322 Aus dem Volksle ?
man die erstgenannte Stadt verlassen , bemerkt man am Wege einige alte Alqnerias , maurische Meierhöfe , die von Feigen , Aloe und Cactns umgeben sind . Allmälig hört der Anbau aus , die Gegend wird wilder und Pflanzen - wuchs findet man nur noch in den bewässerten Thälern . Der Weg steigt in Schlangenwindungen empor bis in die steile Sierra de Marios , und die Postkutsche kann nur langsam vorwärts . Ein Markstein bezeichnet die Grenze zwischen den Provinzen von Granada und Iasn . Der Schirrmeister ( Mayoral ) erzählte allerlei Vorfälle und Abenteuer aus seiner Jugendzeit ; damals hätten der kühne Ojitos und andere unerschrockene Bandoleros ungehindert ihr Wesen getrieben , — „ aber jetzt ist das anders ! " — Die Banditen der früheren Tage werden noch lange im Munde des Volkes fortleben . Unsere Reisenden kamen unbehelligt durch die düstere'Schlucht von Arenas und waren bald nach Tagesanbruch in Jaen .
Die Straßen waren noch öde , aber an den Mauern der Häuser lagen auf dem platten Pflaster zahlreiche Gruppen von Schlafenden , die sich in ihre braunen Mäntel gewickelt hatten . Es ist einmal Sitte , daß viele Leute ihr Nachtlager unter freiem Himmel aufschlagen ; zur Matratze dienen ihnen die Steine , und als Kopfkissen haben sie ihren Arm . Jetzt wachten einige auf ; das Raffeln der Räder verjagte ihnen den Schlaf ; sie guckten hin und her , steckten aber sofort den Kopf wieder unter ihre Manta . Das Klima ist warm , aus Bequemlichkeit und Behaglichkeit legt der Andalnsier gar keinen Werth , und fo ist ihm der „ Gast - hos zum Monde " , die „ Herberge zu den tausend Sternen " vollkommen genügend . Einige Mondbrüder standen in - dessen doch auf , folgten der Postkutsche und setzten sich auf die Steinbank vor dem Hause , bei welchem sie anhielt . Diese Familie bestand aus Vater , Mutter und vier Kin^ dei'N . Die Reifenden gaben dem Manne , der blind war , eine Kleinigkeit , und er erzählte , daß er das Augenlicht in Folge eines Sonnenstiches ( Tabardillo ) verloren habe . Die Mutter war noch jung und gab gleichzeitig zwei Kin - dern die Brust .
Jasn hat eine hübsche Lage am Fuß eines Felsen - berges , welchen ein maurisches Kastell krönt ; die Mauern desselben erinnern an jene der Alhambra und dort war der Pflanzenwuchs so üppig , daß man unwillkürlich an die hängenden Gärten der Semiramis dachte . Von oben herab hat man einen Blick auf die stattliche Kathedrale und eine Sicht auf die Berge Javalcuz und la Pandera , welche nicht selten ihren Schatten bis in die Stadt hinein werfen . Beide Berge dienen als Wetterpropheten , denn die in jener Gegend sehr heftig stürmenden Südwestwinde treiben dickes Regengewölk herbei , welches sich wie eine Haube auf die Höhen lagert . Wenn der Javalcuz seine Kapuze und auch la Pandera dieHaube aufsetzt , dann muß es regnen , wenn auch Gott es nicht haben will . So sagt das Sprüchwort .
Spanien ist das Land der Sprüchwörter ; das wissen wir schon aus dem Don Duirote ; man hat dergleichen auf Alles uud Jedes . Die Provinz von Jaön wird als „ das Galicien Andalusiens " bezeichnet , weil die Jaetanos in vieler Hinsicht den Gallegos gleichen . Die dortigen Land - lente und Bäuerinnen werden Pastiris und Pastiras genannt , vielleicht nach dem Worte pastor , Hirt ? Diese Bauern sind kräftige Leute und nehmen sich in ihrer Leder - bekleidung wild genug aus ; sie sind tapfer , mannhaft und gastfrei .
Schon zu Anbeginn unserer Zeitrechnung war Jaön eine nicht unwichtige Stadt , und dieses Aurigis hat in den Römerzeiten eine Belagerung ausgehalten . Der heutige
it iu Südspanien .
