Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Herausgegeben voir
Jnstaltsverzeichniß.
Europ a.
Seite
Deutschland, Oesterreich und die
Schweiz.
Ragusa in Dalmatien. Von v.
Rcinsberg - Duringsfeld. I. II. 10 13
Auf der Grenze von Hinterpom-
mern und Westpreuhen. Voi:
Karl Ruh........................24
Die Haidschnuckcn im irordwest-
lichen Deutschland..............32
EtneBesteigung des Groh - Glockner 58
Der tyrolische Lechgan .... 93
Die Bevolkerung Mecklenbnrgs . 96
Kiudermàrkte in Schwabeii . . —
Die Moore Ostfrieslands. Von
Hermann Meier. I. il. . 141 179
Die Orts- und Familien-Namen
im preuhischen Polen. Von Karl
Ruh.............................152
Bevolkerung Altenbnrgs.... 160
Das Karstgèbirge und scine Bcwoh-
ner. Von Ludwig Jhleib . . 186
Die sndliche Grenze des dentschen
Bundes..........................213
Die Geest in Ostfriesland. Von
Hermann Meier...................218
Die Vola. Von v. Rcinsberg - Du-
ringsfeld. I. n............ 232 263
Schleswig-Holsteìns Handelsflotte 257
Reisebilder aus dem Etschlande.
Von Fr. Brinkmann. I. li. 277 301
Die Entdecknng der Pfahlbauten im
Starnberger See.................287
Nurnberg. Von Fr. Brinkmann.
I. II. ìli........ 289 321 353
Die slavischcn Bewohner an der
Seitc
siidostlichen Grenze des dentschen
Bundes. Von Ludwig Jhleib 311
Die Pfahlbauten in den bayerischen
Seen.............................318
Die frasche Nehrrmg. Von Friedr.
Dentier. . . '......................333
Die Pfahlbauten in Mecklenburg 3j9
Pfahlbau - Alterthnmer in Màhren 350
Ein Eisberg und Alterthmner am
Fusse des nassariischen Wcster-
waldes . . . ............................—
Großbritannien und Irland.
Sterblichkeitsverhältnisse in Irland
und Wales.....................
Glaubensbekenntnis; in Irland .
Ziffern ans dem Budget Groß-
britanniens .....................
Großbritanniens Schifffahrt . .
Alterthümer auf den Orkadischen
Inseln........................
Ein Ausflug nach den Färbern .
Knchenabfälle und Muschelhügel bei
Halifax in Neuschottland. . .
Der höchste Berg in Großbritannien
Ein Ausflug von Jnverneß bis zur
Pentland -Föhrde in Nordschott-
land. Von Di-, Richard Andree
Der Mineralreichthum Großbri-
tanniens .................._ . .
Der Einfuhrhandel Großbritan-
niens 1863 ..................
96
128
256
288
309
319
352
367
383
384
Italien und Spanien.
Ein Gemeinderath in Sicilien . 96
Seite
Eine Ersteigung des Monte Viso 158
Streifzuge in der spanischen Pro-
vinz Valencia. I. II. . . 161 193
Das Kolosseum in Rom. Von
Professor Or. Kahser. I. II. 215 247
Die Ausgrabungen in Pompeji . 224
Ruhland.
Ruhlands Eisenbahncn............... 31
Das Gonvernement Jekatherinos-
law in Sndrnhland .... 49
Rnssische Laudstreicher........... 51
Odessa cmt Schwarzen Meer . . 96
Volksmenge im Konigreich Polen —
Das Steppenvieh Ruhlands . . 128
Die dentschen Mennoniten an der
Molotschna in Sudrnhland . . 150
Die Tschnmaken Sndrnhlands . 158
Die Auswandernng dcrTschcrkessen
au- dem Kankasns................256
Die Jahrmarkte Ruhlands, ins-
besondere jenervonNischni-Now-
gorod. Von M. v. Bulmarincq 298
Alterthuinerfund in sudrussischen
Knrganen.......................320
Steinwerkzeuge aus dem nordrus-
fischen Gou'vernement Olonetz . 382
Die Volksmenge auf der Insel
Malta.........................30
FossìleElephantenkncchen aufMalta 94
Der See von Jannina in Albanien 148
Ein Magnetberg in Schwedisch-
Lappland......................159
Die Bevölkerung von Paris . . 352
Asien.
Vorderasien.
Gofsord Palgrave's Reise von Gaza
in Syrien durch das nördliche
Centralarabien nach El Chatif
am Persischen Meerbusen und
nach Oman.......................23
Der Telegraph nach Indien und
die mesopotamischtn Araber . . 29
Die Karawanenstraße von Trape-
zunt nach Erzerum und Tabris —
Eine Konsularreise durch das Ge-
neral - Gonvernement Smyrna
I. II. IH. IV. 207. 243 273 342
Ostindien.
Wieder eine Wittwenverbrennnng
in Indien...................
Für Kennzeichnung der Zustände
Ostindiens. . 123 126 254
Die Felsentcmpel in Indien - •
30
318
134
IV
Seite
Eine indische Fürstin...............146
Das ostindische Budget .... 192
Krieg wegen eines Menschenopfers
in Orissa........................316
Die Finanzen Ostindiens . . . 352
Geistige Regsamkeit unter den
Hindus..............................380
Hinterindien.
Heinrich Mouhot's Wanderungen
in Siam, Cambodscha unb
Laos.................. 65 225 257
Die katholischen Missionen nach
Lhassa bis zum Jahre 1864. . 104
Seite
Die Lage der Dinge in Cam-
bodscha . . . . '................285
Die Stadt Saigong im französi-
schen Cochinchina'...............286
Die Zustände in Bhutan. Von
Ernil Schlagintweit .... 330
Adolf Bastian'über das alte Cam-
bodscha und die Ruinen von
Ongkor...........................348
Die Vorgänge in Bhutan . . . 379
China und Japan.
Das Volk der Arnos auf der japa-
nischen Insel Jeso ... 86 190
Seite
Aus Japan........................127
Die Stadt Tien tsirr in Nordchina 138
Trauben - unb Eishandel in China 192
Das Aufblühen voir Schanghai in
China.........................224
Die Verhältnisse in Japan ... —
Der Ausfuhrhandel von Hakodade 352
Schanghais Theeausfuhr "... 314
Nachrichten über die Insel Formosa 120
Leben und Treiben in den den Gru-
benrevieren Ostsibiriens . . . 121
Mittheilurigen über Manila. Von
Dr. Birnbaum....................144
Die sibirische Telegraphenlinie. . 224
Afri k a.
Der Nordrand und die Sahara.
Die Juden in Marokko .... 20
Der Ordensbund der Jssauah in
Marokko..........................54
Heinrich von Maltzahns Besuch in
der Hauptstadt Marokko im Jahre
1859. I. II.................83 112
Die blondhaarigen, blauäilgigerr
Kabylen in Algier...............184
Die Oase Tuat in der nordwest-
lichen Sahara...................252
Eine Stadt in der afrikanischen
Wüste.. Von Alfred Brehrn. . 304
Die Eingeborenen Algeriens unter
der Herrschaft Frankreichs. I.
II. :..................... 313 338
Der Nord osten und die Nilländer.
Theodoros, Beherrscher von Acthio-
pien.............................16
Dr. Georg Schweinfnrth in Afrika 19
Georg Schweinfurths Fahrt auf
dem Suez-Kanal ..... 33
Krankheiten im abessinischen Mensa 63
Die katholischen Missionäre beim
Sultan von Sansibar an der
Ostküste von Afrika .... —
Die ägyptische Hieroglyphenschrift
und ihre Erklärer. Von Pro-
fessor Dr. Kaiser. I. II. . 80 107
Aufschwung in Aegypten . . . 125
Die Ostküste von Afrika und die
Nil-Entdeckungen...............222
Die Europäer in Abessinien . . 223
Nähere Nachrichten über das Schick-
sal der Juden - Missionäre in
Abessinien und König Theodor 284
West- und Süd-Afrika.
Mage's Reise am obern Senegal
und Niger..................
Die Kampfe der Franzosen in Se-
negambien.....................
29
30
Aus Sierra Leone...... 63
Aus Südafrika...................94
Die transvaal'sche Republik und
das Natal-Land.................155
Land, Leute und Kriegführung an
der Westküste von Afrika. . . 286
Kulturgeographische Erläuterungen
zu der Karte von Südafrika von
Karl Andree....................375
Das Leben der Europäer an der
Westküste von Afrika .... 379
Die Dampferstalionen an der West-
küste von Afrika................—
Der Cnrral auf Madeira ... 53
Der Vulkan auf der Insel Bour-
bon ..........................62
Spinnen auf Madagaskar ... 63
Hnngersnoth ans den Inseln des
Grünen Vorgebirges .... 223
Die Ranrenanzas auf Madagaskar 379
A m c r i k ¡1.
Nordamerika.
Eine Dampferfahrt auf dein Mis-
souri nird eine Wanderung zu
den Mauvaises Terres am White
Earth River...................... 1
Das deutsche Schulwesen in den
Vereinigten Staaten .... 21
Sterblichkeit unter den freien Ne-
gern in Nordamerika .... 30
Der ganze weite Westen Nordame-
rika's goldhaltig.................—
Aus Californien.....................31
Die Eisenbahnen in den Vereinig-
ten Staaten Nordamerika's. . —
Die geologischen Verhältnisse der
Mauvaises Terres.................57
Einwanderung in Nordamerika über
Neuyork .........................63
Die Eisernte in Nordamerika . . —
Die Seelenverkäuferei in den ame-
rikanischen Nordstaaten ... 89
Miscegenation und Melalenkation
in Nordamerika...................94
Die Miscegenation im Naukee-
lande...........................204
Einwanderung in Canada 1863 . 223
Eine Probe nordamerikanischer
Freiheit...........................255
Rückgang der nordamerikanischen
Seeschifffahrt...............256
Ausrottung der Indianer in Nord-
amerika.........................287
Die Goldfunde in Britisch Co-
lumbia ...........................—
Thatsachen und Stimmen aus dem
Bankeelande.....................372
Der Telegraph im Gebiete der
Hudsonsbay- Compagnie . . . 380
Mexico.
Beobachtungen über Merico. Von
Karl Andree......................75
Räuber, Wegelagerer und Banditen
in Mexico.......................127
Ein Zug über die Landenge voll
Dänen........................223
Südamerika.
Muschelhügel an der Westküste Süd-
amerikas .....................31
Die Einwanderung in dell Staaten
am La Plata
Der Paraguaythee in der brasiliani-
schen Provinz Rio Grande do Sul 56
Kautschuk, Gatta pertscha, Gllarana
und Copaiba-Oel in Brasilien 92
Dampfschifffahrt in der Magellans-
Straße...........................95
Aus meinem brasilianischem.Tage-
buche. Von Woldemar Schultz.
I. li....................97 129
In den La Platastaaten.... 126
Walisische Kololiien in Patagonien 153
Aus Bolivia........................191
Nene Kupfergrnben in Südamerika 192
Der Madre de Dios und der Pu-
rus im Gebiete des Amazonen-
stronrs '..................... 198
Zwei fahrbare Pässe über die chile- ;
nische Cordillere und eine intero-
ceanische Eisenbahn durch Süd-
amerika ..........................210
Fortschritt in der Republik Pa-
raguay ..........................317
Aus den Staaten am La Plata . —
Dampfschifffahrt und Handel auf
den: Amazonenstrom" ....
Die Lagöa dos Patos irr Südbra- —
silien. Voll Karl voll Koseritz . 347
Der Riesenbaum Sumameira in
Brasilien...........................380
y
Australien.
Seite
Australien.
DerAcclimatisirungsvereurzu Mel-
bourne ..........................30
Australien. Statistisches .... 95
Volkszahl von Neu - Süd-Wales 224
Die Deutschen zu Victoria in Au-
stralien ........................287
Port Denison in Queensland . . 318
Seite
Eingewöhnung europäischer Nutz-
thiere in Australien .... 320
Zustände in Neucaledonien . . . 380
Australische Notizen............—
Océanien.
Kanreharneha der Vierte, König der
Saudwichsinseln...................30
Seite
Neuseeland. Statistisches ... 95
Menschenfresser unter den Negern
auf Haiti. Die Schwarzen und
die Gelben......................182
Mittheilungen des Goldgräbers
Karl Goltz ans Otago in Neu-
seeland. I. II.............. 306 335
Der Krieg in Neuseeland. . . . 381
A l l g r »i í i n 10.
Der Mensch und die klimatischeil
Einflüsse...................27
Der Silberabzug aus Europa nach
dem Orient..................32
Häringsfang während der Winter-
monate .............................—
Die Elephantenzähne als Handels-
waare ....................... . . —
Das Schiff und die Seefahrt . . 60
Die englischen Sturmsignale . . 64
Noch eine Dampferlinie aus Europa
nach Südamerika.............95
Die überseeischen Besitzungen Groß-
britanniens .......................96
Handelsverkehr und Schifffahrt
Großbritanniens und Irlands
dic Kttllurentwicklung der Völker.
III. Der Elephant.................115
Erdbeben.............................126
Ein geographischer Schnitzer . . —
Eine große wissenschaftliche Expe-
diltou nach Mexico .... 157
Die neuen Seewege Maury's . . 158
Die Temperatur der Alpenseen . 158
Ernst Renan über den Gegensatz
zwischen den semitischen itnd in-
doeuropäischen Völkern . . . 159
Wohin geheil die Ausfuhreil Eng-
lands? ..........................160
Der Handel mit Butter.... —
Die Weinrebe als Kulturpflanze
und der Wein als Getränk bei
den verschiedenen Völkern. Von
Georg Ebers. I. II. . . 172 238
Vivien de St. Martiils Urtheil
über den „Nilquellen-Entdecker"
Speke...........................189
Willwood Reade's Bemerkilugeu
über Sierra Leone...............191
Elfenbein in einem Elephanten-
magen...........................192
Noch eine Expedition nach dcnNord-
polarläuderu ....... 223
Die telegraphische Verbindung
zwischen'Europa ilnd Ostiildieii 224
Neue Reisen........................254
Auswanderung über See . . . 256
Die dänischen Kjökkenmöddings, die
Pfahlbauteil in der Schweiz und
Deutschland nnb die irischen See-
wohnnilgcii......................269
Der Krieg der Engländer gegen
den König von Aschauti .' . . 279
Wie iildische Fürsten von den Eng-
ländern behaiidelt werden . . 281
Konsul Richard Burtou gegen Ka-
pitän Hanniilg Speke.... 285
Zur Völkercharakteristik. Dänen
und Deutsche...................288
Die Kilkenny - Katzen und die
Deutschen......................—
Soll man Abessinien oder Aethio-
pieu sagen?....................316
Versendung vonChampagnerweinen 320
Kunstwerke in alten Knochenhöhleil 351
Ans den slavischen Ländern . . 352
Religiöse Bewegungen in der Türkei 381
Die Kröuungshalle der byzantini-
schen Kaiser...................—
Ueber die Mücken in Lappland . —
Stockt,olms Wasserverbindungen . 383
Zur Statistik des deutschen 'Zoll-
vereins ..........................—
Personal-Nachrichten.
Doktor Esselbachs Tod .... 29
Doktor Hangs Auffindung von
Zendmalluskripteu —
Heinrich Barth in Kozalie in
Thessalien........................64
Livingstone und dessen südafrika-
nische Pläile.......................157
Kapitän Speke's afrikanische Phan-
tasien ...........................157
Ashley Edens Reise liach Bhutan.
Seine Verhaftung.................189
Kapitän Mage am obern Senegal 190
Der neueste Bericht des Herrn v.
Heuglin.............................222
Ein neuer Brief von Livingstone 222
Der Naturforscher Fr. Junghuhn 223
Mage geht von Sego liach Ham-
dallahi. — Perrciud von St.
Louis nach Timbuktu .... 254
Nachrichten über Reisende . . . 378
Der Löwenlödter Gerard . . 379
Jtlilstmtionenverzeichniß.
E u r o p a.
Deutschland.
Der Panierplatz in Nürnberg. . 289
Der Marktplatz mit der Frauen-
kirche und dem schönen Brunnen
in Nürnberg...............292
Das Sebaldusgrabmal von Peter
Bischer in Nürnberg .... 293
Der Heidenthurm auf der Burg in
Nürnberg..................321
Die alte Linde auf dem Burghofe
in Nürnberg............- 324
Die Brantthüre der Sebalduskirche
in Nürnberg............... ■ 325
Portal der Frauenkirche in Nürn-
berg ..........................328
Wenzel unter der Linde in Nürn-
Alte Häuser au der Stadtmauer
in Nürnberg.....................353
Das Albrecht'- Dürer - Haus in
Nürnberg........................354
Hof eines Hauses in der Theresien-
straße tu Nürnberg..............355
Thor der Kapelle des Tucher'schcil
Hauses tu Nürnberg .... 356
Das Gänsemännchen in Nürnberg 357
Chörlein des Sebalder Pfarrhofes
in Nürnberg.....................358
Wendeltreppe im Fuchs'scheu Haitse
in Nürnberg.......................359
Ostindien.
Eingang der Grotte von Elephanta 135
Die'Löwengrotte ans Elephanta . 136
Die Hochzett Sitva's ttitb Parva-
ti's. Basrelief der Grotte von
Elephanta.......................137
Seite
Die Pegnitz in Nürnberg . . . 360
Die Königsbrücke in Nürnberg . 361
Die Marbrücke in Nürnberg . . 361
Ansicht der Burg in Nürnberg von:
Stadtgraben aus..................365
Spanien.
giunteti eines alten Theaters. zn
Murviedro (Sagun.tum) . . . 161
Melonenverkänfer in Valencia . 163
Mädchen in Valencia...........164
Alte Frau in Valencia .... 165
Toreros in Valencia...........166
Der Torero erzählt in der Schenke
seine Großthaten...........167
Der Guadalaviar...............168
Die Strandlagune Albufera . . 169
Straßenmusikantcn in Valencia . 170
Jagd auf Flamingos............171
Hausirer im Valencianischen . . 193
Bauern ans der Umgegend von
Carcageute.................195
Orangegärten bei Carcageute . . 196
Gewinnung der Fasern aus der
Aloe.............................197
Balkan-Halbinsel.
Ansicht von Ragusa..............11
Asien.
Hinterindien und der ostasintische
Archipel.
Der Löweufelsen vor dem Hafeu
von Schantabun ..... 65
Verfallene Tempelpyramidcn in
Ajuthia, Siam ...... 67
Seite
Einfahrt in die Bai von Gravosa
mit dem Fort Dara .... 12
Ragusa, Hafensceue bei Porta Pes-
caria . "........................13
Aeltestes Relief des heiligen Bla-
sius bei Porta Plocce (Ragusa) 14
Wahrzeichen bei Porta Pille (Ra-
gnsa)............................15
Fort Imperiale von Porta Pille
aus..............................44
Fort St. Lorenzo bei Ragusa. . 45
Palast der Rectoren in Ragusa . 46
Porta Plocce in Ragusa ... 47
Der Röhrbrnnuen am Pillethor
in Ragusa........................48
Bazar und Quarantäne in Ra-
gusa.............................49
Einfahrt in die Bocche di Cattaro 233
Eingang des Castel di terra in
Castel nuovo....................234
Castel di mare in Castel nuovo 235
Griechische Klosterkirche in Castel
nuovo...........................236
Perasto in der Bocche di Cattaro 237
Castel spagnuolo in Castel nuovo 238
Cattaro und die Bocche di Cat-
taro ..............................261
St. Giorgio, Madonna della Scar-
pello und Perasto..................265
Montenegriner Bazar in Cattaro 267
Fort St. Trinità bei Cattaro. . 268
Landschaft in d.Bai von Schantabun 68
Affen spielen mit einem Krokodil
im Flusse von Schantabun . . 69
Fahrt zwischen den Inseln im Meer-
busen von Siam....................70
Reliquien aus dem Kloster auf
dem Berge Phrabat .... 71
VII
Seite
Das buddhistische Kloster ans dem
Berge Phrabal....................72
Eine Favorite des Königs von
Cantbodscha......................73
Ein kambodschanischer Wagen . . 74
Banernhütte in Cambodscha . . 75
Der Elephantenzwinger in Ajuthia,
Siam . . . 117
Wilde Elephanten werden nach
Ajnthia getrieben...............118
Elephantenkarawane im Gebirgs-
lande von Laos.....................119
Der Nordosten und die Nilländer.
Theodoros, Beherrscher von Äthio-
pien ........................17
Anr Suez-Kanal...............33
Fuhrwerk der Suez - Compagnie . 34
Arbeiter am Stiez-Kanal ... 35
Nordamerika.
Ein Dampfer ans den: Missouri . 1
Banmstämnte und schwimmende In-
seln im Missouri................. 2
Bilderschrift auf Büffelhaut bei den
Dakotas........................ 3
Die Mauvaises Terres am White
Earth River. Erste Ansicht. . 5
Die Mauvaises Terres am White
Earth River. Zweite Ansicht . —
Ein Dakota-Indianer .... 6
Eine Dakota-Frau.................. 7
Ein Krieger der Dakotas ... 8
Begräbnisstätte der Dakotas . . 9
Seite
Der König von Cambodscha . . 225
Ein Page des Königs voir Eam-
bodscha.................... • 226
Ein Komiker des Königs von Cam-
bodscha ........................227
Katholische Mission zu Pinhaln,
Cambodscha................. . 228
Waldgestrüpp im Lande derStiengs 229
Häuptling eines Stieng-Dorfes 230
Eine blödsinnige Stienge . . . 231
Pavillon in den Ruinen von Ong-
kor ............................257
Afri K it.
Ein Ditrchstich am Suez-Kanal . 36
Arabisches Dorf bei Port Said . 37
Dünen von El Ferdan .... 40
Ansicht vom Timsah-See ... 41
Das Schloß Tel el Kebir ... 42
Hieroglyphenschrift des Rosetta-
steines (Ptolemäus) .... 107
A vx er i k ñ.
Brasilien.
Neger ans Angola, in Bahia . . 97
Straße in Bahia...................99
Neger aus Quimbombo und aus
Cabinda, Bahia................100
Minas - Negerin in Bahia . . . 101
Brasil - Neger in Bahia .... 102
Neger aus Mozambigne ans der
Jagd bei Bahia................103
Pnris - Indianerin von: Parahy-
bastrom.......................129
Botocude.........................130
Brasilianische Mulattin .... 131
Brasilianische Mameluca ...
Seite
Cambodschanische Münzen . . . 258
Statue des aussätzigen Königs von
Cambodscha.....................259
Waffen, Schmuck und Geräthe an
ben Mauerwänden des Ongkor
Wat............................260
Der centrale Porticus des Ongkor
Wat............................261
Der Weg zum Himmel, nach chine-
sisches Vorstellung................139
Hieroglyphenschrift des Obelisken
voti Philä ....... 107
Hieroglyphcnschrist voir den Skulp-
turen des Palastes von Karnak
zir Theberr (Inda).................112
Indianerin aus der Provinz Espi-
ritu Santo...................132
Indianer aus der Provinz Espiritu
Santo....................... 133
Eine Hütte der Chunchos im Thale
von Pancartambo...............199
Chunchos in einem Urwald am
Apurimac......................200
Lagerplatz der Chuntagniros am
Apurimac......................201
Antis-Indianer in einer Strom-
schnelle .....................203
Pfahldorf.................... . 271
Stahlstiche.
Der Cnrral ans Madeira. Zu dem Artikel: Der Curral auf Madeira......................................53
Das Colosseum in Rom. Zn dem Artikel: Das Colosseum in Rom vorr vr. Kayser..........................215
Schloß Tyrol bei Meran. Zir dem Artikel: Reisebilder aus dem Etschlande II. von Fr. Brinkmann.......301
Karten-Beilage.
(Aus Meher's neuestem Haud-Atlas.)
Karte von Süd-Afrika. Kulturgeographische Erläuterungen dazu
375
Druck vom Bibliographischen Institut (M. Meyer) in Hildburghausen.
Eine Dampferfahrt aus dem Missouri und eine Wanderung ju den Mauvaises
Terreo am White Carth River").
Nordamerika's Prairieland und dessen Eigenthümlichkeiten. — Die neuen Gebiete und Ansiedelungen. — Der Missouristrom. —
Eine Musterkarte von Fahrgästen auf dem Dampfer. — Snags, Sawyers und Rafts im Strombette. — Fort Pierre Choutean. —
Leben und Treiben der Pelzhändler. — Die Indianer. — Ein Friedhof der Sioux. — Ausflug nach den Mauvaises Terres. —
Die Black Hills. — Eine verwünschte Stadt. — Fossile Ueberreste. — Das Volk der Sionr oder Dakotas uub dessen
Stämme. — Wanderung nach Fort Union am obern Missouri.
1. Allgemeiner Charakter der Prairien und
der Missouri-Region.
Der „weite Westen" Nordamerikas, im Süden des
49" n. Br. hat längst aufgehört, nur eine öde Wildniß zu
sein. Das ganze Land, vom Mississippi bis an die Gestade
des großen Weltmeeres, ist nun in Staaten und Gebiete
von Osteil her griilidet man imnier weiter kaildeiir feste
Niederlassungen, deren Bewohner sich schon seht gleichsam
die Hände reichen können. Wie lange ist es her, daß
Michigan, Wisconsin, Iowa uub Missouri Staaten an der
äußersten Gränze bildeten? Jetzt liegen sie in der Mitte.
Westlich von Wisconsin finden wir heute den rasch empor
blühenden Staat Minnesota, welcher auch die Qnellen-
Ein Dampfer auf dem Missouri. (Nach einer Originalzeichnuug.)
getheilt wordeit. Seitdeul die reichert Goldlager in Cali-
fornien sich erschlossen, ziehen alljährlich viele tciufenbe von
Menschen hinüber uub herüber durch diese vormalige Ein-
öde; die Karawanenwege werden belebter, von Westen wie
*) Reports of explorations and surveys to ascertain tlio
most practicable and economical route for a railroad from the
Mississippi River to the Pacific Ocean. Washington 1855.
4. 93b. I. S. 23 l—250 — die Bench te übex die Navigability
of the Missouri vou Lieutenant A. I. Donelson, E. Gro-
ver und R. Saxton. — Karl Andree, Nordamerika in
Globus VI. Nr. I.
region des Mississippi umfastt; dann in gerader Lillie lvest-
lich die Territorien Dakota und Idaho; das letztere
granzt an das Gebiet Washington und den Staat Ore-
gon. Westlich von Iowa dehilt sich, ostlich vom Missouri-
geographischen lmd geschichtlichen Umrissen :c. Braunschweig
1853, 2. Auflage. S. 140, 232, 782 sf. — E. 8. Seymour,
Sketches of Minnesota. Neuyork 1850. S. 39 Ulld an anderen
Stelleil. — Voyage dans les Mauvaises Terres du Nebraska,
par E. de Girardin, in Le Tour du Monde, Nr. 212.
1
Eine Dampferfahrt auf dem Missourt und eine Wanderung zu den Mauvaises Terres re.
flusse, das Territorium Nebraska; südlich von diesem
liegt der neue Staat Kansas; von diesem nach Westen hin
finden wir das Gebiet Colorado, in welchem sich der
Pike's Pik erhebt, das Mormonengebiet Utah, imb das
goldreiche Nevada, welches durch die Ketten der Schnee-
gebirge von Calisornien getrennt wird.
Diese neuen Gebiete sind theilweise erst schwach besiedelt
und ihre Volkszahl ist noch gering; aber in der frühern
Wüstenei sind Kernpunkte vorhanden, welche Einwanderer
anziehen und von denen ein reges Leben ausstrahlt. Nach
und nach füllt sich das Land, der braune Jäger weicht dem
weißen Ackerbauer oder Bergmann, und aus vereinzelten
Handelsposten uub Blockhütten erwachsen Dörfer und volk-
reiche Städte.
Aber in vielen Gegenden, namentlich im Westen des
Missouri, werden große Landstrecken noch auf lange Zeit
hinaus der alten, urwüchsigen Wildheit preisgegeben blei-
ben ; denn weit ausgedehnte Räume sind schon ihrer Boden-
beschaffenheit wegen ungeeignet für den Anbau. Dort werden
land führt von Santa Fe nach Südosten der einzige, ehemals
von mexikanischen Kaufleuten durch Pfähle abgesteckte Weg,
den Reisende in dieser Gegend überhaupt einschlagen können,
und selbst ans jener einzigen gangbaren Strecke liegen die
Wasserstellen 12 bis 20 deutsche Meilen von einander
entfernt.
Oft reichen die „Brauen", diese Ränder der Tafelebene,
bis dicht zum Userrande der Ströme, deren Betten in tiefen
Schluchten liegen. Diese Canon es haben nicht selten
eine Tiefe von vielen hundert Fuß, und die Uferränder,
z. B. des Canadian, werden aus einer sehr weilen Strecke
von Steilklippen gebildet, welche bis ju 1200 und 1500
Fuß hoch sind. Auch kleine ititb sehr schmale Gefließe haben
oft ihr Bett so tief ansgewühlt, daß die senkrecht emporstei-
genden Ufer eine Höhe bis zu 100 Fuß und mehr haben,
imb der Reisende hat oft gar keine Ahnung vom Vorhan-
densein einer solchen Schlucht, bis er sich hart am Ufer vor
dem Abgrunde befindet; er muß dann auf weiten Umwegen
eine passende Uebergangsstelle aufsuchen.
Baumstämme und schwimmende Inseln im Missouri. (Nach einer Originalzeichnuug.)
Büffel und Indianer, so viele von ihnen übrig bleiben, eine
Zufluchtstätte behalten.
Das ungeheuere nordamerikanische Prairieland, welches
vom Fuße der Felsengebirge nach Osten bin bis an den
Mississippi uild noch weit über denselben hinausreicht, erstreckt
sich vom Saskatschewall im Nordeil nach Süden hin bis über
den Red River lveit nach Texas hinein. Diese Region be-
steht zum größten Theil aus Flächen und Hochebenen. Aber
aus der Ferne und von der Hochebene her gesehen, gleichen
die Ränder der Plateaux, welche auf der Fläche lagern, hohen
Gebirgen, während sie doch nur Ränder von Tafel-
ebenen sind und von den Spaniern sehr richtig als Cejas,
d. h. Brauen, Vorstöße, bezeichnet werden. Das Prairie-
gebiet zeigt eine Menge eigenthümlicher Erscheinungen, die
sich in solcher Art nirgends wiederholen. Wo fände inan
ein Nebenstück zu der abgepfählten Ebene (dem Llano
estacado, 32 bis 35'/,° n. Br.,' 100% bis 104'%« w. L.),
die als großes Dreieck, vorn Red River bis in die Nähe
Neu - Mexiko's reicht, zum größten Theil dürr ist, und wo
die Flüsse ungenießbares Wasser haben. Ueber dieses Tafel-
Aus sehr ausgedehnten Strecken trägt das Prairieland
den Charakter einer dürren Steppe, ans deren einige Mo-
nate lang mit Gras bewachsenen Theilen zeitweilig Büffel,
Antilopen und Indianer sich einfinden. Selbst die Ufer der
Prairieströme sind zum größten Theil baumlos; nur die so-
genannteil Croß Timbers, welche sich vom obern Laufe
des Trinidad in Texas bis zum Red Fork des Arkansas
erstrecken und einen großen Buschstreifeil, zumeist von
dichtem Unterholz bilden, erscheinen als eine bemerkenswerthe
Ausnahine.
Jenseit des Platte, im Norden des 40.« n. Br., begin-
nen die nördlichen Prairien. In ihnen winden die
vielen Gefließe sich zumeist in trägem Laufe durch die weite
Ebene und überschwemmen zur Zeit des Hochwassers die Ufer-
weit und breit. Durch Hügelketten, bewaldete Stromufer
und manchmal durch kleine Seen erhält die Gegend zuweilen
einen malerischen Anblick, aber auch hier sind die Ebenen
großentheils baumlos, und als Brennstoff dient dem In-
dianer und dem Reisenden der Büffeldünger, in derselben
Weise, wie demMongolen in der asiatischen Gobi der Argot.
3
Eine Dampferfahrt auf dem Missouri und eine Wanderung zu den Mauvaises Terres re.
Im Süden des 50. Breitengrades bildet der Missouri
den mächtigsten Strom des Prairielandes. Seine Quellen
liegen am Ostabhange jenes gewaltigen Gebirgsknotens, der
als Windriver-Gebirge bezeichnet wird. Wir kennen
seine Quellen, welche zwischen denr 42 und 43' liegen, seit
dem Jahre 1805; sie sind nicht weit von jenen des Colum-
bia entfernt. Unter dem 47 ’ n. Br. bildet er eine Reihe von
Katarakten, deren einer 87 Fuß hoch und mehr als 1000
Fuß breit ist. Weiter oberhalb bricht er sich Bahn aus denr
Felsengebirge heraus, auf einer, zwei Wegstunden langen
Strecke und fließt dort in engem Felsenbette zwischen 1200
Fuß hohen Steilwänden.
Dieser merkwürdige Strom, dessen Lauf länger ist, als
jener des Mississippi, bildet die Hauptverkehrsader nach Nord-
ans aufgeblasenen Thierschläuchen oder Rohr und Schilf zu
bereiten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hat beu Missouri
in Bezug aus seine hydrographischen Verhältnisse mehrfach
genau erforschen lassen. Als günstiges Ergebniß stellte sich
heraus, daß an manchen Punkten Steinkohlen liegen , daß
aber der Stronr selber allzeit beschwerlich und gefährlich zu
befahren sei; doch sind einzelne Strecken vorhanden, wo man
auf gar keine Hindernisse stößt.
Im Allgemeinen, wir wiederholen es, eignet sich die
Region am obern Missouri nicht zur Besiedelung durch
weiße Menschen, unb gewiß wird ein Theil derselben noch
lange den Büffeln unb Indianern verbleiben.
Bilderschrift auf Büffelhaut, bei dcu Dakotas. (Nach einer Origiualzeichuuug.)
westen hin, lind an seinen Usern reichen vereinzelte Handels-
posten, „Forts", so weit er, bis Fort Ben toll, überhaupt
fahrbar bleibt. Aber die Schifffahrt ist, wie weiter unten
geschildert werden soll, sehr mühsam und gefährlich; der Lauf
iß vielfach gekrümlnt, das Bett voll von Untiefen und
Baumstämmen, das User zumeist kahl unb die Strömung
äußerst rasch. Ein Blick auf eine Karte kann zeigen, daß
er eine Menge zuin Theil sehr langer Zuflüsse erhält; unter
dieseir sind der Platte im Süden und der Yellowstone im
ücordeu am bedeutendsten, aber beide erscheinen zu flach für
die Beschiffllng selbst mit großen Nachen. Sie bieten überall
bequeme Uebergänge dar, und deshalb haben die Prairie-
indianer es niemals nöthig gehabt, Kähne zu bauen oder,
wie wohl in anderen holzarmen Gegenden der Fall ist, Flösse
Nachdem dieses vorausgeschickt worden ist, gehen wir auf
eine nähere Schilderung dieser in vieler Beziehung merk-
würdigeil Gegenden ein.
2. Fahrt ans dem Missouri bis Fort Pierre.
Die Erlebnisse und Abenteuer einer solchen Fahrt sind
von einem französischen Reisenden, Girardin, in sehr-
ansprechender Weise dargestellt worden. Er befand sich im
Jahre 1849 zu St. Louis im Staate Missouri und ivollte
voir dort rrach dem Goldlairde Califorilien, als er die Be-
kairntschaft eines aulerikauischen Geologeil machte, welcher
eiilige noch wenig bekanrrte Landstrecken am obern Missouri
1*
4
Eme Dampferfahrt auf dem Missouri uud eine Wanderung zu deu Mauvaises Terres rc.
näher erforschen wollte. Diesem Manne schloß er sich als
Zeichner an und ging mit demselben auf den Dampfer Iowa,
einen „schwimmenden Palast" , der aber mit mehr als
200 Fahrgästen uitd einer Masse von Waarenballen voll-
gepfropft war.
Die Mehrzahl dieser Lente hatte sich der „Amerikani-
schen Pelzhandelsgesellschaft" verdungen, war ans allen
Himmelsgegenden her auf dem Dampfer zusammengewür-
felt worden ititi) bildete gleichsam ein ethnologisches Mu-
seum. Da waren Pankees, Deutsche, Franzosen, Dä-
nen, Spanier, Irländer, Neger, Mulatten, Indianer
verschiedener Stämme uud Mestizen; natürlich fehlten
auch französische Canadier nicht, die man in den Pelz-
ländern überall findet, von der Hudsonsbay bis zum
Pugetsuud, vom Großen Bären-See bis zum Arkansas.
Sie haben eine eiserne Gesundheit, sind an alle Mühselig-
keiten gewöhnt, mit jeder Gefahr vertraut und leisten als
Ruderer, als Jäger und Reisediener unschätzbare Dienste.
Unter den Fahrgästen in der Kajüte befanden sich drei
Geologen, ein Botaniker, ein deutscher Prinz, zwei ame-
rikanische Offiziere uud zwei Indianerinnen. Die eine,
Tochter eines Häuptlings der Schwarzfüße, war an einen
Direktor der Pelzhandelskompagnie verheirathet und konnte
für eine recht hübsche „Sgnaw" gelten.
Der Dampfer Iowa machte alljährlich eine Reise nach
dem obern Missouri und besorgte die Geschäfte mit den
verschiedenen „Forts", bei welchen er anlegte. Bis zmn
Fort Union, an der Mündung des Yellowstone, gebrauchte
er, wenn sich sonst kein Unfall ereignete, mindestens
40 Tage Fahrzeit. Der Missouri hat, wie wir schon her-
vorhoben, eine sehr rasche Strömung, aber auf solchen
Strecken, die keine besonderen Schwierigkeiten darbieten,
werden dieselben durch die Kraft des Dampfes überwunden.
Im Jahre 1849 hatte sich in den alten Staaten ein
zweiter Paroxysmns des californischen Goldfiebers bemerk-
lich gemacht. Biele Landwirthe verschleuderten Hans und
Hos, Advokaten ließen ihre Praxis im Stiche und war-
fen, gleich Kaufleuten, Handwerkern und Geistlichen aller
Sekten, den rothwollenen Reisekittel über die Schultern,
um in langen Karawanenzügen gen Westen nach Califor-
nien zn wandern. Ucberall sah man „wandernde Hütten",
nämlich die mit einem Leinwanddach überspannten Wägen
der Einwanderer. Solch ein Wagen bildete nicht selten
zugleich das Geschäftsgewölbe spekulativer Leute und war
mit einem Schilde versehen. Auf einem derselben stand:
„I. B. Smith, Zahnkünstler ans Nenyork. Zn
erfragen beim Ochsentreiber." Dieser letztere war
aber kein geringerer Mann, als der Zahnkünstler selbst.
Sobald die Wägen anhielten und glast gemacht wurde,
zog Herr Smith einen schwarzen Frack an, zeigte sich dem
verehrnngswürdigen Publikmn und riß „ohne alle Schmer-
zen" Zähne ans. Er verdiente damit manchen Dollar.
Sechs junge „Ladies" machten, ohne alle männliche Be-
gleitung , die Reise nach Californien, um dort Gold und
Männer zu suchen. Sie galten für äußerst „respektabel",
weil — sie an jedem Abend die Leinwandvorhänge an ihrem
Wagen sorgfältig mit Stecknadeln verschlossen.
Doch wir folgen dem Dampfer auf seiner Stromfahrt.
Oberhalb der jetzt blühenden Stadt St.Joseph verschwand
nach und nach der Anbau, der Strom bot manche Schwie-
rigkeiten, und das Boot mußte allemal mit Anbruch der
Dunkelheit vor Anker gehen. Der Fluß hat eine Menge von
Sandbänken und Krümmungen, und die Strömung ist nicht
selten ungemein heftig. Die Kessel wurden so stark als irgend
möglich geheizt und das Schiff zitterte und bebte in allen
Fugen. Trotzdem ließ der Kapitän an einer schwierigen
Stelle ein Faß voll Harz ins Feuer werfen, und zum Glück
sprang die Iowa nicht in die Luft.
Im Missouri treibt eine ganz ungeheuere Masse von
Baumstämmen umher. Biele rennen sich im Grundschlamme
fest und stehen wie Pfähle; andere liegen halb und halb fest
und schwanken, schräg emporstehend, auf und ab, bis der
Strom sie weiter reißt; noch andere bilden an seichten
Stellen in einander gekeilte Massen ititi) gleichen unregel-
mäßigen Flössen. Diese Snags, Sawyers und Rafts,
welche auch den Mississippi unsicher machen, sind auch für die
Schifffahrt auf dem Missouri eine große Gefahr.
Dem Neulinge gewährt eine solche Stromfahrt Anfangs
eine spannende Unterhaltung, doch stellt sich schon nach acht
Tagen Langweile ein, weil sich Alles in einförmigem Einerlei
wiederholt. Dann und wann kommen allerdings Zwischen-
fälle vor. Die beiden Kompagnien, welche den Pelzhandel
auf amerikanischem Gebiete trieben, arbeiteten einander aus
allen Kräften entgegen und suchten sich gegenseitig zu schädi-
gen, so viel das nur möglich war. Ihre Diener und Beamten
rissen die Blockhäuser der Gegenpartei nieder, und diese ent-
schädigte sich dann in gleicher Weise.
Nach einer Fahrt von 32 Tagen kam Fort Pierre
Chon tea u in Sicht, das etwas oberhalb der großen Krüm-
mung liegt, welche der Missouri ettva unter dem 44' n. Br.
macht. Die amerikanische Flagge flatterte im Morgenwinde.
In der Nähe dieser Niederlassung ist der Strom der vielen
beweglichen Sandbänke halber sehr gefährlich, und das Scbifs
muß vorsichtig gelenkt werden. Das Fort nimmt sich, ans
der Ferne gesehen, mit seinen weißen Mauern und Bastionen
stattlich ans; ringsum standen etwa 100 Zelthütten der
Indianer. Sie toerden ans Büsfelhänten verfertigt und
sind theils blendend weiß, theils mit phantastischen Figuren
bemalt. Man sieht die indianische Pictographie in ihrer
ganzen Eigenthümlichkeit; unser Bild zeigt, wie weit es der
rothe Mann als Schlachtenmaler gebracht hat.
Am User befand sich eine Gruppe von Indianern. Sie
hatten sich festlich geschmückt, das Gesicht mit rother, gelber
und weißer Farbe beschmiert, standen fast bewegungslos auf
ihre Flinten gelehnt da und warfen düstere Blicke auf die
Ankömmlinge. Der Dampfer war ihnen kein willkommener
Gast, denn im Jahre.1848 hatte er ihnen die Cholera mit-
gebracht, welche unter den Söhnen der Wildniß große Ver-
heerungen anrichtete.
Als die Mehrzahl der Fahrgäste ans Land gestiegen war,
strömten etwa 50 Krieger und Frauen auf den Dampfer,
liefen auf dem Verdeck umher, gingen in die Küche und den
Salon und betasteten und schmeckten Alles, ohne sich an die
Einreden der schwarzen Köche zu kehren. Diese hatten eben
einen großen Kessel mit Maisbrei auf dem Feuer, und diesen
eigneten sich die braunen Leute sofort als Eigenthum an.
Sie wollten sich auch über andere Vorräthe hermachen, aber
zum Glück erschien rechtzeitig ein Häuptling und jagte die
hungrigen Wölfe fort. Von da an ging Alles ordentlich zu,
weil die 12 Mann starke, von der Kompagnie nniformirte
Jndianergarde strenge Aufsicht übte.
Fort Pierre, das von dem Franzosen Chouteau
gegründet wurde, bildet ein gewaltiges Viereck von Mauern,
ist mit einem 15 Fuß hohen Pfahlwerk umgeben und hat auf
drei Seiten Bastionen, die mit Kanonen besetzt sind. Somit
kann es sich gegen Angriffe der Indianer nachdrücklich ver-
theidigen. Die Gebäude der Kompagnie sind parallel mit
den Palisaden aufgeführt; in ihnen wohnen die Beamten,
Direktoren, Handlungsdiener und Dolmetscher; die aus-
gedehnten Magazine enthalten Lebensmittel, Waaren, Pelz-
(•BunufppSpmeuCy asms ipojjß) -jipijufô ajiscug -M-ux s-lwanvM si(x
6
Eine Dampferfahrt auf dem Missouri und eine Wanderung zu den Mauvaises Terres w.
werk und Vorräthe aller Art. Auch fehlt eine Schmiede
nicht, welche den Indianern Tomahaks, Messer itnb Hacken
liefert; sodann befinden sich Tischler und Klempner im
Fort.
Der Gouverneur empfing die Kajütenpassagiere sehr
freundlich und bewirthete sie gut, namentlich mit delikaten
Büffelzungen und vortrefflichem Maisbrote. Der Mann
lebte seit vielen Jahren unter den Indianern, von denen er
manche Branche angenommen hatte. So besaß er z. B.
mehrere Frauen, nicht, wie er ausdrücklich betonte, in ver-
werflicher Absicht, sondern ans Politik, um eine ausgedehnte
Verwandtschaft unter den braunen Männern zu haben, und
im Interesse des Handels. In dieser Beziehung hatte er
seine Maßregeln ganz gut getroffen, denn jede seiner sieben
Frauen gehörte einem der sieben Hanptstämme der Sioux
an. Somit war der kluge Mann mit diesen allen ver-
schwägert und konnte gewissermaßen für einen der ihrigen
gelten.
Einige Tage später veranstaltete er einen großen Ball.
Bevor derselbe begann, er-
hielt jeder Eingeladene eine
Flasche Branntwein, ein
Pfund Mehl unb dazu etwas
Büffelfett. Damit waren
die Reisediener, Jäger, Läu-
fer rc. vollauf zufrieden ge-
stellt. Inmitten des Forts
wurden zwei Feuer angezün-
det, und zwei Musikanten
traten auf, ein Canadier
und ein Irländer. Beide
sehten sich ans ein Faß und
begannen ans ihren Geigen
zu kratzen.
Und nun begann der
Tanz, uub es hat sich ge-
wiß der Mühe verlohnt,
diesem bunten, merkwürdi-
gen Durcheinander zuzu-
schauen. Da sah man weiße
Beamte uub bärtige Pelz-
jäger, Mestizen, Neger, Mu-
latten und Indianer, kupfer-
braune und ziegelbraune
Menschen. Ans die Grup-
pen fiel der röthliche Schein
der beiden Feuer. Getanzt wurde mit äußerster Munter-
keit, aber die Branntweinflasche auch nicht vergessen, und
so konnte es nicht fehlen, daß nach Verlauf einiger Zeit in
dieser buntscheckigen Menge Streit ansbrach. Neger ver-
setzten den Mestizen Faustschläge, diese zogen ihre Messer,
die Indianer griffen zum Tomahawk und man drohete ein-
ander für den folgenden Tag mit bleiernen Kugeln. Aber
der Sturm legte sich wieder, und der Tanz begann von Neuem.
Unter den Siour waren Manche, die im vollen Sinne
des Wortes als Charakterfiguren betrachtet werden konnten.
Zn diesen gehörte der sogenannte Schlachtenrenner, welchen
unsere Abbildung zeigt. Aber kein Krieger wollte dein
Zeichner sitzen; sie sahen es überhaupt ungern, daß er
Skizzen entwarf, weil sie meinten, daß der Weiße die Macht
habe, sie zu vernichten, wenn er sich im Besitz ihres Bild-
nisses befinde. Dieser Wahn ist leicht erklärlich, weil die
Meisten Cholera und Blattern ins Land gebracht hatten.
Auch glauben sie, daß die Amerikaner vorsätzlich Krank-
heiten verbreiten, und das ist leider keine Vermuthung,
sondern wird durch Thatsachen bestätigt.
Der Friedhof der Sioux liegt etwa eine halbe Stunde
Weges vom Fort entfernt, mitten in einer Ebene, aus wel-
cher viele Rosse grasen. Diese Indianer scharren ihre
Todten nicht ein, sondern hüllen sie m wollene Decken und
umschließen sie dann mit einer Art von Sarg, den sie ans
Cederbrettern roh genug zusammenfügen; manchmal be-
nutzen sie auch Weidenflechtwerk. Diesen Sarg befestigen
sie ans vier Pfählen, so daß er 8 bis 12 Fuß über der
Erde steht und von wilden Thieren nicht erreicht werden
kann. Neben den Todten legt man eine Tabakspfeife,
etwas Tabak, Bogen und Pfeile, einige Lebensmittel und
verschiedene andere Sachen, welche der Verstorbene aus
seiner langen Reise in die andere Welt etwa nöthig haben
dürfte. Mit der Zeit faulen aber die Pfähle ab und das
Gerüst fällt zusammen, und dann kommen die großen Wölfe
und die Prairieschakale (Coyotcs) und schänden die Leichen.
Diese letzteren werden manchmal tu rothwollene Decken ge-
hüllt lind in den Zweigen einer Ceder oder Pappel aus-
gehängt.
3. Die Mauvaises
Terres.
Während der Dampfer-
Iowa seine Fahrt stromauf
fortsetzte, rinternahmen Gi-
rardin und die Geologen
vom Fort St. Pierre ans
eine Wanderring nach den
in hohem Grade merkwürdi-
gen Mauvaises Terres,
welche am White Earth River
eine weite Strecke Larrdes ein-
nehmen. Diese Region ist
vorr durchaus eigenthümli-
cher geologischer Beschaffen-
heit und hat nirgend auf
Erden ihres Gleichen.
Die Karawane bestand
außer den oben Geiranrrten
aus fünf Canadiern, die als
Maulthiertreiber rmd Köche
dienten, einem Führer und
einem indianischen Dolmet-
scher. Alle waren mit Büch-
sen rrnd Revolvern wohlbe-
waffnet und ans 20 Tage mit Lebensmitteln versehen.
Jener Führer war ein Canadier von ächtem Schrot und
Korn, eine wahre Charakterfigur in seiner Art: ein kleiner
nntersetzter Mann, aber lebhaft und beweglich wie ein Affe,
unermüdlich und voll Kraft, dabei jedoch ein Lügner, Trun-
kenbold und Händelsncher. Er trug noch die frischen Spu-
ren eines blutigen Straußes, baut ein Gegner hatte ihm
die Nase platt geschlagen, und seine Augen warett schwarz
unterlaufen. Der zweite Führer war „Elennshoru", ein
alter Sioux, der in seinem Stamm als Zauberer ein großes
Ansehen hatte.
Die Karawane nahm eine südwestliche Richtung tind zog
an den beiden ersten Tagen über einförmige, leicht gewellte
Ebenen, deren Boden mit Salpeter geschwängert war. So
weit das Auge reichte, sah man keinen Bannt oder auch mir
einen Busch, wohl aber manchen blühenden Cacttts und in
den Niederuitgeu attch sogenannte Milchpflanzen. Dann
tind wann kam matt an einem Dorfe voit Prairiehantstern
(Arctomys ludoviciana) vorüber, die sehr mit Unrecht als
Prairie Hunde bezeichnet werden. Am drittelt Tage wurde,
Ein Dakota - Indianer. (Nach einer Originalzeichnnng.)
Eine Dampferfahrt auf dem Missouri und eine Wanderung zu den Mauvaises Terres re.
7
nach einer zehnstündigen Wanderung bei brennender Sonne,
an einer Quelle gerastet, neben der Wermuthbüsche standen.
Man zündete ein Feuer an, um das Abendessen zu kochen
und die Stechnliicken abzuhalten. Am folgenden Morgen
bestieg der Sioux ganz und gar unbekleidet einen Hügel,
führte einen Tanz auf, bei welchem er seine Gliedmaßen in
seltsamer Weise verdrhete und stimmte einen Trauergesang
an, der mit dem Gebell eines Coyote schloß, welches der
Indianer sehr getreu nachahmte. Seine Absicht war, durch
diesen Morgengesang die freilich viele Meilen weit entfernten
Büffel herbeizuzaubern.
Bald nachher erhob sich in der Ferne eine Staubwolke,
denn eine Reitcrschaar sprengte heran; der alte Sioux ritt
ihr entgegen. Als er den Ankömmlingen nahe war, bewegte
er seine rechte Hand nach der linken Seite hin, was in der
allen Indianern bekannten Zeichensprache bedeuten soll:
Wer seid ihr? Der Anführer hielt sein Roß an, streckte erst
die geballte Faust aus und
fuhr dann mit seiner rechten
Hand so am Halse hin, als
wolle er sich denselben ab-
schneiden. Daraus war ab-
zunehmen , daß er zu einem
befreundeten Stamme der
Sioux, zu den sogenannten
Kopfabschneidern gehörte;
also war nichts Schlimmes
von ihm zu befürchten.
Am sechsten Reisetage
kamen endlich dieMauvai-
ses Terres in Sicht. Gi-
rardin bestieg mit enteilt
Geologen den nächsten Hü-
gel, der etwa 300 Fuß hoch
sein mochte, und hatte von
dort einen wahrhaft über-
raschenden, einen „unbegreif-
lichen" Anblick. Im Hinter-
grund einer weit ausgedehn-
ten Ebene fielen die Strahlen
der Abendsonne auf eine ge-
tvaltige Trümmerstadt, die
eben mit rosenfarbenem Licht
tibergossen war. In ihr er-
hoben sich Mauern und Ba-
stionen, große Paläste mit
mächtigen Kuppeln und an-
dere Bauwerke von wunder-
baren und seltsamen Gestalten. Das Ganze machte einen
überwältigenden Eindruck; es war über alle Beschreibung
phantastisch. In Abständen von verschiedener Entfernung
erhoben sich über den schneeweißen Boden backsteinröthliche
Burgen mit Zinnen und Pyramiden, auf deren Spitze mäch-
tige Blöcke lagen, die scheinbar vom Winde hin und her ge-
schaukelt wurden. Mitten in diesem Chaos von geologischen
Ruinen erhebt sich, einem Leuchtthnrme vergleichbar, eine
etwa 300 Fuß hohe Säule.
Der Führer triumphirte und erzählte viel Wunder-
samev über das, was in dieser Wüstenstadt zu finden sei;
namentlich wollte man dort „versteinerte Menschen" gefun-
den haben!
... ^c^5!1 Í-'11 erhob sich eine dunkelblau gefärbte
Gebngskette, die sogenannten Black-Hills, Schwarzen
Hügel, welche dicht mit Cedern und Fichten bestanden sind,
und deren höchsten Gipfel die Indianer als Jnian Kara be-
zeichnen. Die Cntfernnng bis ju diesen Bergen, von dem
Punkte aus, an welchem die Reisenden sich befanden, mochte
etwa 10 engl. Meil. betragen; bis an den Fuß der Black-Hills
dehnt sich eine Ebene ans. In diesem Gebirge liegen viele
frische Quellen und anmnthige, grüne Oasenin denen
während der Sommerzeit verschiedene Dakotastämme ihre
Zelthütten aufschlagen. In deil Wäldern Hausen der
schwarze und der braune Bär, das Elennthier, das Reh und
das Bergschaf (Bighorn, Ovis montuna.), auch sind noch
viele Biber vorhanden. Auf der Ebene gräbt der Indianer
eßbare Wurzeln, namentlich die Prairiekartoffel, welche im
Frühjahr, wenn das Wild mangelt, ein sehr werthvolles
Nahrungsmittel bildet. Sehr geschätzt wird das Blatt des
Strauches Kini Kinik, mit welchem die Stämme im Osten
ivie im Westen der Felsengebirge ihren Rauchtabak vermischen,
weil er diesem einen sehr angenehmen Geruch verleiht.
Alle Gefließe, welche während der beiden letzten Reise-
tage von den Wanderern berührt wurden, hatten weißliches,
brakiges Wasser; sie waren
theilweise ausgetrocknet und
hatten auf dem Sand eine
schneeweiße Salzlage zurück-
gelassen. Dieses Brakwasser
übt eine stark abführende
Wirkung und ist nur trink-
bar, wenn man es stark mit
Zucker und Kaffee versetzt.
Die Karawane zog am
folgenden Morgen etwa eine
Stunde lang an einem Bache
hin, der unzählige Win-
dnilgeil uild Krümmungen
machte, überstieg dann eine
theils mit Cactus, theils
mit Büffelgras bewachsene
Hügelkette und gelangte in
ein frisches, grünes Thal,
in welchem sie zwei Tage
rastete. Die Zelte wurden
unter einer Gruppe mäch-
tiger Baumwollenpappeln
neben einem klaren, süßen
Quell aufgeschlagen. Die
Stelle ivar ungemein lieb-
lich, man mußte aber gegen
Klapperschlangen auf der Hut
sein.
Bon diesem Punkte aus
zogen die Wanderer nach beit
Mauvaises Terres. Ein sogenannter Büffelpfad leitete bis
zu einer steilen Höhe; als dieser überstiegen war, lag die
„verwünschte Stadt" vor ihren Blicken. Sie kamen zu-
nächst an einige Säulen von vorsinthflnthlichen Formen;
sie mochten etwa 200 Fuß hoch sein. Dann gelangten sie
an ein großes Amphitheater; dasselbe war mit okerfarbigen,
ausgezackten Mauern umgeben. Ueber den steinharten Bo-
den war eine wirre Masse von rothen und iveißen Hügeln
durcheinander gleichsam umher gestreut. Es kam dem Be-
schauer vor, als ob sich in Urzeiten der Boden einst um 200
bis 250 Fuß gesenkt und in Zwischenräumen an vieleil
Stellen Hügel von sehr verschiedener Gestalt, Höhe und
Umfang zurückgelassen habe. Die steilen Wände und Ab-
hänge derselben sind im Verlaufe der Zeit durch Regen und
Schneeschmelzen ausgewaschen worden und haben auf diese
Weise ihre wunderbare Gestalt erhalten.
An manchen Stellen besteht der Boden aus einer dicken
Lage fossiler Knochen, von denen manche vollständig und
Eine Dakota-Frau. (Nach einer Originalzeichnung.)
Eme Dampferfahrt cuts dem Missouri und eine Wanderung zu den Manvaises Terres w.
vortrefflich erhalten sind, während andere aus Bruchstücken
bestehen. Am Fuße der Hügel findet man fossile Schild -
kröten von Ziegelsteinfarbe, zum Theil ganz und gar un-
versehrt und. bis ztt 150 Pfund schwer, doch ist die Mehrzahl
derselben zerstückelt. Mitten unter diesen Cheloniern lag
ein fossiler Rhinoceroskopf und die Kinnlade von
einer besondern Art von Wolf oder Hund, bereu Zähne
alle wohlerhalten sind. Man sah weiter ganze Hansen voir
Zähnen und zerbrochenen Kinnladen, Kitochen und Wirbel
vom Oreodon, von Mastodonten und Elephanten, alle in
Thon oder fleischfarbigen Mergel eingebettet. — Wie soll man
sich das Entstehen dieser ungeheuern Beinstätte erklären ? Wie
kamen hierher diese Anhäufungen von Kitochen, welche längst
ausgestorbenen Thierarten angehören? Auf welche Weise
wurden sie durcheinander geworfelt mit Millionen von See-
muscheltt und Seeschildkröten, hier in einer Wüstenei, die
reichlich 400 deutsche Meilen vom Ocean entfernt liegt?
Um Mittag sahen die Wanderer einen großen See, an
dessen Usern sich Bttrgeit, Pyramiden und spitze Thürme er-
Diese Wüste der Mauvaises Terres, welche wohl 12
deutsche Meilen lang und 8 Meilen breit ist, hat kein
Wasser und keineit Pflanzenwuchs; Girardin sah fein leben-
diges Wesen, nicht einmal ein Insekt. Die Hitze war er-
stickend, die Sonttenstrahlen warfen das Licht von der blen-
deitd weißen Oberfläche in einer für die Augen höchst
peinlichett Weise zurück. Nach Südsüdosten hin zog sich
eilt grüner Streifen inmitten einer mit seltsam gestal-
teten Hügeln t'ibersäeten Ebeite. Dort floß der White
Earth River, der weißliches, brakiges Wasser hat.
Weit ttach Süden hin, zwischen deut Riobrara und
dem Plattefluß liegt dann eine große Wüste, wo der
Flugsand eine Menge von Hügeln von einer Höhe bis zu
250 Fuß bildet. Diese Hügel erleideit durch bett über
die Ebene hinbrattsendeu Sturmwind unaufhörlich Berän-
dermtgen.
Girardiu fand natürlich keilte „versteitterteit Menschen",
brachte abA' eine reiche Ausbeute von fossilen Schildkröten
und Knochen mit nach Fort St. Pierre.
Ein Krieger der Dakota?. (Nach einer Originalzeichnung.)
hoben, die sich alle in blauem Wasser spiegelten Sie woll-
ten diesen See besuchen; als sie aber näher kamen, ver-
schwand er; die Luftspiegelung hatte ihlt heraufgezaubert,
ultd der Siour sagte, er sei ein „Lügenwasser". —
Diese Wüstenei der Mauvaises Terres liegt in der Re-
gion des Munkisitah oder White Earth River, der
etwas ttnterhalb der großen Krümmung von Westen her in
den Missouri fällt. Die ganze Region zwischen dem Rio-
brara (dem Eau qui court der Canadier) im Süden,
nach Norden hin bis zum Schayemte, überhaupt zwischen
dem 42 uitd 43" tt. Br., ist noch wenig bekannt und
bietet in geologischer Hinsicht viele interessante Erscheinungen
dar. Die Mauvaises Terres, welche Girarditt besuchte,
werdeir vom 104" w. L. von Paris durchschnitten*).
,,Mauvaises Terres" kommen auch weiter nach
Norden hin vor bis über den Vellowstone hinaus und iir die
Gegcltd, wo der Missouri aus den Felsengebirgen heraustritt
und dann nach Westen strömt. Lieutenant Mac Mullan
war im September 1853 am Muscle Shell River, der von
Südwesten Herrn den obern Missouri mündet und gelangte an
4. Die Dakotas oder Siour.
Wir haben schon weiter oben angedeutet, daß die Region
zwischen dem Missouri und ben Rocky Mountains ein weit
den Arrow River. Am 11. September kam er etwas oft-
lich von demselbeu in „Mauvaises Terres", die aber von an-
derer Beschaffenheit find, als jene von Girardin geschilderten.
„We entered the Mauvaises terres, a portion of the same, that
we found lower down on the Missouri. These lands we found
to he about two miles wide, and extending along the Arrow
River to the Missouri. The were more rough and rugged
than any I had seen in the prairie country bordering the
Missouri, up which I had travelled a distance of 2100 miles.
They are totally destitute of timber, and present a barren
black appearance, being composed of a mixture of sand and
clay, the clay predominating, the whole being highly impreg-
nated with iron. In some places the ravines trough these
lands were perfectly awful to behold, descending to the depht
of many hunderds of feet. — Mac Mullan, report of an ex-
ploration from Fort Benton, to the Flathead Camp, in: Reports
of Explorations and Surveys etc. Washington 1855. Bd. I,
S.301. Er bemerkt, dñst dieLastthiere nur mit groherAnstren-
gung dnrch diese bad lands kamen. A.
Eine Dampferfahrt auf dem Missouri und eine Wanderung zu den Mailvaiscs Terres re.
9
ausgedehntes Jagd- lind Kampfgebiet bilde, ans welchen:
viele Jndianerstämme sich umhertummeln. Unter denselben
sind die Dakotas oder Sionr bei weitem am mächtigsten.
Wir können sie als das Hauptvolk im Norden des Platte-
flusses betrachten, und ihre vielen Stännne oder Banden
reichen ohne wesentliche Unterbrechung von: Arkansasfluß in:
Siiden bis zun: Saskatschawan in: Norden. Namentlich
betrachten sie ganz Nebraska und Dakota als ihren eigent-
lichen Jagdgrund; in Minnesota liegen sie in Jahrhundert
langer Erbfehde mit den Odschibwästämmen, welchen sie das
Gebiet zwischen den: Jamesslnsse und den: linken Ufer des
Missouri streitig machten. Es waren Siour, lvelche in:
Herbst 1862, als sie von den Jndianeragenten der Pankee-
staaten um die ihnen gebührenden Jahrgelder verkürzt wor-
bezeichnet. Die mittlere Gruppe wird gebildet von den
Mönnitarris (Dickbäuche) und Mandanen, welche
durch die Blatter:: in: Jahre 1835 fast alle hingerafft wur-
den; auch ihre weiter nach Westen wohnenden Stammver-
wandten, die Upsarokas oder Krähenindianer, ver-
loren dainals taufende von Kriegern. Auch die südliche::
Stämme haben viele Menschen durch die ihnen von den
Amerikanern zugebrachten Krankheiten eingebüßt, z. B. die
Iowas, Pankas, Omahas, Olus, Kahs (Kansas),
Osagen und Quappas, und die sogenannten Missonrier
sind völlig ausgestorben. Wir wollen noch bemerken, daß
auch die vielgenannten Assinibolns oder Steinindianer,
welche vom Winnipeg-See bis zu::: Saskatschawan streifen,
1 einen Stau:::: der Dakotas bilden; sie haben sich aber von
Begräbnißstätte der Dakotas. (Nach einer Originalzeichnung.)
den waren, den Staat Minnesota plündernd und mordend
durchzogen.
Diese Dakotas theilen sich in sieben Feuer, d. h.
Stännne, welche sämmtlich ihre Verwandtschaft anerkennen,
aber doch von einander unabhängig sind. Die östlichen
Banden streifen am obern Mississippi umher. Es sind:
::e Mendewakontoan oder Gens du Lac, die Wahk-
potoau, das „Volk der Blätter", und die Sisitoan.
Die weftlicheu Banden sind die Pauktons, 2)ank-
toanans und Tetons. Dazu kommen noch die Winne-
bagov (Hotfchuagora), welche einst am Michigan-See
wohnten, aber vor länger als einen: halben Menschenalter
nach den: we:ten Westen abgezogen sind. Alle diese Stämme
winden von den französischen Canadiern als Nadowessier
Älobus VI. Nr. 1.
diesen getrennt und werden deshalb als Hoha, Abtrünnige,
bezeichnet. Sie selber nennen sich Jeskep.
Wir wenden uns wieder zu dem Reisenden Girardi::.
Er traf im Fort Pierre eine beträchtliche Anzahl von
Dakotas; sie waren gekommen, ::»: Geschenke entgegen
zu nehmen, welche die Washingtoner Regierung alljährlich
macht. Die stattlich aufgeputzten Häuptlinge hielten Reden
an die Krieger; einige 20 Jünglinge, roth bemalt und fast
unbekleidet, tummelten Rosse, um ihre Reiterkünste zu zei-
gen. Auch die Pferde waren gelb, roth und weiß bemalt
und die Schweife mit Federn geziert.
Mitten in: Lager stand eine sehr große, aus Büffelhäuten
verfertigte Zelthütte, in welcher sich der Regierungsagent,
der Direktor des Forts und dessen Dolmetscher einfanden.
2
10
Ragusa in Dalmatien.
Der oberste Häuptling zündete die Friedenspfeife an, that
einige Züge, als Opfer für den Manitu, den großen Geist,
itnd reichte das Calumet dem Agenten, welcher seinerseits
drei Züge that. Dann ging die Pfeife weiter in der Runde.
Der Agent hielt eine Anrede, in welcher er sehr viel
von den: „Großen Vater in Washington" sprach. Nach ihm
erhob sich einer der tapfersten Häuptlinge, der Kleine Bär,
und hielt eine Rede, die über alle Beschreibung heftig war.
Bewegungen und Ausdruck des Gesichts waren so bezeich-
nend, daß man Alles begriff, was er sagte. Der Dakota
wies die Geschenke mit Unwillen zurück. „Sind wir Hnilde,
daß man itns geben will, was man selber nicht mehr haben-
mag? Wenit der Große Vater reich nub mächtig ist, so
möge er uns 100 Nachen voll Waaren und Schießbedarf
geben, denn Pulver und Kugeln haben wir in großer Menge
nöthig. Aber was er uns bietet, können wir in einer hohlen
Hand halten. Ihr lebt seit langer Zeit mit unseren Frauen,
und nun wollen wir unsererseits weiße Frauen haben. Ich
gehe in die Schwarzen Berge zurück; behaltet eure Geschenke
für Weiber und Kinder."
Er warf seinen Mantel um und trat ab. Inzwischen
war ein großer Kessel voll Kaffee, den man mit Syrup
versüßt hatte, herbeigebracht worden; dann wurde Mais-
brei aufgetragen, und die paar hundert Indianer konnten sich
satt essen, da sie auch Brod in Menge bekamen.
Die Geologen waren mißvergnügt darüber, daß die
Dakota - Häuptlinge ihnen nicht erlauben wollten, durch ihr
Gebiet in das der Schwarzfüße vorzudringen, weil deren
Krieger sehr erbittert gegen die Weißen feien und diese un-
sehlbar ermorden würden.
Der Führer Elennshorn gab ein Hnndefest, zu wel-
chem er seine weißen Freunde feierlich einlud. Hundefleisch
gilt bei vielen Jndianerstämmen für einen Leckerbissen.
Girardiu nahm auf einer Bärenhaut Platz, und sein Wirth
reichte ihm eine gebratene Hundsrippe; statt des Tellers
diente ein Stück Büffelleder. Das Gericht schmeckte etwa
wie eine saftige Hammelcotelette; ein andrer Leckerbissen,
nämlich ein Biberschwanz, war auch nicht zu verachten.
Aber eine bei den Sioux unumgängliche Höflichkeitssitte ließ
der weiße Mann unbeachtet. Der Indianer nimmt nach
beendigter Mahlzeit einen Schluck Branntwein und speiet
denselben in den Mund seines Freundes!
Die Dakotas sind im Allgemeinen, nach dem Maßstabe
des indianischen Typus, ein hübscher und sehr kräftiger
Menschenschlag. Manche Stämme gewähren in ihrer ma-
lerischen Tracht, mit ben ausdrucksvollen Augen, der hohen
Adlernase, der hellkupferfarbigen Haut und dem glänzenden,
schwarzen Haar, das auf die Schultern hinabwallt, einen
imponirenden Anblick. Alle sind tapfere Krieger, und der
Raub von Pferden, die von ihnen als ein gemeinsames
Eigenthum aller Menschen betrachtet werden, ehrt den Krie-
ger fast eben so sehr, als ob er einem Feinde die Schädelhant
abgezogen hätte.
Wir wollen zum Schluß noch bemerken, daß Girardin
vom Fort Pierre ans eine sehr gefährliche und beschwerliche
Reise nach Norden hin bis zum Fort Union unternahm,
das einen wichtigen Handelsposten nahe der Einmündung
des Pellowstone in den Missouri bildet. Unterwegs, am
Schayenneflusse, traf er seinen alten Bekannten, den Kleinen
Bären, der sich von ihm mit Tabak und Schießbedars ver-
sehen ließ. Der Weg führte oftmals durch „Mauvaises
Terres", die aber von den oben geschilderten verschieden sind.
Weite Strecken sind ohne gutes Trinkwasser, die Niederungen
morastig, und mehr als einmal wurden die Reisenden von
gewaltigem Stnrur und von heftigem Hagelwetter überfallen.
Hin und wieder, namentlich am Kleinen Missouri,
schossen sie Bären , welche, wie wir schon früher sagten, in
den Black-Hills häufig vorkommen, und täglich wurden
Klapperschlangen getödtet. An der Mündung des Kleinen
Missouri trafen sie auf eine Bande von Mönnitarris, welche
das Jägerleben verlassen hat und Mais baut. Auch diese
Gegend bestand aus Mauvaises Terres. Sie bildet ein
Chaos voir wunderbar gestalteten Hiigeln, die zum Theil ans
fürchterlichen Abgründen sich erheben, ans Pyramiden von
rother Erde, die im Ofen geglüht zu sein scheinen, und aus
Zackenbergen, die hoch in die Lüfte ragen. Auch der Boden
war schwarz und wie verbrannt; er ist vielfach aus weite
Strecken hin von Höhlen durchzogen. Auf einer Prairie am
linken Ufer des Kleinen Missouri fanden die Reisenden einen
kleinen Hügel, der aus tausenden voll Elennsgeweihen
bestand; sie lagen über einander und bildeten eine Pyramide
von etiva 20 Fuß Höhe. Die Indianer wissen über diese
seltsame Erscheinung nichts Näheres, aber die Pelzhändler
behaupten, daß an den Quellen des Pellowstone die Upsa-
rokas (Krähenindianer) aus solchen Elennsgeweihen eine
kleine Festung gebaut hätten.
Nach einer mühsamen Wanderung voir 26 Tagen ge-
langten die Reisenden nach Fort Union, das etwa drei
Wegstunden voir der Mündung des Pellowstone entfernt
liegt. Dort hatte sich eine zahlreiche Bande von Upsarokas
eingefuildeil, aber zu friedlichen Zwecken, des Handels
wegen. A.
N a g u s ct in Dalmatien.
Voil v. N.-D.
I.
Lage und Beschaffenheit Ragusa's. — Entstehung der Stadt. — Der heilige Blasius als Schutzpatron. — Eindringen slavischer
Elemente. — Wiedererweckung des Lateinischen. — Jllyrische Literatur in Ragusa. — Kämpfe der Stadt. — Hafen von Gra-
vosa. — Dara. — Wahrzeichen an der Porta Pille. — Handel, Schifffahrt und Niederlassungen.
Ragusa oder Dnbrovnik, die Felsenstadt der Grie-
chen und Römer, und die Waldstadt der Slaven, ist der
Hauptort des ehemaligen Freistaates nttb jetzigen Bezirks
von Ragusa.
Fast kreisförmig am steilen Abhange des M. Sergio
utid einer Klippe ganz hart am Meere gelegen, inmitten
zweier Vorstädte mit freundlichen Häusern und Gärten,
die terrassenförmig über einander aufsteigen, bildet Ragusa
Ragusa in Dalmatien
11
einen der malerischsten Punkte des malerischen Dalmatiens.
Hohe, wohlerhaltene Mauern mit Basteien und Thürmen
schließen die Stadt von allen Seiten ein, rmd der breite
Corso oder Stradone, welcher sich fast im Niveau des
Meeres befindet, scheidet sie in zwei Theile, die, von vielen
kleinen Gäßchen und Treppenwegen durchschnitten und ver-
bunden, sich zu beiden Seiten bis zu den Wällen erheben.
Die Gebäude sind massiv und regelmäßig, aber einförmig;
nur der Palazzo oder Rektorenpalast, die Sponza oder Do-
gana und das Militärhospital, das frühere Jesuiten-Kolleg,
zeichnen sich aus. Auch von den zahlreichen Kirchen, welche
vor dem großen Erdbeben von 1667 die Pracht der Stadt
ausmachten, sind jetzt nur noch die Kapelle des St. Biagio,
des Schutzheiligen von Ragusa, die Kirche der Jesuiten und
Volke Lauve heißt, anfangs Lausa, später Rausa und end-
lich Ragusa genannt wurde.
Die Zahl der Bewohner mehrte sich durch Flüchtlinge
aus anderen verwüsteten Städten, wie Salona, besonders
nachdem ein Slavenfürst, Pauli mir oder Bo lo, die kleine
Niederlassung befestigt hatte. In Rom aus vertriebenem
Stamme entsprossen und nach dem Tode seines kinderlosen
Oheims von den Großen Bosniens auf den Thron berufen,
landete er mit seinem Gefolge in dein Hafen von Gravosa
und ward von den Ragusanern freundlich begrüßt und aus-
genommen. Zum Dank dafür ließ er ihnen ein Kastell er-
richten, beit jetzt Pustjerna genannten Theil der Stadt
mit Mauern umgeben und in der Mitte dieser Einschließung
eine Kirche zu Ehren der Heiligen seiner Familie, St. Sergio
Ragusa. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
die der Franziskaner bemerkenswerth. Der Dom enthält
ein reiches Reliquiarium, die Dominikanerkirche die Grab-
mäler der meisten alten edeln Familien. Zwei Thore, P or ta
Pille und Porta Plocce, führen in die gleichnamigen
Vorstädte, zwei andere, Pescaria und Punta, zu dem
auf der Südostseite der Stadt gelegenen Hafen.
^ Wie fast alle größeren Städte Dalmatiens, ist auch Ra-
gusa die Tochterstadt einer durch die Barbaren zerstörten
Mutterstadt. Flüchtige Epidaurer, die beim Falle des
alten berühmtenEpidaurus, des heutigen Ragusa vecchia,
dem Untergange entronnen waren, suchten ans einer un-
wirthbaren Klippe zwischen dem gebirgigen Ufer und der
Insel von Lacroma Schutz und Sicherheit. Sie fanden Bei-
des und gründeten so eine neue Heimath, welche nach dem
Felsen, auf dem sie lag, und der noch zu unseren Tagen beim
nnd Bacco, erbauen, welche seitdem von den Ragusanern als
Schutzheilige verehrt wurden.
Schon Ende des achten Jahrhunderts war Ragusa mäch-
tig genug, um einen glänzenden Sieg über die Korsaren da-
vontragen und die Anfälle der Serben, welche alles Land um-
her besaßen, kräftig zurückschlagen zu können. Als die Sara-
zenen unter Saba im Jahre 865 in's Adriatische Meer ein-
liefen und die Städte Bndna, Risano und Cattaro in
Asche legten, hielt Ragusa eine fünfzehnmonatliche Belage-
rung aus und konnte selbst der griechischen Flotte, die zum
Entsatz herbei eilte, ein Kontingent von Schiffen stellen, um
Saba nach Italien verfolgen zu lassen.
Neidisch über dieses rasche Emporblühen der jungen
Stadt, sandten 971 die Venetianer eine mächtige Flotte, um
sich Ragusa's mit Gewalt zu bemächtigen. Aber ein Pfarrer,
2*
12
Nagusa in
im Traum durch ben h. Blasius vor der Gefahr gewarnt,
rettete Nagusa durch seine Mittheilung. Der Plan der
Feinde wurde vereitelt und S. Biagio aus Dankbarkeit im
Jahre 982 zum Schutzpatron der Republik erwählt. Sein
Bild wurde "in das Siegel der Stadt aufgenommen und
zierte später die Münzen, welche Nagusa prägen ließ; seine
Statue prangte seitdem über den Thoren nnb an den Mauern,
und alle ragnsanischenFlaggen führten die Anfangsbuchstaben
seines Namens unter seinem Bilduiß, so daß die Veuetianer
deshalb spottweise sagten, Nagusa sei die Stadt der sotto
bandieri oder sieben Flaggen und zöge nach Umständen eine
der Flaggen der sieben Hauptmächte auf, von denen es ab-
hängig wäre. Zugleich ward dem verehrten Heiligen unfern
des Pillethores die erste Kirche gebaut. Als jedoch 1348
die Pest so schrecklich wüthete, daß sie binnen sechs Monaten
Dalmatien.
der Stelle der alten vollendet wurde, eilte darauf bezügliche
Marmorinschrift angebracht worden.
Den Kämpfen mit den benachbarten Slaven waren die
ersten Schntzverträge der Ragnsaner gefolgt, kraft welcher
Letztere in Zacnlnien und Tribunien, ¿eit Grenzgebieten der
heutigen Herzegovina, Mieths-, Weide- und Handelsfreiheit
zugesichert erhielten und die Angehörigen beider Staaten
im wechselseitigen Verkehr ohne jeden Unterschied behandelt
werden sollten. Gleichwohl sahen es die Serben ungern,
daß sich die letzten Ueberbleibsel der Römer in Dalmatien
dort festgesetzt hatten und ein Element fristeten, welches so
verschieden von dem ihrigen war. Denn Sprache, Ge-
setze, Sitten und Lebensweise waren damals in
Nagusa noch vollkommen römisch. Selbst die Bil-
dung und Literatur hatte sich erhalten, und die Ber-
Einfahrt in die Bai von Gravosa mit dem Fort Daxa. (Originalzeichnung von F. Kunitz.)
170 Patrizier, 300 Bürger und an 7000 aus dem
Volke hiuwegraffte und die tesorieri di St. Maria das Blich
der Testamente anlegen mußten, weil sie nicht allen Forde-
rungen nach Abfassung von einzelnen Testamenten genügen
konnten, gelobte man dem hl. Blasius für das Aufhören der
Pest eiile neue und schönere Kirche auf dem Platze. Das
Gelübde wurde erhört, und sechs Jahre später stand die
prächtige Kirche, deren Errichtung 40,000 Dukaten kostete.
Leider verzehrte ein Brand in der Psingstnacht von 1706
diesen kostbaren Bail mit allen seinen Schätzen. Nur die
schön gearbeitete Statlie S. Biagio's, welche nebst mehreren
goldenen und silbernen Bildern von Heiligen ans dem Hoch-
altäre stand, war gänzlich unversehrt geblieben und nicht
einmal geschwärzt. Zur Erinnerung daran ist an einer Wand
der jetzigen Kirche , welche binnen neun Jahren (1715) auf
fassiiug war, wie in Epidaurus, rein demokra-
tisch. Das Verlangen König Bodins, Nagusa solle die
Gaftfrclludschaft brechen, die es den von ihm verfolgten Ver-
wandten gewährte, führte eine Aenderung dieses Verhältnisses
herbei. Als nämlich der Senat auf seiner Weigerung be-
harrte, zog Bodin 1089 gegen Nagusa, schlug auf dem Berge,
den eilt Meeresarm von der Stadt trennte uild ein Piuieu-
wald bedeckte, ein Lager auf und errichtete, als er Nagusa
sieben Jahre vergeblich belagert hatte, bei seinem Abzüge auf
dem Fleck des Lagers ein Kastell, in welchem er eine starke
Besatzung zurückließ. Erst nach elf Jahren gelang es den
Ragusaueru, dasKastell, das ihnen sehr lästig war, durchList
und Bestechung zìi nehmen. Das Kastell wurde geschleift;
wo es stand, eine Kirche zu Ehren des hl. Nicolaus erbaut
und der Meeresarm mit Erde gefüllt und zum Platze geebnet,
('tziuvU ■£ uaa CumiíppSjwnBuQ) 'virvIAZLtz v;aojtz ucj suzIjusjvH 'cjußüjß
14
Ragusa in Dalmatien.
um den Berg mit in die Umfassungsmauern der Stadt hin-
einziehen zu können. Ragusa hatte so seinen jetzigen Um-
fang erhalten, und mit diesen: zugleich wuchs die Bevölke-
rung, und zwar waren es Slaven, welche sie vermehrten
und der Stadt den Namen Dubrovnik gaben, aus welchem
die Türken später P apro vnik gemacht haben. „Die römi-
schen Bewohner", sagt Jda von Düringsseld itt einem
Aufsatz ihres Werks „Aus Dalmatien", der von Ragusa han-
delt, „schlossen sich von diesem zweiten Elemente anfänglich
durch die aristokratische Form ab, in welche sie die bisherige
demokratische der Regierung verwandelten; doch sie waren
das Alte, die Slaven das Rene. Wie tiberall drang das
Nene in das Alte. Nicht gewaltsam; allmälig, und eben
darmn unabweisbar. Bald waren beide Nationalitäten nicht
mehr da, und aus ihrer Verschmelzung krystallisirte sich eine
neue, die ragusanische. Sie war und ist weder die
italienische, noch die serbische, sie ist diese und
jene zugleich."
Das Lateinische, Anfangs Volkssprache, war zwar noch
1450 als solche hier und da im Gebrauch, aber durch das
Umsichgreifen der slavischen Sprache so verdorben, daß es
seit 1400 kaum noch den Namen der
Latina Kagusaea verdiente. Um das
gänzliche Aussterben zu verhindern,
wurde es 1472 wieder zur Geschäfts-
sprache erhoben und die Anwendung
des Slavischen in den Rechtsversamm-
lungen gesetzlich verboten. Man rief
Sekretaire und Kanzlisten, welche des
Lateinischen genau kundig sein mußten,
aus dem Auslande herbei und ließ
ausgezeichnete Latinisten aus Italien
kommen, die das Lateinische öffentlich
lehren mußten. Die lateinische Gesetz-
gebung, die Sitte, alle Urtheile inCivil-
prozessen lateinisch abzufassen und be-
sonders die Gewohnheit, daß bei Be-
gräbnisseil in den Kirchen von Ver-
wandten und Freunden lateinische Reden
gehalteil wurden, dies Alles förderte
das Studium der lateinischen Sprache,
dereil Pflege uub Kenntniß am höchsten
stieg, seitdenl dieJeslliten die Erziehung
in Ragusa leiteten. Daher wird
das Latein dort noch jetzt all-
gemeingeliebt, gelernt und geschätzt, mit großer
Eleganz geschrieben und gesprocheir ilird von
Einzelnen selbst gleich der Muttersprache im
täglichen Leben angewaildt.
Das Serbische dagegen behielt als Sprache
der Frauen, der Kinder und der Dienstboten das
Uebergewicht im Hanse, da das Italienische, obwohl
die Edelleute und meisten Kaufleute es verstanden, doch
immer die lingua franca blieb, die weder vom niedern Volke,
noch von den Frauen gesprochen wurde und Letzteren sogar
verboten war. Null bildete sich durch den vielfachen Gebrauch
im kommerciellen, socialen und literarischen Verkehr mit
Fremden allmälig eine Zwittersprache aus, der ragusanische
Dialekt, welcher aus Serbisch und Italienisch
zusammengesetzt und eben so verdorben ist, wie sich das
Slavische als Schriftsprache der Ragusaner klassisch rein er-
haltelr hat.
Denn Ragusa wird mit Recht das „illyrischeAthe n"
genannt. Allerdings reicht die sog. illyrische Literatur
nicht über das 15. Jahrh, hinaus, indessen die Gedichte des
ersten un^ bekannten Dichters, GioreDerzic, welcher lim
1480 als Mönch lebte, beweisen deutlich, daß Sprache und
Metrik bereits damals einen so hohen Grad von Ausbildung
erreicht hatten, wie ihn blos lange literarische Bestrebungen
zur Folge haben können. JvoFraneGnndnlic (Gon-
dola), welcher 1638 starb und dessen Meisterwerk, die Os-
manide, bis 1826 als Manuskript von Hand zu Hand ging,
gilt als der Tasso der Slaven, und Ignaz Gjorgji, der
1737 starb lind durch Kenntniß der Sprache, Eleganz des
Styls, Wohlklang der Verse ltub Originalität die meisten
südslavischen Schriftsteller übertraf, als der illyrische Ovid.
Auch die nationale Bühne erlangte schoil früh eine Glanz-
zeit, wie wir sie in derselben Epoche kaum bei den gebildetsteil
Völkeril antreffen, und obgleich in ben ersten Jahrhunderten
die Nachahmung der alteil Klassiker ilicht minder unverkenn-
bar ist, wie in den späteren der Einfluß der italienischen, so
fängt die ragusanisch -slavische Literatur doch erst nach Gjorgji
an. auf schwache Uebersetznngen herabzusinken, lind bei dem
Wiederaufleben der südslavischen Sprache ward auch Ragusa
von Neuem ein Mittelpunkt für literarisches Wirken, das
sich namentlich durch die Herausgabe der hinterlassenen
Werke älterer Dichter bethätigte.
Die nationale Um w andlnng
Ragusa's vollendete sich jedoch
nicht ohne blutigen Kampf. Als
nämlich immer mehr uttb mehr reiche
und edle Familien aus den slavischen
Nachbarländern nach Dubrovnik über-
siedelteil, wo sie von ihren Stamm-
genossen mit offeneil Armen empfangen
wurden, beschwerte sich der Ban voil
Bosnieil, Boric, darüber uild ver-
langte ihre Ausweisung. Getreu dein
Grundsätze seiner Vorgänger, weigerte
sich der Senat, dem Bail ju willfahren,
und Boric zog 1159 mit 10,000 Mann
in's ragusaner Gebiet, verheerte die Um-
gegend der Stadt lind beabsichtigte,
diese selbst das nächste Jahr anzugrei-
fen. Aber die Ragusaner kamen ihm
zuvor, schlugen ihil 1160 bei Trebinje
und ilöthigten ihil zliiil Frieden.
Konilte nun auch Ragusa ungehin-
dert an Einwohnerzahl zunehmen, so
blieb doch der Gebietsuinsang des klei-
lien Freistaats noch lange sehr gering.
Es hatte über 100 Jahre gedaiiert, ehe die Republik selbst
die nahe Insel Lacroma besessen, lind bis 1050 war das
ganze Gebiet auf einen Küstenstrich voil 1V2 Miglien be-
schränkt gewesen. Seitdem wuchs es allerdings durch
Kauf lind Schenkungen nach lind nach bis auf eine Ans-
dehnuttg von 22, oder, wie Andere behaupten, 30 Qua-
dratmeilen; indessen der Ertrag des felsigeil uub un-
fruchtbaren Bodens war so unbedeutend, daß das Ge-
treide nicht für einen dreimonatlichen Bedarf, Butter und
Käse kaum für einen Monat ausreichten, und nur die Haupt-
produkte des Landes , Wein lind Oel, eine kleine Ausfuhr
erlaubten, welche sich mit den: Gewinil des Sardellenfanges
und deil Erzengllissen der Jndnstrie auf 417,000 Piaster
jährlich belief. Alle übrigen Bedürfnisse der Bewohner
mußten von Außen eingeführt werden und machten jedes
Jahr eine Ausgabe von beinahe zwei Millionen Piaster
nöthig.
Die Ragusaner sahen sich daher bald ans die Schifffahrt
und den Halldel angewiesen lind verdankten dieser Noth-
wendigkeit den spätern Reichthum ihrer Republik. Obgleich
der Hasen, der sogenannte Casson, eine kleine Bucht im
Ragusa in Dalmatien.
15
Osten der Stadt, kaum acht Trabanoli fassen kann, zählte
die ragnsanische Marine doch schon 1450 über 300 Schiffe.
Ragusaner Matrosen nahmen au der Entdeckung Amerika's
durch Colnmbns Theil, ragusaner Schiffe kämpften 1496 für
die spanische Krone in Indien, wirkten 1581 bei der Er-
oberung Portugals mit tmd gingen mit der unüberwind-
lichen Flotte unter. Bei der Expedition Karls V. nach
Tunis verloren die Ragusaner nicht weniger als 100 Schiffe,
und während der großen Seekriege der spanischen Könige
von 1584 bis 1654 waren gegen 300 ragnsanische Schiffe
in den spanischen Flotten.
Um den Hafeil zu vergrößern und mehr Schiffen Ge-
legenheit zum Ausladen zu geben, ward zwar 1485 eilt
Molo geballt, aber dessenungeachtet wird der (Saffon ge-
wöhnlich blos von kleineren Fahrzeugen benutzt, weil er
dem Seiroeeo allsgesetzt ist, dem der Eingang zwischen den
beiden Molo's zugewendet ist.
Dagegen gilt der eine Miglie lange und fast % Miglien
breite Hasen von Gravosa oder Porto di St. Croee,
eilte Miglie westlich von Ragusa, für einen der größten und
sichersten Häfen Dalmatiens. Er ist ein schöiles, regel-
mäßiges Becken, rings voit Oelbergen
umgeben, an beueu weiße Villen ma-
lerisch ans deut dunkeln Grün hervor-
schimmern, während die kleinen Häu-
ser des Ortes unmittelbar vom Strand
aufsteigen unb hohe, kahle Felsen-
häupter sich int Wasser spiegeln. Der
Kanal von Calamotta, welcher
zwischen ben sogenannten Hirschinseln
oder Seoglien von Ragusa und der
Primorje oder bem ragusanischen Kü-
stenland liegt und bei Gravosa en-
digt , bient den Schiffen, die zur Ab-
fahrt bereit liegen, oder Schutz vor
Stürmen suchen, als sicherer Anker-
platz, und die Ombla, der Orion
der Alteil, welche in die Bucht von
St. Croee mündet, ist im Stailde,
die größten Flotten auf die aller-
bequemste Weise mit dem nöthigen
Trinkwasser zu versehen. Deilit ob-
wohl man von ihren Ufern sagt: „am
Meere", so hat sie doch bis zur Hälfte
ihres zwei Miglieil langen Laufes süßes
Wasser uud kann, da sie fast bis zur Quelle 70 bis 80 Klafter
breit ist, selbst voll Hochbordschiffen befahren werden. Wie
die Bucht voil Gravosa, ist auch die Ombla ;u beiden Seiten
von Villen liild Gärten reicher Ragusaner begrenzt, hinter
denen hier und da einzelne Ortschaften die Berge hinan lie-
gen, welche das Thal der Ombla bilden. Nur siild die
Villen an der Ombla vereinzelter, als an der Bucht von
Gravosa, wo der Kranz der Landhäuser blos von der Dogana
oder dem Zollamt für die ankommenden Waaren uub Per-
ionen, und andern für einen Hafen nöthigen Gebäuden un-
terbrochen wird.
kleine Klippe Daxa, welche während der Pest von
1464 dem Senat von Ragusa als Zufluchtsort biente, schützt
imt ihren Befestigungen die Einfahrt in den Porto di St.
rCC' //O^.""lstich gehörte sie der ebicit Familie Ghetaldi,
lb~i'n Marino Ghetaldi, einem großeil Mathema-
uei seiner Zelt, der sich ben Beinamen Apollonias Jllyricus
erwarb, rhren berühmtesten Sprößling als todt betrauern
mußte. Sanlno u Ghetaldi aber schenkte den Scoglio den
Franziskanern, reuen er 1291 auch alle seine Güter ver-
iucid)tc liub cibcuttc ifynen bort ein ^loftev, iv eich es einst
einen seiner Mönche auf eine tragische Weise verlor. Als
nämlich in dem adligen Nonnenkloster von Sta. Chiara, das
1290 von S. Vito in Pille nach der Stadt versetzt und
unweit der alten Kirche von S. Biorgio errichtet worden
war, plötzlich eine der Jungfrauen, die es inne hatten, auf-
hörte, Jungfrau zu sein, suchte der Senat in höchster Ent-
rüstung nach dem Urheber des Frevels und beschied, weil
eine Dienerin angab, es sei ein Franziskaner gewesen,
augenblicklich sämmtliche Franziskaner der ganzen Stadt^ zu
sich in den Rathssaal, wo die Dienerin in einer Fenster-
brüstung so versteckt stand, daß sie Alles sehen konnte, was
im Saale vorging. Zufällig war an diesem Morgen ein
Frate aus Daxa hereingekommen und ging, da er von dem
Befehle des Senates hörte, neugierig mit in den Palast.
Franziskaner auf Franziskaner wurde nun eingeführt und
von der Dienerin in Augenschein genommen, aber in keinem
konnte sie den Thäter erkennen. Endlich kam als der Letzte
der Mönch ans Daxa, und um doch Einen zu nennen, ries
sie: „Der ist's." Ohne Weiteres ward er festgenommen
und enthauptet, aber bald, nur leider zu spät, für unschul-
dig erkannt. Ein Interdikt erfolgte, ward jedoch nach einiger
Zeit wieder aufgehoben, und um das
Unrecht so viel wie möglich vergessen
zu macheu, verbrannte man die Do-
kumente darüber. Gleichwohl hat die
Ueberlieferung das Faktum in Erin-
nerung erhalten, und ein Relief
an der Porta Pille, welches drei
Köpfe darstellt, wird vom Volke noch
immer auf den Mönch, die Nonne
und die Dienerin bezogen, welche bei
dieser Gelegenheit hingerichtet wurden.
Die Schiffswerfte, welche die
Ragusaner schon in früher Zeit an der
Bucht von Gravosa angelegt haben,
waren ehedem mit dem Ban so vieler
großer und kleiner Fahrzeuge beschäf-
tigt, daß sie allein dem Staate jähr-
lich 9000 Piaster an Abgaben eintru-
gen, während sie jetzt kaum zwei
Schiffe des Jahres vom Stapel lau-
fen lassen. In demselben Verhältniß
ist auch die übrige Industrie gesun-
ken, durch welche sich Ragusa, beson-
ders vor dem Erdbeben, Vortheilhaft
auszeichnete. Denn bereits im 12. Jahrhundert, wo Ban
Kulin von Bosnien zwei Ragusanern die Ausbeute des erz-
reichen Berges Jagodin überließ, und die kleine Festung
Dubrovnicka die dort angelegten Silbergruben schützte, war
die Münzprägekunst in hohem Schwung.
Die Tuchweberei, welche der Florentiner Pietro Pintela
im Jahre 1490 in Ragusa eingeführt hatte, war so berühmt,
daß König Karl IX. von Frankreich sich vom Senate einige
Arbeiter erbat, um in seinem Reiche Tuchfabriken anzulegen,
und den Ragusanern als Dank dafür das französische Bür-
gerrecht verlieh.
Die Seidenweberei ward 1520 durch den Patrizier
Nicolo Luecari von einer Reise nach Italien mit nach Hause
gebracht, und die Färbereien gehörten damals zu den besten,
die man kannte.
Eine Kanonengießerei lieferte die Geschütze für die Stadt
und die Schisse, das Pulver für den Bedarf derselben wurde
von den Ragusanern selbst bereitet, und es gab sogar eine
Glasfabrik, mehr als 20 Lichtziehereien und zahlreiche Werk-
stätten mit Gold-, Silber-, Blei- und Eisenarbeitern, wo-
gegen die heutige Industrie Ragusa's sich auf die Bereitung
Wahrzeichen bei Porta Pille lRagusa).
(Originalzeichnung von F. Kanitz.)
16
Theodoros, Beherrscher von- Aethiopicn.
von Kotzen, Rasch, Leib- und Tnrbanbinden, welche auch
dort gefärbt werden, Talg, seidenen Bändern und Corduan
beschränkt.
Der Handel, welcher sich gegenwärtig größtentheils in
den Händen serbischer Kaufleute griechischen Glaubens be-
findet, entschädigte demnach die Ragusaner für die Mißgunst
ihres Bodens. Verträge mit den Serben, Bulgaren und
Normannen, mit Ungarn, dem Sultan Orchan und den
Venetianern sicherten ihnen Handelsfreiheit zu. Als sie im
14. Jahrhundert den Verkehr mit Bosnien, Serbien und
Bulgarien wegen zu großer Unsicherheit aufgeben mußten,
wandten sie sich nach Kleinasien und Aegypten und erlang-
ten von den dortigen Sultanen 1520 die Erlaubniß, die
Erzeugnisse Indiens zollfrei durchführen zu können. Später
finden wir sie auch im Westen, wo sie schon seit 1494 be-
deutende Privilegien in Spanien erhalten hatten, uiib wäh-
rend der Türkenkriege fiel ihnen abermals der ganze Handel
des Ostens zu.
Sie gründeten Niederlassungen in Sarajevo, No-
vipazar, Belgrad, Widin, Rustschuk, Silistria, Bukarest,
Sophia, Konstantinopel ltub anderen Orten der Türkei, so
wie in den italienischen Städten Fermo, Recanati, Rimini,
Ravenna, Ferrara, Florenz, Pisa, Genua, Venedig, Pa-
lermo, Messina und Syracns, und diese Kolonien, welche
sich nach eigenen Gesetzen verwalteten und ihrer Vaterstadt
unterworfen blieben, vermehrten den Reichthum Ragusa's,
indem das Handelsgeschenk (poklon tyovatschki), d. h. ein
Procent von allem Gewinn, das die Kaufleute in alter Zeit
freiwillig angeboten hatten und gewissenhaft zahlten, einen
Hanptbestaudtheil der Staatseinkünfte ausmachte.
Die letzte Glanzzeit des ragusanerHandels war zur Zeit
der französischen Revolution, wo die Flagge von S. Biagio
die einzige neutrale in: Mittelmeere war, unb der Gewinn,
welchen die Republik damals aus dein Handel itub der
Schifffahrt zog, sich auf 3,725,000 Piaster jährlich belief.
Der Name Sta. Croee, welchen der Hasen von Gravosa
trägt, rührt von einer dem heiligen Kreuz geweihten Kirche
her, die ein ragusanischer Biirger, durch eine himmlische Er-
scheinung veranläßt, 1429 in Gravosa erbauen ließ und
den Dominikanern schenkte.
Eine vortreffliche Straße, die einzige, welche von Ragusa
ans zu Wagen befahren werden kann, führt zwischen Villen
unb Gärten, an Höhen mit Pinien, Cypressen und Oel-
bäumen vorüber, bis zum Anfang der Vorstadt der Pille.
Diese selbst liegt ju beiden Seiten des Weges und zieht sich
mit 100 Terrasse,: den steilen Abhang des Monte Sergio
hinauf, welcher Ragusa beherrscht. Nach den: Heiligen be-
nannt, dessen Kapelle er trug, ehe die Franzosen sie zerstör-
ten, um statt derselben das Fort Imperiale zu errichten,
bildet der Sergio eine Kuppe der Berggruppe von Bergato,
welche in: September der Jagd wegen viel besucht wird.
Vei der Belagerung Ragusa's durch die Russen und
Montenegriner im Jahre 1806 hatten die Ersteren den
ganzen Bergato besetzt und auf dem Sergio Batterien zur
Beschießung der Stadt errichtet, gaben aber ihre vortheil-
hafte Position ohne Kampf auf und ließen Lebensmittel und
Munition im Stich, als sie, durch eine Kriegslist des Ge-
neral Molitor über die Stärke des Feindes getäuscht, die
Montenegriner in größter Hast fliehen sahen.
Theodoras^ Beherrscher von Äthiopien.
In Afrika tauchen dann und wann ausgezeichnete
Männer auf, welche weit und breit hin ihren Einfluß aus-
dehnen und umgestaltend auf die Lebensverhältnisse der
Völker einwirken. So erhob sich in den Zeiten des Mit-
telalters Jnssnf ben Tachwin, der Gründer der Stadt
Marokko; zu Anfang unsers Jahrhunderts gab Danfodio
den Anstoß zur Ausdehnung der Macht jenes Volkes,
das als Fulbe den Mohammedanismus nach Osten hin
bis über den Biuuö hinaus zur Herrschaft gebracht hat.
So durchstürmte in unseren Tagen der, von uns im
Globus inehrfach geschilderte Pul (Singular von Fulbe)
Hadsch Omar mit dem Schwert und der Brandfackel
die Länder an: mittlern und obern Senegal, drang
bis an den Niger, ward auf einige Zeit Herr von Tim-
buktu und ist nun in: Besitze von Hamdallahi, der Haupt-
stadt des obern Fnlberciches. So ist in Habesch vor
10 Jahren Theodoro s aufgetreten, um die Herrlichkeit
des alte,: äthiopischen Reiches wieder aufzurichten. Das
freilich wird ihm nicht gelingen, aber wir müssen zuge-
stehen, daß dieser merkwürdige Mann seither vielfach vom
Glücke begünstigt worden ist.
Habesch, das wir gewöhnlich Abessinien nennen,
bildete einst ein großes Reich unter einen: mächtigen
Herrscher, .dessen Unterthanen seit den: frühen Mittel-
alter zumeist der christlichen Religion anhingen. Die
Macht des „Negus" reichte von: 16 bis 7" n. Br. und
vom Rothen Meere bis zun: Blauen Nil; sein Gebiet
war auf allen Seiten von natürlichen Grenzen abge-
schlossen. _ Das abessinische Königthun: führt seinen Ur-
sprung bis in die Tage des Königs Salomo hinauf; in
den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung
hatte es Zeiten großen Glanzes und inachte Eroberungen
selbst in Arabien. Aber gegen Ende des Mittelalters
sehen wir es von den Gallavölkern bedrängt, unb später-
hin trugen dogmatische und kirchliche Streitigkeiten wesent-
lich dazu bei, das Reich in Verwirrung zu stürzen und
zu schwächen. Auf Antrieb der Jesuiten löste der Negus,
in: ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, das alte Band,
durch welches Habesch an den koptischen Patriarchen von
Alerandria geknüpft war und erkannte, 1626, den römi-
schen Papst als kirchlichen Oberherrn an. Dagegen er-
hoben sich Mönche und Volk, die katholischen Sendboten
wurden verfolgt, theilweise hingerichtet und alle Verbin-
dungen mit Nom abgebrochen.
Zu den kirchlichen Zerwürfnissen kamen politische Un-
ruhen. Während die Gallas immer weiter um sich griffen,
weil sie während der abessinische:: Bürgerkriege keinen
nachdrücklichen Widerstand fanden, machten die Statt-
halter der einzelnen Landschaften sich mehr und mehr
unabhängig, und der einst mächtige „König der Könige",
der Negus Negusse, sank zu einem Schattenherrscher
herab, der in seiner Residenz Gondar eigentlich nur ein
Gefangener war.
Habesch war, abgesehen von den in Besitz der Gallas
gelangten Strecken, 'in acht von einander unabhängige
Gebiete zerklüftet: Tigre, Amhara, Schoa, Gurague,
Kambwat, Enarea, Wollamo und Kafa, von denen die
drei erstgenannten gleichsam den Kern des Landes bil-
deten. Die Herrscher bezeichneten sich, der Form halber,
als Statthalter, während sie, um den Schattenkönig
17
Theodores, Beherrscher von Aethiopien.
unbekümmert, in ihren Gebieten Vollgewalt ausiibtei: und
mit einander häufig Krieg führten.
In unsereir Tagen war Ras Ali Gebieter von Am-
hara (Gondar), Ubie König von Tigre und Sahela Sa-
lessi Herrscher von Schoa. Gegen sie erhob sich Theo-
doros mit großein Erfolge.
Wer ist dieser Mann? Vor nun etwa 46 oder viel-
leicht 50 Jahren saß auf dem Marktplatze der Hauptstadt
Gondar ein schönes Mädchen, das Früchte feilbot, na-
mentlich jene des Kossobanmes, welche ein wirksames
haft aus, daß dieser Herrscher von Amhara ihn mit
seiner Tochter vermählte und unter besondere Obhut der
Königin-Mutter Woisor Menen stellte, welche eine her-
vorragende Rolle in den Händeln Abessiniens spielte.
Mit dieser herrschsüchtigen Frau gerieth Kasai bald in
bittere Feindschaft, befehdete sie, blieb Sieger, warf sich
dann zum Statthalter der Provinz Dembea, am Tzana-
See, auf und schlug 1852 auch das Heer seines Schwie-
gervaters Ras Ali. Tiefer unterlag auch im folgenden
Jahre, obwohl llbie von Tigre ihm Hülfstruppen gesandt
Ncgus Nagast za Aitiopiya Theodoras. (Nach einer Origiiialzcichnung.)
Mittel gegen den in Habesch sehr häufigen Bandwurm
bilden. Das schöne Gemüsemädchen gefiel einen: hohen
Regierungsbeamten, und er nahn: dasselbe zur Frau.
Der Mann war ein Berlvandter des Statthalters von
Dembea, wohnte in Kuara und hatte sich in: Kriege
gegen d:e Aeghpter ausgezeichnet, als diese von SennLr
her euren Angriff gegen Habesch gemacht hatten. Die
junge Frau gebar ihm einen Sohn, den er Kasa i
nannte und zun: Krieger ausbildete. Als solcher zeichnete
er sich un Heere des Ras Ali von Amhara so Vortheil-
Globus VI. Nr. 1.
hatte, und mustte zn den nrohammedanischei: Gallas ent-
fliehen, wahrend Kasai als Herr des ganzen urittlern
Habesch, ^ westlich von: Takazze und bis zum Blauen
Nil, da stand.
^ Sein Stern war glanzend aufgegaugen, u>:d den:
glucklichei: Krieger fuhr der Gedanke durch "die Seele, dast
er bernfen set, das groste athiopische Reich lvieder
anfzurichten. Er glaubte sich zn hohen Dingen ans-
erkorer:. Ging doch untcr den abessinischen Christeii^erne
alte Sage, es werde einst ein Kaiser Thadrntz (Bheo-
3
18
Theodoros, Beherrscher von A-ethiopien.
doros) erstehen, um den Glanz Aethiopiens wieder her-
zustellen, das Land groß, das Volk frei und glücklich zu
macheir; er sei vom Himmel dazu bestimmt, die Mo-
hammedauer zu überwältigen und Mekka sammt Medina
zu zerstören.
Theodoros hatte Glauben an sich selbst; die Geistlich-
keit bestärkte ihn in seinen Vorsätzen und stachelte ihn znm
Kampfe gegen kkbie von Tigre an. Kasai trat als Vor-
kämpfer der abessinischen Kirche auf und benutzte klug die
günstigen Umstände. In Habesch wiederholten sich in
unseren Tagen ähnliche Erscheinungen, wie im 16. und
17. Jahrhundert, als die Portugiesen nnd deren Priester
sich in die Landesangelegenheiten eingemischt hatten.
Im Jahre 1830 waren p r o t e st a n t i s ch e M i s s i o n ä r e
nach Adowa in Tigre gekommen, und sie wurden von den
Engländern unterstützt, welche außerdem Gesandte und
Abenteurer nach Abessinien schickten. Das erregte die
Eifersucht der Franzosen, die ja seit langer Zeit danach
streben, festen Fuß am Rothen Meere zu gewinnen. Sie
nahmen sich ihrerseits der katholischen Missionäre
an, welche jenen der Protestanten fast auf dem Fuße ge-
folgt waren. Beide Theile, obwohl Sendboten der „Re-
ligion der Liebe", leben bekanntlich über den ganzen Erd-
ball und.wo sie irgend zusammentreffen, mit einander in
höchst ärgerlichen Fehden und machen einander Konkur-
renz. So geschieht es von Sierra Leone bis Madagas-
kar, bis zu den Südseeinseln und bis zu den eisigen
Feldern der nördlichsten Jndianerstämme Amerika's. Auf
Andrängen der französischen Missionäre verjagte Ubie die
protestantischen Schützlinge der Engländer (deutsche Mis-
sionäre). Er beging aber einen noch größer» Fehler, indem
er den Abuna, diesen Patriarchen der koptischen Landes-
kirche, rücksichtslos behandelte. Dieser hatte seinen Sitz
zu Adowa, der Hauptstadt von Tigre. Kasa! lud ihn zu
sich nach Goudar ein. Aber der Abuna Aba Salama
erklärte, daß er diese Hauptstadt von Amhara nicht be-
tteten werde, so lange dort römische Priester seien.
Diesen that nun Kasa! dasselbe, was Ubie den protestan-
tischen gethan; er jagte sie fort. Jetzt kam der Patriarch
und verband sich mit dem Könige zur Wiederherstellung
des äthiopischen Reiches und der alten Kirche. Unser
Landsmann Ludwig Krapf hat darüber in seinem
werthvollen Werke: Reisen in Ostafrika rc>, Korn-
thal und Stuttgart 1858, 2 Bände, interessante Mitthei-
lungen gemacht.
Von nun an war, mit Austreibung der französischen
Missionäre, jeder Einfluß der pariser Politik besei-
tigt; aber diese arbeitet, bis auf den heutigen Tag, un-
unterbrochen gegen Theodoros, welchem sie schon manche
Verlegenheit bereitet hat. Die Sendboten beeinträch-
tigten die Hierarchie des Abuna, uiib dieser wollte die
Einmischung fremder Geistlichen, die selber einer mäch-
tigen Hierarchie des Auslandes angehörten, um keinen
Preis dulden. Kasai hatte ihm erklärt, daß er sich nie
in geistliche Dinge mischen werde, und damit hatte er die
Geistlichkeit seines Landes für sich gewonnen. Gegen die
protestantischen Missionäre, welche wieder eingerückt wa-
ren, hatten weder Abuna noch Negus etwas einzuwen-
den, und sie dürfen Bibeln vertheilen und lehren, so viel
sie mögen.
Also Theodoros war, nach Besiegung des Ras Ali,
Gebieter von Amhara. Nachdem er sich des Patriarchen
sicher wußte, forderte er den „Statthalter" Ubie auf, sich
zu unterwerfen, einen Tribut zu zahlen und solchergestalt
sich für einen Vasallen zu erklären. Die ablehnende
Antwort war leicht vorauszusehen; Ubie bot leine ganze
Heeresmacht auf, verlor aber in der Schlacht bei Debreski,
1855, einen seiner Söhne und wurde gefangen genommen.
Tigre fiel m die Gewalt des Siegers, der im folgenden
Jahre Schoa, die große Landschaft im Süden, unterwarf.
Denn Sahela Salessi's Nachfolger, Haila Malakot, ver-
lor an einem einzigen Tage seine Krone und starb noch im
Jahre 1856.
Kasai, jetzt Theodoros, Kaiser von Aethiopien, war
nun in der That Gebieter der abessinischen Kernlande.
Er schaffte den Sklavenhandel ab, suchte lebhaften Verkehr
mit Europäern und rief Handwerker und Künstler ins
Land. Er kämpfte mit Erfolg gegen die Gallas und hat
auch schon die Aegypter in der Provinz Takka bedroht,
ans welche er Anspruch erhebt. Offenbar liegt ihm daran,
sein Gebiet bis an den Blauen Nil auszudehnen und die
Handelsverbindungen mit dem Sudan zu erweitern.
Wir haben schon gesagt, daß die französische Politik
durchaus feindselig gegen ihn verfährt. Sie unterstützt
seine Gegner. Ein Neffe von einer der Frauen Ubie's
(die abessinischen Könige, obwohl Christen, haben Viel-
weiberei), Agau Negussi, setzte sich im nordwestlichen
Tigre fest, befehdete den Theodoros und wurde von den
Franzosen als unabhängiger Herrscher auer-
kannt. Sie sandten einen Konsul an seinen Hof, und
dieser stand au der Spitze eines „politisch-religiösen
Vereins von Europäern"! Von diesem Negussi ließ
Frankreich sich den Ha feil von Zula abtreten; das
Auuectiren kann es auch in Afrika nicht bleiben lassen.
Theodoros hatte Vertrauen zu dem englischen Konsul
Plowdeu; dieser wurde von einem Franzosen, Namens
Garret, der ein Mitglied des eben genannteil Vereins
war, ermordet. Dieser Garret war Führer der negns-
sischen Partei. Im Oktober 1860 trafen die feindlichen
Heere in Lasta zusammen. Kaiser Theodor staub an der
Spitze seiner Truppen, jene der Gegner wurden voil
Garret befehligt. Ein Freund des Ermordeten, der In-
genieur Bell, forderte ihn zum Zweikamps, schoß ihn todt,
wurde aber seinerseits von Garrets Brüdern menchliilgs
ermordet. Theodor tödtete dann diesen Mörder mit
eigener Hand nnb blieb Sieger. Seinem hiugeopferteu
Freunde schlachtete er gnm Opfer eine Hekatombe, beim
von deil Feinden, welche für mitschuldig au Plowdens
Tod erachtet wurden, mußten nicht weniger als 1756 Mann
den Tod erleiden.
Im Jahre 1861 nahm Theodor den Schützling Frank-
reichs, jenen Negussi, gefangen. Ihm wurden, weil er ein
Hochverräter sei, imch landesüblichem Brauche, der rechte
Arm und der rechte Fuß abgehauen, und ilach drei Tagen
starb er. Das sind äthiopische Episoden.
Man begreift, daß die Franzosen nicht gilt ans Theo-
doros zil sprecheil sind. Er hegt Mißtrauen gegen sie,
ulld das erklärt sich aus dem, ivas ivir oben erzählten,
leicht genug; er hat aus die französischen Agenten ein
wachsames Auge. Unter diesen Letzteren befand sich auch
der bekannte Reisende Wilhelm L eje an, welcher im
Jahre 1862 vom oberil Nil sich nach Habesch begab.
Wir haben die Ergebnisse seiner Wanderungen im Glo-
bus V, S. 122 und ff. geschildert und dort auch mit-
getheilt, daß er mit Theodoros in Gafat zusammenge-
troffen war. ' Damals bezeichnete er den Kaiser von
Aethiopien als ein organisatorisches Talent; die Sicher-
heit in dessen Landen sei so groß wie in Europa, das
Räuberwesen sei unterdrückt worden, derHandel hebe sich,
und die Stenern gingen regelmäßig ein. Er habe Re-
formen in der Rechtspflege und in der Verwaltung ein-
geführt.
Bald nachher lauteten die Berichte anders. Lejean
wurde längere Zeit von Theodoros als Staatsgefangener
festgehalten, ohne Zweifel aus politischen Gründen. Doch
kamen ans der Gefangenschaft Briefe von ihm nach
Europa, in denen er den früher hochbelobten Herrscher
als einen Säufer und grausamen Tyrannen schildert.
Nach einiger Zeit wurde jedoch der Franzose wieder
entlassen. Inzwischen haben wir jüngst Mittheilungen
von ihm gelesen, in denen er sein Zusammentreffen mit
Theodoros eingehend schildert. Er traf mit demselben,
wie bemerkt, in Gafat zusammen, am 23. Januar 1863.
-----Ich zog meine Vicekousuls-Uuiform an. Um
10 Uhr Morgens kam der Missionär W. zu mir und
rief: „Seine Majestät kommt!" Ich trat vor die Thür
Dr. Georg Schweuifurth in Afrika.
19
und fand dort einen lärmenden Haufen von höheren
Offizieren, welche die Staatstunica (Marghaf) trugen.
Mitten unter diesen Leuten stand ein Mann, der wie ein
Bauer aussah; er hatte unbekleidete Füße und der Kopf
war unbedeckt; seine weiße Soldatentschama war nicht
gerade sauber. Im Gürtel steckte ein Neitersäbel und in
der rechten Hand hielt er eine Lanze. Ein mit den
abessinischeu Bräuchen Bekannter hatte sofort bemerkt,
daß der Ueberwurf beide Schultern bedeckte, daß also
der Träger desselben kein Anderer sein konnte, als der
König. —
Er redete mich freundlich mit dem Gruße au: Na
deratscho? d. h. wie haben Sie geschlafen? — Die
Etikette will, daß man auf eine solche Frage keine Ant-
wort gibt; man verneigt sich. Theodoros begab sich dann
in eine Behausung und setzte sich auf einen Teppich, ans
dem auch ich Platz nahm. Zwischen mir und ihm saß
der Sohn eines französischen Waffenschmiedes, welcher
ln seinem Dienste steht. Dieser seltsame Mann, dessen
Leben so blutig ist, liebt Kinder außerordentlich und be-
handelt sie mit großmütterlicher Zärtlichkeit.
Man probirte einen Mörser, welchen die baseler
Missionäre für ihn znrecht gemacht hatten. Als der-
selbe geladen worden war, nahm Herr B., ein sehr acht-
barer "Prediger und liebenswürdiger Mann, aber ein
schlechter Artillerist, die Lunte und gab Fener. Mörser
und Lastete schlugen einen Purzelbaum, aber der Neger
(so bezeichnet Lejeau den König!!) war von dem Versuche
ganz entzückt. Mein amtlicher Empfang sollte am fol-
genden Tage ju Devra Tabor stattfinden. —
Leseau schildert dann die äußere Erscheinnng des
Monarchen. „Er mag etwa 46 Jahre alt sein, ist, für
einen Abessinier, von mittlern! Wuchs und wohlgestaltet,
hat einen offenen, sympathischen Gesichtsausdruck, gut
entwickelte Stirn, kleine, lebhafte Augen und eine fast
schwarze Gesichtsfarbe. Nase und Kinn erinnern an den
südischen Typns. Theodoros will von den Königen
David und Salomo abstammen, aber sein kaiserlicher
Stammbaum ist von den abessinischeu Dichtern und
Schriftgelehrten erst nach der Thronbesteigung aufgestellt
worden. Er ist aus Kuara gebürtig, also wenigstens von
väterlicher Seite her ein Knaranya, und ich halte ihn
für einen Agow oder Kamante; diese beiden Völkerschaf-
ten sind wenigstens in jenen Gegenden sehr verbreitet.
Für einen Aethiopier von reinem Blut ist Theodoros zu
dunkelfarbig.
Seine äußere Erscheinung imponirt; sie zeigt, daß er
in der That ein Mann von großer geistiger Regsamkeit
und unermüdlicher Kraftentwicklung ist, und er thut sich
darauf etwas zu Gute. Er vertreibt sich gern die Zeit
damit, an steilen Hügeln hinauf nnd herab zu klimmen,
und dann erfordert die Etikette, daß seine Umgebung ein
Gleiches thue. Auf dem Pferde bewegt er sich wie ein
argentinischer Gaucho, und seine Rosse zittern buchstäb-
lich, wenn sie ihn kommen sehen. Sein Kriegsrnf ist,
wie bei allen abessinischen Häuptlingen: Abba Seng-
hia! d. h. Vater der Pferde.
Für gewöhnlich trägt er sich höchst nachlässig; als
tüchtiger Soldat verachtet er geschniegeltes Wesen, kleidet
sich wie ein gewöhnlicher Offizier, Kopf und Füße sind
unbedeckt. Aber auf einen Schmuck der Krieger legt
er Werth; er läßt das Haar in drei lange Flechten
legen, welche ans die Schnlter herabfallen, und trägt, wie
einst die homerischen „Hirten der Völker", ein weißes
Stirnband.
Seinen innern Menschen habe ich noch sticht völlig
erfassen können. Er kommt mir vor wie ein pfiffiger
Bauer, der sich keine Skrupel macht; er ist hochfahrend
und war früher sehr andächtig nnd fromm; jetzt hat er
sich einer Art von mystischem Atheismus zugewandt,
treibt eine Art von Knltns mit dem Andenken an König
David, seinen angeblichen Urahn, welchem er in zweierlei
Dingen nacheifert, nämlich in blutigen Thaten nnd Hang
zu den Weibern. Er hat mehr als ein halbes Dutzend
Frauen und weiß, daß darüber gespöttelt wird. Deshalb
nimmt er manchmal einen Anlauf, sich tugendhaft und
reuig zu zeigen, und sagt an Gallatagen zum versam-
melten Hofe: „O Kinder, bin ich nicht ein großer Sünder,
ein Pfeiler des Skandals für ganz Aethiopien?" Alle
schweigen; Theodoros fährt fort: „Ach, ich war nicht
immer so schlecht; ich glaube, der Teufel hat es mir
angethan; aber ich null niich bessern." Er „bessert" sich
dann, indem er zu seinen vielen Frauen noch eine neue
nimmt."
Man sieht, daß Lejean eine „geistreiche" Schilderung
entwerfen wollte und daß er etwas ins Zerrbild hin-
überstreift. Die schwarze Haut macht bekanntlich nicht
den Neger, und es ist geradezu widersinnig, einen Abes-
sinierkönig, dessen Gleichbild unsere Leser vor sich haben,
als illeger zu bezeichnen, llnser Landsmann Krapf
spricht sich über Theodoros, der eben damals (im Früh-
jahr 1865) gegen die Wollo-Galla ins Feld zog, fol-
gendermaßen ans: —
„Er ist ein schöner Mann von 35 Jahren, hat schwarz-
braune Hautfarbe, mittlere Statur und scharfen Blick.
Er zeigt sich freundlich und herablassend gegen seine Un-
tergebenen, vergißt aber die königliche Würde nicht, ver-
fährt mit Ruhe und Umsicht, gibt kurze und treffende
Antworten, urtheilt rasch und ist ein Freund der Euro-
päer, deren Urtheile er gern anhört. Für seine staats-
mäunische Klugheit liegt ein günstiges Zeugniß darin,
daß er gegen die Armen, Priester und Kirchen sich frei-
gebig zeigt, denn bei halbcivilisirten Völkern kommt viel
darauf an, daß der Herrscher mit der geistlichen Gewalt
in gutem Einvernehmen bleibt.- Seine Urtheile sind stets
gerecht, und er wurde von Leuten ans ganz Abessinien
förmlich belagert, oft schon um zwei Uhr Morgens, um
ihnen Recht zu sprechen. Seine Thätigkeit war uner-
müdlich und er sprach: „Wenn ich den Armen nicht
helfe, so werden sie bei Gott über mich klagen. Ich bin
selber ein armer Mann gewesen."
Weshalb sollte dieser König nicht Ritter des herzog-
lich sächsischen ernestinischen Hausordens sein? A.
Dr. Georg S ch w einsurth i n Afrilr n.
. r s^'rdm' einiger Zeit (Globus V, S. 121),
caß dceser Gelehrte eine, vorzugsweise botanische, Reise
nach Aegypten, Nubien und den oberen Ntllandeu unter-
nehmen wcnce. Er hat dieselbe im December angetreten
AleruldrM ^ °11 Mährend der Weihnachtstage in
Am 9. März trafen aus Kairo vom 21. Februar Mit-
theilnugeu von Dr. Schweinfurth bei uns ein. Der Rei-
sende meldet uns, daß die Jahreszeit ihn zum Aufbruch
uach^ dein Rothen Meere dränge, und daß er bereit sei,
am 22. Februar die Reise dorthin anzutreten. Er stellt
uns Berichte zunächst aus Kennet) am Nil und Kosseir
am Rothen Meere für die nächste Zeit in Aussicht.
„Eine Reise, welche mich vor Kurzem dem Suez-
20
Die Juden in Marokko.
fcirtal entlang führte, hat mir Gelegenheit geboten, die
Arbeiten an diesem, ans alleFällegroßartigenÜnternehmen
in allen ihren Einzelheiten zu besichtigen, und da ich weiß,
welches Interesse Sie dein Fortgange dieses Unterneh-
mens schenken, so erlaube ich mir, Ihnen für den Glo-
bus eine schlichte, einfache Darstellung dessen, was ich
gesehen habe, beizulegen. Ich meine, daß der Bericht
eines unparteiischen, allen nationalen Eifersüchteleien ab-
holden Reisenden, der nur das Einfachste, Jedermann
Einleuchtende behandelt, immerhin von einigem Werthe
sein werde, zumal es an ungeschminkten Darstellungen
fehlt und das betreffende Gelände nicht Jedermann zu-
gänglich ist."
Wir werden in unserer nächsten Nummer diesen, ohne
allen Zweifel unbefangenen und wahrheitsgetreuen Bericht
über den gegenwärtigen Stand der Arbeiten am
Suezkanal, mit Abbildungen, veröffentlichen; heute
heben wir aus Dr. Schweinfurths Mittheilungen die
Stelle über die Mosesbrnnnen hervor. Sie können
dazu dienen, die Bemerkungen Tischendorfs (Glo-
bus V, S. 354) zu vervollständigen.
Da zur Befahrung des Kanals am Tage meiner An-
kunft kein Boot in Suez zu beschaffen war, wurde ein
Ausflug in die Wüste zur Besichtigung der Mosesbrnn-
nen, des einzigen Punktes in der Umgebung von Suez,
woselbst Gärten und Banmpflanznngen angelegt sind,
unternommen. Nach zweistündigem Ritte hatte'ich den
Ort erreicht, welcher durch seine Palmen- und Tamaris-
kengrnppen inmitten der flachen, einförmigen Wüste von
zauberischem Reize erscheint, während in Wirklichkeit die
dortige Vegetation ein kümmerliches Dasein fristet. Die-
selbe läßt sich mit wenigen Namen aufzählen. Die höch-
sten Bäume dieser Gärten sind Exemplare von Tamarix
ar ticul ata von 30 bis 40 ' Höhe, daneben erblickt mau
die Sträucher der südeuropäischen Tamariske, mit ihren
Die I u d e n
In keinem andern Lande der Welt haben die vielmiß-
i)cmi>eUeu Juden eine schlimmere Stellung, als im marok-
kanischen Kaiserreiche. Wir haben vor Kurzem Beispiele
dafür angeführt (Globus V, S. 301), aber auch her-
vorgehoben, daß gerade die Juden das einzige, einer
höher» Kultur fähige Element bilden. Im vorigen Jahre
mußten sie abermals schwere Verfolgungen erleiden, und
diese sind einem ihrer Glaubensgenossen, Sir Moses
Montefiore, schwer zu Herzen gegangen. Dieser edle
Mann hat es nie an sich fehlen lassen, den Juden wirk-
same Hülfe zu bringen, wann und wo sie irgend bedrückt
waren; er wendet feinen Reichthum in wahrhaft menschen-
freundlicher Weise au; er eilt selber dorthin, wo Hülfe
nöthig ist, und seit einemVierteljahrhundert bleibt er uner-
müdlich in seinen preiswürdigen Bestrebungen. Auch ist
es ihm gelungen, manche schwere Last von den Schustern
der Juden zu nehmen, namentlich im osmanischen Reiche,
und eben jetzt kehrte er aus Marokko zurück, wo er beim
Kaiser selbst ein kräftiges Wort gesprochen hat.
In welcher Lage befinden sich die Juden im Maghreb
el Aksa? Unser Landsmann, Baron von Maltzahn,
giebt in seinem lehrreichen Werke: „Drei Jahre im Nord-
westen von Afrika" (Leipzig, 1863), im vierten Band an
vielen Stellen ausführliche Antworten. In der Haupt-
stadt Marokko leben die Juden in einem wo möglich noch
ärgern Zustande der Unterdrückung, als in anderen
Städten des Reichs, und sie sind namentlich der Habgier-
schönen Blüthenstränßen die Aermlichkeit der Umgebung
zierend. Dattelpalmen sieht mau nur wenige und ver-
krüppelte; merkwürdig jedoch erscheint es hier, Stämme
von nur sechs bis acht Fuß bereits fruchttragend wahrzu-
nehmen. Die übrigen Bäumchen und Sträucher sind
etliche erbärmliche Granat- und Orangenstämme, Oel-
bäume, Lawsonia, Parkinsonia , die Myrte, Zizyphus,
die Lebbek-Akazie und die A. farnesiana. Hiermit nun
ist nebst einigen Bauinwollenstauden, Rosensträuchen und
ben Gemüsepflanzen die ge sammle Vegetation an den
Mosesquellen erschöpft. In der umliegenden Wüste giebt
es stellenweise Kräuter verschiedener Art, meist gruppen-
weise angeordnet, unter denen das prachtvoll-violett
blühende ägyptische Bilsenkraut am meisten auffällt. Ver-
einzelte Krüppel der Seyal-Akazie sind über alle Wüsten
dieser Gegend zerstreut, und als die, häufigsten nnb am
massenhaftesten auftretenden Kräuter kam: man Cressa
cretica, Zygophyllum album und die Coloquinthe be-
trachten. Die Sinaistraße führt hier vorbei, man hat
daher stets Gelegenheit, an den Mosesquellen einige Be-
duinen anzutreffen, welche Brennmaterialien und Lebens-
mittel /nach Suez znm Markte schaffen. Es sind noch
echte, unverfälschte Söhne der Wüste; in Tracht und
Köperbau von den übrigen Menschenkindern grundver-
schieden und an Bedürfnislosigkeit mit den Cicaden wett-
eifernd, sieht man sie mit ihrer elenden Flinte und dem
grobhärcnen Gewände oft ohne jedwede Provision weite
Wüstentonreu antreten, denn ihr natürlicher Spürsinn
führt sie an Stellen/wo sie unter dem Boden Wasser-
finden, das sie nebst den Wurzeln, die ihr Dasein zu
fristen ausreichen, mit den Händen zu Tage schaffen. Zu-
dem giebt es noch Gazellen in dieser Gegend, denen sie
beiznkommen verstehen. Ein paar Schuß Pulver ist Alles,
was sie von den: Fremden zu erbeuten suchen, und fügt
man gar einige Handvoll Tabak hinzu, so dünken sie sich
für die Glücklichsten unter den Sterblichen.
n Maro k k o.
und Raub sucht der Trabanten des Sultans ausgesetzt.
Kein Israelit wagt es, einen andern Zustand zur Schau
zu tragen, als den einer bettelhaften Armuth; er ist noch
ärmlicher, unscheinbarer und dunkler gekleidet, als in
Tetnan, der andern heiligen Stadt. Er muß im mau-
rischen Quartier stets barfuß gehen, darf lveder Pferd
noch Esel besteigen und hat sich von den Mauren und
den fanatischen Kabylen alle möglichen Demüthigungen
und Beschimpfungen gefallen zu lassen. „Das ins Gesicht
Spucken, mit Füßen Treten, Schimpfen mit den ekelhaftesten
Namen, das Bewerfen mit Koth und Steinen , alles das
müssen sich die gedemiithigteu Juden gefallen lassen.
Mancher Araber, der einem Juden begegnet, wendet sich
mit einer unanständigen Geberde von ihm ab. Ich sah,
wie ein einzelner maurischer Knabe mit einem Stocke
eine ganze Schaar wehklagender erwachsener Juden vor
sich Hertrieb. Freilich war ihre Furcht nicht ungegründet,
denn hätte sich einer zur Selbsthülfe au dem Knaben auch
nur im. Geringsten vergriffen, welche grausame Strafe
wäre ihm dann nicht zu Theil geworden?" Die Mella h,
das Judenquartier, hat ihre eigenen Mauern und Thore,
welche des Abends geschlossen und am Sabbath nicht ge-
öffnet werden. Baron Maltzahn, der bei einem Juden
wohnte, wagte sich in die maurische Stadt und unterstand
sich, in ein offenstehendes maurisches Haus hineinzuschielen,
und das lvurde von einem maurischen Knaben bemerkt.
„Diese Unverschämtheit des vermeintlichen Juden mißfiel
Das deutsche Schulwesen iu den Vereinigten Staaten.
21
ihm höchlich; er griff Koth und Steine vom Boden auf
und begann damit die verhaßten Kinder Israels zu be-
werfen. Meine Gefährten ergriffen schleunig die Flucht;
ich that dasselbe, hatte aber Mühe, ans dem Bereich des
kleinen Monstrums zu kommen."
Als vor einer Reihe von Jahren der englische General-
konsul Drummond Hay sich nach der Stadt Marokko
gewagt hatte, blieb er zwar vier volle Wochen in der-
selben, durfte aber das Jndenviertel nicht verlassen und
bekam keine Audienz beim Kaiser. Herr von Maltzahn
aber erhielt eine solche. Jetzt lesen wir, zu unserer an-
genehmen Ueberraschnng, daß der Scherif (Kaiser, Sul-
tan, Abkömmling des Propheten) sogar einen Juden,
eben den Sir Moses Montefiore, iu feierlicher Au-
dienz empfangen habe. Das ist unerhört, und die mo-
hammedanischen Fanatiker werden ohne Zweifel den Unter-
gang der Welt über eine so beispiellose Frevelthat pro-
phezcchen.
Beispiellos war der ganze Vorgang allerdings.
Seit dem letzten Kriege mit Spanien und der marokka-
nischen Anleihe, welche ander londoner Börse Abnehmer
fand, ist der alte Uebermnth des Sultans wesentlich ver-
mindert worden. Montefiore war im Januar 1864, be-
gleitet vom englischen Konsul Re ade und Kapitän Ar-
mytage, nach der Hauptstadt gereist; der Sultan ließ,
was auch unerhört war, diesen ungläubigen Europäern
den kaiserlichen Palast Sidi ben Dris zur Wohnung an-
weisen. Nach sechs Tagen erhielten sie Audienz.
Während derselben saß der Sultan zu Pferde, und
zwar auf einem schneeweißen Streitrosse. Man sah darin
ein gutes Vorzeichen, denn die Farbe des Pferdes, welches
der Herrscher besteigt, gilt für das sicherste Anzeichen der
Stimmung des Kaisers. In guter Laune wählt er ein
weißes, in übler Laune ein graues und wenn er zornig
ist, ein schwarzes. Montefiore wurde sehr freundlich empfan-
gen; der Kaiser sprach seine Freude aus, einen Mann
vor sich zu sehen, der sich einen weithin rühmlich bekann-
ten Namen erworben habe, und nahm die Bittschrift
gnädig entgegen. Vier Tage nachher erhielt Monteffore
einen kaiserlichen Ferman, worin der Sultan
verspricht, seinen jüdischen Unterthanen Gleich-
heit vor dem Gesetz und unparteiische Rechts-
pflege angedeihen zu lassen. „Alle Juden in unserm
Reich, in welchen Lebenskreis der Allmächtige dieselben
auch gestellt haben möge, sollen von unseren Statthaltern,
Verwaltern und alleii anderen Unterthanen so behandelt
und angesehen werden, daß die Wagschalen der Gerech-
tigkeit in gleicher Schwebe bleiben. Vor den Gerichts-
höfen sollen die Juden mit allen anderen Menschen auf
gleicher Stufe stehen, so daß auch nicht ein Bruch-
theil des kleinsten denkbaren Theils von Ungerechtigkeit
auf einen derselben entfallen soll. Auch darst kein Jude,
sei er Handelsmann oder Handwerker, gegen seinen Willen
zu irgend einer Arbeit gezwungen werden."
Das lautet ganz vortrefflich, aber wir befürchten, daß
diese wohlwollenden Absichten znm allergrößten Theile
a nf dem Papiere bleiben. Denn kein Befehl des Kaisers
kann den tief eingewurzelten Fanatismus ans dem Innern
derKabylen, Mauren und Araber herausreißen, und die
Zustände tut marokkanischen Reiche sind derart gestaltet,
daß der Herrscher nicht im Stande ist, eine wirksame
Kontrole zu üben, wenn er auch wollte. Ueber einen
großen Theil der berberischen Stämme hat er gar keine
Gewalt; er ist nicht einmal im Stande, den Rif-
piraten das böse Handwerk zu legen, und selbst auf der
nur 24 deutsche Bteilen weiten Strecke zwischen dem
Hafen Mogador und der Hauptstadt Marokko lebt ein
Stamm, welcher von Alters her die Unterwerfung ver-
weigert hat und niemals bezwungen worden ist. Es er-
scheint mindestens zweifelhaft, ob den Jilden Vortheil
aus dem kaiserlichen Erlaß erwachsen wird, aber Monte-
fiore, der sich so preiswürdig seiner Glaubensgenossen
angenommen, verdient trotzdem unsere volle Hochachtung.
Das deutsche Schulwesen in den Vereinigten Staaten.
Philadelphia, 20. Febr. 1864.
Es steht in vieler Beziehung schlimm um unsere Mut-
tersprache in diesem Lande, und ich glaube, so schmerzlich
es auch ist, daß man am bestell thut, in der Presse mög-
lichst oft darauf hinzuweisen*), damit eine Besserung ein-
trete, die deutsche Sprache auch auf der Westhälfte der
Erde rein erhalten und eine der wesentlichsten Be-
dingungen deutschen Volksthnms gewahrt werde.
Nachdem die Uebergriffe der englischcil Sprache lange
genug gedauert hatten, begann es sich endlich unter den
Deutschen der Vereinigten Staaten zu regen, und eine
wohlthätige Gegenströmung griff Platz, die sich die Er-
haltung und Hebung der" deutschen Muttersprache zunl
Ziele setzte. Besonders hier in Ost-Pennsylvanien ist
man thätig und hat auch bereits Einiges erlangt. Wir
gründeten vor länger als einem Jahre einen „Verein
Flutschen Presse von Pennsylvanien", dessen
Mitglieder, ohne Unterschied der Parteistellung, darauf
hinarbeiten, daß namentlich das sehr im Argen liegende
deutsche Schulwesen wieder gehoben werde. Der
Veceiil halt regelmäßige Sitzungen, steht mit ähillichen
•oeunucn m anderen Staaten in Briefwechsel und sam-
W>r unserseits haben bereits im ersten Bande des Globus S. 61
auf die Verderbnis; der deutschen Sprache in den Vereinigten Staaten aus-
führlich hingewiesen. ^ «>cb
Hielt alles Material, welches sich auf die Kenntniß deut-
scher Verhältnisse in Pennsylvanien bezieht.
Am 29. December des verflossenen Jahres hielt der
genannte Verein zn Reading, Berks Eo., Pa., eine Haupt-
sitzung, in welcher der um das Deutschthnm in Nord-
amerika vielfach verdiente Dr. G. Kellner einen vorläu-
figen Bericht über das deutsche Schulwesen und den deut-
schen Unterricht in Pennsylvanien erstattete. Man ersieht
aus demselben, daß sich eine genaue Bestimmung der An-
zahl der Deutschen in Pennsylvanien nur schwer
aufstellen läßt. Die höchste Annahme ergiebt 1,500,000
Köpfe.. Legt man aber das Religionsbekenntniß zu Grunde
und die Kopfzahl derer, welche sich zu einer bestimmten
Kirche halten, so zeigt uns die Statistik 180,000 Luthe-
raner, 150,000 Reformirte, 70,000 Katholiken, 60,000
Methodisten, Presbyterianer u. s. w., zusammen nur
460,000 Köpfe. Berücksichtigt man dabei aber, daß in
Pennsylvanien auf einen Kirchenangehörigen mindestens
zwei Menschen kommen, die keiner Kirche angehören,
so muß die obige Zahl verdreifacht werden, und dann er-
giebt sich die Zahl von 1,380,000 als die Summe der
pennsylvanischen Deutschen. Hier in Philadelphia leben
deren an 100,000 und doch gehören nur 25,000 zu den
verschiedenen christlichen Gemeinden.
Ungemein schädlich für die deutsche Sprache war das
im Jahre 1835 eingeführte Freischulsystem. Sie
22
Das deutsche Schulwesen in beit Vereinigten Staaten.
großen unleugbaren Verdienste dieses Systems, das eine
große Masse des Volkes erst zur Schule heranzog und
einem großen Theile der alten deutschen Bevölkerung des
Staates das Erlernen des Englischen zugänglich machte,
übten jedoch auf die Erhaltung und Fortbildung der
deutschen Sprache in Haus, Kirche und Schule und aus
das deutsche Erziehungswesen bisher einen keineswegs
vortheilhaften Einfluß aus. Die englische Sprache drang
durch sie in tausende von deutschen Familien in einer
Art ein, daß sie die deutsche Sprache und damit deutsche
Sitte und deutsches Familienleben gänzlich verdrängte.
In den öffentlichen Schulen giebt es allerdings hier und
da deutsche Lehrer, und in einer Anzahl von Schuldistrikten
wird auch Deutsch gelehrt, freilich nur dort, wo die deutsche
Bevölkerung so überwiegend ist, daß man nicht anders
kann. Aber wie traurig die Abnahme des deutschen
Unterrichts und die Anzahl der deutschen Schüler in diesen
öffentlichen Schulen ist, ergiebt sich ans folgender Zu-
sammenstellung:
Zahl der Schüler. D e u t s ch - L e r n e n d e.
1855 529,009 10,015
1857 511,247 7,168
1863 643,499 5,730
Während also 1855 noch fast der 50. Theil
der Schüler in öffentlichen Schulen Deutsch
lernte, war es 1857 nur noch der 75. und
1863 gar der 110.
Ein Gegengewicht liegt in den deutschen Gemeind e-
und Sonntagsschulen. Den deutschen Kirchengemein-
den, dem Gottesdienst, den Predigern der Gemeinde-
schulen ist es im Vereine mit der deutschen Presse haupt-
sächlich zu danken, daß trotz der gewaltigen Einflüsse des
neuen Staats-Freischulsystems und der überwältigenden
Macht des öffentlichen politischen Lebens, das seinen Aus-
druck im englischen Idiom findet, die deutsche Sprache
auch da sich so frisch und lebenskräftig erhalten hat, wo-
hin der Strom der neuern deutschen Einwanderung we-
niger gedrungen ist, im Innern unserer alten deutsch-penn-
sylvauischen Counties. Luthers Bibel-Uebersetzung, das
deutsche Gesangbuch und der deutsche Katechismus haben
nebst der deutschen Presse das Ihrige gethan, um die
Muttersprache bei den Kindern und Kindeskindern derer
zu erhalten, die vor langen Jahren das alte geknechtete
Vaterland verließen, um im damals freien Lande ein Asyl
für religiöse und politische Freiheit zu suchen und zu
finden.
Vor Einführung des Staatsschulsystems hatte fast 100
Jahre lang, von 1745 bis 1835, jede deutsche Kirchen-
gemeinde ihre Gemeinde-Tagesschule. Mit Ausnahme
von Philadelphia, Pittsburg, Harrisburg und Lancaster
sind dieselben jetzt höchst selten. Auf 10 reformirte
Gemeinden kommt kaum eine Tagesschule, so daß man
höchstens 50 deutsch-reformirte Tagesschulen mit 5000
Schülern annehmen darf. In den großen Städten
hat ihre Zahl wieder zugenommen. In vielen
Schulen sagen Schüler, die nicht Deutsch lesen können, den
Katechismus englisch her, um ihn sich deutsch erklären zu
lassen, da sie das Englische nicht genügend verstehen, wenn
sie es auch lesen köunen. Auch das deutsche Gesangbuch
kann in vielen Gemeinden nicht gebraucht werden,' weil
die Jugend es nicht lesen kann. In vielen Gemeinden
dieser Kirche wird nur Englisch gepredigt und zwar
namentlich in der ältesten hiesigen Kirche und in Ger-
mantown. In manchen wird in beiden Sprachen gepre-
digt, katechisirt und Sonutagsschule gehalten; in einer
Anzahl nur deutsch. In einigen Gemeinden im Innern
Pennsylvaniens versteht man nur Peunsylvanisch- Deutsch
und Wenig Hochdeutsch oder Englisch.
Die deutsch-lutherische Kirche hat durch ihre ersten
Patriarchen, namentlich durch vortreffliche Männer aus
der Familie Mühlenberg, seit dem Anfange des vori-
gen Jahrhunderts eine bedeutende Stellung im Staate
eingenommen; das Lancaster-College wurde vom Staate
aus Dankbarkeit gegen die Deutschen („wegen ihrerKriegs-
thaten und wegen ihres Fleißes") gestiftet. Das theo-
logische Seminar zu Gettysburg besteht erst seit
1825; jetzt ist es durch die Ereignisse des Bürgerkrieges
leider halb verfallen und nur von 19 „deutschen" Studen-
ten besucht, von denen aber nur vier fertig Deutsch
sprechen! Hauptsächlich ist es d e r M a u g el a n g u t e u
deutschen Predigern, der in der deutsch-lutherischen
Kirche, wo alle Gemeinden das lutherische Bibeldeutsch
verstehen, daran Schuld trägt, daß viele Gemeinden der
deutschen Sprache entfremdet werden. Viele junge Geist-
liche, die als deutsche Prediger angestellt sind, können
nicht richtig Deutsch und ziehen deshalb das englische Pre-
digen vor. Nach der lutherischen Zeitschrift sind in ganz
Amerika 700 ganz deutsche und 400 deutsch-englische
lutherische Gemeinden, wovon 400 deutsche Gemeindeschu-
len und 200 deutsche Sonntagsschulen haben.
Hier in Pennsylvanien, wo sich überwiegend
deutsche Gemeinden befinden, sind verhältnißmäßig die
deutschen Gemeindeschulen seltener als in anderen Syno-
den. In Ohio hat fast jede deutsch-lutherische Gemeinde
ihre eigene Schule. Im Ganzen wird man höchstens 60
deutsch-lutherische Gemeindeschulen auf Pennsylvanien
rechnen dürfen mit höchstens 6000 Schülern und vielleicht
600 deutschen Sonntagsschulen. Die lutherische Kirche
hat in den Vereinigten Staaten wegen Mangels an deut-
schen Predigern in den letzten Jahren an 400 Gemein-
den, darunter viele deutsche, verloren. Aber die heil-
same Gegenbewegung tritt nun endlich ein, und man be-
müht sich, tüchtige Prediger herbeizuziehen.
Die Zahl der deutschen Katholiken in Pennsyl-
vanien beträgt 60,000 Seelen in 62 Gemeinden, deren
Hauptsitze Philadelphia und Pittsburg, Lancaster, Berks-
und Northampton - County sind. Die ersten deutschen
Katholiken kamen 1725 nach Philadelphia. Die katholi-
schen Gemeinden in Pennsylvanien haben 25 deutsche
Tagesschulen mit mehr als 5000 Schülern. In dem katho-
lischen Seminar von St. Boromeo zu Philadelphia wur-
den die deutschen Priester im Deutschen unterrichtet, und
namentlich hielt der verstorbene Bischof Neumann, ein
Deutsch-Böhme, viel auf eine klassisch deutsche Bildung
der Seminaristen.
Die bischöfliche Methodistenkirche in der Union
zählt nicht weniger als 300 deutsche Gemeinden mit 280
Kirchen und 14,000 Schüler in 338 deutschen Sonntags-
schulen. Zu dieser Kirche treten viele Lutheraner über,
da die Methodisten besser für deutschen Unterricht sorgen,
als diese. Die deutschen Lutheraner sagen selbst, daß die
Methodisten in den letzten 10 Jahren siebenmal mehr
deutsche Sonntagsschulbücher in Amerika gedruckt haben,
als die Lutheraner.
Kleinere Gemeinschaften sind die evangelische Ge-
meinschaft mit 343 deutschen Kirchen, die amerika-
nische Bap tisteukirche mit 50 deutschen Gemeinden re.
Bei den großen Lücken, welche die Gemeinden und
Sonntagsschulen bezüglich des deutschen Unterrichts lassen,
hat sich in neuerer Zeit, namentlich in den größeren
Städten, die Aufmerksamkeit wiederden Privat sch ulen,
oder wie man sie gewöhnlich nennt, den „freien Schulen"
zugewendet. Es ist in den letzten Jahren viel für ihre
Unterstützung geschehen, doch liegen mir nur Nachrichten
über die hiesigen Privatschulen vor; ihre Zahl wächst
immer mehr. Außerdem hat sich ein Realschulverein
mit dem Zwecke gebildet, eine deutsche Realschule und
polytechnische Schule ins Leben zu rufen. Den An-
strengungen unserer hiesigen Landsleute ist es auch ge-
lungen, daß an der Philadelphia-Hochschule ein tüchtiger
Gissend Palgrave's Reise von Gaza in Syrien durch das nördliche Centralarabien re.
23
Professor der deutschen Sprache angestellt wurde. Be-
sonders rühmend ist außerdem hervorzuheben, daß der
hiesige Arbeiterbund eine Anzahl Sonntagsschulen
einrichtete, in welchen 700 meist erwachsene Schüler und
Schülerinnen Unterricht im Delltschen, Schreiben, Lesen,
Rechnen, Singen und Zeichnen erhalten, und zwar durch
die aufopfernde Thätigkeit fähiger Mitglieder des Arbeiter-
bundes selbst.
Das sind die wenig tröstlichen Nachrichten, die ich
tiber den gegenwärtigen Stand des deutsch-amerikanischen
Volksschulwesens mitzutheilen habe. Aber ein guter Keim
ist überall vorhanden, der hoffentlich zum kräftigen Baume
gedeihen wird, so daß unsere Muttersprache wieder den
alten, festen Ehrenplatz einnehmen wird, der ihr gebührt.
Möge uns bei unseren Bestrebungen auch das alte Mutter-
land, so viel es kann, unterstützen!*)
*) Was soll das „alte Mutterland" in dieser Beziehung thun? Selbst
ist der Manu. Wcun die Einwanderer so kläglicher Art sind, das; sie sich
unserer Sprache einschlagen, das; sie in kläglicher Weise verhankee'u und
sich in der Rolle bou nationalen Mauleseln und Zwittern gefallen, so bewei-
sen sie, daß sic Leute aus schlechtem Stoffe sind. Ich kenne einen aus Bre-
men stammenden Kaufmann in Ncuhork, der nach Verlauf bon drei Jahren
einen Landsmann und Jugendfreund im schlechtesten Jankee-Englisch an-
redete und sich stellte, als müsse er sich erst auf das Deutsche wieder besinnen.
Ein Schwabe, mit dem klassischen Namen Bäuchlc, hatte nichts Eiligeres
zu thun, als im Uankeclande seine Vornamen Johann Jakob sofort in
John James zu travestiré». An solchem Gesindel armseliger Nachäffer,
das gut genug als Aankeeguano ist, verlieren wir Deutschen gar nichts. Fort
mit Schaden. Aber Ehre den Deutschen, welche stramm bleiben! A.
Gifford Palgrave's Reife von Gaza in Syrien durch das nördliche Cenlralarabien nach Cl Chalib
am Persischen Meerbusen und nach Aman.
Diese Reise gehört zu beit wichtigsten und interessan-
testen, welche in der neuern Zeit gemacht worden sind.
Sie giebt Nachrichten über Gegenden und Völkerstämme,
über welche uns eine nähere Kunde sehr erwünscht ist,
denn ein großer Theil des innern Arabiens ist uns auch
heute nur sehr dürftig bekannt.
Palgrave gab eine Skizze über das, was er gesehen
und erlebt, in der Sitzung der londoner geographischen
Gesellschaft am 22. Februar. Sein Ausgangspunkt war
Gaza im südlichen Syrien. Der Reisende lebte seit 18
Jahren im Orient, ist mit dessen Sitten und Gebräuchen
vollständig vertrant, spricht das Arabische wie ein Araber
und glaubte das sehr schwierige Unternehmen wagen zu
können. Aber er durfte unter keinerBedingung von seinem
Plane etwas verlauten lassen, weil die Araber einen gro-
ßen Widerwillen gegen das Eindringen von Europäern
ins Innere haben und selbst gegen ihre türkischen Glau-
bensgenossen so eifersüchtig sind,' daß manche der Letzteren
den Versuch mit dem Leben gebüßt haben.
Dem Reisendeil erschien es zweckmäßig, sich für einen
wandernden Arzt auszugeben, und man hielt ihn für einen
Quacksalber, der aus seiner angeblichen Vaterstadt Da-
mascus irgend eines Verbrechens halber nach Arabien
entflohen sei. Palgrave hatte sich mit dem Studium der
Arzneikunde beschäftigt und konnte deshalb seine Rolle
um so besser durchführen. Sie war auch scholl dadurch
von Nutzen, weil sie ihn mit allen Klassen der Gesell-
schaft in Berührung brachte. In manchen Fällen kamen
Leute ans einer Entfernung von 10 bis 12 Tagereisen,
um seine ärztliche Hülfe zu erbitten, und voil Manchen
erhielt er werthvolle Nachweisnngcn über den besten Weg,
welchen er zu nehmen habe, um unsichere Gegenden zu
vermeiden; beim es war in Centralarabien sehr unruhig,
i'ub manche Stämme lagen in Fehde mit einander.
Von Gaza aus kam der Reisende bald in die Wüste
mld erreichte die Grenze der Landschaft des Dschebel
Schammar bei Maan. Von dort zog er sieben Tage
^ »Vit Richtung durch eine anbete Wüste, in
’Ulr ó« einziger Brunnen befand. Er war ans
.'e^e uahe daran, während eines sehr heftigeil
Wnstenlvindes (Smüm, Simum) das Lebeil zu verlieren.
Jnc esseil gelangte: er wohlbehalten nach El Dsch auf, das
elnen Mlttelpunkt für den Handel bildet; es liegt tief
LP r+ra Cl'Hu, ’•’wd) welchen der Reiseweg führt.
El"e alte Burg beherrscht diese Thalschlucht.
Von El Dschanf zog Palgrave dann in südlicher Rich-
tuiicj nach Hall, der Hauptstadt des Dschebel Scham-
mar. Sie liegt an der südlichen Grenze dieses Reiches
und hat etwa 20,000 Einwohner. Der Reiselide befaild
sich nun auf dem großen Centralplateau Arabiens und
kam dann in das Königreich der Wahhabis. Der
gegenwärtige Monarch heißt Jbn Saüd und fiihrt ben
Titel „Sultan des Nedschd". Die frühere Hauptstadt
Deraijeh ist vom Aegypter Ibrahim Pascha stark heim-
gesucht worden, unb der Sultan residirt nun in denl nur
eine halbe Tagereise entfernten Er Ria ad. Hier ver-
weilte Palgrave sieben Wochen lang, verließ dann die
Stadt, aus Gründen, die weiter unten angegeben werden,
insgeheim und gelangte, ilach mancherlei Gefahren, nach
El Ehatib. Von dort sandte er seineil Reisegefährten zll
Wasser llach Bagdad, damit feine Tagebücher geborgen
wurden; er selber wollte voll El Ehatib aus lloch eine
weit gefährlichere Wanderung antrete», nämlich sene an
der Piratenküste von Oman. Er unternahm sie,
ohne einen Begleiter zll habell, litt Schiffbruch unb rettete
nur mit genauer Noth sein Leben; von 21 Leuten der
Schiffsmannschaft retteten sich um* neun. Beim Sultan
voll OmLn, den man gewöhnlich, obwohl ungenau, als
Jinälil von Maskat bezeichnet, fand er eine freund-
liche Aufnahme, denn dieser Potentat hat Verträge mit
den Engländern geschlossen. Seine Residenzstadt Scho-
har liegt etwas nordlvestlich von Maskat; dieses letztere
ist die Hanpthandelsstadt des Landes. Voil hier gebrauchte
er drei Monate, um nach Bagdad zll gelangen; seit elf
Monaten hatte sein dort auf ihn harrender Reisegefährte
keine Nachricht voil ihm erhalten.
Dies silld die Umrisse der Reise, über welche Pal-
grave einen ausführlichen Bericht drucken lassen wird.
Er machte dann sehr spannende Mittheilungen über die
geographischen Verhältnisse der voil ihm durchwanderten
Gegenden unb schilderte die politischen unb religiösen
Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Stämme, mit beiien
er in Berührung gekommen war. Er betonte ganz be-
sonders den immer noch weit verbreiteten Irrthum,
dem gemäß man den wandernden Beduinen
mit dem eigentlichen Araber verwechsele unb
die Meinung hege, als ob die ganze arabische Halb-
insel voil Nomaden bewohllt werde. Die Beduinen, sagte
er, umkreisen allerdings das von seßhaften Leuten bewohnte
Innere; aber in diesem letzteren sind die Gesellschafts-
und Staatsformen eben so fest begründet atub scharf ge-
zeichnet, wie in höher civilisirten Ländern. Manche Städte
haben 20,000 Einwohner und darüber, man findet m
ihnen Läden, Bazare, Moscheen, Häuser mit zwel und
24
Auf der Grenze von Hlnterpommeun und Westpreußen.
drei Stockwerken und nicht selten einen so guten Geschmack,
daß manche Straßen Londons dagegen weit zurückstehen.
Auch sind die Leute in religiöser Beziehung duldsam.
Gastfreiheit ist eine bekannte Tilgend der Araber, „allein
ich war doch überrascht, daß ich als Christ — und ich
machte gar kein Hehl daraus, daß ich ein solcher sei —
niemals die geringste Beleidigung oder Beeinträchtigung
erfuhr." —
Dagegen wurde ihm die Strenge, mit welcher die
Wahhabis(Wechabiten) ans manche mohammedanischen
Satzungen halten, recht lästig. Der Gründer dieser Sekte,
Jbn Abd ül Wahab, der vor etwa einem Jahrhundert
in der von Palgrave besuchteil Stadt Hormeilimmeh ge-
boren wurde, wollte bekanntlich ben Islam reformiren,
indem er ihn von manchen ungehörigen Zuthaten zu be-
freien gedachte. Sein Bekenntniß lautet: „Es giebt
keinen Gott außer Gott; er ist allein und hat keinen
Genossen." Diesen gereinigten Islam kann man in
Er Riaad gleichsam an der Quelle ftnbiven. Die We-
chabiten haben Mollahs als geistliche Leiter und Führer,
ivelche Frömmigkeit einschärfen. Die Negiernngsgewalt
besteht in einem erblicheil Despotismus voll eigenthüm-
licher Art. Die Gebote des Korans werden mit aller-
äußerster Strenge beobachtet, nnb das Tabakrauchen
gilt für eine Todsünde. Die Wahhabis wußten, daß
Palgrave sich derselben schuldig machte, ließen ihil aber
unbehelligt, und er hätte in aller Ruhe noch länger in
Er Riaad bleiben können, iveiln ihli nicht ein eigenthüm-
licher Umstand zum Fortgehen bewogen hätte. ' Es war
ihm geglückt, einen Kranken zu heilen, der an Lähmung
der Znngennerven litt; er beseitigte das Uebel durch An-
wendnng einet* äußerst kleinen Gabe von Strychnin. Das
galt für eine wahre Wunderkur, von der auch der Sul-
tan hörte. Von nun an verdoppelte er seine Freundlich-
keit gegen den syrischen Doktor, voil ivelchem er das „Wun-
derpulver" zu bekommen gedachte. Palgrave gab ihm
jedoch eine abschlägige Antwort, weil dasselbe in den Hän-
den voil Solchen, die damit umzugehen ilicht verstäilden,
sehr gefährliche Wirkungen habe. Der Sultan entgegnete,
daß gerade deshalb das Pulver ihm nur um so lverth-
voller erscheine, beim er wolle dasselbe zu Staatszwecken
verlvenden. Palgrave hatte große Noth, ans der Ver-
wicklung herauszukommen und stahl sich einige Tage später
bei Nacht und Nebel aus Er Riaad fort, weil er den
Meuchelmorden des Sultans keinen Vorschub leisten
wollte.
Einige Male trat er auch als Thierarzt ans und hatte
in dieser Eigenschaft gute Gelegenheit, die berühmten
Pferdeställe des Sultans zu sehen, in welchen sich
das reinste Roßblut des Nedschd befindet. Er bemerkt,
daß fast alle arabischen Pferde, weche jetzt nach Europa
gebracht werden, aus Nordarabien, Südsyrien oder Aegyp-
ten stammen; eine Nedschdstnte zu bekommen, sei ein
Ding der Unmöglichkeit. Die Nedschd Pferde, welche
er sah, waren hellgrau oder hellkastanienbraun, eigentlich
braune sind ihm nicht vorgekommen, Wohl aber dann und
wann weiße, schwarze und dunkelkastanienbraune, nie je-
doch Schecken und Rothschimmel. Diese Nedschdpferde
bekommen durch eine eigenthümliche schräge Stellung des
Schulterblattes eine leichte, springende Bewegung, und
ihre ganze Erscheinung ist ungemein anmnthig. Sie
werden nie über 15 Fällst hoch.
QmLn, sagt Palgrave, sei der schönste Theil Arabiens,
das Klima gleich deiil illdischen, ulld eine ben westlichen
Ghats ähnliche Gebirgskette, die eben so hoch sei, wie der
Libanon, ziehe dem Meere voil OmLn entlang, vom Kap
Mnssendom an der Merenge von Ormüs bis nach Mas-
kat. Der Reisende fand auch dort beim Sultan eine
sehr freundliche Aufnahme. Die Bewohner OmLns sind
voil ben übrigen Arabern durch ausgedehnte Wüsteilstrecken
geschieden.
In ganz Arabien herrscht bekanntlich der Islam; der-
selbe wird aber nur in ben großen Städten lästig, auf
dem Lallde nicht. Gewöhnlich sind ihm noch aus uralter,
sabäischer Zeit stammeude Bräuche beigemischt, die nament-
lich ans Sonnenverehrung Bezug haben. In Nordarabien
beten die Leute, sobald die ersten Strahlen der Sonne
sichtbar werden, bis die volle Scheibe am Himmel steht,
und am Abende thun sie es in umgekehrter Weise. Bei-
des verstößt gegen die Gebote des Koran. In Omän
beten sie, indem sie das Gesicht nicht gegen Osten oder
Westen, sondern gegen Norden wenden, nach dem Polar-
stern, ben sie als Iah (Jehova) bezeichnen. —
Wir wollen hinzufügen, daß Sir H. Rawlinson, der
lange in Bagdad gelebt hat, entschieden behauptet, daß
es im Nedschd auch braune Pferde gebe; er besitze selber
ein solches, dessen ächte Abstammung keinem Zweifel
unterliege.
Aus der Grenze voll Hintcrpommeril und WestpreHen.
Von Kurl Ruß.
Die Umgegend don Cöölin. — Hintcrponrmersche Schweiz. — Wasserscheide. — Das Fehlen mancher Singvogel und Bäume. — Das pounucrsche Dorf
Bischofthnm und dessen Bauern im Gegensatz zu denen des westprcnßischcn Dorfes Eickficr. — Die Baldenburger. — Gcwerbszwcigc.
Wenn lvir von der Ostsee aus in südlicher Richtung
wandern, so ftnben wir dort gleich im engen Raum'ganz
sonderbar verschiedene Boden- und Klimaverhältnisse dicht
nebeir einander. Wir wählen zu einer derartigen Be-
obachtung die Gegend von Cöslin. Sobald lvir nur
die erste Schicht, den todten Dünensand, hinter uns
haben, gelangen wir, in fast plötzlichem Uebergang, in
einen Strich äußerst fruchtbaren Lehmbodens. Im etwa
zehnmaligen Umkreise reihen sich hier eine Anzahl Güter
an einander, die, ihrer Fruchtbarkeit wegen, sich sämmt-
lich auf — Hagen endigen, z. B. Falken Hagen, Jü-
denhagen, Neueuhagen rc. Sonderbarer Weise kann
man die Anfangsbuchstaben dieser Gutsnamen durch das
ganze Abc verfolgen.
Wandern lvir noch lveiter südwärts, so treffen lvir,
in der Entfernung von nur wenigen Meilen, uns wieder
fast eben so plötzlich auf eine öde Sandstrecke versetzt, die,
immer unfruchtbarer werdend, sich bis tief in West-
preußen hinein zieht und besonders die Spitze erfüllt,
mit welcher Westpreußen in Pommern hineinragt.
Dieser Landstrich, besonders die Umgebung des noch
zil Pommern gehörenden Städtchens Rummelsburg,
wird spottweise die „Hinterpommersche Schweiz"
genannt. Dort erhebt sich meilenweit eine unübersehbare
Menge voil welligen Saudhügeln, und der ganze äußerst
sterile Boden ist mit einer unendlichen Mannigfaltigkeit
kleiner und großer Steine förmlich übersäet. Die innere
Formation, so wie die geologische Beschaffenheit der
25
Auf der Grenze von Hinterpommern und Westpreußen.
Gegend, ist die der norddeutschen Ebene überhaupt,
und die strichweise wirklich stannenswerthe Anhäufung
jener erratischen Blöcke ist jedenfalls nur eine Sache des
Zufalls.
Dagegen zeichnet sich dieser Strich, und zwar beson-
ders die Umgebung des westpreußischen Städtchens Wal-
denburg, durch ganz eigenthümliche klimatische Verhält-
nisse aus. Dort ist nämlich der höchste Punkt dieser
welligen Ebene, welche nach Norden und Süden hin sich
abdacht und zwischen Pommern und Westprenßen die
Wasserscheide bildet. Von hier ans zieht sich eine
Reihe kleiner Landseen in einer viele Meilen laugen Auf-
einanderfolge südwärts, welche den Ursprung des kleinen,
aber äußerst reißenden und theilweise sogar schiffbaren
Brahe-Stroms bilden.
Sobald wir von irgend einer Seite her, z. B. von
dem drei Meilen entfernten Neustettin nach Balden-
burg fahren, fällt uns in der Nähe der letztern Stadt,
besonders auf den dieselbe umgebenden Höhen, die kältere
Temperatur auf, und ein kalter, rauher Ost- oder Nord-
vstwind durchschauert uns sogar mitten in der heißen
Jahreszeit recht empfindlich. Dicht au die Stadt, welche
im Kessel eines engen Thales liegt, stößt ein tiefer,
kleiner See mit klarem, blauem Wasser, in welchem sich die
rothen Ziegeldächer und der spitze Kirchthurm recht an-
muthig spiegeln.
Und rings umrahmen hohe bergige und theils steile,
mit Laub- unb Nadelholz bewaldete Ufer diese krystall-
helle Fluth und geben ihr dadurch einen ganz eigenthüm-
lichen, fast wunderbaren Reiz, so daß der Fremde dieses
Stückchen Naturschönheit, inmitten eines so unfruchtbaren
und verlassenen Landstrichs, mit Freude betrachtet und
der Einheimische seine arme und doch so schöne Heimath
selbst in weiter Ferne und inmitten der herrlichsten Ge-
genden der Erde doch nimmer vergessen kann.
Während wir aus der höchst einförmigen Fahrt durch
meileulange, nur zu magere Sandfelder, auf denen
kaum Roggen, Kartoffeln, Buchweizen und Lupinen,
höchstens ein wenig Hafer und Erbsen, doch nimmer
Gerste oder gar Weizen gedeihen, nur selten einen andern
Vogel, als die bescheidene und immer fröhliche Feldlerche,
erblicken und in der blauen Höhe trillern hören, findeil
wir in den reizenden Uferwäldchen eine bunte Mannig-
faltigkeit der lieblichen Singvogelfamilien. Allein gerade
bei den Vögeln treten uns klimatische Einflüsse zunächst
auffallend entgegen. Eine aufmerksame Beobachtung er-
gibt, daß eine ganze Reihe der sonst keineswegs sehr sel-
tenen kleinen Sänger hier vergeblich zu suchen ist. Im
Umkreise von fast fünf Meilen finden wir keine Nach-
tigall, obwohl Fliederbüsche, kleine Bäche re. genugsam
vorhanden sind und auch sonst alle Umstände günstig
erscheinen, unter denen sonst dieser Vogel sich anzusiedeln
pflegt. Sie wird hier durch die „nordische Nach-
tigall", den kleinen, eben so reizenden als unermüdlich
und angenehm singenden gelben Lanbvogel — Ba-
stardnachtigall, Spottvogel oder Gartensänger, Hy-
polais hortensis — vertreten. Es fehlen die gelbe
Bachstelze, der Ortolan, die Fliegenschnäpper-,
Laubvögelchen- und Schilfsänger-Arten, so wie
die schwarze (Saat-) Krähe nub die Dohle. Ein-
zelne andere, die sich in anderen Gegenden fest ansiedeln,
lassen sich hier nur als Strichvögel blicken.
deshalb fehlen diese Vögel? Zuerst glaubte ich, d
der unfruchtbare Boden die Ansiedelung der genannt
^ogelarten verhindere, allein selbst in den einzelnen, h
um. da auch in dieses Sandreich eingesprengten klein
„fn’L . Moorstrichen, welche die üppigste Gerste u
selbst Weizen erzeugen, fand ich dennoch nicht einmal fc
Ortolan, der sonst doch überall eindringt, wo es etw
zu schmausen gibt. Auch die zu nördliche Lage koni
ev ^chi ^rn, welche das Fortkommen der Vogelfamil
hrer verhinderte, denn rrngs umher, ja sogar noch beb
tend nördlicher, irrsten sie bekanntlich allenthalben. Ai
Globus VI. Nr. 1.
die unmittelbar von hier nach Nordeir zrr gelegeire Ge-
gend von Cösliir hat reickllich Nachtigallen und eben so
die übrigen genannten Vögel aufzuweisen.
Endlich führte mich eine andere Betrachtung zu dem
richtigen Schluß; ich erinnerte mich nämlich daran, daß
es hier auch eine große Anzahl von Pflanzen, besonders
Bäumen, nicht gibt, die in gleichen Höhen- und Brei-
tengraden sonst überall sehr gilt gedeihen urrd daher auch
rings in der Nachbarschaft überall zu Hause siud.^ Hrer-
her gehören vor Allem die Linde, ferner die Wallnuß,
Akazie, Edeltanne und Fichte rrnd eine große Menge an-
derer Gewächse. Vom Laubholz gedeihen eigentlich nur
die Bilche, Eiche, Birke, Erle, Haselnuß und vom Nadel-
holz die Kiefer und der Wachholder; alle übrigen, welche
etlva noch einzeln vorkommen, sind angepflanzt und fristen
nur ein kärgliches Dasein. Dasselbe ist auch mit den
feineren Obstarten der Fall, welche hier nur mit Mühe
zu ziehen und zu erhalten sind.
Hiernach wurde es mir klar, daß nur die Ein-
flüsse der eigenthümlichen Witterung auf der
hochgelegenen Wasserscheide und zwar wohl
hauptsächlich die fortwährenden rauhen Ost-
und Nord ostwinde das Gedeihen einer großen An-
zahl von Thier- und Pflanzenfamilien hier unmöglich
machen.
Gehen wir nun auch auf die menschliche Bevölkerung
dieses Landstrichs näher ein. Im kleinen Umkreise gren-
zen hier eine Anzahl pommerscher und westpreußischer
Dörfer an einander, und so sehr die Bewohner derselben
auch in dem allgemeinen Begriffe „Deutsche" sich gleichen
und mit einander übereinstimmen, für den aufmerksamen
Beobachter hat dennoch eine Mannigfaltigkeit charak-
teristischer Unterscheidungsinerkmale sich erhalten. Wir
wollen zwei der merkwürdigsten Dörfer im Ganzen be-
trachten.
Das pommersche Dorf Bischofthum hat leichten,
aber sehr dankbaren Sandboden. Seine Bewohner sind
fast sämmtlich Bauern mit eigenem Besitze. Durch rast-
losen Fleiß, noch mehr aber durch die Gunst der theuren
Kornpreise, sind sie fast ohne Ausnahme in wenigen
Jahren zu einem behäbigen Wohlstand gelangt. Einer
wie der Andere von gedrungenem Körperbau, noch unter
mittlerer Größe und mit dicken Köpfen und harten Schä-
deln, geben sie uns dennoch nicht ein richtiges Bild des
norddeutschen, sondern nur des hinterpommerschen
Bauern. Wir finden in ihrem Auftreten weder das
diesen Ersteren kennzeichnende Selbstbewußtsein, wie es
uns z. B. bei den Bewohnern Vorpommerns oder der
elbinger und anderer Gegenden entgegenkommt, noch die
behagliche Ruhe desselben oder die aus dem Wohlstände
entspringende Sauberkeit seiner Häuslichkeit. Betvahre,
dieser Hinterpommer steht noch außerordentlich tief unter
seinen Genossen in anderen Gegenden. Er kann das
Demüthige, Kriechende vor dem ihm nahenden Edel-
mann, dessen Vorfahren die [einigen ja als Leibeigene
besaßen, noch nicht ablegen, und sein Selbstbewußtsein
gibt sich höchstens in Starrköpfigkeit und Eigensinn zu
erkennen. Seine niedrige Bildungsstufe äußert sich in
seinem ganzen Wesen, und darum kann weder in der
Befriedigung seiner Bedürfnisse, noch in dem Zusammen-
leben mit Weib und Kind von irgend welchen Annehm-
lichkeiten der Civilisation oder gar des Luxus die Rede
sein. Er wohnt meistens noch in elenden Lehm- oder
Holzhütten, hier und da mit ungedieltem oder höchstens
mit Steinen gepflastertem Fußboden, und seine täglichen
Mahlzeiten sind die der ärmsten Klassen anderer Gegen-
den. Selbst von dem Nationalgetränk des deutschen
Bürger- und Bauernthums, dem Bier, ist bei ihm noch
keine Rede, — es ist ihm viel zu kalt und scbaal — er
liebt nur den feurigen Schnaps. Dies ist, ohne Ueber-
treibung, ein wahrheitsgetreues Bild dieser Bauern im
Allgemeinen, natürlich mit Ausnahmen, jedoch fast ohne
Ausnahme derer in Hinterpommern.
4
26
Auf der Grenze von Hiuterpommcrn und Westpreußen.
Blicken wir nun nach dem westpreußischen Dorfe
Eick fi er hinüber. Dort begegnen uns in der Regel
lauter große, schlankgewachsene und breitschulterige Män-
ner. Me sind ein eigenthümlicher, von dem vorigeil
durchaus verschiedener Menschenschlag, diese Bewohner
von drei hier neben einander liegenden Dörfern. Wer
längere Zeit in polnischen Gegenden gelebt hat, erkennt
unschwer im Accent der Sprache und besonders in den
charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Körperbaues, z. B.
dem kurzen, starken Genick, der abgestumpften Nase lind
dem mehr kegelförmigen als länglichen Schädel, sodann
aber auch in mancherlei noch erhaltenen Sitten und Ge-
bräuchen ihre slavische Abstammung heraus.
Der Name ihres Dorfes ist ein rein deutscher —
Eick — Eiche und Fier — Wäldchen oder richtiger eine
Waldstelle, wo eben die Bäume niedergeschlagen werden,
und eben so sind diese Slaven auch bis auf die eben nur
äußerlichen Merkmale durchaus germanisirt und durch
deutsches Wesen veredelt worden. 'Dieser Uebergang muß
jedoch bereits vor geraumer Zeit, vor mehreren Genera-
tionen geschehen sein, denn die Eickfierer haben von der
polnischen Sprache gar keine Ahnung mehr. Es müßte
für den Geschichtsforscher und Ethnographen wirklich eine
interessante Ausgabe sein, den Vorgang dieser so völligen
und wohlthätigen Verwandlung §u verfolgen und genau
zu ergründen, so weit dies eben noch in der Möglichkeit
liegt.' Mit voller Bestimmtheit dürfen wir den slavischen
Ursprung dieses Völkchens annehmen, dafür bürgen uns,
wie gesagt, unumstößliche Kennzeichen, — allein wie,
fragen wir uns unwillkürlich, wie war es denn möglich,
daß sie bis auf den schwacheil Nachhall so völlig
umgewandelt wurden, zumal sie noch die katholische
Religion sich erhalten haben, und besonders da hinter
diesen Dörfern in kurzer Entfernung bereits die noch
jetzt bestehende Herrschaft der Polnischen Sprache wieder
beginnt —?!
Diese Westpreußen stehen eben sowohl zu den eigent-
lichen Polen, zu den Kaschuben und auch zu ihren vorhin
erwähnten pommerschen Nachbarn in besonders grellem
Gegensatz, und zwar nicht allein in der Körperbildung,
sondern auch in ihrer Lebensweise und Beschäftigung.
Obwohl sie nämlich ebenfalls beinahe sämmtlich Eigen-
thümer sind und oft große Ackerflächen, besitzen, so ist
bei ihnen die Landwirthschaft doch nur Nebensache. Sie
bauen meistens nur so viel Getreide, als sie für den
eigenen Bedarf und den Unterhalt des Viehes nöthig haben;
die übrige Zeit und Kraft verwenden sie auf den Die-
lenhandel. Rings umher dehnen sich in der Gegend
noch jetzt bedeutende Waldungen ans, und deren Pro-
dukte, besonders das in Breter geschnittene Holz, werden
seit der Zeit mehrer Menschenalter regelmäßig wöchent-
lich ein- bis zweimal (meist des Montags und Donners-
tags) durch das Städtchen Baldenbnrg nach Cöslin und
Colberg gefahren. Diese Reise, auf noch jetzt fast gänz-
lich unch'anssirtem Wege, dauert meistens jedesmal fast
drei bis vier Tage, und auf dem Rückwege bringen sie
dann die Kaufmannsgüter aller der Städtchen in der
Ilmgegend mit, lvelche früher per Wasser und jetzt per
Eisenbahn von Berlin, Magdeburg, Stettin re. nach Col-
berg oder Cöslin spedirt wurden.
Die Fuhrleute sind dort in Hinterpommern überall
unter der Bezeichnung „Dielenbauern" bekannt, und
da sie auf die Frage: woher? doch nicht ihre Dörfer,
sondern das ihnen zunächst liegende Städtchen, welches
zugleich ihren Sammelplatz bildet, in ihrer plattdeutschen
Sprache mit „Ball"*) bezeichneten, so finden wir noch
jetzt dort auf dem ganzen Wege bis nach Cöslin hin
überall auf den Wegweisern "die Entfernungen „bis
nach Baldenbnrg" angegeben, obwohl dieses Städt-
chen doch unter den kleiner: eins der kleinsten und auch
sonst unbedeutendsten ist.
*) „Wo seid Ihr her, guter Freund?" „Ut de Ball."
Jedenfalls hat die auf diesen Reisen von einem Ge-
schlecht zum andern einwirkende Berührung mit den
Deutschen zur Germariisirnng dieser Slaven das Ihrige
beigetragen; allein die Hauptnrsache, welche dieselbe zu
Wege gebracht hat, muß wohl in einer innigen Vermi-
schung des slavischen Blutes mit dem deutschen liegen.
Dieses Letztere scheint auch aus der Körperbeschaffen'heit
dieses Völkchens klar hervorzugehen. Wie wir nämlich
an den Berührungspunkten beider Elemente, z. B. in
dem preußischen Polen, noch jetzt häufig die Bastarde
beider Volksstämme als die schönsten ilnd kräftigsten
Menschen finden, so treten uns auch diese Dörfler als
lauter Riesen im Vergleich mit ihren Nachbarn rings
umher entgegen.
Ein ganz natürliches, aber doch auffallendes Ergeb-
niß davoil ist wiederum das, daß die jungeil Bursche
ans Eickfier und seineil verwaildten Dörfern fast regel-
mäßig zur preußischen Garde ausgehoben werden, wah-
rend die magere Gegend sonst weit und breit keine
Gardemänner erzeugt. Sie werden dann nad) Berlin
und Potsdam gebracht — wo sie nicht allein durch ihre
Größe uild ihren herrlichen Wuchs, sondern auch durch
ihre regelmäßigen Gesichtszüge und ihre Gelehrigkeit oft
ihr Glück machen.
Wie überall hier in Westpreußen, einem Theile Po-
lens und Poiiimerns, hatte sich auch hier vor Jahren
die bescheidene Gewerbthätigkeit der Tuchmacher in gal-
regsamer Weise erhoben. Spindel und Schwungrad
schnllrrten hier in jedem Häuschen, und die kostbare
Waare wurde dann von den Meistern selbst nach allen
Weltgegenden, besonders nach russisch Polen hinein zun:
Verkauf getragen. Die russische Grenzsperre, noch
niehr aber die Konkurrenz der Maschinen habeil dieses
Gewerbe zu Grunde gerichtet. Die alten Meister sind
mit Herzeleid in die Grube gefahren, und fast nichts
erinnert an die einst so schwunghafte Tuchmacherei voil
Baldenbnrg mehr, als ein prächtiger Chor in der dor-
tigen alten Kirche mit der goldenen Inschrift: „Das
hochwohllöbliche Gewerk der Tuchmacher."
In gleicher Weise ist eine andere Industrie dieser
Gegend zu Grunde gegangen. Es war dies die Berei-
tung der Wockerasche, "d. h. aus harten Holzarten,
besonders ans Buchenholz gebrannter uiib ausgekochter
Asche, lvelche zur Pottaschenfabrikation benutzt und für
dieseil Zweck besonders nad) Danzig in großer Menge
ausgeführt wurde. Die Zeit hat 'indessen die Wälder
mehr und mehr gelichtet; Lanbholzwälder gibt's, wenig-
stens mit starken Bäumen, auch hier nur noch sehr-
spärlich, und die Holzpreise steigen von Jahr zu Jahr.
Jetzt kann fast Niemand reines Buchen- oder Eichenholz
mehr brennen, man muß Kiefernholz oder wohl gar Tors
darunter nehmen, llnd daher ist die Asche für diesen Zweck
nicht mehr brauchbar.
So hat die Gegend zwei wichtige Ausfuhrartikel ver-
loren, und wie lange wird es dauern, die Wälder schmel-
zen mehr und mehr, da geht auch der dritte, die Die-
len, zu Ende. Dies ist um so trauriger, da der Land-
strich ebeil leider nichts llennenswerthes Anderes zu er-
zeugen vermag. Bis in die neueste Zeit abgeschnitten
und verlassen von aller Welt, ohne die nöthigsten Ver-
kehrswege, von Chausseen, geschweige denn von Eisen-
bahnen, in viele Meilen weitem Umkreise keine Rede;
so producirte man hier eigentlich nlir, was man selbst
brauchte, und die Dieleubauern loaren das einzige durch-
aus nöthige lind unendlich wohlthätige Verkehrselement,
denn sie brachten den geringen Ueberfluß fort und holten
dafür die nothwendigsten Gegenstäilde ein. Jetzt hat sich
ein lieuer Verkehrsweg geöffnet; die Eisenbahn ist bis
Cöslin gebaut, und ihr beginnen sich, doch erst allmälig,
die nöthigsten Chausseen anzuschließen. Aber auch jetzt
sind unsere germanisirten Slaven noch immer die Träger
und Vermittler der Civilisation und des Weltverkehrs
mit diesem armen Landstrich.
Der Mensch und die klimatischen Einflüsse.
27
Der Mensch und die Klimatischen Einflüsse.
Der Mensch samt sich nicht tu all' und jedem Klima '
einbürgern, fortpflanzen oder in demselbeir gedeihen, und
ein wirkliches Eingewöhnen unter einem fremden Himmels-
striche findet nur sehr bedingt und unter großen Ein-
schränkungen statt.
Diese Sätze muß man gelten lassen, weil sie durch die
Erfahrung und die Thatsachen bestätigt werden. Es hat
aber lange gedauert, bevor man diese einfache unb augen-
scheinliche Wahrheit anerkannte. So behauptete der dä-
nische Geograph Malte Brun (der seine Bücher in fran-
zösischer Sprache schrieb): „Der feste Entschluß, sich durch
eine Krankheit nicht werfen zu lassen, ist das wirksamste
Mittel, sich gegen die Einflüsse eines ungewohnten Klimas
zu stählen; der Leib gehorcht deil Befehlen des Geistes.
Unter jedem Klima nehmen Nerven, Muskeln und Ge-
fäße bald deit Zustand an, welcher dem Grade der Wärme
oder Kälte angemessen ist." Der berühmte Arzt Boer-
have äußert, fein mit Lungen versehenes Geschöpf körnte
in einer Atmosphäre leben, welche dem Wärmegrade
seines Blutes gleichkomme! Demgemäß würde also der
Mensch bei einer Temperatur von 38 bis 39 0 C. sterben.
Cassini, auch ein berühmter Mann, stellte den Satz auf,
kein Thier könne in einer Höhe voit 15,000 Fuß leben,
und doch giebt es manche Wohnplätze, z. B. Gartok im
Himalaya, welche höher liegen.
Der Mensch ist bei seinen Wanderungen und bei
seiner Verbreitung über den Erdball weder so biegsam,
noch so gebrechlich, als die Theoretiker annehmen. So
viel steht fest, daß matt ihn nicht als eilten unbeding-
ten Kosmopoliteit betrachteit darf. Wir haben schon
mehrfach die Frage über die Einwirkungen des Klintas
tu Erwägung gezogen und natnentlich die Ansichteit des
englischen Naturforschers Knor (Globus IV, <2. 378 ff.)
ausführlich mitgetheilt. Jüngst lasen wir Boudins
Abhandlung „über den Nichtkosmopolitismus der Meu-
scheitrasseit" (Vlernoires de ln société d'Anthropologie, I.
Paris 1863, p. 93 — 123) uud fanden, daß der berühmte
Verfasser des Traité de géographie et de statistique
médicales (1855) ittt Wesentlichen mit den int Globus
mitgetheilten Erörterungen und Gründen übereinstimmt.
Seine eingehenden Forschungen haben ihn zu folgenden
Ergebttissen geführt:
1. Es ist durchaus tticht bewiesen, daß die verschie-
deiten Menschenrassen kosmopolitisch feien; vielmehr cr-
giebt sich aus einer großen Menge voit Thatsachen das
Gegentheil.
2. Die Fähigkeit, sich außer dem Heimathlaude zu
acclimatisiren, ist, je uach der Raffe, verschied eu.
3. Es ist uicht nachgewiesen worden, daß ein Euro-
päer als eilt im freien Felde arbeitender Acker-
bauer sich in den heißen Ländern der nördlichen Halb-
kugel dauernd fortpflanzet! köttne.
4. Die Acclimatisirung des Europäers scheittt an einer
großen Menge voit Oertlichkeiten der heißett und selbst
tropischen Region auf der südlichen Halbkugel mit
geringerett Schwierigkeiten stattzufiitden, als auf der
nördlichen.
. S' :Pe}‘ Europäer erträgt viel besser die Wattderuttgett
ttt ine kalten, als in die heißen Länder.
(__L' Es scheint tticht, als ob die Negerrasse sich in
Sudeuropa acclimatisiren könne, tutb eben so wenig in
^^td.afvtka. In diesem letztern erhält sie sich nur durch
unablässigen Zuwachs von Einwanderern.
-, 7’ Vu ulcht erwiesen, daß die Negerrasse sich auf
à/"gktschen und französischen Antillen, auf Bourbon
(ReUltton), Maurtttus und Eeylott dauernd fortpflanzen
könne, obwohl diese Jttselu zwischen deit Wendekreisen
liegen. ,
8. Es fcheiitt dagegen, als ob die Negerrasse sich tn
den südlichen Staaten Nordamerika's acclimatisire.
9. In den Nordstaaten dagegen verkümmert sie iinb
liefert außerdem eine ganz eitorme Menge Geisteskranker.
10. Die Juden acclimatisiren sich und pflanzen sich
dauernd fort in allen Ländern.
11. Die Juden stehen in Bezug auf Statistik der Ge-
bnrten, der Krankheiten und der Sterblichkeit unter
ganz anderen Gesetzen, als die Völker, in deren Mitte
sie lebeti.
Zur Begründung dieser Sätze bringt Boudin eine
große Menge von Belegen. Zunächst tvird von ihm auf
den allbekannten Umstand hingewiesen, daß das Gedeihen
der Pflanzen und das Reifen ihrer Früchte von gewissen
Temperatnrbedingungen, also von klimatischen Verhält-
ttissen abhängen. Die Eingewöhnung der Thiere in an-
deren Ländern ist aber mit weit größeren Schwierigkeiten
verbunden, als jene der Pflanzen. Von den 140,000 Thier-
arten, aus welchen das Thierreich, den neuesten Ab-
schätzungen zufolge, besteht, können höchstens 40 als ge-
zähmt, als völliges Eigenthum des Menschen betrachtet
werden. (Wir haben über diesen Punkt ausführlich ge-
sprochen, Globus V, S. 281, und werden demnächst mit
der Schilderung der Hausthiere und ihrer Bedeutung für
die Civilisation der Völker fortfahren.)
Schon der alte römische Baumeister Vitruvins hatte
darauf hingewiesen, daß die Wanderungen der Völker aus
nördlichen Gegenden nach, dem heißen Süden auf die
Dauer keine gedeihlichen Erfolge haben; die Menschen,
sagt er, dauern auf die Länge nicht aus. Boudin giebt
ihm Recht. Es ist, sagt er, bis auf den heutigen
Tag noch keinem Europäer gelungen, seinen
Stamm in Nordafrika, und noch viel weniger in den
Gegenden zwischen den Wendekreisen, fest zu bewurzeln.
Die Mameluken konnten sich in Aegypten nicht aus
eigener Kraft fortpflanzen, sondern nur dadurch, daß sie
unablässig tscherkessische Sklaven ins Land brachten. Ihre
Kinder starben hinweg. Der Vicekönig Mehemed Ali
(der von Geburt ein Albanese lvar) hatte 94 Kinder,
von denen aber, als er starb, nur drei am Leben waren.
In Algerien ftubett wir gar keine nachweisbare Spur
römischer Menschen.
„Die von europäischen Vätern und Müttern seit 23
Jahren in Algerien geborenen Kinder werden unbarm-
herzig hinweggerafft, und die von schwarzen Vätern und
Müttern gezeugten noch früher als die von weißen." So
schreibt, 1852, Doktor Vidal, Oberarzt der Spitäler in
Constantine. Hub General Duvivier äußerte: „Die
Leichenäcker sind in Algerien die einzigen Niederlassungen,
welche Zuwachs erhalteu."
In diesen Bemerkungen ist gewiß Einiges zu stark
aufgetragen; wahr aber bleibt, daß die Sterblichkeitslisten
ein sehr ungünstiges Verhältniß nachweisen. In den
Jahren 1847' bis 1854 stellte sich das Verhältniß der
Sterbefälle für je 1000 Seelen:
Ausländer. Franzosen.
1847. 48,4 50,8
1849. 81,3 101,5
1851. 39,8 64,5
1853. 30,4 47,7
1854. 41,5 54,5
Unter den Ausländern, deren Sterblichkeitsverhältniß
weniger ungünstig ist, als das der Franzosen, sind vor-
zugsweise eigentliche Südeuropäer zu verstehen, mv-
! besondere Malteser, Italiener und Spanier, die schon
4*
28
Der Mensch und die klimatischen Einflüsse.
in der Heimath ein heißes Klima haben. Die Franzose:!
aber wurden 1849 mehr als decunirt. In Frankreich
stellt sich als Durchschnitt der Sterbefälle die Ziffer von
25 auf 1000 heraus. Die amtlichen Tabellen ergeben
für 15 Städte (Algier, Blidah, Tenes, Scherschell, Medeah,
Milianah, Bufarik, Anmale, Oran, Mostaganem, Tlemsen,
Constantine, Bona, Philippeville und Budschia) ein sehr
ungünstiges Resultat, denn in ihnen allen übersteigt das
Mortalitätsverhältniß jenes von Frankreich, England re.
bei Weitem. In Milianah kamen 1849 auf je 1000 Ein-
wohner 100 Sterbefälle, in Tenes 103, Blidah 105,
Oran 107,. in Mostaganem 116, und in Scherschell
gar 323; in dieser Stadt betrug die Sterblich-
keit fast ein Drittel der Bevölkerung.
Im Jahre 1853 kamen in der Provinz: Algier
25,411 Geburten auf 34,979 Sterbefälle, Oran 11,755
auf 13,692, Coustantiue 7794 auf 12,097. Nun soll
nicht geradezu behauptet werden, daß die Aceliinatisirung
in Algerien platterdings unmöglich sei, lvohl aber, daß
sie mit ganz ungemeinen Schwierigkeiten verbunden fein
wird.
Wir wenden uns nach den Antillen. Dort, in dem
sogenannten Westindien, wird man kaum die dritte
Generation einer europäischen Familie finden. Ramón
de la Sagra, ein Eubaiier, sagt: „Die weiße Bevölkerung
in Havana erhält sich nur, indem sie unablässig Zn-
!vachs durch Einwanderung erhält." Ein Arzt auf Gua-
deloupe, Doktor Rochou, bemerkt: „Auf den Antillen
kann man nicht zehn Beispiele nachweisen von Creolen,
welche es, ohne Beimischung direkt aus Europa gekom-
menen Blutes, bis auf die dritte Generation gebracht
hätten." Ein Arzt auf Martinique, Doktor Rnfz,
meint, daß eine Acclimatisirung dort niöglich sei, giebt
aber zu, daß die weiße Bevölkerung der Insel, die 1738
sich auf 14,969 Köpfe stellte, 1769 auf 12,069 gesunken
war. Gegenwärtig beträgt sie nicht über 8000. Eine
amtliche Tabelle enthält für die Jahre 1852 bis 1856
folgende Zahlen, die sich auf alle Rassen ohne Unterschied
beziehen.
Geburten. Sterbefälle.
Guadeloupe 20,095 20,675
Guyana 2,333 2,830
Rtzunion 18,934 20,773
Ein Marinearzt, der lange in Guyana gelebt hat,
Laure, spricht sich in folgender Weise aus: „Das Leben
in dieser Kolonie ist für den Weißen höchst beschwerlich.
Ohne Beihülfe der Schwarzen könnte er den Boden nie-
mals bebauen, das widerstrebt seiner ganzen Leibesbe-
schaffenheit. Auch wenn er das ist, was man als accli-
matisirt bezeichnet, altert er doch vor der Zeit, verliert
Kraft und geistige Energie, wird unfähig zur Arbeit."
Ganz dasselbe gilt von vielen Theilen Indiens, dem
hinterindischen Archipelagus und den Philippinen, und
doch ist hier der Europäer nirgends Ackerbauer. Die
englische Regierung giebt sich große Mühe, dort ihre
weißen Soldaten mit europäischen Frauen zu verheirathen,
aber niemals sind in einem englischen Regiinent auch nur
so viele Kinder geboren worden, daß man aus ihnen nur
die nöthige Anzahl von Tronunelschlägern und Pfeifern
hätte rekrutiren können.
Auf der südlichen Halbkugel stellt sich dagegen viel-
fach ein günstigeres Verhältniß heraus. Wenn Boudin
meint, daß auf diesen Umstand vor ihm noch Keiner hin-
gewiesen habe, so will ich dagegen bemerken, daß das
allerdings geschehen ist, und zwar in überzeugender Weise
und mit großer Gründlichkeit von vr. Müh ry in Göttin-
gen, durch dessen Arbeiten, z. B. seine Grundzüge der
Nosogeographie, 1856, und Grundzüge der Kli-
matologie in ihrer Beziehung auf die Gesund-
heitsverhältnisse der Bevölkerungen, 1858, recht
eigentlich eine neue Bahn gebrochen ist. Ich für meinen
Theil habe die „Krankheiten und deren Einwir-
kungen auf den Verkehr" behandelt (Karl Andrer,
Geographie des Welthandels, S. 339 bis 363)
und dort die Salubrität der südlichen Halbkugel her-
vorgehoben.
Folgende Thatsachen sind nicht anzufechten. Neusee-
land und ein großer Theil Australiens, obwohl demAequa-
tor näher als Algerien, sind doch unendlich gesunder.
Aehnliches gilt im Allgemeinen von den südlichsten Pro-
vinzen Brasiliens und der La Plata-Region und von den
südlichsten Theilen Asrika's, namentlich von der Kapregion.
Auf Tahiti stellt sich das Sterblichkeitsverhältniß bei den
französischen Truppen, einem achtjährigen Durchschnitt
zufolge, nur auf 10 von 1000, also günstiger als in
Europa selber. Auf Reunion erhalten sich die unver-
misch ten „kleinen Weißen" (petits blancs), sehr gut und
ihr Nachwuchs gedeiht. Diese kleinen Weißen Hausen
fern von den Städten in den Gebirgsthälern, meist im
Innern der Insel, nun schon seit ungefähr 200 Jahren.
In dem frischen Gebirgsklima bleiben''sie kräftig und ge-
sund. „Aber nie verschlechtern sie ihr Blut durch Ver-
mischung mit Negern oder Mulatten, sondern halten
streng darauf, daß dasselbe rein und uuvermischt bleibe."
Bei europäischen Truppen stellt sich im Durchschnitt
das Sterblichkeitsverhältniß auf der südlichen Halbkugel
sehr günstig. Es beträgt, von je 1000 Köpfen, auf St.
Helena 10,8; Tasmanien 7,o; Neuseeland 9,i ; am
Kap 12.
Bei den Wanderungen europäischer Völker
vou Süden nach Norden stellt sich im Allgemeinen
ein günstigeres Verhältniß heraus, als umgekehrt. Sie
dauern besser aus. Die französische!! Canadier liefern
dafür einen Beweis. Sie erhalten seit 100 Jahren nur
ganz unbedenienden Zuwachs ans ihrer Heimath, und
doch war ihre Zahl 1851 in Unter-Canada schon auf
695,945 Köpfe angewachsen.
Aber mit den Negern verhält es sich anders. Ein
schwarzes Regiment, das 1817 nach Gibraltar verlegt
wurde, erlag, mit wenigen Ausnahmen, schon nach 15
Monaten der Lungenschwindsucht. Aber nicht nur ans
seiner Wanderung nach den Polen hin leidet der Neger,
sondern auch auf jenen nach Westen und Osten.
Es war eine weit verbreitete und ziemlich allgemein
angenommene Meinung, daß die Neger, welche aus Afrika
nach den Antillen hinübergebracht werden, hier alle gün-
stigen Bedingungen zur Fortpflanzung ihres Stainmes
fänden. Es hat sich aber allzeit ein Ueberschuß der
Sterbefälle über die Geburten herausgestellt. Das ist
auch, nach des Obersten Tulloch Statistik der Neger-
bevölkerung in Westindien, noch jetzt der Fall,' mit
alleiniger Ausnahme der Insel Barbadoes. Der ge-
nannte Statistiker behauptet sogar: „Uetdre tlle termina-
tion of an other Century, this race will have almost
ceasecl to exist in our Westindia colonies;“ er nimmt
also an, daß die Neger dort nach Ablauf eines Jahrhun-
derts verschwunden sein würden. Darin geht er wohl
zu weit; wahr aber bleibt, daß auf die Sklavenbevöl-
kerung der englischen Antillen, von 1816 bis 1832, auf
696,171 Köpfe im Durchschnitt ein Sterbefall auf 36,
und eine Geburt auf 40 Seelen kam, die jährliche Ab-
nahme also etwa 2000 betrug. In Betreff der Schwar-
zen Guyana's sagt Doktor Laure:
ti „Unter den Negern ist hier die Sterblichkeit noch
größer, als bei den Europäern; man kann die Zeit be-
rechnen, wann sie verschwunden sein werden. Wer nach
Cayenne kommt, glaubt sich in ein Spital versetzt, und
Alles, was ein Kolonist, auch unter den verhältnißmäßig
besten Umständen, hoffen darf, ist lediglich, daß er wün-
schen muß, nicht zu sterben. Keine weiße Creolenfamilie
hat auf Fortdauer zu rechnen, ohne sich mit europäischem
Blute zu vermischen und durch dasselbe zu regeneriren."
Dagegen gedeihen bic Neger ganz ausgezeichnet in
den nordamerikanischen Südstaaten. In den Vereinigten
Staaten zählte man 1790 erst 697,397 Sklaven; 1860
dagegen 3,953,760 und dazu 487,996 freie Farbige. Seit
1808 sind fast gar keine Neger aus Afrika eingeführt
Aus allen Erd theilen.
29
worden; der Zuwachs fand also auf uordamerikauischem
Bodeu statt. In den eigentlichen Nordstaaten nimmt
die Ziffer der Neger ab; im Allgemeinen verkümmern
sie dort.
Merkwürdigerweise ist das auch auf Ceylon der Fall.
Zu Anfang dieses Jahrhunderts hatte die holländische Ne-
gierung etwa 9000 Neger dorthin geführt; von diesen war
1841 auch nicht eine Spur mehr vorhanden, und von
etwa 50O0 anderen, welche durch die Engländer nach
jener indischen Insel verpflanzt worden waren, befanden
sich kaum noch 900 am Leben!
Die Hypothese, daß der Neger sich in allen heißen
Ländern acclimatisiren und gedeihlich fortpflanzen könne,
erscheint gegenüber einer großen Menge von Thatsachen,
welche das Gegentheil beweisen, nicht ferner haltbar.
Nur allein die Juden stellen sich als ein wirklich
kosmopolitischer Stamm heraus; es scheint, als ob sie
Ubi qui tät haben. Wir finden sie überall im Gedeihen,
von Schweden bis Gibraltar, von Algier, Aegypten und
Marokko bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung, vom
Kaukasus bis Schanghai, von Montevideo bis Quebec,
und nun auch längst in Australien wie in Californien
und auf den Inseln der Südsee. Man kann die Zahl
der Inden, welche über den ganzen Erdball zerstreut sind,
aus reichlich sechs Millionen veranschlagen.
Der russische Kalender voil 1863 gibt allein für Ruß-
land 1,430,643 Inden an. Im Jahre 1851 wur-
den 56,727 Inden geboren und nur 36,499
starben. Im Königreich Polen, für welches der
Kalender die Ziffer der jüdischen Bevölkerung
nicht angibt, wurden 27,329 geboren und nur
16,170 starben.
Für manche Krankheiten sind die Juden weniger zu-
gänglich, als andere Landesbewohner. Bondin führt
an, daß in Preußen in der 19jährigen Periode von
1822 bis 1840 von je 100,000 Sterbefällen 2961 auf
Nichtjuden ltitb nur 2161 auf Juden entfielen; die Ersteren
hatten 3569 Todtgeborene, die Letzteren nur 2524; von
jenen Ersteren starben im ersten Jahre 17,413, von Juden
nur 12,935 von je 100,000 Seelen. In Algerien kamen
auf je 1000 Seelen im Jahre 1849 Sterbefälle unter
den Europäern 105,9, auf die Juden 56,9. Das war
ein Ausnahmejahr; 1848 stellte sich das Verhältniß wie
42,5 und 23,4. A.
Aus
allen E r d t h e i 1 e 11.
Der Telegraph nach Indien und die mesopotamifchen Araber.
Derselbe war zu Anfang des Februannonats auf der S tr e ck e
von Gnadet (an der Küste voir Mekran, bis wohin schon seit
einiger Zeit von Karratschi in der Nähe der Jndusmündungen
telegraphirt wurde) bis zum Kap Müssen dom in regel-
mäßiger Thätigkeit. Diese Strecke beträgt 450 Miles; das
unterseeische Tau befand sich in bester Ordnung. Man wollte
nun die Strecke von Kap Müssendem nach Bender Abuschähr
und von da nach Basra in Angriff nehmen. Die Länge des
Taues von Karratschi bis Basra, wo der türkisch -mesopota-
mische Telegraph anschließt, beträgt 1250 Miles.
Wir haben über diesen Telegraphen mehrmals, zuletzt
Globus V, S. 123 ff. ; ausführlich berichtet und namentlich
die Besorgniß gesprochen, daß er durch die Araber Stö-
rungen erleiden könne, weil diese gegen die Türken, „von
welchen uns nichts Gutes kommen kann", sehr erbittert seien.
Unsere Besorgniß hat schon jetzt eine Bestätigung gefunden.
Wir lesen nämlich in Berichten aus Konstantinopel vom 24.
Februar, daß sich der mächtige Stamm der Montefik-
Araber in vollem Aufstande'befinde. Die Türken haben
allzeit danach gestrebt, diese Araber in völlige Abhängigkeit
zu bringen. Nun ist jüngst deren bisheriges Oberhaupt, der
Schech Bender, gestorben, und der türkische Statthalter von
Bagdad, Namik Pascha, wollte die Gelegenheit benutzen, den
Monlefik einen türkischen Kaimakan, Gouverneur, aufzuzwin-
gen. Darüber erbittert, haben sie zu den Waffen gegriffen, die
Depots für die türkischen Dampfer am rechten Ufer des Tigris
zerstört, den Verkehr auf dem Flusse selber gesperrt, bei Hillah
eine Karawane ausgeplündert und die dort beim Telegra-
phenbau beschäftigten Arbeiter theils getödtet, theils verjagt.
Sie hieben dann die Telegraphenstangen nieder
und verschleppten das Baumaterial.
Man sieht, wie wohlangebracht die Vorsicht ist, welche
darauf dringt, daß von Bagdad aus eine Telegraphen-
ttnre nach Osten hin durch Persien hergestellt werden soll,
;e”u eine solche wäre die Verbindung mit Indien all-
Jn manchen Gegenden ist die Richtung des Weges nur durch
hohe Steinhanfeii angedeutet; für Entfernungen von zwei bis
drei Stunden braucht man im Winter nicht selten eben so
viele Tage; wenn ein Pferd stürzt, muß die ganze Karawane
halten; in den Gebirgen sind im Sommer die Wege so
schlüpfrig, daß bei jedem Auf- uub Niedersteigen der Boden
treppenartig aufgearbeitet werden muß, um das Ansgleiten
der Lastthiere zu verhindern. Die türkische Regierung hat, in
ihrer gewöhnlichen Sorglosigkeit, nichts für'Verbesserungen
gethan, jetzt aber lesen wir, „daß der Bau einer
Handelsstraße von Trapeznnt über Erzernm nach
Bajasid an der persischen Grenze" in Angriff genom-
men werden solle, tind zwar gleich jetzt, im Frühjahr 1864.
Man habe die Kosten auf 25,000 Börsen (Beutel, je zu 250
Piaster) veranschlagt. Aber das ist eine verhältnismäßig ge-
ringe Summe, und außerdem ist in der Türkei zwischen Pro-
jektiren und Ausführen ein sehr weiter Abstand.
Doktor Esselbach,
unter dessen Leitung der große unterseeische Telegraph von
Karratschi bis Bagdad gestellt werden sollte, und der bis jetzt
unermüdlich das Werk fördern half, hat einen tragischen Tod
gefunden. Er fuhr am 6. Februar in Bernfsgeschäften auf
einem Dampfer, litt seit einigen Tagen am Fieber, sprang,
180 Miles westlich von Guader, plötzlich über Bord und fand
sein Grab in den Wellen.
Doktor Hang,
Professor zu Punah im Maharattenlande und einer der
gründlichsten Kenner der Literatur der Parsi's, welche un-
sern Landsmann in ihren religiösen Angelegenheiten als eine
Autorität ersten Ranges betrachten, hat während seiner Nach-
forschungen in der Provinz Guzerat das Glück gehabt, meh-
rere, bisher nicht bekannte, aber durch ihren In-
halt sehr werthvolle Zendmanuskripte aufzu-
finden.
Die Karawanenstraße von Trapeznnt nach Erzerum u>
Tabris
bildet einen der wichtigsten Handelswege in Asien, sie besini
sich aber in einen; wahrhaft kläglichen Zustande. Die Gefahr
und Beschwerden derselben sind'in Karl Andree's Geograpl
des Welthandels, I, S. 143 ff. ausführlich geschildert wordi
Mage's Reise am obern Senegal und Niger.
Wir haben vor einiger Zeit erwähnt, daß dieser muthige und
erfahrene Offizier auf seiner projektirten Wanderung nach Tim-
buktu zu Medine, am obern Senegal, angelangt sei. Er
hat, wie wir jetzt lesen, diesen Platz am 24. November lovck
verlassen und war am 30. zu Guiña eingetroffen, Nachdem
30
Aus ülleri Erdtheilerr.
er die Wasserfälle bei Guiua besucht hatte, ging er üru 1. De-
cember weiter und war am 10. in Bafulab eh, wo die bei-
den Qnellströme des Senegal sich mit einander ver-
einigen. Der eine, Ba fing, d. h. in der Mandingosprache:
schwarzer Fluß, kommt von Südosten her, der andere Ba khoy,
weißer Fluß, aus Osten. Die ganze Gegend zwischen Guina
und Bafnlabeh ist gegenwärtig eine Wüstenei (wahrscheinlich
in Folge der Verwüstungen, welche der Hadsch Omar dort an-
gerichtet hat). Bafnlabeh besteht nur ans Trümmern, und
Mage verweilte einige Tage in dem nahen U a l i h a. Am 26.
wollte er nach Bangassi aufbrechen, der Hauptstadt von
Fnladugu, und seinen Weg am Ba fing entlang nehmen. Die
vom Hadsch Omar eingesetzten Häuptlinge von Makadngn, das
zu beiden Seiten des Ba khoy liegt, von Ualiha und Kundian
hatten den Reisenden begrüßen lassen und ihm Schutz ver-
sprochen. Die Pente jener Gegend, welche viel Salz gegen
Goldstanb eintauschen, äußerteil den Wunsch, daß in Basn-
labeh eine europäische Handelsfaktorei gegründet werde. Mage,
sein Begleiter, Dr. Quint in, und rhr Rcisegefolge befanden
sich gesund.
Die Kämpfe der Franzosen in Senegambien
sind im Januar sehr heftig gewesen. Nachdern seit etwa 10
Jahren eine Anzahl von Negerpotentaten bezwungen und deren
Länder annectirt worden sind, handelt es sich darum, die noch
übrigen zu unterwerfen, damit das ganze Land zwischen Sene-
gal und Garnbia als unterworfen betrachtet werden könne.
Nun ist an die Landschaft Cayor die Reihe gekommen. Der
Gebieter dieses Landes, Lat Dior, leistete Widerstand, wurde
aber trotz seiner überlegenen Kriegermenge von den Franzosen
bei Loro (imKanton Ngol, ProvinzGnct in Cayor) aufs Haupt
geschlagen; er ließ mehr als 500 Todte auf der Wahl statt,
während die Sieger nur drei Todte und 50 Verwundete hatten.
Lat Dior entfloh nach Baol, dessen mediatisirter König ihn
angriff und schlug. Cayor ist in Folge dieser Ereignisse zer-
stückelt und zum großen Theile annectirt worden.
Wieder eine Wittwenverbrennung in Indien.
Die Engländer haben sich bekanntlich die größte Mühe ge-
geben, den barbarischen Brauch dieser Sät tis abzuschaffen, und
das ist ihnen auch inr Allgemeinen gelungen. Dann und wann
kommt aber doch noch ein Fall von Selbstverbrennung vor. So
im vorigen December in Bengalen, im Distrikt Monghyr. Als
der Gouverneur davon Kunde erhielt, wandte er sich sofort
mit einem Schreiben an die britisch-indische Gesellschaft, die
zürn Theil ans Eingeborenen besteht. Der Vorsitzende derselben,
Radscha Pertahb Schönder Singh Bahadrrr, stellte sogleich Nach-
forschungen an, und diese ergaben Folgendes: Die Frau, deren
Mann gestorben war, erklärte sich sofort für „Satti". Als der
Scheiterhaufen bereitet war, ging sie inmitten der Verwandten
ihres Mannes und von einer zahlreichen Menschenmenge ge-
leitet, zur Opserstätte und stieg ans den Holzstoß, der dann von
eiirem Jüngling in Brand gesteckt wrrrde. Als die Wahnbe-
thörte von den Flammen ergriffen wurde, sprang sie schreiend
zur Erde und rief, daß sie das Opfer nicht vollenden könne.
Aber sie wurde mit Vorwürfen und Schmähungen überhäuft,
kletterte wieder auf den Holzstoß und sank dort zusammen. Nun
erst, so sagt der amtliche Bericht, zerstreute sich die Menge, wäh-
rend die unglückliche Frau sich in den Flammen umherwälzte,
bis sie todt war. Die Mitglieder der Gesellschaft erörterten den
Fall in einer Versammlung, und die Hindu erklärten durch einen
der Ihrigen, Bäbn Degamber Mittra, daß das Satti ein durchaus
verwerflicher, den göttlichen und menschlichen Gesetzen zuwider-
laufender Brauch sei. Sie beschlossen, der Regierung treulich
beiznstehen. In Radschputana, in der Ortschaft Alwar, fand im
vorigen Herbst auch eine Wittwenverbrcnnnng statt. Aber der
Radscha des Landes statuirte ein Exempel, indem er Alle,
welche dabei förderlich gewesen waren, auf 10 Jahre ins Ge-
fängniß setzen ließ und alle Beamten absetzte, weil sie von dem
bösen Vorhaben höheren Orts keine Anzeige gemacht hätten.
Kamehameha der Vierte, König der Sandwichsinseln,
ist zu Ende vorigen Jahres gestorben. Er hat neun Jahre lang
regiert-und war noch nicht 30 Jahre alt. Die Berichte sagen,
chaß der vor etwa 16 Monaten erfolgte Tod seines vierjäh-
rigen Sohnes. ihm tief zu Gemüthe gegangen sei und der
Schmerz ihm die Tage verkürzt habe. Die Engländer schildern
den Verstorbenen in sehr erbaulicher Weise; dieser hatte manchen
Monat darauf verwandt, das Gebetbuch der anglikanischen Kirche
in die Hawaiisprache zu übersetzen. Aber sie fügen hinzu , daß
es diesem Südseeinsulaner platterdings unmöglich gewesen sei,
„die transcendentalen Ideen des athanasianischen Symbolnms"
zu begreifen, weil es der Hawaiisprache an Wörtern fehle, um
dieselben zu bezeichnen. Er starb am 30. November; sein Bruder
hat als Kamehameha der Fünfte den Thron bestiegen; dieser
junge Mann hat früher einige Jahre in Europa verweilt.
Der Acclimatisirungsverein zu Melbourne,
dessen wir schon mehrfach erwähnt, hat im Jahre 1863 seine Be-
mühungen, ausländische Thiere in der Provinz Viktoria einzu-
gewöhnen, rüstig fortgesetzt, indem er verschiedene Arten von
Hasen, silbergraue Kaninchen, Fasanen, Rebhühner und Hasel-
hühner einführte. Dazu kamen noch verschiedene Arten euro-
päischer Singvögel, und der Vorsitzende des Vereins, der Natnr-
sorscher Wilson, will nun auch Versuche mit der Nachtigall, ja
sogar mit dem Iohannisw ürrn ch e n machen. Der franzö-
sische Kaiser hat ihrn Angoraziegen geschenkt; verschiedene Arten
von Hirschen haben sich bereits völlig eingebürgert und pflanzen
sich fort; Boden und Klima sagen ihnen also zu. Ans solche Art
bekommt das an einheimischen Thierarten arme Australien eine
größere Mannigfaltigkeit.
Die Volksmenge auf der Insel Malta
belief sich zu Ende des Jahres 1863 ans 131,055 Köpfe. Sie ist
inr Anwachsen, obwohl eine nicht unbeträchtliche Zahl von
Maltesern auswandert, um in den levantinischen Häfen und
Algier Arbeit zrr suchen. Die Engländer muntern sogar auf
diesem kleinen Felseneilande zürn Anbau der Baumwolle ans.
Sterblichkeit unter den freien Negern in Nordamerika.
In England wird derStreit zwischen den sogenannten Phi-
lanthropen und den, ans Wissenschaft und Erfahrung sich
stützenden Anthropologen immer heftiger. Die Letzteren setzen
den nicht selten aus der Lrrft gegriffenen, aber allemal mit
dreister Zuversicht ausgesprochenen Behauptungen unbarmher-
zige Zahlen entgegen, gegen welche dann freilich nichts einge-
wandt werden kann. Jüngst behauptete ein londoner „Philan-
throp" Folgendes: „Der Census liefert den Beweis, daß unter
den freien Schwarzen in Nordamerika sich weniger Verbrecher und
weniger Arme befinden, als unter den weißen Bewohnern;
sodann, daß die Sterblichkeit der Schwarzen verhältnißmäßig
geringer ist als unter irgend einer andern Klasse."
Nun beweist aber der Census gerade das Gegentheil.
Aus den amtlichen Nachrichten über die Zuchthäuser in den
vier Nordstaaten Massachusetts, Ohio, Neuyork und Pennsyl-
vanien, aus dem Jahre 1850, geht hervor/ daß in denselben
ein Züchtling ans je 3300 Weiße kam, bei den Schwarzen
dagegen 1 auf 300. Die Schwarzen lieferten also im Ver-
hältniß zu ihrer Zahl mehr denn zehnmal so viel Ver-
brecher. Was die „Paupers", die bettelarmen Almosen-
empfänger, anlangt, so kam 1850 im Staate Massachusetts
je 1 auf 280 Weiße und 1 auf je 102 Farbige; im Staat
Indiana respektive 1 auf 2100 und 750.
Unter allen Nordstaaten hat allein Massachusetts genaue
Listen über Geburten und Sterbefälle. Ans jenen der Stadt
Boston ist, nach einem fünfjährigen Dirrchschnitt, ermittelt
worden, daß bei den freien Farbigen das Verhältniß der
Sterbefälle zu den Gebrrrten sich aus mehr als 2 zu 1 stellt.
Der Censusdirektor Kennedy hebt in seinen Erläuternngen zu
der Volkszählung des Jahres 1860 hervor, daß die freie far-
bige Bevölkerung in der ganzen Union, abgesehen von denr
Zuwachs, welchen sie durch freigelassene Sklaven erhielt, bei-
nahe stationär geblieben ist; die Geburten stellen sich nahezu
gleich mit den Sterbefällen, während die weiße und die Skla-
venbevölkerung eine so starke Zunahme erfahren haben, wie
in keinem andern Lande der Erde.
Der ganze weite Westen Nordamerika's goldhaltig.
Ein dem Kongresse in Washington vorgelegter Bericht des
Generallandamtes gibt eine geologische Schilderung des mächtigen
Plateaus, auf welchem die Gebiete Arizona, Nen-Meriko, Ulgh,
Nevada und Theile von Idaho, Washington und der Staaten
Oregon und Californien liegen. Auf diesem Flächenranm,
der nahezu eine Million Quadratmiles umfaßt, findet man,
diesem Bericht zufolge, in jedem Gefließe deutliche Anzeichen,
daß dasselbe in irgend einem Theile seines Laufes über gold-
haltiges Gestein ströme. Das Gebiet Idaho, 326,000 Qua-
Aus allen Erdtheilen.
31
dratmiles, war vor drei Jahren noch völlig im Besitze der
Indianer, ist aber nun schon von weißen Leuten besiedelt.
Das östliche Oregon, das Washington-Territorium und das
westliche Idaho'sind Fortsetzungen der Mineralregion von
Californien und Nevada. Die Indianer haben in manchen
Flüssen Platina gefunden; Kupfer und Eisen sind in vielen
Gegenden vorhanden, und an den Abhängen nach dem Stillen
Ocean hin hat man Kohlen entdeckt. Nevada ist als Ter-
ritorium kaum drei Jahre alt, nimmt aber in der Goldregion
eine Stelle ersten Ranges ein. Arizona ist nur erst theil-
weise naher erforscht worden, gilt aber für den großen Mittel-
punkt der Lagerstätten edler Metalle; daß Nett-Mexiko
an dergleichen eine große Fülle hat, weiß man auch, doch sind
hier die besten Grubenreviere im Besitz der Apaches-India-
ner, welche mit den Weißen ununterbrochen Kampf haben.
Aus Californien.
Der Geldertrag war auch im Jahre 1863 unvermin-
dert, und seitdem ein verständiger bergmännischer Betrieb mit
guten Maschinen allgemeiner wird, steigert sich die Ausbeute
mancher Gruben ungemein. Jir der Ophirmine liefert jeder
Fuß der Grube monatlich 48 Dollars Ausbeute. Ans den
Gonld and Curvy Works, deren Anlage etwa eine Million
Dollars erforderte, find binnen 12 Monaten reichlich vier
Millionen Dollars gewonnen worden und die Aktionäre er-
hielten 1,600,000 Dollars Dividende, was bei vielen dersel-
ben reichlich 400 Procent beträgt.
Ein Brief aus Sau Francisco schildert in ergötzlicher
Weise, wie der plötzliche Reichthum manche Leute, die von
ihm heimgesucht werden, in Verlegenheit bringt. Einige hun-
dert wohlgekleidete Männer, welche monatlich an 1000 bis
zu 20,000 Dollars ans ihren Goldgruben beziehen, dämmern
in der Stadt umher und wissen nicht, was sie mit sich an-
fangen sollen. Die meisten waren früher Handarbeiter, die es
sich sauer genug werden ließen. Jetzt fühlen sie sich in hohem
Grade unbehaglich, denn seitdem sie Schaufel und Spitzhacke
ans der Hand gelegt haben, haben sie ein ganz anderes Leben
begonnen. Aber ihr größtes Unglück besteht darin, daß sie
nicht wissen, wie sic ihr Geld los werden sollen. Allerdings
trinken sie den besten Wein, rauchen die besten Cigarren und
speisen vortrefflich, aber das Alles kostet nicht viel. Aber in
San Francisco gibt Geld allein noch keinem Manne den An-
spruch auf Verkehr in der guten Gesellschaft, und für diese
fehlen ohnehin den meisten Neureichen die Vorbedingungen.
Ein plötzlich reichgewordener Mann wird tn^ den östlichen
2)ankeestaalen als ein Shoddy bezeichnet (Shoddy eigent-
lich ein ans zerkratzteil Tuchlumpeu verfertigtes Zeug, das
weilig haltbar ist) in Californien aber als ein Washoe
(nach den reichen Washoe-Gruben). Vielen Leuten kann
man fein anderes Verbrechen zum Vorwurfe machen,
als daß sie monatlich 10,000 Dollars Einkünfte haben. Ich
kenne Einen, den jüngst das Mißgeschick betraf, von seinem
verstorbenen Bruder obeildrein monatlich 12,000 Dollars zu
erben, ilnd er ist darüber untröstlich. „Was soll ich nun an-
fangen?" sprach er. Ich entgegnete: „KaufenSie sich cine gute
Bibliothek, kaufen Sie auch eine Aacht, treiben Sic Fischfang,
werden Sie Jäger, machen Sie Reisen, lernen Sie andere
Länder kenneil, erfreuen Sie sich an der Kunst, namentlich an
schönen Gemälden, oder bauen Sie sich ein schönes Haus inid
treiben Sie Landwirthschaft. Ans solche Weise können Sie j
sich die Zeit vertreiben." Der Unglückliche gähnte uild sprach:
— „Das Jagen macht mir kein Vergnügen, auf das Fischen
verstehe ich mich iiicht, zum Ackerbail habe ich keine Lust, bciiil
Lesen habe ich Langweile, und ein Gemäldekeiiner bin ich auch
nicht." — Der Briefsteller versichert, daß er diese Unterredung
buchstäblich wiedergebe; er rieth dem Washoe — sich zu ersäu-
fen; dann habe alle Qual ein Ende.
Muschelhügel an ver Westküste Süvamerika's.
X bcv anthropologischen Gesellschaft zu London gab der
mcyrsacy von uns erwähnte Reiseilde Clemens Markham in-
;.CI n ■rr 'Zachrichten über schneidende Werkzeuge aus Quarz-
tlyliall, deren sich die alten Bewohner von Chandlly,
nnwelt von Guayaquil, an der Küste von Ecuador, bedient
tlret ^anzenspitzen und Messer aus Quarzkrystall
^^end, Welt und breit, von der St. Helenaspitze bis
^ ie. m M arkhams Besitz befindlichen wurden von
ai’s b^ee)**e aufgefunden und zwar inM n-
schelhugcln welche mu den bekannten Kjökkenmöddings in
Dänemark große Aehnlichkcit haben. Tie bestehen theils aus
Bruchstücken von Töpfergeschirr, theils aus vier verschiedenen See-
mnscheln. Diese sind: 'eine Auster, eine gewöhnliche Muschel,
eine Herzmuschel und eine sehr schön geriefte Bivalve, welche
von den Eingeborenen als „Eselsfuß" bezeichnet wird. Diese
findet man aber jetzt nicht mehr lebendig m der Gegend von
Chanduy. Da, wo 'die oben erwähnten scharfen Werkzeuge ge-
funden wurden, sind viele fossile Thierknochen, schon uu 16.
Jahrhundert, ansgegraben worden.
Die Einwanderung in den Staaten am La Plata
ist im Anwachsen. Während im Jahre 1862 nur 6716 Köpfe
einwanderten, steigerte sich 1863 diese Ziffer auf 10,408. Von
diesen kamen etwa 6000 ans Italien, 1000 auf England, oic
übrigen ans Frankreich (meist Basken aus den Pyrenäendepar-
tements), Spanien und Deutschland. Es gehört zu den wun-
derlichen Erscheinungen, daß gerade die deutsche Einwande-
rung in jene gesunden und fruchtbaren Gegenden noch immer
so wenig zahlreich erscheint, obwohl unsere, in der La Plata-
region angesiedelten Landsleute trefflich gedeihen und als sehr
willkommene Gäste erscheinen. Auch haben sie, im Gegensatze
zil. den „Damned Dutchmen" in Nordamerika, den großen
Vortheil, daß sie nicht in die Parteiwirren und Streitigkeiten
der Argentiner hineingezogen werden und nicht als „ange-
worbenes Bliethlingsgesindcl, als teutonic mercenaries, als
„Guano" betrachtet werden. Mit solchen Bezeichnungen ist, wie
jeder Kundige weiß, die Uankeerasse ungemein freigebig, während
die argentinischen Zeitungen von den Deutschen als „wackeren,
betriebsamen und intelligenten Lenteit" reden, deren Einwan-
derung ein Segen für das Land sei.
Die Eisenbahnen in den Vereinigten Staaten Nordamerika's
hatten am letzten December vor. I. eine Ausdehnung von
49,632,2z Meilen erreicht, wovon 33,860,38. Meilen schon int
Betrieb stehen. Deren Bau rmd die Anschaffung der Betriebs-
mittel erforderten ein Kapital von 1,625,952,215 Dollars.
Von jenen 33,860,im Betrieb befindlichen Bahiimeilen gehören
den Nordstaaten 21,926,2,, den Südstaatcn aber 8,933,^ M.
an. Unter den Nordstaaten haben das ausgedehnteste Bahn-
netz: Pennsylvanien mit 3545, Ohio mit 3356, Illinois mit
3080, Ncuyork mit 2892, Indiana mit 2173, Massachusetts
mit 1277 Meilen im Betrieb; itnter den Südstaaten steheit oben-
an: Georgien mit 1421, Virginicn mit 1378 und Tennessee
mit 1304 Meilen. Die Länge der Bahnen in einem jeden der
übrigen Staaten beträgt weniger als 1000 Meilen. Zn Ende
des Jahres 1862 belief sich die Gesammtlänge aller konccssio-
nirteu Bahnen ans 49,136,4g Meilen, wovon zu jener Zeit
32,470,95 Meilen auch bereits eröffnet waren; mithin hat sich
im verflossenen Jahre 1863 das Bahnnctz überhaupt um 495,^
Meilen vergrößert, und 1389,4, Meilen waren am Schlüsse
des Jahres 1863 mehr dem Betriebe übergeben, als jn Ende
des Jahres 1862.
Rußlands Eisenbahnen.
Wir findeir in der „Allgemeinen Zeitung" folgende An-
gaben: „Gegenwärtig sind folgende Bahnstrecken int russischen
Reiche dem Betriebe übergeben: Die Nikolansbahn unter
Staatsverwaltung, 652 Kilometer lang, von St. Peters-
burg nach Moskau mit Zweigbahn nach deuAlcxandrowsky'-
scheu Bergwerken und dem Verbindnngsgeleis zttr Wien-War-
schauer Bahn. In Privatverwaltnng'stehen folgende Linien :
St. Petcrsburg-Tsarskoé-Sclo 28 Kilom. lang, St.
Petersburg-Peterhoff mit Zweigbahn Krasnod-Sclo
43 Kilom., Riga-Dünaburg 227 Ktlom., Moskan-Ko-
lomna und Moskau-Serg'iewski-Posad, erstere 116,
letztere 74 Kilom. lang, Gronschefsk-Don 65 und Wolga-
Don 81 Kilom. lang, Warschau-Wien mit Zweigbahn
Kattowitz-Zabkowice mit 343 und Warschau-Brom-
berg (preußische Grenze) mit 161 Kilom. Länge; ferner die
drei Linien der großen russischen Eisenbahngesellschaft: St.
P e te rs b ur g - W i ln a- W a r s ch a u mit 1162, Wilna-Eydt-
knhnen mit 179 und Moskau-Nischnei-Nowgorod
mit 455 Kilom. Länge. Sämmtliche aufgeführte Bahnen haben
eine Länge von 3586 Kilom. oder beiläufig 474 deutschen Mei-
len. Noch wäre beizufügen die Bahn Helsiugfors-Tavastehus,
worüber aber keine genaueren Längenangabcn'vorliegen. Pro -
jekti rt sind und gelangen, ebenfalls durch Private, zum Bau
zunächst folgende Linien: 1) die Bahit von Perm nach dem
Ural, von da über Jekaterineuburq nach Trumen;
2) die Bahn von Dünaburg nach Witebsk; 3) dre^nd-
32
Aus allen Erdtheilen.
Lahn Mo s kan-Sebasto pol; 4) eine Bahn von Odessa
nach Kiew über Krementschuk mit einer Zweigbahn von
Odessa nach Parlan am Dniéster. Ferner soll 5) die
Bahn Mos kan-Posad bis Jaroslaw verlängert werden.
6jVonKiew cm» ist eine Verbindung gegen Br ody zur Ver-
bindung niit der Lemberg er Bahn projektirt. Nach den
Koncessionsbedingungen sollen die erstgenannten vier Haupt-
bahnen bis 1870 fertig sein. Daß schon dieses gegenwärtig
beabsichtigte Bahnnetz nicht allein für Rußland, sondern auch
für den europäischen Gesammthandel große Bedeutung haben
wird, liegt außer Zweifel.
Die Haidschnucken im nordwestlichen Deutschland.
Diese eigenthümliche kleine Abart der Schafe, welche nur
im Nordwesten Deutschlands und einigen Strecken Hollands
vorkommt, scheint ihrem Aussterben entgegen zu gehe».
Ein Franzose, der von ihnen viel sprechen hörte, glaubte sie
für ein wildes Volk in der Lüneburger Haide ansehen zu
müssen, das von Haidekraut lebe und nannte sie, wie schon
tausendmal wiederholt worden ist, „un peuple sauvage nomme
Haidschnucks“. Je mehr die Bodenverhältnisse der Haide sich
ändern und ganze Landstrecken anders als bisher knltivirt wer-
den, desto mehr dringt das gewöhnliche Schaf ein und die
kleine Haidschnucke, welche ihre Rolle vielleicht bald ausgespielt
haben wird, verschwindet. Mit um so mehr Dank ist es daher
aufzunehmen, daß der fleißige Forscher I. G. Kohl, in seinen
„ N o rd w e st - d e n t s ch e n S k i z z cn " (Bremen 1864) Alles ge-
sammelt hat, was auf die Haidschnucken sich bezieht. Die Haid-
schnucken sind das vornehmste Hausthier mancher Haidebewoh-
ner und eine der Hauptstützen ihrer Existenz. Sie kommen,
von der Eimbrischen Halbinsel an, durch den nördlichen und
mittlern Theil Hannovers, durch Oldenburg bis in die Nieder-
lande hin vor, wo sie „Heedschapen" (Haideschafe) genannt
werden. Die harten, trockenen, fast holzigen Haidekräuter (Erica
vulgaris) wollen keinem andern Thiere behagen, als diesen Haid-
schnucken. Das Pferd frißt diese Pflanze gar nicht, die Kuh
nur im höchsten Nothfalle; doch wird diese mager dabei und
geht zu Grunde, so daß an eine Eristenz des Rindes auf der
Haide gar nicht zu denken ist.
Die Haidschnucken sind die kleinste Art von Schafen, die
wir haben. Die Länge eines Widders beträgt noch nicht zwei
Fuß, seine Höhe nur 1% Fuß und selbst ein gemästeter Hammel
bringt es meistens nicht höher, als auf 30 bis 35 Pfund. Der
ganze Körperbau ist schwächlich, sie trippeln mit ihren mageren
Besuchen zwischen den Haidekräntern mit unsicheren und bei-
nahe zitternden Schritten umher. Ihr Pelz ist ungemein leicht,
dünn, locker und mehr haarig als wollig. In Ställe kommen
sie selten und selbst bei fußhohem Schnee scharren sie sich ihre
Haidekräuter hervor; über Nacht pfercht man sie in Hürden
ein, um nicht des Düngers verlustig zu gehen. Das Wasser
der Haiden ist nicht immer zum Tränken dieser Schafe geeignet;
so müssen sie oft tagelang dursten, ja, sie bekommen oft wochen-
lang nichts Ordentliches zu trinken. Sie ertragen Durst und
Wassermangel ausgezeichnet, was um so mehr gu bewundern
ist, da sie außer den dürren Haidekräutern nichts zu fressen
bekommen.
Eine ganz eigenthümliche Menschenart sind die Schäfer
dieser Haidschnucken, die mit ihren Thieren alles Ungemach der
Haide theilen. Ueber den Kopf ziehen sie die dickwollige, spitze
„Timpenmütze", hüllen ihren ganzeil Leib in einen weiten
Wollenmantel, „Hoik", und bekleiden ihre Füße und Beine
mit den hölzernen „Ho lten siew eln ". Dann ergreifen sie
ihren Hirtenstab, „Schüte", und ziehen „Schnuckensocken
brerdelnd", d. h. Strümpfe ans Haidschnuckenwolle strickend,
durch die Haide dahin, die immermehr abnimmt und der Kultur
verfällt, bis einst die letzte Haidschnucke und der letzte „brei-
delnde Schaper" verschwunden sein werden.
Der Silberabzug aus Europa nach dem Orient,
der schon seit langer Zeit nicht geringe Besorgnisse einflößt,
hat nun immer größere Dimensionen angenommen. Von dem
Silber, welches Asien erhält, kommt nur sehr wenig wieder
nach Europa zurück; das wußten und beklagten schon die
Römer in der Kaiserzcit. Heute muß ein großer Theil der
asiatischen Baumwolle und Rohseide baar, nicht mit europäi-
schen Gewerbserzeugnissen, bezahlt werden. Aus Marseille
meldet ein Handelsbericht, daß die Dampfer der Messageries
imperiales im Januar 1863 mehr als 18 Millionen Francs
Silber nach der Türkei, Griechenlattd, der Levante und Italien
mitnahmen; nach Alexandria gingen außerdem für Aegypten,
Jttdien und China 11,725,000 Francs. Während somit an 30
Millionen Francs baares Silber in einem einzigen Mo-
nate von Marseille verschifft wurden, kamen nur 600,000
Francs an. Jeder Dampfer nach Indien und China nimmt
ein bis zwei Millionen Francs dorthin mit.
Häringsfang während der Wintermonate.
Die bei Weitem größte Zahl der vielen Millionen Häringe,
welche alljährlich in den Handel gelangen, kommt bekanntlich
von der Nordseeküste Schottlands. Dort ist in den Sommer-
monaten Juli, August und September der Fang so ergiebig,
daß allein die Bewohner der Grafschaft Caithneß in' dem-
selben durchschnittlich 1400 Boote und an 10,000 Fischer, Bött-
cher x. beschäftigen; der Ertrag beläuft sich in jenen Monaten
ans 150,000 bis 200,000 Pfund Sterling.
Den Hauptsammelpunkt für die Häringssischer von Caith-
neß bildet die kleine Stadt Wick, der aber noch ein guter Hafen
fehlt. Bis iti unsere Tage hinein war man der Meinung , daß
der Fang im Wittter nicht lohne, und man dachte an einen solchen
gar tiicht. Jetzt hat aber die Erfahrung herausgestellt, wie
irrig jene Meinung war. Die Wissenschaft hat den Anstoß ge-
geben. Die früher allgemein angenommene Meinung, daß der
Häring nach dem Polarmeer fortzöge, ist platterdings tiicht stich-
haltig,' denn es ist jetzt über allen Zweifel und durch den Augen-
schein festgestellt worden, daß der Häring auch nach der Laichzeit
in der Nordsee bleibt und große Züge in jedem Winter an der
Küste von Schottland ziehen. Deshalb fuhren im Anfange des
Jahres 1863 caithneßer Fischer auf beit Fang aus, um ihr Glück
zu versuchen, und der Erfolg ist über Erwartung günstig gewesen.
Im laufenden Winter 1863 auf 1864 zeigten sich die Häringe
schon früh an der Küste; die Fischer gingen rasch an's Werk, auch
jene ans der Grafschaft Banff waren nicht müßig, und in der
zweiten Hälfte des Januar waren etwa 1000 Mann mit dem
Fange des Härings und Stockfisches beschäftigt. Der Ertrag be-
lief sich in einer Woche auf etwa 50,000 Thaler; dabei "sind
allerdings auch andere Fische eingerechnet. Von nun an werden
also auch während der Wintermonate frische Häringe in den
Handel kommen.
Die Elephautenzähne als Handelswaare.
Die Nachfrage nach denselben steigt immer mehr ltnb wird
von Afrika befriedigt. Wenn man bedenkt, daß schon in den Tagen
Homers Elfenbein zu Gegenständen des Schmuckes und zu Zier-
rathenverwandt wurde, und daß nun seit 3000 Jahren die Ele-
phantenjäger in Thätigkeit sind, dann muß man sich wundern,
daß der schwarze Erdtheil immer noch im Staude ist, so große
Quantitäten in den Handel zu liefern; denn ans Indien kömuit
verhältnißmäßig wenig, und die Waare ist nicht so gut, wie die
afrikanische. Einen genauen Nachweis über den Ge'sammtertrag
können wir nicht geben; wir wissen aber, daß der größte Theil
des afrikanischen Elfenbeins nach England geht. Dieses führte
um 1799 durchschnittlich 192,690 Pfund jährlich ein, aber 1829
war die Einfuhr schon auf 364,784 Pfund gestiegen. Es mußten
3040 männliche Elephanten getödtet werden, um diese 6080
Zähne, die im Durchschnitt je ein Gewicht von 60 Pfund hatten,
einzuführen. Gegenwärtig führt Großbritannien jährlich im
Durchschnitt eine Million Pfund Elfenbein ein,
also dreimal mehr als 1827, und um jene Masse zu liefern,
müssen etwa 8333 Elephanten erlegt werden. Man nimmt an,
daß jährlich etwa 4000 Menschen ihr Leben auf der Elephanten-
jagd verlieren. Ein Zahn, der 70 Pfund schwer ist, gilt im
Handel für ein Stück erster Klasse. Cnvier hat eine Liste unge-
wöhnlich großer und schwerer Elephantenzähne zusammengestellt;
der größte wog etwa vierthalb Centner. Im Herbst 1863 wurde
einer tu London versteigert, der 122 Pfund wog. Für die aus
Angola, an der afrikanischen Westküste, nimmt man ein Durch-
schnittsgewicht von 69 Pfund an, für jene aus der Kapregion
und Natal 106; von Lagos an der Westküste und für jene am
obern Nil 114, für jene vom Gabun 91 Pfund. Aber im in-
nern, von den Europäern noch nicht heimgesuchten Afrika, wo die
Elephanten alt werden, kommen größere Zähne vor. So finden
wir im Galignanis Messenger die Angabe, daß vor Kurzem ein
nordamerikanisches Handelshaus einen Zahn bekommen habe,
der, 9 Fuß lang, 8 Zoll im Durchmesser hielt und 800 Pfund
wog. Auf der londoner Ausstellung von 1851 war ein Zahn
von 11 Fuß Länge zu sehen; er hatte 1 Fuß im Durchmesser.
Das Elfenbein von der afrikanischen Westküste, die Gabunregion
ausgenommen, ist weniger elastisch, als andere Sorten und wird
beim Bearbeiten auch nicht so weiß.
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghausen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildbnrghausen.
Georg Schwcinsurlhs Fai
Die Euiwelhung des Siìtzwasserkanals. — Die Stadi Suez. —
Platz Schaluff. — Auskratzen des Sandes mit dcu Fingerli. —
wuchs; die Nutzlichkeit ber Tamariske. — Der Tinisah - See. -
Jsmailia. — Die Ausgrabungen bei Tussiim. — Bodenschn
Lagerplatz Ferdan. — Die Secir Ball ah und Mcnsaleh
Ain 20. Januar verlieh ich Kairo und begab mich nach
Sliez, wo vor weingen Tageu die Einweihung des
Siistwasserkanals in festlicher Weise begangen worden
war. Der Ril in Suez, das war das Losungswort,
nlit welchem der fiir die Geschichte dieser Stadi vielleicht lvich-
tigste Tag von Alt und Jung, vou Einheimischcn und Frcin-
deu mit gleichem Jubel begruht wurde. Roch steheu ver-
worreue Klnmpen eleuder Erdhutten, verfallene, halbenro-
)rt aus dem Sue?-Kanal.
Fahrt nach Jsmailia im Centrum des Kanalgebietes.— Lagcr-
■ Die Arbeiter. — Höhenzüge auf dem Isthmus. — Pflanzeu-
- Bitterseen; Schleuse von' Nefisch. — Leben und Treiben in
ierigkeiten, Sandauhcinfnngen und Baggern. — El Gnisr. —
. — Danaidenarbeit im Meusaleh - See. — Port Said.
als das Blait des Himmels und des Meeres, aus welchem
ein halbes Dutzend Dampfer und einige Segelfahrzeuge vor
Anker liegen. Mau wird sich daher leicht vorstellen, welch
verändertes Bild den Reisenden hier bereits nach wenigen
Jahreil erwarteil wird, indem das Süßwasser des Kanals
bei der Beschaffenheit des Wüstensandes lind der hiesigen
Atinosphäre ausreicht, um die trostloseste Einöde in kltrzer
Zeit in grüne Fluren umzugestalten.
Am Suez-Kanal. (Nach einer Originalzeichnung.)
Päische Bauten von Fachwerk und Thon, am Quai sieht
man. das eiilstöckige Viereck des englischen Hotelv, davor
die auf leichtem Eisengerüst rrchende Eisenbahnhalle, eunge
Speicher und schließlich die Konsulatsgebäude der Westmachte.
So armselig erscheint die Stadt, in welcher, trotzdem
sich über ihren Maliern, drei Welttheile die Hände reichen,
eine Ruhe des Todes herrscht. Keiil Baritlt, kein Quell,
ilicht eiirmal Salzpstailzen an dem weiten stachelt Meeres-
gestade, klirz nicht die geringste Spur eitler Vegetation kaun
marr im weiten Umkreise des Orts wahrnehmell. Dem
Auge des Waltdercrs bietet sich keine andere Erguickung dar,
Globus VI. Nr. 2.
Am folgenden Tage harrte meiner ein der Kompagnie
gehöriges zierliches Boot auf dem Süßwasserkanal, welches
mich uach Jsmailia, der Hauptstadt des zunt Kanal gehöri-
gen, im Ceiltrum des Isthmus gelegenen Territoriums
bringen sollte. Die zwei Kanteele setzten sich in Trab, und
schnell und leicht glitt das kleiire Fahrzeug über deit Spiegel
des Kanals dahin, welcher zunächst eine rein nördliche Rich-
tung verfolgt. Abgesehen voll der Rallmbeschränkuug inl
Boot, kann man sich ein bequemeres Reisen nicht vorstellen.
Der kleine, bis jetzt nur von Fahrzeugen der Kompagnie
befahrene Süßwasserkanal hat eine Breite von 15 und
34
Georg Schweinfurths Fahrt auf-deui Suez-Kanal.
eine Tiefe von durchschnittlich I V2 Meter; er würde somit
einem, doch nur einem, der größeren deutschen Flußschiffe
hinreichenden Raum gewähren. So klein die angegebenen
Dimensionen auch erscheinen mögen, so reichen sie dennoch vor-
läufig völlig aus, um eine bequeme Kounnunikation zwischen
den einzelnen „Campements" der Arbeiter in der Wüste zur
Herbeischafsnng der nöthigen Bedürfnisse herzustellen. Aber
der größte, nicht hoch genug anzuschlagende Nutzen desselben
bleibt unstreitig das Vorhandensein trinkbaren Wassers an
jedem beliebigen Orte. Man leitet dasselbe an solchen
Stellen, wo die Arbeiten an: großen Kanal bereits begonnen
haben, in kleinen Gräben bis dicht zil jenem heran, so daß
die Arbeiter nach Belieben sich dessen bedienen können.
Noch vor Kurzem mußte das Triukwasser mühsam auf
dem Rücken schwerfälliger Kameele von weither herbeige-
schafft werden, desgleichen die Lebensmittel, unb bei zu-
fälligen Störungen geriethen die Arbeiter nicht selten in die
peinlichste Verlegenheit. Heute aber gibt es, zumal nach
Vollendung des Pumpwerks in Jsmailia und der Wasser-
leitung von da nach dem Mittelmeere, wohl keinen Punkt mehr
zwischen Suez und Port Said, welcher nicht reichlich mit
süßem Wasser versehen wäre. Man kann daher mit Recht
Maße, als die Tiefe zunimmt, von oben abgerissen. Dieses
praktische System hat zum Zweck, daß man das Resultat
der Arbeit besser tiberschaue und dieselbe aus Alle gleich ver-
theile.
(Sin schwer zu schilderndes Bild liefert dieses Bunte,
laute Getreide mit dem Wüstenelemente ringender Tausende.
Ueberschant man dasselbe von den höchsten Punkten des
aufgeworfenen Dammes, so läßt sich der Anblick nur mit
einem ausgebreiteten Ameisenhaufen vergleichen. Wir ge-
wahren, wenn wir die Menschen einzeln betrachten, alle
Schattirungen der Hallt nub man möchte fast sagen auch
jedes Alter unter ihnen vertreten. Die Strenge der Alls-
scher duldet zwar keinen Schlendrian, ich sah aber nirgends
von der sogenannten Gottheit Aegyptens, dem Knrbatsch,
Gebrauch machen; fröhlich und singend, schreiend, einander
jurufenb oder scheltend sieht man sie sich in dichten Schaaren
zu Betbcn Seiten der Ausgrabungen die Dämme hinaus-
wälzen. Das Loos dieser Leute ist kein so schlimmes, als
man glauben möchte, und das Unfreiwillige ihrer Arbeit wird
am Ende mit den für ihre Bedürfnisse recht ansehnlichen
Ersparnissen an baarem Gelde reichlich vergütet.
Bei Fortsetzung der Fahrt erfolgte ein kurzer aber hef-
Ein Fuhrwerk der Suez-Kompagnie. (Rach einer Originalzeichnung.)
den Süßwasserkanal als die wichtigste Basis zur weitern
Arbeit betrachten.
Nach zweistündiger, schneller Fahrt waren lvir in
Schaln ff angelangt, einem „Eampement", bei welchem
gegen 5000 Menschen mit der Ausgrabung des großen ma-
ritiillell Kanals beschäftigt waren. Die Arbeit lvar an
dieser Stelle erst vor weiügeu Tagen begonnen worden. Die
in Angriff genommene Strecke, die erste südlich vom Bassin
der Bitterseen, mochte etwa zwei Kilometer betragen. Hier
kommt noch das alte bekannte System des Grabens in An-
wendung, welches vielmehr ein Auskratzen des Saildes
nlit den Fillgeril zu nennen ist. Nachdem die gefüllten
Körbe zil den hochaufgethürmten Sanddäminen zu beiden
Seiten hinausgetragen worden sind, welche etwa 300 Fuß
von einander abstehen, da dieses Gelände sich nur wenig
über_ den Spiegel des Mittelmeeres erhebt, kehrt der
Arbeiter zu seiner Grube zurück und beginnt dieselbe Pro-
zedllr von Neuem. Dennoch sah ich die Arbeit vor meinen
Augen sichtbar gefördert. Die Leute sind familienweise
angestellt lind höhlen, zunächst eine jede für sich, eine gra-
benartige, querlaufende Rinne von einem Meter Breite ans.
Die dünnen Seitenwände bleiben stehen und werden in dem
tiger Regenguß, der sich dreiinal wiederholte unb eines der
herrlichsten Phänomene, deren unsere Vorstellung fähig ist,
hervorrief. Ein doppelter Regenbogen strahlte in wunder-
barer Farbenpracht am Firmament und bildete zwei voll-
kommene concentrische Halbbögen von einem Horizonte zunr
andern. Der Kanal durchschneidet immer noch eine einför-
mige, trostlose Sandwüste. Einige Stunden später hielt
die Barke vor einer Schleuse, in welcher der Wasserstand
ein Meter Differenz zeigte. Da blos eine Schleuse vor-
handen war, so mußte das Boot mit Gewalt durch die enge
Oeffnung, zu der das Wasser hereinstürzte, hindurchgezogen
werden, was endlich den Anstrengungen von 25 Mann ge-
lang. Ein kleines steinernes Hans wurde an dieser Stelle
für den Ansseher errichtet und ein Kilometer weiter nördlich
befand sich eine Gruppe von Zelten, wo mehrere französische
Kanal-Techniker ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten.
Hier wurde Halt gemacht, und ich fand in einem der
Zelte ein, abgesehen, von ben Ueberraschungen meiner Mit-
einwohner, ganz gutes Unterkommen, wie man es sich in der
Wüste schon gefallen lassen muß, wo alles animalische und
vegetabilische Leben sich um einzelne Punkte zu gruppiren
Pflegt.
35
Georg Schweiufunhs Fahrt auf dem Suez-Kanal.
Die drei einzigeil 1000 bis 2000 Fuß hohen Gebirge !
auf dem Isthmus, der Dschebel A web et au der Eisen- I
bahn zwischen Kairo und Suez, der Dschebel Attaka
am Rothen Meere uild der westlich und ziemlich nahe von
diesem Lager gelegene Dschebel Geneffeh, lageil in
vollendeter Klarheit vor deil Augen des Beschauers ruld
ertheilten durch die purpurneil Tinten, lilit welchen die
Abendsonne sie übergoß, dem einförmigen Gra>l der unl-
liegenden Wüste die erwüilschte Abwechselung. Feril am
östlichen Horizonte sieht man von Nord nach Süd eine Hü-
gelkette sich ausdehnen, welche als der letzte Ausläufer des
Sinaigebirges zu betrachten ist.
Frühzeitig weckte mich eine diesen Wüsten eigenthümliche
Morgenkühle bei 5° R., während am Tage das Thermo-
meter 12 bis 15" zeigte. Zugleich wird es in den benach-
barten Zelteil lebendig, die Hähne krähen, Hiiilde laufen hiil
uild her, einige Katzen machen es sich vor ben Thüren be-
qnem, die Fraiien, dieser ben Franzosen überall nilentbehr-
liche Lnrnsartikel, schwatzen am flackernden Feuer, und sehr l
macrocarpa, Hyoscyamus, Datura und Salsola tetramlra
bilden dichte Gebüsche, namentlich gereicht erstgenannte
Pflanze der Gegend durch die Pracht ihrer Blüthenmassen
außerordentlich zur Zierde. Diese mehrere Fuß über den
Boden sich erhebenden Sträucher gebeil Veranlassung zur
Entstehung der zahllosen kleinen nnb größeren Sand Hügel,
welche uns in dieser Gegend überall entgegeiltreten. Selbst
die völlig kahlen Hügel siild als die Gräber dieser Tama-
risken zu betrachten, denn der wandelnde Sand, ivelcher
zwischen de» Zweigen hasteil bleibt, vergräbt dieselben immer
tiefer und tiefer; mit ihren »eiten Trieben arbeiten sie sich
jedoch immer wieder aufs Neue empor und erhöhen so den
Boden , ans dem sie wurzeln, bis zu der ansehnlichen Höhe
von einigen 20 Fuß. Vermöge ihrer viele Klafter langen
Wnrzelbrnt ist die Tamariske auch im Stande, nach allen
Richtungen sich auszubreiten und die ärgsten Hindernisse zu
bewältige». In der That wandert man oft stnndenlang
durch den Sand, welcher überall von den strickartigen Wur-
zeln einer ehemaligen Tamarisken-Vegetation durchzogen ist,
Arbeiter am Suez-Kanal. (Nach einer Originalzerchnnng.)
bald nach kurzer Morgenröthe erhebt sich der Feuerball, im
Nu das Aschgrau der Umgebung in ein mehr oder minder
modisicirtes Braun verwandelnd.
Nach halbstündiger Fahrt gelangten wir an eine Stelle,
wo der Kanal plötzlich seine Richtung verändert und, dem
Dschebel Geneffeh sich nähernd, nach Südwesten abbiegt.
Er beschreibt eineil Halbkreis, indem er die weite thonige
Ebene gegen Osten umschließt, welche nun auf die seither
durchschnittenen Sandwüsten folgt uild die einige Krallt-
Vegetation nebst ben periodischen Kulturen von Sallbohnen
sillhält, welche die hier ben Winter verbringenden Beduinen
iil deil ungeackerten Boden allszusäen pflegen. Die Tem-
peratur der letzten Nächte mußte hier unter den Gefrier-
punkt erniedrigt worden sein, ivie ich das an deil zerstörten
Blättern dkl Fettpflanzen (Mesembryanthemum) wahr-
nehmen konnte, welche den Boden bedeckten.
Weiterhin folgte eine unabsehbare mit reichlicher Gras-
und Gestrüpp-Vegetation bekleidete "Ebene, welche sick
bis zilr sumpflgen Region der Bitterseen ausdehnt. Tamarh
während kein Strauch im iveiteu Umkreise wahrgenommen
wird. Die tiefen Einschnitte, welche die Kanal-Ausgrabung
ail manchen Stellen zu Wege gebracht hat, geben ebenfalls
oft in bedeutender Entfernung von der heutigen Oberfläche
Massen solcher Wurzelgewirre zu erkennen, welche einer
vor undenklicher Zeit diese Sandwüsten bekleidenden Ve-
getation angehören. Es liegt auf der Hand, daß die An-
pflanzung dieses Gewächses zur Befestigung der User des
Kanals von großer Wichtigkeit für das Bestehen desselben
werden wird, und in der That hat man sich von seinem
Nntzeil bereits überzeugt; denn an einer benachbarten Stelle
nahnl ich zahlreiche Arbeiter wahr, welche mit Erweiterung
der Ufer und Setzeil von Tamarisken - Stecklingen zu ihrer
Consolidirung beschäftigt waren. Die wichtige Frage, welche
Mittel als die geeignetsten zur Befestignng der kolossalen
Sandwälle anl großen maritimen Kanal betrachtet werden
müsse», soll von mir bei einer spätern Gelegenheit erörtert
werden.
Die Barke passirte mtn eine etwa fünf Kilometer lange
Ein Durchstich im Suez-Kanal. Nach einer Originalzeichnung.)
Georg Schweinsurths Fahrt auf dem Suez-Kanal.
CO
38
Georg Schwei»furihs Fahrt auf dem Suez-Kanal.
Strecke, auf welcher der Kanal fast genau von Osten nach
Westen sich hinzieht und hart an den Fuß mehrerer, einige
hundert Fuß hohen Hügel herantritt. Alsdann biegt er im
rechten Winkel ab und verfolgt bis znnr Tim sah-See eine
nördliche Richtung. Gegen Westen zeigen sich zahlreiche,
mehr oder minder hervorragende Hügelgruppen, während
auf der östlichen Seite die endlose Fläche der Bitterseen
sich ausdehnt,, eine Region, welche, weil mehrere Meter
unter dem Niveau des Meeres liegend, nach Vollendung des
maritimen Kanals ein weites Binnenbecken zu bilden be-
stimmt ist.
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als wir
bei der Schleuse bou Nefisch anlangten, wo der über
zwei Meter betragende Wasserstand eine Fortsetzung der
Fahrt nicht gestattete. Hier endigt der südliche nach
Suez abbiegende Arm uub fällt senkrecht aus den
von Westen ans dein Nil in den Timsah-See abfließenden
Theil des Süßwasserkanals. Noch eine Stunde Wegs
blieb nur bis zur Stadt Jsmailia übrig. Die Kameele,
welche bisher die Barke gezogen hatten, wurden mit dem
Gepäck beladen und der Weg in der Finsterniß durch den
tiefen Sand angetreten. Zahlreiche Lichter gaben von Wei-
tem die Stadt zu erkennen, welche im Dunkel der Nacht
und inmitten der Wüsteireinsamkeit mit ihren erleuchteten
Werkstätten uub Bureaux, den Schenker: rurd zahlreichen
Feuern vor den Zelten und Baracken, einen großartigen
Eindruck auf den Ankömmling hervorrief. Als ich in eines
der gut eingerichteten Kaffee- rurd Speisehäuser eingetreten
war, vergaß ich, bald von einem großen Kreise liebenswür-
diger Beamten umgeben, daß ich durch Wüsten und Meere
von meiner Heimath getrennt sei.
Mein Aufenthalt in Jsmailia bietet mir die angenehm-
sterr Rückerinnerungen dar. Es waren für mich Tage der
Erquickung und des Genusses im Umgänge mit gesitteten
uub gebildeten Menschen, denn so kann nran die französischen
Beamten daselbst im Gegensatze zu der entarteten europäischen
Kolonie in Cairo und Alerandria, wo Wechselsälschnng,
Kassendiebstahl und Erbschleicherei als die geringsten Ver-
gehen betrachtet werden, wohl mit Recht nennen. Natür-
licherweise läßt die Befähigung Vieler Manches zu wünschen
übrig, den,: daß es bei der gegenwärtigen Blüthe der In-
dustrie und den vielen öffentlichen Barrten in Frankreich,
welches selbst eine große Menge tüchtiger Kräfte be-
darf, kein Leichtes sei, so viele erfahrene und ihrer großen
Ausgabe gewachsene Ingenieure zu beschaffen, wird Jedem
einleuchten, und diesem Umstande allein ist es wohl zuzu-
schreiben , daß wir Mancherlei bei dem Betrieb der Kanal-
bauten wahrzunehmen haben, was anders sein sollte. Im
Allgemeinen aber mrrß man anerkennen, daß die überall
wahrzunehmende Ordnung in der Verwaltung, so wie das
einheitliche Zusammenwirken Aller bei diesem vielgegliederten
Vaunnternehmen, unterstützt von dem einmiithigen Willen
der französischen Nation rurd dem Interesse der meisten sich
am Welthandel betheiligenden Völker Enropa's, die endliche
Vollendung des Riesenbaus verbürgen, bei welchem weniger
die Natur der Hindernisse, als die Unzulänglichkeit der zrr
ihrer Bekämpfung angewandten Mittel in Frage kommen.
Die Stadt Jsmailia, dem gegenwärtigen Vicekönig
zu Ehren so benannt, ist amNordnfer des Timsah-
^Lees erbaut und zählt bereits 3000 Einwohner, znnr
dritten Theil Europäer, in rnrgefähr 150 wohlgebauten
Häusern. Die Straßen kreuzen sich nach den vier Rich-
tungen der Windrose. Von beu Sandhügeln am See
arrs betrachtet, nimmt sie sich am besten ans. Vor dem, die
Verbindung mit dein großen inaritimen Kanal bildenden
Theil des Süßwasserkanals dehnt sich am sogenannten
Quai Meherned Ali eine Reihe stattlicher Gebäude arrs,
welche zun: Theil von Stein, zum Theil von Holz, aber
sämmtlich iit hübschem, gefälligern Styl erbaut sind. Das
Wohngebäude des Herrn von Lesseps ist eines der kleineren
und äußerst zierlich irr schweizer Art erbaut. Das größte
uub geschmackvollste Gebäude ist das der General-Direktion
der Arbeiten. Es besteht arrs einem weiten, einstöckigeil
Viereck rnit zrvei Flügeln uub ist umgeben von buntverzierten
Colonnadeir rrrit maurischen Bögen, die das flache, weitvor-
springende Dach tragen. Die Gebäude des Divisionschefs,
des Jngenienrchefs der Arbeiter, das Hotel, das große Ma-
gazin der Kompagnie, das Schlachthaus rurd die hydranti-
sche Anstalt der Wasserleitung zwischen hier rurd Port
Said sind vor: Stein uub äußerst solid aufgeführt. Alle
diese Gebäude Haber: bei der großen Schwierigkeit der Be-
schasfnng von Material uub Arbeitern ungeheuere Summen
und etwa das Fünffache von der: Kosten erfordert, welche
zu ihrer Erbauung in Cairo erforderlich gewesen wären.
Die Wohnungen der Beamten sind nach den Verheiratheten
und Unverheiratheteir geschieden und befinden sich irr lange
Reihen bildenden einstöckigen, mit weitvorspringenden ge-
weißten Dächern rurd Coloniraden versehenen Häusern,
welche den großen „Place Champollion" nnrgeben. West-
lich von der Stadt dehnen sich die Baracken, Schilfhütten
rurd Zelte des Araber-Dorfes arrs, und auf der ent-
gegengesetzten Seite befindet sich das sogenannte griechische
Dorf, welches arrch dieLädeir, Schenken, Eafö's rurd
Speisehänser enthält.
Auf der großen Sandfläche, welche diese Häuser von
der eigentlichen Stadt trennt, der sogenannten „Arene de
l'Jmperatrice", befindet sich zur Zeit noch eine große Anzahl
von Zelten, die eiire Vorstellung von der ersten europäischen
Niederlassung in dieser Wüste geben. Es war eine Zeit der
Entbehrungen uub Entsagung alles Comforts für die armen
Beamten, welche bei der Schwierigkeit des Transports um
jeden Trunk und jeden Bissen geizen mußten, während sie
in ihren luftigen Behausungen des Tags über einer infernali-
schen Hitze rurd des Nachts den enrpfiirdlichsteir Temperatur-
Erniedrigungen ausgesetzt waren. Seit jener Zeit hat sich
Alles geändert. Die ganze Wüste, soirst der Tummelplatz
wilder Bedninenstämme, der Hyänen und Gazellen, wirn-
nrelt heute vor: derr Fnßtapfen tausender voir Lastthieren
rurd Menschen rurd ist mit den Wahrzeichen des modernen
Wüstenlebens, mit Papierflicken, Cigarrenresten, Flaschen-
scherben und Conservenbüchsen wie übersäet.
Der T i m s a h - S e e enthält salziges Wasser von
äußerst bitterm Geschmack; seine von hohen Binsenhorsten
umstandenen Ufer siird theils steil abfallende Sanddünen,
theils Sümpfe voller Pfützen und Gräben, welche mit
schannrartigeir, ekelhaft gallertartigen Algenmassen von ver-
schiedener Farbe erfüllt sind. Der Bodeir ist allerrthalben
mit einer Salzkruste überzogen, rurd die Binsenstoppeln er-
scheinen davon wie bereift. UngehenereSchwärme von aller-
hand Entenarten, Bleßhühner, Bekassinen rurd Möven
tummeln sich ans der dunkeln, tiefen Flnth, eine nnerschöpf-
liehe Quelle des Genusses uub der Unterhaltung für die
Jagdliebhaber unter dem Beamtenpersonal von Jsmailia.
In dem Schitsröhricht sah ich zahlreiche Araber umherwaten,
um mit den Händen kleine breitgeformte Fische zrr erhaschen,
welche sich tu den zahllosen Pfützen verirrt hatten, und die
große Ansberite gab mir einen Begriff von ihrer außeror-
dentlichen Hällfigkeit. Air der südwestlichen Ecke des Sees
zieht sich ein Gewirre 50 bis 70 Friß hoher Sanddünen hin,
welche mit Sümpfen rurd Pfützelr abwechseln, die von rur-
terirdischen Quellen gespeist werden. Uirter diesen haben
zwei parallel in nordwestlicher Richtung verlarifende Wälle
Georg Schweinfurths Fahrt auf den: Suez-Kanal.
30
ganz das Aussehen einer künstlichen Entstehn>tg unb sind
den Dännneu des maritimen Kanals bei Tussun: vergleich-
bar. Die Tamariske, welche unstreitig diese Dünen bilden
half, liberzieht dieselbe,: stellenweise in dichten Massen, an
anderen Orten ist der ganze Boden von ihren: Wurzelge-
slechte wie durchsponnen. Sehr eigenthümlich nehmen sich
am Rande der Pfützen die neu ansgeschlagenei: Triebe der
Wnrzelbrnt ans, indem sie hart an der Grenze des Wassers
dichte kleine Hecken von wenigen Zoll Höhe bilden. Beim
Besuche dieser Sümpfe innß man wohl ans der Hut sein, da
der Boden nicht selten von unerwarteter Tücke ist und nur
Fälle bekannt sind, daß Reiter bis an den Hals einbrachen,
während zwei Schritt neben ihnen Andere unversehrt ihren
Weg fortsetzten.
Zur Besichtigung der kolossalen Ausgrabung des großen
Kanals bei Tussnm, einen: südlich vom Timsah-See und
I ',h deutsche Meilen von Jsinailia entfernten „Campement",
unternahn: ich dahin einen Ausflug. Ein riesiges Wagen-
pferds von norinannischen: Geblüt, das ich ritt, brachte mich
n:it seinem dronwdarartigen Trab in kann: einer Stunde an
den Ort meiner Bestiininnng. Das Sumpfgebiet ans der
Ostseite des Sees mußte dabei in weiten: Bogen umgangen
werden und weiterhin mußte ich noch mehrere Kiloineter
durch den tiefen Wüstensand waten. Kurz vor den: Cain-
pement, welches, wie alle übrigen, ans einigen Reihen zier-
licher Holzgebände n:it weitvorspringenden, von Colonnaden
getragenen Dächern besteht, gewahrt n:an ans der Spitze
des vordersten Hügels das den Beduinen der Wiiste und den
Karawanen seit Alters her bekannte Grab des Scheik
Ennedek. Der benachbarte Hügel, Dschebel Marian,
zeigt noch einige Spuren einer alten Stadt, deren Raine
unbekannt geblieben ist, und die Ingenieure zu Tussnm
wiesen uns mancherlei Antiquitäten vor, welche inan hier-
an fgefunden hatte. Diese Oertlichkeit hat von jeher als
Passage einer der beide,: syrischen Karawanen-
straßen ein besonderes Interesse; die andere führt nörd-
licher bei el Kantara vorbei.
Herr Massard, einer der ii: Tussun: stationirten Beamten,
zeigte mir einen für die Naturgeschichte Aegyptens in: höch-
sten Grade interessanten Fund, den er zwischen Schaluff und
Suez, unweit vom alten Arsinoö, gernacht hatte. Es war
ein wohl kenntliches Schädelfragment des äthiopischen
Warzenschweins (Phacochoerus), das er in: Sande 30
Centiineter unter der Oberfläche gefnudeu hatte. Dasselbe
berveist also, daß dieses gegenwärtig blos in: Sudan und
Abessinien auftretende Thier vor Zeiten auch diese nördlichen
Breiten, 250 deutsche Meile,: von seiner heutigen Heirnath
entfernt, bewohnte, und das läßt aus eine gänzliche Ver-
schiedenheit des Terrains und der Vegetationsverhältnisse
schließen. Der Name Timsah, Krokodil, deutet auf
ein ähnliches Fakt:,,,:. Es ist nicht unmöglich, anzunehmen,
daß vor alten Zeiten das Wasser dieses Sees ungesalzen war
und mit dem Nil in beständigem Verkehr stand. Neste von
Krokodilen sind jedoch in dieser Gegend bis aus den heutigen
Tag ineines Wissens nicht gefunden worden.
Unter allen bisher auf den: Isthmus beschafften Arbeiten
bwtet die große in allen Dimensionen des künftigen inari-
llmen Kanals vollendete vier Kilometer lange Ausgra-
bung te: Tussun: unstreitig das großartigste Schauspiel
i ^denkendste Erhebung über den Spiegel des
"•■Tr? ^ ."det sich nördlich und südlich von: Timsah-See,
r°rl\l^J'Crlr C Ul einer Höhe von 57 Fuß und süd-
vVuk über dem Spiegel des Mittelmeers.
T^r Anbllck dwser ungeheure,:, 50 bis 70 Fuß hohe,:, an
oc: -astv ^ 0 und ans ihren: Rücken 300 Fuß von ein-
aneer abstehenden Sanddänuue versetzt den Beschauer un-
willkürlich in die Zeiten des alten Aegyptens. Wer zählt
die Handvoll Sand, welche 40,000 rastloser Menschenhände
mühsam zu diesen ungeheuren Däinmen anhäuften? Zahlen,
mit denen die Dimensionen dieses Riesenwerks gemessen
werden, können demjenigen, der nicht selbst an Ort und
Stelle war, ninuner,„ehr eine richtige Vorstellung von der
Größe desselben geben, eben so wenig ,vie die bloße Höhen-
angabe uns auch nur ein annäherndes Bild von der Massen-
haftigkeit der Pyramiden zu ertheilen in: Stande ist. Es ist
ein Denkmal menschlichen Fleißes, welches sich den größtem
aller Zeiten würdig anreiht. Dasselbe soll aber von dem
Durchstich bei el Girsch noch bei Weiten: übertrofsen werden,
und die Kompagnie hat bereits zur Vollendung dieser unge-
heueren Arbeit einen Kontrakt mit Herrn Couvrenr abge-
schlossen , lvelcher sich verpflichtet, für die Summe von 20
Millionen Francs die 15 Kilometer lange Strecke in ihrer
definitiven Breite und Tiefe ausgraben zu lassen. Im August
sollen die Arbeiten beginnen und man glaubt, mit Hülse
der Dampfkraft und mit Schienenwegen zur Fortschafsnng
der Sandmassen, diese Arbeit in drei Jahren vollenden zu
können.
Zur Befestigung dieser kolossalen Sandanhänfnngen an
beiden Seiten der Ausgrabung ist bisher noch kein Mittel
in Anwendung gebracht worden. Jedes Sandkorn ist be-
kanntlich vor undenklichen Zeiten durch die Aktion des
Wassers und der Luft abgerundet und seiner Ecken und
Kanten beraubt worden; es liegt daher auf der Hand, daß
es aus einer um 30" geneigten Fläche, ,vie wir sie hier vor
uns haben, der Tiefe zurollen innß. Rastlos neigt sich die
Höhe der Tiefe zu, unablässig strebt die Natur, das Hohe zu
erniedrigen und das Niedrige zu erhöhen. Auch diese Hügel
können somit, wie sie heute beschaffen sind, nicht Stand hal-
ten gegen das alle Erscheinungen auf der Erdoberfläche be-
einflussende Gesetz der Schwere. Der leiseste Lufthauch, ja
selbst der nächtliche Thau, muß diese Massen in Bewegung
setzen und in: Laufe der Zeit eine Ausgleichung der Niveau-
unterschiede herbeiführen. Weit intensiver natürlich werden
die heftigen Strömungen der Atmosphäre wirken,' wie sie
diesen Wüsten eigenthümlich sind. Man hat daher sehr
wohl daran gethan, die ganze ansgegrabene Sandmasse aus
die westliche der herrschenden Windrichtung gegenüberliegende
Seite zu schaffen, das entgegengesetzte Ufer dagegen in seiner-
ursprünglichen Höhe zu belassen. Von der künftighin durch
Schleusen und Schifffahrt zu erwartenden Bewegung des
Wassers will ich hier gar nicht reden, obgleich sie sich
bereits gegenwärtig im Süßwasserkanal als
eine unaufhaltsam wirkende Ouelle der Ver-
flachung fühlbar macht. Eine Uferbefestigung durch
Faschinen oder fortwährend thätige Bagger werden
angewendet werden müssen, um dieses Hinderniß zu be-
wältigen.
Durch welche Mittel aber wird man die Bewegung der
70 bis 100 Fuß breiten Sandfläche an den Dännnen von
Tussnm und el Girsch zu hemmen in: Stande sein? Die
Ingenieure trösten sich mit der mit der Zeit zu erwartenden
Erhärtung des Sandes. Der den: Sande beigemengte Ge-
halt von Thon, Kalk und Eisen, angefeuchtet durch den starken
Thau der kalten Nächte, oder der ellvaige Regen binden den-
selben nach erfolgter Austrocknung, wie man das an vielen
Stellen der Wüste in der That wahrnehmen kann, und nicht
selten finden sich in der Tiefe völlige Lager der Art vor Zei-
ten erhärteter Schichten. Es ist aber nicht denkbar, daß
dieser Prozeß, welcher nur eine sehr dünne Kruste zu bilden
im Stande ist und überall fehlschlagen wird, wo die ange-
gebenen Bedingungen nicht vorhanden sind, aus einer geneigten,
bereits ii: Bewegung begriffenen lockern Sandfläche in Wirk-
40
Georg Schweinfurths Fahrt auf dem Suez-Kanal.
sanlkeit treten kann und am wenigsten steht das unten an den
vom Wasser stets benetzten Stellen zu erwarten. Man müßte
also das von der Natur angedeutete Verfahren, die Cemen-
tirnng des Sandes, in größerem Maßstabe durch Besprengen
mit Kalk oder andere Lösungen enthaltendem Wasser nach-
ahmen , um eine dauerhafte unb starke Kruste zu erzielen.
Vor allen Dingeir aber sollten am Abhange der Dämme in
mehreren Reihen über einander todte Hecken aufgestellt wer-
den, um das graduelle Rollen des Sandes auszuhalten. Nil
*der Basis der Dämme könnten ferner Tamarix-Pflanzungen
angelegt werden, die aber oben wegeil Wassermailgel nicht
Fuß fassen würden. Die langen Wurzelgeflechte dieser
Pflanze, welche sich in Folge desseil längs dem Ufer hinziehen
werden, können nebst einem Bollwerk von Faschinen sehr
wohl die abspülende Kraft des Wassers, wie solche bereits
bei der Passage des kleiilen Boots, in welchem ich reiste, sich
überall wirksam zeigte, hemmen.
Einen zweiten Ausflug unternahm ich nach el Girsch
(el Guisr) einem nördlich 10 Kilometer von Jsmailia ent-
ferntell Campement. Wie erwähnt, befindet sich daselbst die
höchste Erhebung , welche der Kanal von einem Meere zum
andern überwindeil muß. Bis jetzt gleicht derselbe blos
uns bei dem Campement F erd an, von wo an der Kanal
seine defiilitive Breite von 150 Fuß bei einer Tiefe von jetzt
1 bis 2 Meter aniliinnlt. Die bis dahin 50 bis 70 Fuß hohen
Ufer werden mm flach und erheben sich mir wenige Fuß
über den Wasserspiegel. Unterwegs stieß ich ans einen deut-
schen Beamten, welcher in Abständen von je einem Kilometer
Bohrungen anstellte, die aber, da sie eigentlich mm Son-
derungen für die künftige Thätigkeit der Bagger siild, eine
Tiefe von blos 6 Meter erreichen. Mit dieser Arbeit war
er, voil Port Said ausgehend, bis hierher vorgedrungen und
wird dieselbe bis Suez fortsetzen. Abwechselild gröber oder
feiiler gekörnte Sandschichten, stellenweise abgelagerter Kalk
liebst Meeresconchylien waren das Resultat dieser bis jetzt
wenig interessanten Bohrungen. Eine Kalksteinformation,
jedoch von geringer Mächtigkeit, ist am Kanal bei el Girsch
blosgelegt und liefert für Jsmailia vor der Hand hinreichen-
des Material zu Fundamenten - lind Häuserbauten.
Am Nachmittage erreichterl wir den. See Ballah,
welcher zwar mit dem von Mensaleh kommunicirt, jedoch
süßes Wasser enthält. Die Kanaldämme bestehen hier fast
ausschließlich ans Conchplien-Schalen (Cardium edide),
welche iil dichten Lagen auf bem Boden des Sees abgesetzt
Dünen von El Ferdan. (Nach einer Originalzeichnung.)
einer kleinen tiefen Rinne, da er ans dem Wasserspiegel
keine größere Breite, als der Snßwasserkanal (15 Meter),
besitzt. Dessen ungeachtet aber ermöglicht er bereits einen
sehr lebhaften Verkehr flachgehender Fahrzeuge zlvischen Port
Said nnb Jsmailia. Auf dem halben Wege erhebt sich zur
Liilkeir allf hohem Sandhügel das prächtige Hans des ver-
storbenen Vicekönigs. In et Girsch angelangt, nmßte ich
das 75 Fllß hohe Ufer mühsam erklimmen, indem unter
meinen Tritten große Sandmassen der Tiefe ¿ueiitem Das
„Campement" besteht aus drei Reihen Wohngebäuden und
hat eine aus Stein erbaute Kapelle. Herr Guitter, Direktor
des artistischen Vereins des Isthmus von Suez, hat hier ein
kleines Museum aufgestellt, welches die während der Kanal-
banteil gemachten Funde cilthält, meistens Antiquitäten von
Kailtara, Dschebel Marian, Serapeum, von beit „persepoli-
tanischen" Ruinen am Dschebel Geueffeh, von Arsiuoü und
Ranlses, ferner etliche Petrefakten (schöne Schncckenkerne)
und zoologische Raritäten.
Am 28. Januar verließ ich Jsmailia, um ineine Reise
auf bem maritimen Kanal nach Port Said fortznsetzeil. In
drei Stunden hatten wir die Enge der das Plateall von el
Girsch durchschneidendeil Passage zurückgelegt unb befauden
sind. Die beu See umgebenden Niederungen siild mit dick -
ter Vegetatioil der Sodapflanze (Salicoraia) bekleidet.
Bei der Passage über eine Brücke brach das Kameel, welches
die Barke zog, durch die zu schwachen Breter ein, blieb aber
zum Glück mit der vordem Hälfte feine» Körpers hängen,
so daß es llilter großer Anstrengung vieler Menschen nnb
mit Hülfe von Bretern luid Stricken wieder auf die Beine
gebracht werden konnte. Dieser mißliche Unfall wiederholte
sich aber nach wenigen Schritten, und nun mußte man das
arme Thier vollends in den See fallen lassen, ans ivelchem
es sich schwimmend ans Ufer rettete. Bei einbrechender
Dunkelheit hatten wir Kau tara erreicht. Dieser arabische
Ausdruck bedeutet Brücke. Eine solche ist in der Nähe des
Canlpemeuts seit alter Zeit über ben Abfluß des Ballab-
Sees erbaut unb bildet eine Passage für die syrischen
Karwvanen. Diese Straße würd immer noch viel besucht,
wie ich mich bei uleiueul zweimaligeil Besuch in Kantara
wohl davon überzeugeil konnte, da ich Huilderte von Kamee-
leil über beu Kanal setzen sah. Die Wohngebäude der Be-
amteil liegeil östlich vonr Kanäle und ein Kilometer von
demselben entfernt, da er zur Zeit, als sie erbaut wurden,
weiterRach Osten hin projektirt war. Ain Kaualuser selbst
Georg Schweins,wths Fahrt auf dem Suez-Kanal.
41
befindet sich das aus Schilfhütten, Zelten und Erdhaufen
bestehende arabische Dorf mit seinen Kaffeehäusern itub
Tänzerinnen, dergleichen zur Belustigung der Arbeiter bei
jedem größeren Cainpement anzutreffen sind. In dem wohl-
eingerichteten Wirthshause fand ich bequeme Unterkunft und
gute, den Verhältnissen der Wüste angemessene Conserven-
Kost.
Am folgenden Morgen wurde die Fahrt auf dem wegen
geringer Breite und zahlreicher Untiefen schwer
zu befahrenden Kanal fortgesetzt. Ueber eine schmale, aus
einigen Sandhügeln bestehende Scheidewand gelangt man
ans dem Ballah - See in das weite, unübersehbare Becken des
Mensaleh-Sees, von welchem die südliche Hälfte wäh-
rend des größten Theils des Jahres eine glatte, trockene
Thonfläche bildet, die nur bei andauernd heftigen Nordwin-
den, ineistens im Oktober, einige Fuß unter Wasser gesetzt
wird. An vielen Stellen zeigen sich über dem Horizonte
gleich und beeinflußt außerordentlich das schnellere oder lang-
samere Arbeiten der Maschine. Wellenförmig angeordnete,
10 Meter lange Thonhügel wechseln ab mit Ausfüllungen
von Ackererde und Sand. Während sandige und uainent-
lich mnschelnsührende Lager das Vordringen der Schaufeln
erleichtern, leisten die dichten Ablagerungen des Nilschlammes
außerordentlichen Widerstand. An anderen Stellen ist der
Boden des Sees eine gleichförmige breiartigeSchla m m -
Masse, welche die Bildung solider Dämme bei den bisher
angewandten Mitteln nimmermehr gestatten wird. Die
von den Schaufeln der Bagger ausgeworfenen Massen,
welche die Dämme gebildet haben, sind zwar an ihrer Ober-
fläche durch Austrocknung und Fußtritte dermaßen erhärtet,
daß selbst Kameele aus derselben sich sicher bewegen können.
Diese dünne Kruste schwimmt aber ans dem Schlamme des
Seebodens, so daß bei dem Mangel eines regeln,äßig be-
festigten Bollwerks von Pfählen und Faschinen, und vollends
Ansicht vom Timsah - Sec. (Nach einer Originalzcichnung.)
Lnstspiegelnngen, mit Banmen bewachsenen Jnseln gleich,
von, Azur des Himmels uinflossen. Die von, Nil abgesetzte
Decke fester Thonerde ist iu Folge der Austrocknung überall
von breiten polygonale,. Risse,, durchfurcht, wodurch die
endlose Flache ein eigenthümliches Aussehen erhalt.
In schnurgerader, fast gei,au nach Nordeu gerichteter
Linie dnrchschneidet der Kaual das Becken deS Mensaleh-
Sees. Nicht weniger als 25 Baggermaschinen grohter
Gattnng sind znr Erweiteruug seiner User und znr Ver-
tiefung des Fahrwassers in Thatigkeit. Füns Kilometer von
Kantara sah ich die erste, mit deren Arbeit es aber sehr lang-
sa,n vor,parts ging. Jm Zeitraum von 20 Tagen hatte
eine Strecke von nnr 300 Fuh in ihrer Breite und
wenn
Hunderte
. deu Kanal durch den Men-
saleh-See zn vollenden. Das Terrain ist jedoch sehr un-
o,ese,ve e,ne strecke von nnr 300 Fuß iu ihrer Breit
1'/, Meter tief ausgebaggert, eiu Resultat, welches,
die Maschinen überall so wenig zu Wege schaffe,,, Hu
derselben erfordern würde, um den Kanal durck, den
Globus VI. Nr. 2.
bei der Abwesenheit einer steinernen Grundlage, die von
zwei Seiten den Einflüssen des Wassers ausgesetzten Ufer
in dem Maße, als der Kanal vertieft wird, unaufhaltsam
nachsinkeu müssen. Es muß daher Jede»,, welcher Damm-
und Kanalbauten in anderen Ländern gesehen hat, einleuch-
ten , daß gegen diese Schwierigkeiten, welche der Mensaleh-
See darbietet, die Sand,,,affen der Wüste vergleichsweise
eine leicht und sicher zn bewältigende Arbeit gestatten. Die
Ansicht, inan werde sich endlich gezwungen sehen, diese wahr-
hafte Danalden-Arbeit aufzugeben, und zn dem ursprüng-
lichen Projekte, den Kanal durch die Wüste bis zum Golf
von Pelnstuin fortzusetzen, zurückzukehren, wird oft ausge-
sprochen. Alsdann aber wären alle bisherigen Anstrengun-
gen umsonst, Port Saïd mit seinen zahlreichen Gebäuden,
der kostspielige,, Wasserleitung, den großartigen Werkstätten
und begonnenen Hasenbauten müßte verlassen und viele
Millionen inüßten anfs Nene geopfert werden, um eine an-
6
42
Georg Schwenifurths Fahrt auf dein Suez-Kanal.
' :
■l'i: Ul ;
J II ijili
dere Hafenstadt zu gründen. Ein Kontrakt aber, welchen
die Kompagnie bereits mit Herrn Highton abgeschlossen hat,
verpflichtet denselben, im Zeitraum von vier Jahren für die
Summe von 20 Millionen Francs die 25 Kilometer lange
Strecke südlich von Port Said in 6 Meter Tiefe unb 50
Meter Breite ausbaggern zu lassen. Die Anzahl der Bagger-
maschinen wird verdoppelt, und die neuen Arbeiten sollen
in kürzester Frist begonnen werden.
Nachmittags, als wir das, aus einer Insel im Mensaleh-
See an der Grenze der stets unter Wasser befindlichen Hälfte
desselben erbaute Campement Ras el Esch erreicht
hatten, schickten wir das Kameel, welches aus dem sumpf-
artigen Damme fortwährend zu versinken Gefahr lies, zu-
rlick und mußten nun die Hülfe des Segels in Anspruch
nehmen, welches uns aber bei der conträren Windrichtung
sehr langsam von der Stelle brachte. Eine alte Dahabieh,
welche sänuntlichen Beamten vor Erbauung dieses Campe-
ments ein Jahr lang zur Wohnung diente, liegt noch am
Ufer. Bis Ras el Esch ist die großartige, aus starken
Eisenröhren gebildete Wasserleitung aus den: Süßwasser-
kanal bei Jsmailia voll-
endet; die fehlende Strecke
von 10 Kilometer wird
wohl in einigen Wochen
gelegt und alsdann die
Seestadt für immer aller
Verlegenheiten wegen des
Trinkwassers überhoben
sein.
Auf der nun folgen-
den Strecke befinden sich
gegenwärtig die meisten
Baggernraschinen in Thä-
tigkeit. Der Telegraph,
dessen hohe Pfähle in
sehr kunstvoller Weise in
dem unsicher,! Boden be-
festigt sind, läuft neben
der Wasserleitung aus dem
westlichen Damme hin, dessen
durch massenhafte
Das Schloß
dem See zugekehrtes Ufer
Anschwemmung von Sand, Seegras
rurd Conchylien bereits aufs Beste consolidirt erscheint. Das
andere, vom Kanal bespülte Ufer dagegen, sowie der öst-
liche Darum entbehren noch zur Zeit gänzlich der Befestigung.
Die wenigen schwachen Pfähle und vorgelegten Breter sind
nicht iur Stande, die einstürzende schlamrnige Masse zrr hal-
ten, und bereits fast an allen Stellen aus ihrer ursprüng-
lichen Lage gedrängt, oder zum Theile von der nachdrängen-
den Erde verschüttet.
Die Stadt P ort S ai d ist auf einer Insel erbaut, welche
von den Enden der Kanaldämnre durch eine noch nicht
durchstochene Sandbank getrennt ist. Unsere kleine Barke
mußte daher einen weiten Umweg machen, um diese Strecke
zurückzulegen. Wir landeten bei dein kleinen hölzernen
Leuchtthurm, als es bereits finster geworden war. In
dem aus drei Häusern bestehenden Hotel des Herrn Pagnon
fand ich sehr bequeme Unterkunft und ausgezeichnete Küche.
Port Said macht auf deu Besucher einen sehr verschie-
denen Eindruck von jenem, welchen Jsmailia hervorruft.
Die meist steinen Häuser sind von Holz und in weniger ge-
schmackvollem Style erbaut, als in der Hauptstadt dieses
künftigeil Wüstenreichs. Wegen der durch den wechseln-
den Wasserstand des benachbarten Mensaleh - Sees hervorge-
rufenen Gefahr einer plötzlichen Ueberschwemnlnng sind die-
selben auf Pfählen erbaut, wodurch die überall mit tiefem
Sande bedeckten Straßen des Städtchens ein fremdartiges
Aussehen erhalten. Eiil Bild, das an die ersten Zeiten der
Entstehung von San Francisco erinnert, tritt hier denr Frem-
den unwillkürlich entgegen. Die Einwohnerzahl ist etwa
jene wie in Jsmailia. Außer deu großartigen Maschinen-
werkstätten verdient blos das Haus des französischen Konsuls
Berücksichtigung, welches nebst dem Postgebäude und einigen
anderen, in zierlichem Schweizerstyle erbauten Häusern am
westlichen Ende der Stadt sich befindet. Auf der entfernten
offenen Rhede ankerten einige 20 große Seeschiffe, welche die
Bedürfnisse der Kolonie aus französischen Häfen herbeischaffen.
Port Said geiließt die Rechte eines Freihafens und ist daher
mit Kolonialwaaren und ben Erzeugnissen französischer
Industrie aufs Beste versorgt; imi so mehr fehlen aber die
gewöhnlichsten Lebensmittel, und frisches Fleisch, Milch nnb
Butter zählen 'zu den seltensteil Delikatessen.
Mail ist daher auch hier, wie in der Wüste, hauptsächlich
ans Conserve - Kost angewiesen. Zahlreiche Schweine, lvelche
in der Nachbarschaft menschlicher Wohnungen stets hinrei-
chende Nahrung finden, bevölkern die wüsten Straßen von
Port Said nnb machen fast den einzigen Viehstand dieses
Hafenplatzes alls. Eine
lange, iil die See hinaus-
geballte Landungsbrücke er-
leichtert den Lichterschiffen
das Löschen ihrer von den
Seeschiffen libernoinmenen
Ladung. Die Hafen-
bauten befinden sich
noch in frühester
Kindheit und werden
ganz ungeheure Sum-
men erfordern.
Das Leben der franzö-
sischen Kolonie ist ein sehr
gemüthliches. In den Ca-
fo's, Bierhäusern nnb Bil-
lardstuben versammelt sich
allabendlich die jüngere
Beamtenwelt; Andere be-
suchen das mit wohleingerichtetem Lesekabinet, Spielzimmer
und großen Tanzsäleil versehene hübsche Clubgebäude. In
dein benachbarteil arabischen Dorfe feiern in den Schenken
und griechischen Kaffeehäilseril die gemeinen Arbeiter mit
aller den Bewohnern der europäischen Seestädte eigenen
Excentricität allabendlich wilde Orgien bis tief in die Nacht
hinein.
Bis ziir Vollendung der Wasserleitung aus Jsmailia
wird alles Triirkwasser auf Barken von Materieh anr Men-
saleh-See herbeigeschafft. Für ben Fall, daß widrige Winde
oder sonstige Hindernisse ben Verkehr mit diesem Orte längere
Zeit über unterbreche,!, hat man in Port Said eine drei
Dainpfkessel enthaltende Destillationsmaschine errichtet,
lvelche täglich 18 bis 20,000 Liter Trinkwasser zu liefern
int Stande ist.
Um mich von dein Charakter der Küstenvegetation zu
überzeugen, verfolgte ich eine Stunde weit das flache Saud-
gestade der östlich von der Stadt gelegenen schmalen Insel.
Auch hier bedeckt die Sodapflanze die ganze dem See zuge-
wandte Niederung mit einein dichten Teppich, Inmoniastrum
und Zygophyllum album bilden auf kleinen Sandhügeln
ansehnliche Sträucher - dazwischen Atriplex succulenta und
Statice pruinosa, letztere mit herrlichen blauen Blüthenmassen
überdeckt, und die prächtige gelbblühende und dufteilde
Schmarotzerpflanze, Cistanche, wuchert an vielen Stellen
tief int Sande vergraben auf den Wurzeln der genannten
Arten.
(Nach einer Originalzcichmuig)
Ragusa in Dalmatien.
43
N ñ g u f a in D -> > m ñ t i t II.
Von v. R.-D. »
II.
Vegetation bei Ragusa. — Fort St. Lorenzo. — Einfluß der Venetianer und Ungarn. — Das Erdbeben von 1667. — Palast
der Rectoren. — Stadtverfassung. — Finanzwesen. — Polizei. — Sanitätsbehörden. — Der alte Röhrbrunnen. — Kirchen. —
Akademien. — Das crjte slavische Theater. — Die Post. — Ouarantaine-Anstalt. — Bazar. — Der Adel. — Ragusa unter
den Franzosen.
Ein ziemlich bequemer Zickzackweg verbindet die Stadt
nrit dem Fort Imperiale, an welchem die Straße nach
Bergato und der nahen türkischen Grenze vorüberführt, und
unmittelbar rrnter der kahlen Region des Berges beginnt
mit dem „obern Aquädukt" das Bereich des immerwähren-
den Grüns, der Gärten, der Häuser und Ruinen.
„Ueberall", sagt Ida von Düringsfeld in dein schon
angeführten Werke, „sind Hausthüren, welche sich auf Wcin-
gänge öffnen, Weingänge, welche zu Terrassen führen, Ter-
rassen, welche auf Gartenbeete herabsehen, Gartenbeete, welche
an epheubedeckten Mauern anshören. Die Mauern gehen
in allen inöglichen geraden ltitb schiefen Linien; die Oelbäume
quellen zu allen Seiten über die Mauern hinaus, die Rosen
sprießen aus allen Spalten hervor, die Kaper hängt in allen
Ritzen, der Lorbeer wächst bis tief auf das Gras herab, in
welchem die Blumen unserer Gärten lvild leuchten und duf-
ten , die Mimose breitet ihre feinen Blätterfächer ans, der
Oleander trägt seine rosigen Blüthengirandolen, die Aloe
blitzt über den blitzenden Disteln, die Granate funkelt mit
ihrem purpurplanirten Laube, die Cypresse steigt herrlich in
die Höhe, Korn, Bohnen und Kupus wachsen um die großen,
einsamen Paläste her, welche von de,: Montenegrinern ver-
brannt wurden, und zwischen das Alles sind allenthalben
kleine Kapellen eingestreut, wie Gebete in die täglichen Ge-
schäfte des Lebens."
Nur werden, se höher man von den eigentlichen Pille den
Berg hinansteigt, die Häuser immer kleiner und ärmlicher, die
Gärten immer größer, das Grün wird immer üppiger, bis
man zum „ o b e r n Aquädukt" kommt, wo man fast nur
zerstörte Paläste sieht, wo die Einfriedigungen zerfallen sind,
aber die Oelbäume einen köstlichen Reichthum entfalten, die
Eypressen sich massenhaft erheben und die Iris stolzer in die
Höhe schießt, als anderswo.
Das Wasser, mit welchem der Aquädukt nicht nur die
Stadt, sondern auch die Gärten und Brunnen von Pille
versorgt, wird ans dem Thäte von Gionchetto hergeleitet,
das jenseits des Sergio zwischen den Thälern von Ombla
und Breno liegt und von letzterem durch den Bergato ge-
trennt ist. Von hohen grünen Hügelreihen eingeschlossen,
die beweidet werden, ist es reich an Wein, Oel-, Obst- und
Maulbeerbäumen, berühmt durch den Gesundbrunnen „vom
Thymianberg" und die wasserreichen Quellen von Kneschitza,
und vielfach gepriesen von den ragnsaner Dichtern. Unter
rem „obern Aquädukt" zieht sich der „untere" hin und
zwischen nesem und den „Pille" ist man zwischen den Gär-
tou ('znicdju jv-tTtahj. In den Pille, welche nach der Menge
Salbei so heißen sollen, die einst hier wuchs, befinden sich das
, /öoCJ v11^.' ul§ Iaut Senatbeschlusses vom 9. Februar
wO dort errichtet wurde und eines der ersten in Eliropa
war, der Erercrerplatz oder die Piazza Clauzel, so genannt
von r cm (_ eneral, iei den Platz anlegte, unb das Cas« Biri-
miscia, der Lieblingsvergnügungsort der Ragllsaner. Der
Platz vor dem Caf«, eheinals der Waffenplatz der jungen
Patrizier, weshalb er iroch jetzt Bersaglio heißt, ist mit seinem
Baumschatten, seinem Brunnen in der Mitte uiid seinen
iüedrigen Steineinfassungen nach dein Meere zu jeden Sonn-
tag Nachmittag, wenn die Banda spielt, das allgemeine
Rendezvous der ragnsaner Welt. Die Herren und Damen
der höhereir Klassen in europäisch-moderner Kleidung, die
Militärs in ihrer verschiedenartigen Uniform und die Last-
träger in ihrer eleganten Tracht, nrit dem Turban auf dein
Kopfe, dem scharlachrothen Shawl über der Schulter und
deir türkischen rothen Schuhen an den Füßen treiben sich in
burrtem Gemisch unter den Bäumen umher, oder sitzen ans
den Steinmauern, Stühlen und Bänken Angesichts des
blauen Meeres, des Monte Sergio und des Forts von S.
Lorenzo, das auf einem 160 Fuß hohen, in's Meer vor-
springenden Felsen emporragt und den Venetianern seine
Entstehnng verdanken soll. Als nämlich, wie ein ragnsaner
Chronist berichtet, der Doge Domenico Contarini Zara be-
zwungen hatte, beabsichtigte er auch, Ragusa zrr unterwerfen,
und wollte deshalb ganz nahe an der Stadt eine Feste an-
legen. Er schiffte sich mit allem znm Baue nöthigen Ma-
terial in Zara ein, fand aber, da sein Plan verrathen wor-
den war, den Felsen schon befestigt und mußte unverrichteter
Sache abziehen, während die Ragnsaner bis 1038 das starke
Fort Lowrenatz oder S. Lorenzo massiv ans Quadern fertig
bauten.
Ueberhanpt versuchten die Venetianer es oftmals, sich
Ragusa's zu bemächtigen, aber immer mußten sie es anf-
geben. Selbst als das Gebühren des Damiano Inda, des
Conte der Republik, der sich mit einer zahlreichen Leibwache
umgab, die Festungswerke besetzte und zwei Jahre lang eigen-
mächtig an der Spitze der Regierung blieb, den Adel von
Ragusa so erbitterte, daß er, um sich von dem Despotismus
des Inda zu befreien, im Jahre 1204 die Venetianer selbst
herbeirief imb lieber venetianische Conte, als einen Gewalt-
herrscher ans seiner Mitte dulden wollte, war Ragusa kräf-
tig genug, sich wieder von den Fesseln loszumachen, die es
sich freiwillig aufgeladen.
Es hatte auch bald Grund gehabt, feinen unklugen
Schritt zu bereuen. Die Venetianer benutzten mit großer
Geschicklichkeit die Abhängigkeit Ragusa's, um ihren Handel
auf Kosten des ragusanischen zu heben. Sie gestatteten
nicht länger die Hafenfreiheit fremder Schiffe in Ragusa,
erschwerten durch hohe Zölle den Handel nach Venedig und
beschränkten durch Verbote die ragnsaner Schisse ans das
Adriatische Meer. Die Feinde Venedigs wurden jene Ragusa's
itnb rächten sich an den Ragnsanern, wenn sie Venedig nichts
anhaben konnten. Venedig verlangte in allen seinen Kriegen
den Beistand Ragusa's, that aber wenig oder nichts, um die
Ragnsaner zu schützen. Die venetianischen Conti suchten
6*
44
Ragusa in Dalmatien.
sogar die Verträge Ragusa's mit anderen Mächten zu hin-
dern, wandten anstatt energischer Maßregeln znm Schutze
der Interessen des Staates Geschenke an, welche beit Schatz
der Republik erschöpften, und brachten so Ragusa um die
Stellung und den Einfluß, den es vorher hatte.
Sobald sich daher eine günstige Gelegenheit bot, das
lästige Verhältniß mit Venedig, abzubrechen, ergriff Ragusa
sie und begab sich im Jahre 1358, wo Venedig ganz Dal-
matien abtreten mußte, unter ungarischen Schutz. Ge-
gen 500 Dukaten jährlich brauchte es nun weder ungarische
Besatzung, noch ungarische Conti zu nehmen und genoß der
größten Handelsfreiheit nicht nur in sämmtlichen ungarischen
Landen, sondern auch in den Gebieten fremder Mächte, selbst
wenn diese mit Ungarn in Krieg verwickelt waren. Viele
Patrizier traten in ungarische Dienste, wo sie zu den höchsten
aber schon 1483 bei einer Pnlvererplosion großen Schaden
litt und bei dem Erdbeben von 1667 sein ganzes oberes
Stockwerk verlor, ist das schönste Gebäude Ragusa's. Die
Steinsitze unter der Säulenhalle am Eingänge waren für
die Senatoren bestimmt, damit sie von dort aus den Volks-
belustigungen zusehen konnten, die namentlich am Feste S.
Biagio's Statt fanden, und in den inneren Räumen des
Palastes lagen die Zimmer, welche der Rettore während sei-
ner Anfangs zwölfmonatlichen, später einmonatlichen Amts-
zeit bewohnte; die verschiedenen Tribunale, das Archiv und
die Säle für die Behörden, welche die Republik regierten.
Wie in Venedig, hatte auch in Ragusa der „Große
Rath" (veiiko viece) die höchste Gewalt. Aus allen
Edelleuten bestehend, welche das 18., früher das 20. Jahr
zurückgelegt hatten und nicht wegen Mangels an Verstand
Ehrenstellen gelangten, und die Verbindung mit Ungarn
war eine so innige und glückliche, daß man in Ragusa noch
lange nach dem Aufhören dieses Verhältnisses in den soge-
nannten Laudes, die zu Festzeiten in den Kirchen gesungen
wurden, des Königs von Ungarn gedachte.
Gleichwohl hatten die venetianischen Conti, welche über
150 Jahre lang an der Spitze der Regierung standen, einen
solchen Einfluß auf Ragusa ausgeübt, daß dieses früh
schon Yenezia minore, das kleinere Venedig, ge-
nannt wurde. Sowohl Sitten wie Kleidung hatten sich all-
mälig nach venetianischem Muster verändert; die Art der
Verwaltung war nach der Venedigs umgemodelt worden, und
der siebente venetianische Conte, Marco Ginstiniani, hatte
1272 das erste wirkliche Gesetzbuch zusammengetragen.
Der Rectoren-Palast, welcher 1387 erbaut wurde,
oder wegen schlechter Ausführung fiir immer vom Staats-
dienst ausgeschlossen waren, entschied er über Leben und Tod,
über Krieg und Frieden, schloß Bündnisse und hob sie ans,
gab Gesetze, vertheilte die Aemter und fällte als letzte Instanz
unwiderrufliche Urtheile. Damit aber diese wichtigen Ge-
schäfte mit der dazu nöthigen praktischen Ruhe, Umsicht und
Gewandtheit abgemacht würden, welche von einer so zahl-
reichen Versammlung aus Leuten jeglichen Alters und gänz-
lich verschiedener Begabung nicht zu verlangen sind, gab es
im Schooße des „Großen Rathes" einen bleibenden Aus-
schuß von 45 auserwählten Patriziern (pregati oder Senat),
welchem der „Große Rath" alle seine Machtvollkommenheit
anvertraute. Dieser Ausschuß oder Senat, dessen Mitglie-
der iiber 40 Jahre alt sein sollten und unter dem Bedingniß
jährlicher Wiederbestätigung lebenslänglich im Amte bleiben
Ragusa in
konnten, schlug daher die Gesetze vor, besorgte alle Arbeiten
der äußern Politik und innern Verwaltung, sah die Rech-
nungen uub Prozesse durch, entschied in letzter Instanz und
bestimmte das Budget. Nur das Recht, zu begnadigen, die
Beamten zu ernennen und die Gesetzesvorlagen zu bestätigen,
behielt der „Große Rath" sich vor, weshalb er sich jeden
Monat einmal, im Dezember zweimal versammelte, wäh-
rend die Pregati Anfangs vier, später, außer in dringenden
Fälleil, nur zweimal wöchentlich zusammentraten.
Die vollziehende Gewalt besaß der „Kleine Rath"
(rnrllo vicie), der früher aus 10, später aus 7 Räthen be-
stand , die ein Jahr im Amte blieben und dessen Vorsitzer
der Nettore war. Er führte die Gesetze ans, correspondirte
Dalmatien. 4!)
rothgekleideten Trabanteil (Zduri) bestehenden Leibwache,
so ivie einer Musikbande begleitet zu werden, und empfing
überall, wohin er kam, die größte Ehre, hatte aber nur Ba-
gateüsacheu, die ihm persönlich vorgelegt wurden, allein ent-
scheiden dürfen. Dabei war sein Gehalt so gering, daß er
damit kaum die Kosteil für fein Auftreten bestreiten konnte.
Die hervorstehendsten Züge des ragusanischen Gerichtsver-
fahrens waren Mündlichkeit, Oeffentlichkeit llild Kürze. Das
Civil- ivie Criminalgericht bestand aus je sechs Richter»,
welche jährlich int „Großen Rath" gewählt wurden, und von
deileil gesetzlich nie zwei ans einer Familie fein durften, da-
mit nicht Verwandtschaft oder gemeinsame Interessen irgeild
welchen Einfluß auf die Entscheidung ausüben könnten.
Fort St. Lorcnzo bei Ragusa. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
ben Senatsbeschlüssen gemäß mit den auswärtigen Mächten,
empfing die fremden Gesandten, ernanilte zìi ben kleinen
Aemtern, legte die Bittschriften beni großen Rathe vor, nat>m
die Beschwerden und Appellationen an itnb entschied alle un-
wichtigeren Regierungs-und Gerichtssachen, wogegen die wich-
tigenin das Bereich des „Großen Rathes" nnb seines Aus-
schusses fielen. Der älteste Rath vertrat den Rettore in
Krankheitsfällen, der jüngste war Chef der Polizei llild hatte
als solcher die Aufsicht über das moralische lind materielle
Wohl der Stadt.
Der Rettore oder Knez, das Haupt und der oberste
Beanlte der Republik, lebte mit dem seiner Würde entspre-
chenden Glallz. Er wohnte ,lebst seiner Familie im Palaste,
ging nie alls, ohile von ben Mitgliedern des „Kleiner
Rathes", dem Kanzler, ben Sekretären und seiner aus 21
Für die Armen, welche feine Advokaten bezahlen konn-
ten, lnllßten vier jilnge Edelleute als Vertheidiger auftreten,
lind Jeder, der einen Prozeß gewonnen hatte, inußte schwö-
reil, daß er keinerlei Betrug angewandt habe nnb in seinem
Gewissen vollkommen von feinem Rechte überzeugt sei, ein
Eid, welcher ben Ragusanern so heilig war, daß Viele vor-
her in Rom, Neapel lind anderen Orten, wo berühmte
Rechtsanstalteil waren, eiil Urtheil einholten.
Für Handel, Marine, Zölle, Salinen, Liquidationen
und Fremde, früher and; für die Industrie, gab es besoudere
Gerichte.
Das Finanzwesen, welches in viele Abtheilungen
zerfiel, ftanb unter den drei Tesorieri di S. Maria oder
Großschatzmeistern und den fünf Rechnungsräthen oder
cinque Ragioni. Die Letzteren, welche jährlich wechselten,
46
Ragusa in Dalmatien.
hatten die eigentliche Controle der Finanzen, die Ersteren
empfingen alle Einkünfte, verwalteten sie nach den Bestim-
mungen des Senats, verpachteten die Staatsländereien, be-
aufsichtigten das Kirchengut, hatten die Schlüssel zum Re-
liquiarium und sorgten für die möglichst beste Anlegung der
zn frommen Zwecken hinterlassenen Kapitalien. Die Bank,
Münze, Zölle und Monopole hatten ihre eigenen Behörden.
Die Polizei gab der besteingerichteten heutiger Zeit
wenig nach. Sechs sogenannte Nachtherren (Gospari nocni)
machten des Nachts die Runde der Stadt, um Feuersbrünste,
Morde, Diebstahl und Unordnung aller Art zu hindern
oder zu entdecken, und sahen zugleich darauf, daß die Schen-
ken früh geschlossen und die Thore zu rechter Zeit auf- und
scheu Namen platz den Stradone oder die Straße, welche
die Stadt mitten durchschneidet und von Porta Pille bis
Porta Plocce führt. Es ist die schönste Straße Ragusa's
und die tägliche Promenade der Ragusaner, besonders im
Winter.
Gleich am Beginn derselben, wenn man aus dem
Pillethore tritt, steht links die Kirche von S. Salvator,
uni) dicht neben ihr die der Franziskaner, rechts der alte
Röhrbrunnen, welcher einst 3000 Perperi gekostet hat
und früher viel eleganter war, als jetzt. Wie jetzt noch in
der Mitte, standen nämlich an jeder der Röhren zwei Säu-
len, über denen sich eine Marmorkuppel mit Statuen wölbte,
aber Säulen und Statuen sind, vielleicht bei dem Erdbeben,
Palast der Rectoren in Ragusa. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
zugemacht wurdeu. Ihre Patrouillen bestanden aus deu
Bürgern der Stadi, welche der Reihe nach den nächtlichen
Polizeidienst zu versehen hatten.
Die „Sanitätsbehörde" hatte die gesnndheitspoli-
zeilichen Maßregeln anzuordnen lind sollte die Stadt vor
dem Einschleppen epidemischer Krankheiten, namentlich der
Pest schützen; die „Wasser"- und „Mühlenaufseher" hatten
Mangel au Mehl unb Wasser zu verhüten, die „Marktaus-
seher" (Giustizieri) über den Verkauf der Lebensmittel zu
wachen und bereu Güte, Maß und Preise zu prüfen.
Der Platz, auf welchem der Palast steht, war vor den:
Erdbeben viel größer, als die jetzige Piazza, und die Ragu-
saner bezeichnen daher noch heutigen Tages mit dem illyri-
verloren gegangen. Dagegen hat sich die Inschrift erhalten,
die den Namen des Erbauers, Ouofrio von Giordano,
verewigt, welcher hier unter der Form eines Röhrbrunnens
den großen Wasserbehälter für seinen meisterhaften Aquädukt
anlegte. Eigens aus Neapel dazu berufen, dem Wasser-
mangel abzuhelfen, an denr Ragusa während der Sommer-
hitze häufig litt, projektirte er 1430 eine acht Miglien lange
Wasserleitung, zu deren Ausführung 8250 Silberdukaten
angewiesen wurden, lind vollendete 1438 seinen Bau mit
großer Kirnst unb zur vollkommenen Zufriedenheit der Re-
gierilng.
Die Kirche S. Salvatore, welche dem Brunnen
gegenübersteht, ward tu Folge des Erdbebens vom 4. Mai
Nagnsa in Dalmatien.
47
1520 als Dank für den göttlichen Schuh errichtet, der die
Stadt vor dem Einsturz des Berges Bergato bewahrt; die
Kirche der Franziskaner, welche von S. Salvatore blos durch
einen schmalen Zugang ins Kloster geschieden ist, wurde schon
1317 erbaut, aber beim Erdbeben von 1667 so beschädigt,
daß sie gänzlich wieder hergestellt und auch ihr sehr erschüt-
terter Thurm neu befestigt werden mußte. Wie dieser Thurm
am westlichen Ende des Stradonc, so erhebt sich an dem
östlichen der Campanile, in dessen Nähe man links die
Dogana im Jahre 1520 erbaute mit ihren schönen Fen-
stern und ihrer venetianischen Loggie. In ihr hielten die
beiden Akademien ihre Zusammenkünfte. Die erste
mus der Zuschauer sein Drama „Paulimir" vorstellen ließ,
welches ihn für Ragusa unsterblich machte.
Von der Pest hatte die Stadt viel zu leiden. Ragusa
zeichnete sich zwar durch die treffliche Organisation seiner
Gesnndheitsbehörde mis , der berühmte Arzt Giacomo
Godoaldo ans Ferrara, welcher 1436 in Ragusa starb,
wandte schon 1422 das System des Abschließens, 1430
das der Verbrennung aller Effekten der Pestkranken an,
und jede Widersetzlichkeit gegen die Vorschriften der Gesund-
heitsbehörde ward standrechtlich bestraft, aber gleichwohl
hatte die Stadt, namentlich in den Jahren 1437, 1465,
1481 und 1526 viel von der Pest zu leiden.
Porla Plocce in Ragusa. (Originalzeichnung von
F. Kanitz.)
derselben, die der Concordi oder Einträchtigen, welch
um die Mitte des 16. Jahrhunderts gestiftet wurde, begül
Itigte das Aufblühen der italienischen Literatur; die zwei!
bcigegett, die der Oziosi oder Müßigen, welche nach de:
Erdbeben _ die Dogana ebenfalls znm Versammlungso'
wählte, schuf das erste slavische Theater. Jnm
Ecelleute führten die Stücke auf, und der geniale Gillni
Palmotta leitete das Ganze. Er vertheilte die Rollen, hie
c ie Proben ab, spielte selbst mit, richtete die Biihne ein iui
zugleich die Verpflichtung iibernommen, alle Iah'
Z,^^"ou zll liefern. Er war es auch, welcher von seine
„Gefachten" (ckrn^ing.) 1637 auf einer vor dem Rectorei
Palast eigeils errichteten Bühne unter dem Beisallseilthusia
Deshalb wandte man die größte Vorsicht bei dem Ver-
kehr mit den ans der Türkei kommenden Kaufleuten an.
Es ward ein besonderesLazareth vor dem Ploccethor zur
Ouarantaine-Anstall eingerichtet und neben demselben
ein eigener Platz zum Bazar für die Waaren aus den benach-
barten türkischeil Provinzen bestimmt. Es ist ein ziemlich
großer Kiesplatz, zll welchem unmittelbar -hinter der Porta
Plocce mehrere Stufen empor führen, und der durch niedrige
Steinmauern unregelmäßig abgetheilt lind von einigen
Manlbeerbälnnen beschattet wird. Vbrll steht ein kleiner
offener Tempel auf sechs Säulen. Vierecke von Steinen
zlir Bequemlichkeit der Reiter unb Saumthierführer erheben
sich hier unb da, und in einer freistehenden Nische läuft aus
48 Nagusa in
einem Löwenrachen Wasser in ein Becken, mit darin das
Geld der Bosnier und Herzegowiner, welche tu Ragusa mit
dem gemeinsamen Namen „Morlaken" bezeichnet werden,
abzuspülen, bevor man es anrührt.
Noch gegenwärtig ist der Bazar von Ragnsa der be-
suchteste von ganz Dalmatien, und Karawanen, oft einige
hundert Pferde stark, bringen Wolle, Wachs, Felle, Kohlen,
Pfeifenrohre, Getreide, Heu, Schlachtvieh, frisches und
gedörrtes Obst, Btltter und Käse nach Ragnsa itttb nehmen
dafür Material- und Jndnstriewaaren, Oel, Wein und
vor Ment Salz mit zurück.
Geht mau an dem Lazareth vorüber auf der Straße nach
Breno fort, so erblickt man littks auf einem kleinen Abhang
die zerfallene Kapelle von S. Antonio, welche den An-
tonini ihren Namen verlieh.
Dalmatien.
adelten ragusattischen, noch mit nichtragusanischen Familien
eingegangett sind.
Hatte sich Ragnsa nach dem Erdbeben auch nie wieder
zu der frühern Macht und Größe erhebet: können, so war
es seiner hohen Staatsweisheit doch ttach wie vor gelungen,
seine Neutralität nutet' bett schwierigsten Umständen aufrecht
zu erhalten. Kein Volk verstand es besser, als die Ragn-
saner, mit allen Mächten in gutem Eiitverständniß zu leben.
Eben so glanbenseifrige Söhne der römisch-katholischen Kirche,
wie aufrichtige Freunde der Pforte, tvnßten sie sich in alle
Forderungen frentder Fürsten ztt fügen, die Ausführung
aber mit großer Geschicklichkeit zu umgehen und ihre innere
Unabhängigkeit zu wahren, obschot: sie, dttrch die Verhalt-
ttisse veranlaßt, bald mit dieser, bald mit jener Macht
Schnhverträge abgeschlossen hatten. Nie erobernd, ei:t-
Der Röhrbrunnen am Pillcthor in Ragusa. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
Wie ttämlich der Adel, dessett Mitglieder sämmtlich in
dem „Spiegel" (^6,-enlo), dem libro d'oro Ragnsa's, ein-
getragen waren, sich später in zwei Klassen, die „Salaman-
chesen" :u:d „Sorbonnesen", spaltete, so trennte sich die
Bürgerschaft in die beiden Brüderschaften vot: S. Antonio
und S. Lazzaro, oder die Antonini uub Lazzarini. Zu den
Letztere,: gehörten die ärmeren und ucueren Bürgerfamilien,
zu den Ersteren die reichsten und vornehmsten, atis welcher:
die Sekretäre und Kanzler der Republik, so wie ttach den:
Erdbeben die 11 Familien genomnten wurden, die man
den: Adel aggregirte. Diese ttettgeadeltei: Familiei: waren
es vorzugsweise, welche man mit dem Natnen Sorbontteset:
bezeichnete, wogegen man untce Salamanchesen heutigen
Tages diejenigen alte,: Adelsgeschlechter versteht, welche nie
Heirathsverbindunget:, weder mit bürgerlichen oder neuge-
schlossen sie sich iute dann, zu den Waffen ztt greifen, wenn
sie alle Mittel, die ihnen ihre politische Gewandtheit eingab,
vergeblich angewendet hattet:, um den Krieg zu vermeiden,
und erwarben sich dadurch eine solche Achtung, daß sie von
den benachbartet: Slavet: zu wiederholtet: Malen als
Schiedsrichter angeruset: wurden und ihre Stadt von jeher
als die sichere Zufluchtsstätte aller Vertriebenet: galt.
Da nahm Napoleon 1806 Dalmatiet: it: Besitz und
beschloß, weil ihm die Republik Ragusa nicht nur für die
Verbindung mit Cattaro im Wege stand, sondern auch als
neutrales Gebiet bei der Durchführung der Kontinental-
sperre hinderlich war, die Besetzung der Stadt, indem er
feierlich erklärte, die Unabhängigkeit der Republik erhaltet:
und für immer sichert: zu wollen. Zn gleicher Zeit machten
indessen auch die Nüsse,:, welche sich der Bocche di Eattaro
Das Gouvernement Jekatheriuoslaw in Südrußland.
bemächtigt hatten, alle möglichen Versprechungen, um Ragusa
vor der Ankunft der Franzosen besehen ;u dürfen. Der
Senat schwankte. Die Republik war zu schwach, um trotz
aller Aufopferung Seitens der Bewohner Neutralität mit
bewaffneter Hand behaupten zu können. Endlich siegte die
den Franzosen günstige Partei, General Lanrifton durfte in
Ragttsa einrücken und ward mit Jubel empfangen.
Kaum aber war die Stadt von den Franzosen besetzt,
so nahmen die Engländer sämmtliche Fahrzeuge weg, welche
unter ragnsanischer Flagge segelten, und die Russen zogen
mit 7 bis 8000 Montenegrinern herbei, um Ragusa zu be-
lagern. Die prächtigen Villen und Gärten, welche die
Höhen zwischen Ragusa und Gravosa, so wie die Thäler
von Ombla und Breno bedeckten, wurden geplündert
Doch nur als Stadt, nicht als Staat. Denn zwei Jahre
später wurde, nach fast zwölfhundertjahrigem Bestehen, die
Republik Ragusa aus der Reihe der selbständigen Staaten
gestrichen.
In einem Anflug von Gerechtigkeit hatte nämlich Na-
poleon dem Senat die Wiedererstattung des in dieser Zeit
erlittenen Schadens, welcher über Millionen Franken
betrug, in Aussicht gestellt. Als aber der Senat wiederholt
an die Erfüllung des Versprechens mahnte, erließ der Kaiser,
um sich allen lästigen Erinnerungen zu entziehen, ain
31. Januar 1808 das Dekret über die Aufhebung des
Freistaats von Ragusa und theilte am 31. Oktober 1809
das Gebiet der Reptlblik den illyrischen Provinzen zu, mit
denen es 1813 an Oesterreich fiel.
Bazar und Quarantaine. (Originalzeichnung von F. Kauitz.)
und zerstört, die Schiffe, welche noch im Hafen von Gravosa
oder auf den Werfteir lagen, verbrannt, und die Stadt selbst
ward nur durch den kühnen und glücklichen Marsch des
Generals Molitor mit einer Handvoll i>>. aller Eile zusam-
mengeraffter Truppen vor gänzlichem Untergang gerettet.
Trotz der mündlichen und schriftlichen Proteste des Se-
nates, trotz der Verwendung des Sultans für die Wieder-
herstellung der Republik, blieb Ragusa, was es geworden:
das steinerne Monnment seiner frühern Größe und
Macht.
Das Gouvernement Iekatherinostam in Südrnßland.
Lage „nd Eintheilung. — Das Asow'sche Meer. — Schifffahrt und Handel auf demselben. — Die Stadt Taganrog. — Der Dnfepr, sein Flußbett und die
Ucbcrschwemmungen. — Veränderliche Seen. — Klimatische und meteorologische Verhältnisse.
Das jekatherinoslaw'sche Gouvernement enthält schon
seuier geographischen Lage nach sehr viele Bedingungen,
die zur Erreichung eines hohen Grades voll Wohlstand
erforderlich sind. Der fruchtbare Boden desselben, der
sich eben so gut zum Ackerbau, wie zur Viehzucht , eignet,
lst reich an unerschöpflichen Schätzen, die aus den zwei
der bedeutendsten schiffbaren Flüssen Europa's, dem
Dnjepr llnd Don, so wie auf dem Asow'scheu Meere,
das die östliche Grenze des Gouvernements bespült, einen
leichten Absatz nach dem Auslande haben können.
Das schöne und gesunde Klima endlich trägt ebenfalls
nicht wenig dazu bei, den Aufenthalt in diesem Gou-
vernement zu einem der angenehmsten in Rußland zu
machen.
Globus VI. Nr. 2.
50
Das Gouvernement Jekatherinoslaw in Südrußland.
tinen; in administrativer Hinsicht wird das Gonver-
nement in'nenn Kreise getheilt, nämlich in die von Je-
katherinoslaw (mit denr Kolonial-Gebiet), Werchdnjepr,
Nowomoskowsk, Pawlograd, Bachmut, Slawjanoserbsk
(mit dem luganskischen Berg-Bezirk), Alerandrowsk
(mit dem Kolonial-Gebiet) und Mariupol. Dazu kom-
men noch das Land des asow'schen Kosakenheeres und
der rostow'sche Kreis mit den Bezirken von Taganrog
und Nachitschewan.
Nach der Menge kleiirer Flüsse zu urtheilen, die in
den Dnjepr, Don und Donetz fallen, sollte man glauben,
daß das Land an Wasser überreich sei; doch dem ist kei-
neswegs so, und an vielen Orten ist der Wassermangel
so groß, daß er eine Zunahme der Bevölkerung verhin-
dert. Nur im Frühlinge und im Herbst sind nach dem
Schmelzen des Schnees die Schluchten, Niederungen itub
kleinen Flüsse mit Wasser überfüllt, das jedoch bei ein-
tretender Sommerhitze gänzlich verstecht; es darf uns
deshalb auch nicht Wunder nehmen, daß wir fast die
ganze Bevölkerung des Gouvernements längs
dem Laufe der Flüsse konzentrirt sehen. Nur in
den Niederungen sieht man Dörfer, Wälder und Ge-
büsch; die höher gelegenen Orte sind Ackerfelder oder
mit einem kurzen Grase bedeckte Steppe.
Wir haben schon oben bemerkt, daß die Nähe des
Asow'schen Meeres nicht wenig zur Erleichterung der
Handelsverbindungen mit dem Auslande beiträgt.
Taganrog führte im Alterthum den Namen Teme-
rinda, d.h. in „septischer" (?) Sprache die Mutter des
Meeres; auch wurde es noch Karpilug, das Blaue
Meer, genannt oder der Mäotische See. Die Länge
desselben beträgt von der Jenikalischen Meerenge bis zur
Mündung des Don 170 Meilen längs dem Fahrwasser,
die Breite aber von der Arabatschen Sandbank bis zur
südlichen Spitze Kamüschewa 125 Meilen. Der Grund
des Meeres besteht vorzugsweise aus Schlamm, der mit
schwarzen oder rothen Muscheln vermischt ist; uub nur
an einigen Stellen findet man Sandboden mit Muscheln.
Da der Grund so meid) ist und die niedrigen Ufer des
Meeres den Winden einen freien Spielraum gestatten,
so wird er leicht von den Wellen aufgerührt, was die
Bildung von zahlreichen Sandbänken veranlaßt, welche
der Schifffahrt ein großes Hinderniß in den Weg legen.
Auch trägt die von dem Ufer des Meeres oder aus dem
Fahrwasser der Flüsse herabgeschwemmte Erde nicht we-
nig zur Bildung solcher Sandbänke bei, die um so ge-
fährlicher für die Schifffahrt sind, da sie keine genaue
Begrenzung haben uub häufig ihre Lage verändern. Bei
heftigem Nord- oder Nordostwind werden die Meeres-
wellen nach dem Süden getrieben, und die in das Meer
sluthenden Gewässer des Don geben dem Wasser dessel-
ben einen süßen Geschmack, beu es so lange beibehält,
bis ein südwestlicher Wind eintritt, der, wenn er längere
Zeit in großer Stärke anhält, den Fluthen des Ton das
Ausströmen ins Meer verwehrt und dadurch bedeutende
Ueberschwennnungen veranlaßt, müe z. B. im Jahre 1831,
in welchem das Wasser 10 Werst vom Ufer bis ¿u einer
Höhe von 15 Fuß gestiegen war.
Den ersten Platz unter den Hafenplätzen am Asolv'-
schen Meere nimmt unstreitig die 30 Werst von der Mün-
dung des Don gelegene Stadt Taganrog (mit 20,800
Einw.) ein; doch ist der dortige Hafen weder zur Ueber-
winterung der Schiffe geeignet, noch gewährt er densel-
ben hinreichenden Schutz vor den Winden. Da der
Seichtheit des Wassers wegen die Schiffe in großer Ent-
fernung vom Ufer Anker werfen müssen, so wurde früher
das Ein- und Ausladen der Waaren durch Telegen ver-
mittelt; theilweise ist diesem Uebelstande jetzt durch die
Anlegung eines Quais an der östlichen Seite des Vor-
gebirges abgeholfen, doch können nur Schiffe von 50 bis
70 Tonnen dort anlegen und laden; größere, tiefer
gehende Schisse sind daher genöthigt, bei der zwei Meilen
von der Stadt entfernten Insel Tscherepacha, oder
noch weiter, bei Krasna Wecha, ihre Ladung einzu-
nehmen. Die gegenwärtig in Angriff genommene Rei-
nigung und Erweiterung des Hafens wird nicht wenig
dazu beitragen, diese Uebelstände zu beseitigen und die
Schifffahrt auf dem Asow'schen Meere zu heben, welche
schon nach Aufhebung der Quar antat ne in Tagan-
rog einen bedeutenden Aufschwung genommen hat. Auch
die Dampfschifffahrt ist jetzt bedeutender geworden;
zwischen Taganrog und Rostow eristirt eine regelmäßige
Verbindung zum Transport von Passagieren und Waa-
ren; eben so zwischen Taganrog, Marinpol, Berd-
jansk, Kertsch, Odessa und Konstantinopel. Die
Schifffahrt beginnt in der zweiteil Hälfte des März oder
in den erstell Tageil des April und bauert bis zu Ende
Oktober, in seltenen Fällen auch wohl bis zum 10. bis
15. November.
Der Dnjepr entspringt in dem ssütschewskischen
Kreise des Gouvernements Smolensk, nicht weit voil den
Quellen der Wolga uub Düna, und durchströmt bis zu
feiner Mündung in das Schwarze Meer eine Strecke
von 1600 Werst; seine größte Breite beträgt 860 Faden,
seine geringste an bem Orte, wo er durch die aus Gra-
uitfelsen bestehenden uub circa 35 Faden hohen Ufer
eingezwängt wird, 75 Faden. Die größte Tiefe des
Dnjepr ist 25 Fuß, die mittlere 14 Fuß, die geringste
bei beu Klippen 6 Fuß. Nur an zwei Stellen, bei der
Kolonie Eiillage (Kitschkas) und bei Woltsche Gorlo, hat
der Fluß die bedeutende Tiefe von 98 Fuß.
Das Fahrwasser des Dnjeprs verändert in
jedem Jahre nicht nur die Richtung, sondern
auch die Breite des Stromes, besonders an den
Stellen, wo er über sandigen Boden strömt (bis zur
Mündung der Samara), wodurch die Schifffahrt nicht
wenig gefährdet wird. Eine ganz besondere Eigenthüm-
lichkeit des Dnjepr sind die zwischen Alerandrowsk uub
Jekatherinoslaw befindlichen Porogi, d. h. Granit-
klippen, welche die ganze Breite des Stromes von
einem Ufer bis zlim andern terrassenförmig durchziehen.
Mit einem furchtbaren Getöse, das mehrere Werst weit
umher gehört wird, brechen sich die Fluthen an den ko-
lossalen'Steinen und stürzen schäumend über sie hinweg,
und nur eiil enger Kanal, der mit ungeheuren Kosten
in der Mitte dieser Felsen ausgehauen ist, gestattet beu
Flössen und Barken den Durchgang zwischen dieser Scylla
und Charpbdis. Doch nur der erfahrenen Hand des mit
der Oertlichkeit vertranten Lootsen ist es möglich, dies
Wagestück zu unternehmen; — eine einzige 'kleine Ab-
weichung ans dem für das unkundige Auge nicht bemerk-
baren Fahrwasser — lind in tausend Stücken ist das
Floß an den Klippen zerschmettert und von dem Strudel
in die Tiefe hinuntergerissen.
Keill Fluß in Europa ist an Inseln so reich, wie der
Dnjepr. Die bedeutendste derselben ist die der Kreisstadt
Alerandrowsk gegenüberliegende Insel Chortitz (etwa
10 Werst lang und 3 Werst breit) der Sitz der alten
Saporoger, die voil hier aus ihre Raubfahrten den
Dnjepr hinunter bis weit in das Schwarze Meer hinein
machten. Die meisten dieser Inseln sind mit Wald und
Weidengebüsch bedeckt und nur die im untern Theile
des Stromes liegenden haben einen mehr sumpfigen
Boden und zeichiien sich durch üppigen Graswuchs aus.
Es gibt liur wellige Ueberfahrten über den Dnjepr;
die wichtigste befindet sich bei der Stadt Jekatherinoslaw,
wo zil Anfange des Sommers eine 500 Faden lange
Schiffbrücke über den Strom geschlagen wird, die bis
zum Spätherbste stehen bleibt. Auch bei Nikopol gibt
es zur Sommerszeit eine solche Schiffbrücke (100 Ta-
schen lang); bei Einlage (Kitschkas) aber wird die
Ueberfahrt durch zwei Fähren vermittelt.
Das Wasser des Dnjepr gefriert in der Regel in den
letzten Tagen des November; zu Anfang März bricht
das Eis und nad) einigen Wochen allmeiligen Stechens
des Wassers tritt baun eine Ueberschwemmung ein,
Russische Landstreicher.
51
bereit Ausdehnung von bei' großem ober geringern Masse
Schnees abhängt, der in den nördlichen Gouvernements,
durch welche der Dnjepr strömt, gefallen ist. In der
Regel dauert diese Ueberschwemmung bis zum 9. Mai;
das Wasser steigt von 7 bis 20 Fuß über sein gewöhn-
liches Niveau, doch gibt es auch Jahre, in welchen der
Höhestand desselben so hoch war, daß dadurch bedeutende
Verheerungen angerichtet wurden, wie z. B. im Jahre
1845 (9 Arschinen 12 Werschok über dem Niveau).
Im jekatherinoslaw'schen Gouvernement gibt es viele
kleine Seen, die, größtentheils in den Niederungen
der Flüsse gelegen, ihr Entstehen den Ueberschwemmun-
gen derselben zur Frühlingszeit zu verdanken haben.
Der größte dieser Seen befindet sich im nowomoskows-
kischeu Kreise, in der Nähe des Dorfes Karabinowka,
und ist ungefähr 9y2 Werft lang und 2 Werst breit.
Von den örtlichen-Bewohnern wird er der „salzige
Limau" genannt, obgleich er süßes Wasser enthält.
Alte Leute versichern, daß die Tiefe dieses Sees
früher sehr bedeutend gewesen sei; jetzt aber beträgt sie
nicht mehr als zwei Arschinen und in heißen Sommern
trocknet der See ganz aus. Ein anderer, etwa 2% Werst
langer See, befindet sich in der Nähe der Stadt Rostow
und heißt der „Temernitzkische". Kleinere Seen, von
denen der größere Theil in der Niederung des Dnjepr
liegt, gibt es etwa 200 im Gouvernement, doch haben
1 tc weniger Bedeutung für das Land, als die sogenannte
Plawnja oder „große Wiese", d. h. die mit Ge-
stränch und Schilf bewachsene Niederung, die, zwi-
schen den Flüssen Dnjepr und Konskaja liegend,
im Frühjahr einer mehrere Wochen dauernden lleber-
schwemmnng ausgesetzt ist. Nach dem Zurückziehen des
Wassers bildet sich hier dann eine ungeheure Wiese mit
vortrefflichem Henschlag. Bemerkenswerth ist, daß, un-
geachtet der Größe dieser sumpfigen Fläche, sich ans der-
selben keine Miasmen erzeugen, welche auf die Ge-
sundheit des Menschen einen schädlichen Einfluß ausüben.
Alle übrigen sumpfigen Oertlichkeiten sind in den
Niederungen längs dem Ufer der Flüsse gelegen und
stehen vom April bis zu Anfange Juli unter Wasser,
sind daher ihren Besitzern von dem größten Nutzen, weil
diese stets, selbst in den trockensten Sommern, auf eine
ergiebige Heuernte rechnen können.
Das Klima des jekatherinoslaw'schen Gouverne-
ments ist im Ganzen ein gemäßigtes. Mehrjährige zu
Jekatherinoslaw angestellte meteorologische Beobachtungen
haben die mittlere Temperatur des Jahres ans + 6,5" R.,
die mittlere Temperatur des Sommers auf P 16,9" und
die des Winters auf — 5,13° festgestellt. Wie in ganz
Neurußland, ist auch hier die Temperatur außerordentlich
veränderlich, so daß in klimatischer Hinsicht ein Jahr nur
lelten dem andern gleicht.
Ganz besonders'fühlbar ist der Mangel an Fenchtig-
und der bedeutende Einfluß, loelchen die Winde ans
die Veränderung der Temperatur haben. So führen der
und besonders der Nordostwind fast immer Kälte
und Trockenheit mit sich, die für den Pflanzenwuchs der
Gegend so verderblich sind und mithin auch einen höchst
nachtheiligen Einfluß auf die Viehzucht ausüben; derSüd-,
Südwest- und Westwind sind hingegen warm und sehr oft
von Regen begleitet. Die durch die Richtung der Winde in
der Temperatur hervorgebrachte Veränderung ist oft so
groß, daß mitten im Winter bei eingetretenem Süd- oder
Westwinde das Eis in den Flüssen schmilzt, wohingegen
der Ost- und der Nordwind eine Kälte von 20 bis 25" N.
erzeugen. Das Vorwalten letzterer Winde ist auch
wohl die Ursache, weshalb die Regen im süd-
lichen Rußland so selten sind. Meteorologische
Beobachtungen haben ergeben, daß die in Form von
Regen und Schnee ans den Boden Rußlands fallende
Feuchtigkeit durchschnittlich nur 15,88 par. Zoll aus-
macht, während dieselbe im mittlern Europa 30,43 par.
Zoll, also fast das Doppelte, beträgt. In den süd-
lichen Gouvernements regnet es nur im April,
Mai und zuweilen im Anfange des Juni, und
a u ch das n u r st r i ch weis e. Die Felder, welche von dem
Regen berührt werden, haben, wenn nicht unvorherge-
sehene Ereignisse, nüe Hagelschlag, Henschreckenfraß re.
eintreten, Aussicht auf eine reichliche Ernte, während
die trocken gebliebenen kaum die Aussaat wiedergeben.
Die Regen im Sommer sind sehr selten und eher
schädlich als nützlich für die Saaten. Fast immer er-
scheinen sie in Begleitung von Sturm und Gewitter
nach einer glühenden Hitze, die den Boden völlig zu
harter Steinkrnste verbrannt hat. Die Feuchtigkeit ver-
dampft daher sehr schnell auf der Erde, während der hef-
tige Wind die unter den schweren Regentropfen sich beu-
genden Getreide-Aehren zu Boden niederwirft. Der
Mangel an Regen ist ferner die Ursache, weshalb fast
sämmtliche kleinere Flüsse zur Sommerszeit
austrocknen, ein liebelstand, der die Bewohner solcher
Gegenden nicht selten zwingt, ihre Wohnplätze für eine
Zeit lang wenigstens zu verlassen und nach einer wasser-
reichem 'Gegend überzusiedeln.
Im Ganzen kann man das Klima des jekatherinos-
law'schen Gouvernements ein gesundes nennen, obwohl
darin auch Oertlichkeiten vorhanden sind, wie die bei der
Mündung des Don, längs dem Laufe der Samara, die
Umgegend von Marinpol, Rostow am Don re., wo zur
Sommerszeit bösartige Fieber grasstreu.
Die Bevölkerung des Gouvernements ist ans verschie-
denen Völkerstämmen zusammengesetzt, Kleinrussen,
Großrussen, Serben, Griechen, Armeniern, Deut-
schen, Polen, Juden, Walachen re., unter denen das
kleinrnssis che Element das vorher r s chend e ist. Auf
59,485,090 Quadratwerst kommt (nach der Revision im
Jahre 1857) eine Seelenzahl von 1,051,222, also 17,68
Einwohner auf eine Quadratwerst, oder 865 auf eine
Qnadratmeile. Der südliche Theil des Gouvernements,
welcher den Kreis von Alerandrowsk in sich schließt, ist
schwächer bevölkert als der nördliche; am bevölkertsten
aber ist der rosiow'sche Kreis mit dem taganrog'schen
Stadtgebiet, wo 28,26 Seelen auf die Qnadratwerst
kommen.
N u s s i s ch e L a n st st r eiche r.
fache, daß der n,fe ""en Zetten betau
Mit diesen K Sevlt wandert,
steh un g der Leib^"d "'ungen hängt d
rend der Theilnna Schaft zu sam mei
die Bauern befugt o we ^Uittcrung Rnßlan
andern überzngmén à!?"?ande von einem £
° S Sw bearbeiteten das Lc
eine Abgabe, die sie ihrem geistlichen oder weltlichen
Herrn entrichteten. Die Herren boten, um so viel Kon-
kurrenz als möglich für ihre Grundstücke zu bekommen,
den Bauern Vortheile dafür, daß sie sich gerade bei ihnen
niederließen; die Bauern zogen also immer dorthin, wo
ihnen am meisten Vortheile in Aussicht standen und ließen
ihren bisherigen Herrn ganz einfach im Stich. Dieses
52
Russische Landstreicher.
Nom adi streu und Herumziehen war aller guten Wirth-
schaft schon damals nachtheilig, als es noch nicht über die
Grenzen der kleinen Fürstenthümer ausgedehnt werden
konnte; verderblich wnirde es aber, als nach deren Ver-
einignng die Bauern allmälig durch das ganze weite
Reich ihrem Wandertriebe nachgehen konnten. Man suchte
Anfangs dem klnwesen dadurch §u steuern, daß man be-
stimmte Zeiteil im Jahre für solche Wanderungen fest-
setzte — im Herbst und im Frühling, — später aber, im
Jahre 1597, berhot man durch einen Ukas das Hernm-
wandern nnd zwang die Bauern, da zu bleiben, wo sie
sich gerade in denl Augenblick, als der llkas herauskam,
befanden. Damit trat die Leibeigenschaft ins
Leben.
Man sieht, das Vagabundiren gehört zur Natur des
russischen Bauern schon voil Alters her. Auch jetzt hat
wohl kein anderes Land Europa's so viele Landstreicher
auszuweisen, wie das große Rußland. Im Augustheft
1863 der russischen Zeitschrift „der Zeitgenosse" findet
man „Mittheilungen über die Ausreißer und Landstreicher
in Rußland und Sibirieil", die für um so zuverlässiger
angesehen werden können, da sie in amtlicher Thätigkeit
gesammelt worden sind. Auf Veranlassung dieser Notrzen
gibt Wolfsohns „Russische Revue" eingehende Betrach-
tungen über die russischen Vagabunden, aus denen wir
Einiges ausziehen wollen.
Das russische Gesetz keilnt eine Menge Gattungen von
Vagabunden, die wiedevllm in viele Kategorien zerfallen;
es gehören dahin Landstreicher, Sträflinge, Ausreißer,
herumziehende Bettler rc. Als besonderes Kennzeichen
eines Herumtreibers gilt Paßlosigkeit und Heimathlosig-
keit. Häufig ist der Gebrauch falscher Pässe und
das Vorgeben, man wisse liicht, woher man stamme.
Diese Gattung von Leuten versteht es sehr gut, sich
falsche Dokumente zu verschaffen, bei deren Vorzeigung
sie „Arbeit suchen". Sie müssen freilich gegen Empfang
des Handgeldes bei ihren Arbeitgebern die Dokumente
niederlegen, pflegen aber bald davonzugehen, da sie an
ihren falschen Papieren nichts verloren' haben. Bedeu-
tender Vorschub wird dieser Art von Industrie durch eine
Menge fortgejagter Beamten nnd Schreiber geleistet, die
sich mit der Fabrikation falscher Dokumente befassen.
Auch Gemeinde- und Dorfschreiberüben sich im Ansstellen
derartiger Legitimationen, büßen aber deshalb ihre Stellen
nicht ein, weil sie „alle Kanzleiweisheit in sich geschluckt"
hätten und deshalb unentbehrlich seien!
(Sin gewöhnliches Ausknnftsmittel der russischen Land-
streicher besteht darin, daß sie an dem Orte, lvo sie er-
griffen werden, plötzlich ihre ganze Vergangenheit ver-
gessen; sie wüßten nicht, wo sie her seien und vermöchten
Niemanden anzugeben, der den geringsten Nachweis über
sie liefern könne. Sobald man ihnen ernstlich zu Leibe
geht, kommen auch falsche Aussagen zum Vorschein, die
Alles noch mehr verwirren; sie berufen sich auf Leute,
die weit entfernt sind oder gar nicht eristiren. Die Re-
gierung muß sie oft tausende von Wersten transportiren
lassen, blos um sich zu überzeugen, daß sie betrogen sei,
und daß die Vagabunden an dein entfernten Orte Nie-
mand kennt. Die dadurch verursachten Kosten erreichen
eine unglaubliche Höhe, und da sie bei erfolgter Rekla-
mation und Nekognition ersetzt werden müssen, so hütet
sich Jeder, den Landstreicher zurückzufordern und überläßt
ihn seinem Schicksale. Für derlei Verlautbarungen, welche
die Regierung in der Senatszeitnng nnd den Gonverne-
mentszeitungen veröffentlicht, werde» jährlich 20 bis 30,000
Silberrubel auf die Straße geworfen. Dazu kommen
noch die Untersnchnngs-, Zehrnngs- nnd Transport-
kosten!
Die Ilmstände, welche die Vagabunden in ihre ver-
derbliche Laufbahn drängen, gehen znm Theil aus ihrer
socialen Lage, znm Theil ans persönlichen Beziehungen
hervor. Ersteres ist bei den Vagabunden von steuer-
pflichtigem Stande und bei militärischen Ausreißern der
Fall, während Letzteres auf die entlaufenen Sträflinge,
welche zur Transportation nach Sibirien vernrtheilt
waren, und ans die herumziehenden Bettler vonProfession
anzuwenden ist.
Bei den nicht leibeigenen Steuerpflichtigen finden lvir
ein drückendes Paßwesen. Der Paß ist nicht blos
ein Ausweis für die Identität des Inhabers, sondern
auch für sein Steuerverhältniß. Die Regierung läßt
nämlich von Zeit zu Zeit die der Kopfsteuer unterwor-
fenen „Seelen" nach Gemeinden auszählen und weiß
dann, daß sie von jeder Gemeinde für so und so viel
männliche Seelen Stenern empfängt, ohne sich dabei weiter
um den Einzelnen zu kümmern. Die Gemeinde muß
für ihre Mitglieder haften; sie thut es mit der
Kopfsteuer auch in der Art, daß sie, sobald Jemand aus
der Gemeinde austritt oder stirbt, seinen Antheil so
lange auf die llcbrigen repartirt, bis bei der neuen Zäh-
lung die Sache wieder geordnet ist. Es vergeht nun eine
geraume Zeit, ehe die neue Zählung eintritt; in diesem
langen Zeitraume wachsen die Auflagen jährlich, da die
inzwischen geborenen Kinder nichts dazu beizutragen
brauchen, während für die Gestorbenen nnd Ausge-
tretenen die Steuern fortlaufen und die Berechnung
und Vertheilung des in jedem Jahre hinzugekommenen
Plus liegt ganz in den Händen der Gemeindevorstände.
Die Gemeindemitglieder sind dadurch von den Vorstehern
abhängig, welche sie oft chikaniren uni) namentlich bei
der Allsstellung von Pässen Schwierigkeiten erheben nnd
die Abgaben für die Däner des Passes vorher verlangen.
Diese ewigen Plackereien machen den armen Teufeln das
Leben sauer, sie haben vielleicht dringende Geschäfte und
wenig Geld zu unnöthigen Ausgaben, sie reisen also lieber
ohne'Paß lind werden solcher Gestalt Vagablinden.
Das Desertiren der Soldaten erklärt sich aus der
Art lind Weise ihrer Behaildlnng; inan weiß, daß Soldat
werden müssen unter den Russen für das entsetzlichste Elend
gilt. Das Davonlanfeil wird natürlich furchtbar bestraft;
trotzdem kommt es häufig vor, mit» nach den Berichten ent-
fällt auf eine Million Soldaten die immer noch große
Summe von 3000 Deserteuren inFriedenszeiten.
Auch des Glaubens wegen sind Manche Herumtrei-
ber geworden, als man die Sekten der griechisch-russischen
Kirche verfolgte, die verbrecherischen sowohl, als die
harmlosen. Eine Anzahl alter Jungfern und Wittwen
ans den: Gonvernenlent Nischni-Nowgorod ging in eine
Wüste, um eine große Einsiedelei zu begründen, die bis
ans 30 Häuser anwuchs. Sie standen itnter einer selbst-
gewählten Aebtissin, knltivirten den Ritus der Altgläu-
bigen und lebten, theils voll ihren eigenen Mitteln, theils
voll reichlich ftießenden freilvilligen Beiträgen. Männer
ilnd verheiratete Frauen durften sich nicht bei ihnen
niederlassen. Sie lebten Alle gut, aber streng, denn jedes
unnütze Wort ward dadurch geahndet, daß man die Spre-
cherin auf Erbsen knieen ließ. So bestand die kleine Ge-
meinde viele Jahre lang, hatte sich ein schönes Bethans ge-
baut uild selbstverständlich den Behörden Jahr ans Jahr
ein die üblichen Geschenke gemacht, um unbelästigt zu
bleiben. Im Jahre 1853 brach plötzlich eine Verfolgung
über sie herein. Die Häuser wurden versteigert, das
Bethaus geschlossen, einige der älteren Jungfern ins
Kloster, andere ins Bethaus gesperrt. Warum, das
ist nicht gesagt!
Unter den Sträflingen sind die zlir Zwangsarbeit
nnd die zur Ansiedelung in Sibirien Vernrtheilten
liild Verbannten hervorzuheben. Das russische Recht
kennt außer der Todesstrafe für Hochverrath nnd den
militärischen Strafen folgende Kategorien für seine krimi-
nelle Gerichtsbarkeit: Verurtheilnng zur Zwangs-
arbeit in den Bergwerken auf Lebenszeit, auf
20 und auf 15 Jahre, in den Festungen auf 12 und
10 Jahre, in den Fabriken auf 8 und 0 Jahre mit dar-
aus folgender Ansiedelung in Sibirien. Es hat für die
z>l diesen Härtesteil Strafen Vernrtheilten beu besondern
Der Curral auf Madeira.
53
Kunstausdruck: Katorfchuik, entsprechend etwa den
Galeerensklaven anderer Länder. Die zweite Kategorie
ist die Verbannung znr Zwangsansiedelung in
Sibirien; dann folgt die einfache Verbannung nach
Sibirien, Korrektions- und Zuchthausstrafe rc. bis 311
den wildesten Strafen hinab.
Hierzu treten aber für die, welche nicht wegen ihres
Standes oder ihrer Bildung von der Leibesstrafe eriwirt
sind, eine Menge accessorischer Bestimmungen, als: das
Anlegen von Fesseln, das Rasiren des halben
Kopfes, das Prügeln mit allen möglichen Instru-
menten und endlich das Brandmarken oder die Stem-
pelung, welche im Geiste einer aufgeklärten Zeit seit
vorigem Jahre aufgehoben ist. Bestanden hatte
die Brandmarkung mit verschiedenen Abänderungen un-
gefähr 200 Jahre. Sie wurde zur Bezeichnung der Ver-
brecher und Ansreister gebraucht und zwar so, dast ein
besonderes Mal den einfachen kriminalistischen Ausreißer,
ein anderes einen unfreiwilligen Ansiedler, ein drittes
einen entlaufenen Zwangsarbeiter oder flüchtigen Ka-
torschnik bezeichnete. DieseZeichen wurden dort, wo man
die Flüchtigen ergriffen und erkannt, sofort denselben dicht
unter den Ellbogen des rechten Armes und auf das
Schulterblatt aufgeprägt.
Als accessorische Kriminalstrafe war in älterer Zeit
das Abschneiden der Ohren in Gebrauch, später,
unter der Kaiserin Elisabeth, das Ausschneiden der
Nasenlöcher, und dieses wurde erst 1817 abgeschafft!
In: Jahre 1845 wurde statt der aus Stirn und Wangen
eingebrannten Buchstaben B. 0. P. (russisch w 0 r , —
Dieb) eine Stempelung eingeführt, indem die Buch-
staben K. A. T. ans Stirn und Wange eingeschnitten und
die Wunden mit Schießpulver eingeriebeu wurden, man den
llnglücklichen also gleichsam tättowirte, was heutzutage
endlich ganz abgeschafft ist. Der praktische Russe hat sich
übrigens auch früher zu helfen gewußt und durch spa-
nische Fliegen, ätzenden Kalk und andere Mittel die
Spuren ausgetilgt, denn den Ursprung der hiernach
gebliebenen Narben konnte Niemand errathen.
Wie es den Verbannten und Sträflingen in Sibi-
rien ergeht, ist schon oft geschildert worden. Wir wollen
hier nur einige weniger bekannte Thatsachen aufführen.
Erträglich sind die Arbeiten der Sträflinge :>: den Brannt-
weinfabriken in den: Gouvernement Tobolsk, wo den Ver-
bannten einige Zeit übrig bleibt, um sich selbständig
etwas zu erwerben. In der troizkischen Salzsiederei im
Gouvernement Jenisseisk, in den nertschinskischen Gold-
und Silberbergwerken verhält sich die Sache freilich anders.
Die Verbrecher müssen von Sonnenaufgang bis llntergang
in einer abscheulichen Atmosphäre arbeiten und täglich
1600 Pfund Erz zu Tage fördern oder 8000 Pfund
Goldsand verarbeiten. Kommt der Feierabend, so be-
zeugt der Aufseher, was der Unglückliche geleistet; ist es
nickt genug, so erfolgt unbarmherzig Prügelstrafe. Denen,
die etwas Geld haben, geht es besser; sie bestechen damit
die Aufseher und werden nun berücksichtigt. Das Geld er-
halten die Verbannten gewöhnlich durch ihre Angehörigen
aus dein Vermögen, das sie durch den bürgerlichen Tod
des Verbrechers geerbt haben und zu seinem Besten ver-
wenden.
