Globus.
Illustrirte
Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde
mit
besonderer HemeKsichügung der Anthropologie und Etbnologle.
Begründet von Aarl Undree.
In Verbindung mit Fachmännern
herausgegeben von
Dr. Kichard Kiepert.
Bierunddreißigster Band.
Granu schweig,
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn.
18 7 8.
Inhaltsverzeichnis
Das europäische Wildpferd und dessen Be-
Ziehungen zum domestieirten Pferde. Von
A. Ecker 8. 23. 39. Zauberformeln bei
Serben und Deutschen 112. Verbin-
dung^ der spanischen und algerischen
Triangulation 352.
Deutschland. Havelaeque über die ethno-
graphischen Grenzen der Deutschen 13.
Lebten zu Cäsar's Zeiten Renthiere im
hercynischenHWaldeVon Dr. Alfred
Mehring 91. 108. 'Die deutsche Grad-
abtheilungskarte 110. Busch's statistische
Karte des Deutschen Reiches 110. Mit-
theilungen des Vereins für Erdkunde zu
Leipzig für 1877 110. Deutscher Palä-
stina-Verein III. Hamburgs Handel in
den letzten Jahrzehnten 252. Mitthei-
lungen des Vereins für Erdkunde zu
Halle 255. Untersuchung des Bodensees
352. Neue geographische Monatsschriften
352. Die Reiseliteratur Deutschlands
352.
Oesterreich-Ungarn. Bergbau- und
Neue Linie des österreichischen Lloyd 267.
Die Wahrsagekunst der Chaldäer. Von
Richard Andree 287. von Horck's
projectirte Reise an den Küsten Asiens
und Amerikas 318.
Türkisches Vorderasien. Rassam's
assyrische Ausgrabungen 46. 236. 269.
C. Favre's und B. Mandrot's Reise
in Kilikien 1874 71. 231.283. Die neue
russisch-türkische Grenze in Asien. Von
Heinrich Kiepert 102. Cypern 105.
124. Deutscher Palästina-Verein III.
Meine zweite Reife auf Cypern im Früh-
jähr 1873. Von Dr. P. Schröder
135. 152. 168. 183. Handel und Ver-
kehr der Euphrat-Tigris-Länder 157.
Die Kohlenbergwerke von Heraklea 200.
Cameron nach Kleinasien 207. Schlie-
mann's Ausgrabungen 207. Ein- und
Ausfuhr von Cypern 253. 382. Auf-
nähme von Cypern 269. Erste Zeitung
auf Cypern 269. Der wahre Berg Sinai
269. Auswanderung aus Armenien 269.
Cameron's Reise durch Vorderasien 303.
Leben und Gewohnheiten der Fellahs in
Palästina 359. 376. Aus dem Nord-
westen von Kleinasien 378.
Arabien. Aus und über Arabien V.
Von A. Zeh nie 56.
Ruffifch-Asien. Verbindung mit dem
Norden Sibiriens 96. Russische Gesell-
schaft zur Eröffnung des Handelsverkehrs
zwischen Rußland und Sibirien 110.
Expedition nach der Wasserscheide zwischen
L u r o p a.
Hüttenproduction 203. Eisenbahnen 203.
Meyer's Reisehandbuch für die Deutschen
Alpen 207. Slavische Propaganda bei
den Slovenen 207. Zur Ethnographie
der Donauländer. Von Heinrich Kie-
pert 215. F. Löwl, Aus dem Ziller-
thaler Hochgebirge 255. Goldsund in
Galizien 255. Neue Linie des österreichi-
schen Lloyd 267. Vollendung des Schein-
nitzer Abzugsstollen 352.
Schweiz. Auswanderung 267. Jllustnrte
Wanderbilder 349.
Dänemark. Meliorationen 255.
Schweden. Handel, Schiffsverkehr,Ernte,
Eisenbahnen, Fischerei, Forstwirthschast
und Bevölkerung im Jahre 1877 381.
Britische Inseln. Schuchardt über das
Verhältniß des Kymrischen zum Eng-
lischen 46. Versorgung Großbritanniens
mit Nahrung von dem Auslande 253.
Arbeiten des anthropologischen Instituts
von Großbritannien und Irland 346.
Bevölkerung von St. Kilda 352. Schiff-
U s i e n.
Ob und Jenisei 111. Verkehr zwischen
deutschen Seeplätzen und Sibirien 271.
272. Die. Nordensköld'sche Expedition
längs der Nordküste Asiens 271. 303.
318. 335. — Einbruch des Amu-Darja in
sein altes Bett 318. Die neugebildete
Provinz Batum 304. Weitere Durch-
sorschung des Kaukasus 269. Ausstel-
lung in Taschkend 269.
Türkische Chanate. Butler's Reise
im Turkmanenlande III. Russische Ex-
pedition nach Buchara 111. Oschanin's
Expedition nach Karategin 334. 348.
Reisen russischer Offiziere in Centralasien
367. Rückkehr Sjäwertzow's von Pamir
368.
Persien. Lage der Bevölkerung in Ghi-
lan 254.
Afghanistan. Schir Ali 302.
Ostindien. Zeitungswesen in Britisch-
Indien. Von Emil Schlagintweit
11. 29. Religionen 46. Graf Szechenyi's
Expedition in Sikkim 47. Hungersnoth
in Kaschmir III. Ostindifches Handwerk
und Gewerbe von F. Jagor 207. Geo-
graphische Länge indischer Stationen 208.
Verkehr zwischen Indien und China 254.
Wirtschaftliche Lage von Ceylon im
Jahre 1877 268. Telegraphischer Ver-
kehr in Indien 383. Gold in Wainad
384.
Hinterindien. A. Bastian's Reife nach
Hinterindien 47. Panthays in Birma
47. Der Maharadfchah vor Dschohor
sahrtsbewegung in den Häfen Großbri-
tanniens 382. Verkehr mit Ostende 382.
Frankreich. Dänifche Ortsnamen in der
Normandie 46. Geographischer Kongreß
in Paris 46. 110. 256. Pariser Gesell-
schaft für polnische Anthropologie und
Ethnographie 110. Handel Frankreichs
und Seeverkehr Marseilles 253. Elisee
Rselus 256. Schotten in Frankreich 352.
Rußland. Gesellschaft zur Eröffnung
des Handelsverkehres zwischen Rußland
und Sibirien 110. Skizzen aus Süd-
rußland. Nach de Mely 257. 273. 289.
Prschewalski 352.
Balkanhalbinsel und Griechenland.
Geologische Karte von Nordgriechenland
46. Die neuen Staatengrenzen auf der
Balkanhalbinfel. Von Heinrich Kie-
pert 86. Wirtschaftliche Lage von Bos-
nien 253. Ausdehnung des lateinischen
Alphabets 352. Schulwesen in Alt-Ser-
bien 352.
III. Die Garo-, Khassia- und Naga-
Völker an der indisch-birmanischen Grenze.
Von Emil Schlagintweit 262. 279.
295. Schiffsverkehr von Singapur 268.
Handel von Bangkok im Jahre 1877 383.
China nebst Vasallenstaaten. Nach-
richten von Prschewalski 14. 46. Nach-
richten von Potanin 14. Ethnographische
und archäologische Daten über tibetische
Priesterstempel. Von Hermann von
S ch l a g i n t w e i t - S a k ü n l ü n s k i 44.
Von S ir F o r s y th 's Gesandtschaftsreise
nach Kaschgar 49. 65. 81. 97. 113. 129.
145. F. v. Richthofen's Bemerkungen
zu Prfchewalski's Entdeckung des Lob-
nor 139. Einfuhr chinesischer Banmwoll-
waaren in China 254. Die Straßen
Jünnans 255. Schiffsverkehr von Takau
und Taiwan 268. Die Chinesen in Kasch-
garien 269. Prschewalski's Reise nach
Tibet 269. Aus der chinesischen Mär-
chenwelt 347. Das Auftreten von Bor-
Verbindungen in Tibet. Von Hermann
v. S chlagintw eit-Sakünlünski363.
Chinesische Kandidaten 368. Nachrichten
aus Korea 47.
Japan. Telegraphen 47. Waldschutz 47.
Fremde Zeitungen 47. Erdbeben 47.
Kjökkenmöddinger 208. Petroleum 208.
Handelsnotizen 268.
Ostasiatischer Archipel. Annexion Su-
lu's durch Spanien 318. v. Rosen-
berg, Der Malayische Archipel 318.
VI
Inhaltsverzeichnis
Karte von Afrika auf der Pariser Welt-
ausstellung 15. Der afrikanische Ueber-
landtelegraph 15. Neue Reisewerke über
Afrika 176. Die Expeditionen der afrika-
nischen Gesellschaft in Deutschland 361.
Der Norden (Algerien, Tunesien, Tri-
politanien, Sahara). Verbindung der
spanischen und algerischen Triangulation
352. Eisenbahnen in Tunesien 48. 383.
Italienische Interessen in Tunesien 269.
Chavanne's Sahara 270. Rohlfs'
afrikanische Reise 43. 269. 361.
Aegypten. Die Nil-Ueberschwemmung 15.
304. 319. Gessi's Reise gescheitert 47.
Schweinsurth's Reise in die arabische
Wüste 47. Nachrichten aus der ägypti-
schen Aequatorialprovinz 270. Verwen-
dung zahmer Elephanten ani obern Nil
270. Fortdauer des Sklavenhandels 304.
E. Marno's Reise in der Aequatorial-
provinz 319.
U f r i k
Abessinien. Hungersnvth 142. Poli-
tische Verhältnisse 319.
Der Osten und das Innere. Mar-
tini's Reise 47. Expedition des African
Exploration Fund unter Johnston 47.
319. Die Mission der Church Missio-
nary Society 48. Die internationale
Expedition in Ostafrika 142. 319. Dr.
Junker's Rückkehr aus Centralafrika 256.
Die algerische katholische Mission nach
Jnnerasrika 304. Stanley's letzte
Forschungsreise durch Afrika (1874 bis
1877) 305. 321. 337. 353. 369. Missio-
när Wilson bei König Mtesa in Uganda
319. 380.
Der Süden. Straußenzucht im Caplande
15. Walsisch-Bay englisch 15. Zustände
in der Delagoa-Bay 16. 270. Mohn-
anbau in Mozambique 48. Rutenberg's
Reisen in Südafrika und Madagaskar
142. Holländer und Engländer in Süd-
afrika 201. Wasserdämme im Oranje-
Freistaate 208. Katholische Mission am
Zambesi 319. Puppe der Fingo-Mäd-
chen 320. Annection des Pondolandes
durch England 320.
Der Westen. Soleillet's Reise nach
Timbuktu 15. 320. Die Kru-Neger 15.
Soyaux nach dem Ogowe und Gabun
48. Dr. Buchner nach der Hauptstadt
des Muata Jamwo 142. Major von
Mechow nach dem Quango 142.
Schütt's Aufnahmen und Reisen in
Angola 142. Mission am untern Congo
268. Expedition der Cliurch Missio-
nary Society nach dem obern Binuö
208. O. Lenz, Skizzen aus Westafrika
304. Angeblicher Tod des Reifenden
de Semelle 304.
Inseln. Erforschung von Sokotora 304.
Drei madagaskarische Märchen. Von
Felix Liebrecht 366.
Der Kontinent von Australien.
Export von Gartensrllchten 31. Schnellste
Fahrt von London nach Adelaide 31.
Skene's Karte von Australien 32. Die
Wörter Australien und Polynesien 112.
Neues Kabel zwischen Singapur und
Australien 192. Kamele in' Australien
240.
Westaustralien. A. Forrest's Reise 336.
Südaustralien. Chinesen 31. Schul-
zwang 32. Statistisches. Guano. Vieh-
zucht. Sprachliches 239. Karte der Co-
louie 240.
Victoria. Goldfelder31. Besteuerung des
Weidelandes. Bevölkerung. Schulunter-
richt 32. Annexion von Neu-Guinea
144. Eisenbahnen. Verlaine Ehegat-
ten 240. Tod des Begründers der Co-
lonie 336.
Queensland. Chinesen und deren Be-
steuerung 31. 240.
Der Norden. Sergison's Reise im Nor-
thern Territory 143. Favence's Expe-
bitton nach Port Darwin 336. Vieh-
trieb nach dem Northern Territory 336.
Kleinere Znseln des Stillen Hceans.
Aufnahmen der „Alert" im südlichen Stil-
Im Ocean 239.
Englische Kolonien. Zustände auf
den Fidschi-Inseln 31. Erze auf Tas-
manien 32. Census von Neuseelaud 240.
N e u - G u i n e a. Mac Farlane's Reise von
1877 62. Goldie's Entdeckung von Gold
144. Beabsichtigte Annexion von Neu-
v. Horck's projectirte Reise an den Küsten
Asiens und Amerikas 318.
Canada. Das canadische Büsfelgefetz 16.
Schifffahrt, Fischerei und Einwanderung
267.
Vereinigte Staaten. Die Bradsor-
der Oelregion 16. John C. Fremont 80.
Neuere Forschungen am untern Colo-
rado. Von F. Ratzel 118. Nationali-
tätsstatistik der Einwanderer in den Ver-
einigten Staaten 142. Zustände im Pe-
troleum-Gebiete von Pennsylvanien 142.
Vorurtheile gegen das Waschen 128. Ba-
stian's „Kulturländer des alten Amerika"
224. Das Trinken der mittel- und süd-
amerikanischen Indianer 239.
Columbia. Edouard Andre's Reisen im
nordwestlichen Südamerika 1875 bis
1876 161. 177. 193. 209. 225. 241.
Venezuela. Dr. Carl Sachs' Reise
in Venezuela 247. 265. 297. 331.
Guinea durch Australien 144. Die Motu
auf Neu-Guinea 186. Goldsucher 191.
d'Älbertis Rückkehr aus Neu-Guinea 192.
Rassray's Reise 336.
Melanesien. Vulcanismus auf Neu-
Britannien 79. Beabsichtigte englische
Besitznahme der Neuen Hebriden 176.
Erdbeben auf Tanna 239.
Nordamerika.
Acelimatifation in Kalifornien 143. Die
Vermessung der amerikanischen Territo-
rien 192. Angebliche Civilisirung der
Indianer 224. Guano in Texas 224.
Der Hafen von San Diego 224. Vol-
lendung des Sutro-Tunnels 239. Baum-
wolleuernte. Eisenbahnen 268. Bevöl-
kerung und Export von Oregon 268.
Schieneneinfuhr 384. Hochöfen 384.
M i t t e l a m e r i k a n i f ch e Republiken.
Deutscher Handel an der Westküste Mexi-
cos 80. Grenzvertrag zwischen Mexico
Südamerika.
Guyana. Einwanderung von Britisch-
Guyana 384.
Brasilien. Selsridge's Aufnahme des
Amazonenstromes 143. 320. Nordameri-
kanische Expedition nach Brasilien und
Bolivien 336. Statistisches aus Colonie
Blumenau 384. Außenhandel von Bra-
filtert 384.
Paraguay. Die Payaguas-Jndianer 95.
Argentinien. Viehzucht am La Plata
Mikronefien. Die Mission in Mikrone-
sien. Von F. Birgham 64. Finsch's
Reise nach Mikronefien 239.
Polynesien. Zustände und politische Ver-
Hältnisse der Samoa-Inseln 32. 160.
Die Gambier-Inseln 80.
und Guatemala 93. Fortschritte im Hau-
del, Produktion, Communicationswe-
gen :c. in Mexico 93» 94. Acapulco 94.
Die Truppen der Republik Nicaragua
94. Dampferlinie zwischen Genua und
Mexico 143. Schutzbündniß zwischen
Nicaragua und San Salvador 143. Ca-
nal durch den Isthmus von Darien 143.
Aus- und Einfuhr Guatemalas 268.
Inseln. Administrative Einteilung von
Euba 143. Zustände auf Hayti 320.
80. Gold in Patagonien 80. Eifenbah-
nen 268. Vorschiebung der Indianer-
grenze 336.
Feuerland. Wörterbuch der Pescheräh-
Sprache 363.
Peru. Aus Charles Wiener's Reise
in Peru 1. 17. 33. Zur physikalischen
Geographie von Peru. Von Prof. A.
Raimondi 153. 173. Zahl der Berg-
werke 239.
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VIII
Beamte des Dadkwah von Jarkand 85.
Jarkander Dame 98.
Straße in Jarkand 99.
Ansicht von Jarkand 100.
Jarkander Kaufleute 101.
Das Thal von Jarkand 114.
Thor der neuen Stadt (Jangischahr) bei
Kaschgar 113.
Chapman's Zimmer im Hofe der Gesandt-
schast 116.
Kaschgar. Ansicht der Ruinen der alten
Stadt 117.
Musicirende Derwische in Kaschgar 130.
Höflinge des Emir Jakub-Chan 131.
Mausoleum des Sultans Satuk-Bogra-
Chan in Artusch 132.
Kirghizenlager im Thale Tigarmatti 133.
Hazrat-Asak's Mausoleum bei Kaschgar 134.
Musikanten des Emir 146.
Frauen von Kaschgar 147.
Kinder in Jangi-Hissar 143.
Ansicht der Pamir von Jangi-Hissar aus
149.
Ein kaschgarischer Falkonir 150.
Der Victoria-See auf Pamir 151.
Afghanistan.
Schir Ali mit Gefolge 303.
Afrika.
Stanley's Reise 1874 bis 1877.
Stanley vor seiner Reise 306.
Sultan Bargasch 307.
Der Bootführer Uledi und Manwa Sera
303.
Transport des Bootes „Lady Alice" 309.
Die Expedition in Rosako 310.
Das Lager in Mpwapwa 311.
Wanjamwezi-Träger 322.
Bemannung der „Lady Alice" 323.
Die Brückeninsel 324.
Empfang durch die Leibgarde des Kaisers
Mtesa in Usavara 325.
Mtesa und seine Würdenträger 326.
Drei Frauen von der Expedition 338.
Bilder aus Ukerewe 339.
Der Ausfluß des Victoria-Njanza und die
Ripon-Fälle 340.
Ansicht der Ripon-Fälle von Uganda aus
341.
Der Napoleon-Canal im Victoria -Njanza
von den Höhen über den Ripon-Fällen
342.
Eine der großen Seeschlachten zwischen den
Waganda und den Wavuma im Eanal
zwischen der Insel Jngira und dem Bor-
gebirge Nakaranga 343.
Das schwimmende Fort auf Jngira los-
steuernd 344.
Hütten im östlichen Eentral-Afrika 354.
Rubaga, Mtesa's Hauptstadt 355.
Audienzhalle Mtesa's 356.
Ma-ur-uguugu gelobt, daS Land Namion-
dschu's „aufzuessen" 357.
Musikalische Instrumente 358.
Waffen 370.
Hütte und Hausgeräthe von Uzimba und
Ankori 371.
Jnhaltsverzeichniß.
Afrikanische Eanoes und Ruderboote 372.
Die drei Kegel des Usumbiro-Gebirges von
dem Berge in der Nähe der heißen Quel-
len von Mtagata aus gesehen 373.
Rüstkammer, Massen und Schätze Ruma-
nika's 374.
Einer von den Leuten Mirambo's (ein
Ruga-ruga), ein Mtuta und ein Mann
von Uhha 375.
Australien und Inseln des Stillen
Oceans.
Tättowirtes Motu-Mädchen von Neu-Gui-
nea 187.
Nordamerika.
Bilderschrift der Azteken 10.
Südamerika.
Peru.
Charles Wiener's Reise.
Fries von den Ruinen am Berge Chucana 3.
Zählbrett, in Chucana gesunden 3.
Ansicht von Cabana 4.
Pashash 4.
Sonne in Basrelief 5.
Erhaben gearbeitete Köpfe aus Pashash 5.
Granitkopf aus Pashash. eingemauert in
die Umfassungsmauer des Kirchhofs und
jetzt herausgefallen 5.
Steinbild eines Kriegers 5.
Plan der drei Acequias 6.
Profil der drei Acequias 6.
Die Lagune von Tuctucocha 7.
Auf dem Huaullang (bei Ureon) gefundene
Basen 18.
Der Platz von Andaymayo 19.
Ein Grabthurm und ein Mausoleum von
Sipa 20.
Senkrechter Durchschnitt eines Grabes auf
dem Berge Sipa 20.
Unterirdische Canäle auf dem Berge Sipa
20.
Indianische Musikanten auf dem Markt-
platze von Pomabamba 21.
Orientirte Steine vom Berge Chnlluc 22.
Dolmen vom Berge Chulluc bei Bilca-
bamba 22. 23.
Criados-Jndianer in Huari, den Namens-
tag ihres Herrn feiernd 34.
Kops aus «Sandstein in der Mauer des
Kirchhofs von Huari 35.
Prismatischer Monolith in den Ruinen
von Chavin de Huantar 35.
Brücke über den Rio Mariash bei Chavin
de Huantar 36.
Basrelief an der Brücke von Chavin de
Huantar 37.
Basen aus Chavin de Huantar 38.
Der Tempel von Huanaco Biejo 39.
Columbien.
Edouard Andrs's Reise.
Ein mit Carate behafteter columbifcher In-
dianer 23.
Ankunft in Billavicensio 162.
Anthurium Dechardi 163.
Fällen der Cornetos 164.
Das Gehöft Banguardia 165.
Hacienda Cumaral 166.
Werkzeuge -(pala und barreton) und Stuhl
in Cumaral 167.
Churoyes-Judianer 178.
Das Salzwerk von Upin 179.
Philodendron gloriosum 180.
Laboratorium in den Llanos 181.
Früchte der Corneto-Palme 132.
Kaffeepflanzung in den Llanos 194.
Graswuchs in den Llanos. Garrapatg-
ros-Falken 195.
Junge Bogotanerin im Putz 196.
Plan eines Bogotaner Gartens 197.
Der Tequendama-Fall 198.
Begonia magnifica 199.
Wald von Baumfarnen 210.
Aechmea columnaris 211.
Die Brücke von Jcononzo 212.
Jean Noetzli wird in die Schlucht des
Sumapaz hinabgelassen 213.
Der Zeichenselsen von Pandi 214.
Cruz de Mayo bei Panche 226.
Ameisenhaufen 227.
Trapiche (Zuckermühle) 223.
Zuckerkochen in Panche 228.
Straße in Guataqui mit der Kirche 229.
Inneres der Kirche von Guataqui 230.
Großer Ameisenhaufen am Rio Opia 242.
Jagd auf der Savane von Piedras 243.
Kirche des Dominikaner-Klosters in Jbague
244.
Die Wachspalmen (Ceroxylon Andicola)
des Quindio 245.
Caballo de palo (Proscopia scabra)
246.
Karten, Pläne und Profile.
Wiener's Reife im peruanischen Departe-
ment Ancachs 2.
Die neuen Staatengrenzen auf der Balkan-
Halbinsel. Bon Heinrich Kiepert
87.
Die neue russisch-türkische Grenze in Asien.
Bon Heinrich Kiepert 103.
Skizze eines Theils vom südöstlichen Cali-
formen, die Depression in der Colorado-
Wüste darstellend 119.
Profil vom Colorado-River nach Dry
Camp längs des New River 120.
Felskammer auf dem Berge Rani auf Cy-
Peru 154.
Ruinenfeld bei der Panagia Pergamitiffa
154.
Plan von Rizokarpafo 169.
Vorgebirge des Apost. Andreas 172.
Umgegend von Galinoporni 184.
Plan der Kale bei Galinoporni 134.
Karte von Favre's und Mandrot's Reise
in Kilikien 233.
Isothermen des Januar 314.
Isobaren des Januar 315.
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Mnst für Jdttder
Band XXXIV.
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.Fl.
Mit besonllerer Derücksicktigung üer Anthropologie unä Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
itrt frhvnotn Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 Q *7 Q
l a im | a)UHig m Preise von 12 Mark pro Band ZU beziehen. 10 'ö'
Aus Charles Wiener's Reise in Per» und Bolivien.
(Die Bilder sind nach Wiener's Skizzen und Aquarellen gefertigt.)
Der französische Minister des öffentlichen Unterrichts
beauftragte am 9. Juli 1875 den Gelehrten Charles Wiener
mit einer vorzugsweise archäologischen Forschungsreise in dem
alten Jnca-Reiche, welche von der sogenannten „Commission
des voyages et missions" für nützlich und wünfchenswerth
erklärt worden war. Es ist das ein Ausschuß von Fach-
lenten, welcher jenem Ministerium zur Seite steht und in den
wenigen Jahren seines Bestehens — er wurde iu Folge
eines Antrags des Senators Edouard Chartou vom 15. De-
cember 1873 ins Leben gerufen — fchon eine überaus rege
Thätigkeit entfaltet und zahlreiche Reisen im Interesse der
verschiedensten Wissenschaften veranlaßt hat. Die wissen-
schaftlichen Ergebnisse der Wiener'schen Mission, welche in
die Jahre 1875 bis 1877 füllt, sollen in einer Monographie
über die Ureinwohner niedergelegt werden, welche vor Ankunft
der Spanier die Abhänge, Thäler und Hochebenen der Andes
Zwischen dem fünften und funfzehuteu Grade südlicher Breite
besetzt hielten, während die folgenden Zeilen nnr eine Episode
aus der Reise vorführen, welcher archäologische Forschungen
m der brasilianischen Provinz Santa Catharina, ein Ansslug
uach Chile und eine über 600 Wegestunden lange Küsten-
Wanderung von Lima bis Trujillo, von da nach Cajamarca
und bis an die Grenze des Departements Ancachs voraus-
gegangen waren. Die zu erzählende Reiseepisode selbst umfaßt
nur etwa 60 Wegestunden in dem schönen großartigen itub
traurigen Lande, und niedergeschrieben wurde sie an Ort und
totrWo mitunter während strömenden Regens, wobei der
Dattel dem Reisenden als Tisch diente und sein Maulthier-
Globus XXXIV. Nr. 1.
treiber ihn mit bcm ausgebreiteten Poncho zn schützen suchte.
Wenn er deshalb für seine Auszeichnungen, die wir nicht
wörtlich wiedergeben, anch kein literarisches Lob erstrebt, so
bittet er doch, ihnen volle Glaubwürdigkeit beizumessen.
Hnandoval, wo seine Erzählung beginnt, war für ihn
eine große Ueberraschuug. Er kam von Pallasca, das er
für den traurigsten Ort anf Erden gehalten hatte — aber
Huandoval übertraf ihn noch. Unförmliche Hänfen von
Ziegeln, welche die Aprilfonne getrocknet und die October-
regen in eine feuchte Masse verwandelt hatten, verfaultes
Stroh der zuckerhntförmigen Dächer, Höfe, vou waukenden
Manern umschlossen, wo kleine schwarze Schweine lnstig
spielten, zerlumpte Menschengestalten und über alle dem
ein trüber regniger Himmel — schlechte Aussichten für einen
von Strapazen und Hunger mitgenommenen Reisenden. Auf
seine Frage uach dem „Tambo", der Herberge, deren sich
einige bevorzugte Orte Perus erfreuen, erhielt er die ständig
wiederkehrende Autwort „manan cashn" (es giebt keinen).
Schon in Europa fiud kleine Orte schrecklich; wie viel mehr
in den Andes, wo eine äußerst geringe Bevölkerung iu fast
vollständiger Abgeschlossenheit von der übrigen Welt lebt, wo
alle Lebensbedürfnisse fast ausschließlich durch persönliche
Arbeit erzeugt werden, wo kein Tauschhandel die Anzahl
derselben vergrößert, und wo keiner jener Triebe wirkt, die
uns Europäer zum Arbeiten veranlassen. Die Folge davon
ist eine erstaunliche Armuth und ein Gleichmut!) gegenüber
solch hartem Loose, der dem Europäer gefällt, wenn er anch
mitunter wenig Sympathie antrifft. Es ist aber oft mehr
Aus Charles Wiener's Reise in Peru unö Bolivien.
Furcht und Scheu vor den eigenen ungenügenden Hülss-
Mitteln als böser Willen, welcher den Eingeborenen bewegt,
einem Fremden Unterkunft und Nahrung zu verweigern.
Vergeblich versuchte Wiener ein Obdach aufzutreiben. Der
Geistliche und die staatlichen Beamten des Ortes waren ins-
gesammt über Landes gegangen; und als die Leute sahen,
daß der Fremde vergeblich bei jenen anklopfte, so hielten sie
auch sich selbst nicht für verpflichtet, ihm die Thür zu öffnen.
Als alles Klopsen vergeblich blieb, setzte Wiener seine Reise
durch Nacht und Regen nothgedrnngen fort; denn als ein-
zelner Mann zumal iu Abwesenheit der Behörden sich mit
Gewalt Einlaß zu erzwingen, erschien ihm bei jener eigen-
I.qnß.0.3c Pari.'. 28° 5S>'
Grave pa
Wiener's Reise tut peruau
thümlicheu Jndianerrace unthuulich. Zttnt Glück stieß er
alsbald auf cht juuges Weib, welches erfrorene, schwarze
Kartoffeln kochte, wie man sie im Innern unter dem Namen
chuuo ißt; als dieselbe aber auf sein Bitten, ihm einige zu
verkaufen, kurz mit „Manan cashu" antwortete, riß ihm
die Geduld. Er fpraug vom Pferde, füllte sich die Taschen
mit den Knollen an und schob der Besitzerin ein Vierrealen-
stück, wohl das Zwanzigfache des Werthes der Kartoffeln,
iu die Hand, worauf diese lächelnd mit einem „Vergelt's
Erhard
chen Departement Aneachs.
Gott" dankte. Dann setzte er mit seiuem Dieuer die Reise
fort. Bald darauf, kaum eine Viertelstunde vom Orte ent-
fernt, zeigten sich beim ersten Schimmer des Moudes die
vielkantigen Umrisse einer großen Ruhte und an derselben
ein Schirutdach. Es war etuc pascana, b. h. eine Hütte
aus Schilf mit Strohdach, wie sie den Maulthiertreibern zur
Unterkunft dient, welche von Hnalgaioec oder Pasacancha
Silbertransporte an die Küste bringen. Die Hütte war nur
von einer Schar Htmde besetzt, die vor Wiener's Peitsche
$9'
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© Capital de Ppovmcia ( Sous pntyccUu-e/)
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ITINERAIRE
aipave^s
IE. DEPARTEMENT D'ANCACHS(PERQU
Dpesse par
M. Cli. Wiener
K chelle de löaoniet.
Aus Charles Wiener's R«
rasch das Feld räumten. Bald waren die Maulthiere ab-
geladen, ein Feuer angezündet und ein landesübliches „chupe"
bereitet, diesmal freilich nur aus Regenivasser, erfrorenen
Kartoffeln und etwas spanischem Pfeffer, während in Lima
wohlschmeckende Krabben seine Grundlage bilden. Als Lager
diente der „pellon", ein langhaariger Teppich, welcher über
den Sattel gedeckt wird, als Kopfkissen letzterer selbst.
Am Morgen weckte sie der Geistliche des ungastlichen
Huaudoval, der von seinen Pfarrkindern die Durchreise des
Fremden vernommen und sich nun beeilt hatte, ihm seine
Gastfreundschaft anzubieten und die Ruinen am Berge Chn-
cana zu zeigen.
Hnandoval war nicht immer ein so elendes Nest wie
heutzutage. Die alte Stadt, welche südöstlich von der jetzigen
liegt, hatte einen großartigen Anstrich wie alle Monumente
aus der Jnca-Zeit. Ihre steinernen Mauern waren Ulit
granitenen Friesen geschmückt und über den Simsen waren
grinsende Menschengesichter m Relief angebracht. Die da-
Mals herrschende Ordnung in allen Dingen steht mit der
Fries von den Ruinen am Berge Chucana.
Mit seinem liebenswürdigen Führer kehrte Wiener nach
Hnandoval zurück, wo erstem erwartet wurde, um eine Messe
der heiligen Rosa zu lesen. Das war keineswegs eine
angenehme Nachricht für den Reisenden, welcher eben von
Pallasca kam, wo ihm das Tanzen und Lärmen, das Trom-
meln »nd Losbrennen der Feuerwerkskörper drei Tage und
drei Nächte hinter einander jede Ruhe geraubt hatte. Und
darum vermochte er auch die Befriedigung des Pfarrers nicht
zn theilen, trotzdem ihm dieser versicherte, daß jenes Fest in
Huandoval einen ganz ausgesprochenen loealen Charakter
bewahrt habe. So war es aber anch der Fall. An die
Kirchenthür gelehnt, beobachtete Wiener die merkwürdigen und
wahrscheinlich alteinheimischen Gebräuche, welche die katholische
Geistlichkeit ihrem Kalender angepaßt hat, um die Gewohn-
heiten der Besiegten mit den religiösen Scrnpeln der Sieger
in Uebereinstimmung zu bringen. Etwa fünfzig Leute,
darunter ein halbes Dutzend Musikanten, brachten einen
Hammel vor die Kirchenthür geschleppt, den sie nmtanzten,
Während ein Mann mit rother Schärpe und einer Axt das
achter festhielt. Nach Beendigung des Tauzes tödtete der
letztere zur großen Freude der anderen das Thier und von
Neuem begann das Tanzen um die Blutlache auf dem Kirch-
Hofe, wozu außer flauta und pita auch die Kirchenglocken
ertönten. Dann lud ein starker Bursche den Hammel auf
seine Schultern; voran schritt der Schlächter, seine blutige
^t schwingend, und nun zog die Procession durch das ganze
Dorf, hielt vor jeder Thür still und begab sich schließlich
zu dem Hause desjenigen, welcher aus Verehrung für die
se in Peru und Bolivien. 3
absoluten Unordnung von heute in: schärfsten Gegensatze.
Damals existirte ein großes Schnldbnch, wovon der Geistliche
dem Reisenden ein merkwürdiges aus Granit gehauenes
Exemplar zeigte. Man könnte dasselbe (f. Fig. 2) für das
Modell einer Festung mit zwei viereckigen Thürmen an zweien
der vier Ecken und mit länglichen oder quadratischen Lagern
dazwischen halten — wie denn A. Bastian, welcher unlängst
die hölzerne Nachbildung einer solchen Antiquität dem Ber-
liner ethnographischen Museum einverleibt hat, dieselbe für
den Reliefplau einer Stadt hält (f. Zeitschrift für Ethnologie
IX, 1877, Heft II, S. 149, und Tafel V, Nro. 15). Der
Ueberliefernng zufolge hätte man nämlich früher mittelst Kör-
nern von verschiedener Farbe die Tribute jedes Stammes
der Huamachncos einregistrirt; jeder Stamm war durch eine
besondere Farbe bezeichnet »nd jede Etage im Zählbrett zeigte
einen zehnmal höhern Tribut an, so daß z. B. ein Korn in
den obersten Eckthürmchen eine hundertmal größere Steuer
bedeutete, als ein Korn in den untersten Kästchen zwischen
den beide» Thürmen.
Zählbrett, in Chucana'gefunden.
heilige Rosa die Kosten des Festes bestritt. Den ganzen
Tag über dauerte Gesang und Tanz an, bis man Abends
beiui Schein der erlöschenden Feuer Männer, Frauen und
Kinder, trunken von Chicha und Rum, durch einander am
Boden herumliegen sah und sie im Schlafe ab und zu einen
rauhen Schrei oder eiu modnlirtes Heulen ausstoßen hörte.
So abstoßend dieser Schluß auch seiu mochte, so lag in den
Gebräuchen doch ein Anklang an alte Sitten, der für den
Reifenden ebenso anziehend wie wichtig für den Archäo-
logen ist.
Nach einer im Hause des Pfarrers gut verbrachten Nacht
brach Wiener am Montag früh nach Cabana auf, welches
vou Huandoval nur durch einen ansehnlichen Berg getrennt
wird; sowohl der Anstieg wie der Abstieg nehmen jeder etwa
eine Stunde in Anspruch. Der in endlosen Windungen
hinaufführende Pfad war von zahlreichen Indianern belebt,
von Männern, die ihre mit großen Flaschen voll Rum bela-
denen Esel vor sich hertrieben, während die Weiber ihre
Kinder auf dem Rücken schleppten und dabei Baumwolle
spannen.
In Raimondi's Werk hatte Wiener Andeutungen über
Ruinen in der Nähe von Cabana gefunden; doch hatte er
dieselben nicht für fo wichtig gehalten, als er sie in der That
fand. Es mögen hier einige Worte über die indianische
Baukunst Platz finden. Es ist durchaus falsch, was manche
„Amerikanisten" behaupten, daß es der peruanischen Archi-
tektnr an Charakter fehle. Arm an Abwechselung, an Unter-
brechnng ist sie allerdings; ohne jeden Vorsprung verlaufen
Aus Charles Wimer's Reise in Peru und Bolivien.
die langen horizontalen Mauern; spärlich sind die Fenster
und klein die Thurm, welche sie durchbrechen. Keine Säule,
keine Statue, kein Fries belebt ihre Einförmigkeit, welche
trotzdem von großer künstlerischer Wirkung ist, mag dieselbe
nun beabsichtigt sein oder nicht. Diese langen horizontalen
Zinnen stehen im schärfsten Gegensatze zu den vnlcanischen
Zacken der Andes, die sich kühn und regellos überall in die
Luft erheben und die einheitliche Größe des Gebirges fast
verschwinden lassen. Und'ebenso scharf ist der Unterschied
zwischen den glatten, nnverzierten Fahnden der Tempel und
Ansicht von Cabana.
den tiefen Schluchten und Rissen, welche die steilen Berges-
hänge durchsetzen. Diese Einfachheit der Ruinen inmitten
einer so malerischen, chaotischen Natur, ihre Lage, die
Schwierigkeit ihrer Erbauung, deren selbst der gemeine Mann
sich heute bewußt ist, ihr Alter und das traurige Loos des
Volkes, welchem sie ihre Entstehung verdankten — all das
wirkt zusammen, um dem Reisenden Respect vor diesen Mo-
nnmenten einzuflößen. Trotzdem üben sie keine großartige
Wirkung aus, namentlich wenn man sie aus einiger Ent-
fernnng betrachtet; nur unmittelbar an ihrem Fuße wird
man ihre Kolossalität gewahr. Eine feinere Kunst vermag,
ohne solche Massen zu bewegen, doch Größeres hervorzu-
bringen.
Das gilt auch von den Monumenten von Cabana, welche
sich auf dem Hügel Pashash erheben; lauter rechteckige, kahle
Umfassungsmauern, wie sie Wiener auch in Hnamachnco und
Cajamarca gefunden. Doch haben sie auch ihre ganz beson-
dere Eigentümlichkeit: im Innern sind die Mauern mit
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
5
Erhaben gearbeitete Köpfe aus Pashash. Steinbild eines Kriegers.
6 Aus Charles Wiener's N
Basreliefs geschmückt, welche einst in ganz bedeutender
Anzahl vorhanden gewesen sein müssen, wenn man die große
Menge bedenkt, welche später herausgebrochen worden sind,
um die Häuser des modernen Ortes zu schmücken. Natürlich
ist der archäologische Werth dieser Ornamente weit größer
als das etwaige künstlerische Interesse. Meist sind es flache
Basreliefs, aber bewnndernswerth in der Idee wie in der
Ausführung. Die wichtigsten copirte Wiener durch Ab-
se in Peru und Bolivien.
klatschen, was volle drei Tage in Anspruch nahm. Die Dar-
stellungen sind von der verschiedensten Art, mitunter Alle-
gorien, mitunter symbolischer Natur, mitunter auch Nach-
ahmungen der Natur. Die eine sehr merkwürdige, welche
sich jetzt in der Kirche von Cabana eingemauert befindet
(s. Abbildung auf S. 5), bezieht sich auf den vielbesprochenen
Sonnendienst und ist aus einem schönen brannrothen Por-
phyr gearbeitet: in der Mitte das Antlitz der Gottheit, mit
Plan der drei Acequias.
Profil der
dem königlichen Stirnbande geschmückt, und rings herum vier
fabelhafte Thiere. Andere alte Reliefs hat der christliche
Architekt bei der Erbauung des Glockenthnrmes verwendet,
eilt seltenes Beispiel unter deu zerstörungslustigen Spaniern.
Auch die heutigen Bewohner Cabanas gehen mit den antiken
Resten nicht sonderlich fein um und nehmen beim Abweißen
ihrer Häuser besonders darauf Bedacht, die darin eingemauer-
ten Sculpturen recht dick zu überstreichen. Wiener mußte
deshalb jedesmal dieselben erst wieder abkratzen und seine
archäologische Wißbegier bar bezahlen. Doch wurden seine
Nachforschungen durch das allmälige Auffinden von nicht
weniger als dreißig solcher oft in den Häusern des modernen
Ortes ziemlich versteckter Bildwerke belohnt. Ebenso besaß
Cabana einst treffliche Töpfereien, von deren Erzeugnissen
ei Acequias.
Wiener Einiges noch erhalten fand und abzuzeichnen ver-
mochte.
Am 2. October verließ er Cabana, um Corougo zn
erreichen. Anderthalb Stunden südöstlich von Pashash pas-
sirte er eine Stelle, Cerro de las tres Acequias genannt.
(Aceqnia ist ein Caual, welcher das Wasser eines Baches
oder Sees nach oft weit entfernten Ortschaften leitet.) Es
begegnen sich dort zwischen zwei Hügeln zwei Cancile und
schneiden sich; der eiue führt sein Wasser nach Hnandoval,
der andere nach Cabana. Zwischen den beiden Hügeln ist
eine Mauer von 2 Meter Breite und 37 Meter Länge
errichtet, über welche der eine l1/^ Meter breite Canal weg-
fließt, während sie unten einen Tunnel für die zweite nach
dem entgegengesetzten Abhang (nach Hnandoval) fließende
8 A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
Aceqnia hat. Eine dritte, jetzt trockenliegende, zieht sich noch
unterhalb der beiden ersteren hin.
Nachdem er Plan und Profil dieser merkwürdigen hydrau-
tischen Anlage aufgenommen hatte, setzte er seinen Ritt fort
und erreichte gegen 6 Uhr Morgens die Pnna von Tnctn-
bamba, welche 8 Stunden lang ist und 4751 Meter über
dem Meeresspiegel, d. h. fast in der Höhe des Mont-Blanc,
liegt. Dort oben war alles grau und von unbestimmter
Farbe, der Himmel, der Boden und selbst die kleinen Seen
und Wasserflächen, welche sich zu beiden Seiten des Weges
ausdehnten. Um sich von der vollständigen Oede und Kahl-
heit und der tiefen Melancholie einer solchen Pnna eine Vor-
stellnng machen zu können, muß man über sie hingeritten
sein aus einem stets matter und kraftloser werdenden Maul-
thicre, ihre kalten Winde gefühlt, ihre blendende Sonne ge-
sehen und ihre langhin rollenden Donner gehört, muß Tage
lang allein auf solchen unermeßlichen Flüchen zugebracht und
mit Beschwerden ihre dünne Lust geathmet haben. Dann
erst erscheinen einem die Werke der alten Peruaner in ihrer
vollen Größe! Dann begreift man, was der Kampf mit
der unbändigen, ja unzugänglichen Natur und der schließliche
Sieg über dieselbe zu bedeuten hat!
Gegen 4 Uhr Nachmittags begann der Abstieg in weni-
ger kalte Gebiete. 300 Meter tiefer verwandelte sich die
Puna in Pampa. Die Ufer der Lagune von Tnctu-
cocha, welche sich eine halbe Stunde weit hinzieht, stürzen
steil ab; doch aber hatte sie der Fleiß der einstigen Bewohner in
etwa 2 Meter hohe Terrassen, deren Spuren man noch sieht,
umzuwandeln und mit Oca (süßen Kartoffeln) zu bebauen
verstanden. Die Pampa ist mit einem ziemlich hohen, aber
essen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
trockenen Kraute von welker Farbe bedeckt, trotz der Nähe
des Sees. In zahlreichen Windungen führte der Weg in
stark durchschnittenem Terrain abwärts, am schäumenden
Flusse von Corongo hinab. Ab und zu zeigten sich kleine
Hütten (chosas) von der Gestalt eines Bienenkorbes oder
eines umgestülpten Nestes; Hirten haben sich dieselben errich-
tet und führen darin mit Weib, Kind und Hund ein arm-
seliges Leben. So eng ist der Naum und so über einander
gepackt hocken die Leute darin, daß man sich verwundert fragt,
ob Athmen überhaupt noch möglich sei.
Die Sonne ging unter, als Wiener Corongo erreichte,
einen Ort, wo die Indianer ausschließlich nur Quechua
sprechen. Er hat gerade Straßen mit niedrigen Häusern.
Vor jeder Thür brannte' ein Kohlenfeuer unter dem Suppen-
topfe, um welchen Vater, Mutter und Kinder herumhockten,
so eifrig mit dem Inhalte desselben beschäftigt, daß sie für
den vorüberziehenden Reisenden, doch eine seltene Erscheinung
in dem abgelegenen Corongo, kaum einen Blick übrig hatten.
Ueber eine schöne aus Hausteinen aufgeführte Brücke aus der
Spanierzeit erreichte Wiener das Hans des Gouverneurs
Jsaguirre, eines schönen Indianers von prächtig brauner
Hautfarbe, der bei der Bewillkommnung Wohlwollen und
neben seiner natürlichen Traurigkeit fast Größe entwickelte —
denn traurig ist der Indianer stets, traurig in der Kirche,
traurig, wenn er das Pferd sattelt, traurig, wenn er sich auf
den Erdboden hinhockt, traurig beim Trinken, traurig beim
Tanzen, traurig selbst, wenn er beim Liebchen ist. Sein
Liebeslied ist nur ein Klagen, nnd hat er mitunter den An-
schein von Lustigkeit, so ist doch Stimme und Antlitz durch-
aus melancholisch.
Das europäische Wildpferd und dessen Beziehungen zum
domesticirten Pferd ).
Von A. Ecker.
Die Frage, woher unsere Hansthiere stammen, welches
ihre ursprüngliche Heimath sei, hat seit dem Aufleben der
anthropologischen Studien eine ganz besondere Bedeutung
erhalten. War es vorher nur die Zoologie, für welche die
Beantwortung dieser Frage von Wichtigkeit war, so sind jetzt
die Urgeschichte des Menschen nnd die Ethnologie fast noch
mehr dabei interefsirt. Daß alle unsere Hansthiere einmal
wilde Thiere gewesen und zu verschiedenen Zeiten von dem
Menschen unterworfen und domesticirt worden sind, das be-
darf wohl keines Beweises. Wo nun aber die Heimath dieser
wilden Thiere gewesen, das hat man bis dahin meist in einer
etwas zu doctrinären Weise entschieden, indem man dieselbe
dahin verlegte, wo man auch die Urheimath des Menschen
anzunehmen sich für berechtigt hielt, nämlich nach Asien, in
der Meinung, daß die nicht in Europa einheimischen Hans-
thiere — und das sind wohl die Mehrzahl — doch jedenfalls
nicht als wilde, sondern nur als schon doniesticirte zu uns
gekommen sein könnten. Daß die Hansthiere aber keines-
wegs alle aus Asien stammen, das ergiebt sich ans den For-
schlingen der neuesten Zeit mehr und mehr, und ebenso be-
ginnt man auch da und dort das Dogma der gemeinsamen
asiatischen Heimath des europäischen Menschen stark anzu-
zweifeln. Da erscheinen denn erneute Untersnchuugen über
die Urheimath unserer Hansthiere sicherlich nicht überflüssig;
sind doch überdies deren Reste in der dunklen Urzeit, zu wel-
cher weder Geschichte uoch Tradition hinaufreichen, häufig
die einzigen Doeumente, welche die Wege bezeichnen, die der
menschliche Verkehr gegangen ist.
Daß das Pferd in diesen Fragen aber eine ganz beson-
ders wichtige Stelle einnimmt, das wird niemand bestreiten,
der denselben irgendwie näher getreten ist. Nicht nur ist es
das älteste der Hausthiere — in welchem Sinn dies zu ver-
stehen, soll weiter unten erörtert werden —, es hat dasselbe
auch eiueu so bedeutenden Einfluß auf den ganzen Gang der
Cultur einzelner Völker nnd daniit auch auf ihr Schicksal
gehabt, daß man kaum zu viel sagt, wenn man behauptet,
der Gaug der Weltgeschichte sei mehr als einmal dnrch das-
selbe inflnirt worden. Mag das Rind dadurch, daß es die
Umwandlung des Ingers in den Viehzüchter nnd weiter
in den Ackerbauer ermöglichte — obgleich dies vielleicht noch
früher durch das Schaf geschah —, immerhin eine große
Cnltnrmission erfüllt haben, so hat doch wohl das Pferd,
indem es nicht nur mit seiner Muskelkraft, sondern auch mit
Nach einem im Februar 1876 in der akademischen Ge-
sellschaft zu Freiburg gehaltenen Vortrage.
A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
seiner weit höhern Intelligenz ganz in den Dienst des Men-
schen trat, diesem eine durch ihn ganz verwendbare Macht
zugeführt, wie kein anderes Thier. Ist die Mission des
erstem eine ausschließlich friedliche, indem es „emollit mo-
res", so fällt dagegen in die Domäne des mnthigen Pferdes
auch der Krieg; sagt doch von ihm schou der Sänger des
Buches Hiob: „Es spottet der Furcht und erschrickt und fliehet
vor dem Schwert nicht, wenngleich wider dasselbe klinget der
Köcher und glänzet Beides, Spieß und Lanze; es zittert und
tobet und scharret die Erde und achtet nicht der Trompete
Schall. Es wiehert und riecht den Streit von ferne, das
Schreien der Fürsten und das Jauchzen."
Durch seinen wunderbaren Bau ist es in der That die
vollendetste lebendige Bewegungsmaschine, die es giebt, und
war auch von dem Menschen als solche, bis sie durch die
Dampfkraft theilweife abgelöst wurde, iu so hervorragender
Weise verwendet, daß man heute noch die Leistungen der
letztern in Einheiten von Pferdekräften ausdrückt. Und
dieses Thier ist mit seinem Verstand, seiner Gelehrigkeit und
Erziehbarkeit, seinem Gehorsam dem Menschen in einer Weise
dienstbar geworden wie kein anderes, so sehr, daß es den
Willen des Menschen fast unmittelbar zum Ausdruck zu brin-
gen vermag, daß es in der That fast eins wird mit seinem
Herrn. Das alles tritt schon recht klar zu Tage, wenn wir
z. B. eiuen vollendeten Kunstreiter betrachten, der ein Pferd
edler Race in der sogenannten hohen Schule reitet. Der
Gedanke, kaum in dem Hirn des Reiters gedacht, wird That
in den Bewegungen des Pferdes. Ja es fühlt gewissermaßen
die Intentionen seines Gebieters voraus und folgt.ihnen,
ehe sie befohlen sind, und Roß und Reiter verschmelzen der-
gestalt in Eins, daß man oft kaum zu sagen weiß, ob der
Reiter mehr das Roß oder dieses mehr den Reiter erziehe *).
Das gestimmte Muskelsystem des Thieres hat sich der Reiter
zu eigen gemacht und schaltet mit dessen Gliedmaßen wie
mit seinen eigenen.
Eine gewaltige Kraft ist damit in seinen Dienst getreten
und es ist sehr natürlich, daß auch das Bewußtsein dieser
Kraft den Reiter erfüllt. Wer einmal in seinem Leben auf
einem guten Pferde über die Ebene dahingejagt ist, hat wohl
dieses stolze Gefühl einer ihm neuzugewachsenen Kraft, ein
wahres Herrschaftsgefühl, empfunden. — In seiner Weise
hat auch Mephisto dieser Empfindung Ausdruck verliehen,
wenn er sagt: „Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, sind
ihre Kräfte nicht auch meine? Ich renne zu uud bin ein
rechter Mann als Hütt' ich 24 Beine." Etwas von diesem
Herrschaftsgefühl verbleibt auch dem Reiter, wenn er herab-
gestiegen: der Cavallerist ist stolz und pflegt mit einiger
Geringschätzung auf diejenigen herabzusehen, denen nur ein
einziges Muskelsystem dienstbar ist, während er über deren
Zwei gebietet.
Diese Einheit von Roß und Reiter muß aber selbstver-
ständlich eine noch viel innigere werden, wenn Generationen
x) Diese letztere Aeußerung rührt von Goethe her, der sich
w folgender Weise ausspricht: „Das Pferd steht als Thier sehr
hoch, doch seine bedeutende weitreichende Intelligenz wird auf
eine wundersame Weise durch gebundene Extremitäten beschränkt,
^in Geschöpf, das bei so bedeutenden, ja großen Eigenschaften
stch nur im Treten, Laufen und Rennen zu äußern vermag, ist
r* ^^mer Gegenstand für die Betrachtung, ja man Uberzeugt
stch beinahe, daß es nur zum Organ des Menschen geschaffen
w gestellt zu hohem: Sinn und Zweck, das Mächtigste wie
oas Anmuthigste bis zum Unmöglichen auszuführen. Warum
denn auch eine Reitbahn so wohlthätig auf den Verständigen
daß man hier, vielleicht einzig in der Welt, die zweck-
madige Beschränkung der That, Verbannung aller Willkür, ja
sm lufaII§ mit Augen schaut und mit dem Geiste begreift.
,^"'chen und Thiere verschmelzen hier dergestalt in Eins, daß
an mcht zu sagen weiß, wer denn eigentlich den andern erzieht."
Globus XXXIV. Nr. 1.
essen Beziehungen zum domesticirten Pferd. 9
hindurch Jedermann, Mann und Weib, von frühester Jugend
an stets zu Pferde sitzt uud dasselbe fast nie verläßt. Die
alten Schriftsteller erzählen uns von dem Reitervolk der
Seythen, daß sie so zu sagen nur auf ihren Pferden und
Wagen lebten, und von den Hunnen erzählt Ammiauus
Marcellinns, daß sie Tag und Nacht zu Pferd waren, auf
diesen ihren Geschäften oblagen, kauften und verkauften, aßen
und tranken und auf den Hals ihrer Thiere geneigt schliefen.
