A n der Wolga .
Der Strom und dessen Schiffbarkeit . — Die Städte am obern Laufe . — Uglitsch und die verbannte Glocke ; Romanoff , Kostronm , Nischni Newgorod . — Die Tfchuwafchen als Schiffsleute . — Rufsische Bärenjäger . — Gestüte . — Die Tatarenstadt Kafan . — Dampfer auf dem Strome . — Mündung der Kama . — Ssimbirsk , Ssamara und Ssaratow . — Die deutschen Kolonien , ihre
Geschichte und ihr Gedeihen .
Die Wolga bildet auf ihrem etwa 500 deutsche Meilen langen Laufe die wichtigste Verkehrsader für einen großen Theil des europäischen Rußlands . Vermittelst des ausge - dehnten Canalsystems , welches die großen Wasseradern jenes Reiches mit einander in Verbindung gebracht hat , kann man voni Ural wie von der Ostsee Waaren auf den Strom brin - gen , dessen Gebiet mehr als 20 , 000 deutsche Geviertmeilen umsaßt . Von der Gesammtlänge des Laufes sind nahe an 400 Meilen schiffbar , aber das Delta unterhalb Astrachans ist derart verschlammt und versandet , daß dadurch den Fahr - zeugen große Hindernisse erwachsen . Vom Nordwesten her erreicht die Eisenbahn den Strom bei Nischni Nowgorod , die Zahl der auf ihm schwimmenden Dampfer ist beträchtlich , und da er den directen Weg zum Verkehr mit der Westseite des Kaspischen Meeres und den Nordprovinzen Persiens det und an seinem untern Laufe Tataren wohnen , Kalmücken und Kirgisen mit ihren Herden umherziehen , hat man ihn als ein halbasiatisches Wasser bezeichnet .
Wir haben vor einiger Zeit ( „ Globus " XIII , S . 129 ) eine Schilderung der untern Wolgaregion mitgetheilt ; heute wollen wir den Strom von seiner Quellgegend ab verfolgen . Derselbe entsteht in einer Sumpfebene auf der Höhe des so - genannten Wolchonski - Waldes ( der alaunischen Höhen ) ; das Wasser dieser Moräste speist den „ Jordanbrunnen " beim Dorfe Wolgo , das im Ostaschkower Kreise des Gouverne - ments Nowgorod liegt . Der Ablauf aus diesem Brunnen ( 57° n . Br . 51° östl . L . v . P . ) zieht dann durch eine Wald - gegend und fließt durch eine Reihe von Seen . Die eigentliche Schiffbarkeit beginnt bei Twer , welches den wichtigsten Ver - kehrsplatz an der obern Wolga bildet . Weiter abwärts liegt die alte Stadt Uglitsch , wo im Jahre 1591 ein in der russischen Geschichte verhängnißvolles Drama spielte . Czar Iwan der Grausame oder Schreckliche hinterließ zwei Söhne , Feodor und Dimitri . Der erstere lebte zurückgezogen , lag andächtigen Uebungen ob und übertrug die Ausübung seiner Macht seinem Schwager Boris Gndunoss . Dimitri war nach Uglitsch verwiesen worden und mit ihm , dem zehnjähri - gen Knaben , lebten dort seine Mutter und drei Oheime . Feo - dor war kränklich und Boris wollte Czar werden . Nur allein jener Knabe , der rechtmäßige Thronerbe , stand ihm im Wege und mußte deshalb beseitigt werden . Am 15 . Mai 1591 erschien ein Vertrauter des Boris , Bitiagowsky , in Uglitsch , bemächtigte sich des Knaben und ermordete ihn . Die Wär - terin schreiet um Hülse , wird aber sosort niedergemacht ; in -
Globus XIV . Nr . 10 . ( November 1868 . )
zwischen kommen einige Diener herbei und nehmen den Mör - der sest . Derselbe behauptet , Dimitri sei^in ein Messer ge - sallen und das habe seinen Tod herbeigeführt . Einer der Oheime läßt die Sturmglocke läuten . Das Volk rottet sich zusammen und ruft laut , daß Boris Urheber der Schaudthat sei . Dieser läßt inzwischen durch einige ihm völlig ergebene Leute zum Schein eine Untersuchung anstellen und diese er - klären , der Prinz sei allerdings in ein Messer gefallen . Die Leute in Uglitfch hätten sich rebellisch betragen ; etwa zwei - hundert derselben wurden hingerichtet und viele andere ver - bannt . Der Glocke , mit welcher man Sturm geläutet hatte , wurden die beiden Henkel abgebrochen , sie selbst aber wurde nach Jrkutsk verbannt . Nun haben im Jahre 1847 die Uglitscher um Begnadigung der Glocke gebeten nnd Czar Nikolaus gewährte auch dieselbe ; aber die Leute waren zu arm , um die Transportkosten zu bestreiten , die sich aus Tausende von Rubeln belaufen hätten . So ist sie denn in Jrkutsk geblieben , und es wird dort , wie man sagt , jedesmal mit ihr geläntet , sobald ein dorthin Verbannter die Erlaub - uiß zur Heimkehr nach Europa bekommen hat . Boris wurde Czar , das Reich durch ihn und dnrch Kronprätendenten zer - rüttet und die Polen und Schweden spielten den Meister bis 1613 . Damals wurde Michael Romanoff zum Czar erwählt .
Ro mau off liegt an der Wolga unterhalb Mologa und liefert viele treffliche , zum Theil schön nnd zierlich gearbeitete Schafspelze , Tulupen , in den Handel . Der Strom ist in die - ser Gegend ungemein fischreich und Wasservögel kommen in unendlicher Zahl vor ; die Russen scheinen indessen die Jagd auf dieselben nicht zu lieben . Im Gouvernement Jaroslaw , das zu fünf Zwölftheilen noch mit Wald bedeckt ist , findet ein lebhafter Gewerbebetrieb statt ; die Bewohner sind ein hübscher Menschenschlag , fleißig , fparfam , und viele von ihnen ziehen des Erwerbes halber weit und breit im Reich umher . In der Nähe der Stadt Jaroslaw liegt eine Schänke , welche gewissermaßen als ein Normal - Kaback betrachtet werden und die Eigentümlichkeit der russischen Bauart veranschau - lichen kann . Wir geben eine getreue Abbildung derselben .
Folgen wir dem Laufe des Stromes , so finden wir am linken Ufer die Gouvernementsstadt Koström« , mit nur etwa 15 , 000 Einwohnern , aber ungefähr 40 Kirchen , deren vergoldete Kuppeln weit ins Land hineinleuchten . Rußland ist in den meisten Beziehungen ungegliedert und so ist auch seine Architektur sehr einförmig : Kirchen , Klöster , Caser -
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