Dieser schöne Gebrauch ist in Rußland allgemein
verbreitet, und den: Katorfchuik wird bei etwaiger Be-
gnadigung sei,: Vermögen von den Verwandten fast immer
wieder zurückgegeben.
Den: russischen Reich eigenthünllich ist eine Art von
Bettlern, die das ganze weite Land durchstreifen, un:
Almosen zu sammeln. Sie treiben sich ans den Jahr-
märkten her::»: und halten sich meist ii: der Nähe kirch-
licher Prozessionen auf. Es sind Beter von Hand-
werk unter ihnen, die ihr ganzes Leben lang von einen:
Walfahrtsorte znn: andern pilgern, und ihre Zahl ist
ungeheuer. Man rechnet, daß in: Jahre 1859 das
Dreifaltigkeitskloster unweit Moskau nach und nach von
230,000, das Höhlenkloster bei Kiew von etwa 136,000,
Woronesch von 20,000 und das Solowetzkikloster ans
einer Insel in: Weißen Meere voi: 11,000 solchen Betern
heimgesucht wurden! Ihre Spekulation geht nicht blos
ans die Mildthätigkeit allein, sondern auch auf die Gast-
freundschaft und freie Zehrung, die sie als „frounne Wal-
fahrer" sich unterwegs verschaffen. Neulinge im Betteli:
schließen sich an erfahrene Altmeister ihres Gewerbes und
müssen oft für diejenigen arbeiten, deren Protektion sie
gciüeßen, während diese in: gemüthlichsten Fanllenzen auf
ihren Lorbeer:: ruhe».
Die russische Regierung hat durch verschiedenartige
Bestimmnnge-n den: Vagabundenwesen zu steuern gesucht,
ohne daß der Erfolg der angewendeten Strenge entsprochen
hätte. Durch Milderung der Militärstrafen hat sich die
Zahl der Deserteure vermindert. Aber trotzdem weist die
Verbrecherstatistik noch ungeheure Zahle,: ans. Allein
in: Jahre 1857 wurden von den Polizeibehörden 30,478
Personen wegen ungültiger Legitimation verhaftet. In:
Jahre 1858 standen, ohne daß man alle Provinzen
dabei mitrechnete, 3975 Individuen wegen Landstreicherei
und 21,367 wegen Mangels an Legitimation vor Gericht.
Das Alles sind eben Leute, von denen die Regierung
Kenntniß genommen hat, wie viel mehr mögen ihr unbe-
kannt geblieben oder ihren: Arn: unerreichbar gewesen sein!
D e r C u r ntl auf M adeir a.
(Hierzu ein Stahlstich.)
Der kraterartige Eurral auf Madeira gehört zu den
herrlichsten Punkten der berühmte,: Insel. Der Nord-
amenkaner W. Thomas hat diese interessante Gegend
1859 besucht und schildert sie uns in seinem
, O Adventures and observations on the West Coast
oí ^ica. Neuyork 1861.
V«;,. s llpei Stunden hinter Funchal, sagt er, kamen
vi' i,!Urd)f Cl's i?u hübsches Wäldchen von Tilbänmen,
c r : II besonders geschätztes Nutzholz liefern, jedoch wegen
1l.U.an.'^Mle 8ufx!s @eOches uns zum eiligen Vorüber-
ihre
SÄrnfSi/'S!1?';■ -r.wissensck^tllcher^lame',' de? die,e
0 ^: scch ft bezeichnet, I,t Taurus loetens. Auch die großen
Madeirannßbaume waren in Menge vertreten.
Die Landschaft ward nun immer steiler und hügeliger;
schroffe Klippen und Berge wechselten mit einander ab
und ermüdeten uns sehr; sie waren mit spärlichen:
Grün und dürren: Haidekrant bewachsen, das aber zahl-
reichen Ziegenheerden recht wohl zu inunden schien. Der
Weg lief endlich in einen engen Pfad aus, zu dessen Sei-
ten gähnende Schluchten sichtbar wurden; wir fanden uns
genöthigt, abzusteigen und ans den Rath unserer Führer
die Pferde am Zaume nachzuführen, bis wir einen etwas
breiteren Rastort erreichten, von dem aus sich unseren
Blicken ein großartiges Bild entrollte. Wir waren jetzt
etwa 4000 Fuß über der Meereshöhe und sahen hinter
uns den Ocean wie eine Masse geschmolzenen Golde»
54
Der Ordensbund der Jssauah in Marokko.
in den Sonnenstrahlen schimmern. Ueberall herrschte
Stille, die wenigen Ziegen, die bis hierher klettern,
um ihre dürftige Nahrung aufzusuchen, waren nebst eini-
gen Raubvögeln die einzigen lebenden Wesen, welche wir
beobachteten.
Im Schatten eines mächtigen Felsblockes fanden wir
Kühlung vor den sengenden Strahlen der Sonne. Unter
uns lag der tiefste Abgrund des Curral, aber noch
2000 Fuß über unseren Häuptern erhoben sich die Piks
der Insel.
Ter Curral wird oft als der Centralkrater der Insel
betrachtet. Er ist ein unregelmäßiges Becken, dessen
Basis noch 1000 Fuß über dein Meere liegt und ¿u
dessen Seiten sich ungeheuere Felsberge bis zur Höhe von
5000 Fuß aufthürme». Diese gelten für die herrlichsten
Naturschönheiten der ganzen Insel, und lvenige Besucher
sehen ihren Fuß auf Madeira, ohne die wolkenumkrönten
Felsen des Pico grande, Pico Ruivo unb Tortinas be-
sucht zu haben.
Wenige, welche den Curral besuchten, werden der
Versuchung widerstehen können, ihn als den Centralkrater
Madeira's zu betrachten. Die Phantasie füllt den unge-
heuern Schlund mit glühender Lava aus, über der sich
ungeheure Rauchwolken erhebe», aus denen Donner und
Blitze hervorbrechen. Sieht man aber die Felsenwälle
näher an, so findet man, daß sie aus feinen Lagen von
Trachyt und Basaltconglomeraten bestehen, die durch eine
tuffartige Blasse znsammengekittet sind. Die Einbildung,
hier einen Centralkrater vor sich zu haben, schwindet bei
diesen Betrachtungen, lind man gelangt zu dem Schluß,
daß die Stosse, aus welchen diese Berge gebildet sind,
von einem uns unbekannte,: — vielleicht wieder im Meere
versunkenen — Vulkan herrühren. Spätere Erdrevolu-
tionen, Ausbrüche von Dampf und Gasen rissen die
Bergmassen aus einander und bildeten den kraterähnlichen
Schlund des Curral. Sein Boden ist mit einer unge-
heuern Masse von Felsblöcken überdeckt, überall von
Nissen und Sprüngen durchzogen, so daß man hier die
Auswürflinge des Vulkans vor sich zu sehen glaubt.
Allein die Annahme erscheint viel wahrscheinlicher, daß
Stürure, Regengüsse und der schmelzende Schnee diese
Brocken von den ohnehin zerklüfteten Felswänden in die
Tiefe hinabrissen. Nach den Untersuchungen Harconrts
sind die vulkanischen Ablagerungen Madeira's, eben so ,vie
die vieler Mittel,neerinseln, zur Zeit der Miocenperiode
in der Tertiärzeit durch Trachyterhebungen vor sich ge-
gangen.
Erquickung fanden wir in dein tief unten an, Curral
liegenden kleinen Weiler, dessen Kirchlein Nossa Sen-
hora da Livra mentohUnsere liebe Frau zur Befreiung)
beinahe den Mittelpunkt der Insel ausmacht. 2000
Fuß mußten wir hinabklimmen, um bis dorthin zu ge-
langen. Von oben betrachtet erschienen uns die kleinen
Häuser zwischen Bananen und Zuckerrohrpslanzen bei-
nahe N'ie die Häuser ans einer nürnberger Spielzeug-
schachtel. Unter den großartigen Eindrücke», die der An-
blick des Curral von hier ans gewährt, verbrachten wir
den Nach,nittag und kehrten in der Abendkühle nach
Fnnchal zurück.
Der Drdensbund der
Vor 200 Jahren lebte in Mekinäs ein marokka-
nischer Heiliger mit Namen Sidi Aissa, d. i. Mein
Herr Jesus. Eines Tages, da seine Armuth größer denn
je war, ermahnte ihn seine Gattin, doch zu arbeiten, da-
mit sie etwas zu leben hätten. Aber Arbeiten war nicht
Sache des Heiligen, der es bei Weiten, leichter fand,
Wunder zu wirken. Er hieß seine Frau Wasser aus dem
Brunnen schöpfen, und als sie den Ein,er einpor zog,
war er statt voll Wasser voll von — Goldstücken. Mit
diesem Golde warb der Heilige Anhänger; die ersten
besten Menschen, denen er auf de», Marktplatze begegnete,
wurden seine Jünger, die weiter nichts zu thun hatten,
als von Zeit zu Zeit gewisse Gebetsformeln herzusagen;
dafür erhielten sie Bezahlung.
So stiftete er seinen Orden, der als Khuan des
Sidi Aissa oder der Jssauah weit und breit berühmt
wurde. Durch harte Prüfungen, welche er seinen Jün-
gern auferlegte, und durch reichlich vertheilte Geldspenden
wuchs der Ruf Sidi Aissa's immer mehr, bis zuletzt bei-
nahe die ganze Stadt Mekinäs zu seiner Sekte gehörte.
Nur der Kaiser sträubte sich „och, au Sidi Aissa's Hei-
ligkeit zu glauben, bis auch er durch ein Wunder bekehrt
wurde. Der Heilige erbot sich nämlich, dem Monarchen
seine Hauptstadt Mekinäs abzukaufen und bestand, trotz
der ungeheuern Sumine, welche der Kaiser forderte, auf
den, Handel. Ter Marabnt schaffte denn auch durch
ein Wunder die verlangte Sun,ine, worauf sich der Kaiser
zu dessen Orden bekehrte. Der großmüthige Ordens-
stifter aber schenkte ihn, seine Hauptstadt wieder. Seit-
dem genießen die „Brüder Aissa's" in der Stadt Mekinäs
das seltsame Privilegium, daß sie in den ersten 12 Tagen
des Monats Mulnd sich, allein von allen Einwohnern,
auf der Straße zeigen dürfen, während alle anderen Bür-
ger an diesen Tagen zu Hause bleiben müssen. Dieses
Jssauah in Marokko.
Privilegium zwingt natürlich alleEinwohncr von Mekinäs,
sich in den Orden aufnehmen zu lassen, um nicht 12
Tage in, Jahre wie gefangen daheim zu bleiben.
Die Jssanah behaupten und geben sich alle Mühe,
zu beweisen, daß sie von ihren, Ordensstifter die wunder-
bare Fähigkeit erhalten haben, jede Art von Gift und
schädlicher Substanz ungestraft genießen zu kön-
nen. Als nämlich auf einer der Wanderungen des Sidi
Aissa seine Jünger sich über Hunger beklagten und Brot
von ihm verlangten, sprach dieser zu den Ungeduldigen
die wnnderwirkenden Worte: „Esset Gift." Die Jün-
ger warfen sich sogleich über Schlangen, Skorpione und
alles Giftige, Schädliche und Ekelhafte her, was sie fin-
den konnten und verschlangen es ohne Schaden. Seit-
dem gelten die Jssauah für die unfehlbaren Heilkünstler
aller Schlangen- und Skorpionenbisse, und bei ihren fest-
lichen Zusammenkünften setzen sie das Publiknn, durch
ihre seltsamen Gaukeleien in Erstaunen.
Einer solchen Versammlung wohnte auch Freiherr vou
Maltz ah u bei, und zwar durch Vermittlung eines marok-
kanischen Freundes, der selbst zum Bunde gehörte. Die
Jssauah stehen zwar in den, Rufe, Christen und Juden
ganz besonders zu hassen, doch sollte Baron Maltzahn die
entgegengesetzte Erfahrung machen. Auch Menschen-
fresserei wirft man ihnen vor, und das Sonderbare
bei diesen, Gerüchte ist, daß dasselbe nicht nur von Christen
und Juden, sondern selbst von einzelnen Muselmännern
geglaubt wird. Ja ein Algierer, der selbst Jssauah war,
versicherte unserem Landsmann, daß seine Ordensbrüder
in, Marokkanischen kleine Kinder zu verspeisen pflegten!
Doch das bleibe dahingestellt.
Baron Maltzahn wohnte im Judenviertel der Stadt
Marokko und trat in Begleitung seines muselmännischen
Freundes Mnstapha den gefährlichen Weg zur Versau,m-
fU
Dpi' Drbcn§b"'"b bev WAvr\ffrs
'-! bot; Sonnenstrahlen !.mm>uern. Ueberau herrsä ..
o tilic, die wenigen Liegen, die bis b^e.ber Uettc: h
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gen Raubvögeln die einzig'»" lebenden cpeseit, welche nr
beobachteten.
Im Schauen eine- '.nächtigen7\clsBockes fandet, wir
Kühlung vor den sengenden Strabi--n der Sonne. Unr» i
uns lag der -< Abgrund des "n'rnai, aber neck
20/ In U t en Häupter» er'- -be - sich bt • :
der Ins."
: ‘ .uui'b oft oi.-i der 0.' ! ! ater dl! :sei
r.H' : ». Er ist ein unregetmäch.aes Becken, eisen
'... no ri.. 1000 Fuß über dem '/'teere liegt n.. zu
ü 0O Fuß austhürmen. Die n für die herrltautcu
Naturschörbeite, oer gan nd wenige Bui
setzen lbren Fuß ->/>.' .. -hv: die tvolkenumkrönten
en nee ; :e gr i ■ und Torti»as b>
sucht zu haben.
Böe . in ... - i. -- niwten, werden der
' suü.ung widerst»':.. ss a . ' den Eentralkrater
'iadeira s zu betrachte» . . '-fantasie fü'ic den ut-.v
neuern Schlund mit glühender Lava aus, über der neb
ungeheure Ranchwolken erhebe«, aus denen Donne" und '
Blitze hervorbrechen. Sieht man. aber die Ielsen walle
näber in. t» findet man. l ast si. aus '''tuen Lagen von
. n... NN raten tir durch ..'ine
>iesen Betrachtungen, und man gelangt zu dem Schluß,
m"; tue Stosse, aus welchen dieie Berge gebildet sind,
? i» einem uns unbekannten • vielt.acht wieder im Meere
• unkene •— Vulkan Herr reu Spätere Eddrecoln-
iiouen, Ausdrucke von Dampf u>? Gasen rissen die
L rgmassen aus einander und bildete bcu kraterähnlichen
Sckluiid des (5>trral. Sein bei n mit einer unge-
heuern Masse von Felsblöckeu überdeckt, überall von
Rissen und Sprüngen durchzogen, so daß man hier die
Auswürflinge des Balkans vo. sich ;u sehen glaubt.
; Allein die Annahme erscheint tn wahrscheinlicher, daß
j Stürme, Regengüsse und der schmeißende Schnee diese
Brocken voit den ohnehin zerklüfteten Dlswänden in die
ie hinabrissen. Nach den Untersuck:. mt Hareonrts
fuu die vulkanischen Ablagerungen Madeira . dm so wie
vieler Mittelmeerinseln, zur Zeit der Miocenperiode
i-: d^ß Lertiärw-r d'»rck Trachyterhebungen vor sich ge-
.
aus ) !i". M« tief un en am Curral
xjrcl in Nossa Sen-
. . : ' . . ! i ucb .Iran zur Befreiung)
-nahe den D..Ueivunkt de-. Insei sn -cht. 2(l0l)
mußten wir hinabklimmen, um dm dornn zu ge-
i-.iBen, oben betrachtet erschienen Nils die kleinen
''.unser zwischen Bananen »nd Zncterroorpflauzen bei-
nahe uuc die Häuser aus einer nürnberger Spielzeug-
schachtel. Unter den.großartigen Eindrücke», die der An-
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! sich in den Orden riieüir. -n ■ lassen, um nicht K’
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' i- » -ist u„d
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alles Gislige, Schädliche und Ekellmne ber, was sie sln-
d'"ll ionntfl und verschlangen .... „--m Schaden. Seit-
s ¡a gelten die Issa nah für die unfehlbaren Heilkünstler
Schlang.".'... und Skorpioneiibisl. u - -
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Ae im Indem eitel der Stadt
eitung sei> mi elmännisu t
! gefährlichen 's eg zur B< ' -
Der OrdensLund der Jssanah in Marokko.
55
lnng der Jssanah an. Jeder Ausgang in die Mauren-
stadt ist für Christen unter gewöhnlichen Bedingungen
lebensgefährlich, ja fast unmöglich. Aber Maltzahn ging
bei Nacht ans und begegnete keinem Mauren, da man
in arabischen Städten äußerst selten nach Sonnenunter-
gang noch Jemand im Freien trifft. Sodann war Malt-
zahn, der in das Hans des Freundes eines seiner Freunde
ging, ein Dias oder Gastfrennd, dem kein Leid zugefügt
werden durfte.
Der Stadttheil, in welchem das Vereinigungshaus
der Jssanah liegt, zeigt viele Häuserrninen. Etwas Aehn-
liches sieht man in keiner Stadt Enropa's. Man sollte
meinen, daß, wenn an der Stelle eines eingestürzten Ge-
bäudes kein neues Hans wieder gebaut werden soll, man
wenigstens die Ruinen entfernen würde, um so einen
freien Platz zu gewinnen; aber daran denkt Niemand,
und Straßenpolizei eristirt so gut wie gar nicht, Un-
reinigkeiten in den Straßen werden nicht beseitigt; Thier-
leichname liegen überall umher und verpesten die Luft;
an Pflaster ist nicht zu denken. Im Winter ist der Koth,
im Sommer der Staub in den Gassen unausstehlich; da-
zu kommen noch die vielen Nuinen, über die man oft
beinahe den Hals bricht.
Das Hans, in welchem der Mokkadam des Ordens,
das provinzielle Oberhaupt, wohnte, war auch etwas bau-
fällig, aber im schönsten maurischen Style erbaut, Nach
dem Auswechseln einiger mystischen Formeln ward der
Eintritt gestattet. Die Gäste waren in den beiden inne-
ren Höfen versammelt, wo sie auf den Strohmatten des
Fußbodens kauerten oder hockten, Nur einige der Ael-
teren saßen in der würdevollern orientalischen Weise mit
untergeschlagenen Beinen. Die Gallerten des ersten
Stockwerks waren von künstlich geschnitztem Holzgitter
umgeben, hinter welchem die Frauen, deren Gesichter
dicht bis an die Augen vermummt waren, dem Feste zu-
schauten.
Daß Maltzahn sich als einziger Europäer rmd Nicht-
muselmann in diese Gesellschaft wagte, war ein tollkühnes
Beginnen, aber indem er den Barbaren gegenüber zeigte,
daß er unbedingtes Vertrauen zu ihnen hege, berief er
sich auf ihr Wohlwollen, ihr Mitleid und ihre Großmnth,
wodurch er ihrer Eitelkeit schmeichelte nnb in Folge dessen
sehr freundlich behandelt wurde.
Die religiöse Ceremonie begann mit dem näselnden
Absingen einiger, sich stets wiederholender Formeln, den
einfachsten Elementen des muselmännischen Glaubensbe-
kenntnisses. Namentlich wurde das: „La Jllaha il
allah" oder: „Es giebt keinen Gott, als Gott", in allen
Tonarten bis zum Uebermaß abgeleiert und zwar immer
im Takte. Plötzlich, während des heftigsten Singens
und Schreiens der Gläubigen, wozu die Tamtams oder
flache», unten offenen Trommeln, nach Herzenslust ge-
schlagen wurden, erhob sich einer der Brüder des Ordens
und begann das Jschdeb. Das Jschdeb ist eine Art
von religiösem Tanz. Tanzen ist eigentlich nicht das Wort,
aber wir haben keinen andern, annähernden Ausdruck.
Es sind taktmäßige, erst langsame, dann immer schneller
werdende, zuletzt konvulsivisch aussehende Bewegungen des
Körpers, namentlich des Oberkörpers. Das Jschdeb sing
mit einer Menge von gleichmäßigen Schwingungen des
Leibes und Kopfes an, die sehr tiefen, schnell und oft
wiederholten Verbeugungen ähnlich sahen. Nachdem der
Tänzer dies einige Minuten lang getrieben hatte, erhob
>ich ein anderer und dann wieder ein anderer, bis zuletzt
mcht weniger als sechs in betäubendem Nicken mit dem
Kopf und Beugen des Oberkörpers wetteiferten. Dieser
Wettkampf dauerte vielleicht eine halbe Stunde. Keiner,
wekmer einmal hin ..... i.......... ¡)nvfte
der
, y ...vw. Bewegungen
füllen immer rascher und rascher ans einander, die Ver-
beugungen weiden immer tiefer und tiefer, die Schwen-
^venrampf oanerte vielleicht eine halbe Stiinde. Keine
welcher einmal die Bewegungen begonnen hatte, dnrf
aufhoien, ehe er tu den Parorismns gerathen war, d
den Glpfelpnntt res Jschdeb bildet. "Die Bewegung«
knngen des Leibes und Kopfes immer heftiger, bis zuletzt
Schwindel sich des Ermatteten bemächtigt, der Schaum
ihm ans die Lippen tritt, die Ängeii ans ihreii Höhlen
treten und der fanatisirle Tänzer strauchelnd zu Boden
stürzt. In diesen: tollen Zustande kommt,__ so lautet das
Glaubensbekeiintniß des Ordens, der Geist des Stifters
über seinen itn heiligen Wahnsinne liegenden Jünger
und macht ihn tüchtig, das schädlichste Gift und Alles,
was verwundet oder verletzt, ungestraft zu verzehren.
Die fanatisirten Männer wälzten sich in wilder Unord-
nung ans dem Boden und stießen unmenschliche, schrecken-
erregende Töne aus, bald bem Grunzen eines Ebers,
bald dein Gebrüll eines Löwen vergleichbar. Einige
fletschten ihre scharfen, raubthierartigen Zähne, zwischen
denen der weiße Schaum zischend hervorquoll. _ Sie
schnappten mit wahnsinniger Geberde nach den ihnen
zunächst Sitzenden, und es schien wirklich, als wollten sie
aus deren Körper Stücke herausbeißen. Diese Seite des
Parorismns der Brüder hat vielleicht zu der Fabel von
der Menschenfresserei der Jssanah Anlaß gegeben. Sie
geberdeten sich wie blutdürstige Anthropophagen, die nach
Menschenfleisch zu lechzen schienen; aber sie thaten Nie-
mand etwas zu Leide.
Nachdem Ale sechs sich in diesen wahnsinnigen Zu-
stand hineingearbeitet hatten, wurde eine große verdeckte
Schüssel hereingetragen, von welcher ein Greis den Deckel
abhob. In derselben befand sich ein wahres Nest von
lebenden Schlangen, Skorpionen, Kröten, Ei-
dechsen und anderen schädlichen nub ekelhaften Thieren.
Kaum war die Schüssel in die Mitte der tobenden Brü-
der gestellt, so fielen sie mit viehischer Gier über
das entsetzliche Gericht her, und im Nu war es
verschlungen. Hier war von Taschenspielerkünsten keine
Rede, denn Baron Maltzahn sah deutlich, daß diese Leute
Schlangen und Skorpionen kauten, so daß die Brühe
davon au den Mundwinkeln herabfloß. Ob aber diese
Schlangen und Skorpione noch im Besitze ihres ursprüng-
liche,: Giftes waren, das konnte Herr von Maltzahn nicht
untersuchen.
Der ekelhaften Ceremonie folgte eine gefährliche.
Man brachte nämlich eine mit zerbrochenem Glase, Nä-
geln und scharf-dornigen Cactusblättern gefüllte Schüssel
herein, und auch diese Dinge waren bald verschlungen.
Darüber konnte gar kein Zweifel stattfinden. Maltzahn
sah, wie die Nägel verschlungen wurden, hörte, wie das
Glas, als es gekanct wurde, knirschte und sah beit Saft
des stachligen Cactusblattes mit Blut untermischt an
dem verwundeten Mund herablattfen. Oft fügen sich
diese Leute großen Schaden zu, der ihnen jedoch im an-
dern Leben durch ihren großen Heiligen reichlich ver-
golten wird.
Zum Schlüsse trat ein Neger auf, der allerlei Taschen-
spielerkünste zum Besten gab. Nach Vollendung seiiter
Gaukeleien fand die Aufnahme eines neuen Bruders
in den Orden statt. Der Neophyt wurde von zwei
Mitgliedern hereingeführt und mußte sich vor dem Mokka-
dam aufs Angesicht niederwerfen. Dieses Ordenshaupt
richtete dann eine Ermahmtng an den Neuaufzunehmen-
den und vollzog schließlich die heilige Aufnahmehandlnng.
Diese besteht darin, daß der Mokkadam dem Neo-
phyteip dreimal in den weitgeöffueten Mund
hinein spuckt. Dieser wunderw irkende Speichel
allein kann, so sagen die Jssanah, deir^ neuen Jünger
die Kraft verleihen, ohne Gefahr und Schaden Giftiges
oder Verwundendes zu essen.
Nach Vollendung dieser Ceremonie folgte die Mahl-
zeit von Knßknssuh (Maisbrei) und dann noch ein ohren-
zerreißendes Geheul, welches ein Nachtgebet vorstellen sollte.
Herr von Maltzahn hinterließ dem Orden ein Geschenk
von 10 spanischen Thalern. Er konnte von Glück sagen,
als er, von seinem Freunde geleitet, wieder unbeschädigt
im Jndenqnartier anlangte.
56
Der Paraguay thee in der brasilianischen Provinz Rio Grande do Sul.
Der Paraguaythee in der brnlilinnischen Provinz Nio Grande do Sui.
Es ist weltbekannt, daß der bittere Paragnaythee dem
spanischen Creolen Sndamerika's eben so unentbehrlich
ist, wie seine Cigarette und die Hängematte, in der er
seine Siesta, in der luftigen Veranda seines von Palmen
beschatteten Hauses, hält. Das Schlürfen des Matts
oder Paragnaythees ist ihm eine wahre Nothwen-
digkeit, und'er wird verstimmt und krank, wenn er wäh-
rend eines ganzen Tages sein Lieblingsgetränk nicht hat
31t sich nehmen können.
In ganz Südbrasilien, in der Republik Uruguay,
in den Argentinischen Republiken, in Chile, Paraguay,
Bolivia und Peru werden unendliche Quantitäten dieses
Thees verbraucht, und die Anpflanzung uub Bereitung
desselben bilden daher einen sehr bedeutenden Erlverbs-
zweig für die Länder, welche diese kostbare Pflanze be-
sitzen. Wir glauben daher, daß eine nähere, aus eigener
Anschauung geschöpfte Beschreibung der Pflanze und der
Art ihrer Zubereitung die Leser des Globus interessiren
werde.
Der Paraguaythee wird von einem Strauche gewon-
nen, der zur Familie der Aqnifoliaceen gehört; sein bo-
tanischer Name ist Hex paraguayensis oder Ilex matté,
und die erste eingehende wissenschaftliche Beschreibung
verdanken wir A. de Saint Hilaire, tu dessen brasiliani-
scher Reise.
Die Rinde so lvie die Blätter des Baumes sind glatt,
und letztere haben mehr oder weniger 10 bis 12 Centimeter
Länge, bei 4 bis 5 Centimeter Breite. Sie sind von
ovaler Form, gezahnt wie das Rosenblatt, dicht und
glänzend, von dunkelgrüner Farbe, mit kurzem Stiele ver-
sehen. Tie Blume hat 4 Blumenblätter und 4 Stamina
und findet sich stets in Gruppen von 40 bis 50 zusam-
men. Tie Früchte sind klein, haben eine birnenartige
Form und gehen von der grauen Farbe, die sie im An-
sang haben, nach uub nach zur violetten über. Dieser
„ Cogonho-Baum", lvie er hier bei uns genannt wird,
lvächst lvitd in der brasilianischen Provinz Rio Grande
do Sul, in der von Paraná, sowie auch in Paraguay.
Dort wurde bekanntlich der verstorbene Aims Bonp lan d
lange Jahre vom Diktator Francia zurückgehalten, als
ihn' im Jahre 1823 die Regierung von Buenos Ayres
ausgeschickt hatte, um in Paraguay die Zucht dieses wich-
tigen Baumes kennen zu lernen und Pflänzlinge desselben
nach Buenos Ayres 31t bringen.
Die besten Sorten des Paraguaythees sind die in
Paraguay uub in Rio Grande, wo noch heute die großen,
von den Jesuiten angelegten Matts-Pflanznngen vorhan-
den sind. Wenn gleich der Baum in den genannten Ge-
gendeil an allen tiefen uub feuchten Orten wild lvächst,
so giebt er doch im Allgemeinen ein besseres Blatt, wenn
er besonders gepflanzt und zweckgemäß behandelt wird;
das geht daraus hervor, daß das beste Erva Matts (lvie
der Paragnaythee heißt) in den Pflanzungen von Para-
guay und in ben ehemaligen Jesuiten-Missionen der
Provinz Rio Grande gewonnen wird; jenes von Parana,
welches wild lvächst, steht demselben bedeutend nach. In
den sogenannten Ervaes oder Matts-Pflanzungen erreicht
die Ilex paraguayensis die Größe eines bedeutenden
Baumes, während sie in wildem Zustande fast immer
nur strauchartig vorkommt. Die Theile der Pflanze,
welche zur Bereitung des Thees verlvendet werden, sind
die Blätter und die jungen Zweige. Die Ernte darf erst
beginnen, wenn die Früchte reif werden, da zu dieser
Zeit die^Blätter am saftigsten sind. Die Zeit der Reife
für die Früchte fallt in ben Januar und Februar, und
vom Januar bis Juli sammelt man die Blätter, da im
August bereits die jungen Sprößlinge kommen, lvelche
geschont werden müssen, um dem Baum keinen Schaden
zu thun.
Das Zubereitungsverfahren ist im höchsten Grade
einfach. Während der genannten Monate schneiden die
Ervateiros (d. h. Mattssammler) die jungen Zweige ab,
lvelche dann bei langsamem Feuer getrocknet werden; so-
bald sie trocken sind, werden sie in Stücke zerbrochen
und auf einer Art Gerüst, auf dem sie ausgebreitet
sind und unter dem man Feuer macht, geröstet, bis die
Blätter eine grüngelbe Farbe mit fast goldigem Refler
bekommen. Bei diesem Theile des Verfahrens ist große
Sorgfalt nöthig, indem das Erva matte leicht verbrannt
werden kann und daun die Blätter den öligen Theil ver-
lieren, welcher ihren Geschmack angenehm macht. Hier-
bei muß man beobachten, daß das verwendete Holz trocken
und nicht harzig sei, da der Rauch den Thee verdirbt.
Nachdem Die Erva geröstet ist, wird sie zerstampft
und nachher gesiebt, und nachdem man sie bereitet hat,
muß sie wohl vor Feuchtigkeit bewahrt werden.
Die eben beschriebene Art der- Matte-Bereitung ist
die einfachste, doch giebt es in Paraguay und Nio Grande
auch größere und gut eingerichtete Fabriken, lvelche die
Blätter und Zweige in besonderen Oefen trocknen und
Stampfmühlen besitzen, in denen sie den Matte zu fei-
nem Pulver zermalmen. Auch bereitet man, hauptsäch-
lich in Paraguay, die Blätter zu, ohne sie zu zermalmen,
wobei natürlich die jungen Zweige, welche beu Thee sehr
wohlschmeckend machen, ganz verloren gehen, da man
dann nur die Blätter benutzt. Diese Art von Matts
lvird in Chile vorgezogen und ist die einzige, welche bis
heute nach Europa erportirt worden ist, weshalb man
dort keinen Begriff vom angenehmen Geschmack des
wirklichen Matts hat.
Der fertige Matts wird in große, sehr fest genähte
Säcke Don durchaus trockener Ochsenhaut geschüttet, die
ihn vor Feuchtigkeit und vor der Luft bewahren, deren
Contakt denselben, fein angenehmes Aroma nimmt. In
diese Säcke wird der Thee fest eingestampft und sodann
versendet.
Wir haben zwei Arten Matts; den aus dem wirk-
lichen Cogonho-Baume bereiteten und den von einer wil-
den Abart, welchen man Cauna nennt; dieser ist sehr
bitter und der Gesundheit nicht zuträglich, während
der gute Matts tonische lmd dinretische Eigeilschaften
besitzt uub hauptsächlich bei intermittenten Fiebern sehr
wohlthätig wirkt; auch als Präservativ gegen die Wasser-
sucht lvird er, seiner diuretischen Eigenschaften halber,
angelvandt. Der Matts kräftigt sehr und ruft bei den
Ammen viele und gesunde Milch hervor; beim er enthält
bedeutenden^Nahrungsstoff, lvie Zuckerstoff, einige ölige
Elemente, Tonnn, Jlicin und Lupulin, außer einer
bedeutenden Quantität Thein.
Der Matte wird nur selten lvie der chinesische Thee
zubereitet, weil er dann viel von seinem Wohlgeschmack
verliert.
Hier bei uns, in Rio Grande, wie in ganz Süd-
brasilien, trinkt man denselben auf eine eigene Art.
Man bedient sich gewöhnlich kleiner Flaschenkürbisse,
Cucas genannt, oder auch runder Gefäße von Porzellan,
die oben eine schmale, runde Oeffnung haben und auf
einem Fuße ruhen, an dem man sie hält. Diese wer-
den bis zn drei Viertel mit Matts gefüllt, sodann
wird ein Löffel Zucker darauf gegeben und kochendes
Wasser aufgegossen. Dieses Gebräu schlürft man ver-
mittelst silberner Röhren ein, die unten, lvo sie in dem
Die geologischen Verhältnisse der Mauvaises Terres.
Cuca stehen, ein feines Sieb haben, damit das pulveri-
sirte Kraut nicht die Röhre verstopfen könne. Jedesmal
wird neuer Zucker und neues kochendes Wasser aufge-
gossen, so daß das Getränk immer süß ist und sein ganzes
Aroma bewahrt.
Die Creolen von Rio Grande trinken den Matts ge-
wöhnlich ohne Zucker; er ist dann sehr bitter, aber den-
noch wohlschmeckend; dann nenntman iíjumatté chimarrao.
Der Creóle trinkt Matt« vom Morgen bis zum Abend;
die Cuca geht den ganzen Tag von Hand zu Hand, und
der Kessel hat stets' heißes Wasser, da man jedem Be-
such sogleich Matt« darreicht. Der Europäer lvird sich
im Anfang manchmal die Zunge verbrennen und es etwas
langweilig finden, daß er nicht mehr als drei oder vier
Schlucke auf einmal thun kann, weil die kleinen Cucas
nicht mehr enthalten; aber bald wird er sich an das
Landesübliche gewöhnen und den Matts so ivohlschmcckend
finden, wie irgend ein Getränk der civilisirten Welt.
Ich wenigstens liebe ihn sehr und kenne viele Fremde,
die eben so leidenschaftliche Matts-Trinker sind, wie die
Eingeborenen, für die der Matts das ist, was für den
Chinesen der Thee und für den Türken der Kaffee.
Damit sich der Leser eine Idee von der Handelsbe-
deutuug dieser Pflanze machen könne, füge ich noch einige
statistischen Angaben hinzu.
Unsere Provinz Rio Grande erportirt jährlich im
Durchschnitte den Werth von 850,000 Dollars, jedoch
giebt es Jahre, in denen sie für mehr als eine Million
Dollars ausführt, und dazu kommt noch der starke Ver-
brauch des Kaiserreichs. ........
Die Provinz Para u a führt im Durchschnitt jährlich
den Werth von 700,000 Dollars nach fremden Häfen
aus, und oft steigt ihre Ausfuhr auf 900,000 Dollars^
Die Republik Paraguay führt in Quantität weni-
ger Matts ans, aber die Qualität ist besser, da dort
die Fabrikatioii Monopol der Regierung ist, die allein
Matts-Pflanzungen besitzen kann.
Das Verfahren bei der Zubereitung ist dort ungleich
besser, als in Brasilien, unD deshalb erreicht der Thee
der Republik den dreifachen Preis des hiesigen; dahin-
gegen erportirt Paraguay in Quantität ungleich weniger,
wie daraus hervorgeht, daß es trotz der höheren Preise
nur den Werth von etwa 250,000 Dollars, also den
dritten Theil der Ausfuhr von Rio Grande, außer Lan-
des sendet. Wenn wir nun zu dieser bedeutenden Aus-
fuhr noch die Consumtion im Innern der produzirenden
Länder rechnen, so erhalten wir als Schlußresultat eine
sehr wichtige Industrie, die bei größerer Entwicklung den
verschiedenen Ländern sehr bedeutende Hülfsqnellen schaffen
kann. Karl von Kose ritz.
Die geologischen Verhältnisse der Mauväisrs Teeres.
Wir haben (Globus VI, S. 6) eine Schilderung der
Mauvaises Terres nach Girardin gegeben und ver-
vollständigen jenen Bericht hier durch einige geologische
Bemerkungen über diese merkwürdigen Gegenden, welche
der Naturforscher David Dale Owen in dem Werke:
Geological Survey of Wisconsin, Iowa etc. 1859 gibt.
In unserm Aufsätze sagten wir, daß ein Reisender in
jener Region aus der weiten, eintönigen Prairie plötzlich
an eine Einsenkung des Bodens gelange, in welcher er,
zu seiner nicht geringen Ueberraschung, steile, unregel-
mäßige, prismatisch oder säulenartig gebildete Felsen auf-
steigen sieht und seltsam geformte Pyramiden, die sich
100 bis 200 Fuß und höher erheben.
Diese natürlichen Thürme kommen in jener wunder-
baren Gegend in ungemein großer Menge vor; der
Wanderer muß feinen Weg oft durch enge Passagen
nehmen, welche unregelmäßige Straßen uub_ Gäßcheu
bilden. Ans der Ferne gesehen, gleichen diese eigenthüm-
lichen Gesteinsbildungen den Denkmälern einer verlassenen
oder verwüsteten Stadt; sobald man aber von der Höhe
hinabsteigt und in dieses wirre Labyrinth eindringt,
schwindet alle Täuschung, und die nackte Wirklichkeit macht
sich geltend; was man für Schlösser, Burgen, Thürme,
Portale und Säulen hielt, steht vor dem Beschauer als
düsteres, nacktes Felsengebilde.
Nach Owen befand sich in der ersten Periode der
Terckiärzeit an der Stelle dieser Mauvaises Terres ein
großer Süßwassersee. In dieser Zeit lebten im obern
SK})!6 Missouri und in der Quellgegend der von
w r U 7?.u Zuströmenden Flüsse, also dort, wo wir jetzt
yl. ,,^'Murmge Bergschaf und den Büffel finden, andere
yst!lcv schon untergegangen sind, ehe noch
;: ‘J1U!1^ 9'std Mastodonten erschienen. Die Arten,
f J s. !vs ! Cn Zustande in den Mauvaises Terres
Ai-t UCtcl)en uicht nur von jeder jetzt leben-
f 2^' sondern auch von allen anderen fossilen Ge-
ll/Hchviel wo auf Erden in den For-
mationen der gle:chze:t.gen geologischen Epocke gefunden
Globus VI. Nr. 2. r ' ° 1
worden sind. Neben einer einzigen auf Erden noch vor-
handenen Thiergattung, dem Rhinoceros, finden wir in
den Mauvaises Terres andere Genera, welche der Wissen-
schaft bisher unbekannt waren; sodann auch anomale
Familien, welche in ihrem Bau die anatomischen Ver-
hältnisse verschiedener Gattungen vereinigen nnb als
Bindeglied zwischen den Dickhäutern, den Sohlen-
gängern und Zehengängern gelten können. So zeigt
z. B. das vom Doktor Leidy unter dem Namen Ar-
chäotherium beschriebene Thier die Merkmale der
drei oben erwähnten Ordnungen. Seine Backen-
zähne gleichen jenen des gewöhnlichen Schweins, des
Peccari und des Hirschebers (Babirussa); seine Reiß-
zähne denen des Bären; der obere Schädeltheil, die
Backenknochen und die Schläfengrube dagegen sind ganz
wie bei den Katzenthieren gestaltet. Ein anderes Thier,
welches der eben genannte Naturforscher als Oreodon
bezeichnet, hat die Backenzähne des Elenns und des Hir-
sches, und die Reißzähne der omnivoren Dickhäuter; es
gehörte also zu einer Art, die zugleich von Fleisch und
Pflanzen sich nährte, und dabei wiederkäute wie unsere
grasfressenden Thiere mit gespaltenen Klauen.
Neben diesen ausgestorbenen Thierarten liegen in den
Mauvaises Terres Myriaden und aber Myriaden Indi-
viduen fossiler Dickhäuter von gigantischen Dimensionen.
Sie haben Aehnlichkeit mit der eigenthümlichen Familie
derNüsselthiere, von welchen unter den noch lebenden
der Tapir als Typus betrachtet werden kann. Jene
bilden also den Uebergang zwischen dem Tapir
unb dem Rhinoceros; vermöge des Baues ihrer
Backenzähne erscheinen sie als Uebergangslinie zwischen
de»: Daman und dem Rhinoceros; vermöge ihrer Reiß-
und Schneidezähne verbinden sie einerseits den Tapir mit
dem Pferde, anderntheils mit dem Peccari und dem
Schweine. Sie gehören zu der Gattung, welche von
Cuvier als Palaotherium bezeichnet worden ist, bilden
aber eine besondere Art, von der wenigstens ein Thier,
das Paläotherium Proutii, von weit größeren: Wnch'' gk-
8
58
Eine Besteigung des Groß-Glöckner.
wesen sein muß, als das Paläotherinm im pariser Becken.
Ein Unterkiefer, den man im Kalkschiefer fand, maß vom
ersten bis zum letzten Zahn fünf Fuß. Leider war er
so zerbrechlich, daß man nur einen Theil fortschaffen
konnte, und auch diesem ist trotz aller Vorsicht während
des Transportes zerbrochen.
Ein beinahe vollständiges Geripp desselben Thieres,
welches gleichfalls im Kalkschiefer gefunden wurde, war
18 Fuß lang und 9 Fuß hoch. Die Knochen waren aber
so mürbe, daß die Fortschaffung unmöglich erschien.
Zunächst ÑN Größe steht dem Paläotherium Proutii
eine neue Art von Rhinoceros; sie gehört der Unterab-
theilung an, welche man als ^cerotlierium (ungehörn-
tes Rhinoceros) abgetrennt hat. Der Schädel dieses
Thieres maß bis ju dein abgebrochenen Nasenbein andert-
halb Fuß. Zlvei andere Schädel gehören einem neuen
Geschlecht an; dieses weist Merkmale auf zugleich vom
U^rg.6otll6rinm und OberoxotarnnZ, Thieren, welche bei
einer viel beträchtlichern Größe, als der Hirscheber und
das Peccari unserer Zeit, doch die Kennzeichen dieser letz-
teren aufweisen.
Mitten unter dieser wahrhaft einzigen Reihenfolge
längst verschwundener Dickhäuter hat mail nur ein ein-
ziges Exemplar eines fleischfressenden Thieres mit ein-
ziehbaren Krallen gefunden, und dieses ist leider sehr schlecht
erhalten. Auch kommen in deil Mauvaises Terres ver-
schiedene Arten voil Schildkröten vor, theilweise von
wahrhaft kolossaler Größe; manche haben ein Gewicht
von ulindestens 20 Centnern.
Die Geologie dieser merkwürdigen Region und die
Geschichte ihres vorweltlichen Thierlebens gewinnt ein
noch gesteigertes Interesse, wenn man bedenkt, daß in
der Zeit, in welcher diese Wesen jene Mauvaises Terres
und die Gegend am obern Missouri bewohnten, die Bo-
dengestaltung des amerikanischen Festlandes ganz anders
war, als heute. Europa und Asien waren damals noch
keine Kontinente, sondern bildeten Inselgruppen, die in
einem weiten Meeresraume zerstreut umherlagen. Das
amerikanische Gestade des Atlantischen Oceans war bis
zll der Kette der Alleghanies, lind das Stromthal des
Mississippi bis Vicksburg noch mit Wasser bedeckt. Der
11,000 Fuß hohe Aetna hatte sich noch nicht aus den
Wellen emporgehoben. In der Periode, welche auf den
Untergang dieser Eocenzeit von Nebraska folgte, erhoben
sich in Europa die Alpen bis zll ihrer gegenwärtigen
Höhe; in Indien stieg die gewaltige Kette des Himalaya
empor, in Südamerika gewannen die Cordilleren mehr
als 9000 Fuß an Höhe; der südliche Atlantische Ocean
wich um hunderte von Meilen zurück, uní) ein großer
Theil der gewaltigen Ebene vonl Amazonenstrom bis zur
Magellanstraße erhob sich damals über die Fluthen.
Blicken wir iloch einmal auf die fossileil Ueberreste
der verschwundenen Thierarten, welche im Anfang der
Tertiärperiode die Mauvaises Terres bewohnten, dann
erinnern wir uns auch, daß diese eigenthümlichen Wesen
i>l Nebraska lebten, als die Alpen kaum erst ihre Häupter
über das Wasser erhoben hatten. Dank der Wissenschaft,
wir können heute die Geschichte dieser uiltergegangenen
Thiere uns vergegenwärtigen, wir können sie genau be-
schreiben llnd uils im Bilde so darstellen, wie sie einst
lvirklich und leibhaftig gelebt. Während viele Ueberreste
gelitten habeil und sehr zerbrechlich sind, finden wir
glücklicherweise auch manche so frisch und wohlerhalten,
daß die Sonnenstrahlen auf ihrer mit Schmelz über-
zogenen Oberfläche sich wiederspiegeln, wie aus geglättetem
Stahl. Wäre» sie nicht so gewaltig schwer und böten
sie nicht einen so fremdartigen Anblick, man könnte sie
für Knochen halten, die erst seit einem Jahre bleichen!
Eine Besteigung -es Groff-Gtockner.
Für die wissenschaftliche Erforschung der Alpen ist in
deli letzten Jahren sehr viel geschehen, und namentlich
sind es die Engländer und Oesterreicher, welche es sich
ailgelegen sein lassen, das Hochgebirge nach allen Seitell
hin zn durchreisen und die bedeutendsten Spitzen dessel-
ben zu besteigen. In London besteht ein Alpenclub,
dessen Mitglieder alle Sommer nach dem Kontinente
eilen und namentlich die schweizer und piemontesischen
Alpen erklettern. Die Resultate dieser Wanderungen
erscheinen dann im „Alpine Journal".
Auch die Oesterreicher sind sehr fleißig; ihre For-
schungen erstrecken sich zumeist ans die heimischen Hoch-
alpen uild habeir vor den englischeil Beschreibungen, bei
denen das touristische Element vorherrscht, den Vorzug
größerer Wissenschaftlichkeit. An der Spitze des öster-
reichischeil Alpenvereins steht Di-. Auton voll
Ruth»er, welcher bereits seit einer Reihe von Jahren
sich dse Aufgabe gestellt hatte, die österreichischen Hoch-
gebirge genau kennen zil lernen. Er ist ein zäher, tüch-
tiger Bergsteiger, der seinen Vorsatz mit eiserner Kon-
sequenz verfolgt und nicht so leicht vor einer gefährlichen
Stelle in den'Alpeil zurückweicht. Als Ergebnisse seiner
vielfachen, seit manchem Jahr in jedem Sommer wieder-
holten Alpenreisen gab er eine Reihe Monographien
heraus, die nun in einem geschmackvoll ausgestatteten
Bande uns gesammelt vorliegen. Der Titel lautet:
Ans deu Tauern. Berg- und Gletscherreisen
in den österreichischen Hochalpen. Von Dr. An-
ton von Ru thu er. (Wien, Gerolds Sohn. 1864.)
Unter den Bergen der Centralalpen ist der Groß-
Glockner der höchste und berühmteste. Nach der ge-
wöhnlicheil Annahme betrachtet man die Ortelsspitze
als den höchsten Berg Deutschlands. Nach den Messun-
gen der Gebrüder von Schlagintweit beträgt aber die
Höhe des Groß-Glöckners 12,128 Par. Fuß, während
nach denselben der Ortelsspitze nur eine Höhe von 12,059
par. Fuß zukommt. Nach ihnen hätte also der Groß-
Glockner die Ehre, der höchste Berg Deutschlands zu
sein. Dem stehen aber drei andere Angaben gegellüber.
Die trigonometrischen Messungen des k. k. Generalquar-
tiermeisterstabes ergeben für den Groß-Glöckner 11,991
w. Fuß, die neueste österreichische Militärtriangulirung
ergibt 12,011 w. Fuß und die Katasiraltriangulirung
12,007 w. Fnß. Es stimmen also diese drei Messungen
ziemlich gut mit einander, und legt man sie zu Grunde,
so würde die Durchschnittshöhe des Groß-Glöckner danach
12,003 w. Fuß betragen.
Gewöhnlich findet die Besteigung des Groß-Glöckners
von dem kleinen, an der Möll gelegenen Orte Heiligen-
blut aus statt. Etwas schneller gelangt man zur Spitze
voil dem westlich gelegenen Orte Kals aus; doch bleibt
Heiligenblut die Haupteinbruchstation. Der kleine Ort,
welcher 4096 Filß über dem Meere liegt, hat eine recht
romailtische Lage zwischen hohen Bergell und zeichnet sich
durch eine schlanke, sehr gut erhaltene altdeutsche Kirche
aus. Für die Reisenden ist in zwei einfachen Wirths-
häusern gnt gesorgt und an tüchtigen Führern kein Mangel.
Aus dem „Glocknerbuch", welches in dem einen
Eine Besteigung des Groß-Glöckner.
59
Wirthshanse aufliegt, geht hervor, daß die große
Spitze des Berges im Jahre 1800 zum ersten
Male erstiegen' wurde. Daun erstieg 1837 ein
Bremer, Justus Möller, den Berg wieder. Es folgten
mehrere Besteigungen; so im Jahre 1852 allein drei,
und darunter die unsers Gewährsmannes Dr. von Rnih-
il er. Seitdem ist die Erklimmung der Groß-Glöckners
eine nicht mehr ungewöhnliche Sache geworden. Es gibt
darüber eine eigene Literatur, die Professor Egger in
Wien in seiner „Geschichte der Glocknerfahrten" sammelte.
Äm 30. August 1852, Nachmittags um 5 Uhr, trat
Dr. von Nuthner mit drei Führern seinen Marsch an.
Er wollte die erste Nachtauf der Leiter alp zubringen.
Der Weg führt erst durch das Thal der Möll, dann
immer in nordwestlicher und westlicher Richtung bei den
Gößnitzfällen und am Leiterbach vorbei. Der Steig ist
sehr schlecht, immer schmal 'und steil ansteigenddie
Gegend erscheint kahl und trostlos. Nach 2'/- stnndigcm
Marsche war die Leiteralp erreicht, und an einem lustigen
Feuer fand die Gesellschaft eine behagliche Stimmung
wieder, welche durch die traurige Gegend verscheucht wor-
den war. Der Heuboden der 6200 Fuß hoch liegenden
Sennhütte bot eine genügende Schlafstelle.
Um ein Uhr Nachts ward wieder aufgebrochen. Die
Nacht war kühl, und ringsum zogen dicke Nebel, welche
gerade keine günstigen Erwartungen für eine klare Aus-
sicht aufkommen ließen. Die nächste Station war die
Salmshöhe, 8583 Fuß, die in anderthalb Stunden
erreicht wurde, uud wo bereits die Gletscher beginnen.
Obgleich keiner der schönsten Gletscher, gibt der Salms-
vder Leiterkees (Kees-Gletscher) doch immerhin ein
interessantes Bild. Aus ihm, und als seine Rückwand,
steigt rechts die Hoheuwartshöhe empor und links von
der' lotztern die mit ihr durch einen Eisgrat verbundene
höhere Adlers ruhe. Fast in der Mitte des Bildes
erhebt sich, rachenförmig gespalten, der Doppelgipfel des
Groß-Glöckners mit Steinwänden und Schneeschluchten
auf der Südwestseite. Im Vordergründe breitet sich die
große Steinmoräne des Salmkeeses aus, die bei ihrem
Vorrücken die Salmhütte zertrümmert hat.
Gegen halb fünf Uhr stand Di-, von Ruthner auf
der Hohenwarte (9813 par. Fuß). Die Sonne war noch
nicht aufgegangen, aber schon verkündeten rothe Streifen
im Osten ihr baldiges Erscheinen. Der Kampf des an-
brechenden Tages mit der Nacht nahm sein Ende, und
das Farbenspiel von Grün uud Blau, welches in dem
Maße, als das Silber des Mondlichtes zerfloß, am Fir-
mament die Oberhand gewann, wurde allmälig durch
rothe Tinten belebter.
Auf dem Kamme zwischen der Hohenwarte und der
Adlersrnhe eröffnet sich der Blick auf den 3000 Fuß tief
liegenden Pastcrzgletscher mit seinen Klüften und Ab-
stürzen. Der Schnee war hart genug, um als feste Bahn
zu dienen und begünstigte die Besteigung so sehr, daß
schon nach 42 Minuten die 10,500 Fuß hohe Adlersruhe
betreten ward. Das ersehnte Ziel lag nur noch 1500
Fuß über den Wanderern. Die Adlersruhe, ein Fels-
kamm zwischen den Firnmassen, lieferte in den tausend
großen und kleinen Felsstücken, welche rings wild zerstreut
den Boden bedecken, das Material zu der oben befind-
lichen Steinhütte. Der Bau, ohne Dach und Kalkbewurf,
gleicht einer Ruine; sein Boden ist mit Schnee bedeckt,
und doch ist er eine willkommene Zufluchtsstätte für den
Fall eines plötzlich eintretenden Unwetters.
Vor den Bergsteigern lag nun die steile, eisige Schneide,
ustt der kleinen Spitze des Glöckners endigt. Das
;")llllnunen auf der Eisbahn war höchst mühevoll, ein
kalter ^dind blies mit großer Gewalt, und die verdünnte
uift begann auf die Organismen zu wirken, so daß ein
zettwelses Stehenbleiben zum Athemholen nöthig war;
ne Gesichter Aller deckte Leichenblässe. Ein paar hundert
Fuß unter der kleinen Spitze wird der Berg zur Eis-
nadel; die Führer banden sich die Stricke um den Leib,
und vorwärts ging es, bis um 6'/4 Uhr die kleine
Spitze erreicht war. Schon diese hat oben keine
ebene Fläche, sondern besteht aus einer gegen Norden
und die Pasterze überhängenden Eiswand von vier Fuß
Höhe uub zwei Fuß Dicke.
Die große Spitze steht fast in westlicher Richtung
von der kleinen. Ilm von letzterer auf sie zu gelangen,
hat man zuerst auf dem südlichen Schneeabhange der
kleinen Spitze 20 bis 30 Schritte in der Richtung der
großen Spitze zurückzulegen. Man ist nun dort ange-
langt, wo die Nadel des kleinen Glöckners steil nach
Westen zu abfällt. In südwestlicher Richtung erreicht man
die verbindende Scharte, den gefährlichsten Punkt der
ganzen Glocknerersteigung. Diese Schneide ist kaum
einen Fuß breit und besteht au ihren Rändern zum Theil
aus Eis, das den Tritt sehr unsicher macht; fast senkrecht
fällt die Scharte zu beiden Seiten mehrere tausend Fuß
ab. So wie zur Ersteigung der kleinen Spitze blos Ge-
sundheit und Ausdauer, so ist zum llebergang über die
Schneide zwischen Leiden Spitzen Schwindelsreiheit und
Muth die unerläßliche Bedingung. Wehe dein, welchen
auf dieser Stelle ein Schwindel befallen würde, er wäre
selbst mit den: Seile um den Leib in höchst schwieriger
Lage. Geht man mnthig voran, so ist die Scharte bald
zurückgelegt und die große Spitze erstiegen. Di-, v. Nuth-
ner langte um 6 Uhr 45 Minuten oben an und hatte
von der Leiteralp an bis auf die höchste Spitze 5 Stun-
den und 20 Minuten gebraucht.
Die große Spitze, welche etwa 10 Klafter höher als
die kleine liegt, ist wie diese gestaltet. Dort oben ließ
zu Anfang dieses Jahrhunderts der Kardinal Fürst Salm
ein Barometer anbringen, welches sehr fest in das
Gestein eingelassen war und durch eine eiserne Hülle
gegen die Stürme geschützt wurde. Ein halbes Jahr-
hundert trotzte es dem Winde und Wetter. In dem
furchtbaren Nachwinter von 1852 auf 1853 stürzte es aber
herab. Als Di-, v. Ruthner das Barometer untersuchte,
zeigte es am 31. August 1852 früh 7 Uhr 18" 3'" 8""
wiener Maß. Das am Barometer angebrachte Ther-
mometer zeigte 0° N.
In Folge der Nebel war die Fernsicht nicht vollstän-
dig, aber anet) das unvollständige Bild von ergreifender
Wirkung. Namentlich waren der Norden nnt> Osten
belegt. Gegen Südosten erblickte man aber die schroffe
Kette der Karavankas, den Terglon und Mangert;
nach Süden schweift der Blick ins Venetianische bis
ans Adria tische Meer, doch wagt Nuthner nicht mit
Gewißheit anzugeben, ob er es wirklich oder nur einen
lichten Wolkenstreifen gesehen habe. Gegen Südwesten
entrollt sich der Glanzpunkt des Bildes: das herrliche
Dolomitgebirge südlich vom Drauthale im öst-
lichen Throl, besonders in den Thälern von Serien,
Ampezzo, Ennaberg und Fassa. Diese Hörner, Säulen
und Nadeln finden kaum ihres Gleichen wieder und nah-
men sich in solcher Nähe und alle zusammen gesehen
wahrhaft überraschend aus. Die tyroler Berge waren
überhaupt am besten 51t übersehen, namentlich die Grenz-
gebirge von Südtyrol gegen die Lombardei nnb gegen die
Ortlergruppe.
t Nach einstündigem Verweilen mahnte die durch den
Wind empfindlich werdende Kälte zum Ausbruch. Um
% 8 Uhr verließen die Reisenden die Spitze und ge-
langten^ glücklich über die Scharte zur kleinen Spitze.
Mit Hülfe des Bergstockes ward hinabgefahren, oder, wie
man es in Kärnthen nennt, „hinabgeritten". Um 11
Uhr begrüßte die Sennerin auf der Leiteralp die Rück-
kehrenden und labte sie mit Milch. Dort wurden die
Hüte mit Edelweiß geschmückt, und Böllerschüsse begrüß-
ten die Reisenden, als sie nach zwanzigstündiger Abwesen-
heit Mittags 1% Uhr in Heiligenblut wieder ankamen.
8
60
Das Schiff und die Seefahrt.
Das Schiff und
Der Ocean, das unbegrenzte Weltmeer, umfluthet
deil Erdball; er ist ein länderverbindendes Wasser.
Zum Meere, das alles Flüssige anzieht, strömen die
binnenländischen Fahrbahnen ; das Wasser ist ein beleben-
des Element.
Schon die Alten erkannten seine hohe Bedeutung; die
Dichter reden von des Okeanos heiliger Meerflnth;
Wasser, sagen sie, sei das Vornehmste, und Thukydides
weiß, daß „des Meeres Macht gewaltig" ist. lind in
der That, das Meer macht frei; die Berührung mit dem
Ocean übt einen tiefgreifenden, bestimmenden Einfluß
ans das Leben und die Entwickelung der Völker; sie ver-
vielfältigt die Bande, welche das Menschengeschlecht um-
fassen. Das Meer trennt nur solche Völker, die noch
völlig unentwickelt sind, für alle anderen erscheint es als
ein Band zum Verkehr.
Die Seeluft belebt. Ueberall weckt der Zusammen-
hang mit dem Ocean Gewerbsamkeit und Handel und
steigert allseitig den Verkehr, denn der Ocean ist das
universelle Element. Tie Welt wurde für die Men-
schen erst dann weit, als der Schiffer das Gängelband
der Küstenschifffahrt abstreifte und ans den Binnenmeeren
sich in die nngemessene Weite des Oceans hinauswagte.
Seitdem die Völker das Weltmeer durchfurchen, ist durch
die Einwirkungen jenes universellen Elements auch der
menschliche Geist universeller, der Blick weiter geworden.
Das Meer lockt und treibt den Anwohner der Gestade
in die Ferne, und in unseren Tagen finden wir Schiffe
und Kaufleute überall, wohin Menschen gelangen können.
Dein oceanischen Handel gegenüber ist der Land-
handel überall, wo er nicht die neuen Verbindungsmittel
in seinen Dienst ziehen iind benutzen kann, schwerfällig
und wie gebunden. Wir haben dafür in unserer Dar-
stellung des Karawanenverkehrs eine Fülle von Beweisen
gegeben. Der Gegensatz stellt sich ohne Weiteres klar
und scharf heraus, sobald man erwägt, daß ein einziges
Seeschiff von der jetzt für lange Fahrten üblichen Größe
und Tragfähigkeit mit einer eben so großen Waarenmenge
befrachtet wird wie eine ganze Maulthier- oder Kamecl-
Karawane; daß dieser Transport unendlich weniger Kosten
verursacht und die Güter int Allgemeinen eben so sicher,
und allemal weit rascher, an ihren Bestimmungsort ge-
langen. Während ein Karawanenthier höchstens fünf
Meilen im Tage zurücklegt, durchmißt ein Segelschiff
unter Durchschnittsverhältnissen die vierfache, unter gün-
stigen Umständen die zehnfache Strecke; das Schiff kann
sich nach Belieben den Weg suchen, die Karawane ist un-
abänderlich an einen und denselben gebunden. Auch ge-
stattet der Karawanenhandel bei Weitem keine so bunte
Mannigfaltigkeit im Verkehrsleben, und die Regsamkeit
in einem großen Seehafen ist von ganz anderer Art, als
jene in einer Binnenstadt.
Fast drei Jahrtausende lang war das Mittelländische
Meer Centralpunkt der Verkehrsbewegung für alle Völker,
welche die Küstenländer dieser „Thalassa", dieses viel und
reich gegliederten Binnenmeeres, bewohnten. Es war
gleichsam ein Individuum für sich, das bis weit in die
Hinterländer seine Anziehungskraft übte; es hatte seine
besondere Selbständigkeit und nur geringe Beziehungen
zum Ocean. . Die Größe des Weltmeers kannte man im
Alterthum nicht, und Schiffer, welche sich über die Säulen
des Herkules hinauswagten, steuerten nicht ins Weite
hinaus, sondern segelten soviel als möglich im Angesicht
der Küste. Bevor der Verkehr den Ocean gewann, hat
sich auf und an dieser Thalassa ein wunderbar reiches
*) Eiii Bruchstück aus der neuesten Lieferung von Karl Andree's
„Geographie des Welthandels".
die Seefahrt^).
Kultur- und Handelsleben entfaltet. In unseren Tagen
gewinnt das Mittelmeer einen nicht geringen Theil seiner
früheren Bedeutung zurück, weit der ungeheure Auf-
schwung, lvelchen der Güteraustausch gewonnen hat, auch
ihm zu Glite kommt inid unser Abendland den starren
und zum großen Theil passiven Orient durch die neueren
Verbindnngsmittel und dlirch eingreifende Thätigkeit in
allen Lebensverhältnissen überflügelt.
Gegeil Ende des Mittelalters wurde jene Thalassa
den Seevölkern Enropa's zu eng; sie singen an, in das
Weltmeer hinaus zu steuern und suchten planmäßig einen
größern Raum für ihre maritime Thätigkeit. Der Handel
wollte sich ein viel weiteres Gebiet erobern und gewann
ein solches, als das Weltmeer nach allen Richtungen hin
durchschifft wurde.
Seit den Fahrten des Colnmbus, der kühn und ge-
trost querein nach Westen in die nngemessene Weite fuhr,
um Indien ans dem Seewege zu erreichen, und dann,
ohne es zu ahnen, eine „Nene Welt" fand, — und seit
Umschiffung der Südspitze von Afrika durch Vasco da
Gama ist der Ocean „entfesselt" worden. Zwar schon
im Alterthum waren Karthager über die Thalassa hinaus
nach Süden hin bis an die Küste von Guinea vorge-
drungen; und normannische Seefahrer hatten auf ihren
abenteuerlichen Zügen die Ostgestade von Nordamerika
besucht. Aber für Verkehr und Geschichte blieben diese
Unternehmungen unfruchtbar und ohne alle Folge.
Oceanisch wurde der Verkehr, als jene beiden großen
Seefahrer die Schranken der Thalassa für immer durch-
brachen; seitdem hat die Erde kein Ende, der Handel
keine Schranken mehr, außer jenen, welche die Natur
selber ihm für immer gezogen hat. Wir steuern nun
hinaus in alle Welt und handeln mit allen Völkern;
das Erdganze gehört uns und unseren Waaren.
Mit dem Anbeginn des 16. Jahrhunderts gewannen
die Seevölker Enropa's einen unendlich weiteren Blick als
früher, sie wurden von einem „Hinaus des Geistes" ge-
packt und erhielten in fremden, früher unbekannten Regio-
nen hunderte von neuen Eindrücken, welche bis in die
letzte Hütte wirkten. Binnen vierthalb Jahrhunderten
hat der Welthandel sich nach und nach alle Meere erobert,
nnb indem er diese ungeheuern Fortschritte machte, ist
ihm der ganze Erdball Unterthan geworden. Nachdem
schon längst der Atlantische Ocean und die indischen Ge-
wässer ein Gemeingut der seefahrenden Völker gewesen,
nachdem die Seefahrer längst bis in die eisigen Äegenden
des Nördlichen Polarmeers vorgedrungen waren, eröffnete
sich der Weltverkehr zuletzt auch die gewaltige Südsee,
den ungeheuern Wasserraum zwischen Westamerika und
Ostasien.
Ter Kaufmann sollte nie vergessen, daß es die W i ssen -
schaft ist, welcher er die ungemessene Ausdehnung des
Handels verdankt; diese hat ihm und seinen Waaren-
ballen die Seewege geöffnet und geebnet, hat sich zu sei-
nem Besten abgemüht und arbeitet unablässig fort. Wir
haben heute genaue Kunde von den Strömungen des
Oceans, von den regelmäßigen Winden, kennen das Ge-
setz der Stürme und wissen,'wie vielen derselben und ans
welche Weise man ausweichen kann. Die Seewege sind
unendlich sicherer geworden als in früheren Zeiten; der
Schiffer weiß, wann und wie er sie aufzusuchen und zu
vermeiden hat. Allerdings hat auch jetzt noch derSeefahrer
mit den ewigen Natnrgewalten zu rechten und zu kämpfen.
Aber indem er sein Fahrzeug den Strömungen und Win-
den anvertraut, sucht er sich beide dienstbar zu machen
und sie zu leiten; und durch den Dampf ist er zumeist
in die Lage versetzt, ihren Widerstand 311 überwältigen.
Das ©cf)iff und die Seefahrt.
61
Es ist eine sehr richtige Bemerkung, daß bei der vervoll-
kommneten Nautik unserer Tage der Compler zwischen
Natur und Geist sich recht anschaulich zeige. Dieser hat
jene ergriffen und begriffen, und das gerade ist ein
Triumph der Wissenschaft; nur durch diese ist der Mensch
Sieger auf dem Ocean geworden.
Wie aber kommt es, daß gerade wir, die europäischen
Völker germanischen tlnd rotitanischen Stamnies
uns das Weltmeer und die Welt maritim und commerciell
erobert haben? Weshalb nicht die Inder, Chinesen,
Japaner oder andere Völker, an deren Küsten doch auch
der Ocean brandet? Die Antwort ist leicht gegeben:
Wir sind die activsten Menschen ailf dem Erd-
ball und machten den Ocean znm Schauplatz geistiger
Thätigkeit. Wir gaben der bloßen Wasserform eine
Kultur- und Verkehrsbedeutiulg uni) zwangen sie in den
Dienst der Interessen des Welthandels. Durch Kompaß,
Segel, Dampf, Chronometer rc. beleben wir unsere Fahr-
zeuge, tlnd das Schiff muß arbeiten, tvie der Seemann
es haben will.
Unser reich gegliederter Erdtheil Europa bildet den
Hauptansgangspunkt für die oceanische Welt, und die
zu beiden Seiten des Atlantischeil Bteeres wohnenden
germanischen Völker sind das Handelscentrum für die
Welt geworden, der Thätigkeitsherd, von welchem alle
großeil Antriebe im Welthandel ausgehen. Ein Blick
auf die Karte zeigt, daß die germanischen Völker vorzugs-
weise denl Ocean zugewandt sind. Voll der mehr auf
das Mittelmeer angewiesenen romanischen Gruppe gilt
das nur in bedingtem Maße. Die Slaven erscheinen
als vorzugsweise kontinental. Ueber das Atlantische Meer
hat Europa seine Civilisation uild seinen Handel nicht
allein nach der „Neuen Welt" getragen, sondern über
die ganze Erde vermittelt. Denn dieser Theil des Oceails
bildet die große Fahrbahn, lvelche jeder von Europa aus-
laufende oder dorthin zurückfahrende Schiffer durchsegeln
muß; er kann derselben gar nicht ausweichen.
Die Achse, um welche der Welthandel sich bewegt,
ist deshalb vorzugsweise eine atlantische, und dieses Ver-
hältniß lvird bleiben, so lange Europa und das uns
gegeilüberliegende Nordamerika an der Spitze des Welt-
verkehrs stehen und der gewerbliche Genius, die industrielle
und commercielle Anlage und Begabung in den atlanti-
schen Regionen wie bisher vorwaltend bleiben. Sowohl
der Indische Ocean lvie die Südsee werden, trotz ihrer
schon hochgesteigerten Bedeutung, von den atlantischen
Interessen abhängig und diesen mehr oder weniger dienst-
bar bleiben.
Wir können den nordatlantischen Ocean mit vollem
Recht als ein großes germanisches Meer bezeichnen;
es ist ein Hauptschauplatz vielseitiger Thätigkeit gerade
für die germanischen Völker, und diese stehen in Bezug
auf geistige Regsamkeit und Entwickelung des Lebens, in
Wissenschaften und technischen Fertigkeiten, in Handel
und Schifffahrt in vorderster Reihe, sind, lvie schon be-
merkt, vorragend activ. Norwegen, Dänemark, Deutsch-
land, beide Niederlande und Großbritannien auf der
Ostseite, und Nordamerika an den westlichen Gestaden
haben, zusammengenommen, im großen Weltverkehr, ins-
besondere in der Schifffahrt, alle anderen Länder der
Welt dermaßen überflügelt, daß zwischen ihnen und den
übrigen großen Völkergruppen, sämmtliche romanische und
slavische Völker mit eingeschlossen, auch nicht einmal an-
nähernd ein Vergleich gezogen werden kaun. Germanen
stehen an der Spitze der oceanischen Verkehrsbewegungen,
geben zu denselben Anlaß, gehen als Lenker und Leiter
voran, find m Europa, Asien, Australien und Polynesien,
in Amerika und auch in Afrika vorlviegend und bestim-
■•rirrf» j .ia 'eu beide indische» Halbinseln und den
östlichen Archipelagus dem europäischen Einfluß unter-
worfen, Uhihi und Japan eröffnet, Australien, Cali-
formen, Oregon und Britisch Columbia besiedelt, Süd-
afrika unter Anbau gebracht, die Inseln der Südsee mit
den Wellenschlägen des Verkehrs berührt und überall,
auf Meeren und Strömen, steigen die Rauchsäulen ihrer
Dampfer empor: auf dem Ganges und Indus, wie auf
dem La Platastrom oder Mississippi.
Alles haben die Germanen erreicht durch ihre hervor-
ragende Seebegabung uiid Seetüchtigkeit, durch ihre mari-
time Anlage und ihren Unterirehmnngsgeist, welchem sie
ausdauernden Nachdruck geben. Auf dem flüssigen Ele-
mente haben sie sich zur Geltung gebracht, und dieses
Element wird sie stets verhindern, einer einseitigen Kul-
turentwicketlmg anheim zu fallen. Vor einer solchen
bleiben sie bewahrt Duvet) ihren Drang in die Weite, durch
ihre Wanderlust und die oceanische Spürkraft. Nur die
seefahrenden Germanen haben in fremden Erdtheilen
dauernde Reiche gegründet, sich über den ganzen Erdball
verbreitet und haben unter allen Klimate» Kolonien oder
Ansiedelungen gegründet, von Grönland bis nach Süd-
chile, Afrika und Neuseeland. Diesen Ansiedelungen ist
eine Zukunft sicher, weil die Völkerwanderung auch in
unseren Tagen vorzugsweise von den seefahrenden Völkern
germanischen Stammes ausgeht und die romanischen
Gruppen nur sehr schwach berührt. Gerade diese Aus-
wanderungen haben in erheblichem Maße dazu beigetragen,
den Seehandel und die Schifffahrt in so kolossaler Weise
zu steigern. Binnen 40 Jahren zogen nicht weniger als
acht Millionen Menschen aus Europa über See, um in
anderen Erdtheilen eine neue Hcimath zu suchen, und
alle Auswanderer, mit Kind und Kindeskind, sind Pro-
ducenten und Verbraucher geworden. Sie liefern Waaren
nach Europa und beziehen hingegen dergleichen aus unserem
Erdtheile. Dieser Austausch wird zum größten Theil
auf oceanischen Bahnen vermittelt.
Mit dem steigenden Gedeihen der überseeischen Länder
entwickelte sich die Schifffahrt in einer geradezu kolossalen
Weise. Seit der Anwendung der Dampfkraft in der
Industrie, mit dem wachsenden Wohlstände und der
raschen Zunahme der Bevölkerung in Europa, verlangen
wir eine ungeheure und noch immer wachsende Menge
von Rohstoffen, und die anderen Erdtheile begehren von
uns die Erzeugnisse unserer Gewerbsamkeit. So ist es
gekommen, daß die Seeschifffahrt, im Vergleich zu jener
am Anfang unseres Jahrhunderts, sechs- 'bis siebenmal
stärker geworden ist. Man kann annähernd genau be-
haupten, daß gegenwärtig etwa 150,000 Schiffe mit einer
Tragfähigkeit von etwa 16 Millionen Tonnen, jede zu
20 Centnern gerechnet, auf dem Meere und im Ebbe-
und Fluthbereich der großen Ströme schwimmen. Da-
von kommen mehr als drei Viertheile, das heißt etwas
über 13 Millionen Tonnen, aus die germanischen Völker.
Engländer und Nordamerikaner stehen voran; unmittel-
bar hinter ihnen folgen wir Deutschen. Auf sämmtliche
germanische Völker kommen nahe an 95,000 Fahrzeuge.
Wir sagten schon oben, daß die Achse des Weltver-
kehrs im Atlantischen Ocean liege. So lange Europa
die Erzeugnisse des fernen Morgenlandes auf dem Land-
wege erhielt, befand sie sich im Mittelländischen Meere.
Aber sie verrückte sich aus der Thalassa, dem eingeschränk-
ten Binnenmeere, hinaus, seitdem die wichtigsten Artikel
des Welthandels, Baumwolle, Zucker, Kaffee, Indigo
ustd sv viele andere, auch nach der lvestlichen Erdhälfte
hinüber verpflanzt wurden, von welcher, mit der steigen-
den Entwickelung der Kolonien und dem immer ausge-
dehnteren Anban, bald eben so große Waarenmengen zu
uns kamen. Auch die indischen Erzeugnisse gelangten
fortan zumeist auf dem Seewege zu uns, und die levan-
tinische Handelsdomäne gerieth in Abhängigkeit von der
ungleich ausgedehnteren atlantischen. Die Verkehrsbe-
wegung wurde umgewandelt, die alten Fahrbahnen wur-
den überflügelt; die Handelsgröße von Südeuropa sank.
Und lvie unbedeutend erscheint sie, wenn man an jene
der Italiener oder der Hansa den Maßstab unserer Tage legt!
Seit dem 'Jahre 1837 ist auch die früher nur auf
Strom- und Küstenfahrt beschränkte D a m p f sch i ff fa h r t
62
Aus allen Erdtheilen.
oceanisch geworden, und damit hob eine neue Epoche
an. Viele Güter, bei deren Bezug es sich um rasche
Ablieferung und Regelmäßigkeit handelt, werden ver-
mittelst der Dampfer bezogen, welche auch die über-
seeische Post befördern. Heute stehen die Dampfer-
linien von Japan bis St. Petersburg, von Vuenos-Ayres
bis zum Nordkap, von Valdivia bis zur Vancouverinsel,
von Adelaide bis Hamburg, kurz über den ganzen Erd-
ball, mit einander in Verbindung; sie haben „Anschluß".
In Vasco da Gama's Zeiten bedurfte man acht bis neun
Monate zu einer Fahrt nach Indien: im Jahre 1863
legen Schraübendampfer jene vom Vorgebirge der guten
Hoffnung bis zur englischen Küste in 39 bis 40 Tagen
zurück; der Schraubendampfer „Carnatic" machte die von
Southampton nach Ceylon in 49, ein anderer in 56
Tagen. Eine Fahrt aus dem britischen Kanal nach Neu-
york oder Philadelphia nahm im vorigen Jahrhundert
mindestens acht Wochen in Anspruch. Aber der Dampfer
„Scotia", welcher am 19. Juli 1863 Nachmittags 4 Uhr
von Queenstown aus in See stach, war schon am 24.
Juli, Mittags 1 Uhr, am Kap Race auf Neufundland;
er hat also die Fahrt von einem Erdtheil bis
zum andern binnen fünf Tagen zurückgelegt.
Am 27. Juli warf die „Scotia" ihre Anker im Hafen
von Neuyork aus, nachdem sie den Weg dorthin, voir
Queenstown ab, in 8 Tagen 4 Stunden gemacht hatte.
Auch die Segelschifffahrt hat in unseren Tagen
viele wesentliche Verbesserungen erfahren. Für beu ge-
steigerten Verkehr, welcher schwer ins Gewicht fallende
Waaren, z. B. Zucker, Reis, Getreide, oder solche, die
einen großen Raum einnehmen, wie Baumwolle, rasch
an die Bestimmungsorte bringen will, reichten nun die
alten Seeschiffe nicht mehr aus. Sie waren zumeist von
geringer und mittlerer Tragfähigkeit, und Ostindienfahrer
von 1000 Tonnen Gehalt galten für große Schiffe. Die
Erfahrung hat gelehrt, daß ein Schiff um so vorthetl-
hafter sich führt, se größer, bis zu einer gewissen Grenze,
dasselbe ist. Früher zog man durchschnittlich selbst für
lange Fahrten Schisse von 300 bis 600 Tonnen vor,
aber jetzt weiß man, daß dergleichen von 1200 bis 1500
und unter Umständen 2000 Tonnen Tragfähigkeit größern
Nutzen abwerfen. Große Fahrzeuge erfordern im Ver-
hältniß weniger Bemannung als kleinere und können
drei- bis viermal mehr Güter laden, sie werfen bessere
Frachten ab und machen sich eher bezahlt. Wir können
bestimmt nachweisen, in welcher Stufenfolge allmälig, genau
tu dem Verhältnisse in welchem der Handel an Ausdeh-
nung gewann, auch die durchschnittliche Tragfähigkeit der
Schiffe eine immer größere wurde. In England hielten die
Seeschiffe im Jahre 1814 durchschnittlich nur 122 Tonnen,
während die Tragfähigkeit 1822 etwa 235 Tonnen betrug
iliid jetzt mehr als 250. Im Jahr 1826 besaß Bremen
im Ganzen 87 Seeschiffe, die zusammen eine Tragfähig-
keit von nur 15,254Tonnen hatten; unter ihnen befanden
sich mir acht dreimastige Schiffe, und in der ganzen
breniischeii Handelsflotte hatte mail nur ein einziges
Fahrzeug, das 400 Tonneii hielt. Von den 243 See-
schiffen dagegeii im Jahre 1854, welche zusammen 117,462
Tonnen hielten, waren nicht weniger als 146 große Drei-
master, und voil diesen hielten 25 mehr als 800 Tonnen;
mehrere hatten 1200 lis 1600 nild eines sogar 2532.
Aus allen
Der Vulkan auf der Insel Bourbon (Reunion) ward
am 2. und 3. September 1863 durch vr. Kersten, den Reise-
begleiter von der Deckens, erstiegen. Nach einem Briefe, den
er ail vr. Barth in Berlin schrieb, führte ihn der Weg von
St. Denis (Globus V, S. 70) durch Zuckerpflanzungen, be-
Diese 25 Dreimaster hielten zusammeil 26,576
Tonilen, also nahezu die doppelte Tragfähig-
keit, als die gesammte bremische Handelsflotte
28 Jahre früher gehabt hat.
Der Schiffsbau ist hinter der neuen Aufgabe, welche
er sich gestellt sieht, nicht zurückgeblieben. Früher ziinmerte
man das Vordertheil des Schiffes fast eben so breit wie
das Hintertheil, und das Fahrzeug wurde bauchig. Jetzt
dagegen baut man vielfach nach dem sogeilanilten Dia-
goualprincip, indem man den Schiffsruinpfaus drei Lagen
Holz herstellt, von denen zwei im rechten Winkel gegen
die dritte liegen. Man zimmert nun den Bug so scharf
wie ein Messer, und der Lauf des Schiffes wird be-
schleunigt, während der Bug an Stärke nichts einbüßt.
Bei beit gewöhnlichen Schiffen stellt sich das Verhältniß
der Länge zur Breite wie 3 zu 4, bei den Clipperu aber
lvie 3 zu 5 oder 6, ja in einzelnen Fällen zu 8 und
darüber. Dadurch wird die Schnelligkeit befördert; aber
für die „Baumwollenschiffe" baut man in Nordamerika
nicht so scharf, sondern an Bug und Stern weniger fein.
Das größte dieser Baumwollenschiffe, die „Great Re-
public" hat eine Tragfähigkeit von 5900 Tonnen!
Die großen „Clipper" leisten Alles, was man von
einem Segelschiffe nur verlangen kann. Als es darauf
ankam, den Waarenbedarf in den neuen Goldländern
Californien und Australien so rasch als möglich zu be-
friedigen, baute man Schiffe, welche bei möglichst großer
Tragfähigkeit ungleich rascher segeln konnten, als die nach
alter Weise gezimmerten Fahrzeuge. Dampferlinien nach
Nordwestamerika waren damals noch nicht vorhanden,
und ohnehin die Wege über die Landenge von Panama
oder durch Nicaragua noch nicht gebahnt'. Es blieb also
nichts übrig, als, z. B. von Neuyork aus, nach wie Vot-
um das Kap Horn zu fahren. Aber unter den damaligen
Conjuucturen konnte eine Ladung, welche zwei oder drei
Tage früher als eine andere in Sau Francisco eintraf,
einige hundert Procent Nutzen mehr gewinnen, als wenn
sie gleichzeitig mit der zweiten angelangt wäre. So
wurde „rasche Fahrt" die Losung. Seit länger als einem
halben Jahrhundert wurden auf deu Werften zu Balti-
more in Maryland kleine scharf geschnittene Fahrzeuge
gebaut, die „Baltimore Clippers", welche ungemein schnell
fahren. Diese nahm sich der Schiffsbaues Mac Kay, ein
in Boston lebender Schotte, zum Muster und baute der-
gleichen von mehr als 2000 Tonnen Gehalt. Der erste
große Clipper war die „Fliegende Wolke", und sie bestand
die Probe so gut, daß sie in manchen Tagen 374 See-
meilen zurücklegte und zu der Fahrt von Neuyork bis
San Francisco die beispiellos kurze Zeit von nur 87
Tagen gebrauchte. Schiffe alter Bauart haben manchmal
170 bis 180 Tage nöthig, um die Fahrt zwischen diesen
beiden Häfen zu machen. Der zweite Clipper Mac Kay's,
die Sovereign of the Seas, segelte noch rascher; dieses
Schiff wurde einem deutschen Handlungshause verkauft, das
mit demselben binnen elf Monaten eine Fracht von
280,000 Thaler preußisch Courant realisirte, weil es
alle anderen Fahrzeuge überholte. Es legte im Sommer
1853 die Fahrt von Neuyork nach Liverpool in 13 Tagen
und 19 Stunden zurück; und im Sommer 1863 segelte
es von Liverpool nach Melbourne in Australien binnen
74 Tagen!
E r d t h e i l e n.
stellte Aecker und Tamarindeuwalduugen allmälig bis zu einer
Höhe von etwa 6000 Fuß, wo schwarze Lavamassen mit senk-
rechten Abstürzen den Weg beschwerlicher machten. Der höchste
Gipfel, ein erloschener Krater, hatte eine Höhe von mehr als
7500Fuß; einem thätigen Krater, welcher weiter gegen Osten lag,
Aus allen Erdtheilen.
63
entstregeil an einigen Stellen leichte Rauchsäulen. Der Vulkan
hat in der Regel jedes Jahr einen Ausbruch, richtet aber
wenig Schaden ' an. Seine ältere Lava zeigte sich oft mit
Grün und selbst mit Farrn und Bäumen bewachsen.
Krankheiten im abcssinischen Mensa, vr. Hassenstein,
welcher den Herzog von Kobnrg auf seiner Reise nach Mensa
begleitete, berichtet in dem kürzlich erschienenen Reisewerke
des Herzogs über die von ihm in jener Gegend beobachteten
Krankheiten. Trotz des beträchtlichen Temperaturwechsels und
des mangelhaften Schutzes dagegen, kommt bei den Einge-
borenen von Mensa keine Tuberkulose vor, eben so wenig be-
merkte vr. Hassenstein Skrophnlose, Rhachitis, Gicht- und
Hautkrankheiten, dagegen kamen öfters Amaurose, Conjuncti-
vitis ohne Granula'tionsbildnng, Ceratitis, Trübungen der
Hornhaut, rheumatische Affektionen der Muskeln, Bronchitis,
akuter Magenkatarrh und Dysenterie zur Behandlung. G e g en
30 Prozent der Frauen sollen im Wochenbett er-
liegen, wohl zum Theil als Folge der vor gehöriger Ent-
wickelung des Körpers eingegangenen Ehen; außerdem soll die
Sterblichkeit nur in den ersten Lebensjahren beträchtlich sein.
Aus Sierra Leone, Westafrika. Es kann für die große
Thätigkeit zeugen, welche die protestantischen Missionäre dieser
Gegend zuwenden, daß in Freetown, der Hauptstadt dieser
englischen Besitzung, schon im Jahre J847 nicht weniger als
2k Kirchen und Kapellen vorhanden waren, aber diese gehörten
— nicht weniger als 19 verschiedenen Kirchen und
Sekten an.
Die katholischen Missionäre beim Sultan von San-
sibar an kwr Ostküste von Afrika. Im Jahre 1860
gingen zwei Sendboten und sechs Nonnen von der Marien-
congregation von der Insel Reunion nach Sansibar, wo
sie ungemein freundlich von dem mohammedanischen Sultan
aufgenommen wurden. An der Spitze steht Pater Fava,
der ein recht intelligenter Mann zu sein scheint; ihm sind
dann mehrere Missionäre gefolgt und einer derselben, H o r-
ner, gibt uns eine lebhafte' Schilderung des Empfangs,
welchen' die Sendboten beim Sultan fanden. Wir haben
früher gemeldet, daß Herr von der Decken sich mit dem-
selben überwerfen hat; die Missionäre sind aber klüger gewe-
sen und haben die Gunst des mächtigen Herrschers erworben.
Im Juni 1863 machten die Neuangekommenen der musel-
männischen Majestät ihre Aufwartung; der französische Konsul
stellte sie vor. Beim Palast war als Ehrengarde eine Abthei-
lung arabischer Soldaten aufgestellt, die aber noch nicht nni-
formirt waren. In der Empfangshalle kam der Sultan, nebst
einigen Prinzen und einem Gouverneur, den Fremden ent-
gegen und reichte ihnen stillschweigend die Hand. Das arabische
Ceremonie! verlangt bei solchen'Gelegenheiten ein völliges
Schweigen.
Der Sultan hatte die Schuhe abgelegt, die Europäer er-
schienen mit entblößtem Haupte. Die Unterhaltung wurde
durch Dolmetscher vermittelt. Seine Majestät trug einen Tur-
ban, einen langen weißen Ueberwurf, vor der Brust einen
Dolch und an der Seite einen Säbel. „Seine Hoheit", so
schreibt Horner, „erklärte, daß unsere Anwesenheit ihm Freude
mache; es sei ihm lieb, daß Missionäre kämen, um das Volk
in der Religion und im Arbeiten zu unterweisen. Inzwi-
schen wurden uns Kaffee und Rosenwasser mit Zucker gereicht,
und die Rede kam auf die politischen Angelegenheiten Enro-
pa's. Der Sultan, ein noch junger Mann, hat in seinem
Gesichtsausdruck eine unbeschreibliche Güte und Milde." Im
Fortgänge des Gesprächs erfuhr er, daß ein Angehöriger der
Mission Mechanikns sei, und das gefiel ihm. Beim Abschied
sagte der „gute und großherzige'Sultan", die Missionäre
möchten sich nur allzeit an ihn wenden, er werde ihnen gern
förderlich sein.
Fava hat durch Takt und Klugheit der Mission eine an-
gesehene Stellung zu verschaffen gewußt und steht auch mit
den protestantischen Konsuln auf dem besten Fuße.
erwiederte den Besuch und zog an der Spitze
von etwa 600 Soldaten auf. Die Missionäre hatten in ihrem
Zrmmer mehrere geistliche Gemälde und auch ein schwarzes
Broncestandbrld des heiligen Petrus. Ein Vetter des Sultan
glaubte daraus folgern zu müssen, daß dieser Apostel ein
^Ewesen sei. In der Kapelle betrachtete der Sultan
das Kreuz sehr genau mrd war entzückt, als Pater Schimpf
die ^rgel sprelte. Den Nonnen hat er reiche Geschenke gege-
ben und sich zum Beschützer ihrer Anstalten erklärt. ' Die
Missionäre haben einen Springbrunnen angelegt, an welchem
die Araber und Schwarzen sich liicht satt sehen können. In
einer Schule werden 23 Negerkinder unterrichtet, und der Sul-
tan wohnte nicht nur hier dem Unterricht und einer Prüfung
bei, sondern auch jener in der Anstalt, wo die Missionäre in-
dische Knaben unterrichten. Er war erstaunt, daß sie, deren
Muttersprache das Tamulische ist, große Fortschritte im
Französischen gemacht hatten. Aber am meisten interessirte ihn
die Eisengießerei der Mission.
Spinnen aus Madagaskar. Die Abneigung, welche
man bei uns gegen die Spinnen im Allgemeinen hegt, wird
von den Einwohnern von Madagaskar' nicht getheilt. Die
Angehörigen der verschiedenen dort lebenden Stämme ver-
zehren diese Thiere entweder als Nahrung, oder benutzen
sie als Heilmittel. Ein Franzose, vr. Vinson, hat
vor Kurzem ein Werk über die Araneiden Madagaskars ver-
öffentlicht, in dem einige seltsame auf diese Thiere bezüg-
liche Thatsachen mitgetheilt werden. So traf er einst einen
jungen Howa, welcher am Küstenfieber litt und sich schon
in einem sehr bedenklichen Zustand befand; als Gegenmittel
wandte er eine große Spinnenart an, deren Hinterleib etwa
von der Größe und Farbe blauer Weinbeeren war. Er
röstete und verzehrte dann dies sonderbare Gericht, in Folge
dessen er vollständig genaß. Eine andere schöne Spinne Ma-
dagaskars, die mit unserer Kreuzspinne verwandt ist, die
Epeira madagascarensis, wird oft in Fett gebraten und als
Delikatesse gegessen.
Auch auf' der Insel Reunion benutzt man die harzigen Spin-
nengewebe einer dicken Epeira-Art medicinisch. Zu Pillen
geformt, dient das Spinnengewebe alsErsatzmittel
der China gegen Wechselfieber, auf Wunden gelegt, wirkt es
blutstillend. Auch zur Fabrikation von Seide hat man auf
Mauritius und Reunion mehrfach Spinnengewebe benutzt, ja
selbst Handschuhe daraus gewoben, doch wird man wohl schwer-
lich zu einem nutzbringenden Ergebnisse gelangen, ba die
Spinnen Fleischfresser sind und als solche nicht wie Seiden-
raupen gezüchtet werden können.
Einwanderung in Nordamerika über Nenyork. Aus
dem Jahresbericht, welcher der Legislatur zu Albany vorge-
legt wurde, - geht hervor, daß im Jahre 1863 in Nenyork
194,377 Einwanderer ankamen. Unter diesen waren 37,533
amerikanische Bürger und 156,844 Ausländer. Hieraus ergibt
sich, daß in dem genannten Jahre 80,538 Ausländer mehr
einwanderten, als 1862 und 91,315 mehr, als im Jahre 1861.
Von diesen eingewanderten Ausländern waren 92,157 aus
Irland, 35,002 aus Deutschland , 18,157 aus England
und 10,928 ans anderen Ländern. Wir ersuchen hiernach die
früher mitgetheilten, etwas abweichenden Zahlen Bd.V, S.384
zu berichtigen.
Die Eisernte in Nordamerika ist in Folge der grimmig
kalten Tage im Januar und Februar so reich ausgefallen, daß
für den nächsten Sommer kein Mangel an dem "jetzt unent-
behrlich gewordenen Artikel zu fürchten ist. Aus dem Rock-
land-See am Hudson wurden allein 200,000 Tonnen auf-
bewahrt, und die anderen Seen und Teiche im Staate Nenyork,
so wie in einigen Neu-England-Staaten, besonders in Massa-
chusetts, waren eben so ergiebig.
Die Eisausfuhr war vor dem Ausbruche des Bürger-
krieges für den Handel der nördlichen Staaten von ziemlicher
Bedeutung. Schon zu Anfang dieses Jahrhunderts führte
ein bostoner Kaufmann, Namens Tunlor, eine Ladung Eis
nach der Insel Martinique.' Boston war immer der Central-
punkt für den Eishandel. Schon 1844 befaßten sich 16 Kom-
pagnien damit, von denen eine 7000 Dollars blos für Stroh
und Heu zum Verpacken verausgabte. Vortreffliches Eis lie-
fert namentlich der Fresh - Pont bei Cambridge, unweit Boston,
der sich durch ungemein klares Wasser auszeichnet. Eine Eis-
fläche von zwei Äckern gibt etwa 2000 Tonnen. Die Arbeiter-
schneiden, nachdem der Schnee sorgfältig weggekehrt worden
ist, mit einem Handpfluge Quadrate in die Oberfläche, die
nachher ausgesägt und mit verschiedenen Werkzeugen aus-
gehoben werden.' 40 Arbeiter können mit Hülfe von 12 Pfer-
den täglich 400 Tonnen loseisen und ins Lagerhaus bringen.
Im Jahre 1859 war die Eisansfuhr aus nördlichen Häfen
auf ungefähr 600 Ladungen, im Gesammtbetrag von 250,000
Tonnen, gestiegen. Seit dem Ausbruche des Krieges hat dieser
große gewinnbringende Handel natürlich bedeutend gelitten.
64
Aus eisten Erdtheilen.
Ter Ertrag eines Sees ist viel werthvoller, als der des frucht-
barsten Landes von gleichem Flächeninhalt, und man nimmt
an, daß dieses Jahr der Acker gefrorenen Wassers eingeheimst
und aufbewahrt 500 Dollars einbringt. Im Jahre 1860
ivaren 10,000 Personen im Eishandel beschäftigt, und es war
ein Kapital von sechs Millionen Dollars darin angelegt.
Heinrich Barth in Kozane in Thessalien. Ans der Reise,
welche unser berühmter Landsmann im Herbste des Jahres
1862 quer durch die Türkei machte, kam er auch nach dem
von Griechen bewohnten Städtchen Kozane in Thessalien,
das sich durch ein wohlhäbiges Ansehen, schmucke von Gärten
umgebene Häuser, belebte Straßen und einen stolz empor-
ragenden Glockenthurm sehr Vortheilhaft vor vielen anderen
thessalischen Städten auszeichnet. „Dieser Glockenthurm", so
erzählt Barth in der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde,
Bd.XVI, S. 139, „ist das schönste derartige Gebäude, das ich in
der Türkei gesehen. Er ist erst im Jahre 1860 mit einem
Anfwande von 00,000 Piastern erbaut worden und erhebt sich
mit seinem soliden Quaderwerk in frischem Farbenschmuck zu
einer Hohe von 16 Ellen. Die Griechen von Kozane können
auf ihren Thurm und auf die Aussicht, die man von ihm
hat, stolz sein, denn einen großartigern Anblick des Olymp
kann man nicht leicht von einem andern Punkte gewinnen.
Schroff steigt er über die hohe und prächtig eingeschluchtete
südöstliche Felswand des Karasn- Thales und die Volnstana,
das eigentliche Thor Thessaliens, empor, ein Bild, würdig
eines Malers. Mehrere Schüler der Stadt waren mir auf
den Thurm gefolgt, gaben mir Auskunft über die betreffenden
Punkte der Umgegend und freuten sich unaussprechlich, wenn
sie die mir mitgetheilten Namen auf Griechisch schreiben sahen.
Schon ehe ich den Thurm bestieg, hatte ich mich in der an
seinem Fuße liegenden Schule umgesehen und über ihren Zu-
stand Erkundigungen eingezogen. Ich hörte, daß die jähr-
lichen Mittel derselben 30 bis 50,000 Piaster betragen, wofür
drei Lehrer des Griechischen und Lateinischen gehalten werden.
Der Metropolit, zu dem ich eingeladen wurde, bewohnt
ein recht stattliches und hübsches Gebäude. In seinem Prunk-
gemach versammelte sich schnell eine ganze Gesellschaft, und Alle
bemühten sich, mir als Deutschem etwas Schmeichel-
haftes zu sagen und ein paar deutsche Worte zusammen zu
bringen. Zum Theil beruht dies darauf, daß.der Handel
zwischen Kozane und Deutschland, besonders Wien, bedeutend
ist, wenn auch nicht so bedeutend, wie der des benachbarten
Schatista. Das Geschäftsleben in der Stadt ist sehr rege,
und jeden Montag, Donnerstag und Sonnabend wird Markt
gehalten."
Die Insel Neuwerk.
Obgleich die kleine Insel Neuwerk an dem Punkte der
Nordsee liegt, wo sich die Wasserflutheu der Weser und Elbe
vereinigen,' und jährlich tausende von Schissen au ihr vorbei-
segeln, so ist sie doch nur sehr wenig bekannt und von wenigen
Leuten besucht worden, denn sie ist sehr schwer zugänglich.
I. G. Kohl, welcher so manchen seither nicht gebührend berück-
sichtigten Punkt unseres Vaterlandes erforschte, machte von
Ritzebüttel aus einen Abstecher nach Neuwerk, den er in seinen
inhaltreichen „Nordwestdentschen Skizzen" schildert.
Neuwerk ist eine ächte Watteninsel, durch ein Labyrinth
von Schlick und Sandbänken mit dem Festlande verbunden;
aber frischer Wellenschlag und landschaftliche Reize fehlen ihr
gänzlich. Die Hamburger besetzten diese Insel schon im
13. Jahrhundert und bauten auf ihr einen hohen massiven
Thurm, welcher „dat Niewark" genannt wurde, woraus
dann allmälig der heutige Name der Insel entstand, welche
bis dahin blos „O" oder „Ooge" hieß. Der Thurm, auch
schlechthin „die Bluse" genannt, steht noch heute und diente
einst als Festung gegen die Seeräuber und als Zollhaus für
die Elbschifffahrt.
Man kann zur Ebbezeit über den Wattboden nach der
Insel mit einem Wagen gelangen, doch muß man den Weg,
der „de Troe" heißt, genau kennen, weil man sonst leicht
m einen der Wasserarme (Prielen) gerathen kann. Die
eigentliche Insel ist nicht größer, als Helgoland, aber außer-
halb dehnt sich noch ein weites Vorland aus, das als Weide
benutzt wird und wenigstens vor den Sommerfluthen geschützt
ist. Die Deiche der Insel selbst sind dreifach, ungemein stark
und musterhaft gebaut. Im innersten Deichringe liegt der
Thnrm, das Schnlhans, in welchem zuweilen auch Kirche ge-
halten wird. Die Eisterne neben demselben, welche das einzige
Trinkwasser enthält, da es keinen Brunnen giebt, wird von
den wenigen Insulanern als ihr Kostbarstes betrachtet. Bäume
gedeihen nicht, da der Nordwestwind Alles niederhält. Die
paar Bauerngehöfte liegen an den Zipfeln der Insel vertheilt.
Sämmtliche Gebäude stehen unter strenger Baupolizei; da je-
der Schornstein den Schiffern bekannt ist und als Merkzeichen
gilt, so darf daran nichts geändert werden. Der Thurm selbst
dient alsLeuchtthurm, und für seine 24 Lampen verbraucht
man jährlich 50 Centner Oel.
Das Außenland oder „Butendieksland" ist gewöhn-
lich mit Schaf- und Rindviehheerden bedeckt; unzählige See-
möven nisten dort; aber sonst kommen wenig Thiere auf der
Insel vor; nur eine Art Ameisen scheint den salzigen Boden
zu lieben, den sie über und über bevölkert. Das Rindvieh ist
mit den Erscheinungen der Flnth vertraut und zieht sich beim
Steigen derselben gewöhnlich zurück, so daß selten ein Stück
in den Wellen verloren geht.
Die englischen Sturmsignale.
Dieselben sino sehr einfach und bestehen in einer Trommel und
zwei Kegelspitzen. Die sogenannte Trommel — eigentlich Cylin-
der— ist ein mit schwarzem Persenning überzogenes Gestell in
kubischer Gestalt, so daß sie von der Ferne gesehen, gleichviel
von welcher Seite, stets die Figur eines regelmäßigen Vierecks
zeigt. Die beiden Kegel sind gleichförmig und zeigen immer
ein Dreieck. Dies ist der ganze Apparat, aber trotz seiner
Einfachheit lassen sich sehr viele Combinationen damit anstellen,
je nachdem die Trommel über oder unter einem der beiden Kegel,
oder je nachdem die Spitzen der letzteren nach oben oder nach unten
gerichtet sind u. s. w. Der Schlüssel zu den Signalen ist in
taufenden von Eremplaren unter die Fischer und Seefahrer
aller Häfen vertheilt, so daß Niemand, der ein Sturmsignal
sieht, sich mit Unknnde entschuldigen kann und es sich daher
selbst beiznmessen hat, wenn er von dem Sturme Schaden
nimmt. Wird nun ein Sturm erwartet, dann läßt das me-
teorologische Departement der Admiralität in London ein
Circular-Telegramm an die Haupthäfen an der Süd-, Ost-
und Westküste von England, beispielsweise folgenden Inhalts,
abgehen: „Morgen früh Trommel aufgezogen lind den ganzen
Tag gehißt." Nun weiß man, □ bedeutet Sturm aus südlicher
Richtung, d. h. zwischen SO. und SW. Ebenso bedeutet ¡\
(mit der Spitze nach oben) nördliche Richtung oder zwischen
NO. und NW.; V östliche Richtung oder zwischen NO. und
SO. und westliche Richtung, d. h. zwischen NW. und SW.
Durch andere Combinationen dieser Zeichen kann man die ver-
schiedenen Hanptstriche der Windrose deutlich genug angeben,
aber unter allen Umständen bedeutet jedes Zeichen „Sturm".
In Folge des in England sehr ausgebildeten Systems der so-
genannten Küstenwache zum Schutze der Zolleinnahme gegen
Schmuggelei, wo jede Stalion im Angesicht der rechts und
links befindlichen nächsten Station gebaut und bei einigermaßen
klarem Wetter mit diesen vermittelst Flaggen, auch bei Nacht
durch Laternen, Signale zu geben und zu' wechseln im Stande
ist, wird das Sturmsignal stets wiederholt, und in wenigen
Minuten ist es im ganzen Umkreise der Insel bekannt, daß
ein Sturm im Anzuge ist, so daß die Fischerböte und Küsten-
fahrer gewarnt sind und Zeit haben, in den nächsten Noth-
hafen einzulaufen, um Schutz zu suchen.
Erklärung.
Wir erklären hiermit, daß die in dem „Schreiben aus
St. Thomas in Westindien über die freien Neger" (Globus
IV, S. 179) namhaft gemachten Firmen von dortigen
Handelshäusern weder die Urheber jenes Artikels sind, noch
denselben eingeschickt haben nnd überhaupt in keinerlei Be-
ziehung zu dem Inhalt des Schreibens stehen.
Die Redaktion.
Herausgegeben von Karl Andrer in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghausen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildburghausen.
Heinrich Mauhals Wanderungen in Siam und Lamliadscha.
Die alte siamesische Hauptstadt Ajuthia. — Ein Besuch iu Pakpriau. — Nasseuaulage des Volkes. — Das buddhistische Kloster
Phrabat uud der Fürst des Berges. — Der Tempel des Samonakodom; Fußspuren Buddha's, Reliquien.— Das Kloster auf
dem Berge Patawi. — Die Landschaft. — Seefahrt nach Schautabuu; der Löweufelseu.— Siamesisches Abgabeusystem. — Das
Adlerholz. — Die Inseln im Golf. — Unterseeische Vulkane. — Pakuam Veu. — Krokodile und Affen. — Die Höhle im
Berge Sabab. — Der Hafen Kampöt iu Cambodfcha uud dessen Handelsverkehr. — Der chinesische Seeräuber Muu Suy. —
Audienz beim Könige von Kambodscha.
Wir haben vor einiger Zeit eine Schilderung des König-
reichs Siam uud der gegeuwärtigeit Zustände dieses hinter-
indischeu Landes entworfen. Wir begleiteten sodann den
mümpelgardter Reisenden Heinrich Mouhot auf seiner
Stromfahrt aus dem großen Flusse des Laildes bis nach
Ajuthia, der frühern Hauptstadt, die reich an großartigen
Tempelruinen ist (Globus V, S. 193 ff. ilnd 225 ff.),
deren manche wir in Abbildungen mitgetheilt haben. Sie
sind merkwürdig geitug; aber auch die verfallenen, jetzt mit
Strauchwerk und Schlinggewächsen überwucherten Pyra-
miden erregen die ganze Aufmerksamkeit des Fremden.
Auch sie sind einst Tempel gewesen. (S. 67.)
Das Laitd ist unbeschreiblich fruchtbar, aber die Menschen
sind träge. Steuerdruck lind Knechtschaft üben dort, wie
überall, ihre unheilvollen Wirkungeil, aber sie sind nicht, wie
Mouhot meint, allein schuld an der unglaublicheil Faulheit
der Siamesen. Sehr Vieles muß auf die Rassen anlage
gefetzt werden; der Reisende selber beinerkt später, als er
nach Cambodfcha kommt, daß dort sein solcher Druck vor-
handen, das Volk aber eben so träge nnb nachlässig sei. Und
weshalb sind überall iu Hiuteriudieu die Millionen Chi-
nesen, welche sich dort angesiedelt haben lind doch auch hohe
Steuern zahlen, so fleißig, ivic mir irgend ein Europäer
sein könnte? Im Stromthale des Menam tragen viele wild-
Dcr Löwenfelsen vor dem Hafen von Schantabun. (Nach einer Zeichnung von Sabatier.)
Mouhot war im Jahre 1858 in Ajuthia, das vor
ihm kein Reisender eingehend beschrieben hat. Damals er-
schien der große Komet, und diesem schrieben die Leute den
hohen Temperaturstand zu; die Hitze betrug eine ganze
Woche lang 32° C. im Schatten auch bei Nachtzeit. Als
sie etwas nachgelassen hatte, ging Mouhot nach Pak priau,
das einige Tagreisen weit nach Norden hin entfernt ist und
an der Grenze voll Laos liegt. Er wollte in der Gebirgs-
gegend Schmetterlinge und Landmuscheln sammeln. Aber
ungeachtet der Hitze verlebte er bei noch ungeschwächter Ge-
suudheit heitere st.age in Ajuthia, das zwischen dein 14.
und 15. Grad nördlicher Breite liegt. Die Menschen kamen
ihm wie Amphibien vor, selbst dreijährige Knaben ruderten
kleine Fahrzeuge und schwammen umher wie Enten in dem
reißenden Fluß. Dabei rauchten sie and) schon Cigarren I
Globus V7. Nr. 3.
wachsende Bäume eßbare Früchte, die Gewässer sind fisch-
reich, Häuser baut man aus Bambus, das über die Ufer
tretende Wasser düngt die Felder; der Mensch braucht nnr
zu säen und zu pflanzen, das Uebrige thut die Natur. Sie
macht den Leuten das Leben zu leicht.
Am 13. November 1858 erreichte Mouhot das Dorf
Aratschieck, in dessen Umgegend er einige weiße Eich-
hörnchen schoß. Der Mandarin bewirthete den Fremden
mit Reis, Bananen und Fischen nnb war bereitwillig, ihn
nach'dem Berge Phrabat zu begleiten. Auf diesem befin-
det sich ein berühmter, vielbesuchter Wallfahrtsort, denn
Spuren von Buddha's Fuße, deren der ferne Osten so manche
hat, sind auch dort und ziehen gläubige Seelen an.
Der Ritt auf einem Elephanten dauerte vom Morgen
bis zum Abend. Als Mouhot anlangte, strömten Tala-
0
66
Heinrich Mouhots Wanderungen in Siam und Cambodscha.
poinen (buddhistische Mönche) und Volk herbei, um sich den
Fremden zu betrachten, der durch Vertheilung kleiner Ge-
schenke leicht die Gunst Aller erwarb uui) u»verweilt den
Fürsten des Berges besuchte. Dieser geistliche Würden-
träger befand sich eben unwohl, benahm sich aber sehr freund-
lich unb stellte dem Europäer vier Leute als Fiihrer und Ge-
hülfen zur Verfügung. Als Geschenk bekam er ein Pistol.
Der „Fürst des Berges" beherrscht den Phrabat und die
Umgegend und kann etwa den gefürsteten Aebten des enro-
päischen Mittelalters verglichen werden. Tausende von
Menschen müssen ihm Abgaben zahlen und für ihn frohuden,
und sein Kloster befindet sich im größten Wohlstand. Er ver-
läßt dasselbe nur in einem prächtigen Tragsessel, hinter dem
ein großes Gefolge herzieht, und im Refektorium wird er
von Pagen bedient.
Am westlichen Abhange des Phrabat liegt der berühmte
Tempel des Samonakodom, d. h. des Buddha der
indochinesischen Völker. Von dort aus hatte Monhot eine
Aussicht, die aller DarsteKlng spottet. Welch ein ungeheures
Chaos! ruft er ans. „Wie sind diese ungeheuren Gesteins-
massen, diese erratischen Blöcke von kolossalem Umfang hier
in so seltsamer Weise über einander gelagert worden? Es
ist, als ob hier eine Sinthfluth wild und gewaltig gewirth-
schaftet und dann dieses Labyrinth zurückgelassen hatte. Ich
begreife, weshalb das Volk hier Fußspuren des Gottes zu
erkennen wähnt, dein: allüberall bis zum höchsten Gipfel, in
Thälern, Felsenspalten und Höhlen fand ich Spuren von
Thieren, namentlich von Elephanten und Tigern in großer
Menge, aber auch von vorweltlichen, uns nicht mehr bekann-
ten Arten. Sie bildeten, wie die Siamesen meinen, das
Gefolge Buddha's, als dieser über den Berg einher schritt.
Der Tempel selbst bietet keine besondere Merkwürdigkeit dar;
die Mauern sind mit kleinen Stiicken farbigen Glases belegt,
die bei Sonnenschein hell glitzern. Das Ganze macht iibri-
gens einen imponirenden Eindruck. Die Thiiren sind aus
Ebenholz und mit Perlmutternwsaik bedeckt; in einem Saale,
dessen Fußboden mit Silberplatten iiberdeckt ist, befindet sich
dieSpurBuddha's; dort bringen die Gläubigen Opfer dar."
Monhot blieb eine ganze Woche lang auf dein Berge
Phrabat und sammelte dort namentlich Reliquien. Der
Thon, aus welchem diese verfertigt wurden, ist mit der Asche
alter Könige durchknetet worden. (S. 71.) Dann ritt er
auf seinem Elephanten nach Aratschieck zurück und fuhr 31t
Wasser nach Sarabüri, einer nicht unbedeutenden Stadt
in der Provinz P akp riau. Die Bewohner sind Siamesen,
Chinesen und Leute aus Laos, wohnen in Bambushäusern
und treiben Reisbau. Weiter aufwärts, beim Dorfe Pak-
priau, beginnen die Stromschnellen; in der Nähe derselben
liegt Patawi, ein Wallfahrtsort, wohin die Laosleute
pilgern.
Nur im Stromthale selber findet man einigen Anbau,
das übrige Land ist dichter Wald, in welchen sich die Dorf-
bewohner der Leoparden und Tiger wegen nicht hinein wagen.
Diese wilden Thiere sind äußerst zudringlich, und als Mou-
hot in Pakpriau verweilte, wurden in einer Nacht zwei Hunde
und ein Schwein vor einer Hausthür überfallen und fort-
geschleppt. Niemand geht bei Nacht aus, und das wäre auch
in der That gefährlich.
Der Berg, auf welchem das Patawikloster steht, hat
400 bis 500 Fuß Höhe und bildet einen ungeheuren Fels-
block , der senkrecht wie eine Mauer aus der Ebene empor-
steigt; auch auf ihm fand der Reisende eine Menge Fußspuren
vorweltlicher Thiere und außerdem eine große Menge ver-
steinerter Stämme von solchen Bäumen, die auch heute noch
auf dem Berge wachsen. Die heilige Stätte wird von drei
Talapoinen bewacht , und diese waren sehr erstaunt, als ein
Fa rang (Franke, Europäer) bei ihnen erschien. Ein
Stück magnetischen Eisens, das sie zum Geschenk erhielten,
machte ihnen großes Vergnügen. Die Aussicht vom Patawi-
berge ist nicht minder großartig wie jene von Patawi; das
Gebirge bildet von Osten nach Westen einen weit geschwun-
genen Halbkreis und zeigt ungemein malerische nnb mannich-
faltige Formen; nach Süden hin bildet die Ebene einen
wahren Waldocean bis nach Ajnthia hin, dessen hohen Thürme
man sehen kann.
Die Laosleute in Patawi waren gegen den Farang recht
freundlich. Sie sind hagerer als die Siamesen und ihre
Jochbeine treten etwas stärker hervor; auch ist ihre Hautfarbe
dunkler und sie tragen ihr Haar lang, während die Siamesen
dasselbe abscheeren und nur einen Büschel auf dem Scheitel
stehen lassen. Als Krieger wollen sie nicht viel bedeuten,
aber sie sind muthige Jäger, was man von den Siamesen
nicht sagen kann. Jene haben als Waffe außer einem
Messer nur noch einen Bogen, von welchem sie gehärtete
Thonkngeln ans 100 Schritte weit mit großer Sicherheit
abschnellen. Im Uebrigen sind sie unglaublich träge und
darum auch sehr arm.
Von Patawi fuhr Monhot ans dem Strome nach Bang-
kok zurück, um von dort aus die Inse ln im siam esischen
M ee rbus en und Camb o d s ch a zu besuchen. Am 28.
December 1858 bestieg er eine Fischerbarke, um zunächst
nachdem Hafenplatze Schaut ab nn zu fahren; ein Diener,
welchen er neu angenommen, hieß Nin, war ein christlicher
Annamit, bei den französischen Missionären in die Schule
gegangen, sprach Französisch und konnteals Dolmetscher gute
Dienste leisten. Außer den beiden Reisenden waren noch
zwei Männer und zwei Kinder in dem sehr kleinen Fahrzeuge,
und die Fahrt erschien nicht nur unbequem, sondern wurde
geradezu gefährlich. Der Wind wehete ungünstig, die Wellen
gingen hoch, nnb in der Neujahrsnacht siel einer der beiden
Knaben über Bord, — ein leckerer Bissen für die gierigen
Haifische, welche Tag nnb Nacht der Barke folgten. Ge-
wöhnlich dauert die Fahrt kaum drei Tage, Monhot aber
bekam erst an: 3. Januar 1859 in dem kleinen Golf von
Schantabun den berühmten Löwenfelsen in Sicht, wel-
cher die Spitze eines Vorgebirges bildet. Aus der Ferne
gesehen gleicht er allerdings so genau einem ruhenden Löwen,
daß man Anfangs ihn kaum für ein Werk der Natur allein
halten mag; nnb doch hat die Menschenhand keinen Theil an
ihm. Die Siamesen hegen vor ihm, wie überhaupt vor
Allem, was ihnen wunderbar erscheint, eine große Verehrung,
nnb deshalb erfüllte das rohe Benehmeil eines englischen
Schifsskapitäns sie mit großer Entrüstung. Dieser Lands-
mann des beriichtigten Kapitäns Macdonald fragte an, ob
er das merkwürdige Ding nicht kaufen könne; als das nicht
anging, feuerte er Kanonenkugeln gegen den Löwen ab. Ein
siamesischer Dichter hat diese Brutalität der „Barbaren aus
dem Abendlande" besungen und seinem Abscheu in poetischer
Weise Luft gemacht.
Schantabun liegt an dem gleichnamigen Flusse. Ein
Drittel der Bevölkerung besteht aus christlichen Annamiten;
der übrige Theil aus heidnischen Annamiten, Siamesen und
in tiberwiegender Menge chinesischen Handelsleuten. Doch ist
der Handel von keiner besondern Erheblichkeit, weil hohe
Steuern, Frohuden und die Erpressungen der Mandarine,:
einer Entwickelung desselben im Wege stehen. Die Chinesen
bauen an den Berghalden Pfeffer, ausgezeichneten Kaffee und
in der Ebene auch Zucker; diese Erzeugnisse werden nach
Bangkok verschifft; sehr hübsche, äußerst sein geflochtene
Binsenmatten gehen nach China, auch Tabak, gesalzene und
getrocknete Fische, Holothnrien und Schildpat kommen in den
Handel. Jeder siamesische Unterthan, der drei halbe
Heinrich Mouhots Wanderungen in Siam und Cambodscha.
Armslängen (von der Spitze des Mittelfingers bis zum
Ellbogen) groß ist, muß etite Jahresabgabe vom 6 Tikals
(144 Neugroscheu) Werth zahlen. Die Siamesen entrichten
dieselbe in Gummi gutti, die Annamiten in sogeuanutem
Adlerholz.
Gegen Ende der Regenzeit ziehen die christlichen Anna-
miten (denn ihre heidnischen Lairdsleute beschäftigen sich vor-
zugsweise mit Fischfang) in Gruppen von 15 oder 20 Mann
Brennen einen sehr angenehmen Geruch. Man räuchert mit
ihm die Leichen der Fürsten und Vornehmen ein, die vor der
Bestattung ein ganzes Jahr lang im Sarge liegen müssen;
bei den Siamesen wird es auch als Arznei verwandt. Das
Holz des Baumes, ans welchem man diese Waare gewinnt,
ist weiß und sehr zart; er muß ganz umgehauen und dann
gespalten werden, weil sich das Adlerholz im Innern des
Stammes befindet. Die Annamiten machen ans den Merk-
Berfallene Tcmpelpyramiden in Ajuthia, Siam. (Nach einer Zeichnung von Catenacci.)
unter Leitung eines erfahrenen Mannes in die Wälder und
suchen die Bäume ans, welche das Adlerholz enthalten.
Es kommt dabei viel auf Erfahrung und guten Blick an,
weil man dadurch sich viele vergebliche Arbeit erspart, denn
nicht jeder Baum enthält den sehr werthvollen Artikel.
Manche Sammler gehen nur in die Gebirge bei Schantabnn,
während andere nach den südöstlich liegenden Inseln Ko
Xang lind Ko Khut Hinüberschiffen.
Das Adlerholz ist hart, tüpfelig gefleckt und hat beim
malen, woran man die Bäume erkennt, welche Aguilaholz
enthalten, ein Geheimniß, aber Monhot kam trotzdem bald
hinter die Sache. Er bezeichnete mehrere Stämme, ließ die-
selben niederschlagen und fand richtig, was er suchte. Wenn
man an den Baum klopft und er giebt einen hohlen Ton,
und wenn aus den Astknoten ein Geruch von Adlerholz
hervordringt, dann enthält er auch das letztere.
Die-chinesischen Handelsleute lieben Opium und Spiel;
die christlichen Annamiten führen sich etwas besser ans. Sie
9 *
Landschaft in der Bai von Schantabun. (Nach einer Zeichnung von Sabatier.)
Affen spielen mit einem Krokodil, im Flusse von Schantabun.
(Nach einer Zeichnung von Bocourt.)
70
Heinrich Monhots Wanderungen in Siam und Cambodscha,
sind von kleinem Wuchs, hager, lebhaft und cholerisch, dabei
finster, rachsüchtig und hochfahrend; selbst unter Verwandten
giebt es ewig Streit und Zank. Aber gegen die katholischen
Priester benehmen sie sich folgsam uni) sind ihnen in hohem
Grade anhänglich. Die heidnischen Annamiteu bezeigen ihren
Vorfahren große Verehrung. Die Siamesen sind weichlich,
trag, sorglos und leichtfertig, aber auch schlicht, gastfrei und
ohne Dünkel.
Mouhot wohnte bei einem Missionär, der schon seit 20
Jahren in Schantabun lebte und eben ans seinen Erspar-
nissen eine kleine steinerme Kirche gebaut hatte. Dann be-
stieg der Reisende wieder eine Barke, um mehrere Inseln
im Golf zu besuchen, die in jener Gegend allesammt voll
Als er gegen Abend nach den drei K o m a n - I n s e l n
fuhr, trat tiefe Ebbe ein und er ließ seine Barke im Schlamme
auflaufen. Am Tage hatte er bemerkt, daß der letztere mit
vulkanischen Stoffen geschwängert war, und jetzt am Abend
und während der Nacht stieg aus ihm ein so durchdringender
Schwefelgeruch empor, daß der Reisende sich über einem unter-
seeischen Vulkane 31t befinden glaubte. Am andern Tag
kam er an den mit vielen Knollengewächsen bestandenen
Dataten-Jnseln vorüber, verweilte einige Zeit am Kap
Liaut, das in den schönsten Theil des Golfes hinausragt
und an landschaftlichen Reizeil hinter der Sunda-Straße
nicht zurücksteht. Dann besuchte er Ko Kram und dessen
Waldgebirge; diese Insel hat kein süßes Wasser; die Affen
und Hirsche trinken aus dem Meere.
Fahrt zwischen den Inseln im Meerbusen von Siani. (Nach einer Zeichnung von Sabatier.)
vulkanischem Gestein siild. Es war heiße Jahreszeit, in
welcher die Natur gleichsam todt ist. Zwar der Pflauzen-
wuchs sah noch frisch genug aus, aber trotzdem schieil alles
Lebeil gewichen zil sein; die Vögel hielteil sich in der Nähe
des Wassers und der menschlichen Wohnungen aiif. Doch nur
selten ließen sie einen Ton vernehmen, nur allein der Fisch-
adler stieß sein heiseres Geschrei aus, weilll der Wiild wech-
selte. Aber die Ameisen hatten lustige Tage; in ganz un-
geheuren Schwärmen winnnelten sie am Bodeil lind auf
den Bäumen; hin und wieder silmmten auch Stechmücken,
oder es zirpte eine Grille. Mouhot traf auf Komau sao
lllld den übrigen Eilanden auch Affen, Damhirsche uild Leo-
parden, aber nirgends einen Quell oder einen Pfad; nur mit
Mühe bahilte er sich einen Weg dlwch das mit Schlingkräu-
teru durchwucherte Waldgestrüpp.
Am 29. Februar befaild sich Molihot zwischen der
Areka- uild der Hirschinsel. Dort trat völlige Windstille
ein, und die Hitze war selbst am frühen Morgen fast er-
stickend. Plötzlich gerieth das Meer in Wallung, hob sich
einpor lind schleuderte das kleine Fahrzeug nach allen Rich-
tuilgen umher. „Ich wußte nicht, was ich voll dieser selt-
samen Erscheinung halten sollte, lind lvas die Ursache der-
selben sei. Da rief plötzlich der Pilot: Sieh mal, wie
das Wasser kocht! Und wirklich, es war, als ob das
Wasser in einem großen Kessel siede, unb gleich nachher schoß
eiil gewaltiger Strahl empor, der ein paar Minuten anhielt,
uild die Luft war mit Dampfs angefüllt. Aehnliches hatte
ich liie zuvor gesehen, aber ich wunderte mich nun nicht
inehr über ben starken Schwefelgeruch bei Ko Man. Hier
war also ein submariner Vulkan, dessen Ausbruch etwa
71
Heinrich Moichots Wanderungen in Siani und Cambodscha.
eine englische Meile von der Stelle entfernt stattfand, wo
ich drei Tage vorher Anker geworfen hatte*).
Am 1. Februar gelangte er nach Ven-Ven, das am
Paknam Ben liegt, einem Aestuarium, in welches ein drei
Miles breiter Strom mündet. Dasselbe wird durch deu
Zusammenfluß einer Menge von Gewässern gebildet, die
vom Gebirg herab kommen und mit einem Arme des Schan-
tabunflusses in Verbindung stehen.
„Im Flusse des Paknam Ven sind Krokodile in außer-
ordentlicher Menge vorhanden. Unaufhörlich sah oder hörte
ich, daß welche vom Ufer ins Wasser sprangen, itnb mancher
unvorsichtige Fischer wird ihnen zur Beute. Während
meines Aufenthalts in der Provinz Schantabun kam es
zweimal vor, daß Seilte aufgefressen wurden, die uubedacht-
sam sich unweit vom Ufer zum Schlafen niedergelegt hatten.
Ergötzlich ist es aber, ein Augenzeuge der Spielerei zu sein,
welche die Affen mit dem Krokodil treiben. Sie können nun
einmal das Necken nicht lassen und machen sich offenbar ein
rechtes Vergnügen daraus, das Ungethüm zu ärgern. Sehr
oft liegt eiu Krokodil am Ufer; der Leib ist unter dem Was-
ser, aber der Kopf bleibt sichtbar, und der Rachen schnappt
nach dem, was in sein Bereich kommt. Nun kommt ein
Schwarm von Affen, klettert in den Bäumen und an den
redlichem Chinesen wohnte, der Pfefferpflanzungen besaß,
und dessen Sohn Phra'k er in Dienst nahm. Er durchstreifte
mit demselben die Gebirge der Umgegend, weil dieselben
Edelsteine enthalten. Früher fand man dergleichen in großer
Menge, jetzt sind sie selten geworden. Auf dem Berge
Sab ab, etwa halbwegs zwischen Schantabun und Kombau,
liegt eine große Höhle, welche der Reisende besuchen wollte.
Am Eingänge zündete er Fackeln an, kletterte mit Niu und
Phra'l über mehrere Granitblöcke hinweg und stieg dann
hinab. Aber bald umschwirrten ihn unzählige Fledermäuse,
löschten die Fackeln ails, flogen ihm gegen den Kopf und
schlugen ihm mit den Flügeln ins Gesicht. Phra'l ging voran
und tastete mit einer Lanze nach einem Wege. Plötzlich
sprang er erschreckt zurück: „Eine Schlange, eine Schlange!"
Mouhot gewahrte in einer Entfernung von etwa 10 Schritten
eine mächtige Boa, und sofort jagte er ihr das Blei aus
beiden Läufen seiner Flinte in den Kopf. Dann aber gingen
alle drei zurück, und die Expedition in der Höhle hatte ein
Ende. Phra'l holte nachher die Boa hervor.
Von Schantabun aus unternahm Mouhot Wanderun-
gen nach Cambodscha hinein, und diese lieferten ihm
eine reiche Ausbeute. Er fuhr der Küste entlang nach
Reliquien aus dem Kloster auf dem Berge Phrabat. (Nach einer Zeichnung von Catenacci.)
Schlingpflanzen ans und ab und nähert sich dem Krokodil
immer mehr. Dieses bleibt ganz ruhig, und die Affen wer-
den immer dreister. Einer der flinksten und kecksten wagt
sich immer näher heran und ist am Ende so verwegen, daß
er nach dem Amphibium schlägt. Seine Genossen wollen
das dann eben so machen, und wenn die Aeste zu hoch sind,
bilden sie eine schwebende Kette, so daß einer am andern
hängt. So schweben sie in der Luft, während der unterste
das Krokodil nach besten Kräften plagt. Manchmal schnappt
dasselbe zu, aber vergeblich, und sofort erheben die Affen ein
Freudengeschrei, aber dann und wann gelingt es ihm auch,
einen Arm zu packen, und gleich zieht es den Leib nach.
Dann verschwindet die ganze Bande unter Wehgeschrei und
Heulen im Walde, aber am andern Tage beginnt dasselbe
Spiel von Neuem."
Mouhot ging wieder nach Schantabun, wo er bei einem
*) I" entern Briefe, welchen Mouhot an den Schriftfüh-
rer der londoner geographischen Gesellschaft aus Khao Tanmni,
Provinz Petschabury, unterm 15. Juni 1860 richtete, bemerkt er,
daß der Vulkan auf Ko Man in 12" 34' 29" nvrdl. Br.,
101° 41' 2" westl. Länge von Greenwich liege; der submarine
in 11° 49' Br., 102° 31' Länge. - - '
society, 1862, S. 149.
Journal of the geographical
A.
Süden, an den vielen Inseln hin, mit welchen das Gestade
gleichsam eingesäumt ist; viele sind unbewohnt, liefern aber
Gummi gutti, das auch bei Compong Som, in der Um-
gegettd des Hafenplatzes Kampot, in großer Menge gesam-
melt wird. Dort wächst auch eine sehr werthvolle Art von
Kardamomen.
In den Gewässern von Kampot trieben damals See-
räuber unter eigenthümlichen Verhältnissen einen argen Un-
fug; wir werden weiter unten etwas über sie mittheilen.
Mouhot fürchtete sich aber nicht, denn er hatte keine werth-
vollen Sachen an Bord und war gut bewaffnet. Ganz unan-
gefochten konnte er eines Abends in einer kleinen Bucht Anker
werfen; er war nur noch eine halbe Tagereise von Kampot
entfernt, wohin er am andern Morgen sehr früh aufbrach.
Er sah die große Jusel Koh Dud, welche schon zu Cam-
bodscha gehört, und hatte hier ein reizendes Landschaftsbild
vor Augen; dann aber brach ein gewaltiger Donnersturm
herein, der Meer, Küsten und Gebirge mit einem dunkeln
Schleier überzog, und bald nachher goß der Regen in gewal-
tigen Strömen herab.
Unter solchen Umständen gelangte der Reisende nach
Kampot, das nicht mehr in Siam liegt, sondern zu Cam-
bodscha gehört. Der König dieses Landes ist nicht souverän,
•uípjqoijuitf) quit INVÌI ut lîzLiuuizqiivW §)o()iioj{ß (pumio(-3'
Heinrich Mouhots Wanderungen in Siam und Cambodscha.
sondern von Annam und von Siaur abhängig unb mm
auch durch die Franzosen ins Gedränge gekommen, seitdem
dieselben das Gebiet an der Mündung des Mekong sich an-
geeignet haben. Monhot erfuhr, daß der Monarch am
Tage vorher nach Kampot gekommen sei, um dort einige ans
der Rhede liegenden Schisse zn besichtigen. Er ließ dort auch
eine große Dschonke zimmern, um dieselbe für seine eigene
Rechnung mit Kaufmannsgütern 31t beladen und direkten
Handel mit Singapore zn treiben.
ungefähr so groß wie Schantabnn. Sie bekam Handels-
produkte aus dem untern Cochinchina, dessen Häfen von
Seiten der annamitischen Regierung für europäische Fahr-
zeuge gesperrt waren; mit Cancao (wie der cochinchinesische
Hafen Italien auf unseren Karten genannt wird) fand
Schleichhandel statt. Die Zufuhren von Kampot bestehen
in Reis, Gummi gntti, etwas Elfenbein, sodann getrock-
neten Fischeil und Hölzern.
„Die Eambodschaner zahlen nur geringe Abgaben und
5(nf dem Flusse von Kampot, der aus dein nahen Ge-
birg herabströnlt, aber eine nicht unbeträchtliche Breite hat,
schafft man eine große Menge vortrefflicher Ban- mld Schiffs-
hölzer, die namentlich von den Chinesen gern gekauft werden,
bis an die See. K a m p 0 t wird zumeist voll chinesischeil
Fahrzeilgen besucht, inancknnal aber auch von Europäern;
es ist eigentlich der einzige Hafeil, welchen Cambodscha besitzt,
hat aber auch ilicht entfernt die Bedentililg von Bangkok,
und die Stadt zählt nur etwa 300 Wohnhäuser, ist also
Globus VI. Nr. 3.
kennen keinen Steuerdruck. Ich meinte ans dicsenl Grnilde,
daß ich diese Leute im Wohlstände finden würde, aber das
Gegeiltheil war der Fall. Bis auf geringe Ausnahmen
bemerkte ich alle schlechten Eigenschaften, die bei den Rach-
barvölkern vorkommen, aber feine von den guten Eigen-
schaften dieser letzteren; sie ivaren hochfahrend, plump, feig,
Schelme dilrch und durch, hündisch-kriechend und über alle
Beschreibung fallt." Monhot hat also die Rassenanlage
völlig iibersehen; Steuerdruck ist zwar eine böse Sache für ein
10
74
Heinrich Mouhots Wanderungen in Siam nnd Cambodscha.
Volk, er allein" kann aber doch in Bezug auf die morali-
scheir Eigenschaften einer Nation nicht den Ausschlag geben.
Auch in Kampot ist eine katholische Mission, in welcher
der Reisende beim Abbe Hestret gastliche Aufnahme fand.
Als er eben ans Land gestiegen war, kam der König von
einer Ruderfahrt zurück. Der Missionär führte ben Euro-
päer ans Ufer, so daß der Monarch ihn bemerken mußte.
Dann entspann sich ein Zwiegespräch. Auf die Frage des
Königs, wer der Fremde wäre, hieß es: ein Franzose, der
aus Paris gekommen, aber vor Kurzem in Siam gewesen sei.
„Was will er in meinem Lande?"
„Er hat eine ganz besondere Ausgabe, die aber mit der
Politik nichts jn schaffen hat. Es liegt ihn: lediglich daran,
das Land kennen zu lernen, und er wird nicht ermangeln,
Ihrer Majestät seine Aufwartung zu machen."
Haarschmuck steint) ihr vortrefflich zu Gesicht. Als Favorite
des Königs trug sie bessere Kleider als die anderen und
zeigte sich sehr besorgt um Seine Majestät; die übrigen nah-
men sich ihr gegenüber geradezu plump aus, hatten gemeine
Züge und durch das Betelkauen schwarze Zähne. Hinter
dem Boote des Königs fuhren mehrere Barken der Manda-
rinen; das erste Fahrzeug im Zuge bildete eine von Chinesen
geruderte Dschonke, in welcher ein großer Mann aufrecht
stand nnd eine mächtige Hellebarde in der Hand hielt.
Dieser Mann war Mun Sny, Seeränber-
hauptmann, auch Freund des Königs, und es ver-
hält sich mit ihm folgendermaßen.
Vor ein paar Jahren hatte Mun Sny in seinem Vater-
land eine so große Menge von Missethaten verübt, daß er
sich" nicht länger in Amoy, der großen Hafenstadt in der
Ein cambodschanischer Wagen.
Bauernhütte in Cambodscha.
(Nach einer Zeichnung von Sabatier.)
Mit den Worten : „Also, wir sehen uns wieder!" fuhr
der König weiter.
Mouhot hebt hervor, daß schon der bloße Name Frank-
reich diesem hinterindischen Könige Schrecken einjage, und
gegenüber den Dingen, welche seit langer Zeit im fernen
Orient, von Japan bis nach Indien, vor sich gehen, begreift
man das auch sehr wohl. Länderraub im Großen wird als
Annexion beschönigt.
Der König von Cambodscha war ein Mann von etwa 60
Jahren, klein, dick und fett; das Haar trug er kurz geschoren,
der Gesichtsausdruck zeugte von Intelligenz, Feinheit nnb
auch von einer gewissen Gntmüthigkeit. Er lag in seinem
nach europäischer Art gebauten Boote auf einem großen Pol-
ster und hatte 12 Frauen um sich. Wenigstens eine derselben
war sehr hübsch und hatte feine, sehr ansprechende Züge;
sie war halb europäisch, halb annamitisch gekleidet, und der
Provinz Fo Kien, halten konnte. Er nahm einen Schwarm
waghalsiger Abenteurer an Bord, trieb nach wie vor See-
raub und erschien plötzlich vor Kampöt. Von Widerstand
gegen ihn war keine Rede; seine Spießgesellen gingen ans
Land, nahmen auf dem Markt und ans den Häusern Alles fort,
was ihnen zusagte, und beschlossen zuletzt, die Stadt völlig
auszuplündern, sie dann in Brand zu stecken und weiter zu
segeln. Das Komplot wurde indessen verrathen, und als
eine nicht unbeträchtliche Anzahl bewaffneter Kambodschaner
in Kampot erschien, stach Mun Sny bei dunkler Nacht in
See, überrumpelte den schon oben von uns erwähnten Ha-
fen Jtatien (Cancao), Plünderte dort, wurde aber bald
nachher, mit Verlust einiger Leute, zurückgeschlagen. Aber
als ob gar nichts geschehen sei, kam er wieder nach Kampot,
zog den Gouverneur der Provinz in sein Interesse und ge-
wann durch ansehnliche Geschenke auch den König für sich.
Betrachtungen über Meneo.
75
Seitdem durfte er ungestraft Seeraub treiben, ititb alle Kü-
stenfahrer zitterten vor diesem Piraten. Der König wurde
mit Klage,: und Vorstellungen bestürmt und wußte an:
Ende nichts Besseres zu thun, als den gefürchteten Korsaren
in seinen Dienst zu nehmen; er ernannte ihn zum Ober-
befehlshaber seines Küstengeschwaders. Aber Mnn Sny
blieb sich selber getreu und trieb auch als ein mit Titel
und Amt begnadeter Mann den Seeraub in einer Weise
fort, daß der König von Sian: endlich ein paar Schiffe nach
Kampüt abfertigte, um den Piraten aufheben zn lassen.
Der aber versteckte sich im Hause seines Freundes, des Kö-
nigs von Cambodscha, und die Siamesen konnten nur zwei
seiner Spießgesellen ertappen, die dann freilich sofort hin-
gerichtet wurden.
Der Handel ist auch in Kampüt vorzugsweise in den
Händen der Chinesen, und ans dem Markte werden dort
zumeist chinesische Fabrikate feil geboten, z. B. Glaswaaren,
Faience und Porzellan, Beile und Messer, Sonnenschirme
und dergleichen mehr. Die Stadt ist unsauber; in den
Straßen laufen Schweine, hungrige Hunde und nackte
Kinder umher oder wälzen sich in: Schlamme, und die Frauen
sind abschreckend häßlich. An chinesischen Opiumbuden,
an Barbierstnben und Spielhöllen ist begreiflicherweise kein
Mangel.
Der Missionär führte denReisenden zur Audienz beim
Könige, der sich in: Kampong Bale befand, den: cambod-
schanischen Stadttheile, der etwa eine gute halbe Stunde
von der überwiegend chinesischen Hafenstadt entfernt liegt.
Seine Majestät wohnten in einen: sehr zierlich gebauten
Bambushanse, das, eine Seltenheit, mit rothen Ziegeln
gedeckt war. Im Innern freilich glich cs inehr einer
Theaterbude, wie sie ans europäischen Jahrmärkten zn fin-
den ist, als einer Königswohnnng. Die Fremden wurden
nicht einmal angemeldet, weil kein Thürsteher da war, n>:d
traten ohne Weiteres in den Saal. Der König hatte auf
einen: alten europäischen Stuhle Platz genommen; neben
demselben lagen zwei Hosbeainte ans Knien und Elbogen
und reichten ihn: angezündete Cigarrettei: oder Betel. Ein
paar Schritte entfernt standen Leibwächter mit Piken, deren
oberer Theil mit einem Büschel weißer Haare verziert war;
einige Andere schwenkten Säbel, die aber in der Scheide ge-
Betrachtungen
Von Karl
Ein Erzherzog pon Oesterreich, Ferdinand Maxinulian,
ist in:April1864 iiber denAtlantischenOcean gefahren, nm
in México ein Kaiserreich aufznrichten. Er geht in die west-
liche Welt, nach den: ehemaligen Nenspanien, als der Ans-
erwahlte und Schntzbefohlene des Beherrschers der Franzosen,
dessen Trnppen nnn in denselben Hallen Monteznma's ta-
feln, in denen vor etwa anderthalb Jahrzehnten die sieg-
rcichen Pankees nnter General Scott Brandy und Whiskey
getrnnken haben. Nachden: die alte Hauptstadt der Az-
teken zweiinal in die Gewalt Freinder gefallen ist und
binnen 50 Jahren n:ehr als eii: halbes hnndert Mal Regie-
rungswechsel erlebt Hat, soll nnn ein „Friedensfürst" ein-
zwhen, un: der bodenlosen Anarchie, der wahrhaft entsetz-
Uchen Zerrüttung ein Ende zn machen. Er soll „Heiland"
lassen wurden. Auch die Minister und Mandarinen lagen
vor den: König auf den Knien und Elbogen.
Ein Page brachte für den Reisenden und den Missionär
ein paar Stühle. Seine Majestät trägt, gleich den Unter-
thanen, für gewöhnlich nur eine Binde, welche den untern
Theil des Leibes umschließt und am Hintertheil an einen:
Gürtel befestigt wird; dieser war von Gold und mit Edel-
steine,: besetzt, jene Binde (Languti) von gelber Seide.
Es verstand sich von selbst, daß der Fremde den: Landes-
herr,: ein Geschenk zn überreichen hatte. Monhot dachte ihn:
eine englische Stockflinte zn, welche der König sich auch so-
fort einhändigen ließ. Er fragte, ob sie geladen sei, lud
sie dann gleich selber, bat um ein Zündhütchen und feuerte.
Nachher schrob er den Lauf ab und prüfte Alles sehr anf-
merksam. Nun erst bat Monhot ihn, das Geschenk anznneh-
men, und wurde gefragt, was die Flinte gekostet habe? Der
Missionär, welcher den Dolmetscher inachte, gab eine aus-
weichende Antwort. Dann verlangte der König, Mou-
hots Taschenuhr zu sehen und fragte auch hier nach dem
Kostenpreise.
Der Monarch war gnädig gestimnck. Als der Abbe
auseinandersetzte, daß der Fremde gern nach U d o n g
(Odnng), der Hauptstadt von Cambodscha, reisen wolle,
sprach jener: „Ja, geh nur hin; das ist sehr gut!" Dabei
lachte er, fragte dann nach den: Namen und wollte den-
selben ansschreiben. Monhot zog seine Brieftasche hervor
und reichte ihn: eine Visitenkarte. Nnn wollte der Monarch
auch die Brieftasche sehen und bekam natürlich auch diese
geschenkt. Als der Missionär die Bemerkung hinwarf, daß
der König ohne Zweifel dein Fremden die beschwerliche Reise
erleichtern werde, lautete die Antwort: „Gewiß, sehr gern;
wie viele Wagen will erhaben?" Die Antwort lautete:
„Drei, wo möglich schon übermorgen."
„Das schreib ans und ordne demgemäß Alles an," sagte
der König zn seinen: Schreiber. Dann stand er auf, gab
den beiden Europäern die Hand und ging fort.
Wir verlassen hier den Reisenden, um denselben später
nach der Hauptstadt Udong, in das Land der nülden Stiengs,
nach den herrlichen Ruinen von Ongkor und nach Laos zu
begleiten. A.
ft b c r Meri c o.
Aiidree.
für einen Staatskörper werden, der aus tausend und aber
tausend Wunden blutet, soll ein Volk wieder heben, das
nicht tiefer sinken konnte, als es nun gesunken ist; er soll
einen Damm gegen die überflnthende Barbarei auswerfen
und Ordnung an die Stelle eines Chaos setzen, das geradezu
grauenhaft geworden ist.
. Die Zeit allein kann lehren, ob und in wie weit es ihn:
gelingt, seine im höchsten Grade schwierige Aufgabe zn er-
füllen. Mexico ist in einer Lage, die in Europa ihres Glei-
chen nicht hat; es befindet sich in höchst eigenthümlicher.
Ausnahmestellung, und gewiß liegt keine Uebertreibung
darii:, wenn man sagt, daß dort Alles aus dei: Fugen ge-
gangen sei; dein: bisher herrschte itt dein zerrütteten Land ein
Krieg Aller gegen Alle/ Die unglückselige Scheinrepublik
JO*
76
Betrachtungen über. Mexico.
hat sich immer'mehr zersetzt uitb in fürchterlichen Agonien hin
und her gewunden; sie konnte nicht mehr leben uub wollte
doch auch nicht sterben. Da sind dann die Franzosen ge-
kommen und haben ihr den Todesstreich versetzt.
Mexico war unter den Besitzungen, welche Spanien in
Amerika besaß, bei Weitem die wichtigste; auch hat sie unter
allen Creolenrepubliken die zahlreichste Bevölkerung. In
den Händen eines tüchtigen, kräftigen und gebildeten Volkes
könnte ein von der Natur so überreich ausgestattetes Land
sich rasch zu einem gesunden, kräftige,: Gedeihen empor ar-
beiten. Die Gestade werden von den beiden großen Welt-
meeren bespült; wir finden auf de,u weiten Raume zwischen
dem 15 und 32° u. Br. alle klimatischen Abstufungen, von
tropischer Hitze bis zur ewigen Schneegrenze, doch so, daß
die gemäßigte Temperatur vorwaltet. In Mexico gedeihen
die Erzeugnisse aller Erdgiirtel, vomJndigo und der Ananas
bis zum Hafer; das Land könnte für eine halbe Milliarde
Thaler Produkte iu den Welthandel liefern, wenn es
die rechten Menschen hätte. Aber gerade diese
fehlen. Wir haben das im Globus mehrfach betont und
namentlich in unseren Ethnologischen Beiträgen Nach-
weisungen über diese Lebensfrage gegeben.
Der Aztekenwürger Ferdinand Cortez gründete die spa-
nische Herrschaft auf Blut und Scheiterhaufen. Nach seinem
Tode wurde Mexico bis 1535 von einer Audiencia, d. h.
einem Regierungskollegium, verwaltet, an dessen Spitze, be-
zeichnend genug für die spanischen Verhältnisse, der Erzbi-
schof stand. Seit jenem Jahre kamen Vicekönige ins Land,
deren erster, Don Antonio de Mendoza, die Geschäfte bis
1550 leitete. Der letzte dieser Vicekönige, in der langen
Reihe der drei und sechszigste, war Don Juan O'Donoju;
er trat 1821 ab, nachdem er die Unabhängigkeit der neuen
Republik anerkannt hatte.
An Schwanken und öftern Personenwechsel sind die
Mexicaner schon durch das spanische System gewöhnt wor-
den, denn die mißtrauische Politik des madrider Hofes beließ
den Stellvertreter des Herrschers nur innner wenige Jahre
in dein schönen Land auf der Hochebene von Auahuac. Er
sollte nicht mit den Interessen des ihm anvertrauten Landes
verwachsen und in demselben keine Wurzel schlagen. Auch
gab nicht die Tüchtigkeit eines Mannes den Ausschlag bei
der Ernennung, sondern vorzugsweise der Umstand, ob er-
den Geistlichen genehm Fei; der Klerus übte vorwaltenden
Einfluß und hatte Aufsicht unb Kontrole über die Beamten
des Monarchen. Manchmal wurde wohl ein Jnterregmnn
beliebt, und während eines solchen lag dann alle Gewalt
in den Händen des Erzbischofes, der auch zuweilen die
Würde eines Vicekönigs bekleidete.
Alles Leben in Nenspanien mußte sich in dem vorge-
schriebenen Geleise bewegen; zur Beseitigung mißvergnügter
oder energischer Charaktere' hatte die heilige Inquisition
jederzeit Anklagen und Blutgerüste, Auto's da fe, in Be-
reitschaft. Als nach erkäurpfter Unabhängigkeit dieses
scheußliche, grauenvolle, blutbesudelte Pfaffentribnnal auf-
gehoben wurde, behauptete man in Mexico, die „heilige" In-
quisition habe eben so viele, wenn nicht noch mehr Menschen
hingeopfert, wie die aztekischen Priester zu Montezuma's
Zeit dem Kriegsgotte Huitzilopochtli. Wie dein auch sein
möge, es unterliegt keinem Zweifel, daß sic wie ein drücken-
der Alp auf dein Lande gelastet hat.
Und was für eine Regierung war es, welche öffentlich
Bücher verbrannte, die von eingeborenen Mexicanern spa-
nischer Abkunft verfaßt waren, und, buchstäblich, als Grund
angab: „Weil die Creolen keinen Verstand zum
Bücherschreiben hätten"! Fast dritthalb hundert Jahre
hielt sie au dein Grundsätze fest, daß wo möglich gar kein
Freiiider ben Boden Mexico's betreten dürfe; sie wollte vor-
der Welt verhehlen, wie reich die Kolonie sei und wie die-
selbe verwaltet werde. Alles, was in Spanien über Mexico
iin Druck erschien, untersag zuvor einer dreifachen Censur,
die unbarmherzig tilgte, was iiicht in das System und ju
den Zwecken von Geistlichkeit und Regierung paßte. Erst
Alexander von Humboldt hat durch sein klassisches Werk
über Neuspanien zuverlässige Kunde über das Land gegeben.
Die ganze Herrschaft war auf Zwang, und Monopol be-
gründet und daraus berechnet, eine freie ltub vielseitige Ent-
wickelung der Kräfte in der Kolonie nicht aufkommen zu lasseu.
Alle Waaren, deren Mexico bedurfte, mußten iu spanischen
Fahrzeugen aus dem Mutterlande gebracht werden; die
Creolen durften feinen Bergbau auf Eisen treiben, keine
Weinrebe und keinen Oelbaum pflanzen, and; war ihnen der
Anbau von Hans, Flachs und Safran unbedingt verboten!
Das Schulwesen lag im Argen, es wurde von der Geistlich-
keit völlig vernachlässigt, und Indianer oder Mestizen lernten
weder lesen noch schreiben. Zwar der Kirche mußten sich die
braunen Leute unterwerfen, aber das Christenthum selbst ist
ihnen bis heute noch kaum in die Haut gedrungen; auch haben
die Geistlichen niemals wagen dürfen, eine Menge heidnischer
Ceremonien anzutasten; alle Verbote und Maßregeln gegen
den NagualisiNus sind vergeblich geblieben. (Man vergleiche
unsern Aufsatz über „das Heidenthum iu Mexico",
Globus II, S. 89 ff.) Der Indianer wendet sich von
weißen Christus- und Marienbildern ab; deshalb hat
auch die Schutzheilige von Mexico, Unsere liebe Frau von
Guadalupe, kein weißes, sondern ein braunes Gesicht;
die Statue wurde durch ein „Wunder" aufgefunden, aber
nicht von einem weißen Menschen, sondern von einen: —
Indianer!
Das spanische System hatte sich die Unwissenheit der
Kolonialbewohner zur Unterlage genommen, und gerade
durch diese ist es völlig über ben Haufen geworfen worden.
Die Bourbons mußten im Mutterlande einem Napoleoniden
Weichen, aber Mexico blieb dem alten Könige noch treu.
Inzwischen war durch solche Creolen, welche zeitweilig in
Europa gelebt hatten, ein neuer Geist über das Weltmeer
hinübergetragen worden, unb die Grundsätze der französischen
Revolution sowohl wie der nordamerikanischen bewurzelten
sich iu den Kolonien. Das Kolonialsystem hatte alle Aemter,
Würden und Auszeichnungen denen vorbehalten, welche, in
Europa geboren, von dort nach Mexico geschickt wurden.
Die Creolen waren in ben Hintergrund gedrängt, sie konn-
ten keine höheren Stellen bekleiden , und die aus Spanien
Gekommenen bildeten ihnen gegenüber eine privilegirte Klasse.
Jetzt verlangten sie Gleichstellung. Als der Vicekönig
Jturrigaray einige Zugeständnisse machte, lehnten die
Privilegirten sich auf; sie fanden es unerträglich, daß ein in
Amerika geborener Spanier in seinen: eigenen Vaterlande
mit ihnen, den in der Fremde Geborenen, auch nur
annähernd gleiche Berechtigung haben solle. Sie rebellirten
gegen den Stellvertreter ihres Königs ; ernt 18. September
1808 nahmen sie ihn gefangen, weil er ein Hochverräther
sei, und schickten ihn nach Spanien.
Damit war iu Mexico der Datum durchbrochen und
von nun an slntheteit die wilden Wasser der Revolution ein,
durch welche bald alle Spanier, als verhaßte Gachupinos
(sie haben diesen Spitznamen auch heute noch), aus dem
Lande hinweg geschwemmt wurden.
Hier will ich darauf hinweisen, daß auch eine Macht
mitwilkte, deren Eingreifen lange verborgen blieb, und
über deren Theilnahme erst vor wenigen Jahren etwas
Näheres bekannt geworden ist. Gerade in unseren Tagen
und gegenüber den neueren Verhältnissen wird es statthaft
Betrachtungen über Mexico.
77
sein, die Sache zu betonen. Joseph Bon aparte näm-
lich, damals König von Spanien, ließ, durch seinen gehei-
men Hauptagenteir Desmolard ans Baltimore, Verbin-
dungen in Mexico anknüpfen itnb die Creolen gegen die
Bourbons aufstacheln. Seine Zusagen von völliger Gleich-
stellung, Gleichberechtigung und politischer Freiheit fanden
einen fruchtbaren Boden. Denn nach dem Aufstande gegen
Jturrigaray hatten dessen Nachfolger, die Mcekönige Gari-
bay und Li za na, alle Privilegien der Altspanier wieder
hergestellt und dadurch die Creolen aufs Aeußerste erbittert.
Kein Wunder, daß die Agenten Josephs bei ihnen Anklang
fanden. Man entwarf in geheimen Gesellschaften den Plan
zu einer Verschwörung, die schon 1810 zum Ansbruche kam.
Bis dahin hatten die Mischlinge und Indianer
immer nur eine passive Rolle gespielt; von nun an treten
ste handelnd auf den Schauplatz und nehmen in dem blu-
tigen Drama, das zu jener Zeit begann und bis heute sort-
gespielt wird, eine wichtige Stellung ein. Der Mann,
welcher zuerst die Fahne des Aufstandes erhob, Hidalgo,
war Geistlicher, Sohn eines europäischen Vaters und
einer indianischen Mutier, also ein Mestize. Im Süden
des Landes verkündete gleichfalls ein Geistlicher, Morelos,
die Revolution; er war Indianer von reinein Geblüt, ein
Mann von großer Energie und der Erste, welcher den Ge-
danken, daß Mexico eine Republik wexden müsse, mit
Nachdruck verkündete und geltend machte?) 'Nach wenigen
Monaten standen nahe an 100,000 Indianer, den revo-
lutionären Geistlichen blindlings Folge leistend, unter den
Fahnen; seit den Tagen des Eroberers Cortez tru-
gen sie zum ersten Male wieder Waffen gegen
weiße Menschen. Geistliche und Indianer sind
von da an in alle die unzähligen Umwälzungen
und Aufstände verflochten, die man nach hunder-
ten zählen kann. Die braunen Massen kamen iir
Bewegn u'g.
Spaniens Sache war nach manchen Wechselfällen im
Jahre 1821 rettungslos verloren; es büßte alle Kolonien
auf dem Festland Amerika's ein lind rettete nur einige
Inseln. In Mexico gab der Verrath eines ehrgeizigen
Soldaten, des Generals Jtnrbide, den Ausschlag. Er
war vom Vicekönig Apodaca gegen den Jnsurgentenanführer
Guerrero ansgesandt worden, aber er bekämpfte nicht etwa
denselben, sondern vereinigte sich mit ihm, und Beide ent-
warfen den sogenannten Plan von Jguala, durch wel-
chen Mexico für unabhängig vom Mutterlau de erklärt
lvurde. Der Berräther ließ sich an: 18. Mai 1822 zum
Kaiser ausrufen. Er hatte einen damals jungen Offizier
aus Vera Cruz zu sich herangezogen, den er in jeder Weise
begünstigte. Dieser Mann war aber kein Anderer, als
Antonio Lopez de Santa Anna, der seit jener Zeit in
der langen Reihenfolge von Verwirrungen die Hauptrolle
gespielt hat. Er lohnte seinerseits dem Berräther Jtnrbide
mit Undank und Verrath, indem er au die Spitze eines Auf-
standes trat, den Kaiser entthronte und eine demokratische
Föderativrepublik errichten half. Als Jtnrbide wieder
in Mexico erschien, um diese neue Versassnngsform über den
') Ec halte, trotzdem er Geistlicher war, eine Anzahl von
Kmderu. o er während der letzten Jahre oft genannte General
xllui oute, mit welchem in den Tuilerieu zu'Paris der Plan
?u11>J-! 'c01 cHst"ä der Monarchie in Mexico eingefädelt
Hs. c!u dieses braunen Geistlichen Morelos.
ijl m hohem Grad ehrgeizig; er strebte lauge Zeit
wurde,
Almonte
nach d
Mouar
daß d
... ... wmu eorgetzig; er tueenc
»er Präsidentcuwnrde; da er sie'nicht erhielt, wurde er
rchist und verbündete sich mit den Ausländer». Seltsam,
er Sohn des Indianers Morelos, welcher Letztere der
er,ie tzkepuLllkaner in Mexico war, als ein Hanplwcrkzeng zur
Wiederherstellung der Monarchie dient.
Haltfen zu werfen, wurde er gefangen genommeil und er-
schossen. Santa Anita, seit jerxer Zeit siebenmal Präsident,
zweimal Diktator, Oberhaupt bald einer Central-, bald einer
Föderativrcpnblik, und mehr als einuxal außer Landes ver-
bannt, ist jetzt eben, im März 1864, aus seinem Exil zu-
rückgekehrt und hat seine Anhänglichkeit an das neue Kaiser-
thuin allsgesprochen. Das alte stürzte er vor 40 Jahreil!
Mexico hat seit 1823 die äußere Form der Republik
gehabt, aber auch nur diese. Für das W e seix fehlteil die
nothwendigeil Stoffe, ein Volk im wahren Sinne des
Wortes. Nur die Kehrseiten der Republik traten
hervor, aber weder Freiheit noch Ordnung sind jemals vor-
handen gewesen. Das Schwanken uub Wechseln zwischen
sehr.verschiedenen Systenleil hat nie aufgehört, ein jäher
Sprung folgte dem andern. Nach und llach dämmerte, im
Hinblick auf die chaotische Anarchie, eine Ahnung in einzel-
nen Köpfen ans, daß kein Abschluß des Unheils zu erwarten
sei, so lailge die republikanische Staatsform beibehalten
werde uub mit ihr dem Ehrgeize herrschsüchtiger Gelierale
oder kecker Politiker Thor und Thür geöffnet blieben.
Zweimal ließ Sailta Anna sich die Diktatur mit einer fast
monarchischen Gewalt verleihen, die anderen Generale jedoch
ertrugen die Herrschaft eines Mannes nicht, der ihres
Gleichen war; sie glaubten dasselbe Anrecht zu haben, wie
er. Aber mehr uub mehr Leute fingen an, sich mit dem
Gedanken an die Errichtung eines Thrones zil beschäftigen,
aus welchem ein auswärtiger Fürst als erblicher
Kaiser Platz nehmen müsse.
Dieser Plan soll nun verwirklicht werden. Zn einem
gedeihlichen Ansgange des immerhin sehr gewagten Ver-
suches werden ungeheure Austreuguugeu erforderlich sein.
Mich erinnern die Zustände in Mexico au die Zeit der 30
Tyrannen in der römischen Jmperatorenzeit. Damals
warf sich bald ein Ränberhauptmann aus Arabien, bald ein
pannonischer Hirt den Kaiserpnrpur um die Schultern und
wurde von den Legionen auf den Schild gehoben. In
Centralamerika ist seit 1839 der Viehtreiber Carrera
Diktator von Guatemala; in Honduras war ein halbschläch-
tiger Mann, der „Tiger" Gnardiola, halb Soldat, halb
Räuber, längere Zeit Präsident; in Venezuela war der
Halbmulatte Monagas Gewaltherrscher; in Peru stritten
vor einigen Jahren vier Präsidenten, von denen drei
Mi sch li u ge waren, zumal um die höchste Würde. Aber mehr
als alle diese „Republiken" erinnert Mexico an dieZeiten jener
Verwirrung im römischen Jmperatorenreiche. Nicht selten
sind in verschiedenen Landestheilcu sechs oder acht Häupt-
linge, Generale, aufgetaucht, welche allesammt Anspruch auf
die Präsidentenwürde erhoben uub als Gouverneure in ihren
respektiven Staaten den Herrn und Meister spielten; so
z. B. in Sonora Blanc arte; in San Luis Potosi General
Haro y Tamariz; in Neil-Leon, Tamanlipas und Coha-
huila der General Garza und der Mestize Vidanrri; so
bis heute im Staate Guerrero der alte indianische „Panther"
Alvarez.
Als jüngst, in der zweiten Hälfte des Febrnarmonates,
der rechtmäßige Präsident Juarez, auf der Flucht vor den
Franzosen, in Monieret) im Staate Neu-Leon eine Zn-
fluchtstätte suchte, verweigerte jener Vidanrri ihm eine
solche und lehnte sich gegen ihn auf; seine Generale haben
ihn, Einer nach dein Andern, au die Franzosen verkauft uub
verrathen und gehen zu beu Ausländern über. Aber nur
gegeix baaren Kaufpreis oder Zusage von Lohn ixn neuen
Kaiserreiche.
Dieser Juarez, ein nnvernüschter Mije-Indianer aus
dein Staate Oaraca, ist einer der wenigeil rechtschassenen
Leute, welche aus bem mericanischen Präsidentenstuhle ge-
78
Betrachtungen über Mexico.
sessen haben; er wenigstens hätte ein besseres Loos verdient.
Es war ein Indianer, Hidalgo, welcher der Republik Bahn
brach; es ist ein Indianer, mit dem sie zum Abschlüsse kotnmt!
Wir haben im Globtts sehr oft darauf hingewiesen, wie
unheil- und verhängnißvoll es für einen Staat ist, wenn
er von Menschen ganz verschiedener Rassen und einer aus
denselben hervorgegangenen buntscheckigen Masse von Misch-
lingen bewohnt wird, wie in Mexico. Das spanische System
war schlecht genug und hat eilte Menge schwerer Wunden
hinterlassen, aber wenigstens ein, wenit auch ltegatives Ver-
dienst kann man ihm nicht absprechen: — es duldete keinen
Rassenkampf; es hielt mit eiserner Faust die Gegensätze nie-
der oder aus einander. Aber sobald dieser Druck entfernt
war, geriethen die Hautfarben mit einander in Krieg. Mehr
als drei Fünftel der Bewohner Mexico's sind ilnvermischte
Indianer, von dem Rest ist kaum eilt Drittel annähernd
oder galiz weiß, die klebrigen sind Mischlinge verschiedener
Art. „Diese Verschiedenheit und Durcheinandermischung
der Rassen war von jeher das größte Hinderniß zttilt Ge-
deihet! uild zur Wohlfahrt und wird es auch bleiben. Durch
sie wird die Gesainmtheit zerklüftet und in viele Bruchtheile
zersplittert, welche nach Abkunft und Geburt, nach Sitten,
Anschauungen und Sprache völlig verschieden sind; jeder ein-
zelne Theil hat ganz entgegengesetzte Tendenzen, und nun
und nimntermehr werden sie sich unter einander so weit ver-
ständigen, daß sie zur Erreichung eines gemeinsauten Zieles
wirken." So lautet der Ausspruch eines Mexicaners, des
vor drei Jahren verstorbenen Statistikers und Fiuanzininisters
Lerdo de Tejada.
Diese e t h n i s ch e A n a r ch i e, diese Z u s a ln in e n h aug -
losigkeit in der Nation, diese unausrottbar eingewur-
zelte Abneigung der verschiedenen Hautfarben
gegen einander, ist also ilicht etwa eine vorüber-
gehende Erscheinung, sondern, menn der Ausdruck erlaubt
wäre, ein normaler Zustand. Die Verwirrung sitzt
im Blute, ist ein Ergebniß anthropologischer
Elemente. Diese letzteren vorzugsweise erklären die Er-
scheinung, daß in jenen creolisch-indianischen Republiken
kein fester und sicherer Bodelt gewonnen werden kann. Da-
her auch die unablässige Aufregung uild die heftigen Zuckun-
gell, die Gewaltthätigkeiten ohne Eitde bei der Ohmnacht
zum Schaffen und zum Gestalten.
Die Volksmassen sind übrigens wie weiches Wachs, das
bald von einem General oder Diktator, voll deil Radikalen
oder von der Geistlichkeit geknetet wird. Demagogen siild
diese alle, nnb sie haben stets ein inehr oder weniger leichtes
Spiel mit der unwissenden, buntscheckigen Menge gehabt.
Wie oft ist es vorgekommen, daß im Laufe eines uild dessel-
ben Jahres sich ein und dieselbe Stadt oder Landschaft für
zwei oder drei einander schnurstracks widersprechende „Pläile"
erklärt, daß sie heute den Klerikalen und nach drei Monaten
den Radikalen anhängt! Freilich bleiben trotzdem die Dinge
doch so, wie sie im Wesentlichen nun einmal geworden sind, nnb
es erscheint auch im Grunde ganz gleichgültig, wer gerade in
der Hauptstadt das Ruder in die Hand genommen hat; er-
hält sich ja ohnehin llicht lange in derselben. In Mexico
hat man seit 1821 keinerlei Autorität geachtet, weder jene
der Menschen noch die der Gesetze. Bislang konnte in der
allgemeinenVerwirrllng itndVerwilderung diese bunteVolks-
masse weder Zwang noch Freiheit ertragen, und die Zustände
sind immer im Schwanken zwischeit Anarchie und Diktatur
gewesen. Es gibt eben kein Mittel, das Bült zu ändern,
lind wie muß eine schrankenlose Deinokratie da beschaffen
sein, wo im bunten Gemisch der Hautfarbe kaum
der zehnte Mensch ein Weißer, wo die Mehrzahl
der Menschen noch halbwild ist?
In Mexico würde selbst die Weisheit eines Königs wie
des belgischen Leopold, des neuen Kaisers Schwiegervater,
oder das Genie und die zähe Willenskraft eine» Friedrich des
Großen ein schweres Stück Arbeit finden. Wie will Maxi-
milian Ferdinand es anfangen, die Abneigung der verschie-
denen Hautfarben aus dein Leben zu tilgen und eine Aus-
gleichung und Vernlittlung zwischen grimmig erbitterten Par-
teien zu treffen, in einenl Laude, wo mau bisher keine Ver-
söhnung gekannt hat? So ist es überall im ehemals spani-
schen Amerika: eine Partei ist Hammer oder Ambos, und der
jedesmalige Sieger diktirt den Ueberwundenen seinen Willen.
Es gibt weder eigentlich liberale, noch im gllten Sinne cou-
servative Elemente; man hat nur Zwang oder Radikalismus.
Die Elemente, auf welche in unseren europäischen Staaten
Gesellschaft, Ordnung, Freiheit und Entwickelung beruhen,
findet mall in Mexico kaum in vereinzelten Ansätzen. Ge-
werbsleute, Kaufleute, Landwixthe, Gelehrtenstand, pflichtge-
treue Beamte, Schulmeister, Bauern und Adel in der Art
unserer alten Welt mangeln so gut wie völlig. Wohl aber
winnnelt das Lalld von muffigen Geistlichen, voll Obersten
und Generaleil, von braunen und gelbeil Soldaten, von Räu-
bern, Bettlern, Lumpenpack sogenanilter Aussätzigen (Löpe-
ros) uild Rabulisten der schlimmsten Art. Am harmlosesteit
sind iloch die ansässigen Indianer auf dem Platten Lande.
Aus solchen Elementen hat man in Mexico eine demokratisch-
republikanische Republik mit repräsentativer populärer Ver-
fassung gebildet!
Die Pllros, die Radikalen, waren bei ihren Verfasfnngs-
fabrikationen stolz darauf, bis „an die äußerste Grenze der
Freiheit zu gehen", „die Konstitution noch demokratischer zu
machen, als irgend eine Demokratie in irgend einem Staate
der Welt". Was in Europa nicht Stand gehalten und
was jetzt in Nordamerika auf die schwerste Probe gestellt
wird, das glaubte inan in Mexico mit mehr oder weniger
entarteten Creolen, mit Indianern, Mestizen, Negern und
Mulatten erfolgreich durchsetzen zu können! Die Lage der
„Republik" zeigt, wie weit nnb wohin man damit gekom-
men ist.
Die Dinge nahmen einen solchen Verlauf, daß die Er-
bitterung zwischen den beiden großen Parteien der Klerikalen
und Radikalen den höchsten Grad erreicht, lind die Grnppi-
rnng der Menschen sich sehr eigenthümlich gestaltet hat.
Die überwiegende Mehrzahl der Weißen nämlich hält zu den
Klerikalen, während in den Reihen ihrer Gegner das farbige
Element entfchiedeil überwiegt. In vielen Gegenden aberküm-
mertell sich die Vollblutindianer gar nicht um die Kirche, sou-
dern schlugen die Weißen todt! Die Parteinamen und Pro-
gramme sind nur Maske und Vorwand, Hauptsache ist die
Ras se u a u ti p a th i e. Deiln selbst innerhalb der klerikalen
Partei legten die braunen Lente sich gar keinen Zwang auf.
So verfuhr der klerikale General Mejia, der jetzt als
Hülfsgenosse der Franzosen eine Rolle spielt und das Ranb-
handwerk immer im Großen getrieben hat, vollkommen rück-
sichtslos auch gegen die Geistlichkeit; er inetzelte au der Spitze
seiner indianischen Truppen alle Weißen nieder, die ihm in
die Hände fielen uild verschonte selbst die Mischlinge nicht,
als welche ja doch einen Theil weißen Blutes in den Adern
hätten!
Lange Zeit war keine Partei stark genug, um den
Gegner zlt bezwingen; während z. B. vor der großen Kata-
strophe von 1857 die Klerikalen sich in der Stadt Mexico
und den mittleren Staaten behaupteten, waren die Provin-
zen an beiden Seeküsteu in der Gewalt der Radikalen.
Beide Theile unternahmen Raubzüge, bis endlich die Puros
sich auch der Hauptstadt bemächtigten. Dann führten sie
den verhängnisvollen Schlag gegen die Geistlichkeit, die ein
Betrachtungen über Mexico.
79
ungeheures Vermögen von Grundbesitz, also in todter Hand,
und dazu große Summen Geldes besaß. Die Jahresei n-
uahme der Geistlichkeit betrug mehr als 10 Millionen Pia-
ster, während jene der Republik kaum ans 11 Millionen sich
stellte. Als Santa Anna sich tu drückender Geldnoth befand,
wagte er doch nicht, diese Güter anzutasten, sondern verkaufte
lieber ganze Provinzen an die Nordamerikaner. Die „ Pu-
res" aber wollten endlich ein für allemal reine Tafel init
den „Clerigos" tnachen und brachten gleich nach ihrem
Sieg einen Theil der Kirchengliter unter den Hammer; den
Ertrag führten sie an die Kriegskasse ab, denn an mehr als
20 Punkten brachen Aufstände aus; an der Spitze standen
Geistliche, welche der neuen Regierung die Anerkennung
verweigerten.
Unter solchen Umständeir wttrde am 5. Februar 1857
eine neue Bundesverfassung veröffentlicht. In der
Einleitung sagt der damalige Präsident Comonfort, nicht
eineir einzigen Tag habe die Regierung Ruhe gehabt; unab-
lässig müsse mau der Unwissenheit und dem Fanatismus die
Spitze bieten; der vonrKlerus angezettelte Bürgerkrieg fresse
an dem Marke des Landes. Wahr ist allerdings, daß viele
Klöster Mittelpunkte für Verschwörungen bildeten; „die
geistlichen Rebellen aber sollen nicht ungezüchtigt bleiben".
Wie aber war die Verfassung, durch welche man
das Unheil zu beschwöreit gedachte? Sie stellte die „Men-
schenrechte" an die Spitze. Jedermann, sagt sie, hat das
Recht, Waffen zu tragen, und die Todesstrafe sollte abge-
schafft werden, — gewiß zu großer Befriedigung der un-
zähligen Räuberbanden, welche das Land ausplünderten.
Jeder Mericaner, der l8 Jahre alt und verheirathet ist, wird
Vollbürger, ein unverheiratheter erst mit vollendetem 21.
Jahre. Das Volk ist sonverain, das Stinnnrecht allgemein;
alle Gewalt geht vom Volk atis; jeder Einzelstaat ist in Be-
zug auf seine eigenen inneren Angelegenheiten vollkommen
souverän. Die gesetzgebende Gewalt ruht im Congreß, der
nur eine Kammer bildet; in denselben ist jeder Bürger
wählbar, der 25 Jahre zählt und nicht zur Geistlichkeit ge-
hört. Die Kammer hat in jedeut Jahre zwei Sitzungen;
in der Zwischenzeit sitzt ein permanenter Ausschuß zur Ueber-
wachung des Präsidenten, dessen Amtsdauer auf vier Jahre
festgestellt ist.
Diese für Mexico in jedent Betracht ganz und gar wider-
sinnige Verfassung wurde einer der Nägel zunt Sarge für die
„Republik". Der Klerus konnte den Verlust der Kirchen-
gliter nicht verschmerzen, und eine Revolution folgte der an-
dern, bis dann vor drei Jahren das Ausland sich einmischte.
Die „Religioitistas" erhoben sich gegen die „Sacrilegien-
schänder" , die Geistlichkeit hatte die Kirchengüter verloren,
aber der Staat dadurch kein Geld gewonnen, und schon im
Herbst des Jahres 1857 mußten die Pnros ihre eigene Ver-
fassung über Bord werfen; Comonfort selber erklärte, daß
sie Keime der Unordnung iutb Zwietracht enthalte, und ver-
langte die Diktatur.
Inzwischen sahen die Nordamerikaner ruhig zu, wie
Mexico sich zerfleischte; ihre Gesandten hatten die Hände im
Spiele. Schon int Jahre 1858, als Comonfort gestürzt
und der Klerikale Zttloaga Präsident war, bot der Pankee
Fo rsy th eine Geldsumme für eine „Grenzregelung im Ror-
den" uitd für das Recht des Transite über die Landenge von
Tehuantepec ans ewige Zeiten. Zuloaga weigerte sich;
aber auch er wurde vertrieben, und'der Radikale Juarez
gelangte aits Ruder. Der neue nordamerikanische Bevoll-
mächtigte, Mac Laue, legte nun diesent die Grnndzüge ciitcs
Vertrages vor, nach dessen Annahnte die nordamerika-
nische Regierung Geld vorstrecken wolle. Sie verlangte den
Transit über Tehuantepec, und zwar in der Weise, daß sie
erforderlichen Falls die Sicherheit dieses interoceattischen
Verkehrswegs durch amerikanische Truppen zu be-
schützeu erntächtigt sei. Darauf wollte auch Juarez nicht
eingehen; er mochte Tehuantepec iticht den Pankee's in die
Hättde spielen, sondern wollte lieber mit feineu einheimischen
Feinden, den Klerikalen, eilt Uebereinkommett ztt treffen
suchen; sie waren doch wenigstens seine Landsleute. Er
schlug ihiteit deshalb vor, daß fortan aller Erlös aits deut
Verkaufe der Kirchengüter wieder der Kirche eingehändigt
werden solle; das Gesetz für die Einführung der Civilehe
solle in Abgang dekretirt werden, die Kirche ihre früheren
Privilegien wiederhaben, auch willige er ein, die Confis-
cation der geistlichen Güter für uttgültig ztt erklären. Er
selber, Juarez, t,nd sein klerikaler Gegenpräsideut, Mi ra-
nton, sollten vom Amte zurücktreten, damit eilt ltettes Ober-
haupt der Republik gewählt werden könne.
Aber während der Unterhandlungen, die am Eltde ztt
keinem Ziele führten, nahm der Bürgerkrieg seineit Fortgang.
Ich will nicht vergessen, hier zu bemerken, daß inzwischen ein
großer Theil der regelmäßigen Soldateska mit der Geist-
lichkeit nun gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, tveil die
radikale Verfassung von 1857 auch die Vorrechte des Mili-
tärs beseitigte und dieses den Bürgern gleich stellte.
Seit 1858 treten nun die französischen Pläne her-
vor. Der Gesaitdte des Kaisers Napoleon unterstützte nach
Kräften deit Erzbischof von Mexico und jenen Gegenpräst-
denten Miramon, diesen „jungen Löwen". Gewonnen wur-
den itach und itach alle die Führer von Truppen oder Räu-
berbanden , deren Namen bis heule so oft genannt werden,
die Miramon, Mejia, Marguez, Cobos rc. Im
Jahr 1800 erhielt Napoleons Plan, Mexico iu eine Mo-
narchie umzuwandeln und damit den Anfang zu einer „Re-
ge nerati o n d es late i n i s che n Am erik a " anzubahnen,
schon eine feste Gestalt. Es konnte dentselben nur förder-
lich sein, wenn die innere Zerrüttttng zttnahm. Die Radi-
kalen, Juarez voran, gewannen Einsicht in die Lage der
Dinge, das Messer stand ihnen an der Kehle, und ant 14.
December 1859 schlossen sie in Vera-Cruz den Vertrag
mit Nordamerika ab, der wahrscheinlich in den nächsten
Jahren verhängnißvolle Folgen für das treue Kaiserlhunt
hat, denn er gibt den Pankee's ein Recht zur Ein-
mischung in die utericanischen Angelegenheiten, und des-
halb lege ich hier Accent aus denselben. Er sichert den
Amerikanern freien Transito auf drei Punkten
der Republik von einem Weltmeer zunt andern,
nämlich:
1) Ueber die Landenge von Tehuantepec, also
durch die Staaten Vera-Cruz und Oaxrlca;
2) Vom Rio Grande, also der Grenze von Texas,
durch die (Staaten Cohahuila, Durango und Cinaloa
nach Mazatlan am Stillen Weltmeer;
8) Ans Arizona, dem amerikanischen Territorium ant
Rio Gila, also dem ttördlichen Sonora, itach dem
Hafen Guaymas am Kalifornischen Meerbusen.
Die Anterikaner dürfen an bett Endpunkten dieser drei
großen Verkehrswege Waarenhänser bauen; alle Güter,
welche durch das Land von Ocean zu Ocean gehen, siitd zoll-
frei. Sodann: „Nordamerikattische Tru ppen und Kriegs-
bedarf aller Art dürfen über die Landenge von Tehuantepec
und durch Sonora eben so ttttb unter denselben Bedingungen
passiren, als wären sie mexicanisch. Die Neutralität des
Transito wird voit beiden Theilen gcmeittschaftlich geschützt;
aber die Nordamerikaner können, mit oder ohne Zustim-
mung der mexicanischen Regierung, Transit und
Eigenthum dttrch Waffettgewalt schützen. Auch soll
80
Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Erklärer.
unbeschränkte Religionsfreiheitstattfinden, und amerikanischen
Bürgern niemals eine Zwangsanleihe auferlegt werden."
Aber das ist noch nicht Alles; denn eine nachträg-
liche Uebereiuknnft gestattet den Amerikanern, in
Mexico zu interveniren, um ihre Landsleute zu
schützen und erforderlichen Falls die Ausführung
der Vertragsbestimmungen mit Gewalt zu erzwin-
gen. Und fiir diese exorbitanten Zugeständnisse, zahlten die
Amerikaner die armselige Sutmue von vier Millionen
Dollars, behielten aber davon gleich zwei Millionen für Ent-
schädigungsansprüche ihrer Mitbürger zurück!
Gegen einen solchen Traktat, der das Gepräge eines
Löwenvertrags offen vor der Stirn trug, und bei welchem
es auf eine Zerstückelung Merico's abgesehen war, prote-
stirten die Klerikalen, denn es handle sich dabei um Landes-
verrath. Aber indem sie die Scylla vermeiden wollten, fielen
sie in die Charybdis; sie schlossen sich immer enger an Frank-
reich an, das seinerseits in derselben Weise aus der Lauer
lag, wie die Uankee's. Nach dem gold- und silberreichen
Staate Sonora, dessen nördlichen Theil (Arizona) die
Nordamerikaner von Santa Anna gekauft haben, warf die
pariser Politik schon vor 10 Jahren begehrliche Blicke, und
die französischen Flibustier Pindray und Raousset de
Boulbon, deren abenteuerliche Expeditionen wir im Glo-
bus (II, S. 289, 321) erzählt haben, waren gleichsam
Sturmvögel, welche dem späteren Ungewitter voranszogen.
Auf keinen Fall wird die kühne und großartig aufgefaßte,
obwohl immerhin etwas phantastisch angestreift erscheinende
Politik Napoleons III., sich lediglich der „Idee" wegen in
die mexicanischen Händel eingelassen, sondern greifbare Vor-
theile sich ausbedungen haben. Die darauf beziiglichen Ver-
träge sind noch ein Geheimniß, indeß ohne allen Zweifel
legen sie dem neuen Kaiser schwer zu erfüllende Verpflich-
tungen aus; unter fremdem Protektorat bleibt er aber jeden-
falls auf lange hinaus. Nur die Folge kann lehren, in wie
weit es ihm gelingen würd, der Anarchie Herr zu werden und
die Parteien zu bemeistern, gewiß aber ist, daß er mit den
Nordamerikänern in Verwickelungen geräth, sobald diese,
gleichviel auf welche Weise, daheim wieder Ruhe haben.
Sie halten au dem mit Juarez abgeschlossenen Vertrage
fest, während er für das neue Kaiserthum ungültig er-
scheint. Das letztere selber ist ein handgreiflicher Protest
gegen die bekannte, von den Nordamerikanern allerdings
ganz willkürlich aufgestellte, Monroedoctrin, der gemäß
in ganz Amerika nie eine Monarchie gegründet und alle
Einmischung europäischer Mächte in die inneren Angelegen-
heiten der westlichen Erdhälste entschieden zurückgewiesen
werden soll.
So ist der Horizont Merico's auf allen Seiten mit Gc-
witterwolken umzogen, die sich über kurz oder lang entladen
werden. Aber Eins steht fest : mit Einführung und Be-
festigung der Monarchie in Mexico tritt für alle jene zer-
rütteten Republiken ein welthistorischer Rückschlag
ein. Gewinnt das neue Kaiserthum Boden, ist es ihm
vergönnt, den Krater eines anarchischen Chaos zu schließen,
Ordnung herzustellen und Frieden zu begründen, dann kann
nicht ausbleiben, daß auch in den übrigen Staaten der
kühne und gewagte Versuch Nachahme findet.
Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Erklärer.
Von Prof. Di-. Kaiser tu Paderborn.
In dem Zauberlande Aegypten kommen zu der Sce-
nerie der Landschaft noch die ältesten Erinnerungen der
Geschichte, zu den Wundern der Natur die großartigsten
Schöpfungen von Menschenhand. Die enge Thalrinne
des Nil ist der Schauplatz der frühesten uns bekannten
Kultur, bei der nicht nur die Inden, die Träger der
alttestamentlichen Offenbarung, in die Schule gingen,
sondern welche auch ihre Sendboten zu den Griechen,
diesen Repräsentanten der klassischen Bildung, ausschickte.
Und die Zeugen dieser Kultur — sie sind nicht hinweg-
geschwemmt vom breiten Strome der Zeit; sie stehen
noch, obwohl sie Jahrtausende überdauert haben, und
verkünde» den spätesten Geschlechtern die vormalige Größe
des ägyptischen Volkes. Dieses gesegnete Land, das wie
eine blühendeJnsel aus dem Sandmeere der Sahara her-
vortancht, hat noch seine Stelen und Sphinxe, seine
Obelisken und Pyramiden, seine ausgedehnten Tempel,
Paläste und Labyrinthe auszuweisen. Und das Randge-
birge, ivelches die Thalsohle begrenzt, es schließt die
vielzelligen Königs- und Fürstengräber in sich, mit zahl-
losen Mumienschreinen und Papyrnsrollen.
Was aber allen diesen Monumenten einen besondern
Reiz verleiht, das sind die ausgedehnten Inschriften,
welche sich wie ein maschenreiches Netz darüber ausspan-
nen, — Inschriften, die mit Charakteren geschrieben sind,
vor welchen der neugierige Tourist wie die forschende
Wissenschaft lange staunend gestanden, wie der Jüngling
vor dem verschleierten Bilde zu Sais. Die Entzifferung
der Hieroglyphenschrift, an der sich Jahrhunderte zuar-
beitet, bildet den Stolz unsers Jahrhunderts, oder, nach
den Worten des großen Niebuhr, die wichtigste Ent-
deckung der neuesten Zeit, wie sie denn auch ein spre-
chendes Denkmal menschlichen Scharfsinnes und Forscher-
fleißes ist.
Ich will versuchen, ein richtiges Verständniß des Wortes
Hieroglyphe anzubahnen. Befürchte mau jedoch nicht,
mit trockenen linguistischen Untersuchungen gelangweilt,
oder durch ausführliche Beschreibungen einzelner Inschriften
ermüdet zu werden. Auch gehe ich nicht ein auf das
Gezänk der Champolliouisteu und Seifarthisten oder ans
die Derbheiten, welche die Akten Uhlemanu contra Lepsius
anfüllen. Ich beabsichtige vielmehr, den rein historischen
Standpunkt einzunehmen, dem Leser einen Ueberblick
über die Geschichte der Hieroglyphen - Entzifferung zu
geben und dann nach dem jetzigen Stande der Aegypto-
logie eine Erklärung dessen zu liefern, was wir unter
Hieroglyphenschrift — der ältesten Schrift, die wir ken-
nen, vielleicht der ältesten überhaupt — welche für die
Schreibweise aller civilisirten Nationen der alten Welt
Mutter- oder doch Pathenstelle vertreten hat, zu verstehen
haben.
Die ägyptischen Denkmäler — und wer hätte solche
nicht schon in den zahlreichen ägyptischen Museen Euro-
pas zu Berlin, Paris, London, Turin gesehen — sind
Die ägyptische Hieroglyphen schrift und ihre Erklärer.
81
mit zahlreichen Abbildungen und Zeichen bedeckt, welche
Gegenstände mannichfacher Art darstellen: Pflanzen, Thiere,
Menschen und einzelne Glieder derselben, Sterne, Werk-
zeuge der Kunst und des Handwerks, ja selbst mathema-
tische Figuren. Sie treten in allen Größenverhältnissen
auf und sind bald mit der feinsten Kunstvollendung aus-
gemeißelt, bald nur in rohen Umrissen angedeutet, auf
die Wände der Tempelgemächer und Grabkammern in
Farbe gemalt, auf den Mumiensärgen in Holz geschnitzt,
auf Leinwandstreifen und Papyrusrollen mit Schwärze
geschrieben. Die in Stein gemeißelten Bilder wurden
vielfach nach bestimmten Regeln kolorirt, z. B. die mensch-
lichen Glieder roth, Metallgegenstände blau, Pflanzen grün.
Ilm diese Jnschriftenbilder mehr in die Ferne wirken zu
lassen, meißelte man sie vertieft ein und füllte die Ver-
tiefungen mit Kalk ans. Die Bilder selbst sind entweder
neben einander in parallelen Reihen geordnet, oder sie
treten in senkrecht gruppirten Kolonnen auf; dabei blicken
sie bald von rechts nach links, bald sind sie von links
nach rechts gerichtet.
Diese Bildergruppen bilden Inschriften, welche
die Aegypter, die Inschriften mehr als irgend ein an-
deres Volk liebten, auf ihre Bauwerke setzten; eine
Schrift, mit der sie ganze Abhandlungen und Bücher,
Länderverzeichnisse und Geschlechtstabellen aufzeichneten.
Weil man sie vorzüglich §ur Aufzeichnung von Dingen
religiöser Art zu verwenden pflegte, heißt sie bei Herodot
(II, 36) und Diodor von Sicilicn (I, 81) die heilige
Schrift /¡>«>/<«1«); weil sie zugleich vorwaltend
Monumentalschrift war und somit eingemeißelt
werden mußte, nennt sie Clemens Alerandrinus (Stromata
4) Hieroglyphe nschrist (ygccfipura ¿foo/lu/ix«).
Diese Bezeichnung des Alexandriners ist seitdem allge-
mein geworden.
Schon die ausgedehnte Anwendung der Hieroglyphen-
schrift ans den Monumenten schließt die Ansicht aus,
daß das Verständniß dieser Bilderschrift Eigenthum eines
engern Kreises, etwa von Gelehrten, oder einer Kaste,
etwa der Priester, gewesen; sie mußte dem ganzen Volke,
wenigstens den Gebildeten im Volke, verständlich sein.
Denn wer möchte den Aegyptern die Thorheit zutrauen,
mit großer Mühe und vielem Kostenaufwande lange
Inschriften ans öffentliche Denkmäler in Charakteren ein-
zuhanen, welche nur von einem sehr kleinen Bruchtheile
der Bevölkerung gelesen werden konnten? Diodor berichtet
auch ausdrücklich, daß die Aegypter ihre Kinder in
der Hieroglyphenschrift unterrichten ließen.
Man würde sich jedoch sehr irren, wenn man anneh-
men wollte, die oben gekennzeichnete Schrift sei die ein-
zige des alten Kulturvolkes von Mizraim (Aegypten)
gewesen. Sie war freilich die älteste und ursprüngliche
Schrift der Aegypter und wurde ihres Alterthums wegen
zu heiligen Zwecken verwendet. Es ist ja ein durchgrei-
fender Zug im Völkerleben, vor dein Alterthum eine be-
sonders'hohe Achtung zu hegen. Das spricht sich nicht
blos aus in der Redensart von den guten alten
Zeiten, das zeigt sich nicht blos in der Heilighaltung
uralter Ceremonien, Gebräuche, Kulturstätten, die um so
höheres Ansehen genießen, je älter sie sind; das sieht
man auch in dem sogenannten hieratischen, heiligen, Style
der Kttnstschöpfungen.
Als die griechische Skulptur längst ihren Höhepunkt
der Vollendung erstiegen hatte, mußten die Tempelbilder
einer Athene nach dem altüberlieferten, heiligen Typus
mit dem eigenthümlichen, lächelnden Gesichtsausdruck, in
der traditionellen, steifen Haltung, mit der künstlich ge-
fältelten Drapirung angefertigt werden; uub davon bei
einem Tempelbilde abzuweichen, war selbst einem Phidias
nicht erlaubt, yiuv in Nebensachen durfte er fein Künst-
lergeschick freier zur Geltung bringen. So war es auch
bei den Aegyptern; so war es im Besondern auch mit
der Hwroglyphenschrift. Ja, ist es nicht auch bei' uns
so? Wer konnte auf öffentlichen Denkmälern, z. B. an
Globus VI. Nr. ».
dem Denkmal Friedrichs des Großen unter den Linden
in Berlin, am Mausoleum zu Charlottenburg, oder am
Hermannsdenkmal im Teutoburger Walde eine Legende
in den Zügen unserer gelvöhnlichen Kursivschrift ertragen?
Richt blos das Material, ailch unser Gefühl heischt La-
pidarschrift!
Die Hieroglyphenschrift wilrde wegen ihres Alterthums
zu religiösen Zwecken verwendet, uub ganz konsequent
auch dann noch, als man schon längst eine andere, be-
quemere Schrift kannte. Weil sie aber eine solche heilige
Verwendung fand, firirtcn sich die Charaktere zu tradi-
tionellen Typen und nahmen einen so stabilen Charakter
an, daß sie in der langen Reihe von Jahrhunderten, in
denen die ägyptische Geschichte verläuft, kaum merkliche
Veränderungen erfahren haben. Die Hieroglyphen an
den Pyramiden von Gizeh, die Chefren in der Urzeit
der ägyptischen Geschichte bauen ließ, gleichen ihren Cha-
rakteren nach ganz den Jnschriftenzügen auf den Palast-
ruinen 31t Karnak, welche von Sesönchis (985), so wie
an dem Tempelreste zu Philae, welche von Psammetich
(670 v. Chr.) herrühren, und auf dem Rosetta - Steine, wel-
cher aus der Ptolemäerzeit stammt.
Außer der Hieroglyphenschrift kannten die Aegypter,
wie uns Clemens Alerandrinus berichtet, noch eine so-
genannte hieratische Schrift, die eine abgekürzte
Hieroglyphenschrift war und von den Priestern zu ge-
lehrten Abhandlungen gebraucht wurde, daher, was ihre
Anwendung betrifft, etwa mit unserer Bücherschrift ver-
glichen werden könnte. Endlich hatten sie noch eine
Volksschrift (ygccpiiuTu ö'^Horix«), wie Herodot und
Diodor (ygu^^azee 8r]fuoSr¡) sie nennen, oder Brief-
schrift (¿TtLGLoh, yQcc'ír/.u)f wie Clemens sie heißt. Schon
die Benennung sagt uns, daß sie eine Kursiv- oder Schnell-
schrift war, für' den täglichen Lebensverkehr bestimmt.
Von allen diesen Schriftarten sind uns zahlreiche Pro-
ben erhalten, von der Hieroglyphenschrift auf den Monu-
menten, von der hieratischen und demotischen in den
Papyrusrollen. Auf späteren Monnmenten aus der
ptolemäischen und nachptolemäischen Zeit steheir nicht
selten dieselben Inschriften in beiden Schriftweisen neben
einander. —
Schon der letztere Umstand deutet uns an, daß in
späteren Zeiten das Verständniß der Hieroglyphen dem
Volke sich zu verdunkeln begann, denn wozu sonst die
Doppelinschriften? Herodot ließ sich zwar noch durch
einen Erklärer von der Pyramide des Cheops vorlesen,
wie viel Meerrettig, Zwiebeln und Knoblauch die Arbeiter
verzehrt hätten, uub daß für diese Nahrungsmittel allein
1600 Talente (nach unserem Gelde mehr als zwei Millionen
Thaler) verausgabt seien (Herodot II, 125). Aber
Diodor von Sicilieu, der um Christi Zeit lebte, mußte
schon bemerken, daß die demotische Schrift Alle, die
hieroglyphische nur die Priester schreiben können (III, 3).
Clemens Alerandrinus (um 200 n. Chr.) scheint
mit dem Hieroglyphensysteme noch ziemlich vertraut ge-
wesen zu fein, da er eine Analyse desselben zu geben
versucht (Stromata V, 4). Aber schon ein geivisser
Ho rus Apollo Nilous (dessen Zeitalter sich jedoch
nicht näher bestimmen läßt, aber jedenfalls eine nicht
unbedeutende Strecke nach Christus angesetzt werden muß)
fand es nothwendig, ein eigenes Werk über die Hiero-
glyphenschrift in ägyptischer Sprache abzufassen, wovon
uns noch die griechische Uebersetzung eines eben so unbe-
kannten Philippus erhalten ist.
Aber gerade diese Schrift hat die größte Verirrung
und Verwirrung in die Deutung der Hieroglyphen ge-
bracht, da sie die Veranlassung wurde, dieselbe als eine
reine Bilderschrift, in der jedes Zeichen einen selbstän-
digen Begriff darstelle, zu betrachten. Nur eine ganz
geringe Zahl feiner Erklärungen ist durch die neuesten
Forschungen bestätigt worden; andere von ihm angeführte
Hieroglyphenbilder kommen auf den Monnmenten und
sonstigen Denkmälern gar nicht vor. Endlich hat er die
11
82
Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Erklärer.
wunderlichsten Abenteuerlichkeiten zur Erklärung einzelner
Schriftbilder herangezogen. Um nur einige Beispiele
herzusetzen: „Ilm den Mund zu bezeichnen, malten sie
eine Schlange," sagt er, „weil dieses Thier sich durch kein
anderes Glied auszeichnet. Zur Darstellung des Begriffes
Vernichtung wählten sie die Maus, weil sie Alles
benagt. Um Unverschämtheit auszudrücken, setzten sie
eine Fliege, welche, so oft sie verjagt wird, immer
wiederkehrt." Durch solche Irrthümer und Seltsamkeiten
wird die Vermuthung nahe gelegt, daß wir in dem Horus
Apollo nur einen fingirten Namen und in seiner ganzen
Schrift über die Hieroglyphen ein untergeschobenes Werk
vor uns haben, welches ein Grieche ans seinen mangel-
haften Kenntnissen der altägyptischen Sprache und Schrift
zusammenstoppelte.
Der letzte klassische Schriftsteller, welcher uns über
die Hieroglyphenschrift der Aegypter Auskunft gibt, ist
Ammianus Marcellinus, zu Anfang des fünften
Jahrhunderts n. Ehr. Er theilt im 17. Buche seines
Geschichtswerkes (Kap. 4) mit, was auch aus Plinius
(XXXVI, 9)^ und Strabo (XVII, 1158) bekannt ist, daß
Augustus bei seiner Eroberung Aegyptens einen Obelis-
ken von Heliopolis nach Nom bringen und im Circus
marimus auf der Spina aufstellen ließ. Ein gleichzeitiger
Priester Aegyptens habe die Hieroglyphen - Inschriften,
welche die vier Seiteil derselben bedecken, ins Griechische
übersetzt. Und diese griechische Uebertragung hat uns
Ammian zum großen Theile wenigstens aufbewahrt. Als im
sechsten Jahrhundert die nordischen Völker die ewige Stadt
überflntheten, wurde dieser, wie die übrigen Obelisken
Noms, umgestürzt. In drei Stücke zerbrochen blieb er 1000
Jahre hindurch unter deur Schutte der Rennbahn begra-
ben, bis Papst Sirtus V. ihn im Jahre 1589 wieder
heben und au der Porta del Popolo aufrichten ließ.
Dort steht er an dem Eingänge der Weltstadt, durch
welchen der von Norden kommende Fremde in ihre
Mauern einzieht, und weist mit bedeutsamen Fingerzeig
in die wichtigsten Epochen der Entwickelungsgeschichte, auf
die mannichfaltigsten Phasen des Völkerlebens zurück,
verkündet aber zugleich in der stummen Sprache seiner
Inschriften laut der stallnenden Mitwelt, was der Scharf-
sinn des Menschenverstandes, die Ausdauer ineilschlichen
Forschergeistes vermag. Denn eben die Inschrift
dieses Monolithen ist eine der glänzendsten
Bestätigungen für die moderne Lösung der
Räthselschr'ift Aegyptens.
Seit Konstantins des Großen Zeiten scheint das
Verständniß der Hieroglyphen selbst iu Aegypten sich mehr
und mehr verdunkelt zu habeil und mit der Herrschaft
des Christenthums daselbst gänzlich untergegangen zu
sein. Die Bilderschrift, weil „götzeudieuerischeil" Zwecken
geweiht, war den Christen verhaßt. Die Aegypter, die
ältesten Erfinder der Schrift, welche einst den Griechen
die Schreibkunst vermittelt, nahmen griechische Schrift-
Charaktere an, die sie um nur wenige Lautzeichen ver-
niehrten. Mit solchen sind die Bibelübersetzungen
ilnd Ritualbücher der koptischen Christen'ge-
schrieben, in denen der Rest des ägyptischen Sprachschatzes
zum größten Theil hinterlegt ist. Die Priesterkaste,
auf deren Kreis sich zuletzt nicht blos die Kunst, Hiero-
glyphen zu schreiben, sondern auch sie zu lesen, be-
schränkte, starb aus, und mit dem letzten ägyptischen
Götzenpriester ward der geheimnißvoll bewahrte Schlüssel
dieser Schrifträthsel zu Grabe getragen.
Aber lischt, um auf immer darin verschlossen zu blei-
ben. Einst nachVerlauf von mehr als einem Jahrtausend
sollten Söhne jüngerer Völker, Priester einer neuen
Wissenschaft und Bildllng, die aber in mehr als einer
Beziehung ans altägyptischer Kultur fußte, an die Gra-
bespsorte pochen und mit dem unwiderstehlichen Zauber-
stabe des Gedankens die Herausgabe des Langverlorenen
erzwingen. Freilich wurde mehr denn Einer von dem
neckischen Zauber getäuscht, indem er die Fata morgana
seiner auf unwahre oder mißverstandene Etymologien
gestützten Illusionen für Wahrheit nahm; aber nach der
Arbeit zweier Jahrhunderte sollte doch der hartnäckige
Bann sich lösen, die Aegyptologie über die Wieder-
entdeckung jubeln, wie einst die Isis über die wiederge-
fundenen Glieder des Osiris, den der feindliche Typhon
getödtet.
Der erste Name, welchen ich in Bezug auf die Hiero-
glyphenerktärung ¿u registriren habe, ist jener des Jesuiten
Athanasius Kircher aus Geysa bei Fulda (1602 bis
1680), der mehrere Jahre in Paderborn lebte und vor
Christian voir Braunschweig voir dort floh. Er beschäf-
tigte sich viel mit der koptischen Sprache, schrieb einen
Prodromus Coptus, Romae 1636, und über die Her-
stellung der ägyptischen Sprache (Lingua aegyptiaca re-
stituta, Romae 1643). Aber noch mehr Fleiß verweildete
er ans die Entzifferung der Hieroglyphen. Er hillterließ
nicht weniger als neun Foliobände von Uebersetznngen
ägyptischer Inschriften, die Frucht unzähliger Nachtwachen,
unsäglicher Mühen. Leider muß man von ihm sagen:
Oleum et operam perdidit. Denn er folgte falscher Fährte.
Weil er im engen Anschlüsse an Horus Apollo jedem
hieroglyphischen Zeichen einen abgeschlossenen Begriff, bald
mittelst natürlicher, bald mittelst fymbolischer Deutung
entnehmen zu müssen glaubte, konnte es ihm nicht ge-
lingen, auch nur einer 'einzigen Hieroglyphengruppe zum
richtigen Verständniß zu verhelfen. Er übersetzte z. B.
die Gruppe, welche unzweideutig nichts Anderes, als
Autokrator, bedeutet und Len Nero bezeichnet, mit
folgendem Satze: „Der Urheber der Fruchtbarkeit nnb
aller Vegetation ist Osiris, dessen zeugende Kraft aus
dem Himmel gezogen wird in seinem Reiche durch den
heiligen Mophtha." Eine andere Gruppe aus 10 Hiero-
glyphen, welche man jetzt als Cäsar Domitianus
liest, übersetzte er also: Generationis vis benefica, domino
superno infernoque potens affluxum sacri lmmoris et
supernis demissum, augmentât Saturnus, fugacis tempo-
ris dispositor et beneficum numen agrorum foecundi-
tatem promovit in humanam naturam potens. („Die
wohlthätige Kraft der Zeugung, dem obern und untern
Gotte mächtig, das Heranströmen des heiligen Naß,
welches aus der Höhe entsendet ist, mehrt Saturnus, der
Ordner der flüchtigen Zeit, die wohlthätige Gottheit, welche
Macht hat über die menschliche Natur, befördert die Frucht-
barkeit der Aecker.")
So unglücklich auch Kirchers Versuche ausfielen, seine
Verdienste um die altägyptische Sprache, das Koptische,
lassen sich nicht läugnen, das Verdienst, zuerst den Hie-
roglyphen die Aufmerksamkeit von Mit- und Nachwelt
durch seine Schriften entschiedener zugewendet zu haben,
kann man ihm nicht absprechen. Auch hat er zuerst die
Regel erkannt, daß man die Hieroglyphen von der
Seite lesen muß, wohin die Bilder gerichtet
sind.
Erst nach mehr als 100 Jahren begegnen wir dem
zweiten Versuche, die Hieroglyphen zu entziffern. Er ist
niedergelegt in den: Werke eines der größten Alterthums-
forscher seiner Zeit, Zoëga: De obeliscis. Romae 1797,
welches auf Veranlassung des Kardinals Borgia geschrie-
ben und auf Kosten des Papstes Pius VI. gedruckt wurde.
Er steht ganz auf Kirchers Standpunkt und liest jedes
Zeichen als besonderes Wort. Nur eine Wahrheit, die
später bedeutsam wurde, hat er entfernt geahnt: „daß
nämlich die in Ringe eingeschlossenen Gruppen
Eigennamen bedeuten".
Die ersten Versuche, den dichten Schleier, der sich über
die ägyptischen Inschriften gelegt, zu lüften, waren ge-
scheitert und hatten Pie Verzweiflung an der Möglichkeit,
in diese ägyptische Finsterniß Licht zu bringen, nur noch
höher gesteigert. Da erscholl die Kunde voir der Auffin-
dung des Rosetta-Steins und erweckte die eutschwun-
deue Hoffnung auf endliches Gelingen der Hieroglyphen-
Entzifferung zu neuem Leben.
83
Heinrich von Maltzahns Besuch
Wie verhält es sich mit diesem Steine vonRo seita?
Dem Steine „der Weisen" wird ja noch immer vergeblich
nachgespürt! wird man verwundert sagen. Der Stein der
Weisen ist es allerdings nicht, sondern ein Stück von
dltnklem Syenit. Er sollte der Wegweiser ans dem Wege
zur richtigen Deutung der Hieroglyphen werden.
Es sei mir gestattet, die Geschichte dieses merkwürdigen
Steines kurz zu erzählen. Französische Jngeniellre gruberr
1798 in der Nähe von Rosetta (Raschid, der 870
n. Chr. an dem ehemals bolbitischen, jetzt rosettischeil Ril-
arm angelegten Stadt) die Fundamente z>l einem Fort.
Dabei förderten sie einen verstümmelten Stein ans Ta-
geslicht, der bedeutende Ueberreste einer dreifachen In-
schrift trug. Die zil oberst war mit Hieroglyphen, die
mittlere mit ägyptischer Kursivschrift, die zu unterst
mit griechischen Buchstaben geschrieben. Letztere, dem
Gelehrten ans den ersten Blick leserlich, und weil nicht blos
mit griechischen Charakteren geschrieben, sondern cutd) in
griechischer Sprache abgefaßt, leicht verständlich, ergab bald,
daß die Inschrift die Apotheose des Ptolemäns
Epiphanes, des fünften in der Reihe der Ptolemäer,
enthielt, der, 208 v. Chr. geboren, bei dem Tode seines
Vaters Philopator vier Jahre alt, zur Herrschaft gelangte
und bis 181 regierte. Im Jahre 195 ließ er sich nach
Sitte der alten 'Pharaonen zu Memphis bei den soge-
uannten Auakleterien in die Priesterkaste aufnehmen. Wegen
der großen Verdienste um Religion uui> Volk wird ihm
von beit Priestern göttliche Verehrung zuerkannt und seinem
Namen eine Stelle in der Reihe der Götterverzeichnisse
eingeräumt, tlm diesen Priesterbeschluß zur allgemeinen
Kenntnißnahme zu bringen, soll derselbe in einen harten
Stein mit heiliger, demotischer und griechischer
Schrift eingegraben und dieses Denkmal in jedem Tem-
pel Aegyptens neben der Statue des Königs aufgestellt
werden.
Der Gebrauch, öffentliche Dokumente in mehreren
Sprachen bekannt zu machen, war durch die Umstände ge-
boten und auch im Römerreiche allgemein. Jeder kennt
eine solche in der dreisprachigen Inschrift über dem Haupte
Christi des Gekreuzigten. Unfern des Fundortes stand die
Pharaonenstadt Sais, deren Ruinen noch bemerkbar sind.
Dort erbaute Amasis den berühmten Tempel der Göttin
Reith.
Es dürfte mehr als wahrscheinlich sein, daß es ein
Stück des Denkmalsteines ist, der zu gedachtem Behufe
dort errichtet wurde. Solche Denkmalsteine, Stelen,
hatten eine länglich viereckige, oben abgerundete Form.
in der Hauptstadt Marokko im Jahre 1859.
Leider ist die in Rede stehende Stele arg verstümmelt.
Ganz, oder vielmehr fast ganz, ist nur der unwichtigste
Theil derselben erhalten, welcher in 32 Zeilen die d eme-
tische Inschrift trägt. Der obere Theil fehlt fast ganz,
blos von 14 Hieroglyphenzeilen sind Ueberreste geblieben.
Etwas besser ist es freilich der griechischen Inschrift er-
gangen.
Die Wichtigkeit des Fundes für die ägyptische Alter-
thnmsforschung wurde sogleich erkannt. Der Stein sollte
mit vielen anderen ägyptischen Alterthümern nach Frank-
reich gebracht werden. Schiff und Stein fielen aber den
Engländern in die Hände, und so gelangte letzterer nach
London, wo er eine Hanptmerkwürdigkeit des britischen
Museums bildet. Dort steht mitten in dem sogenannten
EgYPtian Saloon, umgeben von Sphinren und Götter-
statnen, unter Glas wohl verwahrt, kalt und schweigend
der schwarze Dolmetscher, der nach 2000 Jahren aus dem
Grabe hervorgeholt ward und längst verlorene Geheim-
nisse der ägyptischen Priester enthüllte. Es läßt sich nicht
längnen, eigenthümliche Gedanken und Gefühle steigen im
Kopf und Herzen auf, wenn man bei persönlichem Gegen-
über ihm in das starre, durchfurchte Antlitz schaut, aus
dessen Lineamenten das Seherange der Forschung die
Mysterien des mysteriösesten Volkes las!
Die besondere Wichtigkeit des Rosetta-Steines für die
Hieroglyphen-Entzifferung liegt in dem Umstande, daß auf
demselben außer der ägyptischen Inschrift in heiligen und
demotischen Charakteren noch die griechische Sprache
und Schrift vertreten ist, und daß in dem griechischen
Theile ausdrücklich gesagt wird, alle drei seien desselben
Inhalts. Darin, glaubte man freudig, sei der langersehnte
Schlüssel zur Entzifferung der Räthselschrift endlich unver-
sehrt wieder aufgefunden. Das wäre allerdings der Fall
gewesen, wenn die Inschriften sämmtlich in einer und der-
selben Sprache abgefaßt, namentlich die griechische nichts
anders, als mit griechischen Buchstaben geschriebenes Aegyp-
tisch gewesen. Das wäre annähernd auch dann noch der
Fall gewesen, wenn man die unverständliche Hieroglyphen-
Jnschrift und die verständliche griechische Uebersetznng der-
selben ganz vor sich gehabt hätte. Aber so fertige Resul-
tate Pflegen in der Geschichte der Wissenschaften und For-
schungen äußerst selten hervorzutreten. Rur einmal ist die
Athene kampfgefeit ans dem Kopfe des Zeus heraus ge-
sprungen, aber auch da bedurfte es der gewaltsamen Heb-
ammenkünste des Hephästns, um sie ans Licht zu fördern;
aber sie, die Göttin der Wissenschaft, führt als Attribut
die Eule, das Sinnbild anhaltender Lncnbrationen.
Heinrich von Maltzohns Besuch in der Hauptstadt Marokko im Jahre 185s).
1.
Der Hafenplatz Mogador. — Einheimische Benennungen marokkanischer Städte. — Mule Sinail, der heilige Mann und seine Jünger. — Wanderungen bei
Nacht; Fanatismus und Gefahren. — Die Bergkette des Großen Atlas. — Marokko's Lage. — Aufenthalt im Iudenviertel. — Die Straßen und der Bazar.
Wochenmärktc. — Moscheen.
Dieser deutsche Edelmann unternahm keilt geringes
Wagniß, als er die Reise von der Küste nach der Haupt-
stadt des Maghreb el Aksa antrat. Er fuhr von Tanger
aus an der Küste hin bis nach Mogador, der wich-
tigsten Handelsstadt des marokkanischen Kaiserreichs; sie
hat einen leidlich guten Hafen, aber frühere Angaben,
denen zufolge diese Stadt etiva 20,000 Einwohner'zählt,
stiid übertrieben.
In Mogador weiß, die paar dort wohueilden Euro-
päer abgerechnet, kein Mensch, daß der Ort so genannt
wird; bei den Eingeborenen heißt die Stadt Sueira.
Was auf unseren Karten als Tanger bezeichnet wird,
heißt Tand sch ah, Tetuan ist bei den Arabern Te-
t a u i ui, Marokko ist M eräkä sch, Mekines ist Mi kn ä s.
Auch von eineni Kaiserreich Marokko wissen die Leute
nichts; das Reich wird vom Volk als El Gharb be-
zeichnet, und von den Gelehrten als Maghreb el oder
ul Aksa, d. h. der äußerste Westen. Der Maure be-
nennt es liach dem jeweiligen Herrscher und sagt z. B.
Belad (Land) oder Hakum Mule Abderrahman;
11*
84
Heinrich von Maltzahns Besuch in der Hauptstadt Marokko im Jahre 1859.
jetzt nach dem Namen des gegenwärtigen Kaisers Belad
Sidi Mohammed. Ter Maure und der Araber kennen
nur einige der natürlichen geographischen Benennungen,
aber keine künstlichen.
Der Reisende mußte in Mogador sehr zurückgezogen
leben, weil er nur durch Beobachtung der größten Heim-
lichkeit seinen Zweck erreichen konnte. Sein jüdischer
Wirth ging ihm förderlich zur Hand. Eben damals ver-
weilte ein weitberühmter muselmännischer Heiliger in der
Stadt, ein Marabut, ein entsetzlich zerlumpter, ekelhaft
schmutziger Greis, der sich nie mit Wasser, sondern nur
mit Sand wusch. Dieser Mann, Mule Smaïl, war
Oberhaupt einer Abtheilung des religösen Ordens der
D erkua, welche man gewissermaßen als die Freimaurer
des Maghreb bezeichneil könnte; sie haben Lehren und
Satzungen, welche sie geheim halten. Mule Smaïl em-
pfing in Mogador die Besuche seiner Verehrer, welchen
er durch seine Jünger allerlei Fetzeil von seinen zerlump-
ten Röcken, abgeschnittene Nägelspitzen und auch Haare
von seinem eigenen Leibe um thenres Geld verkaufen ließ.
Diesem Heiligen schenkte Herr von Maltzahn, auf
Anrathen des klugen Juden, seine Pferde und Maul-
thiere und erhielt dagegen die Zusage, daß der heilige
Mann ihm diese Thiere zur Reise nach der Hauptstadt
leihen wolle, falls der Fremde Erlaubniß zu derselben
erhalten könne. Allch hier konnte nur Klugheit zum Ziele
führen. Der Fremde nahm Abschied vom Pascha der
Stadt und erklärte, daß er sich wieder nach Europa ein-
schiffen wolle. Dann ließ er seine Koffer an den Hafen
tragen und ging bei Tag an Bord einer nach Gibraltar
bestimmten Brigantine, ließ sich aber in dunkler stacht
von einem Matrosen wieder ans Land bringen, bestach
einen muselmännischen Zollbeamten und gelangte auf
Schleichwegen zurück in das Haus seines wackern jüdischen
Wirthes.
Die Brigantine fuhr gegen Morgen ab, und Herr
von Maltzahn blieb noch sechs Tage völlig zurückgezogen
in Mogador; er wagte es nicht einmal, die Dachterrasse
zu betreten. Nun kam es darauf an, dem Heiligen wissen
zu lassen, daß der Fremde nicht abgereist sei und doch
nach Marokko wolle. Von einer Erlaubniß zur Reise
von Seiten des Pascha konnte keine Rede sein. Auch in
dieser schwierigen Sache wußte der kluge Wirth Ven
Samuel guten Rath. Er bestach zunächst die Jünger
des Heiligen und lockte einen derselben, Sidi Mustapha,
ins Hans; dieser bestach seinerseits zwei andere Jünger,
und alle drei übernahmen es, den heiligen Mann für
den Europäer zu interessiren; dabei verstand es sich aber
von selbst, daß derselbe beträchtliche Summen für den
Marabut und dessen Jünger zu bezahlen hatte. Man
wurde für etwa 810 preußische Thaler handelseinig; der
Marabut erlaubte dem Ungläubigen, sich seiner Karawane
anzuschließen; er reise bei anbrechender Dunkelheit ab
und zwei Stunden nach Sonnenuntergang könne jener sich
mit ihm vereinigen, falls er dann die Hälfte der Summe
im Voraus bezahlt habe.
Zur anberaumten Stunde holte Sidi Mustapha ihn
ab. „Mein jüdischer Koch und meine drei arabischen
Knechte konnten mit ihren orientalischen Gewändern auf
der Reise keinen Verdacht erregen, wohl aber ich, meiner
europäischen Kleidung wegen. Es wäre zu gefährlich für
mich gewesen, maurische Tracht anzulegen. _ Man hätte
trotzdem unfehlbar meine Eigenschaft als Europäer ent-
deckt, und dann wäre ich ohne Zweifel angeklagt worden,
ich hätte mich unter dieser Verkleidung in eine Moschee
schleichen und dieselbe entheiligen wollen. In diesem
Falle wäre der Tod meine gelindeste Strafe gewesen.
Deshalb war ich fest entschlossen, im Allgemeinen meinen
Charakter als Europäer aufrecht zu erhalten; dabei stand
ich allerdings schutzlos da, denn Mule Smaïl wußte, daß
ich keiner der Nationen angehöre, welche Konsuln in Mo-
gador haben; ja, er hatte sich erst dann bereit erklärt,
mich zu beschützen, als ich ihm durch Sidi Mustapha
erklären ließ, daß ein mir zugefügtes Unrecht von keinem
Konsul gerügt werden könne. Er hatte demnach für den
Schutz, welchen er mir für mein Geld angedeihen ließ,
nicht die geringste Verantwortung übernommen. Gefiel
es einem Fanatiker, mich todt zu schlagen, so
krähete kein Hahn danach; das wußte Mule Small;
ich war gewissermaßen vvgelfrei. Begreiflicherweise
war mir unter solchen Umständen daran gelegen, durch
meine äußere Erscheinung keinen Verdacht zu erregen.
Deshalb hing ich einen alten zerlumpten Burnus um, der
zwar meine europäische Tracht verdeckte, aber doch nicht
als Verkleidung angesehen werden konnte, denn beim ge-
ringsten Verdacht ließ er sich schnell beseitigen; er galt
nur als Mantel, hatte aber den Vortheil, mich vor neu-
gierigen Blicken zu schützen. In dieser Vermummung
durchschritt ich mit Mnstapha und meinen Dienern das
Thor, welches für ein Trinkgeld uns geöffnet wurde."
Dort fand er den alten Heiligen. Dieser, ein hagerer
Greis von 65 Jahren, hatte eine platte Nase, dicke' Lip-
pen, glotzendes Auge, wildes, wolliges Haar und sah
mulattenartig aus; von den drei Jüngern war der eine
ganz schwarz, ein vollkommener Neger.
Die Entfernung von Mogador nach Marokko beträgt
in gerader Linie ungefähr 26 deutsche Meilen, welche
Herr von Maltzahn in sieben Nächten zurücklegte. Denn
die Karawane reiste bei Tage nicht und schlug Morgens
ihre Zelte auf. Unterwegs verkauften die Jünger Reli-
quien des Heiligen für Geld; er selber sprach wenig und
ritt, in starres Hinbrüten versunken, ans seinem Esel.
Jenseit Surel Ablad rastete die Karawane in der Nähe
eines Olivenwäldchens. „Als ich ausgeschlafen hatte, trat
ich aus dem Zelte und hatte einen herrlichen Anblick.
Ich glaubte mich an den Fnß der Schweizeralpen ver-
setzt; vor mir lag die Bergkette des Großen Atlas,
dem wir uns unmerklich immer mehr genähert hatten.
Dieses majestätische Gebirge zieht sich vom 80. Breiten-
grade an, unter welchem es den Rand des Oceans erreicht,
in nordöstlicher Richtung gegen Algerien hin und läßt die
Stadt Marokko etwa sechs deutsche Meilen nordwestlich
liegen. Immer deutlicher traten die scharfgezeichneten Um-
risse des Gebirges hervor, das herrliche, malerische
Schluchten darbieten soll und dessen höchste Gipfel 13 bis
14,000 Fuß erreichen. Viele derselben waren mit Schnee
bedeckt. Es war im Oktober und auf diesen Alpen war
schon viel frischer Schnee gefallen; selbst im Sommer sollen
Schneestürme dort nicht selten sein. Wir waren noch
etliche 20 Meilen vom Atlas entfernt, aber wer die Alpen
der Schweiz kennt, weiß, wie schön sich auch in der Ent-
fernung jedes Alpenland ausnimmt."
Unweit Kaßbah el Uddajah bestand der Reisende
ein gefährliches Abenteuer. Urplötzlich und in wahnsin-
nigem Galopp sprengte ein Beduine auf ihu zu, riß ihm,
ehe er sich dessen versehen konnte, ein Pistol aus dem
Gürtel, feuerte dasselbe ab und rannte mit seiner Beute
davon. Alle Begleiter, Mule Small ausgenommen,
hatten die Flucht ergriffen. „Dies belehrte mich, daß ich
nicht Unrecht gehabt hatte, als ich mir beim Antreten
dieser Reise sagte: Du bist vogelfrei!" Der Heilige
blieb bei dem Vorfalle so gleichgültig, als ob es sich um
das Leben einer Fliege gehandelt hätte. Indessen kam
der Rumi, d. h. Europäer, der „Stadt der Räthsel",
die vor ihm von nur wenigen Europäern betreten wor-
den war, immer näher. „Marokko war nicht mehr fern!
Endlich sollte ich die Kaiserstadt des Südens sehen,
sollte ihre Straßen durchwandeln, einer der wenigen Rumis
sein, welchen ein solches Glück zu Theil geworden. Mein
Herz klopfte laut bei diesem Gedanken, alle Beschwerden
der Reise waren vergessen, denn welch ein Lohn sollte
meiner harren!"
Die Sonne ging auf, und Herr von Maltzahn sah,
in der Entfernung von etwa einer halben Meile, eine
große, mächtige Stadt; Marokko lag vor ihm! Der
Anblick war überraschend und imponirend. Inmitten eines
85
Heinrich von Maltzahns Besuch
Waldes von Dattel- und Fächerpalmen lag eine Häuser-
masse von kolossaler Ausdehnung, wie man sie nur bei
einer Weltstadt sieht. Das ganze ausgedehnte Häuser-
meer war von einer mittelalterlichen Festungsmauer um-
geben, von der zahllose große und steine Thürme empor-
ragten und dem Ganzen ein stattliches Aussehen verlie-
hen. Zur Seite glänzten die Kuppeln des Kaiserpalastes,
die hundert Minarets der Moscheen. Die drei goldenen
Kugeln auf dem Kuppeldache der neben dem Kaiserpalaste
stehende Moschee funkelten int Glanze der Sonnenstrahlen
leuchtend und hell. Der mächtige Riesenminaret, die
Hauptzierde Marokko's, beherrschte das gewaltige Häuser-
mcer; die Thore hoben sich kühn und stolz in die Höhe.
Wer aber dieser Stadt näher kommt, gewahrt in dem
Häusermeere zahlreiche Lücken und tioch mehr Ruinen,
uitd bald schwindet eine Täuschung nach der andern.
Von dem Anfangs so glänzenden Gemälde bleiben nur
spärliche Reste und traurige Ruinen. Denn die sehr
weite, mit bewohnbarett Häusern nicht zur Hälfte aus-
gefüllte Ringmauer täuscht von ferne. „Marokko erscheint
iu seinem wahren Lichte als eine gefallene Königin, eine
traueritde Wittwe auf den Trümmern vergangenen Glückes,
eine sterbende Löwin im Schatten der Haine, welche die
Thaten ihrer Kraft erblickt hatten. Da lag der Leich-
nam einer ehemaligen Großstadt! Ein Beispiel
aller jener orientalischen Hauptstädte, dergleicheil zur
Blüthezeit des Islam oft mit der Schnelligkeit eines
Pilzes emporschosfen, in denen aber der Keim des Ver-
falles schon zur Zeit ihrer Erbauung schlummerte uitd
nur den günstigen Augenblick erwartete, um sich üppig
zu entwickeln. Bei Marokko war derselbe schon längst
herbeigekommen."
Die Araber bezeichneit Marokko als ein „Damascus
des Westens". Allerdings liegt es, gleich jener „Perle
des Morgenlandes", in grüner, lachender Thalebene, ant
Fuße steiler Höhen, welche mit den blühenden Gefilden
der Ebene einen ainnuthigen Kontrast bilden. Gleich
jenem Diamaitte Syriens funkelt es auch im wellenspritzen-
den Spiele der Silberstüsse, welche seilte Auen bewässern.
Int Norden, kaum eine halbe Meile von der Stadt ent-
fernt, beschreibt der wasserreiche Iled Tensift seine
strahlende Bahn; unmittelbar an den Mauern rieselt
der kleine Uöd es Sits, der Oelbach, und im Süd-
westett tvird die fruchtbare Ebene vom Ued ctt dieses
durchzogen.
Der Ungläubige durfte diese heilige Stadt nicht be-
treten, soitdern mußte im Jndenviertel, im Mellah, ab-
steigen, welches eine kleine Stadt für sich bildet. Er
konnte sich dafür glücklich preisen, denn bei dett Mauren
hätte er ans alle europäischen Behaglichkeiten Verzicht
zu leisten gehabt; Betten, Gabeln, Messer lind Teller
fehlctt dort, selbst der Kaiser lind die Prinzen essen mit
den Fittgertt und schlafen ohne Matratzen auf dem Fuß-
boden. Auch hätte der Rumi in der Maurenstadt nicht
24 Stunden lebendig zugebracht. Fanatisntus ist dort
weniger vott Seiten der Regierung zu fürchten, welche
doch immerhin einige Formen beobachtet, so barbarisch
dieselben auch sein mögen. Aber das rohe Volk, die
Amih (d. h. wörtlich die Ungelehrten), ist der größte
Feind des Christen, und gegen diese Amih ist selbst die
Regierung ohnmächtig. Sie kann zwar beit Tod eines
gemordeten Christen rächen, indem sie ein Dutzend Amih
köpfen läßt, ist aber unfähig, das Leben eines Rumi zu
schützen.
Der Pförtner des Judenviertels war eilt alter Maure,
denn die Juden können diese Stelle tticht bekleiden. Er
hielt unseren Landsmann für einen Araber und sprach:
„Was machst du hier, o Bruder?" Als Maltzahn
fernen Burnus lüftete nnb die europäische Tracht sichtbar
wurde, schwoll dem Pförtner der Zorn darüber, daß er
eilten Ungläubigen Bruder genannt hatte, und ärgerlich
rief er ans: „Ruh 1’ et Dschahennen ja Kelb! Fahre
zur Holle, o Hund!"
in der Hauptstadt Marokko im Jahre 1859.
Herr von Maltzahn wohnte in Marokko bei einem
Verwandten des Wirthes, bei welchem er in Mogador
ein Unterkommen gefunden hatte; er behielt nur zwei
Diener bei sich und konnte sich zu der guten Herberge
nnb freundlichen Aufnahme bei dem wackern Moscheh ben
Samuel nur Glück wünschen. Das Haus sah zwar un-
scheinbar aus, hatte aber doch seinen Us ud Dar, den
von Säulengängen umschlossenen innern Hof, in dessen
Mitte ein Springbrunnen seine silbernen Strahlen ergoß.
Die brave Jndenfamilie wunderte sich sehr, daß ein
Europäer es getvagt hatte, diese Stadt des Fanatismus
und der Barbarei zu besuchen; er möge, wenn ihm sein
Leben lieb sei, stets nur im Jndenviertel verweilen. Er
aber war nicht zu diesem Zwecke gekommen, sondern
brannte vor Begierde, sich die eigentliche Stadt näher
zu betrachten. Rach langem Abrathen und Bitten meinte
Moscheh, es sei vielleicht möglich, daß der Rumi in jü-
discher Tracht Stadt und Bazar oberflächlich betrachten
könne. Herr von Maltzahn legte also die Feiertagskleider
seines Wirthes an, die recht gut paßten, und erhielt
zugleich Anweisung im Tragen derselben. Er mußte,
zum Ergötzen der Familie, in dem langen Schlepptalar
auf- und niedergehen, sich hinsetzen, stehen und nieder-
hocken, denn wenn er das Alles nicht verstand, wäre er
draußen den Mauren verdächtig geworden.
Am andern Morgen fanden sich zwei Verwandte
Moschehs ein, die muthigsten unter den Söhnen Israels,
welche es wagen wollten, den Rumi zu begleiten. „Red e
unterwegs wo möglich gar nicht, schaue immer
gerade vor dich hin, senke den Blick zur Erde,
wenn du an einer Moschee vorübergehst; geht
eine Maurin vorüber, thu, als ob du sie nicht
sähest." Das war Moschehs guter, wohlgemeinter Rath.
Natürlich mußten beim Betreten der maurischen Stadt
die Schuhe abgelegt werden. Die Inden in Marokko
tragen keine Strümpfe, also mußte auch der Rumi bar-
fuß gehen, ein paar Socken an den Füßen hätten ihm
vielleicht das Leben gekostet; es war auf jeden Fall besser,
daß er sich nur einen starken Nheumatismns zuzog.
Die Häuser der Stadt sind an der Ringmauer fast
auf allen Seiten durch einen großen, freien Raum ge-
trennt, und Herr von Maltzahn konnte die Stadt inner-
halb der Ringmauern ungefähr zur Hälfte umwandeln.
Er kam an den Thoren des Bades und des Donnerstags
vorüber. Auf dem freien Platze bei dem letztern wurde
eben Donnerstags-Markt abgehalten; etliche 50 Ama-
zirghen (die Kabylen Marokko's) verkauften Gemüse,
Obst, Orangen, Getreide, Pferdefutter, Eier und der-
gleichen mehr. Jedes der sieben großen Thore Marokko's
hat seinen Wochenmarkt an einem verschiedenen Tage;
die Käufer waren meist Mauren.
Aber auf dem Marktplatze durfte der Rumi nicht
bleiben, denn er war dort zu sehr den Blicken der fana-
tischen Amazirghen ausgesetzt. Die beiden jüdischen
Begleiter nahmen ihn in die Mitte und drängten ihn
in eine Seitenstraße, die ziemlich menschenleer war. Die
Giebel der Häuser berührten sich beinahe, und kein Son-
nenstrahl konnte hinab dringen. In diesem Quartier
wohnten wohlhabende Mauren. Die Thüren sind alle
geschlossen, durch Zufall wurde eine geöffnet, und der
Fremde konnte einen sehr schönen innern Hofraum
sehen. Aber daran nahm ein maurischer Knabe Aerger-
niß ; tvie konnte ein Jude das maurische Haus mit
frechem Blick entweihen? Er warf mit Koth und Stei-
nen, und alle drei mußten vor dem „kleinen Monstrum"
fliehen.
„ In einer andern, gleichfalls öden Straße waren die
Häuser niedriger und unansehnlich; sie führt zum Snk,
d. h.. dem B a z ar, welchen die Mauren als Enkaisch eri a
bezeichnen. Er besteht ans einer Reihe niedriger Häuser,
welche auf der Straßenseite nischenartige Buden haben,
und ist zum Theil mit einem hölzernen Dache gedeckt.
Die Waaren bestanden zumeist ans Lederarbeiten, namcnt-
86
Das Volk der Arnos ans der japanischen Insel Jeso.
lich Fußbekleidungen, von den leichtesten Sandalen und
Pantoffeln aus Corduanleder bis zu hohen Stulpstiefeln,
die gelb oder roth itub mit aufgestickten Arabesken ver-
ziert waren. Viele Lederarbeiter aus dem maurischen
Cordova in Spanien sind in den Zeiten der Verfolgung
durch die Christen aus jener Chalifenstadt nach dem da-
mals blühenden Marokko übergesiedelt und verpflanzten
ihren Gewerbszweig dort hin. So bekam das Leder,
welches wir Deutschen noch als Corduan bezeichnen, auch
den Namen Maroquin.
Es war keineswegs lebhaft auf dem Bazar. Auf-
fallend war die große Menge von Mulatten- und Qua-
droneugesichtern unter den maurischen Kaufleuten. Wäh-
rend der Algerier und der Tunese es gleichsam für eine
Entäußerung der Menschenwürde hält, eine schwarze Frau
zu heirathen, nimmt hingegen der allerdings schon sehr
gemischte Marokkaner gern eine Negerin zum Weibe.
Der Kaiser Abderrahman selbst war eine Quadrone, sein
Sohn Mule Mohammed hatte eine Mulattin zur Mutter,
und dessen Sohn, der jetzige Kaiser Sidi Mohammed,
hat viel Negerblut in den Ädern.
Der enger gebaute, mehr einer großen Kaufhalle glei-
chende Theil des Bazars heißt Bazar der Verstei-
gerungen. Ungefähr zehnMauren standen in einer Reihe
auf niedrigen, hölzernen Bänken und zeigten Waaren vor,
meist Kleidungsstücke, auf welche die umstehende Menge
dann ein Gebot machte und sofort in Kupfer- oder
Silbergeld bezahlte. Die Mauren haben nur eine Art
von Kupfermünze, die Delila; diese ist fast sechseckig,
am Rande dünner als in der Btitte und trägt als Ge-
präge das Zeichen Salomonis (Chatsem sidna Sliman),
welches unserem deutschen Vierzeichen auffallend gleicht;
auf der Münze steht die Jahrzahl in unseren sogenann-
ten arabischen Ziffern, deren Gebrauch die Marokkaner
von den Portugiesen gelernt haben.
Den Rückweg nahm Herr von Maltzahn, der größer»
Sicherheit halber, durch einen wenig bewohnten Stadt-
theil, in welchem fast alle Häuser in Ruinen lagen.
Nur da und dort stand ein noch nicht ganz verfallenes
Haus.
Die große Hauptmoschee, Dfchema el Kutubiah,
d. h. Moschee der Schönschreiber, ist ein Prachtgebäude,
mit gewaltiger Kuppel, schönem Minaret und reich mit
Stuck verziert; der geräumige Hof ist mit bunten Fließen
und Marmorplatten mosaikartig ausgelegt und hat plät-
schernde Springbrunnen, au denen die Gläubigen ihre
Äbwaschuugen verrichten. Der Thurm (Minaret) wurde
wahrscheinlich im Jahre 1196, unter der Herrschaft der
Almohaden, gebaut und soll 210 Fuß hoch sein.
Das Volk der Ainos auf der japanischen Insel Ieso.
Weltlage und Bedeutung. — Sage über die Abstammung der Arnos. — Der Barde und dessen Bedeutung. — Trauerfeierlichkeiten. — Schlichtung der
Prozesse mit dem Knotenstocke.— Zweikämpfe und Gifttrinken.— Die Schutzgeister. — Vergötterung der Bären. — Bärenfeste. — Fischfang und Seekälber.—
Rußlands Stellung zu Japan.
Jeso ist unter den vier großen Inseln des japanesi-
fchen Reichs, welches mall auch als den Staat der zehn-
tausend Inseln bezeichnet, die nördlichste. Im Süden
lvird sie voll Nippon dilrch die Sangar- oder Tsugar-
Straße geschieden, im Norden durch die La Perouse-
Straße von Saghali,t, das jetzt mehr und mehr voll den
Russen abhängig geworden ist. Diese suchen ans Jeso
festen Fuß zu gewinnen, weil hier die Hafenplätze Mats-
mai und Hakodade während der Wintermonate, in
welchen die Amurhäfen durch Eis gesperrt sind, offenes
Wasser haben. Die ersten eingehenden Nachrichten über
die Insel gab ein sicilianischer Jesuit, Hieronymus de
Angelis, welcher sie 1620 besuchte; der holländische See-
fahrer Martin de Vries fuhr 1613 au der Küste hin.
Seitdem sind daun uild wann Schisser nach Jeso ge-
kommen, und in unseren Tagen wird der südliche Theil
liicht selten von Europäern lind Nordamerikauern besucht.
Au den Südgestaden Kamtschatka's, im südlichen Sagha-
lin, auf den Kurilischen Inseln und auf Jeso wohnt ein
eigenthümlicher Menschenschlag, den man als jenen der
Ainos, d.h.Männer, Menschen, bezeichnet. Diese Ainos
scheinen auf dem weiten Juselgürtel, der von den Liäu-
Kiöu hLutschu-Inseln) von der ostasiatischen Küste bis an
das Ochotskische Meer und bis nach Kamtschatka zieht,
die Urbewohner gewesen zu sein. Die Annahme jedoch,
daß die Japaner aus einer Mischung von Chinesen und
Ainos entstanden seien, gehört unter die ethuologischeli
Phantasien. Die Ainos unterscheiden sich sehr wesent-
lich von den Mongolen, Japanern, Koreanern und Chinesen;
man will aber diese Halbbarbaren doch gewissermaßen zur
„mongolischen Familie" rechnen, weil sie in Sprache und
Ueberlieferungen Manches mit den genannten Völkern
überein haben sollen.
Wir lassen diesen Punkt bei Seite, wollen aber eine
Schilderung dieses in vieler Beziehung eigenthümlichen
Menschenschlags geben. Ein sehr verständiger Missionär,
Mer me t de Cachon hat längere Zeit unter diesen Ainos
elebt und sie ausführlich beschrieben. Sie haben eine
upferfarbige, rauhe Haut, sind ungewöhnlich stark behaart
und von sehr kräftigem Knochenbau. Der eigentliche
Aino auf der Insel Jeso ist im Ällgemeinen rechtschaffen,
dagegen sein Stammverwandter, der Giljake im untern
Amurgebiete, gilt für grausam und verschmitzt. jDie In-
telligenz ist bei allen diesen Halbbarbaren nur wenig ent-
wickelt, eine Schrift oder Literatur nicht vorhanden, aber
die mündliche Ueberlieferung hat einen ausgedehnten Um-
fang. Der Dichter oder Barde ist zugleich Priester,
Historiker und Gelehrter, gilt für inspirirt, weiß die
Thaten der Vorfahren zu erzählen und ist in der Genea-
logie durchaus bewandert. In heiligen und in weltlichen
Dingen gibt seine Meinung den Ausschlag, und er ist
immer von einer Schaar junger und alter Leute umgeben,
wenn er seine Gesäuge anstimmt.
Mermet de Cachon stand mit den Ainos auf dem besten
Fuß. Als er einmal einige Fragen über geschichtliche
Dinge und namentlich über die Abstammung des Volkes,
an einige Aelteste richtete, fingen die Leute zu zittern an,
schüttelten bedenklich mit dem Kopfe und verwiesen ihn
au den Barden; der wisse Alles und könne Sachen er-
zählen, worüber Einem Essen und Trinken vergehe.
Der Barde sprach: „Weshalb quälst du, Fremdling,
diese unwissenden Leute mit deinen Fragen? Es gibt
nur einen Barden und einen Himmel; was willst'du
wissen?" —
„Ich möchte erfahren, woher ihr gekommen seid, von
wo eure Vorfahren stammen, ob aus dem Himmel oder
von der Erde, oder ob das Meer oder ein Berg sie er-
zeugt hat?
Das Volk der Ainos auf der japanischen Insel Jeso.
87
Der Barde stellte sich mit dem Gesichte nach Westen,
schüttelte sich, begann erst einen recht wohlklingenden Ge-
sang und erzählte dann mit einer sehr hohen Stimmlage
Folgendes:
Als nur erst Bären in unseren Wäldern umherstreiften
und die Seehunde an der Küste schliefen, lebte im Süden
ein Gott. (Er meinte den Kaiser von Japan.) Der
hatte eine Göttin zur Frau, deren Augen schöner waren
als Sonne und Mond, auch glänzt kein Stein so hell
wie ihre Gesichtsfarbe. Aber sie wurde ihm ungetreu.
Eigentlich hätte sie nun den Tod erleiden und in
den Himmel zurückkehren müssen; aber der Gott war
gnädig, weil er sie lieb hatte, und setzte sie in einen
kleinen Kahn, den er mit Früchten und Gefäßen belastet
hatte, ins Meer aus. Die Meergötter trieben diesen Kahn
an unsere Ufer, da wo jetzt die Stadt Matsmal steht; aber
die Göttin hatte nichts mehr zu essen; darüber wurde
sie traurig, weinte sehr und ging in eine Höhle, an wel-
cher ein Fluß vorüber strömte. Dort wollte sie sterben
und schloß die Augen, um nichts mehr zu sehen, nicht
einmal die schönen Bäume und Blumen.
Da vernahm sie plötzlich ein leises Geräusch, das aber
nicht Gemurmel des Flusses oder Gesang der Vögel
war. Die Göttin schlug nun die Augen wieder auf und
sah einen sehr hübschen Hund, der gegen den Strom
schwamm. In seinem Maule hatte er ans der einen
Seite eine Frucht und ans der andern eine Blume. Als
er ans Land geschwommen war, bot er ihr Beides dar
und liebkosete sie. Sie nahm Blume und Frucht, und
diese schmeckte köstlich. Der Hund brachte mehr davon
und kam bald auch mit einem Fisch oder mit süßem
Honig. Nun kehrte in das Herz der Göttin Freude zu-
rück und sie sang auch wieder. Zuletzt heirathete sie den
Hund und gebar dann den ersten Aino. —
Diese Sage über den Ursprung der Ainos kennt man
auch bei den Japanern. Diese sagen: Drehen sich die
Alnos nicht mehrmals erst herum, ehe sie sich setzen,
gerade so wie die Hilnde es machen? Kauen sie nicht
eben so wieder wie diese? Sieht ihre Nase nicht aus
wie eine Hundsnase?
Die Sprache ist einfach, leicht zu erlernen, hat kein
schriftliches Alphabet, erscheint arm, aber bilderreich. Be-
sonders oft werden das Meer, ein Vulkan, ein Bär, ein
Hirsch rc. zu Vergleichen herbeigezogen.
Der gewöhnliche Gruß lautet: „Der Geist und die
Stärkendes Bären mögen mit Dir sein." Ueber-
haupt spielt der Bär eine hervorragende Rolle; als Gott
zählt er weit mehr Verehrer wie Meer und Berge, Vul-
kane, große Ströme oder die Geister der vier Elemente.
Ein Trauerfall bewirkt in den Verhältnissen einer
Familie große Umwandlungen, denn die Hütte muß
niedergebrannt werden und mit ihr der Geists des Ver-
storbenen. Alle Verwandten weinen sieben Tage lang
und am achten, an welchem das Begräbniß stattfindet,
beulen sie. Der Schmerz würd auf eine eigenthümliche
Weise erregt und gesteigert. Die Männer nämlich, nackt
bis zum Gürtel, haben einen dicken Knotenstock, und mit
diesem schlägt Einer auf den Andern los, und das dauert
ohne Unterbrechung, bis der Leichenzug bei derBegräbniß-
stätte angelangt ist. Nachher beginnt ein Fest, bei wel-
chem das starke Getränk Miki in großer Menge genossen
wird.
Der Knotenstock ist auch sonst von großer Bedeu-
tung im Leben der Ainos; denn vermittelst desselben wer-
den alle Zwistigkeiten und Rechtshändel geschlichtet. Ein
aus Verwandten und Freunden zusammengesetzter Rath
versammelt sich, zieht den Fall in Erwägung und ent-
scheidet sehr oft, daß die Sache vermittelst des Knoten-
stockes ausgetragen werden müsse. Am festgesetzten Tage
finden sich beide Parteien am Ufer ein, richten ein Gebet
an die Geister und an die Drachen des Meeres, und
dann beginnt der Zweikampf. Beide Kämpen sind un-
bekleidet; das Loos entscheidet, wer den ersten Streich
führen solle. Nun beginnt das Prügeln nach Vorschrift
und Regel; das Blut'fließt vom Rücken herab. Dann
aber kommt die Reihe an den Geschlagenen, der reichlich
wieder gibt, was er bekoiumen hat. Manchmal sind beide
Theile so hartnäckig, daß keiner sein Unrecht bekennen
will, und sie richten einander so unbarmherzig zu, daß
eingeschritten werden liiuß. Aber der Zweikamps beginnt
auf's Neue, sobald die Wunden geheilt sind und währt,
bis der eine Kämpfer nachgibt; zuiveilen endet er aber
erst mit dem Tode. Diese Duelle sind übrigens eine so
gewöhnliche Sache, daß schon die Knaben ihren Rücken
durch häufige Prügel abhärten.
Wer sich einem solchen Kampfe entziehen will oder
während desselben sich verzagt benimmt, muß Bussu
trinken, ein starkes Gift, dessen Bereitung ein Geheimniß
der Ainos ist; die Japaner haben dasselbe niemals er-
fahren können. Nur so viel weiß man, daß die Zuthaten
lange gekocht werden. Die Ainos vergiften damit ihre
Pfeile und die Eisenspitzen in den Fallen, welche sie für
Bären, Füchse und Hirsche aufstellen; diese Fallen sind
zum Theil wahre Höllenmaschinen und enthalten Bogen,
die mit vergifteten Pfeilen gespickt sind und diese letzteren
abschnellen, sobald ein Thier oder ein Mensch ans ein
verborgen ausgespanntes Seil tritt.
Fischfang und Jagd sind die Hauptbeschäftigungen der
Ainos, und das Ansehen, in welchem ein Mann steht,
wird durch die Anzahl von Bärenschädeln bedingt,
die vor dem Eingänge zu seiner Hütte befestigt sind.
Der Aino ist schon der Religion halber ein Bärenjäger,
weil er an jedem zottigen Gesellen, welchen er tödtet,
einen Schutzgeist mehr bekommt. Sieben Monate im
Jahre ist der "Mann lediglich Jäger, und während der
übrigen fünf betreibt er den Fischfang. Er hat Bogen,
Lanze, Beil und Messer; das letztere dient ihm als An-
griffswaffe gegen den Bären, doch ist er so vorsichtig, den
Arm mit Riemen oder Stricken zu umwickeln. Der Bär auf
Jeso ist ein sehr starkes Thier und hat einen recht schönen
graulichen Pelz, den die Japaner gut bezahlen; auch
kaufen sie die Bärengalle, welche für ein Arzneimittel
gilt. Selbst die Frauen der Ainos jagen, aber nur ans
Hirsche und Füchse.
Vor dem Beginn des Fischfangs, am Ende des Mai-
monats, fastet der Aino, feiert ein Fest der Reinigung
und erwirbt das Wohlwollen der Schutzgeister durch Ge-
sänge. Der Barde spielt auch dabei eine Hauptrolle,
er läuft am Gestade umher, klettert auf die Berge und
beschwört die Meeresgeister, damit sie den Zug der Fische
nach dem Lande hinlenken und die Stürme abhalten.
Den Ackerbau verschmäht und verachtet der Aino; für
den Ertrag der Jagd und des Fischfangs erhält er von
den Japanern Kleider, Reis, Tabak und geistige Getränke.
Er versteht sich trefflich auf das Zimmern von Fahrzeugen,
flicht Netze und Seile aus Baumbast und verfertigt Matten-
segel aus Binsen; auch rudert er vortrefflich und greift
mit höchst einfachen Waffen selbst den Walfisch an. Der
Fang der verschiedenen Fische hat seine bestimmte Zeit.
Im Februar und März kommt der Lachs aus Nordwesten,
die Sardine erscheint im April, der Häring im Mai,
Stockfische und große Lachse kommen im Juli und August,
die Tintenfische im Herbst. Die getrockneten Fische finden
an den japanischen Kaufleuten willige Abnehmer, den
Thran kaufen die Europäer, und selbst die Abfälle wer-
den als kräftiges Düngnngsmittel nach Nippon ausge-
führt. Auch aus den Algen (Kobn oder Kombu) zieht
¿er Aino Nutzen, denn sie gehen in großer Menge nach
China, wo sie ein Nahrungsmittel bilden; nicht minder
werden von ihnen der Jrico, eine Seemuschel, und die
Awabi, eine „Seeraupe", geschätzt. Der Handel mit
diesen Leckerbissen, welche das Pfund mit zlvei bis drei
Thalern bezahlt werden, ist bis zum Jahre 1858 ein
Monopol der Negierung gewesen. Ungemein theuer wird
das O t o t s ch e bezahlt, ein kleines Seekalb, welches nur selten
vorkommt. Das Fleisch gilt bei Japanern und Chinesen
Das Volk der Mnos auf der japanischen Insel Jeso.
für ein außerordentliches Kräftigungsmittel, namentlich für
Leute, welche durch Ausschweifungen ihren Körper ge-
schwächt haben. Der Fang des Ototsche beginnt erst,
nachdem der Fischer sich durch Fasten und Reinigungen
vorbereitet und Fahrzeug, Netze, Ruder rc. sorgfältig ge-
säubert hat. Während der Fahrt hat jeder Ruderer ein
Baumblatt zwischen den Lippen, Niemand darf ein Wort
reden, und das Schiff muß sanft und still fortbewegt wer-
den. Das Seekalb Pflegt sich währen des Mittags zu sonnen,
liegt gewöhnlich auf dem Rücken, und in seiner Nähe be-
finden sich fast immer einige Schwärme Seeraben. —
Der Biber ans Jeso wird seines herrlichen Pelzes wegen
ungemein hoch geschätzt.
Ein Sprichwort der Ainos lautet: „Wer nicht ge-
sungen und getanzt hat, hat gar nicht gelebt." Tanz
und Gesang fehlen bei keiner ihrer zahlreichen Festlich-
keiten, unter denen die Apotheose der Bären die erste
Stelle einnimmt.
Nicht jeder Bär gelangt zu der Ehre, vergöttert zu
werden, sondern nur ein auserwähltes Thier, dessen gött-
liche Eigenschaften bloß der Barde erkennt. Es geht da-
bei in folgender Weise her. An einem schönen Tage wird
das Volk mit der hochwillkommenen Nachricht überrascht,
daß das richtige Thier gefnnden worden sei. Der Name
des Adoptivvaters wird genannt; er ist der Mann, welcher
den Auserwählten gefunden hat. Der Rath der Aeltesten
versammelt sich, um die Frau zu bezeichnen, welche das
hohe, vielbeneidete Glück haben soll, als Bärenamme
zu dienen. Sie muß den zottigen Säugling an ihrer
Brust nähren. Sie liebt ihn zärtlich und behandelt ihn,
als wäre er ihr leibliches Kind; er wird von der Pflege-
mutter und dem ganzen Stamme mit Liebkosungen über-
häuft.
Aber sein Bärennaturell macht sich geltend sobald er
größer gelvorden ist, und man muß ihn in einen Käfig
sperren. Nach zwei Jahren ist er dann dick und fett ge-
worden, denn die Andächtigen haben ihn mit Fischen,
Honig, Fleisch und Beeren reichlich satt gefüttert.
_ Der große, feierliche, verhängnißvolle Tag naht heran.
Die Leute der llmgegend versammeln sich, der Barde
gibt seine Meinung ab; man schreitet zum Kuma mat-
suri, d. h. dem Bärenopfer. Alle legen ihre besten
Kleider an, tättowiren sich frisch und sind froher Dinge,
nur allein die Bärenamme trauert. Der angesehenste
unter den alten Männern reicht dem Opferthier noch
einmal leckere Speise und hält an dasselbe eine Rede, die
etwa folgendermaßen lautet:
„Du', unser Herr, sollst nun deine Stelle unter den
Göttern einnehmen; dafür hast du einen kurzen Augen-
blick zu leiden, aber es gereicht dir zum Ruhme. Darum,
Großmächtigster, denke nur an diesen Ruhm und an das
Glück, welches deiner harrt und zürne uns nicht, weil
wir dir Gewalt anthun."
Nun wird der Käsig in ein mit starken Pfählen ein-
geschlossenes Viereck gebracht; außerhalb desselben stehen
die Männer und Knaben mit gespanntem Bogen, aber
ohne ein Wort zu sagen. Nachdem das Behältniß geöff-
net worden ist, kommt der Bär heraus, aber im Nn er-
scheint er mit Pfeilen wie bespickt; jeder will und muß
ihn treffen, denn wer fehlt, hat keinen Theil an den
Gunstbezeuaungen des neuen Gottes.
Das Opfer ist vollendet; die Menge steht in ehrfurchts-
vollem Schauder da. Nach einer Weile sammelt man die
Pfeile und legt sie vor dem Bären nieder, welcher bald
nachher auf einen geschmückten Thron erhoben wird.
Dann verkündet der Barde den Namen des neuen Gottes,
die Menge bittet denselben noch einmal um Verzeihung
und der Aelteste spricht: „Räche dich nun an diesen
Pfeilen, denn sie sind an deinem Tode schuld."
Die Menge schreit, daß sie verbrannt lverden sollen, und
das geschieht sofort. Auch der Käfig wird ins Feuer
geworfen.
Von nun an nimmt Alles eine hei-tere Wendung; dem
Geopferten, der freilich nichts mehr genießen kann, setzt
man Fleisch, Branntwein und Blumen vor, man kniet
vor ihm nieder und betet zu ihm. Nachher wird ihm das
Fell abgezogen, das Fleisch auf dem heiligen Scheiter-
haufen gebraten und dann unter die Gäste vertheilt,
die sich auch im Miki, (starken Getränk) eine Güte thun.
Man singt und tanzt und freut sich der begeisterten Reden
des Barden. Alle sind lustig, nur allein die Bärenamme
weint. Sie liegt, von tiefem Schmerze gepackt, vor der
nun mit Stroh ausgestopften Bärenhaut, betrachtet das
Adoptivkind und heult. Sie hat nur den einen Trost,
der aber zugleich ihr Stolz ist, daß man den Bären-
kopf vor ihrer Hütte aufhängt. Von dort aus spendet
der neue Gott seine Gunst und seine Gnaden, und dort
beten ihn seine Verehrer an.
Man erkennt die geweihten Stätten an einem kleinen
Stück weißen Holzes, das künstlich gespalten und geschnitzt
ist und mit zierlichen, den Hobelspänen gleichen Gewinden
verziert wird. Unten an diesem heiligen Stabe liegt ein
glatter Stein oder eine große Seemuschel; das Ganze
erinnert an die Gewinde ans weißem Papier und den
Spiegel, welche die einzige Ausschmückung in den Mia
bilden, in diesen Tempeln der Kamis, d. h. der Ur-
götter der Japaner. Sie sind Sinnbilder der Reinheit
und der Rechtschaffenheit. So viel von dem Bärenopfer
Om sia, das auch bei den Ainos auf Saghalin vorkommt.
Wir finden diese letztere Notiz in dem sehr fleißig
gearbeiteten Werke unseres Landsmannes E. G. Raven-
stein (Th6Russians on the Amur, its discovery, conquesfc
etc. London 186t), welcher den Ainos einen Abschnitt
gewidmet hat (S. 392 bis 398). Aus den Geschichts-
büchern der Japaner ergiebt sich, daß diese „östlichen
Wilden" um 660 v. Chr. noch den nördlichen Theil von
Nippon inne hatten und erst im nennten Jahrhundert
n. Ehr. dort völlig bezwungen wurden. Dann verschwan-
den sie ans jener Insel als besonderes Volk; manche
mögen sich unter den Japanern durch Blutvermischnng
verloren haben, andere gingen nach Jeso hinüber, das
erst im 14. Jahrhundert von den Japanern erobert wurde.
Mermet de Cachin (1863) bemerkt, daß diese Insel
jetzt völlig unter japanischer Obergewalt stehe. Der
Taiknn hat in Hakodade einen Statthalter. Im Mittel-
alter bildeten die Japaner im südlichen Jeso mehrere
Lehnsfürstenthümer; unter diesen ist das von Matsmai
das wichtigste. Dem Daimio desselben hat der Taiknn
einen Theil seiner Staaten belassen, aber auch in der
neuesten Zeit viele Ländereien an sieben nipponer Lehns-
herren vergeben, um dieselben für die Vertheidigung der
Insel zu interessiren. Er fürchtet die U ebergriffe und
Absichten der Russen und bringt große Opfer, um
Jeso vertheidigungsfähig zu machen. Unser Gewährs-
mann (in der Revue de l'Orient, December 1863, S. 331)
sagt: „Das sind löbliche Anstrengungen, aber Ruß-
land kann Jeso jeden Augenblick haben. Die
Frucht ist indessen noch nicht völlig reif. Die japanische
Regierung verausgabt jetzt in jedem Jahre Millionen,
um in diesem dicht'bewaldeten Lande Straßen zu eröffnen,
Kanäle zu graben, den Ackerbau zu befördern; auch legt
sie Festungswerke an. Aber Rußland kann nur gewinnen,
wenn es sich Zeit nimmt. Die Insel ist sehr reich an
Mineralschätzen, namentlich an Blei, Steinkohlen, Schwefel,
Kupfer, Eisen und auch Zinn. Die russische Gesandtschaft
hat ihren Sitz in derHauptstadt Hakodade, und dort
ist auch der Winterhafen für die russische Flotte."
Wir finden, daß der englische Konsul C. Pemberton
Hodgson (A residence at Nan^asaki and Hakodade, in
1859 and 1860. Lond. 1861, S. 300 bis 309.) sagt: „Die
Russen sind, gleich den Polarbären, von Insel zu Insel
gegangen und haben mit ihren Brüdern auf Saghalin
Vifitenkarten gewechselt. Im Jahre 1855 erfuhren wir
zuerst, daß die ruffische Flagge in Japan wehe; wer kann
die Russen tadeln? Ihre Häfen sind im Winter lange
eingefroren. Sie müssen gute Häfen haben. Auf Saghalin
Die Seelenverkäuferei in den amerikanischen Nordstaaten.
89
fehlen dergleichen; jener in der Castries-Bay ans dem
Festlande ist gut, aber eigentlich nur vier Monate im
Jahr offen; dasselbe ist der Fall mit jenem in derBarra-
cnta-Bay und anderen. Aber Hakodade liegt nicht all-
zu weit ab von Schanghai, Hongkong, Indien. Dieser
Hafen ist nie durch Eis gesperrt, ein Angelpunkt zwischen
Nordamerika und dem westlichen Theile desGroßeuOceans
einerseits, der Japanischen See und Rußland andererseits,
denn es läßt sich die Thatsache nicht mehr verkennen, daß
heute die ganze Mandschurei und auch Korea von den
Russen abhängen. Rußland ist in seinen Anschlägen auf
Jeso und Hakodade von der Regierung der Vereinigten
Staaten bestärkt worden. Aber dem Himmel sei gedankt,
(so ruft der Engländer aus), noch ist es im Besitze der
Japaner, und diese werden es vertheidigen. Wir aber
müssen Alles aufbieten, um Tsusima für uns zu erwer-
ben und dasselbe in ein zweites Perim (die Insel am
Eingänge zum Rothen Meer) umzuschaffen."
So prallt auch im fernen Osten die Habsucht der
Großmächte eifersiichtig gegen einander. A.
Die 5eclenun*lwufem in den amerikanischen Nordstaaten.
Ein verdienstvoller Gelehrter, Professor K. F. Reu-
mann in München, hat über Ostasien vortreffliche Bücher
geschrieben und ist ein sehr gründlicher Kenner des
Chinesischen. Vor einigen Monaten erschien von ihm
der erste Band einer Geschichte der Vereinigten
Staaten. Es ist das ein sehr lehrreiches Buch, wel-
ches gerade zur rechten Zeit kommt. Der transatlan-
tische' Staatenbund macht eben jetzt eine kolossale Krisis
durch und hat sich während derselben immer mehr von
seinen alten Grundlagen entfernt. Daß er in der frü-
hern Weise nicht fortbestehen kann oder wird, liegt schon
jetzt für jeden Unbefangenen auf der flachen Hand.
Wir unsererseits sind der festen Ueberzeugung, daß
das große Drama bislang im ersten Akte gespielt würd;
was die folgenden bringen werden, kann Niemand vor-
aussagen. Ob Wiederaufbau der ganzen Union, ob
Zerfall auch der nördlichen Numpfuuion und Zerlegung
in mehrere Gruppen, ob allgemeinen Bankerott, ob die
Soldatendiktatur, nach welcher schon jetzt laut geschrien
wird, ob eine solche Diktatur lediglich als zeitweiligen
Nothbehelf oder ans längere Zeit, ob eine längere Dauer
für den Präsidentschaftstermin und ein Ausfegen des
Augiasstalles der 150,000 Aemterjäger von Handwerk
— das Alles kann nur die Zeit lehren.
Wir haben schon früher mehrfach darauf hingewiesen,
daß bei uns in Europa viele Leute sich noch immer in
dem Wahne befinden, als habe die nordamerikanische
Republik heute denselben Charakter, den sie noch vor
einem Menschenalter trug. Sie ist aber eine ganz
andere geworden. Die alte Form, das frühere Ge-
rüst, stand bis vor wenigen Jahren noch, aber Geist und
Inhalt sind gegen früher völlig verändert. Das Neben-
und Durcheinander von Pankees, Irländern, Deutschen,
Schotten, Franzosen rc., welches man unter dem Ge-
sammtnamen Amerikaner begreift, ist in Gähruug und
Ausartung begriffen. Das gestehen die Blätter aller
Parteien ohne Unterschied ein, und wenn sie es auch nicht
thäten, so würden die Thatsachen laut genug dafür
zeugen.
Wir sehen keineswegs ab, weshalb wir nicht solche
Thatsachen zur Kennzeichnung von Menschen und Dingen
mittheilen sollten; sie liefern Beiträge zur Völker-
psychologie und gehören als solche recht eigentlich in
den Globus. Hin und wieder haben wir auch Betrach-
tungen über die Zustände des Nankeelandes angestellt
und dabei die Genugthuung gehabt, daß sie von deutschen
und englischen Blättern in Nordamerika als zutreffend
und charakteristisch wieder abgedruckt wurden. Freilich
sind wir aber auch dem Mißgeschick verfallen, nach zwei
Seiten hin Anstoß erregt zu haben. Es gibt in Neuyork
einen „Rattenkönig von Radikalen und Stelleninhabern",
der mit einer wahren Berserkerwuth Alles befehdet, was
dem Gebahren der abolitiouistischeu Erterminatoren entge-
Globus VI. Nr. 3.
gen tritt, und diese Leute führen das Wort in einer Anzahl
unserer deutschen Blätter; wer aber ihre Mittheilungen
zu prüfen versteht und die Sachlage kennt, findet bald
heraus, wie viel sie verdrehen und besonders, wie viel sie
verschweigen.
Bei uns in Deutschland gibt es dagegen mancheLeute
mit rückständigen Anschauungen, die noch nicht von der
Vorstellung ablassen können, als sei das heutige Nord-
amerika ein Vertreter oder Hort der Bildung, Gesittung
und Freiheit, von einem Volke bewohnt, das an diese
hohen Güter Anhänglichkeit hege und für sie den blutigen
Krieg führe, welcher seit drei Jahren in jenem Lande
wüthet.
Zu dieser phantastischen, rückständigen Ansicht bekennt
sich auch Professor Ren mann, der die Ansicht theilt,
daß die „freien" Staaten „im Großen und Ganzen nie-
mals eine bedeutendere Macht entivickelt haben, als
jetzt". Der Professor geht noch weiter, indem er hinzu-
fügt ( „Die republikanischen Einrichtungen sind
nie in solcher Pracht und Herrlichkeit erschienen,
als während der einzig in der Weltgeschichte dastehenden
unmenschlichen Rebellion". Und noch mehr. Er-
hebt gewissermaßen trinmphirend hervor, „daß keine
Monarchie diese Million freiwilliger Krieger
gleichsam aus der Erde stampfen und die tausende
von Millionen Dollars im eigenen Lande hätte
aufbringen können".
Einem Manne, der ein Geschichtswerk schreibt, darf
inan solche mehr als naive Deklamationen nicht nngerügt
hingehen lassen. Es ist durchaus nicht erlaubt, die That-
sachen zu ignoriren und solchergestalt das Publikum irre
zu leiten. Wir unsererseits halten es für unsere Pflicht,
zu zeigen, was es mit jenen Deklamationen eigentlich
auf sich habe; heute wollen wir zunächst von den „frei-
willigen Kriegern" reden.
Es hat uns immer verdrossen, wenn Schmach auf
die conföderirtcn Staaten gehäuft wird. Sie kämpfen
doch für ihre Unabhängigkeit mit einer wahrhaft bewun-
dernswürdigen Ausdauer und Tapferkeit; fünf Millionen
Weiße gegen 23 Millionen nun schon seit drei Jahren.
Der Norden hat das Meer frei gehabt und unbehindert
alle Hülfsquellen in Europa für sich benutzen können;
der Süden ist blockirt und auf sich allein verwiesen.
Jener Norden hat nach und nach etiva zwei Millionen
Mann gegen ihn aufgeboten, und bis heute ist er der
Unterjochung des Südens auch nicht um einen Schritt
näher gekommen.
„Herr Neumanu in München könnte wissen, daß die
größere Hälfte der „freiwilligen Krieger" aus ange-
worbenen europäischen oder doch nicht in Amerika ge-
borenen Soldknechteu besteht, daß auch mehr als 100,000
Reger in den Dienst gepreßt worden sind. Ist es denn
nicht etwa bekannt, daß, laut Aktenstücken der Bundes-
12
90
Die Seelenverkäuferei in den amerikanischen Nordstaaten.
regierung, zlvei Drittel aller Unionssoldaten er-
kaufte Stellvertreter sind, zumeist Irländer und
leider auch Deutsche? Wer 300 Dollars zahlt, ist dienst-
frei. Und bekommt ein „Freiwilliger", der sich z. B.
im Staate Maryland anwerben läßt, nicht etwa 9OO
Dollars Werbegeld? Die „Kriegschristen", wie die
Henry Ward Bescher und die Tilton, und wie diese geist-
lichen Erterminatoren, die „Kanzelsoldaten", weiter
heißen, kaufen sich frei, wie andere Abolitionisten
auch. Die Söhne des alten redseligen Everett, des
Abolitionistenhäuptlings Wendell Phillips, des jetzt
abgetretenen neuyorker Majors Opdyke, der Haupt-
lieferant für Decken und Uniformen ist, diese alle kauf-
ten sich los. Das erregte den Zorn des bekannten
eifrigen itub einflußreichen Lincoln-Mannes Thur low
Weed in Albany so sehr, daß er alle diese Rainen zu-
sammenstellte uut> dann Schimpf und Schande auf sie
herabrief: „Shame on such a sneak, such a bogus
p atriotism!“
Im Jahre 1863 kamen nahe an 200,000 Einwanderer
in den Vereinigten Staaten an. Vor mir liegt der
Rewyork Herald vom 15. März. Er schreibt:
„hiearly 200,000 emigrants have arrived cluring the
past year. At least 150,000 have joined the
army.“ Also in einem einzigen Jahre vermehrte sich
die Zahl der fremden Söldlinge in der Unionsarmee um
eine solche Ziffer! Das genannte Blatt zieht daraus
den Trugschluß, daß die Sache des Nordens völlige
Sympathie bei den arbeitenden Klassen in Europa habe.
Aber wie viele dieser „freiwilligen" Söldlinge hätten sich
wohl anwerben lassen ohne 300 Dollars „Bounty"?
Die deutschen Blätter in Nenyork sind angefüllt mit
Berichten über Gaunereien, welche die von der Regierung
angestellten Werber sich erlauben, um Leute in den Dienst
zu'pressen oder hinein zu schlvindeln. Wir könnten
ganze Bogen mit solchen Erzählungen füllen, wollen uns
aber für jetzt damit begnügen, nachzuweisen, in welcher
Weise mit Ermächtigung der republikanischen Ne-
gierung der Menschenraub und die Seelenver-
käuferei planmäßig betrieben werden.
Die Lincoln-Regierung, unter welcher die „Pracht und
Herrlichkeit der republikanischen Einrichtungen zu Tage tre-
teil", hat einen Erlaß veröffentlicht, daß sie jedem ^Bür-
ger", der einen „Freiwilligeil" in das Werbebnrean bringt,
ein Werbegeld (haed money, capitation fee) voll 15
Dollars zahlt, sobald der angeworbene Mann als
diensttauglich erkannt lvird. Man zahlt diese Gebühr
sofort nach der Annahme in „Laubfröschen" (Greenbacks).
Damit war der Seelenverkäuferei ein weites Feld
geöffnet, und eine Menge gewissenloser Menschen hat
sich mit Eifer auf das Ailwerbegeschäft geworfen. Die
Berichte in den Blättern erinnern genau an die Seelen-
verkäufer, welche im vorigen Jahrhundert für holländische
Rechnung iil Deutschland lvirksam waren, oder an die
Abscheulichkeiten, welche voll den Werbern nlancher dent-
schen Regierungen selber verübt wurden, niu Soldaten
zu erhalten. Mac Kay, ein gründlicher Kenner der
Zustände Rordamerika's, schildert unterm 23. März 1864
die Diilge, als Augenzeuge, in folgender Weise: —
„Banden jener Menschenstehler liegen auf der Lauer,
sobald ein Schiff aus London, Liverpool, Cork oder
Bremen ankommt; sie treiben sich auf den Quais lind
in den Docks umher, durchziehen die Straßeil lind ver-
sammeln sich in Grog- und Branntweinschenken, wo sie
allch ihre Opfer suchen. Insgemein silld diese Werber
gut, manchmal auch glänzend gekleidet; auch gehen sie
raffinirt zu Werke."
„Sobald ein junger, kräftiger Einwanderer seinen Fuß
auf die Straßen von Nenyork gesetzt hat und glücklich
ans denl Emigrantendepot herausgekommen ist, tritt ein
Werber an ihn heran und fragt, ob er Arbeit lind Un-
terkommen suche. Wenn der Mann nicht einige Habe
besitzt, oder ans Anlaß von Freunden oder Verwandten
herübergekominen ist, die im Westen eine Farin besitzen,
dann fallt die Antwort bejaheild aus. Nuil wird ihm
angedeutet, er möge doch als Freiwilliger tu die Bnndes-
arinee eintreten, und ist er dazu ilicht abgeneigt, so bringt
man ihn in das Anwerbebnreau, wo er, wenn gesund
befunden, eine kleine Anzahlung ans die Bounty, die
Anwerbepränlie, erhält; feinem Fänger (captor) zahlt
man sofort die Prämie von 15 Dollars aus."
„So weit wäre Alles in der Ordlmng. Aber es
ereignet sich alle Tage, daß der Einwanderer gar nicht
Soldat werden will, sondern als Feldarbeiter oder Hand-
werker ein Unterkomnlen sucht. Der Werber muß also
in anderer Weise zu Werke gehen. Er erzählt dem Ein-
wanderer, daß er einen Freund habe, der eineil Kutscher-
oder Gärtner in Dienst nehmen wolle, oder Arbeiter beim
Eisenbahn- oder Hausbau suche und sehr guten Arbeits-
lohir zahle. Dieser Freund wohne nicht weit von hier;
zil betn wolle man gehen. Unterwegs ladet der groß-
müthige Amerikairer zu einem Trunk ein, und Beide
gehen iil eine Schenke, die von einem Eingeweihten der
Bande gehalten wird. Der Fremde kann wählen, was
er trinken möchte, aber er mag fordern, was er will,
das Getränk ist mit irgend einem schädlichen Stoffe ver-
mischt, der deil Kops eintlimmt nnb ihn seiner vollen
Sinne beraubt. In diesem unzurechnungsfähigen Zu-
stande wird er nach dem Werbebnrean gebracht, wo man
ihnl ein paar Dollars in die Tasche steckt und ihn dann
einsperrt. Im Bureau wird er in die Anwerbelisten mit
einem falschen Namen eingetragen, welchen der Seelen-
verkäufer liach Belieben angegeben hat. Wenn der Be-
trogene am andern Morgen aus seiner Betäubung erwacht,
wird er, mit einer Anzahl Anderer, nach Nikers Island,
das im East-River liegt, hinübertzeschifft."
„Von nun an ist er unter militärischer Bewachung,
und alle seine Gegenvorstellungen nützen zu gar nichts.
Vielleicht sann er weder lesen noch schreiben und weiß
auch nicht, an wen er sich um Abhülfe wenden soll.
Die Schildwachen feuern auf Jeden, der etwa einen Ver-
such zur Flucht wagen wollte; wer aber ausreißt, wird
als Deserteur bestraft. Es ist jedoch möglich, daß z.B.
ein britischer Unterthan durch Zufall das Glück hat, sich
an feinen Konsul um Hülfe wenden zu köilnen; dieser
thlit alich das Seinige, erhält aber voll den Behörden zur
Antwort, daß man von dem fraglichen Menschen gar
llichts wisse. Natürlich; er ist in die Anwerbelisten mit
einem falschen Namen eingetragen worden. Auch bringt
man Leute, die zu Requisitionen Anlaß geben, sofort
weiter, z. B. nach Fort Monroe, nach Louisiana oder
irgend einem andern voll den Bundestrnppen besetzten
Punkte, wohin wöchentlich Rekrntentransporte abgehen.
Dann wird nichts mehr von ihm gehört. Ich kenne
einen Fall, daß der britische Konsul hier in Nenyork
nach einem dieser Unglücklichen lange Zeit feine Nach-
forschungen fortsetzte; am Ende stellte sich heraus, daß
der Mann bei der Belagerung von Port Hudson todt-
geschossen worden war."
„Aber die Menschendiebe stehleil llicht blos erwachsene
Lellte, sondern alich jluige Bursche, welche sie durch Vor-
spiegelung hoher Prämien verlocken und durch verfälschte
Getränke betäuben. Jüngst hat sich Folgendes mit einem
sechszehnjährigen Burschen, Enkel eines englischen Ad-
mirals, zugetragen. Seine Mutter lebt in dürftigen
Verhältnissen, und er suchte ein Unterkommen als Clerk.
Da fiel er einem Menschenfänger in die Hände, der ihnl
in einem Mannfakturwaarengeschäft eine Stelle versprach,
und ihn in einem Groghause betäubte. Am andern Morgen
sah sich der junge Mann mit 20 oder 30 ailderen Opfern
in einer Rekrutenbaracke, sein Jammern und Weineil half
ihm zu nichts; man sagte, er habe einen Theil des An-
werbegeldes genommen nnb vertrunken, und er solle sich
ja nicht beifallen lassen, die Regierung zu betrügen.
Er wurde dann nach Rikers Island abgeführt, lvo er
ererciren mußte, bis der Konsul ihn eildlich freimachte."
Die Seelenverkäuferei in den amerikanischen Nordstaaten.
Auch Neger, gleichviel ob einheimische oder auslän-
dische, werden abgefangen. Bewaffnete Banden jener
Seelenverkäufer fassen solche Schwarze auf offener Straße
ab, unter dem Vorwände, diese Neger seien Deserteure!
Die Zuschauer verhalten sich passiv, einmal, weil es sich
ja nur um Schwarze handelt, sodann weil behauptet
wird, dieselben hätten unter falschen Vorwänden Geld
von der Regierung erschwindelt. Die armen Neger wer-
den in Schrecken gejagt und auf ein Depotschiff bei
Brooklyn gebracht.' „Mau preßt sie für den Flotten-
dienst."
„Im Januar 1864 ereignete sich Folgendes. Zwei
farbige Matrosen aus Bermuda, Namens Bassett uni>
Beau, gingen Abends ans Land, um sich Tabak zu kau-
fen. Äuf dem Rückwege wurden sie von drei wohlge-
kleideten Leuten angesprochen, und der Eine sprach: Ihr
müßt mit uns gehen! — Die Farbigen lehnten das ab,
weil es schon spät (nach 7 klhr Abends) sei; dann aber-
zogen die drei Seelenverkäufer Revolver aus der Tasche
und riefen: Wir schießen euch auf der Stelle todt, wenn
ihr nicht mit uns geht. Daun kam ein Vierter mit einem
dicken Knüttel, alle vier schlugen auf die Neger los und
zerrten sie fort. Basset sah einen Polizei mann und
schrie laut um Hülfe; er kam auch näher, aber der Mann
mit dem Knüttel'raunte ihm etwas zu, worauf der Mann
des Gesetzes sich entfernte und die Neger in der Gewalt
der vier Menscheudiebe ließ, welche nun erst recht ans die
Armeil losschlugen und sie bitrd) einige Straßen schlepp-
ten. Da trat ein Mann aus einem Branntweinladen,
nahm sich ihrer an und bot ihnen Unterkommen bis zum
nächsten Morgen. Die Vier wandten dagegen nichts
ein, und die Neger wurden in eine Stube gebracht, wo
zwei Betrunkene auf dem platten Boden schliefen; man
schloß sie ein. Am Morgen erschien einer von jenen
Vieren und sagte, sie möchten nur weiter keine Umstände
machen, sondern die Anwerbepräinie nehmen und als
Freiwillige in das Bnndesheer treten. Als sie sich
weigerten, kamen die drei Anderen, packten die beiden
Neger, schleppten sie nach der Eisenbahnstation und dann
nach Tarrytown am Hudson, 27 Miles von Neuyork,
wo man sie in eine enge Zelle zu etwa 50 Anderen
sperrte, ihnen die Matrosenkleider abnahm und sie in die
blaue Uniform der Bundestruppen steckte. In Tarry-
town blieben sie einen ganzen Tag; am andern Morgen
wurden sie mit etwa 100 Anderen nach Neuyork zurück-
geschafft, nach Rikers Island gebracht und unter die
Kompagnien A und B der „neuyorker Freiwilligen" ge-
steckt. Sie erhielten nicht einen Heller von der Anwer-
bungsprämie. Beim Appell wurde ein Mann Naivlings
aufgerufen und dem Bassett bedeutet, daß er unter diesem
Namen eingeschrieben sei und fortan so heiße. Beau
war fortan Smith. Beide klagten dem Lieutenant, was
mit ihnen vorgegangen sei, aber er untersuchte die Sache
nicht. Da wandten sie sich an einen farbigen Geistlichen,
und dieser versprach, die Angelegenheit dem britischen
Konsul zu melden; als aber Basset bis Ende Februars
nichts von diesem hörte, schrieb er selber. Keine Antwort.
Er schrieb zu Anfang des März noch einmal, und nun
erfuhr er, daß weder von ihm noch von dem far-
bigen Prediger ein Brief an das Konsulat gelangt sei.
Jetzt legte sich dasselbe ins Mittel, und am 18. März
endlich wurden die beiden Farbigen, nach 74 Tagen, ans
ihrer Sklaverei erlöst, aber für Alles, was sie ausge-
standen, haben sie nicht einen Cent Entschädigung er-
halten." —
Diese von der republikanischen Lincoln-Regierung und
den unionistischen Militärbehörden in ein System ge-
brachte Seelenverkäuferei ist viel schlinuner als die Neger-
sklaverei. Aber die Abolitionisten eifern dagegen nicht.
Sehr begreiflich! Sie wollen ein Werk der Vernichtung
vollziehen und müssen die Werkzeuge nehmen, wie sie
dieselben eben bekommen können. Man muß nur die
Klagen in den deutschen und englischen Yankeeblättern
lesen über beit Mangel an Lust zum Dienst und an
Enthusiasmus. Im Anfange des Jahres 1863 zählte die
Unionsarmee etwa 124,000 Deserteure! Jetzt, im April
1864, fehlen von dem letzten Aufgebote, das Lincoln hat
ergehen lassen, trotz der Anwerbepräinie und trotz der
150,000 ausländischen Söldlinge, welche aus den 1863
angelangten Einwanderern angeworben sind, nach amt-
lichen Berichten noch 311,774 Mann! lind das
trotz der Anwerbungsprämien, die, in den einzelnen Staa-
ten und Städten verschieden, von 300 bis 900 Dollars
für jeden „Freiwilligen" betragen. Zur Conscription zn
greifen, mit welcher immer wie mit einer Wetterwolke ge-
drohtwird, wagte bisher dieRegierung nicht, und sie hat
allerdings vollgültige Gründe dafür, Nicht ein ein-
ziger Staat der Nordnnion, mit bloßer Ausnahme
von Illinois, hat seinen Antheil an der vom Prä-
sidenten geforderten Zahl Soldaten gestellt.
Am 2. April, also einen Monat nach dem ge-
stellten Termin, war der Staat Neuyork noch
mit 59,230, Pennsylvanien mit 74,127 Mann
im Rückstände, trotz aller Prämien! Sogroß ist
die „Begeisterung".
Sehen wir nun zn, was die „Pracht und Herrlichkeit"
der Regierung Lincolns verlangt hat, um eine „unmensch-
liche Rebellion" zu bekämpfen, die kaum 500,000 erwach-
sene Männer zählt und jetzt so kräftig im Felde steht,
ivie je zuvor. Der Süden, diese „unmenschliche Rebellion"
des Professors Nenmann, hat ihre Neger noch nicht
durch Zwang in die Armee gereiht und hat keine aus-
ländischen Soldknechte angeworben, deren die „Pracht
und Herrlichkeit" Lincolns mehrere Hnnderttansende im
Dienste hat.
Die Aufgebote des Präsidenten gegen die un-
menschliche Rebellion waren seit Anbeginn des Krieges
folgende:
16. April 1861 ............ 75,000 Mann.
4. Mai „ 64,748 „
Juli bis December 1861 . . . 500,000 „
1. Juli 1862 .............. 300,000 „
4. August 1863 ............ 300,000 „
Ziehung, Sommer 1863 .... 300,000 „
17. Octobcr 1863 300,000 „
1. Februar 1864 200,000 „
Summa 2,039,748 Mann.
So viele Menschen allein für das Landheer; dazn kommt
noch die Mannschaft für etwa 300 Kriegsschiffe, von denen
aber mehr als 40 ans Mangel an Bemannung nicht in
See gehen können. Sie lassen sich nicht „ans der Erde
stampfen".
Professor Neumann bewundert, daß Lincolns Re-
publik im eigenem Lande tausende von Millionen
Dollars hat aufbringen können.
Ja wohl, — nnfundirtes Papier; denn wo wäre
die Deckung? Man braucht nur die Börsenberichte der
neuyorker Blätter und die Aeußerungen besonnener Män-
ner zn lesen, um zn begreifen, was im Hintergründe
dieser wilden Papierwirthschaft unvermeidlich ist. Jene
Ziffern der verlangten Soldateska sind kolossal, aber sie
werden von den Ziffern der Schulden, welche unter Lin-
colns „Pracht und Herrlichkeit" binnen drei Jahren
contrahirt worden sind, weit übergipfelt. Hier sind die
unbarmherzigen Zahlen:
Anleihe von 1861
18,415,000 Dollars.
Schatznmtsnoten, März 1861 ..................... 512,000
Oregon - Kriegsanleihe ....................... 1,016,000
Noch eine Anleihe von 1861 50,000,000
Dreijährige Schahamtsnoten.................. 130,000,000
Anleihe, August 1861 ........................... 320,000
Anleihe.................................. 400,000,000
Temporäre Anleihe........................... 104,933,103
Schnldcertificate........................... 156,918,437
Ungcforderte Dividenden.......................... 114,H5
Schatzamts Demandnoten.......................... 500,000
Legal Tenders (Greenbacks) 1862 ............ 397,767,114
12*
92
Kautschuk, ©alla pertscha, ©Ustvartst und Copahiba-Oel in Brasilien.
Desgleichen 1863 .......................... 391,969,937 Dollars.
Alte ausstehende Schatzamtsnoten .... 118,000 „
Postmarkencourant und kleines Papiergeld . 50,000,000 „
Jg Bonds................................... 600,000,000 „
Zinsentragcnde Schatzamtsnoten . . . , . 500,000,000 „
Das macht in Summa mehr als achtund-
zwanzig hundert Millionen Dollars Schulden,
die binnen drei Jahren von der „Pracht und Herrlich-
keit" contrahirt worden sind.
Mit 1100 Millionen Dollars kann die Rumpfunion
ihre Jahresausgaben nicht decken; jetzt, im April 1861,
hat sie bereits 3^ Milliarden Schulden; sie belastet, ab-
gesehen von den Einzelstaaten und Gemeinden, die ihre
eigenen Budgets haben, das Land schon mit 240,000,000
Dollars Steuern, während früher die Jahresausgabe
sich zwischen 70 und 80 Millionen hielt.
Das Alles in 30 und etlichen Monaten. Und die
Wirren sind offenbar noch im erstell Stadium und wir
können darauf gefaßt sein, in dem großen Drama merk-
würdige Episoden zu erleben. Schon spricht man die
großen Worte: „Bankerott und Répudiation" keck
oder gelassen aus, je nachdem man Börsenmann oder
Politiker ist. Aber wir haben mit der Zukunft, mit Di-
vinationen nichts zu schassen. Die Thatsachen der Gegen-
wart und die Ziffern verkünden laut genug, daß man
auf einer stark geneigten Ebene sehr leicht hinabgleitet:
Facilis clescensus Averni.
A.
Kautschuks Gatta perlsà Guarana und Copahilia-M in Brasilien.
Ich gebe Ihnen nachstehend einige Mittheilungen über
die oben angeführten Handelswaaren, die vielleicht für
manchen Leser des Globus ein Interesse haben. Für
Brasilien bilden sie mehr oder welliger lvichtige Aus-
fuhrartikel.
Gummi und Gatta pertscha. Die beiden brasi-
lianischen Provinzen, die den majestätischen Amazonen-
strom umschließen, Gran Para und Alto Amazonas, haben
außer dem Eacao nur einen einzigen Erport-Artikel, das
Gummi oder Kautschuk, wie die Frailzoseu nach dem ver-
stümmelten indischen Namen cahuchu sagen, und die
Gatta pertscha, die dort in unendlichen Quantitäten ge-
wonnen werden. Das Gummi wird aus dem Safte der
Siphonea elastica, einer Euphorbiacee, gewonnen, ist
Anfangs flüssig und weiß wie Milch; erst beim Trocknen
nimmt es durch Rauch die schwärzliche Farbe an, mit
der cs im europäischen Handel vorkommt. Heute wird
das Gummi bereits in flüssigem Zustande erportirt, so
wie man durch den Zusatz von ein Fünftel Schwefel das-
selbe in eine solide Substanz verwandelt, ohne es durch
Rauch zu schwärzen. Dank dieser Erfindung, gibt man
dem Gummi jedweden Grad von Härte, und somit ist
seine Anwendung in der Industrie verhundertfacht wor-
den. Die Provinzen am Amazonenstrom haben nicht
Arbeiter genug, um aller eliropäischeu Nachfrage Genüge
zu leisten.
Seit 1844 wird in den genannten Provinzen auch
Gatta pertscha gewonnen, da die Jcosandra gatta auch
dort vorkommt. Ter Gummibaum wächst wild in den
Provinzen Ailiazonas, Para, Maranhao und Eeara,
und dort erreicht er eine Höhe von 20 bis 40 Fuß bei
5 und 6 Fuß Dicke. In der zur Gewinnung des Gummi
geeigneten Zeit, wenn die Wasser des Amazoneilstromes
und seiner Nehenflüsse fallen, verlassen die Einwohner
jener Gegenden gänzlich ihre Dörfer und gehen in den
Urwald, wo sie durch tiefe Einschnitte in die herrenlosen
Gummibäume den kostbaren Saft gewinnen. Ein jeder
von ihnell nimmt die Bäume, die er findet, und häufig
kommt es dabei zu blutigen Streitigkeiten, noch häufiger
jedoch sterben die Gummibäume ab, weil die Habsucht
der Leute denselben allen Saft entzieht. Die genannten
Provinzen versendell jährlich nach Europa den Werth
von mehr denn einer Million Dollars in Gummi, sowohl
in flüssigem, als tu solidem Zustande. Im Jahre 1859
bis 1860 führte allein die Provinz Gran Para 5,356,704
Pfund Gummi im Werthe von 4,701,167 Dollars nach
Europa aus.
Eine neue Handekswaare. Brasilien bringt eine
neue vegetabilische Substanz in den Handel. Es ist dies der
sogenannte Guarana, der gummiartige, harzige Saft
der Frucht der Paulinia sorbilis (Stirne), welche am Ama-
zonenstrome in großer Masse vorkommt. Diese Substanz
wird aus den Kernen der Frucht gewonnen, welche zer-
malmt und mit kochendem Wasser zu einer konsistenten
Masse verdichtet werden. Diese letztere reibt man später,
und mit Zucker und Wasser vermischt, hat sie einen sehr
angenehmen Geschmack; sie wird als Erfrischung genom-
men. Der Guarana hat medicinische Eigenschaften und
wird gegen die Dyssenterie und bei der Cholera vor-
theilhaft verwendet. Der Guarana ist sehr gesucht voil
den Kaufleuten der brasilianischen Provinz Matto Grosso
und der Republik Bolivia, so daß, trotz der großen Pro-
duktion, nur wenig über See ausgeführt wird. Im
Jahre 1860 gingen nach Europa von Peru aus 6,400
Pfund zum Preise von % Dollar. Heute kostet das
Pfund Va Dollar.
Die Industrie des Copahib a - Balsams tu
Brasilien. Dieses kostbare Oel, welches in der Heil-
kunde so vielfach angewendet wird, ist in keinem Lande
der Welt so häufig und von so guter Qualität, wie in
Brasilien in den Thälern des Amazonenstromes, des
Madeira, des Purüs und Xiugu rc. Man gewinnt dasselbe
durch Einschnitte, die man in den Stamm des Copaifera
officinalis macht, der die Höhe von 60 bis 70 Fuß er-
reicht und oft 12 Fuß dick ist. In zwei Stunden laufen
ans einem Baume gewöhnlich 12 Pfund Oel, und wenn
man das Loch mit Wachs verklebt, liefert er im nächsten
Monate noch mehr Oel. Das brasilianische Copahiba-
Oel ist das beste der Welt und enthält gewöhnlich 60
Procent flüchtiges Oel, oft auch 80 und mehr Procent.
Die Provinz Para führte im Jahre 1860 15,080 Flaschen
dieses Oeles zum Preise von zwei Dollars per Flasche
ans; die von Maranhao erportirte im Jahre 1861 92,052
Flaschen im Werthe von 28,992 Dollars.
Karl von Koseritz.
Der ürolische Lechgau.
93
A c r t i r o l i s ch e B e ch g a u.
Südöstlich von Vorarlberg und dem Allgäu, im Nord-
westen des obern Inn, liegt ein eigenthümliches Stück-
chen tiroler Erde, der Lechgau, dessen Bewohner sich
in national-politischer Beziehung in einer Doppelstellung
befinden. Nationale Verwandtschaft, der Lauf des Flusses
und die Lage des ganzen Bezirkes weisen sie nach dem
bayerischen Norden. Dieses Gefühl drückt sich noch in
bem Redegebrauch aus, daß von Einern, der über den
Fern in das Innthal geht, gesagt wird, er gehe „ins
Tirol"! Aber die Geschichte weist den Garr seit den: 15.
Jahrhundert entschiederr nach dem Osten, an Tirol und
Oesterreich. Dieser in mancher Beziehung bemerkens-
wertste tirolische Lechgau hat in Christian Schneller einen
Beschreiber gefirndeii. Seine Kulturskizze, der wir hier im
Buszuge folgen, ist im ersten Bande der „Oesterreichischen
Revue" voit 1864 mitgetheilt.
Das Flußgebiet des Lech in Tyrol begreift einen Flä-
chenranm von etwa 22 Geviertmeilen mit ungefähr 20,000
Einwohnern. Es ist kein großes Land mit weitgreifendem
Handel und reichen Produkten, sondern nur ein kleines,
friedlich Ackerbau und Viehzucht treibendes Grenzstück
des Kaiserstaates. Der Lech (von seiner Quelle bis an
die bayerische Grenze 107a und von da bis zur Donau
weitere 18 Meilen lang) nimmt, tvie ein Blick auf die
Karte zeigt, von feinem Ursprung an etwa ein Dutzend
Nebenslüßchen und Wildbäche auf, bis er in den tveiten
Thalkessel von Renkte eintritt und dann weiter in das
wellenförmige Hochland des östlichen Allgäu fließt.
Südwestlich von Rcutte öffnet sich das eigentliche und
im Bezirke ausschließend sogenannte Lechthal. Es be-
ginnt zwei Stunden oberhalb Reutte; sein Zugang ist
rauh und öde, die Berge sind mehr oder weniger bewal-
det, während in der kargen Thalebene der Lech seine
Sandflächen ausbreitet, ja sogar eine kurze Strecke weiter
oben bei Forchach die ganze Fläche mit seinem Gerölle
überzogen hat.
Die klimatischen Verhältnisse des Lechgaus sind
aus zweifachem Grunde nicht die günstigsten. Der erste
besteht in der hohen Lage. Der'Markt Renkte liegt
2768 Fuß, das höchstgelegene Dorf Pfafflar 5063 Fuß
über der Meeresfläche, während die Zugspitze au der
Grenze Bayerns bei Lermoos zu einer Höhe von 9453
Fuß sich erhebt. Der zweite Grund ist in dein Umstände
zu suchen, daß das ganze Thalgebiet gegen Norden offen
liegt und von Südeil und Westen durch hohe Gebirge
abgeschlossen ist.
Die Fauna des Lechgaus ist liatürlich ganz alpiner
Natur. Wölfe und Luchse kommen nicht mehr vor, wohl
aber finden sich zuweilen Bären ein, die unter den
Schafen aufräumen. Die einst zahlreichen Murmel-
thiere sind fast ganz ausgerottet, da der Volksglauben
früher großen Werth auf das Fett derselben (Heilmittel!)
legte. Die Lämmergeier und tlhns sind nicht selten;
von Hausgeflügel fehlen jedoch Gänse, Enten uild
Tauben gänzlich. Auf den höchsten Bergeil kommen
der Spielhahn uild das Schneehuhn vor.
Der Lechgau ist reich au Fichtenwäldern mit ver-
einzelten Beständen voll Buchen, Erle», Föhren, Lärcheil
und Tannen. Je seltener im Hochgebirge die Zirben
(P)nu8 Gembra), desto häufiger sind dort' Legföhren und
Birken, so daß also hierin keine Abweichung vom uord-
tirolischeu Alpeugebiet stattfindet. Von den selteneren
Pflanzen des Thals mögen hier genannt werden: Viola
calcarata, Cortusa Mathioli, Cerinthe alpina, Alsinc
sedoides.
Die Viehzucht ist Haupterwerbsquelle aller dieser
Thäler; jedoch ist der Flächenratlm des Bodens nicht
ausreichend für schöne nnb große Bauerngüter. Ein
Bauer mit fünf Kühen gilt schon für wohlhabend.
Der nationale Charakter des Volkes ist vor-
herrschend schwäbisch, wie der Dialekt, der sich jedoch
von Thal zil Thal mit leicht erkennbaren Zügen und
Lauten etwas ändert. Sollte eine Vermuthung, nach der
die Lechthaler von einer im fünften Jahrhundert ver-
sprengten Schaar Franken abstanimten, richtig sein, so wäre
das volksthüinliche Grundelement ein fränkisches; im-
merhin ist aber eine sehr starke Beimischung schwäbischer
und romanischer Elemente hinzugetreten. Roma-
uische Wörter in der lechthaler Mundart sind unverkenn-
bar die folgenden: brento, Kufe; fatscho, Wilidel;
wölgala, sich wälzen; rusaina, verwüsten re. Da-
lieben finden sich altdeutsche Wörter, wie Nona, ge-
stürzte Tanile; Gada, Schlafzimmer; Gearhab, Vor-
mund. Der Lech ist merkwürdigerweise ein Stück Nord-
grenze für die weiteste Ausdehnung des romanischen
Elements nach dieser Gegend hin. Bei seiner einstigen
Ausdehnung im Vintschgau und am obern Inn machte
dasselbe durch Vermittlung der Gebirgsübergäuge seine
Einflüsse bis au den Lech herüber geltend; das beweisen
viele romanische Ortsnamen.
Während die Bewohner des Lechgaus im Allgemeinen
mehr oder weniger die Gruiideigeuschafteu des schwäbi-
schen Volksstammes theilen, macht sich beim Lechthaler
trotz anscheinender Plumpheit noch eine besondere geistige
Beweglichkeit bemerkbar. Nicht so zungenfertig wie der
Schwabe, eignet er sich mit Leichtigkeit Fremdwörter au,
obwohl er wieder nur schwer die unangenehm vorsprin-
genden Ecken seiner Mundart abschleifen' lernt. Er liebt
Streit und aufregende Bewegung und greift manchmal
gerade nicht nach Knütteln, wohl aber nach Knüttelreimen
und spottendem Witz.
Die bedeutende Verschiedenheit des Lechgaus von dem
übrigen bojoarischen Tirol zeigt sich auch äußerlich im
Bau der Häuser. Klein, aber freundlich und nett,
so liebt der Lechanwohner sein Haus; nirgends trifft mau
auf Uureinlichkeit oder Schmutz. Tie Blumenzucht ist
überall beliebt; hübsche Gärten zieren oft die Häuser,
und prachtvolle Nelkenstöcke an den hellen Fenstern ver-
rathen die ordnende weibliche Hand. Besonders schön
und sauber finb die meist hölzernen Häuser im Obcr-
lechthal. Sie gleichen bei manchen Neichen kleinen Pa-
lästen, sind von Außen zuweilen bemalt nnb im Innern
zierlich getäfelt. An der Seite des breiten und niebvigen
Ofens fehlt nie eine Art Pritsche, welche die „Gutsch e"
(von coucher?) heißt.
Da der karge Ertrag des Bodens eine bedeutende
Korueinsnhr erfordert, außerdem aber kein besonders
namhafter Gewerbszweig blüht, so muß der Ausfall
durch die Erträgnisse der Viehzucht und durch Verdienst
im Auslande gedeckt werden. Ganz arme Eltern pflegen
daher ihre Knaben vom siebenten Jahre an im Sommer
als Hirten in das „Schwabenland" zu schicken, wo sie
auf den größeren Bauernhöfen sich nicht schlecht befinden
und außerdem zur Ordnung und Folgsamkeit angehalten
werden; denn „gane, staue, liga laue" (gehen, stehen,
liegen lassen) lautet für die kleinen Hirtenbuben die
unerbittliche Hausherrumarime des Schwaben. Außer-
dem gehen Viele im Frühjahr als Maurer nach allen
deutschen Ländern und bringen im Herbst eine hübsche
Summe mit nach Hause.
Von alten Sagen und Aberglauben ist bei den Lech-
94
Aus allen Erdtheilen.
gaueril noch Manches erhalten, aber Volkslieder gibt
es so gut wie keine; die Seilte sind nicht sanglustig.
Am Kirchweihfest geht es klein und inager her; dagegen
liebt man die Faschingsbelustigungen mit Mummerei und
Tanz, jedoch immer mehr mit der Würze des Witzes
und des geistigen, als mit jener des materiellen Genusses.
Ein gar unmuthiger Gebrauch ist im Lechthale das
„Grotenspannen". Ein Bursche, der bei nächtlicher
Weile zum Besuche des Liebchens in ein fremdes Dorf
geht, wird bei der Rückkehr von den Burschen dieses
Dorfes aufgefangen und in einen „Groten", Karren,
gespannt, den er unter Gelächter durch das Dorf ziehen
muß. Der Charakter des Lechgauers ist sehr empfind-
lich; im Unterinnthal muß man gegen die Leute grob
sein und bleibt dennoch ein beliebter, „seiner Herr".
Hier aber würde man es stark verderben, da der Lech-
thaler gegen nichts empfindlicher ist, als gegen unfreund-
liches Benehmen.
Aus a l i t n E r d t h e i l e n.
Aus Südafrika. Aus Kapstadt sind Nachrichten einge-
troffen, denen zufolge Dr. Livingstone sich im Januar wohl-
behalten am Sambesi befand; die Nachricht von seinem Tode
war also falsch gewesen. Uebrigens ist er zurück berufen wor-
den, da alle seine Prophezeiungen von einem ergiebigen Felde
für Missionen unb Baumwolle sich nicht erfüllen können.
Zwischen Kapstadt und Port Elizabeth ist mit An-
fang des Jahres 1864 eine regelmäßige Dampferfahrt ins
Leben getreten.
Port Natal gedeiht. Die Einfuhren stellten sich 1864
auf einen Geldwerth von 473,333 Pf. St., die Ausfuhr be-
trug 123,086. Der Anbau des Zuckerrohrs gewinnt einen
größern Umfang, seitdem man Arbeiter ans Indien herbei-
schafft; im vorigen Jahre waren 383 solcher Kulis aus Madras
eingetroffen. Der Telegraph nach der Hauptstadt Pieter
Mauritsburg befindet sich in regelmäßigem Betrieb.
In der transv aalschen Republik der holländischen
Bauern sind Fehden ausgebrochen. Die Parteien lieferten
sich am Krokodilflnsse eine Schlacht, in welcher die Gegner des
Präsidenten Prätorins 40 Mann verloren.
Fossile Elephantenknochen auf Malta. Ein Mitglied der
londoner geographischen Gesellschaft hat dergleichen in der
Höhle bei Crendi gefunden. Merkwürdig ist bei oiesem Ele-
phanten die Kleinheit der Zähne; dieser Umstand, mit anderen
Merkmalen zusammengenommen, beweist deutlich, daß dieser
Elephant sich von jeder andern verschwundenen oder noch leben-
den Art unterscheidet. Er war als Elephant nur ein Zwerg,
nicht größer als ein Löwe. Die Malta Times vom 31. März,
welche obige Notiz bringt, weist darailf hin, daß man während
der lctztverflosfencn Jahre in verschiedenen Theilen der Inseln
Malta und Gozzo auch fossile Knochen und Zähtie vorn Hip-
popotamus gefunden habe, und schließt daraus, daß die Eilande
nur Bruchstücke eines ausgedehnten Festlandes seienj, die mit
Europa oder Afrika oder mit beiden zusammengehangen hätten.
So viel kann man mit Gewißheit behaupten, daß die physi-
sche Geographie jener Region des Mittelländischen Meeres eine
sehr wesentliche Veränderung seit der Zeit erfahren hat, in
welcher jene Thiere auf Malta und Gozzo lebten. Uebrigens
sind Zähne und Knochen von der jetzt noch Afrika bewohnen-
den Elephantenart, und außerdem solche von einer größern
fossilen Species, neben dergleichen vom Hippopotamus, vor
Kurzem durch Baron Anca in den Höhlen bei Palermo auf-
gefunden worden. Es ergibt sich demnach als große Wahr-
scheinlichkeit, daß nicht weniger als drei verschiedeiie Arten non
Elephanten und zwei Arten von Hippopotamus auf dem Lande
lebten, welches einst von Sicilien bis Malta reichte nnb zwar
während der Nachpliocen Periode, in der Zeit, da die ersten
menschlichen Spuren gefunden werden. Von den letzteren har
mau jedoch auf Malta noch nichts entdeckt. Indeß wird ange-
nommen, daß dergleichen noch gefunden werden, wie das in
den Höhlen auf Sicilien der Fall gewesen, besonders da jetzt
eifrige Nachforschungen angestellt werden.
Abgesehen von den Spuren längst verschwundener Thier-
arten, deuten die geologischen Verhältnisse darauf chin, daß in
jenen Gegenden das Land gesunken sei. Wir kennen die Ad-
ven ture Bank, ein unterseeisches Plateau, das in einer Rei-
henfolge von rückenartigen Erhebungen sich zwischen Afrika
und Sicilien ausdehnt und jetzt mit 40 bis 50 Faden Wasser
bedeckt ist. Der vormalige Zusammenhang zwischen beiden
Ländern ist unverkennbar, und Lyell hat behauptet, Sicilien
würde mit Afrika wieder vereinigt werden, wenn auch nur
eine Hebung vorkäme, dergleichen bei der Insel Sardinien
stattgefunden hat, seitdem Menschen die Erde bewohnen. Dort
hat der Meeresboden eine Erhebung von etwa 300 Fuß er-
fahren. __________
Misregenntion und Melaleukation in Nordamerika. In
den ueuengländischen Staaten und in Neuyork gehört es jetzt
bei einem nicht geringen Theile der Abolitionisten zu den
Hauptbestrebungen, den Neger zu verherrlichen und den-
selben in Kanzelvorträgen als'„den vorzüglichsten Men-
schen der Schöpfung, als das wahre Meisterwerk
Gottes" hinzustellen. Mau predigt die allein beglückende
Lehre von der Amalgamation und erklärt rund'heraus:
„Die weiße Menschenrasse kann der leiblichen nnb
geistigen Verkrüppelung, ihrem völligen Untergänge nur dann
entgehen, wenn sie sich durch reichliche Aufnahme von
Negerblut wieder kräftigt. Für diese dringend gebotene
Vermischung haben die Negeranbeter zwei entsetzlich barbarische
Ausdrücke erfunden, welche jetzt eine große Rolle spielen,
nämlich Miscegenation, womit man sagen will, Erzeu-
gung durchgemischtes Blut, und Melaleukatiou, Schwarz-
weißmachuug.
Die deutsche Neuyorker Staatszeitung führt Proben aus
den Reden der Schwarzweißmacher an. Der alte Abolitionist
Wendell Phillips erklärte wörtlich: „Ich setze in die Zu-
kunft ganz und gar keine Hoffnung, wenn nicht jene erhabene
Mischung der Rassen stattfindet, in der wir Gottes eigene
Methode für die Civilisirung und Erhebnng der Well er-
blicken."
In Brooklyn predigte Theodor Tilton, ein Kollege
des bekannten Pastors Henry Ward Brecher, Folgendes: „Die
Geschichte der Civilisation wird durch ein Wort bezeichnet, vor
dem sich Viele fürchten. Das Wort heißt: Amalgamation.
Im Fortgange der Zeit wird der Neger sein Gesicht weiß ge-
waschen haben mit dem Blut aus den Adern des weißen
Mannes. Ja, Alles, was nöthig erscheint, um uns
Amerikaner in die herrlichste'Menschenrasse ans
Erden umzuwandeln, ist das N e g e r e l e m e n t. Die
Vorsehung hat dasselbe in diesem Lande 'neben uns gestellt,
damit wir es ans unsern Stamm pfropfen. ^ Von allen den
reichen Schätzen, welche uns hier zu Gebote stehen, ist das
Negerelement der allerkostbarste. Wenn wir uns,
dem Willen einer gütigen Vorsehung Folge leistend, mit den
vier Millionen unserer schwarzen Brüder und
Schwestern vermischen, dann werden wir kräftig, glücklich
und mächtig werden; dann erst haben wir Fortschritt.
Aber im Fall wir uns dessen weigern, fallen wir
der Entnervung und Stupidität anheim und
werden unfähig für höhere Freiheit. Die weiße
Rasse ist nicht im Stande, sich hier als blondes,
hellfarbiges Volk zu behaupten. Sie bedarf der Ver-
mischung mit dem reichen, vollen, tropischen Element des Ne-
gers, um ihrer Natur Wärme und Fülle zu verleihen."
Dieser Theorie zufolge ist also der Mulatte das Ideal
der Schöpfung, und wenn die W. Phillips, Ward Beecher,
Tilton und Tutti guanti logisch dächten, so müßten sie den
Sklavenhändlern, welche im vorigen Jahrhundert aus Afrika
Neger nach Amerika brachten, Ehrendenkmäler errichten. Denn
Aus allen Erdtheilen.
95
von selbst wären die Neger nicht über See in die Neue Welt
gekommen, und ohne dre Sklavenhändler wurden die weißen
Amerikaner der „Entnervung und Stupidität" anheimgefallen
sein, lediglich aus Mangel an Negern.
Dampfschifffahrt in der Magellans- Straße. Bei dem
in kolossaler Weise gesteigerten Verkehr zwischen den Häseir
am Atlantischen Ocean und jeitcu an der Südsee, machen sich
die Gefahren und Verzögerungen, welche die Fahrt um das
Kap Horn im Gefolge hat, immer empfindlicher bemerkbar.
Man kann sie theilweise vermeiden, wenn das Schiff den Weg
durch die Magellansstraße nimmt, aber auch das erscheint
nicht ohne Bedenklichkeiten. Wäre sie ein breiter und gerader
Kanal zwischen den beiden Oceanen, dann hätte die Fahrt keine
Schwierigkeiten; aber sie ist zumeist schmal, hat unruhige See,
in den Wintermonaten Schneefall, in anderen Jahreszeiten
vielfach dichte Nebel, und sie windet sich in vielfachen Krüm-
mungen. Deshalb hat für Segelschiffe diese Straße keinen
Vorzug gegenüber dem Kap Horn, wo der Schiffer doch wenig-
stens auf hoher See sich befindet. Ganz anders gestalten sich
die Sachen für Dampfer.
In Chile sind zwei Pläne aufs Tapet gebracht worden.
Der erste ging dahin, die Segelschiffe vermittelst einer Anzahl
von Dampfern, welche regelmäßige Stationen in der Magellans-
straße haben sollten, durch diese letztere zu schleppen. Nach sorg-
fältiger Prüfung hat man jedoch dieses Projekt bis auf Weiteres
verschoben, saßt aber um so schärfer den Plan ins Auge, eine
regelmäßige direkte Dampferfahrt zwischen Chile einerseits itub
den Häfen des La-Plata und Brasiliens andererseits her-
zustellen.
Das wäre allerdings für den Verkehr ein großer Gewinn.
Es verhält sich mit der Sache folgendermaßen. An der süd-
amerikaitischen Küste des Großen Oceans ist bekanntlich eine
regelmäßige Dampferfahrt von Panama nach Süden hin bis
zum Chitoe-Archipel in Betrieb; ans der Oftseite ist dasselbe
der Fall von Para an der Mündung des Amazonenstroms
bis Buenos Ayres an jener des La-Plata. Auch sind an
der Ostküste schon Dampfer bis zum Hafen Carmen an der
Müitdung des Rio Negro gegangen. Von da jedoch, um Süd-
amerika herum, ist eine Lücke. Aber Versuche, beide End-
punkte durch Dampfer vermittelst der Magellansstraße zir
verbinden, sind bereits angestellt worden und haben ein durchaus
günstiges Ergebniß geliefert. Zwei Dampfer, die Chile und
die America, haben (wie wir aus den Nachweisungen der
Zeitung El Vapor, Valparaiso, 1. Februar, ersehen) die
Fahrt gemacht und außer Zweifel gestellt, daß ans diesem
Weg eine große Zeitersparniß zu erzielen ist. Die Chile legte
die Strecke zwischen Montevideo und Valparaiso trotz
stürmischen Wetters in elf Tagen zurück. Die America ging
in neun Tagen und fünf Stunden von Valparaiso
nach Panama, die Fahrt von Panama nach Montevideo wird
also in weniger als zwanzig Tagen zurückgelegt.
In Chile will man nun die Regierungen Brasiliens und
der La Platastaaten für die Ausführung des Plans interes-
siren. Auch haben sich schon Engländer gefunden, welche den-
selben ausführen wollen. Das eine Haus verlangte zuerst ein
Monopol auf — 100 Jahre, will sich aber nun mit einer jährli-
chen Unterstützung von 30,000 Pfund Sterling begnügen; diese
Forderung wird aber wohl noch eine Abminderung erfahren.
Noch eine Dampferlinie aus Europa nach Südamerika.
Während unsere deutschen Nordseehäfen noch immer nicht daran
gehen, Dampferlinien nach den südlichen Ländern der westlichen
Erdhälfte einzurichten, sind die Franzosen um so rühriger.
Die Linie von Bordeaux nach Rio de Janeiro hat allge-
meine Gunst erworben; jetzt kommt eine zweite hinzu, zwischen
Marseille und Buenos Ayres. Die Schiffe werden auch
Montevideo anlaufen und in jeden! Monat eine Fahrt
machen.
Australien. Die Kolonie Victoria hatte im Jahre
1863 eine Einnahme von 2,766,385 Pf. St., etwa eine halbe
Million weniger als im Vorjahre, weil der Ausfuhrzoll auf
Gold und die sogenannte Squatter-Rente (Abgabe von
Weideläitdereieti) ermäßigt wurde und keine netten Ländereien
verkauft worden sind. Die Schulden betrugen 8,572,404
Pf. St.
Im Jahre 1862 kamen 37,836 Einwanderer an, aber
38,221 gingen ab; dagegen belief sich die Einwanderung im
Jahre 1663 auf 38,983 Köpfe, wahrend nur 34,800 abgingen.
Die Gesammtbevölkerung von Victoria belief sich
am 30. September des vorigen Jahres auf 566,807 Seelen;
wovon 326,916 männlich lind 239,891 weiblich; das Verhält-
niß beider Geschlechter zil einander gestaltet sich demnach all-
mälig immer günstiger. Für die Mitte des Jahres 1864
veranschlagt man die Seeletizahl auf etwa 575,000. Von den
oben erwähnten Auswanderern gingen die meisten nach Neu-
seelattd, aber im vorigei: Jahre sind von dort 7850 Köpfe zu-
rückgekommen. Doch'ist der Zug nach jenem Goldland immer
tioch beträchtlich, denn im Januar 1863 fuhren von Melbourne
5009 Köpfe nach Otago, während 2705 zurück kamen.. Jetzt
scheint aber der „Exodus" schwächer zu werden, denn in der
Mitte Februars theilte das Ministerium der gesetzgebenden
Versammlung mit, daß etwa 500 Victorianische Goldgräber-
aus Dnnedin (Hafen von Otago) um freie Rückfahrt nach
Melbourne gebeten hätten; sie seien zu arm, um die Passa-
gierkosten zu bezahlen. Ihre Bitte ist aber, mit Recht, abge-
schlagen wordeir.
. Uebrigens werden in der Kolonie Victoria innner neue,
äußerst ergiebige Goldfelder entdeckt; so jetzt eins am
obern Goulbonrn, wo bei Woods Point jetzt große Thätigkeit
herrscht. Dort liegen die „Goldriffe" wagrecht und geben
eine Ausbeute, die sogar in Australien Aufsehen macht. Im
Morning Star-Riffe getvann man aus 36 Tonnen (je zu
20 Centner) 1581 Unzen Gold!
Aus der Kolonie NensüdWales lauten die Nachrich-
ten weniger günstig. Wir haben im Globus oftmals darauf
hingewiesen, daß nn Klima Australiens, so gesund dasselbe
auch ist, die Extreme sich berühren, und daß man von den
glänzenden Schilderungen der Entdecker, welche alle „prächti-
tigesLand" gefunden haben wollen, immer recht wohl50Proc.
abziehen müsse. Nensüdwales leidet sehr unter scharfen klima-
tischen Wechseln und Gegensätzen. Im Januar und bis Mitte
Februar, also im australischen Hochsommer, war anhaltende
Trockenheit, dann aber goß der Regen drei Tage lang, ohne
jede Unterbrechung ans den Wolken herab, und der Wind
stürmte fürchterlich. Der Hunterflnß wuchs um 40 Fuß,
bei anderen Gewässern zeigte sich ein ähnliches Verhältniß, und
die Verheerung war groß. Wegen dieser plötzlichen An-
schwellungen kann man die Stromniederungen nicht anbauen,
auch an den Flüssen nur an einzelnen sicheren Stellen Ort-
schaften anlegen.
Der Bezirk Cnmberland erntete im vorigen Jahre wegen
der Dürre nicht ein Korn Weizen, und die Regierung mußte
ihm für 12,000 Pf. St. Weizen zur Aussaat vorstrecken. Auch
diese ist völlig verloren gegangen, diesmal weil wegen über-
mäßiger 9täffe der Rost in den Weizen kam. Die Regie-
rung will nun jene Summe nicht einfordern, sondern nach-
lassen, gibt aber weiter nichts. Nur wenige Strecken der
ganzen Kolonie sind einigermassen vom Rost verschont geblie-
ben, und Neusüdwales läßt nun Getreide aus Californien
kommen.
Südaustralien dagegen hatte eine ergiebige Ernte.
Diese Kolonie ist nun 27 Jahre alt und zählt jetzt 145,000
Einwohner. Im Jahre 1862 betrug die Ausfuhr etwa
10 Millionen Thaler. Gold hat diese Kolonie nicht, wohl
aber ist sie ungemein ergiebig an Kupfer. Der Viehbestand zu
Ende des Jahres 1863 war folgender: 56,251 Pferde, 258,342
Stück Rindvieh, 3,431,000 Schafe. Man zählte 416 Kirchen
imb Kapellen, 359 Sonntagsschulen, 277 Freischulen mit
11,417 Schülern; dazu noch 6227 Schüler in Privatschulen.
Die Zahl der Postämter betrug 180.
Die Kolonie Queensland wird jetzt als ein „lieues
Californien" bezeichnet. In den Peak Downs sind schon
einige hundert Goldgräber, und die Umgegend der Ortschaft
Calliope soll „ganz ungeheuer ergiebig" sein.
Neuseeland. Am 1. Januar 1863 hatten die Inseln
125,812 weiße Einwohner, ohne die Soldaten und deren
Familien. Der Zuwachs hatte im Verlaufe voir 12 Monaten
23,791 Seelen betragen, meist durch Einwanderung; denn auf
die Geburten kommen 4064; die Sterbefälle betrugen nur 1231.
Auf die Nord-Insel kamen 46,106 Seelen, wovon
auf die Provinzen Anckland 27,644, Taranaki 2211, Welling-
ton 13,643, Hawkesbay 2608. — Süd-Insel 82,952
Seelen, wovon: Nelson 11,091, Marlborough 2386, Canter-
bury 20,432, Otago 45,588, Sonthland 3455. Die Haupt-
stadt dieser letzteren, fast ganz von Schotten bewohnten" Pro-
vinz heißt Jnvercargill.
Die Rhederei Neuseelands wächst an und beträgt 287
Schiffe mit 10,825 Tonne».
96
Aus allen Erd theil en.
Odessa am Schwarzen Meere hat im Jahre 1863 für
28,210,349 Rubel Waaren ausgeführt. Von dieser Ziffer kom-
men etwa 7 Millionen auf Wolle; auch war die Verschiffung
von Getreide beträchtlich. Die Einfuhr betrug nur 9l/2 Mil-
lionen. Für diese wichtige Hafenstadt wird die Blüthezeit erst
kommen, wenn sie mit den produktenreicheu Gouvernements
des Innern durch Eisenbahneu verbunden worden ist. Eine
derselben ist im Bau begriffen.
Die überseeischen Besitzungen Großbritanniens haben,
nach den neuesten amtlichen Ermittelungen, im Jahre 1861
eine Volksmenge von 145 Millionen Bewohnern.
Auf Indien, mit 933,122 engl. Quadratmiles, kommen
135,634,244 Seelen; auf Nordamerika (ohne die Län-
der der Hudsonsbay- Kompagnie und das Gebiet am Red
River) 198,169 Q.-Miles, mit 3,305,872 Seelen. Westindien,
88,511 Q.-Miles, 1,081,687 Seelen. Australien nebst Neu-
seeland 1,333,338 Seelen. Dazu würden dann noch Ceylon,
Südafrika, Mauritius und viele andere Besitzungen kommen,
denn die Zahl der britischen Kolonien beträgt mehr als 50.
Die Ge sammt einnahmen der Kolonren betrugen im
Jahre 1861 nicht weniger als 56,218,420 Pf. St., wovon auf
Indien 42,903,234 Pf. St. entfallen; aber Indiens Schul-
deumafse betrug 101,877,081, jene der nordamerikanischen
Besitzungen 16,058,724, Westindiens 1,695,914, Victoria's
6,285,060, Neusüdwales 4,017,630, und der Kapkolonie 565,005
Pf. St.
Die Gesammteiufnhren in diesen sämmtlichen Be-
sitzungen hatten einen Werth von 93,945,885 Pf. St.; sie ex-
portirteu für 86,286,034 Pf. St. In englischen Fabrikaten
bezogen sie für 47^ Million Pf. St., davon gingen nach
Indien für 21,679,032, nach Australien für 13,467,370 Pf. St.
Die Sch ifffah rtsb ewegu n g, alle ein- und auslau-
fenden Fahrzeuge zusammen gerechnet, stellte sich auf 22,849,461
Tonnen.
Handelsverkehr und Schifffahrt Großbritanniens und
Irlands im Jahre 1862. Die amtlichen Nachweise thun
dar, daß die Einfuhr sich auf 225,716,976 Pf. St., die
Ausfuhr auf 166,168,134 Pf. St. belief. Von den Aus-
fuhren waren für 123,992,264 Pf. St. Erzeugnisse des Ver-
einigten Königreichs und für 42,175,870 Pf. St. der Ko-
lonien. Bei der Einfuhr kommen auf Erzeugnisse des Ans-
landes 160,433,725, auf jene der britischen Besitzungen
65,283,251 Pf. St. Der Werth der Ausfuhr eng-
lischer Produkte und Fabrikate hat sich während
der l etzt v er fl o fs en e n 14 Jahre verdoppelt.
Die Handelsflotte bestand aus 28,440 Schiffen von
4,934,400 Tonnen Tragfähigkeit und war mit 228,139 Leuten
bemannt. Dazu kamen in den britischen Besitzungen 10,987
Schiffe von 1,106,958 Tonnen Gehalt mit einer Bemannung
von 76,032 Köpfen.
Sterblichkeitsverhältniß in England und Wales. Durch
amtliche Erhebung ist ermittelt worden, daß im Durch-
schnitte jährlich von je 100,000 Seelen 2217 sterben, oder je
22,,7 xer milis. In einzelnen Gegenden ist aber die Sterb-
lichkeit viel geringer; sie beträgt z. B. im Distrikt Farnborough,
Südengland, und in beit Bezirken Bellingham und Rothburg
in Northumberland nur 15 von 1000. In London beträgt
der Durchschnitt 2222 von je 100,000 Seelen.
Glaubensbekenntnisse in Irland. Nach dem letzten,
kürzlich ausgegebenen Census für Irland vertheilen sich die
Religionsbekenntnisse der gesammten Bevölkerung der Insel
von 5,798,967 Seelen folgendermaßen: Staatskirche 693P57;
Katholiken 4,505,275; Presbyterianer 523,291; Methodisten
45,399; Independenten 4532p Baptisten 4237; Quäker 3360;
Juden 393; verschiedenen Glaubens 18,798. Bekanntlich
müssen auch in Irland alle Andersgläubigen zum Unterhalt
der Staatskirche beitragen.
Volksmenge im Königreich Polen« Das „Czarthum
Polen" zerfällt in fünf Gouvernements, welche nach der Zäh-
lung von 1860 eine Gesammtbevölkerung von 4,840,466 See-
len hatten. Davon kommen auf das Gouvernement Warschau
1,728,090; Lublin 967,205; Radom 946,737; Augustowo 636,531
und Plotzk 561,903.
In Polen wiederholt sich dieselbe Erscheinung, welche wir
auch in anderen Ländern finden, wo Slaven wohnen, daß näm-
lich wenige größere Städte vorhanden sind, während eine
Menge kleiner, wenig bedeutender Städte mit einigen tausend
Einwohner über das Gebiet zerstreut liegen. Selbst Böhmen,
wo doch die Bevölkerung zu zwei Fünfteln ans Deutschen be-
steht, hat nur eine Stadt mit mehr als 100,000 Einwohnern,
Prag; von allen übrigen hat keine mehr als 20,000 Seelen,
und die, welche dieser Ziffer nahe kommen, z. B. Reichenberg
und Budweis, sind deutsch.
Der vor uns liegende neueste „St. Petersburger Kalen-
der" (in deutscher Sprache) macht für das Königreich Poleu
nicht weniger als 112 Städte namhaft. Wir wollen diejenigen
hier anführen, welche mehr als 10,000 Seelen haben. Ka li sch
12,585; Lublin 19,054; Lodz (wo deutsche Industrie vorhan-
den ist) 31,564; Piotrkow 11,209; Plotzk 13,351; Radom
10,073; Sgj ersch 12,510; Suwalki 12,573 und Warschau
162,805 Seelen.
Die Bevölkerung Mecklenburgs war bisher in Folge
der eigenthümlichen in jenem Lande herrschenden Verhältnisse
entweder in rückgängiger Bewegung oder wuchs doch nicht
an. Obgleich sich bort' bie in jeder Beziehung höchst wunder-
lichen und äußerst rückständigen politischen und ökonomischen
Beziehungen nicht geändert haben, so hat doch die Bevölkerung
sich im vorigen Jahre — um 83 Seelen vermehrt!! In
den Städten wuchsen 911 Seelen zu, aber auf den Do-
mänen hat die Einwohnerzahl um 213, auf den zahllosen
Rittergütern um 686 Seelen abgenommen. Mehr
geboren als gestorben sind 6129 Personen, also müssen 6046
Leute ausgewandert sein. Und die Mecklenburger wan-
dern gern aus, weil in jenem Lande freie Beweglichkeit nicht
vorhanden ist.
Kindermärkte in Schwaben. Wie wir erfahren, fanden
auch wieder in diesem Frühjahre in Ravensburg, Wan-
gen und anderen Orten Oberschwabens sogenannte Kinder-
märkte statt, bei denen sich zahlreiche Kinder und junge
Leute aus Vorarlberg, Tyrol und der Schweiz, besonders
aber aus Montafnn, einfinden. Anderseits kommen die
reichen Hofbanern der Umgegend in die Städte, um die
jungen Leute als Treib- und Hirtenknaben oder Kindermäd-
chen zu miethen. Die Kinder, 'welche zum ersten Male auf
dem Markte erscheinen, finden sich meist in Gesellschaft solcher
ein, die schon einmal dagewesen. Im Herbste kehren sie mit
geringen Lohnersparnissen' zu ihren armen Eltern oder Ver-
wandten zurück.
Ein Gemeinderath in Sicilien. Nicht weit von Mes-
sina in Sicilien liegt die Gemeinde Mongiuffi Melia,
in welcher bisher weder der Geistliche noch der Gemeiudevor-
stand daran gedacht haben, Kindern weiblichen Geschlechts irgend
welchen Unterricht zu ertheilen. Die Provinzialbehörde ist aber
feit einiger Zeit damit beschäftigt, auf Sicilien das Volks-
schulwese'n zu heben, und forderte auch den Gemeindevorstand
der genannten Ortschaft auf, eine geeignete Person aus Mon-
giuffi Melia zu bezeichnen, die in dem neuerrichtetcn Seminar
für Schullehrerinnen aufgenommen und ausgebildet werden
solle. Die amtliche Zeitung von Messina theilt nun _ die
wahrhaft klassische Antwort des Syndicus jener Gemeinde
mit. Der würdige Mann schreibt:
„Die Gemeinde Mongiuffi Melia erkennt ganz und gar
nicht an, daß Unterricht und Schulbildung für Frauenzimmer
irgend welchen Nutzen haben. Die Weibsleute in unserer Ge-
meinde sind zumeist mit dem Hüten des Viehs beschäftigt und
haben für die täglichen Bedürfnisse unseres Lebens zu sorgen.
Schulunterricht ist ein Luxusartikel, der nur für-
große Städte' paßt, aber keineswegs für arme
Dorfgemeinden. Wenn aber trotzdem die Re-
gierung darauf besteht, uns eine Schn lineisi e rin
herzuschicken, so kann ich vorher sagen, daß die-
selbe verhungern wird. Auf alle Fälle gehen der Ge-
meinde die Mittel ab, um ein Mädchen zur Lehrerin aus-
bilden zu lassen. Der Gemeinderath hat deshalb einstimmig
beschlossen, daß die Gemeinde überhaupt keine Schul-
lehr er braucht und das Ansinnen der Provinzialbehörde
demgemäß abzulehnen sei."
Herausgegeben von Karl Andrer in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghansen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildburghansen.
Ans meinem brasilianischen Lagebuche.
Von Woldemar Schultz?)
I.
Die Allerheiligen - Bay. — Einfahrt zum Hafen von Bahia. — Anblick der Stadt uub erste Eindrücke. — Cidade bairo. —
Negersklaven. — Die Minas als freie Arbeiter. — Anbahnungen zur Emancipation. — Schwarze Handwerker. — Die Kauf-
leute. — In der Oberstadt. — Ausblick auf die Bay. — Hanssklaven.
Die elliptische Einbuchtung an der Nordküste Brasiliens,
die Bahia de todos os Santos, deren Längenans-
dehnnng fünf deutsche Meilen betragen mag, ist geräumig
genug, um die größte Kriegsflotte der Welt aufzunehmen.
Auch ist sie bequem ;u erreichen und gewährt den: Seefahrer
vollkommenen Schutz gegen Sturm und Wogenschlag. Ver-
gegenwärtigt man sich weiter die Fruchtbarkeit der ausge-
dehnten umschkießetlden Lande und die günstige Lage dieses
natürlichen Hafens in der Mitte des Südost- und Süd-
westhandels, so wird man es natür-
lich finden, daß hier ein wichtiger
Handelsmarkt entstanden ist, auf
dem, im Lause der Zeiten, ein Zu-
sammenfluß von Menschen entfern-
ter Erdtheile stattgefunden hat.
Die Einfahrt des Hafens von
Bahia ist eine halbe deutsche Meile
breit; sie liegt zwischen den frucht-
baren Ufern des langgestreckten Ei-
landes Jtaparica und der schma-
len Zunge des Festlandes, die ein
Stück ins offene Meer hinausragt.
Ans der äußersten Spitze der er-
wähnten Landzunge liegt, umwogt
voil der Meeresbrandung, das Fort
ilnd der Feuerthurm von S.
Antonio, den unser Mann im
Mastkorbe schon in der Entfernung
mehrerer Seemeileil entdeckt hatte.
Mit südwestlichem Coilrs steuere
ten wir direkt auf diesen Wegweiser-
los. Unsere Bark segelte mit günstigem Winde, stöh-
nend, aber eilig, arbeitete sie sich durch die salzige grüne
Fülth. Abends fünf Uhr hatten wir die weite Einfahrt
erreicht, die nur durch die unregelmäßig geformte Sand-
bank voil S. Antonio verengt wird, deren Südende voll
dem Seefahrer zu vermeiden ist. Um die Spitze des Kap *)
*) Herr W. Schultz, k. sächs. Oberlieutenant, eilt sehr
eifriges Mitglied des Vereins für Erdkunde in Dresden, ver-
weilte eillige Jahre in Brasilien, wo er insbesondere auch
die Provinz Rio grau dedo Snl, in welcher er Vermessun-
gen angestellt hat, sehr genau kennen lernte. Wir haben
mehrere' von ihm entworfeiie Karten gesehen, die ganz ausge-
zeichnet sind und den Beweis liefern, daß in Sachsen Ober-
reit treffliche Nachfolger hat. Diese Karten werden veröffent-
licht werden. A.
Globus VI. Nr. 4.
St. Antonio herum steuerten wir in die tveite, schöne Bay
hinein, ans die Stadt S. Salvador los, deren Hänser-
massen sich läilgs der Ostnfer der Bahia und der angren-
zenden Höhen in langen Linien aufbauen.
Von der Ostspitze S. Antonio erstreckt sich ein niederer
Höhenzng in einer weiten, sanften Kurve nach dem Innern,
das Nordostufer der Bay, in einstündiger Ausdehnung,
dicht begleitend. Am Fuße dieses Höhenzuges, an seinen
Hängen und auf seinem breiten Rücken gruppiren sich die
Häuser der Stadt, im untern Theil
in langeil, dichten, ziemlich regel-
mäßigen Reihen, Straßen bildend,
im obern Theile in unregelmäßigem
Durcheinander die Höhen krönend,
umgehen von Gärten im tiefdllilklen
saftigen Grün halbversteckt, mit beut
brillant beleuchteten Weißen Malter-
werk hie llltd da hervorblickend.
Besäumt vom lapislazulifarbe-
nen Meere, überdacht vom duftigen,
azurnen Aether, erhebt sich, ausge-
stattet mit allem Glanze einer brasi-
lianischen Landschaft, amphitheatra-
lisch S. Salvador.
UnserBarkschisf rückte weiter uub
weiter vor, wir hatten ltns dem
Mastenwalde des eigentlichen Hafens
schon so weit genähert, daß die ver-
schiedenen Flaggen der seefahrenden
Nationen, die von den Toppspitzen
und den Gaffeln der Schiffe, die
hier geankert hatten, in bunter Abwechselung wehten,
ziemlich genau zu erkennen waren. Da erschallte das
Kommando des Kapitäns, uub in den Grund rasselten
die schweren Anker. Still, fast regungslos lag gleich darauf
das Schiff, so daß die schlanken Masten aus nordischem
Tannenholz festgewurzelt schienen int tropischen Meeres-
grunde. Wir lagen nuv etwa 800 Schritt vom nächsten
Ufer, so daß der neugierige Blick manche Einzelheiten der
Landschaft aufzufinden und zu unterscheiden vermochte. Vor
Allem die schlanken Schafte vereinzelter Palmen, die aus
dem niedern, dichten Laubwerk hoch emporragten, gekrönt
mit zierlichem Blätterschmuck; dann die massigen Muhst
büsche, die gleichsam aus der fruchtbaren Erde quollen, weit
hinleuchtend mit dem frischbelebenden Saftgrün ihrer Rw-
13
Neger aus Angola; in Bahia.
(Nach einer Originalzeichnung von O. E. F. Grashof.)
98
W. Schultz: Aus meinem brasilianischen Tagebuche.
senblätter. Diese auffasieubcu Pflanzenformen bilden ge-
wissermaßen die Titelvignette zu dem tropischen Theile des
gewaltigen Buches der Natur.
Es war Abend geworden, die große goldene Sonnen-
scheibe war klar und rein hinter den entfernten zackigeil Ber-
gen, welche die Bay weit in: Westen begrenzen, hinabgesun-
ken, sie vergoldete beim Scheiden die neckenden Wellenspitzen
des friedlichen Binnenwassers.
Der dnnkelrothe Streif am Abendhimmel verwandelte
sich in einen zitronengelben Ton, sodann in ein Hellgrün
und schließlich in ein eigenthümliches Milchweiß. Die eilig
der Sonne folgenden dunklen Schatten der Nacht gönnten
aber dem Beschauer kann: Zeit, die sanften Uebergänge der
Beleuchtung zu beobachten; sie verwischten die milden Zwi-
schentöne schnell vom Abendhimmel. In dieser Zone gibt
es ja bekanntlich keine Dämmerung, kurz ist die Spanne
Zeit, welche den lichten Tag von der finstern Nacht trennt.
Millionen funkelnder Sterne waren in ihrem Gefolge er-
schienen, ohne indessen des Tagesgestirns erhellende Strah-
len zu ersetzen.
Noch kurz vorher, während die Landschaft in: Schein
der Abendsonne prangte, war eine Brigg, ein zweimastiges
Schiff, in die Bay eingelaufen und kaum auf Pistolenschuß-
weite neben uns vor Anker gegangen. Neugierig hatten
die Steuerleute und Matrosen dessen Rumpf und Takelwerk
geinustert, um wo möglich zu ergründen, was für ein Lauds-
mann es sei. Erfahrenen Seeleuten, wie die meisten waren,
wird es leicht, au der Bauart, den Masten, dem Segel-
werk die Nationalität eines Schiffes zu erkennen; indessen
wollte es diesmal Keinem recht gelingen. So viel Urtheile
laut wurden, so abweichend und verschieden waren dieselben.
Unser erster Steuermann meinte, es sei eine verkappte eng-
lische Kriegsbrigg, die uns für ein Sklavenschiff gehalten
und uns nachgesegelt sei. Darüber lachten die anderen
Seeleute; sie entgegneten, mau müsse dam: doch die Stück-
pforteu sehen, von denen allerdings keine Spur zu eutdeckeu
war. Unterdessen wurden unsere Zweifel bald gehoben,
der Trommelwirbel an: Bord unsers Nachbars belehrte uns,
daß der Steuermann Recht gehabt hatte. Mau erzählte
mir nun, wie diese Kreuzer dadurch, daß sie ihre Stück-
pforten maskiren, ihre Raaen und ihr Tauwerk nachlässig
aufschnüren, sich den Schein geben, als seien sie harmlose
Kauffahrer.
Die Nacht war mild und schön, die frische Seebrise,
die uns angenehme Kühlung zuführte, vermischte sich mit
den: balsamischen Duft der Wohlgerüche der Tropenflora.
— Drüben in der Hafenstadt hatte man ein Licht nach den:
andern angezündet.
Während sich die Conturen der Häusermassen meist un-
bestimmt in: Dunkel der Nacht verloren, traten einzelne
Gebäude mit hellerleuchteten Fenstern um so bestimmter
hervor. Aus einem derselben ertönten durch die stille Nacht
die Melodien einer Verdi'scheu Oper. Die langentbehrteu
harmonischen Töne bildeten das Finale zn einem unvergeß-
lichen Schauspiele lebender Bilder, welche sich in reichster Ab-
wechselung nach und nach vor uns enthüllten.
Am nächsten Morgen war schon zeitig Leben am Bord;
wir Alle wären gern gleich ans Land gegangen, indessen
mußte, ehe wir landen durften, die Durchsicht der Schiffs-
papiere und die Genehmigung der brasilianischen Behörden
abgewartet werden. Gegen neun Uhr näherten sich, für
unsere Ungeduld viel zu langsam, zwei Fahrzeuge mit den
Zoll- und Sanitätsbeamten. In den überdachten Theilen
der Boote saßen einige elegant gekleidete weiße Männer,
während Neger und Mulatten, nachlässig angethan mit
buntgestreiften Hemden und Hosen, in: Vordertheil ohne
Uebereilung die Ruder führten. An dem Flaggenstock über
den: Steuer wehte die brasilianische Flagge, au der wir den
officiellen Beruf der Nahenden erkannten.
Nachdem die genannten Behörden ihre Geschäfte am
Bord unseres Bootes beendet hatten, wurde eilig eines un-
serer kleinen Boote in See gelassen. An einer schwankenden
Strickleiter kletterten einige Matrosen voraus, um die
Ruder zu ergreifen, dann folgten der Kapitän und wir auf
demselben unbequemen Wege. Glücklicherweise war Ebbe
und das Wasser wenig bewegt, so daß unsere Jolle ziemlich
ruhig lag. Mit kräftigem Ruderschlag führten uns unsere
Matrosen in kurzer Zeit uach der Stadt, iu der einzelne
Häuser bald deutlich zu unterscheiden waren. An einer
großen Treppe des Kais legten wir an. Das Meer bran-
dete hier so heftig und schaukelte unser Boot so sehr, daß
wir nicht ohne Gefahr ans Land gelangten.
Bahia, der zweitwichtigste Hafen des brasilianischen
Kaiserreichs, war als S. Salvador lange Zeit Sitz der
Centralregierung des gesammten Kolonialreiches, ist heute
eine belebte Handelsstadt mit 100,000 Einwohnern und
zugleich Hauptstadt einer weiten, fruchtbaren Provinz, die
einen Flächenrann: von 14,000 Qnadratmeilen und eine
Bevölkerung von 1,000,000 Seelen zählt. Die Ausfuhr
erreichte z. B. in: Jahre 1854 die Höhe von 10,431 Con-
tos, während sich die Einfuhr iu demselben Jahre auf 12,926
Contos belief.
Ich hatte mir keine geringe Vorstellung von dieser bra-
silianischen Stadt gemacht und betrat sie daher mit gestei-
gerten Erwartungen. Aber wie so Vieles iu der Welt
seinen zauberischen Reiz bei näherer Betrachtung verliert, so
auch S. Salvador.
Die untere Stadt, die Ci da de bai xo, mit den hohen
Häusern und den engen Straßen, ist der eigentliche Schau-
platz des Geschäftslebens; hier liegen die Börse, das Zollge-
bäude re. Hier auch befinden sich die Komptoirs der größten
Export- und Jmporthäuser, hier aber auch bewegt sich das
farbige Proletariat umher, welches in Bahia stärker als
in irgend einer brasilianischen Stadt vertreten ist; man sieht
Typen aller Menschenrassen und aller ihrer Zwischenstufen.
Wie überhaupt in: südamerikanischen Kaiserreiche, so auch
ganz besonders au diesen: einzelnen Punkte desselben bilden
die Neger die Mehrheit der Bevölkerung.
Bekanntlich hat man sie mit Anwendung der Gewalt
auf diesen Boden versetzt. Die europäischen Kolonisten
überzeugten sich schon früh, daß der eingeborene rothe Mensch,
seiner Freiheit beraubt und in ein sklavisches Verhältniß
gebracht, nur eine ungenügende Kraft für den Pflanzungs-
betrieb ist, daß seine sensitive Natur sich für andauernde
Arbeit keineswegs eignet. Aber nicht allein dieser Um-
stand veranlaßte die fortgesetzte Nachfrage uach schwarzen
Brayos (d. h. Armen, Arbeitern), sondern auch die
Schwierigkeit, indianische Sklaven iu ausreichender Zahl
zu erlangen und auf den Fazendas (Landgütern) festzuhal-
ten; Regierung und Klerus in Brasilien schützten übrigens
auch nach Möglichkeit die Eingeborenen gegen unberechtigte
Unterdrückungen. Von Jahr zu Jahr steigerte sich daher,
ganz besonders in den mittleren und tropischen Provinzen,
der Bedarf an Arbeitskräften der Art, daß der schnöde
Menschenhandel an diesen Küsten einen immer größer:: Auf-
schwung nahm. Mau sagt, die Einfuhr von Negersklaven
solle sich in den zwanziger Jahren unseres Säculums auf
durchschnittlich 80,000 Köpfe im Jahre belaufen haben,
von denen ein guter Theil in Bahia feil geboten worden ist.
So wird es daun erklärlich, daß :nan auch heute noch in
den Mauern dieser Stadt, nachdem der Negerimport seit
13 Jahren aufgehört hat, eine große Zahl von Söhnen
W. Schultz: Aus meinem brasilianischen Tagebuche.
09
und von Töchtern der afrikanischen Bundastämme, Eon-
gos, Benguelas, Monjolos und selbst der ostafrikanischen
Mozambiques findet; fast scheint es, als habe sich die Ne-
gerbevölkernng des gesammten Reiches diese Stadt in neuerer
Zeit zum Stelldichein ausersehen. Bahia de S. Salvador
hat durchaus keine Ursache, auf diesen Vorzug stolz zu sein;
der sittliche Ruf der Bevölkerung kann dabei kaum gewinnen.
Wenn man durch das schmutzige Labyrinth der engen
Das hängt zum guten Theil mit der wirthschaftlichen Krisis
zusammen, in der sich das Land zur Zeit befindet. So lange
Brasilien noch abhängige Kolonie war und unter dem Ein-
fluß der unduldsamen Kolonialpolitik des Mutterlandes
stand, gab es für den freien portugiesischen Einwanderer als
Erwerbsquelle in der Hauptsache nur die Bodenkultur, aber
auch diese durfte nur unter mannigfachen Beschränkungen
betrieben werden. Damals konnte man die Sklaven nur
Straße in Bahia.
Gäßchen der untern Stadt wandert, so sieht man auf den
Stufen der Hausthüren und auf ebener Erde ganze Reihen
schwarzer Gestalten sitzen, meist mit Strohflechten beschäf-
tigt. Ihr beständiges Geplapper mit den gutturalen aus
der Brust hervorgestoßenen Lauten und ihr heiseres, ewiges
Gelächter verursachen einen abscheulichen Lärm.
Es befremdet, daß man in einem Lande, das so großen
Mangel an menschlichen Arbeitskräften leidet, eine so bedeu-
tende Zahl von robusten Negern in den Städten sieht.
zur Arbeit auf den Pflanzungen und allenfalls noch zum
häuslichen Dienst verwenden. Das hat sich, seitdem Bra-
silien unabhängig ist, sehr geändert. Die Bodenkultur kann
nun frei und unbeschränkt gepflegt werden, wie auch jede
andere Industrie.
Eine erhebliche Zahl von Sklavenbesitzern ließ daher
in neuerer Zeit ihre Schwarzen in einträglichen Handwerken
unterweisen und vermietete sie dann für hohe Preise an
eingewanderte Industrielle. Aber auch die, welche nur
13 *
100
W. Schultz: Aus meinem brasilianischen Tagebuche.
Handarbeit zu verrichten verstehen, schickt der Herr in die
aufblühenden großen Handelsstädte, beim das macht weniger
Mühe und bringt meist mehr ein, als die Ausnutzung der
Kräfte der Sklaven tu der Plantage. Der Anfang zu einer
naturgemäßen Emancipation der Neger ist auf diese
Weise gemacht; dieselben sind mit Beginn dieser Verwen-
dung in ein neues Verhältniß zu ihren Herren getreten,
gewisserinaßen in das Verhältniß der Hörigen, denen Ge-
legenheit wird, sich Eigenthum zu erwerben. Bei den ge-
mäßigten Grundsätzen, die in Brasilien ziemlich allgemein
in Betreff der Emancipation der Sklaven herrschen, wird
nnb wegen ihres Fleißes zwar von den Weißen sehr geschätzt,
indessen taugen sie zu Sklaven wenig, denn ihr Unabhängig-
keitssinn läßt sie nicht ruhen noch rasten, bis sie das schwere
Joch abgeschüttelt haben. In diesem Bestreben halten sie
fest zusammen und unterstützen sich gegenseitig, ja sie sind
der größten Aufopferung fähig, wenn es gilt, einen Sohn
oder eine Tochter ihres Stammes ans ben Händen eines
harten Herrn zu befreien; man erzählte mir davon rührende
Geschichten. Unter der drinkelsarbigen Bevölkeinng Brasi-
liens erfreuen sie sich eines gewissen Ansehens.
Mit einer angeborenen Würde, voll Selbstgefühl und
Neger aus Quinbombo und aus Cabinda; Bahia. (Nach einer Originalzeichnung von O. E. F. Grashof.)
es ihnen ans diese Weise möglich, das eiserne Band, das
sie an den Herrn fesselt, zu lösen.
Die erste Stelle nehmen unter ben Negern in Brasilien
die Schwarzen ans Guinea ein, und zwar die von der
Goldküste, hier zu Lande allgemein Minasneger genannt;
sie finb zum großen Theil frei. Sowohl durch ihre hellere
Hautfarbe, die dem Schwarzgelb gleicht, unterscheiden sie
sich auffallend von anbevcn Menscheil ihrer Rasse, als auch
durch ihre außerordentlich kräftige, hohe Gestalt. In ihren
Gesichtszügen liegt nicht, wie beim Congo, ein großer Grad
geistiger Beschränktheit, sondern meist ein Allsdruck grenzen-
loser Brutalität. Diese Minas werden wegen ihrer Kraft
Stolz schreiten diese Minas durch l ie Straßen. Sie scheinen
wenig von der angeborenen organischen Ueberlegeuheit zil
empfinden, die man denr weißen Mann über ben schwar-
zen zuschreibt, wenigstens thut sich eine solche Empfindung
oder Erkenntniß nicht durch besondere Ehrerbietung kund.'
Dem Fremden fallen die Minas Negerinnen beson-
ders auch durch ihre Tracht auf; sie ist malerisch lind ver-
räth Geschmack. Den Kopf ziert der blendend weiße Tur-
ban, der elegant verschlungen ist, Hals und Arme sind
vielfach mit Korallenschnuren, oft selbst mit goldenen Arm-
spangen geschmückt. . Ein feines, weißes Hemd verhüllt den
Oberkörper, ein weiter, faltiger Rock von modischem Stoss
W. Schultz: Aus meinem brasilianischen Tagebuche.
101
ltnb auffallenden Farben vervollständigt den Anzug. Die
Minasnegerin trägt einen blaugestreiften, leicht über die
eine Schulter geworfenen Shawl. Dieses Stück der Toilette
scheint uniform zu sein, denn ich habe es sowohl hier, wie
an allen übrigen Punkten Brasiliens bei ihnen immer wieder
gesehen, ltnb zwar von ganz gleichem Stoff und Muster.
Während die freien Minasneger ineist im Tagelohn arbeiten,
halten die Negerinnen auf beu Straßen und Märkten alle
Gattungen von Früchten und Gemüsen feil oder verdienen
sich als Wäscherinnen ein gut Stück Geld.
Nicht weniger kräftig gebaut und stark sind die Neger
von der Ostküste von Afrika, von Mozambique,
indessen von weit dunklerer Farbe. Sie wurden mir geschil-
dert als besonders brauchbar zu schweren Arbeiten, indessen
zugleich auch als widerspenstiger ltnb leidenschaftlicher als
alle anderen Söhne Afrika's. Man trifft sie in den Städten
durchbrochen, in deren einzelnen durch Wände getrennten
Abtheilungen sich die wenig einladenden Werkstätten, die so-
genannten Logen, der geringen Zahl Industrieller von Bahia
befinden: der Schneider, Schuhmacher, Tischler re. Ueberall
sieht inan ben schwarzen Gesellen seinen Meister in der Arbeit
unterstützen. Unter ben Meistern sind auch, wie bereits
bemerkt, eine Menge Neger, die schon in früher Jugend
oder selbst noch in einem vorgeschrittenen Alter Handwerke
erlernen. Ihre große angeborene Handfertigkeit und Nach-
ahmungskunst unterstützt sie dabei außerordentlich. Zu sol-
chem Berufe sucht man meist die kleineren intb schwächeren,
dunkelschwarzen Angolas, Benguelas, Monjolos und Re-
bolos ans.
Die oberen Stockwerke der Häuser scheinen, nach den be-
stäubten und zerbrochenen Fenstern zu urtheilen, vielfach un-
bewohnt zu sein oder doch nur zu untergeordneten Zwecken
Eine Minas-Negerin in Bahia. (Nach einer Originalzeichnung Uon O. E. F. Grashof.)
unter den schwarzen Lastträgern, die hier ein ausgedehntes
Feld der Thätigkeit finden, denn man findet kaum andere
Transportmittel, als Menschen; Maulthiere, die man hie
und da auch verwendet, sind selten und theuer, außerdem
könneu auf deren Rücken umfängliche Lasten nicht befördert
werden, das besorgen in Bahia besonders allein die Neger.
Diese schleppen die schwersten Lasten durch die engen Straßen,
entweder an langen Stangen oder aus dem Kopfe. Wenn
irgend thunlich, fallen die Neger dabei in eine Art Lauf-
schritt, der nach dem Takt eines rauhen Gesanges ausgeführt
wird. Es erregt Staunen, welche Kraft diese schwarzen
Männer in ihren Halsmuskeln vereinigen und welche Ge-
schicklichkeit in der Beförderung der verschiedenartigsten Lasten
auf dem Kopfe. Truppweise eilten sie mit schweren Zucker-
fässern, Baumwolleuballen rc. an mir vorüber.
Hallenartig sind die Erdgeschosse der hohen Gebäude
benutzt zu werden. Hier und da deutet Wohl ein Konsulat-
schild am Balken eines Hauses darauf hin, daß wir uns vor
dem Komptoir eines großen Kaufmannes befinden.
Nicht ohne Stolz zählte ich eine große Zahl deutscher
Namen unter den Firmen der bedeutendsten Handels-
häuser.
Nachdem man sich durch eine Reihe schmaler Straßen
hindurchgewunden, gelangt man an einen freien, viereckigen
Platz, den Mercado. WieimOrient, so ist auch hier ein
Theil desselben mit hohen Mauern umschlossen. Ein Becken
mit ab- und zuströmendem Wasser bildet den Mittelpunkt
dieses begrenzten Raumes, der von Verkäufern und Ver-
käuferinnen verschiedener Viktualien eingenommen wird.
Hier bietet man die mannigfaltigsten Arten von Früch-
ten feil, die herrlichsten Orangen von staunenswerther
Größe, die im ganzen östlichen Südamerika wegen ihres
102
W. Schultz: Aus meinein brasilianischen Tagcbnche.
außerordentlichen Saftreichthums bekannt und beliebt sind;
neben ihnen prangen aromatische Ananas, vielgesuchte
Mangas, süße Feigen, dann die Riesentrauben des Musa-
stranches, mit den zahlreichen, schmackhaften und gesunden
goldgelben Bananen — das treffendste Symbol tropischen
Fruchtreichthums—, milchreiche Kokosnüsse und eine Menge
anderer schätzbarer Erzeugnisse des immensen Brasilgartens;
sie alle laden hier durch Farbe und Geruch zum Kaufen ein.