Name scheint von den Arabern herzurühren , welche die Stadt vom 8 . bis ins '13 . Jahrhundert behaupteten ; dann wurde sie vom heiligen Ferdinand erobert . Das Wort Jaizn soll Fruchtbarkeit bedeuten und wäre hier ganz an seinem Platze ; der Fluß von Jaön hat seine arabische Be - Zeichnung Gnadalsullon bewahrt ; er ergießt sich weiter nach Norden hin in den Gnadalquivir . Die von den Bergen herabströmenden Bäche sind eine Wohlthat für die Felder , Obstgärten und Palmenhaine .
Die Stadt gewährt , wie irgend eine , den Anblick des Mittelalters . Die Straßen sind wenig belebt , und in manche derselben dringt nur selten ein Sonnenstrahl , in vielen wächst Gras . Fast alle sind schmal und gewunden . Die mit Kalkanstrich geweißten Häuser haben nach der Gasse hin nur wenige Fensteröffnungen , die sehr oft den maurischen Hufeisenbogen zeigen , die herradura , wie die Spanier sagen , oder auch irgend einen gothischen Spitzbogen , einen Söller mit Eisengeländer , von welchem Pflanzen herabhängen , und auf dem sich daun und wann eine ge - bräunte Andalusierin blicken läßt .
Die Kathedrale verliert bei näherer Betrachtung ; gleich den meisten Kirchen in Südspanien ist auch sie aus deu Grundlagen einer maurischen Moschee gebaut , von der aber keine Spur sichtbar ist . Die beiden hohen Thürme nehmen sich geschmacklos aus . Als Hauptmerkwürdigkeit ist eine Reliquie zu betrachten , el Santo Rostro , nämlich das Lein - Wandtuch , mit welchem ein mitleidiges Weib das von Schweiß und Blut triefende Gesicht des Heilands abge - wischt hat , als derselbe zur Schädelstätte hinaufging . In dem Tuche sollen die Gesichtszüge abgedrückt sein . Indessen wird die Echtheit dieser Reliquie vou anderen Kirchen bestritten , denn z . B . die Peterskirche in Rom behauptet , daß sie das wahre Leintuch besitze . Aber jenes in Jaen genießt große Verehrung , und viele Landleute tragen eine Nachbildung desselben am Halse . Das heilige Tuch mit dem Bilde wird alljährlich dreimal ausgestellt ; es ist in einen goldenen , mit Diamanten und Juwelen verzierten Rahmen gefaßt , und diefer wird in eine Truhe gethan , die auf dein Altar der Hauptkapelle ihren Platz hat . In Jamr behauptet man , der Santo Rostro sei vor mehr als 500 Jahren von dem heiligen Enfrasio dorthin gebracht worden ; diefer ist Schutzpatron der Stadt , und als er von Rom kam , ritt er , wie in vielen spanischen Büchern zu lesen steht , aus den Schultern des Teilfels nach der pyrenäifchen Halbinsel . Der Sakristan erzählte den beiden Reisenden , daß der heilige Ferdinand den Santo Rostro auf allen Zügen gegen die Mohren nrit sich geführt habe .
Iu diesen Gegenden erinnert , wie wir schon mehrfach betont haben , Alles an die maurischen Zeiten . So ist es auch auf der Reife von Jaen nach Baöza . Beide Städte liegen nur etwa 12 spanische Meilen auseinander . _ Die Reisenden hatten eine sogenannte Schnellkutsche gemiethet ; sie war aber eher eiue Schneckenkutsche . Der Fuhrmann peitschte auf die Maulthiere unbarmherzig los und warf sie mit Steinen , aber trotzdem waren sie nicht in Trab zu bringen . Die Zeit vertrieb er sich mit andalusischen Lie - dern , auch als der Wagen durch den Gnadalquivir fuhr , der dort oben ein sehr bescheidenes Wasser ist . Aber an seinen Ufern wachsen Rosenlorbeeren , und die Ebene ist lachend und fruchtbar bis nach Linares ( 10 , 600 Einwohner ) , in dessen Nähe sehr ergiebige Blei - und Kupferbergwerke liegen . Dort , am Fuße der Sierra Morena , ist der Hütten - betrieb mehre tausend Jahre alt ; man spricht dort noch von Hannibal , und uralte Minen werden als Hannibals - gruben bezeichnet . Jenseits von Linares durchwatet man den Guadalimar und gelangt dann bald nach Baöza , das