwagen mit Pferden be-
spannte. So wurde der Träger ins bessere Land zum Führer ins Jenseits
und deshalb in patriarchalischen Verhältnissen mindestens so unheimlich, wie
es für einen gebrechlichen Greis die Bretter sein müssen, die der Schreiner
zur Sargherstellung liefert. So verstehen wir es, dass einerseits in Gebirgs-
gegenden, wo der Stier die Rolle des Pferdes am Leichenwagen übernimmt,
zugleich auch mit dessen Attributen, nämlich der Prophétie u. s. w., aus-
1) Brelun, Tierleben1 4, B3.
2) Jaehns 1, 259, Anni. 1.
3) Wellhausen, Reste 152.
4) Nach ostpreussischem Aberglauben stirbt derjenige, den das Pferd am Leichen-
wagen auffällig ansieht.
5) Allgemein-deutscher Glaube, doch siehe auch Schulenburg, Wendische Sagen 139f.
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult.
415
gestattet wird1), und dass andererseits, z. B. auf der kurisclien Nehrung',
wo des tiefen Sandes wegen der Sarg zum Kirchhof getragen wird, die
abergläubische Furcht vor dem Pferde selten anzutreffen und in den vor-
kommenden Ausnahmefällen meist auf Entlehnung ' zurückzuführen ist.
Dagegen zeigt sich diese Scheu vor dem Tiere auf dem benachbarten
ostpreussi sehen Festlande noch in vielen Gebilden, am deutlichsten aber
in den nordgermanischen Ländern. Träumt man dort von Pferden, so
bedeutet es etwas Schlimmes2). Wenn das Pferd sich schüttelt oder noch
das Geschirr am Leibe hat, so stirbt ein Mensch3). Soll das Pferd zur
Stadt gehen, um Medikamente zu holen, und will nicht von der Stelle,
so wird nach slovakischein Aberglauben der Kranke sterben; denn das
Ross „wittert den Tod"4). Wenn ein Pferd beim Leichenzuge gähnt,
wird bald jemand aus der Familie sterben, meinen die Südslaven. Ein
siidslavischer Bauer sagte: „Das Pferd reisst den Rachen auf, als wollte
es eine Seele verschlingen"5). Es ist zu erwägen, dass den Slaven die
Seele mit dem Luftliauch identisch ist. — In allen diesen Fällen handelt
es sich im Sinne des heutigen Volksglaubens wohl um unbewusste Pro-
phétie. Dass diese aus der Form bewusster Weissagung hervorgegangen
ist, lehren die angedeuteten Beispiele der Verkündigungen des Xanthos
und Balios, der Hengste des Achill, und des Rosses Sigurds, des Grani,
an Gudrun.
Das Pferd bleibt da, wo es in den Dienst eines bestimmten Religions-
systems unci seiner Lehren tritt, seiner alten Aufgabe treu. Galt der Tod
als eine entrückende Macht und das Pferd als Träger des Entrückungs-
O O '
Gedankens, so wurden eben beide mit einander identifiziert und so der
Tod zum Pferde gemacht. Diese Lehre wurde wieder empirisch wirksam,
indem man einzelnen Rossen, namentlich solchen, die sich durch ihre
Farbe auszeichneten, die gedachte Funktion der Entrückung zuschrieb6).
Nach altgermanischer Auffassung reitet der Tod zu Pferde Der Hei und
ihrem Boten wird gleich anderen Göttern ein Pferd zugestanden haben7).
Die nordische Sitte, der Hellja auf Kirchhöfen ein lebendiges Pferd ein-
1) Vgl. Zeitschr. f. Volkskunde 10, 50. In der Schweiz glaubt man, dass, wenn die
Binder bei der Tränke den Kopf starr emporrecken, sie über des Herrn baldigen Tod
trauern. Ein Bauer, der sich Weihnachts um Mitternacht in den Futterbarren legte, ver-
nahm, dass die beiden Stiere sich besprachen, wie bald sie ihn zu Grabe führen miissten
und starb im Schreck darüber: Hopf 77.
2) Norwegischer Aberglaube bei Liebrecht, Volkskunde S27.
3) Liebrccht 326. — Ähnliche Züge teilt z. B. Strackerjan in seinen oldenburgischen
Sagen mit: „wenn das Pferd seine Nüstern aufbläht, die Mähne sträubt, den Kopf hin-
und herwirft, die Ohren spitzt, schnaubt und wiehert, dann sieht es den zukünftigen
Leichenzug." Vgl. Jaehns 1, 403.
4) Ethnol. Mitteil, aus Ungarn 5, 30.
5) Zeitschr. f. Volkskunde 1, 180.
6) Ich verweise hier auf den citierten Aufsatz über die volkstümliche Bedeutung der
-weissen Farbe.
7) (Trimm, Myth.4 2, 70-1, vgl. ebenda 1, 261.
von Neidern :
zugrabeu, ehe dieselben ihrem Dienste übergebeil wurden1), wird, zumal
wenn man sich des Aberglaubens erinnert, dass auf den Friedhöfen immer
der jüngst Verstorbene Wache halten muss, als ein naiver Versuch ver-
ständlich, den Toten durch das Ross der Todesgöttin schnell und sicher
in die Unterwelt gelangen zu lassen. Dass die Todesgöttin ihrem Ross
gegenüber funktionell ganz zurücktritt, lehrt die Thatsaclie, dass die Be-
sänftigungsversuche dem Tiere, nicht ihrer Reiterin gelten, dass man
dem Tode im Sprichwort Hafer anbietet, und die alten Skandinavier von
der Hei, die in Pestzeiten auf einem dreibeinigen Pferde reitet, sich durch
eine gleiche Gabe thatsächlich loszukaufen versuchten2). Neugriechische
Lieder stellen den Fährmann der Toten, Charon, zu Pferde dar. Die
Ungarn nennen die Totenbahre St. Michaëls-Pferd. In der Schweiz und
anderswo gilt es als eine Todes-Aukündigung, wenn am Fenster eines
Schwerkranken des Abends ein Ross von der Strasse her sichtbar wird3).
Mit dem Beherrscher der Seelen, dem Hades der altgriechischen Mythe.,
wurde sein Ross eng verbunden4). Homer nennt ihn xÂvtôjiwàoç, bei.
welchem Beiwort sich ihn der Dichter auf raschem Gespann dahinfahrend
denkt5).
Von der Erscheinung des Todes ist die des Teufels nicht zu trennen..
Die mythische Figur des Todes war dem priesterlichen Fanatismus eben
teuflisch. So wird der alte Todesritt zum Höllenritt, das Ross zum Teufels-
tier6). Die Pferde stehen im Jenseits nach der Auffassung der Oberpfalz
bei den in der Hölle Befindlichen. Sie sind weiss7). Italienische und
Südtiroler Sagen kennen in der charakteristischen Gestalt des Orco, d. h.
Orcus, des pferdegestaltigen Teufels, eine ähnliche Darstellung des Todes.
Der Orco erscheint als ein weidendes Pferd in der Nähe der Strasse und
nähert sich schmeichelnd dem Vorübergehenden. Aber wehe dem, der es
wagt, den schmucken Gaul zu besteigen! Denn kaum fühlt derselbe die
gesuchte Last auf seinem Rücken, so verlängern sich seine Beine immer
höher und höher, sodass der erschreckte Reiter aus schwindelnder Höhe
1) Furtwängler, Idee des Todes 37, Anni. 12. Grimm, Myth.4 2, 956, vgl. ebenda 704.
- 2) z. B. Porger, Pflanzensagen 115. Man füttert den Wind: Grundriss f. germaru
Pkilol.2 13, 1534. Der Norddeutsche lässt die letzten Halme für Wotan sein Pferd. Ebenso-
lässt der Schwede die letzten Halme für Odens Pferde. In Mecklenburg rief man: Wode,
"Wode hole dinem Eosse nu Foder: Gründl-, f. germ. Philol. 3, 338.
3) Gubernati?, Die Tiere 226, Anm. 4.
4) In der Sammlung Sabouroff 1, '25; vgl. Gubernatis, Die Tiere 226, Anm. 4.
5) Buchholz, Homerische Realien 3, 1, 334. Seine ebenda 343f. geäusserte Ansicht,
dass das Epitheton xXvzàjiaûoç sich lediglich auf den Kaub der Persephone beziehe, ist
zweifellos falsch.
6) Nach ungarischer Überlieferung ist das Pferd aus dem Teufel entstanden, der
von Gott verflucht wurde, den Pilug zu ziehen Deshalb darf man dem Pferde nicht recht
trauen: Strausz, Bulgaren 8)11'. Im deutschen Volksglauben erscheint der Teufel als
Pferd in den Sagen von Zeno, vom Bruder Rausch und in Legenden: Grimm, Myth4 2, 831.
7) Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch, 211.
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult.
417
kaum mehr den Erdboden unter sich sieht, und dann geht es fort . . . .
in die grauseste Wildnis, bis endlich der Unglückliche aus seiner Luft-
region niederstürzt und sich glücklich schätzen muss, wenn er, an Füssen
und Händen erbärmlich zerzaust, sich aus dem Dorngebüsche herauswinden
kann. Im übrigen stinkt er wie der Teufel, und man darf auf sein Rufen
nicht antworten1). Die Motive des nur scheinbar gefährlichen Luftrittes,
des Gestanks der Erscheinung und desYerbots, ihr durch Anrufen lästig zu
fallen2), sind freilich Züge, die von der Natur des nordischen, wilden Jägers
entlehnt sind, der pferdegestaltige Teufel aber ist, wie der Name sagt,
italisches Eigentum. Hierher gehört auch die Sage von dem am Hoch-
leger in der Hinterdux hausenden Berggeist. Er ist ein unnahbares, ent-
setzliches Ross, welches, dem Orco gleich, Pestgeruch und Gralbesduft
aushaucht. Es ist vielen Schützen und Gemsjägern bereits verderblich
gewesen. Es springt, wenn es jemanden angegriffen hat, wieder nach der
Gletscherwand zurück, von der es gekommen ist3).
Hatten wir im Vorausgegangenen den Strauss als Träger des se-
mitischen Entrückungsgedankens dem indogermanischen Ross gegenüber-
gestellt, so wollen wir jetzt dasselbe Tier als Mitglied eines dämono-
logischen Systems mit dem inzwischen ebenfalls zum Teufel gewordenen
Pferde vergleichen. Der Strauss ist eines der wichtigsten Inkarnationen
oder Reittiere der Ghul4), die Ghul entführt oft einzelne Personen, nament-
lich in die Wüste5). Wenn jemand spurlos verschwindet, so sind die
Ginn daran Schuld. Eine Ghul raubte das Söhnchen des Abu Usaid, indem
dieselbe sich als seine Wärterin ausgab; der berühmte Sinän b. Abi Haritha
wurde als steinalter Mann von den Ginn entführt und in ihr Land gebracht;
von Qaisaba b. Kulthum al Saküni glaubten seine Leute dasselbe, er
wurde freilich in Wahrheit von einem feindlichen Stamm gefangen ge-
halten. Dass die entsprechenden indogermanischen Sagen das entrückende
Ross unmittelbar zu einem Todesgenius stempeln, geht am besten aber-
mals aus dessen Farbe hervor. Wo feurige Hengste Prinzessinnen auf
ihren Rücken laden und zu schwarzen Burgen u. s. w. tragen, Kranke
oder dem Teufel Gelobte dämonische Rosse besteigen und sich von ihnen
entführen lassen, da sind diese Tiere gewöhnlich schwarz, d. h. sie tragen
die Schattenfarbe des Höllenreiches an sich. Erinnert sei noch daran,
1) Alpenburg., Mythen und Sagen Tirols 57f.
2) Dieses so häufig in der Sagenlitteratur vorkommende Motiv ist höchst interessant.
Es handelt sich hei der Erscheinung des wilden Jägers, der dem auf sein Rufen Ant-
wortenden eine nach Schwefel riechende Pferdekeule herabwirft, zweifellos um das Nieder-
schleudern des Blitzes als Strafe für die Störung der Donnersprache des Gewittergottes.
In Ostpreussen ist es noch heute verboten, bei dem Gewitter zu reden,
sonst schlägt es ein.
3) Alpenburg a. a. 0. 210.
4) Wellhausen, Reste 152.
5) Ebenda 155.
Zeitsclir. d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 2!)
418
von Nogòlein:
dass ein kohlschwarzer Rappe den Ditrich von Bern abholt1) und g'leich-
geartete Pferde Verdammte zur Hölle befördern. In der hundertfach
variierten Leonoren-Sage sitzt statt des Todes ein Toter auf dem Ross2).
Besonders zu untersuchen wäre eine ganze Gruppe von*Sagen, in denen
einzelne Renner, sei es als Jagdtiere, sei es als Reittiere, ihre Verfolger
oder Herren zu düsteren Burgen, zu Dickichten, namentlich aber in Berg-
höhlen tragen. Die Sagen Firdosis von den Abenteuern Rustems auf
seinem Zug zur Entsetzung des Kai Kacüs mögen muslimische Vorlagen
haben. Zu beachten aber sind ähnliche Züge in dem Sagenschatz der
1001 Nacht. Armenien und Südrussland kennen Entsprechendes8).
Nach armenischem Glauben entrücken Devs auf Pferden öfter zeit-
weise oder für immer männliche Personen. Der König Ardavast soll von
seinem Leibross entrückt worden sein und auf dem Berge Ararat von
Devs angeschmiedet gehalten werden. Die ihn begleitenden bei ihm
wachenden Hunde lecken jährlich seine Ketten dünn, so dass von ihm in
jeder Osterzeit eine Zerstörung der Erde zu erwarten ist. Um dies zu
verhindern, schlagen die armenischen Schmiede am Karfreitag mit dem
Hammer dreimal auf den Amboss und verstärken so die Ketten4). — Schei n-
entrückungen durch Rosse, wie sie der armenische (s. o.), südtiroler (s. o.)
und deutsche Aberglauben kennen, haben einst sicherlich eine grosse Rolle
gespielt. Sie müsseil mit der Sturmnatur des wilden Jägers zusammen-
hängen. Unter den von mir auf der kurischen Nehrung gesammelten Er-
zählungen findet sich manche Einzelheit, die von der Entrückung einzelner
Gegenstände (Beile u. s. w.) und Pflanzen (Bäume) durch den im „Kriesel"
d.h. Kreisel, der Windhose verborgenen Teufel berichtet. Der Windteufel
der Nehrung ist eine ausschliesslich in dem genannten Naturphänomen sich
manifestierende Gottheit, es ist nicht im entferntesten daran zu denken, dass
1) Zeitschr. f Ethnol. 17, 137. Grimm, Mytli.4 2, 831.
2) Grimm ebda. Mecklenburgische Fassung: Bartsch, Mecklenburgische Sagen 1, 142.
Slavische Fassung: Zeitschr. f. Volkskunde 9, 217 (mit sehr ausführlicher Litteraturangabe) ;
Schulenburg, Wendische Sagen 138. [Erich Schmidt, Charakteristiken2 1, 189.]
3) Herr Studiosus Thopdschian teilte mir gütigst folgendes mit: Ihm sei aus seiner
armenischen Heimat eine dem Ardavast-Mythus sehr ähnliche Sage bekannt. Hier wie
dort vollbringt das Pferd eine Strafe in Vollziehung des väterlichen Fluches: es entführt
mit sich den Reiter in die Wohnung der Geisterwesen, die gewöhnlich in einem Berge
liegt. Während indes in der Ardavastsage das Ross seinen Herrn eigenmächtig dorthin
trägt, gilt in dem Mher-Mythus ein Rabe als das geleitende Wesen. Mher verfolgt diesen
auf der Jagd und wird so zu einer Grotte geführt, die ihn samt seinem Tiere gefangen
hält. — In Südrussland ist eine Sage von dem Helden Marko Karelewitsch bekannt.
Derselbe ist nach einem grossen Kampfe von Gott in eine Grotte gesperrt. Er hat sein
Schwert in die einen Felsen umkleidende Erde gestossen und schläft. Sein Ross frisst
inzwischen von dem auf dem Felsen wachsenden Grase. So kommt das Schwert immer
mehr und mehr zum Vorschein. Wenn es ganz herausgekommen ist, so tritt der Held
wieder au das Licht der Sonne.
4) Auch diese Mitteilungen verdanke ich Herrn Thopdschian. Die sich in einen
Berg verlierende wilde Jagd des noch mit seinen Hunden ausgestatteten Todesgottes
taucht hier zu deutlich auf, als dass man auf sie besonders hinzuweisen brauchte.
Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult.
419
wir es liier etwa mit einem abstrakten „seelenraubenden" Dämon oder der
Personifikation der „Gewitterwolke" zu thun haben, die als Mixtum compo-
situm von Feuer, Wasser, Licht und Finsternis der altmythologischeu Schule
überhaupt sehr bequem war und thatsächlich ja auch alle denkbaren Deutungen
zulässt, wie man einen Fausthandschuh bekanntlich auf jede Hand zwängen
kann. Mit solchen speciellen Sturmdämonen muss das ganze Heer der
Sagen es zu thun haben, die von Pferden berichten, deren Heiter plötzlich
in die Luft gehoben, weite Strecken getragen, dann aber, ohne erheb-
lichen Schaden zu nehmen, von dem Rücken des Tieres abgeschleudert
wurden1). In dem letztgenannten Zug findet sich das Moment der alten
Gutmütigkeit der Heidengötter wieder. Allerdings spielt auch die spätere
Teufelsauffassung, nach der der Feind Gottes nicht ernstlich, sondern nur
•durch Phantasmagorien zu schaden im stände ist, mit hinein. Zugleich
finden sich die alten, noch zu erwähnenden hallucinatorischen Teufels- und
-Gespensterritte hier bereits angedeutet.
Die Darstellung des Teufels in Pferdegestalt hat noch eine zweite,
sehr tiefgehende und weitreichende Wurzel. Zu den sichersten Zeugen
dieser allgemein - indogermanischen Mythenbildung gehört die Therio-
morphisierung des Blitzes in Rossesforma). Loki nimmt in der nordischen
Mythe Rossesgestalt an und zeugt in solcher3) — ein strikter Beweis tür
die Ursprünglichkeit der tierischen Figur. Der zum Hausgeist gewordene
ebenfalls nordische Niss kann sich wie Loki in Pferdegestalt verwandeln*). -
Der Teufel der deutschen Sage zeigt gerade in seiner Eigenschaft als
Gewitter- und Blitzgottheit (den Pferdefuss u. s. w. auf Dächer herab-
schleudernd) Rossesgestalt5) oder Rossesteile-, Blitze werden durch Schimmel
angezogen. Der Teufel hat die Fähigkeit behalten, sich nach Belieben
in einen Rappen verwandeln zu können6), Pferde, welche au den Y orde r-
fiissen keine Narben haben, sind Teufel7). Ja die vom Teufel be-
günstigten Personen haben immer die besten Pferde8) und benutzen sie
nach Belieben. Hier sind Pferd und Mantel — auch der letztere trägt
seinen Inhaber ja bekanntlich durch die Lüfte — alte, verschiedenen Gott-
heiten beigegebene Wunschdinge, deren Ruhm selbst der heutigen Sage
bekannt ist. Die Tiroler erzählen9), dass einst in der Nähe der Sardatscher
Kapelle in jeder Nacht ein gesatteltes Pferd gestanden habe; es wurde
dazu benutzt, mit Blitzesgeschwindigkeit zu den entferntesten Teilen der
Alpen zu reiten, um sich dort bei einem Mädchen aufzuhalten und nachher
ebenso geschwind wieder zurück zu sein. AVer diesen Ritt machte,
1) Vgl. z. B. Zeitschr. f. Volkskunde 7, 132.
2) Hier hoffe ich ein namentlich unter Heranziehung der vedischen Mythologie er-
arbeitetes Beweismaterial alsbald veröffentlichen zu können.
^ 3) Bekanntlich entspringt Sleipnir aus der Vereinigung von Loki mit Svaditföri.
4) Zeitschr. f. Volkskunde 8, 264. — 5) Simrock, Deutsche Mythologie" 480. —
•G) Weinhold in der Zeitschr. f. Volkskunde 1, 215. — 7) Ebenda 218. — 8) Bartsch,
Volkssagen aus Mecklenburg 1. 130. — 9) Alpenburg 211.
29*
420
Feilberg:
verlor aber seine Seele. Es handelt sich also wieder um den Seelen
entführenden Teufel. Zweifellos ist es uns nicht mehr möglich, diese oder
jene Sage auf dieses oder jenes Grundsubstrat der in ihm vorkommenden
Teufelserscheinung zurückzuführen, also etwa behaupten zu können, dass
wir es das eine Mal mit dem menschenraubenden Gewitter-, das andere
Mal mit einem Windgott zu thun haben. Die Zuteilung zu dieser oder
jener altmythischen Persönlichkeit hat vielmehr nur ganz beschränkten
hypothetischen Wert.
(Fortsetzung folgt.)
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
Yon H. F. Feilberg.
(Schluss von S. 304—830.)
1. Beilage (Das Gänsegehen).
(Zu S. 312.)
Alle Gänse des Dorfes grasten auf der Gemeinwiese den ganzen
Sommer hindurch und nach der Ernte auf den abgemähten Kornfeldern.
Damit jede Familie die ihrigen unterscheiden könnte, hatten die ver-
schiedenen Gehöfte jedes ein Kennzeichen, das eine einen Kerb in dem
rechten, das andere in dem linken Fusse der Gänse u. s. w. Wenn die
Herbstweide vorüber war und die Gänse eingesetzt werden sollten, ver-
sammelten sich am bestimmten Tage alle verheirateten Frauen im Dorfe
und gingen von Haus zu Haus, von einem Gehöfte zum anderen, unter-
suchten alle Gänse und trugen Sorge, dass jedes Gehöft genau die seinen
empfing, welcher Umgang Gänse gehen genannt wurde. Hast du, lieber
Leser, je erfahren, welchen Lärm eine Gänseherde, wenn man unter sie
tritt, hervorbringen kann, und hast du je erlebt, wie gewaltig einige
Dutzend Weiber toben können, so wirst du dir vorstellen können, zu
welchem Geräusch ein solches Gänsegehen Veranlassung gab. Nach dem
Umgange, wobei keiner Mannsperson, den Dorfvorsteher ausgenommen,
Zutritt verstattet wurde, hatten die Frauen abends eine lustige Zeche,
wozu jede Bier und Branntwein mit sich brachte, die unter lautem Reden
und Lachen ausgetrunken wurden, indem der Lärm im Verhältnis zu dem
Schwinden des Branntweins in der Flasche stieg. Später kamen die
Männer, um ihren Frauen bei der Yerzehrung der Gaben Gottes Hilfe zu
leisten, was sie mit Vergnügen unter dem lauten Gespräche der Frauen
thaten. „Wisst Ihr, Schwestern£f, sprach eine Frau, „diese Nacht besuchte
Der böse Blick in nordischer Überlieferung-.
'421
«ein Dieb unsere Speisekammer. Er stieg durchs Fenster und setzte die
Füsse in meinen Sauermilch-Kübel. Als mein Alter das Platschen hörte,
rief er: „Wer da?" sprang aus seinem Bette, und glaubt Ihr mir, der
Dieb machte sich geschwind aus dem Staube. Wir zündeten Licht an,
und als wir hinkamen, fanden wir seine hölzernen Schuhe in der sauren
Milch. Aber, Gottlob, der Kübel war gerettet. Natürlich war etwas
umhergespritzt, das hatte aber nichts zu sagen." — „Ja, glücklich bist
Du, Schwester; Du verlorst Deine Sauermilch nicht." So unbedeutend
auch die Geschichte ist, ist sie doch charakteristisch und beweist, wie vor-
urteilsfrei die Mägen der Bauern damals waren.
Aus Anlass dieses Gänsegehens geschah auch anderes; es war, in ver-
gangenen Jahren wenigstens, Sitte, dass alle unverheirateten Mädchen
des Dorfes gemustert wurden. Wie es damit herging, kann man aus der
folgenden Gerichtsverhandlung ersehen.
Auszug aus den Protokollen des Hardesgerichts zu Andershöf
(Schonen) Anno 1704.
Das Dienstmädchen Hanna Larsdotter in Andershöf hat alle Männer
•des Dorfes nebst ihren Frauen in einer schriftlichen Beschwerde vor das
Oericht geladen.
Sie beklagt sich darüber, dass die Genannten durch die Hebamme
sie haben untersuchen und melken lassen; dass sie ihr zu Schaden und
Schimpf zu ihrem Brotherrn gegangen seien, dass sie in der Abwesenheit
ihres Brotherrn von ihnen mit Gewalt weggeführt worden und ihr die
Hände gehalten und Unehre in der Anwesenheit der Predigerfrau angetlian
wäre, indem sie ihr ein Tuch wie den Huren um den Kopf gebunden
hätten.....
Der Dorfälteste, der mit einem Teil der Bauerfrauen da war, bezeugte,
dass die Frauen, wenn sie wie gewöhnlich das Gänsegehen verrichtet
hätten, bei ihm „Gänsezeche" fGâsegille) hielten und alle Dienstmädchen,
wie immer geschehe, vorforderten, um zu sehen, ob einer etwas fehle.
Hanna aber hielt sich zurück, weshalb sie des Dorfvorstehers Dienst-
mädchen zu ihr schickten; sie wollte aber nicht kommen; da gingen sie
etliche der Bauerfrauen suchen. Als sie endlich erschien, waren die Dorf-
mädchen alle im Hause versammelt, worauf die Frauen bald das eine,
bald das andere Mädchen anfassten und ihre Brüste untersuchten. Da die
Reihe an Hanna gekommen war, schien es ihnen, als ob sie nicht wie die
anderen wäre, weshalb sie von ihnen für verdächtig gehalten und ihr
gesagt wurde, sie solle ein Tuch um ihren Kopf binden; sie habe aber
gemeint, das sei nicht notwendig, wogegen P. Franzens Frau gesagt habe:
„Du musst es thun; denn du wirst ja sonst mir, meinen Kindern, meinem
Vieh zum Schaden barhaupt gehen", worauf Hanna antwortete: „Du hast
glücklicherweise nur wenige Kühe." — „Es geht dich nichts an, ob und
422
Feilberg:
was ich habe; du hast verdient, mit dem Tuche auf der Strasse zu gehen." -
„Meinetwegen kann ich ein Tuch um den Kopf nehmen und weder dir
noch anderen zum Yerdruss ausgehen." Darauf antwortete der Dorfvor-
steher: „Jetzt sprichst du die Wahrheit." Nun aber forderte die Prediger-
frau, dass Hanna zu ihr kommen solle, weswegen sie der Dorfvorsteher
mit seiner Frau suchte; sie hatte sich aber auf dem Boden verborgen, wo
der Vorsteher sie auch entdeckte und sie bat, zur Predigerfrau herunter-
zugehen, was sie anfänglich ausschlug; doch ging sie zuletzt. Als sie an-
langte, redete die Predigerfrau sie an; sie untersuchten wieder ihre BrüsteT
die nach ihrer Meinung nicht waren, wie sie hätten sein sollen; sie wollten
ihr darum ein Tuch umbinden; sie wollte es aber nicht erlauben und
sagte, hätte sie es verdient, wolle sie ein Tuch selbst umbinden, womit
sie schieden. Die Hebamme sagte aus, ihr sei nicht erlaubt, ihre Brüste
anzurühren um deswillen, dessen sie verdächtigt wäre; dies alles sei aber
aus alter Gewohnheit anlässlich des Gänsegehens geschehen.
Ihr Anwalt replizierte, dass dies eine widerrechtliche Sitte sei, der
Hanna sei eine Ehrenbeleidigung zugefügt.
Der Vorsteher und die Gerichtsmänner sagten aus, dass es allgemeine
Sitte in den Dörfern sei, dass die Frauen, wenn sie das Gänsegehen
hielten, zugleich die Brüste der Dienstmädchen besichtigten, weil sie ohne
allen Grund wähnten, wenn irgend ein Mädchen, das sich nicht richtig
gehalten, barhaupt mit geflochtenem Haare umherginge, so würden
schwangere Weiber, ihre Leibesfrucht und ihr Vieh dadurch Schaden
leiden und mit besonderer Krankheit behaftet werden.
Als gefragt wurde, ob sie etwas Ungebührliches von Hanna wüssten,
antworteten die Zeugen nein; sie hätten Hanna nur wegen ihrer Weigerung,
ihre Brüste vorzuzeigen, für verdächtig gehalten.
Der Spruch des Gerichts lautete, dass die verklagten Frauen
3 Thaler Brüche und an Hanna als Ersatz für den erlittenen Schimpf
8 Thaler Silber zu entrichten hätten.
Der ganze Bericht ist zu finden bei Nicolovius (N. Lovén), Folklifvet
i Skytts Härad (Skâne 1868) S. 52f.
2. Beilage.
(Zu S. 315.)
In der mittelalterlichen Litteratur kommen nicht selten Erzählungen
vor, wonach irgend ein Kämpfer die Kunst versteht, das Schwert seines
Gegners stumpf zu machen. Ich führe einige Beispiele aus der nordischen
Litteratur, aus den Sagas, Saxo und Volksliedern an. Öfter wird hier
bestimmt gesagt, dass der Berserk oder Wiking das Schwert seines Gegners
ansieht; der böse Blick muss also auch hier wirksam gewesen sein.
Gunlaug Ormstunge (Schlangenzunge) hatte einem Wiking Thorgrim
Geld geliehen, das dieser aber später nicht zurückzahlen wollte; er wurde
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
423
deshalb von Gunlaug zum Zweikampf gefordert. Dieser erzählte es dem
König, welcher sagte: „Das wird nicht gut gehen, dieser Mann macht alle
Schwerter stumpf; du sollst deshalb meinem Rate folgen: Mit dem Schwerte,
das ich dir gebe, sollst du kämpfen; dasjenige, das .du sonst gebrauchst,
kannst du ihm zeigen." Als der Kampf angehen sollte, fragte Thorgrim
nach dem Schwerte. Gunlaug zeigte ihm das eigne, das er aus der Scheide
zog; das, welches ihm der König geschenkt hatte, hing an einer Schlinge
an seinem Arme. „Das ist nur klein!" sprach der Wiking, da er es an-
gesehen hatte, „eine solche Waffe fürchte ich nicht." Damit hieb er auf
Gunlaug los; dieser ergriff aber das ihm vom König geschenkte Schwert
und schlug Thorgrim die Todeswunde.1)
Bei Saxo liest man eine ganze Reihe solcher Erzählungen. Grim tritt
Halfdan entgegen. Dieser ahnte, dass sein Schwert von dem Blicke
seines Gegners stumpf gemacht worden sei; darum warf er es auf den
Boden und zog ein anderes hervor. Es heisst, er wusste, dass jenes
Schwert „ad hostilem obriguisse conspectum" (Müllers Saxo, S. 328 unten).