In und außerhalb dieser Mauern wogt, in ununter-
brochener Unterhaltung, eine bunte Menge hin und her,
bunt in Beziehung auf die Hautfarbe, deren feine Niiancen,
vom aristokratischen Weiß bis zur sogenannten Proletarier-
farbe des Negerschwarz, alle aus engem Raume vertre-
ten sind.
So waren denn die Eindrücke, die ich während der
ersten Stunden meines Aufenthaltes in den Mauern der
brasilianischen Stadt- aufnahm,
eben nicht sehr wohlthuend.
Ich tröstete mich mit der Hoff-
nung, in dem obern aristokra-
tischen Westend von Bahia eine
günstigere Meinung von dem
südamerikanischen Städteleben
51t erlangen.
Eine breite, gepflasterte
Straße, die sich an dem Hange
des Bergrückens ziemlich steil
aufwärts windet, verbindet die
sogenannte Cid ade alto mit
der Cidade bairo, die obere mit
der untern Stadt. Unter den
heißen Strahlen der Tropen-
sonne ist es schon ein Stück
Arbeit, selbst diese Böschung
-zu ersteigen. Dies empfand
ich, der Ankömmling aus ge-
mäßigtem Klima, nicht allein,
sondern alle die seit Jahren
hier lebenden Ausländer, ja
selbst die hier geborenen Mei-
ßelt, scheuen den Bestich dieser
sonnigen Passage tu den Tages-
stunden. Mir wurde versichert,
daß die Europäer, je län-
ger sie dem tropischen
Klima ausgesetzt sind,
dessen Einflüssen um so
weniger zu widerstehen vermögen; der erschlaf-
fende Körper leidet mit jedem Jahre mehr unter
der zersetzenden, feuchtwarmen Atmosphäre der
brasilianischen Wald regio neu.
Nachntittags zwei Uhr werden die Komptoirs geschlossen.
Man arbeitet hier ebeit nur von neun Uhr Morgens bis
zu dem besagten Zeitpunkte, dann besteigen die Europäer,
welche meistens Kaufleute sind, ihre Maulthiere und reiten,
den aufgespannten Regenschirm zum Schutz gegen die Sonne
in der Hand, im langsamen Trott bergauf, um den Rest
des Tages gewöhnlich in abgeschiedener Stille im Kreise
ihrer Familie, ,iii den Villen der obern Stadt zu be-
schließen. So verbringt der gebildetere Theil der Bevöl-
kerung seilt Dasein in Brasilien; nach einigen Slttndeit einer
halben Thätigkeit folgen die abwechselungslosen Stunden
der Ruhe, die farblos fast einen Tag wie alle Tage dahin-
fließen. —
Ohne das erwähttte Mittel des Fortkommens blieb mir,
da ich von den außerordentlich gastfreundlichen Landsleuten
für den Abend zum Thee und zu einem solennen Kegelschieben
im dcntscheit Clubb eingeladen war, ttichts übrig, als deit
besagten Weg int Schweiße meines Angesichts zurückzulegen.
Man muß sie empfunden haben, die glühenden, senkrechten
Strahlen dieser Sonne, man muß die heiße Stickluft, die
dem erhitzteit Boden etttqttillt, ans dem die Sohlen des
Wanderers brennen, geathmet haben, um zu begreifen,
daß es hier eine Anstrengung ist, eine Viertelstunde
Weges int Aufwärtssteigett zurückzulegen. Reichlich wurde
ich aber dafür belohnt, beim von dem Kamm des Höhen-
zuges hat man eine herrliche Aussicht. Unmittelbar vor
und unter mir lag die Hafenstadt, mit ihren stunden-
langen Straßen, ihrem bunten Gewühl ans dein Markte
und am Kai, mit dem beflaggten Mastenwalde einer
Kauffahrteiflottille, bereit Schiffe, so wie sie der Zttfall
zttsammengeführl, vor Anker lagen. Die Grenze dieses
Hafentheiles wird gewisserma-
ßen markirt durch das Insel-
fort S. Marcel lo, auf dessen
Zinnen die brasilianische Flagge
wehte. Jenseits dehnt sich die
weite, schöne, tiefdunkelblaue
Wasserfläche weithin aus, be-
säumt von dem fruchtbaren Ei-
land Jkaparica, dessen leuch-
tend grüne Waldsilhonetten die
von dieser Erde viel gerühntte
Eigenschaft tropischer Fruchtbar-
keit bestätigen.
Viele kleine Fischerbarken
mit glänzend weißen Segelit
slogeit, wie Seemöven, über
die leicht gekräuselte Fluth da-
hin. Sie vermitteln meist die
Verbindung mit deut Festlande
und der Insel.
Weit lustiger, freier, an-
muthiger als die untere Stadt,
ist der obere dem Geschäftsleben
entzogene Stadttheil. An deit
breiten, nicht gepflasterten Stra-
ßen liegeit, hinter vergitterteit
Umzäunungen, halbversteckt int
üppigen Grün tropischen Blatt-
werks, die einstöckigen netten
Villen. — Tiefe Ruhe herrscht
fast allenthalben während der
heißen Tageszeit. Die Thürme und Jalousieit der Häuser
sittd dicht geschlossen. Kaum sieht man hier und da einett
vereinzelten -illeger langsam, aber mich schweigsam dahin
schlendern, den gefüllten Korb am Arme, in welchem sich
die Einkäufe an Fleisch und Früchten für deit Mittagstisch
des Gebieters befinden, welcher bis Abends sechs Uhr bereitet
werdett muß; zuweilen hängt noch ein, an den Beinen zu-
sammengebundener lebender Hahn, der sein heiseres, ängst-
liches Geschrei ertönen läßt, am andern Arme.
Diese Haussklaven, bettn solche sind es gewöhnlich,
entweder Cottgos oder Angolos, unterscheiden sich durch
ihren bessern Anzug; derselbe besteht in weißen Beinkleidern,
feinem Hemd von gleicher Farbe und einer Leinwandjacke,
Alles saubere Kleidungsstücke, die von dem Ebenholzschwarz
der Haut gewaltig abstechen. Diese Sklaven haben meist ein
besseres Loos, als ihre schwarzen Brüder, die in den Platt-
tagen auf dem platten Lande, oder als Lastträger in deit
Städten arbeiten. Als Köche nehmen sie eine nicht unwich-
tige tutb zum Theil auch einträgliche Stellung in den Häu-
W. Schultz: Aus meinem brasilianischen Tagebuche.
103
fern wohlhabender Familien ein. Beim Einkauf der Lebens-
mittel, den sie stets allein zu besorgen haben, fällt ihnen
mancher kleine Gewinn zu. Oft wissen sie sich durch ihre
Treue und Anhänglichkeit im hohen Grad die Zufriedenheit
ihrer Herren zu erwerben, ja vielfach sogar deren Gunst, so
daß sich dann, besonders zwischen den Herrinnen und Die-
nerinnen, gewissermaßen ein Freundschaftsverhältniß bildet.
Aber auch selbst da, wo ein solches Verhältniß nicht eristirt,
das Theater zeichnen sich höchstens durch größere Dimen-
sionen vor den übrigen Wohnhäusern aus. In den Augen
der Brasilianer mögen sie beachtenswerth erscheinen, der
Europäer schreitet an solchen unbedeutenden architektonischen
Schöpfungen theilnahmlos vorüber. — Eine gleiche Be-
wandtnis hat es mit dem Paseo publico, dem sogenann-
ten öffentlichen Garten. Ueberhanpt erscheint das, was
Menschenhände bis jetzt aus dieser Erde geschaffen, so unbe-
Neger aus Mozambique auf der Jagd bei Bahia. (Nach einer Originalzeichnung von O. E. F. Grashof.)
wo ein herrischer, strenger Mann seine Sklaven gern die
Macht, welche er über sie besitzt, fühlen läßt, mnthet er
ihnen doch schon deshalb nicht allzuviel zu, weil dieses
lebende Eigenthum ein allzuhohes Kapital repräsentirt, und
was noch mehr ist, weil es in den meisten Fällen geradezu
unersetzlich ist.
Die Rücksicht, welche Jemand zu nehmen hat, welcher
sich Sklaven miethen muß, geht, unter Umständen, sogar
sehr weit.
Von schönen Bauwerken oder sonstigen Sehenswürdig-
keiten ist in Bahia wenig zu erwähnen. Die Kirchen und
deutend gegenüber den Schöpfungen der Natur, daß es
allenthalben fast gänzlich verschwindet.
Es ist das natürlich; die ungeheuren Raumverhältnisse
und die urüppige Vegetation dieses Kontinentes stehen im
offenen Widerspruch mit der thatenarmen und dünnen Bevöl-
kerung. Die 7,000,000 Bewohner des Brasilreiches, die
mindestens zur Hälfte Neger sind, und von denen die
überwiegende Zahl der andern Hälfte aus freien Farbi-
gen besteht, verstreut über eineuFlächenraum vou 160,000
Geviertmeilen, genügen aber nicht, in diese weiten Lande die
Segnungen der Kultur zu tragen.
104
Die katholischen^ Missionen nach Lhassa bis zun: Jahre 1864.
Die Katholischen Missionen nach Lhassa bis nun Jahre 1864.
Sie haben (Globus in, 241 und 341 ff.) über die
Versuche katholischer Missionäre, nach Lhassa, dem Mittel-
punkte buddhistischen Lebens, vorzudringen, ausführlich be-
richtet. Im Anfang März gingen wieder vier junge Missio-
näre der französischen Missiousgesellschaft von Paris nach
Cochinchiua ab, um, der Route ihrer kühnen Vorgänger
folgend, Tibet erreichen. Die Unruhen im Innern
von China und der steigende Einfluß der Engländer auf
die Indien zunächst liegenden Reiche scheinen mehr als früher
die Bestrebungen der katholischen Missionen zu begünstigen.
Betrachten wir einmal frühere Missionsversnche
in ihrer chronologischen Reihenfolge und tu ihren Resultaten;
für die Erläuterung der hier so eigeitthümlichen religiösen
Zustände benutzen wir dabei auch das Werk über den
Buddhismus von Entil Schlagintweit, einem jüngern
Bruder der bekannten Reiseitden tutd Naturforscher. Es
ist eine werthvolle Arbeit.
Einmal schoit, ztt Anfang des vorigen Jahrhunderts,
war eine katholische Mission ;>t Lhassa errichtet worden.
Die Kapuzinermöitche, von welchen sie ausgegaitgen war,
mußten zwar schon nach wenigen Jahreit Tibet verlassen;
sie kehrten jedoch wieder zurück, und, sie zu neueit Erfolgen
zu befähigen, wurde 1732 Pater Horacio de la Peuna mit
fünf Begleitern nach Lhassa abgeordnet. Man war so kühn
ztt hoffeit, wegen der lebhaften Theilnahnte, welcher sich die
Mission von den geistlichen Würdenträgern Tibet's erfreute
— es wurde selbst die Erbattuttg eines katholischen Bethan-
ses gestattet —, daß es gelingen könne, selbst bett Dalai
Santa, den höchsten Priester der buddhistischen Kirche, zunt
Christenthnm zu bekehren. Als Viomltts iipostolicus für
Tibet, eine Würde, die seit dieser Zeit regelmäßig vergeben
wird, oblvohl Missionäre erst ganz kürzlich wieder in Lhassa
geduldet ztt werden scheinen, hatte H. de la Peuna um-
fassende päpstliche Vollntachten. Doch gerade seine eifrigen
Bemühungeit lind das Interesse, welches er für die Erfor-
schung der tibetanischen Literatur uitb der politischen Zustände
zeigte, erregten die Änfmerksamkeit der chinesischen Regierung
und wurden der Mission verderblich; H. de la Peuna ver-
ließ Lhassa schon nach wenigeit Jahren, und mit ihm zerfiel
die Mission.
Zu Anfang des vorigen Jahrhuttderts hatteit sich die
Kaiser von China eilte Oberhoheit über Tibet zu erringen
gewtlßt. Veranlassung daztt gabelt die herrschsüchtigen Pläne
des obersten Ministers des damaligen Dalai Lama, welcher beit
Tod des Leistern Jahre lang verheimlichte, um die Herrschaft
an sich zu reißeit. Er eittschuldigte das Nichterscheinen
seines Herrit bei festlicheit Aufzügen durch das Vorgeben,
er habe sich strengster Meditation hingegeben, um zu ergrüu-
den, wie den Tibetanern schon hienieden Wohlergehen und
nach diesem Leben Befreittng von dem strafendeit Gesetze der
Wiedergeburt gesichert werden könne; ben Gesandten frem-
der Fürsten, welche auch heute ltoch dem Dalai Lanta jähr-
lich reiche Geschenke senden, zeigte er eine Puppe, die theil-
weise den Blicken entzogen war durch den Rauch vieler
wohlriechender Kräuter. Jahre lang wurde kein Verdacht
rege; als der Betrug entdeckt war, folgte der chinesische
Kaiser tun so bereitwilliger der Einladung der Priester tutd
der Großett von Tibet, ben herrschsüchtigen Regenten zu be-
strafen, als er hoffeit konitte, dadurch auf die Wahl des
Dalai Lama einen Eiitfluß zu erlangen; es war ihm dieses
auch deswegen so wichtig, weil so viele seiner Unterthanen den
Dalai Lauta als höchsten Richter anerkennen in Allem, was
Fragen der Religion betrifft, welche ja so leicht bei roheit
Völkern mit politischen Zwecken in Verbindung gebracht
werden können.
Seit dieser Zeit datirt die Herrschaft des Hofes von
Peking in Tibet; als ein Zeichen des „freundschaftlichen
Grußes" , heißt es in Tibet, in Wirklichkeit aber in Aner-
kenntnis; der Unterwürfigkeit hat der Dalai Lama jährlich
eilte Gesaitdtschast nach Pekiitg mit Geschenken, ans Produk-
ten des Landes bestehend, abzusenden, und es war die Ge-
sandtschaft des vorigen Jahres, welcher sich einer der beiden
kühlten Missionäre anschließen dttrste.
Der Dalai Lanía, der oberste Würdenträger der buddhi-
stischeit Kirche, ist in einer Weise aufgefaßt. lvie sie wohl
bei feinem Priesterthum der Erde bisher sich wiederholt hat.
Die einfache Jdeutifikation des tibetanischenKircheuoberhaup-
tes ntit dem der christlicheitKirche zu Rom kann sehr wohl als
eines der vielen Beispiele angeführt werden, wie leicht ein-
zelne äußere Formen in der Vergleichung täuschen können.
Der Dalai Lauta wird als die Verkörperuttg vott Tschenresi
angeseheit; aus unbegrenztem Mitleide nimmt er menschliche
Gestalt alt, um in tutmittelbarem Verkehr mit den Tibetanern
sie sicherer zur Erkenntniß und dadttrch zur Glückseligkeit ztt
führen. Seilte menschliche Fornt ist der Zerstörung, dem
Tode, uitterworfen; bevor er stirbt, zeigt er seiner Umge-
bltug noch au, in welchem Kiitde er wieder auf die Erde
zurückkehrett werde. Seit der Herrschaft der Chinesen in-
caruirt sich Tschenresi stets in dem Kinde einer der chinesischen
Regierllng ergebeneit Familie eiites eiitgeboreneu Fürsten;
es gilt als eine Probe des Auffindens der lvahren Jncar-
nation, daß das Kind, welches stets schon im Alter vott
eiitigeit Jahren steht, sich Eiltzelheitett atts dem Leben seiites
Vorfahren, oder wie es in Tibet heißt, atts seinem eigenen
Leben, währettd er noch Dalai Lauta war, erinnern kaun.
In derselben Weise werden auch die Jncarnalionen des
Pantschen Rimpotsche, des zweit-höchsten kirchlichen Fürsteit
mit der Residenz ztt Taschilhumpo, tutd der anderen Kircheu-
Obersten geprüft. Auch noch anbere Gottheiten, als
Tschenresi, haben in dem Wunsche, die Wesen „vom Jammer
des Daseins zu befreien" (bekanntlich das Grunddogma
der Lehre des Buddha), in einer ununterbrochenen
Ideihe von Wiedergeburten nteitschliche Form ange-
ltomnten; doch sie siitd dein Ursprünge nach lveniger erhaben,
und deswegen komnten auch ihre Erscheinungen unter ben
Menschett derjeitigen des Tschenresi nicht gleich an Macht
ttnb Achttlug.
Die letzte Jncarnatioit des Dalai Lanta fand 1835 statt.
Der vorletzte Pantschen Rimpotsche starb 1780. Schoit
mit seinem Vorfahren hatte die britisch-indische Regierung
freundschaftliche Beziehungen unterhalten, auch an den
jungen Lama sandte sie nach Taschilhumpo eine Gesandt-
schaft zur Begrüßung und Erneuerung der Freundschaft.
Samuel Turner, der indische Gesandte, traf dort zusam-
iiteit mit Abgeordneten atts deut Innern voit Asieit, tvelche
in gläubiger Andacht deut Kinde ihre Geschenke niederlegten
uitd glücklich waren int Beschauen. Doch Turner fand gar
Die katholischen Missionen nach Lhassa bis zum Jahre 1364.
105
nichts „Wunderbares"; ältere Personen leiteten die Er-
ziehung des Kindes, angeblich nach seinen eigenen Vorschrif-
ten, und überwachten strenge, daß Niemand sich ihm nahe.
Turner sollte auch nach Lhassa sich begeben, doch damals
schoir scheiterte der Versuch an dem Widerstande der chinesi-
scheil Behörden. Diese, ursprünglich als Altssichtsbeamte
gegen Mißbräuche der Minister des Dalai Lama eingesetzt,
regeln jetzt alle wichtigeren Gegenstände der Verwaltung,
luld ganz besonders leiten sie den Verkehr mit dem Ans-
lande und die Bewachung der Grenze; ein zahlreiches Heer
chinesischer Truppen sichert ihre Autorität. Die kleineil
Fürsten südlich von Tibet, in den Himalayadistrikten von
Bhutan und Sikkim, wisseil sie geschickt in ihrem Interesse
zu benutzen; sie stellen ihnen vor, daß sie ihre Selbständig-
keit ail die Engländer verlieren würden, wenn sie Fremde
in ihre Reiche zulassen, und das feindselige Verhalten dieser
kleinen Herrscher ist eine der vorzüglichsten Ursachen, die das
Vordriilgen ilach Tibet vom Süden alis erschweren. So
hatte Hermailn von Schlagintweit, desseil interessante
Schilderung von Assam Sie im Globus (V, @.266) brach-
ten, umsonst versucht, dllrch Bhntail über Narigun und
Tavang vorzudringen; mail übte nicht offene Gewalt gegen
ihn selbst, aber man nahm llach und nach seine Leute weg
und nöthigte ihn so zur Umkehr. Neuerdings war ihre
Furcht vor eilglischem Einflüsse bis juttt Angriffe ans eng-
lisches Gebiet aufgereizt worden; die Aufstände der
Khassia-Stämme, welche wegen Mangels an Truppen
nicht sogleich im Entstehen unterdrückt werden konnten, hatten
zu dem Glauben Veranlassung gegeben, die Engländer
müßten ails Assam weichen, lind die Herrscher in den Duars,
dem südlichen Theile von Bhutan, so wie auch der Radscha
des Leptschas von Sikkim machten Einfälle in das englische
Gebiet. Die Vergrößerilng der englischen Besitzuilgen in
Sikkim, welcher Annerationen in den Duars von Bhutan
folgten, waren die unnlittelbaren Folgen dieser Einfälle;
lind eine Annäherung der englischen Grenzen, statt Ver-
größerung der Entfernung, war durch die Politik der tibe-
tanischen Gewalten erreicht worden.
Auch in China wird, lNlgeachtet der jüngsten Verträge,
Fremden der Eintritt in das Innere noch verwehrt; so oft
darüber 'zu Pekiilg Beschwerde erhoben wird, ist stets zlir
Entschuldiguilg angeführt worden, die innerell Unruhen
lind, für die centralen Provinzen, die große Elltfernllllg
machten es unmöglich, die Mandarinen zur Befolgung des
Vertrages zll nöthigen, uild derselbe Grllild wurde auch für
die Verweigerung voil Pässen geltend gemacht, welche hier
einer Autorisation, einem Befehle gleichkommen; die chinesi-
sche Regierung, so wird eingewendet, würde wegen Mißhand-
lungen verantwortlich gemacht, welche Mandarinen des Jn-
nern sich erlauben, ohile doch in der Lage zu fein, dieselben zur
Strafe ziehen zll sönnen. Die Bemühungen des englischen
Gesandten Bruce in Peking, Pässe oder vielmehr die nöthigen
Vollmachten zu erhalten für eine wissenschaftliche Expedition,
welche im Jahre 1861 der verstorbene Vicekönig voil Indien,
Lord Canning, nach Turkistan lind Tibet zil senden beabsich-
tigte, blieben ganz erfolglos; luld wie wenig es möglich ist,
ohne Paß oder Autorisation im Innern weit vorzudringen,
zeigt Kapitän Blakiston. Er wollte den Pantsekiang auf-
wärts gehen nnb dann sich nach Tibet wendeil, um auf dem
Landwege nach Indien zu gelangen. Eiilmal nur, Mitte
des 17. Jahrhunderts, konnte unser Landsmann, der Je-
suit Joh. Grnber, in Begleitung von Alb. Dorville,
dieser Rollte folgen; Blakiston dagegen sah sich genöthigt,
noch am Uantsekiang umzukehren, sein Leben wäre bei wei-
terem Vordringen in größte Gefahr gerathen. Und dieses
war in einer vom Meere iloch nicht sehr weit entfernten
Globus VI. Nr. 4.
Provinz, die dicht bevölkert ist lind des volleil Genllsses
der chinesischen Lehranstalten und Gelehrsainkeit sich erfreut;
uln wie viel schwieriger muß die Lage des Frcinden in den
weniger civilisteten Provinzen an der südlichen und west-
lichen Grenze werden! Nur unter der sorgfältigsten Ver-
kleidung und durch Abweichen von der gewöhnlichen Kara-
wanenroute war es Hermann von Schlagintweit in Beglei-
tung seiiles Bruders Robert möglich geworden, int Sommer
1856 noch jenseits des Kuenlnengebirges das Jilnere von
Turkistan zu erreichen (daher fein Beiname Sakuenluensky
„der Uebersteiger des Kuenluen"), nnb es ist bekannt, daß an
der Grenze gegen Khokand seinBruder Adolph Schlagintweit
iil Kaschgar int August 1857 ermordet wurde. Die chine-
sischeAutorität hatte damals in diesen Gegenden vollkonlmen
aufgehört; das Land mußte den Einfällen der Mohamme-
daner preisgegeben werden, welche auch nicht zögerten, einen
Beutezug nach Turkistan zll machen.
Gerade zu dieser Zeit hatte sich Adolph Schlägiiltweit
nach einem langen, ermüdenden Marsche von vielen Mona-
ten über die Gebirgsketteir des Karakorum lind Kuenluen
und durch die Ebenen und Steppen Turkistans der Stadt
Kaschgar genähert; nur noch Tagemärsche von wenigen
Wochen Dauer trennten ihn von Taschkeild, damals der
südlichsteil russischen Grenzstation. Er hatte das Unglück,
ungeachtet der Verkleidung als „Feringhi" (Franke) erkannt
zll werden, doch war es wohl vorzüglich die Begierde nach
deil Waaren, die er statt Geldes bei sich führte, welche seine
Ermordung veranlaßte. Durch seine Reise waren zum
ersten Male von Süden herauf die Routen Marco
Polo's, des berühmten venetianischen Kaufherrn des 13.
Jahrhunderts, berührt worden; Kasch gar war Marco
Polo's südlichster Punkt, für Adolph Schlagintweit
sollte er das Ziel seines Forschens werden.
Die besonderen Fälle, die wir erwähnt haben, werdeil
hillreichen, die Art der Schwierigkeiten zll erläutern, welche
sich dem Vordringen der Europäer entgegenstellen. Um so
größere Anerkennung verdient die Ausdauer der Missionäre;
ihr jüngstes erfolgreiches Vordringen nach Lhassa ist eine
wichtige Bereicherung ihrer Routen.
Alle Missionsversuche begünstigt in hohem Grade, daß
nur geringe Allfordernngen an die Bequemlichkeiten des
Lebeils gemacht werden; dazu kommt, daß für die Staaten,
denen sie angehören, durch einen unglücklichen Ausgang
weniger als bei anderen Expeditionen politische Verwicklun-
gen entstehen. Die Bemühungen der Missionäre lverden
als Unternehmungen der gewagtesten Art betrachtet, nur in
den Kreuzzügen haben sich Staaten znm Schutze von pil-
gernden Christen, aber da zugleich zur Wiedereroberung der
heiligsten Stätten des Christenthums, in Kriege verwickelt.
Doch ist gerade dadurch, daß Staatshülfe gar nicht oder in
nicht ausreichender Weise lnlterstützend an die Seite von
Missionen tritt, der wissenschaftliche Erfolg so häufig be-
schränkt worden; lind selbst wo mit wenigen Mitteln viel
neues Material hätte geboten werden können, ist der Erfor-
schung der neu besuchten Länder oft nicht jene Aufmerksam-
keit zugewendet worden, ;u der das Bekehrungswerk hätte
drängen sollen. In Beziehung auf Tibet verdanken wir
wichtige Beiträge der Mission-von H. de la Penna; er
hatte sich mit Eifer dem Studium der Sprache gewidinet, er
übersetzte katholische Katechismen in das Tibetanische lind
sammelte reiches Material für eine Grammatik und ein
Wörterbuch. Leider war es ihm nicht vergönnt, seine
Materialien selbst zu bearbeiten; er starb aus der Rückreise
in Patna. Aus seinem Manuskripte stellte Pater Georgi
eineil dicken Band, „Upbabetum Tibetanum“, Rom 1762,
zusammen; er verdrehte jedoch Penna's Anfschreibungen
14
106
Die katholischen Missionen nach Lhassa bis zum Jahre 186-i.
sehr willkürlich; gänzlich mißverstand er die Aehnlichkeit
mancher religiösen Gebräuche mit den Ceremonien der christ-
lichen Kirche; er glaubte, in der tibetanischen Sprache und in
den Datei: über die Geschichte vor: Tibet bestimmte Beweise
zu erkennen dafür, daß Christen die Lehrer der tibetanischen
Priester gewesen feien, ein Irrthum, in welchen katholische
Missionäre a::ch später nur zu leicht verfallen sind. Wenn
auch Georgias ^lxbabetnm Tibetanum für das Studium
der Sprache uuzureichend ist, so waren doch durch die
Mission von Penna das erste Mal Details über Literatur
und Geschichte von Tibet bekannt geworden; die früheren
Nachrichten, welche durch Pater Nubuiguis und Marco
Polo, dann durch einzelne Missionäre nach Europa kamen,
sind äußerst diirftig.
Erst im Jahre 1845 konnte Lhassa wieder von Missio-
nären besucht werden; nach einer langen Reise durch die
Mongolei, reich an Schwierigkeiten, aber mit seltener Aus-
dauer durchgeführt, gelangten die beiden Lazaristen Huc
und Gäbet von Norden her nach Tibet. In ihren „Sou-
venir« d’im voyage dans la Tartarie, le Tibet, et la Chine“
berichten sie ausführlich über die Zustände in Tibet. In
geistlichen Dingei: ist der Einfluß der Priester unbeschränkt,
und die Anordnungen des Dalai Lama werde:: pünktlich
befolgt; auch verfügt er über die reichen Besitzungen der
Klöster und ihm steht das Recht zu, dieVorsteher zu ernennen.
In politischen Fragen entscheiden aber die chinesischen Man-
darine , und so wenig wird auf die Wünsche der Geistlichen
Rücksicht genommen, daß es ihren eifrigsten Bemühungen
nicht gelang, für Huc und Gäbet die Erlaubniß zu längerem
Aufenthalte in Lhassa zu erwirken; Beide wurden unter
chinesischer Bedeckung auf den: kürzester: Wege nach Macao
geleitet. Wir erhalten durch Huc und Gäbet viele wichtige
Nachrichten über Tibet; doch zwei Umstände sind es beson-
ders, durch welche ihre Berichte der Bestimmtheit und Aus-
führlichkeit ermangeln. Wie sie selbst wenigstens mit an-
erkennenswerther Bescheidenheit es sagen, hatten sie während
der Reise nichts aufgeschrieben und ihre Veröffentlichungen
sind nach der Erinnerung zusammengestellt; ferner aber
hatten sie weder Instrumente noch Karten bei sich; ein
Mikroskop, um den Leuten Curiosa zu zeigen, _ und eine
französische Uebersichtskarte von Asien waren ihre ganze
Ausrüstung.
Renou und Latri, welche von Assam aus Central-
Tibet zu erreichen versucht hatten, konnte,: nur wenige
Tagereisen weit über das englische Territorium vordringen.
Sie waren schon viel besser vorbereitet, als Huc und Gäbet,
und in noch höherem Grade gilt dies von den jüngst wieder
nach Tibet abgesandten Missionären. Professor Foucaur
vom College de France in Paris, der bereits wichtige Arbei-
ten über tibetanische Sprache und Literatur herausgab, wird
überdies über diejenigen Punkte befragt, welche noch einer
speciellen Untersuchung und Erläuterung bedürfen. Es
muß dies um so wichtiger fiir sie sein, wenn man bedenkt,
tvie wenig man in ganz Europa Gelegenheit findet, über
tibetanische Sprache sich zu belehren. Ungeachtet der ausge-
dehnten Besitzungen in Indien, die im Himalaya so sehr
schon Tibet sich genähert haben, hat gegenwärtig noch Nie-
mand unter den englischen Orientalisten diese Sprache zum
Gegenstände seiner speciellen Studien gemacht. Tadeln
wir sie jedoch deswegen nicht; Nur dürfen nicht vergessen,
daß es englische Forscher waren, welche mit großer Liberalität
zuerst tibetanische Werke an die gelehrten Gesellschaften von
Europa vertheilten. Es ist bekannt, daß ein Forscher aus
Siebenbürgen, Csoma de Körös, der Erste war, welcher
unter großen Entbehrungen in einem buddhistischen Kloster
an der Grenze von Tibet eine wissenschaftliche Kenntniß der
Sprache sich erwarb. Obwohl in Petersburg der leider
verstorbene Schmidt, und nach ihm Schiesner, unab-
hängig von Csoma, bereits ein tiefes Verständniß des Tibe-
tanischen erlangt hatten, so boten ihnen doch Grammatik und
Wörterbuch Csoma's, der auch des persönlichen Umganges
mit Eingeborenen sich erfreut hatte, eine wichtige Quelle der
Belehrung. Als neue Bearbeiter des Tibetanischen haben
wir in Petersburg W a s sil j e w, in Deutschland Emil
S ch l a g: n t w e i t zu nennen.
Wenn sich auch die Thätigkeit der Missionäre vorzüglich
auf die Erforschung der religiösen Einrichtungen beziehen
wird, so dürfen wir doch auch interessante Details über die
politischen und geographischen Verhältnisse von Tibet erwar-
ten. Erst die großen Reisen der Schlagintweit haben uns
über die Höhenverhältnisse, über die Orographie und über
das Klima von Tibet orientirt. Während man früher sich
Tibet als ein hohes Plateau dachte, zwischen den Bergketten
des Himalaya und des Knenluen eingeschlossen, zeigt es sich
jetzt, daß Tibet ein dem Himalaya parallellau-
fendes, großes Längenthal ist. Seinen östlichen
Theil durchzieht der D: h o n g, ein Zufluß des Brahmaputra;
seinen westlichen Theil durchfließt der Indus und der
Satledsch. Die große tibetanische Wasserscheide
besteht aus einer Anschwellung des Bodens
in den Umgebungen des Mansarauer-Sees und
hat eine mittlere Höhe von 15,400 engl. Fuß. Diese große
Höhe, so ungewöhnlich bei einen: Thale in anderen Theilen
der Erde, war die wesentlichste Ursache, daß Tibet so
lange für ein Plateau gehalten wurde. Es gibt
zwar einige wenige Plateaus in Tibet, aber von einer viel
geringern Ausdehnung, als man früher glaubte, und
unter sich nicht verbunden. Als sehr wichtig ist noch
hier beizufügen, daß auch die Thalsohlen durchge-
he nds sehr hoch sind, wenn anch die"Thäler Wände
von den gewöhnlichen Neigungen und oft sehr enge, tief
eingeschnittene Schluchten zeigen. Die Mehrzahl der Wohn-
orte liegt zwischen 9 und 10,000 engl. Fuß. D e r h ö ch st e
bewohnte Ort, wohl überhaupt auf der Erde,
ist das buddhistische Kloster Hanle, jetzt zu
Ladak gehörend; es liegt l5,117 engl. Fuß hoch. Der
wichtige Handelsplatz Gartok in Centraltibet ist 15,090
Fuß hoch. Bäume gedeihen bei sorgfältiger Pflege noch bei
13,500 Fuß, doch einen eigentlichen Wald gibt es nirgends.
Die Stämme, Pappeln und Weiden, — Aprikosen sind
das einzige Obst — werden auf Astholz kultivirt; ganze
Stämme als Strebepfeiler sind für gewöhnliche Häuser zu
kostspielig, mau findet sie fast nur in Tempeln. Der G e -
treidebau reicht bis 14,500 Fuß, der Gras wuchs bis
15,500, die höchsten Weideplätze liegen noch um 1000 Fuß
höher. Die große Trockenheit des Klimas — in Ladak hat
man ein Beispiel, daß während zwei Jahren nur dreimal
Regen siel — beschränkt noch mehr als die Abnahme der
Temperatur das isolirte Auftreten von Rasenplätzen in noch
größeren Höhen. " . . t.
Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Erklärer.
107
Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Erklärer.
Von Prof. Di-. Kaiser in Paderborn.
II.
Obwohl der Stein von Rosetta aus dem Grabe
hervorgezogen und bald in der Hand unb Gewalt der ge-
lehrten Forscherwelt war, so erforderte es doch volle '20
Jahre, um das Geständnis zu erzwingen oder vielmehr
seinen Zügen abzulauschen. Ja, so groß war nach den
fruchtlosen Versuchen eines so gelehrten Forschers, wie
Zoëga, der keinen andern Lohn seiner langjährigen
Arbeitet: fand, als daß er an: Albende seines Lebens
mit wehmüthigem Bed'auern auf seiire ägyptischen Stu-
dien zurückblicken mußte, so groß war die Entmnthignng,
daß man sich an die Deutung der Hieroglyphen
des Rosetta-Steines, selbst mit Hülfe der griechischen
Interpretation, gar tiicht einmal wagen wollte; man zog
es vor, eine Entzifferung der demotischen Schriftzüge zn
versuchen. Aber wenn auch ein Silvester de Sach,
berühmt in allen Schichten der civilisirten Welt, seine
ganze geistige Kraft daran setzte, das Wagniß mißlang,
und noch 1816 sah sich Bail eh zu dem Ausspruche ge-
drängt, der griechische unb ägyptische Text seien ganz ver-
schiedenen Inhalts; die hintertückischen Priester hätten in
den, dem Könige verständlichen, griechischen Charakteren
mit Lobeserhebungen, in den unverständlichen ägyptischen
aber ganz anders von ihm gesprochen. —
Aber Ausdauer triumphirte, wie so oft, zuletzt auch
hier über die hartnäckigsten Hindernisse. Der Engländer
Thomas Houng und der Franzose Champollion strei-
ten sich um die Ehre, zuerst eine Hieroglyphengruppe
richtig entziffert und gelesen zu haben. Doch den: Briten
gebührt der Vorrang. Er legte schon im Jahre 1819 in
der großeil Encyclopaedia Britannica die ersten Resul-
tate seiner ägyptologischen Forschungen vor, die von der
spätern Hieroglyphik nicht blos als richtig anerkannt sind,
sondern die Grundlage für alle späteren Entzifferungen
der Geheimschrift des Nilvolkes wurden. Ihn haben wir
somit als den Vater der rechten und echten Hieroglyphen-
deutnng zu betrachten. Dein: Champollion (1791 geb.)
war im Jahre 1821 noch eben so weit von dem wahren
Wege zur Hieroglyphen-Entzifferung entfernt, als Kircher
und Zoëga; er sah darin, wie sie, nur symbolische Zei-
chen. Aber schon 1822 war er der Wahrheit so nahe ge-
treten, wie Ajonng, und 1824 konnte er sein Précia du
système hiéroglyphique des anciens Egyptiens Veröffent-
lichen. Ob er vor: Ajoungs Entdeckungen Kunde hatte,
oder mit eigenem Scharfsinn denselben Pfad entdeckte, wird
eine internationale Frage bleiben, welche selbst die entente
cordiale beider Rationen schwerlich zn einem endgültigen
Austrage zu bringen in: Stande ist. Da Beide denselben
Allsgangspunkt nahmen, und Beide ans denlselben Wege
das Ziel verfolgten, so ist die Entscheidung für uns gleich-
gültig — wichtiger ist es, zn erfahren, wie sie endlich den
Schlüssel zn dem Räthsel fanden, an dessen Lösung
sich Jahrhunderte vergebens abgemüht hatten.
Beide, der Brite, wie der Franzose, lehnten ihre Un-
tersuchung an den zweisprachigen Rosetta-Stein, ja an die-
selbe Hieroglyphengruppe an. Alls dem Bruchstücke des
hieroglyphischen Theiles befinden sich fünf Hieroglyphen-
gruppen in Ringe — Cartouches, sagt der Franzose —
eingeschlossen. Schon Zoëga hatte vermuthet, daß durch
dieses hällfige Albzeichen Königsnamen hervorgehoben
würden. Da nun in dem letzten Theile der griechischen
Inschrift fünfmal der Name Ptolemäus vorkam, so
schlossen Beide, daß in den umringten Hieroglyphengrnp-
pen dieser Eigenname enthalten sein möchte, lind zwar in
der kürzern Gruppe, welche einen Theil der längern aus-
macht, der bloße Eigenname.*) War diese Vermuthung
richtig — und sie war es in der That —
so mußten die einzelnen Zeichen Laut-
werth haben, sonnten somit nur Buch-
staben sein. Hub da schon Kircher erra-
then, daß man die Hieroglyphen von der
Seite her lesen müsse, wohin die Bilder
sehen, so mußten die hieroglyphischen Buch-
staben, womit der Name Ptolemäus geschrie-
ben wird, der Reihe nach in leicht bestimm-
barer Ordnung darin vorfiudlich sein. Dem-
nach mußte das Viereck den Buchstaben P, der
Halbkreis ll, eine Schlinge 0, der Löwe L, die
Kahnspitze M, der Krumm stab oder das Joch
8 bedeuten. Die doppelte Fahne des Nil-
schilfs blieb schwankend, lote das Rohr, da
y—\ man nicht wußte, welchen Vokal von bcu
beiden der Endsylbe in Ptoleinäns man
darin erkennen sollte.
Das waren die ersten Glieder
des hieroglyphischen Alphabets, die
v--------mair wieder auffand, das war der erste,
Fig. i.' aber gewaltige Schritt zur Entzifferung der
Hieroglyphen überhaupt!
Mit diesem einen Namenringe und seinem Inhalte
reichte man jedoch nicht aus; eine weitere Ausbeute lie-
ferte aber der Rosetta-Stein nicht. Ja, es fehlte noch die
Bestätigung des angenommenen Prinzips. Denn konnte
es nicht Zufall sein, daß die Hieroglyphengruppe tiahe
eben so viele Zeichen enthält, als der Name Ptolemäus
Buchstaben? Wer bürgte dafür, daß die
Aegypter mit diesen Zeichen wirklich kon-
sequent die angenommenen Laute fünften?
Mau suchte deshalb eifrig nach anderen
zweisprachigei: Jnschrifteil, um daran die
Probe attf die gewonnene Lösung machen
zu können. Sehr gelegen kaut diesem Zwecke
die hieroglyphische und griechische
Inschrift des Obelisken von Philä,
welchen Bankes itach Europa brachte. Nach
der griechischen Version kam darin außer-
dem Namen Ptolemäus auch der Name
Kleopatra vor. Von den zwei Namen-
ringen trug der erste ganz dieselbe Zeichen-
gruppe, wie die Kartouche auf demRosetta-
Steine: erste Bestätigung. Dann aber stim-
men in dein Namen Kleopatra**) der zweite,
vierte und fünfte mit dem vierten, dritten
und ersten Buchstaben des Ptolemäus über-
ein. In dem hieroglyphischen Zeichen fin-
det sich dieselbe Uebereinstimmung: zweite
bedeutungsvollere Bestätigung; denn diese
Mg. 2. Uebereinstimmung kann nimmermehr ein
Spiel des Zufalls sein. Der sechste und
nennte Buchstabe in Kleopatra haben denselben Laut, an der
betreffenden Stelle steht in der Hieroglyphengrnppe auch
dasselbe Bild: dritte Bestätigung. Aber das siebente Zeichen
*) Diese kürzere Gruppe vou Hieroglyphen s. in Fig. i-
'**) Diese Hieroglyphengruppe s. in Fig 2.
14*
108
Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Erklärer.
in erster gleicht nicht dem zweiteir in letzter Gruppe, obwohl
der Laut identisch ist. Champolliou erkannte daraus, daß die
Aegypter mehrere Bilder für einen und denselben Lautwerth
hatten. Die Fahne des Nilschilfs, welche in beiden Grup-
pen vorkommt, muß in der Inschrift von Philä kurzes e
bedeuten, in der von Rosetta, wo dieses Zeichen gedoppelt
vorkommt, den langen Laut.
Jetzt war zur unumstößlichen Gewißheit erhoben: die
Aegypter schrieben wenigstens ihre Eigennamen mit Laut-
z eich en, oder wie der technische Ausdruck, mit phone-
tischen Hieroglyphen, und man kannte die phone-
tischen Zeichen für die Vokale a, ë, ë, o, so wie für die
Konsonanten le, l, m, p, t, r, 8.
Es wurden nun immer neue Eigennamen zweisprachiger
Inschriften herangezogen; und stets zeigte sich dieselbe
Bestätigung des Prinzips, stets gewann man neue Er-
weiterungen des Alphabets. Champolliou war so glück-
lich, mehr als 100 Hieroglypheubilder auf ihre Lautwerthe
zurückführen zu können.
Aber hiermit ist das Maß seiner Verdienste um die
Hieroglyphik, um die Aegyptologie noch nicht erschöpft.
Bisher ist nur voll der Entzifferung der nomina propria
in den Namenringeu die Rede gewesen; an ihnen, na-
mentlich an den nichtägyptischen, hatte sich Champolliou
zunächst versucht rmd durch sie belviesen, daß die alten
Aegypter die Eigennamen, wie es ja auch kaum anders
denkbar, mit Lautzeicheil in ihren Hieroglyphen geschrie-
ben. Da aber dieselben Bilder uild Zeichen auf deil
Denkmälern vielfach auch außerhalb der Namenringe
wiederkehrten, so lag die Vermuthung nahe, daß sie auch
dort Lautzeichen und keine Begriffsbilder seien. Doch
lvas konnte es nützen, wenn man auch die Wörter,
welche keine Eigennamen waren, herauslas, so lange die
Sprache der alten Aegypter, die längst ausgestorben, von
der keine verständliche Probe erhalten ist, unbekannt blieb?
Champolliou war es, der die Ueberreste der Sprache
des alten Mizraim in dem Koptischen vermuthete uild
wiedererkanilte. Diese Sprache wird zwar nicht mehr
in Aegypten gesprochen, aber es ist eine koptische Bibel-
übersetzung erhalten; es existiren liturgische Bücher der
koptischen Christen, welche noch im Gebrauch sind. Das
Studium derselben machte mit dem altägyptischen Sprach-
schatze seinem lexikalischen Theile nach bekannt. ^ Die
ägyptischen Wörter, welche die Bücher des Alten Testa-
mentes, ferner die Profallschriftsteller Herodot und Diodor
enthalten und übersetzen, lieferten den Beweis für die
supponirte Identität der koptischen und altägyptischen
Sprachwnrzeln. Größere Schwierigkeiten bot der gram-
matische Theil der Aufgabe. Durch vielfache Vergleichun-
geu und Kombiuationeu ist auch dieses Problem "der völ-
ligeil Lösung näher gebracht, so daß man heut zu Tage
das Altägyptische uicht blos liest, sondern auch zum
größten Theile versteht.
Es würde zu weit führen, wollte ich dem Fortgauge
der Hieroglyphen-Entzifferung Schritt für Schritt folgen.
Es genüge die Bemerkung, daß an der Förderung der
Hieroglyphen-Uebersetzung, welche von einem Engländer
und Franzosen angebahnt wurde, Deutschland einen
wichtigen Antheil hat. Zwar theilte zunächst ein Italiener,
Rosellini, Ehampollions Verdienst und übernahm, als
Letzterer 1832 starb, dessen Hinterlassenschaft. Aus
Champollions Nachlasse erschien 1836 — 44 Grammaire
égyptienne par Champollion le jeune. Paris 1836 -—-
41. Dictionaire égyptien en écriture hiéroglyphique
par Champollion Figeac. Paris 1841 — 44. Aber
Deutsche waren es, lvelche mit wahrem Bienenfleiße
ägyptische Hieroglyphen-Inschriften sammelten und mit
echt deutschem Scharfsinn das System ihrer Deutung fort-
bildeten, so wie das Geheimnißduukel der alten Mizraim-
sprache aufhellten. Die Namen Schwartz, Jdeler,
Lepsius werden in der Aegyptologie stets als Sterne
erster Größe leuchten und den Ruhm deutscher Wissen-
schaft verherrlichen. Und wenn sie auch zunächst auf
Champollions Pfaden vordrangen und noch vorangehen
(der, vom Papst Leo XII. mit der Uebersetzung der Hiero-
glyphen auf den römischen Obelisken beauftragt, der über-
nommenen Aufgabe, fortlaufende Hieroglyphenterte zu
lesen mit) zu übersetzen, noch so wenig gewachsen war,
daß er heimlich Rom verließ und nach Paris zurückkehrte),
so gehört drei anderen Deutschen, Spohn, Seyffarth,
Uhlemann, das Verdienst, das System der Ehampol-
lion'schen Schule der Art verbessert und korrigirt zu
haben, daß man heute nicht blos zahlreiche Inschriften
der ägyptischen Denkmäler liest und übersetzt, sondern
auch größere altägyptische Schriftlverke, z. B. das be-
rühmte T o d t en b u ch der A e g y p te r, das man aus
den Grabkammern heraufgeholt, mit eben so großer
Sicherheit zu erkläreil im Staude ist, als man manche
lateinischen nnb griechischen Manuskripte des Mittelalters
zu übertragen vermag.
Die Strebungen der Forscher des ägyptischen Alter-
thums fanden deil Beifall der namhaftesten Männer uild
Unterstützung der niächtigsten Herrscher. Es wird stets
eine glänzende Perle in der Ruhmeskrone Friedrich
Wilhelms IV. von Preußen bleiben, in den Jahren 1842
bis 1845 eilte wissenschaftliche Erpedition unter Lepsius'
Leitung nach Aegypten entsendet und mit den reichlichsten
Mitteln ausgerüstet zu habeit. Die Resultate derselben: das
ägyptische Museum in Berlin, das mit dem ägyptischen
Museum in London uild Paris siegreich koukurrirt, uild
die Veröffentlichung der Denkmäler Aegyptens und Aethio-
piens, ein Prachtlverk, das nicht weniger als 400 Thaler
int Buchhandel kostet, sind für die Aegyptologie von un-
berechenbaren Folgen gewesell. Uild so ist man denn jetzt
nicht blos so weit gedieheit, die alte, lailge unverständ-
liche Schrift der Aegypter zu lesen lind ihre Sprache zu
verstehen, man schreibt selbst wieder in der Schrift und
Sprache, in der vor fast 4000 Jahren die Aegypter sich
verewigten. In dem Egyptian Court des Krystallpalastes
zu Sydenham sind die Königin Victoria lind Prinz Albert
in Hieroglyphen verherrlicht. Und an der Pyramide des
Cheops zu Gizeh verkündet eilte von Lepsius aufgerichtete
große Jnschriftentafeliu Hieroglyphen-Charakteren und im
altägyptischen Idiome Friedrich Wilhelms IV. Namen und
Herrlichkeit.**)
In dem bisher Mitgetheilten habe ich itur den Gang
der Wiederentdecküng des verlorenen Schlüssels ztt den
Geheimnissen der Hieroglyphenschrift zu zeichneit versucht,
über die Eigenthümlichkeiten des Hieroglyphensystems
und der Hieroglyphenschrift nur gelegentliche Andeutultgeit
gegeben. Da' gerade die altägypti'sche Schrift die beste
Illustration zu der Erfindung der Schrift überhaupt, die-
ses mächtigsten Vehikels der Bildung und Wissenschaft,
liefert, so möge es gestattet sein, von diesen allgemeineren
Gesichtspunkten aus ans diese Geheimnißschrift nach dem
jetzigen Stande der Wissenschaft etwas näher einzugehen.
Es mußte sich dem denkenden und nachdenkenden
Menschen scholl sehr früh das Bedürfniß aufdrängen,
das rasch verhallende Wort, welches mtf der vorüber-
gehenden Auffassung des Ohres und der unzuverlässigen
Einprägung des Gedächtnisses gilt, bleibend zu firiren
und der Perception dltrch das Auge zu unterbreiten. —
Zunächst lag das Mittel, den Gegenstand selbst, den das
Wort durch hörbare Laute bezeichnete, durch sein Bild
für das Auge darzustellen. Eine solche Schrift ist, wie
das Bild, Jedem verständlich, welche Sprache er auch
reden mag; denn das Bild des Baumes bedeutet Baum,
mag die Sprache es arbor, wie die Lateiner, oder tree,
wie die Engländer, oder ez, wie die Hebräer, nennen.
Bei diesem Vorzüge der Allgemeinverständlichkeit hat
eine solche Bilderschrift ungeheure Nachtheile. Es liegt
*) Dieselbe ¡ft mitgetheilt ill bem Official Handbook of the Crystal
Palace, mid Jlnciv in dec Sibtljciinng Description of the Egyptian Court.
**) Siehe Lepsius' Briefe aus Aegypten und Aetyiopien, wo cm Facsimile
diescr Iuschrift gejiebeu ¡ft.
Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Erklärer.
109
auf der Hand, daß eben nur sinnfällige oder richtiger
augenfällige Dinge durch ihre Bilder bezeichnet werden
sonnten; das ganze weite Bereich des geistigen Lebens
nicht blos, selbst alle nicht durch das Auge wahrgenom-
meuen Gegenstände waren ausgeschlossen. Wie sollte
man die geistigen Begriffe von Muth, Ewigkeit, Wort,
wie Geruchs-, Geschmacks-, Gefühlsempfindungen u. s. w.
n. s. w. sichtbar darstellen^? Wie sollte man ferner selbst
auf dem Gebiete der augenfälligen Dinge Handlungen,
Eigenschaften, z. B. Laufen, Schnelligkeit, durch das Bild
wiedergebet:? Zwar bedürfte es keines ganz eminenten
Geistes, um auf deu Gedanken 31t kommen, Begriffe des
geistigen Lebens durch ähnliche oder analoge Bilder der
körperlichen Welt auszudrücken nnb so eine Symbolschrift
zu crfindeu, in der z. B. der Löwe zugleich den Muth,
ein Kreis die Ewigkeit, der offene Mund das Wort, ein
rennendes Pferd das Laufen, ein Hase die Schnelligkeit
bedeutete. Wer sieht aber nicht, daß dabei die größte
Zlveideutigkeit und Willkür eingeführt und damit die
Allgemeinverständlichkeit, der einzige Vorzug dieser Schrift,
eingebüßt ist? Dem war nur abzuhelfen durch ausdrück-
liches oder stillschweigendes Uebereinkommen, durch An-
nahme conventioneller Zeichen für nicht sinnfällige Be-
griffe. Der Uebelstand, durch eine solche Schrift die Be-
ziehungen der Wörter im Sahe unter einander, so wie
die Beziehung zum Redenden und Schreibenden nicht
wiedergeben zu können, blieb jedoch in seinem ganzen
Umfange bestehen.
So unvollkommen, die Bilderschrift auch ist, jedenfalls
ist sie die älteste Schrift, der Anfang der Schreibekunst.
Sie ist auch jetzt noch nicht ganz ausgestorben. Die
mexikanischen Völkerschaften, die kultivirtesten der Ur-
einwohner Amerika's, kannten keine andere; sie sollen in
dieser unvollkommenen Schrift sogar die erste Ankunft
der Spanier verzeichnet haben. Die Schrift der Chinesen
ist zum Theil noch eine solche Schrift mit conventionellen
Zeichen für bestimmte Begriffe. Wir selbst haben uns
von derselben nicht ganz losgesagt. Wenn in unserem
Kalender auch die Lanzette nicht mehr figurirt, um an-
zugeben, an welchem Tage ein Aderlaß heilsam sein soll,
so kehren doch noch die Bilder des Thierkreises oder die
conventionellen Abkürzungen derselben, ferner die Planeteu-
zeichen, so wie die Mondphasen als Jedem verständliche
Bilderschrift Jahr aus Jahr ein darin wieder. Ja, was
sind unsere Ziffern anders, als conventionelle Schrift-
zeichen, die Jeder kennt? Deu nach unten gekehrten
Haken 9 liest der Deutsche neun, der Franzose neust der
Engländer nine und der Grieche würde ihn jWe«, der
Lateiner noveni lesen (lueU alle dem dekadischen Zahlen-
systeme huldigen, bezeichnen sie diese Zahl mit einem
Worte, das gleiche Wurzel mit neu. hat, denn sie ist
die letzte Ziffer, neun aber ist ursprünglich so viel als
letzt.).
In der ältesten uns erhaltenen Schrift finden lvir
noch deutliche Spuren dieser Begriffsschrift (Ideographie),
sowohl der natürlichen als der symbolischen. Zwar
haben wir aus dem bisher Gesagten schon zur Genüge
entnehmen können, daß die Hieroglyphik eine Buchstaben-
schrift ist; aber mannichfache Reminiscenzen an die primi-
tivste Form der Schrift überhaupt haben die Aegypter
nie, selbst nicht auf dem höchsten Gipfel ihrer Kultur
abgestreift. Sie hatten nämlich die Sitte, dem mit Hiero-
glyphenbuchstaben geschriebenen Worte das natürliche
oder symbolische Zeichen der Gattung, Art beizufügen.
Dem Namen Juda fügten sie das Bild einer Hügel-
gegend bei, um auszudrücken, daß Land gemeint sei.
Ferner hinter den Namen einer Stadt setzten sie einen
Stadtplan, hinter den Namen eines Sternes das Bild
eines Sternes. Analog.es zeigt sich ja and) in unserer
Sprache, wenn wir von einem Eichbaum, Apfelbaum,
Hollunderstrauch, Nilfluß u. s. w. sprechen. Solche
Hieroglyphen nannte man die Determinativa oder Dia-
critica. Mit einer solchen fignrativen Schrift ließen sich,
wie schon bemerkt, nur sichtbare Gegenstände und zwar
in ihrer allgemeinsten Begrifflichkeit wiedergeben. Eigen-
namen auszudrücken, war auf diesem Wege eine reine
Unmöglichkeit. Und doch mußte Denjenigen, welche
Inschriften aufTenkmäler setzen ließen, vor Ällein daran
liegen, ihren Namen zu verewigen. Ein Volk, dessen
ganze politische und sociale Einrichtung auf dem Götter-
kult beruhte und mit dem Götzendienst aufs Innigste
verwebt war, mußte das tiefste Bedürfniß fühlen, auch
die Namen feiner Götter schreiben zu können. Man half
sich, lote sich jetzt noch der Nebusschreiber hilft, man zer-
legte den Namen in Bestandtheile, die sich durch Bilder
darstellen ließen. Wie in einem Rebus, der Name Löwen-
berg durch das Bild eines Löwen und eines Berges
graphisch wiedergegeben wird, so findet sich auf den ältesten
Hieroglyphen-Inschriften der Name desGottesOsiris durch
das Bild eines Thrones (ägyptisch os) und das eines
Auges (ägyptisch iri), der Name Ramses (ägyptisch Hamas)
durch das Bild des Sonnengottes (Ra) und einer Wurzel
(mas) geschrieben. Die Stadt Oír (Heliopolis) bezeich-
net man durch einen Schachstein, Schachfigur, welche im
Altkoptischen On heißt. Hier zeigt sich die Nothwendig-
keit der Determinativ-Hieroglyphen, wovon oben die
Rede war. Um dem Leser zu bedeuten, daß nicht der
Schachstein, sondern die Stadt gemeint sei, wurde eilt
Stadtplatt daneben gesetzt.
Mit dieser anscheinend kindischert Schreibweise war
ein ungeheurer Fortschritt angebahnt; man hatte ja darin
Abstand von der bildlichen Darstellung des Gegenstandes
genommen und angefangen, den Lattt des Wortes, womit
ein Begriff für das Gehör lviedergegebeu wird, für das
Auge sichtbar zu machen. Zu dem Ende hatte mau
versucht, Eigennamen in ihre Bestandtheile zu zerlegen.
Solches war nicht bloß mit den Namen der Menschen
tind Götter möglich, cs konnte mit jedem Worte geschehen.
Wird ein Wort in seine Bestandtheile zerlegt, so ergeben
sich als nächste Glieder des Wortkörpers Sylben. Man
kann nuit für die verschiedenen möglichen Sylben Zeichen
wählen und so eine Sylbenschrift konstittüren. Ju^Spra-
cheu, die vorwiegend ans einsylbigen Wörtern bestehen,
ist die Auswahl ttm so leichter. Es darf wohl nicht erst
hervorgehoben werden, daß (Die Anzahl der Zeichen für
die verschiedenen möglichen Sylben eine sehr große seilt
muß, um so größer, wenn für die nämliche Sylbe noch
verschiedene Zeichen durchgeführt werden. Die chinesische
Schrift ist über diese erste Stufe einer Lautschrift uoch
uicht hinausgekommen. Da sie auch noch fignrative Bilder
hat, fest beläuft sich die Zahl der verschiedenen Schrift-
zeichen im Chinesischen auf nicht weniger als 42,000, von
denen freilich nur 2/3 gebräuchlich sind, aber immerhin
noch oie erkleckliche und erschreckliche Anzahl von 28,000.
Welches Studium, welche Arbeit ist da nicht erforderlich,
tun zu lernen, was bei uns manches sechsjährige Kind
versteht — Lesen!
Auch in der altägyptischen Schrift bilden solche Sylben-
zeichen einen Hauptbestandtheil der Hieroglyphen. Da
in der altkoptische» Sprache, wie in den orientalischen
Sprachen überhaupt, die Vokale die ursprüngliche Unent-
schiedenheit dieses Lantelementes bewahrt haben, so setzte
mau sich über ihre Verschiedenheit mit Leichtigkeit hinweg,
uud so bildete sich das Schriftgesetz atis: „Jedes Bild
bezeichnet die Consonanten, welche der Raute
für den Gegenstand enthält, deu es darstellt."
Es wird nothweitdig sein, daß ich diesen Grttndsatz der
Homonymie durch einige Beispiele erkläre. Leichnam
heißt im Altkoptischen Link, das Bild der Leiche drückt
daher die vereinten Consonanten M und T aus; eine
Locke Lei, ihr Bild bezeichnet darum die Consonanten-
verblndung K und L.; Horn heißt lax, das Bild repräsen-
tirt die Eonsvnantengruppe T und P u. f. w. Die Vo-
kale zu ergänzen, blieb dem Leser überlassen, wie ursprüng-
lich auch in der hebräischen, phönizischen, arabiscken Schrift.
Eine solche Syllabar-Hieroglyphe ist auch der schon
110
Die ägyptische Hieroglyphenschrlst und ihre Erklärer.
wiederholt erwähnte Na in ensring, Cartouche, welcher die
nomina xroxi-ig. umschließt. Dieser Ring stellt nämlich
einen Sarkophag dar, der auf ägyptisch Ran heißt. Ran
heißt aber auch der Name, und der Sarkophag druckt
homonym auch dieses Wort aus. Das Verdienst, dieses
Gesetz der Syllabar-Hieroglyphen entdeckt unb festgestellt
zu haben, gebührt S ei ffa rt h und seiner Schule, und um
diesen Grundsatz dreht sich hauptsächlich der Streit der
Aegyptologen, der jedoch noch nicht zum Austrage ge-
brächt ist, aber allem Anscheine nach zu Gunsten der
Syllabar-Hieroglyphen ausfallen wird. Denn schon ist es
gelitngen, an die 600 Syllabar-Hieroglyphen festzustellen
und mit ihrer Hülfe fortlaufende Hieroglyphentexte zu
lesen und zu übersetzen, was die Champollionisten ver-
geblich angestrebt. Der eifrigste Vertreter des Homo-
nymengesetzes unter den Aegyptologen ist gegenwärtig
der rastlose Uhlemann, Docent der ägyptischeil Litera-
tur und Alterthumskunde in Göttingen.
Ein so begabtes Volk, wie das ägyptische, konnte aber
bei der immer noch unvollkommenen Sylbenschrift nicht
stehen bleiben, es mußte sich ans der Bahn der Laut-
schrift unaufhaltsam zu einer höher» — zu der höchsten
Stufe — zur eigentlichen Buchstabenschrift fortgetrieben
fühlen. Schon die alten Aegypter haben in der Analyse
des Wortes den letzten Schritt gethan und die Sylben,
die nächsten Bestandtheile desselben, in einzelne Laute
— Vokale und Consonanten — zerlegt und so die
Sprache ans ihre einfachsten Elemente zurückgeführt. Wie
für die Sylben, so erfanden sie auch für diese Laute be-
sondere Zeichen. Für die Firirung dieser phonetischen
Zeichen hielten sie an demselben Gesetze fest, das sie auch
bei sder Anwendung der Syllabar-Hieroglyphen geleitet.
Sie wählten zur Bezeichnung eines Lautes das Bild des-
jenigen sichtbaren Gegenstandes, dessen Name diesen Laut
als Ansangslaut hatte. So heißt Ahorn der Adler, sein
Bild in dem Alphabet — A, die Räucherpfanne Berbe,
ihr Bild = B, die Hand Tot, ihr Bild T oder D, denn
harte und weiche Consonanten wurden nicht unterschieden,
da sie ja ursprünglich nur ans Dialektverschiedenheiten
beruhen, Labe liegender Löwe, sein Bild — L, Art
Kelebin, ihr Bild = K, Eule Muladi, ihr Bild — M,
Mund Ro, das Bild — N oder L, denn diese so nahe
verwandten liguidae wurden ebenfalls nicht aus einander
gehalten u. s. w.
Ans diese Weise ist die erste Buchstabenschrift ent-
standen. Uns, die wir von Kindheit an eine solche ge-
wöhnt sind, mag es als leicht, ja als selbstverständlich
erscheinen, einen solchen Schritt zu thun, ein solches Mittel
zu wählen. Aber es gehört eine hohe geistige Bildung
dazu, den großen Gedanken zu fassen, die nur dem Ohre
vernehmbaren flüchtigen Töne der Sprache für das Auge
sichtbar darzustellen, das, was ursprünglich nur für den
einen Sinn bestimmt ist, dein andern zugänglich zu
machen, und zwar zugänglich 31t machen mit so geringen,
mit so unbedeutenden Mitteln, wie die wenigen Buch-
staben der meisten Alphabete sind. Die Biegsamkeit der
menschlichen Sprachorgane ist eine so wunderbare, daß
dadurch eine unendliche Reihe von Nüancirungen der
Laute möglich itiib wirklich wird. Gerade die Haupt-
und Kernläute heraus zu finde,, und graphisch zu markiren,
das setzt eine scharfe Beobachtungsgabe und eine sorgfältige
Unterscheidung voraus. Dem Alterthume erschienen zu
solch erhabenem Werke menschliche Kräfte nicht ausreichend;
nur von einem Gotte konnte eine so bedeutsame Erfindung
herrühren. Platon sagt in seinem Philebns, Cpt. 8 (ver-
gleiche anchPhaedrus),' „ein Gott oder ein göttlicher Mensch
müsse die ewig dauernde Stimme der Schrift erfunden
haben". Die Aegypter schrieben die Erfindung der Buch-
staben ihrem Gotte Thot zu; nach dem phönizischen Ge-
fchichtsschreiber Sanchuniathon soll Thaut der Erfinder der
Buchstabenschrift gewesen sein. Die Cretenser meinten, Zeus
habe sie zuerst den Musen mitgetheilt. In Italien führte
inan sie aus Saturn zurück. (Minntius Felix 22, 10.)
So hoch dachte das Alterthum von dieser Erfindung. Und
mit Recht; sie ist die großartigste, die je geinacht ist, ohne
welche die alte Welt e,vig in den Windeln der Kultur und
geistigen Bildung stecken geblieben wäre. Die Erfinder
der Bnchdrnckerkunst verdienen gewiß das Denkmal, das
ihnen in Frankfurt errichtet ist, den Ruhm, der ihnen ge-
zollt wird. Wer wollte es ihnen streitig machen? Ihre
Erfindung kann von Niemandem hoch genug angeschlagen
werden, Alle Profitiren davon. Aber weit eher verdient
das ägyptische Volk die Denkmäler, welche noch nach Jahr-
tausenden seine Erfindung der Buchstabenschrift. preisen
werden, und verdient schon um dieses Einen willen in
vollem Maße das Interesse, welches ihm und seinen Alter-
thümern von allen Gebildeten gewidmet wird!
Von den Aegypter» lernten die Buchstabenschrift die
Inden, von den Aegypter» lernten sie die Phönizier, und
ihre Handelsverbindnngen trugen selbe in alle Welt hinaus,
so daß der Occident mit Zeichen schreibt, die demselben
Principe entsprungen, ans dieselbe Analyse der Laute basirt
sind. Die Griechen nannten ihre Schrift selbst die phö-
nizische (Plin. Hist. nat. Y, 13.). Das Alpha des Grie-
chen und Aleph des Hebräers und Phöniziers sind in
ihrer ursprünglichen Form übereinstimmend, die dem ge-
hörnten Stierkopfe entlehnt wurde, wie die Bezeichnung
Aleph — Stier hinlänglich darthnt. Das Beta des Grie-
chen, das Beth des Phöniziers und Hebräers statte die
Form und den Namen von einem Hanse, Gamma, Giincl
vom Kameelhals n. s. w., bis endlich das Tau, hebräisch
und phöuizisch Taw, mit seiner Kreuzform die Reihe
schloß und darum der letzte Buchstabe hieß, denn Taw be-
deutet so viel als Vollendung. Nur im Semitischen läßt
sich die Bedeutung dieser Namen nachweisen. Diese
wenigen Andeutungen genügen, die Behauptung, daß die
hebräische und phönizische Schrift nach demselben Princip
erfunden sind, welches wir in den Buchstaben-Hiero-
glyphen erkannten, welches die Inden und Phönizier von
den Aegypter» erlernten, zu erhärten. Nur die Unvoll-
kommenheiten der ägyptischen Buchstabenschrift streiften
sie ab. Während jene noch eine Menge von Bildern für
einen Buchstabenwerth gelten ließen, bestimmteil sie für
jeden Selbst- oder Mitlaut jedesmal nur Ein Zeichen;
während jene zwischen harten und weichen Consonanten,
zwischen einzelnen Liguidis nicht unterschieden, ward für
jeden dieser verwandten Laute ein eigenes Buchstaben-
zeichen angenommen. Aber von den Vokalen wareil es
nnv die gedehnten, welchen ein eigenthünlliches Schrift-
zeichen angewiesen wurde; den graphischen Ausdruck für
die kurze,? Vokale in die Schrift einzuführen, blieb den
Hellenen vorbehalten, deren Schrift und Bildung durch
Vermittelung der Römer das Erbtheil des ganzen Occi-
dents wurde, woran noch die jetzigen Generationen, wir
selbst eingerechnet, zehren.
Doch schon zu lange habe ich den Leser mit der ägyp-
tischenHieroglyphenschrift, ich will nicht sagen, unterhalten,
sondern gelangweilt. Gehen wir zum Schluß zur Beant-
wortnng der Frage über, welche Resultate das Studium
der ägyptischen Denkmäler und namentlich die Entzifferung
der Hieroglyphen für die ägyptische Geschichte und Archäo-
logie zu Tage gefördert? Es versteht sich von selbst,
daß ich hier' nur aphoristisch und _ andeutend verfahren
kann. Denn wollte ich die aufgestellte Frage in ihrer
völligen Tragweite beantworten, so müßte ich die ganze
Geschichte und Archäologie dieses ersten und ältesten Kultur-
volkes, das die Geschichte kennt, vorführen. Seit man die
ägyptischen Denkmäler zu erforschenbegauu und ihreJnschris-
ten zu lesen gelernt, hat die ägyptische Älterthnmsknnde eine
ganz andere Gestalt gewonnen, eine ganz andere Physiognomie
angenommen. Sie blickt uns nicht mehr an mit dem starren,
mitleidigen, räthselvollen Sphinrgesichte, sondern mit der
vertraulichen Miene eines offenherzigen, mittheilsamen
Greises, der uns redselig ans den Tagen grauer Vorzeit
erzählt.
Wer sich nur oberflächlich mit der Geschichte des Alter-
Die ägyptische Hieroglypheuschrift und ihre Erklärer.
111
thums beschäftigt hat, weiß, daß man bis nicht vor gar-
langer Zeit die spärliche Ktinde über die ältesten Geschicke
Aegyptens aus den dürftigen Nachrichten eines Herodot aus
Halicarnaß uub Diodor von Sicilien, aus den gelegent-
lichen Mittheililngen des Alten Testaments, ans den
kümmerlichen Fragmenten des einheimischen Historikers
Manetho schöpfen mlißte. Letzterer war aus Sebennytos
gebürtig, lebte zur Zeit des Ptolemäns Soter und Philo-
pator ilnd schrieb um das. Jahr 250 v. Chr. mit Be-
nutzung ausgedehnter Originalquellen eine Geschichte
^Aegyptens in griechischer Sprache. Nur wenige Bruch-
stücke aus diesem verloren gegangenen Werke sind bei dem
jüdischen Schriftsteller Flavins Josephus, von dem Kirchen-
historiker Eusebius, von Julius Africanus, besonders von
Georgins Syncellus erhalten. Die Mittheilungen dieser
Schriftsteller sind jedoch so lückenhaft, so widersprechend,
so sehr mit Fabel- und Sagenhaftem durchsetzt, daß es
selbst dem Scheidewasser der schärfsten Kritik nicht ge-
lingen trollte, aus diesem wirren Conglomerate das regn-
linische Metall blanker Wahrheit auszusondern. Schon
verzweifelte man vielfach an der Möglichkeit einer ägyp-
tischen Geschichte und Alterthumskunde überhaupt- unb ver-
meinte alle Ueberlieferungen eines Herodot und Diodor
als Priesterbetrng, die Mauethonischcn Königslisten des
Syncellus als orientalische Phantasien, die gelegentlicheil
Notizen der hl. Schrift als Fabeleien ansehen, kurz den
ganzen Apparat der altägyptifchen Geschichte als Schlacken
und todtes Gestein verächtlich bei Seite werfen zu müssen.
Da kam das Studium der ägyptischen Denkmäler, die
Entzifferung der Hieroglyphen und damit Licht in die
Finsterniß der ägyptischen Geschichte und Alterthumskunde.
Durch die Hieroglyphen - Inschriften der Pyramiden
und Obelisken, der Palast- lind Tempelgemächer, der
Königsgräber und Sarkophage, durch die nunmehr les-
baren Papyrusrollen ist es möglich geworden, Wahrheit
und Irrthum bei Herodot und Diodor zu sondern, die
Manethonischen Königslisten zu würdigen. Aber nicht
blos als Correctiv dienen die entzifferten Hieroglypheu-
Jnschriften, auch manche neue Thatsache der ägyptischen
Geschichte ist durch sie ans Licht gebracht. Besonders ist
aber die Kenntniß der ägyptischen Alterthümer dadurch in
überraschender Weise geklärt und gefördert. Durch die
Denkmäler mit ihren Bildern und Hieroglyphen ftub wir
über die Zustände des ältesten aller Kulturvölker, über
sein religiöses und häusliches Leben, über seine Kunst und
Industrie, über seine Mythen uub Kultgebräuche, wie sie
vor 4000 Jahren bestanden, besser und genauer informirt,
als über Griechen und Römer. Die ägyptische Geschichte
und Alterthumskunde, die noch vor 30 Jahren auf einigen
Blättern abgehandelt werden konnte, füllt jetzt ganze Bände
mit den interessantesten und zierlichsten Details. Und je
weiter sich die ägyptischen Forschungen ausdehnen, je tiefer
sie eindringen, desto mehr nimmt die bistoria aegyptiaca
die Gestalt der Geschichte noch nicht lange entschwundener
Jahrhunderte an. — Besonders verdient angemerkt zu
werden, daß die historischen Bücher des Alten Testaments,
sofern sie ägyptische Zustände und Geschichte berühren,
dariil einen unumstößlichen Beleg ihrer Wahrheit und
Treue finden, ein Umstand, der um so frappanter erschei-
nen muß, da man gerade aus der ägyptischen Geschichte
und Alterthumskunde wie aus einem wohlgefpickten Köcher
mit Vorliebe die Pfeile entnahm, welche gegen die histo-
rische Glaubwürdigkeit der Bibel abzuschnellen, Viele sich
zur Lust genlacht. Zur Erhärtung lind Bestätigung dieser
allgemeinen Umrisse nur einige Beispiele, so wie sie mir
im Wege liegen.
Jeder kennt den Traum des köiliglichen Mundschenks,
welchen Joseph im Gefängnisse deutete. Dieser Traum
setzt den Wcinstock und den Weinbau und den Weinge-
nuß in Aegypten voraus. Herodot berichtet aber, daß
die Rebe im Nilthale nicht gedeihe (II, 77), die Aegypter
tränken als Silrrogat eine Art Bier (§vöog). Plutarch
bestätigt diese Nachricht, indem er sagt: Den Aegyptern
galt der Wein als Blut des Typhon, sie tranken ihn
nicht vor Psammetichs Zeiten und brachten ihn auch nicht
zunl Opfer (Is. Osir. 6). Man hat es nicht versäumt,
auf diesen Widerspruch des Oeftern hinzuweisen und daraus
bibelfeindliches Kapital zu bereiten. Die ältesten Denk-
mäler zeigeil uns aber, wie aus Rosellini's uub Wilkin-
sons Abbildungen zil sehen, Weinbau und Weinlese, das
Abbeeren und Keltern, das Füllen in Flaschell uub Krüge.
Selbst Betrunkene sind bisweilen abgebildet, welche von
Sklaven nach Hause geführt oder getragen werden. Ro-
sellini sagt über diese Abbildungen: „Jene Gegenstände
finden sich nicht allein in beit Gräbern ans der Zeit der
18. Dynastie, sondern auch iu solchen, welche in die Zeiteil
yv-vpvwv
war schon oben von dem ägyptischen Historiker Malletho
die Rede. In seinen Fragmenten sind uns außer den
Zeitangaben über die Herrschaft der Götter uub Halb-
götter die Verzeichnisse von 30 menschlichen Königsdynastien
mit Angabe ihrer Regierungszeit erhalten. Mau war
lange Zeit geneigt, diese Königslisteil für pure Fictioneil
anzusehen lind als unnützes Gerümpel zil verwerfen.
Hengstenberg erklärte sie noch in den dreißiger Jahren
für die Erfindung eines müßigen Kopfes. 'Durch die
Enträthselung der Hieroglyphen ist die Geschichtsforschung
in deil Stand gesetzt, über das Ailsinneil einer so leichl-
sinnigen Abfertigung zur motivirten Tagesordnung über-
gehen zu können. Denn die Mehrzahl der Manethoni-
schen Königsnamen ist ails den Königsringeil der Monu-
mente herausgelesen, so daß an dem historischen Charakter
der dadurch bezeichneten Personen ilicht länger gezweifelt
werden kann. Nun erhob sich eine andere Schwierigkeit,
welche nicht wenig Gemüther beunruhigte. Die Zahl der
Regierungsjahre der Manethonischen Könige Aegyptens
gibt bis Alerander eine Reihe von 5462 Jahreil'— eine
Zeit, die nicht blos weit über die Zeit jeglicher Kultur,
wovon die Geschichte zu berichten hat, zurückgreift, sondern
auch über die Zeit, in welche die Erschaffung des ersten
Menschen versetzt wird, hinausragt. Doch auch hier ha-
ben die Hieroglyphen-Entzifsernngen das laute Geschrei
verstummen lassen, welches sich gegen die Chronologie der
Bibel erhob und gezeigt, daß verschiedene der ältesten
Dynastien gleichzeitig neben einander in dem getheilten
Aegypten regierten; Manetho hat in seinem Geschichts-
werke an einander gereiht, was zum Theil coordinirt war.
Osburne, ein um die Aegyptologie verdienter Engländer,
hat z. B. noch vor Kurzem alis den Hieroglyphen er-
wiesen, daß auf die erste Dynastie die 12. gefolgt sein
müsse, während die dazwischen liegenden Namen Neben-
dynastien angehören. Wie weit das prätendirte Alter
der ägyptischen Geschichte nnnmehr abgekürzt werden muß,
das ist eine Streitfrage, worüber die Akten noch nicht ge-
schlossen sind. Aber darüber sind alle Forscher schon jetzt
einverstanden, daß dieselbe ausreichend sei, um den ver-
meintlichen Widerspruch zwischen der biblischen und ägyp-
tischen Chronologie zu beseitigen.
zahre der Regierung Roboams zog Schischak, König von
Aegypten, gen Jerusalem, raubte die Schätze des Hauses
des Herrn rmd des Königs und verwüstete Alles." —
Man hatte wohl schon vermuthet, daß der Pharao Schi-
schak, von dem wir sonst Nichts wissen, der Sesonchis
Pcanetho s (ein müsse, und in dieser Angabe eine Bestä-
ti.ÜU"Ü ver biblischen Nachricht erkannt. Die Hieroglyphen-
Entzfiserungen sollten jedoch ein deutlicheres Zeugniß ab-
legen. Champollion entdeckte unter den Skulpturen des
Palastes von Karnak zil Theben eine Schilderung der
Eroberungen eines Königs, der dlirch die Inschrift als
Sifak bezeichnet wurde. Er ist dargestellt, wie er der hl.
Trias von Theben die von ihm 'besiegten Völker und
112
Heinrich von Maltzahns Bcsnch in der Hauptstadt Marokko im Jahre 1859.
Städte, 140 au der Zahl, zu Füßen niederlegt. Die
Völker sind personificirt durch ihre Führer, welche, die
Arme auf den Rücken gefesselt, vorgeführt werden. Jede
Figur trägt einen Schild
mit einer Inschrift. Von
diesen bezeichnet eilte aus-
d r ü ck l i ch d a s L a » d I ud a.
9lnch die Zeit stimmt ge-
nan; deuil dieJnschriften
sowohl als die Dynasten-
verzeichuisse führen auf
die Zeit der Mitte des
10. Jahrhunderts vor
Christus; Rehabeam aber
trat seine Negierung 961
v. Chr. au; das fünfte
Jahr seiner Herrschaft
tvar somit 956. „Es ist
dieses ein Synchronis-
mus, dessen Wichtigkeit",
sagt Champollion, „selbst
die strengste Kritik nicht
im Stande ist, anzu-
tasten."
Die letzte Illustration
des Nutzens, der aus
der Hieroglyphen-Entzif-
ferung für die Geschichte
erwachsen ist, möge der
Thierkreis zn Dendera
3 abgeben. Der Zug Na-
' poleons nach Aegypten
brachte Europa die erste
Kunde voll den Thier-
kreisen, die ans den ägyp-
tischen Denkmäleril ver-
Fig. zeichnet sind. ZuDendera
wurden zwei, zu Esneh
ebenfalls zwei entdeckt. Sie befanden sich unter der Decke von
Tempelgemächern. Einer derselben wurde durch Sanlnier *)
*) Siehe Fig. 3. Der Engländer Samuel Sharpe, Esq., Verfasser der
History of Egypt, erklärt die einzelnen Hieroglyphenzeichen der Schild-
Inschrift folgendermaßen: Die beiden ersten Zeichen (die doppelte Nilschilf-
fahne, welche wir schon als e kennen lernten) sind I, der Vogel U, die Hand
und Lelorrain ans Dendera nach Paris gebracht und dort
aufgestellt. Kaum waren sie bekannt geworden, als sich
auch schon ein Gelehrter darüber hermachte, um die Zeit
ihrer Entstehung zu berechnen. Von der Annahme ans-
geheild, daß die Thierkreisbilder genall die Constellation
conterfeien, lvie sie sich denr Zeichner darbot, ealcnlirteil
die Einen 9562, Andere 4000, wieder Andere 7000, Einer
sogar über 17,000 Jahre v. Chr. als das Alter der Thier-
kreise heraus. Eiile große Aufregung bemächtigte sich der
Wissenschaft uub der Gemüther. Broschüren wurden ge-
wechselt. In Paris strömte Jung und Alt hin, um das
hochbejahrte Bild zu bewundern; ja so groß wurde der
Andrang, daß man sich genöthigt sah, den angestaunten
Thierkreis in einem abgelegenen Gemach zu verschließen.
Da kam Champollion uub entzifferte wie ein zweiter
Daniel die Schrift auf den Wänden. Ans dem Tempel
zll Dendera las er den Namen Tiberins, lind auf einem
der Thierkreise das Wort Autokrator, beu Namen, unter
dem Nero ans den ägyptischen Denkmälern fignrirt. Aber
lvie bei der lernäischen Schlailge, meint ein Kopf abge-
schlagen lvar, gleich ein anderer ans der glücklichen Wunde
hervorlvnchs, so trat an Stelle der vernichteten These
sogleich die Behauptung auf: „Wenn auch der Tempel
jünger, so ist doch der Thierkreis die Copie eines älteren.
Aber die neuesten Forschungen, welche von der Vergleichung
zahlreicher Abbildungen von Thierkreisen an den Tempel-
decken, wie in deil Grabkammern und auf den Mumien-
kasten ausgehend, das Princip, wonach die Aegypter die
Nativität, d. h. die Constellation für die Gebllrtszeit eiiles
Menschen zil firiren pflegten, ermittelt haben, sind zu dem
Resultate gelangt, daß er nur auf das Jahr 97 n. Chr.
— das Geburtsjahr Nero's — passe. Damit dürfte dieser
Kopf der Hydra endgültig beseitigt und das mehr als
19,000jährige Alter des ägyptischen Reiches, das man
mit feurigen Zügen in die Sterne verzeichnet wähnte,
für immer ans sein richtiges Maß redncirt sein.
D; das folgende Zeichen H, das folgende M, der Unterarm mit der Hand
E oder I, der Löwe L, das folgende K und liest: Indah Milkah, das
Königreich Inda. Das letzte Zeichen ist die diakritische Hieroglyphe, welche
Land bedeutet, zum Zeichen, daß nicht der König, sondern daS Königreich
verstanden fei. Bei Lepstus (Denkinäler Aegyptens) ist eine Abbildung der
ganzen Darstellung. Die meisten Inschriften der Namenschilder haben am
Ende die Diakritika „Land". Im Einzelnen hat man noch die Namen
palästinensischer Städte erkannt.
Heinrich von MalHuhns Bestich in der HnupIstM Marokko im Jahre 1859.
II.
Einladung zu einer Audienz beim Kaiser. — Geleit durch Bcttelsoldaten. Leibgarde. — Die Palaststadt. — Kaiser Mule Abderrhaman; Unterhaltung mit
demselben. — Geschenke und Erpressungen. — Rückreise nach Mogador.
Unangefochten erreichte der deutsche Reisende das jü-
dische Stadtviertel, wo er sofort seine europäische Tracht
wieder anlegte. Die große Gefahr, welche für ichl in
der Vermummung lag, trat ihm deutlich vor die Seele.
Man wußte in der Maurenstadt ohne Zweifel, daß ein
Christ in der Mellah wohne, und hatte sicherlich ein
wachsames Auge auf Jeden, der das Judenquartier ver-
ließ. Herrn von Maltzahn blieb, so schien es, nichts
übrig, als das letztere nicht mehr zu verlassen.
Aber sein Heiliger, Mule Small, mit dessen Karawane
er von Mogador nach Marokko gekommen war, ließ
ihn nicht im Stiche, sondern ließ melden, daß er ihm einen
Besuch abstatten wolle, freilich nicht im Hanse eines un-
gläubigen Juden, sondern nur auf der Straße. Als aber
Mosche ihm den Saum des Kleides küßte, trat er den-
noch ein und ließ sich im innern Hofranme nieder. Sidi
Mnstapha, sein Jünger, berichtete, daß der Heilige den
Kaiser besucht und diesem erzählt habe, welch eine fromme
Handlung der Rumi gethan; er meinte, daß dieser ihm,
dem Mule Small, ein Pferd und mehrere Maulthiere
geschenkt habe. Der Kaiser sei nicht böse, daß dieser
Rumi nach der heiligen Stadt gekommen sei; der Fremde
stehe ja nicht unter dem Schutz eines Konsuls, und er wolle
nur solche Europäer nicht im Lande dulden, für deren
Leben man einer auswärtigen Macht verantwortlich sei.
Er wünsche den Ungläubigen zu sehen.
Wir können uns lebhaft vorstellen, wie freudig unser
Landsmann belvegt war, als er eine so vortreffliche Kunde
Heinrich von Maltzahns Besuch in der Hauptstadt Marokko im Jahre 1859.
113
vernahm. Obendrein erbot sich Mule Small, ihn sofort
deur Monarchen vorzustellen, denn am Hofe von Marokko,
wo keine Anmeldungen zn Audienzen stattfinden, geht
Alles in kindlicher Einfachheit zu. Indessen zögerte Herr
voir Maltzahn, weil sein Wirth ihm in spanischer Sprache
bemerkte, daß es immerhin gewagt sei, sich in europäi-
scher Tracht allein mit dem stets in fromme Träumereien
versunkenen Heiligen in die Manrenstadt zu wagen, und
deshalb deutete der Rumi an, er wolle vor Seiner Maje-
stät erscheinen, wenn derselbe ihm ein Geleit sende.
Der Heilige ging, und nach einigen Stunden mar-
schirten etwa zwanzig „Bettelsoldaten", Leibwächter des
Kaisers, auf. Diese „barbarischen Satelliten" kehrten im
Hause Mosche's alles Unterste zn Oberst.
Damals, im Jahre 1859, regierte noch der alte Mule
Abderrhamau. Der kaiserliche Palast liegt außerhalb der
Ringmauern, grenzt aber an dieselben; von den bewohn-
ten 'Quartieren ist er durch einen etwa 1000 Schritte
breiten Platz geschieden; man kommt auf denselben durch
das Bab er Rum, d. h. das Thor der Christen. Die
„Palaststadt" füllt einen bedeutenden Raum aus, denn
seine Länge beträgt eine halbe deutsche Meile, die Breite
etwa halb so viel. Er ist von Mauern umgeben, aber
kauin zunr achten Theil wirklich mit Gebäuden ausge-
füllt; Paläste, Landhäuser, Pavillons und Kioske liegen
über den ganzen Flächeninhalt zerstreut, sodaun auch, in
schönen Gärten, die Harems.
Die Leibgarde des Kaisers bestand zumeist ans Ne-
gern; sie trugen eine Uniform, welche jener der franzö-
sischen Znaven nachgeahmt war. Jedoch die meisten Gar-
disten sahen abgerissen und schmutzig aus, unterschieden
sich aber trotzdem noch Vortheilhaft von der gewöhnlichen
Artillerie des Kaisers, welche Herr von Maltzahn als
wahre Bettelsoldaten bezeichnet, w'eil sie gar zn arm-
selig aussehen und alles Mögliche fordern.
Im Vorhof erschien Mule Small, durch dessen bese-
ligende Nähe die Neger hochbeglückt waren. Die Hei-
ligen machen in der ganzen Welt bei den Leichtgläubigen
gute Geschäfte. Mule Small mußte, ans Wunsch und
Andrang der schwarzen Soldaten, ihren Speisen den
Segen geben, und in welcher Weise that er es? Der
Augenzeuge, Herr von Maltzahn, sagt es uns. Der
Heilige spie in die Schüssel hinein, deren Inhalt daun
tapfer umgerührt wurde. Die Soldaten verschlangen mit
Gier das gesegnete Gericht.
Ans diesem Vorplatze gelangte Herr von Maltzahn in
zwei andere offene Höfe, nämlich in den „Garten der
Gesundheit" und den „Garten der Palme"; dann durch-
schritt er noch drei große Höfe, die von stallartigen Ge-
bäuden umgeben waren. In diesen wohnt die Neger-
garde und ein Theil der Reiterei. Der mittlere Hof
gleicht dein eines großen Karawanserais, und der Kaiser
gab dort gewöhnlich am frühen Morgen Audienz; ein
vierter Hofraum ist von schönen Säulengängen um-
schlossen, und in ihm hält die auserlesene Mannschaft der
Negergarde Wacht. Endlich folgt noch ein Hof, jener
der Adjutanten, unter denen man sich freilich keine Offi-
ziere europäischer Art vorstellen darf; denn sie waren,
etwa 20 an der Zahl, „beduinenartig gekleidete Kerle
von rohem Aussehen". Sie bekümmerten sich wenig um
den Heiligen und um den Fremden; dagegen trat ein
alter Mann zu diesen Beiden und geleitete sie durch ein
Vorzimmer in einen „Garten der Rosen", in welchem
jedoch wenige dieser Blumen vorhanden waren. Herr
von Maltzahn mußte dann vor einem Pavillon (einer
Knbbab), welcher als Saal der Privatandienzen bezeich-
net wurde, seine Fußbekleidung ablegen, d. h. er zog die
marokkanischen Babuschen ab und behielt, nach türkischer
Sitte, dünne Stiefel von Corduanleder an, weil Leder-
umhüllung ohne Sohlen nicht für Schuhwerk gehalten
wird, sondern die Stelle unserer Strümpfe vertritt, die
übrigens bei den Arabern niemals gebräuchlich waren.
Aber die geheiligte Gegenwart des Nachfolgers der spa-
Globus VI. Nr. 4.
nischen Chalifen durfte durch keine Lederhülle auf deu
Füßen veruuehrt werden, und der Fremde durfte nur
Socken anbehalten.
So trat er in das Staatsgemach des Kaisers,
ein ganz kahles Zimmer ohne alles Geräth; es sah ganz
kahl ans, nur die Wände waren mit europäischen Spie-
geln behängt. Auf der einen Seite des Saales lag eine
doppelte Strohmatte, welche dem Hofstaate statt der Ruhe-
kissen diente; die andere Hälfte hatte keine Decke, und
man sah den nackten, weiß und schwarz, schachbretartig
ausgelegten Fußboden.
In einer Ecke des Saales hockte mit gerade empor-
gerichteten Knien auf einer Strohmatte ein uralter Greis
init langem, weißem Bart, stark gerunzelten Gesichtszügen,
einer Negernase, dicken Lippen, einer Gesichtsfarbe, welche
den Qnadronen erkennen ließ, und kleinen funkelnden
Augen. Das war Mule Abderrhamau, Beherrscher
der Gläubigen, Gebieter von acht Millionen Unterthanen
und geistliches Oberhaupt aller Muselmänner, welche sich
zum Ritus der Maleki bekennen, einer der vier großen,
rechtgläubigen Abtheilungen der Mohammedaner. Um
ihn herum lagen, hockten oder kauerten auf der Stroh-
matte des Fußbodens die Großen des Reiches, etwa 40
an der Zahl, zumeist alte, weißbärtige Männer.
Der Kaiser bedeutete dem Fremden durch einen Wink,
auf einer Matte sich niederzulassen. Der heilige Mann
Mule Small ging ohne Weiteres auf den Monarchen
zn, ergriff die Hand desselben und kiißte dann seine eigenen
Fingerspitzen an der Stelle, mit welcher er die kaiserliche
Rechte berührt hatte. Ueberhanpt war von eigentlichem
Ceremoniell gar keine Rede, und die Anwesenden schenkten
dem Europäer, der doch an jenem Hofe eine seltene Er-
scheinung war, gar keine Beachtung. Das erfordert der
Ausland; es ist gegen alle gute Sitte, Neugier oder Er-
staunen blicken zu lassen. Auch der Kaiser schenkte dem
Fremden vorerst weiter keine Aufmerksamkeit, sondern
fuhr in einem Gespräch mit dem ihm zunächst sitzenden
Manne fort. Auch wurden keine Pfeifen gereicht, und
von Kaffee oder dem in Marokko beliebtern Thee war
keine Rede.
Auch in Marokko darf man in Gegenwart des Herr-
schers nur sprechen, wenn man von ihm angeredet wird.
Nach einer Weile that der Sultan eine Frage über die
Reise des Fremden, der in Rücksicht auf die Etikette eine
sehr kurze Antwort gab. Dann wieder Schweigen; nach
längerer Pause abermals eine kurze Frage, kurze Antwort,
noch einmal Panse, — so verlief die ganze Audienz;
„unterhaltend war sie eben nicht", aber der würdevolle
Ernst, welcher über die ganze Versammlung ausgegossen
schien, verfehlte doch den Eindruck nicht. Das Ganze
war patriarchalisch, jeder Lnrus und äußere Nimbus man-
gelte; der Herrscher benahm sich einfach, aber würdevoll.
„Alles contrastirte grell mit unseren oft allzu vergnügungs-
süchtigen, luxuriösen Höfen, und der Vergleich fiel zu
Gunsten des marokkanischen Hofes ans. Als Europäer
konnte ich zwar nicht umhin, die Mauren, den Kaiser
und den Hof wegen ihres kulturhistorischen Verfalls und
ihrer Rückständigkeit in der Civilisation zu bemitleiden,
aber ich mußte mich dennoch vor dieser ehrwürdigen, ge-
messenen Versammlung, vor dieser imponirenden, würde-
vollen Einfachheit in tiefem Respekt verneigen."
„Die wenigen Fragen, welche Mule Abderrhamau an
mich richtete, bewiesen seine rührende Ignoranz und die
kindliche Naivetät seiner Begriffe. Von europäischen
Staats- und Negierungsformeu hatte er keine Ahnung.
Er schien z. B. offenbar unter dem Eindruck zu laboriren,
als sei die französische Republik vom Jahre 1848, deren
Kunde bis zn ihm gedrungen war, und welche er auf
den Münzen als idealen Franenkopf abgebildet gesehen
hatte, wirklich ein weibliches Geschöpf gewesen. Er fragte,
ob ich^die Bublick gesehen und ob der jetzige Beherr-
scher Frankreichs diese Dame geheirathet und von ihr
das Regiment überkommen habe? Auch von England
15
114
Heinrich von Mallzahns Besuch in der Hauptstadt Marokko im Jahre 1859.
und dem Minister Lord Palmerston hatte der Snltan
gehört, und er fragte mich, ob Letzterer nicht Gemahl der
Königin Victoria sei? Obgleich es mir bei diesen Fragen
schwer wurde, den nöthigeil Ernst zu bewahren, so gelang
es mir doch, mich zn beherrschen. Ich beantwortete, so
gut ich konnte, durch Umschreibungen die originellen
Fragen des Kaisers, der mich nicht nach Art europäischer
Regenten verabschiedete, tvelche dem Aufwartenden selbst
das Zeichen zum Ausbruche zu geben pflegen. Die
maurische Etikette ist in einem Punkte der europäi-
schen Hofsitte geradezu entgegengesetzt. Es gilt nämlich
für wunschenswerth und höflich, daß Jemand, der beim
Fürsten Audienz hat, dieselbe so lange als möglich aus-
dehnt. Wenn auch der Sultan ihn verabschiedet, muß
er dennoch bleiben, da die Entlassung nur eine Höflich-
keitsformel ist. Ein gewandter Höfling drückt durch hart-
näckiges Verbleiben in der Nähe des 'Monarchen am be-
redtesten aus, lvelch ein unaussprechliches Glück es für
ihn sei, bei dem Herrscher weilen zn dürfen."
Wie sollte nun der Europäer, welcher sich doch nicht
gut selber verabschieden konnte, der Audienz ein Ende
machen? Der zerlumpte Heilige, dem eS plötzlich in den
Sinn kam, eine Moschee zn besuchen, half ihm aus der
Noth; mit ihm war er gekommen, und mit ihm ging
er auch fort. Nun kam es darauf an, Geschenke am Hofe
zu machen, denn ohne diese darf man keinen Besuch
abstatten. Herr von Maltzahn hatte zn diesem Zwecke
in Gibraltar eure schöne Pendeluhr, ein paar Revolver
und kostbare lyoner Seidenstoffe eingekauft und diese
für das erste Geschenk bestimmt. Das zweite, welches er
bei der Abreise geben wollte, bestand in einem französi-
schen Shawl, einigen kleinen Bronccstatuetten, einem
prächtigen Schreibzeug, zwei Spazierstöcken und in einem
Messer mit zwanzig Klingen. Mit der Uhr war. der
Sultan zufrieden, aber die Revolver gefielen ihm keines-
wegs, denn sie hatten keine Fenersteinschlösser!
Unser Landsmann machte seine Aufwartung bei den
verschiedenen Prinzeil. Sidi Mohammed hatte mulatten-
artige Züge. Die Sippschaft des Kaisers war sehr zahl-
reich, aber die meisten entfernteren Verwandten dürfen gar-
nicht an den Hof kommen, weil man ihnen mißtraut;
sie sind nach der Oase Tasilelt verwiesen. Die meisten
Prinzen hatten negerartigen Gesichtsallsdruck.
Die 20 Bettelsoldaten begleiteteil beu Rnmi nach der
Mellah zurück, wo eine Mahlzeit für sie bereit staild.
Sie verschmäheteil die Kost des Ungläubigen nicht und
griffen mit den Fingern in die Schüssel. Aber der Marok-
kaner darf ilicht den Verstoß begehen, die Speise gleich
zum Munde zn führen, sondern er muß den Maisbrei
(Kuskussu) oder Reis erst ein wenig zwischen,den Fingern
rollen, ein Kügelchen daraus machen und dieses in deil
Mund hineinwerfen, und je weiter er dabei die Hand
vorn Munde hält, um desto mehr gute Lebensart bethä-
tigt er. Dieser Brauch des Hineinwerfens der Speise
herrscht im südlichen Marokko, in Tasilelt uiib auch bei
manchen Stämmen in der Wüste.
Die Ehre einer Audienz beim Kaiser kostete übrigens
eine Menge Geld; mit ben Geschenken an Seine Majestät
war die Sache ilicht etwa abgethan. Eiil Hofbeamter
war dem Baron nach dem Judenviertel gefolgt und zog
eine Liste hervor, auf welcher Alle verzeichnet'waren, die
Anspruch auf ein Geschenk hatten; auch waren sogleich
die Summen angegeben, zu denen jeder Einzelne be-
rechtigt sei. Obenan ans der Liste standen die Namen
von drei schwarzen Gardeoffizieren, dann folgten zwanzig
Negergardisten, welche am Audienztage die Morgenwache
hatten, und so ging es. fort; im Ganzen mußten ilicht
weniger als vierzig Leute „beschenkt" werden. Je-
der Soldat verlangte 10, jeder Offizier 20 Unzen, eben
so viel der Aufseher des innern Hofes und der Aga
der Truppen. Auf der Liste stauben auch: der Hofkoch,
der Lanzenträger des Kaisers, der Theekoch Seiner Maje-
stät, der Garderobemeister, der Bettmacher (wozu der
aber dient, wenn, wie Herr von Maltzahn sagt, der Kaiser
ohne Matratzen ans dem platten Fußboden schläft, ist liicht
gailz klar), der Barbier, Tassenträger, Diener der kaiser-
lichen Abwaschungen und der Kerzenträger. Jeder dieser
Hofbettler verlangte 10 Unzen; das lvar unverschämt ge-
nug, verschwand aber gegen die Forderungen des Groß-
würdenträgers, des Siegelbewahrers, des Schatzmeisters
lmd des Geheimschreibers, deren jeder die Kleinigkeit von
100 Unzen verlangte, während der Stellvertreter des
Kaisers bei der Armee (der Chalifa el Asker) 200 Unzen,
also 10 spanische Thaler, in Anspruch nahm. Im Ganzen
mußte Herr von Maltzahn an diese Hofbettler etwa 4000
Unzen zahlen. Die Unze ist das einzige Silbergeld in
Marokko; sie heißt arabisch Fatha, d. i. Silber, und hat
einen Werth von etwa B/2 Silbergroschen.
So waren etwa 1000 Francs fort, aber die Erpressun-
gen noch lange ilicht zil Ende. Denn auch die Bettel-
soldaten, welche denl 9tumi das Geleit gegeben, verlang-
ten llnd bekamen jeder 10 Unzen, lind am Ende fand
sich auch uoch der Heilige ein, der für sich 80 spanische
Thaler lind eben so viel für seinen Jünger Sidi Mu-
stapha verlangte. Auch in dieseil sauern Apfel mußte
gebissen werden, aber dafür stieg auch der Ehristenhund
in der Gunst des Heiligen sehr erklecklich!
Wie hoch beläuft sich die Einwohnerzahl der Kaiser-
stadt Marokko? Die allesannnt auf Vermuthung be-
ruhendcn, zumeist übertreibenden oder ju niedrig greifen-
den Angaben bewegen sich innerhalb der Ziffern von
270,000 bis 20,000; aber an eine Zählung ist niemals
gedacht worden, und die Mauren begreifen auch gar nicht,
was eine solche heißen will. Herr v. Maltzahn meint,
daß die Zahl 50,000 etwa annähernd zutreffen werde,
doch stehe sie wohl eher über als unter der Wahrheit.
Währeild der vier Wochen, welche er in Marokko ver-
lveilte, lvar es ihm nur dreimal vergönnt, das Jnden-
viertel zn verlassen. Tie Mauren wußten, daß er als
Jude verkleidet in der Stadt gewesen sei; sie hielten ihn
für den Spion irgend einer europäischen Macht und
meinten, er trachte dahin, die Stadt den Ungläubigen in
die Hände zn spielen. Sein Wirth bat ihn dringend, sich
nicht mehr ans der Mellah heraus zu wagen, die Mauren
lvürden ihn sonst gelviß umbringen. Auch ließ der Kaiser
ihm melden, daß es nicht wohlgethan sei, abermals in
die Stadt zn kommen, und sandte ihm zum Zeichen der
Gunst einige Lebensmittel, die ganz werthlos waren.
Das lvar die kaiserliche Freigebigkeit.
Der Rnmi lvar nun gleichsam ein Gefangener und
hatte vollauf Muße, mit den Kindern Israels zu ver-
kehren. Er hebt hervor, daß die marokkanischen Jüdin-
nen nicht ohne geistige Begabung seien; er lobt ihre
Schönheit, das Weiche, Geschmeidige und Ruhige in ihrem
ganzen Wesen. Die Tochter seines Wirthes sprach das
reinste Eastilianisch, lvie denn überhaupt die marokkani-
schen Inden alle Spanisch reden.
Noit der Dachterrasse des Hauses hatte Herr von
Maltzahn eine herrliche Aussicht über das mit Palmen
bestandene Thal und ans den Atlas, der nur sechs Meilen
von der Stadt entfernt liegt. Trotzdem war so gut lvie
nichts über das Gebirge in Erfahrung zu bringen; ein
Jude, welcher eine Reise durch dasselbe gemacht hatte,
versicherte, daß dasselbe ausschließlich von Ureingeborenen,
also von Amazirghen und Schellöchen, bewohnt lverde.
Unser Landsmann sehnte sich aus Marokko hinaus
und sann hin und her, wie er es anfangen solle, wieder
nach Mogador zn kommen. Er wandte sich mit einem
Brief an seinen Heiligen, der dann auch einen Jünger
schickte, welcher den Rnmi für einen Lohn von 80 spani-
schen Thalern nach der Küste geleiten wollte; der Heilige
selber lvar diesmal bescheiden unb forderte für sich nur
60 Thaler. Nachdem die erforderliche Anzahl von Eseln
Die Bedeutung der Hausthiere für die Kultureutwickluug der Völker. Der Elephant.
115
gemiethet war, verließ der Neiseude au einem kühlen
Novemberabend, eine Stunde vor Thorschluß, die Stadt
Marokko. Fanatische Amazirghen riefen ihm Hallnb und
Kelb snach, d. h. Schwein und Hund. Während der
Wandernirg veriilied er cs, sich bei Tage zu zeigen, und
gelangte ohne weitere Anfechtung tu der fünften Nacht
bis vor die Thore von Mogador. Sein großes Wagstück
war glücklich abgelaufen *).
*) Drei Jahre im Nordwesten von Afrika. Reisen in Algerien und Ma-
rokko von Heinrich Freiherrn von Maltz ahn. Leipzig 1863 bei A. Dürr.
Bier Bände. Das Werk ist sehr gut geschrieben und recht belehrend.
Die Bedeutung der Huusthiere für die Knlturentmicklung der Völker/ )
III.
Der El
Der Elephant lvird in Indien als „Thier mit der
Hand" bezeichnet, denn mit dieser vergleicht man den
Rüssel. In der weiten Region zlvischen den Vorbergen
des Himalaya bis nach Ceylon versteht man die geistigen
Eigenschaften dieses Thieres besser zu würdigen als in
irgend einem andern Lande; es hat gerade dort im Haus-
halte der Menschen, im Handel mit) bis vor Kurzem auch
noch im Kriege eine wichtige Stellung eingenommen. In
Afrika dagegen schwärmt er, nach Karl Ritters Ausspruch,
rühmlos umher; er ist dort nur eine wilde, für höhere
Zwecke des Menschen unbenutzte Bestie geblieben, ist ledig-
lich ein Gegeustaild für die Jagd, den man seiner Zähne
und etlva auch seines Fleisches wegen tödtet. Die Neger,
ein äußerst unproduktiver Menschenschlag, haben es nie
verstanden, ihn zu einem treuen und nützlichen Gefährten
zu machen.
Ganz anders in Indien, wo er seit den ältesten Zeiten
mit der Geschichte des Götterglaubens und der Menschen
auf das Engste in Verbindung steht. Er ist dort „König
der Thiere; Hausgenosse und Freund der Götter, Diener
der Fürsten und Herrscher". Seine ruhmvollen Ahnen
steigen in frühere Jahrtausende hinauf; die ältesten indi-
schen Heldengedichte Preisen ihn, während Homer nur das
Elfenbein, nicht das Thier selber kennt. Im Sanskrit
wird er als der Handbegabte hingestellt; er heißt der
zweimal Trinkende, weil er mit dem Rüssel das
Wasser in den Mund gießt; er heißt D ant in (dens,
Zahn) wegen seiner Fangzähne.
Aber der Name Elephas bezeichnete Anfangs nur
die Waare, welche man von dem Thiere gewann, das
Elfenbein; bei den Persern heißt er P il, bei den Arabern
Fil, wovon die Spanier ihr Marfil entlehnt haben; im
Schachspiele der Orientalen ist Ar fil oder Affil, d. h.
Elephant, der Läufer. Wir sagten eben, daß er in der
indischen Mythologie eine große Rolle spiele; Indra, der
Herrscher des Firmaments, reitet auf dem Elephanten;
dieser ist auch ein Airavathi, d. h. Träger der Erde;
denn so heißt von den acht Weltelephänten derjenige,
welcher das Nordostende stützt. Darum ist er überall
architektonisches Glied in der indischen Tempel-
skulptur, kolossaler Wächter der Tempel vor den Hallen,
und als Karyatide und Zierrath vielfach in die Architek-
tur verkvebt. Wir sehen, wie er ans den Felsenwinkeln
der Tempelecken hervortritt uud^ als Sockel die Pfeiler-
reihen trägt, von welchen das Tempeldach gestützt ivird.
Das kluge Thier ist von den Indern znm Symbol
des höchsten Wissens erhoben worden; Ganesa, der Gott
aller Wissenschaft und sinnreichen Kunst, hat einen Ele-
phantenkopf. Nach der indischen Auffassung der Seeleu-
wandernng gehen die Seelen büßender Prinzen unb
Brahmauen in Elephantenleiber über, und die Legenden
e p h a n t.
kennen viele Heilige, die »ach ihrem Tode zu Elephanten
wurden. Deshalb hat man auch Elephanteureliqnieu,
z. B. den Zahn auf Ceylon, und die Buddhisten wie die
Dza'iras kennen Verwandlungen Bnddha's mit) Pars-
wauatha's in iveiße Elephanten. Das Gesetzbuch Mauu's
sagt: „Eine Braut soll den aumnthigen Gang eines Fla-
mingo oder — eines jungen Elephanten haben!" Der
Elephant ist der achtwaffige, denn seine Waffen sind:
Rüssel, Stirn, zwei Fangzähne und vier Füße (Ritter,
Asien IV, I. 003 ff.).
Der Elephant war im Orient ein Werkzeug der Völker-
bezwinger, aber vor den Kriegen des macedonischen Alerau-
der gegen Persien war er in Europa noch nicht gesehen
worden. Icrres hatte Kameelreiterci, aber die ersten Kriegs-
elephauten, von denen im Abeudlaude die Rede ist, sind
jene, welche Alexander in der Schlacht bei Arbela erbeutete;
ihrer waren 15 an der Zahl. Es scheint, als ob diePerser
sie erst vor nicht langer Zeit und nachdem sie ihre Er-
oberungen bis an den Indus ausgedehnt, erhalten hatten.
Jene bei Arbela erbeuteten wurden „der erste Kern zum
neuen Kriegsgeschwader, das nun bis an die Pyrenäen
sich verbreitete"; wahrscheinlich kamen auch einige nach
Athen; aber Alexander nahm während seiner Feldzüge
in Indien noch keine Elephanten in sein Heer auf, weil
die macedonischen Pferde an dieselben sich nicht gewöhnen
konnten; aber seine indischen Bundesgenossen mußten
Kriegselephanten mit sich führen. Als Alexander vom
Indus nach Babylon am Euphrat zurück ging, hatte er
etwa 300 Elephanten, welche daun auf die Könige ver-
erbten, die sein Reich theilten. So kamen sie durch die
Seleucideu nach Syriens durch die Ptolemäer nach Aegyp-
ten, das sie früher nicht gekannt hatte, und wo sie in der
Architektonik durchaus fehlen, und auch nach Griechenland.
Jedermann weiß, daß Pyrrhus von Epirns gegen die
Römer Elephanten ins Feld stellte; sie kamen auch nach
©teilten, wo die Karthager ihren Gebrauch kennen lernten.
Und nun erst legten sich diese auf den Fang des nord-
afrikanischen Elephanten, den sie früher nicht benutzt
hatten. Aber sie lernten bald, ihn zu zähmen, im Kriege
zu verwenden und mit ihm die Römer in Spanien und
Italien zu schrecken. Hannibal führte ihn selbst über die
schneebedeckten Alpen.
Man sieht, daß der Kriegselephant auf das Schicksal
mancher Völker und Staaten und auf den Gang der so-
genannten Welterobernngen eilten mächtigen Einfluß ge-
habt hat; er gab von Alexander bis auf Cäsar, den
Letzten, welcher'im Abeudlaude von ihm Gebrauch machte,
der Kriegführung eilte neue Gestalt. Im Orient aber
wurde er das ganze Mittelalter hindurch als Kriegsthier
benutzt. Die indischen Brahminenstaaten legten den größ-
ten Werth auf ihre Kriegselephanten; schon zu Alexan-
ders Zeit soll Sandracottus (Tschandragupta) 6000 bis
9000 Elephanten in seineilt Heere gehabt haben, und es
15*
*) Siehe Globus V, S. 281. 305.
116
Die Bedeutung der Haussiere für die Kullurentwicklung der Völker. Der Elephant.
liegt dariu schwerlich Uebertreibung, denn wir wissen be-
stimmt, daß der Großmogul Akbar deren 6000 hielt*).
Schon früher hatte Timur indische Kriegselephanten in
seine Armeen genommen; durch ihn kamen sie nach Sa-
markand, wo er sie als Lastthiere benutzte, denn sie
mußten Steine zum Bail der großartigen Moscheen her-
beiziehen. Aber schon im 10. Jahrhundert sind Ele-
phanten über Kaschgar nach China gekommen, wo dann
später, als mongolische Kaiser im Blumenreiche der Mitte
herrschten, Elephanten auch aus Hinterindien eingeführt
tvnrden; Knblai Chan z. B. erbeutete einmal nahe an
200 Stück, ltnb von da an (1272) waren sie in den
mongolischen Armeen voit Bedeutung.
In den Staaten Hinterindiens hat der Elephant nie-
mals eine so hervorragende Bedeutung gewonnen wie in
Vorderindien, obwohl er sehr häufig vorkommt. Der
hellfarbige Elephant steht bekanntlich in hohen Ehren
überall, 'wohin der Buddhismus gedrungen ist. Der
Sage nach ist ans Ceyloit unter einem Pyramidentempel
der Zahn eines heiligen Elephanten Buddha's begraben,
und der weiße Elephant gilt überhaupt für eine Jncar-
nation der verschiedenen Buddha's; der eine von den vier
Berggöttern Ceylons, welchem der Pik des Adamsgipfels
znm' Sitz angewiesen ist, würd allezeit von Weißen Ele-
phanten begleitet; diese selber sollen von himmlischer Ab-
kunft sein. Es liegt eine religiöse Beziehung darin, wenn
der Kaiser von Burma sich deir Beherrscher des himm-
lischen und der weißen Elephanten nennt.
Auch in Sianr stehen sie in großer Achtung. Als
im Jahr 1860 der unseren Lesern bekannte Heinrich
Mouhot von KorLt nach Bangkok zurückreiste, war er
Zeuge, in wie hoher Verehrung der weiße Elephant
siebt. In der Hauptstadt war die Freude groß, als man
vernahm, daß in Laos ein weißer Elephant gefangen
worden sei, nnd der König sandte einen hohen Mandarin,
um dem Thiere das Geleit zu geben. Die Ehrenkara-
wane des Weißeir bestand aus mehr als 60 gewöhn-
lichen Elephanten, von denen zwei dem europäischen Reisen-
den zur Verfügung gestellt waren.
In der Stadt Saraburi hatte sich eine große Schaar
königlicher Beamten versammelt, um diesem kolossalen Fe-
tisch Ehrerbietung zu beweisen. Die Siamesen glauben
an die Seelenwandernng und sind (wie wir das schon
früher in Betreff Vorderindiens bemerkt haben) überzeugt,
daß der Geist irgend eines Prinzen oder Königs in diesen
Dickhäuter gefahren sei. J>i Bezug ans weiße Affeii uiid
überhaupt ans solche Thiere, die Albinos sind, hegen sie
*1 Der große Monarch widmete den Elephanten die größte Sorgfalt,
die inan leicht erkennt, wenn man die betreffenden Abschnitte in dem A y i n
Akberi vergleicht nnd die in verschiedenen Kapiteln des merkwürdigen
Buches zerstreuten Notizen damit zusammen hält. Ayeen Akbery,
or the Institutes of tho Emperor Akber. Translatod from the original
Persian by Francis Grladwin, London 1800, 2 Bde. (Das in meinem
Besitze befindliche Exemplar ist mit handschriftlichen Notizen von Hammer-
Pnrgstall versehen.) Da, wo des Kaisers Artillerie beschrieben wird,
i, S. iio, wird bemerkt, daß er Gcschntzstücke von solcher Schwere habe,
daß man mehrere Elephanten vorspannen müsse; S. 111 ff. werden die Fil
Khaneh, or Elephant stablcs, ausführlich beschrieben. Das Ahin Akberi geht
mit einer Art von Liebhaberei auf die psychologische Schilderung des Ele-
phanten ein nnd bemerkt, daß manche Eingeborene Hindustans einen einzigen
Elephanten so hoch hielten wie 500 Pferde; er sei in der That ein groß-
müthiges Thier nnd werde von lOORnPien bis zu einemLackhRupien bezahlt.
Dann werden die „vier Arten" beschrieben und nach dem Grad ihrer Brauch-
barkeit auch für den Krieg geschildert; das Buch beschreibt (S.117) dic Oert-
lichkeiten, wo man die wilden Elephanten einfange und hebt hervor, daß
jene ans Tipperah (Ostbengalen, östlich von Dakka) die besten seien. „Seine
Majestät hat in diesem Berwaltnngszweige manche weise Anordnungen ge-
troffen"; diese werden eingehend geschildert; er theilte die Elephanten in
sieben Klassen; die ersten sechs waren wieder je in drei, die siebente Klasse
war in zehn Unterabtheilungen gesondert und für jede einzelne der Fnttcr-
betrag vorgeschrieben. Wir erfahren dann, von wie viel Wärtern jeder Ele-
phant besorgt wurde, wie die Thiere angeschirrt wurden, wie es mit dem
Stallwesen gehalten wurde, und daß der Kaiser einen Meghdcmbcr, d. h.
Schattendach, für die Elephanten erfunden habe. (S. 125.) Der Monarch
hatte zu seinem Privatgebrauch immer 101 Elephanten in Bereitschaft. Sie
spielten an seinem Hof nnd in seinem Heer eine große Rolle, A,
eine ähnliche Vorstellung; aber „angebetet" lverden alle diese
lveißen Thiere nicht. Während nun jener weiße Elephant,
in dessen Gefolge Mouhot sich befand, seines Wegs ge-
führt wurde, waren immer hunderte von Leuten darüber
ans, Zweige abzuschneiden nnd sie vor ihm aus den Bo-
den zu werfen, damit er recht weich gehen könne. Zwei
Mandarinen reichten ihm an den Haltestellen Kuchen von
goldenen Schüsseln, und der philosophische, rationalistische
König Mongknt kam dem Elephanten bis Ajnthia entgegen.
Der Elephant ist in Hinterindien, neben demOchsen,
ein sehr nützliches Karawanenthier. Er kommt in Siam
selber sehr häufig vor, doch kauft man anch noch viele,
die aus Cämbodscha inid Laos stammen, und die ans
dem Elephantenmarkt in Korat feilgeboten werden. Eine
beträchtliche Menge von Elephanten wird auch in den
Wäldern nniueit von der alten siamesischen Hauptstadt
Ajnthia eingefangen. Sie leben dort nicht eigentlich wild,
sondern in einer Art von verwildertem Zustand, etwa so
lvie die Büffel in den Pvntinischen Sümpfen. Alle ge-
hören dem König, und wer einen tödtet oder nur ver-
wundet, begeht ein schweres Verbrechen.
Einmal in jedem Jahre läßt der Herrscher ein großes
Fangtreiben anstellen, um seinen Bedarf für die nächste
Zeit" zu decken. Zn diesem Behuf hat er in Ajnthia
einen großeil Eleph antenzlvinger, einen weiteir vier-
eckigen Raum, dessen innere Abtheilung von einer sechs
Fuß dicken Mauer eingeschlossen ist, während die äußere
eiile aus dicken Teckholzbänmen hergestellte Pfahlreihe-
llmfriedignng hat, welche kein Elephant umreißen kann.
Jede Abtheilung hat nur einen einzigen Eingang, der
lvie eine Marderfalle angelegt ist, so daß zwei gewaltige
Balkeil mit Leichtigkeit in tiefen Seitenrillen auf nnb ab
bewegt werden können. Man treibt die verwilderten
Thiere ans eine ganz sinnreiche Weise in den Zwinger,
wo bereits die ans speciellen Sachverstäildigen und den
höchsten Würdenträgern zusammengesetzte Commission
ihrer harrt. Nicht selten führt der Köilig selber den Vorsitz.
Von einem guten Elephanten verlangt man in Siam
Folgendes. Seine Farbe muß ins Btaßbranne spielen
oder sich einem aschgrauen Jsabellgelb annähern; seine
Fußnägel müssen tief schwarz, die Zähne ganz unbeschä-
digt sein, und der Schweif darf keine Versehrung zeigen.
Die beiden letzteren Eigenschaften findet man aber nicht
allzu häufig. Sobald die Mitglieder der Commission
von ihrem Gerüst herab ein Thier bemerken, das alle
erforderlichen Eigenschaften besitzt, wird den Kornacks
ein Zeichen gegeben, und diese gehen sofort an ihre Arbeit,
indem sie zahme, für das Einsangen abgerichtete Elephan-
ten herbeiführen. Diese umgeben den lvilden Genossen
und drängen ihn mehr oder weniger sanft in die innere
Abtheilung. Manchmal geberdet er sich lviderspenstig
nnd lvill entrinnen; dann aber wird ihm eine laufende
Schlinge um ein Bein geworfen, man bringt ihn ver-
mittelst derselben zum Straucheln, nnd ein zahmer, gut
eingeübter Kollege wirft sich dann mit der ganzen Wucht
seiner Schwerkraft auf ihn, so daß er hinfällt nnd, frei-
lich nicht ohne große Anstrengung, gebunden werden
kan». Dabei kommt dann nnd wann ein Kornack ums
Leben; indessen weichen geübtere der Gefahr aus und
flüchten sich in ein starkes Blockhaus, gegen ivelches anch
der stärkste Elephant nichts ausrichten kann.
Im Zwinger bändigt man übrigens diese wilden Ele-
phanten leicht genug, lind die Methode ist einfach. Man
läßt sie ein paar Tage lang fasten nnd reicht ihnen, wenn
sie sehr ausgehungert sind, frische Gräser und Zuckerrohr,
so viel sie nur fressen wollen. Allmälig gewöhnen sie
sich an die Wärter, und das gute Beispiel der zahmen
bleibt nicht ohne gute Wirkung.
llebrigens ist der Elephant in mehr als einer Be-
ziehnng eni recht schüchternes, man kann sagen, furcht-
sames Thier. Mouhot behauptet, er habe Nerven wie ein
zartes Frauenzimmer, nnd seine Abrichtung znm Kriegs-
dienst muß sehr mühsam gewesen sein, denn er zittert,
Der Elcphantcnzwinger iu Ajuthia; Siam. (Nach einer Zeichnung von Bocourt.)
118
Die Bedeutung der Haust hiere für die Kuliurenlwicksuiig der Volker. Der Elephant.
wenn er ein Pferd sieht oder einen Schuß hört, und über-
loindet diesen Schrecken nur allmälig. Diese Ansicht theilt
vinci) der alte Crawfurd (Dransuetions ot' the Etimo-
logica! Society of London II, 434).
Der Elephant kommt nach Norden hin nicht über don
30. Grad hinaus; die Grenze seiner Verbreitung liegt
nach jener Himmelsgegend hiit im Terai, dem heißfouch-
ten, ungesunden Waldgestrnpp, welches vor dem Himalaya
liegt. Er hat überall, lvo er einheimisch ist, seine beson-
deren Benennungen; im Sanskrit heißt er Hasti und
Gasa, in Hindi Hati, unb diese Benennung finden
loir auch im indischen Archipelagus; doch ist der eigent-
liche malayische Name Beram; im Telugn heißt er
Penuga unb in Tamil Aua; in Barma nennt man ihn
Sen, in Pegu Tscheu, in Cambodscha 5t a inveii, in
Siam Tschang. Die Kareus nennen ihn Kaso.
In der eigentlichen Gesangenschast pflanzt er sich
nicht fort, wohl aber, wenn man ihn ins Freie laßt.
Er ist erst mit dem 20. Jahre völlig ausgewachsen und
bringt sein Alter auf 70 bis 80 Jahre. Die Abrichtung
der Jungen beginnt schon, wenn sie etwa anderthalb
mit solcher Gewalt, daß er keuchend und zappelnd am
Boden lag und bem Verenden nahe war.
Der Elephant schwimmt sehr gut auch durch reißende
Ströme; dabei ist der ganze Leib, bis auf den vordersten
Theil des Rüssels und ein klein wenig vom Rücken, unter
dem Wasser. Ganze Heerde» setzen auf solche Weise über
den Ganges, die Dschnmna oder den Brahmaputra.
Cralvfurd war 1804 Zeuge, daß in Indien eine Heeres-
abtheilnng von 6000 Mann Fußvolk durch Elephanten
über den kleinen Tschambal gesetzt wurde; je 10 oder
12 Mann hielten sich am Geschirr eines Elephanten fest.
Die Sache war aber gefährlich, weil der Elephant, so-
bald ihm die Last unangenehm wurde, sich ans die Seite
warf und gemächlich vom Strome treiben ließ, während
die Soldaten in die schlimmste Lage geriethen; alle, die
nicht schwimmen konnte», verloren das Lebe».
Wir haben schon oben darauf hingewiesen, daß die
Neger nicht verstanden haben, den Elephanten als Haus-
thier nützlich zu machen, während alle asiatischen Völker,
bei denen er vorkommt, ihn allerdings gezähmt haben;
so die Barmanen, Siamesen, Cambodschauer, die Bewohner
Wilde Elephanten werden nach Ajnthia getrieben. (Nach einer Zeichnung von Boconrt.)
Jahre alt sind; es ist aber merkivürdig, daß diese Kleinen
sich oft wilder geberden, als Alte, die man aus den
Wäldern geholt hat. Als Hansthier bleibt der Elephant,
wie der wilde ist, unterscheidet sich von diesem wenig
oder gar nicht an Gestalt und Größe, und die Farbe ist
bei beiden dieselbe. Er kann eine Höhe von 4 Ellen er-
reichen. In Barma hatte einer von 7 Fuß 4 Zoll Höhe ein
Gewicht von 3369 Pfund; er war also etwa so stark, wie
vier oder fünf gut gemästete Ochseu oder wie 22 aus-
gewachsene Männer. Der Kopf wog fünfthalb Centner,
das Gehirn 16%, Pfund. Im Verhältniß zum mensch-
lichen Hirn müßte es etiva 72 Pfund wiegen. Aber
trotzdem ist der Elephant ein kluges, gescheidtes Thier,
obwohl viele Beobachter der Ansicht sind, daß der Hund
und selbst das Schwein doch viel klüger seien. Wir
unsererseits können darüber kein Urtheil fällen. Dumm
ist er auf keinen Fall, und Muth. hat er auch. Der
alte Crawfurd sah in Cochinchina, wie ein Elephant mit
einem Tiger kämpfte; der letztere war allerdings mit
einem Maulkorb versehen und man hatte ihm die Krallen
abgefeilt; als er auf seinen Gegner lossprang, nahm ihn
dieser auf die Fangzähne und schleuderte ihn iveit weg
, von Tonkin, jene auf der malayische» Halbinsel und selbst
die Malayen auf Sumatra *). Und in Afrika war es
ein Volk asiatischer Abkunft, welches den afrikani-
schen (nicht den asiatischen) Elephanten zähmte und im
Kriege verwandte. Er kam im Alterthume auch im Nor-
den der Sahara vor, bis au die atlantische Küste des
heutigen marokkanischen Reichs; wir haben dafür Hero-
dots und Strabo's ausdrückliche Zeugnisse. Die Römer
holten aus Nordafrika die Elephanten zu ihren Thierge-
*) Duncan (Reisen in Westafrika, deutsch von Lindau, II, S. 132)
will allerdings gezähmte Elephanten in Sagbo gesehen haben. Ist die
Thatsache richtig, so steht sie doch sehr vereinzelt da. Ritter erwähnt, nach
zwei englischen Quellen, „als einzige im centralen Afrika bekannt gewordene,
dort noch einheimische Spur von Elephantenzahmung jene in Degombah oder
Dagwumba im Norden von Aschanti südwärts des Nigerstromes". Sic
kommt aber nur bei den dort angesiedelten Mohammedanern vor,
und die Neger haben mit der Zähmung nichts zu schaffen. Wenn Ritter
in dem Factum jener Elephantenzähmung in Dagwumba „wahrscheinlich
noch eine Reliquie mauretanischer, karthagischer oder pto-
lc maisch er Kultur und Tradition" finden will (Asien IV, II. S.905),
so fehlt einer solchen Annahme jeder Anhalt und jede Beweisführung.
A.
Die Bedeutung der Hausthiere für die Kultureutwickluug der Völker. Der Elephant.
119
fechten, und im Verlaufe eines halben Jahrtausends
waren sie dann völlig ausgerottet. Neuer Zuwachs aus
dem Osten konnte nicht erfolgen, weil die zwischenliegende
Wüste hinderlich war. Uebrigens waren auch die Kar-
thager nicht von selbst aus die Zähmung verfallen, son-
dern ahmten nur das Beispiel anderer Völker seit Aleran-
ders Zeit nach. Gewiß hatten sie auch indische Kornacks,
denn Livins hebt ausdrücklich hervor, Laß die Elephanten,
welche Hannibal nach Italien führte, von Indern geführt
worden seien.
Als Laßt hier verwendet inan in dicht bewohnten
Landern, wo Futter und Lebensmittel theuer sind, den
Elephanten nicht, besonders wenn man Kameele, Ochsen
oder Pferde haben kann. In Indien rechnet man durch-
schnittlich eine Elephantenlast auf acht Centner, doppelt
so viel als ein Kameel, und viermal so viel als ein Ochs
trägt. Das Thier kann in einer Stunde etwa andert-
halb Wegstunden zurücklegen, hinter einander höchstens
etwa drei deutsche Meilen; vor dem Kameel hat es
voraus, daß man es in der Regenzeit und in nassen oder
überschwemmten Gegenden verwenden kann, was bei
Elephanten getödtet, blos um den Bedarf an Elfenbein
für den europäischen Handel zu liefern. (S. die Notiz
über die Elephantenzähne als Handelswaare, Globus VI,
S. 32.) Trotz der großen Verwüstung ist aber ein großer
Theil Afrika's von Elephautenheerden noch immer, man
könnte beinahe sagen, überfüllt. Auf Jagdgeschichten, die
hundertmal erzählt worden sind, gehe ich hier nicht ein;
Livingstone, Andersson, sodannGordon Ronalyn Cumming,
Baldwin und andere Nimrode haben dergleichen in Hülle
und Fülle geschildert. Ich will nur die Notiz beifügen,
daß ein englischer Offizier auf Ceylon im Verlauf von
kaum fünf Jahren nahe an 1200, ein anderer etwa 700
Stück schoß, rein ans Liebhaberei, denn das ceylonesische
Elfenbein ist nicht viel werth.
Wir haben in unserem reizenden zoologischen Garten
zu Dresden einen jungen asiatischen Elephanten, der sich
recht gut airläßt. Als ich ihn mir gestern wieder einmal
betrachtete, konrrte ich nicht umhin, denr Schwänze des
sehr muntern, sich höchst artig benehmenden Thieres eine
ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen, denn mir fiel
gerade ein „Fundamentalsatz der Darwinschen
Elephantenkarawane im Gebirgslande von Laos; Hinterindien. (Nach einer Zeichnung von Bocourt.)
jenem nicht der Fall ist. Aber der Unterhalt, nament-
lich in Vorderindien, kostet viel. Man muß für jedeir
Elephanten mindestens zwei Leute haben; er frißt jähr-
lich allein an Weizen oder Reis 40 bis 50 berliner
Scheffel, und man mllß ihm dieses Futter kochen oder als
Gebäck reichen; dazu gebraucht er dann noch 40 Tonnen,
jede zu 20 Centner, Heu und 65 Tonnen Grünfntter.
Trotzdem seine Haut viermal so dick ist, als jene der
Ochsen, wird sie doch leicht durch das Geschirr gedrückt
uiid heilt schiver. Eiu gutes deutsches Zugpferd zieht
ohne allzu große Anstrengung eine Last von 20 bis 30
Centner» und macht fünf Meilen im Tag, ist also da,
wo leidliche Wege vorhanden sind, ungleich vortheilhafter
als ein Elephant, der auch als Reitthier nicht bequem
ist; man hat auf ihm das Gefühl, als säße man in einem
Wagen ohne Federn und führe über einen Knüppeldamm.
Daß er dann und wann, z. B. auf Ceylon, als Zug-
thier verwandt wird, ist schon früher von uns bemerkt
worden; man spannt ihn dort auch wohl vor den Pflug
(siehe die Abbildung Globus V, S. 281); er bewegt
etwa 15 Centner fort.
Im Durchschnitt werden jährlich wohl an 10,000
Theorie" ein. Diese nimmt bekanntlich an, daß säinmt-
liche organische Wesen, welche gegenwärtig leben, von
einer oder mehreren sehr einfach und niedrig organisirten
Urformen abstammen. Dr. Rolle, (Darwins Lehre
von Entstehung der Arten int Pflanzen- und Thierreich
in ihrer Anwendung ans die Schöpfungsgeschichte darge-
stellt tlnd erläutert, Frankfurt 1863, S. 270) meint:
„Knorpelfische mögen, den Amphioren und Myrinen
unserer heutigen Meere ähnlich, die gemeinsamen ttr-
vorfahren aller Wirbelthiere überhaupt sein." Da
hätten wir also das hypothetische Mögen. Ein Schritt
weiter führt uns dann znm Elephanteuschwanze;
denn: „Noch ein Beweis für die wirkliche Abstammung
der heutigen Lebewelt von anderen, anders gearteten For-
men liegt in den rudimentären, verrichtungslosen
Organen, die so häufig bei Thieren ivie bei Pflanzen
auftreten und die stets mit Sicherheit (!) als Erbstücke
von älteren, anders gearteten, auf andere Lebenslveise
angewiesenen Pflanzen- und Thierformen sich geltend
machen."
Danlit wären wir schon einen Schritt lveiter. „Ein
solches offenbares Erbstück ist z. B. der Schwanz
ber Sciugethiere, ber bei beit verschiedenen Familien
berfelbeit bsltb blese, balb sene, balb zar teine Verrich-
tung besorgt unb so rechi eigentlich ciu balb brauchbares,
balb uberflussiges Anhaitgsel ist. 'Der Schwanz ber
Reptilien, ber Vogel xt nb ber Sàngethiere ist
e in Erbstuck, welches ihre Abstainiunng voix ben
Fischen verkiindet, bei benen ber Schwanz noch als
ein ganz wesentìicher Korpertheil erscheint, ber zur Be-
weguitg um so nnentbehrlicher ist, als ihneix ausgebilbete
Gliedmahen abgeben. Da rum Fische als Prototypen
unb Urahnen alter hoheren Klassen schon einmal
ansgebilbete Schwänze besaßen, so konnten sich biese
auch ans bie höher ansgebilbeten Klassen vererben!"
Nuil wußte ich auf einmal, lver ber Urahn unseres
Elephanten ist, — irgend eilt Knorpelfisch. Quocl erat
demonstrandum. Es wirb zwar nicht gesagt, in wie viel
Billiarden ober Trilliarben Jahren bas „Prototyp" sich
in beit Elephanten unserer „Lebewelt" ningewanbelt habe,
auch fehlt ber Nachweis, lvie bie Natur bas angefangen
hat, aber bie „Theorie" hat ihr „Mögen unb Können ",
unb banlit hat bie Sache über allen Zweifel hinaus ihre
völlige Richtigkeit! A.
Nachrichten über die Insel Formosa.
Lage und Beschaffenheit der Insel. — Bensowskl, und Werner. — Swinhoe's Bericht. — Das Reispapier. — Psalmanazars betrügerisches Buch.
Formosa gehört ztl beit interessantesten unb am we-
uigsten bekannten Inseln der ostasiatischen Gewässer. Sie
liegt auf ber Grenze bes nörblichen Wendekreises unb er-
streckt sich in norböstlicher Richtung zlvischen 120 bis
122" ö. L., voil 21" 50' bis 25" 19' it. Br., also in einer
Längenausbehnung von 51, bei einer Breite von 19 geo-
graphischen Meilen. Der Flächeninhalt beträgt etlva 1600
Geviertmeilen, boch ist er nie genau festgestellt worben.
An ber Westküste besaßen bie Holländer 50 Jahre
lang eine Kolonie, bie jährlich von vielen großen Schiffen
besucht würbe. Im Jahre 1662 sielen aber bie hollän-
bischen Kolonien nach langjährigen Käinpfeit in bie Hänbe
ber Chinesen, welche noch heute bort herrschen.
Int östlichen Theile wohnen bie Ilreiitgeboreiten, ein
„malayischer" Volksstantm, ber sich bttrch hohe Statur unb
kräftige Muskelbilbung auszeichnet. Ueber sie haben wir
nur lvenig zuverlässige -Nachrichten. Der polnische Aben-
teurer Moritz Atlgnst von Benjowsky, lvelcher bie
Insel im Jahre 1771 auf seiner Flucht von Kamtschatka
her besuchte, wollte bort eine Kolonie aitlegen, gerieth aber
mit beit Eingeborenen in Streit. Seine Angaben lverbeu
als nicht sehr glaubwürbig betrachtet.
Das Laub ist burch eilten Höheuzug, ber sich au ver-
schiebeneu Stellen bis 12,000 Fuß erhebt, in eine östliche
unb eine westliche Hälfte geschieben. Die letztere ist flach,
eben unb mit China burch eine Menge kleiner Insel-
ketten verbunden, deren bedeutendste die Pescadores
bilden. Der östliche Theil, durchaus gebirgig, ist reich
bewaldet unb fällt sehr steil gegen bas Meer ab. Von dem
mittlern Höhenzuge laufen im rechten Winkel zu diesem
unb parallel untereinander tu ziemlich gleichen Zwischen-
räumen Gebirgsrücken aus, in bereit Thälern man überall
reich knltivirtes Land, Dörfer unb Städte erblickt. Die
nördliche Spitze ist wieder ziemlich flach, eben so die
südliche, unb beide erheben sich erst drei bis vier Meilen
von der Küste bebenteiiber.’ Die ganze Ostseite besitzt
keinen einzigen Hafen; nur eine kleine Bucht in der Mitte
der Küste gewährt zweifelhaften Schutz gegen die Süb-
westmonsuns.
Im Jahre 1861 besuchte das preußische Kriegsschiff
„Elbe", unter dem Kommando des Lieutenants Reinholb
Werner die Insel Formosa. Die Preußen wurden von
den Hülben Eingeborenen angegriffen und lieferten ihnen
ein Gefecht, in dem mehrere derselben getöbtet nmrbeit.
Sie konnten deshalb nicht näher in bas verlvnnschene
Land einbringen. Doch sammelte Werner viele treffliche
Notizen zur Kenntniß der Insel, die er in seinem aus-
gezeichneten Neisewerke niederlegte (Die preußische Er-
pedition nach China, Japan und Siam. 2 Bde. Leipzig
1868). Nach nautischen Angaben sollen an der Süb-
xtitb Westseite ber Insel keine Häfen sein. Werner ist
jedoch anderer Ansicht unb überzeugt, daß man bei näherer
Untersuchung nicht allein an der West-, sondern auch an
der Südseite Häfen sinbeu werbe.
Ueber die Sprache der Eiugeborenen erhielten lvir
durch die früheren holländischen Ansiedler einige Kenntniß.
Es eristiren zwei Dialekte, über ivelche der berühmte
Linguist H. C. v. b. Gabeleutz, ber gründliche Kenner
auch der malayischeu und polynesischen Sprachen, uns Auf-
klärung gibt. Nach ihm haben die formosanischeu Dia-
lekte eine allgemeine, doch keilte specielle Verwandtschaft
mit den malayischen und polynesischen Sprachen. Auch
die beibeit Mnnbarten sind unter sich sehr verschieben.
Die neneften wichtigen Nachrichten über Formosa er-
hielten wir kürzlich durch beit englischen Vieekonsul -JCobert
Swinhoe, lvelcher längere Zeit ztl Tai-Wan-Fn, auf
der Insel selbst, wohnte. Seilt Bericht lvarb in der
Sitzung der englischen geographischen Gesellschaft am
14. December 1866 verlesen und gab zu ntannigfacheu
Bemerkungen Veranlassung:
Der westliche Theil der Insel ist ein Fu ober Distrikt
der chiuesischen Provinz Fokien unb wirb von einem be-
souberu Tau-Tai regiert. Der Hafen von Tai-Wau-Fu
ist schlecht unb hat ungenügenden Ankergrnnb; der Ort
selbst ist mit einem hohen Wall umgeben, der aber nicht
verhindert, baß eine große Verschlammnng durch den hier
mündenden Fluß stattfindet.
Die Küstenschifffahrt bei Formosa ist mit großen Ge-
fahren verbunden; überall sieht man Schiffswracke aus
dem Wasser ragen, da die wenigsten Seefahrer die aus-
gezeichneten Häfen am Südeude der Insel kennen
und sich vor den Stürmen dorthin zit retten wissen. Au
ber Nord Westküste mündet ber Tam-suj-Fluß, ber sich
sehr gut zur Anlegung eines Hanbelshafens eignet und
zur Flnthzeit 16 Fuß Wasser über der Barre hat. Die
Hauptstadt Foo-Chow (Fn-tschau) ist nicht weit davon
entfernt. Die einzige Gefahr für den Schiffsverkehr in
dieser Flußmündung bieten die Ueberschwemmnugen, welche
int Frühsommer beim Schntelzen des Schnees eintreten.
Der obere Lauf des Flusses wirb durch zlvei Hauptarme
gebildet; au einem derselben hat man Schwefellager
entdeckt, Richt weit davon ist eine große Wasserleitung
vor etwa 40 Jahren angelegt worben; sie ist ans Holz
gebaut, fünf Fuß tief, acht Fuß breit unb mit chinesischem
Cement ausgeschlagen.
In dieser Gegend liegt auch die Grenze, lvelche beit
westlichen chinesischen Theil vom östlichen, noch von
den U rein gebor eiten bewohnten, trennt. Die Chi-
nesen haben die Grenze sehr genau durch Abholzen ber
Wälder und Anlagen von Theepflanzniigen bezeichnet,
während im Osten noch Alles dicht bewaldet ist.
Vom November bis zum Mai fällt sehr viel Regen,
Leben und Treiben in den Grubeurevieren Ostsibiriens.
121
wodurch das Klima verhältnißmäßig kalt wird. Swinhoe
schreibt diese übergroße Menge atmosphärischer Feuchtig-
keit der Meeresströmung zu, welche unter dem Namen
Kurosiwo bekannt ist und am Südende der Insel und deren
Ostseite vorbei fließt, um sich dann nach Japan und den
Kurilen zu wenden.
Formosa ist reich an Kohlen, namentlich findet man
am Nordostende, bei Coal Harbonr, gute Lignite.
Thee, Reis, Zucker, Gerste, Weizen, Grastnchfasern,
Kampher, Petroleum und Farbhölzer kommen in ausge-
zeichneter Qualität vor. Als Haupteinfuhrartikel gilt
Opium.
So weit geht Swinhoes Mittheilung. Daß Formosa
einst eine wichtige Rolle im Handel spielen wird, ist
nicht zu bezweifeln. Wir haben früher (Globus IV,
351) schon erwähnt, daß zwei neue Handelshäfen, Kilung
und Takao, ohne Einwilligung der Chinesen von euro-
päischen Kaufleuten eröffnet worden sind. Einen Haupt-
ausfuhrartikel der Insel nach China hin bildet auch das
sogenannte Reispapier, auf welchem die Chinesen ihre
farbenprächtigen Malereien ausführen. Es wird auf
Formosa gewonnen, nicht aber aus Reis, wie der
Name andeutet, sondern aus dem Mark einer bambns-
ähnlicheu Pflanze. Die Staude wird ganz jung in Töpfe
verpflanzt und, nachdem sie eine gewisse Stärke erlangt,
gekocht und von der äußern harten Rinde befreit. Das
oft zwei bis drei Zoll im Durchmesser haltende Mark
wird in eine Drehbank eingespannt und, während es sich
wie eine Walze dreht, vermittelst eines sehr scharfen, fei-
nen und breiten Messers in Blätter geschnitten, die sich
der Länge nach abrollen. Die größten Bogen sind 18
Zoll lang und 9 bis 10 Zoll breit. Das auf solche
Weise gewonnene Papier ist außerordentlich weiß, zart,
spröde und sieht aus, als ob seine Bestandtheile zerstampf-
ter Reis seien, was wahrscheinlich den Grund zu seiner
Benennung gegeben hat. Zum Schreiben ist es gänzlich
unbrauchbar, dagegen eignet es sich trefflich zum Malen.
Was die Kohlen Formosa's betrifft, so ist ihre aus-
gezeichnete Beschaffenheit bekannt. Admiral Collinson
gab in der oben angeführten Sitzung der londoner geo-
graphischen Gesellschaft einige Auskunft über dieselben.
Er hatte die Pescadores-Inseln untersucht und kam auch
nach der Ostküste Formosa's. In dem Flusse, welcher in
die Kilung-Bay (im Norden) einmündet, traf er chine-
sische Dschonken, die mit Kohlen beladen waren. Etwa
eine Stunde stromaufwärts von der Flußmündung liegen
die Kohlengruben, die aber in einer sehr ursprünglichen
Weise nach Raubbaumanier betrieben werden.
Die Engländer scheinen jetzt ihr Augenmerk auf die reiche
und günstig gelegene Insel werfen zu wollen, die trotz aller
Berichte uns doch noch in vielen Beziehungen eine terra, in-
cognita bleibt. Schon vor '150 Jahren war Formosa einmal
in England auf der Tagesordnung. Abenteuerliche und
fabelhafte Reisebeschreibungen lagen damals im Zuge der
Zeit. Defoe hatte seinen Robinson geschrieben, roman-
tische Inseln in der Südsee waren entdeckt worden; die
Einbildungskraft der Menschen war erhitzt. Es klingt
unglaublich und ist nichts desto weniger wahr, daß ein
erfinderischer französischer Abenteurer auf die kindische
Märchenlust des Zeitalters seine ganze Laufbahn baute.
Dieser Mann nannte sich Psalmanazar. Ergab vor,
auf Formosa geboren zu sein und veröffentlichte eine sehr
genaue Geschichte und Beschreibung dieses seines angeb-
lichen Vaterlandes, in der er anziehende Sittenschilderun-
gen und das Alphabet und die Grammatik der von ihm
scl&ft erfundenen Sprache vorlegte. Das Buch fand all-
gemeinen Glauben und wurde vielfach übersetzt. Der
Bischof von London beauftragte Psalmanazar, den eng-
lischen Katechismus in seiner Sprache zu bearbeiten, und
von allen Seiten strömten ihm Gelder zu, denn die From-
men in England, damals so leichtgläubig, wie sie heute
noch sind, freueten sich, daß der „Wilde von Formosa"
znm Christenthum bekehrt worden sei. Auf Grund dieser
gelungenen Spekulation führte Psalmanazar ein sehr
behagliches Leben. Später aber rührte ihn das Ge-
wissen; er ergriff ein ehrliches Gewerbe und schrieb in
seinem Alter Memoiren, in denen er die Welt über seine
großartige Betrügerei aufklärte.
Wir wollen noch einige Notizen beifügen. Die Chi-
nesen sagen, gewiß mit Unrecht, den Ureingeborenen nach,
diese seien Kannibalen und wohnten auf Bäumen, denn
Swinhoe sah bei ihnen hübsche Häuser und wohlbesteüte
Felder. Der chinesische Antheil wird als eine Korn-
kammer für die ans dem Festland liegende Provinz Fo
kien betrachtet, und deshalb findet zwischen Taiwan und
Amoy ein lebhafter Verkehr statt, eben so mit denLutschn-
Jnseln.
Die Holländer hatten von 1622 bis 1662 festen Fuß
auf Formosa und besetzten auch die Pescadores, um von
dort ans den Portugiesen, die Macao innehatten, Con-
cnrrenz zu machen und die spanischen Philippinen zu
überwachen. Aber auch die Japaner hatten einige Nie-
derlassungen auf Formosa, im 15. und 16. Jahrhundert,
als ihr Land noch nicht gesperrt war; sie wurden aber
später vertrieben. Chinesen kamen in Menge, als das
Blumenreich der Mitte im 17. Jahrhundert von den
Mandschu erobert wurde. Eine Hauptniederlassung der
Japaner war auf Samasima (Sima, japanisch: In-
sel) in der Nähe des Südkaps.
Leben und Treiben in den Grnbenrevieren Dstirbiriens.
Den Mittelpunkt für die Goldgewinnung im öst-
lichen Sibirien bildet das Gouvernement Jenisseisk, und
von dort sind während der letztverflossenen 30 Jahre un-
geheure Quantitäten des edeln Metalles in den Verkehr
gelangt. Aber der Ertrag ist stark im Abu eh inen,
nicht nur, weil viele Goldwäschereien bereits erschöpft
wurden, sondern hauptsächlich auch wegeil der in hohem
Grad unzweckmäßigen und mangelhaften Berggesetze. Die
russische Bureaukratie, die Alles reglementiren möchte,
hat auch in dieser Beziehung sich Mißgriffe der schlimm-
sten Art zu schulden kommen lassen. Die Nachweise dafür
hat W. Skariatin in seinen „Denkwürdigkeiten eines
Goldjägers" geliefert. Er sagt, es feien noch viele
Globus VI. Nr. 4.
Wäschereien vorhanden, die eine schwächere Ausbeute gäben
lind deshalb noch nicht in Angriff genommen würden,
aber bei zweckmäßigeren Betriebsarten würden sie doch
lohnen. „Man müßte aber allen Zwang beseitigen und
fernerhin nicht verlangen, daß alles Gold an den Staat
abgeliefert würde, was bis jetzt der Fall ist; auch müßten
die Abgaben an die Krone vermindert und in zweck-
mäßiger Weise vertheilt werden. Dabei würde der Staat
allerdings um einige Einkünfte verkürzt werden, aber das
geschieht auch jetzt schon. Alle ergiebigen Gruben der
Negierung sind scheu in Betrieb und neue entdeckt man
nicht," (Wolfsohns Russische Revue, März 1864, S.
413.) Skariatin fügt hinzu, daß das Aufhören der Gold-
16
122
Leben und Treiben in den Grubenrevieren Ostsibiriens.
förderung in jenen weitentlegenen Regionen ein äußerst
harter Schlag sein wurde, denn jede andere Industrie
fehlt, und die dorthin verbannten Leute sind ganz vor-
zugsweise ans diesen Erwerbszweig angewiesen.
Allerdings war vor der Goldentdeckung so gut wie
gar kein Leben in Ostsibirien, wenn man von dem Handel
mit China absieht, der auf dem einen Punkte Kiachta
vermittelt wurde. Im klebrigen war nur die Jagd auf
Pelzthiere von Bedeutung, Geld war so selten in Jenisseisk,
„daß, um dergleichen bongen zu können, z. B. zur Miethe
eines Rekrutenstellvertreters, zur Bezahlung von Steuern
oder zu einer Hochzeit, eine Bauernfamilie sich
mitunter auf mehr als ein Jahr zur Frohnar-
beit verdingen mußte. (Erman, Archiv, XXIV,
S. 544.)
Uebrigens lebten die Bauern im größten Wohlstände;
sie hatten' Vieh und Getreide vollauf, speisten vortrefflich,
aber es fehlte ihnen jede Anregung, sie vegetirten nur.
Dann und wann richteten Räuberschaaren große Ver-
wüstungen au, überfielen die Dörfer, plünderten und
schleppten Frauen und Mädchen mit sich iu die Wälder.
Durch die Goldeutdeckungen kam in das ganze Leben
eine völlige Umwandlung, ähnlich wie in Kalifornien,
an dessen frühere Zustände die sibirischen Verhältnisse in
vielen Beziehungen erinnern, während sie in anderen
völlig abweichen und ein slavisches Gepräge tragen. Ueber
die amerikanischen Golddigger sind hundert und aber hun-
dert Schilderungen entworfen worden, aber das Treiben
der sibirischen Goldjäger ist iu seinen Einzelheiten wenig
bekannt geworden; nur wollen deshalb einige Schilde-
rungen Skariatins, der lange an Ort und Stelle war,
mittheilen; sie haben ein kulturhistorisches Interesse und
nehmen sich für uns Deutsche so seltsam fremdartig ans.
Sobald das Gold entdeckt war, kam in die bisher
stumpf hinvegetirenden Menscheil eine fieberhafte Reg-
samkeit; nach ein paar Jahren sah man die „Ezaren der
Taiga", d. h. die Besitzer der Goldwäschen, im üppigsteil
Wohlleben; sie siild schon Millionäre, aber darum nicht
etwa verweichlicht. Deim sie zieheil mit ihren Ageiiten,
Prikaschtschiks, und Hunderten voil Arbeitern in die fast
unzugänglichen Berge, in die dichten Wälder oder auf die
Tundras, diese mit Moos und Flechten bewachsenen
Moore, wo sie den Torf aufwühlen und ilicht selten bis
an die Hüften im Wasser oder Schnee stehen und weder
Kälte noch Nässe scheuen. Wir sehen sie iu Felsenlaby-
rinthen und Waldöden, ivo sie alle möglichen Entbehrun-
gen, Hunger, Durst nnb Frost nicht achten und weder
Gesundheit noch Leben schonen. „Diese Sybariteu, welche
einige Monate vorher in Jenisseisk, Krassuojarsk oder
Tomsk sich an Trüffeln eine Güte thaten und nur Cham-
pagner tranken, stillen jetzt ihren Hunger mit einer Suppe,
die aus dem Leder alter Stiefelll bereitet wurde, oder —
der Fall ist auch dagewesen — mit dem Fleisch eines
ihrer menschlicheil Gefährten. Und wozu unterwerfen sie
sich allen diesen Qualen? Um eine noch reichere Fund-
stätte zu entdecken, mit noch mehr Gold zu bekommen!
Unterdessen werden durch Art, Säge und Feuer hundert-
jährige Wälder niedergelegt und goldhaltige Strecken klar
gemacht. Wie durch einen Zauberschlag entstehen Häuser
und Magazine; man bahnt Wege für den Transport der
Vorräthe, welche massenhaft ankommen. Dort sind im
Sommer, der Jahreszeit, in welcher man in den Gold-
wäschen arbeitet, tausende von Leuteil thätig. Sie gönnen
sich nur wenige Stunden Schlaf. Die Taiga -Czaren aber
werfen mit vollen Händen Gold und Creditscheine hinaus,
um ihre oft ganz sinnlosen Launen zu befriedigen."
Die Häuser der Goldjäger, welche an der Spitze einer
Gesellschaft standen, wurden in eine Art von Gasthöfen
verwandelt, wo Jeder, der schmausen und spielen wollte,
freundliche Aufnahme fand. Das Kartenspiel war an der
Tages- und Nachtordnung. Erilste, gesetzte Leute, welche
Handelsuuternehmungen im Betrage von Millionen zu
überwachen hatten, spielten buchstäblich bis zum Uinsallen,
und beim Spielen wurde immerfort gezecht. Skariatin
kennt ein Beispiel, daß 45,000 Silberrubel auf
eine einzige Karte gesetzt wurden. Man spielte
auch um Leibeigene, aber, was löblich ist, unter der Be-
dingung, sie im Falle des Verlustes freigeben zu können.
Es gab Häuser, tu denen binnen drei Monaten
für 30,000 Silberrubel Champagner getrunken
wurde, denn andern Wein wollte mau ilicht genießen.
Das Geld hatte allen Werth verloren. Ein Gold-
jäger schickte mehrere Tage hinter einander alle halbe
Stunden eine Estafette mit leeren Briefcouverts ab, blos
um den Postmeister zu ärgern und ihn im Schlafe zu
stören! Ein Anderer ohrfeigte ans Uebermilth und zum
Zeitvertreib eineil Beamten, der eilte höhere Stellung
einnahm, nnb schenkte ihm für jeden Backenstreich ein
hübsches Hans. Ein Dritter ließ sich die besten Feuer-
spritzen aus Europa koinmen lind bildete ans seinem
Gesinde eine Feuerwache. Um zu sehen, ob die Lelite
gut eingeübt seien, ließ er eines seiner Häuser in Brand
stecken.
Klassisch ist folgende Thatsache. Ein Mann besaß eine
der ergiebigsten Priisken, d. h. eine goldhaltige Schicht,
voll 30 Arschinen Tiefe. Als eines Tages aus dem
Schilfs eine 11 Pfund wiegende Goldmasse zu Tage ge-
fördert wurde, warf der Mann sich der Länge nach
in den Schlamm hin und ließ sich von seinem
Diener mit Champagner begießen. Dabei rief
er: „Gieß nur immer zu, Wanka; ich mache dich zum
Edelmann!"
Eiil „Goldczar" hatte beim Frühstück viel Champagner
getrunken; als er dann ausging, stieß er mit seiner Nase
all die Mauer eitles Nachbarhauses. Ueber eine solche
Frechheit des Hauses empört, sanfte er das Gebäude und
riß es nieder. „Nun wird es sich ilicht mehr unter-
stehen, reichen Leuten i)en Weg zu versperren."
Ein Goldczar war nach Petersburg gekomtnen ntld
wollte auch Kronstadt besuchen. Er hielt es aber seiner
für unwürdig, mit anderen, ärmeren Leuten für einen
Rubel Fahrgeld auf einem und demselben Dampfer ztl
sein, und miethete sich deshalb einen für seine Person
gailz allein.
Ein Anderer war zur Kindtaufe geladen; er schetlkte
dem Kinde 25,000 Silberrnbel für's erste Zähnchen.
Das sind Züge aus dem Leben lind Treiben der
Goldczaren; die gemeinen Arbeiter treiben es,' iu ihrer
Weise, ilicht besser. Viele kamen, nachdenl sie einige
Monate gearbeitet hatten, mit 600 bis 1000 Rubel zurück
in die Dörfer und Städte, wo sie sich sofort in die ärgste
Völlerei stürzten. „Gebt Weilt her, wie ihn die Herren
trinken!" nämlich Champagner, den sie mit 8 bis 10 Rubel
bezahlten. Nach wenigen Wochen hatten sie nicht nur
den ganzell Gelderwerb, soilderil auch Kleider, Schuhwerk,
kurz alle Habe vertrunken und vergeudet. Diese erste
Periode des „Goldjägers" bezeichitet man in Ostsibirien
als „Sodom und Gomorrha".
Ein Arbeitsmann in Jenisseisk bezahlte einige hun-
dert Rubel für ein Stück Seidenzeug und ließ dasfelbe
quer über die Straße legen, um seine Stiefeln nicht zu
beschmutzen.
Ein Anderer miethet für schweres Geld eine Anzahl
Mädchen, die ihn im Schlitten vier Wegstunden weit
nach der nächsten Ortschaft ziehen müssen. Unterwegs
begegnet ihm ein Gerichtsbeamter, der ihn wegen Ruhe-
störung verhaften will. Aber der Arbeiter weiß, lote man
einen solchen Cerberus zahnt macht, damit er nicht belle;
er fordert den Beamten auf, den Mund weit zu öffnen,
und stopft ihm denselben mit Kassenbillets voll.
Alls der Straße begegnet ein Arbeitsmann dem Po-
lizeikommissar. Er drückt detnselben einen Füufzigrubel-
scheiit ilt die Hand und spricht: „Nehmen Sie nur, Euer
Wohlgeboren; komme ich Ihnen heute nicht in den Griff,
so kann es inorgen sein, und dann werden Sie meiner ge-
denken."
Zur Kennzeichnung der Zustände Ostindiens.
123
Das Alles darf nicht Wunder nehmen, dein: es
würde sich im Wesentlichen, wenn auch mit abweichenden
Einzelheiten, überall wiederholen, wo die untersten
Klassen plötzlich oben auf kommen. Skariatin schreibt:
„Das Goldfieber traf im Gouvernement Jenisseisk keine
selbständige, gebildete Gesellschaft an, nicht einmal eine
solche, wie man sie in jedem andern russischen Gouver-
nement findet. Die Beamtenklasse, welche früher den
Ton angab, wich vor dem Andränge der unternehmen-
den Einwanderer, welche von allen Ecken und Enden
des Reiches herbeiströmten, um ihr Glück zu versuchen.
Sie beugte und bückte sich uub tanzte nach der Pfeife
dieser neuen Aristokratie, der Ballern als Millionäre;
sie strenete deil neuen Göttern Weihrauch und aß und
trank auf de» wahrhaft homerischen Festmahlen. Wer
besaß auch Autorität genug, um jene Leute zu zügeln,
ihren Thorheiten und Ausschreitungen entgegen zu'tre-
ten? Auch konnten die Beamten ihnen nicht zum Muster
dienen, und von den zahlreichen Abenteurern, welche nun
in Sibirien auftauchten, war wohl äußerer Firniß 31t
entlehnen, aber keine sittliche Bildung. Wenn Menschen,
welche bisher auf der niedrigsten Stufe der gesellschaft-
lichen Leiter standeil, die bei Kohl und Schwarzbrod auf-
gewachsen wareil und ihr Vermögen nach Kopeken zählten,
wenn solche Leute sich nun an Trüffeln satt essen und
mit Champagner berauschen konnten, wenn sic über tau-
sende, ja hnnderttausende von Rubeln zu gebieten hatten,
dann ist begreiflich und verzeihlich, daß ihnen der Kopf
schwindelte. Solchen Leuten drückten Generale, Grafen,
Fürsten die Hand und gaben ihnen Festessen; ist es ein
Wunder, wenn sie dann alles Maaß verloren?"
Mit den erstell tausend Pilden Gold, welche inan der
Erde abgewann, strömte eine Menge von Kapital unter
das Volk, lind sogleich nahm der Verbrauch voil Gewerbs-
und Luruserzengnissen großartige Verhältnisse an. Alles
Mögliche fand Käufer zu fabelhaft hohen Preisen und
gegen baar. In deil flehten Städten, die rasch anwuch-
sen, war gleichsam ein immerwährender Jahrmarkt. Der
Absatz von Erzeugnissen des Landbaues und der Gewerbe,
der in früheren Jahren in Ostsibirien karun 700,000
Rubel betrug, stieg auf 10 Millionen Rubel Silber.
Doch beschränkten sich die Wirkungen liicht auf jene Ge-
gend allein, sondern berührten sehr merkbar auch deil
Verkehr auf den Messen von Rischnei Nowgorod und
Jrbit. Die durch ihre Lederwaaren und einige andere
Gelverbserzeugnisse bekannte Stadt Tjumen, welche
früher nur geringen Absatz nach Ostsibirien hatte, ver-
schickte voil nun an für mehr als eine Million dorthin.
Die bienenreichen Bezirke des Gouvernements Tomsk
hatten einen Absatz von nur etwa 1000 Pnd Honig, der
sich aber jetzt rasch bis auf 20,000 Pud steigerte. Ans der
Kirgisensteppe kamen nun jährlich mehr als 100,000 Stück
Vieh in die Goldgegenden.
Der Umsatz auf der Messe von Jrbit betrug in den
Jahreil von 1825 bis 1830 im Durchschnitt jährlich 30
Millionen Papierrubel; er stieg in den Jahren von 1840
bis 1860 auf 60 bis 70 Millionen Rubel Silber. (Ich
halte diese Angabe für äußerst übertrieben.) In jener
Zeit entstanden auch viele kleine Kapitalisten („Geld-
mänuer, Deneschniki"), Leute mit einem Vermögen
von 5000, 10,000, 50,000 bis 100,000 Rubel Silber.
Die Bewohner Sibiriens leben in einem Wohlstände,
von welchem sich der Bauer int europäischen Rußland
nichts träumen läßt. Alles geht auf städtischem Fuße
zu ; die Häuser haben mehrere Zimmer; die Leute kleiden
sich gilt ; Speise und Trank hat man vollauf. Mancher
Bauer fährt in stattlicher Kutsche mit einem Dreigespann
und hält Tagelöhner.
Beiul Anlegen und Einrichten einer Goldwäscherei
geht cs folgenderntaßen zit: Zn Anfang des Winters,
wenn der Schnee noch nicht tief liegt, bahnt man einen
Weg über das Eis der Flüsse und die zwischen denselben
liegenden Tragstellen (Wolok), um Mehl, Fleisch, Ar-
beitsgeräthe rc. nach dein vorher schon ausgewählten
Priisk, der Fundstätte, zu schaffen. Hier wird eine
Hütte für den Agenten und einige Arbeiter aufgeschlagen.
Die Uebrigen erscheinen erst, 100 bis höchstens 200' an
der Zahl, im März. Holz ist im Ueberflusse vorhanden,
und Hütten mit Oefen sind bald hergestellt. Dann baut
man ein Haus für den Direktor, Krankenstube, Bäckerei,
Schmiede und Magazin, stellt eine Maschine auf, gräbt
einen Abzugskanal, nnt> dann beginnt das Goldwäschen.
In einem leidlich ergiebigen Priisk wurde gewöhnlich schon
bis September nicht nur das Betriebskapital gedeckt, son-
dern auch ein Gewinn erzielt. —
Skariatin apostrophirt den sibirischen Urwald in
folgender Weise. „Wie schön bist du, sibirische Taiga,
bedeckt mit einer Kappe von Nadelholz und besäet mit
Goldkörnern! Wie wohl ist es in dir dem freien Sibi-
riaken, dem Abkömmlinge Jermaks und Pugatschesfs,
des kühnen Abenteurers nnt> des kecken Räubers! Wie
mächtig entwickelt sich unter deinen schroffen Felsen, deinen
tiefen Wäldern und an deinen rauschenden Strömen der
unternehmende Geist des russischen Volkes! Du glänzest
nicht durch blendende Farbenpracht; kein üppiger Blumen-
flor schmückt deine Thäler 1111b Bergketten; — was zieht
denn nun so unwiderstehlich zu dir hin? Warum sehnt
sich das Herz nach dir auch im entfernten Süden, unter
den: unbewölkten blauen Himmel, im Schatten laubreicher
Platanen nnd Eichen? Ein geheimnißvoller Reiz ver-
birgt sich in deiner finstern Majestät."
Zur Kennzeichnung der Zustande Dflindiens.
Ostindien bildet eine ganz eigenthümliche Welt, in
welcher die schroffsten Gegensätze dicht neben einander
liegen und nicht selten scharf auf einander prallen. Als
eine englische Kolonie darf man das große Land nicht
bezeichnen; es kann auch nie eine solche werden, sondern
es ist und bleibt bis ans Weiteres eine Besitzung,
welche der dermalige Inhaber mit mit Waffengewalt
behaupten kann. Denn innere Beziehungen zwischen den
Europäern und deir Bewohnern Indiens, gleichviel wel-
cher Religion oder Kaste dieselben angehören, finden
durchaus nicht statt und werden sich auch niemals herstellen
lassen. Die Verschiedenheiten sind zu groß; sie liegen tief
im Innersten der Menschen, in den Verhältnissen, die
ein Erzeugniß von Jahrtausenden sind, in den Zuständen
überhaupt.
Für den europäischen Besitzer Indiens hören die Ver-
legenheiten gar nicht auf. Nachdem der gefährliche Auf-
stand der Sipahis mit Mühe nnd Noth gedämpft worden
war, hatte das Land eine Zeitlang, dem äußern Anscheine
nachweine geivisse Ruhe, aber die Gährnng war in den
Gemüthern geblieben, nnd im Nordwesten entlud sich im
vorigen Jahr eine schwere Wetterwolke. Eine Anzahl
kriegerischer Stämme, die zusammen mehr als 30,000
Kämpfer ins Feld stellten, erhob sich unter ganz elgen-
-iß*
124
Zur Kennzeichnung der Zustände Ostindiens.
thümlichen Umständen, die wir vielleicht ein anderes Mal
schildern, und es hat viel Mühe uiib Blut gekostet, diese
Bonairs und Jussufseis vorerst unschädlich zu machen.
Gegenwärtig hat die britisch-indische Regierung Zer-
würfnisse mit dem Nizam von Haiderabad, mit dem Rad-
scha von Mauipur und auch mit dem bekannten Herrscher
von NipLl, Dscheng Bahadur. Sie besitzt Macht genug,
diesen Fürsten, wie schon so vielen anderen, eine derbe
Lehre zu geben; aber sie ist, abgesehen von jenen Zwistig-
keiten, noch in einen andern Handel verwickelt, der zu
nranchen Verlegenheiten führen kann. Er ist in hohem
Grade charakteristisch für die indischen Zustände.
Wer jemals in Calcutta gewesen ist, denkt gewiß
mit Abscheu und Grauen an den Anblick, welchen der
große Strom, der Hnghly, darbietet. Tag für Tag
schwimmen menschliche Leichen auf dem Wasser; mit der
Ebbe treiben sie abwärts, mit der Fluth wieder auf-
wärts, bleiben nicht selten an den Schiffen und Ufern
hängen und verpesten die Luft.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand, der eben so
widerwärtig und abscheulich ist. Auf dem Nimtollah
Ghat, einem Platze, wo die Hindus ihre Leichen ver-
brennen, steigt ein scharfer, stinkender Qualm empor, wel-
chen der Wind nicht selten über die ganze Stadt wegtreibt,
^eue Verbrennnngsstätte wird von hunderten herrenloser
Hunde umschwärmt, welche die Knochen abnagen; dazu
kommen dann Aasgeier und Raben in ungezählten Schwär-
men, um Antheil an dem widerwärtigen Fraße zu nehmen.
Diese Uebelstände sind alt und die Engländer haben
sie bis jetzt geduldet. Sie machten jedoch ben Versuch,
die Leichenverbrennung an einem bestimmten Platze zu
bewerkstelligen, damit nicht meilenweit am Ufer, bald da,
bald dort, Scheiterhaufen errichtet würden. Viele Hindu
werfen aber die Leichen ins Wasser, obwohl ihre Religion
ihnen das nicht gebietet; die armen Leute thun es aber,
weil sie kein Geld haben, um die Ceremonien bei der
Verbrennung ¿u bezahlen. Der Abgeschiedene findet,
ihrem Glauben zufolge, nur dann Ruhe und Seligkeit,
wenn feine Asche mit Wasser ans des Ganges heiliger
Stromfluth benetzt wird. Den Todten 511 begraben, wäre
eine Verletzung der Religion. Also werden sie von
Wohlhabenden verbrannt und mit Gangeswasser be-
sprengt; der Arme wirft sie, wie gesagt, ohne Weiteres
in den Strom.
Nun habeir zu Anfang des Jahres 1864 in Bengaleil
einige ansteckende Krankheiten und dazn die Cholera arg
gewüthet, lind die Zahl der im Hnghly schwimmenden
Leichen war größer als je zuvor. Die europäische Ge-
meinde in Calcutta drang deshalb in die Regierung,
endlich einmal gesundheitspolizeiliche Maßregeln anzu-
ordnen, weil der bisherige Zustand geradezu unerträg-
lich geworden sei.
Dem Ansuchen ivnrde willfahrt, htbeni die Regierung
eine Verordiiung erließ, mit der sie aber in ein höchst ge-
fährliches Wespennest gestochen hat. Sie machte bekannt,
daß es, laut dem Strafgesetzbuche, verboten sei, Leicheil
von Menschen oder Thieren in den Strom zu werfen.
Das sei trotzdem geschehen, solle aber fernerhin liicht ge-
duldet werden. Ferner verordnete sie, daß fortan im
Banil der Stadt Calciitta keine Menschenleichen ver-
brannt und keine Thierhäute abgezogen werden dürfen;
Leicheil sollen gar nicht mehr in beu Strom geworfen
werden. Alle Ghats, wo seither Verbrennungen statt-
faiiden, solleil ohne Weiteres geschlossen werden.
Die Hindu sehen in dieser Verordnung eine abscheu-
liche Willkür, eine unerträgliche Tyrannei, eine Verhöh-
nung ihrer religiösen Gebräuche, und die Erbitterung
hat, den Berichten aus Indien (vom 10. März) zufolge,
einen hohen Grad erreicht. Sie ist auch jedenfalls un-
klug, weil sie mit einem Schlage beseitigen will, was
nach und nach viel zweckmäßiger hätte geschehen können.
Man hat von Seiten der Aerzte der Regierung vorge-
stellt, es werde zweckmäßig sein, in einer gewissen Ent-
fernung von der Stadt einen großen, allgemeinen Ver-
brennnngsghat anzulegen und die Leichen ans einer
Eisenbahn dorthin zu schaffeil. Das geht aber keineswegs
an, weil der Hindu seine Leichen nur beu Solchen berühren
läßt, die zu seiner Kaste gehören. Der oberste
Geslludheitsbeamte seinerseits hat beantragt, nran solle
eine größere Anzahl von Verbrennungsöfen bauen, aus
welchen der Qualm lind üble Geruch vermittelst eines
sehr hohen, allen Oefen gemeiilsamen Schornsteins in die
Luft gehe.
Mit diesein Vorschlage sind die eingeboreneil Richter
so ziemlich.einverstanden, aber in Bezug auf den Erlaß
der Regierung kennen sie iu scharfen Ausdrücken weder
Maß noch Ziel, 1111b das ist bedenklich, weil auch die
Volksmassenin hohem Grade gereizt sind und die Hindu-
zeitnugen zu offenem Widerstand auffordern. Jener
Gesundheitsbeamte hat übrigens einen Bericht erstattet, in
welchem er sagt: „Der Schmutz überall, der gräßliche
Gestank fast in jeder Straße, die Vernachlässigung all' und
jeder Reinlichkeit und Scham von Seiten der Eiugebo-
renen sind geradezu unglaublich." Es ist nun abzuwarten,
welchen Verlauf diese auf keinen Fall unwichtige Ange-
legenheit nehmen wird.
Eine Geschichte, welche sich mit dem Nisam von
Haiderabad begeben hat, ist seltsam genug und trägt,
ganz nach Art und Weise der alten guten Zeit, ein ächt
orientalisches Gepräge.
Als die Großmogul«: die Zügel ihres Regiments
nicht mehr straff in den Händen hielten, ihr Reich sich
lockerte und dein Zerfall entgegen ging, machte sich auch
der Verwalter der schönen und reichen Provinz Gol-
konda unabhängig. Während die Statthalter der übrigen
Provinzen (Snba's) den Titel eines Subadar führten,
hatte jener den eines 9t i s a m, d. h. Regulators.
Der Nisam Asus Dschah machte sich schon unter dem
Großmogul Anreng seb unabhängig, spielte als Nisam
ul Mulk (Regulator des Staates) eine große Rolle und
starb 1748, etwa 100 Jahre alt. Von ihm stammt der
gegenwärtige Nisam, von dem wir etwas zu erzählen
haben.
Die Engländer haben bot Nisam, wie alle arideren
indischen Fürsten, erklecklich an Land verkürzt, aber sein
Gebiet, das auf dem Hochlande von Dekkan liegt (etwa
15 bis 21° n. Br.) beträgt immerhin noch etwa 4500
Quadratmeilen, ist also größer als Ungarn itiib Galizien,
und die Bewohnerzahl reicht nahe an li Millionen hinan.
Von diesen bezieht der Nisam nahe an 10 Millionen
Thaler Einkünfte, von denen er aber mehr als zwei
Millionen für „Schutzgeld" au die Engländer bezahlen
muß. Diese sind dafür so großmiithig, daß sie die Sol-
daten des Nisam unter ihrer Leitung uub mit euro-
päischen Offizieren versehen haben.
Das Alles ist jenem Herrscher unbequem. In seiner
Residenz, dein malerisch gelegenen Haiderabad, ln h.
Löwenstadt, die am Flusse Massi liegt und 200,000 Ein-
wohner zählt, grollt er beu großmüthigen Briten, die
doch Alles thun, um ihn zu besänftigen und zu gewin-
nen. Aber er verachtet sogar den für treue indische
Fürsten als Auszeichnung bestimmten O r d e n d e s S t e r n s
von Indien, der immerhin etwas mehr bedeutet, als
der weltberühmte Rothe Adlerorden vierter Klasse. Dafür
soll er aber nun noch mehr mediatisirt werden; „mittel-
bar" ist er allerdings schon, und sein Land ein Schutzstaat.
Er hat nämlich nicht mehr und nicht weniger ver-
langt, als daß der englische Resident an seinem Hof ihm
dieselben Ehren erweisen solle, als wäre er ein souverainer
Monarch., Er beruft sich dabei auf mehrere alte Titel,
welche seither nicht abgeschafft waren, die aber nun
von der englischen Regierung in Abgang dekretirt wor-
den sind.
In London hatte man beschlossen, dem Nisam Afsnl
nd Daula jenen Orden des Sterns von Indien in höchst
Aus allen Erdtheileu.
125
feierlicher Weise überreichen zu lassen, und zwar durch
nicht weniger als 40 Offiziere.
Der Nisam hält einen sehr glänzenden Hof. Den
englischen Oberaufpasser, nämlich den Residenten, mußte
er freilich an demselben dulden, aber andere Landsleute
Macdonalds, Mayhews und Palmerstons hielt er wohl-
weislich fern. Als Grund dafür gab er dem Residenten
Davison Folgendes an: „Die Engländer sind Men-
schen von groben Sitten und plumper Lebens-
art, die ganz und gar nicht wissen, was sich
z i emt und schickt."
Der Resident verschluckte diese einigermaßen bittere
Pille. Der Ausspruch sollte zwar eigentlich nur auf
englische Kaufleute gemünzt sein, die um Erlaubniß
baten, in Haiderabad Comptoire zu eröffnen, doch unter-
liegt es keinem Zweifel, daß der Nisam demselben eine
größere Tragweite gegeben haben wollte; das wird durch
sein späteres Benehmen klar genug angedeutet.
Die 40 Offiziere mit dem Ordensstern kamen in der
Löwenstadt an und baten um Audienz. Der Nisam ließ
ihnen cavalierement sagen, bis ans Weiteres möchten sie
im äußeren Vorhofe des Palastes warten. Diese Un-
höflichkeit war allerdings empörend, und einige der Or-
densüberbringer wollten sofort nach Calcutta zurückgehen.
Doch wußte'der Resident sie zu begütigen; der Nisam
sei ein Herr, der manchmal wunderliche Launen habe.
Nach einer Weile ließ er die Fremden denn auch in den
Audienzsaal treten; der Vorhang des Durbar wurde zur
Seite geschoben.
Bevor die Offiziere den Saal betraten, deutete der
Resident ihnen an, sie müßten erst ihre Stiefel ausziehen
und barfuß hineingehen. Dazu wollten die Offiziere sich
begreiflicherweise nicht verstehen, sondern erklärten rund
herails, daß eine solche Zumuthung schimpflich sei.
Was sollte geschehend Der Resideilt Davison nahm
das Sammetkissen, auf welchem der diamailtenglitzernde
Stern von Indien lag, trat mit entblößten Füßen in
den Saal, niachte eine tiefe Verbeugung und kniete au
den Stufeil des Thrones nieder. Ein Bericht behauptet,
er sei gar auf allen Vieren gekrochen; aber wie hätte er
dann das Sammetkisseil mit dem Diamantenster» über-
reichen können? Gewiß ist, daß „die Sonile des Ruhms"
(auch ein Titel des Nisam) ihn blendete, denn er schlug
feine Augen nieder.
Die Offiziere waren am Eingänge stehen geblieben
uild sahen dem peinlichen Schauspiele zu. Der Nisam
würdigte den Ordensstern auch nicht eines Blickes, riß
aber das Kästchen, in welchenl er sich befaild, dem Resi-
deilten aus der Hand und steckte es unter ein Polster,
ans welches er sich dann setzte. Nicht ein Wort kain über
seine Lippen, wohl aber deutete er in brüsker Weise dem
Residenten an, er möge sich jetzt entfernen, und rauchte
seine Pfeife Tabak. Der Vorhang vor dem Durbar
(Diwan) wurde niedergelassen, und als die Offiziere sammt
dem Residenten abtrollten, ließ der Nisam einen Abschieds-
marsch aufspiele». Er hat näinlich auf der großen lon-
doner Weltausstellung einen Vogel gekauft, in dessen
Innern sich eine Spieluhr befindet. Diesen mechanischen
Singvogel liebt der orieiltalische Herr sehr; er spielt aber
auch einige hübsche Weisen, z. B.: „Mein Tabak
schmeckt mir heute gut", oder: „Heut' Abend
scheint der Mond so hell" und noch einige Matro-
senlieder.
Solche Musik also gab den 40 Offizieren das Geleit.
Mit dem Residenten, der sich so sehr herabgewürdigt
hatte, sprachen sie kein Wort. Davison schnitt sich dann
den Hals ab.
Man gab ihm einen Nachfolger, der ganz anders zu
Werke geht. Er will sich der haiderabader Etikette nicht
anbequemen. Der Nisam besteht aber auf dem alten
Brauch. Jener geht immer nur bis au die Thür des
Empfangssaales und hat sein Beglaubigungsschreiben in
der Hand; dieser nimmt es aber nicht an, und da sol-
chergestalt der Vertreter der Königin Victoria sich nicht
beglaubigen kann, so werden ihm auch die gebührenden
Ehrenbezeugungen nicht erwiesen.
Wir erzählen demnächst noch ein paar Geschichten
aus Ostindien, weil sie Streiflichter auf Menschen und
Verhältnisse werfen.
Aus allen
Aufschwung in Aegypten. Die uordamerikamsche Krchs
hat kaum für ein anderes Land so anregende Emwirkuiigeu,
wie ans jenes am Nil. „Hier ist jetzt Baumwolle Pha-
raoh", und die abendländische Betriebsamkeit dringt mit
Macht ein. Ganz vor Kurzem hat eine „Ackerbau - und Ju-
dustriegesellschast", die mit einem Kapital von 28 Millionen
Thalern arbeiten will, von: Vicekönige die Genehmigung er-
halten, und acht Handelshäuser von Manchester haben eine
andere Kompagnie mit 2 Millionen Pf. St. Kapital gebildet.
Diese will hauptsächlich Dampfpflüge, Pumpwerke zur Be-
wässerung, Ginmaschinen (zumEntkörnen der Baumwolle) ein-
führen, in Alerandria eine große Maschinenbauanstalt bauen,
im Lande auch Mahlmühlen und Ziegeleien anlegen. Jeder
aus Europa anlangende Dampfer ist mit Fahrgästen über-
füllt, und die Bevölkerung sowohl von Kairo wie von
Alexandria nimmt so rasch zu, daß die Miethpreise ungemein
gestiegen sind, weil es trotz der ausgedehnten Neubauten doch
an Wohnungen fehlt. Man klagt freilich darüber, daß auch
die Zahl der neuankommenden Gauner nnverhältnißmäßig
groß fet und der Polizei nicht minder viel Ungelegenheit mache,
wie den ehrlichen Leuten.
Der Baumwollenbau gewinnt eine immer größere Aus-
dehnung, die Zahl der Dampfer auf dem Nil vermehrt sich;
jetzt spricht man auch vom Bau einer Eisenbahn von
Berber am Nil nach Suakim am Rothen Meere.
Doch das wird wohl vorerst noch Projekt bleiben. Aber alle
Erdtheileu.
diese neuen Antriebe gehen nicht aus den mohammedanischen
Aegyptern selbst hervor, sondern sind so zu sagen europäische
Einfuhren. Der Orient kennt das nicht, was wir Fort-
schritt nennen; dieser ist eine durchaus abendländische Bestre-
bung, und selbst im Alterthum erhielt Aegypten den Seehandel
von den Griechen. Man denke nur an 'die Niederlassung der
Hellenen in Nankratis; der Gründer des Welthandelsplatzes
Alerandria war ein Macedonier. Seit Mehemed Ali strömen
vorzugsweise Franzosen ein, und diese haben den Antrieb zu
einer Menge von Neuerungen gegeben. Aegypten ist noch
heute, wie im Alterthum, ein „Wunder der Welt", aber seit
den Tagen des Islam nie mehr geistig regsam gewesen.
Ucbrigens versteht der Fellahj der Bauer, welcher sich jetzt
endlich seit einigeir Jahren in einer erträglichen Lage befindet,
die neue Zeit in seiner Weise zu benutzen; er arbeitet nun
für sich lind ist jetzt schon so klug geworden, daß er die Baum-
wolle an sich hält, um sie erst loszuschlagen, wenn der Preis
noch weiter in die Höhe gegangen ist. Es fragt sich nun, ob
dieser Allfschwung Aegyptens andauern werde, oder ob er nur
eine jener kurzen Episoden sein wird, deren der Orient manche
aufzuweisen gehabt hat. Den Znstäilden im Orient, wo Alles
auf Persönlichkeiten gestellt ist und die Gesellschaft in ganz
anderen Zuständeil sich befindet, als bei uns im Abeudlaude,
fehlt die Eontinuität, die Stätigkeit lind die regelrechte Ent-
wicklung. Uebrigens ist der jetzige Bicekönig Jsmael Pascha
ein intelligenter Mann, der seine Freude au der Entwicklung
126
Aus allen Erdtheilen.
seines Landes hat und — fast unerhört für einen mohamme-
danischen Fürsten — an Thätigkeit und Arbeitsamkeit Gefallen
findet! __________
In den La Platastaaten hat man sich mit Eifer und
allem Anschein nach mit Erfolg auf den B anmwo llenb an
geworfen, und Maschinen znm Entkörnen sind in Menge, und
zwar zollfrei, eingeführt worden. Jüngst wurden von Buenos
Ayres die ersten Ballen Baumwolle nach Liverpool verladen,
und die Beschaffenheit der Waare soll durchaus zufrieden-
stellend sein. Die Provinz Corrientes liefert, als erste
Ernte, etwa 1500 Ballen; die zweite, meint man, werde schon
vierfach stärker sein; auch in Entre Rios und besonders in
Paraguay sind die Ernteanssichten vortrefflich. In dem
höchst 'gesunden Klima jener Gegenden kann auch der weiße
Mensch ohne Gefahr dem Baumwollenban obliegen.
Die Einwanderung in die La Platastaaten
nimmt zu; es sind vorzüglich Südeuropäer, welche die großen
Vorzüge und Vortheile einer solchen erkennen. Wir haben
schon einige Male darauf hingedeutet, wollen hier aber noch
einmal einige amtliche Ziffern geben. In der Argentinischen
Republik landeten 1862 erst 6716 Einwanderer, im Jahre
1863 dagegen schon 10,408, und vom 1. Januar bis 26. Fe-
bruar 1864 betrug die Zahl 3169 Köpfe; zusammen in 27
Monaten 20,293. 'Nach den Nationalitäten vertheilt kommen
auf Italiener 50 Proc., Franzosen 23, Spanier 10, Schwei-
zer 6V2, Engländer 5, Irländer iy2, Deutsche nur 4 Proc.,
und doch sind gerade die Letzteren in jenem Lande sehr will-
kommen, und dre dort Angesiedelten befinden sich in trefflichen
Umständen. Je nach Answahl der Gegend lohnen Ackerbau,
Viehzucht oder Bergban, und die Ansiedler haben von den
inneren Fehden nie zrr leiben gehabt, weil sie verständig genug
waren, sich nicht in dieselben einzumischen. Die Abgaben sind
nicht derRede werth, die Religionsübnng ist frei, der Auslän-
der wird gern gesehen und bleibt in seiner Nationalität durch-
aus unbeeinträchtigt. Arbeiter finden lohnende Beschäftigung
vollauf, und mit dem Bau von Eisenbahnen wird rüstig
fortgeschritten.
Am wichtigsten wird jene sein, welche Cordova mit
dem wichtigen Stromhafen Rosario, am rechten La Plata-
ufer, in Verbindung bringt, und die weiter nach dem Innern
hin fortgesetzt werden soll. Die Ausfuhren Rosario's stellten
sich 1863 auf einen Werth von 3,266,682 Silberdollars und
ergaben 537,908 Dollars Ausfuhrzoll. Die Zahl der einge-
laufenen Schiffe betrug 423 rnit 32,295 Tonnen; alle kamen
beladen an und gingen beladen aus.
Ueber die Exporte aus dem Hafen Buenos Ayres
liegen uns für 1862 folgende Ziffern vor. Es gingen nach
Europa und Nordamerika: 1,262,440 trockene und 348,300
gesalzene Kuh - und Ochsenhäute; 65,447 trockene und 169,097
gesalzene Roßhäute; 70,52l Ballen und 1760 Säcke Schaf-
wolle; 12,442 Schaffelle; 3033 Ballen und 1325 Säcke Roß-
haare; 13,925 Pipen ilnd 15,791 Gebinde Pferdstalg. Wenn
man bedenkt, daß bei diesen Ausfuhren die oberen, weit im
Binnen lande liegenden Provinzen karun betheiligt sind, so
ergibt sich, daß die Viehzucht in den unteren Provinzen, na-
mentlich in Buenos Ayres selbst, einen großartigen Aufschwung
gewonnen haben muß.
In der Binnenprovinz San Juan geben die neuen
Silbergruben eine außerordentliche Ausbeute, doch sind in
jener Gegend eben jetzt die Indianer so gefährlich, daß man
nicht wagt, das edle Metall nach Buenos Ayres hinunter zu
bringen, sondern über die Cordillere nach Chile schafft.
Fast gleichzeitig hatte der Vulkan ans Reunion, im
Indischen Ocean, einen Ausbruch; auf den Molukken zeigte
sich eine große vulkanische Thätigkeit und dasselbe war auf
Java der Fall. Im Innern dieser Insel sind die Verwüstun-
gen groß. Auf der Strecke, welche zwischen den östlichen
Precinger-Regentschaften und den Grenzen von Probolingo
liegt, sind weite Räume von Lava überfluthet, und weit und
breit ist die Gegend mit Asche bedeckt. Geradezu entsetzlich
sind die Verwüstungen im Osten von Kediri, wo das Land
auf Jahre hinaus für den Airbau unfähig geworden ist. In
der Residentschaft Madiun soll die von den'Vulkanen ausge-
worfene Masse voir Asche und Sand nicht weniger als
1744,522,416 Kubikfuß betragen.
Ostindien. Unsere Leser wissen, daß die Engländer bald
an dem einen, bald an dem andern Punkte dieses großen
Landes irr allerlei Irrungen mit dem eingeborenen Volke oder
einem der vielen einheimischen mediatisirten Fürsten gerathen.
Gegenwärtig haben sie eine Verwicklung auch mitdemRadscha
vori M ann ip n r. Dieses Land gehört eigentlich schon zu Hinter-
iirdieri; es wird vom 24" n. Br. und 111° ö. L. durchschnitten
und hält etwa 470 Geviertmeilen. Zur Hälfte bildet es eine
Hochebene, die voir Bergeri sbis zu 5500 Fuß Höhe) einge-
schlossenist. Die Bewohner, Mannipuris, werden von den
Barmanen Kathi oder Kassi genannt; sie haben eirre ein-
sylbige Sprache, herrschende Religion ist der Brahmanismus.
Jrn Gebirge wohnen rohere Stänrme, die Naga oder Kuki,
unter eigenen Häuptlingen. Der Nadscha wär früher voirr
barmanischen Kaiser abhängig; als aber dieser 1826 im Kriege
gegen die Engländer unterlag, wurde Mannipnr „als äußerster
Vorposten der Briteii iin Norden Hinterindiens" Schutzstaat.
Im Jahre 1850 wurde der Radscha Dibindro Singh
von deii Engländern als rechtmäßiger Thronfolger anerkannt;
aber er wurde von Kirti Singh vertrieben, den sie schon
früher auch als rechtniäßigen Thronfolger anerkannt hatten,
und den sie dann abermals anerkannten, während sie den
Dibindro als Halbgefangenen in Dalla halten.
Als wir vor einiger Zeit die Ausdehnung des Thee-
baus in Indien schilderten, sagten wir aiich, daß die Land-
schaft Kat schar in dieser Beziehung sehr wichtig sei. Der
Nanie bedeutet steiles Land. Es ist ein im Westen des
nördlichen Mannipnr bis an das Tiefland Sjelhet im Brah-
mapntragebiet hinziehendes Hochland, durchschnittet! vom 24°
n. Br. und 111° ö. L., im Allgemeinen mit gesundem Klima.
Die Hauptstadt heißt Sildschär.
In diesem Lande nun haben englische Kapitalisten mehr
als eine Million Pfund Sterling angelegt, um den Theebau
in großartiger Weise auszudehnen. Aber der Radscha voti
Mannipnr bereitet ihnen alle möglichen Verlegenheiten. Als
ein Diener eines Theepflanzers in sein Gebiet kam, wurde
dieser ermordet, und man zweifelt nicht daran, daß der Nadscha
dahinter steckt; auch wurde ein Engländer bei Nacht überfallen
und beinahe ermordet. Der übermüthige Vasall zeigt überhaupt
eine systematische Feindschaft gegen seine Schutzherren. „Ich
will jeden Engländer/ der es wagt, in meinem
Gebiete Handel zu treiben, niedermachen lassen."
Das hat er offen ausgesprochen und gleichzeitig bei Todesstrafe
allen seinen Unterthanen verboten, auf den Theepflanzungen
in Katschar zu arbeiten. Vorerst hat er nur vom Residenten
eine „Verwarnung" erhalten, an die er sich vielleicht nicht
kehrt. Dann geht es ohne „Annexion" nicht ab, und man
sperrt ihn ein, wie so viele andere Nadschas.
Erdbeben sind in der neuesten Zeit ganz ungemein häufig
und machen sich fast zu derselben Zeit in weit von einander
gelegenen Gegenden bemerkbar. Am 11. Januar wurde die
durch ihre Silberbergwerke berühmteStadt Copiapö in Chile
schwer heimgesucht.' Viele Häuser sind zerstört, alle anderen
haben gelitten, auch Menschenleben sind verloren gegangen.
Die Erdstöße waren von langem tosendem Geräusch begleitet;
bei jedem einzelnen Beben wurden beträchtliche Strecken wie
Meereswellen emporgehoben und theilweise bis zu einer be-
trächtlichen Höhe in'die Lust geschlendert. Ein Bericht will
wissen, daß sich in der Gebirgskette zwischen Chile und Boli-.
via, mehr als 100 spanische Meilen von Copiapö entfernt,
ein neuer Vulkan bemerklich gemacht habe, der Ströme
glühender Lava schraubenförmig in' die Höhe schleudere. Doch
wisien wir darüber noch nichts Näheres.
Ein geographischer Schnitzer. Der Washingtoner Corre-
spondent der zu Augsburg erscheinenden Allgemeinen Zeitung,
hebt das „grandiose und bewundernswürdige Verpflegungs-
system" hervor, welches in der Armee der Nordstaaten herrsche;
es komme demselben Nichts auf der Welt gleich. In den
nordstaatlichen Blättern haben wir freilich manche Klagen über
dieses System gelesen, aber wir lassen die Sache aus sich be-
ruhen. Wir wollen nur hervorheben, in wie leichtfertiger
Weise Correspondenzen aus jenen Nordstaaten geschrieben und
m deutschen Blättern aufgenommen werden. Der Briefsteller,
um seinem Lob einen großen Hintergrund zu geben, fügt hinzu:
„Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß es sich hier
nrcht um ein Land handelt wie Deutschland — der
Staat Virginien ist ja allein so groß wie Deutsch-
land , sondern um ein Land, so groß wie ganz
Europa, ohne dessen Kultur."
Aus allen Erd theilen.
127
Das ist doch etwas zn arg, äHvcjinieii hat2890 deutsche
Quadratmeilen, und Deutschland ist demnach vier bis fünf
Mal größer. Was Europa anlangt, so nimmt man be-
kanntlich für unsern Erdtheil 154 bis 160,000 Geviertmeilen
an, während nach dem American Almanac auf das Gesammt-
gebiet der ehemaligen Union 135,302 deutsche Quadratmeilen
kommen. Sie hat also nicht den Flächeninhalt wie jenes.
Die Uebertreibung des Correspondenten stellt sich aber als eine
kolossale heraus, wenn wir zusehen, wie groß der Raum ist, wel-
cher den Kriegsschauplatz bildet. Die Neuengland-Staaten, die
mittleren Staaten und die sieben großen Staaten des Westens,
zusammen 24,442 Quadratmeilen, sind bis heute gar nicht
Kriegsschauplatz gewesen. Dieser liegt in den südlichen
Staaten am Atlantischen Meere, vorzüglich in Virginien, während
die beiden Carolina, Georgien und Florida nur an der Küste von
den Nordsoldaten besetzt sind. Von den 12,120 Geviertmeilen
dieser Staaten ist nicht ein Viertel in ihrem Besitze. Von Alabama,
Louisiana, Mississippi und Texas, zusammen 17,910 Quadrat-
meilen, gilt ziemlich dasselbe. In Missouri, Tennessee theil-
weise, Kentucky uiib Arkansas, zusammen 9540 Quadratmeilen,
haben sie die Oberhand. Als Kriegsschauplatz bleiben demnach
für die Nordunionisten, wenn wir auch alle jene Südstaaten
mit einrechnen, im höchsten Falle nur 39,000 Quadratmeilen.
Unberührt vom Kriege sind demnach mehr als
90,000 deutsche Quadratmeilen, und aus dieser stati-
stischen Angabe wird sofort klar, was es mit der Behauptung
auf sich habe, es handle sich dabei um ein Land, so groß wie
Europa! _________
Räuber, Wegelagerer und Banditen in Mexico. Sie spie-
len in dem zerrütteten Land eine große Nolle, und die Zahl der
zünftigen Mitglieder, das heißt solcher, die aus Raub rc. ein
Gewerbe machten, ist für 1862 nahe an 100,000 angegeben
worden; dazu kommen dann noch die Dilettanten. Ein großer
Theil des Uebels schreibt sich noch aus den Zeiten der spani-
schen Herrschaft her, unb der ehemalige preußische Minister-
resident, Herr von Richthofen, hat in seinem amtlichen Bericht
über Mexico, im Jahre 1854, die Ursachen angeführt. Die
Kolonialregierung beschränkte den Ackerbau, verbot die Pro-
duktion von Wein und Oel, nicht einmal die Kokosnüsse
durften ;u Oel gepreßt werden, weil man dasselbe als Ersatz
für das Olivenöl hätte verwenden können und dieses nur in
spanischen Schiffen aus Spanien bezogen werden durfte. Auch
das beliebte Volksgetränk Pulque, welches aus der amerikani-
schen Agave (der Magueypflanze) gewonnen wird , sollte nicht
sabricirt werde», damit dem catalonischen Branntwein der Absatz
nicht geschmälert werde. Die Einfuhr von Merinozuchtschafen
war verboten, damit die mexicanische Wolle der spanischen nicht
an Güte gleich käme; zwei Jahrhunderte lang durften iu der
Kolonie nicht einmal Hanf und Flachs gebaut werden, und
sogar der Bienenzucht wurden Hindernisse in den Weg gelegt,
damit Spanien desto mehr Wachs zum Gebrauch in den Kir-
chen einführen könne.'.,Der Anbau des Tabaks war wegen des
Monopols beschränkt. Die Regierung hatte sich die Kupfer-, Blei-
und Alaunbergwerke als Monopol vorbehalten, die freie Aus-
beute des Schwefels und Salpeters war verboten, und sehr-
reichhaltige Silbergruben nahm der Staat für sich in Anspruch,
weil „Schätze" dem Gesetze zufolge der Regierung anheimfielen!
Jede Industrie, welche möglicherweise die Einfuhr von Waaren
aus dem Mutterland hätte beeinträchtigen können, galt für
unerlaubt, und der Betrieb der Handwerke war durch strenge
Zunftverordnungen eingeschränkt. Auch der Handel mit dem
Auslande war monopoüsirt, und so stieß eigentlich jede Thä-
tigkeit auf Hindernisse. Daß, solchem Zwange gegenüber, ein
allgemeiner Kampf gegen Vorschrift und Gesetz entstand, kann
gar nicht Wunder nehmen; was die Regierung verbot, galt
beim Volke für erlaubt; man verfuhr mit List oder Gewalt
gegen die Behörden.
Seit der Unabhängigkeit sind aber die Verhältnisse kaum
besser geworden. An die Stelle des Staatsmonopols traten
Spekulanten und einzelne reiche Familien, welche die Staats-
monopole, die von der republikanischen Regierung beibehalten
wurden, pachteten. Diese führte ein strenges Prohibitivsystem
ein, welches einen ausgedehnten Schleichhandel hervorrief. An
die Stelle des ehrlichen spanischen Beamtenstandes, der gut und
regelmäßig bezahlt wurde, traten Stelleninhaber, die man nicht
regelmäßig besoldete, und welche deshalb der Bestechung zugäng-
lich waren. Die Demoralisation wurde ganz allgemein; eine
ordentliche Rechtspflege fehlte, die Gefängnisse sind schlecht, die
Leute wurden zn Soldaten gepreßt, die Zahl der Deserteure
wuchs, von wahrer Erziehung und Religion psi nirgends eine
Spur, lind während der unaufhörlichen Bürgerkriege ward es
Brauch, dcu Angriffen gegen das'Eigenthum eine politische Fär-
bilng zu geben. Das Alles trug dazil bei, daß man in Mexico
Raub und Wegelageruug nicht mehr als politisches Verbrechen
betrachtet, gegen welches alle Strafgesetze ohnmächtig gewesen sind.
Der Mexicaner Don Lorenzo de Zavala schreibt in seinem Ver-
such über die mericanischeu Revolutioneu Folgendes: „Der
Mexicaner, welcher noch mit dem so eben vergossenen Blute
befleckt ist, würde um keinen Preis der Welt an einem Freitage
Fleisch essen; vor dein Bette der Buhldirne fehlt das Bild der
heiligen Jungfrau nicht, vor welchem sie ihren Rosenkranz
betet; der unwürdige Priester, welcher die Nacht hindurch am
Spieltische zugebracht, würde sicherlich vor der Messe kein Glas
Wasser anrühren.
Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Zahl der Räuber,
Banditen und Wegelagerer bedeutend zunahm, weiln man ein
summarisches Verfahren durch kriegsrechtliches Urtheil gegen
Raub oder Mord eintreten ließ. Dann war in der Regel
völlige Straflosigkeit vorhanden, denn Jedermann scheute sich,
an einen Verbrecher Hand zu legen oder zu seiner Verhaftung
behülflich zu sein. Er hatte doch nur viele Ungelegenheiten
und die Rache der Freunde des Gefangenen zn befürchten.
Wie mali im Lailde selbst die Dinge ansieht, möge der
Mexicaner Zavala sagen: — „Ein Raub ans offener Straße,
oder ein Mord auf öffentlichem Markte findet in Mexico bei
dem Volke in der Regel nicht jenen Instinkt, welcher in auf-
geklärten Ländern dazil führt, daß man den Verbrecher ver-
haftet. Abgesehen davon, daß diesem die Kirchen ein Asyl bieten,
bemüht man sich außerdem, ihm einen Zufluchtsort zu ver-
schaffen. Die Zeugen, welche vor Gericht in Gegenwart des
Verbrechers über den Thatbestand befragt werden, wollen das
Unglück des Delinquenten nicht noch dadurch vergrößern, daß
sie die Wahrheit aussageil. Auch ist das Mißtrauen in die
Gerechtigkeit des Richters so allgemein, daß die Tribunale oft
fürchten, gegen die allgemeine Meinung anzustoßen und, so zu
sagen, das öffentliche Mitleid dilrch ein Todesurtheil zu ver-
letzen. Die richterliche Eigenschaft wird hier im
Allgemeinen als niit einer Art von Infamie be-
haftet ailgesehen. Diese Verbindung gegen die Kriminal-
justiz findet man an vielen Orten der Republik; sie hat ihren
Ursprung in den verübten Ungerechtigkeiten, in der Vermi-
schung der Kriminalverbrecher mit den Unglücklichen, welche
besiegten Parteien angehört haben, in dem geheimen Prozeß-
verfahren und der skandalösen Verschleppung von Prozessen
der ärgsten Verbrecher."
Wir lesen nun so eben, daß man eifrig ist, gleichzeitig mit
dem neuen Kaiserthum in der Hauptstadt Mexico '„ein e große
Oper, eine komische Oper il n d e i n s e h r starkes
Balletkorps" nach französischem Muster einzurichten. Die
Stadt soll 200,000 Francs nnb der „Hof" eben so viel an
jährlicher Unterstützung dafür zahlen!
Aus Japan. Die Berichte vom Februar melderi, das die
Regierung des Kaisers fünf Monate lang Ausflüchte gesucht
hat, um die Ratification des mit Preußen abgeschlossenen
Handelsvertrages zu umgehen. Da beschloß der Bevollmäch-
tigte, mit seinem Kriegsschiff nach Jeddo zu fahren, nahm dort
in einem Tempel, welcher der französischen Gesandtschaft gehört,
sein Quartier und blieb vorn 3. bis zum 20. Januar. Er
erklärte, daß er dein Taikun, wenn dieser zum Mikado nach
Osaka fahre, auch dorthin folgen wolle. Das half, und
am 21. Januar 1864 wurde am Bord der Gazelle der Vertrag
ratificirt. Jetzt fand auch die schweizerische Gesandtschaft, welche
am Bord einer niederländischen Fregatte bei Jeddo lag, ihrer-
seits Gelegenheit zum Abschluß eines Handelsvertrages. Die
Gazelle verließ am 11. Februar Jokohama, um nach Europa
zu fahren, benn ihre Mission war nun erfüllt.
Ueber die Handelsaussichten in Japan bringt eine berner
Correspondenz der Allgemeinen Zeitung nachstehende Mitthei-
lungen:
Aus einem neuen Bericht der schweizerischeil Gesaiidtschaft
in Japan, der so eben zur Veröffentlichung gelangt, er-
gibt sich wiederholt, daß der Import irach Japan dem euro-
päischen Handel trotz der zweihundertjährigen Jsolirung der
Japanesen feine großen Hoffnungen bietet, da die japanesische
Industrie, welche ans einer verhältnißmäßig hohen Stufe steht,
den Bedürfnissen des Landes vollkommen genügt, niid es, wenn
sich die Bedürfnisse auch durch nähere Berührung mit den Eu-
ropäern vergrößern sollten, hiermit doch nur langsam und in
sehr beschränktem Maßstab vorwärts gehen würde, weil die
japanesische Regierung alle Mittel anwendet, um dem Verkehr
mit den Fremden hemmend in den Weg zu treten. ,,<spett
128
Aus allen Erdtheilen.
Eröffnung der Häfen", heißt es in dem Bericht, „hat die Re-
gierung des Taifun mannigfache Anfechtungen und Beschul-
digungen der mächtigen Daimios und ihrer Vasallen, so wie
auch vom Mikado selbst zu bekämpfen. Insbesondere beschwert
man sich im Lande darüber, daß der Nation ihre schönsten und
besten Produkte von Seide, Thee, Kupfer rc. durch die Fremden
entfuhrt werden. Jedenfalls ist die Klage, daß das Leben
von Tag zu Tag theurer wird, ein Umstand, welcher
sich für die kleinen Daimios und deren Vasallen, die trotze der
Preissteigerung vieler Lebensbedürfnisse ihre alten Gehalte fort-
beziehen, drückend fühlbar macht, als begründet anzuerkennen."
Uebrigens glaubt der Bericht, daß es für den fremden Handel
weit vortheilhafter gewesen wäre, wenn das am Eingang der
Jeddo-Bay 35° 14'" n. Br. und 139° 45,4' ö. L. von Green-
wich gelegene Uraga anstatt Kanagawa, resp. Jokohama,
dem Handel eröffnet worden wäre. Während die japanesische
Regierung den Amerikanern zu wiederholten Malen Uraga
vorschlug, habe jedoch der Commodore Perry, welcher den
ersten Vertrag mit Japan abschloß, darauf beharrt, daß Kana-
gawa, da es in unmittelbarer Nähe von Jeddo liege, eröffnet
werden müsse. Bald habe sich aber herausgestellt, daß der
Ankerplatz für größere Fahrzeuge ungenügend war unb zu
weit von der Stadt lag, so daß die Vertreter der verschiedenen
Vertragsmächte nachher mit der japanesischen Regierung über-
einkamen, die fremden Kaufleute und Beamten sich in Joko-
hama ansiedeln zu lassen, woselbst der Ankerplatz näher dem
Lande ist. Gegenwärtig sind in Jokohama 70 Amerikaner und
164 Europäer, darunter 80 Engländer, 30 Franzosen, 30
Holländer, 16 Deutsche, 8 Schweizer und 8 Portugiesen an-
sässig. Jedes Handelshaus hat jetzt steinerne, feuerfeste Waa-
renhäuser, welche gegen mäßige Prämien bei verschiedenen
Gesellschaften versichert werden können. Ferner existiren dort
eine französische katholische Kirche von der Mission Sacre coeur
de Jesus, deren Vorsteher ein Abbe Girard ist, und eine eng-
lische protestantische Kirche, welche vor ganz kurzer Zeit ein-
geweiht wurde. Die Amerikaner halten ihren Gottesdienst
einstweilen noch im Konsulatsgebäude, bis sie einen passenden
Platz für eine Kirche gesunden haben werden.
Das Steppenbieh Rußlands zeigt einen ganz eigen-
thümlichen, der Steppe angemessenen Charakter. Alerander
Pctzholdt erstattet darüber in seinem kürzlich erschienenen
Werke: „Reise im westlichen und südlichen europäischen Ruß-
land," ausführlich Bericht. Die Steppen sch äse sind im
übrigen Europa wenig bekannt und zeichnen sich durch mäch-
tige Fettpolster am Schwänze aus. Die Tschunduk-Schafe
ini jekatherinoslaw'schen und taurischen Gouvernement haben
kurze und grobe Wolle und werden wegen der Milch und des
Fleisches gehalten. Ihre Behandlung ist eine schlechte, da sie
Sommer und Winter im Freien zubringen und mit kärglichem
Futter vorlieb nehmen müssen. Uebrigens werden sie durch
Merinoschafe, welche namentlich in den deutschen Kolonien ge-
halten werden, immer mehr verdrängt. Das Rindvieh der
südrussischen Steppen ist eine große graufarbige Rasse, ferner
noch eine kleine Rasse „Kalmückenvieh", das den Unbilden der
Witterung sehr gut widersteht; denn auch diese Thiere bekom-
men keinen Stall zu sehen. Ebenso geht es den Pferden,
einer kleinen und häßlichen Art, die zum Reiten sehr gut, aber
nur wenig zum Ziehen benutzt werden kann. Kameele sind
auf das taurische Gouvernement beschränkt und werden von
der tatarischen Bevölkerung als Zugthiere benutzt. Es ist
das zweihöckerige baktrische Kameel, das jetzt noch wenig ver-
breitet ist, aber als praktisches Steppenthier immer mehr Boden
gewinnt.
Ziffern aus dem Budget Großbritanniens.
Wir wollen unseren Lesern die nachfolgenden Zahlenanga-
hen nicht vorenthalten, welche wir der Rede des Schatzkanzlers
Gladstone entlehnen. Er gab am /.April im Unterhanse eine
sehr ausführliche Darstellung der gegenwärtigen Finanzlage
des großen Reiches; sie ist in einer durchaus befriedigenden
Lage und bildet einen schroffen Gegensatz zu dem wilden Trei-
ben in Nordamerika, wo man binnen drei Jahren eine
Schuldenlast angehäuft hat, welche der int Laufe von audert-
halb Jahrhunderten angewachsenen Englands sich bereits an-
nähert.
Die ^Ltaatsausqaben betrugen für das Finanzjahr
1859/60 die Summe von 70,017,000 Pf. St.; 1863/64 nur
66,731,000. 1
Die Staatseinnahmen beliefen sich auf 70,208,000
Pf. St. Davon kommen auf die Zölle 23,232,000; Accise
18,207.000; Stempel 9,317,000; Einkommensteuer 9,084,000.
Seit 1858/59 ist die Einnahme alljährlich um 1,233,000
Pf. St. gewachsen, obwohl die Einkommensteuer, die Thee-
steuer und einige andere Abgaben wesentlich vermindert sind
und die Papiersteuer abgeschafft worden ist, je zusammen in
eineui Jahresbetrage von^6,680,000 Pf. St.
Die g e s a m m t e Staatsschuld beläuft sich auf
791,574,000 Pf. St.; sie hatte 1853 den niedrigsten Stand:
769,082,000; im Jahre 1856, unmittelbar nach dem Kriege
gegen Rußland war sie ans 808,108,000 angewachsen, sie ist
also jetzt um I6V2 Millionen geringer. Den allerhöchsten
Stand hatte sie 1815, denn sie stellte sich auf 861,039,000;
sie ist also jetzt, gegen damals, um etwa 6R/2 Millionen ge-
ringer. Die Verzinsung erforderte damals 32,646,000; jetzt
nur 26,211,000Pf. St/ „Aber diese Schuld betrachte ich selbst
inmitten unseres Wohlstandes und Gedeihens als eine entsetz-
liche Bürde; sie ist inhaltschwer und verhäugnißvoll und wird
es um so mehr sein, wenn einmal dieses Gedeihen eine Unter-
brechung erfahren sollte."
Nach diesen Worten rollte dann Gladstone ein lachendes
Gemälde auf, indem er dieGewerbs- und Handels Ver-
hältnisse erörterte. „Unsere Ein- nnb Ausfuhren sind
so ungeheuer, daß man sich davor beinahe entsetzen könnte.
Ich will in meine Angaben auch die Ausfuhr ausländischer
und Kotonialwaaren eiiischließen, für welche unser Land mehr
und mehr znm Entrepot wird.
Im Jahre 1861 betrugen die Einfuhren 217,485,024
Pf. St., wovon ein wesentlicher Betrag auf das Getreide ent-
fällt; im Jahr 1862 schon 225,716,976, und 1863, obwohl
ein Hauptartikel, die nordamerikanische Baumwolle, fast ganz
ausfiel, 248,980,942 Pf. St.
Die Ausfuhr britischer Erzeugnisse stellte sich in
den drei angegebenen Jahren auf: 125,102,814, 123,992,264
und 146,489,768 Pf. St. Dazu kommen noch für die Ans-
fuhr fremder Erzeugnisse und Kotonialwaaren
resp.: 34,529,684, 42,175,870 und 49,485,005 Pf. St.
Die Gesammtexporte stellten sich:
1861 auf 159,632,198 Pf. St.
1862 „ 166,168,134 „
1863 „ 195,974,773 „
Die gesammte Handelsbewegung von und nach
dem Auslande:
1861 auf 377,117,522 Pf. St.
1862 „ 391,885,110 „
1863 „ 444,955,715 „
Im Jahre 1852 hatte die Ausfuhr britischer Produkte
nur 78 Millionen betragen, sie stieg aber im folgenden Jahre
schon auf 98,933,000, 1859 auf 155,692,000 Pf". St.
Der Schatzkanzler knüpfte an diese Ziffern einiges Eigen-
lob für Englaitd. Sie gäben Zeugniß für die Betriebsamkeit,
die Energie und die Stärke des Landes, und darin hat ei-
ganz Recht. Wenn er aber hinzufügt: „Sie bedeuten auch,
daß England von Jahr zu Jahr sich mehr verpflichtet fühlt,
in der ganzen Welt als Vorkämpfer des Friedens
und der Gerechtigkeit aufzutreten, und daß es an jeder Frage,
die in irgend einer Gegend der Welt auftaucht, sich zu bethei-
ligen hat, nicht aus Eigennutz und zu selbstsüchtigen Zwecken,
sondern zur Förderung "der Gesammtw ohlfahrt und d ei-
allgemeinen Humanität, — so zeigt er nur, was ein
britisches Unterhaus sich aufbinden läßt. Als die ehrenwerthen
Mitglieder bei diesem Puff Beifall riefen, hatten sie jedenfalls
weder au China, Japan, Griechenland, Barma rc. gedacht. Lord
Palmerston war zugegen, derselbe Mann, welchem seine eigenen
Landsleute den Beuiameu Lord Feuerbrand gegeben haben,
und der am 7. November 1860 den Abgeordneten der liver-
pooler Handelskammer in brutaler Weise erklärte, daß Eng-
land ohne Waaren- — und Menschenraub auf ©ec
nicht eristiren könne. Er sprach wörtlich: „Englands
Existenz hängt von seiner Beherrschung der Meere ab. Zu
diesem Zweck ist es nöthig, daß wir uns die Macht bewahren,
Fahrzeuge anderer Nationen und insbesondere auch die Be-
mannung dieser Schiffe zu kapern. Eine Seemacht wie Eng-
land darf auf kein Mittel verzichten, durch welches sie ihren
Feind auf offener See zu schwächen im Stande ist." In die-
sem Tone sprach er weiter. Mau sieht, was Gladstone's Floskeln
bedeuten!
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghansei,.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildbnrghausen,
Aus meinem brasilianischen Lagebuche.
Von Woldemar Schultz.
II.
Die Mischtingsbevölkerung in Brasilien. — Mulatten, Mameluken und Cabokles.
der Indianer.
Betrachtungen über Sitten und Gebräuche
Kaum auf einem Punkte der Erde findet inan, zusam-
mengedrängt auf engem Raum, eine in jeder Beziehung so
ungleichartige Bevölkerung, wie iu den großen Handels-
städten der Küste Brasiliens. Fast jeder ihrer Bewohner
gehört einer andern Menschenart an, ist körperlich abwei-
chend organisirt und geistig in
Begabung und Bildung von sei-
nem Mitbürger verschieden. Men-
schenrassen, Völker und Stämme,
welche durch hohe Gebirge, tiefe
Ströme und breite Weltmeere
getrennt sind, begegneil sich hier
iliid siild nicht nur in leichte Ver-
kehrsberührungen mit einander
getreten, sondern and) in weit-
gehende , intime Verbindungen.
Ein ähnlicher Prozeß wie bei der
Bildung der unorganischen Mas-
sen unserer Erdrinde, die sich
einst während unzähliger Um-
wälzungen durchdrungen nnb
durchsetzt haben, geht, unter ähn-
lichen Symptomen, zwar schon
lange unter den Menschen vor
sich, bisher aber ohne jene tief-
gehenden Veräuderiiugen wie iu
Südamerika.
Aus der öftern Vermischung
mehrerer Rassen ist eine Zahl
von Zwischenarten entstanden:
Die Mulatten ans der Ver-
bindung der Europäer mit den
schwarzeil Afrikanern, die Mesti-
zen, hier Mameluken genannt,
aus der Verbindung der Euro-
päer und Indianer, die Cabokles
aus der Verbindung der Afrikaller nnb Amerikaner. In
Folge weiterer Combination dieser Mischarten gibt es noch eine
sehr große Zahl von untergeordneten Schattirungen, deren
Mischungsstellung genau zu bestimmen ganz außerordentlich
schwer ist, da sich die ällßeren Merkmale der Abstämmling
vielfach nach und llach verwischen, lind der Farbige indessen
über seinen Stammbauin, wenn er denselben überhaupt
keilnt, keinen Aufschluß gibt.
Die genannten Mischarten siild llvch leicht an äußeren
Globus VI. Nr. 5.
Puris-Indianerin ooin Parahybastroin.
(Nach einer Originalzcichnung von O. E. F. Grashof.)
Merkmalen erkennbar, z. B. an ihrer Hautfarbe, Gesichtsbil-
dllng, besonders aber an dem natürlichen Schnlllck des Haup-
tes. Die Mulatten haben ein ovales Gesicht, manchmal
von seinem Schnitt mit hoher Stirn, die von dem krausen,
wolligen Haar, das bem des Negers ähnelt, eingefaßt wird.
Dasselbe bildet den Gegenstand
einer aufmerksamen Pflege; sie
beinühen sich, dieses verrätherische
Abzeichen ihrer Abstammung so
viel als nlöglich durch künstliche
Mittel umzngestalteil nnb mög-
lichst zu glätten. Zwar suchen
sie auch hiilter gewählten Stofseil
lind durch eine glänzeilde Toilette
die Farbe ihrer Haut zu verber-
gen, iildesseil doch llicht mit so
ängstlicher Vorsicht, denn auch die
Creoleil, die Kinder von weißeil
Eltern, haben eine leichte Schat-
tirnng iil der Farbe ihrer Haut,
die oft schwer von jener der Mn-
latten zil unterscheiden ist.
Unverkennbar herrscht in Bra-
silien unter den freien Farbigen
allgeinein das Streben, sich den
Weißen in jeder Beziehung zll
nähern, ein Bestreben, welches im
gegenseitigen Verkehr zuweilen in
Zudringlichkeit übergeht.
Die Mestizen, „Mamelu-
ken", siild mehr rothgelb; bei
ihnen bildet gerade das dichte,
rabeilschwarze, schlichte Kopfhaar,
welches bei den Frauen entweder
in langen Locken oderFlechten aus
beit gefärbten Nacken fällt, einen
schönen, natürlichen Schmuck, der so viel als möglich immer
zur Schau getragen wird. Der Schnitt nnb die Züge des
Gesichts dieser Mischlinge erinnern mehr an den indianischen
Typus. Die schwarzen, voil ben langen Wimpern halb-
verhüllten Augen haben einen schwermüthigen Ausdruck.
^ Man sagt, ans der Vermischung farbiger Rassen mit
Weißen entstehe ein mit geistigen Anlagen und mechanischen
Fertigkeiten reich ausgestatteter Menschenschlag , und in der
That kann man den Mulatten geistige Begabung eben so
17
130
W. Schultz: Aus meinem brasilianischen Tagebuche.
wenig absprechen, wie die Körpergewandtheit. In den
großeir Küstenstädten Brasiliens hat man vielfach Gelegen-
heit, sich von der Richtigkeit dieser Behauptung 31t überzeu-
gen; man trifft solche Farbige dort sowohl unter den Ge-
lehrten und Künstlern, wie unter den Gewerbtreibeudeu,
und sehr häufig als Schneider, Barbiere, Friseure und
Schäukwirthe. Die Brauchbarkeit der Mulatten bei den
verschiedensten Beschäftigungen wird allgemeitt anerkannt;
vielfach zeichnen sie sich sogar durch ihre Leistungen ans. —
Ein deutscher Kleiderkünstler rühmte mir die große Geschick-
lichkeit und den Fleiß seines Gesellen, von dem er erzählte,
daß er —' der gelbe Geselle — sich förmlich in seine Arbeit
verliebe, daß er ihr zurufe: „Du bist mein Spiegel, tu dem
sich meine Kunstfertigkeit und ntein Fleiß erkennen läßt" rc.
Allgemein gerühmt werden besonders das gewandte tutd
feine Benehmeit der Mulatten und ihre geselligen Talente.
Die Mestizen haben nicht weniger Witz, hingegen ein
derberes Weseit; sie sind bekannt als gute Bootsführer und
Fischer, als Tropeiros, d. h. Manlthiertreiber, als kühne
Domadore, Knechte, denen ans den großen Estancien das
Geschäft des Znreitens der wilden Pferde und Maulesel
zufällt; ihre Gastfreundschaft tut!)
ihr Gemeinsinn (?) sind groß.
Trotz aller der mannigfachen nicht
zu verkennenden Vorzüge, welche
diese Mischlinge besitzen, sind sie aber
doch nur, in der Hauptsache, in der
Masse des Volkes zu finden; selten
schwingen sie sich empor in die Reihen
der großen Grundbesitzer oder Nego-
cianten. Verderbliche Leidenschaften
und eine ercessive Sittenlosigkeit bil-
den das andere Erbtheil ihrer Ab-
stammnng , die dunkle Seite ihres
Weseits. Der Wein, das Spiel und
aitdere Ansschweifnngeit verhindern
sie am Vorwärtskotmnen. Das Be-
streben, sich den Weißen gleich zti
stellen, richtet sich gewöhnlich nur
eins Aeußerlichkeiteit und wird
tun deswillen uuv eine Ouelle ver-
derblicher Handlungen.
Wenn es auch Thatsache ist, daß
sich dieSnperiorität der weißen Rasse
theitweise ans die Nachkommen über-
trägt, welche ans einer Verbindung dieser mit Farbigen hervor-
gehen, so ist doch sicher die Kreuzung, die Blutvermischnng,
eilt fehlerhafter Weg, die geistig zurückgebliebenen Menschen
nach unb nach ans eine höhere Stufe des Daseins ztt heben.
Meist sind es mte sehr unlautere Motive und beklagens-
werthe Verhältnisse, beueu diese Mischlinge ihre Entstehung
verdanken. Der nachwirkende verderbliche Einfluß derselbeit
lastet ewig auf ihnen tutd erdrückt die besseren Regnttgen
eben so, wie er die Eittwicklnitg der Geistesanlagen vielfach
zurückhält. Schon um der Ursachen willen, durch welche sie
hauptsächlich ins Leben gerufen, ist die Entstehung dieser
Zwischenarten zn beklagen.
Daß tu Brasilien alle diese verschiedenen Menschen,
Weiße und Schwarze, Gelbe und Braune, einen gemein-
samen Namen, so wie eilte genteinsante Sprache angeitont-
nteit tutd sich einem Gesetze unterworfen haben, ist eilt merk-
würdiges Ereigniß in der Geschichte des Menschen, au f das
man mit Interesse blicken muß.
Die Aufgabe der Regierung einer solchen bunten Be-
völkerung, die sich so durchsetzt hat, muß es sein, jede
Rassenabsondernng und engere Gruppirnng der gleichartigen
Volkselemente, die einer Auflösung der Nation gleichkom-
men wurde, ztt verhindern. Daher besteht bettn auch in
Brasilien nominell Gleichheit der fvetett Individuen aller
Farben vor deut Gesetz; Taleitt ttub Geist, gleichviel in
welcher Hattt sie stecken, erfreuen sich in diesem Staate der
Anerkennung. Der intelligente Mulatte unb der unter-
nehmungslustige Mestize finbett sowohl int öffentlichen, wie
im Privatdienste Verwendung, und wenn sie ausreichende
Weltbildnng tutd Vermögett besitzen oder eine hohe Stelle
int Staatsdienst betseiben — beides allerdings eilt seltener
Fall —, so widerstrebt ntait ihrer Aufnahme in der Gesell-
schaft nicht. Natürlich gibt es in dieser auch Coterien, in
denen man darüber anders deilkt. Besottders die Frentdeit
siltd es, unb unter diesen die Engländer und Deutschen,
welche sich — aus richtigem Instinkte — vielfach streng ab-
schließen. Sie komtnen mit den Brasiliaitern meist ttnr, so
weit es der Geschäftsverkehr nothwendig macht, in Berüh-
rung, besonders die Letzteren bilden alleitthalbeit, wo es an-
geht, geschlossene Gesellschasteit für sich; auch Bahia hat
daher seinen deutschen Elnbb. Jit der Cidade alto besitzt
derselbe Hans tutd Garten; er hat eine wohlgeordnete, sehr
gute Bibliothek aufgestellt; in deut
letztereit hat inan einen Kegelschub
errichtet, unb auf diese Weise ist,
nach detltschem Geschmack, fürUnter-
hattllng tlnd Belehrung gesorgt.
Dorthiit hatte man mich einge-
laden ; alle die lieben deutschen Lands-
leute, die mich während meiites Lluf-
enthaltes in Bahia so herzlich auf-
nahmen, traf ich da vereinigt, atlch
Di\ T. aus Leopoldina, der das
Innere Brasiliens aus langjähriger,
eigener Erfahrung saunte, und den
ich durch die Verntittlnng Karl Rit-
ters bereits in Dresden kennen ge-
lernt, begegnete ich hier. Nach einer
herzlichen Begrüßung tutd manchen
Gegenfragen lenkte sich unsere Unter-
haltung bald ans Brasilien und seine
Ureittwohtter.
Bekanntlich siitd dieselben heute
z>un großen Theil veritichtet, oder in
bett anderen Bevölkernngselemeuten
aufgegangen. Einzelne kleinere Grup-
pen haben sich hauptsächlich in den tropischen Provinzen des
Reiches angesiedelt; eine andere Zahl getaufter Indianer
fiitdet man vertheilt unter den Bewohnern der kleineren Orte
des Biittteitlaitdes. Voit den Millionen rother Menschen, die
zur Zeit der Entdeckung von Südamerika das Amazotrenthal,
die Küste des Atlantischen Oceans tutd die Ufer des Plata-
stromes bewohttteit, leben vielleicht heute noch gegen 300,000
Seelen, die in schwachen Horden durch die brasilianischen
Urwälder irren. Leider ist mit der großen Masse der Urein-
wohner eilt Bevölkerungselement verloren gegangen, welches
hettte recht wohl zum Anbau der üngehettren Gebiete ver-
wendet werdet! könnte.*) Man hat die rothen Menschett
*) Es ist doch mehr als zweifelhaft, ob man diese Jäger-
nornaden zum Ackerbau oder zu bürgerlichen Gewerben jemals
hätte verwenden können; beides widerstrebt ihrer ganzen innern
Anlage. Da, tvo die Spanier ackerbaittreibende Indianer vor-
fanden, leben dergleichen noch heute, z. B. in Mexico und
Peru n\, und dort sind sie zahlreicher, als die Weißen. Die
Jäger- und Fischernomaden aber waren unfähig, ihrer Lebens-
weise zu eittsageit und für die stwecke der weißen Eroberer
unbrauchbar; deßwegen hotten diese Neger aus Afrika. Heute
rottet mein in Brasilien keine Indianer nt ehr ans, und doch
K. Schultz: Nus meutern brasilianischen Tagebuche.
131
gewaltsam vernichtet und bleibt nun die Frage schuldig,
wen man air ihre Stelle setzen will. Unter dem Einfluß
derselben Anschauungen, welche diese Thaten hervorriefen,
sind die vereinzelten älteren Beiträge zlir Ethnographie voll
Südamerika beinahe alle geschrieben; sie lasseil daher llicht
nur manche Lücke in unserer Kenntniß, sondern geben allch
zll manchenl Jrrthirm Veranlassung.
So hat man lange geglaubt, aus der Vielheit der
Nainen der südamerikanischen Jndianerstäimne, die man in
langen Registern aufgeführt hat, ans eine weitgehende Volks-
verschiedenheit ullter ihileil schließen zll müssen. Es ist das
aber eine irrthümliche Annahme, denn lnit Hülfe eiiles Wör-
terbuches der sogenannten Lingua Brasilica kanil lnan die
bei Weiteul größere Zahl dieser Stäminenanlen übersetzen.
Diese Lingua ist die von ben Europäern aufgefaßte lind iil
Voeabnlarieil lind Gramnlatikeil festgestellteJlldianersprache,
welche zur Zeit der Entdeckung sowohl die Eingeborenen
am Amazonas, lvie an ben Küsteil des Atlantischen Oceans
Ulld anl Plata, mit sehr geringen Abweichungen gesprocheil
haben, von den Spaniern Guarani, von ben Portugiesen
Eine brasilianische Mulattin.
(Nach einer Originalzeil
Gesicht ist typisch; abweichend erscheint bei einigen Stänlmen
nur die Stellung der Allgen, ferner die verschiedene Form
der Rase, welche meist leicht gekrümmt ist; auffallend her-
vorragend sind auch durchgehends die Backenknochen. Der
Mund ist groß, die Lippen sind mittelstark, das Kinn ist
rund llild iul Alter eher vorgeschoben. Die Brust ist flach
lind breit, wie auch die Schultern; Arme, Hände und
Füße siild proportioilirt, letztere zuweilen groß. Die Läilge
des Oberkörpers nlllß man, im Verhältniß zur ganzen Ge-
stalt, als auffallend bezeichnen. Die Schattirllngen der
Hautfarbe variireu selbst bei Individuen ein nnb desselben
Stammes vom Gelb bis zllm Sepiabraun.
Nur einige lvenige Stämnle sollen sich solvohl durch
Sprache, als auch Körpergestalt voil den Guarani - Tupys
unterscheiden; besonders wird das von den sogenanten Bo-
toend eil behauptet. Diesen Rainen, der voll dem portu-
giesischen „Botoque", Stöpsel oder „Holzklotz", abgeleitet ist,
legten die Eroberer jenen Indianern bei, welche ein solches
barbarisches Abzeichen in den Unterlippen und Ohren trugen.
Diese Botocudeu solleil identisch sein mit ben Aymoras, mit
Eine brasilianische Mameluca.
irj von O. E. F. Grashof.)
Tupy genannt. Die Verbreitmtg einer Sprache nntet* ge-
trenilteil Stämmen, auf tiefer Kulturstufe, die so enorin
ausgedehiite Räunie bewohnteil, ist jedenfalls eilte auffallende
Erscheinullg, die nm so nt ehr Beachtung verdieilt, als auch
die Körperformen der Indianer im Allgemeinen, nach dem,
was man davon weiß, einander ähillich sind.
Die Gestalt der Individuen der Brasilvölker ist mittel-
groß, übersteigt gewöhnlich nicht das Maas von fünf Fuß
und ist gedrungen, untersetzt, kraftvoll nnb fleischig. Der
Schmuck des Kopfes, das Haar, hat gleiche Eigenschaften bei
alleil amerikanischen Stämnlen ; es hat eine tiefdunkelschwarze
Farbe lind fällt vom Wirbel des Hatiptes uilgekräuselt und
steif alif Nackeil nnb Stirn. Selbst im hohen Alter soll sich
die Stärke nnb Farbe dieses Haares gleichbleiben. Auch
die Kopfform ist dlirchgehends ähnlich; die Stirn weicht zn-
rück, während die Augenbrauen vortreten. Das mehr
runde, als ovale, ja man könnte sagen, eckige lind flache
gelingt es weder der Regierung noch den Missionären, auch
nur irgend einen einzigen Stamm zu seßhaftem Leben und zll
regelmäßiger Arbeit zu vermögen. Die anthropologisch-ethnische
Anlage der verschiedenen Völler ist entscheidend. A.
jenem starken, kriegelischen Volksstamme, der zur Zeit der
Eroberung seine Wohnsitze nördlich der Bay von Rio de
Janeiro, von den Eingeborenen Guauapara genannt,
hatte lind sich zur Bekämpfung der Portugiesen mit einer*
Gruppe der Tupys verband. Es war dies die große Allianz,
welche der gefürchtete Häuptling Alloniambabe zll Stande
brachte. Dieser llmftanb widerspricht einigermaßen der
Behauptung, daß die Botocudeu nicht mit ben Tupys ver-
wandt seien; auch d'Orbigny, der französische Forscher,
welcher sich um die Ethnographie von Südamerika hoch ver-
dieilt gemacht hat, hält die Botoeuden für verwilderte
Guaranis. Bei der Aehnlichkeit des Namens der Aymores
am Atlantischen Oeeail mit dein des ältesten Kulturvolkes
von Altperu, ben Aymaras, wird man versucht, an einstige
intime Beziehungen zwischen beiden zi> glauben, nm so inehr,
als auch die Schädelbilduug lind der eigenthümliche Kopf-
Plltz dieser Menschen viel Aehnliches haben.
Hilter ben weit zerstreuten lind verbreiteten südamelika-
uischen Stämineil sinden wir eine wunderbare Ilebereinstim-
inung iir den äußeren Abzeichen, die angenscheinlich nach
einem Systenl modisicirt sind. So scheint es denn, daß bei
17*
132
W. Schultz: Ans meinem brasilianischen Tagebuchc.
ihrer Einführung ein einheitlicher Wille, dem eine dnrch-
dachte Idee zu Grunde liegt, durchgeführt wurde; die kind-
lichc Nachahmnngssncht dieser Natilrmenschen hat zwar bis
auf den heutigen Tag die Form bewahrt, ohne sich aber ihres
Zweckes bewußt zu bleiben und Aufschluß darüber geben zu
können.
Voll den hohen Anden bis an die entferntesten Punkte
Brasiliens, von den colnmbischen Küsten*) am mexicanischen
Meerbusen bis herab an die Ufer des La Plata pflegten
die Bewohner
1) die Kopfhaare verschiedenartig verschnitten in beson-
derer Weise zu tragen;
2) die mannigfaltigsten Gegenstände voir Gold, Stein,
Holz, Harz, Knochen an Theilen des Kopfes zu befestigen:
in den Ohren, den Nasenflügeln, deil Backen und der
Unterlippe.
Aufschlüsse über die
Einführung ittld den
Zweck dieser barbarischen
Ornamente finden wir in
der ältesten Geschichte
Peru's. Die Pngas wid-
meteir der Haartracht
ganz besondere Sorgfalt;
sie trugen die Kopfhaare
fingerdick nlld stufenweise
verschnitten (que avait
coupés par degrés). Nur
die verdienstvollen Män-
ner im Staate genossen
die Auszeichnung, alle
die Ehrenzeichen, wie sie
die peruanischen Monar-
chen am Kopfe trugen,
nachahmen unb anlegen
zu dürfen. — Tribut-
pflichtigen Stämmen war
gestattet, die Haare in
Echellons der Art zu tra-
geir, daß jeder Stamm
ait der Frisur leicht er-
kailnt werden konnte; je
nach dem Grade der Er-
gebenheit durfte sie sich
der der Pngas nähern.
Während so bei Eini-
gen die Kopfhaare bis all
den illltersten Rand des Ohrläppchens reichten, giilgcn sie
bei Anderen mir bis an die Hälfte, wieder Andere trligeil sie
lioch kürzer:c.
Bei dem eigenthünllicheil Kastengeiste, der in der Natur
dieses Volkes begründet zu liegen scheiilt unb auf dessen
Ausbildung die staatlichen Einrichtnngeil in Peru noch mehr
hinwirkten, ftitben wir ein starres Festhalteil an solchen For-
meil auch unter veränderten Verhältnissen erklärlich. Keiir
Individuum eines Stanrnies wich von der herrschenden
Mode ab, unb das Volk war stolz auf seine Haartracht,
zunlal, wenn sie vom Pnga selbst bestimmt worden war.
Daß man überhallpt dem Kopfputz in Peru große Auf-
merksamkeit geschenkt hat lind denselben für höchst wichtig
hielt, geht alis dein Ausspruch ciiles peruanischen Edel-
mannes hervor, der geäußert haben soll, daß sich die Spa-
nier um seiil Vaterland durch die Einführung der Scheereil
ein so großes Verdienst erworben, daß dies allein schon hiil-
*) Corenl, F. Relation des voyages etc. 23b. I, ©. 144.
Indianerin aus der Provinz Estziritu SaiNo in Brasilien.
reiche, um sie unvergeßlich zu machen. Die Pngas ver-
schnitten sich bis dahin das Kopfhaar mit scharfen ans ©teilt
gefertigten Instrumenten.
Auch die Tupys unb Guaranis und fast alle bekannten
brasil - colunlbischen Stämme trugen zur Zeit der Ent-
deckung von Amerika die Haare auffällig verschnitten, ge-
wöhnlich eine Tonsur, die Kopfhaare in Form einer Kugel-
zoile bis an die Hälfte, bett obereil oder unteren Rand der
Ohreil herabhängend. Die Frauen kämmten sie lang über
den Nacken, pflegten sic aber ebenfalls sorgsam.
Hans Staden, der mehrere Jahre unter beu Tupys
gelebt hat, erzählt:
„Sie machen eine Platten aufs irem Haupt, lassen drumb
her ei,l krentzlein von hare, wie ent Münch. Ich hab sie
ofst gefragt, woher sie das muster der haar hatten, Sagteil
sie, ire Vorvätter hettens all einein Manne gesehen, der
hatte Meire Humane ge-
heißen, und hatte viel
wunderliches dings inen
gethan, unb man wil es
sey eiil Prophet oder
Apostel geweseil.
Weiter fragte ich sie,
woinit sie hatten die Haar
können abschneiden, ehe
tuen die Schiff hatteil
scheren bracht, sagten sie
hetteil eineil stein keil ge-
nommen , Helten ein an-
der ding darunter gehal-
ten, darauf die har ab-
geschlagen (nüt gespalte-
neil Tagnara), dann die
nlittelste platte hatteil sie
mit einem schieber, eines
gehellen steiils, welche sie
viel brauchen zum schern
gemacht."
Diese Tracht hat sich
bis aus den heutigen
Tag unter eiujciuen
Brasil-Horden erhalten,
unter den sogenannteil
Coroados.
Nachmals hatte ich
Gelegeilheit, einen sol-
chen Stamm mit Ton-
sur zu sehen. Die kaiserlich brasilianische Regierung ließ
dainals gerade Stoffe ttttb nützliche Werkzeuge aller Art an
die einzelnen Glieder desselben vertheilen; unter diesen Ge-
schenken waren auch Scheercn. Sobald die Indianer diese
in die Hand bekamen, fingen sie sofort an, sich gegenseitig,
die Männer sowohl als die Frauen, die Haare in der ihnen
eigeneil Weise zu verschneiden.
2) Nicht minder allgemein verbreitet durch das ganze
nördliche Südamerika war die Sitte, an Theilen des Haup-
tes Ornamente der verschiedensten Art anzuheften. Unter
denl ältesten Kulturvolle der Aymaras, so wie unter einer
großen Zahl der Stänline am Amazonas, in Columbien
und auf beu caraibischen Inseln soll cs sogar gebräuchlich
geweseil sein, beu Kops der Kinder bei der Geburt zu defor-
miren, ihm eine spitze Form zu geben.
In Peru trugen die Yngas und Fürsten Ohrgehänge
voll Gold, die bis auf die Schulteril herabreichten und die
Ohrläppchen außerordentlich ausdehnten. Für die Unter-
thanen des Reiches, nach Provinzen und Stämmen, be-
W. Schultz: Aus meinem brasilianischen Tagebuche.
138
stimmte der Puga Stoff und Form dieses Schmuckes, mit
dem sonach zugleich der Zweck eines Unterscheidungszeichens
verbunden war. Mit der Zunahme der Bevölkerung und
ihrer vielfältigen Gliederung hat man endlich, in Emange-
luug verschiedener Formen und Stoffe, wahrscheinlich diese
Abzeichen dadurch zu vermehren gewußt, daß man sie nicht
allein in den Ohren, sondern auch in den Unterlippen,
Nasenflügeln uud Backen befestigte. Indessen ist hierbei
noch auffällig, daß die Steine der Peruaner und Brasilianer
am Amazonas, der Küste des Atlantischen Oceans, am
Paraguay und Paran-l, von einerlei Farbe waren, grün,
und daß nran sie als kostbare Reliquien ansah, die sich von
Familie zu Familie vererbten.
Die Bewohner der Küstenländer des Atlantischen Oceans
und am Amazonas, die Tupys und die Guarauis am La
Plata, Paraguay, in den Chaco- und Chiquitos-Ländern,
trugen theils große Holz-
klötze in den Ohren,
nach Art der Bewohner
von Cuzco, und in den
Unterlippen, Metara ge-
nannt , theils farbige,
besonders grüne Steine
in den Nasenflügeln und
Backen; die Portugiesen
nannten, wie bereits an-
geführt , die Stämme
mit den ersteren Abzei-
chen Botocuden, die Spa-
nier hingegen Orejones.
Je näher die Stämme
bcn metallreichen Anden
wohnten, desto kostbarer
war ihr Schmuck. So
trugen die Gnarauys am
Paraguay, als sie Ca-
be?a de Vaca's und Pra-
la's Expedition zur Auf-
snchung der Andenpässe
begleiteten, kleine ku-
pferne und goldene Son-
nen an der Stirn. Oest-
lichere Stämme begnüg-
ten sich mit dem Schmuck
der bnntbeficderteu Be-
wohner der brasilianischen
Urwälder, aus denen sie
Kopfputz, Mantel, Gürtel, Scepter :c. in geschmackvoller
und erfindungsreicher Weise zu fertigen wußten. Auch die
Hängematten und einzelne Kriegswaffen zierten sie mit bun-
ten Federn.
Ueberhaupt nahm die Kultur der Stämme mit deren
westlicheren Wohnsitzen, mit der Annäherung an die Anden,
zu. Dies zeigt sich nicht allein in der Ornamentik, sondern
auch in der Zunahme der Bedürfnisse. Die westlichen
Stämme trugen baumwollene Stoffe, die Omaguas, Carios,
Xarayes, Chanes rc., obgleich sie unter dem mildesten Him-
mel Südamerika's leblen. Man verfertigte diese Produkte
in derselben Weise wie in Peru, nur daß' man dort Llama-
wolle und im tiefen Amerika Baumwolle verwendete.
Die östlicheren Tupy-Horden färbten ihren Körper mit
einer dunkelfarbigen Schminke; man scheint die dunklere
Farbe für schön und aristokratisch gehalten zu haben, und
wir möchten hierin eine künstliche Nachahmung des dunkleren
Teints der Peruaner erblicken.
Uebrigens war diese südamerikanische Mode des Körper-
färbens unter den Bewohnern der peruanischen Küstenstriche
eben so gebräuchlich, wie das barbarische Tättowiren.
Der unübertrefflich schöne Schmuck bunten Gefieders,
den die Natur so verschwenderisch in den südamerikanischen
Wäldern entfaltet hat, ist der Aufmerksamkeit des Indianers
nicht entgangen, hat ihm vielmehr Stoff, Farbe nnb Form
zu eigenen mannigfaltigen Zierrathen geliehen. Noch heute
können wir die schönen, geschmackvollen Federarbeiten be-
wnudern, welche die Brasilianer mit so großer Geschicklich-
keit anzufertigen wissen,
Mäntel, Kronen, Gür-
tel, Verzierungen an
Hängematten, Waffen re.
Bei feierlichen Gelegen-
heiten, bei Festen nnb
im Kriege wurden viele
dieser Gegenstände ver-
wendet unb angelegt.
Die Indianer be-
sitzen eine große Geschick-
lichkeit in allen Hand-
arbeiten , ihre Nachah-
mungskunst wird von
den Jesuiten, die sich
um die Erziehung dieser
Menschen bekanntlich sehr
verdient gemacht haben,
außerordentlich gelobt,
eben so wie ihr friedferti-
ger Charakter und ihr
Gehorsam. Wenn man
sie nach dem beurtheilt,
lvas aus ihnen gewor-
den, nachdem die Euro-
päer sie ihrer besten Füh-
rer beraubt, mehrere
Jahrhunderte betrogen,
verfolgt, gehetzt, ver-
handelt und geknechtet
haben, wird man eine
unrichtige Vorstellung von dem ursprünglichen Wesen der
rothen Menschen erlangen.
Der brasilianische Staatsmann I. G. de Magalhaes
erkennt ihren Werth und ihre Bedeutung für sein Vaterland
offen an, indem er sagt: „Wenir die Brasilianer heute
eine unabhängige Nation bilden, wenir die Bewohner dieses
weiten Reiches Eine Sprache reden, so verdanken sie das
der Tapferkeit der Eingeborenen, die sich mit den Portugie-
sen verbanden." *)
*) Revista trimensal clo Instituto historico, geographieo e
ethnographico do Brasil etc. Bd. XXIII, S. 49.
134
Die Felsentempel tu Indien.
Die Felsenleinpel in Indien.
Die verschiedenen Religionen Indiens. — Die Arten der Felsentempel. — Geologische Verhältnisse. — Der Tempel ans der
Insel Eleplyutta. — Seine Säulen und Skulpturen. — Die Hochzeit Siwa's und der Parwati.
In Bezug auf Großartigkeit und Massenhaftigkeit samt
sich die indische Architektur der römischen an die Seite stellen.
In ihrem momnnentalen Charakter gleicht sie in manchen
Beziehungen den ägyptischen Bauten, jedoch mit dem Unter-
schiede, daß sie auch Assyrisches aufgenommen hat. Der Be-
giitir der indischen Baukunst fällt in die Zeit, tu welcher die
Ptolemäer ans Philae bauten, und als der Tempel des Jupiter
Stator errichtet wurde. Es ist noch nicht lange her, daß
man das Alter der indischen Felsenbauten sehr überschätzte
>lnd bis ilt die Zeit der ältesten ägyptischen Tempel zuriick-
datirte; aber die Untersuchungen von Prinsep und An-
deren haben gezeigt, daß diese buddhistischen Denkmäler
nicht weiter als tu die oben angedeutete Zeit zurückreichen.
Diese Entdeckung stützt sich ans die Aehnlichkeit der Bauteil
ant Nil lntd jener in Jndieir und auf das Vorkommen grie-
chischer Ornantenke an beu ältesten indischen Ballten, die
von den baktrischen Griechen Centralasiens entlehltt sind.
Der Zeitrannl, tu welchem diese indischen Felsentenlpel
errichtet wurden, ist so groß, daß er uns init gerechten:
Stanllei: erfüllt. Indiens Architektur begiuut schon
einige Jahrhllnderte vor Christus, überspringt das Zeitalter,
in welchem der Parthenoi: in Athen, die Moschee von Cor-
dova, die röntischei: Basiliken gebaut wurden lind endet in
der Zeit, als uttfcve gothischen Dome entstailden. So er-
streckt sie sich über mehr als 1300 Jahre, eine Zeitdauer,
wie sie keine andere Architektur auszuweisen hat, lind die
im Muttergestein der Erde ansgehanenen Tempel sind fast
alle noch trefflich erhalten.
Unsere Kenntniß der indischeil Felsentempek war jedoch
lange ilur sehr mangelhaft. Der Engländer Fergusson
hat ihr ner:erdir:gs eit: eingehetldes Studimn gewidmet; das
Ergebniß seiner Arbeitet: liegt jetzt tu einem vor Kurzem
erschienenen Prachtwerke vor, welches den Titel führt:
Tito Itock-cut temples of Tndia. Illustrated with 74
photographs taken on Ihe spot by Major Gill. Described
by J. Fergusson. London 1864.
Fergusson unterscheidet verschiedene Tetnpelgrltppei: tu
Indien. Die älteste ist die von Naja Griha in Behar,
denl Ursitze des Buddhismus. Schot: tun 200 v. Christus
kötttten wir diese Tempel nachweisen, ttnter deitei: die soge-
nattnte „Milchmädchen-Höhle" für beu ältesten gilt. Hieran
schließet: sich die Tempel vot: Kattak (Crittak), die wenig
jünger als die vorhergehenden sittd, aber der Dschaina-
Religion ihre Entstehung verdanken, und diese beiden Tcm-
pelgrnppen sind auch die einzigen, welche tu Bengalen über-
haupt vorkommen.
In: westlichen Jitdiet: zieht besonders die alte tittb gut
bekannte Höhle von Karli die Aufmerksamkeit auf sich; sie
liegt an der großer: Hochstraße, welche von de,: Ebenen des
Dekkan nach Bombay hinführt, uub ist buddhistischen Ur-
sprungs. Die vollständigste und interessanteste Reihenfolge
von Höhlen ist die von Ajunta an: Tapty, in deren
Nähe einst die Schlacht vot: Assaye ausgefochtet: ward.
Sie entstanden in: ersten Jahrhuttdert nach Christtts und
wurden etwa nn: das Jahr 1000 vollendet, so daß utau an
diesen Tempeln beu ganzer: Verlauf buddhistischer Baukunst
beobachtet: karrt:. Den: Alter nach schließen sich hieran die
wohlbekanrrten Höhlen von Ellora, die in drei Theile zer-
fallen : tu die buddhistische Gruppe, Welche etwa in:
siebeirten Jahrhundert entstandet: sein mag; die zwei oder
dreiJahrhunderte jringeret: Hirrdubauten ttub die Dschai-
nagruppe arrs den: 11. oder 12. Jahrhuttdert. Auf der
Insel Salsette in: Hafer: vor: Bornbay finden wir buddhi-
stische Tetnpel vor: verschiedenem Aller und die beriihrnte
von den Hirrdrts in: achten oder neunten Jahrhundert ge-
baute Grotte von ClepHanta, über die wir weiter
unten nähere Mittheilrrngen geben rverden.
In der Präsidentschaft Madras ist rrrrr die Tcmpelgrnppc
von Mahavellipore von Bedeutung und näher bekanrtt.
Sie starrunt ans dem 13. Jahrhrrndert und zeigt cirre merk-
würdige Mischung brahmarnscher rirrd buddhistischer Ban-
former:.
Irr: Ganzen zählte Fergusson tllcht wertiger als 1000
solcher Höhlerttempel in Indien, vor: dener: aber nur die
wenigster: grtt bekannt sirtd; etwa 900 sind buddhistischer:
Ursprungs; der Rest gehört z:r gleicher: Theilet: der brah-
manischen und Dschaina-Religior: an.
Diese Felsenlernpel bilden die inteveffauteften architekto-
nischer: Ueberbleibsel Indiens arrs der Zeit vor der trtoharrrrne-
danischen Eroberttng. Sie sind die einzigen Reste, welche
uns die Künste und Geschichte aus jener Periode klar machen
helfen. Die airderer: Monumente ans der: ersten Jahrhun-
dertei: sind wenig zahlreich und über der: weiten Rann:
des Landes zerstreut, und mit' wenige sinder: wir noch in
ihren: ursprünglichen Zrrstartde; die Höhlenarchitektur zeigt
sich während der garrzer: Zeit ihrer Existenz wohlerhalten
und rrrrverändert, und and) darin liegt für der: Forscher ihr
hoher Werth.
Für die Entstehung der Felsenlernpel ist es wichtig, die
geologischer: Verhältnisse des Landes zu kennen, in
den: wir sie finden. Und diese sind rtamentlich in: westlicher:
Theile Jrtdierts für die Attlegnng solcher Grollet: sehr
geeignet.
Die gartze Gegettd zwischen bett Thäler:: des Ner-
bn dda uub K ist na besteht aus gleichartigen, ganz hori-
zontal abgelagerten Trappmassen. Zuweiler: treten ir:
dieser Ablagerung härtere Partien ans, doch stets ist das
Gestein gleichmäßig, ohne Nisse und Sprünge und bietet so
ein Baumaterial dar, wie es sich der Architekt nicht besser
rvünschen kaum Durch diese Trappformation hat sich der
Fluß Tapty, welcher bei Sorahta in den Buser: von Cam-
bay mündet, ein tiefes Bett gegraben. Zn beiden Seiler:
seines großer: und breiten Thales ziehet: sich viele zerrissene
Schluchten ir: das Plateau hineir:. In einer derselben, au
der Südseite des Tapty, liegen die Höhlen von Ajunta.
Mar: sitrdet alle in verschiedener Höhe über den: Bode,: der
Schluchten, inderr: die Erbauer an: liebsten der: Schichter: irr:
Gestein folgten, die für ihre Zwecke an: tauglichstet: schienen.
Die besannt gewordenen Buddhisten-Höhlen sind ent-
weder Viharas (Klöster) oder Chaityas (Kirchen). Die
ältester: Viharas bestehen nur aus eitler einzigen Zelle, die
eilten: Eittsiedler zun: Aufenthalt diettte. Hierar: schließen
Die Felsentempel in Indien.
135
sich Höhlungen, die eine tiefe Verandah enthalten; große
Pfeiler der Steinmasse wurden übrig gelassen und stützen so
den untergrabenen Felsen. Die meisten Viharas sind aber
noch mit Centralhallen hinter den Verandahs versehen, das
Dach der Vorhalle wird von Säulen gestützt, und ait jeder
Seite zieht sich eine Reihe Gemächer hin, bereit hinterste für
den Abt oder Prior des Klosters eingerichtet waren. Die
ältesten Höhlen enthalten gar keine Bilder, doch in denen,
die ins zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurückwei-
chen, finden wir schon einzeln das Bildniß Bnddha's ange-
bracht. Die Größe dieser Viharas wechselt natürlich auch
sehr ab; der ganz und gar mit Skulpturen bedeckte Kylas-
Tempel bei Ellora ist 320 Fuß lang und 210 Fuß breit.
in Menschengestalt getragen, während Brahma in ruhiger
Haltung, auf einer Plattform sitzend, von Schwänen fort-
geführt wird.
Der Tempel von Elephanta liegt einige Meilen
von Bombay entfernt auf einer Insel. Am besten miethet
man am Apollostrande ein Bonderboot und landet am Nord-
rande der Insel, wo früher ein kolossaler Elephant stand,
der ihr den Namen verlieh.
Um zum Tempel zu gelangen, muß man eine Treppe
von 300 bis 400 Stufen ersteigen, die beinahe senkrecht
hinaufführt und in die Abhänge des Hügels eingehauen ist.
Man gelangt auf eine Terrasse und erblickt von hier ans den
in den Trappfelsen eingehanenen Eingang zur Grotte. Die
Eingang der Grotte von Elephanta.
Der von Elephanta, den wir näher schildern, hat 130
Fuß Länge und 123 F>lß Breite.
Die Chaitya - Höhlen oder Kirchen übertreffen die
buddhistischen Viharas noch in vieler Beziehung; sie sind
größer, reicher ausgeschmückt, eignen sich mehr zil Ceremo-
nien und bieten manche täuschende Aehnlichkeit mit christ-
lichen Kirchen. Die Verandah repräsentirt das Qnerschiff
einer großen Kirche; hinter dieser liegt der Chor, und eine
Reihe Pfeiler trennt diesen von den Flügeln.
Diese wunderbaren unterirdischen Gewölbe werden noch
viele Jahre den Scharfsinn der Gelehrten beschäftigen.
Buddhafiguren schmücken den Eingang vieler Grotten, wäh-
rend im Heiligthnme selbst Siwa oder dessen Attribute den
Ehrenplatz einnehmen. Wischnu und Brahma sind über-
haupt nur im Hintergründe in gigantischen Skulpturen an
den Tempelwänden dargestellt. Wischnu wird von Garnda
Are derselben verläuft genau nach der Mittagslinie. Den
Eingang stützen zwei massive Pfeiler, welche die Oefsnnng in
drei Hanptthore abtheilen. Zwei viereckige Wandpfeiler,
rechts und links, dienen als Stützen der nnterminirten
Felswände. Wenn man in das Innere gelangt, geivöhnt
sich das Auge erst nach und nach an das Halblicht des Tem-
pels, das durch zwei Höfe im Osten und Westen einfällt.
Anfangs wirken nur die kolossalen gerieften Säulen mit
kugeligen Knäufen auf die Phantasie des Beschauers. Die
Verhältnisse dieser Säulen stimmen in bewnndernswerther
Weise mit der ganzen fremdartigen Architektur des Baues.
Der Sänlenschaft ist bis zur Hälfte viereckig, die Kanten
sind abgestutzt. Die obere Hälfte ist kanellirt und endigt
in ein Kapitäll, welches einer plattgedrückten Kugel oder
mit eingekerbten Längsstreifen versehenen Melone gleicht,
die unter der ans sie herabdrückenden Last der Decke gleichsam
lie Löwengrotte auf Elephant«.
Die Felsentempel in Indien.
137
zu platzen scheint. Die Decke ist flach; über den Säulen-
knäufen liegt eine Plinthe, die einen Bindebalken trägt, der
sich auf die Platte der nächsten Säule stützt, so daß dadurch
eine Reihe von Fächern entsteht, welche je vier Säulen ver-
binden. Plinthen wie Bindebalken sind mit reichen: und
feinem Schnitzwerke bedeckt.
Ursprünglich enthielt die Höhle 26 solcher Säulen, aber
acht davon sind jetzt zertrümmert. Man zählte im Ganzen,
wenn man die 16 Wandpfeiler mit einrechnet, 42 Säulen,
die in einem fast vollkommenen Viereck stehen.
Die Erhebung der Tempeldecken über den Fußboden ist
nicht überall gleich; einige Säulen haben eine Hohe von fast
sechs, andere nur von fünf Metern. Der Raum, welcher
die Säulen von einander trennt, ist ebenfalls nicht regel-
Bewundernng. Um alle die Scenen, welche uns hier vor-
geführt werden, genau verstehen zu können, muß man mit
der indischen Götterlehre genau bekannt sein, und dennoch
bleibt dann Manches noch unklar und unverständlich. Auch
an den Pfeilern selbst bemerkt man Bildhauerarbeit, und
namentlich sind es Ganessa und Carticka, die Söhne Siwa's,
die unter den dargestellten Figuren auffallen.
Die Regelmäßigkeit der ganzen Tempelanlage wird nur
durch eine Kapelle beeinträchtigt, welche zwischen vier Säu-
len im westlichen Theile angebracht ist. In das Innere
dieses Heiligthums führen vier Thore, an denen acht Kolossal-
statuen, „Dwarpales", oder „Wächter der Thore", ange-
bracht sind. Besonders auffallend ist in dieser Kapelle eine
Steintafel, in welcher ein von der übrigen Steinmasse ganz
¡¡¡HVo'—' MINNE. -N ^ “
Die Hochzeit Siwa's und Parvati's. Basrelief der Grotte von Elephanta.
mäßig. Eben so ist der Dltrchmesser der Pfeiler und Säu-
len ziemlich verschieden. Endlich mißt die rechte Seite des
Tempels beinahe 44 und die linke nur 42 Meter. Unge-
achtet dieser Ungleichheiten ist der Gesammteindrnck des
Tempels ein schöner und ergreifender.
Die inneren Höfe, welche im Hintergründe des Tem-
pels liegen, sind, wie der ganze Bau, in Felsen ausgehauen.
Sie hatten früher einen Eingang von Norden her, aber
dieser ist jetzt verschüttet.
Die Wandpfeiler, welche aus den Felswänden hervor-
springen, bildet: je zwei und zwei weite Rahmen, in denen
uns Skulpturen das Leben Siwa's in großeir Zügen vor-
führen. Die erhaben gearbeiteten Figurerl treten kräftig aus
der Wand hervor und erregen durch ihre riesenhafte Größe
und die lebhafte Mannigfaltigkeit der Stellringen unsere
Globus VI. Nr. 5.
verschiedener Felsblock vorr kegelförmiger Gestalt eingelassen
ist, der also wohl arrs einer fernen Gegerrd hierher geschafft
wurde.
Diwa selbst rurd zwei andere Götter der Trimurti sind,
nrit dem Gesichte nach Norden schauend, als Kolossalbüsten
in dieser Kapelle angebracht. Ueber den Büsten dehrrt sich
eine rveite Wölbung aus, damit der Scheitel der über sechs
Meter hohen Figuren die Decke des Felsentempels nicht be-
rühre. Wahrscheinlich waren in früherer Zeit vor diesen
heiligen Statuen Vorhänge angebracht, die sie dem profanen
Äuge der Menge entzogen. Rechts und links von Siwa's
Büste stehen zwei jetzt stark beschädigte Figuren in anbeten-
der Stellung.
Siwa, der sein Antlitz nach Norden wendet, trägt eine
Mitra, deren Verzierungen: Stierköpfe und Halbmonde,
18
138
Die Stadt Tien tsin in Nordchina.
ungemein fein gearbeitet sind. Eben so zeichnet sich die
Reliefarbeit an ben Armspangen der Figur sehr aus.
Von den beideir anderen Statuen schaut die eine gegen
Westen; sie zeigt eine ruhige Haltung uub scheint der typi-
schen Form des Wischnu nachgebildet zu sein. Die zweite,
wahrscheinlich Rndra, erscheint viel bewegter und stolzer;
in der Hand hält sie ein Schwert. Die Eckzähne dieser
Figur treten über die Lippenränder hervor, uub die Oberlippe
ist mit einem großen Schnurrbart geschmückt; die Nase ist
gekrümmt; die großen Augen schauen wild und grausam
aus. Zwischen den stark geschweiften Brauen steht Nu-
dra's drittes Auge, von welchem das Feuer ausgeht,
das einst die Schöpfung zerstören wird. Um die ganze Büste
windet sich eine Schlange, deren Kopf gegen Siwa gerichtet
ist lind von diesen! gleichsam Befehle zu erwarten scheint.
Rndra's Haupt bedeckt ebenfalls eine Mitra; ein Kranz von
Todtenköpfen umgibt diese Tiara, welche außerdem noch mit
Blättern von Nergundi und Hilla, dein Siwa heiligen
Pflanzen, geschmückt ist.
Die Seitenwände der Grotte von Elephanta waren einst
auch, nainentlich zwischen den ersten Wandpfeilern, mit
Skulpturen geschmückt; doch sind diese im Lauf der Zeit
verstümmelt oder gänzlich zerstört worden. Die Hinterwand
dagegen, am südlichen Ende, zeigt uns die alten indischen
Bildwerke noch in ziemlich guter Erhaltung und läßt uns
die Großartigkeit ahnen, welche der Eindruck des Tempels
hervorbringen mußte, als noch Alles in ihm unversehrt
dastand.
Am Zugänge nach dem östlichen Hofe entwickelt sich zu-
nächst ein sehr sigurenreiches Bild vor unseren Augen. Es
soll den Raub des Kailassa, Siwa's Himmel, durch
Ravana, König von Ceylon, darstellen. Rach Anderen ist
hier der Kampf versinnbildlicht, welchen der arische Kultus
bestehen mußte, ehe er die einheimische Urreligion der Inder
überwand. Siwa, den seine Gemahlin Parvati von Ravana's
Vorhaben in Kenntniß setzte, sperrte diesen in einen Berg
ein. Ravana's Haupt ist in einer melonenartigen Frucht
Die Stadt Tica
Diese, in neuester Zeit oft genannte Stadt in der
nordchinesischen Provinz Pe tschi li bildet den Hafen-
platz für die große Hauptstadt Peking und ist selber ein
volkreicher Ort, der mehrere hunderttausend Einwohner
zählt. Etwa in der Mitte von Tien tsin macht der
Peihofluß, der sich weiter unterhalb ins Gelbe Meer
ergießt, eine Biegung, und in dieser mündet der Große
Kaiserkanal. Beide Gewässer bilden einen geräumigen
Hafen, der immer mit einer großen Anzahl von Schiffen
aus den mittleren Provinzen gefüllt ist. Der Kanal
durchzieht bekanntlich einen großen Theil des Blnmen-
reiches der Mitte; er beginnt bei Hang tschön, der
Hauptstadt der Provinz Tsche kiang, südlich von Schang
hak, geht durch die volkreichen Provinzen Kiang su,
Schau tnng und Pe tschi li und vereinigt sieb in Tien
tsin mit dein Peiho, von wo ein anderer Kanal bis
Tung tscheu in der Nähe von Peking führt.
Als Endpunkt einer so wichtigen Wasserstraße ist Tien
tsin von großer Bedeutung geworden, aber ein Reisender,
Ponssielgue, der sich 1861 längere Zeit in derselben auf-
hielt, fand sie, trotz ihrer halber?Million Einwohner,
doch nicht in Blüthe. Die Straßen sind breiter und
verschwunden, die vielleicht den Berg darstellen soll, in den
er eingesperrt wurde. Als Zeichen seiner Riesenkraft ist er
mit sechs Armen versehen. 10,000 Jahre ward er gefangen
gehalten uub in dieser Zeit von seinem Großvater Palarti,
einem Sohne Brahma's, in der Siwareligion unterrichtet.
Die Melonenfrucht wiederholt sich auf dem Haupte
verschiedener Figuren und läßt, außer der oben erwähnten,
mehrere Deutungen zu. So soll darin die Göttin Sackti,
gleichsanl wie in einen! Ei, gelegen haben, bis Nandu, der
heilige Stier Siwa's, ans seinen gewaltigen Nüstern ihr
Leben einblies.
Unter den anderen Bildern, welche den nördlichen Raum
vom östlichen Hofe an bis zum Altare des Trimurti einneh-
men, ist eines besonders merkwürdig. Es stellt Siwa zu-
gleich als Gotr und als Göttin dar. Die rechte Seite seiner
Tiara ist mit Siwa's Halbmond, die linke mit weiblichen
Schmuckgegenständen geziert. Als untergeordnete Gotthei-
ten erscheinen aus dein Bilde: Indra, auf eine»! Elephanten;
Brahina, aus seinem Lotnsthrone von fünf Schwänen ge-
zogen, und Wischnu. Siwa selbst stützt sich ans seinen hei-
ligen Stier Nandu.
Damit der Leser einen deutlichen Begriff von den eigen-
thümlichen, der indischen Götterlehre entlehnten Bildern der
Grotte von Elephanta erhalte, theilen wir das interessante
Bild mit, welches die Hochzeit Siwa's und Parvati's
darstellt. Es ist in dem Gange angebracht, welcher nach
de»! westlichen Hofe hin mündet. Siwa ist mit der oft
erwähnten Tiara dargestellt; Ruhe und Milde sprechen aus
seinem Antlitz. Die Braut Parvati ist nur mit einen: ein-
fachen Lendenschnrze bekleidet ; ihr ganzes Wesen drückt Ver-
schämtheit aus, und eine Sklavin bemüht sich, sie an Siwa
hinanzudrängen. Andere Sklavinnen tragen Spiegel, Krüge
und andere Sachen, deren inan bei der Hochzeit bedurfte.
Ueber den Häuptern des Brautpaares schweben Boten und
Botinnen der Götter, und die Unterwelt ist durch knieende
zwerghafte Gestalten vertreten.
n in Nordchina.
nicht so unsauber, wie in den südchinesischen Städten, aber
die zumeist niedrigen Häuser sehen verfallen aus. Doch
sind einige Pamnns in guten! Zustande. Mit diesem
Namen bezeichnet man in China einen Compler von
Pavillons, Kiosken, Wohngebäuden, Höfen und Gärten,
die allesammt innerhalb einer Umfassungsmauer liegen
und von vornehmen Leuten bewohnt werden; wir können
einen solchen Pamnn füglich als Palast bezeichnen.
Die Uamuns in Tien tsin stehen zumeist am Ufer
des Stroines. An demselben erhebt sich auch eine offen-
bar sehr alte Pagode, der sogenannte Tempel der
Höllenstrafen, der in einer ganz wunderlichen Art
und Weise verziert ist.
Bei»! Eintritte sieht man eine Reihe von hölzernen
Statuen, die bemalt und vergoldet sind und ungefähr
die natürliche Menschengröße haben. An ihnen werden
die Höllenstrafen versinnlicht, welche des Sünders für
die hienieden verübten Unthaten harren. Eine Gruppe
stellt eine Landschaft dar. Ein hoher Felsen ist über und
über mit eisernen Spitzen lvie bespickt; von oben werden
kleine Menschengestalten herab geworfen, die während des
Falles an den Eisenspitzen hängen bleiben und von den-
Tie Stabi Tien tsiii in Nerdchina.
Der Weg zum Himmel, nach chinesischer Vorstellung.
1?
140
Die Stadt Tien tsin in Nordchina.
selben in Stücke zerrissen werden. Das ist die Strafe
für die Ehrgeizigen und Hoffährtigeu.
Die zweite Gruppe stellt einen nackten Menschen dar,
den man der Länge nach auf ein kastenartiges Gerüst
gelegt hat. Er wird von zwei Henkern vermittelst einer
großen Säge und gleichfalls der Länge nach auseinander
geschnitten. Er erleidet die Höllenstrafe für Vater-
m o r d.
Eine dritte Gruppe zeigt eine unbekleidete Frau, die
an einer Art von Galgen befestigt ist. Die Henker reißen
ihr die Eingeweide heraus und thun statt derselben glü-
hende Kohlen hinein. Dann wird der Bauch zugenäht.
Die Frau erleidet diese Strafe dafür, daß sie ihrem
Manne nicht treu war.
Weiter sieht man einen Menschen, welchem die Zunge
durchstochen wird; er war in diesem Leben ein Lügner
und trieb Mißbrauch mit seiner Zunge. Eine Frau wird
in siedendes Oel getaucht; sie war eine Giftmischerin.
Ein Mandarin liegt inmitten von zwei Mühlsteinen, die
vermittelst einer Balkenvorrichtuug von zwei Männern
auf ihm herumgetrieben werden und ihn zerquetschen.
Eine Meute gieriger Hunde leckt das Blut und frißt die
zuckenden Glieder. Dieser Beamte war ein Brand-
stifter.
Bei der letzten Gruppe findet man eine sinnreiche
Vorrichtung. Auf einem Brette, das sich ivagrecht be-
wegt, wird ein armer Sünder durch ein auf- und ab-
steigendes Messer regelmäßig nach allen Vorschriften des
Abschlachtens in Stücke geschnitten; er war einStraßen-
r ä u b e r.
Alle diese Gestalten kommen dem Europäer wie Ma-
rionetten vor, machen aber trotzdem einen unheimlichen,
peinlichen Eindruck. Manche sind recht hübsch gearbeitet.
Die chinesischen Bonzen haben sich die Höllenstrafen etwa in
derselben gräulichen und abscheulichen Weise ausgemalt,
wie weiland bei uns tu Deutschland der Kapuziuerpater
Martin von Cochem, der in seinem Buche „Bonden
letzten Dingen" das jüngste Gericht, nach den Grund-
zügen der Apokalypse, ganz entsetzlich schildert. Die Ver-
dammten stürzt er in den Abgrund, während viele hun-
derttausend Blitze und Donner mit ungeheurem Krachen
aus den Wolken schießen und alle Menschen und Teu-
fel, die unglaublichen Schrecken und unbeschreibliche
Qualen empfinden, zu Boden schlagen. Der Erdboden
öffnet sich und zeigt einen ungeheuren Schlund, der alle
hunderttausend Millionen Menschen und Teufel ganz „er-
schröcklich" und ohne alle Barmherzigkeit verschluckt.
„Diese ungeheure höllische Verschluckung wird also grau-
sam und entsetzlich sein, daß Alles, was erschröcklich kann
gedacht werden, mit ihr nicht zu vergleichen ist. Denn
sobald die Erde mit einem allergrausamsteu Knall unter
ihren Füßen brechen wird, werden alle und jede Bien-
scheu und Teufel vor Schrecken einen so ungeheuren Schrei
thun, der bis an das Ende der Welt stvird gehört
werden. In solchem Schrei werden sie so gewaltig an-
fangen hinunterzufallen, als wenn alle Berge der Erde
mit ungeheurem Krachen und Geräusch hinunterstürzten.
Ach! Gedenke, was dies für ein unerhörtes Fallen sein
wird, wenn so viele hnnderttausend Millionen Menschen
und Teufel in einem einzigen ungeheuren Falle 900
Meilen, denn so weit ist es in den Abgrund der
Hölle, Plötzlich herabschießen und drüber und drunter
fallen werden."
Wir geben diese Stelle, um zu zeigen, daß ein Ka-
puziner im 18. Jahrhundert, im Rheinland, von den Höllen-
strafen, die er sich ausgesonnen, etwa ähnliche ungeheuer-
liche Vorstellungen gehabt hat, wie die chinesischen Bonzen,
nach bereit Angaben die Höllenstrafenbilder in der alten
Pagode zu Tien tsin verfertigt worden sind. Pater Cochems
„Von den letzten Dingen" hat übrigens im Jahre des
Herrn 1838 die 23. Auflage erlebt und findet demnach
auch in unserem Jahrhundert noch gläubige Leser.
Unsere Abbildung zeigt aus demselben Bonzeutempel
eine große landschaftliche Darstellung, die in Holz ge-
schnitzt ist. Sie stellt den Weg zum künftigen Leben
dar. Eine Menge Figuren wandelt auf dem Pfade,
welcher ins Paradies führt. Vor der Eingangsthür
steht der Pförtner des Himmels, eine Art von chinesischem
Petrus; er hat einen gewaltigen weißen Bart. Die Guten
läßt er ein, die Sünder weist er ab. Diese Letzteren
gerathen darüber in Verzweiflung und stürzen sich in
einen Abgrund, in welchem die Teufel und höllischen
Geister bereits ihrer Opfer harren.
Vor der Thür des Tempels sitzt ein Bonze bei einem
Sammelbecken und schlägt ans ein Tamtam; er will damit
den Leuten sagen, daß sie dem Tempel eine Geldbei-
steuer spenden möchten; aber der Chinese gibt auf die
Bonzen nicht viel und öffnet selbst für Pagodenzwecke die
Börse nicht gern.
klm wieder auf die Stadt Tien tsin zurückzukommen,
so redet das Volk dort eine andere Mundart, als in
Schang hat oder in den Südprovinzen. Auch trägt das
ganze Wesen ein anderes Gepräge; Trachten, Sitten und
Gebräuche sind vielfach anders, als dort. Die Umgegend
ist fruchtbar und vortrefflich bebaut; auch fehlt es auf
dem Markte nie au Fischen und Wildpret.
Der Reisende, dessen wir oben erwähnten, erzählt
einige charakteristische Züge. Als er eines Tages über
den Markt ging, hörte er zufällig, daß sein Koch, Ky tsin,
ein ächter Chinese nach altem Schlage, eine sehr hübsche
Gemüsehändlerin entsetzlich auszankte. Auf die Gegen-
vorstellungen des Europäers entgegnete er: „Die Frauen
taugen nichts, sind zu nichts nütze; Bambú, Bambú ist
das Beste für sie." Er meinte — Stockprügel. Es ist
gewiß ein sehr schlimmer Zug au den Chinesen, daß bei
ihnen die Frauen so gering geachtet werden. Diese un-
tergeordnete Stellung des weiblichen Geschlechts blieb
sicherlich nicht ohne Einfluß auf die allgemeine Entsitt-
lichung und Zerrüttung, von welcher das große Reich
heimgesucht wird.
Als eine entsetzliche Plage in Tien tsin erscheinen die
vielen Bettler, deren Zudringlichkeit keine Grenzen kennt.
Die Stadt hat viel durch die Ueberschwemmnngen des
Hoang ho gelitten. Der gewaltige Strom brach 1857
in den Großen Kanal ein, verschlämmte denselben auf
weite Strecken hin, und die Schifffahrt wurde unterbro-
chen. Die ungünstigen Zeitläufte, Rebellion und Krieg
mit den Europäern, verhinderten die nöthigen Arbeiten.
Dadurch hat sich der Handel von Tien tsin sehr verrin-
gert. Die Umgegend liefert nur Salz und einige Lan-
desprodukte; aus dem Süden kommen getrocknete Früchte,
Zucker, Glaswaaren, Kamelot, Wolle, Opium; aus der
Mandschurei bringt man Bohnen und Bohnenkuchen.
Der Absatz europäischer Fabrikate ist immer noch gering.
„Niemals", sagt der Reisende, „habe ich ein schmutzi-
geres und kläglicheres Volk gesehen, als in den Vorstädten
von Tien tsin; ich fand nur Sittenverderbniß, Elend und
böse Krankheiten; Hunger und Kummer überall; ich sah
daß man todte Katzen verzehrte. Anstand und Zartgefühl
sind unbekannte Dinge. Ich sah auch, daß ein Gassenfeger
einen sterbenden Bettler auf seine Schultern warf und
hinaus anfs Feld trug, wo er dann starb und von Geiern
und Raben verzehrt wurde. Und die Chinesen bezeichnen
Tien tsin als einen „Himmelsort!"
Die Moore Ostfrieslands.
141
Die Moore D st f r i e s l a n d s.
Bon Hermann Meier in Emden.*)
I.
Ueber die Entstehung der Moore. — Menschengerippe ans sehr alter Zeit. — Bäume in der Tiefe. — Das Hochmoor. — Wie der Torfboden sich bildet. —
Wachsen des Moores. — Der Pflanzenwuchs. — Die Urbarmachung und die Kolonien.
Mehr als ein Viertel Ostfrieslands ist — Moor!
Dasselbe bildet indeß kein zusammenhängendes Ganze,
sondern besteht aus 19 Theilen, die wir vorzüglich in der
Mitte und in den südlicheren Gegenden des Landes finden.
Dieser Boden wird an vielen Stellen von Sandstrecken
durchzogen, wie er anderwärts wieder in den Niederun-
gen des höher» Sandbodens sich eine Heimath gesucht hat.
Wer Gegensätze liebt, reise von der reichen, üppigen
Marsch auf das traurige und öde Moor. Während man
dort sich an dem fleißigen Treiben munterer Arbeiter
freute, das fette Vieh und mnthige Pferde auf der Weide
grasen fand, goldene Saaten und Kornfelder das Auge
entzückten, findet man hier nur vereinzelte Arbeiter, so
melancholisch und traurig, wie der Boden ist, den sie
bearbeiten, kleine Schafe mit haariger Wolle und düsteres
Haidekrant. Die Lerche und die vielen anderen Sing-
vögel der Marsch fehlen ganz, nur der klagende Laut des
einsamen Moorhuhns trifft zuweilen des Wanderers
Ohr. Weit und breit kein Baum, kein Strauch, außer
der Haide nur blasse Binsen und Gräser, grünes Moos
und tiefes, unheimliches Schweigen.
Und immerfort zittert xtub wankt der Boden unter
unseren Füßen. Wehe dem Unkundigen, der es wagt,
ihn zu betreten. Mit tausend Armen wird er hinabge-
zogen in die schwarze Tiefe, über ihm schließt sich wieder
die trügliche Decke und er ist verschollen, bis ihn vielleicht
nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden seine Ur-Urenkel
ans Tageslicht fördern und alle Blätter sich mit der wun-
derlichen Tracht eines im Moor gefundenen Mannes be-
schäftigen.
Zu verschiedenen Zeiten hat man im Moore mensch-
liche Körper gefunden. Ein Fund im Jahre 1817 war
wohl geeignet, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen.
Damals stieß mau beim Dorfe Friedeburg mitten im
Moore in der Tiefe des Sandbodens, sechs Fuß unter
der Oberfläche, auf ein menschliches Gerippe. Bekleidung
und Lage beuteten auf ein hohes Alterthum. Es befand
sich in einer mit Moorboden angefüllten Niederung und
wurde von quer über ihm liegenden starken, eichenen
Pfählen niedergehalten. Die Bekleidung bestand aus
einem groben, härenen, gewalkten und nicht gewebten
Tuche,'ohne Nähte und Knöpfe, blos mit weiten Arm-
löchern und einem Halsloche; die Beinkleider waren aus
demselben Stoffe gearbeitet und mit einem Riemen zum
Zuziehen um de>0 Leib versehen; auch hier fehlten die
Knöpfe. Die Schuhe bestanden ans einem Stück Leder
ohne Naht oder Sohlen; sie waren ans »»gegerbtem,
rohem Leder, an dem noch röthliche Kuhhaare zu sehen
waren, verfertigt. Diese Schuhe hatten Löcher und Rie-
men zum Zuziehen; jeden: Loch gegenüber war an der
Außenseite des Fußes eiu ausgeschnittener kleiner Stern,
mit einer Rundung umgeben, und diese Sterne standen
mit sehr sauber und geschmackvoll ausgeschnittenem Laub-
werk in Verbindung;^Alles war wohl erhalten und wird
noch jetzt in Aurich aufbewahrt.
*) Ueber die Küsten Ostfrieslands und deren Bewohner
haben wir Globus v, S. 843 und 367 Schilderungen mit-
getheilt.
Nach der Meinung unserer Gelehrten haben die Ge-
beine dieses alten Friesen wohl mehr als 2000 Jahre
hier im vollsten Sinne des Worts eine Ruhestätte ge-
funden. Nach den mit Zierrathen versehenen Schuhen zu
urtheilen, so schließen unsere Gelehrten lveiter, war es
ein vornehmer Mann. Hielt ihn sein Volk für einen
Zauberer, welchen die alten Friesen, um sicher zu sein,
daß er ihneit nicht nach seinem Tode erscheine, in diesem
Moore versenkten uird mit schweren Pfählen überdeckten?
Da das Gerippe auf dem Sand gefunden wurde, so wird
daraus geschlossen, daß der Körper schon vor Entstehung
des Hochmoores dahin gelegt wurde. Das Gewand ohne
Naht und Knöpfe unb die Schuhe ohne Sohlen und ohne
irgend welcheNaht beweisen jedenfalls ein hohes Alterthum.
Man hat in unseren Mooren schon vielfach Schuhe auf-
gefunden, welche von sehr hohem Alter waren und nach
ihrer außerordentlichen Größe einem sehr großen Men-
schengeschlechte angehörten; aber diese alle hatten doch schon
grobe und starke Sohlen mit einem Rand, die mit Rie-
men an das Oberleder befestigt waren; jene 1817 auf-
gefundenen Schuhe waren aber, wie gesagt, ohne beson-
dere Sohlen.
Sehr häufig findet man Bäume im Moor. Einige
liegen 10 bis 12 Fuß tief, abgebrochen oder abgebrannt,
andere liegen mit der Wurzel da. Gewöhnlich zeigen sie
mit dem Gipfel nach Südost; vielleicht hat ein heftiger
Nordweststnrm sie entwurzelt und umgeworfen. Ihr Holz
ist auswendig fast schwarz, inwendig dunkelbraun, unge-
mein hart und wird von den Bewohnern des Moors
gern zu Pfählen, Latten rc. benutzt, weil es viel dauer-
hafter ist, als anderes Holz. Es brennt so leicht und
hell, daß man es als Fackeln oder zerschnitten früher als
Licht bei den häuslichen Arbeiten benutzte. Der Vermo-
derungsprozeß verwandelte die Rindenzellen oberflächlich
in Humus, das Harz sickerte zusammen und schützte die
tieferen Holzgewebe. Auf diese Weise ist ungeachtet der
feuchten Lage im Torf die Brennbarkeit des Holzes in
so starkem Grade erhöht worden.
Wie aber sind jene Bäume in das Moor gerathen?
Diese Frage hat zu einer ganze,: Reihe abenteuerlicher
Hypothesen Veranlassung gegeben. Die folgende ist viel-
leicht eine richtige: Der Urboden des Moores war, vor
dessen Entstehung, mit Waldung bedeckt. Das Moor
bildete sich, die Bäume starben nach und nach ab, sie
faulten unten, ein Nordweststurm warf sie um. Einige
wenige sind vielleicht von den Menschen umgehauen wor-
den und liegen geblieben. Die meisten vermoderten, nur
wenige wurden vom Moor umhüllt, vor Fäulniß be-
wahrt und kommen jetzt wieder als lautredende Zeugen
einer längst verschwundenen Periode an die Oberflache.
Auch ist ja hinreichend bekannt, daß die Römer es
nie unterließen, die Wälder, welche ihren Feinden einen
sichern Zufluchtsort boten, zu vernichten. Doch werden
unsere Ahnherren an der Küste damals wohl kaum Wälder
besessen haben, denn Plinius, der jene aus eigener An-
schauung gekannt haben will (Naturgeschichte I, 16), sagt:
„Den Schlamm ihrer Sümpfe formen sie mit den Hän-
den und lassen ihn dann unter dem trüben Himmel vom
Winde trocknen. Mit dem Brande dieser Erde kochen
sie ihre Speisen und erwärmen die vom Eis des Nordens
starrenden Glieder." Also schon damals bediente man
sich des Torfes. Hätten die Leute Wälder gehabt, sie
würden gewiß zum edlern Holz gegriffen haben.
Man unterscheidet das eigentliche Moor in H och -
in d o r und Leeg m oor. Ersteres ist wüstes, sumpfiges
Land und umfaßt jene großen Torflager, welche bald in
geringer Höhe, bald in Schichten bis zn 20 Fuß und
mehr den llrboden bedecken und hier von Sandrücken
durchzogen sind, dort in unnnterbrochenerFläche zusammen-
hängen. Man nennt ihn Hochmoor, weil er gewöhn-
lich höher ist, als der umliegende feste Boden. Leegmoor
ist der abgegrabene mit y2 bis 1 ya Fuß Erde bedeckte noch
nicht knltivirte Morast.
Wie ist das Hochmoor entstanden?
Bei Beantwortung dieser Frage tritt uns abermals
solch ein Heer von Hypothesen entgegen, daß sich nnser
wirklich ein Granen bemächtigt.
Bis vor etwa 100 Jahren glaubte man, im Torf eine
mineralische Substanz vor sich zu haben. Der Torf war
nur eine mit Erdöl und Bergpech oder Schwefel ge-
schn'ängerte Erde. Bald nachher erkannte man aber,
daß dieser vegetabilischen Ursprungs sei. Aber woher
stammen diese Pflanzen und wie wurden sie in Torf
verwandelt?
Die Snndflnth erzeugte den Torf oder andere Natnr-
revolntionen schufen ihn! Nein, er ist ein Produkt ab-
gestorbener Wälder. Gott bewahre! Als das Meer zu-
rückwich, blieben viele Seegewächse auf der feuchten Erde
zurück, diese vermoderten, und das Moor war da. llnsinn!
Der Torf ist ein Gewächs, welches in und unter still-
stehendem, sumpfigem Wasser blüht und grünt, vom
Schöpfer einzig und allein zum Brennen bestimmt.
Lächerlich! Die Moräste sind ans nördlichen Gegenden
durch hohe Wasserflnthen hieher geschwemmt und haben
sich hier niedergelassen. Einfältige Deutung! Als der
Herr Himmel und Erde machte, da gingen auch die
Moore ans feiner Hand hervor! —
Wir glauben hiermit hinreichend dargethan zu haben,
daß es an Versuchen zur Erklärungen der Moorbildnngen
nicht fehlt. Ganz oder theilweise falsch sind sie alle, die
letztangeführte ist die bequemste. Wir wollen es uns
etwas schwerer machen, dadurch, daß wir näher ans die
Sache eingehen.
Der Urgrund der Moräste war vor deren Entstehen
weder See noch Sumpf, denn wie hätten dann die so eben
erwähnten Bäume dort wachsen können, sondern nur von
flacher, feuchter Beschaffenheit. Unmerklich nach der See-
seite sich senkend, war die Oberfläche leicht wellenförmig.
Seine Feuchtigkeit beförderte die Vegetation um so mehr,
da der benachbarte Sandboden wenig fruchtbar war.
Gras und Blumen wuchsen hier üppiger, Wurzeln und
Laub vermehrten.sich schneller und bedeckten bald den
Boden. Denn in allen Zonen, mit Ausnahme der ark-
tischen, ist feuchter Boden am fruchtbarsten. Das Regen-
wasser drang nicht so leicht in den lockern Sand, und sein
Abfließen stieß auf mancherlei Hindernisse. Das dichte
Laub verwehrte den Sonnenstrahlen, die Erde zu küssen.
Jährlich starben tausende von Pflanzen ab, das Laub der
Bäume bedeckte die Erde, Säure bildete sich in nicht ge-
ringem Maße, es bildete sich die Torf- oder Moorerde,
im Meeresgrund wie auf den Bergen.
Aber dasselbe wiederholt sich ja alljährlich in allen
unseren Wäldern, warum bildet sich denn da kein Torf-
boden? Die Torferde gleicht in der Regel vollständig
der Gewächserde der Wälder, jedoch mit dem Unterschiede,
daß diese völlig verwest und in wirkliche Erde aufgelöst
ist, bei jener aber der Verwesungsprozeß durch irgend
eine Kraft aufgehalten wurde. Durch welche Kräfte?
Die Frage mag eine gelehrtere Feder beantworten; alle
die uns bekannten Deutungen sind so sehr von einander
abweichend, theils so unwahrscheinlich, theils so abenteuer-
lich , daß wir es vorziehen, die Beantwortung dieser
Frage hier offen zu lassen.
Die Moore wuchsen höher und höher, verbreiteten sich
immer weiter, wenn auch sehr langsam, und so entstand
das Hochmoor. Daß solches schon vor 2000 Jahren in
der Bildung begriffen gewesen, haben wir oben bereits
durch Plinins dargethan. Heut zn Tage läßt sich die
Entstehungsweise neuer kleiner Moore unwiderleglich
nachweisen. ' Sie erwachsen ans dem Vorhandensein auf-
gestauter Feuchtigkeit in den Niederungen des nicht ganz
sterilen Haideterrains; dadurch entstehen schwammige
Sümpfe, die, wenn sie nicht in Kultur genommen wer-
den, sich noch immer durch neues Aufwachsen vergrößern.
War, um ein solches Bild zn gebrauchen, das Auftreten
von Sumpfpflanzen, Moorpflanzen, vorzüglich Snmpf-
moosen, Anfangs Symptom, so ist es jetzt zur Krankheit
selbst geworden. Anfangs bildeten sich die Snmpfpflan-
zen, namentlich die Moose, wegen des Vorhandenseins
stauender Feuchtigkeit, jetzt halten sie die Feuchtigkeit
vermöge ihres Bans, ihrer innern Beschaffenheit "an;
wurden sie Anfangs durch den Sumpf gebildet, jetzt bil-
den und erhalten sie den Sumpf.
Dem bloßen Augenschein nach ist die Oberfläche des
Hochmoores völlig wagrecht; läßt doch der halbflüssige
Zustand, in den der Torf schon durch mäßige Regengüsse
versetzt wird, erwarten, daß die Wölbung des Moores
dem des Wasserspiegels gleiche. Damit steht allerdings
die Ansicht der Anwohner der Hochmoore im Widersprüche;
ihnen erscheint das Moor ivie ein Hügel, dessen sanfte,
abgedachte Wölbung deutlich zu erkennen sei. Im Moor
findet man viele Seen oder „Meere", wie der Ost-
friese sie zn nennen Pflegt, die ihr Dasein dem sich an-
sammelnden Wasser, welchem der Zufluß ganz oder sehr
gehemmt ist, verdanken. Das Gefälle dieser Seen nach
verschiedenen unveränderten Richtungen gewährt eine
deutliche Vorstellung von der Abdachung" des Bodens
gegen den Rand des Torflagers. Grisebach (lieber die
Bildung des Torfs in den Emsmooren 1846) sah ent-
fernte Gegegenstände weit früher unter den Horizont
treten, als die Krümmung der Erde solches zuläßt. Als
derselbe in der Nähe des großen Papenbnrger Moores
sich zwischen den beiden Endpunkten der durch den Rücken
des Moores unterbrochenen Gesichtslinie befand, erblickte
er vom aschendorfer Thurm nur die Spitze, und die Wind-
mühle, welche auf dem Torfgrunde selbst stand, entsank
seinen Blicken ganz.
Diese und ähnliche Beobachtungen und Thatsachen
stellen das Grundphänomen der Hochmoore fest. Sie
bilden gewöhnlich convere Kuppen, welche nur an den
Rändern sich bedeutend abzudachen scheinen. Wenn eine
schwach vertiefte Mulde durch die Vegetation geselliger
Pflanzen sich nach und nach mit Torf ausfüllt, so wird
das Moor zuerst wagrecht liegen; ist die Mulde mit
Torf ausgefüllt, so nimmt die Oberfläche die Gestalt
eines llhrglases an und weicht nur durch eine peripherische
Senkung vom frühern horizontalen Niveau ab. Bald
aber erreicht die Erhöhung des Bodens ihre letzte Grenze,
er senkt sich in der Mitte. Diese letzte Grenze haben
unsere Moore längst erreicht.
Noch täglich wächst das Moor, und da Wälder
fehlen, so müssen andere Ursachen da sein, die jene Wir-
kung erzeugen. Es sind einige wenige Pflanzen, die mit
Hülfe des Wassers und der Luft solches erreichen. Die
ersten Gewächse, die sich z. B. in einer ausgestochenen
Torfgrube, einer „Kuhle", ansammeln, sind Krypto-
gamen, viele Arten von Konserven, Ulven und Wasser-
algen. Diese bilden oben auf dem Wasser einen grauen
Schleim, dauern nur kurz, höchstens ein Jahr, vermehren
sich stark, sterben alsdann, sinken zn Boden und bilden
die erste Moderlage. Zn gleicher Zeit mit ihnen oder-
später siedeln sich verschiedene andere Pflanzen an, die
aber vom Wasser zu rasch aufgelöst werden, als daß sie
Torf bilden könnten; sie helfen den Moder vermehren.
Die Moore Ostfrieslands.
143
Das frühere Gewässer ist nun bereits ein breiartiger
Sumpf geworden. Die jetzt erscheinenden Pflanzen sind
torsbildende, und da zeichnet sich denn Sphagnum
(Torfmoos) vor allen anderen ans.
Dieses Moos ist für die Bildung des Moores von
ungemeiner Wichtigkeit, indem es durch seine langen
Stengel, durch sein schaarenweises, dichtgedrängtes Vor-
kommen den Moder bald in eine kompaktere Masse um-
wandelt. Jahr um Jahr wird es im Winter dahinge-
streckt, um im Frühling auf immer festerem Boden seine
Ostern zu feiern. Man findet es aber nur auf den
schwammigeren, feuchteren Strecken; sobald es mit Hülfe
des gelben Narthecium, des Wollgrases, einiger
Riedgräser, der Moosbeere, der Erica und des
Porstes einen festen, trocknern Boden erzeugt hat,
must es sein Revier der Haide überlassen. So kommen
das Torfmoos und die Haide zugleich auf derselben
Oertlichkeit in gleicher Menge vor, eine derselben ist
meistens die vorwiegende, vorherrschende, die anderen
theilweise oder ganz ausschließend. Beide bezeichnen
gewissermaßen zwei verschiedene Vegetationsreiche des
Moores, deren jedes außer ihnen noch einige wenige
charakteristische Pflanzenarten aufzuweisen hat, wenn
auch viele andere beiden gemeinschaftlich sind. Das
Gebiet des Torfmooses ist ärmer als das der Haide.*)
Diese unten namhaft gemachten Pflanzen haben in
Verbindung mit einigen anderen die Sorge für die Bil-
dung der Moore übernommen; wie viele Jahrtausende
aber mögen erforderlich gewesen sein, solche gewaltige
Lager zu erzeugen, da während eines Menschenlebens
kaum eine zwei bis drei Fuß dicke Schicht des allerlocker-
steu Torfgewebes entsteht? Mit Recht darf man daher
die Fragmente von Wnrzelfasern, Stämmen oder Zellen-
gruppen als Runen bezeichnen, welche die Geschichte des
Torfs für späte Zeiten aufbewahren.
Weite, weite Strecken des Hochmoores liegen noch hu
jungfräulichen Zustande und harren ihrer Dienstbar-
machung für die Menschheit entgegen.
Hin und wieder findet man 'auf dem Hochmoor zer-
streut liegende Häuser und Hütten; auch wenige Kolo-
nien, die ans einigen oder mehreren zusammengehören-
den Häusern bestehen. Wenige der Bewohner kommen
auf einen grünen Zweig. Weiln auch die Regierung
ihnen den wüsten Boden Anfangs gegen eine sehr mäßige
Grundpacht überläßt, so kommen doch gar bald der Ab-
gaben mancherlei, die dem Kolonisten „die Butter vom
Brote halteil". Die Familie nimmt zu, die Nahrnngsfor-
gen werden drückender; was llur irgend Geldeswerth hat,
wird verkauft, um die Abgaben zu entrichten und um
nicht auf die Landstraße gesetzt ;n werden. Die Hütte
verfällt, der zu bebauende Boden wird vernachlässigt, die
halbnackten Kinder werden auf Bettelei ausgeschickt, der
*) Das Torfmoos bildet mit einigen anderen Snmpflnoosen
(Aulacomnion palustre, Polytrichum gracile, Ilypnum aduucum,
Jungermannia Taylori) eine Moosdecke, in welcher vorzüglich
vegetiren: Erica Tetralix, Narthecium ossifragum in ungeheurer
Menge, die Droserne, Eriophorum vaginatum, Andromeda poli-
folia, Carex ampullacea, C. vulgaris, C. limosa und einige andere,
die auch der folgenden Formation angehören.
Außer der herrschenden Calluna vulgaris finden wir auf dem
Gebiete der Haide eine größere Allzahl Pflanzen, von denen wir
hier nur die vorzüglicheren nennen wollen :Vaccinum vitis Idaea,
Salix repens, Rhynchospora alba, Scirpus caespitosus, Hydro-
cotyle vulgaris, Potentina Tormentilla, Epilobium angustifolium,
Calamagrotis Epjgeios, C. Haleriona, Aspidium spinulosum,.
Ledum palustre, Hieracium umbellatum, Parnassia palustris U. A.
Vater geht auf Taglohn, Roth und Mangel grinsen von
Neujahr bis Sylvester an feiner Schwelle, bis er endlich
einen leichtern Erwerb sich sucht — Raub und Diebstahl.
Auf diese Weise haben wir hier ein ganzes Heer Ver-
brecher erzogen, die unter anderen Umständen ein Segen
des Landes hätten werden können.
Im Jahre 1765 erließ Friedrich II. von Preußen, zu
welchem Lande damals Ostfriesland gehörte, ein soge-
nanntes Urbarmachungs-Edikt, kraft dessen die Mo-
räste, deren Eigenthum Niemand nachlveisen konnte, dem
Domanium angehören sollten, so jedoch, daß den an-
grenzenden Heerdbesitzern je vier Moordiemat zugewiesen
werde. Früher hatte jeder Eigenthümer eines Heerdes
den angrenzenden Morast als sein Eigenthum betrachtet,
und zwar so weit in der Breite, als sein Land daranstieß,
so weit in der Länge, bis er von einem gegenüberwoh-
nenden Heerdbesitzer abgeschnitten wurde. Ein langer
Streit zwischen Fürst und Volk führte zn keinem Resultat.
Es. wurde nun der Versuch gemacht, im Moore
Kolonien anzulegen. Dieser gelang, aber wie? Jeder
sich Anbauende erhielt 100 Ruthen Moor oder Haide-
feld unentgeldlich, genoß sechs Freijahre, in welchen er
von allen landesherrlichen, 15, in denen er von allen
provinziellen Abgaben frei war, und bekam, wenn er im
Stande war, ein Haus zu 100 bis 150 Thaler zu bauen,
ein Viertel dieser Summe als Prämie, außerdem wurde
noch Werbe- und Gewissensfreiheit versprochen. Das
lockte. Außer wenigen ehrlichen Leuten fand sich eine
Menge Gesindels ein, aber nur Wenige waren im Stande,
sich ein Haus zu bauen und die verheißene Prämie zu
erwerben. Elende Hütten von Torf und Rasen, halb in,
halb über der Erde, mit einem erbärmlichen Strohdach,
kaum einige Schritte im Quadrat, zu schlecht für einen
Viehstall, entstiegen dem Boden, in welchem sich die halb-
nackten Kolonisten behelfen konnten, so lange die Frei-
jahre dauerten. Aber nun kamen die Abgaben, 10 bis
15 Groschen fürs Diemat, und nur äußerst Wenige
waren im Stande, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Was in den Freijahren nicht beschafft wurde, siel jetzt
ins Bereich des Unmöglichen. Man mußte ringen und sich
mühen, um nur das tägliche Brod (Kartoffeln und Buch-
weizen) verdienen zu können; Viele machten es sich be-
quemer, und verschiedene Moordistrikte wurden mit Recht
so verrufen, daß bei Abend oder gar bei Nacht kein
Wanderer es wagte, dieselben zu passiren.
Kirche und Schule waren fern; ohne Unterricht, das
schlechte Beispiel der Eltern stündlich vor Augen, wuchs
die meistens zahlreiche Nachkommenschaft heran und über-
traf häufig an Sittenlosigkeit und Verkommenheit die
erste Generation. So sind die Kolonien zu Eiterbeulen
des Landes, zu ergiebigen Pflanzstätten des Verbrechens
geworden. Ein großer Theil der Bevölkerung wurde als
Vagabund geboren und starb als Vagabund?
Daß übrigens bei ausdauerndem Fleiß dem Boden
wohl etwas abzugewinnen ist, zeigen die Buchweizen- und
Kornfelder fleißiger Nachbarn; wo aber die Väter in
Faulheit und Armuth verkommen sind, da ist von den
Kindern in den seltensten Fällen etwas Gutes zu erwar-
ten, unmöglich fast aber ist es dort, wo die ganze Um-
gebung nur von jenen gebildet wird.
Wenn auch dieses traurige Bild im Laufe der Zeit
viel Schatten verloren hat, so" ist doch noch so viel zurück
geblieben, daß in einigen Gegenden unseres Moores das
eben Gesagte noch Wort für Wort auf die Verhält-
nisse paßt/
mm
144
Mittheilungen über Manila.
Mittheilungen über Manila.
Von Dr. H. Birnbaum.
Betrachtungen über Erdbeben. — Temperatur und Regenzeit. — Der Fluß Pasig. — Der bezauberte See. — Volksleben. — Deutsche Betriebsamkeit.
Diese Mittheilungen bilden eine Fortsetzung der Be-
inerkungeu, welche im fünften Bande dieser Zeitschrift
S. 3ic5 abgedruckt worden sind. Das dort zu Grunde
gelegte Tagebuch gibt mir auch hier wieder den Haupt-
anhaltspunkt.
Die Witterungsverhältnisse Mauila's sind
allerdings ganz anderer Art, als in dem mittlern Europa,
aber dennoch gar nicht so extrem, daß man sich nicht
bald daran gewöhueil könnte. Ktinlakrankheiten, welche
sich nur auf die Fremden beziehen, kennt man fast (jar
nicht. Man theilt das Jahr in eine trockne und eure
nasse Hälfte. Jene dauert vom Oktober bis April,
diese vom Mai bis September. Die Monate Juni
und Juli zeichnen sich gewöhnlich durch gewaltige West-
stürme aus. Sie herrschten auch vor und nach dem Erd-
beben auf eine ganz entsetzliche Weise, und unser Bericht-
erstatter kann sich nur schwer von dem Gedanken los-
machen, daß zwischen den Orkanen und Erdbeben ein
inniger Causalzusammenhang bestehe. Es ist diese Ver-
muthung schon vielfach ausgesprochen, aber auch eben fo
oft bekämpft worden; sie paßt nicht in die Theorie der
Vulkane und Erdbebe,t, welche man jetzt für wahr hält.
Am eifrigsten bekämpft der junge Gelehrte aber die
Ansicht Volgers, wonach das Erdbeben wenig oder
gar nicht mit den Vulkanen in Verbindung stehen, son-
dern meistens in unterirdischen Erdstürzen seine Ursache
haben soll. Wer das andauernde Zittern, Zucken und
Wogen des Erdbodens wirklich mit erlebt habe, meint
er, dächte nicht mehr daran, daß „unterirdische Erdstürze"
so etwas erzeugen könnten. Nach dieser Erfahrung sei
es ihm sehr wahrscheinlich geworden, daß bei diesem ge-
waltigen Naturereignisse die Elektricität die Haupt-
ursache bilde, denn die convulsivischen Zuckungen, welche
zu gleicher Zeit die feste Erdrinde, das Wasser und die
Luft betroffen hätten, so wie die unheimliche Schwüle,
welche vorher so ermattend auf Menschen, Thiere und
Pflanzen eingewirkt habe, könne man kaum anders als
mit einem Gewitter in Beziehung und Vergleich
bringen.
Für diese Ansicht sprechen auch die Erfahrungen der
Gewitterstürme, welche die Seefahrer in den Regio-
nen der Calmen gemacht haben, indeß weiß man doch
auch, daß bei dem größten Erdbeben, das die Welt, 1797
in Quito, erlebt hat, die Luft ganz ohne Gewitterwolken,
ja sogar heiter gewesen ist, und daß überhaupt die Jahres-
zeit — es war der 4. Februar — nicht für solche Luft-
erscheinungen paßte. Cavanilles sagt in seinem denk-
würdigen Berichte über dies furchtbare Unglück: „Am
4. Februar 1797, Morgens um 7V2 Uhr, als der Gipfel
des Tuuguragua ungewöhnlich heiter war, bewegten
sich die Eingeweide des Gebirges; seine Seiten ertönten,
zerrissen durch den Stoß, und ein unabsehbarer Strich
Landes schwankte nun wellenförmig vier Minuten hin-
durch mit solcher Heftigkeit, daß nie ein größeres Erd-
beben gewesen ist, nie ein härterer Unglücksschlag, noch
eine schrecklichere Niederlage sich in der Menschen (Gedächt-
niß erhalten hat. Innerhalb eines Augenblicks stürzten
eine Menge Städte nieder, — andere, wie Riombamba,
Quero, Palileo, Patate, Pillaro, wurden nebst
ihren lebenden Einwohnern unter den Trümmern der
Berge verschüttet, andere in den Landschaften Hombato,
Latalunga, Gnaranda, Riöbamba, Alansi wur-
den von Grund aus umgekehrt, andere durch das Ein-
sinken des Erdbodens und durch den Erguß der Flüsse
nach umgekehrter Richtung vielfach verwüstet, noch andere
endlich auf sonderbare Weise erschüttert, so daß die Thürme
und Häuser übergebeugt schwebten. Alles dies verursachte
ein solches Unglück, daß an sechzehntausend Men-
schen bei diesem ersten und ben bald nachfolgenden Erd-
beben das Leben verloren. Denn um 10 Uhr Morgens
und um 4 Uhr Nachmittags bewegte der Boden sich
wiederunl nach einem entsetzlichen Getöse und bebte
dann häufig wieder den ganzen Februar und März hin-
durch in schwächerer Erschütterung. Allein am 5. April
um 2Y2 Uhr früh Morgens erfolgte aufs Nene ein so
heftiger Stoß in den zerstörten Städten, daß, wenn sie
nicht schon verwüstet gewesen wären, sie durch diesen
gänzlich wären vernichtet worden." Alexander v. Hum-
boldt, der diese Gegend 1801 durchforschte,! gibt! die Zahl
der Menschenopfer sogar auf 40,000 an und bemerkt
zugleich, daß nach der Katastrophe eine starke Temperatur-
erniedrigung Platz gegriffen habe, denn Bongn er habe
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die mittlere
Temperatur daselbst 15 bis 16° 91. gefunden, und nach
seinen Beobachtungen wechsle sie jetzt zwischen 4 bis
10° R.; übrigens sei die Erde an diesem Orte in einem
fortwährend bebenden Zustande geblieben, er habe selbst
noch einige heftige Stöße verspüren können; ihm wäre
es sogar wahrscheinlich, daß der ganze hohe Theil dieser
Provinz ein einziger Vulkan sei. Die Messungen Hum-
boldts ergaben auch, daß nach dem Erdbeben der Tuu-
guragua um mehr als 100 Toisen an Höhe eingebüßt
habe/ Nach Bouguers Ausmessung betrug die Höhe
dieses Bergriesen 2650! Toisen, nach Humboldts 2530
Toisen. „Ungeachtet dieser Schrecknisse und Gefahren",
rief Humboldt damals ans, „womit die Natur sie rings
her umgibt, sind die Einwohner von Quito froh, leben-
dig und liebenswürdig. Ihre Stadt athmet nur Wollust
und Ueppigkeit, und nirgends vielleicht gibt es einen ent-
schiedeneren und allgemeineren Hang, sich zu vergnügen.
So kann sich der Mensch gewöhnen, ruhig am Rande
eines jähen Abgrundes zu schlafen!" —
Eine ganz ähnliche Erfahrung hat unser Berichter-
statter auch in Manila gemacht. Die Bestürzung der
Einwohner unmittelbar nach dem Unglück war sehr groß,
und die Angst und Sorge erhielt sich auch in den nächst
folgenden Tagen, wo immer wieder neue Spureitz einer
Erderschütterung auftauchten; aber nur einige Wochen später,
wo man noch nicht einmal mit dem Wegräumen des
Schuttes ganz zu Ende gekommen war, athmete Alles
wieder Lust und Freude, und eine Lustbarkeit verdrängte
die andere. Er ineint, daß überhaupt die üppige Tropen-
natnr das Geinüth des Menschen überwältige und viel-
iiiehr zu Genuß und Freiide antreibe, als' zu ernsten
Betrachtuiigen; seinem deutschen contemplativen Gedanken-
gange habe diese Leichtfertigkeit Anfangs auch wenig zu-
sagen wollen, indeß werde man unvermerkt in das all-
gemeine Treibeil, Denken und Empfinden der Menschen
der Art hineingezogen, daß man bald eben so wäre, wie die
Uebrigen. Was unser junger Freund hier als seine Er-
fahrung und Ansicht ausspricht, ist schon eine alt be-
wahrheitete, und es haben ganz vorzugsweise Herder und
Ritter darauf hingewiesen; auch wird dieses Thema in
meiner deutschen Bearbeitung der Guyot'scheu Gruudzüge
Mittheilungen über Manila.
145
der vergleichenden physikalischen. Erdkunde ausführlich
behandelt?)
Die Temperatur fällt in Manila nie unter 16 °N.,
steigt aber auch nie über 26" R. Sie entspricht daher
unserem deutschen Sommerklima. _ Das ununterbrochene
Sommerwetter und die ewig grüne und üppig thätige
Pflanzennatur erweckten in dem jungen Deutschen Anfangs
ein Staunen und Bewundern, später erhielt er aber
gerade hierdurch auch eine wehmuthsvolle Sehnsucht nach
dem heimathlichen Wechsel der Jahreszeiten. Er malte
sich die gemüthlichen deutschen Winterabende im Kreise
seiner lieben Angehörigen und Freunde mit so reizenden
Farben aus, daß ihn sogar ein Gefühl des Heimwehs
beschlich. Und wenn er nun gar an die herrlichen Früh-
lingstage seines theuern Vaterlandes dachte, so hatte er
Mühe, seiner tiefgefühlten Wehmnth Herr zu werden.
Er wuchte sich aber immer wieder empor zu richten und
gewöhnte sich zuletzt vortrefflich an alle neuen Verhältnisse.
Die Regenzeit erquickt eigentlich nur die Pflanzen-
natur, greift aber übrigens wenig störend in das Geschäfts-
leben der Menscheil ein, weil ihr Verlauf sehr regelmäßig
ist und daher zweckmäßige Vorausbestimmnngen zu machen
sind. Ueber Nacht, erzählt unser Berichterstatter, regnets
in Manila nie, man hat immer regenfreie, heitere Nächte
voll durchschnittlich 10 Stunden Länge. Auch geht ziem-
lich regelmäßig die Sonne wolkenfrei ans, erst gegen 10
Uhr Morgens bewölkt sich der Himmel, und um Mittag
beginilt der Regen, welcher dailil aber in furchtbarer
Menge niederstürzt ulld vier bis fünf Stnilden ununter-
brochen andauert. In dieser Tageszeit ruht aller Ver-
kehr außer dem Hanse. Von einem ganzen Regentag,
oder voll einem Tage oder Wochen lang andauernden
Regenwetter hat man in Manila gar keine Ahnung.
Nach den Regeilstundeil des Tages sind die Wege sehr
rasch wieder zu passiren, denn das Wasser verdunstet
und verläuft sich mit bewunderungswürdiger Geschwindig-
keit. Nur in den Tagen nach dem Erdbeben war die
herrschende Regenzeit sehr lästig, da der Schritt in den
Straßen ein Hinderniß des Ablaufens war. Man inachte
aber die Nächte zu den Arbeitsstunden des Tages und
war dann rasch mit der Aufräumung der Straßen fertig.
Der Fluß Pasig, welcher die ganze Insel von Nor-
den llach Süden in zwei ziemlich gleiche Theile scheidet,
durchfließt auch Manila und sondert hier den befestigten
sogenannten militärischen Theil von dem andern. Jener
ist von Wällen uild Festungsgräben umgeben, enthält die
Paläste des Statthalters und des Erzbischofs, das Arsenal
und die Kasernen; er ist eigentlich nur von Spaniern be-
wohnt ilild darf nur von Spaniern betreten werden. Dies
Hinderniß des Verkehrs erzeugt eine große Oede und
Stille des Orts nild man erzählt, daß in den Straßen
Gras wachse; die Zahl der Einwohner von dieseiil eigent-
lichen Manila beträgt nur \0,000. Auf der andern Ufer-
seite des Flusses liegt die bürgerliche Hälfte der Stadt;
sie heißt Binondo und zählt 140,000 Einwohner. Hier
herrscht ein sehr reger Verkehr, der um so mehr ins
Auge fällt, da die Straßen sehr eng sind. Zum Schutz
gegen die Sonne sind überall Marquisen ausgespannt,
die von den gegenüber liegenden Häusern meistens so
weit vortreten, daß sie sich in der Mitte der engen Straßeil
berühren und dem Wanderer einen angenehmen Schatten
gewähren. Die Kirchen in beiden Stadttheilen sind pracht-
volle Gebäude; sie haben durch das Erdbeben viel ge-
litten, aber sie werden den Schaden am ersten verschmerzen
können, da sie, wie überhaupt die spanischen Kirchen, sehr
reich sind. Man schätzt jetzt den Gesammtschadeu, den
das Erdbeben veranlaßt haben soll, auf 40 Millionen *)
*) Grundzüge der vergleichenden physikalischen Erdkunde
in ihrer Beziehung zur Geschichte des Menschen. Nach Arnold
Guyot's Vorlesungen für Gebildete frei bearbeitet von Dr.
Heinrich Birnbaum. Zweite Auflage. Leipzig, I. C. Hinrichs'-
sche Buchhandlung. Siehe die Stellen in der 10. Vorlesung
S. 203 bis 206.
Globus VI. Nr. 5.
Dollars, wovon auf die Negiernngsgebände allein 13
Millionen fallen.
Nicht weit von der Stadt liegt der sogenannte be-
zauberte See, der fein Wasser Durch den Pasig erhält.
Steile Felsenschichteu ans Lavablöcken bilden die äußere
kreisförmige Einfassung, überhaupt deutet Alles darauf hin,
daß hier der Krater eiires früher thätigen Vulkans ist.
Int Innern sind die Ufer voit einem großartigen Tropen-
walde überdeckt, welcher auf die Besucher einen wunder-
baren Eindruck macht, durch die feierliche Stille uild Ein-
samkeit, welche dort herrschen. In den hohen Gipfeln dieses
kleinen llrwaldes nistet die berühmte helle Waldtaube
in ungestörter Ruhe, so daß es aussieht, als wäre das
Ganze nur von diesen sanften Geschöpfen in Besitz ge-
nommen; bei genauerer Prüfung zeigt sich aber auch noch
die Riesenfledermaus als Theilnehmerin an diesem
Wundersitze. Die Einwohner Manila's besllcheu diesen
Ort nicht viel, er ist ihnen zu ernst und liefert zu reichen
Stoff für den Aberglauben, worin sie überhaupt noch sehr
befangen sind. Für unsern jungen Landsmann besaß in-
deß dieser See eine starke Anziehung, weil er für die
botanischen Studien sich ganz besonders gut eignete. Das
Erdbeben mußte auch auf diesen See stark eingewirkt
haben, denn es waren nicht blos mehrere Bäume umge-
stürzt, sondern der Boden zeigte auch Spuren von dem
Uebertreten des Wassers.
Unter den Volksbelustigungen nehmen die Hahnen-
kämpfe unstreitig den ersten Platz ein. Sie sind außer-
ordentlich stark besucht. Unser Berichterstatter ist auch
zuweilen Zuschauer gewesen und da fiel ihm ein sehr prak-
tisches Verfahren auf, welches die Männer au der Kasse
statt Retourbillets benutzten. Sie drückten nämlich jedem,
der auf einige Minuten den Circus verlassen wollte,
einen Stempel auf den nackten rechten Arm, der dann
nach der Rückkehr wieder weggewischt wurde. Stier-
gefechte kommen jetzt gar nicht mehr vor und sollen
auch früher nur sehr selten gewesen sein. Der Grund
liegt wohl darin, daß die Bevölkerung eigentlich aus
Malayeu besteht und die Spanier nur die Regierung,
die Führer des Militärs und der Kirche ausmachen, aber
nicht das eigentliche Volk. Auf Musik legt man in
Manila viel Gewicht und setzt besonders bei den neu
ankommenden Europäern in dieser Hinsicht sehr viel vor-
aus. Mau würde nicht für fein gebildet gehalten wer-
den, wenn man gar keine Musik verstände.
Unser junger Gewährsmann ist gegenwärtig in einen
mehr selbständigen Geschäftsverkehr getreten. Er hat
sich mit einem andern Deutschen zu einem Compagnie-
geschäft verbunden. Anfangs fabricirten sie Essig, fanden
aber nicht viel Absatz, weil sich die Indier ihren Essig
und Palmwein selbst bereiten. Dieses ans der Nipa-
Palme gelvonnene Getränk ist allerdings herzlich schlecht,
die Leute sind aber daran gewöhnt uird verlangeil gar
nichts Besseres. Jetzt destilliren jene ein ätherisches Oel,
wonach besonders von den pariser Parfümeurs viel Nach-
frage ist und das sehr gut bezahlt wird. Es lvird aus
der Blüthe einer Anonacee, aus einer Familie des
Flaschenbanmes, gewonnen, uuD zwar von einer
Unona, welche nur auf den Philippinen ihre Heimath
hat.. Der Padre Blanco hat in seiner Flora de Filipinos
dafür den Namen Unona odoratissima eingeführt. Der
Geruch der Essenz ist jenein der Blüthe ganz gleich und
tu der That ein eben so erfrischender als lieblicher; er
kann mit dem der Rose nur in so fern verglichen werden,
daß ihn Jedermann gern mag und nie davon übersättigt
werden kann. Durch eine geschickte Einrichtung ihrer
Destillirapparate erhalten sie sehr nahe an zwei Procent
Essenz, eine Ausbeute, wie man sie bisher für unmöglich
gehalten hatte. Es lag hierin zugleich ein Lob für die
neuesten Fortschritte der technischen Chemie in Deutsch-
land. Sie vereinigten sich nun mit einem reichen deut-
schen Kaufmann, welcher das nöthige Geld vorstreckte,
und verpflichteten sich kontraktlich, ihm alles Oel für etncit
19
146
Eine indische Fürstin.
bestimmten Preis einzuliefern, das sie während eines
Jahres produciré« könnten. Sie erhielten für das Kilo
200 Dollars und machten sich Hoffnung, in einem Jahre
50 Kilo Essenz zu produciré«, so daß Jeder eine reine
Einnahme von 2000 Dollars in Aussicht hatte. Der
indische Name der Blume ist „ Jlang-Jlang" und
die Straße, in welcher die jungen Fabrikanten wohnen,
heißt eben so, weil hier früher eine Allee von den wohl-
riechenden Bäumen stand; das ist ein merkwürdiges Zu-
sammentreffen.
Da sie mit der Fabrikation dieser Essenz Jlang nicht
ausreichend beschäftigt sind, so sinnen sie auf noch andere
Spekulationen, womit sich rasch Geld verdienen läßt. Sie
dachten an eine Jnd igofärberei, welche dort nur von
Chinesen betrieben wird, aber auf eine höchst verschwen-
derische Weise; diese verschmieren 20 Pfund Indigo da-
zu, wobei man recht gut mit 1 Pfund ausreichen könnte,
aber sie fürchteten, daß sie hier wieder wie bei ihrer Essig-
fabrikation mit der schwer zu beseitigenden Volkssitte in
Kampf gerathen könnten. Dagegen war mit der billigen
Herstellung des Kokusuußöls schon eher eine Aussicht
vorhanden; denn die Nachfrage nach diesem Oel von Europa
aus wächst mit jedem Jahre. Die billige und reichliche
Herstellung hatten sie sogleich wieder in ihrer Gewalt,
und es kam nun daraus an, wohlfeile Gefäße auszu-
grübeln, welche auf der andauernd heißen Fahrt gehörig
dicht blieben, denn wenn der Verlust an Oel durch das
Leckwerden der Fässer nicht den Preis so enorm erhöhte,
so wäre die Kokusnußöl-Verwendung in Europa gewiß
noch viel ausgebreiteter. Einige englische Handelshäuser
haben sich sogar schon vor mehreren Jahren Küper aus
Europa kommen lassen, um das Anfertigen der Fässer
zu übernehmen, weil die Indianer das nicht gut verstehen;
doch Alles war umsonst, denn wenn auch die Fässer in
Manila sehr dicht hielten, so zogen sie sich auf der
langen heißen Reise ums Kap doch dermaßen auseinander,
daß das Oel ans allen Fugen lief. Die jungen Fabri-
kanten haben nun Hoffnung, dem Uebelstande dadurch
abhelfen zu können, daß sie das Holz der Fässer mit
der Lösung irgend eines hygroskopischen Salzes durchdringen
lassen; ein solches Holz ist viel mehr geneigt, Feuchtigkeit
anzunehmen als abzugeben, es kann sich daher durch das
einseitige Austrocknen nicht werfen und zusammenziehen.
Sie haben eben jetzt einige Versuchsfässer nach Europa
gesandt, das Resultat war aber noch nicht bekannt. Die
Ausfuhr des Oels geschieht übrigens auf eine Weise,
daß es schon ranzig ist, wenn es in die Fässer kommt.
Man raspelt die Kerne zu Muß und schüttet dieses in
große Mulden mit durchlöcherten Böden, setzt das Ganze
der Sonne aus und fängt das durchsickernde Oel in unter-
gestellten Gefäßen auf. Dabei wird verhältnißmäßig nur
wenig Oel gewonnen und es wird auch durch die große
Verlangsamung des Prozesses ranzig. Unsere deutschen
Freunde hoffen mit Hülfe der hydraulischen Presse die
ganze Sache wesentlich zu verbessern und neue Gelegen-
heit zu bekommen, Geld zu verdienen. Denn wer von
Europa nach Indien oder seinen Inseln geht, muß oder
will rasch zu einem reichen Mann zu werden suchen,
um dann später in der Heimath sorgenlos leben zu
können.
Eine indis
Nachrichten aus Bombay vom 29. März d. I. ent-
halten die Nachricht, daß am 6. März in jener Stadt
der Maharadscha Dhelip Singh, der vormalige Be-
herrscher des PendschLb, aus Europa angekommen sei.
Er brachte die Leiche seiner Mutter dorthin, welche letzt-
willig verordnet hatte, daß man sie auf heimathlichem
Boden verbrennen solle. Sie war ihrem ursprünglichen
Glauben, dem Nanekismns, treu geblieben, während ihr
Sohn zur englischen Hochkirche übergetreten war. Beide
lebten seit langer Zeit in London, wo man an Dhelip
Singhs Abreise allerlei Gerüchte knüpfte, die einen aben-
teuerlichen Anstrich haben. Doch an einem Indier und in
demLande südlich vomHimalaya kann auch das Abenteuer-
liche nicht überraschen. Es hieß, der Fürst sei in den Glau-
ben seiner Väter zurückgefallen.
Das „Fünfstromland", PendschLb, ist seit 1849 den
Engländern unterworfen; sie eroberten dieses durch den
Maharadscha Randschit Singh so mächtig und berühmt
gewordene Reich der Sikhs (eigentlich Siech, d. h.
Jünger oder Schüler), welche seit Ende des 15. Jahr-
hunderts eine von Nanek gestiftete, besondere Religions-
gemeinschaft bilden. Diese lvill eine Art von Vermittelung
zwischen dem Islam und dem Brahmanismus bilden,
denn 'sie lehrt Einheit und Allgegenwart Gottes und
Gleichheit aller Menschen im Himmel, verwirft demnach
Götzenbilder und Kastenwesen und verbietet den Genuß
sowohl von Kuhfleisch wie von Schweinefleisch. Die ver-
schiedenen Serdars oder Fürsten bildeten zlvölf Misal,
d. h. Bündnisse, und beriethen über gemeinschaftliche Lan-
desangelegenheiten in der heiligen Stadt Amritsir. Zu
Anfang _ unseres Jahrhunderts gelang es dem Serdar
Randschit Singh, die übrigen Fürsten zu unterwerfen
und ein Reich zu gründen, das aber mit seinem Tode,
che Fürstin.
1839, zerfiel. Innere Fehden zerrütteten das Land, und
es kennzeichnet die Zustände, daß von 70 Serdars, die in
jenem Jahre noch lebten, 1846 nur elf nicht ermordet
worden waren. Von Randschits vier Thronfolgern
war nicht ein einziger natürlichen Todes gestorben.
Die Serdare waren den Engländern feindlich, und
diese beschlossen, das PendschLb einzuverleiben. An der
Spitze stand Dhelip Singh, angeblich (allem Anscheine
nach nicht leiblich und wirklich) Sohn des Randschit
Singh, dessen Krone er nun trug. Die Engländer ließen
ihil am 20. März 1849 seinen letzten großen Durbar
(Rathsversammlung der hohen Würdenträger und Räthe)
halten. Zum letzten Male war er als Souverain im
Königspalaste zu Lahore, um die Urkunde vorlesen zu
hören, welche ihm seine Absetzung kund und zu wissen
that. Er war fast noch ein Knabe, konnte aber dennoch
wohl in den Händen der Mißvergnügten gefährlich wer-
den, und die Sieger brachten ihn deshalb, im Februar
1850, aus Lahore nach Fattighar in das Fort, wo er
unter der Obhut eines englischen Arztes erzogen lvurde.
Man bekehrte ihn, und er ist dann nach England gegangen.
Seine Mutter, die Maharani Schenda Khor,
wurde von den Engländern als Jesabel und Mcssalina
des PendschLb bezeichnet. Sie war 1840 aus der Festung
Schenar entflohen und nach Katmandu, der Hauptstadt von
NepLl, gegangen, von wo aus sie Unruhen im PendschLb
zu erregen suchte.
Schenda Khor war, gleich ihrem Sohne Dhelip Singh,
nach London gekommen oder geschafft worden, weigerte
sich aber standhaft, ihren Sprößling §u sehen und nur
widerwillig gab sie Erlaubniß, daß er vor ihr Todten-
bett kommen und dort niederknieen durfte. Aber auch
dann nahm sie den Schleier nicht von dem Gesichte und
Eine indische Fürstin.
147
würdigte ihn keines Wortes. Er war ja von der Religion
seiner Väter abgefallen und hatte die Lehre Derer ange-
nommen, ivelche Feinde der Chalsa sind.
Was sind die Chalsa? Jene Sikhs, welche an
der ursprünglichen Lehre Naneks festhalten,! die Gemein-
schaft mit Gott durch beschauliches Leben suchen und der
Waffengewalt nicht hold sind, bilden nur noch einen kleinen
Bruchtheil des Volkes. Die übrigen dagegen sind Chalsa-
Sikhs, d. h. Jünger des Gemeinwesens, und sie
halten sich für eine Art von auserwähltem Volke Gottes.
Ihr Stifter war der zehnte „Meister", Guru, nach Na-
nek Goviuda, gegen Ende des 17. Jahrhunderts.
Wer unter die Chalsa aufgenommen werden will, muß
eine Einweihung, Pakul, mit sich vornehmen lassen. Sie
findet gewöhnlich schon in der Jugend statt. Dem Ein-
zuweihenden werden die Füße gewaschen; in das Wasser
wird etwas Zucker geworfen, und man rührt es mit einem
Dolch um. Unter Aussprechuug gewisser religiöser For-
meln und mit dem Schwur, daß man Kaste und Seelen-
wanderung verwerfe, lvird es getrunken. Bon da an ist
der Eingeweihte ein Singh, Löwe, darf lveder Bart
noch Haupthaar scheeren, sondern trägt das letztere so,
daß es einen gewundenen Knoten bildet. Es ist ihm er-
laubt, berauschende Getränke zu genießen, aber Tabak zu
rauchen ist verboten. Er soll Waffen zur Vertheidigung
seines Glaubens führen, und zum Zeichen, daß er ein
kampfbereiter Streiter für diesen Glauben sei, muß er
Armbänder von Stahl tragen.
Dhelip Singh hatte sich bewegen lassen, Christ zu
werden, er war kein Glaubensstreiter, und deshalb haßte
ihn seine Mutter.
Im Königspalaste zu Lahore ging ein finsterer Geist
um. Randschit Singh, der Löwe des PendschLb, tödtete
seine Mutter mit eigener Hand. Als er nach seinem Tode
vor dem Goldenen Thore seiner Hauptstadt verbrannt
wurde, opferte mau mit ihm 12 seiner Frauen und 25
Sklaven. Diese Thatsachen sind inschriftlich auf dem Grab-
denkmale zu lesen, welches die britische Regierung über
der Asche hat errichten lassen. Auf jedem Grabe der 12
Gemahlinnen liegt ein Block von weißem Marmor, auf
jedem Grabe der Sklaven steht eine Pyramide. Dreißig
andere Gemahlinnen und etwa 200 Mädchen des Harems
blieben am Leben.
SchendaKhor (oderKhur), die Maharani, erste Haupt-
frau und vor allen Andern bevorzugte Favorite Randschit
Singhs war, hatte sich schlau genug dem Satti, der Witt-
wenverbrennung, zu entziehen gewußt; sie wollte nicht zu
Asche werden, sondern leben und herrschen, den Glanz
des Thrones genießen.
Diese merkwürdige Oberkönigiu ivar die Tochter eines
Hnndeknechts, der die Mellte des Herrschers unter Obhut
hatte. Sie lvurde in früher Jugend an den Großen
Tempel abgegeben, um Tänzerin zu werden.
Der alte Randschit Singh liebte die Jagd. Als er
ail einem heißen Tage im Schatten eines Baumes sich
der Kühlung erfreute, trat die Täuzeriu vor den betagten
Herrn hin. Sie lvar mit einem rosenrothen Schleier
umhüllt, in den silberne Sterne eingestickt waren; nur die
mit Ringen bedeckten Füße waren bis zu deu Knöcheln
sichtbar. Aber Raudschit Siugh durfte den Schleier der
Tempelbayadere nicht aufheben, das wäre ein Verstoß
gegen Sitte und Herkommen gewesen. Der mächtige
König aber wollte die Tänzerin sehen und ließ seinen
Hundewärter herbeiholen. Als schon die Sonne dem Unter-
gänge nahe war, hatte er sich endlich mit dem Vater der
Verhüllten geeinigt, und nun durfte der „alte Lölve" deu
Schleier lüften. Da staut) nun die Bayadere in so blen-
dender Schönheit, daß er bewundernd ausrief: „Ah,
Scheuda Kohr!" Von dem Augenblick an hieß die
Schöne linr „der silberne Mond" und sie hat unter
diesem Namen einen grauenvollen Ruf erworben.
Sie wurde des alten Löwen (Siugh bedeutet Löwe)
liebste Favorite; die Tochter des Hundewärters, die Tempel-
bayadere, stieg empor und wurde Königin eines mächtigen
Reiches. Kein anderes Weib ist jemals rachedürstender,
vergnügungssüchtiger, ehrgeiziger und blutgieriger gewesen.
Randschit Singh starb 1839. Schenda Kohr, so ein-
flußreich und so begierig nach der Herrschaft sie auch war,
mußte geitatten, daß nach Landesrecht und Gesetz der Bru-
der des Verstorbenen den Thron einnahm. Als er aber
unter einem Triumphbogen hindurch in den Palast ein-
ziehen wollte, stürzte ein Balken herab und zermalmte
den neuen König, dessen Leichnam erst nach 24 Stunden
unter Schutt und Trümmern hervorgezogen wurde. Der
silberne Mond hatte den Balken durchsägen lassen, und
der Triumphbogen brach genau in dem Augenblicke zu-
sammen, der im Voraus berechnet lvorden war.
Nachdem dieser König durch Mord beseitigt worden
war, kam ein zweiter an die Reihe, ein Neffe Randschit
Singhs. Dieser, ein Knabe von etwa 15 Jahren, wurde
in Lahore unter großem Jubel des Volkes, das bereits
gegen Schenda Kohr Verdacht schöpfte, zum Herrscher
ausgerufen. Man setzte ihn mit außerordentlichem Pomp
auf den Thron, und alle Mitglieder der Familie Nand-
schit Singhs traten vor ihn hin, um nach altem Brauche
Geschenke ju überreichen. Auch Lall Singh, ein Bruder
der Schenda Kohr, fand sich ein und überreichte dem
jungen Maharadscha ein Paar prachtvoller englischer Pisto-
len. Sie gefielen ihm, er hatte seine Freude daran und
drehte sie hin und her. Lall Singh zeigte sich besorgt,
die Waffen lvaren ja geladen, er wollte dem jungen König
zeigen, wie man mit denselben umgehen müsse, mit) als
er ihm dann eine Pistole aus der Hand nahm, ging sie
los, und die Kugel drang dem König ins Herz. Er siel
blutend ans den Teppich, der Thron lvar abermals er-
ledigt.
Nun war noch eine Wittwe von Randschit Singhs
Bruder zur Herrschaft berechtigt, und sie wurde vom
Volke zur Königin ansgernfen. Schenda Kohr zeigte sich
unterwürfig und erschien, ihren damals vierjährigen Sohn
Dhelip Singh an der Hand führend, im Krönungszuge.
Sie belvies der Frau des vom Gebälke des Triumph-
bogens Erschlagenen jede Huldigung und bezeigte ihre
Anhänglichkeit auch dadurch, daß sie der Königin eine
ihrer Liebliugssklavinnen schenkte, die sich ganz ausge-
zeichnet daraus verstand, das Haar zu flechten und das
Diadem geschmackvoll zu befestigen. Schenda Kohr war
so freundlich, daß sie selber ihrer Freundin einen großen,
schweren Spiegel vorhielt, damit dieselbe sich überzeugen
könne, wie geschickt und hübsch die Haarflechterin den
Kopfputz anordne. Aber es geschah ein Unglück; der
schwere Bronzespiegel fiel der Königin mit solcher Wucht
auf den Kops, daß sie starb.
Das war der dritte Mord, und jetzt sah der silberne
Mond freie Bahn vor sich. Nun konnte ihr Knabe Dhelip
Singh König werden und sie als Negentin in seinem
Namen schalten und walten, wie es ihr beliebte. Alles
ging nach ihrem Wunsche, und mehrere Jahre lang schwelgte
sie in unbeschränkter Machtfülle. Zur Seite stand ihr,
als Vormund des gekrönten Knaben, ihr Bruder Lall
Singh, und die beiden Sprößlinge des Hundewärters ent-
falteten eine wahrhaft orientalische Pracht, einen so ge-
waltigen Glanz, daß derselbe auch heute noch sprüch-
wörtlich ist.
Aber im Jahre 1846 schlug das Glück um. Der
silberne Mond ward allzu übermüthig und glaubte den
Engländern Trotz bieten zu können. Sie setzte sich über
die Verträge hinweg und wurde im Jahre 1849 gefangen
genommen. Man brachte sie nach Europa. Wir haben
schon erzählt, daß ihr 'Sohn dem „Buche des Lebens"
ungetreu wurde und unter die Christen ging. Er bezieht
ein Jahrgeld und lebte seither in London in halb euro-
päischer, halb orientalischer Weise als vornehmer Herr.
In politischer Beziehung hielt mau ihn für durchaus
ungefährlich.
Aber im Januar 1864 ereignete sich ein Umstand, der
19*
148
Der See von Jannina in Albanien.
Aufsehen gemacht hat. Der Taufpathe der Königin Victo-
ria, eben jener Dhelip Singh, verschwand plötzlich aus
London, ohne von irgend einem seiner Bekannten Abschied
genommen zu haben; er hatte nur dann und wann ge-
äußert, daß er Lust habe, mit Falken gu jagen, wozu sich
in Europa keine Gelegenheit darbiete. Von Marseille
aus telegraphirte er dann nach London, man möge ihm
den Leichnam seiner Mutter Schenda Kohr dorthin schicken;
er wolle denselben in Indien nach den Gebräuchen der
Chalsa verbrennen lassen. Daß er in Bombay angekom-
men ist, bemerkten wir weiter oben.
Das Erscheinen Dhelip Singhs in Indien trifft mit
merkwürdigen Umständen zusammen. Seit längerer Zeit
zeigen die noch nnbezwnngenen Bergvölker im Nordwesten
des PendschLb eine gewisse Feindseligkeit gegen die Eng-
länder, welche 1868 acht Monate lang einen blutigen
Krieg mit diesen Stämmen zu führen hatten. Die Dinge
nahmen eine Zeit lang eine so bedenkliche Wendung, daß
man eine erschütternde Rückwirkung auf ganz Oberindien
erwartete; an: Ende ist es aber nicht ohne große Mühe
gelungen, die Bergvölker (Suats, Momends', Jussnfseis,
Bonayres re.) bis auf Weiteres in so weit zurückzuwerfen,
daß sie jetzt nicht geradezu gefährlich sind. Wir werden
gelegentlich diese eigenthümlichen Verhältnisse im Globus
schildern; heute weisen wir nur darauf hin, daß der
religiöse Fanatismus bei denselben eine wichtige Rolle
spielt. Ein alter „Priesterkönig", ein Akund, welcher sich
viele Jahre lang als Fakir im Orient herumgetrieben,
hat den Feringhis, d. h. Europäern, Vernichtung ge-
schworen und gebietet über mehr als 30,000 streitbare
Männer. Er gilt für einen Propheten. Als im vorigen
Jahre der Krieg mit den Bergvölkern begann, sprach er
den Fluch gegen die Feringhis aus und verkündete, daß
er einen Zauber über das Leben des Generalgouverneurs
Lord Elgin geworfen habe. Aus der Ferne werde er auf
ihn einwirken, bis jener todt sei, und wenn das geschehen
sei, werde er vom Untergang der Sonne her den
wahren Herrscher des Pendschüb, den ächten
Sohn des Löwen rufen, der zwar im Käfig er-
zogen sei, aber trotzdem ins Land kommen solle,
um die Hunde zu verjagen.
Allerdings haben die Engländer das Fort Mnlka, den
Hauptkernpunkt ihrer Feinde, erstürmt, aber die Prophe-
zeiungen des Akund sind in Aller Mund und erhalten
die Gährung in den Gemüthern. Auch ist eins, was
der Priesterkönig vorausgesagt hat, schon buchstäblich ein-
getroffen, denn der Generalgouverneur Elgin, auf welchen
jener den „Zauber geworfen", starb in der von ihm an-
gegebenen Zeit, ohne vorherige Krankheit, eines jähen
Todes. Die eine Prophezeiung hat sich erfüllt; an die
Verwirklichung der zweiten werden die Bergvölker wohl
glauben, denn nun ist Dhelip Singh, der in: Käfig er-
zogene ächte Sohn des „alten Löwen", nämlich Randschit
Singhs, in Indien erschienen. Ob ihn aber die „Hunde",
nämlich die Engländer, gewähren lasse», falls er wirklich
Neigung hätte, sich auf gewagte Unternehmungen einzu-
lassen, das ist eine andere Frage. Sie werden ihn auch
in Indien nicht aus dem Käfig herauslassen.
Der See von Ionnina in Albanien.
Dr. A. Schläfli's Reisen und Schicksale sind im
Globus V, 247 ff. geschildert worden. Wir versprachen
damals noch die interessante Beschreibung des Sees
von Jannina in Albanien mitzutheilen, die wir
dem topographischen Abschnitte des Neisewerkes von
Schläfli entnehmen.
Das 43 bis 45 Kilometer lange und 2 bis 10 Kilo-
meter breite Thal von Jannina zieht sich seiner Haupt-
richtung nach von Südost nach Nordwest und wird zu
einem großen Theile von dein See gleichen Namens aus-
gefüllt. Im Osten und Nordosten' wird das Thal von
der zweiten Parallelkette des Pindns, dein Mitschkeli*)
unb den Vorbergen des Drisko**), im Westell und Süd-
westen von einem niedrigen Plateau begrenzt, das sich
180 bis 200 Meter über den Spiegel des Sees erhebt;
im Süden ivird seine natürliche Grenze durch den Ge-
birgsknoten von Peiltepigadia gebildet, welcher
die Ausläufer des Drisko mit denen des Olytschka und
des Gebirges von Snli verbindet, im Norden durch die
Verbindung des westlichen Plateau mit den niedrigen Ab-
zweigungen des Mitschkeli.
Von allen Seiten durch mehr oder weniger hohe Er-
hebungen abgeschlossen, in feiner Mitte ein großes Wasser-
bassin'ohne sichtbaren Zn- lind Abfluß, bietet lins das
Thal voii Jannina eineil wahren Typus von einem Kessel-
becken , eine Formation, die wir überhaupt in West-
, *) FürZüe höchste, zweigegabelte Spitze dieser Kette, nord-
östlich der Stadt Jannina gegenüber, ergab sich nach einer
barometrischen Messung Ende Mai 1660 eine Meereshöhe von
1776 Meter.
**) Die höchste Spitze des Drisko, welche im Osten von
Jannina steht, muh wohl.mindestens 2000Meter hoch sein, da
auf seinem Westabhang derSchuee drei bis vier Wochen länger
liegen bleibt, als ani Mitschkeli.
Macedonien und im südlichen Theil der illyrischen Halb-
insel nicht selten antreffen. Ich erinnere nur an die
Kesselbeckeil von Ostorolvo lind Kastoria in Macedonien,
an die Kessel Livadiens lind Böotiens.
Nach meinen baronletrischen Aufzeichnungen, die einen
Zeitraunl von vier Monaten umfassen, ergibt sich die
Meereshöhe des Seespiegels von Jannina zll 420 Metern,
einerZahl, die mit der Schätzung Leake's übereinstinlmt,
dagegen mit der von Dr. H a hn nur 100 Meter differirt.
Der See zerfällt in zwei Hälften, eine südliche
lind eine nördliche, beide den westlichen Fuß des Mit-
schkeli bespülend, welche durch einen schmaleil Kanal und
Sümpfe mit einander verbunden sind, zur Regenzeit aber
eine zusammenhängende Wasserfläche ausmachen. Beide
Theile, wiewohl zll Einem See gehöreild unb in dem-
selben Thäte liegend, tragen einen ganz verschiedenen
Charakter. Die südliche Hälfte — der eigentliche See
von Jannina mit einer kleinen Insel au seinem Ostnfer
— zeigt denl Allge eine abgerundete Wasserfläche mit
einfachen Contnren, offeil lind eben an seinem Westnfer,
einem stunipfen Keile ilicht unähnlich; desseil breiteste Basis
im Süd oft, dessen Spitze im Nordwest. Ter nördliche
Theil dagegen — See von Lapschista genannt — erscheint
überall in Fels eingeschlossen, mit einer Menge von armen,
kleineil Buchten und Nebeukesseln. Die Länge des erstern
schätze ich zu 10, seine größte Breite (die Süinpfe aus-
geschlossen) zil 5 Kilometer; die Länge des letzter» zu 9,
seine größte Breite zu 4 Kilometer; das dazwischen tiegeilde
Snmpfland zu 3, also die Gesammtlänge des Sees zll
circa 22 Kilometer.
Der See von Jannina, mit lvelcher Bezeichnung ich
den ganzen See meine, zeigt ilirgends eine beträchtliche
Tiefe; die tiefste Stelle soll sich in seiner südlichen Hälfte
zwischen der Insel und dem Mitschkeli befinden, aber nicht
Der See von Jannina in Albanien.
149
fünf bis sechs Klafter übertreffen. Der Seegrnnd ist
schlammig, mit Wasserpflanzen überdeckt, die llfer sind
überall mit Schilf eingesäumt. Die südwestliche Ecke
des Sees ist mit Sümpfen umgeben, die ebenfalls zur
Winterzeit, wo der See oft zwei Fuß über sein gewöhn-
liches Niveau steigt, mit ihm eine einzige Wasserfläche
bilden und dann seine Breite um zwei bis drei Kilometer
erhöhen. Hinter seinem Südostufer, das der Hügel von
Gastnitza begrenzt, ans dem Wege von Jannina nach
Pentepigadia, liegt noch eine ganze Reihe kleiner
Kessel, die zur Regenzeit tief gefüllt mit Wasser sind, im
Sommer aber, wo sie nicht mehr die genügende Nahrung
erhalten, durch Verdunstung oder Abfluß in unterirdische
Gänge austrocknen. Welch nachtheiligen Einfluß alle diese
miasmenerzengenden Verhältnisse ans die Gesundheit des
Menschen ausüben, werden wir später sehen.
Der See von Jannina, der wohl früher das ganze
Thal ausgefüllt haben mag, besitzt keinen sichtbaren Zu-
noch Abfluß. Dies ist aber nicht ganz wörtlich zu ver-
stehe»; denn das Auge erblickt sowohl diesen, als jenen,
aber nur an ihren geheimnißvolle» Mündungen. Die
Zuflüsse nehmen mehr das östliche, die Abflüsse das west-
liche Ufer ein; der südliche Seethcil ist reicher an Zu-
flüssen, der nördliche reicher an Abflüssen als jener.
Der ganze Westabhang des Mitschkeli, dessen Fuß
sich steil ans dem See erhebt, spendet diesem eine Masse
mehr oder minder beträchtlicher Quellen, bald in kleinen
Bächen dem Felsen entspringend, bald aus unzähligen
Poren an: Ufer oder Grunde des Sees hervorsickernd.
Zwei dieser Quellen sind besonders bemerklich, nämlich
diejenige von Trapadua*), gegenüber der Insel, und
diejenige von St rum i, 200 Meter weiter nördlich als
jene. Die Temperatur dieser Quellen, welche ich im
Sommer 1860 untersuchte, variirte zwischen 12,2 bis
12,4" 0. Das Wasser derselben hat einen rauhen, kal-
kigen Geschmack, während das Seewasser sehr wohl-
schmeckend, süß und nrintreibend ist. Wahrscheinlich verliert
das Qnellwasser bei längerem Stehen und durch Einwir-
kung chemischer Prozesse, wobei die Menge von Wasser-
pflanzen keine geringe Rolle spielen mag, seinen Kalk-
gehalt.
Was nun die unterirdischen Abflüsse anlangt —
die griechische Sprache hat dafür einen eigenen Aus-
druck „Katawothra" — so bietet oder bot uns die
südliche Seehälfle nur einen einzigen, dem Auge bemerk-
baren, dar, der aber seit fünf Jahren, wahrscheinlich in
Folge des Erdbebens vom 12. Oktober 1856, verstopft
ist.' Diese Katawothra liegt am südöstlichen Ende des
Sees, unter dem mit cyklopischen Mauern gekrönten
Hügel von Gastritza, loo das in den Felsen abfließende
Wasser früher eine Mühle trieb, die nun stille lieht.
Nicht die mindeste Strömung im Wasser läßt sich mehr
erkennen, und da dasselbe ebenfalls nicht in die nördliche
Seehälfte abfließt, muß es, neben der Verdunstung, seinen
Weg durch Poren nehmen.
Der See von Lapschista hingegen hat eine ganze
Reihe solcher unterirdischer Abzugskanäle, von denen na-
mentlich zlvei Stellen besonders interessant sind. Die eine,
*) Voi» slavischen dobra woda, gutes Master, ber Rame
etnei- ber lleberbicibfci ber frnheni slavischen Herrschaft, bene»
man in Epirns uberhaupt sehr hàilsig begegnet, namentlìch
bei Dorfnamen.
Chonephthra (Trichter) genannt, liegt an seinem süd-
westlichen Ende, am Westnser einer sich von Nordnord-
lvest nach Südsüdost ziehenden Blicht, wo das niedrige
Plateau, lvelches das Thal von Jannina westlich begrenzt,
als steiler Felsen ans ihr aufsteigt. Am Fuße desselben
stehen 17 Spalten von 2 bis 3 Fuß Breite und 6 bis
10 Fuß Länge, die das Wasser mit der Zeit in das fel-
sige Erdreich eingefressen, reihenartig neben einander.
Durch jede dieser Spalten fließt das Wasser in kleinen
Bächen ab; bei meinem Besuche im Juni 1860 waren
zwei verstopft und nur noch 15 im Gange. Vom Ost-
nfer dieser Bucht, ungefähr einen Kilometer nach Nord-
osten, kommt man zu einer andern Stelle, Namens
Priatoka, tvo das Wasser in einem ziemlich mächtigen
Bache, eine Mühle treibend, in ein niedriges Felsenterrain
abfließt, da^s sich kaum 8 bis 10 Fuß ans der Ebene oder
14 bis 16 Fuß über das Seeniveau erhebt mtb von allen
Seiten von der Ebene umgeben ist. Wie lebhaft tvurde
ich ilicht beim Anblick dieser Katawothra an die Mühle
von Argostoli auf Kephalonien erinnert, tvo freilich unter
anderen Verhältnissen nicht ein hochgelegener Landsee,
sondern das Meer sich durch einen Spalt in das Innere
der Erde drängt!
Wo treten nun diese Getvässer zu Tage? Speisen
diese Katawothren die Quellen oder Nebenflüsse des
Kalama, der Arta oder des Luro, oder alle zugleich?
Leider war es mir trotz eines langjährigen Aufenthalts in
Mittel-Epirus nicht vergönnt, die Frage vollständig zu
lösen. Nur für eine längst bekannte lind erhärtete An-
nahme, daß ein Nebenfluß des Kalama, der Bach von
Welzista, seine Gewässer aus dem See von Jannina
beziehe, kann ich einige neue Belege bringen.
Welzista, auf der tvestlichen Abdachung jenes Pla-
teau's gelegen, das die westliche Einfassung des Thales
von Jannina bildet, ist ein großes Dorf, am Rande
einer Schlucht erbaut, welche hier ihren Anfang nimmt
und schon über 100 Meter tiefer als das Niveau des
Sees von Jannina liegt. Am Grunde der Schlucht
stürzt eine Menge mächtiger Quellen hervor, die vereint
den Bach von Welzista bilden, der sich nach einem etwa
drei Kilometer langen Laufe in den Kalama ergießt.
Die Temperatur dieser Quellen variirte am 15. 'Juni
1860 von 21,i° bis 21,.^°, während die Temperatur des
Seewassers an der Chonephthra, die ungefähr 11 bis 12
Kilometer entfernt liegt, drei Tage später 24° betrug.