Zu Fuß bewegten sie sich so ungeschickt, daß wir bei einigen
alten Schriftstellern den Namen der Apodes, d. h. der „Fuß-
losen", für sie angewendet finden. „Und noch jetzt," bemerkt
Hehn i) mit Recht, „ist die Existenz der asiatischen Steppen-
Völker an die des Pferdes gebunden; der Mongole hält es
für eine Schande, zu Fuße zu gehen, sitzt stets zu Rosse,
bewegt sich und steht auf der Erde, als wäre er in ein frem-
des Element versetzt. Ehe der kleine Knabe noch gehen kann,
wird er anf das Pferd gehoben und klammert sich an die
Mähne; so wächst er im Verlauf der Jahre auf dem Rücken
des Thieres auf und wird zuletzt eins mit ihm." Es ist
begreiflich, daß der Eindruck solcher Reitervölker, wenn sie in
ungezählten Scharen, einem kosmischen Ereignisse gleich, wie
es Schessel in seinem Ekkehard so tresslich schildert, in ein
Land friedlicher Ackerbauer und Hirten einbrachen, ein über-
wältigender fein mußte, und naheliegend, daß die geängstigte
Phantasie den Eindruck dieses Verschmolzenseins von Roß
und Reiter in Form von Fabeln und Sagen zum Ausdruck
brachte. So ist wohl nicht zu bezweifeln, daß die Sage von
den Centauren, den fabelhaften Wesen, halb Roß, halb
Mensch, der Erinnerung an den ersten Einbruch solcher wil-
der, immer auf den Pferden hängender kriegerischer Reiter-
Völker in Thessalien ihre Entstehung verdankt, und ganz der-
selben Sage wie in Griechenland begegnen wir auch in
Italien und selbst in Indien. Diese Centaurensage ist aber
für den Anthropologen deshalb von Wichtigkeit, weil sie uns
Winke geben kann über die Länder, in welchen das Pferd
zuerst domesticirt worden ist, und so vielleicht auch über die
Urheimath desselben und die Wege, die es bei seiner Aus-
breitung gegangen; denn daß diese Sage bei Völkern ent-
standen ist, denen das Pferd — wenigstens das gezähmte,
domesticirte Pferd — noch ganz unbekannt war und die es nun
zum ersten Mal und wie eins mit dem Menschen erblickten,
ist in hohem Grade wahrscheinlich.
Es ist nun äußerst interessant und spricht sehr für die
Richtigkeit der eben ausgesprochenen Ansicht über die Ent-
stehnng der Centaurensage, daß sich in einer verhältnißmäßig
neuen Zeit, bei einem ganz andern Volk, ja in einem ganz
andern Welttheil, eine ganz ähnliche Centaurenfabel entwickelt
hat. Daß es in Amerika vor Ankunft der Spanier keine
Pferde gab, ist bekannt, und wir werden später noch daraus
zurückkommen. Als die Mexicaner nun zum ersten Mal die
spanischen Reiter erblickten, hielten sie dieselben für Unge-
Heuer, halb Thier, halb Mensch, wurden von Entsetzen erfaßt,
ergriffen die Flucht und verschafften so den Spaniern den
bis dahin ziemlich zweifelhaft gewesenen Sieg. Presco tt^),
der treffliche Geschichtsschreiber der Eroberung von Mexico
durch die Spanier, erzählt diese Geschichte wie folgt. Nach-
dem Ferd. Cortez 1519 von der Mündung des Flusses Ta-
basco in das Innere eingedrungen war, erfuhr er alsbald,
daß die Indianer ringsum im Aufstand seien. Er mochte
es nun wohl bereuen, daß er sich so weit vorgewagt, es blieb
ihm aber jetzt kein anderer Weg übrig als vorwärtszugehen
1) Hehn, Culturpflanzen und Hausthiere. Zweite Auflage.
Berlin 1874, S. 21.
2) Prescott, Geschichte der Eroberung von Mexico. Aus
dem Englischen. Leipzig. Brockhaus 1845. Band I, S. 226
und 227.
2
10 A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
und einen Hauptschlag zu führen. Ein Rückzug hätte nicht
nur das Vertrauen der Seinigen geschwächt, sondern — und
noch viel mehr — die Anmaßung der Feinde gestärkt und
hätte zu stets weiteren Demüthignngen und Niederlagen ge-
führt. Er schwankte daher nicht lange, rief feine Offiziere
zusammen und kündigte ihnen seinen Entschluß an, am sol-
genden Morgen eine Schlacht zu liefern. Das Fußvolk
stellte er unter die Befehle des Diego de Orlaz, die Reiterei
übernahm er selbst. Doch will ich nun mit Prescott's eige-
nen Worten weiter fortfahren: „Die Indianer drangen jetzt
dichter auf die Spanier ein uud, wenn sie durch einen kräf-
tigen Angriff zurückgeworfen waren, kehrten sie bald wieder
um und wie zurückwogende Meereswellen schienen sie im Be-
griff, die kleine Schar durch überlegene Zahl zu bewältigen.
Das Gefecht hatte nun unter Orlaz' Führung schon über
eine Stunde gewährt und die hartbedrängten Spanier blick--
?ssen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
teu mit großer Aeugstlichkeit auf die Ankunft der Reiter, die
durch irgend ein unberechenbares Hinderniß aufgehalten sein
mußten, um sie aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien.
„In diesem entscheidenden Augenblick sah man die ent-
ferntesten Heeressäulen der Indianer beunruhigt und in Ver-
wirrung gesetzt, die sich bald der ganzen Masse mittheilte.
Es währte nicht lange, als das Ohr der Spanier von dem
fröhlichen Kriegsruf San Jago und San Pedro berührt
ward uud sie sahen die glänzenden Helme und Schwerter der
castilianischm Reiter die Strahle« der Morgensonne zurück-
blitzen, wie sie unter Streichen nach rechts und links durch
die Reihen der Feinde brachen und rings um sich Schrecken
verbreiteten. Die Ankunft von Cortez und seiner Reiterei
war durch die durchbrochene Beschaffenheit des Bodens fehr
verzögert worden. Als er kam, waren die Indianer fo hitzig
im Gefecht, daß er auf sie eindrang, noch che sie sein Heran-
i
Bilderschrift
nahen bemerkt hatten. Er befahl seinen Leuten, die Lanzen
auf die Gesichter der Gegner zu richten, die, von der uuge-
heureu Erscheinung in Staunen gesetzt — denn sie hielten
den Reiter und das Pferd, das sie vorher niemals
gesehen hatten, für ein und dasselbe Wesen —, von
einem panischen Schrecken ergrissen wurden. Orlaz benutzte
denselben, einen allgemeinen Angriff auf die ganze Linie zu
befehlen, uud die Indianer flohen, ohne einen weitern Wider-
stand zu versuchen."
Einen ganz ähnlichen Erfolg hatte das erste Zusammen-
treffen der Spanier mit dem Volke der Anahnacs. Pres-
cott1) erzählt dies wie folgt: „Die Sinne wurdeu ihnen
verwirrt bei der fremdartigen Erscheinung des Pferdes mit
seinem Reiter, die sich vereint uud auf eigene« Antrieb be-
wegten, als wäre ein gemeinschaftliches Leben in ihnen, und
als sie das fürchterliche Thier, „dessen Hals mit Blitz um-
kleidet war," sahen, das ihre Mannschaften niederstürzte und
sie in Staub trat, so war es wohl kein Wunder, daß sie es
mit dem geheimen Schrecken betrachteten, der uns bei einem
übernatürlichen Wesen ergreift," und es war der Eindruck
um so größer, als die Anahuacs keine großen Hausthiere
hatten und kein einziges Lastthier kannten. Im Museum
in Mexico befinden sich alte Auszeichnungen über diese Ereig-
1. c. p. 354.
der Azteken.
nisse, welche in der sogenannten aztekischen Bilderschrift ver-
faßt sind und die spanischen Reiter in der That als cen-
taureuhafte Wesen darstellen, so daß über die vorerwähnte
Anffassuug der Eingeborenen nicht wohl ein Zweifel bestehen
kann i).
x) Obiger Holzstich ist nach einer Copie dieser Aufzeichnung
gemacht, die ich der Gefälligkeit des Herrn Dr. Berendt in Neu-
York verdanke. Pres cott erzählt (Geschichte der Eroberung
von Mexico. Leipzig 1845, I, S. 240): „Während das vor-
ging, bemerkte Cortez einen aus Teuhtlile's Gefolge niit einem
Pinsel beschäftigt, augenscheinlich um irgend etwas abzumalen.
Als er auf seine Arbeit sah, fand er, daß es ein Entwurf auf
Leinwand war, von den Spaniern, ihren Kleidungen, Waffen,
kurz von verschiedenen ausfallenden Gegenständen, wovon jeder
die geeignete Form und Farbe erhielt. Dies war die berühmte
Bilderschrift der Azteken und wie Teuhtlile ihm sagte, war dieser
Mann angewiesen, die verschiedenen Gegenstände für Montezuma
zu zeichnen, der auf diese Weise eine lebendigere Vorstellung von
ihrer Erscheinung erhalten würde als dnrch jede mündliche Be-
schreibung." Zu dem Bilde bemerkt Dr. Berendt Folgendes:
Das Original befindet sich im Museum zu Mexico und das
Dargestellte ist nur ein Theil des Bilderbricfes. Wir sehen:
1. einen Reiter, den der Maler anfangs für ein centauren-
Haftes Wesen, eins mit seinem Pferde, aufgefaßt hatte, vor
ihm eine schale, nach der das Thier leckt (heißt: sauft Wasser);
2. und 3. Abbildungen spanischer Rüstungsstücke; 4. Deu-
tung zweifelhaft. Da die Figur allein steht, scheint sie etwas be-
sonders Bemerkenswertes, Neues bedeuten zu sollen; vielleicht
Emil Schlcigintweit: Ze
Und nicht viel fehlte, so hätten — wenn man von den
Traditionen der französischen Bauern hört — die deutschen
Ulanen im letzten Kriege, die wie Schemen auftauchten und
Tragkästen aus Stäben (Guacales), wie sie heute noch von den
Indianern gebraucht werden; 5. im Blute liegende Indianer,
wie von den Spaniern getödtet. Es hatten aber bei dieser Ge-
legenheit keine Zwistigkeiten stattgefunden, deshalb deutet diese
Darstellung wohl nur überhaupt die Tödtlichkeit der spanischen
Massen an; 6. Cortez, der von seinen Leuten sich kniend be-
dienen läßt; 7. ein todter Weißer unter der Erde: „Auch die
Kinder der Sonne (so genannt, weil sie von Osten kamen) sind
ingswesen in Vritisch-Jndien. 11
wieder verschwanden, Veranlassung zu einer modernen dritten
Centaureusage gegeben.
nicht unsterblich;" 8. Indianer, Geschenke bringend. Früchte,
Blumen, Wild, Lebensmittel verschiedener Art und kleine Ge-
schmeide von Gold zählt Cortez in seinen Bliesen an die Köni-
gin Juana und den Kaiser Carlos V. auf. Die blaue Blume
in der Hand des einen Indianers (rechts von Ziffer 8), vielleicht
die Blüthe der Corossopalme, die heute noch bei Kirchenfesten
von den Indianern als Weihgeschenk herbeigebracht wird, übri-
gens nicht blau, sondern gelblich weiß ist; 9. fortschreitende
blaue Fußtapfen, die das ganze Bild durchziehen, deuten den
Verlauf und die Reihenfolge der Begebenheiten an.
Zeitungswesen i
Von Emil
Die Einführung des Buchdruckes in Indien ist ein
Verdienst der Missionäre. Die erste Aufstellung einer
Druckerpresse erfolgte Mitte des 16. Jahrhunderts in Goa,
an der Westküste Indiens unterhalb Bombay, durch Jesuiten;
sie druckten das Konkaui des Landes, das eine sehr geringe
Verbreitung hat und heute vou 663 788 Indien: ge-
sprochen wird, nur in lateinischen Buchstaben. Ende des
17. Jahrhunderts verfiel hier Presse und Wissenschaft unter
dem Einflüsse der zu den höheren Weihen zugelassenen Ein-
geborenen, ein anderes Centrum indischer Gelehrsamkeit
wurde dafür Ambalakodn, „Kirchenwald", einige Meilen
nördlich vom heutigen Dorfe Angamali, etwas landeinwärts
von der See im Staate Kotfchin an der Südwestküste In-
diens. Hier war von Jesuiten ein Seminar und eine
Kirche erbaut und 1550 dem heiligen Thomas geweiht wor-
den; neben der Landessprache, dem Malayalam (das heute
noch aus einem Umfang von 38 554 Quadratkilometern von
3 883 950 Bewohnern an der Küste hinab bis zum Cap
Komorin gesprochen wird), stndirten sie Tamil (Umgangs-
spräche für 14,8 Millionen Jndier) und Sanskrit, die
heilige Büchersprache. Ein Jesuit soll 1577 die ersten
Tamiltypen geschnitten haben; später druckte man dort in-
dische Sprachen nicht mit beweglichen Lettern, sondern mit
Holzblöcken und die Druckerei blieb in gutem Staude, bis
der berüchtigte Tipu Sultan von Maissur 1789 Kotschin
mit Krieg überzog und Ambalakodn zerstören ließ.
Im nördlichen Indien waren die rührigen Baptisten-
Missionäre die ersten, welche es zur Ausstellung von Pressen
brachten. 1792 gelang in England die Bildung einer Bap-
tisten-Missionsgesellschaft zu dem Zwecke, in Indien das Hei-
denthum zu beseitigen. Die englische Negierung Indiens
sah die Bestrebungen der Missionäre niemals gern; die dor-
tigen Staatsmänner befürchten noch heute vou Begüustigung
christliche Priester, Bischöfe und Missionäre Verwickelungen
und dies nicht ohne Grund. Der Jndier ist in Religions-
kragen mißtrauisch uud glaubt nicht an religiöse Toleranz,
obgleich ste im englischen Gebiet viel größer ist als im sran-
Zvfychen, wo die angeworbenen eingeborenen Soldaten, auch
wenn sie nicht Christen sind, an politischen Feiertagen dem
Hochamte in der katholischen Kathedrale anwohnen müssen;
andererseits hatte sich die Regierung, wo immer sie zeitweise
den Missionären und Geistlichen sich geneigt zeigte, sehr weit
gehender Anträge zu erwehren, wie Hinterlegung der Bibel
in teder Schule und dergleichen. Die Baptisten fanden beim
Britisch-Jndien.
damaligen Generalgouverneur, Lord Wellesley, keine »günstige
Ausnahme; ihre energischen Führer wandten sich an die
Dänen und erwirkten 1793 die Erlaubuiß, sich in ihrer Fac-
torei Serampur, anr Hngli Strome oberhalb Calcutta, nie-
derzulassen. Hier stellte die Mission im Jahre 1800 die
erste Druckerpresse aus uud ihre hervorragendsten Mitglieder,
Carey und Marshman, lieferten als Grundlage für die
Herausgabe von Tractaten in indischen Sprachen grammati-
kalische und lexicographische Arbeiten von dauerndem, wissen-
schaftlichem Werthe. Die Presse in Serampur bezog Jahre
laug das Papier aus England; als Fener ihre theneren Vor-
räthe vernichtet hatte, unternahmen die Baptisten felbst die
Papierfabrikation und führten hierzu 1819 eiue Dampf-
Maschine ein, die erste, die Indien sah.
Die Anträge aus Ausstellung von Druckerpressen mehr-
ten sich; Generalgouverneur Lord Wellesley (1798 bis
1805) duldete jedoch keine Pressen außerhalb der Hauptstadt
Calcutta, seine Nachfolger machten gleichfalls Schwierigkeiten,
und fo hatte es selbst die Hauptstadt 1821 erst auf vier
Presse» gebracht, welche mit arabischer oder Bengali>Schrist
versehen waren. Die Maschinen und das Druckmaterial
dieser Zeit waren sehr unvollkommen; noch 1837 gab es
Druckereien „mit hölzernen Druckerpressen, die bei jedem Drucke
in Stücke zu gehen drohen, mit Typen, die schon längst in
den Schmelztiegel geworfen sein sollten; als Druckpapier-
schlecht zerzauste Lumpen, die mit Reiskleister nothdürstig zu-
sammengehalten sind x); und die Arbeiter verstehen nichts und
lernen nichts." Ebenso schlecht sah es mit den Autoren aus.
Lehranstalten für Brahmanen gab es seit Jahrhunderten zu
Tausenden; aber die daraus hervorgehenden Schriftgelehrten
(Pandits) hatten sich nur einige mechanische Kenntnis; der
heiligen Schriften angeeignet, in ihrer Muttersprache dagegen
sich nicht fortgebildet, und es bedurfte großer Anstrengungen
Seitens der Engländer, für die neu eingerichteten Schulen
aller Grade in Schullehrerseminarien die nöthigen Lehrkräfte
heranzubilden. Der Pandit der alten Schulen blickte auf
die Umgangssprache seiner Provinz mit derselben Verachtung,
wie auf die niederen Kasten; Schriftsteller mit packendem
Stile waren deshalb in den ersten Jahrzehnten der Grüu-
duug von Druckerpresfeu äußerst selten, Werke mythologischen
Die Papiersabrikation liegt uoch heute in der Kindheit;
das Fabrikat ist rohes, graues, mit Reiskleister haltbar gemach-
tes Handpapier, Maschinen sind selten. Vergl. „Times of In-
clia", overland weekly edition 1874, Nro 30.
2*
12 Emil Schlagintweit: Zei
und mystischen Inhalts (in Versen), nicht aber Bücher in
Prosa belehrenden Inhalts fanden damals durch den Buch-
druck Verbreitung. Ueberhanpt hob sich das Interesse am
Buchdruck sehr langsam; in Bengali erschienen bis 1820
30, zwischen 1822 bis 1826 nur 28 Bücher, und so ging
es fort bis 1850, erst von da an mehrte sich Zahl und In-
halt der Bücher.
Die erste Zeitung erschien am 23. Mai 1818 in Se-
rampur unter dem Titel Serampur Darpan, „Spiegel von
Serampur", in Bengali, der" Sprache im Flußdelta des
Ganges und Brahmaputra, gesprochen von 31,8 Mill. In-
diern; dasselbe Jahr erlebte die Ausgabe einer Zeitung in
Bombay in Gudscharati (Volkssprache für 7,8 Mill. auf der
Halbinsel gleichen Namens nnd Handelssprache unter den
äußerst thätigen Baniya-Kansleuten, deren Kaste fast 2 Mill.
Mitglieder zählt und über das ganze nordwestliche Indien
zerstreut ist, dabei auch in Südpersien und an der Ostküste
Afrikas in jeder größern Handelsstadt angetroffen wird). In
Marathi (Sprache für 15^ Mill. Indier östlich von Bom-
bay) erschien die erste Zeitung 1823 in Bombay und auf
der andern Seite der Halbinsel in Tamil (Sprache für 14,8
Mill.) und Telugu (Sprache für 19,9 Mill. Jndier) 1833 in
Madras. Der Darpan wurde von der Baptisten-Mission aus-
gegeben, um ihren Bestrebungen im Volke besser Eingang zu
verschaffen. Den Werth dieses Agitationsmittels begriff sofort
Ram Mohmi Roy, der bedeutendste Kämpfer der neueren Zeit
für Reform der Hindn-Religion *); fein Kaumudi folgte 1819,
hatte aber sofort die Ausgabe des Journals Tschandrika zur
Folge, das sich der alten Hindueinrichtungen warm annahm,
und insbesondere für den abscheulichen Gebrauch der Wittwen-
Verbrennung eintrat, den bald darauf englische Gesetze unter-
sagten2). In seinen guten Tagen gewährte Tschandrika einen
guten Einblick in die Bestrebungen der orthodoxen Hindus
und ihre religiösen Anschauungen, verlor aber immer mehr
an Bedeutung; schon 1845 heißt es in einem amtlichen Be-
richte: „Tschandrika bellt noch zuweilen, aber wurde zahnlos,
die Macht der Resormpartei wird zu groß."
Die Beamten der Ostindischen Compagnie sahen die Ent-
stehung einer politischen Zeitungsliteratur sehr ungern; man
führte keine Censnr ein, aber ließ Blätter mißgünstiger Rich-
tung nicht aufkommen. Noch 1822 warnte Sir Thomas
Mnnro, Mitglied des obersten indischen Rathes, selbst vor
Gestattung einer Zeitungspresse in englischer Sprache und
betrachtete auch diese „als unvereinbar mit der Aufrechthaltung
unserer Macht". Immerhin nahm das Interesse der Ein-
geborenen für Zeitungsliteratur sichtlich zu; 1830 wurde
zum ersten Male in Bengali-Sprache ein Journal täglich
ausgegeben, und sein Herausgeber, der zu den besten Dichtern
des Landes zählte, dabei einen äußerst ironischen Stil schrieb,
machte das Blatt seinen Landsleuten zum Bedürfniß. Die
Regierung benutzte in jeder Präsidentschaft eines der leiten-
1) Gründer der theistischen, äußerst thätigen und wachsen-
den Resormsecte Brahmo Samadsch, wurde geboren 1774 zu
Bardwan in Bengalen in einer wohlhabenden Familie, verösfent-
lichte 1820 ein Buch über die Lehren Jesus in Bengali, Sans-
krit und Englisch, gründete ein Bengali- und ein englisches Blatt,
leistete der indischen Regierung 1839 Dienste in den Unterhand-
lungen mit dem Titularkaiser zu Dehli über Familienangelegen-
hellen, imd starb aus einer Reise nach England zu Bristol 27.
September 1833. ^
2) Mit einem Schlage war diese Unsitte übrigens nicht be-
seitigt; in den Basallenstaaten kommen noch ab und zu Fälle
vor, in Gwalior ist die Enthaltung unter die Pachtbedingungen
sür Land ausgenommen, das, wie überall in Indien, Kronbesitz
ist. Im englischen Gebiete kam noch 1875 ein Fall vor in
Lakhnau (Provinz Audh); der Anstifter wurde damals als
Mörder mit 10 Jahren, die Teilnehmer mit Gefängniß von 1
bis 7 Jahren bestraft.
ngswesen in Britisch-Jndien.
den Blätter zur osficiöseu Verbreitung ihrer Ansichten wie
der Gründe einschneidender Regierungsmaßregeln, ließ auch
Beschwerden auf den Grund fehen, die in der Presse vor-
gebracht wurden; im Ganzen lastete aber auf der Zeitungs-
presse ein schwerer Druck, sämmtliche Blätter im weiten
Reiche hatten es 1835 knapp auf 300 Abzüge gebracht.
Diese geringe Entwicklung stieß sofort dem nachherigen be-
rühmten englischen Geschichtschreiber Th. B. Macauley auf,
welcher 1834 als Beamter des obersten indischen Raths in
Calcutta landete und dort bis 1838 verblieb. Macauley erlebte
nicht den Vollzug aller Gesetzeseutwürfe, die von ihm ver-
faßt wurden; in der Preßfrage überwandt er aber in begei-
sterter Rede die Bedenken der Bnreaukratie; Geueralgouver-
nenr Lord Ch. Metcalfe trat auf seine Seite, und als Acte
9 von 1835 wurde ein Preßgesetz erlassen, freisinniger als
die bis 1848 in Deutschland geltenden. Die Errichtung
einer Druckerpresse wird an die Bedingung der Anzeige ge-
knüpft, periodische Schriften wie Bücher sind dem Registri-
rungszwange, Redactenre in äußerst niedrigen Summen der
Cautiouspslicht unterworfen und Drucker uud Herausgeber
einer Druckschrift, eines Bildes und dergleichen für den In-
halt strafrechtlich verantwortlich gemacht, das Publicum aber
durch die Strafbestimmungen über verleumderische Beleidi-
guug vor Überschreitungen durch die Presse gesichert. Eine
Novelle wurde uöthig, um der unter dem neuen Gesetze
üppig aufschießenden obscönen Literatur zu begegnen; mitGe-
setz 25 von 1867 wurde sodann die ganze Gesetzgebung
einer Revision unterstellt und den seit 1840 für England
erlassenen Gesetzen angepaßt; von Büchern ist Abgabe von
drei Exemplaren gegen Ersatz des Buchhändlerpreises ver-
langt, Anmeldung zum amtlichen Verzeichniß der erschienenen
Bücher gewährt mit dem Eintrag zugleich Schutz gegen
Nachdruck.
Mit Gewährung der Preßfreiheit änderten sich Ton und
Inhalt der Zeitungen. Mit Vorliebe wurden Willküracte
der hochgestellten Eingeborenen gebrandmarkt; der talentvolle,
dabei aber ränkesüchtige Herausgeber des seit 1838 in Cal-
cntta erscheinenden Bhaskar zog sich durch einen Angriff auf
den Radfcha von Andul den Haß dieses kleinen Tyrannen
zu. Dieser ließ ihn überfallen, gefangen setzen und an der
rechten Hand foltern; der Gemaßregelte entkam, verwickelte
den Radscha in einen Proceß, in welchem er eine fette Ent-
fchädignng erzielte, und gewann seinem Blatte eine große
Zahl von Abonnenten, so daß er zehn Jahre später der ge-
lehrten Welt der indischen Reichshauptstadt ein großes Fest
anbieten konnte. Von den bestehenden Blättern ist das älteste
Bombay Samatschar (Bombay-Nachrichten, erscheinen unun-
terbrochen seit 1818 in Gudscharati-Sprache in Typendruck),
Calcutta hat kein Journal älter als 1838. In ganz In-
dien wechseln die kleineren Zeitungen noch heute häusig; Be-
stand haben nur die besonneneren Blätter und diese erfreuen
sich auch starker Abonnements der Regierung sür Schulen
und Bnreanx *); 1857 hatten sämmtliche in Bengali erschei-
nenden Zeitungen es erst auf 2950, die in Hindi (Sprache
für fast 100 Mill. Judier im ganzen Norden bis herab zum
Beginn der Halbinselbilduug, dem Dekhan) ausgegebenen
nur auf 3222 Abzüge gebracht und noch später gab es in
Bengalen erst 33, Nordwestprovinz (Hindostan) 19, Bom-
bay 59 politische Tages- (10), Wochen- oder Monatsblätter.
Die nächsten fünf Jahre brachten geringen Zuwachs; viele
neue Blätter entstanden, aber noch mehr gingen ein, die
*) 1857 hatte die Regierung bei den größeren Zeitungen
Hindostans bis zur Hälfte und mehr aller Abzüge genommen,
1874 abonnirte dort die Regierung auf 23 Zeitungen mit einem
Auswande von 23 078 Mark im Jahre.
Aus allen
Gesammtzahl verminderte sich. Erst mit dem Jahre 1873
tritt merkliche Zunahme ein; nun hält sie anch an, von
Jahr zu Jahr mehrte sich die Ziffer. Nachstehende Zahlen lie-
fern für 1875 eine Abhandlung vonDigbyi), für 1877 der
indische Reichsanzeiger vom 8. December 1877.
Provinz 1875 1877
Indisch n. Englisch Englisch Indisch Englisch ii. Indisch Zweisprachig.
Bengalen..... 102 61 86 10
Madras..... 58 54 27 32
Bombay..... 86 42 101 26
Sindh...... 4 9 3 2
N.-W.-Provinz . . 65 17 58 9
Andh...... 18 9 16 2
Pandschab .... 32 11 34 1
Centralprovinz . . 6 3 5 1
Birma...... 2 18 6 1
Summa. . 373 224 336 84
336
224
644
Seither nahm die Zahl noch immer zu; so war in den
Motiven zum Censnrgesetz verschiedener Marathi-Blätter
aus den Vasallenstaaten Centralindiens gedacht, die in dieser
Tabelle uicht enthalten sind; für Andh und die Nordwest-
Provinzen ergab eine Zählung dieses Frühjahres 98 (gegen
85 des Vorjahres).
Das Abonnement schwankt für Tagesblätter von 42 bis
4 Mark im Jahre; Zeitungen drei Mal die Woche stellen
sich im höchsten Satze zu 24 Mark, die billigsten Wochen-
blätter kosten 2 Mark im Jahre. Wochenblätter wiegen vor.
Wie in England erfolgt das Abonnement bei den Redactionen
oder ihren Agenturen, nicht bei den Postanstalten; jede Zei-
tung unterliegt dem Frankirnngszwange. Ueberraschend klein
ist die Zahl der Abzüge. Die größte Auslage hat Sulabha
Samachar in Calcutta mit 5000 Abzügen (in Bengali);
die einzelne Nummer kostet nur 1 Pie (= 1 Pfennig), was
billiger ist als der Preis unserer Wochenblätter. Dieser ho-
i) Calcutta Review 1877.
Erdtheilen. . 13
hen Ziffer stehen Hunderte von Winkelblättern gegenüber
mit weniger als hundert Abzügen; nicht Typendruck, sondern
billige uud schlechte Autographie herrscht im indischen Zei-
tnugswesen vor; ein solches Blatt ist mit wenigen Mark
Ausgabe ins Leben zu rufen und etliche Monate fortzuführen.
Dr. Birchwood berechnet 1874 die Durchschnittsauflage zu
150 Exemplaren, Digby glaubte 200 annehmen zu dürfen,
1877 stellte sich aber für die Präsidentschaft Bombay, welche
mehr Zeitungen ausgiebt als jede audere Provinz, die Durch-
fchnittsziffer zu nur 100 Abzügeu. Verallgemeinert man diese
Ziffer für ganz Indien, fo erhält man für die 336 indischen
Zeitungen eine Summe von 33 600 Abzügen, waö rund ein
Zeitungsblatt erst auf je 6000 englisch-indische Unterthanen
ergiebt. In Bengalen dient jedoch jedes Blatt zehn, nach Er-
Hebungen in den Nordwestprovinzen acht Personen. Erzähler
finden in Indien, wie sonst im Orient, stets Zuhörer, und
während der gegenwärtigen Krisis sah man überall in Indien
auf den Straßen die Nachrichten vom Kriegsschauplatze aus
Zeitungsblättern vorgetragen; anch in den Bazars wird nach
Abwickelung der Geschäfte ausgekramt, was Nachbarschaft
und Politik an Neuigkeiten bringt, und hierdurch dringen die
Nachrichten und Anschauungen der Zeitungen in Kreise, in
welchen Niemand des Lesens kundig ist.
Die Redactenre an größeren Journalen sind an englisch-
indischen Mittelschulen gebildet, sprechen und schreiben Englisch.
Beamten ist die Ueberuahme einer Redaction disciplinär
untersagt. Anders liegen die Verhältnisse bei den kleinen
Wochenblättern; hier steht der Redacteur vollkommen in den
mittleren, selbst unteren Ständen „und hat weder mehr Bil-
dnng noch größern Einfluß wie ein Barbier oder Krämer."
Das Abonnement deckt kanm die Kosten der Herstellung die-
ser Blätter, der Leser wird stäudig angebettelt; bald hat der
Redacteur zu verheiratheu, bald ist der Diener mit den Abon-
nements durchgegangen, kurz jedes Familienereigniß oder
Unglück wird ausgebeutet; freigebigen Wohlthätern wird im
Blatte in überschwenglichen Worten der Dank abgestattet.
Bedenklicher sind Erpressungen. Heber eine durch Reichthum
oder Einfluß hervorragende Person wird eine Reihe hämi-
scher Artikel begonnen oder ihr vor der Ausgabe des Blattes
eiu Abzug mit der Anzeige mitgetheilt, man zweifle nicht,
den Einsender des Machwerkes zur Zurücknahme des Artikels
oder seiner Fortsetzung bestimmen zu können, wenn der An-
gegriffene hierzu eine gewisse Summe opfere; in der Mehr-
zahl der Fälle gelingt der Fang, ohne daß der Geprellte bei
Gericht Anzeige macht. Auf solche Weise schaffen sich Un-
ternehmer und Redactenre dieser Schandpresse eine namhafte
Einnahme, und die Leichtigkeit solchen unehrlichen Gewinnes
gilt als die Hauptursache der massenhaften Zunahme der
Wochenblätter.
Aus allen
Europa.
— In der wissenschaftlichen Revue der „Repnbliqne sran-
?aise" vom 12. April d. I. bespricht Herr Abel Hovelacque
ethnographischen Grenzen der Deutschen und die
Sprachkampse, die an diesen Grenzen stattfinden. In Bel-
glen und der Schweiz, meint er, weiche das Deutsche vor
dem Fanzösischen zurück. Geben wir auch zu, daß der flä-
mische Dialekt vor der französischen Cultursprache an Terrain
verliert, so ist doch ein Zurückweichen des Deutschen in der
Erdtheilen.
Schweiz nicht bemerkbar; im Gegeutheil, es gewinnt im Ge-
biet des Rhätoromanischen entschieden an Boden. Dagegen,
meint nun Herr Hovelacque, entschädige sich das Deutsche
im Osten und die deutsche Sprach- uud Reichsgrenze würde
in nicht allzuseruer Zeit zusammenfallen, da das Polnische
aufgesaugt werde. Mit dem Litauischen in Ostpreußen ist
dies allerdings der Fall, doch ist die Germanisirnng in Posen
und Oberschlesien zum Stillstande gekommen. Daß das
Deutsche anch gegenüber dem Tschechischen in Böhmen still-
steht, ja sogar kleine Districte au dasselbe verloren hat, ist
14 • Aus allen
eilte bekannte Thatfache. Das Gebiet der Magyaren aber
est dans l'impossibilite la plus complete cle resister ä
l'extension de l'allemand. Jedenfalls eine neue Behauptung.
Nach Hovelacque streben wir dahiu: die Donau zu einem
deutschen Strome zu machen, ja sogar de faire autour de
lamerNoire une couronne de villes allemandes. Le jour
viendra, saus nul doute, oü la Russie aura a exprimer
son avis sur cette pretention. Wenn eill Gelehrter, wie
Herr Hovelacque, den Franzosen doch niä)t so uugereimtes
Zeug erzählen wollte!
A s i c u.
— VonPrschewalski hat die Geographische Gesellschaft
in Petersburg folgende Nachricht erhalten:
„Die Unmöglichkeit, vom Lob-nor aus uach Tibet vorzu-
dringen, zwang mich, einen Umweg durch die Städte Gutschen
und Chami zu machen, von wo aus ich iu südlicher Richtuug
nach Zaidam gelangen und durch die Gegend des obern
Laufes des Blauen Flusses uach Lassa reisen wollte.
Nachdem wir unsere Karawane ausgerüstet und mit Al-
lem, was zu einer langen Reise nothwendig, versehen hatten,
reisten wir am 28. August vou Kuldscha ab und schlugen die
Richtung uach Gutschen ein. Da an der Hauptstraße, welche
durch die Städte Schicho und Manas führt, alle Stationen
mit chinesischen Truppen besetzt, theilweise aber auch vou
„Tschapauen", d. h. deportirteu Strafarbeitern, einge-
nommen waren, wählte ich, um vielfachen nnangmeh-
men Zufällen auszuweick)eu, welche beim Zusammentreffen
mit solchem Volke kaum zu vermeiden siud, einen Umweg:
ich stieg beim See Ebi-nor in nördlicher Richtung nach dem
Gebirge Sanr x) hinan und reiste von hier nach Gutschen
auf demselben Wege, welchen Oberst Sosnowski im Jahre
1875 eingeschlagen hat. Hierdurch machten wir zwar einen
Umweg von 250 Werst, gelaugte« aber dafür sicher nach
Gutscheu.
Wir langten auch tatsächlich Anfangs November dort
an; weiterhin war der Weg nach Chami frei, aber leider
stellte sich der Weiterreise ein unüberwindliches Hinderniß in
den Weg. Kurz uacl) meiner Abreise von Knldscha erkrankte
ich an der Krätze^), und das Hebet, das sich allmälig ver-
stärkte, erreiä)te in Gutschen deu höchsten Grad. Es vergin-
gen ganze Tage, während welcher ich nicht eine Stunde Ruhe
hatte; ich verbrachte die Nächte schlaflos und wurde hierdurch
gänzlich erschöpft. Bei einem solchen Zustande war an ein
Weiterreisen nicht zu denken. Ich konnte mich auch ohne
medicinische Hülfe uud dabei iu einer schmutzigen Jurte,
unter dem Einflüsse von Frösten, die in den ersten Tagen
des Monats December über 40° C. erreichten, so daß das
Quecksilber im Thermometer fünf Tage hinter einander ge-
froren war, uiä)t selbst kurireu. Ich entschloß mich also,
nach dem Saissaner Posten zurückzukehren, mich dort zu
kuriren nnd dann mit frischen Kräften nach Tibet zu eilen.
Am 20. December langten wir in Saissan an, wo mich
die Aerzte des Ortes behandeln, welche versichern, daß ich
nach Verlauf von vier bis sechs Wochen wieder hergestellt
sein werde.
In Gutschen wurden wir von den chinesischen Behörden
sehr unfreundlich empfangen. Man hat uns nicht einmal
ein Quartier gegeben, fo daß wir gcuöthigt waren, außerhalb
der Stadt iu der Jurte zu leben. Wenn einer von nns
einem chinesische» Soldaten begegnete, wurde er auch sofort
mit den beleidigendsten Schimpfworten überhäuft.
Wir kamen in Folge eines Betruges unseres Führers
so weit nach Norden. Unser eigentlicher Weg mußte südlicher
gehen.
Eigentlich an der Pruritus scroti. An dieser Krank-
heit leidet jetzt auch mein Gehülfe Eklon; vorher haben an ihr
zwei Kosacken der Expedition gelitten. Die Ursachen dieser
Krankheit sind wahrscheinlich das schlechte Wasser, der salzige
Staub und das beständige Reiten während der großen Hitze.
Erdtheilen.
Unser ganzer Weg von Knldscha nach Gutschen beträgt
985 Werst. Die erste größere Hälfte dieser Strecke reisten
wir über die Gebirge, welche den Tian-schan mit dem Tarba-
gatai verbinden und im Westen die Dschnngarische Wüste
begrenzen. Die letztere haben wir in der Richtung der Dia-
gonale vou Saur nach Gutschen durchschnitten; sie beträgt
gegen 400 Werst. Die Gegend ist eben und ungemein Wasser-
arm; ihre absolute Höhe beträgt 1500 bis 2200 Fuß. Der
Boden des nordwestlichen Theils besteht aus Lehm, der des
südöstlichen aus Flugsand. Von Pflanzen findet man hier
fast ausschließlich Saxaul (Haloxylon Ammodendron); in
geringerer Menge, und zwar nur auf Sandboden, Calligo-
uium Ephedra, Beifuß und noch eine kleine krautartige
Pflanze.
Au Thiereu ist die Gegend ziemlich reich. Von größeren
Thieren lebt hier hauptsächlich die Saiga (Antilope saiga);
in geringerer Zahl trifft man auch den Kulan (Asinus kiang)
und den Surtag (Asiuus spec.). Der letztere ist, soviel wir
aus der Beschreibung der Kirgisen entnehmen, nicht der
Asinus hemionus, sondern eine andere Species des wilden
Esels. Leider stießen wir selbst nicht auf ihn. Außerdem
lebeu auch, wie die Kirgisen sagen, in den Sandgegenden
wilde Kamele. Wir haben Spuren und Lagerstätten dieser
Thiere gesehen, doch kann nach diesen Zeichen nicht bestimmt
werden, ob sie von wilden oder verwilderten Exemplaren her-
rühren, welche den in der Wüste von den Dnnganen beraub-
teu Karawanen angehört haben. Auch Wölfe, Füchse und
Hasen sind in der hier beschriebenen Gegend keine Selten-
heit. In den Sandgegenden lebt eine große Anzahl Meriones
(M. collium, M. spec.). Von Vögeln leben hier im Herbst
nur zahlreiche SteppeuVögel (Syrrhaptes paradoxus).
Außerdem sahen wir in geringer Anzahl: Passer amruoden-
dri, Otocoris albigula, Melanocorypha tatarica nnd Podo-
ces Hendersoni.
Ich hoffe gegen die Mitte oder gegen Ende Februar von
Saissan abzureisen uud über die Stadt Buluu-tochoj uach
Gutscheu, von dort aber nach Chami zu gehen; nach Zaidam
werde ich wahrscheinlich im Sommer kommen und im Herbst
werde ich durch die Wüsten Nordtibets nach Lassa reisen.
Wenn ich nur meine frühere Gesundheit bewahre, wird anch
die momentane Unterbrechung der Reise keinen Einfluß auf
ihr Eudresultat ausüben.
Während aller meiner Wanderungen durch Asien ist dies
der erste Mißerfolg; gebe Gott, daß es auch der letzte fei."
Saissaner Posten, 3. Januar 1878.
N. Prschewalski.
— Vou der Expedition Potauiu's hat der Secretär
der Geographischen Gesellschaft in Petersburg folgende Zu-
fchrift erhalten:
„Die Expedition befindet sich in Bijsk. Der Rest meiner
Sachen, welchen ich ans dem Kosch-Agatsch (am Flusse Tschua)
zurückgelassen habe, ist heute hier augelangt. Morgen wird
Herr Rafailow von Bijsk nach Omsk abreisen und ich werde
gegen deu 20. Januar folgen.
Folgendes sind die Resultate der Expedition: Wir haben
gegen 20 Punkte astronomisch bestimmt und eine Karte des
zurückgelegten Weges aufgenommen. Die Sammlung eut-
hält gegen 500 Häute von Sängethieren und Vögeln, gegen
5000 Jusecteu, gegen 1000 Pflanzenspecien und gegen 200
Minerale. Während der ganzen Reise wurden barometrische
Beobachtungen angestellt, welche nur auf dem Wege von
Chami bis Uljaffntai unterbrochen worden sind.
Der kreisförmige Weg der Expedition umgiebt die uord-
westliche Mongolei iu der Form eines Rahmens; die Kennt-
niß des centralen Theils dieser Gegend, über welche wir noch
die Karte Matusowski's besitzen, dessen Weg sie in einen öst-
lichen und westlichen Theil theilt, bemühten wir nns durch
Erkundigungen zu ergänzen, in Folge dessen die Karte der
nordwestlichen Mongolei ein ganz neues Aussehen erhalten
wird. Leider ist es der Expedition nickst gelungen, die Ufer
Aus allen Erdtheilen.
15
des Sees Kirgis-nor zu besuchen, der, wie verlautet, seinem
Umfange nach den Seen Ubsa und Chara-Usn nicht nachsteht,
mit dem letztern auch nicht verbunden ist, wie es bis jetzt
angenommen wurde, ja im Gegentheile von ihm durch einen
Felsenrücken geschieden ist.
Die Umstände waren dem Sammeln nicht günstig; durch
das Ueberwintern in Kobdo wurden wir gezwungen, die
Reise, statt, wie im Voraus bestimmt gewesen, in zwei Som-
mern, in einem Sommer zu machen. Deshalb konnten wir
uns in Pflanzenreichen oder wegen ihrer Fauna interessanten
Gegenden nicht länger als einen Tag aufhalten. Hierzu
kommt noch, daß sich die Expedition in der dem Sammeln
günstigsten Periode des Sommers in den unfruchtbaren
Gegenden des Laudes. welche sich au der Gobi hinziehen,
zuzubringen genöthigt war, während sie sich im Pflanzenreichen
Changai im Herbste befunden hat, als die Blüthen der Pslan-
zen bereits verschwunden waren.
In ethnographischer Beziehung wurden Nachrichten über
die Abgrenzung der Choschunate (Provinzen) und Notizen
gesammelt, welche einen wichtigen Commentar zu Raschid-
Eddin bilden."
Bijsk, 14. Januar 1878. Gregor Potentin.
Afrika.
— Die Straußenzucht im Caplande nimmt immer
bedeutendere Verhältnisse an. Noch im Jahr 1865 befanden
sich in der Capcolonie nur 80 zahme Strauße, 1875 aber
nicht weniger als 32 247. Da jeder ausgewachsene Vogel im
Ganzen etwa 100 Federn im Jahre giebt, und zwar Federn
erster Qualität, die in Port Elisabeth etwa 10 Mark per
Stück kosten, auf dem europäischen Markte aber meist den
doppelten Preis erreichen, so ist die Basis für jede weitere
Gewinnberechnung so ziemlich festgestellt. Ueber die steigende
Produktionsmenge dieses Artikels in den Capcolouieu inner-
halb der zehn Jahre 1864 bis 1874 giebt nachfolgende Zusam-
menstelluug Aufklärung.
Productious- Quantität Werth in
jähr in Pfund Pfund Sterling
1864 17 873 81755
1865 10 811 66 426
1866 15 114 75 661
1867 18 921 75 221
1868 16 163 63 193
1869 18 920 70 750
1870 29 805 91229
1871 25 508 150 769
1872 26 993 158 904
1873 31 581 159 677
1874 36 829 205 540
Die Preise per Psuud (100 Federn) stiegen in der Cap-
colonie zwischen den Jahren 1868 bis 1874 von 3,9 auf
5,6 Pf. St.; in Natal von 2,1 auf 8,0 Pf. St. Auch der
Cousum in Europa hat in der angesetzten Frist enorme Di-
Mensionen angenommen. Er betrug speciell für England im
Jahre ]850 uur 3988 Pfund Federn, 1854 bereits 10 282
Pfund im Werthe von 46 285 Pf. St., weiters im Jahre
1864 42 835 Pfund im Werthe von 194 063 Pf. St., im
Jahre 1874 aber gar 106 918 Pfuud im Werthe von 323 669
Pf- St.
— Die Pariser Geographische Gesellschaft hat für die
Weltausstellung eine Karte von Afrika von 4 Quadrat-
Meter Größe anfertigen laffen, auf welcher die Reisewege
aller Erforscher vom Jahre 1754 an bis herab auf Stanley
"n Jahre 1877 angegeben sind. Die Zahl derselben beläuft
sich auf 121, darunter nicht weniger als 42 Franzosen,
d- h. über ein Drittel. Davon entfallen aber viele auf Ma-
dagaskar und die algerische Wüste. Der erste Name auf der
£iste ist Mayeur, ein jetzt vollständig vergessener Reisender,
welcher den Norden Madagaskars durchzog.
— Aus Alexandrien wird den „Times" Ende Mai ge-
schrieben : Ein alljährlich wiederkehrendes Ereigniß von nicht
geringer Wichtigkeit für Aegypten ist in der letzten Woche
eingetreten. Der Nil ist in Chartum um etwa 3 Fuß ge-
stiegen. Die Regengüsse in Abessinien haben das trockene
Bett des Atbara gefüllt und die Sümpfe im Sudan belebt,
und der Telegraph hat die Kuude von Chartum nach der
2000 engl. Meilen entfernten Seeküste gemeldet. Nur Be-
wohner Aegyptens können die Tragweite dieser Nachricht
ermessen. Das Steigen tritt frühzeitig ein, ist beträchtlich
und bedeutet einen „guten" Nil. An Stelle der Thenernng
wird Ueberfluß und Wohlstand treten. Es wird sechs Wochen
dauern, bis der Strom anch in Kairo zu schwellen anfängt,
wo dieser Umstand stets mit religiösen Feierlichkeiten begrüßt
wird; denn in alten Zeiten war der Nil ein Gott und auch
im 19. Jahrhundert noch wird ihm, von dem das Wohl des
Landes abhängt, kaum geringere, als göttliche Ehre erwiesen
(s. Globus XXXII, S. 207, 264, 302).
— Der afrikanischeUeberlandtelegraph wird ein-
mal zur Wahrheit werden, wie es der australische geworden ist.
Der Telegraph, welcher die Capstadt mit Pietermaritzbnrg,
der Hauptstadt von Natal, verknüpft, ist im März fertig ge-
worden und Sir Bartle Frere hat Auftrag ertheilt, daß der-
selbe bis nach Pretoria, der Hauptstadt vou Transvaal, fort-
gesetzt werde. In Verbindung hiermit wird nun im Cap-
lande lebhaft die Frage der Fortführung der Telegraphenlinien
bis zum Mittelmeer besprochen. Die Ueberlandlinie ist pro-
jectirt von Pretoria bis zu dem portugiesische« Orte Tete
am Sambesi, von da nach Sansibar und von Sansibar zwi-
schen den beiden großen Nilseen hindurch uach Lado am Wei-
ßen Nil und von hier nach Chartum, wo der Anschluß an
den bereits bis hierher reichenden ägyptischen Draht stattfin-
den soll.
— Ueber die Kru-Neger, den einzigen Stamm der
Westküste Afrikas, welcher sich fähig zeigt, den Anforderungen
einigermaßen zu entsprechen, welche der Europäer au Hand-
arbeiter, sei es in den Factoreien, sei es auf deu Schiffen,
zu stellen gewohnt ist, bringt O. Lenz in den Deutschen
Geographischen Blättern (Jahrgang II, Heft 2) einige neuere
Mitthciluugcu. Diese „Croo-boys" verdingen sich gewöhnlich
ans 2 bis 3 Jahre für einen Monatssold von 4 bis 6Doll.,
der ihnen aber gewöhnlich in europäischen Waaren bezahlt
wird. In den Factoreien pflegt man sie in Trnpps von
8 bis 10 Mann einzntheilen, deren jeder einen Chef hat, der
dem Factoristen verantwortlich ist. Sie haben wenig Ge-
schmack an Plantagenarbeit, sind dagegen ans den Küstenfah-
rern sehr wohl zu verwenden, jedenfalls besser als irgend ein
anderer Negerstamm der Westküste. Selten gehen sie auf
weiterfahrende Schiffe, doch hat man sie sowohl in Hamburg
als in Liverpool gesehen. Am werthvollsten sind sie indessen
immer dem Factoristen, für den sie schon darum geradezu
unentbehrlich sind, weil sie in den häufigen Streitigkeiten
zwischen ihm und den einheimischen Negerstämmen fast im-
mer auf seiner Seite stehen und durch persönlichen Muth
und festes Zusammenhalten unter einander diesen imponiren.
Dabei sind sie im Allgemeinen kräftig gebaut und willig zur
Arbeit. Deu Hang zum Stehlen theilen sie allerdings mit
anderen Afrikanern. Ihre Heimath find die Striche sUdöst-
lieh von Monrovia bis Cap Palmas.
— Paul Soleillet, bekannt durch seine Reise nach In-
salah, ist am 20. März von Bordeaux nach Saint Louis am
Senegal abgereist, vou wo er nach Timbuktu zu gehen beab-
sichtigt. Von da will er weiter nach Jnsalah und Algier
gehen.
— Walsischbay 'an der Südwestküste Afrikas ist am
12. März 1878 durch Commodore Snllivan vom Schiffe
„Jndnstry" formell für die britische Kroue in Besitz genom-
men worden. Der zunächst auuectirte Landstrich umfaßt etwa
300 eugl. Quadratmiles; die Grenze beginnt an einer Stelle
an der Küste, die 15 Miles südlich von Pelikan Point liegt,
16
Aus allen Erdtheilen.
führt auf Scheppmannsdorf, schließt die fruchtbare Oase von
Roocbauk ein, geht von Scheppmannsdorf 10 Miles landein-
wärts von der Mündung des Swakop, so daß die letzten
10 Miles des Flußlaufes die Nordgrenze bilden. Hiermit
ist jedoch nur der Anfang zn weiteren Annexionen gemacht,
welche den ganzen Küstenstrich zwischen der Walsischbay und
dem Caplande umfassen werden, sowie das ganze östlich davon
gelegene Land bis zu der bereits aunectirteu Transvaal-
republik. („Graphic", 18. Mai 1878.)
— Von der Del ago a-Bay an der südafrikanischen Ost-
küste, die durch Schiedsspruch des Präsidenten der franzö-
sischen Republik deu Portugiesen überwiesen wurde, entwirft
ein Engländer im Natal Mercury jetzt ein wenig schmeichel-
Haftes Bild. Der Handel liegt ganz darnieder; Elfenbein ist
ein Prodnct der Vergangenheit und läßt sich ja noch einmal
in der Nähe ein vereinsamter Elephant blicken, so sind die
Schwarzen von weit und breit mit ihren Flinten hinter ihm
her, um ihm bald das Lebenslicht auszublasen. Dagegen
sind Flnßpferde noch häufig; doch werden ihre Zähne nur
mit 50 Pfennigen das Pfund bezahlt und ein ganzes Thier
liefert mir für 30 Mark, was mit den Gefahren der Jagd
in keinem Verhältnisse steht. Hyänen sind so häufig, daß sie
Kinder und Hühner aus der Stadt (Lorenzo Marguez) weg-
schleppen, und im Verlauf eines einzigen Monats wurden
fünf Eingeborene, die von der Stadt nach dem Mapüta gin-
gen, von Löwen zerrissen. Da jede Polizei fehlt, sind Dieb-
stähle häufig und anch die Eingeborenen werden schwierig.
Im Süden wohnt Nosingela, der 6000 Krieger ins Feld
stellen kann und auch die Insel Jnyak besetzt hält, welche aus
unseren Karten als englisch bezeichnet ist. Die portugiesische
Verwaltung in Südafrika tangt nicht viel, das wissen wir
schon seit Livingstone.
Amerika.
— Das canadische Büffelgesetz bezweckt, die Büffel gegen die
Massenniedermetzelnng, hauptsächlich durch die Mischlinge oder
Halbblutindianer, zu schützen. Die letzteren sind keine echten
Jäger wie der Indianer, der das Wild nur tobtet, um sich
von seinem Fleisch zu sättigen, sondern Metzger im Großen,
welche sich in Karawanenzügen an die Büffelherden machen,
um sie muthwillig zusammenzuknallen, selbst zur Zeit, wo
die Kühe trächtig sind, wie zu jeder andern. Jeden Som-
mer sind die Ebenen mit den Aesern der Büffel, denen man
nicht einmal die Haut abgezogen, sondern die bloß zur „Waid-
mauuslust" niedergeschossen wurden oder höchstens um eines
leckern Bratstücks willen, bedeckt. Die Indianer selbst haben
hierüber bittere Klage geführt und ihretwegen ward das be-
sagte Gesetz erlassen, welches das nnnöthige Erlegen von Büs-
feln als ein Vergehen mit Geldbuße oder im Wiederholuugs-
fall mit Gefänguiß bestraft. Natürlich ist den Halbblut-
iudiauern dieses Gesetz anss Aenßerste zuwider, und um sich
an der Regierung hierfür zu rächen, haben sie die „Blackfeet"
und andere Stämme aufgehetzt und ihnen weiß gemacht, man
wolle den Indianern die Büffeljagd ganz rauben.
— Eine neue Oelgegend, in der schon gewaltig speenlirt
wird, ist die „Bradford-Regiou". Sie liegt noch im Staate
Pennsylvanien, aber nahe an der Neuyorker Grenze, 70 Mei-
len von Bnffalo und umfaßt ein Gebiet von 13 Meilen Länge
und 3 Meilen Breite. Dasselbe wird so geschildert: Auf
diesem Oelgürtel, wie sie es jetzt nennen, befinden sich jetzt
über 1300 Oelqnellen und es werden täglich etwa 10 000 Faß
Oel gewonnen. Einige Bohrlöcher sind etwa 2000 Fuß tief.
Die Lage der Oelbrnnueu ist sehr verschieden, indem viele
nahe an den Bächen, andere auf den Abhängen, manche aber
auf dem Gipfel der Berge sich befinden, welche 800 bis 1000
Fuß hoch sind. Die Ergiebigkeit der Quellen ist ebenso ver-
schieden, denn es giebt solche, die von 3 bis 30 Faß im Tag
liefern, und eiuige fließen von selbst, andere müssen gepumpt
werden. Die Gegend ist gebirgig und rauh. In Bradford
geht es sehr lebhaft zn und es ist wahrscheinlich kein Platz
in den Vereinigten Staaten von gleicher Größe vorbanden,
wo so viele Geschäfte gemacht werden. In Folge davon ist
auch das Grundeigenthum in Bradford rasch im Preise ge-
stiegen und an der Main-Straße kosten Bauplätze 100 Doll.
per Fuß, während man noch vor zwei Jahren für diesen
Preis einen ganzen Acker hätte bekommen können. Mehrere
Buffaloer bauen in Bradford Geschäftshäuser, und ehe ihre
Gebäude fertig sind, haben sie dieselben schon vermiethet.
Auch wurde für 10 000 Doll. ein Bauplatz von 100 bei 80 Fuß
für eine Oelbörfe gekauft, die sofort errichtet werden soll.