Der Wiking, Yisin, „omnem telorum aciem ad hebetudinis habitum solo
conspectu redigere solebat", weshalb Starkad sein Schwert in einem FellJ)
verbirgt, damit es von dem Blicke Yisins nicht Schaden leide (Saxo,
S. 280, 16). — In Sörla páttr k. 9 (Fornald. N. I, 1829, S. -106) rät Hedinn
Ivar, Högne von hinten anzufallen; denn kein Mensch könne ihm von vorn
nahetreten und ihn töten; er habe nämlich den œgishjàlmr8) in den
Augen. Fritzner übersetzt dies: einen Schrecken einjagenden Helm;
Grimm (Mythol.2, S. 217) sagt: „Oe- í augum bezeichnet jenen fürchter-
lichen, scharfen Blick der Augen, den andere nicht aushalten. Der
bekannte Schlangenblick, ormr í auga, war etwas Ähnliches;" vgl. III,4, 82. —
In Sturlaugs Saga Starfsama Kap. 9 sagt das Weib zu Sturlaug: „Mit
diesem Schwerte musst du mit Kol kämpfen; hüte dich aber, ihm das
Schwert zu zeigen, sollte er dich auch bitten!" Und später (Kap. 10),
als der Kampf angehen sollte, sprach Kol: „Sturlaug, zeige mir dein
Schwert!" Das that er. Kol starrte die Schneide scharf an und sagte:
„Mit diesem Schwerte wirst du nicht siegen; geli lieber nach Hause!"
Als der Kampf anfing, warf Sturlaug das Schwert, das er Kol gezeigt hatte,
weg und ergriff unter seinem Zeugstücke4) den Yefreyunaut. Kol fragte:
„Woher hast du V.? Hätte ich gewusst, dass du Y. hättest, wäre ich
nicht mit dir in Zweikampf gegangen."6)
Noch führe ich Svarfdoela an.6) „Dieses Schwert", sprach der Jarl,
1) Gunlaug Ormstunges Saga Kap. 7, in Petersens Übersetzung Isländeines Färd. 11,20
(1840) benutzt.
2) Saxo S. 356, 23: „obducto pauniculis ferro."
3) Vgl. Flateyjarbók I, 282. Mannhardt, Germanische Mythen, S. 88.
4) Weinhold, Altnordisches Leben, S. 299.
5) Fornald. N. III, 606. 608.
6) Islendinga Sögur (1830) II, 133.
424
Feilberg:
„will Molde verwunden; er macht aber jede Waffe, die er ansieht, stumpf;
darum musst du Sorge tragen, dass er es nicht sehe, ehe du damit auf
ihn loshaust."
Beispiele, in denen das Ansehen oder die Augen des Gegners nicht
genannt werden, sind mir aus Saxo bekannt: „hostile ferrum carminibus
obtundere solitum" (Saxo S. 179, 28); „peritus hebetandi carminibus ferri"
(Saxo S. 323, 11).
Aus den Volksliedern kann angeführt werden:
41. Ind kom kongens moder, 42. Thet vaar Hueting Heffridsson,
gammel oc graa som gred (?); hand hende met suerdet hotte:
det vil ieg for sandigen sige: kos hun sonder hans gode suerd,
her yppis fuld underlig leeg. det brast i tre stycke.1)
Das lieisst: „Ein trat die Mutter des Königs, alt und grau wie —?—.
Das sage ich •in der Wahrheit: hier steht ein sonderbarer Kampf. Es
war Hvitting Herfredssön, mit dem Schwerte er ihr drohte; sie zerbrach
durch ihren Zauber sein Schwert in drei Stücke." Doch ist zu bemerken,
dass „kyse" gewöhnlich „erschrecken, einschüchtern" bedeutet, und man
könnte mutmassen, dass es durch ihren Blick geschah. Prof. S. Bugge
hat in seiner Ausgabe der Völsunga Saga (Christiania 1865) S. 195:
„Kjósa mredr frá mögum" verdolmetscht: „durch zauberkräftige Wünsche
(„Galder") Mütter von Söhnen entbinden".
Ferner Grundtvig, DgF. 1, 161, No. IIA: „Orm Ungersvend og Bermer-
Rise", Str. 37f.:
Och dyt daa suarede den haffue-konne, Hör du, Worem hind unge suenn,
wyd haffssens bunde hund sad: dit suerd dit er forgiort:
„Hör du, Worem .hind unge suenn, du kasthindeIiigange affuidit om hoffuit,
dit suerd dit er forgiort. saa stik du oddenn y iord!-'
Zu deutsch: „Es sprach dann das Meerweib, am Boden des Meeres es
sass: „Merke, du junger Recke Orm, dein Schwert ist verzaubert! Schwing
es dreimal um deinen Kopf und stecke seine Spitze in den Boden!"
In der Ballade „Ravengaard og Memering" (Grundtvig, DgF. 1, 205,
No. 13) verspricht Mimmering, gegen Ravengaard zu kämpfen, wenn er
das Schwert Adelring erhalte. Als dies geschehen ist und der Zweikampf
angehen soll, fordert Ravengaard (Str. 25): „Du sollst mir schwören, dass
du vom Schwerte Adelring nichts weisst." — „So wahr mir Gott helfe,
ich weiss nur seinen Griff über der Erde," ist Mimmerings Antwort. Die
Form dieses Schwurs erklärt sich daraus, dass beide Kämpen zwei
Schwerter, das eine bis an den Griff in die Erde gesteckt, haben. Als
der Kampf anhebt, beugt sich jeder zur Erde und ergreift das hinein-
gesteckte Schwert. — Eine ganz ähnliche Episode finden wir in der
1) Grundtvig, Danmarks gamie Folkeviscr 1, 126 (No. 8: „Kong Diderik i Birtings-
Jand", Str. 41 f.).
Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
425
W ilkina-Saga.*) König Dietricli hat von Vidga das Schwert Mimung vor
dem Kampfe mit Sigurd Svend erhalten. Am Tage darnach schwört der
König, nach der Aufforderung Sigurds: „So wahr helfe mir Gott, als ich
nicht weiss, dass Mimungs Spitze über der Erde sei .oder sein Griff in
jemandes Hand." Er hatte das Schwert hinter sich in die Erde gestossen
und stützte seinen Rücken an den Griff. — In den beiden letzten
Erzählungen erscheint das Verbergen der Schwertspitze unter die Erde
nicht als ein Mittel, um sich gegen Bezauberung zu wehren, sondern nur
als eine Kampflist, um den Sieg zu erhalten.
Ein sehr zahmes Beispiel des Stumpfmachens durch den Blick bietet
folgende Erzählung2): „Ich lernte das Holzschuhmachen in Bratbjerg, Hau
Harde (1).). Dort war eine Nachbarfrau, deren Mutter der Hexerei be-
schuldigt wurde. „Es scheint mir", sagte ich einst zum Meister, „dass die
Frau dort einem so scharf anstarrt." — „Ja," sprach der Meister, „sie
vermag es so zu machen, dass dein Nabenbohrer nicht schneiden kann." —
Das ist der letzte Rest, den ich von dem mittelalterlichen Glauben an die
zauberische Macht des Auges, ein Schwert stumpf zu machen, angetroffen.
An Kundigere möchte ich die Frage richten, ob nicht die Formen der
Helmkämme, Drachen, Arögel und anderes, dann und wann wenigstens, die
Bedeutung, gegen den bösen Blick zu schützen, gehabt haben können.
3. Beilage.
(Zu S. 315.)
Eine Reihe von Beispielen kann angezogen werden, in denen man
sich, meist Weibern gegenüber, vor dem Zauber des bösen Blickes
schützt, indem man einen Balg über den Kopf dessen, der verdächtig
ist, zieht. Es wird nicht bestimmt gesagt, dass man sich vor den Augen
einer solchen Person fürchtet, aber die Analogie erlaubt doch wohl im
Hinblick auf entsprechende Erzählungen jenen Schluss.
Eyrbyggja Saga, Kap. 20: Geirridr warf den Mantel von sich und ging
zu Katla, ergriff einen Seehundsbalg, den sie mitgebracht hatte, und zog
ihn über Katlas Kopf. Hierauf wurde Katla gesteinigt. — Rolf Krakes
Saga, Kap. 30: Bödvar zog den ledernen Sack über den Kopf der Königin
Hvit, schnürte ihn um ihren Hals zusammen und schlug sie tot. — Grim
Lodinkins Saga, Kap. 3 : Grim liess Grirnhild ergreifen und ihr einen Balg
über den Kopf ziehen, wonach sie zu Tode gesteinigt Avurde.
In Arnasons Isländischen Märchen habe ich denselben Zug angetroffen.
II, 420: Ein Balg wurde über den Kopf der Königin gezogen, und so
ertränkte man sie. — II, 431: Dem bösen Weibe wird ein Balg über den
Kopf gezogen, und sie wird gesteinigt. — II, 442: Ganz ebenso, nur mit
dem Unterschiede, dass sie verbrannt wird.
1) Rafns Übersetzung, Kap. 200.
2) Kristensen, Sagù VII, 213, 738.
426
Feilberg:
Um Männer handelt es sich in folgenden Fällen. Gisle Surssons
Saga, Kap. 34, 6: Gisle ergreift Thorgrim Nef, ein Balg wird ihm über
den Kopf gezogen, er wird gesteinigt. — Ans neuerer Zeit bringt die
Zeitschrift Melusine (III, 506 unten) ein Beispiel, das mir sonst unbekannt
ist. In Upernivik in Grönland wurde 18*28 ein Zauberer hingerichtet. Yor
seinem Gesicht brachte man einen Fetzen Tuch an, seine Augen zu
decken, class er nicht aufs neue sähe. Weitere Auskunft vermag ich über
diese Sache nicht zu geben.
4. Beilage.
(Zu S. 310.)
Das isländische Zauberweib schreitet bei Ausübung ihres Zaubers in
sonderbarer Stellung, gebückt und durch ihre Beine hindurch-
schauend, nach rückwärts. In ihrer Stellung könnte auch ein sympa-
l' thetisches Moment liegen: Wie sie sich umdreht, soll die ganze Gegend
ihren Feinden verkehrt scheinen. Doch kommt dieselbe widernatürliche
Körperstellung unter anderen Verhältnissen, wo mir Sympathie aus-
geschlossen scheint, öfters vor und regt die Frage an, was die Hexe
damit bezwecken will. Eine befriedigende Erklärung für alle mir be-
kannten Fälle zu geben vermag ich nicht; andere mögen glücklicher sein.
Ein paar Mal erscheint dieser Ritus mit dem anderen, ebenso unerklär-
baren, einem den blossen Hintern zeigen, verbunden, so dass ich
beide zusammen behandeln möchte.
Einem den Hintern zeigen, — dieses Gestus werden wohl einige ver-
ehrliche Leser dieser Zeitschrift, wenn sie auf dem Lande unter der
Bauerbe völkerung aufwuchsen, aus ihrer eigenen Knabenzeit als eines In-
begriffs des schmählichsten Hohnes sich erinnern. Er gehört nicht einem
einzelnen Volke, noch einem einzelnen Weltteile, noch einer einzelnen
Zeit an; sieh z. B. Pitré, Usi II, 372a 5; 1Y, 323; Melusine III, 211; Sittl,
Gebärden der Griechen und Römer S. 124; Andree, .Parallelen II, 51.
Demnächst nenne ich die Entblössung des Hintern als Rechtssitte;
sieh Liebrecht, Zur Volkskunde S. 427.
Drittens ist sie ein Zauberritus, und hierbei muss ich ein wenig
verweilen. Zunächst führe ich die Worte von H. Gaidoz, Melusine II,
185 Anni., an: „L incantation qui consiste à se retourner et à montrer à
son ennemi la partie la moins noble de son corps. Les gens mal élevés
ont conservé cette pratique, comme insulte grossière, sans se douter qu' à
l'origine ce fût une incantation." — So ist es ohne Zweifel, durch
diesen Gestus übt man Zauber. Er wird sowohl benutzt, um den Wind
zu rufen (Mélusine II, 185), als ihn zu drehen (Bassett, Sea Phantoms
S. 142. Italienische Seeleute). AVonn der Fischer auf offenem Meere vom
Sturm überrascht wird und einen erstgeborenen Sohn unter seinen See-
leuten hat, muss dieser geschwind seine Hosen fallen lassen und, während
Der böse Rlick in nordischer Überlieferung.
427
seine Kameraden Sankt Barbara und Sankt Franciscus anrufen, dem
Unwetter seinen blossen Hintern zeigen ; der Sturm wird dann gleich inne-
halten (Rivista delle tradiz. pop. I, 391: Italien). In Frankreich hat Sébillot
eine ergötzliche Geschichte vom Nordostwinde aufgezeichnet. Als die
Fischer nicht gegen den Wind ankommen, ergreifen sie jenes Mittel, zuerst
der eine, dann der zweite in Gesellschaft mit ihm, alles vergeblich. Glück-
licherweise ist aber eine Dame am Bord, sie wird gebeten, es auch zu ver-
suchen, und kaum hatte Rose den besprochenen Gestus gemacht, als der
Wind innehaltend sich schämte und flüchtete.1) Wenn man einem bösen
Wirbelwinde den Blossen zeigt, muss er einen verschonen.2) Auch gegen
Hagel kann dieser Zauber benutzt werden. Wenn gar nichts gegen auf-
ziehenden Hagel hilft, bücken sich die nackten huzulischen Zauberinnen
und zeigen dem Hagel den blossen Hintern.3) Die Kaffern meinen, dass
der Regen zurückgehalten werden könne, wenn der Zauberer sich auf den
Kopf stellt und dem Himmel den Hintern zeigt.4)
Während diese Beispiele alle auf eine Abwehr des Unwetters hin-
weisen, lehren andere, dass man dadurch auch den Sturm rufen kann.
Ein Bauer ging mit einem Handwerksgesellen des Weges nach Waldthurn.
Da sagte der letztere: „WTie schön wäre es heute zum Wettermachen !"
Der Bauer meinte, wenn er es könne, möge er es versuchen. So ging
der Geselle in eine Wiese, dahin, wo ein Brunnfluss war, und stiess drei-
mal mit dem nackten Hintern ins Wasser. Sogleich stieg Rauch auf, der
allmählich zu einer kleinen, dann zu einer schwarzen Wetterwolke ward.
Ein schreckliches Ungewitter brach los.5) — Aus einem ganz anderen
Teile Europas kann ein ähnlicher Zauber herangezogen werden, aus Lapp-
land. Vor allem fürchteteu die Lappen die Räuberzüge der Tschuden,
die überall raubten und mordeten. So wurde einmal eins ihrer Räuber-
schiffe auf dem Meere gesehen, und die wehr- und machtlosen Lappen
wussten keine Hilfe. Da sprach ein altes AVeib: „Ruft mich nur, wenn
das fremde Schiff mitten im Sunde ist!" Das geschah, das Weib ging
hinaus, liess ihre Hosen herunter und bückte sich, ein Zauberlied singend,
mit ihrem Hintern gegen die Tschuden. Augenblicklich brach ein Sturm
los, so entsetzlich, dass sich die Lappen kaum festhalten konnten; die
feindlichen Schiffe wurden zerschlagen, und alle Tschuden kamen um.6)
Hinsichtlich des Drachen kann ich mich kurz fassen. Wenn man
ihm die blanke Scheibe des Hintern zukehrt, lässt er etwas von seinem
Gelde fallen, das man sich dann aneignen kann; Müllenhoff, Sagen S. 206,
1) Sébillot, Contes des Marins,-S-. 24Í).
2) Rochholz, Naturmythen, S. G5 Anm.
3) Weinhold, Heidnischer Ritus, S. 35, nach Kaindl, Die Ruthenen II, 90.
4) Weinhold, Ritus, S. 26, nach v. Adrian, Wetterzauberei, S. 54.
5) Schönwerth, Aus der Oberpfalz III, 184, und Weinhold, Ritus, S. 23.
6) Qvigstad og Sandberg, Lappiske Eventjr, S. 16.
428
Feilberg :
1280, 368; Wuttke, Aberglaube, § 49, 411; A. Kuhn, Nordd. Sagen, S. 5, 4.
421, 208; ü. Jahn, Sagen S. 185, 165; Blätter für Poram. Volkskunde IY,
S. 142; Weinliold, Ritus, S. 11; Schulenburg, Sagen, S. 102, 103.
Auf gleiche Weise wehrt man sich gegen Spukgeister und sonst
unheimliche Erscheinungen. Ein Mann beehrte den Burggeist mit einer
«ehr unanständig lautenden Einladung und veranschaulichte sie, um ganz
verstanden zu sein, damit, dass er die Hosen fallen liess; natürlich musste
der Geist weichen.1) Bei uns erzählt man von einem Manne, welcher des
Nachts von einer unheimlichen brennenden Torfmiete verfolgt wurde; er
ergriff am Ende das letzte Mittel, kehrte ihr den Blossen zu, und sie ver-
schwand augenblicklich.2)
Eine lustige Anwendung von diesem Ritus teilt A. de Cock in der
•Genter Zeitschrift Volkskunde VII, 183 mit. Wenn ein Bursche zum
Militär einberufen wird und beim Loosziehen, um vom Militärdienst frei
2u werden, eine hohe Nummer wünscht, so muss er in eine gewisse Kapelle
hineingehen und dem dort befindlichen Heiligenbilde den blossen Hintern
zeigen; dann erhält er die gewünschte Nummer. Der Grund davon ist
freilich nicht leicht zu begreifen.
Ein Fall ist noch übrig. Wenn ein Bienenschwarm wegziehen
will, kann man ihn am WegHiegen dadurch hindern, dass man ihm das
Gesäss zeigt. Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 355, 24; Blätter für pommersche
Volkskunde II, 26. VI, 75; Weinhold, Ritus, S. 45.
Hiermit vergleichen wir nun folgenden komplizierteren slavischen
Brauch: „Du musst dich bücken und durch die Beine hindurchschauen,
wo du willst, dass sich der Bienenschwarm festsetze" (Urquell III, 98, 11).
Diese Stellung ist ja ganz unmöglich, ohne den Bienen den Hintern zu-
zukehren, und es ist ein Zauber, der den Schwärm am Wegfliegen hindern
soll. Von Entblössung ist hier keine Rede; doch scheint sie in den beiden
folgenden Stellen aus der Sagalitteratur stattgefunden zu haben. In der
Landnáma III, 4, heisst es ausdrücklich von Ljót: ,,hún hafdi höfudit milli
fóta ser, en kládin á baki ser." In der Gullthoris Saga, Kap. 17s),
wo eine ähnliche Begebenheit berichtet ist, wird ausdrücklich dasselbe
gesagt. Es wurde gekämpft, da entdeckte Thurid Drickinn, dass eine
Frau auf den Platz hinter dem Hause lief, die hatte ihre Kleider auf
dem Rücken, den Kopf aber nach unten gekehrt und sah den Himmel
zwischen ihren Füssen. Thurid lief aus der Hausfestung, erfasste sie an
den Haaren und riss ihr die Haut hinten loss. Das Weib packte Thurid
am Haare und riss ihr das Olir und die Haut der einen Wange ab. Dann
aber fing Thores Waffe zu beissen an. — Der Bericht ist nicht ganz
deutlich, und von dem bösen Blicke wird nichts gesagt; augenscheinlich
1) Rochholz, Naturmythen, S. 65.
2) Kristensen, Sagn II, 503, 73.
3) Ausgabe von Maurer, S. 73; von Kâlund (1898), S. 38.
Der böse Blick in nordischer Überlieferung. 42
aber ist die Stellung des Weibes ein Zauber, durch den das Schwert des-
Feindes stumpf gemacht wird.
Noch ein dritter Fall ist mir bekannt, wo die Stellung beim Zauber
benutzt wird. In Russland geht man am St. Joliannisabend in den Wald,,
wo man eine junge Espe so fällt, dass ihr Stamm nach Osten liegt. Dar-
nach stellt man sich auf den Stumpf, das Gesicht östlich gekehrt, bückt
sich und spricht zwischen den Beinen hindurchschauend: „Onkel Ljesliy,
erscheine nicht als grauer Wolf, auch nicht als ein schwarzer Rabe oder
als eine Föhre zum Brennholz, sondern in einer Gestalt, wie die meinige!"
Dann wird man die Blätter der Espe wie vom leichten Winde berührt
rauschen hören, und der Waldgeist wird in menschlicher Gestalt erscheinen.1)
Andere Beispiele, in denen diese gebückte Stellung als Zauber benutzt
wird, sind mir zur Zeit nicht bekannt, und ich weiss keine Erklärung,,
warum man sich so gebärden soll.
Über eine andere Gruppe von Fällen, in denen man gebückt zwischen
den Beinen hindurchblickt, wage ich eine Vermutung. Durch das von
den ausgespreizten Beinen und der Erde gebildete Dreieck schaut man
wie durch das Loch, das man aus den Ohren des Hundes oder des Pferdes
durch Zusammenhalten ihrer Spitzen bildet, in die verborgene W elt der
Geister hinein. Man guckt da durch, wie durch ein Schlüsselloch in das
verschlossene Zimmer und sieht, was dem Menschenauge sonst verborgen
ist. In den folgenden Beispielen wird das zutreffen. Der Bursche legt
sich auf Knie und Ellenbogen und schaut zwischen den Beinen nach dem
Hügel; dadurch wird es ihm möglich, eine Schar von „Huldren", dem
verborgenen Volke, zu entdecken2) (X.). Wenn man den Klabautermann
ohne Gefahr sehen will, muss man des Nachts zwischen 12 und 1 Uhr
allein zum Spillocli gehen und sich selbst durch die Beine durch und so
durch das Spillocli sehen. Dann kann man den kleinen Geist erblicken,
wie er an der Vorderseite des Spillochs steht.3) Des Guten kann man
bei solchen Gelegenheiten schwerlich zu viel thun, darum sieht man hier
durch zwei Löcher. Und ferner: man möt sik ganz nakt uttrecken und
dörcli de Bein kiken, denn kann man seihn, wo de Düwel towt, ob he
en Wind oder'n Kirl to faten het.4) Hier verstärkt die Nacktheit wahr-
scheinlich den anderen Gestus. Nach einem Glauben aus dem Bublitzer
und Belgarder Kreise kann man in der Silvesternacht den Teufel sehen,
wenn man in der Geisterstunde dreimal um das Haus läuft und dann
zwischen den Beinen hindurch in den Hausbackofen sieht.5)
Aus Schottland teilt A. Lang folgenden Brauch mit. Ein Mann muss-
sich mit einem härenen Stricke, mit dem eine Leiche an die Bahre?
1) Ralston, Songs of the Russian people, S. 159.
2) Aasen, Prover af norske Landsmaal, S. 26.
3) Jahn, Sagen, S. 109.
4) Unsere Zeitschrift V, 443 (Mecklenburg); vei'gl. Weinhold, Ritus, S. 10.
5) Blätter für pommersche Volkskunde I, 50.
430
F eil b erç: Der böse Blick in nordischer Überlieferung.
gebunden worden ist, umwickeln; schaut er dann nach hinten durch die
Beine hindurch, so kann er den gespenstischen Leichenzug, den Yorspuk
vor dem Sterben eines Menschen, sehen.1) — Geht ein Mann am Char-
freitag nur in Hemd und Unterhose auf den Friedhof und blickt daselbst
durch seine ausgespreizten Beine hindurch, sieht er seine zukünftige
Gattin.2) Will ein Mädchen seinen Zukünftigen kennen lernen, muss es
sich in der Neujahrsnacht vor das Ofenloch stellen, sich bücken und
zwischen den Beinen hindurchschauen.3) Wenn unverheiratete Personen
erfahren wollen, ob sie sich im kommenden Jahre verheiraten werden
oder ob sie noch ledig bleiben, müssen sie in der S}rlvesternacht zwischen
11 und 12 Uhr Feuer im Ofen machen, sich rückwärts davor stellen und
zwischen den Beinen durch ins Feuer sehen. Erblicken sie dann Braut
und Bräutigam, so verheiraten sie sich, sehen sie nichts, bleiben sie
ledig.4) Aus einer freundlichen Mitteilung des Herrn Dr. F. S. Krauss
kann ich noch hinzufügen, dass gewöhnlich derjenige, der von einem
Banne, einer Krankheit oder einem Zauber durch Beschwörungen oder
Besegnungen befreit werden soll, während der Procedur in vorgebückter
Stellung durch seine Beine schauen muss. Auch Diebe glauben ihre
Spuren zu verwischen, wenn sie vor dem Yerlassen des Thatortes sich
durch ihre Beine hindurchschauen. (Südslavisch.)
Wie man sieht, wird bei diesen Gelegenheiten immer etwas, das die
Macht des Ritus verstärkt: Geisterstunde, Sylvesternacht, Friedhof, Hemd
und Unterhose (was wohl eine Neuerung für die Nacktheit sein wird), ein
Strick, mit dem eine Leiche gebunden war, das Ofenloch hinzugefügt, um
so noch sicherer als durch jenen einfachen Ritus in die verborgene AVeit
hineinzuschauen und das Menschenauge noch mehr zu schärfen.
Endlich kommt diese Stellung in der Sagazeit auch einmal als Rechts -
gebrauch vor. Wenn der Zweikampf beginnen sollte, wurde ein fünf
Ellen langes Tuch (feldr) auf dem Boden ausgebreitet, dessen Enden
durch Schlingen an Pflöcken (tjösnur) befestigt wurden. Der Mann, der
dies alles in Ordnung brachte, musste zu den Pflöcken so hingehen, dass
er den Himmel zwischen den Beinen sah und das Ohrläppchen mit einem
Spruche anfasste.5)
1) A. Lang, Cocklane and Common Sense, S. 237.
2) Unsere Zeitschrift IV, 895 (Ungarn).
3) Kuhn, Westfäl. Sagen II, III, 330
4) Blätter für pommersche Volkskunde VI, 25, 46: Knoop, Volkssagen aus Hinter-
pommern, S. 179, 220; Wuttke, Aberglauben, § 358.
5) Weinhold, Altnord. Leben, S. 299: Kormaks Saga, S. Sß; Petersen, Isländernes
Färd. 11,290: vergi. Fritzner, sub verbo.
Askov bei Vejen, Jutland.
Kalile: Yon de la Martinières Reise nach dem Norden.
431
Yon de la Martinières Reise nacli dem Norden.
Von Bernhard Kalile.
Im Jahre 1653 segelten drei Schiffe der vom dänischen König-
Friedrich III. errichteten nordischen Kompagnie nach Norwegen und den
nordischen Ländern, um Handel zu treiben. Auf einem dieser Schifte
befand sich der Wundarzt Pierre Martin de la Martinière, der die Reise
mitmachte, um die Merkwürdigkeiten jener Länder kennen zu lernen.
Über diese Reise hat er eine ausführliche Beschreibung veröffentlicht, die
einstmals, ihrer Verbreitung nach zu urteilen, sehr beliebt gewesen sein
muss. Es existieren eine ganze Anzahl französischer, englischer, hollän-
discher und deutscher Ausgaben. Die älteste scheint die in der Bibliothek
des British Museums befindliche zu sein: de la Martinière, Pierre Martin.
Voyage des Pais Septentrionaux, Paris 1671. 8°. Die älteste deutsche
Ausgabe scheint zu sein: Herrn Martiniere Neue Reise in die nordischen
Landschafften. Das ist: Eine Beschreibung der Sitten, Gebräuche, Aber-
glauben, Gebäuden und Kleidung der Norweger, Lapländer, Killopen, Borau -
dianer, Siberianer, Samojeden, Zemblaner und Eisslander, Sampt einem
Bedencken über den Irrthum unserer Enibeschreiber, wo nemlich Grönland
und Nova Zembla liegen, und wie weit sie sich erstrecken. Aus dem
Englischen ins Deutsche übersetzt Durch Johann Langen, Hamburg und
Glückstadt 1675. 4°. Diese Übersetzung stammt also nicht direkt aus
dem französischen Original, sondern geht auf ein Englisches Bindeglied
zurück. Wahrscheinlich auf A New Voyage into the Northerns Countries;
being a description of the manners . . . and habits of the Norwegians,
Laponians etc. J. Starkey, London 1(574. 1*2°.
Aus der ältesten deutschen Ausgabe hat Thoroddsen in seiner Geschichte
der isländischen Geographie II, S. 223ff. einen ausführlichen Auszug der
Island betreffenden Partien des Buches gegeben. Es liegt mir nun eine
andere deutsche Ausgabe vor, die im Titel den Namen Martinières ver-
schweigt: Reise nach Norden, worinnen die Sitten, Lebensart und Aber-
glauben derer Norwegen, Lappländer, Kiloppen, Borandier, Syberier,
Mosscowiter, Samojeden, Zemblaner und Issländer, accurat beschrieben
werden. Zum andernmahl gedruckt und mit den annehmlichsten Nordischen
Curiositäten vermehret. Leipzig, Bey Gottfried Leschen, 1706. 12°.
Wie der Titel des Buches anzeigt, hat es gegenüber dem von Thoroddsen
benutzten, eine zweifache Vermehrung erfahren: einmal den als Anhang
hinzugefügten Abschnitt über die nordischen Kuriositäten, sodann aber
auch die Beschreibung der Sitten der Mosscowiter, d. h. der Russen.
Martinière selbst ist auf seiner Reise <rar nicht nach Russland gekommen.
432
Kahle:
und. in der Ausgabe von 1706 wird der Bericht über die russischen Bräuche,
wie wir sehen werden, einer Reisebekanntschaft in den Mund gelegt.
Gleichwohl haben wir keinen Grund daran zu zweifeln, dass wir es in
dieser eingeschobenen Partie mit wirklich bestehenden russischen Sitten
jener Zeit zu thun haben. Sitten ähnlicher Art herrschen zum Teil heut
noch bei Russen wie Südslaven. Herr Prof. Leskien hatte die Güte, die
deutsche Ausgabe von 1675 durchzusehen, und teilte mir mit, dass der
Abschnitt über die Russen sich nicht in jener befindet. Wir haben also
die geschilderten Sitten erst für den Anfang des 18. Jahrhunderts als
belegt anzunehmen.
Da diese Reisebeschreibung jetzt ziemlich in Vergessenheit geraten
sein dürfte, sie aber doch immerhin mancherlei enthält, was für die Volks-
kunde von Interesse ist, so möchte ich einiges daraus mitteilen. Ich be-
nutze dabei die Ausgabe von 1706. Die Island betreifenden Stellen über-
gehe ich, da sie von Thoroddsen ausführlich genug behandelt worden sind.
Martinière steckt noch tief im Zauber- und Wunderglauben seiner
Zeit, ausserdem aber scheint er auch ein wenig Münchhausen gewesen zu
sein, denn er berichtet recht wunderbare Geschichten als selbsterlebt.
Auch lässt er sich offenbar allerlei aufbinden.
Als die Schiffe, an der Küste Norwegens hinsegelnd, in die Gegend
des Polarkreises gekommen waren, trat Windstille ein. Da es nun bekannt
war, dass die Bewohner der Küsten des 'Finnischen Meeres' Zauberer
seien und 'nach ihrem Willen die Winde disponiren' könnten, beschloss
man, sich einen solchen Schwarzkünstler zu verschaffen. Man schickte
ein Boot an Land und traf in einem Dorf auch wirklich einen an. Er
verkaufte ihnen in der That Wind, wenn auch nicht bis zur mirmannischen
Küste, wie sie gewünscht hatten, denn so weit reichte seine Macht nicht.