Einige Schritte weiter von diesen großen Quellen, die
eine Masse von Mühlen treiben, befindet sich eine kleine
Locale, die nur 13,T° zeigte. Schon diese geringe Tem-
peraturdifferenz zwischen jener des Sees und der obigen
Quellen könnte uns auf den Zusammenhang beider füh-
ren. Aber es lagen noch handgreiflichere Beweise vor:
Bruchstücke von Schilf, von Schalen einiger charakteri-
stischer Mollusken des Janninasees, nste von Paludina in-
flata Villa, Dreissena polymorpha Pall., Planorbis
etruscus ziegi. Ebenfalls versicherten mir die Leute, daß
häufig Nattern, selbst Aale, ausgespült wurden, ja daß
sie sich schon öfters den Spaß gemacht, bei der Choneph-
thra Spreu ins Wasser zu werfen, die dann nach einigen
Stunden hier wieder zum Vorschein gekommen sei.
Dasselbe Experiment soll einmal Ali Pascha bei der nun
verstopften Katawothra von Gastritza gemacht habe»,
wobei die Spreu den andern Tag bei dem Städtchen
Arta (Süd-Epirus) vorbei passirte (!?).
150
Die deutschen Mennouiteu an der Molotschna in Südrußland.
Die deutschen Mennoniteu an der Molotschna in Südrnstland.
Geschichtliches. — Einrichtung der Ansiedelungen. — Die Bauernhöfe und Wohnzimmer. — Ackerbau und Viehzucht. — Die Gartenanlagen und Forste. —
Charakter, Betriebsamkeit und Einfluß der Mennoniteu.
Es ist bekannt genug, wie segensreich deutsche Kolo-
nisten für den Osten Europa's geworden sind, wie sie
unter Slaven und Magyaren ganze Gegenden, die bis
dahin todt lagen, gleichsam zu neuem Leben brachten,
wie Landwirthschaft, Handel und Gewerbe, mit einem
Worte, Kultur in ihrem Gefolge war. Zwar will der
Neid unserer östlichen Nachbarn dies den deutschen Send-
boten oft absprechen, aber Thatsache bleibt es, daß, was
in Polen, Böhmen oder Ungarn die Blüthe des Landes
bedingt, eben diesen deutschen Kolonisten zlk verdanken ist.
Uild weiter nach Osten, bis mitten in das heilige Ruß-
land hinein, erstreckt sich der segensreiche Kultureinfluß
der Deutschen. Wie die Dörfer der „Schwaben" und
„Sachseil" tu Ungarn schon weithin an freundlichen rothen
Ziegeldächern und grünen Baumpflanznngen zu erkennen
sind, so zeichnet sich auch ein Dorf deutscher Ansiedler
in Rußland gleich Vortheilhaft vor dem seiner slavischen
Nachbarn aus. Einen schlagendeir Beiveis hierfür mögen
uns die Mennolliteilkoloilieil an der Molotschna liefern,
die jüngst Alexander Petzholdt in seinem trefflichen
Buche: „Reise im westlichen und südlichen europäischen
Rußland" (Leipzig, Fries, 1864) geschildert hat. Aus-
zugsweise entnehmen wir demselben aus dem interessanten
Abschnitt über die Mennoniteu Folgendes.
Die Mennoniten an der Molotschna bilden eine we-
sentlich ackerbautreibende, in 50 Ansiedelungen vertheilte
Bevölkerung voil über 17,000 Seelen, die sich unweit der
Küste des Asow'schen Meeres in der Nogaischen Steppe
zwischen den Flüssen Molotschna, Tokmak und Suschanlee
seit dem Anfang dieses Jahrhunderts angesiedelt hat.
Dem Beobachter bietet dieses Völkchen ein großes In-
teresse, denn deutsche Sitle, deutscher Fleiß unb deutsche
Sparsamkeit haben sich hier mitten unter den Russen tu
einer Weise erhalten, wie es nicht leicht anderwärts
unter deutschen Auswanderern getroffen wird. Der Eiu-
fluß, den diese Leute ans ihre Umgebung ausüben, ist
ein ungemein segensreicher, tuld sie haben sich auch, was
uns besonders freut, die Liebe zum alten Vaterland er-
halten, trotzdem dieses sie von sich stieß. Dabei sind sie
aber loyale russische Unterthanen geworden und beten für
den Petersburger Czaren.
In ihrem alten Vaterlande Preußen waren die Men-
noniten arg bedrückt worden; man beschränkte sie in der
Ausübung ihres Glaubens und verbot ihnen, Grund-
eigenthunt zu erwerben. Bereits 1786 waren sie voit
der Kaiscriit Katharina II. zur Uebersiedeluug nach Ruß-
land aufgefordert worden, welcher Aufforderung auch 646
Familien Folge leisteten. Katharina verlieh ihnen Frei-
heit des Glaubens, gab ihnen Land, Vorschüsse und be-
freite sie vom Militärdienst. Da es nun diesen ersten
Altswanderern gut ging, so folgten bald noch mehr ttach,
die Einwanderungen dauerten bis zum Jahre 1817, und
durch den Fleiß und die Ausdauer dieser Mennoniteu
ward die baumlose Nogaische Steppe au der Molotschna
zu einem der blühendsten Striche Südrnßlands umge-
wandelk.
Die Menitoniteitkolonien sind kleinere und größere, stets
sehr regelmäßig gebaute Dörfer, in denen die einzelnen
Bauernhöfe zu beiden Seiten einer breiten, die Länge des
Dorfs durchziehenden Straße liegen. Jeder Bauernhof
besteht ans der eigentlichen Baustelle, dem Hofranme,
Garten, Hinterhose, Viehplatz nitd Dreschplatz. Die
Felder schließen sich unmittelbar an die hintere Seite des
Gehöftes an. Die Steppe dient als Weide zur gemein-
schaftlichen Benutzung. Die Gebäude der Kolonien siitd
alle nach einem Muster angelegt. Wohnhaus, Stall und
Scheune befinden sich nach niederdeutscher Weise unter
einem Dache. Das Wohnhaus ist aus Ziegeln ausge-
führt und mit einem hohen Dachraum versehen, auf dem
die ausgedroschenen Getreidevorräthe aufbelvahrt werden.
Der hölzerne mit einem Strohdach versehene Stall ist
unmittelbar an das Wohnhaus angebaut. Auch die
Scheune ist ans Holz gebaut. Auf ihrer äußersten Gie-
belspitze befindet sich eine hochaufgerichtete Spitze mit
Wetterfahne.
Im Wohnhanse selbst trifft man zunächst auf eine
Hausflur, von der man gerade iu die Küche, zu beiden
Seiten aber in Wohnzimmer gelangt, von denen eins für
die ganze Familie, das andere allein für den Hausherrn
bestimmt ist. Speise- und Schlafzimmer schließen sich
hieran au. In jedem Hause ist ein Keller.
Werfen wir eilten Blick in das Jitttere eines Meuno-
nitenwohnzimmers. Der Bauer sitzt neben seiiter Haus-
frau und raucht eine Pfeife selbstgebauteit Tabaks. Im
Hintergründe,zwischen den nach dem Schlafzimmer und dem
Speisezimmer führenden Thüren hängt dte in den Kolo-
nien selbst gemachte Schwarzwälder Uhr; in einer
Ecke steht das gewaltige Himmelbett mit bunten Gar-
dinen, in dem sich der thurnthohe Vorrath von Feder-
bettett befindet. Niemand schläft darin, es befindet sich
nur zullt Staate hier. In einer attdern Ecke, hittter dem
Ofen, ist die Hölle und ein in die Mauer eingelassener
Wirthschaftsschrank. Unter dem Spiegel steht die „Truhe",
in der die Hausfrau ihre Kostbarkeiten birgt; Sopha,
Tisch und Kachelofen fehlen iticht, und Alles zeugt von
ächt deutscher Reinlichkeit.
Die Menitouiteu sind ausgezeichnete Landwirthe, und
ihre zum Theil eigenthümlichen lattdwirthschaftlichen Ge-
räthe, sowie die Art und Weise ihrer Bodenbewirth-
schaftuug können als durchaus rationell und den Ver-
hältnissen attgepaßt gelten. Grundbedingung zur Durch-
führung ihres Wirthschaftssystems ist das Vorhandensein
des fruchtbaren Bodens, der Tscheritosem (schwarzen
Erde) und eilt mildes Klima. Nur der kleiuste Theil
des Mistes wird zur Düuguug benutzt, meist wird er
tu Gestalt vou Mistziegeln als Breitustoff verwandt. Er
wird im April ausgestochen, während des Sommers ge-
trocknet und im August unter Dach gebracht.
Die Pferde der Mennoniteu sind gut und kräftig
und gehöreit im Allgemeinen der russischen Laitdrasse au.
Das Rindvieh stammt aus Norddeutschlaud, uitd die
Schafe sind Merinos. Auch die Seidenraupen-
zucht ist ein bedeutender Erwerbszweig der Meuuoniten.
Man gewinnt jährlich gegen 100 Pud Seide, die in den
Kolonien selbst abgehaspelt wird und einen Werth vou
etwa 20,000 Rubel Silber hat. Die Gesamtuteiunahme
der molotschuaer Kolonien für Bodenerzeuguisse betrug
im Jahre 1854 (einem ungünstigeit Krteqsjahre) mehr
als 161,000 Rttbel Silber.
Zu jedem Meunonikengehöfte gehört auch ein Garten,
in welchem Gemüse, Tabak, Wein, Obst, Maulbeer- und
andere Bäume gezogen ,verdeu. Den größten Nutzen ge-
währen die sorgfältig gepflegten Obstbaumanlagen; vor
allen gedeiht der Apfelbaum gut. Voit größerem Interesse
sind die Waldanlagen der Meuuoniteu, weil durch sie
die vielbesprochene staatswirthschaftliche Frage, ob es
Die deutschen Meiinoniten an der Molotschna in Südrußlaud.
151
möglich sei, die südrusfischen Steppen zu bewalden, gelöst
erscheint. Bei jedein Dorfe findet sich eine Strecke Lan-
des mit Waldbäumen und Maulbeersträuchern bepflanzt.
Im Ganzen zählt man 575 Dessätinen Waldboden mit
mehr als sechs Millionen Bäumen. Unter den Bäumen,
welche auf der eigentlichen hohen Steppe gut fortkommen,
zeichnen sich die Eiche, die Ulme, die Akazie, der Maul-
beerbaum und die Esche aus. Eben so kommen hier der
Elaeagnus, der tatarische Ahorn, der Weißdorn, und wo
der Boden mehr sandig ist, der wilde Birnbaum sehr gut
fort. In den Niederungen dagegen, namentlich auf reinem
Tschernosem, gedeihen außer den obengenannten Bäumen
noch Linde, Kastanie, Pappel, Buche :c. In der freien
Steppe kann man keinen Waldbaum aus Samen ziehen,
sondern muß junge Bäumchen pflanzen, die wegen der
großen Trockenheit sehr sorgfältig gepflegt werden müssen.
Als Schutz für die jungen Anpflanzungen dienen Hecken
von Elaeagnus, der sich sehr gut hierzu eignet, schnell
wächst und viel Brennholz liefert.
Bäume zu pflanzen und zu ziehen gehört zu den Lieb-
lingsbeschäftigungen der Mennoniten. So findet man
auch schon viele Straßen mit Ulmen und Silberpappeln
eingefaßt, Weidengebüsche ziehen sich an den Ufern der
Steppenflüsfe und an den Dämmen hin und Maulbeer-
hecken werden überall da angebracht, wo es der Boden nur
irgend erlaubt. Aus allen: Angeführten geht hervor, daß
sich der Mennonit als ein eben so ausgezeichneter Land-
wirth und Viehzüchter, wie Gärtner und Forstwirth er-
weist und daß er die Anforderungen, welche der Landban,
die Viehzucht und die Forstwirthschaft überhaupt und der
Betrieb dieser Wirthschaftszweige in den Steppen ins-
besondere stellt, klar und verständig auffaßt und danach
sein praktisches Handeln einrichtet. In dem Mitgetheil-
ten liegt auch der Beweis, daß die Mennoniten intelli-
gente, fleißige und beharrliche Menschen sind. Dabei sind
sie aber auch reinlich, ordentlich, sparsam, nüchtern, sitt-
lick, still und zufrieden, loyal und gottesfürchtig. Ruß-
land, so sagt Petzholdt, hat keine betriebsameren und
nützlicheren Staatsbürger aufzuweisen.
Die Reinlichkeit und Ordnungsliebe der Mennoniten
gibt sich, so bald man eine Kolonie betritt, auf den ersten
Blick zu erkennen. Denn abgesehen von der Ordnungs-
liebe, welche aus der Regelmäßigkeit der ganzen Dorfan-
lage und der allgemeinen Hofeinrichtnng ersichtlich wird,
kommt noch die Reinlichkeit und Sauberkeit, mit der Alles
gehalten und gepflegt wird, hinzu. Man kann eine solche
Kolonie in rascher Fahrt durcheilen und braucht sich nicht
einmal die Mühe zu nehmen, ans dem Wagen zu stei-
gen, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß hier ordent-
liche und reinliche Menschen wohnen, da die Gehöfte und
Gärten von der breiten Dorfstraße nur durch niedrige
Schranken getrennt sind, welche den vollen Einblick in
Hof und Garten gestatten. Tritt man in das Wohnhaus
und seine einzelnen Räume, so herrschen auch hier deutsche
Reinlichkeit und die größte Ordnung; Alles steht an
seinem richtigen Platze, und das Gefühl der Wohnlichkeit
drängt sich dem Beobachter ganz unwillkürlich auf.
Nicht minder unverkennbar sind die Einfachheit und
Sparsamkeit des Mennoniten. Man untersuche nur den
Haushalt eines Kolonisten, der etwa 8000 bis 9000
Merinos, ein großes Gestüt (Tabu») und andere Mittel
des Erwerbes hat, dessen Vermögen nach Hunderttausen-
den veranschlagt werden muß, und sehe zu, wie feine
Frau in reinlicher Bauernkleidung wirthschaftet, betrachte
seinen schlichten Rock, theile sein einfaches und kräftiges
Mittagsmahl, betrachte seine einfache von den Vätern
ererbte Hanseinrichtnng und man hat das Bild seiner
Einfachheit und Sparsamkeit.
Der Mennonit ist ein nüchterner und sittlicher Mensch,
denn er spielt, trinkt, schimpft und flucht nicht. Das
Beispiel der Eltern vererbt sich auf die Kinder, deren
Haltung auch in der Dorfschule, wo sie Petzholdt beobach-
tete, eine durchaus musterhafte war. Lesen, Schreiben,
Singen, Rechnen, biblische Geschichte, Geographie und
Weltgeschichte werden dort gelehrt. Unser Gewährsmann
fragte: „Welches ist das wichtigste Land in Europa?"
Alle, Knaben und Mädchen, riefen einstimmig: „Preu-
ßen!" — „Warum?" — „Weil es das Land unserer
Väter ist." Und doch wurden ihre Väter einst in diesem
Lande bedrückt und wanderten aus.
Unsittliche Leute duldet der Menuouit nicht. Wenn
Ermahnungen nichts fruchten, so werden die Uebelthäter
von der Gemeinde ausgeschlossen.
Auch religiös und gottesfürchtig sind die Mennoniten
und — was bei Sektirern selten der Fall ist — man
wird durch kein immerwährendes Plärren von Gebeten,
kein Angenverdrehen, keine Traktätchen und kein fort-
währendes Citiren von Bibelsprüchen beleidigt. Ihr Bet-
haus ist schmucklos und einfach, eben so die Predigt des
Sprechers, und bei ihnen gilt in der That der Spruch:
„Laßt uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge,
sondern mit der That und mit der Wahrheit."
Was die Betriebsamkeit der Mennoniten noch anbe-
trifft, so hat sie sich durchaus nicht einseitig auf Land-
und Forstwirthschaft geworfen. Ihre meisten Bedürfnisse
erzeugen sie selbst. Es gibt Tuchfabriken, Mühlen, Bier-
brauereien, Töpfereien, Branntweinbrennereien, Oelpres-
sen, Färbereien rc. Fast alle Gewerbe sind vertreten.
Der staatsbürgerliche Nutzen der Mennoniten erhellt
am besten aus folgendem Urtheile Haxthausens. Er sagt:
„In ganz Rußland eristirt kein Landstrich, wo im Ganzen
eine so hohe gleichmäßige Kultur des Bodens und der Be-
völkerung herrscht, wie hier. Sie können dem Gouver-
nement als Maßstab, allen russische ».Völkern aber
als Muster dienen, wie weit man es mit Fleiß, Sitt-
lichkeit und Ordnung bringen kann. Vor Allein aber
gewähren sie dem Gouvernement den sichern Maßstab,
wie weit man es mit der Bebauung, besonders aber mit
der Bewaldung der Steppe und ganz Südrnßlands brin-
geil kann, und das ist der wichtigste Punkt für Rußlands
Macht und innere Politik. Hätte Rußland durchgehends
die Bebauung und Kultur dieses Landstrichs, so könnten
Moskau lind Petersburg nicht ferner der Schwerpunkt des
Reiches sein, sondern dieser würde auf Charkow oder Je-
katherinoslaw oder Odessa übergehen."
Russen und Tataren treten als Lehrlinge auf den
Mennonitengütern ein, lernen die Gärtnerei und Land-
wirthschaft imd verbreiten das Erlernte in der Umge-
bung. Die russische Kolonie Nowo - Pawlowka ist das
Beispiel eines nach mennonitischem Muster angelegten
Dorfes. Eben so werden mehrere tatarische Kolonien
von Mennoniten beaufsichtigt.
So ist der Einfluß nuferer deutschen Landsleute auch
in Südrußland, wie überall unter Slaven, von hohem,
segensreichem Einflüsse auf die letzteren.
152
Die Orts- und Familien-Namen im preußischen Polen.
Die Bris- und Familien-Namen im preußischen Polen.
Von Karl Ruß.
Sobald wir ans der preußischen Ostbahn, von Westen
kommend, über das Städtchen Schneidemühl hinausge-
langen, treten uns die ersten Zeichen des Polonismus
entgegen. Zwar zeigen die lachenden Wiesen, Rapsfelder,
Torfstiche, Rindviehheerdeu u. s. w. an der einen, die
lieblich belaubten Abhänge des Netzethales an der andern
Seite der Bahn einen durchaus deutschen Laudschafts-
charakter — allein hinter einander folgen setzt die Bahn-
höfe: Miasteczko, Bialosliwe, Osiek, dann hinter Brom-
berg: Kotomierz, Terespol rc. Rings herum liegen Ort-
schaften mit ebenso polnisch klingenden Namen: Grabowo,
Koslowo, Dembowo rc. und ferner eine ganze Anzahl,
bei deren Aussprache der Deutsche vergeblich seine nilbe-
holfene Zunge zur Ueberwältigung der Anhäufung von Mit-
lauten anstrengen mag, z. B. Mlyuki, Lnianno, Trloug,
Jastrzembie, Brzesuo, Brzyskorzystewko, Pszczolcziu.
Dem aufmerksamen Beobachter ulllß es setzt aber
recht auffallend erscheinen, daß diese polnischen Namen
nicht bei Kreuz, im Posenschen, sondern bei Schneidemühl
beginnen. Der erstere Landstrich aber, von der neumär-
kischen und pommerscheil Grenze bis zur Netze und hinter
Schneidemühl ist, obwohl immer zu Großpoleil gehörend,
bereits seit dem Mittelalter völlig deutsch; der andere
Theil des Netzedistrikts ist erst seit dem Jahre 1772 zu
Deutschland, bezüglich Preußen, gekommen.
Eben so wie noch jetzt unablässig deutsche Ansiedler
nach Polen unb Rußland hin über die Grenze ziehen
uild Civilisation und Gesittung in die rohen Massen der
Slaven tragen, so war dies bis ;u der Entdeckung von
Amerika in noch weit höherem Grade der Fall. Unsere
deutschen Vorfahren eroberten auf friedliche Art Meklen-
bnrg, Pommern, Rügen, selbst ursprünglich polnische Pro-
vinzen, wie Schlesien, die Landstriche, welche die Kreise
Birnbaum, Meseritz und Fraustadt', sowie die Gegenden
von Bomst, Unruhstadt u. s. w. umfassen, unb germani-
sirten sie vollständig.
Der deutsche Einfluß war ein so großer, daß eine
beträchtliche Anzahl polnischer- Adeligen und Großen voll-
ständig in der deutschen Nationalität aufging. Hiervon
zeugen die Namen der jetzt deutschen Familien: Zitzwitz,
Marwitz, Bouiu, Taueuzin, Treskow, Bülow, Quitzow,
Kökeritz, Lüderitz, Jtzeuplitz, Zedlitz, Pedlitz, Saudretzki,
Koschützki u. s. w. (Viele derselben sind doch ursprünglich
deutsche und ihre slavische Namen jene der Dörfer unb
Güter, welche sie für sich nahmen.)
In der Provinz Preußen, welche ihre deutsche Be-
völkerung seit der Zeit des deutschen Ritterordens besitzt,
ist dasselbe der Fall, unb zwar in dem größten Theile
von Ost- und Westpreußen, in den Weichselniederungen,
den Kreisen Danzig, Elbing, Marienburg und Roseuberg,
sowie in einem großen Theile der Kreise Marienwerde'r,
Stuhm und Pr. Stargardt. Dort stammen aus der
Zeit bis zum 30jährigen Kriege sämmtliche deutsche
Städtenamen, von denen auch in Posen jetzt ausschließ-
lich die deutsche Bezeichnung gebraucht wird. Wir steilen
als Beispiele nur folgende auf. Im Regierungsbezirk
Danzig dies letztere selbst, welches polnisch Gdansk heißt,
Neustadt — Weiherowo, Bereut — Koschtscherschiu, Dir-
schau—Trschewo, Marienberg — Malborg; tut Regierungs-
bezirk Marienwerder dies selbst — Kwidziü, Garnsee =
Stemno, Ehristbnrg = Kischborg, Straßburg—Brodnitza,
Kulm — Chelmno, Tuchel — Tnchola, Konitz — Chojuitze,
Flatow — Slotowo, Deutsch-Krone — Walisch; im Re-
gierungsbezirk Bromberg diese Stadt selbst — Bydgosch,
Poln.-Krone — Koronowo, Filehne — Wjeleu, Schnei-
demühl — Pila, Erin — Kcyn, Gnesen — Gnjeschno,
Rohrbrlich — Rynarschewo. Im Regierungsbezirk Posen
dies selbst — Pos na u, Zirkan — Scherkotvo, Schwerin
— Skwjerschyna, Birnbaum — Mjeudschychod, Fraustadt
— Wschowa, Adelnau — Odolanotvo, Schildberg —
Ostrscheschow, Dobberschütz — Dobroschyce unb viele an-
dere, deren polnische Bezeichnungen augenscheinlich den
deutschen Namen nachgebildet sind.
Ein großer Unterschied besteht nun aber zwischen diesen
alten deutschen Städten und denen, welche erst der neueren
Zeit, besonders seit der ersten Theilung Polens, ihren
Ursprung verdanken. Es würde uns hier zu weit führen,
wollten wir die Ursachen untersuchen, welche das Natio-
nalgefühl und den Nationalstolz der Deutschen, haupt-
sächllch seit dem 30jährigen Kriege, immer mehr erdrückt
und abgestumpft haben. Unter dem allgemeinen deutschen
Nationaljammer litten die deutschen Interessen in den
noch vorherrschend slavischen Landstrichen außerordentlich,
und dies ist leider bis zur heutigen Zeit noch mehr oder
minder der Fall. Im ganzeil eigentlichen Polen gingen,
ohne Rückhalt am Mutterlande, die vereinzelten deutschen
Städte und Dörfer vielfach bis auf geringe Ueberbleibsel
wieder zu Grunde. Während sich in Westpreußen die
Städte, durch das Beispiel und die Unterstützung des mäch-
tigen Danzig angefeuert, wohl erhielten, gingen doch die
Dörfer und vereinzelten-Ansiedler, besonders in denKrei-
sen Graudenz, Stuhm und Stargardt, fast völlig verloren.
Der Adel, welcher zu der Zeit, als sich das Land dem
Schutze des Königs von Polen unterwarf, in der Mitte
des 15. Jahrhunderts, ganz deutsch war, sagte sich im
16. und 17. Jahrhundert von seiner Nationalität häufig,
wie von einer ganz werthlosen Sache, los. Er nahm zu
seineil guten alteil deutschen Namen noch polnische an,
oder führte sogar die letzteren allein. Jil dieser traurigen
Verirrung entstanden die Doppelnamen: Götzendorf-
Grabowski, Rosenberg-Grusczinski, Hutten-Chapski (un-
ter diesen Abtrünnigen sogar ein Nachkomme des „Kühnsten
der deutschen Männer"!), Falken-Plachecki, Rautenberg-
Klinski und viele andere. Eine Anzahl deutsch-polnischer
Doppelnamen ist ferner durch Adelsverleihnug der pol-
nischen Könige au bürgerliche Deutsche entstanden; hier-
her gehören: Hauffe-Gromadzinski, Stein-Kaminski,
Stein-Gwiasdowski, Hundt-Radowski u. s. w.
Eiiie andere Art voll Polonisirung Deutscher fand im
vorigen Jahrhundert vielfach statt und ist bis in die
neueste Zeit hiuallf vorgekommen, indem katholische Deutsche
hier eiillvailderten und (da Katholisch uild Polnisch, Pro-
testantisch und Deutsch hier gleichbedeutend sind) ohne
Schwierigkeiten in polnischen Familien sich verheiratheteu,
oder iildenl evangelische Deutsche zum Katholizismus über-
traten, um polnische Mädchen heirathen zil können. Co
sind die polnischen Familien mit echt deutschen Namen
entstanden, z. B. von der Marwitz, Wollschläger (jetzt
Wolszlegjer!!), v. Wedelstädt, v. Schlieben, v. Plater,
v. Osten-Sacken und zahlreiche bürgerliche. Auch sonder-
bar verwandelte Namen aus dieser Kategorie treten uns
hier entgegen, als: Dalejsier (Dahlhäuser), Krotowski
(Krauthofer), Majorowicz (Ziegelmeier); oder einfacher
verpolnischte, die wir besonders 'in den niederen Ständen
zahlreich finden: aus Wittke = Witkowski, Radtke —
Radkowski, Dalke — Dalkowski, Hermann — Hermanski,
Glaser — Glasa, uub viele andere.
Zu den bisher erwähnten Städte- und Familien-Namen
kommen jetzt noch eine große Anzahl von Bezeichnungen
von Gegenständen, ferner von Eigenschafts- nnd Zeit-
wörtern, welche halb deutschen, halb polnischen Ursprungs
oder vielmehr von dem eineu ins andere verstümmelt
sind und in den deutsch -polnischen Gegenden als allgemein
üblich gebraucht werden. Eine Reihe der wichtigsten oder
vielmehr an: häufigsten vorkommenden entlehnen wir der
„Topographie des Flatower Kreises" von F. W. Schmitt
(Bromberg bei L. Levit), indem wir darauf hinweisen, daß
dieselben hier und da bereits weithin über die Grenzen
Westpreußens und Posens hinaus verschleppt sind. Der-
gleichen Ausdrücke, die man auch zuweilen wohl gedruckt
findet, sind: Blott für Koth, Fornal für Pferdeknecht,
gnietscht — boshaft, gereizt, Kobbel — Stute, Kodder —
Lumpen, Komornik — Jnstmann, Häusler, Einlieger,
Komurke — Kammer, Kruschke — Birne, Kussel — kleine
verkrüppelte Kiefer, Leschak — Leichtfuß, Laidak — Lüder-
jahn, Lopatkeu oder Lopatchen — Vorderviertel, Lischke
oder Luschke — Kober, Parowe oder Porowe — Regen-
schlucht oder Schlucht überhaupt, Plachander — Lumpen-
kerl, Pomager — Vrennknecht, Pommuchel — Dorsch,
pösern — brennen, feuern, Puntschke — Pfannkuchen,
Pustkowie (ein sogar amtlich gebrauchter Ausdruck) für
abgelegene Meierei, Weiler, Rattaier — Pflüger, Arbeits-
mann, Schabbel — Bohile, Schmutschken oderSchmachen—
Lammfell, Schupp — Haarbüschel am Scheitel (alte
Nationaltracht des polnischen Adels und ein Wort, das
sich fast durch ganz Deutschland verbreitet hat), Wruke,
— Kohlrübe, Wunzen oder Funzen — Schnurrbart,
Zuche — Hündin, Zwichel — rothe Rübe, Brack
— Ausschuß, Fliß oder Flissak — Flößknecht, Flößer,
Fagas — Vagabund, auch ein grobes Schaf, Flad-
drusche — ein hängendes, flatterndes Kopftuch; fer-
ner die nur stellenweise vorkommenden: Forysch oder
Forusch — junger Knecht, Stalljnnge (vom deutschen Vor-
reiter), Futterowak — Futterknecht, Rindviehknecht (im
marienburger Werder viel gebräuchlich) und Ostrotv —
abgegrenztes Stück Land. Außerdem werden leider, theils
nur im Scherz, theils gedankenloser Weise deutschen Wör-
tern polnische Endungen, besonders Verkleinerungssylben
angehängt: Julek — Juliuschen, Antoscha — Antonichen,
Helka — Helenchen u. s. w.
In welcher bereitwilligen Weise übrigens die Deut-
schen in diesenGegeuden, oft mitHiuteuausetzung oder gar
Verleugnung ihrer eigenen Nationalität, dem polnischen
Elemente entgegenkommen, sich ihm anschmiegen und ihm
allerhand Vorrechte einräumen, davon bekommen wir einen
rechten Begriff, wenn wir selbst in den überwiegend
deutsch bevölkerten Städten die Schilder der Handel-
und Gewerbetreibenden jeder Art betrachten. Dies
sind fast durchgehends Deutsche oder Juden; allein während
die wenigen polnischen Geschäftsleute sich ausschließlich
ihrer Muttersprache bedienen, finden wir auf den Schil-
dern der Ersteren stets neben der deutschen noch die pol-
nische Aufschrift. Da macht es sich für die Kenner bei-
der Sprachen reckt komisch — lächerlich und verächtlich,
sollten wir sagen'— wenn er neben „Schlosser Schulz"
uoch „Szultz slosarz“, uebeu „Pfundhefe" — „Mlodzie
funtow“, „Einfahrt" — „Wjazd“, „Apotheke" — „Apteka“,
„Gasthaus" — „Oberza“ findet nnd dann bedenkt, daß
einerseits sämmtliche hier verkehrende Polen recht gut
Deutsch sprechen, andererseits diese polnische,: Inschriften
augenscheinlich erst aus dem Deutschen an den Haaren
herbeigezerrt werden mußten, für alle Fälle daher durch-
aus überflüssig sind.
Die letzten Jahre haben in dieser Beziehung zwar
bereits erfreuliche Veränderungen gebracht; so verschwin-
den in den stärker vom Dentschthinn ergriffenen Gegen-
den und vor Allem in Bromberg bereits diese polnischen
Inschriften mehr und mehr. Mit anderen, so z. B. mit
dem ebenfalls überwiegend deutsch bevölkerten Posen steht
es freilich noch desto schlimmer, denn wenn man diese
polnischen Zeichen als Maßstab anlegen wollte, so würde
Globus VI. Nr. 5.
das polnische Element gewiß als vorwaltend erscheinen
— was es also in Wahrheit doch nicht ist.
Andererseits wiederum tritt uns bei einzelnen patrio-
tischen Deutschen die Bethätigung des Nationalgefühls,
dieser Gleichgültigkeit und verachtuugswerthen Nachlässig-
keit gegenüber, desto wohlthuender entgegen. So finden
wir eine ganze Reihe von Ortschaften, welche warme
Liebe zur eigenen Nationalität aus den: Polnischen in
wohlklingende dentsche Namen verwandelt hat: ans
Taschewo — Taschan, Rnlewo — Rolau, Bankewo -—
Bankan, Dulsk — Dulzig, Laskowitze — Laskowitz,
Brscheschno — Briefen, Biala — Gellen, Lipnietza —
Lipnitz u. s. w.
Im Ganzen sind dies jedoch nur immer vereinzelte Falle
geblieben. Die von den Polen.während ihrer Herrschaft in
Westpreußen vorgenommene möglichst umfassendeVerwand-
lung der deutschen Ortsnamen währte fast bis in die
neueste Zeit fort, und leider ist eine große Anzahl non
Deutschen mit offenbarer Verleugnung jeglichen Natio-
nalgefühls oder in gedankenloser Unwissenheit nachgefolgt.
Von den in der neueren Zeit in der Provinz Posen ent-
standenen neuen Ortschaften tragen die meisten, ja fast
sämmtliche, polnische Namen. Nicht blos polnische
Gutsbesitzer tauften ihre Vorwerke polnisch, sondern leider
nur zu häufig auch die deutschen!! Ja, es wurde sogar
allgemeiner Gebrauch, daß mau die polnische Endung
owo oder ewo bei sämmtlichen ländlichen Ortsnamen an-
brachte. So entstanden namentlich in Kujawien: Bor-
kowo (nach dem Besitzer Herrn von Bork), Gustavowo,
die Kolonie Emmowo (von Emma), Friedrichowo, Mülle-
rowo, Lawrenzowo (später aber doch in Lawrenzhof ver-
wandelt), Augustowo (ist weder Polnisch noch Deutsch,
denn die Polen können den Laut an nicht ausspre-
chen), Konkolewo (von Kunkel) und viele andere. Im
Kreise Konitz in Westpreußen entstand das, aller Sprach-
barbarei die Krone aufsetzende Petrichowo, von dem Be-
sitzer Petrich abgeleitet. Hierzu kommen uoch einige von
deutschen Besitzern gegebene, völlig polnische Vorwerks-
namen, z. B. Kathinka, Pokrziwniki, und dann das aus
dem schönen deutschen Namen von Schwanenfeld abge-
leitete Schwanvwitz. Und noch mehr, die preußische Re-
gierung selbst ging in dieser unpatriotischen Weise voran
und gab ihren Domänenvorwerken Namen wie: Nas-
krentny, Chwalaboga, Nowa Erectia (weder Polnisch, noch
Deutsch oder Lateiuisch) u. s. w. Auch die im Eingänge
erwähnten Bahnhöfe gehören hierher, welche die Namen
der Ortschaften: Miastetzko, Bialosliwe u. s. w. unver-
ändert beigelegt erhielten.
Mit großer Freude führen wir nun wiederum eine
Anzahl von Ortsnamen an, welche in der neuern
Zeit, aus patriotischem Nationalgefühl, vom Polnischen
in's Deutsche verwandelt wurden. Im konitzer Kreise er-
hielt das Gut Chwarznio de» Namen Brahdors; im
Kreise Schwez wurde aus Slampisk — Marienthal, aus
Brosowa-Blott — Birkenbruch, aus Skriucziska —
Grüneck; im Kreise Graudeuz aus Kittnowo — Kittnau,
aus Linowo — Lindeuau; im bromberger Kreise aus
Jarice — Jagdschütz, aus Samsieczinko — Mariensee,
aus Dombrawa — Eichberg; im schnbiuer Kreise aus
Dobrolewo — Gutwerder, aus Niedzwiad — Bärenbruch.
Während verschiedene Staatsbehörden mindestens mit
der größten Gleichgültigkeit gegen unsere schöne deutsche
Sprache hierbei zu Werke gehen, wie z. B. die Verwal-
tung der Ostbahn, indem sie außer den bereits erwähn-
ten .Bahnhofsnamen uoch allenthalben auf dieser Linie
polnische und litthauische, wie Warlubien, Czerwinsk,
Wolitnik u. s. w. getvählt, ja sogar statt des vorgeschla-
genen deutschen Theresienfelde lieber ben polnischen Teres-
pol genommen hat, so geht lvenigstens eine derselben mit
leuchtendem Beispiele voran, und zwar die Forstverwal-
tung. Wer durch das Schicksal in die einst so verrufene
Tuchler-Haide verschlagen wird und dort, viele Meilen
weit durch Sand und dürren Kiefernwald wandernd, nichts
20
154
Die Orts - uiiò Familien - Namen im preußischen Polen.
als polnische Namen, polnische Laute hört, wie wird der
erfreut, wenn er plötzlich auf ein deutsches Forsthaus mit
biederen, reinlichen und gastlichen Bewohnern und einem
Namen trifft, wie Pfalzplatz, Ottersteig, Wolfsgrund,
Lindenbusch, Adlershorst, Bülowshaide, Bechsteinswalde
(nach dem berühmten Naturforscher Bechstein), Herzberg
u. s. w. —!
Sehen wir null auch von allen rechtlichen und prak-
tischen Begründungen ab, deren Darlegung uns eben zu
weit führen würde, so giebt es doch vielerlei Gründe,
welche einerseits die Zurückwandlung der ursprünglich
deutschen und unter der Polenherrschaft polonistrten,
andererseits eine Umänderung mindestens der in der Neuzeit
— aber durch eben leider nur zu geringes deutsches Na-
tionalgefühl! — entstandenen polnischen Ldrts - L - Namen in
unsere schöne deutsche Sprache wünschenswerth machen.
Für diesen hohen und des freudigen Aufschwungs des
Deutschthums in diesen Gegenden lvahrhaft würdigen
Zweck sind bereits mehrfach Stimmen laut geworden.
Der im Jahre 1848 verstorbene sehr tüchtige Landrath
des Kreises Schwetz, von Pape, hat eine nicht unbedeu-
tende Anzahl der wohlklingenden deutschen Ortsnamen
dort wieder hergestellt oder für die deutsche Zunge um-
gebildet. Der Seminardirektor Grützmacher in Brom-
berg legte in einem Aufsatze „Deutsche Namen für deutsche
Orte" im „Volksblatt für beit Netzgan" 1849 diese wich-
tige Angelegenheit seinen Mitbürgern warm und dringend
an das Herz. Am aller entschiedensten und eindringlichsten
jedoch finden Nur diese wichtige Angelegenheit tu einer,
leider nur zu wenig verbreiteten Broschüre „dienn Kapitel
über die Ortsnamen in West Preußen und Posen" voic
Edwart Kattner in Bromberg (im Selbstverläge) bespro-
chen und angeregt, und dies kleine Büchelchen können wir
allen unseren, sich hierfür interessirenden Lesern nur ans
das dringendste empfehlen.
Der Verfasser macht in der von glühender Vater-
landsliebe und hohem deutschen Nationalgefühl zugleich
ins Leben gerufenen kleinenSchrift gleich sehr umfassende
Vorschläge zur Ausführung der durchaus berechtigten
Umwandlung der polnischen und besonders polonistrten
Ortsnamen in das Deutsche. Es gibt z. B. im Kulmer-
land lind meistens im Kreise Thorn eine außerordentliche
Anzahl solcher Ortsnamen, von denen wir nur folgende
für den klaren Beweis anführen wollen, daß sie ursprüng-
lich deutsch gewesen sind: Barbarkermühle früher Bormühle,
Waldmühle, Grzpbno — Groben, Bielawy— Weißendorf,
Gronowo — Grünan, Kowros — Knfros, Ko Wale wo —
Schönsee, Kozybar— Kostbar, Lubianken — Löben, Lie-
benau, Lulkau — Lolchau, Mirakowo — Alt-Mirkau,
Papan — Gerlachsdorf, Pigrza — Popgresee, Siemon —
Siemnan, Treposz — Tripsbusch, Wengorzin — Wen-
gerin, Wengerau; im Kreise Kulni folgende: Kyewo —
Schönfeld, Lissewo — Li stau, Tarnowo — Nantenberg,
Raczyniewo — Nackendorf, Trzianno — Landen; im Kreise
Strasburg: Lipnitze, früher Zur Linden (umgekehrt stammt
der Name Leipzig von dem wendischen Lipnitz — Liuden-
stadt), Sloszewo — Schlossau, Jablonowo — Gabelnau,
Grondzaw — Grün sch effe; im Kreise Löban: Skarlin —
Schalen, Brattiau — Brettchen, Gwisdczin — Qnesen-
dorf; im Kreise Graudenz, wo übrigens die meisten alt-
deutschen Ortsnamen wieder in den Gebrauch gekommen
sind, finden wir: Kitnowo — Kynthenan, Czeplinken —
Zipplin, Dombrowken — Damerau re.
In der wundervollen Wcichselniedernug, welche fast
ausschließlich von Deutschen mit) meistens sehr wohlhaben-
den, häufig auch mit guter Schulbildung ausgerüsteten
Bauern bewohnt ist, trägt ebenfalls eine große Anzahl
von Ortschaften noch polnische Namen. Herr Kattner
wendet sich nun an das deutsche Nationalgefühl dieser
Leute und legt ihnen die Verdeutschung der Namen ihrer
Besitzungen dringend an vas Herz. Wir führen eine
Reihe dieser Namen hier an und fügen die Verdeutschungs-
Vorschläge, welche theils in Uebersetznngen, theils in ger-
manistrenden Endungen bestehen, gleich daneben an:
Dulinjewo — Döllenau, K ozi bor — Kostbar (mittelalter-
lich und ursprünglich deutsch), Niszewken — Nißhöfchen,
oder besser das ursprüngliche Nessau, Borowno — Be-
rann, Przylubie — Brillewig, Ottorowo — Otterau,
Gurske — Görz, Topoczisko — Toperzig, Czarnowo —
Scharnan, Ostromecko — Ostermetzkau, Gondecz — Gon-
ditz, Czarzebufch — Scharbusch, Ezarze — Scharze, Blotto
— Plettau, Kobotzko — Kokoschken, Rosnowo — Rosenau,
Swinia-Känipe — Schweine- oder Eber-Kämpe, Chrit-
kowo — Christau, Kossowo — Gossa», Topolineck —
Toppeneck, Dworzisko— Worschkau, Dzikolvo — Schickau,
Glngowko — Glockhöfchen, Przechowko — Klein-Brechau,
Surrowo — Sprosser-Kämpe, Ostrowo — Osicran, Ko-
morze — Komers, Czieplen — Ziepeln.
Gut Ding will Weile haben, und deshalb läßt sich,
selbst in Westprenßcn, wo die polnische Sprache doch in
Wirklichkeit fast gar keine, weder eine historische noch sonst
irgendwie begründete Berechtigung hat, eine llmwand-
lnng dieser Ortsnamen so schnell noch nicht erhoffen,
allein alle diejenigen verpolnischten Ortsnamen, welche
doch so offenbar und fast jedem Kinde begreiflich aus dem
Deutschen entnommen sind, wie die folgenden, sollte man
denn doch, schon aus Schicklichkeitsgefühl, baldmöglichst
lvieder erneuern und wiederherstellen. Hierher gehören:
Munkowarsk, verdorben ans Müncheberg, Wolwark aus
Vorwerk, Hamerzpska — Hammerchen, Bohlka-Mühle
von Böhlken-Mühle, Schramma-Mühle — Schrammen-
Mühle, Rosworker - Mühle— Noswerkmühle; ferner die
geschmacklosen und barbarischen Namen: Angnstowo, Bos-
kowo, Güntherowo, Wilhelmowo u. s. w. Wie viel schöner
könnte das slavische ewo und owo nicht in das deutsche
an verwandelt werden!
Hoffen wir nun, daß gerade hier, an derjenigen Grenz-
mark unseres großen schönen Vaterlandes, wo das Deutsch-
thum noch in' einem schweren Kampfe mit einem fremden
Element begriffen ist, zu allen seinen vortrefflichen Eigen-
schaften, zu der deutschen Ausdauer und Betriebsamkeit,
dem deutschen Fleiß und Unternehmungsgeist, der deut-
schen Industrie u. s. w. auch endlich mehr und mehr die-
jenigen hinzukommen und erstarken, ohne welche alle
übrigen nimmer zu ihrem eigentlichen Werthe gelangen
können, und zwar deutsches Nationalgefühl und National-
bewußtsein!
Jedes neue Erglühen desselben, ja jeden geringsten,
nur noch flimmernden Funken wollen wir mit hoher
Freude begrüßen, und so erwähnen wir denn auch noch
mit großer Genugthuung und Hoffnung zugleich, daß
der Schriftsteller Herr Marquardt im Aufträge mehrerer
Gutsbesitzer des Kulmerlandes die ursprünglichen deut-
schen Namen ihrer Güter nach alten Quellen hervorge-
sucht hat und bei anderen noch damit beschäftigt ist, da-
mit sie durch Vermittlung der Negierung dieselben wie-
der herstellen oder umwandeln können.
Alle diejenigen deutschen Besitzer, Behörden u. s. w.,
welche, sei es ans eigenen: Patriotismus oder durch diese
und andere Hinweise angeregt, ihre polnischen oder polo-
nisirten Orts- re. Namen ins Deutsche übertragen wollen,
können wir nicht unchin, zun: Schluß auf den VIII. Ab-
schnitt von Kattners „Neun Kapitel" zu verweisen, in
welchem der Verfasser eben so umfassende als durchdachte
iiui) patriotisch warm durchglühte Vorschläge für die
Veränderung und Verwandlung derartiger Namen gemacht
hat. Jedenfalls werden die Leser von der begeisterten
Vaterlandsliebe des Büchelchens, welches dem Professor
Wuttke in Leipzig „dem einsichtsvollen, tapferen und un-
ermüdlichen Kämpfer für die Rechte der deutschen Nation
gegenüber slavischer Ueberhcbung" gelvidmet ist, so lvohl-
ti),teilt) angeweht werden — daß sie ans den vielen wohl-
klingenden deutschen Namen bereitwillig die Wahl treffen.
Die transvaalsche Republik und das Natals-Land in Südost-Afrika.
155
Die transvaalsche Republik und das Natals-Land in Südost-Afrika.
I. Ein neuer Bericht über die transvaalsche
Boeren-Nepublik.
Dieser merkwürdige Staat ist im Allgemeinen noch
wenig bekannt, aber 'ein Blick auf die Karte zeigt, daß
sein Gebiet einen beträchtlichen Flächenraum einnimmt.
Die nachfolgenden Mittheilungen sind theilweise dem
Bericht eines Reisenden in den „Cape and Natal-News"
entnommen.
Die transvaalsche Republik erstreckt sich nach Norden
hin bis über den Wendekreis des Steinbocks hinaus; die
Südgrenze wird vom Flusse Baal gebildet, der iu den
Orange mündet und das Land von einem andern. Staate
der holländischen Capbauern, der Oranje River Republik,
scheidet. Im Norden ist Transvaal vom Limpopo-Strom
umschlossen und durch denselben von den Stämmen der
Matebele-Kaffern getrennt. An der Ostseite erheben sich
die Drakenberge, die ivestliche Grenze ist nicht genau
bestimmt.
Transvaal besteht zumeist aus Hochebenen, die sich in
Terrassen erheben und von 4000 bis zu 7000 Fuß an-
steigen. Ein beträchtlicher Theil des Landes ist gesund
und hat ein angenehmes Klima. Wir iverden im Globus
gelegentlich knlturgeographische Betrachtungen über Süd-
afrika anstellen nnb dann ans diese beiden Banern-
republiken näher eingehen; hier soll nur hervorgehoben
werden, daß die transvaalsche ein zugleich communistisches
und doch auch wieder oligarchisches Gepräge hat. Als
die Engländer das Natals-Land sich aneigneten, zogen die
Bauern nach Westen hin ins Innere, gründeten _ ihre
eigenen Gemeinwesen und wußten ihre Unabhängigkeit zu
behaupten.
Diese Bauern unterscheiden sich sehr wesentlich von
den Engländern, welche sich überall, wo sie herrschen,
im höchsten Grade unbeliebt zu machen verstehen, unb
sind auch schroff von den eingeborenenBitschnana-Stämmen
geschieden. Sie bleiben aber in einer ganz eigenthümlicheil
Weise rückständig, weil sie leinen frischen Zuwachs von
Europa aus erhalten und in keiner Berührung mit
Kulturvölkern stehen; auch liegt ihr Gebiet fern von der
Meeresküste tief „im wilden Afrika". Diese 9ienniebevs
länder sind in Sitten und Bräuchen eine merkwürdige
Art von Halbbarbaren, aber es fehlt ihnen nicht an einer-
gewissen Energie. In Transvaal zählen sie gewiß nicht
20,000 Köpfe, aber sie haben den eingeborenen Stäm-
men, mehr als 100,000 Seelen, ihr Joch aufgelegt und
behaupten sich als Herren, obwohl sie seil längerer Zeit
von bürgerlichen Unruhen heimgesucht werden.
Als die Bauern vor etwa anderthalb Jahrzehnten ins
Land kamen, stand ein kräftiger, begabter Blaun an ihrer
Spitze. Seit dem Tode dieses Pretorias haben dann
die Fehden um die Präsidentschaft nicht aufgehört, und
die Vorgänge in jenem fernen Winkel Afrika's gemahnen
an die Präsidentschaftsstreitigkeiten in den amerikanischen
Repllbliken. Des alten Prctorius Sohil ist ehrgeizig und
möchte als Diktator herrschen, aber dagegen hat man steh
vielfach aufgelehnt. Die gesetzgebende Gewalt übt, etwa
wie im alten Athen, eine Volksversammlung, ein „Volks-
raad".
Wir bemerkten schon oben, daß Transvaal durchaus
im Binnenlande liege. Vom Limpopo bis zum Sambesi
wohnen Stämme, welche von ben Engländern als ,.Knob
nosed Cafres“ bezeichnet werden, z. B. die Amaswasi,
Amaznlus, Amekosa iinb andere, deren Zahl sich
rasch vermindert. Die Stämme in Transvaal, zumeist
Betschnanas, wagen keinen Widerstand gegen die Bauern.
Die Hochebenen sind durch spärlich bewaldete Hügel-und
Bergzüge von einander getrennt; die Flüsse liegen in der
Winterzeit theilweise trocken, aber trotzdem ist das Land
an vieleil Stellen sehr ergiebig, besonders da, wo es be-
wässert werden kann. Getreide, Obst aller Art nnb Wein
gedeihen vortrefflich; die Versuche mit dem Anbau der
Baumwolle, des Kaffees und Zuckers haben das beste
Ergebniß geliefert, und das Hornvieh findet gute Weide
vollauf. Für die Boers erscheint Transvaal als ein
Paradies.
Die wichtigste Stadt, wenn diese Bezeichnung gelten
kann, ist Potschefstroom; sie liegt ans einer voil Hü-
geln umzogenen Fläche. Unter diesen Höhen ist am be-
trächtlichsten der Taselkop, der eine ähnliche Gestaltung
hat, wie der Tafelberg am Vorgebirge der Guten Hoff-
nung. Die Zahl der weißen Einwohner beträgt etwa
1500; auf den weiten Wiesen der Umgegend schwärmen
Antilopen in unzähliger Menge, und deshalb fehlen auch
Löwen nicht. Die Stadt führt auch den Namen Mooi
Rivers Dorp, und mit dem „hübschen" Strom ist der
Vaal gemeint, an welchem der Ort steht. Die Regie-
rungsbehörden sind aber seit einigen Jahren in Pre-
torias das ungefähr 40 deutsche Meilen nach Nordosten
hin liegt nnb etwa 300 Bewohner zählt. Dieses saubere
Dorf liegt um die Kirche herum, und durch alle Straßen
fließt ein frischer Bach. In der Umgegend wachsen. Nie-
senbänme; unter einem derselben findet eine Heerde von
400 Schafen kühlen Schatten.
Vier Tagereisen nordwärts von Pretoria wird das
Klima ungesund, gefährliche Fieber treten auf, und außer-
dem kommen Löwen in großer Menge vor. Die Kaffer»,
welche sich aus ihrem Lebeu nicht viel machen, wagen
muthig den Kampf mit den wilden Thieren.' Es gehört
zu ihren Vergnügungen, daß ein paar hundert Männer,
die zumeist mit Feuergewehren bewaffnet sind, eine An-
zahl Löwen umkreisen, dieselben einschließen und dann
wie toll und blind ihre Flinten abschießen. Bei einer
solchen Jagd ist es vorgekommen, daß sieben Männer er-
schossen wurden; die klebrigen nahmen aber davon gar
keine Notiz.
Makkapansport liegt zwischen Pretoria und Zout-
pansberg. Dort sind einmal drei Bauernfamilien von
den Kaffern ermordet worden, und die Holländer übten
dafür eine grauenvolle Vergeltung. Sie fielen über alle
Kassernkraals in der Ilmgegend her und tödteten viele
Leute. Etwa 800 Wilde flüchteten sich in eine große
Stalaktitenhöhle nnb winden in derselben belagert;
Viele starben Hungers, Andere wurden niedergeschossen,
und poch heute liegen ihre Schädel und Gebeine umher.
Die oben genannten Ortschaften gehören ¿tt bei- atlan-
tischen Abdachung, dagegen liegt Zoutpansberg in einer
Region, deren Gewässer ihren Abzug zum Indischen Ocean
haben. Dieses Dorf, etwa 22 ° s. B., ist die am weitesten
nach Norden hin gelegene afrikanisch-europäische Ortschaft.
Der Name bedeutet Salzpfannenberg und ist von den
salzhaltigen Sümpfen in der Nachbarschaft entlehnt.
Durch die Ausdünstungen dieser Moräste wird das Dorf
ungeffmd; die Bauern' wollen jedoch dasselbe nicht ver-
lassen, weil sie ihre Felder bequem bewässern und den-
selben einen großen Ertrag abgewinnen können. Uebrigens
beläuft sich die Einwohnerzahl auf höchstens anderthalb-
hundert Köpfe; sie wohnen in etwa 20 Gehöften, die mit
Lehmsteiumanern umzogen sind; in jedem derselben können
1000 Stück Vieh Unterkommen fütbeit. Eigentlich ist
Zoutpansberg gegründet lvorden, weil die Elephanten in
der ganzen Gegend ungemein zahlreich waren und das
20 *
156
Die Iransvaalsche Republik und das Natals-Land in Südost-Afrika.
Elfenbein großen Gewinn abwarf; sie sind aber wegen
der unaufhörlichen Verfolgungen weiter geit Norden ge-
zogen, und die Jagd ist unbequemer und kostspieliger ge-
wördeu. Die Bauern ziehen nun mit einem Gefolge von
mehreren hundert Kaffern aus und bringen manchmal
unr geringe Beute heim. Aber trotzdem bildet der Handel
mit Elfenbein, das gleichsam den Werthmesfer und die
Landesmünze bildet, einen wichtigen Zweig der Einnah-
men, und die Jagd ist ein Hanptzeitvertreib der Boers.
Auch Liebhaber finden sich ein, und ein Herr Fitzgerald
konnte sich im Jahre 1863 rühmen, daß er nicht weniger
als 634 Elephanten erlegt habe. Dann aber wäre
es beinahe vorbei mit ihm gewesen, denn er war nahe
daran, einen tragischen Tod in feinem Berufe zu finden.
Ein mächtiger Elephant stürmte auf diesen Nimrod ein,
warf ihn nieder, stampfte dreimal mit den Vorderfüßen
auf den Mann, dem es trotz alledem gelang, zu entkommen
und den Elephanten ;u erlegen.
Zontpansberg ist schon 1834 gegründet worden, aber
die ersten Ansiedler fielen unter den Wurfspeeren der
Kaffern. Am Westabhange der Bergkette, an welcher das
Dorf liegt, schwärmt die berüchtigte giftige Tsetsefliege,
deren Stich für Rindvieh und Pferde tödtlich, für wilde
Thiere aber ganz unschädlich ist.
Eine Tagreise östlich von Zontpansberg liegt Alba-
zini, eine Art von großer Herrenbnrg, die von einem
Dorf umgeben ist. Dort gebietet seit 1831 eitt Mann,
Namens Albazini; er ist portugiesischer Cónsul, tritt als
Gebieter der Umgegend auf und spielt einen kleinen
König. Er hat mehr als 100 Elephantenjäger, lauter
Kaffern, in seinem Dienste, und sie bilden seine Leibwache.
Jeder von diesen Jägern hat 20 Träger im Gefolge.
Wer im Laufe eines Jahres die größte Menge Elfenbein
an Albazini abgeliefert hat, wird ösfeiltlich belobt, erhält
einen Ochsen zum Geschenk und hat für das nächste Jahr
die Würde eines Kapitäns. Im Ganzen herrscht jener
Portugiese über mehr als 4000 Wilde. Sein „Reich"
ist von einem Geognosten untersucht ivorden, und dieser
fand dasselbe sehr ergiebig an Blei, Zinn, Kupfer, Eisen,
Gold und Silber. Er sah aber auch Krokodile von 18
Fuß Länge, Panther in großer Menge und noch weit
mehr Löwen, die er nach Hunderten gezählt hat.
Die transvaalsche Regierung erhebt von den ihr
untergebeneil Kaffern eine kleine Abgabe in Elfenbein,
Vieh und Silber, geht aber dabei sehr nachsichtig zu Werk.
II. Das Natals-Land.
Am Weihnachtstage des Jahres 1498 entdeckte
Vasco da Gama diese Küste; daher der Name. Die
britische Kolonie, welche wir heute als Natals-Land be-
zeichneil, liegt zwischen dem 28. und 31." südl. Br.,
etwa 200 deutsche Meilen Küstenlänge von Kapstadt ent-
fernt, hat einen Flächeninhalt von nahezu 1000 Qua-
dratmeilen und ist erst feit 1822 näher bekanilt geworden.
Diese ganze Region war im Besitze der sogenannten
Znlu-Kaffern, deren Häuptling, Dingahn, holländische
Bauern aus der Kap-Kolonie zur Niederlassung einlud,
danil aber die Ansiedler in verrätherischer Weise ermordete.
Doch vernichteten die holländischen Bauern seine Macht,
wurden Herren des Laildes, aber 1842 von den Englän-
dern bezwungen, welche dann im folgenden Jahre' das
Land für eine britische Kolonie erklärten.
Wir haben im Globus mehrfach auf die Bedentllng
des Natals-Landes hingewiesen; es ist in der That eine
ganz vortreffliche Region und hat eine große Zukunft.
Vor Kurzem gabeil die „Cape and Natal News" Nach-
richten über die gegenwärtige Lage der Kolonie, die wir
iul Auszüge mittheilen wollen.
Die Nordgrenze wird von beit Flüssen Buffalo und
Tug ela gebildet, im Nordwesten von den Drakenbergen
und vom Kwatlambagebirge, im Südwesten vom Flusse
Umzincula (Um bedeutet in der Kaffernsprache Fluß),
im Osten vom Indischen Ocean. Die mittlere Erhebung
über den Meeresspiegel beträgt 1000 bis 1500 Fuß; der
Boden ist sehr uneben; charakteristisch sind Berggipfel mit
abgestumpftem Kegel von etiva 4000 Fuß Höhe und viele
schöne Flnßthäler, die sich ans den Drakenbergen hinab-
ziehen. Die Flüsse strömen bis in die Nähe des Meeres
noch in einer Höhe von etiva 400 Fuß und bilden dann
Wasserfälle von 200 bis 230 Fuß Höhe; sie sind deshalb
für die Schifffahrt von keinem Nutzen. Etwa in der
Mitte der Küstenlinie bildet Kap Bluff eine Rhede mit
gutem Ankergrnnd; hinter dem Vorgebirge liegt ein Binnen-
see, welcher mit dem Meere in Verbindung steht und jetzt
Schiffe von 400 Tonnen Trächtigkeit aufnehmen kann.
Man arbeitet aber gegenlvärtig an der Herstellnng eines
Wellenbrechers und an Vertiefung der Barre, so daß
später auch größere Fahrzeuge einlaufen können. Dieses
schöne Becken wird dann den Haupthafen von Natal
bilden.
Gegenwärtig bildet die Oertlichkeit, welche den Namen
Port Natal, Weihnachtshafen, führt, weder eine Stadt
noch ein Dorf. Sie besteht aus Zollgebäuden, Maga-
zinen, Buden, in denen alle zur Ausrüstung und Aus-
besserung von Schiffen nothwendige Gegenstände feil ge-
boten werden, der Wohnung des Hafenkapitäns und einer
befestigten Kaserne für die kleine Besatzung. Und doch
ist dieser Punkt von Wichtigkeit, weil alle (Suü und Aus-
fuhren der Kolonie hier dnrchpassiren. Drei Miles ent-
fernt. am Nordostufer des Sees, liegt die Stadt d'Urban,
welche rasch emporwächst. Sie hat schon zwei Banken,
eine Börse, Gasthöfe, Schulen, Clubs, eine öffentliche
Bibliothek, Kunst- und Geiverbeverein, eine Ackerbauschnle
und schöne, saubere Gassen. Allmonatlich kommt ein
Postdampfer aus Kapstadt.
Ein Drittel des Nataldistrikts (die Kolonie wurde in
10 Distrikte getheilt) ist europäischen Ansiedlern vorbehalten,
die beiden andern Drittel sind den Zulu-Kaffern in
Pacht gegeben, welche Mais und Tabak bauen. Seit dem
Kriege von 1853 verhalten sie sich ruhig und verlassen
zeitweilig ihre Kraals (Hüttendörfer), wo ihre Frauen
und Kinder zurückbleiben, um bei den Ansiedlern in Dienst
zu treten. Sie arbeiten auch an der Eisenbahn, im Hafen
und bei den Kaufleuten.
Aber man hat mit ihnen, lvie mit allen freien schwar-
zen Arbeitern, die liebe Noth; man kann durchaus
nicht auf sie rechnen, von Verpflichtung und andauernder
Arbeit haben sie keinen Begriff. Solch ein Kaffer er-
wirbt etwas Geld; dann verläßt er seine Beschäftigung,
kauft im ersten besten Waarenladen allerlei Tand, Leckereien,
Tabak, besonders aber Branntwein und eilt, ohne seinem
bisherigen Arbeitgeber auch nur ein Wort zu sagen, in
seinen Kraal zurück, wo er mit bewundernswürdiger Aus-
dauer dem Müssiggange obliegt; seine Frau muß inzwischen
für ihn schaffen und ihn Pflegen, bis der Branntwein
verzehrt ist. Dann geht der Kaffer wieder zum frühern
Arbeitgeber, der froh ist, daß jener überhaupt erscheint,
denn es fehlt an Arbeitern in der Kolonie.
Trotz alledem kommt dieselbe vorwärts. Im Süden
von d'Urban, bei Jsipingo und an der Küste vom untern
Ukomanzi bis zum Flusse Tugela wechseln Zucker- uud
Kafseeplantagen mit einander ab; die Baumwollenfelder
werden von indischen Kulis besorgt; man baut, je nach
der Oertlichkeit, Tabak, Flachs, Ricinus, Sesam, Thee
Ingwer, Indigo und Arrolvroot, Weizen, Mais und ftlbst
Hafer, Jgnamen, Kartoffeln, Rüben, Gurken, Melonen,
Ananas, alle Arten Gemüse; ferner gedeihen die Wein-
rebe und »eben der Banane auch alle Südfrüchte und
unsere Obstarten.
Aber das schätzbarste Gut für das Natals-Land ist
ein vortreffliches Klima, das wenigstens in Afrika seines
Gleichen nicht hat und das allein schon dem Lande eine
gute Zukunft verbürgt.
Aus allen Erd theilen.
157
Aus allen Erdthellen.
Livingstone und dessen südafrikanische Pläne. Am
25. Januar war von der Simonsbay (Kapstadt) der Dampfer
Ariel nach der Mündung des Sambesi abgegangen, um von
dort die Mitglieder der südostafrikanischen Mission, die auf Li-
vingstone's Antrieb hatte gegründet werden sollen, abzuholen.
Schon im December 1863 war der Dampfer Rapid an der
Küste von Mosambik gewesen, hatte am 5. Januar 186 i den
Flußarm Suabo in der Sambesimüudnng besucht und dort
einen vom 21. December dalirteu Brief des Bischofs Tozer
in Empfang genommen. Dieser befand sich noch au den Mur-
chison-Katarakten und meldete, daß er den Plan zur Grün-
dung einer Mission durchaus habe aufgeben müssen. Er
bestelle deshalb acht Plätze auf dem nächsten Dampfer, bleibe
aber selber mit einem einzigen Missionär noch so lange zurück,
bis er alle Geschäfte geordnet habe.
Livingstone selbst wird in den nächsten Monaten nach
Europa zurückgehen. In Bezug auf seine Projekte ist genau
eingetroffen, was wir schon vor länger als zwei Jahren mit
Bestimmtheit im Globus voraussagten: Es ist nichts mit
dem Baumwolleuparadiese und nichts mit den
Liviugstone' schen Missionshoffnungen.
Kapitän Speke's afrikanische Phantasien. Das ganze
Benehmen Speke's bestätigt die Ansicht, welche wir mehrfach
über diesen Reisenden ausgesprochen haben. Er ist ein mu-
thiger, unternehmender Mann, doch über alle Gebühr von sich
und seinen vorgefaßten Meinungen eingenommen. Es fehlen
ihm ruhige Prosa des Verstandes imb kritischer Sinn. Wir
verweisen auf unsere früheren Bemerkungen (Globus V, S. 219).
In einer Rede zu Tannton hatte er geäußert, England möge
sich beeilen, im äquatorialen Ostafrika festen Fuß zu fassen,
wert sonst — Oesterreich ihm zuvorkommen wurde. Er eröff-
nete (ähnlich wie Livingstone) ein Baumwollenparadies und
glänzende Aussichten für die anglikanischen Missionäre. Für
ein englisches Publikum ist dergleichen durchaus nöthig; es will
einmal, trotz so vieler Täuschungen, an und von Baumwolle
und Missionen zehren. In Paris schlug Kapitän Speke einen
andern Ton an. Er wohnte dort der Jahressitzung der geo-
graphischen Gesellschaft bei und dankte dafür, daß dieselbe ihm
für seine Entdeckung des Nyanza - Sees ihre große Denkmünze
zuerkannt hatte. Dann hielt er eine Rede über die Produktiven
Kräfte der von ihm durchwanderten Gegenden und warf den
Franzosen die dicksten Komplimente ins Gesicht. Frankreich,
sagte er, sei die Gründerin neuer Reiche uub könne, zum
Besten der Eingeborenen, auch in jenen Theilen Afrika's ein
Reich gründen. Er, Speke, habe in seinem Streben nicht er-
müden wollen, bis er die Quelle des heiligen Stromes ent-
deckt habe, welche, wie er betonte, ,,der Anstrengungen der
Könige und der Gelehrten gespottet habe"! Dann äußerte er,
daß sicherlich im Westen des großen Sees noch ein anderer zu
entdecken sei, und phantasirte dann über „die Zukunft des
äquatorialen Afrika". Die Franzosen besäßen am Gabun
einen der herrlichsten Häfen der Welt; dieser sei für sie der
Schlüssel zu einer ungeheuren, fruchtbaren Region, welche die
allcrschönste Baumwolle, Indigo nnb alle anderen
nutzbaren Pflanzen liefere. „Frankreich kann der Welt ein Land
eröffnen, das fruchtbarer ist, als die vielgerühmlen Alluvial-
gegenden Indiens. Es möge Expeditionen aussenden in die
Gegenden, welche sich zwischen dein Meer und dem Centrum
des Continents ausdehnen, inib Männer senden, welche die
Eingeborenen regieren, die sich selber nicht regieren können."
Er fügte hinzu, daß er eine centralafrikanische Gesell-
schaft bilden werde. In Betreff des ungesunden Klimas
äußerte er sich höchst leichtfertig. Nachdem er, ganz richtig,
gesagt, daß das afrikanische Fieber von der Malaria herrühre,
bemerkte er, daß dasselbe beit Europäer nur bei Nacht packe;
aber man könne sich vor demselben schützen, wenn man in
einer Höhe von 12 bis 15 Fttß über dem Boden schlafe!
Eine große wissenschaftliche Expedition nach Mexico.
Sie wird von der französischen Regierung.ausgerüstet, nach
dem Muster derjenigen, welche vor nun 60 Jahren Aegypten
erforschte und der Wissenschaft große Dienste leistete. Eine
Erforschung Mexico's wird ohne Zweifel auch eine großartige
Ausbeute gewähren in Bezug ans viele Zweige der Natur-
wissenschaft, die Erdkunde, die Ethnographie und'Sprachwissen-
schaft, und besonders auch für die in hohem Grad interessan-
ten Alterthümer. Noch immer haben wir Lücken auszu-
füllen. Die Expedition wird sich aber nicht auf das aztekische
Mexico beschränken, ans den iseinen Raum, welchen Monte-
zuma's Reich, zwischen dem 15. und 21.° n. Br., einnahm; sie
soll auch Nucatau und Centralamerika erforschen, überhaupt
das ganze Land voit und mit Sonora im Norden bis zu in
Golfe von Dänen im Süden. Es ist ihre Aufgabe, eine
wissenschaftliche Gesammtüberficht dieser weiten Strecke
zu gewinnen, die vereinzelten Nachrichten, welche wir bis jetzt
besitzen, kritisch zu prüfen, sie znsammenznstellen und das, was
Neues ermittelt wird, beizufügen.
Der Minister des öffentlichen Unterrichts, Duruy, hebt in
seinem Bericht an den Kaiser Napoleon hervor, daß die Kar-
ten, welche wir von Mexico besitzen, noch Vieles zu wünschen
übrig lassen. Der Lauf der Ströme in den südlichen und
westlichen Landestheileu ist sehr mangelhaft eingetragen, und
wer von den gewöhnlichen Straßenzngen seitwärts geht, kann
überraschende Entdeckungen machen. So wurde lange unweit
von Perote, das doch auf der Hauptstraße von Vera Crnz
nach Mexico liegt, an einer Stelle ein großer See verzeichnet,
wo Sanssure Hügelland gefunden hat. Ganz besonders sollen
die Paläontologie und die vulkanischen Erscheinungen beachtet
werden und über das Bergwesen sehr genaue Ermittelungen
angestellt werden. Nicht minder wird aus die botanischen Ver-
hältnisse sorgfältige Rücksicht genommen, und eben so auf das
Thierreich. Ägassiz hat die Ansicht geäußert, daß im mexica-
nischen Meerbusen noch anlediluvianische Polypen leben, und
zwar von derselben Art, welche in der Bodenbildung von Flo-
rida in so überaus großer Menge vorkomme.
Wir unsererseits freuen uns schon im Voraus ganz be-
sonders ans die Ergebnisse der an thropo lo gisch eit For-
schungen, für welche gerade Mexico ein so ausgiebiges und
dankbares Feld darbietet; sie werden in physiologischer, sitt-
licher und gesellschaftlicher Beziehung gewiß von nicht geringem
Belang sein. Dazu kommen dann die Studien über verglei-
chende Sprachwissenschaft, für welche in Bezug auf Mexico der
verstorbene Gallatin und Buschmann in Berlin schon
Ausgezeichnetes geleistet haben. Man hofft sogar mit Sicher-
heit,' den Schlüssel nicht blos zu der mexicanischen Bilder-
schrift (Anbin hat dafür schon Manches gethan), sondern auch
für jene in den Ruinen von Palanqne k. zu bekommen. (Ob
Brasseur de Bourbourg den Schlüssel zu den letzteren
wirklich schon gefunden hat, wie französische Nachrichten wissen
wollen, muß erst mit Bestimmtheit nachgewiesen werden; bis
jetzt ist das noch nicht geschehen.)
Wir wiederholen, es ist in Mexico noch viel zu thun
und zu entdecken. Im Jahre 1855 entdeckte de Saussure,
wenige Stunden von der Stadt Perote entfernt, eine ganze
Stadt, von welcher man nie zuvor etwas gehört hatte, und
ein nordamerikanischer Reisender, der von'der Küste nach der
Hauptstadt, seitwärts von der großen Straße, wanderte, fand
nicht weniger als 18 wichtige Aztekendenkmäler, von welchen
keins je zuvor erwähnt worden war. Planmäßige Nachfor-
schungen werden sicherlich noch viel Interessantes zu Tage
fördern.
Der pariser Moniteur hat die Liste der.Commission ver-
öffentlicht, welche mit Einrichtung der wissenschaftliche» Expe-
dition beauftragt ist; die Mitglieder der letztern gehören na-
türlich zu derselben. Darunter sind: Michel Chevalier,
dessen früheres Buch über Mexico ein sehr oberflächliches Mach-
werk ist; Admiral Jnrien de la Graviore, ein sehr tüchtiger
Seemann; Bonssingault, Physiker; Alfred Maury,
ein tüchtiger, sehr verständiger Geograph; Vivien de St.
Martin, ein ausgezeichneter, gründlicher Gelehrter, der
auch mit der deutschen Forschung genau bekannt ist; der Abbe
Brasseur de Bourbourg; dieser ist unermüdlich im For-
schen und man verdankt ihm viel, obwohl er als Kritiker zu
wünschen übrig läßt; Anbin, wohl der gründlichste Kenner
der mexicanischen Alterthümer und namentlich der Bilder-
158
Aus allen Erdtheilen.
schrift. Dazu kommen, außer Anderen, noch Quatrefag es,
ein geistreicherNaturforscher, aber in anthropologischer Hinsicht
sehr besangen und manchmal unlogisch (wir hätten Broca
oder Bond in lieber gesehen) und der Architekt Viollet le
Dne, der von Baukunst viel versteht, aber in Bezug aus
Azteken und mericanische Alterthümer die abenteuerlichsten
Phantasien hat drucken lassen, und dessen amerikanologische
Studien sehr dürftig sind. Aber iin Ganzen kann man mit
den Mitgliedern der Expedition zufrieden sein.
Die neuen Seewege Maury's. Ein Beschluß, der kürz-
lich in der nun ein Jahr alten Akademie der Wissenschaften
zu Washington gefaßt wurde, wird nicht ermangeln, die Anf-
merksamkeit des wissenschaftlichen und seefahrenden Publikums
im hohen Grade auf sich zu ziehen. Es wurde über die be-
kannten Manry' scheit Wind- und Segelkarten verhan-
delt und diese bisher in so hohen Ehren gehaltenen Arbeiten des
früheren Direktors am Observatorium zu Washington sind für
so unbrauchbar erklärt, daß die weitereHeransgabe desWer-
kes unterbrochen wurde. So dekretirt die Uankee- Akademie zu
Washington, vielleicht nur deshalb, weil Manry ein eifriger
Patriot der Conföderirten Staaten ist. Unterdessen aber hat
sich das Praktische und die große Brauchbarkeit der von ihm
gezeigten neuen Seewege längst glänzend bewährt. Wir wollen
hierüber einen tüchtigen deutschen Seemann reden lassen. Der
Corvettencapitän R. Werner, welcher das beste Buch über
die preußische Expedition nach Ostasien geschrieben hat und sich
kürzlich noch als Kommandant des Kriegsschiffs ,,Nymphe" in
dem Seegefecht gegen die Dänen bei Arkona so rühmlich aus-
zeichnete, sagt im ersten Bande seiner „Ncisebriefe": Von Te-
neriffa nach Singapore wählten wir den neuen, von dem be-
rühmten amerikanischen Hydrographen Manry empfohlenen
Weg, der zwischen 29° und 30° westl. Länge den Aeqnator
schneidet, während die alte und von den meisten Seeleuten
noch befolgte Route 150 Meilen östlicher zwischen 18° und 21°
führt. Ich glaube, es gibt keine Klasse von Menschen, die mit
größerer Zähigkeit am Althergebrachten hängt und schwerer
an vorteilhafte Neuerungen ;u gewöhnen ist, als die See-
leute. Dies zeigt sich namentlich wieder bei den Segeldirek-
torien rrnd Karten Maury's, die derselbe mit Genie und be-
wnnderungswürdigemFleiße seit zehn Jahren herausgibt, und
die für die Schifffahrt einen ungemeinen Nutzen haben. Ob-
wohl diese Karten und Bücher nur das Ergebniß vieler Tau-
sende von Schifffahrtstagebüchern sind und, mit ängstlicher
Fernhaltung jeder, wenn auch der wahrscheinlichsten Hypo-
these, lediglich auf Erfahrungen und Thatsachen basiren; ob-
wohl Manry in jeder jährlich erscheinenden neuen Ausgabe
seiner Direktorien schlagend beweist, wie ein Schiff, das nach
Ostindien, Australien n. s. w. geht, die Reise nur 20 bis 30
Tage abkürzen könne, wenn es den von ihm empfohlenen
Weg nimmt, obwohl endlich die amerikanische Regierung mit
seltener Liberalität jeden Seemann, der eine Abschrift seiner
Tagebücher an das National - Observatorium sendet, mit den
Karten und Büchern beschenkt, hält es doch unglaublich schwer,
der Neuerung Eingang zu verschaffen.
So wie Werner urtheilen noch viele erfahrene Seeleute,
rrnd Maury's neue Seewege dürften trotz des Beschlusses der
Washingtoner Akademie nach und nach mehr an Boden ge-
winnen.
~ 7
Walisische Kolonien in Patagonien. Die keltischen En-
thusiasten in Wales befürchten seit längerer Zeit das Ans-
sterben der allen wälschen Sprache und Nationaltugenden, die
sich trotz der jährlich abgehaltenen „Eistedfodds" nicht gegen
das mächtig andrängende englische Element zu halten' ver-
mögen. Man beschloß daher,eine ausschließlich watsche Kolonie
zu gründen, und die Vorbereitungen dazu wurden bereits im
Herbste des Jahres 1863 getroffen. Man hat sich die patago-
nische, ungefähr unter 45° südl. Br. gelegene Halbinsel
Bald es als den einzigen Punkt auf Erden ansersehen, wo
man vor Berührung mit Engländern sicher sein könne. Die
Förderer des Planes haben ein eigenes Blatt gegründet nnb
ein Handbuch für Patagonien herausgegeben, um ihren
Ideen Boden zu verschaffen und die Einwände der Gegner ju
entkräften.
Auch die preußische Regierung, man staune! ging vor
einigen Jahren damit um, in' denr'prodnktenleeren'Patago-
nien Kolonien anzulegen!
Eine Ersteignng des Monte Viso. Seit Savoyen an
Frankreich abgetreten ist, gilt der Monte Viso als der höchste
Berg Italiens. Zuerst ward er von dem Engländer W.
Mathew am 30. August 1861 und im folgenden Jahre von
dessen Landsmann Tnckett erstiegen. Hierdurch wurde die
Unternehmungslust italienischer Bergsteiger rege, und im Au-
gust des vorigen Jahres gelang es dem Herrn Quin tino
Sella in Begleitung einiger Anderen, den Berg zum dritten
Male zrr erklimmen. Der Hanptstock besteht aus zwei ziemlich
gleich hohen Gipfeln, die von Ost nach West liegen. Das
Gestein des Berges zeigt Serpentin, Chlorit und Talk, die
zuweilen in Qnarzfels und Thonschiefer übergehen. Die Spal-
ten und Abgründe, welche die drei Ausläufer des Monte
Viso durchsetzen, sind das größte Hinderniß bei seiner Bestei-
gung. Gewaltige Schutt- und Trümmerhaufen erschweren
das Fortkommen bedeutend, so daß der Berg für unersteig-
lich galt. Sella stieg von Süden aus über den Paß belle
Sagnette hinan, den er 9478 Fuß hoch fand. Am folgen-
den Tage stieg man von diesem Passe gegen den nach Süden
geöffneten Winkel der beiden Hauptrücken an und erreichte
einen Gletscher, in dessen Eis man Stufen hauen mußte, um
weiter zu gelangen. Trotz mannichfacher Schwierigkeiten ge-
lang die Ersteigung der westlichen Spitze am 12. August,
deren Höhe barometrisch zu 12,289 Fuß über dem Meere be-
stimmt wurde. Mit Hülfe einer Spiegellibelle konnten die
Reisenden bemerken, daß die westliche Spitze etwas höher ist
als die östliche. Letztere war von Tnckett und Mathew zuerst
erstiegen worden; Mathew gelangte auch über ben schmalen,
gefährlichen Verbindungskamm nach der Westspitze. Angeeifert
durch diese Erfolge bestiegen noch am 25. August des ver-
flossenen Jahres die Italiener Luigi und Roasendo den
Monte Viso zum vierten Male. (Zeitschrift f. allqem. Erd-
kunde, März 1864.)
Die Temperatur der Alpenseen. Ueber -dieselbe gibt
Prof. F. Simony in der Oesterreichischen Revue 1864.' I.
einige interessante Aufschlüsse. Untersucht man die Tempera-
tur der Alpenseen gegen Ende des Sommers, so ergibt sich,
daß die Wärme von der Oberfläche nach abwärts bis zu einer-
gewissen Tiefe im wechselnden Verhältnisse, jedoch stetig ab-
nimmt, endlich aber, bis zu einenr bestimmten Grade ver-
mindert, keine weitere Abnahme mehr erleidet, so daß von
300 bis 400 Fuß, ja nicht selten schon von 100 bis 150 Fuß
an, eine ganz gleichbleibende Temperatur, nicht über 5° und
nicht unter 3,4° R. anzutreffen ist.
Diese Erscheinung, daß bei allen Alpenseen in der Tiefe
eine mehr oder minder mächtige Schicht von gleichmäßiger
niedriger Temperatur sich vorfindet, beruht aus der Eigenschaft
des Wassers, bei 3,4° R. seine größte Dichtigkeit zu erreichen,
bei noch weiterer Abkühlung aber sich wieder auszudehnen
und leichter zu werden. Mit dem ersten Froste des Herbstes
beginnen die oberen Schichten des Wassers zu erkalten. Sie
werden schwerer und sinken, um wärmeren, von unten kommen-
den Platz zu machen. Da das Wasser nun bei 3,4° R. seine
größte Dichtigkeit erreicht, ist auch eine Abkühlung der obersten
Schichten nur bis zu diesem Punkte möglich, so lange noch
unten wärmere, leichtere Wassermassen liegen. Je tiefer der
Sce ist, desto länger wird der Austausch dauern, bis er ganz
in die Temperatur der größten Dichtigkeit übergegangen ist.
Dann erst können sich die oberen Schichten weiter abkühlen,
aber sie sinken nicht mehr, der Gefrierpunkt tritt ein, es
schließt sich der See. H i e r a u s wird verständli ch,
warum große, tiefe Alp en s e en so selten zufrie-
ren. Besonders wird das Gefrieren gefördert, wenn nach
den oben erwähnten Verhältnissen ein starker Schneefall ein-
tritt. Darm verwandelt sich die Wasserfläche in eine Art snl-
ziger Kruste, die nicht selten mehrere Zoll^Dicke erreicht. Bei
nachfolgender Kälte wird die halbweiche Schneerinde bald zur
dichten Eisdecke.
Wie selten bei den größeren Alpenseen alle die Eisbil-
dung bedingenden Umstände zusammentreffen, beweist der
Bodensee, welcher seit 1477 nur fünfmal ganz zugefroren
war. Eben so oft fror der Gm und euer See in den letzten
400 Jahren (zuletzt 1830) zu.
Die Tfchnmaken Sndrnßlands sind eine eigene Menschen-
klasse, welche das ebene Land mit mehr oder weniger großen
Wagenzügen nach allen Richtungen hin durchkreuzt.' Das
Wort Tschumak ist von dem russischen Worte Tschuma, Post,
abgeleitet und bedeutet jetzt einfach: Ochsenfnhrmann.
Diese Leute (Kleinrussen) sind es, die beim Mangel an brauch-
Aus allen Erdtheilen.
159
bare» Wasserstraßen und Eisenbahnen im südlichen Rußland
den Verkehr des Innern mit der Küste und umgekehrt über-
nehmen uitb Handelswaaren zu unglaublich niedrigen Preisen
auf so ungeheure Entfernungen hinführen, daß der an west-
europäische Transportpreise gewöhnte Beobachter wahrhaft
erstaunen muß. Es sind rohe, aber durchaus gutmüthige
Leute, die als Vermittler des Verkehrs für jene Gegenden von
großer staatsökonomischer Wichtigkeit sind. Aber das Institut
der Tschnmaken hat auch seine Schattenseiten, wozu vor Allem
die durch sie verschleppte Rinderpest gehört, klm dies mög-
lichst zu vermeiden, sind ihnen bestimmte Straßen und Weide-
plätze für ihr Vieh angewiesen; doch umgehen sic diese Vor-
schriften oft und geben dann zu Streit und Klagen Anlaß.
Ein Magnetberg in Schwedisch-LapplanÄ ist vor Kurzem
entdeckt worden. Er wird von einem Lager magnetischen
Eisens durchzogen, das eine Dicke von mehreren Fuß hat und
das reichste bisher bekannte sein soll. Der Eigenthümer des
Berges hat die Mine bereits aufgeschlossen in 'der Hoffnung,
die ganze Welt mit Magneten von großer Kraft zu versehen.
Einen dieser Magnete, der 68 schwedische Pfund wiegt, hat,
wie wir lesen, unser berühmter Meteorolog Prof. Dove in
Berlin erworben.
Ernst Renan über den Gegensatz zwischen den semiti-
schen und indoeuropäischen Völkern. Herr Renan, welcher
dem großen Publikum durch sein viel gelobtes und viel ange-
feindetes „Leben Jesu" bekanntgeworden ist, nünmt als Ge-
lehrter eine hervorragende Stelle ein; namentlich gilt seine
Geschichte der semitischen Sprachen für ganz ausgezeichnet; die
alte Kultur und Literatur Vorderasiens bildet recht eigentlich
das Feld, auf welchem er sich am liebsten bewegt. Wir ent-
lehnen einem Vortrage, welchen er an der pariser Universität
gehalten, einige Stellen.
Schon seit den Zeiten des Mittelalters weiß man, daß die
Hebräer, Phönicier, Karthager, Babylonier, wenigstens von
einer bestimmten Zeit an, die Araber lind die Abessinier eng
mit einander verwandte Sprachen geredet haben. Eichhorn in
Göttingen bezeichnet diese Sprachengruppe als die semitische;
der Ausdruck ist zwar ungenau (Globus V, S. 83), steht
aber nun in allgemeiner Geltung. Bald nachher, als Europa
mit dem Sanskrit näher bekannt wurde, sahen sich einige Gelehr-
ten in Calcntta, vornehmlich aber in Deutschland, vor allen Franz
Bopp, im Stande, sichere Grundlagen zu gewinnen, aus wel-
chen sich ergibt, daß die alten Idiome des' brahmanischen Jn-
diens, die verschiedenen Mundarten Persiens, manche Dialekte
im Kaukasus, das Griechische und Lateinische sammt den ans
ihnen herstammenden Sprachen, sodann die slavischen, germani-
schen und keltischen, eine einzige große Gruppe bilden, welche,
als indogermanische oder indoeuropäische, von der scuii-
lischen Gruppe völlig verschieden ist.
Die Verschiedenheit stellte sich immer schärfer heraus, seit-
dem das Studium der Literaturen beider Gruppen,. und der
Staatseinrichtnngen, Sitten und Religionen der zu ihnen ge-
hörenden Völker immer tiefer und umfassender wurde. Wir
wissen heute in Folge sorgfältiger Vergleichungen, daß die alten
Literaturen von Indien,' Griechenland, Persien und der ger-
manischen Völker einem gemeinsamen Stamme angehören, und
daß in ihnen eine tiefgewurzelte geistige Aehnlichkeit gefunden
wird. Die Literaturen der Araber und der Hebräer haben unter
einander viel Verwandtes, aber so wenig als irgend möglich haben
sie mit den eben genannten Völkern gemeinsam. Bei den se-
in i t i s ch e n V ö lkern such en wir v er g ebl ich nach ei ncm
Epos oder Drama; eben so wenig haben die Jndoenropäer
etwas, das den Kasida der Araber entspräche, oder der eigen-
thümlichen Auffassungs- und Ausdrucksweise, der Eloquenz,
durch welche sich die jüdischen Propheten und der Koran aus-
zeichnen.
Das Gleiche gilt von den Staatseinrichtungen der beiden
großen Gruppen. Die Jndoenropäer hatten von Anbeginn
an eiue alte Richtschnur, man könilte sagen, einen Codex, von
welchem lvir Uebcrreste finden bei den 'Brahmanen Indiens,
in den Gesetzen der Römer, Kelten, Germanen und Slaven.
Das patriarchalische Leben der Hebräer und Araber wurde
durch ganz andere Gesetze geregelt. Sodann hat eine Ver-
gleichung der Religionen ein helles Licht auf diese Frage
geworfen. Neben der vergleichenden Sprachwissenschaft ist in
Deutschland auch eine vergleichende Mythologie ent-
standen, und diese liefert den Nachweis, daß alle indöeuropäi-
schen Völker Anfangs. neben gleicher Sprache auch dieselbe
Religion gehabt haben, von welcher diese Völker dann Bruch-
stücke mit sich in ihre neuen Wohnsitze brachten. Diese Reli-
gion, die Verehrung der Urkräfte und äußeren Erscheinungen der
Natur, entwickelte sich zu einer Art von Pantheismus, wäh-
rend die Entwicklung bei den Semiten eine durchaus verschie-
dene war. Jndenthnm, Christenthum und Islam haben einen
Charakter des Dogmatismus, Absolutismus und strengen
Monotheismus, wodurch sie sich durchaus von den indoeuro-
päischen, oder wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, heidnischen
Religionen durchaus unterscheiden. —
Die indoeuropäischen und semitischen Nationen sind auch
heute noch durchaus verschieden von einander. Ich lasse die
Juden bei Seite, die in Folge einer ganz eigenartigen, wun-
derbaren Geschichtsentwicklung eine Ausnahmestellung in der
Menschheit einnehmen. Aber' der Araber, oder wenn ich mich
allgemein ausdrücken darf, der Muselmann, ist auch heute noch
von uns so getrennt, wie nur jemals. In unseren Tagen wird
der semitische Geist durch den Islam repräscntirt. Wer den
Orient kennt, weiß, daß der Muselmann und der Europäer,
wenn inan sie neben einander stellt, wie Geschöpfe von ganz
verschiedener Species sich ansnehmen; sic haben im Denken
und Fühlen mit einander Nichts gemein. Aber der Fortschritt
der Menschheit wird durch den Widerstand entgegengesetzter
Bestrebungen gefördert, durch eine Art von polarem'Gegen-
satze, in Folge dessen jede Idee ihre ausschließlichen Vertreter
findet. Im Großen und Ganzen kommt durch diese Gegen-
sätze eine Harmonie heraus und aus dem Aneinanderprallen
scheinbar feindlicher Elemente keimt Friede hervor. —
Renan erörtert dann, was die semitischen Völker für die
Civilisation der Welt gethan hätten, und betont namentlich,
daß sie für die volkswirthschafiliche Entwicklung durchaus un-
fruchtbar gewesen seien. Er fragt: Was verdanken wir ihnen
in der Knust? Nichts. Diese Völker haben nur geringen Kunst-
sinn; unsere Kunst hat ihre Ursprünge und Anfänge bei den
Griechen. In der Poesie haben wir aber allerdings mit den
Semiten, ohne doch von ihnen abhängig zu sein, Manches mit
ihnen gemeinschaftlich; so sind z. B. d'ie Psalmen in gewisser
Beziehung eine Quelle auch für unsere Dichtung geworden.
In der eigentlichen Wissenschaft und in der Philosophie
fußen wir dagegen völlig auf den Griechen. Die Semiten
gingen nicht auf den Grund und die Ursache der Dinge ein,
sie kannten keine Wissenschaft um der Wissenschaft willen', wohl
aber die Griechen. Babylon kannte freilich eine Annäherung
an die Wissenschaft, aber doch nicht die wirklichen Elemente
derselben; die Acgypter kannten die Geometrie, aber sie schufen
doch nicht die Elemente Euclids. Der alte semitische Geist
war seinem ganzen Wesen nach antiphilosophisch und anti-
wissenschaftlich. Im Hiob erscheint das Forschen nach den Ur-
sachen beinahe als eine Gottlosigkeit, und im sogenannten
Prediger Salomonis wird die Wissenschaft für eitel erklärt.
Der Verfasser rühmt sich, daß er Alles unter der Sonne ge-
lenkt habe, und daß ihm doch Alles eitel erscheine, ihm Uebcr-
drnß errege. Da ist Aristoteles, der ungefähr gleichzeitig
schrieb, ganz anders. Dieser Grieche hätte mit mehr Recht von
sich sagen können, daß er das Universum durchdrungen habe,
aber bei ihm ist keine Spur von Ueberdruß.
Die Weisheit der semitischen Völker ist nie über Parabeln
und Sprüchwörter hinausgekommen. Man spricht viel von arabi-
scher Wissenschaft und Philosophie, und während des Mittel-
alters sind allerdings die Araber etwa zwei Jahrhunderte lang
die Lehrer Europa's gewesen; das wurde aber sofort anders,
als die griechischen Urschriften zugänglich wurden. Was man
arabische Wissenschaft und Philosophie nennt, war nur ein
schwacher Abklatsch, eine Nachbeterei der Griechen, und die
dürftigen Uebersetzungen verloren allen Werth, als man die
Urschriften kennen lernte. Es hatte seine guten Gründe, daß
man nach dem Wiederaufleben der Wissenschaften einen förm-
lichen Krenzzug gegen diese arabischen Machwerke unternahm.
Uebrigens stellt sich bei näherer Prüfung heraus, daß selbst
diese sogenannte arabische Wissenschaft gar nicht einmal eigent-
lich arabisch ist. Die Unterlage ist griechisch, und unter denen,
von welchen jene „Wissenschaft" herrührt, ist kein einziger
ächter Semit; sie sind Spanier oder Perser/ die Arabisch schrie-
ben. Die Rolle, welche die Inden im Mittelalter als Philo-
sophen spielten, beschränkt sich auf das Dolmetschen, Ueber-
setzen. Eine einzige Seite Roger Baco's enthält mehr ächt
wissenschaftlichen Geist, als alles dieses semitische Wissen zweiter
Hand, dem jede wahre Urthümlichkeit fehlt und das lediglich
als Glied in der Kette der Tradition Beachtung verdient.
In Bezug auf die Moral stehen die Semiten stellenweise sehr-
hoch und rein da, und in Bezug auf Gewerbsamkeit, Erfindung
160
Aus allen Erd theilen.
und materielle Civilisation verdanken wir ihnen ohne alle
Widerrede sehr viel.
Aber wir verdanken ihnen in keiner Weise unsere staat-
lichen Grundlagen, oder unsere Kunst, Philosophie, Poesie oder
Wissenschaft, wohl aber die Religion. Die ganze civilisirte
Welt, mit Ausnahme von Indien, China und Japan unb den
weniger civilisirten Völkern, hat semitische Religionen an-
genommen. Die ganze Welt, welche wir von unserem Stand-
punkt aus als civilisirt bezeichnen, ist jüdisch, christlich oder
mohammedanisch. Die indoeuropäische Gruppe hat, mit
alleiniger Ausnahme des brahmanischen Zweiges und der we-
nig zahlreichen Parsis, semitischen Glauben angenommen. Es
ist in der That eine höchst merkwürdige Erscheinung, daß
Völker, welche bestimmend auf die Geschicke einwirken, ihrer
eigenen Religion entsagten, um jene der von ihnen überwun-
denen anzunehmen.
Wohin gehen die Ausfuhren Englands? Nichts zeigt
deutlicher die Solidarität der Handelsinteressen über den
ganzen Erdball, als eine Aufzählung der Ausfuhren, welche
der größte Handelsstaat, den die Welt je gesehen, Groß-
britannien, über die weite Welt vertheilt. Es ergibt sich
ans den Tabellen, daß Deutschland der drittbeste
Knude Englands ist, rmd daß es schon aus diesem
Grunde als ein Fehlgriff der englischen Regierung erscheint,
uns Deutsche in einer oft frechen und oft geradezu stupiden
Weise zu brüskiren. Die Lords Palmerston und Rüssel und
deren Organe haben es dahin gebracht, daß wir in Deutschland,
ohne Unterschied der Partei, und vielleicht mit Ausnahme eini-
ger Krämer, die Engländer theils hassen und theils verachten.
Deutschland nimmt beinahe so viele englische Waare wie Ost-
indien oder wie die Vereinigten Staaten; wenn man aber
bedenkt, daß von den englischen Einfuhren in Hol-
land und Belgien ein sehr beträchtlicher Theil für
Deutschland bestimmt ist, so steht Deutschland in
erster Reihe; es ist ein doppelt so guter Kunde für
John Bull als Frankreich, das nur etwa die Hälfte so
viel englische Waaren kauft wie wir.
Die Ge sammt ansfuhr betrug 1866: 146,189,768
Pf. St. gegen 123,992,264 in 1862. Davon kommen auf:
Deutschland, 1862: 12,675,300. 1863:13,278,364. Die Ein-
fuhr bei uns findet zumeist auf dein Seewege statt und an
derselben sind direkt (von den Niederlanden abgesehen) be-
iheiligt :
Hansestädte.... 1862 9,740,336 Pf. St. 1863: 10,665,612 Pf. <§
Preußen 2,045,079 „ „ 1,916,900 „
Hannover .... 758,334 „ 568,497 ,,
Mecklenburg . . . 81,841 „ 72,517
Oldenburg .... ,, 49,710 „ 54,838 "
12,675,300 13,278,364
Verein. St. v. N.-A. 14,327,870 15,351,626
Holland „ 6,046,242 „ 6,317,562 „
Belgien „ 1,828,622 „ 2,106,234
Frankreich .... 9,209,367 „ „ 8,667,138
Türkei 4,244,865 „ 6,881,445
Italien 5,056,329 „ 5,903,233
Aegypten .... 2,405,982 „ 4,416,240 „
Brasilien .... 3,000,093 „ 3,633,151 ,,
Nichtbrit. Westindicn 2,674,429 „ 2,957,794 „
Rußland 2,078,832 „ 2,701,640 „
China 2,024,118 2,412,958
Portugal . . . . 1,670,904 2,382,943
Mexico 757,823 1,677,622
Neu Granada . .. . 783,105 1,570,062
Chile „ 954,542 „ 1,433,119 „
Argentin. Republik . „ 854,213 „ 1,331,138 „
Peru 824,585 1,027,959 „
Dänemark .... „ 941,771 1,005,321 „
Oesterreich .... „ 787,053 „ „ 1,002,367 „
Westafrika .... 939,208 „ „ 655,238
Java rc. 776,564 652,025
Schweden . 603,013 605,591
Norwegen .... 506,059 558,149
Philippinen . . 458,404 556,863
Uruguay 453,790 „ 534,741
Hayti 473,400 528,904
Venezuela . . . . 224,825 389,361
Griechenland . . . " 248,223 '' » 341,991 ''
Marokko 1852: 155,135 Pf. St. 1863: 174,550 Pf. St.
Südsee-Inseln . . ,, 24,402 „ „ 141,119 „
Centralamerika . . „ 166,376 „ „ 140,799 „
Japan „ 21 „ „ 108,897 „
Cochinchina ... „ 247 „ „ 36,597 „
Kirchenstaat ... „ 46,991 „ „ 27,005 „
Cabo vcrden ... „ 18,487 „ „ 26,522 „
Ostafrika .... „ 24,235 „ „ 15,289 „
Madagaskar ... „ — „ „ 13,085 „
Siam „ 21,907 „ „ 11,958 „
Algerien „ 46,253 ,, „ 11,732 „
Ecuador „ 1076 „ „ 9878 „
Portug. Indien . . „ 7211 „
Tunis „ 1353 ,, , , 4924 „
Arabien „ 1189 „
Nördl. Walfischerei. 160 „ „ 23 „
Persien „ 22,517 „ „ — „
Paraguay .... „ 1764 „ „ — „
Bolivia „ 664 „ „ — „
Wir müssen diesen Ziffern noch jene über die britischen
Kolonien hinzufügen, oder vielmehr der auswärtigen Be-
sitznngcn, die zum Theil als Handelsniederlagen betrachtet
werden können. Eine solche ist z. B. Gibraltar als Smugg-
lernest gegenüber Spanien und als Depot für die Ausfuhr
nach Marokko, die in der obigen Tabelle mit einer nur
niedrigen Zahl auftritt.
Indien . . .
Australien n. Neuseel
Britisch N.-Amerika
Westindien, .
Singapore . .
Hong Kong
Gibraltar . .
Kap d. gut. Hoffnung
Ceylon ....
Kanal - Inseln .
Malta ....
Bermuda . . .
Mauritius . . .
Guyana . . .
Ionische Inseln .
Westafrika . . .
Natal ....
Honduras (brit.)
Aden.....
St. Helena . .
Kaffraria . . .
Falklands Inseln
Ascension . . .
Labuan ....
Helgoland . . .
Es ergibt sich demnach eine Gesammtziffer von
1862: 123,992,264 Pf. St. 1863: 146,489,768 Pf. St.
1862: 14,617,673 Pf. St. 1863: 19,965,657 P !f. St.
„ 11,944,506 „ „ 12,506,334
„ 3,991,010 „ „ 4,819,030
,, 2,304,917 „ „ 2,636,164
„ 1,064,681 „ „ 1,486,813
,, 1,113,224 „ „ 1,473,431
„ 996,913 „ „ 1,267,911
„ 1,651,534 „ „ 1,230,548
„ 573,998 „ „ 1,076,023
„ 851,518 „ „ 866,216
„ 432,731 „ 623,144
„ 218,859 „ 612,442
„ 519,868 „ „ 521,838
„ 481,254 „ „ 513,357
„ 282,349 „ „ 405,177
„ 349,619 „ „ 313,553
„ 240,202 „ „ 281,982
„ 108,273 „ „ 166,062
„ 47,201 „ „ 45,917
„ 49,562 „ „ 33,545 „
„ 29,517 „ „ 11,851
„ 9716 „ „ 11,303
„ 11,415 „ „ 7056
„ 4694 „ „ —
„ 115 „ —
Diese scheinbar trockene Tabelle ist aber in volkswirth-
schaftlicher und handelspolitischer Beziehung von großem Be-
lang. Vielleicht knüpfen wir gelegentlich an diese Ziffern
einige handelsgeographische Betrachtungen.
Der Handel mit Butter ist von ungeheuerm Belang,
und die Ziffern belaufen sich ins Kolossale. Mali ersieht aus
einem englischen Blaubllche, daß das vereinigte Königreich im
Jahre 1848 erst 281,969 Centner Butter aus anderen Ländern
einführte. Zehn Jahre später, 1858, 425,633 Centner im
Werthe von 1,842,158 Pf. St; im Jahre 1860 992,772 Cent-
ner im Werthe von 4,078,017 Pf. St. und 1862 986,708
Centner im Werthe von 4,923,100 Pf. St.
Bevölkerung Altenburgs. Die im December 1863 im
Herzogthume vorgenommene Volkszählung hat die Bevölke-
rung des Landes auf 139,062 Seelen ermittelt, wovon in den
zehn Städten 46,886, in den 464 Dörfern 92,176 wohnten.
Die Stadt Altenburg zählte 17,459 Einwohner. Gegen den
Schluß des Vorjahres 1862 hat sich die Bevölkerung um 1179
Seelen oder 0,8 Procent gehoben.
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghansen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildbnrghausen.
StreMge in -er spanischen Provins Valencia
i.
Murviedro und das alte Saguntum. — Straßen figuren in Valencia. —-ZDie Toreros nach beendigtem Stiergefechte. — Aus-
flug nach der Albufera.— Leben auf der Lagune.— Die Dehcsa, der Dünenstreifen. — Glorietas und Reisfelder. Ungesunde
Aecker. — Das Städtchen Alberique. — Uferlandschaft der Albufera. — Die große Batida und das Wassergeflügel. — Casas de
recreo. — Fischfang. — Die Oraugenhaine von Aleira und Carcagente.
Wir wollen unsere Leser wieder einmal nach der pyre-
näischen Halbinsel führen, in „das schöne Land des Weins
und der Gesänge" *).
Reisende, welche einige Zeit in Valencia verweilen, pfle-
gen die Stadt Murv i-ed r o zu besuchen. Sie liegt gen Nor-
den hin, an der nach Tarragona führenden Straße, unweit
berühmten San guntu m, das in den punischen Kriegen
einen so berühmten Namen erworben hat. Es war eine
alte griechische Kolonie, für deren Gründer Herkules galt,
und hielt treu ;u den mit ihr verbündeten Römern. Acht
volle Monate vertheidigte sie sich tapfer gegen ein Belage-
rungsheer der Karthager, dann aber wurde sie von Haunibal
Ruinen eines alten Theaters zu Murviedro (Saguntum). (Nach einer Zeichnung von G. Dora'.)
ist!»®
,
fpL £;ä: »lllll.1,'S«
der Mündung des Palancia in das Mittelländische Meer; die
Zahl der Einwohner beläuft sich auf etwa 7000. Dieses
Murviedro (die alten Mauern) erhebt sich auf der Stelle des
*) Vergleiche Globus in, ©. 257 ff.: „ N a ch Barce-
lona, der Hauptstadt Ca talon i eus"; nnd IV, S. 97 ff.:
„Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862". Unsere
obigen Schilderungen schließen sich diesem letzter» Aufsatz an.
Die Unterlage des Textes bildet eine Reiseskizze von Ch. Da-
villier, welche wir mehrfach ergänzen; die Erlänternngcn
sind von Gustav Dore.
Globus VI. Nr. 6.
erstürmt, ein großer Theil der Bürger wurde unter den
Schutthaufen der Häuser begraben, kam in den Flammen
um, ^oder wurde vom Schwerte der Sieger hinweggerafft.
Die Stadt des Herkules war dann eine große Ruine, aber
noch heute sind Bruchstücke übrig, welche an die alte Pracht
und Größe erinnern. Zu diesen gehören die Reste eines
noch ziemlich wohl erhaltenen Theaters, am Abhang des von
einem Castell überragten Berges. Jahrhunderte lang hat
Saguntum verödet gelegen, bis die Araber kamen und auf
dem Gemäuer der alten Stadt eine neue bauten. Noch
21
162
Streifzüge in bei' spanischen Provinz Valencia.
heute trägt dort, wie überhaupt in Valencia und vielen an-
deren Theilen Spaniens, Manches ein maurisches Gepräge.
In Valencia war 1862 die Saison der Stiergefechte
vorüber, neue „Corridas" standen nicht in Aussicht, und
unsere beide Touristen gewannen Zeit, sich andere Dinge
zu betrachten. Sie machten Studien auf den Gassen nub
Gustav Doro entwarf kühne Zeichnungen. An der einen
Straßenecke sah er Melonenverkäufer, an einer andern
hübsche Kinder und häßliche alte Frau en; er sah, lvie die
Toreros, nachdem sie Ruhm und Geld bei den Stier-
gefechten erworben, mit nicht geringem Selbstgefühl und von
einem bewundernden Publikum geleitet durch die Gassen
einherschritten und ihre Cigarette schmauchten; auch folgte er
ihnen in eine Schenke und hörte, wie sie dort ihre Groß-
thaten zum Besten gaben.
Inzwischen hatten tausende von Menschen Valencia
verlassen, die Bewohner des Gartenfeldes, der Huerta,
waren in ihre Dörfer und strohgedeckten Hütten heimgekehrt,
und es war wieder ruhig in der alten Stadt.
Wir haben die Leistungen des Tato (GlobusIV, 143),
des berühmten Stierkämpfers, geschildert. Er wollte sich
nun mit seiner ruhmgekrönten Cuadrilla nach Barcelona
begeben und wartete aus einen Dampfer, der von Alicante
herauf kommen sollte. Die Kämpfer hatten Muße vollauf
und schlenderten aus der Saragossa-Straße, Calle de
Zar o goza, hin und her. In jedem Kaffeehause waren sie
willkommene Gäste, uud die Bewunderung, welche man
ihnen auch dort zollte, that ihrem Gemüth offenbar sehr wohl.
Einige von ihnen konnten auch lesen nub studirten in den
Zeitungen, um an der Schilderung ihrer Thaten sich zu er-
freuen.
Das Publikum erörterte mit großer Lebhaftigkeit die
Vorzüge und das Verfahren der einzelnen Toreros und
der Stiere, genau in derselben Art, lvie man einen Tenor-
sänger, Schauspieler, Kanzel - oder Parlamentsredner kriti-
sirt, und das Diario de Valencia bot allen Pomp der Sprache
auf, um die Begebenheiten des großen Tages würdig darzu-
stellen. Die Schilderung nahm im Drucke nicht weniger
als acht große Spalten ein und war reichlich mit Versen
durchspickt. Jeder einzelne Stier, jeder Picador, jeder Es-
pada, jedes Anheften der Banderillas wurde eingehend und
mit den mannigfaltigsten Wendungen besprochen.
Wir jedoch, sagt Davillier, hatten nun genug der tauro-
machischen Allsregungen unb dachten an die Abreise aus der
alten Stadt des Cid Campeador. Aber der bezalibernde
Einfluß des herrlichen Klimas war so siiß, und das Nichts-
thun behagte uils so vortrefflich! Wunderbar schnell hatten
wir uns an ein beschauliches, halborientalisches Leben ge-
wöhnt. Je nach der Tageszeit suchten wir schattige Kühle
unter den Palmen uitb Bananen der Glorieta oder Alameda,
oder hielten unsere Siesta unter den Bögen der Puente
de Serranos, denn unter dieser Brücke, welche über das
oftmals trocken liegende Bett des G liad ataviar geschlagen
ist, fanden wir zwar kein Wasser, wohl aber grünen Nasen.
Ein uns befreundeter Valencianer, der ein gewaltiger
Jäger vor dem Herrn war, stellte uns schöne Genüsse in
Aussicht; lvir sollten ihn nach der Albufera von Valencia
begleiten. Er ging mit uns in das sehr hübsche Naturalien-
kabinet der Universität, das an ausgestopften Vögeln reich
ist; namentlich enthält es nicht weniger als 60 verschiedene
Arten von Wasservögeln, die alle auf der Albufera geschossen
worden sind; unter denselben befindet sich auch der Fla-
m i n g o.
Albufera bedeutet im Arabischen Lagune. Dieser
Strandsee liegt nur vier Wegstuudeu von Valencia entfernt
und hat von Norden nach Süden eine etwa vier Stunden
lange Ausdehnung. Vom Miquelethurm der Kathedrale
aus gesehen, erscheint er als ein blanker Spiegel, welcher
mit dem Meere verschwimmt; von diesem ist er nur durch
einen langen und schmalen Dünenstreifen, die Dehesa,
geschieden. Die Lagune und das anliegende Land bildeten
einst eine Domäne, welche reichlich zwei Millionen Thaler
werth war. Napoleon schenkte dieselbe seinem Marschall
Suchet, welchem er auch den Titel eiucs Herzogs von Albu-
fera verlieh. Valencia war 1812 vom englischen General
Blake besetzt; dieser mußte capituliren, obwohl er 390
Kanonen und noch 20,000 Mann unter seinem Befehl
hatte.
Die Lagune ist wieder Eigenthum der spanischen Krone
geworden; diese verpachtet die Fischerei und die Jagd; es
besteht aber nach wie vor ein alter Brauch, demgemäß Jeder-
mann zwei Mal im Jahre ganz nach Belieben fischen und
jagen darf, nämlich am Martinstage, 11. November, und
am Katharinentage, welcher auf den 27. desselben Monats
fällt. Dann ist ein wahres Volksfest, an beiden Tagen
strömen gewiß 10 bis 12,000 Menschen zusammen, und der
Strandsee ist von mehreren hundert Fahrzeugen verschiedener
Größe belebt.
Der Martinstag nahete heran, und wir hatten gerade
noch Zeit, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen.
Jagdgewehre besorgte unser Freund; er führte uns auch
nach der Pechina, einer Stätte, wo die Valencianer mit
Leidenschaft dem Taubenschießen obliegen, dem tiro de las
palomas. Der Vorsicht halber hatten wir in der Posada
de Teruel eine Tartane in Beschlag genommen und waren
also wegen unseres Fortkommens am Martinstage vollkom-
men beruhigt. Schon vor Sonnenaufgang hielt unser Tar-
tanero vor der Thür der Fonda, und bald nachher lag Va-
lencia uns im Rücken. Wir waren durch das prächtige Gc-
birgsthor, la puerta de Serranos, gekommen; dieses
Banwerk stammt aus dem 15. Jahrhundert. Dann fuhren
wir durch das Bett des Guadalaviar und waren nun im
Gartenfelde.
Drei Viertheile aller Valencianer haben den Vornamen
Vicente, und natürlich hieß auch uuser Tartanero nicht
anders. Unter dem Vorwände, daß er so schnell als mög-
lich ans Ziel kommen wolle, fuhr er auf einem ganz fürch-
terlichen Wege. Die Tartane hat bekanntlich keine Federn;
sie machte entsetzliche Sprünge, doch das kannten wir ja schon
von Barcelona her. Wir müssen aber diesem Vicente zum
Ruhme nachsagen, daß er uns wenigstens nicht umwarf,
obwohl er wie toll und blind jagte, um allen Anderen zu-
vorzukommen; er vermied alle Schlaglöcher, that sich viel
darauf zu Gute und betonte, daß es ihm darauf ankomme, zu
beweisen, wie seine Valencianischen Landsleute die geschick-
testen Caleseros in ganz Spanien seien.
In der Umgegend von Valencia findet man viele Obst-
gärten, Glorietas, in welchen die Bäume, gemäß einer
Modegrille aus dem vorigen Jahrhundert, in seltsamer
Weise gezogen und zugestutzt sind. Diese Künstelei macht
keinen guten Eindruck, mau sieht aber bald dariiber hinweg,
weil der ganze Pflanzenwuchs sehr üppig erscheint. Nach-
dem wir etwa anderhalb Stunden weit durch solche Glorie-
tas gefahren waren, befanden wir uns in den Tierras
de Arroz, den Reisäckern. Mit dergleichen ist die ganze
Nord- und Westküste der Albufera eingefaßt, und man
bezeichnet diese Ländereien als Arrozales. In diesem
Theile der Valencianischen Huerta ist die Zahl der Bewässe-
rungsgräben so groß, daß lvir alle fünf Minuten über einige
derselben kamen. Es gibt eine Specialkarte derselben, welche
man nicht mit Unrecht einem Spinnennetze verglichen hat.
Der Reis verlangt bekanntlich eine große Menge Fenchtig-
Streifzüge in der spanischen Provinz Valencia.
keit nub muß mehrmals ganz mit Wasser bedeckt sein, wenn
er reichen Ertrag gebe:: soll; deshalb wird um jeden Acker
der Boden aufgeworfen, damit das Wasser nicht abfließet!
könne. In Valencia nun gedeiht diese Getreideart ganz
vortrefflich, aber die Ausdünstung der Reisfelder ist in
hohem Grad ungesund und rafft in jedem Jahre Menschen
dahin. Das begreift man auch leicht, denn Valencia hat
ein Klima, das an jeries tropischer Gegenden erinnert.
Fast alle Feldarbeiter sind von Wechselfiebern geplagt; die
Leute stehen oft vom Morgen bis zum Abend mit den Füßen
165
Farraig, Alsafar, Algemeci und viele andere, die
noch heute gerade so heißen, wie vor 800 Jahren.
Wir kamen über den großen Kanal, Acequia bei Reh,
der seinen Abzug in die Albufera nimmt, und gleich
nachher lag der prächtige See in seiner ganzen Ausdehnung
vor uns. Sein Horizont wurde von der steilen Sierra
de la Falconera und durch das Gebirge von Monduber
begrenzt. Am Strande herrschte reges Leben, und wer die
Valencianer am St. Marknstage nicht gesehen hat, kann
sich keine richtige Vorstellung von der ausgelassenen Mun-
Alte Frau in Valencia. (Nach einer Zeichnung von G. Dorv.)
im Wasser, während ihnen die heiße Sonne auf Kopf und
Schultern brennt.
Die ausgedehntesten Arrozales liegen bei der kleinen
Stadt Alberique, und man hat im Land ein Sprüchwort,
welches auf den Ertrag der Reiskultur und auf die Ungesund-
heit anspielt. „Willst du kurze Zeit leben und reich werden,
dann geh nach Alberique." Im Valencianischen:
Si vols vivre poc, y fer te ric
Vas ten a Alberic.
Bekanntlich haben das Catalonische und Valencianische eine
nahe Verwandtschaft mit dem Limousin; aber viele Orts-
namen in der Provinz erinnern an die Araber, so z. B.:
Beni Muslem, Beni Mamet, Beni Parrell,Beni
terkeit dieser Südländer machen. Es war noch früh am
Tage, aber wir fanden schon eine große Menschenmenge in
den buntesten Gruppen. Hier suchten Leute ein wenig
Schatten hinter ihrer Tartane, Andere hatten sich ans der
platten Erde gelagert und ließen sich tapfer von der lieben
Sonne bescheinen; offenbar mundete ihnen das Friihstück,
und der schwarze Wein, welcher aus den ledernen Schläu-
chen heransfloß, war ihnen ein nicht zu verachtendes Labsal.
Kleinkrämer boten allerlei Tand feil, Andere verkauften
Orchata de chufas oder Agna de cebada, überhaupt
Erfrischungen, die in Spanien bei keinem Volksfeste fehlen.
Blinde Musikanten kratzten auf Zithern und Guitarren oder
schlugen das Tamburin, theils um den Gesang irgend einer
Ballade zu begleiten, theils um Gruppen von Tänzern
Streifzüge in der spanischen Provinz Valencia.
166
aufzuspielen. Ueberall vernahm mau die Weise der Jota
aragonesa oder der Rondalla valenciana.
Inzwischen machten die Jäger sich mit ihren Gewehren
zu schassen und hielten sich in Bereitschaft, denn die große
Batida sollte nun beginnen. Etwa in der Mitte des
Sees gewahrten wir an verschiedenen Punkten große schwarze
Flecke, deren einige wohl eilt paar hundert Schritte lang
sein mochten. Das waren die Wasservögel, namentlich die
wilden Enten, auch jene mit schwarzem Gefieder, welche man
in Spanien als Cercetas bezeichnet. Dazu kamen noch
viele andere, und sie alle ahnten nicht, was ihnen in der
nächsten Zeit bevorstand.
Jetzt wurde ein Zeichen gegeben; Jeder bestieg seinen
Nachen, und die sämmtlichen Fahrzeuge setzten sich mit großer
Ordnung in Bewegung, um in einer langen Linie nach der
Mitte des Sees hin ztt rudern. Als wir dem Ziele näher
kamen, bildeten sie einen Kreis und schlossen das Geflügel
Jeder seine Tartane ans. Wir aber hatten Erlaubniß
bekommen, noch am folgenden Tag unsere Jagd fortzusetzen
und ganz nach unserem Belieben zu fischen. Wir begaben
uns nun nach Cilla, einem kleinen Flecken, wo wir dem
Posadero, dein Gastwirth, Inhaber der Posada, Vögel
in Menge gaben, damit er uns ein Abendessen bereite. Das
that er auch, aber Alles schwamm in ranzigem Oel und war
nicht zu genießen.
Früh ant Morgen stellten wir bett Kaninchen nach, welche
auf der Stranddüne in Menge vorkommen. Der See war
heute ganz vereinsamt, die Vögel hatten Ruhe. Ein Gang
ant Strande der Albnsera, den man freilich nur int Herbst
intb Winter machen kann, ist entzückend. Während der
schwülen Hitze in den Sommermonaten kann man ihn tticht
unternehmen, auch sind dann die Stechmücken geradezu un-
erträglich. Die Casas de recreo, Häuschen mit weiß-
angestrichenen Mauern, in welchen die Jäger zu verweilen
Toreros in der Calle de Zaragoza zu Valencia. (Nach einer Zeichnung don G. Doro.)
ein. Eine aus mehreren tausend Vögeltt bestehende Wolke
erhob sich in die Luft, und danit begann das Knattern, wie
bei einem Heckenseuer. Die Vögel stiegen itttit alle auf, die
Jäger schossen in die dichten Massen hinein und hatten alle
Hände voll zu thun, um ihre Beute aus dem Wasser auf-
zufischen und rasch wieder ztt laden.
Nach einiger Zeit suchten die verfolgten Thiere Zuflucht
und Schutz am gegenüber liegenden Strand, aber auch dort-
hin wurden sie verfolgt. Die Fahrzeuge bildeten abermals
eine lange Linie, und der kleine Krieg nahtn seinen Fortgang.
Gustav Dor« war so glücklich, einen prächtigen Flamingo
zu schießen und galt seitdem für einen muy diestro ca-
zador, d. h. einen sehr geschickten Jäger.
Die Jagd war überhaupt ergiebig ausgefallen, und unter
der Beute befanden sich auch einige seltene Zugvögel. Die
meisten Nachen ruderten so rasch als möglich ans User zu-
rück, denn der Tag begann sich zu neigen, und nun sttchte
pflegen, stehen dann leer, ltrtb selbst die Fischer müssen gegen
Abend den See fliehen und in den landeinwärts liegenden
Dörfern ein Uttterkommen suchen.
Wir gingen am Strande hin, schossen dann mtd wann
eine Bekassine oder eine Krickente oder irgend einen an-
dern Vogel,' den wir aus dem Röhricht aufscheuchten, und
kamen dann auf die Stranddüne, die Dehesa. Sie ist etwa
vier Stunden laug, eine halbe Stunde breit, trennt, wie
schon gesagt, das Wasser des Straudsees vom Meere und
erinnert in mancher Beziehung au den Lido, welcher sich
zwischen den Lagunen Venedigs ttud der Adria hinzieht.
Die Dehesa ist, wie schon die Benennung andeutet,
ein durchaus unbebautes Gelände und erhebt sich nur wenige
Fuß über den Meeresspiegel. Sie ist mit verkrüppeltem
Nadelholz, Lentiscus, Terebiutheu und mancherlei wildem
Gesträuch bewachsen; auch findet man Binsen (Alfalfa),
Schilf und Rohr verschiedener Art, und diese alle bieten den
•maítalas ?uiao.t^ usPjruväj DZq ui 3ßij?|mi©
Der Guadalaviar. (Nach einer Zeichnung von G. Doro.)
Die Strandlagune, Albufera. (Nach einer Zeichnung von G. Dors.)
170
Streiszüge in der spanischen Provinz Valencia.
Wasservögeln einen willkommenen Schntz. Der Jäger hat
hier seine große Freude. Wir haben die Dehesa ihrer ganzen
Länge nach durchzogen und dort manches Kaninchen ititb
rothfüßige Rebhuhn geschossen. Wir hatten Spätherbst,
aber das Wetter war drückend heiß, und wir verließen das
edle Waidwerk, um uns dem Fischfang zu widmen. Ein
„Pescador" ans Sneca, einer kleinen Stadt am Südufer
und manchmal sind die geflochtenen Körbe zum Aufbewahren,
die Nasas, nicht groß genug, um den ganzen Fang auf-
zunehmen.
Endlich mußte geschieden sein, und wir beschlossen, in
Cullera zu übernachten; dieses hübsche Städtchen liegt un-
weit von der Mündung des Jucar; wir konnten von dort
bequem nach Alcira und Carcagente gelangen und
Straßenmusikanten. (Nach einer Zeichnung von G. Dora.)
der Lagune, war rechtzeitig zur Stelle und bewährte sich als
einen erfahrnen Mann.
Der Fischfang auf der Albufera ist nicht minder ergiebig,
als die Jagd; der Ertrag komint auf den Markt von Va-
lencia. Besonders Vortheilhaft erscheint der Aalfang; auch
fängt man tu Menge die sogenannten LloHarros, welche
auch an den Küsten der Provence vorkommen und dort als
„Wölfe" bezeichnet werden. Ganz dunkle Nächte sind dem
Fischer am liebsten, und es ist gut, wenn der Wind etwas
geht; damr fängt man die Aale auf einen Zug zu Hunderten,
hier im Schatten der berühmten Orangenhaine ausruhen.
Also bestiegen wir eine Tartane, fuhren einige Zeit am
Jucar hin, ans welchem eine Unzahl von Bewässerungs-
kanälen ins Land hinein geleitet ist, und gelangten nach
Alcira, wo klassischer Boden für Apfelsinen ist; dasselbe
gilt von Carcagente.
Der Anbau dieser Südfrucht verlangt selbst in dem
wannen Valencianischen Klima viel Arbeit und Pflege. Die
Bäume gedeihen nicht in jedem Boden, sondern wollen am
liebsten ein leichtes, etwas sandiges Erdreich; auch müssen
172
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
sie oft bewässert werden, mindestens jeden zwanzigsten Tag.
vom Ende des Februar bis gegen Ausgang des November.
Man hat zu diesem Behufe viele Kanäle und Norias
(Schöpfräder) angelegt; im Winter braucht man keine Be-
wässerung, wenn nicht etwa übermäßige Dürre eintritt.
Aber dreimal im Jahre ist reichliche Düngung erforderlich,
heftige Winde schaden, und man schützt deshalb die Bäume,
welche an ausgesetzten Punkten stehen, vermittelst dichter
Pflanzungen von Cypressen unb hohem Rohre. Die Leute
wissen übrigens sehr wohl, daß die Bäume einen Ertrag
geben, welcher genau im Verhältniß der auf sie verwandten
Sorgfalt steht.
Die auf freiem Felde stehenden Orangen tut Königreiche
Valencia sind von zweierlei Art; die eine erhält man aus
den Samenkernen, und das sind die Naranjos de se-
milla unb die andere, Naranjos enjertados, durch
Oculireu. Die letzteren geben die saftigsten Früchte, doch
dauern die Bäume nicht so lange aus nnb werden auch nicht
so hoch, als jene von den Naranjos de semilla. Diese
findet mau bis ;u 25 Fuß Höhe, und sie werden bis zu 100
Jahren und darüber alt. Daß die Orangenbäume, die wir
(in Frankreich und Deutschland) in Warmhäusern überwin-
tern, noch weit älter werden, ist bekannt. Pfropfreiser für
die Orangenbäume nimmt man von: Citroneubaum oder
von der großen Ponciuocitrone und äugelt sie in den etwa
daumsdicken Stamm während der Monate von April bis
Juni ein. Diese Orangenbäume leben nur etwa 30 Jahre
lang, aber ihre Früchte werden etwas früher reif, als die
anderen Sorten. Vor dem fünften Jahre gibt nur selten
ein Orangenbaum Frucht, aber wenn ein Stamm feine
volle Tragfähigkeit erhalten hat, gibt er im Jahre bis zu
2000 Stück Früchte, und der spanische Naturforscher Ca-
vanilles versichert, daß man auch schon bis 5000 von
einem einzigen Baume gewonnen habe. Die Früchte von
noch jungen Bäumen sind dicker, als jene von älteren, diese
haben aber den Vorzug einer dünnern Schale und eines weit
süßern Saftes. Im Monat November nehmen die Früchte
ihre schöngelbe Farbe an, sind aber dann noch lange nicht
vollreif; die, welche im Januar durch den Handel versandt
werden, sind nur erst halbreif; Vollreife würden beim
Transporte verderben.
Recht saftige, schmackhafte Apfelsinen muß man im
Frühjahr, etwa im Mai, vom Baume pflücken, und die
Feinschmecker verstehen sich gar wohl auf die Kennzeichen.
Sie wählen vorzugsweise gern eine Frucht, bcven Schale au
der dem Stieleirde entgegengesetzten Stelle einen kleinen
blaßgelben Kreis zeigt, aus welchem ein etwas klebriger
Saft hervordringt. Daran erkennen sie die volle Reife.
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den
nerfchiedenen Völkern.
Von Georg Ebers.
I.
Der Wein ist unendlich alt und muß unserem Ge-
schlechte schon bekannt gewesen sein, als dasselbe noch in
seiner sogenannten gemeinsamen Wiege lebte und, wie man
zu sagen pflegt, eine „gemeinsame Sprache" redete.
Wir brauchen den verehrten, mit den klassischen und
neueren Sprachen jedenfalls vertrauten Leser nur aufzufor-
dern, das Wort „Wein" in alle ihm geläufigen europäischen
Idiome zu übersetzen (cnvoc, vinum, vino, Wein, vin,
Avine, wina), um ihm den Beweis für unsere obige Behaup-
tung zu liefern.
Um so befremdender ist es, wenn wir bei denjenigen Na-
tionen indo-germanischer Herkunft, welche theils im Mutter-
lande sitzen blieben, theils, statt nach Westen, gen Süden
gewandert sind, ben Wein ganz anders benennen hören.
Während zahlreiche andere Wörter (wie Vater, Mutter,
Joch, Salz, Sack) allen indo-germanischen Völkern gemein-
sam sind, so finden wir, daß z. B. im Sanskrit das Wort
„venas“ keineswegs den Wein, sondern nur das Aumuthige
im Allgemeinen und im Besondern den lieblichen Geschmack
von Getränken bezeichnet.
Schreiber dieses ist nun der Ansicht, daß man im ari-
schen Mutterlands zwei Worte für den Rebensaft besessen
habe: Erstens das von den gen Westen wandernden
Stämmen festgehaltene „vin" unb zweitens das sich im
Zend vorfindende „mo6o", welches aus Persisch moi, auf Grie-
chisch ¡.leSo, auf Deutsch Meth, auf Englisch me ad lautete
und nichts weiter bedeutet, als mit Honig vermischten Wein,
— ein Getränk, welches nicht viel jünger sein wird, als der
reine Rebensaft. Die in Amerika gemachten, in dem
Kommissionsberichte des Repräsentantenhauses zusammen-
gestellten Erfahrungen beweisen nämlich, daß die auf jung-
fräulichem Boden gepflanzten Stöcke Trauben von so ge-
ringem Zuckergehalte geben, daß sich der aus ihnen gewonnene
Wein ohne Beimischung von Honig nur sehr kurze Zeit
aufbewahren läßt.
Aber wir wollen uns nicht in sprachliche Erörterungen
einlassen, und nur noch aus ben angeführten Erscheinungen
den Schluß ziehen, daß sowohl der Wein als der Meth zu
den ältesten Besitzthümern unseres Geschlechts gezählt wer-
den müssen.
Jedermann weiß, daß, nach der Bibel, der erste nach-
füudfluthliche Mensch das Rebenpflanzen zu seiner Lieblings-
beschäftigung gemacht habe. Nachdem sich nämlich die Arche
Noäh niedergelassen und der Herr durch den Regenbogen
einen Bund mit den Menschen gemacht hatte, „fing Noah
an und ward ein Ackersmann und pflanzte Weinberge".
Am Fuße des Ararat, an dessen 16,000 Fuß hohem
Gipfel die Arche zuerst hängen blieb, hat sich der von Noah
begonnene Weinbau, des Wechsels der Zeiten spottend, bis
zum heutigen Tage erhalten. Die Bewohner jener Gegend,
welche von den größten Gelehrten auch für das biblische
Eden gehalten wird, (!!) die Armenier, führten zur Zeit des
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
173
Herodot (im fünften Jahrhundert vor Christus) den von
ihnen gewonnenen Wein in kleinen Booten von Rinderhäuten
nach Babylon und haben ihres Wohlthäters Noah niemals
vergessen. In der bei Eriwan gelegenen Kirche des Katho-
likos von Armenien zeigt man heilte noch unter den kostbar-
steil Religuieu ein Stück voir der Arche Noäh, — und in
dem etwas weiter südlich gelegenen Nachitschewau (d. i.
erste Wohnung) wird das Grab des Erzvaters, der hier ge-
wohnt haben soll, deir Fremden gewiesen. Der Wein von
Eriwan ist in ganz Persien berühmt, und kein Volk der
Welt ist einer alten Liebe (in diesem Falle der Leiden-
schaft für den Wein) so treu gebliebeir, als die Armenier,
und in noch viel höherem Grade ihre nördlichen Nachbarit,
die Georgier.
Was Letztere zu trinken vermögen, grenzt aus Unglaub-
liche. Sie tragen ihren ganzen Verdienst in die Schenke
und sind unzufrieden, wenn die Wirthe der elenden Block-
häuser ail der Landstraße nicht mit allen möglichen Cham-
pagner-Sorten versehen sind. Voir einen: Sonderlinge
pflegen sie zu sagen: „Der trinkt Wasser, wie Wein!"
Die würtemberger Kolonie Marienfeld z:: Tiflis verdankt
ihre Blüthe ebell so sehr den guten Kehlen der Kaukasier,
als dem Fleiß und der Geschicklichkeit, welche die ausgewan-
derten Schwaben auf die Erzeugung von Wein und Bier
verwenden.
Was wir von den Georgiern gesagt haben, das gilt nicht
minder von dem Sohne der Steppe, dem in russischem Dienst
stehenden Kosaken, welcher seiner Verwandtschaft mit den
alten Scythen alle Ehre zu machen und das vor Zeiten im
Munde der Griechen lebende Sprüchwort: „Er trinkt, wie
ein Scythe", noch nachträglich zu rechtfertigen sucht.
Unser geistreicher Stndicngenosse, Per berühmte Aegyp-
tologe Brugsch, welcher die preußische Gesandtschaft im Jahre
1860 nach Persien begleitete, schildert in folgender rühren-
den Weise, wie der Kosack zum Trunkenbold wird:
„Der Kosack ist ein guter Christ und guter Sohn.
Rust ihn die Pflicht seines Soldatenstandes nach den:
Kaukasus, so versäumt sein „Mütterchen" gewiß nicht, ihm
das Kreuzlein um den Hals z:: binden und ein Pferdchen
mit aus den Weg zu geben. Das wird gehegt und gepflegt,
als wär's ein Kind des Hauses, und das Pferd scheint sei-
nerseits den Kosacken ganz genau zu kennen und zu ver-
stehen. Wird es krank, da wird der Kosack traurig, und
stirbt es ihm, da läßt er de>: Kopf hängen und kann den
Schmerz, das liebste Andenken des Mütterleins daheim ver-
loren zu haben, kaum verwinden. Nicht selten sucht er in:
Branntwein zu vergessen, was ihm Kummer bereitet, und
so wird bisweilen aus dem guten Soldaten und Sohn ein
Trunkenbold."
Wandern wir mit den beiden größten in Armenien ent-
springenden Strömen, dem Euphrat und Tigris, gen Sü-
den, so gelangen wir zunächst nach Assyrien.
Daß die Bewohner dieses alten Kulturreichs schon in
früher Zeit Wein getrunken haben, wollen wir durch fol-
gende Griinde zu beweise:: suchen:
1) Wissen wir, wie schon oben erzählt worden ist, daß
viel Wein aus Armenien nach Babylon gebracht worden sei;
2) Pflegten die Griechen von einem den Freuden der
Tafel und der Liebe ergebenen Menschen sprüchwörtlich zu
sagen: „Er ist schwelgerischer als Sardanapal", und es ist
männiglich bekannt, daß dieser Sardanapal der letzte König
von Niniveh, ergo ein Assyrer gewesen sei. Daß derselbe,
als echter Schlemmer, auch den: Trünke nicht abhold war,
kann man aus seinen Standbildern ersehen, welche hellenische
Berichterstatter an verschiedenen Stellen beschreiben. So
hören wir z. B. von einer Statue des Sardanapal erzählen,
die mit den Fingern ein Schnippchen zu schlagen schien und
folgende Inschrift führte: „Iß, trinke und sei froh; alles
Andere ist nicht so viel werth!" Eine andere Grabschrist
dieses Königs gibt Choerilos:
„Da du ja weißt, daß sterblich du bist, so erfreue beim Fest-
mahl
Immer das Herz. Nicht naht den: Gestorbenen froher Genuß
mehr.
Ich auch wurde zu Staub, des gewaltigen Niniveh König.
Nur das, was ich beim Mahl und beim Wein und in Rebe
genossen,
Hab' ich anjetzt; und zurück blieb jegliche Fülle des Reich-
thums.
Solche Vermahnung nur ist den Sterbliche:: lohnend und
heilsam."
3) Tragen viele der von Layard in den Ruinen von
Niniveh in neuester Zeit ausgegrabeneu Basrelief-Figuren
Pokale in der Hand.
4) Hat derselbe Layard nicht nur Abbildungen von
Tischen mit Weinschalen und Flaschengestellen, sondern
auch wohlerhaltene thönerne Krüge gefunden, welche den
ägyptischen Gefäßen zur Aufbewahrung des Rebensaftes
vollkommen gleichen.
5) Ersehen wir aus den: Buche des Propheten Daniel,
der am assyrischen Hofe erzogen worden ist, daß man dort
Wein zu trinken pflegte.
„Und Daniel nahm sich vor, daß er sich mit den: Weine,
welchen der König trank, nicht verunreinigen wollte."
Als derselbe Prophet bereits zu hohen Ehren gelangt
war, gab Belsazer von Assyrien jenes berüchtigte Gastmahl:
„Und da er trunken war, ließ er die goldenen und silbernen
Gesäße herbringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem
Tempel von Jerusalem weggenommen hatte, daß der König
mit seinen Gewaltigen, seinen Weibern und Kebsweibern
daraus tränken."
6) Behauptet Humboldt, daß in: assyrischen Hochlande
die Rebe wild gedeihe. In der babylonischen Ebene kam
dieselbe zur Zeit des Herodot, trotz der großen Fruchtbarkeit
dieser Gegend, nicht fort. Dagegen gab es in Mesopotamien
große Mengen von ergiebigen Patinen, aus deren Früchten
Brot, Honig und Palmenwein bereitet wurden.
Weit bestinuntere und zahlreichere Nachrichten besitzen
wir glücklicher Weise über die Geschichte des Weins bei den
späteren Besiegern der Assyrer, den Persern.
Diese wußten natürlich nichts von Noah und hielten
Dschemschid, den Freund des höchsten Gottes, den: die Mensch-
heit alle guten Gaben verdanken sollte, wenigstens mittel-
bar für den Erfinder des Weins.
„Zu seiner Zeit", so meldet Mirchoud*), „wurde auch
der Purpursaft der Traube bekannt, der ein Stärkungs-
mittel der Lebensgeister und die beste Verschönerungstinktur
der menschlichen Gesichtsfarbe ist. Man erzählt folgender-
uraßen^die Entdeckung des Weines: Die Traube, die lieb-
lichste Frucht, hält sich nicht bei veränderter Jahreszeit, bei
einbrechender Kälte; aber Vielen gelüstete, ihrer auch
Wintersund Frühlings zu genießen: also befahl Dschem-
schid, den Saft von den Häuten und Körnern abgesondert
zu pressen und ihn täglich vor sein Angesicht zu bringen,
damit er auf dem Probestein des Geschmacks die Natur
desselben versuche. Dieses that er, bis der Saft bitter
wurde. Da bildete der König sich ein, jetzt sei es Gift, und
befahl, das Gefäß zu verschließen. Nach diesen: litt eine
schöne und geliebte Sklavin an Kopfschmerzen; sie beschloß,
") Wir folgen der bei Herder von einem Ungenannten
übersetzten Relation des Mirchond, welche nur unwesentlich
von der des Mullah Akbers bei Malcolm abweicht.
174
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
zu sterben; hierzu wählte sie das wohlverschlossene, tödtliche
Gift. Da sie ein wenig davon getrunken, fühlte sie sich
ermuntert und heiter; das Kopfweh ließ nach. Mehr trank
sie; da schlief sie ein. Sie hatte mehrere Tage unb Nächte
nicht geschlafen. Einen Tag, eine Nacht schlief sie nun fort
und erwachte gesund. Dies kam vor die Ohren Dschem-
fchids; seine Seele erfreute sich; er machte den Wein zu
einem gewöhnlichen Getränke. Weil viele Kranke davon
gesund wurden, bekam es den Namen Königs-Arzenei."
„Als Arzenei hat man den Wein erprüft,
Wird er mit Mäßigkeit genossen,
Allein das Wasser selbst wird Gift,
Im Uebermaß hineingegossen."
So erzählt Mirchond, während ein anderer persischer Bericht-
erstatter mittheilt, der Wein habe, wegen der sonderbaren
Art seiner Eittdeckung, den Namen zacher e khoosch, d. i.
süßes Gift, erhalten. Nach der Einführung des Islam in
Persien wurde das edle Getränk sogar mit dem Namen
„Vater des Verderbens" vermtglimpst.
Vielleicht schreiben die Perser einer Fratt die Entdeckung
des Weines zu, weil sich ihre Damen durch ganz besondere
Vorliebe für geistige Getränke anszeichneit. „Die persische
Khanum oder Frau", so erzählt Brugsch, „welche eilten
europäischen Arzt in Krankheitsfällen zu Rathe zieht, fragt
gewöhnlich zuerst, ob sie auch Wein und Schnaps trinken
dürfe." Uebrigens haben die iranischen Herren von Alters
her keine geringere Vorliebe für bcn Rebensaft gezeigt, als
die Damen. Kaum besaß Dschemschid den Wein, als er,
nach Mirchond, Gelage zu feiern unb zu singen begann:
, Wir wollen nun nntsamm' der Lust genießen,
Wer weiß, ob wir lioch fürderhin es können;
Und wenn das Lebensschiff im Strudel sinkt,
Hifl es dir nichts, daß dn jetzt Wasser trinkst!"
Die persischeil Mundschenken waren schoir bei bcn Grie-
chen wegen ihrer Geschicklichkeit eben so berühmt, wie ihre
Gastmähler wegen der mit denselben verbundenen Trunken-
heit berüchtigt waren. Nur im Rausche pflegte der Adel
mit dem Könige Kriegsrath zu halten und Beschlüsse zu
fassen, welche Tags darauf nüchterneil Muthes geprüft
wurden.
Nachdem der König Glistasp, welcher die Lehre des
Zoroaster annahm, Weiil getrunken hatte, erblickte der-
selbe seilten Platz im Paradiese, und der Weinstock wurde
voil diesenr Propheten beu edelsten, von guten Geistern be-
hüteteil Gewächseil beigesellt.
In dem herrlichen Epos des Firdusi, welches die Ge-
schichte der ältesten Könige voir Persieil behandelt, dnrchzechen
die Helden ganze Wochen, triilkeil einander zu unb bringen
Gesundheiten aus. Kein Fest konnte ohne Weiil gefeiert
werdeil, und ilamentlich am Wiegenfeste des Königs wurde
das Volk ans Kosteil des hohen Geburtstagskindes mit
Wein getränkt. Im Buche Esther finden wir eine sehr
schöne Beschreibung des Gelages, welches der König Ahas-
verns (Xerres) am Hofe von Slisa veranstaltete:
„Und das Getränke trug man in goldenen Gefäßen und
immer anderen unb anderen Gefäßen und königlichen Wein
die Menge, wie beim der König vermochte."
Als später die Religion des Mohammed auch die Feuer-
nnd Sonnenanbeter dem Halbmonde unterworfen hatte,
kümmerten sich dieselben sehr wenig um den Befehl des
neuen Propheten, den Rebensaft zu meiden.
Bei Tebriz, Hamadan (Ekbatana), Jsfahan und Schiras
wurden, nach wie vor, die berühmten kernlosen Trauben
jener Lagen gepflegt und gepreßt, um, nach der Gährung,
in Krügeir und Lcderschlänchen versandt, von allen Gläu- >
bigen beiderlei Geschlechts getrunken und von den größten
Dichtern der liederreichsten Nation besungen zu werden.
Wer kennt nicht die schönen Lieder des um den Ruhm
des Weines so hoch verdienten Hafis, der da singt O)
„Seht, mit Anemoiienblut
Steht aus Rosenblättern:
Wer vernünftig ist, er hat
Rothen Nektar ergriffen!
Reich' mir Wein im gold'nen Glas,
Morgenwein! Der Trinker
Hat mit gold'nem Schwert die Welt
Wie ein Kaiser ergriffen!"
„Süßer Sängennund, o sing'. Frisches mit Frischem neu
und neu,
Wein, der's Herz erfreut, bring her, frischen mit frischem neu
und neu!"
Auch des Goldschmieds Dschewheri Sergeri schönes
Loblied auf den Wein mögen wir an dieser Stelle nicht
übergehen:
„Wenn die Fahn' aufsteckt der Morgen,
Stecket auf der Freude Fahnen,
Seht die Sonne, bringet Wein!
Purpurfarb'nen, rosenduft'gen!
Mondenichimmer, Sonnenglanz,
Schlaf, Arznei und Wangenschimmer,
Schmerzensmittel, Seeleniiahrung,
Großmuthsguelle, Schönheitswesen,
Demuthsauge, Anmnthstörper,
Gramvertreiber, Freudengeber,
Körperstärke, Herzenstraft!
Seine Farbe leidet Prüfung,
Sein Geruch besteht die Probe,
Onyx- und rubiuenfarbig,
Moschus-Ambradüfte hauchend.
Seine Kraft beseelt den Himmel
Und sein Wesen stärkt die Zeiten.
Schwachen Körpern gibt er Kräfte
Und erfreuet trübe Herzen.
Wangen werden gelb vom Wein
Und die Herzen blühn, wie Safran. —
Wer in Hain und Garten gehet,
Ohne Wein genießt er nichts.
Rosen wollen frischen Wein,
Segel wollen frischen Wind.
Wein begehre und sei froh;
Gott verhieß uns Paradiese!
Reiche Wein, vertrink' beu Schlaf,
Jetzt, wo Sounenschwerter strahlen.
Dschewheri der Goldschmied trinket
Auf das Wohl des Herrn des Fests!"
Schöne Lehren, wie man sich beim Weintrinken zu ver-
halten habe, widmet Kjekawus, der Schah voll Persien,
seinem Sohne Ghilan Schah , dem Thronerben, in dem so-
genannten Buch des Kawils. „Weintrinken", ruft der
Vater seinem Sohne zu, „ist unstreitig verboten. Aber,
mein Geliebter, wenn du trinkst, so trink erst nach der
Vesperzeit, damit, wenn du dich berauschest, es Abend ge-
worden sei und die Menschen dich nicht trunken sehen mögen.
Dadurch, daß es am Abende (im Finstern) geschehen, würde
deine Schande bedeckt werden."
Trotz ähnlicher Lehren, wie: „Sage lieber eine Lüge,
die wahrscheinlich, als eine Wahrheit, welche nilwahrschein-
lich klingt", können wir das Buch des Kawns allen Frenn-
den orientalischer Weisheit nicht dringend genug empfehlen.
Unser zu früh verstorbener, geliebter Freund I. Hammer
hat in seinem „Lebe, liebe, lerne" viele Theile desselben in
*) Aach der Geschichte der schönen Redekünste Persiens
von S. von Hammer.
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
175
treffliche deutsche Verse umzuwandeln verstanden. Schon
Göthe empfiehlt das Buch des Kawus im westöstlichen
Diwan angelegentlich.
Zant Schluß dieses Abschnittes wollen wir nur noch
bemerken, daß die Trinklust der Perser durch die Billigkeit
des Rebensaftes nachdrücklich unterstützt wird. Sehr guter
Wein kostet heute 10, geringerer gegen 5 Silbergroschen
(35 und 18 Kreuzer) die Flasche.
Der uns spärlich zugemessene Rairnr verbietet uns leider,
auf die symbolische Bedeutung des Bechers bei den alten
Persern näher einzugehen; doch wollen wir nicht unerwähnt
lassen, daß viele der in den Trüntmern von Persepolis ge-
fundenen Figuren Pokale tu den Händen tragen.
Die südlichen Nachbarn der Jranier, die Inder, pfleg-
ten mehr Reiswasser, als Weilt, zu trinken. Dennoch haben
sie den Rebeitsaft, welcher ihnen eigentlich verboten war,
jedenfalls gekaititt. Griechische Berichterstatter versichern
ausdrücklich, daß im indischen Berglande Reben gepflanzt
worden wären, während man sich in den Ebenen nicht mit
Weinbau beschäftigt habe. Weiter erfahren wir, daß die
Bewohiter des Flachlandes nur beim Opfer Wein getrunken
hätten, tind daß auch dieser nicht aus Trauben, sondern
aus Reis bereitet worden wäre.
Wenn die Hellenen ihren Dionysos (Bacchtts) nach In-
dien ziehen ließen, so muß man diese Sage weniger der Lieb-
haberei der Inder für den Wein, als gewissen Namensver-
wechseluitgen zuschreiben. Die Anbeter des Brahma, bereu
Religion jede,: Rausch verbot, waren im Allgemeinen ein
so mäßiges Volk, daß sie sicherlich keine begabten Wein-
trinker gewesen sein können. Nur die westlichen Inder,
welche das Ufer des Indus bewohnten, huldigten dem Re-
beitsafte und lebten überhaupt nicht nach dem Gesetze des
Brahma. Dafür wurden sie von ihren östlichen Brüdern
am Ganges verachtet unb Vratja, d. h. Abtrünnige, genannt.
„Mit Jauchzen", so heißt es von ihnen im Mahabharata,
„dem Gewieher der Esel und Pferde vergleichbar, laufen sie
nach den Badeplätzen. Sie toben und fluchen, von Wein
berauscht."
Uebrigens versichert Strabo, daß auch die Könige der
Inder Wein getrunken hätten, welcher ihnen von schönen
Frauen gereicht worden wäre, und in den farbenreichen,
herrlichen Gedichten, welche im Lande der Lotosblumen ge-
sungen worden sind, hören wir nicht selten von trunkenen
Menschen reden. Freilich läßt sich schwer entscheiden, ob
dieselben ihren Rausch dem Reiswasser oder Weine ver-
dankten.
Verlassen wir das in Askese den Körper ertödtende
phantastischste Volk, um uns den Nachkommen des bevorzug-
testen Sohnes Noah, den Semiten, besonders aber den Ju-
den, zuzuwenden. Was von diesen in Bezug auf den
Wein gültig ist, das kann auch von ihren Nachbarn, den
Sy rer n und Ph ön icient, behauptet werden; waren doch
alle drei Söhne eines Stammes, müssen doch ihre Wohnsitze
Theile eines den gleichen Kulturbedingungen unterworfeneit
Landes genannt werden.
Die einzige sichere Quelle in Bezug aus die Angelegen-
heiteit der Juden im Alterthum bleiben einige ägyptische und
assyrische Bilder und Inschriften, ganz besonders aber die
Bibel.
Griechen und Römer zeigeit gerade diesem Volke
gegenüber eine merkwürdige mit Abneigung gepaarte Un-
wissenheit.
Der sonst so klare, scharfe und gewisseithafte Tacitus
wird, wenn er von den Israeliten spricht, hart, ungerecht
und unvorsichtig. Seine Charakteristik der Judetr beweist,
daß er einem den Israeliten feindlichen Berichterstatter
willig gefolgt sei, während er die große Unduldsamkeit und
Abgeschlossenheit derselben persönlich kennen gelernt zu ha-
beit scheint. Jedenfalls erwähnt er der Judeit mit Zorn
und schneidendem Tadel. Obgleich attch er den mosaischen
Gottgedanken nur oberflächlich aufzufassen vermochte, so
widerspricht er doch seinen Landsleuteit, welche den Jehova-
Dienst vollkommen verkannten. „Da ihre Priester", sagt
er von dem Volke Gottes, „Flöteit spielten, Pauken schlugen
unb Epheukränze führten, und weil außerdem ein goldener
Weinstock im Tempel gefunden worden ist, so wähnten
Einige, daß die Juden Vater Bacchus, ben Bezwinger des
Morgenlandes, anbeteten. Aber die Dienste der beiden sind
sehr verschieden. Bacchus setzte festlich heitere Gebräuche
ein, während der Kultus der Jitden düster und abgeschmackt
genannt werden muß."
Welcher Thatsache jenes beit goldenen Weinstock betref-
fende Gerücht seinen Ursprung verdankt, wissen wir nicht
genau, doch kann dasselbe wohl mit dem grüitenden
Stabe des Aron, welcher im Tempel zu Jerusalem aufbe-
wahrt wurde, zusammenhängen.
Im Ganzen scheint ans dem Irrthum über das Wesen
des einigen Gottes hervorzugehen, daß die Juden als starke
Weintrinker bekannt gewesen sind.
So bestätigen denn auch viele Bibelstellen, daß die
Trunkenheit bei den Israeliten durchaus keine seltene Er-
scheinung war. Der gute Wein, welcher an den Bergab-
hängen von Kanaan wuchs, wurde von ihnen fast über Ge-
bühr gewürdigt. Die Kundschafter Josua und Kaleb wählen
z. B. eine große Weintraube, um die Ihren für den Besitz
des gelobten Landes zu begeistern, und Sirach nennt
Noah, trotz seiner Unmäßigkeit im Weintrinken, „un-
sträflich".
Nach der Eroberung von Kanaan blieb der Weinbau
die Lieblingsbeschäftigung der Juden, und wir können uns
nach biblischen Mittheilungen ein treues Bild von der Art
und Weise derselben machen.
1) „Es war ein Hausvater, der Pflanzte einen Wein-
berg und führte einen Zaun darum und grub eine Kelter
darinnen und baute einen Thurm und that ihn den Wein-
gärtnern aus." (Matth.)
2) „lind zogen heraus auf das Feld und lasen ab
ihre Weinberge und kelterten und machten einen Tanz und
gingen in ihres Gottes Hans und aßen und tranken." (Buch
der Richter.)
3) „Und sah Esel beladen mit Wein, Trauben, Feigen
und allerlei Last und nach Jerusalem bringen." (Nehemia.)
4) „In meiner Mutter Haus da wollte ich dich tränken
mit gemachtem (gemischtem) Wein und mit dem Most meiner
Granatäpfel." (Hohes Lied.)
Diese vier Stellen geben eine Schilderung von der
Pflanzung, der Lese und dem Transport des Weines; auch
finden wir in denselben den Beleg, daß der Rebensaft ge-
mischt getrunken wurde.
Ferner wird in der Bibel bestätigt, daß auch Weiber
Wein ztt trinken pflegten. Int Buche Ruth, dieser reizenden
Idylle, sagt Boas zu der Aehrenleserin:
„Und iß des Brots und tunke deinen Bissen in den
Essig (Wein)."
Als Hanna, die Mutter des Samuel, in ihrem Herzen
also brünstig betete, daß sich ihre Lippen bewegten, ohne daß
man sie reden hörte, dachte Eli, sie wäre trunken, und
sprach zu ihr: „Wie lange willst du trunken sein?" Hanna
aber antwortete, sie sei kein loses Weib und habe weder
Wein, noch starke Getränke genossen.
176
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
Aus dem Eifer, mit den: die Beterin den Verdacht des
Hohenpriesters zurückweist, ersehen wir, daß sich eine trun-
kene Jüdin der Verachtung ihrer Landsleute ausgesetzt haben
muß, während wir vermuthen dtirfen, daß die Trunkenheit
der Männer weniger für schimpflich, als ftir schädlich gehal-
ten wurde.
Jur Bilche Sirach, dieser Fundgrube israelitischer Weis-
heitslehren, finden wir einen sehr schönen Abschnitt, welcher
die Ansichten der Inden über den Genuß des Weins in
Kürze zusammenfaßt:
„Sei nicht ein Weinsäufer, denn der Wein bringt viele
Leute um. Die Esse prüfet das gelötete Eisenwerk: also
prüfet der Wein der Frevler Herzen, wenn sie trunken sind.
Der Wein erquicket dem Menschen das Leben, so man ihn
mäßiglich trinkt. Und was ist das Leben, da kein Wein ist?
Der Wein ist geschaffen, daß er den Menschen fröhlich
machen soll."
Auch in diesen schönen Worten wird der Trunkenbold
nicht vor der Schande, sondern nur vor den Übeln materiellen
Folgen, welche sein Laster nach sich ziehen kann, gewarnt.
Endlich bleibt uns nur noch ¿u erwähnen übrig, daß
der im gelobten Lande erzeugte Wein, — namentlich der
von Byblos — wegen seiner wunderbar angenehmen
Blume eines hohen Rufes im Alterthum genoß und, wie
Herodot ausdriicklich berichtet, it: großen Mengen, nament-
lich nach Aegypten, versandt worden ist.
Derselbe Berichterstatter sagt an einer andern Stelle,
daß im Lande der Pharaonen kein Wein gebaut worden sei;
während er sich später selbst widerspricht und darum in
dieser Beziehung um so geringerer Beachtung verdient, se
zahlreichere Beweise vorliegen, daß man in Aegypten
nicht nur Wein, sondern sogar sehr vielen Wein gebaut und
getrunken habe.
Jedes Kind kennt sellen Traun:, welche:: Joseph den:
Mundschenken des Pharao im Gefängnisse deutete. „Mir
träumte", sprach der in Ungnade gefallene Höfling, „daß ein
Weinstock vor mir wäre, der hatte drei Reben, und er grünte,
wuchs und blühte, und seine Trauben wurden reif, und ich
hatte der: Becher Pharao in meiner Hand und nahm die
Beeren und zerdrückte sie in den Becher und gab den Becher
Pharao in die Hand."
Diese einzige Stelle schlägt auch Plntarch, welcher be-
hauptet, die Aegypter hätten vor Psammetich, welcher das
Nilthal dei: Hellenen öffnete, den Wein weder getrunken,
noch gekanllt.
Aber selbst ohne diesen Traum und ohne 100 Griechen
und Römer, welche von ägyptischen Weinen reden, können
wir mit Sicherheit behaupten, daß die Rebe im Lailde der
Pharaonen besonders fleißig gepflanzt und gepflegt worden
sei. In den Grüften und auf den Wänden der verfallenen
Prachtbauten des ältesten Kulturvolkes siilden wir nämlich
zahllose wunderbar frisch erhaltene Bilder, welche uns, wie
ein schön illustrirtes Werk, das ganze Privatleben der alten
Bewohner des Nils, von der Flickarbeit des Schusters an,
bis zu den Unterhaltungen der königlichen Familie, höchst
anschaulich darstellen.
Fleißige Gelehrte haben diese Gemälde in schöner Ord-
nung durch den Druck vervielfältige,: lassen und dadurch
auch den an die Heimath gefesselten Jüngern der Wissen-
schaft die Möglichkeit gegebei:, sich tief in das Leben eines
seit zwei Jahrtausenden aus der Geschichte verschwundenen
weisen Volkes zu versenken.
In diesen Bilder:: finden wir auch die Weinkultur der
alten Aegypter vollständig dargestellt.
Hier werden Reben gepflanzt, dort beschnitten. Auf
einem andern Gemälde sehen wir Knaben, welche die nasch-
haften Vögel von den reifenden Früchten abwehren; auf
einem vierten stellt der Maler Trauben lesende Winzer dar.
Viele Rebstöcke werden an Spalieren oder halbrunden Lau-
ben, andere an Säulengängen gezogen. Weinpflanzungen
zeigen sich als Mittelpunkt großer Gartenanlagen, und die
zur Anspressnng der Beeren gebräuchlichen Instrumente
scheinen nicht selten von kostbarer Arbeit und bemalt ge-
wesen zu sein.
Am häufigsten werden die Trauben von Menschen ans-
getreten, doch finden wir auch Weinpressen von eigenthüm-
licher Konstruktion. So drückt man die Beeren z. B. aus,
indem man dieselben in einen Sack thut, welchen Männer,
wie unsere Wäscherinnen nasse Wäsche, zusammendrehen.
Endlich sehen wir im Bilde, wie man den gewonnenen
Most auf Krüge füllt und in die Vorrathskammern stellt,
woselbst der Haushofmeister die Zahl derselben mit dem
Schreiberohr auf ein Papyrosblatt notirt.
Diesen selben Bildern verdanken wir auch einen tiefen
Einblick in das gesellige Leben der Aegypter, dessen Beschaf-
fenheit uns mit doppelter Bewunderung erfüllen muß, wenn
wir bedenken, daß die Darstellungen desselben zum Theil an
fünf Jahrtausende alt sind.
In dem reichbemalten Empfangssaale sind die Gäste,
Herren und Damen, vereinigt. Vor der Thür warten
Sklaven, welche die Stöcke der Herrschaften halten. Der
Wirth begrüßt mit seiner Gattin die Eintretenden, denen,
wenn sie dem schönen Geschlechte angehören, von jungen
Herren Bluinenstränße nicht nur angeboten, sondern buch-
stäblich unter die Nase gehalten werden.
Das Gespräch scheint lebendig zu sein und nicht zu
stocken, wenn Tänzer und Sänger ihre Künste zum Besten
geben. Speisen und Getränke stehen wohlgeordnet und mit
Blumen geschmückt auf einem Tische, den wir mit unseren
Büffets vergleichen möchten. — Obwohl vom Beginn der
Gesellschaft an Wein in künstlichen Schalen von Metall,
Thon und Glas herumgegeben wird, sieht man niemals
einen Auftritt, welcher unseren Gefühlen von Schicklichkeit
widersprechen würde.
Erst, wenn die Gäste den Saal verlassen, zeigt sichs
nicht selten, daß sie ihrem Magen zu viel zugemnthet
haben. Es ist rührend, mit anzusehen, wie treue Diener
den trunkenen Herrn auf ihre Köpfe legen und denselben,
wie einen Balken, nach Hause tragen.
Leider weiß sich auch das schöne Geschlecht nicht immer
in den Schranken der Mäßigkeit zu halten. Diese Holde
läßt sich von ihrer Sklavin die Stirn halten, während jene,
eine geknickte Lotosblume ans Herz drückend, die schönen
Lippen öffnet, um Osiris, dem Spender des Weins, eine
unfreiwillige Libation darzubringen.
Trotz derartiger Excesse sind die Aegypter doch im Gan-
zen mäßig gewesen. Athenäus sagt z. B. ausdrücklich in
seiner Deipnosophie: „Wie Apollonius erzählt, waren bei
den Aegypter:: in früherer Zeit die Gelage jeglicher Art
mäßig. Bei Tisch begnügen sie sich mit den gewöhnlichsten,
aber gesundesten Speisen und trinken nur so viel Wein, als
eben hinreicht, um das Herz fröhlich zu machen." Diese
Nachricht entspricht vollkommen der Sinnesart eines Volkes,
dessen Leben einer Pilgerfahrt zum Tode gleich kam, welches
seine Wohnhäuser Herbergen, seine Gräber ewige Häuser
genannt haben soll.
Nur einmal im Jahre vergaßen die Aegypter alle
Mäßigung. „Wenn man das Fest der Pacht, einer Göttin,
welche zuBubastis imDelta verehrt wurde, feiert", so erzählt
Herodot, „segeln Männer und Weiber in buntem Gemisch,
an 700,000 Seelen, den Strom hinunter. Einige Frauen
machen während der Fahrt Lärm mit Klappern, einige Männer
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
177
blasen auf Pfeifen, wahrend die iibrige Gesellschaft singt
und in die Hände klatscht. Sobald sie zu einer Stadt ge-
langen, landen sie und treiben mit den Zurückgebliebenen
allerlei Spott ttnd Unfug. Wenit sie endlich nach Bubastis
kommen, so verrichten sie große Opfer, bei denen mehr
Wein getrunken wird, als sonst das ganze Jahr hindurch
aufgeht. —
Daß sich auch die Könige eines Rausches nicht zu
schämen brauchten, beweist folgende Geschichte, welche von
dem wegen seiner Tugenden berühmten Pharao Menkera
(Mykerinos) erzählt wird: Ein Orakel verkündete demsel-
ben, daß er nur noch sechs Jahre lang lebeit dürfe. Da
beschloß er denn, diese Voraussagung Lügen zu strafen, ließ
seine Halle, sobald es dunkelte, tageshell erleuchten, floh den
Schlaf uitd dllrchzechte Tag und Nacht, um aus den ihm
verheißenen 6, 12 Lebensjahre zu machen. — Auch der be-
rühmte König Amasis war ein großer Zecher.
Daß selbst den Priestern das Weintrinken nicht ver-
boten war, ist gewiß, wenn auch Plutarch versichert, daß
der Rebensaft im Tempelbezirke von Heliopolis verpönt
gewesen sei. Wie hätten die Priester, wenn sie den Wein
verachtet haben würden, den großen Gott Osiris als Spen-
der desselben bezeichnen können?
Auch die ägyptischen Aerzte, welche übrigens der Prie-
sterkaste angehörten, miissen das Traubenblut sehr hoch ge-
schätzt haben; wissen ivir doch, daß sie dasselbe den Kran-
ken nicht selten verordneten. Gegen Zahnschmerzen wen-
deten sie z. B. folgendes von Plinius aufbewahrte Mittel
an: „Man nehme Wein und koche Spargel in demselben
aus und behalte die also gewonnene Flüssigkeit möglichst
lange im Munde."
Kräuterwein, welchen man bereitete, indem man Raute,
Nießwurz und Absynth mit dem Rebensäfte gähren ließ,
wurde gegen mancherlei Uebel angewendet.
Der Wein von Koptos und Alexandria sollte schwäch-
lichen Leuten besonders Wohl thun. Der Arzt Apollodorns
gab dem Könige Ptolemäos von Aegypten den eigenthüm-
lichen Rath, daß er pontischen, besonders aber Wein von
Peparethium (d. i. den Cycladen) trinken, denselben aber
als Medizin fortlassen möge, falls sich nach sechs Jahren
keine sichtlich heilsame Wirkung zeigen sollte.
Die Soldaten, welche von jeher große Freunde des
Weingottes, der ja selbst ein Krieger genannt wurde, ge-
wesen sind, haben auch in Aegypten viel edles Reben-
blut vergossen. Jedein Gardisten, welcher am Hofe der
Pharaonen Dienst that, wurden täglich 4, sage vier Ouart
Wein geliefert.
Ueber die verschiedenen Sorten des ägyptischen Reben-
saftes sind wir, namentlich durch Athenäus, recht gut un-
terrichtet.
In der sogenannten Landschaft Arsinöe, dem heutigen
Fayüm, wurde der meiste, bei Tenia der beste Wein gebaut.
„Die Farbe dieses Weines", sagt der Raukratier, „ist weiß
und bleich; er enthält aber so außerordentliche Kraft, daß
er, wenn man ihn mit Wasser vermischt, nach uub nach zu
schmelzen scheint, ähnlich dem attischen Honig, zu dem inan
eine Flüssigkeit gießt .... Viele andere ägyptische Wein-
berge spenden an Farbe und Geschmack verschiedene Arten;
der von Anthylla wird aber allen übrigen vorgezogen."
Auch die mareotischen, sebenytischen und thasischen, sowie
die ägyptischen Fruchtweine waren hochberühmt. Der
Palmenwein, welcher ganz, wie unser Birkenwasser, durch
Anbohren des Stammes gewonnen zu werden pflegte, wurde
meistens zum Mnmistren der Todten verwendet; aber auch,
wie noch heute in Kairo, getrunken. Endlich preßte man
Globus VI. Nr. 6,
Wein ails Myrarien (einer Pflaumenart), Feigen und
Granatäpfeln.
In Bezug ans das Alter des ägyptischen Weinbaus
wollen wir nur noch erwähnen, daß sich Hieroglyphenzeichen
für Wein und Trauben fchoil auf den ältesten Denkmälern
vorfinden.
Auch in Griechenland milß man schon in sehr früher
Zeit Reben gepflanzt haben; schreiben doch die Hellenen die
Gabe des Weines einer Gottheit zu, sprechen doch schon ihre
ältesten Dichter, welche den Prosaikern um mehrere Jahr-
hunderte vorausgingen, von dem Rebensäfte, als von einem
in allen Schichten der Bevölkerung eingebürgerten Getränke.
Die reiche Erbschaft, welche wir den Griechen in Wort
und Bild verdanken, macht es uns möglich, tiefe Blicke in
das staatliche und private Leben eines Volkes zu werfen,
welches bis heute von keiner andern Nation an harmoni-
scher Geistes- und Körperbildung, an Schönheitssinn und
lebendiger Auffassung aller Dinge übertreffen worden ist.
Diese Hellenen, welche die ganze Natur mit Göttern
erfüllten und in allem Geschaffenen und Erwachsenden eine
der Erscheinung entsprechende Gottheit erblickten, mußten
natürlich den wunderbaren Kräften des Weins eine ganz
besondere Stelle in ihrem religiösen Leben anweisen.
Dionysos, der Bacchus der Römer, welcher den Men-
schen die Reben geschenkt haben sollte, war einer ihrer hoch
verehrten Götter und wurde nicht nur als die dem Weine
innewohnende sprudelnde Kraft, sondern auch als frucht-
tragende Natur im Allgemeinen verehrt.
Als Sohn des Zeus und der Semele (des Himmels
und der Erde) mußte er vor der eifersüchtigen Hera verbor-
gen und später, nachdem die zürnende Gattin des Götter-
vaters seine ersten Pfleger mit Raserei heimgesucht hatte,
den Hyaden oder Regennymphen zur Erziehung übergeben
werden. Zn Nysa in Thrakien ward der Knabe groß, um,
zum Jünglinge geworden, mit seinem trunkenen Heere die
Welt zu durchziehen und alle Völker, selbst die in weiter
Ferne wohnenden Inder, zu unterwerfen.
So ist auch der Rebstock ein Sohn der Erde und des
himmlischen Nasses, der, vom Regen groß gezogen, schöne
Früchte trägt. Von Thrakien aus scheint der Wein in der
That nach Griechenland verpflanzt worden zu sein, während
Persien und Indien die Rebe keineswegs den Hellenen
verdankten.
Gewöhnlich stellte man den Gott als blühenden, mit Wein-
laub bekränzten Jüngling dar. Bunte Panther zogen seinen
güldenen Wagen, und sein lärmendes Gefolge bestand aus
rasenden Mänaden, Nymphen und Thyaden, Satyrn und
bocksbeinigen Silenen, welche Thyrsosstäbe und Fackeln
schwangen, Flöten bliesen und den hantbespannten Glocken-
reifen der Tamburine schüttelten und mit den Händen schlu-
gen. Jauchzen, Musik und Farbenglanz, anmnthiges und
halbverthiertes Wesen, Lust und Raserei, schöne Begeisterung
und die Wildheit des Panthers lagen in diesem so unendlich
charakteristischen Aufzuge.
Aber man stellte den Gott nicht nur als taumelnden
Jüngling, sondern auch als tändelndes Kind und als reifen,
Gedeihen spendenden Mann (die Früchte zeugende Natur-
kraft) in Liedern und Bildern dar. Auf der berühmten
Büste des Kypselos trug er einen langen Bart und lag in
einer Höhle zwischen Aepfeln, Weintrauben und Granaten,
eine goldene Schale in der Hand tragend.
Anakreon singt von ihm:
'.Laßt uns jetzt den Bacchus preisen,
Den Erfinder, ihn, den Tänzer,
Den Gesellen, ihn, den Eros (Amor)
23
178
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
Der den Rausch zur Welt geboren,
Der den Lebens reiz erzeugt hat,
Der den Knurrn er zwingt zu schweigen,
Der den Schmerz in Schlummer einwiegt."
Garrz Hellas feierte ihm große Feste, welche besonders
herrlich auf Naxos und Andres, zu Athen und Sikyon
begangen wurden. Dem letztgenannten Orte scheinen die-
selben ihren Ursprung zu verdanken. Auf Naros, dessen
Trauben hochberühmt waren, soll Bacchus von Nymphen
auferzogen worden sein und sich mit der von Theseirs ver-
lassenen Ariadne vermählt haben. Auf Andres ließeir die
Priester am Festtage des Gottes Wein aus der Erde strömen
und gaben ihren geschickt ausgeführten Betrug für ein Wun-
der des Dionysos ans. Man denke an das zu Neapel
fließende Blick des heiligen Januarius.
Die größten und berühmtesten Feste wurden dein Gotte
des Weins jedenfalls, und zwar dreimal des Jahres, in
Attika gefeiert.
Bei de«: sogenannten städtischen Dionysien, welche mit
dem erwachenden Lenze und dem Augentreiben der Reben
zusammenfielen, wurde Athen der Schauplatz des buntesten
Treibens. Alle Nüchternheit, aller Ernst waren verbannt,
denn es galt, dem fröhlichen Gotte fröhlich zu dienen, dem
Geber des Rausches durch Trunkenheit ben Dank für sein
Geschenk auszudrücken. Man erzählt, daß Ptolemäus, der
bcn Namen Dionysos führte, diejenigen Bewohner von
Alexandria, welche bei den Dionysien nüchtern geblieben
wären, als schwere Verbrecher gestraft habe. Wenn man
es in Athen auch weniger streng zu nehmen pflegte, so war
doch bei jenen Festen die Trunkenheit fast eben so allgemein,
wie in der griechischen Hauptstadt von Aegypten. Selbst
der würdige Plato meint ernstlich, daß bei den Dionysien
dem Volke der Rausch erlaubt fein müsse.
Schon am frühen Morgen des Festes füllten sich die
Straßen von Athen mit Biirgerir nub Landleuten, die
Theater mit Zuschauer«: und der Markt mit Neugierigen,
welche den Gaukler«: und Puppenspielern jubelnd nach-
liefe««. Wenn es dunkelte, saminelte sich das Volk z«: feier-
lichen Aufzügen. Da sah «na«: de«: Gott mit seinem bun-
ten Gefolge von trunkenen Männern und Weibern, welche
sich als Silene, Satyrn, Mä«:adei: u. s. w. verkleidet hatten.
Ans jc«:enr Wagen thronte Dionysos selbst «nit Ephen und
Reben bekränzt. Je«:e Dirne«:, welche Fackel«: und Thyr-
sosstäbe schwangen, ließen ihr aufgelöstes Haar über ihre
safrangelbe«: Gewä«:der flattern, während der Märzwind
mit ihren purpurnen Mänteln und de«: Rehfellei: ans ihren
Schultern spielte. Trunkene Männer ritten, Silene dar-
stellend , auf Eseln, Knabe«: zerrten widerspenstige Böcke
den: Zuge nach, um sie dein Gotte zu opfern. In das
Jauchzen und Geschrei, die Flöte«: und Tai«:burinklänge
mischte sich der Gesang der Chöre, welche wetteifer«:d de«:
Fest-Dithyrambus anstimmten. Diese«: folgte die Schaar
der attische«: Jungfrauen, niedergeschlagenen Blicks, die
ersten Frühlingsblumen, Veilchen n«:d Krokos, in zierliche«:
Körben auf de«: schönen Köpfen tragend. Endlich zeigte sich
eine große Schaar von Bauer«: und andere«: Leuten, welche
Lieder sauge«: und das Symbol der Fruchtbarkeit des Gottes
trugen. Die ganze Stadt mit allen Häusern, Hermen nnb
Standbildern war bekränzt, und die verheirathete«: Franc«:
standen ans den Dächer«:, um mit Fackeln u«:d Lampen
den: nächtlichen wilde«: Zuge z«: leuchten.
Bei einer anderen Dionysosfeier zog ment bis nach
Eleusis, während das dritte Fest des Gottes, besonders von
den: La«:dvolke, zur Zeit der Weiillese begange«: wurde. In
lustigen: Anszuge, dein sogenannten Komos, taumelten die
Wi«:zer mit geschwärzten Gesichtern, bunt verkleidet, ei«:her,
sangen unzüchtige Lieder nnb führten den Bock, das Thier
des Gottes, zun: Opferaltar.
Aus diese«: ländlichen Feste«: und den Possen, welche die
Bauern bei denselben trieben, ist die Komödie, aus den
für die städtischer: Dionysien gedichteten Dithyrambe«: die
Tragödie entstai:den.
So verdankt die höchste Dichtnngsart, die dramatische,
dein Wein, oder besser dem Gotte des Weins ihren Ur-
sprung.
In diese«:: Si«:«:e singt auch Onestes vo>: der Komödie:
„Bacchus selber erfand snßscherzender Muse Belehrung,
Und ein Chariten-Chor führt' er Dir, Sikyon, z«i.
Tadel vermählet in ihr sich dein Süßesten, Spott den: Ge-
lächter,
Und von den: Trunkenen lernt weise der Bürger zu sein."
Es würde uns zu weit führen, wenn wir hier aus ein-
a«:der setze«: wollten, wie zur Verherrlichung der bacchischen
Feste zuerst von wechselnden, wetteifernden Chören dithy-
rambische Gesänge vorgetragen wurden, wie Lasos und
Arion sich i«: dieser Dichtn«:gsart auszeichneten, wie die-
selbe durch Epigenes von Sykion und Thespis von Jkaria,
de«: Erfinder der Maske«:, imn:er dramatischere Forme«: an-
nahm, wie die Satyrspiele eickstanden und ausgeübt wur-
den, wie endlich Chörilos von Athen und ganz besonders
Phrynichos die Tragödie zur Anerkennung brachte«:, bis
daß dieselbe, besonders durch die großen Tragiker Aeschy-
los, Sophokles und Enripides von einer Zier der Feste des
Weingottes zun: Besitzthum der Bürger und „zu eine«::
organischen Gliede der allgemeinen sittliche«: Erziehung des
Volkes" wurde.
Die Tragödie hatte von de«: ersten wetteifernden Chöre«:
a«: des Schutzes der Gemeinde genossen, während die Ko-
:i:ödie als wilde Psla«:ze der ländliche«: Dionysien aufwuchs
und sich erst nach dein Tode des Perikles durch Aristophanes
als erziehendes Element geltend machte. Früher hatte sie
nur danach gestrebt, de«: bäurischen Scherz, alle«: Ansta«:d
und alle künstlerischen Regel«: ausschließend, wieder zu
gebe«:. In dem ernsten Sparta finde«: «vir seltsamer Weise
die erste«: komischen Aufführungen, «vährend als Begründer
der attischen Komödie Chionides, Susarion und Andere zu
nennen sind. Erst durch Kratinos „gewann sie das Bürger-
recht und den Rairg eines gesetzlichen Gliedes in der Volks-
herrschaft, ««eben beren grellen Lichtern sie als Schatten her-
lief". I«: Aristophanes zeugte endlich Athen, mit einziger
Ausnahme Shakspeare's, de«: größten Lustspieldichter aller
Zeitei:.
Es ist höchst bemerkenswerth, «velchen große«: Einfluß
der Wein auf das ganze poetische Lebe«: dieses Volkes übte,
welches eben verstand, selbst das geringste schöne Objekt der
Sinnlichkeit mit Liebe zu ergreifen, in das reine Gebiet des
Gedankens zu erheben und zuin Ideale zu gestalte«:.
Schon der erste von der hellenischen Sage gefeierte
Dichter «vird in Thrakie«:, der Heimath der Trauben, gebore«:
u«:d stirbt zerrissen von den Mäimden, de«: Dienerinnei: des
Bacchus.
Homer zählt de«: Wein zu de«: edelste«: Geschenke«: der
Gottheit und läßt denselben bei feinem königlichen Gast-
mahle fehlen.
Die Troer wußten die Asche ihres Vertheidigers Hektor
nicht besser zu ehre«:, als dadurch, daß sie den glinunende«:
Schutt seines Scheiterhaufens mit „röthlichem Weine"
löschte,:. Der Freier Antiuoos, das Bild jugendlichen
Uebermuthes, muß, de«: Becher voll Rebensaft in der Hand
haltend, sterben.
Die frühesten Lyriker, besonders Archilochos vo«: Paros
und Alkäos von Lesbos haben hochberühmte Lieder auf de«:
Die Moore Oufricslands
179
Wein gedichtet, und das ganze Leben des Anakreon von
Teos, der sich selbst rühmt, „zum Trinker geboren worden
zu sein", wird ein immerwährendes der Liebe und dem Re-
bensäfte dargebrachtes Opfer genannt. Seine Leyer, welche
so oft zum Lobe des Weines ertönte, soll, nach einem spä-
teren Epigramme, selbst noch tu der Unterwelt fortklingen,
und eine Sage erzählt, daß der größte Freund der Rebe, an
einem Traubenkerne erstickend, gestorben fei.
Lassen wir uns von ihm, dem Kenner, das Bild einer
hellenischen Weinlese geben:
„Von den Männern sammt den Jungfrau»
Wird die dunkle Tranb' in Korben
Auf den Schultern hergelrageu
Und enlschnttet in die Kelter.
Doch allein die Männer treten
Das Gewächs, den Wein entfesselnd;
lind zn lautem Takt erheben
Sie den Gott in Keltcrliederu,
Auf den holden Bacchus schauend,
Wie er jung in Kufen aufschäumt.
Hat von ihm der Greis getrunken,
Ob der Fuß auch wankt, so tanzt er,
Daß die grauen Locken fliegen,
lind der schöne Jüngling schleichet
Zu dem Mägdlein listig, leise,
Wo mit holdem Leib' im Schatten
Sie auf Blättern hingegossen
lind besiegt vom Schlummer daliegt."
Viele ähnliche Bilder finden sich noch in beit bis auf
uns gekommenen Liedern der Griechen; aber der beschränkte
Raum gestattet uns nur noch das Gebet des Makkeos voll-
ständig wieder zu geben.
Gebet au Dionysos.
„Steige nur selber herein mit dem flüchtigen Fuße, des Wciu-
.... Eß's
Rüstiger Tänzer, o Herr! Leite das nächtliche Werk.
Nimm bis über das kräftige Knie dir das lange Gewand auf;
Treibend die Keltrer zum Tanz, färbe die Füße mit Schaum,
Leit' auch endlich den Most in die reinlichen Fässer und nimm
dann
Freundlich die zotlige Geis, freundlich die Kuchen zum Dank."
Die Moore D st f r i e s l a n d s.
Von Hermann Meier in Emden.
II.
Beschäftigung der Mooreker. —Der Anbau des Buchweizens und dessen Einfluß.— Eingehende Betrachtungen über das Moorbrennen und den Höhenrauch. —
Die Leegmoore.
Die fleißigen Kolonisten sehen Alles daran, sich eine
Zukunst zu schaffen. Im Frühling und Sommer wird
Buchweizen gesäet und Torf gegraben und letzterer das
ganze Jahr hindurch von den „Moorhahnen", wie der
Städter diese Leute scherzweise nennt, auf kleinen mit
Ochsen oder gar mit einem erbärmlichen Pferde bespann-
ten Wagen in die nächste Stadt zum Verkauf gefahren.
Männer und Weiber und Kinder flechten in den Muße-
stunden Strohmatten oder binden Besen von Haide, mit
welchen sie ebenfalls zur Stadt kommen, oder Alle sitzen
um das helllodernde Torffener, um grobe Strümpfe zu
stricken, theils für den eigenen Bedarf, theils und vor-
züglich für den Verkauf. Schon bei Anbruch des Ta-
ges sieht man sie in der oft drei bis vier Stunden ent-
fernten Stadt mit Besen und Matten von Thür zn Thür
hansiren, aber dieser Erwerbszwcig wird indeß in vielen
Fällen wiederum nur als Mittel zum Zweck, zum Bet-
teln, gebraucht. Denn nicht selten gewahrt man, daß sie
die kleinen Kinder, die entweder ans dem Rücken oder
in der Schürze mitgeschleppt werden, vor dem Thore
entkleiden, um durch deren halbadamitischen Zustand die
Barmherzigkeit und das Mitleid ivach zu rufen.
Vor ungefähr 150 Jahren lieferte die Oberfläche des
Moores außer unbedeutendem Material zn Besen gar
nichts. Ums Jahr 1707 kam ein Prediger, Anton Bo-
lenins, der längere Zeit in der holländischen Provinz
Groningen gestanden hatte, nach einem Dorfe Ostfries-
lands. Ans seiner holländischen Stelle hatte er sich mit
der Kultur des Buchweizens auf dem unkultivirt da-
liegenden Moore bekannt gemacht. Er ließ setzt von dort
einen Mann nach seinem Dorfe kommen, damit dieser
seinen Pfarrkindern Unterricht in der Kultur jener Frucht
ertheile: wie man die. Oberfläche des Moores im Herbst
umhackt und im nächsten Frühling brennt, um alsdann
Buchweizen säen zn können. Die Kunde dieses neuen Er-
werbszweiges verbreitete sich bald in der ganzen Umge-
gend, und von Rah und Fern eilte man herbei, dieses
Verfahren kennen zu lernen, so daß nach wenigen Jahren
schon in verschiedenen Gegenden der Bnchweizenbau ein-
geführt war. Dadurch wurde in diesen Gegenden eine
förmliche Umwälzung herbeigeführt. Starre, düstre Haide
verwandelte sich in blühende Bnchweizenäcker, an denen
sich der Blick des Wanderers ergötzte, und deren reicher
Ertrag die Mühe des Kolonisten reichlich belohnte; ein-
zelne Häuser und ganze Kolonien belebten bald die men-
schenleere Oede, die früher nur von einem einzelnen
Schäfer mit seiner Heerde oder von den Torfgräbern
unterbrochen wurde. Die Geschichte bewahrt die Namen
Derer auf, welche sich durch Morden und Sengen unsterb-
lich gemacht haben, aber die Namen der Wohlthäter der
Menschheit, die durch stilleres Verdienst glänzen, sind
dem Gedächtniß bald entschwunden. Darum ist es Pflicht,
die noch bekannten von Zeit zn Zeit der Mit- und ^Nach-
welt ins Gedächtniß zu rufen, und wir stimmen dem
Biographen unseres Bolenins vollkommen bei, wenn er
den Ostfriesen zuruft: „Segnet das Andenken dieses
Mannes, meine Landsleute!"
Als diese Benntzungsart der Moore allgemeiner be-
kannt wurde, ward ihre weitere Einführung und Aus-
breitung ans den ausgedehnten herrschaftlichen Mooren
durch die Fürsten Ostfrieslands selbst unterstützt und von
der Regierung auf alle Weise befördert. (Erst 1744 starb
der letzte ostfriesische Fürst und wurde das Land preußisch.)
Aber auch an Anfeindungen fehlte es nicht. Besonders
klagten die fürstlichen Jagdbeamten über die Beschädigun-
gen und den Verfall der Wildbahnen, man erließ Edikte
gegen das unbefugte, willkürliche und ganz ordnnngslose
Brennen des Moores, aber ohne Erfolg. Der unter
23*
180
Die Moore Ostfriestands.
mancherlei Gestalt auftretende Geist der Zeit schritt auch
über die Moore, vor ihm entfloh das niedere Wild, der
feiste Hirsch, er verscheuchte auch zugleich die letzte und
einzige Poesie der ostfriesischen Moore zum allergrößten
Theile. Dein: die jetzige Oede ist weit von aller Poesie
entfernt.
Mau brennt Hochmoor und Leegmoor, kultivirt aber
hauptsächlich letzteres, da eine Bebauung des Hochmoores
überaus kostspielig ist. Dafür liefert es allerdings denn
auch einen ausgezeichneten Ackerboden.
Die obere Decke, nur Pflanzendecke, ist ganz humoser
Natur, aber wasserdurchzogen, sauer und locker. Wenn
ein solcher Boden Frucht bringen soll, muß er mit Saud,
Lehm und Kalk vermengt werden, wodurch er alle Haupt-
bestandtheile eines fruchtbaren Bodens erhält. Aber unsere
Hochmoore haben eine von 4 bis über 20 Fuß mächtige
Torfschicht, unter welcher erst der Saud, meist auch der
Lehm, bisweilen selbst der kalkhaltige Boden stehen; diese
Kulturmittel aus dem Untergründe auf das Hochmoor
zu schaffen, ist bei solcher Mächtigkeit, wenn auch mög-
lich, doch im Allgemeinen zu kostspielig, sie mußten also
von anderen Orten herbeigeschafft werden. Aber auch
diese Methode würde viel zu viel Geld kosten und ist
deshalb für unverwendbar zu erklären.
Zum Buchweizeub au wählt der Kolonist gern einen
ettvas abhängenden Boden oder doch einen solchen, auf
dem die Abwässerung nicht zu große Schwierigkeiten be-
reitet. Ein solches Feld wird im vorhergehenden Jahre
vermittelst gerader, parallel laufender Gruben, die etwa
zwei Fuß tief und eben so breit sind, in 15 bis 20 Fuß
breite Aecker gelegt. Die aus btefcu Gruben gewonnene
Torferbe wird auf die zu bearbeitenden Aecker' geworfen.
Die Oberfläche derselben, die aus Moosen, sogenannten
sauren Gräsern und Haide besteht, wird mittelst eines
sogenannten Hauers umgerissen, wodurch dieselbe in
lauter ungleichmäßige Stücke verwandelt wird, die etwa VB
Fuß Länge und Breite und % Fuß Dicke haben und ivegen
ihrer durcheinander gewürfelten Lage dem Froste Thor
und Thür öffnen, da dieser die Fruchtbarkeit in nicht ge-
ringem Maße befördert. So bleibt der zerstückelte Bo-
den bis zum nächsten Frühling liegen; alsdann werden
die Gruben nachgesehen und nöthigenfalls verbessert, die
Aecker gehackt, damit das Austrocknen leichter von statten
gehe und die größeren Stücke in kleine Haufen gebracht,
die, einige Schritte von einander entfernt, eine Reihe
bilde». Auch dies hat den Zweck, das Trocknen zu be-
fördern. So liegt mm das Feld bis zum Monat Mai;
alsdann, wenn keine Nachtfröste mehr zu fürchten sind,
beginnt mau mit dem Brennen des Buchweizenfeldes.
Man bringt das Feuer zuerst in die kleinen Haufen,
weil diese am trockensten sind, und sobald diese halbdurch-
gebrannt, wirft man die brennenden Stücke gegen den
Wind hin überall ans beit Acker, wodurch dann auch die
noch am Boden liegenden Klöße entzündet werden. Denn
hierauf eben beruht das Gelingen der Arbeit. Die Er-
hitzung des Bodens ist der eigentliche befruchtende Faktor;
durch das Brennen muß dem Boden die die Vegetation
hindernde Säure entzogen werden. Die Asche allein
würde nur wenig nutzen.
Mitten in diesem Feuer, in diesem höllischen Rauch
steht der „Moorker" in starken Holzschuhen und wirft
mit einer langgestielten, alten, durchlöcherten Pfannkuchen-
pfanne die brennenden Stücke dahin, wo es noth thut,
lockert das Ganze von Zeit zu Zeit auf und wirft die
glimmenden Klöße stets gegen den Wind. Zugleich aber
sorgt er auch dafür, daß'der Boden nirgends in Flammen
geräth, sondern nur gelinde brennt und schmaucht; darum
hat er ja auch so viele Stücke am Boden liegen lassen,
die, weil glicht vollständig trocken, ilicht flammen können,
wie er nicht weniger dafür Sorge zu tragen hat, daß
das Feuer das ihm bestimmte Revier nicht verlasse und
auf beit angrenzenden Haidefeldern oder auf knltivirtem
Lande einen Prairiebrand im Kleinen erzeuge. Es dauert
gewöhnlich 24 bis 36 Stunden, ehe ein Stück Land aus-
gebrannt ist.
Nachdem der Brand gelöscht ist, beeilt man sich, die
Frucht hineinzusäeu, und damit der Saame bedeckt werde,
ohne daß die Asche verwehe, fährt man leise mit einem
Dorn darüber hinweg, wenn nicht der Regen dies Ge-
schäft übernimmt, der meistens nach beendigtem Brande
niederfällt. Auf diese Weise säet mau nicht nur Buch-
lveizen, sondern auch Roggen, Hafer rc. Das kaun
erfahrungsgemäß mit gutem Erfolge sechs Jahre hinter
einander geschehen, dann aber bedarf das Moor einer
zwanzigjährigen Ruhe, um seine obere Decke zu regeueriren.
Wird das Brennen länger als im Allgemeinen etwa
sechs Jahre fortgesetzt, so werden zwar noch einige immer
dürftiger werdende Ernten erzielt, die Reproduktions-
kraft des Moores zur Wiederherstellung seiner obern
Pflanzendecke wird aber so unverhältnißmaßig geschwächt,
daß das Moor, wie man in Ostfrieslaud sagt, „todt"
gebrannt wird, und todt ist es daun für 30 Jahre und
länger.
Im September wird der Buchlveizeu mit der Sense
oder der Sichel abgeschnitten, oder, wenn er so niedrig
geblieben ist, daß solches nicht ohne Verlust der Körner
geschehen kann, mit der Hand ausgezogen. Die Garben
werden meistens dort gedroschen, wo die Frucht gewachsen
ist. Dieses geschieht auf Segeln oder Betttüchern.
Wer aber auf seinem Buchweizenlande eine kompakte
Stelle hat, der macht zum Dreschen hier eine kleine
Tenne, wozu nichts weiter erforderlich ist, als diese
Stelle zu ebnen, zu reinigen und etwas Buchweizenspreu
hineinzudreschen. Die zu dreschenden Garben setzt man
aufgerichtet dicht neben einander, so daß man von
oben auf die leicht abspringenden Körner einschlägt.
Ein Buchweizenfeld mit seiner hübschen, schnee-
weißen Blüthe mitten im schwarzen, düstern Moor er-
scheint wie eine Oase in der Wüste, aber auch für den
„Moorker" ist die Frucht derselben von großer Wichtig-
keit; ohne sie wäre das Moor unfruchtbar und öde, eine
unbewohnbare Wüste. Geschieht es leider nicht selten,
da der Buchweizen zu den weichlichsten Getreidearten ge-
hört, daß der Boden wegen häufigen Regens nicht zur
rechten Zeit gebrannt werden kaun, oder daß die Nacht-
fröste die Pflanze gleich nach ihrem Aufwachsen tobten,
dann ist unter den Moorbewohnern Mangel und Noth gar
sehr daheim. Denn wenn wir unser Vaterland auch nicht
mit Irland oder einzelnen Theilen Oberschlesieus in eine
Reihe stellen wollen und können, so ist doch das Fehl-
schlagen der Bnchweizenernte hier so wenig ohne Folgen,
wie dort der Kartoffelmißwachs. Der Buchweizen muß
die eine Hälfte der täglichen Nahrung liefern, auf einen
guten Ertrag borgen Krämer und Bäcker schon lange
vorher ihre Waaren, ein klebriges ist bestimmt, die we-
nigen Thaler Zinsen zu erlangen, die man vielleicht für
das Kapitälchen, welches zur Verbesserung des Hauses,
zur Anschaffung einer Kuh rc. diente, zu zahlen hat.
Ist der Himmel dem „Moorker" gnädig, dann darf
er eine zwanzig-, dreißig-, ja oft vierzigsältige Ernte
erwarten.
Für uns Städter und für die Bewohner der west-
lichen Gegenden hat die Kultur des Buchweizens eine
starke Schattenseite. Wenn alle Welt sich des lieblichen
Mai's freut und jubelnd seine sonnigen Tage genießt,
dann geschieht es gar nicht selten, daß sich unser blauer
Himmel mit einem grau-gelben stiebet überzieht, daß die
Sonne wie eine blutrothe Kugel erscheint und endlich,
wenn jener Nebel sich verdichtet, ganz unsichtbar wird.
Alle Gegenstände, die uns umgeben, sind gelblich. Das
kann doch kein Nebel sein, denn ein solcher verändert ja
die Farbe der Gegenstände nicht. Was ist denn das?
Ist's ein aufgelöstes Gewitter,' ist's ein mit Schwefel-
dämpfen geschwängerter Nebel, ist's zersetzte Kohlensäure,
sind es „Lufttröpfchen", die das Licht anders brechen, als
die umgebende Luft, ist's der von Nordamerika herüber
Die Moore Ostfrieslands.
181
gewehte Rauch eines Prairiebrandes, sind es abgefallene
Kometenschwänze? Allerdings hat eine Reihe von Ge-
lehrten die genannte Erscheinung für Alles das, was wir
so eben aufzählten, gehalten, und unser „Moorker", der
vielleicht hin und wieder durch Pastor und Lehrer davon
Kunde erhielt, lachte laut auf und fragte jedenfalls mit
großem Recht: Und solche Leute ttcmteit sich Naturfor-
scher? Ist denn eiir solcher Naturforscher ein Mensch mit
unvollkommenen Sinnesorganen? Unseres Bedünkens hält
es doch so schwer nicht, Rauch von Nebel zu unterschei-
den, und jede gesunde Nase wird bald finden, daß Rauch,
nur Rauch, ächt kräftiger, ostfriesischer Rauch die Luft
erfüllt und die Sonne zum Zürnen gebracht hat.
Es gibt bei uns zu Lande ein Sprüchwort: Liebe
Kinder haben viele Namen. Jener Rauch wird Höhen-
rauch, Haarrauch, Heerranch, Sonneurauch,
Haiderauch (französisch bronillarck «ec, englisch dry
sog, holländisch veenrook, heirook, zeerook) genannt,
wonach es ihm also an Liebenswürdigkeit nicht fehlt.
Wir nennen ihn Moor rauch, und dieser Name bezeich-
net ihn auch am richtigsten.
Nach Dr. Prestel in Emden, der sich wiederholt mit
Untersuchungen über den Moorrauch beschäftigt hat, be-
trägt die Fläche Moor, welche jährlich in und um Ost-
friesland gebrannt wird, 30 bis 40,000 Morgen, und
wenn man bedenkt, daß nach dem Brennen die Ober-
fläche mit einer Aschlage von etwa 1V2 Centimeter bedeckt
ist, so kann man sich ungefähr eine Vorstellung von der
Rauchmasse macheu, die auf diese Weise erzeugt wird.
Prestel berechnete, daß die Höhe der Rauchmasse über
dem Bourtanger Moor, welches 25 Quadratmeilen groß
ist, während des Brennens 9 bis 10,000 Fuß betrug.
Die ganze zwischenliegende Luftschicht war also mit dich-
tem Rauch angefüllt.
Es versteht sich von selbst, daß es nur vom Winde
abhängt, nach welcher Richtung sich der Ranch verbrei-
ten soll. Da das Brennen nur bei anhaltend trockiier
Witterung vor sich gehen kann, solche aber gewöhnlich
mit einem östlichen oder nordöstlichen Winde vereint ist,
so erreicht unser Rauch in erster Stelle das benachbarte
Holland, um sich mit dem dort geborenen Bruder zur
Weiterreise zu verbinden, falls nicht die Windströmung
dieses engverbundene Paar aufhält oder gar wieder in die
Heimath des erstem zurücktreibt.
Im Jahre 1857 begann man bei einem ziemlich star-
ken nordöstlichen Winde hier in Ostfriesland am 6. Mai
mit dem Brennen. Schon am folgenden Tage zeigte sich
der Moorrauch in lltrecht, etwas später, als der Wind
östlicher geworden war, schweifte derselbe über Leen-
waarden nach dem Helder und besuchte bis znm 15. das
Meer. Nun wurde der Wind nordwestlich, der Moor-
ranch kam von: Meer zurück und erreichte am 16. wieder
Utrecht und etwas später auch Nimwegen. Am 16.
und an den folgenden Tagen sah man ihn auch in
Hannover, Münster, Köln, Bonn, Frankfurt;
am 17. war er schon nach Wien vorgedrungen, erreichte
am 18. Dresden und am 19. Krakau.
Nicht selten führt der Wind den Moorrauch über See
nach England, seltener gewahrt man ihn in der
Schweiz, wo er mehrfach zu Schaffhausen, Zürich,
Basel und Genf wahrgenommen wurde. Wahrschein-
lich ist dies seine äußerste südliche Grenze, da ihm viel-
leicht die Alpen ein: Bis hieher und nicht weiter! zu-
rufen.
Dian hat übrigens wiederholt dem Moorrauch den
Vorwurf gemacht, er führe durch Verunreinigung der
Atmosphäre ein Heer schädlicher Folgen nach sich, und hat
daran die Forderung geknüpft, das Moorbrennen gesetz-
lich zu verbieten.*)
*) Wir haben über diese scheußliche Landplage, das „hölli-
sche", dieLnft auf ungeheuer weite Strecken verpestetwe Moor-
brennen schon Globus IH S. 149 gesprochen. Leider wird
Es wird behauptet, daß der Moorrauch einen nach-
theiligen Einfluß auf die Witterung übe. _ Es scheint so
viel ziemlich sicher zu seiir, daß durch die aufsteigende
Hitze eine vermehrte Luftströmung herbeigeführt und Wind
geboren wird.
Unsere Obstgärtner beschuldigen den Moorrauch, daß
er die Haar fliege (Lidio manci a.) mit sich führe,
welche ihnen die Apfelblüthen zerstöre. Dies ist ein
doppelter Irrthum. Erstens wird die genannte Fliege
nicht vom Moorrauch erzeugt oder mitgeführt, sondern die
Larveil dieses Insektes leben unter der Erde lind ihre
Metamorphose findet Ende April oder Anfang Mai statt,
ungefähr zu der Zeit, wenn die Moore gebrannt werden;
der Unkundige meint deshalb, der Moorranch sei schuld
an ihrem Dasein. Zweitens aber zerfrißt keineswegs die
Moorfliege die jungen Apfelblüthen; dies thut der Apfel-
blüthen stech er (Aethonomus pomarium A.), Ulld ist
also dieser vor die Schranken des Gerichts 31t fordern.
Isis Jahre 1826 berichtete die Regierung zu Trier an
den König, „daß der Moorrauch auf den Weinbau einen
entschieden nachtheiligern Einfluß habe, als irgend eine
ungünstige Witterung"! In keinem Jahre wurde das
Rheinthal stärker vom Moorrauch heimgesucht, als 1858.
Dennoch fiel die Weinlese in jeglicher Beziehung so gün-
stig ans, wie irgend je zuvor.
'Als wohlbestallter Vertheidiger des arg verläumdeten
Moorrauchs haben wir nun noch die Frage auszuwerfen:
Kaun unser Klient unter Umständen auch nützlich werden?
eine Frage, die auf den ersten Blick ungereimt erscheint.
Daß im Frühling so viele Pflanzen verunglücken,
verschulden zum großen Theil die Nachtfröste. Diese
entstehen durch die Ausstrahlung der Wärme aus dem
Boden bei Heller, unbewölkter Luft. Ein Thermometer,
welches im Grase liegt, steht sieben bis acht Grad höher,
als ein in der Luft hängendes. Wells befestigte ein
Thermometer ans eine horizontale Planke, die sich zwei
Fuß über der Erdoberfläche befand, ein zweites an die
Unterseite derselben. Jenes stand 5° niedriger, als
dieses. Er bedeckte bei einigen Zoll Höhe die Erde mit
einem Battisttaschentnche und fand bei hellem Himmel
das Gras unter dem Tuche 6° wärmer, als in der nicht
bedeckten Umgegend. Dies Alles beweist hinreichend, daß
die Erde oder die darauf wachsenden Pflanzen nur bedeckt
zu fein brauchen, um den Nachtfrösten nicht anheim zu
fallen.
Was ein dünnes Taschentuch vermag, das vermögen
auch die Wolken, und wo diese fehlen, künstlich erzeugter
Rauchnebel, der sich über den Boden und die darauf
wachsenden Pflanzen als eine schützende Decke ausbreitet.
Es wäre also der Versuch zu machen, in der Zeit der
Nachtfröste durch Raucherzeugung diesen Feind vom Buch-
weizen abzuhalten, ein Versuch, der um so leichter gemacht
werden kann, da Brennmaterial im Ueberfluß vorhan-
den ist.
Als die Spanier Mexico erobert hatten, fanden sie
bei den Eingeborenen die Gewohnheit, zur Abwehr der
Nachtfröste trockenes Stroh oder Misthaufen zu verbren-
nen. Die Spanier glaubten, dieses durch eifriges Beten
ersetzen zu können. „Aber das Gebet ohne Ranch" —
sagt ein spanischer Schriftsteller — „half nichts mehr!"
Toch kehren wir wieder in die ostfriesischen Moore
zurück.
man du Verfahren, das alljährlich nicht blos im nordwest-
lichen Deutschland fast alle schönen Frühlingstage verdirbt, nicht
verbieten können. Aber ich erinnere mich, daß ein Bremer,
welchem man sagte, daß die Moorbrenner doch auch Menschen
seien und leben müßten, entgegnete: „daß die Moorbrenner
Menschen seien, leugne ich geradezu; sie sind Ungeheuer; und
daß sie auf der Welt ;u eristiren brauchen, dafür sehe ich
keine Nothwendigkeit ab". Das war an einem Tage, an wel-
chem der stinkende Moorranch so dick auf der ganzen Weser-
gegend lag, daß man kaum ein paar Schritte weit sehen
konnte.
Menschenfresser unter den Negern auf Haiti. Die Schwarzen und die Gelben.
182
Die Leegmoore (abgegrabenes Moor) werden im
Ganzer: seltener und auch nicht so lange gebrannt, als die
Hochmoore, sondern meist bald nach derEnttorffung knl-
tivirt. Der neue Boden ist bei gehöriger Entwässerung
und Düngung der allerdankbarste, selbst da, wo der Un-
tergrund aus weißein Sand besteht; mehr noch na-
türlich da, wo man mit Mergel vermengten oder leh-
migen Boden unter dem Torfe findet. Unter beit beiden
Arten von Sand, weißem und rothem (eisenhaltigem),
gibt man dem rothen als Kultnrgrnnd den Vorzug. —
Der Kolonist, der sich hier niederläßt, hat meistens
nichts, als seine gesunden Hände und den festen Vorsatz,
sich durch Fleiß und Ausdauer einen Heerd zu gründen.
Ein Hans ist bald gebaut: einige Pfähle werden in die
Erde gerammt, die Wände von Torf und „Plaggen",
(Stücken des obern Moorbodens) aufgebaut, das Stroh
zum Dach schenkt vielleicht der frühere Brodherr, einige
auf einer Versteigerung erstandenen Fenster bringen Licht
ins Haus, wenige zusammengeschlagene Planken vertreten
die Stelle der Hausthür. Schloß und Riegel sind Luxus-
artikel. Mann und Frau haben noch einige ersparte
Thaler aus dem letzten Dienstjahre. Für diese werden
Tisch und Stuhl, ein Bett und das allernothwendigste
Arbeitszeug gekauft. Mißräth nur in den ersten Jahren
die Buchweizenernte nicht ganz, liefert das bescheidene
Gärtchen nur nicht zu viele kranke Kartoffeln, kann der
Mann sogar noch etliche Tage in der Woche als Tage-
löhner bei seiner frühern Herrschaft arbeiten, dann ändert
sich sein Zustand von Jahr zu Jahr zum Bessern. Das
Hans wird verbessert und durch Stall und Tenne ver-
größert, und ist man erst so glücklich, bei der Hinterthür
einen nicht zu kleinen und zu magern Düngerhaufen zu
erblicken, dann ist der Mann einer selbständigen und
gesicherten Existenz schon um mehrere Schritte näher
gerückt.
Denn Dünger ist vor allen Dingen erforderlich, das
Moor in Kultur zu setzen. Wer selbst noch kein Vieh
anzuschaffen im Staude ist, sammelt mit Bienenfleiße
jedes Stückchen Dünger und vermischt es mit „Plaggen",
Stroh und allem häuslichen Abfalle.
Hier kennt man kein frohes gemeinschaftliches Spiel
der Jugend, keine Poesie des kindlichen Alters, keine
Träume und Phantastereien der Jngendjahre, denn hier
wird nur das Kind für die harte Schule des Lebens ge-
boren, um in derselben Ausdauer, Umsicht, Sparsamkeit,
stille Zufriedenheit und einen gewissen Stolz zu erwerben.
20 bis 30 Jahre vergehen oft, bevor der Kolonist Rosen
zu brechen hoffen darf.
Sein Hans ist seine Welt. Was da draußen geschieht,
ihn kümmerts so wenig, wie die dort sich um ihn kehren.
Freud und Leid genießt er mit den Seinen. Oeffentliche
Feste und Lustbarkeiten hat er nicht, kann er nicht haben,
ja er kennt sie kaum; der nächste Nachbar wohnt zu fern,
um regelmäßigen Verkehr mit ihm zu haben, das nächste
Dorf ist vielleicht stundenweit entfernt. Auch fehlts ihm
an Zeit, den Vergnügungen nachzugehen. Arbeiten, essen,
schlafen — das ist seine Tagesordnung von Sonntag bis
Sonntag, diesen Tag mit einbegriffen. Lektüre verirrt
sich nicht hieher; will man lesen, so hat man an Bibel,
Gesangbuch, Katechismus und an den sonstigen Schul-
büchern der Kinder genug. Der Geselligkeitstrieb wird
immer mehr getödtet, das ganze Dichten und Trachten
geht nur auf Erwerb hinaus.
Trotz seiner scheinbaren Poesie ist doch das Leben auf
dem Moore ein Dasein voll bitterer Prosa, voll Arbeit
und Entsagung.
Menschenfresser unter den Negern auf Haiti. Die Schwarzen und die Gelben.
Am 5. März des Jahres 1864 sind ans dem großen
Marktplatze zu Port au Prince auf der Insel Haiti
mehrere Kannibalen öffentlich guillotinirt worden. Ein
in jener Stadt erscheinendes Blatt, die „Opinion nationale"
zählt diese Menschenfresser mit Namen auf und berichtet
die Thatsache, daß zwei derselben, Oheim und Muhme,
ihren Neffen erst wie ein Schwein oder eine Ziege ge-
röstet und dann verzehrt hätten. Dasselbe Blatt sagt,
daß man „eine eingewurzelte Sitte nicht durchGewalt ab-
schaffen könne, sondern nur durch Aufklärung des Volkes
und Verbreitung des Unterrichts". Ganz gut. Wenn
aber das „Volk", wie das mit dem Landvolk auf Haiti
der Fall ist, von Unterricht und Aufklärung nichts wissen
uüll, was dann? Dann schlachten die Anhänger des Ge-
heimbundes Vandour (Wodn), welche bei Vollmond einer
Congoschlange göttliche Verehrung erlveisen, nach wie vor
Menschen und verzehren dieselben zu Ehren ihres afrika-
uischen Fetisches, obwohl es in Westindien die Bräuche
ihres Bundes auch gestatten, eine Ziege zu opfern.
Dieser entsetzliche Wodn, welchen die Neger mit aus
Afrika in ihre neue westindische Heimath gebracht haben,
gewinnt immer mehr Ausdehnung, und der Rückschlag in
die nrafrikanische Barbarei ist unaufhaltsam überall,' wo
in tropischen Gegenden der Neger sich selber bestimmen
kann, und ganz besonders da, wo er nicht mit Menschen
anderer Nassen beisammen lebt. Auf Haiti aber, wo er
seit einigen Menschenaltern sein eigener Herr ist, nimmt
die Verwilderung mehr und mehr überhand. Nicht eine
einzige von _ den rosenfarbenen Hoffnungen der Negro-
philen, Abolitionisten und anderer, alle noch so greifbaren
Lehren derEthuologie in den Wind schlagender Phantasten
hat sich verwirklicht, sondern immer und überall hat sich
das gerade Gegentheil herausgestellt.
Wir haben unseren Lesern schon früher einen „Ein-
blick in das Leben und Treiben der westindischen Neger"
gegeben (Globus IV, S. 114 ff.); die Hinrichtungen in
Port au Prince liefern den Beweis, daß in unserer
Schilderung nicht etwa Uebertreibung lag. Wir beton-
ten, daß es auf Haiti zwei Sekten im Wodnbunde gebe,
welche Menschen fressen. Der Wodu ist eine Schlange,
ein geheimnißvolles Wesen, welches Vergangenheit und
Zukunft kennt und Einfluß auf die Dinge dieser Welt
übt; sein Sinnbild ist eben die Schlange, und ihr wird
göttliche Verehrung erwiese». Sie wird als Gott verehrt
und gibt ihre Orakel au den Papa Wodn, der Ober-
priester ist, und an die Mama Wodu, eine Oberpric-
sterin. Kaiser Faustin Soulouqne, dem Namen nach
Katholik, bekleidete die Würde eines Papa Wodu und ver-
dankte dieser Stellung die Kaiserkrone.
Jede Landschaft hat einen besondern Wodu, doch hängt
die gesammte Brüderschaft genau zusammen. Die Fetisch-
feierlichkeiten werden gewöhnlich in einem Walde vorge-
nommen; dorthin bringt man die heilige Bnndeslade,
in welcher der Gott aufbewahrt wird. Blutroth ist die ihm
geheiligte Farbe. Wer in die Verbrüderung aufgenom-
men wird, trinkt das Blut eines eben geschlachteten Kin-
des oder einer Ziege. Ueber die gräßlichen Einweihungs-
feierlichkeiten verweisen wir ans unsere früheren Mitthei-
lnngen; wir wollen nur hervorheben, daß der Aufzuneh-
mende ein Lied singen muß, welches mit den Worten
beginnt: „Wir schwören, daß wir die Weißen
vernichten wollen."
Menschenfresser unter den Negern auf Haiti. Die Schwarzen und die Gelben.
183
Die Woduzanberer üben großen Einfluß und verbrei-
ten den Fetischdienst immer weiter. Zwar hat der Wodn-
priester in seiner Hütte Crucifix und Marienbild, aber
diese sind mit allerlei afrikanischen Fetischen verziert.
Manche Priester lesen Morgens die Messe und gehören
doch dem Wodn an. Durch das Vorhaudensein europäi-
scher Geistlicher würden sie in dieser Praxis gestört wer-
den, deshalb suchen sie jeden weißen Priester möglichst
fern zu halten und sind auch gegen die Mulattengeift-
lichen in hohem Grade mißtrauisch. Sie zürnen dem
gegenwärtigen Präsidenten Geffrard, dessen Haut ihnen
ohnehin nicht schwarz genug ist, weil er mit der römischen
Curie auf gutem Fuße stehen lvill und dem Schlaügeu-
kultns nicht gewogen ist.
Vor mir liegt ein Buch, das über Haiti manche gute
Nachweisungen enthält und für den, welcher mit Pen
Verhältnissen näher bekannt ist, auch manches Interessante
zwischen den Zeilen lesen läßt.*) Der Verfasser kennt
die Insel aus eigener Anschauung und hatte offenbar die
Absicht, in wohlwollendem Sinne auf diwNeger einzu-
wirken und dem Hasse, welchen sie gegen'die Mulatten
hegen, die Spitze abzubrechen. Aber wie viele haitische
Neger können überhaupt auch nur lesen? Er warnt sie
vor dem Fetischdienst und dessen „verdummenden Phan-
tasmagorien" und äußert sich scharf gegen die Priester,
welche aus den brennenden Wachskerzen in der Kirche
die Zukunft verkündigen und dieselben zu Beschwörun-
gen aller Art verwenden. „Sind nicht die Bibel und
die Meßbücher zu Zauberbüchern geworden; benutzt
man die Bilder der Jungfrau Maria imd der Heiligen
nicht als Fetische, und das Skapulier als Talisman?
Sind in den Wohnhäusern nicht alle Fetische der afrika-
nischen Urheimath aufgestellt, — alle, vom Insekt und
vom unreinen Kriechthier an bis zum Kieselstein und bis
zum seltsam verschlungenen Wurzelgefaser? Priester, die
aufgeklärt und von ihren Pflichten durchdrungen wären,
könnten allerdings den fetischistischen Verirrungen der
unwissenden Menge entgegentreten und wieder gut machen,
was ihre Vorgänger durch eigennützige Duldsamkeit ver-
dorben haben." Es fällt auf, daß nach diesen Worten
Bonneau, selber ein Katholik, hinzufügt: „Der Katho-
licismus kann aber nicht das richtige Gegenmittel sein,
in Anbetracht des Temperamentes der Schwarzen." Er
wirft demselben vor, daß er „das religiöse Gefühl zer-
splittere und mit vielen secundären Details beschäftige;
durch die vielen Uebungen und Gebräuche werde der Kul-
tus für die Schwarzen materialisirt". Das mag wohl
sein; es ist aber ausgemacht, daß auch der Mohamme-
danismus, welcher alle solche Dinge nicht kennt und einen
so sehr einfachen Kultus hat, sich doch überall, wo er zu
beii Negern kommt, eine Zuthat von Fetischismus muß
gefallen lassen. Uebrigens gewährleistet Artikel 33 der
haitischen Verfassung jedem Kultus die Freiheit, nur darf
durch denselben die öffentliche Ordnung nicht gestört
werden.
Dieselbe Verfassung bestimmt aber auch im siebenten
Artikel: „Ein Weißer, gleichviel, welchem Volk er
angehöre, darf auf Haiti weder Herr noch Eigenthümer
sein; er darf weder Eigenthum erwerben, noch haitischer
Bürger werden." — Die schwarzen und gelben Haitier
können sich demnach, unbehindert und ungestört durch
Weiße, ganz nach ihrem Belieben und ihren Bedürfnissen
ausleben. Jener Artikel gilt auch heute noch, und Bonneau
meint, es sei noch lange nicht an der Zeit, denselben zu
beseitigen, weil die überwiegende Mehrzahl der Bevöl-
kerung den civilisirenden Ideen noch allzu fern stehe.
Als Präsident Geffrard die Absicht verlauten ließ, den
Kammern ein Gesetz über die Verheirathung ausländischer
*) Haïti, son progrès, son avenir, avec un precis
historique sur ses Constitutions, le texte de la constitution
actuellement en vigeur et une bibliographie d’Haïti. Par
Alexandre Bonneau. Paris, Dentu. 1862. 176 S.
Männer mit Haitierinnen vorzulegen, entstand im ganzen
Land ein so großes Mißvergnügen, daß er seinen Plan
verschieben mußte. Nach einigen Jahren hat er ihn daun
doch ausgeführt.
Werfen wir nun einen Blick ans die Bestandtheile
der Bevölkerung und ihre gegenseitige Stellung. Haiti
zählt zwischen 7 und 800,000' Köpfe; davon sind 50' bis
60,000 Mulatten, die übrigen alle unvermischte Neger.
Durchgängig sind die wichtigsten Aemter und Würden in
den Händen dieser Mulatten gewesen, zum großen Miß-
vergnügen der Schwarzen, welche seit langer Zeit die
Klage erhoben, daß die Gelben eine Oligarchie bilden,
welche einer freien Entwicklung des Negerelementes im
Wege stehe! Aber Alles, was Haiti etwa an Civilisation
besitzt, ist doch lediglich jenen Mulatten zu verdanken.
Die Neger sind durch phantastische, unverständige Weiße
in ihrem widersinnigen Wahne bestärkt worden. Ein
„Philanthrop", der Straßburger Viktor Schölcher, der
1841 auf Haiti gewesen war, schrieb ein, wenig werth-
volles, Buch über die Antillen, in welchem er die Mu-
latten in folgender Weise apostrophirt:
„Gelben Leute, habt den Muth, die Zügel aus der
Hand zu geben, denn es ist euch unmöglich, den Wagen
zu lenken. Bedenkt wohl, daß ihr niemals etwas Gutes
stiften könnt, und daß jede energische Handlung, durch
welche ihr den Versuch machen wollt, das erniedrigte
schwarze Volk zu heben, von diesem letztern als ein Atten-
tat zur Bedrückung betrachtet werden und dasselbe sich
gegen die Mulattenaristokratie erheben würde. So
lange nicht eine regelrechte Regierung, d. h. eine Regie-
rung der Majorität, also eine schwärze Regierung, her-
gestellt ist, wird die Republik ein prekäres, falsches,
elendes und beunruhigtes Leben führen. Aber laßt
einen Neger an die Spitze, und Alles wird ein
ganz anderes Ansehen gewinnen."
Diese Sätze zeigen, wie toll und verrückt diese Sorte
von Philanthropen ist. Wenige Jahre, nachdem Schölcher
diese Worte geschrieben hatte/ kam ein Neger an die
Spitze, und zwar ganz im Sinne der „Majorität", der
Papa Wo du Faust in Soulouque, und Haiti „ge-
wann ein ganz anderes Ansehen", es bekam einen blut-
triefenden Wilden, einen Schlangenanbeter, zum Tyran-
nen. Die Würdenträger des Wodubuudes wurden zu
Herzögen, Grafen, Marquis und Baronen erhoben —
ohne Zweifel zu voller Befriedigung des radikalen Re-
publikaners und Gleichheitsfreundes Schölcher.
Das schwarze Element kam oben auf, und sofort
begann eine in der That wilde Wirthschaft, eine Verschleu-
derung der Staatsgelder, welche nur in derUaukee-Union
ein würdiges Nebenstück hat; die Schulen gingen ein,
das Angeberwesen blühte, Blut floß in Strömen. Am
Ende wurde daun der schlangenanbetende Kaiser wieder
vom Throne heruntergerissen, weil er seine schwarze
Majorität zu arg tyrannisirte. Es ist eine merkwürdige,
aber für den Kenner des Negerlebens und der westindi-
schen Verhältnisse keineswegs auffallende Thatsache (um
welche sich freilich die Philanthropen nicht kümmern), daß
die schwarzen Gewaltherrscher, also Toussaint Lou-
verture, der die Neger entsetzlich peitschen ließ, Des-
saliues, Christophe und Soulouque die Schivar-
zen auf das Aergste bedrückten und nach der absoluten
Gewalt trachteten, während das letztere von den gelben
Präsidenten, z. B. Petion, Boy er, Riviyre-Her-
ard und Geffrard nicht geschehen ist und gerade den
Schwarzen große Rücksicht gezollt wurde.
Wir finden die Rasse und die Geistesknltur beider
Theile in einem Gegensatze. Die Geschichte Haiti'» zeigt,
daß dort die schwarzen Häuptlinge alle nach Despotismus
trachteten und mit blutiger Grausamkeit zu Werke gingen,
und daß sie sich in ausschweifendem Luxus, lächerlichem
Pomp und in Nachahmung von Äußerlichkeiten gefielen.
Ob die „Allgewalt der Civilisation" daran etwas ändern
werde, ist mehr als zweifelhaft, und die „aufklärende
184
Die blondhaarigen, blauäugigen Kabylen in Algier.
Erziehung" hat bis jetzt wohl einzelne uub vereinzelte
Individuen über die Grundfläche der allgemeinen Neger-
barbarei erhobeir, aber die Massen völlig unberührt ge-
lassen oder nur ganz oberflächlich angestreift. Selbst
Bonneau, der zu den „wünschenden" Leuten gehört, räumt
ein, daß man „die Grenzen, bis zu welchen die Neger-
in Betreff ihrer Fähigkeit zu einer gesellschaftlichen und
politischen Entwicklung fähig seieir", noch nicht kenne.
Im Jahre 1843 wurde Präsident Boyer, ein Mnlatte,
gestürzt, und in rascher Folge kamen drei Negerpräsiden-
ten ans Ruder: Guerrier, Pierrot und Riche. Sie
hatten keine Zeit, nach den: Kaiserthron zu streben;
außerdem waren sie ursprünglich Sklaven gewesen, hatten
gemeinschaftlich mit den Mulatten für die Unabhängigkeit
gekämpft, und es war eine gewisse Zucht in ihnen; aber
auch sie verschwanden in raschem Wechsel von der Bühne.
Bonneau ist der richtigen Ansicht, daß aus den Ne-
gern nichts werden könne, wenn sie sich selbst überlassen
bleiben. „Die Schwarzen sind eine durch und durch
passive Nasse und bedürfen einer unablässigen Anre-
gung. Wenn sie sich selber bestimmen können, werden
sie ewig stationär bleiben. Der Bolksnnterricht kümmert
sie gar nicht, für geistige Thätigkeit sind sie vollkommen
gleichgültig. Was'Haiti au literarischen Arbeiten besitzt,
verdankt es seinen Mulatten; der Genius des Schwarzeil
hat sich noch nicht offenbart."
„Die Mulatten sind, wie die Sachen nun einmal
liegen, als Führer llnd Leiter der Gesellschaft ans Haiti
nothwendig; sie vertreten, was an Fortschritt etwa vor-
handen ist, und wer den Schwarzen sagt, daß sie der
Gelben entbehren und sich ohne dieselben regieren können,
der betrügt die Leute."
Bonneau, als Franzose, nimmt es mit den Aus-
drücken nicht genau, so nennt er z.B. die Mulatten „eine
Fleischwerdung des europäischen Genius, welcher in das
Blut der Afrikaner eingeströmt ist". Null unterliegt es
allerdings keinein Zweifel, daß der Mulatte unendlich
civilisationsfähiger ist, als der Neger; die Nachahmung
des Europäers hat bei ihm nicht "das Affenartige, wie
beim Schwarzen, sondern vermöge einer durch Beimi-
schung des weißen Blutes gesteigerten Annahmefähigkeit,
wir wollen sagen, einen rationellern Zuschnitt. Aber als
Masse genommen, haben sie doch auffallende Mängel in
sittlicher, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht; das
zeigt sich überall. Selbst ihr warmer Fürsprecher Bon-
neau fühlt sich gedrungen, ihnen folgende Wahrheiten
zu sagen:
„Die Gelben sind im Allgemeinen viel zu hastig, um
ans Ziel zu gelangen; ihre pétulante Heftigkeit führt
leicht zu Unordnungen, und viele haben eine höchst über-
triebene Selbstgefälligkeit; sie vergessen dabei, daß das
Volk ein Recht hat, von ihnen Umsicht und verständiges
Benehmen, Befähigung und Menschenkenntniß zu ver-
langen."
Die jungen Mulatten wollen rasch vorwärts. Die
neue Schule dringt in den haitischen Zeitungen darauf,
daß kein Beamter seine Stelle behalten dürfe,
wenn er das 40. Jahr erreicht habe. Nur wenn
eine solche Maßregel durchgeführt werde, könne die Re-
publik gedeihen. „II y va du salut et de l’avenir de
la République !" Il faut mettre un terme aux empiète-
ments dangereux et aux usurpations intolérables des
gerontes."
Wir wollen hinzufügen, daß der gegenwärtige Prä-
sident Geffrard sich bisher als einen verständigen Mann
gezeigt hat. Er beweist seine Umsicht auch dadurch, daß
er sich nicht in die dominikanischen Händel einmischt und
einen Krieg mit Spanien zu vermeiden wünscht. Aber
eine unruhige Partei will ihn zur Theilnahme für die
Insurgenten drängen und arbeitet, wie wir in amerika-
nischen Berichten vom 8. Mai lesen, eifrig an dem Sturze
dieses gemäßigten Mulatten. Eine neue Aera von Ver-
wirrung und Revolution könnte nicht ausbleiben, sobald
es der „feurigen Jugend" und den mißvergnügten Ne-
gern gelänge, ihn vom Präsidentenstuhl hinab zu werfen.
Uebrigens ninunt die Zahl der Mulatten auf Haiti
rasch ab, während jene der Neger sich wenigstens nicht
vermindert. A.
Die lllondhaarigeist blauäugigen Kabylen in Algier.
In der neuern Zeit ist wiederholt die Ansicht aufgestellt
und bestritten worden, daß die blonden Kabylen in Alge-
rien von den Vandalen abstammen. In der Landschaft,
welche als Klein-Kabylien bezeichnet wird, sind blondhaa-
rige Familien nicht selten; eben so findet man im Aures-
gebirge unter denStämmen derSchauia eine Menge Leute
von schlankem Wuchs, mit blondeu und rothen Haaren,
weißer Haut, nordischer Physiognomie; auch diese stam-
men angeblich von Germanen ab.
Es ist von Interesse, ins Klare darüber zu kommen,
ob diese Hypothese begründet ist, und wir wollen des-
halb die Erörterungen mittheilen, welche in der anthro-
pologischen Gesellschaft zu Paris stattgefunden haben.
Pouch et hatte hervorgehoben, daß eine erobernde Armee,
selbst wenn sie zahlreich ist, in einem Lande sehr wenig
Veränderungen im Grundstock der Bevölkerung hervor-
bringt. Schon zur Zeit des Titus Livins waren die
Abkömmlinge der Soldaten, welche seit Alexander des
Großen Tagen sich in Aegypten, Syrien und Babylonien
angesiedelt hatten, den übrigen Bewohnern dieser Länder
fast ganz ähnlich geworden.
Gewöhnlich überschätzt man in ethnologischer Hinsicht
die Einwirkungen einer bloßen Eroberung; im Allgemei-
nen, so hob Broca hervor, kann man aber den Satz
gelten lassen, daß die erobernde Rasse sehr bald in der
eroberten aufgeht, wenn jene nur ans Männern be-
steht, die lvenige oder gar keine Weiber mitbringen.
Ganz anders gestalten sich die Dinge, sobald eine wirk-
liche Kolonisirnng stattfindet, wenn zahlreiche Familien
einwandern. So ist ein beträchtlicher Theil Galliens
nicht etwa durch das Blut der Soldaten Cäsars romani-
sirt worden, sondern durch die römischen Familien, welche
während mehrerer Jahrhunderte in dieses Land kamen.
Centralgallien, das mittlere Frankreich also, ist eben so
wohl, wie die Provence, von den Römern erobert wor-
den, hatte immer militärische Besatzung, ist aber darum
doch vorzugsweise keltisch geblieben, während das kel-
tische Element im Gestadeland am Mittelmeer, am linken
Rhonenfer, ans der Passage der beiden großen rönüschen
Heerstraßen, welchen entlang römische Städte lagen, sehr-
stark modificirt worden ist.
Pouchet hatte geäußert, daß man in Südspanien viele
blonde Leute antreffe, die man für Abkömmlinge der
Vandalen halte. Es wäre aber, so bemerkte Broca, sehr-
auffallend, wenn man wirkliche vandalische Spuren gerade
unter den Andalusiern fände. Spanien lag sehr weit
entfernt von der eigentlichen Heimath der Vandalen. Die
Soldaten Genserichs mögen immerhin ihre Weiber und
Die blondhaarigen, blauäugigen Kabylen in Algier.
185
Kinder mit sich gebracht haben, sie konnten aber aus ihrem
Stammlande keinen Zuwachs und Nachschuß bekommen,
wie etwa die Franken in Gallien. Auch gründeten sie
erst in Afrika ihr, bekanntlich nur kurz dauerndes Reich,
unter einem ihnen nicht günstigen Klima; sie waren dort
von allen übrigen Germanen getrennt und konnten sich
überhaupt dort nur erhalten, wenn sie maurische Weiber
nahmen.
Nun sagt man, die blonden Kabylen im Aures seien
Nachkommen dieser Vandalen. Bekanntlich hat aber ihr
Besieger Belisar den größten Theil der Vandalen, lvelche
er vorfand, nach Griechenland und Asien geschafft, und
ein anderer Theil wurde in Nordafrika selbst von den
barbarischen Einwohnern vernichtet. Die blonden Kaby-
len, die wir in der Aureskette finden, unterscheiden sich
von den übrigen Kabylen nur durch die Hautfarbe und
das Haar (wohl auch das Auge, welches ja blau ist). Im
Uebrigen ist ihre Kopfbildung ganz, wie jene der anderen
berberischen Völker, auch ihre Sprache ist berberisch, und
man findet in derselben kein germanisches Wort. Sodann
geht aus geschichtlichen Zeugnissen, z. B. aus Procopius,
hervor, daß ein Menschenstamm mit weißer Hautfarbe
und blondem Haar schon vor der Ankunft der Vandalen
im Atlasgebirge und bis in die Sahara hinein vorhan-
den gewesen ist. Die blonden Leute in Andulasien wür-
den wohl eher voil den Westgothen herzuleiten sein, welche
viele Jahrhunderte lang in Spanien saßen, als von den
Vandalen, die ja nur einen kurzen Aufenthalt nahmen.
Ein Herr Pu che ran warf die höchst müßige Frage
auf, ob diese blonden Kabylen nicht etwa gallischen
Ursprungs seien! Er fügte die phantastische Bemerkung
hinzu, daß möglicherweise das Klima Ursache der Blond-
haarigkeit sein könne, denn man wolle beobachtet haben, daß
einige Thierarten, deren Pelz anderwärts dunkelfarbig sei,
in jener Gegend ein — isabellfarbig es Fell bekamen!
Perier, der an der Erörterung sich betheiligte, nahm
natürlich auf solche Phantasmen keine Rücksicht, bemerkte
aber, daß man an den Schädeln der blonden Kabylen
Eigenthümlichkeiten bemerkt haben wolle, durch welche
sie sich von den anderen Kabylen unterschieden; es sei
aber in der Sache selbst noch Nichts genau ermittelt wor-
den. Das Zeugniß Procops von einer blonden vorvandali-
schen Bevölkerung in Nordafrika bilde allerdings ein ge-
wichtiges Zeugniß gegen die germanische Hypothese. Dieser
Schriftsteller habe aber jene blonden Leute, lvelche er
jenseit des Aures versetzt, nicht gesehell. Auch schrieb er
nach der Eroberung Nordafrika's durch Belisar, und es
sei sehr wohl möglich, daß das von ihm erwähnte blonde
Volk aus Vandalen bestanden habe, die sich aus der Ebene
in die Gebirge zurückgezogen hatten.
Broca erinnerte daran, daß schon lange vor Pro-
copius sowohl Pliuius, als Ptolemäus von den lveißeu
Aethiopiern, Leukäthiopes, sprechen. Diese hatten
eine weiße Haut und lebten im Süden der Region, wo
die schwarzen Gätuler, die Melanogätuli, wohnten.
Die Letztereil finden wir südlich voil deir eigentlichen Gä-
tulern/ die ihrerseits südlich vom Atlas, im heutigen
Dattellande, lebten. Demgemäß hätten wir also die
Leukäthiopeil in der Sahara zil suchen. Die beiden eben
genannten Schriftsteller sagen aber nicht, was für Haare
zenes Volk gehabt habe, während sich Procopius bestimm-
ter ausdrückt. Er war Geheimschreiber Belisars, blieb
in Afrika, als der siegreiche Feldherr nach Konstantinopel
zurückgekehrt war und die Verwaltirng des eroberten Lan-
des feinem General Salomon übertragen hatte. Die
Landeseingeborenen, welche Procopius als Maurusier
bezeichnet, waren Leute von berberischer Rasse, Vorfahren
der heutigen Kabylen; sie überzeugten sich bald, daß sie
nur die 'Herrscher gewechselt hatten. Einige Stämme
blieben allerdings dem Byzantiner Salomon getreu, wäh-
rend aildere sich empörten. Ihr Anführer Jabdas flüch-
tete in das Auresgebirge, aus welchem schon früher die
Vandalen vertrieben worden waren, und zwar nicht von
Glvbus VI. Nr. 6.
den Byzantinern, sondern von den Maurusiern. Salo-
mon aber verdrängte den Jabdas aus dem Gebirge uud
baute im Aures Festungen, von denen noch jetzt Ueber-
bleibsel vorhanden sind'. Nun blieben die Byzantiner
Herren im Lande, bis die Araber kamen. Das war im
siebenten Jahrhundert; aber nichts berechtigt uns zu der
Annahme, daß auch die Vandalen zurückgekehrt seien.
Salomon hatte auf seineil Zügen, ans welchen Procopius
ihn begleitete, als Verbündeten einen eingeborenen Häupt-
ling, den Orthaias, bei sich; diesem gehörte ein Landstrich
im Süden des Atlas. Der Geheimschreiber sagt nun:
„Orthaiach hat mir versichert, daß jenseits der Grenze
seines Gebietes eine ungeheure Wüste sich ausdehne, lind
jenseit dieser Wüste wohne ein Volk, dessen Haut nicht
braun, wie jene der Maurusier, sei, sondern weiß, lind
dieses Volk habe blonde Haare." Diese weißhäutigen,
blondell Leute können keine Vandalen gelvesen sein; die
Letztereil waren mir Herreil im Gestadesande und mehrer
Inseln im Mittelländischeil Meere; sie sind ilicht bis in
die Wüste vorgedrungen. Als Procopius die obige Nach-
richt erhielt, war noch fein Jahrhundert seit Ankunft der
Vaildaleil in Afrika verflossen; wollte man ilun auch
annehmen, es seien Abkömmlinge dieser Germanen bis
tveit in die Wüste vorgedrungen, so hätte doch in einem
so kurzen Zeitraum die Kunde eines solchen Ereignisses
in Nordafrika sich nicht verlieren können. Diese blonden
Bewohner der Wüste sind wahrscheiillich Vorfahren der
blonden Tuareks, welche man in der Sahara findet, haben
mit den Vandalen nichts gemein, waren früher als diese
in Afrika lind silld wahrscheinlich die Leukäthioper des
Plinius und Ptolemälls. Von ihnen möchte ich die blon-
den Kabylen int Aures lieber ableiten, als von den Van-
dalen, welche zu Belisars Zeit zumeist vertilgt wurden.
Die heutigen blonden Kabylen tättowiren sich noch ein
Kreuz vor die Stirn, und wahrscheinlich sind ihre Ur-
ahnen einmal Christen gewesen, wie wir denn bestimmt
wissen, daß lange vor' Ankunft der Vandalen manche
Stämme das Christenthum angenommen hatten. Belisar
hatte seinen Kriegszug gegen die Vandalen, welche be-
kanntlich Arianer waren, damit zu motiviren gesucht,
daß er die rechtgläubige Bevölkerung gegen diese Ketzer
beschützen müsse. Uebrigens ist die Zahl der Vandalen
nie beträchtlich gewesen, und König Genserich .hat nie
mehr als 50,000 Krieger gehabt, voil denen sich noch
manche auf Corsika, Sardinien und die Balearen vertheil-
ten. Auch hat das afrikanische Klima sicherlich _ auf sie
eingewirkt, und es waren ihrer so wenige übrig, daß
Belisar ihnen nur 500t) Manil entgegen zu stellen brauchte.
Er tödtete viele uud andere ließ er als Gefangene außer
Landes bringen. Hinterher räumten dann noch die Mau-
rnsier unter ihnen auf, und schiverlich werden so viele
Vandalen übrig geblieben sein, daß sie einen permaneu-
ten Stamm hätten bilden können.
Perier meinte, daß die blonden Wüstenlente, voil
denen Procopius spricht, mit den blonden Kabylen im
Aures nichts zu schaffen haben. Procopius sagt an einer
andern Stelle, daß die byzantinischen Soldaten die Frauen
lind Mädchen der überwundenen Vandaleil geheirathet
hätten. 400 dieser Letzteren, so berichtet er weiter, seien
voil Belisar mit nach Konstantinopel gebracht und von da
nach Kleinasien verschifft worden. Aber ans der See
empörten sie sich und zwaugeil die Schiflsleute, sie liach
der afrikanischen Küste zu bringen. Sie seien nach Mau-
retanien gegangen nnd hätten sich dort dem Heere des
Stolzas angeschlossen. Also sind doch Vandalen in Afrika
geblieben, unb es wäre auffallend, inenn keinerlei Nach-
kommen von ihnen vorhandeil wären. —
In einer spätern Sitzung der anthropologischen Ge-
sellschaft, in welcher Erörterungen über die menschliche
Hanl uild bereit Farbe angestellt wurden, nahm Pruner
Bey den Gegenstand wieder auf. „Die Kabylen sind im
Norden, aur Gestade unb im Atlas, nur schwach gefärbt,
und unter ihnen fiubeu wir die Leute mit blondem
24
186
Das Karstgebirge und seine Bewohner.
Haar und blauem Auge, welche man für Vandalen aus-
geben möchte. Ich kaun das nicht zugeben; ich habe
unter diesen Kabylen nie einen deutschen Ge-
sichtstypns gesehen. Eine anatomische Prüfung ihrer
Gerippe hat mir dargethan, daß keinerlei Aehnlich-
keit zwischen ihnen und den Deutschen vorhan-
den ist, daß sie vielmehr zn demselben Stamme gehören,
wie die Tuareks. Es wäre aber durchaus unstatthaft,
anzunehmen, daß ein Volksstamm sein Skelett verändern
und doch seine ursprüngliche Haut bewahren könne. —
Das waren die Erörterungen in der anthropologischen
Gesellschaft. Man ist also der Lösung des Räthsels auch
heute um keinen Schritt näher gekommen und weiß nicht,
wohin man die seltsame Erscheinung blonder, blauäugiger
Kabylen bringen soll. Ich wage nicht, auch nur anzn-
deuten, ob der Rückschlag im Blute, der sich bekanntlich in
seltsamer Weise nach einer langen Reihe von Generationen
äußert, etwas mit jenen Kabylen zn schassen habe. Daß
in das weiland römisch-byzantinische Nordafrika mit den
Legionen viele germanischen Menschen gekommen und mit
einheimischen Frauen enge Verbindungen eingegangen sind,
wird nicht in Abrede gestellt werden. Noch heute kommt es
in der Lombardei vor, daß in Ehen, welche seit Genera-
tionen keine blonden, blauäugigen Männer oder Frauen
aufzuweisen haben, theils blauäugige, theils dunkeläugige
Kinder gezeugt werden, und unter den Juden findet man
dasselbe/ und zwar in Fällen, wo die Sittsamkeit der
Mutter absolut keinem Zweifel unterliegt. Der Atavis-
mus im Blute mit seinen eigenthümlicheil Rückschlägen
reicht sehr weit hinauf, und anet) in der bunten Rassen-
mischung Central- und Südamerikas findet man dafür
manche Beweise. Die ganze Erscheinung verdiente eine
umfassendere Würdigung und Untersuchung, als ihr bis-
her im Allgemeinen zu Theil geworden ist. Mail sollte
den Atavismus nicht blos, ivie seither zumeist gescheheii
ist, in Bezug auf pathologische Erscheinungen erforschen,
sondern auch vom allgemeinen anthropologischen Stand-
punkt aus; dabei würde gewiß die Ethnologie manche
Aufklärung erhalten. ' A.
Das Karstgebirge und feine Bewohner.
Skizze von Ludwig Jsleib in Laibach.
Das „Königreich Jllyrien", dieser südlichste Theil der
Länder, welche znm deutschenBund gehören, ist ein sowohl
in geographischer und geologischer, als auch in ethnogra-
phischer Beziehung höchst interessantes Stück Land. Und
doch wird es voil Touristen wellig besucht; die Eisenbahn,
welche es durchschneidet, — der Eisenarm, mit welchem
Frau Germania die blauäugige Adria hält — dient den
Reisenden nur dazu, so rasch als möglich eine Gegend zu
durcheilen, welche dem flüchtigen Beschauer nichts Erwäh-
nenswerthes bietet, welche im Gegentheil durch ihren
wüsten, eigenthümlichen Charakter abstößt. Daher
kommt es, daß die Wenigsten von diesem seltsamen Lalide
genaue Kenntnisse haben; sie wissen höchstens, daß
Krain, das Küstellland, Görz, ein Theil Kärilthens und
Steiermarks dazu gehören, lind daß die Julischen Alpen
es in verschiedenen Richtungen durchziehen. Man muß
es nach allen Seiten hin durchstreift und in allen Eigen-
thümlichkeiten studirt haben, um einzugestehen, daß es ein
höchst interessantes Land ist.
Sein Hauptcharakter sind die Kontraste, denen man
überall begegnet: riesige Alpen, deren Spitzen bis über
10,000 Fuß aufsteigen, grüne, weite Ebenen, fruchtbare
Thäler, wüste Steinfelder, malerische Seen, Flüsse, welche
plötzlich aus der Erde brechen und eben so wieder ver-
schwinden, ungeheuere Wälder, in denen noch Bären und
Wölfe hausen, unterirdische Grotten mit räthselhaften
Tropfsteingebilden — eine Welt von Gegensätzen. Aehn-
lich verhält es sich mit den Menschen, welche das Land
bewohnen; auch sie bilden in Sitte, Sprache, Tracht und
Kultur die seltsamsten Gegensätze. Die Mehrzahl ist sla-
vischer Abstammung, dann gibt es Deutsche und Italiener,
welche ihre Wohnsitze dicht neben den Slaven haben oder
auch mitten unter denselben mächtige Enclaven bilden.
Der wüsteste, an Kontrasten reichste und zugleich auch
rnteressanteste Theil des illyrischen Dreiecks ist jener,
welcher unter dem Namen „Karstgebirge" begriffen
wird. Es ist das der südliche Flügel der Juli-
schen Alpen, welcher sich von den: Grundstöcke, dem
mächtigen Triglav (Dreikopf) in südöstlicher Richtung
bis nach Istrien und nach Kroatien hin erstreckt. Gewöhn-
lich nennt man nur einen Theil der ganzen Kette „Karst",
und zwar jenen, welcher durch seine öden Steinfelder sich
den Rainen „Austria petraea“ erworben hat; allein da
das ganze Gebiet den gleichen Charakter trägt, so nennt
man es ganz entsprechend: Karstgebirge. Es besteht
zum größten Theil aus dein Kalk der Kreidebildung;
seine Bergrücken streichen fast alle in paralleler Richtung
mit der Nordküste des Adriatischen Meeres von Nordwest
nach Südost, eben so die sie scheidenden Thäler. Die
höchsten Gipfel erheben sich nicht über die gewöhnliche
Höhe der deutschen Mittelgebirge; die bedeutendsten Berge
sind der Schneeberg mit 5332 Fuß, der Monte mag-
giore in Istrien mit 4410, und der Manos bei Adels-
berg mit 4098 Fuß.
Ein großer Theil des Karstgebirges ist bewaldet, na-
mentlich der nordwestliche, der nördliche und nordöstliche
Theil; ein bewaldetes Hochplateau der Triglavgrnppe
zunächst ist der Tarnovaner Wald; an diesen schließt
sich der Birnbaumer Wald (slavisch hruschiza), und an
diesen reihen sich die Wälder Jnnerkrains und Gotschee's,
so daß der eigentliche Karst wie in einem Halbkreise' non
schönen grünen Wäldern eingesäumt erscheint — auch
einer der oben erwähnten Kontraste.
Die Landschaft des eigentlichen Karstes ist wegeil
Mangels an Grün in der Färbung höchst monoton; das
Auge sieht nichts, als graues Gestein. Selbst die Woh-
nungen und die Tracht der Bewohner harmoniren mit
diesem eintönigen Gran. Der Kalkboden ist ganz porös,
er läßt den Regen durchsickern wie ein Sieb. Das
Wasser schwemmt den wenigen Humus fort, den die
Bora nicht wegfegte, und die Vegetation findet kaum eine
Stelle, wo sie Wurzel schlagen kann. Nur in den trich-
terförmigen Vertiefungen, Doli neu oder Jamen ge-
nannt, entfaltet sich oft eine den Umständen entsprechende
üppige Pflanzenwelt, Bäume und Gebüsche bekleiden die
Wandungen Mals, Kartoffeln, Hafer, selbst Wein,
werden auf der Sohle der Doline, wo fruchtbare Erde
angeschwemmt ist, angebaut.
Hierher dringt auch die Bora nicht, dieser Schrecken
der Karstbewohner. Man macht sich keinen Begriff von
der Macht, den diese furienhafte Buhle des Nordwinds
besitzt. Baume, Dächer, Wagen und Pferde stürzt sie
Das Karstgebirge und seine Bewohner.
mn, Erde und Schnee fegt sie von ihrem Pfade fort,
selbst dem Riesen, dem Dampf, macht sie die Herrschaft
streitig, denn es ist schon öfter vorgekommen, daß die
Eisenbahnzüge wegen der Bora nicht weiter konnten.
Die Feuchtigkeit der Atmosphäre _ führt sie als feinen
Schneestaub mit sich und treibt ihn durch die kleinste
Oeffnung, so daß nicht Doppelfenster und Doppelthüren
den frechen Eindringling abzuhalten vermögen. Kein
Pelz, kein Gewand gibt hinreichenden Schutz gegen die
schneidende Kälte dieses Orkans. Die Dächer der Häuser
auf dem Karste find mit Ziegeln mehr gemauert als ge-
deckt unb überdies noch mit Steinen beschwert, damit die
freche Bora die Giebel nicht davon trage. Die Ver-
heerungen dieses Windes fiub sehr groß; in manchen
Orten/ wie z. B. in Zeugg, ist es polizeilich untersagt,
zur Zeit der Bora auf die Straße zu gehen, weil das
lebensgefährlich ist. Am stärksten wüthet sie im Quar-
nerobusen. Sie kommt von Nordost oder Norduordost her,
auch von den BergenBosniens, und durchweht das ganze
Küstenland. Ein Sprüchwort sagt von ihr: In Segna
nasce, in Fiume si marita ecl a Trieste muore. Allein
in Triest tritt sie oft mit solcher Hefligkeit auf — auch
heuer war es drei Tage hindurch der Fall — daß man
au das „muore" nicht glauben kann. Selten aber weht
sie länger, als drei Tage, oft dauert sie auch nur wenige
Stunden. Mau schreibt das heftigö Stürmen derselben
den Entwaldungen zu, welche die Schisse bauenden Vene-
tianer vor Jahrhunderten vornahmen und durch welche
überhaupt die Austria petraea entstanden fein soll.
Das durch den Boden sickernde Regenwasser sammelt
sich im Bauche der Erde und tritt in kleineren und
größeren Flüssen zu Tage. So ist die Rjeka einer
dieser räthselhafteu Flüsse, der sich bei San Canzian in
die Erde verliert und nach einem Laufe von fünf Meilen
als Timavus unterhalb von Demo wieder hervorkommt.
Man ist so eben bestrebt, eine Stelle aufzufinden, von
wo sich dieser Fluß nach Triest leiten ließe, das bekannt-
lich arm an siißem Wasser ist. Allein der Lauf der
Rjeka geht durch ein unterirdisches Labyrinth, und ver-
schiedene Nachgrabungen hatten keinen Erfolg. Ein
anderer Fluß des Karstes, der eine rälhselhafte unter-
irdische Wanderung macht, ist die Laibach. Man
kennt sie zuerst als Poik bei Adelsberg, wo sie in die
berühmte Grotte fließt; dann tritt sie als lluz bei Pla-
nt na hervor, verschwindet wieder und erscheint dann im
Moorgruud bei Laibach. Auch einen See bilden die
durch das Kalksieb sickernden Gewässer, den Cirkuitzer
See, der mit seinen unterirdischen Zu- und Ausflüssen
eine wirkliche Naturseltenheit ist. Zu den stannenswer-
thesteu Gebilden des Karstgebirges gehören die Grotten
und Höhlen mit den wunderbarsten Tropfsteinfor-
mationen, mit eigenthümlicher Flora und Fauna, unter
denen die Grotte bei Adelsberg die berühmteste ist.
Diese Grotten werde ich in einem besondern Artikel schil-
dern und hier das Augenmerk nur auf das Gebirge und
dessen Bewohner richten.
Die eigenthümlichen Bodenverhältnisse des Karstge-
bietes sind von großem Einfluß auf die Bewohner, deren
Charakter, Sitten, Tracht und Lebensweise. Entsprechend
der eintönigen Färbung der Landschaft, liebt der Karst-
bewohner einfarbige, graue, braune, überhaupt dunkle
Stoffe zu tragen. Eine Ausnahme machen die Bewoh-
ner des Wippacher Thales und des Küstenlandes, welche
lebhaften Farben hold sind. Die Sterilität des Bodens
gewöhnt den Bebauer einerseits au schwere Arbeit, an-
dererseits macht sie t£>n schlicht und genügsam, dabei frei-
lich auch weniger lebensfroh. Ein gewisser mürrischer,
verdrießlicher Zug ist hier und dort bemerkbar, verliert
sich jedoch, je weiter man nach dem Süden kommt. Der
Einfluß italienischer Sitte und Sprache wird ersichtlich,
sobald man den Kamm des Karstrückens überschritten hat.
Wie die Pferde des Karstes klein, unansehnlich, aber voll
Sehuenkraft und Ausdauer, so sind auch die Männer
kräftig und stark, trotz ihres kleinen Wuchses. Die
Frauen dagegen sind schlank und fein und werden es
desto mehr, je südlicher man kommt; ihr Gang ist leicht
und elastisch, die Haltung stolz und selbstbeivußt.
Die Karstnerin trägt ein weißes Kopftuch (Pet-
s ch a), aber nicht mit Spitzen ttub Stickerei, wie die Frauen
im nördlichen Kram; das mäßig weite Hemd ist sorgfältig
gefältelt, besonders am Halse, und um es recht zu zei-
gen, wird ein tief ausgeschnittenes Mieder getragen.
Eine blaue Schürze mit weißen Tupfen, ein baumwolle-
uer gestreifter oder gewürfelter Rock, weiße oder blaue
Strümpfe, und Schuhe mit hohen Absätzen vollenden
den weiblichen Anzug. Die Tracht der Männer besteht
meist aus einer blauen Jacke mit Metallknöpfen, kurzer
lederner oder baumwollener Hose, blauen Strümpfen und
Schuhen oder langen Stiefeln.
Ein eigenthümliches Volk sind die, die nördliche Seite
der istriauer Halbinsel bewohnenden Tschitscheu. Sie
gehören zum Theil zu Kraiu, zum Theil zum Küsten-
lands. Der Fleck Landes, den sie ihre Heimath nennen,
die Tschit scheret genannt, ist nur sechs Stunden lang
und fünf breit. Es ist der unfruchtbarste, steinigste Theil
des ganzen Karstes, kaum, daß dürftiges Gras zwischen
den Steinen sprießt und ein Wachholderstrauch seine
stacheligen Zweige entfaltet. Das zwingt den Tschitscheu
zur Genügsamkeit, und in der That ist es bewuuderns-
werth, wie wenig derselbe zum Leben braucht. Jede
Handbreit Humuserde baut er au, und wo viele solcher
Humusstellen zwischen dem Gestein sich befinden, ist auch
eine Art Dorf entstanden, d. h. es liegen da mehrere
Häuser zerstreut, meistens in Vertiefungen, und sind von
dem Gestein ringsum kaum zu unterscheiden. Die Tschit-
scherei ist sehr arm au Wasser. Kaiserin Maria Theresia
hat deshalb in Bigga ein Wasserreservoir anlegen lassen.
Das kleine Gebiet hat eine größere Bevölkerung, als es
ernähren kann. Deshalb ziehen die meisten Tschitscheu,
gleich den Friaulern, den Sommer über hinaus in die
Nachbarkronläuder, um bei Bauten als Handlanger oder
Maurer zu arbeiten. Zu Hause beschäftigen' sie sich
neben dem unerheblichen Laudbau mit dem Anfertigen
von Schleif- und Wetzsteinen, mit denen sie sogar bis
tief nach Deutschland hinein hausireu. Mau sieht sie,
ihre Waare auf Esel gepackt, oft durch Laibach dem Nor-
den zu ziehen.
Die Tracht der Tschitscheu ist, wie sich nach dem
Gesagten schon denken läßt, äußerst einfach. Der Mann
trägt meist einen breitrandigen, sogenannten Schlapphut,
eine Jacke von selbstgefertigtem Hanf- oder Leinenzeug,
das, je älter es wird, desto mehr der Färbung der Land-
schaft entspricht. Im Sommer hat er weite Leinwand-
hosen, nuten mit Fransen, im Winter enganliegende,
beu ungarischen gleichende Beinkleider von weißer Schaf-
wolle itiib mit blauem Vorstoß. Seine Fußbekleidung
besteht ans dicksohligen Sandalen, die mit vielen Lederrie-
men befestigt werden, sogenannten Opanken. Die
Tschitschin trägt auch das weiße Kopftuch, die Petscha,
daun ein Ober- und Unterkleid, ersteres ohne Aermel,
letzteres über der Hüfte mit einem Gürtel zusammen ge-
halten, ferner Strümpfe aus weißer Schafwolle und kurze,
mit_ buntfarbigen Schnüren versehene Opanken. Die
Tschitschin liebt es überdies, ihre Kleider mit rother oder
blauer Einfassung zu versehen.
Ueber die Abstammung der Tschitscheu sind ver-
schiedene Ansichten laut geworden; die Einen halten sie
für Nachkömmlinge der Japiden, die Anderen meinen, es
seien flavisirte Thraker. Ihre Sprache hat allerdings
manches Fremdartige, durch welches sie sich von dem Sla-
vonischen unterscheidet. Man betrachtet sie als einen
Zweig des sogenannten Jllyrischen. Im Steinschleudern
sollen die Tschitscheu große Geschicklichkeit besitzen; doch
übertreibt man hierin oft und vergißt darüber die an-
deren guten Eigenschaften des Völkchens, das den un-
24*
188
Das Karstgebirge und seine Bewohner.
fruchtbarsten, wüstestell Theil Europa's zu bewohnen nur
durch seine Genügsamkeit und Mäßigkeit fähig ist.
An den Karstbewohnern gehören auch die Bewohner
des Territoriums von Triest. Es sind ebenfalls
Slaven, welche aber meist auch Italienisch neben ihrer
Muttersprache sprechen. Ihre Tracht ist höchst malerisch,
besonders die der Frauen und Mädchen (Mandrieren).
Sie tragen meist ein schwarzes Leibchen, au der Brust
offen und farbig eingefaßt, einen faltenreichen, farbigen
Unterrock, der bis über die Knöchel reicht, nute» mit
einem breiten Saum von anderer Farbe, weiße Strümpfe
lind schwarze oder rohlederne Schuhe mit hohen Absätzen.
Dazu kommen dann Kopftuch und Brusttuch mit Spitzen
reich besetzt und, wie überhaupt die Wäsche, von blenden-
der Weiße, lind schwarzseidene Schürze. Es sind Gestal-
ten mehr als mittelgroß, mit zartem, frischem Teint,
sanften Gesichtszügeil und elastischem Gange. Der männ-
liche Bewohner des Territoriums von Triest hat auch
eine ganz eigenthümliche, dem Klima und der Beschäf-
tigung entsprechende Tracht, nämlich kurze Jacke und
kurze Hose von dunkler Farbe, letztere aul Knie offen,
blaue Strümpfe und Schuhe mit hohen Absätzen (des
Bergsteigens wegen), im Wiilter eine Pelzmütze von son-
derbarer Forili, 'im Somiller einen Strohhut. Aehulich
dieser Tracht ist die der Bewohner der ganzen Küste von
Optschiua bis Duino.
Einen Ueberblick des ganzeil Karstgebietes gewiilnt
man durch Ersteigung der beiden Berge Nalios uild
Schneeberg. Vom erstern aus sicht mail deil nord-
westlicheil Theil der Julischeli Alpen, Görz und Friaul
bis nach Venedig hin; vo»l Schneeberge überblickt man
den südöstlichen Theil, den Tschitscheuboden, Istrien,
Fiume, bis zumQuarnerobusen. Die Ferlisicht von beideil
Bergen aus ist nicht nur überraschend schön, sondern auch
belehrend, denn man erkennt die Figuration des Karstes
bis ins Detail, die terrassenförmigen Abstufungen, die
Richtung der Höhenzüge, die Waldpartien, die kahlen
Stellen des eigentlichen Karstes, der Tschitscherei rc.
Seiner ganzen Gestalt nach erscheint das Karstgebirge
als ein großer Riegel, welchen die Natur zwischen zwei
Kulturvölker geschoben hat. Zwar sind es größtenteils
Slaven vom Stamme der Sloveilcil, welche hier wohnen;
aber unverkennbar ist, daß von südlicher Seite her die
Woge des Nomanismus, voil nördlicher Seite her die
Woge des Germanismus an die alten Dolomitwände
brandet. Letzterer hat den Damm bereits überfluthet
und ringt auch jenseit schon mit dem italienischen Ele-
mente um die Suprematie. Die Slovenen, ein begab-
tes, aufgewecktes Völkchen, habeil somit gegen eine dop-
pelte Strömung sich zu behaupten. Wie der Ausgang
des ethnographischen Prozesses, welcher sich an dieser süd-
lichsten Grenze des deutschen Bundes vollzieht, sein lvird,
ist jedem Unbefangenen klar; wie lauge er aber dauern
wird, ist nicht abzusehen.
Kommt mau auf der Eisenbahn von Laibach her, so
merkt mau erst bei Rakek und Adelsberg die Nähe des
Karstes; bis dahin passirt man meist dichte Waldungen.
Je weiter man aber von Adelsberg aus nach Süden hin
vordringt, um so tiefer geräth man in die Wüstenregioueil
des Karstes, wo das Auge meilenweit nichts gewahrt, als
graues Gestein und hie itui) da niederes Gestrüpp oder-
einzelne von der Windsbraut geplünderte und zerfetzte
Bäumchen. Die einzelnen, wenige hundert Fuß hohen
Berge gleichen Mauertrümmerhaufen, im!) die Ebenen
sehen aus wie Felder, die der Teufel im Grimm geackert.
Zuweilen sieht man zwischen dem Gestein kleine Heerden
von Kühen, Schafen oder Ziegen, die das spärliche Gras
abweiden, dabei aber so wohlgenährt aussehen,' als ob
dem Grase eine Wullderkraft inne wohne. Eine Wun-
derkraft allerdings, und die ist, daß das Fleisch der
Thiere sehr wohlschmeckend wird, denn es sind Alpen-
kräuter, welche der Karst trägt. Die Hammel (Kastrun),
Hasen rc. vom Karst werden von den Feinschmeckern hoch
gepriesen. Der Hirt dieser kleinen, oft nur aus zwei
bis drei Stück bestehenden Heerden ist höchst primitiv
gekleidet und gleicht nicht selten einer aus dem Kalkge-
stein gemeißelten Statue. Späht man genauer umher,
so gewahrt man auch das Dorf, dem die Heerde gehört;
die Häuser heben sich wegen Gleichartigkeit der Färbung
von dem umherliegenden Gestein wenig ab, denn sie sind
meist mit Kalkmörtel beworfen, der nad) wenigen Jahren
so grau ist, wie das Gestein. Eben so ergeht es den
Ziegeldächern, die überdies noch mit grauen Kalksteinen
beschwert werden, damit die Bora nicht Fangeball mit
den Ziegeln treibt.
In der Nähe der Ortschaften ist es verhältnißmäßig
etwas civilisirter; man hat Wege gebahnt durch das
Steinmeer, indem die Blöcke an' beiden Seiten aufge-
schichtet wurden, so daß mau zwischen Mauern wandelt.
Wo sich nur etwas Erde zeigt, werden die Steine abge-
lesen und ringsher zu Mauern aufgeschichtet. Der so
gewonnene Raum wird dann „Garten" oder „Acker"
genannt, was freilich oft ironisch genug klingt. Während
einer Bahnfahrt sieht man solcher kreisförmiger ummauer-
ter Aecker genug.
Im Bebauen der kleinen Humusstellen ist der Karst-
bewohner ein wahrer Künstler der Landwirthschaft; das
sieht mau besonders bei den. Doliuen (von dol, das Thal)
oder Jamen (Gruben). Es sind dies trichterförmige
Vertiefungen, welche in ihrer untersten Verengung meist
eine dicke Ablagerung von fruchtbarer Erde haben, die
das Wasser hereiuschwemmte. Diesen Boden nun bebaut
der Karstbewohner mit einein Fleiße unb einer Sorgfalt,
die bewundernswerth erscheinen. Die Wände der Dolmen,
wenn sie nicht zu senkrecht oder zu felsig sind, tragen
Bäume und Gebüsch, das die Feuchtigkeit anzieht und
Schatten gegen den feitgenben Sonnenstrahl gibt. Es
sind meistens Eerreichen (Quercus cerris), Vogelbeerbäume
(Sorbus aucuparia), Kreuzdorngebüsche(IlbaninuslranAula
und alpina) rc., die hier vorkommen, darunter auch die
Mahalebkirsche (slovenisch r68e1ika), wie überhaupt die
Flora des Karstes einen ganz alpinen Charakter hat.
Die Bestellung der Miniaturfelder in den Dolinen lohnt
die angewandte Mühe durch einen verhältnißmäßig reichen
Ertrag an Mais, Korn, Kartoffeln, Wein rc. Die Wein-
reben werden hier schon, wie in Italien, zwischen und über
den Aeckern gezogen. Jede größere Doline ist ein üppiger
Thalkessel, und es gewährt einen eigenen poetischen Reiz,
inmitten der Steinwüste so unmuthige Verstecke zu finden.
Läßt man seinen Blick über die Karstfläche dahin schwei-
fen, so gewahrt man schon von ferne die Ränder der Do-
linen, über welche die Baumwipfel hervorragen; man
fühlt sich hingezogen, wie der Wüsteureiseude zu der
Oase.
Der Karst, so rauh sein Name klingt, so abstoßend
er auf beu ihn durchfliegenden Touristen wirkt, hat den-
noch seine eigenthümlichen Reize, seine Poesie, wie die
russische Steppe oder die ungarische Puszta.
Ist nicht jede Doline eine in das Gestein gemeißelte
Idylle? Ist nicht die Bora in ihrem Wüthen eine Er-
scheinung voll wilder Poesie? Sind nicht die Grotten
und ihre Tropfsteingebilde wirkliche Wunderwelten? Man
muß ihn nur kennen, den alteil Karst, um ihir lieb zu
gewinnen, lnan muß ihn gesehen haben zur Abendzeit,
im Sommer, wenil die Soilne ferne hinter beit Venezianer
und Tridentiner Alpen hinunter sinkt und ihre Strahlen
schräg über das Plateau sendet. Da glüht der Karst in
rosigen und violltten Tinten, und diese Gluth erhält sich
bis tief m die Dämmerung hinein; es ist, als läge der
Widerschein des Abendhimmels festgebannt auf den eisen-
schüssigen Dolomiten. Da ist das Gestein nicht mehr-
monoton grau, sondern es hat eine warme Färbung, eine
Stimmung, die nur orientalischen Landschaften eigen ist.
Eine Karstpartie, z. B. bei St. Croce oder Repen Tabor,
in der Abendbeleuchtung bedarf nichts, als einiger Ka-
Aus allen Erdtheilen.
189
meele zur Staffage und das Wüstenbild ist fertig. Ein
Maler in Trieft, Namens Beurliu, hat es sich beson-
ders zur Aufgabe gemacht, die interessantesten Partien des
Karstes bildlich darzustellen; er hat die eigenthümliche
Poesie des wüsten Gebirges vortrefflich aufgefaßt, wie
einige Bilder in der Henrigen wiener Kunstausstellung
zeigteil. Daß aber ein so ausgezeichnetes Talent, wie
Beurliu, sich für den Karst erwärmen konnte, ist der beste
Beweis für meine Behauptung: daß der Karst interessant,
originell — kurz, besser als sein Ruf ist.
Aus u l l c u Erdtheileu.
Vivien de St. Martins Urtheil über den „Nilquellen-
Entdccker" Speke. Unsere Leser wissen, daß wir im Globus
den Reisen Speke's großes Interesse zugewandt haben. Wir
theilten rasch alle Nachrichten mit, welche über ihn ans dem
fernen Afrika nach Europa gelangten, und gaben auch alles
Wesentliche' eines Vortrages, den er nach seiner Heimkehr in
der geographischen Gesellschaft in London hielt (Globus IV,
175 ff.;'249 ff.). Sobald sein Tagebuch erschienen war und
die Karte vor uns lag, konnten wir ein eingehendes Urtheil
fällen und kümmerten uns dabei nicht im mindesten um die
Posaunentöne, welche durch die englische Presse erdröhnten.
Der Herausgeber des Globus erstattete über Speke's Wande-
rung "im Verein für Erdkunde zu Dresden einen Bericht, der
Ban'd IV, S. 249 bis 254 vollständig abgedruckt worden ist.
Wir erkannten gern an, daß Speke ein muthiger, unter-
nehmender Mann sei, daß er über manche Gegenden und
Negerstaaten, welche vor ihm kein Europäer gesehen, nene
Nachrichten mitgetheilt und wichtige Ortsbestimmungen gege-
ben habe.
Aber wir sagten auch, daß Kapitän L-peke ein durchaus
unkritischer Kopf und von schwachem Urtheilsvermögen sei,
daß ihm der allgemeine Ueberblick fehle, daß er nicht verstehe,
Wichtiges vom Unbedeutenden zu sondern, und daß seine ganze
Darstellung höchst ermüdend, weitschweifig und langweilig sei.
Dazu kommt die geradezu beleidigende Ruhmredigkeit eines
Autodidakten, dem'es an wissenschaftlicher Durchbildung ent-
schieden fehlt, in dessen dreisten Combinationen viel Unbe-
wiesenes ist, in dessen Forschungen uns die empfindlichsten
Lücken entgegentreten. Wir erklärten ihn für unzuverlässig
in seinen Allgaben und nannten seine Karte ein Monstrum.
Auch berührte cs uns unangenehm, daß er mit John Bnlls
Lieblingsdingen, nämlich Baumwolle und Missionsphantasien,
Koketterie treibt. Während er einer andächtig horchenden
Tischgenossenschaft in seiner Vaterstadt Taunton die Lüge auf-
band, daß Oesterreich die Absicht hege, Afrika für sich in Be-
sitz zu nehmen, und daß England ein solches Attentat abwen-
den müsse, hat er neulich in Paris den Franzosen gesagt, daß
diese die rechten Leute seien, um von ihrer Besitzung am Ga-
bun ans Afrika zu civilisiren!
Dieses plumpe Kompliment hat aber dem ruhmredigeil
Manne nicht viel genützt und die Kritik ist dadurch nicht ent-
waffnet worden; wir unsrerseits sind, so viel uns bekannt,
zuerst mit einem scharfen Urtheile hervorgetreten. Wir sind da-
mals von einigen Seiten her gefragt worden, ob dasselbe nicht
etwa zu herbe sei, es stellte sich aber bald heraus, daß auch
andere Fachmänner sich in ähnlicher Weise äußerten.
Jüngst hat nun auch eine französische Autorität ersteil
boldt, Burckhardt, Alexander Burnes, liest, dann sieht
man, wie sie in wissenschaftlicher Weise generalisiren, und wie
besonnen sie in der Mittheilung der Einzelnheiten verfahren.
Speke's Buch aber gleicht in gar keiner Hinsicht diesen
großen Vorbilder», es ist verworren und führt den Leser in
ein Labyrinth müsfiger Einzelnheiten. Andererseits läßt uns
der Reisende gerade da im Stiche, wo wir wichtige Nachweise
von ihm verlangen, so z.B. gerade dann, wenn er den großen
aus dem Nyanza strömenden Wasserlauf verläßt, an den er
erst wieder nach einer Strecke von 100 Miles kommt. Hier
ist sein Text so vcrschwomnlen, so unvollständig, daß der Leser
von der Sache selbst kaum etwas merken würde, wenn er
nicht im Voraus auf dieselbe hingewiesen worden wäre. In
ethnologischer Beziehung, namentlich in Betreff der Linguistik,
vermissen wir Genauigkeit und Detail; vom Studium ist gar
keine Rede."
„Wir können all einem schlagenden Beispiele nachweisen,
wie sehr es dem Kapitän Speke' an jeder wissenschaftlichen
Vorbildung gebricht. An mehreren Stellen betolit er die ver-
schrobene Idee, daß es die alten Hindu gewesen seien, welche
die frühesteKunde von den Nilquellen gehabt; durch dieHindu
sei dieselbe erst ;u den Aegyptern gekommen, von welchen
dall» Ptolemäus seine Nachrichten erhalten habe. (Speke gibt
in seinem Text ein Monstrum von einer Karte über ' die
angebliche Knnde der alten Inder von den Nilguellen.) Diese
Angaben gründet er ans einige Abhandlungen Wilfords.
Speke weiß nicht ein Wort von dem traurigen Kapitel, wel-
ches sich ans dell Anbeginn der indischen Studien bezieht! Er
hat keine Ahnung von' der (ganz allgemein bekannten) That-
sache, daß Wilford, der übrigens seinerseits in gutem Glauben
war, sich von indischen Pandits betrügen ließ; diese legten
ihm verfälschte oder rein erfundene Texte vor. Späterhin hat
Wilford das eingesehen und zugestaliden."
Vivieil de St. Martin hebt dann mit Recht hervor, daß
Speke's Buch mailches Werthvolle für die physische nlid astro-
nomische Geographie, Meteorologie, Bodengestaltung, Botanik
und Geologie' enthalte llnd in dieser Bezichnilg Werth habe.
„Aber in Bezug ans die Hauptfrage, die Entdeckung der
Nilquellen, also gerade die, welche der Reisende hat lösen
wollen, sind noch viele Bedenklichkeiten vorhanden. Nein,
Kapitän Speke hat die Nilquellelt nicht entdeckt!
Er hat den Nyanza nicht erforscht, er weiß liichts
von dessen östlichen Zirflüssen, dergleichen sicherlich
von den Gebirgsstöcken des Kenia und Kiliniandscharo herab-
kommen. Speke kann nicht einmal mit Bestimmt-
heit sagen, daß der Strom, an welchen er unter
dem 3.o n. Br. gelangte, derselbe ist, welcher aus
dem Nyanza-See abfließt, derselbe nämlich in dem
Sinne, daß ausgemacht wäre, ob dieser nicht auf der noch
ganz unerforschten Strecke nicht irgend eilten andern Fluß auf-
genommen habe, der Anspruch darauf hat, als Hauptquellstrom
betrachtet zit werden. So lange die Region im Nordostcn des
Nyanza-Sees nicht genau erforscht ist, kann man gar Nichts
mit Bestimmtheit behaupten. Speke's und Grants Ver-
dienste als Reisende sind v sehr groß, aber in anderer Hin-
sicht. Sie haben dirrch ihre Energie Anspruch auf unsere Be-
wunderung, sie haben gezeigt, daß die Region der Nilquellen
nicht unzugänglich sei, sie haben die Bahn gebrochen und dazu
beigetragen, daß wir hoffentlich'bald die Lösung des großen
Problems erfahren."
Man sieht, daß dieses Urtheil genau mit dem überein-
stimmt, welches wir aussprachen, nachdem wir Speke's Buch
gelesen hatten.
Ashley Edens Reise nach Bhutan. Seine Verhaftung.
Die Engländer haben Irrungen und Wirrsal in allen Erd-
theilen, zumeist selbstverschuldete, wie in China und Japan,
in Neuseeland und mit dem Könige von Aschanti an derWest-
küste von Afrika; theils unverschuldete, wie jene mit den
Volksstämmen auf der Grenze zwischen dem Pendschab und
Kabul. _ Dazu kommt nun ein in vieler Beziehung interessan-
tes Ereigniß, welches unsere Aufmerksamkeit verdient.
Wir ersuchen den Leser, eine Karte von Asien oder noch
besser, eine solche von Ostindien zier Hand zu nehmen. Er
wird sehen, daß nördlich, fast in gerader Linie von Calcutta,
im Hunalayagebirge sich ein Streifen Landes erstreckt, welcher
den Briten gehört oder vielmehr unter ihrem Schutze steht.
Das i)t die Alpenlandschaft Sikkim, die etwa vom 106.°
osti- L. von Ferro durchschnitten wird. Den südlichen Theil,
mit der Stadt Dardschiling, haben die Engländer im
Jahre 1850 ihren unmittelbaren Besitzungen einverleibt. Die
Bewohner Sikkims sind zumeist L ap t sch a, welche zum großen
M
190
Aus allen Erdtheilen.
mongolischen Stamme gehören, sich zum Buddhismus be-
kennen und eine mit dem Tibetanischen verwandte Mundart
reden.
Sikkim streckt sich wie eine lange Zunge nach Norden und
scheidet das unabhängige Reich Nipäl von dem östlich gele-
genen Bhutan. Diese Region wird begrenzt im Norden
von Tibet, im Osten von einer nicht näher bekannten Gebirgs-
gegend, im Süden von Assam, welches unsere Leser aus
Hermann von Schlagintweits Skizzen kennen, und einigen
Provinzen Bengalens. Das Semb zerfällt in sechs Theile oder
Provinzen: Tassisudon, Punacha, Paro, Tongso, Tagna und
Andipur. Ueber Flächeninhalt und Einwohnerzahl fehlen ge-
naue Angaben; die Bhntias oder Bhotijas gehören, gleich
den Leuten in Sikkim, zum mongolisch-tibetanischen Stamme;
ihr Oberhaupt ist ein fleischgewordener Buddha, derDharma
Radscha oder Lama Rembntschi (Rin Potschhe), welcher
zur rothruützigen Abtheilung der Buddhisten gehört (die andere
ist gelbmützig). Seine Residenz ist in der Hauptstadt Tassisu-
don, d. h. heilige Glaubensfeste, 27^2° n. Br. am Gaddada-
fluß, der in Assam in den Brahmaputra mündet. Die welt-
liche Regierung des Landes ist irr den Händen eines Geistlichen,
der große Macht übt, und zwar ganz in theolratischem Sinne,
da er alle Aemter mit Geistlichen besetzt. Er hat einen ans
acht Mitgliedern bestehenden Staatsrath zur Seite, und die
StatthalterderProvinzen sind von ihm abhängig. Dieser welt-
liche Regetlt führt den Titel D epa Rad sch a.
Wir sind nur mangelhaft über Bhutan unterrichtet und
habeli erst durch Kapitän Samuel Turner, der 1783 nach
Tassisudon kam, einige Kunde erhalten*), indessen war schon
früher, 1774, ein anderer Engländer, Bogle, dorthin vorge-
drungen. Durch beide Reisende erfuhr man, daß schon Kai-
serin Katharina von Rußland sich bemüht habe, einen Handel
aus ihrem Reiche nach Tibet zu eröffnen, und daß ihre Be-
strebungen wenigstens theilweise Erfolg gehabt hätten. Daß
in unseren Tagen England sich eifrig bemüht, sich Handels-
wege aus Indien nach dem centralen Hochasien zu eröffnen, ist
von uns im Globus mehrfach hervorgehoben worden, Neuer-
dings war nun Bhutan als Dnrchgangslattd ins Auge gefaßt
worden. Von Ashley Edens Erpedition erfuhren wir aber erst
in diesen Tagen etwas Näheres in Folge einer tragischen Be-
gebenheit. Wir berichten nach englischen Quellen.
Die calcnttaer Regierung hatte eine Erpedition nach
Bhutan beschlossen, deren besondern Zweck wir nicht näher
angegeben finden; auch wird in den vor uns liegenden Be-
richten nicht gesagt, weshalb Ashley Eden nicht von Assam
aus nach Tassisudon ging; in dieser Richtung hätte er den
Flußlauf des Gaddadä verfolgen können, und' der Weg hätte
keine Schwierigkeiten dargeboten. Er ging über das Hoch-
gebirge des Himalaya, und noch dazu während der Winter-
monate. Die Erpedition bestand aus vier Europäern und etwa
200 indischen Dienern. Was wir über dieselbe lesen, erinnert
an die Beschwerlichkeiten und Gefahren einer Reise in den
Nordpolargegenden. Ohne die Ausdauer und den Muth der
wenigen Europäer wären die Kulis alle verloren gewesen.
Der Pfad führte oft an jähen Abgründen hin, über gefronten
Schnee und ausgedehnte Eisfelder, aber am Etide wurden alle
Hindernisse überwunden. Eden kam nach Tassisudon und
hielt als Abgesandter der indischen Regierung seinen Einzug.
In den neuesten Mittheilungen, welche uns vorliegen, wird
gesagt, daß er Audienz erhielt, aber in der öffentlichen Sitzung
der hohen Würdenträger des Staates (dem Durbar, Diwan)
in einer höchst empfindlichen Weise beleidigt wurde. Nachher
sperrte man ihn ein und zwang ihn, einen Ver-
trag zu unterzeichnen, durch welchen das ganze
britische Assam an Bhutan abgetreten wird. —
Als wir eben die vorstehenden Zeilen geschrieben hatten,
lasen wir Berichte aus Bombay vom 28. April. Sie melden,
daß Eden aus Bhutan zurückgekommen und in Dardschiling
wieder eingetroffen war. In dem Vertrage, welchen man ihm
abzwang, und der natürlich von ben Engländern als durch-
aus ungültig betrachtet wird, sind auch die Theepflanzungen
inbegriffen, 'dereir Besitzern die bhutanische Regierung eine
Geldentschädigung zahlen wollte.
Uebrigens muß in Bhutan selbst große Verwirrung herr-
schen. Der Depa Radscha war vom Dharma Radscha ent-
lassen worden, und eine Anzahl von Grundbesitzern und Be-
amten hatte sich auf britisches Gebiet geflüchtet. Es wird sich
nun fragen, in welcher Weise die Engländer den Bhutias
*) Reisen nach Butan und Tibet, vom Kapitän Samuel Turner. Aus
dem Englischen in einem gedrängten Auszug mitgetheilt von M. C. Spren-
gel. . Weimar 1801.
eine Züchtigung geben wollen; denn Beleidigungen, wie sie
Edeit erfahren hat, darf man in Asien nicht ungestraft hin-
gehen lassen. Von einem Kriegszug in ein solches Alpenland,
das ohnehin ein durchaus nicht wünschenswerther Besitz wäre,
kann keineRede sein. Wir siitd auf Einzelnheiten und nähere
Nachrichten gespannt.
Kapitän Mage am obern Senegal. Die letzten Nach-
richten über diesen Reisenden, der von Westen her Timbnktu
zit erreichen trachtet, sind vom Januar. Er war mit seinem
Begleiter Quentin zu Kundian, einem Flecken am Bafing, etwa
24 Wegstunden südlich von Bafulabe und wollte in der näch-
sten Zeit nach Bammaku aufbrechen, das bekanntlich am
Niger liegt.
Die Ainos auf der japanischen Insel Jeso. Wir haben
jüngst, Globus VI, S. 86 ff. über dieses merkwürdige, stark
behaarte Volk des östlichen Asiens Mittheilungen gemacht. Wir
finde,: nun in der neuesten Lieferung der Revue orientale
(Nr. 52) einige Bemerkungen über dasselbe Volk von einem
Herrn I.Um ery, die wir einfach mittheilen wollen. Nähere
Angaben über die benutzten Quellen vermissen wir.
Umery schreibt: Man hat wiederholt Zweifel geäußert
gegen die Existenz einer durch fast vollständig behaarten Kör-
per sich auszeichnenden Bevölkerung auf den Inseln des
äußersten Ostens. Neuerdings hat man die Gegend südlich
von Hakodade genauer erforscht nnb nun ermittelt, wie rich-
tig die Angaben früherer Reisenden und auch jene sind, welche
unsere Orientalisten chinesischen oder japanischen Büchern ent-
lehnt haben.
Man nennt das Volk ans Chinesisch Mao jin, d. i. be-
haarte Leute, und als solche sind sie seit den Kriegen des
Fürsten Bamako-Take bekannt. Man schilderte sie so, als sei
der ganze Körper, ja selbst das Gesicht mit langen Seiden-
haaren bewachsen. Ihre Sitten seien die einer wilden, un-
steten Nation, Jagd'und Fischfang sei ihr Nahrungserwerb,
Bärenfelle seien ihre einzige Kleidung.
Es scheint nicht, als hätten die'Ainos seit jener Zeit, wo
sie zuerst in der japanischen Geschichte auftreten, Fortschritte
gemacht. Die, welche jetzt in der Umgegend von Hakodade
nnb vonMatsma'i wohnen, und das sind noch die civilisirtesten,
haben von den Sitten ihrer Beherrscher keine, ausgenommen
den Genuß starker und berauschender Getränke, angenommen.
Seit Europäer auf ihrer Insel landen, zeigen sie sich sehr
lüstern nach Branntwein und verkaufen oft ihre ganze Habe
für den elendesten Fusel. Daher wohl das unverkennbare
Aussterben der Eingeborenen von Nord-Jeso, wo vielleicht
schon nach zehn Jahren kein einziger Aino mehr zu fin-
den ist (?).
Die Ainos von Nord-Jeso leben viel armseliger als jene
des Südens, sind aber kräftiger gebaut als diese und zeigen
ihnen gegenüber auffällige ethnographische Verschiedenheiten;
die Behaarung ist, namentlich bei den Männern, auf dem
ganzen Körper viel mehr entwickelt, au den Schultern oft 18
bis 20 Centimetres laug, wogegen sie bei beiden Geschlechtern
in der Umgegend der Genitalien, sei es non Natur, sei es
in Folge eines auch anderwärts verbreiteten Gebrauchs, fehlt.
Ihre Haare sind nicht schwarz, sondern zeichnen sich durch eine
ockerbraune Färbung aus und durch eine Ungeschmeidigkeit,
durch welche sie fast mähneuartig erscheinen; bei manchen Frauen
spielt das Haar ins Orange-röthliche. Drückt man nun auf
diese Haare ein wenig mit der Hand, so bleibt ein Geruch
zurück, der an faule Eier erinnert. (Wahrscheinlich sind diese
Haare gefärbt.) Die Augen liegen weniger schief, als bei
den Japanern und haben zuweilen eine grünliche Färbung,
die bei jungen Weibern wobt ins Bläuliche überspielt. Die
Ohren sind lang und erscheinen oft entstellt und von Haut-
krankheiten angegriffen.
Die Ainos haben sich vielleicht dann auf den Kurilen
niedergelassen, als sie durch die Uebcrmacht der japanischen
Eroberer sich gezwungen sahen, Nippon zu verlassen. Das
Innere von Jeso i|t selbst den Ainos so gut wie unbekannt.
Manche von ihnen behaupten, dasselbe sei unbewohnt, ja un-
bewohnbar; Andere geben an, es wohne dort ein wildes
schwarzes Volk, das beim bloßen Herannahen von Frem-
de,r fliehe. Sei dem wre ihm wolle? Eins steht fest; für
Abenteurer, denen es um die Wissenschaft zu thun ist, würde
ein Streifzug ins Innere dieser Insel von lebhaftem Interesse
sein und jetzt viel weniger Schwierigkeiten bieten, als man
zu sagen und zu wiederholen beliebt hat.
Aus allen Erdtheilen.
191
Aus Bolivia. In den südamerikanischen Republiken
herrscht eine wahre Eisenb ahn manie, und die Leute tra-
gen sich mit den wildesten Projekten. So fabelt mau von
einem Schienenweg über die Kordilleren aus den argentinischen
Provinzen hinüber nach Chile, und in Bolivia werden auch
die großartigsten Pläne — auf's Papier gebracht; eben so in
Peru. Wenn man weiß, daß die beiden letzteren Staaten noch
nicht einmal eine einzige Landstraße haben, dann leuchtet das
Abenteuerliche so weitschichtiger Projekte sofort ein. Es würde
auf lange Zeit hinreichen, einige Hauptschienenstränge zu bauen
imb diese Hauptader durch fahrbare Straßen mit'dem innern
Lande zu verbinden. An Projektmachern ist natürlich kein
Mangel. Der bolivianische Präsident Acha ist, ausnahmsweise
in jenem Lande, verständig genug, an volkswirthschaftlichen
Dingen mehr Gefallen zu finden als am Kriegführen, und so
hat die Republik bis auf Weiteres einmal einige Ruhe. Nun
haben ihm zwei Männer aus London, Gibson und Arrieta,
den Vorschlag gemacht, aus dem Innern Bolivia's eine Bahn
zur Südsee, mit Zweigbahnen nach Potosi, Cochabamba, Ornro
und La Paz zu bauen. Wer nun weiß, daß über die Hälfte
der Bewohner dieses ausgedehnten Landes aus halb- und
theilweise ganz wilden Indianern besteht und daß die volks-
wirthschaftlichen Verhältnisse sich auf der niedrigsten Stufe
befinden, sieht sogleich, daß diese Bahnen, wenn sie gebaut
würden, nicht einmal die Betriebskosten annähernd decken
konnten. Was etwa ersprießlich wäre, das ist ein Schienenweg
von Cobija, dem einzigen Hafen, welchen Bolivia am Meere
hat, bis an den Fuß der Cordilleren, von wo man dann eine
Landstraße bauen müßte. Zweckmäßig und mit nicht unver-
hältnißmäßig hohen Kosten könnte man auch eine Bahn von
Ornro nach La Paz führen, und eine andere von Chu-
guisaca nach dem Rio Otoquis, der zum Stromgebiete
des La Plata gehört. Bolivia muß, wenn etwas aus dem
Lande werden soll, Alles aufbieten, um gute Verbin-
dungswege mit dem Pa ragnaystrome zubekommen.
In dieser Richtung, nach Osten hin, wird es seine Landes-
erzengnisse am besten in den Welthandel bringen, vom La
Plata her seine Bedürfnisse aus Europa fügl'ichcr beziehen
können, als von der Südsee her. Uebrigens wurde an einer
Chaussee zwischen der peruanischen Stadt Tacna und La Paz
im Januar 1864 eifrig gearbeitet.
Winwood Reade's Bemerkungen über Sierra Leone. In
den Sitzungen der londoner anthropologischen Gesellschaft nimmt
die Erörterung nicht selten einen lebhaften oder gar gereizten
Ton an; manche Mitglieder sind noch in sehr rückständigen,
veralteten Anschauungen befangen und können sich nicht mir
jener freien Forschung befreunden, die lediglich das Interesse
der Wissenschaft im Auge hat. Sie möchten, daß diese letztere
durchweg nach dem Maßstabe sich richte, welchen die Theologie
der anglikanischen Hochkirche für den allein angemessenen
hält, und ereifern sich ans das Höchste, wenn sie über densel-
ben hinausgeht. Ist doch die Anthropologie für eine „gott-
lose" Wissenschaft erklärt worden, die vom Geiste deutscher
Zweifelsucht und Verneinung durchdrungen sei! Die Forschung
läßt sich freilich dadurch nicht irre machen und kämpft rüstig
weiter, um landläufige, überkommene Vorurtheile zu beseitigen.
Ein schweres Stück Arbeit hat sie allerdings; denn wer wüßte
nicht, wie schwer es überall hält (selbst in dem gebildelen
Deutschland, wo doch die Kultur im Vergleich zu England
viel weiter verbreitet und in Klassen und Bernfssch'ichten
eingebürgert ist, die in Großbritannien noch mehr oder weniger
in geistiger Entwicklung weit zurückgeblieben sind), der Wür-
digung von Thatsachen Bahn zu brechen, die mit den herge-
brachten, einmal festgewurzelten Anschauungen nicht stimmen.
Man kann das wieder deutlich abnehmen ans der Art
und Weise, wie in jener anthropologischen Gesellschaft die in-
haltschwere Negerfrage behandelt wurde. Es kamen Be-
merkungen vor, welche den Beweis lieferten, daß auch den
Leuten, die auf wissenschaftliche Bildung Anspruch machen, For-
schung und Thatsachen völlig fremd geblieben sind, oder daß
sie beideit den Rücken kehren, als wären sie gar nicht in der
Welt. Wir werden gelegentlich auf diese interessanten Erör-
terungen zurückkommen und wollen heute nur einige Bemer-
kungen Winwood Reade's mittheilen, der Westafrika und
den Negers aus eigener Anschauung und Beobachtung kennt;
sein vor einigen Monaten in London erschienenes Werk über
„Das wilde Afrika" liefert dafür den Beweis. Auf manche An -
sichten, die er ausspricht, legen wir unsererseits, vom
Standpunkte der deutschen Wrstenschaft, keinen hohen Werth,
wohl aber auf seine Beobachtungen, ans das, was er aus per-
sönlicher Erfahrung schildert. Ein „Reverend", Herr Dingle,
sprach mit großer Heftigkeit gegen die neuere Forschung, als
welche in „Ignoranz und Vorurtheil" befangen sei; er berief
sich auf eine Stelle in den heiligen Büchern der alten Juden,
der zufolge „Gott alle Menscheil aus Einem Blute geschaffen
hat". Diese Stelle sei das wahre „wissenschaftliche Princip".
Dann stellte er den blutdürstigen Haitier Dessalines auf Haiti
als einen „großen Mann" hin und behauptete, in Sierra
Leone, an der Westküste voll Afrika, bildeten die Neger
„eine respektable, christliche Gemeinschaft". Dort seien sehr
viele fromme Kongregationen, wohlbewandert in allen Lehren
des christlichen Glaubens und ausgezeichnet durch ihre nüch-
terne, ordentliche und christliche Aufführung. Die eine Kir-
chengenossenschaft zähle 7000 Kirchenbesucher, 4000 Communi-
canten, habe 12 ordinirte schwarze Geistliche und 14 Laienagen-
ten; mehr als ein Viertel der ganzen Bevölkerung besuche die
Schulen, und das sei ein Verhältniß, wie man es vielleicht
„in der ganzen Welt nicht wieder finde"; von d0,000 Sierra
Leone-Leuten seien nur etwa 6000 Mohammedaner oder Heiden
geblieben. Was wolle es nun besagen, wenn man so höchst
erfreulichen Erscheinungen gegenüber „absurde und abgestan-
dene Theorien" vorbringe? —
Man sieht, daß dieser Reverend Dingle lediglich sagt,
was er in den Berichten der anglikanischen und methodistischen
Missionäre gelesen hat. Diese sind gewiß rechtschaffene Leute,
die mit Wissen und Willen keine Unwahrheit sagen wollen.
Leider nehmen sie aber fast durchgängig ihre frommen Wünsche
und Zukunftshoffnnngen für Thatsachen und ihre Phantasien
für Wirklichkeit. Daher kommt es, daß alle Reisenden, die
nicht den Missionären angehören, das Gegentheil von dem
nachweisen, _ was die Missionäre so fest behaupten, z. B. in der
neuesten Zeit auch B n r t o n und Read e.
Der Letztere hob zuerst die Thatsache hervor, daß der Mo-
hammedanismns unter den Schwarzen Afrika's reißend schnelle
Fortschritte mache, und hob dann die Frühreife der Negerkin-
der hervor, welche von Dingle betont worden war. Sie ist,
sagt er, eine Thatsache. Die Frau des amerikanischen Missio-
närs Walker hat 10 Jahre lang in Afrika und 12 Jahre
lang in Amerika Negerkinder unterrichtet. Ihre Erfahrung,
welche sie mir mittheilte, lautet dahin, daß diese schwarzen
Kinder sich auch geistig früher entwickeln, als die weißen, aber
in ihrem Gedächtniß'haften die Sachen nicht so gut, und
durchschnittlich bleiben sie etwa von deut 16. Jahr an in
geistigem Stillstand, vergessen auch allmälig das Meiste von
dem, was sie früher gelernt haben.
Was nun die Negercivilisation in Sierra Leone betrifft,
so bin ich dort gewesen und habe Beobachtungen angestellt.
Ich kam an einem Sonntag an und ließ mein Gepäck von
einem Neger nach meiner Wohnung tragen. Dort gab ich ihm
für seine Bemühung einett Sirpence; er verlangte aber das
Doppelte, einen Schilling, — weil er den Sabbath ge-
brochen habe!
Als ich Nachniittags tu der Stadt umherging, sah ich eine
Negerin mit einem recht hübschen Kinde. „Das ich ja ein iticb =
liches Kind", sagte ich, „ist es Ihre Tochter?"
,'Ja, das ist mein Kind, eilt recht hübsches Kind, wollen
Sie es mir nicht ab kau feit?"
„Wofür? Was soll ich geben?"
„Geben Sie mir viel Rum und Kleider; dafür
können Sie mein Kiltd kaufen."
Ich dachte null in meinem Sinne: „Das ist gewiß eilt ar-
mes Heidenweib, das erst vor Kurzem aus dem Innern kam
und noch keine Unterweisung im Christenthum erhalten hat."
Da fingen die Glockeit zu läuten au und ich blieb stehen und
die Frau sprach:
„Hören Sie das Läuteit liicht? Halt, ich will in die
Kirche gehen, weint sie aus ist, könneit wir weiter palavern."
Was die schwarzen Geistlichen in Freetown (der Haupt-
stadt von Sierra Leone) betrifft, so war der ausgezeichnetste
unter thuen einst Strafgefangener, der in Ketten ging. Ich
habe ans dem Munde dieser Leute seltsame Dinge vernommen
und will Ihnen wenigstens eine Probe nicht vorenthalten. Es
handelte sich füv den Prediger darum, seilten Zuhörern den
Ursprung der weißen Menschen zu erklären, und das
that er in folgender Weise: —
„Meine Brüder, ihr seht einen weißen Mann; er ist zu
schlecht, ist zu verflucht. Ihr müßt euch wundern, weil
Gott erlaubte, daß solche Menschen in die Welt kamen. Ich
will euch sagen, wie das geschah. Vor langer, langer Zeit
lebten^ Adam und Eva in einem schönen Garten; da gab es
süße Bananen, süße Kartoffeln und Wein, ah, beinahe zu viel.
Die hatten zwei Söhtte; der eine hieß Kain und der attdere
192
Aus allen Erd theilen.
hieß Abel. Kain schlug seinen Bruder Abel todt. Da kam
Gott vom Himmel und ries: „Kain!" Kain aber ging fort und
verkroch sich in einen Busch. Da sagte Gott: „Kain, Du denkst
wohl, ich sehe Dich nicht, Du Buschnigger! Komm nur
heraus, Kain!" Kain kam auch heraus und sprach: „Ja Massa,
hier bin ich; was willst Du, Massa?" Gott sagte: „Wo ist
Dein Bruder Abel?" Als er so fragte, wurde Kain über
und über weiß. Seht, Brüder, dieser Kain war
der erste weiße Mensch."
Wiuwood Reade bemerkt weiter: — In Sierra Leone
haben die Neger ganz dieselben Rechte, wie die Weißen, und
in den Geschworuengerichten überwiegt ihre Zahl entschieden.
Die Folge ist, daß' ein Weißer, der eine Klage gegen einen
Schwarzen anhängig macht, niemals Recht erhält. Es
kommen aber urkundlich koustatirte Fälle vor, daß schwarze
Jurymänner in trunkenem Zustande als Geschworene fungiren
und den Richter derart beleidigen, daß mau sie einsperren muß.
Ein weißer Manu sagte zu einem Neger: „Mach, daß
Du aus meinem Hofe fortkommst." Der Neger antwortete:
„Du bist verdammt, Du!" Da nahm der Weiße ihn am
Kragen und warf ihn hinaus. Der Schwarze machte eine
Klage anhängig, und der Weiße wurde mit einer Geldbuße
von 50 Pfd. St. belegt. „Ich will gerade nichts gegen die
wesleyanischeu Missionäre in Sierra Leone einwenden'; sie sind
ein ganz guter Menschenschlag; zwar sprechen sie ein schlechtes
Englisch, aber ich halte sie für fromm und arbeitsam. Von
den westafrikanischen Negern lassen sie sich indessen hinter das
Licht führen, unb diese' Neger sind die scheinheiligsten Seutc,
die größten Lügner in der Welt. Indessen sind die'Dinge doch
nicht mehr so schlimm, wie in der Zeit, als Major Laing
schreiben konnte: „In Sierra Leone leben drei Missionäre;
der eine lebt mit einem Negerweibe, der andere treibt sich be-
trunken ans der Gasse herum, und der dritte ist vor Gericht
gestellt worden, weil er einen Knaben zu Tode gepeiischt hat."
Gegen diese Bemerkungen Neade's konnte der Reverend
Dingte nichts einwenden. Wir finden eine Bestätigung der-
selben in Richard Bnrtons höchst interessanten Schilderungen
über die Volksznstände in Sierra Leone. Diesen widmen wir
demnächst einen besondern Artikel.
Neue Kupfergruben in Südamerika. Von Herrn Karl
von Kose ritz erhalten wir folgende Mittheilung ans Rio
Grande do Snl:
Neben den bedeutenden Steinkohlenlagern, von deren Ent-
deckung wir neulich bereits Nachricht gegeben haben, ist jetzt
von einem englischen Mineralogen, ^Nathaniel Plant, eine
reiche Kupfermine aufgefunden worden, zu deren Erforschung
sich eine Gesellschaft gebildet hat, welche bei der Regierung
um ein 30jähriges Privilegium eingekommen ist.
Diese wichtige Mine liegt an' den Ufern eines Neben-
flusses des mächtigen Uruguay, Quarahim genannt, und ist
nur vier Meilen von der blühenden Hafenstadt Urnguayana
(am Uruguay) entfernt, so daß der Transport des Metalles
sehr leicht ist. Die Lage der Knpferader zeigt dieselben Um-
stände und Verhältnisse wie bei einigen in Peru und Bolivia
aufgefundenen Minen. Die Felsen, in denen die Mine ent-
halten ist, gehören zu den amphibolischen Porphyren; die
untere Lage ist guarzhaltiger Porphyr, die obere von Mela-
phyren gebildet. Die Existenz der Mine wurde durch eine
große Quantität Chrysocol (Hydro-Silicat von Kupfer) auf
der Oberfläche des Bodens angezeigt, und nach Abtragung
der Erdschichten fand man einen Gang von ganz außerordent-
lichem Reichthume. Das Kupfererz zeigt sich als eine Ver-
bindung von Schwefellupfer und Kupfe'roxyd; außerdem fand
man rothes Oxyd mit 88,8 Procent Kupfer, das sich durch
die ganze Mine in Forin seiner und irregulärer Adern, so wie
in Stücken bis zur Größe von 14 Pfd. hinzieht. Die Eröff-
nung eines tiefen Schachtes beweist, daß der Kupfergang sich
in einer unberechenbaren Tiefe erstreckt, wie es bei Kupser-
sulphuraten und Kupferoxyden fast immer der Fall ist. Die
Gangart selbst ist größtentheils aus Feldspats) gebildet, welcher
von Kupfer- und Quarzadern durchzogen wird. Die Nächst-
liegenden Porphyrfelsen enthalten ebenfalls noch Kupferadern,
die sich fast durch das ganze Thal des Uruguay, vom Flusse
Arapahy aus, nach Norden hin erstrecken, wie die Existenz
von einer großen Menge gediegenen Kupfers in Körnern auf
der Erdoberfläche hinreichend beweist.
Das Land, welches die Mine umgibt, ist fast gänzlich eben
und bietet die beste Gelegenheit, eine Eisenbahn bis an den
Uruguay zu errichten, um das gewonnene Metall nach dem
Hafen von Urnguayana zu befördern, und für den Fall, daß
man an Ort und Stelle Schmelzöfen errichten wolle, bietet
der ungemeine Holzreichthum jener Gegend hiezu die beste
Gelegenheit. Die Mine wird von einer englischen Kompagnie
in Angriff genommen werden, und da das Klima der Provinz
Rio Grande der Gesundheit des europäischen Arbeiters zuträg-
lich ist, wird dieselbe durch deutsche und englische Bergleute
bearbeitet werden.
Der konventionelle Werth des Kupfers und der Mangel,
den hauptsächlich Brasilien an diesem Metalle hat, macht diese
Entdeckung zu einer äußerst wichtigen, und die Erforschung
der reichen Kupfer- und Steinkohlenminen der Provinz
wird bedeutend dazu beitragen, den Reichthum derselben zu
erhöhen.
Trauben und Eishandel in China. In der Umgebung
der nordchiuesischen Stadt Tim tsiu wird sehr viel Getreide
gebaut, namentlich Mais, Sorgho und Gerste. Von Öl-
pflanzen kultivirt man den Ricinus und den Sesam. Auch
der Weinstock wird in großem. Maßstabe angebaut. Aber die
Chinesen trinken keinen Wein, sondern verzehren die Trauben
im frischen Zustande, und die von Tieu tsiu werden weithin
für die Tafeln der reichsten Mandarinen ausgeführt. Die
Aufbewahruugsart der Trauben ist eine eigenthümliche. Der
Fluß Pelho friert während dreier Monate im Jahre ziy und
liefert dann ein sehr festes und gutes Eis, das in würfel-
förmigen, etwa l1/a Fuß im Durchmesser haltenden Stücken
ausgeschnitten und nach einem weiter nördlich gelegenen Orte
geschafft wird. Aus diesen Eisblöcken baut mau kleine Häu-
ser, die hoch genug sind, daß ein Mensch in sie eintreten kann ;
ihre Länge ist sehr verschieden. In ihnen bewahrt mau die
Trauben auf. Die Dauer dieser Häuser erstreckt sich bis in
den heißesten Sommer, und die darin bis zum nächsten Herbste
aufbewahrten Trauben lassen sich von den frischen des neuen
Jahres durchaus nicht unterscheiden.
Der Eishandel zwischen dem Norden und Süden
China's ist von großer Bedeutung. Die Chinesen brauchen
das Eis nicht zur Abkühlung der Getränke, wie wir, da
sie diese meist heiß trinken, sondern zur Aufbewahrung von
Nahrungsmitteln. Die von ihnen in der Erde angelegten Eis-
keller sind sehr praktisch. Hauptsächlich sind es aber euro-
päische Schiffe, welche den Eishandel zwischen dem Norden
und Süden des Reichs unterhalten. Der Gebrauch des Eises
ist allgemein verbreitet, und bei den Eßwaarenhändlern be-
kommt man Fische oder Geflügel zu kaufen, welches im vor-
hergehenden Winter in Wasser getaucht, so allmälig mit
einer Eiskruste überzogen und in den Eiskellern aufbewahrt
worden war. Hierin sind uns die Chinesen gewiß noch
voraus. Die große Menge billiger Weintrauben aber, die in
der Provinz Pe-tschi-li gezogen wird, dürfte einen Europäer
leicht auf den Gedanken bringen, hier Wein in großartigem
Maßstabe zu fabricireu, da die Chinesen selbst die Bereitung
des Weins nicht kennen. (Ponssielgue's Reise von Schaug -Hai
nach Moskau. In „Le tour du monde“ Nr. 215.)
Das ostindische Budget. Die Einnahmen in Britisch-
Jndien sind für 1863 auf 1864 zu 44,753,000 Pfund Sterling
veranschlagt worden, die Ausgaben auf 44,722,000. —
Elfenbein in einem Elephantenmagen. Die „Cape and
Natal News" enthalten folgende Mittheilung, über welche der
Leser urtheilen möge. — In der öffentlichen Bibliothek der
Kapstadt hat man einen Elephantenzahn ausgestellt, der im
Magen eines Elephanten gefunden wurde; Einsender ist der
berühmte Reisende Andersson. Einem von Chapmanu
abgestatteteu Bericht zufolge wiegt der Zahn 82 Pfund; der
Elephant wurde au der Mündung des Ghaslakie in den
Sambesi getödtet und zwar von Sebaga, Hekaueu und
anderen wohlbekannten Jägern aus Kurumau, der Missions-
station Moffats. Das Thier hatte in der Seite eine große
vernarbte Wunde, die es ohne Zweifel im Kampfe mit einem
andern bekommen. Jener Elephant wurde von'den Kaffern,
die schon viel mit ihm zu schaffen gehabt hatten, als „der
böse Schlafkamerad" bezeichnet; er rannte stets mit stürmischer
Heftigkeit auf die Jäger ein, deren schon früher zwei oder drei
ihm erlegen waren. Beim letzten Kampfe wurden mehr als
200 Kugeln auf ihn abgefeuert.
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildbnrghausen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildbnrghausen.
ItreMge in der spanischen Provinz Valencia.
ii.
Das Gestadcland zwischen Valencia und Alicante. — Gandia und dessen Gartenfeld. — Zuckerbau; die amerikanische Agave.—
Deuia. — Handel mit Trauben. — Alcoy; Fabrikation des Cigarreupapiers. — Die Jahresmcsse.
In den Monaten April und Mai gewähren die Oran-
gen gärten von Carcagente und Alcira einen höchst anmuthi-
geu Aufenthalt. Die Bäume haben dann noch einen Theil
ihrer Früchte und sind zu-
gleich mit Blüthen bedeckt,
die einen herrlichen Wohl-
geruch verbreiten; an stillen,
warmen Abenden reicht der-
selbe unglaublich weit. Ein
landläufiges Sprüchwort sagt,
daß man den Duft der Orange
eher rieche, als man den Baum
sehe, und die Blüthen sind in
ungemeiner Menge vorhanden.
Bei starkem Winde sieht der
Boden in bcn Naranjales
genau so aus, als ob er mit
Schnee bedeckt wäre. Bekannt-
lich haben die Blüthen einen
nicht unbeträchtlichen Handels-
werth, und mait saminelt sie in
großen Leinwandlaken. Aus-
gewachsene Orangenbäume ge-
ben im Durchschnitt 25 bis 30
Pfund (?) Blüthen.
DerOraugenbau also bil-
det in jener Gegend die Haupt-
beschäftigung der Bewohner
und ist für sie eine Quelle des
Wohlstandes. Ein Gutsbe-
sitzer aus Carcagente versicherte
uns, daß ans dem Gebiete
jener Stadt ttnd aus deil Ge-
meittdeflureit voit Alcira mehr
als 600 Naranjales,
Orangengärten, zil zählen
feien, die in gewöhnlichen
Jahren mehr als 250,000
Arrobas Früchte liefern, also
6,250,000 Pfund, oder mehr
als 20 Millionen Orangen.
Beim Einernten sortirt
man die Früchte nach ihrer
Dicke und bedient sich dabei zum Messen einer Anzahl von
Ringen, die verschiedenen Umfaitg haben. Nachher verpackt
mail jede einzelne Klasse in länglich runde Kisteil derart, daß
sie etwas über die Oberfläche hinausragen uird in der Mitte
einen ruirdlichen Buckel bilden; banit wird der Deckel auf-
Globus VI. Nr. 7.
gelegt, und während ein Arbeiter mit dem Zunageln beginnt,
stellt sich ein anderer oben auf und drückt, so fest er kann.
Das geschieht, damit beim Transport keine Reibung statt-
finde. Dann ist Alles i»
Ordnung, man schickt die Ki-
sten ans der Eisenbahn nach
Valencia und von dort gehen
sie ans den Dampfern nach
Marseille oder in Segelschiffen
nach spanischen Häfen.
Das Laub der Bäume in
den Naranjales bildet ein dich-
tes Schatteugewölbe, welches
die Sonnenstrahlen abhält,
aber trotzdem werden in sol-
chen Gärten auch Gemüse und
sogar Mais und Hafer gebaut;
auch sie gedeihen in diesem
bewundernswürdigen Klima
ganz vortrefflich.
Fast in jedem Garten fin-
det man ein kleines Lust-
hans, eine Casa de recreo;
dort pflegt der Besitzer zu
frühstücken und seine Freunde
zu empfangen. Es war uns
auffallend, daß Schweine,
welche in die Naranjales ge-
trieben wurden, die am Bo-
den liegenden Früchte unbe-
rührt ließen; sie verschmähe-
ten die süßen Früchte in diesen
Gärten der Hesperiden.
Das Gestadeland, wel-
ches sich am Mittelländischeu
Meere, zwischen Valencia
und Alicante, hindehnt, ist
bis jetzt noch wenig von
Touristen besucht worden und
der Lesewelt verhältnißmäßig
unbekannt. Aber ein Besuch
gerade dieser Gegend ist in
hohem Grade lohnend. Man
findet bewaldete Gebirge, und die tropische Vegetation in den
Thälern bei Gandia, Denia und Javea hat nicht ge-
ringere Reize, als diejenige in Castellamare, Amalfi,
Sorrent und an anderen Punkten der vielgerühmten Küsten
Neapels.
Ein Hausirer im Balencianischen.
(Nach einer Zeichnung von G. Dor6.)
25
194
Slreifzüge in der spanischen Provinz Valencia.
Dort liegt auch das „Paradies" der spanischen Dichter,
und wir betraten dieses Eden in der Huerta von Gau-
dia, welche noch zur Provinz Valencia gehört. Dieses
Gartenfeld ist üppiger als selbst das Valencianische und hat
ein milderes Klima. Seit den Zeiten, da arabische Könige
in dieser Gegend herrschten, kam der Znckerbau tu Aus-
nahme, und auch heute noch sieht man einige Felder, auf
welchen die Callas de azucar sich erheben. Das Rohr wird
hier so gut reif, wie in Westindien. Orangen-, Feigen-
imb Granatbäume, nebst vielen anderen, spenden labende
Kühle; der Johannisbrotbaunr kommt in großer Menge,
namentlich au der Küste, vor und erreicht nicht selten die
Höhe einer großen Eiche; die Blätter sind schön dunkelgrün
und bilden einen anmnthigen Gegensatz ¿u dem melancholi-
schen Graugrün der Olivenbäume.
Die Al0 6, diese amerikanische Agave, welche jetzt
über ganz Südspanien verbreitet ist, gedeiht bei Gandia
ganz ausgezeichnet. Sie wird von den Spaniern Pita
genannt und bildet mit ihren stacheligen Blättern fiir Gär-
ta: und Aecker eine Einfriedigung, welche das Vieh abhält.
Man benutzt aber auch die Fasern der Pflanze. Der Land-
mann nimmt Blätter, zerquetscht dieselben auf einem
Steine und macht aus nrehreren derselben ein Bündel, wel-
ches er einem andern Arbeiter gibt. Dieser hat ciucu Tisch
vor sich stehen, dessen Blatt eine geneigte Ebene bildet; am
obern Theil desselben befindet sich ein eiserner Haken, an
welchem man jenes Bündel befestigt. Nun wird das letztere
vermittelst einer eisernen Stange heftig gequetscht, damit der
faserige Theil sich vom fleischigen absondere. Nachdem das
geschehen, werden die Fasern mehrmals ausgewaschen und
dam: an der Sonne getrocknet. Man benutzt dieselben zu
mannigfachen: Behuf, namentlich zum Verfertigen von Sei-
len und von geflochtenen Sandalen, Alpargatas oder
Espardines, welche die Fußbekleidung der Landleute bil-
den. Die kleingehackten Blätter gebe:: Futter fiir das Rind-
vieh ; sie werden manchmal bis zu sechs Fuß lang, und der
aus der Mitte der Pflanze herausschießende Schaft, der obei:
in eine,: Büschel gelber Blumen endigt, erreicht eine Höhe
von 12 bis 15 Fuß.
Die Stadt Gandia zählt zwischen 6 und 7000 Ein-
wohner; sie liegt wunderbar schön auf einen: Hügel unweit
der Meeresküste und war Hauptstadt eines Herzogthnms,
welches König Ferdinand der Katholische im Jahre 1485
der berüchtigten Familie der Borgia verlieh. Diese
Familie zählt unter ihren Angehörigen zwei Päpste ::>:d
einei: Heiligen; ihren Namen führt sie nach der kleinen
Stadt Borja in Aragonien, und so schrieb sie sich auch,
bevor sie sich in Ron: veritalienerte. Der alte Palast der
Herzoge steht heute noch, aber von den: frühern Glanze sieht
:nan weiter nichts, als Ueberreste von Vergoldungen und
einige Azulejos, Fayencescheiben, mit Blumen- und Vo-
gelfiguren. Der gegenwärtige Herzog von Gandia gibt 25
Familien freie Wohnung in: Schlosse seiner Vorfahren.
Den kurzen Weg von Gandia nach Denia machten
wir zu Fuße. Zu unserer Linken lag das Mittelländische
Meer, blau und ruhig, wie ein See; auf der rechten Seite
war die Landschaft ungemein bunt und mannigfaltig. Denia
hat kaum 3000 Einwohner, ist schlecht gebaut, liegt aber
malerisch am Fuße eines Hügels. Es hieß bei den Römern
Dianinin und hatte einen berühmten Ten:pel der Diana.
Noch zeigt man die Ruinen eines Thurmes, der seinen
Namen von dem berühmten Feldherrn Sertorius hat;
Denia war ctue seiner Schiffsstationen.
Hinter der Stadt erhebt sich ein mehr als 3000 Fuß
hoher Berg, el Mongo, dessen Besteigung sich der Mühe
verlohnt; man hat vom Gipfel eine wundervolle Aussicht
über das Meer, über die Huerta und über den Hafen, in
welchem kleine Schiffe mit lateinischen Segeln sich bewegen.
Er würde aber ganz unbelebt sein, wenn von ihn: ans nicht
die Denias verschifft würden, jene mächtig großen getrock-
neten Trauben, welche ii: der Huerta wachsen und in alle
Welt als „Malagatrauben" verschickt werden. Die Zube-
reitung ist ganz eigenthümlich. Man taucht die Trauben
dreimal, aber innner nur sehr kurze Zeit, in siedende Lauge,
und dadurch treiben sie auf; nachher trocknet man sie in der
Sonne. Derartig zubereitete Trauben heiße:: Lejias, nach
einem spanischen Worte, das Lauge bedeutet; sie sind weniger
geschätzt, als die Pasas del sol, welche an: Weinstock
selbst trocken werden und zwar so, daß der Winzer den
Stiel der Beere zur Hälfte einschneidet, so daß die Trauben
trocknen. Dieses Verfahren ist in der Umgegend von Ma-
laga ganz allgemein. Bei Denia wachsen auch viele Oran-
gen und Granaten.
Denia liegt schon in der Provinz von Alicante, eben so
Alcoy, wohin wir in einer Tartane befördert wurden. Wir
berührten unterwegs die kleine Stadt Oliva; zur Linken
lag uns die hohe Gebirgskette, durch welche die Provinz in
zwei Theile gesondert wird. Die Gegend war ein unge-
heurer Weingarten, aber hier schon erhob sich über die
Orangen-, Manlbecr- und Granatbäume eine stattliche
Palme. Die Landleute waren eben mit dem Einernten
der Johannisbrotfrucht beschäftigt, und sie hing, um
zu trocknen, in mächtigen Strängen an den weißgetünchten
Mauern der Baraccas. Diese Bauernhäuser haben nur
ein Erdgeschoß und sind :nit Rohr gedeckt, das vom Strande
der Albufera kommt. Ans jeder Baracca steht eine Cruz
de Caravaca. Dieses Kreuz ist in jener Gegend hochbe-
rühmt und soll, dem Volkswahn zufolge, große Wunder
wirken. Seinen Namen hat es von dem Wallfahrtsort
Caravaca in der Provinz Murcia.
Alcoy ist eine Stadt von mehr als 20,000 Einwoh-
nern, gutgebaut, blühend, gewerbreich und liegt prächtig
auf einem Hügel an: Fuße der romantischen Sierra de
Mariola, uingeben von einer herrlichen Huerta. Man
sieht auf den ersten Blick, daß in Alcoy reges Leben herrscht.
Die Verfertigung wollener Stosse beschäftigt viele Arbeiter,
aber als Hanpterwerbszweig erscheint die Fabrikation des
Papel de hilo. In Spanien gibt es gewiß nur wenige
Leute, seien sie alt oder jung, arm oder reich, welche zwi-
schen ihren Fingern keinen Papelito drehen und den
Cigarrillo oder den Cigarro de Papel Nichtrauchen.
Das Papel de Alcoy aber ist am beliebtesten, über ganz
Spanien verbreitet und wird auch nach anderen Ländern
ausgeführt. („Außer 33 älteren Papiermühlen, die am
Salto de las aguas, einen: in Kaskaden von der Mariola
herabschänmenden Bache liegen, gibt es mehrere Dampf-
papierfabriken"; M. Willkomm, Die Pyrenäische Halb-
insel, S. 185.) Wir erfuhren, daß alljährlich in: Durch-
schnitt ungefähr 200,000 Ries Cigarrenpapier in Alcoy
verfertigt werden; diese ergeben mehr als 100 Millionen klei-
ner Heftbücher. Diese letzteren, die Libritos de fumar,
werden vermittelst einer in Alcoy selbst erfundenen Maschine
sehr schnell verfertigt. Die beliebtesten Libritos bezeichnet
man alsCaballitos, weil sie auf dem Umschlage das Bild
eines kleinen Pferdes haben. Jede Fabrik hat ihr beson-
deres Zeichen, z. B. eine Angorakatze, einen Panther, ein
Mammuth u. dergl.andere führen die Aufschrift: La
Libertad, la Moralidad, la Jndependencia es-
panola. Auf einem Librito waren O'Donnell und Es-
partero dargestellt, wie sie einander die Hand reichen; dar-
iiber stand: Union liberal de Espana.
Streifzüge tu der spemischeu Provinz Valencia.
Streifzngc in bcr spanische» Provinz Valencia.
107
Die Libritos bildeil eine Hauptverkaufswaare der Hau-
sirer; sie werden zumeist von Kiuderu und alten Leuten feil
geboten, die alle ihre Habe in einem vor dem Bauche hän-
genden kleinen Kasten bergen und ihr geringes Kapital fast
alltäglich umsetzen.
Wir fanden die Leute in Atcoy ungemein beschäftigt, sie
gingen lebhaft hin und her, da und dort bildeten sich Grup-
pen , welche eine sehr angeregte Unterhaltung führten, i
Bald kamen Tartanen, Galeras und Carros in I
Georg und haben morgen die große Jahresmesse.
Lesen Sie hier dieses Cartel und Sie werden sehen, daß es
auch an Lustbarkeiten nicht fehlt. Wir in Atcoy legen
Werth daraus, daß andere Städte es uns in dieser Beziehung
nicht zuvorthun.
Nun lasen wir einen großen blaßblauen Anschlagzettel,
auf dem mit fußhohen Buchstaben oben gedruckt stand:
Feria de Alcoy; dann folgte in Absätzen der Reihe nach
Gewinnung der Fasern aus der Aloö. (Nach einer Zeichnung von G. Dow.)
Menge an, spannten vor den verschiedenen Posadas ihre
Pferde aus, und bald sah man in den Straßen eine nicht
unbeträchtliche Menge von Landleuten, Bauern aus der
Huerta voll Alicailte, die an ihrer eigenthümlichen Tracht
leicht zil erkennen waren, sodann Mnrciauer mit sehr ge-
bräunter Hallt; diese trugen auf dem Kopf eine Moutera
von schwarzem Sannnet und an den Beineil, wie die Va-
leneiailer, weite Leinwandhosen.
Wir nlischteil mls in eine Gruppe und fragten, was das
Herbeiströmen aller dieser Leute 311 bedeuten habe. Die
Alltwort lautete: Wir feiern das Jahres fest des heiligen
die Aufzählullg der verschiedeneil Funciones, Festlichkeiten
nnb Belustigungen.
Dieses Wort Función hat in Spanien eine ungemein
elastische Bedeutung; irgend eine Amts- oder Dienstver-
richtling, eine Wafsenthat, etwa ein Sturm oder eine
Schlacht, ein Fest zu Ehren eines Heiligeil, jede öffentliche
Feierlichkeit überhaupt, ein Festgelag, ein Schauspiel, eine
Höftichkeitsbezeugullg, ein Stiergefecht, ein Begräbniß, das
Alles ist eine Función. Auch in Alcoy nahm aus dem
vier Ellen langeil Placate eine Corrida, ein Stiergefecht,
die erste Stelle ein; das versteht sich in Spanien ganz von
198
Der Madre de Dios und der Purüs im Gebiete des Amazonenstroms.
selbst. Nachdem wir aber jüngst in Valencia die Groß-
thaten berühmter Toreros gesehen hatten, legten wir aus die
Stiergefechte in Alcoy keinen besondern Werth. Angekün-
digt war ferner ein Castillo de fuego, ein Feuerwerk,
sodann ein Kampf zwischen Mohren und Christen, der
mehrere Tage lang dauern sollte. Dabei mußten wir
Zuschauer sein; was wir gesehen, erzählen wir ein an-
deres Mal.
Der Madre de Dias und der Purüs im Gebiete des Amapnenstroms.
Grandidiers Reise in Peru. — Coutiuho's Beschiffung des Purüs. — Vermuthungen über den Sauf des Flusses. — Der
Urubamba, Apurimac, tlcayali. — Paucartambo. — Die Chuuchos - Indianer. — Autis und Chuntaguiros. — Beschwerlich-
keiten der Reise. — Mißlingen des Plans. — Peruanische Zustande.
In dem ungeheuern Gebiete des Amazonenstroms
siitd noch viele für die Wissenschaft wie für den Verkehr
wichtige Probleme zu lösen. Der Hauptfluß selber hat eine
Längenentwicklung von beinahe 850 deutschen Meilen, und
die Gewässer, welche er in noch ungezählter Mettge von
Süderr und Norden her aufnimmt, sollen zusammengenom-
nreir mit dem Amazonas selber Wasserstraßen in einer
Ausdehnung von 18,000 deutschen Meilen darbieten.
Die bedeutendsten Nebenflüsse empfängt er von Süden
her, atis Peru, Bolivia unb Brasilien, und der größte
von ihnen ist der Madeira. Aber zwischen der Mündung
dieses letztern und jener des Ucayali fallen, abgesehen von
kleineren Gefließen, fünf große Flüsse: der Yavari, Jurua,
Teffe, Coary nub Purüs in den Hauptstrom, aber kein ein-
ziger von ihiten ist in alleil seinen Einzelnheiten bekannt oder
voil der Mündung bis zur Quelle erforscht worden. Man
weiß auch hellte ilicht mit Bestimnltheit, ob der Fluß, wel-
cher in seiner Quellgegend, in Peru, in den Thälern von
Paucartambo, den Namen Madre de Dios führt, derselbe
lnit dem Plwüs ist oder nicht. Darüber wollte ein junger,
sehr unternehmender, wohl vorbereiteter lind verständiger
Reisender, Ernst Grandidier, ins Klare kommen.
Leider tonnte er seinen Zweck nicht erreicheil, aber es scheint,
als ob sein Werk*) die Aufmerksamkeit der brasilianischen
Regierung auf den Purüs gerichtet habe. Wir erfuhren
dllrch Herrn Karl von Koseritz in Rio Grande in einem
Schreiben vom 15. Noveniber 1863 (Globus V, S. 286),
daß int Aufträge jener Regierung der Ingenieur Joao
Martine da Silva Coutinho den Purüs eine Strecke
von 238 portugiesischen Meilen weit hiilauf gedampft sei,
ohne auf irgend ein Hinderniß ;u treffen. Er fand überall
freies Fahrwasser nub steuerte auch in einen Nebenfluß des
Purüs, den Hiurnü, hiileiil; dann kehrte er um. J>l
Rio de Janeiro wurde baun beschlossen, im Jahre 18'64
eine zweite Expedition auszurüsten, deren Ailfgabe darill
besteht, deil Plirüs bis zil feiner Quelle zu erforschen.
Es wird jetzt an der Zeit sein, daß wir unseren Lesern
nlittheileil, was man seither über diesen jedenfalls wichtigen
Strom wußte, nub welche Erwartungen sich an denselben
knüpfen.
Grandidier schreibt: „Welch eine glänzende Zukunft in
Beziehung auf Besiedelung unb Handel steht dieser Region
bevor! Sie ist ungelnein fruchtbar und wird von großen
Wasserläufen durchzogen, die wichtige Bahnen für den Ver-
kehr zu bilden geeignet sind. Jetzt noch treteil der Kolorii-
*) Voyage dans l’Amerique de Sud. Perou et
Bolivie. Par E. Gr an di di er, auditeur au Conseil d’Etat.
Paris 1861. 312 S.
sirnng viel zu große Hindernisse und Schwierigkeiten in den
Weg, weil Einwanderer den weiten rurd gefahrvollen Weg
unr das Kap Horn zu machen lind, nachdem sie in Peru
gelaudet siud, die Cordilleren zu libersteigen haben; der
Transport ist schwierig xtnb theuer, und Absatzwege nach
Osten hiir fehlen. Uird gerade diese letzteren sind von der
größten Wichtigkeit; sobald aber ein großer Zufluß des
Amazoilenstromes aufgefnilden wird, welcher aus bem Her-
zen Peru's, Bolivia's uird Brasiliens bis zur Eillmüildnng
in deir großen Strom fahrbar erscheint, dann gewinnt sofort
Alles eine neue Gestalt. Es wird Leben in die Einöde
kommen, diese würd Ansiedler erhalten, und der reiche Ertrag
all tropischen Erzeugnissen wird verinittelst des Amazonas
über den Atlantischen Oceail llach Europa gelangen. Ans
denlselbeil Verkehrswege wird mail europäische Fabrikate ins
Innere der drei oben genannten Länder schaffen, denn der
Wasserweg ist llicht so kostspielig, wie der Transport durch
Maulthiere. Seit ein paar Jahrhunderten sehnt man sich
in Cuzco nach einer solchen Verbindung mit dem Amazonas."
Betrachten wir nun den Madre de Dios. Die
Flüsse Pinipini, Coilet, Araza, Cosnipata unb Tono bilden
zusammen beit Madre de Dies, der auch Mano heißt.
Vom Gipfel der Cordillere von Acobainba herab sieht man,
wie der Stroin sich, so weit das Auge reicht, gleich einer
llngeheliren Schlange durch eine ausgedehnte, bewaldete
Ebene windet. Alles deutet darauf hin, daß er jener Rio
Amarumayu sei, welchen die Krieger des Inka Aupanqui
hinabführen, tun das Volk der Musus (Moros) zll bezwin-
gen. Amarnmapn bedeutet in der Quichnasprache: Große
Schlange, und paßt genau auf den Madre de Dios. Diesen
letztem Namen erhielt er von beit Spaniern, als die Chun-
chos (heidnischen Indianer) die Meierei Cosnipata liber-
sallen, ein Bild Unserer lieben Frau de Candelaria geraubt
unb in den Fluß Cosnipata geworfen hatten. Das Bild
blieb auf einem Felseneiland liegen und wurde dort von
beit Christen, welche jenen Frevel zu rächen gekommen waren,
wieder aufgefunden.
Schon Garcilasso, welcher den oben erwähnten Kriegszug
der Soldaten des Inka Ynpanqui erzählt, schildert die Fahrt
derselben ans dem Amarumayu, und auch feine Beschreibung
paßt auf den Madre de Dios.
Also zwischen dem Ucayali und Madeira münden in den
Amazonenstrom der Aavari, Antat, Teffe, Coari und
Purüs, deren Richtung und Lauf noch nicht erforscht wor-
den sind. Dagegen wissen wir, daß die drei Flüsse Beni,
Mamorü und Jtenes den Madeira bilden, und daß der
Apuparn oder Gran Paro einerlei mit dem Ucayali ist.
Nun handelt es sich darum, über den Madre de Dios ills
Klare zu kommen.
Der Madre de Dies und der Purüs im Gebiete des Amazonenstroms.
199
Wer von der altperuanischen Hauptstadt Cuzco nach
dein Hochthal von Pancartambo wandert, hat den Urnbamba
und den Mapocho zu tiberschreiten. Der Urubamba ent-
springt in der Cordillere von Vilcanota und fließt an den
Ortschaften Tinta, Urcos, Calca, Urubamba, Santa Anna
vorüber, wird durch die Aufnahme des Vilcabamba nub
Panatili vergrößert, vereinigt sich mit dem Apurimac,
heißt von nun an Ucayali und behält diesen Namen bis
zu seiner Einmündung in den Amazonenstrom. Aus der-
selben Cordillere von Vilcanota kommt auch der Rio Ma-
pocho oder Pancartambo, welcher die Ortschaften Ocon-
gate, Pancartambo und Challabamba bespült. Der' höchste
Espinar für einen Zufluß des Pavari, nnb derselben Ansicht
sind auch Missionäre, welche zu Anfang unsers Jahrhun-
derts den Ucayali befuhren. *) —
Der Pntai, Teste nnb Coary sind so gut wie unbekannt;
wir wissen nur, daß sie in den Amazonas münden.
Der Purüs fällt mit vier Mündungen in bcn großen
Strom M') Ganz richtig schloß Grandidier, daß er der
Schifffahrt keine Hindernisse in den Weg lege. Man war
schon längst der Ansicht, daß Dampfer bis etwa 40 spanische
Meilen von Cuzco hinausfahren könnten, weil von der Ver-
einigung des Tono und des Pinipini der Strom sehr ruhig
fließt und etwa so breit ist, wie der Ucayali, nachdem er
wjy?
. \ ! I / 1 ' ■
1 14' , M .
Eine Hütte der Chunchos im Thäte von Pancartambo.
Punkt der Cordillere, welchen man in der Richtung nach
der Ortschaft Oropesa hin erblickt, ist der Spitzberg Anfan-
gati. Im Osten dieses Berges entspringt der Rio Araza
oder Flitß von Marcapata, der mehrere Gefließe austümmt
nnb sich dann int Thäte von Pancartambo mit dem Madre
de Dies vereinigt. *)
Grandidier schreibt: „Man weiß noch nicht, wo eigent-
lich die Mündung des Rio Mapocho (des Pancartambo) ist.
Alts der 1802 in Cuzco veröffentlichten Karte des Doctors
Carrascon ist er als Nebenfluß des Beni dargestellt. Oberst
Espinar behauptet,^ der Mapocho fließe erst gegen Nord-
westen, dann nach Nordosten, endlich gegen Osten und falle
als Pinipini in den Madre de Dios. Diesen letztern hält
*) Wir haben über diese bisher wenig bekannte Region
nnb das Leben und Treiben der dortigeii Bevölkerung in-
teressante Nachrichten voll Paul Marcoy mit vielen Illu-
strationen und werden dieselben gelegentlich im Globus mit-
theilen.
den Apurimac anfgenommeir. Auch steht man vom Gipfel
*) Wir haben eine Kartenskizze M arcoy' s vor uns, auf
welcher der nnteve Lauf des „ M a p o ch o -P a u c a r t a m p u "
ganz genau angegeben ist. Er mündet von Südosten her
kommend und ein Thal durchströmend, das zwischen der
Sierra de Ticnmbinia und einer Verlängerung der Sierra de
Tono y Arisca liegt, nach Nordwesten strömend in den
Quillabamba Santa Anna, zwischen 74 und 75° w. L.
v. P. und dem 9. und 10° s. Br. Nun ist allerdings bekannt,
daß alle Karten über Peru sehr ungenan sind, und Herr
Richard von Dürrfeld, der im Mai 1864 von dort zu-
rückgekehrt ist, hat uns in dieser Beziehung merkwürdige Bei-
spiele erzählt. Er ist aber der festen Ueberzeugung, daß
wir durch Raymundi's unablässige Bemühungen, die schon
seit sieben Jahren ohne Unterbrechung fortgesetzt worden sind,
über viele bisher unsichere Punkte genaue und zuverlässige
Angaben erhalten werden. A.
**) Rach der Map of the Amazons from its mouth to the
frontier of Peru, welche dem Naturalist on the River Amazons,
byH. W. Bates, London 1864 beigegeben ist, fast unter 61°
w. L. v. L. nnb zwischen 3 und 4° st Br.
200
Der Madre
de Dios
und der
Purus
im Gebiete
des
Amazon eu si roms.
Chanchos in einem Urwald am Apurimac.
Deutung mv zorinbvjunhZ rsq tzvMsövz
202
Der Madre de Dios und der Purüs im Gebiete des Amazonenstroms.
des Acobamba herab beim Ueberblicken der Region, durch
welche der Madre de Dios strömt, keine Unebenheiteil des
Bodens, ilnd nichts deutet auf das Vorhandensein von Strom-
schnellen oder Wasserfallen. Bemerkenswerth ist auch, daß
Lamantins nild große Schildkröten, die nur ruhiges Wasser
bewohnen, bis zur Vereinigung des Tono und Pinipiui
hinaufkommen.
Als Schifffahrtsweg wäre der Madre de Dios vortheil-
haster, als der Ucayali, der viel weiter aufwärts nach Westen
liegt. Die Mündung des Purüs liegt der wichtigen Hafen-
stadt Pars, viel näher. Alls dem Purüs würde mail ein
paar hundert spanische Meilen ersparen und bis etwa 40
Leguas der Stadt Cuzco nahe konlmen; der Ucayali ist für
kleine Dampfer nur so weit fahrbar, daß der ällßerste Punkt,
bis wohin er schiffbar bleibt, noch 70 Leguas von Cuzco
entfernt liegt. Der Purüs ist tief, sann in jeder Jahres-
zeit befahren werden, lnld die Wälder liefern für Dampfer
Brennholz in unerschöpflicher Fülle. Eine Fahrstraße von
Cuzco bis z>l bem Punkte, wo die Dampferfahrt auf dem
Purüs begönne, hat keine Schwierigkeiten, nicht einmal in
der Quebrada (Schlucht) de Pillcopata. Durch die Freige-
buug der Schifffahrt ans dem Amazoneustrom für alle
Flaggen der Welt kann Brasilien nur gewinnen, beim so
erst kommt Leben in die Einöden, und Pars muß sich,
schon seiner Lage wegen, zu einem wichtigen Stapelplatz
emporschwingen. Denil dort endet die Seefahrt und die
Stromfahrt fängt an.
Auch ist das ganze Hinterland produktenreich. Das
Thal von Paucartambo wird voll ben Flüssen bewässert,
welche nach ihrer Vereiiligung den Aladre de Dios bilden.
Dort ist eine Region für Zucker, Coca, Kakao, Kaffee, Reis,
Mais, Mandioca, Jgnamen, Baumwolle, Indigo, Tabak
nnb andere nutzbare tropische Gewächse. Dazu kommt, so-
bald erst Menschen in jene Gegend einwandern, Quinquina,
Kautschuk, Vñliille, Bau - und Färbeholz, Gummi, Wachs,
Sassaparille und Ipecacuanha. Die Ströine siild fischreich,
Schildkröten in ungeheurer Menge vorhanden. Jil deil Thä-
lern nnb auf den Ebenen würde die Zucht des Rindviehs,
der Schafe nnb Pferde passende Oertlichkeiten finden.
Diese Bemerkungeil Grandidiers sind gewiß richtig;
eben so, wie durch Coutiuho's Expedition klar geworden ist,
seiil Ausspruch, daß eine Erforschung von der Mündung
herauf viel weniger beschwerlich fein werde, als voil den
Quellen abwärts bis zum Amazoilenstrom. Wir wolleil
nun Grandidiers Unternehmen schildern.
Doll Faustino Maldonado hatte von der peruanischen
Regierung ben Auftrag erhalten, den Ucayali näher zu er-
forschen, und war llach Cllzco zurückgekominen. Er hatte
den Strom von Sarayacll bis Hillapani befahren und aus
der Mission Santa Rosa einige Chu u taq uir os mitgebracht,
welche sich die Wunder der berühmten Sonnenstadt >nit
eigeileil Augen betrachten wollten.
Wir müssen hier bemerken, daß man die wilden Indianer
jener Gegeildeil, insbesondere am Ucayali und dessen Zu-
flüssen, unter der Gesamnitbeuenuung Chunchos, Heiden,
zusammenfaßt. Dahingehören die Camp as oderAntisam
Apurimac und dieChuntaquiros oder Piros, weiter ab-
wärts au demselben Strome, zwischen ben Autis und den
Combos; sodann die Mascos, Amoacas, Sepivvs, Setivos,
Nemos, Casivos, Sensis und Mayoruuas. Unter diesen
Chunchos sind die Chuutaquiros am wenigsten träg und
dabei nicht ohne Muth; sie bauen gute Kähne und verstehen
sich trefflich auf das Rudern. Grandidier wandte sich an
Herrn Maldonado, fetzte ihm seinen Plan zur Erforschung
des Madre de Dios auseinander nnb bat ihn, bei derselben
die Chuntaquiros verwenden zu dürfen. Ein Theil dieser
Wilden war sofort bereit, nnb an sie wurden Aerte, Messer,
Spiegel und allerlei andere Dinge vertheilt.
Der Beschiffung des Madre de Dios hatteil sich früher
manche Hindernisse in den Weg gestellt, z. B. der Mangel
an guteil Ruderern und all Leuten, welche geeignete
Piroguen nnb Flösse baueil konnten. Jetzt war nun zwar
die Jahreszeit nicht etwa günstig für das Unternehmen, im
Uebrigen aber die Gelegeilheit verlockend genug. Grandidier
ging also, von seinem Bruder begleitet, zum höchsten Re-
giernngsbeanlten in Cuzco, der ihm Schutz nnb Empfehlung
an die Behörden von Paucartambo versprach; auch der Bi-
schof war bereit, die Reise nach Kräften zu fördern, nnb die
Vorbereitungen waren schon nach ein paar Tagen beendigt.
Wir nahmen, sagt Grandidier, nur die allernothweudig-
steu Sachen mit, vorzllgsweise aber mancherlei Gegenstände,
deren wir zum Tauschhandel mit den Wilden bedurften.
Eiil Fieber verzögerte unsere Abreise um drei Tage. Un-
glücklicherweise waren zwei unserer Chllntaquiros am Mor-
gen fortgelaufen, nnb die übrigen mußten mm streng unter
Obhut gehalten werden. Trotzdem entfloheil sie uns in
Paucartambo, wir fiilgen sie aber wieder ein.
Also am 2. Oktober verließen wir Cuzco; mein Bruder
beaufsichtigte die Maulthiertreiber, währeild ich nebst Herrn
Maldonado die Chuntaquiros überwachte. Es wurde dunkel,
bevor wir nach Oropesa gelaugten, wir verirrten uns in
deir Morästen und faudeir nur mit Mühe den rechten Weg
wieder auf. Im Orte lag schon Alles int tiefsten Schlaf,
alle Bemühungen, Lebensmittel zu bekommen, waren ver-
geblich , und wir mußten auf Schaffellen unter freier Luft
schlafen, ohlle Etwas gegesfeil zu haben.
Paucartambo liegt 15 spanische Meilen von Cuzco
in einer engeil Schlucht am rechteil Ufer des gleichnamigen
Flusses, der, wie schon oben gesagt, auch Mapocho heißt.
Der Uuterpräfekt nahm uns in seiner Wohnung auf und
stellte zwei mit Lanzen bewaffnete Indianer vor die Thür
als Wächter über unsere Chunchos. Die Nachricht von
unserem Unternehmen verursachte in der kleinen Stadt eine
nicht geringe Aufregung. Die Leute eilten herbei, um unsere
Karawane vorüber ziehen zu lassen. Voran zogen die Chuu-
taquiros in langen, rothen Röcken, welche sie voin Prä-
fekten zu Cuzco geschenkt bekommen hatten, daun folgten wir
drei Reisenden, und hinterher gingen die Maulthiere.
Der Unterpräfekt stellte uils eine Anzahl Indianer und
Maulthiere und gab uns auch neun Soldaten, welche uns
gegen die Pfeile der Wilden schützten sollten. Dazu kamen
noch sieben Indianer, deren Aufgabe barin bestand, im Ur-
wald einen Weg für uns zu bahnen; außerdem hatten wir
für die 14 Maulthiere zwei Treiber. Mit Lebensmittelil
wurden wir auf volle zwei Monate versehen, auch rechneten
wir auf Ertrag von Fischfang und Jagd.
So weit war Alles gnt, aber bald trat die Kehrseite
hervor. Zwei unserer Chuntaquiros hatten in Cuzco den
Keim zur Blatternkrankheit in sich aufgenommen; nun brach
sie aus, und die armen Leute starben unter unseren Augen.
Die Uebrigen wurden von Schrecken ergriffen. weinten und
beschworen uns, sie in ihre Heimath zu entlassen. Trotzdem
wir sie jetzt uui' um so schärfer überwachteil, gelang es chuen
bei dunkler Nacht, zll entwischen. Am Morgen wurden sie
nach allen Richtungen verfolgt und bald aufgespürt; An-
fangs wollten lie sich mit ihren Messern zur Wehr setzen,
ließeil sich aber am Ende noch durch begütigende Worte nach
Paucartambo zurückbringen.
Ich muß hier doch erzählen, in welcher Weise die Sol-
daten, oder richtiger gesagt, Bürgersoldaten, welche uns zu
Der Madre de Dies und der Purüs im Gebiete des Amazonenstroms.
203
geleiten hatten, in den Dienst gepreßt wttrden. Der Syn-
dikus des Ortes entwarf gemeinschaftlich mit dem Unter-
präfekten eine Liste. Sie enthielt die Namen von neun
Mestizen (Cholos); diese wirrdeir vorgeladen, der Syndikus
kündigte ihnen an, daß sie sich zur Reise nach den: Thal von
Paucartambo bereit zu halten hätten, ltitb gab ihnen etwas
Geld zum Ankauf von Lebensmitteln. Als Einige Gegen-
vorstellungen machen wollten, schlug er ihnen ins Gesicht
und schalt sie aus, weil sie ungehorsam gegen die Obrigkeit
seien. Dieses Ohrfeigensystem wirkte; unsere künftigen
Vertheidiger mußten Haus xtnb Familie im Stiche lassen, um
mit uns zu ziehen.
Die Macht, welche der Weiße über den Indianer von
ungemischtem Blut ausübt, ist noch stärker, als jene über
den Mestizen, denn der Indianer gehorcht ohne Weiteres,
wagt keine Einrede, und sollte er etwa eine solche machen
wollen, so braucht man ihm nur einen Stock zu zeigen.
Am Tage der Abreise versammelte ich unsere ganze
Karawane ans dem Marktplatze von Paucartambo, wo auch
Ein Maulthier sammt seinem Gepäck stürzte in den Abgrund,
auch mein Sattelthier that beim Hinaufklettern einer steilen
Anhöhe einen Fehltritt und siel wohl 15 Ellen tief in eine
Schlucht hinab. Ich hatte mit genauer Noth eben noch Zeit,
mich aus dem Sattel herabfallen zu lassen. Es regnete
schon seit einigen Tagen, alle Gewässer waren angeschwollen,
und oft waren wir in großer Besorgniß, von diesen Gieß-
bächen gewaltsam fortgerissen und abwärts geschwemmt zu
werden. Die Fußgänger wateten in der Weise durch, daß
mehrere einander fest hielten oder sich langer Stäbe zur Stütze
bedienten.
So kamen wir an den Chirimayo. Er war so hoch
angeschwollen, daß von Durchwaten keine Rede sein konnte,
und daß eine Brücke geschlagen werden mußte. Eine halbe
Stunde weit vom Flusse, in dem Gehöft (Rancho) Culva,
fanden wir einen Lagerplatz, von welchem aus wir an jedem
Morgen zur Arbeit gingen. Ich ließ int Walde Bäume
umhauen, die unter großen Anstrengungen an Stricken bis
ans Wasser geschleift wurden. Wir legten sie über vier
Antis - Indianer in einer Stromschnelle.
Behörden und Volk sich eingefunden hatten, und hielt eine
Ansprache, um zil betonen, daß mir die Gewalt über Leben
und Tod meiner Begleiter übertragen worden sei; ich würde
aber Alle reichlich belohnen, wenn sie treu bienen und ge-
horsam bleiben würden. Dann zogen wir fort ans dem
Pueblo unter einigen buntgeschmückten Triumphbögen hin-
durch, welche man uns zu Ehren errichtet hatte. Die
Schulkinder, denen eine große Fahne vorangetragen wurde,
stimmten Gesänge an und besprengten uns mit wohlriechen-
dem Wasser, und mit den Männern, die uns Cigarren
gaben, nnißten wir aus gutes Gedeihen trinken. 30 Reiter
haben uns eine weite Strecke das Geleit gegeben und sind
erst am Abend nach Paucartambo zurückgekommen.
Bis zum Hafen Acobamba ist die Gegend armselig; l
man kommt dann über eine kleine Cordillere und nachher
einen dritthalb Stunden langen, sehr jäheil Abhang hin-
unter; dann aber ist man sofort im vollen Urwald. Die
Pfade waren vom Regen aufgeweicht, und wir konnteil
nur im Schritt vorwärts; oft aber mußten wir uns mit
dem Haumesser (Machete) und dem Beil eiilen Weg bahnen.
starke Querbalken und bedeckten das Ganze mit Palmzwei-
gen. Nach sechs Tagen konnten wir den Strom überschrei-
ten und in der Hacieilda San Miguel übernachten.
Dieses Landgut war vor etwa einem Monat verlassen wor-
den, weil fünf zu demselben gehörende zahme Indianer von
den Wilden erschosseir wordeir waren. Ich habe an Ort
lind Stelle mehrere ihrer mörderischen Pfeile gesammelt.
Jetzt wurde nun das Landgut wieder in Besitz genommen;
es liegt in einer ungemein fruchtbaren Gegend, in der sich
viele mit Urwald bedeckte Hügel erheben.
Von Sair Miguel bis zu dem Punkte, wo wir uns
einzuschiffen gedachten, hatteil wir nur noch sechs Leguas.
Nachdem wir unsereil Renten einen Rasttag gegönnt, zogen
> wir weiter, die Büchse auf der Schulter und den Revolver
im Gürtel, um unsere Arbeiter, welche einen Pfad durch
den Wald Lahnen mußten, gegeil etwaige Ueberfälle der
Chunchos zil sichern. Die Wildeil habeil übrigens große
Furcht vor den Feuerwaffen itiib greifen einen Weißen, der
allf der Hut ist, niemals an; wer aber sorglos bleibt, darf
sicher darauf rechnen, unter ihren Pfeilen zll erliegen. Der
26*
¿04
Die Miscegenation im Uankeelande.
Wilde zielt nach dem Herzen unb zielt sicher; er liegt nicht
feiten ganz in der Nähe hinter einem Felsen oder Baume
.versteckt, ohne daß man etwas von ihm ahnt.
Die Regenzeit war im Thal angebrochen, die Sonne kanr
nur ein paar Stunden zum Vorschein und hatte nicht Kraft
genug, den Schaden gut zu machen, welchen die Feuchtigkeit
anrichtete. Wir mußten aus einem durchweichten Boden in
nassen Kleidern schlafen, denn znm Trocknen derselben fand
sich keine Gelegenheit; unsere Lebensmittel überzogen sich mit
Schimmel, und die schlechte Kost wirkte nachtheilig ans unsere
Gesundheit. Solch ein Leben führten wir 12 Tage lang,
dann aber war der Pfad durch den Wald hergestellt und der
Madre de Dios lag vor unseren Augen. Noch eine Woche,
dann war die Pirogue gebaut und wir konnten uns ein-
schiffen. So wähnten wir!
Nun gingen wir nach San Miguel zurück, um unser
Gepäck und die Chuntagniros zu holen, denn ohne Beihülfe
dieser Letzteren war ein Befahren des Madre de Dios rein
unmöglich. Aber während unserer Abwesenheit hatten die
Blattern entsetzlich unter diesen armen Chunchos gewüthet,
und nur ein einziger Chuntaquiro war von der Krankheit
verschont geblieben. Mit dessen Hülfe sollte nun die
Pirogue gebaut werden und er selber als Steuermann
dienen; es war aber einleuchtend, daß wir eine so lange nnb
gefährliche Reise aus einem noch durchaus unbekannten Flusse
mit einem einzigen Führer gar nicht wagen durften. Gerade
in der Zeit, als wir hoffen konnten, unsern Plan zu ver-
wirklichen, brach eine so niederschlagende Täuschung über
uns herein! Kein Cholo wollte mit uns weiter gehen, so
hohen Preis wir den Leuten auch boten; das Mißgeschick
der Chunchos jagte ihnen Furcht ein. Von unseren Bürger-
gardisten entlief einer bei Nacht und Nebel, und ein paar
Tage später erfuhren wir, daß ein Jaguar ihn zerrissen
hatte.
Es war unmöglich, weiter zukommen, wir hatten
keine Kähne und keine Ruderer lind mußten nach Paucar-
tambo zurückkehren! —
Der Verwalter Der Hacienda Sall Miguel war ein Mu-
latte von riesigem Körperwuchs und bösartigem, falschem
Blick. Er hatte sich anheischig gemacht, die Reisenden zu
begleiten, ihren Ruhm und ihre Gefahren zn theilen, wie er
sich ausdrückte. Aber er stellte übertriebene Bedingungen.
„Zunächst verlangte er die Aushändigung einer beträcht-
licheil Sinnine baaren Geldes; sodann wollte er all allem
Nutzen, welchen die Expedition etwa bringen konnte, bethei-
ligt sein; er verlangte für sich vollständige Gleichstellung
nnb Theilnahme an allen Ehrenbezeugungen, beim, sagte er,
ich verlange Ruhm. Dieser Mulatte war aber so unwissend,
daß er mich bat, ihm zu sagen, wie viele Viertelstun-
den eine Stunde habe. Als er sah, daß unser Unter-
nehmen liicht auszuführen war, legte er sich aufs Er-
pressen."
Grandidier erzählt dann noch Beispiele von der Un-
redlichkeit der peruanischen Beamten und macht eine Be-
merkung, die von allen anderen Reisenden bestätigt wird.
„Gefühl für Anstand, Rechtschaffenheit und Uneigennützig-
keit ist in Peru höchst selten, dagegen ist eine stark ausge-
prägte Selbstsucht ganz allgemein. Die Leute im Innern
sind Prahler, sie versprechen Alles, was man nur wünscht,
wenn es aber zur That kommen soll, wollen sie nichts mehr
davon wissen und von Worthalten ist keine Rede."
Das Thal von Paucartambo war einst in blühendem
Zustande; man zählte dort 175 Haciendas, welche eine
große Menge Kakao, Kaffee, Coca und Zucker lieferten.
Die Chunchos arbeiteten für einen im Voraus bedungenen
Lohn, der ihnen in Säbeln, Beilen und anderen Waaren
ausgezahlt wurde. Aber die Weißen hielten nicht,
was sie versprochen hatten; sie wollten den Leuten
keine Entschädigung geben, und doch konnten sie wissen, daß
diese von Natur so überaus trägen Indianer sich zur Arbeit
nur herbeilassen, wenn sie durch dieselbe sich Gegenstände
verschaffen können, die ihnen von großem Nutzen sind. Die
Weißen brachen aber nicht nur ihr Wort, sondern behan-
delten obendrein die Chunchos mit großer Härte. Die Ver-
geltung blieb nicht aus, denn die Indianer verschworen sich,
alle Weißen auszurotten. Ihr Plan gelang; von jenen 175
großen Landgütern sind jetzt nur noch zwei übrig, und auch
diese werden in jedem Jahre von den Chunchos heimgesucht.
Und doch beträgt die Zahl der Wilden in diesem Thale jetzt
nicht über 500, und wenn die peruanische Negierung eine
Kompagnie ordentlicher Soldaten dorthin schickte, so würden
die verlassenen Haciendas bald wieder in Betrieb gesetzt
werden können. Aber neben dem Schutze durch Soldaten
verstände es sich von selbst, daß auch die Arbeiter nicht um
ihren Lohn betrogen würden.