Die sogenannten Straßen in Bradford sind fast unzugänglich
und das Fahren ist eine wahre Thierquälerei. Ost versinkt
ein Pferd in dem bodenlosen Moraste und es mnß dann
durch andere Pferde herausgezogen werden, indem man ihm
eine Kette um den Leib schlingt. Uebrigens geht in Brad-
ford alles sehr ordentlich und ruhig zu, obwohl nur drei
Polizisten vorhanden und manchmal 10000 oder mehr Fremde
da sind. Das Sonntagsgesetz wird streng durchgeführt, selbst
gegen die Hiuterthüreu. Au Gast- und Kosthäusern ist kein
Mangel und die ersteren fordern 2 Doll. per Tag, die letzte-
ren 6 Doll. per Woche.
* *
*
— Snbmarine Vnlcane. Die letztvergangenen andert-
halb Jahre sind überreich an vulcauiscbeu Ausbrüchen gewe-
sen, und abgesehen von den Eruptionen in Island, Peru k.
haben sich namentlich nntermeerische Ausbrüche häufiger
wiederholt. Das Erscheinen und Wiederverschwinden vulca-
nischer Riffe und Inseln deutet darauf hin, daß auch der
Meeresboden gleich dem Festlande seine vnlcanischen Actionen
besitzt, doch werden dieselben im Ganzen nur selten genau
beobachtet. Jetzt liegt ein Bericht von der englischen Bark
M. B. Park vor, welche von Batavia nach der Insel Wight
fuhr und am 29. Januar in 4° 20' nördl. Br. und 21° 45'
westl. L. etwa 900 engl. Meilen südwestlich von Sierra Leone
verschiedene nntermeerische Vulcanausbrüche ganz in der
Nähe beobachten konnte. Große Wassermassen wurden etwa
100 Fuß hoch in die Luft geworfen und das ganze Meer
ringsum befand sich in ungeheurer Aufregung. Ein zweiter
Ausbruch wurde bei Neu-Seelaud bemerkt. Capitäu Helauder
vom Dampfer Go-Ahead, der von Gisborne nach Anckland
fuhr, sah den Ausbruch am 1. December 1877 zwischen 8 und
9 Uhr etwa 5 Miles von Open Bay. Die See schäumte
ungeheuer auf und stürzte in einem großen Schwall auf das
Boot zu, welches jedoch uoch so piel Zeit fand, daß es nur
von der äußersten Kante des Schwalls berührt wurde.
Gleichzeitig wurden in Gisborne Erdstöße verspürt.
(The Colonies.)
— Times oflnclia vom 8. Aprit meldet aus Bombay, daß
ein kleines Schiff, 130 Tons, nach Leith gehörig, im dortigen
Hasen liege, welches mit nichts als einer Ladung Sherry
und Madeira die Reise um die Welt mache, und zu keinem
andern Zweck als dem der Verbesserung dieser Weine. Außer
dem Proviant für die sechs Köpfe betragende Mannschaft ist
nichts als Wein an Bord.
Inhalt: Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien. I. (Mit 14Abbildungen.) — A. Ecker: Das euro-
päische Wildpserd und dessen Beziehungen zum domesticirten Pferd. I. (Mit einer Abbildung.) — Emil Schlagintweit:
Zeitnugsweseu in Britisch-Jndieu. I. — Aus allen Erdtheilen: Enropa. — Asien. — Afrika. — Amerika. — Vermischtes.
— (Schluß der Redaction 11. Juni 1878.)
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
Hierzu eine Beilage, betreffend Ankündigung über: Neuer großer Erd-Glolms. 1878. Von H. Kiepert.
Verlag von Dietrich Reimer in Berlin.
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Band XXXIV.
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Aus Charles Wieners
Zwischen Corongo und Urcon hatte Wiener eine jener
überaus starken, in den Andes so häufigen Steigungen zu
überwinden; er brauchte elf Stunden, um die sieben Lieues,
welche beide Orte trennen, zurückzulegen. Von dem Wege
ist nicht viel zu berichten: von Zeit zu Zeit kleine, an den
Abhang geklebte Weiler, großartige Ausblicke, dunkele von
leuchtendem Schnee gekrönte Berge, zuweilen Töne einer vom
Winde herübergetrageueu seltsamen Musik, welche aus der
Ferne gehört trefflich zu der umgebenden Gebirgsnatnr stimmt,
in der Nähe aber rasch ermüdet. Um vier Uhr des Nach-
mittags war der Gipfel des Huaullaug erreicht. Die
Hochebene dort war mit Schnee bedeckt, aus welchem dunkele
Mauern alter Befestigungswerke hervorragten. Sie hoben
sich von dem weißen Grunde so scharf ab, daß der Reisende
in weniger als zwei Stunden ihre Aufnahme vollendet hatte.
Ihr Platz war von dem alten Befestigungskünstler trefflich
gewählt worden; schwarz und majestätisch steigt dort die Cor-
bittere empor, nur von einem breiten Passe durchschnitten,
den rechts und links mächtige Ausläufer der Hauptkette ein-
fassen. Wo letztere beide ihre Kämme vereinen, schloß einst
jene Festung den Weg.
Von dort aus senkte sich der Weg über mehrere frag-
würdige Brücken in weniger kalte Gegenden hinab. Die
Dunkelheit brach inzwischen an und es wurde Nacht, ehe
wüthendes Hundegebell die Nähe seines heutigen Zieles, der
Hacienda Urcon, anzeigte. Dieselbe ist insofern eine Merk-
Würdigkeit unter ihres gleichen, als man dort einen Versuch
mit Einführung eiuer Industrie gemacht hat. Es besteht
daselbst eine Tuchfabrik, welche viel Stoffe für das Militär-
Globus XXXIV. Nr. 2.
in Peru und Bolivien.
liefert. Ganz wunderbar berührt es den Fremden, hier
150 Wegestunden von der Meeresküste entfernt, von ihr durch
eine Reihe himmelhoher Gebirgswälle getrennt, über welche
nur schwindelnde Saumpfade führen, auf welchen selbst das
Manlthier manchmal nur zögernden Schrittes vorwärts geht,
große europäische Maschinen vorzufinden, zu sehen, wie der
wilde Bergstrom von dem geschickten Ingenieur zur Dienst-
barkeit gezwungen wird und wie emsig an hundert Indianer
mit ihrer Arbeit beschäftigt sind.
Wiener fand in Urcon eine vortreffliche Aufnahme; kaum
hatte der Besitzer Thsry seine Reisezwecke kennen gelernt, so
zeigte er ihm Antiquitäten, welche von seinen Ausgrabungen
auf dem Huaullaug herrührten, namentlich sehr schöne Gefäße
(f. Abbildung 1), eines jener oben erwähnten Zählbretter
und einige Steingegenstände von schöner Arbeit. In der
alten heute zerstörten Capelle findet sich ein großes Stück
bläulichen Porphyrs, welches mit großer Sorgfalt bearbeitet
war und einen merkwürdigen Gedanken zur Darstellung bringt.-
die Verdrängung des alten Sonnencnltns durch das Christen-
thum. Vortrefflich wird dadurch die Art und Weife illn-
strirt, in welcher die Miffionäre ihr Werk langsamer Be-
kehrung vollführten. In dem den Eingeborenen wohlbe-
kannten Kreise, welcher das Antlitz des Sonnengottes beben-
tet, wurde der Name Jesus eingeschrieben und ein Nagel,
ein Herz und ein schwer zu deutendes Häkchen angebracht.
Selbst die Zähne des Gesichtes wurden noch angedeutet, wie
man sie ans S. 5 der vorigen Nummer sieht, alle übrigen
Züge des Gesichtes aber fortgelassen. Die Einfassung besteht
aus christlichen Emblemen und Allegorien, welche für die
3
18
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
Indianer des sechszehnten Jahrhunderts wie für den heutigen
Cholo schwerlich eine andere Bedeutung haben können, als
diejenige seltsamer Arabesken.
In Gesellschaft eines Indianers und einer Indianerin
machte Wiener den Ritt von Urcon nach Andaymayo.
Unbegrenzt war das Vertrauen jener beiden armen Wesen
auf den Heiligen Johann von Sihuas, mit dessen Hülse sie
fern von der Heimath in der Cordillere den Dieb ihrer zwei
Esel aussindig zu machen hofften. Sie schreckten darum vor
den sechzig Wegstunden nicht zurück — ein interessantes Bei-
spiel ihres felsenfesten Glaubens. Mit dankbarem Erstaunen
nahmen sie Cigarretten und eine Scheere, die der Fremde ihnen
zum Geschenk machte. — Nachdem Wiener die 11 500 Fuß
hohe Wasserscheide zwischen dem Stillen und dem Atlantischen
m
Oeean überschritten hatte, befand er sich alsbald in einer
malerischen und gut angebaneten Schlucht, welche zum Ge-
biete des Amazonenstroms gehört, der Quebrada von An-
daymayo. Eine volle Woche lang durchstreifte er dann diese
Gegend, welche an Ruinen und Gräbern der Antochthonen,
deren Namen die spanischen Eroberer nicht einmal zu nennen
wissen, besonders reich ist. DerCerro vonSipa z.B. zeigte
Grabstätten von drei verschiedenen Formen. Die einen
waren verhältnißmäßig wenig sorgfältig errichtet; es waren
runde oder viereckige Thürmchen, in welche der Leichnam ein-
gemauert wurde. Dieselben enthalten ein kleines Fenster,
dessen Zweck entweder der war, irgend welche Gegenstände
und namentlich Lebensmittel hindurch in das Innere gelan-
gen zu lassen — ein Gebrauch, der sich an vielen Orten noch
WM-
M
M .....I f.
Auf dem Huaullang (bei '
bis heute erhalten hat —, oder um zeitweilig mit dem abge-
schiedenen Verwandten Zwiegespräche halten zu können, eine
gleichfalls noch heute in Hebung befindliche Sitte.
Ferner finden sich dort y2 'bis 1 Meter unter dem Bo-
den Gräber aus vier gewaltigen Steinplatten, welche auf
einer fünften als Basis ruhen. Diese Steiue sind behauen,
aber uicht geglättet; zwei bis drei Platten dienen als Deckel.
Endlich sind zwölf merkwürdige Mausoleen (der Form nach
dürfte man sie wohl richtiger als Sarkophage bezeichnen) aus
sehr sorgfältig bearbeitetem Steine zu nennen, welche mit
zwei oder drei viereckigen oder runden Platten je nach der
Gestalt des Denkmals geschlossen waren. Nur ein einziges
eiförmiges Grab kommt dort vor; die anderen waren mehr
oder weniger würfelförmig. Auf der Oberfläche des Bodens
sind diese Denkmäler nur durch zwölf bis achtzehn Steine von
con) gefundene Basen.
Granit — der Berg Sipa selbst besteht aus Kalk — angedeutet;
da aber der ganze Berg mit Gras überwachsen ist, so kann
man sich dennoch leicht täuschen und die Felssteine für zu-
fällig dorthin gelangt ansehen. Man hat dort auch viele
unverletzte, dabei aber vollständig leere Gräber gefunden;
vielleicht hat man die Stätten im Voraus zugerichtet und
wurde später durch irgend eine unbekannte Ursache daran
gehindert, den Todten in dem für ihn bestimmten Grabe bei-
zusetzen. In den anderen Gräbern fanden sich Knochen,
aber keine ganzen Mumien, ebenso wenig wie Lebensmittel,
Terracotten, Geräthe oder silberne Gegenstände, dagegen
goldene uud wenig Kupfer, welch letzteres stets sorgfältig ver-
goldet war. In dem einen stand eine große mit Hörnern
gefüllte Kiste.
Mit Unterstützung des Herrn Cisneros, welcher am Fuße
Aus Charles Wiencr's R
des Berges Sipa ein Gehöft besitzt, konnte Wiener selbst eine
Ausgrabung vornehmen, wozu ihm zehn Indianer zur Ver-
füguug gestellt wurden. Während der zwei Tage, welche
dieselbe dauerte, litt er heftig an der Bergkrankheit, welche
sich in starker Uebelkeit und sehr lästiger Taubheit kundgab.
Doch hielt er aus, fand sich aber schließlich insofern uuauge-
nehm enttäuscht, als das Grab in seinen sämmtlichen Stock-
werken leer war, sei es nun, daß der Leichnam vollständig
zu Staub zerfallen oder überhaupt niemals ein solcher dort
beigesetzt worden war. Immerhin war jedoch die gefammte
Anordnung des Grabes fo merkwürdig und interessant, daß
er den Durchschnitt desselben im Bilde mittheilt (f. Abbil-
dung 5).
Auch eine interessante hydraulische Anlage wurde auf
demselben Berge entdeckt, drei communicireude Leitungen,
welche früher das Wasser vom Cerro de Pasacancha aus den
Cerro de Sipa führten.
e in Peru und Bolivien. 19
Abgesehen von dieser reichen und unerwarteten archäolo-
gischen Ausbeute knüpften sich für Wiener an den Aufent-
halt auf jenem abgelegenen Gehöfte Erinnerungen an eine
Gastfreundschaft, wie sie so vollständig, so schön, so selbstlos
kaum iu einem zweiten Lande zu finden ist. Betritt man
den Hof einer Hacienda, so sieht man Frauen weben, Pferde
stampfen, Maulthiere fressen, sieht, wie die Wäsche gereinigt
wird, die Hunde sich dehnen und die ganze Familie erwar-
tungsvoll herumsteht. Alsbald tritt der Hausherr den: Frem-
den entgegen, begrüßt ihn mit einnehmender Würde, fragt
nach feinem Befinden und fordert ihn auf, vom Pferde zu
steigen. Von diesem Augenblicke an ist derselbe wie in seinem
eigenen Hanse; er nennt seinen Namen, wird vom Wirthe
dessen Familienmitgliedern vorgestellt und kann nun das
Leben derselben theilen, so lange es ihm gefällt; niemand
wird etwas darin finden, wenn er eineu ganzen Monat oder
länger verweilt. Man redet ihn mit seinem Taufnamen,
Der Platz von
dem das herkömmliche Don vorausgeschickt wird, an; er
erhält das beste Zimmer und nimmt an allen Mahlzeiten
Theil — der einzige Entgeld, den der Reisende dafür zu leisten
hat, ist, daß er im Innern des Landes von dem Leben und
Treiben an der Küste und in den Küstenstrichen von Europa
erzählen muß. Da werden die Leute nicht müde, dem Frem-
den zuzuhören, dazu ihre Cigarre zu rauchen und caitazo
(einheimischer Rum) oder Branntewein von Pisco, der aus
Muscattrauben bereitet wird, zu trinken. Selbst die bronze-
farbigen Dienstleute lassen es sich nicht nehmen, gespannt
zuzuhorchen, wenn sie auch gewöhnlich nicht ein einziges Wort
Spanisch verstehen.
Spricht man dann endlich von seiner Abreise, so stößt
wan auf Widerspruch, wird so inständig gebeten zu bleiben,
so warmer Freundschaft versichert, daß man sich leicht über-
reden läßt — und muß es eudlich geschieden sein, so geschieht
es mit schwerem Herzen. Die Frauen versinken wieder in
die alte Melancholie, welche während des fremden Besuches
gewichen war, und die Männer geben dem Gaste noch eine
Stunde weit das Geleit. Ladet man dann Abends seinen
Maulesel ab, so findet man häufig uoch ein Säckchen mit
Lebensmitteln, welches die trefflichen Leute heimlich zwischen
dem übrigen Gepäck versteckten. So allgemein ist diese be-
Andaymayo.
wnndernswerthe Gastfreundschaft, daß einzelne Ausnahmen
nur die Regel bestätigen. In Lima, Arequipa, Arica, Tru-
jillo und anderen europäisirten Städten ist davon freilich nichts
mehr zn finden; dort erwarten den Fremden theuere schlechte
Hvtels, deren Wirthe, meist Italiener oder Franzosen, noch
kein Spanisch gelernt, ihre Muttersprache aber halb vergessen
haben und mit unübertrefflicher Frechheit und Kaltblütigkeit
dem Reisenden das Fell über die Ohren zu ziehen verstehen.
Ist der Wirth ein Chinese, so treibt er es ganz ebenso, nur
mit sehr viel mehr Unterwürfigkeit.
Wiener's liebenswürdige Wirthe in Andaymayo suchten
ihn vergeblich von seiner weitern Reise abzuhalten, indem sie
ihm die Provinzen Pomabamba, Dos de Mayo und Hua-
malies als überaus wüst schilderten; doch sei die Einöde oft
besser als bewohnte Orte und die Wilden oft den civilisirten
Indianern der Cordillera real vorzuziehen. Mit diesen Rath«
schlagen versehen, trat Wiener seine Weiterreise an, welche
ihn am ersten Tage bis H u a y o p u g u i o brachte. An Alter-
thümern stieß ihm auf diesem Wege nichts auf; dagegenhalte
er das Mißgeschick, daß sein Packthier stürzte und sich der-
maßen verletzte, daß er unterwegs in Pomabamba die
Hülfe des nur widerwillig Folge leistenden Unterpräfecten in
Anspruch nehmen mußte, um einen Ersatz dafür zu erhalten.
3*
20
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
Während nun der würdige Beamte deshalb die Corrales
— offene Ställe in Gestalt einer Umfasfnngsmaner, welche
durch zwei Stäbe verschlossen werden — durchmusterte, setzte
sich der Reiseude auf eine Stufe und hörte zwei Indianern zu,
Leuten vou charakteristischem Typus, welche nahe dabei ein L)a-
ravi (ein Gesang von traurigem Charakter, aber oft sehr
melodiös) zu Ehren irgend einer Schönen des Ortes sangen.
Der eine begleitete die Worte auf einer Art Harfe, während
der andere auf das Wohl der Dame zu wiederholten Malen
seine Schale voll Mate und Chicha leerte. Eine solche Scene
ist inmitten indianischer Umgebung nicht häufig. Denn der
Spanier singt wohl für sein Liebchen, unter ihrem Fenster
und in gemessener Entfernung; aber der Indianer thnt das
nur zu eigenem Vergnügen, auf der Schwelle seiner Hütte,
Ein Grabthurm und ein Mausoleum von Sipa.
Senkrechter Durchschnitt eines Grabes ans dem Berge Sipa.
allerdings auch, um seiner Liebe Worte zu verleihen, aber
dann nur, wenn er deren Gegenstand im Arme hält.
Inzwischen vollzog sich das Unglaubliche: es wurde wirk-
lich für schweres Geld ein jammervolles Thier gefunden und
beladen, so daß Wiener eine Stunde später sein Ziel, die
Hacienda Huayopuquio. erreichte, welche demselben Herrn
Cisneros wie Andaymayo gehörte. Von dem Verwalter
derselben wurde er trefflich aufgenommen und erfuhr er von
der Existenz von Alterthümern in der Umgegend, so daß er
dieselbe zn durchforschen beschloß. Seine Mühe wurde reich-
lich belohnt. Fünf Tage lang hatte er angestrengt zu arbei-
Unterirdische Cauttle auf dein Berge Sipa.
ten und die ermüdendsten und gefährlichsten Wege zurück-
zulegen; dafür füllte sich aber seiu Album mit zahlreichen
Zeichnungen und sein Taschenbuch mit werthvollen Notizen.
Der Mayordomo hatte ihm von Steinblöcken der „Gentiles"
(so werden die Jncapernaner an vielen Orten von den henti-
gen Indianern bezeichnet) erzählt; dieselben erwiesen sich als
echte Dolmen, die ersten, welche er in Peru zu Gesicht bekam.
Darunter befand sich einer, welcher aus drei enormen Granit-
platten gebildet ist, die aufrecht stehen und vollkommen nach
den Himmelsrichtungen orientirt sind, und zwar gegen Ost,
Süd und Nord. Ringsherum liegen eine Anzahl kleinerer
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
Indianische Musikanten aus dem Marktplatze von Pomabamba.
Orientirte Steine von: Berge Chulluc.
neten Adobes abhebeil. Von Gräbern war nur ein einziges ersten Tage mußte er an den gefährlichsten Stellen sein Pack-
zu entdecken. thier fünfmal abladen lassen. Der schmale Pfad führte
Nach einwöchentlichem Aufenthalte in Huayopuquio trat am senkrechten Abstürze der Cordillere hin, zur Linken von
Wiener die Weiterreise an. Der Weg war abscheulich; am ragenden Felsen, zur Rechten von dem Abgrunde begrenzt.
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
Platten, zwar nicht ganz symmetrisch, aber doch mit einer
gewissen Regelmäßigkeit.
Rechts vom Wege von Huayopuquio nach Vilcabamba
liegt der Berg Chulluc; dort zeichnete er einen Tempel
von höchst sonderbarer Architektur, einen abgestumpften Kegel
von sechs Stufen darstellend. Das nahe Piscobamba da-
gegen bot keinerlei archäologische Ausbeute, abgesehen davon,
daß die Südseite der Plaza noch heutigen Tages Palacio
del Juca genannt wird, wenngleich schon seit lauge die pri-
mitive Hacke der Indianer den einst geheiligten Boden durch-
wühlt. Ein Theil der Steine, welche einst zu dem Palaste
der Landesherren gehörten, ist in den heutigen Häusern ver-
baut, wo sie sich mit ihren regelmäßig bearbeiteten Kanten
und Formen scharf von den modernen au der Sonne getrock-
Dolmen vom
Nachmittags wurde ein Gehöft, Llnmpa mit Namen, Pas-
firt, eine chicheria oder Brauerei. Den Reisenden verab-
reichte die junge Besitzerin des „Etablissements" zwar den
landesüblichen Trunk, aber den ermüdeten Thieren etwas
Luzerne zu geben, dazu verstand sie sich nicht, so daß diese
niit hungrigen Mägen ihren Marsch fortsetzen mußten. Ge-
gen fünf Uhr Nachmittags war der Gipfel des Berges
Seccha erreicht. Zur Rechten brüllte in der Tiefe der Rio
Jaccma, zur Linken der Ajnchaca. Auf dem rechten Ufer
des elfter» erhebt sich das Gebirge Santo Toribio steil und
Berge Chulluc.
schroff; in Folge irgend einer optischen Täuschung hat es
den Anschein, als ob es fast senkrecht aus dem Abgrunde zu
den Wolken emporstiege. In tausendfachen Windungen und
Schlingen zieht sich ein Pfad an ihm hinauf wohl bis tau-
send Meter über dem schäumenden Gebirgswasfer. Dort
oben liegt, eine Idylle in der wilden Hochgebirgsnatur, eine
von einigen Kartoffel-(Oca-) feldern umgebene Estancia.
Man ist geneigt, das Loos der dort Wohnenden zu bemit-
leiden; so nahe sind sie dem Himmel, so hoch über ihren Mit-
menschen, mit solch eng begrenztem Horizont leben sie dahin.
A. Ecker: Das europäische Wildpferd und dessen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
23
Und dennoch braucht man sie nicht zu bedauern. In diesen
völlig isolirteu Gehöften kennt der Indianer keine von den
Annehmlichkeiten der Civilisation und sehnt sich deshalb auch
nicht danach, ja er würde sie vielleicht, wollte man sie ihm
zugänglich machen, als zu unbequem, zu srenidartig oder zu
langweilig zurückweisen. Wenn er nicht zum Zwecke des
Staatswohles mit Peitsche oder Stock braun und blau ge-
schlagen, wenn sein Mais uud seine Kartoffeln gedeihen,
wenn er fanllenzend vor seiner Hütte sitzen, Coca kauen und
sein Liedchen singen oder von Chicha und Rum berauscht
ausschlafen kann, so fehlt ihm nichts zu seinem Glücke. Jedes
Familieuereigniß, das ihm und seinen compadres (Gevat-
tern) zustößt, sei es nun die Geburt eines Kindes oder ein
Todesfall, ist ihm ein Fest, das er mit außergewöhnlichen
Libationen zu feiern sich bestrebt. Darüber hinaus wünscht
er sich nichts.
Dolmen vom Berge Chullue bei Vilcabamba.
Bald hinter dem Santo Toribio wurde Wiener von der
Dunkelheit überrascht, und die Häuser von San Luiz, wo er
zu nächtigen gedachte, wollten sich nicht zeigen. Dagegen
leuchteten von dem gegenüberliegenden Ufer des Stromes
Lichter herüber; bald trafen sie auch auf eine Brücke uud
überschritten sie aus gut Glück, weil der Himmel mit Regen
drohte. Der erste Indianer, den sie trafen, lag vor seiner
Hütte aus den Knien; er unterbrach sein Gebet und theilte
ihnen mit, daß sie sich inAsnucaucha, zwei Stunden nörd-
lich von San Luiz, befänden. Als sie nun nach Unterkunft
herumspähten, sahen sie, daß sämmtliche Einwohner des Dor-
fes vor ihren Wohnungen knieten und mit lauter Stimme
beteten, während in jedem Hause ein Docht in einer mit
.Unschlitt gefüllten Schüssel brannte. Als Wiener nach dem
Grunde dieses unnöthigen Luxus forschte, erfuhr er schließlich,
daß am andern Ende des Dorfes ein Hans — in Flammen
stehe. Das brachte ihn zum Lachen. Als er aber zur Brand-
stätte eilte, fand er mehrere Frauen mit Crucifixen und
Muttergottesbildern um die qualmende Hütte tanzen und ihre
Heiligen anrufen; denn drinnen lag mit ihrem Kinde eine
Indianerin und schlief ihren Rausch aus. Lichter anstecken,
um ein Feuer zu löschen und um die Flammen tanzen, an-
statt die von ihnen Bedrohten herauszuholen — diese Ge-
dankenverbindungen sind für den Indianer charakteristisch.
Vielleicht hat nur die zufällige Ankunft Wiener's, der mit
Verlust vou Hut und Poncho, welche versengt wurden, Weib
und Kind aus den Flammen trug, dieselben vor einen: gräß-
lichen Tode bewahrt.
Als er dann aber die Indianer um eine Unterkunft für
die Nacht bat, erklärte ihm der Alkalde, daß das unmöglich
sei; denn das Haus, welches eiu Mensch, der im Feuer ge-
wesen, betrete, würde unfehlbar niederbrennen! Mit dem Ver-
luste vou Poncho und Hut und mit einenl Lager unter freiem
Himmel hatte er also die Rettung zweier Menschenleben zu
bezahlen. Er selbst fand noch ein Stückchen harten Käses
zum Abendessen; aber seine armen Thiere erhielten wiederum
nichts.
Das europäische Wildpferd und dessen Beziehungen zum
domesticirten Pferd.
Von A. Ecker.
II.
Ich habe oben gesagt, daß das Pserd nicht nur das wich-
tigste, sondern auch älteste Hausthier des Menschen ist. In
dieser Fassung ist wohl der letztere Ausspruch nicht ganz
richtig und man wird vielmehr sagen müssen, das Pferd sei
dasjenige unserer heutigen Hansthiere, dessen Spuren wir in
Begleitung derer des Menschen am weitesten zurückversolgen
können. Ob dasselbe in dieser ältesten Zeit aber Hausthier
des Menschen war oder nicht, diese Frage soll eben im Fol-
genden eine genauere Erörterung finden.
Es ist zur Genüge bekannt, daß in der Geschichte unserer
24 A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
Erdrinde jeder Zeitraum räumlich durch eine gewisse Reihe
von Schichten (Formationen) gekennzeichnet ist, die während
dieses Zeitraumes abgelagert wurden und daher die Reste
der Flora und Fauna, die während desselben lebten, enthalten.
Diese Reste sind in jeder Formation, die man nicht unpassend
auch mit Uber einander lagernden Stockwerken verglichen hat,
zum großen Theil wieder andere und es ist daher insbeson-
dere die Flora und Fauna, welche eine jede solche Formation
charakterisirt. Das charakteristische Gepräge der obersten,
jüngsten, sogenannten qnaternären Formation bilden die in
derselben zuerstx) wahrnehmbaren Spuren des Menschen, und
den Zeitraum, welchen diese Formation repräsentirt, bezeich-
net man bekanntlich als den der vorgeschichtlichen Periode
des Menschen.
Diese prähistorische Zeit umfaßt nun aber jedenfalls einen
ganz unendlich großen Zeitraum, in welchem sich wieder
mehrere Perioden unterscheiden lassen, die offenbar auch durch
bedeutende klimatische Unterschiede ausgezeichnet waren und
die man insbesondere nach den Thierformen benannt hat,
deren Reste für eine jede derselben besonders charakteristisch
sind. So unterscheidet man z. B. in der Urgeschichte Europas
und speciell Deutschlands eine Renthierzeit und versteht dar-
unter jene Periode menschlicher Existenz, in welcher das Ren-
thier, das heutzutage bekanntlich nur in arktischen Regionen
lebt, hl ganz Deutschland allgemein verbreitet war. Ver-
folgen wir die Spuren der jetzt und in der historischen Zeit
überhaupt unsere Fauna bildenden Sängethiere rückwärts,
so verlieren wir dieselben allmälig und zwar zunächst die der
HaustHiere, Rind, Schaf, Schwein, Hund, dann auch die der
verschiedenen Jagdthiere, wie des Rehes, Hafen, Hirsches :c.,
und wir finden schließlich in der Urzeit den Menschen von
einer ganz andern Thierwelt als heute umgeben. Nur eines
von den uns heute noch umgebenden Thieren finden wir auch
schon in so früher Zeit gleichzeitig mit ihm. Das ist das
Pferd. Aber wie der Mensch ein Wilder, ein Jäger, ohne
Ackerbau und Viehzucht, so war auch das Pferd der Urzeit
feilt Hausthier, sondern ein Wild, das wie die anderen wil-
den Thiere gejagt, erlegt und verspeist wurde und dessen
Reste wir daher in Begleitung derer der übrigen Jagdthiere
zugleich mit den Spuren des Menschen finden. So war es,
wie wir wohl heutzutage mit Bestimmtheit annehmen dürfen,
in unserm deutschen Vaterlande, das ich überhaupt bei meiner
ganzen Darstellung vorzugsweise im Auge habe, und ebensowohl
höchst wahrscheinlich in einem großen Theile von Europa.
Die Urkunden, welchen wir diese Thatsachen entnehmen,
sind nun freilich nur zum allerkleinsten Theile geschriebene —
es sind vor allem die Knochenreste des Pferdes selbst und
die Spuren der Hand des Menschen an denselben, die uns
dieses beweisen—, allerdings — wenn man sie zu lesen ver-
steht — die sichersten Documente. In den Ablagerungen
und Höhlen der sogenannten diluvialen oder quaternären Zeit
sind aber nun neben denen des Renthiers keine Knochen so
häufig als die des Pferdes, und an einzelnen Orten, z. B. in
der berühmten prähistorischen Station von Solntre im Saone-
thal, bilden dieselben in der Nähe ehemaliger Wohnstätten
von Menschen lange mauerartige Haufen von 3 Meter Höhe
und 4 Meter Breite, in denen nach einer niedern Schätzung
circa 10 000 Pferde in ihren Resten repräsentirt sind. Diese
Mannhaftigkeit der Ansammlung sowie die Beschaffenheit
der Knochen (alle Schädel sind z. B. zur Gewinnung des
Gehirns zerschlagen) nöthigt zu dem Schluß, daß das Pferd
das Hauptnahrungsmittel des Menschen in dieser Zeit gebil-
det habe und daß z. B. diese massenhaften Anhäufungen in
i) Der „tertiäre" Mensch scheint uns bis jetzt nicht nach-
gewiesen.
essen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
Solntre einfach als Küchenabfallhaufen, ähnlich den dänischen
Kjökkenmöddinger, zu betrachten sind, die im Lauf einer lan-
gen Zeitperiode sich hier -angesammelt haben. Schon aus
dieser Häufigkeit der Kuocheureste des Pferdes darf man
schließen, daß dasselbe ein „Wild", d.h. ein Gegenstand der
Jagd, war, denn es ist nicht anzunehmen, daß der Mensch
der vormetallischen Zeit, nachdem er dieses Thier gezähmt
und den mannigfachen Nutzen erfahren, den es ihm in diesem
Zustand gewährt, und bei dem sonstigen Reichthum an Wild
dasselbe als Hauptnahrungsmittel benutzt habe. Ueberdies
setzt aber auch die Zähmung des Pferdes eine gewisse allge-
meine Cnlturstnfe voraus, deren Spuren uns wohl kauni
entgehen könnten. Neben der Häufigkeit der Knochen des
Pferdes überhaupt ist es aber dann noch — insbesondere in
den Höhlen — das relativ häufige Vorkommen gewisser
Knochen gegenüber dem fast gänzlichen Fehlen anderer, was
dafür spricht, daß das Pferd als Wild gejagt und erlegt,
nicht aber als Hausthier gezüchtet uud geschlachtet wurde.
In den belgischen Höhlen finden sich, wie Dnpont^) nach-
gewiesen, die Knochen der Extremitäten, des Kopfs, des
Schwanzes korbvollweife, während dagegen die des Rumpfs
verhältuißmäßig selten sind, nnd er schließt daraus — wie
ich glaube mit vollem Recht —, daß die auf der Jagd erleg-
ten Thiere an Ort und Stelle abgehäutet und zerlegt wur-
den. Die fleischreichen Extremitäten nlit ihren markhaltigen
Knochen, der Kopf, wegen des Gehirns, der Schwanz, wahr-
scheinlich der vielfach verwendbaren Roßhaare wegen, wurden
in die Höhlen geschleppt, der Rumpf aber, nachdem er aus-
geweidet und feines Fleisches beraubt war, liegen gelassen.
In den Höhlen aber haben sich die Knochen, einmal aus
physikalischen Gründen (Feuchtigkeit und Luftabschluß) und
dann weil die Bodencnltur sie unberührt ließ, trefflich erhal-
ten, während, was außen geblieben, theils dieser, theils den
atmosphärischen Einflüssen in kurzer Frist zum Opfer siel.
Alle Knochen in den Höhlen, Röhrenknochen wie Schädel,
sind nun aber zerschlagen, erstere des Markes, letztere des
Gehirns wegen, welche beide Gerichte von den alten Höhlen-
jägern, wie heutzutage von den Eskimos, als Leckerbissen sehr
geschätzt waren.
Mit dem, was uns diese ungeschriebenen Geschichtsquellen
lehren, stimmt nun aber auch das, was wir aus geschriebe-
neu erfahren, sehr gut überein. Wir finden bei alten Schrift-
stellern Angaben, die mit Bestimmtheit darauf hinweisen,
daß es auch einst in Europa wilde Pferde, „Wildpferde",
gab, und da sich solche Angaben nicht nur bei Schriftstellern
des Alterthums, fondern anch bei späteren finden, so dürfen
wir schließen, daß sich diese sogar in einzelnen dafür geeig-
neten Gegenden ziemlich lange erhalten haben. Allerdings
sind manche dieser Angaben nur mit Vorsicht aufzunehmen
und dies aus mehrfachen Gründen. Einmal wird der Aus-
druck „ wildes Pferd " wie heutzutage, so auch früher
auch zur Bezeichnung eines muthigen, unbändigen, schwer zu
zügelnden Rosses gebraucht, und es ist kaum zu bezweifeln,
daß dieser Ausdruck auch wohl da und dort mißverstanden
und aus unser einheimisches Wildpferd bezogen worden
ist. So findet man z. B. zur Unterstützung der Ansicht, daß
es noch zu Mithridates' Zeit Wildpferde am Pontus gegeben
habe, eine Stelle bei Justinus (Hist. philippicae XXXVII, 2)
angeführt, worin es heißt, daß die Vormünder des Knaben
Mithridates, um sich dessen zu entledigen, ihn gezwungen
hätten, auf einem wilden Pferd zu reiten und den Wurfspieß
zu schleudern (eum equo fero impositum equitare jacu-
larique cogebant), ans welcher aber doch kaum ein Schluß
i) Dupont, L'homme pendant les äges de la pierre
dans les enyirons de Dinant sur Meuse. Bruxelles 1872.
A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
auf das Wildpferd gezogen werden kann. Dann ist auch
„ W i l d e" ein im altern Deutsch vielfach gebrauchter Aus-
druck für weibliches Pferd, Stute, Mutterpferd, und es mag
wohl diese Benennung ebenfalls Veranlassung zu Mißver-
stäudnissen gegeben haben J). Immerhin aber haben wir ge-
nug der beglaubigten Angaben, um die einstige Existenz des
Wildpferdes in Europa als eine unzweifelhafteThatfache
betrachten zu können.
Von den Schriftstellern des Alterthums ist in dieser Hin-
ficht in erster Reihe Plinins zu erwähnen. In seiner
Historia naturalis spricht er von Herden wilder Pferde
(equorum greges ferorum), welche im Norden von Europa
sich finden, und an einer andern Stelle unterscheidet er die
Wildpferde (equiferi) — welches offenbar dem Wildesel
(onager) nachgebildete Wort meines Wissens zuerst bei Plinins
vorkommt — sehr genau von dem zahmen Pferd. Er spricht
an dieser Stelle (lib. XXVIII, 159) von Anwendung der
Eselsmilch und anderen Theilen des Esels als Heilmittel,
bemerkt dabei, daß vom Wildesel (onager) für diesen Zweck
alles weit wirksamer sei als vom zahmen und führt dann
fort: „Von den Wildpferden (equiferis) hätten in dieser Be-
ziehnng die griechischen Schriftsteller nicht gesprochen, da die-
selben in Griechenland nicht vorkämen, man dürfe aber an-
nehmen, daß auch vom Wildpferd in gleicher Weise alles viel
kräftiger wirke als vom zahmen, wie z. B. das Blut dessel-
ben gegen Athemnoth vor allem wirksam sei. Von Wild-
pserden in den Alpen spricht auch Strabo uud von solchen
in Spanien ganz ausdrücklich M. Tereut.Varro in seinem
Buch De re rustica, uud ferner erhalten wir von Jul. Ca-
pitolinns ein Verzeichniß der zu Gordianns' III. Zeit in
Rom für Zwecke des Circus vorhandenen wilden Thiere und
unter diesen werden 20 Wildesel und 40 Wildpferde aufge-
zählt.
Auf einer im Jahre 1862 in Leon (Legio) in Spanien
aufgefundenen Marmorbasis befindet sich eine Inschrift 2),
welche aus der Zeit zwischen Vespasian uxtb Hadrian stammt
und in welcher unter den wilden Jagdthieren ausdrücklich
auch das wilde Pferd aufgezählt ist. Bekannt ist, daß der
Fang wilder Rosse ein beliebtes Thema in der deutschen Hel-
densage und auch sonst in der der nördlichen Völker ist; der
Meerriese Äse jagt und fängt die wilden apfelgrauen Rosse
am Strande. Aber auch aus dem Mittelalter und aus noch
späterer Zeit erhalten wir Angaben, welche uns über die
Existenz des Wildpferdes insbesondere auch in Deutschland
zur betreffenden Zeit kaum Zweifel lassen.
Offenbar war, wie in frühester Zeit, was oben nachge-
wiesen wurde, so auch später der Genuß des Fleisches der
Wildpferde sehr allgemein. Daß diese Speise später von der
Geistlichkeit verboten wurde, hängt ohne Zweifel damit zu-
sammen, daß mit allen heidnischen Sitten und Gebräuchen
gebrochen werden sollte. Papst Gregor III. schreibt um das
Jahr 732 an den heiligen Bonifacins: „Du hast einigen
erlaubt, das Fleisch von wilden Pferden zu esseu, den meisten
auch das von zahmen. Von nun an, heiligster Bruder, ge-
statte dies auf keine Weise mehr." So streng scheint übri-
gens dieses Verbot, wenigstens innerhalb der Klöster, nicht
gehalten worden zu seiu, wie aus dem Folgenden hervorgeht.
Der Mönch Ekkehard, später Abt des Klosters St. Gallen,
schrieb um das Jahr 1000 ein Bnch unter dem Titel Bene-
dictiones ad mensas, d. i. „Tischsegen", eine Sammlung
1) _ Der Ausdruck stammt ohne Zweifel von dem Hirsch.
Die Hirschkuh heißt auch Hindin oder „Wild" („Thier",
sonst auch „ein Stück Wild", genannt „Hirschkuh"
oder „Hindin". — Kurzer Begriff der Jägerei, Nordhausen
1733).
2) 8. Corpus mscript. latinar. Berlin 1869, II, Nr. 2660b.
Globus XXXIV. Nr. 2.
dessen Beziehungen zum domesticirten Pferd. 25
von Tischgebeten oder besser gesagt Segenssprüchen über die
einzelnen Speisen. Man erhält in diesem Manuscript, das
sich in der Klosterbibliothek in St. Gallen befindet, eine Art
Menn oder Speisezettel der auf den, keineswegs schlecht be-
setzten, Klostertisch kommenden Speisen. Einer dieser Segens-
sprüche lautet nun zu Deutsch etwa: „Wohl munde Euch
das Fleisch des Wildpferdes unter dem Zeichen des Kreuzes" x).
In einzelnen nnwirthlichen Gegenden Deutschlands,
z. B. des alten Preußens, scheinen wilde Pferde noch viel
später existirt zu haben. Ein Litthauer, Erasmus Stella,
der im Jahre 1518 ein Buch über preußische Alterthümer
(De Borussiae antiquitatibus) schrieb, theilt uns mit, daß
es da Herden wilder Pferde gebe, die sich nicht zähmen lassen
und von deren, wie er angiebt, wohlschmeckendem Fleisch die
Einwohner sich nähren. Ja selbst aus einzelnen Theilen
Süddeutschlands wird aus ziemlich derselben Zeit ganzAehn-
liches berichtet. Von Helisaeus Rößlin (der Arznei Doc-
tor und der Reichsstatt Hagenow [im Elsaß^j bestellter Phy-
sicus) haben wir ein Buch, erschienen zu Straßburg im Jahre
1593, das den Titel führt: Des Elsaß und gegen Lothrin-
gen grenzenden Waßgawischen Gebirgs Gelegenheit und Com-
moditeten in Victualieu und Mineralien :c., und in welchen:
sich folgende Angabe findet: „Unter den Animalien aber
und Thieren finden sich noch darüber im Gebirg, daß in vie-
len Landen ein Wunder were, nemlich auch wilde Pferde,
so sich allezeit im Gewäld und Gebirg verhalten, sich selber
füttern, zihlen (zeugen) und mehren. Den Winter sowohl
als den Sommer haben sie ihren Stand unter den Felsen,
anderes nicht gelebend, denn wie andere hohes Gewilds, den
Pfriemen2), Heiden und Brossen3) von Bäumen und in
ihrer Art viel wilder und schenher sind, den in vielen Landen
der Hirsch, auch viel schwerer und mühsamlicher zu fangen,
ebensowohl in Garnen als die Hirsch" uud fährt dann fort,
„so sie aber zahm gemacht, das doch mit viel Müh und Arbeit
geschehen mnß, so sind es die allerbesten Pferde."
Es ist also nach dem Mitgetheilten ein ziemlich langes
Fortbestehen des in der qnaternären Zeit unzweifelhaft in
Europa vorhanden geweseneu Wildpferdes nachgewiesen; ja
dasselbe ragt wahrscheinlich — worauf wir unten noch zurück-
kommen werden — in einzelnen verlorenen Posten, wenn
auch durch Vermischung modificirt, bis in die Gegenwart
herein.
So lauge man nun dieses Wildpferd nur aus den An-
gaben der alten Schriftsteller kannte, und bevor die zahlreichen
Knochenreste desselben aufgefunden waren, war die Ansicht
sehr verbreitet und auch berechtigt, daß dieses Pferd nicht
eigentlich ein wildes, sondern vielmehr, analog dem heutigen
südamerikanischen, ein verwildertes sei. Wie die zahlreichen
Herden wilder Pferde oder Mustangs, welche heute die wei-
ten Pampas Südamerikas bevölkern, alle von den Pferden
der Spanier abstammen, da in Amerika zur Zeit der Ankunft
dieser kein Pferdegeschlecht lebte, so sollten die wilden Pferde
Europas von den Völkerzügen herrühren, die sich einst über
den Boden Europas ergossen. Geben wir nun auch gern zu,
daß solche Verwilderungen in einzelnen Fallen da und dort
stattfanden, so ist es doch jedenfalls nnthnnlich, das in der
Urzeit so ungemein häufige Wildpferd ganz von dem gezähm-
ten ableiten zu wollen. Es ist dieser Ursprung des wilden
Thieres schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil dasselbe
eben gerade in der allerfrühesten Zeit, lange bevor diese Völ-
kerzüge stattfanden, so häufig ist und weil zu reichlicher Ver-
Mehrung des Pferdes absolut große unbewohnte Steppen
*) Sit feralis equi caro dulcis in hac cruee Christi.
(Es wurde über jede Speise das Zeichen des Kreuzes gemacht.)
Pfriemenkraut, Spartium scoparium.
3) i. e. Sprossen, Knospen.
4
26 A. Ecker: Tas europäische Wildpferd und
nöthig sind, wie sie demselben in Südamerika zn Gebote stan-
den, während in Europa bei der fortwährend zunehmenden
Urbarmachung ein derartiger Rückfall in einen primitiven
Zustaud in einem irgendwie größern Maßstab einfach ein
Ding der Unmöglichkeit war.
Es wird also wohl aus dem bisher Mitgeteilten unbe-
denklich der Schluß gezogen werden können, daß in Europa
und speciell auch iu Deutschland in der qnateruüren Zeit
und noch weit später ein Wildpferd existirt hat, und diese
erste These dürfte wohl fortan als unbeanstandet gelten.
Eine gauz andere Frage ist nun die zweite, ob unser heu-
tiges domesticirtes Pferd ein Nachkomme dieses europäischen
Wildpferdes oder ob dasselbe fremder Herkunft ist. An und
für sich hat ja die einstige Existenz eines wilden europäischen
Pferdes gar nichts Unwahrscheinliches; haben ja doch verschie-
dene andere unserer Hausthiere zuerst als wilde Thiere in
Europa gelebt und wurden erst nach und nach durch den
Menschen domesticirt, und es hat daher die Annahme, daß
unser heutiges domesticirtes Pferd von dem Wildpferde der
quaternären Zeit abstamme, wie vom Wildschwein das Hans-
schwein, und daß der wilde Mensch der europäischen Vorzeit,
so wie er selbst in der Cnltur fortschritt, aus dem Jäger ein
Viehzüchter, Ackerbauer und endlich Industrieller wurde, sich
auch aus dem wilden Jagdthiere ein gelehriges Hausthier er-
zogen habe, von vornherein viel mehr für sich als die ent-
gegengesetzte, daß das urzeitliche Wildpferd ausgestorben und
das heutige domesticirte fremder Herkunft sei.
Bewiesen ist die erstere aber darum doch noch nicht, denn
die andere, wonach unser heutiges Pferd fremden und zwar
asiatischen Ursprungs ist und erst in einer relativ späten Zeit
nach Europa übergeführt wurde, ist ebenfalls durch Gründe ge-
stützt, deren Gewicht wir keineswegs gering anschlagen dürfen.
Von diesen Gründen ist der wichtigste folgender: Es ist
bekannt, daß aus sprachlichen Gründen angenommen wird,
es gehören die germanischen, romanischen, slavischen und kel-
tischen Völker Europas einem gemeinsamen Urstamm, dem
arischen, an und seien aus gemeinschaftlichen Ursitzen in Asien
in grauer Vorzeit in ihre heutigen Wohnsitze in Europa ein-
gewandert. Nun weisen die Linguisten nach, daß für die Be-
zeichnung des Pferdes in allen arischen Sprachen die gleiche
Sprachwurzel vorhanden ist, woraus sich ergebe, daß die heu-
tigen europäischen Abkömmlinge der Arier das Pferd schon
in ihren ursprünglichen, gemeinsamen asiatischen Wohnsitzen
vor ihrer Trennung in die einzelnen vorgenannten Völker
besaßen und es also aus ihrer Heimath mitbrachten. Hin-
sichtlich der Herkunft unseres heutigen Pserdes liegen also
folgende Möglichkeiten vor: Entweder ist das Wildpferd
der Urzeit Europas allmälig domesticirt worden und in un-
ser heutiges Hausthier übergegangen oder aber es ist dasselbe
— vielleicht zugleich mit den Ureinwohnern — allmälig zum
größten Theil und bis auf kleine Reste ausgestorben, und das
heutige Pferd ist vou den arischen Völkern aus Asien einge-
führt worden, oder endlich es ist dieses aus der Vermischung
eines fremden mit dem einheimischen Pferde entstanden.
Unl in dieser ziemlich dunklen Frage irgend welche festen
Punkte zu gewinnen, ist vor allem die Beantwortung folgen-
der drei Fragen nöthig: 1. Wissen wir Genaueres über die
Beschaffenheit und das Aussehen des europäischen prähisto-
rischen Wildpserdes und läßt sich aus den betreffenden An-
gaben mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß unser
heutiges Hausthier von diesem abstamme? 2. Existirt heut-
zutage noch ein Wildpferd in irgend einem Theil Europas
in größerer Anzahl, und von welcher Beschaffenheit ist das-
selbe, und: 3. Läßt sich zwischen dem Wildpserde der Urzeit
und dem heutigen domesticirten eine continuirliche, durch keine
Lücken unterbrochene Kette der Descendenz herstellen, mit an-
Gen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
deren Worten: Läßt sich der Stammbaum unseres heuti-
gen Pferdes mit Sicherheit bis zum europäischen Wildpferde
hinaus verfolgen?, wobei auch die weitere Frage zu beaut-
Worten wäre, ob wir zuverlässige Nachrichten über die Zäh-
mung des Wildpferdes besitzen.
Die erste der genannten Fragen betreffend fo liefern uns
entschieden die sichersten Thatsachen auch wieder die Kuochen-
reste des Pferdes selbst, die wir in Höhlen und sonstigen
diluvialen Ablagerungen finden. Dieselben stammen in über-
wiegender Menge — man kann nicht sagen ausschließlich —
von einem ziemlich kleinen einigermaßen plumpen Thiere mit
großem Kopf, und eine solche Beschaffenheit sind wir daher
genöthigt dem wilden Pferde Europas zuzuschreiben. Das
crgiebt sich gleichmäßig aus den Funden, die man in Nord-
und Süddeutschland, in Belgien und in Frankreich gemacht
hat. Besouders haben die oben erwähnten massenhaften Ab-
lagerungen bei Solutr« im Saunethal dies bestätigt, und es
gelang in neuerer Zeit, aus diesen Resten ein vollständiges
Skelet zusammenzufügen, das nunmehr im naturhistorischen
Museum von Lyon ausgestellt ist und einen Gesammtein-
druck der Form zn gewinnen gestattet, wie es bis dahin nicht
möglich gewesen war.
Von nicht geringer Wichtigkeit können für uns ferner
zur Entscheidung der genannten Frage gewisse rohe Thier-
figuren werden, die man in den französischen Höhlen, besonders
in der Dordogne, meist auf Renthiergeweih eingeritzt, gefunden
hat. Unter diesen finden sich auch mehrere von Pferden, de-
ren Habitus sehr gut zu dem stimmt, was uns die Betrach-
tnng der Knochen gelehrt hat. Es sind kleine, plumpe Thiere
mit großem Kopf, struppiger Mähne, rauhem Haar. Wenn
diese Zeichnungen in der That der frühen Zeit angehören,
welcher man sie zuschreibt, wofür allerdings — wie ich auch
auf der Constanzer Anthropologenversammlung x) zugegeben
habe — sehr viel spricht, so bilden sie ein nicht unwichtiges
Zeugniß in dieser Frage.
Was nun die zweite der oben aufgestellten Fragen
betrifft, ob heutzutage in Europa noch Wildpferde existi-
ren, so wurde diese Frage im Allgemeinen schon weiter
oben bejaht, es erübrigt mir nur noch hier auf diefen
Gegenstand genauer einzugehen, da gerade hier die Einzeln-
heiten von befonderm Interesse sind. In Südfrankreich giebt
es im Gebiet der Rhonemündungen einen öden, unfruchtbaren,
besonders im Winter durch die Nordwinde sehr rauhen Di-
strict, die sogeuannte Camargue, in welchem noch heutzutage
eine eigene Pferderace, die sogenannte race camargue, in
einem Zustand fast völliger Freiheit lebt; die Thiere sind
klein, haben einen großen Kopf, rauhes und besonders im
Winter langes Haar und leben in Trupps von 30 bis 40
Stück von der kärglichen Nahrung, welche die Steppe bietet.
Neben dem Skelet des quaternären Wildpserdes von Solutrv
im Naturhistorischen Museum von Lyon hat man kürzlich ein
Skelet des Pferdes der Camargue aufgestellt, und es soll, wie
ich höre, die Ähnlichkeit der beiden in der That eine frap-
paute fein. Aber auch in Deutschland findet sich Aehnliches.
„Im Münsterland in Westfalen findet sich — ich verdanke
diese Mittheilung der Gefälligkeit des Herrn v. Alten in
Oldenburg — eine sehr große alte bruchartige Waldung,
der sogenannte Davert, zu der viele Gemeinden gehören, na-
mentlich auch die Stadt Münster. In diesen Wald treiben
die Landleute ihre Pferde, eiue eigentümliche kleine Race,
welche zumeist Aehnlichkeit mit den polnischen Pferden hat,
*) Siehe über diesen Gegenstand: I. Die achte allgemeine
Versammlung der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Eth-
nologie und Urgeschichte zu Konstanz. München 1877, S. 107.
2. Augsb. Allg. Zeitg. 1877. Beilage Nro. 304, S. 4563.
3. Archiv für Anthropologie Bd. XI, Heft 1 u. 2, S. 141.
Scheckige
jung und alt im Herbst; sie bleiben dort den ganzen Winter
und werden im Frühjahr, so weit man sie brauchen will,
eingefangen. Die Füllen bleiben auch Sommers draußen.
Gefüttert werden sie nicht, so viel mir bekannt, aber sie kratzen
den Schnee weg und nähren sich so. Aehnliches fand früher
im Lettebruch in derselben Gegend statt, auch von anderen
Punkten, besonders dem Bentheimischen, erzählt man Aehn-
liches." — Aehnliches finden wir auch in Süddeutschland
und zwar im Elsaß, und es scheinen hier die Zustände, wie
sie H. Rößlin (f. oben S. 26) im Jahre 1593 geschildert,
wenigstens noch in ihren letzten Spuren fortzubestehen.
Herr Pros. Oscar Schmidt in Straßburg hat, durch einen
Thierarzt in Schlettstadt darauf aufmerksam gemacht, diese
Verhältnisse näher untersucht und darüber im Elsasser Jour-
nal i) einige Mittheilungen gemacht, von denen er die Güte
hatte mir Kenntniß zu geben und die ich untenstehend zum
Abdruck bringe.