Als Lohn erhält er 10 Kr. und 1 Pfund Tabak. An eine Ecke des Vorder-
mastsegels bindet er ein Stück Leinentuch, eine Drittel Elle lang und vier
Finger breit. In das Tuch waren drei Knoten eingeschlagen. Als der
Schiffspatron den ersten Knoten löst, erhebt sich sofort ein günstiger Fahr-
wind; als der Wind sich ändern will, lösen sie den zwreiten Knoten und
endlich, als wieder Windstille eintrat, den dritten. Da erhebt sich aber
ein so gewaltiger Sturm, dass sie glauben, Gott wolle sie austilgen aus
gerechter Rache, wegen des Verbrechens, so sie begangen, dass sie sinh
an die Zauberer gehalten. Doch kommen sie schliesslich glücklich ins
Yarangermeer (S. 30ff.). Als sie von dort wieder weiterfahren, beschenken
sie die Küstenbewohner mit Branntwein und Tabak, damit sie den Reisenden
nicht hinderlich sein und ihnen guten Wind verschaffen möchten. Sie er-
halten denn auch wirklich günstige Fahrt (S. 77). Auch die Isländer
können Wind an die Schiffer verkaufen (S. 305).x)
1) Über die Kunst den Wind zu fesseln vgl. Grimm, Myth.4, S. 910 und Schwartz,
diese Zeitschrift IH, 448ff. Die Lappen standen von altersher in dem Ruf, Wind machen
Von de la Martinières Reise nach dem Norden.
433
In Varanger verlässt der Arzt nun die Schiffsgesellschaft und macht
im Winter eine Reise durch die lappischen Gegenden bis zum Ort Kola,
am Tulom gelegen, da wo sich dieser, sich fjordartig erweiternd, sich ins
nördliche Eismeer ergiesst, also im russischen Lappland. Von dort kehrt er
wieder zu den Schiffen zurück. Yon den Lappen, ihren Gebräuchen und
ihrem Aberglauben erzählt er nun in den Kapp. XI—XX (S. 39—76) allerlei
wunderbare und interessante Dinge.
Obschon die dänischen (d. h. norwegischen) Lappen der Religion nach
Lutheraner sind und Priester zu ihrer Unterweisung haben, so hängen sie
doch dem Teufel an, weil sie fast alle Zauberer sind. Auch sind sie sehr
abergläubisch- Wenn sie z. B. einem verdächtigen Tier begegnen, kehren
sie sofort wieder um und gehen dann den ganzen Tag nicht aus ihrem
Hause. Wenn sie beim Fischen nur einen Fisch im Netze finden, hören
sie sofort mit dem Fischen auf (S. 41). 'In jedem Haus ist eine grosse
schwarze Katze, die sie sehr wert halten, und mit der sie reden, als wenn
sie Verstand hätte. Sie tliun nichts, das sie ihr nicht kommunizieren,
indem sie dafür halten, dass ihnen dieselbe in ihrem Vornehmen behilflich
sei, und ermangeln nicht, alle Abend aus ihren Hütten zu gehen, sie um
Rat zu fragen, Gestalt ihnen dann dieselbe überall, sowohl auf der Fischerei
als der Jagd nachfolget. Obgleich dieses Tier seinem Ansehen nach,
welches erschrecklich ist, die Gestalt einer Katze hat, so habe ich doch
geglaubet und glaube es noch, dass es ein Hausteufel sei1 (S. 44). Die
Lappen schildert M. als 'sehr tölpisch, unhöflich und vortrefflich geil,
sonderlich die Weiber, welche sich mit allen Ankommenden gemein machen,
wann sie es unwissend ihrer Männer thun können' (S. 42).
Die Reise wird in Rentierschlitten angetreten.
Diese Rentiere sind gar merkwürdige Geschöpfe.
Vor der Abreise flüstert der Wirt, dem sie gehören, ihnen etwas ins
Ohr, nach Meinung des Verfassers den Ort der Bestimmung, und nun geht
es in rasender Fahrt auf ungebahnten Wegen davon, dass die Reisenden
glauben, der Teufel trüge sie weg, bis sie am Abend zu einem Dorf
kommen, vor dessen vierter Wohnung die Rentiere ganz plötzlich halt
machen. Die Geschichte mit den Rentieren wiederholt sich am folgenden
Tag; aber das Dorf, indem sie am Nachmittag halt machen, ist menschen-
leer. Deshalb beschliesst man weiter zu reisen. Nur mit Mühe kann der
Führer die Rentiere dazu bewegen, weil ihnen dieser Ort bestimmt war.
Er musste allerlei wunderbare Ceremonien vornehmen. Er ging allein in
den Wald, kam darauf zurück und redete seinen Tieren ins Ohr. Das
zu können. Wenn Gebhardt in seiner Übersetzung des Thoroddsenschen Buches II, 223,
Anm. 1 sagt, dass der Windverkauf der 'Finnen' auf Island wohlbekannt war, so ist das
wohl ein Versehen, entstanden dadurch, dass die Norweger und Isländer die Lappen
Finnen nennen, während diese Kvaenen heissen, vgl. Fritzner, Ordbog2 I, 417; vgl. des
weiteren Wiklund, Ark. f. nord. fil. X, 103ff.
Zeitschr d. Vereins f. Volkskunde. 1901. 30
434
Kahle:
wiederholte er vier- bis fünfmal, worauf sie sich bequemten, fortzugehen,
jedoch nicht so geschwind liefen als zuvor (S. 50—56).
Interessant ist die Beschreibung eines Leichenbegängnisses bei den
russischen Lappen. Ich gebe sie wörtlich wieder: 'Wie wir in dem Hause
dieses Verstorbenen waren, sahen wir ihn von einem halben Dutzend dieser
vornehmsten Freunde von denen Bärenhäuten darauf er lag, wegnehmen,
und in einen hölzern Sarg legen, nachdem sie ihn in eine Leinwand ge-
wickelt und das Gesicht wie auch die Hände unzugedecket gelassen hatten,
in deren eine sie einen Beutel mit einer Summe Geldes, womit er den
Eingang ins Paradeis bezahlen könnte, und in die andere ein von einem
Priester unterschriebenes Passport gaben, damit er es S. Petro geben und
er ihn frei passieren lassen möchte. Sie setzten auch ein klein Fässlein
Branntewein, gedürrten Fisch und Rentierfleisch neben ihn, unterwegs
davon zu essen und zu trinken, wTeil er eine sehr lange Reise zu thun
hätte. Zündeten hernach rings um seinen Sarg herum viel Tannenwiirzel
an, welche wie Lichter brannten1), weineten und heuleten, und machten
wunderliche Geberden. Wie alles solchergestalt beschickt war, thaten sie
viel Gänge in der Prozession um ihn herum und fragten ihn, warum er
gestorben wäre, ob ihn seine Frau erzürnet, ob man ihn an einer Sache
notleiden lassen, ob er Hunger oder Durst ertragen, ob er Schaden an der
Jagd oder an Fischen, und nicht gute Kleidung gehabt hätte, wobei sie
alle weineten, hincketen und viel andere Posituren, wie sinnlose Leute
macheten. Einer von ihren Priestern, der ein Zuschauer dieser Leichen-
ceremonien war, sprengete zuweilen mit einem Sprengwedel geweihet
Wasser auf diesen Körper und desgleichen thäten die Leidtragenden auch'
(S. 68).
Diese moskovitischen Lappen sind nämlich ebenso wie die Moskoviter
selbst Nicolaiten, d. h. der heil. Nicolaus, einer der sieben Diakone der
Apostelgeschichte, steht in hohem Ansehen bei ihnen. Sie stellen ihn dar
als einen Pilgrim mit langem Rock, niedergelassener Mütze, mitten um
den Leib mit einem breiten Gürtel umgürtet und einem Stock in der
Hand. Ein beigefügter Holzschnitt veranschaulicht den Heiligen (S. 68f.).
1) So setzt man auch in Ostpreussen, der Lausitz, der Oberpfalz und dem Yoigtland
6—8 brennende Lichter um einen Sterbenden, in Böhmen stellt man der abgeschiedenen
Seele ein brennendes Licht hin, ebenso in Pommern, Schlesien, Westfalen, Baden, wo das
Licht so lange brennen muss, wie die Leiche über der Erde ist, vgl. Wuttke, Deutscher
Aberglaube3, §§ 723, 725, 729. Nach E. H. Meyer, Germ. Myth. § 101 scheinen diese
brennenden Lichter nicht nur böse Geister abhalten, sondern auch die Seele der Ver-
storbenen an der Rückkehr verhindern zu sollen. Diese Erklärung erscheint mir bei
weitem wahrscheinlicher als die unlängst in dieser Zeitschr. XI, 18 von v. Negelcin gegebene,
'dass man erst nach erfolgtem Begräbnisse die Grabesnacht ?ngebrochen wissen wollte'.
Dazu die Anm. 2: 'Die Kerzen haben im Aberglauben mystische Eigenschaften: sie er-
löschen bisweilen von selbst und dürfen nicht ausgepustet werden, d. h. sie sind Symbole
des von selbst erlöschenden Lebenslichtes.' Diese Erklärung ist viel zu abstrakt, so denkt
das Volk nicht.
Yon de la Martinièros Reise nach (1cm Norden.
435
Manches in diesen Begräbnissitten, besonders soweit es die christlichen
Zuthaten betrifft, beruht offenbar auf russischem Einfluss, wie die Schilderung
der russischen Begräbnisse zeigt, die später folgt. Auch die Totenklage
zeigt viel Ähnlichkeit mit der russischen, doch finden sich solche ja bei
vielen Völkern, ohne dass man gegenseitige Beeinflussung anzunehmen
braucht.1)
'So bald als einer den Geist aufgegeben hat, macht man alle Fenster
in der Kammer auf, wo er gestorben ist, bringet ein Becken voll geweihetes
Wasser hinein, seine Seele darinnen zu baden2), und hat Sorge, ihm ein
Stück Brot von Korn aufs Haupt zu legen, dass er auf der grossen Reise,
die er zu thun hat, nicht vor Hunger sterben möge, ein Paar schwarze
Schuhe an die Füsse zu ziehen, etliche Kopeken oder Stücken Münze in
seinen Mund zu stecken, und dem St. Nicolaus zur Nachricht von dem
Leben und Wandel des Verstorbenen ein Attestat von dem Prälaten dieses
Orts in die Hand zu geben." Dann wird die Leiche bis zur Beerdigung
in der Kirche aufgebahrt. Die Witwe muss grosse Trauer an den Tag
legen und mietet Klageweiber zur Unterstützung Die prächtigsten Be-
gräbnisse sind die, bei denen die meisten solcher Weiber sind. Ihre
Klagen lauten folgendermassen:
'Ach! mein lieber Schatz, warum hast du mich verlassen? That ich
nicht alles, was du wolltest? Sorgete ich nicht vor dein Haus? Habe
ich dir nicht schöne Kinder gegeben? Hattest du nicht alles überflüssig?"
oder sie sagen wohl: 'Weswegen bist du gestorben? Hattest du nicht eine
schöne Frau? artige Kinder, und soviel Branntwein, als dir nötig war?'
(S. 145—147).
Bei der Besprechung der Tierwelt Lapplands erwähnt M. auch eines
fabelhaften Vogels, 'der lichtgrau, dick und gross ist wie ein Hammel,
einen Kopf wie eine Katze, sehr feurige und rote Augen, einen Adler-
sclmabel und dergleichen Klauen hat, womit er die Hasen und ander
Federwildpret fähet' (S. 76).
Im weiteren Verlauf seiner Reise kommt M. dann nach Sibirien, wo
er mehrere vom 'grossen Knez' Verbannte trifft. Einer von ihnen war ein
lothringischer Edelmann, früher Oberster eines Regiments moskowitischer
Reiterei, der, seiner Angabe nach fälschlich, in denVerdacht der Untreue
gekommen, auf drei Jahr verbannt worden war. Ein anderer dieser Un-
glücklichen war ein 'Oberkommissarius des grossen Knezes', ein dritter
1) Solche 'halb gesungen en, freien rhythmischen Totenklagen', von bestellten Klage-
weibern oder Frauen der Verwandtschaft gesungen, finden sich z. B. auch bei den Deutschen
in Nordungarn, Siebenbürgen und Gottschee, vgl. E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde, S.331.
2) Aus demselben Grunde stellt man in Mecklenburg einen Eimer Wasser ans Bett,
in Böhmen ein Glas Wasser und ein Handtuch, oder man schüttet, in Baden, alles im
Sterbcliause befindliche Wasser aus, weil die Seele ihren Weg durch dieses genommen
habe, vgl. Wuttke a. a. 0. § 725,
30*
436
Kahle:
Generalleutnant. Sie mussten eine bestimmte Zahl Zobel fangen, sonst
wurden sie mit Peitschen von sehr dickem und hartem Leder über den
ganzen Leib auf der blossen Haut gezüchtigt. Der Lothringer giebt nun
angeblich dem Arzt auf seine Bitte eine Schilderung von der Religion
und den Bräuchen der Moskowiter, aus der ich folgendes anführe:
'Am Pfingstfest füllet man die Kirchen mit Ahornzweigen an, welchen
die Russen vor den Maulbeerbaum halten, und legen sich in der festen
Einbildung darauf, dass der heilige Geist über diese Zweige herabfahre,
wie das Manna vormals in der Wüsten auf die Eichblätter gefallen sei'
(S. 119). Die Pfarrer schneiden ihre Haare niemals ab, noch putzen sie sich
den Bart. Sie müssen verheiratet sein. 'Also dependiret ihr Priestertum
von ihren Weibern und endiget sicli mit ihnen; derohalben heiraten sie
jung, damit sie bei guter Zeit eine Pfründe bekommen mögen, und
traktiren ihre Weiber besser, als die andern nicht thun.'1) Der Gebrauch,
den sie sonst hatten, die Fremden zur Annehmung ihrer Religion zu er-
kaufen, ist aufgehoben. Wann einer der seinigen absaget, es sei ein
Katholik oder Reformirter, so muss er auch seiner ersten Taufe renunciren,
seinen Vater und seine Mutter verschwören, und dreimal über seine Achsel
speien.' Angeblich sollen von 200 Fremden, die die russische Religion
angenommen haben, fast keiner eines natürlichen Todes gestorben sein
(S. 119—123).
Von Interesse sind auch die Hochzeitsbräuche der Russen. Die meisten
Heiraten werden durch dritte Personen geschlossen. Fünf oder sechs
Freundinnen des Freiers besehen sich die erwählte Jungfrau nackt, und
wenn sie ein Leibesgebrechen hat, so sucht sie dies möglichst zu korri-
gieren.2) Er selbst bekommt sie meistens erst zu sehen, wenn er mit ihr
in der Hochzeitskammer ist. Wenn die Verehelichte aus der Kirche geht,
wirft der Küster Hopfen auf sie und wünscht ihr soviel Kinder, als dieser
Hopfen ist3), und ein anderer, der ein Hammelfell, mit den Haaren nach.
1) Auch vom Priester der Südslaven erwähnt Krauss, Sitte und Brauch der Süd-
slaven, 525f., dass er seine Frau besser behandelt, als es sonst zu geschehen pflegt, nicht
weil er ihr besser gesinnt wäre, sondern weil er nach kanonischem Recht nur einmal ver-
heiratet sein darf. 'Er muss sein Weib demnach aus Vorsicht schonen, damit sie ihm voi-
der Zeit nicht ins Grab fahre.'
2) Der Zweck dieser Besichtigung dürfte die Feststellung der Jungfräulichkeit
gewesen sein, und das 'Leibesgebrechen', das die Braut zu korrigieren sucht, bezieht sich
vielleicht auf irgend welche beabsichtigte Vorspiegelung erhaltener Jungfräulichkeit;
wenigstens berichtet Ploss, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde I3, 310, aus Süd-
jussland, dass die. Braut sich gleichfalls, bevor sie dem Bräutigam überlassen wird, vor
Zeugen entkleiden muss, 'damit festgestellt werde, ob sie nicht etwa Täusclmngsmittel bei
sich habe'.
3) Uber die Sitte des Bestreuens der Braut handelt ausführlich v. Schröder, Die
Hochzeitsbräuche der Esten, S. 112ff. ; vgl. auch G. Meyer, Essays und Studien 1, 141.
Sie findet sich bei zahlreichen indogermanischen wie auch finnisch-ugrischen Völkern.
Man verwendet dazu hauptsächlich Getreidekörner, Erbsen, Reis. Russland eigentümlich
scheint es, dass Hopfen dazu verwendet wird, und von da mag der Brauch auch zu den
Yon de la Martinières Reise nach dem Norden.
437
aussen, trägt, begleitet sie und wünscht ebenfalls, dass sie soviel Kinder
bekommen möge, als sein Kleid Haare hat.1) Dann wird der Bräutigam
von jungen Männern, die Braut, die ganz eingehüllt ist2), von alten Weibern
in das Haus des jungen Ehemanns geführt, der Priester trägt das Kreuz
voran. Darauf setzen sich die Verehelichten zu Tisch, haben Brot und
Salz vor sich, essen aber nichts davon.3) Während dessen singen junge
Knaben und Mägdlein 'dermassen geile und unzüchtige Brautlieder und
Gedichte, dass sie nicht ärger sein können'.4)
Nach dein Aufstehen von Tisch wird das junge Paar von einer alten
Frau und dem Priester in die Kammer geführt. Die Braut wird vermahnt,
sich gegen ihren Bräutigam freundlich und gehorsam zu erweisen, der
Bräutigam hinwieder, seine Frau, wie es ihm gebührt, zu lieben. Der
Bräutigam hat in dem einen seiner Halbstiefel eine Peitsche, in dem
andern einen Edelstein oder etwas Geld. Er befiehlt nun seiner Braut,
ihn auszuziehen. Greift sie zuerst den Stiefel mit dem Edelstein, so erhält
sie diesen, das ist ein glückliches Zeichen, greift sie aber den andern, so
ist das von übler Vorbedeutung, und sie erhält einen Streich mit der
Peitsche von ihrem Manne: das ist der Anfang dessen, was sie in Zukunft
wird auszustehen haben.
griechisch-katholischen Finnen in Ostfinnland gekommen sein. Dass durch das Bestreuen
der Braut Fruchtbarkeit verliehen werden soll, tritt verschiedentlich zu Tage, so z. B.
ziemlich genau mit dem oben Angeführten übereinstimmend, wenn in Böhmen und Schlesien
Erbsen oder Graupen auf die Brautleute geworfen werden; es herrscht dabei der Glaube,
soviel Körner auf dem Kleide der Braut liegen bleiben, soviel Kinder werde sie haben,
vgl. Mannhardt, Quellen und Forschungen LI, S. 360, Wuttke a. a. 0. § 567. Vor einigen
Jahren sah ich in Stockholm, wie ein junges, den höheren Ständen angehörendes Ehepaar,
das einen Dampfer bestieg, um zum weiter nördlich gelegenen Wohnsitz des Mannes zu
fahren, von der ihnen zum Schiff das Geleit gebenden Hochzeitsgesellschaft mit Reis
beworfen wurde. Offenbar war dieser an Stelle einer heimischen Körnerfrucht getreten.
Doch erwähnt weder Schröder diese Sitte aus Schweden, noch habe ich sie in Nyare bidr.
t. känned. om de svenska landsm., in denen öfter schwedische Hochzeitsgebräuche ge-
schildert werden, gefunden. Hopfen gilt übrigens in Steiermark als Mittel gegen Unfrucht-
barkeit. Junge Hopfensprossen mit Spargelsamen werden mit Wein angesetzt als Salat
dagegen genossen, vgl. Ploss a. a. O. I, 434. Vgl. übrigens auch Weinhold, Deutsche
Frauen im Mittelalter I3, 382.
1) Diese Sitte kann ich von anderwärts nicht belegen. Wurde dies Fell etwa später
dazu benutzt, um die Braut bei der Ankunft im Hochzeitshause darauf zu setzen? Vgl.
darüber Schröder a. a. 0. 88 ff. Es hebt z. B. der Vater des Bräutigams die Braut vom
Wagen und setzt sie auf einen mit den Haaren nach oben gekehrten Pelz (S. 89).
2) Über das Verhüllen der Braut vgl. v. Schröder a. a. 0. 72ff.
3) Über die gemeinsame Speise des jungen Paares, vgl. v. Schröder a. a. 0. 82 ff.
Krauss, Sitte und Brauch der Südslaven, 400 u. 450ff. G. Meyer, Essays 1, 142. Dass das
Paar nichts davon geniesst, ist vielleicht ein Missverständnis, wenigstens wird es davon
gekostet haben. Salz und Brot, wie in unserm Fall, ist die Speise auch bei den Esten,
vgl. v. Schröder 82 und 220.
4) Über Hochzeitslieder bei finnisch-ugrischen, sowie indogermanischen Völkern, vgl.
v. Schröder a. a, 0. 182 ff., sowie die daselbst angeführte Litteratur.
m
Kahle :
Nach einem mir nicht zugänglichen Buch 'Heiraten und Hochzeiten
aller Völker der Erde', Leipzig, S. 34f. erwähnt Mannhardt, Wald- und
Feldkulte I, S. 301 gleichfalls den russischen Brauch, dass der Bräutigam
in einen Stiefel eine Peitsche steckt, jedoch nicht, dass der andere Stiefel
einen Edelstein enthält. Dazu stellt Sartori in dieser Zeitschrift IY, 171
die von Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer Ia, S. 214 angeführte, durch
Nestor überlieferte Geschichte, dass Vladimir, als er im Jahre 980 um
Ragvalds Tochter warb, von dieser mit den Worten verschmäht wurde:
'Ich will den Sohn einer Magd nicht entschuhen.' Dies dürfte der älteste
Beleg für diese Sitte in Russland sein. Dass man nun in diesem Schlag
mit der Peitsche, wie Sartori im Anschluss an die nur vermutungsweise
ausgesprochene Ansicht Mannhardts will, einen 'Schlag mit der Lebensrute'
zu sehen hat, der die Fruchtbarkeit und Geburt zurückhaltenden Dämonen
austreiben soll,, scheint mir unwahrscheinlich. Die einfachste Erklärung
wird auch hier die beste sein: der Schlag mit der Peitsche zeigt eben an,
wer die Herrschaft in der Ehe führen wird, wie solch vorbedeutende
Handlung ja vielfach bei Eingehung der Ehe vorgenommen wurde, wie
das Setzen des rechten Fusses auf den linken der andern Partei u. ä. m.1)
Das junge Paar schliesst sich alsdann zwei Stunden lang in seine
Kammer ein; 'die Alte wartet auf der Braut Jungfrauschaftzeichen, und
so bald als sie solches hat, bindet sie ihre über die Schultern zerstreuten
Haare wieder hinauf und gehet, von ihren Eltern das Abricias zu fordern'
(S. 124—127). Den Sinn des Wortes Abricias herauszubekommen, habe
ich mich vergeblich bemüht. Auch Prof. A. Brückner und Prof. Leskien
vermochten es nicht zu deuten. Doch hat man nach dem Zusammenhang
der ganzen Stelle sicherlich ein Geldgeschenk darunter zu verstehen. Ich
vermute, dass die Alte das mit Blut besprengte Laken oder Hemd als
Zeichen, dass die Braut noch jungfräulich war, den Eltern zeigte. Wir
haben keinen Grund daran zu zweifeln, dass diese Sitte wirklich bei den
Russen bestand. Wie grossen Wert man auf dieses Jungfrauschaftszeichen
1) In Slavonien nimmt der Bräutigam der Braut in der Hochzeitskammer den
Mädchenkranz ab, sie aber zieht ihm die Stiefel aus, v. Schröder a. a. 0. 17*2. Krauss
a. a. 0. 459 berichtet von ebendaher das Gleiche, erwähnt aber noch, dass die Braut
alsdann dem Bräutigam einen Schlaf» mit dem Stiefel auf den Kopf giebt, 'zum Zeichen,
dass sie die Herrin im Hause sein wird'. Dazu bemerkt er in Anm. 1, dass dies auch in
Deutschland weitverbreitete Sitte sei, und dass daher die Redensart stamme: 'die Frau
will den Mann unter den Pantoffel bringen'. Ob diese Sitte wirklich in Deutschland weit
verbreitet ist, entzieht sich meiner Kenntnis, die Redensart aber leitet man gemeinhin von
dem oben erwähnten in Deutschland weitverbreiteten Braucli ab, dass Braut wie Bräutigam
es versuchen, dem andern Teil während der Trauung zuerst auf den Fuss zu treten. Wem
es gelingt, wird die Herrschaft im Hause haben, vgl. Gr. D. W. VII, 1426. Auch Russen,
Esten und Letten üben das Auf-den-Fuss-treten, vgl. v. Schröder a. a'. 0. 79f., ebenso die
Slavonier, vgl. Krauss a. a. 0. 396. Dagegen ist die Sitte, dass der Braut bei der Hoch-
zeit die Schuhe ausgezogen werden, ziemlich weit in Deutschland bekannt, vgl. Sartori
a. a. 0. S. 169 ff.
Von de la Martinières Reise nach dem Norden.
439
legte, zeigt, wie mir Prof. Brückner gütigst mitteilt, der Umstand, dass
noch im vorigen Jahrhundert die Moskauer Kaufleute triumphierend mit
dem betreffenden Laken durch die Strassen der Stadt fuhren. Und Prof.
Leskieii verweist mich auf den Hochzeitsbrauch der Südslaven, der sich
bei Krauss, Sitte und Brauch der Südslaven, S. 461 geschildert findet:
Das Beilager in Bulgarien. 'Spät abends, nachdem sich alle Graste
schon entfernt, verfügen sich die Brautleute in ihre Schlafkammer. Bevor
sie sich niederlegen, schliessen sie die Thüre, vor welcher der Djever
(Brautführer) und die alten Weiber vom Hause warten, um zu hören, ob
das Mädchen ihre Jungfräulichkeit bewahrt hat. Spätestens nach einer
Stunde muss der Bursche aufstehen und Bericht erstatten, ob er die Braut
unberührt gefunden. Zu lügen getraut er sich wohl nicht, weil er fürchten
muss, dass die alten Weiber das Bett und das Hemd der Braut unter-
suchen werden. Wenn die Braut ihre Jungfräulichkeit bewahrt hatte,
gerät alles ausser sich vor Freude; die Dudelsackpfeifer spielen auf, man
feuert die Gewehre ab, dem Kum (Trauungsbeistand) und dem Vater der
Braut wird Raki angeboten, der Bräutigam aber ist verpflichtet, ein
Geschenk von einigen Dukaten zu geben".1) Das Geschenk, das
liier der Bräutigam zu geben hat, ist vielleicht dasselbe, eben das rätsel-
hafte Abricias, das nach unserer Reisebeschreibung die Brauteltern geben
müssen. Auch bei den Ruthenen in der Bukowina wird die Jungfräulich-
keit der Braut am Morgen nach der Hochzeitnacht durch die Brautmutter
oder auch durch sie begleitende Weiber festgestellt. Ist dies geschehen,
so wird im Hofe des Hauses eine rote Fahne aufgepflanzt. Dies geschieht
auch, wenn der Bräutigam selbst schon früher die Blume gepflückt hat:
er verrät eben dann den Mangel der Braut nicht. Ygl. Kaindl, diese Zeit-
schrift XI, S. 167. Es scheint aber in diesem Fall keine Untersuchung
des Bettzeugs und Hemdes stattzufinden, sondern die Aussage des Bräutigams
genügt. Ist aber vielleicht die rote Fahne ein Ersatz für ursprünglich zur
Schau ausgehängtes Linnenzeug?
Es werden selten, besonders unter vornehmen Leuten, Heiraten voll-
zogen, ohne dass einige Zauberei vorkommt, die man u. a. den Nonnen
Schuld giebt, die ihr vornehmstes Geschäft damit treiben. Der Bericht-
erstatter will einen jungen Menschen wie rasend aus seiner Frauenkammer
kommen gesehen haben, der sich die Haare ausraufte und schrie, dass er
verderbt und behext sei. Man wendet sich dann an weise Hexenmeister,
die das Zauberwerk für Geld aufheben und den Nestel lösen, den andere
geknüpft haben. Montags, Mittwochs und Freitags verbieten die geist-
lichen Gesetze, Gemeinschaft mit den Weibern zu haben. Wer dies
Gebot übertritt, muss sich baden, ehe er in die Kirche geht.2) Wer sich
1) Yon mir gesperrt.
2) Über Vorschriften, welche die Ausübung des Beischlafs zu gewissen Zeiten und
unter bestimmten Urnständen verbieten, vgl. Ploss a. a. O. I, S. ;;24. Bei den Juden ver-
440
Kahle:
zum zweitenmale verheiratet, darf nur bis unter die Halle gehen, die
Kirche selbst aber nicht betreten, und wer die dritte Frau nimmt, wird
in den Bann gethan.1) Ist eine Frau unfruchtbar, soll man sie bereden,
ins Kloster zu gehen; thut sie dies nicht gutwillig, darf man sie mit
Prügeln hineintreiben (S. 130 f.).
Die kleinen Kinder lässt man nur von den nächsten Yerwandten und
vertrautesten Freunden sehen und verbirgt sie vor den Fremden, damit
diese nicht 'einen Übeln Anblick auf sie werfen mögen'. Die Kinder siud
'sehr fest und stark und saugen nicht länger als einen Monat oder aufs
höchste zwei an ihren Müttern, darnach giebt man ihnen ein Horn oder
eine Art eines silbernen Trinkgeschirrs, wie ein Horn gemacht, woran
unten ein trockenes Kuheuter gebunden ist. und dessen bedienen sie sich
zum Saugen'. Schon mit zwei Jahren fangen sie an, die Fasten zu halten
(S. 136).
Die Heiligenbilder sind sehr hässlich. Wenn das Gemälde eines
Bildes erloschen ist, trägt man es an einen Ort, Gottesmarkt genannt, und
tauscht das Seine mit etwas Geld für ein neues um. Man darf nämlich
nicht sagen, man habe ein Bild gekauft. Die verloschenen wirft man mit
einigen Stücken Geld in den Fluss und sagt dabei: 'Geliab dich wohl, mein
Bruder, oder Gott sei mit dir, mein Bruder'. Die Bilder heissen Nikolasse
(S. 150 f.).
Diese Bilder treiben dann, wie an späterer Stelle (S. 213f.) erzählt
wird, den Fluss hinunter und werden von den krimschen Tataren auf-
gefangen, die, Muhammedaner, ihren Spott mit dem Bilderdienst der
Russen treiben und behaupten, es wäre besser, die Sonne, die ein herr-
licher Körper sei, anzubeten, als hölzerne Bilder. Das seien schöne
Götter, sie brieten Pferdefleisch damit. Überhaupt ist das gemeine Volk
unreinigte jeder Akt ehelicher Beiwohnung beide Teile his an den Ahead; Mann und Frau
mussten sich hinterher baden (3. Moses 15, 18), vgl. Ploss ebenda. Auch in der römischen
Kirche ist der eheliche Umgang an gewissen Tagen und zu bestimmten Zeiten, wie
während der Fasten- und Busszeit, untersagt. So verordnete Pabst Nicolaus I. in seinen
Responsa ad consulta Bulgarorum No 63: 'Während des ganzen Sonntags (Tag und Nacht)
soll der eheliche Umgang ausgesetzt werden', vgl. Schmitz, Die Bussbücher und die Buss-
disciplinen der Kirche, I, S. 287; weitere Belege im Register S. 847 unter 'Ehelicher Um-
gang verboten etc.' und II, S. 735 unter 'Ehelicher Verkehr zeitweilig verboten'. Die
Waschung nach dem Beischlaf vor Eintritt in die Kirche, ordnet auch das Bnssbuch
Thomas v. Canterburys an unter No 29, vgl. Schmitz a. a. O I, S. 547, weitere Belege
II, 541 und 578.