Unsere sehr charakteristischen Abbildungen beziehen sich
ans die Chuntagniros und die Antis oder Campos
am Apurimac und zeigen dieselben in verschiedenen Lebens-
lagen. Die Antis, welche wir später einmal, nach Mar-
coy's Berichten, eingehend schildern, wohnen auch am Urn-
bamba, von der Hacienda Hillapani bis zur Mündung
dieses Flusses in den Apurimac (Ucayali). Sie sind kräf-
tig gebaute Menschen, gastfrei, träg, leben von Jagd und
»Fischfang und sind vortreffliche Ruderer. Mit großem Ge-
schick, mit Muth und Gewandtheit befahren sie die sehr-
reißenden Gewässer und lenken ihre Piroguen durch die ge-
fährlichsten Stromschnellen. —
Wir werden demnächst unsere Schilderungen ans dem
Innern Südamerika's fortsetzen.
Die Miscegenation im Dankerlande.
Im puritanischen Bankeelande wüthet jetzt mit großer
Heftigkeit eine psychische Seuche, die sich seit einiger
Zeit auch über die mittleren Staaten der Nordumon
verbreitet hat. - Den Ursitz dieser Malaria bildet Neu-
England, namentlich Massachusetts, wo ja auch die Nach-
kommen der sogenannten Pilgerväter, die eine höchst
intolerante Gesellschaft waren/ einst Quäker des Glau-
bens wegen an den Galgen hingen und mit wahrer Lei-
denschaft Hekatomben von vermeintlichen Heren verbrann-
ten. Jetzt sind diese Puritaner, und die Methodisten
obendrein, auf die„Negromania" verfallen; ihnen ist nun
der schwarze Bruder das Ideal aller menschlichen Voll-
kommenheir geworden.
Schon neulich haben wir Proben dieses Wahnwitzes,
dessen Anstecknngselemente sich nun immer mehr verbrei-
ten und sehr viele schwache Köpfe toll machen, mitgetheilt
Die Miscegenation im Nankeelande.
205
(Globus VI, S. 94). Die Niggeranbeter verlangen,
daß die tief herabgekommene weiße Menschenrasse sich
durch reichliche Aufnahme von Negerblut kräftige und
veredle; erst dadurch werde Fortschritt möglich. Man
nennt diese Vermischung, barbarisch genug, Miscege-
nation oder Melaleukation, und die Theorie ist nun
auch schon ins praktische Leben eingeführt worden. Vor
einem Jahr brachten neuengländische Abolitionisten nicht
weniger als 64 weiße Mädchen nach der Küste von Nord-
Carolina, um dort Negerkinder zu unterrichten. Sie
hatten tu Boston gehört und im Seminar für Schul-
meisterinnen gelernt, daß es fein gottgefälligeres Werk
gebe, als mit Hülfe edeln afrikanischen Blutes die weiße
Nasse zu veredeln. Ehe ein Jahr verging, hatten diese 64
Uankeeladies und alle Miscegenatoren die Genugthuung,
daß volle 64 Mulatten. und Mulattinnen mehr ans der
Welt waren. Die Melaleukation nimmt einen vortreff-
lichen Fortgang und die nenyorker Blätter eifern ver-
geblich gegen die „Verviehnng" der weißen Frauenzimmer.
Was noch vor fünf Jahren in den Schichten der ver-
worfensten weißen Mädchen als eine Unmöglichkeit er-
schienen wäre, das wird, Dank dem Fanatismus, jetzt
als eine hochherzige That, als eine Nothwendigkeit zur
Rettung der Gesellschaft gepriesen.
Ich' finde, daß auch die jüngst erschienene Nummer
der londoner Anthropological Review (5. Mai 1864)
die Miscegenation in den Kreis ihrer Betrachtungen ge-
zogen hat,' und sie thut wohl daran. Sie knüpft ihre
Bemerkungen an ein amerikanisches Buch: Miscege-
nation, or theory of the blending of races, applied
to the American white man and negro; auch sie steht
in der Miscegenationsmanie eine bemerkenswerthe Form
des Wahnsinns und findet jenes Buch beachtenswerth,
weil es die ganz außerordentliche geistige Abspurigkeit,
von welcher jetzt so viele Leute im „Pankeedom" gepackt
worden sind, dokumentire.
Der Verfasser des Buches ist ein Einpaarler, ein
Monogenist, der in Adam und Eva zwei wirkliche, histo-
rische Personen sieht und die Folgerung zieht, daß alle
Menschen Brüder seien, alle gleich viel werth.
Alle Fanatiker sind dreist; Erfahrung, Lehren der
Wissenschaft, handgreifliche Thatsachen, sonnenklarer*
Augenschein sind für sie nicht da. So sagt der Pankee-
Miscegenator strammweg, als ob es völlig ausgemacht
und nicht vielmehr ganz unwahr sei: „Die Wissenschaft
hat den Beweis beigebracht, daß die Blutvermischung
verschiedener Nassen unumgänglich nöthig sei zum Fort-
schritt des Menschengeschlechts!" Amalgamation sei das
große Wort und die große Sache, aber Miscegenation
doch ein besserer Ausdruck.
In welcher Weise der Misccgenator mit der Wissen-
schaft umgeht, ergibt sich aus folgenden Sätzen, die gleich-
sam seinen Schwerpunkt bilden: „Ich appellire von dem
noch unvollkommenen Amerikaner unserer Tage an
eine vollkommenere Rasse, die einst auf unserem Fest-
land (durch die Miscegenation) zum Vorschein kommen
wird. Die Lehren der Physiologie und — die Inspira-
tionen des Christenthums erledigen die Frage und thun
dar, daß alle Stämme auf Erden von einem einzigen
Urpaare herzuleiten sind. Wenn man auch die Historie
von Adam und Eva nicht als unbedingt wahr annehmen
wollte, so ist doch die Thatsache selbst geschichtlich und
durch die jüngsten Entdeckungen über den Ursprung der
Menschenfamilie bewiesen worden."
Der Misccgenator beruft sich auf „Inspirationen",
mit denen bekanntlich die Wissenschaft rein gar nichts zu
schaffen hat. Die Physiologie weiß nichts von dem, was
der Misccgenator behauptet, und geradezu abgeschmackt
ist die Behauptung, daß die Geschichte etwas vom Ur-
sprünge des Menschengeschlechts wisse. Von „Entdeckun-
gen" über den letzter» kann selbstverständlich keine Rede sein.
Der Misccgenator erklärt, er habe alle neueren Werke
über Physiologie gelesen und sich überzeugt, „daß die
tiefste Forschung nicht nur die Einheit der Menschenrasse,
sondern auch die Gleichheit des Schwarzen und Weißen
bewiesen habe, vorausgesetzt, daß der erstere dieselbe
Gunst in Erziehung und äußeren Lebensverhältnissen
genösse". Wie gründlich aber der Misccgenator in Phy-
siologie und Völkerkunde eingeweiht ist, geht aus folgen-
den Worten hervor: „Der Mensch des äußersten
Nordens ist immer weiß, der Mensch im äußer-
sten südlichen Klima allemal schwarz." Sogehen
diese gelehrten Thebaner des Fanatismus mit den That-
sachen um!
Aber noch mehr. Der Misccgenator hat sich von
einem Doktor Draper sagen lassen: „Die geringen
Eigenthümlichkeiten im Ban, durch welche weiße
und schwarze Menschen sich von einander unter-
scheiden, rühren von der Einwirkung der Leber
her." Und dergleichen seltsame Behauptungen kommen
in Menge vor.
Doktor Draper gilt dem Miscegenator für ein großes
physiologisches Licht; in Deutschland würde er bei einer
Baccalaureatsprüfnng durchfallen. Der engliche Reviewer
hebt einige seiner dreisten und tollen, angeblich wissen-
schaftlichen Behauptungen hervor und gibt gleich die Ant-
wort. Mit Zuversicht ruft Draper, als ob er lauter
Wahrheiten verkünde:
„Sind nicht alle Menschen ganz denselben Krankheiten
unterworfen?" — Richtig fügt der Reviewer hinzu:
N e i n!
„Ist nicht in allen eine Tendenz vorhanden, gleich
lange zu leben? Ist nicht etwa die Temperatur unsers
Körpers, der Schlag des Pulses und die Athmung einer-
lei?" Nein.
„Glauben nicht etwa alle Stämme, aus welchen unser
Menschengeschlecht besteht, an das Dasein und die Güte
Gottes?" Nein.
„Und glauben sie nicht an unsichtbare Agenten, die
eine unmittelbare Verbindung zwischen Gott und Men-
schen unterhalten, und glauben sie nicht Alle an ein zu-
künftiges Leben?" Nein.
„Setzen sie nicht allesammt Vertrauen in die Wirk-
samkeit des Gebets und fürchten sie nicht Geister?"
Nein.
„Wie viele Menschen in allen Erdtheilen legen Werth
auf Wallfahrten, Darbringen von Opfern, Fasten, un-
glückliche Tage; und lassen sie sich in ihrem weltlichen Leben
und Treiben nicht von Gesetzbüchern und Begriffen über
das Wesen des Eigenthums leiten? Empfinden wir nicht
Alle dieselbe Furcht, dasselbe Ergötzen, denselben Abscheu;
benutzen wir nicht Alle das Feuer, die Hausthiere und
Waffen? Glauben wir nicht Alle, daß das Mißgeschick,
welches hienieden uns heimsucht, künftig einmal aus-
geglichen werde und daß es Belohnung und Bestrafung
in einem künftigen Leben gebe?" Nein.
„Halten nicht alle Völker das Grab heilig?" Nein.
„Gibt es nicht überall eine Priesterklasse, die als
Vermittler auftritt?" Nein.
Man sieht, wie albern diese Leute zu Werke gehen.
Der Miscegenator seinerseits stellt die Behauptung aus,
daß nur die kupferfarbige Rasse in Amerika sich auf
die Däner halten könne, und fährt weiter fort:
„Die weißen Menschen in Amerika sterben ab und
aus, wegen Mangels an Fleisch und Blut. Zwar haben
sie Knochen und Sehnen, aber sie sind dürr und schrum-
pfen zusammen, weil ihnen die gesunden Lebenssäfte feh-
len. Ich habe oft mit tiefer Betrübniß bei geselligen
und wissenschaftlichen Versammlungen den Gegensatz be-
obachtet, welcher zwischen dem Neger und dem weißen
Amerikaner hervortritt, denn an dem Letztern sind die
Anzeichen körperlichen Verfalls gar nicht zu verkennen.
Man sehe ihn nur an: die Wangen sind runzelig und
eingefallen, die Lippen dünn und ohne Blut, der Unter-
kiefer ist schmal und tritt nach hinten zurück, die Nase
ist kalt und scharf, die Zähne sind schlecht und schmerzen,
206
Die Miscegenation im Nankeelande.
die Augen klein und wässerig, die Gesichtsfarbe hält sich
mitten inne zwischen Blau und Gelb, Kopf und Schul-
tern sind nach vorne über gebeugt, das Haar hängt
trocken und struppig auf die Menschen hinab, der Wuchs
der Frauen ist dünn und die Taille gekniffen, sie deutet
auf Unfruchtbarkeit und Auszehrung, und die ganze Ge-
stalt ist hager und mager und leichenartig vom Wirbel
bis zur Zehe. Jeder junge Mann ist kahlköpfig. Man
sieht Brillen und Augenkueifer, falsche Zähne, Schminke
auf den Wangen und künstlich herbeigeführte Plumpheit
in der Form. Der gesellschaftliche Verkehr (zwischen den
Geschlechtern) ist formell, ascetisch, ohne alle Aufregung.
Diese kennzeichnenden Merkmale sind so allgemein vor-
handen, daß sie nicht etwa eine Ausnahme, sondern die
Regel bilden. Auf einen Menschen mit vollen, gesunden,
von der Natur gefärbten Wangen kommen zehn mit
hageren, eingefallenen Backe»."
„Und nun seht euch einmal eine Versamm-
lung von Negern an! Da ist jede Wange rund und
voll, die Zähne sind weißer als Elfenbein. Da sieht
man keine Kahlköpfe, die Augen sind groß und strahlen
hell, Kopf und Schultern gerade auf, jede Lippe zeigt
ein Lächeln, jede Körpergestalt urkräftig und stramm.
Der weiße Mensch schießt ins Kraut, der'schwarze Mann
hat in seinem ganzen Körper Saft und Kraft, Mark und
Frische. Das weiße Kind wird allerdings mit runden
Backen geboren, aber sobald es sich der Periode der
Mannbarkeit nähert, fallen sie ein und werden hager.
Die Natur will aber nicht, daß die Menschen hohl-
wangig sein sollen. Die Aushängeschilder der Zahn-
künstler erzählen lange nicht genug von den Zahnleiden,
welche eine Folge des kranken Unterkiefers sind. Unsere
Männer werden spindeldürr, hager, mager und alt, sie
sind abgelebt gerade dann, wenn sie im Verkehr mit dem
andern Geschlechte stark und kräftig fein sollten. Man
sagt ihnen, sie sollen sich Belvegung machen; nun ja, sie
mache,: lange Spaziergänge in der Morgenluft, aber sie
kommen von denselben nur noch frostiger und zusammen-
geschrumpfter heim. Was d u r ch a u s n o t h w e n d i g f ü r
sie erscheint, das ist ein Contact mit vollge-
sunden, liebenden, warmblütigen Naturen, da-
mit die mageren Zwischenräume ihrer Anatomie
ausgefüllt werden."
Da hätten wir also das beseligende Evangelium der
Miscegenatoren. Der „inspirirte" Mann hat aber noch
eine andere, gleichfalls überraschende Entdeckung gemacht,
denn er ruft aus, „The white race has originated
nothing!“ Also die weißen Völker haben niemals
etwas geleistet, von ihnen ist nichts Großes und Tüch-
tiges ausgegangen; alles weltgeschichtlich Befruchtende
rührt also vom Neger her.
Dann heißt es weiter: „Die weiße Isländerin liebt
den schwarzen Manu, und in Europa ist der Neger alle-
mal des schönsten unter den armen weißen Mädchen
sicher."
Die „Fusion, Amalgamation, Miscegenation, Mela-
leukation" wird dann, namentlich in Bezug auf die Kin-
der der smaragdenen Insel, welche bekanntlich überall dem
Nigger spinnefeind sind, in folgender Weise gepriesen:
„Äie Vereinigung mit Negerblut wird gerade für die
Irländer ein unendlicher Segen werden. Die Irländer
sind eine brutale Rasse und stehen in der Civilisation tief
unter dem Neger. Dieser Letztere ist ein milder Mensch,
geistreich, liebt Melodie und Gesang, ist warm in seiner
Anhänglichkeit, glühend in seinen Leidenschaften, aber
harmlos und grundgütig; er ist nur scheinbar brutal,
wenn seine lvärmsten Emotionen in Betreff seiner Liebe
für weiße Weiber ins Spiel kommen. Der Irländer
hingegen ist ein grobkörniger Patron, rachsüchtig, ohne
Intelligenz, lind fast alle feineren Instinkte der Mensch-
heit lind der Humanität gehen ihm ab. Es versteht sich,
daß hier nur von der arbeitenden Klasse, die wir hier zu
Lande sehen, die Rede ist. Der Milesier (Irländer) ist
ein Kind der Sonne; er war ursprünglich dunkelfarbig
und hat alle die glühenden Antriebe und Seelenbewegun-
gen, dergleichen wir bei den Menschen zwischen den Wen-
dekreisen oder in der Nähe derselben finden. Aber weil
er nun lange im Norden gewohnt hat und durch eine
schlechte Regierung in Unwissenheit gehalten worden ist,
sank er tiefer als der degradirteste Neger. Man stelle
eine Anzahl Irländer ans den niedrigsten Klassen Neu-
yorks neben ebenso viele Neger, und man wird sehen, wie
groß das Uebergewicht dieser Letzteren nicht nur in Bezug
auf Sauberkeit, Erziehung, moralisches Gef,'ihl, Schönheit
des Gesichts und der Gestalt, sondern auch auf natür-
lichen Menschenverstand ist. Man hat als Ausartung an
einigen Negervölkern hervorgehoben die prognathe Ge-
staltung des Schädels, die vorstehende Lippe', die platte,
gequetschte Nase; aber diese Erscheinungen sind für manche
Irländer genau so charakteristisch, wie für den Afrikaner
in Guinea; man sieht es an den Leuten aus den Graf-
schaften Sligo und Mayo. Dort ist das Volk spindel-
beinig geworden, hat aufgetriebenen Bauch, vorstehenden,
aufgeworfenen Mund rc.; es gleicht dem am niedrigsten
stehenden Neger. Wenn nun der Irländer sich hier zu
Lande mit dein Neger vermischt, so wird gerade jener
den größten Vortheil davon haben. Durch gute Er-
ziehung und Vermischung ,„it dem höher, weit über ihm,
stehenden Lieger kann sich möglicher Weise der Irländer
wieder annähernd zu der Würde seiner Ahnen, der Mile-
sier, erheben. Die Poeten, welche die alten Irländer
besangen, die Weisheit ihrer Herrscher priesen, vergaßen
vielleicht, daß diese alte, edle Rasse eine sehr dunkle Haut-
farbe hatte (die alten jonischen Griechen eine tiefdunkle
Hautfarbe!!), und daß sie Eingeborene des fernen Sü-
dens waren! Wenn ein sehr dunkles Volk in ein nörd-
liches Klima kommt, so ist die physiologische Wirkung die,
daß das schwarze Haar durch die Einwirkungen der
Temperatur eine rothe Farbe bekommt."
Man sieht, die freche Dreistigkeit dieser Miscegena-
toren ringt um die Palme mit einer haarsträubenden Un-
wissenheit. Diese Leute gehören eigentlich ins Tollhaus,
aber im Nankeelande sind schon hunderttausende durch sie
fauatisirt und bethört worden. Die Sache ist viel schlim-
mer, als das sogenannte Geisterklopfen und der Spiritua-
lismus, die wenigstens mit der Politik nichts zu schaffen
hatten. Die Miscegenatoren sind aber auch Abolitioni-
sten der schlimmsten Art und sie stellen ihre in der Praxis
ans Bestialität und Bestialisirnng hinauslaufenden Theo-
rien als religiöse Glaubenssätze hin, als unbestrittene
Wahrheiten, denn „Miscegenation ist Gottes Wille und
Gebot und guten Menschen ein Wohlgefallen. Sie allein
kann das Menschengeschlecht vom Untergang und ewigen
Verderben retten". ' U.
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
207
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna?)
I.
Die Vorbereitungen zu unserer Reise nahmen mehrere
Wochen in Anspruch. Zum nöthigsten Bedarf gehören
eine lederne Decke gegen diejenige räuberische Bevölkerung,
welche sich vor Revolver und Degen nicht fürchtet, eine
wollene Decke, ein Kopfkissen, eiit Revolver, an den in
Deutschland auch kein Reisender denkt, eine Branntwein-
slasche, die ich allerdings auch bei europäischen Reisenden
gesehen habe, und endlich eine tüchtige Quantität geräu-
cherter Fleischwaaren. Dagegen wurde das Reisegepäck
in Betreff der Toilette so dürftig wie möglich eingerich-
tet und enthielt namentlich nur ein Oberhemde. Als
denn schließlich auch der Handel mit dem Pferde - Philister
für die nicht selbst berittenen Mitglieder der Reisegesell-
schaft abgemacht war, wurde der Tag der Abreise fest-
gestellt.
Die Reisegesellschaft bestand ans mir, als dein Haupte,
das officiell reiste, dem zweiten Dragoman des Konsu-
lats, der übrigens ein sehr unnützes Möbel war, dem
Kavasfen, welchen mir der Gouverneur zu dieser Reise
gestellt und für meine gesunde Wiederablieferung in
Smyrna bei Strafe von Gefängniß verantwortlich gemacht
hatte, dem Reitknecht und dem Packpferd; unofficiell aber
noch ans Herrn I., einem sehr tüchtigen und gebildeten
Kaufmann aus Magdeburg, und einem jungen Schweizer.
Also sechs zwei- und sieben vierbeinige Geschöpfe; dazu
zwei gebratene Hühner, mit welchen befreundete Damen-
hände mir unter di-e Arme gegriffen.
Sonnabend vor Palmsonntag, den 28. März 1863 früh
4 Uhr, erhob ich mich nicht ganz ohne Mühe aus meinem,
übrigens nicht zu weichen Hotelbett, weckte die verschla-
fene Dienerschaft, meinen Kanzler und den ebenfalls im
Hotel wohnenden jungen schweizerischen Reisegefährten.
Es gelang uns auch wirklich, Kaffee zu bekommen, als
die Pferde ankamen. Gleichzeitig mit diesen erschienen
auch Herr I., der Kavaß und der Dragoman. Nachdem
zuerst die wegen des Nichtpassens itub Umlegens der ein-
zelnen Gepäckstücke mühsame und Zeit raubende Arran-
girung des Packpferdes, das übrigens so aussah, als
sollte es noch in Smyrna zusammenbrechen, aber tapfer
aushielt, vollendet war, wir uns auch wiederholt verge-
wissert hatten, daß nichts vergessen sei, zogen wir im
Gänsemarsch ab nach der Eisenbahn, denn mit diesem
Produkt moderner Hyperkultur sollten wir allerdings bis
an die Grenzen der Barbarei befördert werden. Wir
sahen aus, wie eine Schauspielerbande, die Schillers
Räuber in einer Scheune gespielt hat und im Kostüm
weiter zieht; ich, meiner Würde gemäß, am menschlich-
sten, auch nur mit Revolver und einer langen Hetz-
peitsche, deren Griff als Todtschläger dienen konnte, be-
wafsnet. Herr I. aber hatte eine alte bayrische Joppe
mit grünem Kragen und lange Entenstiefel als Haupt-
garderobe, dazu Revolver, Dolch, Hetzpeitsche und einen
rasselnden königlich preußischen Dragonersäbel. B., der
Schweizer, sah auch aus, lvie sein Namensvetter in den
Räubern von Schiller. Der Kavaß und der halb griechische
und halb türkische Reitknecht verstehen sich von selbst als *)
*) Von Herrn v. B. für den Globus geschrieben. Unse-
ren Lesern wird diese lebendig und lebenswahr geschriebene
Stizze nicht unwillkommen sein; sie ist voll ungekünstelter
guter Laune und zeigt vortrefflich, wessen sich ein europäischer
Reisender in Kleinasien zu gewärtigen habe. Auch dieWissen-
schaft geht nicht leer aus. Red.
Gestalten, die Salvator Rosa gerne gemalt hätte. Den
schönsten Anblick aber gewährte der Dragoman, nament-
lich für uns, die wir die unübertreffliche Feigheit der
Armenier kennen. Auf dem Bande seines Hittes befand
sich ein königlich preußischer Adler, den er sich für sein
eigenes schweres Geld hatte sticken lassen. Die Säulen
seines Leibes steckten in einem Paar Studenteukanonen,
Revolver und Hetzpeitsche mit Stahlknopf fehlten nicht.
Deit Gipfelpunkt der Komik aber und den Zielpunkt un-
seres Hohnes vom ersten bis zum letzten Augenblick
bildete ein Galanteriedegen, der Gott weiß ans welchem
konsularischen Nachlaß zum Inden gewandert war, itub
den sich der tapfere Dollmetsch zu dieser Reise erstanden.
Während auf dem Bahnhöfe unsere Pferde nicht ganz
ohne Schwierigkeit eingeschifft wurden, erschien auch der
Seelenhirt der preußischen Kolonie, um uns seinen prie-
sterlichen Segen mit auf die Reise zu geben, da wir ihm
gerade zur Osterzeit aus dem Stall liefen. Die Wahl
dieser Zeit war übrigens durchaus nicht Ruchlosigkeit,
sondern Nothwendigkeit. Man kann hier zu Lande, na-
mentlich als Europäer, eine solche Reise zu keiner andern
Jahreszeit unternehmen. Vorher sind die Wege grund-
los, später ist es zu heiß, man riskirt Sonnenstich und
Fieber. Um halb acht Uhr endlich brausten wir pfeifend
von dannen, erst an der Karawanenbrücke, dann au Bud-
gia, dem Schöneberg Smyrna's, vorüber. Die Gegend
wurde immer öder und wilder. Ans der Station Dji-
morassi, einst eine große Türkenstadt, von der noch
einige Moscheen vorhanden sind, jetzt ein elendes Tür-
kendorf und ein Gut, auf welchem preußische Unter-
thanen Ackerbau treiben und Bier brauen, geriethen wir
in großen Zorn, daß die gedachte preußische Garnison
nicht aufmarschirt war, und wenn auch nicht das Ge-
wehr, so doch wenigstens Bier präsentirte. Nachdem wir
in dem immer enger werdenden Thal rechts ein Sara-
cenenschloß aus steilen Felsen, links eine noch heute benutzte
Römerbrücke über den Kaister hatten liegen lassen, gelang-
ten wir 11 Vs Uhr nach Ephesus.
Bahnhof Ephesus! Welche Gedankenverbindung!
Tie Eröffnung der Bahn bis hierher hat erst int ver-
gangenen Herhst stattgefunden, die Bahnhofsgebäude sind
daher noch sehr im Entstehen begriffen. Eigentlich sollte
die Bahn bis Aid in vertragsmäßig seit mehreren Jah-
ren fertig sein; Ephesus ist aber erst die Hälfte! Und
die eigentlichen Schwierigkeiten fangen erst an, da die
Bahn dasselbe Gebirge überschreiten muß, von welchem
ich später erzählen werde. Die Beamten und Bauunter-
nehmer, sagt man hier, werden reich, die Gesellschaft
selbst aber soll sehr schlechte Geschäfte machen; man be-
zweifelt^ daß das türkische Reich jemals die Vollendung
dieser Bahn erleben werde, so unendlich wichtig sie auch
für das Land und für Smyrna wäre. Von dem alten
Ephesus >ind jetzt nur noch einige unkenntliche, von den
Archäologen willkürlich getaufte' Mauerreste, über eine
weite, als Weide benutzte Ebene zerstreut, vorhanden.
Vom mittlern Ephesus haben sich das saracenische
Kastell auf einem Hügel, ein byzantinisches schauderhaft
geschmackloses Thor, eine von den Kreuzfahrern erbaute,
später in eine Moschee verwandelte, jetzt aber ebenfalls
verlassene Kirche mit schönen saracenischen Details, na-
mentlich Marmor-Filigranarbeit, und die sehr baufälligen
Pfeiler einer Wasserleitung erhalten. Auf jedem dieser
Pfeiler ohne Ausnahme wohnte eine Familie Störche.
208
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
Dennoch ist die heutige Bevölkerung sehr büiuu Das
neue, heutige Ephesus heißt Aj as tu k und ist eiir elen-
des Türkendorf von höchstens zwei Dutzend Hütten.
Natürlich fehlen nicht das türkische Kaffeehaus und ein
Krämer, bei welchem ich für meinen Schimmel ein Half-
ter kaufte. Einer der Eisenbahnbeamten, ein Deutsch-
Schweizer aus Smyrna, räumte uns fein Zimmer, oder,
was viel wichtiger war, seinen Tisch ein, denn solch
ein Möbel sollten wir nun 15 Tage nicht wieder sehen!
An diesem Tisch vertilgten wir das erste der obenerwähn-
ten Hühner, dazu eine Flasche Rheinlvein, und dann hieß
es „ans und zu Pferde", und die eigentliche Reise begann.
Sobald wir das Dorf verlassen (Kawaß Hassan mit
ritterlich in die rechte Seite gestemmtem, uraltem Stein-
schloßgewehr, B., der Dragoman, I., ich und dann der
Reitknecht mit dem Packpferd, Alles im Gänsemarsch),
verwandelte sich die Straße in einen scheußlich gepflaster-
ten, zum Theil aus alten Marmorblöckeu mit Skulp-
turresten bestehenden schmalen Damm, der von beiden
Seiten mit einem fünf Fuß hohen Erdwall, auf welchem
sich Dornhecken befanden, eingefaßt war. Nach einer
Stunde, während welcher bereits mehrere Male das Bett
eines Baches an die Stelle der angeblichen Straße ge-
treten war, begegnete nuS eine Karawane von breit mit
Banmlvolle beladenen Kameelen. Auszuweichen war nicht.
I. spornte sein tüchtiges Pferd den Erdwall hinauf.
Unsere Rosse waren darauf nicht zugeschnitten, wir muß-
ten also umkehren, um an einer zufällig etwas breitern
Stelle des Weges die lange und langweilige Karawane
vorbei zu lasseu. Man muß nämlich wissen, daß dies
die große Heer- und Handelsstraße ist, welche
Smyrna, die Hauptstadt der Provinz, den ersten Han-
delshafen Kleinasiens, mit Aid in, der zweiten Han-
delsstadt der Provinz, verbindet! Das ganze fruchtbare
Mäauder-Thal kann seine Produkte nur auf dieser
Straße nach dem Meere schaffen, kann nur auf dieser
Straße europäische Produkte erhalten: aber doch! Wenn
der Sultan ein Viertel dessen, was ihm jetzt seine Reife
nach Aegypten gekostet, hergegeben, so hätte man die
schönste Chaussee durch dies Gebirge bauen können. Als
er uns bei der, dem Konsularkorps gewährten Audienz
erklärte, sein größtes Bestreben sei, den Handel Smyrna's
zu heben, hätte ich Se. Majestät gerne auf diese Straße,
für welche absolut Nichts geschieht, aufmerksam gemacht.
Bald hörte auch der obgedachte schmale Damm auf,
und unsere Pferde — ich bewunderte diese kleinen, schlecht
aussehenden, aber muskelstarken, geschickten und ausdauern-
den Thiere — mußten wie die Katzen über den nackten,
stufenförmigen Fels, oder besten Falls in den Betten der
entgegenkommenden Gebirgsbäche in die Höhe klettern.
Die Berge waren dicht mit Myrthengestrüpp bedeckt. An
den Bachrändern wuchsen, wie bei uns die Weiden,
Oleanderbüsche oft von doppelter Mannshöhe. Leider
blühen sie erst Ende Mai. Vergangene Pfingsten habe
ich in der Nähe von Smyrna einen solchen Bachritt durch
einen blühenden Oleanderwald gemacht. Das muß
man wirklich sehen, beschreiben läßt es sich nicht.
Nachdem wir die Wasserscheide überschritten, ging es
eine Zeitlang ziemlich eben auf etwas besseren Pfaden
weiter. Hier trafen wir auch wieder Menschen; die ganze
bisherige Gegend war wie ausgestorben. Man darf jedoch
nicht an wirkliche Ortschaften denken. Es waren zwei
Kaffeehäuser, bei denen wir unseren Pferden etwas
Ruhe und uns eine Tasse türkischen Kaffees vergönnten.
Das eine dieser Kaffeehäuser bildete den Mittelpunkt einer
fast kreisförmigen, rings von hohen Gebirgen umschlossene»,
vielleicht drei bis vier Qnadratmeilen großen Hochebene.
Diese war auch mit Wein, Oliven und Korn bebaut
und gewährte einen erfreulichen Anblick. Jur klebrigen
ging die Reise heute selbst da, wo Anbau sehr gut mög-
lich'gewesen wäre, durch schnöde Myrthen- und Olean-
derwüsten, die sehr romantisch, aber durchaus nicht natio-
nalökonomisch siild. Von ebengedachtem Kaffeehause ging
es wieder bergab, zum Theil in den nach dem Mäander
hinabziehenden, trockenen oder nassen Bergbächen. Am
Fuße dieser Berge im wirklichen Mäanderthal angelangt,
fanden wir wieder ein Kaffeehaus, von welchen: täglich
eine Art Omnibus nach Aidin fährt. Wir kamen näm-
lich jetzt auf die einzige fahrbare Straße der gan-
zen Reise, aber natürlich war diese Fahrbarkeit wie bei
unseren Dorfwegen ans leichtestes Fuhrwerk, bei trocknen:
Wetter, beschränkt. Auch hat besagter Omnibus auf jeder
Fahrt ein Unglück. Hier begegnete uns auch wirklich ein
Einspänner, von einem Griechen kntfchirt. Drin saß ein
posener Jude, der den Konsul seines Allergnädigsten
Königs und Herrn natürlich sehr devot grüßte. Auch sahen
wir jetzt wieder eine wirkliche Ortschaft, einen rein türki-
schen Flecken mit weitleuchtender hoher Moschee, ließei: ihn
aber weit links liege«:. Der Himmel hatte schoi: früh in
Smyrna einen leichten Tüllschleier gehabt; allmälig war
aus den: Tüll Musselin, aus den: Musselin Sackleinwand
geworden, und letztere mußte offenbar im Meere gelegei:
haben, dein: sie begann un: fünf Uhr zu tröpfeln. An-
fangs achteten wir dessei: wenig, nur daß ich meine::
Mantel von königlich preußischem Militärtuch umnahm,
der auch seine Schuldigkeit that.
Als es jedoch stark däminerte und immer stärker reg-
nete, wurde uns der Weiterritt ans müden Pferden, un-
bekanntem, nassem Wege, in Dunkelheit und Regen doch
bedenklich, so daß wir bei einem, aus Kaffeehaus, Kränrer
und ein bis zwei türkischen Lehmhütten bestehenden Weiler
Halt machten.
Der Krämer diente zugleich als Han, und wir waren
recht froh, nicht fünf Minuten später angekommen zu
sein, da uns sonst eine entgegenkommende Reisegesellschaft
den einzigen annähernd menschlichen Aufenthalt, auch un-
seren Pferden den Stall genommen hätte. Vor dem
Hause war eiue Art vou Veranda aus rohen Baum-
stämmen, mit Schilf gedeckt. Dies letztere war wirklich
an einer Stelle, ans welcher vier Menschen dicht bei ein-
ander stehen konnten, regendicht. An dieser Stelle ver-
speisten wir in bester Laune (es war strenges Abkommen,
daß weder Regen, noch sonst eine Unannehmlichkeit den
Humor verderbe:: dürfe), stehend, aus der Hand, das
zweite Huhn, tranken dazu abwechselnd türkischen Kaffee
und europäischen Cognac und zogen uns dann, ziemlich
müde, in unsern Salon zurück. Dieser verdient eine
besondere Beschreibung! Die Hütte selbst war ans Back-
steinen ausgeführt, so hoch, daß ich mit meinen fünf Fuß
acht Zoll mich bücken mußte, un: die Thür zu passiren.
Darüber lagen schräg gegeneinander unbehauene nicht
sehr gerade Baumstämme, über diese quer Latten, und
diese waren allerdings mit den muldenförmigen, landes-
üblichen Ziegeldachsteinen, jedoch nicht wasserdicht, bedeckt.
Fenster? Iokdur!*) Fußboden? Wie ihn Allah gerade
an der betreffenden Stelle hatte wachsen lassen, nur
etwas festgestampft. Warum auch die Natur durch den
raffinirten Luxus von Fliesen oder gar Dielen verderben?
Die Stellen in: Dach, wo der Regen durchkam, ließen
natürlich bei Tage auch genügendes Licht durch. Zuerst
kam man in einen Raun: von 12 Fuß Länge und 0 Fuß
Tiefe. Dies war der Laden des Herrn Bakals, welcher
ihn: zugleich als Schlafstätte diente. Aus diesen: gelangte
man in den uns angewiesenen Salon für vornehme
Fremde. In welchem Stockwerk wir gewohnt, ist un-
möglich zu sagen. Nur bal étage war es nicht. Wir
mußten zwei Stufen hinunter gehen, um hineinzukommen,
also Keller, hatten aber unmittelbar über uns das schräge
Dach, also Boden? Das Ameubleinent bestand aus
einer richtigen königlich Preußischen Wachtstuben-Pritsche,
an der Wand etwas höher, nach dem Zimmer zu ab-
fallend, genau zwei Drittel des ganzen Raumes einneh-
mend. Darauf lagen Matten von Binsen. Voilà tout. *)
*) Bokdur, eine türkische, sehr allgemein angewendete Ne-
gation.
Eme Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
209
Nachdem ich dort noch mit B. eine Partie Schach (beide
liegend) gespielt, bereiteten wir unser Nachtlager. Ich
breitete meine hirschlederne Decke auf die Pritsche, legte
mein Kopfkissen daraus, mich dann selber, nur entstiefelt,
sonst aber angekleidet, hin und schlief unter meiner
wollenen Decke,' einzelne mir aus Glatze und Nase fallende
Regentropfen mit souveräner Verachtung behandelnd, wie
ein Gott. Die Anderen desgleichen. Die Pritsche hatte
gerade Raum für uns Vier; wo Hassan und Nicoli, der
Pferdeknecht, geblieben, weiß ich nicht. Wahrscheinlich
der Eine im Stall, der Andere bei seinen Kameraden auf
der Kavassenwache.
Ostersonntag, den 29. Marz. Als ich früh noch
lange vor Sonnenaufgang erwachte und meine doch etwas
schmerzenden Glieder streckte, bemerkte ich zu meinem
nicht geringen Erstaunen, daß ein landeseingeborenes,
sehr niedliches junges Mädchen neben mir lag. Leider
konnte ich meiner Frau in Deutschland keine Veranlassung
zu gerechter Eifersucht geben, denn das Fräulein, welches
mein Lager getheilt, gehörte zu der vierbeinigen Familie
Mies. Sie wurde also ungalant ermittirt und die übrige
Gesellschaft geweckt. Waschen war nicht. Dergleichen
raffinirte Genüsse einer krankhaften Civilisation hatten
wir hinter den Bergen zurück gelassen. Ein Stück altes
Brot von sehr bedenklicher Zusammensetzung und zwei
Tassen türkischen Kaffees bildeten, durch einen Cognac
verstärkt, unser Frühstück, und wir ritten 6V2 Uhr weiter
gen Aidin. Die Rechnung, obgleich immer die konsula-
rische Würde des Reisebeschrei'bers nicht außer Ansatz
geblieben, war mäßig. Der Regen hatte aufgehört.
Einzelne an: Himmel noch umherziehende Wolken wichen
vor der Sonne, die mich auch bald nöthigte, meinen
Mantel wieder dein seufzenden Packpferde zuzuschicken.
Und so ritten wir beim auf verhältnißmäßig sehr gutem
Wege durch dichte Kulturen von Oliven, Feigen, Wein,
Gerste rc. nach Aidin, wo wir gegen 10 Uhr im Han
anlangten.
Ein Han tritt in den Städten des Orients an die
Stelle des europäischen Hôtels, ist aber etwas ganz An-
deres. Wenn die Han's sehr kultivirt sind, dann erinnern sie
entfernt an die längst ausgestorbenen Gasthöfe, die ich in
meiner Studentenzeit in denjenigen kleinen deutschen Ge-
birgsstädten gesehen habe, welche doch einen nicht unbe-
trächtlichen Verkehr hatten. Um die Han's hier ein für
alle Atale abzumachen, will ich, da sie mit unwesentlichen
Ausnahmen alle nach derselben Schablone gebaut sind,
eine allgemeine Beschreibung dieser Herbergen geben.
Das in der Regel, so weit ich gesehen, zweistöckige
Hauptgebäude macht gegen die Straße, wo möglich gegen
den Bazar Front. In demselben befindet sich ein Thorweg,
der auf der einen Seite eine Kavassenwache, auf der andern
ein Kaffeehaus hat. Bisweilen, wenn der Hof sehr groß
ist, befindet sich das Kaffeehans als besonderes Gebäude
mitten im Hofe. Dieser wird durch zwei lange, an das
Hauptgebäude sich anschließende, auf der schmalen Seite
durch ein zweites Quergebäude verbundene Flügel ein-
geschlossen und ist bisweilen sehr groß. Die eine Lang-
seite nehmen die Ställe ein. Die drei übrigen Seiten
bestehen aus einem zwei bis drei Stufen über dem Boden
erhöhten, bisweilen zweistöckigen offenen Gang, aus wel-
chem man in die Zimmer gelangt. In den größeren,
bereits von der Kllltur angefressenen Orten findet man
daselbst Divans mit harten, schmutzigen, der Floh- und
Wanzenbevölkerung dringend verdächtigen Baumwollma-
tratzen. In kleineren Orten, und das ist die eigentliche
orientalische Regels nur Matten, und wenn viel geliefert
wird, Teppiche. Sonstiges Mobiliar gibt es nicht.
Der Han zu Aidin war neu und entsprach in seiner
Einrichtung dem Range der Stadt als ehemaliger Resi-
denz einer unabhängigen turkomanischen Dynastie und
Sitz eines Regierungs-Präsidenten, auf Türkisch Kai-
makan. Dieser Titel kommt, wie ick) entdeckt habe und
allen gelehrten Orientalisten, wie Lepsius, Blau, Brugsch
Globus VI. Nr. 7.
rc. zum Trotz behaupte, von Kaimak, d. h. Nahm, weil
diese Herren grundsätzlich von Allem, was das Land dem
Sultan und der Sultan dem Lande leistet, erst das Fett
abschöpfen.
Wir wurden eine Treppe hoch im Hauptgebäude in
ein Zimmer geführt, das Matten, Divans, und sogar
Glasscheiben in den Fenstern hatte. Der offene, hal-
lenartige Flur (natürlich Alles Holzbau) bot über die
nur einstöckigen Nebengebäude eine lohnende Aussicht auf
die reiche, schöne Gegend und auf einige türkische Ge-
bäude, ein altes Festuugsthor, wie es die illustrirte Aus-
gabe von 1001 Nacht oft zeigt, und eine Moschee, Alles
reichlich mit Storchfamilien bevölkert.
Hier in Aidin kam nun aber doch wieder der in uns
steckende skrophulöse Civilisations-Satan znm Vorschein,
und zwar in der Gestalt des dringenden Bedürfnisses,
uns zu waschen. Da war guter Rath theuer. Ich bitte,
abermals daran zu denken, daß wir nicht in einem Hotel,
ja nicht einmal in einer Fuhrmannskueipe zum grünen
Baum oder goldenen Löwen, waren, wo wir sicher einen
Waschtisch, wenn auch nur von Kienholz, und ein Wasch-
becken, wenn auch nur von Fayence, gefunden hätten,
sondern in einem Han. Glücklicherweise hatte sich dem
Han gegenüber die im Orient sehr wichtige und überall
sehr praktische Persönlichkeit eines Barbiers etablirt.
Dort ließen wir ein Barbierbecken, das im Orient, wo
man nicht den Bart, sondern den Kopf rasirt, dreimal so
groß ist als bei uns, entlehnen, und darin wuschen wir
uns auf dem Flur, Einer nach dem Andern. Wir hätten
auch in den Hof an das Steinbassin des murmelnden
Brunnens gehen können, allein dazu waren wir noch
zu civilisirt. Acht Tage später haben wir ganz andere
Dinge quoad Toilette getrieben. Der gütige Leser spare
also sein Mitleid oder seine Verachtung über das erste
Nachtquartier und die Wäsche in Aidin, bis er den Namen
Tamuk liest!
Nachdem der Dragoman sich zum Menschen gemacht
und zu unserem unaussprechlichen Gelächter sogar'lackirte
Stieseln und Glanzhandschul) angezogen hatte, schickte ich
ihn mit dem ebenfalls im Parade-Änzug auftauchenden
Kavassen Hassan, der übrigens viel klüger und brauch-
barer war, als der Dragoman, zu der Kaimak-Excellenz
von Aidin, um dort meine Karte abzugeben und den
offenen Empfehlungsbrief des Gouverneurs von Smyrna
(a conto dessen wir sogar freies Quartier beim Kaima-
kan hätten fordern können, wozu ich jedoch zu stolz war)
vorzuzeigen. Wir Anderen verhandelten indessen mit
dem Kafehdschi über unser Mittagessen und tranken
Kaffee dazu. Es ist unglaublich, wie viel türkischen
Kaffee der Mensch auf solcher Reise vertragen kann.
Nach einer Weile kam denn auch der Dragoman, der
sehr höflich mit Kaffee und Tschibuk rc. empfangen wor-
den war, in Begleitung eines Offiziers und zweier Ka-
vassen zurück, die der Kaimakan schickte, mich in der Stadt
umherzuführen. Aidin enthält auf 600 christliche und
500 jüdische Familien 4500 türkische, ist also vorzugs-
weise türkisch und hat mir, abgesehen von Stambul, den
ersten recht eigentlich orientalischen Anblick gegeben, in
seinen engen Straßen, mit Jalousien geschlossenen Häu-
sern und den ächt orientalischen Trachten. Kein Mensch
im Innern des Landes, mit Ausnahme der Beamten,
bekümmert sich um die Kleiderordnungen des Sultans.
Alles — Mohammedaner, weiter im Innern sogar die
Christen — trägt hier den weiten türkischen Talar und
den eigentlichen Turban, so daß man Christen und Mo-
hammedaner nur durch die Farbe des Turbans unter-
scheiden kann. Das ganze Leben und Treiben zeigte,
daß die besseren Bilder in der schon gedachten illustrirten
Ausgabe von 1001 Nacht wirklich aus dem' Leben ge-
griffen sind.
Aidin hieß im Alterthum bekanntlich Tr a lles,
letzteres lag aber verständiger Weise nicht, wie das jetzige
Aidin, im Flußthal, wo die Bevölkerung fortwährend
27
210
Zwei fahrbare Passe über die chilenische
vom Fieber decimirt wird, sondern auf der Höhe. Dort-
hin führten uns denn auch baldigst die Ortskavassen,
denn sie wußten recht gut, daß die „Dyaur frenkler"
verrückt genug sind, sich für das alte, längst vergeblich
nach Schätzen durchwühlte, höchstens für den Kalkofen
brauchbare Marmorgerümpel zu iuteressiren. Das Erste,
was man uns zeigte, war ein sehr schön aus feinem
weißen Marmor gearbeiteter Adler mit einer griechischen
Inschrift, die ich kopirt und nach Berlin eingeschickt habe.
Derselbe diente der Gartenmauer eines verlasseneil und
verfallenen türkischen Landhauses als Zierrath. Einige
aildere Skulpturen waren spät römisch. Sonst sind noch
eine deutlich zu erkenilende Arena, die Spuren eines
wirklichen Theaters und allerlei unerkennbares Trüm-
merwerk zu sehell. Im Boden dürfte noch Manches
liegen, was die Museen theuer bezahlen würden. Das
interessanteste Gebäude war, ilicht wegen seiner Schön-
heit, sondern wegen seiner Näthselhaftigkeit, eine Art von
dreifachem Bogenthor, natürlich mindestens aus spätrö-
mischer Zeit. Ein wirkliches Thor kann es jedoch nicht
gewesen sein, denn ein solches muß deull doch nicht nur
irgend woher, sondern auch irgend wohin führen.
Die Außenseite dieses Gebäudes stößt aber so unmittel-
bar all einen tiefen, fast senkrechten Abhang, daß für
einen Hinausgehendeil von Muern „Wohin?" die Rede
sein kann. Ich halte es für die Sceila eines spätrömi-
scheu Theaters, worauf auch allßer eiiligeil Syulptouleu
am Gebäude selbst der Ilmstand schließen läßt, daß Spu-
ren einer kreisförmigeil Umgebung auf der innern Seite
zu sehen siild. Ein ehemaliger französischer Militär-
chirurg, welcher seit 11 Jahren inAidin das Fieber in seinen
Bemühungen zur allmäligeil Allsrottung der türkischen
Bevölkerung nach den Regeln der Kunst unterstützt und,
uul sich desto länger diesem edlen Werke Hingebell zu
können, oben im gesunden Tralles und nicht in Aidin
selbst wohnt, wollte es für einen genuesischen Bau er-
klären, ohile zu wissen, was es vorgestellt. Das ist min
eine jener Wunderlichkeiten, welche zeigt, wie bedelltend
einst Genua im Orient gewesen. Genuesisch nennen
hier die Leute jedes Bauwerk, das sie sonst nicht unter-
bringen können; auch die rhodiser Citadelle von Smyrna,
Cordillere und eine iuteroceanische Eisenbahn re.
die nie ein genuesischer Fuß betreten hat. Zwei concen-
trische, an Druidensteiue erinnerllde Steinkreise haben die
Griechen plötzlich, ohne daß ich die Berechtigung dazu
habe entdecken können, für die Kirche irgend eines Hei-
ligen erklärt und lesen dort Messe. Hadeank sibi, wenn
die Türken Nichts dagegen haben. Bei deill genannten
französischen Doktor erhielten wir Kaffee und Mastix;
feine Gattin war eine sehr liebenswürdige Wirthin und
erheiterte uns llicht weilig dllrch den Stolz, mit welchem
sie wiederholt sagte: „cko suis äs Pa,™!“ Arme Pariserin,
die in Aidili verkommen muß.
Nachdeill ich noch einem vr. Salviati, österreichi-
schen Konsular-Agenten und belgischen Vice-Konsul, einen
kollegialen Besuch abgestattet, hatte ich alle Merkwürdig-
keiten von Tralles-Äidin erschöpft, und wir beschlossen,
am andern Morgen früh weiter zu reisen. Da kam der
unglückliche Dragoman mit der Nachricht, der Kaimakan
wolle uns ulorgen früh eine Extra-Eskorte von Gott weiß
wie viel Kavassen mitgeben. Es sei durchaus nöthig.
Ein preußischer Negierungs-Präsident würde kassirt, wenn
in seinem Bezirk in tiefeill Frieden eine Reisegesellschaft
von sechs bewaffneteil Männern auf offener Heer- und
Landstraße einer Gensd'armerie-Eskorte bedürfte. Ich
hielt das auch in Kleinasien für unnütz und ließ den:
Kaimakan sagen, wir hätten keine Furcht, er solle uns
mit seiner Eskorte vom Leibe bleiben. Nachdeul nun
Freund Koudjan (der Dragoman) noch einige Male hin
uild her gelaufen, kam denil ein Vergleich dahiil zu Stande,
daß die Landstraße ganz sicher sei, daß ich mir aber eine
Ehren-Eskorte von zwei Mann gefallen lassen nlüsse.
Mittags- und Abendessen fielen zusammen, Pilaw, harte
Eier, Schlackwurst aus Braunschweig (ein Geschenk treuer
Mutterliebe an Herrn I.) nnb Kaimak, ohne „a n",
d. h. saure Sahne, die mit Zucker, Rum und Brot sehr
gut schmeckt. Als es dunkel wurde, zündete ich eine» der
mitgebrachten Wachslichter auf einem ebeilfalks mitgeuom-
menen Bronceleuchter all (man steht, was der Mensch
Alles mitschleppen muß, wenn er in Kleinasien reist), spielte
noch zwei Partien Schach, und um acht Uhr schlief die
Gesellschaft, allen christlichen und mohammedanischen
Flöhen zum Trotz.
Zwei fahrbare Pässe über die chilenische Cordillere und eine interoceanische Eisenbahn durch
Südamerika.
Das Hochgebirge, welches der ganzen Westküste Süd-
amerika's entlang zieht, war bis auf t>en heutig eil Tag
eine lästige Schranke für den Verkehr. Es erschwert die
Verbindung zwischen beiden Seiten des großen Festlandes
ungemein, denn die verschiedenen Uebergaugspässe, welche
seither von Reisenden uild für den Waarentransport be-
nutzt wurden, liegen fast alle in einer Höhe von mehr als
12,000Fuß über dem Meeresspiegel. Für Schiffer ist die
Fahrt um das stürmische Kap Horn lallgwierig, lästig
und llicht selten gefährlich. Unter diesen Umständen liegt
die Bedeutung eines zu allen Jahreszeiten fahrbaren
Passes, liegt die Bedeutllug einer Eisenbahn, welche
gerade durch Südamerika in dessen ganzer Breite von
einem Ocean zum andern geführt werden kaun, auf der
stachen Hand.
Die Regierung der Republik Chile hat seit etwa 12
Jahreli sich eifrig bestrebt, die Commuuicatioil zu beleben.
Voil Chile aus kannte man früher 11 Pässe, welche über
das Gebirge nach de:: argentinischen Landen führten, mau
war aber llicht im Zweifel darüber, daß im südlich eil
Chile mehr als ein praktikabler Paß vorhanden sein
müsse. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß die Natur
selber zwischeil dem 38. lind 40." südlicher Breite einen
Weg gebahnt hat. Auf der atlantischen Seite schileidet
die Bucht von Sau Matias tief ins Laild ein, auf der
pacifischen Seite ist dasselbe mit lern Busen von Chiles
der Fall. Nordöstlich von diesem entspringt der Rio
Negro, welcher fast auf der galizen Länge seines Laufes
schiffbar erfunden worden ist; er kann von kleinen Bar-
ken sogar bis zu zu seinem Quellsce, dem 2tahnet
huapi, befahren werden; er mündet unterhalb El Car-
men und bildet die Grenze zwischen dem südlichen Ge-
biete der argentinischen Provinz Buenos Ayres und
Patagonien.
Ich will hier ganz besonderes Gelvicht darauf legen,
daß schon im Jahre 1855 die Regierung Chile's eine
Expedition veranstaltete, um einen Weg durch die
Cordillere von Llanguihus zilul Nahuel huapi
aufsuchen zu lassen. Der Gefe politico in der deut-
schen Niederlassung Puerto Montt beallftragte unserll
Zwei fahrbare Pässe über die chilenische Cordillere und eine interoceanische Eisenbahn rc.
211
Landsmaun Geise mit dem Unternehmen. Dieser ver-
ließ Puerto Montt am 26. Februar, überschritt die
Andes, am 3. März, auf einem Passe, der nur
2676 Fuß englisch über dem Meeresspiegel
liegt, und befand sich schon am Abend des nächsten
Tages am Ufer des schönen und großen Sees. Er fand
den Weg bis dorthin ohne alle Schwierigkeiten, denn
derselbe führte auf einer sanft abfallenden Fläche durch
Weidengebüsch ltni) Wälder nach Patagonien. Geise er-
mittelte, daß auf dem von ihm gefundenen Passe das
Gebirge zu Wagen überschritten werden kann,
und daß ein Fußgänger im Stande ist, die Reise
von Puerto Montt in Chile nach Patagonien
mit Bequemlichkeit binnen drei Tagen zurück-
zulegen. (Karl Andres, Buenos Ayres und die argen-
tinischen Provinzen, Leipzig 1856, S. 287 ff.)
Die Priorität in Bezug auf die Entdeckung eines
fahrbaren Passes in den chilenischen Andes, in der Cor-
dillere von Llanquihuö, gebührt demnach unstreitig unserem
deutschen Landsmann Geise.
Nun sind in der neuesten Zeit abermals zwei leicht
praktikable Pässe als „neuentdeckt" angekündigt worden.
Der Gegenstand ist in geographischer Beziehung von sol-
chem Interesse und in Bezug auf den Verkehr von so
großer Wichtigkeit, daß wir ausführlicher auf denselben
eingehen müssen.
Ein Blick auf die früheren Erpeditionen. Die
Reise des Don Guillermo Cor im I. 1863.
Sir Woodbine Parish, der längere Zeit englischer
Geschäftsträger in Buenos Ayres war, hat ein werth-
volles Buch über die argentinischen Lande geschrieben, das
im Jahre 1852 in zweiter Auflage erschien. Durch ihn
haben wir die folgenden Mittheilungen erhalten; wir
entlehnen sie eineiw Bericht über die Sitzung der lon-
doner geographischen Gesellschaft vom 9. Mai.
Don Guillermo Cor ist in Chile geboren, Sohn eines
dort angesiedelten englischen Arztes. Gegen Ende des
Jahres 1862 faßte er den Plan, über die Cordillere
und den Rio Negro hinab zu reisen, um eine bequeme
Verbindungsstraße aufzusuchen. Schon im Jahre 1782
hatte die spanische Negierung die Expedition des vor-
maligen Oberpiloten Don Basilio Villa riño ausge-
rüstet; dieser sollte von der atlantischen Küste her bis zu
den Besitzungen in Südchile vordringen. Sein Unterneh-
men gelang zu nicht geringem Theil, obwohl unter-
große:: Hindernisseil und Beschwerlichkeiten; er kam mit
seinen Barken bis an den Fuß der Cordillere zu einem
Punkt, wo der Rio Negro aus zwei Flüssen gebildet
wird; der eine kommt von Norden, der andere von
Süden her. Villarino wollte den letzter,:, welchen er
Encarnación benannte, näher erforschen, weil er von
Indianern vernahm, daß dieser Arm aus dem See Na-
huel huapi komme, der weit südlich von Valdivia liege.
Deshalb beschloß er, den Nordarm, den Catapuliche,
zu befahren, und folgte dem Lause desselben stroman, bis
er etwa in gleicher Breite mit Valdivia sich befand.
Die Indianer sagten ihm, daß man über einen, ihnen
recht wohl bekannten Gebirgspaß binnen vier Tagen ge-
langen könne. Villarino durfte nicht weiter gehen, weil
er mit den Indianern in Zwist gerieth; er'mußte zu
seinem großen Bedauern auf eine Uebersteigung der Cor-
dillere verzichten. Seitdem ist der Rio Negro immer
nur bis zur Insel Choölechel (dies ist die richtige Schreib-
art, nicht Choleechehel, wie Parish schreibt) Gefahren wor-
den, weiter hinauf nicht. Dieses Eiland liegt etwa auf
der Hälfte Wegs zwischen der Mündung und der Cor-
dillere.
Von: Nahuel huapi (d. h. See des Tigers, Jaguars)
wußte man vor Villarino nur, daß vor langen Jahren
die Jesuiten dort Missionen gehabt hätten, die aber bald
nachher zerstört wurden. Die Patres hatten einen be-
quemen Uebergangspaß aufgefunden und von der Bucht
von Reloncavi her einen Weg durch den Wald geöffnet;
so konnten sie binnen wenigen Tagen von der Küste nach
ihren Missionen gelangen. Die Indianer aber besorgten,
daß auf diesen: Wege, welcher in der Ueberlieferung als
Camino de Bari loche bezeichnet wird, die Spanier
ins Land dringen würden, und schlugen die Missionäre
todt. Von diesen: Weg ist längst keine Spur mehr vor-
handen; wenn es aber richtig ist, daß die Jesuiten nur
drei Tage Reisezeit gebrauchten, um von ihren Missionen
bis an die Küste zu gelangen, dann muß in jener Ge-
birgsregion ein Paß liegen, der niedriger ist, als die bis-
her bekannten.
Der Nahuel huapi wurde seitdem von keinen: Spanier
besucht, bis 1792 ein Priester sich aufmachte, un: Spure::
der früheren Missionen zu finden. Er kam auch an den
See, und die Indianer zeigten ihm die Punkte, an denen
die Gebäude gestanden hatten. Während der Herrschaft der
Spanier wagte sich dann, aus Furcht vor den Indianern,
Niemand mehr bis zum See. Seitdem aber 1852 deutsche
Ansiedler sich in Puerto Montt, an der Bay von Nclon-
cavi, niedergelassen hatten, gingen manche von ihnen
in die Cordillere». Die Kolonie zählt jetzt 15,000
Seelen und treibt einen schwunghaften Handel mit Holz.
Die Deutschen gingen also in die Wälder. Im Jahre
1855 machte Don Vicente Gomez einen Versuch, den
Nahuel huapi zu erreichen und entdeckte einen Paß, wel-
chen er als Boquete de Rosales bezeichnete, und vom
Berge Esperanza herab hatte er einen Ausblick auf den
See. (Dies ist die Expedition Geise's.) Im Jahre 1856
kam der Arzt der deutschen Kolonie, Doktor Fonk, bis
an den See und erstattete über denselben einen eingehen-
den Bericht. Cor nun studirte Alles, was seine Vor-
gänger ermittelt hatten, genau und beschloß dann, zu
versuchen, ob er vom See aus den Rio Negro werde
befahren können.
Im Mai 1862 ging Cor nach Puerto Montt und
verkehrte dort mit dem oben erwähnten Goinez. Der
Plan wurde dahin festgestellt, daß Cor den Fluß Li map
befahren solle, welcher aus dem See kommt und zun:
Rio Negro fließt; dieser letztere sollte bis zur Mündung
beschifft werden. Cor versorgte sich mit Allem, was zu
einer solchen Expedition nothwendig erschien; seine Partie
bestand aus 16 Männern, von denen nenn ihn nur bis
an den See begleiten sollten, während die übrigen ihm
bis zur Mündung folgen sollten. Er hatte drei aus
Gatta pertscha verfertigte Boote, Lifepreservers, Musketen
und Schießbedarf, Zimmermannsgeräthschaften, Baro-
meter, Thermometer, Chronometer und andere wissen-
schaftliche Instrumente; auch innsikalische Instrumente
fehlten nicht.
So ausgerüstet, traten die Reisenden ihre Wanderung
an, ritten bis zum Llanquihuä-S ee und fuhren über
denselben in einem Boote, welches zu diesem Zweck auf
dem Flusse Maullin (welcher aus dem See abströmt)
dorthin gekommen war. Der Llanqnihuö-See liegt nur
etwa 200 Fuß über dem Meer; er ist der niedrigste in
einer Kette von Seen, die einer über dem andern liegen
und bis an den Fuß des Gebirges hinaufreichen. Er ist
etwa 18 Miles lang; sein Ostende liegt zwischen den
Vulkanen Osorno und Cabuco in 41" 12' s. Br.
und 72° 49' w. L. von Greenwich. Cor fuhr in der Rich-
tnng^von Westen nach Osten über den See und landete
am Fuße des Osorno; zwischen diesem Berg und dem
Cabuco zieht sich eine lange, sumpfige Ebene hin bis
znm See Todos Santos.
. Am 14. December verließ Cor bic Küsten des Llan-
quihuö-Sees und drang weiter vor, bis er an den Fluß
Petr ohn 6 kam; dieser strömt aus den: Todos Santos-
See in die Bay von Reloncavi; dieser eben genannte
See wurde am andern Tage erreicht; des schlechten
Wetters halber mußte die Gesellschaft ein paar Tage
27*
212
Zwei fahrbare Pässe über die chilenische Cordillere und eine interoceanische Eisenbahn rc.
liegen Bleiben und konnte erst am 19. December die
Ueberfahrt wagen. Der TodosSantos liegt 700Fuß
über dem Meer, ist 18 Miles lang, 5 bis 6 breit und
auf allen Seiten von Bergen umschlossen; unter diesen
hat der mit Schnee bedeckte Puntagudo etwa 5900
Fuß Höhe.
Am 22. September brach Cor ans, um den (von
Geise, respective Gomez, entdeckten) Nosales-Paß zu
suchen und nahm drei Zimmerleute mit, welche am Na-
huel huapi ein Boot verfertigen sollten. Am 23. De-
cember folgten die übrigen Begleiter, und am 24. ge-
langten alle wohlbehalten an den Eingang zum Rosales-
Passe, wo sie ein Lager aufschlugen. Der Paß bildet
einen Bruch in der Gebirgskette, und es wäre sehr
schwierig gewesen, ihn ausfindig zu machen, wenn man
nicht im Voraus die Anweisungen dazu gehabt hätte.
Cor bestimmte die Höhe zu 2760 Fuß englisch. (Geise
hatte, wie oben bemerkt, 2676 Fuß gefunden.)
Am 27. December begann die Uebersteigung des Ge-
birges. Der Paß war dicht mit Wald bestanden. Man
hätte abwärts von ihm zum Rio Fr io hinuntergehen
können, der in den Nahuel huapi fließt; es blieb aber
zweifelhaft, ob der Fluß mit Gatta -perlscha - Booten zu
befahren sei, und eine Fußwanderung war, der Oertlich-
keit halber, nicht gerathen. Deshalb zog Cor vor, geraden
Wegs in nordwestlicher Richtung über das Gebirge an
den See vorzudringen. Am Ostabhange der Cordillere
sah er nun das Land vor sich liegen, durch welches er
ziehen wollte, um bis zum Atlantischen Ocean zu gelan-
gen. Der Spiegel des Nahuel huapi glitzerte im Son-
nenlicht, und am 28. December, nach einer Reise von
etwa 20 Tagen, stand Cor am Ufer desselben. Die
Zimmerleute setzten mm ein Boot zusammen, während
Gomez nebst acht Anderen nach Puerto Montt zurückging.
Das Wetter war schlecht und fast unaufhörlich fiel
stiegen, aber am 3. Januar 1863 war das Boot fertig;
mau benannte es Adventu re. Es hatte 25 Fuß Länge, 7
Fuß Breite, flachen Boden und nur 12 Zoll Tiefgang.
Am 4. Januar begann die Fahrt auf dem See; auf der
Nordseite landete Cor in einer Bucht und konnte von
dort aus sehen, wie die Cordillere in sanften Wellenlinien
abfällt und wie sie, bevor sie sich allmälig in die Pam-
pas verliert, eine tiefe Einsattelung bildet. Diese Ein-
senkung hält Cor für den weiter oben erwähnten Bari-
loche-Paß, und in seiner Ansicht wurde er von einem
Pehuenche bestärkt. Dieser Indianer erzählte, daß seine
Landsleute in jedem Jahre an diesen Theil des Sees
kämen, um Vieh, das sich verlaufen habe, einzufangen;
er selber habe nach und nach 50 Stück gefangen, und alle
hätten Brandzeichen gehabt. Cor meint, daß dieses Vieh
zu den Heerdeu der deutschen Ansiedler gehöre, denn die
Weidegegeud erstreckt sich bis an den Fuß des Gebirges;
die Ochsen und Kühe haben dann wohl durch jeneu Paß
den Weg nach Osten genonnnen.
Die Aufmerksamkeit der Reisenden wurde durch einen
langen Nebelstreif erregt, der offenbar von einem Fluß her-
rührte, welcher in jener Richtung aus dem See abströmte.
Cor vermuthete ganz richtig, daß er den Limay sehe.
Er steuerte von Westen nach Osten über den See, eine
Strecke von etwa 40 Miles, kam an den Limay und fuhr
denselben rasch hinab.
Bis dahin war Alles gut gegangen; der Limay war
Anfangs schmal und reißend, wurde dann aber sanfter,
doch rannte das Boot mehrmals an seichten Stellen auf,
und weiterhin wurden die Anfangs flachen und lehmigen
Ufer steil und felsig. Die Fahrt fing an gefährlich zu
werden, weil das Bett steinig war und bedenkliche Strom-
schnellen zeigte. Bald nachher kam das Boot um eineKrüm-
mung, und die Reisenden sahen sich plötzlich in einem
Felsen- und Wirbellabyrinth mit heftiger Strömung.
Das Boot schlug um; nur mit Mühe und Noth retteten
sie das Leben und einen geringen Theil ihrer Sachen.
Am 27. Januar erschienen dann zwei Indianer zu
Pferde. Cor ging auf sie zu und entschloß sich, mit
ihnen in das Lager ihres Kaziken zu gehen, denn an eine
Fortsetzung der Reise war nicht mehr zu denken, seitdem
das Boot Schiffbruch gelitten hatte. Die Indianer waren
zornig, weil Fremde es gelvagt hatten, ohne vorherige
Erlaubniß in ihr Land zu kommen; doch ließen sie sich
besänftigen, als sie Glasperlen erhielten und Cor vor
ihnen auf dem Flageolet spielte, überdieß auch Gescheicke
versprach.
Der Reisende ging durch den Raneo-Paß nach Val-
divia zurück und langte dort an, nachdem er überhaupt 42
Tage unterwegs gewesen war. Er hat die Absicht, nocb
einmal den Versuch zur Beschiffung des Rio Negro zu
machen.
Unsere Leser ersehen aus den vorstehenden Mitthei-
lungen, daß von „Entdeckung eines neuen Pas-
ses" über die Cordillere gar nicht die Rede
sein kaun. Die Sache ist einfach die, daß Cor ans dem
von Geise, respektive Gomez, entdeckten Rosales-Passe die
Cordillere überschritt, und daß dieser Paß ihm von sei-
nem Begleiter Gomez gezeigt wurde. Aber Cor war der
erste weiße Mann, welcher den See Nahuel huapi befuhr
und auf dem aus diesem See abfließendeil Limay eine
Strecke weit hinabschiffte.
Der Teno-Paß in d er Cord il lere von Colch agua.
Wir haben im Globus mehrfach erwähnt, daß der
englische Ingenieur Weelwright den Plan zu einer Eisen-
bahn über die hohe Cordillere entworfen hat. Irren wir
nicht, so war es sein Plan, die Schienen über den Paß
Las Damas zu legen, welcher im Thale des Flusses
Atuel in die Cordillere de Manantial tritt und am Flusse
Tinguiriricä abwärts zieht. Er hat, nach Perez Ro-
sales (E88ai sur le Chili, Hambourg 1857; Carte des
hauteurs) eine Höhe von 3099 Mietres. Schon 1805
erklärte Souillac, daß dieser „Damenpaß" für Wagen
fahrbar gemacht werden könne. Zamudio, ein Offizier
im Dienste des Vicekönigs von Buenos Ayres, soll ihn
wirklich mit einem zweiräderigen Karren befahren haben,
aber der amerikanische Lieutenant Gillies, der ihn be-
suchte, hat ihn nicht so bequem gefunden.
Auf jeden Fall war es wünschenswerth, gerade in den
in itt leren Provinzen Chile'» einen Gebirgsübergang aus-
findig zu machen, der niedriger, als 3000 Meter liegt.
Das ist nun geschehen, und ein zu Valparaiso erscheinen-
des Blatt, der Mercurio del Vapor, schreibt Fol-
gendes: —
Ein großes Problem ist gelöst, und die ganze civili-
sirte Welt wird sich darüber freuen. Die Ausführbarkeit
einer Eiseubahu über die Andes zur Verbindung der
beiden Weltmeere steht endlich als ausgemachte Thatsache
da. Schon vor einem halben Jahre meldete unser Cor-
responden) in Santiago, daß ein neuer Paßweg ge-
funden sei. Bald nachher erschien Don Bartolo Na-
varro te, der in der Umgegend der Stadt Enricé wohnt
und seit manchem Jahr in der Provinz Colchagua mit
bergmännischen Forschungen beschäftigt ist, in Santiago bei
Herrn Heinrich Meigs und theilte demselben mit, daß
er einen neuen Paß gefunden habe, welcher den/Bau
einer Eisenbahn keine Hindernisse in den Weg lege.
Meigs beauftragte sofort zwei seiner Ingenieure, welche
auf der Bahnlune zwischen Santiago und Tabón beschäf-
tigt waren, mit Navarrete nach dem von diesem bezeich-
neten Punkte zu reisen. Sie nahmen eine Anzahl von
Arbeitern mit, kamen am Ende Februars 1864 zurück
und statteten einen Bericht ab, welcher durchaus günstig
lautet.
Die Eisenbahn über die Andes wird 57 Miles
lang werden, an der Pilerta de Teno beginnen, da ivo
der Rio Teno in das ebene Land Chile's eintritt, und
am Rio Grande, einem der beträchtlichsten Zuflüsse
Die südliche Grenze des deutschen Bundes.
213
des Rio Negro, enden. Die Baukosten sind auf acht
Millionen Dollars veranschlagt.
Der „neue" Paß ist aber nicht etwa neu oder völlig
unbekannt, sondern höchst wahrscheinlich derselbe, welchen
Zamudio, der von Buenos Ayres nach Talca kam, im
Winter 1803 mit einem Wagen befuhr, und den auch
Souillac für fahrbar erklärte (hier ist El Vapor im
Irrthum; wir haben schou gesagt, daß es sich dabei um
den Damenpaß handelte). Gewiß ist es aber der Paß,
welchen 1817 Freire überstieg, und der als Planchón
bekannt ist. Der jetzige Paßweg steigt jäh zur Höhe der
Cordillere hinan, aber am Fuße der Bergkette, welche man
als Planchón bezeichnet, läuft ein ausgedehntes Thal, el
Balle de las Ciénegas, und vermittelst desselben können
jene steilen Abhänge vermieden werden. Dieses Thal
führt zu einem Passe, der nicht höher als 6600 Fuß
über dem Meere liegt, bind diesen praktikabeln Weg
hat Bartolo Navarrete aufgefunden; ihm gebührt die
Ehre. —
Wir haben den, Santiago, 7. März 1864 datirten
Bericht des Ingenieurs E. C. Dubois vor uns liegen,
gehen aber nicht auf alle technischen Eiuzelnheiten ein.
Dubois sagt: In der Centralreihe der Cordillere«,
in gleicher Breite mit Cu rico (einer der drei kleinen
Städte der Provinz Colchagua, etwas nördlich vom 35°
s. B.) liegt eine Hochgebirg'sgruppe, die man als Plan-
chón bezeichnet. Ueber diese Gebirgsgruppe, in welcher
auch ein Vulkan sich erhebt, führt der bekannte Planchon-
Paß. Weit unter dem Höhepunkte desselben zieht das
Cienegasthal, das mau auch als Valle cenagoso oder
Valle de los Ciegos bezeichnet, in einem Kreis um den
Planchen herum; es ist 13 Miles lang, 1 bis 2 Miles
weit, würd von einem kleinen Flusse durchzogen und hat
Graswuchs. Etwa eine halbe spanische Meile vom Nord-
ende desselben liegt ein kleiner Morast, aus welchem die
Wasser einerseits nach Cbile, andererseits nach den ar-
gentinischen Pampas abfließen. Auf beiden Seiten des
Morastes hat das Gelände ziemlich dieselbe Abdachung,
30 Fuß auf die Mile; aber während die chilenische Seite,
wüe schon gesagt, nur eine halbe spanische Meile laug ist,
hat der argentinische Abhang eine Länge von etwa 12
Miles. Diese Fläche, welche hier den Höhepunkt der
Cordillere bildet, liegt 6600 Fuß über dem Thale von
Tunco, bildet einen schönen Thalgrund, ist wohlbewässert
und hat vortreffliche Weiden. Man findet eine solche
Depression an keinem der anderen Quellflüsse des Teno,
und im Süden desselben steigen die Gebirgsmassen des
Planchón senkrecht empor. Nach Norden hin thürmen
sich weniger steil Berge über Bergen auf, welche iir der
Spitze des Santa Helena auskaufen.
Die Entfernung von der Puerta del Teno bis zur
Höhe des Cieuegasthales beträgt, wie schon bemerkt, 57
Miles. Für einen Eisenbahnbau findet man auf der
ersten, 13 Miles langen Strecke von der Puerta del Teno
bis zum Flusse Claro gar keine Schwierigkeiten; die
Steigung beträgt nur 30 Fuß per Mile. Die Beschaffen-
heit der'nächsten sechs Miles ist ähnlich, aber die Stei-
gung ivächst bis zu 50 Fuß. Auf den alsdann folgenden
'10 Miles werden manche Schwierigkeiten zu überwinden
sein, doch werden auch die kleinsteil Curven immer noch
einen Radius von 1000 Fuß haben. Auf dieser ersten
Gesammtstrecke von 29 Miles wird man vier nicht eben
bedeutende Brücken bauen müssen. Bei der 30. Mile
werden Fluß unt> Thal auf einer sieben Miles langen
Strecke sehr uneben, und die dann folgenden fünf Miles
haben eine Steigung von 116 Fuß auf die Mile. Diese
Strecke bezeichnet man als Los Jnsernillos; das Thal
verengt sich bis zu 100 Fuß; oft steigen die Gebirgs-
wände hart am Flusse empor; hier wird der Radius
einiger Curven nur 500 Filß betragen, auch wird man
Durchstiche uild Tunnels durch das harte Gestein zil
hauen haben.
Bis zum Ausgang aus den Jnsernillos, wir könnten
sagen dem Höllenthal, hat der Weg von der Puerta del
Teno an seine Richtung von Westen nach Osten beibe-
halten, jetzt biegt er plötzlich nach Siideil hin in eine
sechs Miles lange Schlucht, die Quebrada Vergara.
Vom Fuße dieser Schlucht, die 50 Miles von Curico
entfernt liegt, bis zum Gipfel des Manantial Cenagoso
hat man in der Schlucht selber sechs Miles, und im
Thale des Gipfels noch eine Mile. In jener sechs Miles
langen Schlucht beträgt die Steigung 2600 Fuß oder
430 Fuß auf die Mile, oder 8,2 auf 100 Fuß. Hier
wird der Bau auf die größten Schwierigkeiten treffen,
die sich jedoch überwinden lassen durch Zickzackbauten.
Vermöge derselben wird allerdings der Bahnkörper eine
Länge nicht von 6, sondern von 10 Miles bekommen, mit
einer gleichmäßigen Steigung von 260 Fuß auf die Mile
oder 5 auf 100, und oft mit Curven von 500 Fuß
Radius.
Dubois sagt, er könne die Bahnstrecke, welche auf
den chilenischen Grund und Boden entfällt, also jene von
Curico bis zur Uebergangshöhe binnen vier Jahren bauen
und für acht Millionen Dollars sicher und dauerhaft her-
stellen. Der Schnee werde keine größeren Ungelegen-
heiten verursachen, als etwa auf den Bahnen im west-
lichen Neuyork oder in Canada. Oestlich vom Gipfel
sind keine besonderen Hindernisse zu überwinden; das
Thal hat dort einen Abfall von 30 Fuß auf die Mile
und läuft in die 10 Miles lange Valenzuela-Schlucht
aus, durch welche das von der Gipfelhöhe abfließende
Wasser dem Rio Grande zueilt. Ein Bahnbau bis zum
Atlantischen Ocean hätte non dort ab nicht die mindeste
Schwierigkeit. Einen großen Tunnel, etwa wie jenen
durch deu Mont Cenis, braucht man nicht zu bauen;
die Bahn wird auf der chileuischeu Strecke, 57 Miles,
au manchen Punkten nuferer deutschen Sömmeringbahn
gleichen und bis da, wo sie in die argentinische Ebene
tritt, 87 Miles laug sein.
Dubois spricht am Schluffe seines Berichtes die Mei-
nung aus, daß man wahrscheinlich am Maule oder irgend
einem andern südchilenischen Fluß eine kürzere und be-
quemere Linie finden werde, aber ausführbar fei die
Teno-Bahn auf der von ihm untersuchten Strecke.
A.
Die südliche Greuze des deutschen Bundes.
Die südlichen und südöstlichen Grenzen der deutschen
Bundesländer erscheinen wohl auf deu Karten durch
eineu Farbeustreifen angedeutet, indeß ihre genaue Kenut-
niß ist nicht so allgemein verbreitet, ja selbst an Ort
und Stelle weiß Mancher nicht, was zum deutschen
Bunde gehört. Dies gilt besonders vom görzer und
istrianer Gebiet. Nach einigen an kompetenter Stelle
gemachten Erhebungen erscheinen folgende Angaben als
zuverlässig.
Man bezeichnet gewöhnlich das österreichische Küsten-
214
Die südliche Grenze des deutschen Bundes.
land, das Ost- und Nordgestade des Adriatischen Meeres
als den südlichst gelegenen Theil Deutschlands. Zum
Küstenlande gehören trun gegenwärtig nach der neuesten
politischen Emtheilnng Oesterreichs: der Kreis Görz, die
Stadt Triest mit ihrem Territorium und der Kreis
Istrien.
Der Kreis Görz umfaßt: 1) die Grafschaft Görz;
2) die Grafschaft Gradisca; 3) das ervenetianische
Görz (Monfalcone und Grado); 1) die Herrschaften
(Capitanerien) Flitsch-Tolmein und Kirchheim;
5) das Karstgebiet Sessana ltub Comen; er bildet seit
1849 ein eigenes Kronland, das seinen besondern Land-
tag hat. Von diesem Kronlande nun gehört Alles, mit
Ausnahme des unter 3 begriffenen ervenetia-
nische n Theils, zum deutschen Bunde.
An diese Görz-Furlaner Grenze reiht sich Triest
mit seinem Territorium.
Der frühere Kreis Istrien, einst eben so wie Görz
und das triester Gebiet ein Theil des „Königreichs Jlly-
rieu", bildet seit 1849 ebenfalls ein eigenes Kronland
und umfaßt folgende Theile:
1) Altösterreichisch Istrien, bestehend ans dem
ganzen politischen Bezirke Mitterburg (Pisino) und
ans den zum Bezirke Albona gehörigen, dem frühern
Bezirke Belai einverleibt gewesenen Ortsgemeinden Cher-
sano, Sumberg, Costiacco, Cepich nnd Berdo; dann aus
der zum Bezirke Pinguente gehörigen Ortsgemeinde Do-
legnavas, endlich aus den zunr Bisthnme Triest (domi-
nationis laicae) gehörigen Bestandtheilen, und zwar der
Hauptgemeinde Tollina des Bezirkes Capod'istria und
der Ortsgemeinde Materia des Bezirkes Castelnnovo.
2) Das ervenetianische Istrien, bestehend ans
dem politischen Bezirke Capod'istria (mit Ausnahme der
Hauptgemeinde Dolliua) Pinguente, Buje, Moutona,
Parenzo, Novigno, Signano, Pola und Albano (mit
Ausnahme der oben angeführteil Ortsgemeinden).
3) Oesterreichisch Libnrnien, bestehend ans dem
politischen Bezirke Volosca.
4) Der politische Bezirk Ca stet nnovo. Die quar-
nerischen Inseln, früher zum Königreich Dalmatien
gehörig.
Mit Ausnahme des ervenetianischen Istriens und der
quarnerischeu Inseln gehört das übrige Istrien znm
deutschen Blinde; cs wurde deshalb auch im Jahre 1849
juv Beschickung des frankfurter Parlaments aufgefordert.
Boíl St. Croce bei Volosca läuft umt die Grenze
des delltscheil Bundesgebietes in nördlicher Rich-
tung bis zu dem an der nordöstlichen Seite des 5532 Fuß
hohen Schueebergs bei der Ortschaft Presid befindlichen
Ursprünge der Kulpa, die, Anfangs bis zn dem kroati-
schen Orte Brod südöstlich fließend, bann bis zu der
alten Bergfeste Costel sich nördlich haltend, hierauf bis
Möttling einen Bogeil beschreibend, die natürliche Grenze
gegen Kroatien hin bildet. Unterhalb Möttling betritt
sie das kroatische Gebiet.
Die weitere natürliche Grenze gegen Kroatien bis
zur Save bildet das Uskokengebirge.
Der wichtigste Theil der 'südlichen Bundesgreilze ist,
lute Jedermann weiß, Triest und die Nordküste der
Adria, denn durch dieselbe hat Deutschland nicht nur
das Recht der Schifffahrt im Adriatischen Meere, son-
dern hier es ist ihm auch ermöglicht, sich gegen einen
feindlichen Einfall von Süden her wirksam zu vertheidi-
gen. Besser wäre es freilich, wenn auch das vormals
venetianische Istrien einen Theil des Bundes bildete.
Dasselbe hat eine etwa 30 Meilen lange Küste mit zahl-
reichen Buchten, natürlichen Häfen und Landungsplätzen.
An dieser Küste liegen ansehnliche Städte mit 6 bis 12,000
Einwohnern, wie z. B. Capod'istria, Pirano, Novigno,
und eine Menge kleinerer, aber immer noch bedeutender
Ortschaften, wie Muggia gegenüber dem Lloydarsenal
bei Servola, Cittannova, Parenzo, Albano und das so
wichtige Pola.
Das altösterreichische Istrien hat gar keine, österrei-
chisch Libnrnien nur eine drei Meilen lange Küstenstrecke,
nämlich von St. Croce bis Berdez, auf welcher sich nur
drei bedeutende Buchten befinden, nämlich jene von
Prelucco bei Volosca, dann jene bei Jcichi und bei
Jkä. In der letztern sind geeignete Plätze für Schiffs-
werften. Auf der weiter» Strecke bis Berdetz ist das
Ufer ein durchaus jäh abstürzendes, ungastliches; Lov-
rano und Moschienizze haben nur ganz kleine Fischer-
hafen.
An keiner Grenze Deutschlands herrscht ein solches
buntes Sprachengemisch als an der südlichen und
südöstlichen. Im görzer Kreise klingen Italienisch und
Deutsch, Furlanisch (ein Dialekt des Nachbarlandes Friaul
— nach der altrömischen Stadt Forum Julii sogenannt
— welcher sehr viele lateinische Reminiscenzen enthält)
und Slavisch (Krainisch, Sloveuisch) neben und durch ein-
ander. Italienisch und Deutsch sprechen die Gebildeten
und vornehmen Städter, Filrlanisch redet das Landvolk im
Görzerischen unb in Gradiska, Sloveuisch der Bewohner
des Karstgebietes. Im triester Territorium wird Italienisch,
Slavisch uitd Deutsch gesprochen; Triest selbst ist eine po-
lyglotte Stadt, in welcher fast alle Sprachen der Welt ge-
hört werden. Vorherrschend in der Umgebung ist das
Slavische (Slovenische), in der Stadt das Italienische und
Deutsche. Im ervenetianischen Istrien ist Italienisch die
Geschäfts- und Umgangssprache, doch spricht der Gebildete
auch Deutsch, oder versteht es wenigstens. Im altösterreichi-
schen Istrien und Libnrnien ist das „Jllyrische" die Volks-
sprache, Italienisch und Deutsch spricht nur die vornehmere
Klasse. Dies hat seine natürlichen Gründe. Im ehe-
mals venetianischen Istrien, auf der Westseite also, sitzen
die „Possidenti", die meist venetianischen Ursprungs
sind und ihrer Gesinnung nach zu den Jtalianissimi ge-
hören. In der seit uralten Zeiten zum deutschen Bund
gehörigen Osthälfte der Halbinsel sitzt ein Adel, der sei-
nen Ursprung mehr in Kärnthen, Steiermark, kurz iit
Deutschland hat. Hieß doch die Halbinsel ehedem auch
Histerreich, welcher deutsche Name jetzt ganz dem italie-
nischen „Jstria" Platz gemacht hat. Die Literatur und
Journalistik Istriens ist italienisch.
Ein Gemisch von Sloveuisch und Kroatisch
herrscht nur bis zur Kulpa hin, wo dasselbe wieder zum
Theil von einem eigenthümlichen alten Deutsch, dem
Dialekte der Gotscheer, abgelöst wird. Tie übrige
Grenze bis zur Save ist voil Slovenen, Kroaten (hier
„weiße Krainer" genannt) und Uskoken bewohnt.
Die Sprache des Landvolks ist durchweg die kroatisch-
kraiuische; in den Städteit wird viel Deutsch gesprochen,
welches auch die Amts- und Geschäftssprache, so wie die
Umgangssprache der Vornehmen und Gebildeten ist.
Die klimatischen Verhältnisse dieser Grenzstrecke sind
bekannt. Im Görzerischen, längs der Küste der Adria,
im triester Gebiete und in Istrien herrscht südliche Tem-
peratur — nur unterbrochen von den Borastürmen —
und gedeihen Gewächse, die nur der Vegetation des Sü-
dens angehören, wie z. B. der Granatbaum, der Oel-
baum, 'der Feigenbaum, der Weinstock, treffliches Obst.
(Das görzerische ist berühmt.) Die Karststrecke ist öde;
nach dem Schneeberg und dem gotscheer Boden hin be-
decken dichte Wälder die Höhen, erst in Unterkrain, von
Weiniz bis zur Save, besteht der Boden wieder ans
fruchtbarem Hügelland, wo der Weinstock und treffliches
Obst gedeihen. Die Kulpa liefert Leckerbissen an Fischen
und Krebsen.
Ueber die Bewohner der kroatisch-kraiuischeu Grenze
ein ander Mal. ' I.
Das Kolosseum in Nom.
215
Das Kolosseum in Rom.
(Hierzu ein Stahlstich.)
Ein Vortrag, gehalten von Professor Dr. Kassier in Paderborn.
I.
Der Name Rom übt eine mächtige Anziehungskraft,
einen eigenthümlichen Zauber auf das Gemüth jedes Ge-
bildeten aus. Der Mann schilt sich, den klassischen Boden
zu betreten, welcher Heimath und Wohnsitz der Helden
Schriftsteller war, mit denen er sich in den Studien
seiner Jugend beschäftigte; deil Christen verlangt nach
dem mit dem Blnte ungezählter Bekenner befeuchteten
Bodeil, der Kunstfreund wünscht sich an den erhabenen
Gestalten und Formen, welche Meißel, Winkelmaß und
Pinsel in alter und iiener Zeit hervorgebracht, zn bilden
und zu erfreuen. Es ist also natürlich, daß der Drang
nach dem Lande jenseit der Berge so allgemein und so
mächtig ist.
Glückliche Umstände brachten mich früher, als ich zu
hoffen gewagt, in die Lage, diesem Drange Folge geben
zu können. Durch eigene Erfahrung habe ich erprobt,.
daß der Reiz, welcher über die ewige Weltstadt ansge-
gossen ist, weniger in der unmuthigen Umgebung, llicbt
so sehr auch in der Großartigkeit der Anlage, sondern
hauptsächlich in den historischen Erinnerungen liegt, welche
uns bei jedem Schritte begegnen. Genehmigen Sie daher,
daß ich Sie im Geiste nach der alma Roma führe, die
lange Zeit mit ihrem weltlichen Scepter der Macht, noch
länger mit dem Thyrsnsstabe der Wissenschaft und mit
ihrem Hirtenstabe der Religion den ordis terrarum be-
herrschte.
Der specielle Gegenstand, für den ich Ihre Aufmerk-
samkeit in Anspruch nehme, ist das großartigste Bauwerk
nicht blos Roms, sondern vielleicht der ganzen alten Welt
gewesen — ein Bauwerk, woran sich für den klassisch Ge-
bildeten, wie für den gläubigen Christen und begeisterten
Kunstfreund ein gleich hohes Interesse knüpft — das
Kolosseum.
Ich bin mir der Schwierigkeit, welche die anschauliche
Behandlung dieses gewaltigen Gegenstandes bietet, voll-
kommen bewußt; gestatten Sie daher, daß ich neben Ihrer
Aufmerksamkeit mir auch Ihre ganze Geduld und scho-
nende Nachsicht erbitte.
Schreitet man über das Kapitol, wo rechts noch der
tarpejische Felsen ragt, auf dem jetzt die preußische
Gesandtschaft ihren Sitz hat, links der Jnpitertempel ehe-
dem sich erhob, an der Rückseite das von Saturn be-
schützte Aerarinm — Schatzhans — sich befand, die via
sacra — die heilige Straße — auf der so mancher sieg-
reiche Feldherr trinmphirend einzog, auf der Horaz täglich
spazierend einherznschlendern pflegte — Ibam forte via
sacra, sicut mens est mos — (Sät. 9. ; schreitet mail,
sage ich, die via sacra entlang in östlicher Richtung
weiter, so gelangt Ulan an das forum Romanum, den
Schauplatz der politischen Parteikämpfe der römischen
Republik, den Knotenpunkt der römischen Ruinen. Zur
Rechten erhebt sich der dreithorige Severusbogen, zur
Linken höhlt sich im Felsen das alte Mamertinnm. Durch
den Titusbogen mit seinen denkwürdigen Reliefschildernn-
gen der dem jüdischen Tempel geranbtenHeiligthümer**)
*) „Einstmal schleudert' ich hin auf der heiligen Straße,
so pfleg ich's."
**) Darum passirt ihn noch heute kein Bewohner des
Ghetto, sondern lenkt seine Schritte, zum Zeichen seiner Ent-
rüstung- ausspeiend, um denselben herum.
führt der heilige Weg an den Ruineil der konstantinischen
Basilika Forensis oder, wie ich glaube, einer altchristlichen
Basilika und au den Trümmeru des prächtigen Doppel-
tempels der Veiiiis und Roma vorbei zu den Triumph-
bogen Konstantins. Voil hier lenken wir unsere Schritte
nordöstlich zll der meta Sudans, das ist der schivitzenden
Säule — einem riesigen Springbrunnen, der, nach Cassio-
dorus, von Domitian erbaut wurde und seinen mächtigen
Wasserstrahl viel höher emporschnellte, als die weltberühm-
ten Wasserwerke von St. Peter —, die jetzt aber schon
lange keinen kalten Angstschweiß mehr vergießt über die
Tyrailllei der römischen' Cäsaren, welche die Freiheit des
freiesten Volkes knechteten.
Nur noch eineil Schritt lveiter — und das Auge wird
vou einem staunenerregenden Anblicke überrascht: vor uns
öffnen Hunderte von Bogen ihre gewaltigen Mündungen,
Säulenreihen über Säulenreihen gestellt, tragen kräftig
ausladende Gesimse nnd den Blick des Beschauers zu
schwindelnder Höhe — links noch wohl erhalten, rechts
in argem Verfalle — wir stehen stumm vor Stanneil an
den gigantischen Ruinen des Kolosseums.
Seinen Namen trägt das Gebäude llicht, lvie man
gelvöhnlich meint, wegen seiner kolossalen Dimensionen,
sondern von den: Colossus Neronis, der mehr als 100
Fuß hoheil Riesenstatne Nero's, welche Hadrian ans Erz
gießen und vor dem Gebäude aufrichten ließ. Gegen
dieses Standbild würden die Bavaria auf der Theresien-
lviese bei München und der Herkliles auf der Wilhelms-
höhe bei Kassel wie Kinder erscheinen. Nach dem 105
Fuß hohen Koloß der Sonne, welcher den Hafeneingang
zn Rhodns zierte, angefertigt ilud zubenannt, übertrug
er seinen Namen auf das Gebäude, vor dem er sich er-
hob; man nannte es Kolosseum, das ist: das Gebäude
bei dem Koloß. Seit dem achten Jahrhundert, wo diese
Benennung zum ersten Male vorkommt, ist sie der übliche
Name für das achte Weltwunder, welches au Größe
vielleicht nur von dem St. Petersdom überboten wird,
in welchem das titanische Genie eines Michel Angelo
gleichsam das Pantheon auf das Kolosseum thürmte.
Wenden wir uns nun zur Nordseite, so tritt uns
der Bau in seiner großartigen Majestät vor die Augen;
denn dort bemerkt man die'wenigsten Spuren von dem
Einflüsse der Zeit uni) den Unbilden der Menschen, welche
mit vereinten Kräften an der Zerstörung dieses Riesen-
baues gearbeitet haben. Fast die ganze nordöstliche Hälfte
der Umfassungsmauer ist bis zum Kranzgesims hinauf
trefflich erhalten; nur ans den gähnenden Bogenöffnungen
stiert uns die Verwüstung entgegen, welche die andere
Hälfte in ihrem unlöslichen Banne hält. Tritt man dort,
gegen die Thermen des Titus hi», etwas zurück und läßt
den staunenden Blick an den Pilastern emporgleiten bis
in eine Höhe von 193 Fuß — kümmerliches Gestrüpp,
das auf der verwitterten Zinne sein elendes Dasein fristet,
bildet die äußerste Spitze —, so fühlt man die Wahrheit
der Worte, mit denen Ammiamls Mareellinns davon
sagt:
Act cujus summitatem aegre visio humana conscendit.*)
Wer die Massenhaftigkeit der römischen Cäsarenbanten
*) „Des Menschen Blick wagt nur mit Mühe zn seiner
Spitze emporzuklimmen."
216
Das Kolosseum in Nom.
in der ganzen Großartigkeit ihrer Dimensionen sehen will,
der verweile dort mit seinem betrachtenden Blicke vor den
Niesenmauern, die sich in mächtigeil Armen von ihm ab-
kehren, uild er wird sich^des Eindruckes einer gigantischen
Gewalt, welche in der Hand der römischen Imperatoren
lag, die über hunderttausende von Sklavenhänden zu ver-
fugen hatten, nicht erwehren können, aber zum Ruhme
des Baumeisters, welcher solche Massen und Dimensionen
mit der Kraft seines Geistes beherrschte und ordnete und
ineinander fügte, daß sie Jahrtausenden trotzten, mit deil
Flammenzügen der Erinnerung die Inschrift darauf setzen,
lvelche das Felsenthor zu Salzburg zieren: Te saxa lo-
quuntur — Dich Preisen die Steine.
Setzen wir unsern Umgang in östlicher Richtung fort,
so kommen wir der Hälfte näher, welche dem Ruine
verfallen ist. Die Umfassungsmauer ist ganz verschwun-
den; von dem dahinter gelegenen Kernbail sieht man nur
noch die unteren Geschosse. An den unregelmäßen Zacken
des obersten Randes, in den sich der Verfall bald mehr,
bald weniger eingefressen, streift der Blick wehmüthig
dahin, während der Fuß über Trümmerstücke strauchelt,
die von der Höhe herabgefallen siild. Hier stehts mit
Riesenfraktur in Stein geschrieben, daß Menschenwerke,
auch die größten und festesten, keinen bleibenden Bestand
haben.
Siild wir nun zu unserem Ausgangspunkte zurückge-
kehrt, so haben mir auch ungefähr einen Begriff von
dem Umfange des Baues gewönnen — wir mußten fast
1 '/2 tausend Schritt zurücklegen, um unseren Umgang zll
vollenden.
Nachdem wir an der Außenseite Umschau gehalten,
treten wir durch das westliche Thor in das Innere. Wir
werden überrascht, liicht von der Pracht und Herrlichkeit,
sondern durch die weitgreifende Zerstörung, welche in dem
wüsten Raume herrscht. Mau wähnt einen großeil Trüm-
merhaufen zu sehen, der sich um ein Oval gelagert. Erst
nach uild nach, wie beim Blick in ein Stereoskop, findet
mail sich zurecht lind cvfennt die Bogen und Mauern,
ivelche ehedem die Marmorsitze der römischen Großen
trugen. Die Nordhälfte ist auch hier besser erhalten, als
die südliche, wenn überhaupt bei dieser Verwüstung des
Jnllern noch von Erhaltllng die Rede fein kann. Die
Umfassungsmauer starrt über die Reste des Kernbaues
um ein Drittel empor. Aber in die Technik des Ganzen
gewährt dieser ruinöse Zustand eineil desto tiefern Einblick.
Doch folgen wir der Einladnng eines Cicerone, der
an einer wöhlverschlossenen Gitterthür behutsam Wache
hält und uns gern für einige Paoli Zutritt zu dem La-
byrinth der Gänge und Gewölbe lind sicheres Geleit
zu der Spitze gewährt. Wir dürfen seine Nähe nicht
verlassen, ohne das Leben oder doch wenigstens die gesun-
den Glieder aufs Spiel zu setzen, so baufällig ist an
vielen Stellen das Gemäuer. Unter seiner kundigen
Führung steigen wir von Stockwerk zu Stockwerk, bis wir
endlich, strotz Ammiailus Marcellinus, die Zinile der Um-
fassnligsmauer ilicht blos mit den Augen, sondern mit
unseren Füßen erklommen haben. Welch herrlicher Lohn
wartet unser dort oben für all deir Schweiß und all die
Angst! Welch eine Aussicht eröffnet sich da rings umher
— eine Aussicht, zwar nicht heiter und fröhlich, wie auf
den Höhen von Camaldoli, dein reizendsten Punkte der
Welt, interessanter jedoch, als jede andere, die mir
begegnet ist —; es ist eine Aussicht auf ein großes Lei-
chenfeld der alten Geschichte und begrabener Völker, an
dessen Umgrenzung aber, wie in dem Gesichte des Pro-
pheten Ezechiel, das Leben einer neuen Zeit in mächtigen
Trieben pulsirt. Wenden wir uns gegen Norden, so 'ge-
wahren wir am alten Esquilinns die Ruiilen der Titus-
bäder, aber hinter ihnen ragt die Basilika Maria Mag-
giore; wenden wir uns nach Osten, so bemerken wir die
ausgedehnten Ueberbleibsel der Thermeil des Caracalla,
aber zugleich auch die Kuppeln der Laterankirche ans dem
Coelius, welche da ist omnium ecclesiarum urbis et orbis
mater et caput; wenden wir uns nach Süden, so streift
unser Blick über den Palatinus, den einst die Kaiser-
paläste ganz bedeckten und unter der Last ihrer Pracht fast
erdrückten, zum Aventinus, dessen Spitze die alte Basilika
San Sabina krönt, wo den Deutschen stets so freundliche
Aufnahme erwartet; und wenden wir uns endlich nach
Westen, so breitet sich vor uns das ganze formn Roma-
rmm mit seinen ragenden Säulen, mit seinen herabge-
stürzten Kapitalen und Friesen, mit seinen zerbrochenen
Schäften aus, dessen Hintergrund der Kapitoliuus bildet;
die untere Wand dieses letztern zeigt noch die festen Snb-
struktionsmauern des römischen Äerariums, worin die
Schätze aufgespeichert lagen, welche das römische Volk
eben so schlagfertig machten, als die erschöpften Finanzen
heutzutage manchen Staat ohnmächtig machen. Denn die
tapferen Römer wußten, daß zur Kraft eines Volkes nicht
blos zahlreiche Truppenmassen, sondern auch wohlgefüllte
Säckel gehöreil. Ans dem Kapitoliuus aber erhebt sich
der prächtige Palast des römischen Senats, überragt von
dem Kreuze auf dem ragenden Campanile, erhebt sich
die Kirche Ara coeli mit dem reichen Legendenkranze, der
ihr ehrwürdiges Haupt umschlingt, und hinter ihm
ans dem alten Campus Martius breitet sich das neue
Rom mit seinen hunderten von Kuppeln, die, wie Küch-
lein um die Henne, so um St. Peter sich gruppiern.
Und lassen wir den Blick zu unseren Füßen hinabsinken
— da erblicken wir ein Meer von Trümmern, die von
Bogen und Gängeir wie von eben so vielen Wogen ge-
tragell werden. Doch steigen wir von der Höhe der ra-
genden Zimie hinab zu deir Tiefen der Geschichte, um
die Entstehung, deil Zweck llnd den Kunstwerth dieses
Riesenbaues keunen zu lernen.
Einem kriegerischen Volke, das, wie das römische, auf
dem Schlachtfelde groß geworden und unter Blutvergießen
aufgewachsen war, sagten besser als die Künste der tra-
gischen Melpomene, besser selbst, als die der heitern Thalia,
die blutigen Spiele der Bellona zu: das Wagenrenneu
und die Gladiatorenkämpfe. Sie waren dem Römer ein
eben so großes Bedürfniß, wie das tägliche Brod. „vuas
tantum Optant, pariern et Circenses — Nur zweierlei
wünschen die Römer, Brot und Circusspiele", sagt kurz
und kräftig charakterisirend der berühmteste Geschichts-
schreiber Roms. Die Gladiatorenspiele wurden bis zur
Kaiserzeit wie die Wagenrennen irn Circus oder auch auf
dein Forum abgehalten. Jnr Circus war die spina
mit der meta, d. i. die Scheidemauer mit der Spitzsäule,
um welche die Wagenführer die Pferde lenken mußten,
der freien Entwickelung des Fechtkampfes hinderlich, so
irte die unverhältmäßige Länge für die Zuschauer unbe-
quem. Das Forum wurde immer weniger dazu geeignet,
je großartiger sich die Prachtbauten entfalteten, womit
man es tlingab, je zahlreicher sich die Prunkdenkmäler
erhoben, mit denen mau es verzierte. Für die Fechter-
spiele war ein Gebäude nothwendig, das eine ganz freie
Arena — Kampfplatz — hatte, deren längliche Form zwei
streitenden Gruppen Raum bot und rings um dieselbe
zahlreiche Sitzplätze für die Zuschauer enthielt, so zwar,
daß Keiner im Vergleich mit Anderen vom Kampsplatze
zu unverhältnißmäßig weit entfernt war. Dieses Bedürf-
niß drängte zur Erfindung des Amphitheaters, das darum
überall, zu Capua, zu Verona, in Pompeji, in Lucca,
in Padua, in Pozzüoli in elliptischer Form auftritt, das
einzige von San Germano unterhalb Monte Cassino
ausgenommen, welches einen kreisrunden Grundriß zeigt.
Dürfen wir den Mittheilungen Plinius des Aeltern,
der Anno 79 bei dem bekannten Ausbruch des Vesuv, den
uus sein Neffe, Plinins der Jüngere, so trefflich geschil-
dert, ein tragisches Ende fand, Glauben schenken, so war
es Casus Scribonius Curio, der eifrige Anhänger Cäsars,
der zuerst ein solches Rundtheater, freilich nur aus Holz,
erbaute. Bei der Leichenfeier seines Vaters ließ er zwei
bewegliche Theater errichten, die sich den Rücken zuwen-
deten. Früh ließ er darin scenische Spiele aufführen;
216
Das - m Rom.
der ganzen Großarli..'. -t nner . ne, míen sehen wi .
der verweile dort mit semem bei .oen Blicke vor ist.
Riesenmauern, die sich in m .-«st.;. . .‘Urnen von ihm ab
kehren, und er r ^ nd r.v .ckeS einer gigan-- '
Gewalt, wellt' ■ : de: :• cts römischen Impera l - er-
lag. die üb> i ander! ' * n Sklavenhänden ö«
fügen t ' nick • nnen, aber zum V. p
des B --meistert alche Massen und Dime>"n
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Flammen; . der Erinnerung die Inschrift darauf -
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so kommen wi rer s-- ».cher, welche dem * -
verfallen ist ckie !' .»x ist ganz versa
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Sind wir nun zu unserem Ausgangs»«-..-!».' «urüag.
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wüsten Raume herrscht.
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nach und nach, wie b m Blick in ein Stereoskop, finde:
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trugen. Dla äordhalfte i» a hier besser erhalten, als
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unser Bu über den Palatin: ' einst die Kaiser-
paläste g . bedeckten und unter r ' >brer Pracht fast
erdrückten, zum Aventinus, dessen Spu die alte Basilika
Sau S ck ina k ant, wo c Deutschen . so freundliche
Aufnahme - »artet; und '"den wir ! endlici- nach
Westen, so breitet sich vor s das ganze r-im Roma-
mit seinen ragenden Säulen aiit seine lerabge-
» rten Kapitalen und Friesen, mit seinen :c äeneu
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- n mauern des römischen Clera. worin die
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Und lassen wir den Blick zu unsere.! Süßen bini unken
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und kräftig charakterisirend der berühmteste Geschichts-
chreiber Roms. Die Gladi.rtorenspiele wurden bis zur
std'serzeir -- die a gen--anen im Circus oderauch auf
je isalteteu, womit
man es uiugab, je zahlreiche sic!? die Prunkdenkmäler
erhoben, mit denerl mau es verzierte. Für die Fechter-
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* io, der eifrig - Anhänger Cäsar
rndtheater, freilich nur aus Ho! .
'-.chenseier seine' Paters ließ r - -."ei
" ächten, die d . Rücken zu» '
r darin scenische Spiele auft»-
Das Kolosseum in Rom.
217
dann wurden — si fabula vera — beide Theater sammt
den Zuschauern umgedreht, so daß die Rundungen der-
selben, caveae genannt, sich entgegenstanden. So bildete
sich nach Beseitigung der soenae das Rund - oder
Doppeltheater.*) Der Einfall des Scribonius fand
Beifall, Nicht lange nachher ließ Cäsar ein festes Rund-
theater, doch auch nur aus Holz, errichten und legte dem-
selben. als Sprachkünstler gleich berühmt, wie als Feld-
herr, nach Dio Cassius (XLHI, 22.) den Namen Amphi-
theater bei. Das erste Amphitheater aus Stein erbaute
Statilius Taurus im Marsfelde. Dafselbe ging wahr-
scheinlich bei dem berüchtigten Brande, welchen die dia-
bolische Schaulust eines Nero geschürt hatte, nach kurzem
Bestände gänzlich zu Grunde, ohne je wieder hergestellt
zn werden. Nero suchte zwar, um das Volk zu befrie-
digen, rasch ein anderes Amphitheater auf dem Mars-
felde herzurichten, aber es bestand aus leichtem Holzwerk
und war darum nur von vorübergehender Dauer.
Rach kurzen Bürgerkriegen wurde endlich Titus Fla-
vius Vespasianus, der eben in Syrien mit der Bekämpfung
der aufrührerischen Juden beschäftigt war, 69 n. Chr. aus
dem Lagerzelt vor Jerusalem auf den römischen Thron
berufen.' Um das Volk zu gewinnen, versuchte er ein Ge-
bäude für die Abhaltung der bei Hoch itub Niedrig so
beliebten Fechterspiele aufzuführen, das im großartigsten
Maßstabe concipirt war und mit dem ungeheuerlichsten
Kostenaufwands hergestellt werden sollte — das Amphi-
theatrum, nach ihm Flavium zubenannt, dessen Ruinen
wir vorhin zu beschreiben versucht. Zur Baustelle wählte
er die flache Thalsohle zwischen dem Coelius unb Es-
quilinus, welche den Mittelpunkt der Stadt bildete.
Schon Augustus soll diesen Platz dafür ausgesucht haben;
denn Sueton bemerkt in der Vita Vespasiani: „keoit et
nova opera — Ampliitlieatrum urbe media, ut destinasse
compererat Augustum.“**) Dort, wo sich der Teich des
Nero ausbreitete, sollte sich der ehrwürdige Bau erheben.
,;Hic ubi conspieui venerabilis Amphitheatri
Erigitur moles, stagna Neronis erant.“
sagt Marfcialis de Spectaculis, 2, 5.***)
Tief wurden die Fundamente ausgegrabeu, gewaltige
Travertinquader hineingeseukt und so enlstaud eine Basis,
die ringsum acht Fuß breit vorliegt. Der Grundriß
wurde tu zwei conceutrischen Ellipsen abgemessen, die
äußere mit einem Umfange von 1641 röm. oder 2016
rhein. Fuß; die längere Äre zu 581, die kürzere zu 481
röm. d. s. 713 und 586 rhein. Fuß. Der innern Ellipse,
welche die Arena umschließt, wurde eine Peripherie von
748, eine lange Are von. 281, eine kurze von 181 röm.
d. s. 916, 350 und 223 rhein. Fuß gegeben. Der Raum
für die Zuschauer gewann dadurch eine Tiefe von 150
röm. oder 182 rhein. Fuß. „
Das Erdgeschoß bestand aus vier gewölbten Corn-
doren, die, auf Pfeilern ruhend, sich in immer weiteren
Ellipsen um die Arena hinziehen. Die auf der Traver-
tinbasis sich erhebende Umfangsmauer wurde von 80
rundbogigen Thoren durchbrochen; zwischen je zwei stellte
der Meister eine mächtige dorische Halbsäule; über die
ganze Säulenreihe legte er zur äußerlichen Markirung des
untern Stockwerks ein kräftiges dorisches Gesims. Die
80 rundbogigen Arkaden gestaltete er zu eben so vielen
Eingängen. Sie sind doppelter Art, sie führen entweder
auf die Arena oder zu den Sitzen. Der ersteren sind 4,
der letzteren 76. Zwei von den Eingangspforten zu der
Arena — die beiden größten am ganzen Bau — liegen
in den Endpunkten der Längenare. Sie haben eine
größere Lichtweite und waren mit besonderm Reichthum
oruamentirt. Die dem Forum zugekehrte ist jedoch ein
*) Plin. XXXVII, 15, 117.
**) „Er führte auch neue Bauten auf; unter diesen das
Amphitheater, in der Mitte der Stadt, und zwar au der
Stelle, welche schon Augustus dazu auserfehen hatte." (Kap. 9.)
***) „Dort, wo fernhin sichtbar der Riese des Amphithea-
ters würdig empor sich erhebt, war Nerouischer Sumpf."
Globus VI. Nr. 7.
wenig enger als die entgegengesetzte._ Durch erstere hiel-
ten die Festzüge und Gladiatorenreihen ihren Einzug;
durch die aubeve dagegen wurden Maschinen, Kähne,
Laubbäume rc. hineingebracht, daher die größere Spann-
weite der letzteren. Von den beiden anderen Zugängen
zit der Arena hieß der eine porta Sandapilaria oder
Libitinalis — Pforte der Todten, so benannt von San-
dapila oder Libitina, welches Todtcnbahre bedeutet.
Denn durch dieses Thor schleifte man die Leichen der
erschlagenen Gladiatoren und die Cadaver der getödteteu
Bestien in das spoliarium, d. i. ein ummauertes Gehöft,
Welches an der Ostseite des Kolosseums, den lbmieos,
dem großen Bordelle Roms gegenüber, eingerichtet war.
Das andere führt den Namen 8anavivaria, Thor der
Lebendigen, weil durch dasselbe die Glücklichen, lvelche im
Kampfe gar nicht oder nur leicht verwundet waren, die
Arena verließen, nachdem das Volk sie begnadigt hatte.
Die übrigen Eingänge waren für die Zuschauer und
führten zu den Treppen, welche im zweiten und dritten
Corridor des untern Stockes lagen, oder direkt zu beit
unteren Sitzreihen. Diese kleineren Eingänge waren über
dem Schlußsteine des äußern Arkadenbogens mit Num-
mern bezeichnet, welche, um Verwirrung und Gedränge
zu vermeiden, den einzelnen Klassen der Bürger anzeig-
ten, durch welchen Zugang sie einzutreten hatten. ' An
der Nordostseite sind diese Nummern noch jetzt zn sehen.
Da sieht man z. B. über den Bogen, welche dem End-
punkte der kleinern Are zunächst liegen, die Nrn. XXXVII
und XXXVIII; der Bogen zwischen beiden ist unbeziffert.
Ich führe diesen Umstand an, weil dadurch der italienische
Forscher Maraugoni auf die Vermuthung kam, auch an
dieser Seite sei, wie an der entgegengesetzten, ein Cäsa-
renthor gewesen; denn ein zufälliges Ueberspriugen läßt
sich nicht denken. Aus dem Palaste des Titus, welcher
diesem Eingänge gegenüber lag, konnte der Imperator
mit seinem Gefolge durch diesen ihm reservirten Eingang
in einen dreischifsigen Saal und aus diesem zn seiner
erhöhten Loggia, suggestum, oder pulvinar, gelangen.
Pius VII. hat es nach dem ursprünglichen Plane wieder
Herstellen lassen. Aus der an der Südseite in dem ent-
gegengesetzten Endpunkte der kleinen Are befindlichen ähn-
lichen Kaiserloge führte, wie die neueren Nachgrabungen
dargethan haben, ein unterirdischer Gang zn den Kaiser-
palästen auf dem Palatinus, und durch denselben konnte
der Imperator ungesehen aus seinen Gemächern in das
Amphitheater gelangen. In der blutgetränkten Geschichte
der Cäsaren ist derselbe berühmt geworden durch den
Mordanfall, welchen bei der Verschwörung des Claudius
Pompejanus ein gewisser Quintianus in dem Dunkel
dieses Raumes auf den Kaiser Commodus machte.
Wir verlassen die Gänge des untern Geschosses mit
der Bemerkung, daß dem Vespasiau nicht vergönnt war,
mehr als diesen Theil des Gebäudes zu vollenden und
einzuweihen. Das zweite Stockwerk fügte sein Sohn
und Nachfolger Titus hinzu und feierte das Einweihungs-
fest schon im Jahre 80. Wir steigen zu dem zwei-
ten Stockwerk mittels der breiten Treppen empor, aus
die wir bei unserer Umschau im zweiten Corridor des
untern Stockes aufmerksam gemacht haben. Es wurde
in drei gewölbten Corridoren angelegt, welche den drei
äußeren des Erdgeschosses entsprachen. Die Umfassungs-
mauer isi von Arkaden durchbrochen, welche mit den dar-
unter befindlichen Eingängen korrespoudiren;' die Scheide-
pilaster gehören aber der jonischen Ordnung an. Das
dritte und vierte Stockwerk, wohin ähnliche Treppenan-
lagen, wie im Erdgeschoß, leiteten, führte Domitian, der
Nachfolger des Titus und Vespasians zweiter Sohn, ans,
das Riesenwerk seines Vaters endlich vollendend. Ersteres
wurde aus zwei gewölbten Corridoren konstruirt, wäh-
rend dieses eine ' um den ganzen Umfang hinlaufende
überdeckte Esplanade bildete, die nach der Arena durch
eine Säulenreihe geöffnet war. Hier dehnte sich der
ungeheure Raum für Stehplätze. Ueber dieser Gallerie
28
218
Die Geest in Ostfriesland.
lag noch eine Terrasse, wo den gleich zu erwähnenden
Matrosen ihr Standort angewiesen war. Die Außen-
mauer der ftriiteu Etage wurde wie die zweite gegliedert,
mit dem einzigen llnterschiede, daß die korinthische Ord-
nung Maß und Verhältniß diktirte. Die Manerfläche
des vierten Stockes wurde dagegen von römischen oder
sogenannten Komposita- Säulen belebt, welche dem weit-
ausladenden Kranzgesims zur sichtbaren Stütze gegeben
wurden. Ein um das andere Feld durchbrach der Bau-
meister mittelst großer, oblonger Fensteröffnungen. Das
Kranzgesims durchbohrte er mit zahlreichen senkrechten
Löchern, und unter demselben ließ er eine gleiche Anzahl
Konsolen ans der Mauer vortragen. Jene gewährten
den mit vergoldeter Bronce überzogenen Masten Durch-
laß, diese eine feste Stütze. An diesen Masten befestigten
Matrosen der römischen Flotte mit purpurfarbigen Tauen
schillernde Teppiche, die liber den weiten Raum des
Amphitheaters ausgespannt wurden, um die Sonnen-
strahlen von den Zuschauern abzuhalten und den Fech-
tern die Wohlthat zu bereiten, im Schatten sterben zu
dürfen.
Die bis jetzt beschriebenen Einrichtungen haben uns
nur mit dem Unterbau für und den Zugängen bis an
die Sitze bekannt gemacht. Die Sitze selbst erhoben sich
ringsum stufenförmig über und hinter einander — wie
wir noch jetzt sagen, amphitheatralisch, so daß jede weitere
Zuschanerreihe über die Köpfe der vor ihr Sitzenden leicht
hinwegsah. Der Baumeister stellte sie dadurch her, daß
er auf Mauern, die von der Arena nach der llinsassnngs-
mauer über den immer höher ragenden Corridoreu schräg
aufstiegen, Steinkreise in immer weiteren und weiteren
Spannungen aus viereckigen Marmorblöcken mit zwei
Fuß Steigung hinzog. Zn denselben führten aus den
verschiedenen Corridoreu Mündungen, welche der Römer,
weil sie die Zuschauermassen in den innern Raum aus-
spieen, passend vomitoria nannte.
Die erste Sitzreihe — das Podium — erhob sich nur
acht Fuß über die Arena und war durch ein starkes
Eiseugittter mit umgebogenen Spitzen geschützt. Zwischen
den Spitzen waren bewegliche Rollen von Holz ange-
bracht, damit die wüthende Bestie, wenn es ihr gelang,
ihre Tatzen im wilden Sprunge bis zu dieser Höhe zu
tragen, von den sich drehenden Rollen gleich wieder znrück-
gleite. Sicher gegen jede Gefahr sollten die Römer dem
grausigen Schauspiele zusehen können. Ans dem Podium
befand sich im Süd und Nord die Kaiserloge, daran
reihten sich die Plätze der Prätoren, der sanften Vestalin-
nen und all der distinguirten Persönlichkeiten, welche sich
des Privilegiums der Sella eurulis erfreuten.
Das Podium als erster Platz war von dem dahin-
terliegenden zweiten und dieser von dem dritten, letzterer
endlich von dem vierten Platze durch Ballustraden geschie-
den. Die einzelnen Rangklassen selbst waren außer-
dem durch Treppen, die wie Radien von der Arena zu
derh Gallerie schossen, tu viele Abtheilungen gesondert;
natürlich erweiterten sich dieselben, je höher sie lagen,
hatten also mit der Keilform nicht geringe Ähnlichkeit,
daher ihr Name cunei. Die Sitzplätze der vierten Rang-
klasse waren unter Domitian aus Holz konstrnirt, wäh-
rend die der übrigen Klassen aus kostbarem Marmor be-
standen. Der Stein wurde mit Iveichen Kissen und Pol-
stern belegt, damit die Zuschauer ohne Nachtheil für die
eigene Gesundheit ansehen konnten, wie die unglücklichen
Opfer sich zu tausenden niedermetzelten. Damit es bei
der Augenweide nicht auch an Genüssen für die nie-
deren Sinne fehle, ragten zwischen den Sitzen Metall-
röhrchen hervor, aus denen Parfümerien, gewöhnlich eine
Mischung von Safran und wohlriechendein Balsam —
das Lau de Cologne der alten Welt—hervorquollen und
wie feiner Thau herabrieselten. Auf der nächsten Klasse
hinter dem Podium befanden sich die reservirten Sitze für
die Senatoren, Ritter, fremden Gesandten, vornehmsten
Magistratspersonen und ihre Familien. In die übrigen
Sitzreihen drängten sich nach einer festgesetzten Ordnung
die Schaaren der römischen Bürger.
Das slavische Amphitheater oder Kolosseum chielt auf
seinen weiten Steiuellipsen für 87,000 Menschen bequeme
Sitzplätze bereit; 20,000 Mann konnte es ohne Gedränge
auf den Stehplätzen unterbringen — im Ganzen also
vermochte es 107,000 Mann in sich zu fassen, das Dienst-
personal — manuales genannt — und die Gladiatoren
nicht eingerechnet.
Die G e r st in D st f r i e s l a ii d.
Von Hermann Meier in Emden.
Die verschiedenen Arten des Sandbodens. — Meerten. — Die Meeden, natürliche Wiesen. — Urre. — Die hoogen Loogen. — Dörfer auf der Geest. —
Die Häuser und deren Einrichtung. — Der Acker und dessen Bearbeitung. — Trachten. — Heirathen. — Kindelbier und Tröstelbier. — Wettspinnen. —
Gastfreundlichkeit.
Was willst du draußen? sagte einst ein Vater
im Marschlands zu seinem reiselustigen Sohne. Bleib
daheim, denn außerhalb der Marsch' ist die ganze Welt
Geest. Und der Sohn gab seine Reisepläue ans.
Bezeichnet die Warnung des alten Marschbauern eiues-
theils die Anhänglichkeit an die eigene Scholle, die er für
den reizendsten Fleck der ganzen weiten Erde hielt, so
doch auch andererseits eine Mißachtung der Geest, die
loeit hinter der Marsch zurückstehen soll. Hinsichtlich der
Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit des Bodens hatte er voll-
kommen Recht; liefert die Marsch schon bei geringerer
Anstrengung die reichsten Ernten des edelsten Getreides,
die Geest^verlangt die ganze Arbeitskraft des Mannes
und der Seinen, verlangt reiche Düngung, um dann dock)
nur weniger reiche Ernten hervorzubringen.
Ostfriesland hat etwa 16 Quadratmeilen Geest- (von
j tist — unfruchtbar) oder Sandboden, der sich zwischen
Marsch und Moor hindurchzieht. Dies ist der höchste
und älteste Theil unseres Landes, der schon seit Jahr-
tausenden sich von der Herrschaft des Meeres frei gemacht
hat. Er durchschneidet die in ihm befindlichen ausgedehn-
ten Moräste nach allen Richtungen hin und erstreckt sich
mehr oder weniger weit und mehr oder weniger verzweigt
nach der Küste hin, fünf Minute» bis eine Stunde breite
Landengen oder inselartige Ausläufer in die Marsch sen-
dend. Vom Flugsand der Inseln und den Sandplatten
des Bteeres ausgehend, bildet der Sand, mit mehr oder
weniger anderen Stoffen vermischt, das Watt, unter-
teuft daun den Marschboden, tritt hinter diesem wieder
hervor, an den höchsten und am trockensten gelegenen
Stellen in unfruchtbaren, loirklichen Dünensand ausar-
tend, in seinen Niederungen aber fruchtbaren Sandboden
Die Geest in Ostfriesland.
219
und die Hochmoore aufnehmend und geht bann von Pa-
penburg ab in eine eigentliche Haidestrecke über.
Ewa drei Viertel dieses Bodens sind angebaut, das
klebrige ist noch wüst und mit Haide bewachsen und
dient nur kleinen Haidschnucken und wenigen mageren
Geesikühen zur Weide.
Der Sandboden ist nach seinen verschiedenen Beimi-
schungen von verschiedener Art und Güte. Wir finden
alle Abstufungen. Der feine, reichlich mit Humus ver-
mischte Sand ist zum Roggen-und Buchweizenbau außer-
ordentlich gut geeignet; der unfruchtbarste, aus scharfem
Sande bestehende, bringt nicht einmal Haide hervor. Erst-
genannter Boden ist entweder lehmig (einzeln an der
Grenze der Marsch auch thonig) und eignet sich dann
;itm Bau von Roggen, Hafer, Gerste und in der Nähe
der Marsch von Rapssamen, oder schwarzsandig,
welche Farbe er von der Beimischung wilder Dammerde
oder saurer Torferde erhält. Dieser schwarzsandige Boden,
den man ans fast allen unseren Fehncn fiubet, wo der Torf
bis auf den Sand abgegraben und der Sandboden dann
unter Beimischung gebrannter Torferde in Kultur genommen
wurde (s.unsern vor. Artikel Globus VI, S. 141,179), ist bei
Weitem nicht so fruchtbar, als der eben genannte. Doch
läßt sich jene Ertragsfähigkeit durch reichliche Düngung
und Beimischung von Seeschlamm (Schliek) bedeutend
erhöhen. Man hat mit dem Schliek Versuche gemacht,
die ein über alle Erwartung glänzendes Resultat gehabt
haben.*)
Nicht unerwähnt dürfen wir jene Niederungen des
Sandterrains lassen, die freilich über dem Spiegel des
Meeres liegen, aber doch im Winter theilweise oder ganz
vom Binnenwasser übersluthet werden und mit verschie-
denen Erscheinungen zu Tage treten. War die Menge
des sich ansammelnden Wassers sehr bedeutend, die Lage
relativ sehr niedrig und der Abfluß sehr oder ganz ge-
hemmt, so bildeten sich Seen, hier Meere oder Meer-
ten genannt, zwar nicht von besonderer Größe, doch in
großer Zahl. 'Der größte derselben, „das große Meer",
ist etwa eine Stunde laug und eine halbe Stunde breit.
Viele dieser Seen, die man auch, aber weniger, auf der
Marsch findet, sind seit Mitte des vorigen Jahrhunderts
allsgetrocknet intb in ergiebige Weiden unb Wiesen ver-
wandelt worden.
Wo die Niederungen nur im Winter voni Binnen-
wasser überschwemmt werden, dagegen aber der Meeresküste
zu einen so bedeutenden Abfluß haben, daß beim Eintritt
der trocknen Jahreszeit das auf ihnen angesammelte
Wasser abfließen kann, da haben wir die natürlichen
Wiesen oder Meeden. Sie haben unter ihrem dichten
Grasteppich einen ans den modernden Theilen der Gräser
und Riedgräser und einiger anderen phanerogamischen
Sumpfpflanzen und Sumpfmoose gebildeten, torfähnlichen
Morast, den sogenannten Darg, der reichlich mit Sand
vermischt ist.
Der Untergrund des Sandbodens zeigt unter der
wenige Zoll tiefen Ackerkrume rothen, unfruchtbaren Sand,
dem der lveiße Seesand folgt. Der rothe Sand wird
häufig durch Lehm ersetzt,/noch häufiger durch llrre,
einen feinen, rostfarbigen, äußerst festen Sand, der sehr
unfruchtbar und namentlich dem Baumwuchs hinderlich
ist, da die Bäume absterben, sobald ihre Pfahlwurzel die
für sie undurchdringliche Urre berührt. —
*) Pläne, den Schliek, den der emdener Hafen in größter
Menge erzeugt, zu trocknen, zu pulverisiren und ihn dann
zum Handelsartikel zu machen, sind bis jetzt nur Pläne
geblieben, doch scheint es im Ganzen, als ob die Aufmerk-
samkeit nicht vergebens auf den Schlick als Düngnngs-
mittel hingerichtet wäre. Auch unsere Stadt Norden würde
einige 100,000 Schiffsladungen Schliek liefern können. —
Seit einiger Zeit hat sich in Emden eine Gesellschaft ge-
bildet, die den'Versuch machen will, aus dem Schliek Backsteine
zu brennen. Die gelieferten Resultate scheinen günstige Er-
folge erwarten zu lassen. ' H. M.
Ist der unter der Ackerkrume vorhandene Lehm weiß
oder gelb, feinsandig und milde, so ist er fruchtbar, zeigt
er sich aber blau und gräulich, mit grobem Sande,
Kieseln oder Quarz re. vermischt, so läßt seine Kultur
lvenig Resultate erwarten.
Die Oberfläche der Geest hat durch die auf ihr be-
findlichen Hügel, die unaufhörlich mit Niederungen ab-
wechseln, ein wellenförmiges Ansehen.
Etwas niedriger als das Hochmoor senkt sich der Bo-
den, sich davon entfernend, allmälig, steigt wieder, hier
wenig, dort stark, ein oder mehrmals bis zur Marsch;
er ragt einige Fuß über diese hervor und bildet gewöhn-
lich einen etwas steil ablaufenden Rand. Jene Hügel
find meistens nur einige Fuß hoch, doch ziemlichen Um-
fangs, sie bestehen aus unfruchtbarem, im Urzustände nur
Haide tragendem Saude, der hier in wirklichen Dünen-
sand übergeht, dort an der Grenze der Marsch mit
fruchtbarer Erde untermischt ist, wie das fast immer der
Fall in den Niederungen zwischen den Hügeln. Hier
finden wir die alten Dörfer (die hoogeu Loo gen
sLoog — Dorf)), die Stadt Aurich, die Städte Leer,
Norden und Esens ganz oder zum größten Theil.
Vom botanischen Gesichtspunkte' betrachtet, läßt sich
die Geest wiederum in drei Unterabtheilunaen eintheilen:
das ist die kultivirte, die bewaldete und die 'wilde Geest
oder die Haide im engern Sinne des Worts. Die kul-
tivirte Geest bietet dem Botaniker fast keine einzige be-
merkenswerthe, hervorragende Erscheinung und ist eine der
uninteressantesten Floren. Eben so arm ist der Waldboden,
schon wegen der äußerst geringen Ausdehnung unserer
Forsten, aber trotz ihrer Armuth bieten sie doch mehrere
interessante, charakteristische Einzelnheiten dar, z. B. die
schöne Corydalis claviculata, die niedliche Cornus Succica,
die seltene Ajuga pyramidalis und Primula acaulis, vor
Allem aber die herrliche Agraphis nutans, die äußerst
selten in der deutschen Flora vorkommt.
Die Vegetation der lvilden Haide wird an Einförmig-
keit und Oede nur noch vom Hochmoor übertroffen. Die
gemeine Haide (Calunna vulgaris) tritt so massenhaft
auf, daß man in ihrem Revier nur einzelne, kleine, durch
ihre Vegetation abweichende Oasen findet, welche ihr
graubraunes Kleid nicht tragen. Den „Meeden" zu fin-
den sich nur wenige Wiesen innerhalb der Haide. Wo
sie vorhanden sind, liegen sie meistens in feuchten Nie-
derungen und bestehen gewöhnlich aus wenigen, gemeinen
Gräsern. In der Nähe der menschlichen Wohnplätze
zeigen sich mehr oder weniger Abweichungen, die indessen
nur durch die Kultur bedingt sind; denn überläßt man
den Boden lvieder mehrere Jahre sich selbst, so wird der-
selbe von der Haide und ihren Vasallen erobert. Zn
den vorzüglichsten dieser letzteren gehören: Gentiana
Pneumonanthe, Linaria, Pedicularis, Pinguicula und be-
sonders die in schönstem Farbeuschmuck und in sehr ab-
abweichender Form prangende Orellis macúlala; nicht zu
vergessen die wohlriechende Platanthere.
In den „Meeden" führen die Gräser eine absolute
Herrschaft, alle zwischen ihnen wachsenden Vegetabilien
sind nur geduldete Gäste, denen es nur selten gelingt,
sich eine unabhängige Stellung zu erringen. Die „Mee-
den" gleichen in ihrer äußern Erscheinung dem Spiegel
des ruhigen Meeres; statt der öden, graubraunen Farbe
der Haide haben wir hier das schöne Grün als Grund-
farbe. Die Haide ist öde und wild, auch der Charakter
der „Meeden" streift an das Wildromantische; aber das
Wilde desselben wird doch meistens durch das Aufheiternde,
Freundliche der Pflanzen selbst wesentlich gemildert. Die
Haide nimmt freilich einen viel größern Raum ein, als
die „Meeden", trotzdem bietet aber auch letztere Flächen
dar, die nach mehr als einer Himmelsgegend hin uube-
grenzt zu sein scheinen. Sie erinnern in dieser Beziehung,
lvenn auch in sehr geringem Maßstabe, an die Prairien
Amerika's.
Die Dörfer der Geest sind durchgängig größer,
28*
220
Die Geest in Ostfriesland.
als die der Marsch. Im Innern des Landes liegen sie
mehr in runder, an der Grenze der Marsch mehr in
länglicher Form. Einen Vergleich gegen die Marschdörfer
können sie wohl aushalten. Während diese in deir mei-
sten Fällen großen Steinklumpen gleichen, indem das
dinge nur mit Mühe einen Baum oder Strauch ausfin-
dig zu machen im Stande ist, findet man in jenen Häuser
und Gärten von Eschen und Eichen umgeben. Während
dort die Gärten fast nur Kohlacker au Kohlacker zeigen,
findet man hier eine reiche Abwechslung. Die Häuser
stehen in den Dörfern am Rande der Geest in einiger
Entfernung von einander und ziehen sich oft in weiter
Ausdehnung längs des Hauptweges hin; ein Dorf schließt
sich nicht selten so dicht an das andere, daß man in vielen
Fällen nicht weiß, in welchem Dorfe man sich befindet
und die am Wege stehenden Anzeigetafeln um Auskunft
befragen muß. Während auf der Marsch fast jedes Dorf
seine eigene Kirche hat, sind auf der Geest durchgängig
mehrere. Ortschaften zu einer Gemeinde vereinigt. --
Hinter jedem Hause findet man dessen Sandäcker, die in
unabsehbarer Ferne bis zum Hochmoor hinlaufen. Vor
sich hat man die niedrige, grüne, von unzähligen kleinen
Gräben durchschnittene Marsch, wo rüstige Mäher das
hochaufgeschossene Gras schneiden, wo fröhliche Arbeiter
und Arbeiterinnen die Luft von Gesang mrd Scherz
ertönen lassen, in den nebenan das Vieh in vollem Chor
einstimmt.
Zur Winterszeit aber hat sich die Scene vollstän-
dig geändert. Die ganze Gegend scheint zum See um-
geschasfen zu sein, die entfernte, höhere Marsch erscheint
wie eine Insel, auf der die rothen oder in Schnee gehüll-
ten Dächer sich nur mühsam erkennen lassen.
Auch auf der eigentlichen Geest, wo die Dörfer
eine mehr geschlossene Form haben, gleichen im Winter
Wege und Umgebung derselben einem Sumpfe, der von
Menschen nnb Vieh nur mit Mühe zu passiren ist. Nicht
selten liegt die Hinterseite des Hauses den: Wege zuge-
kehrt, und der hier befindliche Düngerhausen sendet das,
was von ihm abläuft, so reichlich über die nächste Um-
gebung, daß Seiltänzerkünste dazu gehören, trocknen
Fußes durch diesen Schmutz zu gelangen.
Die Häuser der Geest sind nicht so massiv und
großartig, wie jene der Marsch, sie sind niedriger uub in
der Regel mtt Stroh gedeckt. Während dort ein Bauern-
hof „Plaathe" genannt wird, heißt solcher hier „Heerd";
es gibt ganze, halbe und viertel Heerde. Die
innere Einrichtung der Bauernhäuser gleicht der auf der
Marsch fast ganz. Das Gebäude zerfällt in Vörham
und Achterham (Vorder- und Hintertheil); auf letzterem
sieht die Windfahne, fast immer ein Pferd. In: Vor-
dertheil befinden sich Küche und „Aufkammer", linter
dieser die Milchkammer. Der Thür der Küche gegenüber
ist der Kamin, auf dem Rande desselben stehen die nur
bei Begräbnissen dienenden Zinnkrüge mit je zwei Hen-
keln, so wie zinnerne oder altmodische, porzellanene, blaue
Teller. Massive eichene Schränke mit oft kunstvollem
Schnitzwerk, so wie „Bnddeleien" (Glasschränke) mit
zur Schau aufgestellten Glassachen nehmen mit den Bett-
stellen die anderen «Seiten der Küche ein.
Der Viehreichthum ist nicht so groß, wie aus der
Marsch, mehr als 10 Stück Hornvieh und einige Pferde
findet man selten, wie man denn überhaupt der Vieh-
zucht weniger Aufmerksamkeit widmet und sich hauptsächlich
auf den Ackerbau legt, der aber auch, so lauge mau zur
Erlangung des so nothwendigen Düngers keine Stall-
fütternng einführt oder andere Quellen eröffnet, auf einer
ziemlich niedrigen Stufe steheir bleiben muß. Da ihm
solche zur Zeit noch nicht fließen, so muß sich unser Geest-
bauer auf jede andere Weise Dünger zu verschaffen suchen.
Bei Dörfern, welche Gemeindeweiden haben und auch
sonst, wo die privaten Weiden nicht hinlänglich Nahrung
bieten, stellt er das Vieh des Nachts auf; freilich erhalt
er dadurch noch nicht viel Dünger, aber durch Vermischung
mit Plaggen (große Rasenstücke, die von sandigen Haide-
feldern abgehauen werden) weiß er seinem Acker doch er-
giebige Ernten abzugewinnen.
Aufgestalltes Vieh steht, wie aus der Marsch, mit
dem Kopf nach der Außenmauer, nur das Jungvieh
stellt man umgekehrt hin.
Das Ackerland einer Gemeinde liegt gewöhnlich in
einer Fläche beisammen, die Aecker sind nur durch eine
Furche von einander getrennt. Hochliegendes Weideland,
hin und wieder auch die ganze Dorsflur oder wenigstens
das unmittelbar am Dorf liegende, wird in größere
oder kleinere Stücke getheilt. Solche Stücke, die mit einem
Erdwall umgeben werden, weil hier wegen der Höhe des
Bodens keine Gräben gezogen werden können, wie auf
der Marsch, heißen „Kämpe". Diese Einfriedigung
macht das Hüten des Viehs nothwendig; wer in einem
„Kamp" nur ein oder einige Stück Vieh hat, „tüddert"
dasselbe, d. h. er bindet dasselbe an einen in die Erde
geschlagenen Pfahl und überhebt sich dadurch der Mühe
des Hütens. Jene Wälle werden mit Birken und Eichen
bepflanzt, wodurch besonders größere Dörfer einen ange-
nehmen Anblick darbieten.
Die Arbeit des Geestbanern ist eine viel mühsamere,
als die seines Kollegen auf der Marsch. Alles muß dem
Boden völlig abgerungen werden, und will er reichliche
Resultate seines Schweißes sehen, so darf er die Hände
niemals in den Schooß legen. Früh Morgens schon sieht
man ihn auf seinem Acker, und wenn die Sonne längst
untergegangen ist, kann man ihn noch „pöscln" (unauf-
haltsam und mühevoll arbeiten) sehen, dem: eine bestimmte
Arbeitszeit mit einem erquicklichen Feierabend gestattet
ihm sein Boden nicht. Seine Kinder, Mädchen und
Knaben, müssen schon recht früh ihren Antheil zum Le-
bensunterhalt beitragen; ihre Thätigkeit beginnt mit dem
Hüten des Viehs und steigt zu. immer schwereren Arbei-
ten auf. Nur selten findet man beim Geestbauer einen
Knecht; er behilft sich meistens mit einer billigern Magd,
die bald in der Hauswirthschaft, bald beim Ackerbau aus-
zuhelfeu hat. Gegen acht Uhr Morgens kehrt Alles haus-
wärts, die am vorigen Abend übrig gebliebene Butter-
milch mit Noggenmehl zu verzehren; blieb nichts übrig,
so kocht die Hausfrau Roggenmehl mit Wasser, welches
alsdann mit Milch übergössen wird. Der Mittagslisch
steht um 12 Uhr bereit uub bietet viel Buchweizenspeisen,
viel Speck, aber wenig Fleisch; zwischen drei bis vier
Uhr wird Thee getrunken, Abends kommt der eben ge-
nannte Brei, zu dem Brot uud Butter gegeben wird, auf
den Tisch. So essen und trinken die Dienstboten, und die
Herrschaft hats uicht besser.
Die alte Sitte des Tischgebets steht hier im
vollsten Flor. Es werden nämlich vor Tische nicht
weniger als sieben Gebete gesprochen, und zwar in der
Weise, daß die Mutter anhebt uud dann die Kinder von
Groß zu Klein fortfahren, so daß die Größe der Kinder
und die Länge der Gebete im Verhältniß zu einander stehen.
Ein Amen beschließt das Ganze, bei dem sich der Vater
passiv verhält.
Weihnachten, Ostern und Pfingsten bäckt jede Familie,
die es nur einigermaßen vermag, ans seinem Roggenmehl
große „Stuten" (Weißbrot), von welchen die ganze
Woche hindurch gegessen wird. Die Frauen wetteifern
mit einander, die besten Stuten zu liefern, und man hört
sie oft einander zurufen: „Js jo Stute ook good
worn?" Denn jeder Bauer bäckt selbst, er hat den Ofen
entweder im Hause oder im Garten stehen. Dem Pre-
diger und Lehrer (Pestoorohm und Mesterohm) wer-
den alsdann so viele Stuten ins Haus gebracht, daß das
liebe Vieh mithelfen muß, den zu großen Segen zu
genießen.
Die Kleidung des Geestbauerir ist einfach, wie seine
ganze Lebensweise. Die des Mannes besteht für gewöhn-
lich aus einem wollenen und boyenen Wamms und einer
Zwillichhose, ein breitgefaltetes, einem Halseisen nicht
Die Geest in Ostfriesland.
221
unähnliches blaues Halstuch schließt den Hals ein, und
die Füße stecken in schweren, aber billigen „Klumpen"
(Holzschuheil). Des Sonntags bedeckt ein urväterlicher
Hut sein sinnendes Haupt, und statt der Holzschuhe zieren
Schuhe, die außerdem mit messingenen Schnallen (Gas-
pen) geschmückt sind, seine Füße. Im Ganzen sind die
dunklen Farben, besonders blall lind schwarzgrau, am
meisten beliebt.
Die Frauen kleiden sich ebenfalls vorzugsweise mit
inländischen Zeugen. Ueber einen rothwollenen Unterrock
zieheil sie ein ganzes Heer anderer von Boye und gestreif-
tem Zeuge, rothe, grüne, gelbe. Ein Jäckchen (Jaktje)
von Boye oder Fünfschaft mit Schürze und Halstuch voll-
enden den Putz. Den Kopf ziert eine gar kuriose Haube,
aus verschiedenen Stücken zusammengesetzt, die bei älteren
Personen durch messingene „Kniepers", welche sich enge
an die Wangen anschließen, festgehalten wird. Auch die
Frauen tragen in den Wochentagen Holzschuhe. —
Der Geestbauer ist gezwungen, im Sommer seine
ganze Kraft und Zeit dem täglichen Erwerb zu widmen,
doch darum ist ihm der Siiln für ein gemüthliches, ge-
selliges Beisammensein keineswegs abhanden gekommen.
An Winterabenden besucht der Nachbar den Nachbar, um
ein Stündcheil zu verplaudern. Mann und Frau, beide
das Spinnrad unterm Arm, suchen sich Gesellschaft und
Unterhaltung. Spinnen ist eine Beschäftigung, mit der
sich im Winter Jung und Alt unmüßig hält. Nur einen
kleinen Theil des Gewebes und zwar das gröbere behält
man zuln eigenen Gebrauch. Das meiste nub feinere wird
dem Krämer für Waaren oder in der Stadt für baares
Geld verkauft. Um sich dieses nutzbringender zu machen,
wird ziemlich viel Flachs angebaut. Jeder zieht wenig-
stens so viel, als er im Winter verspinnen kann. Auch
wird hin und wieder Hailf gebaut und versponnen.
Nicht selten findet um diese Zeit ein sogen. Wett-
spinnen statt. Es bilden sich zwei Parteien; jede hat
eine Kämpferin, die es mit einer andern im Spinnen
aufnehmen will. Sobald eine solche Wette zu Stande
gekommen, eilt die Kunde davon wie aus den Flügeln
des Windes durchs Dorf und Jeder drängt sich heran,
mit in to hollen, d. h. sich einer Partei zuzuschlagen
und seinen Antheil an der Wette zu zahlen. Das ganze
Dorf ist fieberhaft bewegt und mit Ungeduld sehnt man
den Tag der Entscheidung herbei. Endlich ist er da!
Beide Spinnerinnen treten in den Kreis der längst Ver-
sammelten, ordnen das Nöthige und erwarten nun den
Befehl der „Holders", die mit vorgestrecktem Arm da-
sitzen, um im Nu ihre eigenen oder Anderer Befehle aus-
führen zu können, die Arena zu betreten.
Das Kommando ertönt, und nun entfalten die beiden
Mädchen ihre ganze Kunst, ihre volle Gewandtheit. Es
ist unmöglich, den raschen Bewegungen von Hand und
Fuß zu folgen. Alles bewundert und staunt, da unter-
bricht ein lautes Halt! die lautlose Stille, beide „Hol-
ders" greifen in die Räder, denn dem einen Mädchen ist
der Faden gerissen, und bis sie fertig, muß auch die Geg-
nerin feiern. ^ rr
Eine halbe Stunde ist rastlos fortgekämpft, da lassen
beide Mädchen auf Befehl die Arme sinken, der Kampf
ist beendet. Die Fäden jedes Rades werden abgehaspelt
und gezählt. Glückwünschend umringt man die Siegerin
und einige Tage später wird der Ertrag der Wette von
der gewinnenden Partei hauptsächlich in Bier verzehrt,
und auf solchem Spinnelbeer herrscht ungeheure Hei-
terkeit.
Hieran knüpfend erwähnen wir einiger Familien-
feste des Geestbauern.
Zur Kindtaufe(Kinnelbeer) wurden früher durch
besonders dazu angestellte „Bitter" alleDorfbewohner ein-
geladen, jetzt durch einen Knaben oder ein Mädchen
der Familie, dem von allen Eingeladenen eine Gabe
an Geld verabreicht wird, nur noch die nächsten Ver-
wandten und Freunde. Mit großer Aengstlichkeit wird da-
für gesorgt, daß die Gesellschaft nicht aus^13 Personen be-
stehe. Prediger und Lehrer dürfen nicht fehlen und neh-
men die ersten' Plätze ein. Nachdem Allen Kaffee, den Män-
nern außerdem lange thönerne Pfeifen gereicht und die
wichtigstell nub dringendsten Neuigkeiten besprochen sind,
geht die heilige Handlung vor sich, bei der fetten weniger
als zwei bis drei Pathen fungiren. Nach beendigter Cere-
monie beginnt das Festessen, bei welchem der unvermeid-
liche „Roggenstüten" und Thee oder Warmbier mit Schnaps
verabreicht werden.
Hatte sich früher ein Heirathslustiger ein Mädchen
ausersehen, so schickte er Meekslü (Mäkler —Freiwerber)
dahin, die in Küche und Keller eine sorgfältige Rundschau
hielten. Fiel diese zur Zufriedenheit aus, dann erschien
etwas später der Vater mit seinem Sohn, um die Ange-
legenheit zu Eilde zu führen. Jetzt nimmt der Jüngling
die Sache gelvöhnlich von vornherein selbst in die Hand,
nub Vater und Mutter erfahren hier wie fast überall
erst dann davon, wenn die Liebenden längst einig sind.
Den Tag der öffentlichen Verlobung feiert das Jungvolk
des Dorfs mit Freudenschüssen, wofür es vom Bräutigam
mit einigen Thalern beschenkt wird, die alsdann von
jenen genleinschaftlich verjubelt lverden.
Eiile Braut ans fremdem Dorfe wird beim Heim-
holen in einem zwischenliegenden Dorfe mit Schießen be-
grüßt, wofür abermals mit einem Geldgeschenke gedankt
wird. Aber Eine, die beim „Jllngvolk" mißliebig ist, eine
alte Jungfer, Wittwe oder gar ein in Verruf stehendes
Mädchen werden nicht begrüßt, unb der Groll macht sich
in einer über alle Maßen gräßlichen Katzenmusik Luft.
Wer das Zeitliche gesegnet hat, wird am folgenden
Abend eingesargt. Man ladet aber nicht die Verwandten,
sondern nur die benachbarten Frauen ein, welche das
Hennekleed (Todtenkleid) machen. Der Spiegel wird
verhängt, und die klhr muß stehen bleiben. Der Leichen-
bitter geht bald darauf von Haus zu Haus, um die Ein-
ladung zum Begräbniß (Tröstelbeer) ergehen zu
lassen. Die früher übliche unsinnige Formel, nach welcher
der Verstorbene selbst zur Begleitung seiner Leiche ein-
laden ließ, ist gegen eine vernünftigere vertauscht. Die
Einladung lautet auf Vormittags 10 Uhr, doch gebietet
der Anstand, nicht vor 12 Uhr zu erscheinen. Der Sarg
wird auf die Tenne getragen und bleibt während der nun
stattfindenden Parentation verschlossen, wird aber nach
Beendigung derselben geöffnet und jeder Anwesende ein-
geladen, die Leiche zum letzten Male zu sehen, Nach dem
Grabe und an demselben wird von der Schuljugend ge-
sungen, und nun begibt sich Alles in die Kirche, um die
Leichenrede anzuhören. Darauf geht man wieder ins
Sterbehans zurück, um vörleef to nehmen mit dat,
wat Keller un Köken vermag. Für Fremde, Fer-
nerstehende und Kinder ist ans der Tenne ein langer Tisch
hingestellt, während die Verwandten und Honoratioren
auf die Upkamer geladen werden. Erst gegen 10 Uhr
Abends geht Jeder nach Hanse.
So haben sich viele alte Sitten und Gebräuche in
das Innere des Landes, auf die eigentliche Geest zurück-
gezogen, um dort ein vielleicht nur noch kurzes Da'ein
zu fristen.
Haben wir schon vom Marschbauer gesagt, daß er
dem Alten, Hergebrachten sehr anhange, so läßt sich
dies doppelt vom 'Geestbewohner sagen. Er glaubt sich
gleichsam bestellt, das von den Vätern Ererbte den Kindern
zu überliefern. Kann man sich einestheils darüber nur
freuen, da ja eben dadurch manche Eigenthümlichkeiten
unseres Volksstammes ein Asyl vor dem Civilisations-
drange der Gegenwart gefunden haben, so hat dieses doch
auch, besonders für den Geestbauer selbst, seine mißliche
Seite. Wie der Vater seinen Acker bearbeitet, so und
nicht anders wirthschaftet auch der Sohn. Eine Aen-
derung im Hergebrachten, bei dem der Vater so ziemlich
zurecht kam, könnte für ihn eine Lebensfrage werden, da
bei versuchten Abweichungen die Wirthschaft leicht zerstört
222
Aus allen Erdtheilen.
werden dürfte und Abänderungen Folgen haben könnten, die
schwer auszugleichen wären. Erst jahrelanges Beispiel, jah-
relanges Voraugenhaben günstiger Erfolge bei veränderter
Wirthschaft sind vielleicht im Stande, ihn den: Neuen,
Bessern zuzuwenden.
Sparsamkeit wird dem Geestbauer von allen Seiten
diktirt. Darum arbeitet er mit all deil Seinen, den Lohn
für eiiren Knecht zu sparen, darum beschäftigt er sich neben
seiner eigentlichen Wirthschaft mit dem Aufziehen von
Jungvieh, mit Buchweizenbau aus dem Hochmoor, mit
dem Torfstich auf eigeilem Grund und Boden, mit Bie-
nenzucht, Spinnen re. Darum begnügt er sich mit ein-
facher Kost und Kleidung, mit einfacher Hanseinrichtnng.
Vieles, was der Marschbauer mit baarent Gelde kauft,
zieht er aus seiner Wirthschaft. Sein Hanf liefert ihm
das erforderliche Tauwerk, sein Flachs Kleidung, seine
Bäume manches Stück Geräth, seine nothwendigen Be-
dürfnisse erheischen wenig baare Auslagen; seine Abgaben
sind gering und bestehen nur theilweise in Geld; 'diese
lind Siellasteil, die so besonders schwer auf dem Marsch-
bauer lasten, kennt er nicht, seine hauptsächlichsten Ab-
gaben bestehen in Naturalien: Speck, Hühner, Eier, Rog-
gen, Butter re., Abgaben, aus der Häuptlingszeit herrüh-
rend, die aber theilweise in Geld umgewandelt sind.
Bei alledem aber ist die Gastfreundschaft noch
nicht von seiirer Schwelle verbannt. Wer um die Mit-
tagszeit sein Haus betritt, der seht sich ohne weitere
Umstände au seinen Tisch und würde den Hausherrn
lind die Seinen verletzen, wenn er vor lauter Kom-
plimenten nicht mit in die Schüssel langen wollte.
Aist der Marsch ist es mit dieser Tugend schon ganz an-
ders bestellt.
Der Geestbauer liegt mehr oder weniger noch immer
in den Banden des Aberglaubens. Hexen und Gespenster,
Spuk und Vorgesichte sind für ihn so gewißlich da, wie
nur irgend etwas in der Welt. Versagt der Kuh die
Milch, will die Butter nicht aus der Milch, findet man
Federballen in den Bettkissen, heult ein Hund, weigert
sich ein Pferd, an einem Hause vorbeizugehen rc.,sto hat
das Alles seine abergläubige Deutung. Alte Frauen
mit rothen Augen, schiefen'Schultern,' magerem Körper
finden häufig ein mit Kreide gezeichnetes Kreuz auf ihrer
Schwelle, das vollständigste Zeugniß, daß man sie zur
Hexe gestempelt hat und sie durch das Zeichen des Kreuzes
in ihre Wohnung bannen will.
Aber mit so vielem Gilten, von deil Ahnen Ererbten
verschwinden auch diese Schattenseiten des friesischeil Cha-
rakters, wie der Schiiee vor der Lenzsonne, vor der zu-
nehmendeu Bildung, die durch gut eingerichtete Schulen
mit hungernden Lehrern auch dem Geestbauer mit dem
Lichte einer bessern Erkenntniß leuchten.
A us allen
Der neueste Bericht des Herrn v. Heuglin. Beim Prä-
sidium der Leopolds -Karolinischen Akademie ist ein Schreiben
des Herrn v.Heuglin eingegangen, datirt„Mnrah-Scholl,
unsern der Meschrah des Bahr-Chasal im Lande der Reg-
Neger (auf der Rückreise nach Chartum) vom 12. Februar
1864", worin derselbe theils den richtigen Empfang eines im
vorigen Jahre ans der Kasse der Akademie erhaltenen Beitrags
zu den Reisekosten dankend anzeigt, theils selbst Beiträge zur
Kenntniß der afrikanischen Volksstämme und Fauna bringt,
welche demnächst in den Verhandlungen der Akademie erschei-
nen werden. Ueber die Schicksale- der Expedition fügt er noch
bei: ,,Die Verhältnisse erlauben mir es leider nicht, zu dem
mnthmaßlichen Benae, von dem ich kaum 10 deutsche Meilen
entfernt war, vorzudringen, obgleich ich eitle solche Reise für
leicht ausführbar halte. Ich hielt mich für verpflichtet, die
Gesellschaft, der ich mich einmal angeschlossen, im Unglück nicht
zu verlassen, von dem wir durch den Verlust von vier-
en r o p ä i s ch eu Mitgliedern heimgesucht waren. Es gereicht
mir indeß immer zum Troste, daß ich die wenige Zeit, die ich
zu Arbeiten und Untersuchungen verwenden konnte, nicht un-
benutzt vorübergehen ließ und daß ich so glücklich bin, andern
Reisenden eine Straße mitten durch Afrika zeigen zu
können, deren Verfolgung vom größten Interesse für die
Wissenschaft sein must. Ich besitze augenblicklich weder die
Mittel, noch — ich gestehe es offen — den Muth, sogleich
wieder nach dem Innern aufzubrechen. Vielleicht erhalte ich
in Chartnnr Nachrichten von Speke, mit dem ich halb lind
halb übereingekommen bin, eine Expedition nach Westen zii
unternehmen. Vorläufig muß ich etwas meine vollständig
ruinirte Gesundheit pflegen."
Ein neuer Brief von Livingstone. Dieser Reisende be-
fand sich am 24. Februar in Mosambik, war bei guter Ge-
sundheit und wollte nach Bombay hinüberfahren, um dort den
von ihm auf eigene Kosten geballten Dampfer Lady Nyassa zu
verkaufen. Wir haben früher schon gemeldet, daß die eng-
lische Regierung ihn ans Südafrika abberufen ließ, weil keine
seiner Vorhcrsagungen sich erfüllte. Livingstone ist aber zäh und
bleibt bei seinem Systeme, so unzwecklnäßig dasselbe auch ist.
Er schreibt an Herrn Murchison, daß er seine Abberufung er-
fuhr, als er gerade in Schlipanga war. Er wollte noch eine
E r d t h e l l e n.
Reise in die Gegenden westlich vom Schire unternehmen und
wo möglich zu ermitteln suchen, ob der Nyassa-See, wel-
chen er' schon früher befahren hatte, etwa Zuflüsse von Norden
her erhalte und ob einer derselben aus dein von Burton ent-
deckten Tanganyika - See komme. Aber das Boot, mit welchem
er deil Schire hinauf zu fahren gedachte, ging in beu Kata-
rakten verloren. Erwanderte mit seinen, ihm treu anhängenden
Makololo lind dem Steward des Dampfers Piolier in nord-
westlicher Richtung weiter, erforschte eine Gebirgskette, die sich
von Norden nach Süden zieht, bis 6000 Fuß über dem Meere,
die in einer Höhe von etwa 2000 Fliß sehr schöne Thäler hat.
So gelangte er an den See, und zwar an die Kotakota-
Bay, unter 12° 15'f. Sr., wo der Nyassa sich zir einem schma-
len Kanäle verengt. Dort überzeugte er sich, daß viele Skla-
ven nach der Ostküste gebracht werden, nnd bedauerte, daß er
seinen kleinen Dampfer Lady Nyassa nicht dort hatte, weil er
dann im Stande geweseil wäre, den Sklaventransport über
diesen schmalen Seearm zu verhindern. —
Man sieht, Livingstone ist förmlich besessen von dem Wahne,
daß er mit seinen geringen Mitteln etwas gegen eure landes-
übliche Sitte ausrichten könne, oder daß es seine Aufgabe sei,
einer tief eingewurzelten Barbarei zil steuern. Was man
anderswo mit Waffengewalt lind mit einem paar Dutzend
kreuzenden Kriegsschiffen nicht hindern kann, dem gedenkt der
Missionär auf eigene Hand ein" Ende machen zu können. Er
hat sich ganz unbefugter Weise überall in die inneren Ange-
tegenheiten der schwarzen Stämme, sogar mit Waffengewalt,
eingemischt nnd das Mißvergnügen der Leilte recht planmäßig
gegen sich aufgestachelt. Es ist ein Wunder, daß er alle diese
Gefahren, welche er durch sein unbesonnenes Benehmen selber
heraufbeschwor, überstanden hat. Es wäre gar nicht zu ver-
wundern, wenn er als Opfer seiner Unbedachtsamkeit gefallen
wäre. __________
Die Ostküste von Afrika und die Nil-Entdeckungen.
Die londoner geographlsche Gesellschaft hat unserem Lands-
manne Karl von der Decken die goldene „Fonnders Medal"
zuerkannt, in Betracht seiner beiden Reisen von der Ostküste
Afrika's bis zum Kilimandscharo. Der Vorsitzende, Ro-
derich Murchison, hob hervor, daß Herr voir der Decken wich-
tige astronomische BeobachtUligen angestellt habe, und daß wir
ihm Barometermessungeil verdanken, durch welche der höchste
Aus allen Erdtheilen.
223
Punkt des Berges auf 20,065 Fuß engl, bestimmt worden sei.
Dann wurde erwähnt, daß der Reisende ans eigene Kosten eine
neue Expedition ausgerüstet und einen Dampfer, den er „Welf"
benannt, gebaut habe, nur mit demselben, wenn irgend mög-
lich, Flüsse zu befahren, die vom Kenia Herabkommen. Er
wolle bisher unbekannte Gegenden besuchen und bis zu einem
der oberen Nebenflüsse des obern Nils vordringen.
Eine andere Medaille erhielt Speke's Gefährte, Kapitän
Grant. Murchison gab eine kurze Uebersicht der bisherigen
Nil-Entdeckungen. Es sei allerdings von Bedeutung, daß
man nun einen Abfluß aus dem Nyanza-See kenne, der als
Quellstrom des Nils bezeichnet worden sei. Ter Geograph
könne sich aber dabei nicht beruhigen; allerlei Zweifel und
Bedenken seien laut geworden, und es komme darauf an, sie
zu beseitigen. Miani behauptet noch, daß er den Nil bis
2V20 südsüdwestlich von Gondokoro hinauf erforscht habe.
Der Ausschuß der geographischen Gesellschaft wünscht deshalb,
daß die physikalische Geographie jener ganzen Region, und
namentlich auch die ganze Küstenlinie des Nyanza-Sees (dessen
Flächeninhalt, nach Speke's Behauptung, größer sei, als jener
voll ganz Schottland), genauer erforscht werde. Es komme
ferner darauf an, die Beschaffenheit, die Länge imb Ausdeh-
nung der verschiedenen Zuflüsse des Nyanza-Sees zu unter-
suchen; sodann müsse die Gegend zwischen dem Luta Nzige in
Bezug darauf erforscht werden, ob nicht, wie Manche anneh-
men, gerade ans dieser Region, die im Westen des Nyanza
liegt, der Nil Quellflüsse erhalte. Nöthig sei auch, daß man
den Fluß, dessen Abzug aus dem See Speke ermittelte llnd
den er als den Weißen Nil bezeichnet, vom Abfluß aus dem
Nyanza bis zu der Stelle, wo er das Ende des Luta Nzige
berührt, in seiner ganzen Länge und ohne Lücken oder Unteb-
brechnngen erforsche. Zn diesem Zweck will die Gesellschaft
eine neue Expedition nach den oberen Nilgegen-
den senden, damit Alles, was unklar und ungewiß ge-
blieben ist, nun Aufklärung erhalte. Sie soll aber nicht von
Sansibar oder überhaupt von der ostafrikanischen Küste dorthili
vordringen, sondern den Nil aufwärts. Zn diesem Zwecke will
die Gesellschaft 1000 Pfd. St. beilragen.
Die Europäer in Abessinien. König^TH eodor von
Aethiopicn, über den wir neulich (Bd. VI, S. 16) gesprochen
haben, treibt wunderliche Dinge. Nachdem er es mit den
Franzosen schon längst verdorben, geht er nun auch schlimm
mit den Engländern um, und auch die Missionäre werden von
ihm schnöde behandelt. Die Sache verhält sich folgendermaßen:
Im Gebiete Seiner äthiopischen Majestät leben die sogenannten
abessinischen Inden, die Falaschas, welche im Aufträge der
londoner Gesellschaft zur Bekehrung der Israeliten von einem
zum Christenthum übergetretenen deutschen Juden, Stern, be-
sucht worden sind. Nachdem dieser Missionär ein sehr anziehen-
des Werk über die Falaschas veröffentlicht hatte (Globus III,
S. 312 ff.), sandte is)u die Gesellschaft nebst zwei anderen
deutschen Judenmissionären, Rosen that und Hausmann,
wieder nach Abessinien, um sein Bekehrungswerk fortzusetzen.
Es scheint, als ob die drei Männer die Absicht gehabt haben,
Abessinien wieder zu verlassen, denn ein vor uns liegender
Bericht (ohne Datum), sagt, sie seien nach der Hauptstadt
Gondar gekommen, um sich beim Könige zu verabschieden.
Sie fanden sich zu diesem Zweck Abends im Palast ein, nach-
dem eben der König gespeist hatte (Lejean hat ihn als einen
Trunkenbold geschildert), und Theodor war sehr ergrimmt,
weil das Erscheinen der Fremden in einer Abendstunde gegen
die abessinische Hofetikette verstieß. Stern hielt an den König
eine Anrede, die" aber von zweien seiner Begleiter schlecht ver-
dolmetscht wurde, und der Herrscher wurde darüber so ärger-
lich, daß er die beiden Dolmetscher zu Tode peitschen ließ.
Stern war darüber im höchsten Grade bekümmert und biß
sich ans die Finger; er wußte nicht, daß die Abessinier
darin eine Beleidigung, eine Drohung und ein Rachegefühl
sehen. Die Offiziere machten den König auf dieses Finger-
beißen aufmerksam, uud Theodor ließ den Missionär ans-
peilschcn und in Ketten legen. Der englische Konsul Ca-
meron hörte von dem empörenden Vorfall und ließ den
deutschen Missionär Fl ad (aus Basel) holen, der ganz fertig
Amharisch redet und mit Theodor aus dem besten Fuße steht.
Dieser wollte aber den Konsul uicht empfangen und stellte
ihn unter strenge Ueberwachung. Flad mußte zu Stern
gehen und diesem sagen, daß er den König in Gegenwart
seiner Unterthanen sckwer gekränkt habe; er solle null Abbitte
leisten. Als Sterns Antwort ihm nicht genügte, ließ er dem
Gefangenen zwar die Ketten abnehmen, 'behielt ihn aber in
Haft, um ihn vor ein Gericht zu stellen. Hausmann durfte
Abessinien verlassen und ist in Chartum angekommen.
Eben lesen wir, daß Theodor den Konsul Cameron ver-
haftet habe; er ist also ihm gegenüber zu Werke gegangen wie
früher gegen Lejean. Der gesunde Menschenverstand scheint
ihm abhanden gekommen zu sein.
Der Naturforscher Franz Jungyuhn ist im Frühling
dieses Jahres zu Lembang auf Java gestorben. Die hollän-
dischen Zeitungen, welche diese Nachricht bringen, geben den
Todestag nicht an. Jnnghuhn war ein sehr kenntnißreicher,
von Eifer für die Wissenschaft beseelter Gelehrter, den auch
Alexander v. Humboldt wohl zu schätzen wußte; er hat seit
Jahren cm der Spitze der naturforschenden Kommission in
Niederländisch Indien gestanden, und die Kunde dieses letz-
tern ist durch Jnnghuhns Werke wesentlich bereichert worden.
Durch Ihn haben wir genaue und zuverlässige Kunde über das
merkwürdige Volk derB alias auf Sumatra erhalten; auch seine
„Topographische nub naturwissenschaftliche Reisen durch Java"
und ein anderes Werk: „Java, seine Gestalt, Pflanzendecke
und innere Bauart" gewähren der Wissenschaft eine reiche
Ausbeute.
Ein Zug über die Landenge von Darien. Nachrichten
aus Panama vom 16. April melden, daß in dieser Stadt
die Ingenieure Mc. Dongalt, Foreman, Sweet und Rudi an-
gekommen seien. Sie haben eine, wie sie sagen, in jeder
Beziehung befriedigende Erforschung der Landenge von Darien
durchgeführt. Ihren Ausgangspunkt bildete die Mündung
des Flusses Boyano an der Südsee und den Endpunkt die
Bay von San Blas am Atlantischen Ocean. Sie haben auf
der ganzen Strecke Nivellirungen und Vermessungen vorge-
nommen und sind von den Indianern nicht belästigt worden.
Es war noch nicht bekannt, in wessen Aufträge diese Expedition
stattgefunden hat, und Einzelnheiten über die Reise sind von
jenen Ingenieuren noch nicht mitgetheilt worden. Sie be-
schränkten sich ans die Angabe, daß sie durch ein schönes,
wohlbewässertes Land gekommen seien, in welchem sie viel
Wild sahen. Edle Metalle wollen sie nicht bemerkt haben,
wohl aber Anzeichen, daß Steinkohlen nicht fehlen.
Einwanderung in Canada 1863. In den beiden Häfen
Quebec und Montreal landeten 19,419 Emigranten; davon
waren Engländer 1830, Irländer 5508, Schotten 3919,
Deutsche 3017, Skandinavier 1416. Gewiß thun die Aus-
wanderer besser, sich nach Canada zu begeben, als in die völlig
zerrütteten Vereinigten Staaten, wo fortan jährlich eine
Steuerlast von einer halbe:! Milliarde aufgebracht werden muß.
Hungersnoth auf den Inseln des Grünen Vorgebirges.
Diese Eilandflur hat wenig Kulturboden, und die Einte wird
nicht selten durch Dürre oder Heuschrecken vernichtet. Jetzt
eben ist sie wieder einmal von einer Hungersnoth heimgesucht,
und sämmtliche 11 Eilande leiden. Am schlimmsten stehen die
Dinge auf Santiago, wo die Stadt Porto Praya liegt. Der
Kapitän eines englischen Schiffes, das zu Ende des März dort
ankerte, fand in der Umgegend tausende von hungernden
Menschen, die unter freiem Himmel Hungers starben; sie waren
aus dem Innern gekommen mit der Hoffnung, in der Stadt
Brot zu finden; manche waren schon unterwegs erlegen. Man
meint, daß zwei Drittel der gesammten Bewohner, welche für
die ganze Gruppe etwa 102,000 Seelen beträgt, vom Hunger-
tode hingerafft werden.
Noch eure Expedition nach den Nordpolarländern. Wir
lesen in einem neuyorker Blatte, daß Dr. C. F. Hall ans^-
Cincinnati im Juni wieder eine Reise nach den Polarregionen
antreten will. Bekanntlich ist er von seiner frühern langen
Wanderung erst vor etwa 18 Monaten zurückgekehrt. Jetzt
gedenkt er nun aus der Hndsonsstraße in die Hudsonsbay
zu segeln, und zwar auf dem Walfischfahrer Monticello, Kapitän
Ehapel. Dann will er bis zum König Wilhelmslande vor-
dringen und mit Hülfe seiner Es! im es, die ihn nach den
Vereinigten Staaten begleitet und sich dort recht wohl befun-
den haben, gedenkt ex seinen Zweck erreichen zu können. Sein
erstes Winterquartier will er an der Repulse-Bay nehmen
und von dort, also vom Nordwestende der Hudsonsbay, im
Jahre 1865 auf Hundeschlitten bis nach Boothia felix und
224
Aus allen Erdtheilen.
König Wilhelmsland vordringen und allen Spuren von
Franklins Gefährten folgen, um überdas endliche Schick-
sal derselben volle Klarheit zu gewinnen.
Die telegraphische Verbindung zwischen Europa und
Ostindien ist hergestellt. Wie dem „Moniteur" aus Bagdad
gemeldet wird, ist das unterseeische Kabel von Basra und der
Mündung des Schat el Arab (Euphrat mtb Tigris) nach
Karratschi an der Mündung des Indus glücklich gelegt wor-
den. Von Basra geht die Leitung bekanntlich durch Meso-
potamien nach Bagdad rc. fort, ist aber Augenblicklich durch
den Aufstand eines Beduinenstammes gestört.
Der sibirische Telegraph. Der nordamerikanische Unterneh-
mer C. W. Field erhielt am 8. Mai, 10 Uhr 10 Min. Vor-
mittags, in Queenstown folgende Depesche, die um 8 Uhr
10 Minuten Vormittags in Irkutsk (Sibirien) aufgegeben
war: „Die Thätigkeit der sibirischen Telegra pH enl inie
ist jetzt vollkommen in Ordnung. Die Fortsetzung derselben
von hier bis zur chinesischen Grenze — 470 Meilen — schrei-
tet trotz aller Schwierigkeiten rasch vorwärts und man erwar-
tet, die Linie bis zum Ende dieses Jahres zu eröffnen." Die
Entfernung zwischen Irkutsk und Queenstown beträgt 6500
engl. Meilen.
Das Aufblühen von Schanghai in China ist bemerkens-
werth und eine Folge der Rebellion des Himmelskönigs. Als
die Tarping die Stadt Su tscheu (Soochow nach der wider-
sinnigen Schreibart der Engländer) einnahmen, flüchteten von
dort'viele Einwohner nach Schanghai, wo sie Anfangs kein
Obdach fanden und durch Hunger schwer litten. Aber sie
brachten sich durch Anstelligkeit und Fleiß vorwärts, und jetzt,
da Su tscheu wieder in den Händen der Kaiserlichen ist, mögen
sie gar nicht in ihre alte Heimath zurück, sondern bleiben in
Schanghai, das gegenwärtig anderthalb Millionen
Einwohner zählt. Auf die eigentliche innere Stadt kom-
men davon nur etwa eine Viertel Million; die übrigen woh-
nen in den Vorstädten und aus dem Flächenraume, welcher
von der kaiserlichen Regierung den Europäern eingeräumt
worden ist, und wo die Konsuln ihre Gerichtsbarkeit aus-
üben. Etwa eine halbe Million Chinesen haben sich unter
den Schutz derselben gestellt und benehmen sich im Allgemeinen
gut; nur die Cantonesen zeigen sich dann und wann unge-
bärdig. — Uebrigens ist in einigen Provinzen Chiua's, welche
durch' den Krieg zerrüttet sind, die Noth so groß, daß in mehr
als einer zerstörten Stadt getrocknetes Menschen fleisch
auf dem Markte feil geboten, gekauft und gegessen wird!
Die Verhältnisse in Japan nehmen einen Verlauf, wel-
cher die europäischen Mächte nicht im Mindesten befriedigt.
Der Mikado, der Kaiser, die Feudalfürsten und das Volk, Alle
sind mißtrauisch geworden und beobachten eine große Zurück-
haltung. Nachrichten vom Anfang März melden, daß die Ne-
gierung allen Unterthanen verboten habe, Waaren, die vom
Auslande her eingeführt werden, zu kaufen und zu gebrau-
chen. Das ist ein harter Schlag namentlich gegen die Man-
chesterpolitik der Engländer, und die den Japanern abgezwun-
genen Handelsverträge verlieren durch diese Maßregel einen
großen Theil ihrer 'Bedeutung. Der Tarkun (Kaisers hatte
Peddo verlassen, um alle unmittelbare Berührung mit den
Fremden zu vermeideir und war nach Miyako gegangen, wo
der Mikado residirt. Er denkt vorläufig nicht an eine Rück-
kehr nach Yeddo und hat seinen Palast, welcher zu Ende des
vorigen Jahres von einer Feuersbrunst verheert wurde, in
Schütt und Trümmern liegen lassen. Er nahm alle werthvolle
Habe, seine Gemahlin und den ganzen Hofhält mit sich. Sein
Staatsschiff wurde von sechs japanischen Kriegsfahrzeugen be-
gleitet. Die Damnos (Feudalfürsten) haben allen Verkehr
mit den Ausländern abgebrochen. Die Russen drohen, weil
einige ihrer Landsleute von Japanern ermordet worden sind.
Im Jahre 1863 sind 24,000 Ballen Seide im Geldwerthe
von 17 bis 18 Millionen Thalern aus Japan erportirt worden.
Volkszahl von Neu-Süd-Wales. Nach der Zählung
vom 31. December 1863 betrug dieselbe 378,939 Seelen, wo-
von 209,643 männlichen Geschlechts. Sie hatte sich binnen
sechs Monaten um 7779 Köpfe vermehrt.
Die Ausgrabungen in Pompeji. Das berühmte Museo
borbonico, jetzt Museo uazionale genannt, war unter der
frühern Regierung nicht in so liberaler Weise zugänglich wie
jetzt. Wer Neapel besucht, findet die Säle dieses Museums
an jedem Tage geöffnet, Montag allein ausgenommen, und
kann die Schätze unentgeltlich besichtigen. Vor ein paar Mo-
naten ist auch ein mit lithographischen Abbildungen versehener
Katalog der wichtigsten Gegenstände veröffentlicht worden.
Das Museum soll durch neue Räume vergrößert werden, in
denen man die Alterthümer unterzubringen gedenkt.), welche
Pompeji in größerer Menge als je zuvor liefert. Dort
schreiten die Ausgrabungen rüstig voran, und nach rmd nach
wird die ganze Stadt bloß gelegt sein. Man ist in Verlegen-
heit darüber, wie man alle dort zu Tage geförderten Schätze
zweckmäßig aufstellen soll. Bis jetzt hat man jeden einzelnen
Gegenstand, sei er bedeutend oder nicht, sorgsam aufbewahrt,
und die Zahl der Doubletten ist sehr groß gewesen; man will
nun ein zweites pompejanisches Museum gründen.
Bei den Ausgrabungen verfährt man, laut der Schilderung
eines Augenzeugen im Athenäum, folgendermaßen. Zuerst
wird die Erdschicht hinweggeräumt, welche über der Äschen-
lage ruht; nachher entfernt man die letztere ans dem Hanse
und geht dabei vorsichtig zu Werke, um etwaige Wandgemälde
nicht zu beschädigen. Der zumeist aus leichten Schlacken be-
stehende Schutt wird von Mädchen bis an die Eisenbahn ge-
schafft. Man stellt die Arbeit vorläufig ein, wenn man die
Äschere, bis auf etwa drei Fuß über demBoden hinweggeräumt
und doch keine größeren Gegenstände gefunden hat; man legt
Steine vor den Eingang des Hauses, welches von einem Hüter-
bewacht wird. In der zurückgelassenen Aschenlage findet marr
gewöhnlich Hausgeräthe und dergleichen Sachen. Der Direktor
erhält nun Kunde, daß das Haus für die eigentliche Aus-
grabung vorbereitet sei, und wenn diese stattfindet, kommt er
entweder selbst oder schickt seinen Stellvertreter. Die Arbeiter,
alle sehr geübte Leute, werden von vier Beamten genaujbe-
aufsichtigt und können nichts bei Seite schaffen.
Als ich in Pompeji war, leitete der Direktor selbst die
Ausgrabung. Die Arbeiter gingen mit Spaten und Schau-
feln ans Werk, und schon nach einigen Minuten kamen die
broncenenHespen derThüren und deren Riegel zum Vorschein.
In einem Zimmer trafen sie ans einen reichen Fund von klei-
nen Broncestatuen, Ringen, irdenen und gläsernen Gefäßen,
eigenthümlich gestalteten Trinkgefäßen, welche in Folge der Ory-
dirung wie Edelsteine glitzerten, und auf eine Menge pfriem-
artiger Werkzeuge von Knochen und Elfenbein. In diesem
Zimmer kamen etwa 50 verschiedene Gegenstände zum Vor-
schein, in einem andern Gemach etwa zehn, in fünf anderen
Räumen des Erdgeschosses fand man nur Thürhespen. Offen-
bar hatten die Hausbewohner beim Ausbruch des Aschenregens
ihre werthvollste Habe in ein Zimmer gebracht, um sie fortzu-
tragen, konnten sich aber nur selber retten und mußten sonst
Alles zurücklassen.
Pompeji wurde bekanntlich im Jahre 79 verschüttet, und
heute sehen wir viele der zu Tage geförderten Gegenstände so
frisch, als wären sie von gestern. ' Manche Geräthe gleichen
auf ein Haar denen, welche noch heute im Gebrauche sind.
Die italienische Regierung hat einen topographischen Plan
von Pompeji eröffnet, und man kann aus demselben abnehmen,
daß bis jetzt etwa ein Drittel der Stadt ausge-
graben worden ist. Unablässig sind 40Männer und 15Frauen
an der Arbeit. An jedem Sonntage findet freier Zugang statt;
dann kann man ganz nach Belieben durch die Straßen von
Pompeji wandern und ungestört alle Eindrücke in sich auf-
nehmen.
Vor einigen Monaten wurden vier Menschengestalten
aufgefunden, 'welche von der Schlackenasche derart umgeben
waren, als seien sie in Gyps abgegossen gewesen. Sie werden
nun in einem kleinen Haus in Pompeji unter Glas aufbe-
wahrt, und man kann sie mit voller Muße betrachten. Man
sieht an der ganzen Lage oder Stellung, daß sie mit dem Tode
zu kämpfen hatten. Eine feine weibliche Gestalt liegt mit
dem, theilweise durch eine Hand geschützten Antlitz auf dem
Boden, während die andere Hand sich krampfhaft zusammen-
geballt hat. _ An den Fingern einer andern Frau erkennt man
noch die Ringe, während die Ueberbleibsel ihrer Sandalen aus
der die Füße bedeckenden Asche hervorstehen.
Einen ausführlichen, illustrirten Bericht über die
Ausgrabungen in Pompeji wird der Globus in Kürze bringen.
Herausgegeben von Karl Andrer in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meper in Hildbnrghansen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildburghausen.
Heinrich Mnuhots Wanderungen in Cambodscha und Laos.
i.
Uebersicht der Wanderungen Monhot's. — In Udong, der Hauptstadt von Cambodscha. — Die Raststationcn im Waldgebiele.—
Verkehr mit dem zweiten Könige; Bewirthnng, Ceremoniell. — In Pinhaln; die französischen Missionäre. — Der Bazar zu
Penomb penh; die schwimmende Stadt. — Die Mutter der Flüsse und die Insel Ko Sutin. — Ankunft in Brelum. — Die
wilden Stiengs, ihr Land und ihre Lebensweise. — Eine Sonncnfinsterniß.
. Der Naturforscher Mouhot aus Mömpelgart war ein
liebenswürdiger, unternehmender Mann uub durchdrungen
von eifriger Liebe für die Naturwissenschaften, beucn er sein
Leben zum Opfer gebracht hat. Trotz seines kräftigen
Körpers und aller Vorsicht
ist er aber dennoch int fer-
nen Laos, eint 10. Novem-
ber 1861, dem Fieber er-
legen; die Wissenschaft hat
eilten Märtyrer tttehr.
Wir haben den Reisen-
dett auf seinen Streifzügen
durch Siam und am Golfe
voll Sianr bis zum Hafen
Campot an der Küste von
Cambodscha begleitet und
seine Audienz beim Könige
dieses Landes geschildert
(Globus IV, S. 193,
225 ff; V, S. 65 bis 75),
wollet: aber, in aller Kürze,
eute Uebersicht seiner Reise-
wege geben, damit der Leser
dieselben im Zusammen-
hang überblicken könne.
Mouhot landete am 12.
September 1858 in Bang-
kok, der Hauptstadt von
Siam, befuhr den Menam-
strom bis Ayuthia, der
alten Hauptstadt dieses
Landes, ging zum Wall-
fahrtskloster auf dem Berge
Phrabat und nach Sara-
bnry und Patawi, nord-
östlich voit Ayuthia. Dann
kehrte er nach Bangkok
zurück und uitternahm eine Küstenfahrt gen Osten nach
Schantabnn, auf welcher er thätige unterseeische Vulkane
fand, machte einige Ausflüge ins Binnenland itnb fuhr dann
nach Campot, das einen der schönsten und sichersten Häfen
Asiens hat, und nach dessen Besitz die Franzosen trachten.
Bis Campot haben wir ihn begleitet; wir verließen ihn, als
er sich anschickte, feine Wanderung nach der Hauptstadt
Globus VI. Nr. 8.
Udong anzutreten, das 135 Miles nordöstlich liegt, und
wo sich der zweite König vott Cambodscha aufhielt. Bot:
dort zog er noch etwa 100 Miles weiter ge>: Osteit nach
Brelum, wo er das mehr als halbwilde, seither wenig be-
kannte Volk der Stiengs
beobachtete, und besuchte
auf der Rückreise von Udong
aus den Tuli sap, einen
großen Binnensee, an wel-
chem die großartigen Rui-
nen von Ongkor liegen.
Diese erforschte er genau
und ging dann auf detn
Landwege nach Bangkok zu-
rück, das er vor 15 Mo-
naten verlassen hatte. Nach-
dem er sich etwas vott den
Anstrengungen einer unge-
mein beschwerlichen Reise
erholt, unternahm er einen
Ausflug in westlicher Rich-
tung nach P e t s ch a b u r i,
wo eine in Siam berühmte
Grotte liegt, blieb dort vier
Monate lang, giitg dann
wieder nach Bangkok und
trat im Oktober 1860 eine
Wanderung nach Ko rat
an, das in gerader Linie
180 Miles nach Nordosten
hitt liegt. Dort legte ihm
der Statthalter so große
Hindernisse in den Weg,
daß er nach Bangkok zu-
rückgehen mußte, um vott
König Mongknt schriftliche
Befehle auszuwirken, wel-
chen die Beamtet: Folge zt: leisten hatten, zog bann von
Bangkok 420 Miles weit in nördlicher Richtung in das
Land Laos, bis Lttang Prabang, wo er dem Fieber
erlag.
Der König von Cambodscha hatte dem Reisenden Trans-
portmittel versprochen, als aber die Wanderung beginnen
29
Der König von Cambodscha.
(Nach einer Zeichnung von Lange.)
Heim ich Mouhot's Wanderungen in Cambodscha und Laos.
220
sollte, stellte der Obermandarin ihm nur drei elende Kar-
ren zur Verfügung, nird Monhot miethete deshalb einige
Wägen ans eigene Kosten und fuhr nach Udong. Diese
Hauptstadt voir Canrbodscha liegt nordöstlich von Campot,
etwa drei Wegstunden von einem aus dem großen See
kommenden Zuflusse des Mekong, 130 Miles vom Meer-
entfernt. Mit Ochsenkarren gelangt man in acht Tagen
dorthin, mit Elephanten in vier Tagen, aber dieser Trans-
portthiere bedienen sich nur die Könige, Mandarinen und
reiche Leute. Der Weg fuhrt überall durch ungelichtete
Wälder, welche bis an die Thore der Hauptstadt reichen.
Die Hitze war rmgemein druckend, und Monhot legte einen
Theil des Weges barfuß zurück. Ich hätte, sagt er, nie
geglaubt, daß die Sonnenstrahlen eine so fürchterliche Ge-
walt ausüben könnten.
Diese glühenden Strahlen
prallten auf den Saud,
uitb von 10 Uhr Morgens
an war die Hitze kaum
auszuhalten. Dann konn-
ten die Eingeborenen trotz
ihrer sehr abgehärteten Fuß-
sohlen nicht mehr auf den
nackten Boden treten, son-
dern suchten Grasbüschel;
die Ochsen stöhnten uuauf-
hörlich, man sah ihnen Pein
lind Erschöpfung an, und
oft wollten sie trotz des An-
stachelns lind vieler Hiebe
mit den: Bambusrohr nicht
mehr von der Stelle. Das
Wasser in bcu Pfützen war
nicht etwa lauwarm, son-
dern heiß, die ganze Natur
schmachtete dahin. Gegen
Mittag rasteten wir und
brachen bald nach drei Uhr
wieder auf. Es war sehr
schlimm, daß wir auf den:
ganzeii Wege keinen Tro-
pseir gilteil Trinkwassers
fanden; unsere Thiere hat-
ten noch mehr vom Durste
zu leiden, als wir Men-
schen; zum Reis- und
Theekochen hatten wir nur
Wasser aus den Pfützen,
in welchen manche mix vo-
mica lag. Abgesehen von
dem Wassermangel unb
dem lästigen Staube während der trockenen Jahreszeit ist der
ganze Weg zwischen Campot und Udong recht gut. —
In ziemlich gleichen Entfernungen, gewöhnlich 12 Miles
von einander, findet der Reisende Stationen. Reben den
alten Karawanserais, in welchen auch die frohudpflichtigeu
Lastträger, welche alle fünf Tage abgelöst werden, ein Unter-
kommen finden, stehen auch neue Gebäude für den König
lind dessen Gefolge. Aber auf der ganzen Wegstrecke liegt
nur ein einziges, obeildrein sehr kleines Dorf, ulld Monhot
sah nirgends einen Pfad, der in das Innere des Waldes
geführt hätte. Erst ganz in der Nähe der Stadt bemerkte
er einige Reisfelder und Fruchtgärten; in den letzteren stehen
kleine Häuser, und dorthin kommen Abends die wohlhaben-
den Leiste, um frische Luft eiuzliathmen.
Jll Udong begab sich Mouhot sofort iu den Palast des
zweiten Königs; es ist eine ziemlich armselige, von einem
großen Platz umgebene Gebäudemasse. Es traf sich, daß
er gerade bis ails Thor eines Gebäudes kam, in welchem
ebeir einige Mandarinen öffentliche Gerichtssitzung hielten.
Der Fremde sandte seinen Diener Rin hinein und ließ um
eine Wohnung bitten. Sofort strömten Richter und Publi-
kum heraus lind geleiteten ihn iils Justizgebäude, wo er so-
fort unter deil Augen der Leute, die ihn Anfangs für einen
Kaufmanll hielten, seine Kisten und Kasten zurecht stellte
lind sich häuslich eillrichtete. Der König ließ ihm bald nach-
her durch zwei Pagen eröffnen, daß er einen Bestich erwarte;
es sei gar liicht erforderlich, daß der Fremde zuvor die Klei-
der wechsle. Mouhot ließ sich also ohne Weiteres voil einem
Mandarinen zum Palaste geleiten, an dessen Eiligange etwa
ein Dutzend Kanonen ohne
Lasteten lagen; in einigen
dieser Feuerröhre nisteten
Vögel ganz harmlos. Wei-
terhin sah er Geier, wel-
chen mau den Abhub voil
des Königs Mahlzeit vor-
warf.
Der Audienzsaal war
mit chinesischen Fließen ge-
pflastert, und die Wände
hatte inan mit Kalk weiß
angestrichen. Eine beträcht-
liche Anzahl Pagen, die
allesammt Siamesen waren,
trug rothseidene Langiltis
uni die Hüsten und saß,
des Herrschers gewärtig,
in orientalischer Weise nie-
dergekanert anr Boden.
Ein Weilchen lrachher trat
er ein, benahm sich ganz
zwanglos, fragte ben Frem-
den nach seiner Heimath
llild dem Zwecke seiner
Reise lind war mit der
Antwort, daß Mouhot ge-
kommen sei, um das Land
kennen zu lernen lind zu
sagen, vollkommen befrie-
digt. Danil sagte er, der
Fremde möge ihn besuchen,
und ging dann fort.
Die Häuser in Udong
sind alis Bambus, einige
auch ails Brettern gebaut;
der Markt, auf welchein
auch hier die Chinesen die Mehrzahl der Leute bilden, ist
äußerst schmutzig, die längste Gasse etwa eine halbe Weg-
stunde lang, und die Einwohnerzahl mag sich auf etwa
12,000 Seeleil belaufeii. Die Stadt erscheint aber sehr-
belebt, weil viele Landleilte aus der Umgegend dorthin
kommen llild die Mandarineil bei ihren häufigen Aufzügen
ilnmer eine große Menge von Sklaven im Gefolge haben.
Vornehme Leute reiteil aus kleinen, sehr reich angeschirrten,
äußerst muutereil Pferden, die alle ans den Paßgang abge-
richtet sind. Ochseukarren sieht inan immer iu den Straßen,
daun lind wann auch Elephanten nnb nicht selten auch Pro-
cessionen andächtiger Leute, die unter lärmender Musikbeglei-
tung nach den Pagoden ziehen. Dabei fehleil bettelnde Tala-
poinell (Buddhapriester) nicht; sie tragen ein gelbes Gewand
llild haben den heiligen Kochtopf auf dem Rücken befestigt.
Ein Page deö Königs von Kambodscha.
(Nach einer Zeichnung von Lange.)
Heuinch Mouhol's Wanderungen in Kambodscha und t'avs.
227
Am dritten Tage erschieir der König zu Fuß in: Justiz-
gebäude, begrüßte den Europäer und ersuchte ihn, Platz aus
einem Stichle zu nehmen. Alle Landeseingeborenen im
Hause und auf dem großen Platze vor demselben lagen platt
am Boden. Das Gespräch drehte sich um politische Ange-
legenheiten. Ehemals, sagte der zweite König (er ist jetzt
der erste), war Cambodscha ein mächtiges Reich, aber die
Annamiten haben uns viele Provinzen entrissen. Er bot
dem Europäer eine Cigarre an, und dieser schenkte ihm eine
stand in einer helmförmigen Mütze von Korkholz, welche
sehr leicht und luftig ist. Ein Kammerherr führte ihn in ein
hübsches, in europäischer Weise möblirtes Zimmer, in wel-
chem schon Speisen aufgetragen waren. Die Landessitte
erfordert, daß der Hauswirth nichts genießt, während der
Gast die Speisen zu sich nimmt. Der König stellte seinen
jüngern Bruder vor, einen Knaben von etwa 14 Jahren, der
platt am Boden lag, und hob dabei hervor, daß er Hühner
und Enten nach europäischer Art habe kochen lassen, wies
Ein Komiker auf der Schaubühne zu Ndong in Cambodscha. (Nach einer Zeichnung von Boconrt.)
Minwbüchse. Darauf erfolgte eine Einladung zum Mit-
tagessen; auch erbot sich der Herrscher, dem Fremden die
Einzelnheiten der Stadt und den Palast des ersten Königs
zu zeigen und überdies Komödie spielen zu lassen. Offen-
bar erfreute der Europäer sich hoher Gunst; am nächsten
Morgen ließ der König ihm sogar ein Pferd zu beliebigem
Gebrauche vorführen und ihn auf Nachmittags vier Uhr in
den Palast bitten. Mouhot kleidete sich in weiße Weste,
weiße Hose und schwarzen Frack; seine Kopfbedeckung be-
dann auf eine Flasche Cognac hin und sprach die beiden
einzigen englischen Worte, die er überhaupt kannte: good
brandy! Auch wurden verschiedene Gallerte und einge-
machte Früchte aufgetragen, sodauu Bananen und Mangos;
zuletzt kamen Thee und Manilacigarren. Und nun wurde
eine Spieluhr auf den Tisch gestellt, welche die Marseillaise
und den Gesang der Girondisten spielte! — Als der junge
Prinz sich verabschiedet hatte, setzte er sich rittlings auf die
Schultern eines Pagen und wurde von diesem heimgetragen.
20«
228
Heinrich Moichot's Wanderungen in Cambodscha und Laos.
Am nächsten Morgen wurde Mouhot wieder zum Könige
befohlen. Dieser saß im Empfangssaale ans einem Diwan
und theilte Befehle an seine Pagen ans. Dann stieg er tu
einen mit zierlichem Schnitzwerk geschmückten, reich ausstaf-
firten Tragsessel mrd ließ fein eines Bein über die Außen-
seite herabhängen, während Schultern und Kopf ans einem
Lederkissen ruheten. Füße und Kopf waren unbedeckt; das
Haar hatte der König (wie unsere Abbildung zeigt) nach
siamesischer Sitte scheeren lassen; der Palankin wurde von
vier Pagen auf beit Schultern getragen, während ein anderer
Page einen mächtig großen rothen Sonnenschirm an einem
wohl 12 Fuß langen, vergoldeten Stiel über des Herrschers
Haupt hielt. Der junge Prinz ging neben dem Tragsessel
und trug des Königs Schwert; Mouhot befand sich ans der
andern Seite, und der König machte ihn auf Manches auf-
merksam. Das Volk war in großer Menge zusammenge-
laufen und warf sich platt auf den Boden. Dem Zuge
voran schritten drei Aktoren mit gewaltigen Bündeln von
Bambusrohr; diese galten für Symbole der königlichen
Am 2. Juli 1859 sandte der König Wagen, Elephan-
ten und einige Pagen, welche dem Reisenden eine Strecke
das Geleit gaben. Das Volk in den Straßen warf sich
vor ihm nieder, weil es ihn am Abend vorher in freund-
lichem Gespräche mit dem Könige gesehen hatte.
Der Weg nach Pinhaln bildet eine sehr hübsche
Chaussee, die an mehreren Stellen 10 Fuß höher liegt, als
die ans einigen Strecken morastige Waldebene, welche sich bis
zu dem großen Verbindnngskanal zwischen dem Tuli sap
und dem Mekong erstreckt. Mouhot kam über manche stei-
nerne und hölzerne Brücke; dergleichen gibt es in Siam noch
nicht. Die Straße war von Fußgängern belebt, welche nach
Udong zu Markte gingen; da und dort standen armselige
Hütten auf Pfählen; in denselben wohnen Thiames,
welche der König vor einem Jahr aus den östlich vom Me-
kong gelegenen Ebenen hierher verpflanzt hatte, um sie für
einen Aufstandsversuch zu bestrafen.
Gegen Abend war Mouhot in Pinhaln, einem sehr
großen Dorf am rechten Ufer; dort leben manche Leute, die
Katholische Mission zu Pinhaln, Cambodscha. (Nach einer Zeichnung von Sabatier.)
Gewalt; hinter dem Palankin gingen, je zu zweien neben
einander, etwa 30 Pagen und Kammerherren mit rothsei-
denen Langntis, Lanzen auf den Schultern und Säbeln und
Flinten, die an ihnen hernmhingen.
Der Zug kam am Palaste des ersten Königs an; Seine
Majestät trat aus dem Palankin und ging dann einen
Banmgang entlang, der zu Rasenplätzen und Gärten führte.
Dort lagen etwa 100 kleine, mit Rohr bedeckte Häuser.
Der König sprach zu Mouhot: „Alle diese Häuser sind von
Frauen meines Vaters bewohnt, es ist kein einziger Mann
darin." Der königliche Palast erhebt sich am Ufer eines
kleinen Sees; er ist sehr anspruchslos und besteht ausBam-
bushänsern. Für einen Europäer bot er nichts Bemerkens-
werthes dar.
Rach Sonnenuntergang begann die Komödie, in welcher
ein Hanswurst eine große Rolle spielte. Sie glich den Vor-
stellungen, welche in Bangkok zum Besten gegeben werden,
und die wir früher geschildert haben.
von Portugiesen und von ans Annam gestüchteten Familien
abstammen, und dort hat auch das apostolische Vikariat für
Cambodscha und Laos seinen Sitz. Die Missionäre sind
Franzosen, und bei ihnen fand Mouhot als Landsmann
eine ungemein freundliche Aufnahme. Einer derselben,
Arnour, war aus demselben Departement gebürtig, wie
der Reisende (jenem des Doubs), und eben von seiner
Mission unter den wilden Stiengs eingetroffen, um sich mit
allerlei nöthigem Bedarf zu versorgen.
Von diesen Missionären, namentlich auch vom Bischof
Miche, erhielt Mouhot manche Nachrichten über Land und
Leute, z. B. über die Schuldgesetze. Wer nicht zur anbe-
raumten Frist bezahlt, wird sammt allen seinen Angehörigen
Sklav des Gläubigers. Dieser trifft z. B. ein junges
Mädchen auf der Straße und sagt: Geh jetzt mit mir, du
bist meine Sklavin. .— Ich kenne dich ja gar nicht. — Dein
Vater ist mir schuldig geblieben. — Ich habe meinen Vater
gar nicht gekannt, er starb, ehe ich geboren wurde. — Gut,
wenn du nicht folgst, dann werde ich dich verklagen. —
Der Gläubiger gibt nun einem Gerichtsmandarinen
Heinrich Mouhot's Wanderungen in Cambodscha und Laos,
229
Geld und verspricht ihm noch einige Geschenke; das Mäd-
chen wird vorgeladen, verurtheilt und ist von nun an eine
Sklavin des Klägers.
Mouhot's Diener fürchteten sich, den Reisenden auf die
andere Seite des großen Stroms in das Land der wilden
Stiengs zu begleiten. Die Siamesen sind überhaupt nicht
gern in Cambodscha, und die Gebirge und Wälder der
Stiengs gelten mit vollem Rechte für außerordentlich unge-
sund. Aber Monhot ließ sich nicht abschrecken, sondern
fuhr von Pinhalü aus in einer von zwei Männern geruder-
ten Barke auf einem Verbindungsflnsse nach dem Mekong.
Es war ihm auffallend, daß ihm eine Art von Fluth ent-
gegen trieb, aber die Sache erklärt sich. Während einer
Zeit von fünf Monaten im Jahr hat der große Binnensee
Cambodscha's, der Tuli sap, eine beträchtliche Tiefe, die
sich dann vermindert, während der Umfang des Sees ziem-
lich derselbe bleibt. Zur Regenzeit erhält er nicht blos die
Gewässer, welche aus dem an seiner Westseite sich erheben-
den Gebirg Herabkommen, sondern auch das überschüssige
tritt der Regenzeit geerndet wird. Die Stadt dehnt sich
lang hin und ist sehr schmutzig; von einer Pagode herab
sah Monhot, wie der Mekong und sein Nebenstrom durch
eine ausgedehnte, bewaldete Ebene fließe»:; im Süden und
Nordwesten erheben sich kleine Gebirgszüge.
Am folgenden Tage ruderte Monhot bis ans südliche
Ende der Stadt hinab und kam an einer ziveiten schwim-
menden Stadt vorbei. Die ungefähr 500, zumeist großen
Barken, aus welchen sie besteht, dienen für ebenso viele
Kaufleute als Wohnungen und Waarenlager. Sobald
Gefahr einträte, könnten sie rasch das Weite suchen.
Bald nachher befand der Reisende sich an dein Punkte,
»vo der aus den: Tuli sap abfließende Strom sich mit dem
Mekong vereinigt. Dieser Name bedeutet Mutter der
Flüsse; er gleicht hier dein Menam einige Meilen oberhalb
Bangkok, aber seine Wasserfülle war gewaltiger »ind die
Strömung reißend uiid mächtig. Eiiiige Boote ruderteir
dicht an beit Ufern mit Mühe bergan.
Die große Insel Ko Sutin ist nur etwa 40 Miles
Waldgestrüpp im Lande der Stiengs. (Nach einer Zeichnung von Catenacci.)
Wasser a»ls dem Mekong, welches den Abfluß des Sees
verhindert und theilweise selbst bis weit in den See hin-
eindringt.
Am Abend war Monhot in P enomb penh, das nur
18 Miles von Pinhalü entfernt liegt und den größten
Bazar in Cambodscha hat. Der Reisende hatte Reis und
getrocknete Fische von den Missionären geschenkt bekommen
und brauchte also nur Glasperlen, Zinndraht, Banmwollen-
zeuge und einige Sachen einzukaufen, die als Tanschwaaren
im Handel mit den Wilden unentbehrlich siiid. Penomb
penh liegt am Zusammenfluß von zwei großen Strömen,
und von seinen 10,000 Einwohnern sind die meisten Chi-
nesen. Dazu kommen aber noch etwa 20,000 Menschen,
die dort keinen dauernden Aufenthalt nehmen nnb im wah-
ren Sinne des Wortes als schwimniend betrachtet werden
können, weil sie in ihren Barken leben. Sie sind ans
Cambodscha und Cochinchina. Jetzt eben waren viele Fischer
aus deni großen See zurückgekommen, um in Penomb penh
einen Theil ihrer Ausbeute zu verkaufen; Andere hatten sich
eingefunden, um Baumwolle einzuhandeln, die vor dem Ein-
von Penomb penh entfernt, wurde aber erst nach fünf Tagen
erreicht, beim die Strömung ist so heftig, daß an manchen
Stellen das Boot getreidelt werden mußte;' je weiter nach
Norden, um so stärker fließt der Mekong, und die Ru-
derer können trotz der größten Anstrengung an manchen
Tagen kaum zwei Miles zurücklegen. Ja, es kommt vor,
daß sie Abends ihren Reis ans derselben Stelle kochen, von
welcher sie am Morgen sich in Bewegung gesetzt haben. 30
bis 36 Stiinden nördlich voll der Insel Ko Sutin, unweit
der Grenze von Laos, beginnen die Stromschnellen und
Katarakten. Dann sind die Barken und Boote nicht »nehr
zu gebrauchen; man muß Kähne nehmen, die nebst dem
Gepäck aus dein Rücken der Schiffslente von einer nnfahr-
baren Stelle zur andern getragen werden.
Auf Ko Sutin traf Monhot gleichfalls einen französi-
schen Missionär, der ihm dringend von einer Wanderung
zu den Stieiigs abrieth. „Die Regenzeit beginnt; Sie
gehen ei,»ein sichern Tod entgegen oder tragen wenigstens ein
Fieber davon, an welchem Sie Jahre lang z»l leiden haben
werden. Ich selber habe dieses gräßliche, dieses fürchterliche
280
Heinrich Monhot's Wanderungen in Cambodscha und Laos.
Dschengelnfieber gehabt; bis in die Fingernägel hinein wurde
ich von einer geradezu höllischen Hitze gemartert und gleich
darauf von eisiger Kälte gequält. Die Meisten sterben daran;
wir Missionäre wissen das am besten." „Aber", sagt
Mouhot, „mein Entschluß war einmal gefaßt, ich wußte,
daß ich in dieser gefährlichen Gegend Muscheln fiubcii würde,
die nur dort vorkommen, und daß die Wilden mir Stoff ;u
allerlei Beobachtungen boten, und so ging ich in Gottes
Namen weiter nach Pemptielan und von dort durch dichte
Wälder." Die Dorfbewohner waren unfreundlich; mehr als
einmal mußte der Reisende im Freien auf feuchtem Boden
übernachten, und feine beiden Diener bekamen das Fieber.
So kam er nach Pump ka Daye, einem Srok oder
Weiler, in welchem etwa 20 Stiengs wohnen; diese sind
bis hierher, an die cambodschaner Grenze, geflüchtet, um
der Sklaverei in ihrer Heimath ;u entgehen. Von diesem
Orte schickte der Reisende, welcher hier keine Wägen erhalten
konnte, Boten nach Brelnm, zum Missionär Gnillonr,
welcher ihm dann auch Transportmittel und Diener ent-
gegen schickte, und so kam er am 16. August nach Bre-
lnm, wo bei seinem Einzug in
die Mission Freudenschüsse abge-
feuert wurden.
„Seit drei Monaten verweile
ich nun inmitten der wilden
Stiengs, tief in den Wäldern,
wo wir von wilden Thieren förm-
lich belagert sind. An jedem
Tage besorgeil wir einen Angriff,
lind unsere Gewehre sind stets
geladen. Trotz aller Vorkehrnn-
gen kommen manche gaiiz nahe
zu iliis heran. Es wimmelt,
kann man sagen, in den Wäl-
deril voil Elephanten, Rhinoce-
ronten, Tigern, Ebern und Büf-
feln, uild man sieht an alleil
Wasserstellen die Spnren dieser
Thiere; im Dickicht hört mail
immer das Eine oder das An-
dere rauschen oder brüllen, llebri-
gens fürchten sie die Nähe des
Menschen, und wer sie erlegen
will, verbirgt sich in der Nähe
der Tränken ans einem Bauln oder in einer Laubhütte. Am
meisten fürchten wir die Skorpione, Hundertfüße und
Schlangen, gegen welche wir stets aus der Hut fein müssen,
auch sind die Stechmücken und Blntigel ungemein lästig.
Ganz besondere Vorsicht ist währeild der Regenzeit geboten,
namentlich, wenn man sich schlafen legt und allch, lveiln
man erwacht; es kann Einem sollst begegneil, daß man
ans eine giftige Schlailge tritt. Ich habe in meiner Woh-
illlng einige Schlangen mit dem Beil lind mit Kligelil ge-
tödtet, und während ich diese Zeilen schreibe, spähe ich
vorsichtig umher, ob nicht eins dieser giftigen Kriechthiere,
ans welches ich gestern Abend trat, sich wieder hereinschleicht.
Eben jetzt höre ich auch das Brüllen eitles Tigers, der
draußen ninhergeht und eine Gelegenheit sucht, durch
die Banlbnseinzällnung zll brechen uni) sich ein Schwein zu
holen. Eiil Rhinoceros hat vor einer halben Stunde den
Gartenzaun eingerairnt und läßt es sich wohlschmeckell.
Die wildeil Stiengs, welche dieses Land bewohnen,
gehören wahrscheiillich zu einem und demselben großen
Stamme mit deil Leuten ans den Hochebenen nnb in den
Gebirgen, welche zwischeil Siam und Cambodscha eiilerseits
lllld Annam andererseits liegen. Diese Region begreift das
Land zwischen 11 und 16" n. Br. und 104 bis 106" 20'
ö. L. von Paris. Sie scheinen eitic von den umwohnenden
Völkern ganz verschiedene Gruppe zu bilden, lind ich halte
sie für die Ursassen d.es Landes, welche sich, voll ihren Nach-
barn bedrängt, in diese Gegend zurückgezogen haben. Jedes
Dorf bildet eine unabhängige Gemeinde für sich, lllld alle
diese Wildeil haben eine solche Anhänglichkeit an ihre Wäl-
der und Berge, daß ein Verlassen dieser Heimath ihnen
eiltsetzlich schwer fällt. Allerdings komulen Mailche als
Sklaven unter die Cambodschaner, fühlen sich aber dailn
allemal recht elend und ergreifen jede Gelegenheit zum
Entweichen.
Jil Cambodscha und Ailnam fürchtet man sich vor den
Stiellgs, weil diese Wilden ausgezeichnete Bogenschützen sind.
Ihr Land ist, wie schon bemerkt, ganz alißerordentlich unge-
sund, das Fieber wüthet schrecklich uild rafft fast alle Anna-
initen lind Cambodschailer hinweg, die ins Laild kommeil.
Man versicherte mir, daß kein Fremder voll den Einwir-
kllngeir der Malaria verschollt
bleibe.
Der Stieng liebt den Schat-
ten der dichtesten Wälder, lebt
gleichsam in Gesellschaft mit ben
wilden Thieren und bahnt keine
Pfade, weil er dergleichen nicht
bedarf, denn er geht llnter den
Bäumell hillweg oder um sie
herum. Er hat, wie gesagt,
große Anhänglichkeit an sein
„Hochland", denn so bezeichnet
er feine Gegend, aber die Stelle,
ail welcher er geboren wurde, ist
ihm gleichgültig. Er verläßt sein
Dorf, weilli ein Nachbar ihm
nicht gefällt oder einer seiner
nächstell Angehörigen am Fieber
stirbt, lllld nimmt anderwärts
seinen Aufenthalt; beim Wald
findet er überall und Getreide
kann er säen, lvo es ihm beliebt.
Man darf diese Wilden als un-
abhängige Leute betrachten, ob-
wohl die Laotier, Cambodschaner
lllid Almamiten einzelnen Dörfern
einen Tribllt abpressen; derselbe wird aber nur alle drei
Jahre erhoben und besteht in etwas Wachs und Reis.
Ein gewisser Communismus hat bei den Stiengs seine
Verwirklichung gefunden; wer etwas oder viel hat, theilt
Anderen gern von seinem Ueberflnsse mit. Sie verstehen
sich vortrefflich auf die Bearbeitung des Eisens und Elfen-
beins, und die Säbel und Beile, welche von einigen nörd-
lichen Stämmen verfertigt werden, sind in Annam sehr
gesucht und geschätzt. Auch verfertigen ste Töpfergeschirr,
illld ihre Frauen weben uub färben Baumwollenzenge.
Der Ackerbau ist für ein abgeschieden in den Wäldern leben-
des Volk mannigfaltig genug; der Stieilg baut Reis, Mais,
Tabak uub pflanzt Bananen, Mango nnb Orangenbäume.
Jeder hat sein besonderes Feld, das allemal ziemlich weit
vom Dorf entfernt liegt lllld in sehr gutem Stand erhalten
wird. Dort lebt der Eigenthümer während der Regenzeit
in einer auf Pfählen stehenden Hütte, denn er kann nicht
alls Jagd oder Fischfang ausgehen, weil die ungeheure
Menge von Blutigeln ihn daran verhindert. Das Feld
wird in sehr einfacher Weise ilrbar gemacht. Der Stieng
. Häuptling eines Stieng - Dorfes.
(Noch einer Zeichnung von Rousseau.)
klärt mit seiner Art ein Bambusgestrüpp; das abgehauene
Holz wird nach ein paar Tagen verbrannt, und die Asche
bildet eineil Dünger, der aber für einen so fruchtbaren
Boden überflüssig erscheint. Große Bäunre bleiben stehen,
und um die Bambuswurzeln kümmert man sich nicht.
Der Boden wird in langen Reihen vermittelst eines Bam-
busstabes aufgerissen; die Frau geht hinter dem Manne
her und wirst das Saatkorn in die Furchen. Eine Egge
braucht man nicht, weil ein starker Regen ben Dienst einer
solchen verrichtet nnb die Saat mit Erde überdeckt. Bis
zur Erirte hat ein solcher Landmann mit dem Acker nichts
mehr zu schaffen. Er steigt auf seine Pfahlhütte, raucht
Cigarren, hat immer Bogen nnb Pfeile neben sich liegen
und spähet, ob Eber, Assen und andere Thiere in seine Nähe
kommen. — Die Ernte
fällt in ben Oktober, aber
schon zwei Monate vorher
macht sich Mangel fühlbar,
denn der Stieng hat keinen
Begriff vom Haushalten
nnb Aufsparen. Im Noth-
falle begnügt er sich mit
Schlangen, Kröten, Fleder-
mäusen, die er in hohlen
Baumstämmen findet, kaut
dazu, was er noch etwa au
Maiskörnern hat itnb ver-
speist junge Bambusschossen
und Knollenpflanzen, wie
der Wald sie ihm eben dar-
bietet. Er besitzt Hornvieh,
Schweine, Hühner und
Enten, aber nur in sehr-
geringer Zahl. Elephanten
werden in den südlichen
Theilen nur selten als
Hansthiere gehalteil; in
den nördlichen dagegen,
beim Stanlnle der Benams,
hat jedes Dorf einige Ele-
phanten.
Nach der Ernte begin-
nen die Festlichkeiten; ein
Dorf ladet das aildere ein,
und Leute, die noch vor we-
nigen Wochen mit Schlan-
genfleisch sich begnügten,
schlachten nnn Ochsen und
Kühe, prasseil Tag rmd
Nacht beim Schall eines
Tamtam und singen Lieder.
Die Ueberfülle nach bitterm
Mangel erzeugtKrallkheiten; Krätze nnb andere Hautkrankhei-
ten treteil häufig auf; theilweise entstehen sie aus Mangel an
Salz, welches die Stieilgs sich nicht jederzeit verschaffen
können. Magenübel suchen sie dadurch zu heilen, daß sie
die Magengrube mit einem glühenden Eisen brennen. Offene
Wunden werden niemals verbunden, sondern man läßt sie
voll ben Sonnenstrahlen bescheinen, lind auf solche Weise
heileil and) tiefe Geschwüre. Der bei ben Chinesen so häu-
fige Aussatz kommt bei ihnen ilicht vor; sie halten den Kör-
per sehr reinlich nnb baden an manchem Tage dreimal.
Der Stieng unterscheidet sich in seinen Zügen wesentlich
vom Annamiten lind vom Kambodschaner, doch trägt er, wie
der Erstere, das Haar in eineil Knoten gebunden (swho die
Abbildung), ben er am Hinterhaupte mit einein Bambns-
kamnre befestigt. Er ist sannt mittelgroß, sieht aber kräftig
ans, die Glieder sind ebenmäßig, die Gesichtszüge regelrecht,
die Augenbrauen dicht, der Bart ist manchmal ziemlich stark,
falls die Haare nicht ausgerissen worden sind. Die Stirn
ist gut entwickelt und läßt ans mehr Intelligenz schließen,
als beim Cambodschaner. Gastfrei siild alle Stieilgs, und
der Fremde wird stets gut anfgenommen; man schlachtet ein
Schwein, lliil ihll glit zil bewirthen, oder ein Hilhil nnb
setzt ihm Wein vor, welcher vermittelst einer Bambusrohre
aus einem großen Topfe geschlürft wird. Die Bekleidung
besteht in einer langen, schmalen Schärpe, aber in den Hüt-
ten legt lnan ailch diese ab. Die Sklaven haben große Frei-
heit, und körperliche Züchtigung ist llubekannt. Wer gestoh-
len hat, muß eill Schwein oder ein Stück Rilldvieh nnb
mehrere Töpfe Weins zum
. Besten geben, sonst wird
er als Sklave verkauft.
Priester nnb Tempel sind
nicht vorhanden, doch wird
ein höchstes Wesen aner-
kannt, von welchem alles
Gute nnb Böse herrühren.
Dieser Gott heißt Bra
nnb wird sehr oft auge-
rufen. Bei einer Hochzeit
findeil Lustbarkeiten statt;
bei Leichenbegängnissen ver-
saulinelt sich das ganze
Dorf und heult Wehkla-
gen. Der Verstorbene lvird
bei seiner Wohnung begra-
ben; man setzt über das
Grab ein kleines Blätter-
dach nnb stellt Kalebassen
mit Getränk, sodann Pfeile
lind Bogen daneben; an
jedem Tage säet ein Fami-
lienglied ein paar Reiskör-
ller, damit der Todte kei-
nen Mangel leide. Vor
jeder Mahlzeit wirft man
für die Seelen der Vor-
fahreil einige Reiskörner
auf die Erde. Die Thiere
haben ailch eine Seele,
lvelche nach dein Tod um-
geht. Deshalb bittet man
ein geschlachtetes oder ans
der Jagd erlegtes Thier
llnl Verzeihung für das
Böse, was man ihm an=
gethan habe, und bringt
ihnl ein Opfer, welches sich nach der Größe nnb Stärke des
Thieres richtet. Bei einem Elephanten macht man viele
Umstände, denil man schmückt seinen Kops mit Kränzen
lind sieben Tage lairg wird gesungen und Taintaiu geschla-
gen. Das ganze Dorf ist betheiligt nnb Jeder bekommt
seinen Antheil. Zwar versteht man sich auf das Räuchern
des Fleisches, gewöhnlich wird aber alles frisch weggegessen.
Man röstet, wo immer thunlich, das ganze Thier in Haut
und Haar, schneidet erst nachher einzelne Stücke ab und
kocht diese oder röstet sie noch eiilmal auf Kohlen.
Deil Vogen legt der Stieng nicht ab; auch trägt er
stets ein Haumesser lind dazu allf dem Rücken einen Korb.
Er geht viel auf den Fischfang oder auf die Jagd, ist unge-
meiu beweglich lind stink, schlüpft wie ein Hirsch durch den
Eine blödsinnige Slienge.
(Nach einer Zeichnung non Lange.)
232
Die Boka.
dichtesten Wald, kann große Beschwerden ertragen, nnd die
Frauen sind nicht minder kräftig als die Männer. Pfeile
itnb Bogen handhaben sie meisterhaft, doch reichen die ersteren
selten weiter als 50 Schritte. Große Thiere erlegt man mit
vergifteten Pfeilen, und das Gift wirkt sehr schnell ; Ele-
phant, Rhinoceros und Tiger fallen gewöhnlich ein paar
hundert Schritte von der Stelle entfernt, wo man sie ange-
schossen hat. Der Tiger wird als „Großvater" bezeichnet,
weil er ein feines Gehör hat und eine weniger achtungsvolle
Benennung sehr übel nehmen würde.
Glasperlen werden in mancherlei Weise zum Putz ver-
wandt und dienen, neben dem Zinndraht, als Geld, als
Landesmünze, nach welcher der Werth eines Ochsen, Schwei-
nes oder einer bestimmten Quantität Reis oder Mais sich
regelt. Beide Geschlechter durchbohren das Ohr nnb stecken
drei Zoll lange Knochen oder Elfenbeinstücke hinein. Die
Häuptlinge haben mehrere Frauen, ärmere Männer begnü-
gen sich mit einer Frau.
Während meines Aufenhalts bei den Stiengs trat eine
totale Sonnenfinsternis; ein. Sie wird dadurch verursacht,
daß ein mächtiges Wesen den Mond oder die Sonne ver-
schluckt; man macht ein entsetzliches Geräusch, damit das
bedrohte Gestirn die Gefahr rascher überstehe, schreit, paukt
auf das Tamtam eutsetzlich los nnb schießt Pfeile in die
Luft, bis die Sonne wieder hell am Himmel steht. Eine
eigenthümliche Belustigung darf ich nicht mit Schweigen
übergehen. Die Stiengs lassen Drachen steigen, an welche
sie ein bogenförmiges, musikalisches Instrument befestigen.
Wenn bei Nacht der Wind geht, vernimmt man wohlklin-
gende, sanfte Töne, welchen der Stieng gern lauscht.
Man kann einem Stieng nur mit Mühe begreiflich
machen, was Rechnen sei. Er legt 100 Maisähren, die er
zn verkaufen hat, in 10 verschiedene Haufen, und es kostet
ihm Mühe, herauszubringen, ob Alles richtig sei.
Zwischen verschiedenen Dörfern kommen nicht selten
Fehden vor, sie sind aber nicht sehr blutig, weil es haupt-
sächlich darauf abgesehen ist, Gefangene zu machen, welche
dann nach Laos oder Cambodscha verkauft werden. Eigent-
lich hat der Stieng einen sanften und schüchternen Charakter;
sobald er sich bedroht glaubt, zieht er sich in die dichtesten
Waldungen zurück und bespickt die pfadähnlichen Wege, die
zn seinen Schlupfwinkeln führen, mit Bambusspitzen, damit
der Feind sich die Füße verwunde.
Die Stiengs in der Stadt Brelum und der nächsten
Umgegend sind von den französischen Missionären in man-
cher Beziehung gesittigt worden. Von Bekehrung zum
Christenthum kann bisher allerdings nicht die Rede sein,
aber Mahnungen und gute Beispiele der weißen Geistlichen
haben doch eine gute Wirkung."
Die B o k a.
Von v. R.-D.
I.
Die Bocche di Cattaro. — Castel nuovo und seine Forts. — Türkenkriege. — Landschaftliche Reize der Boka. — Teodo Bai,
Risano Bai nnd Cattaro Bai. — Perasto. — Risano nnd die Nisanoten.
Wie dieJtaliener unter Le Bocche, verstehen die Süd-
slaven unter B o k a oder Bote nicht nur den Meer b tt s e it
von Cattaro, den Sintts Rhizonicus der alten
Römer, sondern auch das ihn umgebende Land, welches
früher das „venetianische Albanien" hieß nnb jetzt
den Kreis von Cattaro, den südlichsten Kreis Dalmatiens,
allsmacht.
Der Name rührt voll der eigenthümlichen Gestaltung
des Kanals von Cattaro her, welcher aus vier großen
Becken besteht, die vermittelst kurzer Engen (Bocche, Mün-
duitgen) mit einander zusammenhängen und ihrerseits wie-
derum mehrere steine Buchten bilden.
Der gairze Golf, der sich 15 bis 17 Miglien weit land-
einwärts erstreckt und ringsum von Gebirgen eingeschlossen
wird, ist durch [eine Ausdehnung und Tiefe zur Aufnahme
der zahlreichsten Flotte und größten Kriegsschiffe geeignet
und würde einer der schönsten Häfen der Welt sein, wenn
das Ein - und Auslaufen der Schiffe zn allen Jahreszeiten
mit gleicher Leichtigkeit von Stätten gehen könnte. Aber
die Mündung der Bocche di Cattaro in das Meer ist den
Winden der Südstriche so gänzlich preisgegeben, daß Segel-
schiffe oft Tage lang warten müssen, um auslaufen zu
köuneil.
Die Haupteinfahrt wird durch den Scoglio Rondoni,
der zwischen derPunta d'Ostro und derPunta d'Arza liegt,
in zwei Wasserstraßen getheilt, von denen die nördliche,
zwischen der Punta d'Ostro und dem Scoglio, beinahe dop-'
pelt so breit ist als die andere. Ilm beide beherrschen zu
können, haben die Oesterreicher sowohl Rondoni, wie die
über 200 Fuß hohe Punta d'Ostro und die ihr gegenüber
liegende Landspitze stark befestigt.
Aus der ersten oder äußern Bucht führt die Bocca di
Kobila zwischen der gleichnamigen Punta am Berge Kobila,
ans welchem die türkische Grenze sich befindet, und derPunta
di Lustizza am Ende der Halbinsel, welche diesen Namen
trägt, in das zweite größere westliche Becken, das den Fuß
des Gebirges von Lustizza, sowie die Küsten von Kombea
nnb (Seiftet nuovo bespült und westlich die Bai von Topla
bildet.
Ca st e l nuovo selbst, amphitheatralisch an einem
Hiigel aus der Nordseite des Kanals gelegen, gewährt mit
seinen alterthümlichen Mauern nnb Thürmen, die es von
allen Seiten umgeben, einen höchst malerischen Anblick.
Einer dieser Thürme, welcher in der Tiefe des Berg-
abhanges auf einem vom Meere bespülten Felsen steht und
aus ben schwarzen Blöcken in die Höhe steigt, welche die
Rhede bilden, wird Castel di mare genannt und sollte
einst die Stadt vor Angriffen von der Seeseite her schützen,
Die Boka,
233
während hinter ihm ein anderer fester Thurm, Castel di
terra genannt, emporragt, um die Stadt auf der Landfeite
zu vertheidigen. Beide Thürme sind gleich den Mauern,
die sich durch Gärten winden, oder die Stadt umschließen, in
Folge der vielen Erdbeben halb verfallen, und nur das Fort
Spagnuolo, in der Volkssprache Gornjigrad, obere
Burg, genannt, ist in brauchbarem Zustand erhalten worden.
Es erhebt sich auf einer Anhöhe, eine kleine Miglie nördlich
der Stadt, und beherrscht die ganze Umgegend nach der
Straße von Ragusa zu. Hinter ihm blinken die weißen
Kuppen des Monte Dalmastizza über dem wellenförmigen
Thal hervor, das mit dem Dunkel feiner ephenumrankten
immergrünen Eichen unb baumartigen Hecken den Zwi-
schenraum ausfüllt, und rechts vom Fort zieht sich ein ähn-
lich bewaldeter Abhang zum Meere hinab, wo Meligne,
der Ort des Zollamts unb Lazareths, liegt. Hier müssen
alle ein - und auslaufendeu Schiffe sich legitimiren, und die
I Kirchen gegen den Abhang zu schließt, hat man eine ent-
zückende Aussicht auf die Bocche und das Meer, welches sich
jenseits der Halbinsel Lnstizza endlos ausbreitet. Ringsum
ist Grün unb Duft, und nur die gegenüberliegende Halb-
insel, ans welcher man am Fuße des Gebirges von Lnstizza
das gleichnamige Dorf und den kleinen Hafenort Porto
Rose erblickt, wo die Schiffe,-geschützt vor allen Stürmen,
den zum Auslaufen aus den Bocche günstigen Wind zu er-
warten pflegen, erscheint in einer Nacktheit, die blos halb
durch Gesträuch verschleiert wird.
Das Innere der Stadt Castel uuovo entspricht ihrem
Aeußeren: durch und durch malerisch und verfallen. Hier
und da sieht man ein zierliches Haus, aber eben so oft ein
zerstörtes, die unregelmäßigen Straßen sind bald äußerst
belebt, bald gänzlich vereinsamt, Epheu und andere Schling-
pflanzen allenthalben. Die Piazza ist völlig ländlich, außer
den Thürmen des Forts gibt es keinen, selbst nicht den
Einfahrt.in die Bocche di Cattaro. (Originalzeichnung don F. Kaiiitz.)
ans Griechenland und von den Ionischen Inseln kommenden
Quarantaine hatten. Der Weg, welcher von Castel nnovo
nach Meligne führt, ist einer der anmuthigsten Spaziergänge,
die man sich denken kann, unb es ist eine wahre Erquickung
in dem kahlen Dalmatien, ans einer guten Straße, im Schat-
ten hochstämmiger Bäume daher zu wandeln, durch deren
Laub hier und da Orangen schimmern.
Mitten in der frischen duftigen Waldung steht ans einer
parkähnlichen Lichtung das griechische Kloster Santa Sav a
oder Sari na mit seiner kleinen alten und großen neuen
Kirche, seiner riesigen Cypresse lind seinen von den Fremden
bewunderten mehrstämmigen Pomeranzenbäumen. Es diente
nach der Zerstörung des Klosters Tvördosch in Trebinje im
Jahre 1695 längere Zeit demVladika der Herzegovina zum
Wohnsitz unb rühmt sich, unter anderen Reliquien die rechte
Hand der Kaiserin Helena gu besitzen. Auch mehrere werth-
volle kirchenslavische Manuskripte werden in der Bibliothek
aufbewahrt, und an der Brüstung, welche den Platz vor den
Globus VI. dir. 8.
| einer Kirche — das Kriegerische tritt überwiegend hervor,
j und die Geschichte der Kämpfe, welche die Festung ausge-
halten, steht überall mit grauer Lapidarschrift hingeschrieben.
Im Jahre 1379 gründete König Tvörtko I. von Bos-
nien Castel nuovo und machte es zur Handelsstadt und zum
Stapelplatz der dort neu angelegten Salinen, welche er
jedoch 1382 auf die Beschwerden der Ragusaner wieder ein-
gehen ließ. Vom Herzog Stephan von S. Sabba, der es
zur Hauptstadt der Herzegowina erhob, vergrößert und ver-
schönert, siel Castel nuovo bereits unter dessen Sohn Vlatko
1483 in die Hände der Türken. Eine christliche Flotte
unter den Befehlen des päpstlichen Legaten, Fürsten von
Melfi, des venetianischen Admirals Vincenzo Capello, und
des spanischen Generalkapitäns und Vicekönigs von Neapel
Ferdinand von Gonzaga warf am 27. Oktober 1538 vor
Castel nuovo oder novi Anker, um es wieder zu erobern. Es
ward nlit Sturm genommen, 1700 Gefangene und eine Beute
von mehr als 70,000 Thalern an Werth blieben den Sie-
30
234
Die Boka.
gern, ltnb Gonzaga ließ eine Besatzung von 4000 Spaniern
in der Festung zurück. Francesco Sarmiento, der sie befeh-
ligte, legte das Fort an, das noch jetzt das „spanische"
heißt, unb trieb die drei Sandschaks, welche sich am 1. Ja-
nuar 1539 mit sechs Kanonen vor der Stadt zeigten, mit
Verlust ihrer Geschütze zurück, noch ehe sie einen Schuß ge-
than. Dieser mißlungene Versuch der Türken veranlaßte
jedoch, daß nicht nur Chosrew-Pascha, Beglerbeg von Ru-
melien, mit 60,000 Mann gegen Castel nuovo marschirte,
sondern ancs) der gefürchtete Admiral Chaireddin- Pascha am
17. Juli mit 150 Segeln vor der Festung erschien. Seiiw
27 Schiffe starke Vorhut hatte schon am 13. Juli Anker
geworfen nnb Tags darauf bei einem Brunnen, 1000
Schritt von der Stadt, wo die Mannschaft Wasser einneh-
men wollte, durch einen
Ausfall der Spanier 400
Todte verloren.
Chaireddin Barbarossa
ließ 80 Kanonen ausschiffen
und während der drei-
wöchentlichen Belagerung
10,000 Kugeln verschießen.
Am 7. August gab er Be-
fehl zum Sturme, aber ob-
gleich bereits in die untere
Stadt gedrungen, wurden
die Türken mit einen: Ver-
lust voll 8000 Maul: zu-
rückgeschlagen. Am folgen-
de,r Tage verriethen indessen
zwei spanische Ueberlänfer,
daß es der Besatzung an
Munition nnb Provision
gebreche und die Spanier
in der obern Burg von 700
auf 300 Manil zusammen
geschmolzen feien, und da-
durch ermuthigt, wagten
die Türken ain 10. August
einen letzten Angriff. Sar-
miento mit kaun: 300
Mann, dem Rest der gan-
zen Besatzung, mußte capi-
tuliren nnb die Einwohner
wurden ein Opfer der
Wuth der Türken, weil
Chaireddin die Gefangenen
nicht Preis gebeil wollte.
Mehrere Male versuch-
ten es die Venetianer, sich
Castel nnovo's wieder zu
bemächtigen, nulßten aber iininer unverrichteter Sache ab-
ziehen, bis es ihnen endlich 1687 gelang, mit Hülfe der
Malteserritter die Stadt nach einer 28 tägigen Belagerung
zu nehmen. Da die Bewohner der Unlgegeild viel dazu
beigetragen hatten, die Entsatztruppeil zu schlagen, welche
Hussein-Pascha, der Vezir der Herzegowina, den Belagerten
zuführen wollte, gewährten ihnen die Venetianer gleich der
Bevölkerung voil Castel nuovo gänzliche Steuerfreiheit. Die
türkische Moschee, welche in der Mitte der Stadt stand,
ward in eine christliche Kirche zu Ehren des heiligeil Giro-
lamo verwandelt, und nur die orientalischen Inschriften a,n
Eiilgailgsthor des Fort Spagnuolo, über der Porta terra
oder Porta grande und am Brunnen ans der Piazza erhiel-
ten sich als Zeugen der Anwesenheit der Türken.
Mit der Küste von Castel nuovo bis Kombur, welche
unstreitig die anmnthigste Gegeild von Dalmatien ist, be-
ginnen die landschaftlichen Schönheiten, welche die
Bocche di Cattaro mit Recht weltberühmt gemacht habeil.
Denn die Boka gleicht ganz ben lieblichen Alpenseen
Norditaliens, mit dem Unterschied jedoch, daß sie statt süßeil
Wassers salziges hat, weil sie mit dem Meere in unmittel-
barer Verbindung steht, nnb daß sie Klima nnb Flora mit
Sicillen theilt.
Obwohl felsig, sind die Ufer dennoch äußerst fruchtbar,
uild Weiil nnb Oelbäume, Limonen und Orangen steigen
bis zu einer beträchtlichen Hohe hinauf. Selbst die Abhänge
der Berge siild durch sogenannte „Muren" (mece) be-
bauungsfähig gemacht, indem man ummauerte Erdbeete
terrassenförmig eines über bem andern angelegt hat, damit
das von deil Höhen her-
abströmende Regenwasfer
nicht das Erdreich weg-
schwemme, und überall,
von Castel nuovo an bis
Cattaro, erblickt inan Fei-
geil -, Granaten - nnb Man-
delbäume, Kastanienwälder
ilild die ben Bocche eigen-
thümlichen Rosen, die auf
serbisch Boketjke heißen,
zwischen den zahlreichen
Landhäusern uild Häuser-
gruppen, welche den ganzen
Golf entlang sich aus dem
Wasserspiegel erheben. Hier
lind da schiminert die Aloe
mit ihren hohen Blüthen-
stengeln oder eine Palme
mit ihrer Blätterkrone her-
vor, während über der Linie
des Pflanzenwnchses nackte
Felsen iil ben bizarrsten
Formen fast senkrecht bis
zur Alpeiihöhe emporragen,
und südwärts die hohen
kahlen Gebirgsmassen von
Montenegro das ganze Pa-
norama abschließen.
Aus dem zweiteil Becken,
welches gegen 4 Miglien
lang uild t'/a Miglie breit
ist, führt die Bocca di
Kombur in den mittel-
sten Busen, der fast ein
gleichseitiges Dreieck von je
i Miglien Länge bildet.
Die Halbinsel von Lustizza scheidet ihn iiach Süden zu vom
Meere, nnb die Scoglien S. Michele, Stradioti ititb Otok
bilden zwei Einbuchten, beven südliche die Bai von Kar-
toli, uild bereit nördliche die Bai voll Teodo heißt. Letz-
tere bespült den wunderschönen Küstenstrich von Teodo, wel-
cher sich von Lepetane bis Sollte oder Le Saline hinzieht,
reich an Südfrüchten und bekannt durch seinen guten, dem
Malaga ähnlichen Wein, Marcemin, ist nnb den reichen
Familien von Cattaro uild Perzagno zum Sommeraufenthalt
bient.
Der kleine Scoglio Stradioti, der iil der Nähe liegt,
hieß früher Prevlaka, und die Sage erzählt, es habe ein
altes griechisches Kloster dort gestanden, in welchem der
Metropolit der Zeta residirte, derselbe sei jedoch mit 72
Caludjeri von den Cattarinern römischen Glaubens vergiftet
Eingang des Castel di terra in Castel nnovo.
(Originalzeichnung von F. Kanitz.)
Die Boka
235
worden, und deshalb sei das Kloster verlassen, die griechische
Bevölkerung der Boka aber bis ;u Anfang dieses Jahrhun-
derts unter der geistlichen Herrschaft des Vladika von Monte-
negro geblieben. Die Kirche, welche noch steht, ist uralt
und enthält eine der frühesten und wichtigsten slavischen In-
schriften. Die ganze Insel wurde nebst Lustica, Körtole
und Gorbal bereits 1115 vom serbischen König Georg der
Stadt Cattaro geschenkt, und Nadoslar (1250), so wieUrosch
und Elena (1351) bestätigten diese Schenkung.
Dem Beginn des Berges Vermaz gegenüber, welcher
sich von Teodo bis nach Cattaro hinzieht, in seinem höchsten j
Gipfel, dem Monte di S. Elia zwischen Stolivo uiib Lastna,
bis zu 2450 Fuß erhebt und beim Fort Trinita zwischen
Cattaro und Bndna mit den Ausläufern des Lovciner Ge-
erstreckt sich über zwei Miglien weit bis zn dem im nördlich-
sten Winkel liegenden Flecken Risano, die andere hat in
ihrem südlichen Winkel die Stadt Cattaro, an ihrem öst-
lichsten Punkte das Dorf Orahovaz.
Am Ansgang der Bocca di Lepetane, da, wo sie die
engste Stelle des ganzen Kanals bildet, indem sie kaum 160
passi (à 5'/2 wiener Fuß) breit ist, steht rechts ein altes
Schloß, das beit Namen Le Catene führt, weil man hier
früher den Kanal mit einer Kette zn versperren pflegte.
Ihm gerade gegenüber, jenseits des Wassers, erhebt sich
Pera sto am Fuße seines starren Berges, des 2783 Fuß
hohen Monte Cassone, gewissermaßen die gemeinschaftliche
Spitze der beiden Buchten bildend.
Es liegt int Halbkreis um das Bergnfer her, hat große
Castel di mare in Castel nuovo. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
birges vereinigt, geht der theils waldige, theils nackte Ge-
birgszug der Monti Deresiglie, welcher über der Bianca,
einem sorgfältig bebauten Uferstrich mit vielen Landhäusern,
seine größte Ueppigkeit an Griin entfaltet. Wie da, wo
der Dobrastika sich senkt, das griechische Kloster Kntti, so
schimmert hier das Kloster von Santa Domenica, im Laube
halb verborgen, von der Höhe herab, während der bewaldete
Zelenico, der in der Spitze von Kombnr endet, Castel nnovo
den Blicken des Reisenden entzieht und hinter Gionovich
der türkische Grenzberg ans den Augen verschwindet.
An der Bianca verengt sich das Becken zu der fast eine
Miglie langen Bocca di Lepetane, welche in das letzte oder-
östliche Becken führt, das sich in zwei große dreieckige
Buchten, eine westliche und eine östliche, theilt. Die erstere
alte Häuser, seltsame eigenthümliche Kirchen und macht von
Außen einen höchst .malerischen Eindruck. Steigt man aber
ans Land, so sieht man sich sehr bald aufs unangenehmste
enttäuscht. Eine einzige enge Straße windet sich um den
Berg, an der Kirche von S.Niccolo, deren hoher Thurm den
ganzen Ort beherrscht, sucht man vergeblich den nach ihr
benannten Hanptplatz, und die Paläste am Ufer sind wie
ein Schirm, hinter welchem sich die Armseligkeit des Fleckens
verbirgt. Gleichwohl war Perasto unter Venedig eine Stadt,
deren Depntirte den bevorrechteten Titel ambassiatori, Ge-
sandte, trugen, und die sich durch ihre Tapferkeit und Treue
einen historischen Namen gemacht hat. Denn trotz ihrer
gänzlich unbefestigten Stadt schlugen die Perastiner am
15. Mai 1654 den unvermutheten Angriff eines über 6400
30*
236
Die Boka.
Mann starken türkischen Heeres ab, tödteten Viele der Feinde
und erbeuteten drei Fahnen. Eine davon wird noch aufbe-
wahrt. Eben so das Schwert, welches ein Graf Peter Zrini
den Perastinern zur Erinnerung schenkte, als er voller Be-
wunderung ihrer That eigens aus Kroatien nach Perasto
reiste, um die heldenmütigen Bewohner dieses Ortes per-
sönlich kennen zu lernen.
Der venetianische Rettore und Provveditore von Cat-
taro, Francesco Battaggia, stellte ihnen am 25. Mai 1654
arm an Häusern, aber eben so reich an Oelbäumen und Ka-
stanien , wie das nordwestliche Ufer des Busens felsig und
wüst ist. Risano selbst liegt ganz am Grunde, am Fuße
bewaldeter Berge, mit kleinen Steindämmen aus seiner
schmalen, nüt Feldern bebauten Campagna in das Wasser-
becken hineintretend. Es steht auf der Stelle oder unfern
des alten Rhizinium, welches, unter den illyrischen Kö-
nigen beriihmt und blühend, seiner geschützten Lage wegen
voil der Königin Tenta zum Zufluchtsort auserwählt wurde,
Griechische Klosterkirche in Castel nuovo. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
ein besonderes Zeugniß über ihr treffliches Verhalten aus,
und die Republik verlieh ihnen als Auszeichnung das soge-
nannte V688ill0 del gonfalone, eine Standarte des heiligen
Marcus, welche beim Fall Venedigs unter rührenden Cere-
monien ltnd allgemeiner Trauer in einem Sarge unter dem
Hochaltar der Pfarrkirche feierlich begraben wurde.
Will man nach Risano, dem ältesten Orte der Boka,
welche einst llach ihm benannt wurde, so läßt man Perasto
rechts liegen und fährt in die westliche Bllcht ein. Die
Küste von Costagnizza, welche man links erblickt, ist zwar
als sie voil den Römeril besiegt worden war. — Als Castel
nuovo 1539 von den Türken erstürmt wurde, ergab sich
Risano Tags darauf ohne Schwertstreich und ward erst
t 648 von den Venetianern wieder genommen, welche alle
Befestigungen schleiften, den Ort aber beim Friedensschluß
de>r Türken zurück geben mußten.
Mit der Eroberung Castel nuovo's 1687 fiel auch Ri-
sano bleibend an die Republik, und die Bewohner zeigten sich
seitdem als so unerbittliche Feinde der Türken, daß es sprüch-
wörtlich heißt: „Wären nicht die Risanoten und
238
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
Kriwoschianer*), zahlte die Boka den Türken den >
Haratsch." Gleichwohl leben die heutigen Risanoten fast !
ausschließlich vom Handel mit den angrenzenden türkischen
Provinzen unb stehen bei den Oesterreichern in dem Ver-
dachte, geheime Verbündete der Montenegriner zu sein und
Alles zu kaufen, was die Letzteren rauben.
Ihre Festtagskleidnng ist eben so eigenthümlich, wie
kostbar. Während sie nämlich für gewöhnlich schwarzseidene
kurze Hosen, blaue oder weiße Strümpfe, Holzpantoffeln
mit hohen Absätzen, eine schwarze
gekreuzte Weste, schwarzes Jäckchen
von Serge und ein rundes schwar-
zes Mätzchen, mit einem in Gold-
faden gestickten Kreuz auf denk klei-
nen Deckel tragen, besteht ihre
Feiertagstracht aus weißen Strüm-
pfen, weißen oder schwarzen seide-
nen Hoseil (gase), welche weit und
faltig bis ans Knie reichen, ivo
goldene Bäikder sie festhalten, einer
Weste von rother Seide (kjooerma),
die vorn schräg offen ist nnb eine
Einfassung voll vergoldeten Silber-
stückeik (toke) hat, und einen
Waffenrock (dolama) voik feinstem
grünen Tuch, der bis an die Knie
geht, an den Rändern iknd beit eng-
anliegenden Aermeln roth eingefaßt
und reich mit Goldtressen lind Gold-
knöpfen verziert ist. Eine rothsei-
deile Schärpe (pas) umschließt ihn,
unter welcher in einem breiten, star-
ken Ledergürtel die ganz silbernen
Pistolen nebst dem Messer stecken.
Das Gehänge des massiv vergolde-
ten Säbels ist gleich dem Täschchen
zll den Cartonchen von silberbeschla-
genem Leder. Die rothen Gamaschen (dokoljenice), reich
mit Gold besetzt, gehen bis an den Fuß. Die Schuhe von
rothem oder schwarzem Leder sind mit Gold verziert. Ein
buntseidenes Halstuch, leicht umgeschlungen, eine ärmellose
Jacke (ijetsclierma) von rothem Sammt mit vergoldeten
*) Bewohner der sogenannte» Grafschaft Kiivoschije, welche
ungefähr zwei Stunden nördlich von Risam an der tuet lochen
Grenze auf beit hohen nackten Felsenbergen acht kleine Dörfer
mit 1000 Seeleit umfaßt und noch von Knezcn statt der tu
den Bocche üblichen Sindici regiert wird.
Silberstücken ltnd Knöpfen offen über dem Dolama getragen
und eilte gleichfalls rothsammteue Miitze (kappa) mit starker
Goldguaste vollenden den Anzug.
Nicht weniger prächtig ist die Festtagskleidnng der Frauen.
Ueber einer weißen, mit rothem Band und Goldspitzen ein-
gefaßten Chemisette tragen sie ein Jäckchen voil rothem
Sammt (kamischola), an den engen Aermeln aufgeschlitzt
ltnd mit goldenen Filigranknöpfen besetzt. Der faltige Rock
(brano) von rother Seide mit breiter Goldspitze wird von
Achselbändern ans Goldborten fest-
gehalten. Die Schürze (travorsal)
ist roth und mit Goldspitzen besetzt,
der Gürtel besteht im Rücken aus
breiter Goldborte, vorn aus massi-
vein Gold mit Juwelen, und von
jeder Achsel bis in den Gürtel gehen
über die Brust weg breite, flache
Goldplatten (ombrelle), eine in die
andere gehäkelt.
Den Kopfputz (kokulica) bilden
eine Masse goldener und silberner
Nadeln, welche am Hinterkopf in
Form eitles Helms so dicht in das
Haar gesteckt werden, daß ihre Köpfe
dasselbe ganz verbergen. Darüber
werden der seidene Zendalin und
eill Mnsselintuch (fazzulet) mit
Stickerei und Goldspitzen gehan-
gen. Gestickte weiße Manschetten,
aus Gold und feinen Perlen rei-
zend gearbeitete Ohrgehänge, eine
goldene Breche, eitle goldene
Kette mit schöngefaßten Dublo-
tlen daran, Ringe an allen Fin-
gern nnb das goldene Messer
(britva) an silberner Kette gehö-
reil eben so znm unentbehrlichen
Schmuck wie vorn an der linsen Seite des Kopses in der
Haarflechte zwei Nadeln in Form einer silbernen Blume und
eines goldeneil Schwertes.
Für alle Tage kleiden sich die Frauen wie in andereil
Ortetl der Bocche „italienisch" oder all’italiana, wie man
das europäische Kostüm dort nennt, während die weiblichen
Dienstboten gewöhnlich über einem gestickten Hemde einen
weißwolleneil Sadak, eine bunte Schürze, ein weißes Kopf-
tnch und eitle Fülle von Halsketten tragen.
Castel fpagnuoko in (Saftet mtoüo.
(Originalzeichnung von F. Kanitz.)
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den
verschiedenen Völkern.
Von Georg Ebers.
II.
Als erster Winzer wird Jkarios genailnt. Diesenl soll
Dionysos die erste Rebe geschenkt nnb die Behandlung des
Weinstocks gelehrt haben. Kaunl hatte derselbe ben köst-
lichen Saft getrunken, als er auf seinem tebernen Wein-
behälter herumzutanzen begann und also zum Erfinder des
bei den attischen Winzern üblichen Schlauchtanzes wurde.
Bald verbreitete sich das Geschenk des Gottes durch ganz
Griechenland und tlahm tlicht nur die Thätigkeit des Bauern,
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränt bei den rerschiedencn Böllern.
239
sondern auch des Kaufmanns in Anspruch, welcher das ge-
wonnene Rebenblut unfruchtbaren Ländern zuführte und
den Austausch der Sorten vermittelte.
Der Wein-Großhändler Q'/unogog) wurde zu den ge-
achtetsten Handelsherren gezählt und schloß seine Geschäfte
auf dem Deigma (der Börse) »ach Proben ab, während der
Krämer oder y.u.m]log (Kapelos), welcher einen offenen
Weinladen unterhielt, das Getränk in kleinen Quantitäten
verschenkte. Der bloße Besuch eines solchen Lokales galt
für unschicklich, und der Bürger Pflegte seinen ganzen Be-
darf ans dem Markte einzukaufen.
So sehen wir nur Leute von ganz untergeordnetem
Stande, — gewöhnlich freigelassene Sklave,e — zu Schenk-
wirthen werden und sich dadurch der Verachtung ihrer
Landsleute aussetzen. Dem Hellenen konnte derjenige, wel-
cher die heilige Pflicht der Gastfreundschaft, um Geld zu
verdienen, ausübte, nicht ehrenhaft erscheinen.
Trotzdem gab es zu Athen und in anderen Seestädten
viele fleißig besuchte Schenken; ja wir hören sogar erzäh-
len, daß die Bewohner von Byzanz ihre eigenen Wohnungen
vermiethet und sich nur in Weinhänsern aufgehalten hätten.
Der freie Bürger von Athen bedurfte übrigens der
Schenken keineswegs, war er doch gewiß, seine Freunde auf
dem Markt zu finden und mit ihnen beliebige Zusammen-
künfte, sei es in seinem eigenen, sei es in irgend einem an-
dern Hause, verabreden zu können. Ein Mahl ohne Gäste
galt für kein rechtes Mahl; darum sehen wir die Hellenen
fast immer in größerer Gesellschaft speisen und trinken.
Während des Essens pflegten sie den Wein zu ver-
schmähen; wenn aber die Speisen abgetragen waren und
,nan den Durst mit Käse, eingesalzenen Oliven, gehacktem
Rettig mit Sens und Weinessigbrühe, besonders aber mit
bloßem Salze gereizt hatte, so wurde der Mischkessel ge-
bracht und der Wein mit Wasser verdünnt.
Ungemischten Rebensaft ohne ausdrückliche ärztliche Ver-
ordnung zu trinken hatte Solon streng, Zalcukos bei Todes-
strafe verboten. Uebrigens war die Sitte, den Wein mit
Wasser zu vermengen, schon in homerischer Zeit, lange vor
diesen Gesetzgebern, üblich gewesen und entsprach derSchwere
der griechischen Sorten, so wie den, leicht erregbaren Geblüt
der Hellenen.
Aus die Verfertigung von Trinkgefäßen wurde viel Zeit,
Kunst und Geld verwendet. Homer nennt sogar den Gott
Hephaistos (Vulkan) als den Bildner schön gearbeiteter
Mischkessel und Pokale, und es gab wenige Bürgerfamilien,
bei denen sich nicht verschiedene Becher und Krüge von Gold
oder Silber vorfanden. Kleine Mäßchen von edlen Me-
tallen wurden zur Mischung des Weines gebraucht. Wenn
Anakreon singt:
,,Mit dem Wasser fülle zehnmal,
Mit dem Wein das Mäßchen fünfmal",
so beweist er große Mäßigkeit, denn der Tischwein bestand
nicht gewöhnlich aus % Wasser und V3 Wein, sondern aus
% Wasser und % Wein. Es kam sogar nicht selten vor,
daß die angeheiterten Gäste größere Pokale und sehr wenig
vermischten oder gar ganz reinen Wein zu bringen hefahlen.
Viele der bedeutendsten hellenischen Schriftsteller geben
ausführliche Schilderungen von solchen Trinkgelagen oder
Symposien, in denen die Schönbeit des griechischen Geistes
hell zu Tage tritt.
Ein Gelage ohne anregende Gespräche, Musiker oder
Tänzer war ebenso unerhört als unbekränzte Gäste. Wein
und Blumen galten ihnen für so zusammengehörig, wie
Mond und Sterne. — Epheu, Pappel, Rosen oder Lotos-
kränze pflegten Haupt und Brust des Zechers zu zieren lind
die Dichter sangen:
„Mit der Liebesgötter Blume,
Mit der Rose paart den Bacchos!"
„Duftathmende Kränze wanden sie
Von Lotos geflochten inn die Brust."
(Anakreon.)
„Kränzt mir nur mit Narzissen das Haupt; laßt gellende
Pfeifen tönen!" (Philodemos.)
„Denn, wenn nie beim Weine das Haupt du mit Blumen
bekränzt hast,
Nimmer ein Liebchen umarmt, nie dich mit Kränzen geschmückt,
Stirbst du dahin und verläßt ein reiches lind glänzendes
Erbgut,
Während, o Armer, dir selbst nichts als der Obolos*) bleibt."
(Antiphanos.)
So wie diese Dichter zechten alle Hellenen am liebsten,
wettn iu der Trinkhalle, vermischt mit Weihrauchwolken, der
Duft von ringsnnther gestreuten Blumen schwebte.
„Auf der Myrlhe zarten Zweigen
lind auf Lotos ruhend, will ich
In die Runde gastlich trinken."
Ehe das eigentliche Gelage begann, wurde, gewöhnlich
durch das Loos, ein Symposiarch oder Festkötüg gewählt,
deut es oblag, die Art der Mischung zu bestimlnen rind
weniger den; zu vielen Trinken der Gäste, als Ungebühr-
lichkeiten in den Weg zll treteil; der Railsch als solcher taun
nämlich sicher als ein Nebenzweck dieser schönen Festlichkeiten
angesehen werden. Man liebte denselben, wenn er nicht in
rohe Trunkenheit allsartete, weil er die Empfänglichkeit aller
Sinne steigerte lind man sich durch denselben in eine fast
übermenschliche Stimmung versetzt fühlte.
Anakreon singt:
„Süß ist es, trunken mit den: Frclmde zu schwärmen",
und Alä'os ruft:
„Nicht darf der Geist sich beugen im Ungemach;
Denn wir gewinnen Nichts durch die Traurigkeit,
O Bacchus! Drum der Mittel bestes
Bleibet, zum Rausche den Wein zu holen!"
So besaßen die Griechen beim auch ein Wort, welches
de>l zunl Rausch geileigten Mann ohile schimpfliche Neben-
bedeutllng bezeichiwt (^itVvoTiy.óc) während „¡.ttOvoog“
zwar unserem „Trunkenbolde" entsprach, aber nur in Be-
zug auf Weiber angewendet wurde.
Diesen gegenüber galt der Rausch mit Recht für un-
schicklich, und Athenäns findet das Weintrinken überhaupt
nicht passend für Frauen. In frühererZeit wurde übrigens
der Genuß des Rebensaftes dem schönen Geschlechte durch-
aus nicht mißgönnt. So sehen lvir z. B. im Homer, daß
die phäakische Königstochter Nansikaa, ein Muster edler
Weiblichkeit, als sie sich zur Abfahrt mit ihren Gefährtinnen
anschickt, de>l Weiil keineswegs vergißt. Auch später muß,
außer den Hetären, ivelche hällfig all den Symposien Theil
nahmen, selbst edlen Jlmgfrauell der Rebeilsaft gestattet
gewesen sein; erfahren wir doch z. B., daß eine gewöhnliche
Liebeserklärung darin bestauben habe, von derselben Stelle
des Bechers zll trinken, welche die Lippen der Angebeteten
vorher berührt hatten. Hierher gehört auch die Grabschrift
der Bacchuspriesterin Myrtas, deren Grabstein aus einem
Weinfaß bestand, wenn das folgende Epigramm nicht saty-
risch aufzufassen ist.
„Myrtas, welche vordem an der heiligen Kelter des Bacchos
Reichliche Becher geschöpft, nimmer mit Wasser gemischt,
Deckt nicht dürftiger Erde Geschenk; ein geräumiges Weinfaß
Froher Genüsse Symbol, ist ihr ergötzliches Grab."
*) Der Obolos oder Groschen, lvekchen Charon, der Fähr-
mann der Unterwelt, erhält.
240
Die Weinrebe als Kulturpflanze nnd der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
Vieles Trinken würde den hellenischen Frauen doppelt
schlecht gestanden haben, weil selbst die Männer, trotz ihrer
Vorliebe für einen leichten Rausch, sich nur selten bis zur
thierischen Trunkenheit erniedrigt zu haben scheinet!. Milon
der Krotoniat, der stärkste aller Griechen, bedurfte zur Er-
nährung seiires Riesettleibes 20 Pfd. Fleisch, 40 Pfd. Brod,
— aber nur drei Quart Wein. Diese letzte Angabe,
welche dem Berichterstatter ungeheuer vorgekommen sein
muß, scheint uns iin Vergleich mit der Menge der Speise
sehr gering zu sein und beweist, daß in Hellas weit weniger
als z. B. bei uns zu Lande getrunken worden ist. Wir
erinnern uns ans unserer Universitätszeit ganz anderer
Trinker, als des krotoniatischen Athleten.
Fiir die edelsten griechischen Weinsorten hielt inan den
Rebensaft von Lesbos, Korkyra, Thasos, Raros nnb be-
sonders Chios. —
So großer Wohlgeschmack und Dust diesen Getränken
aber auch von Natur innewohnen inochte, begnügte man
sich doch nur selten mit ungewürztem Rebenblnte und
pflegte das Arom derselben, nach Art unserer Bowlen - und
Maitrankbereiter, durch hineingeworfene Blumen, Früchte
oder Salben zu steigern. Hierzu wurden am liebsten Veil-
chen und Rosen gewählt. Sauern Wein versüßte man
gern mit Honig, während man allen Sorten ohne Unter-
schied Seewasser beigab, um sie leichter verdaulich und we-
niger berauschend zu machen.
Der gewöhnliche Wein war sehr billig. So kosteten
drei Kotylen (*/« Quart) von dem nicht gerade schlechten
Teckotylosweine nach unserm Gelde einen guten Groschen.
Die % Quartflasche des vorzüglichen Chierweines kam
freilich 15 Sgr. 4 Pf. In späterer Zeit, als bei keinem
römischen Gastmahle hellenischer Wein fehlen durfte, wer-
den noch ganz andere Preise bezahlt worden sein.
Die Römer pflegten, nachdem die Einfachheit und
Nüchternheit, welche die ersten Bürger der Tiberstadt aus-
gezeichnet hatte, der Ueberfeinerung und Ueppigkeit gewichen
war, keine Kosten zu scheuen, wenn es galt, den Sinnen
zu schmeicheln oder Glanz und Pracht zu entwickeln.
Von der Zeit, in welcher sich die Lenker des Staats mit
einem Gericht Rüben begnügten und den Pflug mit eigener
Hand über den Acker führten, besitzen wir eine Menge fabel-
hafter Erzählungen, aber nur sehr wenige glaubhafte Be-
richte. Die Nymphe Egeria soll nach der Fabel den König
Ruma Pompilius in die Künste des Friedens eingeweiht
und könnte ihm also wohl auch den Weinbau gelehrt haben,
wenn wir nicht wüßten, daß die Rebe schon viel früher in
Italien gepflanzt worden ist.
Auf Sicilien und dem nahen Festlande wuchs der Wein-
stock schon zur Zeit des Homer wahrscheinlich wild; seine
Früchte scheinen aber von den Eingeborenen, unveredelt wie
sie waren, nicht geachtet worden zu sein. Wenige Jahr-
zehnte später kamen die ersten hellenischen Ansiedler nach
Süd-Italien und nannten dasselbe sofort Oinotria, ein
Umstand, welcher beweist, daß sie daselbst Rebstöcke vorge-
funden haben müssen.
Wann der Wein in der nächsten Umgebung von Rom
zuerst gepflanzt worden sei, können wir nicht bestimmen;
doch wissen wir, daß „der Rebstock zwar früh aufgekommen
ist, aber, wenigstens in Latium, bei weitem jünger als der
Getreidebau genannt werden muß". Rach Plinius soll
Romulus, statt mit Wein, mit Milch Trankopfer darge-
bracht haben. Wie günstig sich der italienische Boden später
für die Zucht der Reben erwies, läßt sich aus der Angabe
desselben Plinius ersehen, daß von 80 im römischen Reiche
— d. h. fast in der ganzen damals bekannten Welt — er-
zeugten Sorten 53 in Italien gebaut worden sind.
Der Gott Bacchus gehört uicht zu den einheimischen
römischen Gottheiten; der Dienst desselben ist vielmehr erst
496 v. Chr. (250 Jahre nach der Erbauung der Stadt)
den Griechen entlehnt und zu Rom eingeführt worden.
Bald begann man auch die Dionysien nachzuahmen und
Bacchanalien zu feiern, welche aber bei dem weniger feinen
Schönheitsgefühle der Römer eine so rohe Gestalt annahmen,
daß sie durch den Senatsbeschluß „äs baechanalibus“ 186
v. Chr. verboten werden mußten.
Auf dem Forum befand sich unweit der Rednerbühne
ein für sehr alt gehaltener heiliger Weinstock.
Wenn den Römer in seiner Ursprünglichkeit das frische,
geistig rege Leben in den italisch-griechischen Pflanzstädten
nur angemuthet hatte, weun er sich damals nicht scheute die
Erfindungen der Hellenen aufzunehmen und ihre Werke
zu bewundern, so stellte er sich, nachdem er die halbe
Welt erobert hatte, in ein ganz anderes Verhältniß zum
Griechenthum, welches ihm alle Mittel zum angenehmen
Genuß seiner Lorbeern darzubieten schien. So verdrängte
denn das Hellenenthnm nach nnd nach das lateinische Wesen
„ausDichtkunst, Ban- nndBildknnst, Familie und Religion.
Der Römer möchte ein Grieche werden mit seinem ganzen
innern Leben und nur eben fortfahren, mit römischen Wor-
ten zu reden".
Diese letzten, dem trefflichen Werke Th. Mommsens
entlehnten Worte mögen uns entschuldigen, wenn wir dem
Leser in Bezug auf den Bau nnd den Genuß des Weins
bei den Römern nur wenige Notizen geben und ihn auf das
oben von den Griechen Gesagte verweisen.
In der That ist z. B. ein römisches Weingelage von
einem griechischen höchstens durch geringere Feinheit der
Gespräche und größere Mengen des getrunkenen Rebensaftes
zu unterscheiden. Hier, wie dort, lag man während des
Trinkens, mischte man den Wein, wählte man Zechkönige,
bekränzte man sich, streute man Blumen in die Trinkhalle.
Verres ruhte auf einem mit Rosen gepolsterten Kissen, trug
Rosenkränze um Kopf und Hals und führte dann und wann
ein mit Rosen gefülltes Retz zur Rase.
Kleopatra ließ ihren Speisesaal eine Elle hoch mit Rosen
bestreuen. Hätte Horaz Griechisch geschrieben, so würde man
viele seiner Gesänge für anakreontische halten können.
Eines der lieblichsten, anmnthendsten Bilder in Bezug
auf das Weintrinken der Römer gibt Virgil in der Ein-
ladung der syrischen Wirthin, welche den Reisenden ersucht,
in ihr Haus zu treten und zu trinken:
„Wozu frommt es jetzt, auf staubiger Straße zu reisen,
Wie viel lieblicher ist's, trinken auf schwellendem Sitz!
Hast im Garten ja Rosen und Becher und Saiten und Flöten
Und eine Laube dabei, schattig von Reben umrankt.
Hier der Syringe Getön' süß schwätzend in ländlichen Weisen,
Wie man je sie'gehört ans der arkadischen Flur.
Hier ist Wein ans gepichtem Faß' erst eben gezogen,
Seinen erfrischenden Trunk beut euch ein munnelnder Bach,
Auch sind Kränze für dich aus Safran nnd Veilchen gewunden,
Wo goldfarbiger Schein purpurne Rosen umglänzt.'
Bist du klug, so lag're dich her, laß Gläser kredenzen,
Oder auch, wenn dir's beliebt, Becher von hellem Krystall.
Nnn denn, wohlan, so pflege der Ruh' im Schatten der Reben,
llm das ermüdete Haupt binde die Rose zum Kranz.
Komme, mein lieblicher Freund, nnd koste die Lippe des
Mädchens!
FoN zum Henker, wer jetzt zeiget ein grämlich Gesicht.
Willst zum Leichengepräng' du sparen die duftigen Kränze?
Erst zur Zierde des Sargs brauchen den blumigen Schmuck?
Wein und Würfel herbei: „Zum Henker, »versorget für morgen!"
„Lebet!" so »nahnt uns der Tod, „Lebet! Ich komme gar bald!"
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
241
Schilderungeit ganz anderer Art, als dieses gairz mit grie-
chischem Geiste gesättigte Idyll, finden wir in bett Satyrikern,
welche die übertriebenen Gelage rind die Schwelgerei der
Römer aus späterer Zeit geißeln. Statt der Geister ttitb
der Anmuth, welche die hellenischen Symposien verschönten,
verunstaltett ekelhafte Prahlerei, Nimmersatte Gefräßigkeit
und geistlose Verschwendung die Gastgebote der Beherrscher
der Welt. Dieses Treiben macht einen doppelt widerwär-
tigen Eindruck, weil sich die Römer, trotz ihrer grenzenlosen
Ueberfeinerung, immer ttoch etwas aus die einfachen Sitten
und die Mäßigkeit ihrer Vorfahren zu Grite thaten. Leider
können wir von jenen tüchtigen, schlichten Zeiten nur wenig
mehr erzählen, als daß man damals auch betn Weine mäßig
zusprach, daß der Rausch für schimpflich gehalten wurde und
ein üppiges Gastmahl zu den verbotenen Dingen gehörte.
Dagegen scheint die Sitte, sich bei Tische durch Musik er-
sreuerr zu lasserr, sehr alt gewesen zu sein, demr der strenge
Cato sagt: „Wer vor Alters musicirend bei den Gastmäh-
lern umherzog, wurde ein Herumtreiber genannt." -
Noch im zweiten Jahrhundert v. Chr. wurde ein ange-
sehener Mann, weil sein Silberzeug mehr als 10 Pfund
wog, aus dem Senat verwiesen, t 00 Jahre später hatte
das Silberzeug des Volks tribu neu Marcus Drusus nach
unserem Gelde einen Werth von 280,000 Thalern. Cicero
erstand einen Tisch von Thya-Holz für 55,000 Thaler.
Crassns pflegte feinen Wein aus ein paar silbernen Trink-
bechern, welche in der Werkstatt des berühmten Goldschmieds
Mentor 55,000 Thaler gekostet hatten, zu trinken. Roch
später schaffte man goldene Tafelgeschirre an und trieb
mit denselben solchen Luxus, daß Tiberius diesen Unfug
durch ein Gesetz verbieten mußte; endlich wurden Becher
und andere Gefäße aus edlem Gestein, besonders ans feilt
geschnitztem Onyx, verfertigt. Nero bezahlte für einen
Pokal von sogenannter Vasa Murrhina (indischem Adalur-
Spath) 300,000 Thaler. Eine noch größere Summe mag
für einen Mischkessel bezahlt worden sein, der rings von
krystallenen Trauben umgeben war, in welche rother Wein
derartig eindrang, daß es allssah, als ob die Beeren, nach
und liach reisend, die Farbe wechselteil.
Die wahnsinnigen Gerichte, welche ein Lllcullus feinett
Gästen vorsetzte, sind allgemein bekannt; aber es wurde selbst
bei weniger Bemittelten nicht ungewöhnlich, daß man 100
Thaler für ein Fläschchen Sardellen aus dem Schwarzen
Meere und 7000 Thaler für einen Sklaveil, der sich in der
Kochknnst besonders hervorthat, verschwendete.
Kein Gastmahl konnte ohne griechischen Wein, kein
griechischer Wein ohne kostbare Becher gegeben werden.
Wenn ein seltenes Gericht oder ein absonderlicher Wein
aufgetragen wurde, so verkündete ein Herold den Preis und
die wunderbare Geschichte des schnell vertilgten Schatzes.
Die beißendsten Gewürze, welche die Zullge eines Javanen
verbrennen würden, mllßten Durst ttitb Hunger reizen.
Weiln aber dennoch alle Eß- unb Trink tust dahin war, so
schämte man sich nicht, seine Zuflucht §tt Brechmitteln zu
nehmen.
Alle Aufwandgesetze, alle Mahnungen und satyrischen
Geißelhiebe der Stoiker, Alt-Römer und besser gesinnten
Dichter vermochten Nichts gegen diese geschmacklosen, ent-
sittlichenden Auswüchse. Alle Schätze und Erzeugnisse der
Welt strömten eben in Rom zusammen; weil aber die Herren
der Welt dieselben nicht geschmackvoll zll gebrauchen verstau-
ben, so lag ihnen nichts näher, als sie geschmacklos zu miß-
brauchen.
Horaz verschmähte diese lärmenden Gelage, zechte, liach
echt griechischer Weise, ant liebsten mit einer kleinen Anzahl
auserlesener Freunde nnb wußte den Wohlgeschmack unb
Globus VI. Nr. 8.
die Blililie des Weins als begabter, aber verständiger
Trinker zu schätzen. Selbst den Rausch hellenisch auffassend,
sagt er: „Den Nüchternen lnacht die Gottheit Alles schwer",
und verachtet den geilleiilell Troß seiner Landsleute, welcher
nur trank, um den Galunen zu kitzeln und den Leib zu
füllen. In seinen lvie in den Kellern aller wohlhabenden
Römer standen die Weinkrüge wohlgeordnet da und führ-
ten Inschriften, welche den Jahrgang ulld die Sorte des
Rebensaftes, den sie enthielten, angaben. So ruft der
Dichter seinen Lieblingswein folgendermaßen an:
,.O du, der dir mit mir zu gleicher Zeit geboren wlirdest,
als Manlius Konsul war!"
Fremde Weine verschmähend, hielt es Horaz mit dein
Rebensäfte seiner Heimath, der schon zu seiner Zeit bett
besten hellenischen Sorten durchaus nicht nachstand. Der
opimische nnb falerner Wein von 120 v. Chr. war ganz
besonders berühmt; ja, dieser Jahrgang wurde uicht ver-
gessen, nachdem seiir Geschenk schon längst bis auf beit
letzten Tropfen ausgetrunken war.
Ueber die Art des römischen Weinbaues erfahren wir
Manches; besoilders, daß die Reben gewöhnlich, wie noch
heut iil Italien, all Bäumen, besonders an Pappeln und
Ulmen, aufgezogen witrden, — daß man bei der Trauben-
lese tollell Uebermuth vollführte nnb in allen anderen
Stücken mit dem Rebensäfte wie in Griechenland verfuhr.
Die Güte des Weins wurde nach Farbe, Geruch und
Geschillack geprüft. Color, odor, sapor geben nach dem
Akrostichon den eos oder Probirstein für den Reben-
faft ab.
Nach einem in diesem Jahrhundert anfgefnndenen Tarif
aus der Zeit des Diokletian kostete der Seratrius (ungefähr
eine Flasche) italienischen Weines eilten Silbergroschen sieben
Pfennige bis sechs Silbergroschen. In Oberitalien, wo es
überhaupt sehr wohlfeil gewesen seilt muß, stellten sich die
Preise viel billiger. Dort sollen 34 V» Quart Wein nur
2Y2, sage zwei und einen halben Silbergroscheil, gekostet
haben. Nicht minder staunenswerth ist die Nachricht des
Polybius, daß inan in den dortigen Wirthshäusern für
Wohnung und Verpfleguilg nicht mehr als kaum drei
Pfennige per Tag bezahlt habe.
In Lusitailien, dem heutigeit Portugal, luuß der Wein-
ball sehr fleißig betrieben worden sein, weil daselbst 34 '/2
Quart nicht mehr als 7 V» Sgr. kosteten.
Auch in Spanien kannte man bett Rebensaft schon
ziemlich früh. Griechische Kolonisten brachten im sechsten
Jahrhunderte v. Chr. jenen Wein, dessen Ruhm sich bis
zum heutigen Tage erhalten hat, nach der pyrelläischen Halb-
insel.
In der Provinz Pannonien oder Ungarn soll der
Kaiser Probus den Weinbau, wenn nicht eingeführt, so doch
begünstigt haben. Vopiscus erzählt, daß derselbe Imperator
den Berg Alma bei Sirmium (dem heutigen Mitrowitcz) mit
auserlesenen Reben bepflanzte. Wer Tockayer ttttb Rüster
Ausbruch kennt, wird wissen, welche herrlichen Früchte dies
kaiserliche Geschenk noch in späten Jahren zu tragen be-
stilumt war.
Ueber das Alter des Weinbaues in Germania oder
Deutschland herrschen verschiedene Ansichten. Einige
nennen den Kaiser Probils (276 bis 282 n. Chr.) als den
Noah der Deutschen; Andere, wie der gelehrte Weihbischof
von Hontheim, fetzen den Weinbau über die Römerzeit
hinaus. Für denselben spricht Tacitus, welcher in seiner
Charakteristik unserer Vorfahren sagt:
„Gleich nach dem Schlafe gehen sie ins Bad lind vom
Bade zur Mahlzeit. Dallu begeben sie sich all die Arbeit;
nicht selten aber auch, in vollen Waffen, zu Trinkgelagen.
31
242
Die Weinrebe als Kulturpflanze und der Wein als Getränk bei den verschiedenen Völkern.
Niemandem bringt es Schande, Tag und Nacht zu durch-
zechen. Wenn sie trunken sind, dann entsteht oft Zank und
Schlägerei .... Diejenigen, welche dem Ufer (des Rheins)
am nächsten wohnen, treiben auch Handel mit Wein."
(„Proximi ripae et vinum mercantur.“) Aus dieser Stelle
kann man, vielleicht mit Recht, schließen, daß der deutsche
Weinbau schon zur Zeit des Tacitus (geboren 57 n. Chr.)
bestanden habe. Derselbe große Historiker macht noch fol-
gende auf die Trinklust unserer Vorfahren bezügliche Be-
merkung :
„Ihren Hunger stillen sie mit einfachen Speisen; in Be-
zug auf Durst zeigen sie aber nicht dieselbe Mäßigkeit.
Wenn man sich ihrem Hange nach Trunkenheit gefällig er-
weisen und ihnen so viel (geistiges Getränk), als sie begehren,
herbeischaffen wollte, -so würde man sie weit leichter bares;
ihre Laster, als mit den Waffen besiegen können."
Wie richtig der große Menschenkenner die guten Deut-
schen erkannt hatte, beweist der Umstand, daß dieselben, so-
bald sie den süßen italienischen Wein gekostet hatten, fort-
während danach strebten, die Heimath desselben zu erobern.
Jener Toskaner, welcher Italien an die Deutschen verrieth,
suchte sie durch die Schilderung des köstlichen Weins in seinem
Vaterlande 31t lockeil, und kein Strom ist dein Gcrlnallen
von jeher so lieb gewesen, als sein Reben umgrüilter Rhein.
In der Mitte des vierten Jahrhunderts n. Chr. sehen
wir bereits den Weinbau an den Usern der Mosel tu voller
Blüthe stehen. Der um 300 n. Chr. geborene Konsul lnld
Dichter Ausonius gibt llns in seinem Moselliede ein höchst
unmuthiges Bild des grünen Stromes mit seinen Fischen,
Rebenhügeln und stattlichen Landhäusern. Hören wir einige
den deutschen Weinbau berührende Verse aus diesem für die
Kulturgeschichte unserer Heimath so iuteressa>lten Gedichte:
„Anhöh'n schwimmen in rieselnder Wog', Ilnd cs zittert die
' ferne
Rank' und schwellend erscheint die Tr and' in krystallener
Tiefe;
Stets sich täuscht aufzählend die grünenden Rebell der Schiffer,
Schiffer in wiegendem Kahn hinschaukelnd über die Fläche."
„Nagende Nilleil hier auf Hangenden Ufern gegründet,
Dort die Hügel, von Bacchus umgrünt, anmnthige Strömung,
Dort, in murmelndem Laufe gemach hingleitend Mosfellas.
Sei mir gegrüßet, 0 Strom, belobt ob Fluren und Pflanzern,
Strom, deß' Hügel umher bepflanzt mit duftendem Bacchus."
Da schon damals der Weinbau au einem deutschen
Strome so emsig betrieben wlirde, kailn es uns nicht Wun-
der nehmeir, wenn wir ein Jahrhundert später die Nibelun-
gen in Worms, beim Markgrafen Rüdiger cm der Donau
und bei Köllig Etzel (Attila) vom Heunenland fleißig Wein
trinken sehen.
In Wonns:
„Am Abend war's, wo Gullther dort zu Tische saß,
Da wurden reicher Kleider viel vom Weine naß."
An der Donau:
„Da hieß man bald den Gästen schenken guten Wein:
Traun, es konnt an Helden nie besser geschehen sein.
Bei Etzel:
„Nun trinken wir die Freundschaft und zahlen des Königs
Wein,
Der junge Fürst der Hennen, der muß der allererste sein!"
Durch die Einführung des Christenthums in Deutsch-
land wurde der Verkehr unseres Vaterlandes mit Italien
sehr lebeitdig und dadurch das Gefallen ant Wein immer
größer. Namentlich in bett Klöstern sorgte man eifrig für
gute Sorten, und mancher Abt ließ feine Schößlinge für
seine Nebhügel über die Alpen kommen. Unser Vaterland
ist der Geistlichkeit für die schnelle und weite Verbreitung
der Rebe ganz besonders verpflichtet.
Auch Karl der Große begünstigte den Weinball, wo er
sonnte, und seine Nachfolger gaben sich alle Mühe, dem
großen Ahnherrn wenigsteils tu dieser Beziehung gleich zu
kommen.
In keilter Gegend Deutschlands ist die Rebenpflanzuitg
unversucht geblieben. Selbst dem dürren Sandboden der
Mark Brandenburg muthete man zu, Wein zu erzeugeir.
Die Resultate dieser Bemühungen können wir ilicht besser,
als durch folgende im 16. Jahrhundert gedichtete Verse
charakterisiren:
„Vimrni de Marchica terra
Transit guttur tamquam serra.
Das Märkerland ein Weinchen trägt,
Das unsre Kehlen schier zersägt."
Die Geschichtell von den naumburger und grüueberger
Strllmpf- ulid Dreimänner - Weinen sind jedem Kinde ge-
läufig. Ferner weiß Jedermann, daß noch heute in Deutsch-
land feine Schmauserei ohne geistige Getränke denkbar ist,
und eilt Blick auf die halbverfallenen Klosterkellereien, das
Heidelberger Faß und die Apostel im bremer Rathhauskeller
belehrt uns, daß unsere mittelalterlichen Lalldsleute ganz
besondere Freunde des Rebensaftes gewesen fein müssen.
Außerdem beweist die große Zahl vo>r Trink- unb Wein-
liedern , welche wir vor allen anderen Völkern besitzen, die
reiche Auswahl unserer Euphemismen für das Wort „be-
trunken", und die Virtuosität im Trinken, welche gewissen
deutschen Ständen von Alters her nachgerühmt wurde
(Ritter, Landsknechte, Mönche, Faß- und Bürstenbinder,
Studenten und Musikanten), daß wir bis jetzt nur wenig
von den guten Sitten der Germanen des Tacitus eingebüßt
haben. Eni großer Ethnograph hat geäußert, der englische
Kolonist baue zuerst eine Kirche, der französische eilt Theater
und der Deutsche eine Schenke.
Die edelsten deutschen Sorten sind die Rhein-, Mosel-,
Neckar- und Main- oder Frankenweine. Der treffliche
Capwein wurde durch die Holländer volu Rheine nach dem
Cap der guten Hoffnung verpflanzt. —
Der französische Weinbau ist um Vieles älter, als
der unsere, denn wir wissen, daß die Phokäer, welche
Marseille im sechsten Jahrhundert v. Chr. gründeten, Wein
ili der heutigen Provence zu pflanzen versucht haben. Dort
gedieh der Rebstock so gut und häufig, daß Kaiser Domitian
im Interesse des Ackerbaues (81 bis 96 n. Chr.) den Lign-
riern befehlen mußte, ihre Weinstöcke auszuschneiden und
höchstens die Hälfte derselben stehen zu lassen. Probus hob
dieses Gesetz wieder auf. Der Dichter des oben erwähn-
ten Moselliedes, welcher zu Burdigala (Bordeaur) an der
Garumna (Garonne) gegen 300 n. Chr. geboren worden
ist, rühmt die Schönheit seiner französischen Heimath und
singt:
„Ja so malt mein Rebengeländ' die gold'ue Garumna
Da bis zur äußersten Höh' der sauft abneigenden Bergwand
Ist des Stromes Geräud umpflanzt mit grünem Lyacus."
Auch in Burgund wurde schon zur Zeit der Antonine
Wein gebaut. Im Anfange des vierten Jahrhunderts
spricht nämlich der Rediter Eumenius von Weinstöcken in
der Gegend von Antun, die wegen ihres hohen Alters ein-
gingen, und deren erste Anpflanzung nicht mehr nach der
Zeit zu bestimmen gewesen sein soll. —
Das nördliche Frankreich wurde von den Römern als
zu kalt und feucht für das Fortkommen des Rebstocks ge-
halten, und dennoch sehen wir später, gerade hier, ganz vor-
treffliche Sorten gedeihen. Durch die eigenthümliche Be-
handlung des von ihr erzeugten Rebensaftes hat sich die
französische Provinz Champagne seit mehreren Jahrhunderten
! einen ganz besondern Namen und einen der einträglichsten
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
243
und weitverbreitetsten Handelsartikel erworben. Der
Schaumwein wird in allen Welttheileu genossen, von den
Franzosen sehr geliebt und namentlich von den Frauen der-
selben allen anderen Weinen vorgezogen, während der
wahre Kenner seinen Burgunder, Bordeaux, Roussillon
und nicht moussirenden Champagner dein süßen Sekte
vorzieht.
Schließlich müssen wir den Franzosen nachrühmen, daß
sie im Ganzen sehr mäßige, aber feinschmeckende Trinker sind,
welche, nach antiker Weise, ihren Wein sehr häufig mit
Wasser zu vermischen Pflegen.
Sie greifen, um ihre Zunge zu kitzeln und ihren Geist
zu erheitern, nach dem Rebensäfte, während der Deutsche,
einem unbestimmten Gefühlsdrange, einer inneren Noth-
wendigkeit folgend, trinkt. Es ist charakteristisch, daß die
Franzosen für „zutrinken" das deutsche „trinken" in der
Form von „trinquar" adoptirt haben, und die Redensart:
„il boit comme un lansquenet“, „ er trinkt, wie ein
Landsknecht", nicht selten gebrauchen. Ihnen ist die Liebe,
was dem Deutschen seine Getränke sind; sie habeil die mei-
sten Liebes-, wir die meisten Trinklieder gesungen.
Die Engländer konnten, wegen des Klimas ihrer
Insel, niemals Weinbau treiben; dennoch finb sie, schon
wegen ihrer germanischen Abkunft, von jeher große Freunde
des Rebensaftes, besonders der schwerstell, südlichen Sorteil,
gewesen. Die Ritter an König Arthus Tafelrunde zecheil
eben so wacker, als sie kämpfen,llnd Sir John Falstaff, der
Urtypus einer ganzen Menschenklasse aus der Zeit des großeil
Shakespeare, versteht erstere Arbeit weit besser, als die
letztere.
Uebrigells pflegt man nirgends schlechtere unb gemischtere
Weinsorten zu trinken, als in England. Daß sich dies
schon im vorigen Jahrhundert ebenso verhalten habe, be-
weisen folgende Worte des 1751 geborenen Sheridan:
„Wenil ich in England in einem Gasthof einzukehren ge-
nöthigt bin, lasse ich mir sogleich eine Flasche Wei,l geben,
um den Wirth leben zu lasseil, triilke sie aber llicht, um
selbst lebell zil bleiben."
Wie die Söhne Albions, so wurden auch die skandi-
navischen Völker durch das Klima ihrer Landschaft verhindert,
Reben zu pflanzen. Dennoch triilken dieselbeil, als echte
Germanen, von jeher gern und viel.
Die Russen können nur in der Krim und am Don
selbständigen Weinball treiben. Der dort erzeugte Reben-
saft soll eben so leicht, als angenehin sein.
In Amerika werden helitigen Tages viele Trauben-
sorten gezüchtet, bereu Ursprung älter ist, als man glaubeil
sollte. Schon 500 Jahre vor der Entdeckung der neuen
Welt durch Colnmbns waren normannische Seefahrer an
der Küste voil Grönland gelandet. Um das Jahr 1000
entdeckte der Normanne Leis, Sohn Erik des Rothen, das
eigentliche Amerika und nanilte beit Küstenstrich zwischen
den heutigen Städten Nenyork und Boston das gute Win-
oder Weinland. (Vinland is goda.) Eilt Deutscher, Tysker,
fand dort zil gleicher Zeit wülde Trauben, deren auch die
alten Nationalgesänge der Färöer-Insulaner erwähnen.
Heute wird in Amerika sowohl diese nördlichere, als
auch eilte südliche später entdeckte und kultivirte Traubenart
gezüchtet. Besonders berühmt ist der californische und der
sogenannte Skhuppernong-Wein aus Georgia in Nord-Caro-
lina, so wie die treffliche Jsabella-Traube (Abart der For-
Rebe, vitis labrusca). Nach dem Kommissions - Berichte
des Repräsentantenhauses ztl Washington, welchen ich der
Güte meines verehrten Freundes, des Herrn Legations-
Sekretärs Kreismann (bei der Gesandtschaft zu Berlin),
verdanke, haben manche amerikanischen Weinberge seit 1849
wenigstens 250 Gallonen Wein auf den Acker ergeben.
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
ii.
Montag, den 30. März. Als wir früh sechs Uhr
iil den Hof hinabstiegen, stand richtig die Ehren-Eskorte
zwei Mann hoch im Thorweg. Nach einem mäßigen
Frühstück von altem Brot und türkischem Kaffee zogen
wir von dannen. Die Ehren-Eskorte hatte doch in so fern
ihr Gutes, als wir ohne dieselbe uns schwerlich aus dem
Wirrwarr von engen Gassen hinausgefundeu hätten und
am Ende noch heute als spukende Reiter dort umherirren
würden. Das Wetter war schön, der Weg verhältniß-
mäßig gut, allerlei zwei- und vierbeiniges Volk begegnete
uns, die Gegend war fruchtbar und gut angebaut, kurz
die Zeit verging uns sehr schnell, obgleich der Dragomán
bereits Gesichter schnitt, die auf einen nicht ganz unbe-
denklichen Zustand gewisser Körpertheile schließen ließen.
Bei einem Kaffeehause im Schatten großer Platanen mit
kühler Veranda und einem laufenden Brunnen gönnten
wir uns und unseren Pferden einige Ruhe. Kaffee war
natürlich zu haben. Sämmtliche Eßivaaren bestanden
aber Summa Suminarum aus sechs Eiern, zu denen
nicht einmal Salz vorhanden war. Die mitgebrachte
Schlackwurst mußte deshalb zugleich als Salz dienen.
Der Mann bekaut zuerst ein Ei; die beiden letzten wur-
den aber ausgespielt, wobei ich mit gewöhnlichem Spiel-
unglück zu kurz kam. Auch hier mußte mich die Schlack-
wurst trösten, von der ich ein tüchtiges Stück in meinen
Privat-Eßkober eskamotirte, eine Vorsicht, die sich seiner
Zeit in Tamuk glänzend belohnte. Dann bekam die
Ehren-Eskorte ihren Vackschisch und wurde nach Hause
geschickt. Wir aber ritten weiter das fruchtbare Mäan-
der-Thal hinauf. Diese Fruchtbarkeit ans dein rechten
Ufer des Mäander unb deut linken des Kogamus und
Hermus, die selbst von den Türken nicht hat zu Grunde
gerichtet werden können, stammt nach meiner Meinung
von einer eigenthümlichen geologischen Erscheinung. Aus
dem rechten Ufer des Mäander und dem linken des Ko-
gamus und Hermus läuft nämlich zwischen dem Fluß
und dem den eigentlichen Thalrand bildenden Gebirge
eine dünenartige Kette von Lehmhügeln, deren sehr zer-
waschener Anblick beweist, daß Schltee und Regen fort-
während an ihnen arbeiten unb auf diese Weise den
guten, fetten Boden im Flußthal jährlich mit dem Raube
dieser Hügel erneuern oder doch aufmuntern. Wo sich
eine Lücke in dieser Dünenkette als Thor für einen aus
dem Hauptgebirge herabströmendeu Nebenfluß findet, da
31*
244
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
ist auch im Thal der Boden mit Geröll, Myrthen- und
Oleandergestrüpp, diesem fiesem Zeichen der Unfruchtbar-
keit und des Kultnrmangels, bedeckt.
Während dieser Betrachtung, für welche ich als Laie
die Geologen und Oekonomen von Fach um Nachsicht
bitte, ist hie Reisegesellschaft um ein Uhr in Akt scha-
Bazar angelangt. Dies ist ein großes Ackerbaudorf
von 5000 Einwohnern, worunter jedoch nur etwa 200
Christen. Das Dorf selbst liegt eigentlich seitwärts von
der Landstraße, wie ich dies vielfach bemerkt habe, und
schiebt an letztere als Vorposten nur einen Barbier und
ein Kaffeehaus, so wie eine Gebetstätte vor. Hier ruhten
wir eine Stunde, tranken Kaffee, holten mit Hülfe des
Barbiers oder vielmehr seines Beckens die hent früh in
Aidin nothgedrungen versäumte Abwaschung nach, welche
der Staub der Reise noch nothwendiger gemacht hatte.
Die Gebetstätte, natürlich eine mohammedanische,
iuteressirte mich sehr. Sie bestand aus einem zwei bis
drei (Stufen über dem Erdboden erhöhten Brettergerüst,
das von einem leichten Staketzaune umgeben und mit
einem von rohen Baumstämmen veraudaartig getragenen
Schilfdach bedeckt war. Die Mitte der einen Langfeite
nahm eine von Lehm ziemlich roh, jedoch Spuren sara-
cenischen Styls zeigende Nische ein, um die Richtung
nach Mekka anzudeuten. Mein Interesse an der Gebet-
stätte der Gläubigen (Moslem) rührt übrigens nicht
daher, daß ich selbst ein solcher geworden wäre, obgleich hier
zu Lande die Christen recht dazu angethan sind, jedem
rechtlichen Menschen das Christenthum für die Praxis in
bedenklichstem Lichte erscheinen zu lassen. Der gemeine
Türke (vom Beamten ist nicht die Rede, das liegt auf
einem andern Felde) ist durchaus ehrlich, treu und
rechtschaffen, während hier unter 100 Christen sicher
105 Spitzbuben und Betrüger sind, die Inden gar nicht
gerechnet. Aber dennoch bin ich durchaus nicht gesonnen,
dem Wein abzuschwören, um mich dafür durch mehrere
Frauen zu entschädigen. Das Interesse an dieser Gebet-
stätte war ein rein architekturgeschichtliches. Ich hatte
nämlich schon in Koustantinopel darüber nachgedacht, ob
die ganz specifische, auf die Schablone der Sophienkirche
zurückzuführende Form der dortigen Moscheen, wie sie
auch in Smyrna, Aidin und Kassaba sich zeigt, wirklich
von der Sophienkirche abstrahirt sei, oder ob sie etwa
eine specifisch orientalische wäre, die sich auch der christ-
lichen Sophienkirche aufgedrängt hätte. Bei deut gänz-
lichen Mangel an gelehrtem Material hier mußte ich
mich mit der Hoffnung trösten, diese Fragen durch eigene
Anschauung zu lösen, und das ist mir auch gelungen.
Die quadratische Kuppelform der Moscheen von Konstan-
tinopel und der natürlich dem Einfluß von Konstantinopel
unterliegenden von Smyrna, Aidin lind Kassaba (beide
letztere Orte noch zu nahe an Smyrna, um einige Selb-
ständigkeit zu bewahren) sind wirklich nur uach dem Muster
der Sophienkirche gebaut.
Weiter im Innern des Landes, wo sich auch in an-
deren Beziehungen eine gewisse sehr nützliche und erfreu-
liche Autonomie der türkischen Bevölkerung erhalten hat,
sehen die Moscheen ganz anders aus. Wie heute noch
das türkische Bauernhaus nichts ist, als das all-
mälig aus Balken statt aus Pfählen errichtete, mit Stei-
nen und Lehm, statt mit Filzdecken ausgefüllte Nomaden-
zelt, so ist auch die Moschee, die sich unabhängig von dem
Sophienstyl von Stambul erhalten hat, nichts, als eine
ummauerte und fester bedeckte, vergrößerte Gebetstätte,
wie eben jene offene, für die ruhenden Reisenden be-
stimmte bei Aktscha- Bazar. Alle Moscheen, welche ich
im Innern gesehen habe, bestehen aus einem Parallelo-
gramm, an dessen einer Langseite eine oft doppelte
offene Halle, an der anderen die Gebetnische sich befindet,
während das Minaret daneben steht. Von Kuppelbau ist
keine Rede. Auch ist ja die Moschee ursprünglich nichts,
als der Ort zur Verrichtnug der täglichen kanonischen
Gebete. Predigt liegt wohl nicht im Charakter des Is-
lam. Hat dies den Leser gelangweilt, so thut es mir
leid. Der Reisende muß Alles erzählen, was ihn in-
teressirt. Der Leser mag dann herausnehmen, was ihm
gefällt.
Um zwei Uhr ritten wir ans einer immer noch erträg-
lich bleibenden Straße, die jedoch nicht mehr durch so reiche
Kulturen führte, wie in der Nähe von Aidin, bis Nasly.
Dasselbe besteht aus zwei auch lokal ganz getrennten
Städten, einer türkischen von 1000 und einer christlichen
von 200 Familien. Niehl würde sich freuen. Bei meinen
Fragen nach der Einwohnerzahl erhielt ich die Antwort
niemals nact; der schnöden, pulverisirten Kopfzahl, sondern
immer nach Familien, llm diese dann ins Bureankra-
tisch-Statistische zu übersetzen, multiplicirte ich mit fünf,
was wohl im Durchschnitt das Nichtige geben wird.
Der Han in Nasly war sehr groß und alt, nicht be-
sonders sauber, auch fehlten bereits die Glasscheiben in
den nur mit Holzlatten vergitterten, Nachts mit Läden
zu schließenden Fenstern. Auch lieferte man uns nur
Binsenmatten, nicht Teppiche, geschweige denn Divans.
Der Bazar enthielt jedoch noch viel europäische Waaren.
Es gelang uns sogar, dort unsere Neisevorräthe mit
einem dringend nothwendigen Glase, einem geschliffenen,
grünen, böhmischen und einem Pfund Stearinlichter zu
bereichern. Man denke! Ich habe im Allgemeinen für
die Engländer das Gegentheil von Vorliebe, und hier in
der Türkei habe ich durchaus keine Veranlassung gehabt,
meine Meinung zu ändern; aber Eines muß man ihnen
lassen. Wo au der äußersten Grenze der Kultur ein
Europäer als tapfer arbeitender Vorposten gegen die
Barbarei steht, da ist es ein Engländer. Sie marschiren
wirklich an der Spitze der Civilisation, wie die Franzo-
sen mit rührender Komik von sich behaupten. Und so
fanden wir auch hier einen Engländer als Dirigenten
einer Lakri tz enfabrik. Dieselbe gehört einer englischen
Aktiengesellschaft und beschäftigt allein 1000 Naslyer mit
dem Graben der hier zil Lande sehr häufigen Süßholz-
wnrzel, die einen bedeutenden Ausfuhr-Artikel bildet.
Der Lakritzen wird übrigens nicht als Apothekerwaare,
sondern von den englischen Brauereien in dieser
kolossalen Menge verbraucht. Besagter Engländer, dessen
einzige europäische Gesellschaft fein Faktor, ein jonischer
Grieche, ist (der reichste griechische Kaufmann in Nasly
spricht nur Türkisch), freute sich unglaublich über den euro-
päischen Besuch, lud uns zum Abendessen ein, was wir
dankbar annahmen, zeigte uns die ganze Fabrik, führte
uils int Mondschein spazieren, dann ins Kaffeehaus, ivo
wir erst viel Kaffee und dann Mastix trinken mußten.
Dann wieder in seineWohnung, wo wir um nenn llhr eine
vortreffliche Hühnersnppe mit Reis, die gekochten Hühner
mit Sauce, dann gebratene Hühner mit Kartoffeln, und
endlich kalten Milchreis mit Zucker und Zimmt aßen.
Dazu Ale und Bordeaux: ein Göttermahl mitten in Klein-
asien, namentlich, da ich seit dem einen Ei und dem
schwarzeil Kaffee früh nichts genossen hatte. Allerdings
vier Gerichte aus zwei Ingredienzien, aber ein Schelm
gibt inehr, als er hat, und' hier zu Lande sind nun ein-
mal Hühner und Reis die Hauptnahrung. Wir haben
eigentlich auf der ganzen Reise iiichts Anderes gesehen,
und mein Magen hat sich dabei sehr viel besser befunden,
als bei der verwünschten halbeuropäischen, halborientali-
schen Oelküche im Hotel zu Smyrna.
Um 10 Uhr gingen wir in unsern Han und schliefen
vortrefflich. Mail muß übrigens nach Kleinasien kom-
iileil, um das Sprachwnnder der ersten Pfingsten zu ver-
liehen. Daß ich hier Deutsch, Französisch und Italienisch
so durcheinander rede, daß ich oft in einen Sab alle drei
Sprachen bringe, versteht sich von selbst. Auf der Reise
ich^es sogar dahin gebracht, nicht ilur einige
türkische Worte mit dem Kavassen, einige griechische (alt-
grlechtsch nach dem Jtacismus ausgesprochen) mit dem
Pferdeknecht zu reden, sondern ich habe sogar, man höre
und staune, Englisch gesprochen. Unser freundlicher Wirth
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
245
in Nasly konnte natürlich nur seine Muttersprache (der
Ionier sprach zu meiner Freude Italienisch), redete mich
darin an, und ich entgeguete ihm: „I do not speak
English.“ Worauf ich später ihm gegenüber den Mund
nur zum Essen öffnete.
Dienstag, den 31. März. ^Früh 6'H Uhr rückten
wir aus Nasly, nachdem unser Engländer uns noch be-
sucht und eine Strecke das Geleit gegeben. Wir verließen
heute die gerade Straße, um einen ungewöhnlichen Ab-
stecher auf das linke Mäanderufer und die dortigen
Gebirge zu machen. In Rücksicht auf die sehr schwarzen
Fleckes welche die Kiepert'sche Karte von Kleinasien für
diese Gegenden zeigt, und in Betracht der schreckenvollen
Abmahnungen aller Leute iit Smyrna, die uns schon
beraubt und ermordet sahen, hatten wir einige Bedenken.
Es war aber mit all den Gefahren der Gegend und der
Räuber „Bosch", d. h. Unsinn. Gerade Biese nächsten
Tage bilden den Glanzpunkt der Reise intb sind die
Kosten und Mühen allein werth. Zunächst passirten wir
ans engem, geNnnidenem Fußsteig tut Gänsemarsch eine
mit dickem, schilfigem Gras bedeckte Wiese, bis wir an beit
Mä ander gelangten. Dieser berühmte Fluß, welcher
wegen seines Vagabundirens der bekannten Verzierung
den Namen gegeben hat, ist zu tief und zu reißend, als
daß man ihn, wie alle übrigen Flüsse, welche uns in die
Quere kamen, "brevi manu durchreiten könnte. Wir
fanden auch wirklich eine Art von Brücke, d. h. einen
ungefähr sechs Fuß breiten, gitterlosen Steg. Dann
ließen wir eine Stadt, welche ungefähr wie Perleberg
hieß, verächtlich rechts hinter uns liegen und ritten auf
weiter, sandiger, schattenloser Ebene, den Spuren einer
alten Nömerstraße folgend, sehnsüchtig ans die Erscheinung
eines Kaffeehauses wartend. Wir befanden uns nämlich
noch gänzlich nüchtern, da bei unserem Ausmarsch aus
Nasly das Kaffeehaus noch geschlossen war. Aber jokdnr!
Schon entschlossen wir uns, bei einem uns begegnenden
Brunnen von unseren Vorräthen zu frühstücken, aber
der Brunnen hatte keilt Wasser! Und so mußten
wir denn wirklich, lute der berühmte Balladen-Ritter im
Hungerthurm, „vor Mißbehagen schwach im Magen", bis
10 Uhr reiten, wo wir am Fuß der das Mäander-Thal am
linke» User begrenzenden Berge Ali Aga Schiflik, einen
türkischen Flecken, erreichten. Wir bemächtigten uns sofort
des besten Platzes im Kaffeehause, sahen uns alsbald von
den Notabilitäten des Ortes umgeben und in stummer
Verwunderung angestaunt. Spaßes halber schickte ich den
Dragoman mit meinem großen Gouvernements-Schreiben
zu dem Ortsschulzen (Aga). Er kam alsbald angewackelt,
rauchte einen Tschibuk von Herrn J.'s gutem Tabak und
trank einen Kaffee, mußte aber die Lektüre des gedachten
Bujurdi's ablehnen, da Lesen und Schreiben in der
Türkei in die Reglements für die Eramina der Ver-
waltungsbeamten noch nicht aufgenommen i|t. Ich glaube,
bei den englischen Diplomatie-Aspiranten hat
es Lord Palmerston jetzt gegen den Widerspruch der
Tories durchgesetzt. Die Wissenschaft braucht hier wenig-
stens nicht umzukehren. Es fand sich übrigens unter der
Corona ein Gelehrter, welcher es der staunenden Versamm-
lung vorlas.
Ich mußte diesmal und noch öfter daran denken, wie
unsere Mütter, Schwestern, resp. Frau in Deutschland
wohl erschrocken wären, wenn sie uns in einem Zauber-
spiegel plötzlich mitten in Kleinasien, von lauter bärtigen
Türken umgeben, gesehen hätten. Das Gefühl unbedingter
Sicherheit, das uns dagegen erfüllte, kam wirklich nicht
von unseren Revolvern oder von dem Bujnrdi, sondern
von der Ueberzeugung, daß das türkische Volk Durch-
aus nicht den mörderischen Ruf verdient, den es hat, und
dann auch von dem Bewußtsein unserer europäischen
Ueberlegeuheit. Wir waren viel zu stolz, auch tute die
Möglichkeit einer Ungebühr zuzugeben. Schon in unserem
ersten Nachtguartier war mir die Anwesenheit von Tscher-
kessen ausgefallen. Die Zahl derselben nahm von Ort
zu Ort zu, und hier in Ali Aga Schiflik überwog die
Pelzmütze fast den Turban. Es war übrigens Jahrmarkt
im Orte. Ich besah ihn pflichtschuldigst und kaufte ein
eingeborenes, gesticktes Frauenkleid.
Um 12 Uhr ritten wir weiter und mit einer schar-
fen Wendung nach Süden nun direkt in das Gebirge
schlagend. Anfangs war in der Tiefe des Querthales,
an dessen Rand wir in die Höhe kletterten, noch etwas
Korn und Obstbau zu sehen. Später hörte dies auf.
Der Weg wurde immer steiler und wilder, die Gegend
immer wüster und zeigte bald nichts, als niedriges Na-
delholz und Vallonee- Gesträuch. (Vallonee ist die Eiche,
deren Eichelbecher unter dem Namen Knoppern einen
der wichtigsten Ausfuhrartikel Smyrua's bilden.) Da-
gegen zeigten sich auf diesem vielleicht alle 10 Jahre ein-
mal von Europäern betretenen Pfade die auf der Hecr-
und Landstraße vermißten Dörfer, natürlich nur sirirte
Nomaden. ^ Die Hauptbevölkerung dieser Gegend bestand
aus der hübschen, langohrigen Ziege, deren Haar
ebenfalls einen Ausfuhrartikel bildet. (Der Regierungs-
bezirk Aidin hat übrigens doch eine Aehnlichkeit mit
Preußen, d. h. mehr Schafe als Menschen, nämlich 700,000
Stück, während ich ihm nicht 200,000 Einwohner gebe.
Um 3 7a Uhr Nachmittags erreichten wir unser heu-
tiges Nachtquartier zur großen Freude unserer recht müden
Pferde. Es war Karassn, auf Deutsch Schwarz-
wasser. Die Stadt liegt auf einer Erdzunge zwischen
zwei tiefen und steilen Schluchten, über welche zwei schön
gemauerte Brücken führten. Auf der einen, die wir beim
Eintritt passirten, war die ganze weibliche, iveißgewaschene
Jugend versammelt und empfing uns mit Verwunderung
und Lachen, lief uns sogar zum Theil bis an unsern
Han nach. Man kann es den Kindern, vom kleinen,
kaum laufenden Würmchen bis zum verschleierten, ans
den Mann wartenden 12 bis 13jährigen Backfisch eigent-
lich nicht verdenken. Wenn plötzlich in ein hinterpom-
merisches Städtchen vier wirkliche Türken unter Vortritt
eines Gensd'armen einritten, die liebe Jugend würde es
nicht besser machen. Daß sämmtliche weißgewaschene
Jungfrauen der Stadt auf der Brücke sich versammelt
hatten, war wohl eigentlich nicht uns zu Ehren, wir zogen
es uns aber zu Gemüthe. Die Stadt war nämlich noch
damit beschäftigt, den dreitägigen „Beiram" auf die
ganze Woche auszudehnen. Karassn soll früher 10,000
türkische Familien gehabt haben. Nach dem Umfange
und der Zahl der Moscheen, der Größe der Begräbuiß-
plätze, ist diese Angabe wohl nicht zu sehr übertrieben.
Jetzt sind es nur noch 2500, offenbar arm, lediglich darauf
angewiesen, für ihre Vallonee und Ziegenhaare Kaffee
und Reis und das zur Bezahlung der Steuern nöthige
Geld einzutauschen. Der Bazar' enthielt nichts. Die
Kleidung sämmtlicher Bewohner vom Turban bis zu den
Pantoffeln bestand zum Kummer meines zollvereiuslän-
dischcn Konsular-Herzens aus inländischen Stoffen.
Das Beste in der Stadt war das Kaffeehaus der Hono-
ratioren, vor welchem mitten auf dem Platze ein um drei
Fuß erhöhtes Gerüst stand, welches im Sommer von
einer alten Platane überschattet wird. Jetzt war sie
noch nicht grün. Dort ließen wir uns nieder, um Kaffee
zu trinken, während der Dragoman bei der hohen Obrig-
keit für morgen früh einen Kavassen reqnirirte, weniger
als Eskorte, wie als Wegweiser durch die Gegend, wo
uns nun auch die Kiepert'sche Karte im Stich ließ. Unser
Abend-Mittag-Essen, das immer zusammenfiel, bestand
natürlich aus' Huhn, Pilav und harten Eiern. Der
Han aber! Ich wollte, ich könnte malen, beschreiben
läßt sich das nicht. Er war sehr groß und gehörte zu
denen, die das Kaffeehans in der Mitte haben. Das
Erschreckliche aber war das Alter und die Altersschwäche.
Unsere Stube lag über dem Kaffeehause. Zu derselben
mußten wir aus einer baufälligen, unter jedem ^Schritt
ächzenden, ans drei Stufen sogar bedenklichen Hühner-
treppe klettern. Eine Art von Balkon, eben so bau-
JjiVi
246
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
fällig wie die Treppe, vermittelte die Verbindung dieser
mit der Stubenthür. Die Fenster waren natürlich ohne
Scheiben, der Fußboden (nichts als alte, morsche Bretter,
durch die wir stellenweise in das Kaffeehaus hinunter
sehen konnten) bog sich knarrend unter jedem Schritt!
Aber all dies Leiden wurde doch dadurch ausgewogen, daß
wir an der einen Wand eine Art von Divan fanden,
aus deut wir vier in einer Reihe liegen konnten, ohne
uns im Schlafe Fußtritte zu geben, und zweitens, daß
sich aus dem abgedachten, balkonartigen Treppenabsatz ein
irdener, halbzerbrochener Napf vorfand, dem wir sofort
durch einstimmigen Plenarbeschluß den Charakter als
Waschbecken verliehen.
Es war mir aufgefallen, daß auf der Gallerie, die
das zweite Stockwerk des Hauses umgab und an Solidi-
tät dem übrigen Bau nichts nachgab, mehrere Knaben,
unter denen sich eine erwachsene schwarze Gestalt befand,
ein all Buchstabireir erinnerndes eintöniges Gemurmel
hören ließen. Ich riskirte Leben und gesunde Glieder,
denn ein Reisender muß vor allen Dingen neugierig
sein, kletterte hinauf und fand den griechischeil Pastor
loci, der den Sprossen der 12 in Karassu lebenden grie-
chischen Familien Leseunterricht gab. Die Thüre, vor
welcher sich diese höhere Bildungsanstalt etablirt hatte,
führte in die Kirche der hierher verschlagenen christlichen
Gemeinde. Es war (NB. im Han) ein Zimmer, so groß
wie eiile sogenanilte berliner Stube, jedoch mit deil von:
griechischen Ritus geforderten Geräthell vollständig aus-
gestattet, alt, das Holzwerk dunkelbraun, aber nicht
angestrichen. Interessant war der gewiß sehr ulte, mit
Silber beschlagene Pergament-Einbaud eines Meßbuches
und eiil ganz von Silber getriebenes Bild, eine heilige
Familie, deren Gesiebter, borridiw ckietu, bunt gemalt
waren. Nachdem wir beiden Preußeil noch schließlich zu
Ehren des Einzuges in Paris, allen diplomatischen Rück-
sichten zum Trotz, unb auf das preußische Heer einen
Schnaps getrunken, gingen wir zur Rilhe und schliefen,
wie man schlafen muß, weiln man acht Stundeil geritten
ist und lnorgen wieder acht Stundeil reiten soll.
Mittwoch, 1. April. Da Allah und sein unab-
änderliches Kesmet min einmal über uns verhängt hatten,
daß wir in Schwarzwasser nicht gebraten werden sollten,
so war wirklich in der Nacht das Kaffeehaus llicht abge-
brannt, obgleich wir mit unserer alten, dürren, wurm-
stichigen Bretterstnbe direkt über dem Feuerheerde wohu-
ten. Eben so gelang es uns, die Leiter ganzbeinig mit
all unserem Gepäck hinunter zu kommen. Dagegen blieb
der bestellte Kavaß ans. Nachdem wir dem türkischen
Grundsatz, welcher mit dem einen Worte ya rasch die
ganze, nicht leben lind nicht sterben könnende Existenz
des türkischen Reiches bezeichnet, genügend Rechnung ge-
tragen, rückten wir aus dem Han dem „Mudir" (Land-
rat'h) vor das Haus, langten dort unsern Kavassen ab
und zogen von dannen. Dieser Auszug, auf ganz schma-
lem, bröcklichem Fußsteig, zwischen der Stadtmauer und
der Schlucht, war ein Vorschmack dessen, was uns Baba
Dag am Donnerstag bieten würde. Der Weg blieb
lailge für die Pferde recht beschwerlich, die Gegelld aber
war stellenweise so schön, wie mall sie auf einer Gebirgs-
reise nur irgend erwarten kann. Auch meinte es die
Sonne so rechtschaffen, daß schließlich in der Nacht ein
Gewitter entstalld. Um IO V2 Uhr ritten wir durch ein
iloch stehendes (allerdings sehr spätes, aus ailtiken Trüm-
mern zum Theil zusammengesetztes) Thor in die Ruinen
von Aphrodisias, in deren Mitte sich ein kleines tür-
kisches Dorf, Namens Geira, befindet. Die Besichtigung
von Aphrodisias war die Ursache unseres Abweichens von
der herkömmlichen Route. Es war auch seit mehr als
10 Jahren kein Europäer dort gewesen, weil der Weg, auf
dein mir morgen die kultivirtere Gegend wieder errei-
chen sollten, verläumderischer Weise für besonders schlecht
llild für unsicher" gilt. Bosch! Nachdem wir einen
Kaffee getrunken, machteil mir uns unter Führung
eines Türken auf den Weg in die Ruinen. Das Erste,
was uns begegnete, waren jedoch keine Ruinen, sondern
ein Haufe rothbäckiger Kinder, die einen unter anderen
Diilgen auch mit türkischem Zuckerwerk handelnden Hau-
sirer bewundernd umstaliden. Wir kaufteil für einige
Piaster und vertheilten es an die Jugend, ein diplomati-
scher Akt christlicher Liebe, der uns bei der Bevölkerung
mehr nützte, als alle Fermans und Bujurdis gethan
hätten.
Aphrodisias ist noch hellte voil einer, in ihrem
ganzen Umfailge deutlich erkenilbaren, aber sehr späten,
wahrscheinlich im höchsten Drange der Noth schnell aus
dem zur Hand liegenden Material erbauten Befestigung
umgeben. In derselben stecken zahllose antike Marmor-
blöcke, obgleich sie innen eine sogenailnte Klabastermauer
ist, alls kleinen Steinen und Kalkguß, nur zusammen-
gehalteu durch zwei dünne, wirkliche Quadermauern.
Auch spricht der Mangel aller flankirenden Vorsprünge
für die Eile des Aufbaus. Noch ist es mir jedoch llicht
gelungen, Näheres über die Geschichte voil Aphrodisias
zu ermitteln. Am südlichen Thore entdeckte ich im Fun-
dament zwei Tafeln mit Inschriften; ich ließ sie durch
unsern türkischen Führer bloßlegen und kopirte sie mit
Hülfe voil I., während der junge Schweizer in Beglei-
tung des Dragoman und des Kavassen sich voil uns
trennte, um zu zeichnen. Ein aus fünf nebeneinander
fortlaufenden Gewölben voil ganz kolossalen Blöcken be-
stehender Bau trotzte alleil unseren Bemühungeli. Wir
haben in Laodicea dicht bei der Arena Aehnliches gesehen,
konilten es aber auch dort llicht entziffern. Von dem
Tempel der Aphrodisia, welche der Stadt den Namen
gegeben, steht noch der größte Theil der Säulen, welche
die beiden Langseiten eingefaßt haben. Sie sind jonisch,
aber schlecht gearbeitet. Eine der Säulen trägt auf einer
beinl Cannelliren ausgesparteil Tafel eine Inschrift, die
ich ebeilfalls kopirt uud nach Berlin eingeschickt habe.
Der Tenlpel hatte einen Vorhof, der durch eine iliedrige,
römische Säulenhalle eingefaßt wurde. Er ist übrigens
für feine Länge zu schmal und macht selbst noch in seinen
Trümmern den Eindruck der Decadence. Wer einmal
auf der Akropolis von Athen gestanden hat, ist eigentlich
für Balllverke aus der Römerzeit vollständig verdorben^
Den Glanzpunkt der Ruinen von Aphrodisias bildet
übrigens die Arena, die noch so vollständig erhalten ist,
daß man ohlle Weiteres irgend ein Wettfahren oder ein
Fechterspiel darin vor einigen tausend Menschen ausführen
kömlte. Die Sitzreihen sind iloch alle vollständig Na,
eben so die Treppen, welche hinabführen, und die Gewölbe
unter den Sitzreihen, die früher vielleicht als Löwen-
uild Tigerställe dienten, jetzt aber friedliche Ziegen be-
herbergen. Ich habe hier zunl ersten Mal ein deutliches
ulld zwar ein ganz vollständiges Bild einer Arena be-
kommen. Sie ist 300 Schritt lang unb 40 Schritt
breit. Jetzt wächst da, wo vor Zeiten Menschen zum
Vergnügen der Einwohnerschaft sich gegenseitig morden
mußten, oder von wilden Bestien zerrissen wurden, fried-
liche Gerste.
Das Kolosseum in Rom.
247
Das Kolosseum tn Nom.
Ein Vortrag, gehalten von Professor vr. Kahser in Paderborn.
II.
Es erübrigt nun noch, zur Vollendung unserer Skizze
die Arena zu zeichnen. Sie maß, wie schon oben bemerkt,
916 rhein. Fuß im Umfange, 650 und 223 rhein. Fuß
nach ihren beiden Hauptaren. Der Boden war durch
eine Bretterbedielung hergestellt, die ans Mauern ruhte.
Unter derselben befanden sich, wie die Ausgrabungen der
Jahre 1812 bis 14 ergeben haben, abgesonderte Räume,
Worin wilde Thiere und Laubbäume aufbewahrt wurden,
die man durch den plötzlichen Ruck von Maschinen auf
die Oberfläche zu schlendern im Stande war, um die
Scenerie zu ändern und die Fechter zu überraschen, das
Volk zu ergötzen. Aus einem mächtigen Wasserreservoir,
welches aus dem Aquädukte des Claudius gespeist wer-
den konnte, führte ein Kanal zur Arena. Dilrch diesen
konnte dieselbe in wenigen Minuten unter Wasser gesetzt
und zu Seegefechten hergerichtet werden. Die Einmün-
dung ist an der Südseite nod) setzt deutlich zu erkennen.
In der untern Hälfte der acht Fuß hohen Mauer des
Podiums, welche die Arena umgibt, wurden von Zeit zu
Zeit Oeffnungen angebracht, die zu deu wohlverwahrten
unter den Sitzen befindlichen Behältern — carceres —
für die wilden Thiere führten. Sie wurden mit starken,
eisernen Fallthüren geschlossen, die den bekannten Gitter-
thüren alter Festungsthore ähnlich waren.
Gewöhnlich führten die Römer den Oberbau, der sich
über den festen Travertinfundamenten erhob, ans großen
1 bis 1V2 Fuß im Quadrat haltenden Ziegeln auf; die
Fronten lind Schauseiten maskirten sie mit detaillirten
Hanfleinen. Dieses System hat der Baumeister des
Kolosseums verlassen; er hat dasselbe ganz aus Stein
von Tivoli, einer festen Marmorart, die selbst dem Feuer
trotzt, errichtet. Die gewaltigen Blöcke, an denen man
noch die Werknummern sieht, verband er mit Cement
und verbleieten Ankern zu einem so festen Gefüge, daß
es Jahrtausenden Widerstand leisten mußte, wenn der
Menschengeist, der diese Fugen in eiserne Fesseln geschla-
gen, sie nicht wieder zerriß mit seiner Gewalt. Wie
aber war es möglich, einen so gigantischen Bau in
der verhältnißmäßig so kurzen Zeit von kaum 15
Jahren zu vollenden? Das läßt sich nur begreifen von
Tyrannen, die sich mit dem Fette der Völker und dem
Blute der Nationen gemästet; das läßt sich nur begreifen
von Gewalthabern, die über die Reichthümer einer halben
Welt und über die Arbeitskraft ganzer Sklavenheere un-
beschränktes Verfügungsrecht besitzen. So entstanden jene
Riesenbauten zu Ninive und Persepolis, deren Trümmer
der unsterbliche Layard erforscht; so entstanden die Kolos-
salwerke Aegyptens, die der gelehrte Lepsins beschrieben;
so entstand auch das slavische Amphitheater. Die römi-
schen Imperatoren hatten die Tyrannei — vorausgesetzt,
daß sie der Mensch überhaupt ¿u erlernen braucht —
dem Orient abgelauscht-, dem Orient und Occident Men-
schen und Schätze geraubt. Mit diesen Hebeln waren sie
im Stande, Werke aufzuführen, vor deren Größe und
Massenhaftigkeit die kühnste Phantasie schwindelt. „Hoc
Titi potentia principalis divitiarum profuso flumine exco-
gitavit aedificium fieri — Die Kaisermacht des Titus
hatte sich ausgedacht, mit einer strömenden Fluth von
Schätzen diesen Ban zu errichten", sagt daher schon ein
Cassiodorus mit allem Fug von unserem Kolosseum.
Aber, indem sie mit Tyrannengewalt und Erschöpfung des
Staatsschatzes Bauten schufen, welche Jahrtausenden
widerstanden, untergruben sie die Fundamente des eigenen
Thrones, denn nur der Staat kann dauernden Bestand
haben, welcher auf Recht und Freiheit der Bürger und
der Wohlfahrt der Nation beruht. Die Geschichte lehrt
sicher, aber sie lehrt langsam! Vespasian uild Titus
verwendeten zum Bail des Amphitheaters Hunderttausende
von Juden, die beim jüdischen Kriege in Gefangenschaft
gerathen waren. Ueber je 10 war ein Aufseher gesetzt,
über je 100 ein Oberaufseher, die ihre Untergebenen mit
scharfem Stachel unablässig zur Arbeit trieben, wie der
italienische Ochsentreiber noch heute die Zugstiere. Unter
der kurzen Regierung des Eroberers von Jerusalem sollen
allein 12,000 den Mühen der Arbeit und den Grausam-
keiteil ihrer Dränger erlegen sei». Wer ist, der da seinen
Blick nicht von dem Schlußpunkt der Geschichte dieses
merkwürdigen Volkes zu ihrem Anfange zurückwendete?
Seltsames Schicksal der Söhne Abrahams! Das Ent-
stehen dieser Nation ist bezeichnet dilrch die Frohndieuste
an den Prunkbauten der ägyptischen Pharaonen, ihr
Untergang markirt durch die Handlangerdienste bei den
Riesenschöpfungen der römischen Imperatoren. Pyramiden
errichtet sie neben ihrer Wiege, ein Kolosseum erbaut sie
über ihrem Grabe!
Das ist der Kampfplatz, wo die Thiergefechte, die
Fechterspiele, die Seetreffen geliefert wurden, das römische
Volk zu unterhalten uild zu belilstigen. Das ist die
Schaubühne, wo die Römer, vom Cäsar bis zum Skla-
ven, deil butigsten Auftritten und grausamsten Metzeleien
zusahen. Titus weihte sie ein mit Spielen, die 120
Tage dauerten; 5000 Bestien wurden dabei niedergestoßen,
10,000 Gladiatoren failden dabei ihren Tod; denn diese
waren wohlfeiler, als die wilden Thiere. Wahrhaftig,
das sind Räume, die mit Blut gebaut unb mit Blut
zum Blutvergießen geweiht wurden! Und solche Am-
phitheater eristirteu in jeder größern Stadt des weiten
römischen Reiches. Solche grausige Spiele wurden von
den angebeteten Männern des römischen Alterthums
gegeben. Cicero, das Idol klassischer Latinität, unterhielt
auf eigelle Kosten eine Gladiatorenfchule; Angnstns, der
Humanist auf dem Kaiserthrone, nährte zahlreiche Fech-
terschaaren, um sie stets tu Bereitschaft zu halten, so oft
das Volk seine Lieblingsspiele verlangte. (Suet. in Claud.)
Scipio Rast ca und Pnblius Lentulus ließen bei ihren
Festspielen 60 Panther und 40 andere Bestien auftreten.
(Mt. Liv. 44, lg.) Scaurus gab 150 Panther, Sulla
100 mähnige Löwen, Pompejus 600 Löwen, von denen
315 zottige Mähnen schüttelten, 410 Panther, 20 Ele-
phanten, Servilius 300 Bäreil und eben so viele vier-
füßige Kinder der Wüste Sahara zum Besten; die un-
glücklichen Menschen, welche der Wuth dieser wilden
Bestien zu trotzen bestimmt wurden, gar nicht gerechnet.
Doch, kehren wir zilm slavischen Amphitheater zurück.
Donlitian stellte darill Spiele au, die 1000 Strauße,
eben so viele Hirsche, 1000 Eber und eine gleiche Anzahl
Giraffen in den Kampf uild Tod führten; Trajan schickte
bei, einein eiilzigen Feste liicht weniger als 10,000 wilde
Thiere und 10,000 Gladiatoren auf die Arena des Ko-
lofseums. Zuletzt waren durch die Fechterspiele dieWüsteu-
thiere fast allsgerottet; darum mußte ein besonderes
Gesetz, welches hen Juristen aus dem Codex Theodostanus
248
Das Kolosseum in Rom.
erinnerlich sein wird, verbieten, einen Löwen in Afrika
zu tobten.
Um solchen Aufwand bestreiten zu können, wurden
die Länder ausgepreßt, wurden die Provinzen Afrika,
Asien, Gallien'mit der Gestellung von wilden Bestien
bedrückt. Die Fechter wählte man aus den Sklaven,
Kriegsgefangenen, verurtheilten Verbrechern. Selbst Wei-
ber verschonte man nicht. Gebrach es bei der unersätt-
lichen Schaulust zuletzt, nachdem Tausende gefallen waren,
an neuen Opfern, so sprangen selbst Senatoren und
Ritter von ihren Sitzeil in die Arena, um den Kampf
zu erneuern. Ein ungezähltes Kontingent lieferten die
zum Tode verurtheilten Christen. Ad 'bestias— zu den
Thieren! lautete tausend und aber taufend Mal der Ruf
auf dem Forum und in ben Gerichtshallen, wenn ein
Verehrer des Einen wahren Gottes und Bekenner des
Gekreuzigten den Götzen zu opfern sich weigerte. Die
Arena des slavischen Amphitheaters wurde nnt Strömen
von Martyrerblut getränkt. Aber das Wort des Apo-
logeten: „sanguis martyrum est semen crucis ■—- aus
dem Blute der Märtyrer sproßt das Kreuz!" ist hier buch-
stäblich zur Wahrheit geworden; auf den: also gedüngten
Bodeil erhebt der Baum des Lebens kräftig seine welt-
umspannenden Aeste. llnb die Zuschauer? Sie dräng-
ten sich wochenlang Tag für Tag zu den Eingängen und
Sitzen, ohne ihre Schaulust gn ermüden, ohne ihre Blut-
gier zu sättigen. Um die grauenhaften Ergötzungen nicht
durch die Stimme des Magens unterbrechen gn lassen,
wurde im Amphitheater Angesichts der Leichen, beim Qualme
rauchenden Menschenblntes gegesfeir und getrunken. Selbst
die Dunkelheit, welche doch stets dem Krieger in der
wüthenden Schlacht, auch einem Wellington bei Waterloo,
Rilhe verhieß, that dem Hinschlachten keinen Einhalt.
Mau setzte bis tief in die Nacht, ja ganze Nächte hin-
dllrch, die schaurigeil spiele fort. Dann wurde das
Kolosseum mit tausenden von Fackeln erleuchtet, die ihr
flackerndes Licht über Zuschauer und Fechter ergossen
und die Greuelscenen iloch schauriger machten. Zwei,
drei, ja fünf Tage und Rächte haben die Spiele ohne
Unterbrechung gedauert. „Venationes gladiatoresque^jcicjt
Sneton von Domitian, nootibn8 all 1yebnnobo8 dedit;
nec virorum modo pugnas sed et feminarum — Domi-
tian gab Thiergefechte und Gladiatorenspiele zur Nacht-
zeit beim Scheine von Fackelil; und nicht blos Männer,
fonderir auch Frauen schickte er auf die Arena."
Doch hinweg von diesen grausigen Scenen! Wem
nicht Barbarenblut das Herz oder Berserkerwuth die
Seele erfüllt, der fühlt selbst bei der Schilderung dieser
Greuel den innersteil Nerv seines Wesens erbeben. Wen-
den wir uns vielmehr einer erquicklichern Betrachtung des
slavischen Amphitheaters zu. Verlassen wir den Gesichts-
punkt der Sittengeschichte, uni den Standpunkt der Kunst-
historie zu betreten. Fassen wir das Kolosseunr als
Kunstwerk, als Schöpfung der Architektur ins Auge, all
die sich die Skulptur wie die Tochter an die Mutter
anschmiegt.
Das Amphitheater ist eine der römischen Architektur
eigenthümliche Schöpfung, die fein anderes Volk kannte,
die keiner andern Nation entlehnt ist. In demselbeil ist aber
auch der Gruudcharakter der römischen Baukunst
so vollständig und bestimmt zum Ausdrucke gelangt, daß
man an dem Kolosseum so zu sagen einCompendinm der
römischen Architekturgeschichte vor sich hat. Die römische
Baukunst ist trotz der Massenhaftigkeit und Solidität,
die darin herrscht, nicht originell, sie ist vielmehr eine
Kombination des altetruskischen Gelvölbebaues mit denr
klassisch-griechischen Säulenbau. — Die praktischen und
werktüchtigen Bewohner Etruriens waren es, die zuerst
den glücklichen Gedailken erfaßten, abgestumpfte Keilsteine
in der Richtung der Radien eines senkrecht ans seinem
Durchmesser stehenden Halbkreises zusammenzufügen Amd
so den Rundbogen mrd das Tonnengewölbe zn konstrniren.
Das Thor voll Volterra ist das älteste erhalteile Beispiel
des Rundbogens, ben kein früheres, kein anderes Volk
aufzuweisen hat. Und wer kennte nicht das älteste Ton-
nengewölbe, das die etruskische Banverständigkeit uns
hinterlassen hat, die Cloaca maxima des Tarqninius
Präsens, die noch heute das Thal zwischen dem Eapito-
linus und Palatinus entwässert? Von den Etruskern
erlernten dieRömer den Gewölbebau und bildeten ihn zum
imposanteil Kuppelbau und zu dem wichtigsten aller ar-
chitektonischen Glieder, dem Kreuzgewölbe, aus.
Der griechische Architekt schuf ben etruskischen Nütz-
lichkeitsbauten gegenüber jene bewunderten Prachtbauten
der Hellenen — die Tempel. Der griechische Tempel ist
kurz gesagt ein Säuleirhaus, nnb die griechische Architek-
tur ist eben so vorwiegend Säulenbau als die etruskische
Gewölbebau. Die griechische Säule ist die ästhetisch ge-
gliederte senkrechte Stütze für eine horizontale Last. Sie
besteht ans Basis, Schaft und Kapitäl. Den verschie-
denen Charakteren der Hauptstämme dieses klassischen
Volkes entsprecheud, habeil sich diese Säillenglieder ver-
schiedentlich ausgestaltet. Als mächtiger, kräftiger Strahl
schießt die dorische Säule ans den: dreistufigen Unterbau
— Stylobat — der die gemeinschaftliche Basis abgibt,
ernst und würdig empor. In üppiger Fülle schwillt ihr
Schaft in dem untern Drittel allmälig an, verjüngt sich
aber dann, gleichsam für den Konflikt mit der drücken-
den Last ihre Kräfte sammelnd. Diese straffe Spannung
der Kräfte ist es auch, welche die Muskulatur dieses
stämmigen Gliedes in senkrechten Kanelureu mit scharfen
Stegen zusammenzieht. Das Kapitäl signalisirt dem Auge
den Zusammenstoß der aufstrebenden Kraft mit den:
Drucke der Last. Darum baucht sich der Sänlenhals in
dem Angriffspunkte gn einem mächtigen Halbwulst, wenn
ich in technischem Terminus reden darf, dem Echinns, ans,
ist aber unter demselben von Riemchen umschlungen, das
Auseinanderplatzen gn verhüten. Auf den Echinus setzt
sich eine kräftige viereckige Platte, der Abakus, auf, wel-
cher dem horizontalen Langbalken — Architrav — als
unmittelbare Unterlage und Vermittlung dient.
Den: würdevollen Ernste des dorischen Charakters
gemäß beträgt die Höhe der dorischen Säule fünf untere
Durchmesser oder wie der lateinische Architekt Vitruv
sagt: 10 Modul. Leichter und heiter wie der Ionier ist
auch seine Säule; ihr Schaft mißt nenn untere Durch-
messer oder 18 Modul; die Caneluren sind tiefer aus-
gehöhlt und stoßen in flachen Stegen zusammen. Um
ihrer schlanken Höhe am Fnßpnnkte mehr Halt und
Standfestigkeit gn geben, ist eine besondere Basis unter-
geschoben, die aus zwei halbrunden Wülsten besteht, welche
mittels einer straff gezogenen Hohlkehle verbunden wer-
den. Au die Stelle der Riemchen, welche den Mannes-
hals der dorischen Säule umschlingen, tritt eine schmucke
Perlschnnr, welche sich zierlich um deu Nackeu der joni-
nischen Jungfrau schmiegt. Ans deu Echinus ist ein
Ornament gemeißelt, welches ein Mißverständniß deu Eier-
stab nannte, nach Carl Böttichers („Tektonik der Helle-
nen") richtiger Bemerkung aber in Wirklichkeit sein Motiv
von einem Blätterkranze entlehnte. Der starre Abakus
über demselbeir ist von einem Gliede voll sprudelnder
Lebenskraft verdrängt —- dem sogenannten Polster oder
Thorns. In Folge des lastenden Druckes quillt es in
üppiger Ftitle zu beiden Seiteir reichlich hervor, rollt sich
aber in den schivunghaften Schneckenwindungen oder Vo-
luten auf zu energischer Feder- und Hnbkraft.
In der Kapitälbildung griff der architektonische Genius
des prunk- und prachtliebendenKorinthers zu noch reicheren
Motiven. Er gestaltete den Säulenkopf aus einer Blät-
terkrone des malerisch gezahnten Akanthns. Zwei in
einandergeschobene Reihen von Akanthnsblättern bilden
den Kelch; aus der obern Blattreihe wachsen zwischen
den Blättern acht Blumenstengel hervor, die sich unter
zierlichen Blatthülsen spalten und nach der Mitte und
den Ecken der Seiten des prosilirten Deckgliedes sich
ausbreiten. Durch den Druck des Architravs werden
Das Kolosseum in Nom.
249
die aufstrebenden Blattspitzeu des Kelches zu elastischen
Neigungen, die Blumenstengel zu leichten Voluten um-
gebogen.
Die Säulenkonstruktion erlernte die römische Archi-
tektur voil den Griechen und eignete sie sich in ihrem
ganzen Umfange mit schmiegsamer Gefügigkeit an. Aber
die Umgestaltung, welche sie mit den: Kapital vornahm,
um deil drei griechischen Ordnungen eine vierte — die
römische — zuzufügen, ist mißlungen, weil mißverstan-
den. Sie setzte nämlich auf deil korinthischen Blattkelch
den jonischen Sänleukopf unb schuf so das unorganische
und darum unschöne Komposita -Kapitäl.
Die Römer, welche die große Kraft besaßen, die Völker
zu unterjochen und ihre Reichthümer au sich zu reißen,
hatten auch eine eben so große Biegsamkeit, ihre einhei-
mischen Traditionen mit der Religion, der Bildung und
Kunst der bezwungenen Nationen zu verflechten und zil
verweben. Dieser' Mischcharakter ist das Specificum
ihrer Philosophie und Kunst. Im Vorigen haben wir
die Legirung der römischen Architektur analysirt und ihre
regulinischen Bestandtheile nachgewiesen, wie sie sich an
den römischen Bauten bald mehr, bald weniger vollstän-
dig, aber am vollständigsten anr römischen Kolosseum
wiederfinden. Der unbekannte Baumeister des Riesen-
werkes hat es verstanden, den etruskischen Rundbogen
und die griechischen Säulenordnnngen untereinander und
mit der römischen Ordnung zu einer gelungeneil und
großartigen Harmonie zu vereinigen. Der Küilstler hat
es verstanden, mittels architektonischer Formen den kolos-
salen Massen Geist und Leben einzuhauchen. Das zeigt
sich besonders an der Außenseite, wo sich das eigentliche
Feld der Kunstthätigkeit entfaltete. Die endlose Mauer-
fläche hat er eben so einfach als sinnig gegliedert. In
horizontaler Richtung theilte er sie durch kräftige Gesimse;
die so entstaildenen Mauerstreifen durchbrach er in deil
drei unteren Etagen mittels mächtiger Arkaden, die er
in senkrechter Richtung durch eben so viele Halbsäulen
trenilte. Während er die unteren Bogenöffnungen zu
Eingängen einrichtete, stellte er in die des zweiteil und
dritten 'Stockes gewaltige Marmorstatnen, deren Piede-
stale noch in den Ruinen bemerkbar sind, die selbst aber
auf alten Münzen in Reliefs des Kolosseums uns ent-
gegentreten. Die vierte Etage durchbrach er zwar durch
kleinere viereckige Fensteröffnungen, aber für die flache
Außenseite, welche blieb, hatte er in riesigen Reliefschil-
deil ein lebengebendes Element in Bereitschaft.
Die große Schwierigkeit, bei so uugeheuereil Dimen-
sionen schöne Verhältnisse zu finden, hat er mit unüber-
trefflichem Geschicke bewältigt; es ist Einem, als müßte
es gerade so, als könnte es nicht anders sein. Wie
den Meister des Stils, so erkennt man den Meister der
Kttilst oft besser aus denl, was er wegläßt, als aus dem,
was er anbringt. Da bei rieseilhaften Massen nur das
Großartige Wirkung haben kann, so ist mit sicherm Takte
alles kleinliche Beiwerk iil der Detailbildung vermieden.
Der Baumeister des Kolosseums war seiner Mittel so
sehr Herr, daß er, unbekümmert um die Vorschriften und
Gesetze der Schule, aber mit weiser Berechnung des
Effektes, an den Säulen die Canelirung, unter dem do-
rischen Sims die Dreischlitze fehlen ließ, dereil Anwen-
dung nur Unruhe unb Verwirrung in den Anblick, ermü-
dende Ueberladung in das Bild hineingetragen hätte.
Das weit vorspringende Kröilungssims stützte er eben so
überlegt auf den kräftigsteil Zahüschliitt, deil je ein Ar-
chitekt entworfen.
Tief gedacht und richtig empfunden ist es auch, wenn
er in der untern Pilasterreihe die kräftige dorische, in der
zweiten die schon leichtere jonische, über" dieser die schlanke
korinthische und eildlich — gewiß nicht ohne römische
Selbstüberhebuilg — zu oberst die schinächtige römische
Säule herrschen läßt. Dadurch ist nicht blos die Last
nach Maßgabe der Kraft vertheilt, sondern das Auge
erhebt sich auch mit gesteigertem Wohlgefallen von den
Globus VI. Nr. 8.
schlichten nild einfachen Formen zu den inliner reifer sich
entwickelnden Gestaltungen. Der vielfachste Wechsel von
Licht und Schatten ist über die gedehnte Mauerfläche
ansgegossen. Die Perspektive führt dem beobachtendeil
Alige jede folgende Säule unter einem andern Gesichts-
winkel, jede Bogenöffnnng in einer andern Curve vor
— und doch ist jede Reihe aus identischen Gliedern
konstruirt. So herrscht in dem Ganzen durchdachte
Mannigfaltigkeit bei harmonischer Einheit. Bedarfs noch
der Erwähnung, daß eben darin das Princip der Schön-
heit beruht?
Die ferneren Schicksale dieses Riesenbaues von seiner
Vollendung an, bis er zu seinem jetzigen ruinösen Zu-
stande verfiel, kanil ich nur flüchtig berühren. Als Ma-
crinus die Vulcanalien darin feierte, fuhr, trotz des ge-
feierten Fenergottes, dessen Gesellen dem Jupiter die
Donnerkeile schmiedeten, ein Blitzstrahl hinein unb ent-
zündete die drei oberen Sitzreihen, welche aus Holz kon-
struirt waren. Alerander Severus vollendete die Restau-
ration, welche Eliogabal, sein Vorgänger, begonnen, und
Philippus Arabs, sein Nachfolger, feierte im Jahre 248
n. Chr., dem tausendsten nach Roms Erbauung, die
prächtigen Säkularspiele in demselben. Als das Christen-
thum den römischen Staat mit seinem Fermente durch-
säuert hatte, mußten die grausamen Fechterspiele und
blutigen Thiergefechte aufhören, da sie dem milden Geiste
und der strengen Moral des Christenthums schnurstracks
zuwiderliefen. Mit dem Abstellen dieser Volksbelustigung
verlor aber das Amphitheater seine praktische Bedeutung
und fand daher nur noch wenig Beachtung. Im Mittelal-
ter diente es den römischen Baronen als Festung; um das
12. Jahrhundert besaßen es die Frangipani, denen es
jedoch die Annibaldi gar oft streitig machten. Letztere
hatten es um das Jahr 1312 in Besitz, mußten es aber
in diesem Jahre an Kaiser Heinrich VII. übergeben, der
es dem Senate und Volke zurückstellte. Nun brach eine
für ganz Rom unb im Besondern auch für das Kolosseum
höchst traurige Zeit herein — die Zeit des Aufenthalts
der Päpste in Avignon. Der gewaltige Drei-Kaiserbau
wurde als Steinbruch benutzt, aus dem man das Material
zum Bauen und Kalkbrennen schöpfte. 1381 stellten Senat
und Volk den dritten Theil des Gebäudes einer Bruder-
schaft zur Verfügung, welche ihre stattliche Capella Sancto-
rum beim Lateran daraus erbaute. Zeit und Menschen
setzten das Zerstörungswerk emsig fort. Paul II. konnte
aus den herabgestürzten Blöcken den Palazzo di San
Marco — jetzt Hotel der österreichischen Gesandtschaft —
erbauen; der Kardinal Riario entlehnte von demselben die
Bausteine des heutigen Palastes der Cancellaria und
Paul III. das Material zu dem ausgedehnten Palazzo
Farnese. Benedikt XIV. endlich weihte es religiösen
Zwecken und entriß den Bau durch dieses sichere Mittel,
dem so manche Antike ihre Erhaltung verdankt, der fer-
nern Verwüstung. Er errichtete rings um die Arena
sogenannte Stationen und pflanzte in der Mitte derselben
ein mächtiges Kreuz auf. Jeden Freitag wird die via
cnici8 abgehalten; und ses macht in der That einen er-
greifenden Eindruck, inmitten dieser Trümmer die kla-
genden Weisen der Passionslieder zu vernehmen. Von
da ab fing man an, auf die Erhaltung des Gebäudes
Bedacht zu nehmen. Pius VII. und Leo XII. haben
mächtige Streben aufführen lassen, um dem Einsturze
ber Umfassungsmauer vorzubeugen. Pius IX., der jetzt
regierende Papst, wies bedeutende Summen aus seiner
Privatschatulle an, um eine Restauration der noch vor-
handenen Theile vornehmen zu lassen.
Sollen wir jetzt vom Kolosseum scheiden? Mit
nichten. In einer Reise-beschreibung habe ich gelesen, das
Kolosseum müsse mail beim Mondscheine sehen, um den
ganzen Zauber desselben auf sich wirken zu lassen. Zum
Schluffe möchte ich mir erlauben, das Bild einer solchen
Mondscheinscellerie vor Ihnen auszurollen. Aber gestatten
32
250
Das Kolosseum in Rom.
Sie, daß ich beu Pinsel in die Tinte einer unvergeßlichen
Erinnerung tauche.
Es war am 27. September des Jahres 1857. An
diesem Tage sollte das Kolosseum in Augenschein genom-
men werden. Der Abend vorher und der Morgen ge-
hörteil den Vorbereitungen z>l diesem Gange. Die auf
das Amphitheater bezüglichen Stellen bei Suetonius
Tranquillus, der uns die interessanten Biographien der
12 ersten römischen Kaiser hinterlassen, wurden nachge-
schlagen; Annäus Seneca, der unglückliche Erzieher
Nero's, der, wie ein antiker Eugene Sue, an silbernen
Tischen in weinerlicher Sentimentalität über die Bedräng-
nisse des Volkes schrieb", wurde durchblättert; Tertullians,
des berühmten Apologeten, und Martialis, des bekannten
Epigrammatikers Libri de spectaculis wurden nachge-
sehen; das von Augenzeugen verfaßte Martyrium des
heiligen Ignatius von Antiochien durgelesen; endlich
Josias Bunsens großes Werk über Rom und Nibby's
klassisches Bllch dell’Anfitheatro Flavio herangezogen.
Bei diesen Vorbereitungen leistete uns der gemüthliche
Tyroler, Dr. Flir, ein eben so trefflicher Charakter als
ausgezeichneter Gelehrter, von dem ein vielgenannter
deutscher Schriftsteller mit Recht sagt, ihm sei jeder Stein
in Rom bekannt gewesen, mit feinem reichen Schatze von
Kenntnissen und literarischen Hülfsmitteln treffliche Dienste.
Leider ist derselbe, nachdem er die letzte Vorstufe vor dem
Kardinalat txi dem Präsidium der Rota Romana, des
obersten römischen Gerichtshofes, der durch seine gründ-
lichen Entscheidungen iir der juristischen Welt eines gllten
Klanges sich erfreut, erstiegen hatte, der Wissenschaft und
den Deutschen, welche Rom besuchen, durch einen zu
frühen Tod entrissen worden. Es ist zu bedauern, daß
seine Vorarbeiten zu einer Geschichte der Monumente
Roms bei seinem Ableben noch nicht so weit gediehen
waren, daß Frenlldeshand sie als opu8 posthumum her-
ausgeben konnte. Friede seiner Asche! Mir selbst kam
es trefflich zu statten, daß ich das im Innern noch ganz
erhaltene Amphitheater zu Verona wiederholt gesehen
hatte, einmal im Jahre 1853, als — welche Ironie des
Schicksals! — eine erbärmliche Komödiantentruppe ihre
elende Bude auf der Arena aufgeschlagen hatte; das
andere Mal, als der Statthalter von Venetien und der
Lombardei mit seiner jungen Gemahlin von Adel und
Volk festlich darin begrüßt wurde.
Am Nachmittage wurde mit dem geschilderten Rüst-
zeug die Wanderung zum Kolosseum unternommen, die
großartige Ruine zu besichtigen und wie den Phönix aus
der Asche vor unserm Geiste aus den Trümmern in ihrem
alten Glanze erstehen zu lassen. Der Genuß war groß, j
die Zeit verflog unerwartet, die Sonne war längst un-
tergegangen, und die rosensingerige Abeudröthe ergoß
schon den letzten Rest ihrer unbeschreiblichen Farben- s
Mischung von Purpur und Violet über den westlichen
Horizont, als wir zurückkehrten. Abends gegen neun Uhr ,
riß ich mich von einer heitern Gesellschaft, welche die
köstlicheil Erinnerungen des Tages mit Cyperwein be-
feuchtete, los, um einen nächtlichen Spaziergang über das
Forum zum Kolosseum zu machen. Es ist ein wahrer
Hochgenuß, so in stiller Einsamkeit der Nacht zwischen
Ruinen der Vergangenheit in den Ueberlieferungen der
Geschichte zu schwelgen. Solche Stunden ragen in die
späteste Erinnerung hinein, lvie die goldumsäumten Spitzen
der glühenden Alpen in das Dunkel des Himmels. Un-
vergeßlich sind mir die Stunden, welche ich mit solchen
historischen Phantasien in dem verfallenen Kreuzgange der
Kathedrale zu Canterbury, wo Einen der spekulative Geist
emes Anselmus anhaucht, am Schloßhügel zu Avignon,
wo eme lange Periode des Papstthums, am Tower zu
London, wo die ganze englische Geschichte an der Seele
plastisch vorüberzieht — aber am unvergeßlichsten ist mir
der Abend, welchen ich im Kolosseum verbrachte.
Der Mond. hängt in voller Scheibe am tiefblauen,
sternbesäeten Himmel, die Ruinen des Foruins und ihre
dunkelen Schatten reizen die Phantasie zu reger Thätig-
keit, indem sie, ich möchte sagen, die wehmüthige Ouver-
türe zu dem Trauerspiel anstimmen, das unser wartet.
Die frische Luft duftet aromatisch, wie von Wohlgerüchen
getränkt. Am Eingänge werde ich von einem französischen
Posten angerufen, der, mit seiner Muskete im Arm, die
Trümmer zu bewachen scheint. Es ist ein Esasser, der,
sobald sein sicherer Instinkt einen Deutschen erkennt, mit
den in der Fremde doppelt süßen Tönen der Mutter-
sprache zu mir redet, mich ans die Unsicherheit der Ge-
gend aufmerksam macht und vor nächtlichem Ueberfalle
warnt. Der Unglückliche! erahnt nicht, daß er eher an
seine eigene Sicherheit zu denken Grund hatte. Ich un-
terdrücke die Betrachtlmg über den großen Ruin des
Vaterlandes, welche der Elsässer mit seinen rothen fran-
zösischen Jnerpressibles meinem Gemüthe aufdrängt und
trete beherzt in die größten Trümmer des größten Rei-
ches. Ich wähle meinen Platz in der südlichen Cäsaren-
loge — als Kayser durfte ich mir schon erlauben, den
Sitz eines Kaisers einzunehmen — und bitte Sie, sich
links und rechts niederzulassen. Vor uns liegt, von dem
magischen Lichte des Vollmonds beschienen, die ganze
nördliche Hälfte der Riesentrümmer, überragt von der
emporstarrenden Umfassungsmauer; wir selbst befinden
uns in zauberhaftem Halbdunkel, das uns geisterhaft
umfängt. Die Konturen sind bei solcher Beleuchtung
noch schärfer gezeichnet, der Wechsel von Schatten und
Licht kontrastirt noch greller, als beim Sonnenschein.
Da ergießt sichs in mächtigen Strömen auf die
Schöpfräder der Phantasie. Wie mit einem Zauber-
schlage^ hat diese schaffende Wunderthäterin aus dem
Materiale, welche das handlangende Gedächtniß ans dem
Schachte vorausgegangenen Studiums ihr zuträgt, die
Areua und die Sitzreihen hergestellt in ursprünglicher
Pracht. Ueber uns wallen, von sanfter Brise geschwellt,
in spielendem Wellenschlag die purpurnen Teppiche, mit
einem Heere von Goldsternen übersäet. An den gespann-
ten Tauen hangen tollkühn die Matrosen, um die Fla-
schenzüge zu entwirren und die Schläuche für die wohl-
riechenden Wasser ;n ordnen. Unter unseren Füßen
brüllen Lölven, Panther, Bären in ihren überwölbten
Behältern, so daß das ganze Theater erzittert. Das
nördliche Kaiserthor öffnet sich, und vom Prätor und
zahlreichein Gefolge umgeben nimmt der Imperator uns
gegenüber in der prächtig allsgeschlagenen Hofloge Platz.
Ali ihn reihen sich die weißgekleideten Vestalinnen und
ehrwürdigen Senatoreil in goldverbrämten Mänteln; ltnb
im folgenden Augenblicke haben 107,000 Zlischauer sich
der Steh- und Sitzplätze bemächtigt. Rechts und links
vom Cäsar, so wie hinter demselben die römischen Ma-
tronen mit ihren blühenden Töchtern, strahlend von
Schönheit wie von Purpur und Diamanten — wahr-
haftig ein Damenkrauz, wie ihn iiur Roms Schönen zu
flechten vermochten.
Plötzlich wirds stille. Ein Priester des Jupiter tritt
feierlich ernst durch das westliche Thor; eiue Prätorianer-
schaar, das bekrönte Schlachtopfer führend, folgt ihm. An
dem in der Mitte der Arena aufgepflanzten Tragaltare
zuckt der flamen dialis das blinkende Messer; das Opfer
ist gefallen, Jupiter ist versöhnt, das grausige Spiel kann
begmileu. A jove principium! gilt für die Fechterspiele
um so mehr, da sie zu Ehren Jupiters gefeiert werden.
Schon hören wir schmetternde Fanfaren nahen. Unter
demselben Thore, durch welches der Opferpriester eintrat,
erscheinen die venatores, Hetzer, in zwei Reihen geordnet;
sie trageil Peitschen m ihren Händen, um die Schaareil
der Unglücklichen, welche nackt in ihrer Mitte gehen, zum
Kampfe anzutrelben, falls sie furchtsam zurückscheuen
sollten. Das sind die destiarii, welche zunl Theil mit
Schwertern und Lanzen bewaffnet, gegen die wilden
Bestlen zu kämpfen haben, theils an Pfosten gebunden
oder m Netze verstrickt, dem Zerreißen preisgegeben
werden sollen. Ilnter den Verzweifelten sehen wir Män-
Das Kolosseum in Nom. 251
ner und Jünglinge, die freudestrahlend mit verklärtem
Antlitze die Arena betreten wie im Triumphzuge; es sind
zum Tode verurtheilte Christen, welche die ewige Sieges-
palme zu erringen im Begriffe stehen. Ein Herold voran,
ziehen sie unter dem Schalle der Musik rings um die
Arena, vor dem Kaiser tief sich verbeugend," rufen sie
laut: „Caesar, morituri te salutant!“ — „Cäsar, dich
grüßen die Kinder des Todes!" Sie werden iu ver-
schiedene Haufen gesondert, um nach einander zur Bente
der Thiere zu werden. Die Zuschauer harren ungeduldig
des Anfangs; endlich erheben sich die sanften Vestalinnen
und geben das Zeichen zum Beginne der Metzelei. Da
öffnen sich die Fallthüren vor den Carceres, und aus-
gehungerte Löwen, Tiger, Panther, Bären, Eber stürzen,
zuvor' durch Stacheln und glühende Eisen iu Wuth ge-
setzt, mit funkelnden Angen und weit geöffnetem Rachen
in wildem Sprunge auf ihre Opfer.