Auch aus der bayerischen Hochebene giebt es eine aller-
dings iu Folge der bessern Pferdezucht immer seltener wer-
dende Race kleiner, unansehnlicher, rauhhaariger, dickköpfiger
Pferde, die dort den Namen „Mooskatzen" haben und, wohl
nicht mit Unrecht, als Abkömmlinge des uralten einheimischen
Pferdes betrachtet werden. Aehnliche giebt es auch in
Württemberg, und wie mir Herr Dr. Buck in Ehingen a. D.
mittheilte, hat derselbe früher wiederholt Gelegenheit gehabt,
bei Gelegenheit des Torfstechens zum Theil uoch erkennbare
Cadaver ungewöhnlich kleiner Pferde tief aus dem Tors
heraufholen zu sehen. Auch bei uns in Baden findet man
da und dort noch ähnliche Formen. Bor Allem aber ist es
das östliche Europa, nach welchem wir in dieser Frage
unsere Blicke zu wenden haben. „Noch gegenwärtig schwär-
men — ich entnehme diese Stelle der neuen Auflage von
Brehm's Thierlebeu — in den Steppen Südeuropas Pferde-
Herden umher, welche von einzelnen als die wilden Stamm-
eitern unseres Hausthiers, von anderen als von diesem her-
1) 1876, Nr. 103, 2. Mai: „An Statur und Proportion
gleichen sie großen Ponies. Der Kops ist bei den Exemplaren,
welche am reinsten die Race zu repräsentiren schienen, groß und
unschön, der Körper aber, trotz des ganz offenbaren Mangels
eigentlicher Pflege, wohlgestaltet, die Glieder sehr kräftig. Die
Thiere, welche, wie die meisten ponyartigen Thiers, gutmüthig
und leicht zu behandeln sind, leisten Außerordentliches im Zuge.
Sie werden in arbeitsfreien Zeiten Wochen lang auf Weide
gehalten, östlich von Schlettstadt, und dies ist wohl die Ursache,
daß sie trotz des geringen Comforts, der ihnen in Schlettstadt
zu Theil wird, so gesund und kräftig aussehen. Derselbe Schlag
ist auch auf den Dörfern zwischen Schlettstadt und dem Rhein
zu finden."
Menschen. 27
stammende und wieder verwilderte Nachkömmlinge desselben
betrachtet werden. Diese Pferde, welche man Tarpane
nennt, haben alle Eigenschaften echt wilder Thiere an sich
und werden von Tartaren und Kosacken als solche angesehen."
Der berühmte sibirische Reisende Dr. G. Rad de in Tiflis
schreibt über dieselben an Dr. Brehm Folgendes: „Zu Au-
fang der fünfziger Jahre bezeichnete man östlich vom untern
Dnjepr niit dem Namen Tarpan ein Pferd von brauner
Farbe, plumpem Bau, kleinem Wuchfe, schwerfälligem Kopfe
und etwas bogigem Umrisse des Schnauzentheils. Dasselbe
wurde dort nicht als verwildert, sondern als wild angesehen.
Nach Aussage der Herren Vasell, welche am untern Dnjepr
große Besitzungen hatten und durchaus zuverlässige Leute
waren, sollte es in kleinen Trupps in den Steppen sich auf-
halten und gejagt werden. Uebereinstimmend mit diesen Be-
richten fand ich die Mittheilungen der Schweizer Merz und
Filibert auf dem Gute Atimanai am Afsowschen Meere, nicht
weit von der so blühenden Ansiedelung der Mennoniten und
Württemberger. Auch hier halten die eingeborenen und ein-
gewanderten Bewohner das Thier für ein wildes. Ich
schließe mich diesen Ansichten an. Es liegen uns aus den
weiten Steppengebieten um Dnjepr und Don keine sicheren
Nachrichten vom Verwildern der Pferde vor und wir sind
somit nicht berechtigt, Rückschlüsse zu ziehen, welche zur Auf-
hellung der Frage beitragen könnten. Im Tarpan finden
wir die Eigenschaften alle, welche andere wilde Arten der
Pferdefamilie besitzen. Wäre er nun ein durch Geschlechter
verwildertes Pferd, so würde ihm wohl eine oder die andere
der edleren Eigenschaften und Formen geblieben sein. Dies
ist jedoch nicht der Fall und deshalb erscheint es mir nicht
unwahrscheinlich, daß wir es im Tarpan wirklich mit
einer wilden Pferdeart zu thuu haben und zwar
mit der einzigen, welche dem gezüchteten Hauspferde
thatfächlich nahe steht" J).
x) Auf eine briefliche Bitte um weitere Auskunft Uber den
Tarpan hatte Herr Dr. R add e in Tiflis die große Gefälligkeit,
mir mit Schreiben aus Tiflis vom 13. April d. I. Folgendes
mitzutheilen:
„Es ist meiner Ansicht nach wohl möglich, daß wir im
Tarpan das Stammthier des Pferdes vor uns haben. Eines
steht fest, daß unter den zahmen Pferden der Steppenvölker, zu-
mal der Kalmücken, viele dem Tarpan schlagend ähnliche Thiere
vorkommen. Dergleichen pasfirten noch vor Kurzem Tiflis und
ich erfuhr, daß sie fammt vielen anderen von den Kalmücken
der Regierung geschenkt worden seien, um Ersatz für die durch
den Krieg zu Grunde gegangenen Pferde zu bieten. Ich sah
unter diesen Pferdchen auch mausgraue mit schwarzem Rücken-
streifen. Alle glichen dem Tarpan in der gesammten Statur
sehr und trugen ein merkwürdig langes, zottiges Winterhaar."
Scheckige
cc. Zwischen Tripolis nnd Ghadames herrscht der Aber-
glaube, daß wenn eine kleine Bu Bris genannte Gekkoart
ein schwangeres Weib anblickt, dieses mit gefleckten Kindern
niederkäme. Hierdurch wird wenigstens das Vorhandensein
gefleckter Menschen in jenen Gegenden Nordafrikas constatirt,
denn der Glaube würde nicht aufgekommen fein, wären dort
nicht in der That fleckige Menschen vorhanden. Gerhard
Rohlfs, der auf jenen Aberglauben aufmerksam machte, er-
Zählt denn auch in der That gelegentlich seines Aufenthaltes
in Fesan das Folgende: „Aus der Vermischung schwarzer
und weißer Raceu entstehen auch hin und wieder Individuen,
deren Haut an einzelnen Partien des Körpers weiß, an an-
Menschen.
deren mehr oder weniger dnnkel gefärbt ist. Auf der ganzen
Grenzlinie zwischen der schwarzen nnd weißen Bevölkerung
kommen dergleichen Individuen vor, zwar nicht gerade häufig,
aber auch nicht so selten, daß ihre Erscheinung dortzulande
etwas Ausfälliges hätte. Der Schick) der Sauya von Tama-
grnt, Bu Bekr, z. B. hatte eine solche scheckige Haut. Bei
ihm bildete die weiße Farbe den Grund, in welchen größere
und kleinere schwarze Flecken wie Inseln eingesprengt waren;
umgekehrt sah ich aber auch Menschen mit schwarzer Haut
und darauf hervortretenden weißen Flecken" *).
]) Rohlfs, Quer durch Afrika, 1, 56, 154.
4*
28
Scheckige Menschen.
Ohne uns auf eine Kritik der Ansicht, welche Rohlfs
über die Entstehung dieser scheckigen Menschen ausspricht,
einzulassen, wollen wir es versuchen diese Erscheinung weiter
zu verfolgen und deren weite Verbreitung nachzuweisen.
Die Districte Madarm, Ledok, sowie einige Theile der
Nesidentien Bagleen, Djokja, Baujumas und Kadn auf der
Insel Java werden von den sogenannten Orang gnnong oder
Bergmenschen bewohnt, die gleich den übrigen Javanen zur
malayischen Race gehören. Unter ihnen kommt es zuweilen
vor, daß Kinder geboren werden, welche große weiße Flecken
am Körper oder anch Hände, Arme, Füße oder andere Theile
von milchweißer Farbe haben, während ihr übriger Körper
eine dunkelbraune Hautfarbe zeigt. Die weißen Glieder und
Flecken dieser scheckigen Menschen bräunen oder vergilben
selbst durch die Strahlen der Sonne nicht, sondern bleiben
glänzend und blendend weiß und sind weißer, wie die Haut
irgend eines Europäers. Bon den Eingeborenen im java-
nischen Hochlande wird als Ursache der scheckigen Hautfarbe
angegeben, daß die Mütter der scheckigen Kinder während der
Schwangerschaft von einem gewissen Seesische, der Jwake
Saunt genannt wird, gegessen hätten *).
Aehnliche Erscheinungen werden auch in Amerika häufig
beobachtet. Im mexicanischen Staate Gnerrero zeigen die
Indios pintados, die gemalten Indianer, bläuliche Flecken
auf branner Haut. Zu Cumaral im Staate Columbia
(Neu-Granada) traf der französische Reisende Ed. Andr«
einen etwa fünfzigjährigen Mann Namens Ignacio Avila,
einen Mischling, halb Indianer, halb Columbier, dessen
Gesicht und Brust im höchsten Grade die Zeichen jener
Krankheit zeigten, welche man dort als Carats bezeichnet.
Diese Hautkrankheit, sagt Andrs, besteht in einer Entfärbung
des natürlichen Pigmentes, in einer Art subcutaner Bunt-
scheckigkeit (panachure), welche den Körper mit geographi-
schen, gewöhnlich bläulichen Flecken auf bleicher Grundlage
Ein mit Carat« behafteter columbischer Indianer.
überzieht. Die Nüance der Flecken wechselt und man kennt
mehrere Arten der Earats. Die Behandlung derselben mit
Quecksilber ist leicht *).
Vou den Cholonen-Jndianern im östlichen Peru erzählt
E. Pöppig, daß ein eigenthümlicher stellenweise bei ihnen auf-
tretender Ausschlag, nachdem er abgeheilt, mißfarbige weiß-
liche Flecke hinterläßt, die, mit keiner sichtbaren Veränderung
in der Textur begleitet, auf der dunkel kupferbraunen Fläche
eine sonderbare Marmorirnng erzengen und nie wieder ver-
schwinden. Die auf solche Weise gezeichneten Indianer be--
legt man in Peru mit dem Namen overos (Tauber), weil
man das Colorit gefleckter Haustauben wieder zu erkennen
glaubt2).
Auch aus der Südsee läßt sich Aehnliches nachweisen. Ein
Berichterstatter der „Times" (4. Januar 1877) sah auf den
Fidfchi-Jnseln einen eingeborenen Albino, von dem er schreibt:
His eyes were not pink, but of a muddy blue, and his
slcin had numerous star-shaped freckles of the same
colour as other fijian skins.
Ein scheckiges Aussehen der Haut kann auch herbeigeführt
„Tour du Monde" XXV, 143.
2) Pöppig, Reift in Chile :c. II, 450.
werden durch partiellen Wechsel der Farbe derselben, einen
Fall, der jedoch nur selten beobachtet wurde. Ein interessan-
tes Beispiel dieser Art theilte Dr. Hutchisou im „American
Journal ofMedical Science", Januar 1852, mit; es betraf
einen damals 45 Jahre alten Negersklaven aus Kentucky,
der von schwarzen Eltern geboren und bis zu seinem zwölften
Jahre vollständig schwarz gewesen war. Da begann ein
zollgroßes Stückchen seiner Haut an der Stirn, gerade am
Ansätze der Haare, allmälig weiß zu werden und desgleichen
die benachbarten Haare. Dann erschien ein weißer Fleck am
linken Auge und von diesem aus verbreitete sich zunehmend
die weiße Farbe über das Gesicht, den Leib, die Glieder und
bedeckte schließlich den ganzen Körper. Der vollständige
Wechsel von Schwarz in Weiß nahm zehn Jahre in An-
sprach. Wäre nicht das krause Haar vorhanden gewesen,
man hätte keinen Neger zu sehen geglaubt, da die Farbe des
Individuums völlig der eines Europäers glich. Als der
Mann jedoch 22 Jahre alt war, begannen sich ans seinem
Gesichte und den Händen dunkel kupferfarbige oder braune
Flecken einzustellen; sie blieben jedoch nur auf die Stelleu
des Körpers beschränkt, welche dem Lichte ausgesetzt waren.
x) Julius Kögel im „Ausland" 1841, 495.
Emil Schlagintweit: Zeitungswesen in Britisch-Jndien.
29
Als die schwarze Farbe dieses Negers völlig verschwunden
war, verlor derselbe auch vollständig den Geruchssinn x).
Jedenfalls handelt es sich hier um pathologische Erschei-
nungen, und die Sache auf eine Mischung weißer und schwar-
„Transact. Ethnol. Soc. New Scries" I, 61, 1861.
zer Racen zurückzuführen, wie Rohlfs thnt, ist unstatthaft.
Hier liegt wohl partieller Albinismus vor, ebenso bei dem
von den Fidschi-Inseln angeführten Falle. Im Uebrigen
mögen verschiedene Hautkrankheiten die scheckige Färbung
hervorgebracht haben, wie denn auch in Europa gescheckte
Leute — Folge von Hautkrankheiten — vorkommen.
Zeitungswesen i
Von Cmil
Dem Inhalte nach machten die indischen Zeitungen die
Wandelung von Sittenrichtern zu politischen Blättern ver-
hältnißmäßig rasch durch. Uebersetzungeu aus euglisch-iudi-
schen Zeitungen treten bald ans; die Kritiken von Ver-
waltnngsmaßregeln fielen anfangs regelmäßig persönlich aus
und trugen den höchsten Beamten die Bezeichnung als Dumm-
köpse, Feinde der Menschheit, hinter denen man weder Fleisch
noch Blut und Gefühl suchen würde, uud dergleichen ein;
bald machten solche Ausfälle, an denen es damals auch in
der englisch-indischen Presse nicht fehlte, einer gesundern Kri-
tik Platz. Später lehnten sich die Blätter in Fragen der
innern wie auswärtigen Politik meist ängstlich an die eng-
lischen Zeitungen an; „es giebt keine indische Presse, welche
solche Fragen unparteiisch und leidenschaftslos besprechen
könnte; zum Theil hat es seinen Grund in der Furcht, die
jeder nicht das Indische als Muttersprache redende Jndier
hegt, er könne eine seinen Gebietern mißliebige Meinung aus-
sprechen/' In einem Berichte aus der Nordwestprovinz
(Hindostan) kurz vor dem Ausbruche des Aufstandes von
1857 heißt es: „Ueberblickt man die wenigen Blätter der
eingeborenen Presse, so findet man nur Unbedeutendes und
Kindisches darin; sie begnügen sich mit Auszügen aus eng-
lischen Zeitungen, mit Bazargerüchten, amtlichen Nach-
richten, Erzählungen und mythologischen Schrullen, ab und
zu stoßen Bücherrecensionen auf." Aehulich lautet noch ein
Bericht aus Bengalen für das Jahr 1872: „Im Durch-
schnitt ist die Eingeborenenpresse ohne Bedeutung; sie betonen
gern den Racengegensatz und greisen mit Vorliebe Persönlich-
leiten, besonders Beamte, an."
Selbständiger und weniger harmlos wurde die Zeitungs-
presse seit Mehrung der Wochenblätter. Nach den einzelnen
Proben, welche noch in der Zeit der ersten Preßmaßregelung
zum Vorschein gekommen waren, hatte das Mitglied des
obersten Rathes, Prinsep, schon 1835 die Presse für befähigt
erachtet, „eine Triebkraft zu werden, welche das Ansehen der
Regierung und damit die englische Herrschaft untergräbt.
Noch ist sie nichts; aber wenn wir sie fortwachsen lassen, bis
von ihr Gefahr unmittelbar droht, dann werden wir mit
einem Riesen zu kämpfen haben." Dem Aufstand von 1857
gingen im Januar in den Dehli-Blättern Sturmartikel vor-
her; sie predigten ganz offen Aufruhr und stellten Hülse von
Persien wie Rußland als Thatsache hin. Man legte diesen
Artikeln damals viel zu wenig Gewicht bei; als der Aufstand
ausbrach, die Anführer sich sofort aller Druckerpressen be-
mächtigten, die Lehrer zwangen, Artikel zu Gunsten ihrer
Sache zu schreiben und mit Beziehung aus den letzten Moghnl-
Kaiser ein Amtsblatt unter dem Titel Fatah-ul-Akbar her-
ausgaben, verhängte die Regierung mit Gesetz 15 von 1857
über alle Druckereien Aufsicht und führte im Pandschab voll-
B r i t i s ch - I II d i e u.
ständige Censur ein, die dort bis 1865 aufrecht erhalten
blieb. Diese Maßregeln hielten die Presse wirksam in
Schranken; sie brachte so wenig Nachrichten über den Gang
der Ereignisse in den ausständischen Provinzen, daß der Ge-
schichtsschreiber dieser Zeit (I. W. Kaye) den Localblätteru
kein Material entnehmen konnte.
Seit Niederwerfung des Anfstandes ist den Behörden
„ständige Achtsamkeit und sofortiges Einschreiten nicht bloß
gegen die unbesonnene Veröffentlichung der widersinnigen
Enten, die in so unbegreiflicher Weise entstehen und mit so
unglaublicher Schnelligkeit und Uebertreibnng von Bazar zn
Bazar sich fortpflanzen" zur besondern Pflicht gemacht.
Hand in Hand damit ging eine starke Beeinflussung der
Presse, indischen wie englischen, durch zahlreiche Abonnements
und directe Mitteilungen aus den Bureaus. In den be-
günstigtsten Zeitungen macht sich überschwengliche Unterthänig-
keit widerlich breit; einzelne Herausgeber drückten ihre Erge-
benheit schon im Titel des Blattes aus und nennen es nach
berühmten indischen Staatsmännern; so entstand in Hindo-
stan ein „Muir" , eine „Mayo-Gazette"; ganz offen laden
solche Zeitungen ihre Collegen ein, Artikel zu Gunsten der
Regierung zu schreiben, und nennen die ihnen zugewiesene
Unterstützung. Es gehört zu den Verdiensten Lord North-
brooke's, der 1872 die Würde eines Generalgouverneurs
übernahm, diesem zum öffentlichen Seandal gewordenen Miß-
stände ein Ende gemacht zu haben. Eine angestellte Unter-
suchung ergab, daß selbst stark unterstützte Blätter, die sich
nur durch die Abonnements der Regierung hielten, an weni-
ger beachteter Stelle ab und zu Schmähartikel gegen Regie-
rung wie Beamte brachten, und daß in den Mittheilungen
aus den Büreaus nicht selten Thatsachen in die Oefsentlich-
keit gebracht wurden, die besser iu den Acten geblieben wären.
Sofort wurden die Abonnements gekürzt (in der Nordwest-
Provinz allein ging man 1874 von 23 auf 6 Zeitungen,
1 Zeitschrift, zurück) und den Beamten verboten, aus Acten
an Zeitungen oder Zeitschriften zu berichten; auch die Ver-
binduugen mit englisch-iudischeu Blättern wurden abgebrochen,
von halbamtlichen Mittheilungen zur Berichtigung falscher
Gerüchte ein mäßiger Gebrauch gemacht, dafür bei den Pro-
viuz- und Centralstellen alle indischen Zeituugen fortlaufend
einer eingehenden Durchsicht unterworfen und zu amtlichem
Gebrauche - Vormerkungen genommen. So entstand das
Material, das dem Vicekönig, Lord Lytton, Anlaß gab, am
14. März dieses Jahres dem gesetzgebenden Körper für In-
dien einen Gefetzesentwurf zu unterbreiten, welcher die indische
Presse der Censur unterwirft, -und nach eingehender Vera-
thung noch denselben Abend als 9. Gesetz des Jahres 1878
im Reichsanzeiger veröffentlicht wurde.
Sachreferent Sir Alexander Arbnthnot leitete den An-
30 Emil Schlagintweit: Zei
trag mit der Bemerkung ein, daß jetzt jede größere Stadt
Indiens mindestens ihr Wochenblatt habe, welches von vielen
Volksclassen gelesen werde; es sei kaum möglich, den Einfluß
zu überschätzen, den die Presse aus die Massen gewonnen
habe. In den letzten 4 bis 5 Jahren hätten sich die Blät-
ter gemehrt, die keinen andern Zweck zu haben scheinen als
aufrührerische Artikel zu verbreiten; selbst sonst gut geleitete
bringen ab und zu sehr gehässige Artikel; insbesondere in
den letzten zwöls Monaten sei die Tyrannei und Ungerechtig-
keit Englands gegen Indien in unzähligen Leitartikeln behan-
delt worden. „Die englische Regierung ist ein Ungeheuer;
gleich diesem verzehrt sie ihre eigenen Kinder, ihre Untertha-
nen. Die Gebieter verletzen nach Willkür die Gesetze, die
sie selbst gaben; weder nach Naturgesetzen noch nach positivem
Rechte kann ein Engländer wegen Mordes an einem Indier
bestraft werden; nach dem Naturgesetz heißt es, ein Unglücksfall
liege vor, und das Strafgesetz wird auf Engländer nicht
angewandt, so häufig sie es gegen uns auch verletzen. Fort-
während bricht die Regierung ihre Zusagen und bereichert
die Kinder des Mutterlandes auf Kosten Indiens." Mit
Vorliebe wird dem englischen Reiche Schwäche vorgeworfen
und Unfähigkeit, sein indisches Nebenreich zu halten. „Eng-
land hat keine kampfbereite Feldarmee. Carthago gleich,
häufte es große Schätze auf, aber diese konnten die stolze
Handelsstadt vor der Vernichtung nicht schützen. Gegen
kleine, ohnmächtige Gegner, wie den König der Abessinier,
oder die Garo in Bengalen, die Lnfchai-Halbwilden an der
Grenze Birmas, erhebt das stolze England Forderungen;
dagegen wird sich auf Unterhandlungen und Beschwichtig««-
gen verlegt gegen die Fürsten von Kelat und Afghanistan.
Wir werden jetzt von Fremden regiert, aber wir dürfen unter
dem gegenwärtigen Drucke nicht verzweifeln; nachdem selbst
so mächtige Könige und ihre Reiche, wie (die fabelhaften)
Ramatschandra und Rawana oder (der historische) Wikra-
maditya, dahinstarben, um so weniger Dauer können die kurz-
lebenden Könige der Jetztzeit haben." Rußlands Ausdeh-
nnng in Centralasien hält die Blätter stetig in Athem, die
Blätter bieten eine Ueberfülle an aufregenden Nachrichten.
Bald bauen die Russen eine Straße nach Merv und rücken
auf Herat, bald geben sie wieder Samarkand und Khotan
zurück; ein anderer läßt sie in Kaschgar eingreifen. Der
russisch-türkische Krieg giebt den Zeitungen Stoff zn den
schlinnnsten Verdächtigungen. „Von Beginn des Krieges
an zeigte England Schwäche, eine einzige scharfe Depesche
Rußlands kühlte seine Hitze. Tapfer war England niemals,
diplomatischer Kunst nnd Ränken dankt es seinen großen
Besitz. Sollte Indien je der Schauplatz eines russischen
Einfalles werden, so würde dies für uns schreckliche Folgen
haben, Engländer könnten ihr Leben schließlich nur durch die
Flucht retten" (Bombay Kiran). Aehnlich nnd stellenweise
noch stärker sprechen sich andere Blätter ans. Der Vergleich
zwischen der Regiernngswirthschaft in den von indischen
Fürsten regierten Staaten und im englischen Indien fällt bei
dem in Jndor, der Hauptstadt des mächtigen Maratha-Fürsten
Holkar, erscheinenden Malwa Akbar zu Gunsten der Vasallen-
staaten ans; dasselbe Blatt läßt den berüchtigten Führer des
Aufstandes von 1857, Nana Sahib, der schon längst in
Tibet verstarb, in Russisch-Asien eine Armee sammeln, „um
unter dem Protectorate des Zaren die alten Maratha-Kö-
nige, in die das Reich des Peifchwa zerfiel, zn einem Staaten-
bunde zn vereinigen."
Gegen diese Zügellosigkeit ist das neue Preßgesetz ge-
richtet; in meisterhafter staatsmännischer Rede legt General-
gouverneur Lord Lytton, berühmt als Dichter und bis znr
Ernennung zum höchsten Beamten in Indien als Diplomat
in allen größeren Staaten Europas wie in Nordamerika
ngswesen in Britisch-Jndien.
thätig, die Notwendigkeit dieser Ausnahmsmaßregel dar.
„Durch Ironie des Schicksals wird mir die Pflicht auferlegt,
gesetzliche Maßregeln zu dem Zwecke zu ergreifen, einem
Theile der Presse dieses Landes Beschränkungen aufzuerlegen;
durch Berufsgemeinschaft, Neigung und Ueberzeuguug stehe
ich auf Seite jener, welche die freie Meinungsäußerung in
der Presse als das Natürliche und als ein nationales Geburts-
recht betrachten. In Indien ist jedoch weder das Vorhanden-
sein einer Presse noch ihre Freiheit ein Werk der Eingebore-
nen des Landes; die englischen Regenten Britisch-Indiens
unternahmen es, die verfeinertsten Grundsätze europäischer
Staatskunst und einige der künstlichsten Einrichtungen der
europäischen Gesellschaft auf eine zahlreiche orientalische Be-
völkerung zu übertragen, in deren Geschichte, Gewohnheiten
und Überlieferungen sich nichts hiervon vorfand. Redens-
arten wie religiöse Toleranz, Freiheit der Presse, Sicherheit
der Person und des Eigenthums, Herrschaft des Gesetzes,
welche in England lediglich Schlagwörter sind für Anfchannn-
gen, von denen die ganze Nation getragen ist und welche dort
bei allen großen geschichtlichen Begebenheiten zum Ausdruck
kamen, sind hier in Indien der großen Masse des Volkes
geheimnißvolle Formeln eines fremden, mehr oder weniger
nicht ansprechenden Berwaltungssystemes, dessen Vorzüge den
Wenigsten verständlich sind. Es läßt sich nicht verkennen
und kann nicht bestinnnt genug betont werden, daß wir uns
durch Einführung dieser Grundsätze und Ausrechthaltung die-
ser Einrichtungen an die Spitze einer allmächtigen aber riesen-
großen Umwälzung stellen, der großartigsten und eingreifend-
sten gesellschaftlichen, sittlichen, religiösen und politischen
Wandelung, welche die Welt bisher sah. Wären die össent-
lichen Allsleger und Kritiker unserer Handlungen nur euro-
päische Journalisten, welche uns verstehen und zu beurtheilen
im Staude sind, so könnte ihr Urtheil schließlich nicht anders
als zum Vortheil des Landes ausfallen; nun sind aber die
Mehrzahl der Mitarbeiter an Zeitungen in indischen Volks-
sprachen Leute von völlig ungenügender Bildung und ihre
Auslassungen werden von noch Ungebildeteren, noch Unwissen-
deren gelesen. Nicht zufrieden, die Regiernngsmaßregeln
zu verdrehen und übelwollend zu deuten, haben diese schäd-
lichen Schreiber neuerdings begonnen, offenen Aufstand zu
predigen. Es ist dies keine Übertreibung, ich verweise auf
die 40 Seiten Zeitungsausschnitte in den Beilagen zum
Ceusurgesetze. Ich behaupte, daß keine Regierung der Welt
solche Auslassuugeu ruhig hinnehmen wird oder unbeachtet
lassen könnte; Maßregeln zur Verhinderung solcher schädlichen
Aenßeruugen können als kein größerer Eingriff in die Frei-
heit der Presse erachtet werden, als Polizeivorschriften über
den Handel mit Gift in den Grundsätzen über Freihandel.
Sind diese Ausbrüche der Presse auch nur faule Pusteln und
Eiterbeulen zu nennen ans den wenigst schicklichen Theilen
des Körpers, so erfordern doch die Hülflosen Massen unserer
eingeborenen Bevölkerung unfern Schutz. Die Wahrnehmung
des obersten Gesetzes in einem Reiche, die Sorge für die
Sicherheit des Staates, fordert gebieterisch den Vollzug der
in Vorschlag gebrachten Maßregel."
Das neue Preßgesetz ermächtigt die Provinzregierungen,
durch ihre Kreisbeamten den Drucker und Herausgeber einer
jeden periodisch erscheinenden Zeitung oder Zeitschrift, welche
in einer indischen Volkssprache ausgegeben wird, zur Entrich-
tnng einer Cantion und zur Unterzeichnung einer Erklärung
vorzurufen, dahin lautend, daß er nichts drucken und in Bild
oder Zeichen veröffentlichen werde, was geeignet ist, a. Ab-
neigung gegen die in Britifch-Jndien eingesetzte Obrigkeit zu
erregen; b. oder eine Person in Furcht oder Schrecken zu
setzen und hierdurch zu veranlassen, entweder Geld oder Geldes-
werth hinzugeben, oder als öffentlicher Diener oder Beamter
Aus allen
von Erfüllung seiner Pflicht abzustehen. Erscheint nach Ab-
gäbe von Caution und Erklärung ein diese Grundsätze ver-
letzender Artikel, so erfolgt eine erste Warnung im treffenden
Amtsblatt; ist eine neue Verfehlung erfolgt, so verfällt die
Caution, Pressen und Druckvorrichtuugeu werden eingezogen.
Binnen drei Monaten kann gegen jede Warnung oder Con-
siscation au deu Verwaltungsgerichtshof (den Generalgouver-
ueur in seinem Rathe) appellirt werden. Caution uud Er-
kläruug werden überflüssig, wenn der darum Angegangene
sich verpflichtet, in seinem Blatte nichts drucken zu lassen,
was nicht dem Beamten zur Geuehmiguug vorgelegt und
von diesem schriftlich genehmigt wurde. Wegen Bücher, in
indischen Volkssprachen gedruckt, welche gegeu diese Grundsätze
verstoßen, erfolgt sofort Beschlagnahme aller Exemplare wie
Cousiscation der zu ihrer Herstellung benutzten Pressen und
Vorrichtungen; auswärts in solchen Sprachen gedruckte uud
eingeführte Bücher unterliegen an der Grenze genauer Durch-
ficht und Wegnahme bei anstößigem Inhalte. Kaiserlicher
Verordnung ist Festsetzung des Geltungsbereiches des Gesetzes
vorbehalten; diese erfolgte dahin, daß nur die Centralproviu-
zeu und Madras oder das Dekhan uud Südindien noch nicht
davon betroffen sind.
Erdtheilen. 31
Ju den besseren Kreisen der indischen Gesellschaft fand
das neue Gesetz uugetheilte Billigung; man ist froh, der ste-
ten Verunglimpfung uud Bedrohung durch die Presse eut-
hoben zu sein. Redacteure und Inhaber der Zeitungen beab-
sichtigten Versammlungen abzuhalten und sich an das eng-
tische Parlament mit der Beschwerde ungebührlicher Bedrückung
zu wenden; die Versammlungen vertagten sich aber ohne zu prak-
tischeu Beschlüssen zu kommen, da die anwesenden Engländer
unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen jeden Ver-
such, der Regierung Verlegenheiten zu bereiten, als nicht zeit-
gemäß verwarfen. Die neue Maßregel scheiut der Ver-
breituug des Englischen, dessen jetzt bereits au 6 Millionen
Jndier neben ihrer Muttersprache kundig sind, Vorschub zu
leisten; da Zeitungen in dieser Sprache Preßbeschränkungen
nicht unterworfen sind, so erscheint das Bengali-Blatt
„Amrita Bazar Patrika" bereits englisch. Maßvoll ange-
wendet, wird das Gesetz dazu beitragen, die Läuterung des
indischen Zeituugsweseus zu beschleuuigen; zu wünschen ist
nur, daß es der Regierung gelinge, ein leitendes Blatt zu
gleichem unvergeßlichen Muster jüdischer Journalistik zu er-
heben, wie es für uns das unter Justus Moser 1766 zum
ersten Male erschienene Osnabrücker Jntelligeuzblatt wurde.
Aus allen
A n st r a l i e n.
— Seit einem Jahre expedirt die Gesellschaft der Orient
Line itt London ihre Schnelldampfer, welche, wie die „Lusi-
tania" und „Chimborazo", die Reise in 38 und 40 Tagen
zurückgelegt haben, über das Cap der Guten Hoffnung nach
Australien. Dadurch scheint es möglich geworden zu sein,
die herrlichen Gartenfrüchte Australiens nach Europa
zu exportireu. Der rühmlichst bekannte Director des bota-
nifchen Gartens in Adelaide, Dr. Schombnrgk (aus Freiburg
a. d. Unstrut), und Mr. C. I. Coates haben am 1. März
dieses Jahres mit dem Dampfer Lnfitania 15 Kisten der
feinsten Gartenfrüchte, in Hirse verpackt, für die Pariser
Ausstellung abgeschickt. Ebenso hat Mr. G. F. Jnd, ein
großer Obst- und Weingärtner in der Nähe von Adelaide,
mit demselben Dampfer eine halbe Tonne (1100 Pfund)
Weintrauben, hauptsächlich Muscat- und Doradilla-Sorten,
nach London befördert, und er wird mit dem nächsten Dampfer
eine ähnliche Sendung nachfolgen lassen. Sollte der Versuch
gelingen, so beabsichtigt Mr. Jnd den Export in großartigem
Umfange zu betreiben. Die Weintraubenreife beginnt in
Australien im Januar uud geht mit Ende März zu Ende.
Ein günstiger Erfolg dieses Unternehmens würde für Anstra-
lien von großer Bedeutung sein, da der Weinbau, für wel-
chen sich Boden und Klima dort so vorzüglich eignen, sich
bis jetzt wegen fehlender Absatzquellen nicht bezahlt macht.
— Die schnellste Fahrt von London nach Australien
(Adelaide), welche bisher erreicht wurde, legten die Postdampfer
°'aut und A|jam über Suez in 38 und 37% Tagen zurück.
erstere traf am 25. Februar und der letztere am 24. März
1873 in Adelaide ein. Würden die Postdampfer von der
Mündung des Rothen Meeres aus direet, ohne Point de
Galle auf Ceylon zu berühren, auf King George's Sound
in Westaustralien laufen, wie jetzt auch projectirt wird, so
ließe sich damit die Fahrt über Suez noch um mehrere Tage
verkürzen.
— Die Goldfelder derColonieVictoria lieferten im
Jahre 1877 einen Ertrag von 792 839 Unzen, d. h. 144 421
Erdtheilen.
weniger als im Vorjahre. Die Ergiebigkeit hat sich nun
schon seit Jahren continnirlich verringert. Seit Entdeckung
der Goldfelder im Jahre 1851 bis Ende 1877 wurden ins-
gesammt 47 266 563 Unzen Gold aufgefunden. Rechnet man
die Unze zu 4 Pf. St., so würde sich damit ein Werth von
189 066 252 Pf. St. oder 3 808112 658 Mark ergeben. Am
Schlüsse des Jahres 1877 waren noch 38005 Personen mit
Goldsuchen beschäftigt, und davon arbeiteten 13 570 Europäer
und 9745 Chinesen im Alluvium und 14 559 Europäer und
131 Chinesen auf Quarz. Die sechs proclamirten Goldfelder,
Ballarat, Beechworth, Sandhurst, Maryborough, Castlemaine,
Ararat und Gipps Land, umfaßten ein Areal von 1185%
Quadratmiles, uud die Minenapparate uud Maschinen hatten
einen Werth von 2 029 962 Pf. St. Achtzehn Schachte wa-
ren bis zu einer Tiefe von über 1000 Fuß gesenkt, die beiden
tiefsten bis zu 1940 und 1856.
— Der Gouverneur derFidschi-Juselu, Sir Arthur
Gordon, sprach sich im Februar dieses Jahres über die
junge Colonie dahin ans: „Die allgemeine Stockung uud
Depression hat glücklicherweise ihr Ende erreicht und an deren
Stelle ist erneutes Vertrauen getreten. Die Revenue aus
deu Zöllen hat sich verdoppelt uud die gesammte Revenue
verdreifacht; überall herrscht die vollkommenste Ordnung und
die Zeit liegt nicht fern, wo diese Inseln zu den ersten und
besten znckerprodncirenden Ländern zählen werden."
— In Queensland scheint man einzusehen, daß die
Chinesen doch wohl besser sind als der Ruf, welchen der
Janhagel über sie verbreitet, weil er ihnen das gefundene
Gold nicht gönnt. Es ist der Regierung der Colonie von
Europäern der bessern Elasse auf den Palmer-Goldfeldern
eine Petition überreicht worden, daß die 3 Pf. St., welche
die Chinesen für die Berechtigung, nach Gold zu suchen, zu
zahlen haben, während die Weißen nur 10 Sch. entrichten,
auf dasselbe Maß mögen redncirt werden-
Dagegen echaussirt man sich jetzt wieder in Süd-
austratieu über die Chinesen ganz außerordentlich. Der
jetzige (seit dem 2. Oetober 1877) Gouverneur dieser Colonie,
Sir William F. D. Jervois, welcher früher in Singapore
32 Aus allen
eine gleiche Stellung bekleidete und dort die Hindus, Malayen
und Chiuesen als Arbeiter kennen lernte, empfahl in drin-
gender Weise die Einführung von Chinesen nach Südaustralieu,
namentlich nach Port Darwin an der Nordküste. Er ist aus
klimatischen Gründen der Ansicht, daß das sogenannte Northern
Territory nicht durch europäische, sondern nur durch chiue-
sische Arbeiter, welche au ein Tropenklima gewöhnt seien,
zur vollen EntWickelung gelangen könne, und versichert gleich-
zeitig , daß die socialen und sittlichen Gründe, welche man
gewöhnlich gegen die Einwanderung von Chinesen vorbringe,
hinfällig werden, sobald letztere nur eine hinreichende Anzahl
von Frauen mit sich führen. Nachdem von dem frühern
Colton-Ministerium (1. Juni 1876 bis 23. October 1877)
die Einführung einer größer« Anzahl von sehr nützlichen
Mennoniten aus dem Süden Rußlands, welche vou einem
ihrer Bischöse der südaustralischen Regierung angetragen
wurde, thörichter Weise zurückgewiesen worden, hat diese auf
langer Erfahrung beruhende Ansicht des Gouverneurs ihre
volle Berechtigung. Dennoch hat sie ihm wenig Dank ein-
gebracht und seiner Popularität nur geschadet, um so mehr
als wirklich in neuester Zeit mehrere hundert Chinesen aus
Hongkong in Port Darwin eingetroffen sind. Man verlangt
Maßregeln gegen diese Horden, eine besondere Kopfsteuer und
was sonst. Um diesem Tagesgeschrei gerecht zu werde«, hat
das jetzige soust vortreffliche Boucaut-Ministerium wenigstens
so viel iu sein politisches Programm aufgenommen, daß in
Zukunft keine Chinesen mehr bei Regieruugsbauteu beschäf-
tigt werden sollen, obgleich es bei den vielen Eisenbahnen,
welche zur Zeit gebaut werden, an Arbeitern mangelt. Die
Bauunternehmer der großen Eisenbahn von Port Angusta
nach dem nach Norden zu liegenden und 198 Miles entfern-
ten Government Gums haben nämlich eine große Anzahl
von Chinesen bei diesen Arbeiten eingestellt und dadurch unter
den Weißen viel Unwillen hervorgerufen. Natürlich werde«
sich die öffentlichen Bauten durch eine solche bornirte Arbeiter-
einschräukullg erheblich vertheuern.
— Die Bevölkerung der Colonie Victoria suuunirte
am 31. December 1877 auf 860 804, uud zwar 467 753
männlichen uud 393 051 weibliche« Geschlechts. Dies ergiebt
gegen das Borjahr einen Zuwachs vou 20 504 (11290 mann-
lich und 9214 weiblich). Es wurden 26 043 geboren, es gin-
gen 12 792 mit Tode ab uud es wanderten auf dem See-
wege 41196 Personen ein und 33 943 aus. Die öffentliche
Revenue im Jahre 1877 belief sich auf 4 512 261 Pf. St.
oder 49 998 Pf. St. mehr als im Vorjahre. Davon flössen
1 586160 Pf. St. aus Eingangszöllen, 156 096 Pf. St. aus
der Accife, 981465 Pf. St. aus Kroulaud, 1 128 620 Pf. St.
aus Eisenbahnen, 233 834 aus dem Post- und Telegraphen-
Wesen u. s. w. Ende März 1878 betrug die Lauge der Eiseu-
bahnen in der Colonie schon 967 Miles, gegen 699 im
Vorjahre.
— Das Departement für das Unterrichtswesen von Vic-
toria ist der belgischen Regierung gefolgt und hat durch
Mr. A. R. Wallis, Secretär im Ministerium für Ackerbau,
eine colorirte Tafel für die öffentlichen Schulen anfertigen
lassen, welche die insectenfressent>en Vögel der Colonie,
36 an Zahl, darstellt. Der begleitende Text giebt den Na-
men — den vulgären wie den wissenschaftlichen — sowie
nähere Angaben und die Besonderheiten, namentlich auch über
die Nahrung der einzelnen Vögel. Die Tafel ist in jeder
Beziehung eine vorzügliche zu nennen.
— Im März 1878 trat in Victoria eine neue Be-
steuerung alles Weidelandes, welches als freies Eigen-
thum im Umfange von 5000 Acres besessen wird, in Kraft,
die das jetzige demokratische Berry - Ministerium trotz aller
Erdtheilen.
Opposition im Oberhause in der letzten Parlamentssession
durchgesetzt hatte. Alles derartige Land wird nach vier Clas-
feit bonitirt: 1. welches durchschnittlich auf dem Acre zwei
Schafe, 2. auf zwei Acres drei Schafe, 3. auf einem Acre
ein Schaf und 4. auf einem Acre noch kein Schaf ernährt.
Diese vier Classen werden mit resp. 1 Sch., 9 P., 6 P. und
3 P. pro Acre belastet. Es hat sich bei dieser sehr gehässigen
Taxation herausgestellt, daß nur 17 711 Acres in die erste
und 26 965 iu die zweite Classe verwiesen werden konnten,
während 180 038 und 203 633 Acres in die dritte und vierte
Classe fielen. Da sich die jährlichen Kosten der Taxation auf
über 50 000 Pf. St. belaufen, so wird dem Staate kaum ein
Nettoertrag von 90 000 Pf. St. zufallen. Die dritte und
vierte Classe können eine solche Extrabesteuerung nicht ertra-
gen uud werden rninirt sein.
— Der Surveyor - General der Colonie Victoria,
Mr. Skene, ist mit der Anfertigung einer Karte von
Australien im Maßstab vou 40 Miles auf deu Zoll be-
schäftigt, welche bis auf die neueste Zeit fortgeführt wird.
Sie ist 6% Fnß breit und 5 Fuß hoch uud umfaßt im Nor-
den Theile vou Java und Nen-Gninea und im Süden auch
Tasmanien.
— In der Colonie Südaustralien wurde im März
dieses Jahres der Schulzwaug eingeführt. Die Aeltern
sind verpflichtet, ihre Kinder im Alter von 7 bis 13 Iah-
ren an 70 Tagen in jedem Halbjahr zur Schule zu schicke«.
— Der inzwischen verstorbene britische Consul Liardet
hatte die Regierung von Samoa wegen allerlei angeblicher
Beleidigungen mit einer Strafe von 30 000 Doll., vorbehält-
lich der Bestätigung der britischen Regierung, belegt. Letztere
befahl dem Gouverneur der Fidschi - Inseln, Sir Arthur
Gordou, sich auf dem Kriegsschiffe Sapphire nach Samoa zu
begeben und diese Angelegenheit näher zu uutersucheu und
zu ordnen. Sir Arthur traf am 10. Februar 1878 auf
Samoa ein und erklärte, daß die Strafe allerdings zu hoch
sei und auf 6000 Doll. herabgesetzt werden solle mit der Aus-
sicht, daß, wenn einige Ratenzahlungen erfolgt seien, der Rest
.erlassen werde. Nach mehreren Conferenzen gaben die vom
amerikanischen Consul, Mr. Grifft«, beeinflußten Häuptlinge
die entschiedene Erklärung ab, daß sie, bevor nicht ihr Häupt-
liug Mamea, den sie nach Washington geschickt hätten, um
ihre Inseln uuter das Protectorat von Nordamerika zu stellen,
zurückgekehrt sei, sich auf keine Verbindlichkeit irgend einer
Art, weder mündlich noch schriftlich, einlassen würden. In
Folge dessen befahl Sir Gordon die Wegnahme des der Re-
gierung von Samoa gehörigen Schooners Elizabeth, welchen
dann das Kriegsschiff Sapphire in Tau uahm und nach den
Fidschi-Jnseln schleppte. Da Nordamerika das Protectorat
der Samoa-Juseln wirklich überuommeu hat, wird dessen
Stellung zu diesem Confliete von Interesse sein (vergl. Glo-
bns XXXIII, S. 64, 256 und 272).
— Tasmaniens Aussichten scheinen sich in Folge von
Entdeckungen vou Erzlagern zu besseru. Große Masse»
Z iuu sind bekanntlich am Mount Bischoff entdeckt worden,
und neuerdings hat mau einen bisher für durchaus Werth-
los gehaltene« Strich Laudes im Nordwesten mit größerer
Sorgfalt untersucht und dabei gefunden, daß derselbe zwar
für die Laudwirthschaft von geringem Nutzen sein wird, aber
große Mengen von Eisen und anderen Metallen birgt.
Manche Flußbetten enthalten Spuren von Gold; auch Kupfer
kommt vor. In den dichten Wäldern jenes Gebietes
sollen einzelne Exemplare von Eucalyptus eine Höhe von
3000 Fuß erreichen. Die forgfältige Durchforschung jenes
Theiles der Jusel finden ihren Fortgang. (Mwre.)
Inhalt: Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien. II. (Mit 10 Abbildungen.) — A. Ecker: Das
europäische Wildpferd und dessen Beziehungen zum domesticirte« Pferd. II. — Emil Schlagintweit: Zeituugswese« iu
Britisch-Jndien. II. (Schluß.) — Scheckige Menschen. (Mit einer Figur.) — Aus allen Erdtheilen: Australien. — (Schluß
der Redaction 20. Juni 1878.)
Nedacteur: Dr. N. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
Mit besonderer Herücksirktigung äer AntKroyologie untt GtKnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
vi-. Richard Kiepert.
frfiVtiptrt Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten i qwq
-O Ltlllu J UJUJtlQ zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. I N « c?.
Aus Charles Wieners
Mit hungrigem Magen machte sich der Reisende Ulit
seinem Diener und seinen müden Thieren schon um 3^ Uhr
auf den Marsch, durchwatete den Rio Ayuchaca und stieg
jenseit desselben den steilen Abhang nach Sau Lniz hinauf.
Drei Stunden östlich von dort liegen auf dem Wege nach
Nauya Ruinen auf dem Gipfel des Berges Maraycallo,
welche, heute in sehr schlecht erhaltenem Zustande befindlich,
früher denen des Cerro dePashash sehr ähnlich gewesen seiu
müssen. Einst waren ihre Wände mit Basreliefs bedeckt,
von denen einige uach Sau Luiz verschleppt worden siud.
Da sie aus Lava bestehen, so haben sie der Unbill des Wet-
ters weniger Widerstand geleistet als die von Pashash; die
Züge der Gesichter sind verlöscht uud es haben sich nur An-
deutuugen erhalten.
In San Luiz war Wiener an einen alten irischen Ma-
trosen empfohlen, der ihn freundlich aufnahm uud bewirthete.
Das Essen wurde auf einem großen Tische aufgetragen, wie
sie im nördlichen Peru üblich sind, 50 bis 60 Centimeter
hoch uitd einen Quadratmeter im Umfang. Nachdem die
Schüsseln abgeräumt waren, forderte der Ire feinen Gast
auf, sich ans demselben Möbel sein Bett herzurichten. Nichts
Unbequemeres als von solchem Tische zu speisen, wenn man in
einem alten spanischen Lehnstuhle sitzt, der sich zu dem Tische
verhält wie ein gothischer Dom zu einem Küsterhäuschen.
In jener Gegend besitzt ein Wohl ausgestatteter Haushalt
nur einen oder zwei solcher Stühle; denn die Familien-
Mitglieder setzen sich ans die Ziegelstufen, welche an der Wand
hinlaufen, oder kauern sich aus dem Boden nieder. Sehr
selten nehmen auch in Familien gemischten Blutes beide Ge-
schlechter die Mahlzeiten zusammen ein; vielmehr bedienen
Globus XXXIV. Nr. 3.
iu Peru uud Bolivien.
die Frauen die Männer und verzehren hinterdrein, was ihnen
letztere übrig gelassen haben. In der Küche sitzen sie dann
auf dem Boden, brauchen statt der Gabel die Finger und
singen dazu mit vollem Munde halblaut irgend ein yaravi,
huaine, triste oder pasacalle.
Der Weg von San Lniz nach Hnari bot, von einigen
Ueberresten einer alten Jnca<Straße abgesehen, nichts Merk-
würdiges dar. Bedeutende und gut erhaltene Spuren davon
hatte er schon ans der Pampa von Mmobamba, in der Ha-
cienda Angasmarca, sechs Stunden von Hnamachnco, gese-
hen. Noch heute kann mau sie dort iu gerader Linie acht
Wegstunden weit auf meist ebenem Boden verfolgen; Boden-
wellen, auch wenn dieselben ziemlich ansehnlich sind, geht sie
nicht aus dem Wege. Zwischen San Luiz und Hnari zieht
sie sich am Abhänge der Cordillere hin und zeigt von 50 zu
50 Schritte Wasserrinuen, so daß ihr die wolkenbruchartigen
Regengüsse jener Gebiete, welche mitunter Stunden lang die
Abhänge der Berge in einen einzigen riesigen Wasserfall
verwandeln, nichts anhaben können. Ebenso bemerkt man
noch heutigen Tages die Ruinen von Posthäusern oder Sta-
tionen für die Läufer der Jnca, welche iu sehr ungleichen
Abständen von einander, aber doch an sehr richtig und logisch
gewählten Stelleu sich erheben. In ebenem Terrain sind
sie im Allgemeinen etwa 1 x/2 Kilometer von einander ent-
fernt; bei ansteigendem Wege richtet sich ihr Abstand nach
der Steigung. Je größer dieselbe ist, je näher liegen sie
sich, und an besonders steilen Stellen hat Wiener nur 80
Schritt zwischen zwei solchen Häusern gezählt.
Die modernen Indianer besitzen eine Ueberliefernng, wo-
nach der Jnca in Cajamarca gewohnt war, alltäglich frische
5
Criados-Jndianer in Hnari, den Namenstag ihres Herrn feiernd.
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
35
Fische zu essen, welche durch kaiserliche Läufer von Huauchaco
bei Trujillo bezogen wurden. Es ist das eine Entfernung
von 59 starken Stunden, zu welcher heutzutage ein Reisender
mit guten Reitthieren nicht unter fünf Tage braucht, so daß
man glauben möchte, die Legende habe als tägliches Gescheh-
niß hingestellt, was nur ausnahmsweise einmal vorgekommen
ist. Untersucht man aber die Ueberbleibsel der Jnca-Straßen
genau, so geht einem schließlich das Verstäuduiß für jenes
Couriersystem in seiner sinnreichen Einfachheit auf und man
hält zuletzt das Factum jener Tradition nicht Nur für mög-
lich, sondern auch für wahrscheinlich.
In jedem von jenen Stationshäuschen hielten sich ein
oder mehrere chasqui oder Läufer auf. Sobald der erste
zu laufen anfing, wurde der folgende durch einen lauten Pfiff
davon benachrichtigt und hielt sich bereit, und so fort. Wenn
man sich daran erinnert, daß an steilen Wegstellen die Posten
sehr nahe an einander lagen, so wird es wahrscheinlich, daß
die Läufer für jegliche Station etwa die gleiche Zeit brauch-
ten, wobei sie in der Ebene mehr, in der Bergen weniger
Terrain gewannen. Der Oberpostmeister des Jnca hatte
offenbar bei Erbauung der Häuser dieses Princip zu Grunde
gelegt. Nun kann erfahrungsgemäß ein kräftiger Indianer
'cht Kilometer in vier Minuten zurücklegen. Jene 59Stnn-
den des heutigen unendlich gewundenen Weges entsprechen
aber bei der schnurgeraden Anlage der alten Straße etwa
der Hälfte oder noch weniger, d. h. 29y2 Stunden oder
236 Kilometer, welche nach obiger Annahme von stets sich
ablösenden indianischen Läusern in 944 Minuten oder 15%
Stunden zurückgelegt werden können. Die Fische also, welche
früh am Morgen in Hnanchaco gefangen und etwa um 4 Uhr
dem ersten Läufer übergeben worden waren, konnten von dem
letzten Abends 7 Uhr dem Koche Sr. Majestät in Cajamarca
übergeben werden. Natürlich hat sich die Geschichte von den
Fischen nur dem Gedächtuiß der gefräßigen Indianer am
tiefsten eingeprägt und deshalb lebendig erhalten; zweifellos
aber diente dieses Läufersystem auch zu weit wichtigeren Diu-
UTyT
Kopf aus Sandstein in der Mauer des KirchhofsAon Huari.
gen und war einst eines der wichtigsten Institute der Regie-
rung — denn wer am schnellsten befiehlt, befiehlt am besten.
So konnten die Jncas ihre unbestrittene Herrschaft über einen
gewaltigen Theil Südamerikas ausüben; nur dadurch, daß
f'e in so sinnreicher Weise der Entfernung Herr wurden,
vermochten sie die zahlreichen Völker desselben sich mit Gewalt
än unterwerfen.
Auf den Resten einer solchen Straße erreichte Wiener
Zwei Tage nachdem er San Lniz verlassen Huari. Zwi-
schen diesen beiden Tagen lag aber eine böse Nacht: es
hatten sich Schäfer von der Pampa mit unheimlichen Ge-
sichtern gezeigt, so daß der Reisende es für nützlich hielt, von
Sonnenuntergang bis zum Morgen bei seinen Thieren Wache
zu halten. Von 36stündigem Wachen ermattet, verfiel er
w dem gastlichen Hause des Herren Lestameta in Huari
sofort in Schlaf. Es war gerade der Namenstag seines Wir-
thes; in Folge dessen waren seine Indianer alle betrunken
Nördliche Seite. Südöstliche Seite.
Prismatischer Monolith in den Ruinen von Chavin de
Hnantar.
uud vollführten eine ohrenzerreißende Musik. Mit religiösen
Liedern wurde ein sterbender Christus in langem Gewände
und eines jener kleinen Familienheiligthümer, wie man sie
im Innern Perus häufig findet, angerufen. Letztere sind
Glaskästen, welche mit seidenen Blumen, Schmetterlingen
von Goldpapier, porcellanenen Hunden, papiernen Eseln,
hölzernen Ochsen und europäisch gekleideten Puppen, welche
die Heiligen des Paradises vorstellen, angefüllt find; sie wer-
den mit abergläubischem Respecte angestaunt und jedem Be-
sucher mit Stolz gezeigt.
Die Unterpräsecturstadt Huari ist weniger arm und male-
rischer als alle, welche Wiener seit Cajamarca gesehen hatte;
sie besitzt in der Umfassungsmauer des Kirchhofes einen an-
tiken Stein, der zu einem Kopfe in Hautrelief ausgearbeitet
ist. Derselbe ist zwar häßlich, aber darum interessant, weil,
was selten vorkommt, durch seinen großen offenstehenden
Mund früher eine Acequia ihr Wasser ergoß. Heute ist
5*
36
Aus Charles Wieners Reise in Peru und Bolivien.
dieselbe ausgetrocknet, uud den Kopf hat man als Ornament
iil die Wand eingemauert, wo er mit den dürftigen Gebäuden
ringsum wenig in Uebereinstimmnng sich befindet.
