Wilhelm Lejean's Reise von der Mündung des Indus nach Kaschmir .
in .
Srinagar , das Venedig des Morgenlandes . — Ein Festabend beim Maharadscha Rambir Singh . — Golab Singh's Seelen - wanderung in eine Biene und in einen Fisch . — Die Bayaderen und ihr Tanz . — Fabrikation der Kaschmirshawls . — haltung mit einem politischen Agenten des Chans von Chotan . — Grausamkeiten und Meuterei in Kaschmir ; die Bergstämme . — Ausflug nach Islamabad . — Der Ackerbau . — Fiscus und Soldateska .
Der Reisende hatte ein Unterkommen in Srinagar , der Hauptstadt von Kaschmir , gefunden . Nicht wenig war er überrascht , als wenige Stunden nach seiner Ankunft ein Leibwächter , ein Sipahi , des Herrschers in Begleitung dreier Kulis erschien und dem Fremden allerlei gute Sachen Uber - reichte , als da sind : einen lebendigen Schöps , Brot , Reis , Gemüse und sogar einen Hut Zucker . Der Maharadscha bewillkommnet auf solche Weise , eineni alten Gebrauche ge - maß , europäische Fremde , welche sein Land besuchen . Für die nächsten Tage besaß also Lejean Nahrungsmittel vollauf ; außerdem fand er bei zwei französischen Shawlhändlern eine freundliche Ausnahme .
Die Gegend , in welcher Srinagar liegt , ist wunderschön , namentlich von einem Bnddhistenkloster aus , das auf dem Takt i Suleiman , dem Salomonsthrone , liegt . Von dieser Höhe hat mau einen Ueberblick über die ganze große Stadt , die weit und breit von Gärten umgeben ist , und über welche die alte Citadelle Hanta weit emporragt . Der Hydaspes schlängelt sich raschen Laufes in vielen Windungen dahin , während die vielen , von Booten belebten Canäle rnhiges Wasser haben . Einen lieblichen Anblick gewähren die Land - Häuser , die zumeist von riesigen Platauen beschattet sind . Srinagar ist von früheren Reisenden als ein Venedig des Morgenlandes bezeichnet worden , aber in Bezug auf die Landschaft und die Aussicht kann die verfallene Lagunenstadt an der Adria gar keinen Vergleich aushalten mit dieser „ Perle von Kaschmir " .
Lejean besuchte deu englischen Residenten Cooper , welcher ihn noch an demselben Tage beim Maharadscha vor - stellen wollte , denn Abends war große Tafel bei Hof uud brillantes Nachtfest . Die Eingeladenen fuhren in Barken bis ans Schloß und stiegen dann die mit Fackeln beleuchtete Treppe hinan ; diese hatte einige Aehnlichkeit mit einem Vene - tianischen Traghetto . In den Vorsälen , bis zum Empfang - saale , waren Sipahis nebst ihren Offizieren in doppelter Reihe aufgestellt . Lejean wurde erst dem Sohne des Herrschers , darauf dem Maharadscha selber vorgestellt . Dieser Rambir Singh , ein hochgewachsener schöner Maim von einigen zig Jahren , hat würdige , höfliche Manieren , und sein an - genehmes BeHaben macht den besten Eindruck ; man sieht ihm äußerlich nicht an , was eigentlich in ihm steckt , und diese Bemerkung paßt auch auf die meisten anderen Radschas und
Globus XV . Nr . 3 . ( Februar 1869 . )
hohen Edellente Indiens . Rambir ist der Sohn des Golab Singh , welchem die Engländer , nachdem sie das Reich der Sikhs erobert , das schöne Kaschmir überantworteten .
Dieser Golab Singh war ein rechter Halunke und Leuteschinder . Nachdem er seilte wüste Seele ausgehaucht , verkündeten die Priester , daß dieselbe vermöge der Seelen - Wanderung nun in dem Leibe einer Bieue wohne . Böse Zungen bemerkten , das sei eine vollkommen passende Woh - nuug für ihn , denn bei Lebzeiten habe er Alles ansge - sogen und viel Honig eingetragen . Nach Verlauf einiger Zeit verbreitete sich im Palast eine Kunde , welche eine ge - waltige Aufregung hervorbrachte . Jene Biene war eines fchönen Tages über das klare Wasser des Hydaspes allzu nahe hingestreift , uud da war plötzlich eiu Fisch aufgetaucht und hatte sie geschnappt . Nun steckte Golab Singh's Seele in dem Fische . Die Schriftgelehrten hielten dauu lauge und ernste Berathungen ; es wurde ermittelt , daß die Seelenbiene zwischen der ersten und zweiten Brücke hinweggeschnappt worden sei , und deshalb erließ Rambir einen Befehl , demge - mäß auf der Strecke zwischen den beiden Brücken kein Fisch gefangen werden darf . Es wäre ja entsetzlich , wenn die Seele des Maharadscha in den Leib irgend eines Rindfleisch uud Fisch essenden , Bier trinkenden Engländers überginge !
Rambir giebt überhaupt mauche Verorduuugeu , die einem Europäer einigermaßen sonderbar vorkommen . Als vor nun etwa fünf Jahren die Zahl der Touristen wuchs , nahmen dieselben dann und wann auch einige Landesprodncte mit sich über die Grenze . Damit war der Maharadscha nicht einverstanden , und deshalb veröffentlichte Seine Hoheit , auch in englischer Sprache , ein Decret folgenden Inhalts :
„ Nowomen orno mares are allowed to be brought out of the Maharadschas territory without a special leave from Iiis Iiighness or his officers . "
Also Frauen und Stuten dürfen ohne besondere Erlaubniß nicht über die Grenze ausgehen . Diese Zusammen - stellnng ist recht zart . Die kaschmirischen Pferde find von gutem Schlage ; über die Schönheit der Frauen konnte sich der Reisende sofort auf dem Hofballe , wenn der Ausdruck paßt , ein Urtheil bilden . Bei dem Feste fehlten natürlich die Bayaderen nicht , und die schönsten unter diesen Tän - zerinnen waren „ nach Hose befohlen worden " , wie man in Europa sich ausdrücken würde . Es waren ihrer etwa zwanzig ,
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