kr Mutter -
Je 14 .
Mit besonderer Herücksicktigung äer Antkroxologie unü Gtknologie .
In
Verbindung mit Fachmännern und Künstlern herausgegeben von Karl A n d r e e .
? Ü ) uU Monatlich 4 Nummern . Halbjährlich 3 Thaler . Einzelne Nummern , soweit der Vorrath reicht , g . 4Sgr . 1870 .
Mittheilungen aus Japan .
Literatur der Japaner . — Volksbücher . — Declamatoren und Sängerinnen . — Romantische Sagen und Heldenerzählungen . — Verehrung alter Bäume . — Bäume und Thiere haben eine Menschenseele . — Kanasawa . — Eine japanische Herberge .
Die Japaner haben außer ihrer gelehrten Literatur auch eine ungemein ausgedehnte und umfassende Volksliteratur . Von uns ist schon früher einmal darauf hingewiesen worden , daß sie auch Uebersetzuugen europäischer Werke besitzen , nament - lich über Länder - und Völkerkunde , Astronomie , über fast alle Zweige der Naturwissenschaften , Medicin und Kriegskunst . Die Bücher finden bei der Lust zum Lesen , welche bei allen Classen angetroffen wird , einen großen Absatz und sind er - stauulich wohlfeil . Selbst die Soldaten auf der Wache lesen , ebenso Frauen , Mädchen und Kinder auch der unteren Staude . Zahlreich sind die Encyclopttdien , die Werke über Künste und Gewerbe , Atlanten und Städtepläne , und die meisten Bücher sind reich mit Illustrationen versehen , die mehr oder weniger künstlerischen Werth haben . In den Werken über die Landesgeschichte fehlt eine bildliche Darstellung des Mi - kado nicht ; aber allemal so , wie er in alten Zeiten gewesen ist . Diese Zeichnung scheint traditionell zu sein . ( S . 214 . )
In der Romanliteratur , iu Novellen und Erzählungen unterscheiden die Japaner zweierlei Arten von Stil . Ein poetisch oder lyrisch begabtes Volk sind sie nicht , aber an Phantasie fehlt es ihnen keineswegs ; ihre Bilder zeigen , daß sie sich tu phantastischen Auffassungen gefallen und bildliche Allegorien sehr lieben . So stellen sie auch die beiden Stil - arten allegorisch dar . Der noble Stil schauet , wie unsere
Globus XVII . Nr . 14 . ( Mai 1870 . )
Illustration zeigt , hochnäsig und vornehm in die Welt hin - aus und giebt sich eine vornehme Miene ; der populäre Stil hat ein krankes Bein , stützt sich aus einen Krückstock und sieht dreist und etwas grimmig aus .
Das Volk läßt sich gern Geschichten erzählen . Sobald in Yeddo die Tagesarbeiten eingestellt worden sind ititb die Handelsgeschäste ruhen , finden sich aus Kreuzwegen und bei den Werften Gruppen von Männern , Frauen und Kindern zusammen und bilden einen Halbkreis um ein an der Mauer aufgeschlagenes Gerüst , auf welchem ein Erzähler von Hand - werk steht , ein Declamator , wie wir sagen würden . Er trägt seine Sachen mit viel Emphase vor , während seine Mimik eine sehr gemessene ist . Die Rede unterbricht er manchmal , um eine Tasse Thee zu trinken und ein paar Züge aus seiner Tabackspseise zu thuu . Während einer solchen Pause rauchen auch seine Zuhörer , machen Scherze und nn - terhalten sich über das , was der Declamator gesagt hat . Bald nachher macht dieser eine Verbeugung vor seinem hochver - ehrten Publicum und erzählt seine Geschichte weiter oder fängt eine neue an .
Sehr häufig treten auch Sängerinnen auf . Sie geben unter der Veranda eines Theehauses , im Hose der Herbergen oder anchZanf einem freien Platze ihre Romanzen oder Eou - plets zum Besten . Eine Sängerin , welche allein ihre Vor -
27