06 Aus allen
den . Die Hypothese , daß die Ureiugebornen nickt verschwunden seien , sondern von den gaelo - kimriscken Ariern Civi'isation und Svrache angenommen hätten , sei unstatthaft . Nie habe ein Volk , das uur irgend zahlreich und mächtig gewesen , ans solche Art seine Sprache gewechselt ; diese sei auf das allerinnigste mit dem Wesen desselben verbunden .
Dagegen bemerkteBroca : Diese Bemerkungen konnten sich hören lassen , wenn nachgewiesen wäre , daß die neue Sprache plötzlich und mit einem Schlage an die Stelle der alten getreten wäre . Ein Reisender , der nach 10 Jahren wieder in ein Land käme und dort eine ganz andere Sprache fände , wäre allerdings zu dem Schlüsse berechtigt , daß das eroberte Volk ausgerottet worden sei oder sich durch Flucht seinen Drängern entzogen habe . Aber solch einen Verlans haben die Dinge in Westenrova nicht genommen , als die Völker kamen , welche die indoeuropäischen Sprachen brachten . Es kommt allerdings nicht selten vor , daß die Sprachen eroberterVölker verschwinden , ab er das geschieht uur allmälig . Mit jeder neuen Generation vermindert sich die Zahl derer , welche sich noch der alten Sprache bedienen , und diese erlischt erst nach manchen Generationen oder Jahrhunderten . Anfangs fehlt es dabei allerdings nicht an Gewaltthätigkeiteu , nachher macht sich aber Alles gleichsam von selbst . Nachdem Cäsar Gallien erobert hatte , wich die keltische Sprache nicht etwa auf einmal dem Lateinischen . Dieses wurde allerdings amtliche Sprache , aber das Volk sprach noch hunderte lang Gallisch ( ceitice ) . Noch im fünften Jahrhundert , zur Zeit des heiligen Hieronymus , redeten die Trevirer eine Svracbe , die große Aehnlichkeit hatte mit jener der Galater , die sich 273 vor Christus in Kleinasien niedergelassen hatten . Ans anderen eben so bestimmten Angaben geht hervor , daß die Sprache der alten Kelten als Patois , wenigstens in einem Theile Galliens , sich bis in das siebente Jahrhundert hinein gehalten hat . Ans ähnliche Art ist , ganz allmälig , die Langne d'oe , welche im Mittelalter blühete , zum Patois geworden ; sie verliert jetzt immer mehr Boden und wenn die Dinge so fort - gehen , wird sie vielleicht nach vier Generationen ganz ver - schwnnden sein . Die Gelehrten werden ihre literarischen Denk - mäler kennen , das Volk selbst , dessen Vorväter diese Sprache redeten , wird von ihr gar nichts mehr wissen . Das gewicht der französischen Sprache in den Gegenden der Langne d'oc_ ist durchaus nicht das Ergebniß irgend welcher Gewalt - thätigkeit . Diese Länder gehören seit manchem Jahrhundert zur französischen Monarchie . 'Das Französische gewann dort Boden zuerst in den Schlössern , dann in den Städten und jetzt greift es auch auf dem platten Lande um sich . Man kann hier ein - wenden , die Langne d'oe und die Langne d'oil seien zwei Schwestersprachen , ' beide Töchter des Lateinischen und hier sei der Uebergang von der einen zur andern nicht gerade schwer ; Wurzelwörter ltttd Grammatik seien fast dieselben . Aber um linguistische Sprachverwandtschaft kümmert sich der Bauer nicht ; er lernt Französisch , weil das in seinem Interesse liegt und würde aus demselben Grund auch eine andere Sprache sich an - eignen . Das würde etwas langsamer gehen , aber es ginge auch . Der elsässische Bauer gibt nach und nach feilt allemannisches Patois auf ; der Bauer im englischen Cornwallis weiß kein Wort mehr vou dem Coruisch , das in seinem Laude bis ins achtzehnte Jahrhundert gesprochen wurde . Die Sprachgrenze zwischen der Bretonisch und der Französisch redenden Bretagne liegt heute viel weiter westlich als im zehnten Jahrhundert , und jetzt , da die Eisenbahnen in das alte Armorica eindringen , kann es nicht ausbleiben , daß die drei keltischen Dialekte' der Niederbretagne langsam dem Französischen Platz machen werden . Hier stehen nicht etwa Schwestersprachen einander gegenüber . 'Und man denke nur an die Aqnitanier , welche einst Baskisch oder eine demselben nahe verwandte Sprache geredet haben . Sie sind nie - mals ausgerottet worden , haben aber diese Sprache verlassen , n> d darin liegt eine ganz und gar radikale Veränderuug - Dionysius von Halikarnässus sagt , daß die Etrusker iu Sitte nnd Svrache mit keinem andern Volke Aehnlichkeit gehabt hätten , und jetzt reden sie längst Italienisch . Manche Völker in West - enropa haben mehrmals ihre Sprache gewechselt und dennoch ihren alten Typus im Wesentlichen sich bewahrt .
Die Etymologie der Ortsname» .