1) 'Als eine Gewohnheit einzelner Partikularkirchen bezeichnet Basilius die Bestrafung
der zweiten Ehe mit zweijähriger Busse, die der dritten Ehe (polygamia, fornicatio belluina
von ihm benannt) mit einem fünfjährigen Ausschluss aus der Gemeinschaft', vgl. Schmitz
a. a. O. I, S. 43f. Im allgemeinen sah aber die römische Kirche die Sache milder an,
entweder war die zweite Ehe direkt erlaubt oder sie wurde doch nur mit einer milden
Strafe belegt. Nur die dritte und Aveiteren Ehen scheinen immer mit Strafen belegt
worden zu sein, doch waren auch diese im allgemeinen nicht schwer, vgl. ebenda I, 847,
die Stollen im Register unter 'Ehe, wiederholte' und II, 735 unter 'Ehe, zweite und dritte'.
Yon de la Martinières Reise nach dem Norden.
441
in Russland so dumm, dass es den hl. Nikolaus für den wahren Regierer
der Welt hält. Er sei von Italien auf einem Mühlstein bis in einen Hafen
in der Nähe von Archangel geschwommen. Wer das nicht glaubt, setzt
sein Leben in Gefahr (S. 214f.).
Einige Bräuche sind noch die folgenden. Es ist 'eine grosse Sünde,
sich nach Abschlagung des Wassers nicht zu waschen. Anstatt des Papiers,
welches wir insgemein an unsern Orten zur Kommodität haben, bedienen
sie sich wohlpolierter kleiner Schäuflein von Tannenholz'. Wenn ein
Russe mit einer Engländerin oder Holländerin schläft, so hält man das
für ein sehr grosses Laster; nicht aber so, wenn eine Russin mit einem
Fremden Unzucht treibt, weil dann die Kinder, die entstehen können, in
der russischen Religion aufgezogen werden können (S. 188). Wenn sie
eine Frau grüssen, so küssen sie diese auf die rechte Backe. Die in den
letzten zwanzig Jahren erworbenen Güter werden den Jüngsten zugeeignet.
'Die schlechte Parole eines Menschen, der einen Bart hat, gilt bei ihnen
mehr als eines andern Eid oder Schwur, der keinen hat.' Sie bemühen
sich die Zähne schwarz zu machen, zu diesem Zweck bedienen sie sich
eines Sekrets, mit dem sie auch die Augäpfel schwarz färben. Lange
Augen (?) und kleine Stirnen halten sie für Schönheit. Deshalb ver-
bergen auch die russischen Frauen einen Teil der Stirn unter ihrer Haube.
Kleine Füsse und dünne Leiber scheinen ihnen eine Ungestalt. Sie
wenden alle Mittel an, um sich fett zu machen, 'debauchieren deswegen
über die Massen sehr, bleiben ganze Tage im Bett liegen und bringen
sie mit Schlafen und Branntwein trinken zu' (S. 187 —190).
Yon einer sonderbaren Tortur wird in dem Kapitel über das richter-
liche Verfahren berichtet. Wenn jemand alle möglichen Martern, die ihm
zugefügt worden sind, standhaft ertragen hat, wird dies als letzter Yersuch
gemacht, 'dass ihm auf dem Kopfe ein Kranz überaus glatt geschoren
und Wasser tropfenweise darauf gegossen wird, und dasselbe soll, wie
man sagt, der empfindlichste Schmerz unter allen Martern sein, weil man
nicht einen Tropfen Wasser giessen könne, der nicht zum Herzen gehen
und solches wie ein Pfeil durchstechen solle' (S. 19"2f.). Noch nicht lange
ist es her, dass die Russen den Brauch angenommen haben, Verbrecher
aufzuhängen, denn man glaubte, die Seele eines Menschen, der erwürgt
würde, müsse unten ausfahren, welches ihn 'pogano' machte (S. 194).1)
Der Fisch Beiluga hält sich in der unteren Wolga auf. Wenn der
Fluss infolge der Schneeschmelze grosses Wasser hat, verschlingt der
Fisch Kieselsteine, um schwerer zu werden und so dem Laufe des Flusses
widerstehen zu können (S. 198).
1) Herr Prof. A. Brückner hatte die Liebenswürdigkeit, mir folgendes zu dieser
Stelle zu schreibeu: 'Das pogano ist ,hässlich', eigentlich ,heidnisch', und bezieht sich auf
den Aberglauben vom erhängten Judas, dem der Lebenshauch nicht durch den Mund,
sondern per intestina herausfuhr. Die Lippen hatte ihm ja der Heiland geküsst.'
442 Kahle: Yon de la Martinières Reise nach dem Norden.
Die Samojeden haben zahme Hirsche, die sie zwei und zwei an
Schlitten spannen. Es liegt hier wohl eine Verwechslung mit Rentieren
vor. Die Töchter lässt man vor der Verlobung nicht sehen. Sie werden
für Hirsche verkauft, und zwar oft schon im Alter von 6 oder 7 Jahren,
damit der Bräutigam ihrer Jungfrauschaft sicher sei. Die Männer sind
sehr eifersüchtig, deshalb werden die Frauen viel genauer eingeschlossen
als in Italien. Und wenn die Männer auf die Jagd ausziehen, legen sie
ihnen Maschinen an, um zu verhindern, dass sie untreu werden. Also
ganz wie die alten Kreuzfahrer.1) Sie sind grosse Zauberer, hüten sich
aber, diese Kunst vor den Russen auszuüben, aus Furcht, angeklagt zu
werden. Bei einer Mahlzeit, die ein englischer Kaufmann einigen Samo-
jeden gab, betrank sich einer vollkommen. Da kam eine alte Frau, rührte
ihn an die Stirn und sagte ihm einige Worte ins Ohr. Sofort war der
Rausch verflogen und der Mann so vernünftig, wie wenn er den ganzen
Tag nichts getrunken hätte (S. 201—203). Die Samojeden, zu denen der
Verfasser später selbst kommt, sind Sonnenanbeter. Sie beten zur Sonne
auf den Knien liegend mit ausgestreckten Armen (S. 260).
Vom Grüssen verschiedener Völker wird gesagt, dass die Polen sich
hochmütig grüssen und sich nicht so sehr verneigen wie die Russen; die
Tartaren umfassen die Kniee ihrer Oberherren, die gemeinen Leute setzen
'den Finger nach dem Daumen' auf den Mund und schütteln dabei den
Kopf ein wenig. 'Die Manier der Circassen im Grüssen ist gröber und
tölpischer; sie fragen alle Tage: Sind deine Knechte, deine Kühe, Schafe,
Pferde, Ziegen, Böcke, Schweine, Hähne und Hühner noch bei guter
Gesundheit?' (S. 220f.).
Ihre Reise führt die dänischen Kaufleute auch nach der Insel Zembla.
Die Einwohner beten teils, auf den Knieen liegend, die Sonne an, teils
auf Hügeln stehende Bäume, die in tölpischer Weise zu menschlichen
Figuren geschnitzt sind. In diese Figur setzt sich der Teufel und erteilt
Orakel. Ein solcher Götze heisst 'felizo', wie im Text, t'etitzo wie in der
Kapitelüberschrift steht, offenbar das portugiesische feitiço, Fetisch (S. 262
bis 265).
Von Zembla segeln die Schifte nach Grönland. Auf der Rückfahrt
von da nach Dänemark sehen sie sich genötigt, Island anzulaufen. Der
Arzt besucht die Hekla und weiss allerlei merkwürdige und fabelhafte
Dinge über Island und seine Bewohner zu berichten. Da von diesem
Bericht, wie schon erwähnt, Thoroddsen eine ausführliche Inhaltsangabe
giebt, übergehe ich ihn hier. Endlich gelangen sie glücklich wieder nach
Kopenhagen. Es folgt alsdann noch eine ausführliche Abhandlung 'von
dem Missbrauche des Einhorns und den Tugenden seines Horns. Mit
dem grössten Ernst werden alle Nachrichten von diesem fabelhaften Wesen
1) Vgl. über die Kenschheitsgürtel Ploss a. a. O. I, 303. [A. Schultz, Das höüsche
Leben'2 1, 5CJ5. Bonneau, Curiosa 1887, p. 226.]
Bacher: Yon dem deutschen Grenzposten Lasern im wälschen Südtirol.
443
von Plinius an geprüft und auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht. Der
Verfasser kommt zu folgendem Schluss: 'Mir däucht, es wäre am füglichsten
zu glauben, dass das rechte Einhorn ein Schwarzer sei, den ich in Afrika
gesehen habe, welcher ein Horn, so gross als eines Widders seines hatte,
das von der Stirne nach dem bregma und der sutura coronati ginge, und
sich gegen die sagitalem erstreckte . . . , oder eine Frau, die gestorben
war, dass sie sich in ein Horn, so ihr gerade und dünne, von der Farbe
wie Ochsenhörner, und anderthalb Schuh lang auf der Stirne hinaus stund,
hat abschneiden lassen' (S. 315).
Eine schöne Abbildung beider Wundergeschöpfe ist beigefügt.
Über die angeblichen Tugenden dieses Horns äussert sich der Ver-
fasser, dass, wenn es überhaupt eines giebt, und gesetzt, dass diejenigen
Hörner, die man dafür ausgiebt, solche auch wirklich sind, sie keine
anderen haben, als das Hirschgeishorn und das Elfenbein, dessen man
sich bedient, 'das Speien, Nasenbluten und den Durchlauf zu stillen,
welches durch die anziehende Kraft geschieht, so diese Hörner haben,
das man nicht eine Kraft, sondern eine notwendige Malignität nennen
sollte, weilu sie durch ihre Auhaltungen von ihrer irdischen Substanz ver-
ursachet, die Gänge der Adern und Pulsadern verstopfet . . . (S. 311—317).
Eine geographische Betrachtung und noch ein paar Bemerkungen
über die Samojeden machen den Schluss des merkwürdigen, interessanten
Buches. Der der Ausgabe von 1706 angehängte Abschnitt 'Öontinuatio
nordischer Kuriositäten' beschäftigt sich hauptsächlich mit verschiedenen
Reisen nach Spitzbergen und Grönland uud Uberwinterungen daselbst,
giebt Beschreibungen der arktischen Natur und ist von geringerem Interesse.
Heidelberg.
Von dein deutschen Grenzposten Lusern im wälschen
Sndtirol.
Vom Kuraten Josef Bacher.
(Vgl. oben S 28. 169. 290.)
III.. Meinungen, Bräuche und Sprüche.
Der Gang durch das Leben geschieht durchaus nicht auf glatter, ebener
Bahn, selbst wenn der Mensch nicht mit Nahrungssorgen zu kämpfen hätte.
Schon gleich in den ersten Tagen des menschlichen Daseins müssen ge-
wisse Bräuche genau und streng beobachtet und eingehalten werden, um
das Kind vor späterem Unheil zu bewahren. Diese getreue Obhut darf
444 Bacher:
auch später nicht fehlen, um das Kind recht zu erziehen. Ist dann das
sorgsam gehegte Geschöpf in die Blütezeit des Lebens eingetreten, so
giebt es auch für dieses Alter Überlieferungen, feststehende Anzeichen,
aus denen man Erfolg oder Missgeschick beim Sehnen, Trachten und
Streben der entwickelten Jugend erkennen mag, besonders für die Fälle,
die noch im dunklen Schosse der Zukunft sich bergen. Kommt endlich
die Zeit heran, welche den einschneidenden Wendepunkt im Leben bildet,
durch Gründung einer eigenen Familie, so hat die von den Vorfahren er-
erbte Überlieferung das Verhalten bei diesem wichtigen Schritte zu regeln.
Das Alltagsleben bietet ferner in den verschiedenen Lagen des Menschen,
in seinen Beziehungen zum Neben m en sehen, zu den Tieren, zu den Pflanzen
und unbelebten Wesen Gelegenheit genug, die vielgestaltigen Erscheinungen
nicht ausser acht zu lassen, die in gesunden und kranken Tagen sich au
den Menschen heran drängen, bis endlich das unabwendbare Verhängnis,
dem alle Lebewesen unterliegen, der Tod, an ihn herantritt; jedoch auch
nach dem Tode schwindet das Andenken an den Dahingeschiedenen nicht,
und so mancher Überlebende kommt noch in die Lage, sich mit einem
schon Verstorbenen befassen zu müssen.
Dem Gesagten zufolge soll der hierher gehörige Stoff gegliedert werden
in Meinungen, Bräuche und Sprüche bei 1. Geburt und Taufe, 2. Kindes-
alter, 3. Reifer Jugend, 4. Verlobung und Hochzeit, 5. Vorkommnissen im
alltäglichen Leben, und 6. Krankheit und Tod.
Um hierüber ein möglichst vollständiges Bild geben zu können, habe
ich nicht bloss meine eigenen diesbezüglichen Sammlungen benutzt, sondern
an geeigneten Stellen auch die in Ignaz v. Zingerles Luserner Wörterbuch
(vgl. diese Zeitschrift 1900, Heft 2, S. 154) enthaltenen Aufzeichnungen
verwertet. Auf diese letzteren wird stets an seiner Stelle verwiesen werden
durch das Zeichen Z mit beigesetzter Zahl, welche sich auf die Nummern
im Anhange des erwähnten Wörterbuches bezieht.
1. Geburt und Taufe.
1. Bfa-mà tíkit, bál-da bortet a Wie man thut, wenn ein Kind
kin: Di ggomaiv gëat an haus áugahaioio geboren wird: Die Hebamme geht ins
bét-anar grçasan gajóf, un bál-da is kent Haus mit einer grossen Tasche um und
af ds weit 's kin, rixtat-s'-ss hèr stuà sobald das Kind auf die Welt gekommen
siià, un déna zçag4-s'-£>s m andar kíndar, ist, richtet sie es schön schön her, und
ás-d'-arar sain an haus. dann zeigt sie es den andern Kindern,
falls deren im Hause sind.
Wie man den neugierigen Fragen der Kinder um die Herkunft des
Neugeborenen begegnet und denselben vorbeugt, steht bei Z., 1 :
Bál-da is g<?bórt¿t a kin, köt-ma an Sobald ein Kind geboren wird, sagt
ándar kíndar, di nruatar hat ganump 's man den andern Kindern, die Mutter
kin dui'x an tal von Üasn gga dar vrau habe geholt das Kind drüben im Üaschen-
Perx^ga (oder Pertsga), bo-da hat di thaïe bei der Frau Berchta, welche die
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
445
kindar, bo-da no net sain gabortat in
grçasa väsar vól-bet wásar.
2. Bál-sa tçavan a kin: Di ggo-
mâra borçat^t züagarixtat 's kin, a-bé-'s
hat z' saina, un déna sikt-sa zo rilava
's gavátarlaüt. Bál-da se'm is's gavátar-
laüt, di ggomáiv nimp 's kin afn arm
un dena gían-sa ala batnándar ggan faf
zo máxa-'s ínsrai'm; déna gían-sa gga
dar kii'x- 's gavátarlaüt möxt saugn
bol áu zo péta garext an ggredo, om-
Iróm sa-nò 's kin kint a trut.
3. Bal-da 's kin is gatçaft, kéarn-
sa badrum zo traga huam 's kin. Da
máatar, bál-sa se'm rívan, möxt-sa küsan
da bant »11 gavátarlaüt, on déna sízan-sa-
sa zo tis z' ésa an vormas odar da tsaï
on déna gían-sa huam.
4. Axt täga spétar dar ggompara
sikt sai waiba, Ódar épar ùàs bét-anar
zúa prçat un an süan prok smalz1) zo
träga 's dar máatar von kin; wíana täga
.spétar gëat da ggomáiv ö zo trága da
zúa bët prçat un smalz.
5. As-da 's gavatarlaüt is raix, an-
vëza bas zo traga da zúa borçatn-s'-an
gelt in an a ggàrt un lëgn-'s úntar da
väs von kin.
6. 's waiba bo-da is gavait an strça
(padsoláda) vörtat-sa zo váioa an wilas
fin as-sa net is gawêst to máxa-sa waign,
un as-sa hétat zo möxa gían aus von
haus épr-épas zo tüana, nimp-s'-ar ùàs
bet Ir, Ódar a alts mentis Ódar sa nimp-
ar a kin pa-dar hant; ás-sa se'm is lai
alúa, nimp-s'-ar 's wáigawasar un déna
légg-s'-ar a grçasa pet um-an hals, un
das-sél haitat hintar an vvilas.
Da N. N. dísan wintar hat gahat an
pfia un an an t;lga hat-sa gamö^t gían
an stai, z' séga von vïx, umbróm dar
Kinder, so noch nicht geboren sind, in
grossen, mit Wasser gefüllten Fässern hat.
Wenn man ein Rind tauft: Die
Hebamme bereitet das Kind hergerichtet,
wie sichs gehört, und dann liisst sie die
Paten rufen. Sobald die Paten dort sind,
nimmt die Hebamme das Kind auf den
Arm, und dann gehen sie alle mitein-
ander zum Priester, das Kind eintragen
zu lassen; dann gehen sie in die Kirche.
Die Paten müssen wohl acht geben, das
Credo recht zu beten, denn sonst wird
das Kind eine Trut.
Sobald das Kind getauft ist, kehren
sie wieder zurück, um das Kind heim
zu tragen. Die Mutter muss, wenn man
dort ankommt, den Paten die Hand küssen,
und dann setzen sie sich zu Tische, um
das Mittag- oder Nachtmahl einzunehmen,
und dann gehen sie (die Paten) heim.
Acht Tage später schickt der Tauf-
pate sein Weib oder sonst jemand mit
einem Handkorb voll Brot und einem
schönen Stück Butter, um es der Mutter
des Kindes zu überbringen; wenige Tage
später geht die Patin auch, um den Hand-
korb mit Brot und Butter zu bringen.
Wenn die Paten reich sind, richten sie
sich Geld in Papier (eingewickelt) her, und
legen es, anstatt den Korb zu bringen, unter
die „Patsche" (Wickelbinde) des Kindes.
Das Weib, welches ins Stroh gefallen
ist (Wöchnerin), fürchtet sich verhext zu
werden, solange sie nicht gewesen ist,
um sich aufsegnen zu lassen, und wenn
sie notgedrungen aus dem Hause heraus-
gehen muss, etwas zu thun, so nimmt sie
sich jemand mit, entweder eine alte Person
oder sie nimmt (sich) ein Kind bei der
Hand; wenn sie dort nur allein ist, nimmt
sie (sich) das W eihwasser und legt sich dann
um den Hals einen grossen (Bet-) Rosen-
kranz, und dies schützt vor Verhexung.
Die N. N. gebar diesen Winter einen
Knaben, und eines Tages musste sie in
den Stall gehen, um beim Vieh naeh-
1) „smalz" bedeutet „Butter"; das deutsche „Schmalz" bezeichnen die Luserner mit,
dem Ausdrucke „gasótats smalz".
446
Bacher
sai man is vórt-gnvest, un sí hát-ar
g^nump 's wáig¿wasar un ís-s-/-s¿ g^seioia;
déna hát-ss-san-ar ganump a bçizD m
gajóf, déna hat-s'-ar g-degg úm a grçasa
pet un is gant nn stai pa dar naxt, un
dar witas hat-s<? net ^varo®.
zusehen, denn ihr Mann war fort, und
sie nahm Weihwasser und segnete sich;
dann nahm sie davon in einem Fläschchen
in der Tasche, ferner legte sie sich einen
grossen (Bet-) Rosenkranz um und ging
in der Nacht in den Stall, und der Hexen-
zauber hatte ihr nichts an.
2. Kindesalter.
Sogleich kann man bei einein Kinde schon im voraus bestimmen,
es ein wohl- oder iibele'estalteter Mensch werden wird :
ob
7. As - da - n - a kin is sáüla an di
wfag^, kint-'s a süá ments sn plaz, on
as 's is süä -ni di wíaga, kint-'s sáüla
í?n plaz.
8. 's gaüln von kíndar: As di kíndar
gaüln vil, kü'n di wáibar: ê, las-s¿-s¿>
gaüln, gge sntánto as-sa gaüln, ggresart-
311 's herz.
Wenn ein Kind ist hässlich in der
Wiege, wird es ein schöner Mensch im
Platze, und ist's schön in der Wiege,
wird es hässlich im Platze.
Das Weinen der Kinder: Wenn die
Kinder viel weinen, sagen die Weiber:
Ei, lass sie weinen, denn während sie
weinen, wächst ihnen das Herz.
Wie den Kindern etwas Übles widerfahren kann (Z., 5—7):
9. As-mà tragg abas spät a kin áus
von haus, vamo-'s »n wilas.
10. As-mà hat-'s g^plätra von an
kin pa dar naxt áus-af-an weg¿, vaiaio-
's-¿n wilás, un wn kin, bo-ma-'s-¿n SI egg
mâg-an àusgê'm épas lezss.
Wenn man abends spät ein Kind aus
dem Hause trägt, wird's verhext.
Wenn man die Wäsche eines Kindes
bei der Nacht auf dem Wege draussen
hat, wird sie verhext, und dem Kinde,
welchem man sie anzieht, kann etwas
Übles widerfahren.
11. As - mà wiag^t a lëra wíag¿,
kint béa <?n paux >?n kin, bo-mà déna
drínlegg.
12. Mest-mà, wïa grças-da is a kin,
kint-'s nixt méar grçasar. (Z. 8.)
13. As-mà grltlt öbar a kin, kint-'s
nixt méar grçasar. (Z. 9.)
Wie man Kinder behandelt und erzieht:
Wenn man eine leere Wiege wiegt,
bekommt das Kind, welches man dann
hineinlegt, Bauchweh.
Misst man, wie gross ein Kind sei,
wird's Kind nicht mehr grösser.
Schreitet man über ein Kind weg, so
wird's nicht mehr grösser.
14. In an kluan kin möxt - m' - sr\
gë'm als, was <?s sigg ésan, s¿-nó pltta-
fet-«?n 's herz. (Z. 10.)
15. As mà zua - lat-saugn a jur>3s
pflabl^, un gé't-¿n net zo kósta, slínt^t
's herz.
16. Di kíndar möxt - mà - s«» pükan
(g^wön^n) juio, umbrúm bal-s¿> sain grças,
is-'s vertí.
17. As mà a kin lat saugn m spetso,
sigg-'s m taüvl.
Einem kleinen Kinde muss man alles
geben, was es essen sieht, sonst blutet
ihm das Herz.
Wenn man ein junges Büblein zu-
schauen lässt, und man giebt ihm nicht
zu kosten, schlindet das Herz.
Die Kinder muss man bücken (ge-
wöhnen) jung., denn sobald sie gross
sind, ist's vorbei.
Lässt man ein Kind in den Spiegel
schauen, so sieht's den Teufel.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälsclien Südtirol.
447
18. As-da áusvalt a zan ¿n an kin, Wenn einem Kinde ein Zahn ausfällt,
möx-'s-^n nemsti un jukaiwn übar-?n muss es ihn nehmen und über den Kopf
(öbar-'n) köpf. (hin) werfen.
10. Bál-da áusvalt a zan ¿n an kin, Sobald einem Kinde ein Zahn aus-
möx-'s-^n nem-m un júkan-^n ¿n a lox fallt, muss es ihn nehmen und ihn in
von ar maus un kö'n: „Maus, da hast- ein Mausloch werfen und sagen: „Maus,
(d)o ¿n alt zan, priio-mar pal an naiign!" da hast du den alten Zahn, bring mir
— Tuats a-só, kint-¿m paL a naüg^r zan bald einen neuen!" — Thut's so, kommt
en plaz vo den altn. (Z. 4.) ihm bald ein neuer Zahn an der Stelle
des alten.
20. Glan kíndar ana zo wäsa in d^ Gehen Kinder ungewaschen in die
kii'x, stéat usar lfab^ vrau víarz^n tag/ Kirche, so schaut sie unsere liebe Frau
ána to sáuga-sa a. (Z. H.) vierzehn Tage nicht mehr an.
Wenn ein Kind die Schüssel zerbrochen hat, sagt die Mutter zu ihm:
21. Est söpf-i-dar-'s aus m a gélbar Jetzt schöpfe ich dir dein Mus in
das daï muas. einen Holzschuh.
Das unreife Alter wird einem Knaben oder Mädchen folgenderrnassen
vorgehalten :
22. I)u pist nö-net trúkan híntar d¿ Du bist noch nicht trocken hinter den
çarn — du pist nö ñas híntar di çarn Ohren — du bist noch nass hinter den
— du pist nö a plodar, un ¿n plödar Ohren—du bist ein (unreifer) Schwätzer,
han-i net lust to líisna aus nixt. und ich habe nicht Lust Schwätzern
Beachtung zu schenken (auszuhorchen).
3. Reife Jugend.
Die Liebe wird in diesem Abschnitte vorwiegend behandelt, das Hoffen
und Erwarten das Fürchten und Zagen, das Schweben im Zweifel, den
dann gewisse Erscheinungen lösen sollen.
23. As - da a juEw dïarn geat in Wenn ein junges Mädchen nach Pine
Pine, kö'n-sa, s¿ geat zo pita-n- ar an geht, sagt man, sie gehe, um sich einen
pual. Geliebten zu erbitten.
Pine ist ein Wallfahrtsort etwra 11/8 Stunden nördlich von Pergine
gelegen, wohin die Bevölkerung Italienisch- und Deutsclitirols gern sich
wendet, um in besonders wichtigen und schweren Anliegen die Fürsprache
und Vermittlung der Madonna sich zu erflehen.
24. As-da d¿ püalsn senkt a pëtL Wenn die Geliebte ein Rosenkränzlein
pual, haltn-sa härta líabar un maxin dem Geliebten schenkt, halten sie (sich)
pal» anándar, umbróm di pet píntst. einander immer lieber, und heiraten bald
einander, denn der Rosenkranz bindet.
Unter „Rosenkränzlein" ist nicht etw^a ein Kränzchen von Rosen zu
verstehen, sondern die in eine Schnur gefassten, oder meist gekettelten
Korallen zum Abbeten des Rosenkranzes.
Auch Briefe sind in diesem Alter begreiflicherweise sehr ersehnt, und
es fehlen auch hierfür gewisse Anzeichen nicht:
448
Bacher:
25. As-da 's öl-liaxt ma^t an smogg,
kint létar.
2G. As - da géat daz ábas a farfala
ums épar lias, das-sél varoio létar an ta'
darna'.
27. As-da fûggat 's vaiir, kint létar
odar-da keman vremaga tu véna.
Wenn das Öllicht einen
macht, kommt Brief.
, Putzen "
Wenn abends ein(e) (Motte) Schmetter-
ling um jemand herumfliegt, so erhält
derselbe (einen) Brief am Tage darnach.
Wenn das Feuer knistert, kommtBrief,
oder es kommen Fremde auf Besuch.
28. Sovl värt, a-bé-da ggreggn di So vielmal, wie einem Mädchen die
viioar an ar díarn, sövl pual hat sa. (Z.ll.) Finger knacken, so viel Liebhaber hat sie.
Anzeichen treuer Liebe und Verhalten, um sich diese zu sichern:
29. La vero amor si disgusta séte
vylte: di púal-laüt mo^an-s» darzürnan
on déna wídar haltn géarn sï'm vart,
un alora háltn-s'-sa géarn härta fin ás-
sa ster'm.
30. As-da 's wétar is lez, as géat
wint un snea, un dar pual géat zo
véna da piìalan, haltet-sa-sa gúat, om-
brúm si is síxar, gge d'-ar haltat-sa gearn.
31. As-da dar púal mö^t gían at-
ri,) árbat, un 's mal vor-d'-ar géat vort
(vôrtgêat), géat zo véna d-; piialan un
steat se'm fin spet pa dar na^t, is - ss
síxar, ke d'-ar haltat-sa gearn.
Die wahre Liebe zerwirft sich sieben-
mal: die Verliebten müssen erzürnt werden
(miteinander) und dann sich wieder gern
haben siebenmal, und dann haben sie
sich immer gern bis sie sterben.
Wenn das Wetter schlecht ist, wenn es
Schnee weht, und der Liebhaber geht die
Geliebte zu besuchen, ist sie glücklich,
denn sie ist sicher, dass er sie liebt.
Wenn der Liebhaber auf (die) Arbeit
gehen muss, und er geht am Abende vor
seiner Abreise die Geliebte zu besuchen
und bleibt dort bis spät in der Nacht,
so ist sie sicher, dass er sie liebt.
32. As-da-an-ar díarn ó fa-pintat-ar
a hös odar 's vürta, hat-sa an sint dar
páal.
33. En täga vö dan natiga jär da
pttalan senkt a waisas táax sn pual.
Zeichen, welche Zerwürfnisse unter Verliebten bedeuten
Wenn einem Mädchen ein Strumpf oder
die Schürze aufgeht (sich losbindet), so
hat sie der Geliebte im Sinne (denktansie),
Am Neujahrstage schenkt die Geliebte
dem Geliebten ein weisses Tuch.
34. As-da zwça pnal-laüt haltn a
kin in da tçav betnándar, is-'s in difízala,
ás-sa nenian anándar.
35. As - da a pual senkt a mésar
sáindar píialan, spetar darzürnan-sa-sa
un neman net anándar, umbróm 's mesar
hakt.
36. As - da a díarn swenzt an an
täga, bö-'s rëiOE), hat - sa zorna an púal
— oder: As-da a díarn wäst, on an
täga, bö-sa hat zo swënza, as-'s rëiom,
hat sa zorna an pual.
Wenn zwei Verliebte ein Kind zur
Taufe halten, ist's schwerlich, dass sie
einander heiraten.
Wenn ein Liebhaber seiner Geliebten
ein Messer schenkt, so erzürnen sie sich
später und heiraten einander nicht, denn
das Messer schneidet.
Wenn ein Mädchen schwänzt (rein-
wäscht) an einem Tage, an dem es regnet,
so hat sie ihren Liebhaber zornig — oder:
Wenn ein Mädchen wäscht, und am Tage,
wo sie reinwaschen muss, regnet es, so
hat sie ihren Geliebten zornig.
Von dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
449
37. As-da a dîarn limargêat un hat Wenn ein Mädchen beim Umhergehen
augakéart da padana von ggonsót, hat-sa den (inneren) Saum des Rockes aufge-
stülpt hat (trägt), so hat es seinen Lieb-
haber zornig.
Wenn ein Bursche am Neujahrstage
einem alten Weib begegnet, so hat er kein
Glück, besonders in der Liebschaft.
zorna an pxial.
38. As-da-n-a púa boként an tä' von
naüga jär an alts waiba, hat - ar kuä
galük spezialmenta an gapuala.
Dass aber übertriebene, masslose Liebe nicht schon den Himmel für
alle Zeiten in sich schliesst, besagt folgender Spruch:
39. 's galéka gSat an gadreka. — Das (sich) Lecken geht über in Kot.
As-sa-sa lékan gär zo vìi, darsaurt-'s — Wenn sie sich gar zu viel lecken, so
spêtar. wird's später sauer.