Die Armen! sie fallen schaarenweise unter den Tatzen
und Zähnen der Raubthiere. Die lange Liste der Thier-
kämpfer ist endlich erschöpft. Die Schaulust des Volkes
hat das Blut iu Strömen fließen sehen; aber sie ist
nicht gesättigt, sie ist vom ersten Kosten nur zu wilder
Gier entflammt, um sich darin ganz zu berauschen. Ehe
aber ein neues Blutbad beginnt, ein kleines Intermezzo:
Wie die gierigen Bestien über die Thierkämpfer, so stür-
zen jetzt ausgehungerte Menschen, die selten Wildprett
kosteten, über die erlegten Hirsche und Eber hin, um sich
von den Thieren, die mit Menscheufleisch gesättigt, mit
Menschenblut besudelt sind, einen Wildbraten für ihren
ärmlichen Tisch zu erhaschen. An die erschlagenen Fech-
ter aber inacht sich eine Schaar confectores, Abdecker.
Ihnen voran zwei als Götter verkleidete Führer; der eine,
Mercur, untersucht die Leichen mit einem glühenden
Stabe, der andere, Pluto, schlägt ihnen, wenn sie noch
zuckend Lebenszeichen von sich geben, mit einem Hammer
den Schädel ein; die klebrigen schleifen mit Haken die
Leichen in das spoliarium.
Auf die confectores folgen zahlreiche Sklaven in
glanzvoller Livree, mit Hacken den aufgewühlten Zinnober-
kies zu ebnen und die Blutlachen zu beseitigen. Während
dessen aber träufeln köstliche Rosenwasser von den Tep-
pichen des Velariums herab und überduften den Blut-
qualm; Gesang aus hundert exquisiten Kehlen und die
Musik voil tausend Instrumenten ergötzt das Ohr, Reihen
von Bajazzos amüsiren das Auge mit ihren tollen
Sprüngen.
Doch horch! neues Trompetengeschmetter! Die Gla-
diatoren nahen. Sie trinken an dem Springbrunnen
der meta sudans die letzte Erquicknng. Auf buntbemal-
ten Wagen fahren sie durch das Westthor riilgs um die
Arena; nur eine kleine Abtheilung der großen Schaar ist
zil Pferde. Sie sind mit leichten: Gewände bekleidet,
das voil bronzenem Gürtel um die Hüfte zusammen-
gehalten wird. Auf den Köpfen blinken verschiedenartige
Helme. Noch lauter als zuvor erschallt uns gegenüber
der Ruf: „Caesar, te salutamus morituri! — Cäsar, noch
an der Schwelle des Todes unsern Gruß dir!"
Das Kampfspiel eröffnen in mehr komischer Weise die
Andabatae — Herumtapper, mit ihren drolligen Luft-
hieben und Fehlangriffen: denn sie streiten gegen einander
mit dem Schwerte bei verbundenen Augen.
Es folgen die retiarii — Netzkämpfer. Sie tragen
einen kleinen, runden Schild — die parma, einen Drei-
zack — tridens, und ein Netz, in das sie sich beim Kampfe
zu verstricken suchen; der Glückliche, den: es gelingt, den
Gegner in seinem Netze zu fangen, schleift ihn über die
Arena, während der Umstrickte mit seinem Dreizack noch
aus den: Netze den Sieger zu verwunden strebt.
Eine neue Abtheilung rückt vor zun: blutigen Ge-
metzel. Es sind Gallier, Vorfahren der grande Nation;
sie führen einen großen, runden Schild — den clypeus
— und das gewaltige Sichelmesser, eine gallische Waffe,
welche ihnen den unübersetzbaren Namen Mirmillones gab.
Nachdem diese furchtbare Todessichel viele klaffende
Wunden geschnitten, Hunderte dahingemäht, kommen die
laqueai’ü — Schlingenkämpfer — an die Reihe. Ihre
Schutzwaffe ist ein kupferner Schild; zum Angriffe dient
ihnen blos eine Strickschlinge, die sie sich gegenseitig um
dei: Hals zu werfen suchen, um sich die Kehle zuzuschnüren.
Was sollen die zweirädrigen Streitwagen, welche, von
Sklaven gezogen, an: östlichen Eingänge der Arena sich
zeigen? Der Kamps der Essedarü — Wagenkämpfer
— beginnt; so benannt von der Esseda, dem gallischen
Kriegswagen.
Eine noch seltsamere Kampfart löst sie ab; bkJifKc/cuQoi
treten auf; man gab ihnen eineu griechischen Namen,'denn
die lateinische Sprache reichte nicht aus, alle die Speciali-
täten der Gladiatoren zu bezeichnen. Sie haben keine
Schutz-, nur Angriffswaffen; als solche führen sie in
jeder Hand ein kurzes Schwert und kämpfen mit beiden
Händen ein seltsames Floret.
Ei:dlich sehen wir die eigentlichen Gladiatoren. Sie
kämpfen zu Fuß mit langen Degen und decken sich mit
großen oblongen Schilden. Die zu Pferde schwingen
eine mächtige Lanze gegen einander zum blutige,: Turnier.
Die Zuschauermenge geräth in Wuth; die sanften
Vestalinnen springen von ihren Sitzen ans; die Angen
der Senatoren funkeln vor Zorn. Was ist geschehen?
Ein nerviger Gladiator spaltet mit mächtigem Schwerte
Schlag für Schlag einem andern Gegner den Kopf.
Das ist der grausamen Schaulust ein zu rasches Ende;
sie will sich weiden an langdauernden: Todeskampfe der
unglücklichen Opfer. Von der andern Seite des Zu-
schauerraumes erschallt lauter Jubel. Dort entwickelt
sich ein hartnäckiges Gefecht zwischen einem gewandten
Gladiatorenpaare.' Die Rappire kreuzen sich munter.
Hoc habet! hoc habet! — Der sitzt! der sitzt! tönts
rings mit diabolischer Freude. Der Getroffene sinkt zu
Boden, erhebt sich aber bald wieder auf ein Knie und
fleht mit zitternd erhobener Hand um Gnade. Der
Sieger läßt stolz feinen Blick über die Sitzreihen hin-
gleiten; die Hände der Zuschauer bleiben gesenkt und
erheben sich nicht; die Menge will den Tod des Verwun-
deten. Der Unglückliche muß nun auf den Knien liegend
die Spitze des gegen ihn gezückten Degens mit eigener
Hand ergreifen und sich auf die Kehle setzen, um sich so
selbst den Tod zu geben. Schallender Jubel und Hände-
klatschen begleiten eine jede solche Exekution. Die Sieger
aber verlassen mit jauchzendem Beifall durch die porta
sanavivaria den Kampfplatz.
Die Gladiatorenkämpfe sind beendet; zahllose Leichen
bedecken die Arena; in das Frendengeschrei der elektrisir-
ten Menge mischt sich das Röcheln des Todes. Doch
was sehen wir? Gierig stürzen vornehme Patrizier und
zerlu:npte Bettler über die klaffenden Wunden der Leichen
und schlürfen, wie vom Vampyrdurst gequält, das warm
hervorquellende Blut. Grausiges Schauspiel! Es sind
Epileptische, die in eitlem Wahn glauben, sich durch
frisches Menschenblut von „der schweren Noth" heilen zu
können; ein Wahn, dem selbst Aristoteles und Plinius
huldigten, ein Wahn, der noch nicht ausgestorben, wie
sich erst jüngst bei der Hinrichtnng des Raubmörders
Nolte zu Hanau gezeigt; — so fest wurzelt Vorurtheil
im Leben des Volkes!
Die Arena ist gesäubert; aber das Knarren der Ma-
schinen und Knurren der Bestien unter derselben deuten
auf Vorbereitungen zu neuer Ueberraschung hin. Als
Zwischenspiel dient Mncius Scävola, der berühmte Rö-
merheld, dessen Geschichte in Aller Gedächtniß fortlebt,
dessen Gesinnung aber längst im Römcrvolke ausgestor-
ben. Ein Sklave wird von Soldaten an eine glühende
Kohlenpfaune geführt. Sein Widerstreben ist vergebens.
Die auf die Brust gezückten Schwerter zwingen ihn, seine
Hand lebendigen Leibes in der Glnth zu versengen.
Seht, er zittert — er wankt vor markerschütternden:
Schmerz; er droht umzusinken. Da legt eine Fackel
32*
252
Die Oase Tuat in der nordwestlichen Sahara.
Brand an sein geschwefeltes Kleid — die tunica incen-
dialis —; der Aermste flammt auf in greulicher Lohe.
Indem wir noch erbeben vor diesem furchtbaren Au-
todafe, ändert sich plötzlich die Scene. Da es dunkel ge-
worden, flackern wie auf einen Wink tausende von Fackeln.
Die Arena wandelt sich wie mit einem Ruck in Hügel und
Wald. Die Fechter sehen sich nach allen Seiten von
hundert Löwen-, Tiger- und Pantherrachen angefallen,
welche durch das Geschrei der Menge, aber mehr noch
durch die Pechkörbe, welche den Wald der Arena erleuchten,
*u furchtbarster Raserei getrieben sind. Eine lvilde, grau-
sige Jagd beginnt — wie noch kein wilder Jäger sie gejagt.
Doch kurzen wir ab. Alles ist todt; Menschen- und
Thierleichen bedecken in wüstem Durcheinander den Kampf-
platz. Nur die Fackeln leben noch und einige Alpenbären und
wenige Löwen Nnmidiens und lauern auf frische Beute.
Was will der Sklave, welcher, scheu umhersehend, mit ängst-
lichen Grimassen auf die Arena gedrängt wird ? Er muß zur
Belustigung des Volkes ein Ei auf seiner flachen Hand
zwischen deil lauernden Bestien dahintragen. Er erreicht
springend und balancirend glücklich das andere Ende und
rettet Haut und Leben unter dem schallenden Gelächter
der Zuschauer.
Doch ihre Blutgier ist noch nicht gesättigt. Der
Ruf: bestiarios! Thierkämpfer! ertönt von allen Sitzen.
Es sind keine mehr in Bereitschaft; desto lauter wird das
fordernde Geschrei. Da tritt ein Bote zum Kaiser. Auf
einen Wink verkündet der Herold, daß eben der Bischof
Ignatius*), der sich selbst Christophorus, Christusträger,
nenne, von Antiochien her angelangt ist, um durch die
Zähne und Klauen der Löwen die Strafe für sein Ver-
leugnen der Götzen und Bekennen des Gekreuzigten zu
erleiden. Ein ehrwürdiger Greis tritt mit verklärtem
Antlitz auf die Arena; sein Auge strahlt von himmlischer
Beseliguug. Selbst den Löwen der Wüste flößt diese
*) Man wird dieser „Reverie" zu Gute halten, daß sie den
Kaiser Trajan, der doch in Antiochien weilte, beim Tode des
Ignatius im Kolosseum anwesend sein läßt.
überirdische Erscheinung Ehrfurcht ein; sie schmiegen sich,
freundlich mit dem Schweife wedelnd, zu seinen Füßen.
Erst die Aufforderung des Heiligen, der mit der Ruhe
eines höhern Wesens die Bestien lächelnd anschaut —
erst die Aufforderung des Heiligen: „ihn wie Korn mit
ihren Zähnen zu mahlen, damit er ein reines Brod Christi
werde", gibt denselben Gewalt über seinen Leib und sein
Leben. Ein Doppelsprung — und der Bischof hat aus-
gekämpft — die Martyrkrone ist sein! Die Geschäftigen,
welche mit Schwämmen sein Blut sammeln und in gol-
dene Phiolen ausdrücken und sorgsam die gröberen Kno-
chen auflesen, welche die Löwenzähne verschonten, sind
fromme Christen aus Autiochia, der asiatischen Metropole,
welche den Heiligen nach Rom begleiteten, um Zeugen
feines Heldentodes zu sein und sich seiner Reliquien mit
Gefahr ihres eigenen Lebens zu bemächtigen.
Aber horch! Welch ein Plätschern der Wasser, welch
ein Rauschen der Wogen schlägt an unser Ohr? Oeffuet
vielleicht die Rache des Himmels wie bei der Süudfluth
die Schleusen der Erde, um ein so verkommenes Ge-
schlecht vom Erdboden zu vertilgen? Keineswegs. Der
Kanal des Amphitheaters hat sich aufgethan und setzt die
Arena unter Wasser. In den Fluthen wälzen sich 36
gewaltige Krokodile und doppelt so viele Nilpferde. Bar-
ken mit Fechtern und Harpunirern bemannt stoßen von
allen Seiten ab, und nun gibts ein Kämpfen und Strei-
ten, ein Zappeln und Platschen, ein Winden und Wogen
auf der Wasserfläche im buntesten Durcheinander. Hier
wird ein Ungeheuer getroffen und fährt unter lautem
Gebrüll durch die Wellen, dort ein Kahn umgestürzt und
— da werde ich durch einen Schuß aus meinen Träumen
aufgeweckt; das Gesicht war verschwunden, die aufwachen-
den Augen sahen nur noch die Trümmer. Ich eile zum
westlichen Eingänge, wo ich den Elsässer getroffen. Er
liegt am Boden, sich windend vor Schmerz, seine abge-
schossene Muskete neben ihm. Das meuchlerische Stilett»
eines Jtaliauissimo hatte ihn, aber glücklicherweise nicht
tödtlich, verwundet. Erst gegen 12 Uhr langte ich wieder
in meiner Wohnung an. Dixi. Valete!
Die Dase Tuat in -er
Im Globus wurde schon sehr oft hervorgehoben, welche
Bedeutung die Oasen in der nordwestlichen Sahara haben.
Die Franzosen wollen von Algerien aus sich einen Hau-
delsweg nach dem obern Niger, insbesondere nach Tim-
buktu, eröffnen, während sie zugleich von ihren senegam-
bischen Besitzungen aus einen sichern Verkehrsweg bis
zum großen Strom des Sudan zu gewinnen trachten.
Unsere Leser wissen, daß eben jetzt der Lieutenant Mage
unterwegs ist, um sich mit den Zuständen jener Gegen-
den näher bekannt zu machen und mit den verschiedenen
Negerkönigen Verbindungen anzuknüpfen. Wir lesen
eben, daß' es ihm gelungen sei, bis au den obern Niger
zu gelangen. Er hat eine Sendung, welche jener Du-
veyriers entspricht, der vor drei Jahren mehrere
Oasen der nördlichen Sahara durchzog, namentlich um
mit den Tuareks freundschaftliche Verhältnisse anzu-
knüpfen. Wir haben darüber in unseren knlturgeogra-
phischen Erläuterungen zur Karte von Nordwestafrika
geredet. (Globus Y, S. 270 ff.)
Don besonderer Wichtigkeit ist der Oasen - Archipel,
welchen mau mit den Namen Tuat bezeichnet. Ein Blick
aus die Karte zeigt sofort, daß derselbe für die Karawa-
nen, welche aus Tunesien und Algerien nach Timbuktu
ziehell wollen, gewissermaßen den Schlüssel oder das Ein-
rwrdivestlichen Sahara.
gauststhor zum Sudan bildet. Duveyrier hat nun im
Machefte der Nouvellcs Auuales des Voyages eine Schil-
derung Tuats mitgetheilt, lvelche uns einen Einblick in
sehr eigenthümliche und verwickelte Zustände gewährt.
Der Oasen-Archipelagus Tuat (so lautet die ber-
berische Form für das Wort Oase) besteht aus fünf
Oasengruppen, von denen Tidikelt die südlichste ist.
Den Hauptort derselben bildet Jn-Salah (d. h. Stadt
Salah; in ist ein Pronomen demonstrativnm im Tama-
schek, d. h. der Sprache der Tuareks); es ist der wichtigste
Mittelpunkt für den Handel des Archipelagus mit Cen-
tralafrika, Algerien, Tunesien und Tripolitauien und
liegt in annähernd gleich weiten Entfernungeil von Tim-
buktu, Mogador, Tanger, Algier und Tripolis.
Tuat bildet eine unabhängige Couföderatiou von 3
bis 400 kleinen Ortschaften, hat eine Ausdehnung von
Norden nach Süden von etwa 300 Kilometern, von Westen
nach Osten von 160 Kilometern; es liegt zwischen deil
Meridianeil voll Algier und Oran auf dem geraden
Wege, der von Algerien aus nach Timbuktu führt. Deil
Verkehr mit Algerien kaun es iiicht entbehren, und Du-
veyrier sagt deshalb: „Es liegt im Bereich der natür-
licheii Anziehu»bskraft nuferer Besitzung." Tuat bekommt
von dort Getreide, Fleisch uiid Wolle, die ihm von den
Die Oase Tuat in der nordwestlichen Sahara.
253
Stämmen Algeriens regelmäßig zugeführt werden. Auf
das innerlich zerrüttete Marokko darf es nicht rechnen.^
Die Bewohner von Tunt erkennen die religiöse
Oberherrschaft der Schorf a (Scherife), d. h. der Kai-
ser voir Marokko an, die für Nachkommen des Prophe-
ten gelten. Diesem Neligioirsoberhaupte geben sie Geld-
geschenke, in ähnlicher Weise wie die Katholiken dem
Papst einen Peterspfennig verabfolgen. Sie zahlen aber
auch ein solches Geldgeschenk an die Marabuts von Tim-
buktu, an dre Bakkay, aber allemal mit der ausdrück-
lichen Verwahrung, daß die weltliche Obrigkeit sie nichts
angehe. Ueberhaupt sind sie auf ihre politische Unab-
hängigkeit sehr eifersüchtig, und ganz besonders den Fran-
zosen gegenüber, und das ist ihnerr am wenigsten zrr ver-
argen.' Sie sehen, wie diese nach und nach immer weiter
in die Wüste eingedrungen sind rrnd Laghnat und Wargla
besetzt haben. Colonieu (Globus V, S. 129 ff.; wir
findeil den Namen aber sehr oft auch Colomien geschrie-
ben) kain 1861 mit einer Karawane bis Timmimun, und
der mit den Franzosen verbündete Chalifa Si Hamsa kam
bis El Goleah. Dadurch entstand unter den TnLtern eine
solcke Bestürzung, daß Viele sich anschickten, in die Berge
des Ahaggar- (Hogar; s. Globus V, S. 304) Tuarek
zu flüchten, und gu diesem Zwecke waren Kameele so ge-
sucht, daß der Preis eines Thieres dainals um mehr als
das Doppelte stieg. Sie wandten sich an den Kaiser von
Marokko und baten denselben, sich auf diplomatischem
Wege für ihre Unabhängigkeit zrr verwenden; auch
den obersteil Marabut von Timbuktu (den Emir El
Bekkay, Heinrich Barths Freund) forderten sie auf, in
London und Konstantinopel Fürsprache zu ihren Gunsten
einzulegen. Aber schon vorher hatten sie sich in enge
Verbindungen mit zwei erbitterten Feinden der Franzosen
eingelassen, mit dem Hadsch Ahmed, der an der Spitze
der religiösen Verbrüderung der Senusi isteht, und an
Mohammed ben Abdallah;'der Letztere hat vor wenigen
Monaten den Kampf begonnen, welcher eben jetzt den
Franzosen so große Verlegenheit in Algerien bereitet.
Bisher haben die TuLter dahin getrachtet, sich so viel
als nur immer möglich zu isoliren und Handelsverkehr
mit den Franzosen abzulehnen, aber Manche begreifen,
daß ein solches Abschließen auf die Dauer nicht möglich
sei, denn TuLt liegt, wie schon gesagt, auf dem Wege nach
Timbuktu. Aber die Klasse der Tolba, der Schrift-
gelehrten, die beim Volke in großem Ansehen stehen, will
von einer Annäherung nichts wissen; sohald die Euro-
päer als Herren ins Land kämen, würde sie allerdings
an Einfluß viel verlieren, und das mag sie nicht. Darum
macht sie mit den Feinden der Franzosen gemeinschaftliche
Sache. ^
Die Letzteren bemühen sich nun, den TnLtern begreif-
lich zu machen, daß sie nicht nach der Herrschaft über
diese Oasen trachten, wohl aber ungehinderten Durchzug
für Waaren und Reisende nach und von Timbuktu ver-
langen; werde, so sagen sie, ein solcher ihnen verwehrt,
dann würden sie entweder TuLt erobern oder dessen Ver-
kehr lahm legen, indem sie die Karawanen zwängen, den
Weg zum Sudan von Wargla aus über El Beyyodh,
Agelaschschen und Mabruk zu nehmen.
Unterhandlungen mit den TnLtern sind eine höchst
schwierige Sache,' denn diese Conföderation, wenn der
Name erlaubt ist, von Republiken hat nicht einmal eine
allgemein anerkannte Oberbehörde für jede einzelne Oasen-
gruppe und eben so wenig eine Centralgewalt für das
Ganze. Alles ist zerklüftet, und jedes kleine Centrum
hat seine eigene und eigenartige Regierung. In den von
Berbern bewohnten Dörfern findet man demokratische
Ortsbehörden; in den arabischen Dörfern ist die Gewalt
in adeligen oder Marabut- Familien erblich; wo Negerblut
vorherrscht, ist die Obergewalt aristokratisch und in den
Händen von weniger dunkelfarbigen Menschen. Dazu
kommen dann noch vier verschiedene Parteien, welche im
Volk Anhang haben, nämlich zwei politische: die SefiLn
und Jhamed, und zwei religiöse: die Senusi und
Tedschadschna.
Die Franzosen hoffen nun, daß es dem Scheich El
Bekkay von Timbuktu möglich sein werde, diesen anar-
chischen Zustand in TuLt zu beseitigen; er ist seinerseits
Grundbesitzer in den Oasen und wünscht einen lebhaften
Handelsverkehr zwischen Nordafrika und dein obern Niger,
doch so, daß TuLt nicht in die Hände der Christen falle.
Betrachten wir uns nun die Bewohner dieses Oasen-
Archipels. _ Die Schwarzen sind am zahlreichsten, und
Düveyrier ist entschieden der Ansicht, daß sie die ältesten
im Lande seien, eben so wie in Gurara und Augernt.
Die alten griechischen und lateinischen Schriftsteller sagen,
daß das heutige Tasilelt (die Landschaft, welche man'im
Mittelalter als Sedschelmessa bezeichnete) als die West-
grenze der Garamanten zu betrachten sei. Demgeinäß
wären die. Schwarzen von TuLt stammverwandt oder
vielmehr eines uub desselben Ursprungs wie jene in
Fezzan, wo auch die alten Garamanten wohnten. Beide
haben noch heute dieselbe Art von Brunnen mit Gallerten
(die Fogarate). Weiter nach Norden hin, bei Moghar
und Asla, findet man an den Felsen eigenthümliche
Skulpturen, die wohl von den Garamanten herrühren;
Düveyrier nimmt also an, daß die Schwarzen in TuLt,
Leute mit snbäthiopischem Typus, ursprünglich zur Gara-
mantengruppe gehört haben.
Die verschiedenen Berberstämme kamen von Norden
her als Eroberer, und ihnen find später auch Araber ge-
folgt, von denen Manche sich ihre eigenen Dörfer bauten.
Das Berberische ist aber die Volkssprache in den Oasen
Gurara, Angerut und Timmi geblieben, während das
Arabische Handels-, Religions- und Schriftsprache ist.
In jeder Oasengruppe, die ans der sanftabfallenden
Westabdachung der Hochebene von Tademayt liegt uub
von dieser das Wasser zmu Trinken und zur Belvässerung
erhält, findet man eigenthümliche hydraulische Vorrich-
tungen, welche den Berbern und Arabern unbekannt sind
und nur da vorkommen, lvo die snbäthiopischen Schwarzen
den Grundstamm der Bevölkerung von jeher gebildet
haben. Ohne solche Wafferarbeiten wäre TuLt unbewohn-
bar, denn es sind schon Perioden von 25 Jahren
vergangen, in denen auch nicht ein einziger
Regentropfen gefallen ist.
TuLt also bildet den Abfall einer Hochebene, aber
trohdein hat das Gelände viel Aehnliches mit den Ein-
senknngen der Sebchas von Wargla, Uad Righ, Nefsana
und Fessau. Die centralafrikanischen Leute haben sich im
Norden vorzugsweise in solchen Regionen niedergelassen,
welche in klimatischer Beziehung die meiste Aehnlichkeit
zeigen; sie würden sich auch in anderen Gegenden nur
schwer eingewöhnt und fortgepflanzt haben.
Die Oasengruppen sind stark bevölkert, und deshalb
ivandern viele Leute aus. Man findet die TuLter lveit und
breit, in Timbuktu, Aghades, Rhat, Ghadames, Tripoli,
Tunis, Tlemsen, im westlichen Theile der algerischen Sa-
hara und in allen größeren Städten von Marokko. An
Handelsplätzen treiben sie Kaufmannschaft, bei den wan-
dernden Stämmen sind sie Lehrer; wer sich in der Fremde
eine Summe erworben hat, kehrt in die Heimath zurück.
Der Boden ist überall fruchtbar, wo er bewässert wird,
liefert aber nicht genug für die Bevölkerung, außer etwa
Datteln und Gemüse; für andere Zufuhren sind die
TuLter ans die Provinzen Algier und Oran angewiesen.
Baumwollenzeuge kommen aus Timbuktu oder überhaupt
aus dem Sudan, die Wolle zumeist aus Algerien.
^ Für den Lokalhandel sind die Ortschaften Timmi,
Timmimun und Tabalkosa von einiger Bedeutung;
für den größern Austausch sudanesischer und europäischer
Erzeugnisse die beiden Plätze In Salah und Agabli.
Diese letzteren verdanken ihre Handelswichtigkeit dem
Umstande, daß sie in täglichem Verkehr und gutem Ein-
vernehmen mit den Tuarek stehen, welche Herren der
Karawanenstraßen sind. In Salah ist eine junge Stadt,
254
Aus allen Erd theilen.
die Einwohner selbst halten sie für etwa 200 Jahre alt,
aber sie ist die wichtigste und reichste in dem ganzen
Oasen-Nrchipelagns. Mit einer europäischen Stadt hat
sie gar keine Aehnlichkeit. Man begreift nämlich unter
dem' Namen In Salah verschiedene Gruppen von Wohn-
häusern (Quessur), die sich von Westen nach Osten hin-
ziehen iiub mit einander zusammenhängen. Jeder ein-
zelne dieser vier Flecken hat seine besondere Befestigung
und sein eigenes Leben. Um diesen Hauptort herum
liegen noch 15 andere befestigte Dörfer und bilden gleich-
sam eine Bannmeile. In der Stadt selbst überwiegen
die Araber; doch sind, auch Kaufleute aus Ghadames
ansässig, und mehrere Tuarek-Häuptliuge besitzen Häuser,
Magazine und Dattelgärten. Ueberhanpt ist es Brauch
der Nomaden, in den Ortschaften der Oasen den werth-
vollsten Theil ihrer Habe unterzubringen; in dieser Ge-
wohnheit liegt ein Vortheil für die Ortschaften, welche
dann an solchen Nomaden Freunde íuib gleichsam natür-
liche Beschützer haben. So hat sich in Bezug auf In
Salah eine gewisse Solidarität zwischen der Stadt und
den Hoggar-Tuareks gebildet; diese Letzteren können sich
auf diesem Markte mit Allem versehen, was ihnen in
ihren Gebirgen mangelt. Dafür lassen sie den In Salah-
Karawanen ihren Schutz angedeihen. Eine gleiche Soli-
darität zeigt sich zwischen den Marabnts von Timbuktu
und den Kausteliten von In Salah. Uebrigens gelten
die Bewohner dieser Stadt für tapfere Krieger; sie sind
gute Reiter und führen Feuerwaffen; mit ihren nicht
minder tapferen Stammverwandten, den Illab ba Hammun,
stehen sie im besten Einvernehmen, und dieser Umstand
ist von Belang, weil sie nun gegen allzngroße Anfor-
derungen ihrer Freunde und Nachbarn, nämlich der Hoggar,
einigermaßen gesichert sind. Jene Ulad ba Hammun,
Nomaden von arabischer Abstammung, reden noch Ara-
bisch, haben aber im Uebrigen alle Sitten und Gebräuche
der Tuareks angenommen und kleiden sich auch wie diese.
Man sieht, wie eigenthümlich die Lebensverhältuisse
in solch einer Oase der Sahara sich gestaltet haben.
Aus ulken
Neue Reisen, Dr. Alfons Stübel ist im Mai von einer
Reise im nördlichen lind nordwestlichen Afrika nach Dresden
zurückgekehrt. Er war 21 Monate abwesend und hat nament-
lich einen Theil der marokkanischen Küste besucht, auch,
besonders in geologischer Beziehung, die Inseln des Grü-
nen Vorgebirgs und Madeira erforscht. Wir werden
im Globus Näheres über Dr. Stübels Reise mittheilen.
Berthold Seemann, der bekanntlich in Londoir lebte, ist
ans Venezuela zurückgekehrt. Es ist für jenes Land von
nicht geringer Erheblichkeit, daß er am Flusse Tocnyo sehr
mächtige Läger vortrefflicher Steinkohlen gesunden hat.
Richard Spruee ist nach einer Reise durch verschiedene
Theile Südamerika's, die nicht weniger als 15 Jahre in
Anspruch nahm, nach Europa zurückgekehrt.
Vambery, ein Reisender ans Ungarn, ist aus Central-
asicn zurück uub befindet sich jetzt in London. Er hat, als
Derwisch verkleidet, Buchara, Samarkand und Batch besucht,
ist am Orus hingcwandert, war auch in Herat und verweilte
längere Zeit unter verschiedenen, noch wenig bekannten Turko-
manenstämmen; er wird im Lause des nächsten Winters seine
Tagebücher in London eröffnen.
Mage geht von Sega nach Hamdallahi. — Perraud
von St. Louis nach Timbuktu. Lieutenant Mage war auf
seiner Reise vom Senegal nach Tiiubnktu glücklich am Niger
eingetroffen und hatte die Stadt S eg o erreicht, in deren Nähe
Mungo Park 1796 den großen Strom Jnnerafrika's zuerst
erblickte. Er wollte am 30. März von dort Weiterreisen und
zwar, wie ein Bericht aus Bakel meldet, zu dem erbittertsten
Feinde, welchen die Franzosen am obern Niger haben, nämlich
zu dem Hadsch Omar, dessen Lebenslauf und Bedeutung
wir im Globus mehrfach geschildert haben. Bekanntlich ist er
durch die Tuareks und dcii Scheich El Bekkay von Timbuktu
zurückgeschlagen worden und herrscht nun in Hamdallahi, der
Hauptstadt des westlichen Fntbereiches, dessen Herrscher von
ihm besiegt und getödtet wurde. In Sego, das im Lande der
Bämbara-Neger liegt, ist ein Sohn Omars König geworden.
Es ist möglich, daß Mage mit demselben eine Verständigung
gehabt hat, denn sonst wäre nicht leicht zu begreifen, wie der
Franzose den Plan hätte fassen können, nach Hamdallahi zum
Hadsch Omar zu gehen.
Eine andere überraschende Nachricht i,t folgende. Wir
haben in einer frühern Nummer berichtet, daß Sidna Mo-
hammed, Sohn des berühmten Scheichs El Bekkay (Hein-
rich Barths Retter und Freund), in St. Louis am Senegal
eingetroffen sei, wo er bei dem Gouverneur Faidherbe eine
äußerst freundliche Aufnahme fand. Beide haben Freundschaft
geschlossen, und Faidherbe hat dieselbe benutzt, um, von Mage
abgesehen, noch einen andern Franzosen nach Timbuktu ab-
E r d l h e i l e n.
zusenden. Am 20. Mai nämlich ging eine Erp ed itio n aus
St. Louis ab. Sie bestand aus Sidna Mohammed und dessen
Gefolge; angeschlossen hatten sich der >L>pahilieutenant Per-
raud, ein junger Soldat vom eingeborenen Geniekorps Na-
mens Andre, der Dolmetscher Am à du Kan und ein schwar-
zer Spahi Mil sa Di ara. Perraud hat vom Gouverneur den
Auftrag, von Timbuktu aus nach Algerien durch die Wüste
zu gehen und einen der Söhne des Scheich El Bekkay mitzu-
nehmen. Vielleicht trifft es sich, daß er unserm Landsmanne
Gerhard Rohlfs begegnet, ails welchem die englischen
Geographen, beiläufig bemerkt, einen Mstr. Rolf Gérard
machen! ________
Zur Kennzeichnung der Zustände in Ostindien. Die
indischeil Berichte wissen wieder viel von „Annerationen" zu
erzählen, welche nothwendig geworden seien. Unsere Leser
kennen den Streit, in welchen' die Engländer mit dem wun-
derlichen Radscha von Manipnr verwickelt sind; er be-
drängt die Theepflanzer in Kaschar, und diese verlailgen
nun völlige Einverleibung dieses Schutzgebietes in die briti-
schen Besitzungen.
Wir haben schon erzählt, wie schlimm es dem britischen
Gesandten Eden in Bhutan ergangen ist; jetzt erfahren
wir, daß die Engländer, welche einen Vertrag 'abschließen
sollten, allerdings schwer verhöhnt und mißhandelt worden
sind. Dem einen Mitglieds der Gesandtschaft steckte man mit
Gewalt Betel in den Mund, und einem andern wurden in
feierlicher Staatssitzung die Haare ausgerauft. Nun will die
indische Regierung einige Regimenter Soldaten nach Bhutan
schicken; ob diese aber hinreichen, das streitbare Volk der
Bhutia im Zaume zu halten, ist sehr die Frage.
„Die Mohammedaner sind stets zu Verschwö-
rungen geneigt", so heißt cs in einem Berichte, der zu-
gleich einige Mittheilungen über die geistige Bewegung
unter den indischen Bekennen: des Islam gibt. Schon seit
längerer Zeit bemühen sich solche Hindus, welche auch eine
europäische Schulbildung in den englisch-indischen Gymnasien
erhalten haben, Kenntnisse unter ihren Volksgenossen zu ver-
breiten, und Viele benutzen das, was sie gelernt haben, um
gegen die Engländer und insbesondere gegen die Missionäre
scharf zu polemisiren. Diese werden bedenklich, und der Be-
richterstatter hebt hervor, daß eine geistige Ausbildung in
europäischer Welse die Eingeborenen nicht etwa der britischen
Herrschaft geneigter mache. „Genaue Beobachter sagen, daß
die Eingeborenen, je mehr sie lernen, auch um so geschickter
werden, den Geist ihrer minder gebildeten Landsleute zu ver-
giften und gegen uns einzunehmen."
Die Mohammedaner sind nun dem Beispiele der Brami-
nen gefolgt, gehen aber ganz unabhängig zil Werke nnb
kümmern sich gar nicht um die Regierung. (5iu höherer Ge-
Aus allen Erdtheileii.
255
richtsbeamter in Calcutta, Mulwi Abdullalif, hat einen wis-
senschaftlichen Verein gebildet, welchem sich die ange-
sehensten orthodoxen Muselmänner angeschlossen haben. Den
ersten Vortrag in demselben hielt oer Stifter selbst; er sprach
über den Ursprung der Zeitungen. Dann folgten an-
dere Vorlesungen über Elektricität, über das Sonnen-
system uiib über den Ackerba n. Mulwi Mohammed Adder
Rownf sprach hindustanisch über die englische Verfassung
und Regierungs form; sodann wurden Vorträge über
Eopernicus und Newton gehalten. Said Ahmed aus
Gasipur ermahnte, in persischer Sprache, seine Glaubens-
genossen eindringlich, sich mit allen Fortschritten der Wissen-
schaften des Abendlandes bekannt gu machen. Das Alles zeugt
von geistigem Streben unter den Mohammedanern, irnd es
ist gewiß von Bedeutung, daß jener wissenschaftliche Verein
auch die gesellschaftliche Stellung der mohammedanischen Frauen
in den Kreis seiner Erörterungen zieht und eine Reform für
dieselbe anzubahnen trachtet.
Wir erwähnten (Globus IV, S. 223) einer neuen
sehr gefährlichen Krankheit, die „einen geheimnißvollen,
schrecklichen Charakter" trägt. Jetzt erfahren wir einiges Nähere.
Sie greift in den unteren Theilen von Bengalen immer weiter
um sich und hat dort, wo sie einmal auftrat, im Jahre d 863
nicht weniger als 36 Procent der Bevölkerung hinweggerafft.
Es wurde ermittelt, daß in einem Bezirke binnen sechs Jahren
von 18,000 Einwohnern nicht weniger als 12,000 der Seuche
erlagen. Die Aerzte wissen mit derselben nichts anzufangen;
sie ergreift den Menschen urplötzlich und rafft ihn binnen 36
Stunden bis 5 Tagen dahin. Dieses „cougestive remitti-
rende Fieber" wird von den Eingeborenen für eine neue
Krankheit gehalten und als Nntan Zwar bezeichnet; wer
ctwa den ersten Anfall übersteht, wird doch bei Neu- oder
Vollmond abermals ergriffen utid stirbt. Man meint nun,
die über alle Beschreibung arge Unsauberkeit der niederen
Klassen in Bengalen sei schuld an dem Entstehen der Krank-
heit. Neben der Hütte des Bauern liegt allemal eine Grube,
in welche aller Unrath geworfen wird, der dann in dem heiß-
fetlchten Klima gährt und' fault; die Luft findet keinen Zu-
gang, weil die Wohnung von Bambusgebüsch oder Wald-
gestrüpp umgeben ist; gewöhnlich ist auch eine Pfütze oder
ein Teich in der Nähe, der mit Pflanzen bedeckt ist; in dem-
selben baden die Leute, waschen dort ihre Kleider und trinken
dieses Wasser, weil sie kein anderes haben. Die mohammeda-
nischen Bauern begraben ihre Todten am Ufer dieser Teiche
und allemal nur ganz oberflächlich. Flußwasser ist ebenso
ungesund, weil die Hindus ihre Leichen hineinwerfen. Trotz
aller Warnungen dauert all dieser Unfug fort, nub nun sind
viele Dörfer ganz ausgestorben oder nur noch von ein paar
Familien bewohnt, die aber auch bald ihrem Schicksal erliegen
werden.
Eine Probe nordamerikanischer Freiheit. Zu Peu-
orleans in Loilisiana schaltet seit länger als einem Jahr ein
Prokonsul, der General Banks. Dieser Mann ist ein ächter
Vollblutyankee ans Boston in Massachusetts, war bis zum
Ausbruche des großen Krieges Advokat und machte als eifriger
Puritaner, der keine Kirche versäumte, und als heftiger Abo-
litionsprediger viel Glück bei seinen Gesinnungsgenossen.
„Freiheit für unsere schwarzen Brüder!" Das war sein
Wahlspruch. Er wurde vor drei Jahren plötzlich General
und als solcher nach Louisiana geschickt, wo er seitdem mit
Hülfe einer Armee und der Generalprofoße über einen kleinen
Theil jenes „Rebcllenstaates" schaltet, als würdiger Nachfolger
des bekannten Butler und ganz in dessen Geiste.
Während Präsident Lincoln durch einen Ukas alle Skla-
ven, welche „Rebellen" gehören, für emancipirt erklärte, wäh-
rend die Sklaven „loyaler Bürger" nach wie vor Eigenthum
der Letzteren bleiben, hat Banks durch einen Ukas vom 3. Fe-
bruar 1864 die emancipirtcn Neger unter neuem Namen wie-
der zll Sklaven gemacht. Er zwingt sie auf den von der
Regierung ihren 'Eigenthümern konsiscirteu Plantagen zur
Arbeit, bestimmt den Arbeitslohn (zwei bis acht Dollars Papier
monatlich!), bindet sie an die Scholle, trennt die Familien von
einander, verbietet den Genuß von Branntwein und stellt alle
Schwarzen unter das Kommando des Generalprofoßes.
Der Zwang gegen die Weißen ist noch ärger. Es soll
den Anschein gewinnen, als ob die Südstaaten wieder Neigung
hätten, in die Nordunion ausgenommen zu werden. Ein Ukas
Lincolns verfügt nun: „Wenn ein Zehntel der Bevölkerung
(die aus dem Norden nach Louisiana geschickten Soldateii,
Beamten und Spekulanten mitgerechnet) sich für Wiedereintritt
in die Union erklärt, dann soll der Staat so angesehen wer-
den, als sei er in die Union zurückgetreten, und er hat das
Recht, Senatoren und Repräsentanten in den Kongreß nach
Washington zu senden."
Nun hat Banks, um ein Zehntel Stimmen zusannnen zu
bringen, einen Ukas erlassen, dem gemäß er die Leute
zwingt, loyale Wahl stimmen abzugeben. Artikel 24
besagt wörtlich: „Es ist eine feierliche Pflicht für Jedermann,
behülflich zu sein, damit die bürgerliche Regierung so bald als
möglich wieder hergestellt werden könne. Opinión i8 free;
open hostility cannot be permitted; indifference will be treated
as a crime, and faction as treason.“ Also: die Meinung ist
frei, aber offene Feindseligkeit nicht erlaubt; Gleichgültig-
keit wird als Verbrechen und factiöses Wesen (Thaten und
Gesinnungen) als Hochverrat!) bestraft. Der Ukas erläutert
diesen Satz: „Leute, welche sich weigern, ihr Land vermittelst
der Stimmurne oder der Patrontasche zu vertheidigen, haben
keinen Anspruch auf die Wohlthaten der gesetzlich gesicherten
Freiheit."
Man sieht, wie wahr Professor Neumann in München
spricht, wenn er verkündet, daß „die republikanischen Einrich-
tungen nie in solcher Pracht und Herrlichkeit erschienen
sind", als gerade jetzt! Der Abolitlonist Banks liefert den
Beweis dafür, und daß die eben angeführten Drohungen ernst
gemeint waren, davon zeugen die' nachstehenden' Thatsachen,
die in der Türkei unmöglich wären.
Einer der angesehensten Bürger von New Orleans, James
Denegre, mißfiel dem Prokonsul Banks. Dieser hat im
März 1864 einen Civilgouverneur wählen lassen, und er fand
ihn in der Person eines Advokaten, der den deutschen Namen
Hahn führt. Banks hatte erklärt, es sei ein Verbrechen, wenn
Jemand seine Wahlstimme nicht abgebe; trotz aller Bemühun-
gen konnte der Prokonsul nur 11,(00 Stimmgeber zusammen
bringen, eine kleine Zahl, wenn man bedenkt, daß mehr als
20,000 Nordsoldaten in und bei New Orleans standen. Diesen
gehörten denn auch jene 11,000 Stimmen an. Von Einge-
borenen des Staates Louisiana hatte sich kaum Jemand be-
theiligt; aber Banks ließ in seinen amtlichen Zeitungen eine
Reihe von Namen angesehener Bürger ausführen, welche für
seine Kreatur, jenen Advokaten Hahn, gestimmt hätten; diese
seien auch bei der Einsetzungsfeierlichkeit des Gouverneurs
zugegen gewesen.
Prokonsul Banks stand dadurch als planmäßiger Lügner
da, denn jene Leute hatten weder gestimmt, noch sich an' der
Feier belheiligt. Denegre vergaß, daß er unter dem Zwange
des nordstaatlichen Militärdespotismus lebte, als er in die
„Abeille de la Nouvelle Orleans" vom 6. März folgende Be-
kanntmachung einrücken ließ:
„Ich sehe, daß mau in öffentlichen Blättern meldet, ich
hätte mich bei der gestrigen Eiusetzungsfeierlichkeit bethciligt.
Allerdings hatte mau mich zu derselben eingeladen; ich bin
aber nicht hingegangen und nahm überhaupt keinen Antheil.
Noch mehr war ich überrascht, als ich las, daß die
Veteranen von 1815, I. B. Planche und Alfred
Henna« zugegen gewesen seien; denn der Erst-
genannte ist schon seit länger als drei Jahren
todt und der Andere seit dem vorigen Frühling
gar nicht mehr hier anwesend."
Den Grad von republikanischer Freiheit, welchen die
Bankees gestatten, kann man nach dem ermessen, was sich nun
begab.
„Hauptquartier des G e u er a lp c o f o ß m a r s ch a l l -
amts, Golf Departement, 208, Carondele tstrafte.
Neuorleaus, 18. März.
Herrn James D. Denegre. Sir — Auf Befehl
des kommaudirendeu Generalmajors (Banks) er-
halten Sie hiermit die Weisung, binnen heute
und fünf Tagen dieses Departenient zu ver-
lassen. Nach Ablauf dieser Ihnen gestatteten
Frist wurde dafür gesorgt werden, daß sie über
die Grenzlinie der'Armee hinaus transportirt
und in die Linien geschafft würden, welche unter
Controle der Rebellenregierung stehen.
Mit Hochachtung
James Brown,
Brigadegeneral."
Herr Denegre ging nun zu diesem Brigadegeneral Brown
und suchte darum nach, daß man ihm gestatten möge, nach
Europa oder nach Havanna zu fahren; er wolle, da man ihn
nun doch einmal in Neuorleans nicht mehr dulde, sich ver-
pflichten, vor Beendigung des Krieges nicht zurückzukehren.
Das wurde ihm verweigert; der Prokonsul bestand darauf,
256
Aus allen Erdtheilen.
ihn an die „Rebellen" abzuliefern, und nicht einmal 24 Stun-
den Aufschub wurden ihm gegönnt. Am fünften Tage holten
Soldaten der Nankeefreiheitsarmee ihn ab und nahmen ihn
auf den Schub.
Um die Infamie dieser „Pracht und Herrlichkeit" völlig
zu begreifen, muß man Folgendes in Erwägung ziehen. Leistet
Denegre der konföderirten Regierung den Eid, so konfiscirt
Prokonsul Banks dem Millionär sein ganzes Eigenthum,
denn Lincolns „Pracht und Herrlichkeit" hat bekanntlich das
Eigenthum Aller, welche seine Regierung nicht anerkennen,
für konfiscirt erklärt. Der Schwarm von politischen Gaunern
und Abenteurern, welcher im Gefolge der „Freiheitsarmee"
überall erscheint, wo Bente zu machen ist, lauert auf solche
Gelegenheiten. Leistet Denegre den Konföderirten den Eid
nicht, so werden sie mit ihm verfahren, wie mit dem Reprä-
sentanten Vallandizhan aus Ohio, d. h. sie weisen ihn nach
irgend einem ihrer Häfen, und er mag dann sehen, wie ei-
weiter kommt.
Es würde sich in der That lohnen, die Barbareien zu-
sammen zu stellen, welche von den „Vorkämpfern der Freiheit
und Civilisation", nämlich den Pankees, ihren Nachtretern
und Söldlingen verübt werden. Unerquicklich wäre die Arbeit,
aber sie würde wesentlich dazu beitragen, zu zeigen, wie plan-
mäßig das europäische, namentlich auch das deutsche Publikum
durch parteiische Korrespondenzen irre geführt wird.
Auswanderung über See. Es ist amtlich nachgewiesen
worden, daß in den Jahren 1847 bis 1854 nicht weniger als
1,324,725 Menschen aus Irland nach Amerika ausgewandert
sind. Aus Großbritannien und Irland sind von 1801 bis
1863 nicht weniger als 5,482,000 Leute ausgewandert, davon
3,303,006 nach den Vereinigten Staaten. — Nach Australien
kommen noch immer Chinesen; sie erregen die Mißgunst
und Abneigung der weißen Goldgräber, und die Regierung
von Victoria erließ, um die chinesische Einwanderung zu er-
schweren, eine Verordnung, der gemäß jeder „Himmlische",
welcher über See in die Kolonie kam, 10 Pf. St., wenn über
die Landgrenze, 4 Pf. St. zahlen mußte. Dieses Dekret ist für
die nächsten zwei Jahre aufgehoben worden. — Aus Indien
sind 1863 etwa 10,000 Kults nach der Zuckerinsel Mauritius
gebracht worden. — Merkwürdig sind die Negerauswan-
dernngen in Westinvien. Ans einigen wenigen Inseln,
die so dicht bevölkert waren, daß aller Grund und Boden in
festen Händen und unter Anbau sich befand, blieb auch nach
der Sklavenemancipation den Schwarzen nur eine Wahl: sie
mußten auswandern oder arbeiten, wenn sie tticht verhungern
wollten. Das gilt namentlich von Barbado.es und Anti-
gua. Auf dem erstgenannten Eilande war aber im Frühjahr
1863 die Ernte so schlecht und die Noth so groß, daß viele
Neger nach Antigua, St. Croir und Britisch Guyana hinüber-
schifften. — Seit Aufhebung der Sklaverei in holländisch
Guyana macht sich Mangel an arbeitslustigen Menschen fühl-
bar. Die holländischen 'Pflanzer in Snrinani werden nun
von jenen in Demerara beschuldigt, daß sie durch Agenten die
Kulis zu sich herüber locken wollen, welche die englischen Pflan-
zer doch mit schwerem Gelde für ihre Rechnung ausJndien haben
kommen lassen. _________
Die Auswanderung der Tscherkessen aus dem Kaukasus.
Sie begann, wenn auch erst in kleinerem Maßstabe, schon im
Spätherbst 1860, hat aber seit dem Frühjahr 1864 einen so
großen Umfang angenommen, daß nun (im Juni) schon weit
über 100,000 Köpfe ihre alte Heimath verlassen haben, um
in der Türkei ein neues Vaterland zu suchen. Wir lesen,
daß im Ganzen nahe an 300,000 dieser Bewohner des west-
lichen Kallkasus auswandern werden. Nachdem sie fast ein
halbes Jahrhundert lang den Vertheidigungskampf gegen die
Russen mit der größten Hartnäckigkeit und'Ausdauer bestan-
den haben, müßen sie endlich doch weichen. Theilweise erklärt
sich diese Erscheinung aus deni Umstande, daß die Russen seit
längerer Zeit angefangen haben, die nordwestliche Kaukasus-
region planmäßig zu besiedeln. Wir ersehen aus dem Bulletin
der geographischen Gesellschaft in St. Petersburg, daß We-
niukoff eine von ihm entworfene Karte über den nordwest-
lichen Theil des Kaukasus vorgelegt und zu derselben Erläu-
terungen gegeben hat, welche Licht auf manche bisher wenig
bekannte Verhältnisse werfen.
Die Russen dringen unaufhaltsam vor unb behalten, was
in früherer Zeit ihnen liicht gelaltg, festen Fuß. Sie waren
in der Mitte des Jahres 1863 tu der transkubanischen Ge-
gend bis zur Laba, bis zum Pschisch und zum Jl vorgedrun-
gen. Die Eingeborenen wichen zurück und verließen die Ge-
birge, sobald Kosaken sich in denselben niederließen. Die
Russen haben nun angefangen zu kolonisiren. Weninkofs
wies nach, daß sie zu der angegebenen Zeit in dem trans-
kubanischen Lande bereits 90 Stanitzen (Kosakendörfer) mit
einer Bevölkerung .von 103,000 Seelen hatten; dabei sind
aber die Soldaten nicht mitgerechnet. Ungefähr 150,000 ein-
geborene Kaukasier wurden schon damals als völlig unterwor-
fen betrachtet. Diese mußten die Berge verlassen, sich im
Flachland ansiedeln und wurden unter die Aufsicht russischer
Behörden gestellt. Unser Gewährsmann schätzte die Zahl der
damals noch nicht bezwungenen und noch feindseligen Gebirgs-
bewohner auf ungefähr 60,000; diese wohnten am Südab-
hange des Kaukasus bis zum Flusse Bzyb. Die russische Re-
gierung wollte noch 150,000 Seelen beiderlei Geschlechts, meist
Kosaken, in jener Gebirgsgegend ansiedeln. Auf diese Weise
erklärt sich „der Exodus'der Tscherkessen".
Großbritanniens Seeschifffahrt. Amtlichen Nachwerfen
zufolge waren in den verschiedenen Häfen des vereinigten Kö-
nigreiches im December 1863 nicht weniger als 28,637 Schisse
einregistrirt; die Tragfähigkeit derselben betrug 5,308,073
Tonnen, von je 20 Centnern; für 1862 stellten sich die Ziffern
auf 28,440 Schiffe mit 4,934,000 Tonnen Gehalt. In sämmt-
lichen Häfen des vereinigten Königreichs liefen 1863 (die ver-
schiedenen Fahrten, welche jedes einzelne Schiff, das oft zehn-
mal und mehr in einem und demselben Hafen ankam, und
alle Küstenfahrer mitgerechnet) 182,698 britische Schisse ein,
voir 26,092,110 Tonnen Tragfähigkeit; dazu kamen noch
25,615 Schisse unter fremden Flaggen mit 4,935,517 Tonnen.
Die englische Rhederei hat also zugenommen, die nordameri-
kanische ist zurück gegangen.
Rückgang der nordamerikanischen Seeschifffahrt. Auf
letztere hat der Eroberungs- und Unterjochungskrieg, welchen
nun schon bis ins vierte Jahr hinein die Nordstaaten gegen
den für seine Unabhängigkeit kämpfenden Süden führen, sehr
nachtheilig eingewirkt. Aus amtlichen Mittheilungen geht hervor,
daß in den fünf Jahren von 1857 bis 1861 der Gesammt-
werth der unter nord amerikanisch er Flagge ein-und
ausgeführten Güter über 1000 Millionen Dollars betrug, wäh-
rend die unter fremden Flaggen eingeführte Waare eine
Ziffer von, rund, 644 Millionen ergaben. Ein Bericht sagt:
Statt dessen sind nun in den zwei letzten Jahren (1862 und
1863) nur 232,678,842 Dollars unter unserer Flagge ange-
kommen und abgegangen und 559,386,224 Dollars unter frem-
der Flagge. Im letzten Quartal von 1862 betrug unser auswärti-
ger Handel 1Ü4,933,812Dollars, wovon nur 11,965,546Dollars
unter unserer Flagge befördert wurden, also nicht viel
mehr als 10 Pro cent. Hr. Westes hat nach einem kürz-
lich von ihm ausgegebenen Berichte über mehr als 600 Kriegs-
schiffe zu verfügen.' Dieser gewiß respektablen Macht gegen-
über konnten die wenigen Kaper der Rebellen es so weit
bringen, daß wir von 60 Procent des Rheder-Geschäfts, wel-
ches vor Ausbruch des Krieges in unseren Händen war, nur
moch 10 Procent behalten haben.
Die Tabelle des Werthes der Ein- und Ausfuhr in Neu-
york und des Antheils der amerikanischen und der ausländi-
schen Flagge ergibt Folgendes:
In amerikanischen In ausländischen
Schiffen. Schiffen.
1857 . . 239,565,610 Dollars 101,354,631 Dollars
1858 . . 153,594,970 „ 83,234,103 „
1859 . . 213,977,985 „ 167,825,648 „
1860 . . 233,893,593 „ 149,923,149 „
1861 . . 165,604,513 „ 138,983,675 „
1862 . . 150,177,598 „ 238,614,915 „
1863 . . 82,501,244 „ 320,771,300 „
Schleswig-Holsteins Handelsflotte. Bisher ist dieselbe
immer als ein Theil der dänischen Flotte aufgeführt wor-
den; das ändert sich nun. Sie ist beinahe eben so bedeutend als
die eigentlich dänische Handelsflotte. Diese wies 1860 eineZiffer
von 2770 Seeschiffen mit einer Tragfähigkeit von 69,497 Com-
merzlast auf; jene von Schleswig-Holstein 2883 Seeschiffe mit
53,673 Commerzlast. Während die Einfuhr Dänemarks (mit
Jütland) sich auf einen Werth von 36,512,000 Thlr. und die
Einfuhr ans 17,950,000 Thlr. stellte, betrug für Schleswig-
Holstein die erstere 25,454,000 und die zweite 21,058,000 Thlr.
Die Zolleinkünfte in Dänemark betrugen 1861/62 5,792,000,
I jene der beiden Herzogthümer 3,819,000 Thaler.
Herausgegeben von Karl Andrer in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghausen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildburghausen.
Heinrich Mouhoks Wanderungen in Eambodscha und Laos.
ii.
Die Trümmer von Battambang unb die Prachtruine» der alten Hailptstadt Ongkor.
Mouhot verweilte etwa drei Monate in Brelnm und
unternahm voit dort manche kleine Wanderungen, insbeson-
dere nach Norden hin, bis halbwegs nach Bassac, wo
vortreffliches Eisenerz irr
großer Menge gefunden
wird.
Auch die Gegend nach
Südwesten hin wurde vou
ihm besucht; sie ist eine
unbewohnte Waldzone und
scheidet die Stämme, welche
im GebietedesMekong woh-
nen, voit jenen in Annam.
Selbst in diesen äußerst
ungesunden Wäldern blieb
der Reisende vom Fieber
verschont, während seine
Diener von demselben
schwer heimgesucht wur-
den. In der Regenzeit
namentlich ist die Lilft un-
gemein feucht und schwer,
und in den Wäldern, wo
kein Sonnettstrahl bis auf
den Boden dringt, glaubt
mau sich in ein Dampfbad
versetzt. In: September
und Oktober fiel der Regen
in Strömen ununterbro-
chen bei Tag wie bei Nacht;
im Juli und Ailgust stellte
sich jeden zweiten oder drit-
ten Tag ein sehr heftiges
Sturingewitter ein. Jtn
November schlug der Wiitd
atm und brachte kalte
Nächte, iil denen der Ther-
mometer bis auf 12° E.
fiel, während von Mittag
bis drei Uhr Nachmittags
die Temperatur sich ziemlich
gleichblieb, 30 bis 33° E.
Aus der Rückreise von Brelum hatte Mouhot trockenes,
angenehmes Wetter und wurde vou dem Mandarin irr
Pemptielan gut aufgenommen. Wir haben früher
(S. 228) erwähnt, daß der König von Eambodscha eine
Anzahl Leute vom Stamme der Thiames, welche gegen
ihn einen Aufstand gewagt, aus den östlich vom Mekong
liegenden Ebenen zwangsweise in die Gegend zwischen Pin-
hakn und Udong versetzt
hatte. Sie waren von den
Mandarinen sehr hart be-
handelt worden und hatten
einen Versuch gemacht, sich
dem drückenden Joche zu
entziehen; als Strafe dafür
nahm mau ihnen ihre Fi-
scherei- und Ackergeräthe
weg, und in Folge dessen
waren Manche von ihnen
Hungers gestorben, Andere
in die Wälder und noch An-
dere nach Eochinchina ent-
flohen.
Penom Penh, die
große Marktstadt von
Eambodscha, ist schon in
unserm vorigen Bericht
(S. 229) erwähnt wor-
den; sie liegt J 03" 3' 50"
ö. L. von Paris und 11"
37' 30" u. Br., nur etwa
vier Wegstunden von der
Grenze Eochiuchiua's ent-
fernt. Bei dieser Stadt
theilt sich der Mekong;
sein Lauf landein zu Berg
hat Anfangs eine nordöst-
liche, dann eine nordwest-
liche Richtung bis nach
China und dann nach Ti-
bet hinein; in diesem letz-
tem liegen seine Quellen.
Der andere Arm führt kei-
nen besondern Namen,
Mouhot schlägt indeß die
Bezeichnung le Sap
^ , vor (nach dem Namen des
Sees Duli Sap); er kommt aus Nordwesten. Unter
12" 25' n.Br. beginnt der große See, der sich bis 13" 53'
n. Br. ausdehnt und die Gestalt einer Geige hat. Bei der
Einfahrt in diesen See hat man einen großartigen Anblick.
Der mittlere Pavillon in den Tempelruinen von Ongkor.
(Nach einer Zeichnung von Thörond.)
Globus VI. Nr. 9.
33
258
Heinrich Mouhot's Wanderungen in Cambodscha und Laos.
Sie gleicht einer Meerenge mit niedrigen Ufern, die bewal-
det sind und theilweise unter Wasser stehen; aber landein-
wärts erhebt sich eine prächtige hohe Bergkette. In der
Mitte dieses großen Sees ragt ein großer Mastbaum empor,
welcher die Grenze zwischen Siam und Cambodscha
bezeichnet.
Schon früher haben wir bemerkt, daß das in den Jahren
1861 nnb 1862 durch innere Fehden zerrüttete Cambodscha
nun unter das „Protektorat" der Franzosen gekommen, d.h.
von diesen abhängig geworden ist. Es ist in alten Zeiten
ein mächtiges Reich gewesen; dafür zeugen die herrlichen
Ruinen in den Provinzen Battambang und Ong-
kor; aber setzt beträgt die gesammte Bewohnerzahl nicht
über eine Million Köpfe. Unter ihnen befinden sich viele
Chinesen, sodann Malayen, welche schon seit Jahrhunderten
ansässig sind, und einige tausend Annamiten. Der Boden
ist ungemein fruchtbar, Tabak, Pfeffer, Ingwer, Zuckerrohr,
Kaffee, Seide und Baumwolle gedeihen vortrefflich, und die
Wälder bieten eine unerschöpfliche Fülle werthvoller Hölzer
dar. In den Gebirgen findet man Gold, Silber führe'ndes
Bleierz, Zink, Kupfer und Eisen, aber nirgends ist Betrieb-
samkeit. Die Producenten sind schwer mit Abgaben belastet,
je mehr sie erzeugen, um so mehr werden sie besteuert; wer
wenig erzeugt, zahlt auch wenig; es ist also begreiflich, daß
unter solchen Umständen die Leute
lieber gar nicht arbeiten. Ohnehin
befindet sich die Mehrzahl der Be-
völkerung in einem Sklavereiver-
hältnisse.
Mouhot gebrauchte drei lange
Tagereisen, um über den Tuli Sap,
da, wo er am breitesten ist, hinüber
zu fahren. Er bezeichnet dieses große
Süßwasserbecken als „ein kleines
mittelländisches Meer von Cambod-
scha" und hebt besonders hervor,
daß es ungemein fischreich sei. Die
Wasservögel finden dort ein wahres
Paradies; an den Usern ist ein wah-
res Gewimmel von Pelikaneil und
Kormoranen. Bei der Einfahrt in den Fluß von Kun
Bor eye, der aus mehreren Armen gebildet wird (einer
derselben führt den Namen Battambang) wiederholt sich
dasselbe Schauspiel in kleinerm Maße; das Thierleben ist
ungemein reich und mannigfaltig. Mouhot steuerte in den
Battambang hinein, der in vielen Schlangenwindungen sehr
schnell strömt; er hat au manchen Stellen nur 40 bis 50
Fuß Breite, und manchmal reichen die Aeste der Bäume, in
denen Affen ihre munteren Spiele treiben, bis ins Wasser
hinein; dann und wann sieht man auch Alligatoren. Nach
einiger Zeit kam Mouhot all einen Flecken, neben welchem
sich eine von Erdmauern umgebene Burg erhob. Diese Ort-
schaft war Battambang. Die gleichnamige Provinz ist
seit etwa 100 Jahren im Besitze des Königs von Siam, hat
sich aber mehrmals gegen denselben erhoben und sogar den
Annamiterl unterwerfen wollen, die vor nun etwa 25 Jahren
ganz Cambodscha eillgenommen hatten; sie wurden aber
von den Siamesen zurückgeschlagen, und seitdem war Cam-
bodscha den Letzteren zinspflichtig. Die Mehrzahl der Ein-
wohner von Battambang besteht aus Cambodschanern, und
die Regierung erhebt von ihnen keine Steuern oder Abgaben;
sie befinden sich deshalb im Wohlstand atnb bestellen ihre
Aecker sehr gut. Auch bis Battambang sind französische
Missionäre vorgedrungen.
Die Provinz ist mit Ruinen aus unbekannter Zeit,
man kann sagen, übersäet. Sie bildeil uin das Nordende
des Sees einen ungeheuern Halbkreis, der au den Quellen
des kleinen Flusses von Battambang beginnt und sich bis in
die unbewohnten Waldungeil erstreckt, die nach Osten hiir
zwischen dem Tuli Sap und dein Mekong sich hinziehen; in
diesen verliert er sich. Aber auf der ganzen weiten Strecke
trifft der Reisende aus Schritt uild Tritt Spuren einer
hohen, nun längst verschwundenen Civilisation.
Gleich iil der unmittelbaren Nähe voil Battambang fand
Mouhot die Ruinen voil Banon, Wat Et und Bassett,
und die letzteren hat er mehrmals besucht. Sie haben viel
von der Zeit gelitten, sind von der üppigen, tropischen
Vegetatioil überwuchert, ganze Gallerien eingesunken, doch
steht noch ein etwa 70 Fuß langes, 20 Fuß breites Gebäilde
ziemlich wohlerhalteu da, und inan erkennt manche Skulp-
turen, z. B. einen sitzenden Mann mit langem Barte, der
eine hohe, kegelförmige Kopfbedeckung trägt; seine Hände
ruhen übereinander auf dem Griff eilles Dolches. Auch
sieht man vierköpsige Elephanten und andere phantastische
Figuren. In der Nähe gewahrt man prächtige Sälllen;
einige stehen noch, andere haben sich gelleigt, viele sind um-
gestürzt, gleich deil Thürmen, welche sich einst neben diesen
Säulen erhoben. Man findet mich ein schönes, nun trocken
liegendes Beckeir von etwa 60 Fuß Länge und 6 Fuß Tiefe,
zu welchem Stufen hinabführen.
Der Ueberlieferung zufolge war
Bassett einst ein Lustschloß, das ost-
lilals voil deir Königen besucht
wurde. Das heutige Battambang
ist eine neue Ortschaft, nicht viel
über 100 Jahre alt. Damals wohnte
hier eine zahlreiche cambodschanische
Bevölkerung , die aber in Folge der
vielen Kriege mit Siam verschwun-
den ist. Die Menschen wurden von
den Siegern hinweggesührt, und so
kommt es, daß in Siam und in Laos
ganze Provinzen vorzugsweise von
Cambodschanern bevölkert sind. Die
Staatsweisheit in jenen hiuter-
indischen Reichen findet es ange-
ulesseil, eine Gegend zu entvölkern und eine andere zu be-
völkern!
Mouhot fuhr den Fluß von Battambang etwa acht
delltsche Meilen aufwärts nach Süden hin und kam an die
Vorberge einer Verzweigung, welche von der großen Ge-
birgskette Pursat ansläuft. Am Fuße des Ausläufers
steht eine Pagode aus neuerer Zeit, aber auf dem abgeplat-
teten Gipfel liegt die Ruine von Bauou. Acht Thürme
sind durch Gallerien verbunden und stehen von zwei Seiten
her mit einem centralen Thurme in Verbindung, der etwa 30
Fuß im Durchmesser und mehr als 60 Fuß Höhe hat. Das
Ganze ist aus Sandstein und trefflich gearbeitet. Alle diese
Monumente der Provinz Battambang und eben so jene von
Ongkor bilden schon des Sandsteins wegen einen Gegensatz
zur siamesischen Architektur, welche Ziegelsteine und Fayence
verwendet. Banon ist gewiß ein Tempel gewesen; mau
findet im mittlern Hofraume und zwei kleinen, durch einen
Gang mit einander verbundenen Thürmen eine große Menge
kolossaler buddhistischer Götzenbilder, die wohl so alt sind,
wie das Gebäude selbst, sodann kleinere Idole aus sehr
verschiedenen Zeiten. Am Fuße des Berges liegt eine hohe,
gewölbte Höhle, von deren Kalkgestein schöne Stalaktiten
herabhängen. Das von den letzteren tröpfelnde Wasser gilt
den Cambodschanern für heilig. Sie glauben, daß dieses
Wasser Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kenne; auch
Cambodschanische Raines.
Münze im heutigen Siam.
Heinrich Mouhot's Wanderungen in Cambodscha und Laos.
259
kommen kranke Pilger, um es zn trinken und dadurch ge-
sund zu werden. Der Wat (d. h. Tempel) Ek liegt nur
eine starke deutsche Meile von Battambang nub ist noch
ziemlich wohl erhalten.
Äm 20. Januar 1860 brach Mouhot, vom französischen
'Missionär Sylvestre begleitet, von Battambang auf, um die
großartigen Ruinen von Ongkor zn besuchen. Sie
liegen aus der Nordostseite des Sees. Am 22. fuhren die
Reisenden in die Mündung eines kleinen Flusses ein, ver-
ließen ihren Nachen, wanderten eine Stunde lang auf
einer noch wohlerhaltenen Landstraße und gingen über eine
sandige, baumlose Ebene. Sie wird im Süden von den
Somraisbergen begrenzt,
welche ihrerseits eine Ver-
zweigung desKoratgebir-
ges bilden, und im Westen
erhebt sich Der reizende Berg
Schröm.
So kamen sie nach der
heutigen Ortschaft Ongkor.
Nochor oder Ongkor war
einst die Hauptstadt des
alten Königreichs Cambod-
scha oder Khmer, das unter
den Staaten Hinterindiens
eine so große Rolle spielte.
Nicht weniger als 120 Kö-
nige seien demselben zins-
pflichtig gewesen, es habe
fünf Millionen bewaffnete
Männer ins Feld gestellt,
und allein die Gebäude der
königlichen Schatzkmmner
seien einige Meilen lang ge-
wesen. So erzählt die Sage.
In der heutigen Provinz
Ongkor, welche im Osteil
des Tuli Sap liegt (14" n.
Br., 102° ö. L. v. P.), fin-
det man nun Ruinen von
solcher Großartigkeit,
Bauwerke von so wun-
derbar schöner Arbeit,
daß der Beschauer in gewal-
tiger Weise von Staunen
und Bewunderung gepackt
wird, und daß sich ihm un-
willkürlich bk Frage auf-
drängt : was ist denn aus
dem so mächtigen, hochcivi-
lisirten Volke geworden, das solche Riesenwerke schuf? Ein
Tempel namentlich kann den Vergleich mit unseren schönsten
Basiliken aushalten und übertrifft an imposanter Erscheinung
Alles, was jemals die Architektur der Griechen imb Römer
geleistet hat, und namentlich bei ihm tritt auf das Allerschärfste
der Gegensatz hervor, welchen die Barbarei der Gegenwart ge-
genüber der bewundernswürdigen Pracht der Vorzeit bildet.
Aber die Zeit ist unbarmherzig unb tastet auch das Schönste
an. Von allen Himmelsgegenden her sind Barbarenhorden
nach Ongkor gekommen, zuletzt die Siamesen, und vielleicht
hat auch ein Erdbeben an dem Werke der Vernichtung gehol-
fen. Dasselbe nimmt auch jetzt seinen Fortgang.
Diese Ruinen zeugen für das „erhabene König-
reich Maha Nokhor Khmer"; von den Herrschern
desselben ist aber teilte andere historische Erinnerung übrig
geblieben, als das Bild des aussätzigen Königs, wel-
cher für den Erbauer des größten Tempels gilt. Alles
Andere ist der Vergessenheit anheimgefallen; die Inschriften,
welche auf manchen Manerwänden vorkommen, sind unver-
ständlich für die heutigen Gelehrten des Landes, sie können
dieselben nicht entziffern. Auf die Frage: „Wer sind denn
die Gründer des Ongkor Wat?" entgegnen die heutigen
Cambodschauer: „Pra-Enn, König der Engel, hat sie ge-
schaffen"; oder „Alles ist von Riesen gebaut worden", oder
auch: „Sie rühren vom aussätzigen König her". Manche
wollen auch wissen, daß diese Werke sich selber gebaut
hätten!
Es bleibt auffallend genug, daß kein einziges von allen
diesen Monumenten zur
Wohnung für Menschen be-
stimmt gewesen ist; alle tra-
gen den Stempel buddhisti-
scher Vorstellungen. Selbst
im Palaste beziehen sich alle
Statuen und Basreliefs
ausschließlich auf bürgerliche
oder religiöse Gegenstände;
man sieht eine Reihenfolge
von Königen, die von ihren
Frauen umgeben sind; Kopf
und Leib erscheinen mit Zier-
rath überladen, namentlich
mit Hals- und Armbän-
dern; die Kleidung besteht
in einem Hüftenschurz, Lan-
guti. Sonst findet man
überall Scherben und Bruch-
stücke von Porzellan und
irdenem Geschirr, allerlei
Schmuck, eiserne Werkzeuge
und Silberstücke, welche den
heutigen cochinchinesischen
Münzen, den sogenannten
Raines, gleichen, nur daß
jene alten viel größer sind;
die heutigen wiegen 378
Grammen.
Die Erbauer haben die
Stelle, auf welcher diese
Monumente stehen, gewiß
der centralen Lage halber
gewählt. Der Punkt befin-
det sich 15 englische, oder
etwa drei starke deutsche
Meilen vom großen See
entfernt in einer sandigen
Ebene. Die Hauptstadt eines mächtigen Reiches hätte aber
gewiß am Ufer eines schiffbaren Stromes eine zweckmäßigere
Stelle gehabt.
Unter allen Denkmälern ist der Tempel von Ongkor
bei weitem das schönste und auch am besten erhalten; auch
tritt er dem Reisenden zuerst entgegen. Wer von Battam-
bang kommt und über den See gefahren ist, rudert einen
kleinen Fluß etwa eine halbe Stunde weit hinauf bis dahin,
wo derselbe eine Art von Becken, gleichsam einen natürlichen
Hafen bildet. Von dort aus fiihrt eine noch gangbare
Straße bis nach dein heutigen Flecken Ongkor, der unbedeu-
tend ist; er liegt 15 Miles nordnordwestlich vom Seeufer
und ist Hauptort der Provinz.
Als Mouhot uud Sylvester ankamen, fanden sie den
33 *
Statue des aussätzigen Königs.
(Nach einer Zeichnung von Thcirond.)
260
Heinrich Monhot's Wanderungen in Canibodscha und Laos.
Gouverneur; er hatte den Auftrag, ein kleines, aber unge-
mein hübsches Monument nach Bangkok zu schicken. Diesem
sehr gesprächigen Manne schenkten die Reisenden ein Stück
Seife und ein paar lithographirte Bilder. Er war davon
entzückt, streichelte Mouhot's Bart und fragte dann, was
er anfangen müsse, damit auch sein Bart so lang ltnb so voll
wachse. Am andern Tage stellte er den Reisenden eine,:
Wagen. Aus dichtem Waldgestrüpp kamen sie plötzlich
auf eine Esplanade, einen Vorplatz, der mit großen, wohl
aneinander gefügten Steinen gepflastert und der ganzen
Länge nach ans jeder Seite von einer Treppe eingefaßt war.
An den vier Anfängen der Treppe stehen je zwei granitne
Löwen.
Die nördliche Treppe führt zum Hanpteingange, den
man auf einem gepflasterten, 706 Fuß (230 Metres)
langem Weg erreicht. Dieser hat 27'/» Fuß breite und an
und Herrlichste, was die Baukunst jemals ge-
schaffen und geleistet hat, hineinversetzt in die
Tiefe dieser Wälder, in eine von allem Verkehr
weit abgelegene Gegend, in eine wilde, unbe-
kannte Einöde, iu welcher man aus Schritt und
Tritt Spuren-wilder Thiere antrifft, wo man
das Gebrüll des Tigers und den rauhen, heisern
Schrei des Elephanten hört!"
Monhot schwelgte einen ganzen Tag lang in diesen
Ruinen von Ongkor; er schaute ein Wunder nach dem an-
dern und ein Entzücken folgte dem andern. „Weshalb bin
ich fein großer Schriftsteller oder Maler, um den Kuust-
freundeu zu beweisen, wie schön und großartig diese Trüm-
mer sind, die wohl ihres Gleichen nicht auf der Welt haben!
Diese Ruinen, die einzigen unglückseligen Ueberbleibsel eines
dahingeschwundenen Volkes, dessen Name eben so unbe-
Waffeu, Schmuck und Geräthschaften an den Mauerwänden des Ongkor Wat.
den Seiten ungemein dicke Stützmauern. Dieser Gang führt
auch über einen sehr breiten Graben, welcher das ganze
Gebäude umgibt; seine Futtermauer ist neun Fuß hoch und
drei Fuß dick.
Der Tag war heiß, Monhot fühlte sich von der An-
strengung erschöpft und warf sich in den kühlen Schatten
eines mächtigen Baumes. Da fiel sein Blick gen Osten hin
aus einen ungeheuern Säulengang, der überwölbt war und
aus welchem fünf hohe Thürme hervorragten; einer, und
zwar der größte erhebt sich über dem Eingänge, die vier
übrigen stehen an dem Erker, und alle sind an ihrer Baßs,
nach Art der Triumphbögen, offen. Sie hoben sich pracht-
voll ab vom tiefen Blau des Himmels und dem saftigen
Grün des dichten Waldes. Gegen eine solche Architektur
verschwanden die Ruinen in der Provinz Battambang gleich-
sam in Nichts! „Man denke sich alles Schönste
kannt ist, wie jener seiner großen Männer, Könige und
Künstler; man weiß keinen solchen Namen; alle Erinnerung
ist unter Schutt und Staub begraben."
„Die Colonnade ist ganz herrlich, und je näher man
ihr tritt, um so mehr bewundert man sie. Zuerst kommt
mau vom Eingang her an hohe, viereckige Säulen, alle aus
einem einzigen Stück; jeder Porticns, alle Kapitäler und
die runde» Dächer lind aus großen Blöcken zusammenge-
fügt; Skulptur und Politur sind überall geradezu bewun-
derungswürdig. Beim Anblick dieses Tempels fühlt der
Geist sich gedrückt; Alles, was die Einbildung sich vorzau-
bern kann, wird überflügelt; man sieht, staunt und schweigt,
denn Worte findet man nicht. Allerdings sind Gold und Farben
an diesem Gebäude beinahe völlig verschwunden, nur Steine
sind übrig geblieben; aber welch ein beredtes Zeugniß legen
sie ab für das Genie, die Kunstfertigkeit, die Ausdauer, das
Heinrich Mouhot's Wanderungen in Kambodscha und Laos.
262
Heinrich Mouhot's Wanderungen in Caurbodscha und Laos.
Talent, den Reichthum und die Macht der Kme r Dom, d. h.
der alten Cambodschaner! Wer war der orientalische Michel
Angelo, welcher den Plan zu einem solchen Werk entwarf,
die einzelne,: Theile mit der bewunderungswürdigsten Kunst
an einander ordnete und zusammenfügte und alle Einzeln-
heiten derart herstellte, daß sie des Ganzen würdig erscheinen?
Noch mehr; er hat Schwierierigkeiten gesucht, um dieselben
ruhmreich zu überwinden, und auch das ist ihm gelungen.
Und welche Kraft hat diese gewaltige Anzahl mächtiger Blöcke
bis zu den höchsten Theilen des Gebäudes hinaufgehoben,
nachdem sie in weitentlegenen Bergen aus dem Gestein ge-
brochen und dann so sorgfältig, wie wir es sehen, bearbeitet
worden waren? Wir konnten uns an all der Herrlichkeit gar
nicht satt sehen und waren von tiefer Ehrfurcht vor dem
Genius durchdrungen, der solche Werke erdacht und ge-
schaffen hat."
Das Gebäude besteht aus zwei Vierecken concentrischer
Gallerien, die in rechtem Winkel von Zugängen durchschnitten
sind; diese laufen in einem centralen Pavillon ans und dieser
ist die eigentliche Krone des Werkes, das Allerheiligste, wo-
für der Baumeister die ausgesuchtesten Verzierungen bestimmt
hat. In diesem Tabernakel ist ein Standbild Buddha's, wel-
ches König Mongkut von Siam dorthin geschenkt hat. Den.
Tempeldienst verrichten arme Talapoinen; sie wohnen zer-
streut im nahen Walde, und dann und wann findet sich auch
ein frommer Pilger ein. Einst war es anders; denn ohne
Zweifel kamen Könige als Wallfahrer zu diesem Heiligthnme
und tausende von Priestern in langer Prozession; dann
wurde mit den Glocken in den 24 Kuppeln gelautet und von
jeder Pagode der Hauptstadt ertönte Geläute in dieserHaupt-
stadt Groß-Ongkor, die zehn Stunden im Umfang hatte
und gewiß eine so zahlreiche Bevölkerung besaß, wie irgend
eine Hauptstadt in unseren Tagen.
Die Ruinen von Ongkor d6m, der alten Hauptstadt,
beginnen anderthalb Stunden weit nordwestlich vom großen
Tempel. Eine zum Theil verfallene, dick mit Sand über-
lagerte Straße führt über Getrümmer von Steinen, Blöcken,
Säulen, Löwen und Elephanten zum Eingangsthore, das
einem Triumphbogen gleicht. Dieses Thor ist noch leidlich
erhalten, hat in der Mitte einen 55 Fuß hohen Thurm, der
von vier kleineren Thürmen umgeben und von zwei anderen
flankirt wird; oben sieht man vier kolossale Köpfe in ägypti-
schem Geschmack. Alles ist mit Skulpturen bedeckt. Der
untere Theil des großen Thurmes hat ein Gewölbe, durch
welches Wagen fahren können. Rechts und links vom Thore
läuft die große Ringmauer in einer Erstreckung von 24 eng-
lischen Meilen; ihre Dicke beträgt mehr als 11 Fuß. An
den vier Himmelspunkten befinden sich ähnliche Eingangs-
thore , das im Osten hat deren aber zwei.
Alles, was von dieser Ringmauer umzogen wird, ist jetzt
mit dichtem Wald bestanden, aber man trifft bei jedem Schritt
auf mehr oder weniger verfallene Gebäude, welche den ehe-
maligen Glanz der Stadt beurkunden. Mouhot durch-
forschte auch den Palast der alten Könige, dessen wohl-
erhaltene Manerwände überall mit Basreliefs bedeckt sind.
Diese bilden vier übereinanderstehende Reihen, und jede der-
selben stellt einen König dar, der in orientalischer Weise mit
übereinander geschlagenen Beinen da sitzt; die Hände ruhen
auf der Mitte eines Dolches, zu beiden Seiten sitzen Frauen.
Alle Figuren tragen Schmuck, z. B. außerordentlich lange
Ohrringe, Hals- und Armbänder, sind nur mit einem Lan-
guti bekleidet und haben eine hohe, spitz zulaufende Kopfbe-
deckung. Die Basreliefs auf einer andern Seite stellen
Schlachten dar; man sieht Kinder mit langem Haare, das in
einen Knoten geschlungen ist.
In diesem Palaste fand Mouhot auch die Statue des
aussätzigen Königs. Kopf und Gesichtsausdruck sind
edel, die Züge frei und regelmäßig, es liegt Stolz darin;
auf der Oberlippe ist ein feiner, nach oben gebogener Schnauz-
bart, und das gelockte Haar fällt auf die Schultern herab.
Der ganze Körper ist nackt, ohne Schmuck oder Zierrath.
Ein Bein und eine Hand sind abgebrochen, aber auf unserer
Abbildung ergänzt worden. Dieser König trägt ganz und
gar den arischen, vorderindischen Typus; auch findet
man in Ongkor noch manche Basreliefs, welche in die alte
indische Mythologie hinaufreichen, in die Zeit, da sich der
Buddhismus noch nicht gebildet hatte und der Brahmanis-
mus unangetastet dastand. Auch eine uralte Brücke, ein
ganz massives Werk, ist sehr wohl erhalten, etwa 130 Fuß
lang, 16 Fuß breit rurd hat 9 Bögen; aber jetzt läuft der
Fluß nicht mehr durch dieselben, sondern neben der Brücke hin.
Fast auf allen Ruinen sind Inschriften mit verschie-
denen Zeichen eingegraben. Die eine Schriftgattung kommt
sehr häufig vor, die anderen finden sich seltener, aber keine hat
etwas gemein mit dem heutigen Pali, und wie schon oben ge-
sagt wurde, die Schristgelehrten in Siam und Kambodscha
wissen nichts mit denselben anzufangen. Zwar sagen sie, es gebe
einen Schlüssel zur Entzifferung, aber dieser ist noch nicht
gesunden worden. Einem heiligen Buche der cambodschani-
schen Buddhisten zufolge soll der Gründer von Ongkor in
einer Zeit gelebt haben, die in das dritte Jahrhundert unserer
christlichen Zeitrechnung fällt; er habe Bua Sivisithiwong
geheißen und buddhistische Priester ans Ceylon her in sein
Land berufen. Er war, so heißt es weiter, aussätzig und
baute den großen Tempel, damit die Götter ihm Heilung
gewähren möchten.
Die Gegend von Ongkor hat viele alte Sagen; jene
über die Entstehlrng des Tuli Sap lautet folgendermaßen.
Einst war dort, wo mm der See ist, alles Land eine weite
Ebene, und auf dieser stand eine wunderschöne Stadt. Der
König hatte die Liebhaberei, Fliegen zu halten, und der
Erzieher seiner Söhne, der Prinzen, pstegte viele Spinnen.
Da traf es sich, daß die Fliegen von den Spinnen aufge-
fressen wurden; der König ergrimmte darob sehr und ließ den
Prinzenlehrer tödten. Dieser aber war ein Zauberer, erhob
sich in die Lüfte, verfluchte den König nebst der ganzen Stadt,
und urplötzlich wurde die Ebene von Wasser überfluthet.
Alles war verloren, nur allein die berühmte Buddhastatne
ans Jaspis, welche jetzt im Palaste des Königs in Siam zu
Bangkok aufbewahrt wird, blieb übrig, denn sie schwamm,
von Lotusblumen umgeben,'auf dem Rücken eines Pak (tibe-
tanischen Grunzochsen) auf dem See umher und wurde von
Siamesen aufgefischt.
Mouhot ist der Ansicht, daß die ältesten Gebäude Ong-
kors weit über 2000 Jahre hinaufreichet: und die jüngsten
ungefähr vor etwa 20 Jahrhunderten gebaut worden sind.
Er war überrascht, an den meisten Basreliefs viele Einzeln-
heiten zu finden, in welchen die heutigen Cambodschaner mit
den wilden Stämmen im Osten des Landes übereinstimmen:
regelmäßige Gesichtszüge, langen Bart, schmalen Langnti
und fast dieselben Waffen und nrusikalischen Instrumente.
Beide haben ein feines, melodisches Gehör, und die Gebirgs-
stämme verfertigen Tamtams von antiker Form, die weit
und breit gesucht werden.
Wir verlassen hier den Reisenden, um ihn später ans
seinen Wanderungen nach Laos zu begleiten, wo er ein Opfer
des bösen Klimas wurde.
Die Boka.
263
Die B o K a.
Von v. R.-D.
II.
Die Inseln bei Perasto. — Feste zu Ehren der Madonna. —
Sprachliche Verhältnisse. — Religion. — Cattaro. — Der
Cattaro's. —
Fährt man von Risano nach dem gegen 10 Miglien
entfernten Cattaro, so erblickt man Perasto gegenüber Sto-
livo und dazwischen, fast mitten im Kanal, wie im Meere
schwimmend, die kleinen Inseln Madonna dello Scar-
pello und S. Giorgio.
Die erstere ist bekannt durch die Wallfahrtskirche, welche
einem 1452 wunderbar aufgefundenen Madonnenbilde ihre
Entstehung verdankt und 1630 ihre jetzige Gestalt erhielt.
Es ist ein kleines Oratorium auf ödem Felsengrund, an den
Wänden Bilder oben und unten, und silberne Votivtafeln
mit getriebener Arbeit in der Mitte, an der Decke Bilder in
Feldern, der Fußboden und Altar aus Marmor.
Die Bilder sind von dem Maler Cocaglia aus Perasto,
von dem fönst nirgends anderswo Geinälde vorhanden sein
sollen, desfeil Porträt aber im Offiz des Podestä von Pe-
rasto hängt.
An die Kirche stoßen das Haus des Pfarrers unb ein
Cafö, welches zur Feier am 15. August geöffnet wird.
An diesem Tage nämlich, wo so viele Gläubige des katho-
lischen und griechischen Ritus zusammenströmen, daß der
kleine Scoglio die Menge kaum zu fassen vermag, wird auf
dem mit Quadern belegten Vorhof der Kirche ein alter,
herkömmlicher Tanz aufgeführt, bei welchem zwei
große mit Wein gefüllte Flaschen iu die Mitte des Platzes
gestellt werden. Um diese tanzen die Männer der benach-
barteil Ortschaften iu ihrer Nationaltracht, mit ihren schön-
sten Waffen geschmückt, im Kreise herum, indem Jeder das
Schnupftuch des Nebenmanns anfaßt uub Einer der Be-
jahrtesten mit einem bloßen Schwert in der Hand den Vor-
sänger beim Absingen der dabei üblichen serbischen Lieder
macht. Nach dem Tanze werden zum Schluß der Festlich-
keit die Flaschen geleert.
Am 22. Juli, dem Tage, au welchem das Bild gefun-
den wurde, pflegen die Bocchesen sich ebenfalls zahlreich
hinzubegeben, und jeder Perastiner bringt nach herge-
brachter Sitte einen Stein mit, den er am Rande des
Dammes in das Meer wirst, so daß der Scoglio eine Art
Wall unter dem Wasser erhält, der ihn vor zu heftigem
Andrang der Wellen schützt. Auch ist es Sitte, daß jeder
Besucher der Madonna wenigstens eine Wachskerze spendet,
und kein Hochseefahrer der Bocche vorüberfährt, ohne sie mit
einigen Kanonen - und Flintenschüssen zu begrüßen. Beson-
ders lebhaft aber ist das Feuern aller iu der Nähe vor Anker
liegenden Schiffe, wenn das Marienbild am 15. Mai zur
Erinnerung au den Sieg über die Türken, welchen die
Perastiner einem Wunder der heiligen Jungfrau zuschrieben,
zu Perasto in feierlicher Prozession herumgetragen wird.
Zu diesem Umzug holt bereits an: ersten Sonntag in: Mai
eine Prozession von Barken das Bild mit großem Gepränge
ab, um es in San Rinolä aufzustellen und am 27. Juni
wieder iu sein Heiligthum zurückzubringen.
Die Bocchesen als Seefahrer. — Gliuta. — Die Dcbrota. —
heilige Tryphon. — Fort St. Trinita. — Die Gründung
Geschichtliches.
Der Scoglio von S. Giorgio ist berühmt durch die
reiche Benediktinerabtei, welche auf ihm stand, und deren
Abt am Feste des heiligen Tryphonins in Cattaro das Hoch-
amt in Pontificalibus halten durfte, dem Bischof von
Cattaro aber dabei ein kleines Geschenk überreichen mußte.
Der Adel von Cattaro, welcher das Patronatsrecht über
das Kloster besaß, trat dasselbe 1634 dem venetianischen
Senate ab und erhielt dafür zwei Freistellen auf der Uni-
versität von Padua.
Die Türken, welche schon 1571 die Abtei einmal nie-
dergebrannt hatten, plünderten die wiederaufgebaute Kirche
1624 und 1654 nochmals, und die Franzosen verwandelten
die Gebäude, die beim Erdbeben von 1667 stehen geblieben
waren, in eine Kaserne, welche sie verschanzten und verthei-
digten, bis am 24. Oktober 1813 die Wegnahme des klei-
nen Forts von Santa Croce über Perasto durch eine muthige
Schaar Perastiner sie zur Kapitulation nöthigte, da der
Scoglio durch das Fort beherrscht wird.
S. Giorgio und Perasto gegenüber folgen längs der
Küste von Le Catene bis nach Mulla, eine halbe Stunde
von Cattaro, die Ortschaften Stolivo und Perzagno,
welche, mit Ausnahme von Stolivo fnperiore, das auf
der Höhe gebaut ist, am Fuße der bewaldeten Bergkette des
Vermaz gleichsam unmittelbar aus dem Wasser aufsteigen,
und deren Häuser mit ihren Gärten so zerstreut liegen, daß
sie nur eine einzige Ortschaft zu bilden scheinen.
Die Bewohner, deren Zahl gegen 2000 beträgt, sind
meist Seefahrer, und jeder Schiffseigenthümer hat feinen
kleinen Hasen an feinem Hause, da die Bocche fast überall
100 bis 200 Fuß Tiefe haben.
Nur die Einwohner von Mulla, deren Häuser mit
denen von Perzagno zusammenhängen, ernähren sich größ-
tentheils durch Fischfang. Die von Dobrota dagegen, auf
der andern Seite des Busens zwischen Cattaro und Gliuta,
sind ebenfalls Seefahrer.
Denn obwohl die Boka der bestbebaute Distrikt von
ganz Dalmatien ist und die Bocchesen sich durch Arbeit-
samkeit auszeichnen, reicht der Ertrag des Landes doch nicht
aus für den Bedarf, und die Bewohner sehen sich genöthigt,
vom Meer zu leben. Da die Bocchesen für die besten und
gewandtesten Seeleute der österreichischen Küste gelten und
außerdem ebeu so industriell, wie mäßig sind, kehren sie ge-
wöhnlich nach etuer Reihe von Jahren wohlhabend genug
zurück, um in der Heimath ihr Leben sorgenfrei beschließen
zu können, indem es sprichwörtlich heißt: Ueberall
muß man hingehen und Geld gewinnen, aber
es nur in die Boka bringen und dort verzehren.
Zu Ende des vorigen Jahrhunderts gab es nicht weniger
als 360 Hochfeefahrer, 100 Küstenfahrer und über 300
Schaluppen mit 3 bis 4000 Mann Bemannung, und wenn
auch diese Zahl durch die Verluste, welche zur Zeit der
Cattaro und Bocche di Cattaro.. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
Die Boka.
265
französischen Herrschaft die Engländer der dalmatischen Schiff-
fahrt zufügten, bedeutend abgenommen hat, so findet man
doch noch jetzt selten einen Bocchesen, welcher nicht in Odessa,
Smyrna oder Alexandrien gewesen wäre.
Die Dobrotschaner werden für die reichsten Anwoh-
ner der Bocche gehalten, und ihre Häuser, welche meist eins
vom andern getrennt, oder in kleinen Gruppen beisammen
stehen, sind in: Innern elegant und wohnlich eingerichtet.
In der Regel wird jedes von einer hohen, mit Schießscharten
versehenen Mauer eingeschlossen, welche es vor unerwarteten
räuberischen Angriffen der Montenegriner schützen soll, und
gleicht daher einem förmlichen Kastell.
Die vordersten Häuser schließen sich fast an Cattaro an,
und die Kirche San Matteo, welche dem ersten der drei
Kirchspiele Dobrota's angehört, gewährt einen höchst maleri-
nahe Stadt, um dort das Wohl der Provinz zu berathen,
und beschlossen mit den Cattarinern, sich freiwillig Oester-
reich zu unterwerfen.
Trotz dieses gemeinsamen Handelns blieb jedoch Dobrota
eben so abgeschlossen, wie immer. Denn die Dobrotschaner
heirathen nur unter sich, verkehren fast nie mit ihren Nach-
barn und haben ihre eigenthümliche Kleidung, Sitte und
Sprache beibehalten. Namentlich leben die Frauen
abgeschieden, wie im Orient, und dürfen nicht
einmal mit am Tische essen, wenn Fremde da
sind.
Die Tracht besteht ans kurzen, seidenen Beinkleidern,
Strümpfen und glanzledernen Schuhen, Kreuzweste mit
vergoldeten Silberknöpfen intb Goldbesatz, Jäckchen mit
Seidenstickereien und kleiner seidener Kappe, Alles schwarz
St. Giorgio, Madonna della Scarpello und Pcrasto, non Stativo gesehen. (Originatzeichnung von F. Kanitz.)
scheu Anblick, indem unmittelbar vom Wasser ans an jeder
Seite eine Ranipe empor zu dem freien Platz führt, auf
dem sie steht.
Gliuta, das letzte Kirchspiel Dobrotcsis, verdankt
seinen Namen entern Gießbach, welcher unweit voit Orahovaz
weißschäumend mitten ans den Bergett herausstürzt uitd ztt
Zeiten tticht minder wasserreich ist, als der Sopot, der itach
Regengüssen und bei Scirocco in der Nähe von Risano aus
einer über 40 Fuß hohen Höhle in einer Felswand mit
großem Geräusch herabfällt.
Die ganze Ortschaft ward nebst einigen Dörfern vom Kö-
nigUrosch und seiner Gemahlin Jelena im Jahre 1351 der
Stadt Cattaro geschenkt uitd bildete seitdem eine der fünf
Community der Bocche. Als Venedig siel, vereinigten sich
die Dobrotschaiter, zogen nach einer feierlichen Messe in die
Globus VI. Nr. 9.
bis aus den violetten Gürtel, ill welchem Handschar und
Pistolen stecken; and) die Sprachweise ist so verschieden von
der anderer Bocchesen, daß Jemand, der vertrant genttg
tnit allen Lokalismen ist, augenblicklich unterscheiden kann,
wer ein Bewohner von Dobrota oder Perzagno, Risano oder
Perasto ist.
Ucberhaupt ist für die serbische Sprache keine Ge-
gend so wichtig rind bedeutend, wie die Boka, indem man
dort eine Masse von echtslavischen Wörtern hört, die nirgends
anders üblich sind, und die Anssprache, welche in Slavonien,
Dalmatien und Bosnien die Anhänger der römischen und
orientalischen Kirche sogleich erkettnen läßt, bei beit Katho-
liken und Griechen dieselbe ist.
Italienisch wird nur in den größeren Orten
von den gebildeteren Klassen gesprochen; indem
34
266
Die Boka.
häuslichen Verkehr ist Serbisch überall ausschließ-
lich im Gebrauch, da die Einwohner bis auf einen klei-
nen Theil der Katholiken slavischer Abstammung sind.
Fast drei Viertel der Bevölkerung, welche sich ans
35,000 Seelen beläuft, bekennen sich zum griechischen Glau-
ben, obwohl die Venetianer Alles thaten, um sie zum Ka-
tholicismus zu bekehren. So mußte z. B., wer sich mit
einem Katholiken verheiratheu wollte, katholisch werden, um
vom Bischof die Erlaubniß zur Trauung zu erhalten, und
Kaludjeui, welche ohne dieselbe ;tt trauen wagten, wurden
1667 mit Verbannung," Gefängniß autb Galeeren strafe be-
droht. Ein Ducal von 1672 wies sämmtliche nichtuuirten
griechischen Geistlichen aus, und alle Griechen, welche sich
an den Bocche neu ansiedeln wollten, mußten die Oberhoheit
des Papstes anerkennen. Auch mußten die Griechen laut
Edikt von 1679 die Festtage der römischen Kirche feiern, und
in Cattaro wurde ihnen erst zur Zeit der Franzosen die
Kirche S. Rinolo eingeräumt, weiche früher zum Kloster
der Dominikaner gehörte.
Seit 1809 befinden sich die Griechen der Bocche unter
der geistlichen Leitung des Bischofs von Dalmatien, während
die Katholiken einen eigenen Bischof in Cattaro haben.
Denn Cattaro, das „Weiße Kotor" der Slaven, wel-
chem die Boka ihren heutigen ‘Diouueu verdankt, ward schon
im sechsten Jahrhundert der Silz eines Bisthums, das Au-
fangs unter Salona, im neunten Jahrhundert unter Dioclea
uub nach dessen Zerstörung unter Spalato stand, aber 1033,
als alle Bischöfe des obern Dalmatiens auf der Reise zu
einem Provinzial- Concil in Spalato ertranken, ztt Anti-
vari, später zu Ragusa und zuletzt zu Bari kam. Seit
1829 steht die Diöcese , welche über 10,000 Seelen zählt,
unter dem Erzbischof von Zara, und statt des froweclitoro
sti-aordinario, welcher unter der veuetianischen Herrschaft die
Verwaltung des veuetianischen Albaniens mit großer Macht-
vollkommenheit leitete, residirt gegenwärtig ein Kreishaupt-
mann, vom Volk kurzweg Circolo genannt, in Cattaro.
Die Stadt selbst liegt, wie bereits bemerkt, im äußersten
südlichen Winkel des Kanales am Fuß des steilen Monte
Sella. Zwei Sturzbäche, Finmara und Gordicchio,
die aus der Tiefe herausquellen, machen sie gewissermaßen
zur Halbinsel, und drei Thore, Porta Gordicchio (seit 1818
Francesco), Porta di mare oder della inarina unb Porta di
Finmara, führen aus den 25 bis 28 Fuß hohen Mauern,
welche die Stadt von allen drei Seiten einschließen. An der
vierten erhebt sich, fast senkrecht über ihr ans einem Vor-
sprung des Monte Sella, das Kastell oder Fort San Gio-
vanni , welches durch Mauern und mehrere kleinere Forts
auf isolirten Felsen mit beit Ringmauern der Stadt ver-
bunden ist. Es führen drei Wege hinauf, der eine rechts,
der andere links, der dritte mit vielen Windungen in der
Mitte, wo auf halber Höhe eine der heiligen Jungfrau ge-
weihte Kapelle steht, die von den Einwohnern der Stadt
häufig besucht wird.
Wegen der vielen Krümmungen, welche der Kanal
macht, wird Cattaro oder vielmehr das darüber liegende
Kastell dem ztt Wasser fahrenden Reisenden' erst sichtbar,
wenn er sich zwischen Perzaguo und Dobrota befindet. Die
Stadt ihrerseits wird durch die hohen Pappeln, welche die
Fiuntara entlang bis zutu Strande stehen, gänzlich verbor-
gen, unb auch wenn man um die Bastion biegt, an welcher
die Pappelreihe aufhört, und vor sich die freie Marine mit
ihren Maulbeerbäumen hat, erblickt inan nur die Mauern,
hinter denen die Thürme der Kirchen emporragen, und über
dem Meerthor (porta di mare) den geflügelten Löwen Vene-
digs. Aber sobald man sich innerhalb des Thores befindet,
ist man auch schon in Cattaro. Straßen, welche zwar nicht
laug, aber nirgends so eng sind, wie mitunter in den anderen
Städten Dalmatiens, führen zu den vielen kleinett, unregel-
mäßigett Plätzen, die vor Kirchen liegen und alle höchst
malerisch aussehen. Die Häuser siitd oft groß und stattlich,
oft aber attch dachlos und verödet, mit Epheuranken in
den Fenstern und mit Steinen in den frliheren Thüröffnun-
gett, und man bemerkt überall die Spuren der Erderschütte-
rungcu, welche Cattaro nicht utinder heimgesucht haben, als
Ragusa.
Die Kathedrale mit ihren beiden Thürmen ist be-
rühmt dttrch ihr Reliquarium, welches das Grabmal des
heiligen Tryphonius enthält, deut der Dotu geweiht ist.
Die Legende erzählt nämlich, die Venetianer hätten den
Leichnant dieses Heiligen im Jahre 809 nach Venedig führen
wollen, seien aber von einem Sturm gezwungen worden,
in die Bocche einzulaufen, und als der Wind sich endlich
wieder gelegt, wäre das Schiff nicht von der Stelle zu brin-
gen gewesen. Die Geistlichkeit, welche natürlich von dem
wttnderbareit Vorfall Kunde erhielt, begab sich auf das Schiff
unb holte den Körper, den ein frommer Bürger, Andreazzo
de Saracenis, für 200 Goldsoldi kaufte, feierlich in die
Stadt. Andreazzo, der schon vorher mit seiner Fratt und
seinen Söhnen die Kirche Sta Maria Jnfnnaria oder S.
Maria del Fiume, die spätere sogenannte Collegiata, hatte
erbauen lassen, legte noch in demselben Jahre den Grund
ztt einer neuen Kirche, um die heiligen Gebeine ihrer würdig
unterzubringen, und so entstand die Kathedrale, welche
wahrscheinlich zwischen 1000 und 1100 ihre jetzige Gestalt
erhielt. S. Trifoue aber, dessen Leben mau int Reliqua-
rinm meisterhaft in Marmor dargestellt sieht, ward zutu
Schutzheiligen der Stadt erhoben und zu seinen Ehren
jährlich ant 3. Februar ein Fest begangen, das die Marine-
re; za oder der Tanz von S. Trifon (Hallo di 8. Tri-
fone) hieß.
Im Jahre 1809 wurde dieses Fest, welches nahe an
1000 Jahre gefeiert worden sein soll, ztnn letzten Mal be-
gangen, und spätere Versuche, es wieder ins Leben zurück-
zurufen, sind erfolglos geblieben.
Die bereits genannte Collegiata, welche 1221 von den
edleit Familien Dersa und Bisanli umgebaut wurde unb bis
in neuester Zeit unter deut Patronat mehrerer Adelsfamilien
Cattaro's stand, befindet sich am Fitnttarathor, vor welchem
wöchentlich dreimal der ntontenegriner Bazar abgehalten
wird. Sobald man nämlich die bedeckte Brücke hinter steh
hat, welche über die Scnrda oder Finmara führt, kemmt
man auf einen Kiesplatz mit Maulbeerbäumen, dessen Hin-
tergrund der vom Fort S. Giovanni gekrönte Felsen nebst
dem hohen Lovciner Gebirge bildet, das fast auf allen
Straßen und Plätzen Cattaro's sichtbar ist und der Stadt
tticht blos den Tag um einige Stunden kürzer, sondern auch
den Sommer noch drückender macht, als er int übrigen Dal-
matien ist.
In langen Zügen steigen die Montenegriner zu
Fuß und zu Pferd den Zickzackweg hinab, um die Cattariuer
mit Brennholz, Eis , Gemüsen und Castradineu zu versor-
gen, unb die Männer legen in einem offenen Schuppen
ihre Gewehre ab, da sie nur ohne Waffen die Stadt betreten
dürfen.
Nicht utinder belebt ist der Bazar auf der Marine, wo
sich die Bocchesentrachteu mit den tuontenegrinischen mischen
ttnd namentlich, viele Fische verkauft werden. Dentt See-
stsche, Reis, Polenta und Gemüse, Schaf- und Ziegen-
fleisch sind die gewöhnlichen Gerichte der Cattariuer, wie
aller Bocchesen. Rindfleisch ist wenig, uub zwar blos in
Cattaro , ztt haben, ttnd in der Zeit der Fastett, welche von
I Katholiken und Griechen gleich streng beobachtet tverden,
Die Boka.
267
ist Stockfisch oder Banola fast das tägliche Essen. Das,
gemeine Volk begnügt sich auch außer den Fasten mit Banolä,
Zwiebeln, Polenta und Scoranzen, einer Art Fische, welche
die Montenegriner bringen. Castradin, b.'s). geräuchertes I
Schöpsen- und Ziegenfleisch, gehört zn den Festtagsspeisen, !
und frischgebratenes Fleisch 31t den seltenen Gerichten. Gei-
stige Getränke werden gern und viel genossen, und sehr be-
liebt bei Reich und Arm ist schwarzer Kaffee.
Zur Vertheidigung der Straße, die sich nach Albanien
abzweigt, ist auf der Einsattelung eines Bergrückens das
Fort St. Trinitü errichtet. Es ist dies ein festes
sich darauf anzubauen, umgab die neue Stadt mit Mauern
und verband sie mit dem Kastell. Sie wurde nach Einigen
von den aus der Höhe stürzenden Wassern Dacatera genannt,
nach Anderen gaben Flüchtlinge aus dem zerstörten Kotor
in Bosnien zur Erinnerung an ihre Heimath der Nieder-
lassung, welche sie aufnahm, den jetzigen Namen.
Die Nisanoten, die Nebenbuhler der Cattariner, be-
haupten, als das mächtige Risanv ins Meer gesunken, sei
bei einer Schafhürde (Lock tora) eine neue Stadt gegründet
und Kotora genannt worden, und die Volkssage aus Cattaro
erzählt:
Dcr Montenegriner Bazar in Cattaro. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
Blockhaus mit einem Graben, einer Terrasse zur Ausstellung
von Geschützen und Schießscharten statt der Fenster, das
gewissermaßen mit zu den Befestignngswerken Cattaro's ge-
hört , von dem es nur eine Stunde weit entfernt ist.
Unter ihm, da, wo jetzt der kleine Ort Scagliari liegt und
in dem äußersten Grunde des Kanales das Meerwasser im
Schilf versickert, soll sich bis über das heutige Cattaro hin-
aus das alte Ascrivinm ausgedehnt haben. Es ward nach
Einigen 638, nach Anderen 865 gänzlich zerstört, ilnd die
Einwohner flüchteten sich ans den steilen, nur von einer
Seite zugänglichen Berg des Kastells. Als dieser 31t klein
wurde, benutzte man den Abhang bis zum Meeresnfer, um
J'n Felsen über Kotor ist ein großes Loch wie eine Höhle,
das wollte der mächtige Czar Stephan weiter ausgraben,
um darin die Stadt Kotor zn bauen. Aber die Vila kam
zu ihn: und sagte: „Thue das nicht, denn in dieser steilen
Höhe ist weder ein Ankerplatz für das Schiff, noch ein Tum-
melplatz für das Pferd; baue die Stadt lieber unten am
Meerbusen." Der Czar hörte auf den Rath der Vila,
baute mit ihrem Beistand Kotor lind lud, als es fertig
geworden, die Vila nebst vielen Damen zu einem Gastmahl
ein. Als sie nun bei Tische saßen, rühmte er sich immer-
fort, was für eine schöne Stadt er gebaut hätte, bis endlich
die Vila ihn: vorwarf, daß er es ohne ihre Hülfe nicht ge-
34*
268
Die Boka.
somit. Das verdroß den Czaren so, daß er der Vila ins
Gesicht schlug. Die Vila rächte sich, vergiftete alle Brunnen
und Quellen der Stadt und machte sämmtliche Gäste des
Czaren wahnsinnig. Als der Czar all das Unglück sah,
legte er sich demüthig aufs Bitten und erweichte die Vila
so weit, daß sie ihm die Gäste wieder gesund machte und
welche es erst am 12. August 1807 an die Franzosen ab-
traten. Aber 1813 verlangten die Montenegriner Cattavo
zurück, belagerten und beschossen es, und nach mehrmonat-
licher, hartnäckiger Vertheidigung sah der General Gantier
sich genöthigt, am 8. Januar 1814 die Festung dem eng-
lischen Commodore Hoste zu übergeben, welcher sie denMon-
Fort St. Trinità bei Catturo. (Originalzeichnung von F. Kanitz.)
eine Quelle vor dem südlichen Thore der Stadt vom Gift
reinigte. Deshalb haben alle anderen Brunnen noch jetzt,
namentlich im Sommer, salziges und ungesundes Wasser.
Beim Falle Venedigs 1797 ergab Cattaro sich freiwillig
an Oesterreich, und nach dem Abzug der Oesterreicher im
Jahre 1806 ward es am 4. März von den Russen besetzt,
tenegrinern überließ. Diese weigerten sich, die Stadt wieder
abzutreten, als die Oesterreicher die Bocche besetzten, und
erst nach einem mehrtägigen Bombardement gelang es dem
General Milntinovich, am 19. Juni 1814 in Cattaro
einzuziehen und Besitz von der Hauptstadt der Boka zu
nehmen.
Die dänischen Kjökkenmöddings, die Pfahlbauten in der Schweiz und Deutschland w.
269
Die dänischen Kjökkenmöddings^ die Pfahlbauten in der Schweiz und Deutschland und die
irischen Seewohnungen.
Wir lesen eben in der „Augsburger Allgemeinen Zei-
tung" Folgendes: „Die Pfahlbauten der Steinzeit,
welche von'einem unbekannten Volk in sehr alter vor-
historischer Zeit auf dem Wasser ausgeführt wurden, sind
nun auch in Bayern, im Starnb erg er See, entdeckt,
wo wir ein Vorkommen derselben am wenigsten vermu-
thet hatten. Das Verdienst dieser interessanten Entdeckung
gebührt dem bekannten Geologen, Prof.Desor aus Neuen-
bürg, dem wir über die Pfahlbauten der Schweiz eine
Reihe wichtiger Beobachtungen verdanken, und der auch
seine Vermuthung über das Vorkommen ähnlicher Reste
in den bayerischen Seen in seiner Schrift: „Die Pfahlbau-
ten des Neuenburger Sees" bestinnnt ausgesprochen hat.
Desor ist verhindert, seine Nachforschungen persönlich fort-
zusetzen, läßt aber einen in dem schwierigen Auffinden
der Pfahlbauten praktisch geübten Mann zurück, in dessen
Begleitung zwei Mitglieder der Münchener Akademie die
Untersuchungen in den östlichen Seen Bayerns fortsetzen
werden."
Diese Pfahlbauten am Starnberger See sind aber
nicht die ersten, welche bei uns in Deutschland ent-
deckt wurden. L. Büchner hat darauf hingewiesen, daß
man dergleichen schon 1863 in Mecklenburg gefunden
habe. Auch hier tragen sie genau dieselben Eigenschaf-
ten an sich, wie jene der Schweiz, und dadurch wird die
gleiche Kulturstufe der vorgeschichtlichen Be-
wohner beider Länder nachweisbar. Bei dem
Ausmodden (Modde oder Mudde ist niederdeutsch und
bedeutet weichen Schlamm) eines kleinen ehemaligen Sees
bei Wismar, der rings von Hügeln eingefaßt ist und
seit Jahrhunderten zugeschlammt war, so daß der mod-
dige Untergrund bereits mit einer zwei Fuß starken Lehm-
schicht überdeckt war, fand man die Reste der Pfahlbau-
ten. In dem Urboden des Sees war ein doppelter Kreis
von eingerammten eichenen Pfählen vorhanden mit einem
Durchmesser von 10 bis 12 Fuß, so daß also die über
dem Wasser stehende Wohnung rund gewesen
sein muß. Die oberen Enden der Pfähle waren ver-
kohlt; man darf also wohl den Schluß ziehen, daß das
Gebäude durch Feuer zerstört wurde. Beim Nachgraben
in die Tiefe fand man verschiedene Alterthümer, alle aus
der Steiuperiode, namentlich einen großen, künstlich
ausgehöhlten Mühlstein, nebst einer Anzahl runder Mühl-
steine, einen sehr zierlichen Keil und andere steinerne Ge-
räthe; ferner auch Scherben irdener Gefäße und endlich
Thierkno eben, namentlich ein Gehör», das wohl von
einem wilden Rind herrührt, und dann noch einen drei.
Zoll langen Zahn eines Wiederkäuers. Die Alterthümer
befinden sich im Besitze des um die Alterthumswissenschaft
sehr verdienten Archivraths Lisch.
Bekanntlich nehmen die nordischen Alterthumsforscher
eine Reihenfolge von Zeitaltern an, welche sie als
Stein-, Bronce- und Eisenzeit bezeichnen, je nach
dem Material, dessen sich die Menschen eines solchen
Zeitalters zur Verfertigung ihrer Werkzeuge bedienten.
Das Steinzeitalter ist das früheste, das'vorhistorische
und reicht sehr weit über die sogenannte „Erschaffung
der Welt" hinaus. Der Gebrauch der Bronce setzt
schon einen viel höher» Kulturgrad voraus, der auch
durch die Beschaffenheit der Töpferarbeit aus diesem Zeit-
alter bestätigt wird. Die Menge und Verschiedenheit der
aus demselben aufgefundenen Geräthe, sodann der all-
mälige Fortschritt in der Kunst, welche bei ihrer Verfer-
tigung angewandt wurde, zeugen für die lange Dauer
jener Periode. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die
Bronce durch das Eindringen eines von Außen her vor-
dringenden, erobernden Volkes nach Europa gekommen ist.
Der Gebrauch des Eisens fällt in eine spätere, schon ge-
schichtliche Zeit.
Die Kjökkenmöddings (Küchenkehricht, Küchenab-
fälle), die Muschelhügel, welche man an den östlichen
Gestaden der dänischen Inseln in ganz ungeheurer Menge
findet, gehören dem Steinzeitalter an. Unsere Leser
erinnern sich, daß wir über diese höchst interessanten Er-
scheinungen vor einiger Zeit sehr ausführlich gehandelt
haben (Globus V, S. 149 ff.: „Das Vorkommen der
Muschelhügel in allen Erdtheilen"). Wir wiesen
nach, daß sie von Dänemark und den Shetlands Inseln
bis Australien vorkommen und nur Knochenreste und
Steinwaffen enthalten; wir schilderten auch jene aus
der malayischen Halbinsel und nach den uns von Wol-
demar Schultz gemachten Mittheilungen auch jene an
der Südostküste Brasiliens. Auch Lyell hat in seinem
neuesten Werke*) über diese Muschelhügel gesprochen.
Wir brauchen hier nur die wesentlichsten Züge hervor zu
heben.
Unter den unzähligen Austern, Herzmuscheln, Mies-
muscheln ititb Strandschnecken findet man Werkzeuge von
Stein, Holz, Knochen, Horn, Stücke von roher Töpfer-
arbeit, Holzkohlen und Asche, aber niemalsWerkzeuge von
Bronce oder Eisen. Diese Muschelhaufen haben 3 bis 5,
manche sogar 10 Fuß Mächtigkeit und erstrecken sich über
1000 Fuß' Länge, während die Breite 150 bis 200 Fuß
beträgt. Manchmal biegen sie auch wohl rund um einen
freien Mittelpunkt, der ein Wohnort gewesen zu sein
scheint; nur ausnahmsweise liegen sie etwas entfernt von
der Küste auf dem platten Lande, immer aber nur wenig
erhaben über dem Meeresspiegel. Natürliche Mu-
schelbänke sind sie nicht, sondern Kücheuabfälle; sie sind
das Werk von Menschen, die sich vorzugsweise von Fleisch
und Muschelthieren nährten und die' geleerten Schalen
und die ausgesaugten Knochen bei Seite warfen. Von
Pflanzenstoffen hat man bis jetzt nur unbestimmte Kohlen-
stückchen gefunden, sodann kleine Haufen von Asche, welche
wahrscheinlich von dem gewöhnlichen Gürteltang herrüh-
ren. Die obengenannten Muschelarten kommen noch heute
in jenen Meeresgegenden vor, aber nicht mehr so voll und
von solcher Größe; daran ist wohl Schuld die langsame
Umgestaltung und Wechselwirthschaft des Meeresbodens,
welche an den Austernbänken schon vielfach nachgewiesen
worden ist. Außer obigen Muschelarten finbet man noch
einige andere, aber nur in geringer Zahl; auch nur we-
*) Das Alter des Menschengeschlechts auf der Erde
und der Ursprung der Arten durch Abänderung, nebst einer
Beschreibung der Eiszeit in Europa nnb Amerika. Nach dem
Englischen des Charles Lyell, mit eigenen Bemerkungen und
Zusätzen^ und in allgemein verständlicher Darstellung von
Lh-. L. B n ch n e r. Autorisirte deutsche Uebertragung nach der
3. Auflage des Originals. Mit zahlreichen Holzschnitten. I.Lief.
Leipzig 1864, bei Theodor Thomas. Der Herr Verleger war
so freundlich, n„s die Aushängebogen dieses wichtigen Werkes
unb die Abbildung einer Pfahlbaute zur Verfügung zu stellen.
— Ueber die Kücheuabfälle handelt ausführlich auch Karl
Vogt, Vorlesungen über den Menschen, seine Stel-
lung in der Schöpfung und in der Geschichte der Erde, Gießen
1863. II. S. 111 ff.;' — gleich Lyell spricht er auch über die
Pfahlbauten, welche auch B. Sind er (Geschichte der physischen
Geographie der Schweiz, Bern und Zürich 1863) in den Kreis
seiner Betrachtungen zieht. Ueber die Pfahlbauten haben wir
schon eine umfangreiche Literatur von Ferd. Keller, Desor,
Rütimeyer, Christ, Troyon w.
270
Die dänischen Kjökkeinnöddings, die Pfahlbauten in der Schweiz und Deutschland rc.
nige Ueberreste von Krabben, dagegen sehr viele vom
Häring, Stockfisch, der Scholle und vom Aal. Knochen
kommen vor von mehreren Arten wilder Gänse und Enten,
vom wilden Schwan, vom Auerhahn, uub dem großen
Taucher. (Dieser letztere, Alca impennis, starb, wie Vogt
bemerkt, 1842 in Island ans; hier hatte er seinen letzten
Zufluchtsort gefunden; Lyell meint, er komme noch in
Grönland vor, wo er aber alljährlich sich vermindere.) Vogt
sagt, nach dänischen Quellen, daß der Auerhahn in Däne-
mark fehle, weil dort die Fichten, von deren jungen
Sprossen er sich im Frühjahr hauptsächlich nährt, längst
ganz und gar verschwunden sind; nnb Lyell hat gewiß
Unrecht, wenn er behauptet, daß man dort den Auerhahn
noch antreffe. KleinereLandvögel find in den Muschelhügeln
nicht gefunden worden, und das Huhn fehlt gänzlich.
Von Vierfüßern sind am häufigsten Knochen vom
Hirsch, Reh, Biber, Seehund uub dein nun völlig ausge-
storbenen llrochsen (Eos primigenius). Von dem Aller-
ochsen, der von jenem llrochsen ganz verschieden ist, trifft
man Spureil in beit Torfmooren, nicht aber in den
Muschelhügeln, tu diesen letzteren aber Knochen vour Biber
und vom Seehund. Sodann vom Wolf, Fuchs, Marder,
Luchs, Fischotter uub von der Wildkatze, vom Igel uub
der Wasserratte; jene vom Nennthier, Elenn und vom
Hasen fehlen, eben so jene vom Hausochsen, Pferd oder
Schaf; das einzige Hansthier war der Hund, uub
zwar eine kleine Art, ivelche unserm Wachtelhund ähnelt.
Von Vögeln finden sich mtv die langen Knochen, welche
die Hunde, wenn sie Vögelleiber fressen, allein übrig
lassen.
Alle Röhrenknochen sind zerschlagen, zuweilen selbst
der Länge nach gespalten, um die Markhöhle zu öffnen;
Knochen ohne eine solche sind unverletzt, aber überall be-
nagt, und man sieht Eindrücke der Zähne vom Menschen
und vom Hunde. Die Leute, von welchen die Muschel-
hügel herrühren, aßen auch Raubthiere; sie verstanden
das Fleisch zu kochen oder zu braten, denn man findet
unter den Küchenabfällen manchmal Steine, die so zu-
sammengelegt sind, daß sie einen Herd von zwei Fuß
Durchmesser bilden; neben denselben liegen Kohle und
Asche. Die Scherben zeigen, daß man Töpfe hatte. Wir
haben schon erwähnt, daß man nur Kieselgeräthschaften
der rohesten Art besaß: Aerte, Keile, und als Messer
dienende Steinsplittes, deren Eindrücke auf den Knochen
dentlich zu erkennen sind. Man verstand es auch, Werk-
zeuge, die man zum Schneiden und Spalten verwandte,
zu schärfen und zu glätten, aber zum Zerschlagen der
Knochen bediente man sich nur roh bearbeiteter Kiesel.
Auch bearbeitete Knochen fand man vor. Von Getreide-
oder Ackerbau keine Spur.
So viel von den Muschelhügeln. Lyell hebt hervor,
daß er solche, welche jenen in Dänemark ähnlich und
gleichfalls mit Steinwerkzengen vermischt sind, nahe am
Seeufer sowohl in Massachusetts wie in Georgia gesehen
habe. Sie rühren von den eingeborenen Indianern her
und reichen weit über die Zeit der Entdeckung Nord-
amerika'» hinaus.
Wir müssen auch der Torfmoore Dänemarks er-
wähnen, namentlich der jenem Lande eigenthümlichen
Waldmoore (Skovmose), welche bis zu 60 Fuß tiefe,
fast trichterförmige Höhlungen ausfüllen. An den steilen
Wandungen derselben wuchsen, alschcne Moore sich bil-
deten, Fichten, zum Theil vou 3 Fuß Dicke, und theil-
weise, wie die Jahresringe zeigen, mehrere hundert Jahre
alt. Diese Fichten sind derart umgestürzt, daß ihre Spitzen
gegen den Mittelpunkt des Moores liegen. Nun haben
aber in historischer Zeit in Dänemark keine Fichten eristirt
und Anpflanzungen, welche man daun und wann versucht
hat, gediehen nicht. Die Eiche trat auf, ist aber fast
gänzlich verschwunden, um der Buche Platz zu machen.
Nun beweist das Vorkommen von Knochen des Auer-
hahns in den Küchenabfällen, daß das Volk, von welchem
diese herrühren, während der Fichtenperiode lebte,
auf ivelche dann die Eichenperiode folgte, die aber
auch vorüberging, und daß dann diegegenwärtige Periode
der Buche eintrat. Man hat Fichtenstämme gefunden,
die der Mensch offenbar mit Feuer bearbeitet hatte,
und zwischen den Fichteustämmen Kieselgeräthschaften,
gleich jenen in den Mnschelhügeln. Der dänische Alter-
thumsforscher Steenstrup zog mit eigenen Händen eine
Steinart unter einem verbrannten Stamme einer dieser
Fichten hervor. Dagegen fand man in den Torfmooren,
welche der Eichenperiode entsprechen, schöne Broncege-
räthsch asten. Menschenknochen sind weder in den Küchen-
abfällen, noch in den Torfmooren gefunden worden; aber
man hat Gräber blosgelegt, die ans großen, rohen Stein-
blöcken zusammengestellt sind. In denselben lagen Stein-
und Knochenwerkzeuge und Schädel. Diese sind auf-
fallend klein, sehr rund, das Hinterhaupt ist sehr kurz,
die Augenhöhlen sind ungewöhnlich klein, während die
Augenbrauenbogen ungewöhnlich hervorspringen und die
Nasenknochen stark hervortreten. Zwischen Ängenbrauen-
bogen und Naseuknochen ist eine so tiefe Einsenkung, daß
sie den Zeigefinger eines Erwachsenen aufnehmen kann.
Diese Schädel gleichen einigermaßen jenen der Lappen
durch ihre Rundung und Kleinheit, unterscheiden sich aber
von diesen durch den tiefen Eindruck der Nasennath und
die schiefe Stellung des vorderen Zahnrandes. Jedenfalls
gleichen sie keiner andern europäischen Rasse als jenem
hochnordischen Lappenvolk oder vielleicht auch den Finnen,
auf deren Gewohnheiten auch das Aufschlagen der Knochen,
das Aussaugen des Markes rc. hindeuten. (Vogt II,
S. 119.) Wir wollen noch beifügen, daß, nach Lyell,
jene dänischen Torfmoore mindestens 4000 Jahre alt sein
müssen, daß sie aber auch 16,000 Jahre zu ihrer Bildung
gebraucht haben können. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß die Leute der Muschelhügelzeit in Kähnen fuhren,
welche sie ans Baumstämmen verfertigten, und daß sie
Fischfang trieben; Kannibalen waren sie nicht.
Uebrigens hat die Steinperiode im Norden gewiß sehr
lange gedauert und nur allmälig der Broucezeit Platz ge-
macht. Aber das „Lappenvolk der Steinzeit" bewohnte ganz
gewiß auch den Norden Deutschlands. Darauf deuten
Schädelsunde im Mecklenburgischen hin, z. B. bei Plan
und bei Schwa an.
Wir wenden uns zu den Pfahlbauten. Im Winter
von 1853 auf 1854 hatte der Züricher See einen unge-
wöhnlich niedrigen Wasserstand, und man benutzte die
günstige Gelegenheit, um auf dem trockenen Sceboden
Mauerwerk aufzurichten und solchergestalt ein Stück Lan-
des zu gewinnen. Bei der Arbeit stieß man in einer
Tiefe von etwa fünf Fuß auf Köpfe von Pfählen und
auf eine Menge von steinernen Aerten, Keulen, Hämmern
rc. und Feuersteingeräthen. Dr. Ferdinand Keller aus
Zürich forschte weiter nach und förderte Geräthe aus
Knochen, Horn, Zähnen und Holz, sodann rohe Gefäße
aus ungebranntem Thon, eine Vernsteinperle, eine einzige
Broncespange, aufgeknackte Haselnüsse, Reiser und Zapfen
von Tannen, den obern Theil eines menschlichen Schädels
und Theile mehrerer Menschenskelette zu Tage. Die
Schicht, in welcher alle diese Gegenstände vorkamen, be-
stand aus schwarz gefärbtem Letten, und Keller bezeichnet
sie als Knltnrschicht; sie war mit gelblich grauem, etwa
eine Elle hohem Schlamme überdeckt. Die Pfähle steck-
ten in dem ursprünglich alten Seeboden. Hier war also
eine vorgeschichtliche Banstelle aufgefunden; dort
hat ein Volk gewohnt, das während einer laugen Epoche
seines Daseins den Gebrauch der Metalle 'noch nicht
kannte und dessen Eivilisationsstufe etwa jener der oben
erwähnten ziordischen Leute in mancher Beziehung geglichen
hat, obwohl die Pfahlbauer doch höher standen, denn sie
kannten den Ackerbau und säeten Getreide. Seit jenem
Funde Kellers bei Meilen am Züricher See hat man
nun eine geradezu iiberraschende Menge von Pfahlbauten
auch in Italien, Deutschland und Frankreich entdeckt und
was die Schweiz anlangt, so sagt Karl Vogt, „daß fast
Die dänischen Kjökkenmöddings, die Pfahlbauten m der Schweiz und Deutschland rc>
271
kein See und fein Torfmoor im ebenen Lunde zwischen
Jura und Alpen vorhanden sei, in welchem man nicht
Spuren solcher Pfahlbauten angetroffen hat".
Diese merkwürdigen Bauwerke sind von verschiedener
Art. Manche waren schon längst den Fischern bekannt,
welchen an denselben die Netze zerrissen wurden; diese
liegen am Ufer der Seen und sind nur von Wasser, Lehm
oder Kalksinter überdeckt. Air einiget: Stellen, wo die
Pfähle am weitesten in den See hinausgepflanzt wurden,
ist über ihnen ein Wasserstand von 30 Fuß, aber durch-
schnittlich ist derselbe weit geringer. In den Seen der
westlichen Schweiz kann man die Bemerkung machen,
daß solche Pfahlbauten, iir denen kein Metall gefun-
den wird, näher am Ufer und in nur geringer Tiefe an-
gelegt sind, diejenigen aber, in denen Metall, namentlich
Bronce vorkommt, in größerer Entfernung rmd Tiefe.
Die Pfahlbauten irr den Torfmooren kommen stets au
solchen Stellen vor, wo früher ein See war, von welchem
gewöhnlich in der Mitte des Moores ein kleiner Rest
übrig ist. So in Moosseedorf, Wanwyl, Robenhansen
am Pfässikonsee uut) vielen anderen Punkten. Ganz all-
B öd eie aus wagrecht gelegten Rundhölzern, die zwischen
beit Pfählen in verschiedenen Winkeln übereinander sich
befanden; der unterste Boden liegt unmittelbar auf dem
Seegrunde, und die Dicke aller fünf zusammengenommen
beträgt etwa 3 Fuß. Die Köpfe der in den Seegrnnd einge-
rammten Pfähle ragen also durchschnittlich noch um etwa
einen Fuß über diese Böden hervor. Oft sind zwei ver-
schiedene Bodensysteme dadurch miteinander verbunden,
daß mehrere Rundhölzer vom obersten Boden des einen
Systems in den zweiten des andern Systems übergehen
und solchergestalt eine gangartige, rampenförmig anstei-
gende Verbindung bilden; solch ein Gang ist etwa zwei
Ellen breit. Alles bei den Pfahlbauten angewandte Holz
ist Rundholz; man bemerkt an keinem Pfahle eine senk-
rechte Einschneidnng und bei den wagrechten Rundhölzern
eben so wenig eine Ueberplattung oder Verschneidung oder
irgend eine Holzverbindnug, zu welcher künstliche Werk-
zeuge nöthig gewesen waren; kein Loch ist bemerkbar, auch
hat man nie einen hölzernen Nagel gefunden, einen von
Metall natürlich gar nicht; die horizontalen Rundhölzer
sind demnach nur aneinander geschoben; an den Kreuz-
Pfahldorf. (Aus Lyell, Das Alter des Menschengeschlechts von Dr. L. Büchner.)
gemein liegt auf dem Grunde des Torfmoores und über
dem Kies und Sand der älteren Anschwcmmniigen, die
an einigen Orten der Schweiz Elephautenknochen enthal-
te», der sogenannte Weißgrund, eine kalkige Schicht, die
größtcnthei'ls ans zu Pulver zerfallenen Schneckenschalen
besteht. Dieser Wcißgrnnd entspricht dem ältern Letten
bei Meilen; in denselben sind gewöhnlich die Pfähle tief
hinabgetrieben; bei Wanwyl steckte ein solcher 10 Fuß in
dem alten Seegrunde. Ans dem Weißgrunde liegt der
Torf von 5 bis 0, aber auch bis zu 20 Fuß Mächtigkeit.
Die Stein- und Kuochengeräthschaften der Kulturschicht
liegen gewöhnlich auf dem Grunde des Torfes, unmittel-
bar auf dem Weißgrnnde, aber in diesem letztern hat
man nie eine Spur von Alterthümern gefunden. Die
zerschlagenen Knochen, die Geräthschaften/Kohlen, Rund-
hölzer re. bilden die unterste Schicht des Torfes, welche
5 Zoll bis 3 Fuß betragen kann. Reste, welche man ans
geschichtlicher Zeit gefunden hat, z. B. römische Mün-
zen bei Moosseedorf, lagen immer weit höher im Torf
und Gegenstände ans dem Mittelalter weit höher, un-
mittelbar unter der Dammerde. In den Pfahlbauten von
Wanwyl fand man fünf übereinander liegende
punkten derjenigen, welche als Nahmen des Bodens an-
gesehen werden können, befinden sich senkrechte Pfähle,
zwischen welche diese Nahmenhölzer wohl hineingezwängt
worden sind. In den Räumen oder Fugen zwischen zwei
horizontalen Hölzern findet man eine Auffüllung von
Lehm und unter derselben, also zwischen zwei Böden,
allerlei kleines Geäste, ebenfalls mit Lehm. (Vogt II,
S. 129.) Bau und Anlage eines solchen Pfahldorfes
wird aus unserer Abbildung klar. Manche solcher See-
ansiedelungen mögen bis zu 200 oder 300 Pfahl-
hütten enthalten und reichlich 1000 Bewohner gezählt
haben.
Wie alt find diese Pfahlbauten? Eine absolute
Chronologie läßt sich nicht feststellen, sondern nur das
relative Verhältniß der einzelnen Schichten. Die Erbauer
lebten in einer vorgeschichtlichen Zeit. Morlot nimmt
für die Schicht, in welcher Bronce vorkommt, ein Alter
von mindestens 29 und höchstens 42 Jahrhunderten,
für die Steinschicht ein solches von 47 bis höchstens 70
Jahrhunderten an. Gillicron meint, daß an einer Pfahl-
bante in der Nähe von Neuchâtel ein Alter von mindestens
6000 Jahren angenommen werden müsse.
272
Tie dänischen Kjölkenmöddings, die Pfahlbauten in der Schweiz und Deutschland rc.
Die verschiedenen Pfahlbauten haben Vieles gemeinsam,
doch zeigen sich auch manche specifische Eigenthümlichkeiten.
Bei jenen in der östlichen Schweiz findet man gar keine
oder nur weitige Metalle, dagegen in der westlichen viele,
welche nur Kultnrgegenstände aus der Broncezeit enthal-
ten, oder auch dergleichen neben Geräthschaften ans _ der
Steinzeit aufweisen; in einigen findet man sogar römi-
sche Münzen uni) eiserne Werkzeuge. Uebrigeus sind
die Pfähle aus der Steinzeit dicker als jene der Bronce-
periode; die der letzteren hatten zumeist nur 4 Zoll, die
Stamme sind häufig in vier Theile gespalten, die Köpfe
ragen mehrere Fuß aus" dem Boden hervor, während jene
aus der Steinzeit ganz zwischen den darum gehäuften Stei-
nen verborgen sind, namentlich dort, wo des felsigenGrun-
des wegen Pfähle nicht eingerammt werden konnten. Man
kann unterscheiden:
Reine „Steinbauteu", z. B. bei Moosseedorf,
Wauwyl, Meilen, Robenhausen, Wangen (wo mehr als
40,000 Pfähle stehen) und die zahlreichen Pfahldörfer am
Bodensee;— Pfahlbauten, welche ans der Stein-
zeit her durch die Bronceperiode fortdauerten,
z. B. Concise am Neuenburger See, Stäffis, Hageueck
und einige andere Ansiedelungen am Vieler oder Neuen-
burger See; — sodann Bauten, welche sogar noch
Eisengeräthschäften zeigen, z. B. der Steinberg am
Vieler See. Manche haben nur Bronce geliefert, nament-
lich am Genfer und Neuenburger See und bei Sempach;
in einer einzigen Pfahlbaute, von La Töne bei Marin
am Neuenburger See, fand man nur Eisen.
Viele dieser Pfahldörfer sind offenbar durch Feuer
zerstört worden, und bei Moosseedorf konnte nachgewiesen
werden, (durch die Richtung der verstreuten Asche und der
Kohlenstückchen), daß der Brand während eines heftigen
Föhnsturmes stattgefunden haben muß. Durch das Zurück-
weichen der Gewässer sind im Fortgange der Zeit manche
Ansiedelungen trocken gelegt und von den Menschen als
nicht mehr zweckdienlich verlasseil worden. Daun über-
wucherte sie der Torf; später wuchsen die Gewässer wieder,
und die Pfahlbauten versanken unter den Spiegel des
Wassers oder wurden unter dein langsam anschwellenden
Torfe gänzlich begraben.
Aber zu welchem Zwecke wurden diese Gebäude nicht
auf dem festeil Lande, soilderil auf Pfählen im Wasser
angelegt? Man sagt, solche „Jnselwohnungen" hätten
in rohen Zeiten besondern Schutz dargeboten, iiidem die
Bewohner leicht alle Verbindung mit dein Lande unter-
brechen konnten (Lyell, voll Büchner, S. 10). Vogt spricht
die Vermuthung aus, daß die ersten Steinbauten oder
Steiuberge (deiln so könne mail namentlich jene ain Neuen-
burger See bezeichne») nur künstliche Inseln gewesen seien,
ähnlich den Crannoges in Irland, deren wir weiter unten
erwähnen; die Schweiz hat einen solcheil Cranuog im
kleinen See von Jekwyl bei Solothurn. Man benutzte
sie wohl vorzugsweise zum Fischfang und zu Festen; aber
viele waren gewiß bewohnt. Nach Desors Ansicht waren
sie in späterer Zeit als Vorrathsspeicher benutzt worden.
Dafür spreche, daß mail in den Pfahlbauten auf einzelnen
Punkten Töpfe siilde, die noch voll von Vorräthen sind.
Die Broncegegeustände erscheinen fast alle neu, die Töpfe
sind ganz, die einzelnen Vorräthe gut gesondert, massen-
haft all einzelnen Punkten angehäuft. „Es sind also
wahrscheinlich Magazine, welche zufällig verbrannten; die
aus Reisig und Lehm aufgeführten Wohnungen, deren
man eine anl Ebersberg bei Zürich aufgefunden hat, be-
fanden sich in der Nähe auf dem festen Lande." Dieser
Ansicht pflichtet Vogt bei. Er weist darauf hin, daß im
skandinavischen Norden das Wasser den Handelsweg bilde,
daß die Menschen, welche an den Föhrden wohnen, mit
einander nur zu Wasser verkehren, daß die Magazine auf
Pfählen stehen und die Waaren unmittelbar aus diesen
Speichern auf die Schiffe verladeir werden. Die Fischer
lind die Lappen, welche oft viele Stundeil weit Herkommen,
kochen, essen und schlafen auf deil Holzbrücken, welche die
Magazine umgeben. Es sei nicht unwahrscheinlich, daß in
den Tagen der Pfahlbauer ähnliche Verhältnisse stattgefun-
den haben.
Bei diesen Leuten läßt sich eine fortschreitende Civi-
lisatioil nachweisen, „es gab Baueril und eine industrielle
Aristokratie". Dieses alte Autochthonenvolk war zäh,
energisch und geduldig; es bearbeitete den Stein, ohne
metallene Werkzeuge zu besitzen; es wählte die härtere
Molasse zu Schleifsteinen und Handmühlen, den Serpen-
tin zu Hämmern und Aerten, spaltete und schliff die ver-
schiedeneil Kiesel zu schneidenden Werkzeugen. Ein Ver-
kehr nach Außen hin muß stattgefunden haben; Feuer-
steine sind aus dem nordwestlichen Frankreich gekommen,
woher Bernstein und Nephrit, ist iloch nicht mit Sicher-
heit ausgemacht.
Anfangs sind die Pfahlbauer vorzugsweise Jäger uild
Fischer gewesen, späterhin auch Ackerbauer. Am öfter-
sten erscheint der Weizen; bei Wangen hat man viele
ganze Aehren gefunden und ausgedroschene Körner, die
iil großen, dichten Klumpen bei einander lagen; sodann die
zwei-und die sechszeilige Gerste, Roggen aber nicht. Alles
Getreide ist in verkohltem Zustande. Mühlen waren na=
türlich unbekannt, man zerquetschte das geröstete Getreide
zwischen runden, geschliffenen Steinen. Man hat ver-
kohlte Aepfel lind Birnen gefunden, warscheinlich von wil-
deil Bäumen, Steine voir Schlehen und von der Trauben-
kirsche, Kerile von Himbeeren und Brombeeren, Schalen
von Haselnüssen lind Bucheckern. Die Pfahlbauer be-
reiteten Käse, sie hatten Brot, das aus zerquetschten Kör-
nern uild mit der Kleie zwischen heißen Steinen gebacken
wurde. Aus dem Flachs, welchen sie selbst bauten, haben
sie Fäden, Stricke uiti) Seile verfertigt, sodann auch Ge-
webe; denn unter den Ueberresten findet man auch Ge-
wichte (Thonkugeln) zum Anspannen der Fäden an den
Webstuhl. Den Hanf kannte man ilicht. Die Kähne
bestandeii aus einem einzigen dickeil Stamme, waren also
Einbäume.
Unter deil Pfahlbauten, welche der Steinzeit ange-
hören, ist jene bei Meilen am Züricher See die einzige,
in welcher mau einen menschlichen Schädel gefunden
hat. Die Größenverhältnisse desselben stimmen genau mit
denen des jetzigen Schweizerschädels zusammen. Iil Be-
zug auf die Thiere hat Rütim eher in Basel („Die
Fauna der Pfahlbauten, Basel 1861") werthvolle Nach-
richten geliefert. Er weist nach, daß die Pfahlbauer 54
Arten hatteil, die alle noch vorhanden sind, mit Aus-
nahme des Urochseu; man kannte Hund, Pferd, Esel.
Schwein, Ziege, Schaf und einige Hornvieharten. In
den frühesten Zeiten des Steinalters wurden mehr wilde,
später mehr zahme oder Hausthiere gegessen; in der Bronce-
zeit verschwindet der früher sehr häufig vorkommende
Fuchs fast gänzlich, dagegen tritt ein großer Jagdhuiid
auf, der wohl aus der Fremde gekommen war. Den
Hasen verschmäheten die Urbewohner, gleich den alten
Britannien: lind den heutigen Lappen. Ein Vergleich der
ältesten und neuesten Ansiedelungen ergibt, daß die Aus-
rottung des Eleuns und Bibers und die allmälige Ver-
minderung der Bären, Hirsche, Rehe llnd der Landschild-
kröten sehr sichtbar sind. Der Auerochs scheint zur Zeit,
da Broucewaffeu in Gebrauch kameil, ausgestorben zu sein;
Spuren der Hauskatze bemerkt man nur in den aller-
jüngsten Ansiedelungen.
So viel über die Pfahlbauten. Wir wollen noch
Einiges über die Crannoges in Irland beifügen.
Man hat solcher künstlichen Inseln nicht weniger als
46 gefunden; fie bestehen aus Balunstämmen, die im Vier-
eck zusammen gefügt und deren Zwischenräume mit Erde
ausgefüllt sind. Sie liefern eine große Menge von Knochen
und Alterthümern aus dem Stein-, Brouce- und Eisen-
alter. Im Ardekillin-See, in der Grafschaft Roscom-
mon, liegt eine kleine Insel von länglich runder Gestalt; sie
bestand aus einem auf Baumstämmen ruhenden Steinlager,
Eine Konsnlar-Nelse durch das General-Gouvernement Smyrna.
273
und rund herum ruhete ein Steiuwall auf eichenen
Pfählen. Im Jahre 1833 entdeckte Mndge im Drnm-
kellie Moor, Grafschaft Donegal, in einer Tiefe von 14
Fuß unter der Oberfläche eine merkwürdige Hütte ans
Baumstämmen. Sie hielt 12 Fnß im Viereck, war 9
Fnß hoch und hatte zwei Stockwerke, je von 4 Fuß Höhe.
Die Planken waren von Eichenholz und man sah noch
die Steinäxte, mit denen sie gespalten worden waren.
Die Hütte hatte ein flaches Dach und eine Pfahlein-
fassnng; in der Nähe sah man Ueberreste ähnlicher Woh-
nungen. Im Innern fand man einen Celt (steinernen
Keil), ein Stück von einer lederneir Sandale, eine Pfeil-
spitze von Feuerstein und ein hölzernes Schwert. Das
Haus stand auf feinem Sand; unter diesen: war das
Moor 15 Fuß dick. Diese Seewohnungen in Ir-
land stehen nicht auf Pfählen und auf Gerüsten ans
Baumstämmen, sie sind von den Pfahlbauten der Schweiz
völlig verschieden.
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
Bei den Ruinen von Aphrodistas wurde auch gegen
mich das erste der mehrfachen räuberischen, oder besser
mörderischen Attentate verübt, denen wir von jetzt ab
dauernd ausgesetzt waren. Während Herr I. mit feinen
scharfen Augen für mich die obgedachte Inschrift kopirte,
suchte ich noch etwas in den umherliegenden Trümmern
herum. Plötzlich stürzte aus dem Innern des Tempels
hinterrücks ein Kerl in der ersichtlich schlechtesten Absicht
auf mich los. Leichtsinniger Weise erhub er seinen Mord-
lärm zu früh, so daß ich ihn rechtzeitig bemerkte und
mich zur Wehr setzen konnte. Meinen Revolver hatte ich
allerdings bequemlichkeitshalber beim Gepäck gelassen,
meine Hetzpeitsche aber bei mir. Und diese dirigirte ich
denn auch so energisch in die Physiognomie des Atten-
täters, daß er sofort Kehrt machte und nun, von mir
verfolgt, sich in fein Reich im Innern des Tempels zu-
rückzog, wo er sich setzte und leise weinend mit der Pfote
seine Schnauze rieb. Es war nämlich ein rechtschaffener
Canis oder Kepek, der meine an die im Innern des
Tempels hallsenden Jilruken großen Durstes halber ge-
richtete Frage nach Milch wegen meines gebildeten Tür-
kisch wahrscheinlich nicht verstanden hatte und nun zur
Vertheidigung der seinem ritterlichen Schutze anvertrauten
Ziegen den Ausfall gewagt, der ihm so schlecht bekam.
Derartige Attentate hatten wir in der eigentlichen Ju-
rnkei, in Tamuk, noch viele zu bestehen, es waren
aber auch die einzigen, und die Hetzpeitsche oder ein ge-
legentlicher SteinwU'ff genügten vollständig zrl unserer
Vertheidigung.
Ich habe eben die Juruken genannt. Da ich von
diesen vortrefflichen Leuten noch öfter reden muß, Null ich
sie hier gleich vollständig darstellen. Die Juruken siild
ein mit "den Türken nahe verwandter, aber liicht iden-
tischer Nomadenstamm von sehr bedeilklicher mohammeda-
discher Orthodoxie. Einige wenige siild allmälig ansässig
geworden und treiben Ackerbau. Die Mehrzahl zieht mit
Zelten von Kameel-Filz und großen Heerden von Ziegen,
Schafen und Kameelen uomadisirend umher, wozu aller-
diilgs die vielen unbebauten großen Strecken Landes sehr-
einladend sind. Selbst bis in die Nähe von Smyrna
dringen sie vor. Sie haben noch ihre eigenen, nationalen
Beys, welche die Steuern für die türkische Regierung von
ihnen erheben und in bedeutendem Ansehen zil stehen
scheinen.
Die armen Juruken stehen in Smyrna ganz unge-
rechter Weise im allerschlechtesten Geruch. Man hatte mir
vor meiner Reise mehrfach gesagt, wir sollten uns nur
vor den Juruken in Acht nehmen, und namentlich, als
wir von der Idee sprachen, den Baba-Dag lind den
Derbeilt zu passiven, hielt man uns für geliefert. Das
ist die schändlichste Verleumdung. Gerade in diesen
Globus VI. dir. 9.
III.
Gegenden ist uns keine verdächtige Katze begegilet. Die
Bauern und die Reisenden, welche wir sahen, trugeil
nicht einmal Waffen. Unter Hierapolis habe ich zwei und
einen halben Tag indem Jnrukendorfe Tamuk gewohnt.
Unsere Hütte konnte nur mit einem Bindfaden zugebun-
den werden; wir selbst waren den größten Theil des
Tages oben in deil Ruinen, und es ist uns nicht eine
Stecknadel gestohlen worden. Die Leute hatten nicht
einmal Waffen, kaum einen Stock, und nur zwei bis
dreimal wurden wir sehr freundlich und bescheiden um
einen Schluck aus unseren Reiseflaschen gebeten. Die
Sicherheit der Person und des Eigenthums unter diesen
Wilden, vor denen selbst der Engländer in Nasly (ob-
gleich er offenherzig die türkischen Kaimakan's, Müdir's
iiud Aga's für die eigentlichen Straßenräuber erklärte)
uns warnte, ist größer, als in Smyrna. Ich will jeden
Augenblick jene verschrieenen Pässe ohne Eskorte passiven
und mich wieder in Tamuk aufhalten, während es mir
durchaus nicht angenehm ist, Abends spät ohne bewaffneten
Kavassen einen gewissen Theil der Frankenstraße in Smyrna
zu passiven. Dies zur Ehrenrettung der braven Juruken.
Nachdenl wir im Kaffeehause von Aphrodistas unsere
sterblichen, durch den Marsch in der Mittagshitze sehr
ermüdeten Leiber gestärkt und namentlich frische Milch
getrunken, ein Geilllß, den man sich in Smyrna für
vieles Geld nicht verschaffen kann, zogen wir um zwei
Uhr weiter. Ich hatte zwei Silbermüuzen gekauft, denn
allerorts kommen sofort Leute mit alt eil Münzen,
meist römischen Kupfermünzen, gelaufen. Leider habe ich
sie durch ein zu spät entdecktes Loch in der Tasche wieder
verloren.
Das beackerte Land hörte bald aus, und je höher nur
stiegen, desto wilder wurde die nur mit Gestrüpp bedeckte,
mit schwarzen Ziegen bevölkerte Gegend. Zuletzt hatten
nur, dem leugnenden Schweizer zum Trotz sei es behaup-
tet, die vollständigste Alpenlandschaft. Wir ritten
(ins einem nicht sehr breiten Bergrücken, rechts ein
schmales bewaldetes Thal, ans dessen anderer Seite
wieder wilde, jedoch noch mit Nadelholz nicht allzu dicht
besetzte hohe Berge aufstiegen. Links ein tiefes Thal, und
jenseits desselben hohe, zur halben Höhe mit Schnee be-
deckte Berge, deren höchster, Baba-Dag (Vaterberg),
dem ganzen Gebirge den Namen gegeben hat. Hinter
uns stieg das von' der glühenden Sonne ansgebrütete
Gewitter auf, und wir schonten deshalb weder Sporen
noch Peitsche, um vor dem Ausbruch unser heutiges
Nachtquartier zu erreichen, nämlich K a r a h i s s a r
(Schwarzburg). Dasselbe liegt in einem breiten Län-
genthale des Gebirges, und der Anblick beim Hinabstei-
gen in dasselbe bei der Abendbelenchtung war wunder-
schön. Links Schueeberge, rechts das fruchtbare, angebaute
Thal nicht abzusehen, vor uns erst eine niedrige Hügel-
35
274
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
kette, und über dieser hohe Schneekuppen, an denen wir
morgen vorbei sollten.
Es dämmerte stark, als wir in das, aus elenden
Lehmhütten bestehende, an Schwarzburg in Thüringen
nicht erinnernde Dorf einritten. Einen Han gab es
nicht (wir hatten Anfangs die Moschee dafür gehalten).
Doch fand sich hier die lobenswerthe Einrichtung, die
wir nachher öfter fanden, nämlich die des Fremden-
haufes, d. h. es wird von Gemeindewegen ein unbe-
wohntes Haus unterhalten, in welchem der ankommende
Fremde Schutz gegen das Wetter, eine Strohmatte und
ein Kaminfeuer erhält. - Für alles Uebrige muß der Rei-
sende selbst sorgen. Dahin führte man uns auch in
Karahissar. Aber oh und ach! Eine Lehmhütte, keine
sechs Fuß hoch, mit plattem, mit Erde gedecktem Dach,
ohne Fenster, das war das Fremdenhaus. Dasselbe
bestand aus zwei Gemächern, einem kleinern zuerst, einem
größern dahinter. Letzteres erhielten wir.
Bis dahin drangen auch die Bewohner des Orts, um
uns stumm anzustarren. Noch mehr Mühe machte es,
die Pferde unterzubringen, doch gelang auch dies endlich,
und eben so fanden sich mitleidige Seelen, die für Geld
und gute Worte uns einen Pilav und Eier kochten.
Doch hier erhielten wir nicht einmal jenes runde, durch
sechs Zoll hohe Latten vom Fußboden abgehobene Brett,
welches den Türken als Eßtisch dient.
Das Gewitter kam bei uns nur als Regen znnr Aus-
bruch, brachte aber empfindliche Kälte mit, so daß ich auf
meinem Lager, das lediglich aus der Binsenmatte und
meiner Hirschdecke bestand, erbärmlich von unter: fror,
sobald das Kaminfeuer erloschen war. So lange dieses
brannte, war wegen Mangels an Fenstern eine drückende
Hitze im Salon. Das'Vorderzimmer hatte doch den
Vortheil, daß die Thür direkt auf den Hof. also in die
frische Luft ging. Es war aber für uns zu klein und
nicht vornehm genug, auch hauste darin eine reisende
Türkenfamilie. Es war spaßhaft, das Abendessen der-
selben zu beobachten. Dicht am Kaminfeuer stand die
Schüssel Pilav. Um dieselbe herum hockten mit unter-
geschlagenen Beinen die Hungrigen und nahmen, der
Vater zuerst, die Diener zuletzt, Einer nach dem Andern
einen Bissen mit den drei ersten Fingern und warfen
ihn in den Mund. Nachher bereiteten sie ihren Kaffee,
die Bohnen in einem uralten, also kostbaren Mörser
zerstoßend.
Donnerstag, 2. April. Als wir früh erwachten,
hatte es zwar zu regnen aufgehört, aber es war grimmig
kalt. Die Berge rundherum hatten ihre Schneemütze be-
deutend tiefer gezogen. Wir mußten ziemlich lange war-
ten, ehe wir unsere im ganzen Dorfe vertheilten Pferde
bekamen, und als wir abritten, war mir mein Mantel
von grauem Militärtuch durchaus nicht zu warm, nament-
lich da wir fortwährend stiegen. Ehe ichs vergesse:—die
Schilderungen der Leute in Smyrna von dem Paß, den wir
heute überschreiten sollten, hatten doch sehr bedenklich auf
das Gemüth des Dragomans gewirkt. Sein Galanterie-
degen befand sich längst als unnützes Möbel ans dem
Packpferde, und in dieser Nacht machte sich sein gepreßtes
Herz durch einen Traum von Räubern Luft. Mais c’est
un danger très-sérieux! rief er im Schlaf, so laut, daß
wir aufwachten und lange vor Lachen nicht wieder ein-
schlafen konnten! Um acht Uhr kamen wir nach Kas-
silsche-Bttluk, einem Gebirgsdorfe, wo gerade Jahr-
markt war. Die vorhandenen Waaren konnten nur
schmerzlich mein zollvereinsländisches Konsularherz berüh-
ren, da sie sämmtlich autochthon waren. Noch mehr
schmerzte mich, daß dies elende Gebirgsdorf mitten in
der Jnrukei etwas hat, was Berlin seit Jahren vergeblich
erstrebt, nämlich eine zweckmäßige, geräumige und
trockene Markthalle, welche Käufer, Verkäufer und
Waaren vor den Unbilden der Witterung schützt!
Hier verließ uns auch der Kavaß, den wir aus Ka-
rassu mitgenommen, verlangte jedoch von: Aga des Dor-
fes eine Bescheinigung, daß er uns richtig abgeliefert.
Mit seinem Backschisch war er zufrieden. Statt seiner
octroirte uns der Herr Dorfschulze seine ganze bewaffnete
Macht, Infanterie und Kavallerie, nämlich eineil Kavassen
zu Roß und einen zu Fuß. Nach einer Stunde zogen
wir weiter, zunächst nach einem Hügel, auf dem sich
die Fundamente uni> einige mit schlechten Skulpturen
bedeckte Steine eines alten Tempels befanden. Dann
ging es immer höher in die Berge. Mit jedem Schritt
wurde es kälter, kam uns der Schnee näher, wurde aber
ailch die Natur großartiger. Selbst der schlveizer Ge-
fährte vermochte nicht mehr, die vollständige Alpennatur
der Gegend abzuleugnen. Einige Male hatten wir als
Weg eben nur einen schmalen, vom Schnee schlüpfrigen
Pfad, links den senkrecht aufsteigenden Felsen, rechts tiefen
Abgrund. Zu Fuß wäre ich bei meiner Neigung zum
Schwindel sicher hinuntergesegelt. Zu Pferde aber wird
mir nicht schwindlig, und mein braver Schimmel kletterte
über die schlimmsten Stellen mit der Sicherheit einer
Katze. Ich ließ ihm ganz seinen Willen, ihn nur durch
einen leichten Druck des rechteil Schenkels möglichst nahe
an den Felsen haltend.
Bald bedeckten sich die Nadelholzbüsche auf der Schat-
tenseite mit Schnee, dann auch die auf der Sonnenseite,
und endlich ritten wir wohl zwei volle Stunden völlig
im Schnee. Der Dragoman, der bisher Schnee in greif-
barer Nähe nur in der Limonade gesehen, machte große
Angen, und es fror ihn sehr. Uns beide Norddeutsche
aber heimelten die kandirten Tannenbäume so weihnacht-
lich an, daß wir iir eine kindische Freude geriethen. Ich
konnte es mir nicht versagen, allmälig von den mir er-
reichbaren Tannenzweitzen einen derben Schneeball abzu-
streifen und den vor mir reitenden I. damit zu bedienen.
Dieser revanchirte sich, indem er einen großen, wagrechten
Tannenzweig in dem Augenblick, wo er darunter fort
war, auf mich abschütteltet Der Fels bestand aus Nagel-
flühe, die besonders zur Formation grotesk wilder Partien
geeignet ist. Ein Block, nur den wir herum reiten muß-
ten/ sah gerade aus, wie ein kolossaler Koppenkäse! Welche
Fluthen müssen das gewesen sein, die erst dies Gestein
abgeschliffen, dann mit Kalk wieder zusammengebacken,
dann an seiner jetzigen Stelle abgelagert und schließlich
zu seiner heutigen Gestalt mit Hülfe einiger Erdbeben
wieder auseinander gerissen haben! Ich kenne von der
Schweiz nur die Gotthardstraße, die wildesten Partien
vom Harz und Thüringen und das gasteiner Land, aber
gegen diese Gebirgslandschaft, die wir heute durchritten,
kommen sie nicht auf.
Nachdem wir endlich wieder so weit hinabgestiegen,
daß der Schnee ans dem Wege und den Bäumen auf-
hörte, kamen wir an eine Kavassenwache, die, wie immer,
zugleich als Kaffeehaus dient. Eine Hütte aus dem Ge-
stein des Gebirges an den Felsen angeklebt, eine von
rohen Baumstämmen gestützte Veranda, in welcher sich
ein Kamin befand, einige Tannen, einige noch unbelaubte
andere Bäume, ein vom schmelzenden Schnee tobend zu
Thale stürzender Gebirgsbach, die bärtigen, braunen, von
Dolchen und Pistolen starrenden Türken, welch ein Bild!
Wer doch Maler gewesen wäre! Um das Schicksal, das
uns auf einer kleinasiatischen Osterreise zum Schneebällen
verführt, ¿u verhöhnen, und um einem tiefgefühlten Be-
dürfnisse abzuhelfen, benutzten wir das im Kamin kochende
Kaffeewasser, meinen noch von Smyrna vorhandenen
Zucker und J.s Cognac, um einen handfesten Grog zu
brauen; auch wohl der erste und der letzte, der an dieser
Stelle getrunken worden ist. Ein Stück mitgebrachten
Brotes, etwas von unserer Schlackwurst und schließlich der
unausbleibliche türkische Kaffee vollendeten unser Früh-
stück, und dann zogen wir weiter, jedoch zu Fuß, zwei
Stunden lang. Denn von nun ab ging es scharf bergab
in das Thal von Denislü, und zwar auf einem Wege,
wo die Pferde, so tapfer und geschickt sie auch waren,
doch mit sich selber genug zu thun hatten. Es wäre
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
275
grausam gegen die Thiere und leichtsinnig gegen unser
Leben gewesen, wenn wir sitzen geblieben wären. Die
Führung meines Pferdes übernahm mein Kavaß, und so
konnte ich mich, munter voranschreitend, dem ungestörten
Genuß der großartigsten Natur, die ich bis jetzt gesehen
habe, hingeben. Namentlich an einer Stelle, wo der
Weg auf schmalem Felsgrat aus einem Thal in das an-
dere übergeht, und wo ich, die übrige Gesellschaft etwas
zurücklassend, plötzlich ganz allein zwischen himmelhohen,
wilden Felsen und tiefen Abgründen stand, nichts hörend,
als tief unter mir das dumpfe ^Brausen des Bergbaches.
Da wurde mir ganz wundersam zu Muthe. Ich war so
weit, weit von der Heimath und Allen, die mich lieben,
und wenn die Nagelflühe unter meinem Fuß sich löste,
so lag ich bis zum jüngsten Tage tief unten, wohin nie
ein menschlicher Fuß gekommen ist, nie kommen wird.
Das war aber nur ein Moment. Die Großartigkeit
der allerdings mehr grausigen als schönen Natur behielt
nicht die Oberhand. Ich habe ans der ganzen Reise
eine mir selbst unbegreifliche Elasticität des Geistes
gehabt, keinen Augenblick die Laune verloren, und so
that ich an dieser Stelle einen Pistolenschuß in die Luft,
um das Echo zu wecken, das aber nicht sehr stark war,
und schritt von dannen. Schließlich wandte sich der Weg
geradezu rückwärts, im Zickzack, oft durch schmale, kaum
unser Packpferd durchlassende Felsspalten in das Thal
hinabsteigend. Endlich unten angelangt, wünschte ich den
Maler Grasen Kalckrenth aus Weimar herbei. Ein
enges Thal, von steilen, dünn mit Nadelholz bewachsenen
Felsen gebildet, und über diesen hohe Schneegebirge, unten
als Hauptstück ein türkischer Brunnen mit der durstigen
Reisegesellschaft.
Von hier ging es bei sanfter Senkung auf gutem
Wege in starken: Trabe, um die durch den Fußmarsch
eingebüßte Zeit einzubringen, nach Denislü hinein, wo
wir um drei Uhr Nachmittags eintrafen. Denislü ist
eine wunderlich weitläufig gebaute Stadt, in welcher 4500
türkische, 150 griechische und 30 armenische Familien in
ganz getrennten, weit von einander liegenden Vierteln
wohnen. Die Straßen sind fast alle von kleinen Bächen
durchströmt und von hohen Hof- und Gartenmauern
eingeschlossen. Die Häuser liegen rückwärts, vollständig
versteckt. Als wir beim Besehen der Stadt auf den
Bazar kamen, wollten sich zwei Orts-Kavassen unnütz
machen, wurden jedoch von unserm vornehmen smyrnaer
Gouvernements-Hassan schleunigst auf ihren Standpunkt
verwiesen. Bei dieser Gelegenheit kaufte ich eine Anzahl
runder, süßer Citronen, die uns sehr gute Dienste leisteten,
wenn wir unterwegs Durst litten. Man kann nur den
sehr erquickenden Saft genießen, das Fleisch ist bitter.
Der Han in Denislü war gut unb ganz neu, ohne aufs
fallende Abweichung von der Regel. Beim Auspacken
zeigte sich, daß an einer Stelle die Felsspalten, durch die
wir ins Thal herabgestiegen, für unser Packpferd zu eng
gewesen. Eine der beiden.Flaschen Portwein, die ich bei
mir hatte, war zerbrochen, und meine ganze Wäsche kar-
minroth gefärbt. Glücklicher Weise besaß der Han ein
Individuum, das bei uns in einen Hausknecht umzubil-
den gewesen wäre. Dieses ließ sich durch einen tüchtigen
Backschisch bewegen, die Sachen sofort zn waschen, und
eine Stunde später hing Alles auf der Gallerte vor un-
serm Zimmer. Ich mußte sie zwar noch etwas feucht
wieder einpacken; die Trocknung wurde jedoch auf einer
Dornhecke in Tamuk nachgeholt'. Und über den Mangel
au Rollen und Plätten setzte ich mich bereits mit der
für einen in Kleinasien Reisenden gebührenden Kaltblü-
tigkeit fort. Die Schneeberge, welche uns gegen Abend
durch eine Art von Alpengllihen noch einen erfreulichen
Abschiedsgruß zuwinkten, machten sich in der Nacht an-
ders geltend. Der Thermometer sank unter 0 und Mor-
gens hatten wir Reis auf den Dächern.
Freitag, den 3. April. Um sieben Uhr Morgens
rückten wir ab. Die Gegend war zwar hügelig, kam
uns aber nach unserer gestrigen großartigen Gebirgsreise
armselig vor, die Kultur hörte bald hinter Denislü auf,
und wir ritten lange, vergeblich das nahe geglaubte
Laodicea suchend, über das Weideland. Um eine
Aussicht zu gewinnen, sprengte ich einen Hügel hinauf,
und Hassan voll Angst um mein Leben hinterher. Hier
war ich denn auch der Erste, der die Ruinen entdeckte.
Zunächst kamen wir in ein elendes Türkendorf, das nicht
einmal ein Kaffeehaus hatte. Dort ließen wir die Pferde
und stiegen zuerst auf einen Hügel, aus dem sich die Neste
einer Wasserleitung zeigten. Architektonisch war nichts
daran. Merkwürdig aber war, daß der vielleicht mehr
als tausendjährige Regen einen Theil des Kalksteins (die
ganzen Berge umher bestehen aus Kalk) aufgeweicht
hatte. Dieser war ans seinem Stein herausgeflossen und
hatte sich dabei von Neuem zu Tropfstein verhärtet.
Merkwürdig ferner war uns bei dieser Wasserleitung,
daß deren Erbauer das hydrostatische Gesetz der
kor resp ond irend en Röhren gekannt haben muß. Die
Wasserleitung überschreitet nämlich das Thal zwischen dem
obengedachten Hügel und dein, auf welchem Laodicea liegt,
nicht, wie alle anderen antiken Wasserleitungen, auf einer
Bogenbrücke, sondern steigt in sehr massiven Steinröhren,
von welchen noch bedeutende Reste daliegen, in das Thal
hinab und auf der andern Seite wieder hinauf nach
Laodicea. Ich hatte das gedachte Gesetz für eine Ent-
deckung der Neuzeit gehalten.
Laodicea selbst muß, uach der mit Trümmern be-
deckten Fläche zu urtheilen, einen sehr bedeutenden Um-
fang gehabt haben. Von Privatgebäuden ist natürlich
nichts vorhanden, als die Ziegelsteine, die in Brocken
durch das ganze weile Feld dem Pflüger die Arbeit er-
schweren. Das am besten erhaltene Gebäude ist wieder
eine Arena, sie ist jedoch stärker mitgenominen, als jene
in Aphrodisias. Dicht daran, auf dem Hügel, der die
eine Seite der Arena bildet, stößt ein mysteriöser Bau
von starken, plumpen, nebeneinander brückenartig fort-
laufenden Gewölben. Ein Theater ist auch noch zu
erkennen. Ein zweites Theater soll noch besser erhalten
sein, es lag mir jedoch, bei der sehr stark brennenden
Mittagssonne, zu weit. Ein runder Tempel mit rö-
mischeil Säulen und zahlreiche kleinere Tempelbauten
waren in ihren Fundamenten deutlich zu erkennen. Etwas,
das man mit Sicherheit für eine christliche Kirche halten
dürfte, habe ich nicht gesehen. St. Johannes hätte es
mir zeigen sollen, wo die von ihm gemeinte Kirche ge-
standen hat. Laodicea hat mehrere für die ältere Kirchen-
geschichte wichtige Concilien gehabt. Anno 1119 war sie
noch so bedeutend, daß Kaiser Johann Komnenns, ge-
nannt Kalojoannes, cs der Mühe für werth hielt, sie
unter Aufbietung großer Streitmacht den Saracenen
wieder abzujagen. Im Jahre 1174 war sie unter Manuel
Komnenns nur noch ein offener Flecken, der sich ver-
theidiguugslos von Azeddin, Sultan von Jkonien, aus-
plündern lassen mußte. 1402 scheint der Ort durch Ti-
mursH orden in seine jetzige völlige Vernichtung gestürzt
zu sein.
Herrn I. hatte seine Neugierde von einem Trümmer-
haufen zum andern getrieben, während wir drei ziemlich
weit von einander uns jeder einen Sänlenstnmpf znm
Ruhen und Träumen ausgesucht hatten. Plötzlich war
Herr I. gänzlich verschwunden. Wir suchten ihn frucht-
los^ überall, feuerten sogar vergeblich wiederholt unsere
Pistolen ab, um ihn zu rufen. Endlich nach einstündigenr
Warten entschlossen wir uns, nach dem Dorfe zurück zu
gehen und die Einwohnerschaft zur Klapperjagd nach dem
möglicher Weise in irgend ein altes Gewölbe versunkenen
Reisegefährten aufzubieten. Da fielen plötzlich im Dorfe
schnell hintereinander sechs Schuß, die nur aus dem Re-
volver unseres Freundes kommen konnten. Er war von
Ruine zu Ruine von u»s ungesehen dorthin zurückgelangt.
Auf einem großen Stein hielten wir von unseren Vor-
räthen, darunter 12 harte Eier von gestern, ein Steh-
35*
276
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
frühstück. Das Dorf lieferte weiter nichts als Wasser.
Gott sei Dank, wenigstens dies. Dann trabten wir an
der Todtenstadt von Laodicea, den einzigen noch übrigen
Privatgebäuden, vorüber, ncid) dem eigentlicheir Ziel un-
serer Reise, Hierapolis, türkisch Pambuc Kalessi
oder Baumwollen-Schloß, jurnkisch Tanruk genannt.
Schoil voll Laodicea aus hatteir lvir die weißkandirten
Felsen, welche den türkischen Namen gegeben, leuchten
sehen. Je näher wir kamen, eine fast wagerechte, vom
Ly kos durchschlichene, voll Jurnkenheerden bevölkerte
Ebene durchreitend, desto deutlicher trat dies wunderbarste
aller Naturspiele hervor. Ich will es versnchell, eine
Beschreibung zu geben. Unvollkommen genug lvird
sie sein.
Das Gebirge, dem wir entgegenritten, eine Parallel-
kette der gestern passirten Hochgebirge, aber Kalkstein,
fällt gegen das Lyknsthal in einer ungefähr 200 Fuß
hohen, 2000 Schritt breiten, fast wagrechteil Terrasse
ab. Ans dieser Terrasse entspringt eine starke, 30" R.
warme, stark kohlensaure, kalkh'altige Quelle. Diese
hat Veranlassung zur Gründung der Stadt und vor allen
Dingen der Gegend ihren Charakter gegebeil. Die Quelle
fällt jetzt in drei nicht breiten Armen in das Thal hin-
unter, früher ist sie wahrscheinlich sehr viel stärker gewesen
lind in breiter Kaskade hinabgestürzt, oder aber sie hat
lnehrsach den Ort ihres Sturzes gewechselt, wofür aller-
dings sehr bedeutende Jndicicli sprechen. Durch die Ab-
kühlung llild das durch die Berührung mit der freien
Luft bewirkte Entweichen der Kohlensäure wird der im
Wasser gebundene Kalk frei ilnd setzt sich als Siilter,
allmälig'zum Fels erstarrend, ab. So ist denn eine,
wohl 500 Schritt breite Strecke des Abfalls blendend
lveiß kandirt. Aber damit nicht genug. Die Natur hat
bei der Bildung dieser Tropfsteine eine Laune und stellen-
weise eine künstlerische Grazie entwickelt, die vollständig
an das Märchenhafte grenzt.
Ich kann es der glühenden Phantasie eines noch ilicht
durch Bildung ernüchterten Volkes durchaus ilicht ver-
denken, wenn sie das Gairze für das Werk von Geister-
händen erklärt. An einer Stelle des Wasserfalls, d. h.
des ehemaligen, hat sich der Vach förmliche Stufen, oder
besser stufenförmig über einander geordnete kleinere und
größere Bassins mit ganz regelmäßiger Einfassung ge-
baut. Man denke sich Champagnerkelche von doppelter
Manneshöhe, diese mit Milch gefüllt, welche in dem
Augenblick schäumenden Aufkochens erstarrt ist. Darunter
immer wieder neue Bogenreihen derselben Gestalt, aber
immer kleiner werdend, die kleineren und größeren Bassins
ebenfalls flach mit dein festen Kalksinter gefüllt, der aus-
sieht, als wenn Milch in dem Augenblick, ivo ein leichter
Wind darüber fortgeweht hat, erstarrt wäre. Le Notre
hätte allen Heiligen auf den Knien gedankt, lvenn er
Hierapolis gesehen und bei der Anlage der Wasser-
fälle von Versailles diese wunderbaren Rococo-Natur-
spiele hätte nachahmen können. Auch oben auf der Ter-
rasse selbst wiederholt sich die stufenförmige Bassinbildung
mit Rändern von Champagnerkelchen an einigen Stellen,
nur kleiner und älter, weshalb dort der Kalkstein schon
grau geworden ist und nicht so schön aussieht.
Ein zweites merkwürdiges Produkt dieses Wassers ist
die Bildung der hohen, manerartigen Leitungen, in
oder besser auf denen es läuft. Der niederfallende Kalk-
sinter erhöht fortwährend das Bett der verschiedenen Rin-
nen, in denen das Wasser aus dem Bassin nach den:
Wasserfall strömt. Das hierdurch überlaufende Wasser
erhöht dann auch wieder die Ränder der 3fititueu durch
feinen Niederschlag, und so entsteht im Lauf der Jahr-
hunderte eine, an verschiedenen Stellen über Mannshöhe
reichende natürliche Mauer von Kalksteinen, in deren
oberer Rinne das Wasser läuft. Wird diese Mauer end-
lich so hoch, daß das Wasser des Quellen-Bassins tiefer
liegt, so sucht sich dasselbe einen andern Abfluß, dort das-
selbe Spiel erneuernd. So ist denn das ganze Rninen-
gebiet von Hierapolis, wie ein Obstknchen mit
schmalen Blätterteigstreifen, mit diesen natür-
lichen Kalkmauern umzogen. Daß diese Bildung bis in
die neueste Zeit fortgegangen ist, beweist eine solche, mehr
als mannshohe Mauer, welche mitten durch ein der zwei-
ten Periode von Hierapolis angehörendes Thor geht und
dasselbe fast versperrt. Schon Strabo spricht von diesen
Mauern und bemerkt, daß die Einwohner sie als Gar-
tenmauern benutzen. Auch das abströmende Wasser hat
sich allmälig vonr Felsen in das Thal eine Art von
Rampe gebaut, in deren Mittelrinne es bequem hinab-
fließt, statt hinabzustürzen, Nur ungefähr 20 Fuß hoch,
dicht am. Rande der Terrasse, fällt es senkrecht, hat
aber auch dort durch Kalksprossenbildung dafür gesorgt,
daß man ganz bequem in dem Wasserfall in die Höhe
kletterir kann.
Wundersam ist es, an den Rändern dieses immer
noch 22 bis 23 Grad warnren Wasserfalls den noch nicht
vollständig erhärteten, breiartigen, zum Theil mit Pflan-
zen untermischten Sinter anzufassen. Ich riß mir etwas
davon los, um es, in eine Form gepreßt, an der Sonne
schnell erhärten zu lassen. Das Experiment gelang aber
nicht. Die Masse zerbröckelte. Wahrscheinlich gehört zur
Felsbildnng die dauernde,' langsame Einwirkung des
Wassers. Hinter der Terrasse erhebt sich dann ziemlich
steil die in ihrer Bildung unbedeutende, auch nicht sehr
hohe eigentliche Kalksteinbergkette. Ich möchte fast glau-
ben, daß in der llrzeit die ganze Terrasse von den damals
sicher viel reichlicher strömenden kohlensauren Kalkqnellen
an die Bergkette angebaut worden ist. Doch wer kann
das missen.
Auf dieses wunderbare Natnrschauspiel nun trabten
wir in der größten Spannung los; die Stnfenbildnng
nird die Rauheit des erstarrten Sinters, welche den Pfer-
den ganz festen Tritt gestattete, machten es uns möglich,
bis auf die Terrasse hinaufznreiten, wo wir nicht wußten,
sollten wir mehr über die fabelhaften Naturspiele oder
über die mie ein Geisterschloß aus 1001 Nacht uns zn-
nächst entgegentretenden Ruinen staunen. Stelleniveise
dröhnte der Boden unter dem Hufschlage unserer Pferde
in greulicher Weise. Das Wasser hat sich nämlich an
einigen Stellen durch allmälige Verbreiterung der Rän-
der seiner Rinne nach Innen selbst überwölbt, und nach-
dem es dann später diesen geschlossenen Lauf verlassen, war
eine Höhle zurückgeblieben, die mie ein Gewölbe dröhnte.
Die Mittagssonne, die Müdigkeit unserer Pferde und
unsere Mägen zwangen uns jedoch, vorläufig von den
Wltndern der Natur und den Werken der Menschenhand
ab- und uns nach einem llnterkommen umzusehen.
Aber das, was wir von unten und auch noch eine
Zeitlang oben für das Jurukendorf Tamnk gehalten, das
nach den uns gemachten Mittheilungen in Hierapolis
liegen sollte, waren Alles schnöde römische Ruinen!
Weit und breit in dem großen Rninenfelde war keine
menschliche Wohnung zu seheil. Endlich erschienen einige
Hirtenknaben vom Berge, die uns bedeuteten, Tamuk
liege unten. Wir hatten es, da es von der oben er-
wähnten Rampe des Baches halb versteckt wurde, immer
nur auf die Felsbildungen schauend, übersehen, und zwar
um so leichter, als alle Hütten aus de'.n Gestein der Ge-
gend zusammengesetzt sind und deshalb sich von diesem
schlecht abheben. Da war guter Rath theuer. Der Vor-
schlag, in den Ruinen zu bivouakiren, erwies sich wegen
der Nachtkälte, der Schivierigkeit, Lebensmittel hinaufzu-
schaffen, und wegen der Jahrhunderte langen Benutzung
der Ruinen als Schaf- und Ziegenställe als unausführ-
bar. Also wieder hinunter! Das war nun mit den
Pferden, die wir natürlich führten, schwerer, als das
Hinauf. Aber es ging, ohne daß irgend ein Unfall vor-
gekommen wäre, und so gelangten wir denir, von fürch-
terlichem Gebell der stark nach Vetter Wolf aussehenden
Hirtenhunde empfangen, in Tamnk an.
Eine Hütte erhielten wir bald angewiesen, aber auch
F. Brink in ailii, Neisebilder ans dem Etschlande.
277
wirklich nur eine Hütte. Dieselbe war ungefähr 12 Fuß
lang, 8 Fuß breit, so hoch, daß ich nur gebückt hinein
schreiten konnte, oder vielmehr hinunter, deim das Innere
lag ungefähr einen Fuß unter dem Horizonte. Die beiden
Schmalseiten waren giebelförmig, wennauch nicht sehr regel-
mäßig und trugen einige rohe Baumäste, die dann mit
einem, allerdings dichten, Schilfdach gedeckt waren. Die
eine Schmalseite hatte eineil Kamin. Fenster — keine.
Sie wären auch unnütz gewesen. Der Kamin und die
Lattenthüre, die sich an einem nicht dicht an die Mauer
schließenden Pfahl drehte uub an der andern Seite an
einem eben solchen Pfahl mittels eines Bindfadens ge-
schlossen wurde, ließen genug Licht ein. (Nebenbei auch
einen spitzbübischen Kater, der in der einen Nacht unsere
letzte Wurst auffraß.) Der Boden bestand aus dem na-
türlich gewachseilen.
Diese Hütte nun, welche selbst im hintersten Hinter-
pommern für einen Ziegenstall zil schlecht gewesen wäre,
war nun für 2'/2 Tag das königlich preußische Kon-
slilat für Smyrna lind Dependeilzien. Der Flaggen-
bauin fehlte nicht. Dicht neben der Thür stand ein
wirklicher Baum, und auf demselben wurde die noth-
wendige schwarz-weiße Flagge hinreichend durch das dar-
aus hausende Ehepaar Storch repräsentirt. Schön war
der Aufenthalt nicht! Auch hat mich in den drei Näch-
ten, wo die Temperatur bis 4 3° R. sank, zwischen
Kamin und Lattenthür arg gefroren. Aber doch sind die
2-/2 Tage in Tamuk die Glanzpunkte der Reise, und ich
bin jeden Augenblick bereit, sie noch einmal zu verleben.
Der äußere Komfort thut es wirklich nicht, sobald Körper
und Geist gesund sind, und ich wollte, ich wäre immer
so gesund, inte in dem zugigen Ziegenstatt von Tamuk!
Schwerer war es, für die Pferde ein Unterkommen
zu finden. Man wollte uns nichts geben, als einen
offenen Schuppen, der uns denn doch bei den sehr kalten
Nächten nicht recht für die armen Thiere gefiel. Das
Schlimmste aber war, daß die edle Jurukenschaft hart-
näckig das Vorhandensein von Futter für Mensch und
Pferd ableugnete. Schon war beschlossen, den Kavassen
und den Reitknecht mit dem Packpferd nach dein nächsten
Neisebilder ans
Von Friedrich
I. Der Vintfchgau.
Der Wanderer, welcher, um von Nord- nach Süd-
Tyrol zu reisen, beit östlichen Straßenzug durch den Finster-
münzpaß wählt, kommt, bald nachdem er den höchsten
Punkt der Straße, die Reschen-Scheideck, berührt hat,
an drei ziemlich ansehnlichen Seen vorbei, die unterein-
ander in Verbindung stehen und ihre Gewässer in einem
muntern, sich rasch vergrößernden Flüßchen nach Italien
hinabsenden. ^Das ist der Ursprung der Etsch, und
ihr Thal, das sich ganz plötzlich zu einer erstaunlichen
Breite ausweitet, heißt bis zu seiner Verengung durch
den s. g. Töll dicht vor Meran der Vintschgan.
Die glänzende Reihe von wohlhabenden Ortschaften,
welche sich durch dieses so fruchtbare tyroler Thal von
einem Ende bis zum andern zieht, eröffnet im Westen,
wo wir in dasselbe eintreten, der Marktflecken Mals,
von einem altersgrauen, aber wohlerhaltenen gothischen
größern Ort (zwei Meilen) zu entsenden, um dort auf
Grund unseres Bujnrdi's Futter für Mensch und Thier
zu requiriren.
Da kam die Nachricht, der nationale Bey der in
dieser Gegend ansässigen und umhernomadisirenden
Juruken sei im Dorfe angelangt, um die Heerden zum
Zwecke der Erhebung des Zehnten zu zählen, und sitze mit
Gefolge im Dorfe. Wir begaben uns sofort zu ihm,
und nun fand eine jener Unterhaltungen statt, wie sie
bei den ersten Ansiedlungen der Europäer in Amerika
zwischen diesen und den Rothhäuten beschrieben werden.
Der Jurnkenbey, ein schöner Mann im besten Alter,
braun, mit langem Bart, in prächtig gestickter Kleidung,
Dolch und Pistolen stark mit Silber beschlagen im
Gürtel von persischem Stoffe, saß auf einem Stein.
Neben ihm kauerte sein Vertrauter ä la ture auf der
Erde, hinter ihm stand seine Leibwache, drei bis an die
Zähne bewaffnete Mohren und sein Pfeifenträger, ein
bildhübscher, prächtig gekleideter Junge. Ich saß auf
einem andern Stein, auf den ich mein Plaid gedeckt, ihm
gegenüber. I. und B. standen neben, Hassan' hinter mir,
wie eine Grenadier-Schildwache unter Friedrich Wilhelm I.,
zwischen uns der Dragoman. Unb nun begann die wun-
dervolle Unterhaltung. Der Bujnrdi des Gouverneurs
von Smyrna that seine Schuldigkeit, und als ich dem
Bey schließlich die eine Photographie von mir, welche ich
bei mir hatte, geschenkt, war'die Freundschaft groß. Er
lud uns ein, ihn auf der Weiterreise in seinem Dorfe zu
besuchen, und ertheilte den Juruken von Tamuk Befehl,
bei Vermeidung seines Zornes uns Alles zu liefern, was
wir brauchten.' Dann ritt er von dannen. Die Juruken
gehorchten, und unsere Pferde erhielten ein angemessenes
Unterkommen nebst Gerste, wir aber Eier, Pilav und
Milch, so viel wir wollten. Nur das gelieferte „Huhn"
war ein Hahn, und zwar unzweifelhaft der Patriarch von
10 Generationen Tamuk-Hühnern. Auf unsere Remon-
stration erwiederte die Jnrukenfran, die ihn brachte, ja
ein Huhn lege Eier, das könnten wir nicht bekommen,
ein Hahn thue das nicht. Dieser unumstößlichen Wahr-
heit mußten wir uns fügen.
dem C 1 s ch l n n d e.
Brinkmann.
Kirchthurm und mehreren Burgruinen überragt und von
grüiwn Bergen rings umgeben, über welche gegen Süden
der Ortles sein majestätisch weißes Haupt erhebt. Wenn-
gleich Mals nur 4 Stunden von der Neschen - Scheideck ent-
fernt ist und über 3100 Fuß hoch liegt, so bat hier der
Vintschgau doch schon eine so beträchtliche Breite, daß
neben den ansgedehnten Fluren von Mals noch ein zwei-
tes Dorf, Latsch, Platz genug für die Seinen darin ge-
funden hat.
Ich habe an einem andern Ort die Kreiswanderung
erzählt, welche ich von hier aus durch das etwas unter-
halb einmündende Münster that, über Sta Maria in
Graubündten nach der Höhe des Stilfser Jochs und wie-
der zurück nach dem Vintschgan machte, um den Ortles
in möglichster Nähe zu sehen, dessen Schneefelder an jener
Stelle fast bis unmittelbar an die Straße reichen. Der
Punkt, wo mich mein Weg wieder in den Vintschgau
führte, ist das Dorf Prad, welches ungefähr da liegt,
278
F. Brinkmann, Reisebilder ans dem Etschtlande.
wo die Etsch die bis dahin eingehaltene Richtung von
Norden gegen Süden verläßt und sich gegen Osten wendet.
Dieser Winkel des Etschthalcs ist ein Fleckchen Erde,
das wie wenige geeignet ist, gleichsam in Einem Blicke
zur Anschauung zu bringen, ein wie reiches Land der
Vintschgau ist, und besonders dann, wenn man ans dem-
selben Wege dahin kommt, wie ich, wenn man unmittel-
bar vorher ans den unwirthlichen Höhen am Ortles um-
her geschweift ist. Trasfoi, ungefähr 3000 Fuß tiefer
gelegen als die Ferdiuandshöhe, die höchste Erhebung
der Stilfser Straße., ist doch noch ganz von Gletschern
umstarrt. Auf dem weitern, 2 Stunden betragenden
Wege nach Prad fängt aber sehr bald das Leben wieder
an sich zu regen, und wenn wir einmal das seltsam an-
zuschauende, hoch oben an einem ziemlich steilen Bergab-
hange gleichsam angeleimte Dörfchen Stelvio, von wel-
chem die weltberühmte Straße ihren Namen hat, zu un-
serer Linken haben Xiegen lassen, sind wir aus dem
Bereiche der Wildniß herausgetreten. Bald sehen wir
die weißen Häuser von Prad vor uns schimmern nub
nun entfaltet sich immer mehr das große Panorama des
Bintschgaus, stromaufwärts und stromabwärts, vor unseren
Blicken. Schlösser und Burgen, die überall im Vintschgau
als besonders charakteristisch in der Landschaft hervortreten,
liegen gerade hier in erstaunlicher Anzahl rings zerstreut
im Thale und an den Abhängen der Berge, ein Dorf
taucht hinter und neben dem andern aus dem Grün der
Fluren und des Buschwerks auf, so weit das Auge die
imposante Ebene zu überblicken vermag, und aus der
Ferne begrüßt uns Mals mit dem dahinter sich erhe-
benden Kloster Marienberg als alte Bekannte.
Die weitere Wanderung durch den Vintschgau nach
Meran war mir besonders in zwei Beziehungeil inter-
essant und genußreich: eines Theils durch die Beobach-
tung, wie allmälig, je mehr ich stromabwärts kam, der
Pflanzeuwuchs üppiger wurde und ein südliches Gepräge
annahm, andern Theils dnrch den Wechsel der Bodenfor-
mation, wodurch das Thal in mehrere natürliche Abschnitte
zerfällt und die ihm eigenthümlichen Charakterzüge um
einen neuen, bedeutungsvollen vermehrt werden. Es hat
nämlich nicht eine gleichmäßig und allmälig sich neigende,
ununterbrochene Thalsohle, sondern diese ist von hügel-
artigen Erhebungen in der Quere durchzogen. Die erste
ist zwischen Eyrs uub Laas, die zweite dicht hinter
Latsch, die dritte vor Naturns, und endlich wird der
ganze Vintschgau abgeschlossen und von dem untern Etsch-
thale getrennt durch die Erhebung, welche nach dem nahe
dabei gelegenen Dorfe die Töll genannt wird. So zer-
fällt denn dieser in vier natürliche Abschnitte (von Mals
bis Laas, von da bis Latsch, von da bis Naturns, von
da bis zur Töll), uub alle vier unterscheiden sich von
einander durch ihren landschaftlichen Charakter.
Der erste übertrifft alle anderen an Breite und ist
ein durchaus ebenes, grünes, aber noch nicht sehr frucht-
bares Gelände, dessen'Boden meistens zu Futterban lind
Anpflanzung von Gerste, Roggen und Weizen benutzt
wird. Als ich gegen Ende meines ersten Tagemarsches
die Anhöhe vor Laas hinanging und diesen Theil des
Thales wie ein großes, grünes, fast quadratisches Viereck
zwischen den hohen, aber in durchaus milde Formen ge-
kleideten Bergen vor mir liegen sah, das Ganze über-
gössen von den goldenen Strahlen der Abendsonne, wurde
rch gefesselt von dem majestätisch Erhabenen, welches die
Landschaft trotz ihrer Einfachheit und Anspruchslosigkeit
besaß, und um so mehr gefesselt, weil ich den eigenthüm-
lichen Grund dieses Eindrucks nicht entdecken konnte, wenn
es nicht die ungemeine, imposante Thalweite war, in Ver-
bindung mit dem Einfachen, in sich Harmonischen und
Lebensvollen der ganzen Erscheinung.
Der Mittelpunkt des zweiten Thalabschnittes ist S ch la n-
ders, ein großer, wohlhabender, fast städtischer Ort mit
einer schönen, großen Kirche. Der Boden ist hier offen-
bar fruchtbarer als vorher, Maisfelder sind schon in gro-
ßer Anzahl zu findeit, während sie dort ganz fehlten, und
der Baumwuchs wird ausgebreiteter und kräftiger. Daß
die Gegend von jeher eines großen Wohlstandes sich er-
freute, scheint mir in unzweideutiger Weise aus der Masse
von Burgruinen hervorzugehen, auf die man aller Orten
stößt. Auf der nicht zwei Stunden Wegs betragenden
Strecke von Schlauders bis Latsch sind mindestens ein
Dutzend zu finden. So reich aber die Vegetation gewor-
den ist, Weinpflanzungen gibt es hier noch nicht.
Diese erscheinen in der Landschaft erst, nachdem wir
die Einengung der Etsch hinter Latsch, eine Art Felsenthor,
durch welches sie in der Tiefe tobend dahin braust, erreicht
haben und in den dritten Thalabschnitt eingetreten sind.
Von hier an gewinnt der Vintschgau plötzlich einen ganz
andern Charakter, der ihm bis zum Ende bei der Töll
bleibt, so daß durch diesen Punkt die beiden Haupttheile
des Thales bezeichnet werden, die wieder je in zwei Unter-
abtheilnu gen zerfallen.
Der dritte und vierte Abschnitt, die den zweiten Haupt-
theil ausmachen, unterscheiden sich nämlich von den beiden
ersten, die wir bis jetzt kennen gelernt, in viel schärferer
Weise und viel wesentlicheren Beziehungen, als der erste
von dem zweiten oder der dritte von dem vierten. Wenn
wir jene Einengung des Thales und die dicht dabei lie-
gende, überaus malerische Burgruine Castelbell passirt
haben, so fängt zwar das Thal wieder an, sich allmälig
auszuweiten, es gewinnt aber die Breite nicht wieder,
die ihm bis dahin eigen war. Noch auffallender ist der
llnterschied in der Gestalt der Berge. Die sanften,
rundlichen, kuppelgekrönten Formen, die uns bis dahin
begleitet haben und so schön zu dem weiten Thale passen,
sind jetzt höheren unb entschiedener ausgeprägten Gestal-
ten gewichen, deren allerdings üppig grüne Abhänge sich
in scharfe, oft felsige Kanten und Opitzen gipfeln, in
geraderen Linien in die Ebene hinabstreichen und mannig-
faltigere Gruppen bilden. Endlich ist auch die Thalsohle
eine ganz verschiedene geworden. Sie ist von nun au
keine Ebene mehr, sondern ein sanft von dem Fuße der
beiderseitigen Berge nach dem Flusse sich senkendes Terrassen-
land. Für den Wanderer, der sie der Länge nach durch-
zieht, nimmt sich jede Flußseite wie eine Gruppe großer,
sehr stumpfwinkliger Dreiecke aus. Der stumpfe Winkel
liegt dicht am Fuße der Bergkette, fast immer in einer
Schlucht der Thalwand, und an dieser Stelle ist denn
auch regelmäßig das durch seinen Kirchthurm ans weite
Entfernungen hin angekündigte Dorf erbaut, welchem die
grünen, mannigfaltig bepflanzten Fluren des betreffenden
Dreiecks gehören. Die beiden Schenkel des Winkels er-
strecken sick) lang hin zum Flusse, berühren ihn aber nicht.
Zwischen ihm unb der Basis des Dreiecks befindet sich
gewöhnlich ein mehr oder weniger breites, noch sanfter
geneigtes Uebergangsterrain, das sich deutlich von jenem
höher gelegenen Lande durch seine Gestalt und Vegetation
unterscheidet.
Eine Folge dieser so vielfach verschiedenen Bodenge-
staltung unb des immer größer gewordenen Unterschiedes
in der Höhe der Thalsohle, der so bedeutend ist, daß er
für die ganze Strecke von Mals bis Meran ungefähr
2000 Fuß beträgt, ist das vollständig verschiedene Gewand,
welches hier die Gegend kleidet. Gleich an der Grenze,
dicht hinter Latsch, erscheint zum ersten Male an der
Straße das, was wir schon so lange erwartet haben, ein
kleiner Weingarten, und in dem Maße, wie sich das Thal
wieder ausweitet, nehmen die Weinpflanzungen einen
immer größern Raum ein, bis sie dann bald den Haupt-
platz, den unteren und mittleren Theil des oben beschrie-
benen Terrassenlandes, besitzen. Neben ihnen stehen Mais-
felder und andere Cerealien. Das Erdreich ist aber so
fruchtbar, daß selbst zwischen den Weinstöcken noch vieler-
lei Gewächse gedeihen, als Mais, Kürbisse und Kohl,
der Boden von Vegetation über und über bedeckt ist und
daher von der Kahlheit der Weinberge, wie sie uns am
Rhein so oft störend entgegentritt, hier nichts zu bemerken
Der Krieg der Engländer gegen den König von Aschanti.
279
ist. Dazu trägt aber auch die schöne Art und Weise bei,
wie der Wein hier gebaut wird, daß die Reben nicht au
Stöcken in die Höhe gezogen, sondern über mehr oder
weniger hohe Lauben ausgebreitet werden, von wo sie
sich mit ihrem reichen Laube und den überaus großen
Trauben nach allen Seiteil hinabsenken.
Zuweilen reichen diese Weingärten bis an den Fllß
der Berge. In der Regel jedoch wird dieser höher ge-
legene Theil des Geländes von anderen Pflanzungen, ins-
besondere von kleinen Wäldchen zahmer Kastanien- und
Nußbäume eingenommen. Nicht selten senden diese sogar
ihre äußersten Ausläufer weit bis zum Flusse herab, ja
an manchen Orten haben sie sich so weit ausgedehnt, daß
ihre prächtigen, dunkelgrünen, oft wie eine Kugel ge-
schlossenen Kronen den größten Theil der Flur verdecken
und zugleich ihre schönste Zierde ausmachen.
Den niedrigsten Theil des Thales dicht am Flusse,
dessen Ueberschwemmnugeu er uuv zu häufig ausgesetzt ist,
erfüllt gewöhnlich ein üppig wucherndes Gebüsch von Bäu-
men des lnannigfaltigsten Grüns, worunter die schönen und
großen Weidenbäume mit ihrem zarten, graulichen Laube
am besten zu gedeihen scheinen.
So kaun man denn jetzt mit Recht sagen: das ganze
Thal ist wie ein großer Garten, während dieser Ausdruck
aus den obern Theil angewendet ei e arge Uebertreibung
ist. Ja selbst jetzt dürfen wir uns die Beschaffenheit des
Bodens nicht allzu genau ansel e", wenn wir bei jener Be-
Der Krieg der Engländer
Ein gründlicher Kenner Afrika's, Richard Burton,
sagt rund heraus, daß das ganze System, welches die
Engländer in ihren westafrikanischen Besitzungen befol-
gen, widersinnig, ja geradezu skandalös sei; auch belegt
er seinen Ausspruch mit einer Menge von Thatsachen.
Der Krieg gegen Aschanti wurde in einer höchst leicht-
fertigen Weise vom Zaune gebrochen. Die Engländer
haben an der Goldknste von Guinea mehrere Faktoreien
mit Befestigungen; in der bedeutendsten derselben, Cape
Co äst Castle, wohnt der Gouverneur, jetzt ein Herr
Richard Pine. Im Innern dehnt sich das Königreich
Aschanti nach Norden hin bis zum Konggebirg aus;
seine Hauptstadt ist Kumassi. Bis an die Seeküste
reicht das Gebiet des Königs nicht; denn zwischen dem
Gestade und dem Prahflusfe liegt ein Strich Landes,
welchen das Volk der Fantis bewohnt, und diese stehen
unter verschiedenen Häuptlingen, die für „Könige" gelten
wollen. Die in jeder Hinsicht unvernünftige Politik der
Engländer hat nun von jeher Alles aufgeboten, um die
Aschantis nicht bis au die Küste gelangen zu lassen; sie
unterstützte die Fantis und nahm dieselbe in „Protektion".
Aus diesem Verhältnisse sind viele Verwickelungen und
mehrmals auch Kriege entstanden, in welchen die Eng-
länder große Verluste zu beklagen hatte». Es galt als
Maxime, daß mau den König von Aschanti selbst in sei-
nem eigenen Lande bekämpfen müsse, wenn er den einen
oder andern Häuptling angreife. Die „Könige" im
Fantilande hatten also stets an den Engländern einen
Hinterhalt, den sie oft benutzt haben, um den Herrscher
der Aschanti's zu reizen.*)
*) Die Vorgänge im Aschanülaiide und jene in Yoruba,
namentlich in Abeokuta und Dahome, sind höchst interessant
und in vieler Beziehung charakteristisch. Wir werden sie dem-
nächst schildern und dabei englische Quellen zilm Grunde legen,
Zeichnung bleiben wolleir. Denit sonst möchten wir doch
wohl einigen Anstoß daran nehmen, daß er mit ziemlich
großen Steinen wie übersäet ist, lute man es auf dem Hoch-
plateau der Rauhen Alp nicht ärger antreffen kann. Dieser
Ilmstaild scheint aber dem Gedeihen des Pflanzenwuchses
tiicht hinderlich, ja dem Wein sogar günstig zu sein.
Was endlich den ästhetischen Genuß betrifft, so ist es von
selbst einleuchtend, daß Auge und Gemüth in dieser Umge-
bung voil pittoresken Bergen und einer üppigen, bunt zu-
sammengesetzten, schon an den Süden mahnenden Vege-
tation mehr Nahrung finden als in dem obern Theil des
Thales. Wir können aber nicht unterlassen hervorzuheben,
daß aus diesem Gesichtspunkte die eigenthümliche Hebung
des Thalbodens, das allmälige Aufsteigen desselben 31t den
Bergen, als der fesselndste, ansprechendste Zug der Land-
schaft besonders hervortritt, und daß gerade diese Bodenge-
staltung es ist, welche die reizenden Bilder in der mannig-
faltigsten Zusammenstellung hervorbringt, alle belebt und
besonders geziert durch die zahlreichen, prachtvoll gelegenen
menschlichen Ausiedlungen. Aus diesem Grunde verdient
denn in ästhetischer Beziehung der dritte Abschnitt (von
Latsch bis Naturns) auch den Vorzug vor dem vierten und
somit vor allen, da die auffallendste Verschiedenheit, welche
hinter der letzten Verengung des Thales bei Naturns her-
vortritt, die ist, daß die gedachte Gestalt der Thalsohle all-
mälig in diejenige übergeht, in welcher jenseits der Töll
das meraner Thal beginnt, d. h. in eine gleichmäßig auf
beiden Seiten stromabwärts geneigte Ebene.
Len König von Aschanti.
Der gegenwärtige Krieg hatte folgende Veranlassung.
Zwei Ascha'utihäuptlinge verfehlten sich gegen ihren König;
namentlich hatte der eine seinem Herrscher eine beträcht-
liche Menge Gold gestohlen und war mit seinem Raub
über die Grenze zu einem Fairtihäuptlinge geflüchtet, bei
dem er willige Aufnahme fand. Der König verlangte
die Auslieferung dieses Verbrechers, lvelche ihm sowohl
von dem Fantihäuptlinge lute von dem Gouverneur Pine
rundweg abgeschlagen wurde. Der Letztere nahm von
vorne herein entschieden Partei, indem er erklärte, daß
jene beiden Leute unschuldig seien; er machte den König
zum Lügner, und dieser ließ nun Truppen in das Gebiet
jenes Fantihäuptlings rücken, während er zugleich er-
klärte, daß er gegen die Engländer keine feindseligen Ab-
sichten hege.
Pine sah in diesem Vorgehen einen Kriegsfall, sing
im Anfange des Jahres 1863 zu rüsten an und verlangte
von dem damaligen britischen Kolonialminister, Herzog
von Newcastle, Trnppenverstärknng, namentlich schwarze
Regimenter aus Westindien. Der Minister verstand
offenbar nichts von westafrikanischen Verhältnissen, denn
er war leichtfertig und gewissenlos genug, dem nicht
minder unverständigen Gouverneur die Weisung zu ge-
ben, den Aschantis tu ihrem eigenen Land einen Schlag
beizubringen (to strike a blow with in the Ashantee
territory).
Wir wollen hier eine Bemerkung einschalten, zu wel-
cher uns ein Aufsatz tut „Auslande" Veranlassung gibt.
(Derselbe ist auch in die „Augsburger Allgemeine Zei-
tung" übergegangen.) In demselben wird gesagt: „Aschanti
und Dahomey sind bisher die Vormächte des afrikanischen
Despotismus gewesen, welche sich dem Fortschritte
namentlich die Werke von Cruikshank, Wilson, Bur-
lo n, W i n w 0 0 d N e a d e und Anderen.
280
Der Krieg der Engländer gegen den König von Aschanti.
des Christenthums und der christlichen Kultur
widersetzt haben, weshalb es nur erwünscht sein kann,
wenn diese feindlichen Reiche geschlvächt oder gar unter
europäische Kuratel gestellt werden."
Das sind aber hohle Redensarten. Jeder Sachkenner
weiß, daß der Fall des Fetischheidenthums in Guinea
und im Sudan nicht dem Christenthum zu Gute kommt,
sondern immer und allemal dem Mohammedanis-
mus. Die Missionäre haben sich stets in ihren Hoff-
nungen getäuscht; auf einen Neger, den sie „bekehren",
kommen allemal tausende, welche der Mohammedanismns
gewinnt, und es erklärt'sich überhaupt leicht, wie Reisende
zu dem Ausspruche sich gedrängt sehen, daß das Christen-
thum, gegenüber dem unaufhaltsam vordrängenden Islam,
in Afrika wenig oder gar keine Aussichten auf Verbrei-
tung und reelle Erfolge habe. Was aber eine „euro-
päische Kuratel" bedeuten will, weiß jeder Kundige; sie
wirkt nur zersetzend und demoralisirend. Gerade die
Fantis an der Goldküste, welche sich einer solchen
„Kuratel" erfreuen, d. h. unter britischem Schutze stehen,
liefern dafür einen Beleg, und bei ihnen finden die Kul-
tur- und Civilisationsschwärmer am allerwenigsten ihre
Erwartungen und Wünsche erfüllt. —
Doch wir kommen wieder auf den Krieg zurück. Im
ganzen vorigen Jahre hatte Pine gar nichts ausgerichtet,
wohl aber viel Geld vergeudet und viele Menschen hin-
geopfert. Die Fantis selber wollten den Krieg nicht,
aber der steifnackige Gouverneur hatte es sich in den Kopf
gesetzt, u: Aschanti „einen Schlag zu führen". Er erließ
am 7. März eine Proklamation, in welcher er verlangt,
„daß alle getreuen und loyalen Unterthanen innerhalb
dieses Protektorates die Truppen ihrer Majestät unter-
stützen sollen"; er forderte alle männlichen Personen auf,
daß sie sich waffnen sollen, um zu marschireu; „wer aber
dieser Proklamation nicht gehorcht oder derselben zuwider
handelt, soll für einen Feind Ihrer Majestät gehalten
und so behandelt werden, wie ich, der Stellvertreter der-
selben, es für gut finden und verfüge»: werde."
Dieser Gouverneur Pine erklärte, daß er selber ins
Feld ziehen wolle; er schickte die weißen und schwarzen
Truppen tu den „Busch", d. h. in den dichten Wald,'wo
sie lagern mußten, und zwar hart an der Grenze des Schutz-
gebietes. Jenseit desselben ist undurchdringlicher Wald, ohne
Wege, und die Truppen wurden auf der andern Seite des
Prah, also auf Aschantiboden, verwandt, um den Wald
auszuhauen, damit Kanonen m:d Raketenbatterien eine
Base fänden. Das geschah, als die Regenzeit anrückte.
Der Kolonialminister hatte 700 Mann Truppen aus
Westindien nach Cape Coast Castle beordert, die auch
ankamen.
Dieses ganze Verfahren lief auf ein ganz gewissen-
loses Hinopfern von Menschen hinaus, und schon in: De-
cember begann eine entsetzliche Tragödie. Weiße und
Schwarze starben wie die Fliegen, gesund war Niemand;
als Alles, was noch lebte, gegenüber der gräßlichen
Ernte, welche der Tod hielt, in Verzweiflung gerieth,
fand der Anstifter alles Unheils, Gouverneur Pine, es
gerathen, die Unglücklichen im Stiche zu lassen; er ging
„aus Gesnndheitsrücksichten" an Bord eines Dampfers.
Und als dann Offiziere, welche dem Tode mit genauer
Noth entronnen waren, in Europa ankamen und im
Mai und Anfang Juiü die Sachlage darstellten, da end-
lich gab die englische Regierung Befehl, die Feind-
seligkeiten einzustellen.
Das sind die „Kulturprotektoratsbestrebungen", und
das war der Krieg gegen den König von Aschanti, der
gewiß ein wilder'Barbar ist, der aber hier in seinem
Rechte war, und welchem selbst die Engländer nachrüh-
me»», was sie voi: sich selber zu behaupten nicht wagen
dürfen, daß er nämlich stets ehrlich sein Wort und die
Verträge gehalten habe. Der Leser wird aus den nach-
stehenden Griefen ersehen, wie entsetzlich die Lage der
Dinge war.
Die englischen Offiziere wußten sehr wohl, was ihnen
bevorstand, und daß das ganze Unternehmen eine frevel-
hafte Tollheit sei. So schrieb Kapitän Baker Gabb aus
Fort Anamaboe schon unterm 10. December 1803 an
seine»: Bruder »:ach Loi'.do»::
„Dieser Brief an Dich wird wohl der letzte sein. Wir
sollen in den nächsten Tagen gegei: die Aschantis ins Feld
rücke»: und ich befehlige eine Abtheilung von 200 Soldatei:
nebst einer Schaar voi': Eingeborenen und Freiwilligen. Wir
rücken in drei Divisione»:, zusammei: wohl 25,000 Mann,
vor; davon si»:d aber nur 800 Soldaten. Wir sollen ein
Lager an einem Punkte bilde»:, der Mansue heißt; er-
liegt etiva 100 Miles voi: der Küste mitten iin Walde;
von dort, wo unser Depot sein wird, sollen wir nach
Aschanti einbrechen, »vo möglich bis zur Hauptstadt
Kumassi, welche überhaupt nur erst voi: zwei weißen
Menschen besucht »vorbei: ist. Ich meinerseits hege
die feste Ueberzeugung, daß »vir »riemals dort-
hin kominen »verden, und glaube, daß nur We-
uige von uns lebendig zurückkehren, den»: das
ganze Land ist dicht »nit Wald bestanden und
durch diese»: führen nur Pfade voi: zwei Fnß
Breite. Jeder Europäer, »velcher Flußwasser
trinkt, bekommt Dysenterie. Die Aschantis haben
eii: sehr starkes Heer; sie sind tapfer, streitbar, kennen ihr
Land ganz genau und »vir habe»: sehr schlechte Aussichten.
Der Wald ist im höchsten Grade ungesn»:d und »vir »ver-
de»: sicherlich die Hälfte unserer Mainischaft an Dysenterie
und Fieber verlieren. Hier in Anamaboe köiuien des
Fiebers halber »veder Pferde noch Maulthiere oder über-
haupt Lastthiere leben; Alles »n::ß durch Menschenhände
beschafft werden."
Der Schreiber dieses Briefes hat sein Schicksal voraus
gewußt; er starb bald nachher an Dysenterie.
In einein andern Brief, aus Cape Coast Castle,
15. April, schildert eii: Offizier, »vas aus den europäische»:
Truppen gelvorden sei, nachdem diese nur erst eii: paar
Woche»: „iin Busche can:pirt" hatte»:. Man hatte Viele
voi: ihnen nach der Küste zurückgebracht. Dann sagt er:
„J»n Busche lagern bedeutet einsäet): sterben, oder,
»vas noch schlimmer ist, a:n Lebe»: bleiben mit einer für
immer zu Grunde gerichteten Gesundheit. Mit den: ab-
gehende»: Dampfer »verden sechs Offiziere »:ach Europa
zurückgeschickt, und alle ai:deren werden nie »vieder gesu»:d.
Es erscheint vielleicht »vunderlich, wenn ich u»:sere Tra-
gödie hier als eine Farce bezeichne, aber de»»: ist doch so.
Dein: »vie kann mai: voi: einent Krieg oder Feldzug rede»:,
nachdein »vir volle drei Mouate lang irn.Sumpfe steckten,
ohne auch nur einen ei»:zigei: Krieger der Aschantis ge-
sehen zu haben. Der Verlust au Menschenlebeu
und Geld ist entsetzlich, und den Ziveck des Krieges,
nämlich die Einnahme der Hauptstadt Kumassi, können
»vir doch nieinals erreichen u»:d »veiu: »vir >:och zehnmal
»»»ehr Truppen hätten. Das »veiß der Kö»:ig voi: Aschanti
auch recht gilt u»:d niimnt deshalb gar feine Notiz von
uns. Er hat die sehr richtige»: Worte gesprochen: „Der
»veiße Mai:»: hat z»var' viele Kanonen i»: den
Busch gebracht, aber der Busch ist viel stärker
und »nächtiger als die Kanone»:." Die Regen-
zeit ist nun eingetreten, und »vir können vor de»n Novem-
ber, »vo sie zi: Ende geht, gar nichts ausrichten. Nun
hat mai: aber eine Menge von Vorräthen in: Lager auf-
gehäuft; dieses liegt »veiugstens 80 Miles landeinwärts
i>: einem dichten Walde, der jetzt unter Wasser steht.
Dort sollen »vir eine Garnison lassen, um die Vorräthe
zu beschütze». Die Offiziere und z»vei Kompagnien »»»eines
Regiments find dazu befehligt »vorder», und in der nächsten
Woche gehe»: »vir dorthin. Es »vird mit* eine angenehme
Ueberraschung fein, »venir ich jemals vo»: dort zurückkominen
sollte, aber ich gestehe frei, daß ich darauf gar nicht hoffe.
Wir werden in dieser Jahreszeit in den Wald geschickt,
»vo »vir keii: anderes Obdach ftuben, als eine ans Schlamin
aufgeworfene Hütte, »vo »vir fein anderes Nahrurigsmitte!
Wie indische Fürsten von den Engländern behandelt werden.
281
haben, als gesalzenes Schweinefleisch und Schiffszwieback.
Wer nun das Klima hier kennt, weiß, daß das Alles so
viel bedeutet, als geradeswegs in den Tod rennen. Ich
marschire, weil das meine Pflicht ist, wenn mir aber in
diesem Augenblicke die Wahl gelassen würde, ob ich auf
800 Schritt Entfernung mich eine halbe Stunde
lang dem Feuer meiner'ganzen Kompagnie aus-
setzen, oder ob ich marschiren soll, dann wurde
ich unbedingt das Erstere wählen." —
Ein dritter Brief, gleichfalls von einem Offizier aus
Cape Coast Castle geschrieben, schildert eindringlich die
jammervolle Lage.
„Gott sei uns gnädig[ Nun sind wir hier! Ich
meinte schon manchen schlimmen Fleck in der Welt ge-
sehen zu haben, aber eine Wirklichkeit, wie sie vor meine
Augen tritt, hat meine kühnste Phantasie sich nicht träu-
men können. Seit zlvei Monaten wußte man hier, daß
wir (die Truppen aus Westindien) eintreffen würden,
unsere Ankunft war im Voraus gemeldet worden, und
doch war für das Unterbringen von 200 Mann Soldaten
und 29 Offizieren nicht die mindeste Vorkehrung getroffen
worden. Die Mannschaft konnte zum Theil ins Castell
gehen, aber von uns Offizieren keiner. Einige der Letzteren
liegen mit ihren Leuten unter Zelten, uns Anderen wurde
bedeutet, daß wir für uns zu sorgen hätten, so gut es
eben angehe; wir bekamen weder Quartier noch Quar-
tiergeld. Stadt und Land sind eine einzige ungeheure
Masse von Schmutz und Unrath, und der Gestank ist
geradezu unerträglich. Jeder von uns erhält täglich eine
Gallone Wasser; das muß ausreichen znm Waschen,
Kochen und Trinken."
„Hier lagen 19 Offiziere. Als wir landeten, wa-
ren aber nur drei im Stande, herumzukriechen.
Fünf sollen mit dem nächsten Dampfer nach Europa ge-
schickt werden — wenn sie es noch erleben; einige gingen
mit dem letzten Dampfer ab; wieviele gestorben sind, ehe
man sie fortschaffen konnte, weiß ich nicht. Das Alles
ist Folge des Lebens im Busche während der trockenen
Jahreszeit. Was wird aber nun geschehen? Wir sollen
zwei Lager landeinwärts besetzt halten während der sechs
Monate andauernden Regenzeit. Aber wozu denn? Ei,
um einige Vorräthe zu verzehren, die dorthin geschafft
worden sind, und die man nicht wieder zurück schaffen
will. Und um die Sache voll zu machen: — seit 18
Monaten dauert dieser Humbug, der täglich 1000 Pfund
Sterling kostet, und noch hat man keinen einzigen Aschauti
gesehen!"
Wie indische Fürsten von den Engländern behandelt werden.
Die Geschichte der Engländer in Indien besteht aus
einer langen Kette von Treulosigkeiten, Grausamkeiten,
Barbareien der ärgsten Art und einem planmäßigen
Raub- und Betrugssysteme, das bei keinem andern
Volk alter oder neuer Zeit seines Gleichen findet. Als
Krämer schlichen sie sich ins Land ein, in welches sie dann
Zerrüttung brachten und das sie als Eroberer mit Blut
bedeckten. Ihr Verfahren gegen die einheimischen Fürsten
ist selbst im londoner Parlament als „unaussprechlich
schandbar, als infam über alle Beschreibung" gebrand-
markt worden. Warren Hastings war lange nicht der
schlimmste Gouverneur; das Verfahren gegen den Radscha
von Sattara und die schnöde Ungerechtigkeit, durch welche
Rena Sahib zu seiner blutigen Rache getrieben wurde,
schreien zum Himmel. Das System planmäßiger Unge-
rechtigkeit ist auch heute nicht zu Ende; inan setzt sich
noch immer über Verträge und eingegangene Verpflich-
tungen hinweg, die Brutalität, das Plüsmachen und Be-
trügen dauern fort. Daß man von Seiten des „groß-
müthigen Albion" den letzten Großmogul zu Rauguhn
in Pegu hat beinahe verhungern lassen, erzählten wir
früher, legen aber darauf kein Gewicht, denn der Nach-
komme Akbars des Großen war ja ein „Rebell", und
Nebelleu werden von den Engländern vermittelst des „Weg-
blasens" vor Kanonen in dw Ewigkeit befördert. Die
Engländer sind sehr fromme Christen und haben eine sehr
langweilige Sabbathfeier. Aber befremdlich und fast kind-
lich erscheint es, wenn ein Korrespondent, welcher der
Times aus Calcntta schreibt (vom 8. Mai; Times vom
14. Juni), sich wundert, daß die Mohammedaner in
Indien von tiefem Ingrimm gegen die Herrschaft der
Briten erfüllt seien und sich in jede Verschwörung ein-
lassen, die irgendwo angezettelt wird. „Ihr Haß ist
unausrottbar, und sie stürzen sich auch in die wil-
desten Pläne hinein, um imfeve Herrschaft zu untergraben."
In Patna (am Ganges, m Bengalen) ist das wahre
Treibhaus, wo Verschwörungen ausgebrütet werden." —
Globus VI. Nr. 9.
Wir unsererseits glauben, daß die große Sipahi-Meuterei,
deren Dämpfung so ungeheuere'Allstrengungen kostete,
nicht die letzte in Indien sein werde.
Man begreift jenen Ingrimm, wenn man weiß, wie
treulos und abscheulich manche mohanlinedanische Fürsten
von den Engländern behandelt worden sind. Ein Beispiel
dafür liefert das Schicksal des As im D sch ah, der einst
Nawab des Karnatik war. Diese südindische Region
gehörte zum Reiche des Großmogul, erstreckte sich bis zum
Kap Komorin und begriff namentlich Madura, Tritschina-
palli, Tinneoelli, Tandschur, Arcot und Nellore. Jener
Fürst verlangt seit Jahren vergeblich Gerechtigkeit vom
britischen Parlamente, sie wird ihm freilich eben so lvenig
zu Theil, als anderen seiner indischen Unglücksgefährten.
Wenn es aber für ihn ein Trost sein kann, daß er Für-
fprecher und Vertheidiger findet, so muß ihm die Debatte
im Unterhause zu London, vom 13. Juni , wohlgethan
haben. Ein Herr Smollet nahm sich seiner an, ob-
wohl er von vorne herein den Gesetzgebern Großbritan-
niens sagte. „Restitution, Wiederherausgabe ist
ein Wort, das im Vocabularium der indischen
Regierung vergeblich gesucht wird." Dann fuhr
er soll: —„Dem Nawab Ast in Dschah gegenüber ist Ehre
und Treue verletzt worden, man hat seine Familie so
schnöde behandelt, daß das Andenken daran lange unter
den Bewohnern Indiens fortleben lvird. Uild die Ge-
schichte dieser Familie ist die Geschichte beinahe
aller anderen indischen Fürsten, die das Unglück
hatten, mit der englisch-indischen Regierung in
irgend eine Beziehung zu gerathen."
Als die indische Compagnie nur erst eine Handels-
gesellschaft war, so sagte der Redner, hatte sie gegen den
Nawab von Karnatik große Verpflichtungen.' 'Als sie
aber eine mächtige politische Körperschaft wurde, fand sie
ihre Beziehung zum Nawab lästig und trat die Familie
verächtlich init Füßen. Gegen Ende des vorigen Jahr-
hunderts übten die Beamten der Compagnie faktisch eine
36
282
Wie indische Fürsten von den Engländern behandelt werden.
große Gewalt im Karnatik; man hatte 1787 und 1792
Verträge mit dem Nawab geschlossen, die aber dem Ge-
neralgouverneur unbequem erschienen, weil sie eine Art
von Doppelregierung int Gefolge hatten. Es wurde also
zu Anfang unsers Jahrhunderts ein starker Dru ck auf den
Nawab geübt, damit er die bürgerliche und militärische
Gewalt an die Compagnie abtrete. Man bot ihm Geld, der
Fürst wollte jedoch auf die schmeichlerischen Vorspiegelungeil
der Diplomaten nicht hören, und dann erfolgten Drohun-
gen, z. B. daß niair ihn absetzen werde, weil er sich einer
verrätherischen Korrespondenz zum Nachtheile der Com-
pagnie schuldig gemacht habe. Doch auch die Drohungen
fruchteten nicht. Der Nawab starb 1801 uni) hinterließ
einen Sohn, dessen Illegitimität voil keiner Seite her
angezweifelt worden ist. Der damalige Generalgonver-
neur, Marquis von Wellesley, ein sehr gewandter und
durchaus nicht skrupulöser Mann, schlug doch ohne Wei-
teres vor, daß man diesen illegitimen Sohn ohne Ver-
zug als Nachfolger anerkennen isolle, unter der einen
Bedingung, daß er die bürgerliche und militärische Ver-
waltung abtrete. Als auch er sich dessen weigerte, zog
der Marquis andere Saiten auf, erklärte den Thron
für erledigt, weil das Erbsolgerecht zweifelhaft sei;
zugleich sprach er amtlich ans, daß das Karnatik faktisch
in seiner Gewalt sei, lind daß er dasselbe auch voil
Rechts wegell in Besitz nehmen könne. Solch ein Ver-
fahren sei schon in Folge der eben erwähnten verrätheri-
schen Korrespondenz gerechtfertigt, die man in den Archiven
von Maissur vorgefunden habe. Doch wolle er, der
Marquis, darauf weiter keiil Gewicht legen, weil in ganz
Indien sonst eine große Abneigung gegen unsere Herr-
schaft entstehen würde. Er galp also dem Gouverneur
von Madras, damals Lord Clive, die Weisung, als
Thronerben im Karnatik den nächsten Vetter des verstor-
benen Nawab anzuerkennen.
Mit diesem nun schloß man 1801 einen Ver-
trag ab, der 56 Jahre lang in voller Kraft war
und dann auf eine schmachvolle Weise verletzt
wurde. In diesem Vertrage heißt es: Die britischen
Interessen hätten bisher im Karnatik nicht die genügende
Sicherheit gefunden, deswegen sei ein netter Traktat er-
forderlich, durch welchen Alles auf festen Fuß gebracht
und eine ewig dauermde Freundschaft zwischen bei-
den Theilen geknüpft werde. Der Prinz sei fortan Nawab
des Karnatik mit ausdrücklicher Einwilligung der Compag-
nie, welcher er für ewige Zeltet: die bürgerliche und mili-
tärische Verwaltung übertrage. Als Gegeilleistung solle
er Würde und Titel behalten und ein Fünftel aller
Nettoeinkünfte des Landes, in keinem Fall aber
weniger als 100,000 Pfund Sterling alljährlich-
b eziehen. Alle Bestimmungen der beideit früheren Ver-
träge, von 1787 und 1792, welche nicht ausdrücklich durch
den neuen Traktat (jenen von 1801), für ungültig er-
klärt worden seien, sollten auch künftig in Kraft bleiben.
Dieser Vertrag wurde von Lord Clive und den: Nawab
unterzeichnet und von Lord Wellesley ratificirt.
Der auf solche Weise ausdrücklich anerkannte Fürst
starb 1819. Die Regierung von Madras fragte dann beim
Generalgouvernenr, Marquis Hastings, an, ob der Ver-
trag von 1801 ein permanenter sei und die Thronfolge
dem direkten Nachfolger garantire; es fragte ferner, ob etwa
Aenderungen in jenem Traktate vorzunehmen seien. Der
Generalgouvernenr antwortete, daß die Hinterbliebenen
Prinzen ipso facto in den Verrag eingeschlossen seien, die-
ser müsse als ein p erm an enter betrachtet wer-
den, nicht als ein zeitweiliger, und Aenderungen
seien nicht nöthig.
Jetzt, 1864, behauptet die britische Regierung, der
Vertrag st'i ein nur temporärer gewesen und scholl im
Jahre 1819 erloschen! Das ist geradezu abscheulich. Die
Madras-Regierung setzte dann'1819 den ältesten Sohn
des verstorbenen Nawab unter allen landesüblichen, unserer
europäischen Krönung gleichbedentenden Feierlichkeiten auf
den Thron, und dieser neue Nawab wurde von den eng-
lischen Behörden in Indien beglückwünscht als erblicher
Nachfolger seines Vaters. Er starb 1825 und hinterließ
einen Knaben, der von Thomas Munro, damaligem Gou-
verneur, als Nawab anerkannt wurde; seiner Minder-
jährigkeit halber wurde von diesem Gouverneur der
älteste Bruder des Verstorbenen zum Regenten bestellt,
und die britischen Behörden erhielten die Weisung, ihm
alle Ehrenbezeugungen zu erweisen, welche einem Könige
gebühren. Der Regent schrieb au König Georg IV.,
welcher in seinem Antwortschreiben ihm Glück lvünscht
und die Hoffnung ausspricht, „daß der Glanz und die
Hoheit, welche eilt Erbtheil im erlauchten Hause der
Nawabs des Karnatik sind, ttoch recht lange dauern
mögen".
Aber was geschah? Der solchergestalt von einem
britischen Könige beglückwünschte Man:: ist nun eilt
Bettler.
Der Regent schrieb auch an die Direktoren der in-
discheit Colilpagttie; atlch sie gratulirten ihm nild schrieben
ihrerseits: „Wir beten zu Gott (die Direktoren haben, so
viel ich weiß, niemals gebetet; es scheint aber, daß sie es
im Jahre 1828 einmal gethan haben), daß der junge
Nawab recht lange leben möge, um sich seiner hohen
Würde zu erfreuen, und daß er seine alte und erlauchte
Familie, deren Erbe er ist, fortpflanzet: möge." Dieses
Gebet ist nicht erhört worden. Man ließ den Knaben
in völliger Unwisseitheit aufwachsen, und Lord
Harris wollte das so, denit, sagte er, wenlt der
junge Nawab eine ordentliche Erziehung erhalt,
wird er mißvergnügt (gegen den englischen Druck).
So dachte eilt liberaler Lord; ich denke anders. Die
dann folgenden Gouverneure von Madras habett atte-
sammt gescheheit lassen, daß der jltnge Prinz ausge-
plündert wurde; seine Eiitkünfte verschleuderte man,
trotzdem ein britischer Resident an seinem Hofe war;
dieser gestattete auch den Frauen der Familie die größte
Verschweilduilg. Europäische Gentlemen verkauften dem
Knaben (Lachen mtd nahmen dafür dreimal mehr, als
dieselben werth waren. All diesem Unfuge wurde nicht
gesteuert, und als der junge Nawab volljährig wurde,
schlugen die Schulden ihm über dem Kopfe zusammen;
der Mattgel verbitterte ihn und kürzte sein Lebett ab.
Und dieselbe britisch-indische Regierung, welche das Alles
hatte geschehen lasset:, legte diese Dinge der Nawabfantilie
zur Last und nahm daraus einett Vorwand her, um der-
selben ihre Würden tmd Einkünfte zu nehmen! Der
Nawab starb zu Ende des Jahres 1855, hinterließ aber
nicht die zahlreiche Nachkommenschaft, für welche die Com-
pagniedirektoren zum Himmel gebetet hatten.
Nttit meldete der Regent den Tod des Nawab und
bat die iitdische Negierung, daß sie ihn seinerseits als
Nachfolger anerkennen und ihm die vertragsmäßig bedun-
genen Einkünfte auszahlen lassen möchte. Auf dies
Gesuch hat er nie eine Antwort erhalten. Der
Gouvertteur, welcher den Regettten mit königlichen Ehren-
bezeugungen empfangen hatte, behandelte ihn jetzt, als sei er
eitt gemeiner, unverschämter, zudringlicher Betrüger; zehn
Tage nach deut Todesfälle sehten sich der Gouvernenr und
dessen Räthe hin und entwarfen ein Protokoll, welches
die Nichtigkeit des Vertrags darthnn sollte. Das indische
Kontrolbureatt zu Lottdott eignete sich den Inhalt des
Protokolles an und hieß denselbeit gut. Und doch ist
dieses Protokoll ein Aktenstück, das an Keckheit und Drei-
stigkeit seines Gleichet: nicht hat. Zwar gesteht es zu,
daß der Oheim gesetzlicher Erbe und Nachfolger des ver-
storbenen Neffen sei, und daß ntan ihm Würdet: und
Einkünfte zu belassen habe, wenn der Vertrag gültig sei.
Aber man sönne mit allen Ehren den Vertrag für
ungültig erklären; es sei ja nur ein persönlicher Ver-
trag tmd lediglich zu temporären Zwecket: abgeschlossen.
Zwar hatte, wie schon bemerkt, die indische Regie-
rung selber ihn als einen permanenten anerkannt, aber
Wie indische Fürsten von den Engländern behandelt werden.
283
Lord Harris interpretirte so: Statt permanent sei tem-
porär, d. h. nur zeitweilig, p sagen, und wenn im Ver-
trag ausdrücklich stehe, daß er „abgeschlossen sei auf
ewige Zeiten, bor all time to come, so verstehe sich ganz
von selbst, daß dieser Satz nur bedeuten könne, der Ver-
trag sei gültig für die Lebenstage des Nawab Asim
nl Daulah, mit welchem er abgeschlossen worden sei; auf
dessen Nachfolger beziehe er sich nicht. Das ausdrücklich
im Vertrage gewahrte Recht der Erbfolge faßte Lord
Harris so auf, als verlange der Vertrag, daß dasselbe
abgeschafft und für ungültig erklärt werde! —
Smollet führte dann ein Schreiben des berühmten
Herzogs von Wellington an, der ausdrücklich sagte: „Wir
haben mit Asim ul Daulah 1801 einen Vertrag geschlossen,
der gültig ist, und ich hoffe, das Unterhaus werde eine
etwaige Behauptung, dieser Vertrag lause 1819 ab, mit
Verachtung zurückweisen; sonst hätten wir ja ein
System des Raubes nnb Betruges." Jetzt be-
hauptet man mit einer frechen Schamlosigkeit, der Vertrag
sei allerdings schon 1819 erloschen; der Gouverneur
von Madras erklärt, Verträge seien überhaupt
ungültig, wenn sie der allgemeinen Wohlfahrt
hinderlich wären; und das sei hier der Fall. Der
fragliche Traktat sei eigentlich gar kein Vertrag. Das ist
doch eine freche und unverschämte Behauptung, welche
dieser Edelmann aufstellt, — er erklärt einen Vertrag für
keinen Vertrag, obwohl kein geringerer Mann als Lord
Eüve denselben abgeschlossen und kein geringerer als der
Marquis von Wellesley ihn ratificirt hat. Obendrein ist
er noch von allen Herrschern Großbritanniens anerkannt
worden. Sir Thomas Mnnro, dieser Gouverneur von
Madras, sagt: „Wäre der Vertrag ein permanenter, so
würden wir auch das Jahrgeld permanent zu zahlen
haben und dadurch geriethen wir in Nachtheil!"
„Es ist klar, man hat unter falscher:, nichtswürdigen, höchst
frivolen Vorwänden den Vertrag beseitigt. Man will dem
alten Manne und dessen Angehörigen und Erbeil das
Geld nicht Mehrzahlen; die vertragsmäßig übernommene
Verpflichtung wird nun für lästig erklärt; nt ein behält
das Karrtatik, streicht alle Einkünfte, welche
früher der regierenden Fantilie gehörten, ein
und zahlt dieser Familie keinen Pfennig mehr,
lind gerade diese Familie hat der indischen Coinpagnie
allzeit die größte Gunst erwiesen, und das Karnatik ist
britische Besitzung geworden, ohne daß mart nöthig gehabt
hätte, auch nur einen Tropfen Blut zu vergießen. In
dem ganzen Protokoll ist keilt wahres Wort, keine einzige
rechtschaffene, ehrliche Beweisführung."
Smollet verlangte danrt eilte Untersuchung dieser An-
gelegenheit. Ich habe, sagteer, mit einem Gentleman
über die Sache gesprochen und Beweise angeführt, daß der
Nawab von britischen Beamten auch in Privatgeldange-
legenheiten übervortheilt lvorden sei. Was erhielt ich zur
Antwort?
Bah, der Nawab ist ein verdammter Nigger;
der mußte ausgeplündert werden!"
Man sagte mir ferner: „Wir können den Nawab
tticht wieder einsetzen, dann hätten wir ja einen Staat tut
Staate und 100,000 Pfund Sterling jährlich an ihn zu
zahlen, — das wäre eine enorme Summe." Nun muß
aber, von dieser vertragsmäßig gegen Abtretitrig von
Laitd und Leuten und Einkünften zuerkannten Sttmute der
Nalvab noch 10 bis 12 verwandte Familien unterhalten.
Die Frage stellt sich eilt fach so: „Soll ein Vertrag,
eilt Uebereinkomnten in Betreff von Geldlei-
st ungen, wobei Englands Treue und Ehre ver-
pfändet, ehrlich gehalten, oder soll Englaitds
Treue und Ehre in den Schmutz getreten wer-
den?" Die Sache selber ist sonnenklar, alle Sophistereien
vermögen nichts dagegen. —
Smollet hat ohne Zweifel gelvußt, daß er nichts aus-
richten würde. Die Zeitert, da man es int englischen
Parlamente mit solcheit Gaunereien und Beraubungen
noch genau rtahm und einen Warren Hastings gleichsam
an den Pranger stellte, wo Männer wie Burke uitd
Sheridan für die Ehre des Landes in die Schranken
traten und dem Parlamente die Achtung der gebildeten
Welt verschafften, — diese Tage sind längst dahin. Das
Unterhaus billigte Raub und Betrug; es lehnte
mit 62 Stiiltmen gegen 45 die Niedersetznng einer Unter-
sltchttngskomiltission ab. Natürlich; die Untersuchung würde
ergeben, daß man den Nawab schmachvoll betrogen, daß
man eben so schmachvoll einen gültigen Vertrag unter ben
frivolsten Vorwänden beseitigt hat. Der verdammte
Nigger, derselbe Nawab des Karnatik, welchem man Land
und Einkünfte genommerl, soll seilte 100,000 Pfund jähr-
lich nicht bekommen, bettn das wäre „lästig".
Das ist die öffeittliche Moral von Englaitds Regierung
ttitd Parlament. Wie verkommen und sittlich ans die
niedrigste Stufe herabgesuiiken dieses Unterhaus ist, ergibt
sich aris deir Entgegnungeit, lvelche gegen Smollets That-
sachen vorgebracht wurden. Ein Herr Greenfell wußte
nichts Besseres dagegen einzuwenden, als daß solche in-
dische Throne überflüssig, dein Publikum ttichts nütze
nnb für die Inhaber and) nicht eben Vortheilhaft seien.
Man dürfe das Unterhaus nicht in eilt Zerwürfniß mit
der indischen Regierung verwickeln und könne doch dem
Volke nicht znmuthen, eine so beträchtliche Jahressnmme
P zahlen!
Dagegen erzählte Baillie eine Thatsache, durch welche
der freche und frevelhafte Hochlltuth der englischen
Gewalthaber in Helles Licht gestellt wird. Er fragte:
„SoUeit wir vor dem Volk und ben Fürsten Indiens
dastehen als eine Nation, welche in perfidester
Weise ihre nationalen Verpflichturtgen verletzt,
oder sollen wir zeigen, daß wir Gerechtigkeit und Ver-
träge achten?" Dann kam er auf Lord Dalhousie zu
sprechen, denselben Generalgouverneur, welcher den letzteit
Krieg gegen den König von Barma planmäßig anzettelte,
um diesent Monarchen das Delta des Jrawaddy, d. h.
das Laitd Pegu mit der Hauptstadt Ranguhn, zu rauben.
„Lord Dalhousie wollte eben Jndieit verlassen; int
Bewußtsein seiner Machtsülle unb mit unverschämtem
Uebermuth sagte er zu einem indischen Fürsten, daß
er ihn für so niedrig und gering achte, wie den
Staub unter seinen Füßen. Nun, dieser Fürst war
der Nisam von Haider ab ad, und einige Moitate später
war es gerade dieser Nisam, dessen LoyalitätI ehrlichem
Verfahren und ganz ausgezeichneten Dienstleistüugen wir
es verdanken, daß wir unsere Herrschaft nicht verloren; er
hat uns Indien gerettet unb erhalten."*) Solchen
Dingen gegenüber lvnßte selbst Lord Palmerston nichts
vorzubringen; hier konnte er weder lügen, noch verdrehen.
Nun steht aber dieser Fall mit dem Nalvab vort
Karnatik nicht vereinzelt da. Eben jetzt, im Juni 1864,
ist in London ein Buch erschienen: Dhar not restored,
in spite of the house of Commons and public opinion, by
John Dickinson. (Athenäum vom 11. Juni, S. 805.)
Art der Nerbadda unb theilweise am Windhyagebirge
ließt das Gebiet von Jndur (Jndore) mit der gleich-
namigen Hauptstadt. Etwa sieben deutsche Meilen nach
Südwesten und sechs deutsche Meilen westlich voit der
Stadt Mhart liegt der kleiire Schutzstaat Dhar. Er hat
(Hartwig Brauer, Asien, Leipzig 1862, S. 627) 51
*) Gegenüber einem so frevelhaften Hochmnih wird die
Stiininlntg der indischen Fürsten erklärlich, lieber die Stellung,
welche der Nisam von Haiderabad den Engländern gegenüber
einnimmt, verweisen wir unsere Leser ans die Mittheilungen,
welche wir neulich gabelt ((£>. 124). Er wies den Ordens-
stern zurück, welchen'40 Offiziere und Beamte ihm übcrbringen
wollten; der englische Resideirt schnitt sich aus Verzweiflung
den Hals ab, und der Nisam sagte: „Die Engländer strid
Menschen von plumpen Sittert ttnd grober Le-
bensart; sie wissen ganz und gar nicht, was sich
ziemt urid schickt." Der Fürst hatte den Lord Dalhoitsie
kennen gelernt, und so begreift sich dieser Ansspruch.
36*
284
Aus allen Erdtheilen.
Quadratmeilen, 104,860 Einwohner, 48,000 Pfd. St.
Einkünfte, hält 47 Artilleristen, 254 Reiter und 198
Mann Fußvolk und zahlt kein Schutzgeld. Die Haupt-
stadt Dhar liegt unter 22° 58' n. Br. Der Fürst gehört
zu einer Radschputen-Familie, die aber als Mahratteu-
Familie naturalisirt worden ist. Mit ihm schloß England
am 10. Januar 1819 einen Allianz-Vertrag, welcher bis
zum 23. Mai 1857 in Kraft blieb. An diesem Tage
starb der Fürst. Damals toar die große Meuterei der
Sipahis ausgebrochen. Der Thronerbe von Dhar war
minderjährig, und der britische Resident hätte demnach so-
fort eine Regentschaft einsetzen müssen. Aber der Be-
amte, Oberst Durand, ein „Annerationist", wollte die
günstige Gelegenheit, einen Länderranb zu begehen, nicht
ungenützt vorüber lassen. Er hatte aus Jndore entfliehen
müssen, aber englische Truppen bei- sich und that alles
Mögliche, um in Dhar Verwirrung anzurichten. Den
jungen Radscha erkannte er erst im Oktober als Thron-
folger au, machte es ihm aber dann zum Vorwürfe, „daß
er seine Soldaten nicht im Zaume gehalten". Ein Theil
derselben hatte nämlich am 31. August sich des Forts
in Dhar bemächtigt und gegen die' Engländer erklärt;
aber weshalb? Weil diese einen Mann/der beim Volke
für heilig galt, aufgehoben und ins Gefängniß gesperrt
hatten.
Wegen „des Verbrechens, die Soldaten nicht
in Zucht gehalten zu haben", erklärte der General-
gouverneur, Lord Canning, auf Durands Antrag, daß
der Staat Dhar als confiscirt betrachtet werde.
So geschah es auch, er wurde aunectirt.
Um die Albernheit liub Nichtswürdigkeit eines solchen
Vorwandes recht zu verstehen, muß man sich erinnern,
daß die Engländer selber ihre Truppen nicht „in
Zucht halten" konnten, denn hätten sie es vermocht, so
wäre ja eben die Meuterei nicht ausgebrochen. Logisch
genommen, hätte also jener Lord Canning sich selber,
die indische Compagnie uitb alle Engländer confisciren
müssen!
Genug, der Raub wurde zu einer vollendeten That-
sache. Was geschah weiter? Lord Stanley, der Reichs-
mi ui st er in London, befahl, daß die Confiscation
rückgängig gemacht werden solle; sie sei ungül-
tig. In Indien aber bekümmerte sich die Regierung
nicht um diesen Befehl und nahm die Confiscation nicht
zurück. Dann brachte Bright diese Dinge vor das Un-
terhaus, das sich in Lord Stanley's Simr entschied.
Trotzdem blieb die indische Regierung bei Raub
und Confiscation. Der junge'Radscha von Dhar
ist ein gebildeter Mann, redet drei Sprachen uub gilt
allgemein für sehr gescheidt. Tie indische Regierung aber,
um den Raub nicht herauszugeben, wendet ein, er sei
„unfähig, zu regieren". Sie gibt ihm sein Land
nicht und zahlt ihm auch eine Jahressumme
von 1200 Pfd. St. nicht, welche sie vertrags-
mäßig zu leisten hat.
Dickinson weist das Alles in seiner Schrift nach, und
man sieht, daß in Bezug auf den Radscha von Dhar
dasselbe System des Raubes und des Betruges besorgt
wird, wie gegenüber dem Radscha des Karnatik.
Aus allen
Nähere Nachrichten über das Schicksal der Juden-
Missionäre in Abessinien und König Theodor. Als die No-
lizen, welche wir in einer früheren Nummer mittheilten, schon
gedruckt waren, erhielten wir eingehende Nachrichten über den
merkwürdigen Vorfall. Gerade die Einzelnheiten sind für die
Zustände in Habesch ckarakteristisch, und deshalb kommen wir
noch einmal auf die Sache zurück.
' Diese Falaschas, d. h. Verbannte oder Wanderer, stammen
angeblich aus Jerusalem. Sie erregten die Aufmerksamkeit der
Gesellschaft in London, welche viel Geld verwendete, um die
Kinder Israel zum Christenthum zu bekehren. Als Apostel
verwendet sie getanfte Juden, zumeist aus Deutschland, und
zu diesen gehört auch der Missionär H. Stern. Nachdem er
eine Zeitlang unter den Falaschas verweilt, kam er 1861 nach
Europa zurück und veröffentlichte über das interessante Volk
ein Buch, welches wir (Globus in, 312) besprochen haben.
Die Folge war, daß die Bekehrnngsgeselstchaft ihn 1862 wie-
der nacksiHabesch sandte, wo er vom König Theodor sehr freund-
lich empfangen worden war. Mit ihm gingen zwei andere
Missionäre, Rosenthal und Hausmann. Diese drei
Männer vertheilten dann Bibeln unter den Falaschas, predig-
ten, gaben Schulunterricht und meldeten nach Europa, daß sie
binnen zwei Jahren etwa 60 Falaschas bekehrt hätten. Der
König zeigte sich ihnen gewogen; dann traf aber plötzlich eine
ungünstige Wendung ein, bereu Ursachen wir nicht kennen.
Der Verlauf der Dinge wird in der Mainummer des „Jour-
nal des Missions evangeliques" ausführlich berichtet, und wir
wollen das Wesentliche mittheilen:
Stern befand sich im September 1863 zu Gondar, der
Hauptstadt des Königs, bei welchem er sich verabschieden
wollte, bevor er eine Rundreise zu den verschiedenen Falascha-
gemeindeu antrat. Er nahm zwei Eingeborene als Dolmetscher
mit sich und ging zu Theodor, welcher sich mit seinem Hofstaat
an einem Orte Namens Voghera aufhielt. Au jenem Tage
hatte der König ein Festmahl gegeben. Die Hofetiketle ver-
bietet, daß man ihm Abends, nachdem er gespeist hat, die
Aufwartung tnacht, es sei denn, daß man ausdrücklich einge-
E r d t h e i l e n.
laden worden sei. Stern wurde vorgelassen und hielt seine
Anrede; es scheint aber, daß die Dolmetscher den Inhalt nicht
genan wiedergegeben haben, denn der König wurde ärgerlich
und ließ sie hart an; er fragte, weshalb sie, die schon lange
bei Stern in Diensten seien, dessen Sprache nicht besser gelernt
hätten? Das verdiene Züchtigung. Er ließ dann sechs
Soldaten kommen und die'beiden Dolmetscher zu
Tode peitschen.
Der arme Missionär mußte diese Barbarei mit ansehen.
In seiner Verzweiflung und da er nichts sagen durfte, fuhr
er unwillkürlich mit der Hand an die Lippen und biß sich
auf die Finger. Gewiß dachte er nicht daran, daß man
darin eine Kundgebung des Rachegefllhls sieht; in Abessinien
ist dem aber so. ZOer König wurde jetzt noch wüthender und
ließ auch Herrn Stern dermaßen peitschen, daß der unglück-
liche Mann, dem gewiß nichts ferner gelegen hatte, als dem
grimmigen Halbbarbaren trotzen zu wollen, mehrere Tage lang
in Lebensgefahr schwebte. Theodor ließ ihn Linden und nach
Gondar schleppen.
Dort verweilte eben der englische Konsul Cameron, der
sofort zum Guteil reden wollte; aber der König ließ ihn nicht
vor und gab auf eine schriftliche Mittheilung eine sehr grobe
Antwort.
Inzwischen befanden sich Rosenthal und Hausmann zu
Gafsat, wo die deutschen Missionäre aus Basel, welche bis-
her beim König in hoher Gunst standen, ihre Station haben.
Sie sind ihm vielfach nützlich gewesen und haben ihm sogar
Kanonen gegossen. Das Alles hat ihnen aber nichts geholfen.
Am 13. November erschien ein hoher Würdenträger, Ras
Hailu, in Gafsat, und mit ihm kamen ein paar tausend Sol-
daten. Der Vorstand der Station, Missionär Flad, war ab-
wesend. Ras Ale lreß ohne Weiteres Frau Flad, deren Kin-
der und alle zur Mission gehörenden Leute biuden und llach
Gondar bringen; dorthin wurden auch Rosenthal und Haus-
mann abgeführt. Die Soldaten zerstörten das Halls und
stahlen Alles, dessen sie habhaft werden konnten, und zwan-
Aus allen Erdtheilen.
285
gen dann einen Missionär und Frau Flad, die
'Orgel zn spielen und einen Psalm zu singen.
Unterwegs wurden die Gefangenen arg mißhandelt, sogar
die zwei kranken Kinder der Frau Flad. In Gondar wurden
sie alle vor Theodor geführt, der sehr wüthend war und Herrn
Rosenthal mit der Frage anfuhr:
„Kannst du Lanze und Schwert führen und dich mit
einem meiner Krieger messen?"
„Nein."
„Wenn du nicht einmal das kannst, weshalb beleidigst
du mich denn?" Nosenthal erklärte, daß ihm dergleichen nicht
in den Sinn gekommen sei, das half aber nichts; er wurde
mit Ketten beladen. . Die deutschen Missionäre von der Sta-
tion wurden nach einigen Tagen im Gefängnisse milder be-
handelt, Stern und Nosenthal aber desto schlimmer. Man ließ
sie hungern, und ein Diener starb aus Mangel an Nahrung.
Inzwischen kam Herr Flad nach Gondar, richtete aber beim
Könige weiter nichts ans, als daß Nosenthals Gattin Besuch
von Frau Flad erhalten durfte.
Am 20. November ließ der König unter freiem Himmel
Gericht halten, mehrere tausend Zuschauer hatten sich versam-
melt, und alle in Gondar anwesenden Europäer waren einge-
laden worden. Das Volk bildete einen weiten Halbkreis, und
der König saß, umgeben von seinen höchsten Würdenträgern,
ans einen: großen Gerüste. Nosenthal und Stern, die man
an den Armen zusanunen gebunden hatte, wurden vorgeführt,
beladen mit allem Schmutz des Gefängnisses und in äußerst
erschöpftem Zustande, halbverhungert. Auch Frau Flad wurde
angeklagt, weil sie, angeblich, in respektwidrigen Ausdrücken
von Theodor gesprochen habe; der König begnadigte sie, weil
ihr Mann fein Freund sei.
Unter Sterns Papieren war ein Stück von einem Tage-
bnche gefunden worden; es heißt darin, daß der König mit
kaltem Blut eine Anzahl gefangener Rebellen habe niederhauen
lassen. Darin sah man ein Verbrechen, und Rosenthal wurde
als Theilnehmer desselben angesehen. Demgemäß wurde dann
die Anklage gestellt und aus dem Fetha Negest, dem abessi-
nischenGesetzbuch, eineStelle verlesen, in Folge welcher der mit
dem Tode bestraft werden solle, wer den König beleidigt. Theodor
besprach sich mit den Würdenträgern, ob in vorliegendem Falle
das Gesetz Anwendung finden solle. Ein Beamter, der das
verneinte, wurde sofort in Ketten gelegt. Die Todesstrafe
wurde indeß nicht ausgesprochen; Stern und Rosenthal wur-
den ins Gefängniß zurück gebracht und dort nahm man ihnen
sogar die Ketten ab. Das öffentliche Schauspiel, bei welchem
der König seine Macht zeigen wollte, hatte wohl den Halb-
barbaren'etwas besänftigt.'
Missionär Hailsm'ann war auch in Haft gehalten wor-
den, bekam aber nach den: Urtheilssprnch Erlaubniß, das Land
zu verlassen, und ging nach Chartum, von wo ans er einen
Bericht über diese tragischen Vorgänge an den englischen Ge-
neralkonsul in Kairo eingeschickt hat. Dieser reklamirte sofort
bei Theodor und forderte die Freigebung der Gefangenen, weil
sie englische Unterthanen oder doch Schutzbefohlene seien. Der
König ist aber jetzt den Engländern nicht gewogen, weil sie,
wie er meint, nicht zuvorkommend genug gegen ihn seien. —
Seitdem Hausmann seinen Brief geschrieben, ist die Nach-
richt nach Europa gelangt, daß Theodor nun auch den eng-
lischen Konsul Cameron in Gondar habe einsperren lassen.
Dadurch wird er sich ohne Zweifel manche Verlegenheiten zu-
ziehen. __________
Konsul Richard Burton gegen Kapitän Hanning Speke.
Diese beiden Reisenden machten bekanntlich die Reise von San-
sibar ins Innere von Ostafrika zum Tanganhika-See gemein-
schaftlich. Als Entdecker dieses letzten: muß Bnrton betrachtet
werden. Er erkrankte zn Kaseh in Unpamuesi und sandte seine
Gefährten von dort ans nach Norden. Auf dieser Wanderung
kam Speke an das Südende des Nyanza-Sces. Beide Ent-
decker geriethen dann in Zerwürfniß, weil Speke es in seinen
Berichten mit der Wahrheit nicht genau nahm und nainent-
lich ans seiner Kartenskizze um das Nordende des Tanganyika-
Sces in Hufeisenform ein, gar nicht vorhandenes, Hoch-
gebirge einzeichnete, das er'Mondgebirge nannte. Burton
erkärte von vorn herein und wies nach, daß es sich dabei
um eine Phantasieschöpfung Speke's handle und tadelte die-
sen wegen solch einer Versündigung an der Wissenschaft; nichts
desto weniger hat Speke in seinem Werk über die Entdeckung
der Nilquellen dieses „Mondgebirge" abermals auf der Karte
verzeichnet! Nun schreibt Burton ans Bnena Vista, Insel Fer-
nando Po, es sei durchaus nicht seine Absicht, Speke's, „nicht
durch ehrenhafte Mittel erworbene Lorbeern anzutasten". Aber
er geht scharf um mit dem großprahlerischen Manne, der sich
selber als einen „Regenerator Afrika's" hinstellt, und erwähnt,
daß derselbe in seiner Tischrede zn Taunton falsche Angaben
gemacht habe. Wir unsererseits sagten im Globus, gleich nach-
dem Speke jene Rede in seiner Vaterstadt gehalten, daß er in
derselben manche geradezu lächerliche Dinge zum Besten gegeben
habe, z. B. daß Oesterreich die Absicht hege, Afrika zu erobern.
Burton kommt nun auf die angeblichen Mondgebirge zurück.
Speke legt den innersten Punkt des Halbmondes oder Huf-
eisens mindestens 150 Mil es entfernt von dem nördlichsten
Punkte, bis zn welchem man am Tanganyika-See, „dieser
von Bergen umschlossenen Mulde" vorgedrungen ist. „Ich
weiß mit Bestimmtheit, daß der Seitler der Nilquelle solche
Gebirge mit keinem Auge gesehen hat, daß auch Niemand von
jenem erwähnten Punkt ans sie sehen kann. Auch sagt Speke
in seinem Buche (S.263), daß er das besagte Hufeisen (Mond-
gebirge!) nicht ails eigener Anschauung kenne, sondern durch
wissenschaftliches und geographisches Raisonnement!" „Durch
Speke's Entdeckungen sind die Nil quellen durch-
aus noch nicht bekannt geworden. Sie beweisen uns,
daß das Becken des Nyanza eben so wenig als die wahre Quelle
betrachtet werden kann, wie der Tzana, d. h. See von Dem-
beah in Abessinien oder Brnce's abessinischer Sumpf (den man
für die Quelle des Blauen Nils ausgab. Es entsteht einfach
die neue Frage: Ist der große Strom (Nil) ans Krapfs Tn-
biri und dem Baringo-See abzuleiten, kommt er also von
der nordwestlichen Wasserscheide des Kenia, Kilimandscharo und
den Mondgebirgen des Ptolemäns? Und wenn das nicht der
Fall: haben wir seinen Ursprung zu suchen im Bahr el
Gasal oder in dem Hochlande, das südwestlich vom Nyanza
liegt und von wo der Kitanguleflnß kommt? Ich halte
das erstere für wahrscheinlich und glaube, es werde sich schon
herausstellen, daß der Nyanza eine mächtig große Lagune ist,
in welche eine Anzahl von, für Afrika sehr beträchtlichen,
Flüssen fällt. Nur bei einer solchen Annahme erklärt sich, daß
mehrere Gewässer ans ihm abströmen. Wir kennen nur vom
Nil (durch Speke) etwa 300 Miles mehr als früher. Aber vor:
Entdeckung der wahren Quelle kann erst die Rede sein,
wenn von co'mpetenten Forschern das südöstliche und süd-
westliche Ende des Sees, überhaupt der südliche Halbkreis des
Nilgebietes erforscht worden sind. Ein künftiger Forscher
wird sich auch nicht mit der puranischen Geographie Afrika's
abgeben, also nicht mit Dingen, von denen kein Wort in den
indischen Puranas steht (Anspielung auf den Betrug, welchen
indische Pandits dem Lieutenant Wilford spielten; Globus
vi, 189). Auch wird ein Forscher nicht Völker, welche Kafir-
sprachen reden, z. B. die Wahnma und Wagauda, mit
den Galla verwechseln, welche semitisch spreche». Endlich
wäre es wohlgethan, wenn künftige Reisende, die nur etwa
bloß an einem Stücke vom Nyanza-See hinweggereist sind,
nicht soviel Geschrei machten und doch so wenig Wolle zurück-
brächten, wie der Mann, welcher sich selbst für den Nilentdecker
ausgibt."
Die Lage der Dinge in Camdodscha. Wir finden in
einem Schreiben aus Saigong, vom April (in der Allgemeinen
Zeitung) folgende Mittheilungen, welche geeignet sind. Man-
ches über die gegenwärtigen 'Verhältnisse in klares Licht zn
stellen nndMouhot's Schilderungen zu ergänzen.
Die Macht und Herrschaft des alten Eambodscha, das noch
in den Sagen und Erinnerungen der ultra-indischen Völker
lebt, würde bei dem jetzige:: Zustand des La::des als eine
mythische Fabel und Erdichtung erscheinen, wenn nicht die
großartigen Steinruinen, die kürzlich an den Ufern des Binnen-
sees wieder entdeckt wurden (die Ruinen von Ongkor), uns
das Bild dieser vergangenen Zeiten vorführten. Die jetzige
siamesische Monarchie wuchs ans unter den Plünderungen des
damals reichen Eambodscha, und nach der Eroberung des Kö-
nigreichs von Tsiampa kamen die Cochinchinesen von der an-
ders: Seite für ihren Antheil an der Beute. Seitdem haben
beständige Verheerungen und Einfälle das Land in eine Wüste
verwandelt, und die Revolutionen dauerten fort bis in die
jüngste Zeit.
Im Jahr 1860 starb Somdet Phra Harirak, der
König von Eambodscha, der von dem Unterricht der Missionäre
hinlänglich gelernt hatte, nnr _bie Inschrift „domus ad men-
dicandum orizam et bibendum vinum“ über seinen Speiscsaal
zu setzen. Der zweite Sohn, Ong Wata, der als Geisel am
Hofe des Königs von Siam lebte, erhielt die Erlaubniß zurück-
zukehren und dem Leichenbegängniß seines Vaters beizuwohnen,
benutzte aber die Gelegenheit, um einen Aufstand gegen seinen
älteren Bruder, Narömdom, anzustiften und ihm den Thron
286
Aus allen Erd theilen.
streitig zu machen. Während dieser Unruhen erhob S a n o n g s o,
einer der Edelleute im Gefolge Ong Wata's, die Fahne der
Empörung in seinem eigenen Namen, und beide Prinzen flohen
nach Bangkok, von wo der ältere durch eine siamesische Armee
zurückgeführt und auf dem Thron befestigt wurde. Der jün-
gere ging auf gutgemeintes Anrathen in ein Kloster in Bangkok.
Da der'jetzige König seine Erhebung so dem siamesischen Hof
verdankt, fühlt er sich in einer verlegenen Stellung gegenüber
seinen französischen Besuchern, die mit ihren Kriegs-
schiffen die breiten Arme des Mekong bis hin zu seiner Haupt-
stadt befahren können.
Die Franzosen haben allerlei Ansuchen und Vorschläge,
über die ec nicht zu entscheiden wagt, so lange das Auge des
siamesischen Residenten, der zu seiner Beaufsichtigung herge-
schickt ist, auf ihm ruht. Eine der Forderungen Frank-
reichs war, die Land spitze in Pan om-Pen abgetre-
ten zu erhalten, die das d ortige Kreuz der vier
Flüsse dominirt. Da der junge König von Cambodscha
durchaus kein abgesagter Feind von Vergnügungen ist und
die domus ad bibendum häufiger besucht als seine buddhistische
Religionspflicht erlauben sollte, ist es nicht gerade schwer, ihn
in derjenigen liebenswürdigen Stimmung zu finden, in welcher
auch mit den afrikanischen Potentaten' oder den Indianern
manche Verträge geschlossen worden sind. Die älteren Minister
haben indeß die schon zugestandene Konzession rückgängig zu
machen gesucht und führen jetzt beständig die Erzählung von
dem listigen Ländererwerb im Munde, die in unsern Geschichten
den Karthagern zugeschrieben wird. Nach den Eambodschanern
waren die Holländer, die früher eine Faktorei in der Nähe
Udongs hatten, die Erfinder, und die Javanesen beschuldigen
sie, auf dieselbe Weise in Batavia Fuß gefaßt zu haben. Da-
durch gewarnt, wollen die Cambodschaner den Franzosen keinen
festen Fuß gönnen, damit sie nicht ihr Büffelhautnetz von dort
ausspannen.
Unter der Aegide des französischen Schutzes haben sich
schon verschiedene Abenteurer dieser Nation im Innern Cam-
bodscha's gezeigt, aber leider nicht zum Vortheil des enropäi-
chen Namens und kaufmännischer Niedlichkeit.
Die Stadt Saigong im französischen Cochinchina. Der
Eindruck, welchen Saigong augenblicklich macht, ist ein äußerst
unfertiger. Man sieht Straßen mit Häusern im europäischen
Stpl gebaut (mit Restaurationen natürlich und Kaffeehäusern)
zwischen Strecken von Schutt, zwischen Wieseir und Morästen.
Hie und da steht ein großes Steingebäude für öffentliche
Zwecke, aber man kann nur auf Umwegen vor: einem zum
andern gelangen, da beu zwischen liegenden Kanälen die
Brücken fehlen. Alles dies kann weiter kein Vorwurf sein.
Jedes Ding muß einen Anfang haben, und es ist nur nnter
besonderen Verhältnissen möglich, daß eine Stadt in drei oder
vier Jahren zu der Vollkommenheit vonSan Francisco oderMel-
bourne auswächst. Wenn sich später so gnte Interessen erwar-
ten lassen, wie sie Singapore an England oder Batavia au
Holland bezahlt hat, darf mau die erste Anlage des Kapitals
nicht scheuen. Die temporäre Verminderung des Handels mag
theilweise in der Entvölkerung der eingebornen Stadt, aus
welcher die reichsten Bewohner bei der Belagerung entflohen,
ihren Grund haben, ist aber auch vielfach den willkürlichen
Eingriffen der Regierung, wie sie unter einer militärischen
Verwaltung stets mehr oder weniger vorkommen werden, zur
Last zu legen. Ueber die Zukunft'Saigongs sind die Ansichten
bis jetzt sehr verschieden. Man hört bald extravagante Hoff-
nungen anssprechen, bald nur unheilvolle Prophezeiungen.
Saigong liegt allerdings irr dem weiten Delta des Mekong-
flusses,'aber dieser'majestätische Strom hat kein
produktives Hinterland. Er fließt nicht wie der Ganges
durch übervölkerte Provinzen, den Sitz alter Kultur, noch
strömt er, gleich dem Jrawaddi, an der Hauptstadt eines könig-
lichen Hofs vorbei, der den ganzen Reichthum seines Landes
an sich zieht rrnd bei sich konzentrirt.
Der Mekong gleicht mehr dem Saluen, und Saigong ist
nicht mit Calcnt'ta'oder Ranguhn zusammenzustellen, sondern
mit Maulmein, das ohne die lokale Ausfuhr des Tiekholzes
nie eine commereielle Bedeutung erlangt haben würde. Die
Umgegend Saigongs producirt nur Reis, unb auch diesen bei
der schwachen Bevölkerung in bloß geringer Quantität. Das
einheimische Produkt von Bangkok ist gleichfalls nur Reis,
aber in Bangkok findet sich außerdem eine beträchtliche Zu-
fuhr anderer werthvollen Artikel, theilweise aus den inneren
Provinzen Siams, theilweise aus Cambodscha, dessen König
zu einem jährlichen Tribut verpflichtet ist. Da dieses unglück-
liche Land, das seit 300 bis 400 Jahren der stete Spielball
seiner mächtigeren Nachbarn war, auch an Cochinchiua einen
dreijährigen Tribut zu bezahlen hatte, so behaupten die Fran-
zosen jetzt, daß dieses Souveränitätsrecht durch die
Besetzung Saigongs an sie übergegangen sei, und
sie haben es zum Vorwand verschiedener Ein-
mischungen gemacht, die v o n dem König von
Siam mit ängstlichen Augen angesehen werden.
Land, Leute und Kriegführung an der Westküste von
Afrika. Die nachstehenden Bemerkungen sind von Winwo od
Re ade, dem Verfasser des Werkes „Wildes Afrika". Er macht
dieselben in Hinblick auf das widersinnige Verfahren der eng-
lischen Regierung gegenüber dein Könige von Aschanti. —
Der ganzen Westküste Afrika's entlang, von St. Louis am
Senegal im Norden bis nach Benguela im Süden finden wir,
einen' einzigen Punkt ausgenommen, nirgends eine Gegend,
in welcher ein kranker Mensch sich erholen könnte; die ganze
weite Strecke ist als eine ungeheure Kloake des Fiebers, der
Dysenterie und aller Dinge zu betrachten, die abscheulich und
tödtlich sind. Jenen Ausnahmepunkt bildet das Camerones-
gebirge, und Kapitän Burton hat mit vollem Rechte den-
selben für die Anlage einer Gesnndheitsstation empfohlen. Im
Uebrigen sind an der Küste die Militärlazarethe auch in der
günstigsten Zeit mit Kranken angefüllt. Und nun ein Feldzug
in einem solchen Lande! Allnächtlich wird der Soldat von
einem unsichtbaren, unwiderstehlichen Feind angegriffen, der
Malaria, welche aus den Sümpfen kommt. Die Nahrungs-
mittel sind schlecht, Schöps- und Rindfleisch können nur als
Leckerbissen betrachtet werden. Die Wege sind so schmal wie
Schaftriften, und die Soldaten müssen sich manchmal mit dem
Seitengewehr einen Pfad durch den Wald bahnen. Ein eigent-
licher Krieg findet nicht statt; man legt dem Feind einen Hinter-
halt, und für dergleichen eignet sich Afrika ganz ausgezeichnet.
Diese Wälder scheinen von der Natur' geschaffen zu sein
für die Erhaltung des nackten Negers, etwa in ähnlicher Weise
wie sie das Stachelschwein, das Armadill und den Alligator
mit einem häßlichen aber undurchdringlichen Panzer geschützt
hat. Man braucht kein Feldherrngenie zu haben und kann
doch begreifen, daß unter solchen Umständen ein Angriffskrieg
seine sehr bedenklichen Seiten hat. Jene unsinnige Expedition
gegen die Aschantis gehört zu den merkwürdigsten Fällen
menschlichen Unverstandes und zeugt von einer sehr dünkelhaf-
ten Anmaßung.
Man nimmt in der Regel an, die Neger seien eine wilde
Rasse, welche den weißen Mann tobte, wann und wo sie das
ungestraft wägen könne und die mit eben so großem Behagen
Blut aus einem Menschenschädel saufe, wie wir alten Port-
wein trinken. Ich meinerseits habe die Neger als furchtsame,
weibische, höfliche Wesen kennen gelernt, als Weltleute, die
nicht gern Blut vergießen, außer wenn die Furcht sie dazu
treibt oder ihre religiösen Leidenschaften ins Spiel kommen.
Vor allen Dingen sind sie auf Handelsvortheile erpicht. Sie
empfangen von uns Weißen allerlei Luxusartikel, welche ihnen
nun zum Bedürfniß geworden sind, als da sind Baumwollen-
zeuge, Glasperlen, Rum, sodann auch Pulver, Gewehre und
Kugeln, mit denen sie uns todtschießen, wenn wir ihnen keine
andere Wahl lassen.
Zu diesem äußersten Mittel greifen sie aber nur ungern,
und rch kann das gerade in Bezug auf den Aschantikrieg nach-
weisen. Ein Unterbeamter nämlich,'der vor vielen Monaten mit
der ersten Expedition ins Innere ging, zu einer Zeit, wo man
in England von dem ganzenKrieg'e noch nichts wußte, erzählte
mir, daß er mit seinen Leuten an einer Stelle vorüber kam,
wo einige hundert Aschantis im Hinterhalte lagen. Er bekam
davon erst später Nachricht durch einen Fanti, welchen die
Aschantis gefangen genommen hatten. Auf die Frage: wes-
halb sie nicht cut§ ihrem Hinterhalte heraus Feuer gegeben
hätten, sagten sie, ihr König habe befohlen, daß den
weißen Leuten nichts zu Leid geschehen solle. Sie
fügten hinzu: „Wir haben Krieg mit den Fantis, nicht mit
euch; und wenn ihr dieser Fantis halber mit uns Krieg an-
fangt, so wollen wrr doch nicht gegen euch kämpfen." Und
während des ganzen ersten Feldzugs haben sie ihr Wort gehal-
ten; das englische Detachement kam zurück, ohne einen Aschanti
gesehen zu haben; sie fochten lediglich gegen unsere Verbünde-
ten, die Fantis.
Unter gewöhnlichen Umständen liegen in unseren Besitzun-
gen an der afrikanischen Westküste Truppen aus Westindien,
um, wie mau zu sagen pflegt, unsern Handel zu beschützen.
Ich habe nun ein gut Theil solchen militärischen Schutzes bei
Franzosen, Engländern und Portugiesen gesehen und behaupte
Aus allen Erdtheilen.
287
entschieden, daß es sich mit demselben genau so verhält, wie mit
dem eisernen und dem irdenen Topf in der äsopischen Fabel.
Gerade dieser militärische Schutz hat am Senegal dem Handel
großen Nachtheil gebracht, hat in Angola mehrere lissaboner
Häuser zu Grunde gerichtet und legt nun an der Goldküste
den Verkehr lahm. Das wichtigste Erzeuguiß, welches wir aus
Afrika bekommen, ist Palmöl und zwar von den Flüssen
Calabar, Braß, Bonny und Benin. Dort ist kein „militärischer
Schutz", und der Weiße wird nicht belästigt; in Bonny ist
er sogar Juju, d. h. ein Fetisch, gleichsam ein geheiligtes
Thier wie eine Eidechse, und Niemand darf ihm, bei Todes-
strafe, etwas zu Leide thun. Manchmal haben die Kaufleute
allerdings mit schlechten Schuldnern zu schassen, aber dann
machen "sie an Konsul Bnrton nach Fernando Po eine Mel-
dung, dieser schickt ein Kanonenboot tu den Fluß, und dasselbe
bleiöt liegen, bis Zahlung erfolgt.
Die Neger haben großen Respekt vor Kriegsschiffen und
den langen Kanonen in den Forts der Küstenstädte, aber sie
verlachen unsere eingedrillten Neger. Diese unglücklichen Sol-
daten und noch inehr die unglücklichen Offiziere sind in West-
afrika ganz unnütz, und es' ist eine wahre Grausamkeit, sie
dorthin zu schicken. Zur Vertheidigung der Küstenplätze reicht
eine Miliz hin, aber bet einem Krieg im Innern würde selbst
eine napoleonische Armee in den Wäldern zusammen schmelzen,
als wäre sie Schnee. Es reicht vollkommen hin, wenn all-
monatlich einmal ein Kanonenboot sich in den Palmölflüssen
sehen läßt; aber auch dieser Dienst ist des Klimas wegen ge-
fährlich, doch bei weitem nicht in dem Maaße als jener, wel-
chen Soldaten im Innern zu thun haben.
Ausrottung der Indianer in Nordamerika. Im An-
fange des Maimonates 1864 hat General Sully in St. Louis
eine große Expedition, die aus etwa 3000 Reitern und berit-
tenen Infanteristen besteht. Er will die Sionr im Territorium
Idaho unterwerfen oder völlig vernichten. Idaho, ein erst
vor Kurzem organisirtes Gebiet hat als Grenzen: im Westen
Oregon und Washington, im Süden Nevada, Utah und Colo-
radö; im Osten Nebraska und Dakotah, und im Norden den
49. Grad nördlicher Breite, durch welchen es vom britischen
Gebiete getrennt wird. Der Expedition schließen sich befreun-
dete Indianer an, namentlich Mandanen, Krähen, Delawaren
und Schahnis, die als Späher und auch als Krieger verwandt
werden sollen. Der westliche Theil von Idaho ist goldreich;
die Goldgräber sind bis jetzt von den Sioux belästigt wor-
den; diese gedenkt Sully zu Paaren zu treiben und dann
von Idaho aus nach Osten hin bis an den Missouri und
weiter durch Minnesota eine Kette von Jnfanterieposten an-
zulegen.
Die GoldfunÄe in Britisch Columbia. Bisher gaben
die Minen im Distrikte Cariboo den reichsten Ertrag, seit meh-
reren Monaten hat sich jedoch heraus gestellt, daß der Bezirk
Schnswap noch ergiebiger ist. Dort fördern Arbeiter, die
weiter nichts als eine Hacke habe», im Durchschnitte täglich
für fünf Dollars Gold. Oberhalb der Stadt Lytton am
Fraser arbeiten etwa 40 Indianer, von denen Jeder Tag
für Tag für mehr als 20 Dollars gewinnt. Als das bekannt
wurde, fand sich eine Schaar Chinesen ein, um Besitz von
diesen „Claims" zu nehmen. Der Richter entschied aber gegen
die weizengelben und für die kupfcrbraunen Leute.
Die Deutschen zu Victoria in Australien haben in Mel-
bourne einen „Centralansschuß der deutschen Vereine in Victo-
ria und anderer Kolonien Australiens" gegründet, um die
gemeinsamen Interessen unserer Landsleute zu wahren und zu
fördern. In einem Rundschreiben sagt der Ausschuß:
„Die Deutschen in Victoria und in den anderen Kolonien
Australiens bilden einen erheblichen Bestandtheil der Bevölke-
rung dieser Länder, die zu immer größerer Bedeutung und
Wichtigkeit sich entwickeln. Die Zahl der Deutschen
übersteigt 30,000, ste bewähren sich als gnte und
erfolgreiche Kolonisten und sind als fleißige und
verläßliche Arbeiter geschätzt. In allen Zweigen der
mannigfachen Thätigkeit, im Betriebe des Handels und der
Gewerbe, der Handwerke, der Landwirthschaft, der Goldminen
stehen Deutsche in erster Linie, nnd um die Einfüh-
rung des Weinbaues, der die günstigsten Erfolge ver-
spricht, so wie um die Einführung verschiedener anderer In-
dustrien haben sich dieselben anerkannte Verdienste erworben.
Auch in Kirnst und Wissenschaft sind erhebliche Erfolge
auszuweisen. Deutsche Forscher erwerben sich hervorragende
Verdienste nnd helfen dem deutschen Namen im entferntesten
Süden ^Anerkennung und Achtung zu gewinnen. In den
Hauptstädten und anderen Mittelpunkten der Bevölkerung be-
stehen verschiedene deutsche Gesellschaften und Vereine,
deren Aufgabe es ist, durch die Verbreitung deutscher Zeit-
schriften und Literatur ein geistiges Bild der Vereinigung mit
dem fernen Vaterlande zu erhalten, durch Veranstaltung
g e m e i n s ch a f t l i ch c r F e st e freundliche und gesellschaftliche per-
sönliche Beziehungen unter den Deutschen zu fördern, durch
gemeinsame regelmäßige Beiträge einen Fond zur Unterstützung
hülfloser und unglücklicher Landsleute zu schassen, Ncuankom-
menden mit Rath und Nachweisung an die Hand zu gehen,
während Turn- und Gesangvereine dazu beitragen,
vaterländische Sitten zu bewahren und das gesellige Zusam-
menleben zu fördern. Die Landesgesetze sichern den Deutschen
in wesentlichen Punkten gleiche Rechte mit ihren Mitkolonisten.
Die Deutschen in Victoria haben durch gemeinsames Zusam-
menwirken die Vereinfachung des Naturalisationsgesetzes er-
wirkt, und der großen Menge der fremdgebornen Bevölkerung
sowie Nicht-Naturalisirten wichtige Erleichterungen undRechts-
erweiteruugeu inBezug aufLandbesitz und Vererbung verschafft."
Die Entdeckung der Pfahlbauten im Starnberger See.
Professor Desor hatte aus der Schweiz den Schiffer Benz
mit nach München gebracht und schickte diesen, der Pfahlbau-
ten kundigen Mann voraus au den Starnberger See, um sich
dessen Ufer zu betrachten. Am 13. Juni folgte dann Desor
selber mit dem berühmten Zoologen von Sieb old. — Wir
begannen (so schreibt er der berner Zeitung „Bund") mit der
Untersuchung des rechten Ufers, wo wir nur auf einige unbe-
deutende römische Ueberreste stießen. Bald daraus erreichten
wir eine Insel am linken Seeufer, gegenüber dem neuen
Sommerpalaste des Königs Max, mit dessen Bau man jetzt
beschäftigt ist. Gerade hier, am Strande dieser Insel, mußten
die Zeugen alter Pfahlbauten sich befinden, wenn jemals solche
in diesem See bestanden. Und wir waren noch nicht um die
Insel herumgefahren, so entdeckten wir in der That mehrere
Pfahlspitzerr. Die ersten waren nicht sehr deutlich, doch
war es unmöglich, sich über ihr Vorhandensein zu täuschen.
Bald erblickten wir auch andere, kenntlichere, gerade ans dein
Grunde abgeschnittene Pfähle, ähnlich denen unserer Statio-
nen aus der Steinzeit bei Hanterive und Auvernier. Einige
derselben waren so sichtbar, daß mau durch das Wasser, wel-
ches au dieser Stelle nicht mehr als drei Fuß tief ist, die
Jahresringe des Stammes zählen konnte. Herr v. Siebold
war voller Entzücken beim Anblicke dieser Tausende voir Jah-
ren zählenden Bauten, denn alle Kennzeichen sind vorhanden,
daß wir es hier wie im Bodensee mit Alterthümern aus
der Steinzeit zu thun sh aben. Das Merkwürdigste dabei
ist, daß die Pfähle, die bis auf einen Fuß Durchmesser haben
und häufig oben spitz zugehen, unter der Insel fortzu-
laufen scheinen, gerade wie wir es letztes Jahr an der
I s o l e t t a i m V a r e s e r S e e beobachtet, so daß es sehr wahr-
scheinlich ist, daß die Roseniusel im Starnberger See,
auf der sich ein Sommerpalast des Königs befin-
det, wie diejenige im Va re ser und die im Jnkwyler
See eine künstliche Insel ist.
Die Pfähle allein konnten uns indessen nicht genügen.
Wir mußten noch einige sprechendere Zeugnisse haben, und
galt es auch nur, zu beweisen, daß es sich hier wie in der
Schweiz um Bauten handelt, die von Menschen errichtet und
bewohnt worden, und nicht etwa von Bibern. Benz entdeckte
denn auch bald Reste von Töpfergeschirr. Es sind, >vie bei
uns, Gefäße aus schwärzlichem Thon, unvollkommen gebrannt,
zwar mit der Hand geformt, doch am Rande theils mit einer
Riefe, theils durch Eindrücke der Finger verziert, oder auch
mit einem Kranze, der am Hals des'Gefäßes mit Daumen
und Zeigefingern gezogen worden.
Herrn v. Siebold,' als Zoologen, lag natürlich daran, sich
zu überzeugen, ob nicht etwa zwischen den Pfählen sich Th ier--
knochen vorfänden. Auch diese kamen bald zum Vorschein
und sogar in ziemlich großer Menge, da wir in weniger als
zwei Stunden Knochen vont Pferde, dem Hirsch, dem Ochsen,
dem Wildschwein und dem Wolf herausfischten. Nicht minder
bezeichnend ist, daß die Mehrzahl der Knochen und speciell
die längeren gespalten sind. Dies ist ein neuer Beweis,, daß
sie von den Pfahlbauern hieraufgehäuft worden. Sie pflegten
bekanntlich die Thierknochen zu spalten, um das Mark her-
auszuholen.
288
Aus allen Erdtheilen.
Bayern hat also auch seine Pfahlbauten! Nun, da der
Impuls gegeben, will sich Jedermann ans Werk machen. Herr
v. Sieboldt reist mit Benz nach dem Chiem-See. Es ist
sofort Befehl ertheilt, um die Roseninsel herum dragiren zu
lassen, und ich zweifle nicht, daß man unter dem Schlamm
Aerte und Messer aus Feuersteinen finden werde. Jetzt sollte
mau sich noch mit beu österreichischen Seen beschäftigen.
Ich bin fest überzeugt, daß es auch da nicht au Pfahlbauten
fehlen wird. — (In der nächsten Nummer mehr darüber.)
Zur Völkercharakteristik. Dänen und Deutsche. Wenn
ein Engländer verrückt wird, dann wird er es gleich gründ-
lich. Jetzt hat sich John Bull bekanntlich in eine Danomanie
und in eine Deutschenfresserei hinein geras't, die nichts zu
wünschen übrig lassen und, so schimpflich beide auch für die
Engländer sind und wie thöricht sie sein mögen, doch für uns
Deutsche eine ergötzliche Seite haben. Hannemann am Sund,
der süße Straßenpöbel in Kopenhagen, die Peiniger Schles-
wigs, die Eiderdäneu alle werden', trotz der „fratzenhaften
Eitelkeit", welche schon der alte Arndt als ihr Charaktermerk-
mal hingestellt hat, — sie Alle werden überrascht sein, wenn
sie im londoner Spectator folgende Schilderung von sich
lesen.
„Ich kenne die Dänen durch und durch. Sie sind sanft-
müthig und haben gar nicht das Zeug in sich, aus welchem
man Tyrannen macht."
„Sie sind höflich, und es ist ganz und gar nicht denk-
bar, daß sie unversöhnlich sein könnten."
„Sie haben ein gefühlvolles Herz, und es liegt gar
nicht in ihrem Wesen, einen verwandten Volksstamm hart zu
behandeln."
„Sie sind honett und ehrenhaft. Selbst wenn sie in
der Lage wären, zu dominiren, so würden sie die Herrschaft doch
nimmermehr zu eigennützigen Zwecken ausüben."
„Sie sind wahrhaftig und wahrheitsliebend, und
sie können platterdings während der letzten zwölf Jahre in
Schleswig keine Lügen gesagt und keine Lügen geliebt haben."
„Sie sind Gen tleinen, und als solche sind sie niedriger
Handlungen unfähig."
„Sie erfreuen sich der ausgedehntesten Freiheit,
und ganz dieselbe Freiheit haben sie den von ihnen abhält-
gigen Herzogthümern angeboten."
So sind die Dänen. Nun wollen wir aber ein-
mal u u t e r s u ch e u, w a s d i e D e u t s ch e n gethan haben.
„Die Deutschen, sind sie etwa sanftmüthig? Polen und
Ungarn zeugen von dem, was sie sind."
„Höfläch? Jeder Reisende (Mac Donald, May-
hew, Snob & Compagnie?) weiß davon nachzusagen,
und die in Venedig mißhandelten und in Ungarn ausge-
peitschten Frauen wissen es." (Der Engländer meint wohl
Brescia, wo italienische Frauenzimmer verwundeten Croaten
gewisse unnennbare Glieder abrissen.)
„Die Deutschen haben ein gesnh lvoll es H erz? Ei, sie
plündern ihre Freunde aus, zu deren Unterstützung sie an-
geblich gekommen sind."
Und wahrheitsliebend sind die Deutschen? Die plan-
mäßigen Lügen, welche sie seit dem Januar ausgesprengt
haben, reichen hin, um ein Verdammungsuriheil gegen sie zu
fällen."
Und Gentlemen wären die Deutschen? Trotzdem die
Bürgerschaft von Flensburg dringend bat, man möge ein
Denkmal stehen lassen, das über den Gebeinen ihrer im Kriege
gefallenen Landsleute errichtet war, warfen sie dieses Grab-
monument über den Hausen (den „aufgeblasenen Laubfrosch",
den „Löwen von Jdstedt").
„Und frei wären die Deutschen? Es ist ja erst in diesen
Tagen von der mecklenburgischen Kammer die Prügelstrafe
neu sanktionirt worden. ' An ihren Früchten sollt ihr sie
erkennen." —
Das Alles ist nun, wie in Deutschland Jeder weiß, mit
Ausnahme der letzten Thatsache unwahr oder verdreht, aber
dem englischen Publikum kann man dergleichen aufbinden.
Die mecklenburgischen Stockprügel sind leider nicht in Abrede
zu stellen; sie sind aber ein Schimpf und eine Schande ledig-
lich für die Junker und den Feudalstaat.. Wir unsererseits
wollen aber ausdrücklich erklären, daß wir diese mecklen-
burgischen Junker gar nicht als Deutsche betrachten,
denn sie sind dieses Namens nicht würdig. Sie kommen uns
vor wie Pankees, bei denen in Heer und Flotte tapfer ge-
peitscht wird, oder sie sind würdig, Engländer zu sein.
Bei diesen Jnselbarbareu spielt zwar nicht der mecklenbur-
gische „Bütteljuukerknüttel" eine Rolle, wohl aber die
weltberühmte neunschwänzige Katze. Alle Anträge im
Parlament (welchem die Staiistik der in Heer und Flotte aus-
getheilten Hiebe alljährlich genau mitgetheilt wird), zur Ab-
schaffung der Prügelstrafe sind durchgefallen, John Bull steht
also auf gleicherLinie mit den obotritischenBarbaren, — „bras
dessus, bras dessous, frère et cochon.“ Erb Weisheit ohne Glei-
chen, hüben und drüben!
Das ist unser Commeutar vom Standpunkte der Völker:
Psychologie. __
Die Kilkenny-Katzen und Sie Deutschen. Es ist einem
geistreichen Engländer (in den „Notes and Queries") gelun-
gen, durch einen haarsträubenden Beweis darzuthuu, daß wir
Deutschen ein höchst grausames und blutgieriges Volk seien.
Wenn man rauflustige Menschen in Irland charakterisiren
will, dann sagt man, sie seien so streitsüchtig wieKilkenny-
Katzen. Denn in der guten Stadt Kilkenny bissen sich ein-
mal ein paar Katzen mit solcher Erbitterung, daß eine die
andere ganz auffraß, und am Ende blieben nur zwei Schwänze
liegen. Der geistreiche Engländer ist nun hoch erfreut und
„glücklich darüber, den Beweis führen zu können, daß der
Schimpf und die Schmach dieses Vorganges weder auf Irland
im Allgemeinen, noch auf Kilkenny 'insbesondere falle", und
erzählt dann Folgendes:
Während der irischen Rebellion 1789 „oder vielleicht 1803"
(so genau ist der Mann unterrichtet!) lag in Kilkenny ein
Regiment hessischer Soldaten, und diese Barbaren
hatten die Gewohnheit, die Schwänze zweier Katzen an ein-
ander zu binden und sie dann einander gegenüber zu
stellen und auf einen Platz zu werfen. auf welchem mau
Zeug trocknete. Die Katzen wurden natürlich wüthend,
kratzten einander, rissen einer der andern den Bauch aus,
und am Ende waren beide todt. Die Offiziere erhielten
Kunde von dieser barbarischen Grausamkeit uitb verboten sie,
aber die „grausamen Soldaten" trieben den Unfug trotzdem
fort und stellten Wachen aus, um nicht überrascht zu werden.
Als eines Tages ein humaner englischer Offizier sich überzeu-
gen wollte, ob nicht etwa solch ein Katzengefecht von den
„grausamen Hessen" veranstaltet worden sei, hieben diese den
armen Thieren die Schwänze ab. Die Katzen nahmen sofort
Reißaus, denn das Fenster stand offen, und als der humane
englische Offizier kam, fand er au deu zum Trocknen aus-
gespannten Stricken keine Katzen, sondern nur zwei blutige
Schwänze hängen. (Vorher sagt der geistreiche Engländer,
daß die Katzen im Freien hätten kämpfen müssen auf dem
Trockenplätze; jetzt sind sie aus dem Fenster gesprungen!) Als
er nun fragte, was die blutigen Schwänze zu bedeuten hätte»,
sagten die grausamen hessischen Soldaten, zwei Katzen hätten
so wüthend gegen einander gekämpft, daß es unmöglich gewe-
sen sei, sie von einander zu trennen, sie hätten sich gegenseitig
bis auf die Schwänze zerrissen und verschlungen.
Der geistreiche Engländer fügt als Nutzanwendung und
mit einem grimmigen Seitenblicke hinzu: „Solch eine Ant-
wort mag etwa einen Kapitän S chitmm elkett el befriedigt
haben, aber sonst hätte doch wohl Niemand daran geglaubt,
außer etwa ein bierversoffener Preuße."
„Das „Weltblatt", die tadellose Times, verschmäht es
nicht, diese Albernheit abzudrucken. Vielleicht weiß sie, daß
der geistreiche Verfasser den wohlklingenden Namen Kircud-
brigh tbuceleugh-Dusterswivel führt und der großen
Familie Cockney-Snob-Macdonald angehört.
Alterthümer auf den arkadischen Inseln. Beim Hin-
wegräumen von Mauertrümmern eines alten Gebäudes un-
weit der Kirche zu Deernes fanden die Arbeiter Stücke von
einem Kamme mit einer doppelten Reihe von Zähnen von
sehr hübscher künstlicher Arbeit; ein Stück Fischbein, in wel-
chem sich drei runde Löcher befinden; zwei Stücke von einem
Hirschgeweih, das einem sehr großen Thier angehört haben
muß; einen Scherben von einem Topf aus gebranntem Thon
und einen großen Hauzahn eines Ebers, der so frisch und
glänzend ist, als rühre er aus der allerneuesten Zeit her. Dazu
kommt noch ein Wirbel, wie man meint von einem Spinn-
rad. Dieser und der Kamm befinden sich bei Ucberbleibseln
von solchen Theeren, die jetzt ausgestorben sind; es fragt sich
nun, ob die Verfertrger des Wirbels, des Kammes und des
Topfes gleichzeitig mit den jetzt nicht mehr vorhandenen Thier-
arten auf den Orkaden gelebt haben.
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghausen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildburghausen.
Von Friedrich Brinkmann.
Wen» Einer Deutschland kennen Dich, nimmermehr veraltet,
Und Deutschland lieben soll, Du treue, fleiß'ge Stadt,
Wird man ihm Nürnberg nennen Wo Dürers Kraft gewaltet
Der edlen Künste voll; Und Sachs gesungen hat.
Max v. Sch ent end orf.
Die Weltlage der Stadt. — Bedeutung Nürnbergs. — Der Handel.
Bei der Betrachtung voll Natur imb Menschenleben
möchte sich uns wohl kaum eine Beobachtung iu größerer
Allgemeinheit aufdrängen, als die, daß die Gaben mit einer
Handen sind, daß Einseitigkeit als der durchschlagende Cha-
rakterzug alles Geschaffenen angesehen werden darf, nnb die
Harmonie der Weltordnung weniger in dem einzelnen Jn-
Mb-
Der Panierplatz. (Nach einer Photographie.)
gewissen Sparsamkeit vertheilt sind, daß in der Regel die dividuum hervo
Eigenschaften nnb Kräfte, welche der Gattung zukommen, in seitig das Gleich
höchst ungleichem Grade bei dem einzelnen Individuum vor- Wie demgen
dividuum hervorleuchtet, als in den: Spiele der sich gegen-
seitig das Gleichgewicht haltenden Einseitigkeiten.
Wie demgeinäß auch die einseitig begabten und gebildeten
Globus VI Nr. 10.
290
Fried r. Brinkm aun: Nürnberg.
Menschen die große Masse ausmachen, wie die Nationen
eine jede ihre Stärken und ihre Schwächen haben, so finden
wir auch, daß die Städte gewöhnlich nur in Einer Gattung
menschlicher Thätigkeit Bedeutendes leisten, diese Eine alle
so dominirt, daß sie dem ganzen Leben der Stadt das eigen-
thümliche Gepräge gibt. Man kann daher ganz passend
nach diesem Gesichtspunkte die Städte eintheilen. So gibt
es denn Ackerbau treibende Städte, Industriestädte, die
(besonders in England) wieder nach dem besonders stark
betriebenen Gewerbe in eine Menge von Unterabthei-
lungen zerfallen, und Handelsstädte; Universitätsstädte,
Residenzstädte, Beamten- und Militärstädte (Festungen);
Badeorte und andere der Landlnst, Erholung und Vergnü-
gungssucht dienende Orte, für welche Klasse die Franzosen
deil Namen villes d’agrement erfunden haben; und selbst
ein Analogon der alten Tempelstädte fehlt uns nicht (Alt-
Oetting, Mariazell, Maria-Einsiedel re.).
Jene Regel der Einseitigkeit hat aber auch ihre Aus-
nahmen auf allen Gebieten des Lebens. Wie die Rose die
Schönheit der Camelie mit den: Wohlgeruch des Veilchens
vereint und darinn mit Recht die Königin der Blumen
heißt; wie ein Shakespeare in seinen Werken eine so allsei-
tige Persönlichkeit widerspiegelt, daß dadurch die Vertreter
der mannigfaltigsten Wissenschaften und Künste sich haben
verführen lassen, ihn als ihren Berufsgenossen in Anspruch
zu nehmen; wie es wenigstens Eine Nation gegeben, welche
sich die harmonische Entfaltung des ganzen Menschen zur
Lebensaufgabe gemacht und diese Aufgabe wirklich so glück-
lich gelöst hat, daß das Griechenthum für alle Zeiten die
reinste Darstellung des Menschenthnms „des Menschen"
schlechthin sein und bleiben wird: so zeigen auch einige
Städte, wenn sie einmal eine gewisse Größe und Macht
erreicht haben, das Bestreben, ihren einseitigen Charakter
abzustreifen, ihre Mängel zu ergänzen, auch andere Gebiete
menschlicher Arbeit, als die bisher von ihnen gepflegten, an-
zubauen und so vielseitige oder gar allseitige Städte zu
werden.
Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen den ein-
zelnen hieher gehörigen Städten, je nachdenr diese Vielseitig-
keit die natürliche, nothwendige und gesetzmäßige Entwicklung
einer ausnahmsweise reichen Begabung unter besonders
glücklichen Umständen ist, oder sie nur durch das Macht-
gebot der Willkür mit Anwendung künstlicher Mittel erzielt
wurde.
Die Hauptvertreter der lehtern Art möchten sich wohl
unter unseren Haupt - und Residenzstädten finden. Ein bei
weiten: höheres Interesse nehmen die erstgedachten, die na-
turwüchsig vielseitigen Städte in Anspruch. Nur sie
stehen unter den Schöpfungen der städtebildenden Lebenskraft
zu den einseitigen Städten in demselben Verhältnisse, wie
der allseitig begabte und gebildete Mensch zu dein einseitigen.
Die Zahl derselben ist sehr gering in jedem Lande, selbst in
demjenigen, welches mehr als irgend ein anderes der Ge-
genwart jeder Einseitigkeit abgeneigt ist und mehr als irgend
ein anderes immer das volle, ganzeMenschenthum, dieHnma-
uität in: eigentlichsten Sinne des Wortes, im Auge hat und
zu verwirklichen sucht, in unserm Deutschland. Wir können
lie nur unter den alten Städten suchen, da gerade zur Heran-
bildung solch eines Charakters Zeit erforderlich ist; unter
ihnen aber gibt es keine, die dei: Charakter der Vielseitigkeit
vollendeter zur Darstellung gebracht hätte, und darum keine,
welche würdiger wäre, den übrigen, namentlich dem jünger::,
heranwachsenden Geschlechte der Städte als Vorbild, als
anzustrebendes, wenn auch nicht erreichbares Ideal, vor-
gehalten zu werden, als Nürnberg.
Kanu: möchte es eine menschliche Arbeit, eine Gattung
des Handels, der Industrie, eiue Wissenschaft oder Kunst
geben, die nicht entweder jetzt noch in hervorragender Weise
in Nürnberg betrieben würde, oder doch einmal in einer
frühern Periode so .betrieben worden wäre, daß sie ihre
deutlichen Spuren hinterlassen und gleichsam den: Gesammt-
charakter der Stadt tief eingeprägt hätte; und darum ist
unter all den oben ausgezählten Klassen von Städten nicht
eine einzige, die nicht mit mehr oder weniger Grund Nürn-
berg zu den ihrigen zählen könnte, entweder wegen dessen,
was es noch leistet, oder wegen dessen, was in früheren
Stadien seiner Entwicklung von ihm geleistet worden ist und
als köstliche Frucht seiner Vergangenheit in seinen Mauern
sich aufgespeichert findet.
Fassen wir zunächst alle diese Charakterzüge kurz gedrängt
zusammen. Nürnberg ist die erste Handels- und Industrie-
stadt des Königreichs Bayern und war eine der blühendsten
Handels- und Industriestädte von ganz Deutschland
bis zum 17. Jahrhundert. Es ist und war ausgezeichnet
durch die Pflege der Künste und Wissenschaften und
besaß, so lange es freie Reichsstadt war, aus seinem Gebiete
eine Universität (Altorf). Es war seit den ältesten Zeiten
eine Residenz der deutschen Kaiser und ist jetzt gewisser-
maßen die zweite Residenzstadt des Königreichs Bayern ge-
worden. Es war noch zur Zeit des 30jährigen Krieges
eine der festesten Städte Deutschlands und hat jetzt noch den
Schein einer Festung in solch einer täuschenden Weise, daß
seine woherhaltenen Mauern, Thürme, Bastionen und
Gräbeu zu den allerhervorstehendsten Zügen der Stadt ge-
hören. Es übt eine mächtige, von Jahr zu Jahr wachsende
Anziehungskraft auf alle Fremde::, Deutsche wie Nicht-
deutsche, aus durch die Fülle der edlen Genüsse, die es
bietet, besonders aber durch die originelle, so scharf aus-
geprägte und schöne Individualität, die es in: Laufe der
Geschichte gewonnen und sich erhalten hat, und ist daher
eine Stadt des edelsten Vergnügens, eine „Vergnügungs-
stadt" der edelsten Art, wie es eine zweite in Deutschland
nicht gibt. Früher gehörte es sogar zu dieser Klasse von
Städten nicht gleichsam, sondern wirklich. Es war seit den:
15. Jahrhundert ein viel besuchter Badeort wegen des miue-
ralischen Gesundbrunnens, den es ans der Insel Schritt
besaß, des sogenannten Wildbades, und der noch zu Ende
des vorigen Jahrhunderts bestand. Endlich war Nürnberg
bis ins 12. und 13. Jahrhundert eine berühmte, sehr be-
suchte Tempelstadt, ein Wallfahrtsort, und ein
Wallfahrtsort der edelsten Art ist es noch immer; wer da
bedenkt, wie gewaltig der Eindruck ist, den Nürnberg aus
ein jedes deutsche Gemüth macht, welche große Gedanken
und Erinnerungen sich an Nürnberg knüpfen, und in wie
gehobener, feierlicher Stimmung wir uns fühlen, so lange
wir in seiner Atmosphäre weilen, der wird es wohl nicht
seltsan: finden, wenn uns die Schaaren von Deutschen, die
in den schönen Soininermonaten hieher zusammenströmen,
wie Pilger vorkomme», die ein National-Heiligthum be-
suchen, wenn wir Nürnberg den besuchtesten und besucheus-
werthesten Wallfahrtsort der gebildeten Deutschen nennen.
Wo wäre die deutsche Stadt, wo sich das Alles zun:
zweiten Male zusammenfände, oder je zusammengefunden
hätte? Es gab nur Ein Nürnberg und „es gibt nur Ein
Nürnberg". Dies alte Sprüchwort dürfen wir mit vollem
Rechte für die Gegenwart erneuen. —
I.
Wir können uns den so eigenthümlichen Charakter Nürn-
bergs nicht besser klar machen, als wenn wir die so eben an-
gegebenen Züge, welche in der Schroffheit, womit sie voran-
gestellt sind, vielleicht etwas befremden mögen, im Einzelnen
genauer besprechen uub sie dann schließlich ju einem Ge-
sammtbilde wieder zusammenfassen. Wir werden daher
diesen Gang der Darstellung im Folgenden einschlagen.
Zunächst müssen wir aber diejenige Thätigkeit Nürnbergs
ins Auge fassen, welche die älteste ist, diejenige, ans welcher
die übrigen als aus ihrem gemeinsamen Wurzelstocke her-
vorgesproßt sind.
Sie verdient mit um so größerer Aufmerksamkeit ver-
folgt zu werden, als wir nur auf diesem Wege zur Beant-
wortung der Frage gelangen können: Woher kam die außer-
ordentliche Kraft, welche alle diese Blüthen zur Entfaltung
brachte, was waren die Quellen, aus denen dieser Riesen-
baum deutschen Bürgerthums seine Nahrung sog, um sich
aus eigeirer Kraftfülle zu einer so herrlichen Kroile zil er-
schließen ?
Diese Hauptwurzel der Größe Nürnbergs ist sein
Handel. Die Industrie ist erst durch die Anregungen, welche
er brachte, geschaffen worden und hat sich erst mehrere Jahr-
hunderte, nachdem jener schon die Aufmerksamkeit der Mit-
welt auf sich gezogen, 31t einer ähnlichen Höhe erhoben.
Es soll uns also jetzt zunächst die Frage ilach dem Ur-
sprunge und der Entlvicklung des Handels, von Nürnberg
beschäftigen.
Das Allerwichtigste aber unter all den Momenten, die
zusammentreffen mußten, um eine Handelsstadt wie Nürn-
berg zu schaffen, ist feine Lage. Wir können in der Regel
bei jeder bedeutenden Stadt, selbst wenn sie nicht die Größe
des mittelalterlichen Nürnbergs erreicht hat, besonders gün-
stige Verhältnisse in der Beschaffenheit des Bodens oder der
Lage nachweisen, denen sie ihr Ausblühen verdankt. Hier bei
Nürnberg scheint aber auf den ersten Blick nichts von einer
derartigen Guilst der Umstände nachweisbar zu sein. Weder
die sandige Ebene, in der es liegt, noch die kleine Pegnitz schei-
nen uns besonders geeignet zu sein, eine Stadt hervorzubrin-
gen, die mit den glücklich gelegenen Städten an Rhein und
Donau, au Elbe uild Weser zil gleichem Range sich erheben
konnte. Und doch steht die Größe Nürnbergs im innigsten
Zusammenhange mit seiner Lage. Freilich darf unser Blick,
um diesen Zusammenhang zu erkennen, nicht au der Um-
gebung der Stadt haften bleiben, sondern muß sich sofort
zu einer größern Ueberschau erheben. Die Frage, wie gerade
au dieser Stelle ein Nürnberg entstehen konnte, vermag uns
nicht die Topographie der Stadt zu beantworten, sondern
nur die Geographie Deutschlands und Europa's.
Fassen wir in dem Relief, welches die Gebirge Deutsch-
lands bilden, denjenigen Abschnitt näher ins Auge, zu wel-
chem Nürnberg gehört, so sehen wir, daß er eine von milden
Höhenzügeu umschriebene, ziemlich deutlich hervortretende
Ellipse ist. Sie wird begrenzt im Süden und Osten von
dem im Bogen nach Norden zum Fichtelgebirge streichen-
den Fränkischen oder Deutschen Jura, im Norden
von dem nach Westen vorgeschobenen Ausläufer dieses Ge-
birges , welcher unter dem Namen der Fränkischen
Schweiz bekannt ist, und im Westen von dem schwä-
bisch-fränkischen Terrasseulande, welches die Wasser-
scheide zwischen der Regnitz, der Altmühl (Donau), der
Jart (Neckar) und der Tauber (Main) bildet. Sämmtliche
aus diesen Bergen von Westen, Süden und Osten in das
Becken strömenden Gewässer, die beiden Nezat, die Pegnitz,
Schwabach, Wiesen), Aisch, Zenn, vereinigen sich in dessen
Mitte und bilden die Reguitz. Die Ellipse kann also auch
als das Flußgebiet der Reguitz angesehen werden, und
ihre von Norden nach Süden gehende Längenare wird
ziemlich genau durch diesen Fluß und seinen obersten Laus,
der Rednitz heißt, dargestellt. Die ganze Linie der Rednitz-
Regnitz wird nun durch die fast rechtwinklig sie schneidende
Linie der Pegnitz in zwei ungefähr gleiche Theile getheilt,
durch die Vereinigung beider Flüsse mithin ein Punkt be-
zeichuet, welcher sich als das Centrum der Längenare und
folglich als das Centrum der ganzen Ellipse heraushebt.
Dieses orographisch - hydrographische Naturganze hat sich
aber auch in: Lause der Geschichte zu einem ethnographi-
schen Ganzen entwickelt, es ist Mittelfranken gewor-
den, und jenes natürliche, so zu sagen mathematische Cen-
trum hat sich nach den einfachsten Principien, welche die
Anlage von städtischen Ansiedlnngen bestimmen (S. Kohl:
Der Verkehr. S. 104—120), zum Verkehrsmittelpunkte
der von ihm beherrschten Ellipse erhoben. Nürnberg, ganz
dicht bei jenem Vereinigungspunkte der Pegnitz mit der
Regnitz gelegen, ist die Hauptstadt Mittelsraukens
geworden.
Mit welcher innern Nothwendigkeit diese ganze Ent-
wicklung vor sich gegangen ist, zeigt uns auch in sehr schla-
gender Weise ein vergleichender Blick auf den benachbarten,
als Quadrat oder Kreis zu betrachtenden Kessel Böhmens.
Hier sind Gebirge und Flüsse in viel großartigeren Verhält-
nissen und verschiedener ausgebildet. Aber davon abgesehen,
besteht die größte Aehulichkeit zwischen beiden Gebilden, so
daß das Becken Mittelfrankens als eine getreue Nachahmung
Böhmens im Kleinen angesehen werden kann. Ganz beson-
ders tritt sie in den Flußsystemen hervor, da die Moldau
der Rednitz mit der fränkischen Nezat, der obere Lauf der
Elbe der Pegnitz, der untere Lauf derselben der Regnitz, die
Eger der Aisch, die Berannka der Zenn entspricht. Daher
sehen wir denn hier auch eine ganz ähnliche Volks- und
Städtebildung vor sich gehen. Der Kessel ist lange auch
ethnographisch ein Ganzes gewesen, erst Sitz der Marko-
mannen, dann der Bojer, endlich der Tschechen, neben wel-
chen das deutsche Element sitzt, und seine Hauptstadt, Prag,
ist an einer Stelle aufgeblüht, welche ganz und gar der Lage
Nürnbergs in seinem ungleich kleinern Gebiete ähnlich ist. —
Daß nun aber diese im Mittelpunkte Mittelfrankens
gelegene Stadt auch über das zunächst von ihr beherrschte
Gebiet hinaus ihre friedlichen Eroberungen auszudehnen
und ein so wichtiges Glied im großen Verkehre Deutschlands
nnb Europa's 31t werden vermochte, das begreifen wir nur,
wenn wir ihre Lage zu ganz Deutschland und 311 den Haupt-
richtungen des europäischen Handels in: Mittelalter be-
trachten.
Was das Letztere betrifft, so wird sich weiter unten, bei
der Uebersicht über die historische Entwicklung von Nürnbergs
Handel eine bessere Gelegenheit zur Besprechung bieten. In
ersterer Beziehung aber fallt uns nichts so sehr auf, als
daß auch hier wieder Nürnberg als Centrum erscheint,
als der Mittelpunkt Deutschlands. Wie wahr dies zunächst
in rein äußerlichem, mathematischem Sinne ist, geht schon
aus dem Umstaude hervor, daß es so nahe dem Fichtelgebirge
liegt. Viel wichtiger ist es aber, zu bemerken, daß auch,
wenn wir auf die Oberflächengestaltung Rücksicht nehmen,
also jenen Satz im geographischen Sinne verstehen, er nicht
minder wahr ist. Schon wenn wir auf die Gebirge, welche
das Becken Mittelfrankens bilden, unsern Blick richten,
werden wir von der Beobachtung überrascht, daß die eine
Hälfte, der Fränkische Jura, dem Systeme der süddeutschen
Gebirge, den Alpen, angehört, da er als der äußerste Aus-
läufer des Schweizer Jura erscheint, und die andere schon
als der erste Anfang der Gebirge Norddeutschlands, des so-
genannten hercynischen Gebirgssystems betrachtet werden
kann, wovon sie nur durch den Main getrennt ist nnb mit
deren zunächst liegenden Gliedern sie ihrer geologischen Be-
schaffenheit nach gerade so übereinstimmt, wie der Fränkische
Das Sebaldns - Grabmal von Peler Bischer. (Nach einer Photographie.)
294
Fried r. Brinkmann: Nürnberg.
mit dem Schweizer Jura. Eben so aber, wie sich tu dein
unscheinbaren Becken, welches Nürnberg beherrscht, die
beiden großen GebirgssystemeDeutschlands zu einem Verbiu-
dnngsringe zusammenschließen, geht durch dasselbe atich der
ttatürlichste und kürzeste Verbindungsweg der beiden größteit
deutschen Ströme, der süddeutschen Donau und des west-
norddentschen Rheines, und das interessirt ttns hier am
meisten. Beide Flttßsysteme treten, sofern ntan die für den
Verkehr unerheblichen Quellgebiete außer Acht läßt, nir-
gendwo näher zusammen, als auf der Strecke zwischen
Bamberg, dem östlichsten Punkte des schiffbaren Main-
laufes, und Regensburg, dem nördlichsten Punkte des
Donaulaufes. Hier macht die Wasserscheide zwischen Main
uitd Donau die Ellipse Mittelfrankens aus, und rings um
sie greifen die beiderseitigen Nebenflüsse so bunt durcheinan-
der , daß beide Ströme fast;u einem einzigen Strome ver-
wachsen und mit verhältnißmäßig geringer Mühe zu einem
Ganzen gemacht werden konnten, ein Projekt, welches so
nahe lag, daß es schon zur Zeit Karls des Großen gefaßt
tvurde, wenngleich es erst in unserm Jahrhunderte zur
vollendeten Ausführung gekomnten ist. Mitten zwischen
jenen beiden Städten, und zwar an der Hattptpulsader der
Getvässer des Beckens, liegt nun Nürnberg, uub dadurch
wurde ihm offenbar der Beruf, den Verkehr zwischen Rhein
und Donau zu vermitteln.
Nicht weniger günstig war aber seilte Lage für deit Ver-
kehr, der vott Südeit ttach Norden und ttmgekehrt ging,
insbesondere um Schwaben und Bayern mit Thüringen und
Sachsen zu verbinden. Das springt besonders dann in die
Augen, wenn wir bemerken, daß die Liitie der Neguitz
die Fortsetzung der Lechlinie mit ihrer im Mittelalter
überaus wichtigen Handelsstraße ist, und so Nüritberg in
gerader Linie zwischen Augsburg und de>t bedeutendsten
Hansastädten, als Erfttrt, Magdeburg, Braunschweig, Lübeck
liegt. Der Beziehuttg zur Lechlinie verdankte es Niirnberg
iitsbesondere, daß es int spätern Mittelalter das utehr östlich
lind für jenen Hattdelszug weniger günstig gelegene Regeus-
bttrg zu überflügeln und dessen Haitdel itnmer mehr cm sich
zu reißen vermochte.
Diese beideit Linien, die von Südosteit nach Nordwesten
und die von Süden nach Norden, sollten für das Aufblühen
Nürnbergs die wichtigsteit werden. Daß es aber für die so
emporgebrachte Stadt nicht schwierig seilt konttte, auch in den
übrigen Richtungen, nach Westen und Osten, nach Schwa-
ben, Böhmen, Schlesien und Polen Handel zu treiben, ist
von selbst einleuchtend. —
So viel zunächst über die Lage der Stadt. Eben so
wichtig aber wie die Natur des Bodens, ans welchem Nürn-
berg steht, ist unter deit Eletnenteu, aus welchen es ztt seiner
Größe herangewachsen ist, die Natttr der Menschen, die
an dieser Stelle sich ansiedelten, die Art und der Charakter
der Bevölkerung. Deit Grttndstock derselben bilden jeden-
falls Franken. Ztt ihnett kamen aber sehr früh vonSüden
Bayern in beträchtlicher Anzahl, und die hieraus hervor-
gehende Vermischung des rührigen, fein organisirtett Franken
mit deut krafksprudelnden, zähen Bayern muß als eine
äußerst glückliche bezeichnet werden. Dem letztern Eleuteute
möchte es wohl zuzuschreiben sein, daß die Mittelfrauken
sich dttrch Kraft und Schönheit der Gestalt auffallend von
deit anderen Franken aut Main tiud Rhein unterscheiden.
Andererseits ist dieser Ztisatz bayerischen Bltttes aber auch
gewiß erheblich anzuschlagen, um die Energie zu erklären,
welche Nürnberg fast zu allen Zeiten an den Tag gelegt,
deren es aber ganz besonders im Aitfange bedurft hat, um
tiekit noch günstiger gelegenen uttd fchott int Besitze eittes
beträchtlichen Handels befindlichen Städten aufztikommen
und sie sogar zu überflügeln. Der so viel gerühmte „Nürn-
berger Witz"*), worttnter überhaupt Intelligenz, Gewandt-
heit littb Geschicklichkeit verstanden werden, ist freilich ein
echt fräitkisches Erbtheil.
Zu diesen fränkischen und bayerischen Elementen, die es
mit ganz Mittelfranken gemein hat, mischte sich in Nürn-
berg selbst, während der Zeit, wo es hohenstaufisch war,
(1125bis 1250), das schwäbische, ohne daß dieses jedoch
eine jenen beiden gleichkotttmende Bedeutung erlangt hätte.
Wollen wir es in der Geschichte wiedererkennen, so möchte es
wohl nicht allzu gewagt sein, ihm die Besonnenheit zuzu-
schreiben, welche die Special-Geschichtschreiber Nürnbergs
so gerne als auszeichnendeit Charakterzttg der Stadt ztt
allen Zeiten hervorheben. Und tvenn es einett Gruttd hat,
was die Nüritberger seit den Zeiten des Aeneas Sylvins
von sich rühmen, daß sie eine eigene, von den übrigen Mit-
telfranken verschiedene Rasse seien, so muß es besonders der
Zusatz voit schwäbischem Blute sein, was dies bewirkt.
Endlich aber verband sich mit diesen drei deutschen Ele-
menten noch das slavische. Daß die Slaven sich schon sehr
früh (wahrscheinlich schon zur Zeit Karls des Großen) in Mit-
telfraitkeit festgesetzt haben, beweisen nnter Anderm die Na-
men der Flüsse Rednitz, Regttitz, Pegnitz. Später, als
sie sich den Franken unterworfen und das Christeitthum an-
genommen hatten, wttrden sie wahrscheinlich auch nach ein-
zelnen Ortett Mittelfrattkeits verpflanzt und so zutu Anbau
der Gegeitd verwendet. Besoitders müssen sie sich ttach deit
nördlich und östlich von Nürnberg gelegenen Theilen gezogeit
haben. Hier macht sich noch heutigen Tages das slavische
Bltit durch Besonderheiten der Sitten, besonders der Tracht,
nnb durch die Gesichtsbildung so bemerklich, daß mau die
Dörfer gewisser Striche in fränkische nnb slavische eintheilen
sann. Nürnberg selbst wurde ttatürlich von Slaven weniger
berührt, als das flache Laitd, und das mag ein zweiter Grund
fein, warum die Nürnberger sich für eilt gaitz besonderes
Geschlecht halten.
Diese beiden Thatsachen: die Vortheilhafte Lage des
Ortes uitb die Art der Bevölkerung, machen das aus, wo-
mit die Natur Nüritberg ausgestattet hat, tun eine glänzende
Rolle in der Geschichte ztt spielett. Wir wollen .jetzt uach-
zuweisett suchen, wie die Geschichte hier eingewirkt hat, um
die vielfachen, hier schlummerndeit Keime ztt wecken und so
die von der Natttr vorgebildete Größe Nürnbergs zur Wirk-
lichkeit werden ztt lassen.
Als die erste Gunst des Glückes, welche der Gegend
von Nüritberg ztt einer Zeit ztt Theil wurde, wo sich kaum
die ersten Ansiedlungeit dort erhoben habett sonnten r muß
wohl das schoit erwähitte Projekt nnb der Versuch Karls des
Großen angesehen werden, die Redititz mit der Alt-
mühl, und so Main nnb Rhein mit der Donau durch
einen Kanal zu verbinden (utn's Jahr 793). Deitu wenn-
gleich es bei deut bloßen Versuche blieb, so zeigt er doch,
*) Bekannt ist das Sprnchwort:
Hatt i h Venedigs Macht,
Augsburger Pracht,
N strnberger Witz,
Straßburger Geschütz,
littb Wiener Geld,
So wäre ich der Reichste in der Welt.
Weniger bekannt und älter (wahrscheinlich aus dem 15. Iahr-
hnndcrt) ist folgendes:
Het ich Hertzog Jorgen von Bayern Gud,
Und der von Ulm Mud,
Und Hertzog Christoffels von Möitchen Leip,
Und Hertzog Stegmunts von Oesterreich Weip,
Und der vott Nornberchg Witz,
Ich geb tun alle Sachsen nicht ein Switz.
295
Friede. Brink in ct n n: Nürnberg,
wie früh man schon die Wichtigkeit des Beckens von Mittel-
franken für den großen Verkehr erkannte; er blieb im An-
denkeil der folgenden Jahrhunderte, durch ihn mußte die
Aufmerksamkeit derselben hieher gelenkt werden, und so
stellt sich denn sene Erkenntniß der durch die Natur gegebenen
Vortheile als der erste Schritt dar, sie auszubeuten.
In nicht viel spätere Zeit als dieses Unternehmen fällt
wahrscheinlich die Entstehung der ältesten Theile der Burg.
Sie wurde zllm Schlitz der dort liegendeil großen Reichs-
kammergüter und der ganzeil Gegend gegen die Einfälle der
von Norden und Osten andringenden Slaven erbaut, und
ihre Aillage ist zugleich als der Akt anzusehen, worin die
Stadt Nürnberg ihren Ursprung nahm. Denn der Boden
rings umher ist wegen seiner theils ganz sandigen, theils
sumpfigen Beschaffeilheit so uilfrnchtbar und der mensch-
licheil Ansiedlung so ungünstig, daß nicht daran zli denken
ist, als hätte hier zllerst ein Dorf voil Laildbebaueril gestan-
den und dieses sich dann allinälig zu einer Stadt entwickelt.
Hingegen eignete sich die Gegend zur Anlage einer Burg
sehr wohl, da sie als trefflicheil Puilkt dafür ben etwa 230
Fuß über die Pegnitz sich erhebendeii, die ganze Ebene beherr-
schenden Sandsteinhügel bot, in welchen der von dem öst-
lichen Gebirgsrande Mittelfrailkens (denl Fränkischeil Jura)
am rechten User des Flusses nach Westen streichende sandige
Höhenzug ansläuft. Uild unter dem Schutze dieser Biirg
siedeltell sich nun bald am Südabhange des Hügels und
nach llild nach weiter gegen die Pegnitz Kaufleute unb Hand-
werker an, soweit solche von den Herren der Burg, von ben
Reichskammergütern imb von den vielleicht in der Gegeild
eiltstehendell Kirchen unb Klöstern ihren Unterhalt gewinnen
konnten.
Ungleich mehr aber als Kaiser uild Reich that der heilige
Sebald ns, der Schutzpatron Nürnbergs, für das Auf-
schießen des ersten kräftigen Keimes voll Handel unb Ge-
werbe an diesem Orte, und darum ist es bedeutnilgsvoll,
daß noch jetzt dicht neben der Sebalduskirche das Rathhalls
steht. An der Stelle, wo diese Kirche sich jetzt erhebt, ist
nach der Sage eine St. Peter geweihte Kapelle voil dein
heiligen Bonifacins erbaut worden, also schon im achten
Jahrhundert, lind bald darailf siild die Gebeine des heiligen
Sebaldus — von dem die Legende*) sehr viel, die Geschichte
aber auch nicht das Geringste zit erzählen weiß — in ihr
niedergesetzt worden, da der Heilige verordnet hatte, er
wolle da begraben seiil, ivo die feine Leiche ziehenden Ochsen
von selbst still steheil würden, und diese bei der Peterskapelle
hielten. Der Ruhm der Wunderthaten des heiligen Sebal-
dns muß sich sehr rasch verbreitet haben. Denn wir erseheil
aus Lambertns von Aschafsenburg, daß schon ums Jahr
1072 die Gläubigen voil alleil Seiten, auch aus äußer-
deutschen Ländern, z. B. Frankreich, nach Nürnberg gepil-
gert sind, um die Gebeine des Sebaldus zu besuchen.**)
Bekanntlich hat aber llichts so sehr zur Einrichtullg von
Märkten und „Messeil" und zliin Aufblühen voil Handel
unb Gewerben im Mittelalter beigetragen, als das Znsam-
meilströmen der damals so weit zerstreuten Bevölkerung zu
kirchlichen Festen, uild zwar um so mehr, als die Geistlich-
keit diese weltliche Benutzung der kirchlichen Znsammen-
künfte mit günstigem Auge ansah, die eiillnal entstandene
Sitte, ail Feiertagen auch weltliche Geschäfte abzumachen,
meist eiltschieden förderte uild nicht feiten sogar die Räum-
*) Sie ist in zwei sehr alten Handschriflen von Pergament
verzeichnet, die in der Sakristei der Sebalduskirche aufbewahrt
werden.
**) Clara et Celebris valde bis temporibus per Gallias et
memoria 8. Sebaldi in Nürnberg.
lichkeiten der Kirchen selbst zur Anfspeichernng von Waaren
hergab.
Jene Notiz Lamberts von Aschafsenburg gehört zu den
frühesten Nachrichten, die wir über Nürnberg besitzen. Die
allerfrüheste ist nur 20 Jahre älter, aus dem Jahre 1050,
uild das ist eine sehr auffallende Thatsache, da doch manche
viel kleinere Orte ans der Umgegend, als Fürth, Erlangen,
Augsburg, sogar Dörfer wie Hersbruck, früher von der
Geschichte erwähnt werden, unb Nürnberg schon vor dem
Jahre 1050 von einiger Bedeutung gewesen sein muß.
Denn in diesem erscheint es bereits als Stadt (oppidum,
castrum), Uild aus der ältesten Urkunde, die wir über
Nürnberg besitzen, von Kaiser Heinrich IV. im Jahre 1062
ausgestellt, ersehen wir, daß es schon von beffeu Vater,
Heinrich III., also zwischen 1039 und 1056, Marktfreiheit,
Zoll- und Münzrecht erhalten hatte.
Von den einzelnen Privilegien, womit von nun an die
Kaiser Nürnberg als ihren erklärten Liebling reichlich bedach-
ten, wollen lvir nur das Wichtigste erwähnen, — das im
Jahre 1219 voil Kaiser Friedrich II. verliehene „große Pri-
vilegium", die sogenannte Fridericiana. Seine Bedeutung
besteht besonders darin, daß Nürnberg hierdurch von allem
Lehnsnerus und der Landvogtei befreit und unmittel-
bar unter Kaiser und Reich gestellt wurde, die Stadt mit-
hiil ein selbständiges, in sich geschlossenes Gemeinwesen
wurde, mit eigener Verwaltung (die Steuer bürste nur von
der Stadt im Ganzen, nicht von beit einzelnen Bürgern
erhoben werden), mit eigenem Stadtrechte und eigener Ge-
richtsbarkeit, unter dem Schutze des durch den Reichs-
Schultheißen vertretenen Reiches. Außerdem erhielt sie
durch diese selbe Urkunde Befreiung von vielen Zöllen und
Marktrechte an anderen Orten. —
So wichtig nun aber diese Begünstigungen für die Ent-
saltnng von Nürnbergs Handel und Industrie gewesen sein
mögen, so war doch ein gewaltigerer Hebel erforderlich, um
eine Stadt zu schaffen, die sich zu einem Mittelpunkte des
europäischen Verkehrs aufschwingen sollte. Es mußte der
Welthandel in die ihm von mehreren Seiten weit geöff-
neten Thore und das ihm vorbereitete Bett einen seiner
befruchtenden Ströme aussenden, und hiermit kommen wir
beim nochmals auf die Lage Nürnbergs zu sprechen. Wir
haben oben seine Lage zil Mittelsranken und die zu ganz
Deutschland erörtert. Jetzt müssen wir jene zu fast ganz
Europa, zu all' den Ländern ins Alige fassen, welche der
Welthandel im Mittelalter umfaßte.
Dieser zerfiel in zwei Hauptgebiete, die wieder im fernen
Indien ihren gemeinsamen Ausgangspunkt hatten. Das
eine gruppirte sich um das Mittelländische Meer, das andere
um die Ost- und Nordsee. Das letztere wurde von den
seit dem 13. Jahrhunderte größtentheils zum Hansabunde
vereinigten norddeutschen und den flandrischen Städten do-
minirt und blieb in deren Herrschaft bis znm Ende des
Mittelalters. Das erstere hingegen erfuhr eine wesentliche
Veränderung im Laufe dieser Zeit. Anfangs ging der
asiatisch - europäische Handelszug von Konstantinopel die
Donau hinauf und verbreitete sich von da aus weiter in das
Innere von Deutschland, insbesondere von Regensbnrg aus,
welches in dieser Zeit zur wichtigsten und reichsten Handels-
stadt Süddentschlands aufblühte. Seit dem Ende der Kreuz-
züge wandte er sich aber in Folge des Aufschwunges, welchen
während derselben die europäischen Seestädte am Mittellän-
dischen Meere, vorzüglich die italienischen, genommen hatten,
immer mehr von der Donau ab, und Italien übernahm die
Vermittlung zwischen ihm und dem nördlich gelegenen
Binnenlande.
29G
Frieds. Brinkmauu: Nürnberg.
Hieraus ist mm aber auch einleuchtend, wie vortrefflich
Nürnberg lag, um von dem Strome des Welthandels
sich erfassen niib zu einer merkantilen Höhe ersten Ranges
emportragen zu lassen. Denn eben so, wie wir gesehen
haben, daß es der Mittelpunkt Mittelsraukens ist, sodann,
mit welchem Rechte es der Mittelpunkt Deutschlands ge-
nannt werden kann, so sehen wir jetzt, daß es auch die Mitte
zwischen dem nördlichen und dem südlichen Gebiete des
europäischen Welthandels im Mittelalter einnahm. Alle
die einzelnen Beziehungen, in denen wir oben das Vor-
theilhafte der Lage Nürnbergs zu ganz Deutschland aus-
gewiesen haben, stellen sich erst unter diesem Gesichtspunkte,
wenn wir die angedeuteten Linien über die Grenzen Deutsch-
lands hinaus verfolgen und mit den Wegen des Welthan-
dels verknüpfen, in ihrer vollen Bedeutung dar und ge-
winnen so erst weite und großartige Perspektiven.
Zunächst machte sich die günstige Lage zur Donau, als
der großen Verbindnngsstraße mit Konstantinopel und In-
dien , geltend, da der Weltverkehr bei seinem weitern Vor-
dringen nach Norden und Nordwesten Nürnberg nicht wohl
umgehen konnte. Dieses wußte schon zur Zeit, als Re-
gensburg noch in voller Blüthe stand, den von hier und
von dem gerade südlich gelegenen Donauwörth nach Nor-
den und Westen gehenden Handel immer mehr an sich zu
ziehen und sich zu einem Stapelplatze dafür zu erheben.
Schon im 12. Jahrhundert erstreckte sich sein Handel im
Süden bis Passau, im Westen bis Worms am Rheine,
im Nordwesten sogar über die deutschen Grenzen hinaus bis
nach den Niederlanden, dem ersten außerdeutschen Lande in
dem Handelsgebiete Nürnbergs, und überhaupt stand es
damals schoir mit 71 Städten im Zollfreiheitsverhältnisse.
Mit voller Kraft erfaßte der Welthandel Nürnberg aber
erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, seitdem er nicht
mehr vorzugsweise auf der Donau durch die Vermittlung
von Konstantinopel Deutschland erreichte, sondern direkt
von der Levante nach den italienischen, französischen und
spallischen Städten des Mittelmeeres sich wandte und von
Italien, besonders von Venedig ans durch die tyroler
Pässe, lrach Dentschlalld drang. Von nun an sank, trotz
aller Kraftanstrengnngen, die Macht des unter den verän-
derten Unlständen weniger günstig gelegenen Regensburgs
immer mehr, llnd die westlicher gelegeneil Städte, Augs-
burg, Nürnberg, Ulm, erhoben sich auf seine Kosteil.
Der Haupthandelszug der italienischen und morgenländischen
Waaren bewegte sich tu dieser zweiten Periode auf der alten,
noch von den Römeril erballten Straße, von Venedig über
Botzen, Innsbruck und Füßen nach Augsburg,
Kempten, Ulm re. Den größten Vortheil von dieser
Wendung der Dinge hatte llatürtich Augsburg, nächst ihm
aber Nürnberg. Denil es war denl befruchtenden Strome
des Welthaildels gerade entgegen gelagert, so zil sagen in
eben demselben Bette, in welchenr er bis dahin sich fortbewegt
hatte, da, wie wir schon oben hervorgehoben haben, die
Regnitz die gerade Fortsetzlnig der Lechlinie ist, wie sie sich
in ihrer süd-nördlichen Richtung voll der Durchbrechung
der Alpen bei Füßen bis Augsburg und weiter bis zur
Mündung in die Donall bei Donauwörth gestaltet, lind dazu
die von beiden Seiteil keilförmig gegen einander und dem
Fichtelgebirge zu streicheilden Gebirge kalnn einen andern
Weg übrig lassen. Daher nahnl der Haupthandelszug der
italienischen Waaren nach Norden, der früher von Negens-
blirg nach Forchheim, Bamberg liild Erfurt gegangen war,
jetzt von Augsbilrg an zlnlächst seine Richtung auf Nürn-
berg, lind voil da llach Erfurt, Braunschweig lind
Magdeburg, Lübeck, Hamburg unb Bremen. Na-
mentlich stand Erfurt als Hailpttanschplatz zwischen Ober-
und Niederdentschland in regem Verkehr mit Nürnberg.
Noch schwunghafter jedoch als nach dem Nordeil ent-
wickelte sich jetzt der Handel Nürnbergs nach dem Nord-
westell. Was in dem südeuropäischeil Handelsgebiete die
norditalienischen Städte, das waren im nördlichen die flan-
drischen, und was dort Venedig, das war hier Brügge
und später Antwerpen. Wie aber dies das erste Land
außerhalb Deutschlands war, wo die Nürnberger Handels-
verbindungen anknüpften, so erlangte auch kein anderer
Zweig ihres Handels eine solche Bedeutung wie dieser;
liirgendwo stauben sie in einem größern Ansehen als hier,
lind ihre Macht reichte so weit, daß sie sich im 14. Jahr-
hnndert eine völlige Zollfreiheit in Brabant zu verschaffen
wußten.
Zlt diesen vier bis jetzt allfgezählten Handelslinien, nach
Norden (Hansa), nach Nordwesten (Flandern), nach Sü-
den (Italien) und nach Südosten (Ungarn), kamen nun aber
noch vier andere, die sich bis zum Ende des 14. Jahrhun-
derts alle völlig ausgebildet hatten: eine westliche, der
schon oben gedacht ist, llach Worms, Straßburg, Metz
unb Verdun; eine südwestliche, nach der Schweiz unb
nach Frankreich, insbesondere nach Lyon*), wo die
Nürnberger eine eigene Waarenniederlage hatten; eine öst-
liche nach Böhmen, Mähren unb Schlesien; und eine
nordöstliche nach Königsberg, Danzig und Posen.
Fügen wir noch England hinzu, desseil Produkte durch die
Vermittlung der Hanseaten nub der Niederländer in den
nürnberger Handel kamen, unb als äußerstes Grenzgebiet
int Südwesten Spanien und Portugal**), wo unter An-
derm im 15. Jahrhunderte die Familie der Behaim han-
delte, so sehen wir, daß kaum ein Land des civilisirten,
mittelalterlichen Enropa's im weiten Kreise des nürnberger
Hairdelsgebietes fehlte.
Wir wollen tted) einmal einen raschen Blick auf alle
acht tut Einzelnen besprochenen Linien des nürnberger
Handels in ihrer Gesammtheit werfen. Wir werden dann
schließlich noch einmal kurz und schlagend darauf aufmerksam
gemacht, was wir in der Darstellung des nürnberger Han-
dels imntev am meisten hervorgehoben haben, auf das eigen-
thümlich Vortheilhafte der Lage der Stadt. Wir finden
nämlich, daß die diantetral entgegengesetzten Linien ungefähr
dieselbe Läilge haben: so in nordsüdlicher Richtung die Linie
voil Nürnberg nach Lübeck unb die von Nürnberg uad)
Venedig; in nordwest-südöstlicher Richtung die nach Bra-
bant (Brügge) und die nach Ungarn; in west-östlicher
Richtung die nach, Mähren oder Schlesien und die nach
Verdun oder Straßbnrg; in südwest-nordöstlicher Richtung
die llach Lyon und die nach Danzig; mtb daß die längsten
von alleil, dem Bane Enropa's entsprechend, südlvestlich bis
Spanien unb Portugal und nordöstlich über die Ostsee sich
erstrecken. Diese Betrachtung läßt uns aber so deutlich wie
mtv möglich einsehen, wie fern von aller Uebertreibung, wie
richtig im eigentlichsten Sinne des Worts es ist, wenn ant
Ende des 15. Jahrhunderts, wo Nürnberg auf dem Zenith
*) Sie bildeten hier seit beut 15. Jahrhunderte eine eigene
Korporation, ,,bie Jakobiner - Bruderschaft", so genannt reu
dein dortigen Jakobiner-Kloster de Confort, in welchenr sie
ihre Andacht zn verrichten pflegten. Dieselbe bestand noch im
17. Jahrhundert. König Heinrich IV. bestätigte im Jahre 1602
alle die Handelsfreiheiten, welche die Nürnberger seit Franz I.
bis auf ihn erhallen hatten.
**) Im Jahre 1505 errichteten hier nürnberger Kaufleute
in Verbindung mit Florentinern, Genuesen rmd Portugiesen
eine Handelsgesellschaft, mit indische Waaren von Calicnt nach
Europa zn bringen, und, wie es scheint, mit dem glücklichsten
Erfolg.
Friede. Brinkmann: Nürnberg.
297
seiner Macht stand (147t), der berühmte Astronom Regio-
montanus (Johannes Müller von Königsberg in Franken)
in einem noch vorhandenen, an seinen Freund Roder in
Erfurt gerichteten Briefe Nürnberg das „6«ntrnm Europae“,
den Mittelpunkt Europa's und des europäischen Handels
nennt (loeus ille perinde quasi centi’um Europae propter
excursum mercatorum habeatur). —
Wenn also irgend eine Stadt des Mittelalters sich rühmen
konnte, ihr Handel sei ein allseitiger, so war es Nürnberg.
Aber nicht nur in Bezug auf die Richtungen, sondern auch
in Bezug auf die Gegenstände war er ein allseitiger zu nen-
nen. Sie bestanden aus den Produkten all der Länder,
mit denen Nürnberg Verkehr hatte, ans denjenigen der noch
entfernteren Länder, Indiens und Skandinaviens, die ihm
durch die Italiener und die Hanseaten zugeführt wurden,
aus den Manufakturen der Niederlande und Italiens und
aus seinen eigenen, die gemäß dem Worte: „Nürnberger
Hand geht durch alle Land" auf allen Märkten erschienen.
Von der kostbarsten Arbeit des Gewerbfleißes und der Kunst
bis zu deux rohesten Naturprodukte fehlte kaum ein Gegen-
stand in dem nürnberger Handel. In den großen Lager-,
Zoll- und Waaghäusern der Stadt, die sich aus dein Mittel-
alter bis auf unsere Zeit erhalten haben, trafen die feinen
Spezereien des Orients, die kostbaren Seidenstoffe der Ita-
liener, die fexnett Tücher und Lederarbeiten der Niederländer,
die prachtvollen Stoffe, die diese aus der Verarbeitung von
Seide, Sammt uxxd Wolle mit Gold und Silber gewaxxueix,
schlesische Leinwand, englisches Wollerxgarn, seine eigenen
Goldschxniedarbeiten uxxd Kunstwerke zusaxnxnen mit eng-
lischexn Zinn, mit Kxxpfer, PelzXverk, Häuten, Fischbein,
Häringen, Wachs, Oel, Talg aus Skandinavien, und den
Rohprodxxkten der noch halb barbarischen östlichen Völker,
Uxrgarxxs, Polens, Preußens, um von hier aus sich wieder
nach allen Richtungeix bis zu den Grexxzen Europa's zxx
zerstreuen. —
Als die Zeit, worin der Handel Nürnbergs uxxd gleich-
zeitig damit seine Jixdustrie, Kunst und äußere Macht als
Stadt die höchste Blüthe uxxd den größtexx Glanz erreichte,
ist das Exxde des 15. und der Anfang des 16. Jahrhunderts
anzusehexx, in runden Zahlen etwa die 50 Jahre von 1480
bis 1530. In diese Periode fallen aber auch die beiden
wichtigen Ereignisse, welche eine Revolxxtion in dem ganzen
exxropäischen Haxxdel hervorriefen und später ixx ihren Folgen
die Größe Nürnbergs untergraben und zuxn Stxxrze bringen
sollten, die Entdeckuxxg Axnerika's und die des See-
xvegs nach Indien xxxn das Kap der gxxten Hoffnung
(1498). Letztere erwies sich natürlich als besonders unheil-
voll für Nürnberg xnxd exxtzog ihm allmälig fast den ganzen
Zwischenhandel. Freilich dauerte es lange, ehe diese Folgen
in ihrer ganzen Entschiedenheit sich darstellten, in Nürnberg
vielleicht länger, als in irgend einer andern der von deux
gleichen Schicksale bedrohten Städte. Anfangs wirkten
manche Umstände ein, xxxn die Veränderung zu verlang-
samen, unter Anderin der lange verbreitete Glaube , die in-
dischen Waarexx verlören an Güte durch den Traxxsport zxx
Wasser, und daher sind ixn 16. Jahrhundert noch keine er-
heblichen Spuren des Verfalls zxx bemerken. Uxn so plötzlicher
und schroffer treten sie aber im 17. hervor, xvo das unverxneid-
liche Schicksal noch durch die fürchterlichen Schläge, welche
der dreißigjährige Krieg dem ganzen deutschen Leben versetzte,
und dxxrch die kolossalen Opfer, die iixsbesondere Nürnberg
bringen xnußte, beschleuxxigt wurde. Und was von Wohl-
stand, Haxxdel und Gewerbthätigkeit das 17. Jahrhundert
stehen gelassen hatte, das mähte das folgende und der An-
fang des jetzigen vollends xxieder. Theils war es die dem
Handel Nürnbergs feixxdselige Haltung der anderen deutschen
Staaten, die sich in den zahlreichen Durchgaxigszöllen,
Mauthen und Einfuhrverboten voxx nürnberger Manufak-
turen bekundete, theils die geXvaltige Kriegsnoth, die in
Folge der französischeix Revolxxtioxx über Deutschland herein-
brach uxxd dxxrch Freund und Feind sich gleich fühlbar machte.
So erhob der fraixzöstsche General Jourdan 1796 bei einem
sechszehntägigen Axxfexxthalte ixx Nürnberg eixxe Koxxtribution
voxx 1V2 Millionen Gulden, und das Jahr darauf leerten
die Kaiserlichexx das ganze Zexxghaus. Bei den folgenden
Occupatioixen nahm überhaupt ein Jeder, was zxx xxehmexx
sich lohixte, aus Kirchen und Häusern, öffentlichen und
Privat-Samxxxlungen, eine Menge Kunstwerke wxxrden ge-
raubt, verschleudert, uxxd einzelne verschwanden spurlos.
So kam es denn, daß die Einwohnerzahl, die zur Zeit der
größten Blüthe sich auf etwa 100,000 belaufen hatte, all-
xnälig auf 27,000 herabsank, und daß die einst so reiche
Stadt, die fast jedes Jahr einen beträchtlichen Theil ihrer
Einkünfte zurückzulegen verxnocht hatte, ixn Jahre 1806,
als sie durch die Rheinbunds-Akte an Bayern fiel, eixxe
Schuldenlast voxx 10 Millionen Gulden hatte.
Hierxnit war bettn Nürnberg auf dem tiefsten Puxxkte
feitter Erniedrigung angelangt, und von da an beginnt mit
dein AufschXvuxig, welchen bald xxach jenenx Jahre das ganze
deutsche Volk nayin, ein neues, viel versprechendes uxxd
durch seine Schnelligkeit überraschendes Aufstreben, das zwar
vorixehxxxlich ans dein Gebiete des Gewerbfleißes hervortritt,
aber axxch ixn Handel sich so bexnerkbar xnacht, daß Nürnberg
in diesem Betrachte jede andere Stadt des Königreichs
Bayern überragt. Die Gegexxstände liefert ihxn allerdings
hauptsächlich die Jndxistrie der Stadt, und deinnächst die
Umgegend. Er besteht besonders in Maxxufakturwaaren-
handel und Laudesprodukteuhaxidel, in welchem Tabak,
Hopfexi und Getreide eixxe hervorragende Stelle einnehmen.
Von den äußeren Umständen, die den Haxxdel bei seinem
Wiederaufleben begünstigt haben, sind wohl besonders die
Vollendung des Ludwigskanals mit Anlage eixxes Frei-
hafens und die Eisenbahnbauten zu xxenuen. Von
letztereix hat man zwar vielfach behauptet, sie brächten dein
Haxxdel Nürnbergs Schaden, und scheixxbar spricht für diese
Ansicht der so veränderte Anblick, welchen die einst so beleb-
ten Straßen uxxd Plätze, xvo Güter auf- uxxd abgeladen
Xvurden, jetzt darbieten. Sie ist indessen doch nicht gegrün-
det, und das Xvird sich immer entschiedener herausstellen, je
xnehr xnit der Vollenduxxg der jetzt im Bau begriffenen oder
projektirten Bahnen die Wichtigkeit Nürnbergs als Kno-
tenpunkt des Verkehrs sich geltend xnacht. Freilich
Xvird dies xxicht ixx betn Grade geschehen, wie die oben erör-
terte Lage Nürnbergs es eigentlich verlangte xxnd rvie es
xnit Nothxvexxdigkeit geschehen müßte, wenn xxicht die beiden
dxxrch künstliche Mittel exnporgebrachten Hauptstädte Süd-
deutschlands, Stxxttgart und München, einen großen Theil
des Verkehrs, der naturgemäß über Nürnberg gehen xvürde,
so sehr nach Süden gezogen uxxd soxxxit die Bedeutung eines
HauptknotexxPunktes des Eisexxbahxxverkehrs, der sich natur-
gemäß aus Nürnberg concentriren sollte, zum großen Theile
Augsburg zugexvendet hätten. —
Globus VI. Nr. 10.
38
298
M. v. Bulmerrncq: Die Jahrmärkte Rußlands rc.
Dìe Jahrmärkte Rußlands, insbesondere jener von Rlschni-Nowgorod.
Von M. v. Bulmerinrq in St. Petersburg.
(Lin Blick auf eine "Karte Eurvpa's zeigt uns ein
dichtgedrängtes Netz von Städtenamen auf der westlichen
Hälfte unseres Erdtheiles; auf der flachen, großen Olt-
seite dagegen erscheinen sie nur dünn gesät. Trotz der
ungeheuren Ansdehnung des europäischen Rußlands,
welches bekanntlich die Hälfte des Gesammtareals von
Europa ausmacht, steht die Zahl seiner Städte und
Flecken (598) noch unter jener des 18mal kleinern Eng-
lands (815), oder Preußens (über 900), des neunmal
kleinern Frankreichs oder Oesterreichs.
Viele von diesen Städten der sarmatischen Tiefebene
haben nur noch eine geschichtliche Bedeutung, etwa als
Stammsitze der früheren Theilfürsten, durch welche nach
Jaroslaws Tode im 11. Jahrhundert die Alleinherrschaft
zersplittert wurde.
Kommerzielle oder industrielle hervorragende Größe
unter den russischen Städten zu suchen, wäre fruchtlos.
Nur an den äußersten Endpunkten des Czarenreichs, im
Westen, Nordeil und Süden erblühten handeltreibende
Städte, welche theilweise dem westlichen Europa den kleber-
schuß der russischen Nohproduktion zuwendeten: so Ar-
changel Holz, Petersburg und Riga Hanf, Talg, Bor-
sten, Häute und Odessa Getreide. Industrielle Bedeutung,
jedoch nur für den Binnenverkehr, erlangte namentlich
Moskau, das geschichtliche Centrum des Reichs, wohin
schon im 14. Jahrhundert der regierende Großfürst Daniel
seinen Sitz verlegte; in Folge dessen zogen Handwerker,
Künstler und Gewerbtreibende aller Art dorthin, um den
Bedürfnissen des Hofstaates und der Bojaren zu genügen.
Aber kein ausländischer Artikel gelangte während dieser
Periode und in den beiden folgenden Jahrhunderten auf
altrussischen Boden, denn das damals mehr asiatische
als europäische Reich stand in gar keiner Verbindung oder
Wechselwirkung mit dem Abendlaude. So hat sich seit
Peter dem Großen, der den Pfad nach Europa durch sein
Vorrücken an das Baltische Meer erschloß, und seit
Katharina der Zweiten, welche die Nordküste des Schwar-
zen Meeres den Türken nahm, die eigentlich russische
Betriebsamkeit aus einheimischem Boden entwickelt, fast
ganz ohne Zufluß oder Aufmunterung von Außen. Ein
ähnliches Beispiel in der Geschichte liefert China, wo jedoch
geographische, klimatische und politische Verhältnisse, zu-
sammengenommen mit der eigenthümlichen Anlage mnd
Begabung des Volkes, die Industrie reicher und schöner
erblühen ließen, als auf den Ebenen Rußlands, das dritt-
halb Jahrhunderte lang unter dem Tartarenjoche seufzte.
Von Moskau, dem alten Czarensitze, ging strahlen-
förmig die Industrie nach allen Seiten aus; sie umfaßt
namentlich das ganze Stromgebiet der Oka, jenes gewal-
tigen Nebenflusses der Wolgaj bis hinauf nach dem Gou-
vernement Orel. Nördlich von Moskau sind die Gouver-
nements Jaroslaw, Kostromä und Nischegorod industrielle
Bezirke; hervorragend ist das Gouvernement Wladimir
mit dem Dorfe Jwanowo, dem „russischen Manchester"! So
prahlerisch dieser Name klingt, so ist doch für das innere
Rußland Jwanowo eine Art von Aequivalent für Man-
chester. Natürlich dürfen die Fabrikate weder in Qualität
noch Quantität mit einander verglichen werden, aber der
russische Bauer macht auch an sein baumwollenes Hemde
geringe Ansprüche; wenn es nur recht grell roth gefärbt
ist und an der Achselhöhle einen großen viereckigen dunk-
lern Einsatz hat, so ist seinen bescheidenen Anforderungen
genügt.
Handel und Industrie gehen Hand in Hand, denn
nur wo die letztere auf Absatz rechnen darf, erblüht sie.
Daher ist fast das ganze Stromgebiet der Oka der Sitz
eines beständig eil Handels geworden. Beständiger
Handel, wie fremd klingt dieses Wort dem europäischen
Ohre! Wo in Deutschland, England, Frankreich, selbst
dem zurückgebliebenen Italien, gibts ein Städtchen oder
Dörfchen, wo nicht zur Stunde das Nothwendigste für
den Lebensbedarf herbeigeschafft werden könnte? ' Sogar
Luxusartikel sind fast überall zu haben; was fehlt, könnte
in wenigen Stunden der nächste größere Ort liefern.
Anders in'Rußland. Die'spärliche Bevölkerung,
namentlich an: Nord-, Ost- und Südrande des Landes,
hat noch nicht die Nothwendigkeit ununterbrochener Han-
delsbeziehungen hervorgerufen; auch könnten dieselben
schwerlich gedeihen bei 120 Menschen auf der Quadrat-
meile im Gouverneulent Astrachan, oder gar 20 im Gou-
vernement Archangel. Zudem weichen Sitten, Lebensweise
und namentlich Bedürfnisse um so entschiedener vom Abend-
lands ab, je weiter wir nach Osten vordringen. Das alte
Tartarenreich Kasàn z. B., das sich in der Mitte des 16.
Jahrhunderts vor dem russischen Scepter beugte, enthält eth-
nographisch bis heute weit mehr mongolische, als kaukasische
oder indo-germauische Elemente, und die meisten, den Euro-
päern zur zweiten Natur gewordenen kleinen Bedürfnisse
des täglichen Lebens, zu deren Befriedigung nur die ent-
ferntesten Länder und Weltgegenden ausreichen, sind den
Söhnen des Ostens noch fremd. Austausch der Erzeugnisse
findet aber nur dann statt, wenn das Bedürfniß nach
Fremdländischem sich geltend macht. Der Ueberschuß der
eigenen Erzeugnisse veranlaßt noch keinen großen Handel.
So erklärt es sich, weshalb bis jetzt in einem großen
Theile Rußlands der An- und Verkauf der zu verbrau-
chenden Gegenstände auf eine bestimmte Zeit im
Jahre reducirr ist. Der Handelsmann fände bei un-
unterbrochenem Angebote keinen Absatz, der Verbraucher
aber zeigt kein ununterbrochenes Bedürfniß.
Das europäische Rußland ist deshalb recht eigentlich
das Land der Jahrmärkte.
Fast in 4000 verschiedenen Ortschaften des Reiches
sind Jahrmärkte, wenn wir alle Dörfer hinzuziehen, in
Denen einmal im Jahre, bisweilen nur auf die Dauer
eines Tages, ein Wollmarkt, Pferdemarkt oder dergleichen
abgehalten wird. Die großen Märkte suchen wir vor-
zugsweise im Süden des Reiches, in den Stromgebieten
des Don und des Dnjepr; die wichtigsteil werdeir in der
östlichen Hälfte Rußlands, in Rischili-Nowgorod und
Jrbit abgehalten.
Der Handel in der Region des Borysthenes (Dnjepr)
wird durch den fühlbaren Mangel an Verbindungswegen
sehr beeinträchtigt. Der Dnjepr selbst ist nur von Orscha
(Gouvernement Mohilew) bis Kremeutschug (Gouverne-
ment Poltawa) schiffbar; die weiter abwärts liegenden
Stromschnellen gestatten eine Schifffahrt höchstens im
Frühjahr, nach dem Anschwellen der Gewässer. Der
Binnenverkehr ist ungleich größer, als die Verbindung
liach Außen. Aber auch der erstere hat bis jetzt nur
größere Jahrmärkte, und noch keinen beständigen Handel
hervorgerufen. Die großen Messen im Gebiete des Dnjepr
sind: die Elia smesse (oder Jljiusnaja) in Poltawa,
die Korennaja bei Kursk; sie hat ihren Namen von
einem 25 Werst von Kursk gelegenen Dorfe, die Onu-
friewsche, nach einem Heiligen der griechischen Kirche
M. v. Bulmerincq: Die Jahrmärkte Rußlands rc.
299
benannt, in der Stadt Berdytschew im Gouvernement
Kiew, die No mansche in: Städtchen gleichen Namens
des Gouvernements Poltawa; der Jahrmarkt zu Kro-
tewetz im Gouvernement Tscherniqow, und endlich jene
zu Jekaterinoslaw, zu deutsch Katharinen-Ruhm
oder Verherrlichung, denn die große Kaiserin gleichen
Namens legte hier in Gegenwart des Kaisers Joseph II.
den Grundstein zu einer griechisch-russischen Kirche, um
welche allmälig eine Stadt entstand.
