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Meier , Boite :
Wunsch gemeinsam mit der Geliebten zu sterben hat in A auf Str . 7 zurückgewirkt und wird nun dort schon laut , während , was wohl ursprünglich ist , hier alle drei andern Versionen nur den Mord des Mädchens geplant sein lassen .
So sehen wir , wie selbst bei einem ganz jungen Liede schon die Macht der Uberlieferung kräftig die originale Gestalt geändert hat und wie wir selbst hier in einem erzählenden Liede und einer der jüngsten Zeit angehörigen Dichtung trotz der teilweise dem Original sehr nahestehenden Überlieferung den lichen Wortlaut vielfach nicht mehr wiederherzustellen vermögen .
Basel ( Schweiz ) . John Meier .
Eine Predigtparodie .
Aus dem Munde des siebzigjährigen holsteinischen Arbeiters Schröder in Stocksee ( südlich vom Plöner See ) zeichnete Herr Prof . Dr . W . Wis s er in Eutin ( jetzt in Oldenburg ) folgende Scherzrede auf , die von jenem fliessend hochdeutsch hergesagt ward :
'Hört , meine vielgeliebten und zusammengestifteten , mit Schiebkarren geschobenen , schafsledernen Freunde ! Unser heutiges Evangelium finden wir aufgezeichnet im siebenten Buch Mosis , wo die Worte also lauten : Von einer Hochzeit zu Kana in Galiläa . Da brachten sie einen Toten heraus , der war stumm . Sie wollten ihm zu essen geben von dem Fleisch eines Gichtbrüchigen . Er wollte aber nicht , sondern setzte sich auf einen Stein und ritt davon . Und als sie 13 Tage und 14 Stunden geritten , kamen sie auf einen hohen Berg , von demselbigen viel Volks herabkam . Diese führten lauter gekochte Krebse mit sich . Es begab sich auch , dass der König dahin reisen wollte , nämlich von dem Bullenwinkel nach dem Kalwerstall . Und die Kuh krähte zum erstenmale . . . . Wider wêt ik ne . 7
Das Stück , zu dem unsre Leser vielleicht gedruckte oder im Volksmunde lebende Seitenstücke1 ) nachweisen können , erinnert weniger an die noch heut laufenden Kinderpredigten2 ) als an die älteren Lügenmärchen und Quodlibets3 ) ; durch die dreiste Verwendung von Stellen aus den biblischen Evangelien aber stellt es sich noch näher zu den ausgelassenen lateinischen Parodien , die alterliche Vaganten vom Evangelien - und Messtexte verfassten . 4 ) Ein , soviel ich
1 ) [ Erst während der Korrektur stosse ich auf eine alte Variante , betitelt 'Das gelesene Evangelium' , im Vade Mecum für lustige Leute Bd . 1 ( Berlin 1767 und 1774 ) , No . 264 : „ Der Schulmeister in einem Dorfe verlas das Evangelium von der Hochzeit zu Cana . Indem er nun anfing , so kam einer zur Kirchthiire herein , und der Zugwind schlug ihm einige Blätter nacheinander um , dass er irre ward . Er wollte aber nicht stecken bleiben , sondern las immer fort : Und es war eine Hochzeit zu Cana in Galiläa , und die Mutter Jesu war da — und siehe , da trug man einen Todten heraus — der war stumm — und es begab sich , dass sie ihm vorlegten ein Stück von einem gebratenen — Gichtbrüchigen — und er wollte nicht davon trinken — er setzte sich dann auf einen Stein — und ritte davon . " ]
2 ) Böhme , Kinderlied und Kinderspiel 1897 S . 306f .
3 ) Uhland , Schriften 3 , 233—237 . Müller - Fraureuth , Die deutschen Lügendichtungen 1881 S . 11 f . Boite , Ztschr . f . dtsçh . Altertum 36 , 150 . 296 . 306 . — Bisher unbeachtet ist eine auch für die Lügen wet ten der Märchen ( Müller - Fraureuth S . 86 ) wichtige Notiz des Augsbarger Chronisten Clemens Sender über ein am 18 . Juli 1509 gefeiertes fest : 'man hat urnb ainen hanen gelogen , und der die grösten lugin hat than , der hat den hanen gewunen' ( Chroniken der deutschen Städte 23 , 124 . Welser - Werlich , Chronica der Reichs - Statt Augspurg 1595 2 , 271 ) .
4 ) Carmina burana ed . Schmeller 1847 S . 22 . 248 . " Wright - Halliwell , Reliquiae antiquae 2 , 58 . 208 ( 1843 ) . Hubatsch , Die lateinischen Vagantenlieder 1870 S . 78f .