St . Diese hat in vielen Fällen Dunkel , theils weil die Namen im Laufe der Zeit bedeutend verstümmelt wurden nnd nicht mehr den ursprunglichen Lautbestand errathen lassen , theils und
Erdtheilen .
vielleicht noch öfter weil die Ortsnamen treuer ihre Ursprung - liche Lautbeschaffenheit bewahrt haben , als die anderen Stücke der Svrache . Gerade in den Ortsnamen finden wir Ueber - reste einer vorhistorischen Zeit , Denkmäler einer sonst bereits vergangenen Svrachepoche , " die um so mehr interessant und bedeutungsvoll sind , als es keine anderen des Alters gibt . So wird endlich die Deutung der Ortsnamen meist dadurch erschwert , daß oft nicht sogleich einleuchtet , ob der Ursprung ein einheimischer oder ein fremder ist . Das letztere ist namentlich bei den keltischen und lithauischen Ortsnamen der Fall , bei denen man sehr oft in Verlegenheit kommt , ob sie aus dem Lettische« oder Lithauischen , oder aber vielleicht aus dem Deutschen , Russischen oder Livischen herzuleiten sind . Wenn dieser Ursprung aufgefunden werden kann , so lassen sieh nicht unwichtige Resultate erzielen , nicht allein betreffs der Sprach - entwicklüng , sondern auch rücksichtlich der Geschichte der Urbe - wohner dieser Provinzen . Völkerschaften , die untergegangen oder verdrängt , die uoch herrscheu oder die blos durchgewandert sind , haben alle iu deu Ortsnamen ihre Spuren dem Grund und Boden ausgedrückt .
Nach Bielen st ein , „ die lettische Sprache , " Berlin 1864 , lassen die livischen Ortsnamen in dem ursprünglich söge - nannten Kurland , d . h . dem Dreieck zwischen Riga , Libau und Domesneß , schließen auf eine in alter Zeit viel weitere Verbreitung liviscker Stämme sogar bis ins Innere des Landes hinein , als heutzutage sich wirklich Reste derselben vorfinden , also auf ein allmäliges Zurückgedräugtwerden der Liven durch die vom Süden heranziehenden lettisch - lithauischen Völker . Ebenso zeugen die livisch - esthnischen Ortsnamen int lichen , jetzt ganz von Letten bewohnten Livland zwischen der Düna uud Salis , z . B . Uerküll , Jerküll , Nurmis , Loddiger nnd viele andere für die ehemalige Existenz der Liven in diesem ganzen Landstrich .
Die deutschen Ortsnamen haben alle ihren Ursprung aus jüngerer Zeit und finden sich vornehmlich an denjenigen Wohnsitzen , welche vou deu eingewanderten Deutschen angelegt worden sind .
Eine andere Bewandtnis ; aber hat es mit den Ortsnamen Kurlands , die nur mit dem Lithauischen sich deuten lassen . Ans denselben darf weder gefolgert werden , daß ursprünglich seßhafte Lithauer aus kurischen Distrikten verdrängt seien , denn die Völkerbeweguug ist hier von Südost nach Nordwest und nicht umgekehrt gegangen , uoch auch , daß Lithauer später etwa über daselbst wohnhafte Letten herrschend gewesen oder zu ihnen eingewandert wären nnd ans ihrem Idiom Ortsbezeichnungen geschaffen hätten . Dafür fehlt jeder historische Nachweis . Viel - mehr muß mau annehmen , daß diese lithauisch scheinenden Namen uur Reste des Altlettischen , das dem Lithauischen näher gestanden hat , sind , oder aber Bildungen , wie sie noch heutzu - tage in deu Grenzdistrikten Kurlands , wo beide Völker zusammen - stoßen , vorkommen .
Wir wollen jetzt , nach Bieleusteiu , Neimen von einigen Städten und Flecken innerhalb der Grenzen lettischer Zunge angeben : Riga , Riga ; Jelgawa , Mitau ; Lepäja , Libar sLindenstadt von lepa , Linde ) ; Wentaspile , Windau ( eigentl . Windausburg , von Wenta , Windaustrom und xl'ls , Burg ) ; Kuldiga , Goldingen ( möglicherweise deutschen Ursprungs ) ; Tukkums , Tuckum ; Kandawa , Kandan ; Jäbile , Zabele ; Ais Putte , Hasenpoth ; Talse , Talseu ; Döbele , Dobleu ; Jlukste , Jllnrt ; Walmare , Wolmar ; Walka , Walk ; Limbascha , Lemsal .
Die meisten dieser Namen sind sehr dunkler Herkunft . Ueber den Namen Jelgawa , Mitau , stellt Bieleusteiu fol - gende interessante Hypothese auf . Er sagt : Jelgawa ließe sich zur Roth aus dem Lettisch - Lithauischen erklären , — „ tief Wasser " , dsilscb , tief , und awa , Flußname Act . Diese Erklärung würde auch ganz gut zn bev niedrigen , wasserreichen Lage 'Mitan's passen . Trotzdem aber ist die unmittelbare Herleitung vou dem livischen Worte jälgab , Stadt , viel wahrscheinlicher , da die mitausche Gegend zur Heit der deutscheu Eroberung noch von Liven bewohnt war . Darnach würde der Name von stadt an der Düna : Jaun - Jelgawa , eigentlich Neustadt , be - deute« .
Zum Schluß uoch einige Städtenamen aus acht lithauischen Gegenden : Klaipeda , 'Memel ; Tilie , Tilsit ; Nagaine , Ragnit ; Jsrutis , Jnsterbnrg ( von Jsrä , N . Jnster ) ; Gnm - bine , Gumbiuueu ; Labgnvä , Labian ; Pilkalnis , Pilkallen ( wörtlich Schloßberg , pilis , Schloß und kälnas , Berg ) ; Königs - berg heißt : Karaliaucsus ( ^aiälius , Köuig ) .
Herausgegeben von Karl Audree in Dresden . — Für die Redaktion verantwortlich : Hermann I . Meyer in Hildburghausen . Druck und Verlag des Bibliographischen Instituts ( M . Meyer ) iu Hildburghausen .