Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
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grausam gegen die Thiere und leichtsinnig gegen unser
Leben gewesen, wenn wir sitzen geblieben wären. Die
Führung meines Pferdes übernahm mein Kavaß, und so
konnte ich mich, munter voranschreitend, dem ungestörten
Genuß der großartigsten Natur, die ich bis jetzt gesehen
habe, hingeben. Namentlich an einer Stelle, wo der
Weg auf schmalem Felsgrat aus einem Thal in das an
dere übergeht, und wo ich, die übrige Gesellschaft etwas
zurücklassend, plötzlich ganz allein zwischen himmelhohen,
wilden Felsen und tiefen Abgründen stand, nichts hörend,
als tief unter mir das dumpfe ^Brausen des Bergbaches.
Da wurde mir ganz wundersam zu Muthe. Ich war so
weit, weit von der Heimath und Allen, die mich lieben,
und wenn die Nagelflühe unter meinem Fuß sich löste,
so lag ich bis zum jüngsten Tage tief unten, wohin nie
ein menschlicher Fuß gekommen ist, nie kommen wird.
Das war aber nur ein Moment. Die Großartigkeit
der allerdings mehr grausigen als schönen Natur behielt
nicht die Oberhand. Ich habe ans der ganzen Reise
eine mir selbst unbegreifliche Elasticität des Geistes
gehabt, keinen Augenblick die Laune verloren, und so
that ich an dieser Stelle einen Pistolenschuß in die Luft,
um das Echo zu wecken, das aber nicht sehr stark war,
und schritt von dannen. Schließlich wandte sich der Weg
geradezu rückwärts, im Zickzack, oft durch schmale, kaum
unser Packpferd durchlassende Felsspalten in das Thal
hinabsteigend. Endlich unten angelangt, wünschte ich den
Maler Grasen Kalckrenth aus Weimar herbei. Ein
enges Thal, von steilen, dünn mit Nadelholz bewachsenen
Felsen gebildet, und über diesen hohe Schneegebirge, unten
als Hauptstück ein türkischer Brunnen mit der durstigen
Reisegesellschaft.
Von hier ging es bei sanfter Senkung auf gutem
Wege in starken: Trabe, um die durch den Fußmarsch
eingebüßte Zeit einzubringen, nach Denislü hinein, wo
wir um drei Uhr Nachmittags eintrafen. Denislü ist
eine wunderlich weitläufig gebaute Stadt, in welcher 4500
türkische, 150 griechische und 30 armenische Familien in
ganz getrennten, weit von einander liegenden Vierteln
wohnen. Die Straßen sind fast alle von kleinen Bächen
durchströmt und von hohen Hof- und Gartenmauern
eingeschlossen. Die Häuser liegen rückwärts, vollständig
versteckt. Als wir beim Besehen der Stadt auf den
Bazar kamen, wollten sich zwei Orts-Kavassen unnütz
machen, wurden jedoch von unserm vornehmen smyrnaer
Gouvernements-Hassan schleunigst auf ihren Standpunkt
verwiesen. Bei dieser Gelegenheit kaufte ich eine Anzahl
runder, süßer Citronen, die uns sehr gute Dienste leisteten,
wenn wir unterwegs Durst litten. Man kann nur den
sehr erquickenden Saft genießen, das Fleisch ist bitter.
Der Han in Denislü war gut unb ganz neu, ohne aufs
fallende Abweichung von der Regel. Beim Auspacken
zeigte sich, daß an einer Stelle die Felsspalten, durch die
wir ins Thal herabgestiegen, für unser Packpferd zu eng
gewesen. Eine der beiden.Flaschen Portwein, die ich bei
mir hatte, war zerbrochen, und meine ganze Wäsche kar-
minroth gefärbt. Glücklicher Weise besaß der Han ein
Individuum, das bei uns in einen Hausknecht umzubil
den gewesen wäre. Dieses ließ sich durch einen tüchtigen
Backschisch bewegen, die Sachen sofort zn waschen, und
eine Stunde später hing Alles auf der Gallerte vor un
serm Zimmer. Ich mußte sie zwar noch etwas feucht
wieder einpacken; die Trocknung wurde jedoch auf einer
Dornhecke in Tamuk nachgeholt'. Und über den Mangel
au Rollen und Plätten setzte ich mich bereits mit der
für einen in Kleinasien Reisenden gebührenden Kaltblü
tigkeit fort. Die Schneeberge, welche uns gegen Abend
durch eine Art von Alpengllihen noch einen erfreulichen
Abschiedsgruß zuwinkten, machten sich in der Nacht an
ders geltend. Der Thermometer sank unter 0 und Mor
gens hatten wir Reis auf den Dächern.