Von Hnari führt ein ziemlich guter Weg nach Chavin
de Hnantar; zuerst windet er sich etwa eine Stunde weit
am Abhänge hin und wird dann von da an, wo er den Grund
des Thales erreicht und am malerischen User des Tnngnragna
oder obern Amazonenstromes sich entlang zieht, fast vollkom-
men eben. Zu beiden Seiten des engen Thales erheben sich
senkrecht wie die Mauern gewaltige Granitfelsen, von finsteren
Schluchten uud Spalten zerrissen, in welche man unten vom
Wege aus hineinblickt; dichtes Grün bedeckt sie und nur zu-
weilen fällt ein Sonnenstrahl in ihr Dunkel hinein. Zur
Seite des Pfades aber fchäumt der mächtige Gebirgsstrom,
wüthend wie ein sturmgepeitschtes Meer, über die von den
Berglehnen herabgesallenen Steinblöcke hinweg. Halbwegs
bei einer Pnmachaca genannten Stelle zeigte sich wieder ein
Ueberrest der Jnca-Straße, welche nach Südosten ging, wäh-
rend Wiener's Weg südwärts führte. Einige Tage später
traf er sie übrigens wieder und verfolgte sie in gerader Rich-
tnng bis nach Huauuco Viejo.
Gegen Abend zeigte sich der reizende Thalgrund von
Chavin, wo, ein seltener Fall auf dieser Reise, die freund-
lichen Einwohner sich um die Ehre stritten, den Fremden bei
sich beherbergen zu dürfen.
Das Schloß von Chavin mit feinen geheimnißvollen
dnnkelen Räumen und verborgenen Gängen ist viel besprochen,
nnd M. Rivero hat eine von dem berühmten Paz Soldan
Brücke über den Rio Mariash bei Chavin de Hnantar.
angeführte Schilderung davon gegeben, welche aber durchaus
romanhaft ist uud archäologischen Ansprüchen nicht genügt.
Wiener beschreibt, was er gesehen, so. Das Thal von
Chavin de Hnantar zeigt zwei Stufen, die untere 11 Meter
über dein Spiegel des Flusses Tuuguragua, die obere 30 Meter.
Beide Plateformen sind von den alten Bewohnern bearbeitet
worden uud zeigen eine bemerkenswerte Gleichmäßigkeit.
Heutigen Tages trennt sie ein steiler Abfall von einander,
während sie früher durch Futtermauern gestützt waren, wie
sie in kleineren Verhältnissen z. B. die Stufenhügel von
Tuctubamba zeigen. Fast in der Mitte des etwa eine Stunde
langen und y3 Stunde breiten Thalbodens mündet der von
Westen kommende Rio Mariash oder Rio del Castillo in
den Tnngnragna. 12 Meter über diesem Bache liegt das
alte „Castillo", und zwar ist es auf der untern jener beiden
Terrassen erbaut und lehnt sich gegen den Abfall der obern,
deren Niveau es früher überragt haben muß, während es heute
nach Zerstörung seiner oberen Stockwerke nur eben so hoch ist,
wie jene. Da seiue gewaltigen Umfassungsmauern weder
Thür noch Fenster haben, so herrscht im Innern die voll-
ständigste Dunkelheit; so erklärt sich die falsche Gewohnheit,
hier von unterirdischen Gängen zu sprechen. Das Innere
ist völlig regelmäßig; Gänge von etwa 2 Meter Höhe und
80 Centimeter Breite schneiden sich rechtwinkelig. Außer
durch Quergänge stehen die einander parallelen Corridore
noch durch Röhren von 40 Centimeter Höhe und Breite mit
einander in Verbindung. Das Baumaterial ist ein ziemlich
gnt bearbeiteter Schiefer. Hervorstehende Zapfen, welche
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
37
innerhalb kleiner Nischen angebracht sind nnd wie Kleider-
riegel aussehen, bilden den Fries. Wiener selbst konnte zwei
Stockwerke besichtigen; doch soll es im Ganzen deren fünf
geben, eine Angabe, welche mit der Höhe des Gebäudes stimmt.
Doch vermochte der Reisende nirgends den Zugang zu den
unteren Räumen zu entdecken. Am zweiten Kreuzungspunkte
der Gänge, wenn man von Süden eintritt, findet sich ein
höchst sonderbarer Pfeiler von unregelmäßiger, prismatischer
Gestalt, der die Decke trägt und mit merkwürdigen Basreliefs
bedeckt ist, in welchen Wiener Hieroglyphen oder symbolische
Zeichen sehen will; er meint, die Phantasie des Künstlers
allein könnte nicht solch' sonderbare Umrisse, die sich mehrfach
wiederholen, zu Stande gebracht haben. Einst umgaben
Gartenanlagen, von steinernen Canälen durchzogen, das Schloß
und Acequias leiteten das Wasser herzu, welches in Caseaden
von einer Terrasse aus die folgeude herabfiel.
Ehe man vom Orte das
Castillo erreicht, überschreitet
man auf einer alten Brücke
den Rio Mariash. Dieselbe
besteht aus drei riesigen Stein-
platten von durchschnittlich
6 Meter Länge, welche bei-
derseits auf starken gemauerten
Pfeilern aufliegen; das Ganze
ist noch vollkommen erhalten.
Welche naive Kühnheit liegt in
dem Gedanken, folche riesigen
Steine von einem Ufer des
Flusses zum andern zu legen,
anstatt Baumstämme zu ver-
wenden oder höchstens mehr oder
weniger bearbeitete Balken!
Aus der einen Seite der
Brücke fand Wiener ein sehr
merkwürdiges altes Basrelief,
welches er abklatschte, und bei
dem Pfarrer einige hübsche
Proben antiker Töpferarbeit;
von beiden geben die Abbil-
düngen auf S. 37 u. 38 eine
Vorstellung.
In Chaviu befand sich der
Reisende nur etwa 12 Stuu-
den von Recuay entfernt, welches auf dem Westabhange
der Cordillere im „Callejon" von Hnaraz (s. die Karte in
Nro. 1) gelegen ist. Da er nun in der prächtigen Alter-
thümersammlnng des Dr. Macedo inLima, einer der schönsten
Perus, utehrere höchst merkwürdige Stücke, die aus Recuay
stammten, gesehen hatte, so beschloß er, auch dort seiu Glück
zu versuchen. Ein paar Tage später aber mußte er sich mit
zwei kleinen Töpfen von dort begnügen; das war die ganze
Ausbeute einer sehr anstrengenden dreitägigen Reise, auf
welcher er zweimal die Cordillera brava in 5070 Meter-
Höhe bei eiskaltem stürmischen Wetter zu überschreiten gehabt
hatte.
Ebenso zuvorkommend, wie man den Fremden in dem
abgelegenen Chavin ausgenommen hatte, ebenso freundlich
gab man ihm das Geleit bis dorthin, wo zwei, drei Baum-
stamme einen schwankenden Steg über den Tungnragua bil-
beten, der kaum die Last eines Menschen zu tragen vermochte.
Man mußte also die Thiere abladen, Koffer und Sättel
hinübertragen und die ersteren durch den reißenden Strom
hindurchwaten lasseu, wobei man die Vorsicht brauchte, ihnen
an Kopf und Schweif Lassos zu befestigen und dieselben an
beiden Ufern festzuhalten. Erst nachdem dies geschehen, ver-
Basrelief an der Brücke von Chavin de Hnantar
abschiedeten sich Wiener's Gefährten, während er selbst den
steilen Abhang Chalyahnaco bis zum Cerro Collash, beut
Anfang der Pirna, langsam zu Fuß hinaufstieg. Oben
empfing ihn feuchtkalte Luft; vorsichtig fetzte er die Reise auf
dem Rücken seines Thieres fort, denn das Terrain war dort
von kleinen Seen uud Schluchten durchschnitten. Eine
Stunde vom Collash entfernt zeigten sich zur Rechten sehr
schlecht erhaltene Ruinen; sonst aber wurde der Rest dieses
wie der ganze folgende Tag durch die unsagbare Einförmig-
keit der Puua ausgefüllt. Er vertrieb sich die Zeit damit,
die Schritte seines Manlthieres zu zählen und danach die
Länge des zurückgelegten Weges zu berechnen. Ein weiter
Umweg nach Norden, um die Ruinen von Chavin de Pariarca
zu besuchen, belohnte sich nicht; er sah dort nur dürftige
Reste einer einst bedeutenden Stadt. Die zweite Nacht,
weicherer auf der Puua zubrachte, war die härteste; Mark
und Bein waren erstarrt, seine
Lippen bluteten und selbst der
Geist war in eine sonderbare
Stumpfheit uud Betäubung
verfallen, als er am Morgen
des dritten Tages unter einer
dichten Lage in der Nacht ge-
fallenen Schnees erwachte.
An diesem Vormittage stie-
gen sie endlich etwa 200 Meter
unter das Niveau hinab, in
welchem sie sich die beiden letz-
ten Tage über befunden hatten,
und stießen bald darauf wieder
auf die alte Jnca-Straße, wel-
che sie in wärmere Gegeudeu
führte. Stellenweise ist die-
selbe vollständig erhalten uud
zieht sich wie ein breites graues
Baud durch die mit gelbem
welken Kraute bedeckte Gegend
hin. Gegen 3 Uhr Nachmit-
tags erreichte Wiener auf der-
selben einen Fluß, dessen
Namen er nicht in Erfahrung
gebracht hat; von dort an
folgt die Straße stets den
launenhaften Windungen jenes
Gewässers, welches zu beiden Seiten von gewaltigen, bald
schwarzen, bald grauen, bald gelben Felsmassen schiesrigen
Gesteins eingeschlossen wird. In denselben zeigten sich Grot-
ten und Höhlen, welche meist zur Beisetzung von Leichen ge-
dient haben. Wie die Indianergräber an der Küste durch
den sie bedeckenden Flugsand vor Beraubung geschützt sind,
so diese im Gebirge durch ihre Lage in den jähen Abhängen,
oft 100 bis 200 Meter über der Thalsohle und eben so tief
unter deni obern Plateaurande. Aber wie hat der Indianer-
feine Todten dorthin bringen können? Wiener hält nur
eine Erklärung für möglich. Die mit der Beisetzung Be-
trauten sind auf einer geneigten Schicht des Schiefergesteins
hinabgestiegen und haben dabei sorgsam den schmalen Pfad,
auf welchem sie gekommen, zerstört. Dann haben sie den Leich-
nam in einer natürlichen oder erst von ihnen gegrabenen Höhle
beigesetzt und sind mit ihrem gefährlichen Abstieg und der
Zerstörung des Weges fortgefahren, bis sie den Thalgrund
erreichten. (Ein etwas unglaubliches Verfahren! Näher
liegt die Erklärung, daß die Indianer auf dieselbe Weise wie
Wiener zu den Höhlen gelangten. Red.) Um eine dieser
Grotten näher zu untersuchen, ließ Wiener seine Thiere im
Thale zurück und erstieg das obere Plateau in Begleitung
r.
38
Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien.
zweier Indianer, welche ihn an Lederriemen zu einer derselben
hinabließen. Dieselbe lag an 100 Meter unter dem Rande
des Abhanges und war zum Theil mit Schicferplatten ver-
sperrt. Nachdem er dieselben weggeräumt, fand er drinnen
zwei Schädel und weiter hinten eine kauernde Mumie. Jede
Spur von Kleidung oder Linnenzeug war verschwunden und
nur der ausgetrocknete Leichnam erhalten. Die Schädel band
er sich am Gürtel fest, nahm die Mumie in den Arm und
gab seinen Indianern das Zeichen, ihn hinaufzuziehen. In
einigen Minuten hatte er den Rand erreicht und glaubte
[etile werthvolle Bürde schon in Sicherheit, als plötzlich die
Indianer die Mumie erblickten und zusammenschreckteu.
Wiener glaubte zu fühleu, daß die Riemen ihren Händen
entfahren wären, und von Todesangst durchzuckt, ließ er die
Mumie fallen. Allein schon im nächsten Augenblicke zogen
die Leute wieder an und er sah, daß er höchstens einen Meter
wieder hinabgerutscht war. Bleich und von kaltem Schweiße
gebadet, kroch er über den Rand des Abgrundes hinauf, wäh*
rend tief unter ihm die Mumie auf den Felfen ausschlug und
in tausend Stücke zersplitterte.
Zornig fuhr er die Indianer an; die aber erklärten ihm,
daß die in ihrer Grabesruhe gestörten gentiles die Indianer
zu umarmen und durch ihren Hauch unfehlbar zu tobten
pflegten. Der eine erzählte ihm, sein Vater habe mal eine
Mumie angefaßt nnd sofort sei ihm ein Knochen derselben
ins Fleisch gedrungen und habe eine Entzündung mit tödt-
lichem Ausgange verursacht. Uud der andere versicherte,
daß Wiener's Mumie, als sie über dem Felsrande hervor-
getaucht sei, schon den Mund zu einer Verwünschung geöffnet
habe, zuvor aber glücklicherweise hinabgestürzt sei. Gegen
Vasen aus Chavin de Huantar.
solchen Aberglauben anzukämpfen erschien unnütz, und so setzte
Wiener enttäuscht seine Reise fort.
Nach drei Tagen erreichte er Colpa in der gleichnamigen
Schlucht, eine Stunde von den Tempelruinen von Huanuco
Viejo entfernt, welche anf einer Hochebene 963 Meter über
dem Thale liegen. Eine Steintreppe, deren Stufen an vielen
Stellen noch vollkommen erhalten find, führt auf diese enorme
Höhe hinauf und bereitet den Reisenden würdig auf die kom-
Menden Dinge vor. Die Fläche oben ist durchaus eben und
von leicht gewellten Hügeln umgeben; in der Ferne begrenzt
die schneebedeckte Cordillere den klaren Horizont. Der antike
Tempel ist ein nach den Himmelsrichtungen orientirter Erd-
wall, der nur ein einziges Stockwerk umfaßt und von einem
steinernen Fußwege umgeben ist. Vier Säulenthore führen
zur Hauptsanade; ihre Einfassungen sind mit zwei steinernen
Pumas geschmückt, welche wie ägyptische Sphinxe die heilige
Straße bewachen. Rechts uud links von diesen Thoren lie-
gen Ruinen von königlichen Palästen, große Säle von kleinen
Nischen umgeben, Bäderanlagen, Gallerien und was sonst
zu einem glänzenden Fürstensitze gehörte. Em alter Hirt
aus Colpa zeigte dem Reisenden noch versteckte Gänge, zu
welchen Thüren vou 80 Ceutimeter Höhe und 40 Centimeter
Breite führen, und zuletzt den sogenannten Hinrichtungsort
für Frauen: dieselben wurden an vorspringenden Steinen,
ähnlich den „Kleiderriegeln" in dem Castillo von Chavin,
aufgehängt, und zwei Höhlungen in der Wand waren be-
stimmt, die Brüste der Opfer aufzunehmen.
Vier Tage lang hielt sich Wiener dort aus, mit Zeich-
nen, Messen und Ausnehmen beschäftigt. Die letzte Nacht,
welche sie in den Trümmern zubrachten, gehörte zu den fchreck-
lichsten der ganzen Reife; gegen 11 Uhr Abends brach ein
Unwetter los und hielt die ganze Nacht hindurch bis Sonnen-
anfgang an, so daß an Schlafen nicht zu denken war. Total
durchnäßt, steif vor Kälte uud vom Winde gepeitscht, bestieg
A. Ecker: Das europäische Wildpferd und dessen Beziehungen zum domesticirten Pferd. 39
er um 5 Uhr Morgens sein armes Thier und erreichte Nach- Bett an! Ein Bett in der Cordillere, wie er es seit Tru-
mittags um 3 Uhr in bejammernswerthem Zustande Baüos. jillo, d. h. seit 3^/s Monaten, nur zweimal, in Huamachuco
Dort bereitete ihm die Frau des Gouverneurs, eine hübsche und Andaymayo, gefunden hatte! Rasch entledigte er sich
und freundliche cholita, ein Mittagsessen und bot ihm ein—. der Kleider, die er elf ganze Tage lang, seit Huari, nicht
Der Tempel von Huanneo Viejo.
vom Leibe bekommen hatte, und streckte sich in dem alten Lebenswärme fing wieder au durch seinen Körper zu ziehe»,
großen Bette des Gouverneurs von Banos aus, in dem schon die Mattigkeit des Geistes verschwand und neuer Muth
mehrere Generationen der Ruhe gepflegt hatten und gewiß erfüllte ihn, seine Reise» und sein Sammeln im südlichen
mehr als ein Nachkomme des ersten Besitzers gestorben war. Peru und den angrenzenden Theilen Boliviens fortzusetzen.
Das europäische Wildpferd und desseu Beziehungen zum
domesticirten Pferd.
Von A. Ecker.
III.
Aus dem Mitgeteilten erhellt, daß wir wohl die zweite
der oben aufgestellten Fragen: Existirt heutigen Tages noch
ein Wildpferd in irgend einem Theil Europas in größerer
Anzahl? unbedenklich mit „Ja" beantworten dürfen und
weiter, daß die Charakteristik des Wildpferdes übereinstim-
mend mit den oben von Radde gegebenen dahin lautet, daß
dasselbe ein kleines, plumpes, rauhhaariges Thier mit dickem
Kops und struppiger Mähne war. Daß das Bild, welches
wir uns nach den Skeletresten des prähistorischen Wildpferdes
von diesem machen müssen, dem des heute noch existirenden
Wildpferdes in allen wesentlichen Punkten entspricht, ist oben
schon gelegentlich der Besprechung der Pferde der Camargue
hervorgehoben worden.
Äch glaube also kaum, daß man den Boden der That-
40 A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
fachen verläßt, wenn man annimmt, daß das europäische
Wildpferd, welches, wie uns seine Skeletreste lehren, in Prä-
historischer Zeit so überaus häufig war, Uber dessen Fort-
existenz auch in späterer Zeit wir durch die oben mitgetheil-
ten Angaben alter Schriftsteller unterrichtet sind, daß dieses
prähistorische europäische Wildpferd und das heutzutage noch
im südöstlichen Europa existirende, _ der Tarpan, ein und das-
selbe Thier sind. Freilich fehlt uns, wie ich nicht unterlassen
will zu bemerken, noch eine genaue Vergleichung des Ske-
lets des Tarpan mit dem des europäischen Wildpferdes der
prähistorischen Zeit.
Dagegen ist allerdings der Unterschied zwischen diesem
Pferde und unseren heutigen edlen Pferderacen ein ganz ge-
waltiger und die Frage nach dem verwandtschaftlichen Zu-
sammenhang derselben daher eine sehr wohl begründete.
Diese Frage, die dritte der oben aufgestellten, lautet: Läßt
sich der Stammbaum unserer heutigen domesticirten Pferde-
racen mit Sicherheit bis zum Wildpferde der quaternären
Zeit verfolgen, läßt sich zwischen den ersteren und diesem
eine coutinuirliche, durch keine Lücken unterbrochene Kette der
Descendenz herstellen?
Wollen wir diese Frage zunächst auf anatomischem Wege,
d. h. an den Skeletresten, prüfen, so müssen wir vor Allem
eingedenk sein, daß nicht aus allen Perioden vorgeschichtlicher
Zeit sich die Knochenreste gleich gut erhalten haben und daß
diese Verschiedenheit, wie oben schon angedeutet wurde, zu
einem ansehnlichen Theile von den physikalischen Bedingungen
abhängt, unter denen sich dieselben befanden. Wie für die
Knochen der quateruären Zeit der Einschluß in den feuchten
Höhlenboden, so hat für die Thierreste einer der unserigen
um viele Jahrhunderte näher liegenden Zeit die Einbettung
in den Boden der Seen eminent conservirend gewirkt. Aus
dieser Zeit — es ist die der Pfahlbauten — besitzen wir
daher wieder massenhaft Neste der damaligen Thierwelt und
können also die Veränderungen, welche diese inzwischen erlit-
ten hat, sehr wohl wahrnehmen. Und diese Veränderung ist
eine gewaltige. Nicht nur treten jetzt anstatt der ansge-
wanderten oder erloschene» Formen des Renthiers, Main-
mnths, Höhlenbären :c. die uns verwandteren Thiere, Hirsch,
Wildschwein, Wolf, aus, es erscheinen jetzt auch die Haus-
thiere. Die Pfahlbauten felbst aber erstreckten sich durch eine
sehr lauge Zeitepoche hindurch, wie wir schon daraus schließen
dürfen, daß während der Dauer dieser Periode der große
Schritt der Einführung der Metalle geschah. In den alte-
sten Pfahlbanniederlassnngen, wie z. B. fast allen des Boden-
sees, finden wir noch keine Spur von Metall, Waffen und
Werkzeuge nur von Stein, in anderen dagegen, insbesondere
denen der westlichen Schweiz, findet sich beides von Metall,
insbesondere Bronze, gefertigt. In den Pfahlbauten der
vormetallischen Zeit, den ältesten also, finden sich nun merk-
würdiger Weise Reste vom Pferde äußerst felten, so selten,
daß man nach dem Ausspruch des in diesem Gebiet ersah-
rensten Forschers, L. Rütimeyer in Basel, glauben sollte, die-
selben seien nur zufällig hineingekommen. Dagegen tritt
dasselbe in den jüngeren Pfahlbauten der Metallzeit, z.B. de-
nen der westlichen Schweiz, wieder in zunehmender Menge
auf, und mit seinen Resten — was von ganz besonderer
Wichtigkeit ist — hat man bronzene Pferdegebifse, die nn-
zweideutigen Beweise der Zähmung desselben, gefunden.
Nach den Ergebnissen dieser Funde wäre also im Laufe
der Zeit das in der quaternären Zeit so zahlreiche Wild-
Pferd in Europa allmälig seltener geworden, während da-
gegen gegen das Ende der vorgeschichtlichen Zeit ein gezähm-
tes Pferd auftritt.
Ist dieses letztere nun identisch mit dem erstern, d. h. ist
das Wildpferd einfach aus dem Zustand des wilden Thieres
)essen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
gänzlich in den Zustand des Hansthieres übergeführt worden
und allmälig in seiner erstern Form erloschen? oder: existirt
zwischen Wildpferd und domesticirtem eine wirkliche Lücke,
eine zwar nicht pferdelose, aber doch pferdearme Zeit, und
darf man daraus schließen, daß die beiden genannten Thiere
in gar keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu einander
stehen? Läßt sich ferner annehmen, daß das europäische
Wildpferd allmälig ausgestorben ist und ein fremdes Pferd,
das domesticirte, in Enropa eingeführt wurde? Wenn man
die ungemein große Häufigkeit der Pferdereste in den Ab-
lagerungen der Höhlenzeit und die große Seltenheit derselben
in den Pfahlbauten der vormetallischen Zeit betrachtet, so
wird man in der That fast zu einer solchen Annahme gedrängt.
Allerdings stehen auch dieser Anschauung mancherlei Schwie-
rigkeiten entgegen; denn während das Wildpferd in den älte-
sten Pfahlbauten fast gänzlich fehlt, wird andererseits dessen
Existenz bis in eine viel spätere, ja selbst bis in eine ver-
hältnißmäßig neue Zeit durch verbürgte Nachrichten dargethan
und dieser Widerspruch würde sich auch dadurch wohl nicht
völlig erklären lassen, daß man annimmt, es habe sich etwa
das Wildpferd von der längs der großen Stromgebiete — und
in diesen liegen ja auch die Pfahlbauten — eindringenden
Cultur mehr und mehr in einzelne nnwirthliche Gegenden
zurückgezogen, in welchen es sich lange — und vielleicht bis
zur Jetztzeit — erhalten konnte.
An die dritte der oben ausgestellten Fragen habe ich noch
die weitere angeknüpft, ob wir Nachrichten über die Zähmung
des Wildpferdes in Europa besitzen, ob also von dieser — sa-
gen wir historischen — Seite der Zusammenhang vom do-
mesticirten und Wildpferd eine Begründung findet? Für
Beantwortung dieser Frage scheint mir in erster Reihe eine
bildliche Darstellung ans früher Zeit, die uns glücklicherweise
aufbewahrt ist, von bedeutendem Werth. In dem — sky-
thischen — Hügelgrab von Tschertomlyk, 20 Werst nordöstlich
von Nikopol am Dnjepr im Gouvernement von Ekaterinos-
law, wurde eine silberne, stellenweise vergoldete Amphora von
circa 70 Centimeter Höhe gefunden, anf welcher sich eine
Darstellung der Zähmung des Wildpferdes findet. Uni
den obern Theil des Gefäßes geht ein Gürtel herum, auf
welchem in haut relief, vergoldet, die Figuren der Skythen
und der Steppenpferde aufgesetzt fiud. Das Kunstwerk ist in
dem Recueil d'antiquites de la Scythie publie par la
commission archeologique. St. Petersbourg 1873,
2. livr., p. 105 geuau abgebildet und beschrieben, und wir
glauben unseren Lesern einen Dienst zu erweisen, indem wir
eine in halber Größe ausgeführte Copie dieser wegen der Kost-
spieligkeit des vorgenannten Werkes immerhin nur wenig be-
kannten Darstellung hier mittheilen und die Beschreibung
beifügen, wie sich dieselbe in dem Compte rendu de la com-
mission archeol. imper. p. 1864. Petersb. 1865, p. 5
findet:
Augenscheinlich hat man auf dieser Vase den wichtigsten
Act aus dem Lebeu der Skythen, die Zähmung des Wild-
Pferdes, dargestellt. Der Künstler hat diese Aufgabe mit
einem ausfallenden Geschick gelöst und die eleganten Figuren
in der Reihenfolge grnppirt, in welcher diese wichtige Hand-
lnng im Leben der Skythen und der Steppe verlief. Die
ganze Darstellung verläuft ringförmig um den obern Theil
der ganzen Vase und besteht aus zwei getrennten, symmetri-
schen Sceueu, die sich die eine auf der vordern, die andere
auf der hintern Seite derselben befinden. Der Ausgangs-
Punkt der Handlung und ihre Darstellung befindet sich in
der Mitte der hintern Fläche des Bildes. Hier sind zwei
Wildpferde dargestellt, die noch in völligem Genuß der Frei-
heit der Steppe auf der Ebene weiden (Fig. 1 n. 2). Seit-
lich hiervon ist der erste Act der Zähmung dargestellt. Die
A. Ecker: Das europäische Wildpferd und dessen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
tt
&
s
CQ
tt
ss
a
Pferde sind von den Schlin-
gen (oder Lassos) der Skythen
erfaßt und diese bemühen sich,
dieselben festzuhalten und ihre
Flucht zu verhindern (Fig. 3
und 4). Auf der vordem
Seite findet sich in der Mitte
der eigentliche Hanptact der
Zähmung des Wildpferdes
dargestellt (Fig. 5); die Sky-
then suchen mit Gewalt das
noch ungebändigte Thier zu
Boden zu werfen, um ihm
dann den Zaum anzulegen,
und zwar ziehen zwei derselben,
die vor demselben stehen, an
Stricken (von denen leider auf
der ganzen Darstellung, ebenso
wie in Fig. 3 und 4, uichts
mehr erhalten ist), die am rech-
ten Vorderbein und an dem
einen Hinterbein befestigt sind,
nach vorwärts, während der
dritte ausrecht hinter dem Pferd
stehende vermittelst eines am
linken Vorderfuß befestigten
Seils diesen gegen sich zieht.
Die Gruppe zur Linken zeigt
das schon gebändigte Pferd;
der Skythe legt ihm den Zaum
an (Fig. 6), indem er den
linken Vorderfuß des Thieres
über die Schulter desselben
gegen den rechten Theil des
Gebisses anzieht, um so durch
längeres Verbleiben in dieser
wenig natürlichen itub sehr er-
müdenden Stellung das Thier
zu gewöhnen, dem Befehl des
Zügels zn gehorchen. Die
Gruppe rechts (Fig. 7) zeigt
uns das Pferd schon ganz un-
terjocht, ruhig geworden, an
den Dienst gewöhnt, gezäumt
und gesattelt; der Skythe fesselt
ihm ruhig die Beine, damit
es sich beruhige. Vor dieser
letzten Gruppe, dem letzten
Acte der Zähmung, steht dem
Beschauer zugewandt ein Sky-
the (Fig. 8), welcher seinen
über die rechte Schulter gewor-
senen Kastan untersucht.
Die beschriebene Darstel-
lung scheint mir aus mehrfachen
Gründen von besonderer Wich--
tigkeit sür unsere Frage zu sein.
Wir dürfen daraus schließen,
daß in der That in Europa
selbst die Zähmung eines
Wildpferdes und Ueberführung
desselben in den Hausstand statt-
gefunden hat, und dies gerade
in den Gegenden um den
Dnjepr, wo selbst heute noch
Pferde im wilden Zustand exi-
42 A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
stiren. Und die dargestellten Pferde sind wie diese ausfallend
klein, mit großem Kopf, kurzem starken Hals uud struppiger
Mähne. Sehr zu wünschen wäre freilich noch, daß von
russischen Autoren die Pferdeskelete der Knrgane mit dem
des Tarpaus verglichen würden. Ob dies vielleicht schon
geschehen, ist mir nicht bekannt geworden.
Bestimmte Nachrichten von Domesticirnng des Wild-
pferdes in anderen Gegenden Europas, fpeciell z. B. in
Deutschland, haben uns meines Wissens die alten Schrift-
steller nicht überliefert. Wir wissen nur, daß, als die Römer
mit unseren Voreltern, den alten Germanen, zuerst in Berüh-
rung kamen, diese schon im Besitz des Pserdes als Hausthier
waren. Von dem Aussehen desselben wissen aber die alten Au-
toren im Allgemeinen nicht viel Rühmliches zu sagen. Ta-
citus (German. VI) sagt z. V.: equi non forma non
velocitate conspicui, und weiter (Cap. XV), daß sie sich an
Geschenken benachbarter Völker freuen, besonders an aus-
erlesenen Pferden (electi equi), woraus auch zu eutneh-
men, daß die ihrigen wenig taugten. Caesar bell. gall. IV, 2
sagt von den Germanen (d. h. von einer Völkerschaft dersel-
ben, den Sueben), daß dieselben fremde Pferde nicht bei sich
einführen lassen, sondern sich mit der einheimischen Race
begnügen, die klein und unansehnlich sei, aber durch
tägliche Hebung an die äußerste Ausdauer gewöhnt werde,
während andererseits die Gallier mit besonderer Liebhaberei
und großen Kosten sich fremde Pferde anschaffen. Es wird
also hier eine einheimische Race einer fremden mit aller
Bestimmtheit entgegengesetzt, und man wird wohl kaum irren,
wenn man annimmt, daß die erstere die Descendenz des Wild-
pferdes ist.
Ein weiterer Beweis für die stattgehabte Zähmung einer
kleinen Pserderace (wir können nicht sagen des Wildpferdes,
da dies erst zu beweisen ist) liefern auch die oben schon
erwähnten bronzenen Pferdegebisse in den Pfahlbauten der
westlichen Schweiz. Diefe sind einem kleinen Pferde ange-
paßt. Während die Qnerstange bei einem heutigen Pferde-
gebiß 12 bis 15 Centimeter lang ist, beträgt die Länge an
dem von Desor (Le bei age du bronce lacustre) abge-
bildeten nur 9,9 Centimeter. Dagegen weisen die bronzenen
Pferdegebisse, die bei Bologua gefunden wurden, auf eine große
Race hin x).
Versuche ich nun die Geschichte des europäischen Wild-
pferdes nach den mitgetheilten Daten in Kürze zusammen-
zufassen, so wird dies vielleicht in folgenden Sätzen geschehen
können.
1. Das europäische Wildpferd der ältesten Zeit, ans
welchen uns irgend welche Quellen — geschriebene oder un-
geschriebene — zu Gebote stehen, war ein Wild, das nur
gejagt wurde und zur Speise diente.
2. Später — wie weit dies zurückgeht, vermögen wir
nicht zu sagen — unterlag das Thier der Zähmung. Wo
diese Zähmung zuerst unternommen wurde, darüber liegen
uns keine Nachrichten vor; doch spricht die Wahrscheinlichkeit
dafür, daß dies in Südostenropa geschah. In den Steppen
Südrußlands, wo heute noch der Tarpan umherschwärmt,
war wohl die eigentlichste Heimath des Wildpferdes; daß hier
das wilde Thier gezähmt wurde, lehren uns die Funde der
skythischen Grabhügel, und von hier aus mögen wohl auch
zeitweise Reiterscharen zuerst nach Südenropa eingebrochen
sein, die den Grund zu der Centaurensage legten.
Desor (Une nouvelle decouverte prehistorique, La
fonderie de Bologne; lu ä la Societe des sciences natu-
relles de Neuchätel. Mai 1877) sagt darüber: L'espacement
des branches montantes (des mors), qui sont d'une rare
elegance, indique des chevaux de grande taille et
nou pas des poneys comme les mors en bronze de
nos stations lacustres.
?ssen Beziehungen zum domesticirten Pferd.
3. Nachdem einmal die Domestication des Wildpferdes
begonnen hatte und die Cultur des Bodens fortfchritt, konnte
sich dasselbe in seinem ursprünglichen wilden Zustande nur
noch in einzelnen besonders günstigen Gegenden, wie eben
z. B. in den Steppen, erhalten und in solchen hat es sich ja
auch lange und selbst bis in die Neuzeit erhalten.
4. Die römischen Schriftsteller, insbesondere Cäsar, unter-
scheiden bei Galliern nnd Germanen genau zwischen einer
einheimischen Pserderace, die klein und unansehnlich, ob-
gleich ausdauernd sei, nnd fremden, größeren und edleren
Racen. Und bei noch vielen anderen alten und noch späteren
Schriftstellern finden wir fremde Pferde im Gegensatz zu
einheimischen erwähnt, so daß die Existenz zweier in ihrem
Aeußern offenbar auffallend verschiedener Racen zu dieser
Zeit auf deutschem Boden wohl keinem Zweifel unter-
liegt. Daß wir in der kleinen einheimischen Race das ge-
zähmte europäische Wildpferd zu suchen haben, dürfte wohl
sicher sein, und es wird daher nur noch die Frage zu beant-
Worten sein, woher das fremde Pferd stammt und auf wel-
chem Wege es zu uns kam. Daß die beiden Racen sich im
Laufe der Zeit vermischten, daß dadurch verschiedene neue
Formen sich bildeten und daß an den heutigen Pferderacen
das einheimische und fremde Pferd, freilich in sehr verschie-
denem Maße, betheiligt sind, daß die alte, kleine, einheimische
Race, das ehemalige Wildpferd, in diesen allmälig bis auf
kleine Reste, die sich da und dort erhalten haben, verschwand,
das alles wird wohl aus dem bisher Mitgetheilten, ohne daß
man sich allzukühnen Schlußfolgerungen hinzugeben braucht,
entnommen werden dürfen.
Was nun die Heimath des fremden Pferdes betrifft, so
haben wir schon oben auf Asien als die wahrscheinliche Hei-
math desselben hingewiesen.
Ehe ich die nöthigen Beweise für die letztere Behauptung
vorbringe, will ich noch einen kurzen Blick auf die übrigen
Welttheile werfen. Was zunächst Amerika betrifft, so war,
wie oben ausführlicher erwähnt ist, das Pferd vor Ankunft
der Spanier in diesem Welttheil nicht bekannt, und auf
keinem der uns erhaltenen altmexicanischen und altperua-
uischeu Bildwerke findet sich auch nur eine Andeutung des-
selben. In neuerer Zeit hat man nun aber auch in Ame-
rika Reste fossiler Pferde gefunden und zwar mehrere verschie-
dene Arten (darunter die eines ganz kleinen nur 2 bis 2^/z
Fuß hohen); woraus sich ergiebt, daß auch in Amerika einst
wilde Pferde existirt haben, die aber — wie es scheint — vor
Auftreten des Menschen schon erloschen sind. Wir finden
daher hier analoge Verhältnisse wie bei uns. Das einhei-
mische Pferd ist ausgestorben und ein fremdes — von einem
fremden Volk eingeführtes — hat sich da vollkommen einge-
bürgert. Hier hat es aber eine vollkommen pferdelose Zeit
gegeben, in Europa nur eine pferdearme. Diese amerikanischen
Verhältnisse sind nun aber gerade deshalb für uns fo wichtig,
weil sie uns in historischer Zeit vorführen, was sich in En-
ropa in vorhistorischer Zeit, wenn auch nicht in gleicher doch
in ähnlicher Weise begeben haben muß. In Australien
und Polynesien ist das Pferd ebenfalls erst durch Euro-
päer eingeführt, und auch von fossilen Resten desselben in
diesen Ländern ist uns bis jetzt nichts bekannt.
Afrika, die Heimath des Esels, der heutzutage dort
— in Abyssinien und am obern Nil — noch wild lebt, hat,
worauf ich noch ausführlicher zurückkommen werde, das Pferd
ziemlich fpät erhalten. Auf den ältesten ägyptischen Denk-
mälern sehen wir wohl den Esel, aber nicht das Pferd ab-
gebildet.
So bleibt uns also Asien als die Heimath des fremden
Pferdes. Und hier in der That sprechen schon die ältesten
Nachrichten von einem domesticirten Pferde. In Indien
A. Ecker: Das europäische Wildpferd und
finden wir es sehr früh, auch inAssyrien, während es auf
der ArabifchenHalbinfel (die mau häufig der spätern so
hohen Pferdecnltur wegen, welche aber erst der letzten Zeit
des Alterthmns und dem Mittelalter angehört, irrthümlich
für die eigentliche Wiege desselben gehalten hat) ziemlich spät
erscheint, ebenso, wie schon oben bemerkt, in Aegypten auf
dessen allerfrühefteu Denkmälern das Pferd niemals, der
Esel dagegen sehr oft dargestellt erscheint. Und ebenso bei
den Hebräern: „Laß Dich nicht gelüsten Deines Nächsten
Weibes, noch seines Ochsen, Esels, noch Alles was Dein Näch-
ster hat," heißt es in den zehn Geboten; vom Pferd ist nicht
die Rede und doch ist dasselbe bei allen Nomaden, sobald sie
es nur einmal besitzen, der Hauptgegenstand der Begehr.
Die Gründe aber, aus welche» man hauptsächlich an-
nimmt, daß unser heutiges Pferd aus Asien stamme, diese
haben wir oben schon (S. 20) namhaft gemacht. Bekannt-
lich gilt es heute noch ziemlich allgemein als ein Axiom,
nicht nur, daß alle europäischen Völker von einem UrVolk,
den Ariern, abstammen und aus Asien eingewandert seien,
sondern man hat auch ohne Weiteres als selbstverständlich
angenommen, daß unsere Hausthiere dieselbe Heimath haben.
Für den Menschen beruht diese Anschauung bis dahin durch-
aus nur auf linguistischer Basis; es ist von den Sprachforschern
auf Grund der Vergleichnng der europäischen Sprachen mit
dem Sanskrit die linguistische Thatsache festgestellt worden,
daß alle diese Sprachen von einer gemeinsamen Ursprache
abstammen. Hieraus hat man dann sofort den ethnologischen
Schluß gezogen, daß alle Völker Europas in der That die
Zweige oder Abkömmlinge eines gemeinsamen „indoeuro-
päischen" UrVolkes wären, die in dnnkelerVorzeit nach ein-
ander ihre asiatische Heimath verließen und in Europa ein-
wanderten. Die Annahme dieses gemeinsamen Urvolks und
dieser gewaltigen Völkerwanderung aus Asien nach Europa fußt
demnach bis jetzt ausschließlich auf linguistischer Grundlage.
Keine menschlichen Reste, keine thierischen, keine Waffen oder
Werkzeuge bezeichnen unseres Wissens den Weg, den diese
Völker gewandelt, und es ist daher wohl ein Zweifel, nicht
an der Wanderung der Sprachen, wohl aber an der Wan-
dernng der Völker erlaubt *). Können sich doch offenbar
die Sprachen auf eine doppelte Weise verbreiten. In dem
einen Fall fehen wir ganze Völker ihre alten Wohnsitze auf-
geben, in andere Länder einwandern, die hier ansässigen Ein-
wohner vernichten oder verdrängen und ihre heimische Sprache
zur Sprache ihres neuen Vaterlandes machen. In einem an-
dern Fall bleiben die Völker im Großen und Ganzen in ihren
Gebieten, ihre Sprache aber überschreitet die Grenzen und
verbreitet sich allmälig weit über diese hinaus. Auf die letztere
Weise verschieben sich ja noch heute die Grenzen von Sprach-
gebieten, und es ist ja z. B. in neuerer Zeit das Italienische
und Französische ohne Völkerwanderung in recht bedenklicher
Weise weit in früher rein deutsche Gebiete eingedrungen.
Es möge erlaubt sein, die Verschiedenheit dieser beiden Ver-
breitnngsweisen durch ein, wie mir scheint recht passendes,
Physikalisches Bild zu veranschaulichen. Bei der Bewegung
des Wassers unterscheiden wir bekanntlich eine Fortbewegung
der Masse und eine Fortpflanzung einer bloßen Beweguugs-
form. Werfen wir einen Stein in einen stillen ruhigen
Teich, so sehen wir, wie von dem Punkte aus, wo er versun-
ken, eine Wellenbewegung entsteht, die in concentrifchenKrei-
sen gegen das Ufer fortschreitet. Daß dies nur eine Fort-
Pflanzung der durch den Stein bewirkten Erschütterungsform
des Wassers ist, kein Fließen desselben gegen das Ufer, er-
x) Oppert möchte wohl das Richtige getroffen haben, wenn
er sagt: es giebt indoeuropäische Sprachen, aber keine indoeuro-
Päische Race.
essen Beziehungen zum domesticirten Pferd. 43
kennt man daran, daß ein in dem Teich schwimmendes Stück-
chen Holz nicht mit der Welle ans User kommt, sondern, nur
von jedem Wellenberg jeweils etwas in die Höhe gehoben,
an seiner Stelle verbleibt. In einem fließenden Bächlein
aber bewegt sich die Masse des Wassers und mit ihr das
schwimmende Stückchen Holz. Entspricht dem letztern Vor-
gang, der Fortbewegung der Masse, eine Sprachverbreitnng
durch wirkliche Völkerwanderung, so läßt sich eine bloße Ver-
breitung der Sprache ohne diese sehr wohl unter dem Bilde
einer Wellenbewegung vorstellen. Von Stamm zu Stamm,
von Volk zu Volk verbreitet sich die Sprache, die Volksmas-
sen im Ganzen und Großen verlassen dabei ihre Wohnsitze
nicht; die Vermittler der Wellenbewegung sind Kaufleute
und — wohl auch in Zeiten, wo ein Sturm die Wellen auf-
wühlt — Soldaten. Jedenfalls scheint aber, und das allein
ist es, was ich betonen möchte, die Annahme einer Wände-
rnng der Völker keine absolut notwendige Consequenz einer
Fortpflanzung der Sprache zu fein; man kann das letztere
zugeben ohne das erstere daraus zu folgern. Noch fehlen
uns aber für diese Völkerwanderung alle anderen Beweise.
Und mehr und mehr häufen sich gewichtige Stimmen,
welche die Heimath der Arier nicht in Asien, sondern in Ost-
enropa suchen x). Und was die Hansthiere betrifft, so stellt
sich für die Mehrzahl derselben die Thatsache heraus, daß
ihre Heimath ebenfalls nicht Asien ist. Daß der Esel afrika-
nifchen Ursprungs ist, steht wohl außer Zweifel, und für das
Rind hat Frautzius in neuester Zeit diese Herkunft eben-
falls fast mit Sicherheit nachgewiesen, und Hund und Katze
darf man wohl unbedenklich als Kinder desselben Welttheils
betrachten.
So bleibt denn allein das „fremde" Pferd, das uns
nach Asien als auf seine Wiege weist.
Aber wo in diesem ungeheueren Continent ist dieselbe ge-
standen, lebt irgendwo noch dort die Stammrace desselben im
wilden Zustande, und aus welchem Wege und durch welche
Vermitteluug kam es nach Europa? Noch sind diese Fragen
von tiefem Dunkel umhüllt und es kann mir nicht beikom-
men, dieselben hier beantworten zu wollen. Nur versuchen
will ich dieselben etwas genauer zu präcisireu.
Die Nachrichten, die nns die erstere Frage beantworten
könnten, sind auffallend mager, selbst bei denjenigen Reisen-
den, die offenbar am meisten in der Lage gewesen wären, uns
darüber Aufschluß zu verschaffen, wie im vorigen Jahrhundert
Pallas uud in der neuesten Zeit Prfchewalski. So
kommt denn Brehm zu dem wohl richtigen Schluß, wenn er
fagt2): „Nim kennen wir zur Zeit zwar Junerafien noch herz-
lich wenig, aber immerhin genau genug, um zu wissen, daß
hier ein uuserm Hauspferd in allen Stücken entsprechendes
Wildpferd nicht lebt und unsere Rathlosigkeit bleibt bestehen,
so lange wir nach einer Urart des Pferdes suchen, wie wir
sie uns ausmalen."
Das führt denn Brehm dazu als Stammrace unseres
Pferdes den Kulan (Dschiggetai, Kiang), Equus hemionus
ober Asinus Kiang, zu betrachten. Ich gestehe, daß ich die-
sem Ausweg aus der Ungewißheit das vorläufige Verbleiben
in dieser doch noch vorziehe; ich finde, es sei nicht nur der
„natürlichen Zuchtwahl" etwas viel zugemuthet, aus diesem
Thier mit dem geraden Eselsrücken und bem- Kuhschwanz
unser ebles Pserb abzuleiten, sonbern überhaupt bie Aufstel-
lung einer solchen Hypothese ohne irgenb welche anatomische
x) Es ist hier nicht der Ort, auf diesen Gegenstand näher
einzugehen, und ich verweise deshalb auf die Behandlung dieser
Frage in der eben erschienenen Schrift von Pösche (Di?
Arier, ein Beitrag zur historischen Anthropologie. Jena, Coste-
noble, 1878).
2) Brehm's Thierleben. I. Abthl., Säugethiere. 3. Bd., S. 13.
6*
44 Hermann v. Schlagintweit-Z
Begründung etwas zu gewagt. Jedenfalls war das „fremde"
Pferd, das aus Asien in Europa eingeführt wurde, kein klei-
nes Kosackenpserd, sondern von höherm Wuchs und edleren
Formen, das dürfen wir wohl aus den Angaben der römi-
schen Schriftsteller entnehmen, die mit Bestimmtheit zwischen
dein kleinen „einheimischen Pferde" Mitteleuropas (das
wir vom europäischen Wildpferde ableiten) und dem ihrigen
größern und schönern „fremden" unterscheiden und es ist
deshalb auch nicht wahrscheinlich, daß uns das „fremde"
domesticirte Pferd durch nordasiatische Reitervölker auf dem
Landwege zukam, denn die Pferde dieser waren doch wohl
alle von kleiner Statur. Aus der Centaurensage braucht
man überhaupt uicht auf ein Einbrechen von Horden durch
die Uralpforte zu schließen; skythische Völker Südrußlands
mit ihren Tarpans, die nach Thessalien und Epirus eindran-
gen, können ihr ebensowohl zu Grunde liegen. Die fremden
großen, schönen und starken Pferde, wie z. B. die nisäischen,
deren die alten Schriftsteller, vor allen Herodot, Erwäh-
nung thuu, ihre Ilrheunath in Asien mag nun sein, wo sie
wolle, sind aber höchst wahrscheinlich aus Kleinasien, auf dem
Seeweg zu uns gelangt und auf diesen weist vielleicht auch
die alte griechische Sage x) von der Herkunft des Pferdes.
Als im Wettstreit mit Athene Poseidon um das Land
der Hellenen warb, stieß er, es mit dem höchsten Gut zu schmücken,
welches seine Götterhand verleihen konnte, den schaffenden Drei-
künlünski: Ethnographische und
Versuche ich die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung
nun nochmals kurz zusammenzufassen, so wird dies in den
folgenden Sätzen geschehen können:
1. Es existirte in prähistorischer Zeit im größten Theil
von Europa ein wildes Pferd (Wildpferd) von kleinem Schlag,
das von den Urbewohnern gejagt wurde und ihnen als Haupt-
Nahrungsmittel diente.
2. Mit dem Uebergang der prähistorischen Jägervölker
in den Zustand des Hirtenlebens und der Ackerbauer unter-
lag das Wildpferd der Zähmung.
3. Nachdem einmal seine Domestication begonnen hatte
und die Cnltnr des Bodens fortfchritt, konnte sich dasselbe
in seinem ursprünglichen wilden Zustande nur noch in einzel-
nen hierfür besonders günstigen Gegenden (wie z. B. den
südrussischen Steppen) erhalten.
4. Vom Mittelmeer her wurde aus Asien ein Pferd von
größerm edlern Schlag eingeführt, das wir dem einHeimi-
schen (europäischen) aus dem Wildpferd hervorgegangenen
domesticirten Pferd gegenüber als fremdes bezeichnet haben;
durch dieses wurde das einheimische Pferd theils bis auf ge-
ringe Reste verdrängt, theils ging es in der Inzucht mit dem-
selben als selbständige Race allmälig auf.
zack in die Erde und aus ihr hervor sprang freudewiehernd das
Roß.
Ethnographische und archäologische Daten über tibetische Priesterstempel.
Von Hermann v. Schlagintweit-Sakünlünski.
Im Vergleiche mit Siegeln und heraldischen Darstellun-
gen unseres Mittelalters, welche im Alterthumsvereine zu
München besprochen wurden, hatte ich Gelegenheit auch über
analoge asiatische Gegenstände aus dem ethnographischen
Theile unserer Sammlungen zu berichten; solche haben sich
gegenwärtig vorzüglich in den Gebieten des Buddha-Cultus
in ihren alten Formen erhalten. Sie sind auch jetzt noch,
wenn sie in jenen Theilen des Orientes angewandt werden,
„Stempel", die mit Schwärze oder anderer Farbe aufgedrückt
werden.
In Indien reicht wohl die erste Benützung einer Sig-
natur in Zeichen oder Schrift, die mechanisch sich anbringen
läßt und mit der sich auch der Vortheil verband, daß sie
innerhalb gewisser Grenzen, nämlich so lange derselbe Stempel-
stock sich benützen ließ, die Identität der Gestalt in jedem
Falle zeigt, in die frühe Periode der Entwickelnng des
Sanskrit zurück; ein Aufpressen in erwärmte, durch Abkühlen
erhärtende Masse auf der zu signirenden Fläche war aber in
Indien ganz unberücksichtigt geblieben. Verhindert war in
Indien die etwaige Anwendung von Substanzen, die nnserm
Siegellack oder den Wachsmischungen entsprächen, vor allem
durch die große Hitze; auch die Europäer bedienen sich, uu-
geachtet eigener Präparate für die officiellen indischen Docu-
mente von großer Wichtigkeit, des Siegelns mit Lack niemals
im gewöhnlichen Verkehre unter sich oder mit der Heimath.
In der Substanz des in Europa vollkommen zweckmäßigen
Siegellackes tritt dort so große Erweichung durch die Wärme
ein, daß nicht nur die Deutlichkeit des Andruckes verschwin-
det, sondern daß selbst Zusammenkleben mit nebenliegenden
Briefen und Beschädigung des Papieres derselben im Fell-
eisen der Post die Folge sein kann. In Tibet, wo das
Klima allerdings der bedeutender« Höhe wegen solche Be-
schränkung nicht machen würde, ist dessenungeachtet gleich-
falls das Siegeln unbekannt geblieben; von Indien her war
kein Vorgang geboten gewesen, und eine etwaige Mittheilung
des Verfahrens auf anderen Wegen und aus größerer Ferne
war durch den ohnehin so beschränkten Verkehr jenes Hoch-
landes ausgeschlossen.
Der tibetische Stempelstock, den ich speciell zu Besprechung
im Alterthumsvereiue wählte, ist ein Exemplar unserer Samm-
lnng (jetzt in der königl. Burg zu Nürnberg), das von einem
Oberpriester der buddhistischen Lamas gebraucht worden war.
Ein Oberpriester versieht mit einem solchen heraldisch gestal-
teten Zeichen alle Documente, welche durch seine Hände gehen.
Am häusigsten wird es dabei in der Ausführung von Gebet-
abfchriften angewandt, welche „schon durch das bloße Mit-
gesührtwerden dem Gläubigen Sühne und Reinigung im
Sinne der Vergebung der Sünden sichern." (Es entspricht
letzteres der mechanischen Anwendung von Gebetmaschinen
in rotireuder Bewegung, u. s. w. x).
Äu Betreff der Ausbreitung des Buddha-Cultus2) über
Eine Erläuterung gab ich darüber in „Reisen in Indien
und Hochasien" Bd. II, S. 91.
2) Sakyamuni, der Gründer des Buddhismus in Indien,
starb in seinem 80. Jahre, und als Todesjahr, das sehr
schwer festzustellen war, haben die neueren Forschungen jetzt
544 v. Chr. Geb. ergeben. Auftreten gegen den Buddhismus be-
gann im S. Jahrhundert n. Chr. das Verschwinden desselben zu
veranlassen, doch hatte er sich in einzelnen Theilen Indiens bis
gegen das 12. Jahrhundert noch erhalten. Ausführliche Zu-
sammenstellung ist gegeben in dem Werke meines Bruders Emil:
„Buddhism in Tibet." Leipzig, F. A. Brockhaus; London,
Trübner und Comp. 1863. Mit einem Atlas von 20 Tafeln,
welcher Abbildungen von Gegenständen unserer Sammlung,
meist als Facsimiles ausgeführt, enthält.
archäologische Daten über
das Hochland Tibets seien in Kürze nur folgende chronolo-
gische Daten hier erwähnt.
Der erste mit Bestimmtheit bekannte Einfluß des Bnd-
dhismus auf dasöstlicheTibet, wo jetzt zu Lasa der Haupt-
sitz desselben ist, tritt mit der Mission von fünf indischen
Priestern im Jahre 371 n. Chr. auf; aber als Zeit des
Beginnes der factifchen Einführung, ebenfalls gefördert
durch Priester arischer Race, ist erst das 7. Jahrhundert zu
nennen.
Für das Königreich Ladak, im westlichen Tibet,
zeigt sich der Beginn der Einführung ungleich früher; schon
im Jahre 240 vor Chr. verbreitete sich der Buddhismus dahin,
uud für das 1. Jahrhundert v. Chr. ist das Ueberwiegen
desselben in diesem Lande anzunehmen. Aus Balti, beut
nordwestlichen Theile des Landes, ist er gegenwärtig durch
wiederholte Einfälle und Niederlassungen der mussalmanschen
Nachbarn, die den Islam einführten, wieder verdrängt.