4. Verlobung und Hochzeit,
Wie schon im 8. Abschnitte mehr oder weniger deutlich bei den
Sprüchen, die sich auf die Liebschaft beziehen, die Absicht und Aussicht
auf Ehe hervortritt, so dass eine leere Liebelei ausgeschlossen erscheint,
so ist thatsächlich das Sinnen und Trachten der meisten jungen Leute —
man kann sagen: aller, die überhaupt eine Liebschaft haben — aui dieses
ersehnte Ziel irdischer Glückseligkeit gerichtet. Was Wunder daher, wenn
Sprüche, die auf diesen Gegenstand Bezug haben, die als Orakel zur Ent-
hüllung der Zukunft dienen, nicht in Vergessenheit geraten sind.
Eine günstige oder ungünstige Aussicht auf Elie und den mehr oder
weniger nahegerückten Zeitpunkt derselben erkennt man aus folgendem:
%
40. As - mä kört vora an an pua,
das-sél jär borätat-ar-sa net.
41. As-da géat a dfarn ín-an a haus
un ás-m'-ar zuakërt bet-'n pësom, bo-
1'ätat-sa-sa net das-sél jär.
42. Bál-da di juioan laüt hçarn an
ggúggo, höggn-sa stark un kö'n: „Ggúggo
basúggo, fio! del pära ziiggo1), fiol di
una bona mära: quanta ana mi dét-to2)
da maridare?" un déna zéln-sa biavi
vart d'-ar gguggat, un kü'n, sa stlan nò
sövl jar, vór-sa-sa borátn; un ás-ar nixt
méar gguggat, bál - sa nalasan zo vörsa,
kë'n-s'-sa borátn-sa nö das-sél jär, ödar
sa borátn-sa nía.
Wenn man vor einem Burschen kehrt
(mit dem Besen), so verheiratet er sich
im selben Jahre nicht.
Wenn ein Mädchen in ein Haus hin-
eingeht und man kehrt mit dem Besen
gegen sie, so verheiratet sie sich im
selben Jahre nicht.
Sobald die jungen Leute den Kuckuck
hören, rufen sie laut und sagen: „Ggúggo
basuggo, Sohn des dummen Vaters, Sohn
einer guten Mutter: wie viele Jahre giebst
du mir (bis) zur Verehlichung?" und dann
zählen sie, wie oft er ruft, und sagen, sie
blieben noch so viele Jahre unverehlicht;
und wenn er nicht mehr ruft, sobald sie
zu fragen aufhören, sagen sie, sie ver-
heiraten sich noch im selben Jahre, oder
sie verheiraten sich nie.
1) zucco, italienisch, eigentlich Kürbis.
2) Italienische Schriftsprache: quanti anni mi dai tu.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901.
31
450
Bacher:
43. As-d'-a díarn làt sfa'n 's wásar,
bo-sa liiizt z' spüala áu, an das-sél jär
boratat-sa-sa net. (Z. 12.)
44. As-da a díarn steat süä an petn
gaviaratar, möx-sa neman an sáülan man;
as - sa stéat saiila, maxlt - sa an sftan
man.
Wenn ein Mädchen das Wasser, das sie
zum Spülen braucht, sieden lässt, so ver-
heiratet sie sich im selben Jahre nicht.
45. As-da-n-a díarn vil slöt^rt1) un
yïl darnézt-sa, bál-s^ wäist, maxlt-sa an
barába.
Die Zeit you der Yerlobum
46. As-da a novíza umargëat aluä
pa dar naxt, kint-sa enstriárt.
47. A lústaga novíza, a trauivga spusa
— a tráuraga novíza, a lústaga spüsa.
48. Bál-ma sait novíza. kent-mä halba
nárat.
49. Di novíza senkt - an novízo di
spus-fçat; ër ïr sénkt-ar 's spusvürta, di
sua un 's háls-tüax.
Der Hochzeittag:
50. En tag;, bo-sa mäxl(n), stían-sa
áu an áldar vrtta un gían an da kirx zo
páixta-sa un zo boríxta-sa; déna kearn-
sa badrum an íaglas gga sain haus, un
gían odar sílian to rua va an laiit, bo-da
sain galàdat ggan hçasat. Déna bal-'s
rïft tu laüta, dar novízo un duseln, bo-
da sain galädat ggan hçasat, gían zo
nema da novíza. Bál-sa vórt-gían von
haus vö dar novíza, saï muatar gi't-an
's waigawásar aln pça'n, un déna gían-
sa an da kirx- Intanto ás-sa sain in an
da kirx ís-da épar liandar borçat^t an
plaz tu sïasa.
Wenn ein Mädchen mit den Finger-
ringen schön erscheint, muss sie einen
hässlichenMann nehmen (heiraten); wenn
sie hässlich erscheint, heiratet sie einen
schönen Mann.
Wenn ein Mädchen viel (Wasser)
schüttet und sich viel nass macht, wenn
sie wäscht, bekommt sie einen Säufer
als Mann.
bis zur HocliZeit:
Wenn eine Verlobte zur Nachtzeit
allein herumgeht, wird sie verhext.
Eine lustige Braut, eine traurige Gattin
— eine traurige Braut, eine frohe Gattin.
Wenn man im Brautstande ist, wird
man halb verrückt.
Die Braut schenkt dem Bräutigam das
Hochzeithemd; er schenkt ihr die Hoch-
zeitschürze, die Schuhe und das Halstuch.
Am Hochzeittage stehen sie auf in aller
Frühe und gehen in die Kirche zu beichten
und zu kommunicieren; sodann kehren sie
zurück ein jedes in sein Haus und gehen
oder schicken die Leute zu rufen, welche
zur Hochzeit geladen sind. Sodann, wenn
es das letzte Mal läutet, gehen der Bräuti-
gam und die zur Hochzeit geladenen Gäste
die Braut abzuholen. Sobald sie vom Hause
der Braut fortgehen, giebt (ihnen) ihre (der
Braut) Mutter das Weihwasser beiden, und
dann gehen sie in die Kirche. Während sie
in der Kirche sind, ist der ein und andere
bereit, auf dem Platze zu schiessen.
Die Kleidung der Brautleute bietet nichts Besonderes; es wird das
Festtag'sgewand getragen, welches an anderer Stelle erwähnt werden soll.
Die Braut trägt nicht Kranz und weisse Schürze, wie bei den Hochzeiten
auf dem Lande in Deutschtirol.
51. As d'a spusa an tä' von hçasat
hat a swarzas gawánt, wil-'s mCianan, sa
hä'm kúa galük. (Z. 13,)
Wenn eine Braut am Hochzeittag ein
schwarzes Kleid anhat, bedeutet dies,
dass sie kein Glück haben.
1) slötarn = beim Waschen ringsum mit Wasser bespritzen, aus Übereilung oder
Unachtsamkeit Wasser verspritzen, nass machen.
Yon dem deutschen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol.
451
52. Bài-sa sain gamaxlt, kéarn-sa
badrum dá spúslaüt un ala dasein, bo-da
sain gant bet iman andar, un bó-da dar
wêga is das ÓKari^t^, vénan-sa borçatat
an zaù.
53. En zaù máxan-s'-an bet staiaan,
pdaman un als bäs-sa sain guat tu hëva
zuar, un darsél, bo-da vüart da spusa,
möxt áusneman an zaù un vórt-jukan als,
ús-sa mögn pasarn.
54. As-da-n-a spàsa slipft danidar
an täga, bó-s> maxlt, kö'n-sa, ke sa hat
kúa gal ük.
55. Déna gïan-sa an haus vò dar
spàsa z' ésa an vórmas, un déna stian-
ta se'm fin da drai.
Bei diesem Malile wird je nach den Yermögensverhältnissen gut und
reichlich aufgetischt. I3ie Art der Speisen bietet aber nichts Besonderes,
weil es dabei etwas vornehmer hergehen soll, also eigentlich lusernische
Küche ausgeschlossen wird. — Über die Nahrung der Luserner und die
Zubereitung und Namen der Speisen soll an anderer Stelle eingehendere
Erwähnung «'eschehen.
Sobald sie verbunden sind, kehren die
Brautleute und alle jene, die sie begleitet
hatten, wieder zurück, und wo der Weg
am engsten ist, finden sie den Zaun auf-
gerichtet.
Den Zaun macht man mit Stangen,
Baum(strünken) und allem, was man her-
beizuschaffen imstande ist, und der Braut-
führer muss den Zaun wegräumen und
alles fortwerfen, damit sie vorüber können.
Wenn eine Braut am Tage der Hoch-
zeit niederfällt, sagt man, sie habe kein
Gliick.
Sodann gehen sie in das Haus der
Braut, das Mittagmahl einzunehmen, und
bleiben dort bis drei Uhr.
5(>. Bal-'s is pala da drai, lëgn-sa-
;s> an wëga tu gïana huam, un bal-da
da spasa gríiast saina ladt, hëft-sa a to
gaüla, un da ándarn láxan-sa aus, un
déna gían-sa.
57. Bál-da sain dráiza latit ggan an
h^asat, stírbat úás vò dan-séln dráizan
vör-da aus is 's jär.
58. Bál-da-s> borátat a wítovar Ódar
a wítova, da kíndar un lai tíabas a
grçasa dîarn o miiggn-an na da fanan
un lásan net na, fin as-s'-an net gê'in
z' ésa un zo trínka.
5i). Bál-da da spu¡slaüt sain hóam
(an haus von spús), da spàsa möxt gían
vorána in pa tiir, un ai da tür vint-sa-
da an pésom un si möxt-an áuneman
un lëgn-an áf-ana sait, un déna möxt-
sa küsan ala daséln, bo-da sain an haus.
Déna sízan-sa-sa zo tis un ésan da tsaï.
60. Bài - sa hâ'm gest, snoan - sa un
trinkan un sain lusta fin spêt pa dar
naXt; déna da vraünt un da tseln gían
Wenn es bald drei Uhr ist, machen sie
sich auf den Weg heimzugehen, und wenn
die Braut von denlhrigenAbschied nimmt,
beginnt sie zu weinen, und die andern
lachen sie aus, und dann gehen sie.
Wenn dreizehn Personen bei einer
Hochzeit sind, stirbt eines dieser drei-
zehn im Laufe eines Jahres.
Wenn ein Witwer oder eine Witwe
heiratet, schlagen die Kinder und wohl
auch manches erwachsene Mädchen auf
Pfannen und hören (damit) nicht auf.
bis dass sie ihnen zu essen und zu
trinken geben.
Wenn die Brautleute heim (im Hause
des Bräutigams) sind, muss die Braut vor-
aus zur Thür hineingehen, und an der
Thür findet sie einen Besen, und sie muss
ihn aufheben und ihn irgendwohin stellen,
und dann muss sie alle jene küssen, die
im Hause sind. Sodann setzen sie sich
zu Tische und essen das Nachmahl.
Wenn sie gegessen haben, singen sie
und trinken und sind fröhlich bis spät
in die Nacht hinein; sodann gehen die
452
Schukowitz:
húam, un cta spüslaüt gîan zo véna da
latit v5 dar spàsa, un déna kearn-sa
badrum húam.
61. Bài - da a naügas pär spüsan
gian in an a haus da éarst vart, möxan-
sa trêtn Óbar'-n pésom; alöra keman-s¿
net anstriart. (Z. 14.)
62. Das walasa gapet von spusan
hçast:
Vita, doltsésa quatórdase dsórni; a
tn speriamo fi©gge viviamo; misere noi:
débite e fiói!
63. As-da-n a spàsa hat an grças
zearn klüanar, bäs dan ándar nïdar na,
stéat-sa wítova pata.
64. As-da-n a waiba abazïagat 's
spúsgavirarat, dartrinkt-ar dar man.
65. Da éarst naxt, bo-da zwça juioa
boratate laüt gfan z' sláva, kü'n-sa, gge
das-sél, bo-da darlöst 's líaxt da-sél
naxt, stirbst petar.
Verwandten und Freunde heim, und die
Brautleute gehen, um die Angehörigen
der Braut zu besuchen, und dann kehren
sie wiederum heim.
Wenn ein neues Brautpaar das erste
Mal in ein Haus eintritt, müssen sie
über einen Besen schreiten ; dann werden
sie nicht verhext.
Das wälsche Gebet der Brautleute
lautet:
Leben, Süssigkeit vierzehn Tage; auf
dich hoffen wir, so lange wir leben; o
wir arme: Schulden und Kinder!
Wenn eine Gattin die grosse Zehe
kleiner hat, als die Nebenzehe, wird sie
bald Witwe.
Wenn ein Weib den Trauring abzieht
(abstreift), ertrinkt ihr der Mann.
Wenn in der ersten Nacht zwei junge
verheiratete Leute schlafen gehen, sagt
man, dass jenes (von beiden), welches
das Licht in derselben Nacht auslöscht,
früher stirbt.
66. Da éarstn wóxan dçpo gamäxlt Die ersten Wochen nach der Hochzeit
hçast-mâ-sa kútarwoxan. heisst man Flitterwochen (=Lachwochen).
Unterfennberg- bei Margreid (Südtirol).
(Fortsetzung folgt.)
Das Kellerreclit.
Mitgeteilt von Dr. Hans Schukowitz.
Die Herbergsitten und Gastgeberbräuche fussen in ihren ältesten
Traditionen. zum grossen Teile in den Dorfordnungen. Ich teile im
folgenden ein Kellerrecht vom Jahre 1614 mit. Es ist auf Pergament
geschrieben, in einen metallenen Rahmen gefasst und wurde bis in die
siebziger Jahre in den gräflich Kin sky sehen Kellereien zu Matzen im
Marchfeld aufbewahrt. Heute befindet sich das Manuskript in meinem
Besitze. Volkskundlich und sittengeschichtlich ist es von Wert, insofern
man hierin eine Quelle eines Teiles der noch heute im niederösterreichischen
Das Kellerrecht.
453
Weinland üblichen Winzersitten vor sich hat. Auch rechtsgeschichtlich
mag- es interessant erscheinen als volkstümlicher Kommentar zn den alten
„Wirtsgesetzen" und „Schankknechtordnungen". (Grimm, Deutsches Wörter-
buch, Bd. Y [von R. Hildebrand], Sp. 520 Kellerrecht: Recht und Gewohnheit
eines öffentlichen, herrschaftlichen Kellers.)
Keler- Recht,
So durch Schickhung Gotts des Allmächtigen und durch Rathschluss der welt-
lichen Oberkhaiten ist festgesetzet und angeordet worden und allhir in der Herr-
schafft zu Mazzen in Nieder Ostreich zur Dafürhaltung ist ausgehänckht worden.
Darnach sein alldort, wo Moßth, Jungwein und Altwein aufbewahrt sein in Gebindt,
verwehrt und verbothen, wie folget: f f f
Zum Erst: Daß keins allhir sein Handt erhob zuin Schwur1) und sey es in puncto,
daß man die Wahrheit will beschwören oder sein ehrlich Gebahrung
testiren oder Khauff und Verkhauff miteinand abthue. Ewer Redt sey ja
und nein und wras darüber sey von Falsch! spricht der Her Jhesu. Und
Wahr ist allein im Wein und Lug und Trugh sein nit drein. Deßohn-
geacht sey es kein Widter Recht, so Eyns Handtschlag göb am Gebindt,
daß himit sein Mansehr woll bezeigen. Merk es wohl!
Zum Ander: Daß keins allhir Schlechts sin und redt allein oder mit andern. Der
algegenwertig Gott ist wahrhafft in dem Wunder Kelch des Altars und
hört and schawet Alls, so auch im ftnstern Keler geschiecht. Merk das
wohl !
Zum Dritt: Daß Eyns hir kein Wörtl lluech oder sakramentire weder bei Arbaith
noch bei Trunckh, sey es im Preßhoff2) beim Jungwein, sey es im Göhr-
haus3), sey es beim Altwein im Areckh4), noch im Weingeheg5). Gott
selbsten hat Brodt und Wein gesögnet und darumb ist die Ackhererd
geweihet und ihr Frucht gebenedeyt, so sie hervorbringet. Merkt das
wohl!
Zum Viert: Mög Nimandt Ungezucht treiben zwischen den Gebindt oder im
Halssen6). Ob Mans, ob Weibspersohn sein gleich strafffellig. Und sein
es ledtig Leyt, sollen sie mit Klöhrruthen7) gezüchtet oder was sonsten
zu Handten sein, geschlagen werden und gleich wie die räudtig Hundt
mag man sie austreiben. So der Herr Jhesu thatt mit den failschent
Judengezicht in sein hailig Thempl. Und so ein Manpersohn allhir ge-
braucht das ehlich Gemachl, seye ihr Frucht ohne Gesegen, wesgleich ihr
ehrenthugendthafft Ehgelöbnuß sey verwischet für all Gezeithen. Merks
wohl!
Zum Finfft: Soll alsamb ein jedt wißen, wie schandthafft es sey und schnödt, so
Eyns sich über Maßen besauffet, dass es den unvernunfftig Tir geleich,
das da kein Zyl khennet und Maaß. Wißt es, Unser göttlich Mayster
hab gehungert und gedurst. Merkt es wohl!
1) Vgl. Birlinger, Aus Schwaben 1874 II, 198. — 2) Preßhoff = Kelterraum. —
3) Göhrhaus = Vorkeller, Gärraum. — 4) Areckh = Kellernebenraum. — 5) Weingeheg =
Weingarten, Weinberg. — 6) Halssen = Kellerhals, Stiegengang des Kellers. — 7) Kleër-
= Weinsatz. Die Kleeruthe (Klörruthe) ist ein Kellerwerkzeug, mit dem die überflüssige
Weinhefe aus dem Passe gestrichen wird.
454
Schukowitz: Das Kellen-echt.
Zum Sechst: Daß den Kelher nimals Geitz und ander Gelüst bestricken. So Eyner
in Labtrunckh erbit, göb er ihm. Ein gastlich Wohlthatt gesögnet der
Almechtig Gott, daß Theurung, Mißerndt und Hungernoth fernbleibt. Und
wo imer Bluthsfreindt und Bekhennt zum gutt Trunckh beisamb sein,
mögen lustig und in Eren sie sein, fridlibendt, keins ohrblaßen, Zankh
und Pluech und Meineid wohl beiseytlaßen, unehrbar Gerödt weißlich
meiden. Sie sollen achtung han, wie Unser Her Jhesu friedsamb mit sein
Jünger das letzt Abendtmahl gegeßen. Merkt das wohl!
Zum Simbt: Hast ein theur Gasth, gib ihm ein gutt Trunckh und Sprech: Gesegne
es dir Gott und sein Hailing! Und verkürtz ihn nit, so er dir wohl be-
khennt und zu letz reich ihm von dein Best1) und Sprech: Löb, solang
mein Best gelobt! Nimals fall es aber ein Gast bei, so ihn die Neygird
peinigt, ohn vnbefuagt Erlaubnuß an frembd Gebindt zu klopfhen, weillen
er will wißen, was vol, was nit. Des beriembt sich kein honett Man
oder Weib. Merks wohl!
Zum Acht: Magst du nit jeden Gast ohn Unterschidt von all deinen Faß verkosten
lasen. Das zimbt nit, weckhst sonst Neidt und mißrath dir dein Baugueth.
Merks wohl!
Zum Newnt: Yerneidt aber nit dem Frembd ein Gasttrunckh, aulf daß nit Armen-
fluech dein Vih und Hausstandt vermidt2). Merk es wohl!
Zum Zehent: Sollst kein Stundt gestohlen Gutt in dein Keler verborgen halten.
Es ist ein Aaß und verpesth dein ehrlich Leib. Merk es wohl!
Zum Elfft: Nimb nit, so Naschsucht dich verfüren wil, von frembd Weinbern.
Gestohlen Wein vergifft ein lüstern Zung. Merks wohl!
Zum Zwölfft: So ein verfolgt Mensch fliht auf Weinbergrundt und Kelterbann3),
mag er Schutzrecht han und thu ihm nichts! Merks wohl!
Zum Dreizehent: Soll der Kelher fleißig Achtung haben, daß aljar der Sant Urbani
Trunckh gescheh4) und der Sant Johannes Mintrunckh in all Gebindt ein-
gegoßen wirdt5) und mag söhen, in puncto Gsundtkosthen6), daß nit
sonderlich vil vergaidt wirdt.
Zum Virzehent und Endt: Soll ein jedt Kelher und Pressjunkher behuetsamb sein
mit dißer edl Gottes Gab. Soll nit leicht die Benediction eines Pfaff
hindterlicb wegschüben, so ihm Genadt bringhet und Sögen. Soll sich
imer und jedter Zeyt den golden Spruch der hl. Schrifft vor Aug und
Sin halten, der also laut: Accipite et bibite ex eo omnes!7)
1) Den ältesten Wein nennt der niederösterreicliische Winzer seinen „Besten" und
pflegt hiervon bloss guten Freunden kosten zu lassen. (Mannersdorf, Pyrawarth, Hadres.)
2) Ein unter dem Winzervolke um Gumpoldskirclien bei Wien gebräuchliches
Sprüchwort lautet: Verneid 'n andern net's Glasl am Mund — Kriagst a feists Wamparl
— Bleibst pump ari g'sund!
3) Kelterbann = Bannkreis des Kelterraums.
4) Der heil. Bischof Urban ist Patron der Weinernte. An seinein Tage (25. Mai)
wird dem Hausgesinde ein doppelter Festschoppen vorgesetzt. (Um Matzen und Horn.)
5) Am Festtag des hl. Johannes (27. Dezember) pflegt die Kirche Wein zu weihen,
wovon der Landmann teils dem Hausgesinde verkosten lässt, teils in jedes Fass des
Kellers giesst. Über Johannissegen, Minnetrunk siehe: Birlinger, Augsburg. Wörterbuch,
München 1864, S. 419f. Schmeller, Bayer. Wörterbuch l2, 1206. 1617.
6) Des Gastes erster Trunk gilt dem Wirt als „G'sundtrunk", des Wirtes letzter als
„Gsundtruuk" des Gastes. (Regel im n.-österr. Weinlande.)
7) Matth. XXVI, 27. Es gilt als hohe Ehre, der Kirche den Messwein spenden zu
dürfen. (Stillfried.i
Höfler: Die Hedwig-Sohlen.
455
Der liebe gethreue Gott, der verleihe und göbe durch Christum Jhesum, Unsern
ainigen Erlößer und Seeligmacher, sein göttlich Hülff und Genadt, daß al, die diß
Keller Recht lesen und wohl verstehn, gewißendtlich darnach sich kheren und
Zeytt des Löbens befolgen, so recht und sittig ist. Amen, f 7 7
Mazzen am Set. Johannis Bapt. Tag im 1614 Jar.
Graz in Steiermark.
Die Hedwig-Sohlen.
Von Dr. Max Höfler.
(Mit Tafel VI.)
Eines der interessanteren volkstümlichen Gebildbrote ist das in Breslau,
Geisse, Trebnitz und anderen schlesisclien Orten für den 17. Oktober, den
Tag der heil. Hedwig, gebackene und von den Pilgern zum Grabe dieser
Heiligen in Trebnitz gekaufte Gebäck „Strumpf-Sohlen", auch „Heclwigs-
Solilen" genannt, dessen Abbildung (Fig. 1—4) beigegeben ist. Die heil.
Hedwig1), welche häufig barfüssig mit einem Paar Schuhe in der Hand
abgebildet wird, starb 1243 als Herzogin von Schlesien. ÏJacli ihrer
Legende soll sie dieses Sohlengebäck in Breslau als Armenspende gestiftet
haben2), welches heute den Sonntagsbissen der ärmeren Bevölkerung in
Trebnitz und in der Grafschaft Glaz bildet. Es ist dies ein flaches, zäli-
teigiges, fettes Hefenteig-, auch Honigteig-Gebilde, welches die Form einer
fussblattartig abgeschnittenen Schuhsohle oder eines ausgetretenen Frauen-
strumpfes hat.
Bei den volksüblicken Gebildbroten vereinigen sich nun nicht selten
zwei sonst selbständige Opferformen; dieses Gebäck wird die Um-
wechselung oder Ablösung einer älteren Schuhsohlen spende in natura
sein, in Vereinigung mit einem Brotopfer (Opferfladen). Dass es sich
dabei um ein herkömmliches Totenopfer handeln dürfte, erhellt wohl aus
verschiedenen Momenten. Vor allem wallfahren die Pilger zum „Grabe"
4 der Heiligen; weiterhin fällt der Heiligentag zwischen St. Michael, der
germanischen Totenfeier (s. Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde 1901, S. 193)
und Allerheiligen, der christlichen Totenfeier. So wie man die Fischzinse
in Brot-Zinsfischen abtrug, so konnte auch eine ältere Sohlenspende auch
einmal in der Form eines Sohlen-Gebildbrotes an die Armen erfolgen.
1) Der Wirksamkeitsglauben, der an verschiedenen schlesischen Hedwigs-Brunnen
haftet, hat wohl seinen Ursprung im Seelenkulte. Die hl. Hedwig übernahm als Kalender-
heilige viele Volksgebräuche des schlesischen Volkes, namentlich aus der Zeit der herbst-
lichen Totenfeier.
2) Die in den „Bildern der Hedwigslegende" von Wolfskron 184G abgebildeten Spende-
brote zeigen diese Sohlenform nicht.
456
Höfler:
Die meisteil älteren Armen spenden1) aber knüpfen sich an den Allerseelen-
oder Totenkult an (Hoineyer, Der Dreissigste 1864 S. 138. 159), und gewiss
bestand in frühesten Zeiten schon die Tendenz, ältere, heidnische Toten-
opfer und Beigaben ins Grab in irgend einer Form abzulösen und in eine
christliche mildthätige Art umzuwandeln unter symbolisierender Beibehaltung
der ursprünglichen äusseren Form. Solche Umwandlungen von Opfergaben
in solche aus Teig sind ebenso häufig wie die in Wachs oder Eisen. Bei
Armenspenden, die, wie gesagt, sehr häufig mit dem Toten- (Armeseelen-)
Kulte zusammenhängen, ist die Umwandlung einer herkömmlichen Opfer-
gabe in eine solche aus Brotteig ohnehin sehr naheliegend und begründet.
Dass aber Schuhe eine Armenspende waren, erhellt aus einer Testaments-
verfügung vom Jahre 1554, wonach die Kirchengeschworenen zu Hamburg
bei St. Peter sollen „alle jar jegen Michaeli (also zur Zeit der germanischen
Totenfeier) vor teyn marck Lübsch (lübeckscher) jarlicher rentlie gades-
schoe (Gottesschuhe) mit enckelen salen, wo tho Hamborch gewontlich,
so vele man dar thor tydt darvor kopen kan, bestellen und maken lathen"
(Schiller-Liibben II, 129). Auch in Basel fand am St. Lukastage, ebenfalls
in der Zeit der herbstlichen germanischen Totenfeier, eine Spende der
Lukas-Schuhe an die armen Schüler statt (Schweizer Idiotikon III, 1254).
Was einstmals dem heidnischen Toten gebührte oder gegeben wurde, er-
hielten später die armen Seelen oder die Armen zur irdischen Leibesnot-
durft. Jedenfalls ist die Spende wirklicher Schuhsohlen an die Armen an
anderen Orten bevorzugt. — Nun heisst iin Hennebergischen das Trauer-
oder Totenmahl noch der Totenschuh, wenn auch ohne Schuhspende, so
doch sicher in Erinnerung an das alte, beim Tode gebräuchliche Opfer
von Schuhen. Der Brauch war allgemein in Deutschland und auch bei
den germanischen Völkern, dass man dem Toten Schuhe anzog; namentlich
bei den Wöchnerinnen sollte man dies nie unterlassen; wenn sie nach
ihrem Tode „wandeln" miissten, sollte ihnen das Schulizeug zur Erleichterung
dienen. Die ältesten Gräberfunde lehren, dass man den männlichen Toten
nicht nur Waffen, Werkzeuge, Schmucksachen, Trinkhörner, sondern auch
Kämme und Schuhe, den weiblichen auch Fäden und Schuhe mit ins Grab
gab; dies war ein eigener Totenschuh, der im Altnordischen den Namen
helskór hatte (Golther, Germ. Myth. 92). In Stargardt wurde derselbe (neben
Bürsten, Kamm, Brot und einem unter das Kinn gelegten Rasen heimischer
Erde) dem Toten noch lange in den Sarg gelegt. In der Oberpfalz erhält
die Leiche ebenfalls Schuhe, „damit die Seele Ruhe habe und nicht wieder-
kehre". Stirbt eine Frau (Lütolf, Sagen aus den fünf Orten 1865, S. 551)
im Kindbette, so kommt sie als Geist allnächtlich 6 Wochen lang, um ihr
Kindlein zu pflegen; darum soll man der Leiche Schuhe anziehen, damit die
Verstorbene auf ihren Besuchen nicht barfuss gehen müsse. In Stöbers Sagen
•des Elsasses 1, 93. 143 (1892) klagt die verstorbene Wöchnerin: „Warum
1) XI. Jahrb. eleemosj'nae pro victu pauperum, in pauperum recreatione (Homejer 111).
Die Hedwig-Sohlen.
457
habt Ihr mir keine Schuhe angelegt? Ich muss durch Disteln und Dornen
und über spitzige Steine" (Rochholz, Alemann. Kinderlied 354). Auch im
Aargau ist es Glaube, dass man einer verstorbenen Wöchnerin ein Paar Schuhe
in den Sarg geben muss, damit sie den Weg zu ihrem Kinde wiederfinde
(ebenda 854). Der englische Aberglaube besagt: „Einmal im Leben muss
man einem Armen ein Paar Schuhe schenken; denn sonst muss man nach
dem Tode über einen weiten dornbewachsenen Raum gehen; hat man
aber jenes gethan, so wird einem am Rand der Strecke ein alter Mann
begegnen, welcher einen Schuh bringen wird, so dass man unverletzt dar-
über fortkommen mag." Der Schuh, den jener einmal im Leben beschenkte
Arme seinem Wohlthäter im Todesthal wiederbringt, ist beschrieben in
der Visio Godeschalci (Haupts Zeitschr. IX, 181). Solcherlei Schuhe sind
deshalb eisenbeschlagen. Müllenhoff (Altertumskunde V, 114) bringt das
erste litterarische Zeugnis (1189) für den aus England früher schon be-
kannten, später auch sonst im deutschen Volksglauben nachgewiesenen
Totenschuh: in einer Sage wird eine überaus breite und anmutige Linde
erwähnt, welche über und über mit Schuhen behangen war, die denjenigen
gereicht wurden, die im Leben Barmherzigkeit geübt hatten, um mittels
der Schuhe eine 2 Meilen weite, mit Dornen dicht besetzte Heide zu
passieren.*)
In den Alamannen - Gräbern auf dem Totenfelde von Oberflacht am
(württembergischen) Lupfen (O.-A. Tuttlingen) fand sich ausser den San-
dalenriemen bei manchen Leichen auf jeder Seite je ein Holzfuss in Form
eines Leistens. Diese hölzernen nachgemachten Glieder waren der Zoll
für den Fährmann oder auf der Totenbrücke, oder an der Hellapforte für
den höllischen Thorwärtl, der diese Lösemittel für die leiblichen Glieder,
die sonst verfallen gewesen waren, in Empfang nehmen sollte (Historische
Jahrbücher f. d. Rheinland XXXII, 95). Nach Weinhold (Altnord. Leben
423) waren die altgermanischen Schuhe aus einem Stück ungegerbten
Leders, das mit Riemen über dem Fusse zusammengehalten ward, die
durch Löcher längs des Fussblattes gezogen wurden, der Schuh war ohne
besondere Sohle. Sitte war es, dass vor dem Schlüsse des Grabhügels ein
Nächstverwandter noch hineinging und dem Toten den neuen und derben
Hel-Schuh festband, auf dem er ins Reich der Hella wandern sollte
(Weinhold, Totenbestattung, Anm. 1). (Ausführlicheres über den Toten-
schuli siehe Sartori in der Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde 1894, S. 422.)