Im Stromgebiete des Don ist die Zahl der alljähr-
lichen Jahrmärkte ebenfalls groß. Die bekanntesten sind:
Rostow am Don, die Jlrjnpinskaja Stanitza im
Lande der dänischen Kosaken und ganz besonders Char-
kow, das vier Messen im Jahre hält; die wichtigste
ist während des Festes der heiligen drei Könige, und
deshalb bezeichnet man sie als Kreschtschenskaja oder
Taus-Messe. Endlich gedenken wir am Dnjestr noch
des Jahrmarktes zu Kishiniow (Kischenew), dem
Hauptorte der halb türkischen, halb russischen Landschaft
Bessarabien.
Der wichtigste Jahrmarkt ist aber jener von Nischni-
Nowgorod, zu deutsch die untere Neustadt. Die
Benennung „untere" deutet aus das noch auf den Höhen
des Waldaigebirges gelegene Alt-Nowgorod, zu deutsch
Naugarten, am Ausfluß des Wolchow aus dem Jl-
mensee hin. Dieses Nowgorod oder Neustadt hat seinen
Namen von dem Warägerfürsten Rurik, der, _ im Jahre
862 von den Slaven nach Rußland berufen, seinen Auf-
enthalt in der Stadt Belosero am Weißen See (oder
Belhe osero) uu jetzigen Gouvernement Nowgorod nahm
und erst zwei Jahre später in eine andere Stadt über-
siedelte , welche den Namen „neue Stadt" erhielt. Die
geographische Lage Nischni - Nowgorods eignet sich vor-
trefflich zu Handelsbeziehungen, da der Ort auf der
Scheide zweier großen Völkergruppen liegt; östlich woh-
nen viele Tartaren und verschiedene Völker finnischen
Stammes, westlich Russen. Außerdem verbinden sich
hier zwei Flüsse: die breite und schiffbare Oka uui)
„der König der Ströme Europa's, die Lebensader des
russischen Reiches", die majestätische Wolga. Vermittelst
des großen russischen Kanalnetzes, das alle Gewässer Ost-
Europa's unter einander verbindet, kann Nischni-Now-
gorod die dort umgesetzten Waaren weit und breit ver-
senden. Es liegt so recht in der Mitte, etwa in gleicher
Entfernung vom Schwarzen und vom Weißen Meere,
und im Mittelpunkte zwischen Torneä und den südwest-
lichen Häfen des Kaspischen Meeres.
Schon früh entwickelte sich am mittlern Lauf der
Wolga ein Austausch der Erzeugnisse zweier Erdtheile.
Anfangs war Kastln der Sammelplatz von Käufern lind
Verkäufern. Die Tartaren jedoch legten den russischen
Kaufleilten viele Hindernisse in den Weg. Aber die
russische Regierung griff durch und verbot ihren Unter-
thanen den Handel mit Kasan, und bald entstand ein
neuer Handelsplatz in dem Städtchen Makariew, ober-
halb Kasan, an der Wolga, im Gouvernement Nishegorod.
Man muß diesen Punkt nicht verwechseln mit einem an-
dern Makariew, das im Gouvernement Kostromä liegt.
Gleich Mekka, dessen kommercielle Bedeutung bekanntlich
nur eine Folge der von allen Weltgegenden alljährlich
herbeiströmenden Pilgerschaaren ist, ward Makariew An-
fangs Sammelplatz von Kleinkrämern, die ihren Vortheil
während des Jahrestages des heiligen Macarius, des
Schutzpatrons der Stadt, suchten und fanden. Zur Ver-
ehrung dieses Heiligen der griechisch - russischen Kirche
kamen alljährlich viele Gläubige herbei. Als aber die
Kleinkrämerei eine beträchtliche Ausdehnung gewann, er-
schienen in Makariew zum „Tempelfeste" russische uud
asiatische Kaufleute in immer größerer Anzahl, und zu
Anfang unsers Jahrhunderts wurde Makariew, trotz des
sandigen Bodens, welcher die Zufuhr der Waaren sehr
erschwerte, ein wichtiger Handelsplatz. Als im Jahre
1816 die Meßgebäude in Feuer aufgingen, ward die
Gelegenheit benutzt, um dem periodischen Handel eineil
passenden Ort anzuweisen; man verlegte den Markt nach
Nischni-Nowgorod.
60 mächtige steinerne Gebäude sind ausschließlich zu
Meßzwecken aus dem Winkel zwischen dem rechten Ufer
der Wolga und dem linken der Oka erbaut. Ein breiter,
schöner Boulevard trennt diese letzteren, die das Centrum
des Jahrnlarkts bilden und über 2500 Verkaufslokale
enthalten, in zwei Hälften. Man umgab das Ganze
mit einem Kanalgürtel, doch sind jetzt schon jenseits des
Kanals große Reihen hölzerner Gebäude mit über 4000
Verkaufslokalen entstanden, in denen namentlich schwere
Güter aufgespeichert liegen. An der Hauptpromenade, dem
Boulevard, liegen zll beiden Seiten Läden für zumeist
ausländische Galanteriewaaren. Die übrigen Waaren (mit
Ausnahme des Thees) sind zumeist russischen Ursprungs;
diese bilden etwa fünf Sechstel der ganzeil Zufuhr.
Abseits vom Boulevard liegen in ungeheueren Massen
Pelzwerk, russische Judustrieprodukte, Drogueriewaaren rc.
zum Verkauf; anr Kanal folgt die sogenannte chinesische
Linie, noch weiter am Ufer der Wolga zeigt sich die sibi-
rische Reihe, wo ganze Hansen von Thee, Baumwolle,
Bast, hölzernen Geräthen und dergleichen Gegenstände
ihre Abnehmer erwarten. Auf der Wolga selbst schau-
keln sich unzählige Schiffe, beladen mit Mehl und Korn,
von welchen manchmal fünf Millionen Pnd ausgeführt
werden. Die Kornkammer Rußlands, die den Ueberschuß
ihrer Schätze nach Süden in das Ausgangsthor Odessa
sendet, die wohl angebauten Gouvernements Orel, Tula,
Rjäsan, Tambow und Pensa gehören sämmtlich dem
Stromgebiete der Wolga an und spenden freigebig zur
Zeit der Messe in Wahrheit das tägliche Brot sowohl
dem entfernten Finnländer, wie denr noch entferntern
Samojeden, oder gar der europäischen Bevölkerung Ost-
sibiriens, da der einzige den Ackerball begünstigende Bo-
den Sibiriens, das „sibirische Italien", oder wie es merk-
würdiger Weise auch genannt wird, die Steppe des Jr-
tysch, nur erst geringen Ackerbau hat.
Der Jahrmarkt fällt in den Jilli. Sobald die Ströme
frei von Eis sind, schwimmen von allen Seiten schwer-
beladene Schiffe herbei. Einer amtlichen Verordnung zu-
folge darf der Jahrmarkt erst anr 15. Juli alten Styls
beginnen; danil wird er mit kirchlicher Feierlichkeit und
Glockengeläute eröffnet. Seine Dauer beträgt 40 Tage.
Am 25. August muß er geschlosseil sein, doch beginnt die
Hauptthätigkeit erst gegen den 10. August. Die Kauf-
leute haben Waaren feil, aber die wenigsten sind mit
baarem Gelde versehen. Der Jahrnrarkt zil Nishni ist auch
eine Art von Börse; auf ihm werden die Preise der
Waaren festgestellt, und daher beeilt sich Niemand mit
Einkäufen, sondern schallt vorsichtig liach allen Seiten
um. Höchst interessant ist das vonr wallenden Barte
umfioffeue sinnende Antlitz des gemeinen Rllssen, wemr
er, statt Griffel, Kreide, Bleistift oder Feder zu benutzen,
die bunten Ringe des klappernden Rechenbrettes, ohne
dessen Hülfe er nicht die einfachste Addition machen kann,
auf und nieder schiebt lind im Geiste, aber denilvch halb-
laut, seinen muthmaßlichen „Barysch" oder Vortheil be-
rechnet. Bei der, manchen slavischen Völkern eigenen,
klaren Auffassung versieht er sich dabei nur selten. Dem
Russen Hilst bei Erzielung des „Barysch" auch die
Zungeilfertigkeit, mit der er seineil tawar, seine Waaren,
herausstreicht. Dabei blickt scheinbar Giltmüthigkeit
hervor. „Hierher, mein Herr, hierher, bitte gehorsamst
einzutreten, wir haben Mützen, Beinkleider, Westeil" —
oder: „Hier sind Teppiche, Shawls, Kattunkleider" —
und so geht es fort, bis der fürbaß schreitende eventuelle
Käufer iiur deshalb nichts mehr hört, weil ihm bei dem
folgenden Laden ganz dasselbe, oft mit denfelbeil Worten,
zugerufen wird. Mit einem nlerkwürdigen Späherblick
mustert der bereitwillige Verkäufer deil Vorübergehenden
und legt einen besondern Accent gerade auf den Theil des
Anzuges, deil er als einigermaßeil schadhaft anerkennt,
88 *
300
M. v. Bulmerincq: Die Jahrmärkte Rußlands re.
oder er sucht int Nu in seinem Auge zu lesen, was
Jener wohl gebrauchen könnte, und streicht den Gegen-
stand sofort heraus.
Das Gemisch von Trachten ist nicht so bunt, wie
man gewöhnlich glaubt, nicht mehr, als etwa in Marseille,
Triest oder anderen Häfen des Mittelmeeres. Zur Messe
ziehen meist Russen, uild obwohl über 60 verschiedene
Nationalitäten dem Scepter des russischen Alleinherr-
schers unterworfen sind, so kommen doch die entfernten
sibirischen, meist heidnischen und sehr verschieden kostümir-
ten Stämme nicht, oder'nur in einzelnen Exemplaren
zum Jahrmarkt. Fast der ganze asiatische Handel ist in
den Händen der Armenier, namentlich der Verkauf des
Thees. Dieser übt großen, nicht selten entscheidenden
Einfluß ans die Handelsthätigkeit zu Nishni. Jedermann
kauft Thee. Andererseits bedürfen die sibirischen Thee-
händler entschieden der Manufakturprodukte des euro-
päischen Rußlands, und um dazu die Mittel zu
gewinnen, muß mit dem Thee, namentlich wenn das
Ende des Jahrmarkts herannaht, geräumt werden. Aus
diesem Grunde beginnt, wie oben bemerkt, die Haupt-
handelsthätigkeit erst gegen den 10. August, wenn die
Theekrisis vorüber ist.
Sämmtliche Waaren könnten in drei Klassen getheilt
werden: russische, westeuropäische und asiatisches denn
Nischni ist nicht nur der große Markt Rußlands, sondern
er vermittelt auch die Beziehungen Europa's mit dem
fernen Osten. Europa sendet für die Summe von 3 Vs
Millionen Rubel seidene, wollene und baumwollene Stoffe,
Kolonialwaaren und Wein, namentlich Chanrpagner, der
nicht nur die Tafel des reichen Gutsbesitzers ziert, sondern
in einigen Gouvernements des Ostens, z. B. in Perm, noth-
wendiges Attribut jedes Namensfestes, selbst des ärmeru
Beamten, ist. An den Ufern des Don wird zwar Schaum-
wein bereitet, doch ist dieses unter dem Namen Dous-
köje bekannte, brausende Getränk in Rußland verrufen,
und nur angeblich französischer Champagner, der in der
Provinz mit fünf Rubel per Flasche belegt wird, darf
getrunken werden. China liefert jährlich für sieben bis
neun Millionen Rubel Thee, das Liebliugsgetränk der
Russen aller Stände, Chiwa und Buchara senden Pelz-
werk, rohe und gesponnene Baumwolle, aus Persien
kommen Teppiche, Seide lind Baumwolle. Die specifisch
russischen Waaren gehören sowohl der Urproduktion, als
der Manufaktur an. Groß ist die Zahl der Fabrikate
von den Webstnhlen aus der moskauer Gegend: Kattun
und andere Banmwollengewebe aus den Kreisen Murom,
Aleründrowsk und Schüja im Gouvernement Wladimir;
zu letzterm Kreise gehört das schon erwähnte Dorf
Jwänowo. Ferner Hanf- und Flachswaaren, nament-
lich aus der großen Segeltuch - Fabrik zu Kosölsk im
Gouvernement Kaluga; die feinere Linnenindustrie hat
ihren Sitz in der Stadt Jaroslaw an der Wolga.
Wollen- und Seidenprodukte sind stark vertreten. Die
Gesammtindustrie bildet 37 % der ganzen Zufuhr aus
Rußland. Nach dem Bekleidungsmaterial sind Metalle,
sowohl roh als verarbeitet, ein Hauptkontingent Ruß-
lands auf der Messe; Tula's berühmte Fabrik liefert
Waffen und versorgt das ganze Reich mit Samowären,
jenem praktischen uild gemüthlich summenden Apparat
zum Theekocheu. Zwei kleine Dörfer, Päwlowo und
Wössma, im Gouvernement Nischegorod, liefern viele
Messerschmiedwaaren. Die Metallzufuhr beläuft sich auf
23 %. Daun folgen quantitativ Pelzwerk und Leder.
Zu den feinsten Lederwaaren gehören auch die „kosa-
kischen Morgenstiefel" ; insgesammt 13 %. Wein kommt
aus der Krim und dem Kaukasus, namentlich aus der
Provinz Kachetien, und ans den Gegenden am Don
kommen Getreide und Fische, an denen die Gewässer
Rußlands merkwürdig reich sind (wir erinnern nur
an den nicht selten 800 Pfund wiegenden Hausen), Rü-
benzucker wird besonders aus dem Gouvernement Kiew
zugeführt. Diese Artikel bilden insgesammt 11 %. Alle
übrigen auf der Messe ausgestellten russischen Artikel
können aus 16 % angeschlagen werden.
Schließlich möge noch erwähnt werden, daß die Total-
summe aller verkäuflichen Waaren zu Nisni etwa 60
Millionen Rubel ausmacht.
Wir fügen diesem Artikel noch einige Mittheilungen
bei, welche zur Ergänzung desselben dienen können. Sie
kommen von einem Augenzeugen, welcher Nischni-Now-
gorod im Mai dieses Jahres, also kurz vor dem großen
„Budenbrand im Juni", besucht hat.
Die Messe oder der große Jahrmarkt wird in der
eigentlichen Jahrmarktstadt oder jenem Theile Nischni-
Nowgorods abgehalten, der zwischen der Oka und der
Eisenbahnstation liegt. Früher bildete der kaiserliche
Negieruiigspalast mit der griechischen Kirche, und der
steinerne große Kanfhof mit seinen 2521 steinernen, ans
Pfahlwerk erbauten Buden in 60 Abtheilungen gewisser-
maßen den Mittelpunkt des ganzen Meßviertels, heute
aber verschwinden schon diese alten berühmten Baulich-
keiten mehr oder weniger, gegenüber den großen und
schönen steinernen Privathäusern, die in Folge von ein-
tretendem Bedürfniß oder Spekulation bis dicht an die
Eisenbahnstation erbaut sind, und die den Anfang
zu einer ganz neuen und nicht blos während der Jahr-
marktszeit bevölkerteil Stadt bilden, wie letzteres sich von
den übrigen älteren Gebäuden dieses Theils sagen läßt.
Schon jetzt sind diese neuerbauteil, drei bis vier Stock
hohen Privathäuser auch außer der Meßzeit bewohnt, ja
von der Eiseilbahnstation ans ziehe,: sich ganz neue
Straßen bis zu den Ufern der Oka. Diese Häuser ent-
halten nicht nur Verkaufsläden, sondern auch Speicher
und Magazine, um große Quantitäten Waaren in sicherm
Verschluß zu halten und vor den nachtheiligen Einflüssen
einer Übeln Witterung zu schützen.
Unter diesen sichtbaren Zeichen eines mächtigen lind
llachhattigell Aufschwungs hat die Regierung ein doppel-
tes Interesse daran, die die nischni-nowgoroder Messe
besuchenden Kaufleute sowohl in Betreff ihrer Personen,
als auch ihrer werthvollen Handelsartikel auf jede Weise
in ihren besondern Schutz zu nehmen uiid jede Störung
des Geschäftsgangs der Messe fern zu halten. Es hat
denn auch der Kaiser in den letzten Jahren ilicht wie
früher üblich de:: Gouverneur, sondern einen besonders
tüchtigen uild als energischen Mann gekannten General-
adjutanten mit einer entsprechenden Militärmacht nach
Nischni - Nowgorod entsandt, um während der Meßzeit
seilten Sitz im Negierungspalais des Meßplatzes zu
nehme».
Die beiden letzten Messen waren von ausnehmender
Bedeutung, wenigstens wenn mau den Rückschlag berück-
sichtigt, ben einerseits die Aufhebung der Leibeigenschaft
und in Folge davoil die verminderte Produktion von Me-
tallen und Metallfabrikaten, andererseits aber die Auf-
hebung des Seeeinfuhrverbots von Thee di:rch
die miildere Zufuhr voil sogenanntem Karawauenthee
ausüben mußte. Metalle und Metallfabrikate uild chine-
sische Thees bildei: aber die Haupthebel des nischni-now-
goroder Meßverkehrs, und wenn der Verlauf der Messe
trotz der mangelhaftern Zufuhr dieser beiden Artikel ein
günstiger war, so kann man hieraus den sichern Schluß
ziehen, daß sich die Handelsverhältnisse Rußlands im All-
gemeiuen wesentlich gehoben haben müssen, und daß die
Produktion anderer Handelswaaren den Alisfall hinläng-
lich deckt, der durch die mindere Zufuhr von Eisen,
Kupfer und Thee zu ertvarten stand."
Man kann die Messe zu Nischui-Nowgorod mit Recht
eine Weltmesse nennen, dem: es sind ilicht nur europäische
oder speciell russische Waaren, die hierher zun: Verkauf
gebracht werden, sondern diese Messe dient hauptsächlich
zur Begünstigung des russisch-asiatischen Handels, der
von ziemlicher Bedeutung ist. Dieser Handel verfolgt,
abgesehen vom Wasserwege über das Kaspische Meer
F. Brinkman n: Reisebilder aus dem Etschlaude.
301
und die Wolga, im Großen und Ganzen drei Wege:
den einen über Perm, Sibirien (Kiachta) nach China,
den andern über Orenburg mittels Karawanen nach
Chiva und Persien und den dritten durch Vermittlung der
Posten und Stationen in den Kirgisensteppen nach dem
Aralsee und von dort aus weiter in das Innere von Asien,
ein Weg, der von Jahr zu Jahr mehr Bedeutung
gewinnt und den Russen immer mehr Einfluß in Asien
verschafft. Rußland versteht die Beziehungen und Fort-
schritte seines Handels auch politisch vortrefflich auszu-
beuten und seinem Einfluß eine immer größere Trag-
weite zu geben.
Die Geschäfte werden, und dies ist unter den russi-
schen Verhältnissen eine kritische Sache, nicht gegen baare
Zahlungen, sondern auf Wechsel abgeschlossen. Diese
Wechsel, die häufig ein Jahr darüber laufen, werden,
wenn sie von den während der Messe in Nischni-Now-
gorod zahlreich vorhandenen öffentlichen Notaren für-
richtig befunden und kontrasignirt worden sind, von der
Kommerzialbank, die eine Filiale hier hat, eskomptirt,
so daß der Verkäufer, der seinen Preis in Berücksich-
tigung des zu gewährenden Kredits von Hans aus gleich
entsprechend erhöht, eigentlich gar keinen oder nur einen
geringen Verlust hat. Trotz dessen bleibt das Entnehmen
der Waaren auf 6, 12 und 18 Monate Kredit immerhin
eine üble Sache und erschwert den russischen ausländischen
Handel ungemein. Ueberhaupt sind die Kreditverhält-
nisse in Rußland nichts weniger als geordnet, und große
Vorsicht ist in dieser Beziehung bei allen Gelegenheiten
anzuempfehlen.
eisebilder aus den: Etsch lall de.
(Mit einer Ansicht von Schlotz Tyrol.)
Von Friedrich Brinkmann.
II.
M e r a n.
„Ober-Mais bei Meran, den 9. September 1860."
„Die graue Wolkendecke und der unaufhörliche Regen,
die mir bisher die Schönheit des meraner Thals verhüll-
ten, sind endlich verschwunden, und der Himmel hat ein
heiteres Gewand angelegt, ein blaues Festgewand, wie es
dem heutigen Tage, einem Sonntage, geziemt. Es ist
noch früh am Morgen. Die Ruhe und Stille, welche die
Bewohner des reizenden Dorfes, wo ich seit einigen
Tagen weile, stets erquickt, ist doch heilte von besonders
feierlicher Art. Nichts läßt sich hören, als das leise Rau-
schen des Passeyerbaches und dann und wann der
Schall einer Glocke, die von einem der unzähligen nah
und fern im Thale und an den Bergabhängen zerstreuten
Dörfer zu mir herübertönt.
Wie festgebannt stehe ich an meinem Fenster, und habe
ich es eben verlassen, so muß ich gleich wieder dahin zu-
rückkehren. Welch ein Bild liegt da vor den entzückten
Blicken! Den Vordergrund bilden ein prächtiger, nur
durch eine Straße voll mir getrennter Weinberg, ein halb
darin verstecktes Bauernhaus, zu beiden Seiten üppiges
Gebüsch, llild etwas entfernter, ein wenig zur Linken, die
Dorfkirche mit ihrem spitzeil, grünelr Thurme. Ringsum
liegen, ohne alle Ordnung, zwischen Weingärten und
Bäumen zerstreut, die stattlichen Schlösser lind Häuser
des Dorfs. Dahinter, aber etwas tiefer und zur Rech-
ten, zeigt sich das dicht an Mais stoßende Meran, hoch
überragt voir dem Thurme der Pfarrkirche, angeblich dem
höchsten in gailz Tyrol, lind einem näher gelegenen,
viereckige,: Thurme einer alteil Burgruine. Und dieser
Kern des Bildes wird null riligs umgeben von dem
Kranze der majestätisch hingelagerten, theils mit einer-
reichen Vegetation bedeckten, theils von Felsen und Schnee-
feldern starrenden Gebirgen, besoilders fest thalaiifwärts
geschlossen durch die allmälige Erhebung des Thalbodens
zur Töll, die fast auf ihrer Höhe dilrch ein reizend ge-
legeiles, feril sichtbares Dorf gekrönt ist.
Diese Pracht, diese Lebensfülle ist mehr als Alles,
was wir auf unserm bisherigen Wege vom Norden nach
dem Süden gesehen haben. Das ist schon echt südliche
Schönheit und Fruchtbarkeit. Es ist ein Ausläufer süd-
licher Natur, der sich in die noch nordischen Berge hin-
eingeschoben hat.
Für uns Nordländer hat daher der erste Anblick dieser
Gegend etlvas Berauschendes. Nils scheint sie, besoilders
in der jetzigen Jahreszeit, an jedem Tage, wo der blaue
Himmel auf sie niederschaut, in einem festlichen Gewände
zu prangen, jeder Tag scheint hier ein Sonntag zu fein.
Ueberblicken wir von einem weit gebietenden Aussichts-
punkte das gailze imposante Thal, oder streifen wir
in demselben umher, so weit wir wollen, ans der Land-
straße, auf den Fußsteigen, und selbst in den Straßen
der Dörfer, überall fällt uns keine andere Vegetation
auf, als unendliche Nebenpflanzungen und Kastanien-
bäume, nichts von Körneranbau, höchstens hier und da
ein wenig Welschkorn, das meistens zwischen den Reben
selbst wächst. Wegen dieses Mangels der Cerealien in
der Physiognomie der Landschaft vergessen wir, daß der
Mensch dazu bestimmt ist, im Schweiße seines Angesichts
seiil Brot zu essen. Wir glauben, in ein Land gekoinnlen
zu sein, wo dies harte Gesetz liicht besteht, wo der Mensch
von dem Nektar der Trauben uni) der Ambrosia der Kasta-
nien lebt, die ihm, wie wir aller Orten sehen, in der
größten Fülle und Schönheit vor den Augen hangen, daß
er nur zuzugreifen braucht, um sein Göttermahl zu halten
und sein Götterleben zu fristen. Dieser Eindruck der
Gegend wird noch dadurch verstärkt, daß wir nirgendwo
arbeiten sehen. Denn es gibt jetzt llichts zu arbeiten tu
den Weingärten, die so sehnlich erflehte Gluth der Son-
lienstrahlen ist es allein, die noch für den Menschen ar-
beiten kann."
sAus meinem Tagebuches
Diesenr sonntäglichen, zur Ruhe und zum Genusse
einladenden Charakter der Gegend entspricht auch die Er-
scheinung der Bewohner. Sie scheinen Tag für Tag
inl Festgewande zu gehen, so bunt ist ihr Anzug zusam-
mengesetzt. Die Männer tragen einen spitzen, breitran-
digen Filzhut, ein langes Wamms (Joppe) ohne Kragen,
ans grober Wolle verfertigt, statt der Weste ein eng an-
liegendes Leibchen, worüber die breiten, aus Leder oder
Wolle gemachten, mit einem Verbindungsbande vorne und
hinten verseheilen Hosenträger liegen, kurze, eng anschlic-
302
F. Brinkmann: Reisebilder ans dem Etschlande.
ßende, bis zum Knie reichende Lederhosen, einen sehr breiten
Ledergürtel um die Hüsten, wollene Stümpfe, die aber
dasKnie ganz bloß lassen ,und stark ausgeschnittene Schuhe.
An diesen Kleidungsstücken fiub nun alle Farben ange-
bracht, die überhaupt eristiren, und zwar in der buntesten
Zusammenstellung. Am häufigsten ist Noth vertreten.
Es fällt am grellsten in die Augen als Farbe des Uuter-
futters der Joppe, die vorne zu beiden Seiten zurück-
geschlagen ist und so dieses in zwei breiten die Brust ein-
fassenden purpurrothen Streifen sehen läßt. Ferner ist
das Leibchen (Brustlatz) both, zum Theil auch purpurroth,
häufiger aber rosaroth. Außerdem stuften wir dieselbe
Farbe wieder als Einfassung der Beinkleider au der Nath
zur Seite, und der Schuhe, ttuft endlich auf dem Hute
als Farbe des Bandes, das aber oft noch Grün dazu
trägt. Braun ist die Joppe, schwarz der Hut (dieser
manchmal auch grün), die Beinkleider, das Halstuch und
die Schuhe; weiß der Hemdkrageu und die Strüntpfe;
grün die Hosenträger, wenn sie nicht von Leder sind; gelb
die große Schnalle au dem Gürtel, die Quaste auf deut
Hute und zuweilen eine der Schitüre, womit dieser um-
zogen ist, und dazu wird diese Farbe schon genügend
hervorgehoben durch die ttacktett Knie, die Hände uttd die
gar tticht selten italienisch gelben Gesichter. Es fehlt
setzt nur noch das. Violett und Blau, und es scheint
einiges Nachdenken erfordert ztt haben, diese Farbett noch
irgendwo unterzubringen, da alle Theile des Anzugs voit
den übrigen schoit itt Besitz genommen waren. Endlich
aber hat man doch ttoch zwei bescheidene Plätzchett dafür
glücklich ausfindig gemacht. Das siitd die Strumpf-
bänder und die Schnüre um den Hut. Jene sind violett
und unter diesen finden sich auch einige blaue, uttd so
tragen denn die guten Leute die ganze Musterkarte der
Farben itt wirklich seltener Vollständigkeit auf dem Leibe.
Um so auffallender ist es, daß die Frauen, außer
einem sehr faltenreichen, dunklen Rocke, kaum etwas Be-
sonderes, Eigenthümliches in ihrer Tracht haben, wenig-
stens nicht itt derjenigen, worin sie an Werk- und Feier-
tagett sich gewöhnlich zeigen. Früher tvar das freilich
anders, wie wir z. B. aus den Reliefs des Hofer-Denk-
mals itt der iunsbrucker Hofkirche ersehen können.
Der Bau des merauer Menschenschlags ist in Bezug
auf das Knochengerüste ein starker zu nennen. Die
Männer haben in der Regel mehr als mittlere Größe
mrd sind breit itt dett Schultertt und Hüften, wenngleich
häufig nicht so sehr, als es scheint, da die Tracht, na-
mentlich die offene, nach dett Schultertt zurückgeschlagene,
kragenlose Joppe und der Gürtel um die Hüften, sie
breiter erscheinen läßt, als sie sütd.
In der ganzen Haltung aber, im Gauge und int
Gesichtsausdrucke ist allgemein eine gewisse Schlaffheit
auffällig, die man bei so kräftig gebauten Menschen nicht
erwarten sollte. Ist man aber einmal so auf dett Mangel
an Energie aufmerksam geworden ttttft betrachtet sich dar-
auf hin diese scheinbar starken Gestalten etwas schärfer,
so findet man, daß auch die Gliedmaßen, trotz der star-
ken Kttochen, sehr viel zu wünschen übrig lassen. Das
Muskelsystem scheint im Allgemeiiten von schlaffer Faser
und schlecht ausgebildet zu sein. Das erkennt man am
besten au den nur von entern eng anliegenden Strumpfe
bekleideten Beinen, die doch bei den Leuten, als Berg-
bewohtteru, ant stärksten unter dett Gliedern etttwickelt
sein sollten. Aber es ist außerordentlich selten, daß man
eine kräftig hervortretende Wade bemerkt. Unter zehn
Personen habett sicherlich neun dürre Beine, von denen man
nicht recht einsehen kann, tvie sie den starkknochigen Ober-
körper zu tragen vermögen.
Zu solchen Studien über das merauer Volk eignen
sich besonders gttt die Soutttage, au denen die Bauern
von alten Seiten in die Stadt zusammenströmen. Vor
uttd nach dem Gottesdienste am Morgen uttd Nachmit-
tage sieht man die Männer zu Hunderten in mauuigfal-
tigeu, oft sehr malerischen, buntett Gruppen auf dem
Platze bei der Pfarrkirche zusammettstehen. Fällt dem
Auge aber in diesem Wald von Beinen einmal ein Paar
besonders voller Wadeit auf, so siitdet sich in der Regel,
daß ein Mann aus dem Passeyerthale der glückliche Be-
sitzer derselbeti ist. -
Wettn es mir erlaubt ist, eine Vermuthuitg über dett
Grund der auffallenden Erscheittuttg auszusprechen, welche
das merauer Volk in der Schlaffheit des Muskelsystems
bei einem starken Kttochenbau darbietet, so glaube ich,
daß er in der Lebensweise der Leute gesucht werden muß,
und zwar itt dem übermäßigen Genusse des schlechten,
sauren Weins, der hier ganz an der Tagesordnung ist.
Ueberall, wo so viel Weilt gebaut wird, wie in hiesiger
Gegend, wird auch viel Weitt getrunken, uttd ztvar größ-
tentheils schlechter und sehr schlechter. Denn der gute
wird verkauft uttd versandt, der schlechte findet aber keinen
Käufer uttd kattn auch nicht einmal versandt oder aufbe-
wahrt werden, sondern muß sehr bald getrunken werden.
Leider sagt man Letzteres von allem Weine, der hier zu
Laitde wächst, auch dem guteit.
In dem Charakter des merauer Volks tritt eine ge-
wisse Gutmüthigkeit und Menschenfreundlichkeit überall
hervor. Die Leute sind freundlich und gefällig. Sie
weisen dem Fremdett zuvorkommend die Wege, machett
ihn sogar ungefragt auf nähere oder bessere aufmerksam
ttttft grüßen ihn fast regelmäßig. Man vermißt freilich
dabei das Frische und Fröhliche, welches uns im Gruße
des bayrischeit Bauern, besonders im Chiemseeland, so
wohlthttend entgegetttönt. Es liegt in der Art zu grüßen
etwas Gedrücktes, ich möchte fast sagen, Serviles, und es
geschieht meist stumm durch Abnehmen des Htttes, wäh-
fettft der bayrische Bauer itt der Regel, ohne au dett Hut
ztt rühren, uns nur sein herziges, aber stolzes „Grüß
Gott" zuruft. Es kamt indessen sehr wohl sein, daß
dieser Mangel an heiterem Muthe und Selbstgefühl auch
von den gedrückten Vermögensumstäuden der Leute her-
rührt. Diese müssen durch die seit vielen Jahren herr-
schende Traubenkrankheit, die schlechten Weiuerntett und
die immer wachsettde Steuerlast sehr fühlbar gelitten
haben. Auch hier also zeigt sich, wie am Rhein und an
der Mosel, der nachtheilige Einfluß ausschließlichen oder
vorwiegenden Weinbaus auf bett Wohlstand und das
Wohlbesindett der Bevölkerung.
Ich bin in diesen Mittheilungen über das merauer
Volk, namentlich in betten über seine äußere Erscheinung,
etwas weitläufig gewesen, weil ich mir bewußt bin, daß
meine während eines achttägigen Aufenthalts gewottnenen
Eindrücke sich in keinem andern Betrachte so sehr von
demjenigen unterscheiden, was Andere als die ihrigen be-
richtet haben. Denn bisher war es Sitte, lveiln voit dem
meraner Volk die Rede war, ein Gloria anzustimmen.
Ich habe einfach gesagt, was ich im Jahre 1860 gesehen
habe. Was Andere zu anderen' Zeiten gescheit habett
wollen, habe ich hier nicht zu erörtern.
Noch ein Wort über die Abstammung der Merauer.
Auch in dieser Hittsicht siitd allgemein Attsichten verbreitet,
die eben so irrig sind, wie die Vorstellungen von dett
strotzendett Gestalten, die matt hier auf Schritt und Tritt
antreffen soll. Mau glaubt, das merauer Volk sei ein
rein deutsches Geschlecht. Man spricht von deutschen
Recken, die hier unter einem italienischen Himmel sich
das reine Blut und die Kraft des alten Germaueit er-
halten hätten. Wollte Gott, es wäre so! Ein Blick auf
die Erscheinung des Volks und auf die Geschichte beweist,
daß es tticht so ist.
Die Bevölkerung, welche die Römer hier antrafen,
waren die Rhätier, ein Volk, das Einige für Etrusker,
Andere für Kelten halten. Die Römer eroberten das
Land unter August, uttd dieses röntisch-rhätische Gruud-
elemeut erhielt nun tut langen Laufe der Jahrhunderte
vielfache Beimischungen vott Italienern und von Ger-
matten verschiedener Stämme, ittsbesondere seit der Be-
302
",*• uitlmanu: RestU-über am bei'-
t - iDe, bis zum Knie reichende Leder einen sehr breiten
Ledergürtel um die Hüsten, wollene stumpfe, die aber
das Knie ganz bloß lenen ,und . '-/.lchnitteneSst ;-re.
An diesen Kleidn» u ickeu alle Farben -e-
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und zuweilen eine der Schnüre, womit dieser w
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hervorgehoben durch die nackten Kme, die Hände und die
gar nicht fetten italienisch gelben Gesichter. Es kW.
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einiges Nachdenken erfordert zu haben, die- starben
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stimme, insbesondere seit dm >
F. Brinkmann: Reisebilder aus dem Etschlande.
303
Gründung der bajuvarischen Grenzgrafschaft in Botzen von
Bajuvaren.
Demgemäß ist das Bild, welches die jetzige Bevöl-
kerung in ihrem Typus bietet, ein ziemlich buntes, und
aufmerksame Forscher wollen sogar mit Bestimmtheit un-
terscheiden können, ob ein Individuum rein germanisches
oder blos wälsches, oder aus beiden gemischtes Blut in
seinen Adern hat. Das Letzteres regelmäßig der Fall
sein wird, ist nach dem natürlichen Verlaufe der Dinge
als natürlich vorauszusetzen, und das ist der Eindruck,
den die Physiognomie des Volkes als Masse auf uns
macht. Freilich' stößt man nun hin und wieder auch auf
blauäugige, blondhaarige, hochstämmige Burschen von
durchaus deutschem Gepräge, und dieser, wenngleich sel-
tene, aber in der so ganz anders gestalteten großen Masse
des Volks um so mehr auffallende Typus hat in Verbin-
dung mit anderen Thatsachen, namentlich gewissen Eigen-
thümlichkeiten der nierauer Mundart, einige Gelehrte auf
die Vermuthung gebracht, diese den germanischen Typus
in so unverkennbarer Reinheit darstellenden Personen
seien Abkömmlinge von Ostgotheu, die sich nach Vernich-
tung ihrer Herrschaft in Italien in diese Gebirge geflüchtet
hätten. Daß die Sache sich möglicher Weise so verhält,
kann man immerhin zugeben, ohne damit irgend etwas
von dem obigen Urtheile über das vielfach gemischte Blut
des meraner Volkes als Masse zurückzunehmen. —
Schauen wir uns jetzt die Stadt mit ihrer Umgebung
etwas an. Meran ist'ein kleines, nur aus wenigen
Straßen bestehendes, ziemlich eng gebautes Städtchen,
das seinen Ursprung bis aus die römischen Zeiten zurück-
führt und während des ganzen Mittelalters eine nicht
unbedeutende Handelsstadt war, da ein beträchtlicher
Waarenverkehr vom Ober - Jnuthale nach Botzen hier
durchging. Es erstreckt sich der Länge nach neben dem
aus beit Bergen brausend herausstürzendeu und eine halbe
Stunde weiter in die Etsch sich ergießenden Passeyerbache
(der Passer).
Die größte, am meisten belebte, dunkelste und engste
Straße ist die Laubenstraße, so genannt von den zu beiden
Seiten herlaufenden Bogengängen, die von dem ersten
Stockwerke der Häuser wie von Lauben überdacht sind,
wie sie ja auch in anderen alten Städten Deutschlands,
z. B. Bern, gefunden werden. Diese Straße ist für den
Fremden theils darum interessant, weil hier alle Läden
und Handwerkerbuden sind, in denen er etwas zu kaufen
hat, auch die meisten Obsthändler hier stehen, die ihn mit
Trauben versorgen, noch mehr aber darum, weil viele
jener Läden und Werkstätten nach der Straße zu offen
sind und so schon an die Städte Italiens erinnern.
Eben dahin weisen die an einzelnen Häusern angebrach-
ten Balköne, oder vielmehr offen gelassene, nur leicht
bedeckte Räume an der Front der oberen Stockwerke, wo
die Leute in freier Luft sitzen und arbeiten, oft so hoch
über dem Erdboden, daß sie auf dem Dache zu sitzen schei-
nen. Bei diesen Hindeutungen aus Italien habe ich mich
um so mehr gewundert, nicht ein einziges Hans mit
flachem Dache anzutreffen, eine Bauart, die doch in so
vielen, weit entfernter liegenden Städten Bayerns und
Oesterreichs zu finden ist.
Dicht neben Meran, nur durch den Passeyerbach davon
getrennt, liegen Ober- und Unter-Mais, die Stelle
der alten römischen Niederlassung Maja, deren Verschüt-
tung durch einen Bergsturz die Veranlassung zur Grün-
dung Merans ward. Es sind dies zwei große Dörfer
mit sehr stattlichen Häusern, die meist weit auseinander
liegen, ein jedes umgeben von einem mehr oder weniger
großen Weinlande und daran stoßenden Gärtchen, welches,
von Weinlaub eingeschlossen und oft auch überdacht, mit
seinen vielen in dieses sich perschlingenden Blumen, Ce-
dern, Feigenbäumen und prächtigen Citronenbäumen schon
ein Bild südlicher Vegetation gewährt. Besonders zeichnet
sich Ober-Mais aus durch seine vielen, alten, aber in
gutem Zustande erhaltenen Schlösser und durch die rei-
zcnde Aussicht, welche wegen der etwas erhabenen Lage
des Orts fast alle Hauser ans Meran und das ganze
Thal bieten. Aus diesem Grunde ist es im Sommer
und Herbste von Fremden für längern Aufenthalt bei
weitem mehr gesucht, als die Stadt selbst, wo es wäh-
rend dieser Zeit drückend heiß und schwül ist. Im Winter
wird natürlich die Stadt vorgezogen. Der Unterschied
zwischen dem Klima beider Orte ist dann vielleicht noch
fühlbarer, als im Sommer, da er vorzugsweise durch
den aus dem Passeyerthale kommenden Wind bedingt
wird, und dieser im Winter von einer schneidenden Kälte
und außerordentlicher Heftigkeit sein soll. Schon im
Herbste ist er manchmal so kalt und durchdringend, daß
man durch die ihm ausgesetzten Fenster hindurch deutlich
den Luftzug bemerkt.
Die Bedeutung Merans als Winteraufenthalt für
Kranke ist bekannt.' Doch soll der Besuch nicht mehr so
stark sein wie früher. Wahrscheinlich wirkt wohl die
immer stärkere Anziehungskraft, welche der westliche
Winkel des Genfer Sees mit seinen vielen Ortschaften,
Montreur, Clärens, Vevay re. auf das reisende Publikum
und besonders ans die zu ihrer Gesundheit reisenden Per-
sonen ausübt, nachtheilig auf Meran ein. Und es scheint
mir in der That, daß im Allgemeinen jene Orte mit
Recht als Winteraufenthalt den Vorzug vor Meran ver-
dienen. Es herrscht dort jedenfalls mehr Leben und Ver-
kehr, und der Anblick des reizenden, mit Dampsbooteu
befahrenen Sees muß im Winter besonders viel werth
sein. Dazu kommt aber noch ein namentlich für Kranke
sehr wichtiges Moment, daß au jenen Orten die Win-
tergäste in sogenannten Pensionen zusammenwohnen
und darum viel Geselligkeit dort herrscht, während in
Meran ein Fremder leicht vereinsamen kann, wenn er
krank ist. Auch möchten wohl die übrigen Annehmlich-
keiten jener Häuser am Genfer See, die ganz für das
Bedürfniß der Kranken eingerichtet, z. B. durch und durch
geheizt sind, in Meran sich schiverlich finden. In Betreff
der Preise ist kein Unterschied. Das Klima Merans
mag aber allerdings ein wenig milder noch sein, als das
dortige, die Lage noch ein wenig geschützter. Wenigstens
rühmt man hier allgemein, daß selbst an den kältesten
Tagen es um Mittag immer so warm sei, daß auch der
empfindlichste Kranke spaziren gehen und in der Sonne
sitzen könne. Auch soll es äußerst selten sein, daß Schnee
fällt, und das, was fällt, gar nicht liegen bleiben, sondern
sofort schmelzen. —
Von der herrlichen Umgebung Merans haben wir
schon oben im Allgemeinen gesprochen, indem wir den
ersten Eindruck wiederzugeben suchten, welchen sie ans
uns machte. Zu einer genauern Kenntnißnahme derselben
laden die sehr zahlreichen, rings umher gelegenen Orte
ein, welche entweder ein besonders malerisches Bild oder
eine besonders umfassende Aussicht gewähren. Unter
diesen nimmt die erste Stelle Schloß Tyrol ein, auch
in historischer Beziehung der interessanteste Punkt der
Gegend, da es bis 1303' Residenz der Grafen von Tyrol
war und die Grafschaft von ihm den Namen erhielt.
Es liegt anderthalb Stunden von Meran, ziemlich hoch
über dem Thale, am sogenannten Küchelberge. Man hat
es aus den meisten Spaziergängen, die man im Thale
machen kann, stets vor Augen, und von allen Seiten
.führen Wege zu ihm hin. Von oben überblickt man die
Gegend stromabwärts neun Stunden, aufwärts sieben
Stunden weit. Hier springt es so recht in die Augen,
welch ein Garten das ganze Land ist. Zu unterst,' zu
beiden Seiten der in mannigfachen Windungen sich hin-
schlängelnden, weit sichtbaren Etsch, dehnen sich saftige,
mit Weidenbäumen an den Grenzen bepflanzte Wiesen
aus. Sie nehmen aber nur einen verhältnißmäßig schma-
len Streifen ein. So wie der Boden sich etwas hebt,
sangen die Weinberge an und sie ziehen sich nun in un-
absehbaren Feldern bis hoch an die Berge hinauf. Wo
sie aufhören, schließen sich die prachtvoll belaubten Kasta-
304
Alfred Brehm: Eine Siadt in der afrikanischen Wüste.
nienbäume an und breiten sich in ganzen Wäldern aus.
In der Ferne erblickt man thalabwärts die rundlichen,
sanften Formen der Berge des botzener Kessels.
Sehr ähnlich ist die Aussicht von der mehr thalab-
wärts gelegenen Burg Lebenberg, jedoch beschränkter,
da man nur thalabwärts sehen kann, wogegen dieser
Punkt den Vorzug hat, daß dort eine gute Wirthschaft
ist, und man in einem kleinen, reizend angelegten Gärt-
chen bei Wein oder Kaffee in aller Behaglichkeit der
Gegend sich erfreuen kann. Seit vielen Jahren war in
diesem Gärtchen während der Herbstmonate regelmäßig
ein freundlicher, noch rüstiger, durch sein stark geröthetes
Gesicht etwas auffallender Herr zu treffen. Er unterhielt
sich gerne mit jedem neuen Ankömmlinge, führte ihn aufs
Zuvorkommendste in der alten Burg umher und erzählte
gerne die alten darauf bezüglicheil Geschichten. Jetzt weilt
er nicht mehr unter den Lebenden. Es lvar ein origineller,
voir Vielen sehr geschätzter, von mindestens ebeil so Vielen
angefeindeter Mann, dem man aber doch nicht mehr recht
zürnen konnte, wenn mail ihn einmal in feinem gemüth-
lichen Treiben auf Schloß Lebenberg beobachtet hatte.
Es war Professor Lassaulr aus München, der hier seit
vielen Jahren seine Herbstferien zubrachte. Sein Anden-
ken wird sich ilvch lange an Schloß Lebenberg knüpfen.
Außer diesen beideil Punkten gibt es nun noch eine
Menge von Burgen, Dörfern und einzelnen Bauernhöfen,
die eine eigenthümlich ausgezeichnete Aussicht bieten, ja
jeder neue Spaziergang, den man macht, enthüllt neue
Reize der Gegend. Die eigentlich malerischen Bilder darf
man jedoch, wie aiich meist anderwärts, llicht von den
wegen ihrer Fernsicht gerühmten und in die Reisehand-
bücher einregistrirten Aussichtspunkten erwarten, sondern
muß sie nach eigenem Urtheile, oder auf gut Glück selbst
suchen. Um ein Beispiel von deil bereits genanllten Orten
herzunehmen, so können sich die Aussichten von Schloß
Tyrol und Lebeilberg trotz all ihrer großen Vorzüge, die
Niemand williger anerkennen kann, als ich, an malerischer
Schönheit mit der von Ober-Mais nicht messen. Unsere
Reisehandbücher siild aber noch nicht so weit gekommen,
diesen so wesentlichen Unterschied zu beachten, und daher
rührt es denn, daß das scheinbar llnmögliche möglich
wird, daß mit gesuilden Sinnen begabte und für das
Schöne nicht unempfängliche Menscheil von einem Para-
diese, wie Meran,.nicht befriedigt werden und in ihren
Erwartungen getäuscht es wieder verlassen. Man darf
sie natürlich nur unter dem großen Trosse der eiligen,
sich überstürzenden Touristen suchen. Einem solchen
kann aber jene Enttäuschung sehr wohl begegnen. Er
kommt z. B. des Abends spät hier an und bestimmt den
folgenden Vormittag dazu, sich in der Umgegend umzu-
sehen, den Mittag aber zur Abreise. In fernem Reise-
handbuche findet er als deir besuchenswerthesten Aussichts-
punkt Schloß Tyrol angeführt. Er hat also am andern
Morgen nichts Eiligeres zu thun, als dies zu besrrchen,
was drei bis vier (stunden erfordert, und wenn er noch
Zeit übrig hat, geht er auch nach Lebenberg. Mehr kann
er in der kurzen Zeit nicht bewältigen. Die Aussichten,
die er auf diesen beideil Burgen genießt, können nun
sehr leicht hinter den hochgespannten Erwartungen, die er,
wie fast ein Jeder, von der berühmten meraner Gegend
hat, zurückbleiben, und ich muß ihm sogar Recht geben,
wenn er sie, im strengen Sinne des Worts, nicht male-
risch schön findet. Er ist verstimmt, er schließt von dem
ihm als das Schönste Gepriesenen auf das Uebrige und
beeilt sich, abzureisen. Hätte er dagegen nur dieselbe
Zeit, die er Meran gewidmet hat, dazu benutzt, ruhig
und unbefangen in der nächsten Umgebung umherzustrei-
sen, nur zu verschiedenen Seiten etwas aus der Stadt hin-
auszuwandern, so würde er seine kühnsten Erlvartungen
übertreffen gefunden haben. So ist meist der sorgloseste
Reisende, der es mit den sogenannten „Merkwürdigkeiten"
eines Ortes am wenigsten genau nimmt, der verständigste,
und so sieht der stets mit dem rothen Buche unter dem
Arm in fieberhafter Aufregung von einer Merkwürdigkeit
zur andern Rennende oft am wenigsten, er sitzt mitten in
der Fülle des Schönen und wird es nicht gewahr, er sieht
den Wald vor lauter Bäumen nicht, das Wort paßt so
recht auf ihn. —
Eine Stadt in der afrikanischen Wüste.
Mursuk [in Fessà, dem Lande der alten Garamanten.
Die kleinste Ansiedlung des Menschen im Meere des
Sandes erscheint dem Wanderer wie ein Ort der Ruhe
und des Friedens. Hier hat der Herr der Erde einem
todten Stück Erde das Entsetzliche genommen; hier bekundet
sich mitten in der Oede die Größe des Meuschengeistes.
Er hat dem Saude Leben abgerungen, in der Einöde
seinen Zauberkreis gezogen; er hat der verdorrenden
Gluth des Flugsandes ein Ziel gesetzt und den Segen des
allbelebenden Wassers zur Geltung gebracht. Während
ringsum in der Wüste alles Wasser durch den Saud ver-
drängt und von ihm ersetzt zu sein scheint, übt es in der
Oase, in der Nähe des Brunnens seine gewaltige und
doch so milde Macht, die Erde mit frisch grünem Kleide
zu schmücken. Ueber die Oase haucht der Giftwiud
Samüm seinen verderbenden Odem, ohne das Verder-
ben wirklich herbeizuführen, denn das Wasser lähmt seine
verheerende Gewalt. Darum sind Brunnen und Oasen
Friedeusorte in der Wüste; Orte des Friedens, denn hier
ruhet der ewige Kampf zwischen Saud und Wasser, wel-
cher, je nachdem der Eine oder das Andere den Sieg
errungen, eine Wüste oder ein lachendes Gelände jnv
Folge hat; Orte des Friedens, weil auch der Reisende,
welcher während des Zuges durch die Wüste ohne Rast
und Ruhe vorwärts strebt, [nur hier die Ruhe und den
Frieden findet.
Zur Entstehung einer Oase ist eine becken- oder thal-
artige Vertiefung der Erdoberfläche nothwendige Be-
dingung, weil ohne einen sprudelnden Quell, wenigstens
ohne Brunnen ein reicheres Pflanzenleben nicht denkbar
ist. Wasser, aber wird in der Wüste blos in höheren
Gebirgen oder tiefen Einsenkungen gefunden. Nun darf
man sich unter dem Wüstenbrun neu feinen sprudelnden
oder murmelnden Quell denken, wie wir sie bei uns zu
sehen gewohnt sind, keinen Quell, dessen kräftigendes Naß
im Staude wäre, einen frischen, grünen Rasenteppich und
Schaaren lieblicher mit den Wellen plaudernder Blumen
zum Leben zu rufen; — das Wasser sickert gewöhnlich
tu Felseuspalten zusammen und fließt von dort aus wie
verkümmert weiter, wenn es wirklich zunt Fließen stark
genug ist. Aber gleichviel: es ist vorhanden, und sein
Segen ist nicht minder groß, als irgend wo anders, ja
hier scheinbar noch größer. Um den Quell selbst siedelt
bald eine Pflanzenschaar sich an; matt weiß nicht, auf
lvelchem Wege ihr Samen bis hierher kam. Ob es wohl
Alfred Brehm: Eine Stadt tu der afrikanischen Wüste.
305
der Sandsturm war, welcher von fernher den Keim zu
den anspruchslosen Mimosen, Sennespflanzen und
anderen niederen Kräutern herbeitrug und hier in die
feuchte Erde senkte, daß sieleben, wurzeln, treiben und
das Thal begrünen konnten, so weit der Segen des
Wassers reicht? Wer weiß das! Die Mimosen wnr-
den sicherlich nicht vom Menschen gepflanzt; sie waren
längst vorhanden, als er den Brunnen entdeckte, denn sie
finden sich in jeder Niederung einzeln oder in geringer
Zahl, oder auch zum Haine vereint. Sie allein sind hin-
reichend zur deutlichen Kundgebung, daß das belebende
Wasser die Herrschaft über den ertödtenden Sand sich
erkämpfte; sie grünen und blühen und duften. In ihrem
Schatten gedeiht nun noch gar manches andere Krallt,
in ihrem Schatten lebt das Gedicht der Wüste; denn
die Gazelle ruht in ihm von ihren wirren Wander-
zügen aus.
So faild der Mensch die von ihm in Besitz genom-
mene Oase. Er aber gibt der Pflanzenwelt ihren König,
die Palme, und nun erst wird die Niederung zur Oase,
nun erst lvird sie bewohnbar. Hier ist die Herrliche
Alles in Allem: der König, der voin Liede, von der
Sage Gekrönte, die den Menschen an ben kleinen Fleck
Erde Fesselnde, die ihn Erhaltende und Nährende. Eine
Oase ohne Palmen wäre ein Gedicht ohne Worte, ein
Brunnen ohne Wasser, ein Haus ohne Bewohner. „In
der Wüste wird die Palme zur Palme", zum Bilde der
arabischen Dichtung, welche wie sie dem unfruchtbaren
Bodeil entwächst, wie sie den Wolken zustrebt, wie sie in
der Höhe erblüht, wie sie goldene Früchte treibt. Eine
Oase ohne Palmen wäre keine Oase!
Ans solchen reiche,: Inseln des Sandineeres hat sich
der Mensch bleibend ansiedeln können, während er am ein-
zelnen Brunnen nur tagelang z,: weilen vermag und mit
seiner beweglicheil Habe nach kurzer Rast von einer Nie-
derung zur andern ziehen muß. Der von Brunnen zu
Brunnen wandernde Nomade gleicht einem von Insel zu
Insel steuernden Schiffer, der in einer größern Oase
Wohnende eiilem Insulaner, — und nicht blos in einer
Hinsicht. Jeder Wohnort einer Oase hat das Meiste voi:
dem ihr zunächst liegenden Lande angenommen. Er un-
terhält mit diesem einen lebhaften Verkehr, :nld seine Be-
wohner bringen von ihrer: Reisen gar Mancherlei ans dein
fruchtbaren Lande mit heim. Deshalb zeigt die Ortschaft
der Oase immer mehr oder weniger das Gepräge des
Dorfes oder der Stadt jenes Landes. Sie hat ihre
Moschee, ihre Kaufhallen, ihr Kaffeehaus, ihre Mönche,
ihre Geistlichen, ihre Märchenerzähler, ihre Tänze, Sitten,
Gebräuche, kurz Alles, wie jene.
Und dennoch ist der Eindruck der Wüstenstadt ein ganz
anderer, als der einer Stadt des großen Landes. Der
Geist der Wüste spricht ans Alleni. Die Wüste begrenzt
den Gesichtskreis, zwischen den Häusern sind Zelte auf-
geschlagen, in den Zelten sitzen sonnengebräunte Beduinen
in ihrer faltenreichen und doch so einfachen Tracht, dem
schlichten Burnnß oder der langen Wolldecke; vor ihnen
stehen an dem Hinterfüße gefesselte Rosse mit einem hoch-
lehnigen Sattel ltnd breiten Steigbügeln. Auch die
übrigen Städtebewohner unterscheiden sich von denen des
großen Landes durch das scharfgeschnittene Gesicht mit
den blitzenden Augen, die sehnigen, gleichsam vertrockneten
Glieder, ben langsamen aber elastischen Gang ni:d die
bilderreiche Sprache; sie sind ächte Kinder der Wüste, und
zwar voin Hause aus, oder wenigstens solche geworden.
Denn gar Viele von ihnen waren ursprünglich nicht hier
heimisch, sonderi: blieben bei einem ihrer Wanderzüge
dort wohnen. So entstand nach uild liach eine höchst
gemischte Bevölkerung in der Ortschaft der Oase; aber
ein einiger Geist, eine Macht verbrüdert die so verschie-
denen Elemeilte. Die Wüste prägt ihre Kinder aus oder
die in ihren: Schooße sich niederlassenden Fremdlinge wenig-
stens um. So nehmet: die einzelnen Belvohner der Oase,
die Berber, Tibbos, Tllareks und Sudanesei: all-
Glol'us VI. Nr. 10.
gemach dei: Charakter der ächten Wüstensöhne an; sie
werden anspruchslos, genügsam, strebsam und rege, gast-
frei und dem Fremdeil wohlwollend, ehrlich und offen —
und gleichwohl wieder das gerade Gegentheil von all den:,
ohne aber jemals den Beduinen körperlich oder geistig
zl, erreichen, geistig weder im Guten, noch im Bösen.
Diese flüchtigen Umrisse gelten auch für die Landschaft
Fes sän. Ein'starrer, breiter Gürtel umgibt das Wü-
stenland; die Wüste selbst, —• aber die Wüste ii: ihrer
fürchterlichsten Gestalt. „El Hammada" nennt sie hier
der Araber; der Name läßt sich am besten mit „die
Durchglühte" übersetzen. Sie ist die beste Schutz- und
Trntzmauer der durch sie eingeschlossene:: Bewohner, der
Schrecken der Karawanen, die Qual der Kameele; eine
entsetzliche Nacktheit kennzeichnet sie; kein Tropfen Wasser
fließt, keine Pflanze grünt in ihr, kann: einen Brunnen
findet inan. Ein ewig blauer Himmel, an welchem die
gtühende Sonne jedes feuchte Wölkchen verzehrt, liegt
hier schwer über der öden, traurigen, todten Landschaft,
in welcher der wie von Todesfurcht gejagte Mensch nur
dann und wann auf kurze Zeit als lebendes Wesen er-
scheint. Die Landschaft FessäiOgleicht einem frischen Garten,
der Hammada gegenüber. Zwei langgestreckte Thäler,
das Wadi-Schiati (d. h. das gespaltene) und das
„Wadi", ohne jede andere Nebenbezeichnung, sind als die
Lebensadern des ganzen Gebiets zu betrachten. In den
ungemein salzreichen Niederungen gibt es nämlich aus-
gedehnte Palmenwälder, Weizen- und Gerstenfelder, Gär-
ten, einzelne Feigenbäume und anderes Grün, welches
zwischen den nackten Höhen wie ein Smaragd an: Busen der
hier fast allzuernsten. schmucklosen Mutter Erde erscheint.
Zwar drängen sich überall mehr oder minder hohe Flng-
fanddünen zwischen das Grün, oder das Salz erglüht in
Krystallen ans der Oberfläche des dunklen Bodens der
Thalsohle; aber das Lebendige im Bilde läßt die durch
die einen wie durch das andere hervorgerufene Oede ver-
gessen. Die Felder werden von künstlichen Becken aus
dürftig bewässert und diese durch Sklaven aus Brunnen
gefüllt, wie dies fast in allen Steppenländern Asrika's
der Fall zu sein scheint. Sie geben zwar nur einen
mittelmäßigen, für die anspruchslose Bevölkerung, welche
überdies der Palme ihre Hauptnahrung entnimmt, aber
genügenden Ertrag.
Das eigentliche Hochland von Fessän steht an Frucht-
barkeit weit hinter den Auadin oder Thälern zurück, ob-
wohl es einige bebaute Niederungen in feinem Schooße
birgt. Mit vieler Mühe werden zwischen den Flugsand-
dünen einige Gärten erhalten und aus Brunnen „getränkt";
in denselben baut man etwas Weizen, Gerste und Mais
und ein wenig Gemüse. Die oben genannten Bäume,
ein unserer Kornelinskirsche ähnlicher Baun: und eine
prachtvolle Sonnenrose, hier und da auch noch einige
Eth elbänme und wenige Heilkräuter wachsen in den und
um die Gärten. Die lvichtigste Pflanze ist auch hier
unstreitig die Palme; dem: man baut ans ihr nicht nur
Hütten und Häuser, sondern verfertigt aus ihren Zweigen
auch Geräthschaften der verschiedensten Art; ihre Früchte
aber werden von Mensch und Thier verzehrt.
Fast alle Gebäude dort bestehen aus lufttrockenen Lehm-
ziegeln und sind mit einem flachen, auf Palmenstänunen
ruhenden Dache aus Lehm bedeckt. Die Palme gibt wohl
das schlechteste Bauholz ab, welches man sich denken kann.
Der ganze Staunn besteht nänllich nicht etwa aus einer
festen, zusammenhängenden Masse, sondern ans Hunderten
und tausenden einzelner Fasern, welche nur lose mit einan-
der verbunden sind, einen: zusammengeschnürten Pack von
schwachen Fäden einigermaßen vergleichbar. Er besitzt
nur eine höchst geringe Festigkeit und biegt sich unter
jeder auf ihn: ruhenden Last. In den Nilländern wird
deshalb die Palme nur im äußersten Nothfalle zun: Haus-
bau verwendet. Fessän ist aber so arm, daß man diesen
schlechten Baustoff als ein köstliches Gut betrachten und
39
306
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz aus Otago iu Neuseeland.
nothgedrungen rnöglichst verwenden muß. Man fertigt
Alles in Allem aus der Palme: die Säulen, welche die
Kaufhallen, und die Balken, welche das Dach tragen,
Thürpfosten, Thüren, Stühle, Kisten re. Freilich ist der
Bau der Häuser ungemein einfach. Ueber die mit Thü-
ren und Fenstern nothdürftig versehenen, dicken, nach oben
mehr zusammentretenden vier Grundmauern des Hauses
legt man in ellenweiten Entfernungen etwas geneigt Pal-
inenstämme, auf sie querüber und dicht ttebeneinander Blatt-
wedel der Palme, überdeckt diese mit Matten ans Pal-
menblattstreifen und stampft auf ihnen deit die Terrasse
bildenden Lehnt fest, führt die Grundmauern etwas weiter
in die Höhe, gibt dem Dach Abzugslöcher für etwaige
Regengüsse, setzt nothdürftig Thüren und Fenster ein,
stampft die Erde zum Boden fest: — und das Haus ist
fertig. Der Diwan und die Lagerstelle, der Heerd re.,
— Alles ist aus Lehmziegeln errichtet, Kisten, Kissen und
Teppiche, Geschirre lind Geräthe bilden den einzigen
Schmuck der Wohnung.
Zu ihnen hat das Ungeziefer aller Art freien Zutritt.
Fliegen und Wespen peinigen den Menschen entsetzlich,
möchten aber noch zu ertragen fein, wenn sie die einzigen
Quälgeister wären. Außer ihnen finden sich jedoch noch
viel häßlichere und gefährlichere Gäste ein. Skorpionen
und widerwärtige Spinnen gehören zu den stehenden
Hausbewohnern, selbst Vipern kommen garnicht selten
in die Häuser. Die häufigen und ständigen Genossen
des Menschen, verschiedene Eidechsen und Gekos,
welche den Fliegen zu Leibe gehen, werden dagegen gern
gesehen und ohne Anstand geduldet. Bei Tage fallen
die hungrigen Fliegen in Masse über die Hausbewohner-
her, Nachts beunruhigen sie die Spinnenthiere. Zu
diesen Plagen kommen nun noch die heißen Stürme,
welche Massen von Staub und Flugsand durch alle Räume
jagen, die verpestenden Ausdünstungen der Salzwasser-
lachen, der Mangel an reinigenden Luftströmungen aus
Norden, welche durch die Sanddüneu abgehalten werden,
die dadurch doppelt fühlbare Hitze und die außerordent-
liche Armuth an Pflanzen und der damit zusammen-
hängende Mangel an gesunden Nahrungsmitteln, die
Entbehrungen re., um den Aufenthalt in einer Wüsten-
stadt oft recht unangenehm zu machen. Trotz der großen
Dürre sind Fieber "häufig; noch verheerender aber treten,
wie in allen heißen, salzreichen und staubigen Ländern,
Augenkrankheiteil auf. — Das Klima ist gleichmäßig
heiß und trocken; Regen sind ganz ungewöhnlich und
werden auch nicht herbeigewünscht, weil sie die schlechten
Häuser bis zum Zusammenstürzen aufweichen und die
Palmen durch das Auslangen und Auflösen des Salzes
am Boden verderben. Im Winter tritt zuweilen so große
Kälte ein, daß sich ans stehendem Wasser eine dünne
Eisschicht bildet.
Mursuk ist der Sitz eines türkischen Pascha, des
Befehlshabers der Provinz Fessän. In der Stadt woh-
nen gegenwärtig etwa 2500 freie Einwohner und 600
Sklaven, welche durch 240 Soldaten im Zaum gehalten
werden. Ganz Fessln dürfte nicht über 60,000 Ein-
wohner enthalten. Die Bewohner der Stadt leben größ-
tentheils vom Handel mit Sklaven und anderen Erzeug-
nissen des Innern, so wie Dalz, Natron, Arzneipflanzen
und dergleichen; die Sklaven sind aber der Hauptgegen-
stand des ganzen Verkehrs. Gewerbserzeugnisse liefert
Mursuk nicht; die Natur selbst ist der beste Arbeiter der
Kaufleute. Uebrigens sind nur die wenigsten der bedeu-
tenderen Kaufleute dauernd hier ansässig. Sie kommen
und gehen, wie es ihre Geschäfte erheischen. Der wirk-
liche Kern der Bevölkerung ist ein Gemisch, wie ich es
eben zu schildern versuchte. Aber das frische Volksleben
andere^ Wüstenorte scheint Mursuk zu fehlen. Die tür-
kische Herrschaft ist den freidenkenden Wüstenleuten zu
schlver, die Sklaverei lvegeu des bedeutenden Menschen-
handels hier viel zu ausgeprägt, als daß ein solches Leben
gedeihen könnte. Mursuk ist lvichtig für den Handel
zwischen der Küste und dem Innern', in jeder andern
Hinsicht aber ein unbedeutender, trauriger Ort.
Dr. A. E. Brehm.
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz aus Ktago in Neuseeland?)
I.
Da sitze ich einsam und allein an den Ufern des Mo-
linenr, in der Provinz Otago in Neuseeland. Hinter
mir steigt das Gebirge Knobby Ranges steil bis zu 5000
Fuß in die' Höhe; vor mir strömt der seegrüne Fluß
Clutha.
Es ist kalt, es stürmt und schneit, trotzdem wir den
21. Oktober schreiben. Ich befinde mich in einer Fel-
senhöhle, deren Eingang durch Gebüsch verwahrt und mit
einer wollenen Decke gegen Sturm und Kälte geschlossen
ist. Das Gewölbe, die Seitenwände und der Äoden sind
quarzadriger Schieferstein. Farrenkräuter und trocknes
Gras in einem Winkel bilden meine Lagerstätte. Meine
Mitarbeiter haben mich heute verlassen und sind den Fluß
höher hinauf gegangen. Ich mußte zurückbleiben, da
mein rechter Fuß eine Beule im Gelenk und eine auf dem
Schienbein bekommen hat. Auf wollenen Decken sitzend,
die Füße in Opossum-Felle gehüllt, schreibe ich diese Zei-
len. — Ich bin ein Goldgräber.
Der Molinenr enthält X-Tonnen und Tonnen Gol-
des, aber das Wasser ist seit vier Wochen um 16 Fuß *)
*) Der Verfasser ist ein Neffe von Bogumil Goltz.
D. Red.
gestiegen und hat das Gold dem Mineur entführt. Ich
muß warten, bis es abgelaufen ist; das kann aber drei,
auch vielleicht vier Monate lang dauern, denn das Ge-
birge um mich her und nreilenweit höher hinauf ist mit
tiefem Schnee bedeckt. Die kommenden marinen Tage
(denn es geht gegen den Sommer) schmelzen all diesen
Schnee, und drei große Seen, gleichsam drei große Kessel,
nehmen die Wassermassen auf. Der Wakatip-, der
Wanaka- und Hawasa-See ergießen ihreir Ueberfluß
direkt, oder, wie der Wakatip-See, durch den Pawarau
in den Molineur oder Clutha-Fluß. Erst weirn all
dieser Schriee sich mit dem Stillen Ocean verbunden hat,
kann die Ernte des Gold-Diggers beginnen. Den fallen
Winter hindurch kann er die trockenen Seiten des llfers
(die aus Quarz nrrd Schiefersteinen bestehen) waschen
und zum Lohne erhält er den Goldsand. —
Als wir vor zwei Monaten zuerst an deri Fluß kamen,
war er 10 Fuß flacher; wir hatten dann einige warme
Tage, und er stieg bis auf 16 Fuß; bei dein jetzigen falten
Winter ist er sechs Fuß gefallen. Den ersten halben Tag
erwarben wir drei Männer so viel, daß wir den Preis
einer kleinen Cr adle (Wiege, Gefäß zum Wascheil) er-
schwingen koilnten, nämlich 9 Pfd. St. oder 60 preußische
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz ans Otago in Neuseeland.
307
Thaler; aber leider hat das Steigen des Flusses alle
kostspieligen Operationen zu Wasser gemacht. Wir waren
3/4 deutsche Meilen unterhalb des Zusammenflusses des
Mauuherikia mit dem Molineur und dachten unten
eher etwas machen zu können, brachen deshalb unser Zelt
ab, und beladen mit 30 Pfund Mehl, 30 Pfund Fleisch,
etwas Thee und Zucker, mit Picken und Schaufeln, Schüs-
seln und Cradle, mit wolleneu Decken und Opossum-Fellen,
mit ein Paar Kesseln uub Bratpfannen machten wir uns
auf den Weg, deir Fluß hinunter.
Aber wie soll ich diesen Pfad beschreiben? Pferde kann
man hier gar nicht gebrauchen. Obwohl wir schwer be-
laden waren, mußten wir doch oft von Felsen zu Felsen
springen, ein Fehltritt hätte uns das Leben gekostet.
Bald gings steil in die Höhe und bald darauf die ab-
schüssigen Felsen hinab. Dieser Pfad ist schrecklich! Ich
war nahe daran, den Muth zu verlieren; aber die Sonne
scheint oft so hell und klar, und das Leben ist so süß!
Ja, eine schöne Welt, aber ein schweres Dasein! Das
Gold ist noch immer sehr schwer zu heben und Menschen-
knochen werden hier zu billig ruinirt. Nacht für Nacht
träume ich die schrecklichsten Dinge von diesen: Pfade, den
wir allwöchentlich zurücklegen müssen, weil wir mei-
lenweit her unsere Lebensmittel holen. Mein rechter Fuß
versagte mir oft; aber trotz heftiger Schmerzen zwang ich
ihn, seine Schuldigkeit zil thun. Ich fiel und traf mit
der Schlüter an ein hervorragendes Felsstück, welches mich
vor dem Herabstürzen bewahrte. Die Berührung war
zwar keine angenehine, aber die Knocken blieben doch heil.
Unter unnennbaren Schrecken, Gefahren und Müh-
seligkeiten kamen wir bis hieher und machten diese Höhle
zil unserer vorläufigen Heimath und Residenz.
Leider failden wir hier weniger Gold als oben, und
deshalb sind meine beiden Gefährteil hellte wieder zurück-
gegangen. Die Ueberanstrengling und die geänderte Diät
haben mich invalide gemacht. Es gibt nichts als Schaf-
fleisch und Brod; ersteres kostet hier das Pfund 14 Sil-
bergroschen, letzteres 20 Silbergroschen. Mehl wurde an-
fänglich mit einem Reichsthaler das Psllnd bezahlt; einst-
weilen ist es etwas billiger geworden.
Vor etlva drei Monaten hielteil sich an btefem mei-
lenlangen Flusse nur zwei Goldmineure, Hartley und
Reilly, auf. Ein halbes Jahr hindurch blieben sie höher
nach den Seen hin. Sie entdeckten auch, daß dieser Fluß
Gold enthalte, uild arbeiteten heimlich fort. In den letz-
ten vier Monaten gewannen sie täglich ein Pfund Gold;
das war ihr Minimum. Hie und da sind Stationen in
diesem Lande, wo die großen Vieh- und Schafzüchter
wohnen; voll diesen holten sie ihren Proviant und wech-
selten so oft wie möglich, uin keinen Verdacht zu erregen.
Als sie aber auf eine andere Partie Goldsucher trafen,
machten sie sich llach der Hauptstadt Dunediu aus unb
erhielten für die Entdeckung des Goldfeldes unter gewissen
Bedingungen 2000 Pfd. St. zugesichert. Die Regierung
ließ in die Zeitungen einrücken, daß hier Gold zu machen
wäre. Ich verließ mit Anderen die Tuapeka Diggiugs,
wo ich die letzteil neun Moilate gearbeitet hatte, um nach
dem goldenen' Flusse zu wandern. Voil allen Richtungen
des Landes strömten Tausende dorthin; sogar die Haupt-
stadt des Landes war fast ganz verlassen worden, denn
die Nachricht war zu sicher und gut. Das Land ist leider
anders, als meine letzte Heimath Victoria; ist sehr-
gebirgig, hat großen Mangel au Brennholz, und Proviant
fehlt 'im Innern fast ganz.
Obgleich Pferde lind Maulesel sehr im Preise gestiegen
sind, so habeil ich und meine beiden Gefährten doch einen,
wenn auch schulterlahmen Gaul gekauft. Eine gute La-
dung selbst tragend, verließ ich mein Zelt und ulanche mei-
ller Habseligkeiten, und vorwärts gings Berg auf und ab.
Einer hielt sich amKopfe und dieAnderen gingen zu den
Seiten des Pferdes, und zwar auf einer Art voil Pfade,
der nach einer Station führt, wo wir Näheres über uu-
sere Route erfahren sollen. Es wird finster, wir kommen
an den Tuapeka-Fluß, trauen uils aber nicht in der Dun-
kelheit durch die Furth zu gehen. Nachts komiiit Gewitter
und eiil förmlicher Wolkenbruch; unser altes Zelt, in der
Eile au langstieligen Schaufeln befestigt, ist leider nicht
wasserdicht! —
Am Morgen ist die Tuapeka ein reißender Strom,
nur für einen wahrhaft Lebensmüden passirbar; trotz
unserer Eile müssen nur 36 Stunden liegen bleiben; zum
Glück finden wir etwas Brennholz.
Wer wollte aber alle Beschwerden der ganzen Tour
aufzeichnen! — Oft mußten wir bei starkem Frost im
Schilee kampiren und dabei, wegen Mangels au Holz,
die Wohlthat des Feuers entbehren; auch verdeckt das
Schneegestöber den Pfad und man weiß nicht, wohin sich
wenden.— Und wie kalt sind diese Gebirgsflüsse, welche
man mitunter sogar zweimal durchwaten oder durch-
schwimmen muß. So erhitzt man auch vom Tragen und
Gehen sein mag, man darf die Erkältung doch nicht
scheuen, sondern muß die Kleider ablegen und ins Wasser
springen.
Endlich, zwei Tagereisen von dem Goldflusse, treffen
wir den ersten Mineur, der zurückkoiumt unb einen ganz
miserabelu Bericht abstattet: Von Proviant gebe es nichts
auf dem Platze, als Schafflcisch; und das Schrecklichste
der Schrecken: mau finde dort nicht genug Gold, um die
laufenden Ausgaben und den Lebensunterhalt zil bestreiten.
— Alles eitler Wahn! Hub so treffen wir bald Hun-
derte, bald Tausende, die in großer Eile und sehr hungrig
zurückkehren. Einer meiner Kameraden wird verzagt und
kehrt gleichfalls um.
Wir fanden, als wir zu dem Flusse kalnen, am zweiten
Tage eine Stelle, die bis 20 Thaler pro Mailn und pro
Tag einbrachte; und doch waren Tausende fortgelaufen.
20 geographische Meilen dieses Flusses sind reich an
Gold; um aber die guten Stellen aufzufinden, muß mau
alte Erfahrungen haben lind Glück obenein. Leider hat
das Hochwasser wieder sehr Viele von hier fortgetrieben.
Es sind hier Stellen gefunden worden, wo der Mann
pro Tag 100 Thaler verdient hat. —
Vor vier Tagen lag ich aus einem Stück Felsen weiter
unterhalb des Flusses; mein Fußleiden erpreßte mir Thrä-
nen, und doch mußte ich lilich nach einer lohnenden Stelle
umsehen. In diesem reißenden Stroule haben schon meh-
rere Mineure ihr Leben verloren; nicht einmal ein Seil
ist über den Fluß gespannt. 10 Leute ziehen ein Wal-
sischboot. Es gehört dem „Prospektor" Reilly lind ist
das erste Boot, welches je voil der See den Fluß hinauf
gebracht worden ist. Einer springt von Felsen zu Felsen
und schlingt dann ein Ende des Taues, das er getragen
hat, um eine vorragende Felsenspitze; dann komnlen die
Anderen nachgeklettert unb ziehen, auf einer Stelle stehend,
nicht gehend (welches unmöglich ist) , das Boot eine
Strecke weit gegen den Strom; und auf diese Weise haben
sie es wirklich'20 geographische Meilen hinaufgebracht.
Es soll obeil an der Pawarau als Ueberfähre gebraucht
werden, obgleich es deren schon etliche an verschiedenen
Stellen des Flusses gibt, welche über Land aus Wagen
für den Preis von 700 Thaler, ä Ceiltner 18 Sgr. Fuhr-
lohu, hiilgebracht worben sind. Als ich zuerst an den
Mauuherikia kam, setzte ein Mann zu Pferde Leute
über; der Preis war 25 Sgr. pro Person. Ehe ein Boot
dahin kam, brachte das Geschäft täglich über 100 Thaler
lnit einem Pferde; jetzt ist es billiger, 10 Sgr. pro
Kopf. —
Der Fluß ist voller Stromschnelleu; hin und wieder-
gibt es einen kleinen Wasserfall. Oberhalb ist das Gefäll
ungefähr 12 Fuß; der reißende Strom hat viele Strudel;
das Wasser steigt an den Ufern bemerklich fast alle Vier-
telminuten. Ein Mann schlug mir eine Wette vor um
ein Pfund Gold, daß ich nicht an das jenseitige Ufer
schwimmen könne; aber ich sollte mein Testament macheil
lind ihn, im Falle meines Todes, zunr Erben einsetzen.
308
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz aus Otago iu Neuseeland.
Der Strom ist nur etwa 300 Fuß breit; aber das Wasser
war eiskalt, deshalb ging ich die Wette nicht ein.
Wenn all die Beschwerden und Mühen, welche ich in
den vielen Jahren in Victoria überstanden habe, auf
eine Woche reducirt wären, so würde dies ungefähr eine
Idee geben von dem, was ich in diesem Otago ausge-
standen habe. An Gabriels Gully, im Tuapeka-
Distrikt, wo ich arbeitete, ehe ich hierher kam, mußte ich
jedes Bündel Brennholz auf dem Rücken meilenweit her-
holen, trotz meines kranken Fußes. In der ersten Zeit
verdiente ich nicht einmal meinen Lebensunterhalt. Mit
Karl G., den ich hier zufällig traf, habe ich manchen
Sack voll von Steinen und Erde vom Gebirge herab nach
dem Flusse zum Waschen getragen, und doch konnten wir
das Salz nicht verdienen. Ich kam bis auf die letzte
Fünf-Pfundnote zurück, verkaufte meine goldene Uhr und
traf noch immer nicht auf Gold, fand auch Keinen, der
mit mir den Fluß abgeleitet hätte. Endlich gelang es
mir, eine Partie zu formtreu; ich grub einen Kanal,
leitete das Wasser ab und gewann etliche hundert Thaler.
Ich schickte zwei Pfund Gold nach Dunedin, die größten-
theils auch wieder auf dieser Reise zugesetzt worden sind.
Der Sommer war sehr naß, es gab fast immer Re-
gen und Sturm und später Sturm und Schnee. In
keinem Lande sollen solche Stürme wehen, wie auf dem
südlichen Theil Neuseelands, hier in dieser kahlen
und bergigen Provinz Otago; Häuser, Zelte, Pferde und
Wagen werden umgerissen. Es bläst so stark, daß ich
im Anfang glaubte, es könne nicht lange dauern; aber
es blies Tag und Nacht und mitunter drei Tage lang
hintereinander. Dann kamen plötzliche Ueberschwem-
mungen; zweimal wurde unser Damm fortgewaschen, das
Wasser ebnete Alles, und alle geschehene Arbeit war wie
nie dagewesen.
Der Winter kam und brachte Schnee und Eis; aber
Gott sei gedankt! es wurde in der Nähe ein Kohlen-
lager gefunden, man konnte für 10 Sgr. so viel Feuer-
stoss bekommen, als man gu tragen vermochte. Ich hatte
mir eineil guten Kanlin aus Steinen und Rasen gebaut.
Mein Zelt bezog ich inwendig durchweg mit Kattun,
machte einen „Breakwind" ('Windbrecher) mit Gebüsch
gegen die Hinterwand des Zeltes und brachte über dem-
selben eine sogenannte Fliege an, d. h. einen Streifen
Kattlln oder Zwillich, der den ersten Regen oder Schnee-
fall bricht, da der Streifen über das ganze Zelt reicht.
Ich besitze zwei Tische, ein Proviantspiud, einen Schemel
uild eili gutes Bett mit Heu-Matratze. Ich subscribirte
in der Leihbibliothek, und man konnte mich in den langen
Winterabenden sitzen sehen, mit einer selbst fabrizirten
Opossummütze, ein kurzes Kalkpfeifchen rauchend, bei eiilem
warmen hellen Feiler im Kamille, vertieft in der Lektüre
voll Carlisle's Geschichte der französischen Revolution,
oder voil Cromwells Briefen und Reden, oder von
P. Moutaigne's Essays. — Trotz heulendem Sturm und
Schneegestöber uub schwergeleisteter Tagesarbeit saß ich
hier nicht ohne Behaglichkeit, mich wirklich wohlfühlend.
Das Schlimmste war aber das Büchcrwechseln, welches
nur Abends gescheheil sonnte, da gearbeitet wurde, so
lange das Tageslicht dauerte; denn, durch alte verfallene
oder eingestürzte Minenschachte den Weg von meinem Zelte
zur zwei englische Meilen entfernten Bibliothek zu fin-
den, war mit inißlichen Abeliteuern verknüpft.
Tritt Thauwetter ein, so fließt der Schilee von den
Gebirgen in zwei Gebirgsflüßchen durch unsern Kailal;
wir arbeiten unterhalb der Vereinigung beider; bricht der
Damm, dann geht alle Arbeit verloren. Die Besorgiliß
war überflüssig; Alles ging glücklich vorüber, nur daß
mein Zelt eines Tages, als der Schnee sehr dick lag, mit
genauer Noth der Zertrümmerung entging. Es steht hart
an dem Fuße eines hohen steilen Berges. Eiilige joviale
Bursche machten sich das Vergnügen, einen ungeheuern
Schneeball herabzurollen; größer und größer werdend,
sehe ich ihn aus mein Zelt zustürzen; aber eine Felsen-
spitze spaltet ihn und zerstäubt ihn zu einem Phantom.
Ich fühlte mich hier ganz behaglich und trennte mich
nur ungern von meinem mir heimisch gewordenen Zelte;
aber das Gold hat- eine magische Gewalt, es treibt die
Leute über Laild und Meer! Leider war meine Gesund-
heit angegriffeil, mitten in der Brust empfand ich einen
nageilden Schmerz. Sowohl von meinem Zelte wie auch
von der Stelle, an der ich arbeite, sieht man den Begräb-
uißplatz auf einem hohen Berge. Manchmal drängte sich
mir wohl der Gedanke allf: wo wird man dich hinlegen?
Aber es ist soilderbar; obgleich ich die Anmahnung vor
Augen habe, daß die Geschlechter der Meilscheil wie die
Blätter der Bäume vergehen, so gelingt es mir doch nicht,
mich mit Todesgedanken vertraut zu machen. — Das
Leben bleibt in jungen Leuten obenauf. Ich habe übrigens
Seine Zeit für Grübeleien.
In diesen: Augenblick ist es zehn Uhr; der Flnß
rauscht mit großem Wiederhall vom Gebirge, ich bin
allein in meiiler Höhle; ich will mich in meine wollenen
Decken, in die Opossum-Felle einhüllen und zu schlafen
versuchen, was mir nur selten gelingt. Manche Nächte
liege ich ohne Schlummer, mit einem Brennen wie lau-
fendes Feuer über den ganzen Körper; am Tage empfinde
ich jedoch nichts von dieser Plage. Gott gebe, daß ich
bald wieder gesund werde nild mehr arbeiten kann, daß
ich nicht wieder verliere, was ich mit hartnäckigen Kämpfen,
von deneil ich nur eine schwache Schilderung gegeben, er-
rungen habe. Der Wille ist da, — aber das Fleisch ist
schwach! —
Ein neuer Tag ist da; „Heulend kommt der Sturm
geflogen"; aber keine Feuersbrunst (wie in Schillers
Glocke), nur ein kleines Feuerchen unter einem flachen
Steine; heute backe ich Brod und zwar wie die alten
Egypter zwischen zwei flachen Steinen. Sonst konnten wir
nur trockene flache Brodknchen auf der Pfanne machen,
jetzt habe ich schönes Brod. — Gott sei gedankt, mein
Fuß ist besser! Ich weiß noch nicht, ob ich mich Nach-
mittags aufmachen werde oder morgen früh. Es stürmt
und ist kein besonders empfehlenswerthes Reisewetter; es
macht die gefährlichen Steine nur noch schlüpfriger, doch
ein wandernder Proletarier muß mehr wie das riskiren
können.
Dieser Theil Neuseelands hat ausgezeichnetes Acker-
land (ich meine die Provinz Otago in: Ganzen genom-
men); der große Mangel an Holz ist ein Nachtheil, aber
an vielen Stellen sind Kohlen leicht zu haben. Ein un-
geheures Feuer muß vor Hunderten voi: Jahren Alles
verzehrt haben; nur hin und wieder ftnben sich in Ge-
birgsschluchten kleine Fleckchen Wald, worin es ziemlich
starke Bäume giebt. Auch sieht man hier und da auf
dem Gebirge kleines, vom Feuer förmlich gehärtetes, außen
verkohltes,' ganz trockenes Gesträuch. Der Tauteke-
B n sch ist das einzige respektable Stückchen Wald im ganzen
Lande, er liegt zwischen dem Ausflusse des Mantaura
und des Clutha an der Küste. Es giebt auch hier Na-
turscenen, die mannte vergißt. Nachdem wir, von Du-
nedin zu den Minen kommend, fortwährend über Berge
geklettert waren, lag von Gebirgen eingeschlossen ein Fluß-
thal vor uns, durch dessen Mitte der Taieri fließt; hin
und wieder kam das Wohnhaus eines Ansiedlers zum
Vorschein, von weißen und rothen Kleefeldern umgeben,
Alles hübsch mit Erdwall und Graben eingezäunt und
in der Nähe der Wohnhäuser mit wohlriechenden Ge-
sträuchen bepflanzt. Weit weg nach Norden, wo das Thal
aufhört, sieht man etwas lvie Silber ii: der untergehenden
Sonne glänzen: es ist der Waihola See; der Fluß
gleichen Namens liegt links ab und ergießt sich zwei
deutsche Meilen davon in den Stillei: Ocean. Hier sieht
man wirkliche Seeschiffe kleinerer Größe, Schooner und
Galioten, die von Duiredin, mit Lebensbedürfnissen aller
Art beladei:, bis hier nach Waihola kommen, welches
Ein Ausflug nach den Färöern.
309
eine Niederlassung mit einer Art Kai, am obern Ende
des Weihola-Sees, ist. Die Ladung wird dann wei-
ter mit Fahrzeugen nach den Tuapeka-Minen herausge-
schafft; dort sind über 10,000 Menschen zu verpro-
viantiern. Man findet dort außer den Goldmineuren die
entsprechende Masse von Kaufleuten, Gasthof-Besitzern,
Speisewirthen, Handwerkern aller Art und eine Menge
deutscher wie polnischer Handelsjuden, wie überall in der
Welt.
Boden und Klima sind ausgezeichnet für die Kultur
von Weizen, Gerste, Hackfrüchten, Klee und Gräsern, so
wie für Gemüse aller Art. Ich habe hier die schönsten
Kartoffeln nnd Mohrrüben gegessen. Wegen fast gänz-
lichen Mangels an Bäumen ist der Boden leichter zu
bestellen, aber das Einzäunen kostet um so viel mehr;
nnd hin und wieder sind weite Strecken mit dem soge-
nannten Spartogras oder neuseeländischen Flachs be-
wachsen. Derselbe hat lange, stechende, lanzettförmige
Blätter, die für Reisende mit empfindlicher Schienbeinhaut
etwas Unbequemes sind. Wo dieses Gras und die
Farrenkrauter in Massen wachsen, da findet mau das
wilde Schwein, welches nichts weiter ist, als ein seit etwa
9O Jahren verwildertes, europäisches Hausschwein. Ka-
pitän Cook setzte davon mehrere auf jeder Insel ab nnd
ließ von den Häuptlingen das „Tabu" auf die Thiere
legen; sie wurden durch diese Ceremonie unantastbar ge-
macht und haben sich mit Beistand einer wilden Religion
so vermehrt, daß sie besonders auf der nördlichen Insel
den Schäfereien durch Auffressen der Lämmer vielen
Schaden thun. Es ist nichts llngewöhnliches für einen
Schäferknecht, im Laufe eines Jahres 4 bis 500 Stück
Schweine todtzuschlagen, die er dann der Verwesung über-
läßt. Merkwürdig ist es, wie leicht diese Thiere
wieder gezähmt werden können, wenn sie jung
eingefangen werden. Sie verlassen nach einer Woche
die Wohnung des Herrn nur, um ihm wie ein Hund zu
folgen.
Der neuseeländische Flachs sieht ganz wie Cal-
mas aus; er hat lange Frnchtstengel mit purpurrothen
Blüthen. Der Blumenkelch ist voll einer krystallhellen,
honigsüßen Flüssigkeit, Maoris-Honig genannt. Tie
calmusartigen Blätter sind grün und unzerreißbar; sie
enthalten in den Faltungen,' besonders nach unten zu,
eine Art Gninmi, welches, wie ich erst vor ein Paar Ta-
gen erfuhr, bei den Maoris als Heilmittel gegen wund-
gelaufene Füße gebraucht wird. D ieses Gummi'war lange
Zeit das Hinderniß, um diesen Flachs in irgend einen
brauchbaren Handelsartikel zu verwandeln; es ist jetzt
längst beseitigt. Der neuseeländische Flachs wächst bis
12 Fuß hoch, auf hohem trocknem Lande, aber auch auf
etwas feuchtem Boden; sein tiefer Wurzelstock muß aus-
gegraben werden, wie die Pfahlwurzel eines Baumes.
Ein A u s f l u g nach den Färöern.
Thorshaven. — Leben auf den Inseln. — Der Vogelfang.
Mit deni Dampfer Arctnrus hatten wir Leith, den
Hafen Edinburgs, verlassen. Die bergigen Landschaften
am Firth of Forth eiltschwanden unseren Augen, wir er-
reichten die offene See, und am Morgen des vierten Ta-
ges waren die Färöer in Sicht. Tie grauen mit grü-
nen Flecken bedeckten Trappfelsen lagen vor uns, und wir
konnten die Schafe an den Bergen unterscheiden, welche
den Inseln deil Namen gaben. Seevögel umschwärmten
unsern Dampfer und tauchten in die'Wellen, die zahl-
reiche Boote trugen, in welchen die kräftigen Insulaner
iil ihrenl selbstgesponnenen Wadnlal standen. In einem
dieser Boote, welches 12 kräftige Bursche ruderten, lan-
deten wir im Hafen voll Thorshaveil. Das Städt-
chen ist rund um die Bucht herum gebaut, in die
Höhllingen hinein, welche die Wogen in den Trappfelsen
ausgefressen haben. Die Häuser sind meist aus Holz,
die engen Straßen ziehen bergauf, bergab; große Stücke
Walfischfleisch hängen in ihnen zum Trocknen alls.
Unsre Freunde in Thorshaven waren begierig, die
neuesten Nachrichten vom Festlande zu erfahren; wir er-
zählteil ihnen und lvurdeir dafür wieder mit Insel-Neuig-
keiten beglückt: daß die See ruhig sei, daß der Fischfang
glücklich ablief, aber daß die Wale immer seltener
würden und daß im letzten Jahre nur 2OO gefangen
wurden. Daun dreht sich das Gespräch um den Vogel-
fang, der eine der Haupt-Beschäftigungen und ergiebigsten
Erwerbsquellen für die Insulaner ist. Puffins und
Guillemots sind die wichtigsten Vögel der Inseln.
Die Guillemots, die man als dumme Thiere betrautet,
sind in manchen Stücken doch sehr klug; denn zu tausen-
den brüten sie auf den Klippen der Inseln, legen ihre
Eier auf den nackten Stein, und doch kennt jeder Vogel
seine eigenen. Am 29. Juli, dein St. Olafs Tage, zie-
hen die Guillemots (Oolymdus grylle, die sogenannte
„grönländische Taube") gen Süden und kehren ^erst am
— Eine Walstschjagd. — Fahrt nach den Shetlandinseln.
29. Januar, St. Pauls Tag, zurück. Fleisch und Federn
dieser Thiere liefern dem Insulaner Nahrung und Han-
delswaare, und was an Fleisch nicht frisch verzehrt lvird,
salzt man ein. Ter jährliche Fang beträgt etioa 55,000
Stück; dabei läuft viel Gefahr mitunter, und die Kühn-
heit, mit der Männer und Knaben auf den Klippen den
Vögeln nachgehen, erregt Bewunderung. Am leichtesten
erlangt man die auf den uilteren Klippen brütenden Vö-
gel mit Böten von der See aus; viel schwieriger ist die
Art des Fairges, welche auf den Inseln „Figling" ge-
nannt wird. Von oben herab wird ein lvvhl hundert
Faden langes starkes Seil an den Klippen niedergelassen,
an den: ein Mann so befestigt ist, daß er Beine und
Arme frei bewegeil kann. Ist er ein guter Vogelfänger,
so darf er nie das Seil mit den Händen berühren und
muß seine Beine so gebrauchen, daß er die Klippeil und
mit ihnen die Vögel stets im Gesichte behält.. Fünf
Männer halten oben das Ende des Seiles, das über
Walzen bis znm Abhange der Klippen läuft, damit es
von diesen nicht durchschnitten wird. Der iinten aber
hat über sich den blauen Himmel, unter sich die schäu-
menden Wogen, vor sich die belebten schwarzen Klippen;
Furcht und Schwindel darf er nicht kennen. Diese Art
des Vogelfanges findet meist Mitte Juni statt, wenn die
jungen Guillemots ansgebrütet und die Alten nicht sehr
scheu sind. Ein guter Vogelfänger kann etwa 1000
Guillemots in einem Tage fangen, aber er darf sie an
ihren Brntplätzen nicht ganz ausrotten nnd muß vor
Allem dafür sorgen, daß die Klippen nicht mit dem Blute
der Vögel bespritzt werden, denn sonst kommen sie nicht
wieder an diese Stelle.
Der Hauptvogel der Färöer ist aber der Puff in,
Fratercula aretica, von dem etwa 235,000 jährlich ge-
fangen werden. Er kommt um Mitte April und beginnt
sogleich die Erdlöcher im weichen Grase von den Steinen
310
Ein Ausflug nach den Färöern.
zu befreien, welche Regen und Schnee etwa hineingewa-
schen haben. In diese mit etwas trockenem Grase aus-
gefüllten Höhlungen legt der Puffin sein einziges Ei.
Die Jungen kriechen Ende Mai aus; Hahn und Henne
wechseln im Brutgeschäft, und sobald die Jungen anskrie-
chen, füttern die Alten sie mit Sandaalen (^rnrnocl^tes).
Die Vogelfänger erzählen, daß ein 50 fünfzig Sand-
aale aus einmal in seinem Schnabel zum Neste trägt,
die ihm dann zu beiden Seiten wie ein Bart herab-
hängen. Die Thatsache unterliegt keinem Zweifel, nur
ist es unerklärlich, wie der Vogel auf einmal so viele dieser
Fische fangen kann. Wahrscheinlich fängt er sie auf einmal,
indem er in einen Schwarm Sandaale hineinfährt und den
Schnabel voll herausholt. Die Pnfsins fliegen um Mit-
tagszeit in ungeheuren Schwärmen um die Klippen und
fallen später an bestimmten Stellen wieder ein. Dort
sind Netze für sie bereitet, in denen ein ttichtiger Mann
gegen 900 an einem Tage fangen kann, die er dann auf
gefährlichen Wegen nach Hause schleppen muß. Schon
100 Stück dieser ^Vögel sind eine gute Tracht für
einen Mann. Mitte August ziehen die Pnfsins ab, die
auf den Inseln außer den Menschen noch die Raben zum
Feinde haben. Der Rabe stellt dem Ei des Vogels nach,
wird aber von diesem häufig mit dem großen Schnabel
an der Kehle gepackt und erdrosselt.
Ein anderer Bewohner der Färöer ist die Scharbe
oder der Cormoran, der als znngenloser Vogel bei den
Insulanern Verwunderung erregt. Sie fragen daher:
„Ovuj vear Skarvur tnnguleisur?“ Warum ist die
Scharbe zungenlos? und geben zur Antwort: „ins han
seje Ravenum fra qvear Cavan atti!“ Weil
er dem Raben das Nest der Eiderente verrathen hat! —
Nun einige Worte über das Leben ans den Fär-
öern. Für einen Fremden kann es nicht leichter etwas
Hübscheres geben als einen Spaziergang nach dem Hü-
gel von Kirkby, wo die Ruinen einer Steinkirche ste-
hen. Sie ward nie vollendet, dem: als das Lutherthnm
auf die Inseln kam, blieb der Bau liegen, der nun we-
gen seines Materials unter den Holzhütten merkwürdig
absticht. Die Aussicht von Kirkby auf das Meer ist
wundervoll. Um die See kennen zu lernen, macht man
in der Frühe eine Spazierfahrt nach Nolsö, der Insel,
welche Thorshaven gegenüber liegt und den Hafen
dieser Stadt abschließen hilft. Die Höhle und der Bo-
gen, welche durch den Trappfels auf Nolsv gebildet wer-
den, sind der Besichtigung werth, und der Mineralog
wird sich durch schöne Stilbite und Zeolite belohnt fin-
den. Nach der Mahlzeit, die auf den Färöern gewöhnlich
um 4 Uhr eingenommen wird, erfreuten wir uns häufig
an dem eigenthümlichen Tanze der Insulaner, bei dem
der Boden von den Männern zu Staub zerstampft wird.
Dann geht man frühzeitig zu Bette, aber es ist Juli, und
da giebt es auf den Färöern, unter 02° n. Br., keine or-
dentliche pechfinstere Nacht.
Weitere Bootfahrten auf den wilden Wogen der Nord-
see, zu den nördlichen Inseln hin, gewähren immer neue
Abwechselung. Die Boote der Insulaner sind ausgezeich-
net stark gebaut, gehen sicher und sind tüchtige Segler.
So flog auch einst unser Boot an einem nebligen Mor-
gen an Stromö, Auströ und Swinö vorüber. Als
die Sonne den Nebel verjagt hatte, stimmten die kräfti-
gen Ruderer ein Lied an, das von Sigurd Fafnisbane,
dem Siegfried der Nibelungen, handelte. Die Färöer
erscheinen »ach allen Seiten hin malerisch; überraschend
sind die Blicke, die man oft an den Felsenufern der ver-
schiedenen Föhrden findet. So die Allssicht voll Myg-
genös liach Westen hin, liach denl Atlailtischen Ocean
zu; da erheben sich Klippen uild Nadeln aus der See,
vor denen selbst die berühmten ,,Drongs" tu Nord
Mavin ans den Shetlandinfeln sich verbergen müssen.
Die herrlichsten Klippen findet mail aber bei deil nörd-
lichen Inseln Kadalsö, Kunö, Viderö und Fuglö.
Wüthend tosen und branden die Wogen, besonders wenn
ein frischer Nordwest sie aufregt.
Eines Morgens, als wir etwas gelangweilt aus un-
seren Fenstern schauten und schon Alles, was die Färöer
bieteil, zu kennen glaubten, wurden wir dnrch die lebhafte
Aufregung, das Umherrennen und Schreien der Insulaner
in Erstaunen versetzt. Mit scharfen Messern und Har-
punen bewaffnet lärmten die Männer am Gestade herum,
und selbst der sonst so stille Schulmeister stand bewaffne:
und in llngeheilreil Wasserstiefeln am Ufer. Nur die
Worte: „Grinder, grinder!" konnten lvir unterschei-
den. Da trat unser freilndlicher Wirth auf uns zu,
klärte uils den Sachverhalt auf illid lud uns ein, an
einer Walfischjagd Theil zu nehmen. Alles stürzte
nach den Booten, nnb der Statthalter des Königs voll
Dänemark sowohl, wie Schulmeister und Kirchendieiler
nahmen air dem Fehdezug Theil, denn ihnen gebührt voll
Rechts wegen ein Theil von jedem gefangenen Walfische.
Es ist das alter Brauch und Herkommen. Köllig und
Kirche verlangen ihren Tribut.
Von Thorshaveil her bewegte sich eine stattliche Flotte
von Booten und an jeder Föhrde zwischen diesem Orte
und Westillanliahaveil am andern Ende Stromö's
stießeil neue Boote zu lins. Alle strebteil dahin, den
Walen (Grinders) den Rückzug liach denl offenen Meere
abzuschneiden, sie zll uinzingeln, dem Lande zuzutreiben
und dort abzuschlachten. In etwa drei Stunden waren
wir an der Mündung von Westinailnahaven, nnb ein
Freudengeschrei erscholl von allen Schiffen, als uns hier
die Wale endlich in Sicht kamen. Da lagen sie an der
Oberfläche, wie ungeheure schwarze Tonnen, und spielten
mit den Meereswellen, wie wir mit dem Wasser im
Waschbecken. Eine doppelte Reihe Boote schnitt sie vom
Meere ab, segelte ans sie zu und trieb sie mit Geschrei
und Steinwürfen in die Föhrde hinein. Die starken
Thiere scheinen ihre Kraft nicht zu kennen, sie fürchten
sich vor den Steinwürfen; sie brauchten llur umzukehren,
und die ganze Linie der Boote wäre im Nll durchbrochen,
Aber so schwimmen sie geängstigt in die Föhrde hinein,
dem Verderben entgegen. An der Spitze der Boote se-
geln die, welche mit Harpunen bewaffnet sind. Die in
die Enge getriebenen Wale, welche Unrath wittern, peit-
schen das Wasser mit ihren Finnen, das nun bald von
ihrem Blilte geröthet ist. Denn Harpunier nach Har-
punier wirft sein Mordwerkzeng, lind die langen Messer,
welche die Kehlen der mit Bootshaken herangezogenen
Thiere durchschneiden, vollenden das blutige Werk. Nach-
dem das Thier getödtet ist, muß man es mit Stricken
fest halten, damit es nicht gleich in die Tiefe versinkt.
Die Föhrde von Westmannahaven, wo wir dem blu-
tigen Schauspiele beiwohnten, ist etwa % engl. Meile
weit und % Meilen lang. Sie ist von amphitheatralisch
aufsteigenden Hügeln umgeben, von denen ein Berg-
strom herabfließt, der kurz vor seiner Verbindung mit
dein Fjord einen weißschäumenden Wasserfall bildet, der
nun seltsam mit dem blutrothen Wasser kontrastirte.
Von der Nacht, die auf den Walsischfang folgte,
wollen wir schweigen. Die Lustigkeit und Fröhlichkeit
überstiegen alle Schranken. Wie viel getrunken wurde,
wir wissen es nicht; aber die gutherzigen Leute gaben
selbst uns einige Thaler als unsern Benteantheil.
Die Dampfschiffverbindung der Färöer mit dem Fest-
lande ist keine allznhäusige. Der Dampfer, welcher uns
hierher gebracht hatte, war nach Island weiter gesegelt
und sollte uns auf dem Rückwege wieder aufnehmen.
Vier und zwanzig Stunden wartete er in Thorshaven
auf uns, als wir gerade auf einem Ausflug abwesend
waren. Wir hatten nun die Wahl, bis zum nächsten
Postdampfer warten oder ans einem offenen Boote
nach den Shetlandsinseln überzusetzen und von dort wei-
L. Isleib: Die slavischen Bewohner an der südöstlichen Grenze tc.
311
ter zu gehen. Wir wählten Letzteres. Für 10 Pfund
Sterling mietheten wir ein starkes Boot, das mit fünf
tüchtigen Matrosen bemannt und mit Lebensmitteln für
einen Monat versehen wurde. Wenn der Wind Nord-
west bläst, hält er oft wochenlang so an, und mit diesem
Winde machten wir uns unter Führung von Magnus
Jonsson, unserm Capitän, nach „Heiland", wie die Männer
von Färöer sagen, auf. Groß- und Klein-Dimon,
zuletzt Suderö, entschwanden unseren Blicken. Die
Gnillemots und Puffins blieben aus, nur die schwarz-
wangige Möve, Barns marinus, und die Häringsmöve,
Barns argentens, verließen uns zu keiner Tages- und
Nachtzeit. Sie zogen die Häringe, welche sie aus den
Schwärmen hervorholten, allen anderen Fischen vor.
Der Wind hielt an. Von Suderö bis nach Unft,
dem nördlichsteil Punkte der Shetland-Inseln, sind 180
Miles. Unser Magnus Jonsson erzählte alte nordische
Heldensagen, wie sie noch auf diesen einsamen Inseln fort-
leben. In 40 Stunden hatten wir die Fahrt bei
schönem Wetter glücklich zurückgelegt. Wir ankerten in
dem Hafen von Balta Sund und gingen von da nach Ler-
wick, wo wir den Postdampfer nach Kirkwall in Schott-
landbestiegen. — (Nach der North British Review.
Mai 1864.)
Die slavischen Bewohner an der südöstlichen Grenze des deutschen Bundes.
Von Ludwig Jsleib in Laibach.
Das Herzog thu in Kraiu, ein Bestandtheil des
österreichischen Kaiserthums und des deutscheil Bundes,
wird gewöhnlich eingetheilt in Ober-, Inner- und Unter-
krain. Zu dem erstern gehören die Gegenden der nörd-
lichen und nordöstlichen Ausläufer der Triglavgruppe, die
Karavanken und Santhaler Alpen; das zweite umfaßt
den größteil Theil des Karstgebirges, uild das dritte be-
steht aus denl Walde lind Hügellande längs der kroatischen
Grenze. Tie Grenzstrecke selbst, vom Fuße des Schilee-
bergs, der höchsten Erhebung des Karstgebietes, bis zu dem
Dorfe Jessanitz an der Save, ist etwa 32 Meilen lang.
Der Unterkrainer (dolenz, von dol, unten) ge-
hört nicht einem Stanune an, sondern es wohnen ver-
schiedene Völkersplitter in diesem Lande. Die Mehr-
zahl sind Slaven, und zwar: Krainer oder Sloveneil,
Kroaten, Uskoken oder Blähen, und Deutsche,
nämlich Gotschever.
Die Bewohiler Krains nannten sich früher Alle:
Krailier. Die Bezeichnung „SloVenen", ivelche setzt
mehr und mehr gebraucht wird, ist neuern Ursprungs und
eigentlich erst seit dem Jahre 1848, seit der starken Re-
gung des Nationalitätsprinzips, eingeführt worden. *)
Früher sagte man wohl auch „Winden", statt „Slo-
venen"; allein der gelehrte SlavistKopitar hat nachgewie-
sen, daß diese Bezeichnuilg nur den in Kärnthen und
Steiermark ansässigen Slaven gegolten habe, welche zum
Unterschied von ihren deutschen Mitbürgern „Winde"
genannt wurden; der Ausdruck ist also nur das delltsche
Synonym für „Slaven", etwa wie „Ungar" für „Magyar"
ist. Die Slaven in Kärnthen und Steiermark neilnen
sich selbst „Slovenzi", d. i. Leute vom slavischeu Stamme;
da sie aber iu Sprache, Tracht uud Lebensweise ben Krai-
nern gleich sind, so hat man den Namen „Slovenen" auch
aus diese ausgedehilt.
Der Slovene Unterkraius unterscheidet sich von jenen
Ober- uild Jnnerkrains in manchen Punkten. Die be-
deulendste Verschiedenheit dürfte in der Lebensweise und
*) Dagegen spricht Prof. Dr. Klun, von dem wir eineil
sehr interessanten Aufsatz: „Die slovenische Literatur;
eine historische Skizze" im 3. und 4. Bande der Oesterreichi-
schen Revue 1864 finden. „Der Grund, daß die Slovenen
kaum dem Namen nach gekannt sind, ja daß selbst der Name
von den Gegnern als „eine Erfindung der Neuzeit" bezeichnet
wurde, liegt darin, daß sich dieser Volksstamm nach auswärts
wenig bemerkbar gemacht hat; daß daher die nicht slavischeil
Völker von der Thätigkeit des regsamen und strebsamen Völk-
chens südlich der Drawe, bis au der Adriaküste uud längs
deren Nordostseite, Kenntniß zu nehmen kaum Gelegenheit
fanden." ' A.
im Charakter bestehen; in Sprache, Tracht und Sitte
finden wir nur unbedeutende Abweichungen. Während,
nach dem Urtheile des alten krainischen Geschichtsschrei-
bers Hoff, der Oberkrainer von schönem Wüchse, munter,
scharfsinnig, arbeitsam, reinlich in seiner Haushaltung,
dabei aber zänkisch und jähzornig, der Jnnerkrainer unter-
setzt, äußerst genügsam lind fleißig ist, erscheint der Unter-
krainer mehr von schwächlichem Körperbau, nicht selten
schmutzig, in seiner Haushaltung nachlässig, rachsüchtig
uild liederlichem Leben geneigt. Dieß Urtheil gilt nicht
nur für die damalige, sondern auch für die jetzige Ge-
neration.
Natürlich ist hier von der Landbevölkerung die Rede;
in deil Städtell ist delltsche Sitte und Sprache so weit
eingebürgert, daß sie Geilleingut aller Gebildeten ist.
Wesentlich verschieden von den Slovenen sind die
Gotscheverj die Bewohner der Südgrenze Unterkraius.
Es sind das Deutsche, Thüringer und Franken, welche
sich unter Kaiser Karl IV. iu de» Jahren 1350—60 hier
ansiedelten und ein halbes Jahrtausend hindurch inmitten
der slavischeu Bevölkeruug ihre Sprache unvernlischt er-
halten, dieselbe aber auch nicht weiter entwickelt haben,
so daß sie unter sich lioch ganz die beiden alten Dialekte
sprechen; das ist für einen Germanisten natürlich voll
außerordentlichem Interesse. Auch von ihren altdeutschen
Sitten sind viele Reste geblieben; die alte Tracht aber,
welche in krainischen Chroniken atisführlich beschrieben
lvird, ist jetzt ganz modernisirt und inanchem slavischen
Einfluß unterlegen. *)
Die weitere südöstliche Grenze Krains ist von Slo-
venen, Kroaten und Uskoken bewohnt, welche in Folge der
Stammesverwandtschaft sich mehr und mehr assimilirt
haben. Je nachdem das eine Element, oder das andere,
überwiegend oder lebensfähiger war, hat es einen, für die
Weiterentwicklung des Nachbarn bestimmenden Einfluß
geübt. ^ So war die Bevölkerung in der Nähe von Mött-
ling früher entschieden kroatischer als jetzt, lind die Bruch-
theile der Uskoken werden allmälig absorbirt.
Die Ullterkrainer kroatischen Stammes, welche das
linke Ufer der Kulpa in einer Ausdehnung von 10 Mei-
len bewohnen, sind lvesentlich verschieden von den atidereu
Krainern und werden wegen ihrer Tracht „Weiße Krai-
ner" (heli krajnzi) genannt. Ihr Hauptsitz ist bei
*) Der Globus hat über die Gottschever in Band II,
S. 86 ff. einen Bericht gebracht. In der allerjüngsten Zeit
hat P. v. Radies, iu der Oesterreichischen Revue 1864, eine
anziehende Beschreibung dieser Völkerschaft gegeben; wir wer-
den einige Auszüge daraus mittheilen. A.
312
L. Islerb: Die slavischen Bewohner au der südöstlichen Grenze rc.
Möttling (metlitza), bet* letzten Stadt Krams an der
Straße nach Karlstadt, und in Pöllard. Ihre Tracht
ist höchst originell und malerisch. Der Mann trägt eine
rothe oder blaue Mütze, eine Art Fes, die aber in der
neuesten Zeit von dem kleinen, runden, im übrigen Krain
üblichen Hut verdrängt wird, eine blaue oder weiße, roth
eingefaßte Weste, ein verschnürtes Wamms, enganliegende
Beinkleider (wie die Magyaren), mit blauem Vorstoß.
Die Fußbekleidung besteht aus weißwollenen Socken, die
oberhalb der Knöchel buntfarbige Streifen haben, und
darüber werden die Opanken (Sandalen, Ledersohlen)
mit Riemen befestigt.
Die Tracht der Frauen ist besonders malerisch. Sie
besteht ans einem lange», bläulich lveißen Rock von Tuch
oder grober Leinwand, mit blauen Schnüren eingefaßt,
darunter ein langes, sackartiges Oberhemd von Perkal
oder feiner Leinwand, in der Taille mit einem buntfar-
bigen Shawl oder einer Schürze zusammengehalten, deren
Zipfel hinten herabhängen. Als Schürze dient ein tep-
pichartiges Tuch mit Fransen. Die schwarz- oder grau-
wollenen Strümpfe sind bis nahe über die Waden mit
rothen oder weißen Schnüren umwunden, die in Quasten
verlaufen. Als Schuhe dienen weißwollene Socken mit
bunten Fransen. In einigen Orten herrscht die Sitte, das
Haar in zwei Zöpfe zu flechten uub über die Schulter
und Brust herabhängen zu lassen. Als Schmuck tragen
die Mädchen und jungen Frauen Glasperlen, Korallen,
Münzen und messingene Knöpfe in diesen beiden Zöpfen,
die dadurch oft ein ganz respektables Gewicht erlangen.
Viele Gebräuche dieser „weißen Krainer" sind höchst
originell. Manche derselben haben zwar unter der Zeit-
strömung auch gelitten, jedoch weniger als es anderwärts
mit des Volkes Sitten und althergebrachten Gebräuchen
geschehen ist.
Bei den Kindtaufen herrscht die sonderbare Sitte,
daß die Pathin ein weißes Brod mitnimmt, welches sie
an die Kinder, die ihr begegnen, austheilt. Wenn sie
nichts gäbe, dann würden ihr diese nachschreien: volk ti
pozri ätzte! (Der Wolf fresse dir das Kind.)
Die Brautwerbung geschieht durch den Vater, den ein
Nachbar oder Verwandter nebst dem Sohne begleitet.
Die Werber heißen snubaci. Hochzeiten finden meist
in der Faschingzeit statt. Am Trauungstage holt der
Bräutigam mit seinen Gästen die Braut aus dem elter-
lichen Hause ab. Die Verlobten reiche:: einander die
Hände, die der ^Lpcisemeister und Brautführer
(Starasina) mit einem weißen Tuche umwindet; er be-
sprengt dann das Brautpaar mit Wein. Diese Cere-
monie heißt hisnaporoka (häuslicheTrauung). Nach
der kirchlichen Trauung geht man gewöhnlich auseinander,
und erst am Abend kommt man im Hause der Braut
wieder zusammen.
Die Braut (Nevesta) trägt auf dem Kopfe eine glän-
zende Brautkroue aus Rauschgold, Wachsperlen und Glas-
korallen; ein Stirnband, das ebenfalls mit Glaskorallen
geschmückt ist uub an welches am Hinterkopfe eine Menge
schmaler, bnntfarbiger, fliegender Seidenbänder befestigt
sind, die über den Nacken bis zur Schulter herabfallen.
Das klebrige des Brautkleides ist der gewöhnlichen Tracht
entsprechend, nur reicher und feiner. Um be» Hals trägt
die Braut Schnüre von Glasperlen, vorn am Gürtel ein
Crucifix, oder eine Münze mit einem Marienbilde. In
der rechten Hand hält sie ein gelbes Taschentuch, die
linke Hand ist in der Tasche verborgen.
Der Bräutigam hat außer der gewöhnlichen Tracht
air diesem Tage noch einen lveißen Tuchmantel, in einigen
Orten auch zwei rothe, kreuzweise über die Brust ge-
schlungene Seidentücher.
Der Brautführer (Staraschina), gleichsam das
Faktotum, der Hauptnarr bei einem Hochzeitfeste, ist
eine Hauptfigur im Brautzuge. Er trägt einen rothen
Tuchmantel, eine hellblaue Tuchweste, roth eingefaßt und
mit großen Metallknöpfen. In seinen Händen hält er
eine Fahne, die aber nur eine einfache Stange ist, an
welche ein gelbes Tuch befestigt ist; oben prangt ein
Blumenstrauß. Er geht tanzend dem Zug voran, stimmt die
Lieder an, sammelt für die Spiellente, indem er dabei
allerlei Späße verübt,' und belustigt die Hochzeitgäste.
Die Braut darf beim Austritt aus dem elterlichen
Hause nicht durch die gewöhnliche Hausthür gehen, son-
dern durch eine Seiten - oder Hinterthür. Der Bräutigam
(Zenin) setzt ihr seine Mütze auf und hängt ihr seinen
Tuchmantel um. Im Vorhause muß sie sich auf einem
niedrigen Stuhle niederlassen. Ein kleiner Knabe (Ko-
leinik) wird ihr auf den Schooß gegeben, und sie muß
ihn mit einem bunten Halstuche und einem Brotlaibe
beschenken. Gemeinschaftlich, mit der Braut trägt einer
der Gäste ein zweites großes Brot, das über dem Tische
aufgehängt wird. Der Staraschina (Brautführer) theilt
dasselbe nach der Hochzeit in zwei Hälften; die eine wird
sogleich an die männlichen Gäste herumgegeben, die zweite
wird der Braut eingehändigt, damit sie dieselbe am näch-
sten Sonntage beim Kirchgänge unter ihre Bekannten
vertheile.
Wenn ein Wittwer zum dritten Male hei-
rathet, geht die Braut nicht zum Hausthore,
sondernchurchs Fenster ins Haus, sonst, sagt man,
müsse sie binnen einem Jahre sterben. Eine Wittwe
muß einem ledigen Manne immer selbst die
Hand antragen.
Wenn die Hochzeitgäste vor der Wohnung des Bräu-
tigams (nach der Hochzeit, denn diese wird im Hause der
Braut gefeiert) anlangen, kommen die Eltern des Neu-
vermählten ihnen mit einem Glase Wein entgegen, küssen
die neue Tochter und sagen in einer Anrede, wie sie sich
als Hausfrau zu betragen habe. Diese trinkt den Wein
und betritt an der Hand des jungen Mannes das Haus,
wo am folgenden Tage die Schmausereien beginnen.
Bei Begräbnissen hat man bei den weißen Krai-
nern noch die Klageweiber, ähnlich wie in Bosnien
und Serbien.
In einigen Orten herrscht zur Weihnachtsfeier eine
eigenthümliche Sitte. Bei Möttling werden in jedem
Hanse vier Brote gebacken, eins aus Weizen-, die anderen
drei aus gemischtem Kornmehl. Das weiße Brot ist mit
allerlei Verzierungen, Kränzen rc. geschmückt, heißt Bo-
zicnik und ist rund, weil es in Siebreifen eingeschlos-
sen gebacken wird. Die anderen drei Brote haben die
gewöhnliche Form. Wenn am Weihnachtsabend Alles
zur Ruhe gegangen ist, werden diese Brote von der Hans-
frau auf den Eßtisch gelegt, das weiße in die Mitte; am
andern Morgen werden sie wieder fortgetragen. Dies
geschieht am Vorabende des zweiten Weihnachtsfeiertags
sind am Neujahrsabeilde ebenfalls. Am Neujahrsmorgen
werden sie dann an die versammelten Hausangehörigen,
au das Hausvieh, an das Gesinde und an die Verwandten
vertheilt.
Das weiße Brot soll das Christuskind, die drei
schwarzen Brote sollen die drei morgenländischen
Weisen bedeuten; das Volk glaubt, Gott segne diese
Brote vorzugsweise, und behandelt sie daher mit Ver-
ehrung.
Die „weißen Krainer" sind gastfreundlich im hohen
Grade, am meisten aber gegen den, der^ gut mit ihnen
tafelt und trinkt. Es ist das ein kroatischer Charakter-
zug. Das Hausrecht übt patriarchalisch der Aelteste im
Hause, und seinen Befehlen folgt man. Die Feldarbeit
wird gemeinschaftlich besorgt, einerlei, wie viele Familien
auch ein Haus bilden.
In Bezug ans geistige Bildung ist das Volk noch sehr
zurück; cs darf uns daher auch nicht verwundern, wenn
der Hexen- und Aberglaube unter ihm noch sehr
verbreitet ist. Hüter Andern: glaubt man, daß ein am
Schlangenbiß Gestorbener oder von: Blitz Er-
schlagener nicht selig werde.
Die Eingeborenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs.
313
In den Volksliedern spielt der „Erbfeind der Chri-
stenheit" die Hauptrolle; es ist das begreiflich, denn hier-
an der Kulpa fanden viele Türkenkämpfe statt; sder Haß
gegen den Türken wurzelt noch tief im Herzen des Volkes.
Die Ns koke u, oder wie sie sich selbst nennen, die
Blähen (Wlachen), sind ein eingewanderter Volksstamm,
was schoir ans dem Nanien hervorgeht. Im Sloveni-
schen heißt Uskok ein Neberläufer, Deserteur (von
Skok, Sprung) und die Uskoken sind wirklich Flücht-
linge, welche um das Jahr 1543 aus der Türkei nach
Krain kamen.
Ueber die Abstammung dieses merkwürdigen Völkchens
hat man verschiedene Angaben, Nach Einigen, tvelche
auf die Bezeichnung „Blähen" ein besonderes Gewicht
legen, sollen sie von den Walachen der Donaufürstenthü-
mer abstammen. Andere meinen, sie seien unterjochte
Römer, Italiener, denn Null heißt Italien. Endlich be-
haupten Atidere, es seien vor den Türken geflüchtete Ser-
ben, Bosiliaken oder Bulgaren, und dies ist das Rich-
tige, denn aus ihrer Sprache geht offenbar hervor, daß
sie einem slavischen Stamme und keinem romanischen
angehören. Auch in Dalmatien gibt es solche Uskoken
oder vor den Türken gefliichtete Serben, die an der illy-
rischen Küste erst in Clissa, dann in Zengg ein Gemein-
wesen gründeten. Zu den Walachen in den Donaufür-
stenthümern, deren Sprache (das Rumänische) wirklich
ein romanischer, mit viel L-lavischem untermengter Dia-
lekt ist, stehen die Uskoken (was auch schon der alte
Chronist Valvassor nachweist) in keiner Beziehung.
Die serbischen Flüchtlinge siedelten sich an dem längs
der Kulpa sich hinziehenden Uskokengebirge an, das erst
nach dem Erscheinen dieser Ankömmlinge seinen heutigen
Namen erhielt. Ihr Hauptsitz ist in jenem Theile der
Sluiner Militärgrenze, welche zwischen Krain und
Kroatien eingeklemmt ist, und wo die alte, den
deutschen Namen Sichelburg führende Veste liegt. Ein
Theil siedelte sich auch auf' dem linsen Kulpaufer bei
Freienthurn und Weinitz an, wo wir ihre Nach-
kömmlinge noch heute finden. In Tracht und Sitte sind
sie jetzt meist den „weißen Krainern" gleich; nur in der
Sprache und in der Religion besteht noch einige Ver-
schiedenheit.
Die Unterkrainer gehören alle, bis auf einen kleinen
Bruchtheil, der römisch-katholischen Kirche an. Unter
den weißen Krainern giebt es mehrere Hunderte griechi-
scher Katholiken, und unter den Uskoken einige Hundert
nicht unirter Griechen, sogenannte „Altglauber" (stara-
verce). Diese Altgläubigen bewahren ihre hergebrachten
Sitten und Gebräuche; sie haben die „Hauscommunion",
wie sie auch in der Militärgrenze besteht, nämlich jene
patriarchalische Einrichtung, daß der Familienälteste das
Oberhaupt, aller Besitz gemeinschaftlich ist rc. In einem
Hause leben oft drei bis vier Familien.
Im Gebirge bewohnen die Uskoken meist einzeln ste-
hende Gehöfte, bei denen sich ihre Weinberge, Obstgär-
ten, Felder rc. befinden. In der Nähe von Freienthurn
und Weinitz haben sie aber auch große Dörfer.
Bei den Hochzeiten und Begräbnissen walten eigen-
thümliche Gebräuche ob. Die Braut wird zu Pferde
heimgeholt, und zwar von dein Brautführer, der hier
Dev er heißt; sie sitzt vor ihm auf dem Pferde mit verhüll-
tem Angesicht. Der Brautführer umwindet ihr uämlich
den Kops mit Tüchern, damit sie nicht sehe, wohin
sie geführt wird. Auch wenn die Abholung zu Fuße
geschieht, geht die Braut mit verhülltem Antlitz, das sie
erst während der Trauung entblößt. Ein poetischer Ge-
brauch war früher der, daß der Geistliche während der
Trauung dem Brautpaare Rosenkränze aufsetzte, als Sinn-
bild der Treue.
Ihre Todten begräbt man an einem beliebiger: Platze;
in den Sarg legt man eine Münze und ein
Stückchen Brot. Ehemals legte man dem Todten auch
Steine auf Kopf und Füße, damit er nicht als Todter
wiederkehre. Bei Begräbnisse:: von Kindern ver-
wünscht die Mutter den Tod und zerschlägt die
Wiege.
In früheren Zeiten standen die Uskoken in keinem
sonderlich guten Rufe, und die Schilderung, welche der
alte Chronist Valvassor von ihnen entwirft, hebt zwar
hervor, daß sie sehr tapfer und kriegerisch seien, ver-
schweigt aber auch nicht, daß Raub und Diebstahl bei
ihnen eher als Verdienst, denn als Verbrechen angesehen
wurden. Zum Kampfe gegen ihren Erbfeind, den Tür-
ken, waren sie zu jeder Stunde bereit. Dies hat sich
natürlich geändert; die llskoken sind jetzt gleich den übri-
gen Krainern inehr friedlicher Natur, treiben ihre Vieh-
zucht, ihren Feld- und Weinbau in derselben Weise, wie
die anderen Unterkrainer, und lieben nur noch den
Kampf mit dem herben, aber sonst der Gesundheit sehr
zuträglichen unterkrainer Wein, wobei sie oft unterliegen.
Der Bewohner Untcrkrains heißt Dolenz, denselben
Namen führt auch der Wein, und ferner ist Dolenz ein
oft in Krain vorkommender Eigenname. Dies hat ein-
mal zu einer ergötzlichen Verwechslung geführt. Ein
Straßenwärter fand einen Bauer, der aus Kopfwunden
blutete, im Straßengraben. Auf seine Frage, wer ihm
das gethan, antwortet der Bauer: prelltet Dolenz (der
verdammte Dolenz). Der Straßenwärter macht die An-
zeige, das Gericht zieht einen vagabondirenden Dolenz
ein, confrontirt ihn mit den: Bauer, der gar nicht weiß,
weshalb er vorgeladen wurde, und unter dem Gelächter
der Anwesenden klärt sich das Mißverständniß auf. Der
Bauer hatte den Wein gemeint.
Die Eingeborenen Algeriens unter -er Herrschaft Frankreichs.*)
I.
Charakter der französischen Herrschaft. — Die eingeborenen Völker. — Die Araber und ihre Verfassung. — Kabylen, Mauren und Juden. — Provinzen;
Militär- und Civilgebiete.
Die Einnahine der Stadt Algier durch die Franzosen
an: 4. Juli 1830 war mit verhältnißmäßig geringe::
Opfern erreicht worden. Der Dey Hussein dankte ab
*) Der Verfasser dieser Mittheilungen, der königlich säch-
sische Oberlieutenant Herr Lommatzsch, hat zu zwei ver-
schiedenen Malen Algerien besucht und dort etwa anderthalb
Jahre verlebt. Ihm lag daran, die Zustände jener Besitzung
genau kennen zu lernen, und der obige Aufsatz, dem wir spä-
terhin einen andern über die große Kabylie folgen lassen wer-
den, ist ein Ergebniß seiner Beobachtungen.
Globus VI. Nr. io.
und zog sich auf ein Landhaus bei Neapel zurück, währeud
eine von Marschall Graf Bourmont niedergesetzte Kom-
mission über die Regierung des eroberten Landes berieth.
Einer der größten Fehlgriffe dieser _ Kommission war
es, die Türken zu entwaffnen und, mit Ausnahme der
Verheiratheten, nach Smyrna einzuschiffen. Die Türken
hatten mehrere Jahrhunderte hindurch das Land regiert,
sie kannten die Kriegsführung und die Art, die Eingebo-
renen zu behandeln. Sie wären in den vielen nun fol-
genden Kämpfen von entschiedenem Nutzen gewesen. Diese
10
314
Die Eingeborenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs
Kämpfe ließen nicht lange auf sich warten. Schon Bour-
mont empfing auf einer zwecklos unternommenen Expe-
dition gegen Blidah eine empfindliche Lehre, ja einer seiner
Nachfolger, General Berthezöne, wurde im Engpaß von
Mouzala von den Kabylen des kleinen Atlas aufs Haupt
geschlagen. Die entschiedenen Mißgriffe der Gouverneure
von Algerien, das fortwährende Schwanken in Betreff
der Verwaltung des Landes und die geringe Unterstützung
von Seiten des Mutterlandes waren nicht geeignet, die
junge, neue Besitzung in. Blüthe zu bringen, oder die
Sympathien der Eingeborenen zu erwecken.
Dagegen, oder eben dadurch gelang es dem genialen,
kraftvollen Sohne des Sidi Mahiddin, dem Emir Abdel-
kader, fast alle Völkerschaften Algeriens zum heiligen Kampf
(Dschihad) gegen die Franzosen zu versammeln und, vom
Glück unterstützt, sich ein mächtiges Reich im Süden und
Westen der Kolonie zu gründen.' Selbst die nächste Nähe
der Stadt Algier war vor den Räubereien seiner Schaa-
ren, unter denen namentlich die Hadschuten durch ihre
Grausamkeit und Kühnheit sich ausgezeichnet haben, nicht
gesichert. Unter solchen kriegerischen Umständen konnte an
eine geordnete, regelrechte Verwaltung des Landes nicht
gedacht werden. Der Generalgouverneur von Algerien
handelte mit der Befugniß eines Diktators, nach Laune
und Willkür, während man in Paris darüber berieth,
ob man nicht überhaupt die ganze Eroberung wieder
fallen lassen solle. Erst nach der Gefangenuehmung Abd-
elkaders am 23. December 1847 trat ein mehr geordneter
Zustand ein, und die Beschlüsse der provisorischen Regie-
rung 1848, sowie später die kaiserlichen Dekrete zeugen
voir dem Bestreben, den Interessen des Landes überhaupt,
in gleicher Weise denen der Kolonisten wie der Einge-
borenen, Rechnung zu tragen. Es ist hier nicht der Platz,
das vollständige System der französischen Verwaltung
Algeriens zu entwickeln. Im Allgemeinen sucht man
Frankreich nach Algerien hinüberzutragen und, allmälig
vorwärts schreitend, den Eingeborenen französische Sitte
und Geist zu octroyiren.
Die muselmännische Bevölkerung von Algerien
besteht aus Arabern, Kabylen, Mauren, Türken, Kuluglis
und Negern, welche allesamt durch Abstammung, Cha-
rakter und Sitte von einander geschieden sind. Zu den
Eingeborenen müssen außerdem die Israeliten gerechnet
werden.
Die Araber sind jedenfalls schon im 7. Jahrhundert
nach Christi Geburt in das Land gekommen, wo sie als
Eroberer sich zum Theil mit der besiegten Bevölkerung
vermischten. Jur Allgemeinen haben sie jedoch, nament-
lich in den Steppen und in der Wüste, ihre alten patriar-
chalischen Sitten zu erhalten gewußt. Man unterscheidet
zwei Hauptklassen unter ihnen: die Beduinen oder wan-
dernden Araber, welche noch heut zu Tage mit ihren
Heerden nach Weideplätzen umherziehen niib wenig oder
gar keinen Ackerbau treiben, und die Hadars oder an-
gesessenen Araber. Die Zahl der Letzteren ist nicht
sehr groß.
Lust zu ungebundenem Leben und Abenteuern er-
scheint als ein Hauptcharakterzug dieses Volkes. Deshalb
ist dem Araber das Leben in der Wüste so lieb, wo er
treiben und thun darf, was er will. Seine Bedürfnisse
sind einfach. Die Kleidung, ein Halt und Burnus aus
Wolle gefertigt, vererbt sich vom Vater auf den Sohn
und wird gu jeder Jahreszeit, in jedem Wetter getragen.
Hunger und Durst hat der Araber von Kindheit an zu
ertragen gelernt, und es ist für ihn eine Lust, auf flinkem
Rosse in glühendem Sandmeer den flüchtigen Strauß zu
jagen oder die Truppen der Rummi (Christen) Tage
lang unausgesetzt zu umschwärmen. Wehe dem, der in
seine Hände fällt; ein qualvoller Tod ist ihm sicher.
Bei dieser Lust zur Ungebuudenheit ist der Araber
fremden Eiuflüssen doch zugänglich. Er läßt sich leicht
bestimmen, an einem Abenteuer Theil zu nehmen, betreffe
es eine Liebesangelegenheit oder Jagd, eine Räuberei
oder Krieg. Schnöde Habgierde macht ihn unter Um-
ständen zum Verräther au Volk und Glauben, zum Mör-
der seiner Blutsverwandten. Der Predigt des Marabut
leiht er immer ein williges Ohr, und aus dem Mörder
wird dann ein Gottesstreiter, der durch das Blut der
Ungläubigen sich das Paradies erwirbt und den Tod im
Kampfe als die Pforte zum Himmel betrachtet. —
Auch in seinem Duar ist der Araber ein treuer Be-
kenner des Korans; er versäumt nie die Stunde des
Gebets, und während des Rhamadan wäre keine Macht
im Stande, ihn zur Uebertretuug des strengen Fastens zu
verleiten. Die meisten Reisenden preisen die Gastfreund-
schaft der Araber. Der Verfasser dieses Aufsatzes, wel-
cher längere Zeit unter jenem Volke gelebt hat, kann deut
unbedingt nicht beistimmen. Hier freundlich empfangen,
verdankte er anderwärts nur den Empfehlungen der ge-
fürchteten Bureaux arabes ein leidliches Unterkommen.
Auch weigerte sich der Wirth niemals, eine Bezahlung
vom Gastfreunde anzunehmen.
Die Araber wohnen meistens in schwarzen oder grauen,
aus Kameelhaaren gewebten Zelten. Die Vereinigung
mehrerer Zelte bildet ein Dorf — Duar — dem herge-
brachtermaßen das Haupt der Familie, oder der Aelteste
— als solcher Scheikh genannt — vorsteht. Eine Ferka
— Abtheilung, Sektion — heißt die Vereinigung mehrerer
Duars unter einem Scheikh. Der „Tribus" — Stamm
— unter einem Kcnd besteht aus mehreren Ferkas, ein
Aghalik unter einem Agha aus mehreren Stämmen.
Alle höheren Würden sind erst durch die Franzosen ge-
schaffen worden.
Als nationale Grundeintheilung ist der Stamm zu
betrachten, welcher vor dem Namen der ursprünglichen
Familie gewöhnlich das Wort Beni oder Uled (Söhne,
Kinder) führt, z. B. die Beni Merriem, die Söhne
der Maria (der Mutter Jesus) und die Uled Sidi
Scheikh re.
Außer diesen zeitweilig erwählten Chefs — den
Scheikhs, Ka'ids, Aghas — finden wir bei den Ara-
bern noch drei Gattungen von Adeligen, welche jedoch
weniger ihrem Namen, als ihrer eigenen Aufführung einen
möglichen Einfluß und eine Auszeichnung verdanken.
Scheurfa nennt man diejenigen Muselmänner, welche
von Fatma Zohre, der Tochter des Propheten, und Sidi
Ali - Abi - Taleb, dem Oheim desselben, abstammen.
Die Djuad, ein militärischer Adel, sind die Nachkommen
der alten arabischen Familien, welche erobernd von Osten her
in das Land gedrungen sind. Sie bilden die Anführer im
Kriege. Von höchstem Einflüsse sind die Marabuts, der
geistliche Adel, von dem weiter unten die Rede fein wird.
Ueber die Abstammung der Kabylen herrscht noch
heut zu Tage ein gewisses Dunkel. Während ein großer
Theil der Geschichtsforscher und Geographen sie für Ab-
kömmlinge der alten Numidier hält, sehen Andere in
ihnen die Nachkommen der Vandalen. Es ist wahr-
scheinlich, daß sie ein Mischvolk aller der Völker sind,
welche hintereinander in Nordafrika sich niedergelassen
und von den neuen Eindringlingen besiegt in die schützen-
den Berge zurückgezogen haben.*) Gelehrten Forschern
diese Untersuchung überlassend, bemerkt der Verfasser nur,
daß er ans seinen Reisen in der Kabylie und namentlich
in der großen Kabylie durch Gestalt und Wesen der
Kabylen vielfach an unsere süddeutschen Bauern: erinnert
wurde. Außerdem scheineu ihre Ueberlieferungen auf
einen germanischen Ursprung hinzudeuten. Sie rühmen
sich der Abstammung von einem Volke, das blond ge-
wesen und aus dem Norden gekommen sei. Zur Er-
innerung eines ehemaligen andern Glaubens tragen^noch
heut zu Tage die Frauen ein Kreuz auf der 'Stint
tättovirt.
*) Man vergleiche den Aufsatz: Die blondhaarigen,
blauäugigen Kabylen in Algier (Globus VI, S. 184 ff.),
in welchem die verschiedenen Ansichten über diesen Gegenstand
zusammengestellt worden sind. D. Red.
Die Eingeborenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs.
315
Man findet die kabyli scheu Stämme auf der gan-
zen Nordküste von Afrika zerstreut, wo sie überall mit
Vorliebe bergige Gegenden bewohnen. Wohl türgends
haben sich ihre Sitten reiner erhalten, als in der gro-
ßen Kabylie, einem Hochlande, welches durch mächtige
Flüsse und Gebirge — im S. und O. das felsige Dscher-
dscheragebirge — beinahe vollkommen isolirt wird. Die
Bewohner öieses Landes haben den französischen Bajo-
netten am längsten widerstanden, und erst 1857 war
Marschall Randon im Stande, die politische Eroberung
Algeriens mit der Unterwerfung dieses bis dahin fast
unzugänglichen Gebietes abzuschließen. Mit äußerster
Hartnäckigkeit vertheidigten die Bewohiter ihre Berge, >
ihr Dorf, ihr Haus.
Im Gegensatz zu den Arabern sind die Kabylen seß-
haft und verlassen nur nothgedrungen die heimathliche
Schwelle. Sie bewohnen steinerne 'Häuser und Pflegen
den Garten und Ackerbau. Mit Rücksicht auf Verthei-
digung sind ihre Häuser festungsartig ans die Spitzen der
Berge gebaut, zu denen nur unwegsame, leicht verbarri-
kadirbare Schluchten führen.
Der Araber liebt den Krieg aus Lust an Abenteuern,
der Abwechslung Willen, der Kabyle ans Unabhängig-
keitsgefühl, vielleicht um des Kampfes selbst Willen.
Auch vor Ankunft der Franzosen haben die Kriege unter
ihnen nicht aufgehört. Diese Känrpfe erinnern an die
Sitten der alten Germanen. In der Regel ging eine
Art Kriegserklärung voraus, z. B. der Austausch eines
Gewehres u. dgl. Zuweilen galt ein Angriff auf die
Heerden des andern Stammes gleich einer solchen. War
der Streit ein gewöhnlicher, dann wählte man ein be-
stimmtes Feld zum Austrage des Kampfes. Mit langen,
weittragenden Gewehren und Flissa (Aatagan) bewaff-
net schlug man sich nach Plänklerart, und der größere
Verlust an Todten galt am Abend als Zeichen der Nie-
derlage. Nicht selten waren jedoch die Kämpfe ernstlicher
und endigten mit der Zerstörung des Dorfes und der
Vernichtung der streitbaren Männer eines Stammes.
Dann versammelten sich im höchsten Momente der Ge-
fahr die Frauen in der Mitte des Dorfes, in ihren Hoch-
zeitsschmuck gekleidet, uut) sangen, sich an der Hand
fassend, den Kriegs- und oft den Sterbegesang. Bei sol-
chen Streiten, wie auch stets im Kriege mit den Fran-
zosen, war ausgesuchte, entsetzliche Grausamkeit an der
Tagesordnung.
Die Sprache der Kabylen ist die berberische, welche
erst in unseren Tagen, z. B. von Haneteau, näher er-
forscht worden ist. Von den Arabern, den Siegern, ha-
ben sie nichts als den Islam angenommen, ohne gerade
allzu eifrige Bekenner desselben zu sein. Mit Fasten,
Beten und Enthaltung gewisser Speisen wird es nicht
genau genommen. Dagegen theilen die Kabylen mit
den Arabern eine unbegrenzte Anhänglichkeit an die Ma-
rabuts, vielleicht weil die Frömmigkeit dieser Leute die
ihrige einigermaßen ergänzt, wahrscheinlicher aber, weil
sie diese Sitte von ihren Altvordern überliefert bekommen
haben.
Der Kabyle besitzt sehr viele gute Eigenschaften und
zeichnet sich, nach meiner Meinung, Vortheilhaft vor dem
Araber aus. Man trifft überall sorgfältig angebaute
Felder, Frauen und Kinder nehmen an der Feldarbeit
regen Antheil. Nicht wenige Stämme sind durch ihre
Industrie berühmt. Die Beni-Raten z. B. verfertigen
Gewehre und Schießpulver nach einer richtigen Mischung;
die Atbes haben gegen 200 gangbare Oelmühlen; noch
andere Stämme haben mit ziemlichem Glücke französische
Gold- und Silbermünzen fabricirt.
Gegen Fremde ist der Kabyle äußerst gastfreundlich.
Selbst nüchtern und einfach in seinen Genüssen würde
er sein letztes Lamm schlachten, um den Kuskussu seines
Gastfrenndes damit zu belegen. Abweisung eines Gastes
würde eine allgemeine Verachtung nach sich ziehen, die
Mißhandlung desselben aber (nach den ehemaligen Ge-
bräuchen) unnachsichtlich mit Steinigung als Todes-
strafe bestraft worden sein. Dein Fremden wird der
Arme, der Unglückliche gleichgestellt. Es ist keine seltene
Ausnahme, daß einem heruntergekommenen Landsmann
von Seiteil des Dorfes der Acker bestellt, oder das bail-
fällige Haus wieder aufgebaut wird.
Noch darf nicht unerwähnt bleiben, daß die kabylische
Frau sich einer bei weitem größern Freiheit erfreut,
als die arabische. Erstere speist mit ihrem Manne, sie
geht nnverschleiert zur Mühle, zur Quelle. Auch die
Jünglinge uild Mädchen ilähern sich einander ungezwun-
gen, ohne daß der Aiistand lind die Sitte eine Verletzung
erfahren.
Merkwürdig ist die politische Orgailisation die-
ses Volkes. Das Dorf —Dachera— wird von allen
streitbaren Männern gebildet, welche gleichberechtigt in
der DschemLa stimmen. Mehrere Dachera formen den
Arch (Stamm). Ihm steht ein erwählter Amin vor,
der Anführer im Kriege, welcher aber im Frieden nur
mit der Exekutivgewalt bekleidet erscheint. Mehrere
Arch, welche ein Schntzbündniß schließen, nennen sich
Kebila, eine Congregation, die tu den Familienver-
wandtschaften lind der Lage der Wohilorte ihre Grund-
lage findet. Rein politischer und zeitweiliger Natur
sind die Bündnisse der „Sof", welche den Zweck haben,
erobernngssüchtigen Gelüsten der Familien, Dörfer oder
Stämiiie' vorzubeugen.
Als allgemeines Gesetzbuch der Kabylie gilt der Ka-
li un, eine Reihe gesetzlicher, mündlich überlieferter Be-
stimmungen mit örtlichen Abweichuilgen. Die Strafbe-
stimmungen bestehen in größeren oder kleineren Geldstra-
fen, wenn nicht (natürlich unter französischer Herrschaft
streng untersagt) Exil oder Todesstrafe angedroht werden.
Besonders zahlreich sind die Bestimmungen des Kanuil
wegen Diebstahls; Hehlerei und Blutrache gehen straf-
los ans.
Die Mauren siild das älteste Volk der westlicheil
Berberei, welches nach Sallnst aus einer Vermischung der
eingewanderten Meder nild Armenier (!) mit den einge-
borenen Libyern hervorgegangen ist. Statistische Nach-
richten weisen nach, daß ihre Zahl stark abnimmt. Der
Araber durchzieht seine Steppen, der Kabyle bebaut seine
Berge, der Maure hat seine Campagne auf dem Lande,
sein Haus und sein Verkaufsgewölbe 'in der Stadt. Ein
großer Theil der Maurell treibt Halldel, daher sind die
Städte an der Küste ihr Hauptaufenthalt. Nach Ankunft
der Franzosen verließ ein kleiner Theil die volkreichen
Städte, um sich im Innern niederzulassen, wo er sich
bald mit den Arabern vermischte. Diejenigen, welche ge-
blieben süld, haben sich durchaus an das französische Re-
giment gewöhnt. Im höchsten Grade bildungsfähig, spricht
jetzt beiilahe jeder Maure lieben der arabischen die fran-
zösische Sprache. Die französisch-arabischen Schulen wer-
den fleißig besucht, das Collège arabe-fran^ais, sowie die
Schule der Mousses indigenès zählen gegen zwei Drittel
maurische Schüler. Im Umgang mit Europäern ist der
Maure gesprächig und umgänglich. In den Bierhäusern
und Cafes der Stadt Algier findet man zu jeder Zeit
maurische Gäste, welche ein ziemlich unschuldiges Bier-
oder deil nervenaufregenden Absynth trinken. Trotz alle-
dem silld sie im Grunde fanatische Anhänger Moham-
meds, welche nie die Gebete versäumen und ihre Frauen
mit eifersüchtiger Aengstlichkeit überwachen. Doch haben
auch diese an dem modernen Fortschritt einigermaßen
theilgenommen; es eristiren mehrere französische Pensio-
nate für maurische Mädchen, und europäische Frauen sind
in jedem maurischen Damenkreise willkommene Gäste.
Von den übrigen Nationalitäten ist im Allgemeinen
nicht viel zu sagen.
Die Türken sind unter dem Korsaren Chaireddin
iil das Land gekommell, welcher sich zum Vasallen des
Sultan Selim I. erklärte. Selim schickte ihn: 2000 Ia-
nitscharen. Diese nlächtige Räuberschaar, aus deren Ka-
40'*
316
Aus allen Erdtheilen.
fernen viele Deys hervorgegangen sind, ergänzte sich fort
und fort durch neue Truppensendungen oder Anwerbungen.
Viele verheiratheten sich mit christlichen Sklavinnen, sind
ihre Kinder erhielten dieselben Rechte, wie die Väter,
wogegen die Kuluglis, d. i. die Kinder von Türken
und Maurinnen, dieses Vorzugs beraubt waren. Daher
haben diese Letzteren sich auch mehrfach empört. Im Jahre
1629 sind sie bei einer Revolte fast vollständig ausge-
rottet worden.
Wie schon erwähnt, verbannten die Franzosen 1830
alle unverheiratheten Türken. Aus diesem Grunde ist
die Zahl derselben zur Zeit nur noch sehr klein. Das-
selbe gilt noch weit mehr von den Kuluglis, die man
außerdem äußerlich von den Mauren fast nicht zu unter-
scheiden vermag.
Die Neger ans Bornu, Timbuktu, Bambarra u. s. w.,
haben seit undenklicher Zeit als Sklaven in Algerien ge-
dient, wo sie nach Annahme des Islam ein mildes Loos
fanden. Nicht wenige haben in der Armee der Deys
gekämpft. So war es ein Neger, welcher beim Sturm
auf Algier 1830 des Fort de l'empereur und sich selbst
in die Luft sprengte. Nach Aufhebung der Sklaverei durch
die Franzosen zog ein guter Theil es vor, in den alten
Verhältnissen zu ihren Herren zu bleiben.
Sie sind ein gutmüthiges, aber leicht verletzbares und
dann rachsüchtiges Volk. 'Im Kriege haben sie sich stets
treu und tapfer gezeigt. Bei den algerischen Volksfesten
spieleil sie noch jetzt die Rolle der Spaßmacher, indem
sie unter Musik von Trommel, Tamtam und eisernen
Castagnetten ihre diabolischen Tänze aufführen.
Äir würden die Juden an Dieser Stelle gar nicht
berühren, wenn ihnen nicht die Rolle vorbehalten wäre,
gewissermaßen die Dolmetscher und das Verbindungsglied
im Verkehr zwischen Franzosen und Eingeborenen zu bil-
den. Diese Funktion erfüllten sie schon zu Zeiten der
Deys, nur daß sie unter diesen fortwährend großen Er-
pressungen und Mißhandlungen ausgesetzt waren. Sie
sind jetzt in rechtlicher Hinsicht ganz den Franzosen gleich-
gestellt und haben somit durch die neue Regierung wirk-
lich große Vortheile erlangt, was sie jedoch schwerlich dazu
bewegen würde, im Nothfalle zur Vertheidigung der Fran-
zosen eine Hand zu rühren. Geldgierig, schmutzig von
Außen und Innen leben sie nur vom Handel, und jeder
Gewinn ist ihnen recht. Die Zuführer der öffentlichen
Dirnen in Algier sind irur Juden. Es versteht sich aller-
dings, daß Ausnahmen von dieser Allgemeinheit glück-
licherweise nicht selten sind.
Die erste durchgreifende Maßregel zur Regelung der
inneren Verhältnisse Algeriens erfolgte unter der Ver-
waltung des Marschall Bugeaud (1841 bis 1847). Schon
vorher hatte General Avizard 1832 ein Bureau arabe er-
richtet, welches indessen mehr die äußeren Verhältnisse zu
den Stammhäuptern der Eingeborenen ins Auge faßte.
Marschall Bugeaud theilte das Land in drei Provinzen,
und jede Provinz wieder irr ein „territoire civile, mixte et
militaire" mit Rücksicht auf die mögliche Ein- und Durch-
führung der französischen Civilverfassung. Mit wenigen
Modifikationen beruht die Organisation noch heut zu
Tage auf dieser Eintheilung.
Algerien zerfällt in drei Provinzen, Algier,
Oran und Constantine, welche zusammen von einem
in der Stadt Algier residirenden Generalsouverneur re-
giert werden. Die Gewalt desselben ist eme sehr ausge-
dehnte, in vielen Fällen geradezu dilatorische.
Er ist unbeschränkter Kommandant der Land- und
Seemacht; er ordnet das Budget und ist für seine An-
ordnungen mit Ausnahme weniger Fälle nur dem Kaiser
selbst verantwortlich. Ein Conseil consultatif über alle
das Landeswohl betreffenden Fragen und ein Conseil
supérieur, welcher das Budget prüft, steht ihm mehr nur
berathend zur Seite. In seiner Abwesenheit wird seine
Stelle durch einen Sousgouverneur ersetzt.
Aus allen
Soll man Abessinien oder Aethiopien sagen? Darüber
hat in einer der jüngsten Sitzungen der pariser geographischen
Gesellschaft Abbadie Folgendes bemerkt:
Die ostafrikanische Region zwischen dem Nil und dem
Rothen Meere von 7 bis 20° n. Br. wird gewöhnlich mit
dem Namen Abessinien belegt; derselbe ist aber ans meh-
reren Gründen unstatthaft. Man hat nämlich aus dem por-
tugiesischen Adjektiv aberim (sprich abeschim) Abyssin ge-
macht. Das Wort kommt vom arabischen Habaschah; dieses
bedeutet eine Anhäufung von Leuten verschiedener
Stämme, und die Bezeichnung wird für etwas Beleidigen-
des erachtet. Sie ist falsch, wenn man sie auf die Bewohner
der Landschaft Tigre anwendet, die wahre Semiten und auf
ihre Vorfahren nicht minder stolz sind als die Araber vom
reinsten Geblüt. Das Wort Habasch hat sich im Vulgärarabisch
als Habesch erhalten; so schreiben viele Deutsche, die aber das
Adjektiv abyssinisch haben; die Franzosen sagen Abyssinien.
Man schreibt auch Abessinien, und eine feste übereinstimmende
Schreibart ist demnach nicht vorhanden, und eben so wenig
gibt es für das, was man Abyssinien nennt, eine genaue
geographische Umgrenzung. Die Eingeborenen, selbst die mo-
hammedanischen, wollen von allen diesen Bezeichnungen nichts
wissen, und ein Araber, der seinen Stammgenossen in diesen
Gegenden Afrika's bezeichnen will, nennt ihn nach dem Namen
des Stammes, zu welchem er gehört, oder belegt ihn mit einem
in Europa wenig bekannten Namen: Djibberti.
Die Eingeborenen, auch die mohammedanischen, sagen:
Wir sind Eingeborene von Jtyopya, denn so schreiben sie
statt unsers Aethiopia. Die Bezeichnung Aithiopes für
Erdtheilen.
das Volk kommt schon in Homer vor; der Portugiese Tellez
hat dasselbe 1600 und der gelehrte Deutsche Ludolf 1669.
Schon im hohen Alterthume hatte man auch Gi'iz, d. l>
„(Land der) Freiheit". Die Könige, deren Hauptstadt
Gondar war, führten den Titel „König der Könige von
Aethiopien", unb diese Bezeichnung ist geblieben bis diesen
Tag. Das von ihren Vorfahren beherrschte Gebiet reichte
von Suakim am Rothen Meere bis Kassa, und vom blauen
Strome bis an das Gebiet der Somal. Es wäre demnach
gerathen, diese ganze Region Aethiopien zu nennen.
Krieg wegen eines Menschenopfers in Orissa. Diese
Landschaft bildet einen britischen Schutzftaat, sie liegt zwischen
den Präsidentschaften Ealcutta und Madras und wird von
einer Fortsetzung der östlichen Ghatsgebirge durchzogen. Vom
Godavery bis zum Ganges erstrecken sich dichte Wälder, das
Klima ist heißfeucht und sehr ungesund und die ganze Region
ein Paradies für Raubthiere und Schlangen. An der Küste
liegt die Stadt Dschaganat, wo alljährlich im März das
berühmte Wagensest zu Ehren Krischua's' unb anderer Götter
gefeiert wird; zu Ehren derselben ließen sich früher und lassen
manchmal noch letzt Andächtige sich unter den Rädern des
Götzenwagens zerquetschen. Im Innern wohnen die wilden
Völker, dre Khonds und Saurias, alte Urbewohner, welche
sich unter keiner Bedingung zur Abschaffung der Menschenopfer
verstehen wollen. Nun melden Berichte aus Indien Folgendes:
Am 15. Aprrl fand in den Gebirgen von Orissa eine blutige
Schlacht von Landleüten aus Dscheypore und denen aus
Aus allen Erdtheilen.
317
Talung statt, weil die Letzteren eine Frau opfern wollten.
Der Häuptling von Dscheypore hat nämlich mit den englischeil
Behörden gemeinschaftliche Sache gemacht, um ein solches Ab-
schlachten zu verhindern, und wollte seine Schuldigkeit thun.
Der Häuptling von Talung dagegen hatte das Gelübde ge-
than, seine Schwester der Gottheit zu opfern, wenn er Kinder
bekäme. Vor Kurzem wurde ihm nun ein Sohn geboren, und
nun wollte er seine fünfzigjährige Schwester der Gottheit
weihen. Die Leute von Dscheypore griffen alsbald zu den
Waffen und retteten die dem Tode Geweihte.
Fortschritt in der Republik Paraguay. Dieses Land
kennt nicht die arge Plage eines häufigen Prasidentenwechsels
und ist vom Jammer der Bürgerkriege verschont geblieben;
das Volk ist friedlich, eine zusammengeraffte, buntschäckige
Soldateska nicht vorhanden, säbelrasfelnde Generäle und
Obersten nach mexikanischer Art fehlen gleichfalls; jungen De-
magogen, welche sich Mühe gaben, die Indianer zum Commu-
nismus zu bekehren, wurde vom Präsidenten Lopez das
Handwerk gelegt. Deshalb schreien sie über „Tyrannei", ab"r
das Land gedeiht. Im Juni erschien in der Hauptstadt Asun-
cion ein deutscher Ingenieur, Richard von Fischer, welchen
der Präsident mit Herstellung einer Telegraphenlinie
beauftragt hat; alles nöthige Material war schon aus Europa
eingetroffen. Die Drähte werden eine Länge von ungefähr
500 Miles haben; eine Linie geht von Asuncion nach Villa-
rica; eine zweite am Paraguaystrom hin nach Hemarta, zur
Mündung des Parana, 180 Miles. Die dritte geht von der
Hauptstadt nach Norden in die oberen Provinzen.
Auf dem Paraguay wird die Dampffchijffahrt immer
lebhafter, und der Anbau des Tabaks und der Baum-
wolle gewinnt alljährlich eine größere Ausdehnung. Für beide
eigneti sich Boden und Klima ganz ausgezeichnet. Die nach
Europa gesandten Proben von Baumwolle sind für sehr gut
befunden und mit 30 Pence per Pfund bezahlt worden; im
Jahr 1864 wird die Ernte, in runder Ziffer, etwa 18 Millio-
nen Pfund betragen. Die Tabaksernte von 1863 hat 35 Mil-
lionen Pfund ergeben; auf europäischen Märkten wird das
Pfund Paragnaytabak durchschnittlich mit acht Silbergroschen
bezahlt. Auf manchen Pflanzungen fängt man aber an, den
Tabaksbau sehr sorgfältig zu betreiben und gewinnt ein vor-
treffliches Blatt, auch ist die Regierungsinspektion jetzt sehr-
streng^ in Betreff des Sortirens. — In Asuncion sind einige
europäische Franciskanermönche angekommen, um eine Mis-
sion in Gran Chaco zu gründen.
Aus den Staaten am La Plata. Ein in Buenos Ayres
erscheinendes englisches Blatt, der „Standard", schildert die
Lage der Dinge, im Juni, folgendermaßen: „Die argentinische
Republik macht im Ackerbau große Anstrengungen und Fort-
schritte; man verspricht der Regierung des Präsidenten Mitre
Dauer, und in den oberen Provinzen, welche seither eine Beute
der Anarchie und des Bürgerkrieges waren, herrscht nun Frie-
den und Ordnung". — An den Eisenbahnen wird rüstig
gearbeitet, und die Gesellschaft, welche den Saladofluß mit
Dampfern befahren wird, bethätigt große Rührigkeit. In den
Saladeros herrscht eine ungemeine Thätigkeit, lund der
Tag ist nahe, an welchem argentinischer Wein j Kaffee, Tabak
und Baumwolle in beträchtlicher Menge zur Ausfuhr gelangen
werden. Der „Standard" sagt ganz richtig: „Die Argentiner
sind namentlich gegen alle Fremden ungemein wohlwollend,
warmherzig und außerordentlich gastfrei, und wir erfüllen unr-
eine Pflicht der Gerechtigkeit, wenn wir sagen, daß in keinem an-
dern Lande Amerika's der Europäer mit größerer Rücksicht
und Achtung behandelt wird als hier."
Die Regierung der Provinz Cördova hat an einen, in
Buenos Ayres ansässigen Kaufmann 1000 Qudratlegnas Land
verkauft und erhält für jede Legua 200 Dollars in Silber.
Eine glasgower Firma war im Juni in Unterhandlung getre-
ten, um in den Provinzen Santa Fe und Cördova für 200,000
Pf. St. Land anzukaufen.
Hosftntlich wird die deutsche Auswanderung nun
bald massenhaft ihren Zug nach den schönen und gesunden Gegen-
den am La Plata nehmen und nicht lange mehr verächtliches
Kanonenfutter __ für die freiheitsmörderischen, mit Schulden
und Abgaben überbürdeten, dem Bankerott entgegen eilenden
und den nichtswürdigsten Handwerkspolitikern preisgegebenen
Yankeestaaten der Rordnnion liefern. Die argentinische Re-
gierung nimmt die Einwanderer mit offenen Armen auf und
gewährt ihnen große Begünstigungen, mit denen es ehrlich
gemeint ist. Sie läßt 1) Nationalländereien von Privatleuten
kolonisiren, mit denen sie Verträge nach gegenseitigem Ueber-
einkommen abschließt; oder 2) sie zahlt theilweise oder ganz
das Ueberfahrtsgeld; oder sie verkauft Land an Einwanderer,
die auf gutes Glück kommen. In Betreff des zweiten Punktes
hat sie ungünstige Erfahrungen gemacht; eine einzige Ansied-
lung von 2000 Leuten, Esperanza in der Provinz Santa
Fe,' verursachte ihr 300,000 Silberdollars Kosten. Am besten
ist es immer, wenn der Einwanderer ganz nach seinem Gut-
dünken verfährt, sich den Punkt der Ansiedlnng aussucht und
die Regierung sich weiter um nichts bekümmert, als daß sie
ihr Land billig verkauft und für Schutz und gute Rechtspflege
sorgt; alles Andere ist überflüssig. Die Kompagnie, welche
die' Eisenbahn von Rosario nach Cördova baut, will Strecken
guten Landes umsonst an Einwanderer abgeben, damit sich
Ansiedlungspunkte bilden; das zwischen denselben liegende
Land bekommt dadurch Werth und kann späterhin Vortheilhaft
verkauft werden.
Das Asyl und Nachweisnngsbnreau für Ein-
wanderer in Buenos Ayres leistet ersprießliche Dienste, und
auch in Rosario soll im Laufe dieses Jahres ein solches ge-
gründet werden. In einem Berichte, welchen der Minister des
Innern dem Kongreß abgestattet, wird hervorgehoben, „daß
jetzt im Jahre durchschnittlich 10,000 Einwanderer anlangen.
Durch die, welche freiwillig und auf gutes Glück kamen (ohne
Regiernngskontrakte und ohne Unterstützung), ist die Umgegend
von Buenos Ayres und Rosario, die Provinz Entre Rios und
mancher Ort in den inneren Provinzen wunderbar gediehen.
Das gesunde Klima, die große Fruchtbarkeit des
Bodens, das gastliche Benehmen der Bewohner
und die für den Einwanderer durchaus günstigen
Gesetze, — diese alle üben schon jetzt ihre Anziehungskraft
ans nnb sichern uns einen unablässigen Zufluß von Einwande-
rern, vorausgesetzt, daß die Ruhe ungestört bleibt".
In Bezug ans die Staatsländereien befolgt die Regierung
ganz das in Australien und Nordamerika übliche System;
sie läßt dieselben vermessen und auslegen und verkauft sie zu
billigen Preisen.
'Die früher im Globus erwähnte Kolonie von Wali-
sern wird in Patagonien am Flusse C hub nt gegründet.
Die Auswanderungsg'esellschaft in Wales verpflichtete sich, 10
Jahre lanfl alljährlich 300 bis 500 Einwandererfamilien nach
der im Suden des Rio Negro liegendeir Kolonie zu schaffen.
Die argentinische Regierung gewährt je 200 Familien eine
„Municipaldirektion" über zwei Quadratlegnas Land. Aus
dem Ertrag oder Erlös einer Legua sollen Kirchen, Schulen,
Rathhaus, Besserungsanstalt rc. gebaut und erhalten werden;
die zweite Legua wird theils für Bauplätze rc. bestimmt, welche
den Einwanderern unentgeltlich bewilligt werden, theils wird
sie verkauft, aber so, daß die Kaufgelder der Kolonie zu gute
kommen. Dennoch erhält jeder Ansiedler 25 Quadrate von je
150 Fuß; außerdem werdet: für je 200 Familie:: 5 Leguas
Land gratis bewilligt, welche an das Mnnicipaleigenthum
stoßen. Im Nothfälle wird ihnen mehr Land zu den billigsten
Bedingungeil verabfolgt. Metalle, Kohlei: und sonstige unter-
irdische Funde gehöret: dem Entdecker, welcher weiter nichts
als die landesübliche Abgabe zahlt. Jede Gemeinde hat ihre
unabhängige Municipalverwaltnng; die Kolonisten sind 10
Jahre lang von jedem Militärdienst und überhaupt jeglicher
Kriegsleistnng befreit, müssen sich aber selber gegen die Jn-
diatier schützen. Eine Kolonie, deren Bevölkerung auf 20,000
Seelen angewachsen ist, wird eine Provinz. Die argentinische
Regierung gibt den ersten Einwanderern 4 Kanonen, je 50 Fa-
negas Mais und Weizen, 50 Tonnen Bauholz, 200 Pferde,
50 Milchkühe und 3000 Schafe. — Diese Waliser Kolvtiie soll
an der Bahia nueva gegründet werden.
Dampfschifffahrt und Handel auf dem Amazonenstrom.
Wir finden in einem Berichte, welchen der Baron de Mauä
itl Rio de Janeiro veröffentlicht hat, manche neue Allgaben
über die Entwicklung des Verkehrs auf und an dem südameri-
kanischen Riesenstrome. Es unterliegt keinem Zweifel mehr,
daß der Amazonas der freie:: Schifffahrt und für alle Flaggen
geöffnet werden wird, i:nd daß ein Gleiches mit seinen Neben-
flüssen geschieht. Daß der Pnrüs näher erforscht worden ist,
Habei: wir neulich gemeldet, jetzt erfahren wir, daß demnächst
auch der Rio Negro, der Madeira und der Tapajös
regelmäßig mit Dämpfern befahren werden sollen. In Vor-
bereitung und theilweise schon zur Ausführung gelangt ist
eine Telegraphen!: nie voi: der südlichen Provinz Rio
Grande bis nach Para; man denkt dara::, sie nach den An-
318
Aus allen Erdtheilen.
tillen weiter zn führen, und auch ein direkter Telegraph von
Pernambuko nach Europa ist in Aussicht genommen; das aber
sind bis auf Weiteres nur Wünsche und Projekte.
Para wird ohne Zweifel nach und nach und in dem-
selben Verhältnisse, in welchem das Binnenland sich entwickelt,
an Handelsbedeutung gewinnen; denn dieser Hafenplatz, wo
die Seeschifffahrt beginnt, bildet die Ein - und Ausgangsthür
für ein ungeheures, an werthvollen Erzeugnissen überreiches
Gebiet, das jetzt noch in den ersten, sehr schwachen Anfängen
der Entwicklung sich befindet. Vom Madeirastusse kamen
1863 auf dem Amazonensttom nach Para 15,000 Arroben
Kautschuk, 2000 Arroben Cacao, 5000 Alqueires Brasilnüsse
und 6000 Maaß Oele verschiedener Art, im Werth von
78,750 Pf. St.
Der Tapajös wird für den Handel immer wichtiger.
An seiner Mündung liegt die Stadt Santarem; er ist 300
Meilen lang und fuhrt recht eigentlich in das Innere Brasi-
liens. Von dort, wo er aufhört schiffbar zu sein, ist der Weg
nicht weit nach Cuyaba, bis wohin die Dampfer aus dem
Paraguaystrome fahren. Die Provinzialversammlung von
Para unterstützt die Dampfschifffahrt aus dem Tapajos jährlich
mit 2250 Pf. St., und der Gouverneur hat Ingenieure aus-
gesandt, welche die eben erwähnte Strecke vermessen und eine
Landstraße bauen sollen. Während auf solche Weise eine Ver-
bindung zwischen den Provinzen Para und Matto grosso an-
gebahnt wird, ist man in der Provinz Goyaz thätig, um ver-
mittelst der Schifffahrt auf dem Tocantins und den Ara-
guaya mit der Stadt Para in Verbindung zu gelangen.
Auf beiden Flüssen sind 1863 mehr als 40,U00 Häute nach
Para geschafft worden; gegen diesen Artikel tauschten sie Salz,
Eisen )c. ein. Der Handelsumsatz betrug 22,500 Pf. St.
Die Dampfschifsfahrtsgesellschaft des Amazonenstroms hat
jetzt sechs Linien im Betrieb: von Parä nach Manaos, zweimal
im Monate; — von Manaos nach Tahatinga, monatlich ein-
mal; — von Para nach Cameta, alle 14 Tage; — von Para
nach Jlacnan, alle 14 Tage, — und nach Soure monatlich
einmal. Sie hat mehrere neue Dampfer im Bau, und einer
derselben, der „Erplorador", ein kleines Fahrzeug mit gerin-
gem Tiefgänge, soll vorzugsweise zlir Befahrung der obereil
Flußläufe benutzt werden.
Die Kompagnie beförderte 1863 für 578,137 Pf. St.
Waaren; davon' foutme» auf die Einfuhr 258,975, auf die
Ausfuhr 319,162 Pf. St. In der Gesammtsumme ist auch
der Verkehr, welchen P eru auf dem Amazonenstrom hat, in-
begriffen; er beirug 41,668 Pf. St. für die Einfuhr, 18,560
für die Ausfuhr, zusammen 60,174 Pf. St.
Der Gesammtexport des Amazonas stellte sich 1863 in
folgender Weise heraus: Kautschuk 210,477 Arroben; Cacao
267,968 ditto; Brastlnüsfe 72,543 Alqueires; trockene Häute
41,706; trockene gesalzene Häute 4954; nasse gesalzene Häute
957,634 Pfund; Copaibaöl 145,314 Pfund; Reis in der Hülse
115,700; Piasfava 11,825 Arroben; Sassaparille 3933 bitte;
Jsinglaß 1733 ditto; Baumwolle 4631 ditto und Annatto (Or-
leans, Rocou) 5291 Arrobeu.
Der officielle Werth aller Einfuhren (auf Dampf- und
Segelschiffen) betrug 1863 646,537, jener der Ausfuhr 686,587,
zusammen 1,333,124 Pf. St.
Ostindien. Wir müssen die Vorgänge, welche sich dort
ereignen, im Auge behalten; es scheint, als ob der Boden
schon wieder unterwühlt sei. Den Nachrichten vonl 24. Mai
zu Folge hat das 18. Regiment der Madras-Infanterie auf-
gelöst werden müssen, weil dasselbe durch und durch demoralisirt
war. Es bestand ganz aus Eingeborenen, und auch die einge-
borenen Offiziere find kassirt worden. In Bengalen will man
dagegen die einheimischen Regimenter verstärken und sie ledig-
lich aus Purbhias, ächten Bengaleseu, zusammensetzen;
Sikhs und überhaupt Leute aus dem Pendschab sollen nicht
ferner angenommen werdell. Bezeichnend ist, was die englisch-
indische Regierung den noch unabhängigen indischen Fürsten
eröffnet hat. Sie sollen künftig nur so viele regelmäßige
Truppen halten, als die "englische Regierung ihnen
estattel, und jährlich nur so'viel Pu lver und Schieß-
edarf bekommen, als diese Regierung ihnen verabfolgen
will. Offenbar traut sie jenen „unabhängigen" Fürsten nicht.
Die Klagen, daß weit und breit die Mohammedaner sich
mit Empörungsplänen tragen, dauern fort. Die „Ver-
schwörer", aus Amballah und Patua, welche den aufstän-
dischen Sittanis an der Nordgrenze Geld und Kriegsbedarf
geliefert hatten, sind nun gerichtet worden. Der Leiter der
Conspiratiou, Mohammed Schafft, ist nebst drei Anderen zum
Tode verurtheilt worden, acht Andere werden auf Lebenszeit
verbannt und kommen nach den And «manischen Inseln,
die jetzt ein für allemal zum Deportationspnnkte bestimmt
worden sind. Mit dem Könige von Barma, dem die
Engländer so viel Gebiet geraubt und dem sie lästige Verträge
aufgezwungen haben, sind sie wieder einmal in Irrung gera-
then. Sie' hatten eine „Specialmission", (es wird nicht gesagt,
zu welchem Zweck) über die barmanische Grenze gesandt, und
der König wollte dieselbe nicht weiter ziehen lassen. — Gegen
die Bewohner von Bhutan, welche dem englischen Bevoll-
mächtigten Ashley Eden Barthaare ausgerauft haben, soll der
Krieg im September beginnen, nach der Regenzeit und ehe der
strenge Winter eintritt. Die Engländer'lassen sich dort in
einen schlimmen Handel ein, und die Bhutanesen rüsten, uni
jeden Angriff abzuschlagen. Im besten Falle können jene in
dem Gebirgslande doch nicht viel ausrichten. Die Gebirgs-
st ä mme in der Umgegend von Peschawar verhalten sich ruhig,
der Radscha von Kaschmir hat die Ausfuhrzölle herabgesetzt;
und die Irrungen mit den Arabern in der Umgegend von
Aden in Arabien scheinen beseitigt zu sein. Die Stämme
hatten an der Küste eine Anzahl von Punkten in Besitz genom-
men und verlegten den mohammedanischen Pilgern ans Indien
den Weg nach den heiligen Städten; nun zahlt die Regierung
von Aden ihnen ein Jahrgeld.
Bombay hat nach der neuesten Zählung (Anfangs 1864)
eine Bevölkerung von 816,562 Seelen. Die französische Ge-
sellschaft der Message: ies imperiale (welche als eine wahre
Wohlthat betrachtet werden muß, weil sie dem drückenden
Monopole der Peninsular and Oriental Company ein Ende
gemacht hat) läßt jetzt monatlich zweimal einen Dampfer zwi-
schen Bombay und Suez fahren.
Port Denison in Queensland. Diese Stadt hebt sich
rasch. Der Hafen ist von der See her leicht zugänglich und hat
vortrefflichen Ankergrund, keine Barre und gilt überhaupt
für einen der besten in Australien. Mau hofft, daß er künftig
von allen Schiffen besucht werde, welche von und nach Indien
durch die Torres- Straße fahren. Port Denison sei ein ge-
sunder Platz, die Bay, an welcher derselbe liegt, erinnere an
den Golf von Neapel und fast ununterbrochen wehe frischer
Luftzug. ____________
Die Pfahlbauten in den bayerischen Seen. Professor
Moritz Wagner gibt in der „Bayerischen Zeitung" einen
Bericht über die Funde in den oberbayerischen, Gebirgsseen
und zieht daraus folgende Resultate.
Die „Broucezeit", welche der keltisch - germanischen „Eisen-
zeit" vorausging, scheint bei den Pfahlbauten der Roseninsel
ziemlich sicher erwiesen. Ob die ältesten Pfähle von Fichten-
holz und das rohe, plumpe, thönerne Geschirr der „Steinzeit"
angehören, wie Hr. Desor vermuthet, der die Pfähle ganz
ähnlich denen von Hauterive und Auvernier am Neuenbürger
See findet, ist noch nicht festgestellt. Werkzeuge und Waffen
von Feuerstein oder Serpentin, welche diese Hypothese bestäti-
gen müßten, sind von Dr. Wagner aus den Pfahlbauten der
Roseninsel bis jetzt noch nicht herausgebaggert worden. Ein
knöcherner Messergriff aber, der von ihm in der schwarzen Kul-
turschichte gefunden wurde, ist nach der Versicherung des Schiffers
Benz ganz ähnlich den knöchernen Griffen von Feuersteinmessern,
die er selbst aus dem Neuenburger See herausgefischt hat.
Unter den Alterthümern, die bei dem Beginn des königlichen
Schloßbaues ans der Insel selbst gefunden wurden, befindet
sich eine sehr schön gearbeitete Lanzenspitze von Feuerstein, die
im königlichen Schloß der Roseninsel aufbewahrt wird.
Es sind also jedenfalls zwei, vielleicht sogar drei ganz ver-
schiedene Perioden bei diesen alten Pfahlbauten am westlichen
Ufer des Starnberger Sees vertreten. Die Roseniusel hat
druck) diese für die Urgeschichte der Menschheit so tvichtige Ent-
deckung ans deutschem Boden an wissenschaftlichem und allge-
meinem Interesse ungemein gewonnen.
An dieser reizenden Statte hatte sich in grauer Vorzeit
ein unbekanntes, längst untergegangenes Volk angesiedelt, dem
diese Ufer als Wohnsitz gefielen, und das seine Bütten auf
Pfählen im See zu seiner Sicherheit ausführte.
Andere Völker, welche broucene Werkzeuge und Schmuck-
gegenstände besaßen, folgten. Auch sie gehören einer Zeit au,
über die jede geschriebene Urkunde, wie';ede mündliche Tradi-
tion fehlt, einer Zeit, zu welcher keine historische Quelle hin-
aufreicht, und wo das Studium von jenem ersten Anfang der
ältesten Menschenkultur dem Natur- und Alterthumsforscher
anheimfällt. Mühsam entziffert er aus den unter dem Wasser
begrabenen Resten den Kulturzustand jener verschwundenen
Aus allen Erdtheiten.
319
Völker, ihren Schädelbau, ihre Lebensweise, ihre Art zu trwh-
uen und sich zu nähren, die verschiedenen Gegenstände ihrer
primitiven Industrie, die aus ihre Kultur ein so eigenthüm-
liches Licht wersen, und sucht ihre geographische Verbreitung
zu ergründen, wie dies seit 14 Jahren in der Schweiz mit so
rühmlichem Eifer und mit so glänzenden Erfolgen geschehen ist.
Während Dr. Wagner diese ersten Ansgrabungen an den
Pfahlbauten des Starnberger Sees vornahm, machte Professor
v. Siebold in Begleitung des Schiffers Benz einen Aus-
flug nach dem Chiemsee, wo er nahe der Herreninsel
viele ähnliche alte Pfähle fand. Auch an der Klo st er insel
von Seon wurden von ihm alte Pfahlbauten gefunden.
Spuren davon lieferte ihm auch die Insel im Schliersee,
wo zwar keine Pfähle stehen, aber schon bei den ersten Nach-
grabungen mit der Baggerschaufel jene charakteristischen un-
gebrannten Scherben und gespaltenen Knochen, die „Küchen-
ab fälle" jener uralten Seebewohncr, zu Tage kamen.
Am Amm ersec fand Dr. Wagner sehr merkwürdige Pfahl-
bauten zwischen Holzhausen und kltting am west-
lichen Ufer. Es sind starke noch ziemlich gut erhaltene Pfähle,
welche sechs Fuß unter deni Wasser stehen, anderthalb Fuß
über dem Seeboden emporragen und sechs bis sieben Zoll im
Durchmesser haben. Im kleinen Wörthsee, nahe der Insel,
welche Eigenthum des Grafen von Seefeld ist, wurden von
dem genannten Forscher bei dem Aufwühlen des Seebodens
mit der Baggerschaufel gleichfalls die charakteristischen schwarzen
aufgeschlagenen Knochen in geringer Tiefe, aber keine Pfähle
gefunden.' Alle diese Punkte verdienen eine weitere genauere
Untersuchung. Bestimmte Ergebnisse lassen sich durch länger
fortgesetzte 'sorgfältige Nachforschungen und besonders durch
Graben' mit der Baggerschaufel auf einen: größer:: Raum
erlangen. Die Monate Oktober und November, wo ^die Seen
niedriger und das Wasser klarer als während der Sommer-
monate, sind zu solchen Untersuchungen weit günstiger als die
letzten Wochen, wo auch der anhaltende Regen die Untersuchun-
gen erschwerte.
In dem inselreichen Staffelsee, welchen die HH. von
Siebold und Wagner gemeinschaftlich untersuchten, finden sich
gleichfalls sehr große Pfähle, die aber von ganz anderer Form
sind, eine Bearbeitung mit eisernen Werkzeugen deutlich
verrathen und höchst wahrscheinlich der Römerzeit angehören.
Es sind die Ucberbleibsel einer Brücke, welche die Hauptinsel
mit dem festen Laude verband. Die Größe der Insel erklärt
das Fehlen von wirklichen alten Pfahlbauten. Wenn die alten
Bewohner der Steinzeit oder Broncezeit auch dort lebten, so
genügte ihnen das ziemlich ausgedehnte Territorium jener
Inseln, und sie brauchten nicht vom Land aus in den See
hineinzubaueu. Der Riegsee und der Ostersce, welche
Dr. Wagner mit dem Fischer Benz genau durchforschte, zeigen
die geringste Spur vor: Pfahlbauten. Auch in den schweizer
Seen sind die Reste jener räthselhaften Wasserdörfer in den
kleinen Seen weit seltener und sparsamer als in den großen.
Der Neuenburger See, in welchem nicht weniger
als 47 Psahlbaustationen nachgewiesen sind, besaß
mehr solcher Niederlassungen als alle kleinen Seen der übrigen
Schweiz zusammengenommen.
Die überaus reichen Sammlungen aus der Steinzeit
und Broncezeit, welche z. B. das züricher Museunr, Oberst
Schwab in Biel, Prof. Desor, die HH. Morlot, Troyon,
Messikommer und andere schweizerische Privatmänner besitzen,
erregen die Bewunderung Aller, die sich für Alterthumsfor-
schnirg und namentlich für jene Urzeit des Menschengeschlechts
in Europa interessiren. Diese sichtbaren Resultate, die kein
Zweifler abläuguen kann, sind aber dort erst nach jahrelangen,
mit Umsicht und Beharrlichkeit fortgesetzten, äußerst mühevollen
Nachgrabungen und Untersuchungen nicht ohne sehr bedeutende
Geldöpfer gewonnen worden. Es ist barer Unsinn, zu glauben,
daß man hier gleich in den ersten Tagen der Nachgrabungen
so seltene Gegenstände, wie z. B. die verkohlten Reste vom Brod
der Pfahlbancr, welche Hr. Löhle am Untersee, Hr. Messikom-
mer am Pfäfstger See erst ::ach jahrelangen Nachgrabungen
entdeckten, gleich bei den ersten Versuchen finden sollte. Auch
an dei: Seen Bayerns werden reiche Fundorte sicher erst nach
längeren Nachforschungen entdeckt werden. Bis jetzt bietet
von all den genannten Pnnklen, wo in dei: bayerischen Seen
alte Pfähle gefunden wurden, nach der Meinung des erfahre-
nen Pfahlbautenfinders Benz die Umgebung der Roseninsel,
wo die Pfähle nicht tief unter dem Wasser stehen, bei weitem
die günstigsten Chancen zu wichtigen Entdeckungen.
Küchenabfälle und Muschelhügel auch bei Halifax in
Neuschottland. Es geht mit den Muschelhügeln wie mit den
Pfahlbauten; seitdem einmal das wissenschaftliche Interesse sich
denselben zugewandt hat, werden diese interessanten Denkmäler
der vorhistorischen Zeit in immer größerer Menge aufgefunden.
Daß sie in Südamerika an der Östküste wie am Stillen Welt-
meer vorkommen, ist unseren Lesern bekannt (in Brasilien
Globus V, S. 151; in der Gegend von Guayaquil VI,
S. 31). Nun erfahren wir, daß' sie auch au der Ostlüste
Nordamerikas auftreten. I. M. Jones, Präsident der natur-
forschenden Gesellschaft der Kolonie Neuschottland erstattete
darüber den: Athenäum (vom 9. Juli) einen Bericht aus
Halifax vom 21. Juni.' Der wesentliche Inhalt ist fol-
gender :
Der eben genannte Verein zählt zu seinen Mitgliedern
den Pfarrer des Kirchsprengels an der Margarethen -Bay.
Dieser Geistliche John Ambro se meldete, daß er an jener
Bay ausgedehnte Lager von Knochen und Muscheln, sodann
auch zerbrochenes Töpfergeschirr und Pfeilspitzen und Lanzen-
spitzen aus Feuerstein gefunden habe; sie erinnerten ihn leb-
haft an die Kjökkenme'ddinge in. Dänemark, und er forderte
die Mitglieder des Vereins auf, diese Muschelhügel i:äher zu
untersuchen. Das geschah daun auch. Am 11. Juli begaben
sich viele Mitglieder von Halifax ans nach der Margaretheu-
bay, welche etwa 22 Miles in südsüdwestlicher Richtung von
jener Stadt liegt. Sie ist sehr geräumig, dringt tiefer als
acht Miles landein und ist ungefähr sechs Miles breit. Am
Ausgange zur See wie im innern Winkel liegen einige kleine
Inseln und bewaldete Vorgebirge; der Strand hat an man-
chen Stellen eine sehr geschützte Lage und gestattet das An-
lande». An einer dieser kleinen Büchten mit sandigen: Ufer
fand Ambrose einen großen Muschelhügel, der sich etwa 20 Fuß
über den höchsten Wasserstand erhebt. Er gehört zum Gras-
acker eines unweit von ihm liegenden Meie'rhofes und ist von
Menschenhand wenig berührt worde::. Das Muschellager ist
50 und mehr Pards lang und genau 8 Aards breit, die Ober-
fläche hat unregelmäßige Einsenkungen, und am westlichen
Ende liegen kleine Granitblöcke zerstreut runher. Der Erd-
boden gleicht jenem der umliegenden Felder, ist aber ein klein
wenig dunkler, mit gewöhnlichem Wiesengras und Wiesen-
pflanzen bewachsen und nur etwa drei Zoll dick. Unter dieser
Dammerde treten daun gleich die Muscheln auf und bilden
ein kompaktes Lager ganzer und zerbrochener Stücke; dazwischen
fand man Knochen von Vierfüßern und Vögeln, Pfeil- und
Lauzenspitzen von Feuerstein und Quarz, große und kleine
Thierzähne, Scherben von sehr roh gearbeiteten Töpfergefäßen,
an denen aber Spuren zu erkennen, daß an ihnen Verzie-
rungen angebracht waren. Diese Gefäße sind sehr dunkel-
farbig und enthalte,: viele Körner von Granitsand und Glim-
mer. Nach den vorhandenen Randscherben zu urtheilen, können
sie nicht groß gewesen sein und nur etwa ein Quart gefaßt
haben; sie kommen aber in großer Menge vor und waren
sicherlich in allgemeinem Gebrauch. Geräthe, welche auf die
Eisei:zeit hinweisen könnten, fehlen gänzlich; und außer dem
Töpfergeschirr und den Pfeilspitzen zeigen nur einige zu Ahlen
hergerichtete Zähne von dem Bestreben nach einiger Betrieb-
samkeit.
In der Mitte und noch mehr ans den: Boden des Mn-
schellagers liegen viele abgerundete Steine, deren kleinste nicht
größer sind als eine geballte Faust; sie sind offenbar der
Wirkung des Feuers ausgesetzt gewesen, im klebrigen aber
ganz so wie jene, die noch heute an: Strande gefunden werden.
Unten am Boden des Muschelhaufens, der ungefähr 18 Zoll
dick ist, beginnt eine zwei Zoll dicke Lage schwarzer Erde, unter
dieser liegt eine, gleichfalls zwei Zoll dicke Lage weißbraunen
Sandes, dann folgt eine röthliche Erde, welche nach der Tiefe
zu Heller wird; dann kommt man auf harten Löß, sogenann-
ten Droft.
Die zerstreut umher liegenden Granitsteine waren Sitze
für die Menschen, welche dort am Rande der Wälder ihre
Nahrung gekocht haben; denn man fand überall bei diesen
Steinen größere Anhäufungen von Muscheln und weiche und
harte Holzkohle. .
Von Vierfüßern enthält dieser Muschelhügel Knochen des
Musetthiers (Cervus alces), des Bären (Ursus americanus), des
Bibers (Castor canadensis) und des Stachelschweins (Hystrix
dorsata). Die Zähne von den beiden letzteren sind so glänzend
und fest, als gehörten sie unseren Tagen^ an. Ein Biberzahn
ist an der Wurzel abgerieben und abgeglättet, die Spitze ab-
geschliffen und bildet eine Art von schneidendem Werkzeug.
Einige Zähne sind am spitzen Theil und an: Rand eingczackt.
Die Knochen sind allesammt zerbrochen. Manche Vögelknochen
sind ziemlich groß und babeu einem Thier angehört, das größer
war als der 'jetzt lebende große nordische Taucher (6oiymbn8
320
Aus allen Erdtheilen.
glaciaiis), der zu den größten wilden Vögeln Neuschottlands
gehört. Auch die Vögelknochen sind mehr oder weniger zer-
brochen; an einem erkennt man deutlich, daß er vermittelst
eines schneidenden Werkzeugs der Länge nach aufgespalten ist.
Von Mollusken kommen vor: Venns mercenaria, Pecten islan-
dicus, Crepedula fornicata und Mytitus edulis. Vorzugsweise
aus den Muscheln der beiden ersten besteht die ganze Hügel-
masse; die Miesmuschel ist so zerbrechlich geworden, daß sie
bei der ersten Berührung zusammenfiel. Auch Rückenwirbel
von einigen Fischen sind gefunden worden. Die Durchfor-
schungen "an anderen Musch'olhügeln sollte im Laufe des Som-
mers stattfinden.
Alterthümerfund in füdrussischen Kurganen. Wir
haben darüber vor einiger Zeit (Globus V, S. 217) Mitthei-
lungen gemacht. Mit Bezugnahme darauf sendet uns ein
Freund unserer Zeitschrift in Livland die Nummer 162 der
Rigaischen Zeitung vom 24. Juti, welche den nachstehen-
den Korrespondenzartikel aus Nowotscherkask im Lande der
don'schen Kosaken enthält.
„Der Mangel an genießbarem Wasser und die kostspielige
Anfuhr desselben aus der Umgegend rief hier das Projekt zur
Anlegung einer Wasserleitung hervor. Das Konnte begann
die Ausführungsarbeiten im vorigen Jahre und hofft dieselben
in diesem Jahre beendigen zu können, ungeachtet die Herlei-
tung des Wassers aus einer Entfernung von circa 30 Werst
zu besorgen ist und zu diesem Behufe in und neben der
Stadt sechs verschiedene umfangreiche Bassins zu errichten sind.
Bei Ausgrabung eines der letzteren, ungefähr 2'/s Werst von
Nowotscherkask und unmittelbar neben einem St ep p e n h ü gel
(Knrgane), stieß man am 12., 13. und 17. Juni d. I. auf ver-
schiedene alterthümliche Gegenstände und durchsuchte in Folge
dessen den ganzen Hügel.
Die sorgfältig vorgenommene Reinigung und Untersuchung
der gefundenen Gegenstände lieferte das erfreuliche Resultat,
daß Gold- und Edelsteinsachen aus längst verflossenen
Zeiten und von erheblichern Werthe vorhanden waren. Eine
Krone, dem Anscheine nach für ein männliches Haupt, wog
2% Pfund und zeichnet sich besonders durch einen runden
Rubin von selten klarer Durchsichtigkeit aus. Eine zweite
leichter und zarter gearbeitete Krone, mit echten Perlen ver-
sehen, die aber meistentheils dem Verderben anheimgefallen
sind, ist 2 Pfund schwer. Ferner fanden sich zwei schlangen-
förmige Armbänder, 2l/2 Pfund, zwei Pokale (ein größerer
und ein kleinerer), zusammen 2 Pfund, ein Räucherbecken,
Yjj Pfund schwer, und viele kleine Figuren in Gestalt
eines gehörnten Hirsches, andere wiederum einen bloßen
Zickzack vorstellend, die wahrscheinlich zur Verzierung der Klei-
der gedient haben.
Das Gesammtgewicht dieser Goldsachen beträgt 11. Pfund,
die losen kleinen Steine und Perlen nicht mitgerechnet. Den
ganzen Werth des Schatzes tarnt man auf 20—30,000 Rbl.;
freilich kann hierüber nur das Urtheil von wirklichen Sach-
und Fachkennern maßgebend sein. Eine Inschrift oder Jahres-
zahl war auf keiuem Gegenstände zu ermitteln; es läßt sich
daher nur vermuthen, daß jene Sachen aus der heidnischen
Zeit herstammeu und der „Periode der Scythen", nicht der
Zeit der Tartarenhäuptlinge angehören. Es ist zu präsumiren,
daß der Schatz etwa 2000 Jahren zählen könnte.
Schon durch frühere Nachforschungen hat sich ergeben, daß
die Hügel in der Steppe theils zu Signalen und damaligen
kriegerischen Befestigungen gedient, theils das Grabmal eines
Häuptlings oder heidnischen Königs bezeichnet haben. In letz-
tcrm Falle waren die Hügel mit unförmlichen Steinfiguren
versehen, und da diese männliche und weibliche Gestalten vor-
stellten, so läßt sich daraus entnehmen, daß durch die verschie-
denartigen Steinfiguren das Geschlecht des unter dem Hügel
Begrabenen hat angezeigt werden sotten, und eben diesen Ge-
branch schreibt mau mehr den Scythen, als den Tartaren und
Tschuden zu. Es läßt sich jedoch annehmen, daß der hier be-
sprochene Fund keineswegs einen Leichnam geziert hat, indem
sich Ueberreste verwester kleiner kupferner Behälter fanden, in
welchen der Schatz lediglich für sich allein vergraben gewesen
zu sein scheint. Mehrere der erwähnten Hügel sind noch jetzt
hin und wieder auf jeder Steppe bemerklich, doch die unförm-
lichen Steinfiguren fehlen, weil man sie unbedachtsam ver-
nichtet oder, wie^z. B. aus hiesiger Umgegend, gesammelt und
im öffentlichen Sladtgarten zur Ausfüllung irgend eines Plätz-
chens aufgestellt hat.' Man beabsichtigt nunmehr, alle Knrgane
im douischeu Lande zu untersuchen."
Eingewöhnung europäischer Nutzthiere in Australien.
Mehrfach haben wir auf die große Thätigkeit der „Acclimati-
saiionsgesellschaft" zu Melbourne, der Haupistadt von Victoria,
hingewiesen. Jüngst hat ein Vorsitzender derselben, E. Wilson,
einen umfassenden Bericht über die bisher erzielten Resultate
gegeben, und wir entnehmen demselben Folgendes:
Die Gesellschaft erhält von der Kolonialregierung eine
Unterstützung von 4000 Pf. St. jährlich, damit sie ausländische
Thiere und' Pflanzen einführe, welche sich für das Klima
Australiens eignen. Sie hat ihre eigentliche Thätigkeit erst
vor drei Jahren begonnen, und zwar im Royal Park bei
Melbourne. Die aus Indien gebrachten Kamee le kosteten
das Stück 120 Pfund; sie wurden zu den verschiedenen Ent-
deckungsreisen benutzt , viele gingen zu Grunde, aber Wilson
hat einige gerettet, die sich nun auf seinem Gute Wimmera
vermehren. Die Alp a cas und die aus England hei beige -
gebrachte Kreuzung von Llama und Alpaca haben sich von
t9 Stück ans 56 vermehrt. Die Angora-Ziegen sind ein
Geschenk aus Frankreich und gedeihen, und eine Heerde von
Kaschmir-Ziegen scheint sich sehr wohl zu befinden; dasselbe
gilt von den verschiedenen L-chafsorten, namentlich jenen,
deren Heimath ein warmes Klima hat; vollkommen eingebür-
gert sind: Damhirsche, das indische Elenn, der Äxis-
hirsch, die jetzt an Wilsons Vorgebirge, bei Wimmera, am
Zuckerhut und am Buuyip frei Herumstreifen. Andere Hirsch-
arten, z. B. aus Manila, sollen erst losgelassen werden/wenn
sie eine bedeutend größere Nachkommenschaft erzielt haben, als
bis jetzt der Fall gewesen. Der H äse befindet sich auf Phillip-
Island außerordentlich wohl, nicht minder das Sand huhu
aus Algerien. Die wilde Ente aus England vermehrt sich
stark ilnd ist nun auf den Lagunen des botanischen Gartens
so zahlreich, wie das einheimische wilde Wassergeflügel. Die
ägyptische Gans brütet im Park, die wilden Pfauen
ans Ceylon hat man ins Freie gelassen, dasselbe ist mit
verschiedenen Taubeuarten mit gutem Erfolge geschehen. Der
Hokko brütet gut.
Dazu kommen viele verschiedene Fische; sogar leben-
dige Seefische, z. B. die Meeräsche, sind lebendig in Australien
angelangt, eben so Krabben und jetzt auch Laich vom Lachse.
Die Landleute in Victoria hatten viel über Raupenfraß
zu klagen; deswegen führte die Gesellschaft viele insekten-
fressende Vögel ein, z. B. Grau- und Schwarz-Drosseln,
Feldlerche'n, S ta are, Buchfinken, Sperlinge aus
Europa, China und Japan, sodann den Mino aus Indien.
Dazu kommen noch Stieglitz, Bluthänfling, Grün-
fink, Goldammer, Kanarienvogel, Rothkehlchen
und manche andere. Auch die italienische Biene ist ein-
geführt worden und vermehrt sich in unglaublicher Menge.
Wilson sagt in seinem Berichte, daß er das Alles nur als
Anfänge betrachte, aber diese seien vielversprechend, und die
Gesellschaft werde in ihrer gemeinnützigen Thätigkeit nicht
nachlassen.
Versendung von Champagnerweinen. Frankreich liefert
nicht de» zehnten Theil der Weine in den Handel, welche als
„ächter Champagner" von den Gastwirthen für solchen ausge-
geben werden, einmal um einem Vorurtheile des Publikums
zu fröhnen, sodann um höhere Preise ansetzen zu können.
Wir wissen Fälle, daß in weitberühmten Gasthöfen „ächte
Wittwe Clicquot" für 2 Thaler 20 Silbergroschen verkauft
und von den „wahren Kennern" jahrelang als solcher aner-
kannt wurde, und doch war er in der Niederloßnitz bei Dres-
den verfertigt worden und kostete im Ankauf einen Thaler.
Sachsen, Thüringen, das Rheinland und Würtemberg liefern
jährlich manche Millionen Flaschen Schaumwein in den Ver-
kehr, leider zum großen Theil noch unter falscher Etikette, was
schlimnr^und schlecht genug ist. Ueber die Versendung franzö-
sischer Schaumweine haben wir amtliche Nachweise über das
Jahr vom 1. April 1862 bis dahin 1863. Demgemäß ver-
sandten die Hauptplätze Chalons sur Marne, Epernay, Air
und Mareul nach dem Auslande 7,937,836 Flaschen, und nach
anderen französischen Plätzen 2,767,37t, zusammen 10,705,207
Flaschen. Der Durchschnittspreis betrug 3V2 Francs und die
Totalsumme 37,468,224 Francs 50 Centimes. Je nachdem
der Herbst ausfällt, liefert Frankreich zwischen 8 bis 16 Mil-
lionen Flaschen, me mehr; int Jahre 1849 z. B. 7,847,773;
tut Jahre 1854 deigen 16,198,219 und 1860 fast eben so viel,
nämlich 15,708,846 Flaschen. Ein zehnjähriger Durchschnitt
wird etwa II Millionen Flaschen ergeben.
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildbnrghausen.
Drnck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildburghausen.
Der Heidenthurm auf der Burg in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
darum aber auch am bekanntesten ist: zu ihren Leistungen aus ihm auch sonst nichts ein Interesse abgewann, wenigstens
*) Der Herr Verfasser hat auch die Industrie Nürn-
bergs behandelt, und dieser Abschnitt bildet mit den drei übri-
gen, welche wir mittheilen, zusammengenommen ein Ganzes.
Wir sind der Ranmverhältnisse wegen leider genöthigt, jenes
Globus VI. Nr. 11.
Kapitel hier ausfallen zu lassen, theilen jedoch dasselbe in einer
der nächsten Nummern mit. Es ist in sich völlig abgerundet
und wird unseren Lesern sehr willkommen sein.
322
Friedr. Bri nk ma n it: Nürnberg.
den Eindruck mit fort, daß er an einem Orte geweilt, wel-
cher der Kunst seit vielen Jahrhunderten eine eifrige Pflege
gewidmet und ihre Weihe erhalteil hat. Wegen dieser all-
verbreiteten Bekanntschaft mit den Kunstdenkmälern Nürn-
bergs ist es aber auch eine mißliche Sache, darüber zu spre-
chen. Dazu sind Beschreibungen aller Art theils durch daZ
Kunstinteresse, theils durch buchhändlerische Spekulation
auf die Masse der Fremden in solch einer Anzahl hervorge-
rufen worden, daß es wahrlich eine höchst überflüssige Arbeit
wäre, das so oft Gesagte und Wiederholte noch einmal zu
wiederholen. Andererseits würde es aber eben so unstatt-
haft und schon des Raumes wegen unmöglich sein, eine
Kunstgeschichte Nürnbergs, oder vielmehr, richtiger ausge-
driickt, eine Kunstgeschichte Deutschlands mit besonderer
Rücksicht auf Nlirnberg hier im Abrisse folgen zll lassen.
Wir wollen daher einen andern Weg einschlagen, um die
Kunstmoinnnente Nürnbergs von derjenigen Seite vor Augen
zu führen, von welcher sie das allgemeinste Interesse erregen.
Seit durch die Vervollkommnung der Verkehrsmittel und
die in Folge davon vermehrte Reiselust alle Theile unsers
Vaterlandes in eine lebhaftere unb innigere Berührung mit
einander gekommen sind, ist Nürnberg zu der Nation in ein
so eigenthümliches Verhältniß getreten, wie es bei keiner
zweiten Stadt sich findet. Es ist für ganz Deutschland ein
einziges, unersetzliches Besitzthum geworden, das Schooß-
kind des deutschen Volkes. Norddeutsche wie Süddeutsche,
Protestanten wie Katholiken, Großdeutsche und Kleindeutsche,
Demokraten und Aristokraten, Fortschrittsmänner wie rück-
wärts Schauende, alle hangen sie mit gleicher Liebe an
Nürnberg als einem kostbaren alten Erbstück der Nation.
Der „sürstchtige, ehrbare und weise" Rath von Nürnberg
brauchte es sich nur einfallen zil lassen, die Mauern und
Thürme der Stadt lüedcrreißen und deil Stadtgraben aus-
füllen zll lassen, so würde ein Schmerzensschrei durch die
ganze Nation ertöneil voni Rheine bis zi»n Pregel, als
hätte jeder Zweig derselben, jede Stadt selbst den Verlust
erlitten.
Woher kommt mm dieser Antheil, den ganz Deutsch-
laiid ail Nürilberg nimmt ? Sollte cs etwa die Kunst sein,
der Reichthllin ail Kullstschöpfllngen aller Art, der Genuß,
deil diese bieten? Aber warlnn macheil denn andere Orte,
die ill dieser Beziehung Nürnberg gleich konlUlen oder gar
es übertreffen, waruin macht denn Müilchen mit seiner
encyklopädischen Vollständigkeit auf allen Gebieten der
Kunst, mit seinen reichen Sammlungen von Gemälden uild
Skulpturen, denen Nürilberg nichts Aehllliches entgegenzu-
setzen hat, nicht einen eben so starken Eindruck, lind warum
ist derjenige, deil es macht, i>icht nnv dem Grade, sondern
auch der Art nach so ganz verschieden von bcnt Nürnbergs?
Oder sollte es etwa der Umstand sein, daß hier die deutsche Kunst
so besonders reich vertreten ist? Aber auch das trifft nicht zll.
Es gibt Städte, die, weilil auch nicht mehr, so doch schönere
Deuklnäler der bentfcC>en Kunst aufzuweisen haben. Der
Dom in Regelisburg, wie er jetzt ist, macht einen erha-
benern Eindruck, als die Lorenzkirche in ihrer dermaligen
Gestalt, llild wenngleich so viele große deutsche Künstler in
Nürnberg gelebt und gewirkt haben, so siild doch ihre Werke
nichts weniger als dort vereint, sondern über fast ganz
Europa zerstreut, welches Letztere uainentlich von dein größ-
tell nürnberger Künstler, Albrecht Dürer, gilt.
Nein! die Kunst als solche ist es nicht, die jenen
ganz einzigen Eindruck auf das deutsche Gelirüth macht.
Sprechen wir deil Namen „Nürilberg" aus, so benfeii wir
zunächst weder au die Gallerie in der Moritzkapelle, iroch
gu die ilu laildauer Brüderhanse, weder an das Sakraments-
hänschen von Kraft, iroch an das Sebaldusgrab von Bischer,
llild wenn ilns sofort das Bild der Sebaldus - itnb Lorenz-
kirche vor das geistige Auge tritt, so ist es doch nicht das
Kunstinteresse all ihnen, was es weckt. Der Name „Nüril-
berg" ist in unser Herz geschrieben, nnb bei diesem Namen
wird es uns warm ums Herz. Es steigen in unserer Phan-
tasie alle die ehrwürdigen Gestalten unserer vaterländi-
schen Geschichte aus, die Bilder deutscher Herrlichkeit,
zwischcil denen wir im Geiste wandelten, als wir in den
Maliern Nürnbergs weilten, llild dahinter erhebeil sich
dann die so malerischen, so lvlnlderbar luis ansprechen-
den Bilder seiner Straßen, Plätze und Umgebungen, seine
ehrwürdigen gothischen Dome mit den hohen, glänzenden
Thürmen und skulpturreichen Portalen, seine alterthüm-
lichen Häuser mit deu Thürmcheu, deu zackigen Dächern,
deil Erkern und Bildsäulen, seiile Brullileil nnb seine ephen-
nmrankteil Mauern amb Bastionen, um deiil erregteil Ge-
müthe seine Ruhe nnb Heiterkeit wiederzugeben. Kurz,
Nürilberg, wie es in unserer Erinnerung lebt, ist vorzngs-
weise der Eindruck, den es als Gallzes, als diese histo-
risch gegebene, so originelle, scharf alisgesprocheiie Indivi-
dualität, als Charakterstadt auf unser Gefühl macht.
Wir wolleil es mm zu unserer Aufgabe machen, diesen
Gesammteindrnck der Stadt uDher darzulegen, und all
diesen Faden werden wir dasjenige anreihen, was die Archi-
tektur, Skulptur llild Malerei hauptsächlich in Nürnberg
geschaffen habeil. Hierbei wird sich auch Gelegenheit bieten,
das anzuführen, was von ihm in der Wissenschaft geleistet
worden ist.
Jener Eindruck auf unser Gefühl ist aber ein zwei-
facher: es ist der Eiildruck der Stadt als großes Monu-
lnent der Vergaugeilheit, als Bild unserer vaterlän-
discheil Geschichte, nnb es ist der Eindruck, den die Stadt
iil ihrer gegenwärtigen Gesammterscheinung als
malerisches Bild ans Auge und Gemüth macht; die Erre-
gung unsers patriotischen Gefühles nnb die unsers Schön-
heitsgefühles.
Zunächst wollen wir uns bem historisch - patriotischen
Interesse zuwendeil, welches ulls an Nürilberg fesselt.
Es möchte wohl kannl eine zweite Stadt geben, an wel-
cher ein Patriot mit solch einer Theilnahme hangen könnte,
wo er die ganze Scala vaterländischer Gefühle voul tiefsten
Jngriulille bis zlnll höchsten Jubel so vollständig nnb so stark
in feinem Herzen angeschlagen fühlte, als iil Nürnberg.
Eiil jedes große, epochemacheilde Ereigniß unserer vaterlän-
dischen Geschichte hat hier ein Denkmal gefunden, wenn-
gleich allerdiilgs Eilie Periode vorzugsweise reich vertreten
ist, nnb darum rollt sich bei einem Gauge durch die Straßen
nnb bei einem Besuche der Alterthümer und Kuustschätze die
ganze deutsche Geschichte vou der ältesten bis zur neuesten
Zeit vor unseren Angen aus. Und auch diese Thatsache ist
wohl ilicht bloßer Zufall, sondern hällgt vielmehr mit der
oben besprochenen, so scharf hervortretenden Eigenthümlich-
keit der Lage Nürnbergs zusammen mib ist mithin eine
Folge derselbeli Bediilgungen, worauf seine Größe in Han-
del lind Industrie beruhte. Deilir die Politik sllcht mit
derselben Nothwendigkeit, wie der Handel, die- centra-
leil, bem Herzen des Staatskörpers llahe tiegelldeli Orte zll
ihrem Hanptsitze zu machen uild sich iu beven Besitz zu
setzen, beziehungsweise sich darin zu behaupten; der Krieg,
selbst eine Art des Verkehrs nnb zwar nicht immer eine
bloß destruktive, zieht dieselben Straßen Uñe der Frieden,
und in noch innigerm Zusammenhange mit der Entwicklung
von Handel nnb Industrie steht das Aufblühen veil Wissen-
schast, Kirnst, Religion, der ganzen Bildung und Gesittung,
so daß die Kulturgeschichte, der eigentliche Kern der ganzen
Fried r. Brin k m a rr in Nürnberg.
323
Geschichte, regelmäßig Hand in Hand geht mit der Han-
delsgeschichte.
Weil nun die Kunstschätze und Alterthümer Nürnbergs
ein so festes und ehrwürdiges Band umschlingt, das der
empfängliche Sinn sogleich herausfühlt, hat Nürnberg
eigentlich keine Kuriositäten, sondern nur Denk-
male. Nicht unsere Neugierde ist es, die hier vorzugs-
weise erregt und befriedigt wird, sondern ein viel tieferes,
edleres, heiligeres Interesse. Wir flattern hier nicht zwi-
schen einer bunten Menge von hunderterlei Gegenständen
umher, die uns zerstreuen, verwirren und oft bis zum
Ueberdruß ermüden, wie in anderen Städten, sondern in
gesammelter, weihevoller Stimmung bewegen wir uns zwi-
schen der: Zeugen einer uns theuern Vergangenheit. Wenn
daher irgend eine Stadt würdig ist, ein Wallfahrtsort des
gebildeten Deutschen zu sein, so ist es Nürnberg, wenn
irgendwo, so fühlt er sich hier, wie der alte Hellene in Delphi
und Olympia.
So wollen wir dein: jetzt unsere Wanderung durch die
Straßen Nürnbergs an der Hand unserer vaterländischen
Geschichte antreten und wenigstens die Hanptmomente der-
selben, die wir hier in einer kolossalen, nicht geschriebenen,
aber gebauten Chronik verzeichnet finden, uns merken.
Als Erinnerung an die älteste Zeit steht der fünfeckige
Thurm der Burg da, dessen Erbauung aller Wahr-
scheinlichkeit nach in jene friihe Zeit fällt, wo die Altäre und
die geweihten Haine der deutschen Götter noch nicht den
Streichen römischer Mönche erlegen waren.
Karl der Große, der Sachsenbekehrer und Wieder-
hersteller des römischen Reiches in dem heiligen römischen
Reiche deutscher Nation, hat in Nürnberg außer dem Lud-
wigskanale, von dem schon die Rede war, ein glänzendes
Denkmal in seinem von Albrecht Dürer geschaffenen
Bilde gefunden, einem der größten Meisterwerke dieses
Künstlers itnd einen: der wenigen Originale, die seine
Vaterstadt von ihm noch besitzt (in der Gemäldesammlung
der Kunstschule). Karl ist über Lebensgröße dargestellt und
trägt den Krönungsornat der deutschen Könige. Er „ist gerade
von vorne gesehen; unter der goldenen Krone wallt reiches,
silbernes Haar herab, mit den: gleichen volle,: Barte sich ver-
einend. Die schlveren, breiten Falten von Mantel, Stola :c.,
über und über mit Perlen, Steinen und Goldstickerei bedeckt,
bergen den geweihten Leib. Schwert und Reichsapfel fehlen
natürlich nicht in den Händen. Der Ausdruck des Gesichtes
hat etwas Löwenartiges; die ganze Gestalt bildet die ver-
körperte Idee des alten deutschen Kaiserthums in all seiner
Herrlichkeit und Größe", (v. Eye: Dürer.)
An den von den Karolingern zu den: sächsischen Kaiser-
hause den Uebergang machenden Konrad I., den Franken
(912 bis 918), erinnert uns die Burg, da ihre Grüu-
duug ihm zugeschrieben wird. Es ist wahrscheinlich, daß
der fünfeckige Thur:::, von welchem wir oben als den: älte-
sten Theile der Burg sprachen, eine in den fränkischen Wald
gebaute bloße Warte war und Jahrhunderte lang einsam
dastand, bis erst König Konrad den eigentlichen Grund zur
Burg legte, indem er ein Jagdschloß nahe bei diesen: Thurme
baute, vielleicht an der Stelle, wo jetzt die Walburgis-
kapelle steht, neben der ein altes Gemäuer noch heut zu
Tage „die Jägerburg" heißt.
Auf der Burg finden wir auch zwei Denkmale des säch-
sischen Kaiserhauses. Der Heidenthurm, so genannt,
weil man die alten verwitterten Steiufiguren an seiner
Außenseite für heidnische Götzenbilder hielt, rührt mitsammt
der darin befindlichen Margarethenkapelle wahrschein-
lich (nach Heidelosss Ansicht) von Heinrich II. (1002 bis
1024) her, wofür die Aehnlichkeit des Styles, namentlich
in den Verzierungen, mit dem von Heinrich gebauten bam-
berger Don: spricht. Ein noch ehrwürdigeres Denkmal
dieses Kaiserhauses ist die alte, noch immer lebenskräftige
Linde auf den: Schloßhofe. Sie soll nach der Sage von
der Wittwe Heinrichs, der heiligen Kunigunde, gepflanzt
worden sein. Erst in neuester Zeit, bei Gelegenheit der
Renovation der Burg zum Aufenthalte für König Mar,
sind die vier Herolde beigefügt worden, welche in: Kreise
herumstehen und die Wappen von Bayern, Franken, Schwa-
ben und der Pfalz tragen, die Repräsentanten der vier
Stämiue des Königreichs in der alten Kaiser- und neuen
Köuigsresidenz versanunelt um den uralten, königlichen,
durch die Sage geheiligten Baum.
Das auf den heiligen Heinrich folgende, so ganz anders
geartete Haus der fränkischen Kaiser, unter denen der große,
das ganze Mittelalter bewegende Kainpf zwischen der welt-
lichen und geistlichen Gewalt, Kaiser und Papst, zun: ersten
Male zu gewaltigen Konflikten führte, repräsentirt uns ganz
besonders diese Seite des Mittelalters. Und gerade von
demjenigen, der an: meisten in diesem Kampfe zu ringen und
zu leiden hatte, von Heinrich IV., bewahrt Nürnberg
manche Andenken. Denn es ist derselbe Kaiser, unter dessen
Regierung es zun: erste,: Male in der Geschichte auftritt
und seine Geschichte daher anfängt, während Alles, was
über die vorhergehenden Jahrhunderte gesagt werden kann,
nur auf mehr oder weniger sicher gegründeten Muthmaßun-
gen beruht. Wie lvir schon oben erwähnten, ist die älteste
Urkunde, die Nürnbergs gedenkt, das von diesem Kaiser
ausgestellte Privileg von: Jahre 1062. Heinrich verweilte
häufig in Nürnberg. Er empfing hier die Gesandten des
Papstes Gregor VII. (1074), kan: nach seiner Demü-
thigung in Canossa über Nürnberg zurück und wurde hier
kurz vor den: Ende seiner tragischen Laufbahn (1105) von
seinem Sohne Heinrich V. belagert. Die Stadt wurde auch
von diesem, nachdem der alte Kaiser nach Lüttich entflohen
war, erobert und unterworfen, und nach seinen: Tode fiel sie
mit seinen übrigen Besitzungen an die Hohenstaufen, in
deren Besitz sie blieb bis zun: Untergange dieses Hauses.
Je heller jetzt inuner das Schicksal Nürnbergs von der
Geschichte beleuchtet wird, um so zahlreicher und bestimmter
werden die Spuren, welche der große Gang der Ereignisse
dort hinterlassen hat. Der erste Kaiser aus dem hohenstausi-
scheu Hause, Konrad III. (1137 bis I I52), ist für Nürnberg
besonders denkwürdig wegen der Erweiterung, die er mit der
Stadt vornahm. Er war auch derjenige, welcher den ersten
Reichstag hier abhielt 1142 (welchen: der letzte gerade
400 Jahre später folgen sollte 1543). Noch entschiedener
wandte sein Nachfolger, Friedrich Barbarossa, Nürnberg
seine Gunst zu. Er hielt aus der Burg sehr oft seiner: Hos,
so 1156, als er sich zu feinem großer: Zuge gegen die lombar-
dischen Städte, besonders Mailand, rüstete, 1163, 1166,
1170, 1174, 1188, in welchem Jahre er hier die Gesandten
des griechischer: Kaisers Isaak ur:d die des Sultans von Jko-
nium empfing, und wohl mit Recht wird ihn: die Ver-
größerung und Verschörwrurrg der Burg zugeschrieben.
Wahrscheirllich ist er auch Erbauer der obern Kapelle des
Heideuthurms, der sogenannter: „kaiserlichen Kapelle".
Sie steht gerade über der oben schor: genannten ältern Mar-
garethenkapelle und ruht ganz aus der: Grundmauern, was
sich bei den Burgen häufig findet und durch der: geringen
Flächenraum, der: solche boter:, erklärt wird. Der Gegen-
satz zwischen dieser: beiden Kapellen, vor: denen die obere für
die Herrschaft, die untere für die Dienerschaft bestimmt war,
und die Verschiedenheit der Zeiten, denen sie ihren Ursprung
verdanken, wird an: schärfsten durch die vier Säulen hervor-
gehoben, welche ii: jeder das Mittelschiff vor: den beider: Sei-
lt*
324
Friedr. Brink in a n u: Nürnberg.
tenschiffen trennen. In der untern sind sie dick und kurz
uui) mit stark ausladenden Kapitalen beseht, die in altroma-
nischer Weise mit Adlern und Löwenköpfen verziert sind.
Die der obern hingegen sind sehr hoch und schlank und aus
einer eigenthümlichen Art Marmor verfertigt, „dein grünlich
gestreiften Salino, den man in der Lombardei bricht". Form
und Material machen es wahrscheinlich, „daß sie einem ita-
lienischen Gebäude entnommen wurden" , und Friedrich
Außer diesen besonderen Erinnerungen, welche an die
einzelnen hohenstaufischen Kaiser mahnen, hat aber noch die
ganze Hohenstaufenzeit in Nürnberg zwei große glän-
zende Denkmale gefunden. Als solche sehen wir die Sebal-
dus - und die Lorenzkirche an, an denen zwar, wie an fast
allen alten Domen, mehrere Jahrhunderte des Mittelalters,
ja fast das ganze Mittelalter hindurch, gebaut worden ist,
und die daher ctud) mit Recht als Monumente des ganzen
Barbarossa sie hieher gebracht, mithin er Urheber der Ka-
pelle ist.
Bei den folgenden Hohenstaufen staub Nürnberg eben so
in Gunst. Nach der auf der Burg aufgestellten Tafel,
welche die Namen aller Kaiser, die dort wohnten, aufführt,
hat Heinrich VI. in vier verschiedenen Jahren, Philipp
von Schwaben in acht, Friedrich II. in fünf hier residirt.
Dieser verlieh zur Zeit seines letzten Aufenthalts (1219)
der Stadt das „große Privilegium", dessen wir früher
bei der Geschichte des Handels gedachten.
Mittelalters gelten müssen, die wir aber doch gerade an dieser
Stelle in unser Bild einzufügen berechtigt sind, wie aus dem
Folgenden hervorgehen wird.
Das hervorragende Ereigniß aus der Hohenstaufenzeit
sind die Kreuzzüge, und namentlich ist die Heldengestalt
Barbarossas in der Erinnerung unsers Volkes untrennbar
damit verbunden. Von ihnen hat sich nun ein zwar wenig
in die Augen fallendes, aber in sehr prägnanter Weise reden-
des Zeugniß in Nürnberg erhalten, welches uns die Rück-
wirkung jener Alles mit sich fortreißenden Epoche auf die
Friede. Brinkmann: Nürnberg.
325
Kunst und den Handel veranschaulicht, und zwar in der
Sebaldnskirche. Sie ist im romanischen Style angefan-
gen und im gothischen vollendet. Diese Thatsache scheint uns
zunächst nur in knnstgeschichtlicher Beziehung zu interessiren.
Sie steht aber nicht isolirt für sich; wir sehen vielmehr an
diesem Beispiele, wie genau Handel unb Kunst zu-
sammenhangen. Der romanische Styl, auch der byzan-
tinische genannt, ist aller Wahrscheinlichkeit nach aus Byzanz
nach Europa gekommen, und zwar nach Süddeutschland auf
dem Wege der Donau, und hier herrschte er so lange, als
der Welthandel über Byzanz und die Donau hinauf seinen
Weg nahm. Der gothische Styl stammt aber von den Ara-
bern her, er ist, wie Göthe sagt, „eine sarazenische Blume
im Westen ausgegangen"
unb wurde den abendlän-
dischen Völkern durch den
Verkehr mit den Sarazenen
in Spanien, Sicilien, und
besonders seit beit Kreuz-
zügen in der Levante, zuge-
führt. So bilden die Kreuz-
züge eben so sehr einen
Wendepunkt in der Kunst
wie im Handel und darum
mahnt uns die in dieser
Uebergangszeit erbaute Se-
balduskirche *) nicht nur
an eine kunstgeschichtliche
Begebenheit, sondern eben
so sehr an eine politisch-
kulturgeschichtliche und an
eine handelsgeschichtliche, an
den Umschwung, welchen
die Kreuzzüge im Welthan-
del hervorbrachten, und
insbesondere an die eben
dargelegte Bedeutung, wel-
che dieser Umschwung für
die BlütheNürnbergs hatte.
Aber noch aus einem
andern und allgemeinern
Grunde dürfen wir die
Sebaldnskirche in eine
besondere Beziehung sehen
zur Hohenstaufenzeit, ans
einem Grunde, der zugleich
für die Lorenzkirche gilt.
Diese Zeit ist überhaupt
diejenige Periode, in wel-
cher die mittelalterliche Kul-
tur ihre schönsten Blüthen
erschloß: das deutsche Kai-
serthum hatte in Friedrich I. und Friedrich II. seinen Kul-
minationspunkt erreicht, die Kirche machte noch vorzugs-
weise ihre Kultur fördernden Wirkungen geltend und wurde
durch die Macht des Kaiserthums in wohlthätigen Schran-
ken gehalten, Kunst und Wissenschaft wurden mit Enthu-
siasmus und großen Erfolgen betrieben, die Poesie der
Minnesänger blühte an den Höfen der Kaiser und Fürsten,
das ganze mittelalterliche Leben entfaltete in allen Ständen,
&F i
Die Brautthüre der Sebaldnskirche in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
*) Eben so die E u ch arins k a p e l l e. „Die Kapitale der
Mittelpfeiler haben einen auffallend arabischen Geschmack mit
Perlenschnuren an den Flächen und Lotosblättern an den Ecken
und erinnern in dieser Weise an mohammedanischen Einfluß,
welcher durch die Kreuzzüge lind den Verkehr mit dem Mor-
genlande bei uns eingeführt wurde." v. Rettberg.
an den Fürstenhöfen, auf beit Ritterburgen, in den Klöstern
und in beit Städten damals die ganze Fülle seines grellen
Farbenspieles im bnntestell Wechsel.
Darum hat es einen gilten Grilnd, wenn wir das
Größte, das Majestätischste, was die mittelalterliche Kunst
in Nürnberg geschaffen hat, obschon sie noch lange Zeit nach
den Hohenstaufen brauchte, um das damals Begonnene §tt
vollenden, und obschon diese Schöpfungen uns im weitern
Sinne das ganze Mittelalter repräsentiren mögen, doch ins-
besondere als ein Denkmal des hoheitstaufischen Zeitalters
ansehen, wenn wir in dem Glanze, welchen diese Kunstwerke
über die Gegenwart ttttb die Vergangenheit Nürnbergs wer-
fen, einen Abglanz der großeil Hohenstaufen, der Herrlich-
keit des alten deutschen
Reiches erblicken.
Das sind die Sebal-
dlts- und die Lorenz-
kirche.
Die Gründung beider
fällt ungefähr in dieselbe
Zeit, wahrscheinlich in die
ersten Jahrzehnte derhohen-
stausischen Periode, und
beide wurden auch um die-
selbe Zeit vollendet, gegetl
das Ende des Mittelalters
(Ende des 15. Jahrhun-
derts). Die ältere ist die
Sebaldnskirche, die, wie
oben gesagt, an der Stelle
der nach der Sage von dem
heiligen Bonifaz gegründe-
ten Peterskapelle erbaut
worden ist. Die dem ro-
maitischen Style angehöri-
gen Theile sind der westliche
Chor (auch Peterskapelte,
oder lösfelholzersche Kapelle
genannt), der auf einer
Gruft steht und sich durch
seine hohe Lage über dem
Schiffe auszeichnet, die un-
teren Theile der beiden
Thürme, die zu beiden
Seiten desselben sich erhe-
ben, und das Mittelschiff.
Der östliche, dem Rath-
hause zugewendete Chor
hingegen ist eins der reich-
sten Prachtwerke gothischer
Baukunst und wurde am
Ende des 14. Jahrhunderts
(1361 bis 1377) dem ältern Baue angefügt. Seltsam
ist es zu bemerken, daß dieser Chor „mit der Kirche nicht
in Einer Achse liegt, sondern sich vielmehr nach der Nordseite
neigt", wovon „Einige den Grund im Erdreiche suchen, An-
dere in einer bestimmten Absicht des Baumeisters, der damit
habe andeuten wollen, daß Christus am Kreuze das Haupt
zur Rechten geneigt habe". Die beiden schlanken viereckigen
Thürme wurden erst im Jahre 1483 zu ihrer jetzigen Höhe
ausgebaut.
Unter den einzelnen Schönheiten und Kunstwerken, die
diese Kirche besitzt, ist nächst dem berühmten Sebaldus-
grabmale, von welchem weiter unten die Rede sein wird,
besonders die sogenannte Brautthüre hervorzuheben, welche
sehr reich, zierlich durchbrochen und mit ihrem vor dem
l H
jlf
m
320
Friedr. Brinkmann: Nürnberg.
eigentlichen innern Eingänge vortretenden Spitzbogen eine
Vorhalle bildend gerade an der Grenze zwischen Langschiff
unb Chor in das letztere führt. Diese Vorhalle hatte den
Zweck, die Brautpaare, welche vor der Kirche eingesegnet
wurden, gegen schlechtes Wetter 31t schützen; in den ein-
springenden Seitenwänden der Thür sind zierliche Säulen-
stelluugen angeordnet, an denen unter Schirmdächern die
Steinbilder der klugen und thörichten Jungfrauen lehnen —;
außen zu beiden Seiten - des Spitzbogens die Bilder der
Maria mit dem Kinde unb des heiligen Sebald mit Pilger-
stab und dem Modell der Sebaldnskirche.
Beiläufig wollen wir hier auch noch des außen am west-
lichen Chore Hangenden, vielleicht von dem Vater Peter
Vischers herrührenden, kolossalen Crucifixes aus Metall
(wie man sagt, von Silber, 18 Centner schwer) gedenken,
das während des 30jährigen Krieges (1625)), um ihn: den
Silberglanz zu nehmen und es gegen Plünderungen sicher
zu stellen, schwarz angestrichen wurde unb so Veranlassung
gab, daß die Nürnberger den Spottnamen Herrgotts-
schwärzer erhielten.
Die Lorenzkirche bestand schon im Jahre 1162, lag
aber damals wahrscheinlich noch außerhalb der Stadt, da
diese bis zu ihrer Erweiterung, die durch Konrad in. ums
Jahr 1150 begonnen wurde, nur bis zur Pegnitz reichte,
und diese Erweiterung erst nach und nach ins Werk gesetzt,
vielleicht erst unter Rudolf von Habsburg vollendet wnirde.
So viel steht wenigstens fest, daß im Jahre 1102 die Lo-
renzkirche noch von der Michaeliskirche in Fürth abhängig
war, wie die Sebaldnskirche eine Filialkirche von Poppen-
reut gewesen ist, und wie beide Seiten der Pegnitz bis zum
! 1. Jahrhunderte sogar zu verschiedenen Bisthümeru gehört
haben, die sebalder Seite zu Würzburg, später Bamberg,
die lorenzer ¿it Aichstädt. Die Legende vom heiligen
Lorenzo ist natürlich nicht weniger erbaulich, als die vom
heiligen Sebaldus, und bekannter als diese, schon wegen
der häufigen Darstellungen, die sein Feuertod auf dem
Roste gefunden hat. In Nürnberg muß er sich aber jenem
Heiligen, von welchem man außerhalb wenig weiß, unter-
ordnen und ist gleichsam nur sein Gast, da jener der hoch-
verehrte Schutzpatron der ganzen Stadt ist, und dessen
Ehrentag, der 19. August, früher in feierlichster Weise,
mit großen, festlichen Umzügen begangen wurde. Umgekehrt
ist das Verhältniß zwischen den diesen beiden Heiligen ge-
weihten Kirchen. Die Lorenzkirche ist ohne Zweifel ein
gewaltigerer, imposanterer Bau, als die Sebaldnskirche.
Alle ihre Verhältnisse sind beträchtlich größer, das Ideal,
welches der Künstler hier zu verwirklichen suchte, ist ein
höheres, kühneres, man fühlt in ihm den himmelaustreben-
den Zug des Mittelalters entschiedener ausgesprochen, und
darum ist der ganze Eindruck ernster, feierlicher, majestä-
tischer. Die Ausführung dieses Ideals ist aber auch mit
einem ungleich größer:: Auswande von Glanz erfolgt, die
ganze Pracht, worüber die Gothik zu verfügen hatte, ist auf-
geboten worden, mit es würdig zur Darstellung zu bringen
und spricht sich in gleich hohem Grade im Aeußern wie im
Innern aus: dort besonders an der Fa^ade, in der bewun-
dernswürdigen Rosette, einem in: Achteck abgetheilten Stern,
in den: Giebel des Mittelschiffes, in dem mit Bildwerken
ganz bedeckten, 42 Fuß hohen Hauptthore und den beiden
Thürmen; hier in den eben so kraftvoll als leicht aufstreben-
den sieben Pfeilerpaaren mit ihren aus den Kapitalen anf-
steigenden, an den Gewölben sich durchkreuzenden Rippen,
in den das Licht so mystisch dämpfenden Glasmalereien der
Fenster, unb in den: überreichen Netzgewölbe, in welches die
hohen Pfeiler des Chores unmittelbar, ohne Blätterkränze
vorher zu bilden, auslaufen, wie Palmen, die ihre Kronen
in einander verschlingen.
Das ganze Innere zerfällt, wie das der Sebaldnskirche,
in drei Schiffe, das Mittelschiff ist jedoch doppelt so hoch
und so breit, als die Seitenschiffe. Was uns aber beim
Vergleiche der Lorenzkirche mit anderen gothischen Kirchen
an: meisten ausfällt, ist der Umstand, daß sie gar kein
Quer schiff hat, und daß die Strebepfeiler ins Innere der
Seitenschiffe zurücktreten, woraus sich denn zwei Folgen er-
geben: die eine, daß eine Menge kleiner Kapellen im Innern
gebildet wird, die andere aber, daß die Außenseite der
Kirche sich nicht so reich gliedert, wie die der Sebaldnskirche,
und namentlich die des Chores hinter den: Sebalduschor zu-
rückbleibt. Auch die erstgedachte Seltsamkeit, daß das
Querschiff ganz fehlt, möchte wohl eher ein Mangel, als
ein Vorzug zu nennen sein. Jedenfalls n:uß sie das Kunst-
gefühl, wie es sich einmal durch den Anblick der regelmäßig
mit Querschiff gebauten gothischen Kirchen ausgebildet hat,
befremden. Wir bekommen den Eindruck, als wäre der
ganze Bau nicht machtvoll genug in die Breite ausgedehnt,
um sich zu der Höhe und Länge, die er hat, erstrecken zu
können, und dadurch vertiert er an inajestätischer Würde.
Wir wollen jedoch diesen Umstand nicht mit zu viel
Nachdruck betonen. Uu: so bestimmter miissen wir aber
einen andern hervorheben, der lvesentlich dazu beitragen
dürfte, daß trotz des Vorranges, den man in: Allgemeinen
der Lorenzkirche vor der Sebaldnskirche einräumen muß,
es doch nicht Wenige gibt, die sich durch diese letztere mehr
befriedigt fühlen. Die ästhetische Wirkung des ehrwürdigen
Loreuz-Doms wird für denjenigen, welchem es nicht gege-
ben ist, über störende Kleinigkeiten sich hinwegzusetzen und
sich an das Ganze zu halten, erheblich verkümmert durch die
außerordentliche Masse des gar nicht hineinpassenden Bei-
werks , das sich im Laufe so vieler Jahrhunderte dort ange-
häuft hat und jetzt überall an Wänden, Pfeilern und Ge-
wölben sich breit macht; allermindestens wird hierdurch dem
Genusse der feine Dust geraubt, den nur das in sich Har-
monische gewähren kaun.*)
Von all solchen: nicht schmückenden, sondern entstellenden
Schmuck ist die Sebaldnskirche frei. Kommen wir
daher zu ihr, uachdem wir unmittelbar vorher die Lorenz-
kirche gesehen haben, so wird es uns ordentlich leicht und
froh ums Herz beim Eintritt in diese in edler Einfachheit
gehaltenen Räume. Dazu fühlen wir aber bald, daß diese
Kirche gerade in ihrer geringern Größe, in ihrer größer»: An-
spruchslosigkeit und dem freundlichen, heitern Charakter
das Gemüth mit einem eigenthümlichen Zauber bestrickt.
Erinnern wir uns jetzt der Lorenzkirche, so kann es wohl
fein, daß der feierliche Ernst derselben für uns eine Beimi-
*) Als solches störende Beiwerk sind die alten, halb vcrmo-
dcrlen Wappenschilde patricischer Familien anznsehen, die zu
Hnnderlcn an den Wanden nmhcrhangen; die vielen Neben-
alläre an den Pfeilern, die abstehenden Bilder dieser Altäre,
die in ihrer Disharmonie mit den Pfeilern das Auge ganz
besonders beleidigen, die über das Hauptschiff und die Seiten-
schiffe gespannten hölzernen Bogen mit kleinen darauf stehen-
den Engeln, das in der Milte des Hauptschiffes angebrachte
große, unförmliche Kreuz, und selbst dle ans Holz geschnitzten,
an sich vortrefflichen Figuren des sogenannte» '„englischen
Grußes" von Beit Stoß, die von der Decke herabhangen.
Eine jede Tugend kann übertrieben werden, auch die Pietät
gegen das Alterthnm. Das sollten oie Nürnberger beherzigen
und eine gründliche aber verständige Säuberung mit ihrer Lo-
renzkirche vornehmen. Von diesen und ähnlichen Beobachtungen
muß auch Herr von Netlberg ansgegangen sein, so daß er
endlich zu dein harten Urtheile gelangt ist: „Die Lorenzkirche
ist nur als ein Beispiel mit einzelnen Schönheiten anzuführen,
welche jedoch unter sich keinen durchgebildetcn Zusammenhang
haben."
man die Ruhe wiederhergestellt hatte, wurden mit Erlaub-
niß Karls alleJudeuhäuser niedergerissen, itub der Platz wurde
zum Markte gemacht, „angesehen in Niirnberg kein großer
Platz sei, darauf die Leute ohne Gedränge kaufen und verkau-
fen mögen", an der Stelle der Synagoge aber ließ Karl zu
Ehren der Maria eiue Kirche bauen, die den Namen „nnf e-
rer lieben Frauen Saal" erhielt und zur „ kaiserlichen
Kapelle" bestimmt wurde (1355 bis 61 erbaut von den
Gebrüdern Nupprccht). Und als solche erscheint sie noch
immer durch die ungemeine Pracht der ans der Mitte der
Fc^adefrei vorspringenden Vorhalle, während die darin auf-
gestellten zahlreichen Bildwerke von Schonhofers Hand,
welche sich um den die Hauptpforte in zwei Hälften theilen-
den Pfeiler und die an demselben thronende Maria grup-
piren und ans diese sich beziehen, die Kirche noch immer als'
„Marienkirche" oder „unserer lieben Frauen Kirche"
charakterisireu. Gleichzeitig mit ihr und von denselben
Baumeistern wurde der gegenüber liegende, „vor alíen
Brunnen Deutschlands sogenannte Schöne Brunnen"
errichtet, eine reich durchbrochene und mit Bildwerken
gezierte Spitzsänle von 60 Fuß Höhe, die zwar vielfach,
namentlich in den Figuren, durch den Zahn der Zeit ge-
litten hat, aber in unserm Jahrhundert in möglichster An-
schließung an die alte Gestalt reuovirt worden ist, nur
ohne die Bemalung und Vergoldung, in welcher die vielen
Standbilder früher auf das bunte, in farbenreichen Trach-
ten ;n ihren Füßen sich bewegende Leben des Mittelalters
herabschanten.
An denselben Kaiser und das wichtigste Ereigniß seiner
Regierung, die Abfassung der goldenen Bulle auf einem
in Nürnberg gehaltenen Reichstage (1356), erinnert lins
eine Straße Nürnbergs, die „Schildgasse". Sie wurde
so genannt von dem in ihr liegenden Hanse, in welchem
Karl die ersten Kapitel jenes Gesetzes berieth nub feststellte,
und das zum Andenken daran durch einen vergoldeten, mit
einer Inschrift versehenen Schild ausgezeichnet ist, daher auch
zum goldenen Schilde genannt winde. Endlich begegnet
uns der Name Karls auch in der Sebaldnskirche. Da er
nämlich so häufig in Nürnberg verweilte, so ereignete es sich,
daß sein Sohn und Nachfolger Wenzel hier geboren und
in dem Taufbecken der Sebaldnskirche, einem der ältesten
nürnberger Gnßwerke, getauft wurde.
Die Regierung Wenzels (1378 bis 1-100), jene seines
Bruders Sigismnnd (1410 bis 1437) und die Fried-
richs HI. (1437 bis 1403) bieten das klägliche Schauspiel
des rasch sinkenden, zu einem Schatten seiner frühern Größe
verblassenden kaiserlichen Ansehens und des gänzlichen Zer-
falles des Reiches in ein Chaos, dessen Gährung die neuere
Zeit hervorbrachte. Es ist die Zeit des schamlosesten Faust-
rechts, der blutigsten inneren Kämpfe, besonders zwischen
den Ritterbünden und Städtebünden, des Verfalls der
Kirche, wie er uns in der Geschichte der Concilien entgegen-
tritt, und somit der Vorbereitung der Reformation und der
Sonveränetät der deutschen Fürsten, der beiden Thatsachen,
welche den Eintritt der neuen Zeit im Staatsleben be-
zeichnen.
An alle diese Thatsachen der sich auflösenden und zer-
setzenden mittelalterlichen Kultur werden wir in Nürnberg
lebhaft erinnert. Wie bei allen Städten Süddeutschlands,
so treten auch bei Nürnberg in der Geschichte dieser Periode
seine Kämpfe mit den Fürsten nni) Rittern in den
Vordergrund. Was die Letzteren betrifft, so war diese Zeit
der ganz darnieder liegenden kaiserlichen Macht die Blüthe-
zeit der „Plack er", der adligen Schnapphähne, die an allen
Straßen und Flüssen ihre Ranbbnrgen hatten und von da
über die Waarenzüge und Schiffe friedlicher Kaufleute her-
schnng voll Düsterkeit erhält, nub wenn wir auch einräu-
men müssen, daß jene llus würdevoller lind erhabener ent-
gegentritt, so mnthet uns doch hier Alles immer mehr an,
je länger wir verweilen; wir fühlen uns bald heimisch, unb
nur schwer vermögen wir lins loszureißen.
Der heilige Sebaldns muß es natürlich am besten selbst
wissen, wie viele lind große Vorzüge seine Kirche vor der
seines Nebenbuhlers voraus hat, unb darum läßt er diesen
ruhig im Besitze der prächtigern Kirche. Es weiß das aber
auch das nürnberger Volk, das voll jeher mit seinem Schlitz-
patron auf einem Fuße vertrauter Freundschaft stand, und
bannn wird sich wohl auch hier lvie auderlvärts der Er-
fahruilgssatz bewähren, daß das Volk die anspruchsloseru,
freundlichern Kirchen lieber unb stärker besucht, als die
prächtigen Dome, deren erhabene Größe es weniger an-
tu uthet. —
Doch kehren wir nach diesen Abschweifungen auf das
Gebiet der Kunst, die indessen nöthig lvaren, atm un§ mit
den beiden größten kirchlichen Ballten Nürnbergs besannt zu
machen, wieder zu unserm Thema zurück.
Gleich derjenige deutsche König, welcher die nach deut
Untergange der Hohenstaufen einbrechende „kaiserlose, schreck-
liche Zeit" beendete, Rudolf von Habsburg, erwies
sich lvieder als ein Freund und Beschützer Nürnbergs, eben
so Adolf voll Nassau nnb Rudolfs Sohn, Albrecht I.,
zu dessen erstem Hoftage (1298) nicht welliger als 74 Für-
steil, 360 Grafen nnb Edle und 6500 andere Fremde, den
Troß nicht mitgerechnet, hier zilsammen kamen und alle in
der Stadt untergebracht wurden. Kein Kaiser hatte aber
eine solche Vorliebe für Nlirnberg lind iilachte es so häufig
zu seiner Residenz, als Ludwig I., derBayer(1314bis47).
Darum bildete sich aber auch bei der Einfachheit und Ge-
radheit, die iil jener Zeit auch im Verkehre mit Kaisern und
Königen herrschte, ein Verhältniß wahrer Freundschaft zwi-
scheil ihm und der Stadt. Denn als solche dürfen wir wohl
dasjenige bezeichneil, in welchem Ludwig zu ben vornehmsten
Bürgern stand, bei deilcn er zu wohnen pflegte, besonders
zu Konrad Groß, dem Sehne „des reichen Heinz", bei
dem er in ben letzten Jahren ausschließlich einkehrte und den
er feinen lieben Wirth zu nennen pflegte.
Sein Nachfolger Karl IV. (1347 bis 78) war daher
anfangs als Feiild des bayerischen Hallses lind Vertreter
der päpstlichen Partei, als „Pfafsenkönig", wie man ihn
nannte, den Nürnbergern verhaßt. In ein freundlicheres
Verhältniß zur Stadt kam er jedoch sehr bald durch den
Allsgang des gleich nach Ludwigs Tode allsbrechendeil Aus-
standes der Züilfte gegen die Patricier, da diese verjagt, von
ihm aber zurückgeführt und wieder in das Regiment der
Stadt eingesetzt wurden. Er ließ es sich jetzt angelegen sein,
die Freundschaft der an sich schon so bedentenden, namentlich
aber für ben Verkehr zwischen seiner Residenz Prag und
dem Reiche so wichtigen Stadt zll erhalten. So begegnet
llils beim in Nürnberg sein Andenken sehr häufig, fast häu-
figer als es llils lieb ist.
Vor Allem fällt llils ans, daß die kleine, aber reizeilde
Frauenkirche mit ihrer ganzen Umgebung, dem großen
Markte (auch Hanptmarkt oder Grüner Markt ge-
nannt) und deut in einem Winkel desselben stehenden schönen
Brunnell (s. Fig. 2 in der vorigen Nummer, S. 292) cilg
mit dem Andenken dieses Kaisers verwachsen ist. Bei dem
erwähnten großeil Aufstande hatte llämlich der Pöbel, lvie
es allgemein bei solchen Gelegenheiten im Mittelalter üblich
war, die Häuser der Juden, die an der Stelle des spätern
Marktes zusammenlagen, geplüildert und zum Theil zerstört,
die Bewohner selbst aber alls der Stadt vertrieben. Nachdem
328
Friedr. B rin km ann: Nürnberg
fielen. Die gerade damals mehr als je gedeihenden und
zürn Bewußtsein ihrer Kraft kommenden Städte wußten
aber ihre Gegenmaßregeln zu treffen und sich selbst Recht
zrr verschaffen. Insbesondere zeichnete sich Nürnberg durch die
Energie urrd Strenge aus, womit es gegen die Stegreifritter
verfuhr. Es führte ein eigenes Achtbuch über die fränki-
schen Edelleute, welche sich als Placker gezeigt hatten, und
um eineu jedeu vou ihnen, der in seine Gewalt kam, war
Schnapphähne, Eppo, oder Eppelein (Appolonius) von
Gailingeu, erhalten. Nach vielen Unbilden, die er der
Stadt und ihren Bürgern zugefügt hatte, fiel er endlich in
die Hände der Nürnberger, wurde auf der Burg gefangen
gesetzt und zum Tode verurtheilt. Da aber jeder zum
Tode Verurtheilte das Recht hatte, sich eine letzte Gnade
vor seinem Ende zu erbitten, so bat er um die Erlaubniß,
an den: ¿u seiner Enthauptung festgesetzten Tage sein Roß
Portal der Frauenkirche in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
es geschehen; Ritterblut floß für Bürgerblut lind Bürgergut.
Selten erlaubte man ihnen, sich durch bedeutende Summen
loszukaufen. Zahlreich sind die Geschichte,: solcher Händel
aus jener Zeit. Die bekannteste hat eine noch heute sicht-
bare Spur in Nürnberg hinterlassen. Sie knüpft sich an
eine Stelle der Freiung neben dem fünfeckigen Thurme
der Burg, an einen dort befindlichen Stein, in welchem zwei
Vertiefungen, die Eindrücke von großen Pferdehufen glei-
chen, sichtbar sind. Sie sollen das Andenken an einen jener
auf der Burg umhertununeln zu dürfen. Er erhielt sie und
benutzte die Gelegenheit, um von der Brüstung der Mauer
über den Graben zu setzen und so zu entkommen. Den
vielen, ihm begegnenden Landleuten, die nach Nürnberg
zogen, um den berüchtigten Räuber hinrichten zu sehen, sagte
er: „Die Nürnberger hängen Keinen, sie hätte::
ihn denn!" und so soll er der Urheber dieses Sprichwortes
geworden sein. Wenn die Nürnberger aber einen Placker
hatten, so hängten sie ihn, falls sie nicht vorzogen, ihn zu
g riebt. Brinkmann: Nürnberg.
329
köpfen, und das wurde dem alten Eppo selbst zu Gemüthe
geführt. Er gerieth zum zweiten Male in die Gewalt der
Nürnberger, nnb jetzt halsen ihm alle Springerkünste nichts.
Er wurde zu Neumarkt enthauptet.
Wie sich die einzelne Stadt gegen den einzelnen Ritter
selbst zu Helsen wußte, so trat sie gegen die Fürsten und die
unter deren Führung gebildeten Ritterbünde mit anderen
Städten zu Städtebünden zusammen. Schon 1256 hatte
sich Nürnberg in den rheinischen
Städtebund aufnehmen lassen,
1384 aber trat es in den schwä-
bischen Bund und bald nahm es
in ihm eine hervorragende Stel-
lung ein. So winde es denn in
dem Kriege, welchen derselbe im
I. 1 446 gegen die unter der Füh-
rung des Markgrafen Albrecht
von Brandenburg stehenden Für-
sten und den Adel Oberdeutsch-
lands zu unternehmen sich genö-
thigt sah, zum Haupte des Bun-
des erwählt und bewährte als
solches seine Tüchtigkeit. Denn es
brachte feinen Feinden eine be-
trächtliche Niederlage am Billen-
mnther See (1456) bei, die noch
demüthigender für den Adel aus-
gefallen wäre und mit der Ge-
fangenschaft seines Führers Alb-
recht geendet hätte, wenn nicht der
im Solde Nürnbergs stehende
Kunz von Kaufsungen (die-
selbe Person, die später durch
den Raub der sächsischen Prinzen
berüchtigt wurde) ein Verräther
gewesen wäre. Veranlassung jn
diesem Kriege gab ein sogen. „Ge-
sellenstechen", welches die jungen
Patrizier 1446 in Nürnberg zur
Hochzeitfeier des Wilhelm Löf-
felholz mit der Kunigunde
Paumgärtnerin in hohen Ge-
zeugeu hielten, da der Adel hierin
ein Turnier nnb somit einen Ein-
griff in seine vermeintlichen Vor-
rechte sah. Dieses Stechen finden
wir im Rathhause an der Decke
des Korridors im zweiten Stock-
werke in Stuckatur dargestellt,
woraus sich die Schilde und
Helme mit den Wappen der Per-
sonen, die an jenem Waffenspiele
Theil nahmen, in Farben heraus-
heben.
Was die in diese Zeit fallen-
den Concilien betrifft, so wer-
den sie in der Erinnerung un-
sers Volkes besonders durch die
Person des Kaisers Sigismund vertreten, der eine wenig
beneidenswerthe Berlihnrtheit durch das wichtigste derselben,
das Costuitzer ((1414—18), erlangte und durch seinen
schmählichen Trenbruch gegen Huß die Greuel der Hus-
sitenkriege über Deutschland brachte. Das Böhmen so
nahe gelegene Mittelfranken wurde natürlich nicht wenig
davon heimgesucht, nnb Nürnberg machte keine Ausnahme.
Indessen stand es zu Sigismund in einem freundlichen
Globus VI. Nr. II.
s
Wenzel unter der
(Nach einer
Verhältnisse, wie es denn das Schicksal dieser Stadt zu sein
scheint, daß die allerverschiedensten Charaktere sie lieb gewin-
nen müssen. Ein nicht geringes Zeichen seiner Gunst war
es, daß er während der Hussitenkriege, als ihm die Reichs-
kleinodien an ihrem bisherigen Aufbewahrungsorte, aus
der Blindenburg in Ungarn, gefährdet schienen, sie von dort
nach Nürnberg bringen ließ und verordnete, sie sollten auf
ewige Zeiten dort aufbewahrt werden. Sie blieben hier bis
zum Ende des vorigen Jahrhun-
derts, kainen dann nach Frank-
furt a. M. und 1806 nach Wien.
Der Ort, wo sie in Nürnberg
niedergelegt waren, ist die Hei-
lige Geist - Spitalkirche,
wo noch die Kapsel gezeigt wird,
die früher den Reichsapfel ein-
schloß. In dem ersten Jahrhun-
derte nach ihrer Uebersiedlnng
muß durch sie das Andenken Si-
gismunds sehr lebhaft in Nürn-
berg erhalten worden sein. Es
bestand nämlich damals die Sitte,
sie alljährlich einmal, gleich nach
Ostern, in feierlicher Weise gleich-
sam zur Verehrung öffentlich aus-
zustellen. Es geschah dies auf
dem Söller, der sich über der
Vorhalle der Frauenkirche befin-
det. Man glaubte, daß sie von
Karl dem Großen herrührten,
und betrachtete sie als etwas Hei-
liges, nannte sie daher auch die
„ Reichs - Heiligthümer ".
Mit ihrer Ausstellung war eine
Heiligthumsmesse und ein großer
Ablnß verbunden, so daß sich
diese Tage zu einem großen Volks-
feste für die Stadt gestalteten, zu
welchem von nah und fern die
Leute zusammenströmten. Da die-
ses Fest erst zur Zeit der Refor-
mation, im Jahre 1523, abge-
schafft wurde, so muß Dürer (geb.
1471) als Kind, Jüngling und
Mann es oft mitgemacht haben,
und die hier gewonnenen Ein-
drücke sind daher aller Wahr-
scheinlichkeit nach dieVeranlassnng
gewesen, daß er außer Karl dem
Großen gerade Sigismund zum
Gegenstand eines Gemäldes aus
der Reihe der deutschen Kaiser
gewählt hat. Zum Ueberflnsse
weisen auch die Unterschriften
beider Bilder darauf hin, indem
sie sagen, Karls Krone und Klei-
dung werden alle Jahre zu Nürn-
berg gezeigt, Sigismund aber, der
Stadt in sondern Gnaden geneigt, habe das Heiligthum
dorthin gebracht. Ja man kann bei einem so eminenten
Kopse, wie Dürer, mit Grund voraussetzen, daß er in
diesen Bildern den Gegensatz der kaiserlichen Machtsülle und
der lächerlichen Machtlosigkeit zur Darstellung bringen
wollte, und somit beide einen nnb denselben Ursprung haben
in den Gedanken, die sich an jenes Kaiserornat, als das
rein äußerliche Band zwischen zwei so himmelweit verschie-
42
Linde in Nürnberg
Photographie.)
IS
330
Emil Schlagint weit: Die Zustände in Bhutan.
denen Persönlichkeiten, anknüpfen mußten. Auch dieses
Werk Dürers hat sich Nürnberg erhalten, und es ist neben
dem Karls des Großen in der städtischen Gemäldegaklerie
aufgestellt. Beide Bilder können gleichsam als Ersatz der
Reichskleinodien gelten, da wir diese hier getreu nach der
Wirklichkeit vvtt Dürers Hand dargestellt finden.
Endlich ans die iit dieser Zeit der Wirren vortrefflich ge-
deihenden Anfänge der Fürstensouveränetät können wir nicht
nachdrücklicher hingewiesen werden, als durch das wichtigste
Ereigniß, welches sich an die Burg von Nürnberg knüpft
und für jeden-gebildeten Fremden das Erste sein wird, woran
er denkt, wenn er von den Burggrafen von Nürnberg hört.
Es ist der zwischen Friedrich VI. von Hohenzolleru, dem
Burggrafen von Nürnberg, uub Kaiser Sigismund 1415
abgeschlossene Vertrag, wodurch jener von diesem die Mark
Brandenburg erhielt xtnb somit den Grund zu demjenigen
Staate legte, welcher zuerst völlig mit dem Reiche brach.
Die Z u st ä n d e in B h u t n n.
Von Emil Schlaginttveit.
Bhutan ist einer derjenigen Grenzstaaten im Norden
des englisch-indischen Reiches, dessen Erforschung in un-
gewöhnlicher Weise durch das Mißtrauen der Herrscher
erschwert wird; nur viermal gelang es, während der letz-
ten 100 Jahre, politischen Missionen den Zutritt zu er-
wirken. 1774 war es Brogle, der bis in die Nähe
von Taschilhunpo kam, der Residenz des zweithöchsten
Würdenträgers der heutigen Buddhisten. Turner, 1783,
erreichte Taschilhunpo selbst; doch leider durfte er nur
der Route von Brogle folgen, und selbst auf dem Rück-
wege wurde eine Abweichung davon energisch verweigert.
Glücklicher war in dieser Beziehung Pembertön, der
1838 an den Hof des Dharma Radscha abgeschickt wurde.
Auch ihm verweigerte mau anfangs neue Routen, aber
nach langer Correspondenz erlaubte ntcut endlich, daß er
einen viel östlichern Weg nehme.
Während Brogle und Turner von Goolpara in Assam
in gerader Richtung nördlich, hin und zurück, reisen
mußten, ging Pemberton viel östlicher, von Gowhatty
aus nördlich bis Tasgong, dann wandte er sich westlich
und zog quer durch Bhutan bis Tassisudon, der Resi-
denzstadt. Den Rückweg nahn: er, wie seine Vorgänger,
über Pusaiha (Bura Duar). Ueber die Routen von
Ashley Eden (Vergl. Gl. Bd. VI. S. 189) fehlen noch
die Einzelnheiten.
Er war mit dem Aufträge an den Hos von Bhutan
gesandt, dahin zu wirken, daß genügende Garantien ge-
geben werden gegen räuberische Einfälle in das assame-
sische Gebiet, welche die Zemindars oder größeren Grund-
besitzer schon seit mehreren Jahren zur Erntezeit der
Früchte ihrer Saaten beraubten. Aber Ashley Eden
wurde gefangen genommen, als er energisch für den
Zweck seiner Mission auftrat, man bedrohte U)u mit dem
Tode; erst nachdem er einen Vertrag unterzeichnet hatte,
daß Assam au Bhutan fallen solle, ließ man ihn wie-
der ziehen. Die indische Regierung verweigerte die Ra-
tification dieses Vertrages und erhob dagegen Ansprüche
auf Genugthuung wegen der Beleidigung ihres Ge-
sandten.
Von Turner und Pemberton haben wir ausführ-
liche Berichte, aber des Letzten: Zusammenstellung seiner
Notizen und Betrachtnngeil ist in Europa uur wenig be-
kannt. Eine wichtige Ergänzung erhalten ihre Beschrei-
bungen durch intelligente Eingeborene aus Bengalen nub
Assam, von denen die Regierung Mehrere nach Bhutan
gesandt t>atte mit ausführlichen Instruktionen über die
Gegenstände, die sie beachten sollten. Die neuen Daten
wurden von den asiatischen Gesellschaften zu Calcutta
und London bekannt gemacht; Einzelnes findet sich auch
in den „Berichten" der indischen Beamten über ihre Be-
suche bei den wildeil Stämmen der Abors, Dophlas,
Miris und Mischnus, die au der Ostseite von Bhu-
ta.u bis zur Vereinigung des Dihong mit dem Brahma-
putra lvohnen. Ueber administrative Verhältnisse, über
den Charakter und die Lebensweise der Eingeborenen und
über die Produkte des Landes enthalten diese Berichte
sorgfältige und zuverlässige Angaben; weniger in wissen-
schaftlicher Beziehung. Was von allgemeinerem Interesse
ist, wurde für die folgende Darstellung ausgewählt; viel
neues Material ist den Mannscripten meines Bruders
Hermann von Schlagintlveit entnommen und den
einleitenden Kapiteln zu seiner „Meteorologie von Indien
und Hochasien" (sie wird erst in einigen Monaten aus-
gegeben werden). Seine Routen führten östlich von den
Wegen, welche die früheren politischen Missionen nahmen;
er erreichte Narigun, 3,642 engl. Fuß; auf dem Wege nach
Tarang nöthigte man ihn zur Umkehr, indem man ihm
keine Träger bewilligte (Vgl. Globus Bd. VI, S. 104).
Die politischen Zustände in Bhutan erinnern
vielfach an die Zeit, wo Deutschland noch von hunderten
von kleinen souverainen Fürsten regiert wurde. Bhutan
zerfällt in zahlreiche kleine Fürstenthümer. Als ihr ge-
meinsames Oberhaupt wird der Dharma Radscha ge-
nannt, der „Gesetzes-Fürst"; er ist jedoch viel mehr, als
man es bei einem orientalischen Fürsten erwarten sollte,
von dem guten Willen seiner Vasallen abhängig. Die
Ursache ist weniger sein geistlicher Stand und die Zu-
rückhaltung, welche dieser ihm auferlegt — er gilt "als
eine Verkörperung eines Buddha, der zum Heil und'zur Er-
lösung der Menschen vom Jammer des Daseins menschliche
Form annimmt —, als der Umstand, daß erst im 16. Jahr-
hundert n. Chr. Geb. der erste incarnirte Dharma
Radscha auftrat. Die einheimische Geschichte berichtet,
daß er aus Lhassa gekommen sei, und es scheint, daß
die Anhänger der „rothen Sekte", die in Tibet, dem
nördlichen Grenzlande von Bhutan, nicht als orthodox
gelten und um diese Zeit von dort verwiesen wurden,
unter den Bhutias zu neuem Ansehen gelangten. Die
eingeborenen weltlichen Fürsten lieferten Naturalien und
steuerten zum Tempelbau hei, und was anfangs frei-
willige Leistung war, wurde später durch feste Satzung
geregelt. Eine Gebietsabtretung fand nicht statt, ihre
Macht wurde aber gebrochen, indem Lamas zu Gouver-
neuren der Festungen und zu Aufsehern über die Vor-
rathshänser ernannt wurden; eine weitere Beschränkung
erhalten sie durch die Befugnisse des Depa, des „Regen-
ten", des höchsten Beamten des Dharma Radscha. Jeder
Besitz wird als eine Verleihung, als ein Lehen von ihm
betrachtet, und es hat der Beliehene eine ziemlich bedeu-
tende Geldsumme als Preis der Verleihung zu' zahlen.
Emil Schlagintweit: Die Zustände in Bhutan.
331
Es ist zwar die Regel, daß der Besitz sich in derselben
Familie erhalte, aber wenn sie sich gegen den Depa
feindlich benahm, kam es oft schon vor, daß ein anderer,
ihm ergebener Stamm damit belehnt wurde, der aber
dann meistens durch Waffengewalt sich den Besitz erstrei-
ten muß. Der Depa wird von den Großen des Reichs
erwählt, und zwar ist es stets der Mächtigste, vor dem
die Andereil sich beugen. Deni Gesetze nach erhält er
die Regentschaft auf drei Jahre, jedoch behauptet er sich
stets länger im Amte. Gewöhnlich baust er nur ge-
zwungen ab, iildem einer der Großen, der sich durch Er-
pressungen bereichert hat, Truppen ausrüstet und bcn
Depa verjagt; doch weiß man auch von Fällen, daß zu
maßlose Ueberschreitnngen seiner Macht einen allgemeinen
Aufstand gegen ihn veranlaßten. Besonders hervorzuhe-
ben ist noch, daß der Depa, wenn er llicht schon dem geist-
lichen Stande angehörte, Lama wird.
Die größten Gebiete sind im Besitze der Fürsten von
Paro, Tangro und Andipur; an Einkommen ans
Abgaben und Handelsunternehmen, sowie an Einfluß
sind ihnen aber überlegen die Gouverneure der Festungen
voir Pilnakha (3739 engl. Fuß) und von Tassisudou
(circa 4000 Fuß); sie sind Kreaturen des Regenten.
Kleiner sind die Gebiete im Tieflande, tu den Land-
schaften, die sich vom Himalaya bis Assam ausdehnen; hier,
besonders häufig im Osten, wußten sich die Klöster schon
früh von den Beamten des Depa unabhängig zu machen
und gaben unmittelbar all den Dharma Radscha Abga-
ben. Die Mönche, die Lamas, stehen fast ausschließlich
nutet der Jurisdiktion des Dharma Radscha. Er ent-
scheidet, wer in beit geistlichen Stand treten dürfe, und
empfängt für die Bewilligung die festgesetzte Steuer von
125 Rüpies (— 63 Thlr.); das Vermögen der Lamas,
die ail seinem Hofe lebeil oder alls seinen Vorrathshäu-
sern gespeist werden, fällt nach ihrem Tode ihm zu.
Die Großen bedrücken ihre llnterthanen in jeder
Weise; wer wohlhabend ist, lvird unter nichtigen Bor-
wänden seines Vermögens beraubt; cs genügt schon,
bessere Kleider zu tragen, um die härtesten, ungewöhn-
lichsten Dienste zu verlangen, iu der Absicht, daß der
Bedrängte sich durch eine bestimmte Menge von Natura-
lien oder Geld loskaufe. Gegen solche Bedrückungen gibt
es keinen Schutz, Beschwerden haben uur den Erfolg, daß
der höhere Richter sich die erpreßte Beute aneignet. So-
gar Civilforderungen an einen gewöhnlichen Unterthan
sind nicht durch Klage zll erhalten; der Richter untersucht
zwar die Sache gewissenhaft und verurtheilt auch den
schuldigen Beklagten zur Zahlung, behält jedoch die
Summe selbst; sollte aber die Forderung des Klägers
llicht erwiesen werdeil können, so hat dieser die eingeklagte
Summe denl Richter zll zahlen. Selbst gegen Verbrecher
findet feine weitere Strafe statt, wenn sie üu Stande
sind, die nicht sehr hohen Getdbllßen zu bezahlen; sonst
wird der Mord z. B. so bestraft, daß der Mörder an
den Leichnam des Getödteten gebunden lind mit Stei-
nen beschwert an einer tiefen Stelle im Wasser versenkt
wird.
Die Leute, selbst wohlhabende, sind ärmlich gekleidet,
tim nicht durch bessere Kleidung sich den Verfolgungen
ihrer habsüchtigen Herren auszusetzen. Nur darin äußert
sich ihre Wohlhabenheit, daß sie die harten Frohndienste
abkaufen. Ganze Ortschaften müssen ohne Entschädigung
Tage lang schwere Lasten voil Waaren tragen; ein ge-
goltenes Getränk aus Marva-Hirse, Tschoug genannt,
das zuweilen gereicht wird, ist ihre einzige Belohnung.
Diese Frucht, die Eleusine coracana, eine r othb r au n e
Hirse, die auch in ben Khassia-Gebirgen und ganz be-
sonders in Sikkim gebaut wird, verdient hier wegen der
Eigenthümlichkeit der Anwendung eilte besondere Er-
wähnung. Der Saute lvird befeuchtet und zwei Tage
lang der Gährung ausgesetzt; dann wird heißes Wasser
aufgegossen und durch Saugröhrchen von Bambus ge-
schlürft, damit die Hirsenkörner nicht in den Mund
kommen. Der Geschmack ist schwach säuerlich, aber ange-
nehm liild erregend; seine berauschende Kraft ist äußerst
schwach.
Weniger beschwerlich gilt der Kriegsdienst, zu wel-
chem alle waffenfähigen Männer verpflichtet sind; die
Hoffnung auf Beute und die geringe Gefahr vor Ver-
lvundungen, weint sie unter sich Krieg führen, kann als
die Ursache betrachtet werden. Ihre Waffen sind Lunten-
flinten, Bogen, Speere, Säbel und Messer (Dolche).
Die Lunteuflinten, Gewehre mit einer Lunte am Hahne,
welche, weitn niedergedrückt, auf das Pulver auf der
Pfanne fällt und so ben Schuß entzündet, sind vorzüglich
bestimmt zur Allarmirung und Bennrnhigung des Fein-
des; die Pulverladung ist viel zu schwach, um die Kugel
weit zu tragen, auch ist der Lauf so schlecht geschmiedet, -
daß das Abschießen wegen der hälifigen Unglücksfälle mit
großer Vorsicht, ja fast Furcht geschieht. Zielen wäh-
rend des Losdrückens wurde selten beobachtet, häufiger ist
dagegen, daß das Gewehr zuerst auf der Gabel, die fast
stets daran befestigt ist, gegen bcn zu treffenden Gegen-
stand gerichtet und dann mittelst eines Bindfadens ent-
zündet wird. Gewehre mit Gabeln zum Aufsetzen
sind auch in ganz Tibet und nordwestlich bis Aarkand
und Kaschgar im Gebrauche.
Die eigentliche Schießwaffe ist der Bogen; sie schie-
ßen damit'auch Kugeln, indem die Sehne ans zwei Thei-
len gebildet ist und diese da, wo die Kugel zu liegen
kommt, durch zwei Querstäbe ausgespannt ist. Mit
diesen Kugelbogen treffen sie sehr sicher, doch gehen sie
nur ans geringe Entfernnng. Die Pfeile sind meistens
vergiftet. Im Handgemenge gebrauchen sie die Säbel
und Dolche; bei Belagerungen werfen die Belagerten
Steine und heißes Wasser ans die Stürmenden. Znnt
Schutze gegen die feindlichen Geschosse werden Panzer-
hemden, Eisenschieiten und Schilde aus Büffelleder be-
nutzt. Die Panzer sind sehr schwer, aber gut gearbeitet;
wegen ihres hohen Preises lverden sie jedoch nur von
Vornehmen getragen. Die Eisenschienen bedecken die
Schenkel und Oberarme, zugleich sind um den Leib viel-
runde Schilde von je etwa 4" im Durchmesser gebunden;
inan nennt sie „Schicksalspanzer", loeil sie keinen sichern,
sondern einen zugleich vom Schicksal abhängigen Schutz
gewähren. Den Kopf schirmt eine dicke Pelzmütze, häufig
mit Eberzähnen, Blechspangen und Talismanen phanta-
stisch verziert. *)
In allen Kriegen, von denen wir wissen, entschieden
wenige Schlachten den Sieg. Die Schlachten beginnen
mit heftigem Gewehrfener, nur langsam nähern sich die
Parteien. Verdeckt durch Unebenheiten des Bodens suchen
sich einzelne Haufen dem Gegner zu nahen und ihn durch
Bogenschüsse zum Weichen zu bringen. Der Vorhut
rücken rasch Andere nach, und der Sieg ist erfochten, nach-
dem es gelungen ist, sich zwischen die Feinde ztl schieben und
ihren Rückzug zu bedrohen, denn bamit fällt auch ihre
Habe dem Sieger zur Beute; nur bei sehr gefürchteten
Feinden, wie den kriegerischen Gorkhas von Nepal,
weiß man von energischem Widerstande im Handge-
menge.
Das Angegebene wird genügend erläutern, wie wenig
die Engländer diese Gegner als Krieger zu fürchten ha-
ben; auch lvird die Zahl der waffenfähigen Mannschaft
nur auf 10,000 Mann geschätzt. Bedeutender sind andere
Schwierigkeiten für das Vordringen einer geregelten Ar-
inee, die zugleich andere Ansprüche als die Truppen der Ein-
geborenen an Transport-und Nahrungsmittel zu machen
hat; die Straßen sind durchgehend sehr schlecht, selbst
Geschütz wäre als Saumgepäck zu transportiren; und der
Bedarf an Getreide müßte zum großen Theile von den
*) Eine große Serie von Waffen aus Bhutan und Tibet
befindet sich in den ethnographischen Sammlungen des Herrn
v. Schlagiutweit, die jetzt auf ihrer Besitzung, dem Schlosse
Jägersburg in Franken, aufgestellt sind.
42
332
Emil Schlagintweit: Die Zustände in Bhutan.
Truppen für weite Strecken in Vorrath mit geschleppt
werden. Der beste Eingang, wo wenigstens an den
schlechtesten Stellen des Weges für den Handelsverkehr
bereits theilweise nachgeholfen ist, ist jener über Pusakha,
oder Bura Dnar.
Versuchen wür jetzt darzustellen, welchen Ersatz hiefür der
englischen Regierung der Besitz von Bhutan bieten könnte.
Jir den südlichen Provinzen (etwa der Hälfte des ganzen
Gebiets) wird der Ertrag -der Ernte jetzt ans drei Laks
Rupies geschätzt — 200,000 Thaler; aber es wird beige-
fügt, daß schon durch die Regelung der Abgaben die
Ernte auf 8 Laks Rupies steigen würde. Auch sind
jetzt die landwirthschaftlichen Geräthe noch sehr unvoll-
kommen. Der Pflug (ich beschreibe ihn nach einem
Exemplare ans der Jägersburg) ist ein konisch zugespitz-
tes Stück harten Holzes, vorne mit einer eisernen Spitze
beschlagen; er wird am Boden fortgeschleift und öffnet
eine schmale, wenig tiefe Rinne; ein Stürzen des Bodens
ist bei dem Mangel eines Streichbrettes nicht möglich. *)
Das Zugvieh (Büffel) reicht nicht aus; die Großen finden
es vortheilhafter, ihre Unterthanen zum Unterhalte von
Lastthieren (Pferden und Manlthieren) zu nöthigen, die
sie bei Waarentransporten requiriren.
Die Hanpterzeugnisse sind Reis, Weizen, Gerste,
Mais und Hirse; doch glaubt man, daß cutcl) Theepflan-
zungen , wie in Sikkim, sich mit großem Vortheile an-
legen lassen. Zucker gedeiht in einzelnen Lagen bis zu
4000 Fuß, auch Mangobäume sind noch bis zu dieser
Höhe beobachtet worden. Die Bevölkerung tu diesem
Theile von Bhutan würd auf 100,000 geschätzt, doch
könnte sie leicht auf das Vierfache steigen, während jetzt
kaum für 100,000 ausreichende Nahrung vorhanden ist.
Auch in militärischer Beziehung ist dieser Theil von Bhu-
tan von großer Wichtigkeit, weil da, wo die Flüsse den
Himalaya verlassen, die Zugänge zu Bhutan liegen.
Ganz verschieden davon ist der Charakter des Hoch-
landes. Mau darf sich dieses nicht denken, wie unsere
Alpen; das Eigenthümliche des Himalaya, was in den
Alpen in dieser Ausdehnung höchstens (au der Via mala)
vertreten ist., sind die tiefen Erosionsschluchten und der
Mangel an Seen. Die steil ausgeschnittenen Flußränder,
die nicht selten bis zu der bedeutenden Tiefe von 1500
engl. Fuß au muldenförmigen Auswaschungen und Ab-
lagerungen von Rollsteinen mit abgestumpften Ecken
ganz deutlich sich verfolgen lassen, sind stets die. Folge der
erodirenden Kraft des Wassers, dessen Gewalt hier da-
durch so sehr gesteigert wird, daß die Regenzeit sich auf
wenige Monate zusammendrängt, während zugleich die
Menge des Regens diejenige in den Alpen um das Dop-
pelte bis Dreifache übersteigt. Die tiefeil Flußthäler
lverden gerade in Bhutan besonders häufig in ihrer regel-
lnäßigen Form einer Erosionsrinne durch das stufenför-
mige Aufeinanderfolgen von jetzt entleerten Seebecken
unterbrochen, ähnlich den Thalstufen unserer Alpeil. Die
allgemeinen Uebersichten aber, welche in Höhen von 10,000
bis 12,000 Fuß die sie umgebenden Gipfel oder Kämme
bieten, uiiterscheiden sich von europäischen Alpenpanora-
nlen zunächst durch die mächtiger hervortretenden Höhen-
unterschiede schon in den mittlereil Theilen, iioch mehr
weiln, weiter im Innern, auch die bedeutenden Schilee-
gipfel des östlichen Himalaya sichtbar werden, unter denen
man so lange schon deil Tschamalari („Gipfel der erha-
benen Gottheit und seiiler Gemahlin") auch in Europa
kannte. Aber noch hat der Himalaya hier iiicht seine
größte Entwicklung erreicht; etwas westlicher in Sikkim
und Nepal sind 'die Gegensätze zwischen Thälern und
Gipfeln größer, überraschender, dagegen fehlen dort Bhu-
tans freundliche Thalbilder mit großen bewohilteil Orten in
den verhältnißmäßig geringen Höhen von 3000 bis 6000
*) Für diejenigen, die sich für Bodenwerkzeuge interessiren,
sei erwähnt, daß Copien der Originale in der Schlagintweit-
schen Sammlung in Hohenheim aufgestellt sind.
Fuß, wie Devangiri 2150, Narigun3642, Talung 5929 re.
Vom Stromthale des Brahmaputra läßt sich in den Aus-
sichten von Gipfeln Bhutans, auch wenir nran nahe dem
Gebirgsrande bleibt, nur selten ein großer Ueberblick
gewinnen. Zunächst lveil die ersten Höhenzüge zu lang-
sam ansteigen; auch Trübung der Atmosphäre in ihren
unteren Schichten durch Feuchtigkeit oder, im Sommer,
durch snspelldirten Staub beschräilkt hier gewöhillich die
Durchsichtigkeit.
Im Bhutan-Himalaya liefert der Feldbau llicht die
liöthige Menge von Früchten, obwohl viel Fleiß darauf
verwendet wird. Da das natürliche Flußbett so tief ein-
geschnitten ist (selbst in den flachen Thalstufen beträgt
die Erosion gewöhnlich Hunderte von Fußen), wird dre
künstliche Bewässerung, die der Boden fast überall er-
heischt, sehr schwer ausführbar; 2000 Fuß lange Lei-
tungen in Bambusröhren, bis das befruchtende Element
in Gräben weiter geführt werden kann, sind nicht selten.
Sehr brauchbar ist die Hacke, mit welcher die steilen
Bergabhänge bearbeitet werden; sie ist an einem kurzen,
im Winkel von etwa 45 Graden gebogenen Gabelstiele
befestigt, mit der Breitseite gegen den Arbeiter gekehrt,
der von oben nach abwärts das Erdreich terrassenförmig
zusammenscharrt. Ganze Waldungen von verschiedenen
Eoniferen, von Abies, Webbiana, Pinns ercelsa fin-
det man noch bis 8000 engl. Fuß; die eigenthümliche,
langnadelige Föhre von den Khassiagebirgen, die Pinus
longifolia, kommt ebenfalls häufig in etwas geschützterer,
niederer Lage vor. Auch sehr verschiedenen Formen der
großblüthigen Rhododendrons begegnet man noch in diesen
Höhen. Bei 11,000 Fuß tritt hier fast überall absolute
Baumlosigkeit ein; selbst größere Gesträuche sind selten.
Die holzbildenden Gewächse finden hier niedrigere Gren-
zen, als z. B. in Sikkim, lveil hier zugleich die Trocken-
heit mit dem Annähern gegen die höheren Theile des
Himalaya sehr rasch zunimmt. Schon von den mittleren
Theilen von Bhutan sagt Kischen Kant Bose, ein assa-
mesischer Berichterstatter, im Jahre 1824: „es gibt nur
Dunst und Nebel"; übrigens erzählt er zugleich von
manchen anderen physikalischen Erscheinungen sonderbare,
jedenfalls übertriebene Dinge. Zahlreich trifft man
Heerden wilder Thiere an; besonders eifrig wird auf
Moschnsthiere gejagt, der Handel mit Moschus ist eine
nicht unwichtige Einnahmsqnelle der Großen. Die höchste
Erhebung der Himalayakette liegt gegen Sikkim; dort
steigt der Tschanialhari (im Leptscha Malerte Rimiet-rim-
sachu) bis zu 23,944 engl. Fuß empor. Die Eng-
pässe find im Winter oft längere Zeit geschlossen. Die
Großen leben in dieser Saison im Tieflande oder auf
den Ausläufern des Himalaya; künstliche Erwärmung
der Zimmer durch Feuer empfiehlt sich auch deßwegen
liicht, weil bei dem Mangel an Glasverschluß dicke Wollen-
vorhänge oder Bretter'läden die Fensterösfilnngen ver-
schließen ulld die Räulne finster machen; man hat jedoch
Kohlenpfannen zum Wärmen des Körpers.
Die Bewohiler der Himalaya werdeir als viel roher
llnd ungebildeter geschildert, als die des Tieflaildes von
Bhntall, die Dnars. Es überrascht Jeden Waaren zu
finden, die aus freier Hand statt mittelst des Rades ge-
dreht lverden; ja selbst der Gebrauch der Säge ist nur
Wenigen bekannt, Beile lilid Stenliileisell vertreten ihre
Stelle. Sie zerfallen in 15 Tribns, die sich lvohl ur-
sprünglich als verschiedene Stämme gegenüber standen,
jetzt jedoch nicht mehr strenge gegen einander sich abson-
dern. Wie in Tibet herrscht auch hier bereits Polyan-
drie, oder die Sitte, daß mehrere Unbemittelte zusammen
eine Frau haben) die Kinder reden den Aeltesten als
Vater an, die Jüngeren als' Onkel. Von den verheira-
theten Frauen wird berichtet, daß sie, auch wenn sie nur
einen Mann haben, sich ilicht zur Untreue herleiten lassen;
die Mädchen dagegen geben sich einem ailsschlveifenden
Lebenswandel X>in; um so auffallender ist dabei, daß sie
gespaltene Fruchtkörner längs des Nasenbeines und um
Friedr. Dentler: Die frische Nehrung.
333
die Augenbrauen kleben, um häßlicher zu werden; einzelne
färben 'sich auch das ganze Gesicht schwarz, eine Sitte, die
aus dem nördlichen Tibet herüberkam.
Die Bhutias sind noch im tiefsten Aberglauben be-
fangen. Allgemein wird geglaubt, daß das Tragen von
Amuletten, oder das Kleben von Talismanen gegen die
Wand die Annäherung der bösen Geister hindere. Wenn
Krankheit oder Unglück anderer Art eintritt, müssen stets
böse Geister entweder die Ursache der Entstehung, oder
doch der Fortdauer sein; sie zit bannen hat man verschie-
dene Gebräuche tind Geräthe. Ant häufigsten wird der
Phurbu („der Nagel") angewendet; ditrch diesen werden sie
gleichsam in der Luft festgenagelt. Es ist dieses ein mit
Zanbersprüchen beschriebenes Dreieck, von Flammen einge-
saßt und mit einer Handhabe in der Form eines Priester-
scepters versehen. Der Lama — nur er kann mit voller
Wirkung die Gebete sprechen — geht um das Haus oder
die Stelle herum, wo der Kranke oder in anderer Weise
von den bösen Geistern Geplagte sich befindet, und sticht
dantit nach allen Himmelsgegenden unter dem Hersagen
voit Gebeten. Hilst der Zauber nicht und stirbt z. "B.
der Patient, dann wird es als die Strafe für Sünden,
begangen in einer frühern Geburt, betrachtet, und über
diese hat der Lama keine Gewalt.
Die Leichname werden verbrannt; auf dem „Platze
zum Verbrennen", in der Nähe der Ortschaften, sind
quadratische Feuerstellen errichtet. Früher sollen die Leich-
name als Fraß für wilde Thiere ausgesetzt worden sein,
doch hat sich diese barbarische Sitte nur auf die höchst
seltenen Fälle beschränkt, wo selbst unvollkommene Ver-
brennung wegen Mangel an Brennmaterial nicht mehr
möglich ist. Die Knochen und Aschenreste werden ge-
sammelt; wenn sie vergraben werden, muß der Boden
dem „Herrn der Erde", Laday, abgekauft werden, und
der Kaufpreis bildet eine der wesentlichsten Einnahmen
der Lamas, Häufig sollen jedoch die Aschenreste in einer
Urne in den Fluß geworfen werden.
Mit dem Glauben an böse Geister verbindet sich die
Zuversicht ans den Schutz durch gütige Götter, noch mäch-
tiger als jene, und stets bereit, sie abzuwehren. Aber die
Götter gewähren ihre Hilfe nicht unaufgefordert; in der
rechten Weise zu bitten, verstehen nur die Priester, die
Lamas, und ihre große Autorität beruht vorzüglich in
dem Vertrauen der Laienbevölkerung in ihre Gebete und
religiöseil Gebräuche. In den Himalaya-Distrikten ist die
Zahl der Lamas besonders groß, sie sollen dort V6 der
Bevölkerung sein; dieser Stand ist, da er sich an der Be-
arbeitung des Bodens nicht betheiligt, eine der wesent-
lichsten Ursachen der Verarinung der Bevölkerung.
Die diplomatischen Verhandlungen, welche jetzt von
der englischen Regierung mit Bhutan geführt werden,
habeil schwerlich einen Erfolg. Selbst wenn die Bhutias
Zugeständnisse machen sollten, würde wahrscheinlich, wie
es mit Ausnahme der Mission von Turner geschah, die
Ratifikation verweigert werden. Militärische Occnpationen
dagegen haben für die Engländer wenig Schwierigkeit,
die Truppen in Assam sind zuverlässig, aiich die Ein-
wohner wissen sich der Behandlung noch zu erinnern, die
sie vor nicht so ferner Zeit von ihren eigenen Fürsten zu
erdulden hatten, um ihren neuen Herren ergeben zu sein.
Uebrigens wäre möglich, daß nlomentane politische Ver-
wicklungen von größerer Wichtigkeit, z. B. die Be-
ziehungen zll den Katschars und zu Barma, die Englän-
der wünschen lasse», im Augenblicke jeden offenen Streit
mit Bhlltan zu vermeiden.
Man bereitet jedoch gegeilwärtig zur energischen Ein-
schüchterung die Besetzung des Tieflandes vor, d. i. der
Duars, des Tarai und des schmalen Saumes von hüge-
ligem Vorlande, durch welches in Höhen von 2—3000
Fuß den größeren Thälern entlang, aber durch einzelne
Schluchten und Verengungen geschützt, die wichtigsten Zu-
gänge zum eigentlichen Himalaya liegen. Durch die Be-
setzung' dieser reichen Landstriche werden die Vasallen-
Fürsten und der Depa, die jetzt so trotzig und heraus-
fordernd gegen die Briten sich benehmen, ihrer Re-
venuen und ihre Unterthanen der Nahrungsmittel
beraubt; auch Peinberton (1838) sprach sich dafür
ans, daß die Besitznahme dieser Provinzen den raschen
Abschluß von Verträgen und Genugthuung für Beleidi-
gungen und Eigenthumsbeschädigungen britischer Unter-
thanen sichere. Den Theepflanzungen, die bei ihrer Wich-
tigkeit eine ganz besondere Rücksicht erfordern, wird ein
Schutz gegen räuberische Einfälle nur durch Einverleibung
dieser Distrikte gewährt werden können; die Annexion des
Tieflandes von Bhlltan wäre auch die ellipfindlichste Strafe
für die Beleidiguligen, welche die Bhutall-Regierung dem
englischen Gesandten Ashley Eden in so unvorsichtiger
und demüthigender Weise zufügte.
Die frische N e h r u n g.
Von Friedrich Dentler.
Lage, Bewohner, Bauern und Fischer. — Bernsteinfischerei. — Sprache. — Religion. — Thierwelt. — Neukrug. — Die Binsenernte.
Tolkemit am Frischen Haff, im August 1864.
Ich will die Leser des Globus an den westpreußischen
Strand der Ostsee führen, auf den langen ulid schmalen
Uferwall, welcher das Binnenwasser des Frischen Haf-
fes vom Baltischen Meere scheidet, denn nur eine schmale
Oeffnnng bei Pillau verbindet beide Gewässer.
Sand, Wasser und Himmel! Hier donnert die rau-
schende Woge an das einsame, nackte, wenig begrünte
Gestade der von Dünen umkränzten Ostsee,' dort rollt
das lehmige Wasser seinen Gischt auf die Binseneinfas-
suilg des Haffstrandes; dazu die Brise, welche die Stirne
des Wanderers kühlt, und der blaue, majestätische Got-
teshimmel mit seiner Riesenkuppel und dem hell aufflam-
menden, in: Wasser sich wiederspiegelnden Sonnenstrahle:
das ist der Anblick von der Sallddüne der Frischen Neh-
rung aus Hass und Ostsee.
Die Nehrung, vom Frischen Haff, der elbinger und
danziger Weichsel und von der'Ostsee umschlossen, lehnt
sich inselartig an das Festland und bildet eine fast zun-
genförmige Vormauer gegen die Wogen des Balti-
schen Meeres. Trostlose Oede und üppige Fruchtbarkeit
sind ihre Kennzeichen. Wo das Haff an die kaum von einer
Viertel- bis zu einer Achtelmeile breite Landzunge grenzt,
findet der Wanderer eintönigen Sandboden, auf dem
Nichts, als die Kiefer, der Wachholder, der Sandhafer
und einige unscheinbare Strandpflanzen gedeihen.*) Zu
*) Pinus sylvestris; Juniperus communis; Arundo arenaria;
Cakile maritima, Arenaria peploides.
334
Fri'edr. Deutler: Die frische Nehrung.
Anfang der vierziger Jahre riß von der Weichsel aus
beim Eisgange ein Dünendurchbruch bei Neufähr.
Als Gegensatz finden wir einen blühenden, fruchtbaren,
meilenbreiten Landstrich zwischen Ostsee und Weichsel;
nur die kaum eine Sechstelmeile breite Düne in der Ge-
gend des Durchbruchs bei Neufähr macht eine Ausnahme.
Eine zumeist 100 bis 150 Fuß hohe Dünenkette, welche
sich von der Festung Weichselmünde, dieser Festung am
danziger Weichselhafen, bis zum Tief, d. h. dem Ausfluß
des Haffes in die Ostsee, hinzieht und ein nach dein Hasse
und dem Weichselstrome liegender Streifen von Kiesern-
und Laubholzwald verschließen die Aussicht auf das
Meer. Der Küstenstrich hat ein verhältuißmäßig mildes
Klima, weil die kalten, rauhen Nordwinde durch Wald
und Dünen zurückgehalten werden.
Auf dem fruchtbaren Theile der Nehrung wohnt der
reiche Hufenbesitzer. Er kennt schon Luxus und Behäbig-
keit itu5 sucht gewissermaßen die Civilisation und den Fort-
schritt auf. Seine Kinder schickt er zur Ausbildung in
Provinzialstädte und Erziehungsanstalten, im Hause hält
er sich Erzieherinnen und tüchtige Lehrer; die häusliche
Einrichtung, Pferde, Wagen re. kaun man als musterhaft
bezeichnen; der Mann selbst aber verfällt, mit Beibehal-
tung seiner alten Bräuche und der plattdeutschen Sprache,
nicht selten in Uebermuth und Dünkel, denn er weiß,
daß er aus der „Naring" wohnt, wo Milch und Honig
fließen; aber sein angeborener, gutmüthiger Charakterzug
geht ihm nie ganz verloren.
Von Budeuwinkel bis Polske, also in: Sand-
distrikte, liegen sieben große Dorfschafteu mit ungefähr
3000 Seelen. Sie heißen: Budenwiukel, Vogelfang,
Pröbberuau, Liep, Kahlberg, Neukrug, Polske.
Von dort aus bis zum Ties ist die Nehrung, mit Aus-
nahme der Schule und Försterei Möweuhakeu und dem
Straudhause Alttief, unbewohnt. Die meisten Leute
sind Fischer und Fischhändler. Wer ein hölzernes, rohr-
gedecktes Haus und noch gar einen, von verkrüppelten
Kirschbäumen bepflanzten Gemüsegarten besitzt, in wel-
chem Kartoffeln sehr gut gedeihen, gilt für wohlhabend
und wohlaugesehen.
Ob der Sturm von der See brüllt, ob eine Brise die
Wogen des Hasses aufwühlt, ob die Sonne sich glühheiß
auf dem Wasserspiegel reflektirt, — der Fischer muß hinaus,
um sein tägliches Brot zu erwerben. Häufig besteigt
seine ganze erwachsene Familie, bei mondhellen Nächten, die
Lodsche, ein Boot mit zwei Spitzen, um sich gemein-
schaftlich auf den Flunderfang zu begeben. Beginnt dann
die See zu rollen, der Wind vom Lande aufzubrisen,
daun finden wohl manche Fischer in den Fluthen ihr
Grab. Fast jede Familie betrauert Einen, der hinaus-
fuhr atnb nimmer wiederkehrte.
Diese Fischer sind groß und schlank; stark beleibte
Männer findet man nicht auf den Dünen. Sie machen
einen höchst vortheilhaften Eindruck, sind ^ zumeist blond,
haben blaue, treue Augen und ein langes, wettergebräuu-
tes, oft bartloses Gesicht. Die verhälnißmäßig langen
Arme, die sehnigen Beine und der kräftige Körperbau er-
innern, so meinen einzelne Schriftgelehrte, an die Gestal-
ten der alten Phönizier. Diese, so phautasirt mau
weiter, besaßen am Estheumeer uni) am Drausensee Ko-
lonien für ihren Bernsteinhandel; vielleicht seien manche
der Kolonisten tu Preußen für immer zurückgeblieben.
Daraus möchte man die vermeintliche Aehnlichkeit erklä-
ren^ Aber es ist doch ausgemacht, daß der wohlbekannte
Gesichtstypus mit jenem der Fischer in Westpreußeu nicht
die allermindeste Aehnlichkeit hat. Diese phönizische Hy-
pothese schwebt in der Luft. Die Frauen sind ebenfalls
schlank unb hochgewachsen, aber nur Wenige unter ihnen
kaun man schön nennen; auch werden sie früh reif uni)
altern auch früh. Sie find züchtig und sittsam; unehe-
liche Geburten kommen höchst selten vor.
Das ganze Völkchen, dem es nicht an Biedersinn und
Naturwüchsigkeit fehlt, scheint förmlich zum Leben auf dem
Wasser geboren zu sein. Zwölfjährige Knaben und sechs-
zehnjährige Mädchen führen schon das Boot durch Sturm
und Wellen, ohne Furcht zu hegen.
In den Hütten dieser Nehrung er herrscht durch-
schnittlich Sauberkeit und Ordnung. Der einfache, uube-
malte Tisch und die Stühle von Kiefernholz sind eben so
reinlich, wie die mit Sand bestreuten, weißgebohuten
Stubendielen.
Der Fang der Flundern, Dorsche (hier Pomuchel
genannt), Störe, der Aalfaug, weniger der Häringsfang,
und die Bereitung des Caviars bilden die Häupter-
werbsqnelleu. Die Hafffischerei kann aber nur zu bestimm-
ten Zeiten betrieben werden und beschränkt sich natürlich
auf die im Haff vorkommenden Fische. Der Fang der
Kaulbarsche ist von großem Belang.
Eine Lieblingsbeschäftigung dieser Küstenbewohuer
bleibt, während des Frühjahrs und der Herbstmouate,
die Bernsteinsischerei. Wenn die See nicht zufriert,
dann wird auch die Wiuterzeit benutzt; Jung und Alt
eilt hinaus an den Strand, um der Göttin Fortuna die
Hand zu bieten, denn Sch asch (Bernstein— aus welcher
Sprache mag dieser Ausdruck herstammen?) ist Geld.
Die Tracht eines Berusteinfischers macht einen eigen-
thümlichen, fast komischen Eindruck. Große, bis au die
Hüften gehende Wasserstiefel, ein lederner, den hohen
Brustkasten verhüllender Panzer und eine Art Schurz-
leder umschließen den Körper. Ein Südwester bedeckt
das Haupt, die Hand trägt einen Käscher.*) So alls-
gerüstet geht der Nehruuger in die eiskalte, wogende
See, denn nuv bei Sturm gibt es Bernstein. Der Kopf
ragt kaum über das Wasser hervor. Ost rollt die Welle
über den Unerschrockenen, oft sieht es aus, als versinke
er iil das Fluthengrab, aber llach kurzen Augenblicken
richtet er sich kühn empor, denil für ihn gibt es keine
Gefahr. Sein Muth, seine Ausdalier, die Gewohnheit
überwinden alle Schwierigkeiten. Mit dem Käscher greift
er tief in den Meeresgrund, am liebsten aber begibt er
sich auf die Stellell, lvo der Seetang bis zlir Wasser-
oberfläche ragt. Sobald der Käscher mit Geröll, Mu-
scheln und Seepflauzen angefüllt ist, eilt der Fischer aus
Land, um nachzusehen, welcheil Fund er gemacht. Größere
Stücke verbirgt er im Wamms, danlit seine Kameraden
so wenig wie möglich voir seiner Bellte zu Gesichte be-
kommen, und erst auf Umwegeir kehrt er- zur alten Stelle
zurück. Er hütet sich wohl, deil Fundort zu verrathen,
weil sonst alle Uebrigen dorthin eilen würden; im Wasser
entstände danll jedenfalls eine Rauferei.
Jeder Bernsteiusund muß dem Strand wärt er ab-
geliefert werden, itni) dieser bezahlt dafür nach seinem
Gutdünken. Deshalb briligt der Bernsteinfischer gern ein
Stück Schasch aus die Seite, um es anderweitig zu besserm
Preise zu verkaufen. „Segnet Gott beit Strand", dann
lebt der Nehrunger einen guten Tag; der Hauptgewinn
wandert aber in den Dorfkrug. Oft verdient er 20 bis
30 Thaler an einem Tage, Pst gibt lauge Mühe gar
keinen Lohn.
Der Nehrunger redet eilte eigenthümliche Mundart.
Statt des „a" gebraucht er fast immer das „ä" (z. B.
Häken statt Haken; Knäken statt Knakeu, Knochen);
überhaupt viele Doppelvokale, wobei jedoch Eigennamen
eine Ausnahme machen. Außerdem hat er einzelne
Ausdrücke, die nur er kennt ulld versteht, wie fäken —
oft; trägen — nöthigen; frist — friert; Kindelbär —
*) Richtiger Kätscher, d. h. der Fänger. Es ist ein
altdeutsches Wort, das auch bei den Fischern'in Niedersachsen
rc. noch üblich ist. In Brannschwcig z. B. bezeichnen sie als
Kätscher ein beutelartiges Netz an einer etwa sechs bis acht Fuß
langen Stange, mit dem sie namentlich hart am Ufer von
Teichen und Bächen fischen. Die Engländer haben das Wort
durch die Angelsachsen erhalten, to catch; catcher bedeutet auch
bei ihnen Fischhamen, Fischnetz; Ergreifet, Häscher, Fänger.
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz aus Otago in Neuseeland.
335
Kindtaufen; Kest — Hochzeit; Schasch — Bernstein;
von Däg — heute ic. *)
Der Nehrunger ist evangelisch, hält strenge seinen
Glauben imb besucht Sonntags die Kirche (ans der Neh-
rung sind fünf Kirchen: inBohnsack, Schönbaum, Steegen,
Pröbbernan, Nenkrug), obgleich sie oft meilenweit von
der einsamen Strandwohnnng entfernt liegt. Auf den
„Herrn Prediger" läßt er, wenn dieser nicht ein zu arger
Zelot ist. Nichts kommen. Der Bauer und Fischer schließen
unb beginnen mit Gott ihr Tagewerk. Der Fischer, wel-
cher sein Boot besteigt, um in See zu stechen, spricht:
„Nun, in Gottes Namen." Auf dem Wasser ist er ernst,
ruhig, aufmerksant und schweigsam, aber auch nicht frei
vom Aberglauben.
Am Strand ist Leben. Die auf den Dünen sehr
zahlreichen Strandvögel versammeln sich bei Sonnenschein
in großeil Schaaren, oft tausende einer und derselben
Art am Haff- rurd Seestrande, und flattern scheu empor,
sobald ein Mensch ihnen sich nähert. Die Wächter und
Vorposten dieser Schaaren stoßen ein Geschrei aus, und
der ganze Schwarm erhebt sich kreischend in die Luft.
Die Möwen eilen hinaus aus das Hass, um sich in die
Fluthen zu tallchen, die wilden Gänse und Enten verber-
gen sich in den Binsen am Ufer.
Außer den genannten Vögeln finden wir Fettgäuse,
die auf den Wipfeln der Kiefern ihr Nest bauen und im
Herbst zu Hunderten geschossen werden; doch sind nur
die Federn zu verwenden, das Fleisch ist ungenießbar.
Fischreiher, wilde Schwäne, Drosseln, Krammetsvögel, Ad-
ler, Geier, Krähen, Dohlen, Habichte rc. fehlen nicht.
Die Singvögel flieheil den Sanddistrikt, halten sich aber
desto zahlreicher in den fruchtbaren Gegendeil der Nehrung
auf, selbst Nachtigallen sind dort zu finden. Von Säuge-
thieren kommen Füchse, Rehe und Hasen vor.
Von Kahlberg bis Polske ist die Düne kahl unb öde.
Kein Baum erfreut das Auge, niederes Wachholderge-
strüpp wuchert nur hier und dort hervor, unb der Sand-
hafer schüttelt seine gelbeli, dürren Halme in: Sturmwilide
hiil und her. Dann pfeift es durch die Grasbüschel unb hallt
*) gas eit, d. h. oftmals, kommt im Sassisch- Niederdeutschen
überall vor; frist für friert eben so; Kindelbär heißt rich-
tiger Kindelbeer, Bier auf der Kindtaufe, und ist die Bezeich-
nung für den Schmaus bei der Taufe überhaupt. Kest wird
richtiger geschrieben Koste, Hochzeit; fan Dage für heute
ist auch in Niedersachsen allgemein bräuchlich. ' A.
unb verklingt weit hin, wie der Accord einer Aeolsharfe.
Aber nicht 'einmal der Sandhafer würde hier wachsen,
wenn nicht Menschenhände*) ihn angepflanzt hätten, um
die versinkende Düne vor den Fluthen und der Winds-
braut zu schützen. Bei dieser Bepflanzung finden viele
Wittwen und Waisen Beschäftigung, namentlich diejenigen,
bereit Männer und Väter in der See ihr Grab gefunden
haben.
Mitten im Sande liegt das Dorf Neukrug, das
seiner Oede und Abgeschlossenheit halber sich auszeichnet.
Ein Kirchlein ohne Thurm an einem Dünenabhang
steht nach der Haffseite hin und ist von vier riesigen
Ahornbäumen umschattet; der Krug, die Schule und etwa
20 Feuerstellen liegen gleichfalls fast ohne Vegetation im
Sande zerstreut. Höchstens stehen einige verkrüppelte
Weiden- und Kirschbäume bei einzelnen Hütten, deren
Rohr- und Strohdächer kaum von der Farbe des Sandes
sich unterscheiden.
Ein Binsengürtel zieht sich längs dem Hasfstrande
hin und verleiht der eintönigen Landschaft eine geringe
Abwechslung. Diese Binsen sind dem Nehrunger ganz
unentbehrlich. Ohne dieselben würden die ohnehin ma-
geren Kühe, denen es an Weide fehlt, verhungern müssen.
Jeder Hausbewohner ist gezwungen, sich wenigstens eine
Kuh zu halten, und sie ist beinahe das einzige lebende
Inventarium, welches er besitzt. Die Binse reift im
August; unreif trocknet sie nicht, sondern verstockt. Dann
beginnt die Ernte derselben, Binsenaust genannt. Alt
und Jung schwimmt hinaus auf Booten und Kähnen, um
zu mähen und zu schneiden, und wer am meisten kann,
ist der beste Mann; denn nur einige Tage dauert die
Erlaubniß zum Ernten, welche der danziger Magistrat
ertheilt. Wer keine Binsen erntet, ist unglücklich; seine
Kuh muß verhungern, seine Familie darben.
Nach dem Einmähen wird die Binse wie Heu ge-
trocknet und eingebracht. Die Kuh frißt sie gerne und
gibt nach dem Genusse derselben viel Milch.
Die Hauptnahrung der Dünenbewohner besteht in
Fischen, und dabei ist der Mensch kräftig und gesnnd.
Bei niedrigem Wasserstande, wenn durch verwesende Thiere
und Pflanzen böse Luft entsteht, treten Wechselfieber aus,
seltener kommen Typhus und Cholera vor.
*) Er ist von Björen eingeführt, einem Dänen, der in
Danzig lebte.
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz aus Btago in Neuseeland.
II.
Heute ist der erste November 1862. Ich habe die
Felsenhöhle verlassen und, Gott sei Dank, den schwierigen
Pfad mit schwerer Ladung zurückgelegt. Es war mir
möglich, den Fluß hinauf zu wandern bis drei Viertel
deutsche Meilen unterhalb der Verbindung des Manu-
herikia mit dem Molineur. Meine Kameraden haben
diese Gegend ganz verlassen. Während der letzten Woche
habe ich 2'/s Tag gearbeitet und allein an Gold 36Thlr.
gemacht, fand dann aber nichts Lohnendes mehr. Mein
Fuß ist auch wieder schlimmer geworden, ich muß aber-
mals im Zelte bleiben und mich schonen.
Wir haben jetzt warme Tage, obgleich es Nachts noch
kalt ist; gestern gab es einen förmlichen Nebel, so stark
verdunstete in der großen Hitze alle Feuchtigkeit. Der
Fluß steigt wieder; ich fürchte, es wird Monate lang
dauern, ehe sein Wasserstand so niedrig sein wird, wie
ich ihn bereits gesehen. Es ist doch besser, Schäferknecht
in Queensland oder etwas der Art in dieser Himmels-
gegend, als ein Bauer oder Inspektor zu Hause zu fein.
Werde ich in der Heimath krank, so bin ich dort so nutz-
los wie hier. — Nach Mehl und Fleisch muß ich heute
doch noch gehen, es ist aber nur vier englische Meilen
weit. Wo früher nur ein einzelnes Zelt stand, findet
man jetzt Straßen voller Läden, die natürlich nur aus
Leinwandhäusern bestehen, von denen der Wind hin und
wieder welche niederreißt.
Das Mehl ist billiger geworden, das Pfund kostet
jetzt nur 13 Sgr., das Fleisch hat denselben Preis; Zucker
ist auf 25 Sgr. gestiegen; Tabak kostet 4 Thlr. das Pfund;
die Einfuhrstener beträgt jedoch ü Pfund 15 Sgr. Höher
336
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz aus Otago in Neuseeland.
den Fluß hinauf, 11 englische Meilen von hier, ist ein
anderes Städtchen, und dort haben mehrere Kaufleute ihre
Häuser von Steinen aufgebaut. Die verschiedenen Geld-
banken haben eiserne Häuser, andere sind mit galvani-
sirten Eisendächern versehen. Doktoren mit ihren kleinen
Apotheken haben sichsdort niedergelassen. Es gibt schon
Hotels, Restaurationen, Lesezimmer, Barbiere, und an
käuflichen Frauenzimmern fehlt es ebenfalls nicht. All-
mälig kommen auch Handwerker aller Art dazu, und so
entsteht eine Stadt. Jetzt'ist anch sogar eine Posterpe-
dition in dem Städtchen. —
Die kleinen Sandsliegen sind heute unausstehlich; ihre
Stiche verursachen Jucken und Anschwellungen; sie kriechen
unter die Kleidungsstücke und peinigen fürchterlich. Sie
sind eine bedeutend ärgere Plage als die australischen
Mosquitos, die doch nur größtentheils des Abends be-
lästigen und sich mit dem Gesichte und den Händen be-
gnügen. Eine andere große Plage ist die große Schmeiß-
fliege, die Alles in diesem Lande mit ihren Maden be-
wirft; sie begnügt sich nicht nur mit dem in der Sonne
hängenden Fleische, sondern sie kommt in das Zelt; wenn
man Abends heimkehrt, findet man seine wollenen Decken
lebendig von großen garstigen Maden ohne Zahl. Flöhe
sind hier eine große Seltenheit. Dies Land ist auch von
dem garstigsten europäischen Ungeziefer, von den Wanzen,
verschont. — Es gibt hier auch keine Schlangen, keine
giftigen Ottern und Tausendfüßler; leider aber auch keine
Känguruhs und Opossums.
Man läuft auch keine Gefahr, wenn man Abends ans
dem Rücken liegt, daß sich plötzlich eine Tarantnla auf
das Gesicht herabwirft. Die Opossums wären hier von
großem Werth, da ihre Felle vorzügliche Schlafdecken und
Mützen für den Winter liefern.
Zweierlei Enten habe ich hier besehen; eine große
weiß und schwarze, die wie ein Kranich krächzt, und eine
kleine perlgraue Art, die ein reguläres „qnack, qnack",
wollüstig ausschreit. Abends hört man auch einen „Kiwi"
schreienden Vogel; er soll von der Größe eines Truthahns
sein; wenn ich nicht irre, so ist es der Apteryx Austra-
lis. Die Maoris nennen ihn Kiwi. An verschiedenen
Stellen dieserJnsel findet manKnochcn, höher hinauf am
Pawarau sogar in großen Massen, von einem antediln-
vianischen Vogel fabelhafter Größe. Man trifft hier auch
wilde Hennen, die so groß sind wie unsere Haushennen,
aber nicht fliegen, sondern nur laufen können. Dann
gibt es hier noch eine wilde Taube, halb so groß wie
unsere Haustauben. Außerdem ist hier der „Kawkaw"
zu Hause, eine Art Cacadu. Ebenso habe ich anch
Habichte und Falkenspezies gesehen. Unbedingt muß man
sich in der Nähe von Feldern oder eines Waldes auf-
halten, um mehr von Vögeln zu Gesichte zu bekommen.
Fast überall trifft man hier auf ein der deutschen Acker-
lerche ganz und gar ähnliches Vögelchen. Die Maoris
fangen hunderte von ihnen in kurzer Zeit mit einer
Schlinge.
Am 2. November.
Den ganzen Tag muß ich im Zelte liegen, mein Fuß
ist an einer neuen Stelle aufgebrochen. Drei deutsche Stei-
len von hier sollen reiche Minen entdeckt worden sein,
und ich kann mich nicht rühren! — Ans dem einen Ge-
birge, wo man unter dem Schnee nach Gold suchte, hat
man ein Zelt gefunden mit 14 Leichen, — Goldsucher,
die vor Hunger und Kälte umgekommen sind.
In dieser Woche wird der erste Mann, der in dieser
Provinz einen Mord verübt hat, gehangen.
Mt der Auffindung der Goldminen sind als natür-
liche Folgen eine Masse schlechter Subjekte hierhergekom-
men. Früher war in Dunedin das Gefängniß nie ver-
schlossen, man fürchtete nicht, daß die Gefangenen es ohne
Erlaubniß verlassen würden; größtentheils waren sie See-
leitte, die dem Kapitän den Gehorsam verweigert hatten.
Folgende Anekdoten, wahr bis aufs Wort, sind sehr kenn-
zeichnend für die damaligen Zustände, denen man keines-
wegs das gemüthliche Element absprechen kann.
Am Tage des jährlichen Wettrennens sah der Gefan-
genwärter fast alle seine Gefangenen auf der Rennbahn.
Nachdem es ihm gelungen war, den größten Theil zu-
sammen zu bringen, redete er sie so an: „Hört mal, meine
Kinder, wenn Ihr nicht Alle um 9 Uhr zu Hause seid,
dann schließe ich das Thor, und Ihr könnt sehen, wo Ihr
sonst bleibt."
Ein Freund des Gefangenwärters, der auch mein
nächster Nachbar ist, besuchte ihn einst und sah einige
Gefangene das Federvieh, andere die Schweine füttern,
und wieder andere sich ans Langerweile nützlich machen,
wie sie konnten. Einer sagte zum Wärter: „Hört mal,
alter Vater, wenn Ihr nicht versuchen werdet, Alles ein
Bischen mehr komfortable für uns zu machen, so werden
wir nicht lange hier bleiben." Der Wärter gab ihnen
Tabak und antwortete: „Nun, nun, schon gut, geht und
blast eure Wolken." Hin und wieder mußten die Ge-
fangenen die Wege ausbessern, und wenn ein Fremder
vorüberkam, der sich geneigt zeigte, Neuigkeiten mitzu-
theilen, dann setzte sich der Wärter mit allen Anderen
hin und hörte dein Erzähler zu.
Die alten Ansiedler, größtentheils sehr religiöse Schot-
ten, sahen mit großem Mißtrauen die Menge Mineure
an, die nach Bekanntmachung der Goldentdecknngen ins
Ländchen strömten. Der Acker war früher von sehr ge-
ringem Werthe. Ein reicher Spekulant kam von Mel-
bourne herüber, weil er die künftige Wichtigkeit des See-
hafens Dunedin voraussah. Er wollte einem Schottländer
ein großes Eckstück Land abkaufen, weil es in dem besten
Stadttheile lag; um seines Kaufes gewiß zu sein, bot er
ihm dafür die Summe von 80,000 Thlrn. Der alte
Schotte sagte mit einem Gesicht, als ob ihn der Gott sei
bei uns selbst versuchen wolle: „Mann, Mann! Du
kannst Dein Geld nicht auf die ehrlichste Weise verdient
haben, wenn Du mir so viel bietest! Ich will Dein Geld
nicht, Gott beschütze mich!" Damit ging er fort und
wollte sich nicht in das Geschäft einlassen. Der Spekulant
mußte die andere Straßenecke kaufeir und dafür 100,000
Thlr. bezahlen. Er baute einen großartigen Gasthof und
ist heute ein Millionär. Das Land in der Stadt ist bis
zu einem ungeheuern Preise gestiegen.
Am 4. November.
Heute mache ich Grützumschläge für meinen Fuß,
habe auch Pillen eingenommen, bin aber mein eigener
Doktor, Der Fluß ist noch immer im Steigen und man
sagt, daß er vor Anfang März nicht fallen wird; ich hoffe
indeß auf einen willkommenern Naturprozeß. Wie gut ist
es doch, daß wir die Zukunft nicht vorher sehen können!
Nirgends scheint mir die Hoffnung mit größerm Glanze
entgegen zu treten, wie in diesen Goldregionen hier! So
lebt man von der Hoffnung, um vielleicht in Verzweif-
lnng zu sterben. Hunderte verlassen täglich ver-
zagt dieses Land.
Als die erste Nachricht von derEntdecknng dieses Gold-
flnsses nach Victoria kam, verließen die Goldgräber in allen
Gegenden ihre Minen. Ungefähr 12,000 Diggers (Gräber)
strömten nach Melbourne; drei Schiffe brachten ungefähr
1900 starke, stämmige, sonnverbrannte Burschen nach Du-
nedin, und Schiff folgte auf Schiff, bis man in den Straßen
Dunedins sich kaum bewegen konnte. Die Stadt schien
mit Sturm erobert worden zu sein. Die Lebensrnittel
stiegen; denn 12,000 Ertramagen plötzlich zu sättigen,
wo man bisher schon Mehl, Kartoffeln, Schinken, Speck,
Schafe, Zucker und Thee von Victoria und Van Diemens-
land einführte, reduzirte die augenblicklichen Vorräthe in
bedenklicher Weise. Zum Glück der hiesigen Viehzüchter
und ei'jten Ansiedler war die Lnngenseuche in ganz Austra-
lien ausgebrochen, und deshalb wurde die Einfuhr von
Mittheilungen des Goldgräbers Karl Goltz aus Otago in Neuseeland.
337
Rindvieh gesetzlich verboten. Nur Schafe wurden impor-
tirt. Die Rindviehzucht hat hier zu Lande einen gefähr-
lichen Feind in dem sogenannten Tütn oder Tut, einem
kleinen Gesträuch mit (selbst für Menschen) giftigen rothen
Beeren. Wenn dieselben ein Stück Rindvieh frißt, läuft
es rasend davon und stellt sich selten lebendig wieder ein.
Daher vermehrt sich das Rindvieh sehr langsam, denn
man findet den Tütn hier überall.
Rindfleisch ist auf 7? Thlr. per Pfund gestiegen; das
ist ein ungeheurer Preis, wenn Leute größtentheils nur
von Brod und Fleisch leben und in Australien das Pfund
für weniger als 2 Sgr. kauften. Kartoffeln hier am
Fluß kosten das Pfund Va Thlr.
Ich war in Gabriels Mine in Tnapeka und ging zu
Wardens Office, um einen „Miners right" für mich
zu nehmen. Ein Miners right ist ein Dokument, wofür
man 1 Pfd. Sterl. pro Jahr bezahlt; mit selbigem kann
man auf irgend welchem Regierungs- oder Kroulande
imd) Gold suchen und Schutz von den Behörden verlan-
gen. In dem Bureau waren drei Mineure; sie gaben
gerade die Erklärung ab, daß sie ein Goldfeld entdeckt
hätten, zeigten auch ein paar Pfunde Gold. Es war in
der Nähe des Waipora river; sie beschrieben den Weg
dorthin, daß man, nachdem der Fluß durchwatet worden
sei, in nördlicher Richtung fortwandern und sich nach
gewissen Felsen ans dem Gebirge richten solle.
Das war eine Entdeckung für mich! Ich war einer
der Ersten, der sie erfuhr! Wir ließen unser Zelt im
Stich, beluden uns mit Brot, Käse, Thee und Zucker,
mit Schaufeln, Picke, Zinnschüssel, Kessel und Beil, und
machten uns auf den Weg. Trotzdem wir zu den Ersten
gehörten, waren doch schon Tausende auf der Wander-
schaft, und wir sahen noch von allen Seiten Leute herbei
strömen. Vorwärts gings in das Gebirge immer höher
hinauf, leider aber in einer Gegend ohne alles Brenn-
holz. Niemand wußte etwas Genaues über die einzu-
schlagende Straße; Alle hatten eine Idee: es müsse in
der und der Richtung sein. Der Regen wurde stärker
und unsere Last durch die Nässe immer schwerer; aber
vorwärts! Endlich kommen wir an den Waipora und
finden dort Hunderte rathlos umherlaufen, weil Keiner
den Weg kenilt.
Ich sehe mich indeß nach den mir von den Prospek-
toren angegebenen Richtpunkten um, erblicke endlich die
grüne und "die verbrannte Schlucht, so auch die sonderbar
aussehenden Felsen auf dem Gebirge — „das muß die
rechte Richtung fein"!
Es regnete unaufhörlich, wir waren hungrig und
müde, beschlossen also zu übernachten. Mit Hilfe unserer
Schaufeln und Gepäckleinen und der nassen wollenen
Decken machen wir uns ein zwei Fuß hohes Zelt, um
darunter zu schlafen.
Am nächsten Morgen geht es durch den Fluß, denn
das gesuchte Eldorado liegt irgendwo jenseits! Zweimal
muß ich durch den reißenden Strom, bis an die Brust
in dem Wasser; Gott sei Dank! das ist hinter uns; nun
weiter vorwärts!
Zwischen meinen Kameraden und mir erhebt sich ein
Streit; sie wollen durchaus die nördliche Richtung ein-
schlagen) ich wieder hierhin; was bleibt mir übrig, als
nachzugeben, und so geht es denn über das Gebirge
Meilen und Meilen weit dahin! Manchmal durch eine
Gebirgsschlucht, dann wieder bergauf. Hin und wieder
sehen wir Leute in der Ferne, aber in allen Richtungen
wandern, treffen auch welche, die verzagt und hungrig
ihren Rückweg suchen. Keiner weiß, wo die Minen
liegen. Wir irren weiter; es fängt an zu hageln, so
daß wir uns hinter großen Grasbüscheln zil verstecken
suchen. Müde und muthlos suchen wir den Rückweg
und plötzlich kommen wir an einen Creek, sehen Zelte,
und das sind die neuen Minen. Hurrah!
Proviant ist hier, wie immer bei der Eröffnung von
Minen, nicht für Geld zu bekounnen. Zinn Glück gab
Globus VI. Nr. II.
es aber etwas Brennholz! Ich mache also ein großes
Feuer, ringe meine Wäsche aus, trockne sie, und nach
zwei Stunden sitze ich, von einem überhängenden Felsstück
vor dem Regen geschützt, schmauche mein Pfeifchen und
erquicke mich mit einem warmen Schluck.
Aber Gold ist hier nur sehr sparsam verbreitet! Hin
und wieder soll es reiche Stellen geben, wohl dem, den
der Zufall an eine solche führt! Tausende sind hier, und
Tausende verlassen diese Minen, um mit Aerger und
Verzweiflung zu den von ihnen verlassenen Stellen zu-
rückzukehren. Auch wir begeben uns auf den Rückweg.
Aber der Waipora ist angeschwollen, und ein armer
Teufel, der zu schwimmen versuchte, bereits fortgerissen
worden. Wir mußten den Fluß Meilen und Meilen
weit hinunter gehen, um die Fähre zu benutzen, und
dann wieder dieselbe Meilenzahl am Flusse hinauf, um
aus unsern alten Pfad zu kommen und zu unseren ver-
lassenen Minen. Ja, es machte uns große Freude, daß
wir unser altes Zelt wiederfinden und wieder eine Nacht
im Trocknen schlafen sollten! Diese Aussicht machte uns
zufriedener, als wir vorher gewesen. —
Dies ist Gold suchen! Auch hier am Molineur wan-
dern Hllnderte umher, und Hunderte wandern den gan-
zen Tag und geuünnen kaum ihren Lebensunterhalt.
Ich werde nie den Augenblick vergessen, als jeuseits
des Flusses mir gegenüber das Gras auf dem Gebirge
brannte! Die Flamme rannte prasselnd höher und höher
hinauf, sich weiter und weiter ausbreitend. In der fin-
stern Nacht schienen die Berge voll feurig fließender Lava
zu sein. Was für großartig schöne Schattirnngen gaben
die in wilder Unordnung umherliegenden schwarzbraunen
Schieferblöcke! Gold schien sich von den Gebirgen herab
in den Fluß zu ergießen. Oben stand ein kleiner Dorn-
busch, der allein vom Feuer verschont blieb und jetzt
frisch grünt. Die Scene erinnerte mich an die Rettung
der kleinen Leute, wo die großen Menschen zu Grunde
gehen. Die Berge, die frei von Felsblöcken sind (wie au
Gabriels und Wetterostones Minen, im Tuapekadistrikt),
sehen wie ungeheure Klumpen Teig aus, die mitten in der
Gährnng hart geworden sind.
Das ganze Land muß früher häufig von Erdbeben
heimgesucht worden sein; hätten wir nachgesucht, so wür-
den wir auch wohl manchen erloschenen Krater gefunden
haben. Unser Pfad am Fluß hinunter ging über alte
Schwefellager, und an mehreren Stellen lag verhärtete
Lava, besonders wo der Wasserfall des Molineur schäumt.
Die Minen in Otago haben sich gleichfalls in unvergeß-
lichen Bildern meinem Gemüth eingeprägt.
Es war in Waitahuna. An der steilen Seite eines
Berges ging ich auf einem Pfade mit einem Amerikaner;
plötzlich sagt Jener: „Es muß hier gewesen sein, wo der
arme Teufel vom Winde herunter geworfen wurde und
unten zerschmettert ankam!" Ich wünschte, er hätte es nicht
gesagt, denn ich war müde, und der Wind blies so stark,
wie er nur in Neuseeland blasen kann, doch kam ich glück-
lich davon! Um eine Ecke biegend, sahen wir vor uns
ein Thal, es ist das der Waitahuna Diggings. In der
Mitte Bach bei Bach und Schacht bei Schacht; au beiden
Seiten eine Masse Zelte und Leinwaudhäuser. Alles ist
still, es ist Sonntag. Wie verschieden von einer austra-
lischen Mine! Keine Rauchwolke steigt gen Himmel, denn
Holz ist hier sehr rar. Der Platz 'kommt mir wie eine
von den verzauberten Städten vor, von denen ich in
meiner Jugendzeit in schönen Märchenbüchern gelesen.
Es ist sehr warm; die Hitze bildet eine Art Nebel, der
zwischen mir und dem Thale liegt. Ja, das muß eine
verwünschte Stadt in einem See sein! Menschen sieht
man wohl, doch kein anderes Lebenszeichen dabei. Wir stie-
gen den Berg hinab und sahen zu unserer Liuken höher hin-
auf, von den anderen Wohnplätzen getrennt, die Polizei-
gebäude liegen, Bretterhäuser mit galvauisirten Eisen-
dächern. Dann kamen wir in eine lange Straße, zu
I beiden Seiten Häuser, größtentheils alle von weißem
43
338
Die Eingeborenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs.
Kaliko; dazu Hotels von allen Größen, Restaurationen,
Kaufmannsläden, Barbierbuden, Schmieden- und Hand-
werkerbuden, und um mit Onkel Bogumil zu sprechen:
so machten frech geputzte Frauenzimmer für diese hastig
zusammengewürfelten Kulturfragmente die Honneurs.
Wir sind hungrig und lassen uns zu essen geben; ob-
gleich itur 60 engl. Meilen von Dunedin, kostet unser
'Mittagsbrot doch I Thlr. 10 Sgr. Ich kaufe ein altes Zelt,
und da man von mir nur für die bloße Erlaubniß, auf
meinem Zelte unter einem Kalikodache zu schlafen, 20 Sgr.
verlangt, so gehen wir ins Freie, nehmeil Brod und Käse
mit und wollen in unserm Zelte übernachten. Als wir
im ersten Schlummer liegen, werden wir geweckt; man
nimmt uns in ein Zelt; der Besitzer, ein Goldmineur,
gibt uns eine wollene Decke, eine getheerte Leinwand
und wünscht uns eine gute Nacht. Solche Christen findet
man zuweilen! So viel von meinen Landabenteuern für
diesmal.
Auch manche Scenen auf der Seereise hierher werden
meinem Gedächtniß eingeprägt bleiben; ein anderes Mal
erzähle ich davon. Ob wir uns mündlich unterhalten
werden, weiß Gott allein, der in die Zukunft sieht!
Die Eittgelwrenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs.
II.
Stellung der französischen und der eingeborenen Beamten. — Rechtspflege. — Die arabischen Bureaux.— Marabuts und religiöse Brüderschaften. Derwische. —
Lage der Franzosen. — Der Aufstand des Si Seliman. — Bedeutung eines heiligen Krieges.
' In administrativer Hinsicht wird jede der drei Pro-
vinzen in eilt Territoire civile und einTerritoire militaire
eingetheilt.
Int Territoire civile herrscht das europäische Ele-
ment vor, weswegen denn auch alle Zweige der Eivilver-
waltung ills Lebeli gerufen worden sind. Ein General-
direktor vereinigt in sich die Civilverwaltnng des ganzen
Landes. Jede Provinz für sich bildet in dieser Hinsicht
ein Departement unter einem Präfekten, den: ein Prä-
fekturrath zur Seite steht, während jährlich einmal ein
Generalrath unabhängig vom Präfekten über die Inter-
essen des Landes berathschlagt. Das Departement zer-
fällt in Arrondissements unter einem Unterpräfekten, diese
in Distrikte unter einem Civilkommissar, diese in Kom-
munen unter einem Maire.
Die Eingeborenen im Civilterritorium sind den Ge-
meinden zugetheilt und ihre Scheikhs bilden eine Art
Unterbehörde des Maire. Zur Wahrung ihrer besonderen
Interessen bestehen seit 1854 die Bureaux arabes dspar-
tementaux tu den Städten, welche im Namen und im
Auftrag des Präfekteil handeln.
In ihr Ressort gehören: die Verwaltung des Kultus,
der Rechtspflege, die Ueberwachung der religiösen Brü-
derschaften (Khruars; vergleiche unten), der Schnlen,
der Wohlthätigkeitsanstalten, die Führung statistischer
Tabellen rc.
Im Militärterritorium, wo die Zahl der Eingeborenen
überwiegt, trägt die Verwaltung einen durchaus militä-
rischen Charakter. Der befehlhabende General einer Pro-
vinz bildet mit Zuziehung eines Conseil des affaires civi-
les die höchste Behörde der Division, welche wieder in
Unterdivisionen, diese in Cercles (Kreise) uni) detachirte
Posten zerfällt. Jeder „Cercle" umfaßt in der Regel ein
oder mehrere Kai da 1s. Wir haben oben das Nöthige
über die Organisation der Eingeboreneil gesagt. Die Fran-
zosen ließen diese Eintheilung wenigstens dem Namen nach
bestehen, sie haben aber die Machtbefugnisse der Häupt-
linge genauer geregelt.
Der Vorstaild einer Ferka, der Scheikh, wird vom
Kaid vorgeschlagen und vom Kommandanten der Sub-
division gewählt. Er bekleidet eine Stellung ähnlich der
eines Maire der Geineiilde, übt vorzüglich die polizeiliche
Gewalt aus und hat zu seiner Unterstützung einen Bei-
rath, der aus deil vornehmsten Adligen seines Duars
besteht. In seiner Ferka betreibt er die Einziehuilg der
Steuern und gesetzlicheil Strafgelder. Erstere sind durch-
aus nicht höher, als zur Zeit der Herrschaft der Dehs.
Es besteht eitle Art Erntesteuer — Aschür, — eine Vieh-
steuer — Zekkat; eine außerordentliche Steuer ist der
Cezula, welcher von rebellischen Stänunen als Preis der
Unterwerfung gezahlt wird.
Der Kaid wird ans die Präsentation des Komman-
danten der Subdivision vom General der Division er-
nannt. In seinem Stamm bringt er die Befehle seiner
Chefs iil Ausführung, nimmt die Steuern von deir
Scheikhs ein, präsidirt den Märkten und übt die Polizei-
gewalt aus mit einer Strafgewalt bis zu einer Höhe von
25 Francs. In Kriegsfällen oereinigt er die unregel-
mäßige Reiterei des Stammes — den Gum — um sich.
Die Aghas werden vom Kriegsministerium auf Vor-
schlag des Generals der Division ernannt. Sie sind für
das Aghalik das, was der Kaid für deil Stamm, mit
einer Strafberechtigung bis zu 50 Francs.
Noch höhere Stellungen sind der Baschaga und der
Kh alifa, welche außerdem in der Regel eine von Frank-
reich besoldete, eingeborene Soldatenmenge zu ihrer Ver-
fügung haben, natürlich mit Vorbehalt der nothwendigen
Beistimmung der französischen Behördeil für den Fall
einer beabsichtigten militärischen Operation. Ihre Straf-
gewalt steigt bis zu 100 Francs.
Aghas, Baschagas und Khalifas werden von Frank-
reich aus besoldet; der Letztere erhält z. B. neben vieleir
Tantiemen und Gefällen rc. einen festen jährlichen Gehalt
von 12,000 Francs.
Im Territoire civile und militaire wird die Civil-
jllstiz von einem Kadi ausgeübt nach hergebrachten
bürgerlicheil und religiösen Bestimmungen. In jedem
Stanlm wird derselbe vom Kommandanten der Subdivi-
sioll ernannt nnb spricht Recht an der Seite des Kaid.
Außerdem befindet sich bei jedeut Bllreau arabe, unter
dessen unmittelbarer Ueberwachung, ein Kadi. Die Be-
rufung geschieht an eine Behörde —- den Midschles —
wenn die Parteien sich llicht ausdrücklich auf ein fran-
zösisches Tribuilal berufen.
Bei den Kabylen ist, wie wir gesehen haben, die Ver-
einigung aller streitbaren Männer eines Dorfes zugleich
die polizeiliche, administrative und richterliche Behörde.
Der Amin präsidirt der Dschemaa, hat aber mit Aus-
nahme der Ertheiluug von Geldstrafen auf Grundlage
des Kanun nur eine vollziehende Gewalt. Der Urtheils-
spruch der Dschemaa ist ohne Appellation. Die franzö-
sische Regierung hat hierin Nichts geänbert, nur daß sie
durch die Bureaux arabes die Ueberwachung übt und die
Amins für alle Uebergriffe verantwortlich macht.
Die Eingeborenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs.
339
Vollständig ist den Eingeborenen die Ansübung der
Strafjustiz genommen worden, welche lediglich nur von
französischen Behörden und nach französischen Gesetzen ge-
handhabt wird. Hier tritt im Militärterritorium ein durch-
aus summarisches, militärisches Verfahren ein.
Disciplinargerichte, aus Offizieren und Civilisten zusam-
mengesetzt, beurtheilen leichtere Vergehen ; doch ist die Be-
stätigung des Kommandanten der Division erforderlich.
Alle größeren Vergehen gehören unerbittlich vor die
Schranken eines Kriegsgerichts. Von dieser Strenge
sind alle im Militärgebiete sich aufhaltenden Europäer
und Israeliten ausgenommen; sie werden von Civilgerich-
ten gerichtet. Das Recht, einen ganzen Stamm für ein
Verbrechen, dessen Thäter unbekannt geblieben, verant-
wortlich zu machen, steht ausschließlich dem Gouver-
neur zu.
Um die Kluft zwischen Militärrichtern und Rechts-
unterworseuen in Etwas auszufüllen und, wie die Gesetz-
gebung idealistisch sich ausdrückt, die Eingeborenen nach
und nach aus die Segnungen der französischen Civilgesetz-
gebung vorzubereiten, hat man eine Mittelbehörde ge-
schaffen, die sogenaimten Bureaux arabes militaires.
Ihre Einrichtung stammt, wie schon erwähnt, aus dem
Jahre 1833; eine Art Organisation erhielten sie erst 1844,
und sie ist später noch weiter ausgedehnt worden. Sie
haben ihren Platz bei den Kommandanten der Division,
der Subdivision, der Kreise und einzelner detachirter Po-
sten, wo sie gewissermaßen den Generalstab ihres Chefs
bilden.
Ihr Amtskreis umfaßt heut zu Tage sämmtliche Zweige
der Regierung und der Verwaltung der Muselmänner.
Sie überwachen in den Stämmen den Kultus, die bür-
gerliche Rechtspflege, den Unterricht; sie regeln die Ver-
theilung und Eintreibung der Steuern, sie leiten die
öffentlicheil Arbeiten, die Anlagen von Baumpslanzilngen
und Privathäusern, sie sorgen für die Sicherheit der
europäischen Ansiedlungen, der Straßen, Märkte k. Im
Kriege befehligen sie außerdem die irreguläre Kavallerie.
Werfen wir einen Rückblick auf das eben Gesagte und
betrachten wir die octroyirte Verfassllng mit den Augen
der Eingeborenen.
Im Civilgebiete sind die Eingeborenen in den Ge-
meinden einbegriffen. Die Gleichheit der materiellen In-
teressen und eine Art Gleichmäßigkeit des Lebens haben
dieser Maßregel ohne große Hindernisse den Weg gebahnt.
Man wohnt unter einander, man begeht dieselbell Straßen,
besucht dieselben Märkte; die Feuersbrnnst eines europäi-
schen Hauses bedroht auch die Wohnung des benachbarten
Muselmanns. Das gleiche materielle Interesse ist hier
das wirksaine Bindemittel, welches wenigstens oberflächlich
kittet. Bei tieferem Einblicke sieht man allerdings, wie
trotzdem eine innere Abscheiduilg fortdauert, wie
ängstlich man insgeheim am Namen uild an den Ueberlie-
ferungen der Stanlmfamilie festhält, wie wenig man bereit
sein würde, trotz der Segnungell der französischen Regie-
rung, die Stammvätern der Wüste, weiln sie mit bewaff-
neter Hand erschienen, vertreibeil zu helfen; daß die fran-
zösische Regierung viel gethan hat, um deil Wohlstand
und die Interessen des Landes zu fördern, ist anzuer-
kennen. Ihre Einrichtungen kommen auch deil Eingebo-
renen zu Gute, ja manche derselben diesen ausschließlich.
Daß dies ohne polizeiliche uild andere Gesetze und Be-
hörden liicht möglich sei, begreift anch die Indolenz eines
Arabers. Diese Ueberwachung trifft ja auch llicht ihli
allein. Ihr sind Alle unterworfen: Franzosen, Fremde
und Eingeborene. (Sine Trennung in administrativer
Hinsicht würde nur eine Erschwerung, eine Stockung im
nationalen, täglichen Verkehr herbeiführen, unter der sie,
die Eingeborenen, wahrscheinlich ant meisten zu leiden
hätten. Wie nun die Eingeborenen im Civilgebiet aus
materiellen Rücksichten die administrative Gleichheit als
nothwendig und zweckmäßig anerkeilnen, so suchen sie aus
gleichem Grunde auch mit den Europäern in gutem Ein-
vernehmen zu leben. Man hat vergessen, daß der euro-
päische Kolonist ein Land bewohnt uiib bebaut, das einst
die Gläubigen besessen und nicht bebaut haben. Der
Arme findet Arbeit uild Brot bei den „Fermenbesitzern",
der Reichere hat von ihnen gelernt, seinen Boden besser
zu bearbeiteil und im gegenseitigen Handelsverkehr vor-
theilhafter zu verwerthen. Der Wohlstand hat allgemein
zugenommen.
Erwähnen wir noch, daß bei Streitigkeiten zwischen
Europäern und Eingeborenen das französische Gesetz als
maßgebend gilt, eine Maßregel, der sich die Letzteren um
so eher fügen, als ihre Gesetze — auf den Koran basirt
— durchaus nicht ausreichen. Es geschieht nicht selten,
daß auch die Eingeborenen bei Streitigkeiten unter ein-
ander auf das französische Gesetzbuch und einen französi-
schen Gerichtshof recurriren.
Jul Militärgebiet stehen in der Hauptsache das Heer,
die Sieger, den Muselmännern, den Besiegten, gegenüber.
Zwar tönt nicht mehr das Kriegsgeschrei durch das Land,
aber das eingesteckte Schwert ist immer bereit, von Neuem
geschwungen zu werden. Wir haben in den Revolutionen
der Neuzeit einen Namen erfunden, der auch trefflich für
diese Art der Territorien zil passeil scheint: sie sind iit
einem unausgesetzten Belagerungszustände. Der
Kommandant der Division ist beinahe unbeschränkter Herr
uild Gebieter über Leben und Tod; unter ihm entscheidell
die Kriegsgerichte in summarischer Weife über Leben,
Freiheit und Eigenthum; halbmilitärische Gerichte richten
über die kleiileren Vergehen. Doch ist hier Nichts klein
oder darf Nichts klein erscheinen. Was im bürgerlichen
Gebiet eine einfache Polizeistrafe nach sich zieht, wird im
Militärgebiet schon liach der ganzen Strenge der Kriegs-
gesetze beurtheilt; eine Appellation findet llicht Statt.
Zum Schlitze der Befehlshaber, zu Durchführung auch
der härtesten Maßregeln steht ja immer ein Heer bereit,
während Geilsdarmen und Spahis als Recognoscirungs-
patrvllillell uliausgesetzt das Land durchzieheil.
Man hat den Eingeborenen den Schein einer gewissen
Selbstregierung gelassen, indem man die ursprüngliche
Eintheilung der Stämme und die Chefs wenigstens dem
Namen nach fortbestehen ließ. Diese Chefs haben sogar eine
gewisse Strafgewalt. Indessen von wem werden diese
Häuptlinge erwählt? Von ihren Stämmen? Diese
haben nicht einmal das Recht der Verwerfüllg.
Die französischen Kommandos setzen Scheikhs, Kalds ulid
Aghas ein, ohne die Eingeborenen zu befragen.
Es ist begreiflich, daß sie mu° treu ergebene Männer dazu
wählen, daß sie dieselben fortwährend mit Ehrenkreuzcn
lind dergleichen ködern, lind daß gar oft ein Auge zuge-
drückt wird, wenn wirkliche Gewaltthätigkeiten und Er-
pressungen vorliegen. Die Erwählung zuin Chef der Ein-
gcborenen wird in ganz Algerien als eine Goldgrube
betrachtet, welche auszubeuten der Betreffende llicht er-
mangeln wird. Ob es wahr ist, daß, um zu einer solchen
Stellung zu gelangen, auch von Seiten der Eingeborenen
Bestechungen der französischen Befehlshaber mit Glück ge-
übt werden, inuß zum Beweis denjenigen überlasseil wer-
den, welche mir das erzählt haben. Uebrigens zeugt eine
Stelluilg von einer gewissen politischen Unbedachtsamkeit
oder eiltet) Ohnmacht der Regierung; wir meinen die der
Baschagas und Khalisas, in deren Händen sich ein ge-
fährliches Spielzeug für die llntreue und den Ehrgeiz
eines Arabers befindet: eine immer schlagfertige Armee.
Um nun unter solchen Verhältnissen die sich bildenden
Gegensätze in Etwas auszugleichen und zwischen Regie-
rung und Regierten eine Art Vermittelung zu erniög-
lichen, hat mau, wie schon erwähnt, die intervenireude
Behörde der Bureaux arabes militaires geschaffen. Die
Stellung derselben soll nur transitorisch fein. Sie sollen
eben dahin wirken, eine Ausgleichung herbeizuführen, in
der Art, daß das Militärgebiet mit einem Mal oder allmä-
lig in ein Civilgebiet verwandelt wird. Mit Erfüllung
340
Die Eingeborenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs.
dieser Aufgabe hat das arabische Bureau auch seinen
Lebenszweck vollständig erfüllt und wird überflüssig.
Doch fragt sich sehr, ob diese Bureaux das geeignete
Werkzeug sind, um die Eingeborenen in das Dorado
der französischen Ctviladministration hinüberzuführen.
Sie sind ebenfalls nur Militärbehörden, abhängig von deit
Kommandanten ihrer Kreise und diesen verantwortlich.
Außerdem sind sie Franzosen. Man darf sich also
nicht wundern, wenn sie zunächst das Interesse Frankreichs,
dann das ihrer Chefs, dann das eigene vertreten; deir
vierten Platz nehmen eitdlich die Eingeborenen ein. Ver-
gessen wir nicht, daß die Stellung eine sehr weitgreifende,
und der persönlichen Ansicht, der Willkür des Einzelnen
ein großer Spielraum gegeben ist. Es konunt hinzu,
daß eine jahrelange Ausübung des Amtes eine Kenntniß
des Landes, der Sitten, der Sprache hervorgebracht hat.
Es gibt außer den Offizieren dieser Bureaux nicht viele
Offiziere in Afrika, die sich dessen rühmen könnten. In-
dem sie auf die Chefs der Eingeborenen oder auf diese
selbst unmittelbar einwirken können, die ihnen überlassene
polizeiliche Gewalt aber einen raschen, thätigen Arm
fordert; da sie in den meisten Fällen die Voruntersuchung
begangener Verbrechen allein oder doch unter Beisitz der
Sprache unkundiger Offiziere zu führen haben: welche
Möglichkeiten sind ihnen nicht gegeben, aus speziellem In-
teresse willkürlich, parteiisch, gesetzlos zu verfahren?
Man sagt, daß noch fein Chef eines Bureau arabe ärmer
geworden aus seiner Stellung geschieden ist.
Wenn in wenigen Jahren das Civilgebiet der Provinz
Constantine um das Dreifache gewachsen ist, so sind es
bestimmt nicht die arabischen Bureaux, denen dies zuge-
schrieben werden muß. Vielleicht werden einmal Koloni-
sation in Massen und Erweiterung des Verkehrs und der
Verkehrswege in besserer Weise vermitteln.
Wir brauchten den Ausdruck, das Militärgebiet befinde
sich „im Belagerungszustände", einem unnatürlichen Zu-
stande der Spannung, welcher durch eine Zwitterbehörde,
wie die arabischen Bureaux, nicht gemildert, sondern eher
erhöht werden muß.
Die Sicherstellung des Landes mag eine derartige
Maßregel erheischen; die Eroberung ist noch zu neu, zu
unvollständig. Das Pferd bäumt sich noch gegen den
Zaum. Aber eben so mit Händen zu greifen ist
es, daß der Eingeborene das Glück der französi-
schen Herrschaft nicht fassen kann, daß er wirk-
11cf)e Segnungen, wie z. B. die artesischen Brun-
nen in der Wüste, mit Alißtrauen betrachtet,
daß ein Odem der Unbehaglichkeit, der Ge-
drücktheit das Land durchzieht, daß die Erinne-
rung des Geschehenen und der Haß fortglühen
unter der Asche, nur aus die Gelegenheit war-
tend, um in hellen Flammen loszubrechen. Die
kostbarsten Güter sind geschmälert worden: die stiße Un-
gebundenheit dem Araber, der ungestörte Besitz und die
Freiheit seiner Berge dem Kabylen.
Und was bietet im glücklichsten Falle die Zu-
kunft? Eine Ueberschwemmnng von Spekulanten und
geldgierigen Kolonisten, eine Wegepolizei in der Wüste,
das Aufgehen der Stammverwandtschast in einer franzö-
sischen Kommune, französisches Gesetz, französische Ver-
waltung. Der freie Beduine der Wüste soll ein verächt-
licher Hadar werden!
Nehmen wir indeß das Wunder an, Araber und Ka-
bylen feien nicht abgeneigt sich civilisiren zu lassen und
mit Hintansetzung der Sitten und Ansichten ihrer Väter
deir Namen Commune gegen den Stamm, einen Maire
gegen einen Katd einzutauschen. Man hätte Geschmack
gefunden an der französischen Lebensweise, welche die Ju-
gend in den Schulen und die Truppen in fremden Lan-
den kennen gelernt. Die Lust zur Unabhängigkeit, zur
Ungebimdenheit verschwinde, nnb mit Handel, Industrie
und Wohlstand wüchsen Toleranz und Lust zur Ordnung
empor. Der Adel würde indessen durch Orden und Ehren-
stellen beschwichtigt.
Ehe dieses Wunder, geschehen könnte, müßten zwei
andere vorher eingetreten sein:
Gleichgültigkeit der Eingeborenen gegen die
Religion Mohammeds, nnt> Aussterben der eif-
rigsten Vertreter der Lehre, der Khruans, Ma-
rabuts und Zautas.
Ein inniger fester Glaube an die Lehre Mohammeds
durchdringt alle Schichten der Bevölkerung. Alle Feind-
schaften zwischen Einzelnen oder ganzen Stämmen hörten
ans, wenn die Marabuts den Dschihad, den heiligen
Krieg, predigten. Araber und Kabylen reichten sich über
dem Koran versöhnt die Hand. Diese Glaubensfestig-
keit wird allen Eindrücken widerstehen. Die Hadars wer-
den deir Glauben nicht im Gewühl des Marktes, die
Spahis nicht in der Ueppigkeit der französischen Haupt-
stadt vergessen lernen. In deir Städten freilich tritt der
religiöse, Fanatismus weniger hervor; man ist gestört
durch den Lärm des Tages, man hat weniger Zeit zum
Beten, wenn man Geld gewinnen will. In der Oase
und in der Wüste aber, in den verborgenen Schluchten
der kabylischen Berge hebt die unterdrückte Religion noch
offen und stolz ihr Haupt empor; sie wird gelehrt, gepre-
digt und eifrig ausgeübt.
Der Ausdruck „unterdrückte Religion" ist nicht miß-
zuverstehen. Sofort nach der Eroberung der Stadt Algier
versicherte Marschall Bonrmont die Freiheit und Unan-
tastbarkeit aller Religionen. Unter seinen Nachfolgern
sind allerdings grobe Verstöße vorgekommen. Viele Mo-
scheen wurden niedergerissen oder zu Magazinen, Kaser-
nen, ja selbst Theatern verwendet. Mitten durch die
geheiligten Ruhestätten der Todten in der Stadt Algier
ließ Savary, Herzog von Rovigo, fahrbare Straßen an-
legen. 1851 wurde der mohammedanische Kultus durch
ein Dekret geregelt und das Land in religiöse Bezirke
abgetheilt. Der mohammedanische Glaube an sich ist
indessen niemals angegriffen, seine Bekenner sind in der
Ausübung desselben niemals beschränkt worden, wenn
nicht der religiöse Fanatismus in Empörung, die sich
heiligen Krieg nannte, ihren Ausdruck fand.
In dem Wort Dschihad gipfelt sich der Mohamme-
danismns. Im mildesten Sinne Abneigung und Haß
gegen die Ungläubigen überhaupt bedeutend, heißt es zu
anderer geeigneter Zeit Glaubenskampf, heiliger Krieg und
Vernichtung aller Numis, d. h. Europäer, Christen,
durch Feuer und Schwert. Diese Abneigung nun zu
nähren, das Volk von dem Verkehr mit Christen möglichst
fern zu halten, einer etwaigen Verschmelzung entgegenzu-
wirken, den Fanatismus durch langen Frieden nicht ein-
schlummern zu lassen, das ist die unausgesetzte Arbeit
der Khruans und besonders der Marabuts. In ihrem
verbrecherischen Treiben von der französischen Regierung
überwacht, nehmen sie ihren Aufenthalt namentlich in den
unzugänglichen Gegenden des Militärgebiets.
Ihre Hauptwerkstätten daselbst sind die großen reli-
giösen Etablissements der Zautas.
Khruans nennt man die religiösen Brüder-
schaften, welche neben der strengen Befolgung der Ge-
setze des Korans die Lehre eines berühmten Marabuts
als die ihrige angenommen haben. Rach diesem Mara-
but nennen sie sich auch. Sie wobnen durch das ganze
Land zerstreut und suchen durch Predigten und seltsame
Ceremonien auf das religiöse Gefühl des Volkes zu wir-
ken. Nicht wenige stehen im Gerüche, mit Hülfe ihres
Heiligen Wunder zu thun. Der leicht erregbare Sinn
des Arabers unterwirft sich gern ihren Aussprüchen, die
ja von Allah selbst eingegeben werden. Daher die Mög-
lichkeit für die Khruans, diesen Einfluß nach jeder Rich-
tung hin auszubeuten. Die französische Regierung hat
gerechte Gründe, sie durch die arabischen Bureaux über-
wachen zu lassen, was aber natürlich nicht eben dazu bei-
trägt, ihren Franzosenhaß abzukühlen. Die Brüderschaften
Die Eingeborenen Algeriens unter der Herrschaft Frankreichs.
341
an der Grenze von Marokko sind von allen Khruans die
am meisten fanatischen.
Die Marabuts bilden den geistlichen Adel der
Araber, der vererbbar auf den Sohn ist, wie der militä-
rische, aber von weit grvßerm Einflüsse als dieser. Auch
die Marabuts der Kabylen sind arabischer Her-
kunft; sie haben in Zeiten der Noth eine Zuflucht in den
Bergen gefunden und ihr Ansehen namentlich auch da-
durch zu erhalten gewußt, daß sie niemals einen
Landbesitz als Eigenthtnn für sich, sondern nur
im Namen Gottes erwarben. In der Kabylie finden
wir ganze Ausiedlungen unt> Dörfer der Marabuts.
Man unterscheidet mehrere Klassen derselben, je nach
der Autorität, welche sie dem Volke gegenüber durch Ab-
kunft, Bildungsgrad und streng ascetisches Leben ein-
nehmen. Die niedrigste Klasse sind die sogenannten Der-
wische, welche als Zauberer, Aerzte, Beschneider das
Land durchziehen. Dock wird a>ich diesen eine gewisse
Achtung nicht versagt, und jeder begegnende Muselmann
küßt ihnen ehrerbietig die Hand. Man muß selbst unter
den Eingeborenen gelebt haben, um zu begreifen, wie
mächtig,'fast unbegrenzt der Einfluß dieser Heiligen ist.
Sie vollziehen die Akte der Trauung, sie beschneiden die
Knaben, sie empfangen den letzten Willen der Sterbenden.
Sie stiften Frieden in der Familie, wie im Volke. Ihrem
eindringlichen Worte gelingt es nicht selten, streitende
Stämme zu versöhnen. Andererseits suchen sie wenig-
stens die Kampfbestimmungen festmstellen, welche gewisse
Stunden des Tages und gewisse Orte von dem Kampfe
ausschließen und das Ende des Streites an eine bestimmte
Stunde binden. Die angesehenern Marabuts besitzen eine
Zau'ia, meist eine weitläufige Anstalt, die aus einer
Moschee, den Wohngebäuden für die Priester, einem Ho-
spital, einem Gasthaus zur uuentgeldlichen Beherbergung
von Wallfahrern, Reisenden und Armen, einer Biblio-
thek u. s. w. besteht. Beinahe in jeder Zama findet sich
außerdem eine Schule für Kinder und ein Kolleg für die
Erwachsenen. Letztere erhalten neben Geographie, Ma-
thematik und Geschichte einen sorgfältigen Unterricht in
der Auslegung des Korans und der religiösen Gesetz-
bücher. Zur Zeit der Feste, uamcutlich im Mouat Rha-
madau, sind diese Anstalten von zahlreichen Fremden und
Wallfahrern besucht. Die Edlen des Landes erscheinen
daselbst in großen Prozessionen, um ein gemeinschaftliches
Gebet abzuhalten.
Das ist nun die beste Zeit für die Marabuts, um
auf den religiösen Sinn der Araber durch Lehre und
Predigt einzuwirken. Indem sie diesen anfachen, befestigen
sie zugleich ihr eigenes Ansehen, das sich lediglich auf
die Religion stützt. Die Empörungen, der Aufruf der
Gläubigen zum heiligen Krieg sind fast immer aus einer
Zauta hervorgegangen; ein Marabut hat die Seelen dafür
entzündet und sich'selbst oder einen Höhern an die Spitze
gestellt. Was den Edlen des Landes selten gelang, ihr
Ansehen ans mehr als einige Stämme auszudehnen, voll-
führte der Marabut Abdelkader ohne große Schwie-
rigkeit. Bei fast allen größeren Unternehmungen gegen
die Franzosen hat ein Marabut an der Spitze gestan-
den, während unter ihm viele andere durch eigenes Bei-
spiel die Tapferkeit und die Ausdauer predigten. Wahre
Frömmigkeit beseelt die Einen, während Andere der Ehr-
geiz vorwärts treibt, gedeckt durch das Aushängeschild
des Glaubens. Noch Andere folgen lediglich einem Ge-
fühl der Rachsucht, nachdem etwa die Wachsamkeit eines
arabischen Bureau sie als „Betrüger und Aufrührer"
entlarvt und darum aus der Heimath vertrieben hat.
Der religiöse Adel der Marabuts bildet für die Fran-
zosen den gefährlichsten, niemals ruhenden Feind. Sie
mögen eine Zeitlang zum Frieden mahnen aus Gründen
der Klugheit und Politik, doch niemals für immer. Ein
Marabut, der sich den Rumis dauernd unterwerfen
wollte, würde gar hald von den Seinigen verlassen und
seines Ansehens verlustig sein.
So lange demnach die Franzosen im Besitze
Algeriens sind, werden Empörungen' der
Stämme niemals aufhören. Freilich kann auf
längere Zeit der europäischen Kriegskunst ein Widerstand
nicht geleistet werden, und oft ist schon mit dem Tode des
Marabutchefs der ganze Aufstand zu Ende. Indessen
bleibt doch das Land, mit Ausnahme der Küstenstädte
etwa, in einem fortwährenden Zustande der Un-
sicherheit. Die europäischen Ansiedler haben die Zeiten
nicht vergessen, wo die Kabylen alljährlich sengend und
brennend in die Ebene Metidjscha eindrangen, ja bis an
die Thore von Algier streiften. Die große Kabylie ist
ja erst 1857 vollständig unterworfen worden.