Die größeren Priestersitze in Tibet haben jetzt in ihren
Stempelformen vorherrschend Darstellungen, welche — in
ihrer Verbindung mit diesen mehr oder weniger heiligen
Orten—für die einzelnen derselben verschieden gewählt und
gestaltet sind; doch ist das Aufstellen der Formen für die
einzelnen Priestersitze keinesweges so bestimmt begrenzt, wie
dies bei uns mit der Führung des „Wappens" im Siegel
für Staat uud Ort, für deu Verein und für die Familie
der Fall ist.
Einen Stempelstock selbst, wie den hier besprochenen, zu
erhalten, war wie bei allen im Gebrauche sich befindlichen
Cultnsobjecten sehr schwierig gewesen.
Dieser Priesterstempel ist aus Mauguaug in Gnari
Kh orsu m, im Satledsch-Flnßgebiet der centralen Erhebung
von Tibet. Mauguaug ist ein perma-
Andruck des nent bewohnter Ort und zwar mit Kloster
und Tempel, aber 13 457 englische Fuß
hoch gelegen. Eine Ansicht des „Innern
des Tempels" (Gen. Nro. 269 unseres
Kataloges der landschaftlichen und archi-
tektonischen Aufuahmeu) ist nach einem
Aquarelle meines Bruders Adolph als
an . , Tasel XII des Atlas zu unseren „Re-
Mangnangstempels. gultg of a scientific Mission to India
and High Asia" gegeben.
Das Original des Stempels in der Sammlung besteht
aus zwei Theilen, verschieden im Metalle.
Das obere Stück ist aus Messing und zeigt sich als eine
2 '/z Centimeter hohe Figur eines sitzeuden Hundes, der aber in
der Darstellung so unbestimmt gehalten ist, daß er sich in seinem
Kopfe uud in seinem Schweife kaum von einem Löwenbilde
unterscheidet. Als Hund kennzeichnet ihn vor allem ein Hals-
band mit drei ornamentalen Prominenzen, die als Kleinode
gemeint sind. Der Kopf des Hundes ist nach links gewendet;
wird er so iu die Haud geuommen, daß der Stempelnde vom
Hunde angesehen wird, so ist dadurch auch die richtige ver-
ticale Position des Andruckes gesichert. Zu verstehen ist das
Bild des Hundes als Symbol der Wachsamkeit über die
Realisirnng der im Docnmente enthaltenen Zusage.
tibetische Priesterstempel. 45
Das untere Stück ist eine cylindrische Platte^) aus Eisen,
die mit Einschluß des Raudes außerhalb derJncision nahezu
2 Centimeter im Durchmesser uud 6 Millimeter Höhe hat.
Es zeigen sich als Begrenzung nach außen ornamentale
Linien, welche dieselben sind wie im griechischen Doppel-
Mäander, obgleich das Entstehen der Form in der altindi-
schen Zeit uud jenes in der Culturentwickeluug Griecheulauds
unter sich wohl ganz ohne direete Verbindung sind; nach
Tibet kam sie nlit vielen ähnlichen uud auch mit artistisch
gehaltenen Darstellungen im Zusammenhange mit der Ein-
sührnng des Buddhismus aus Indien.
Die etwas unbestimmte Stelle auf der einen Seite des
Mäander ist Folge von Abnützung dnrch langen Gebrauch.
Meist uämlich sind die Gegenstände des Cultus auch durch
ihr Alter geheiligt, und selbst von früherer directer Eiufüh-
rung derselben aus Indien hört man in den großen Klöstern
häufig sprechen, um ihren Werth zu erhöhen. Anderntheils
wird anch zugegeben, daß in Tibet selbst, im Westen sowohl
als besonders im Osten, die Priesterschaft der Anfertigung
derselben sich befleißigt.
Von den Figuren, die im centralen Theile des Andruckes
weiß vorn schwarzen Grunde sich abheben, weil diese in das
Metall des Stockes vertieft eingeschnitten sind, stellt die
obere ein Vorhängeschloß dar, wie solche ans Eisen in Tibet
ziemlich viel im Gebrauche sind; es befinden sich deren meh-
rere Exemplare auch iu unserer Sammlung. Der horizou-
tale Strich darunter mit den drei nach abwärts gerichteten
Zähnen, am Ende zur Linken des Beschauers, ist die Abbil-
duug des Schlüssels. Weuu er hiueingesteckt und gedreht
wird, so kann der als Vorhängeschloß zwischen zwei Ringe
eingehängte Apparat entweder gesperrt oder zum Abnehmen
geöffnet werden.
Die gleichfalls horizontal liegende dreispitzige Gabel ist
als Priesterstab, dem Neptun-Stabe in seiner Form ähnlich,
gemeint. Die Fortsetzung des Stockes dazu, die iu der hier
angebrachten Lage uicht die richtige Stellung erhalten konnte,
ist in sehr naiver Weise als paralleler Strich neben der
obern Hälfte des Priesterstabes gegeben.
Die Bedeutung des Bildes, wenn es als Ganzes zu-
sammengesaßt wird, ist:
„Der Besitzer dieses Stempels hat als Träger des Priester-
stabes die Macht zu binden und zu lösen."
Im ethnographischen Kataloge, den ich mit der Meldung
der neuen Ausstellung der königl. Akademie vorgelegt habe2),
ist dieser Priesterstempel enthalten in Abtheil. VI, Gruppe 39:
„Kleinere buddhistische Cultusgegenstände (tibetisch), 100
Stücke."
Von dieser wurde mir in der Dr. Wolf'schen Anstalt
für Lithographie und Druck gefälligst ein Clichü in Letternmetall
besorgt, der hier in den Text eingesetzt ist.
2) In: Bericht über die ethnographischen Gegenstände un-
serer Sammlungen und über die Raumanweisung in der königl.
Burg zu Nürnberg. Mit einer Kartenskizze. Sitzungsber. der
phys. math. Classe der königl. bayer. Akad. d. Wiss. ä. cl,
1. December 1877, S. 336 bis 380.
46
Aus allen Erdth eilen.
Aus allen E r d t h e i l e n.
Europa.
— „Ueber das Verhältniß des Kymrischen zum Eng-
llscheu — sagt Hugo Schnchardt in seinen anziehenden
„Keltischen Briefen" (Augsburger Allgemeine Zeitung vom
22. Juni 1878, Beilage) — sowohl wie es heutzutage besteht,
als wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, vermag ich
durchaus keine- Angaben zu machen. So viel ich weiß,
verschiebt sich die geographische Greuze schon seit lange in west-
Itcher Richtung. In Wales selbst verbreitet sich die Kenntniß
des Englischen mehr und mehr, und doch ist auch das Kym-
rische, mindestens seit einem halben Jahrhundert, fortwährend
erstarkt. Diese beiden Thatsachen widersprechen sich nicht.
Die erstere bedeutet nicht, daß die Zahl der nur englisch
Redenden, sondern daß die Zahl der Zweisprachigen zu-
nimmt und die der nur kymrisch Redenden abnimmt (im
Jahre 1840 waren die ganz ungefähren Zahlen für diese drei
(Staffen: 100 000 —400000 —400 000; welche Zahlen gelten
heute?). Das Kymrische kommt freilich bei der Zunahme
der Zweisprachigen nicht in Betracht; selten versucht ein Eng-
länder es zn lernen, und noch seltener bringt er es so weit
wie der gelehrte Bischof Thirlwall. Während es aber im
philosophischen, weltbürgerlichen Jahrhundert mit raschen
Schritten dem Untergang zuzueilen schien, begann es in die-
sem Jahrhundert seine Stellung zu befestigen, und der An-
laß dazu ist wohl hauptsächlich in der religiösen Bewegung
zu suchen. Bald belebte sich auch die Theiluahme an litera-
rischen Bestrebungen und befindet sich noch immer im Wach-
sen; am besten, gleichwie an einer Wassermarke, läßt sich
dieses an der Zahl der Eisteddfode (poetisch-literarische Weit-
kämpfe) messen. Zn der gesteigerten Lust in kymrischer
Sprache zu dichten trug auch die gesteigerte Aufmerksamkeit
bei, welche man den alten Dichtern und überhaupt den Alter-
thümern des Landes zollte; wir sahen hier wie anderswo
Literatur uud Philologie in lebendiger Wechselbeziehung."
— Dänische Ortsnamen in der Normandie. Der
bekannte dänische Alterthumsforscher Worsaae hat ein Werk
über die dänischen Eroberungen in England und der Nor-
mandie veröffentlicht, in welchem er nachweist, wie in beiden
Ländern sich aus jener Zeit noch eine große Anzahl dänischer
Ortsnamen erhalten haben, so z.B. im Departement Seine-
Jnferienre allein 150 nur sehr wenig veränderte Namen.
Die häufigste dänische Endung ist by, so in Bonrgeby, dänisch
Borgeby; manchmal ist diese Endung, welche Ortschaft bedeu-
tet, in du oder bat verstümmelt. Das dänische baek = S3ctdj
wurde iit bec verändert; so kommen ein Lillebec und Lang-
bec. Klein- und Langbach, vor. Dal, Thal, findet sich in Bec-
dale erhalten. Naes, Cap, ist als nez erhalten; z. B. Nez
de Jsbonrg. Folgende Znsammenstellung wird die Identität
mancher Ortsnamen Dänemarks und der Normaudie be-
weisen.
Normandie Dänemark
Earqneby Kirkeby
Tonrnebu Tornby
Tonrp Torp
Longnetnit Langtree
Langnetot - Langtoft
Honlbec Holbek
Londe Lnnd
— In Paris wird demnächst ein französischer geo-
graphischerCongreß abgehalten werden, dessen Hauptzweck
darin bestehen soll, die verschiedenen größeren und kleineren
geographischen Gesellschaften, wie zu Paris, Lyon, Bordeaux,
Marseille und die erst eben zu Montpellier geftiftete „Societe
languedocienne de geographie" unter einen Hut zu bringen,
ein Ziel, nach welchem ja auch in Deutschland gestrebt wird,
wo die Zähl der kleineren Gesellschaften noch ungleich bedeu-
teuder ist. Leugnen läßt es sich nicht, daß durch solche Ver-
einignng die Sache der Geographie nur gefördert würde.
Denn bei der jetzt herrschenden Zersplitterung, wo jede Ge-
sellschaft ihre eigene Zeitschrift heransgiebt und ihre eigenen
Reisenden unterstützt, liegt die Gefahr nahe, nach beiden
Richtungen hin nur Ungenügendes zu leisten und die mate-
riellen und geistigen Mittel zu verschwenden. Schwierig
bleibt es immerhin, die Machtgrenze festzustellen zwischen
den zur Oberleitung zu berufenden Kreisen uud den einzel-
nen Gesellschaften, ohne den berechtigten Interessen der letzeren
zu nahe zu treteu,
— Im verflossenen Jahre hat das österreichische Unter-
richtsministerinm eine Anzahl Geologen im nördlichen
Griechenland reisen lassen, um von diesem, von wissen-
schaftlicher Prüfung bisher ziemlich unberührten Gebiete eine
branchbare geologische Karte anzufertigen. Ein Theil der
so erlangten Resultate ist kürzlich in Gestalt einer AbHand-
lnng über die „geologische Strnctnr von Attika, Böotien,
Lokris und dem Parnaß", begleitet von einer Anzahl baro-
metrischer Höhenmessnngen der Wiener Akademie vorgelegt
worden. (Nature.)
Asien.
— Oberst Prschewalski, von dem wir anfS. 14 die-
ses Bandes noch einen hoffnungsvollen Brief mittheilten, hat
sich genöthigt gesehen, seine große Reise nach Tibet einstwei-
len aufzugeben, und ist vom Zaisan-Posten nach Rußland
zurückgekehrt.
— Mr. Rassam (f. vorigen Band S. 63) denkt im
Juni oder Juli mit den Ergebnissen seiner Ausgrabungen
in Assyrien nach England zurückzukehren. Er fand int Hü-
gel Balawat, 15 engl. Miles östlich von Mosnl, zwei knp-
ferne Denkmäler mit Darstellungen von Schlachten, religiösen
Ceremonien ze. in erhabener Arbeit, sowie eine marmorne
Kiste mit mehreren Jnschrifttafeln, in Knjnndschik einen
Thoncylinder mit fast 1300 Zeilen sehr feiner Inschrift, der
in eine Wand des Palastes des Assurbauipal eingemauert
war, und in Nimrnd die Reste eines großen assyrischen
Tempels.
— Einer Londoner Korrespondenz der „Allgemeinen Zei-
tung" entnehmen wir folgende Angaben über das Zahlen-
verhältniß der Religionen in Indien. In dem unter
der unmittelbaren Herrschaft Englands stehenden Gebiet
• (alfo die Vasallenstaaten ausgeschlossen) befinden sich etwa
140 500 000 brahmagläubige Hindu, eiuschließlich der Sikhs;
nahezu 41000000Mohammedaner; nicht ganz 3000000Bnd-
dhistenuud Dschaiuas; genau 896658 Christen; über 5000000
Anhänger verschiedenartiger Glaubeussecten, und nahezu
500 000, deren Religion nicht bekannt ist. Von den Christen,
die in dem über 190 500 000 Menschen zählenden Reiche nicht
einmal eine Million ausmachen, besteht natürlich ein Theil
aus Europäern. Nur 595 800 Eingeborene gehören dem
christlichen Glauben an. Die lange englische Herrschaft hat
in diesem Punkte kaum einen nennenswerten Einfluß geübt.
Von Regieruugs wegen hält man es stets für die beste Po-
litik, in dem alten Lande der Bildung nicht Bekehrnngsver-
suche zu machen.
— Graf BelaSzechknyi's Expedition (f. „Globus" XXXIII,
S. 112) kam am 9. Februar in Darjiling auf der Vorkette
des Sikkim-Himalaya au und brach von dort am 14. nach
Aus allen
dem Innern von Sikkim auf, wo sie hauptsächlich Gletscher-
studien zu machen beabsichtigte.
(Petermann's Mittheilungen.)
— Professor A. Bastian, der unermüdliche Umwan-
derer der Erde, hat kaum einen Theil seiner 1876 in Süd-
amerika gesammelten ethnographischen und archäologischen
Materialien zu Papier gebracht und in Druck gegeben, so
treibt ihn schon wieder die Sorge um sein herrliches ethno-
graphisches Mnsenm nach Asien, und zwar speciell nach
Hinterindien, um dort neue Schätze zu sammeln. Daß
er gerade volle vier Jahre, wie die Zeitungen melden, fort-
bleiben wird, erscheint uus mit Rücksicht ans seine Lehrthätig-
keit und sein Museum etwas unglaublich; wissen wir doch,
daß er nicht so langer Zeit bedarf, um selbst bedeutende Lücken
in seinen Sammlungen auszufüllen und Dinge heimznbrin-
gen, die für die Schwesteranstalten zu Gegenständen heim-
lichen Neides werden. Möge er glücklich und erfolgreich
heimkehren und bei unseren Landslenten draußen thatkrästige
Unterstützung finden.
— Nach der Unterdrückung des Mohammedaner-Auf-
standes in der chinesischen Provinz Mn-nan flüchtete eine
Anzahl dieser sogenannten Panthays vor den Grausam-
keiteu der Sieger nach Britisch-Birma, von wo sie jetzt
wieder in Menge weitergezogen sind, und zwar nach einer
Gegend im Nordoste« von Ober-Birma, welche weder zu
Siam, noch zu Birma, noch zu Chiua gehört und von Schan-
und Kachyen-Häuptlingen beherrscht wird. Letztere wollten
sich anfangs den 3000 Eindringlingen widersetzen, ließen aber
davon ab. So haben sich dieselben zwei Ortschaften gegrün-
det, Weiber von den Eingeborenen genommen, treiben Acker-
bau und auch etwas Haudel und ziehen Unabhängigkeit in
der Wildniß einem ruhigen Wohnen auf englischem oder
birmanischem Gebiete vor. (Nature.)
— Die japanesische Regierung, welche so rasche,
stellenweise zu rasche Fortschritte iu der modernen Civilisa-
tion macht, hat kürzlich die Notwendigkeit eingesehen, ihre
Wälder zu schütze« und deshalb strenge Verordnungen er-
lassen, um nicht nur deren Verwüstung zu hindern, sondern
selbst ihre Ausbreitung zu befördern.
— Mit besonderm Eifer läßt sich Japan die Ausdeh-
nung seines Telegraphennetzes angelegen sein. Augen-
blicklich besitzt es nach Angabe einer einheimischen Zeitung
125 Stationen und 5000 engl. Meilen arbeitende Drähte,
während weitere 1000 Beeilen in der Herstellung begriffen
und andere Linien projectirt sind. Es sind diese Zahlen um
so auerkeuuenswerther, als die erste Telegraphenliuie, welche
iu Japan zu praktischen Zwecken erbaut wurde, erst vom
Ende des Jahres 1869 datirt. (Nature.)
— In Japan erscheinen jetzt 11 fremde Zeitungen,
nämlich 9 englische, 1 amerikanische und 1 französische; trotz
der vielen ansässigen Deutschen existirt keine in dieser Sprache.
— Erdbeben in Japan. Vor der Asiatischen Gesell-
schast in Tokio (Jeddo) verlas Herr I. Hatton, ein Japa-
nese, vor Kurzem einen Bericht über alle Erdbeben, welche
während der letzten 15 Jahrhunderte in den größeren
Städten des Reiches stattgefunden haben; ein Verzeichniß
derselben ist seit dem fünften Jahrhundert der christlichen
Aera mit ziemlicher Genauigkeit geführt worden. Die Zahl
sowohl der kleinen Stöße als der großen Katastrophen ist
sehr groß; von letzteren allein sind in 1500 Jahren 149 ver-
zeichnet worden. Dieselben waren im neunten Jahrhundert
am häufigsten, da sie 28 Male stattfanden, während im fünf-
zehnten 15, im siebenzehnten 15, im achtzehnten 13 und im
jetzigen Jahrhundert bereits 16 große verderbliche Erdbeben
stattfanden. Der verzeichnete Durchschnitt ergiebt ein großes
Erdbeben für je zehn Jahre, für das neunzehnte Jahrhundert
dagegen eines für jede fünf Jahre. Als Vorläufer besou-
ders starker Convulsionen sind fast immer atmosphärische
Veränderungen und außerordentlich hohe Temperatur bemerkt
Erdtheilen. 47
worden, wie dies besonders im Jahre 1855 der Fall war,
als Jcddo zerstört wurde.
— Korea. Uusere Informationsquellen über dieses,
fast noch ganz unbekannte Land sind sehr spärlich an Zahl,
doch erhalteu wir hin und wieder einige Nachrichten von
dort durch Berichte der Japanesen, wie wir solche bereits int
„Globus" XXXIII, S. 63 mittheilten. Weitere Einzelheiten
erfahren wir aus dem Briefe, den ein Correspondent des
„North China Herald" jährlich ans Nin-tschwang in der süd-
lichen Mantschnrev schreibt.
Derselbe theilt mit, daß das Poreellau des Landes sehr
sein sei, daß die Fächer aus Palmblätteru mit vielfarbigen
Bildern von Menschen, Thieren und Landschaften verziert
werden, daß die producirteu Baumwollstoffe denjenigen gleich
seien, welche in Mikawa in Japan verfertigt werden, und
daß die Seide gleich dem indischen „Pongee" sei, aber nur
iu geringer Quantität hergestellt, wird. Die einzige Landes-
münze ist nicht rund, sondern besteht ans Stücken von Eisen-
stab, die etwa vier Zoll Länge haben und iu Bogensorm
gekrümmt sind. Das Land ist voll von großem und kleinem
Wild, die Hügel siud von Fasauen belebt, Dam- und anderes
Wild wird überall angetroffen, Bären sind sehr zahlreich,
besonders in den hohen Bergketten im Norden, und gefleckte
und gestreifte Tiger haben in den letzten Jahren viel Unheil
angerichtet. Trotz dieser Gefahr haben die Häuser Koreas
sehr primitive Thüren, indem dieselben nur aus einem mit
Papier beklebten Rahmen bestehen.
Afrika.
— Die erste Theilstrecke der Bahn, welche Algerien und
Tunesien zu verbinden bestimmt ist, von Tnnes bis Te-
burba, ist am 24. Juni unter Feierlichkeiten eröffnet wor-
dm. Wie vielfach geglaubt wird, ist die Erbauung jener
Bahn gewissermaßen ein einleitender Schritt zur vollständigen
Annexion Tunesiens dnrch Frankreich.
— Dr. Schweinfurth hat in Gesellschaft des Dr. Spitta
im Frühling dieses Jahres wiederum eine Forschungsreise
in die Arabische Wüste unternommen. Nach einer 72 tägigen,
sehr anstrengenden Wüstenreise ist er mit reicher Ausbeute
an Versteinerungen, Mineralien und topographischen Auf-
nahmen, aber leider in etwas angegriffener Gesundheit am
14. Juni nach Cairo zurückgekehrt.
— Aus Rom wird vom 25. Mai geschriebeu: Der Capi-
tän Martini (s. „Globus" XXXIII, S. 158) steht im Be-
griff, sich wieder auf den Weg nach dem iuneru Afrika zu
begeben, um sich seineu iu Schoa weilenden Gefährten, Mar-
chese Antinori, Chiarini und Eecchi anzuschließen und dort
unter dem Schutze des für die Civilisatiou so empfänglichen
Königs Mcnelck eine erste wissenschaftliche und gastliche Sta-
tion für die Afrikareisenden zu gründen.
— Die afrikanische Expedition der Herren Gessi und
Matteueci (f. „Globus" XXXII, S. 110, 350; XXXIII,
S. 15), welche durch das Land der Amaua-Neger uach Kaffa
vordringen wollten, hat wegen des seitens dieser Bevölke-
rnng beharrlich verweigerten Durchzugs den Rückweg antreten
müssen und ist, wie aus einem von Matteneei bei dem afri-
kanischen Co mite der Römischen Geographischen Gesellschaft
eingelaufenen, vom 20. April dieses Jahres datirteu Schrei-
ben hervorgeht, worin derselbe seine wahrscheinliche demnäch-
stige Rückkehr nach Europa ankündigt, als endgültig geschei-
tert zu betrachten.
— Am 14. Juni hat in London eine Versammlung derer,
welche zum „Afrieau Exploration Fund" beigetragen
haben, stattgefunden, um die Vorschläge eines Comites der
dortigen geographischen Gesellschaft hinsichtlich der Verwen-
dung der eingegangenen Gelder (im Ganzen wenig über
2000 Pfund, dovon die Hälfte von der geographischen Ge-
sellschaft) entgegenzunehmen. Da diese Mittel einstweilen nur
beschränkte sind und es den leitenden Persönlichkeiten vor
allem darauf ankommt, überhaupt einen wenn auch nur be-
48
Aus allen Erdtheilen.
scheidenen Erfolg zu erzielen, um dadurch in weiteren Krei-
sen größeres Interesse und mehr Opferfreudigkeit zu erregen,
so ist folgender Plan in Vorschlag gebracht und einstimmig
angenommen worden: Die kleine Expedition, welche unter
dem Befehle von Mr. Keith Johnston stehen und England
im kommenden Oetober verlassen soll, erhält den Auftrag,
das Gebiet zwischen Dar-es-Salaam (wenige Miles südlich
von Zanzibar) und dem nördlichen Ende des Nyassa-Sees zu
erforschen. Denn diese Gegend ist nicht nur, wie wir aus
Cotterill's Berichten (s. „Globus" XXXIII, S. 344) wissen,
durch die Großartigkeit ihrer physikalischen Erscheinungen
anziehend, sondern verheißt auch Entdeckungen von geographi-
scher Wichtigkeit und hat ein praktisches Interesse für die
Frage wegen der besten Handelsstraßen nach der innerasri-
kanischen Seenregion. Erreicht die Expedition den Nyassa-See,
welcher circa 350 engl. Miles von Dar-es-Salaam entfernt
ist, so soll sie von dort nach dem noch circa 190 Miles ent-
fernten Südende des Tanganyika-Sees vorzudringen und den
Rückweg wenn möglich am Lnsidschi-Flnsse hinab zu nehmen
suchen. Um Jnnerasrika zu erschließen, meint das Comite,
bedarf es stetiger, fortschreitender Arbeit; man soll anfangs
nicht zn ehrgeizig sein und nicht über die wirklichen Erfor-
dernisse des Handels und der Civilisirnng, für welche geo-
graphische Erforschung die Pionnierarbeit verrichtet, hinaus-
gehen. Ein zweiter Vorschlag, der aber einstweilen zurück-
gestellt worden ist, weil er größere Mittel in Anspruch nimmt,
geht dahin, etwa von Mombasa aus über den Schneeberg
Kenia das südliche Ufer des Victoria Nyanza zu erreichen,
ein Plan, den unser I. M. Hildebrandt wenigstens theilweise
auszuführen entschlossen war, der aber bekanntlich an der
feindseligen Haltung der Eingeborenen scheiterte.
— Eiue Gesellschaft vou vier Männern, Pearfon, Litch-
field, Hall und der Medianer Felkin, hat am 3. Mai Eng-
land verlasse«, um die Expedition der Ehnrch Missio-
n ary Society am Victoria Nyanza, welche durch den Tod
von Mr. John Smith und die Ermordung von G. Shergold
Smith und Thomas O'Neill (s. „Globus" XXXIII, S. 365
und 384) so schwere Verluste erlitten hat, zu ergänzen oder
besser zn ersetzen. Dieselben gehen über Snakin nach Berber
am Nil und Ehartnm und von dort unter Gordon-Pascha's
Schutz über Gondokoro und die ägyptischen Militärstationen
nach Mtesa's Reiche Uganda, wo Gordon in der Person des
Dr. Emin Essendi (alias Schnitzler; s. vorigen Band, S. 352)
einen Agenten unterhält. Inzwischen aber scheint die anfangs
den Missionären so freundliche Stimmung am Hofe Mtefa's
einen Umschlag erlitten zu haben, wahrscheinlich in Folge der
drohenden Haltung und der Annexionsgelüste Aegyptens.
Darum erhielt der letzte Missionär am Victoria Nyanza,
Mr. Wilson, auch sofort den gewünschten Urlaub vou Mtesa,
fuhr über den See zurück und begab sich nach Unyanyembe,
um sich mit den anderen Missionären seiner Gesellschaft, die
in Zwischenräumen auf der Strecke vou Zanzibar bis zum
Victoria Nyanza stationirt sind, zu vereinigen.
— Wie „The Athenäum" meldet, hofft G. Nohlss im
kommenden Jahre wiederum nach Afrika zu gehen, aber nicht,
wie anfangs verlautete, nach der Libyschen Wüste, sondern
am Schari aufwärts uach dem uubekanuteu Gebiete zwischen
diesem Flusse, dem Venne und Ogowe. Tripolis bleibt sein
Ausgangspunkt, weil er mit diesem Theile Afrikas am besten
bekannt ist und dort am leichtesten zuverlässige Diener mie-
then und gute Lastthiere kaufen kann. Zuerst beabsichtigt er,
rasch die Sahara auf dem Wege über Knfara zn dnrchzie-
hen, ein Marsch, der dazu dienen soll, die Constitution seiner
Begleiter, zwölf Europäer und hundert Eingeborener, zu
kräftigen. Projectirt ist die Anfertigung von Karren, deren
Inhalt: Aus Charles Wiener's Reise in Peru und Bolivien. III. (Mit 7 Abbildungen.) (Schluß.)— A. Ecker:
Das europäische Wildpferd und dessen Beziehungen zum domesticirteu Pferd. III. (Mit l Abbildung.) (Schluß.) — H. v.
Schlagtutweit-Sakünlünski: Archäologische und ethnographische Daten über tibetische Priesterstempel. (Mit einer Ab-
bildnng.) — Aus allen Erdtheilen: Europa. — Asien. — Afrika. — Brehm's Thierleben. — (Schluß der Redaetiou
25. Juni 1878.)
Kasten zusammenzuschrauben gehen, um dann als Boote zn
dienen. Die Kosten der Expedition werden auf 140 000 Mark
geschätzt, wozu die Deutsche Afrikanische Gesellschaft voraus-
sichtlich 50 000 Mark beitragen wird, d. h. die eine Hälfte
des ihr unlängst vom Reichstage bewilligten Zuschusses.
— Der bisher ausschließlich auf den Orient beschränkte
Anbau des Mohnes zur Opiumbereituug findet jetzt anch
in lohnender Weise in Ostafrika statt. Eine Gesellschaft hat
sich zu diesem Zwecke mit einem Eapitale von 178 000 Pf. St.
in Mozambiqne gebildet, hat von der portugiesischen Re-
gierung 50 000 Acres unbebauten Landes angewiesen erhal-
ten und den besten Samen aus Malwa kommen lassen. Sie
hat außerdem das ausschließliche Recht, 12 Jahre lang Opium
steuerfrei bei sämmtlichen Zollämtern der Provinz auszu-
führen. Die Mohnpflanzen sollen „Nature" zufolge gut ge-
deihen und das Prodnet den besten Opium Indiens an
Größe übertreffen.
— Hermann Soyanx, der Botaniker der deutschen
Loango-Expedition, wird in diesem Sommer im Auftrage
des Hamburger Hauses Wörmauu sich wiederum nach dem
äqnatorialen Westafrika begeben, um die Gebiete des Gabun
und Ogowe in naturwissenschaftlicher Hinsicht zn durchfor-
scheu und Versuche mit Pflanzungen zu machen. Ein Werk
über seine Reisen in Loango und Angola soll bei Brockhaus
erscheinen. _
Brehm's Thierleben.
Eine längst mit Spannung erwartete Abtheilung von
„Brehm' s Thierleben" (Verlag des Bibliographischen
Instituts in Leipzig): die Niederen Thiere, von Pro-
feffor Oscar Schmidt in Straßburg, ist jetzt in der zwei-
ten, umgearbeiteten Auflage zum Abschluß gebracht und muß
als eine Glanzpartie dieses klassischen Werkes bezeichnet
werden.
Gerade auf dem Gebiete der niederen Lebewesen bewegt
sich die Forschung, angeregt durch die Ideen Darwin's,
Häckel's und anderer Koryphäen der Entwicklungstheorie,
in neuester Zeit so umgestaltend wie auf keinem andern.
Durch die neu eröffneten zoologischen Stationen zu Neapel,
Triest :c. wurden dem Forscher zudem Beobachtuugsgcbiete
erschlösse», die bisher so gut wie nicht vorhanden waren.
Die Resultate sind bekanntlich von der weittragendsten Be-
dentnng und mußten auch der Schmidt'scheu Darstellung in
„Brehm's Thierleben" ihren Stempel aufdrücken. Seine
ebenso umfassenden wie erfolgreichen Studien gerade in die-
fem populären Werke niedergelegt und so zum Gemeingut
gemacht zu haben, ist ein Verdienst Oscar Schmidt's, das
in hohem Grade anerkannt werden muß.
Auch mit Bezug auf die außerordeutlich reichhaltige Jllu-
stratiou ist dieserBaud geradezu epochemachend zu nennen.
Freilich konnte eine so außergewöhnliche Leistung nur durch
außergewöhnliche Mittel erzielt werden. Die Schwierigkeiten
in der Beschaffung wirklich wahrheitsgetreuer Abbildungen die-
ses eigenthümlichen Thierkreises kennt nur der Fachmann; ihre
Ueberwinduug ist hier iu bewuudernswerther Weise gelungen.
Wie früher an zahlreichen anderen Küsten europäischer Meere,
so neuerdings in dem Aquarium zu Neapel während zweier
Winter lag der Verfasser speciellen Studien für dies Werk
ob. Gleichzeitig wurden dort anch unter seiner Wissenschaft-
liehen Leitung künstlerische Beobachtungen angestellt, die es
ermöglichten, dem Buch eiue Reihe von Thierbildern cinzn-
verleiben, die hier überhaupt zum erste «mal zu finden
sind, während andere durch neue, richtigere Auffassung und
unmittelbar der Natur abgelauschte Bewegung alles bisher
Dagewesene übertreffen.
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
Hierzu als Beilage: Literarischer Anzeiger Nr. 6.
#
Band XXXIV.
Mit besonderer Herürllsirktigung <ler AntKroyo!og!e unä GtKnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Jährlich 2 Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten QVQ
•OICIUU | U)U)ClQ zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. " '
Von Sir Fvrsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
Seit dem fünfundzwanzigsten Bande hat diese Zeitschrift
eine ganze Reihe eingehender Aufsätze über die in der Ueber-
fchrift genannte großartige Expedition gebracht (s. XXV,
S. 282 und 298, XXVI, S. 218, 230, 281, und Emil
Schlagintweit's Arbeit über die Völker Ost-Turkistans,
XXXI, S. 236, 251 und 263; letztere nach dem großen
osficielleu Quellenwerk gearbeitet, welches nur in wenigen
Exemplaren in Deutschland vorhanden ist). Erst jetzt aber
ist es möglich, unseren Lesern eine Reihe von Holzschnitten
vorzulegen, welche die Natur und die Bewohner jenes merk-
würdigen Landes vortrefflich illustriren; dieselben verlieren
dadurch nicht an Werth, daß seit ihrem Entstehen die poli-
tischen Verhältnisse Ost-Turkistans sich vollständig geändert
haben, und augenblicklich die siegreiche chinesische Soldateska
mit Morden und Sengen das Land in eine Wüstenei zu ver-
wandeln sich bestrebt. Manches von dem, was diese Bilder
vor Augen führen, mag darum aufgehört haben zu existiren;
um so höher aber ist es anzuschlagen, daß sie uns eine Bor-
stellnng von dem Zustande des Landes in jener kurzen Epoche
geben, wo es einem nationalen mohammedanischen Herrscher
gehorchte.
Gegen Ende des Jahres 1873 schickte, wie bekannt, die
englische Regierung an Jakub-Beg, den Emir von Ost-Tur-
kistan, behufs Abfchließnng eines vou diesem gewünschten
Handelsvertrages eine Gesandtschaft, an deren Spitze Sir-
Douglas Forfyth stand, welcher dasLand schon bei einer
frühern Gelegenheit im Jahre 1870 kennen gelernt hatte.
Ihn begleiteten der Oberst T. E. Gordon, die Hauptleute
Trotter, Biddulph und Chapman, Dr. Bellew als Arzt und
Ethnograph, der Geolog Dr. Stoliczka, schließlich der Topo-
Globus XXXIV. Nr. 4.
I.
graph Abdul Sabhan mit sieben tut Vermessen geübten Pan-
diten. Chapman diente als Secretär. Briefe, welche letz-
terer an seine Verwandten in England richtete, liegen der
nachfolgenden Darstellung zu Grunde, den Bildern die Photo-
graphien und Aquarellen desselben Offiziers. Die Schilde-
ruug wurde aus Oberst Gordon's Bnche „The Roof of the
World" (Das Dach der Welt) ergänzt; die Briefe beginnen
mit dem Augenblicke, wo die englische Gesandtschaft im Be-
griffe stand, Sriuagar, die Hauptstadt des England tribu-
täreu Königreiches Kaschmir, zu verlassen.
4. September 1873. Nuu sind wir unterwegs
— schreibt Chapman — und ich kann mein Tagebuch in
Angriff nehmen. Ich bin entzückt darüber und spüre mit
Vergnügen die Müdigkeit, welche der erste Ritt vou zwanzig
englischen Meilen mir verursacht. Ich habe vier Leute zu
meiner Bedienung: Gulau Husein, aus Kabul stammeud,
der Persisch spricht, ein wilder Bursche, der sich ein wenig
um alles kümmern soll; Dschora Bay ans Patha, der seine
heimische Sprache redet und durchaus das Benehmen eines
hochgestellten Kriegers besitzt, nichtsdestoweniger aber meine
Stiefel wichsen, bei Tisch aufwarten, die Packthiere beladen
und ähnliche Arbeiten verrichten wird; als dritten Hadschi
Choda von Jarkand, der Türkisch spricht, aus Mekka zurück-
kehrt und sich für einen Heiligen hält z ihm ist die Besorgung
meines braunen Ponys anvertraut, und schließlich den Hindu
Rainalud, der hindnstanisch redet und meinen weißen Pony
„Magdala" unter sich hat. Als Secretär der Gesandt-
schaft habe ich 14 Maulthiere, welche außer meinem Gepäck
uoch das Archiv, die Bibliothek und die photographischen
Apparate zu tragen haben.
7
50
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
Wir ziehen jetzt nach Soria Mag oder der goldenen
Ebene, welche wir in zwei Tagen erreichen sollen. Von
derjenigen Seite, wo wir uns ihr nähern, ist sie vielmehr
ein Gebirge und zwar ein Gebirge mit höchst steilem Zu-
gange. Sonst ist die Gegend wegen ihrer goldgelben Blu-
men, ihrer grasbedeckten Abhänge, ihrer Gletscher und anderer
Naturschönheiten berühmt, nicht zu gedenken der Bären,
Steinböcke und Nebhühner. Auf dieser Neise werden, wie
man uns sagt, die warmen Ueberröcke plötzlich beliebt wer-
den, und in der Nacht, wo wir den Paß überschreiten, soll
sogar vor dem gemeinsamen Zelte ein mächtiges Feuer
brennen. (Sriuagar liegt nämlich 1607 Meter hoch, der
Zodschila-Paß — z wie weiches s zu sprechen — aber schon
3630 Meter oder 11 900 engl. Fuß.)
10. September. Wir habeu das reizendste Thal von
ganz Kaschmir hinter uns (es ist das des Sind gemeint, der
durch deu See von Kaschmir in den Dschilam mündet). Am
Sonnabend lagerten wir an einer Stelle, „die vier Thürme"
genannt, weil sie ringsum von vier phantastisch geformten
Bergspitzen eingeschlossen ist, deren vom Wetter zerrissene
Schroffen an Festungszinnen erinnern.
Am Sonntag lagerten wir unterhalb des Zodschila-Passes
und hatten im gemeinsamen Zelte, wo auch die Mahlzeiten
stattfinden, Gottesdienst. Tags darauf wurde der Paß über-
Lager der Expedition in Kaschmir. (Nach einer Photographie Chapman's.)
schritten; vou seinem höchsten Punkte ans konnten wir die
Wasserscheide weithin verfolgen, von wo die Bäche einerseits
zum Indus, andererseits zum Dschilam abströmen.
Die Straße, welche wir ziehen, ist wie gewöhnlich außer-
ordentlich schwierig; man hat sie aber nnseretwegen ansge-
bessert. Zur Winterszeit geht man im Bette des Baches,
der alsdann gefroren und mit Schnee überdeckt ist; im Mai
aber wäre das wegen der Lawinen zu gefährlich und man
muß seinen Weg dann auf deu Abhängen entlang wählen.
Eines von unseren Thieren stürzte mit zwei Füßchen Bräunt-
wein; das Maulthier konnte gerettet werden, aber der Inhalt
der Fäßchen war leider dahin. „Was uns auf diesem
Marsche am meisten auffällt, ist die Fülle und Mannig-
faltigkeit der Blumen, welche diesen Theil Kaschmirs in
unglaublicher Ueppigkeit bedecken. Am ausdauerndsten ist
unser ständiger Begleiter, die Butterblume; sie verläßt uns
erst iu dem Augenblicke, wo wir die Paßschlncht betreten.
Sofort ändert sich das Aussehen der Umgebung: die Vege-
tation verschwindet bis auf einige dürftige, verkrüppelte Wei-
den und Birken und die Felsen gewähren einen ganz andern
Anblick. Ringsum ließen Mnrmelthiere ihr Pfeifen hören,
ohne daß es uns möglich war, ein einziges zu sehen, geschweige
denn zum Schusse zu bekommen. Gegen 11 Uhr fing die
Kälte au, sich bemerklich zu machen; von einem nahen Glet-
scher kanl etil heftiger Luftstrom herab und rief uns den
Wechsel des Klimas ins Gedächtniß. Wir brauchten mehrere
Tage, um uns daran zu gewöhnen und uns von der ersten
Unbehaglichkeit zu erholen. In Matadschan wurde iu
einer Höhe vou circa 11 000 Fuß (3350 Meter) gelagert.
Dras (10144 Fnß — 3093 Meter), wo wir am
10. September übernachteten, liegt in einer hübschen kleinen
Oase, wo sich die Bäume nach Kräften entwickelt haben;
Palast und Bazar in Leh. (Nach einer Photographie Chapman's.)
Augenblicke befinden, von Lamas besetzt; noch sieht man ihre
Behausungen ans den Höhen und einzelnen Felsen, wo sie
einen malerischen Anblick gewähren. Wenn ihr Begehren,
die Welt zu fliehen, keinen andern Nutzen gestiftet hat, so
doch wenigstens den, das; es dieser Landschaft, welche sonst
von unsagbarer Oede wäre, durch die eigenthümlichen kleinen
Häuschen Leben und Interesse verliehen hat. Buddhistische
Tschokteus und Topes finden sich gleichfalls ab und zu;
manche von diesen Grabmälern gleichen durchaus niedlichen
Hundehütten, die man auf die Hausdächer gesetzt. Es sind
diese Baulichkeiten übrigens mehr Erinnerungszeichen zu
Ehren der Verstorbeilen als Gräber, welche deren Neste um-
schließen; denn wenn hier jemand stirbt, so versammeln sich
seine Freunde, zerbrechen dem Leichnam alle Knochen mit
Stockschlägen und verbrennen ihn dann.
Die Topes werden von Gläubigen aus religiösem Enthn-
siasmns errichtet und der Gottheit geweiht; ebenso die mani-
phain. Letztere sind etwa 3 Fnß hoch, oben platt und von
unbestimmbarer Länge; denn sie vergrößern sich mit der Zeit.
Ihre ganze obere Fläche ist mit Steinen bedeckt, deren jeder
die bekannte Inschrift: 0m mani padme lium! trägt.
(Vergl. R. Andree, Steinhaufen, Globus XXVII, S. 183,
und Ethnographische Parallelen und Vergleiche, S. 46 bis
58.) Da jeder gute Buddhist links von jedem Tope oder
Tschokten vorbeigeht, so sind auf beiden Seiten derselben ans-
getretene Pfade vorhanden, für die, welche kommen, wie für
die, welche gehen. Die Tfchoktens sind mit einem in der
Nähe anstehenden Gypse geweißt und strahlen im Sonnen-
schein einen blendenden Glanz aus. In diesem fruchtbaren
Thale macht der Buddhismus und seine Monumente einen
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
selbst eine Pappelart kommt dort fort. Im Ganzen aber
ist das Thal doch trostlos öde und unfruchtbar. Der gleich-
namige Bach friert im Winter vollständig zu. Jetzt aber
sind die Weiden von zahlreichen Ponics belebt. Heute (10.
September) Morgeus sahen wir neben dem Wege zwei jener
großen buddhistischen Steine mit Bildhanerarbeit, welche hier
Deos genannt werden und, wie alles in diesen Einöden, von
feierlicher Großartigkeit sind.
Am 15. werden wir ein tibetisches Kloster erreichen; wir
sind zwar noch nicht im Lande der Lamas, sind aber nicht mehr
weit davon. Ich rechne daraus, interessante photographische
Aufnahmen machen zu können, wenn mich mein Collodinm,
das mir in diesen Hochregionen schon manchen Streich gespielt
hat, nicht im Stich läßt.
Eben kommt folgende Depesche des Maharadscha an
Mr. Forsyth an: „Da heute in Kaschmir ein sehr kalter
Wind weht, bin ich wegen eueres Marsches über den Zodschila
in großer Unruhe und bitte euch, mich euere glückliche An-
fünft wissen zit lassen." Diese Fürsorge machte uns lachen.
Lager vonSchcrgol nndKarbn, 14. September.
Wir haben in Kargil (am Snrn, einem rechten Zuflüsse des
Dras) einen Ruhetag gemacht, den ich gut ausgenutzt habe.
Frühmorgens schon hatte ich meinen Apparat hergerichtet,
habe mehrere Gruppen von Männern mtb Frauen auf-
genommen und die Negative sofort zurückgesendet. Morgen
gehe ich nach dem berühmten buddhistischen Kloster Lama-
Zürn, etwa 12 Meilen von hier.
Noch vor Kurzem war das ganze Thal, wo wir uns hu
Das buddhistische Kloster Hemis bei Leh. (Nach einer Zeichnung des Oberst Gordon.)
54
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
weit bessern Eindruck als in der traurigen Felsenschlucht des
Dras.
Lama-Zuru, 15. September. Heute habe ich den
ganzen Tag der Photographie gewidmet, und es ist mir gc-
lungeu, ein gutes Bild des Klosters (s. S. 51) herzustellen,
aber unter welchen Unglücksfällen! Am Morgen lief das
Maulthier mit dem Apparat in den Bach und warf die Kiste,
worin er sich befand, um, so daß sie zerbrach. Glücklicher-
weise war drinnen nur eine einzige Flasche entzwei. Dann
machte ich eine Aufnahme Und freute mich schon über die-
selbe, als ein ungeschickter Mensch mir das Bad umwarf.
Trotzdem bewahre ich meine Munterkeit und meinen Appetit;
von der Kälte habe ich nichts mehr zu leiden, trotzdem wir
letzte Nacht in einer Höhe von 11 300 Fuß (3440 Meter)
und die nächste noch höher zubringen.
Lager von Saspnl, 19. September. Da der
Frauen aus Leh. (Nach einer Photographie Chapman's.)
Wind zu heftig war, um zn Photographiren, habe ich einige
Lamas nach der Natur abgezeichnet; leider aber bleibt mir
für solche Dinge wenig Zeit. Denn ich muß die Ausgaben
überwachen und zahlreiche Briefe schreiben, die ich wegen
ihres vertraulichen Inhalts nicht einmal von meinem Schrei-
der copiren lassen kann. Hinter Lama-Zuru sind wir in
das Thal des Indus hinabgestiegen und haben denselben in
Knlsi, wo die Straße durch ein Fort führt, überschritten.
Ein öderes Thal als dort kann man sich kaum vorstellen:
die Berge steigen zu beiden Seiten fast senkrecht aus und die
wenigen Dörfer liegen auf Geröllanspülungen, welche vom
Flusse oder von der Schneeschmelze an ihren Ort getragen
worden sind. Unser eigenes Lager liegt inmitten eines Stein-
Haufens. Während wir uns hier befinden, überrascht uns
ein heftiger Regen, und alsbald sehen wir auch Felsblöcke
und Steine von den Abhängen sich loslöfeu und pfeilgeschwind
dem Wasser zurollen.
Mimmu, 19. September. Heute Morgen ist Mr.
Von Sir Forsyth's Gesav
Johnston zu uns gestoßen, welcher, früher in englischen
Diensten, jetzt in denen des Maharadscha von Ladak steht.
Er hat uns vom Winter in diesen Gegenden erzählt. Die
Luft ist hier oben bei hohen Kältegraden so dünn, daß es
fast unmöglich ist, Feuer anzumachen, weil nicht genug Sauer-
stoff vorhanden ist. Um sich zu erwärmen, muß man ein
Geschirr voll Wasser aufs Feuer setze»; indem dasselbe be-
ständig siedet, entwickelt es Damps, welcher den Luftmangel
ersetzt und den menschlichen Lungen zu Hülse kommt. Alles,
was man von der Kälte hier erzählen hört, erinnert an das
arktische Gebiet. Unsere Reise freilich geht mit solchem Com-
fort vor sich und wird so umsichtig geleitet, daß man von
irgend welchen Leiden nicht reden kann.
Einer unserer Gefährten, Dr. Bellew, verwendet tüg-
lich mehrere Stunden darauf, Wörter aufzuschreiben, welche
ihm ein zu seinen Füßen sitzender Eingeborener vorspricht.
Es sind das Vorarbeiten zu einem ladakischen Wörterbuche.
Ich für meine Person habe bei meinen photographischen Auf-
nahmen viel Glück und habe vortreffliche Platten erhalten.
Bon Jarkand haben wir gute Nachrichten; ein glänzender
Empfang steht uns dort iu Aussicht. Der Atalik hat allen
seinen Untergebenen befohlen, „ihre Leiber zum Teppich zu
machen, um unfern Einzug in die Hauptstadt zu erleichtern,"
wie der officielle Bericht, den wir empfangen haben, lautet.
Uud in der That giebt es eine Wegstrecke, wo dieser Befehl
nicht ganz unnütz wäre oder wenigstens nicht durchaus Me-
tapher bleiben sollte. Denn an der andern Seite des Sasser-
Passes soll streckenweise das blanke Eis den Weg bedecken,
so daß Fürsorge getroffen werden muß, daß alle unsere Last-
thiere mit ihrer kostbaren Ladung gefahrlos dort Passiren
können.
Einige wilde Schafe, Schapus genannt, haben wir zu
Gesichte bekommen; aber an Jagd darauf ist nicht zu denken.
Wenn man wie wir in Colonne marfchirt, fliehen sie, ehe
man zum Schufte kommen kann. Die Gegenden, welche
wir durchzogen haben, sind ziemlich einförmig; nur die Dör-
fer find hübsch, weil sie freundliche Haine von Pappeln und
Weiden umgeben. Ueberall stehen Tschoktens der verschieden-
sten Form. Es scheint, daß seit Jahrhunderten Jedermanns
hauptsächlichster Gedanke darauf gerichtet gewesen ist, wie es
wohl anzustellen sei, daß seine Gebeine dermaleinst von
einem größern Grabmal bedeckt würden als die seines
Nächsten.
Ein Buch, welches sich in nnserm Lager großer Beliebt-
heit erfreut, ist Tyudall's Transformationen des Wassers.
Dank ihm vermögen wir einen Theil der Phänomene, die
uns umgeben, zn verstehen. Wenn man so wie wir sich in
Gebieten befindet, wo die Erdkruste die seltsamsten Unnväl-
zuugeu durchgemacht hat, so gewährt es eine große Befrie-
dignng, dieselben zu begreifen; aber trotzdem fühlt man hier
mehr als jemals, daß der Mensch nur eiu elend kleines Ge-
schöpf ist.
21. September. Ein sehr frühzeitiger Aufbruch hat
uns gestattet, heute einen Geschwindmarsch von 13 (engl.)
Meilen zurückzulegen. Wir haben dabei eine große Hoch-
ebene überschritten, von wo ans wir deutlich die seit einigen
Tagen schon sichtbaren Granitberge überschauten. Dabei
blieb der Indus rechts vou uns im Thal; später erreichten
wir ihn wieder, nur einige hundert Fuß höher. (Diese
Wegstrecke liegt zwischen Snemo und Leh.) Ein schönes
Kloster unterwegs erinnerte an die Schlösser am Rhein, nur
daß die Berge im Hintergründe mit ewigem Schnee bedeckt
sind. Man möchte glauben, daß ein so malerisches, impo-
santes Gebäude von gelehrten Mönchen oder reichen Aebten
bewohnt sei; aber solche Illusionen verschwinden, wenn die
Lamas von oben sich glückwünschend dem Reisenden nahen
schaftsreise nach Kaschgar. 55
und auf den sonderbarsten Instrumenten eiu Coucert voll-
führen.
In Leh, der Hauptstadt von Ladak, trafen wir den
Handelsagenten Mr. Shaw, der, ursprünglich Theepslanzer
in Kungra, 1869 seine bekannte Reise nach Ostturkestau aus-
geführt und in seinem Werke Iligli Tatary, Jarkand and
Kashgar beschrieben hat. Dieses Zusammentreffen war für
uns in jeder Hinsicht angenehm, weil unser Landsmann uns
über alles, was das Ziel unserer Reise betrifft, die genauesten
Mittheilnngen machte. Zu dem Entschlüsse, dauernd iu
solcher Gegend zu leben, gehört die äußerste Thatkrast; wir
persönlich sind ihm zu größter Dankbarkeit verpflichtet, weil
er unsere Verbindung mit Indien vermittelt und ausrecht
erhält. Denn vor uns liegt mm das Karakorum-Gebirge,
und der Verkehr mit der Heimath wird schwierig, obwohl
zwischen Osttnrkestan und Indien ein regelmäßiger Postdienst
besteht: in gewissen Abständen sind Leute aufgestellt, welche
sich die Depeschen vom einen zum andern übermitteln.
In Leh mußten wir volle acht Tage verweilen, um die
Organisation unserer Karawane nochmals einer genauen
Revision zu unterziehen, damit wir später im Hochgebirge nicht
in Verlegenheit gerathen. Dieser lange Aufenthalt war aber
nicht ohne Interesse. Die 11 280 Fuß (3434 Meter) hoch
gelegeue Stadt wird von dem Palaste ihrer alten Könige
überragt, einem ausgedehnten, wirr durch einander gebauten
Schlosse, an dessen Fuße sich die neue Stadt mit ihrem
großen und wichtigen Bazare ausdehnt. Die erste Stelle
aber unter den Sehenswürdigkeiten in und um Leh nimmt
das Kloster Heinis, 22 engl. Meilen von der Stadt, ein,
wohin wir einen Ausflug unternahmen. Es ist das eine
der reichsten Lamasereien der ganzen Provinz. Längs des
ganzen Weges dorthin zogen sich Wohnungen von Lamas
und Tschoktens zu Ehren Verstorbener hin, oft auf den
schroffsten Felsen in malerischer Lage. Das Kloster selbst
liegt aus einem Felsen, der den Eingang einer engen Schlucht
überragt; zu seinen Füßen sieht man dichte Weidengehölze
und Getreidefelder. Man glaubt ein verzaubertes Schloß
zu betreten; aber leider sind die Lamas, welche es bewohnen,
nicht interessanter als diejenigen der umliegenden Gebiete.
In ihren Antworten waren sie so unintelligent wie nur mög-
lich; selbst von ihrer eigenen Geschichte wissen sie nichts und
eben so wenig von dem Ursprung ihrer Ceremonien: Alles,
was sie besitzen, rührt nach ihrem Glaube»! von dem Gründer
ihres Klosters her.
Uns zu Ehren sollte eine große Maskerade stattfinden;
darin besteht ihre Weise, ihren Besuchern ein Fest zu geben.
So wie man uns benachrichtigte, daß die handelnden Per-
sonen bereit seien, begaben wir uns in den Hos des Klosters, mit
dort einem Schauspiele beizuwohnen, welches selbst in Europa
eine Menge Schaulustiger anlocken würde. Zuerst führte
man uns in die Kleiderkammer, welche nichts mehr und nichts
weniger als die Hauptcapelle Bnddha's war. Sie war mit
alter grüner Seide ausgeschlagen; die sie schmückenden Laternen
und Banner trugen Porträts von Göttern und heilig ge-
sprocheuen Lamas. Die dort aufbewahrten Costüme waren
in der That sehr reich, die Masken überaus grotesk; letztere
stellten Thiere, gehörnte Teufel, Kobolde u. f. w. dar; kurz
eine wahre Garderobe für ein Theater, das Zanberpossen
aufführt.