Dieser altgermanische Hell-Schuh verwandelte sich unter dem Einflüsse
des Christentums in Schuhspenden und diese wieder in eine Brotspende
in der Gestalt einer Schuhsohle. In den Deutschen Sagen (von Grimm I
No. 238. 236) werden darum auch Kindern Schuhe von Brot angelegt.
1) Vielleicht sind die blutfarbenen Fussspuren der heil. Hedwig, wie sie in den
..Bildern der Hedwigslegende" von Wolfskron abgebildet sind, eine in die Hedwigslegende
übernommene Erinnerung an diese Vorstellung einer beschwerlichen Seelen Wanderung.
458
Höfler: Die Hedwig-Sohlen.
Diese Vereinigung mehrerer Totenopfer (Brot -j- Schuh, Brot -j- Schmuck,
Brot -f Haaropfer, Brot Trunknapf etc.) zu einem Gebildbrote findet
sich, wie erwähnt, öfter. — Es ist ferner höchst wahrscheinlich, dass sich
die Fussschuhe in Handschuhe umwandelten. Nach Rochliolz (Alem.
Kinderlied 353) geschieht es im Aargau noch, dass bei Sterbefällen die
hauptsächlichsten Leichenbegleiter von Seite der Leidtragenden mit Hand-
schuhen beschenkt werden. Auch im Bergischen (Monatsschrift des berg.
Geschichts-Vereins 1894, S. 131. 165) erhalten die Leichenträger Handschuhe.
Im Aargau kauft der Taufpate auch Taufhandschuhe aus Lebkuchenteig
(Alem. Kinderlied 353). Allerdings finden sich auch sonst Handschuhe als
Neujahrsgeschenk (Handgift) [1508, 1512] (Mones Zs. II, 188. 189), doch
sind dies dann mehr ünterthänigkeitszeichen (Schweiz. Archiv f. Volks-
kunde II, 121). Unter den Lebkuchen-Modeln in Oberbayern finden sich
nicht selten auch solche, die Handschuhe vorstellen; allerdings sind solche
Handschuh-Gebäcke nicht mehr an die Seelen-Kultzeit gebunden, wTerden
aber dies wahrscheinlich früher gewesen sein.
Schliesslich muss noch betont werden, dass es auch an anderen Orten
Gebäcke giebt, die den schlesischen Schuhsohlen ganz ähnlich sind, aber
vom Volke anders benannt werden, z. B. in Mainz: Ohrfeige (Fig. 9),
weil wie von einer flachen Platthand breit geschlagen; in Hamburg: Harter
Kuchen (Fig. 8), der sich etwas dem rautenförmigen Mainzer Hartkuchen
(Fig. 6) in der äusseren Form nähert; in Südholland: .Dorische Zool (Fig. 5),
ein brauner, flacher, spröder, blätternder Honigkuchen in Sohlenform; im
Elsass: die etwas länglicher gestreckten, aber auch sohlenartig flachen,
gezacktrandigen Ochsenzungen (Fig. 13), die auch sonst in Süddeutschland
„Zungen" heissen; in Holland: Arnheemsche Meisjes (Fig. 1*2), ein sohlen-
artig flaches, kleines Butterteiggebäck mit Zucker bestreut. Die schwä-
bischen „AViebele" (Fig. 11), die im Holsteinschen Geduldskuchen (Patience-
Gebäck) heissen, sind kleinste Miniatursohlen, die in Mecklenburg in der
That Schuhsohlen, in Wiesbaden Schiihchen oder Pantöffelchen (Fig. 10)
genannt werden; selbst das Hamburger Judasohr (Fig. 7), ein sohlen-
artig flaches, mehr rundes Gründonnerstag-Gebäck, hat Ähnlichkeit mit
Schuhsohlen, nur unterscheidet ein spitzdreieckiger Keilschnitt am sonst
runderen Rande (oder ein Einriss) das Judasohr vom schlesischen Sohlen-
gebäck; auch der Würzburger Michaelsweck hat Sohlenform.
Bei der Hartnäckigkeit, mit der gerade die Opferbeigaben beim Toten-
kulte sich erhalten haben, ist es höchst wahrscheinlich, dass sich auch
der germanische Totenschuh im Volksbrauche forterhielt; seine Umwandlung
in ein Gebildbrot ist eine naheliegende Folge der allgemeinen Tendenz
zur Ablösung der früheren Opfergaben in natura.
Bad Tölz.
Adler: Kleine Mitteilungen.
459
Kleine Mitteilungen.
Zwei Volkslieder aus dem Geiselthal bei Merseburg1.
In dein geschriebenen Liederhefte eines Zützschdorfer Mädchens1) fand ich
nachstehendes Lied; als besonderen Vorzug' pries die Schreiberin, dass es zum
Unterschied von den anderen 'wahr' sei. Eine Umfrage ergab, dass es in dem
Gebiet zwischen Auerstedt, Sulza, Kösen, Naumburg, Weissenfeis und dem Geisel-
thal sowie Freiburg a. U. bekannt und — nach der Melodie: Seht ihr drei Rosse
vor dem Wagen — viel gesungen ist. Ich veröffentliche es — zugleich als ein
schönes Beispiel, wie Volkslieder entstehen und weiter leben und durch ihr
Weiterleben die Kunde von Ereignissen bewahren, die in den strengen Akten er-
loschen ist.
1.
Hört, Jung'fraun, welch' ein Sclireckenskunde,
Die sich zutrug in unsrer Stadt,
Von einem falschen Liebesbunde,
Den falsche Lieb gestiftet hat.2)
2.
Ein Mädchen, noch so jung an Jahren3),
Verführt durch Männerschmeichelei4),
Sie hatte bei sich selbst erfahren
Und wusste, dass sie Mutter sei.5)
Den ganzen Tag rang sie die Hände
Und sprach: „Ach Gott, verlass mich nicht!-'
Weil ihre eigne Schuld sie kränkte —
Sie suchte Ruh und fand sie nicht.6)
4.
Vom Mutterherzen ganz Verstössen,
Ging sie eins Tages7) mittags aus;
Sie hatte bei sich selbst beschlossen,
Nicht wiederzukehren ins Yater(Eltern)haus.
5.
Von Sulza ging sie bis nach Kösen8)
Und bei Schulpforta auf die Bahn,
Sie thät ihr Haupt auf Schienen legen,
Weil eben der Zug von Naumburg kam.9)
6.
Die Schaffner hatten sie (hatten's längst) ge-
Sie bremsten mit gewalt'ger Hand, [sehen,
Allein der Zug, der blieb nicht stehen,
Ihr Haupt10) rollt (sank) blutrot in den Sand.
7.
Die Schüler von Schulpforta haben,
Weil niemand sie gekennet hat,
Aus Mitleid sie so schön begraben,
Gott lohne ihre edle That.
Ach Gott vergieb ihr ihre Sünden,
Die weil sie die Verzweiflung trieb,
Ihr war das Glück nicht mehr beschieden,
Ihr Avollten Rosen nicht mehr blühn.u)
1) Näheres darüber: Adler, Volks- und Kinderlieder, Programm der Latina zu Halle
1901, S. 15, Anm. 2.
2) In einigen Niederschriften fehlt die Strophe. Die beiden letzten Zeilen lauten
auch: 'Man fühlte tief, aus Herzensgrunde, — Was falsche Lieb' gestiftet hat', oder:
'Nehmt es zu Herzen tief zu Grunde, — Was . . .'
3) Ein Mädchen in den schönsten Jahren.
4) Verführt durch eines Jünglings Hand.
5) Sie hatte in sich selbst erfahren — Was falsche Lieb für Folgen hat.
6) Zeile 2 und 4 werden umgestellt.
7) Eines Sonntags oder des Donnerstags mittags.
8) Sie ging von Naumburg aus nach K. — Und so ging sie fort von Kösen (von jedem).
9) Wart't, bis der Zug von Naumburg kam.
10) Und Annas Haupt rollt in den Sand.
11) Strophe 8 fehlt in den meisten Niederschriften, ist daher vielleicht spätere Zuthat.
460
Adler und Schütte:
So das Lied. Da nun die Bahn erst am 19. Dezember 1846 dem Verkehr
übergeben ist, so schien es mir nicht unmöglich, den historischen Gehalt des
Liedes zu ergründen. Ich wendete mich also zunächst an den Direktor von Schul-
pforta, Herrn Prof. Dr. Muff, und seinem liebenswürdigen Entgegenkommen, sowie
den freundlichen Bemühungen des Herrn Redakteurs K. Schöppe in Naumburg
verdanke ich die erlangte Auskunft.1)
Zunächst fand sich weder in den Akten der Staatsanwaltschaft etwas über den
Fall — derartige werden nicht so lange aufgehoben, sodann wusste man auch in
Pforta nichts von dem Begräbnis. Dagegen gaben Leute, die den Fall erlebt hatten,
folgende Kunde: Vor etwa 32 Jahren nahm sich ein junges Mädchen Marie S . . .
aus Bergsulza (Verwandte und Jugendfreundinnen von ihr leben noch) auf die
angegebene Art das Leben. Sie war das Opfer eines Mannes geworden, der ihr
verschwiegen hatte, dass er verheiratet war.
Auch den Verfasser des Liedes gelang es ausfindig zu machen. Vermutungs-
weise ward der Kantor von Sulza genannt. Herr Lehrer Faust in Auerstedt ver-
mochte dann aber als Verfasserin eine Bäuerin aus Auerstedt festzustellen, Frau
Schlegel.
Wir erhalten also folgenden Vorgang: Die Verzweiflungsthat eines betrogenen
Mädchens hat die Gegend erregt, vielleicht um so mehr, als der gewissenlose Ver-
führer unter den Leuten lebte. Schliesslich fand sich jemand, hier eine Frau aus
dem Volke, die die Geschichte nach einer vielgesungenen Weise in Verse brachte.
So drang das Lied über den engeren Kreis hinaus und erhielt einen gewissen
Nimbus dadurch, dass man sich mit geheimem Gruseln zuraunen konnte: „Das
Lied ist aber wahr." Je weiter es sich jedoch vom Schauplatz der That entfernte,
und je mehr Zeit seit der That verstrich, um so mehr zersetzte sich der Sang'.
Gab er anfangs den Tag der That, so ward die Angabe nachher unsicher und an
manchen Stellen singt man nur noch „eines Tages". War zunächst der Weg der
Unglücklichen von Sulza über Kösen in die Pfortaer Gegend genau bestimmt, so
schwand der Name von Sulza, an einigen Orten verdrängt durch das später zu
nennende Naumburg, anderwärts ohne Ersatz. Kösen hielt sich meist durch seine
Stelle im Reim, doch auch dieser Name ward zu „jedem" missverstanden.
Schliesslich drang — wohl aus anderen vielgesungenen Liedein — in Strophe 6
der Name Anna ein, der richtige ist ja Marie. Natürlich traten auch alle anderen
Änderungen ein, die mündliche Überlieferung mit sich bringt. Nicht alle Strophen
werden überall gesungen, Zeilen werden umgestellt, Worte geändert. So berichtet
das Lied von dem Unglück weiter, während die amtlichen Aufzeichnungen ver-
stummt sind.
Diesem Liede füge ich aus derselben Quelle ein zweites derselben Art bei,
ohne dass ich hier zur Erläuterung- das Geringste hätte thun können.
1. Ich liab sie treu geliebet
2 Jahr in stille(r Freud?2),
Und keine Stund betrübet
War ich an ihrer Seit.
2. Ich ward vou ihr gerissen
Zum Dienst fürs Vaterland,
Sie schwur mir unter Küssen
Treu Lieb' in jedem Land.
3. Von ihrem schönen Haupte
Schnitt sie ein Lockenhaar,
Ich trug's an meinem Herzen
Ein und ein halbes Jahr.
4. Doch ach, sie liess sich blenden
Trotz Schwur und Druck der Hand,
Sie that ihr Herz verschenken,
Das mir einst zugewandt.
1) Beiden Herren möchte ich auch hier meinen herzlichen Dank aussprechen.
2) Fehlt in der Niederschrift.
Kleine Mitteilungen.
461
5. Doch ach, das Schicksal wollte,
Ich sollt' sie wiedersehn:
Zur Landwehr musst ich wieder
Zurück nach Erfurt gehn.
6. Da hab ich sie gesprochen
In einem Gastwirtshaus,
Sie aber stellt sich spröde
Und ging zur Thür hinaus.
7. JDas hat mich tief gekränket,
Ich fasste den Entschluss,
Mein Leben gleich zu enden
Mit ihr durch einen Schuss.
S. Drauf hab ich sie ermordet
Wohl in der Augustastrass,
's war um die zwölfte Stunde,
Und ich ward leichenblass.
9. Jetzt kam sie angegangen,
Blutrot war ihr Gesicht,
Ich legte an mit Bangen,
Doch zittern that ich nicht.
10. Da sank sie schwer getroffen,
Geschossen durch die Brust,
Sie wollte gerne sprecheu,
Ihr war nicht mehr bewusst.
11. Ich wollte gerne sterben,
Mit ihr so gern vereint;
Wie glücklich war1) die Stunde,
Die ich nun oft beweint.
12. Ich wurde arretieret,
Zur Stadthauptwach gebracht,
Den Berg hinabgeführet,
Und streng wurd' ich bewacht.
13. Die ich nur so geliebet,
Wie sonst ein Jüngling kann,
Nur sie hab' ich geliebet,
Luise Hagemann.
14. Yor nichts ich dann erschrecke,
Wenn so mein Ende sei,
Es stirbt Karl Gottfried Möcke
Den Tod für Lieb und Treu.
Halle a. S.
M. Adler.
Braunschweigische Abzählverse.2)
Auf dem Berge Sinai
Sass der Schneider Kikeriki,
Seine Frau, die alte Grete,
Sass auf dem Berge und nähte.
Jenichen, Dienichen,
Zuck errosin echen,
Kling klang aus.
Un jerantje deutinat,
Ule par du kindinat,
Ober formi lakkida,
Uler muler jon,
Da kam ein Dieb larron,
Wollt mir stehlen meinen Kessel chaudron,
Da nahm ich den Stock baton
Und schlug den Dieb larron
Aus meinem Haus maison.3)
Elleren, helleren,
Sack vull Teil eren,
Knippele knappele bautz.
Braunschweig.
Eins, zwei, drei,
Krischan legt en Ei,
Krischan legt en Puterei,
Eins, zwei, drei.
Eins, zwei, drei,
Lischelaschelei,
Lischelasche Abendbrot,
24 Kinder tot,
Enne wenne weg.
Kreie satt am Wëwenne,
Woll ut miner Bibel lesen,
Kamm de Bock un namm se weg,
Draug se hen na Königs Dör,
König säe hi hop
Mändopp
S äff ej an
Morgen saste Vadder stân. .
Ene dene deck,
Du bist weg.
Otto Schütte.
1) In der Handschrift war.
2) Ygl. R. Andree, Braunschweiger Volkskunde 1896 S. 821.
3) Mit diesem teilweisen Kauderwelsch wurde vor 40 Jahren in Braunschweig viel
abgezählt.
462
Schütte, Lewy und Ilwof:
Drohung und Verspottung beim Versagen einer Bitte.
Während die Kinder der alten Griechen, wenn sie bei der Rückkehr der
Schwalbe ihr Liedchen sangen und eine Gabe heischten, beim Yersagen ihrer
Bitte mit Worten drohten, denen man anmerkte, dass sie nicht ernst gemeint
waren und sich gleichsam entschuldigten, dass sie ja Kinder seien, sind unsere
Jungen gröber und ausfallender in ihren Aussprüchen. Wird den zu Neujahr um-
singenden Kindern in Schöningen keine Gabe gegeben, so rufen sie wohl:
„Dill Dill Dill
Un wenn se mik nist geben willt,
Sau schit ik op en Süll."
Und in Braunschweig riefen sie früher beim Martensingen:
„Marten Marten hille,
Dat Kind sitt up en Sülle,
Et hat den Arsch wit opedân,
Da könnt se alle rindergân."
Natürlich alle die, die der Bitte um eine Gabe nicht entsprochen hatten.
Braunschweig. Otto Schütte.
Erziehung zur Aufmerksamkeit.
Das Volk, das sich meist derb ausdrückt, sucht auch in derber Weise seine
Mitmenschen zum Aufpassen zu erziehen. Hat jemand aus Unaufmerksamkeit
etwas nicht verstanden und fragt „wat?", so bekommt er die Antwort: „Watte
nich, Bomwulle" oder „Water is kein Beir". Sagt er „ik dachte", so muss er
hören: „Dachte (Dochte) sind keine Lichte" oder es wird ihm erwidert: „Denken
daut de Puter, klauke Lüe, dë wett datt all." Solche Erwiderungen zu hören ist
unangenehm, der Mensch wird aber dadurch zur Aufmerksamkeit erzogen.
Braunschweig. Otto Schütte.
Das Vogelnest im Alberglauben.
Herr Prof. Dr. G. Hertel erwähnt (unsere Zeitschrift für Volkskunde XI, 279)
nach einer dem Ende des 15. Jahrhunderts angehörenden Handschrift als Beispiel
dafür, dass auch gefundene Sachen abergläubische Bedeutung haben, folgendes:
„Wenn man ein Vogelnest findet, die Mutter weglliegen lässt, die Jungen aber
behält, so bringt dies Glück, und ein solcher wird lange leben "
Dieser Aberglaube beruht offenbar auf einer Bibelstelle, und nicht das
Finden des Nestes oder das Behalten der Jungen ist die Hauptsache, sondern das
Fliegenlassen der Mutter. Im Deuteronomium XXLI, 6 findet sich das Gebot:
„Wenn ein Vogelnest sich vor dir findet auf dem Wege, auf irgend einem Baume
oder auf der Erde, Küchlein oder Eier, und die Mutter ruht auf den Küchlein
oder auf den Eiern, so sollst du nicht die Mutter auf den Jungen nehmen.
Fliegen lassen sollst du die Mutter, die Jungen aber darfst du dir nehmen, auf
dass es dir wohlgehe und du lange lebest." Die Verheissung am Schlüsse
findet sich nur noch bei einem einzigen anderen Gebote im ganzen Pentateuch:
„Ehre deinen Vater und deine Mutter!" (Deut. V, 1(>). Und diese Thatsache spricht
für die Auffassung (S. R. Hirsch, Der Pentateuch V, 323f.; Dillmann, Num. Deut,
u. Jos.2 343), dass die Vogelmutter deshalb vom Gesetze geschützt wird, weil sie
in der Erfüllung ihrer Mutteraufgabe begriffen ist.
Kleine Mitteilungen.
Möglicherweise ist desselben Ursprungs der in der anderen, gleichzeitigen
Handschrift erwähnte Aberglaube (entlehnt aus dem Tractatus de fide et legibus
Wilhelmi . . . Parisiensis, Zeitschrift für Volkskunde XI, 277): „Wenn einer ein
Nest findet mit dem brütenden Weibchen oder mit Jungen und es bei sich ver-
wahrt, von dessen Hause wird Fruchtbarkeit und Überfluss niemals weichen "
Mülhausen im Elsass. Heinrich Lewy.
Volkstümliches aus Jonathan Swift.
1. Ein beliebtes Kinderspiel ist in Steiermark das „Anmäuerln". Zwei Knaben
werfen kleine Münzen an eine Mauer — daher der Name — und je nachdem die
Münze auf Kopf oder Schrift auffällt, hat ihr Eigentümer gewonnen oder verloren.
Ein ähnliches Spiel war in England im 17. und 18. Jahrhundert gäng und gäbe.
Der grosse Satiriker und Humorist Jonathan Swift schreibt in seinem „Versuch
über die heutige Erziehung" (mir liegt die Ubersetzung: „Satyrische und ernsthafte
Schriften von Dr. Jonathan Swift. Zürich bey Orell & Co. 1756" vor; die betreffende
Stelle II, 131—132): „Er (der hochadeliche junge Herr) weiss es schon von seiner
Amme, dass er grosse Reichtümer erben wird und nicht nötig hat, sich mit den
Büchern abzugeben. Diesen Unterricht vergisst er die Tage seines Lebens nicht;
und sein grösster Trost ist, wenn er sich etwan davonstehlen und mit dem Kammer-
diener, oder mit dem kleinen Mohren, oder sonst einem Dienstjungen, der sein
Günstling ist (wie er denn unfehlbar einen von diesen zu seinem vertrautesten
Herzensfreunde hat), um einen Pfenning spännen kann." Und in der Anmerkung
hierzu heisst es: „Das Spiel beste.l?¿ darin, dass man Pfenninge oder andere
JVÜirxßn et1!? ►.die Wand scÄiYigt und fortspringen lässt. Wer es so trifft, dass er des
andern seine mit den Fingern erspannen kann, der hat gewonnen." [Spengein bei
Rochholz, Alem. Kinderlied und Kinderspiel 1857 S. 427.]
2. In dem berühmten Märchen von der Tonne findet sich (in der oben
genannten Übersetzung III, 128—129) folgende Stelle: „Eine andere Entdeckung
aber, wodurch er (Lord Peter = der Papst) gar sehr berühmt geworden, war seine
allgemeine Einpökelung (das Weihwasser). Denn da er bemerkt hatte, dass durch
die gewöhnliche Art einzupökeln, deren sich unsere Hausfrauen bedienen, weiter
nichts als Fleisch und einige Gattungen von Gewächsen vor der Fäulnis bewahrt
werden, so erfand Peter hingegen mit grossem Fleiss und vielen Kosten eine
Pökelbrübe für Häuser, Gärten, Städte, Männer, Weiber, Kinder und Vieh, darin
er diese Dinge ebenso frisch und gut erhalten konnte, als Insekten in Ambra.
Nun schien zwar diese Pökelbrühe in Ansehung des Geschmacks, Geruchs und
Ansehens von derjenigen gar nicht unterschieden zu sein, welche wir zur Ein-
salzung unseres Rindfleisches und unserer Hüringe gebrauchen (wie sie denn auch
wirklich gar öfters mit sehr gutem Erfolge hierzu ist angewendet worden), allein
in Ansehung ihrer ungemeinen Wirkungen war sie etwas ganz anderes; denn sobald
Peter nur eine Messerspitze voll von seinem Pulver Pimperlimpjn (die Konsekration
des Weihwassers, das sonst von dem gewöhnlichen Wasser nicht unterschieden ist)
hineinthat, so richtete er Wunderdinge damit aus. Die Operation geschah durch
das Besprengen, wobei man sich nach gewissen Mondsveränderungen richten musste.
ar es ein Haus, das man einpökelte, so konnte man sicher sein, dass es vor
Spinnen, Ratten und Wieseln verwahrt blieb. War es ein Hund, so hinderte,
dass er weder räudig, noch toll, noch hungrig ward. Ingleichen war es ein un-
fehlbares Mittel wider die Kräze und Läuse, heilte den Kindern die bösen Köpfe,
lind die Patienten konnten dabei ungehindert ihrem Berufe nachgehen, sei es bei
Tisch oder im Bette."
464:
Ilwof, Euling und Lemke:
Was Swift an dieser Steile in ziemlich boshafter Weise von dem Gebrauche
des geweihten Wassers bei den Katholiken vor zweihundert Jahren erzählt, trifft
heute noch zu. In den katholischen Kirchen (von den Alpenländern weiss ich es
aus eigener Anschauung) ist fast immer in der Nähe der grossen Thüre ein
hölzerner Kübel mit Weihwasser gefüllt. Die frommen Kirchengänger nehmen
häufig nach dem Sonntagsgottesdienste ein Fläschchen. desselben mit nach Hause,
füllen damit das Weihwassergefäss, welches daheim zunächst der Thüre hängt;
aus demselben besprengen sie sich die Stirne bei Aus- und Eingängen. Es wird
aber noch weiter benutzt. Wenn ein Haus neu erbaut ist, durchschreitet man
alle Räume und besprengt sie reichlich mit dem geweihten Wasser, um dadurch,
alles Böse abzuhalten; als besonders kräftig gilt das Wasser, welches an gewissen
Festtagen, zu Ostern, am Stephanitage (26. Dezember), und am heil. Dreikönigtage
geweiht wurde; von den zwei ersteren tragen die Landleute Krüge voll von der
Kirche nach Hause, um das ganze Jahr hindurch damit auszureichen. Mit dem-
selben werden die Felder besprengt, um gute Ernten zu erzielen; als Arznei wird
es den Menschen und den Haustieren, besonders dem Rindvieh eingegeben.
Kinder, welche an Ausschlägen auf dem Kopfe (an Grind) leiden, werden damit
bestrichen, um Heilung zu bringen. Wenn das Vieh zum erstenmale im Frühling
den Stall verlässt oder wenn es auf die Almen getrieben wird, wird es mit ge-
weihtem Wasser besprengt. In den „Rauchnächten", d. i. von Weihnacht bis
Dreikönig wird der ganze Bauernhof durchschritten, das Haus, der Stall, die
Tenne u. s. w.; voran geht ein Mann, mit einem Gefäss voll glühender Kohlen
mit Weihrauch, ihm folgt ein anderer mit dem Weihwassergefässe, und die ganze
übrige Familie macht den Schluss. Alle Räume werden eingeräuchert und mit
geweihtem Wasser besprengt. . , ......v ¿ —, ~
Graz in Steiermark. Franz Ilwof.
Zu Heinrich Itaufringer.
Bei meinen Bemerkungen über die zwölfte Novelle Heinrich Kaufringers
(Germanistische Abhandlungen XVIII, 84 ff.) ist mir eine wichtige Stelle der Ster-
zinger Spiele (hsg. von 0. Zingerle 1886) entgangen. Im 25. Stück: Die zween
Stenndt, Vers 1239 ff. hält der Pfarrer folgende Traurede:
Veni, kuiri her, Martine!
1240 da gib ich dir ain weib zu der ee
Vnd dir, Katrina, ein eliclin man
vnnd schlaß't bey ain ander wol vnd schon
Vnnd l'uert ain frolich lebeu.
von zehn farti muest es mir ains gebenn.
1245 Darauff sprecht bayd ja,
so gib ich enckh zusamen da
In nomine paters.
nimpt ers, so hat ers.
Got geb, das euch bayden wol geling!
Vers 1244 beweist allerdings noch nicht die Thatsächlichkeit jener Forderung,
aber wohl, dass die Vorstellung volkstümlich und dem Publikum geläufig war.
Dem Stoff des ersten Gedichtes 'Der Einsiedler und der Engel' hat nach Gaston
Paris die beste Behandlung Anton E. Schönbach, Mitteilungen aus altdeutschen
Handschriften, siebentes Stück (Sitzungsberichte der Kais. Akademie der Wissen-
schaften in Wien, phil.-hist. Klasse, Bd. 143, Wien 1901), S. 38ff. gewidmet. Von
Kleine Mitteilungen.
465
Wichtigkeit ist auch, was Schönbach S. 60f. über Kaufringers Verhältnis zu der
von ihm herausgegebenen Legende ausführt.
Merkwürdig ist es, dass der im 19. Gedichte Kaufringers (Studien S. 94) ver-
sificierte Vergleich der Welt mit dem Schachspiel eine alte orientalische Parallele
hat, wie ich Merx, Idee und Grundlinien einer allgemeinen Geschichte der Mystik,
akademische Festrede von Heidelberg 1892, S. 26 entnehme. Vergleiche Roethe
zu Reinmar von Zweter 150, 10.
Die Quelle des 20. Gedichtes 'Von den Vorsprechen' weist Edward Schroeder,
Quellen und Parallelen zu Boner (Zeitschr. für deutsches Altertum 44), S. 426 nach.
Weitere Verbreitung des Traktats von der frommen Müllerin (Kaufringer No. 17,
Studien S. 92 f.) ergiebt sich aus Köhler-Boltes Zusammenstellungen in Reinhold
Köhlers Kleineren Schriften 2, 39.3, und aus der Wolfenbiitteler Handschrift Aug.
30, 8. 4° (3345 von Heinemanns Katalog II, 4, 355), Blatt 240 ff. [Über die geist-
liche Hausmagd vgl. auch Singer, Zeitschr. f. dtsch. Altertum 45, 175. Priebsch,
Deutsche Handschriften in England 2, 8, No. 12. Eine dänische Bearbeitung in
Prosa in Svend Grundtvigs Nachlass 18 ist betitelt: iEre-Krands for Den Gud-
frygtige Tieneste-Pige Susanna. Hvorledes Eremiten blev af Engelen overbeviist
om, at Susanna var endnu fuldkomnere end han. Trykt dette Aar (um 1800)].
Das Motiv des fremden Kleides (Kaufringer No. 10, Studien S. 79) sprach
Uhland, Abhandlung über die deutschen Volkslieder 33, 221 als volksmässig an
(Schriften 3, 274. 372. HMS. 3, 43 a, 3). Auch der Witz des Bades (Studien
S. 39) ist volksmässig: Uhlands Volkslieder No. 287, 10.
Zu Kaufringer No. 8 vgl. Köhlers Kleinere Schriften 1, 393; zu No. 9 Köhler
3, 162; zu No. 6 Kpunr^oia. 7, 380; zu No. 13 das. 7, 26.
Zu Studien S. 58 Zarncke zum Narrenschilf 110, 13. S. 24 der Studien, Z. 14
wäre „der König vom Odenwald" mit Hinweis auf Schroeder, Archiv für Hessische
Geschichte und Altertumskunde N. F. III, 1, 12f. 92 in Anführungszeichen zu
setzen. Einige Druckfehler hat F. Piquet, Revue critique vom 29. April 1901,
No. 17, S. 335 verbessert.
Königsberg i. Pr. K. Euling.
Alexander Treichel -{*.
