Geographische Schilderung des Himalaya .
Von Prof . Robert v . Schlagintweit .
Die Wohnung des Schnees . — Geschichtliche Angaben über den Himalaya und dessen Erforschung . — Die Schneegrenze . — Mangel an Vorbergen . — Das Sumpfland Tarai , dessen Pflanzenwuchs und Thierleben . — Ansichten des Hochgebirges . — Sommerdörfer . — Das ichal von Kaschmir und der See von Srinaggar . — Das Bhagirathithal als Fels - und Bergwildniß . — Riesenfichten . — Kliina ;
Gesundheitsstationen . — Bedeutung des Himalaya für die Cultur .
Der Versuch , eine geographische Schilderung des Hima - laya , eines der mächtigsten bis jetzt bekannten Gebirge unserer Erde , zu entwerfen , dürfte durch den Umstand gerechtfertigt erscheinen , daß mir das Gluck und die seltene Gelegenheit zu Theil ward , im Vereine mit zwei Brüdern , vou deueu der eine leider seinem wissenschaftlichen Drange zum Opfer fiel , deu Himalaya nicht nur nach den verschiedensten Rich - rungen zu durchziehen , sondern auch wiederholt zu übersteigen , und zwar mehr als einmal auf Wegen , die vor nns nie ein Europäer betreten hatte .
Der Himalaya , wörtlich übersetzt „ die Wohnung des Schnees " , der im Süden an ein schon seit den ältesten Zeiten berühmt gewordenes und vielfach besuchtes Länder - gebiet anstößt , nämlich an Indien , war theilweise schon den ^ewohnern des letztgenannten Landes , den Hindus , bekauut . bereits in Meuu's Gesetzbuch , dessen Abfassung etwa um das xUihr 1280 vor Christus fällt , wird des Himalaya Er - wähnung gethau ; wiederholt wird er in anderen alten indi - schen Schriften als Kailasa besungen . Sei es nun , daß das kolossale Gebirge mit seinen zahlreichen , himmelanstre - benden Gipfeln eine mächtige Wirkung auf die für großartige Natureindrücke leicht empfänglichen Hindus ausübte , sei es ,
Globus XII . Nr . 1 . '
daß sie nicht wußten , ans welche Weise sie ihren Dank für die segenspendenden Gewässer bethätigen sollten , die in nnend - licher Menge von den Höhen herabströmten und über In - diens ausgedehnte Ebenen sichtbarlich Fruchtbarkeit ausgos - seu : genug , so viel steht fest , daß die reichhaltige indische My - thologie in des Himalaya erhabene , schneebedeckte Gipfel , in seine wildtosenden Flüsse , in seine heißen Quellen deu Wohu - sitz einer Unzahl von Gottheiten verlegt hat . Die erfinde - rische , erregbare und leichtbewegliche Phantasie der fromm - gläubigen Hindus trug wesentlich dazu bei , daß nur wenige es wagten , die dunkeln , tiefen Geheimnisse des göttlich ehrten , schwer zugänglichen Gebirges enthüllen zu wollen .
Der Himalaya blieb daher Jahrhunderte hindurch wie für Europäer so auch für die Hindus verschlossen . Euro - päische Völkerschaften lernen ihn theilweise kennen durch Alexander des Großen Feldzug im Jahre 327 vor Christus . Die Schriftsteller Alexander's beschreiben dieses Gebirgsland und bezeichnen es als Jmaos , Emodns oder Paropa - misns . Des Himalaya Kenntniß erweitert sich durch die Einfälle der Mohammedaner nach Indien , die ebenfalls von Alexander früher gegaugeueu Straße uachzogen , was von manchen neueren Geschichtsschreibern als etwas höchst
Der Kandschin dschinga im östlichen Himalaya .