Etwa 60 Personen nahmen an der Maskerade Theil;
zu zwölf und zwölf traten sie nach einander in den Hof ein
und tanzten nach einem gewissen Rhythmus herum. Je mehr
ihrer wurden, desto schneller spielte die Musik, bis schließlich
das Durcheinanderwirbeln der prächtig bunten Gewänder den
beweglichen Figuren eines Kaleidoskops glich — ein höchst
unterhaltendes Schauspiel. Als der Tanz beendet war, leg-
56 A. Zehme: Aus
ten die Theilnehmer ihre Costüme ab und wieder füllten sie
in düsteren Gruppen den Hof; die ernste Farbe ihrer Ge-
wänder ließ sie zugleich feierlich und stupide erscheinen. Der
Gegensatz zwischen ihrem Jetzigen ernsten Benehmen und dem
Eifer, mit welchem sie eben erst als Teufel und mehr oder
weniger burleske Götter aufgetreten waren, war auffallend
genug.
Nach dieser Vorstellung besichtigten wir das Kloster im
Einzelnen und wanderten von einem zum andern Altare.
und über Arabien.
Jede der sieben Capellen enthielt Statuen von Buddha und
von verstorbenen Lamas, denen alltäglich Opfer von Nüssen
und Reis hingesetzt werden, während in einer kupfernen Lampe
ein Docht brennt. An manchen Wänden sind Lamas mit
drei Augen, Götzen mit vier Händen it. s. w. angemalt, wie
in anderen Klöstern auch. Das Merkwürdigste in Hemis
ist eben der Geschmack der traurigen Insassen für theatralische
Darstellungen.
Aus und ü b
Von A. Zehme in
Der Islam ist aus dem rnssisch-türkischen Kriege erficht-
lich ungeschwächt hervorgegangen. Christliche Interessen
sollten zwar das wichtigste Motiv des russischen Angriffs
abgegeben haben; da aber dieser Botschaft der Glaube hart-
näckig versagt wurde, so hat man russischerseits weiter keinen
Werth aus die Erhaltung der Illusion gelegt und die Sache
schließlich als das behandelt, was sie ist, als eine politische
Machtfrage. In diesem Stadium einer Frage ohne gesicherte
Antwort befindet sich trotz des blutigen Krieges die Zukunft
des Osmanenstaates noch immer. Und so ist denn auch die
Zugehörigkeit der von den Türken in Besitz genommenen
Küstenstriche Arabiens zunächst nngeändert. Wie lange
— wer weiß es? Ich betone immer wieder Küstenstriche.
Denn wie schmal der Wirkungsbezirk der Türken in Arabien
ist, ergiebt sich am besten aus dem nun wieder fünf Jahre
währenden Maugel an irgend welcher ernsthaften Nachricht
über Central-Arabien. Hätten die Türken dergleichen zu
geben, so wüßten wir sie. Es bleibt eben eine der schwereren
Aufgaben für die europäische Wissenschaft, vou Schammar
oder Asir oder el-Hasa aus Nedsched zu erreichen.
Was ich heute mitzutheilen habe, bezieht sich lediglich auf
den Südwesten der Halbinsel. Halevy hat wieder ein
Stück des Berichtes über seine jemenische Wanderung vom
Mittlern Dschof uach Nedfchran veröffentlicht und zwar über
die Oase Chab. Er betrat die brunnenbewässerte Hoch-
ebene im Mai 1870 von dem Beled Hamdan — das ist eben
der mittlere Dschüs — aus, einer Landschaft mit wesentlichem
Wüstencharakter. Die Ortschaften, deren Namen ich in
„Arabien und die Araber" S. 402 verzeichnet habe, darunter
die wichtigeren el-Mikar, el-Machdschil, machten einen
wohnlichen Eindruck. Gutbestandene Felder zogen sich am
Fuße der Berge hin und die in gehörige Brunnen gefaßten
Quellen, hier die einzige Möglichkeit der Bewässerung, waren
verständig vertheilt. So erfreute denn auch das Auge sich
an Reihen vou Obstbäumen und bei den Lehmhäusern fehlte
es nicht an Küchengewächsen. Es ist eben besseres Land
als die Wüste. Die Wohlhabenden sind hier die Dsu-Ho-
sein; ihre größeren Besitzungen sollten sie in Süd-Jemen
haben, so einige Familien aus Machdschil dergleichen bei dem
bekannten Taiz, bei Kateba und Abian. Ueber Kateba und
Abian habe ich seinerzeit im genannten Buche nach v. Maltzan's
Hörensagen berichtet. Weiter unten werden wir einen neuen,
um die Erforschung dieses Landgebietes verdienten Reisenden,
und zwar einen Augenzeugen, kennen lernen. Maltzan spricht
übrigens bei Kateba von den Dsu-Mohammed als den
Eroberern, was demnach auf die gemeinsame Action der bei-
er Arabien.
Frankfurt a. d. O.
den kriegerischen Stämme schließen läßt. Auch in diesen
Blättern habe ich schou gelegentlich mitgetheilt, daß sie die
tapferen Vertreter der Zeiditen-Secte sind, ihrer Meinung
nach au muslimischer Rechtgläubigst den vier bekannten
gleichstehend, mit leisen schiitischen Anklängen.
Die Juden in dem weltabgelegenen Machdschil, alle
Lesens und Schreibens kundig, empfingen Halevy, ihren ver-
meintlich jerusaleuuschen Glaubensgenossen, mit rührender
Herzlichkeit. Sie thaten alles, um ihm die gefährliche Wan-
dernng nach und in dem schleierhaften Nedfchran auszureden,
nnd als das fruchtlos blieb, doch fo gut als möglich zu er-
leichtern. So begann denn von Neuem am 25. Mai die
Wüstenreise im Zickzack von der Hoch-Oase hinunter in die
volle brennende öde Sandfläche.
Reichlicher an Umfang als diese tropfenweisen Mitthei-
lnngen des französischen Gelehrten sind die Nachrichten eines
neuen italienischen Arabia-Reisenden, Renzo Manzoni,
über seine Wanderung von Aden nach Sanaa, 20. Sep-
tember bis 15. October 1877, eine Entfernung von 244,7
italienischen Millien, also etwa 61 deutschen Meilen oder
458 Kilometer, veröffentlicht in den Heften 7 und 8 des
Esploratore (Milano 1878) unter dem Titel Viaggio
tl'Esplorazione nell' Yemen und begleitet von einer Iii-
nerarkarte. Die wissenschaftliche Vorbereitung Manzoni's
weist insofern eine große Lücke auf, als er Maltzan's Süd-
Arabien wenig zu kennen scheint. Und doch mußte das ge-
rade für feinen Weg das höchste Interesse haben; galt es ja,
Maltzan's mühselig gesammelte Nachrichten zu bestätigen oder
zu berichtigen.
Die Hauptstationen sind Aden, Schöch Othman
(4,6 Millien), La Hag (ausfälliger Jrrthum für Lahedfch
in einem Worte! 18 M.), Zeida (27,65), Nakil el-Cho-
reiba (76,5), Ghelile (81), Kataba (91,5), Azar (104,1),
Sobe (126,1), Sedda (142,7), Jerim (162,45), Dhamar
(184,45), Maber (199,7), Walan (219,7), Sanaa (244,7).
Was den Werth der Manzonischen Reise betrifft,
so dürfen wir ihn immerhin nicht zu gering anschlagen. Mir
ist nicht bekannt, daß seit nnserm in Jemen verschollenen
Landsmann Seetzen ein Mann europäischer Bildung die
Strecke von Aden nach Sanaa oder, wie Seetzen 1810, um-
gekehrt gezogen wäre. Seetzen's Stationen wissen wir; auch
sein Weg führte über Dhamar, Jerim, aber dann nach Taiz,
also westlicher als derjenige Manzoni's. — Der Schreibung
der arabischen Namen bei dem Italiener muß man in mehr
als einem Falle Zweifel entgegensetzen. Soweit ich vermag,
würde ich schon hier die richtigen Formen zu geben versuchen,
A. Zehme: Aus
wenn ich mich der üblichen Transscriptionslettern bedienen
könnte. So begnüge ich mich, hier und da, wie oben bei
La Hag, einiges ganz Auffällige richtig zn stellen.
Es ist begreiflich, daß, je näher wir mit Manzoni den bei-
den Endpunkten, Aden und Sanaa, kommen, wir desto mehr
schon Bekanntes hören. Von Aden aus sind wir bis Lahedsch
durch Wellsted und Maltzan gnt genug unterrichtet. Vor
Sanaa hört die terra incognita für uns in Jerim auf; feit
Niebuhr kennen wir von hier an bis zu der uralten Haupt-
stadt des jemenifchen Berglandes durch eine Reihe von Beob-
achtern Land und Lente ziemlich genan. Am meisten wird
es aber interefsiren, das Zwifchenliegende, was Maltzan in
seinem so zn sagen adenischen Nachrichtenbürean (s. „Globus"
XXIX, 294) erkundet hatte, bei Manzoni znm Theil wieder-
zuerkennen. Es wird uuu erst für uns lebendig und rückt
in seine natürliche Beleuchtung; uud diese Beleuchtung fällt
wesentlich auf wcltverlaffene Stellen. Uebrigens aber macht
der neue Bericht trotz der persönlichen Beobachtung immer-
hin im Verhältniß zu der ersichtlich bedeutendem Kenntniß
des deutschen Reisenden einen dürftigen Eindruck: Manzoni
scheint hauptsächlich nur den schmalen Streifen seines Weges
erkundet zn haben, ohne, was namentlich zu bedauern ist,
sich über den nächsten Osten zu unterrichten. Selbst die
Stämme, deren Gebiet er durchwandert, hat er nicht notirt.
Das Jtinerar, wie langweilig auch, muß hier ausge-
führt werden. Manzoni ging von Aden über Schöch Oth-
mau. Wadi el-Mabarrat (wohl Mnb.). La Hag (also Lahedsch).
schnitt Wadi el-Greil (also Gheil). Hier bestimmt er die
Grenze des Sultanates von Lahedsch, tritt in das Sultanat
Zeida, läßt Zeida östlich, Dar Dschasem westlich, vou wel-
chem nordwestlich Dschebel Menif, nordöstlich Scharrar ver-
zeichnet ist. Hier, 130 20' nördl. Bf., schneidet er Wadi
Menif uud tritt aus dem Sultanat Zeida in das von Ft anba
ein, läßt Dschebel Bubeiak westlich, erreicht 13° 30' bie Grenze
des Sultanats Ftanba. Indem er Wadi Alup uud Wadi
el-Hardaba schneidet und in Wadi el-Ehureiba, dessen West-
rand Dschebel Sarzel ist, nördlich zieht, betritt er das tür-
kische Gebiet über den Paß Nakil el-Chnreiba (1220 in
über Meer) und geht scharf westlich nach Ghelile (1325 in).
Nordsüdliche Parallelketten sind nach Westen hin Dschebel
Wara und Dschebel Ghehafs und an dessen Westrande Wadi
el-Rakia. Ghelile liegt südlich von Dschebel Sanda, östlich
zieht Dschebel Hed Schari (Schaheri?). Der Weg kreuzt
die bergumkränzte Ebene Beled Schari und erreicht bei
13° 56' Kataba. Von hier ans wird die Richtung N.-N.-W.,
zunächst freilich eine kleine Strecke Südwest, begleitet znr Rech-
ten vom Dfchebel Mens mit dem Berge Akknm. Da wo
Wadi el-Rakia von Süden her mündet, wird die Richtung
scharf N.-N.-W. und zwar über Dorf Azar (1570 m), zwischen
Dschebel Amarat und Dschebel Ednma, im Wadi el-Andi,
das mit einem Flußlaufe westlich au Dschebel el-Audi hin-
zieht. Ueber deu Paß Nakil el-Hadda (2225 in) kommt der
Reisende an Sobe und Nader vorbei durch Wadi el-Bauua,
das vou Osten her zwischen Dschebel Magola und Dschebel
el-Hammal mündet (es dürfte Maltzan's oft genanntes Wadi
Bonna sein) nach Sedda (14° 19' nördl. Br., 2075 m),
bereits zum Kaimakamat von Jerim gehörig. Ans dem Ge-
birge hin führt der Weg über Suk Ftalufs (Thaluth?),
Dschebel Ras Etla, die Pässe Nakil AkabetTasch (2360 in)
und Nakil Chubaa (2380 in), an den Dörfern BZt Ubat,
Arbat el-Gala, Dizarcf Hafa nach Jerim (14° 25'; 2420 m)
in Wadi el-Cha, das von Westen her durch Dschebel Hara-
suua begrenzt ist. Bei dem Paß Dasset Ali endigt der Be-
zirk von Jerim und es beginnt das Kaimakamat Dhamar
(Manzoni schreibt irrig Dahmar) 14« 42' nördl. Br. zwischen
Dschebel el-Marsaba im Westen und Dschebel Dnran im
Globus XXXIV. Nr. 4.
nd über Arabien. 57
Osten. Am westlichen Bergrande liegen Ghefa, Marsaba,
Ugama. Ueber Beled Dara führte der Weg zwischen den
Dschebels Chadda im Westen und Dara im Osten (auf die-
fem der Berg Dfchara) nach Mab er, Daf, Jakar, an dem
steilen Kariet Aneghi vorbei und auf gut gepflasterter Straße
über den Paß Nakil Lessel mit der alpinen Höhe von
2560 m (in den Alpen ist das Kloster des großen St. Bern-
hard 2500 in, Stilfser Joch 2800 m, während die Paß-
Höhen des Mont Cenis, Simplon, Gotthardt unter der Höhe
des arabischen Passes bleiben) abwärts nach dem Gebirgs-
dörschen Besett, überall zwischen Kleewiesen nach Ebthum
Chidar und Walan, das noch 2260 in hoch liegt. Von
hier wendet sich der Weg scharf N.-O. nach Sanaa.
Die Reise ging ohne andere Schwierigkeiten von Statten,
als die, deren ein enropäischer Wanderer in Arabien gewärtig
sein muß. Zwar drohte wohl gelegeutlich ein bedninischer
Raubanfall, aber zum eigentlichen Ueberfall kam es nicht.
Die Bewohner der Dörfer und Städte benahmen sich durch-
gängig der guten arabischen Tradition gemäß, also wahrhaft
gastfrei, die türkischen Beamten außerordentlich zuvorkam-
mend. Der Menscheuschlag zeigte theilweis auffällig schöne
Männer und Frauen. Daß die Gebirgswege schwierig und
steinig waren, begreift sich; die Thäler erschienen gnt bebaut,
auch auf der Höhe Ackerbau bis über 2000 in. Der Jagd
konnte Manzoni namentlich bei Ghelile obliegen. Vor allem
machte Wadi Banna einen blühenden, obstreichen, dichtbevöl-
kerten Eindruck, was mit Maltzan's Erzählung übereinstimmt,
wofern seiu Bonna identisch ist. Es würde dann bei Ras
Seilan ins Meer münden, die östliche Grenze Süd-Jemens,
45° 25' östl. v. Gr. Was den Pslanzenwnchs betrifft, so
hat die Wasserlosigkeit des durchzogenen Gebietes zwerghafte
Formen, so des Durra und Hafers, zur Folge, z. B. am
Chubaa. Die Temperatur zu Sedda im Gebirge zeigte
-\- 25° Maximum, 11° C. Minimum, erstes Drittel des
October. Die Folgen des starken Temperaturunterschiedes
zwischen Aden und Sanaa für die Gesundheit bleiben dem
Reisenden nicht erspart: Fieber, Durchfall, Husten. Des-
halb haben die türkischen Militärärzte in Sanaa, meistens
Griechen und Christen, viel zu thuu. Daß die Juden in
diesem Theile Arabiens zahlreich und friedlich unter den mos-
limischen Arabern bis auf gewisse Beschränkungen wohnen,
bestätigt auch Manzoni.
In dem uns seit Niebuhr wohlbekannten Jerim mit
3000 Einwohnern fand der Reisende, wie vormals der treff-
liche Däne, ordentliche Steinhäuser und einen Bazar. Wegen
Holzmangels heizte man mit getrocknetem Kuhdünger. In
der Herberge, einem großen säulengestützten Räume, that der
beste Kaffee, aus den kleinen Findschals getrunken, sehr wohl;
war man doch zwischen 7000 und 8000 Fuß hoch! Die
Frauen giugeu hier wieder verschleiert. — Auch die andere
Hochgebirgsstadt Dhamar, 5000 Einwohner, machte mit
ihren Mauern, Thürmeu und sechs Moskeen einen freund-
lichen Eindruck; Niebuhr beschrieb auch sie einst vortreff-
lich. In der Nähe des Hauptplatzes saud Manzoni lieux
d'aisance, „cosa straordinaria e da far invidia alla
capitale morale d'Italia". Vor Dhamar überfiel den
Reifenden ein tropischer Platzregen. In Beled Dschara
begann wieder völliger Wassermangel; daher auch keine Dör-
fer, sondern nur Gruppen von 3 bis 4 Hütten. Mab er
allein hatte deren einige mehr, nämlich 20. Ans dem nahen
Thale von Mehadschre kommt der Bach, welcher in Sanaa
den von den Türken für Casernen und Hospitäler angelegten
kleinen Aquäduct speist. In Sanaa selber fand Manzoni
bei den türkischen Autoritäten, dem Generalgouverneur Mu-
stasa Assim Pascha und dem Stadtcommandanten Ismail
Haki Pascha, die ansgesuchtest aufmerksame Behandlung; beide
8
58 Carl Haberland: Z
sprachen gut französisch. Ismail war in Paris militärisch
gebildet, „un vrai gentilhomme". Auf einem Gebäck, das
man dem Italiener präseutirte, stand Evviva l'Italia! Den
Toast anf Victor Emmanuel brachte der Gouverneur mit
vollendeter Höflichkeit; Mauzoui autwortete mit Wünschen
für den Sieg der Türken über die Russen.
Zwischen Sauaa und Hodeida ist Telegraphenverbindung,
ebendahin eiumal in der Woche Post. Die Einwohner-
zahl bestimmt Manzoni auf 15 000 incl. 2000 Soldaten.
Die Lage ist 15« 15'30" nördl., 44° 34' östl. v. Gr.
Temperatur-Maximum -f- 22° C., Medium -1- 11°.
In der Nacht des 12. November waren -f- 9° C. In Be-
zug auf Crutteudeu's Bericht über diesen Theil Jemens
(1836) hat Manzoni, was Temperatur und Bewässerung
betrifft, starke Ausstellungen zu machen. Die Herrlichkeit
des Panoramas vom nahen Berge Lukuna aus (2670 m,
über 8000 Fuß) rühmt er lebhaft; ich meine, das soll der
bekannte Noknm fein. Am 22. November Nachmittags
2 Uhr stand hier das hunderttheilige Thermometer + 16°.
Wenn ich nun schließlich das von Manzoni gewvn-
nene Material mit dem Maltzan'schen vergleiche,
so finde ich etwa Folgendes erwähnenswerth: der durchzogene
District würde dem Lande der Hauwaschib, der Amir, der
Schaheri bei Maltzan entsprechen — bedauerlich, daß der
Italiener sich darüber nicht gehörig unterrichtet zu haben
scheint.
Das vou ihm passirte Zeida nennt auch Maltzan die
Grenzstadt von Lahedsch, halb dahin, halb zu Hauwaschib
gehörig. Desgleichen ist ihm Dschebel Mcnif bekannt;
da er dieses Gebirge im Osten des Hanwaschib-Landes an-
setzt, Manzoni dagegen es im N.-W. seines Weges ließ, so
folgt, daß ihn die Straße durch den Osteu der Hauwaschib
führte. — Kateba fand er im Besitze der Türken; Maltzan
dagegen erfuhr noch 1370 über die Stadt, daß sie Sitz zweier
Scheichs sei, 3000 Einwohner, 100 feste Häuser habe. In
der Nähe blüht anf den Gebirgen die Cultur des für Süd-
Arabien so werthvollen Kaat-Strauches (celastrus edulis),
dessen junge Blätter, roh gegessen, eine angenehm erregende
und dabei unschädliche Wirkung auf das Nervensystem üben.
Der Anbau des Gewächses ist für Süd-Jemen wichtig, denn
täglich werden von den Bergbewohnern große Lasten von
Zweigen hinunter in die Ebene zum Verkauf geschafft. Wie
man bei uns dem Besuchsgaste die Cigarre anbietet, fo in
Süd-Jemen einen Kaatbüfchel. So bei Maltzan.
Auch die diesem genannten Bergzüge Merreis und
Dschehas sinden wir nun durch Manzoni bestätigt, den letz-
tern freilich in der Form Ghehaff. Außerdem stimmt die
Bezeichnung der Lage: Kateba liegt auch bei Maltzan „zwi-
fchen den felfenreichen Bergdistricten Dschehas und Merreis".
Mab er siudet sich bei dem Italiener erst zwischen Dhaiuar
und Sauaa, Maltzan ueunt ein Maaber tut Lande der
Amir, also südlicher. Ebendort verzeichnet er ein Snda,
ungefähr in gleicher Breite hat Manzoni sein Sedda passirt.
:§ Ei im Volksglauben.
Auffälligerweise ist diesem, wie es scheint, von den erobern-
den Zeiditeu, Dsu Mohämmed und Dsu Hosein, nichts be-
kannt, obwohl hier überall ihr Actiousbezirk ist. — Die von
Manzoni hervorgehobenen Gebirgsstädte seiner Marschroute,
Je rhu uud Dhamar, kennen wir, wie gesagt, schon seit
den immer noch ganz musterhaften Beobachtungen des clas-
sischeu Jemen-Erforschers NiebuHr recht genügend; wie es
scheint, hat das 19. Jahrhundert an ihnen nicht viel geändert.
Ziehen wir die Summa, so müssen wir bekennen, daß,
selbst wo wir auf offeubar gleichem Boden sind, es doch schwer
wird, die Menge der von Maltzan namhaft gemachten
Stämme, Orte, Gebirge, ganz zu fchweigeu von den socialen
Einrichtungen, bei Manzoni wiederzufinden und unterzubrin-
gen. Daß dadurch der Werth uud die Glaubwürdigkeit der
Maltzau'fchen Erkundigungen verringert würde, bezweifle ich:
Manzoni's Wiffensbezirk ist ein vielleicht eine Meile breiter,
fechszig Meilen langer Streif. Aber, Alles in Allem, er
hat den Mnth der Wanderung gehabt und das bleibt fein
unbestrittenes Verdienst.
Was man aber für die Zukunft der Strecke Aden-
S an aa erwarten darf, ist, meine ich, nun in klarere Umrisse
gerückt: sie wird wieder ein stark besuchter und zeitgemäß
verbesserter Handelsweg werden, wie sie es unzweifelhaft
schon in einer bis zwanzig Jahrhunderte vor uns liegenden
Zeit war. Damals freilich gab es den jemenischen Kaffee
noch nicht, der heute die Hauptwaare zum Export ist.
Adens Kaffee Handel hat sich seit 1872/73 verdoppelt
und Hodeida ihm nicht die erfolgreiche Coucurreuz gemacht,
welche man aus Grund vou Mitteilungen aus diesem tür-
kischeu Hasen (s. „Globus XXXI, Nro. 7) voraussetzen
mußte. Freilich schien mir die später (XXXII, Nro 10)
gebrachte Angabe, daß 35 000 Touuen, also 700 000 Cent-
ner Kaffee jährlich aus Aden verschifft würden, sehr frag-
würdig. Eher ginge 3500 Tonnen an.
Auf das richtige Maß scheint jene Ziffer durch eine Mit-
t Heilung über den Kaffee Handel Adens in der
O est e r r e i ch if ch en M o na t sf ch r ift für d en Or i e n t,
December 1877, gebracht zu werden. Daß Aden der Haupt-
Hafen des kostbaren jemenischen Prodnctes ist, ergiebt sich
übrigens anch aus diesem Bericht. Nachdem dort die Haupt-
culturorte des edeleu Baumes genannt sind — Namen, in
denen man fast durchgängig alten Bekannten aus NiebuHr,
Halevy und Maltzan begegnet —, wird der Import aus
Arabien zur See nach Aden auf 50 000 Centner im
Werthe von 2 Mill. Rupien, d. i. 4 Mill. Mark, berechnet;
der zu Lande aus 6700 Kameelladuugen im Werthe von
840 000 Rupien, also 1 680 000 Mark. Jnsgesammt
werden etwa 77 000 Centner in Aden eingeführt. Da-
von sollen nachEuropa exportirt werden über 50000 Cent-
ner, und zwar 15 500 nach England, 7200 nach Oester-
reich (Trieft), 27 600 nach Frankreich (Marseille), 32 nach
Deutschland, 4100 nach Nordamerika, ein Gesammtwerth
vou über 6 Mill. Mark.
Das Ei im Volksglauben.
Von Carl Haberland.
Im Aberglauben des deutschen Volkes, der Nachblüthe nicht die Wissenschaft ihre aufklärenden Strahlen auf das
seines entschwundenen Heidenthums und der Zeit, wo noch Leben der Natur und des Menschen geworfen hatte, nimmt
Carl Haberland: 3
eine bedeutendere Stelle das Ei ein, theils indem es seine
frühere symbolische Bedeutung noch in das Volksleben hinein-
ragen läßt, theils indem es sowohl als Mittel für aberglän-
bische Handlungen, als anch als Object für solche mannig-
fach auftritt. Das Eiersuchen und Eierschenken anl Osterfeste
und der Glaube und Brauch, der sich au diese Eier, ebenso
wie auch an die in der Osterwoche gelegten knüpft, bietet
uns die genannten beiden Zweige des Volksglaubens vereint,
und wir wollen daher zunächst versuchen, die frühere symbo-
lische Bedeutung des Eies hieraus zn erschließen, und daran dann
die Besprechung des fernern directen Aberglaubens knüpfen.
Die Entwickelung des Lebens bietet sich in keinem an-
dern Naturprodnct dem gemeinen Auge so augenscheinlich
und faßlich dar als in dem Ei; nirgends kann es so leicht
und deutlich die Entwicklungsgeschichte allen Lebens verfolgen
als in ihm von dem Augenblicke, wo sich das Ei darstellt als
das Prodnct des Lebens selbst, aber noch leblos und scheinbar
unorganisch, jedoch mit dem Keim des Lebens und der Fähig-
keit der organischen Entwickelung in sich, bis zu dem Mo-
mente, wo das selbstthätige Leben sich ihm entringt und vou
ihm geschieden sein selbständiges Dasein beginnt. Wohl
bietet auch die Entwickelung von Pflanze und Baum beut
Menschen ein ähnliches Bild, aber das thierische ihm gleich-
artige Leben muß stärker auf seiue Phantasie wirken als das
pflanzliche, auf welches, da er ursprünglich in Benrtheilnng
der Außenwelt stets von sich, von seinem Wesen und seinen
Kräften ausgeht, er erst den Begriff des Lebens übertragen
muß, und so finden wir denn das Ei als das früheste und
weitverbreitetste Symbol des Lebens, der lebensfähigen Ent-
Wickelung und übertragen als das der Natur und ihrer Frucht-
barkeit. Leicht ist hiervon auch der Uebergang zur Sonne,
der allbefruchtenden, allseitiges Leben erweckenden, der sich ja
anch das Ei in seiner Form, mehr noch in der Gestalt und
Farbe seines Dotters angleicht, und so ragt denn auch uoch
aus den alten Zeiten seines Heidenthums in das jetzige Leben
unseres Volkes, ihm allerdings schon lange unbewußt, dieser
Gedanke einer vergangenen Weltanschauung, welche es liebte,
sich das Leben der Natur iu allen seinen Aenßernngen in
der Form des Symbolischen näher zu bringen und anzueignen.
Wenn die Sonne im Jahre zuerst wieder ihre Macht be-
thätigte, zuerst wieder ihre zeugende Kraft dem Auge sichtbar
werden ließ, indeni sie ansing, die schlummernde Natur zu
neuem Leben zu erwecken, dawar es dem in derNatnr leben-
den, enger als jetzt mit ihr verwachsenen Herzen des Men-
schen ein Bedürsniß, erschien es ihm als eine Pflicht, diese
Zeit als eine Zeit der Freude auszuzeichnen und dankend
das Auge zn ihr zu erheben, welche aus der traurigen, da-
mals mit mehr Unbequemlichkeiten und Entbehrungen, häusig
mit Nahrungsmangel verknüpften Winterzeit eine glücklichere,
neue Nahrung und Ueberflnß versprechende herausführte.
Diese Frühliugsseste, welche uns in verschiedenen Formen fast
alle Völker darbieten, mag ihr geistiges Leben anch noch so
gering und niedrig erscheinen, verknüpften sich daher, nament-
lich bei den indo-germanischen Völkern, vielfach mit der Sym-
bolisirnng der Sonne im Ei, und so finden wir nicht nur
bei den germanischen, vielleicht durch ihren Einfluß bei roma-
nifchen Völkern, die Sitte der Ostereier, sondern auch bei
den Persern ist das Fest Nawrnc (ihr später als der nnserige
fallende Anfang des Sonnenjahres) mit Anstheilen von ge-
färbten, besonders rothen Eiern verbunden, ebenso wie diese
bei den Slaven in ihrem Feste Letnice (in den Mai fallend)
eine bedeutende Rolle spielen. In einem alten polnischen
Liede zu diesem Feste wird der Sonne sogar ein Ei angebo-
ten ^), zu welchem Liede wir als Beweis der symbolischen
*) I. I. Hanusch, Die Wissenschaft des slavischen Mythus.
Lemberg 1842, S. 197.
£ Ei im Volksglauben. 59
Beziehung von Sonne und Ei von dem aus München von
Panzers mitgeteilten Volksreime die folgenden Verse stel-
len können:
Hängt ein Englein an der Wand,
hat ein Eielein in der Hand;
wenn das Eielein herunter fand,
so hätt die Sonne ein End.
Ob wir auch die Mutter Gaus oder die Mutter Bertha
mit dem Gänsefuß, welche Menzel2) als eine Legerin des
Sonneneies gefaßt wissen will, herbeiziehen dürfen, wollen
wir dahingestellt sein lassen; dagegen aber weist uns der
deutsche Kinderglaube, welcher die Ostereier von dem Hasen,
wofür stellenweise auch der Fuchs eintritt, gelegt werden läßt,
wieder auf den Begriff der Fruchtbarkeit, und die beliebteste
Farbe für die Eier, die rothe, auf die Freude über das Er-
wachen der Natur, vielleicht auch auf die Liebliugsfarbe des
Donar hin. Die christliche Volksweisheit allerdings hat sich
gegenüber diesen ihr längst entfremdeten Bedeutungen nach
anderen Erklärungen für die rothe Farbe umgesehen, und
der Bewohner des Lechrain sie anch glücklich auf das Be-
streichen der Thürschwellen Seitens der Juden, damit der
Todesengel an ihnen vorüberginge, zurückgeführt3).
Der Osterhase, welchem in Schwaben und Hessen sogar
Nester aus Moos bereitet werden, damit er seine Eier da
hineinlege, erinnert uns daran, daß wir in deutschen Volks-
sagen mehrfach mythische weibliche Gestalten von Hasen,
namentlich silbergrauen, begleitet finden, diese Gestalten aber
wahrscheinlich auf die Freyja zurückweisen^), und daß auf
den Bildern einer andern deutschen Göttin, der Nehalennia,
der Hase als Opferthier erscheint5), er also wegen seiner
Fruchtbarkeit und seines sich im Frühjahr offenbarenden star-
ken Liebesbedürfnisses, worauf auch die sprichwörtliche Ne-
deusart: „so toll wie ein Märzhase" 6) deutet, wohl iu einem
nähern Verhältniß zu den Gottheiten der Liebe und Frucht-
barkeit gestanden hat, wie andererseits auch wieder das Ei in
der griechischen Mythologie ein Attribut der Aphrodite war.
Uebrigeus sollen auch in einigen Gegenden Deutschlands die
Ostereier zu Kuchen in Gestalt eines Hasen verbacken wer-
den7). Neben Hase und Fuchs wird noch den Kirchenglocken
das Amt des Ostereierbringens von den Kindern zugewiesen;
sowohl in Kärnthen S) als in Limburg und Brabant^), also
an zweien Endpunkten deutschen Wesens, ziehen alle Glocken
am Gründonnerstag nach Rom, holen dort die Ostereier und
lassen sie bei ihrer Rückkehr in das Gras fallen.
Das kirchliche Weihen der Eier und die ihnen dadurch
gewährte Kraft erwähnen wir bei Gelegenheit der Grün-
donnerstagseier, wollen aber dazu hier uoch bemerken, daß
das römische Ritual eine alte Segensformel für die Oster-
der kennt, worin sie als ein Symbol der Auferstehung auf-
gefaßt werden10). Es würde aber merkwürdig sein, wenn
nicht auch die Diener der Kirche aus dem volksthümlichen
1) Fr. Panzer, Beitrag zur deutschen Mythologie. Mün-
chen 1848 bis 1355, Bd. II, S. 546.
2) W. Menzel, Die vorchristliche Unsterblichkeitslehre.
Leipzig 1870, Bd. I, S. 12.
3) K. Freiherr von Leoprechting, Aus dem Lechrain.
München 1ö55, S. 175.
4) Walter K. Kelly, Curiosities of Indo-European
Tradition and Folklore. London 1863, p. 234.
5) K. Simrock, Handbuch der deutschen Mythologie.
Bonn 1874, S. 576.
6) Kelly, a. a. O. S. 235.
7) Kelly, a. a. O. S. 235 (nach Friedreich).
8) Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde.
Herausgegeben vonJ. W. Wolff (später von W. Mannhardt).
Göttingen 1853 bis 1859, Bd. III, S. 31.
9) Ebendaselbst Bd. I, S. 175.
iv) Ebendaselbst Bd. III, S. 50.
8*
60 Carl Haberland: D
Brauch der Ostereier für sich einen Vortheil gezogen hätten,
und wirklich finden wir anch zur Osterzeit vielfach in Eiern
bestehende Abgaben an Pfarrer und übrige Kirchenbedienstete,
sei es nun wie zum Beispiel in Piemont und Frankreich für
das Segnen der Häuser x) oder Besprengen der Hänser mit
dem neueu Weihwasser, wie es. noch bis vor Kurzem im
Frickthal von Amts wegen Sitte war 2), sei es wie jetzt eben-
daselbst als Douceur für dies als Privatgeschäft vom Kirchen-
diener fortgesetzte Bespritzen der Hausschwelle 3), oder sei es,
wie vielfach bei deu märkischen Pfarrern^), daß die Eiergabe
ein feststehender Brauch ohne fpedelle Gegenleistung ist.
Jedenfalls aber werden diese Eier nicht so freudig und reich-
lich gegeben, als diejenigen, welche im Oldenburgischen das
Gesinde mn Osterfeste erhält; denn da bekommt es außer-
dem feierlichen Eieressen, welches am Abend des ersten Oster-
tages stattfindet, noch soviel Eier während der Festtage, als
es nur mag, und daß bei derartiger Gelegenheit das Mög-
lichste im Essen geleistet wird, braucht nicht erst versichert
zu werden 5).
Beliebter Osterbrauch ist ferner das Eierbicken, welches
uns gleichfalls vielfach in Deutschland, in Prag am Emaus-
feste, welches am Ostermontage gefeiert wird«), und anch
in Piemont7) entgegentritt; im Saterlands war es bis vor
einiger Zeit namentlich beim Abbrennen des Osterfeuers
zwischen den beiden Geschlechtern beliebter Braucht), wohl
nicht ohne Glauben an eine zukunftdeutende Kraft.
Die Schalen der gegessenen Ostereier werden im Lechrain
auf die Saatfelder gestreut, um die Fruchtbarkeit zu beför-
dern"); im Oldcuburgifcheu iu den das Gehöft umgebenden
Graben geworfen, wodurch die Jnsecteu vernichtet werden
sollen10); das Wasser, worin sie gekocht sind, ebendaselbst an
die Stallwand gegossen, damit die Euter der Kühe nicht
wund werdenn); Kräfte, welche diesen Eiern wohl gleich den
Gründonnerstagseiern, welche ja auch vielfach Ostern kirch-
lich geweiht werden, wegen uralter Heiligkeit der Zeit noch
anhaften.
Die symbolische Beziehung des Eies auf das neue Leben
und die Fruchtbarkeit der Natur trägt sich weiter auch aus
das neue menschliche Leben und die Fruchtbarkeit der Frau
über und erklärt uns den aus dem 17. Jahrhundert mit-
getheilten französischen Brauch 12), daß die Neuvermählte beim
Eintritt in das Haus ein Ei zerbrechen muß, während der
übrige künftige Segen im Hause hier durch ein Bewerfen
der jungen Frau mit Getreidekörnern fymbolisirt wird. Die
gleiche Beziehung auf das Gebären wird auch dem malai-
scheu Brauche zu Grunde liegen, einer vor ihrer Niederkunft
gestorbenen Frau ein Ei in die Falten des Leichentuches zu
legen, damit sie sich nicht in einen übelwollenden Geist ver-
wandele^); das Ei soll ihr jedenfalls Ersatz für die nicht
1) Zcitschr. f. d. Myth. Bd. III, S. 50.
2) E. L. Noch holz, Deutscher Glaube und Brauch im
Spiegel der heidnischen Vorzeit. Berlin 1867, Bd. II, S. 168.
») Ebendaselbst.
4) getischt, f. d. M. Bd. III, S. 50.
5) L. Strackerjan, Aberglauben und Sagen aus dem
Herzogthum Oldenburg. Oldenburg 1367, Bd. II, S. 42.
6) I. V. Grohmann, Aberglauben und Gebräuche aus
Böhmen und Mähren. Prag und Leipzig 1864, Nro. 1345 Note.
7) Zeitschr. f. d. M. Bd. III, S. 50.
8) Strackerjan, a. et. O. Bd. II, S. 42.
9) Leoprechting, a. a. O. S. 175.
Strackerjan, Bd. I, S. 64.
ii) Ebendaselbst.
12j Jean Baptiste Thiers, Tratte des Superstitions.
Paris 1697 seq. Mitgetheilt als französischer Aberglaube im
Anhang von Liebrecht's Gervasius von Tilbury. Hannover
1856,^ Nro. 475.
13) A. Bastian, Die Seele und ihre Erscheinungsweisen in
der Ethnographie. Berlin 1868, S. 108.
> Ei im Volksglauben.
erfolgte Geburt geben, damit ihr nicht in Folge Nichterfüllung
ihrer Bestimmung die Rnhe nach dem Tode versagt ist, wie
dieses traurige Schicksal, nach dem Tode geisten zu müssen,
nach hinterindischer Ansicht aus gleichem Grunde auch den
Bräuten, welche vor der Verheirathung sterben, zufällt.
Auch iu der Gräbersymbolik hat das Ei, indem seine Be-
ziehnng auf das Leben zugleich auf ein jenseitiges Dasein
übertragen wurde, feine Stelle gefunden. Die antiken Grä-
ber und Grabsäulen weisen häufig Eier aus gebrannter Erde
auf, und dürfen wir sie wohl nach dieser Richtung hin den-
ten i). Auch Eierketten sind als Verzierung auf solchen
Grabdenkmälern angebracht, und sie deutet Menzel-) auf
die Fortdauer der Geburten, ebenso wie die Ketten, welche
von den Händen der ephesischen Diana zu ihren Füßen herab-
laufen. Vielleicht weisen auch die in alten deutschen Grä-
bern gefundenen sogenannten Eiersteine3), Thonkörper in
Gestalt eines Eies mit klappernder härterer Einlage, auf die
Idee eiues Jenseits, einer erneneten Geburt. Daß auch die
christliche Kirche iu einer ältern Segenssormel den Oster-
eiern eine Dentnng auf die Auferstehnng gegeben hat, sahen
wir bereits.
Noch bedeutsamer als das Osterfest hinsichtlich des an
den Eiern haftenden Aberglaubens ist ein anderer Tag ini
Jahre, da er den an ihm gelegten Eiern ganz besondere
Kräfte mittheilt, und führt uns dieser Tag auf die allseitig an-
erkannte mythische Beziehung vom Hühnervolk und folglich auch
vom Ei zum Donar. Es ist ein Donnerstag und zwar der
dem Christenthum wichtigste des Jahres, der Grüudouuers-
tag, und ein älterer abergläubischer Brauch der Franzosen,
an diesem Tage zum Andenken an den Hahn des heiligen
Petrus einen Hahn zu essen4), bekräftigt, wenn wir bedenken,
daß gerade Petrus in der christlichen Mythologie den Heid-
nischen Donar ersetzte, die Vermnthnng, daß auf den Grün-
douuerstag Kraft nnd Brauch eines hohen Festtages des
Donar übertragen worden ist, und die Heiligkeit und Kraft
der Grüudouuerstagseier darin ihren Ursprung nimmt.
Diese Heiligkeit der am Gründonnerstag gelegten Eier
findet sich im ganzen Deutschland und ebenso in seinen Nach-
barländern anerkannt, und läßt sie daher auch dem katho-
lischen Deutschland als die geeignetesten erscheinen, um zu
Ostereiern geweiht zu werden5), wodurch die ihnen schon
ursprünglich innewohnende Kraft dnrch die kirchliche Weihe
noch gesteigert wird. Mannigsache Kräfte wohnen den Grün-
donnerstagseiern ein: Nüchtern gegessen — im Ausbachischen
muß dieses Essen am Charfreitag geschehen6) — schützen sie
gegen jeden Leibschaden, welchen man sich in dem Jahre beim
Heben zuziehen könnte7); in die Viehkrippen gelegt, in dem
Acker vergraben, unter der Thürschwelle verborgen, bewahren
sie Vieh, Feldfrucht und Haus 8), wie auch in Thüringen
der Flachs Säende mit seiner Familie ein paar frische Eier
auf dem besäeten Felde essen muß, damit die Saat gut ge-
räth 9); den Steiermärker schützt das Charsreitagsei, welches
auch vereinzelt anderwärts an Stelle des Gründonnerstags-
1) Menzel, a. a. O. Bd. II, S. 139.
2) Ebendaselbst.
3) Zeitschrift sür Ethnologie Bd. V, Verhandlungen S. 58.
4) Thiers, a. a. O. Nro. 172.
b) Panzer, a. a. O. Bd. II, S. 212. Zeitschr. f. d. M.
Bd. III, S. 339. Leoprechting, a. a. O. S. 171. 175.
°) I. Grimm, Deutsche Mythologie (I. Auflage) Güttin-
gen 1835. Anhang: Aberglauben Nro. 712.
7) Rochholz, a. a. O. Bd. II S. 49. Panzer a. a. O.
Bd. II, S. 212. + 9
8) Panzer, a. a. O. Bd. II, S. 212. Leoprechting,
a. a. O. S. 175.
A. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegen-
wart. Hamburg 1860, § 322.
Carl Haberland: T
eies tritt, vor Lawinen und verleiht ihm Glück im Spieles;
Gründonnerstag Abends gesottene Eier mit geweihten Palm-
zweigen in der Nacht auf die Felder gelegt, vertreiben in
Böhmen die Mäuse von denselben2).
Wer ein Gründonnerstagsei wohlverwahrt bei sich trägt,
den macht es hexensichtig, er sieht alsdann die Hexen mit
Melkkübeln auf dem Kopfe 3), im Oldenburgischen erkennt er
sie dadurch wenigstens im Charfreitagsgottesdienste 4). In
der Wetteran muß man bei Sonnenschein in der Kirche hin-
durch sehen 5), in der Mark und im Harz sich mit demselben
in der Tasche auf einen Kreuzweg stellen ß). Ueberhanpt
verleiht es nach niederfüchsischem Glauben die Kraft allerlei
Verborgenes zu schauen7). Auch im Elsaß sieht man durch
ein Charfreitagsei in der Kirche die Hexen mit Melkkübeln
auf dem Kopfe; wenn es aber dem Sehenden nicht schlecht
gehen soll, muß er schon vor dem Vaterunserläuten sich aus der
Kirche entfernt und das Ei zerworfen Habens, wie zeitiges
Entfernen auch im übrigen Deutschland bei den Mitteln,
Hexen beim Gottesdienste zu erkennen, sehr wünschenswerth
erscheint. Das erstgelegte Ei einer schwarzen Henne macht
gleichfalls hexensichtig 9).
Namentlich aber erprobt ist die Kraft der Gründonners-
tagseier gegen Schadenfeuer, und wir brauchen nur au die
Redensart „den rothen Hahn aufs Dach setzen" zu denken
uud uns der Beziehung des Hahns zum alten Donnergott
zu erinnern, um zu erkennen, woher ihnen diese Kraft kommt.
Im Pusterthal10) und in böhmischen Gegenden n) wirft man
ein solches Ei, nachdem es am Ostersonntag geweiht worden,
über das Dach und gräbt es ein, wo es niederfällt, um das
Haus gegen den Blitzstrahl zu schützen; im Lechraiu gräbt
man einige uuter die Thürschwelle ein 12); in Piemont schreibt
man ihnen die feuerschützende Kraft zu, wenn sie am Grün-
donnerstag oder auch Charsreitag während des Gottesdienstes
gelegt sind 13).
Den Hühnern, welche ans Gründonnerstagseiern — im
Oldenburgischen aus Charsreitagseieruw) — ausgebrütet
sind, legt der Volksglaube die Eigenschaft bei, daß sie alljährlich
die Farbe wechseln i5); nach anderer Ansicht kommen daraus
stets nur Hähne16); nach steiermärkischem Glauben fault ein
Charfreitagsei nicht17). Der Tyroler legt die letztere Eigen-
schast alle den sogenannten Dreisgeneiern bei, d.h. den Eiern,
welche während der Zeit zwischen Mariä Himmelfahrt und
ihrer Geburt (15. August und 8. September), in welcher
auch die Pflanzen- und Thierwelt besondere Heiligkeit und
Kraft hat, gelegt sind, und bewahrt sie daher für den Winter-
bedarf auf, weshalb in dieser Zeit anch nur wenig Eier auf
den Markt kommen, und alljährlich derzeit eine Preissteige-
rnng entsteht1S). Auch im Lechraiu gelten sie als die besten,
und aus ihnen wählt man diejenigen, welche man im näch-
1) Zeitschr. f. d. M. Bd. II, S. 54.
2) Grohmann, a. a. O. Nro. 409.
3) Grimm, Aberglaube Nro. 783.
4) Strackerjan, 0. a. O. Bd. I, S. 343.
s) Wuttke, a. a. O. § 22.
6) Ebendaselbst § 22, 131.
7) Ebendaselbst § 22.
8) Zeitschr. f. d. M., Bd. I, S. 407.
») Wuttke, a. a. O. § 181.
10) Zeitschr. f. d. M., Bd. III, S. 339.
u) Grohmann, a. a. O. Nro. 226.
12) Leoprechting, a. a. O. S. 175.
13) Zeitschr. f. b. M., Bd. III, S. 51.
u) Strackerjan, a. a. O. Bd. II, S. 41.
15) Grimm, Aberglauben Nro. 344, 912. Wuttke, a.a.O.
§ 22.
16) Rochholz, a. a. O. Bd. II, S. 49.
1?) Zeitschr. f. d. M., Bd. II, S. 54.
iß) Zeitschr. f. d. M., Bd. I, S. 16. I. N.Ritter v. Alpen-
burg, Mythen und Sagen Tyrols. Zürich 1857, S. 405.
, Ei im Volksglauben. 61
sten Frühjahr den Hennen unterlegt x). Die Augusteier
sind nun in Wirklichkeit die haltbarsten, so daß sich hier die
abergläubische Heiligung einer gewissen Zeit und - die prak-
tische Erfahrung gänzlich decken. Vereinzelt erscheint über-
Haupt das Donnerstagsei als bevorzugt; ein ans dem
17. Jahrhundert erhaltener Glaube läßt in einem solchen,
nachdem es neun Tage im Mist oder in einem Ameisenhaufen
gelegen, einen Stein finden, welcher in der Hand erwärmt
unsichtbar macht2), und nach Kuhn muß der dem Teufel zu
opfernde Hahn aus einem Ei sein, welches an einem Don-
nerstage im März gelegt ist3).
Außer dem Gründonnerstags- und dem geweihten Ei
kommt aber auch schon dem Ei an sich mancherlei Kraft zu.
Wie es in Japan überhaupt für ein glück- und segenbringendes
Geschenk gehalten wird*), so in Deutschland, wenn es, mög-
lichst drei zugleich 5), einem Kinde bei seinem ersten Eintritt
in ein fremdes Haus, im Oldenburgischen auch, wenn es ihm
nur überhaupt von seinem Gevatter geschenkt wird 6). Außer
daß es ihm überhaupt Glück bringt, hilft es ihm auch beim
Zahnen7); in der Wetteran muß es zu diesem Zwecke das
erste Ei einer Henne sein und ihm damit im Munde herum-
gefahren werden ^); andere wollen allerdings, daß es das
Kind Plauderhaft mache''); im Harz und Thüringen beschränkt
man dies aber auf die Redefertigkeit, welche es dadurch neben
großer Herzhaftigkeit noch erhält^). In das erste Bad des
Kindes gelegt, verschafft ein Ei ihm eine klare Stimme; es
muß aber das Ei alsdann dem ersten Bettler geschenkt wer-
den 11). In der Wetteran kocht man derlei geschenkte Eier
dem Kinde in eine Suppe oder versteckt sie auf dem Boden,
wodurch das Kind dann, fo lange sie dort liegen bleiben, vor
jedem Falle geschützt ist 12).
Die Eierschalen, aus welchen man das Dotter in des
Kindes Brei oder der Mutter Suppe geblasen hat, hängt
man an der Wiege auf, damit das Jüdel, der Kobold, wel-
cher das Kind nicht schlafen läßt, mit diesen Schalen anstatt
mit dem Kinde spiele 13). In Schwaben hängt man die
ausgeblasenen Eierschalen an die Palmsonntagspalmen 14),
zu welchem Zwecke, ist uicht mehr bekannt; im Harz an die
Bäume, welche man am Johannistage umtanzt, gleichfalls
Eier 15). Am Niger werden die Schalen in den-Kamin ge-
hängt, um gute Küchlein zu erhalten^); die Böhmin ver-
gräbt diejenigen, woraus die jungen Gänse geschlüpft sind,
unter die Traufe, damit diese Gänschen nicht verloren
gehen 17). Die gepulverten Schalen von Eiern, woraus
Küken gekommen sind, Kühen eingegeben, welche nicht rin-
dern wollen, verhelfen ihnen dazu 1^), ein Mittel, eingegeben
durch die imaginäre Verbindung der geschehenen Geburt mit
1) Leoprechting, a. a. O. S. 191.
2) Zeitschr. f. d. M., Bd. III, S. 331.
3) E. C. Rochholz, Alemannisches Kinderlied, S. 233.
4) R. Werner, Die preußische Expedition nach China,
Japan und Siam in den Jahren 1860, 1861, 1862. Leipzig
1873, S. 293.
5) Wuttke, a. a. O. § 354.
6) Strackerjan, a. a. O. Bd. I, S. 94.
7) Grimm, Aberglauben Nro. 382 (Gegend von Speyer).
8) Wuttke, a. a. O. § 354.
o) Grimm, Aberglauben Nro. 382 (Gegend von Speyer).
10) Wuttke, a. a. O. § 354.
u) Grimm, Aberglauben Nro. 375 (Land ob der Enns).
12) Wuttke, a. a. O. § 354.
13) Grimm, Aberglaube Nro. 62.
u) A. Birlinger, Aus Schwaben. Wiesbaden 1874. Bd. II,
S. 66.
i5) Wuttke, a. a. O. § 19.
1«) I. L. Wilson, Westafrika; übersetzt von Lindau. Leip-
zig 1862. S. 159.
17) Grohmann, a. a. O. Nro. 1026.
18) Strackerjan, a. a. O. Bd. I, S. 81.
62 Aus allen
der gewünschten. Im Neumond die Kühe in die Schale
eines Eies gemolken, diese dann gut verklebt und unter die
Stallthürschwelle vergraben, erhöht ihren Milchertrag *).
Eiue andere Verwendung der Eierschalen bietet uns eine
Reihe von Volkssagen, welche sich in den verschiedensten Ge-
geuden von Deutschland finden und, alle einander ähnlich,
darin ihren Kern haben, daß ein lästiger Hausgeist vertrie-
ben oder auch ein Wechselbalg wieder in seine rechte Gestalt
verwandelt wird — was aber aus dasselbe hinauskommt,
da der Wechselbalg stets ein untergeschobener alter Zwerg
ist —, und zwar dadurch, daß man aus den Herd oder in
die Asche eine Anzahl Eierschalen oder oben aufgeschlagener
Eier stellt. Die volksmäßige Deutung ist dann, daß der
Hausgeist diese Schalen für Töpfe ansieht und sich über die
große Anzahl derselben wundert, uud dann entweder das
Haus verläßt, indem er glaubt, daß eine große Zwerggesell-
schast ankommen und ihm den Platz zu sehr beengen wird 2),
oder daß diese Verwunderung sich beim Wechselbalge in
Worten Lust macht, wodurch dann, da der Wechselbalg nicht
sprechen darf, der Zauber gebrochen ist 3). Diese Deutungen
sind aber wohl Erfindungen späterer Zeit, der das Bewnßt-
sein einer zauber- und geisterabwehrenden Kraft des Eies
oder seiner Schale, welche wir wohl aus dieser Sagenreihe
erschließen können, bereits abhanden gekommen war. Viel-
leicht dürfen wir dabei auch an alte, den am Herde wohnen-
den Hausgeistern dargebrachte Opfer denken.
Auch dem Eierwasser muß eine besondere Kraft einge-
wohnt haben, denn in einer oldenburgischen Sage wird ein
gefangenes Seeweibchen gewarnt, ja nicht zu sagen, wofür
Eierwasser gut ist4); nach jetzigem Glauben aber, wenn wir
von dem bereits erwähnten Ostereierwafser absehen, erzeugt
es, wenn man es an die Hände bringt, nur Warzen.
Eine besondere Kraft des Eies bewährt sich in dem
Schutze, welche es den Bauten giebt. Wie man in West-
salen schon mehrfach Eier oder Eierschalen in altem Gemäuer,
Schornsteinfundamenten und Kirchenmauern, eingemauert
gefunden hat"'), so festigt noch jetzt der Alemanue zuweilen
sein am Bache stehendes Haus dadurch, daß er Hühnereier
hinter der Arche des Ufers vergräbt und in die Zwischenräume
der Balkenwand vor deren Verschalung legt"); auch eiu vom
Strome bedrohtes Ufer wird von ihm durch Vergraben von
Eiern geschützt?). Die Sage, daß Neapel vom Virgil auf
1) Grohmann, a. a. O. Nro. 903.
2) Montanas, Die Vorzeit. Elberfeld 1870/71. Bd. I,
S. 101, 114.
Strackerjan, a. a. O. Bd. I, S. 406.
4) Ebendaselbst Bd. I, S. 420/21.
5) Zeitschr. f. d. M., Bd. III, S. 51.
6) Rochholz, a. a. O. Bd. II, S. 94.
7) Ebendaselbst S. 169.
Erdtheilen.
einem Ei erbaut sei, wird sich gleichfalls auf ein in seinen
Grnndmanern verborgenes Ei beziehen l).