Am 4. August Ii>01 starb im fast vollendeten 64. Lebensjahre der unermüdliche
Forscher Alexander Treichel, der sich besonders um die Landeskunde seiner
heimatlichen Provinz Westpreussen dauernde Verdienste erworben hat, dessen
Arbeiten aber auch oft darüber hinausgingen und den Forschern anderwärts den
Weg zeigten. Zunächst war es ihm um das Heranschaffen des Materials zu thun;
er hat indessen gleichfalls nach verschiedenen Kichtungen hin kritisch gearbeitet
und in kleinen Monographien manche Frage nach Möglichkeit erschöpft. — Sein
Lebensweg, zum Teil im bewegten Treiben der Grossstadt und im Verkehr mit
vielen bedeutenden Männern, zum Teil auf dem Lande und in Verbindung mit dem
einfachen Volke, entsprach den verschiedenen Neigungen, die sich in A. T. ver-
einigten. Er war am 28. August 1837 in Alt-Paleschken, Kreis Berent, geboren,
besuchte das Gymnasium zu Neustettin (wo er eine noch bestehende, behördlich
anerkannte litterarische Schüler - Vereinigung — „Gedankenspahn" genannt —
gründete) und bezog nach 185!) abgelegtem Abiturientenexamen 1860 die Berliner
Universität. Hier studierte er zwar Jura und Cameralia, doch beschäftigten ihn
nicht minder Naturwissenschaften, Prähistorie und Volkskunde, denen er sich denn
auch nach einigen Jahren vollständig zuwandte. Nach Beendigung seiner Studien
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1901 32
Weinhold und Bartels:
verblieb er zunächst in Berlin, ein thätiges Mitglied, vieler Vereine; so war er
7 Jahre lang im Vorstände des botanischen Vereins der Mark Brandenburg. Auf
den Wunsch seiner Mutter siedelte er nach Westpreussen über, d. h. er übernahm
das seiner Mutter gehörende (ebenfalls im Kreise Berent gelegene) Gut Hoch-
Paleschken. Hier konnte er nun dem Volkstümlichen bis in die äussersten Winkel
nachgehen, und er empfand dabei die denkbar grösste Genugthuung. Prähistorie
und Botanik, Philatelia (seine B,iesen-Sammlung steht jetzt zum Verkauf) und
noch viel anderes wurden gleicher Weise unermüdlich gepflegt, dabei wurde ein
ungeheuer grosser Briefwechsel nicht vernachlässigt und jedem Anfragenden die weit-
gehendste Auskunft gegeben. A. T.s eigenartige Persönlichkeit und seine grosse
Liebenswürdigkeit werden ihm bei allen Freunden und Bekannten ein treues Ge-
denken sichern. Leider war das letzte Jahr seines Lebens von grausamen Qualen
erfüllt: er starb an völliger Erschöpfung, nachdem ihm — im Zusammenhang mit
Krebsleiden — 10 Monate vorher der ganze Kehlkopf entfernt worden war. — Von
seinen Arbeiten seien nur folgende hier genannt: Volkstümliches aus der Pflanzen-
welt; Volkslieder und Volksreime aus Westpreussen; Über die Pielchen- oder
Belltafel; Sprache zu und von Tieren; Das Beutnerrecht; Handwerksansprachen;
Armetill, Bibernell und andere Pestpflanzen; Hochzeitsgebräuche. — Eine grosse
Anzahl Manuskripte harrt noch der Veröffentlichung. E. Lemke.
Btteheraiizeigeii.
Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizer deutschen
Sprache. — Vierter Band. Bearbeitet yon A. Bachmann, R. Schocli,
H. Bruppacher, E. Schwyz.er, E. Hoffmann-Krayer. Frauenfeld, Verlag
von J. Huber, 1896—1901. 4°.
Mit EVeude begrüssen wir die Vollendung des 4. Bandes des grossen schweizer-
deutschen Wörterbuches, eines stattlichen Quartanten von 128 Bogen! Ursprünglich
hatten die wackeren Männer, die das Werk begannen, Fr. Staub und L. Tobler,
gemeint, den Umfang desselben auf das Mass berechnen zu können, das es jetzt
erreicht hat. Wenn es nun über Erwarten in die grössere Fülle sich ausdehnt, so
hat das einen für die deutschen Schweizer sehr rühmlichen Grund. Jedes neue
Heft weckt neue Sammellust, und so strömt denn unaufhörlich frischer Stoff herbei,
der den früher gesammelten fast verdoppelt hat.
Wir haben in unsrer Zeitschrift das Schweizerische Idiotikon von Anfang an
mit teilnehmendem Zuruf begleitet und den Reichtum nicht bloss des Materials,
sondern auch die Einsicht, Sorgfalt und wirtliche Ordnung der Arbeit zu loben
gehabt. Fast ist ein neues Geschlecht jetzt an der Arbeit, aber es ist das Vorbild
der Gründer durchaus von ihm fest in Ehren gehalten. So ist denn dieser vierte
Band eine treffliche Fortsetzung der Vorgänger, und getrost können wir schon jetzt
das Schweizerdeutsche Wörterbuch an die Spitze aller Dialektlexika unsrer Sprache
stellen; jedenfalls bleibt es nicht hinter dem vorzüglichen Bayrischen Wörterbuche
J. A. Schmellers zurück. K. Weinhold.
Bücheranzeigen.
467
Sebillot, Paul, Le Folklore des Pêcheurs (Les littératures populaires.
T. XLIII). Paris, J. Maisonneuve, 1901. XII, 389 S. 8°.
Das neue Buch von P. Sebillot behandelt vom Standpunkte des Volks-
forschers das Leben der Fischer mit seinen Bräuchen und Überlieferungen. Nicht
bloss die französischen Fischer werden geschildert, sondern auch die anderer
Länder, aber es begreift sich, dass, weil die Quellen für sie am reichsten ilossen,
die der Bretagne im Vordergründe stehen. — Das Buch zerfällt in drei Abschnitte:
I. Das Leben des Fischers von der Geburt bis zum Tode; Haus und häusliches
Leben; Kirchliche Bräuche und Feste. — II. Die Fischerei mit ihrem Aberglauben,
auch auf süssem Wasser Die Fahrten nach Neufundland und Island. — III. Sagen
der Fischer, Lieder, Spottnamen und dergl.
Das Buch enthält viel Interessantes und sei der Aufmerksamkeit empfohlen.
K. W.
Tiffaud, L'exercice illégal de la médecine dans le Bas-Poitou. Les toucheurs
et les guérisseurs. Thèse pour le doctorat en médecine. Paris 1899.
72 S. 8°.
Der Arerfasser macht uns mit verschiedenen Proben der Volksmedizin in der
ehemaligen Provinz Poitou bekannt, wie sie namentlich unter der ländlichen Be-
völkerung daselbst noch weit verbreitet sind. Die meisten sind sympathetischer
Natur und gewöhnlich verbunden mit kräftiger Besprechung. Es finden sich hierfür
vielerlei Vergleichungspunkte in verschiedenen anderen Ländern Europas. Ganz
besonders in Kraft und Ansehen zur Bekämpfung von allerlei Schäden und Ge-
brechen steht in diesen Landesteilen der Toucheur. Das ist der Heilkünstler,
welcher durch blosses Berühren, durch Handauflegen zu heilen vermag.
Auch bei diesen Massnahmen muss eine unverständliche Formel gemurmelt werden.
Der Verfasser erinnert daran, dass es für ein göttliches Privilegium der Könige
von Frankreich galt, dass sie, namentlich am Tage ihrer Krönung durch Hand-
aul'legen die Kröpfe zu heilen vermochten. Ludwig XIV. soll an seinem Krönungs-
tage nahe an 2000 Menschen die Hand auf ihre Schäden aufgelegt haben. Es
werden über diesen Gegenstand auch noch viele andere interessante Mitteilungen
gemacht. Die gleiche Kraft in noch erweitertem Masse soll nun nach dem Glauben
des Volkes von Poitou auch gewissen Menschen verliehen sein, die sie, ohne
Entgelt zu fordern, aber natürlicherweise nicht abgeneigt, reiche Geschenke ent-
gegenzunehmen, zum Heil und Segen ihrer leidenden Mitmenschen ausüben.
Der Beruf der Toucheurs ist dort so verbreitet, dass es wohl kaum ein einziges
Dorf oder eine einzige Ortschaft giebt, die nicht mindestens ein bis zwei derartige
Heilkünstler besässen. Das Volk setzt ein ganz unbegrenztes Vertrauen auf ihre
Macht, und der Zuspruch, welchen sie von weit und breit her gemessen, ist ein
ganz unglaublicher. Dass sie bei ihrer Kundschaft eifrigst dafür Sorge tragen,
das Vertrauen auf die wissenschaftliche Heilkunde gründlich zu untergraben und
diese als schadenbringend und die übernatürliche Kraft des Handauflegens un-
wirksam machend hinzustellen, das wird jeder dem Verfasser gern glauben.
Toucheur kann nun aber nicht jeder werden, sondern er muss für diesen heiligen
Beruf vom Geschick, oder vielmehr von Gott, eigens auserkoren sein. Das vermag
man daran zu erkennen, dass der Betreffende der siebente Sohn seiner Eltern ist,
aber in ununterbrochener Reihe, oline dass ein Mädchen dazwischen geboren
wurde. Die Geburt eines solchen siebenten Sohnes ist nun aber bekanntermassen
kein sehr häufiges Vorkommnis. Jedoch auch hierfür hat das Volk ein gutes Aus-
32*
468
Míelke: Bücheranzeigen.
kunftsmittel gefunden. Es schreibt nämlich die gleiche Fähigkeit, als Toucheur zu
wirken, auch denen zu, welche als Säugling in der Wiege mit ihrer Hand einen
Maulwurf totgedrückt haben. In einem Falle wurde der Toucheur in seinen Heil-
massnahmen von seiner Gattin unterstützt. Dieselbe behauptete dann, dass sie als
Wiegenkind ebenfalls einen Maulwurf mit der Hand totgedrtickt habe. Je plumper
der Betrug dieser Heilkünstler ist, um so höher pflegen sie im Ansehen zu stehen,
und desto fester ist der Glaube an ihre übernatürliche Macht — ganz so, wie bei
uns. Der Verfasser macht dann noch einige Vorschläge, wie dem oft recht schäd-
lichen Treiben dieser Zauberkünstler zu steuern sei. Ich kann diese hier über-
gehen, aber ich halte sie auch sämtlich für wirkungslos, wie das ja leider auch
bei uns die alltägliche Erfahrung lehrt. Max Bartels.
Hager, Georg, Die Weihnachtskrippe. Ein Beitrag zur Volkskunde und
Kunstgeschichte. München 1901. Gesellschaft für christliche Kunst. 9 Ji>
Das bayerische Nationalmuseum ist durch die Freigebigkeit eines Privatmannes
in den Besitz der reichhaltigsten Sammlung von Weihnachtskrippen gelangt, jener
Weihnachtskrippen, die im Volksleben der katholischen Völker noch heute eine
Rolle spielen. Es ist damit auch für die Volkskunde ein Stoff erschlossen, der
bei der Schwierigkeit vergleichender Studien bisher auf die litterarische Seite be-
schränkt geblieben war, soweit sie in den Weihnachtsspielen zum Ausdruck kommen
konnte. Dass diese Sammlung gleich in einer umfangreichen und mit Bildern
üppig ausgestatteten Veröffentlichung der Forschung zugänglich gemacht wird, ist
um so dankbarer anzuerkennen, als die Weihnachtskrippe eine vorher in diesem
Masse nicht zu übersehende Bedeutung für die Kunstgeschichte besitzt. Vielleicht
ist diese künstlerische Bethätigung die einzige bis in das 19. Jahrhundert hinein,
bei der die Einheit zwischen der Volkskunst und der beruflichen Höhenkunst
noch nicht zerrissen ist, bei der volkliche Anlage und zeitliche Strömungen
künstlerisch zum Ausdruck kommen. Der Verfasser untersucht den Ursprung der
Sitte, um im Anschluss daran die verschiedenen Gruppen, die er in der tirolerischen,
der altbayerischen mit der Münchener und Tölzer Untergruppe, der des übrigen
Deutschlands und der italienischen mit der römischen, neapeler und sizilianischen
Abzweigung erkennt. Nachdem die Krippe allein schon sehr früh als Symbol der
Geburt Christi Anwendung gefunden, verbindet sie sich mit dem geistlichen Schau-
spiel, um sich schliesslich als eine selbständige Kunstschöpfung von ihm loszulösen.
Von Franziskus von Assisi berichtet man, dass er Krippe und Stall — aber noch
ohne Staffage — im Freien aufgestellt habe. Je mehr das schauspielerische Bei-
werk zurücktrat, um so voller entwickelte sich das bildnerische Element, bis es im
14. und 15. Jahrhundert, mit Anlehnung an die gleichzeitige Blüte der gotischen
Schnitzaltäre zum selbständigen Kunstzweig emporwuchs. Die Beziehungen zur
flandrischen Bildhauerschule scheinen dadurch bestätigt zu werden, dass die erste
Krippe dieser Art in der Stadt Löwen — der Verfasser schreibt Louvain — er-
wähnt wird. Waren es zunächst die Franziskaner, die zur Verbreitung der Weih-
nachtssitte beitrugen, so pflegten sie im 17. Jahrhundert vornehmlich die Jesuiten;
im 18. Jahrhundert sucht man sie bereits in der Kirche durch behördliche Mass-
nahmen einzuschränken, was wiederum die Verpflanzung in das Haus bewirkt.
Für die Trachtengeschichte ist der Realismus dieser Kunst, der nicht nur in der
Treue gegen die kleinste Einzelheit sich bewährt, sondern auch mit Ausnahme
von Maria und Joseph alle dargestellten Personen in das Zeitkostüm kleidet, von
erheblicher Bedeutung.
Boite: Protokolle.
469
Heute ist die Krippe wohl überall in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung
geschwächt, nicht aber in ihrer volkstümlichen Gemütswirkung, für deren Stärke
einzelne von dem Verfasser angeführte Volkslieder zeugen. In protestantischen
Gegenden scheint sie fast erloschen; doch mögen sich auch hier und dort noch
Reste erhalten haben. Für Berlin lässt sich aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts
noch ein Ausläufer in dem sogenannten „Guckkasten" erkennen, der in der
Münchener Sammlung nicht bekannt zu sein scheint, der indessen noch in einzelnen
Familien zu finden sein dürfte. Robert Mielke.
Aus den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 25. Oktober 1901. Die erste Sitzung nach dem am 15. August
erfolgten Ableben des ersten Vorsitzenden und Begründers des Vereins galt dem
Gedächtnisse Karl Weinholds, dessen getreues Bildnis auf dem Vorstandstische
aufgestellt war. Herr Prof. Dr. Max Roediger gab eine ausführliche Darstellung
vom Leben und Wirken des Verstorbenen, die an der Spitze dieses Heftes (S. 353)
abgedruckt ist.
Freitag, den 22. November 1901. Herr Prof. Roediger teilte mit, dass
der Vorstand nach dem Ableben des ersten Vorsitzenden, des Herrn Geheimrats
Weinhold, sich gemäss § 18 der Statuten ergänzt und für den Rest des Jahres ihn
zum Vorsitzenden und Herrn Prof. J. Bolte zum Schriftführer und Redakteur der
Zeitschrift gewählt habe.
Darauf sprach Herr Geh. Sanitätsrat Dr. Bartels über märkische Spinnstuben-
erinnerungen. Er knüpfte dabei an die Berichte einer sechzigjährigen Dame an,
die ihre Kindheit in Ützdorf bei Bernau verlebt und verschiedene Spinngeräte aus
jener Zeit aufbewahrt hatte. Diese Schilderungen der häuslichen Gewohnheiten,
der Gebräuche und Lieder der Spinnstubenabende, der Behandlung des Flachses
und des Hopfens werden in einem der nächsten Hefte der Zeitschrift einem
weiteren Leserkreise zugänglich gemacht werden. An der darauf folgenden Debatte
beteiligten sich die Herren Sökeland, Minden, Schulze-Veltrup, der über den früheren
Hausbetrieb des Bierbrauens im Münsterlande berichtete, und Bolte. — Herr
Fabrikant Sökeland nahm einen Vorfall der letzten Tage, bei dem ein Fahrer
der Berliner elektrischen Strassenbahn den leibhaftigen Teufel neben sich gesehen zu
haben behauptete, zum Anlass, um auf die weite Verbreitung des Teufelsglaubens unter
dem Volke und den Gebildeten hinzuweisen; er verlas dazu mehrere Stellen aus
Martin Hagens 1899 erschienenem Buche 'Der Teufel im Lichte der Glaubensquellen'.
Freitag, den 13. Dezember 1901. Im Anschluss an die Bemerkungen, die
Herr Geheimrat Bartels in der vorigen Sitzung über das früher in der Mark ge-
braute Hausbier vorgetragen hatte, setzte Herr Sökeland dem Vereine eine Probe
eines von ihm nach demselben Rezepte aus Mohrrüben, Zucker und Hopfen ge-
brauten Getränks vor. Diese Zubereitungsart kann nicht sehr alt sein, da sie
einen billigen Preis des Zuckers voraussetzt, wie er erst durch die 1801 erfolgte
Einrichtung von Fabriken für Runkelrübenzucker ermöglicht wurde. — Ferner
zeigte Herr Sökeland mehrere bei den Salzburger Bauernkomödien gebrauchte
... -
470
Boite: Protokolle.
Holzmasken, die sich im Besitze des Berliner Museums für deutsche Volkstrachten
befinden, und verwies dazu auf die Abbildungen ähnlicher Masken, die kürzlich
das Wissen für alle (1, No. 36 f. zu \Y. Hein, Das Prettauer Paustus-Spiel) gebracht
hat. tt— Endlich teilte derselbe mit, dass die früher (s. oben S. 352) vorgelegte,
aus Lenzen stammende 'Knudelmühle' oder Massagewalze kein altes einheimisches
Bauerngerät, sondern erst 1884 von dem Drechsler in Lenzen nach einem kleineren
knöchernen Modell geschnitzt worden sei. Zwei ähnliche japanische Geräte be-
finden sich in den ethnologischen Museen zu Leiden (abgebildet in Siebolds Archiv
für die Wissenschaft Japans) und Berlin. Trotz des augenscheinlich nicht hohen
Alters des Instrumentes haben sich in Lenzen an seine Anwendung schon aber-
gläubische Bräuche angeknüpft; das Streichen wird mehrfach in Form des Penta-
grammas geübt und dabei der Name der Dreieinigkeit gemurmelt. — Hierauf hielt
Herr Oberlehrer Dr. M. Kuttner einen mit lebhaftem Interesse aufgenommenen
Vortrag 'Streiflichter auf Corsica' unter Vorlegung von photographischen Bildern.
Er berichtete über seine im letzten Juli von Marseille aus unternommene Be-
reisung Corsicas, bei der er hauptsächlich die historische Grundlage von Prosper
Mérimées berühmter Novelle 'Colomba' erforschen wollte. Es gelang ihm auch,
nicht bloss die Quelle von Mérimées 'Matteo Falcone' (1829), der durch Chamissos
Gedicht (1830) auch uns Deutschen zugeführt worden ist, in einer Novelle Renuccis
'La delazione punita' zu entdecken, sondern auch in Olmeto Nachkommen der
Colomba Bartoli (geb. 1768 in Fozzano, gestorben 93jährig) zu finden, die ihm
von jener heldenhaften Frau erzählten und einen an sie gerichteten Brief Mérimées
vom 6. Januar 1855 zeigten. Ausserdem aber studierte er Land und Leute auf-
merksam. Ajaccio, das im Winter als Rurort aufgesucht wird, lässt im Sommer
seine Besucher Tropenhitze fühlen und bietet ausser einigen Erinnerungen an
Napoleon I. wenig Bemerkenswertes. Tiefer ins Volksleben führten Ausflüge auf
den Mont Pozzo di Borgo, der Route du Salano und Reisen mit der Postkutsche.
Nur Y27 der Insel ist bebautes Ackerland, 5/27 Wald und Fels, 21/27 aber nehmen die
als Schlupfwinkel der mit den Gesetzen in Konflikt geratenen Corsen bekannten
Maquis ein. Einen ehemaligen Banditen Bellacoscia, der 46 Jahre im Maquis zugebracht
hatte und durch Carnot begnadigt worden war, lernte der Vortragende selbst kennen.
Die Volkssprache ist ein italienischer Dialekt. Die Bauern wissen Stellen aus
Tassos Befreitem Jerusalem und Ariosts Rasendem Roland auswendig. In den
Fole (fabulae) der Corsen herrscht der Glaube an Hexen (strege), die häufig als
Sauen auftreten, an den bösen Blick, an das Unheil, das die Donnerstags Spinnenden
trifft. Die Sitte der Totenklagen (voceri), der von einer Brüderschaft bestellten
Begräbnisse, der Blutrache (vendetta) ist oft geschildert worden. Die Innigkeit
der Familienbeziehungen tritt darin hervor, dass die meisten Frauen in Trauer
gehen. Gross ist die Ehrfurcht vor dem Tode; wenn ein Leichenzug vorübergeht,
werden Thüren und Fensterläden geschlossen. Irrsinnige sucht man zu heilen,
indem man sie eine Nacht lang in die Kapelle eines Heiligen einschliesst. Patri-
archalische Einfachheit herrscht in den ärmlichen Hütten der teilweise von der Käse-
bereitung lebenden Berghirten. — In der dem Vortrage folgenden Diskussion hob
Herr Titzenthaler hervor, dass er im Innern Corsicas oft blonde und blauäugige
Familien gefunden habe. Herr Kuttner lehnte im Hinblick auf die vielen kriege-
rischen Berührungen der Corsen mit anderen Völkern ab, hieraus bestimmte Schlüsse
zu ziehen und erwähnte, dass man neuerdings der Urbevölkerung nicht mehr
keltische, sondern berberische Abstammung zugeschrieben habe. — Vorher war
der bisherige Vorstand von der Versammlung durch Zuruf wiedergewählt worden.
Johannes Bolte.
Register.
(Die Namen der Mitarbeiter sind kursiv gedruckt.)
Aberglaube, mittelalterlicher 272—279.
Abersee 218 f.
Abholung der Braut 1G6.
Abricias 438.
Abschied der Braut 163; der Brautjungfern 165.
Abzählverse 461.
Achelis, Th. 94.
Adler, M. Volkslieder 459—461.
Adolescens arbor 230.
Adventspiele 96.
Agricola, Joh. 257.
Ahorn 50.
Akelei 224.
Aldhelms Rätsel 142.
Alemannische Grammatik 360.
'Ali 238. ■
Allgäu 232.
Alp 263.
Altarwicken 277.
Alte Leute 90.
Altenglische Rätsel 127.
Altertumskunde, indogermanische 89.
Altnordisches Leben 360. — Rätsel 117—149;
Entstehungszeit 138f.; Stoffe 138f.; volks-
tümliche Elemente 148.
Alvismal 124.
Ambraser Liederbuch 287.
Arnika 50.
Amin: Kasim Bey A. 250f.
Ammenuhr 403.
Andree, R. 112.
Angang 276f. 278. 411.
Anhalter Bastlösereime 64.
Anmäuerln 463.
Apfel 50. 274. 276. 278.
Arabische Erzählung (zwei poesiekundige
Töchter) 82f.
Arbeitslieder mit Zahlendeutung 405.
Archiv für Religionswissenschaft 94f.
Ardavast (armenische Sage) 418.
Areck (Keller) 453.
Argyleshire, Spiele 347.
Armenspenden 456.
Arnhemsche Meisjes (Gebäck) 458.
Aschermittwoch 273.
Auge: s. Blick.
Augensegen, Cambridger 79. 226.
Ausrufe 98.
Aussetzung der Kinder 90.
Avierino, Alexandra 251.
liaba (Dämonin) 341.
Babe (Wawa) '224.
Buch er, J. Lusérn 28—37. 169—181. 290—298.
443—452.
Bad 91. 273.
Baldaeus, Ph. 187. 331.
Baidermythus 95.
Balg über das böse Auge gezogen 309f. 315.
425 f.
Bamberger Geschichten 37.
Bannen 68f.
Barbara, Jos. a S. B. 381.
Bär vom Mädchen überlistet 178f.
Bärlapp 50.
Bartels, Max 109. 469. Ree. 108f. 227—229.
46 7 f.
Basilisk 316 f.
Bass = der Grade, der Aushalter 222.
Bass, A. 34(->.
Bastlösereime 61. 64—67.
Batzdorfer Dreikönigslied, Weihnachtspiel 97.
Bauernhöfe in Westfalen 349f. -schmuck 350.
Beduinen 245; vorislamische 23.
Befana 232. Befanate toscane 232.
Begraben: symbolisches B. als Heilmittel 327.
Begrüssung in Polen 442.
Beine: durch die B. rückwärts sehen 310. 426f.
Beischlaf an einzelnen Tagen verboten 439.
Benfey, Th. 186 ff.
Berchta 444.
Bernstein, J. Sprichwörterbibliothek 347.
Berthold von Regensburg 229.
Besegnen 276.
Besen 263. 449. 451 f.
Bestattung 31.
Bibel 462.
Bienenschwarm zurückhalten 428.
Bierbrauen: böser Blick 321 f. Hausbier 469f.
Binden der Glieder des Toten 266.
Binsen 51.
Blitz wehrt die Hasel ab 4.
472
Register.
Bliímelmacher (Lied) 299.
Blümml, E. K. Pflanzen 49—64. Friedhöfe
210—213.
Blâter 80.
Blau Trauer färb e 83.
Blick, böser 304—330. 420 — 430. 440.
Blonder Typus 94.
Blutbrüderschaft 92.
Blutrache 91.
Blutschande 95.
Böhme, F. M. 387 f.
Bohne 51. 91. Bohnenspiele 52.
Bojaren 160. 164.
Boite, Joli. Petrus und die bösen Weiber
252—263. Auslegung des Kartenspiels 37f>
bis 406. Ree. 96f. 98—100. 95. í¿98. 352.
Berichte 469 f.
Boppe, der starke 230.
Borkeiswecken 197.
Botanik, mythologische 1.
Bovist 52.
Brabantische Mütze 234.
Brandl, A. 236.
Braunschweiger Reime 73. 461 f.
Brautabholung 166. -abschied von den Eltern
162 f. 451. bestreut 11. 436. -führer (druzby)
160.451 -geschenke 160.162.168. -jungfern
160—162. 164. 165. -kammer 167. -kauf
91. 165. -kränz (ruthenischer) 160. 280. 284.
-lieder (ruthenische) 160. 169. -orakel 430.
450 f. -wasche 341.
Brief der Liebsten 448.
Brot und Salz 163f. 166. Brotbacken; böser
Blick 321. vgl. Gebildbrote.
Brückner, A. Ree. 347 f.
Bi'unck, A. 346 f.
Bruscello 231.
Bruskos, A. 393.
Brust, Samtbrust (Mieder) 234. Brusttuch 234.
Brüste abgeschnitten 91. Grosse B. 264.
Buche 91. 225.
Büffel (Unterkleid) 234.
Burensprache 345.
Burkartswoche 197.
Buttern; böser Blick 322f.
Butzemann 3.
Châtelain, J. B. F. E. de 377.
Clinius, Th. 394.
Cochem: Leben Jesu 97.
Contes des Landes et des Grèves 100.
Coquillages de mer 101.
Corsica 470.
Crimhilt, Chreimhilda amara 230.
Crucifix 277.
Cynewulf 148.
Dachöffnung für die Seele 269 f.
Dähnhardt, 0. 104.
Dänisches Märchen von Petrus 252ff. Stunden-
lied 400.
Dapper, 0. 187. 331.
Dekan Wettermacher 294.
Die mihi, quid est unus 394 f.
Dieterich, K. Ree. 105—108.
Distel 52.
Dombaumeister 39.
Donaria (Votivgaben) 227 f.
Dornen 266.
Dorsche 52.
Dortsche Zool (Gebäck) 458.
Dotterblume 52.
Drechsler, P. 233. Wassermann 201. 207.
Dreier (Getreide) 183.
Dreissigste 19. 456.
Dreizehn 393. 451.
Drudenfuss 78.
Druzbi, druzki 160.
Düntzer 188.
Dublin 1.
Eberesche 326.
Egerland 223. 345.
Ehescheidung im Islam 243 f.
Ehrenpreis 52.
Ehrentraut, St. 182.
Eiche 53.
Eid 91.
Einhorn 442 f.
Einsiedlsr und Engel 464.
Eisenhut 53.
Eiserkuchen 75. 109.
Eisvogel 279.
Elven, neunerley 83.
Engersgau 48.
Erb Scheidung 19.
Erdapfel 53. -beere 53.
Erk, L. 388 f.
Erstgeborener gegen Zauber gefeit 314.
Erziehung 92.
Estnische Märchen 98.
Eucherius von Lyon 397.
Eulenblick 305.
Eulenspiegelstreiche, indische 101.
Ettling, K. Kaufringer 464 f.
Eunuchen 247.
Eva aus einem Hundsschwanz erschaffen 256.
Ex votis 227 f.
Eysn, M. Votivgaben 181—186. 351.
Familientiseh 157.
Farferln 223.
Farsetti, K. 231 f.
Fascination 330.
Fegen; an- 264.
Feige machen 306. 325.
Feilberg, iL F. 377. Der böse Blick 304—330.
420-430.
Feldkirchner Gerichtsstätte 47.
Felices dominae 230.
Fell der Augen 80.
Fenster geöffnet beim Sterben 267.
Feuer 278. heilkräftig 326.
Feuerlilie 54.
Fichte 54.
Fieber 274.
Fiedelfritze (Rübezahl) 337.
Finnen als Zauberer 432.
Fiçlvinnsmâl 125.
Fisch Wassermann 203f.
Fischer 467. Fischereigeräte 235. 351.
Flieder 54.
Frau im Isiàm 237—252. Ursprung böser
Frauen 252—262. Vgl. Weib.
Friedel, E. 235. 236. 351.
Friederici, Chph. 258f.
Friedhofsflora 210—213.
Fuchs, Blick 315.
Register.
473
Fundsachen 277.
Füsse voran 268. Fussspuren des Feindes 265;
des Toten 154. 158.
Gaissach 200.
Galinden 90.
Gans Wassermann 203.
Gänsegehen (schwedische Sitte) 420f.
Garten des Teufels 172.
Gastfreundschaft 92.
Gebildbrote 84f. 193f. 340f. 455f.
Gebote 275 f.
Geburt und Taufe in Lusérn 444f. Symbolische
Geburt Heilmittel 327.
Gedenkladen 220.
Geduldskuchen 458.
Geisterhafte Wesen 279.
Geistersichtig 304f.
Gerader Weg der Toten 152. 154.
Gerechtigkeit, blinde 38.
Gerichtsstätten, alte 47—49. 296—298.
Gesichtsurnen 183.
Gesichtsverhüllung 239 f.
Gestumblindi (Odin) 124.
Getreide 55. G. gedeiht durch die Hasel 9.
G.-opfer in Köpfen 181 f.
Gewib, gevif 80.
Gewittertopf 36.
Geyer, M. 100.
Ghul 417.
Glockenblume 55.
Godeschalci visio 457.
Goethe, Paria I86f. 262. Plundersweilen 97 f.
Gôsht-i Fryano 397.
Gottesschuh 456. -urteil 92.
Gottschee 214.
Grab: Öffnung am Kopfende 27. -kreuze 212.
-kultus 24. -Schriften (komisch) 339. -spen-
den 18.
Grasblume (Nelke) 234. -halm 55.
Grimm, J. 354.
Grossgmain 185.
Grundtvig, S. 377. 400.
Guckkasten 469.
Gulathing 3.
Gütergemeinschaft, eheliche 168.
Hadin 377.
Hager, G. 468.
Hahn, Henne als Opfer 185 f.
Hähnchen, gebackenes am Palmpaschen 216.
Hainsimse 55.
Hakemann (Wassermann) 202.
Hallthurner Werke 219.
Halslösungsrätsel 140.
Hamdorf, Prof. 116.
Handauflegen heilt 467.
Handschuh 458.
Handtmann, E. 352.
Hänseln 832.
Harn Heilmittel 328. nicht ins Wasser 201.
Harter Kuchen 458.
Hartmann, M. Frau im Isiàm 237—252.
Härtung, O. Bastlösereime 64—67.
Hasaschättel 225.
Hase 92.
Haselstrauch 1—16. Gerichtsbaum 4. Welt-
baum 3. Fördert Wirtschaft und Stall 9;
schützt das Vieh 8f. ; gegen Blitz 5; Feuer 6;
Geister 6—8; Schlangen 7; Wildschaden 8;
Wind 6; Wüetenheer 6. — Hasel und Maria
6; H. und weisse Frau 7 ; warnt Mädchen 13.