Freitag, den 3. April. Um sieben Uhr Morgens
rückten wir ab. Die Gegend war zwar hügelig, kam
uns aber nach unserer gestrigen großartigen Gebirgsreise
armselig vor, die Kultur hörte bald hinter Denislü auf,
und wir ritten lange, vergeblich das nahe geglaubte
Laodicea suchend, über das Weideland. Um eine
Aussicht zu gewinnen, sprengte ich einen Hügel hinauf,
und Hassan voll Angst um mein Leben hinterher. Hier
war ich denn auch der Erste, der die Ruinen entdeckte.
Zunächst kamen wir in ein elendes Türkendorf, das nicht
einmal ein Kaffeehaus hatte. Dort ließen wir die Pferde
und stiegen zuerst auf einen Hügel, aus dem sich die Neste
einer Wasserleitung zeigten. Architektonisch war nichts
daran. Merkwürdig aber war, daß der vielleicht mehr
als tausendjährige Regen einen Theil des Kalksteins (die
ganzen Berge umher bestehen aus Kalk) aufgeweicht
hatte. Dieser war ans seinem Stein herausgeflossen und
hatte sich dabei von Neuem zu Tropfstein verhärtet.
Merkwürdig ferner war uns bei dieser Wasserleitung,
daß deren Erbauer das hydrostatische Gesetz der
kor resp ond irend en Röhren gekannt haben muß. Die
Wasserleitung überschreitet nämlich das Thal zwischen dem
obengedachten Hügel und dein, auf welchem Laodicea liegt,
nicht, wie alle anderen antiken Wasserleitungen, auf einer
Bogenbrücke, sondern steigt in sehr massiven Steinröhren,
von welchen noch bedeutende Reste daliegen, in das Thal
hinab und auf der andern Seite wieder hinauf nach
Laodicea. Ich hatte das gedachte Gesetz für eine Ent
deckung der Neuzeit gehalten.
Laodicea selbst muß, uach der mit Trümmern be
deckten Fläche zu urtheilen, einen sehr bedeutenden Um
fang gehabt haben. Von Privatgebäuden ist natürlich
nichts vorhanden, als die Ziegelsteine, die in Brocken
durch das ganze weile Feld dem Pflüger die Arbeit er
schweren. Das am besten erhaltene Gebäude ist wieder
eine Arena, sie ist jedoch stärker mitgenominen, als jene
in Aphrodisias. Dicht daran, auf dem Hügel, der die
eine Seite der Arena bildet, stößt ein mysteriöser Bau
von starken, plumpen, nebeneinander brückenartig fort
laufenden Gewölben. Ein Theater ist auch noch zu
erkennen. Ein zweites Theater soll noch besser erhalten
sein, es lag mir jedoch, bei der sehr stark brennenden
Mittagssonne, zu weit. Ein runder Tempel mit rö
mischeil Säulen und zahlreiche kleinere Tempelbauten
waren in ihren Fundamenten deutlich zu erkennen. Etwas,
das man mit Sicherheit für eine christliche Kirche halten
dürfte, habe ich nicht gesehen. St. Johannes hätte es
mir zeigen sollen, wo die von ihm gemeinte Kirche ge
standen hat. Laodicea hat mehrere für die ältere Kirchen
geschichte wichtige Concilien gehabt. Anno 1119 war sie
noch so bedeutend, daß Kaiser Johann Komnenns, ge
nannt Kalojoannes, cs der Mühe für werth hielt, sie
unter Aufbietung großer Streitmacht den Saracenen
wieder abzujagen. Im Jahre 1174 war sie unter Manuel
Komnenns nur noch ein offener Flecken, der sich ver-
theidiguugslos von Azeddin, Sultan von Jkonien, aus
plündern lassen mußte. 1402 scheint der Ort durch Ti-
mursH orden in seine jetzige völlige Vernichtung gestürzt
zu sein.
Herrn I. hatte seine Neugierde von einem Trümmer
haufen zum andern getrieben, während wir drei ziemlich
weit von einander uns jeder einen Sänlenstnmpf znm
Ruhen und Träumen ausgesucht hatten. Plötzlich war
Herr I. gänzlich verschwunden. Wir suchten ihn frucht
los^ überall, feuerten sogar vergeblich wiederholt unsere
Pistolen ab, um ihn zu rufen. Endlich nach einstündigenr
Warten entschlossen wir uns, nach dem Dorfe zurück zu
gehen und die Einwohnerschaft zur Klapperjagd nach dem
möglicher Weise in irgend ein altes Gewölbe versunkenen
Reisegefährten aufzubieten. Da fielen plötzlich im Dorfe
schnell hintereinander sechs Schuß, die nur aus dem Re
volver unseres Freundes kommen konnten. Er war von
Ruine zu Ruine von u»s ungesehen dorthin zurückgelangt.
Auf einem großen Stein hielten wir von unseren Vor-
räthen, darunter 12 harte Eier von gestern, ein Steh
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