In der Ebene Metidjscha sind alljährlich während der
Ernte viele tausend Kabylen auf den „Fermen" (Land-
gütern europäischer Ansiedler) beschäftigt. Auf manchen
Gütern arbeiten deren oft über 500, und viele Marabuts
sind unter ihnen. Der Verfasser, welcher längere Zeit auf
einem Gute in der Nähe des Atlas zugebracht hat, war
Zeuge, daß wegen Beleidigung eines Marabut mehrere
hundert Kabylen die drängende Arbeit der Ernte im Stiche
ließen. Schrecklich wäre es, wenn diese Schaareu plötzlich
fanatisirt würden. Ehe eine militärische Hülfe von Algier
käme, wäre längst in dem Flammenmeer der Felder und
Fermen das Blut vieler hundert Familien verraucht, die
Mörder aber wären in die unzugänglichen Schlachten
ihrer Berge entflohen.
Der Moniteur vom 14. April 1864 brachte die Nach-
richt von einem Aufstand, der in der Provinz Oran
in dem Kreise von Saida, bei dem Posten Geryville,
ausgebrochen sei. Der Kommandant des Kreises, Oberst
Beauprötre, soll in Folge seiner Bedrückungen der Eiu-
geborenen die Ursache gegeben haben. Der Baschaga
von Geryville, Si-SeUman-Ben-Hamza *), aus
einem alten Marabutgeschlecht entsprossen, griff mit
seinen untergebenen Schaareu den Oberst Beauprstre an,
schlug die Franzosen, tödtete ihren Chef und soll selbst
ebenfalls gefallen sein. Der Aufstand griff bald um sich,
obgleich die französischen Blätter der Sache jede Wichtig-
keit absprachen. Ein algierer Blatt wurde sogar bestraft,
weil es vom Dschjihad, dein heiligen Kriege, gesprochen
hatte. Es war allerdings ein Glaubenskrieg,
der mit den großen Bewegungen in Tunis und
Marokko in engem Zusammenhang stand, in Al-
gerien aber, wie es scheint, zu ungeeigneter Zeit losbrach.
Wenn man nachrechnet, so dürfte im Monat Februar
dieses Jahres, auf welchen der Rhamadan siel, die Auf-
wiegelung der betreffenden Stämme erfolgt sein.
Bezeichnend ist die Mittheilung des Moniteur vom
21. Mai über die wahrscheinlichen Ursachen des Aufstan-
des. (Beilage zur Leipziger Zeitung vom 24. Mai
Nr. 122.) „In der religiösen Genossenschaft des Si
Hamza begann die Jnsurrection und verbreitete sich fast
augenblicklich über alle unter dem Einflüsse jenes Bundes
stehenden Stämme. Einige Zeit vorher hatte ein Mok-
kadem des Ordens der Sidi Abderhaman die Bevölkerung
von Zuagha in der Provinz Constantine aufzuregen ver-
sucht. Jetzt rufen die Marabuts der Flittas zum hei-
ligen Kriege. Alles dies zeigt jetzt, wo die Mekka-Wall-
fahrten bald wieder beginnen, die Rolle, welche die
Khouans (ich schreibe auf meine Quellen gestützt
„Khruans") oder religiösen Sekten hierbei spielen, im
klarsten Lichte. Andererseits darf mau sich nicht ver-
hehlen, daß seit 1858 die muselmännischen Häuptlinge, die
kriegerischen sowohl, wie die religiösen, mehr als einmal
*) Die Leser des Globus werden sich dieses Namens er-
innern; er war als Freund der Franzosen im Gefolge des
Kommandanten Colomicu, dessen Zug durch die nördliche
Sahara nach der Oase Warghla wir Band V, S. 129 ff- ge-
schildert haben. Auf S. 130 gaben wir ein Porträt jenes fei
Seliman. Wir verweisen auf jene beiden Aufsätze, welche
eilten Einblick in die inneren Verhältnisse Algeriens gewähren
und gerade gegenwärtig ein erneuertes Interesse haben. A.
342
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
sich durch die unaufhörlichen Angriffe, deren Ziel sie ge-
wesen, verletzt gefühlt haben. Letzteres mag wahr sein,
sagt die France, aber der Moniteur hätte ferner als Ur-
sache des Aufstandes anführen müssen, daß man den
Hochmuth der Häuptlinge unkluger Weise immer mehr
hat anwachsen lassen, namentlich in letzterer Zeit, wo sich
die Herren Araber einbildeten, Frankreich werde auf die
Kolonisation Algeriens verzichten und ihnen "wieder die
volle Herrschaft überlasten."'
Wie es scheint, sind die religiösen und militärischen
Chefs der Eingeborenen von dem möglichen Ausbruche
eines allgemeinen europäischen Krieges unterrichtet gewe-
sen. Die Gelegenheit schien günstig. Wegen des Krieges
in Meriko war die algerische Armee bedeutend verringert
worden, und in einem Lande wie Algier ist dies ein großer
militärischer und politischer Schnitzer. Neue Regimenter sind
unterdessen aus Frankreich angekommen, drei starke Ko-
lonnen operiren, jedenfalls schonungslos, im Süden, und
man hofft den Aufstand bald vollständig niederschlagen
zu können.
Möglich; aber wie lange?
Die Kabylen haben sich Glicht an dem Aufstande
betheiligt.
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
IV.
Nachdem so für Wohnung und Nahrung in Tamuk ge-
sorgt war, stiegen, ungefähr um 4 Uhr, I. und ich auf
die Terrasse, um uns wenigstens vorläufig in den Ruinen
zu orientiren. B. schien auszuspannen, und der Drago-
man hatte es vollständig gethan. Er lag in der Hütte
und streckte alle Viere von sich. Wir wählten die Rampe
von Tropfstein, die sich das herabströmende Wasser selbst
gebildet, als Treppe, und schließlich auf dem höchsten
Punkt derselbe)!, wo wir den links ab iu den Fels füh-
renden Fußsteig nicht bemerkten, den Wasserfall selbst.
Es war ein wunderliches Gefühl, in diesem warmen
Wasser in die Höhe zu klettern, und sah von unten ge-
wiß sehr gefährlich aus, war es aber bei der eigenthüm-
lichen Rauhheit und Stufenbildung des Felsens gar nicht.
Oben angelangt, besahen wir zuerst das große Bad und
das noch sehr schön erhaltene Theater.
Die Jurukenfrauen gehen unverschleiert und unter-
halten sich ganz harmlos mit den Fremden. Vielweiberei
herrscht nicht unter den Juruken. Die Weiber sind zwar
nicht zufrieden damit, ergeben sich aber darein, weil der
Sultan Rekruten braucht. Spiegel waren ihnen noch
unbekannt. Sie schrieen laut auf, als ich ihnen einen
mitgenommenen Spiegel vorhielt. Dies führt mich auf
unsere eigene Toiletteufrage. Kleider-Reiuigen gehörte
längst zu den halbverklungeuen Mythen einer ganz ver-
schollenen urweltlichen Kultur. Stieselputzen hatte es nur
in Aidin und Denislü gegeben, wo ein im Han etablir-
ter Schuster sich unserer erbarmte. Später noch einmal
in Philadelphia. Aus Karahissar waren wir natürlich
ungewaschen fortgeritten. Die Nachholung dieser Cere-
monie war ein um so dringenderes Bedürfniß, als unsere
Kleider und unser Gepäck so eingestaubt waren, daß eine
Berührung meines Reisesacks Ne Nothwendigkeit einer
Händewäsche zur Folge hatte. In Tamuk aber gab es
nicht einmal einen Barbier, bei dem man ein Waschbecken
hätte entlehnen können. Doch ein Königl. Preuß. mo-
biles Consulat weiß sich zu helfen. Floß doch durch das
Dorf ein noch lauwarmer Arm des oftgenanuten kohlen-
sauren Kalkbaches. Ich hatte sehr bald eine Stelle aus-
findig gemacht, 50 Schritt von unserer Hütte, wo ein
zum Sitzen geeigneter Stein dicht am Bache lag. Daneben
ein zweiter, der dazu diente, Seife, Handtuch re. hinzu-
legen. Von dem ersteren dieser Steine warf ich zwei
kleinere in den Bach, um die Füße darauf zu setzen, und
das Toilettenzimmer war fertig. Dorthin begaben wir
uns nun, so oft wir uns waschen mußten, stets mit der
Hetzpeitsche gegen die uns hartnäckig feindseligen Hunde be-
waffnet, und von Weibern und Kindern bewundernd umstan-
den. Da ich in der ersten Stacht zu unbillig gefroren, kaufte
ich von einem Juruken einen jener groben, aus Wolle
und Ziegen- oder Kameelhaar bestehenden Teppiche, welche
die Leute als Nebenbeschäftigung weben, für zwei türkische
Thaler und legte ihn unter meine Hirschdecke. Sehr
viel )veicher wurde das Lager dadurch nicht, aber doch
nicht mehr so kalt von unten. Es hat übrigens durchaus
Nichts geschadet. In Europa oder auch nur in Smyrna
hätten mich drei solche Nächte im Zugwind ohne gehö-
riges Lager sicher todtkrank gemacht. In Tamuk' that
das Nichts. Ich schreibe dies übrigens hauptsächlich der
einfachen Nahrung, der vielen frischen Milch, der Bewe-
gung in freier frischer Luft den ganzen Tag, und den
beiden Bädern zu, die wir an: Ostersonnabend und
-Sonntag oben im Quellenbassin genommen. Die Ju-
ruken sagen, wer jede Woche dort einmal bade, stürbe
nie; das will ich nun zwar nicht unterschreiben, aber ein
Hochgenuß waren die beiden Bäder. Das Wasser ist
klar und durchsichtig wie Luft, in höherm Grade, als
das gasteiuer, 30 Grad warm und so stark voll Kohlen-
säure, daß sich der ganze Körper voll Schanmbläschen
setzt; und wenn man sich im Wasser rührt, oder gar
schwimmt, dann schäumt es um den Badenden, wie
Champagner. Ein solches Bad unter Gottes freiem dun-
kelblauem Himmel, bei klarein Sonnenschein, die wunder-
volle Alpenkette mit ihren Schneegipfeln vor uns, die
märchenhaften Ruinen um uns her: „jau8s Raimak-
Ribx“, sagt der Türke, zu Deutsch: „süß wie Sahne."
Allein um des Bades willen hätte ich, wenn es sonst
möglich gewesen wäre, noch gern einige Tage im Zie-
genstalle von Tamuk ausgehalten. Ob wohl noch Je-
mand außer uns am Ostersonntag, Mittags 12 Uhr, in
warmen: Selterswasser gebadet hat?
Am Ostermontag suchten I. und B. eine sogenannte
Dunsthöhle auf, welche von dei: Alten als Eingang
in den Tartarus bezeichnet wurde, weil alles Lebendige,
was die Schlucht betrat, dort sofort verstarb. Es war
einfach eine aus der ganzen Umgebung sehr erklärliche
Ausströmung von Kohlensäure, wie der Pausilippo bei
Neapel noch heute. Strabo spricht ausführlicher von die-
ser Höhle, oder besser Schlucht. Die Kohlensäure ist aber
längst ausgegangen, und die Schlucht völlig ungefährlich.
Vielleicht daß irgend ein Erdbeben — und diese haben
schlimme Spuren ihrer Macht in Hierapolis hinterlassen
— die Communikationen mit dem Erdinuern verschüttet
hat, oder daß die unterirdische Champagnerflasche im
Laufe der Jahrtausende schaal geworden ist. Dagegen
haben wir dicht an den Fundamenten des großen Bad-
gebäudes zwei kleine Löcher, eines mit Wasser gefüllt,
gefunden, über deren Boden die Kohlensäure bis auf
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
343
Hohe von vier, beziehentlich zwei Zoll schwebt. (Sin
hinuntergebrachtes Licht erlosch in dieser Entfernung vom
Boden, und zahlreich umherliegende todte Käfer und
Schnecken hatten ihren Vorwitz mit dem Leben bezahlen
müssen.
Nun will ich zur Beschreibung der Stadt Hierapo-
lis und ihrer wichtigsten Ruinen übergehen.
Die Stadt, oder besser ihre Ruinen, nehmen, exclusive
der Todtenstadt, die bereits obenerwähnte Terrasse in
einem Halbkreis ein, dessen Längendurchmesser von Osten
nach Westen ungefähr 2500 Schritt, dessen Halbmesser
vielleicht 1200 Schritt beträgt. Dieser Halbkreis wird
gegen die Berge, vor welchen die Terrasse liegt, durch
eine noch deutlich in ihrem Gange zu erkennende, jedoch meiner
Meinung nach schon der zweiten Periode von Hierapolis
angehörende Mauer abgeschlossen. Man muß nämlich
bei' den Ruinen zwei Architektur-Perioden unter-
scheiden, eine vorchristliche und eine christliche, beide phy-
sisch wahrscheinlich durch ein bedeutendes Erdbeben ge-
trennt. Wenigstens können einige Zerstörungen nur
durch Erbbeben hervorgebracht sein, und die Säulen und
Säulentrümmcr, die in dem Badebassin liegen, sind nicht
durch Menschenhand hinein geworfen worden. Ein ganz
unbedeutender Theil ist saracenisch, das eigentliche
Pambuk-Kalessi. Wenn man im Osten, wo wir zu-
erst hinauf geritten waren, und wo wahrscheinlich seiner
Zeit ein ordentlicher Fahrweg hinaufgeführt hat, empor-
steigt, kommt man zuerst an einige Grabgebäude, lvie die,
welche ich später mit der Todtenstadt beschreiben werde.
Dann gelangt man an ein nicht sehr hohes, auch ilicht
übermäßig breites gewölbtes Stadtthor ans Kalkstein, in
welches bereits ältere, mit Skulptur bedeckte Marmor-
blöcke vermauert sind, weshalb ich dasselbe der zweiten
Periode zuschreibe. Es ist dasselbe, durch welches die
mehr als mannshohe Tropfsteinmauer durchgewachsen
ist. Innerhalb desselben ist das erste erkennbare Gebäude
ein runder Thurm, und dann ein eigenthümlicher Bau,
den wir nach langemSimuliren nur für ein sehr großes
Grab erklären konnten. Eigenthümlich ist daran, daß
der Erbauer eine der vom Wasser gebildeten natürlichen
Kalksteinmauern mit in den Bau hinein gezogen hat.
Dann findet mau unter zahllosen Bruchstücken, unter
denen mir besonders einige gräßlich geschmacklose bar-
barische monolithe Doppelflinten auffielen, die Reste einer
christlichen Kirche. Die Bestimmung dieses Baus ist un-
verkennbar. Derselbe ist übrigens fürchterlich plump,
geschmacklos, und muß sehr finster gewesen sein, kurz dem
Zustande entsprechend, in welchem sich das Christenthum
bereits befand, als es zur römischen Staatsreligion er-
hoben wurde.
Weiter nach Westen findet sich dann südlich das
große, märchenhafte Badegebäude am weitesten
nach Süden, dicht am Abhang der Bergterrasse. Von
dieser führte eine noch deutlich erkennbare mit Säulen
eingefaßte Treppe vorbei an einer spätern, in ihren Kalk-
steinwänden ebenfalls ältere Marmorblöcke enthaltende
Halle (von uns Trinkhalle getauft) zu dem Theater.
Dasselbe lehnt sich bereits an die eigentlichen Berge, so
daß die Stadtmauer, um es einzuschließen, hier in einem
großen Bogen eine bedeutende Steigung macht. Das
Theater ist mit Ausnahme der Scene noch so vollständig
erhalten, daß das Publikum sofort wieder Platz nehmen
könnte. Es ist sehr groß und konnte lvohl an 1000
Menschen fassen. Wunderbar schön ist die Akustik.
Ich stand in der Mitte der höchsten Sitzreihe nub konnte
Sylbe für Sylbe das verstehen, was I." nicht lauter, als
wenn wir neben einander ständen, von der Mitte der
ehemaligen Scene ans zu mir sprach. Letztere liegt in
Trümmern. Ein Marmorfries, der sie einst geschmückt
hat, und dessen Bruchstücke jetzt die Orchestra bedecken,
zeigt einen Bacchuszug. Ein Beweis, daß man bis in
die späteste Zeit die von Athen ausgegangene Idee fest-
gehalten hat, nach welcher die Theater eigentlich
Bacchustempel waren. Die ans diesen: Fries vor-
kommenden Wägen haben auffallender Weise vier Räder,
während die antiker: Wägen doch eigentlich deren nur
zwei Habei:. Das Theater ist übrigens, wie alle, auch
die älteren Gebäude, römisch. Das beweisen die auch
hier vorkommenden Tonnengewölbe, die der griechi-
schen Architektur ganz fremd sind. Die Blöcke, aus
denen die Scene zusammengesetzt war, sind übrigens, wie
beim Badegewölbe, kolossal, und man begreift kaum,
wie es bei den: dainaligen mangelhaften Zustand der
Mechanik möglich gewesen ist/ sie zu handhaben. Das
Badegebäude ist ern Complex der verschiedenartigsten
Säle und Hallen, deren Beschreibung ohne Zeichnungen
unmöglich sein würde. Die Wände waren einst, wie
man deutlich erkennt, mit Marmor bedeckt. Ein Wind-
beutel von Franzosen, der vor ungefähr 15 bis 20
Jahren eine angeblich wissenschaftliche Reise durch diese
Gegenden gemacht hat, erklärt diesen Bau für ein Gym-
nasium. Das ist aber Bosch. Die alten Badebassins,
jetzt mit dem niedergeschlagenen Kalksinter ausgefüllt,
und wie Eisflächen aussehend, sind unverkennbar, (^ben so
einige durch das Gebäude gehende schmale Wasserleitun-
gen, die aus dem Qnellenbassin herkoinmen. Herr I.,
der in Ron: gewesen ist, meinte, der ganze Ban habe die
größte Aehnlichkeit :nit den Bädern des Earacalla. Un-
gefähr aus dieser Zeit kann er auch herrühren. Daß die
Einwohner von Tamnk es zu einem Wohnsitz der
Dschins, Geister, machen, versieht sich von selbst.
Ich würde es ohne meine bei Werder in Berlin erwor-
bene logische Aufklärung auch thun.
Nicht weit von diesem Bade, das den Raun: einer
kleinen Landstadt einnimmt, liegt ein Hanfe kolossal
dicker, gemauerter Pfeiler, die zun: Theil durch Gewölbe
verbunden gewesen sind. Was sie einst vorgestellt, ist
nicht zu errathen. Von da komint man, iminer weiter
gegen Westen gehend, an ein Stadtthor, an das sich die
Mauer, von der Höhe herabsteigend, anschließt. Das
Thor besteht aus zwei starken vierkantigen, sehr nach
außen vortretenden Thürmen, die durch das hochgewölbte
Thor verbunden sind. Letzteres ist jetzt mit großen
Quadern zugesetzt. Der ganze Bau ist entschieden aus
der zweiten Periode. In: Innern des einen Thurms,
in den wir durch ein Mauerloch mühsam hineinkrochen,
befindet sich hoch oben, mitten unter den Kalksteinqua-
dern eine Anzahl mit Skulpturen bedeckter Mar-
mortafeln, einen Fries bildend, der sicher einst anders-
wo angebracht war. Hier ist er ohne Anfang und Ende.
Etwas nördlich von diesem Thor, aber noch innerhalb
der Mauer befindet sich das Kaiserlich Römische Stadt-
gericht von Hierapolis, von klassisch gebildeten Leuten
Basilika genannt, nämlich eine offene Halle, deren
Säulenstüinpfe noch fast sämmtlich erkennbar sind, und
deren römische Capitäle umherliegen, hinten durch eine
feste, halbrunde Nische, das Prätorinm, geschlossen.
Der obgedachte französische Windbeutel will diese Ruine
für einen Kybele-Tempel erklären. Bosch! Kein antiker
Tempel hat jemals den erst bei christlichen, ans der Ba-
silika hervorgegangenen Kirchen als Altarnische vorkom-
menden kreisförmigen Ausschnitt gehabt.
Von dem obgedachten Stadt-und Festungsthor führt
eine gerade, aus beiden Seiten von offenen Hallen einge-
schlossen gewesene Straße zu einem zweiten Thor. Hier
faselt obbemeldeter Franzose, Poujoulat heißt der Mann,
von Säulen mit elliptischer Basis und prächtigen Capi-
tälen. Wir hatten dies vorher in seinem Buche gelesen
und wurden sehr heiter, als wir nun sahen, was er da-
für gehalten. Barbarisch und geschmacklos ist das Ding
allerdings, aber bis zu der Tollheit einer Säule mit
ovaler _ Basis haben es die Baumeister von Hierapolis
doch nicht gebracht. (Eine Säule mit spiralförmiger
Cannelirung habe ich allerdings gesehen, eine geradezu
unsinnige Geschmacklosigkeit, welche jedoch von der soge-
nannten Renaissance als schön wieder aufgenommen
344
Eine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
worden ist.) Die gedachten .Hallen ivurden von Pilastern
mit quadratischer Basis gebildet. Aus diesen Pilastern
traten nach vorn und hinten Halbsäulen hervor. Jede
dieser Halbsäulen, welche nicht cannelirt sind, trägt ein
konisches Halbcapitäl von der gröbsten, nachlässigsten Ar-
beit, und zwischen diesen Halbcapitälen ist der flache
Pilaster mit einer Maske verziert. Das sind die „präch-
tigen Capitäle" des Herrn Poujoulat. Das zweite Thor,
zu welchem diese Hallenstraße führte, bestand aus zwei
kreisrunden dicken Thürmen, von denen einer noch steht,
und drei, auf zwei plumpen, gemauerten Pfeilern ruhen-
den Rundbogen. Das Ganze ist gedrückt und unschön.
Eine Inschrift war da, aber nicht zu entziffern.
Außerhalb dieses Thores ist nordwestlich in ziemlich
weiter Entfernung ein zweites, aber sehr zerstörtes
Theater zu sehen. Es lohnte nicht der Mühe, dasselbe zu
besuchen. Sofort vor diesem Thore beginnt die Grä-
berstadt, die wohl eben so groß ist, wie die eigentliche
Stadt. Den Anfang macht eine unverkennbar christliche
Kirche, die, ich weiß nicht mit welchem Rechte, für eine
Johanniskirche gehalten wird. Sie ist plump und fin-
ster, durchaus unschön. Die Zerstörung ist sicher auch
durch ein Erdbeben erfolgt. Rur ein solches sonnte die
kolossalen Blöcke so durcheinander werfen. Dann folgt
nun eine weite, mit Grabhäusern und einzelnen Sarko-
phagen bedeckte Strecke, das Einzige, was von den Pri-
vatbauten von Hierapolis übrig geblieben ist. Wahr-
scheinlich haben die Privathäuser der Lebenden feiner Zeit
aus Holz bestanden und sind deshalb spurlos verschwun-
den. Die Sarkophage in der bekannten Form sind
sämmtlich sehr groß, massiv aus einem Kalksteiiiblock ge-
hauen, eben so die Deckel. Dennoch sind letztere ohne
Ausnahme von den Barbarenhorden, die seit 1000 Jahren
über dies gesegnete Land verwüstend fortgezogen sind,
geöffnet nni) die Gräber durchsucht worden. Die Grab-
häuser, offenbar Familiengräber, haben mich sehr
interessirt. Einige von ihnen sind recht groß. Sie sind
sämmtlich aus starten Quadern auf einem stufenförmigen
Unterbau massiv errichtet, nub selbst die Decke besteht
aus großen Kalksteinblöcken. Bei den größesten ist diese
Decke durch zwei Säulen int Innern gestützt. Während
alle noch vorhandenen Baulichkeiten der Lebenden in
Hierapolis den breiten Stempel der spätrömischen
Kaiserzeit tragen, schließen sich diese kleinen Häuser
der Todten mehr an Den griechischen Styl an. Mehrere
sahen wirklich ans wie kleine griechische Tempel. Andere
mit flachem, breitüberkragtem Dach erinnern fast an
Aegypten. Jnl Innern sind die meisten zu zwölf Särgen
eingerichtet, einige auch zu 18, uämlich an jeder Wand
je zweimal drei übereinander, bei vielen dann noch einer
oben auf dem platten Dach. Ein ganz eigenthümliches
Familienbegräbniß besteht nicht aus einem solchen tem-
pelartigen Hänschen, sondern ans einer mehrere Fuß
hohen, ans großen Blöcken erbauten Platform, auf wel-
cher die Sarkophage und zwei steinerne Bänke stehen.
Gewiß hat sich der Letzt-Ueberlebeude einer großen Fa-
milie diesen Ruheplatz bauen lassen, um da, umgeben
von der Asche aller seiner Lieben, zu träumen. Ich habe
am Ostersonntag lange da gesessen und in die Gebirge
im Süden geschaut, freilich nicht ahnend, wie auch mir
acht Tage später der Tod, in dessen Residenz ich hier
weilte, an das Herz greifen sollte.
Beim letzten Hinabsteigen aus den Ruinen am Oster-
sonntag Abend wandten wir unsre Aufmerksamkeit
schließlich einem ganz gesondert stehenden Gemäuer von
völlig anderer (Struktur §u. Schießscharten und vor-
springende Thürme ließen es sofort als ein Festungs-
werk erkennen, nur daß es seine Außenseite (Scharten
und Thürme) gegen die Stadt kehrte, während auf der
dem Felsen zugewendeten Seite der Mauer die Eingänge
zu den Thürmen, die Treppen zur Mauer sind. Eine
genauere Betrachtung der Mauerstruktur ergab, daß wir
an dieser Stelle das eigentliche Pambuk-Kalessi,
das Saracenenschloß vor uns hatten, das, auf einem
kleinen runden Vorsprung der Felsterrasse erbaut, seine
Geschosse natürlich gegen "die Stadt kehren mußte. Da-
mit nahmen wir von dem Ziel und Glanzpunkt unserer
Reise einen Abschied, der uns ungeachtet der Wohnung
in der elendesten der Hütten, der Härte und Kälte unseres
Nachtlagers doch schwer wurde. —
Die Geschichte von Hierapolis ist mir bis jetzt
völlig dunkel geblieben. Strabo erwähnt nur der natür-
lichen Mauern und der Dunsthöhle. Im Jahre 588
nach Christo muß es noch ein recht angenehmer Aufent-
halt gewesen sein. Denn der Kaiserliche General Phi-
lippicus, welcher abgeschickt war, um eiue Meuterei des
in Mesopotamien gegen die Perser stehenden römischen
Heeres zu unterdrücken, zog cs vor, so lauge in Hiera-
polis still liegen zu bleiben, bis sich die Ordnung von
selbst wieder hergestellt hatte. Das ist Alles, was ich
weiß. Wann und durch welche Barbarenhorde Hiera-
polis in seineil jetzigen Zustand versetzt worden, konnte
ich nicht ermitteln, liamentlich hier liicht!
Ostermontag den 6. April. Früh um 7 Uhr
brachen wir auf, unter Führung eines Juruken, der llns
den Weg zur Mäander brücke zeigen sollte. Wir ritten
über eine lveite, von: Lyons durchströmte Wiesenebene,
in welcher wir zahlreiche Jurukenlager, auch zwei feste
Jurukendörfer mit ihren Heerden von Schafen, Ziegen
nnb Kameelen trafen. Allmälig zog sich der Weg in
die Bergkette, welche den Mäander auf bem linken Ufer
einschließt, uild die der Lyons durchbrechen inuß, um in
den Mäander zu fallen. Die Gegend war stellenweise
recht hübsch. Das Hinabsteigen endlich zun: Mäander
und seiner Brücke geschah in einer durch Blitz oder Erd-
beben erzeugten Felsspalte, die mich lebhaft an das
Anna that bei Eisenach erinnerte. Die Brücke selbst
war ein elender Steg, so unsicher, daß wir nicht nur
einzeln hinüberritten, sondern daß der zweite Reiter sie
immer erst betreten durfte, wenn der erste das andere
Ufer erreicht hatte. Zwei Pferde zugleich hätte sie nicht
getragen. Als wir glücklich hinüber waren, lohnteil wir
unsern Führer ab ititb zogen den Mäander auf dem
rechten Ufer, das wir hinter Naslü verlassen, wieder
hinab, uns damit dem Bécere und Smyrna zuwendend.
Nach ungefähr einer Stunde lensten wir vom Flusse
wieder ab in die Berge, lvelche wir hellte überschreiten
sollten, ließen die dürftigen Ruinen von Tripolis
(Spuren eines Theaters uild einer Kirche, einige Säu-
leustümpfe) rechts liegeil und gelaugten um die Mittags-
stullde nach Jenidsche (Neustadt). Es ist dies ein
schlecht gebautes Türkennest, dessen Häuser keine Fenster,
geschweige denn Glasscheiben, wohl aber ganz flache
Erddächer wie in Karahissar haben. Von den letzteren
aus bellten uns die Hunde des Orts, die hier also gegen
die sonstige türkische Sitte Hausthiere zu sein schienen,
furchtbar an. Das Fremdenhalls, welches man uns
nach einigem Warten öffnete, war ganz neu und rein-
lich. Es eiithielt hinter einem hohen, verandaartig be-
deckteil Balkon zwei Zimmer mit Kamin, jedes durch ein
niedriges Gitter in eiue kleine und eine große Hauptab-
theilung getheilt. Man nlachte illis Feuer an, kochte uns
Kaffee und Eier, und wir ruhten und aßen, liegend
aus ziemlich weichen und reiiilichen Teppichen. Nachher
wollte man ilur die Eier bezahlt nehmen, den Gebrauch
der Stube nnb den Kaffee aber llicht. Wir gaben deshalb
das Doppelte des Geforderteil.
Dann ritten wir hinein in den Derbent-Paß;
dies ist eigentlich ein Pleonasmus, deiln Derbeilt heißt
schon Paß. Hier sollten wir nun nach der Ansicht un-
serer smyrrliotischen Bekannten aus dem schlechtesten
aller Wege den Hals brechen, nnb wenn das nicht, doch
sicher beraubt und ermordet werden. Der Weg war
allerdings zum Theil recht steil und an manchen Stellen
der Aufmerksamkeit einer hochlöblichen Wege - Polizei
dringend bedürftig. Aber er war an der schlechtesten
SBEWif # wna taoflff
(Sine Konsular-Reise durch das General-Gouvernement Smyrna.
345
Stelle immer noch besser, als der Weg über die Berge,
den wir von Ephesus aus am ersten Tage gemacht.
Auf der kalten Höhe angelangt, warfen wir noch einen
Abschiedsblick auf das Lykusthal mit den weitleuchten-
den weißen Felsen von Hierapolis. Dann ging es auf
einer Hochebene ziemlich lange aus glattem weichen Bo-
den durch Kiefernhaide. Bon Räubern keine Spur. Ein
harmloser Holzhauer war der einzige Mensch, der uns
begegnete. Air einer Stelle sahen lvir eine Anzahl an-
tiker, nicht türkischer Gräber, von denen auch wohl
kein Archäolog etwas weiß. Das Hinabsteigen in das
Kogamus-Thal war ganz sicher und gut, und so ge-
langteir wir denn gegen drei Uhr nach dem Dorfe Ver-
beut, dem berechireten Nachtquartier für heute. Der
Hart war aber so abscheulich, daß wir, obwohl eben aus
Tamuk kommend, uns nicht entschließen konnten, zu
bleiben, sondern, nachdem wir überlegt hatten, daß unsere
Pferde nach dreitägiger Ruhe wohl itoch einen ordent-
lichen Marsch leisten konnten, beschlossen vier Stunden
weiter zn gehen. Wir folgten dem hier noch als
kleiner Gebirgsbach erscheinenden Kogamns, sein Bett
oft durchkreuzend.
Der Weg führte zumeist durch eine enge, wilde, hoch-
romantische Schlucht von iveißem Granit, bald im Fluß
selbst, bald am Rande der Felsen. An einer Stelle hatte
sich ein abgedankter türkischer Soldat.damit.beschäftigt,
einen recht passablen Weg herzustellen, wofür er natür-
lich von uns einen schönen Backschisch erhielt. Es war,
abgesehen von dem Baba-Dag, die schönste Natur, die
wir ans dieser Reise gesehen. Es ist übrigens wunder-
bar, welche Sicherheit man allmälig auf dem Pferde
durch das tägliche Reiten genünnt. Von müde iverden
war bei mir gar nicht mehr die Rede, und eine Stelle,
wo der schmäle Pfad hoch über der Schlucht dicht am
Felsen fortführte, die ich (}tt Fuß nur mit bedenklichem
Schwindel passirt hätte, ging ich zu Schimmel in mun-
terster Laune im scharfen Galopp, um die vorausgeeilten
Mitglieder der Gesellschaft einzuholen. Allmählig erwei-
terte sich die Schlucht zum Thal, es zeigte sich eine Mühle,
dann Ackerland, die Abhänge wurden sanfter und boten
Viehweiden dar. Das Thal wurde immer breiter, der
Weg besser, das Land immer knltivirter, Weiber und
Kaffeehäuser kamen zum Vorschein, auch die schon früher
bei Aid in gesehenen, kleinen, .nach Norden offenen Stein-
häuser, die jenen unserer kohlensauren Jungfrauen in
Berlin sehr ähnlich sehen, und in denen wirklich im hohen
Sommer Wasser verkauft wird. Ilm halb Acht endlich,
nachdem wir heute den stärksten Marsch der ganzen Reise
gemacht und volle 10 Stunden zu Pferde gewesen, lang-
ten nur in Ainejöl an, wo wir in einem menschlichen
Han ein erträgliches Unterkommen fanden.
Dienstag den 7. April. Dem scharfen Ritt von
gestern verdankten wir doch einen längern Schlaf, als
wir eigentlich auf der Reise gewohnt waren, so daß wir
erst 7% Uhr von Ainejöl ansbrachen. Das Dorf ist
groß, hat eine wirkliche Moschee, und der ganze Eindruck
hier wie in der nächsten Umgebung ist der einer ver-
hältnißmäßigen Wohlhabenheit und Behäbigkeit. Die
Kaffeehäuser haben Bäume vor den Thüren, unter wel-
chen man sitzen kann. Der Weg glich einem guten Vi-
cinal-Wege in der Mark. Bei nassem Wetter wäre er
natürlich'in dem schweren Boden sofort grundlos gewor-
den, weshalb man auch nirgends Wagenspuren sah. Das
Thal erweiterte sich schnell so bedeutend, daß alle land-
schaftliche Schönheit verschwand und ich alle meine Auf-
merksamkeit dem Knltnrzustande des Bodens zmvenden
konnte. Derselbe glich mit Ausnahme weniger steinigen
Stellen dem in der Nachbarschaft von Aidin, war also
verhältnißmäßig sehr gut. Eine rationelle Landwirth-
schaft, wetcher mehr Menschenkräite zn Gebote stehen,
würde natürlich das Drei- und Vierfache ans dem Bo-
den ziehen. Und dennoch: bet einer erträglichen Ernte
müssen große Massen von Getreide positiv verfaulen,
Globus VI. Nr. 11.
während in Smyrna das Brod dreimal so theuer ist, als
in Berlin, iveil bei dem schmachvollen Zustand der
Straßen es an Transportmitteln nach den Häfen fehlt!
Und bei solchen Zuständen sprechen die englischen Zeitun-
gen von guter Verwaltung in der Türkei! Wenn am
jüngsten Tage Gericht darüber gehalten werden wird,
was hier zn Lande mit dem von'Gott gegebenen 'Reich-
thum geschehen ist, dann wird die schwerste Strafe
nicht die Türken, sondern die mit Absicht und
Bewußtsein diesen empörenden Zustand anf-
recht erhaltenden Engländer treffen. Aber das
himmlische Strafgericht würd doch noch einmal über dies
Volk hereinbrechen. Die jetzige Banmwollennoth ist wohl
ein kleiner Wink, ivas ihnen einmal blühen könnte.
Nachdem wir ungefähr eine Stunde vor Philadel-
phia den dortigen Mndir (Landrath), der ein lächerlich
großes Gefolge hatte, begegnet, (er war wohl auf einer
Stenererpressnngsreise, denn ;u anderen Zwecken wird ein
türkischer Beamter nicht mobil) langtem lvir nur 11 Uhr
in Philadelphia (türkisch Alaschehr) an. Es ist
dies ein fürchterlich enges, schlechtgebantes Nest. Tie
Straßen sind so schmal, daß ein breit mit Banmivolle
beladenes Kameel an vielen Stellen nicht passiven könnte.
Nach den schmutzigen Straßen gu sieht man nur Hof-
und Gartenmauern. Die Häuser liegen rückwärts und
haben alle Ursache sich zn verstecken, denn sie sind ans
Lehm und Holz elend zusammengeflickt. Ich habe ein
einziges Haus mit Glasscheiben in den Fenstern
gesehen. In einem andern waren die Fenster mit Pa-
pier verklebt, in welchem kleine Glasscheiben steckten.
Alle übrigen, auch unser sonst erträglicher Han, hatten
in den Fenstern nur hölzerne Gitter imb für die Nacht
Läden. Der Bazar enthielt schon wieder europäische und
zur Rührung meines Konsular-Herzens einige nürnber-
ger Waaren, erschien jedoch im Allgemeinen sehr unbe-
deutend. Alaschehr soll von 2500 türkischen und 400
griechischen Familien bewohnt sein und weder Juden
noch Armenier haben. Es soll dort 25 christliche Kirchen
und 21 Moscheen geben. Gesehen habe ich nichts
davon. Wahrscheinlich ist jede kleine offene Kapelle und
Gebetstätte mitgerechnet. Die in der Nähe des Hans
etablirten Barbiere erlaubten uns, für unsern äußern
Menschen etwas gu thun. Für unsern innern Menschen
sorgten wir durch Erstehung eines Hammelbratens, den
lvir bei einem Bäcker in seinem eignen Fett braten ließen
und mit Pilav verspeisten. Letzteres halte einige Schwie-
rigkeit, da wir außer einem Messer jeder, zusammen nur
eine Gabel und zlvei Löffel bei uns führten. Hühner
waren bisher mit der Natnrgabel zum Munde geführt
worden. Das Interessanteste an ganz Philadelphia ist
eine kleine Lakritzenfabrik und die alte, sehr lückenhafte
Stadtmauer, welche von einer dichten Besatzung von
Störchen bewacht wurde.
Mittwoch den 8. April. Um dem Peinigen durch
die Flöhe zu entgehen, stand ich lauge vor Tagesanbruch
auf und züildete die an der Wand hängende eiserne tür-
kische Lampe wieder an. Die anderen Herren schliefen
noch weiter. Als ich auf der Gallerte vor unserm Zim-
mer stand und mit meiner Toilette beschäftigt lvar, fühlte
ich plötzlich ein stechendes Brennen ans dem Kopf. Ich
nahm den Hut ab und bemerkte gu meinem Schrecken,
daß der auf meinem Hut gegen den Sonnenstich ange-
brachte weiße Turban "in hellen Flammen stand. Ich
riß ihn schnell herab, ohne selbst weitern Schaden zu
leiden und goß und trat das Feuer aus.
Um sechs Uhr ritten lvir weiter. Weg ulid Gegend
waren im Allgemeinen wie gestern, nur daß das Koga-
mns-Thal immer breiter wurde und sich schließlich ganz
sachte in das Thal des Hermus, in welchen der Ko-
gamns fließt, verlor. Die Kultur nahm allmälig ab.
Die Anwesenheit von Jnrnkenlagern lieferte den Beweis,
daß große Landesstrecken unbebaut dalagen. Einige, jetzt
mit Myrthe und Oleandergestrüpp bedeckte Stellen zeigten
I <
346
Eine Konsular - Reise durch das General -Gouvernement Smyrna.
deutlich, daß sie vor Jahren beackert gewesen waren.
Kurz, je näher wir Smyrna, dem Centrum der türkischen
Provinzialregiernug, kamen, desto deutlicher wurden die
Zeichen nationalen uird politischen Verfalls. Auch der
Weg wurde schlechter. Gegen Mittag kamen wir in ein
ganz griechisches Dorf, dessen (nach Ausweis des noch
vorhandener: Begräbnißplatzes) einst nicht unbedeutende
türkische Bevölkerung gänzlich verschwunden war.
Ilm. drei Uhr gelaugten wir nach Sardes, d. h. nach
der Stelle, wo einst die Residenz des Krösus gestanden.
Jetzt besteht das türkische Sart Kalessi aus einer als
Kaffeehaus dienenden Kavassenwache, einem Bakal, welcher
auch Fremde aufnimmt, und zwei elenden Lehmhütten.
Ans dem Hügel, wo einst die Burg von Sardes stand,
und welcher von den Unbilden des Wetters seit mehr als
2000 Jahren arg mitgenommen ist, finden sich noch einige
wenige Marrerreste, welche die zum Theil gefährliche Mühe
des Ersteigens nicht werth sind; doch ist die Aussicht
sehr schön. Ein altes Theater ist ebenfalls noch zu er-
kennen. Einige alte, dem Manerwerk liach spätrömische
Bauwerke blieben uns unerklärlich. Möglicherweise wa-
ren es christliche Kirchen, jedoch von ganz eigenthümlicher
Coustrnction. Der Zeit des Krösus gehören sie entschie-
den nicht an. Das Merkwürdigste sind, auf der andern
Seite des Burghügels, die Reste eines sehr alten
Tempels. Zwei hohe, kolossal dicke Säulen, aus Mar-
mortrommeln zusanlmengesetzt, stehen noch. Sie sind
liicht cannellirt. Dennoch tragen sie jonische Capitäle,
und die ail diesen Capitalen sitzenden kleinen Stücke des
Säulenstumpfes finb cannellirt. Wahrscheinlich sind die
Capitäle an der Küste von richtigen griechischen Bau-
meistern gearbeitet, die Säulen selbst aber von unkundi-
ger Hand au Ort lind Stelle errichtet worden. Rund
umher liegen zahlreiche Säulentrommeln lind Capitäle,
an denen lnan die kolossalen Dimensionen erkennen kann.
Die beiden noch stehenden Säulen sahen übrigens ge-
drückt aus, weil sie bis zum vierten Theil ihrer Höhe
in Schlltt und Trümmern versteckt waren. In der
Nähe hatten wandernde Jurnken ihre schwarzen Filzzelte
aufgeschlagen. Sonst war ringsherum Wald und Wiese.
O Krösus! Unser Quartier war deu Lokalitäten ent-
sprechend. Hatten wir das Konsulats-Palais in Tanmk
schnöder Weise für einen Ziegenstall erklärt, so wurden
wir in Sardes zur Strafe iu eiuen wirklichen Hüh-
uerstall gethan. Das Ding hatte zwar zwei Kamine
und einige Luftlöcher, wie bei uus die Scheuern, anch
legte man eins Matten hinein, aus die wir unsere Tep-
piche re. breiteten, aber in jeder Ecke saß eine brütende
Henne, und die edlen Thiere ließen sich durch unser Ein-
dringen durchaus in ihrer sitzenden Beschäftigung nicht
stören. Pilav, Kaffee und Huhn waren gut. Auch be-
kamen wir Milch. — Ein großer, längst verlassener tür-
kischer Begräbnißplatz, von dem jetzigen der Juruken ver-
schieden, beweist, daß auch SartKalessi ehemals eiue
uicht unbedeutende türkische Stadt gewesen ist, die aber
den: allgemeinen, mit immer steigender Geschwindigkeit
fortschreitenden Anssterben der türkischen Bevölkerung sich
nicht entziehen konnte.
Donnerstag den 9. April. So wenig einladend
auch der Aufenthalt in unserm Hühnerstall war, wir
mußten ihm doch noch eine zweite Nacht widmen. Ein-
mal nämlich wollten wir doch die Neste von Sardes
gründlich durchstöbern, und zweitens hielt ich es für
meine Pflicht, die in der Nähe liegenden lydischen
K.önigsgräber zu besuchen. Wir ritten also unter Zu-
rücklassung des Dragomans gegen 10 Uhr von dannen.
Hassan inachte den Führer, da er seiner Zeit bei Herrn
Spiegelthal Kavaß gewesen war und als solcher den
Ausgrabungsversuchen des genannten Herrn beigewohnt
hatte. Zuerst passirten wir ein festes Jnrnkendorf, in
dessen Nähe die Felder sehr gut bestellt waren, dann den
Hermus, in welchem unsere Pferde fast schwimmen muß-
ten, dann eine weite, sumpfige, mit Jurukenlagern und
Heerden bedeckte Ebene, auf welcher wir wiederholt von
unseren Hetzpeitschen gegen die Hunde Gebrauch machen
mußten. Endlich gelangten wir zu einem langen schma-
len Höhenzug, auf welchem sich die berühmten lydischen
Königsgräber befinden. Ich sah eine Anzahl von min-
destens vierzig künstlich aufgeschütteten kreisrunden, halb-
kugelförmigen, zum Theil wunderbar regelmäßigen Hü-
geln, von welchen der niedrigste nicht unter 30, der
höchste 200 Fuß hoch ist. Einer von den beiden höchsten
ist der Alyattes - Hügel, in welchem Herr Spiegel-
thal gegraben hat. Daß er nichts gefunden, ist aller-
dings nicht seine Schuld, denn der Hügel war schon früher
geöffnet worden. Ich konnte mich anfangs nicht über-
zeugen, daß dieser Hügel ein Werk von Menschenhand
sei. Erst als ich hineinkroch, überzeugte ich mich davon,
denn man kann ganz deutlich die einzelnen Lagen ver-
schiedener aufgekarrter und festgestampfter Erde unter-
scheiden. Das Nähere über die Aufschüttung dieses Hü-
gels und die Thätigkeit der verschiedenen gesellschaftlichen
Klassen dabei mag man im Vater Herodot nachlesen.
Oben auf dem Hügel liegt noch der Marmorknopf, der
genau so geformt ist, wie bei uns der Knopf einer Käse-
glocke, mit welcher die sämmtlichen Hügel übrigens der
Form nach eine frappante Aehnlichkeit haben. Vor der
Höhe des Alyattes-Hngels sieht man auch einen kleinen
Land see.
Freitag den 10. April. Ans immer schlechterm
Wege zwischen spärlich bebauten Feldern ritten wir
heute gen Cassaba, der letzten Stadt vor Smyrna.
Die Gegend war stellenweise recht hübsch. Cassaba selbst
ist specifisch türkisch; seine türkische Einwohnerzahl erhält
sich stets auf gleicher Höhe, wegen der Zuwanderung der
sich fortwährend aus Smyrna dorthin zurückziehenden
türkischen Familien. Die griechische Bevölkerung nimmt
sogar ab, weil die Griechen Smyrna, als den Mittel-
punkt alles Schwindels und Betrugs, und wegen des
mehr griechischen Charakters der Stadt, vorziehen. Die
Straßen sind eng und schlecht gebaut, mit einem
Moddergraben in der Mitte; die Moscheen be-
reits nach der Schablone von Coustantinopel, achteckig
mit Kuppel, gebaut. Der Bazar ergab dasselbe Resultat
wie in A'ldin, nur in kleinerm Maßstabe. Der Han
war gut und hatte sogar Glasscheiben in den Fenstern.
Dagegen machte sich die Nähe der Civilisation von
Smyrna auch in anderer weniger erfreulichen Weise gel-
tend. Das Essen war schlechter, als auf der ganzen
Reise, beinahe so schlecht, wie in meinem Hotel in Smyrna,
und dafür forderte man uns schweres Geld ab! Der
Handschi war ein Christ; damit ist in diesen Ge-
genden Alles gesagt! Seine Spitzbüberei sollte ihm
aber nicht glücken. Als Verhandlungen nichts halfen,
stiegen wir zu Pferde, und ich ließ ihm sagen, er würde
das, was ihm zukäme, durch den Gouverneur von
Smyrna erhalten. Das Geld wäre natürlich ganz im
hiesigen smyrnaer Konak geblieben, und der Gastwirth
hätte höchstens die Bastonade bekommen. Dies begriff
der Mann auch und begnügte sich mit einem Viertel
seiner Forderung, dem Doppelten dessen, was Recht war.
Sonnabend den 11. April. Wir brachen früh
auf, denn wir hielten die Entfernung von Smyrna für
größer, als sie ist. Der Boden blieb gut, aber an der
steigenden Größe der wüsten Strecken, an dem immer
fchlechter werdenden Wege merkten wir, daß wir uns
Smyrna näherten. Einen kleinen Fluß durchritten wir
neben einer stattlichen, aber mit den Ufern nicht mehr
in Zusammenhang stehenden Römerbrücke, ließen weit
links die Berge von Rymphi, wo das Sesostris-Denkmal
ist, liegen, und als der Weg bei einem Kavassen-Kaffee-
hause anfing, lebensgefährlich zu werden, sahen wir das
Thal von Smyrna und das Meer vor uns. Schon drei
Meilen vor Smyrna, lange, ehe wir die Stadt erblicken
konnten, hatte uns der warme, weiche Seetvind getroffen,
und als unsere Pferde ihn merkten, waren sie kaum mehr
Karl v. Koscritz: Die Lagöa dos Patos in Südbrasilien.
347
zu halten. In Burnabat, dem Charlottenbnrg Smyr-
na's, verloren mir durch eine Dummheit des Dragomans
erst unser Packpferd, und als wir dies wieder hatten,
ihn selbst.
Gegen vier Uhr rückten wir in Smyrna ein, gerade
14 Tage nach unserer Abreise, jetzt nicht wie Comödian-
ten, welche Räuber dargestellt, sondern wie wirkliche
Strauchdiebe aussehend, aber gesund und vergnügt, und
vollständig befriedigt von dem gelungenen Unternehmen.
Nach einer Stunde erschien auch der verlorene Dragoman
in meinem Hotel, ließ sein Pferd ohne Aufsicht in dem
einen öffentlichen Durchgang bildenden Hofe und warf
sich auf's Sopha. Das Pferd wurde natürlich sofort ge-
stohlen, jedoch von Hassan nach einigen Tagen wieder anf-
getrieben. Das Konsulat fand ich in der schönsten Ord-
nung. Abends erzählten wir der im Kaffeehause ver-
sammelten deutschen Gesellschaft ein heftiges Pistolen-
und Säbelgefecht mit einer Räuberbande, bei welchem ich
die Rettung meines Lebens nur dem außerordentlichen
Heldenmut!) meines Dragomans verdankte. Man glaubte
sie aber nicht und that wohl daran. Der Leser aber
wird gebeten, diesem Beispiel nicht zu folgen, sondern
dieser durchaus wahrhaften Rcisebeschreibung vollständigen
Glauben zu schenken. ' v. B.
D i e Lagoa dos P a t o s in S ü d b r a s i 1 i e n.
Von Karl v. Koseritz in Porto Alegre.
Als im Jahre 1510 der spanische Kapitain D. Joao
Dias de Solls auf seiner Exploration der brasilianischen
Küste vom Amazonen-Strom bis zum La Plata (damals,
nach ihm, Rio Solis genannt) zum ersten Male mit
seinen leichten Caravellen durch die seichte Einfahrt des
Rio Grande do Sul in den großen Salzwasser-Binnen-
see schiffte, an dein heute die blühenden Städte Rio
Grande do Sill und Porto alegre liegen, benannte
er ihn die Lagoa dos patos, d. h. der große Enten-
see, und die charakteristische Eigenschaft, welche damals
dem See seinen Namen erwarb, ist noch heute vorhanden.
Noch heute ist diese Lagnna, ihres ungemeinen Reich-
thumes ail Wasservögelu halber, eine merkwürdige Na-
turerscheinung, uild die unzähligeil Schaaren Vögel aller
Art, welche das Auge des Reisendeil überraschen, bieten
dem Ornithologen ein weites und ergiebiges Feld für
sein Studinin.
Der „Enteilsee" liegt zwischen dem 30. und 33. Grade
südlicher Breite und hat 46 Meilen Länge bei 10 Meilen
Breite. Mit dem Atlantischen Ocean verbindet ihn ein
natürlicher Kanal von zwei Meilen Länge und einer
Meile Breite. Man hat denselben unpassend Rio Grande
do Slil genannt und lnithin als Fluß klassifizirt. Die
Einfahrt'dieses Kanals, die „Barra do Rio Grande", ist
eine der gefährlichsten Passagen für Schiffe, nicht nur
wegen ihrer großen Seichtigkeit (die im Fahrkanal selten
mehr als 15 bis 16 Spannen Wasser läßt), sondern auch
der vielen beweglichen Sandbänke halber, die der Flug-
sand dort täglich bildet. An der Einfahrt stehen ein guter
eiserner Leuchtthurm und ein Signalthnrm, um die herum
sich die Wohnungen des Lootsenkommandanten und seiner
Untergebenen befinden; dort liegt auch die Kaserne der
Zollwächter. Auch eine hübsche kleine Kapelle, der „lieben
Frau der Schifffahrt" gewidmet, erhebt sich dort auf den
Sandhügeln des Ufers. Von der Barra nordwärts er-
streckt sich der wüste und sandige Küstenstrich des Al-
bardao, auf dessen Bänken alljährlich manche Schiffe
stranden, und dessen glücklicherweise nicht zahlreiche Be-
wohner zum größten Theile wilde Strandräuber sind.
Ein Fahrzeugs welches glücklich über die Barre gekom-
men ist, wird die Binnenküste entlang vom Schleppdampfer
bugsirt bis zum Hafen von Rio Grande.
Die Küsten bieten einen traurigen Anblick; man sieht
nichts als Sand und hie und da einige ärmliche Häuser.
Endlich gelangt man in den Entensee, an dessen sandigem
Ufer, zwischen hohen Hügeln gleichsam verloren, die kleine
Stadt Sao Jose do Norte liegt; ihr gegenüber auf
einer schmalen und sandigen Erdzunge erhebt sich die
Stadt Rio Grande mit ihrem geräumigen Hafen.
Rio Grande, der bedeutendste Handelsplatz Südbra-
siliens, zählt heute 14 bis 15,000 Einwohner und sein
Verkehr ist sehr bedeutend; im Jahre 1862 liefen in seinem
Hafen 207 europäische Schiffe und 1182 Küstenfahrer
ein. Die Ausfuhr nach Europa und den Vereinigten
Staaten betrug in demselben Jahr 2,171,338 Dollars,
und die Ausfuhr nach Häfen des Kaiserreiches stieg ans
2,051,045 Dollars. Die Einfuhr überseeischer Artikel
betrug 2,505,073 Dollars, wovon allein auf Hamburg
303,289 Dollars kommen.
Der Stadt Rio Grande gegenüber, hinter einer etwa
drei Meilen langen und eine halbe Meile breiten, sehr
fruchtbaren Insel, Jlha dos Aiarinheiros genannt,
erstreckt sich die Lagoa dos Patos; sie wird von zahl-
reichen Dampfern und Hunderten von Segelschiffen durch-
furcht. Am nördlichen Ende des Sees unter dem 30. Brei-
tengrade liegt die blühende Stadt Porto-Alegre, Sitz
der Provinzialregierung und des Bischofs; diese reizende
Stadt, welche an der Mündung des Ja cu Hy in den See liegt,
bietet ein herrliches Panorama und zählt 22,000 Einwohner,
unter denen sich nahe au 3000 Deutsche befinden. Ihr
nahe liegt die blühende Ortschaft Sao Leopolds, wo
18,000 wohlhabende, zum Theil sogar reiche deutsche
Kolonisten wohnen.
Doch mir kehren zum Entensee zurück. Fünf Meilen
von Rio Grande öffnet sich nach Südwesten hin ein
anderer schiffbarer Kanal von 16 Meilen Länge, Rio
Sao Gonzalo genannt, an dessen Ufern die hübsche
und geräumige Stadt Pelotas mit ihren Salzfleisch-
fabriken liegt. Der Rio Sao Gonzalo, der auch nnr
ein natürlicher Kanal und kein Fluß ist, verbindet den
„Entensee" mit der Lagoa Mirim (mirim bedeutet
in der Guarani-Sprache klein), welche sich nach Süden
hin in einer Länge von 25 Meilen bei einer Breite von
sechs Meilen erstreckt itnb ebenfalls schiffbar ist, jedoch,
als Grenze mit der Banda Oriental (Republik Uruguay),
nicht befahren wird, um die Schmuggelei zu vermeiden,
die ohnehin schon stark genug ist. In ihrer Nähe liegt
die blühende Stadt Jagoa'rao', die als Grenzort be-
deutend ist und stets eine stacke militärische Besatzung hat.
So viel über die topographischen Verhältnisse der
Lagoa dos patos; gehen wir nun zu ihrer Beschreibung
über. . Der See hat Salzwässer, und in der Nähe von
Rio Grande, sowie überall in der Nähe der Küsten, ist
er seicht; weiter nach der Mitte zu jedoch kann er von
den größten Schiffen befahren werden, die von Rio Gran de
nach Porto alegre, Pelotas und Jagoarao gehen. In
ihm liegen viele kleine, unbewohnte Inseln, und'auf einigen
derselben stehen Leuchtthürme, die hier sehr nöthig sind.
44*
343
Aus allen Erdtheilcu.
Brasilianische Kriegs- und Passagierdampfer durchschnei-
den die Lagöa nach allen Richtungen und geben ihr einen
belebten Anblick; was jedoch den See am interessantesten
macht und ihm ein ganz charakteristisches Ansehen giebt,
das sind eben die ungemein vielen Bögel, die ihn beleben
und denen er, wie schon bemerkt, seinen Namen „Enten-
see" zu danken hat.
Der See bietet, namentlich am frühen Morgen, ein
gar merkwürdiges Schauspiel. Ich habe es oft genossen,
und die Frühslnnden, die ich auf der Lagoa zugebracht
habe, zählen unter die schönsten meiner Reiseerinnerungen.
Ost treibe ich hinaus im leichten Nachen nur von einem
viereckigen Segel getrieben, lange vor Sonnenaufgang,
so daß'ich mich bereits mitten im „Entensee" befinde,
wenn int Osten die goldige Kugel heraufsteigt und Him-
mel und Wasser in ihrem rosigen Glanze verschmilzt.
Der Nachen tanzt leicht über die Wellen von Insel zu
Insel, und stundenlang ruht die Flinte unberührt neben
mir, denn das herrliche Schauspiel läßt mich immer voir
Neuem den Zweck meiner Fahrt, die Jagd, vergessen.
Tausende von Wasservögeln, von schönen und seltenen
Arten, schweben in der Luft, schwimmen auf dem Wasser
oder stolziren am Ufer der kleinen Inseln umher. Ueber
uns lviegen sich in der frischen Morgenluft leichtbeschwingte
Möven und ziehen dahin ganze Schaaren von rosenfar-
bigen Löffelgänsen, von wilden Enten und Gänsen, von
langschnäbeligen Ma^aricos und mächtigen Socös. Die
dem Schwane ähnlichen Capororocas (welche dem See
ausschließlich angehören) mit ihrem glänzend weißen Ge-
fieder, die großen Hermelinenten, deren Haut gegerbt
wird, die vielen Arten von langhälsigen Tauchern, und
viele, viele andere Vögelarten wiegen sich in großen Han-
sen auf der Fluth und bedecken das Wasser. Mein
Schifflein streicht an ihnen vorüber, und krächzend und
schreiend erheben sie sich in die Lust, welche sie verdun-
keln, um nahebei wieder sich zu senken. Und am Strande
der kleinen Inseln schreiten riesige Myktersen einher,
Marabnts mit schwarzem Kopfe, riesige Strandläufer,
mächtig große Ma^aricos, zierliche Reiher, Weihen und
allerhand glänzende geflügelte Wasservögel.
Es ist ein seltsames, fast unbeschreibliches Schauspiel.
Wie manche, noch unbeschriebene Arten von Vögeln mö-
gen auf dem Entensee vorhanden sein? Noch hat sie kein
Ornithologe erforscht, denn die, welche es versucht haben,
sind von der Größe der Arbeit zurückgeschreckt. Und alle
diese Vögel legen merkwürdiger Weise ihre Eier zusam-
men, auf einer kleinen Insel mitten tu dem See, welche
deshalb Jlha dos ovos (Eierinsel) genannt wird. Dort
legen sie tausende von Eiern, welche dort ausgebrütet
werden und eine stets wachsende Menge von Vögeln hervor-
bringen; denn der Brasilianer, träg wie er ist, denktgar nicht
daran, diese Unmenge von Vögeln durch die Jagd zu
verringern und ihre Federn wenigstens als Verkaufs-
artikel in den Handel zn bringen. Der weiche Flaum
der Capororoca (die zn vielen Hnnderttausenden auf der
See vorkommen) unb der des Pato arminho-(derHermelin-
Ente) ist eben so fein, wiediebesten Eiderdunen, und würde
in Europa hoch bezahlt werden. Doch der Brasilianer
denkt nicht daran, und wir Fremde schießen nur ab und
zu, aus Jagdliebhaberei, einige wenige Vögel. Unsere
armen deutschen Jäger, die daheim einen ganzen Tag im
Wasser waten, nur eine oder zlvei Enten aufzufinden,
würden sich bedeutend verwundern, wenn sie einmal ans
dem Entensee jagen könnten, wo ciir einziger Jäger in
einem Morgen einen ganzen Nachen mit den schönsten
und seltensten Vögeln füllen kann.
Auch an Fischen aller Art, vom großen Springer, der
oftvierund sünfFußlangwird, bis zum Silberhecht, Königs-
fisch genannt, giebt es alle, in den südlichen Gewässern
heimische Zwischenarten von Fischen, die von hunderten
von Fischern in Netzen gefangen, oder auch, wie die Lin-
guados (eine Art von Scholle, die jedoch oft zwei Fuß lang
und eben so viel Fuß breit ist) harpunirt werden. Der
Fischmarkt von Rio Grande ist deshalb reich versehen
mit Fischen aller Art, mit Krabben, Krebsen rc. Es ist
wirklich ein selten reiches und gesegnetes Wasser, dieser
salzige Binnensee Südbrasiliens!
Aus allen
Adolf Bastian über das alte Kambodscha und die
Ruinen von Ongkor. Als der Aufsatz, den wir neulich über
diese merkwürdige Trümmerstadt nach Mouhots Angaben
mittheilten, eben' die Presse verlassen hatte, kam uns im Athe-
näum vom 2. Juni ein Bericht unsers Freundes Adolf
Bastian zn Gesicht. Dieser unermüdliche Reisende und aus-
gezeichnete „Menschenforscher" durchwandert seit einigen Jah-
ren die Hinterintische» Länder, in denen namentlich für die
Ethnographie noch so Vieles zu thun ist. Nach seiner Rück-
kehr dürfen wir von dem rüstigen Naturforscher eine reiche
Ausbeute hoffen.
Bastian schreibt unter dem 4.April l86i aus Saigong,
daß er vor einigen Wochen von einer Wanderung zu den Ruinen
Cambodscha's heimgekehrt sei,und gibtMitiHeilungen, durchweiche
jene Mouhots ergänzt werden. Man spricht, so sagt Bastian,
viel von jenen „geheimnißvollen" Ruinen; mir aber erscheint
es am Merkwürdigsten, daß sie bis vor Kurzem den Reitenden
und Orientalisten veiborgcn geblieben sind. Ein alter Schrift-
steller, de Mancanedo, bemerkt, daß während seines Auf-
enthalts in Cambodscha, 1570, die Diener des Königs durch
Zufall tief im Wald die Ucberreste einer ungeheuern Stadt
entdeckt hätten; dieselben seien mit Skulpturen von Fabel-
thieren geschmückt und enthielten Inschriften, die Niemand
lesen könne. Er nannte diese Stadt Angcor, und Ankhor,
oder richtiger Nakhon (das indiche Raghara), ist der
Name dieser Trümnter, welche erst vor eilt paar Jahren wie-
E r d 11) t i 11 ii.
der aufgefunden wurden, nachdem sie einige Jahrhunderte
laitg in Vergessenheit gerathen waren. Doch das darf kaum
Wunder nehmen, wenn wir bedenken, daß man bis vor Kur-
zem von derGeographie Eambodscha's soviel wie Nichts wußte
und kaum den'Namen des großen Sees (des Tu li sa p)
kannte, der jetzt für die Wissenschaft eine so reiche Ausbeute
gibt. —
Die Landesgcscknchte schweigt völlig über diese Ru tuen,
die au Pracht und Ausdehnung einen Vergleich mit allen an-
deren der Welt nicht zu scheuen haben. Die Eingeborenen leiten
sie von den Göttern her. Phra in (der Indra der bramini-
schen Mythologie), so sagt die Legende, schickte deit Phra-
Phryttakam oder Viisauukam, damit er den Palast erbaue
und für einen seiner zahlreichen Söhne herrichte, welche er
mit einem irdischen Weibe gezeugt. Die übrigen Götter näm-
lich wollten diesen halb irdischen, halb göttlichen Sprößling
im Himmel nicht dulden, und sein göttlicher Vater suchte tl>u
dadurch zn trösten, daß er ihm auf Erden eilten Palast bauen
ließ, und zwar ganz nach dem Muster des himmlischen Palastes.
Andere dagegen wollen wissen, daß der Nakhon Wat nur
dem Stallgebände nachgebildet worden sei, in welchem Era-
waddi, Jndra's Lieblingselephant, steht; darauf kommt jedoch
nicht viel an, weil in Hinterindien die Ställe für die weißen
Elephanten nicht selten den Königspalästcu gleichen. Vitsa-
nukam (nach siamesischer Aussprache) ist Wiswakarma, der
indische Gott der Baumeister und sitzt als solcher auch in der
Aus allen Erd theilen.
349
Baumeistergrotte zu Ellora. Demnach kaun die Aehnlichkeit
der Skulpturen von Kailasa mit den cambotsichanischen, welche
gleichfalls Scenen ans dem Ramayana, die Avatars Wischnn's
und andere brahnnnische Gottheiten darstellen, nicht überraschen.
Hier wie dort finden wir Spuren heller Farben und von
Vergoldungen, mit welchen mau die Statuen der vielgestaltigen
Götter mit derMenge von Armen und Beinen schmückte; aber
hier sind sie nun ihrer Zierrath entkleidet unb stehen einsam
und verlassen da.
Ans der höchsten Plattform des mittlern Thurmes (Glo-
bus VI, S. 271) sitzt die Gestalt Bnddha's. Als der große
Patriarch Buddhagosa mit seinem Schwarme von Mönchen
in diesen prangenden Tempelpalast einzog, in welchen: schon
manches Königsgeschlecht gethront hatte, wurde der alte klassi-
sche Name In t h a p a t t a b u r i abgeschafft und in Na k h o u W a t
umgeändert, d. h. Stadt der Mönche. Um den 'Namen
Buddhagosa's conceutrirt sich eigentlich die ganze Literatur
Hinterindiens; er ist für Barma und Siam, für Laos und
Cambodscha gewissermassen ein Ulfilas; denn er brachte die
heiligen Bücher des Trai Pidok aus Ceylon, wo er sic in die
Sprache Magadha's übersetzt hatte, und ihm schreibt man die
Einführung der Palibuchstaben zu.
Aber die älteste Art der Inschriften im Nakhou Wat und
namentlich auch jene im Nakhon Tom, d. h. der noch weit
ältern Köuigsresidenz, sollten ans einer über Buddhagosa's Zeit
hinausreichenden Periode stammen und werden in Verbindung
gebracht mit dem berühmten Nag a se n a oder N a gar d s ch un a,
mit der alten Form des buddhö - siwaitischcn Schlangenknlius,
der ans Java bei den Budschanga- Brahminen galt. Er spielt
eine wichtige Rolle iu der buddhistischen Literatur.
Dit heutigen Cambodschaner erklären, daß die Inschrif-
ten nicht zu entziffern seien. Aber die Buchstaben ähneln jenen
des Pali, obwohl sie eine alterlhümliche Form haben und die
Wörter zumeist von. den jetzt gebräuchlichen abweichen. Viel-
leicht wird von der einen oder andern Inschrift irgend eine
geschichtliche Thatsache erwähnt, welche sich ans diese Denk-
mäler bezieht. Die geschriebene Geschichte Cambodscha's läßt
uns völlig im Stiche; sie beginnt erst uiit der Zeit, in welcher
die Könige erst die neue Residenz Bas an oder Panompen
und nachher Lawek bezogeit. Damals brachen die Siamesen
aus ihren Bergen hervor, fielen in das fruchtbare ebene Land
ein, und die Könige zogen in die durch Sümpfe geschützte Re-
gion au dem großen See. Der königliche Bibliothekar in
Udong ging mir an die Hand, als'ich Auszüge aus den
neueren Chroniken von Cauibodscha machte, und' bedauerte,
daß er mir ältere nicht zur Verfügung stellen könne; diese
seien alle zu Grunde gegangen, theils durch Feuer,
theils in den verheerenden Kriegen; ich aber glaube, daß
hauptsächlich das zerbrechliche Material (Palmblätter) die Schuld
trägt. Die Geschichte von Siam, und besonders auch jene von
Barma, reicht tu weit höhere Zeiten hinauf. Allerdings ent-
halten auch sie viele Fabeln und Widersprüche, haben aber
trotzdem einen gewissen Werth. Ich habe in Mandelay und
in Bangkok Abschriften genommen und bin durch Kritik schon
zu einigen Resultaten gelangt, indem ich sie mit den vergleich-
weise zuverlässigeren Chroniken von Tontin und Cochinchina
verglich. Barmanischen Quellen zufolge kann Nak-
hon Wat nicht vor dem fünften Jahr h n n d e r t
unserer christlichen Zeitrechnung gebaut worden
sein, und ans siamesischen Berichten ergibt sich, daß sie nicht
nach 1337 fallen. Weitere Nachforschiingen'werden zu genaueren
Angaben führen.
Die eingeborenen Geschichtschreiber schildern mit kkeber-
schwänglichteit die Regierung des großen Königs Prakrama
von Ceylon, der im Jahre 1170 einen Kriegszug gegen Cam-
bodscha und Aramana (d. h. das Land an der Küste von Arra-
kan bis Cambodscha) unternahm. Das war in einer Zeit, da
die Siamesen sich noch nicht von den übrigen Schau-Völkern
getrennt hatten. Er besiegte die Cambodschaner, nahm ihre
Hauptstadt ein, entthronte mehrere Könige, und sein ceylonesi-
sches Reich umfaßte zugleich das südliche Vorderindien, die
Gestaderegionen am siamesischen Golf und Camtodscha. Aber
von alle dem weiß das Bolk in diesem Lande eben so wenig
wie das Volk ans Ceylon; jedoch die Thatsachen sind richtig,
Prakrama baute viele Tempel und ließ Künstler ausJndie» holen,
die mit sarazenischer Banart bekannt waren. Man bemerkt
mohammedanische Einflüsse an den schlanken, minaret-
artigen Säulen an manchen Eingangslhürcn des Rathen Wat,
an den gewundenen Fenstersäulen und an den späteren Bau-
werken von Basek, Patentaphrohm rc. Von ihm rühren die
gewaltigen Teiche und Wasserleitungen her, ebenso verdankt
ihm der künstliche See von Sasong, eine Tagereise von
Nakbon Wat entfernt, sein Entstehen. Cambodschanische Boots-
leute haben mich versichert, daß amThalesab (Tuli sap) unge-
heure Userbautcn vorhanden seien. —
Bastian bat Kopien von Inschriften zu Nakhon Wat
genommen. Anstalt für ein Datum fand er nur aus einer
Tafel aus dem Jahre 1623. Ueberhanpt gehören sehr viele
Inschriften den späteren Jahrhunderten an.
Ein chinesischer Offizier, welcher 1295 Cambodscha bereiste,
entwirft folgende Schilderung von Ongkor:— Die Hauptstadt
hat fünf Doppelthore; das Hanptthor hat zwei Eingänge;
jenseit der Thore ist ein großer Graben; von diesem ab gehen
Verbindungswege nach den großen Brücken. Auf jeder Seite
der Brücke standen 54 stei ente Götterbilder, sehr groß und
mit drohendem Antlitz. Tie fünf Thore sahen einander gleich;
die Brückenpfeiler waren von Stein und mit Schlau.enbildern
verziert; jede Schlange hatte nenn Köpfe; jede der 54 Statuen
hielt eine Schlange in der Hand. Ueber den Thoren sah man
große steinerne Brustbilder Bnddha's; jedes Brustbild hatte
fünf Köpfe und schaute gen Westen, das in der Mitte trug
einen goldenen Kopfschmuck. An jeder Seite des Thors stand
ein ans Stein gemeißelter Elephant. Der Königspalast liegt
etwas nördlich vom Thurm und der goldenen Brücke; der
vordere Theil ist mit Blei, das klebrige in.it gelben Ziegeln
gedeckt.
Die Pfahlbauten'in Mecklenburg. Der Gegenstand ist
von so erheblichem Interesse und von so großer Tragweite,
daß wir es für angemessen halten» die Notizen über die Pfahl-
bauten, welche nun in so überraschender Menge gefunden
werden, so wie wir sie finden, mitzmheilen. Späterhin wird
sich die Gelegenheit ergeben, den Gegenstand im Zusammen-
hange zu erörtern und eine Uebersicht der Ergebnisse mitzu-
theilen.
Ueber die Pfahlbauten in Mecklenburg hat Archivrath
Lisch an Professor Rütimäyer in Basel ein Sendschreiben
gerichtet, dem wir Folgendes entlehnen:
Im Mai 1d64 eindeckie Hr. Büsch eine große Pfahlbau-
anlage in einem Torfmoor bei Wismar, in der Nähe
des Stadtgutes Müggenburg. Hier liegt noch der ganzePsahl-
bau der Steinperiode mit allen dazu gehörenden Alter-
thümern in sehr großer Zahl. Das ausgedehnte Moor bei
Wismar ist ungefähr 16"Fnß tief. In 'der Tiefe liegt ans
Thon eine 10 Fuß dicke Schicht von wasserhaltigem, jedoch
festem, torfartigem, schwarzem Moder. Bis zur Höhe dieser
untersten Schicht, welche in uralten Zeiten den Spiegel eines
Sees gebildet haben wird, reiche» die Pfähle der Pfahlbauten,
und innerhalb der Pfahlringe und neben denselben liegt ans
dem Grunde der gesammte Hansrath der ehemaligen Bewoh-
ner. Diese unterste Moder- oder Pfahlbautenschicht wird von
einer ehemaligen Rasenschicht von etwa 1 Fuß Dicke bedeckt,
welche nichts enthält. Aus dieser Mittelschicht, welche schon in
grauer Vorzeit die im tiefen Grunde stehenden Pfahlbauten
mit Vergessenheit verhüllt hat, ist eine reine Torfschicht von
etwa 5Fnß Dicke gewachsen. Um zur Eikenntniß eines Pfastl-
banes zu kommen, mußte die ganze Moder- und Torfmasse
bis zur Tiefe von 16 Fuß bis auf den Grund ausgegrasten
werden, was bei dem stark andrängenden Grundwasser und
den langen heftigen Regengüssen in der ersten Hälfte des
Monats Juli große Schwierigkeiten hatte. Am 6. Juli und
in den folgenden Tagen lag aber das Pfablwerk eines
runden Hauses von ungefähr 14 bis 16 Faß Durchmesser
klar frei. TiePfäble von Eichenholz sind jetzt etwa 10 Fuß
hoch und 6 bis 7 Zoll dick, und stehen gegen 2 Fuß weit von
einander entfernt. Das Holz ist schwarz und von dem Moder
schwer zu unterscheiden; es ist beim Aufdecken weich wie Mo-
der^ und zerbricht oft bei der geringsten Berührung, jedoch
erhärtet cs wieder an der Luft. Auf den jetzigen oberen Rasen-
decken des Moors liegt außerordentlich viel Holz von diesen
schwarzen Pfähle», welche hier in seor großer Anzahl gestan-
den haben. In und bei dem oben erwähnte» runden Pfahl-
fundament sind in kurzer Zeit bis jetzt schon außerordent-
lich viele Alterthümer der Steinzeit gesunden, viele
Pfählte von Eichenholz, einige auch an der Oberfläche verkohlt,
14 Keile ans Feuerstein, 2 Schmalmeißel aus Feuerstein,
1 Säge aus Feuerstein, 4 angearbeitete Feuerstciiiblöcke zu
Gereichen, 10 Feuersteinspäne zu Messern, viele Splitter und
Stücke von Feuerstein, 1 Streitaxt aus Diorit, 2 ausgei'chiis-
sene schöne Schleifsteine ans altem rothen Sandstein, 2 kugel-
förmige Reibsteine ans feinkörnigem Granit und allem Sand-
stein, 1 linsenförmiger Glättsicin aus Thonschiefer, 1 runde
Mühlsteinplatte ans Lava, viele Gefäßscherben, Holzkohlen,
viele vollständige Haselnüsse, viele vollständige und angeaibei-
350
Aus allen Erd theilen.
tete Hirschgeweihe, abgehackte Hirschhornenden zu Gerathen,
außerordentlich viele zerhackte und gespaltene Thierknochen,
Rehgeweihe, Stierhörner, Schafhörner, viele Thierzahne der
verschiedensten Art, ganze Schädel von kleineren Thieren, z. B.
ein Hundeschädel und ein Biberschädel, und Anderes. Beim
Fortschritt der Torfarbeit im jetzigen Jahre und in den künfti-
gen Jahren werden die Alterthümer sich ohne Zweifel sehr meh-
ren, da es scheint, als wenn die Grabung erst bis gegen die
Mitte der runden Pfahlfnndamente vorgeschritten sei.
Pfahlbau-Alterthümer in Mähren. In Anschluß an
die Mittheilungen über Pfahlbauten an den Seen der Schweiz
und Bayerns, und namentlich als Erwiederung auf Professor
Desors Bemerkung: „nur Oesterreich fehle noch bei den Ent-
deckungen", gibt Herr L. H. Jeitteles, Gymnasiallehrer zu
Olmütz, in der „Oesterreichischen Zeitung" folgende Ausschlüsse:
Oesterreich, sagt er, fehlt keineswegs bei diesen Untersuchun-
gen. Die Seen des Salzkammerguts zwar haben die geheim-
nißvollen Schätze, welche sie in ihrem Schooße und an ihren
Ufern ohne Zweifel bergen, noch nicht zu Tage gefördert (hof-
fentlich wird auch dieser Schleier bald gelüftet sein); dagegen
gelang es dem Verfasser dieser Zeilen, Trümmer ältester mensch-
licher Ansiedlungetr mit zahlreichen Resten einer untergegan-
genen Thierwelt in Mähren aufzufinden. Diese bilden'zu-
gleich das erste Beispiel von Flußbauten, während
man bisher nur Seebauten kannte. Bereits im Spätherbst
1858 war der Berichterstatter so glücklich, Reste aus gestor-
bener Ochsen- und Hirschärten, welche ganz un-
zweifelhafte Spuren menschlicher Bearbeitung an
sich trugen, im Weichbilde der Stadt Troppau aufzufin-
den. Obwohl von der außerordentlichen Wichtigkeit des Fundes
überzeugt, welche Ueberzeugung er auch mündlich und schrift-
lich schon damals gegen mehrere Fachmänner aussprach, war
er doch nicht im Stande, diese Entdeckung weiter zu verfolgen.
Seit 1862 in Olmütz, wendete er seine Aufmerksamkeit fort-
während diesem Gegenstände zu. Ungeachtet er manche vergeb-
liche Reise deshalb'unternommen, gelangte er doch zu Ende
des vorigen Jahres zu der Ueberzeugung, daß im Norden
von Mähren Pfahlbauten - Reste vorhanden sein
müss en.
Große Hoffnungen, wenigstens einige sichere Andeutungen
zu erhallen, setzte er auf die Ende Mai begonnenen Arbeiten
zur Legung der Gasröhren in der Stadt Olmütz. Und diese
Hoffnung hat sich auch wirklich völlig bewährt. Seit etwa
vier Wochen wurden in der obersten Decke der bei diesen Ar-
beiten entblößten Moorschicht von mir selbst, von meinen
Schülern und von den Arbeitern zahlreiche Knochen, Zähne
und Gebisse von Thieren nebst Arbeiten menschlichen Kunst-
fleißes ans Bein, Stein, Bronze und Eisen aufgefunden.
Riesige Zähne vom Wildeber und zahllose Reste des Haus-
schweins, Knochen und Zähne vom Ur- und Hausrind, vom
alten Pferd, von Hirschen und Rehen und anderen Wieder-
käuen! (wie es scheint, sind auch Rennthier-Reste dabei); vom
Hund und von vielen anderen kleineren und größeren wilden
und zahmen Thieren fanden sich viele; ja die meisten der Röh-
renknochen waren in jener charakteristischen Weise der
Länge nach zerspalten, wie sie Rütimeyer von den
schweizer Pfahlbanresten beschreibt; unsere Urväter benützten
nämlich auch das Mark dieser Knochen zur Speise. Eben so
finden sich sehr viele Knorpel flächen abgenagt, und beinahe ohne
Ausnahme die Alveolarhöblen aller in Olmütz aufgefundenen
Unterkiefer aufgebrochen. Nicht wenige Knochen zeigen mannig-
faltige Spuren künstlicher Bearbeitung zu Jnstru-
nic n ten.
Ferner fand inan in der Torfschicht verschiedene Gegen-
stände von Eisen (Lanzenspitzen, Hufeisen, einen Sporn,
Nägel, Angeln), mehre Bronze-Sachen (einen Ring, eine
Nadel, ein'e halbe Spange, einen Griff zu einem Werkzeug
und zwei Glücke geschmolzener Bronze), endlich eine Pfeilspitze (?)
aus Feuerstein. Die Bronze-Sachen dürften in größerer
Tiefe vorherrschend sein und bei systematischen Nachgrabungen
viel häufiger gefunden werden. In den tiefsten Lagen des
Torfmoors wird man dann vielleicht zahlreichere Steinwerk-
zeuge finden. Auch nicht wenige Bruchstücke interessanter ur-
alter Töpferarbeiten wurden in Olmütz zu Tage gefördert.
(Die von mir gesammelte Masse von Natur- und Kunstpro-
dukten ails dieserToifschicht ist schon jetzt sehr groß, da bereits
mehr als 500 Stücke in meinem Besitz sind.) Am Nieder-
Ning, nicht weit vom Festungskommando, fand man neben-
einander Trümmer von Graphit-Tiegeln, geschmolzene
Bronze-Klumpen, zahlreiche Schlacken und Kohle'— offenbar
Reste eines weit hinter alle Geschichte zurückreichenden kleinen
Hüttenwerks.
Hier allein wurden auch zwei horizontale 9 bis 11 Fuß
lange Balken sichtbar. Senkrechte Pfähle hat man noch
nicht aufgefunden. Bei lieferen Nachgrabungen wird man
aber wahrscheinlich nicht vergeblich nach letzteren suchen. Un-
mittelbar unter diesen horizontalen Balken dürften sich die sie
tragenden vertikalen Pfähle finden. Die Knochen des Pferdes
gehören, wie es scheint, der ansgestorbenen Form Lguus an-
gustidens an; der Unterkiefer zeichnet sich durch ganz riesige
Eckzähne aus. Was den Hund betrifft, so stimmen die zwei
gefundenen Unterkieferhälften in ihren Dimensionen genau
mit den von Rütimeyer angegebenen Maßen jener Hunderasse
überein, welcke ehemals in der Schweiz lebte. Hier haben wir
vielleicht die Stammform (?) unserer jetzt so vielfach ausein-
ander gehenden Hundespielarten. Von Hölzern ist das Birken-
holz entschiede:! vorherrschend. Andere Früchte als zahlreiche
Haselnüsse fand man noch nicht.
Ein Eisberg und Alterthümer am Fuße des nassauischen
Westerwaldes. Uns ist darüber aus dem Herzogthum Nassau
eine Mittheilung zugekommen, der wir das Nachfolgende aus-
zugsweise entlehnen?
In der Nähe von Hadamar, eine Stunde von Limburg
an der Lahn, erhebt sich ein bedeutender Basaltkegel, der unter
dem Namen Dornburg bekannt ist. An den Abhängen nach
Süden und Südosten liegt ein etwa eine Drittel Stunde lan-
ges Geröll von Basaltstein, welches in einem Winkel von 35
bis 10 Grad dachjäh bis zu 300 Fuß gegen den Berg ansteigt
und sich an einzelnen Stellen an festes Basaltgestein anlehnt.
Am Fuße des Berges, unterhalb des Gerölles, machte man am
20. Juli 1864 in dem dicht mit Gras, Moos und Wald be-
standenen Boden eine Oeffnnng, aus welcher ein heftiger Luft-
zug von + 4 bis 5° R. ausströmte, während die Temperatur
der äußern Luft -P 23" im Schatten betrug.
In dem Steingerölle hatte Doctor Thomä (Direktor
der landwirthschafilichen Anstalt ans dem Gaisberg bei Wies-
baden) in den Jahren 1839 bis 1847 zu fünf verschiedenen
Malen Schachte bis zu 30 Fuß abteufen lassen. Er fand schon
einige Fuß unter der Oberfläche, bis auf 26 Fuß Tiefe hin-
unter festes Eis, welches die Klüfte des Basaltgerölles aus-
füllte. Drei Quellen, welche diesem Eisberg entströmen, und
deren Wasser eine . größere Strecke angebauten Bodens durch-
fließen, zeigten eine Temperatur von 5' und von 6V2° R. Die
verschiedenen Beobachtungen Thomä's wurden im Herbst, Win-
ter und Frühjahr angestellt, und die Ergebnisse sind in den
Jahrbüchern des Vereins für Naturkunde im Herzogthum
Nassau, Wiesbaden 1849, Heft IV, veröffentlicht worden. Es
wird darin die Thatsache bestätigt, daß auf der Höhe der Ba-
saltgerölle auf weiten Strecken, selbst bei dem stärksten Schnee-
falle, kein Schnee liegen bleibt und aus den Spalten,
in welchen die Luft einströmt, iiu Winter (25. Januar 1847)
eine solche von P 9" R. ausströmte, während in derselben
Gegend die Kälte an den vorhergegangenen Tagen bis — 16°
R. betragen hatte. Um diese Quellen warmer Luft versammeln
sich im Winter die Holzarbeiter wie um einen warmen Ofen;
auch Thiere, welche sonst iin Winter nicht vorkommen, z. B.
Feuersalamander, wurden von vr. Thomä in der Nähe dieser
warmen Luftlöcher beobachtet.
In den Tagen vom 5. bis 9. Oktober 1846, als noch gar
kein Frost eingetreten war, und nach einem sehr heißen Som-
mer, fand Thomä Eis in einein der Löcher. Alle diese Er-
scheinungen blieben seit 1847 unbeobachtet; jetzt nun hat Herr
Tro oft in Hadamar vom 15. bis 21. Juli 1864 neue Uut«=
suchungen angestellt. Er ließ mit Hülfe von 10 Arbeitern die
eingefallenen Schachte wieder öffnen und fand schon bei 2 bis
4 Fuß Tiefe Eis in Stücken von 1 bis 7 Pfund zwischen den
Klüften des Basaltes, trotzdem die Sonne hier von Morgens
früh bis Nachmittags 3 Uhr in die Schachte hinein scheint.
Er stellte in die Spalten des Gerölles der Schachte Wasser (in
porösen Thongefäßen), oie Temperatur desselben sank schnell
von -f- 16° auf 0° R. Neben den Schachten machte er die
oben erwähnten Oeffnnngen, aus welchen ein Windzug von
stets sich gleichbleibender Temperatur (P 4° R.) ausströmte,
während sich der Beobachter nahe dabei in einer Lufttemperatur
von + 23" R- im Schatten und von wenigstens + 28° bis + 30°
in der Sonne befand; zwei Schritte weiter am Rande des
Schachtes war er einer Temperatur von + 8° ausgesetzt;
einen Schritt zur Sene von dem von ihm gemachten manns-
hohen und mannsbreiten Luftzugstcllen hatte er einen starken
Windzug von + 4° R., wiederum vier Schritte in die Tiefe
Aus allen Erdtheilen.
351
des Schachtes eine Temperatur von + 5° R., und dort
war er rings von Klüften umgeben, die mit Eis gefüllt sind.
Um festzustellen, ob das Eis vom Winter herrühre (was Thomä
behaupte!), oder sich etwa durch Verdunstung und die dadurch
erzeugte Kälte bildet was die Ansicht des Herrn Lroost ist,
hat der Letztere eine größere Anzahl mit Wasser gefüllter Ge-
säße in die Schachte gestellt und diese wiederum mit dem Ge-
röll ausfüllen und mit Wasser übergießen lassen, um nach
einiger Zeit, wenn die Schachte von Neuem ausgeräumt wor-
den. zu sehen, welche der Ansichten die richtige sei. Die drei
Quellen zeigten konstant: die eine -I- 4", die zweite -f~ 5° und
die dritte + 6° R. während der sechs Tage, zu ganz verschie-
denen Stunden, trotzdem die äußere Lufttemperatur von -f- 14
bis + 23" R. variirte.
Im Basaltgerölle fanden sich drei Stücke eines
Hand-Mühlsteins, aus Basalttuff gearbeitet;
ferner ein Pfeil aus Feuerstein. Zwischen dem Eis-
berge und dem Ausfluß einer Quelle, wahrscheinlich über dem
Laufe derselben, befanden sich sechs große Zähne eines
antediluvianischen pflanzenfressenden Thieres.
Die Hohe des Berges Dornburg beträgt gegen 500 Fuß
über dem vorbeifließenden Elbbach und fene über dem Meere
ungefähr 1200 Fuß. Der Berg bildet ein Plateait von etwa
100 rhein. Morgen guten Getreidelandes, um welches sich ein
20 bis 25 Fuß breiter und 10 bis 15 Fuß hoher Wall von
aufgeworfenen Steinen hinzieht, von dem die Sage geht,
daß er die Umfassungsmauer einer längst untergegangenen
Stadt. „Dornburg" gebildet habe. Auf dem vordern Süd-
rande findet man noch die Reste eines kreisförmigen Gemäuers
von ungefähr 100 Fuß im Umfange; in der Mitte desselben
im Basaltgerölle steht ein Wasser in der Tiefe von 1% Fuß
und 4 Fuß im Durchmesser. Dasselbe soll nach Aussage der
Umwohner sich stets auf derselben Tiefe selbst in dem trocken-
sten Sommer erhalten. Dieses Wasser zeigte am 15. und
20. Juli bei einer Lufttemperatur von -f- 23° resp. -f 16" R.
die gleichbleibende Temperatur von -f- 10" R. Hier wurden
zu verschiedenen Zeiten Urnen, eiserne Töpfe, Hand-
Mühlsteine, Schmncksachen voii^Gold, Kupfer, Eisen,
M ünz en, G eg cnstand e aus d er St einzeit re. aufgefun-
den. Von dort oben genießt man eine prachtvolle Aussicht) man
überschaut die fruchtbarsten Felder und Wiesen, bewaldete
Hügel und Berge des Elb-, Aar - und Lahnthals; der Blick
schweift von einem Ausläufer des Westerwaldes hinüber bis
zum Taunusgebirge; man sieht^die schönen Schlösser Schaum-
burg, Molsberg, Weste»bürg, Schadeck, den Dom zu Limburg,
sotvie eine große Zahl Städie, Städtchen und Dörfer.
Kunstwerke in alten Knochenhöhlen. Im Jahre 1858
wurde bei Brirham, vier Miles von Torquay, in Devonshire,
England, eine noch unberührte Knochen höhle entdeckt.
Alan fand in derselben in einer Lehnischicht Knochen vom vor-
weltlichen Elephanten oder Mammuih, vom sibirischen Rhino-
ceros, vom Höhlenbären und der Höhlenhyäne, vom Höhlcn-
löwen, Nennthier, von einer Art Pferd, vom Ochsen und von
verschiedenen Nagethieren. Menscbenknochen waren nicht vor-
handen, wohl aber viele Steinmesser. Diese Werkzeuge müssen
so alt sein, wie die ausgestoibenen Thierarlen; dafür sprechen
unwiderlegliche Gründe, 'die Lyell in seinem „Alter des Men-
schengeschlechts" (deutsche Ausgabe von Büchner, S. 65)
angibt. Diese Entdeckung »nachte nicht geringe»es Aufsehen
als die frübere in der Picardie, im Sommeihal. Bald tarnen
auch aus Südeuropa Nachrichten von interessanten Funden.
Professor Busk entdeckte >863 eine Knochenhöhle in Gibral-
tar. Im mittlern Frankreich wurden Gegenstände zu
Tage gefördert, welche beweisen, daß die, sagen wir der Kürze
wegen) voradamitsichen Menschen einen gewissen Kunstgeschmack
hatten und, ohne Metallwcrkzeuge zu haben, Skulpturen an
Thiergeweihen, z. B. Hirschhörner», anbrachten und in Stein
Gestalten von Thieren schnitzten, die jetzt aus g e st o rb e n sind.
Falconer, welcher bei dem ersten Ausgraben in Brirham
zugegen war und auch die von Boucher de Perthes bei Abbe-
vilte gesammelten Gegenstände gesehen hat, gibt jetzt allerlei wich-
tige Nachweise. Die Beweise für ein sehr hohes Alter des
Menschengeschlechts stützt man bis jetzt auf zweierlei. Man
weist daraus hi», daß die Spuren in» Kies und in Knochen-
höhlen vorkomnien. Die Spuren, welche man in dein erster»
findet, weisen mit großer Zuverlässigkeit in eine sehr weit
entlegene Zeit zurück, aber sie zeigen nur sehr ei»»fache Gegen-
stände auf. nämlich Waffen und Gerätbschaften ans Feuerstein,
und auch diese komrncn nicht in großer Menge vor. Bon
Menschenknochen ist im Kies nichts gefunden worden, das über
allen Zweifel erhaben »väre. Ganz anders in den Knochen-
höhlen. Sie zeigen, in bestimmten Fällen, die Rasse an, zu
»velcher die ursprünglichen Höhlenbewohner gehörten, ihre Ge-
stalt »>nd Körperkraft, welche Thiere gleichzeitig mit jenen
Menschen lebten, von rvclcherlei Weichthieren, Fischen, Vier-
füßern und Geflügel sie sich nährten. Wir »vissen, daß sie das
Fleisch kochten, das Mark a»»s den Knochen ge»van»»en, und
»vie das geschah, »velcher Waffen sie sich auf der Jagd bedien-
ten, »vie sie die Häute und Felle abzogen und zubereiteten, daß
sie das Fleisch von den Knochen abkratzten, die Thiersehnen
als Leinen für die Harpunen oder als Zwirn für die sein zu-
gespitzten, mit Oehren versehenen Nadeln benutzten, »velche
Geräthe und Waffen sie aus Stein, Knochen oder Hirschhörnern
verfertigten, »velcherlei Zierralhen sie besaßen und »vie sie ihre
Todten bestattet haben. Sie hatten auch einen ge»vissen Sinn
für Kunst »lud machten Musik, dc»»n »vir finden ausgehöhlte
Knoche»» mit Blaslöchcrn, also Anfänge zu einer Flöte.
Wir »rissen, daß Urmenschen »vährend der Driftperiode (der
Zeit, »vo das Wasser Löß ansch»vennnte) vorhanden waren;
»vir kennen die Küchenabsälle und Muschelhügel und die
Pfahlbauer, aber die Knochenhöhlen sind doch viel ausgiebiger
als diese alle.-
Dafür liefert» aber»nals einen Beìveis die Forschungen,
»velche Lartet und C h r i st y im Departcnient der D o r d o g n e,
in der vormaligen Provinz Perigord und im Bezirk voi» Sar -
lat, im südwestlichen Theile des mittlern Frankreichs, ange-
stellt haben. Sehr reich »varen die Funde in der Höhle bei
Les Eyzies in der Gemeinde Tayac; sodai»»» die Höhle Le
Moustier, soda»»»» »»»»ter dem überhängenden Gelände vo»r
Laugerie haute, Laugerie basse und la Madeleine i»»» Thale
der Bezère in der Kreideformation. Der Boden der Les
Eyzieshöhle besteht aus einer zusammenhängenden Lage
voi» Breccie, die aus einer Basis von Asche, ausgebrannten
Kohlen und Holzkohlen besteht, sodann aus Kiiochen, die noch
in ihrem natürlichen Zustande sich befinden, oder gespalten,
angesengt oder verbrannt sind; Kiesel», vielen Bruchstücken von
Feuersteinmeflern »ind Geräthen oder Waffen aus Rennthier-
geweihen. Das Ganze bildet ein »virres Durcheinander »ind
hat seit der Zeit, da es in jener Höhle abgelagert »v»»rde, kei-
nerlei Störung erlitten.
In der Les Eyzieshöhle fand »nan unter vielen Platten
eines harten Schiefers, der in jener Gegend nicht vorkommt,
auch z»vei, ans »velchen das Bild eines vierfüßigen Thieres
eingegraben ist. Die eine ist durch einen alten Bruch ver-
stünrmelt; auf ihr sieht »nan das vordere Viertel eines Tbieres,
dessen Kopf Hörner hatte; die Linien sind aber nur schivach
angedeutet. Die andere Platte zeigt einen Kopf, an »velchen»
die Nasenlöcher scharf gezeichnet sind; der Mund ist halb ge-
öffnet; die Profillinien der Stirngegend sind in Felge einer
spätern Abreibung ziemlich venvischt. Man sieht auch diè Schau-
fel von einem Geweih, »vie Lartet meint, eines Musethiers
(Elenns). Diese Plattei» enthallei» die ältesten Eingrabungen
auf Stein, »velche von den Urmenschen in der europäischen
„Rennthierperiode" herrühren.
Bei Laugerie haute und basse und bei La Madeleine fand
man unter allerlei Kncchenabfällen niid anderen weggeivor-
fenen Gegenständen sehr viele Feuersteine und daun auch
Skulpturen. Dort halten die alten Wilden offenbar Koch-
stellen und Arbeitswerkstätten; die Knoche»» sind vom Pferd,
Ochsen, Steinbock, von der Gemse, dem Neunthier, von
Vögeln und Fischen; solche von Hirsch, Eber und Hasen koni-
liiei» nur in geringer Menge vor. Man fand einzelne Backen-
zäyne von dem nun ansgeftorbenen irischen Eleni» und Plat-
ten vom Backenzahne eines Mammnth. Es scheint, als ob
ii» Laugerie haute die Geräthe aus Feuerstein verfertigt wur-
den, und daß man in Laugerie basse ans Rennlhierhörnern
Lanzen - und Pfeilspitzen, Harpuiien, Dolche, Nadel»» und an-
dere Geräthe herstellte. Dian fand in dieser Höhle eine ganz
ungewöhnliche Anhäufung von Rennthiergeweihen, und fast
alle zeigten Spuren davon, daß an ihnen eine steinerne
Säge thätig gewesen »var. Manche dieserSkulpturen erscheinen,
in Anbetracht der Zeit, a»»s »velcher sie stammen, und der dürf-
tigen Werkzeuge, »velcher man sich bedienen konnte, als »vahre
Wunderwerke, soivohl in Zeichnling, »vie in Ausführung der
Arbeit. Ganz ausgezecchnel ist ein langer Dolch, welcher aus
eine»»» einzigen Horn besteht. Der Griff stellt ein Renmhier dar;
die einzelnen Theile haben das richtige Verhältniß und sind
mit großen» Knnftgeschmack behandelt. Die Vorderbeine liegen
zierlich unter dem Bauche zusainmcngeklappt, die Hinterbeine
sind allntälig nach der Klinge zu lang gezogen, der Kopf ist
nach auswärts gebogen, und dei» Handgriff bildet eine Krüm-
mung, welche vom Halse bis zur Schnauze reicht. Lartet be-
352
Aus allen Erdtheilen.
merkt, daß die Hand, für welche solch ein Griff bestimmt war,
viel kleiner gewesen sein muß, als jene der heutigen Europäer.
Jener Dolch'war vom Künstler noch nicht ganz fertig gear-
beitet, kann aber auch so einen Vergleich mit den Dolchgriffen
aushalten, welche man noch jetzt im Orient aus Elfenbein
schnitzt. — Ein anderer Griff läuft an einem Ende als Lan-
zenspitze aus und zeigt, theilweise in Relief, einen Pferds- und
einen Rennthierkopf; andere sind mit Wellenlinien und der-
gleichen verziert. Auf manchen Rennthierschaufeln findet man
in eingeschnittenen Linien, in Basrelief oder auch in Hochre-
lief Thiergestalten. Außer den Lanzenspitzcu kamen noch zum
Vorschein: Nadeln mit eingebohrtem Oehr und eingezackte
Harpunen, welche jenen der heutigen Eskimos gleichen. Das
Schulterblatt eines Rennthiers ist vermittelst eines Feuersteins
durchbohrt worden, der vermittelst einer kalkigen Kruste noch
jetzt in demselben festgehalten wird. Von Metall ist in jenen
Hohlen an der Dordogne keine Spur vorgekommen.
Aus den slavischen Ländern. Es ist von Interesse für
uns Deutsche, den Bewegungen inib Regungen in den slavi-
schen Ländern zu folgen;'denn sie sind auch für uns von Be-
deutung. Es ist merkwürdig genug, daß unter den eifrigsten
Vertretern des Slaveuthums viele Männer mit deutschen
Namen sind. Ein Hauptorgan derselben ist die zu Bautzen
in der sächsischen Lausitz erscheinende „Zeitschrift für sla-
vische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Verant-
wortlicher Redacteur I. E. Schmaler". Herrn Schmalers
slavische Bestrebungen haben das Wohlwollen der russischen
Regierung gefunden; sie hat ihn jüngst durch die Verleihung
des Annenordens ausgezeichnet. Die Zeitschrift selbst erscheint
in deutscher Sprache, welche noch immer das sicherste Mittel
der Verständigung unter den neun verschiedenen Slaven-
gruppen ist.
Herr A. v. Hilferding, ein sehr unterrichteter Mann,
der von St. Petersburg aus sehr eifrig in russischem .Interesse
wirkt, hat die kleberreste der Slaven aus der Süd-
küste des Baltischen Meeres geschildert und hebt die be-
sonderen Eigenthümlichkeiten der slovinzischen mtb k a sch ri-
tz i s ch en Sprache hervor. Diese bildet mit der polnischen
den lechischen Zweig der „slavischen Sprache", der in den
polnischen und baltischen Dialekt zerfiel, in ähnlicher Weise
etwa, wie der russische Zweig sich in den großrussischen und
kleinrussischen theilt. Die Sprache der Kaschuben und pom-
merschen Slovinzen ist das letzte noch lebende Ueberbleibsel des
baltischen Dialektes. Dieser ist aber erloschen in den Gegen-
den, wo er die ganze Vollständigkeit seines selbständigen Typus
besaß, d. h. an'den Ufern der Elbe und im westlichen Theile
der baltischen Küste. Als Slovinzer nird Kabatker be-
zeichnet Herr v. Hilferding die armen Fischer und Kolonisten,
welche am Garden- und Leba-See in Pommern wohnen, und
er gibt über die Mundart derselben einen eingehenden Bericht,
der für Sprachforscher von Werth ist.
In einem Aufsatz aus La ib ach, „Slowenisches", wird
hervorgehoben, daß die nationale Entwicklung unter den Slo-
wenen immer mehr zunehme, aber sich bis jetzt fast nur auf das
literarische und gesellschaftliche Gebiet beschränke, weil es auf
dem poliiischeit auf scheinbar unüberwindliche Hindernisse
stoße. Unter den Weckern des slowenischen Nationalbewußt-
seins stehe die niedere Geistlichkeit in vorderster Reihe;
sie gebe Sprachunterricht in den Volksschulen und erinnere in
Krain, Steiermark, Kärnthen rc. die Leute daran, daß
sie Slowenen seien. Die Lesevereine und Zeitungen mehren
fick; in den Statuten derMatitza ist durch die Behörden aus-
drücklich eine „slowenische Nation" anerkannt. Die
B escda-Gesell sch a ft en in Laibach, Cilly und Marienburg
stehen in schönster Blü'he; durch den cillyer Lesevercin sind
4000 Gulden zur Gründung einer slowenischen Buchdruckerei
zusammengebracht worden. In Laibach gibt „der ausgezeich-
nete tind hochverdiente Patriot Dr. Bleiweiß" (wieder ein
deutscher Name) eine slowenische Zeitung heraus, d:e 5000 Ab-
nchmer hat.—Die „slowenische Nation" ist in fünf Kronlän-
dern vertheilt, nämlich in den drei obengenannten und in
Istrien und Triest; sie zählt im Ganzen nur anderthalb Mil-
lionen Seelen; fast der ganze slowenische Adel ist seiner Na-
tionalität entfremdet; das Slowenenthum befindet sich im
Gedränge zwischen dem Deutschthum und dem Jtalienismus. —
Im nächsten Winter will eine Schauspielergesellschaft in Lai-
bach, Görz, Triest, Cilly und Marienburg Theaterstücke in
slowenischer Sprache ausführen; Dr. Bleiweiß gibt eine
Sammlung von Stücken für Liebhabertheater heraus; das
erste derselben ist in slowenischer Sprache von Linhart ver-
faßt, wieder einem Manne mit deutschem Namen.
Ein kroatischer Patriot hat einen Preis voir 400 Du-
katen für eine in krooatrscher Sprache zu verfassenden Geschichte
seines Volkes in den Jahren 4840 bis 4 850 ausgesetzt.
Die Matitza serbska, welche bisher ihren Sitz in Pesth
hatte, ist »ach Neusatz verlegt worden. Sie kann wirklich
als eine Mutlergesellschaft betrachtet werden, denn sie hat die
Bildung ähnlicher Vereine bei den Tschechen, Kroaten, Nussi-
nen (Rulhenen), bei den lausitzer Serben, den Slowenen und
Slowaken veranlaßt.
Die Ru theilen in Ungarn haben einen literarischen
Verein für Bildung des rutyenischeuVolkes gegründet. Pro-
tektor ist der ruthenische Bischof von Munkats'ch und Eperies.
V. I. Lamansky in Petersburg, ein hervorrage oer
Panslavist, hat über „Serbien und lie südslawischen
Provinzen Oesterreichs" geschriebc.i. Er räth dev Süd-
und Westslaven ht der Türkei und Oesterreich, sich dem Für-
steuthum Serbien zu nähern und keine Hoffnung auf Ver-
wirklichung eines slavischen Föderalismus iu Oesterreich zu
setzen, „da dieses niemals seinem deutschen Ursprung un-
treu werde und sich auf keinen Fall in ein slavisches'Reich
verwandeln kann". Die Macht der deutschen Idee sei zu stark;
Oesterreich habe in sich sieben vollständig geschiedene slavische
Stämme, welche in ihrer Gesammtheit keine allgemeine Nation,
sondern nur einzelne Nationalitäten bilden. Ihre Ver-
schmelzung könnte eine allgemeine diplomatische und wissen-
schaftliche Sprache fördern „und am bequemsten wäre dazu die
russische Sprache, deren Literatur reicher und vollständiger
ist, als die aller genannten Stämme, die tschechische nicht aus-
genommen. Nur die russische Sprache könne bei ihnen die
deutsche verdrängen „welche letztere sie selbst die pansla-
vistische nennen" (weit jeder gebildete Slave Deutsch ver-
steht; der bekannte Slavenkongreß zu Prag, 4848, fand selber,
daß die deutsche Sprache das zweckmäßigste Medium für das
Verständniß sei). Lamansky betont die Nothwendigkeit einer
„allgemeinen slavischen Literatursprache". Mit dem Polni-
schen, Tschechischen und Serbischen habe man es vergebens ver-
sucht; es bleibe also nur die russische, deren Ausbreitung zu
fördern eine slavische Pflicht sei. Durch diese Ausbreitung
werde „die weitere Zunahme des Schwabenthums und
des Pariser.thums, der deutschen und französischen Idee,
abgewendet; Serbien werde dann Kraft erhalten nicht nur zu
befreien, sondern auch an sich zu ziehen sowohl die Slaven
in der Türkei als auch in Südösterreich, wo die Intelligenz
stark mit deutschem und magyarischen: Geiste versetzt ist".
Der höchste Berg in Großbritannien. Die Ingenieure,
welche jetzt Schottland vermessen, haben auch den BenMacdh ui
und anderen Höhen der Cairngorm-Gruppe ihre Aufmerk-
samkeit zugewandt. Sie fanden den Macdhui, dessen Höhe
man früher zu 4390 Fuß annahm, nur 4286 Fuß hoch. Der
Ben Nevis ist einer frühern Messung zufolge 4373 engl.
Fuß hoch, auf neueren Karten findet man aber 4406 angegeben.
Der Braereich hat 4248, der Cairtoul ist jetzt auf 4240
und der Benabourd auf 3923 Fuß bestimmt worden.
Der Ausfuhrhandel von Hakodade, dem für den Verkehr
mit Ausländern geöffneten Hafen aus der nordjapanischen
Insel Jeso, ist im Anwachsen: im Jahre 4862 betrugen die
Ausfuhren in fremde» Schiffen 4 67,025 Pf. St., im Jahre
4863 waren sie ans 267,538 gestiegen.
Dir Bevölkerung von Paris betrug nach der Zählung
von 4863 in den 20 Arrondissements 4,696,151 Seelen. In:
Jahre 4862 wurden geboren 52,342 Kinder, davon 44,504
außereheliche. Todesfälle 42,485.
Die Finanzen Ostindiens. Das amtliche Rechnungsjahr
schließt nur dem 30. Äpiil ab. Die Bruttoeinnahme 4863/64
betrug 44,753,500 Pf. St., Per Reinertrag aber, in Folge von
Erhebnngskosteu, Ausgaben für Salz, Opium :c. 35,946,700
Pf.St. Landlare, und Tribute der eingeborenen Fürsten ergaben
48,488,000, Zölle 2,041,420, Stempel 4,598,2c0, Salz'steuer
4,929,250, Opium 4,740,550; andere Stenern 4,325,950 Pf.
St. Der Anschlag für die Ausgaben stellt sich auf 35,688,811,
wovon 42,765,281 für die Armee und Zinsen für die Schulden
5,247,569 Ps. St.
Herausgegeben von Karl Andrer in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyer in Hildburghausen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildbnrghansen.
U il r n b c r g.
Von Friedrich Brinkmann.
K n ît [t it n d
Wir haben die Denkmäler geschildert, welche uns in
Nürnberg das Mittelalter reprasentiren, wahrlich eine statt-
liche Zahl, und darunter das Ehrwürdigste und Schönste,
was Niirnberg überhaupt
in sich birgt. Ein noch
gewaltigeres Monument
hat aber das ganze Mit-
telalter in der Stadt, als
Masse betrachtet, gefun-
den, in der Physiognomie,
die ihr als Ganzem eigen-
thümlich ist. Vertreten
jene uns, wenn wir sic
im Besondern betrachten,
ein jedes ein besonderes
Ereigniß oder einen be-
sondern Zug des Mittel-
alters, so treten sie bei
einem Gesammtnberblicke
in die Massen der Hän-
sergruppen, derStra-
ßen und Plätze zurück
und gliedern sich als
Theile in das Ganze ein,
und zwar in solch einer
harmonischen Weise, daß
die Stadt wie aus
Einem Gusse zu sein
scheint. Das ganze
Nürnberg, wie wir es
jetzt noch vor uns sehen,
ist ein einziges, impo-
santes Denkmal des deut-
schen Bürgerthums im
Mittelalter, seiner Han-
dels -, Industrie- und
Kunstthätigkeit, seines
gediegenen Wohlstandes
itnb Reichthums und sei-
ner imponirenden Macht-
stellung innerhalb und
außerhalb Deutschlands.
Wir geben uns aber um so williger diesem Eindrücke und
den sich daran reihenden Erinnerungen hin, als diese uns
gerade die Lichtseite jener in einem so seltsamen Farbenspiele
schillernden Zeit vor die Seele führen, und die dunklen
Seiten zwar auch angedeutet sind, jedoch nur so, daß es
Globus VI. Nr. 12.
III.
Wissenschaft.
dem Menschensrennde leichter würd, den Schleier darüber zu
werfen, als an fast allen anderen Orten von gleichem
Alter. —
Die Periode des Ue-
berganges von dem Mit-
telalter in die neuere Zeit
ist, wie schon oben gesagt,
dieselbe Epoche, in der
Nürnberg den Zenith sei-
ner Größe erreichte, wo
es sein Gebiet zu einem
wahrhaft fürstlichen Um-
fange ausdehnte, wiekeine
andere Stadt Deutsch-
lands ein solches besaß,
wo es sich zum Mittel-
punkte des europäischen
Handels machte, wo seine
Industrie und die man-
nigfaltigsten Künste, die
Malerei, Skulptur, Erz-
gießerei , Bildschnitzerei
und der Meistergesang,
die größten Meister und
Meisterwerke aufzuweisen
hatten. Daher kommt es
denn, daß diese Zeit auch
in der Physiognomie des
jetzigen Nürnbergs sich
noch sehrbemerklich macht,
und wir fast überall auf
ihre Spuren stoßen. Und
das ist nicht etwa eine
Verkümmerung des so
eben hervorgehobenen mit-
telalterlichen Charakters
der ganzen Stadt. Denn
wenngleich die geschicht-
lichen Thatsachen, welche
in ihren Folgen die neuere
Zeit herbeiführten, in das
Ende des 15. Jahrhun-
derts fallen, so erhält sich der mittelalterliche Charakter in
der Denkungs- und Gefühlsweise der Menschen, somit
auch in der Kunst, und hier wieder ganz besonders in der
Architektur, doch viel länger und geht nur nach und nach
in den der modernen Zeit über. Dieses allmälige Verlaufen
15
Allo Häuser an der Stadtmauer in Nürnberg.
(Nach einer Photographie.)
354
§ riebt. Brinkmann: Nürnberg,
des Alten in das Neue wird uns sehr anschaulich durch das
Erscheinen einer Persönlichkeit, wie Kaiser Maximilian,
am Ende des Mittelalters, als schon die neue Zeit in vollem
Anzuge war, vor Augen geführt, und „der letzte Ritter" ist
gerade einer von den.Kaisern, an die wir in Nürnberg am
lebhaftesten gemahnt werden. Wie sein Vater, der schwache,
aber menschenfreundliche Friedrich III., ein Freund der
Städte war und gern in Nürnberg weilte, wo sich noch
manche anekdotenartige Erinnerungen cm ihn erhalten haben,
so auch Maximilian, uui) Beiden trug ihr herablassendes
Wesen die goldene Frucht, daß von ihrer Zeit an die Städte,
wurde von dem Freunde Dürers, dem berühmten Willi-
bald Pirkheimer, ausgearbeitet und so kam sie zur Dar-
stellung. Mit Recht nennt v. Eye das Ganze eine „aus-
geklügelte Allegorie und schale Lobrednerei, die durch Nichts
versöhnt wird, als durch die harmlose Naivetät, mit der
sie vorgetragen ist". Ein jedes Ding an diesem prächtigen,
von 12 Pferden gezogenen Wagen, worauf der Kaiser im
Ornate fährt, hat bis ans die Räder unb Zügel seine alle-
gorische Bedeutung, die durch die beigefügten Namen aus-
gesprochen ist, und eben so alle die Frauengestalten, die neben
den Pferden und dem Wagen herschreiten. Die Wagen-
Das Albrecht Dürer-Haus in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
unter ihnen auch Nürnberg, eine entschiedene Vorliebe für
das Habsburgische Haus faßteil.
Uns interessirt hier besonders das Verhältniß, in wel-
chem Max zu Albrecht Dürer stand, da er diesem beinahe
Alles verdankt, was uns in Nürnberg an ihir erinnert.
Leider belmhte der Kaiser den großen Künstler fast 51t nichts
Anderin, als zur Verherrlichung seiner Person, und so sehen
wir all diesem Beispiele wieder, wie an hundert anderen,
welch ein Hemmschuh für den Künstler nnb die Kunst Mangel
an Kunstsinn bei den Auftraggebern war. Die bekaiiiiteste
von den Arbeiten, die Dürer für den Kaiser machte, ist der
„Triumphwagen". Die von Max selbst gegebene Idee
lenkerin z. B. ist die Vernunft, die Zügel sind Adel lind
Macht, die Räder Herrlichkeit, Ehre, Würde und Ruhm rc.
Hiiiter dem Kaiser kniet in flatterndem Gewände die Sieges-
göttin und setzt ihm einen Lorbeerkranz aufs Haupt. Einen
erfrischendeir Gegensatz zil diesem vornehmen allegorischen
Aufzuge inacht die Miisikantengruppe in der Ecke, Alles aus
dem Lebeir gegriffene Gestalteil, vielleicht Porträts von nürn-
berger Stadtpfeifern.
Dieses ganze Werk war dazu bestimmt, in Holzschnitt
ausgeführt zu werden, rmb wurde darin ausgeführt. Erst
später hat matt danach ein Wandgemälde im großen Rath-
haussaale zu Nürnberg anfertigen lassen, und in dieser Ge-
Friede. Brinkmann: Nürnberg.
355
statt gelangt es jetzt gewöhnlich zur Kenntniß des Publikums.
Es ist aber durchaus zweifelhaft, ob Dürer auch nur einen
Pinselstrich daran gemacht hat, vielmehr wahrscheinlich, daß
es von fremder Hand herrührt. Uebrigens ist diese Frage
eine ziemlich müßige, da die Uebermalung, welche im 17.
Jahrhundert erfolgte, vom Originale Nichts mehr erkennen
läßt. Die Musikantengruppe jedoch ist von dem besteil
Schüler Dürers, Georg Penz, gemalt.
Ein zu demselben Zwecke, der Verherrlichung Maximi-
lians, bestimmtes, an Kunstwerth ungleich höher stehendes
Werk Dürers ist die sogenannte „Ehrenpforte", ein
Triumphbogen, „der in Stammbäumen, Wappenreihen,
Porträtfiguren und geschichtlichen Darstellungen die ruhm-
reiche Abstammung, die weite Herrschaft, das Leben und
die Thaten des Kaisers" darstellen sollte. Auch dies'ist ein
Holzschnitt von enormem Umfange (10'/2 Fuß Höhe, 9 Fuß
Breite). Nach dem Tode des Kaisers fertigte Dürer aus
eigenem Antriebe noch eineil Holzschnitt dieser Art, den man
die Apotheose des Kaisers nennt und zli den schönsten Arbeiten
er, dem Veiledig einen Jahrgehalt von 200 Dukaten, dem
Antwerpen einen solchen von 300 Philippsgulden mit an-
deren großen Vortheilen anbot blos für die Gilnst, daß er
feinen Wohnsitz bei ihnen nehme, der aber das Alles ausschlug,
um sich seiner Vaterstadt zu erhalteil; uild das tiefste Scham-
roth muß Eiilem in die Wangen steigen, wenn nian bedenkt,
daß dies Schandblatt deutscher Geschichte fremdeil Nationen
unter die Augen kommt. *) —
Wenden wir uns jetzt den Ereignissen zu, in beiten das
Morgenroth einer neuen Zeit anbricht. Gleich die erste
große That, von welcher an diese datirt, die Entdeckung
Aulerika's, weist uns wieder ans Nürnberg hin. Der be-
rühmte Weltapsel, welcher in der Behaim scheu Fa-
milie aufbewahrt wird, der erste Globus, der je an-
gefertigt wurde, rührt von einem Manne her, auf ben
Nürnberg Ursache hat, so stolz zil sein, wie auf irgend eineil
andern seiner Söhne. Es ist Martin Behainl, geboren
1459, gestorben 1506 in Lissabon, einer Familie angehörig,
Hof eines Hauses in der Theresienstraße in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
des Meisters rechnet. Endlich sind hier nod) die Nandver-
zierungen in dein Andachtsbuche Maximilians zu
erwähnen, die indessen mehr von kulturhistorischem, als von
Kunstinteresse sind, da sie ilns zeigeil, was für seltsame
Dinge man in Erbauungsbüchern zu malen pflegte (Dürer
hat hierin nur eine alte Gewohnheit des Mittelalters bei-
behalten) uild wie rein äußerlich man die Religioil auffaßte.
Dies Buch befindet sich jedoch nicht in Nürnberg, sondern
auf der königlichen Bibliothek in München, zu deren größteil
Schätzen es gezählt wird.
Ein interessantes Kapitel, reich an erbaulichen Texten
zu Strafpredigten an das deutsche Volk, ließe sich noch zu-
sammenstellen alls ben Thatsachen, welche die Geldverhält-
nisse zwischen Kaiser nnb Künstler betreffen, und die wieder
Veranlassung geben würden, über die Art zu sprechen, wie in
dieser Beziehung der Rath des reichen Nürnbergs sich gegeil
einen Dürer benahm. Wir ziehen es aber vor, zll schweigen.
Denn alles Blllt verwandelt sich Eiilem in Galle, wenn man
sieht, wie solch ein Künstler von einem Kaiser, wie Maxi-
milian, von einer Stadt, wie Nürnberg, behandelt wurde,
die zu den angesehensten der Stadt gehörte und außer ihm
an berühmten Persönlichkeiten Matthias Behaim, den
ersteil inittelalterlichen Uebersetzer der Bibel ins Deutsche
(ums Jahr 1343), nnb den Meistersänger Michael Behainl
aufzuweisen hat. Jenem Martin gebührt jedenfalls ein nicht
geringer Antheil an ben großen Entdeckungen, die gegen
Ende des 15. Jahrhunderts gemacht wurden, insbesondere
all der Entdeckililg Amerika's, ititi) vielleicht auch ein Theil
des Ruhmes, der sich bis jetzt auf ben Namen des Columbus
*) Das Ausführliche bei v. Eye: Leben Dürers, a. v. O.,
z. B. S. 368: „Der Kaiser verfuhr in dieser Sache, loie wir
es auch sonst von ihm gewohnt sind: er versuchte, den Künstler
mit fremdem Gelde zu 'bezahlen, und stellte demselbeil einen
Freibrief ails, worin er dem Rathe der Stadt Nürnberg auf-
erlegte, Dürer von allen städtischen Abgaben zu befreien, „„In
Ansehung Unser gnad von seiner berüemten Kunst"". »Der
Rath nöthigte ihn aber, ans das kaiserliche Anerbieten zu ver-
zichten." S. 239: „Dürer konnte es nicht über sich gewinnen,
Vaterland und Heimath zu verlassen; er kehrte zurück. Deutsch-
land geivann seinen größten Künstler, aber ein herrlicher Geist
ging zu Grunde."
356
Fried r. Brinkmann: Nürnberg.
concentrirt. Es herrscht jedoch über das Maß seines Ver-
dienstes und dessen Verhältniß zu den: des Columbus noch
immer viel Dunkel, und die kompetenten Richter können, sich
noch nicht zu einem Urtheile darüber einige::. So nimmt
Franz Löher in seinem trefflichen Werke: „Geschichte und
Zustände der Deutschen in Amerika" nicht den geringsten
Anstand, Behaim geradezu den eigentlichen Entdecker Ame-
rika's zu nennen. Andere sprechen sich hingegen weniger
entschieden aus, z. B. Humboldt (Kosmos II., S. 478),
der nur sagt: „Columbus wird wahrscheinlich Behaim in
bürg (1524) vor allen anderen Städten Deutschlands der
Reformation beigetretreten war, bekannten sie sich nicht nur
Alle, mit kaum einer Ausnahme, zu der neuen Lehre, son-
dern sie standen auch zuin größten Theile in persönlichem
Verkehr und freundschaftlichen Verhältnissen mit den Refor-
matoren und fochten sogar die Kämpfe mit durch, welche
diese zu bestehen hatten. Ein besonderes Verdienst um die
rasche Verbreitung der neuen Ansichten erwarben sich Laza-
rus Spengler, Kaspar Stützel, Hieronymus
Ebner und Hans Sachs. Der Erstgenannte, Speng-
Thor dcr Kapelle des Tucher'schen Hauses.:» Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
Lissabon gekannt haben, wo beide von 1480 bis 1484 sich
aufhielten", dagegen den Ruhm des Ersteren ungeschmälert
läßt, und die Nichtdeutschen wissen natürlicher Weise von
Behaim am wenigsten. ^
Mag indessen das Verdienst dieser einen That, mit welcher
die neue Zeit beginnt, zum größten Theile den romanischen
Nationengehören, die andere, die Reformation, ist um so
entschiedener eine deutsche That. Sie wird uns durch alle
die Männer vertreten, welche in dieser Blüthezeit Nürnbergs
lebten und wirkten, und durch alle die Meisterwerke, die sie
schufen. Denn nachdem die Stadt gleichzeitig mit Magde-
ler, gab sogar seine Parteinahme für Luther durch eine 1519
herausgegebene „Schutzrede" desselben in so scharfer Weise
zu erkennen, daß er zugleich mit seinem Freunde Willibald
Pirkheimer vom Papste in den Bann gethan wurde. Pirk -
heim er erkaltete zwar später, da sein klassisch gebildeter,
mehr auf ein ruhiges Genießen gestellter Sinn durch die in
Folge der Reformation ausbrechenden Unruhen sich abge-
stoßen fühlte, in feinem Eifer für Luther und änderte feinen
Glauben nicht, blieb aber nichts desto weniger ein Freund der
Verfechter des neu angebrochenen Geisteslebens, eines Ulrich
von Hutten, Erasmus r:nd Reuchlin, und zählte nach wie
Friede. Brinkmann: Nürnberg.
357
vor zu dei: ersten Vertretern des Hmnanismus seiner Zeit.
Der auch durch seine Gelehrsamkeit berühmte Hieronymus
Pan in garten war ein vertrauter Freund Melanchthons,
„sein Haus einer derHanptvereinigungspnnkte der gebildeten
Welt, und er führte als Gesandter Nürnbergs aus dem
Reichstage zu Augsburg 1530 eine sehr kräftige Sprache".
Dürer machte gleich im Anfange von Luthers Laufbahn,
während des augsburger Reichstages von 1518, dessen per-
dieser Zeit herrühren und im Bilde des gegenwärtigen Nürn-
bergs als Andenken derselben uns entgegentreten. Vor Allein
sind da wieder die Werke Dürers zu nennen, des größten
Künstlers, ja vielleicht des größten Mannes überhaupt, den
Nürnberg je hervorgebracht hat, da er, eben so wie seine
großen Kunstgenossen Michel Angelo und Leonardo da Vinci,
mehr als Maler war, und darum gerade ein. großer Maler
(geboren 1471). Einige derselben haben wir schon auf dein
Das Gänsemännchm in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
sönliche Bekanntschaft, „und der Reformator gedachte noch
in späteren Jahren rühmend der Zustimmung, welche damals
schon Dürer ihm gezollt". In ein noch innigeres Verhält-
niß trat er 51t Melanchthon, als dieser 1526 wegen der
Gründung des Gymnasiums sich längere Zeit in Nürnberg
aufhielt. 'Er fertigte auch ein Bild von ihm in Kupfer-
stich an.
Werfen wir jetzt einen Blick auf die Werke, die ans
bisher durchwanderten Wege durch die deutsche Geschichte
kennen gelernt, und eben so oft ist uns das Andenken Dürers
mit den: anderer hervorragender Persönlichkeiten unserer
Vergangenheit verflochten worden. Hier bleibe;: uns noch
besonders zwei Gemälde zu erwähnen übrig, zwei der vor-
züglichsten Arbeiten Dürers: das Porträt des Hiero-
nymus Holzschn her, „ein prächtiger, trotz des^ silber-
haarigen Alters noch jugendkräftiger Kopf mit feurig glti-
358
Friedr. Brinkmann: Nürnberg.
henden Augen", das als ein Familienheiligthum iir der
Holzschuherschen Familie aufbewahrt wird, und die auf zwei
Tafeln vertheilten Bilder von vier Aposteln, des Jo-
hannes und Petrus auf der einen, des Markus itnb Paulus
auf der andern, die unter dem Namen der „vier Tem-
peramente" am bekanntesten sind. Das Werk verdient
ans mehr als Einem Grunde besonders hervorgehoben zu
werden: einmal, weil es vielleicht dasjenige ist, worin der
Dürersche Genilis sich anr
schärfsten und vollendetsten
ausgesprochen hat, dann,
weil es das letzte ist, wel-
ches er geschaffen (er starb
zwei Jahre darauf, 1528),
endlich, weil er es seiner
Vaterstadt zum Andenken
geschenkt hat. Leider ist
ihr auch dies kostbare Ver-
mächtniß ihres großen
Sohnes abhanden gekom-
men und sie besitzt jetzt
nur eine Copie des Bildes.
Kaiser Rudolf II. hätte
außer den viele:: anderen
Dürerschen Sachen, die
er aus der Jmhofffchen
Sammlung nach Prag
schleppte, auch gern dies
Stück mitgenommen. Er
mußte es aber dort lassen.
Dagegen gab der Rath den
dringenden Bitten, oder
vielmehr Forderungen des
Kurfürsten Maximilian
von Bayern, wie es scheint,
notgedrungen, nach , und
die zwei Tafeln wanderten
1627 nach München, wo
sie jetzt in der Pinakothek
aufgestellt sind. Das
Standbild, welches Dürer
inr Jahre 1840 auf dem
nach ihm genannten Platze
errichtet wurde, ist wahr-
lich ein wohlverdientes.
Die Stadt hat hierin ihre::
guten Willen zu erkennen
gegeben, das Unrecht, das
sie gegen ihn bei feinem
Leben und nach seinem
Tode, gegen seine Person
und feine Werke begangen,
wieder gut zu machen und
seine vielleicht zürnenden
Manen zu versöhnen.
Nächst den Dürerschen
Werken sind nun die beiden
großen Monumente zu nennen, die ihrem Jahrhunderte und
sich selbst das Freundespaar, Adam Kraft (ch 1507) und
Peter Bischer (ch 1529) gesetzt haben, und die an Kunst-
vollendung der Art mit einander wetteifern, daß die stau-
nende Mitwelt nicht wußte, welchen: sie den Vorzug geben
sollte, und nur die beiden Künstler selbst diesen Streit ent-
schieden, indem ein Jeder das Werk des Andern über das
seine erhob.
Das ältere von beiden ist das Sakramentshäuschen
(Weih brotgeh äuse) von Kraft. Den Auftrag dazu erhielt
er von dem reichen nürnberger Kaufmanne Hans Jmhoff
(i-1499), welcher den aus einem glücklichen Handelsge-
schäfte gezogenen Gewinn (von 770 Gulden, nach unserm
Gelde beinahe das Siebenfache) dazu bestimmte, die Lorenz-
kirche mit einem großen Skulpturwerke zu schmücken. „Das
zur Aufbewahrung des Weihbrotes (Hostie) bestimmte Ge-
häuse ist unten mit einen: Geländer umgeben, zu welchem
zwei Treppen führen, und
welches von den lebens-
großen knieenden Figuren
des Meisters und zweier
Gesellen getragen wird.
Ueber diesem Behälter,
aus geviertem Grundrisse,
sproßt ein pflanzenartiger
Thurm empor, der sich in
seiner obersten Spitze haken-
förmig wie ein Bischofsstab
krümmt und mit kleinen
Standbildern heiliger Per-
sonen verziert ist." Das
Ganze hat eine Höhe von
beinahe 64Fuß. Es erregt
besonders Bewunderung
durch die unübertreffliche
Kunst, womit in den rei-
chen Verzierungen, den:
Blattwerk, den sich ver-
schlingenden Ranken und
Aesten, die lebendige Na-
tnr nachgeahmt ist. Daher
entstand unter den Zeitge-
nossen der Glaube, Kraft
habe die Kunst erfunden,
die Steine zu erweichen
und in Formen zu gießen,
und dieses Märchen hat
sich bis in die neueste Zeit
erhalten.
Der Schatz, den die Lo-
renzkirche in diesem Kunst-
werke erhielt, machte die
Sebalduskirche, welche be-
kanntlich ein kitzliches Ehr-
gefiihl hat und immer die
erste sein will, eifersüchtig.
Ihr Kirchenmeister, Se-
bald Schreyer, nahm
sich ihrer an und wußte
den Mann zu finden, der
:>:it Kraft in die Schranken
treten konnte. Er war
zwar nicht so reich, daß er
das nöthige Geld hätte
selbst dazu hergeben kön-
nen, aber er ruhte nicht
eher, als bis er durch Sammlungen die erforderliche Summe
(2400 Gulden) zusammengebracht hatte. Peter Bischer,
der Nothschmied, der sich eben so gut aus die Anfertigung
der mannigfaltigsten Kunstwerke im alten gothischen und in:
neuen italienischen (Renaissance) Geschmack verstand, wie
ans die Herstellung von messingenen Leuchtern zun: alltäg-
lichen Gebrauche, erhielt den Auftrag, für den schon früher
(ums Jahr 1400) gearbeiteten, eichenen, mit Gold-und
Silberblcch gedeckten Sarg des heiligen Sebaldus ein kapel-
Chörlein des Sebalder Pfarrhofes in Nürnberg.
(Nach einer Photographie.)
Friedr. Brinkmann: Nürnberg.
359
lenartiges Erzgebäude anzufertigen, eilt Plan, womit man
sich schon lange getragen zu haben scheint, und führte das
Werk im Zeitraum von 11 Jahren (1508 bis 1519) zur
Vollendung.
„Der Unterbau des Sarges, auf einer Platte von krie-
chenden Schnecken und Delphinen getragen, ist mit vier
Basreliefs ans der Sage des Heiligeil geschmückt. Neben
demselben erheben sich acht Pfeiler mit Halbsäulchen unb
tragen auf ihren Deckplat-
ten acht gekräuselte Rund-
bögen, die sich zu drei viel-
fach durchbrochenen, thurm-
artigen und reich mit klei-
nen Strebepfeilern und
Strebebögen verzierten,
knppelartigen Erhöhungen
aufbauen. Auf der mittel-
steil unb höchsteil steht das
Christkind mit der Welt-
kugel als heilbringender,
nlächtiger Schutzgeist. Vor
der Mitte der Bögen siild
reichgeschmückte Leuchter
aufgestellt, deren gleich-
falls eherne Kerzen die
Bögen stützen helfen, in-
dein sie in Blätterkelche
anslanfen, auf welchen
anmnthig spieleilde Kna-
ben sich schaukeln lind hcr-
abfchauen. An den Eckeil
des Grabes siild wirkliche
Leuchter angebracht, welche
voil vier sehr zart gebilde-
ten unb unmuthigen Meer-
jungfrauen gehalten wer-
den. Vor deil Pfeilern
aufgerichtet stehen auf
leuchterähnlichen Sänlchen
die 12 Apostel einzeln, an
den Eckpfeilern zu zwei;
über ihnen, auf beit Pfei-
lern , die 12 kleinen Pro-
pheteil , und unterhalb an
der einen Schmalseite des
Unterbaus der heilige Se-
baldns, an der andern
Peter Bischer selbst in sti-
ller Rothgießerkleidung;
endlich zll unterst an den
vier Eckpfeilern die nackten
Figuren des Nimrod, Sim-
son, Perseus und Herku-
les." „Die Rundfiguren
sind vielleicht das Schönste,
was deutsche Bildner- und
Gießknnst geleistet; in deil
Aposteln z. B. ist eine außerordentliche Feinheit künst-
lerischer Gefühlsstilfen entwickelt und überhaupt in der gan-
zen Auffassung lind fleißigen Durchbildllilg ein wahrhaft
edler Styl."*) Immerhin hält es jedoch schwer, das Baild,
welches diese bunte Menge von Thiereil unb Mcnscben, von
heidnischen, jüdischen lind christlichen Figuren zu cincin ge-
schlosseneil Ganzen einigt unb zusammenhält, die Idee,
*) So schreibt Herr v. Rettberg.
Wendeltreppe im Fuchs'schcn Hause in Nürnberg.
(Nach einer Photographie.)
welche in dem ganzen Werke sich ausspricht, heranszufindeil.
Als solche glaubt v. Rettberg, ob mit Recht oder Unrecht,
taffen wir dahin gestellt, Folgendes zu erkennen:
„Bischer scheint bildlich haben aussprecheil oder wenig-
stens andeuten zu wollen, wie das edlere religiöse Gefühl
liild eine höhere Welt, die in den Apostel - unb Propheten-
siguren, in den Engelein unb endlich dem Christuskinde,
das als Heiland den Gipfel des ganzen Gedankenaufbaues
bildet, vertreten lind ver-
sinnlicht wird, stets erha-
ben uild in uns siegreich
sein solle über das, weiln
auch noch so anninthige
llild ergötzliche Treiben itub
deil Kindertand der irdi-
scheil Sinnenwelt, deren
Gebilde er deshalb mehr
an den ullteren Theileil
seines Kunstwerkes ver-
theilte und hier in desto
reicherer Fülle, als das
uns linlgebende Mitlebeil
so überschwenglich reich
daran ist und, unwider-
stehlich zum Mitgenuß auf-
fordernd , oft schwer zll
einer höhern Anschauung
gelangen läßt." —
Zu den eben bespro-
chenen beiben Kunstwerken
Pflegt man als drittes den
sogenannten „Englischen
Gruß" von Veit Stoß
zll stellen, und eben so dic-
seil mit Kraft unb Bischer
zu einer Künstler-Trias
zusanlmenzufassen. Aber
das Eine wie das Andere
ist nilstatthast, dieses eine
Herabsetzllng der beiben
trefflichen Meister, feiles
eine Herabsetzung ihrer
Meisterwerke. Während
diese beiden Mäilncr in
ihrem öffentlicheil Wirkeil
wie in ihrem Privatleben,
besonders in ihrem Fami-
lienleben, wahre Muster-
bilder des mittelalterlichen
Künstler - und Handwerker-
standes sind, war Veit
Stoß eine unruhige, hän-
delsüchtige lind geradezu
unehrenhafte Persönlich-
keit , eiil Mensch, der bald
im Gefängnisse, bald auf
der Flucht sich umhertreiben
mußte und sogar wegen Urkundenfälschung von Henkershand
gebrandmarkt wurde, bei dem daher aucs; kein Geselle ar-
beiten mochte. *) Da er kein geborener Nürnberger war,
sondern ans Krakau einwanderte, darf man, wenngleich
die Faiinlie deutsch still soll, annehmen, daß sein Blut zu
einem guten Theil nildeutsch war. Aus feilen Gründen
*) Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte. Nürnberg 1860.
S. 14 bis 24.
360
Fried r.'B r i nk m cntn: Nürnberg
stand er daher auch zu Kraft und Bischer tu gar keinen:
Persönlichen Verhältnisse und konnte nicht darin stehen.
Was indeß sein Kunstwerk, den viel genannten, aber wenig
gekannten „Englischen Gruß" betrifft, der oben hoch in der
Lorenzkirche aufgehängt ist, so n:ag er als Holzschnitzwerk
vortrefflich sein, darf sich aber mit den ktbeu Monumenten,
die Kraft m:d Bischer geschaffen, nicht messen. Daz:i kann
dasjenige, was an ihm bewundert zu werden verdient, in
der Entfernung, worin der Beschauer steht, gar nicht ein-
n:al geschätzt werden. Schon ans diesem Grunde thäte man
daher wohl, ihn aus der Lorenzkirche herauszuschaffen, wie
er ja auch lange daraus verbannt gewesen ist; noch mehr
wird dies aber darum geboten, weil er in das Ganze der
Kirche nicht paßt, sondern nur stört.
Die übrigen so zahlreichen Kunstwerke, die diese Männer
und ihre Zeitgenossen in Nürnberg geschaffen, müssen wir
mit Stillschweigen übergehen, und selbst für die so hervor-
ragender: und interessanten Persönlichkeiten eines Hans
Endlich sind noch als Denkmale dieser großen Zeit Nnrn-
bergs die Häuser zu erwähnen, wo jene Vertreter derselben
gewohnt haben, und die noch iminer durch Inschriften aus-
gezeichnet werden, und als ein noch ehrwürdigeres der Ort,
wo sie ihre letzte Ruhestätte gefunden, der Johanniskirchhof.
Wie der Gottesacker fast jedes Dörfchens besucht zu werden
verdient, so gehört der Johanniskirchhof für den sinnigen
Reisendenzu den: Interessantesten, was Nürnberg bietet.
Er stößt unter den 4000 Grabsteinen, die hier zusammen-
gehäuft sind, ans die ruhmvollsten Namen: Albrecht Dürer,
Willibald Pirkheimer, Hans Sachs, Hieronymus
Paumgarten u. a., die auf Messingplatten in die großen
Sandsteinblöcke eingefügt sind, und der Schmuck der Kunst
fehlt natürlich auf einen: Kirchhofe Nürnbergs nicht. (Holz-
fchuhersche Kapelle, die Kraftschen Stationen.) —
Mit dieser Darstellung der Blüthezeit Nürnbergs brechen
wir unsere historischen Betrachtungen ab, da der beschränkte
Raun: uns nicht gestattet, die weiteren Spuren der dent-
Die Pegnitz in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
Sachs, eines Willibald Pirkheimer bleibt uns fein Raum
mehr übrig.
Bon den denkwürdigen Häusern, welche in dieser
Zeit entstanden, wollen wir hier nur das Gymnasium nen-
nen. Es wurde 1526 von Melanchthon gegründet, und gerade
300 Jahre später ist diesen: ans den: Platze, an welchem es
liegt, eine Bildsäule gesetzt worden. Später (1575) wurde
es nach dem naher:, noch zun: nürnberger Reichsgebiet ge-
hörigen Altdorf verlegt, bald darauf aber (1578) in eine
Akademie umgewandelt und diese in: Jahre 1622 zu einer
Universität erhoben, wogegen das Gymnasium 1632 nach
Nürnberg zurückkehrte. Damit hatte denn die Stadt wieder
ein Besitzthnn: gewonnen, wodurch sie sich vor aller: anderen
deutschen Reichsstädten auszeichnete. Denn sie theilte unter
allen nur mit Straßburg die Ehre, eine eigene Universität
zu besitzen und behielt diese bis zrrm Errde seiner Reichs-
freiheit, wo Altdorf mit Erlangen zu Einer Universität
vereint wurde.*)
*) Tie Hinweisung auf diese Universität und auf die vielen
Gelehrten, die ans Nürnberg hervorgegangen sind (Pirkheimer,
scher: Geschichte ir: Nürnberg zr: verfolgen. Wir sind zu
dieser Abkürzung irrn so mehr berechtigt, als die folgenden
Jahrhunderte zr: den traurigsten der derrtschen Geschichte ge-
hörer: uird es eine unerquickliche und undankbare Arrfgabe
ist, das Spiegelbild des unaufhaltsam fortschreitender: Ver-
falls des deutscher: Volkes irr dem (tätigen Sirrker: der Größe
Nürnbergs aufzudeckerr.
Nur der: Einen tröstlichen Gedanken müsser: wir noch
hervorheberr, daß, wie die größte Erniedrigung Deutschlands
Paumgarten, Camerarius, Schcnrl re.), mag genügen, nur zu
zeigen, was das alte Nürnberg für die Wissenschaft'gelhan hat.
Was aber ihre Pflege in der Gegenwart betrifft, so braucht
nrrr wieder an dasselbe Gymnasium erinnert zrr werden, dessen
Rektorat acht Jahre lang (J808 bis 1816) einer der ersten
Vertreter der modernen Wissenschaft, Hegel, bekleidete, nachdem
sein Ruf als Philosoph längst begründet war (er kam von hier
als ordentlicher Professor nach Heidelberg, 1818 als solcher
nach Berlin); an die grosse polytechnische 'Schule, das hervor-
ragendste Institut dieser Art in ganz Bayern, und das ger-
manische Museum, das sich zum Ziele gesetzt, der Mittel-
punkt der ganzen deutschen Geschichtsforschung im umfassendsten
Sinne des Wortes zu werden, und sich demselben schon nierk-
lich genähert hat.
Friedr. Brinkmann: Nürnberg.
361
mit der Schlußscene der Geschichte Nürnbergs als freier
Stadt und der ärgsten Zerrüttung seines Wohlstandes zu-
sammenfällt, wie 1806 das Jahr war, in welchem eben so
wohl für die altersschwache freie Reichsstadt, als für das
altersschwache deutsche Reich die Todesstunde schlug, eben so
das jetzt mit überraschender Schnelligkeit wieder aufblühende
Nürnberg uns als ein Wahrzeichen gelten darf, daß auch
das deutsche Volk neu grünt unb blüht, und sein kraftvoller
Wuchs sich wieder ;u einer Krone erschließen will, in wel-
cher das in jenem unseligen Jahre zu Grabe getragene „heilige
römische Reich deutscher Nation" neu aufersteht als das einige
deutsche Reich. —
Das nürnberger Wohnhaus. Alte und neue
Prach t.
Es wurde früher von uns gesagt, der Eindruck, den
Nürnberg in feiner Ganzheit auf unser Gefiihl mache, sei
einestheils ein patriotisch-
historischer , anderntheils
ein ästhetischer. Nach der
Besprechung des erstem
gehen wir jetzt ¿u dem letz-
tem über. So allgemein
auch jener bei einem jeden
Gebildeten vorausgesetzt
werden darf, so werden
sich diesem doch noch weni-
ger Personen entziehen
können, die ciudj nur ein-
mal diese einzige Stadt
gesehen haben. Denken
wir uns Jemanden, der
weder für das große Gebiet
der Kunst, noch für Han-
del und Industrie ein In-
teresse, und zu wenig histo-
rische Kenntnisse hätte, als
daß er jenen patriotischen
Antheil an Nürnberg neh-
men könnte, oder bei dem
dieser darum unmöglich ist,
weil er ein Ausländer ist,
— auch ein Solcher würde,
wofern er nur mit einem
freien, offenen Sinne für das in Natur und Menschenleben
sich bietende Schöne begabt wäre, noch einen sehr befriedi-
genden Eindruck von Nürnberg mit fortnehmen. Ja sollte
Einer selbst alle Städte so gründlich hassen, wie Byron,
daß er mit diesem sprechen könnte:
To me
High mountains are a feeling; but the hum
Of human cities torture —
für Nürnberg müßte er eine Ausnahme machen, Nürnberg
müßte er dennoch lieb gewinnen.
Es ist das rein ästhetische, von allen Beziehungen und
Voraussetzungen unabhängige Wohlgefallen an der Stadt,
was auch solche Gemüther fesselt. Es ist die unwidersteh-
liche Wirkung des in sich Schönen und Charaktervollen, das
als solches uns in Besitz nimmt, die ganz ähnliche Wirkung,
wie wir sie vor einem von Künstlerhand geschaffenen Porträt
empfinden, sollten wir auch nicht wissen oder nur ahnen
können, wer oder was diese Person im Leben gewesen; es
ist das Interesse an der Stadt alls Charakterbild.
Wir besprechen dies zuletzt, weil der Eindruck, welchen
die Stadt, von dieser Seite ans gesehen, macht, gleichsam der
Globus VI. Nr. 12.
einigende Farbenton ist, in welchem sich alle die einzelnen
Charakterzüge zu einem harmonischen Ganzen verschmelzen.
In der Wirklichkeit ist dies Interesse aber das erste, das uns
einnimmt, sobald wir die Stadt betreten. Haben wir
nur erst einige Gänge durch die Straßen gemacht, so sind
wir von dem durch und durch malerischen Gepräge derselben
so erfüllt, daß wir weder an die Geschichte, noch an Handel
und Industrie, ja nicht einmal an die Kunst denken, sondern
uns ungetheilt dem Vergnügen hingeben, die Bilder, die sich
unaufhörlich und unzählig vor unseren Augen entfalten, in
uns aufzunehmen. Wer ähnliche Städte noch nicht gesehen
hat, braucht einige Zeit, um sich von seinem Staunen zu
erholen, wenn er gewahrt, welch wunderbar malerische Per-
spektiven sich nach allen Seiten in deir Straßen eröffnen,
er mag gehen, wohin er will. Er möchte glauben, alle die
Häuser seien von Kennerhand absichtsvoll nur zu dem Zwecke
hingestellt, um das Bild zu Stande zu bringen. Aber er
sieht ja ganz deutlich, daß hier gar Nichts beabsichtigt worden
ist, daß Alles so durchaus
naturwüchsig ist, wie die
Berge und Ebenen, wie
die Wälder und Fluren,
deren unbegreifliche Schön-
heit ihn so oft entzückt hat,
und diese Beobachtung trägt
nun wieder nicht wenig
dazu bei, sein Staunen zu
vermehren.
Leider gestattet uns der
beschränkte Raum, der uns
noch übrig bleibt, nicht,
Nürnberg von dieser Seite
mit derselben Ausführlich-
keit darzustellen, wie es
bisher geschehen. Wir
müssen uns aus das We-
sentlichste beschränken und
im klebrigen ans die Schil-
derung verweisen, die wir
an einem andern Orte von
Nürnberg gegeben haben
(s. Meine „Studien und
Bilder aus süddeutschem
Land unb Volk", S. 45
bis 68).
Nur Einen Punkt wollen wir hier ausführlicher bespre-
chen. Er betrifft das Individuum, das iir allen jenen Bil-
dern wiederkehrt, das Grnndelement, woraus sie sich auf-
bauen: das nürnberger Wohnhaus.
So alterthümlich - mittelalterlich uns die nürnberger
Häuser auch erscheinen, so rühren doch die ältesten mit we-
nigen Ausnahmen aus der Zeit her, wo das Mittelalter schon
in die neue Zeit überging, aus dem Ende des 15. und dem
16. Jahrhundert. Denn erst damals wurde es allgemein
Sitte, massiv aus Steinen zu bauen, vorher verwendete
man diese höchstens zu öffentlichen Gebäuden; die Privat-
leute bauten sich Häuser aus F a ch w e r k, als deren Re-
präsentanten in dem heutigen Nürnberg wir das Albrecht
Dürer-Haus ansehen können. Kamen einmal Ausnahmen
von dieser Regel vor, so wurde es immer als etwas Außer-
ordentliches in den Urkunden erwähnt, und selbst die im
Jahre 1457 angelegte, jetzt Marbrücke genannte Brücke
konnte noch „die steinerne Brücke" getauft werden, weil die
übrigen aus Holz waren.
Was nun die Struktur und die Gestalt des altdeutschen
Hanfes betrifft, wie es uns in Nürnberg entgegen tritt, so
46
Die Königsbrücke in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
362
Friedr. Brinkmann: Nürnberg.
kann man alle Eigenthümlichkeiten desselben, die oft über-
einander hervorragenden Geschosse, die treppenartigen Giebel,
die uns so auffallende Vertheilung der inneren Räume, die
Chörlein und Erker und den übrigen äußern Schmuck, man
kann das Alles bis auf den kleinsten Säulenknauf und den
letzten Schnörkel beschreiben, und derjenige, dem es beschrie-
ben wird, gewinnt doch keine rechte Anschauung der Sache,
höchstens ein todtes Bild, wenn ihm nicht zugleich die Gründe
entwickelt werden, warum man so baute und so bauen mußte,
wenn nicht das Leben vorangestellt wird, welches sich diese
Häuser als Fornr angebildet hat, der Inhalt, aus welchem
diese Form mit Nothwendigkeit hervorgegangen ist.
Mit diesen Worten haben wir schon den wesentlichsten
Unterschied jener altdeutschen Häuser von den unsrigen mo-
dernen angedeutet. Damals war die Architektur
noch ihrem Kardinalgesetze getreu, daß sie ans dem
Bedürfnisse des Menschen, aus dem Leben des Vol-
kes organisch herauswachsen, daß sie im Großen und
Kleinen, von der ganzen Anlage des Bans an bis zum klein-
sten Ornamente nichts sein soll als eine durchsichtige Hülle,
ein wohlsitzendes Gewand, das sich an die nationalen
Lebensformen eng anschmiegt und deren Schönheit
deutlich durchschimmern läßt, mit Einem Worte: daß sie
wahr sein soll. Die Renaissance hat die einem
fremden Volke entlehnten, für eilten ganz ver-
schiedenen Lebensinhalt entstandenen Bauformen
dem deutschen Leben äußerlich aufgeheftet und
damit die Architektur unwahr, das Haus zu einer
todten Maske gemacht, und an den Folgen die-
ser historischen Thatsache leiden wir noch immer.
Der mittelalterliche deutsche Bürger ließ also sein Hans
so bauen, daß es ganz und gar seinen individuellen und
besondersten Bedürfnissen und Interessen entsprach, er ließ
es gleichsam sich und seiner Familie auf den Leib anmessen
und anpassen. Die Folge davon ist, daß das Haus,
wie es der lebendige Abdruck der Persönlichkeit einer Familie
wurde, selbst ein scharf charakterisirtes Individuum,
gleichsam eine Person, wurde, und hierin liegt ganz
besonders der unsägliche und im Anfange ganz unerklär-
liche, man möchte sagen mystische Zauber, den die Häuser
Nürnbergs auf jedes empfängliche Gemüth ausüben. Es
ist, als ob alle diese Häuser, die uns mit ihren so ausgear-
beiteten Physiognomien so lebendig anschauen, etwas zu er-
zählen hätten von dem, was sie Alles erlebt und mitange-
sehen haben, und wenn sie nicht durch das laute Treiben der
Gegenwart gestört werden, in stillen Nächten, mögen sie
auch wohl seltsame Gespräche mit einander pflegen, die uns
ein Dichter wohl einmal gelegentlich mittheilen könnte.
Dieser Charakter wird nun aber noch dadurch erhöht,
daß wir nicht selten erkennen, wie eine ganze Reihe von
Geschlechtern in dem ¿pause gewohnt, wie es von Vater auf
Sohn, Enkel und Urenkel übergegangen ist, und ein Jeder
es nach seinem Bedürfnisse und Geschmacke umgeändert, er-
weitert und ausgeziert hat, wie also das einzelne Haus als
altehrwürdiges Monument einer in: Laufe von Jahrhunder-
ten als Ganzes sich darstellenden und sich fiihlenden Familie
dasteht.
Wie aber die alte Familie in der zeitlichen Aufeinander-
folge der Geschlechter als eng verbundenes Ganzes sich fühlte,
so waren auch die einzelnen gleichzeitig mit einander lebenden
Glieder der Familie inniger an einander gerückt, das Fami-
lienleben war ein entschiedeneres Zusammenleben als heut
zu Tage, der Einzelne zog sich weniger auf sich selbst
zurück und lebte mehr in dem Ganzen. Im Hause findet
dieser Zug der alten Zeit seinen Ausdruck darin, daß im
Innern die Vertheilung des Raumes so ganz verschieden ist !
von der unserer Häuser, daß dieser, wie es den Kindern des
19. Jahrhunderts vorkommt, in wahrhaft verschwenderischer
Weise zur Anlage von Vorhallen, Hausfluren, Gängen und
Höfen verwendet worden ist, und die Zahl der für den Ge-
brauch der Einzelnen bestimmten Gemächer verhältnismäßig
gering rmd diese selbst sehr beschränkt sind. Wer sich hier-
über wundert, bedenkt eben nicht, daß unser Leben ein so
ganz anderes geworden ist in den letzten drei Jahrhunderten,
daß damals gerade diese großen Räume zu den am ineisten
benutzten uird nothwendigsten gehörten, sie recht eigentlich
fiir das Zirsarnmenleben der ganzen Familie (mit Einschluß
des Gesirrdes) bestimmt waren, hier am Morgerr das ge-
meinsame Gebet stattfand, an: Mittag urrd Abend, wenig-
stens im Sommer, die Mahlzeit eingenommen wrrrde und
hier nach der Arbeit des Tages die Einzelnen zusammerr
kamen, um sich auszuruhen und den Abend gemeinsam zu-
zubringen, ein Zuschnitt des Lebens, der sich in der bäuer-
lichen Sitte vieler Gegenden Deutschlands, besonders der-
jenigen, die eines blühenden Bauernstandes sich erfreuen,
noch immer erhalten hat.
Daher sind and) diese zur gemeinsamen Benutzung der
Familie bestimmten Räume meistens reich ausgeschmückt.
Das schwere Täfelwerk ist oft schön ausgeschnitzt und Säulen,
Skulpturen und Gemälde sind in ihnen bei wohlhabendeil
Familien zrl finden. Die inneren Höfe sind mit mehr oder-
weniger reich ausgearbeiteten Gallerien ilnd Gängen
umgeben, gumeiscu mehreren Reihen über einander, die von
Bogen mit Kreuzgewölben getragen werden, und sie gewin-
neil dadurch ciiteit besonders traulichen Charakter, weshalb
sie voil den Kindern eben so sehr als Spielplatz, wie von
bcu Erwachsenen als Ruheplatz nach der Arbeit gesucht sind.
Die zahlreichen Treppen im Innern haben oft ein schön
durchbrochenes Geländer voll Holz oder Steiil uild fiub in
den vornehmen patricischen Häusern oft wahre Kunstbauten.
Es finden sich sogar auch eigene Privatkapellen für den
Hansgottesdieilst, oder ein Theil der großen Flur im ersten
Stocke ist mit besondern: Schmucke zu diesem Zwecke allsge-
stattet. Uebrigens wareil regelmäßig nur die oberen Stock-
werke für den Gebrailch der Haushaltung bestimmt, das
Erdgeschoß wurde ausschließlich für ben Handelsbetrieb und
als Waarenlager verwendet.
In dem Aeußern der Häuser fällt uns zunächst auf, daß
der Giebel durchgängig der Straße zugewendet ist. Das
altdeiltsche Biirgerhaus hat diese Stellung des Giebels mit
denl alten deutschen Bauernhöfe, wie er sich noch so häufig
findet, gemein, und diese Banart ist wieder ein Aus-
druck der deutschen Familie und zwar desselben Zuges,
deil wir unmittelbar vorher besprocheil haben. Deiln das
Zusammenschließen der Familie nach innen stellt sich gegen
außen als ein Abschließen dar, und darun: wendet das
Haus ilnr seine schnlale Seite, die Giebelseite, nach außen,
die breite aber nach innen, nach dem Hofe, der nun gerade
dadurch wieder eine erhöhte Bedeutung bekommt, besonders,
wenn auch der Eingang durch ihn führt. Beim Bauernhöfe
besteht nun das dieser Sitte ursprünglich zu Grunde liegende
Verhältniß noch immer, in deil Städten ist es wenigstens in
den Häusern noch zu erkennen, die einen Hof haben. Da
dies aber in der Regel nicht der Fall ist, so muß es das
zähe Festhalten an der alteil deutschen Sitte überhaupt ge-
wesen fein, ivas an jenem besondern Branche in: Häuserbau
festzuhalten gebot. Dann mögen aber auch die äußeren
Umstände der mittelalterlicheil Städte dazil mitgewirkt haben.
Deilil der beschränkte Rainil, der bei: Bürgern hinter ihren
Mauern gelassen war, machte es ilöthig, den Häusern nur eine
möglichst schmale Ausdehnung gegen die Straße zu geben,
dagegeil sie sehr tief und sehr hoch zu bauen. Von dieser
Friedr. Brinkmann: Nürnberg.
363
Seite hängt beim die Giebelstellung zur Straße mit der
ganzen Gestalt und den Proportionen des Hauses zusammen.
Nichten wir nun unsern Blick auf die Ausschmückung
dieser oft vier bis fünf Stock hohen, fpitzgiebeligen Häuser,
so wird er vor Allem durch die reizenden Erker (Chörlein,
wie sie hier in Nürnberg heißen) gefesselt. Wenn man
einige Zeit in den Straßen Nürnbergs umhergegangen ist
und diese unzähligen Chörlein betrachtet hat, wenn man
bemerkt, wie der Bauherr keine Kosten, der Baumeister und
Steinmetz keine Mühe gescheut haben, um das Zierlichste von
Formen und Ornamenten, das ihnen im Bereiche der Gothik
zu Gebote stand, in diesen Chörlein zur Darstellung zu
bringen und wahre Prachtstücke der Architektur zu schassen,
so muß man wohl auf den Gedanken kommen, daß sich in
ihnen ein gutes Stück deutschen Wesens ausspricht, und
daß das unendliche Wohlgefallen, womit wir an ihnen han-
gen, noch einen andern Grund hat, als das blos ästhetische
Interesse. Wir denken es uns so „gemüthlich" (dies viel
mißbrauchte Wort ist hier recht an der Stelle), in diesem
koketten Schmuckkästchen sich einzunisten, von wo man die
ganze Straße und zugleich das Zimmer übersehen kann, zu-
gleich auf der Straße und im Zimmer, und doch wieder
weder auf der Straße noch im Zimmer, sondern bei sich
ist. Es spricht sich in diesem eigenthümlichsten Schmucke
der deutschen bürgerlichen Architektur der Hang des Deut-
schen zur Beschaulichkeit und Innerlichkeit aus, die Nei-
gung, „sich gegen die Außenwelt abzuschließen, und, indem
er sich in der Menge verliert, sich in sich selbst um so mehr
zu finden", dieser Charakterzug unsers Volkes, woraus alle
unsere besten Eigenschaften, aber auch unsere Schwächen
herrühren, und wodurch wir uns besonders stark von den
Völkern des klassischen Alterthums unterscheiden, „die, von
engsten Grenzen ausgehend, in das Weite strebten und den
Markt lieber als das Haus bewohnten". Das Chörlein ist,
wie v. Eye treffend sagt, wieder „ein Zimmer im Zimmer,
gleichsam ein Versteck, ans dem man in die umgebende Welt
hineinschauen kann, und somit steht es in dem altdeutschen
Hause als Ergänzung der ans das enge Zusammenleben der
Familie berechneten Räume da, als der Arbeits- , Spiel-
und Schmollwinkel, wohin sich der Einzelne zurückziehen
kann, ohne sich jedoch von der Familie abschließen zu können,
da es gegen das Zimmer offen ist". (Dies ist eine feine
Deutung des Erkers von Niehl.) Darum ist es auch immer
schöner, weicherund bequemer eingerichtet, als das übrige
Zimmer, es ist der Lieblingsplatz der ganzen Familie, und
eine trauliche Unterhaltung wird immer am liebsten dort
gepflogen. Eins der schönsten Chörlein Nürnbergs, aus
der Blüthezeit der Gothik, dem 14. Jahrhundert herrührend,
ist das amSebalder Pfarrhose gegenOsten angebrachte.
Aus seinen Fenstern hat gewiß sehr oft der alte, ehrwiirdige
Probst Melchior Pfinzing, der Freund Maximilians,
herausgeschaut, um ein wenig auszuruhen, wenn er mit der
Ueberarbeitung des vom Kaiser verfaßten Gedichtes Theuer-
dank beschäftigt war.
An diese Eigenthümlichkeiten, die das altdeutsche Haus
überhaupt charakterisiren, müssen wir nun noch eine an-
reihen, die Nürnberg besonders zukommt. Das ist eine
gewisse bürgerliche Vornehmheit, ein aristokratischer
Geist, der aus seinen Häusern spricht. Es zeichnet sich vor
den übrigen deutschen Städten, in denen sich noch mehr oder-
weniger Häuser altdeutschen Styles finden, nicht nur durch
die Massenhaftigkeit aus, in welcher er hier auftritt, sondern
auch durch den Reichthum, in welchem er hier seine Schön-
heit entfaltet. Und Letzteres muß von jeher so gewesen sein.
Dafür zeugt der Ausspruch des Aeneas Sylvins (P 1464):
„Die schottischen Könige würden froh sein, wenn sie so woh-
nen könnten, wie ein nürnberger Bürger."
Darum aber greifen wir Wohl nicht fehl, wenn wir die-
sen Zug, abgesehen von dem Wohlstände der Stadt, mit
dem entschieden patricischen Charakter des Stadtregimentes
und somit des ganzen städtischen Lebens in Verbindung brin-
gen , wodurch sich Nürnberg bis zum Ende seiner Neichs-
sreiheit vor allen anderen deutschen Städten auszeichnete.
Denn beim Vorwalten ächt aristokratischer Gesinnung steigen
immer die Würde des Hanfes und der Werth, ivelcher ans
den Besitz eines eigenen Hauses gelegt wird (s. a. a. O.
S. 64 fg.). Dem entsprechend mußte man hier also mehr
als anderswo darauf bedacht sein, das Haus möglichst reich
von innen und außen zu schmücken und diesen Schmuck
wieder zur schärfern Judividualisiruug zu verwenden, um es
bestimmt von dem Nebeuhause zu unterscheiden und es auf
den ersten Blick erkennen zu lassen, daß man ein eigenes
Haus besitze. Darum bietet denn eine Straße von nur
mäßiger Länge eine solche Mannigfaltigkeit von Häusern dar,
daß keins dem andern gleicht, sondern ein jedes sich als ein
besonderes, ein eigenes darstellt durch die Gestalt und Höhe
des Daches, wodurch es sich namentlich immer von den
Nachbarhäusern unterscheidet, durch die Gestalt und Ver-
zierung des Giebels, durch die Zahl und Form der Thürm-
chen und Dachluken, durch die Gestalt der Chörlein, durch
Stäbe und Streifen, welche die Wandflächen unterbrechen,
durch die bald zwei-, bald dreitheilige Gestalt der Fenster
und deren Verzierungen, durch eingefügte Basreliefs, und
durch die Ritter-, Heiligen- und Marienbilder, die unter
Schirmdächern ans kleinen Postamenten stehen.
Was die im Renaissance- und Rococostyle gebauten
Häuser betrifft, so treten sie zwar au Zahl ganz und gar
hinter die im gothischen gebauten zurück, da diese modernen
Bauarten viel später in die biirgerliche Architektur Eingang
fanden, als in die kirchliche und staatliche. Dagegen gehö-
ren ihnen gerade die glänzendsten Wohnhäuser an, die Nürn-
berg auszuweisen hat: das Tuchersche Haus, 1554 im
Uebergangsstyle gebaut, und das ehemals Pellersche, jetzt
Fuchs 'sch e Haus, 1605 im reichsten venetianischen Palast-
style ausgeführt, ausgezeichnet u. a. durch seinen Prachtsaal
und die überaus zierliche Wendeltreppe im Innern. An
manchen Häusern findet sich der Renaissancestyl nur in den
Verzierungen, z. B. in den Chörlein des Petersenschen
Hauses (Ecke des Panierplatzes und der Söldnersgasse s.
S. 289). Derselbe ist unter den öffentlichen Gebäuden ver-
treten durch die Fronte des Rathhauses, und der spätere
Rococostyl durch die Egidieukirche und die Deutschhaus-
ordeuskirche. —
Es könnte nun aber vielleicht auch eine andere Stadt
denselben Reichthum an gothischen Häusern haben, und doch
nicht entfernt einen ähnlichen Eindruck auf unser Schön-
heitsgefühl machen, wie Nürnberg. Es treten noch eine
Menge anderer günstiger Umstände hinzu, um aus dem bis-
her betrachteten Gruudelemente die reizenden und mannig-
faltigen Bilder zu schaffen. Wir können sie aber nur in
aller Kürze berühren. Vor Allem ist die Art und Weise
hervorzuheben, wie die einzelnen Häuser sich zusammeugrup-
piren, um eine Straße zu bilden. In ganz Nürnberg
gibt es keine einzige schnurgerade und ebene
Straße. Alle sind mehr oder weniger gekriimmt oder gar-
winkelig, steigen sehr oft auf und ab, da die Stadt aus
einem hügeligen Boden erbaut ist, und durchkreuzen sich in
der buntesten Weise. Dazu aber treten die Häuser nicht
in geschlossenen, in Einer Linie liegenden Mauern an die
Straße hinan, sondern bilden mit einander eine Zickzacklinie,
die sich in eigensinniger Weise bald dem Straßendamme
46*
Tie Maxbrücke in Nürnberg. (Nach einer Photographie.)
-LasquckM juiumjuugs 'aqsraL
Fried r. 93 fin sin amt: Nürnberg
365
nähert, bald wieder davon entfernt. Von diesen beiden
Momenten, der stetig nnb mannigfaltig sich schlängelnden
Straße itnb der selbständigen Stellung, welche das Hans in
der Zickzacklinie dieser gegenüber einnimmt, rührt es her,
daß auch in den größten Bildern, welche die Straßen Nürn-
bergs darbieten, ein jedes einzelne Harts so vortrefflich her-
vortritt, daß es rricht als Fläche, sondern in seiner plastischen
Körperlichkeit sich darstellt, da wir es fast immer von zwei
aber auch der Grund, warum sich der jedesmalige Haupt-
gegenstand des Bildes immer so reizend von einem einleiten-
den Vordergründe nnb einem abschließenden Hintergründe
abhebt. —
In die so gebildeten, schon an sich so lebendigen und so
mannigfaltig zusammengesetzten Bilder der Häuser und
Straßen Nürnbergs mischen sich nun noch viele andere
Elemente: die zahlreichen Kirchen nnb Kapellen, die
Ansicht der Burg in Nürnberg vom Stadtgraben aus. (Nach einer Photographie.)
Seiteil sehen, so zti sagen halb en face. Der Vortheil,
welchen eine derartig gebaute Stadt in ihrer ästhetischeil
Wirkung vor deil nach der Schnur in geradlinigen Straßen
und geschlossenen Häuserfronten angelegten Städten voraus
hat, ist ganz derselbe, wie derjenige, weshalb eine in freien
Gruppen sich bewegende oder zusammenstehende Volksmenge
eine dankbarere Aufgabe für einen Künstler ist, als ein in
Reih nnb Glied aufmarschirtes Regiment Soldaten. An-
dererseits ist jene eigenthümliche Beschaffenheit der Straße
durch die gattze Stadt zerstreilt sind; die vielen, uleisteus
mit großer Kunst angefertigten Brunnen, von denen der
schon genannte „schöne Brunnen", „das Gänsemänn-
chen" von Labenwols (7 1563), der des Nathhaushofes
von demselben, und der sogenannte „Wasserspeier" ans
dem Marplatze, von Bromig, (1687) sich anszeichnen;
der die ganze Stadt in fast gerader Liilie durchströmende uitd
sie in zwei Hälften theilende Fluß, die Pegnitz mit ihren
Brücken, aus deren großer Zahl die Königsbrücke, die
366
Friede. Bein km au u: Nürnberg.
nach dem Vorbilde des Ponte Rialto in Venedig erbaute
Fleischbrücke, die Karlsbrücke und die Maximi-
liairsbrücke besonders genannt zu werden verdienen; rrnd
endlich die Stadtmauern, Thürme, Bastionen, Wälle und
Gräben mit den sie rings einschließenden Anlagen. Insbe-
sondere sind es die beiden zuletzt gedachten Umstände, welche
so wesentlich die Schönheit der Häusergruppen erhöhen, rrnd
darum sind die Brücken der Pegnitz und die Anlagen um die
Stadt diejenigen Standpunkte, welche die ansgesnchtesteir
von all den schönen Bilderrr gewähren, die rrrrs in Nürnberg
entzücken.
Werden die malerischen Reize der altehrwürdigerr Barrten
für den ans einer der Pegnitzbrücken stehenden Beobachter
durch die größeren Zwischenräume und die weiteren Per-
spektiven, welche der Fluß sich in die Häusermassen bricht,
besonders aber durch den Gegensatz des flüssigen Elementes
hervorgehoben, so geschieht es bei den Spaziergängen
um die Stadt säst noch mehr durch die frische Vegetation,
welche rings um sie aufsprießt, durch den Epheu, der oft in
ganzen geschlossenen Wänden an den Mauern aufrankt, durch
den grünen Rasen, welcher den trocken gelegten Stadtgraben
auskleidet, durch die zahlreichen Obstbäume, welche dort in
der Tiefe und auf den Wällen weit sich ausbreiten und ihre
blühenden Kronen zu den alten Mauern hinauf- und nicht
selten hoch darüber Hinausrecken, durch die reizenden Anlagen
selbst, durch die zahlreichen Gärten mit ihren Blumen unb
schmucken, oft eleganten Villen, welche auf der andern Seite
dem alten Nürnberg sich gegenüber lagern, und durch die
etwas hügelige Gestalt des Bodens, die nicht selten erhabene
Standpunkte mit umfassenden Blicken bietet.
Hätte daher auch Nürnberg weiter nichts als seine Häu-
ser und Kirchen, seine Pegnitz uub seine Anlagen, so dürfte
es schon darum als eine der genußreichsten „Vergnügungs-
städte" Deutschlands einen: Jeden empfohlen werden, wel-
chem Mutter Natur ein malerisches Auge geschenkt hat. —
Doch was für ein Genuß würde es erst sein, weil:: wir
in diese alten mittelalterlichen Häuser und Straßen das
Leben zurückzurufen vermöchten, das zur Zeit, wo sie ent-
standen und ihr Styl der allgemein herrschende war, sich in
ihnen bewegte, wenn wir das Zauberwort zn finden lind
auszusprechen wüßten, um den alten Niirnbergern, die imtev
den alten Steinplatten der Sebaldns-, der Lorenzkirche und
all der anderen Kirchen und unter den Grabsteinen des Jo-
hannis- und Rochuskirchhofes ruhen, das vollsaftige Leben,
von dem sie einst strotzten, wiederzugeben und sie in ihren
alten bunten Trachten durch die Straßen ziehen gu lassen;
— wenn wir solch einen Zug ungesehen mit anschauen könn-
ten, wie man am höchsten Festtage der Stadt, am Ehrentage
des heiligen Sebaldns zu veranstalten Pflegte, oder, falls die
Patricier, die dabei eine Hauptrolle zn spielen hatten, sich
unsertwegen nicht aus ihrem Grabe herausbemühen wollten,
einen Aufzug der Handwerkerzünfte oder der Schützen-
gilden, oder einen Nrbanszug, ein Schönbartlaufen, oder
eins der vielen Volksfeste, oder wär es auch nur ein Zug
schwedischer oder wallensteinscher Kriegsgestalten!
Ein schöner Traum! aber ein Traum, der sich doch unter
Umständen verwirklichen kann, ein Traum, der im Latste
des letzten Jahrzehntes verwirklicht worden ist. Und wer
war der Zauberer, der dies Wunder vollbrachte? — Es
war die Liebe eines warmherzigen rrnd iittelligentett Volkes
zu einem Fürsten, dessen Namen die Geschichte ans ihre lich-
testen Blätter schreiben wird, und der ihr leider schon an-
gehört.
Wir sprechen von den unvergeßlichen, einzig schönen
Tagen des Jahres 1855, dem 2. unb 3. Juli, an welchem
Nürnberg den Einzug König Maximilians in die zur
königlichen Residenz neu eingerichtete Burg feierte. Das
ganze Fest dauerte eitle Woche, doch zeichneten sich die beiden
Tage besonders ans, au welchen die großen Festzüge gehal-
ten wurden. So verschieden auch der eilte vonr aitdern war,
so fesselitd waren beide, lind beide in gleicher Weise Nürn-
bergs würdig. Der erste Tag hatte es sich zur Aufgabe ge-
macht, eine althergebrachte Sitte der Stadt, daß die Bürger
einem Jeden, der sich bei ihnen niederläßt, Geschenke an
Lebensmitteln und Hausgeräthen darbringen, auch bei dem
Einzilge des königlichen Mitbtirgers guv Anwendung zu
bringen, natürlich fit einem der Würde desselben entsprechen-
den Maßstabe. Der zweite sollte die Vergangenheit uub Ge-
genwart Nürnbergs darstellen. Beide Tage wareit für den-
jenigen, der aufrichtigen Antheil an Nürnberg nimmt, eine
unschätzbare Gelegenheit, sich eilte lebeitdige Anschauung
davoit zu verschasfeli, was Nürnberg ist unb was es war.
Uild von biefent Gesichtspunkte aus erscheinen beide Festziige
als Ein Ganzes, da der erste Tag nur eilte Ausführung voit
einem Theile des Themas des zweiten gab, der „Gegenwart"
Nürnbergs, als bereit vornehmste Erscheinung die Gewerb-
thätigkeit Nürnbergs anzusehen ist.
Der erste Festzng bewies, daß die nürnberger Industrie
noch heilt zu Tage das Lob der Allseitigkeit eben so gut
verdient, wie ehemals. Ein jedes Gewerbe war in ihm
durch die schönsten Meisterwerke vertreten. Von dem klein-
sten und gewöhnlichsten Diitg alt, das in einer Hanshaltung
gebraucht wird, bis zn dem größten und kostbarsten, von
der Schuhbürste unb dem Mehlsack an bis zu deut Silber-
gerathe und der glänzenden Kutsche fehlte Nichts unter den
Geschenken, womit die königliche Haushaltung durch beit
nürnberger Gewerbfleiß versorgt wurde, und der Werth der-
selben belief sich daher auf eine ansehnliche Sunnne, wie man
sagt, bis auf 30,000 Gulden.
Indessen konnten auch hier diejenigen Gewerbe, welche
den Namen Nürnbergs hauptsächlich außerhalb Bayerns
vertreten, nicht umhin, die besondere Aufmerksamkeit auf
sich zu ziehen: die „nürnberger Waare", das „uiirnberger
Bier" und die „nürnberger Lebkuchen". Die erst gedachte
hatte ein sehr passendes Ausstelluttgslokal tu einem riesigen
Christbaume gefunden, dessen Zweige mit allein nürnber-
ger Tand behängen waren. Das Bier für den König
wurde in großen, mit reichem Schnitzwerk geschmückten
Fässern voit wahren Prachtexemplaren jener großen und
starken Pinzgauer Pferde gefahren, mit denen man in
Bayern regelmäßig die Wagen der Brauer bespannt sieht.
Ein Lebkuchen aber war in einer Größe vorhanden, wie er
wahrscheinlich weder vorher noch nachher gebacken worden ist,
eilt Lebkuchen von 1 '/<> Centner Gewicht, und an ihil schloß
sich in würdiger Weise ein Kunstwerk der Metzger an, ein
Tempel, würdig des Schlaraffenlandes, mit einem Parquet
von Sülze, mächtigen Säulen von Servelatwurst, einer
Kuppel voll Würsten, deren Verzierungen aits Knackwürst-
chen bestanden. Dazu hatte aber auch das berühmte nürn-
b erg er Kraut land die königliche Küche mit den schönsten
Exemplaren aller seiner Gentüse bedacht.
War der ganze Eindruck dieses Festzuges mehr eilt behag-
licher und zur Heiterkeit stimmender, so war der des zweiten
Tages ein erhabener durch die großen Erimteruligen, welche
er wach rief, wttb durch die historische Treue, die Pracht und
Schönheit, womit die großen Bilder, in denen Nürnbergs
Vergangenheit und Gegenwart sich versinnlichen und zusam-
mengruppirelt lassen, zur Darstellung gebracht wurden. In
deut ungeheuern Zuge, der zwei Sttlndeil brauchte, um ganz
vorbei zu befiUven, erschienen zuerst gleich nach derNoris, der
Richard And ree: Ein Ansflug ven Jnverneß Lis zur Pentland-F'öhrde rc.
367
Personifikation des alten Nürnbergs, einem schönen Mäd-
chen in rothem Gewände, mit goldener Mauerkrone auf dem
Haupte, gezogen von einem Viergespann, die Vertreter des
alten nürnberger Handels, eine stattliche Cavalcade von 20
Kaufleuten in schwarzem Sammtwamms mit Barett und
Feder, und bald darauf der lange Zug der alten Gewerbe,
durchaus in mittelalterlicher Zunfttracht und mit all den
Fahnen, Insignien, Handwerkskleinodien und sonstigen An-
denken, welche die Stadt von der Industrie der alten Zeit
besitzt. Diese Repräsentanten des alten Bürgerthums wur-
den durch die auf sie folgenden, prächtig gekleideten Schützen-
gilden getrennt von demjenigen und zugleich „geschützt" vor
demjenigen, welcher mit der Stadt in stetem Unfrieden lebte,
darum aber gerade in einer Darstellung ihrer Geschichte nicht
fehlen durfte, dem Burggrafen, in grünem Sammtkleide
und Pelzmantel, begleitet von einem in das reichste mittel-
alterliche Jagdkostüm gekleideten Gefolge zu Pferde. Hieraus
folgte die Reformationszeit, dargestellt durch alle die großen
Männer, die damals Nürnberg auszeichneten, Dürer, Pirk-
heimer, Bischer, Hans Sachs re.; dann das 17. Jahrhundert,
vertreten durch einen Geleitszug nürnberger Kaufleute mit
den Stadpfeifern und in lederne Koller gekleideteil Reisigen
an der Spitze, endlich das 18. Jahrhundert, repräsentirt
durch den Volksdichter Grübet und seine Zeitgenossen mit
Alongeperücken, mit Zöpfen, dreieckigen Hüten und mit
Kniehosen.
Wie die „Vergangenheit" Nürnbergs dirrch die Noris,
so wurde der zweite Theil des Zuges, „die Gegenwart",
durch die Bavaria angeführt, eine Jungfrau in blonden
Locken, auf einem prächtigen, von acht reich geschirrten Pfer-
den gezogenen Wagen. Ihr folgte „der Ackerbau", Ceres zu
Wagen air der Spitze von Schnittern und Schnitterinnen,
dann „der Gartenbau", Flora auf einem voil vier Schim-
meln gezogenen Triumphwagen, begleitet von einer Fülle
reizender Mädchen, die Blumen, Kränze lind Füllhörner
trugen, und Pomona, inmitten malerisch zusammengehäufter
Früchte thronend. Das Ganze wurde abgeschlossen durch eine
lustige Bauernhochzeit. Und hier hätte nun der Zug vom
vorigen Tage noch einmal folgen können, als Vertreter der
Industrie der Gegenwart.
Mit der Erinnerung an dieses große Volksfest, worin
das nürnberger Volk eben so wohl sich selbst, als seinem Kö-
nige Mar ein Ehrendenkmal gesetzt hat, rufen wir Nürnberg
unsern Abfchiedsgruß zu. Heil der Stadt, die einer solchen
Vergangenheit lind einer solchen Gegenwart sich rühmen
kann, die ihre Vergangenheit so kennt uild liebt, und die so
kraftvoll dahin strebt, die Gegenwart zu einein verjüngten
Abbilde einer solchen Vergangenheit zu gestalten. —
Ein Ausflug von Jnverneß bis zur Pentland-Iöhrde in Nordschottland.
Von vr. Richard Andrer?)
Zwei Prinzen ohne Nationalgefühl. — Fahrt von Aberdeen nach Elgin. Die Kathedrale. — Nairn nnd Macbeths Hexe. Cawdor Castle. — Jnverneß und
dessen Lage. — Druidenzirkel. — Der nordöstliche Theil Schottlands. — Die Grafschaft Sutherland. Dornoch und die große Stadt Golspie. — Dunrobin
Castle. — Ueber Brora nach Helmsdale. Ueber Berriedale nach Wick. — Gegensatz zwischen dem germanischen Pachter und dem gaelischen Häusler. — Der
Häringsfang. — Nach Thurso. — Auf dem nördlichsten Gestade von Schottland.
Am 2. August verließ ich Aberdeeu, nicht ohne
einigeil Aerger, denn das Letzte, was ich dort sah, waren
Photographien zweier deutschen Prinzen in Hochländer-
tracht. Diese Bilder gemahnten mich an jene der Ko-
mödianten, welche wir auf dem Markt bei Arnolds (in
Dresden) oder auf der Schloßgasse ausgestellt sehen; man
sah die in Hochländer travestirten Prinzen in Kild ilnd
Blade von hinten und von vorn und von der Seite, und
nun iverdcil sie für eilt Paar Pence verkauft. Ich hatte
mich schon früher über eben dieselben Prinzen geärgert.
Auf den Edelsitzen schottischer Herzöge, die ich besuchte,
hatten sich Leute voil Stand, aus Frankreich, Italien
und Spanien und auch Schweden, alle in ihrer Mut-
tersprache in das Album eingezeichnet; nur allein
die deutschen Prinzeil hatteil es für angemessen er-
achtet, ihre Muttersprache zu verschmähen, und
sich englisch einzuschreiben! Man ist wegen der dänischen
Händel, über die man einem Engländer keinen vernünf-
tigeil Begriff beibringen kann, noch immer auf lins
Deutsche etivas grimmig, und so schien es einem sonst
leidlich verständigen Engländer, im Schlosse des Herzogs
von Athol, Vergnügen zu machen, mich auf jenes Gebühren
der p. p. Prinzen hinzuweisen. Mir war freilich schon
vorher dieser Mangel an Anstand und Nationalgefühl *)
*) Der Verfasser, Mitglied des Vereins für Erdkuilde in
Dresden , befindet sich seit dem Frühling d. I. auf einer, zu
naturwissenschaftlichen nnd technischen Zwecken unternommenen
Reise durch Großbritannien. Die obigen Mittheilungen sind
Auszüge aus einem Brief all mich. A.
aufgefallen, aber daß Engländer darüber spöttelten, lind
gerade in dieser Zeit, das jagte mir die Schamröthe in's
Gesicht, und ich stieß eiilige derbe, recht derbe Flüche ans,
deren Goethe sich llicht hätte zu schämen brauchen. Doch
fort mit diesen Personen.
Die Fahrt ging nordtvestlich mit der Bahn nacf>
Elgin. Gut bestellte Felder wechselten mit moorigen
Strecken ab; die Hügel lvaren kahl, Wald lvar wenig'zu
sehen. Bei Rothes kamen mir durch das hübsche Spey-
thal. Die Umgebung von Elgin, das etwa eine Stllild e
vom Meere abliegt, ist sehr hübsch, angeilehm hügelig;
das Getreide stand prächtig. Elgin hat ungefähr 8000
Einwohner und sieben Kirchen! Die Straßen sind
freundlich und sauber; manche tragen noch ein mittelalter-
liches Gepräge; man siildct noch Giebelhäuser mit kleinen
Eckthürmchen und rlindbogigen Thorwegen; auf einem
Platze eine uralte Stadtsäule und oben drauf eine mehr
moderne Soilnenuhr. Namentlich waren es die herrlichen
Ruinen der Kathedrale, die uns nach Elgin zogen.
Die zwei massigen Hauptthürme sind noch ziemlich erhal-
ten, aber von den fünf Schiffeil des Hauptgebäudes nur
unbedeutende Reste vorhailden, so daß der Transept,
der älteste Theil des Gebäudes, isolirt dasteht. Der Chor
mit denl Erbbegräbnisse der Gordons, beiten dieser
Theil Schottlands gehört, bietet mit seineil reichen Stein-
metzarbeiten das meiste Interesse. Auch er schließt, wie
das bei den meisten Kathedralen Großbritanniens der
Fall ist, mit einer geraden Wand ab, in der zwei Reihen
schmaler, spitzbogiger Fenster übereinander stehen. Einzig
in seiner Art uild schon allein eines Besuches werth ist
368
Richard Andrer: Ein Ausflug von Jnverneß bis zur Pentland-Föhrde rc.
das angebaute Kapitelhaus, welches von einem einzigeil Mit-
telpfeiler getragen wird, von dem die herrlichen Wöl-
bungen des vieleckigeil Raumes ausgehen. Das Gebäude
hat seltsame Schicksale gehabt. Im 16. Jahrhundert
wurde das Blei des Daches zu Kriegszwecken geraubt;
in Folge dessen stürzte es später ein.
Um zu sehen, wie schottische Mönche vor der Refor-
mation ein üppiges Faullenzerleben in paradiesischer
Gegend führteil, fuhr ich nach Plnseardine Abbey;
iil einem prächtigen Thale, besiandeil mit den besten Wei-
zenfeldern, umgebeil von bewaldeten Hügeln, liegen die
Klosterruinen. Iil ihiren ist die erste Periode des gothi-
schen Styles ohne alle Verunzierung in edler Weise ver-
treten. Ich machte dort einige archäologische Beobach-
tungeil, mit denen ich Dich aber hellte verschonen will.
Das ganze große Gebäude ist mit einem ungeheuern
Epheuwuchs überzogen, von der Sohle bis zur höchsten
Giebelspitze, in der That ein imponirender Anblick.
Von Elgin reiste ich westlich nach Rairn durch eine
einfache Küstengegend, ohne besondere Abwechselung; wir
durchfuhren die Haide von Forres, wo Shakespeare
die Heren dem Macbeth erscheinen läßt. Rairn ist
ein freundlicher Hafenort von 4000 Einwohnern aul Firth
of Moral) gelegen. Die Straßen sind sauber, die Häu-
ser meist mit Stroh gedeckt, und nach dem Meere z>l
nimmt das Städtchen ganz den Charakter eines Fischer-
dorfes ail. Hier beginnt wieder gaelisches Element,
oder vielmehr es tritt zum ersten Male an die
Ostküste Schottlands, die es auf eine kilrze Strecke
mit dem germanischen Elemente zusammen inne hat, um
danil später wieder ganz von der Küste (bei Dingwall)
verdrängt zu werden. Ain Firth of Moral) hatte ich eine
herrliche Aussicht gegen Norden: die rothen, jäh abfallen-
den Klippen des Gestades voll Sutherland, hinter denen
sich blaue Berge erhebeil, lagen vor mir. Auch iil Nairil
eine Stadtsäule mit Sonueuuhr.
Südwestlich von der Stadt liegt Cawdor Castle,
wohin, lvie nach Glainis lind Jnverneß, der Mord Dnn-
cans durch Macbeth verlegt wird. Es gibt in Schott-
land bald so viel Mordplätze Duncans wie hei-
lige Röcke in der katholischeil Christenheit. Auf
der Fahrt nach diesem alten Schlosse (Heil dir, Thau von
Cawdor! rufen die Hexen) sah ich die ersten Roggen-
felder, die ich freudig begrüßte, ivie alte liebe Freunde
aus der Heimath. Es war mir zil Muthe, wie einem
Europäer, der tu Aegypten die Störche ankommen sieht.
In einem alten düstern Parke, durch den munter ein Bach
hindurchrieselt, liegt das graue Schloß. Es ist im schot-
tischen Bürgerstyle erbaut und stammt ans verschiedenen
Perioden, die ältesten Theile reichen aber kaum über das
15. Jahrhundert hinaus; jüngere, aber stylgerecht ange-
legte, tragen Jahrzahlen aus dem 18. Jahrhundert.
Ich habe die Bemerkung gemacht, daß man in Schottland
viel pietätvoller bei den Restaurationen zu Werke ging,
als iil England. Cawdor ist ein schönes Beispiel schot-
tischen Burgeubaues, doch mit Glanlis ilicht zu vergleichen.
Durch eine'Zugbrücke tritt man ein und erblickt vor sich
den massigen Hauptstock des Gebäudes, einen hohen vier-
eckigen Thurm, flankirt von vier kleineren Thürmchen mit
spitzen Dächern. Hieran schließen sich die anderen Bau-
lichkeiten. Im Innern werden noch einige Reliquien ge-
zeigt, die mit der Geschichte lnld Sage des Schlosses zu-
sammenhängen. Keiileufalls reichen aber Theile desselben
iil die Zeit Macbeths hinauf. Die Tapeten siild hübsche
Gobelins mit Sceilen ails denl Doll Quixote; als
ganz besonders merkwürdig wurden Anige steinerne Ka-
minsimse gezeigt, auf denen sich Sculpturen mit der
Jahrzahl 1510 failden. Es waren allerlei schnurrige
Thiergestalten, eine Katze, die Geige spielt, ein Asse, der
Flöte bläst. Da, aber auch ein Fuchs, der eine
Pfeife raucht, sich uns präsentixte, so erlaubte ich mir
einige bescheideile Zlveifel in die Zahl 1510 zu setzen.
Von Rairn nach Jnverneß ist nur eine kurze Strecke,
die durch das Moor von Cullodeu ausgefüllt wird,
einen denkwürdigen Platz, denn hier unterlag 1745 der
letzte Stuart mit seinen Hochländern den Engländern,
und die Sache der Stuarts war ans immer verloren.
Jnverneß bedeutet „Mündung des Reß" *); diese
Hauptstadt der Hochlande ist die ultima Thule der Tou-
risteil, an einem bedeutsamen Punkte gelegen uild in
stetem Wachsen begriffen: denn hier vereinigen sich
Eisenbahn, Meer und caledonischer Kanal. Die
neuen Stadttheile am rechten Reßnfer nehmen schon ein
ganz großstädtisches Aussehen an, und es wird wohl das
Jahrhundert nicht ausgeläutet fein, bis hier das letzte
Gaelisch verklungeu ist. Mindestens die Hälfte der
Einwohner, namentlich die niedrigen Stände, redeil für
gewöhnlich noch Gaelisch; so ist der Theil des Ortes,
welcher ans lauter steinen strohgedeckten Hütten besteht,
und der ans dem linken Reßufer liegt, noch re iil gae-
lisch. Schon erheben sich Fabriken und qualmen in die
schöne Gegend hinein; die 14,000 Einwohner werden
bald verdoppelt sein; Raum zur Ausdehnung ist vorhan-
den. Jnverneß wird sicherlich einst eine Hauptrolle unter
den ilordschottischen Städten spielen. Das Palladium
der Stadt ist der Tubbeilsteiii, auf deil einst die Mägde
ihre Zuber und Bütten beim Wasserholen setzten. Jetzt
ist er neben die Stadtsällle eingemauert. Am Besten
übersieht lnau die Gegend von Craig Phadrick, Peters-
kuppe, aus. Auf denl Gipfel sind die Ringwälle eines
alten keltischen Forts. Eigenthümlich erscheineil die ganz
vereinzelt aufsteigenden Bergkuppen, unter denen sich
Tomahurich, der Feenhügel, durch sargförmige Ge-
stalt auszeichnet. Die Stadt mit vielen Kirchen, der
Reß und seine lieblichen Jilseln, der Kanal, die Berge
von Roßshire, der Morayfirth, der reizende Beaulysee,
alles das liegt vor unseren Augen. Bei Leys Castle, süd-
lich voil der Stadt, sah ich deil ersten Druidenzirkel,
aus rohen einzelnen Steineil aufgerichtet; von Beauty
aus machte ich Ausflüge in das romantische Strath-
glaß und sah die Fälle von Kilmorack,— viele kel-
tische Namen uild Erinnerungen, alles im Verschivinden
und Untergang begriffen, gegenüber angelsächsischer Zähig-
keit und Äusdauer. Das gaelische Redeil armer Leute,
die schmutzigen Kilde livch schmutzigerer Jililgen (iiild
zioei gaelische Katechismen, die ich für Geh. Rath v. d.G.
bestimmte), das ist Alles, was hier übrig ist von den Kelten,
die einst Europa iune hatteil; zwar traurig, aber gerecht.
Nun zu einer kurzen L>childeruug „meiller Reise nach
denl Nordeil", die ich später einmal ausführlicher schil-
dern werde. J>l den Tagen vom 4. bis 10. Anglist habe
ich den nordöstlichen Theil Schottlands gründlich
befahren. Von Jnverneß aus geht noch eine kurze Strecke
Bahn weiter nördlich, das Endstück aller britischen
Bahnen und, wie ich glaube, die nördlichste Bahn über-
haupt. Diese benutzte ich. Zuerst westlich am Südnfer
der Morayföhrde weiter, die iil ihrem letzteil westlichen
Ausläufer Loch of Beauly heißt. Die Ufer sind sehr
flach, die Ebbe tritt weit zurück und legt große Sand-
flächen blos; die Felder waren sehr gut bestellt. Zur
Rechten bleibt die Halbinsel Cromarty liegen; hier
uild da treten kleine Waldungen ails. Dann erreicht die
Bahn deil Firth of Cromarty, an dessen Ende Ding-
wall, der Hauptort von Roßshire, liegt. Dieser Name
ist schon scaudinavisch, der keltische lautet Jnver-
phoebaii, Mündung des Phoeban, uild von nun an bis
zum äußersten Norden tritt das Gaelische nirgeilds
mehr, wenigstens nicht in den Städten, an die Küste.
Danil kommt Juvergordon llnd das hübschliegende
Tain, wo der Firth of Dornoch erreicht wird. Alles
kleine Nester voll wenigen tausend Einwohnern. An der
Dornocher Föhrde liegt Meikle Ferry, und hier hat die
Bahn ein Eilde.
*) Näß oder Nes (Nase) bedeutet vielmehr: Vorsprung,
Vorgebirge. Red.
Richard Sin bree: Ein Ausflug von Juverueß bis zur Pentlaub -Föhrbe ic.
369
Was Tourist und Vergnügnngsreisender hieß, lag
lauge schoir hinter mir, die Lust wehte so uilmittelbar
über die Föhrde herüber, und außer einigen Geschäftsrei-
senden und Leuten, die nach den Orkneys und Shetland-
inseln wollen, kommt so leicht Keiner mehr hierher. Das
schmutzige kleine Dampfboot „Benwell", bei dem weder
von Kajüte noch von Regendach die Rede war, führte
mich über nach der Küste von Sutherland.
Sutherland, Südlaud, so genannt von.denWikingern,
die von Norden, von den Orkneys kommend, dies Land
südlich von sich fanden. Zu vier Fünfteln gehört der Bo-
den dieser großen Provinz, die ich aber nur in ihrem öst-
lichsten Punkte kennen lernte, den: Duke of Sutherland.
Eine Coach „constructed for 4 persons inside and 12 Out-
side“ nahm uns ans; sie ist das einzige Knltnrmittel in
diesen Gegenden, die noch keine Ahnung von Telegraphen
haben.
Also frisch hinauf auf deil Top! Die vier Gäule ziehen
brav an uní) hindurch ging's über die sandigen Dünen,
welche das Nordgestade der Dornochföhrde umgeben.
Ginster, Besenkraut, Sand und zahllose Kaninchenlöcher
bildeil die Landschaft; der dürre blaugrüne Sandhalm
kaili' kaum Wurzel fassen, der Wind überschüttet ihil mit
Sand, der Halm aber arbeitet sich wieder hindurch
air's Tageslicht und hilft so die Düne befestigen. Bald
kam Dornoch, die Kapitale voil Sutherland, uns zu
Gesicht, ein kleiiler sauberer Ort von 700 Einwohnern.
Erster langer und langweiliger Halt der Landkntsche. Eilt
einziger Platz liegt vor uns, mitten drauf eine massive
gothische Kirche mit niedrigem Thurm, gegenüber die
grauen Mauern eines alten Bischofsitzes, dabei einige Re-
gierungsgebällde neu im altschottischen Style aufgeführt,
und dann Sutherland Arm's tun; diese, vereint mit einigeil
niedrigen Häusern und strohgedeckten Hütten, machen das
700 Insassen zählende Dornoch aus.
Weiter nach Nordeil! Nadelhölzer und Birken-
waldnngen folgen. Das System der Einfassungen der
Felder lind Wälder, von dem ich Dir früher schrieb, wird
auch hier streng befolgt: fehlen Steine, so legt man Rasen-
plaggen übereinander lind baut aus diesen einen künstlichen
Wall, der bald mit stacheligem Ginster überzogen ist nnb
eine undurchdringliche Hecke bildet. Auf einem sehr gut
gebauten, mit Schleusen versehenen Damme passirten
wir Loch Fleet, einen von Bergen hübsch eingerahmten
Meeresarm. Die Berge treten nun immer näher all's
Meer heran, die Formation des old red sandstoile nimmt
hier bedeutende Strecken ein, doch sind die Höhen kahl
und bilden Schafweiden. Der Küstensanm am Meere aber
ist herrlich angebaut, Weizen und Roggen gedeiheil in der
Gegend von Golspie trefflich (58° n. Breite!).
„Golspie is a large niece town“ hatte eilt Bürger
von Dornoch gesagt, der mit mir auf dem Top der
Kutsche saß; „buk“, fügte er hinzu, „it is not so fíne as
Dornoch“. Golspie kam in Sicht. Zn unserer Rechten
lag immer das Meer, zu unserer Linken erhob sich
Ben-a-Bhrazie 1300' hoch, und auf ihm thronte eine
geschmacklose Kolossalstatue des verstorbenen Herzogs von
Sutherland, ein Monument, das weit in's Meer und
Land hineinleuchtet. An dem flachen, mit Algen uild
Schalthieren bedeckten Strande, der gerade zur Ebbezeit
einen sehr üblen Geruch verbreitete, zieht sich eine einzige
lange Straße hin; die Häuser sind fast alle einstöckig, ab-
wechselnd mit Schiefer oder Stroh gedeckt, und vor dem
einen oder andern liegen bereits — ein großer Fortschritt —
breite Steine; kein Haus zeichnet sich vor dem andern
durch schönere Bauart aus und gibt den Nachbarn An-
laß zum Neid; kein Thurm streckt sich von der niedrigen
Kirche in die Höhe und keine Nebengasse wagt es, den
Bauplan Golspies zu stören, das einem langen Band-
wurm gleicht. Durch grüne Wiesen und üppige Felder
hindurch fuhr die Kutsche ein. Die Kinder liefen zusam-
men und schrien: „it comes, it comes!“ nämlich die Land-
kntsche. Und auch die Alten wurden aufmerksam und
Globus VI. 9U. 12.
eilten von ihrem Geschäfte fort nach Thür und Feilster.
Da trat der Grocer Low mit einer grünen Ladenschürze
und der Feder hinter dein Ohre an die Thüre, der Shoe-
and Bootmaker Mc. Kay warf seinen Leisten bei Seite
und guckte durch das kleine viereckige Fenster des strohge-
deckteil Hänschens, während der Druggist Ferguson wür-
dig einen Blick über die Brille hinweg den Fremdlingen
zuwarf unb seinen Gehilfen, indem er die Uhr zog, sagte:
„Kommt heute 10 Minuten früher als gewöhnlich, möchte
wissen warum?" Selbst der Stadtansrufer mit der Schelle
in der Haild hielt inne und schallte die Kutsche an.
Kurz und gut, Alles war iilAufreguilg und hier und da
guckte auch ein bloilder Mädchenkopf hinter den Blllmeil
am Fenster hervor, der sich aber scheu vor den zudring-
lichen Blicken der Fremden wieder zurückzog. Die Kin-
derrotte vergrößerte sich; Bob gab dem David eine Ohr-
feige, weil er ihn beinahe unter die Pferde gestoßen, und
darüber kamen Bobs und Davids Mutter in einen Zank,
den der Jronmonger Lindsay zu schlichten versuchte. Alles
ward auf der Straße abgemacht. Die Menschen siild hier
nicht so verwöhnt; sie liegen ab von den Knltnrstraßen,
von den unromantischen Schienenwegen, klatschen freund-
nachbarlich zusammen, gehen Sonntags strenggläubig zur
Kirche und sprechen viel vom Fischfang, und daß auch
der Surgeon Mc. Gregor sterben mußte, der so Manchen
einst curirt, und daß Mary Wells jetzt die Braut von
Charles Anderson ist, nachdem sie dem Lachlan Mc. Allum
einen Korb gegeben hat.
Das alles und noch viel mehr erfuhr ich bei der
Fahrt durch Golspie, obgleich sie nur fünf Minuten
dauerte, beim der Dornocher kannte alle Verhältnisse genau.
Und als ich die lange Straße hindurch war und bei hüb-
scheil Gartenhäusern vorüber kam, fragte ich den Dor-
nocher, der gesagt hatte, Golspie wäre eine „large
niece town“, ob nun die eigentliche Stadt begänne?
„Please, Sir, it is at an end!“ hieß es da, und ich bewun-
derte den bescheidenen Sinn des Mannes, der Golspie „large“
sinden konnte. Golspie hat nach dem letzten Census 876
Eiilwohner, jetzt mögen wohl 24 hinzugewachsen sein, so
daß die Stadt 900 Insassen zählt.
Vor dem „Golspie inn" hielt der Wagen. Das Schild
zeigte eine hockende Katze ans dem Helmschmucke der
Herzöge von Sutherland; wir kehrten bei der Katze ein
und fanden Alles gut und sauber. An vergangene Zeiten
erinnerten mich Talglichter, beiten ich in Großbritannien
zum ersten Male hier begegnete, und die Lichtputzscheere
betrachtete ich fast wie ein versteinertes Ungeheuer ans
antedilnvianischer Zeit. Ich war einen Tag und eine
Nacht in Golspie, aber sie genügten, um in dem Städtchen
Menschen und Dinge gründlich kennen zu lernen. Fühlte
ich mich nicht 50 Jahre zurückversetzt in kleinbürgerliche,
provinciale Verhältnisse? Gewiß! Als ich nach dem kurzen
Aufenthalt schied, winkte ich Allen auf der Straße ein
Lebewohl zu. Ich kannte sie ja! Denn bei jenem hatte
ich eine Kleinigkeit gekauft, bei diesem nach dem Wege
gefragt, mit dem dritten im Wirthshause mein bitter
Äle getrunken. Alle waren freundlich, zuvorkommend ge-
wesen. Der Lindenbaum am Ende des Ortes stand in
voller Blüthe und schüttelte seine Aeste im Winde, und
die zwei bärtigen Shetlandponies dort auf der Wiese,
die dem James und John, den Söhnen des wohlhaben-
den Farmers Grant, gehören, sprangen munter umher.
David und Bob, die sich bei unserer Ankunft geohrfeigt
hatten, waren auch nebst der andern barfüßigen Rotte
beim Abschiede wieder da; heute aber vertrugen sie sich,
und schrien vereint, als der Driver die Peitsche schwang
und wir auf den Top der Kutsche stiegen, ihr schallendes
Hurrä! — Ade Golspie!
Gleich hinter G. ist der Fluß, ein munterer aber
brauner Geselle, überbrückt, und auf der Brücke steht ein
steinerner Obelisk mit einer gaelischen Inschrift, die
ich mir copirte, um sie dereinst von G. übersetzen zu
lassen. Es war die erste gaelische Juschrift, die
47
370 Richard Andrer: Ein Ausflug von
ich fand. Denn selbst hier in Juverueß habe ich nichts
dergleichen gesehen, kein Schild, keine öffentliche Kund-
machung in dieser Sprache.
Ein herrlicher Park beginnt, ein Forst wundervoller
Bäume zieht sich am Meere hin, und daraus hervor
leuchten die stolzen spitzdachigen Thurme von Dnnro-
bin Castle; es ist ein großartiger Bau, mit verschwen-
derischer Pracht außen inib innen ausgestattet, ein herr-
licher Fürsteusitz, das schönste Schloß Großbritan-
niens. Der Herzog von Sutherland, der Freund Gari-
baldis, bringt hier seine.Jagdzeit zu; mit seiner Dampf-
yacht landet er am Gestade der Nordsee und schreitet
durch wunderbar gehaltene Gärten hinauf nach seinem
Schlosse, der Robertsburg (Dun-Schloß, Robin-
Robert), die freilich uralt in ihren Anfängen, jetzt aber
als imposanter neuer Bau vor uns steht. Der letzte
freundliche Punkt nach Norden zu, denn jetzt hören die
Wälder auf, und Alles, was uns noch zu Gesicht kommt,
sind einzelne Bäume. Bis hinaus nach Wick verfolgte
ich die Ostküste, die hinter Dunrobin, nach dem Fischer-
dorfe Brora zu, steil zu werden beginnt und diesen
Charakter auch beibehält. Bei Brora, einem ziemlich
großen aus elenden Hütten gebildeten Dorfe langte ich
Nachmittags gegen 4 Uhr au und sah die ersten Hä-
riugsboote, etwa 20 an der Zahl, in See stechen. Die
Berge zur Linken sind kahl und von kleinen Bächen durch-
rissen, die nach kurzem Lauf den: Deutschen Ocean zueilen.
Ihr Wasser ist dunkelbraun, ein Zeichen, daß es aus
den Torfmooren auf den Bergen kommt. Alle diese
Wasserrisse sind mit steinernen Brücken überwölbt und die
zwei oder drei Straßen, die durch den nördlichsten Theil
Schottlands führen, besonders die au der Küste entlang,
sind ganz vortrefflich gehalten; kein Wegegeld-Ein-
nehmer stürzt wüthend über den harmlosen Reisenden her.
Au den Wasserrissen wuchert der Adlerfarrn mächtig
und sucht uns für die Abwesenheit des Baumwnchses zu
entschädigen. So geht der Weg eine Strecke fort, bis sich
auf einmal wieder gut bebaute Hafer- und Rübenfelder
zeigen. Das Meer macht eine Bucht, ein brauner Fluß
windet sich durch Klippen hindurch, die von Möveu um-
schwärmt sind; ans einem vorspringenden Punkte liegt
eine alte Ruine, und unten im Thale anr Flusse leuchten
uns freundlich die mit blauem Schiefer oder rothen Zie-
geln gedeckten Häuser von Helmsdale entgegen. Scan-
dinavisch der Name und die Menschen. Die Luft riecht
nach Häringen, Tonne bei Toiure liegt in dem sichern
Hafen, und draußen auf der blauen Fläche der Nordsee
segeln langsam etwa 100 Häringsboote, von unsrer hohen
Straße wie schwarze Punkte anzusehen: schwarz das Boot,
die Takelage, das kurze viereckige Segel — aber alles das
werden wir noch besser und großartiger in Wick beob-
achten.
Hinter Helmsdale steigt die Straße fortwährend, die
hohen Berge drängen sich immer dichter an's Meer, eine
kahle, unwirkliche, wilde Gegend beginnt, in der keine
einzige Hütte steht, in der nur Haidefläche und weites
blaties Meer dem Blicke begegnen. Ein kalter Wind weht
uns entgegen, hohe schwarze Schneestaugeu sind ausge-
steckt, um im Winter die Straße zu bezeichnen, damit
der Wanderer oder der Wagen nicht von ihr abkomme
und hinab au den steilen Klippen in's Meer stürze. Die
Goldammer und der Bergspatz zirpen au unserm Wege
hin; höchstens begegnet uns ein zweiräderiger Karren mit
braunen: Torf beladen, den der arme Mann, welcher das
Pferd antreibt, selbst für seinen Winterbedarf aus den
weiten Mooren holte. Unser Weg führt Pier 1200 Fuß
hoch in schwindelnder Höhe über den: Meere hinweg, ein
Granitberg zu unsrer Linken, ein Vorsprung in's Meer
zur Rechten zeigen die Grenze von Caithneß an; wir sind
am Ord of Caithneß. Wüste, wilde, menschenleere
Gegend, umsäumt von den spitzen, hoch aufstrebenden
Morvenhills (Mor-bheinimGaelischen), die als Land-
marke für Caithneß gelten und durch die ganze Graf-
Jnverneß bis zur Pentland-Föhrde :c.
schast sichtbar sind. Es folgt ein tiefer, schwarzer Thal-
riß, und au den Wänden desselben stehen zum letzten
Male Fichten und Lärchen, aber alle ohne die schlanke,
hochaufschießende Spitze, welche diese Nadelhölzer sonst
auszeichnet; sie haben breite Kronen gebildet. Diese
Stelle, in der ciu einsames Wirthshaus liegt, heißt Ber-
riedale; es ist der romantischste Punkt in Caithneß:
düstere Fichten, ein schwarzes schäumendes und brausendes
Wasser, hohe Bergwände, schroffe Klippen, ein einsames
Wirthshaus im kühlen Grunde, dabei das weite blaue
Meer; das gibt schon ein Bild unter diesem nordischen
Himmel.
Eine Strecke hinter Berriedale bleibt es noch wild,
dann ist der Boden wieder bebaut, aber nur der schmale
Küstensaum hinauf bis zum höchsten Nordpunkte; im In-
nern dagegen nur Moor und kahle Berge mit Schafzucht.
Wir sind hier im Kirchspiele Latherou oder gaelisch:
Latha ir-Roin, d. h. Ruheplatz der Seehunde. Denn
auf den Meeresklippen sonnen sich diese Thiere und wer-
den den Küstenbewohnern häufig zur Beute. Hier treten
uns zwei ganz verschiedene Arten Menschen entgegen, die
sich heute noch scharf scheiden und in moralischer und
physischer Beziehung himmelweit von einander verschieden
sind: die gaelischen Häusler und die germani-
schen Farmer. Da stehen einzelne freundliche Häuser,
aus Steinen erbaut, sauber angeweißt, das Dach mit
Schiefer gedeckt; dabei ein Garten, in dem sorgfältig
solche Blumen gepflegt werden, welchen das Klima erlaubt,
zur Blüthe zu gelangen. Eine dichte kleine Anpflanzung
voir Ahorn und Ulmen, die etwa 12 bis 15' hoch wird,
repräsentirt so etwas lvie eine Art Wald. Die Hafer-,
Gersten- und Kartoffelfelder sind im besten Stande, und
namentlich das Vieh (knrzhörnige englische Rinder rind
feinwollige Schafe) zeigt eine besonders gute Pflege. Die
landwirthschaftlichen Geräthe sind nach den neuesten Mu-
stern gearbeitet. Und nun sieh Dir einmal diese Tenants,
Pächter, an. Schöne, große, blonde Männer, recken-
hafte Gestalten mit freier Stirn und offenen: Auge.
Blühende Mädchen, ächte Nordlandkinder, rothwangig,
blauäugig mit vollem blonden: Haar, so daß man in Ver-
suchung kommt zu fragen: heißt Du nicht Jugeborg? So
sind diese Farmer, scandinavischer Abkunft, wohl durch-
gängig. Sie sprechen mit Vorliebe bei: altschottischen
Dialekt.
Und nun das andere Bild. Dort zieht sich eine, aus
rohen Feldsteinen aufgeführte „gaelische Mauer" hin.
Das Haidekraut, welches den Boden bedeckte, ist entfernt
und einige Streifen Kartoffeln sind in den Boden ge-
pflanzt;'dabei etwas Hafer und Turnips. An: Rande
des knltivirten Landstriches stehen einige Fliederbüsche in
voller Blüthe; dann folgt ein wüster Platz, bedeckt mit
Ginster und Pfriemkraut, in den: eine magere Kuh blökt.
Inmitten dieser Besitzung steht die Hütte des gaeli-
schen Pächters. Hat es ihn: an Steinen in der Nach-
barschaft gefehlt, so ist ihm der Torf ein willkommener
Baustoff gewesen; vier Wände und eine Thür drin sind
bald ausgeführt. Tie Wände und der Fußboden werden
mit Lehm ausgeschlagen, rechts und links ist je ciu Ge-
mach und in jeden: zwischen ein paar Steinen die Feuer-
stelle und über dieser ein Loch in: Dache, durch das der
Ranch hinausziehen soll; 'aber dieser bleibt lieber in der
Hütte, erfüllt dieselbe und schwärzt sie total. Einige
Stühle, sein Tisch, in: günstigen Falle ein Bett, ein
Schrank, in dem die Bibel in gaelischer Sprache liegt,
bilden die innere Ausstattung. Das Dach dieses Hütte
genannten Loches ist in bogenförmiger Gestalt ans Stroh,
Rasenplaggen, Haidekraut gebildet; in ihm befinden sich
einige Löcher mit Scheiben darin, welche die Fenster vor-
stellen. Damit der heftige Wind das Dach nicht mit
fortnehme, sind Strohseile quer über dasselbe gezogen,
die mit Steinplatten am Ende beschwert sind. Kein
Schmuck oder Bild im Innern, Nichts ist angestrichen,
Alles roh. Draußen hängen an einem ans Latten zu-
Richard Andrer: Ein Ausflug von Jnverireß dis zur Pentland -Fvhrde rc.
371
sammeugenagelten Dreiecke einige Häringe zum Trocknen,
hinter der Hütte liegt ein Berg Torf für den Winter.
Ich bin oft in diese elenden Wohnsitze eingetreten, sei
es, daß der Regen mich hineintrieb, oder unter einem
andern Vorwände, aber stets ward ich freundlich em-
pfangen, man las mir aus der gaelischen Bibel vor und
nahin gern die kleine Gabe,, die ich bot. Das Gepräge
der Armuth ist im ganzen Wesen dieser Leute zu erken-
nen. Ihre Nahrung besteht aus Hafermehl, Kartoffeln
und Fischen. Sie verschmähen auch deil Dogfisch nicht,
einen kleinen Hai, der den Häringen nachstellt uub in
den Netzen der Fischer große Verwüstung hervorbringt.
An der Küste von Latheron ist auch die gaelifche Sprache
schoir theilweise aus diesen Hütten verdrängt, aber der
Charakter der Menschen ist geblieben.
Bei Dunbleath Castle sagte mir der Kutscher, ein
jovialer Bnrsch: „das sind die höchsten Bäume in der
Grafschaft;" es waren gegen 20' hohe Ahorne. Es begann
nun 51t dunkeln, die Gegend wurde flach, aber das llfer
blieb immer noch hoch. Hier und da leuchtete der glim-
mende Tors, der in den Hiitten gebrannt wurde, durch
die offene Thür oder stand ein Wirthshaus am Wege.
Das Meer sah ans wie eine weite graue Fläche. In
der Ferne glänzte das Licht eines Leuchtthurms. Der
Wachtelkönig ließ seinen schnarrenden Ton in: Felde
hören. Endlich Lichter und nach achtstündiger Fahrt war
Wick erreicht.
Wirk ist auch ein gut germanischer Name; wie der
Ort gleichen Namens auf Föhr bedeutet es: Zurückwei-
chung, Bucht. In diesem Sinne ivird das Wort auch
heute noch in: schottischen Dialekte gebraucht. In der
That bildet das Meer hier eine hübsche von Schieferklip-
pen umgebene Bay, in welche das „Water os Wirk"
fällt. Am rechten Ufer liegt der Hafenort Pulteney
town regelmäßig erbaut und neu, am linken der alte
eigentliche Ort. Die Häuser sind fast alle gleich, zwei
Stock hoch und aus schwarzen Grauwackeschiefern erbaut,
die aus den Klippen am Meere gewonnen werden. Das
ist der rechte Fischerplatz, und wer Häringe und Hä-
ringsfang sehen will, wer beobachteil will, wie das
Wohl und Wehe von 8000 Menschen von dieser Gabe
des Meeres abhängt, der gehe im Juli oder Angilst
nach Wick.
In Wick ist Alles Häring. An: 6. August Mor-
gens sah ich die Flotte von etwa 1000 Booten einlaufen.
Welches Gewimmel am Hafen und welches in: Meere!
Wie ein schwarzer Ameisenhaufen, so sah die wunderbar
grüne, durchscheinende Fluth aus; eins der schwarzen
Boote nach dem andern kam hereingerudert; der weite
Bauch war mit Netzen und Häringen gefüllt; Alle dräng-
ten nach beu Landungsplätzen, die nicht genug Raum für
die große Zahl der Boote hatten. In Körben wurden
die silberglänzenden, am Rücken blau und rosa schillern-
den Häringe hinaufgezogen,und vonWeibernund Männern
wurde das Geschäft des Einsalzens mit merkwürdiger Ge-
schicklichkeit vollbracht.
Das war ein Leben und Treiben! Hier die drallen,
hochgeschürzten Wickerinnen, denen man aber nicht nahen
mochte, so sehr waren sie mit Blut und Schuppei: be-
deckt; dort die stämmigen, wettergebräunten Fischer mit
Südwester,: oder rothen Fischermützen und in hohen Was-
serstiefeln. Da lagen Fässer voll Salz, hier Faßdanben
zu neuen Tonnen, dazwischen Küper, Händler, Matrosen
größerer Schiffe. Kein Schnhbreit Platz war frei und
überall ein Geruch, wie er schlimmer nicht gedacht
oder gerochen werden kann. Häringe und Fischreste überall
auf den: schmutzigen Boden zerstreut. Zweiräderige Kar-
ren, mit schweren Gäulen bespannt, zogen die gewichtigen
Netze hinaus vor die Stadt, wo sie auf den Wiesen zum
Trocknen ausgebreitet wurden und nun ganz Wick mit
einem breiten schwarzen Gürtel umspannten. Die Wicker
sind ein schöner Menschenschlag; wenn auch germani-
sches Blut in ihnen vorwaltet, so ist die keltische Bei-
mischung doch keineswegs zu verkennen. Die dunklen
Farben des Haares sind so häufig wie die blonden, und
die Form des Gesichts ist mehr rund. Germanische Na-
men sind noch häufiger als die gaelischen, und mancher
rein scandinavische wird gefunden; so Swanson und Man-
so,: (Magnussen). Ihre Mundart ist die schottische, mit
einigen Eigenthümlichkeiten, die man leicht herausfindet;
so sagen sie: fat für what, snrch für church u. s. w.
So viel für heute über Wick; doch sind damit meine
Notizen noch lange nicht erschöpft.
Noch berichte ich Dir kurz über ineine Fahrt nach
Thnrso. Das Nordgestade von Caithneßshire zwischen
Wick und Thnrso ist seiner ganzen Ausdehnung nach flach
und bebaut. Die Straßen sind gut, die Einfassungen
der Felder frei aufstehende Steinplatten von Zolldicke und
2' Höhe, was der Landschaft einen eigenthümlichen An-
blick gibt. Bäume fehlen ganz; doch gehen Sagen von
Wäldern in: Volke. Hier und da ziehen sich Haidestrecken
und kleine Landseen zwischen den Feldern hin. Ginster
und Weißdorn vertreten alle größeren Gewächse, und das
schottische Feldhuhn läßt sich in Ketten hier und da sehen.
Bei Castletown of Olrick kam mir zuerst der
Atlantische Ocean zu Gesicht. Der kleine saubere Ort
wird nur von Steinbrechern bewohnt, welche hier die
herrlichen Schiefer und Pflastersteine gewinnen und ver-
schiffen. Ein dicht gepflanzter kleiner Hain von etwa
12' hohen Ahornen und Ulmen überraschte mich in dieser
baumlosen Gegend freudig.
Thnrso — Thorsaa, Thorsfluß — ein Städtchen
von 3500 Einwohnern, liegt etwa unter 59° ::. Br. an
einer herrlichen Bucht. Es ist die nördlichste Stadt
Großbritanniens. Die Häuser sind alle aus dem schwarz-
grauen Schiefer aufgebaut, unbeworfen; die Straßen
breit, regelmäßig, und am Sonntag, 7. August, herrschte
eine fabelhafte Todtenstille. Als ich am Abend vorher
einzog, begegnete mir hier und da eine Dogscart, dies
eigenthümliche zweiräderige Fuhrwerk, und trotzdem mir
vor Frost die Kniee schlotterten und die Zähne klapper-
ten, spielten die Thursoer auf einem Anger vor der Stadt
Cricket. Die Bucht wird nach zwei Seiten zu von Vor-
gebirgen abgeschlossen: östlich Dünnet Head, der nörd-
lichste Punkt Schottlands, westlich Hol born Head,
und nach Norden zu schließen die Orkneys, blau, prächtig
wie eine Wand aufsteigend, den Golf. Ich war auf
Holborn Head; eine Heerde Delphine schwamm gerade,
als ich an die am weitesten hervorragende Spitze trat,
un: diese herum. 400 Fuß sielen die zerklüfteten Felsen
jäh nach den: Meere zu ab; Schaarei: von Seevögeln, die
durch mich aufgestört wurden, umschwärmten diesen herr-
lichen Punkt. Huten lag das Meer, tief schwarz, und
heulte und brandete. Wie Kanonenschläge erklangen die
anprallenden Wogen, die grün, mit weißem Gischt be-
deckt, sich ans der tiefschwarzen Meeresmasse abhoben, an
den Klippen in die Höhe leckten und dann in Millionen
nasse Atoine zerstäubten. Gegenüber bei Dünnet Head
brandete der Pentland firth vom Atlantischen zum Deut-
schen Ocean, weiß aufschänmend an den rothen Sand-
steinfelsen dieses Vorgebirges. Fast greifbar, in vier Stun-
dei: mit dem Dampfer zu erreichen, lagen die Orkneys
da; vor allen trat Hoy hervor; jeder Riß war zu unter-
scheiden, der sich durch die Felsei: hinzog, und die Bnchten
zwischen den einzelnen Inseln. Drüber hin jagten Wolken
und warfen ihre Schatten auf die Fluth. Das war ein
schöner, herrlicher Anblick.
Auf den Klippen vo>: Holbornhead breitete sich eine
ächte Meerstrandsflora aus, und ich pflückte die schottische
Primel, die nur an diesen Küstei: wächst, und sah Groß-
britanniens treuesten Farrn, den Adlerfarrn, auch hier-
an diesem nördlichen Punkte. Ich hatte ihn von Kent
ab verfolgt.
47
372
Thatsachen und Stimmen aus dem Uankeelande.
Thatsachen und Stimmen aus dem Danlieetande.
Drei Milliarden Schulden und drei Millionen Soldaten binnen drei Jahren. — Betrug gegen die Staatsgläubiger im Staate Neuyork; Repudiation. — Die
gegenwärtige Lage der Dinge. — Die Kricgsdemolraten. — Urtheile über den Präsidenten Lincoln und seine Verwaltung. — Steuerdruck, Inlaudsteuer,
Erbschaftssteuer, Einkommensteuer, Polizeiquälercien. — Wie weit es gekommen ist. — Apokalyptische und hegelianische Verherrlichung der Jankeezustände an
einer Tafel in Berlin. — Professor Michelet und die Philosophie der Weltgeschichte. — Praktische Erläuterungen.
In der anlerikanischen Nordunion geht mehr unb in ehr
Alles aus Rand und Band, und selbst blöden Angen in
Europa wird es allmälig klar, was am Ende kommen
muß. —
Der Staatsbaukerott scheint vor der Thür; binnen
36 Monaten hat man mehr als 3000 Millionen Thaler
Schulden gemacht. Das Papiergeld ist um zwei Drittel
entwerthet; im Juli war der Finauzminifter mit
86,600,000 Dollars alleiit für Löhnung der Soldaten
und Bezahlung von Lieferungen im Rückstände und wandte
sich an die Nation, um von derselben einen Tropfen
Wasser auf einen heißen Stein, nämlich eine Anleihe voir
200 Millionen zu erhalten. Jil denk heillosen und wider-
sinnigen Unterjochungskriege, welchen verblendete Partei-
wuth und ein bis zum Wahnwitz gesteigerter Fanatismus
gegen die für Selbstregiernug und Unabhängigkeit kämpfen-
den Conföderirten führt, sind nun Aufgebote an
nahezu drei Millionen Mann erlassen worden, und
doch kamen im Juli 1864 die Conföderirten bis vor die
Thore von Washington. Die Pankee-Regierung hat, amt-
lichen Mittheilungen im Congresse zufolge, mehr als
150,000,000 Dollars für Anwerbeprämien ver-
ausgabt, und ein großer Theil ihrer Armeen besteht aus
europäischen, leider auch deutschen Miethlingen,
weil eingeborene Amerikaner in nicht geringer Menge es
vorziehen, sich durch Einzahlung von 300 Dollars frei zu
kaufen oder Soldknechte zu stellen, welche dann die „glor-
reichen Schlachten der Freiheit" schlagen.
Im New Port Journal of Commerce wird nachge-
wiesen, daß Präsident Lincoln binnen 39 Monaten
folgende Mannschaften aufgeboten hat, um den Süden zu
unterjochen.
16- April 1861 ............................. 75,000 Mann.
4. Mar 1861 64,748 „
bis December 1861 ................... 500,000 „
1. Juli 1862 ............................. 300,000 „
4. August 1862 300,000 „
Ferner im Jahre 1862 ...................... 300,000 „
1. Februar 1864 .......................... 500,000 „
Im Juli 1864............................. 500,000 „
Dazu kommen die gelegentlich, im Dränge der Noth unter
die Waffen gerufenen'Milizen in verschiedenen Einzel-
staaten, und damit ist die Ziffer von nahezll drei Mil-
lionen erreicht.
Trotz dieses in der Weltgeschichte beispiellosen Aufgc-
botes stand es zu Ende des Julimonates mit den krie-
gerischen Aussichten der Bankers schlimmer als je, und
es war vielleicht nur die Ungeschicklichkeit eines conföderir-
ten Generals, daß das zitternde und bebende Washington
nicht überrumpelt wurde.
Mit dem Betrügen der Staatsgläubiger hat
man im Staate Neuyork bereits den Anfang gemacht.
Die beiden Häuser der Legislatur erklärten, daß die Zin-
sen der Staatsschuld nicht, wie doch die Verpflichtung
lautet, in baarem Gelde, sondern mit Papier, mit „Green-
backs", bezahlt werden sollten. Sie blieben dabei, trotz-
dem der Gouverneur sie beschwor, einen so schimpflichen
Treubruch nicht zu begehen; diese mahnende Botschaft,
welche von Pflicht, Ehre und Schuldigkeit sprach, wurde
zurückgewiesen. Die Gläubiger erhallen also nur ein
Drittel dessen, was man verpflichtet wäre, ihnen zu zah-
len und sind betrogen. Man bezeichnet im Pankeelande
solch ein Verfahren als „Repudiation".
Politische Freiheit und die wichtigsten Bestimmungen
der Bundesverfassung gehören zu den Dingen, die einmal
gewesen sind, der Generalprofoß schüchtert nach Be-
lieben die Gerichte ein, spielt den Meister und sperrt
Jeden ein, der ihm nicht loyal genug zu sein scheint.
Auch verbietet er ganz nach seinem Belieben mißliebige
Zeitungen oder belegt Blätter mit Beschlag; nur in großen
Städten, wo ein solches Eingreifen bedenkliche Folgen
haben könnte, muß der Profoß manches „Illoyale" ge-
schehen lassen.
Ein deutsch-amerikanisches Blatt saßt die Lage der
Dinge in folgenden Worten zusammen: „Wir sind in
unserer Republik viel schlimmer daran, als Neapel unter
König Bomba je gewesen." Dieser Ansicht scheint man
ziemlich allgemein zu sein, und die Blätter, selbst jene
der herrschenden radikal-republikanischen Partei, sind ein
Wiederhall derselben.
Es gewährt ein völkerpsychologisches Interesse, gerade
jetzt — wo eine Katastrophe nach der andern über die in
Grund und Boden zerrüttete Aankee-Union hereinbricht,
die Barbarei immer wilder, die zu Boden getretene Frei-
heit von den Gewalthabern und ihrer Soldateska nicht
eines Strohhalms lverth geachtet wird —, gerade jetzt,
sagen wir, amerikanische Stimmen über die öffentlichen
Zustände zu hören. Wenn sie in hohem Grade trostlos
lauten, so ist das nicht unsere Schuld. In allen uns
zugänglichen Blättern der verschiedenen Parteien, der herr-
schendeil mit eingeschlossen, finden wir Nichts, rein gar
Nichts, woran man Freude haben, woraus man auf eine
Umkehr, auf eine Besserung der Zustände schließen könnte.
Es ist Alles chaotisch imb voll Wirrsal, und daraus er-
klärt sich auch wohl, daß so viele Menschen sicb völlig resig-
niren. Merkwiirdig aber erscheint das Folgende. Bei
anderen Völkern pflegen in gewaltigen Katastrophen, bei
denen Alles aus den Fugen geht, hervorragende
Männer aufzutreten, gewaltige Charaktere aus der
revolutionären Bewegung aufzutauchen, das Volk zu be-
geistern und mit sich fortzureißen. Bei den Bankers sucht
man dergleichen vergebens; sie selber klageir darüber, daß
auch nicht ein einziges bedeutendes Individuum aufgetaucht
sei; Alles sei Mittelmäßigkeit oder noch Schlimmeres.
Doch wir wollen Blätter, englisch und deutsch geschrie-
bene, reden lassen und deil Anfang mit der „Nen'yorker
Staatszeitnng" machen, welche unter unseren über-
seeischen Landsleuten die weiteste Verbreitung hat. Der
großen Krisis gegenüber befindet sie sich tu einer falschen
Lage, denn fie vertritt die Ansichten der kriegsdemo-
kratischen Partei, welche den Süden mit Waffengewalt
iil die alte Union zurückzwingen will. Das ist ein'Ding
der Unmöglichkeit, und dann, ivas wäre eine Union
republikanischer Staaten werth, welche nur durch Sol-
datengewalt zusammengehalten werden könnte? Mit
der bürgerlichen Freiheit hätte sie gewiß Nichts zu schas-
sen; ein solches Verhältniß müßte den Staat einer Mili-
tärdiktatur in die Hände geben. Die Kriegsdemokraten
verfahren offenbar unlogisch inib begehen verhäugnißvolle
Fehler. So lange sie für Zwangsmaßregeln sind, haben
sie vor den Kriegsrepublikanern, namentlich den Lin-
Thatsachen und Stimmen aus den: Mnkeelande.
373
coln-Leuten,Nichts voraus. DieFriedensdemokraten
dagegen stehen auf dem sichern Boden eines gerechten
Princips, indem sie sagen, daß der Volkssouveränetät und
dem amerikanischen Staatsrechte zufolge die Nordunion
gar kein Recht habe, diejenigen Staaten, welche nicht
ferner in der Union bleiben wollten, nachdem man sie in
ihren Rechten und in ihren Interessen so schwer beein-
trächtigt, mit Gewalt festzuhalten itub in einen Verband
zurück zu zwingen, von dein sie Nichts wissen mögen.
Diese Partei der Friedensdemokraten hat während des
laufenden Jahres starken Zuwachs erhalten und tritt
immer entschiedener auf, allerdings zum großen Mißver-
gnügen derer, welche bei Fortführung des Krieges ihren
Vortheil finden oder principiell eine falsche Stellung ein-
genommen haben. Doch wir wollen zunächst Mitthei-
lungen aus der Neuyorker Staatszeitung machen, damit
unsere Leser sehen, wie dieses Blatt sich die Dinge und
die Menschen ansieht. Diese Mittheilungen entnehmen
wir den Julinummern von 1864.
Ueber Lincoln lautet das llrtheil der verschiedenen
Parteien fast einstimmig, und wenn eine Abtheilung der
radikal-republikanischen Partei ihn wieder zur Präsiden-
tenwahl vorgeschlagen hat, so geschah das nur, weil die
Stelleninbaber nicht von ihren Aemtern weichen möchten.
Daß das Land durch seine und seiner Minister llnfähig-
keit bis hart an den Rand des Verderbens gebracht wor-
den ist, weiß die Welt.
Die Neuyorker Staatszeitung beklagt nun „die Ver-
wirrung und Trostlosigkeit der öffentlichen An-
gelegenheiten" und sagt dann:
„Wie der unglückliche Trunkenbold den in ihm auf-
keimenden Gewissensbissen durch Vertilgung einer verstärk-
ten Dosis des verderblichen Stoffes, der ihn und seine
Familie ins Elend gestürzt, zu entfliehen sucht, — so
trachten die Wortführer der Administration dahin, die
schrecklichen Folgen, welche sie durch ihre Mißachtung von
Gesetz lind Constitution über das Land heraufbeschworen,
dadurch zu verbannen, daß sie nach neuen, noch ärgeren
Willkürmaßregeln schreien. Die Fruchte der Unfähigkeit,
Verderbtheit und Erbärmlichkeit der Administration fliegen
uns aus allen Ecken uut) Enden entgegen. Durch ihre
finanziellen Mißgriffe hat sie die ganze Oekouomie und
Gewerbthätigkeit des Volkes in die heilloseste Verwirrung
gestürzt, — 'durch ihre Taktlosigkeit und Parteimalice hat
sie den ganzen diesjährigen Feldzug zu einem Hülfsmittel
der nächsten Präsidentenwahl im Interesse Abraham Lin-
colns, und dadurch die größten Anstrengungen und Opfer
des Volkes zu Schanden gemacht; — ihre immer frecher
auftretende Willkürherrschaft, ihre nur durch Fanatismus
und Parteivortheile eingegebene Politik ersticken den Pa-
triotismus des Volkes und setzen Rathlosigkeit und
Verzweiflung an die Stelle der Entschlossenheit und
Opferwilligkeit. Es droht Alles aus Rand und
Fugen zu gehen und über den Häuptern der
Clique, durch welche das Land in diese entsetz-
liche Situation gebracht worden ist, zusammen
zu brechen."
„Es herrschen nun Heulen und Zähneklappern in den
Kreisen der Lincolniten, und ihre Pressen suchen ihre Her-
zensangst durch Schreien, Poltern, Schimpfen und Denun-
ciationen zu übertäuben; sie befürworten diktatorische Maß-
nahmen. Diese Leute haben keine Ahnung von dem
Wesen republikanischer Institutionen gehabt; ihre Partei-
wuth wie ihre Herrschgier lassen es 'nicht zu, daß sie zu
vernünftigen Ansichten zurückkehren; sie rasen fort auf der
Bahn des Verderbens." — „Unser Vertrauen in die In-
telligenz des amerikanischen Volkes wurde im Laufe der
letzten Jahre bedeutend erschüttert; es ist sehr schwer,
demselben die logischen Consequenzen einer gewissen Politik
klar zu machen."
In einem andern Aufsatze, welcher überschrieben ist:
„Fortschreitende Willkür", wird auseinandergesetzt,
welcher Beweis- und Beweggründe es bedürfe, um das
Volk aufzuklären: —
„Bei den Einen entscheiden die m ö r d e ri s ch e n
Kriegspfuschereien, deren Abraham Lincoln überführt
worden ist, bei den Anderen sind es die gefährlichen Ein-
griffe in die heiligsten und theuersten Rechte
freiheitsliebender Männer, deren er sich schuldig gemacht
hat. Bei den Dritten ist es die beispiellose Corrup-
tion, lvelche in allen Zweigen der Verwaltung
eingerissen ist. Bei den Vierten und Fünften sind
es die'freche Raubsucht und die noch frechere
Sittenlosigkeit, welche sich unmittelbar unter den
Augen des „Honest Old Abc" breit machen dürfen. Bei
wieder Anderen ist es die schreckbare Mischung von
Unwissenheit, Unfähigkeit, Verschlagenheit,
Gewissenlosigkeit, roher Willkür und unge-
schlachtem Ehrgeiz, lvelche man in Abraham
Lincoln vereinigt findet, und die ihn zu einem
gefährlichern Feinde der Institutionen des Landes und
unserer Freiheiten machen, als das rücksichtsloseste der
ihm ergebenen Werkzeuge. Und bei Anderen sind es
endlich alle diese Dinge zusammengenommen."
„Wir haben faktisch keine Legislative mehr, lvie
wir schon seit längerer Zeit keine Justiz mehr gehabt
haben, wenn immer sie den Would be Autokraten in
Washington sich unbequem erwies. Für Lincolns und
feiner Werkzeuge freche und empörende Ueberschreitungen
der Justiz brauchen wir nicht weit umher zu suchen, denn
Dutzende von Fällen haben bis in die jüngste Zeit in
unserm eigenen Weichbilde sich zugetragen, und mehrere
unserer Gerichtshöfe, so wie der Gouverneur unseres
Staates, kämpfen in diesem Augenblick mit dem Auto-
kraten Lincoln für die Behauptung der constitutionellen
Rechte des Staates und der verfassungsmäßigen Autori-
tät der Gerichte."
— Wir sagten oben, daß die alte radikal-republika-
nische Partei sich gespalten habe; die von Lincoln Abgefal-
lenen hat den — als Politiker, wie als Soldaten ganz
unfähigen, als Reisenden ganz ausgezeichneten — General
Fremont zum Präsidenten vorgeschlagen. Nun schreibt
die Staatszeitung: — „Der bei Lincoln zurückgebliebene
Stumpf der weiland republikanischen Partei repräsentirt
ein wahres Gemengsel von Abolitionismus, Radikalismus,
Absolutismus und unfruchtbarem, inhaltleerem Conser-
vatismns. Die Lincoln-Partei ist im Princip schwankend
vom Conservatismns bis zum Radikalismus; in der Po-
litik taumelnd zlvischen Republikanismus und unerträg-
lichem Despotismus. In dieser Partei ist nur Eins aus-
gesprochen und verstanden, von Lincoln an bis herab zum
schmutzigsten und gierigsten Shoddy oder servilsten Schreib-
knecht, — nämlich das Streben nach Behauptung der
Macht und Beute, und wenn es das Leben der Nation
und den letzten Nest von Glück, Wohlstand und Freiheit
des Volkes kosten sollte."
Die sogenannte Jnlandsteuer-Bill ist mit dem
1. Juli 1864 in Kraft getreten. Sie hat das eine Ver-
dienst, originell zu sein, denn ein Nebenstück zu diesem
„Monstrum der Finauzerpressung" findet man in allen
fünf Erdtheilen nicht. In einem „Eingesandt" der Neu-
yorker Staatszeitung finden wir folgenden Stoßseufzer
eines Bürgers: —
„Nichts vermag unsere Lage so treffend zu kennzeich-
nen, als die neue Steuergesetzgebung; Nichts zeigt uns
mehr, in welchen trostlosen, zerrütteten Zustän-
den wir leben. Die enorme Höhe, welche der Stand
des Goldes erreicht hat, ist zwar auch ein genauer Maß-
stab für diese so trübseligen Verhältnisse; allein dabei
bleibt immer für den, der nicht sehen will oder angeblich
nicht sehen kann, die Ausflucht, daß der Werth des Goldes
374
Thatsachen und Stimmen ans dem Nankeelande.
mtv durch die Spekulation künstlich in die Höhe geschraubt
worden sei."
„Sehen wir uns diese Steuergesetze etwas näher an,
so können wir uns der Verwunderung nicht erwehren,
wie weit es binnen wenigen Jahren in diesem
reich gesegneten, früher so glücklichen Lande gekommen
ist. Es gibt kaum eine Steuer, welche jemals
von einem verschwenderischen, das Volk aus-
saugenden Despoten ersonnen worden ist, die
Glicht in der neuen Steuerbill ihren Platz ge-
funden hätte. Aber das ist noch nicht genug; hier
tritt noch hinzu, daß die Höhe der für die meisten An-
sätze beliebten Abgaben eine solche ist, wie sie kaun: jemals
in irgend einem Staate Platz gegriffen hat."
„In einem Zeitraume von drei Jahren haben unsere
weisen Gesetzgeber in Bezug auf unsere Finanzen einen
solchen Zustand geschaffen, wie die finanziell am meisten
zerrütteten Staaten Enropa's ihn nicht aufzuweisen haben;
obwohl dort feit Jahrhunderten alles Mögliche ge-
leistet worden ist, um die Finanzen einzelner Länder
immer tiefer herab zu bringen. Bei uns sind Han-
del und Gewerbe dermalen init einer solchen
Steuerwucht belastet, daß man sich erschreckt von
diesem Bild abwenden möchte. Und noch nicht genug
daran, — unsere Finanzgesetzgebnng hat auch eine präch-
tige Erbschaftssteuer geschaffen, und eine Einkom-
mensteuer hat auch nicht auf sich warten lassen, und
zwar eine solche, wie kaum ein anderes Land der Welt
sie auszuweisen hat. Die neue Steuerbill enthält ein so
bunt durch einander gewürfeltes Gemenge der verschieden-
artigsten so durchaus priuciplosen Steuergesetze, daß man
sich über die Kunst, ein solches Allerlei zu schaffen, wuu-
dern muß."
„Während eine solche Steuergesetzgebung den Wohl-
stand des Volkes vernichtet, schafft die Ausführung der
Gesetze eine so unendliche Menge von Polizeiquä-
l er eien, dergleichen auch schwerlich ein anderes Land der
Erde aufzuweisen hat. Dadurch wird der Bürger nicht
nur nach allen Seiten hin in seiner Freiheit beschränkt,
sondern derartige polizeiliche Quälereien, Spionagen uild
Aufpassereien sind jeder geschäftlichen Entwicklung stracks
entgegen." —
Wir haben einen Blick in diese Steuerbill gethan, sind
die einzelnen Ansätze durchgegangen und finden, daß die
oben ausgesprochenen Ansichten nicht zu schroff ausgedrückt
sind. Jene Bill ist in der That ein wahres Monstrum;
jede saure Gurke, jedes Glas Sodawasser ist hochbesteuert!
Ein Reisepaß kostet int freien Paukeelaude jetzt —
fünf Dollars.
Wir haben mehrfach hervorgehoben, daß Herr Pro-
fessor Neu mann in München in den gegenwärtigen
Zuständen des Pankeelandes eine großartige Entfaltung
und Pracht der republikanischen Einrichtungen sieht. Eilt
berliner Professor, obendrein ein Hegelianer, hat sich noch
höher verstiegen. Vor vier Jahrett war der thätigste aller
Drahtzieher und Stellenjäger der radikal - repnblikani-
schen Partei und ein Hauptwahlagent derselben zu Chi-
cago in Illinois ein Advokat, Namens Jltdd, über
dessen Lebensverhältnisse die Zeitungen und auch die öffent-
lichen Rediter der Gegenpartei allerlei merkwürdige Dinge
erzählten. Diese gehen uns aber hier nichts an; lvir
haben nur ztt bemerken, daß Liitcoln diesen Advokaten
und Wahlagenten Judd mit einer aus den Umständen
sich erklärenden Eilfertigkeit zum Gesandten in Berlin
ernannte. Dort veranstaltet nun dieser Republikaner
alljährlich am 4. Juli, beut Tage der Unabhängigkeits-
erklärung, eilt Gastmahl, bei welchem natürlich Reden
lticht fehlen, und sxread-engte-Phrasen im Pankeestyl
nicht ans sich warten lassen. Herr Judd brachte diesmal
das Hoch ans seinen Patron Lincoln aus ttnd sprach auch
über den, vom Liitcolnflügel der jetzt zerklüfteten sogenann-
ten repnblikaitischen Partei zttm Vicepräsidenteit vorge-
schlagenen Herrn Johnson. Herr Judd kennt seine
Berliner und sagte: „Beide Männer stammen aus der
Klasse, welche man hier hin Berlin) die niedrigste nennt,
aus der arbeitenden Klaffe! Ich habe Johnson ge-
kannt, als er sich seilte eigenen Hoseit schneiderte, und
Lincoln, als er Zaunpfähle für Taglohn spaltete. Und
dieser ehemalige Holzhacker ist jetzt berufen, im L alt d e
der Freiheit deren furchtbarste Feindin, die Sklaverei,
zu vernichten."
Es hätte mit einem Wunder zugehen müssen, wenn
solch ein „egregious nonsense“, wie man dergleichen in
Amerika nennt (wo man aber weiß, was die Sache eigent-
lich zu bedeuten hat), an der Tafel in Berlin nicht ge-
zündet hätte. Eilt Holzhacker ist Präsident (und was
für einer!), und ein Schneider soll Vicepräsident werden!
Das klingt erhaben und packte. Eilt Gast, der Consisto-
rialrath Dörner, fühlte sich apokalyptisch angeregt und
verkündete als Prophet: „Das Gold der Freiheit wird
geläutert aus dem gegenwärtigen Gluthofen der Trübsal
hervorgehen." Der Statistiker vr. Ernst Eltgel, sonst
eilt verständiger Mann, lvagte die mehr als kühne Be-
hatlptttng: „Die Detttschen im amerikanischen Heere
kämpfen nicht für Sold, sondern für die Freiheit." Wir
möchten fragen: wie viele? Uild lvo ist denn die „Frei-
heit" ? Doch was die Herren Dörner und Engel behaup-
ten, erscheint harmlos gegen das, was ein Philosoph in
Hegelscher Floskel zum Besten gab. Professor Mich elet,
so ziemlich der letzte Mohikaner der dem Aussterben nahen
Hegelischen Schule, äußerte Folgendes: „Die Amerikaner
sind am Endpunkte geschichtlicher Entwicklung, bei der
Selbstregierung, angelangt. Jetzt tilgen sie den letzten
Flecken aus, der ihnen anhaftet, die Sklaverei. Sie
führen die Philosophie der Weltgeschichte prak-
tisch durch; in Deutschland wird dieselbe nur theoretisch
abgehandelt."
Herr Judd, der ein smarter, geriebener, äußerst ge-
würfelter matter of fact man ist, wird ins Fäustchen gelacht
haben über diesen egregious nonsense des Hegelianischen
dutchmen. Doch sehen wir zu, wie matt im Pankeelande
die „Philosophie der Weltgeschichte" praktisch
durchführt.
„Wer fiub denn die Unteestützer Abraham Lincolns?"
so fragt die Neuyorker Staatszeitttng und antwortet: „Es
sind die Schoddies itnb Lieferanten, die Hausknechte tuib
Lohnschreiber. Sie möchten auf der fetten Weide
bleiben, ans der sie seit 1801. treiben. Das macht ihr
ganzes Ziel und Streben atls. Greenbacks sind ihr
Magnet; über den Greenbacks haben sie Verfassung,
Union, Nation und alles Andere vergessen. Und wie
haben sich unter der corrupten Administration und unter
dem Kriegszttstande diese Anhänger der Greenbacksspender
vermehrt!" Doch dies beiläufig. Wir wollet!, diesmal
atts einetn der Liitcoln-Partei angehörendem Blatte, eilt
Beispiel anführen, wie die Werkzeuge Lincolus die „Philo-
sophie der Weltgeschichte" verstehen und in welcher Weise
sie den Ausspruch des berliner Professors Michelet recht-
fertigen.
Ein vormaliger Advokat Namens Httnter ist, wie
so viele seines Standes, zunt General improvisirt wor-
den. Er ist unfähig, fanatisch, grausam, hat im Felde
nie Erfolge gehabt und wurde int Juli vott bett Confö-
derirten wieder einmal aufs Haupt nnb mit seiner ganz
demoralisirten Heeresabtheilung in die Flucht geschlagen.
Er kam auch nach der Stadt Lexington in Virginien, und
wie er es dort getrieben, das sagt der „Cincinnati Com-
mercial", wie bemerkt, ein republikanisches, ein Lincoln-
Blatt. , „Wir verloren Lynchburg durch Saumseligkeit.
Das virginische Militärinstitut in Lerington wurde
mit Bibliothek, physikalischen und chemischen Apparaten,
Karl Andree: Knlturgeographische Erläuterungen zu der Karte von Südafrika.
375
geologischen Sammlungen imi> Reliquien niederge-
brannt. Nichts wurde verschont. Washington College
wurde geplündert, auch die Bibliothek; eigenhändige Briefe
von Washington wurden gestohlen. Die Wohnung der
Frau Letcher wurde durch Feueranlegen zerstört; man ver-
gönnte ihr nur 10 Minuten Zeit, das Hans zu verlassen;
sie rettete Nichts; ich habe das selbst mit angesehen. Das
Militärinstitnt und die Wohnung der Frau des Ergon-
verneurs (Letcher) wurden ans Hunters Befehl zerstört.
Die Plünderung des Washington College geschah zwar
ohne seinen direkten Befehl, aber er winkte dazu; denn
als die Direktion seinen Schuh ansprach, schlug er diesen
rundweg ab. General Crook protestirte gegen die
Verletzung von Privateigenthum, aber ohne
Erfolg."
Diese Barbarei steht nicht vereinzelt da; wir sind im
Stande, aus Blätteril der republikanischen Partei Dutzende
solcher Scheußlichkeiten anzuführen. Sie liegen im System
der Pankees, sind eine praktische Durchführung der „Phi-
losophie der Weltgeschichte".
Genug für dieses Mal. Wir halten es für unsere
Pflicht, Stimmen und Thatsachen reden ;u lassen, von
denen die zu Aemtern beförderten „Haus- tutd Schrcib-
knechte Lincolns", welche einen großen Theil der Presse
in Deutschland mit Correspondenzen aus Nenyork und
Washington versorgen, wohlweislich schweigen; diese Leute
sind theilweise Rothe ans dem Jahrgange 1849 und jetzt,
— wie fließen sie über von „Loyalität" und wie ingrim-
mig sind sie, die unglücklichen, flüchtigen Rebellen ans der
alten Welt, nun gegen die glücklicheren „Rebellen"
der neuen Welt. Aber wie armselig und uue unlogisch
nehmen sie sich aus, diese weiland rothen Demagogen und
Rebellen von Anno 1849, wenn sie als Gracchen sich
gebärden, de seditione querentes! A.
Kulturgeographische Erläuterungen zu der Karte von Südafrika.
(Hierzu eine Karte.*')
Von Karl Andrer.
Der Mangel an Gliederung, an Häfen und Strömen. — Charakter der Gewässer. — Gegensatz von Süden und Norden. — Die Zersplitterung der Völker
und Stämme. — Mangel an historischer Fruchtbarkeit und Fähigkeit. — Die Menschen in der Region des Gabon. — Der Ogowak-Strom und die heiligen
Inseln im Ionanga-See.
Die Küsten Afrika's sind im Süden des Aequators
fast noch weniger gegliedert, als im Norden der Linie, lind
gute Häfen fehlen; auch ist dieses ganze südliche Dreieck
im Allgemeinen wasserarm und zeigt auf sehr ausgedehn-
ten Strecken den Charakter zugleich der nordafrikanischen
llnd der australischen Wüstenei. Cs hat spärliche Be-
wässerung, und die in unseren Tagen bekannt gewordenen
Seen siild, wie der Ltg am i, entweder nur große und seichte
Lachen oder Pfützen, oder wie der Tanganyika und
Nyassa für den Verkehr ohne Erheblichkeit; auch scheint
es, als ob der Nyanza, aus welchem Speke seinen Nil
abströmen läßt, nur von Kähnen und zwar lediglich am
Strande befahren werde; eine lebhafte Schifffahrtsver-
bindnng zwischen bcu Anwohnern der entgegengesetzten
Küsten findet auf ihm nicht statt.
Auch die potamische Gliederung ist dürftig. Sehen
wir ab vom Ogowak, der erst in unseren Tagen als
ein großer, weit her aus den: innern Aequatorialafrika
herfließender Stronr erkannt worden ist, über dessen obern
Lauf wir aber ohne nähere Kunde sind, so finden wir an
der ganzen Westküste die Mündungen von nur zwei auf
einigermaßen beträchtliche Strecken fahrbaren, aber auch
von' Katarakten gesperrten Strömen, jene des Zaire-
Congo und des Coanza. Alle allderen sind mehr
Küsten- lind Steppenflüsse; selbst der Oranje River,
welcher die Nordgrenze der Kapkolonie bildet, trägt ge-
wissermaßen ein australisches Gepräge und hat für den
Verkehr gar keine Bedeutung.
Dasselbe gilt von den Gefliesten der Ostküste, mit
Ausnahme des San:best. Aber auch dieser hat Kata-
rakten, ans iveiten Strecken Sandbänke, welche sich ver-
schieben, oder Stromschnellen, und die freien Strecken mit
sicherm Fahrwasser können nur von Dampfern mit ge-
riiigem Tiefgänge beschifft werden. Vom Meere her ist
die Einfahrt in das vielfach verschlungene und verwickelte
Delta schwierig, und der Sambesi,'obwohl ein großer
*) Aus Meyer's neuestem Handatlas in 100 Karten
h 3% Sgr. Hildburghausen. Bibliographisches Institut.
1861-61.
Strom, mit einem Gesammtlaufe von vielleicht einer
Länge von 700 Wegstunden, kann eben der Hindernisse
wegen, welche er der Schifffahrt entgegensetzt, nie ein
Knlturstrom werden.
Ein Vergleich zwischen der Nord- und der Südhalbe
Afrika's fällt entschieden günstig für die erstere aus.
Ihre Nordküste wird überall von dem Mittelmeere be-
spült, das drei Erdtheile verbindet und seit den ältesten
Zeiten Schauplatz einer lebendigen und hochgesteigerten
Thätigkeit vieler Völker war, und in welchem der Einfluß
europäischer Civilisation ununterbrochen seinen Fortgang
nimmt. Jin Osten bildet das lange und schmale Rothe
Meer ein vielbefahrenes Wasser, und an den westlichen
Gestaden bis zu den Oelflüssen des Nigerdeltas findeil wir
neben der urafrikanischen Barbarei doch auf sehr vielen
Punkten ein reges Handelslebe». Auch hat diese nörd-
liche Hälfte große Wasserbahnen, welche aus dein Herzen
des Festlandes kommen oder doch dasselbe berühren. Der
Nil bildet, bis auf wenige Grade von seinem Ursprung
hin, auf einer Strecke von etwa 1000 Wegstunden eine
wirkliche Handelsstraße; Senegal und Gambia sind weit
hinauf zil befahren; der Niger zieht in weit geschwun-
genem Bogen, in einer Läiige, welche jener des Nils nicht
beträchtlich iiachsteht, von der Nähe der Senegalquellen
bis in dieBucht von Benin. Durch diese Ströme werden
in höherm oder geringerm Grade die Berührungen ver-
schiedener Völker nnb der Austausch befördert; sie haben
eine Knlturbedeutung, diese natürlich nach afrikanischem
Maßstabe bemessen.
Der Südhalbe dagegen fehlen solche nassen Wege;
aber auch die trockenen mangeln ihm. Wüsteneien von
großer Allsdehnung hat auch er in Hülle nnb Fülle, aber
nicht die lachenden Oasen, mit denen das Dattelland lind
die Sahara, wie von Flecken ans einem Leopardenfell,
gleichsam besprenkelt sind. Dort ist ei» großes Netz von
Karawanenstraßen, auf welchen das mit Waaren beladene
Schiss der Wüste zu vieleil tausendeil einherzieht, lind auf
denen seit vielen Jahrhunderten eine regelmäßige Ver-
bindung zwischen den Gestadeil des Mittelmeeres nnb den
Regionen im Innern (dem Sudan, dem Lande der Schwär-
376
Karl Andrer: Kulturgeographische Erläuterungen su der Karte von Südafrika.
zen) nach Süden hin unterhalten wird. Araber, Mauren,
berberische Völker, Fnlbe, Neger und Europäer stehen dort
in mannigfacher Berührung, welche niemals auf längere
Zeit unterbrochen wird und bis ettva zum 10" n. Br.
hinab ihre Wirkungen ausübt. Auch fehlen westöstliche
Karawanenwege nicht; doch liegt es in der Beschaffenheit
der Dinge, daß dieselben weniger benutzt werden, als jene
ersteren. Denn Regionen unter denselben Breiten haben
zumeist auch ein und dieselben Erzeugnisse und deshalb
nur eineir sehr bedingten Austausch, also geringern Ver-
kehr unter einander. ' Aber vorhanden sind jene Karawa-
nenstraßen, und kein Jahr vergeht, in welchem nicht
schwarze Mekka-Pilger, Takruri, aus Senegambien bis
nach Suakinl am Rothen Meere zögen; nachdem sie dann
in der Stadt des Propheten ihre Andacht verrichtet, keh-
ren sie auf demselben Wege in ihre Heimath zurück.
Ueber ganz Nordafrika ist der Mohammedanismus ver-
breitet und auch jetzt noch siegreich im Vordringen; er
bildet ciu völkerverbindend es Element, dessen Wich-
tigkeit und, bedingungsweis, civilisirende Bedeutung gerade
für Afrika nicht hoch genug angeschlagen werden'kann.
Ueber den Aeqnator ist er noch nicht hinausgedrungen;
wir sinden ihn dort nur erst sporadisch auf einer steinen
Strecke ber Ostküste, so weit die Herrschaft des Sultans
von Sansibar anerkannt wird. Ueberall, wo der Islam
Wurzel faßte, wird die urafrikanische Barbarei zwar nicht
beseitigt, wohl aber gemildert; er bringt gewisse Formen
in das Leben, das er einigermaßen regelt; er steuert we-
nigstens der äußersten Wildheit, dem Kannibalismus lind
den: Fetischwesen, mit allen den grauenvollen Anhäna-
seln, welche voil demselben unzertrennlich siild.
Wir haben früher, in unseren Erläuterungen zu
der Karte von Westafrika, darauf, hingewiesen, daß im
schwarzen Afrika, namentlich in den nicht-mohammedani-
schen Regionen, das ganze Leben a tomisti sch zer-
splittert erscheine. Die Menschen mit schwarzer Haut
haben von Haus aus nur einen schwachen Begriff von
Zusammengehörigkeit; die Vorstellung und das Bedürfniß
von einem höher», organisch gegliederten Staatswesen feh-
len ihnen, cooperatives Bestreben geht ihnen durchaus ab,
und deshalb erscheinen sie unfähig, einen Staat im Sinne
der Europäer oder Asiaten oder der Azteken und alten
Peruaner zu gründen. Allerdings hat es sich im Laufe
der Jahrhunderte mehrfach begeben, daß einzelne Stämme
über ihre Grenze hinausbrachen uub weit nub breit das
Festland verheerend durchzogen; daß einzetile kühne Krie-
ger eine große Anzahl voll Landschaften eroberten llild,
wenn der Ausdruck gestattet wäre, ein Reich bildeten.
Aber alle diese Reiche sind ohne innern Halt, die ein-
zelnen Theile ohne organischen Zusammenhang und des-
halb allemal fast eben so rasch auseinander gefallen, wie
sie zusammen erobert wurden. Das gilt auch von den
mohammedanischen. Die drei Fulbereiche am Niger zäh-
len erst eine Dauer, die nicht viel über ein halbes Jahr-
hundert hinausreicht; in dieser Zeit sind die Fnlbe vom
Seilegal bis hinab über den Benne vorgedrungen, aber
Auflösung und Verfall wurden schon längst sichtbar. Auch
Südafrika hat seine großen Völkerstürme und seine sehr
ausgedehnten Völkerverschiebungen; die Heerzüge der
Dschaggas und Zimbes haben alle älteren Verhältnisse
über den Haufen geworfen; wir sind in unserm Jahr-
hundert Zeugen einer großen Völkerbewegnng unter den
Kaffernstämmen des Südostens gewesen, und die Könige
von Congo haben früher ein ausgedehntes Gebiet be-
herrscht.
Aber wo wäre in alle deill auch nur eine geringe
Snmine von Kulturelementen zu erkennen? Was
auch geschieht, wer auch der Eroberer sei, wie die Herr-
schaft wechsle, — es ist und bleibt immer und überall
dieselbe Barbarei. Wenn für den nichtmohammedanischen
Norden, so weit es auf Staateir oder Reiche kommt,
Aschanti und Dahome typisch sind, so haben wir im Sü-
den den Matiamwo und den Muata Cazembe (Globus III,
S. 13), nur ist hier, in Moropna und Lnnda, Alles
noch viel roher und noch weit weniger entwickelt. Die
Kaffernkönige Dingaan, Moselekatze und wie sie weiter-
heißen, sind nicht minder Barbaren, wenn auch in etwas
weniger niedrigem Styl, als jene Negerkönige.
Alle Bewegungen, Stürme und Eroberungen sind
ganz uild gar ungeschichtlich geblieben und haben für
die Kultnrentwicklung platterdings keinen Werth. Durch
sie alle ist rein Nichts gef chaffen worden, sie erscheinen
gänzlich unfruchtbar. Wir sehen nirgends ein Empor-
tauchen ans chaotischer Zerklüftung, und eben so wenig
irgend eine Schöpfung von Dauer. Es ist eine allerdings
betrübende, aber auch unbestreitbare Wahrheit, daß der
schwarze Afrikaner stets unfähig gewesen ist,
ans sich selber heraus über die Barbarei hin-
auszukommen. Wo dieselbe gemildert erscheint, ist
immer und überall der Antrieb und, fügen wir hinzu, der
Zwang dazu, von Außen her gekommen. Nicht minder
betrübend, aber eben so wahr ist auch die Thatsache, daß
der Neger allemal in seine urwiichsige Barbarei zu-
rückfällt, sobald jener Antrieb und Zwang aufhört. So
ist es in Afrika selbst, so auch in den amerikanischen Ko-
lonien und überall, wo wir ihn sich selber überlassen in
heißen, fruchtbaren Gegenden finden. Das civilisirende
Element, welches dem Islam inne wohnt, ist als solches
und an und für sich allerdings nur ein sehr geringes,
aber wir müssen noch einmal hervorheben, daß er für
Afrika als eine wahre Wohlthat betrachtet werden muß.
Diese Thatsache wird sofort klar, wenn wir einen Ver-
gleich anstellen zwischen dem Norden, wo er die Herrschaft
unbestritten ausübt, und dem Süden, wo der Fetischdienst
in alter Weise sich behauptet, die Anthropophagie im
Schwange geht und der Zauberpriester als der einfluß-
reichste Mann dasteht. Der Norden hat auch im Innern
große Städte, wichtige Stapelplätze nild Mittelpunkte für
den Verkehr; er besitzt eine in mancher Beziehung nicht
unerhebliche Gewerbsamkeit. Aber wo fänden wir im
Süden des Aequators ein Kairo, ein Kumassi oder auch
nur ein Knka oder Timbnktu? Wie sehr verschwinden
gegen solche und andere Plätze die Residenzen des Herr-
schers von Congo, des Matiamwo und des Muata Ca-
zembe? Was im Süden von Städten in unserm Sinne
vorhanden ist, wurde von Portugiesen, Holländern und
Engländern gegründet und beschränkt sich auf die Kolo-
nialbesitznngen.
In unseren früheren Mittheilungen schilderten nur zu-
letzt die Zustände im Nigerdelta. Wir wenden uns nun etwas
weiter »ach Siiden, wo mir hart im Norden und Süden
des Aequators ein weit verzweigtes Netz von unteren
Stromlänfen und Aestuarien finden, ein Deltagebiet, das
wir nur erst theilweise genauer kennen. Man bezeichnet
jetzt diese Region als jene des Gabon, und hier haben
die Franzosen einige Faktoreien gegründet. Sie ist wäh-
rend der letztverflossenen Jahre ein Schauplatz für mehrere
Reisende geworden; dort fand Du Chailln den gewal-
tigen Gorilla-Affen und die menschenfressenden Pahnins.
Seine Angaben sind im Wesentlichen durch Winwood
Reade, Wilson, Bnrton und Andere bestätigt wor-
den; auch Braonezec stimmt mit denselben überein.
Wir können hier in die hydrographischen Verhältnisse des
Mündungsgebietes in der Gegend zu beiden Seiten des
Kap Lopez nicht näher eingehen und heben nur hervor,
daß der Gabon (die Engländer schreiben Gabun) nicht
etwa einen großen Strom, sondern ein beträchtliches, weit
ins Küstenland reichendes Aestnarium bildet.
Die Völker in der Gabonregion, zwischen dem Kry-
stallgebirge und der Küste, bieten merkwürdige Erschei-
nungen dar. Während einige Stämme von Alters her
in der Küstengegend seßhaft sind, kamen andere erst im
Lauf unseres Jahrhunderts aus dem Innern, drangen
immer weiter vor und haben nun schon die Gestade des
Oceans erreicht. Wir finden also hier eine Erscheinung,
welche sich in Afrika oft wiederholt, daß nämlich die Völker
Karl Andree: Kulturgeographische Erläuterungen zu der Karte von Südafrika.
377
des Binnenlandes Alles aufbieten, um sich einen un-
mittelbaren Verkehr mit der Küste zu verschaffen und
sich der Zwischenhändler zu entledigen. Aus diesem Um-
stand erklären sich die vielen Fehden, in welche wir die
Negervölker fast unaufhörlich verwickelt sehen.
Unter den Völkerschaften am Gabon sind am wichtig-
sten die Pongue, Bnlns, Bakalat's und die Pahuins oder
Fans. Bevor wir die Letzteren schildern, wollen wir
Einiges über die eigenthümlichen ethnographischen Ver-
hältnisse am Ogowa't oder Ogobat bemerken. Es wurde
schon oben erwähnt, daß derselbe einen sehr beträchtlichen,
weit aus dem Innern herfließenden Strom bilde; man
wußte aber nichts Näheres, bis Serval und Griffon
de Bellay im Juli 1862 den untern Lauf desselben mit
dem Dampfer Pionnier befuhren. Sie ftcuevtcn in den
etwa 14 deutsche Meilen südlich vom Gabon mündenden
Nazareth, einen der Deltaströme, welcher etwas nördlich
vom Kap Lopez ins Meer fällt, und hatten anfangs der
seichten Stellen und Sandbänke wegen eine gefährliche
und beschwerliche Fahrt. In der Nähe des Meeres waren
die Ufer dicht mit Mangrovegebüsch bestanden, bald nach-
her traten Pandanus und Pucca auf, dann folgte eine
prächtige Waldvegetation, ähnlich jener am Gabon, und
auf den Inseln ragte die Oelpalme empor. Aber auf
weite Strecken hin fand der Dampfer manche Schwierig-
keiten, rannte einige Male auf, und die Reisenden mußten
eine Pirogue besteigen. Sie fanden Dörfer verschiedener
Stämme,';. B. der Gamby, Aschanka und Jgane,
die aber alle drei von der Küste ins Innere gegangen
sind; die Ersteren kamen vom Cammaflusse her, die Zwei-
ten gehören zu den Pongues (Mpongwe) und die Letzteren
zu den Evilis. Dazu'kommen dann noch die Galos,
welche am Ogowa'i das zahlreichste Volk zu bildeir scheinen.
Alle _ diese Anwohner des Stromes pflanzen Bananen,
Manioc, Papaya, Erdmandeln und Zuckerrohr, aber nur
für den eigenen Bedarf; in den Wäldern steht mancherlei
werthvolles Nutzholz und eine Liane, welche vortreffliches
Kautschuk liefert. Der ächte Tabak tritt nur als Zier-
pflanze auf; die Neger wollten nicht glauben, daß seine
Blätter dieselben seien, welche sie durch den Handel be-
kommen; übrigens pflanzen sie auch den sogenannten,
Eongo-Tabak, der aber nichts weiter ist, als Hanf;
sie rauchen Haschisch. Die Ananas wächst wild. Eine
auffallende Erscheinung bildeten in den sandigen Ufern
kreisrunde, sehr regelmäßige Löcher von mehr als drei
Fuß Durchmesser und etwa aitderthalb Fuß Tiefe, welche
sich ein im Ogowa'i sehr häufig vorkommender Fisch, der
Schondo, aushöhlt, um seinen Laich hineinzulegen. Er
verfertigt sich dieses, Nest möchte man sagen, vermittelst
seines Hornschnabels mit einer geradezu geometrischen
Regelmäßigkeit. Die Termitenhügel erreichen eine Höhe
bis zu 18 Fuß und haben die Gestalt eines unregel-
mäßigen Kegels, auf welchem vier bis fünf kleine Thürme
stehen.
Die Galos erzählten viele wundersame Dinge über
einen der Elivas, d. h. Seen, welche mit dem Ogowa'i
in Verbindung stehen, namentlich über den Jonanga,
in welchem die heiligen Inseln liegen. Dort sieht
man, so sagten die Eingeborenen, in den Wolken die großen
Meerschisfe, welche das Kop Lopez umsegeln; dort wohnen
auch mächtige und böse Geister, welche jeden Kabn ver-
nichten, der ihren Wohnsitzen nahe kommt, und auch den
Tangonis, den weißen Leuten, nicht hold sind. Die
Tangonis ließen sich aber nicht abschrecken und erhielten
von dem über das Dorf Ndumbo herrschenden „König"
zwei Piloten. Einer derselben trug einen langen Schlepp-
säbel, und seine Bekleidung bestand in denr Fell eines
Tigers, dessen Schweif am Boden hin schleppte.
Der Ogowa'i steht in Verbindung mit dem Jonanga
vermittelst eines Wasserlaufes von etwa einer halben
Stunde Länge und nahe an 1000 Fuß Breite, der zwi-
schen hohen, bewaldeten Ufern hinströmt. Da, wo der
See beginnt, liegt Avingi, ein Dorf, dessen Häuptling
Globus VI. Nr. 13.
seinen Unterthanen all und jeden Verkehr mit den Be-
wohnern anderer Ortschaften verbietet. Eine Kette von
Inseln, unter denen Asengibuiri die größte ist, theilt
den See in zwei ungleiche Hälften. Der Jonanga selbst
bietet einen wundervollen Anblick dar. Fast in jeder
Schlucht stürzt von den bewaldeten Höhen ein brausender
Bach herab, aber kein einziger Fluß von Bedeutung; das
Wasser selbst hat in der trockenen Jahreszeit 12 bis 18
Fuß Tiefe und ist durchsichtig klar; im Süden und Osten
steigt das Land in Terrassen bis zu den Tschankolo-
bergen hinan.*)
Die meisten Dörfer am See werden von Galos be-
wohnt; weiter landein, hinter den Tschankolobergen, le-
ben Aschiras, Menschen mit weit zurücktretender Stirn
uui) vielleicht intellectuell niedriger stehend als die Galos
und Pongue; doch sind sie weniger träg als diese, und
sie verfertigen die feinen, weichen statten, welche im Han-
del als Loango-Matten vorkommen und die man am
Ogowa'i häufig findet; doch verstehen lediglich die Aschiras
diesen hübschen Stoff zu bereiten. Sie feilen sich die
Zähne spitz, gerade so wie die Pahuins am Gaben.
In der bewaldeten Gegend zwischen dem See und den
Tschankolobergen und in diesen selber wohnen Bakalais
(Bakele, Akalais), ein kriegerisches, von seinen Nachbarn
sehr gefürchtetes Volk. Sie unternehmen oft Naubzüge,
um Sklaven zu erbeuten, welche sie dann weiter verkau-
fen, und sind im Norden des Ogowa'i bis an die Neben-
flüsse des Gabon verbreitet; dort aber setzen ihnen die
immer weiter um sich greifenden Fans eine Schranke.
Der Schifffahrt sind sie abgeneigt, lassen nnr widerwillig
Menschen anderer Stämme in ihr Waldland hinein, mo-
nopolisiren den Transit der landesüblichen Handelswaa-
ren, als da sind: gefangene Menschen, Elephantenzähne,
Wachs und verschiedene Geflechte. Am See haben sie
nur zwei Dörfer time.**)
Von dem Galosdorfe Asinguibuiri fuhren die Reisen-
den nach der heiligen Insel Ärumbe hinüber; sie allein
ist bewohnt, alle anderen Eilande sind menschenleer. Am
Strande traten ihnen etwa ein Dutzend seltsam gekleideter
Knaben entgegen, Candidaten oder junge Leviten,
denn sie sind dazu bestimmt, die Reihen der Fetischpriester
zu ergänzen. Diese Candidaten tragen einen rothen
Schurz ans einem Stoffe, welcher bei den Bakalais ver-
fertigt wird; sie befestigen denselben über den Hüften
vermittelst eines Gürtels von weißen Glasperlen; mit
dergleichen verschiedenfarbigen Perlen schmücken sie
auch Hals und Brust; an Armen und Füßen tragen sie
Messingringe. Nach vollendetem 17. Jahre hört das
Noviziat auf, und der Jüngling wird zum Fetisch-
priester erklärt.
Im Dorf Arumbe wohnt der „König" der heiligen
Inseln; er heißt Pondogowiro und war von seiner hohen
Wichtigkeit ungemein durchdrungen. Sein Staatskleid
bestand in einer alten, abgetragenen Eorporaluniform,
welche sich bis in diese fernen Gegenden verloren hat;
dazu kamen ein Hüftenschurz und ein zerknitterter Stroh-
hut. Dieser Herrscher ist aber nicht der eigentliche Ober-
*) So steht auf der Karte Servals ; im Text steht A schau-
kolos. Revue maritime et coloniale. Paris 1863. IX.
S. 78.
**) Lieutenant Braouezec behauptet dagegen, sie seien
gewandte Schisser und Schwimmer (Globus I, S. 119). Der
amerikanische Missionär Bert hebt hervor, daß sie noch keinen
unmittelbaren Verkehr mit den Europäern haben und unsere
Fabrikate sich in der Weise verschaffen, daß sie dieselben als
Zahlung für ihre Töchter geben, welche sie den Mpongue ver-
kaufen oder verheirathen, was ja ans Eins hinausläuft. Note
sur les tribus qui habitent le Gabon ; Bulletin de la société de
Geographie, 1863. I. S. 185. Bei den eigentlichen K liste n-
stämmen dagegen, z. B. bei den Batangas wird eine Frau
nicht durch Kauf erworben, sondern man tauscht Schwe-
stern oder Töchter gegenseitig ans. I. Leighton Wilson,
Western-Africa, its history. condition and prospects. London
1856. S. 266.
48
378
Aus allen Erdtheilen.
Priester, der in Galimande wohnt, einem Dorf an Ogowai,
und nur selten' nach Arumbe kommt; Beide gehören einer
der Priesterfamilien an, in welchen die geistliche und
weltliche Würde erblich ist. Die zwei heiligen Eilande lie-
gen in der Nähe von Arumbe, sind dicht mit Wald be-
wachsen und ein Aufenthalt für unzählige Strand- und
Wasservögel, namentlich Ibisse und Pelikane.
Der König begleitete die weißen Männer, um die
bösen Geister' zu beschwören. Gleich nachdem er an's
Land getreten war, streckte er beide Arme weit aus; in
der einen Hand hielt er eine lange Schellenglocke, das
Symbol seiner geistlichen Gewalt, in der andern eine
Art von Kuchen. Er sprach daun in zitterndem, meckern-
dem Tone: „Die Weißen sind hergekommen, um euch zu
besuchen; macht sie nicht krank, sie bringen euch Geschenke
mit; laßt sie nicht sterben, sondern wohlbehalten nach dem
Gabon zurückkehren." Das Gebet war aufrichtig ge-
meint, aber vom Fieber blieben die weißen Männer doch
nicht verschont. Hondogowiro nahm den Kuchen, füllte
dann seinen Mund mit Branntwein und spie diesen nach
allen Richtungen aus; die Besprengung sollte allen seine»
Feinden Schaden zufügen. In's Innere der heiligen In-
seln dürfen nur Fetischpriester eindringen; die weißen
Männer kamen also nicht hinein.
Weiter stromauf sind Serval und ©rissen de Bellay
nicht gekommen. Ist nun der Ogowai in der That
dazu angethan, eine große Fahrstraße iüs Innere zu er-
öffnen und vielleicht im Fortgänge der Zeit eine Kultur-
bahn zu werden? Die Ansicht der Reisenden können wir
in Folgendem zusammenfassen.
Der Ogowai ist wirklich ein großer Strom; er wird
etwa 60 Lienes oberhalb seiner Mündung gebildet durch
die Vereiisigung zweier sehr beträchtlichen Flüsse, des
Okanda und des Nguniai; weiter abwärts erhält er
dann einen Abfluß aus dem Jonanga-See; höher hinauf
ist er, wie bemerkt, nicht erforscht worden. In jenem
untern Laufe hat er eine durchschnittliche Breite von
2500 Metres, fließt so schnell und hat auch in der trock-
nen Jahreszeit eine solche Fülle von Wasser, daß dieses
selbst bei hoher Flnth süß bleibt. Er ist eine Hauptader
des afrikanischen Festlandes, wenn auch nicht so bedeutend
und berühmt, wie der Niger.
Der Nguniai scheint iin Allgemeinen die Richtung zu
haben, wie der Ogowai selbst, nur mit einer Biegung
nach Süden, der Okanda dagegen kommt aus Nord-
osten her, vielleicht aus Norden, wir wissen aber nicht
ob von einer Hochebene oder einem Gebirgsstocke, an
dessen Nordabhange der Kullak und der Schari, Zuflüsse
des Tschad-Sees, Herabkommen, und an dessen Ost- oder
Nordostseite vielleicht Zuflüsse des Nils liegen. Diese
Annahme hat nichts Unwahrscheinliches. Die Namen von
weit nach Norden hinliegenden Ländern könnte man am
Ogawai nur auf dem Weg am Okanda abwärts erfahren
haben; aber die intelligentesten Häuptlinge hatten von den
Ländernamen, welchedieReisendenihuenvorsagten, nie etwas
gehört, außer den: Könige des Dorfes Dembo, welcher
einmal einen Sclaven aus „Waddai" besessen hatte;
dieser lvar vom obern Okanda gekommen. Fließt nun
der Ogowai aus Wadai her oder aus dem südlicher
liegenden Fertit? In diesem Falle läge seine Quelle
nicht weit von dem Ursprünge der in den Tschadsee fallen-
deil Gewässer. Ein Sclave, welcher auch vom obern
Okanda hergekommen war, wurde von Serval ausge-
fragt, kannte aber den Namen Wadai nicht, hatte auch
nie gehört, daß ein weißer Mensch in seinem Heimath-
laude gewesen sei; auch von den Zuflüssen des Tschad
hatte er nichts vernommen und wußte nur etwas von
einem Flusse Lo lo. Die Schwarzen am Ogowai selbst
gaben dagegen, in ächt afrikanischer Weise, viele Fabeln
zum Besten; sie erzählten von den Pahdis, einem wil-
den Bergvolke mit Flügeln und Antilopenfüßen, und ein
dem Volk der am Nguniai wohnhaften Schimba ange-
hörender Manu wollte dergleichen geflügelte Leute mit
eigenen Augen gesehen haben. Aber geschwänzte Leute
kannte er eben so wenig, wie amphibische Schwarze, von
denen man in Congo so viel zu erzählen weiß.
Die Stämme im Deltagebiet und anr untern Laus
dieser westafrikanischen Aequatorialströme leben, wie wir
schon hervorhoben, zersprengt und zerklüftet neben und
zwischen einander. Serval meint, die Pachuins (Fans),
welche allen Küstenstämmen weit überlegen und nun schon
bis an's Meer vorgedrungen sind, wären vom obern
Okanda herabgekommen und einerlei Volk mit den Osche-
b a s. Die Bezeichnung Pahnin oder Fan kennt man am
Ogowai nicht, man bezeichnet aber dort die Stämme am
Okanda als Aschebas oder Oschebas, und einige Stämme
am Gabon bedienen sich dieses Namens, wenn sie von
den Pahuins reden. Auch am Nguniai fand Serval
Oschebas, aber nur in geringer Anzahl, weil dort die
Asch iras das Hauptvolk bilden, wie die Galos am
Jouanga-See und oberhalb wie unterhalb dieses Sees,
wo sie überall in weniger zerklüfteten Gruppen beisammen
wohnen, als die übrigen Völker. Sie unterscheiden sich
aber nur wenig voi: den anderen Anwohnern des Ogowai,
reden fast dieselbe Sprache, und der vom Gabon stam-
mende Dolmetscher Servals konnte sich überall verständ-
lich machen. Die Galos haben in jeder Beziehung große
Aehnlichkeit mit den Mpongue.
Vom Jouanga weiter abwärts steht ein anderer See,
der Aneng ue, mit dem Strom in Verbindung. Dort
beginnen die sumpfigen Ufer, welche sich dann bis in's
Delta fortsetzen. Galos wohnen dort nicht mehr, es
treten Evilis auf, die aus Kabinda oder Loango dorthin
gekommen sind; sodann Bakammas an jenen Delta-
armen, welche im Süden des Kap Lopez münden, und
die Orungu, „Leute vom Strand", im Norden des
eben genannten Vorgebirges.
Wir werden unsere Betrachtungen fortsetzen, demnächst
die Fans schildern, der Küste entlang gehen, Loango und
Congo in's Auge fassen, einen Blick auf die portugiesischen
Kolonien werfen und auch den Völkern in der Kapregion
und im innern Südafrika mìsere Aufmerksamkeit zuwen-
den. Die südostafrikanische Küstenregion bleibt einer be-
sondern Erörterung vorbehalten.
Aus allen
Nachrichten über Reisende. Baker, derselbe welcher im
vorigen Jahre in Gondolero mit Grant und Spole zusammen-
traf und dann nilaufwärts fahren wollte, um den Luta Nzigi-
See zu erforschen und überhaupt zu sehen, was für eine Be-
schaffenheit es mit Speke's Behauptnngen und Angaben habe,
ist im Sommer in Ehartum angelommen. —
Capital: Hall hat in den letzten Tagen des Juni von
E r d t 1) e i l e n.
Neulolldon ans seine zweite Reise nach den Nordpolargegen-
den angetreten. Ueber die erste haben wir mehrfach berichtet.
Er brachte von derselben zwei Eskimos, Ebier bing und To
kn l: to, nach Neuyork mit; diese begleiten ihn in ihre Hei-
math. Er hat ein Walfischboot von 28 Fuß Länge, 5 Fuß
10 Zoll Breite über den Deckbalken, und nur 26 Zoll Tief-
gang. Dieses Boot ist an Bord eines großen Walfischfahrers-
des Monticello, gebracht worden, das ihn nach dem hohen Nor-
den bringt. Ueber seinen eigentlichen Reiseplan hat Hall vor-
sätzlich nichts Näheres verlauten lassen.
Ein bisher ungenannter Reisender, Herr Londo, hat der
pariser geographischen Gesellschaft mitgetheilt, daß er den Plan
habe, Afrika von Norden nach Süden zu durchwandern.
Ueber Du Ch aillu erfahren wir, daß er sich gegen Som-
mersanfang noch am Fernan Vaz, im Delta des Ogowar, auf-
hielt, und daß ihm seine Instrumente zerbrochen waren. Er
konnte seine Reise in's Innere nicht eher antreten, als bis die
ihm nachgeschickten eingetroffen waren. Uebrigens hatte er
bereits eine Sammlung von etwa 200 Schädeln und vielen
Pflanzen zum Absenden bereit liegen.
Als Servals und Griffon de Bellay's Nachrich-
ten über den Ogowar bekannt wurden, und als man erfuhr,
daß der Hauptarm, der Okanda, weit aus denr Innern her-
komme, war man sogleich bei der Hand gewesen, diesen Strem
ans einem der ostafrika,rischen Seeir herfließen zu lassen. Die
Reisenden erklären, daß sie diese Ansicht nicht theilen; Speke
hatte sie aufgestellt, hinterher aber diese willkürliche Hypothese
derart modificirt, daß er nun behaupiet, der Ogowar komme
aus irgend einem noch unbekannten See, der aber westlicher
liege als der Tanganyika. Speke drängt sich überall vor.
Der Löwentödter Gérard hat mit seiner westafrikanischen
Expedition kein Glück. Seinen Plan, durch Aschanti zu gehen
und vorr dort aus das sogenannte Konggebirgc bis zu denNiger-
guellen zu durchziehen, mußte er, wie'wir schon früher gemel-
det haben, aufgeben. Er schiffte dann nach Sierra Leone, um
von dort in's Innere bis nach Timbuktu vorzudringen; er
trat auch von der Hauptstadt Freetown aus seine Wanderung
an, wurde aber von den Eingeborenen ausgeplündert und
rettete nur mit genauer Nolh fein Leben. Der „Freetown
Observer" vom 16. Juni meldet, daß er in dieser Stadt wie-
der eingetroffen sei.
Das Leben der Europäer an der Westküste don Afrika.
Alle Berichterstatter stimmen darin überein, daß dasselbe ent-
setzlich öde und einförmig sei; auch Winwood Reade hebt
hervor, man könne sich' nichts Schauderhafteres denken als
eine anglo- afrikanische Existenz. Er bringt in seinem inhalt-
reichen Buch über das „Wilde Afrika" ein eigenes Kapitel über
die „Gesellschaft au der Küste".
In England, sagt er, ist es längst nicht mehr Mode, daß
ein gebildeter Mensch bei einem Mittagessen sich betrinkt. In
Indien setzte man die „gute alte" Unsitte noch längere Zeit
fort und trank starke Weine und Branntweine; dann aber trat
das Bier auf, dieser Wohlthäter der Menschheit, und brachte
in der Geschichte des Trinkens eine völlige Umwandlung her-
vor. Aber in Westafrika gilt es noch heute für unanständig,
im Tritlken Maß zu beobachten. Ich bin in vielen Häusern
eingeführt worden; in allen verstand es sich von selcht, daß
sofort ein schwarzer Diener einen Trunk kredenzte, entweder
Champagnerwein oder starken Jamaica - Rum oder holländischen
Wachholderbranntwein. Von früh bis spät nippt man und
Abends trinkt man herzhaft. Ein Gouverneur der Besitzung
am Gambia zog daraus den Schluß, Afrika müsse doch wohl
die gesundeste Gegend in der Welt sein, denn so wie dort
tränken doch wohl die Leute nirgends!
In Bathurst am Gambia fielen mir gleich die schwar-
zen Polizeimänner auf; sie begegneten mir' auf Schritt und
Tritt und trugen ihren Amtsstab mit unaussprechlich wichtiger
Würde. Anfangs konnte ich mir nicht erklären, wozu deun
eigentlich eine so große Menge schwarzer Hüter der Ordnung
da sei, das Ding klärte sich aber bald auf. Wenn Offi-
ziere und Beamte betrunken sind, reiten sie ans
d e m N a ck e u und Buckel der schwarzen E o n st a b l e r
nach Hause. Wie gütig die liebe Mittler Natur doch für
Alles gesorgt hat. In Lappland läßt sie Moos für die Neun-
thiere wachsen; in der Sahara findet der Wanderer grüne
Oasen ilnd labende Quellen, und am Gambia, wo man noch
keine Droschken besitzt, hat sie schwarze Policisten zum Besten
benebelter weißer Leute geschaffen!
Trinken gehört zu den Staatseinrichtungen in Anglo-
Afrika. Alter Cognac mit Wasser bildet das Nationalgetränk.
Man beurtheilt den Mann nach der Menge Wassers,' die er
dem Branntwein zusetzt. Wer viel zugieß't, ist ein „Milch-
trinker", wer gar keinen Branntwein'genießt, ein Pariah;
Trinken ist die Hauptsache.
Ich habe oft mit Angloasrikanern zu Tische gesessen, und
nicht selten bemerkte ich, daß der eine oder andere Manrr^plötz-
lich zusammenzuckte, als sei er von einem elektrischen schlage
getroffen; seine Gcsichtsmuskeln verzogen sich. Das sind die
Nachwehen intermittirender Fieber. Das will aber noch nicht
viel sagen; man überzeugt sich bald, daß atich noch viel ärgere
Uebel allgemein sind. Der eine Mann steht plötzlich auf und
geht umher, weil er eine Fliege fangen will, die Tag und
Nacht vor seinem umnebelten Auge schwimmt, eiu Anderer
sieht an der Decke einen Bienenschwarm, ein Dritter ruft und
pfeift nach einem schwarzen Hunde, der aber gar nicht im
Zimmer ist. Delirium tremens!
Leute, die völlig abgemagert sind und wie wandelnde
Leichen aussehen, versichern jedem Ankömmling, daß man dort
zu Lande ohne „Brandy and Water" gar nicht leben könne.
Solch einem Menschen sind die Augen mit Blut unterlaufen,
seine Hände zittern, sein Appetit ist dahin; das Alles straft
seine Worte Lügen, aber er trinkt weiter trotz alledem, und
die Anderen machen es eben so. Alle opfern auf dem Altare
des Bacchus; aber dieser ist nicht der junge, freundliche, mit
Blumen geschmückte und von lachenden Nymphen umgebene
Gott, sondern ein widerwärtiger, nackter, häßlicher Kerl mit
verschwommenen Augen, hohlen Wangen und übelriechendem
Athem.
„Brandy and Water" ist eine Hanptursache vieler Krank-
heiten, die einen tödtlichcn Verlauf nehmen. Von Interesse
für geistige Dinge fand ich bei diesen Brandytrinkern keine
Spur; nur hin und wieder kommen einzelne Rudera höherer
Bildung zum Vorschein. Das ganze Leben und Treiben an
der Küste entnervt den Leib und ruinirt den Geist.
Die Dampferstationen an der Westküste von Afrika sind
folgende, von Süden her gerechnet: Benin, Fernando Po,
Eameroons, Alt-Kalabar, Braß River, Bonuy, Lagos, Accra,
Cape Coast Castle, Kap Palmas, Sierra Leone, Bathurst, Te-
neriffa und Madeira.
Die Ramenanzas auf Madagaskar. Den neuesten Be-
richten zufolge ist die psychische Seuche, welche iu den Monaten
vor des Königs Ermordung tausende von Menschen ergriffen
hatte, im Mai dieses Jahres wieder ansgebrochen. Sie war
seit einem Jahre verschwunden; nun aber treten die von ihr
Ergriffenen wieder in derselben Weise auf, welche wir früher
geschildert haben (Globus IV, S. 270 ff.). Ra dama verfügte,
daß diese Besessenen, die Ramenanzas, gewissermassen als hei-
lige Personen betrachtet werden und unantastbar sein sollten;
der jetzige Premierminister aber, der zugleich Gemahl der Kö-
nigin ist, erklärte, daß er Jeden, der sich von der Seuche er-
greifen lasse, hinrichten werde. Aber trotzdem nahm die Zahl
'der Angesteckten iu bedenklicher Weise zu. Offenbar geht die
Insel einer neuen Krisis entgegen.
Die Vorgänge in Bhutan. Wir erfahren jetzt Näheres
über diese den Engländern sehr widerwärtige Geschichte. Ein
calcuttaer Berichterstatter in der Times hebt hervor, daß die
britischen Theepflanzer in Alsam nicht selten von den Bhu-
tias belästigt worden seien; diese Letzteren hätten sich zu einem
regelmäßigen Handelsverkehr nicht herbei lassen wollen. Die
indische Regierung beauftragte dann den Herrn AfhleyEde n,
mit den Bhntias einen Vertrag abzuschließen; sic ging aber
dabei leichtfertig zu Werke, indem sie es nicht der Mühe werth
hielt, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, ob die Leute in
Bhutan überhaupt sich aus dergleichen einlassen würden. Alle
Eingeborenen Indiens haben große Bedenken gegen Traktate
mit den Engländern, weil sie dabei allenial zu'kurz kommen
und sehr wohl wissen, daß ihre Unabhängigkeit gefährdet wird.
Eden sah gleich, als er Bhutan betrat, daß er als ein höchst
unwillkommener Gast betrachtet wurde, die Dorfbewohner tra-
ten drohend gegen ihn auf, er ging aber doch nach der Haupt-
stadt. Dort zupfte man ihn am Barte und würgte ihm nicht,
wie früher berichtet wurde. Reis in Mund imb Schlund, son-
dern er mußte Betel verschlucken, welchen die Männer der
Rathsversammlung vorher gekaut hatten. Dieser Beschimpfung
folgte die Ablehnung des 'voll Eden vorgelegten Traktalent-
wurfes und der Zwang zur Unterzeichnung des von den Bhu-
tias entworfenen Vertrages, durch welchen ganz Assam an sie
abgetreten werden sollte. Wir haben über diese Dinge schon
früher eine Notiz gegeben. Eden benahm sich sehr feig und
dachte nur an feine persönliche Sicherheit. Die Bhntias ver-
langen nun Erfüllung des Vertrages, d. h. sie nehmen die
43*
380
Aus allen Erdtheilen.
große und schöne Landschaft Assam für sich in Anspruch; natür-
lich will die englische Regierung davon nichts wissen, muß
aber neue Truppen schicken, um Assam zu decken. Alle nach
Bhutan führenden Wege sollen von denselben gleichsam blockirt
werden, und man will dem Bergvolke die Zufuhr abschneiden;
an Krieg und Züchtigung darf man nicht denken und den
Schimpf muß man eben hinnehmen..
Einen Krieg mit den Bhuiias will die indische Regierung
nicht beginnen, wohl aber einen Landstrich am Fuße der Ge-
birge, den Bezirk Ambarri Fallakutah, ihrer Provinz Assam
einverleiben, eine Summe von 10,000 Rupien, welche sie bis-
her den Bhutiastämmeu an der Grenze zahlte, nicht ferner be-
willigen, und eine Anzahl Festungswerke errichten, uni jeden
Verkehr nach Bhutan abzusperren.
Geistige Regsamkeit unter den Hindus. Die europäi-
schen Einflüsse wirken auf die Eingeborenen Indiens allerdings
etwas ein, aber in mancher Beziehung doch nicht so, wie mau
gewöhnlich annimmt. In Bengalen, sagt ein Berichterstatter,
bekümmert sich die überwiegende Masse' des Volkes gar nicht
um Politik. England herrscht und das ist gut; träte aber ein
anderer Eroberer an die Stelle, dann wäre es eben so gut.
Die Bengalesen habeil weder große Vorliebe noch bittern Haß
gegen die Engländer und trachten nur dahin, von jedem Ein-
zelnen so viel Vortheil als immer möglich zu ziehen. Manche
reiche Hindils bequemen sich den pariser Modell an, halten
einen Bulldog und fahren im Cabriolet; ans der Mittelklasse
werden Viele entweder Advokaten oder Aerzte. Unterricht und
Erziehung in den Schulen der Engländer streifen den Hindu
nur äußerlich an; er macht sich das, was von europäischer
Civilisation an ihn kommt, in seiner Weise zurecht. Für ein
bemerkenswertbes Zeichen der Zeit kann die Brahma-
So ma d s ch - S ek te gelten. Sie verwirft alle Götzen und
bekennt sich zu einem reinen Deismus. Anfangs meinten die
Missionäre, daß diese Sekte für das anglikanische Christenthum
gewonnen werden könne; dieselbe will'aber entschieden nichts
wissen von dem Dognia der Dreieinigkeit, und eben so wenig
von vielen anderen Lehrsätzen der Christen. Der Bischof von
Calcutta hält eine Reihe religiöser Vorlesungen für die Ein-
geborenen, um sie für das Christenthum zu gewinnen, muß
sich aber vou den Zeitungen, welche voll Emgeborenen in eng-
lischer Sprache herausgegeben werden, kurzweg sagen lassen:
„Diese Vorträge sind durchaus liicht original, vielmehr in
hohem Grad ungenügend; es fehlt ihnen ganz und gar an
philosophischer Durchdringung." Solchen Zweiflern und Kri-
tikern gegenüber läßt sich nicht viel ausrichten.
Der Telegraph im Gebiete der Hudsonsbay-Compagnie.
In der Ansiedlnng am nördlichen Red River erscheint eine
Leitung, der „North Wester"; sie meldet unterm 13. Juni,
daß der bekannte Polarreisende vr. Rae tu Begleitung eines
Herrn Schweizer aus Canada eingetroffen sei, um vom Red
River aus die westlichen Gegenden bis zum Stillen Weltrncere
zum Behuf einer Telegraphenanlage zu erforschen. In den
flachen Gegenden hat der Bau keine Schwierigkeiten; es kommt
hauptsächlich darauf au, unter den Pässen, welche über die
Felsengebirge führen , den zweckmäßigsten auszuwählen. Wir
haben schon früher einmal darauf hingewiesen, daß die Region
au Saskatschewan von Bedeutung werden kann; man hat
dort Gold gefunden, lllld das Land ist, bei allerdings stren-
gem Kliilla,' doch sehr gut.
Ein neuer Riesenbaum: der Sumaumeira in Brasilien.
Wir erhielten von Herrn Karl voll Koseritz in Porto
Alegre folgende Notiz:
Brasilianische Blätter erwähnen (nach der „Estrella de
Amazonas") die Entdeckung eines neuen Niesenbaumes, der
alle bis jetzt bekannten Wunder der Vegetation weit hinter
sich zurück läßt.
Dieser enorme Baum wurde von dem bekannten deutschen
Reisenden und Naturforscher G. Wallis, welcher den Ama-
zonenstrom und dessen Nebenflüsse erforscht, am obern Rio
Branco entdeckt. Den Angaben des Herr:: Wallis nach ist die
Vegetation an den Ufern'des genannten Flusses von einem
unglanblicheir Reichthum?. Unter Anderm gibt er nun auch
Nachricht von dem „Riesenbaume", der zu den vielblnmblätte-
rigen hppogpnischen Pflanzen und zwar zur Familie der Bom-
baceen (die ehemals für eine Unterabtheilung der Malvaceen
gehalten wurde) gehört. Die Dimensioueil dieses Kolosses sind
unglaublich und viel bedeuteirder als jene des afrikanischen
Boabab, sowie die der gewaltigen Arancarien Südbrasiliens und
auch der Wellingtonias von Californien. Der fabelhafte Baum
des Rio Branco hat eine Blätterkrone, deren Durchmesser
1731/2 Fuß beträgt, und deren Umfang also 520 Fuß aus-
nracht, woraus erhellt, daß sie eine Fläche von 33,800 Quadrat-
fuß bedeckt. Unter diesem enormen Blätterdache können,10,000
Mann Schatten finden, und eine ganze Familie könnte unter
demselben ein Landgut bebauen. Der Riesenvogel Tu-
ynyü, eine andere Eigenthümlichkeit des Amazonenthales,
wohnt in den hohen Zweigen dieses Baumes und ist dort
nicht nur vor den Pfeilen der Indianer, sondern selbst vor der
Ladung der weittragenden Flinte sicher. Dieser Baum, der
schon durch seine ungeheuern Dimensionen interessant erscheint,
wird von den Brasilianern Snmaumeira genannt, ist sehr
häufig in der Provinz Alto Amazonas und wächst gewöhnlich
an den Flußufern. Der afrikanische Boabab von Senegambien
gehört zu derselben Familie. Die Blätterkrone des Boabab
bedeckt nur einen Flächenraum vou 18,200 Ouadratfuß, wes-
halb die Sumaumeira bedeutend größer ist, und ohne Zweifel
das größte, in diesem Innern bekannte Naturwunder. Wallis
gibt sonst noch sehr wichtige Nachrichten über andere, nicht
minder interessante vegetabilische Erscheinnngen und bestätigt
durchaus den Ruf großer Fruchtbarkeit und gesunden Klimas,
welchen die Umgebung des Rio Branco in ganz Brasilien
genießt.
Zustände uuf Neucaledonien. Aus dem Amtsblatte,
welches in dieser Kolonie erscheint (vom 1. Mai 1861), geht
hervor, daß die Franzosen mit den Eingeborenen ihre liebe
Noth haben. Diese schwarzen Wilden leben in Stammesfeind-
schaft, belästigen die Ansiedler, und der Gouverneur mußte sich
einmischen. Es kam zum Kriege, und die Schwarzen wehrten
sich tapfer mit Wurfspeeren und Schleudern, sie wurden aber
aufs Haupt geschlagen. Der amtliche Bericht meldet unter
Anderm Folgendes:
Im September 1863 ließ der Häuptling des Moneo-
Stammes einen Mann, welcher mit der Frau eines andern
sich zil nahe eingelassen hatte, todtschlagen und dann auf-
fressen. Das ist alter Landesbrauch. — Zn derselben Zeit
wurde der zweite Häuptling der Moneo auf Veranlassung des
Häuptlings der Ponnerihouen getödtet, weil er Menschenflcisch
verzehrt hatte. — Im November lud Oipe Kambo, Häuptling
von Neknl, vier andere Stämme: die Ba, die Huailn, Hnaraye
und Moneo zu einem großen Pilu-Pilu ein. Während
dieser großen Festlichkeit wurden auf Oipe's Befehl zwei Moneo-
lente festgenommen; während die Tänzer lustig umhersprangen,
schnitt man jenen den Hals ab, briet sie gleich an Ort und
Stelle und that sich an ihrem Fleisch eine rechte Güte. Aber
der Moneostamm rächte sich; er siel über die Huailn her und
raubte 15 Leute: den Sohn des Häuptlings Oipe, 2 Männer
und 12 Frauen; die drei Ersteren wnrdeir bloß todtgeschlagen,
die Weiber aber alle bis auf die Knochen verspeist. Alan sieht,
daß auf Neucaledonien der Kannibalismus noch in vollem
Schwaitge geht.
Australische Notizen. Wir sagen unsern Dank für freund-
liche Ueberscndnng der jüngsten Nummer der zu Melbourne
erscheinenden deutschen Zeitung „Germania", der wir Fol-
gendes entlehnen:
In Südaustralicn ist durch eine Frau Davenport die
Arlanthus-Seidenraupe eingeführt worden.
Als da, wo jetzt Melbourne steht, am Aarraflusse die
ersten weißen Leute ankamen, fanden sie eine Hörde Schwarzer,
unter dem Häuptling Derrimut. Dieser ist am 27. April
1864 gestorben. Er rettete diesen ersten Ansiedlern das Leben,
indem er sie gegen einen feindlichen Stamm in Schutz nahm.
Melbourne hat'nun mehr als 100,000 Einwohner, aber von
den Eingeborenen ist kaum noch eine Spur übrig.
Die Goldfelder in Victoria lieferten 1863 aus
Quarzadern 493,199 Unzen, aris Alluvialschachten 1,133,567
Unzen. Fast in jeder Woche werden neue Goldfundstätten an-
gemeldet.
Im Hafen von Melbourne liefen 1863 von auslän-
dischen Häfen 438 Schiffe ein.
Die Kolonie Westaustralien zählte 1861 unter ihrer
Gesammtbcvölkerung, welche sich auf nur 15,691 Personen be-
lief, 6500 deportirte Verbrecher.
Am 24. Mai haben die Deutschen in Adelaide ein
großes Schützenfest abgehalten.
Aus allen Erdtheilen.
381
Buuyip ist ein fabelhaftes Thier, von welchem Weiße
und Schwarze in Australien viel reden, und über welches die
wunderlichsten Märchen in Umlauf siud. Jetzt will ein Fischer
in Pechelba am Murrayfluß wirklich einen Bnnyip gefangen
haben. Er ist drei Fuß lang, noch nicht ausgewachsen und
ein S üß w as serse eh n » d. Am See Moodemere haben die
Anwohner oft bei Nacht ein Geschrei gehört, das jenem der
Seehunde glich; sie sahen auch einmal ein Buuyip in der
Sonne am Ufer liegen, konnten ihn aber nicht fangen.
Zu Bendigo nahm man in einem Weinberge von einer
Nebe 12 Trauben ab, die zusammen ei» Gewicht von 70
Pfund hatten.
Der Krieg in Neuseeland. Allmälig werden in den lon-
doner Blättern Stimmen laut, welche über das Verfahren der
Engländer in Neuseeland der Wahrheit die Ehre geben. Ein
„aller Feldoffizier" hebt bervor, daß die Kolonialregierung die
ihr anvertraute Gewalt in schnödester Weise mißbraucht habe.
Sie mißbraucht ferner ans eigensüchtigen Absichten die bewaff-
nete Macht. „Diese Aucklanders (d. h. die Beamten in der
Hauptstadt Auckland) bereichern sich durch uns; sie möchten
ihre Stadt zu einem zweiten Melbourne erheben und die ein-
geborenen Maoris ausrotten. Diese haben längst lein
Vertrauen mehr zur Regierung; sie wissen, daß sie
durchaus keine Gerechtigkeit erhalten können,
die Sache möge so klar sein, wie sie wolle; sie wissen, daß
die Kolonisten nach ihrem Blute dürsten und darin
das schnellste Mittel sehen, die Ländereien in Besitz zu nehmen,
nach welchen sie so gierig sind. Wir sind die Angreifenden;
die Maoris fechten für ihr Leben, das sie lieber theuer ver-
kaufen, als stufenweis aber sicher, wenn auch langsamer, unter-
gehen wollen. Unseren Soldaten ist solch ein Krieg für solche
Zwecke zum Ekel; sie scheu iu den Maoris tapfere Feinde,
aber der Gedanke, daß sie den Krieg für so schmutzige,
eigennützige Menschen führen sollen, widerstrebt ihnen; sie
schämen sich, daß sie als Werkzeuge der Grausamkeit
und Ungerechtigkeit dienen müssen." Interessant ist
dieNoiiz, daß englische Kaufleute es sind, welche den Maoris
— Waffen verkaufen!
Religiöse Bewegungen in der Türkei. Die mohamme-
danische Resormpartec, deien Sitz Konstanlinopel ist, macht
große Fortschritte und flößt der osmanischen Regierung ernste
Besorgnisse ein. Im Juli sind viele Neuerer verhaftet und
Bücher, namentlich Bibeln, polizeilich weggenommen worden.
Ein Bericht will wissen, daß die Zahl dieser Neuerer, „über-
aus nüchterne, intelligente und sehr resolute Männer", sich auf
etwa 40,000 belaufe. Sehr viele Türken melden sich zur Auf-
nahme in die Freimau! erlogen; auch soll in Stambul eine be-
sondere türkische Loge gebildet werden. In der türkischen
Hauptstadt erscheinen nicht weniger als 33 Zeitungen, da-
von in französischer Sprache 3, in englischer 1, iu griechischer 5,
in armenischer 9, in bulgarischer 4, in israelitischer J, in ara-
bischer 1, in persischer 1, in deutscher 1; die übrigen in türki-
scher Sprache.
Die Krünungshalle der byzantinischen Kaiser in Kon-
stantinopel ist wieder aufgefunden worden. Anfangs Juli
wurden nach einer Fenersbrunst viele zertrümmerte' Häuser
niedergerissen, und bei dieser Gelegenheit fand man die" Reste
der vom Kaiser Heraklius gebauten Krönungshalle, in welche
eine Menge von Juden bewohnter Häuser hineingebaut wor-
den war. Säulen, Marmor und Ornamente haben durch
den Brand viel gelitten. Dr. Dethier aus Oesterreich, ein
gründlicher Kenner byzantinischer Alterthümer, stellt nun ein-
gehende Untersuchungen an. Demselben Gelehrten ist es ge-
lungen, einen Theil der berühmten Bibliothek des ungarischen
Königs Matthias Eorvinus wieder aufzufinden und zii ermit-
teln, daß in der Bibliothek des Sultans im Serail
sich überhaupt nur 96 griechische und römische Handschriften
vorfinden; davon stammen mindestens 16 aus" der Bücher-
sammlung des Matthias Eorvinus (man erkennt sie an dem
Raben, welcher in alle hinein gemalt ist, z.B. auch in jene, die
sich ans der wolfenbüttler Bibliothek befinden); die übrigen
stammen wohl zumeist aus Trapezunt und auch aus Italien.
In der ganzen Sammlung befindet sich nur ein einziges Ine-
ditum: der Bericht eines Augenzeugen Über die Einnahme von
Konstantinopel durch Mahomed den Großen 1453; Dethier
hat eine Abschrift davon genommen.
0. f. Ueber die Mücken in Lappland. Nicht blos in
den tropischen Ländern, sondern auch in den Polargegenden
ist die Zahl der stechenden Insekten ungemein groß, und in
den Lappmarken Schwedens, so wie im norwegischen Finn-
marken bilden die zahllosen Mückenschwcirme eine wirkliche,
äußerst beschwerliche Landplage, die aber zu allem Glücke all-
jährlich nur etwa sechs Wochen dauert.
Um die Johanniszeit, wenn die Sonne in den nördlichen
Theilen dieses großen Landes gar nicht untergeht und in den
südlichen sich nur einen Augenblick unter dem nördlichen Ho-
rizonte birgt, wenn die Vögel ihre Lieder anstimmen, wenn die
ganze Natur lebt und sich ihres blühenden grünen Kleides
freut, entstehen auch aus ihrem Nichts diese gierigen Plage-
geister und widrigen Singvögel und bedecken iu Milliarden
das ganze Land. Zuerst erscheint die sogenannte Langnase
oder eigentliche Mücke, die sich durch ihren Gesang auszeichnet;
man wird von ihr bei Tage und bei Nacht, im Freien und im
Zimmer belästigt. Bald' darauf erscheint eine zweite Art,
Knotten oder Knorteu. Diese gleicht einer kleinen Fliege,
bewegt sich gewandt, fliegt schnell, kriecht in alle Oeffnungen
der Kleider,' ist eine gewaltige Blulsaugerin und schwärmt in
so zahlloser Menge umher, daß mau sich ihrer gar nicht mehr
zu erwehren weiß; doch stört sie nicht in den Zimmern und
peinigt auch nicht in der Nacht, wenn die Sonne untergegangen
ist. Zuletzt erscheint eine noch kleinere Fliege, so klein, daß
man sie kaum sehe» kann. Die'e nennt man Sveda (d. i.
Schmerz) oder Hy a. Die erstere Benennung zeigt an, was sie
verursacht. Doch ist sie nicht iu so ungeheurer Menge vorhan-
den, wie die beiden erstgenannten Arten.
Um diese beschwerlichen Plagegeister von sich abzuhalten,
nimmt mau gewöhnlich zu dem Betheeren des Gesichts und
der Hände seine Zuflucht, wenn man im Freien sein muß.
Von diesem Betheeren darf man sich gleichwohl keinen falschen
Begriff machen: es ist keinesweas gleichbedeutend, wenn man
ein Boot mit Theer oder ein Schiss mit Pech beschmiert, oder
wenn man das Gesicht betheert. Zu letzterm Zwecke mischt
man nämlich in einem Hafen oder einer Flasche ein wenig
Theer und süße Sahne und bestreicht sich mit dieser Schminke,
so daß man hübsch brünett wird, und wiederholt diese Opera-
tion täglich mebrmals; denn sobald die Schmiere eintrocknet,
werden die Mücken von neuem naseweis. Zwar sieht man am
Abende aus wie ein Zigeuner oder wie ein rothhäntiger In-
dianer; doch das muß man sich gefallen lassen: es ist doch auf
jeden Fall besser, als sich das Gesicht und die Hände zerstechen
und mit Karbunkeln bedecken zu lassen und die Schmerzen zu
ertragen. Auch läßt sich die Schmiere leicht abwaschen, wenn
man zuvor ein wenig Sahne anfstreicht.
Im Zimmer aber kann man sich noch aus eine andere
Weise schützen. Man treibt nämlich die Mücken durch Rauch
hinaus Hierzu kann man allerlei anwenden, z. B. feine Späne,
Birkenholz, Wackiholderreistg n. a., am beiten aber Birken-
oder Löcherschwamm (Uoletus fumentosus). Dieser riecht näm-
lich recht angenehm, ist aber dennoch, so wie jeder andere Rauch,
den Mücken unerträglich, daber auch die Lappen stets, wenn
sie in freier Luft Feuer anzünden, sich an derjenigen Seite
desselben bin setzen oder hinlegen, wohin der Wind den Ranch
treibt. Wenn man auf solche Weise im Zimmer Rauch ver-
breitet hat und nun ein Fenster öffnet, dann fliehen die Mücken
oder lassen sich leicht hinausscheuchen. Um aber den gierigen
Gästen schon den Eintiitt so unangenehm wie möglich zu
machen, setzt mau draußen auf den Hausflur ein Rauchfaß
hin, das stets dampft. Nicht überall in den Lappmarken wird
man gleicb stark von dieser Landplage belästigt; wo cs viele
Birken gibt, sind die Mücken am zahlreichsten, in der Nähe
größerer'Landseen, so wie in Norwegen am Gestade des Mee-
res scheinen sie vom Winde hinweggeschencht zu werden.
Es ist merkwürdig zu sehen, mit welchem Eigensinn man
von dem Mückenschwarme verfolgt wird, wenn man über einen
See fährt. Bei Windstille wird man die lästigen Begleiter-
gar nicht los. Wenn aber der Wind weht, suchen sie dennoch
mitzukommen, indem sie sich auf die Kleider setzen oder sich in
das Boot hinab begeben. Bei nur schwachem Winde folgt die
Gesellschaft mit, bis man plötzlich wendet und gegen den Wind
anrudert. Da verlieren sie den Kurs und lassen sich vom
Winde treiben, bis sie entweder ertrinken oder das Land wieder
erreichen. Dann ist man sie für die ganze Reise los; denn
sobald der Wind weht, wenn auch nur ganz scbwach, begeben
sie sich auf eigene Hand nicht auf das Wasser hinaus.
Wenn eine Rennthierheerde durch den Wald zieht, kommen
alle Mücken der ganzen Umgegend herbei und umgeben die-
selbe, so daß sie durch ihre ungeheure Zahl die ganze Luft er-
füllen.^ Zu ihnen gesellen sich dann^noch zwei andere Plage-
382
Aus allen Erdtheilen.
geister der armen Rennthiere, nämlich ein paar Bremsenarten,
welche auf Lappländisch Pitok und Snupok heißen. Jene
werfen den Rennthieren, ja selbst den Menschen, im Vorbei-
fliegen ihre Eier in die Nasenlöcher. Mit der Lutt werden
diese Eier dann eingeathmet, setzen sich nicht allein in den
Nasenlöchern, sondern auch an dem Gaumen des Rennthieres
fest und wachsen hier während des "Winters in großen, neben
einander liegenden Haufen zu ziemlich großen Maden heran..
Im Frühlinge aber schnaubt das Nennthier dieselben aus, so
daß sie auf die Erde fallen, um hier von der Sonne ausge-
brütet zu werden und bald als Bremsen die armen Rennthiere
von neuem peinigen zu können. Bei dem Menschen verur-
sacht das Einathmen des Brcmsensamens Unlust, Uebelbefin-
den und Schnupfen. Dieses hält einige Tage an; darauf aber
ist jede Wirkung des eingeathmcten Bremsensamens verschwun-
den: der Schnupfen vertreibt wahrscheinlich diesen Samen, so
daß er nicht Gelegenheit erhält sich fest zu setzen. — Der Snu-
pok legt seine Eier zwischen das Fleisch und die Haut des
Rennthieres; die Larven, welche daraus entstehen, heißen Kur-
den a. Diese sehen im Frühlinge, da sie längs dem ganzen
Rücken des Rennthieres in großer Menge liegen, garstig'genug
ans. Sie fressen sich dann durch die Hallt des Thieres her-
aus und verursachen, daß in dieser Jahreszeit die Rennthier-
häute ganz uilbranchbar und gleich einem Siebe überall durch-
löchert sind.
Zu allem Glücke sind diese beiden Bremsenarten nicht
sehr zahlreich; denn wäreil sie das in solchem Grade, wie die
Mücken, so könnten weder Menschen noch Thiere in den Lapp-
marken ausdauern.
Stcinwerkzeuge aus dem nordrussischen Gouvernement
Olonetz. In Hinblick auf die Mittheiluugen, welche der Globus
über die Milschelhügel, Pfahlballten, Steinwerkzeuge und aitdere
„Alterthümer des Menschengeschlechts" gebracht hat, erhalten
wir von dem berühmten Linguisten, Staatsrath und Akademiker
Schiefner in St. Petersburg einen Bericht, welchen derselbe
in der Akademie über Steinfunde im Goilveruement Olonetz
abgestattet hat. Dasselbe umfaßt ans etwa 2700 deutschen Ge-
viertmeilen das Gebiet des Onega-Sees und einige anliegende
Landschaften. Die Oberflächengestaltung gleicht jener von Finn-
land, d. h. Wälder, wüste Triften, viele Seen uiib Sümpfe,
Moos - und Flechtensteppen wechseln mit einander ab; vier
Fünftheile sind mit Wald bedeckt, nur der 35. Theil ist ange-
balit. Die 280,000 Bewohner sind Finnen, Russen und Lappen,
meist Waldarbeiter, Jäger uild Fischer. Die Hauptstadt ist
Petrosawodsk am Westufer des Onega-Sees niit etwa
10,000 Einwohnern. — Hier folgt der Bericht des Herrn
Schiefner.
Als in der ersten-Hälfte des Jahres 1861 eine Ausgabe des
Worsaae'schen Werks „Nordiske Oldsager" mit russischem
Tert vou der Akademie besorgt wurde, geschah dies hauptsäch-
lich in der Absicht, das Interesse der Bewohner des russischen
Reichs für die im russischen Boden verborgenen Reste eines
frühen Alterthums zll wecken und dadurch eine größere Samm-
lung solcher Reste wo möglich aus den verschiedenen Theilen
unsers Vaterlandes anzubahnen.
Bald nach dem Erscheinen des Werks verlautete es, daß
sich eine sehr ansehnliche Sammlung von Steinwerkzeugen im
Besitze des Generallieutenants N. v. Buteujew befinde, welche
von verschiedenen Gelehrten, die sich mit dem Studium der
ältesten Kultnrperioden beschäftigen, mit dem größten Interesse
in Augenschein genommen worden ist. Obwohl auch ich sowohl
durch das von Herrn P. Lerch in seinem Aufsätze über die
Werkzeuge des Stein- und Broncealters in Europa Bemerkte,
als auch durch die mündlichen Berichte desselben Forschers und
des Herrn Leopold Radloff von der Wichtigkeit dieser Samm-
lung unterrichtet worden war, bin ich doch erst vor Kurzem
dazu gekommen, mich selbst durch eigene Anschauung mit dem
Inhalt derselben bekannt zu machen.
Es besteht die ganze Sainmlung der Steinwcrkzenge ans
210 Gegenständen, von denen nur zwei anderswo als im Nor-
den Rußlands gefunden worden sind. Sie stammen aus den
Kreisen Petrosawodsk, Powenetz, Pudosh und Olonetz des
olvnetzischen Gouvernements, ein Gegenstand aus dem Oneaa-
Kreis des archangelschen Gouvernements, einer aus Ser-
dcbol; ans dem lepelschcu Kreise des witepskischeu Gouver-
nements, und von den Marguesas - Inseln rühren die beiden
Stücke her, welche einen nicht nordischen Fundort haben.
Der Besitzer derselben, welcher Gelegenheit hatte, sich eine
Reihe von etwa 30 Jahren als Bergingenieur in Petrosawodsk
aufzuhalten, hatte seine Aufmerksamkeit vorzugsweise auf
Sammlung von Alterthümern gerichtet; allein erst in den vier-
ziger Jabren kam ihm das erste'Steinwerkzeug in Petrosawodsk
ztt Gesicht, welches der Schuldirektor Troitzky damals an
den Herrn Minister des öffentlichen Unterrichts sandte; erst
einige Jahre später sah er ein zweites Stück, welches er der
geographischen Gesellschaft darbrachte. Seit der Zeit aber be-
schloß er Alles aufzubieten, um eine größere Sammlung zu
Staude zu bringen und seinen vielfachen, mit bedeutenden
Geldopfern verbundenen Bemühungen ist es denn gelungen,
die obengenannte Zahl von Gegenständen bis zum Jahre 1858
zusammenzubringen, wobei bemerkt werden muß, daß er bei
Weitem die Mehrzahl aus der nächsten Umgebung seines Auf-
enthaltsorts, d. h. aus dem petrosawodskischen Kreise erhal-
ten hat.
Gefunden sind die Gegenstände theils auf dem Felde, na-
mentlich beim Aufpflügen des Bodens, aber auch wenn der
Erdboden durch Regengüsse aufgelockert worden war, oder im
Frübjahr beim Schwinden der Schneedecke; ein Theil der Ge-
genstände ist aus Seen beim Fischfang oder beim Auffischen von
Erzen zum Vorschein gekommen; die Gegenstände aber, welche
man beim Aufgraben der Erde gefunden hat, lagen nicht tiefer,
als etwa eine Klafter.
Besonders zu beachten ist es, daß sämmtliche Geaenstände
aus solchen Steinarten verfertiat sind, welche an Ort und
Stelle gefunden werden, namentlich aus Ouarz, Kieselschiefer,
Talkschiefer, Probierstein, schieferartigem Sandstein und Diorit.
Was die einzelnen Werkzeuge anbetrifft, so wird die Be-
stimmung mancher derselben einige Schwierigkeit machen, da
dieselben einen eigenthümlichen, von den bisher bekannten Arten
abw eichenden Charakter haben. Besonders reichlich sind die
verschiedensten Keile, deren Zahl au 90 ist, dann die verschie-
denen Arten von Meisseln, sowohl Scbmal- als Hohlmeisseln,
denen sich verschiedene Schabinstrumente anreihen; Keulen
sind etwa nur sieben, vier Pfeilspitzen (zwei ans Ouarz)
und zwei Lanzenspitzen aus Kieselschiefer vorhanden.
Was den Quarz anbetrifft, so ist Herr von Buteujew
der Ansicht, daß derselbe vor dem Gebrauch, tim ihm seine
Sprödigkeit zu nehmen, geglüht worden ist, und daß dies nicht
unmittelbar vor sich gegangen, sondern vermittelst einer Um-
hüllung mit einer andern Masse. Eine der beiden Pfeilspitzen,
welche nu Jahre 1831 aus dem Megri-See an der Grenze des
Gouvernements Olonetz und des Kuopio-Län aufgesisebt wor-
den ist, trägt noch deutliche Spuren des Niederschlags von
Eisenerz, und eine andere beim pulscheserschen See des'Kreises
Pudosh gefundene ist leicht angebrannt. Die beiden Lanzcn-
spitzen sind beinr Aufgraben des Bodens, die eine beim Gra-
ben eines Kanals, die andere beim Aufgraben des Fundaments
einer niedergebrannten Dorfkirche im Omega-Kreise des ar-
changelschen Gouvernements gefunden worden. Hierbei nruß
auch noch bemerkt werden, daß auch einige andere aus den
Seeir aufgefischte Gegenstände Eisenoxyospuren dar-
bieten.
Ztt den Gegenständen, über deren Bestimmung nur Ver-
muthungen stattfinden können, gehören einige, welche die Ge-
stalt von Weberschiffchen oder Seilwiudeti haben
und nicht allein mit einem Längs-, sondern auch mit einem
Querstreifen versehen sind.
Ganz eigenthümlicher Art ist ein beim Dorfe Padoscro
gefundener Gegenstand, der vielleicht als Keule gedient hat,
aber au dem einen Ende einen Thierkopf, wahrscheinlich
einen Elennkopf mit abgebrochenem Geweih, darstellt. Es
ist derselbe von einer Bäuerin gefunden worden, und zwar nach
ihrem Bericht, als sie während eines Gewitters an die Stelle
eines Feldes herantrat, auf welche sie den Blitz batte nieder-
fahren sehen. Sie fand den Hafer niedergeworfen und den
Donnerkeil ttvch ganz heiß. Es war in ihren Angen eine Be-
stätigung des auch in Finnland verbreiieten Glaubens, daß
diese Steinwcrkzenge mit dem Blitze herabfahrcn, weshalb sie
auch dort ukon kivi, ukon pii, ukkosen vaaja, ukkosen nalkki,
ukon tallta, d. h. des Donnerers Stein, Kiesel, Keil, Pfeil, Meissel,
ja auch ukkosen kynsi, d. h. des Donnerers Klauen heißen.
(Auf seiner Reise von Uhtuwa nach Kunsamo hörte Ca st reu
eine Sage, der zu Folge die Lappen vormals in Feindschaft
gelebt mit einem Volke, das mau Kivekkäät nannte. Diesen
Namen hielt er mit Recht für eine Verdrebung von Kivikäet
sim Singular Kivikäsij , „Steinhände", d. h. Leute,
welche Steinwaffen führten. Zur Entstehung dieser
Sage trug wohl der Umstand bei, daß man in den Gegenden
Steinwaffen gefunden hatte.) Aehnlicher Weise sollte auch eine
Art dieser Sammlung, welche in einein Baumstamm gefunden
wurde, nur so in denselben gelangt seilt, daß der Blitz in den
Baum gefahren sei, unb eilt dritter Gegenstand, der auf dem
Aus allen Erdtheilen.
383
Boden eines Hauses, iu welches das Weiler eingeschlagen war,
aufgefunden wurde, konnte natürlich auch nur auf diese Weise
dahin gelangt sein.
Das bisher Gesagte wird hinreichen, um einen Begriff von
der Wichtigkeit dieser Sammlung zu geben, die, wenn sie sich
auch nur auf eine bestimntte Gegend'beschränkt, den großen
Vorzug hat, daß bei den iu ihr befindlichen Gegenständen nach
Möglichkeit genau der Fundort angegeben worden ist. Berück-
sichtigt man die Schwierigkeiten, weiche es hat, diese unter dem
Namen Donnerpfeile zur nragischen Medicin gebrauch-
ten und deshalb theils geheim gehaltenen, theils theüer erach-
teten Gegenstände ausfindig zu' machen und zu erwerben, so
kann man dem Besitzer der Sammlung nicht genug Dank
wissen für die Ausdauer, mit welcher er'dieselbe angelegt hat.,
(Die Sammlung ist von der Petersburger Akademie der Wissen-
schaften angekauft worden.)
6. F. Stockholms Wasserverbindungen am 1. August
1864. Trotz der Concurrcnz, welche die Dampfschifffahrl in
der neuesten Zeit durch die fertige Eisenbahn zwischen Stock-
holm und Golhenbnrg erfahren hat, ist dennoch die Dampf-
schifffahrt inuner lebhafter geworden, und jetzt bedienen sich
derselben nicht allein die Städte, sondern auch das platte Land,
in einer recht bedeutenden Entfernung von der Hauptstadt,
hat Vortheil dabei gefunden, sich Dampfschiffe anzuschaffen.
' Jetzt wird Stockholm besucht von 96 gedeckten Dampf-
schiffen mit 4650 Pferdekräften. Von diesen machen 10 regel-
rnäßige Reisen nach dem Anslande, nämlich 5 nach Deutsch-
land (Lübeck), 2 nach.Rußland und Finnland, 1 nach
Dänemark, 1 nach Holland und 1 nach England;
sämmtlich mit Passagieren und Frachtgütern; von ihnen sind
6 schwedische, 2 finnische, 1 holländisches und 1 englisches.
Die Verbindung zwischen Stockholm und den östlichen, süd-
lichen und westlichen Theilen Schwedens wird von 52 Dampf-
schiffen unterhalten, und zu den Städten, welche im Norden
von Stockholm liegen, machen 26 Dampfschiffe regelmäßige
Reisen mit Passagieren und Frachtgütern. 26 Dampfschiffe
passiren auf ihren Reisen den Söder te'lge-Kanal, 21 machen
Reisen zwischen Stockholm und den Ortschaften am Mälar,
3 passiren den Hj el m ar se e und 4 den S t r ö m s h o l m er K a -
nal, 40 gehen auf der Ostsee. 8 Dampsboote sind nur Lastzieher,
von denen nilr 3 regelmäßige Reisen, die übrigen 5 aber un-
regelmäßige Touren'theils nach schwedischen, theils nad) aus-
ländischen Orten machen. 9 Dampfschiffe führen Passagiere
und landwirthschaftliche Produkte nach Stockholm von den
Orten am Mälarsee und von den östlichen Scheren. Durch
den Gotha-Kanal machen 14 Dampfschiffe regelmäßige
Touren zwischen Stockholm und den westlichen Ortschaften.
Rücksichllich der Construktion und des Banmaterlals der
Dampsboote sind der Propeller und das Eisen jetzt schon bedeu-
tend überwiegend und werden es immer mehr: 66 Dampfschiffe
sind mit Propeller und 30 mit Schaufelrädern, 78 von Eisen
und 18 von Holz. Die größte Zahl der stockholmer Dampf-
schiffe, nämlich 53, ist in Motala gebaut.
Unsere stockholmer Dampfschaluppenflo title oder-
kleine ungedeckte Dampsboote von 3 bis 15 Pferdekräften, ist
bestimmt, die Verbindung theils zwischen den einzelnen Stadt-
theilen und theils zwischen der Stadt und ihren näheren Umge-
bungen zu unterhalten und zählt jetzt50Schaluppen, sämmtlich
mit Propellern, zusammen mit 265 Pferdekräften; davon sind 48
von Eisen und 2 von Holz. Von diesen werden 10 als Paßboote
iu der Stadt benutzt, 6 machen unaufhörliche Touren zwischen
der Stadt und dem Thiergarten, 24 unterhalten die Verbin-
dung zwischen der Stadt und etwa 100 theils am Mälar-
theil's in den Scheren und theils am Hammarby- und Järla-
see gelegenen Ortschaften (besonders Sommerstellen), von denen
einige über 4 deutsche Meilen entfernt sind; einige derselben
gehen in jeder halben, andere in jeder Stunde und noch an-
dere täglich einmal oder öfter; 5 Dampfschaluppen werden fast
ausschließlich zum Bugsiren angewendet und die übrigen liegen
theils als Reserve und machen theils außerordentliche Touren.
Noch dürfte anzumerken sein, daß nicht allein die Eleganz
und Bequemlichkeit der Dampfschiffe nichts zu wünschen übrig
lassen, sondern daß besonders auch die Güte und Schnelligkeit
derselben mit jedem Jahre zugenommen haben. Während man
vor einigen und dreißig Jahren bei jeder Reise mit einem
Dampfschiffe in steter Sorge war, daß ein Unglück bevorstehen
könne, hegt man jetzt ein so unbegrenztes Vertrauen zu der
Stärke und Tüchtigkeit der Fahrzeuge, daß man auf denselben
eben so sicher wie auf dem festen Lairde zu sein meint, und
während z. B. 1833 das schnellste Dampfschiff („Rosen") den
Weg zwischen Stockholm und Norrköping in etwas weniger
als 15 Stunden zurücklegte, wozu die früheren über andert-
halb Tage gebraucht hatten, vollenden die jetzigen diese Reise
in 9 Stunden.
Zur Statistik des deutschen Zollvereins. Umfassende
ruld eingehende Nachrichten haben wir nur erst aus dem
Jahre 1861. Damals zählte mau 180,000 fabrikmäßig
betriebene Anstalten; 32,406 Kaufleute, welche keine offenen
Läden hielten, mit 24,642 Faktoren, Commis, Buchhaltern, Lehr-
lingen und Gehülfen; 150,863 Kaufleute hatten offene Ver-
kaufsstellen; es gab 86,446 herum ziehende Krämer und Händ-
ler, 1551 Bankiers und Wechselhandlnngen, 1302 Geld-,
Waaren- und Schiffsmäkler im Großhandel, 7538 dergleichen
im Kleinhandel, 14,962 Auctionatoren, Agenten, Commissio-
näre, Pfandleiher und Gesindevermiether.
Die Zollvereinsflotte zählt an Seeschiffen: 2827 Se-
gelschiffe mit einer Tragfähigkeit von 271,773 Schiffslasten
ä 40 Ctr., dann 55 Dampfer mit 2944 Pferdekraft; an Fluß-
schiffen: 17,374 Segel- und 254 Dampfschiffe und Schlepper.
Die imJahr1v61 im Zollverein beiriebenen 125 Eisen-
bahnen hatten 1482„ geographische Meilen Bahulänge im
Betrieb, und standen ihnen 2704 Lokomotiven, 5154 Perso-
nen- und 51,566 Fracht wagen zur Verfügung.
Sämmtliche Chausseen des Zollvereins'sind 10,283,g
Meilen lang; Fuhrleute gibt es 22,445 mit 49,150 Knechten
und 65,122 Pferden.
Noch 'sei erwähnt, daß für das Unterkommen des
reisenden Publikums 67,007 Gasthofbesitzer u. dgl. sorgen,
und daß es außerdem noch 6744 Speisewirthe und Garköche,
und 69,541 Schankwirthe, Billardhalter u. s. w. gibt.
Den literarischen Verkehr vermitteln: 69 Schrift-
gießereien, 1543 Buch - und Nolendruckereien, 1224 Druckereien
von Kupfer- und Stahlstichen, von Holzschnitten, Stick- und
Strickmustern, Bilderbogen, einschließlich der lithographischen
Anstalten. Ferner sind' vorhanden 14 Institute für Globen,
Landkarten, Plane und andere Unterrichtsmittel, 1714 Buch-,
Kunst- und Musikalienhandlungen, 359 Anliquare und An-
tiquitätenhändler, 1036 Leihbibliothekare.
Sodann ist ermittelt worden, daß an 58,818 Bäckermeister
uns mit Brod, 54,262 Metzger mit Fleisch versehen, und
10,583 Fischer unsern Tisch mit Fischen versorgen; 14,097 Bar-
biere sind stündlich parat, die männliche Zollvereinsbevölkerung
über den Löffel zu barbieren; 966 Meister treiben das Friseur-
handwerk; Schuh- und Pantoffclmacher gibts 189,006mit 127,875
Gehülfen und Lehrlingen; 135,733 Männer und 34,191 Frauen
treiben auf eigene Rechnung die Schneiderei und das Corsette-
machen, 12,361 Frauen und 471 Männer die Putzmacherei;
Musiker, welche sich ihrer Knust an festen Orten widmen, gibt
es 13,801 Meister mit 10,024 Gehülfen und Lehrlingen, um-
herziehende Musiker aber 6045 mit 3583 Gehülfen. Schließlich
sei noch erwähnt, daß der Zollverein dermalen 81 stehende
Theater mit einem Personal von 4312 Köpfen besitzt, und
daß die umherziehenden Schauspieler, Equilibristen und Schau-
steller ein Kontingent von 953 Meistern und 1138 Gehülfen
und Lehrlingen bilden.
Der Mineralreichthum Großbritanniens. Die amtliche
Schrift, welche darüber von Robert Hunt erschienen ist (The
Mineral Statistics of the United Kingdom of Great Britain and
Ireland for the year 18G3J, enthält darüber folgende Angaben:
Kohle. Davon würden im Laufe des Sabres gefördert
86,292,215 Tons, etwa sünfthalb Millionen Tons mehr als
im Vorjahr. Die Kohlenausfuhr stellte sich auf: 1861 —
7,222,718; 1862 — 7,222,718; 1863 — 7,529,341 Tons. Die
Zahl der Kohlengruben (Collieries), welche 1853 erst 2397
betrug, ist binnen 10 Jahren auf 3180 gestiegen, und in den
großen Kohlendistrikteit von Durham und 'Northumberland
stieg sie 1863 auf 22,154,163 Tons.
Eisenerz. Produktion 9,088,060 Tons; davon kommen
aus den Clcveland-Distrikt im Nord-Riding von Porkshire
2,553,805, auf Schottland Ih^ Millionen, zumeist „Blackband".
Die 597 Schmelzwerke lieferten an Roheisen: Eitgland
2,451,211, Wales 898,829, Schottland 1,160,000, Total
4,510,040 Tons; 566,571 Tvlls mehr als 1863.
Kupfer. 222 Gruben, wovon 190 in Devonshire und
Cornwall; 210,947 Tonnen Kupfererz im Werthe von 1,100,554
Pf. St.; daraus wurden 4461 Tonnen Kupfer gewonnen. Ein-
geführt wurde an Kupfererz aus Chile 25,966 Tonnen und
48,708 Tonnen Regulus; aus Cuba 15,750 Tonnen und 858
Tonnen Regulus.
Zinn. Aus Devonshire und Cornwall 15,157 Tonnen
Erz, welche 10,006 Tonnen weißes Zinn ausgaben. Die Zinn-
384
Aus allen Erdtheilen.
gruben werden bekanntlich seit ein paar tausend Jahren bear-
beitet, aber in früheren Zeiten nur oberflächlich; sie wurden
verlassen, sobald man auf das „Gelbe" kam, d. h. auf Kupfer.
Aber später bearbeitete man sie ans dieses letztere und kam iu
beträchtlicher Tiefe dann wieder auf Zinn, z. B. in der Dol-
coathgrube, welche bei 300 Lachter Tiefe 1026 Tons Zinnerz im
Werthe von 69,741 Pf. St. ausgab. Das Aehnliche Ist der
Fall bei vielen anderen Gruben. Aus Holland und Singa-
pore wurden 2728 Tons Banka-Zinn eingeführt.
Blei. 91,283 Tons Erz, welche 68,2<t2 Torrs Blei und
631,004 Unzen Silber ausgaben.
Zink. An Zinkerz (Black sack, Blende) 13,699 Tons;
sie lieferten 3835 Tons Zink. England kann nur mühsam
gegen die Zinkgruben des europäischen Festlandes concurriren.
Gold. 23 Gruben in Nordwales. Ueber den Ertrag hat
man nur aus zweien derselben Kunde; sie lieferten 552 Unzen
im Werthe von 1747 Pf. St. Im Jahre 1862 lieferten Vigra
und Clogan allein 5299 Unzen Gold im Werthe von 20,390
Pf. St.
Der Gesammtwerth der Mineralerzengnisse
und ihr gegenseitiges Verhältniß ergibt sich aus folgender Tabelle:
Werth
Goldquarz................... 385 Tons 1,500 Pf. St.
Zinnerz..................... 15,157 „ 963,985 „
Kupfererz....................... 210,947 „ 1,100,554
Bleierz..................... 91,283 „ 1,193,530 „
Silbererz................... 88 „ 5703 „
Zinkerz..................... 12,941 „ 29,968
Eisenerz ........ 9,101,552 „ 3,240,890
Eisenkies .................. 95,376 „ 62,035
Wolfram..................... 13 „ 67
Uranium............................... 3 Centner 23 „
Gofsans ........................... 4424 Tons 4576 „
Arsenik........................... 1444 „ 1200
Kohlen...................... 86,292,215 „ 20,572,945 „
Erdige Mineralien geschätzt auf.............. 1,975,000 „
So stellt sich einGesammtwerth von 29,15l,976Pf.St.
heraus. Die Ziffer der Kohlen begreift in sich Alles, was ver-
kauft und verbrailcht worden ist.
Aus den obigen Erzen sind Metalle im Werthe von
15,541,382 Pf. St. erzeugt worden; den Werth anderer Me-
talle veranschlagt man auf 250,000 Pf. St., so daß der Werth
der geförderten Metalle und Kohlen sich auf 36,364,372 Pf. St.
beläuft. ___________
Der Einfuhrhandel Großbritanniens im Jahr 1863.
Neulich gaben wir (S. 160) eine tabellarische Uebersicht der
Ausfuhren Englands, heute wollen wir jene der Einfuh-
ren mittheilen. Dieselben haben sich binnen zwei Jahren
außerordentlich gesteigert; während sie 1861 erst den Geldwerth
von 217,485,024 Pf. St. betrugen, stiegen sie 1863 auf
248,980,942 Pf. St. oder 1700 Millionen deutsche Thaler!
Davon kommen ans die britischen Besitzungen in allen
Erdtheilen 84,693,720 Pf. St., welche sich in folgender Weise
vertheilen:
Indien 1862: 34,133,551 Pf. St. 1863: 48,434,517 Pf. St.
Britisch N.-Amerika „ 8,499,393 „ „ 8,165,669 „
Australien .... „ 7,109,809 „ „ 7,160,638 „
Westindien.... „ 4,180,870 „ „ 3,993,854 „
Ceylon „ 2,488,262 „ „ 3,700,806 „
Bahama-Inseln „ 463,972 „ 2,282,713
Mauritius .... „ 967,714 „ „ 1,986,270 „
Kap und Natal . . „ 1,517,851 „ „ 1,919.843 „
Singapore .... „ 2,375,813 „ „ 1,830,522 „
Guyana .... „ 1,561,543 „ „ 1,510,500 „
Hong Kong . . . „ 154,721 „ „ 1,288,907 „
Bermudas .... „ 78,642 „ 820,314 „
Kanal - Inseln . . „ 645,801 „ „ 648,508 „
Belize „ 299,746 „ 298,017
Ionische Inseln . . „ 339,254 „ „ 192,879 „
Westafrika .... „ 234,774 „ 191,207 „
Malta . . . „ 110,819 „ „ 152,562 „
Gibraltar .... „ 97,559 „ 69,130 ,,
Falklands Inseln . „ 20,131 „ „ 17,114 „
St. Helena . . . „ 2424 „ „ 16,255 „
Aden „ 33 „ „ 2983 „
Ascension . . . . „ 1 „ „ 12
Helgoland . . • • „ 568 „ » — „
1862: 65,283.251 Pf. St. 1863: 84,693,720 Pf. St.
Der gesteigerte Geldwerth der Einfuhren kommt durchaus
auf Nechnnng der hohen Baumwollenpreise. In der obigen
Tabelle wird es auffallen, daß die Einfuhreti von den Ba-
hama- und von den Bermudas-Inseln binnen einem
Jahre sich um fast drei Millionen Pf. St. gesteigert haben.
Die Sache erklärt sich aber leicht; von beiden Punkten aus
wird ein lebhafter Schleichhandel nach den konföderirtcn Staa-
ten getrieben, aus deren Häfeil die Schiffe, welche die Blockade
brechen, Bailinwolle bringen. Die Baumwollenznfuhr aus
Aegypten erklärt auch, weshalb dieses Land jetzt an den Ein-
fuhren mit einer so hohen Ziffer mit ungefähr 130 Millionen
Thalern betheiligt ist.
Die Einfuhren aus fremden Ländern stellen sich
in folgender Weise heraus:
Frankreich .... 1862: 21,675,516 Pf. St. 1863: 24,024,619 Pf. St.
Verein. St. v.N.-A. „ 27,715,157 „ 19,570,815
Aegypten .... „ 12,225,783 „ 16,495,581
Deutschland . . „ 14,349,369 „ 13,591,734
. Hansestädte . . „ 5,957,260 „ „ 0,916,213
i Preußen . . . „ 7,833,927 „ „ 6,231,717
< Mecklenburg . „ 260,977 „ „ 219,505
1 Hannover . . . „ 276,253 „ „ 189,643
Oldenburg . . „ 20,952 „ ,, 34,656
China „ 11,982,374 „ „ 12,906,642
Rußland „ 15,101,059 „ 12,419,190
Holland „ 7,863,031 „ 8,660,278
Türkei „ 5,020,474 „ 6,025,545
Belgien „ 4,876,212 „ 5,174,221
Spanien .... „ 3,931,191 „ 5,070,838
Westindien .... „ 4,439,516 „ 4,580,663
Brasilien .... „ 4,414,187 „ 4,491,000
Schweden u.Norweg. „ 3,804,189 „ 4,463,212
Peru „ 2,394,092 „ 3,565,328
Portugal .... „ 2,404,212 „ 2,672,732
Dänemark .... „ 2,165,040 „ 2,420,513
Italien „ 2,597,354 „ 2,355,583
Mexico „ 619,508 „ 2,294,337
Chile „ 2,863,434 ., 2,288,863
Westafrika .... „ 1,719,801 „ 1,412,284
Philippinen . . . „ 708,866 „ 1,392,198
Japan „ 591,885 „ „ 1,283,631 „
Argenti». Republik. „ 1,133,071 „ ., 1,239,651 „
Uruguay .... „ 992,328 „ 1,220,629 „
Griechenland . . . „ 797,568 „ 980,439 „
Oesterreich .... „ 1,179,844 „ 879,457 f,
Neu Granada . . „ 811,304 „ 774,311
Centralamerika . . „ 492,340 „ „ 485,918
Marokko .... „ 434,071 „ „ 427,834
Hayti u.S. Domingo „ 151,719 „ „ 276,610
Bolivia „ 341,982 „ 259,196 ff
Franzos. Ostindien . „ 166,176 „ 117,036 „
Algerien „ 47,264 ,, „ 104,204 „
Nördl. Walfischfang „ 102,623 „ „ 72,398
Ecuador „ 95,023 „ 68,608
Borneo „ 32,212 „ 45,555
Ostafrika .... „ — „ 34,405 „
Persischer Golf . . „ 301 „ „ 31,601 „
Venezuela .... „ 9397 „ „ 23,767 „
Java rc „ 96,026 „ 22,417 „
Siam „ 37,824 „ „ 20,746 „
Südsee-Inseln . . ., 19,630 „ „ 19,967 „
Tunis „ 1532 „ 10,314 „
Patagoniekì . . . „ 2200 „ 2551 „
Kirchenstaat . . . „ 957 „ 1099 „
Arabien. . . . . ff ff „ — n
Tripolis „ 6078 „ „ " f>
Persien „ 5 „ "
1862: 225,716,976 Pf. St. 1863: 248,980,942 Pf. St.
Die Einfnhren aus Peru bestehen fast ganz in Guano,
jene von Westafrika in Palmöl. Die Ziffer Merico's ist so
hoch, weil die Konföderirlen von Texas aus eine Menge
Baumwolle über den Rio Grande hinüber gebracht haben,
nach der an diesem Strome liegenden mexicaniichen Hafenstadt
Matamoros; auch die Million mehr, welche die Türkei auf-
weist, entfällt aus die Baumwolle.
Schanghais Theeausfuhr. Sie betrug im Handelsjahr
1863/64: 69,421,524 Pfund; davon 47,198,944 schwarzer,
22,222,580 grüner.
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann I. Meyet in Hildburghausen.
Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts (M. Meyer) in Hildburghausen.
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Routen
-------18 31 aHonteiro &t Gamitto, nach. Caxembes Stadt
. ^ ..a> 1849 Ki‘apf; 7tach Ukam.4ani
------- . Rebmann, nach Rsohagga
....... 1851 Fr. O-alton ,nach Ondonga
x... x... x 1851 - % 1 ad.Jfdgyar, von Bengaela nach Jfilua
+ 1851 W.H.Gassiot, n.d.linvpopo
.ii.n.».,1.» . . ./. Sander,?on./ nach Ravten bürg
......... ¿853 J. Ch . Andersson , n. d,.2rga/ni Se e
— 1858. d* , n.d,..Okovango
i.uo.aooL.,^ 1854-80J). livingstone
— - /#¿4 Rev.Moffa t, n.d.Jfatebele
----— 1855 du Ch aillus, angebliche Honten
w I85y Hahn Sc Rath. nach Ondonga
_____ 1858 Rob.-RIoffat, d.Oranje Fluss entlang
.. 1859 Rar ton Se Spelte , n.d.grojf .fern Seen
............. 1855 Heut.. Texeira io. Padre Jfontaiih.a, nach
Zo TUp a na b e rg
•v — A.a. 1860-1. von, der Deelen, v. Kiloa. u.Jfonibas ins Ih.ere
------ 1860.....Newltrig, Altwal nach 2rata l
— --- 185/ . Rastian, n.S.Salvador rCongo >
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Auf der Karte ang-egpebene
Routen
....— tSSJ uVonteiro Se Gamitto/ nach Cazembes Stadt
JSi9 Ki'apfjiuteh. Ukambani
______ Rebmann, nach Dsehagga
...... J8H1 3r. Galton ,tuu‘7i Ondontja
k ... x ... x 185/- -i» Lad.nVaqya r von. Bentjuela nach Jsilua,
..... ...^ 1851 W. ff.Gassiot, n. d. Limpopo
H.n.«.«., . ,/. S anders on , nach Rüsten bürg
. ... 1853. . J. Ch. Ander.eson , n . d.2r</a mr Sc c
...... 1858 dt , n..d.0Jt,orango
■. ». m •■!_«■ 2854-80 j). IAvingstone
- 1854 Rer. Moffa t, n .d. Jfa(ehe/e
...... 1855 du ChaiHust, angebliche Routen
185j Hahn Sc Rath. nach Ondonqa
...... 1858 Rob.-Moffat, d. Oranje Fluss/ entlang
. -I-...I-. 1850 Burton ¿k Speke, n.d.grossen Seen
...... 1855 Lieut. Texeira u,. Padre Jfontariha, nach
^ * j.,4. 1880 -1 von der J/echen,, v. Kilon, u.Jfombae in.* liiere
----- 1860 . Newling. Aliwal nach Jfatal
—185/ Bastian, n.S.Salvador Congo
S. Felipe 4^.]
y. ®ap oÄ.%^ucy
We n delcr eis tie s Steinl> o eit s
Holle einiger Rei*o*e
im Capland .
V. 1-o^bhUp 4075 Par/F. 4543 En^l.P.
X. Xo ebera 3380 3602
Xaitviesberoj. .. 4832 5150 Æ
Xo-. XtQbv Xov/ni ....423 5 4514
S j). S pxo abcT’^
Xo . Xoto-s ^ѻa. 4785 5100
UH. 'f)r.cVÛbrvte,rJjjoeh, 6380 6 840
Coxnrpcts s 1506 8 000
Ôr.^ïOvn/te^be»*^..1319 f-800
o ! Co. Cockscomb ........6399 6 820
Stammsitze in
Cross Namaqua Land
NamaCfua 1. Cornelias !d.rothe Volk/
2 . Z wart boots
3 . Arnolds
4. Willem, Ei'ans man’s
8. Hendriks Velds choen dr age/
r. Bond el swart s’
8 . Pau.I L inks'
*■ r°P™<"' > xariniuk*
iO. Gun.unka, )
Ocrlams //. danker Afrikaner*
12. Antra al s
14. Pans Goliath's
/5. Darid, Christian's
Die Counties znv Copland werden, nao A Ohne,
Distrilí-te. in hiatal.
E r klär un g'
P-À34*. Brili.v C he Be site unge n 4..nZ F Fran r, os isc h e Besztm ungen
u^' iJF Portugiesiseh e Besitzungen, des arabisch en Imán ronMashat
sí Una bhä n if is e b e Christi. Staaten iHei den landen
■anterstrioAe-nen, Hauptstädten, Csonañt,mdt Ausnah - ^‘ ^ Frban
-me, von Victoria, /Haupt st ¿.Alice / Albert /Haxoptstd. ^ ^7ctor'¿<l
L J^urgersdorp/und Albany (Hauptstadt Crahamstown '. 3. Veenevi
4. .Klip Hiver ( Umsinjati
^ ÎLllV,. v-C t a 7 n „ _ S. Bieter Manitzborq
Io.\M An der Stra^s-e ron East London, na,-A Çneeneto^n 6. XaMamJ.a, (UraîenUTO)
Uegen dce lJeatsckon, Ælztair Ansiedelungen Jnqela, es
l'année, Bn-lin, Franhsni-t, Stutterhein] (ErejZon g. Oler IhAomann sUrakzeazio,) t
a. Tjlden. ç r^t«................ inkuhJ ^
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3 100Beutsehe Heilen, (~400Èngl.&eoarJMeii.'
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