— Haselgerten geopfert 2; beim Scheiben-
schlagen 2; bei Umgängen 3. — Hasel-
hecken 8. — Zauber 11. 14—16.
Haselung der Dingstatt 3; des Kampfplatzes 4.
Haselwurm 12.
Hasla Richterstab 4; hasla vyll 4.
Hauffen, Ä. Spottlied auf Heinrich von Polen
286—289. Traum vom Schatz 226f.
Hauken, Heuke (Mantel) 235.
Haus 92. Hausmagd, geistliche 465.
Haxthausen, A. v. 590.
Hazardspiel der Egerländer 224.
Hebamme 93.
Hechtfalle 351.
Hedwig, St. 455. -brunnen 455. -sohlen 455
bis 458.
Heiö'reks gátur 117 ff.
Heiligenbilder in den Fluss geworfen 440.
Heiligenköpfe aufgesetzt 182.
Heimführung der Braut 166.
Heinrich von Anjou, König von Polen 286.
Heirat 93. Heiratsalter 158.
Heischuh 457.
Hemde heilkräftig 327.
Henrici, C. F. 256 f.
Herbracht, Herbrat, Herbrot 79. 81. 226. Hert-
prat 226.
Herbran, Herbrand 81. 226.
Herbst Hochzeit 159. — Herbstzeitlose 225.
Herd 93.
Herford 198.
Herrmann, Max 97 f.
Hertel, G. Abergläubische Gebräuche 272
bis 279.
Hervararsaga 117.
Herz durch Stroh ersetzt 230.
Herzog im Paradiese 300.
Hessisches Trachtenbuch 233.
Heusler, A. 112. Rätsel 117—149.
Hexen 2. 29. 169f. 236. haben bösen Blick 307 f.
zum Blocksberg 308f. Hexensagen 6i). 338.
Hexenmeister 35.
Hildesheim 197.
Hiltibraht und Hadubrant 81.
Himmelsgegenden 93.
Hintern zeigen 326f. 426f. v
Hir (Schmerz) 80.
Hirse 223.
Hirten 274. Hirtenstab von Hasel 8.
Hochzeitgebräuche auf Island 40—46; in Lusérn
450—452; russische 436f.; ruthenische 158
bis 169. 280—286. Hochzeitbäumchen 163f.
165.284. Hochzeitgeschenke 168.284. Hoch-
zeitlader IIb. Hochzeitlieder 1(50—169. 280.
Hochzeittag 284. Hoclizeitsträusschen(Kwit-
kie") 162.
Hoffmann von Fallersleben 102.
Höfler, M. Hedwigsohlen 455—458. Hubertus-
Schlüssel 207—210. Kröte als Gebäck 340f.
Michaelsbrot 193—201. Opfer-Bärmutter 82.
Holder 225.
Holle 201.
Hollenberg 201.
Höllenweg 150. Hellweg 196.
Hölscher, B. 390.
Holtei, K. v. 358.
474
Register.
Holtzmann, H. 94.
Hölzerne Lungeln als Votive 183—185.
Hostie 274 f.
Hubertus-Schlüssel 207—210. 342.
Hufnagel 275. 278.
Huhn, schwarzes als Opfer 185f.'
Hund 154. Hund Wassermann 202. Hunds-
kopf 279. Hundsrose 212. Hundsschwanz,
daraus das Weib 256. Hundswut 207 f.
Hutzahaus (egerländisches) 223. Hutzen gehn
223.
Huzulen 283.
Ibsen, H. 330.
Ichrätsel 145.
Igelkalb 82.
Iltis, Blick 315.
Ihr of, F. Swift 463 f.
Indische Begräbnisceremonien 23. Vgl. Eulen-
spiegel.
Irrnebel 295.
Isiàm, Frau im 237—252.
Isländische Hochzeit 40f.
Italienisches Flugblatt (Soldat o prussiano) 386 f.
Jacobi, Th. 355.
Jahn, U. Segen 84. Rübezahl 336f.
Jahrrnarktsfest zu Flundersweilen 97.
Jausen 223.
Jesus macht aus Tieren Weiber 255.
Jodler 222.
Johannisbrot 207. -teuer 278. -segen 276. 454.
-tag 207. 273.
John, A. 344 f.
Judasohr (Gebäck) 458.
Juden und Araber 240.
Jüdisches Lied: Echâd mî jôdêa 395f.
Jungfräulichkeit der Braut 167. 4381'.; der
Mägde untersucht 421 f.; durch Hasel 13.
Justi, F. 233-235.
Kahle, B. 390. Hochzeit auf Island 40—46.
De la Martinières Reise 431—443.
Kaindl, B. F. Hochzeitsgebräuche 158—169.
280—286.
Kallas, 0. 98—100.
Kärntner Speisezettel 222f.
Kartenspiel geistlich ausgelegt 376—387.
Kartoffeln 223. 225.
Kästenigel 82.
Katze 93; heilkräftig 326; Ratgeber 433.
Kaufringer, H. 464 f.
Kehrreim 136.
Kellerrecht 452—455.
Kerze beim Toten 18. 20f.
Kesselhaken 81.
Kestner, H. 387. 396.
Keuschheitsgürtel 442.
Kichern des Wassermanns 202.
Kiekebusch-Tanz 115.
Kielkropf 202.
Kielmann, H. 394 f.
Kimmetche (Mieder) 234.
Kind und Schlange 292. K. und Stiefmutter 290.
K. ausgesetzt 90; K. durch bösen Blick ge-
schädigt 318f.; K. verhext 293; K. vertauscht
293. Kindesalter in Lusern 446f. Kindtaufe
445f. Kinderreime 73f. 461 f. K.-segen 183.
Kirchhofblumen 210 f.
Kleeruthe 453.
Kiezenbrot 86.
Kloben (Gebäck) 199.
Klötzenmehl 223.
Knöterich 60.
Knudelmühle 352. 470.
Koch, John 298.
Kochen: Knäuel k. wider Hexen 338.
Kohl, Fr. Fr. 222.
Köhler, Jos. Hutzahaus 223 f.
Köhler, Reinli. 95f. 331. 377.
Kohlsamen 274.
Kolatschen 160. 164. 168. 284.
Koloman, St. 182.
Köpfe, hölzerne als Yotivgaben 182f.; thönerne
181 f. — verkehrt gesetzt 262; vertauscht
188. 191. 254. 262.
Kopfbedeckung 93. -dreier 183. -leiden ge-
heilt 182.
Korner, Herrn. 301.
Kornrade 57.
Kraftspiele am Abersee 218 f.
Krankheitsdämonen 81. 263.
Kranzeljungfern 160; vgl. Brautjungfern.
Kräuter 285.
Krekeling 215
Kreuz über Getränk schlagen 306.
Krippe 275.
Krossen: Schmuck der Dorfstrassen 87f.
Kröte vergraben 307. Gebäckmodel 340.
Kuckucksruf 449.
Kuh zeigt den Bauplatz 409. Kühe durch
bösen Blick geschädigt 319; durch die Hasel
geschützt 8 f.
Künste (Zauber) 277.
Kutsche, vorbedeutende 39.
Kuttner, M. 470.
Kyllburger Gerichtsstätte 48.
Lachmann, K. 355.
Landschaftsmalerei 147.
Lappen Zaubrer 432f.
Laxdœla Saga 309.
Leber ex voto 228. Leberreime 114.
Leiche 269. 277. Leichenwache 18.
Leinsamen 275.
Lemke, E. Treichel 465 f.
Lenorensage 418.
Leonhard, St. 184.
Lewy, II. Vogelnest 462f.
Lichtergiessen; böser Blick 323.
Liebesorakel 63f 448. 449.
Lieder, volkstümliche 103. 332f. Vgl. Braut-
wäsche, Hasel, Heinrich, Tochter, Und,
Volkslieder, Zahlen.
Links gegen den Wassermann 206.
Lintwurm 317.
Lisse 202. 206.
Ljutziner Esten 98.
Löben, 0. H. von 104.
Loose, F. Eiserkuchen 75—78.
Losch, Fr. 95.
Lösung der Rätsel 137.
Löwenzahn 57.
Lukasschuh 456.
Lungeln, hölzerne Votivbilder 183f. 351.
Lusernische Geschichten 28—37. 169—180.
290—296. Meinungen und Bräuche 443—452.
Lustucru, Meister 262.
Register.
475
Maassliebchen 58.
Macbeth 236.
Maclagan, R. Craig 347.
Malchin 112.
Manenopfer 25.
Märchen, estnische 98.
Marder, Blick 315.
Maria und die Hasel 6f. M. diu wihe 82.
Mariatale, südindische Göttin 189.
Marielein, drei 176—180.
Märkisches Museum (Berlin) 236.
Marriage, E. M. 377. 395.
Martinière, P. M. de la 431 ff.
Masken aus Salzburg 475 f.
Matzen: Kellerrecht 452.
Mecklenburger Winterabend 112—116.
Meinwoche (mênweke) 195.
Meistersinger 388 f.
Meitzen, A. 350.
Mérimée, P. 470.
Meyer, E. H. 112. Heinr. 3451'.
Meyer, li. M. 94. 352. Ree. 97 f.
Michael, St. 195. Gabenspender 196. Beziehung
zu den Toten 195. — Michaelsblumen 196.
-brot 193—201. -kuchen 199. 458. -tag 195f.
Mieder 234.
Mielke, B. 349. 350f. Brauch 87 f. Zauber-
puppen 217 f.
Minden, G. 352.
Mönch Felix von Heisterbach 298 f.
Mönöloke (Zauberpuppe) 217f.
Mord aus Eifersucht (Lied) 460f.
Mors: tres ictus mortis 231.
Morschen oder Modern (Spiel) 218.
Moses: 7. Buch Mosis 352.
Motzen (Jacke) 234.
Müller und Wassermann 202f.
Müller, E. 95. Godehard 392.
Müllerin, fromme 465.
Mummerei, Umzug 334.
Münchner Festgebäck 84f. Krippen 468.
Mundartliche Chrestomathie 103. Allgäuer
Mundart 232.
Muslimischer Totenglaube 24.
Mutter der Gläubigen 237. M. Gottes lächelnd
37. Gestorbene M. pflegt ihr Kind 456f.
Nachhochzeit 168.
Nachtwächterlied 403.
Nackt beim Zauber 429.
Nadel 279. 321.
Nagel 275.
Nageln 265.
Nagl, J. W. 345.
Natesa Sastri 101.
Nebel s. Irrnebel.
Negelein, J. v. Reise der Seele 16—28. 149
bis 158. 263—272. Pferd im Seelenglauben
406—420.
Nestelknüpfen 439.
Neujahr, germanisches 193f. 196.
Nicolaus, St. 196. 434. -abend 334. -gebäck
86. -spiele 96. Niklas (Umzug) 224.
Niederlande : Palmbusch 215. Stundenlied401f.
Nixen 202. Nixloch 219.
No ah 255.
Norgg (Orco) 31.
Notfeúer in Braunschweig 216f.
Nudeln 223.
Ochsenzunge (Gebäck) 458.
Öffnung für die Leiche 268f.: für die Seele
267 f. 269.
Ohrfeige (Gebäck) 458.
Olaus Magnus 313.
Omme 318.
Opfer, lebendige 185f.
Opfer-Bärmutter 102.
Orco 31. 416.
Ornamente der Eiserkuchen 77 f.
Ostar, Ostara 229. Ostergebäck 85.
Osterlandssagen 100.
Paaschei 215.
Palm, geweihter 273f. oberrheinischer 216.
Palmbusch 5. 215f. Palmhontjes, Palm-
paasch 216.
Pantoffel der Gattin 438. P. (Gebäck) 458.
Parialegende Goethes 186—192. 262.
Paroimiai 105.
Passahlied 395f.
Paternoster 81 f. 276.
Pelzmäntel 86.
Perchtenlaufen 97.
Perfgau 234.
Perser 246.
Peter Schupf 290.
Petrus, St. köpft Teufel und Weib 253. Seine
Töchter 252.
Petseh, E. Brautwäsche 341.
Pferd, Blick 316. prophetisch 410f. im Seelen-
glauben und Totenkult 406—420. als Toten-
führer 414. Wassermann 204. als Weg-
weiser 40S. — Durch Hasel gefördert 9.
Pferdeopfer 406. 412. -wiehern glückbedeu-
tend 409 f.
Pfingstrose 59.
Pfistern 200.
Pflanzen im Leben der Kinder 49—64.
Pflaumenbaum 59.
Phokylides 256.
Picander (Henrici) 256.
Pilger und getreuer Hirt 97.
Pinè (Wallfahrtsort) 447.
Pius IX. hatte den bösen Blick 306.
Piza-Paza 36.
Plattlen 223.
Plenten 222.
Plundersweiler Jahrmarktfest 97.
Pogg (Krankheit) 84.
Poitou: Volksmedicin 467.
Politis, N. G. 105.
Polterabend: s. Yorhochzeit.
Pomey = pomagai 288.
Portugiesisches Volksbuch (Soldado Ricardo)
383 f.
Prahl, K. H. 102—104.
Prangerstangen 3.
Prato, S. 387.
Presshof (Kelter) 453. Pressjunker 454.
Prozess wider den gefallenen Menschen 97.
Pythagoräische Zahlensymbolik 397.
Quellen 201. 275.
Rada, G. de 393.
Raff, H. Festgebäck 84—87. Geschichten
37—39. Volksmeinungen 219—221.
Ragendorfer Weihnachtspiel 388.
476
Register.
Rätsel, Aldhelms 142; altenglische 127; alt-
griechische 142; altnordische 117—149; is-
ländische 112; mecklenburgische 118; der
Meistersinger 388f.; Reichenauer 129. —
Ichrätsel 145; Rahmen 144; Stoffe 126. 144.
Rauchnächte 464.
Ravn, H. M. 394.
Reformbewegung für die Frauen in Ägypten
250.
Reichhardt, R. Sagen 68—73.
Reifstangen 3.
Reinmar von Zweter 404.
Reise der Seele ins Jenseits 16—28. 149—158.
Reiseausrüstung der Toten 151.
Reiser, K. 232 f.
Beissenberger, K. Tochter des Kommandanten
zu Grosswardein 298—304.
Remlingrade, Vehmlinde 296.
Rentiere 433 f.
Rinckhart, M. 395.
Ring, eiserner 277.
Roediger, M. Weinhold 353—376. Ree. 229
bis 231. Berichte 110. 116. 235f. 349—352.
469.
Rogga (rocca) Dampf 30.
Rômenie, die wilde 81.
Rosengarten 95.
Rosenkranz Liebesgeschenk 447.
Ross: s. Pferd.
Rosskastanie 59.
Rot heilkräftig 325. Rote Kappe und Strümpfe
hat der Wassermann 206.
Rott, A. J. Pflanzen 49—64.
Rübezahlsagen 336f.
Rückwärtsgehen 153.
liumpe, R. 108 f.
Ruprecht 97.
Russische Bräuche 436.
Ruthenische Hochzeits^ebräuche 158 — 169.
280—286.
Sachs, Hans 97. 256. 258.
Sagen, Bamberger 39; Braunschweiger 338;
thüringische 68f.
Salat 223*
Salige Fräulein 230.
Sammelrätsel 143.
Samojeden 442.
Samstagnäclite, goldene 200.
Sauerampfer 59.
Säugen, einen Erwachsenen 307.
Sauvé, L. F. 392.
Saxo Grammaticus 310.
Scandinavia 92.
Scern (Scherz) 230.
Schachspiel 465.
Schäfergruss 114.
Schafsleber 228.
Schatzsagen 72.
Schaufel 156.
Scheibenschlagen zu Ostern 2.
Schell, 0. Gerichtsstätten 47—49. 296—298.
Hubertus-Schlüssel 342.
Scheine (Augenkrankheit) 229.
Schiedchen (Gebäck) 199,
Schielender unheilbringend 319.
Schildbürgerstreiche 339.
Schimmelreiter 194. 196.
Schlangen 7. Blick 316. S. und Kind 292.
Schleiergebot, muslimisches 239. 248. Schleie-
rung der Braut 165 f.
Schlesien und die Haustiere 233. Mundart
356 f. Y Olksüberlieferungen 356 f.
Schlüssel 208.
Schmied 109. Schmiedehammer heilt 329.
Schmidt, Rich. Ree. 101 f.
Schnaps 223.
Schneebeerstrauch 212.
Schöllkraut 60.
Schönbach, A. E. 464. Berthold von Regens-
burg 229—231.
Schöppenstedter Streiche 339.
Schräder, 0. 89—94. 342—344.
Schröer, K. J. 213 f.
Schuh der Braut ausgezogen 438. Spende 456
bis 458. Vgl. Heischuh, Lukasschuh, Toten-
schuh.
ScJiukowitz, IL 95. Kellerrecht 452—455.
Schulze-Veltrup, W. 349f.
Schustertauz 115.
Schütte, 0. Hänseln 332—334. Notfeuer 216 f.
Sagen 338—340. Volksreime 73—75. 461 f.
Erziehung zur Aufmerksamkeit 462.
Schwänchen am Palmpaasch 215.
Schwanz der Kuh, des Pferdes halten 406f.
Schwarze Tracht 234.
Schweizer. Idiotikon 466.
Schwelle 275.
Schwert durch Anblicken stumpf gemacht 422 f.
Sébillot, P. 100f. 467.
Seele: Reise der S. ins Jenseits 16—27, 149
bis 158. 263—271.
Seelbier 19. Seelenämter 18. Seelenglaube
17. 229. Seelenzopf 85.
Segen, litauischer 84. Vgl. Sprüche.
Seifenkraut 225.
Selbstmord einer Verführten (Lied) 455 f.
Semitischer Totenkultus 23.
Seybold, C. F. Arabische Erzählung 82f.
Shakespeares Hexen 236.
Siebenter Tag nach dem Tode 22.
Sieblaufen 224.
Silvesteraberglaube 413. 430.
Simeon, St. 393.
Simonides von Amorgos 256.
Singrün 213.
Skoffin 317.
Skuggabaldur 317.
Slavische Vorstellungen vom Tode 22.
Sleipnir 140.
Sökeland, II. 112. 235f. 351 f. 469f.
Soldat in der Kirche kartenspielend 376ff.
Sonne angebetet 442; von Wölfen verfolgt 140.
Sonnerat 188.
Spännen, spengelo 463.
Spee, Fr. 398.
Speiseopfer 194. 196.
Spiele in Argyleshire 347.
Spielkarten: s. Kartenspiel.
Spiessrecken 224.
Spinnstube 469.
Sposa 37.
Sprichwörter, Allgäuer 232; altnordische 131;
neugriechische 105. Vgl. Bernstein.
Sprüche (Segen) 275. 278.
Spucken, ins Wasser 201.
Spuksagen 338.
Stabwurz 60.
Register.
477
Stech, J. Ree. 346.
Steinthal, H. 94.
Steirische Volkslieder 359.
Sterben: Ausdrücke dafür 150f. durch Be-
dauern verlängert 220.
Sterbende auf die Erde gelegt 221.
Sterzinger Spiele 464.
Stickerei, hessische 234.
Stieda, L. 227—229.
Stiefel dem Bräutigam ausziehen 437.
Stiefmutter 290.
Stockklieben (Spiel) 219.
Stollen (Gebäck) 198.
Strauss (Vogel) 414. 417.
Strick, geweihter 204; des Wassermanns 202.
Strobl, A. 381.
Strophenmass der altnordischen Rätsel 133.
Studentenlieder 332.
Stülpehen 234.
Stundenlieder, geistliche 398 f.
Stute (Gebäck) 198. Stutenbrei, Stutwecke 198.
Sultanstochter (Legende) 299.
Sulza: Lied 459f.
Svanhild 310.
Swift, J. 463 f.
swînen 81.
Tage der Reise der Seele 26; im Totendienst
18—22; unglückliche in Ägypten 276. 278.
Tänze, mecklenburgische 115.
Tennalirama: Tales of T. 101.
Tenor 222.
Teufel 2. 254. 258. T. betrogen 171. T. und
Schutzengel 393f. T. in Pferdegestalt 416.
419. Teufelskopf 258f. -glaube 469.
Thonar 2.
Thoroddsen, Th. 431.
Thüringische Sagen 68—73.
Tiere, spukende 338f. T. und Weiber ver-
glichen 253. 255 if.
Tiffaud 467.
Timpenbrei, Timpensemmel 198.
Tirolerlieder 222.
Toiler, A. Ree. 231 f.
Tochter des Kommandanten von Grosswardein
298 f.
Tod erleichtert 221.
Todesgottheit zu Pferde 415. Todesorakel 413.
Tomair (Thonar) 2.
Tote: Augen zudrücken 313; beimBegräbnis 19;
noch lebend 17 ; auf ein Pferd gebunden 408.
Totenbestattung 359. -bretter 221. -brücke
150. -feier 193 f. 195. -gaben 434. 456 f.
-klagen 433. -mahlzeiten 20. 21. 26. -opfer
(antike) 26. 455. -schuh 151. 456. -spende
18. 21. -volk 194f. -weg 150. 152. 155.
Trachten, hessische 233.
Trankopfer 24.
Traubenkirsche 60.
Trauerfarbe 83.
Traum vom Schatz auf der Brücke 226.
Trauung, ruthenische 163f.
Treichel, A. f 465 f.
Trepanation 90.
Troll, Blick 314.
Trudengeschichten 173—176. -stein 351.
Uhr, geistliche 399.
Umbra, scheme (Augenkrankheit) 229.
Umzäunungen mit Haseln 3f. 8.
Und wenn der Himmel wär Papier 331.
Ungrisches Bergland 214. Weihnachtspiele 214.
Unzüchtige Frauen haben den bösen Blick
305. 312 f.
Urban, St. 454.
Uröarköttur 317.
Vafthrudnismál 20. 125.
Valentin, St. 186.
Vébçnd 3.
Vehmlinde 296. 297 f.
Veilchen 213.
Veit, St. 186.
Verein für Volkskunde, Stiftungsfeier 110f.
Vergissmeinnicht 60.
Verhexen des Viehs 351:
Vermauert in den Herd (Opfer) 186.
Vetter, A. Pllanzen 224—226.
Viehschutz durch die Hasel 8f. -segen aus
Mecklenburg 82. Vieh verhext 351.
Vielweiberei 241.
Vogelbeerbaum 60.
Vogelnest 277. 279. 462 f.
Vogt, Fr. 96 f.
Volard, vollœrd 199.
Volksansichten über Krankheiten 108. -forschers
Wandrungen 109. -künde (Universitätsvor-
lesting) 359; s. Verein, -lieder aus dem
Geiselthal 459—461; s. Lied, -medicin 467.
-rätsei s. Rätsel, -trachten 233.
Völsunga Saga 311.
Völuspä 356.
Vorhochzeit, ruthenisch 160. (zawodeny) 162.
Vornamen: Reime darauf 74f.
Vorzeichen der Trauungen 284. Vgl. Braut-
orakel, Liebesorakel.
Votivgaben 102. 181—186. 227.
Wahrsagen 277 f.
Waisenmädchen, drei (Märchen) 176—180.
Wasser zur Kristallkugel 191 f.
Wasserausguss 266.
Wasserlisse, Wassernixe 202.
Wassermann, schlesischer 201—207. Feind der
Müller 202if. Gestalt 206. Schutz gegen
ihn '204 f. 207. Tanzlustig 205. Tierver-
w an diu n gen 203 f.
Wasserrosen 226.
Weber, H. 393.
Wechselbalg 223.
Wecken 197.
Wegerich 62.
Weib, altes gefedert 172. W. unrein 286.
Ursprung der bösen Weiber 252—262. W.
und Tiere verglichen 253. 255f.
Weide 62.
Weihnachten 97. 273. Gebäck 86. Krippe
468f. Lieder (englische) 403. Spiele (schle-
sische) 96. 356. 359.
Weihwasser 463f.
Weinhold, K. 109. Augensegen 79—82. 225.
Bauerntisch 222 f. Bericht 110—112. Blau
83. Haselstrauch 1—16. Palmbusch 215 f.
Rübezahl 336f. Schröer 213f. Sterbende
auf die Erde 221. Tirolerlied 222. Ree.
94f. 95f. lOOf. 104. 232. 233f. 344f. 348f.
466f. — Biographie 354-364. 469. Schriften-
verzeichnis 364—376.
478
Register.
Weisse Frau 7. w. Totenpferde 41(5.
Weisswurm BIT.
Werbung 159.
Werlin 289.
Wert überschätzt 221.
Werwolf: ältester Beleg 229.
Wettermachen 170. 294.
Wichmann, Y. 348 f.
Wicken (zaubern) 277.
Wiebele (Gebäck) 458.
Wildberger Vehmlinde 297.
Wilde Jagd 6. 152.
Wilder Mann, wildes Weib 32.
Wildschaden 8.
Wilhelmus Parisiensis 272f. 463.
Wind 6. Windzauber 482.
Wolf 274. Blick 315. Vgl. Werwolf.
Wolfsmilch 63.
Worte: zwölf W. der Wahrheit 394. Wort-
spielrätsel 142.
Wossidlo, IL 110. 112. 116. Yiehsegen 88f.
Wotjakische Sprachproben 342.
Wucherblume 63.
Wüetenheer 6.
Wunderbrunnen 201.
Wünschelrute 11. 235f.
Würfel (Legende) 404.
Wuschilburg, Johannes 272.
Wuttke, R. 112.
I X für U 231.
Zachariae, Th. Goethes Parialegende 186
bis 192. Und wenn der Himmel war Papier
091
üöl.
Zahlen 1 bis 12 geistlich gedeutet 387 f. 406;
weltlich 404; erotisch 404f. — Zahlendeutung
352. 381.
Zahn ins Mausloch 447.
Zangerle, H. 222.
Zanberpuppen 217 f.
Zaun 275.
Zecherkataloge 405.
Zeiten, unglückliche 276.
Zeller, G. Kraftspiele 218f. Nikolausabend
334 f.
Z erbst 75.
Zingerle, J. V. 444.
Zips 214.
Zither 222.
Zittergras 64.
Zopf 234.
Zopfgebäcke 201.
Zuccalmaglio, W. v. 389.
i Zupitza, E. Ree. 89—94. 342—344. 847.
j Züricher Kinderlied 388.
! Zwölften 403. 413.
Druck von Gebr. Unger in Berlin^ Bernburger Str. 3U
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1901,
Taf. VI.
1
Strumpfsohle
aus Leipzig
Hedwigssohle
aus Schlesien
8 4
Strumpfsohlen aus Neisse (Schlesien;
Dortsche Zool
aus Südholland
Hartkuchen
aus Mainz
Judasohr
aus Hamburg
Harter Kuchen
aus Hamburg
9
Ohrfeige
(zuckerweis bestäubt)
aus Mainz
10
Schuhsohlen
aus Mecklenburg
Schiihchen
aus Wiesbaden
Pantöffelchen
11
Wiebele aus Ulm
Aarnheeinsche Meisjes
aus Südholland
Ochsenzunge aus
Elsass Bayern
Universipts"!
Bibliothek
Berlin.
Soeben erschienen, Versand gratis und franco:
Antiquariatskatalog VIII.
Folklore, Jagd, Sagen, Sprichwörter, Volkslieder, Satiren, franz. Dialekte,
Theater, Troubadours, Curiosa.
Gami)er, 2 Rue de l'Université, Paris.
Verlag von A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den Linden 13.
Im unterzeichneten Verlage erschienen soeben: .
Neue Südsee-Bilder
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Arthur Baessler.
Mit 35 Tafeln, 6 Textabbildungen und einer Karte.
X und 420 Seiten gr. 8°.
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Südsee-Bilder
Mit 26 Tafeln und 2 Karten.
VI und 371 Seiten gr. 8°.
8 Mark.
Berlin A. Asher & Co.
£a civilisation primitive en Italie depuis
l'introduction Ses métaux
illustrée et décrite
par Oscar Montelius.
Première partie: Italie septentrionale.
/ Band Text VI und 549 Seiten mit zahlreichen eingedruckten Abbildungen,
geheftet und 1 Band von 134 Tafeln in Mappe gross 4°.
Preis 150 Mark.
Das ganze Werk wird 4 Bände Text und 3 Bände Tafeln umfassen.
Ein ausführlicher Prospekt steht auf Wunsch zur Verfügung.
. Verlag yon A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den Linden 13.
Bastian, A. Religions-philosophische Probleme auf dem Forschungs-
gebiete buddhistischer Psychologie und der vergleichenden Mythologie.
In 2 Abteilungen. X, 190 und 112 Seiten in einem Bande gr. 8.
1884. geh. M. 9 —
Belila, Robert. Die vorgeschichtlichen Rundwälle im östlichen Deutsch-
land. Eine vergleichend-archäologische Studie. Mit einer prähistori-
schen Karte im Maassstabe von 1 : 1 050 000. X und 210 Seiten gr. 8.
1888. geli. M. 6,50
Joest, Willielm. Tätowieren, Narbenzeichnen und Körperbemalen. Ein
Beitrag zur vergleichenden Ethnologie. Mit 11 Tafeln in Farbendruck,
I Lichtdrucktafel und 30 Zinkätzungen nach Originalzeichnungen von
O. FINSCH, CL. JOEST, J. KUBARY und P. PREISSLER, nebst
Original-Mitteilungen von O. FINSCH und J. KUBARY. X und
112 Seiten Folio. 1887. In Halbleinwandband. M. 40 —
Joest, Wilhelm. Spanische Stiergefechte. Eine kulturgeschichtliche Skizze.
113 Seiten. Mit 3 Lichtdrucktafeln gr. 8. 1889. geh. M. 3 —
Mitteilungen der Deutschen. Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde
Ostasiens. Jedes Heft M. 6 —
Scliroeder, Leopold von. Die Hochzeitsbräuche der Esten und einiger
anderer finnisch-ugrischer Völkerschaften in Vergleichung mit denen
der indogermanischen Völker. Ein Beitrag zur Kenntnis der finnisch-
ugrischen und der indogermanischen Völkerfamilie. VIII und
265 Seiten gr. 8. 1888. geh. M. 5 —
Virchow, Rudolf. Das Gräberfeld von Kobau im Lande der Osseten.
Kaukasus. Eine vergleichend-archäologische Studie. 1 Band Text,
157 Seiten mit zahlreichen Holzschnitten, 4. geh. und ein Atlas von
II Lichtdrucken, Folio, in Mappe. 1883. M. 48 —
Virchow, Rudolf. Crania ethnica Americana. Sammlung auserlesener
Amerikanischer Schädeltypen. Mit 27 Tafeln und 29 Textillustrationen.
Folio. 1892. cart. Mk. 36 —
Diesem Hefte liegen folgende Prospekte bei :
von Baumgärtners Buchhandlung in Leipzig über
„Stephani, Der älteste deutsche Wohnbau",
von (1er Verlagsbuchhandlung Hobbing & Biichle in Stuttgart über
„Ostpreussen Land und Volk",
von der Verlagsbuchhandlung J. Neumann in Neudamm über
„Länder- und Völkerkunde herausgeg. von Paul Lehmann".
Druck von Gebr. Unger in Berlin, Bernburger Str. 30.
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Universitätsbibliothek der HU Berlin
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ZEITSCHRIFT
des
Vereins fur Volkskunde.
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und H. Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
von
Karl Weinhold.
Elfter Jahrgang.
Mit sechs Tafeln und Abb
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