Sehr beliebt ist ferner das Ei, um auf dasselbe allerlei
Uebel zu übertragen und sie so für den Leidenden zu ver-
Nichten; einige wenige Beispiele werden genügen. Gegen
Bruchschaden bei Kindern bestreicht man denselben mehrmals
mit einem frischgelegten Ei und steckt dieses dann in ein
selbstgemachtes Loch in einem Lindenbaume, welches man
mit Baumwachs überklebt 2); gegen Schwäche der Kinder
läßt man sie im Voigtlande in einen neuen Topf harnen,
sticht neun Löcher in ein nngehandelt erkauftes Ei einer
schwarzen Henne, legt es in den Topf, bindet diesen zu und
vergräbt ihn in einen Ameisenhaufen3). Gegen das Fieber
wurde dieses Mittel ganz ähnlich in Frankreich angewendet,
nur daß man das Ei dann einem.....gab 4); auch das
Vergraben des hartgekochten Eies in einen Ameisenhaufen
fand sich hier s); nur fehlt leider, wie beim ersten Mittel, die
Bezeichnung des Empfängers, fo in diesem die Augabe, ge-
gen welche Krankheit es anzuwenden war. Vielfache andere
Fälle findet man in Lammert's „Volksmedicin und medi-
cinischer Aberglaube in Bayern" "). Vor dem Schlage
sichert man sich in Böhmen, indem man Abends Eier aus
dem Hühnerstalle nimmt, sie schwarz färbt, wieder hinlegt
und dann, wenn am andern Morgen eines weiß geworden
ist, dieses austrinkt?), welches Mittel übrigens auch uuver-
wuudbar macht 8). Ein rohes Ei am Christtag Morgens
nüchtern gegessen befähigt große Lasten zu tragen9).
Auch zukünftige Uebel werden auf die Eier gebannt, und
wie der Ehste wohl aus diesem Grunde beim ersten Aus-
treiben des Viehes Eier uuter die Schwelle vergräbt10) oder
ein solches vor die Stallthür legt, um zu sehen, welches Thier
bald sterben wird und dies aus dem Zertreten des Eies ab-
nimmtn), so läßt auch der Bewohner der Mark das Vieh
über ein Hühnerei gehen 12) und legt am 1. Mai, dem ge-
fährlichen Walpnrgistage, ein Ei und ein Beil unter die
Schwelle und bedeckt es mit Rasen, ehe er das Vieh aus dem
Stalle treibt 13). Es ist übrigens schwer, in diesen Fällen
zu unterscheiden, ob ein Bannen aus das Ei beabsichtigt oder
die zauberbannende Kraft desselben in Anspruch genommen
wird.
1) Liebrecht's Gervasius, S. 106, und derselbe in Zeit-
schrift für Ethnologie, Bd. V, S. 90.
2) Roch holz, Kinderlied, S. 336.
3) Grimm, Aberglauben, Nro. 864.
4) Thiers, a. a. O. Nro. 293.
b) Ebendaselbst Nro. 207.
6) Würzburg 1869.
7) Grohn: ann, a. a. O. Nro. 1291.
8) Ebendaselbst Nro. 1424.
9) Grimm, Aberglauben, Nro. 533 (Pforzheim).
1°) Grimm, Aberglauben der Ehsten, Nro. 69.
Ebendaselbst Nro. 79.
12) Zeitschr. f. d. M., Bd. II, S. 302.
13) Wuttke, a. a. O. § 24.
Aus allen
Australien und Inseln des Stillen Oeeans.
— Ein kürzlich in England eingelaufener und von der
Bremer geographischen Gesellschaft mitgeteilter Bericht des
bekannten Missionärs McFarlane meldet, daß es den ener-
gischen und muthigen Missionären der London Missionary
Society gelungen ist, drei Stationen im östlichen Neu-
Erdtheilen.
gninea zu gründen. Dieser Umstand eröffnet, wenn die
Mission auch ferner mit den Männern der Naturwissenschaft
und Völkerkunde Hand in Hand geht, die Aussicht auf be-
deutende Bereicherungen in dieser Beziehung und ist insofern
von großer Wichtigkeit. Auch scheint das Klima Ost-Neu-
guineas für Weiße weit zuträglicher als das der bisher be-
kannten Theile. Beachtenswerth ist besonders auch, daß die
Aus allen
Bevölkerung an den Inseln und Küsten Ost-Nengnineas zahl-
reich, physisch sehr kräftig und den Weißen gegenüber freund-
schaftlich und friedlich gesinnt sich zeigte, ja die Errichtung
der Missionsstationen — allerdings zunächst nur deshalb,
weil sich dadurch Gelegenheit zum Eintauschen der auch dort
jetzt begehrten Eisengeräthe bietet — freudig begrüßte. Die
Stämme, welche man, von der Südküste ins Innere vor-
dringend, bisher angetroffen hat, sowie die Bevölkerung des
Nordwestens zeigte sich dagegen den Fremden gegenüber
meist sehr feindselig gesinnt. Me Farlane, ein anderer Missio-
nar und seine Frau und mehrere auf benachbarten Südseeinseln
für den Missionslehrdienst herangezogene Eingeborene bega-
ben sich am 19. Oetober 1877 in dem Missionsschiffe „Bertha"
zunächst nach dem an der Südküste gelegenen Port Bio-
resby (vergl. die Karte der östlichen Halbinsel von Neu-
guiuea „Globus" XXX, S. 151). Ein anderes Missions-
fchiff schloß sich der Fahrt an. Er unternahm von hier aus
eine Excursion in das Innere, zum Theil an einem Flusse,
dem Laloki, entlang. Das Land war im Anfange eben, mit
grobem Gras bedeckt, fpärlich, hauptsächlich mit Gummi-
bäumen, bewaldet. Känguruhs gab es in Menge. Die Be-
völkernng war schwach. Weiter im Innern wurde das Land
bergig. Die Dörfer der Eingeborenen lagen auf den Höhen.
Von der Missionsstation Kerepnnn, welcheMcFarlane be-
suchte und von wo er Streifzüge in die Umgegend unter-
nahm, wird unter anderen Folgendes berichtet: „Die Be-
völkeruug zeigt sich intelligent und physisch kräftig. Ihre
Dörfer sind ungewöhnlich sauber und nett, ihre Häuser und
Eanoes wohlgebaut und ihre Pflanzungen sehen wie wohl-
cultivirte englische Gärten aus." Me Farlane verfolgte die
Bearbeitung des Landes in ihren verschiedenen Stadien.
Die Erde wird wie mit dem Pfluge umgewendet, und zwar
durch reihenweise aufgestellte Männer, welche spitzige Stöcke
gleichzeitig in den Boden stecken und die Erde emporheben;
dann kommen Frauen, welche die Erdschollen zerstückeln,
worauf die Anpflanzung von Bananen, Zuckerrohr, Mains:c.
erfolgt. „Wir sahen verschiedene Quadratmiles solcher Pflan-
zungen, alle von Hecken umgeben, sorgfältig ausgejätet, die
jungen Bananen und sonstigen Gewächse in schnurgeraden
Linien gepflanzt." Die Bearbeitung geschieht in der Weise,
daß zwei Tage gearbeitet wird und der dritte Tag ein Ruhetag
ist. Ein Theil der Einwohnerschaft beschäftigt sich mit Land-
bau, der andere mit der Fischerei. Ein ordentlicher Marktplatz
ist angelegt, wo täglich Gemüse uud Fische von Frauen ver-
kauft werden. An einem Tage kamen die Fischerboote mit
einem reichen Segeu ein.
Die erste der neuen Stationen wurde auf der Test e-J u sel
gegründet, einem kleinen Eilande südöstlich vom östlichsten
Ende Neuguineas. Das Missionsschiff ankerte in der La-
guue, welche durch eine % Meile breite und 4 bis 9 Faden
tiefe Einfahrt zugänglich ist. Die zahlreich bevölkerten Dör-
fer liegen an der Lagune. Die Missionäre hatten sich durch
einen Matrosen, welcher, auf die Teste-Jusel verschlagen, eine
Zeitlang hier gelebt hatte, die nothwendigsten Kenntnisse
von der Sprache der Eingeborenen verschafft. Zahlreiche Ca-
noes der Eingeborenen umgaben das Schiff, mit denen man
nun in friedlichen Verkehr trat. Es heißt unter anderen:
Die Eingeborenen zeigten uns die an ihren Häusern hängen-
den Schädel und gaben uns zu verstehen, daß dies die Reste
von Feinden seien, welche sie getödtet und gegessen hatten,
daß aber wir ihre Freunde seien. Sie sind dunkler als die
Eingeborenen von Port Moresby und viele von ihnen leiden
an Hautkrankheiten. Ihre Häuser sind auf Pfählen wohl-
gebaut; bei einigen ist das Dach in der Mitte tiefer als an
den Seiten, bei anderen reichen die Enden tiefer herunter
als der mittlere Theil. Aarns und andere Gemüse haben
sie genug, während die Kokosnüsse auffallend klein sind. Wir
besuchten noch zwei Dörfer, fahen eines der großen Löcher,
aus welchen die Eingeborenen ihr frisches Wasser entnehmen,
und kehrten zum Schiffe zurück, welches wir am andern
rdtheilen. 63
Tage in die Lagune hineinbrachten. Sehr bald waren wir
von Booten umgeben und das Deck voll lärmender Wilder,
die alle begierig waren, Bandeisen von uns zu bekommen.
Gemüse, Fische, Keuleu, Speere, Schmuckgegenstände, Stein-
äxte, Canoernder, Fischnetze, Alles,', was sie besaßen, waren
sie bereit, für starkes gutes Bandeisen hinzugeben. Die
Missionäre besuchten zunächst das größte Dorf der Insel.
Die Umgegend war gut bewaldet, und es gab Fruchtbäume
(Brotsrucht), Kokosnußhaine und ausgedehnte Pflanzungen.
Es war nicht schwierig, ein leidlich gutes Haus für Tausch-
artikel von einigen Schillingen Werth zu kaufen. Die Leute
aus dem zahlreich bevölkerten Nachbardorfe zeigten sich aber
neidisch darüber, daß der Missionär nicht in ihrem Dorfe
wohnen solle. In Rücksicht hierauf mußte auch da ein Haus
gekauft werden. Am Abend wurde einer der polynesischen
Missionslehrer, Wannaea, als der Pionniermissionär der
Teste-Insel feierlich installirt, wobei Mc Farlane mit Hülfe
seines Wörterbuches eiue Ansprache hielt. Darauf ging das
Missionsschiff nach der Jron-hoop-Bay (vermuthlich ans
einer der Basilisk- oder Moresbyinseln). Hier waren die
Eingeborenen schon etwas von der Eivilisation berührt inso-
fern, als sie Eisenäxte hatten und einige etwas Englisch rade-
brechen. „Sie brachten uns Früchte und mit Blumen ge-
schmückte Frauen, die sie als den besten Handelsartikel be-
trachteten, und waren nicht wenig erstaunt, als sie sahen,
daß sie diese nicht verhandeln konnten, obwohl sie deutlich
diese ihre Absicht zu erkennen gaben." Die Eingeborenen,
ziemlich zahlreich, leben in Familien auf den Bergen, wo sie
auch ihre Pflanzungen haben.
Die Fahrt ging dann durch die zwischen der Basilisk-
und der Moresbyinsel sich öffnende Fortesenestraße. Die
Küste ist hier sehr malerisch mit bis zur Spitze dicht bewal-
deten Bergen. An einzelnen geklärten Stellen zeigen sich
Hütten und Pflanzungen. Auf demjenigenTheile von East
Cape, vor welchem die Killerton-Jnseln liegen, wurde die
zweite Missionsstation gegründet, und zwar an der Mündung
eines Flüßchens. Hier fanden sich zahlreiche Dörfer der
Eingeborenen, mit denen man sich ohne jede Kenntniß der
Sprache verständigen mnßte. Es wurde ein schönes neues
Haus, 30 Fuß lang, 9 Fuß breit, für den Missionär gernie-
thet uud in Gegenwart von 600 Eingeborenen Gottesdienst
in der Sprache des hier zu etablireuden Missionslehrers von
der Raratongainsel gehalten. Die Eingeborenen schienen sich
für den Gesang beim Gottesdienste zu iuteressiren. Es wa-
ren zwei große Kriegseauoes von der Miluebay, jedes mit
dreißig Männern, von einem der Bevölkerung des Dorfes
befreundeten Stamme angekommen. Diese bemalten, wild-
aussehenden Leute beharrten darauf, während des Gottes-
dienstes im Hintergrunde, die Speere in der Hand, zu stehen.
Nach dem Gottesdienste brach ein Streit unter den Einge-
borenen aus, der indessen wieder beigelegt wurde. Einige
Leute von den Kriegscanoes hatten nämlich, wie es scheint,
einzelne Gegenstände aus der Behausung des Missionslehrers
gestohlen, darüber war die Bevölkerung des Dorfes anfge-
bracht und wies die Eanoelente weg. Nachdem sie fort wa-
ren, war der Friede wieder hergestellt.
Die dritte Station wurde auf der Stacey-Jnsel, welche
nahe dem Südcap gelegen und bis zur Entdeckung des
Jrrthnms durch die Fahrten der Missionsschiffe für das
Südcap selbst gehalten worden war, gegründet. Auch hier
zeigten sich die Eingeborenen freundlich; sie halfen sogar bei
der Errichtung des Missionshauses, in welchem sich der eng-
lische Missionär Ehalmers und seine Frau etablirte. Ferner
ließen sich hier einige polynesische Missionslehrer mit ihren
Frauen nieder. Das Land des Ostendes von Neuguinea
ist durchaus verschieden von der Umgegend von Port Moresby.
Der Contrast ist sehr auffallend. Während das letztere, wie
eben angedeutet, ein ödes, dürres, braunes Aussehen hat,
erscheint jener östliche Theil anmnthig und üppig, wie die
Südseeinseln. „Es war, als ob die Segelfahrt von zwei
64
Aus allen Erdth eilen.
Tagen uns in ganz andere Breiten geführt hätte." — „Am
4. December," so schließt Mc Farlane seinen Bericht, „nahmen
wir von Herrn Chalmers, seiner Frau und den Raratonga-
Lehrern Abschied, indem wir sie der Fürsorge des Him-
mels anempfahlen. Selten sind Missionsstationen unter
günstigeren Verhältnisse« und Aussichten gegründet, als diese
drei im Osten Neuguineas. Die in Bezug aus Beschaffung
von Lebensmitteln befürchteten großen Schwierigkeiten sind
gehoben, nachdem wir uns überzeugt haben, daß gegen Band-
eisen von den Eingeborenen Lebensmittel genug zu haben
sind. Auch das Klima scheint das gesundeste von allen uns
bekannten Theileu Neuguineas zu sein." Mitte December
war Mc Farlane wieder zurück auf der Murrayinsel, von
wo er ausgegangen war; die ganze Expedition hatte also
kaum zwei Monate in Anspruch genommen.
Die Mission von Mikronesien. Alljährlich macht
die Missionsbrigg „Morning Star" von Honolulu eiue
Rundfahrt zwischen den verschiedenen Stationen in Mikro-
nesien, um den von allem Verkehr abgeschnittenen Missio-
nären Vorräthe und Nachrichten zu bringen. Heber die Fahrt
des Jahres-1876 brachte der „Globus" bereits eine Schilde-
rmtg1); über diejenige des vergangenen Jahres liegt nun der
Bericht des Capitän Coleord im „Honolulu Advertiser" vom
9. Februar 1878 vor, aus dem wir in Folgendem diejenigen
Angaben zusammenstellen, welche als neueste Nachrichten
ans der abgelegenen Inselwelt des Großen Oceans von Jnter-
esse sind.
Gilbert-Gruppe. Am 14. Juni 1877 segelte die
Brigg mit 23 Personen an Bord, darunter vier Missionär-
samilien, von Honolulu ab und erreichte nach siebentägiger
Fahrt die Fauning - Insel (3°52' nördl. Br., 159°25'
westl. L.), wo 20 Eingeborene der Gilbert-Inseln, deren
Dienstzeit als Arbeiter in den dortigen Guanolagern abge-
lausen, als Passagiere au Bord kamen. Der Aeqnator wurde
am 2. Juli unter 171° 21' westl. L. passirt und mit leichten
Winden und östlicher Strömung am 28. die Insel Anarari
(Arorai, Hope, 2° 31' süd. Br., 176° 46' westl. £.), die
südlichste des Archipels, erreicht, wo Mehl- und Reisvorräthe
für den dortigen Missionär aus Samoa gelandet wurden.
Am 30. ankerte die Brigg beiO nntn (Clerk, 1" 50'südl. Br.,
175^40' westl. L.), am 1. August bei Peru; am 4. wäre sie
beinahe bei starker Brise und treibenden Ankern bei der
Missionsstation an der Westseite von Tapitnea gescheitert.
Am 7. wurden bei Nononti die erwähnten eingeborenen
Passagiere ans Land gesetzt. Die Insulaner kamen in großer
Anzahl auf das Riff herab und schienen Feindseligkeiten gegen
das Boot und seine Mannschaft zu beabsichtigen, aber wäh-
rend sie mit ihren zurückgekehrten Landsleuten über deren
Taback in Streit geriethen, gelang es den Matrosen zu ent-
kommen. Bei Apamama wurde der „Morning Star" durch
Westwinde gezwungen, 15 Tage lang vor Anker zu bleiben,
während welcher der Häuptling und sein Volk sich freundlich
zeigten; es soll dies die reichste und bestregierte Insel der
Gruppe sein. 17 Tage dauerte die Ueberfahrt nach dem
60 engl. Meilen entfernten Maiana; am 15. September
wurde die Lagune von Apaiang erreicht und zwei Boote
nach dem benachbarten Tarawa gesandt, um die von dort
heimkehrenden Missionäre mit ihren Familien abzuholen.
„Eine Missionsfahrt durch Mikronesien". Bd. XXXII,
5. 77.
Nach kurzem Aufenthalt bei Mariki, wo Palmöl an Bord
genommen wurde, blieb die Brigg vier Tage bei Butari-
tari liegen, um das Material für eine neue Kirche zu lau-
den. Auf allen Stationen der Gilbert-Grnppe wurden die
Missionäre wohl angetroffen und soll das Missionswerk gute
Fortschritte machen und viele Eingeborene im vergangenen
Jahre bekehrt worden sein.
Marshall-Grnppe. Nach achttägiger Fahrt lief der
„Morning Star" am 10. October in die Lagune von Dsch a-
lnit, dem Mittelpunkte des Archipels, ein; hier lag das
deutsche Schiff „Cäsar Godesroy" aus Hamburg vor Anker
und nahm eine Ladung von Kobra ein. Das Missionsschiff
setzte mehrere der mitgebrachten Missionäre ans Land, nahm
Holz ein und segelte nach Ebon hinüber, wo es wieder durch
Gegeuwiude 14 Tage laug zurückgehalten wurde, und die
anderen Missionäre zurückblieben.
Carolinen. Die Ueberfahrt nach der 320 Meilen ent-
ferntenInselUalan (Strongus Island) dauerte 11 Tage
bis zum 20. November; hier brachten die Eingeborenen 12
Fässer Kokosnnßöl als Beitrag für die Mission an Bord.
Vier Tage später wurde Pingelap erreicht und am folgenden
Mo g il; auf beiden wurden die eingeborenen Lehrer im Wohl-
sein gefunden. Am 28. ankerte das Schiff bei der Haupt-
iusel Pouapi; ein hawaiischer Matrose, der bereits drei
Missionsfahrten mitgemacht, starb hier und wurde am Lan-
dungsplatz bei Ona unter den Palmen begraben. Zwei ame-
rikanische Missionäre kamen an Bord, um die Fahrt nach
den Mortlock-Jnseln mitzumachen. Am 8. November
wurde Lukliuor, die südlichere derselben, erreicht; es soll
dies die schönste und ruhigste aller in Mikronesien vom „Mor-
ning Star" besuchten Lagunen sein. Am 11. wurde das
größere Sotoau mit den Stationen bei Ta und Maua
besucht, wo hawaiische Lehrer thätig sind. Diese Gruppe
zählt jetzt gegen 4000 Einwohner, die wohlgebaute, friedliche
Leute sind, und trotzdem sie auf niedrigen Koralleninseln
leben, gute Stimmen haben und gern singen. Die ersten
drei Lehrer aus Pouapi wurden hier Anfangs 1874 vom
„Morning Star" gelandet und mit Freuden von den Ein-
geborenen empfangen, welche ihnen Wohnhäuser, Schule und
Kirche bauten, sie mit Lebensmitteln versorgten und jedem
ein großes, gutes Canoe schenkten. Jetzt sind im Ganzen
sieben Lehrer auf der Gruppe thätig, die in diesen vier Iah-
ren zusammen 300 bis 400 Mitglieder für ihre Kirchen ge-
wonnen haben.
Von dieser, der westlichsten Missionsstation, fuhr die
Brigg uach Ponap i zurück, um nach achttägigem Aufenthalt
zur Einnahme von frischen Vorrathen, Aams und Wasser
am 7. Januar 1878 die Rückfahrt nach dem 3000 nautische
Meilen nach Nordwesten gelegenen Hawaii anzutreten.
Der Capitäu berichtet über eine gänzliche Aendernng der
Winde und Strömungen im Gilbert-Archipel im Jahre 1877;
seit 15 Jahren sollen nicht so häufige Westwinde und Regen-
güsse vorgekommen sein, während die sonstigen West-
strömnngen dieses Jahres 1V2 bis 2 Knoten schnell nach
Osten laufen. In den Marshall- und Carolinen-Grnppen
soll die gewöhnliche Ostströmnng dagegen gänzlich aufgehört
haben. — Nach 30tägiger Ueberfahrt von Ponapi und 235-
tägiger Rundfahrt durch Mikronesien lief der „Morning
Star" am 5. Februar dieses Jahres wieder in den Hafen
von Honolulu ein. F. Birgham.
Inhalt: Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar. I. (Mit fünf Abbildungen.) — A. Zehme: Aus
und über Arabien. V. — Carl Haberland: Das Ei im Volksglauben. I. — Aus allen Erdtheilen: Australien und die
Inseln des Stillen Oceans. — (Schluß der Redaction 30. Juni 1878.)
Die Redaction übernimmt keine Verantwortung für die Znrücksendnng von unverlangt zur Recension
eingesendeten Büchern.
Redacteur: Dr. N. Kiepert in Verlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
VA
lt besonderer HerücksicNigung äer AntKroxologie unä GtKnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten i q wo
'OtCllUl | Cy lüCXy zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. 2. v < c).
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
ii.
Am folgenden Morgen erfuhr ich bei der Rückkehr von
einer Jagd, wobei ich bis nahe an die Schneegrenze gelangte,
daß M. Forsyth dem Nadschah bei einem Besuche versprochen
habe, daß ich seine Frauen Photographien würde. Ich
mußte mich also wohl dazu bequemen. Die eine der Königs-
fraueil ist eine niedliche Ladakeriu; die andere, ältere, schien
sich weit mehr um ihre Juwelen, als um ihre Person zu
bekümmern. Sie sprachen weder Hindustani noch Persisch;
doch kamen wir gut mit einander aus und verständigten uns
durch Zeichen, was dem alten Nadschah, der unbeweglich in
der Mitte der Gruppe dasaß, unaugeuehm zu sein schien.
Zum Beschluß trank ich Thee mit ihnen. Es ist dabei Sitte,
daß die Tasse des Gastes nie ganz oder halb leer stehen darf,
sondern sofort vom Wirthe wieder gefüllt werden muß, so
daß nach jedem Schlucke, den der Gast thut, sich die Thee-
kanne sofort wieder in Bewegung setzt.
Pauamik, 5.October. Am letzten Montag haben wir
Leh verlassen und heute Morgen den 17 500 Fuß (5330 Me-
ter) hohen Paß Kardong überschritten, wobei wir unsere
Pouies gegen Jaks vertauschten. Daraus mußte noch der
Sch ajok-Flnß durchwatet werden, dessen Wasser eine Tempe-
ratur von Null Grad hatte. Etwa fünfzig Tataren, welche
unsere Thiere führten, mußten den Strom zu Fuß durch-
führten, wobei ihnen das Wasser bis an die Brust ging.
Aber unsere Jaks haben sich brav gehalten, und unser Ge-
päck hat keinen Schaden gelitten.
Nach diesem anstrengenden Tagemarsche lagerten wir
in Panamik (im Thale der Rubra, einem nördlichen, rechts-
seitigen Zuflüsse des in den Indus mündenden Schajok),
wo ich, um meine Müdigkeit zu vergessen, ein kleines buddhi-
Globus XXXIV. Nr. 5.
stisches Heiligthum photographirte, welches durch die sonder-
bare Mischung von Pracht und Armnth in seiner Ausstat-
tnng einen sehr malerischen Anblick gewährt. Der alte
Lama, welcher die Capelle bewachte, hat mir die Namen der
dort zur Verehrung aufgestellten Götter mitgetheilt; sie heißen
Tschahua Dings, Sangias Schnkia, Pakpa und Dekehwa,
letzteres eine Göttin.
Am 3. October empfingen wir im Lager zu To gor den
Besuch Mulla Artnk's, eines Boten des Jaknb Chan Tora,
der selbst wieder vom Atalik an uns abgesendet wurde. Der-
selbe befindet sich auf der Rückreise von Konstantinopel, wo
er am Hose des Sultans von den guten Diensten erfahren
hat, welche England seinem Herrn leistete, und versichert
uns nun, daß unser eiu ganz außergewöhnlicher Empfang
in Jarkand warte. Und das bestätigen alle Nachrichten ans
Turkestan, welche nicht günstiger sein könnten und ans eine
rasche Erledigung unseres Geschäftes rechnen lassen. Das
einzige, was uns noch im Wege steht, ist die große Kälte in
den vor uns liegenden Hochgebirgsregionen; aber anch da-
gegen sind wir vortrefflich ausgerüstet.
Im Thale des Karakasch. October^). Am 6.Oc-
tober verließen wir das Rubra-Thal und lagerten Abends
am Fuße des gesürchteteu Sasser-Passes (auch Sirsil genannt).
Das Thermometer zeigte 11°. Am folgenden Tage fand
die Passage ohne jeden Unglücksfall statt, obwohl Schnee
und Eis sowohl Menschen wie Thieren große Hindernisse in
den Weg legten. Ein Blick auf die zahlreichen, gewaltigen
Gletscher ringsum belehrte uns, daß diese Straße ohne Zweifel
i) Dieser Abschnitt nach Oberst Gordon.
9
66
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
bald vollständig für den Handel versperrt und unpraktikabel
sein wird. In derselben Weise hat sich auch der Paß, wel-
cher von einer der Quellen des Jarkand-Flusses in das Thal
der Rubra hinüber führt, allmälig verengert; früher sielen
dort berittene Scharen in Klein-Tibet ein; heute ist er nur
uoch für Fußgänger zu benutzen, und nur die beherzten Ein-
wohner Baltistans (Klein-Tibet) benutzen ihn noch, weil er-
den Weg zu ihren im Gebiet von Jarkand ansässigen und
Ackerbau treibenden Landsleuten bedeutend abkürzt. Um
3 Uhr Nachmittags hatten wir die Paßhöhe (17 800 Fuß
— 5420 Meter) erreicht. Das Thermometer stand auf
18" und fiel in der Nacht auf — 6°.
Beim Abstieg kamen wir wieder in das Thal des Schajok,
den wir vor mehreren Tagen überschritten hatten, und der
hier einen bedeutenden Bogen gegen Süden macht. Er ent-
springt nordöstlich vom Sasser-Passe im Karakorum-Gebirge,
fließt gegen Südosten bis zur Breite von Leh, biegt dann
scharf nach Nordwesten um, fließt auf etwa 30 deutsche
Meilen dem Indus parallel und mündet oberhalb Skardn
in denselben. Im Oberlaufe ist sein Thal eng und er selbst
wild, im Mittlern Theile ist sein Bett breit und der Fluß
öfters mehrfach getheilt, und im Unterlaufe fchäumt er wie-
der als wüthender Gießbach zwischen jähen Felsnmueru da-
hin. Im Winter friert er vollständig zu, und sein Bett
dient dann als Weg nach dem Karakorum austatt des andern
längern über den Sasser und das Dapsang-Plateau, welchen
man von Beginn des Thanwetters an benutzt. Die schrof-
fen Felsen und Berge lassen an seinem Ufer keinen Weg frei.
ii? ii
Der Radschah von Ladak mit seinen Frauen. (Nach einer Photographie von Chcipman.)
Mr. Johnson, der uns an der Grenze von Ladak verließ,
wollte seine Rückkehr längs des Flusses bewerkstelligen, um
zu sehen, ob sich jene Hindernisse nicht durch Kunstanlagen
überwinden ließen. Doch halte ich letztere für zu beträchtlich,
als daß man schon jetzt an ihre Ausführung gehen könnte.
Bei dem harten Klima und der Unfruchtbarkeit dieser Ge-
biete wäre es für unsern Handel wahrscheinlich viel vortheil-
haster, einen Weg durch das östliche Turkestau aufzusuchen
und die traurigen Einöden des Karakorum zu vermeiden.
Jetzt war der Winter schon so weit vorgerückt und der
Fluß stellenweise derart zugefroren, daß wir unsern Weg in
seinem Bette aufwärts nehmen konnten. Da aber die Lebens-
mittel die östlichere Straße über das Dipsang- oder Dap-
sang-Plateau eiugeschlageu hatten, so ging der größere Theil
der Expedition diesen letztern Weg, und nur wenige von uns
die Winterstraße. Jaks trugen die Provisionen, und wir
selbst saßen auf Pouies. Am ersten Tage kamen wir bei
dem untern Ende des untern Kumdan-Gletschers vorbei, der
von links sich die Berge herunterwälzt. Zwei englische Mei-
len weit bildet er am rechten Flnßnfer entlang eine wahr-
hafte, von zahllosen Eiszinnen gekrönte Mauer. Auch
gegenüber, am linken Flußufer, bemerkte man ab und zu
Reste desselben Gletschers, welcher über das Thal hinweg
gereicht und den Fluß abgedämmt hatte, bis das aufgestaute
Wasser sich mit Gewalt wieder Bahn gebrochen hatte. Die
Nacht lagerten wir unter einem schroffen Felsen in Kum-
d a n, im Bette jenes ehemaligen Sees.
Am^10. setzten wir unsere Reise in derselben allgemeinen
Buddhistische Capelle in Panamik am Rubra-'
Zweiten von 50 Kilometer Länge, und da man sagen kann,
daß beide mit einander in Verbindung stehen, so erhält man
einen Gletscher von 105 Kilometer Länge. Der Remn-
Gletscher liegt zwischen Bergspitzen und -Kämmen von 19 000
bis 24 000 Fuß (5800 bis 7300 Meter) Höhe; seine Länge
beträgt 34 Kilometer, seine Breite wechselt zwischen 1600
und 2800 Meter, und sein Ende liegt in einer Meereshöhe
von 15 800 Fuß (4320 Meter). Er ist daselbst etwa
5 Kilometer breit und wird von riesigen Eisfelsen von
250 Fuß (76 Meter) Höhe gebildet. Sein Ende liegt be-
deutend höher, als das der meisten übrigen Gletscher in diesem
^-heile des Himalaya, und nur weil der Schajok stets mäch-
tlge Eisblöcke davonführt, kann er sich nicht weiter nach nn-
ten ausdehnen, abgesehen davon, daß er denselben zuweilen
lusse. (Nach einer Photographie Chapman's.)
vollständig abdämmt. Man glaubte eine Zeit lang, daß
die furchtbare Indus-Ueberschwemmung vom Jahre 1841
in Folge einer solchen Verstopfung im Schajok -Thale ein-
getreten sei; heute aber sucht man den Ort derselben in der
Nähe der Pendschab-Grenze.
In Daolat-Beg-Uldi trafen wir unsere Gefährten
wieder, welche bis dorthin drei Tagemärsche von zusammen
43 engl. Meilen gebraucht hatten, während unser Weg nur
30 lang war, in solcher Wüste eine nicht zu verachtende Er-
sparniß. Jener Ort liegt 16 700 Fuß (5090 Meter) hoch
am Rande des 17 500 Fuß (5330 Meter) hohen Plateaus
Dapsang, welches wir auf der Heimreise Passiren werden.
Am selben Tage, wie wir, kam auch ein energischer Hindu-
Kaufmann, Kan Tschand mit Namen, der mit seinen Waa-
9*
Von Sir Forsyth's Gesar
Richtung nach Norden fort und überschritten den obern Knm-
daN'Gletscher, welcher aus einem Seitenthale von Nordwest
herunterkommt und fast bis an die gegenüberliegende Wand
des Hauptthales heranreicht, so daß auch er wahrscheinlich
früher den Fluß aufgestaut und einen großen See gebildet
hat. Zur Nacht lagerten wir in G i ps chnn in einer Schlucht
unweit des breiten, geröllbedeckten Bettes des Schajok. In
der Nähe zeigten sich einige spärliche Grasbüschel, welche
wilde Jaks nnd Gazellen anlocken sollen. Von ersteren
waren auch wirklich frische Spuren sichtbar, so daß ich an
dem großen Remn-Gletscher nach Nordwesten hinaufstieg,
um zu jagen, ohne etwas anderes zu Gesicht zu bekommen,
als einige Berghasen. Schließlich zwang mich das Nahen
der Nacht und die Kälte zur Umkehr.
schastsreise nach Kaschgar. G7
Folgenden Tages überschritten wir den Fluß Daolat-
Beg-Uldi und hatten bald darauf eine herrliche Aussicht
auf den nordwestlichen Theil des gewaltigen Remu-Gletschers
mit seinen zahlreichen Zuflüssen, über welchem schwindelnde
Berghäupter, oben in Schneewolken gehüllt, emporstiegen.
Soweit heute die Beobachtungen europäischer Reisender rei-
chen, steht dieser Gletscher an Größe und wegen seiner Aehn-
lichkeit mit einem gefrorenen Meere ohne Gleichen da. Die
Gletscher im westlichen Himalaya sind doppelt so ausgedehnt,
als die der Alpen, und sind wahrscheinlich die größten aus
der Erde, von denen des arktischen Gebiets natürlich abge-
sehen. Im Mustagh-Gebirge (zwischen 74" und 77°
östl. L. v. Gr.) giebt es einen von 55 Kilometer Länge mit
15 verschiedenen Moränen und unmittelbar daneben einen
68 Von Sir Forsyth's Gesm
reu nach Jarkand zog, dort an. Nun hatte der Maharad-
schah von Kaschmir in seiner Furcht, daß wir unterwegs
irgendwie einen kleinen Mangel leiden könnten, alle Trans-
portmittel in diesen Gebieten für die Fortschassung der für
uns bestimmten Lebensmittel mit Beschlag belegt, in Folge
dessen der Preis für den täglichen Transport von 80 Pfund
anf 1 Rupie (2 Mark) gestiegen war. Und Kan Tschand
hatte über 80 Träger, deren jeder etwa 80 Pfund trug.
Diese Einwohner von Ladak müssen eine seltene Willenskraft
besitzen, um mit solcher Last elf volle Tage lang täglich im
Durchschnitt 14 engl. Meilen zurückzulegen, und zwar in
einem solchen Klima, wie es in den Hochregionen Tibets
herrscht.
An allen Stationen und längs des Weges liegen Pferde-
^schaftsreise nach Kaschgar.
cadaver. Wegen der außerordentlichen Trockenheit der Luft,
des Maugels au Regen und der großen Kälte verwest aber
das Fleisch nicht. Nur Raben und, wie man sagt, auch
Wölfe mästen sich daran — und erstere folgten in der Er-
Wartung guter Beute auch unserer „kafila". Unsere Thiere
waren aber so vorsorglich ausgewählt und in so reichlicher
Anzahl gestellt worden, daß keines in Folge von Erschöpfung
siel. Was wir verloren, ging aus anderen Ursachen zu Grunde.
Am 12. October überschritten wir den Karakorum-
Paß (18 550 Fuß — 5655 Meter). Auf- und Abstieg
waren verhältnißmäßig leicht, während wir von der Berg-
krankheit stark zu leiden hatten. Ich selbst mußte oben auf
der Paßhöhe mich mit Gewalt überwinden, um mich ein
wenig niederzusetzen und eine Skizze zu entwerfen. Während
Der Sasser-Paß. (Nach ei
dessen hüpften zwei Bachstelzen um mich herum und schienen
sich in jener gewaltigen Meereshöhe ganz wohl zu fühlen.
Die Einöden auf der Höhe dieser Gebirge haben ein
eigentümlich trauriges Aussehen. Von den Gletschern ab-
gesehen bietet nichts einen sonderlich großartigen Anblick,
vielmehr erscheinen die Berge ringsum, namenlich von der
Paßhöhe aus, eher wie Hügel. Nirgends sieht man Felsen
oder Schroffen, nur Ebenen, von wüsten Gehängen begrenzt
und mit Geröll besäet. Der Karakornnl- (d. i. schwarzer
Kiesel) Gipfel, nach welchem die ganze Gebirgskette heißt,
trägt seinen Neimen von den Brocken schwarzen Gesteins,
welche sich ohne Unterlaß von ihm loslösen und zu Thale
rollen.
Als wiram 12. October Abends Brangsa (17 180Fuß
c Photographie Chapman's.)
— 5234 Meter) auf der andern Seite des Passes erreicht
hatten, fing es an zu schueeu. und hielt die Nacht hindurch
damit an, so daß am Morgen das Land weit und breit mit
einer dicken Lage bedeckt war. Um aus dem Schnee heraus-
zukommen, »lachten wir einen langen Marsch von 28 engl.
Meilen bis Aktagh (15 590 Fuß — 4747 Meter), über-
schritten dann nach einem Ruhetage den Paß Sndschet
(17 618 Fuß — 5365 Meter) und erreichten das Gebiet
des Karakasch, welcher schon dem in den Lob-nor münden-
den Tarnn tribntür ist. Wir waren glücklich, dieHochregio-
nen, wo das Thermometer bis 15 Grad unter Null gefallen
war, hinter uns zu haben; in Sndschet am Nordsuße des
Passes waren wir nur uoch12 970Fuß (3951 Meter) hoch
und fanden Gras und Holz. Dort stießen Trotter und
1ARCENT
Von Sir Forsyth's Gesar
Dr. Stoliczka, welche einen östlicheru Weg eingeschlagen hat-
ten, wieder zu uns. Wir waren nur noch 4 engl. Meilen von
Schahidulla, machten aber unserer Thiere wegen einen Ruhe-
tag, während dessen Beamte aus Jarkand erschienen, um uns
einen „dastarchwan" anzubieten, d. h. ein luxuriöses Mahl
von Suppen, gehacktem Fleische, Zuckerwerk, Brot, Früchten
und Thee. Nach den nackten eisigen Wüsteneien des Kara-
korum erschienen uns die Baumgruppen, Wiesen und rieseln-
den Gewässer ringsum als herrliche Landschaft, wenn es
anch in der Nacht noch sieben Grad kalt war.
Am 17. setzten wir neugestärkt unsern Weg nach Scha-
hidulla fort, einer für uns sehr wichtigen Station, denn
dort betraten wir das Gebiet von Jarkand und wurden Gäste
des Atalik-Ghazi (d. i. Vertheidiger des Glaubens) Moham-
med Jaknb Chan, während wir bis dahin von Beamten des
Maharadscha von Kaschmir begleitet worden waren.
schaftsreise nach Kaschgar. 69
Schahidulla. Die Jarkander Beamten hielten hier
eine Anzahl kirghizischer Jaks in Bereitschaft, um unsere
entkräfteten Lastponies zu ersetzen, welche Mr. Johnston nach
Leh zurückzuführen hatte. Am 18. langte auch Hauptmann
B id dnlp h an, fo daß nun zum ersten Male alle Mitglieder
der Gesandtschaft in einem Lager vereinigt waren. Der-
selbe hatte die östlichere weniger steile Straße über Tschang-
tschenmo und längs des Karakasch eingeschlagen. Daß die-
selbe nicht vom Handel der beschwerlichem über Karakorum
vorgezogen wird, liegt daran, daß sie länger ist und voll-
kommen kahle Gebiete durchzieht, sv daß die Reisenden sämmt-
lichen Bedarf für Menfchen und Thiere stets mit sich führen
müssen. Die Provinz Chotan, welche die Straße zuletzt
durchzieht, ist die blühendste und, was Industrie anlangt,
wichtigste des ganzen tnrkestanischen Reiches. Trotzdem treibt
sie mit Indien keinen Handel. Ihre Goldfelder nämlich
Pakbn-Kirghizen. (N
liefern dem Staatsschätze eine bedeutende Einnahme, und
deswegen sucht man sie möglichst nach außen abzusperren.
Leicht ist die Straße, welche von Leh ausgehend über die nie-
drigeren Plateaus östlich von der Ebene Lingzi-Thang (zwi-
schen 79" und 80" östl. L. V.Gr.), beim Pangong-See und
Rudok vorbei nach Poln, der Grenzstadt von Chotan, führt
und überall Brennholz und Gras darbietet. Auch ist die-
selbe für die in Chotan sehr verbreiteten baktrianischen Ka-
mele sehr bequem. Dagegen führt sie zn einem großen Theile
über chinesisches Gebiet, was ja einstweilen indischen Kauf-
leuten zu betreten untersagt ist.
Hauptmann Trotter hatte ein Kautschukboot bei sich ge-
habt und konnte mit Biddnlph zusammen die erste Fahrt auf
dem 13 900 Fuß (4240 Meter) hohen Pangong-See aus-
führen. Seine Karawane hatte auch bis Schahidulla tibe-
tanische Lastschafe bei sich, welche Mehl und Getreide zu
tragen hatten. Biddnlph sagt darüber Folgendes:
«Ich verließ am 18.October Tankse mit 30 Schafen, die
mit Mehl und Korn beladen waren. Um ihre Marschfähig-
keit zu erproben, ließ ich sie nur überschüssige Provision tra-
gen, welche erst vier Tagereisen vor Schahidulla angerührt
zu werden brauchte. Die Tataren laden gewöhnlich ihren
Schafen 32 Pfund auf und legen täglich, oftmals rastend,
) einer Photographie.)
nicht über 7 bis 8 engl. Meilen zurück. Da ich nun einige
starke Märsche in Aussicht hatte, gab ich jedem Thiere nur
20 Pfund zu tragen, kümmerte mich aber im Uebrigen nicht
viel um sie, sondern überließ sie ihrem Schicksal. Ein gro-
ßer Theil des Weges war steil und steinig; aber nur ein
Schaf fiel, wenn anch viele zeitweilig Schmerzen an den
Füßen hatten. Die Lasten, welche hinten und vorn mit
Stricken festgebunden werden, liegen fest, weil sie sich in die
Wolle eindrücken. Auf gutem Boden, wo die Thiere breit
neben einander laufen, legen sie stündlich % l>is 1 Meile
zurück; in größerer Anzahl gehen sie unzweifelhaft langsamer,
und die Schnelligkeit hängt natürlich sehr von der Länge des
Weges ab. Die größte Schwierigkeit verursachten ihnen die
Flußübergänge, welche im Thale des Karakasch täglich drei
bis vier Mal vorkamen. Nicht nur wurden dabei leicht die
Lasten beschädigt, sondern auch ihr Fell sog sich voll Wasser
und wurde dadurch schwerer. Manchmal gefror es anch
hinterher, und es entstanden dadurch fühlbare Aufenthalte.
Fanden wir kein Gras, fo hatten die Thiere buchstäblich
nichts zu fressen, denn Korn, an das sie nicht gewöhnt wa-
ren, nahmen sie nicht. Ein einziger Mann genügte um die
Herde zu beaufsichtigen, und für 100 Stück find meiner Ueber-
zeugnng nach nicht mehr als deren zwei erforderlich. Auf
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
diese Weise hat eine Herde Schafe, deren jedes 20 Pfund
trug, iu einem fast graslosen Lande und während der rauhen
Jahreszeit in einem Monat 530 Kilometer Weges zurück-
legen können. Nur eiu einziges Thier war dazu nicht im
Stande. Gewiß eine merkwürdige Thatsache! Nach dem
ersten Marsche betrug die Meereshöhe nie unter 11 000 Fuß
(3350 Meter), und das Thermometer fiel Nachts bis 15
oder 16 Grad unter Null. Weder Kälte noch Höhe schien
die Thiere zu rühren.
Es scheint mir einleuchtend, daß zukünftig Karawanen,
welche den Karakorum zu überschreiten haben, es sehr vor-
theilhaft finden werden, eine Herde Schafe mitzunehmen.
Nicht nur erfordern sie keine Fürsorge, sondern können sich auch
längs des ganzen Weges selbst ernähren, was bei den Ponies
nicht der Fall ist. Schafe finden selbst auf dem magersten
Boden und zwischen Felsen, wo Pferde vor Hunger sterben,
noch Nahrung. Und sind schließlich die Lebensmittel, welche
sie tragen, ausgezehrt, so kann man sie selbst obendrein ver-
speisen/'
In Schahidnlla mußten wir bis zur Ankunft von Sjad Jakub
Chan Tora warten, welchen der Atalik-Ghazi beauftragt hatte,
mit dem Vicekönig von Indien über die vorläufigen Besinn-
muugen des von uns abzuschließenden Handelsvertrages zu
unterhandeln. Nachdem Jakub Chan Tora diese Mission
erfüllt, hatte er sich nach Konstantinopel begeben, um vom
Sultan als nominellem Oberhaupte des Islam die Anerken-
nung seines Herrn als Amir und die Uebernahme der Schutz-
Herrlichkeit Seitens der Pforte zu erlangen. Beides war für
einer Photographie Chapman's.)
geben müssen. Doch erhielten wir schließlich die ziemlich
sichere Aussicht, daß der Beamte vor Ende October in Scha-
hidnlla eintreffen würde.
Als wir dort anlangten, begann gerade der Durchzug der
Karawanen, welche alljährlich von Jarkand nach Leh und
Indien gehen.
Bald sahen wir ein, daß unsere Pferde auf den umlie-
genden Weiden nicht genügend Nahrung fanden, und da wir
außerdem nicht genug Proviant hatten, um alle die Ankunft
Jakub's in Schahidnlla abwarten zu können, so wurde be-
schlössen, daß ein großer Theil unserer Karawane nach
Sandschn voran ziehen sollte, bis wohin es fünf Tagereisen
durch Einöden sind, aber wo sich Lebensmittel in Ueberflnß
Akoe oder Kirghizenzelt. (Nach
den aus den Thron gelangten Abenteurer von großer Wichtig-
keit, denn es mußte ihm in den Augen seiner Unterthanen
viel höheres Ansehen und größere Rechte auf denselben ver-
leihen. Ein Atalik Ghazi (Vertheidiger des Glaubens) ist
nur eine Art Statthalter, der eine Provinz zu vertheidigen
hat, ein Amir aber ein Fürst, welcher in Kriegszeiten ein
ganzes Heer in das Feld führt und Münzen mit seinem Na-
men schlagen darf.
Da aber die Pforte bei solchen Verhandlungen nicht
sonderlich rasch bei der Hand ist, so verzögerte sich die Rück-
kehr Jakub Chan Tora's weit über den gehofften Zeitpunkt,
und es folgte eine lange und langweilige Zeit des Wartens,
wobei wir schon fürchteten, daß wir unsere beabsichtigten
Ausflüge in Osttnrkestan und nach der Pamir würden auf-
C. Fcwre's und B. Mand
finden. Am 21. October verließen also Gordon, Biddulph,
Gordon und Dr. Stoliezka Schahidnlla.
Unsere indischen Diener hatten den Wechsel unserer Be-
gleituiannschast zu beklagen. Die überaus geduldigen und
gefälligen Tataren, welche stets alles, was man von ihnen
verlangte, ausführten, wurden nun durch Kirghizen ersetzt,
welche sich nur um ihre Jaks und deren Ladung bekümmern
wollten. Dieselben gehörten zum Stamme der Pakbn, wel-
cher in dem abgelegenen Kilian-Gebirge (westlich von Scha-
hidnlla) wohnt. Zum ersten Male, seit sie die Erde bewoh-
nen, sahen sich diese armen Leute Photographie (s. Abbildung
S. 69).
22. October. Heute langte ein Bote an, welcher uns
ctxtc neue Sendung Pferde anzeigte, die uns noch größere
l's Reise in Kilikien 1874. 71
Bequemlichkeit verschaffe» sollten. Er versicherte uns, daß
auf dem ganzen Wege Wohnungen für uus bereit ständen
und daß wir wie „Gäste von königlichem Blute" behandelt
werden sollten. Als „Mimandar" (Vertreter des Wirths)
hat sich auch ein kleiner blonder, lustiger uud hübscher Mensch
im Lager eingefunden, mit dem wir, Persisch radebrechend,
uns unterhalten. Weiterkann unsere Gastfreundlichkeit nicht
gehen; denn es ist Rhamadan, und da muß er von Sonnen-
auf- bis -Untergang so streng fasten, daß er nicht einmal die
Bewegung des Kauens machen darf. Vor unserm Speise-
zelt haben wir jetzt ein kirghizisches Akoe oder Akoi ausgestellt,
welches wir einem armen Teufel, der uns besuchte, abgekauft
haben; es dient uns als Rauchzimmer uud ist der wärmste
Zufluchtsort, wenn die eisigen Winde zu wehen anfangen.
C. Favre's und B.
Allgemeines über
Im „Bulletin de laSociete de Geographie" (1878,
Janvier et Fevrier) veröffentlichen die Herren C. Favre
und B.Mandrot unter Beigabe einer trefflichen viel neues
enthaltenden Karte die Beschreibung einer Reise in Kilikien,
welche wir als einen sehr werthvollen Beitrag zur Keuutniß
des iu den letzten Jahren ungebührlich vernachlässigten Klein-
ästen begrüßen. Ihren Mittheilungen entnehmen wir das
Folgende.
Geographie. Für das Land, welches die Alten Kilikien
nannten, giebt es heutigeu Tages keinen Gesammtnamen.
Karamanien, womit mau wohl die Südküste Kleinasiens be-
zeichnet, ist zu vage; Wilajet Adaua, unter welchem es Po-
litifch mit begriffen wird, ist mehr ein administrativer als
ein geographischer Name, und Tschnknr-Owa, d. h. Ebene
der Turkomanen, begreift nur den ebenen Theil des Landes.
Am besten behält man also den antiken Namen bei, welcher
auch vou den Türken als „Kilikia" zuweilen gebraucht wird.
Was uns hier beschäftigt, ist das „ebene Kilikien" der alten
Geographen im Norden des Meerbusens von Alexandrette,
welches von den einander fast parallelen Gebirgsketten des
Tanros im Norden und des Amanos im Süden umschlossen
wird. Der ganze Raum zwischen den beiden Gebirgen und
dem Meere ist eine zusammenhängende Ebene, welche nur
durch den Dschebel Missis zwischen dem untern Dschihan
(Pyramos des Alterthums) und dem Meere unterbrochen
wird. Wie die einzelnen Theile eines Fächers ziehen sich
vom Seegestade aus verschiedene Flnßthäler landeinwärts:
der vom Amanos oder Giaur Dagh kommende Deli-tschai
(der „tolle Fluß"), der Dschihan, der Seihan (Sihnn), der
bei Adana vorbeisließt, der Tarsns-tschai (Cydnus), der
Lanias-su und der Gök-sn (Kalykadnos); während letzterer
1,011 Westen nach Osten strömt, hat der erste in dieser Reihe
gerade die umgekehrte Richtung.
Die kilikische Ebene ist eine Allnvialebene, entstanden
theils durch die Anspülungen der sie durchschneidenden Flüsse,
theils durch deu Sand des Meeres, welcher in Folge der
vorherrschenden starken Westwinde sich an der Küste absetzt,
^lelleicht hat auch eine säcnlare Hebung zu der Bildung der
^'bene mitgewirkt. Einst hat das Mittelländische Meer hier
viel tiefer in das Land eingegriffen als heutzutage: Beweis
'§ Reise in Kilikien 1874.
Land und Leute.
dafür ist die Stadt Tarsos, welche zu allen Zeiten der Ge-
schichte eine und dieselbe Stelle eingenommen hat, im Alter-
thum aber und noch im elften nachchristlichen Jahrhundert
dem Meere viel näher lag als jetzt x).
Das bedeutendste Delta erzeugt von allen eilieischen Flüs-
fen der Pyramos oder Dschihan; alljährlich rückt dasselbe
um ein ansehnliches Stück vor, und eine alte Prophezeiung
besagt, daß seine Mündung einst die Küste von Kypern errei-
chen wird. In einer viel näher liegenden Zeit wird er aber
sicherlich den Meerbusen von Alexandrette mit Sand ange-
füllt und in weite Lagunen, wie sie ehemals auch die Ebene
von Tarsos bedeckten, verwandelt haben.
Die kilikische Ebene ist hier und da, namentlich aber iu
ihrer östlichen Hälfte, mit oft steilen, zuweilen auch ziemlich
hohen Kalkhügeln besäet, welche aus dem völlig flachen Lande
ifolirt aufragen uud den Reisenden um so mehr überraschen,
als kein Ansteigen des Terrains zwischen diesen steilen Wän-
den und den horizontalen Linien der Ebene vermittelt. Texier,
der bekannte Reisende, scheint diese Hügel partiellen Hebuu-
gen zuzuschreiben, eine bei dem Fehlen jeder Terrainwelle
in ihrer Umgebung unhaltbare Ansicht. Es sind eben Gipfel,
welche zu den die Ebene umgebenden Gebirgsstöcken gehören
und einst als Inseln aus dem Meere hervorragten, bis
dessen Wellen von den Anspülungen der Flüsse verdrängt
wurden.
Der Westhälfte der Ebene gehen diese Felshügel ab, in
„Daß die cilicifche Küstenebene, obwohl im Wesentlichen
eine Schöpfung des Djihan und des Seihun, in Hebung be-
griffen ist, muß man aus der beträchtlichen Höhe, bis zu der das
moderne Alluvium emporsteigt, wie aus dem Vorkommen von
Bänken von Austernschalen in ziemlicher Höhe weit landeinwärts
schließen. Im Jahre 42 v. Chr. konnte noch Kleopatra in einer
vergoldeten Galeere von Alexandria nach Tarsus segeln, um
dort mit Antonius zusammenzutreffen, während Tarsus schon
zu Plinius' Zeit keine Seestadt mehr war und jetzt fast 3 Mei-
len vom Ufer entfernt ist. Jn Mersina, dem jetzigen Hafen von
Tarsus, müssen die Dampfer eine Meile vom Ufer Anker wer-
fen, und der frühere näher an Tarfns liegende Hafen der Stadt,
Kazalin, der noch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
benutzt werden konnte, ist jetzt versandet." Th. Fischer in
Zeitschrift der Gefellfchaft für Erdkunde, Berlin 1878, Bd. XIII,
S. 158.
72 C. Favre's und B. Mandr
Folge dessen die dortigen Flüsse, Sihnn und Dschihan, wieder-
holt die Betten ihrer Unterläufe und ihre Mündungen ge-
wechselt und verschoben haben. Auf dem Räume zwischen
dem Tarsus Tschai im Westen und dem Dschebel Missis im
Osten ging dieser Wechsel wiederholt vor sich; bald lagen
ihre Mündungen weit von einander (die Entfernung beträgt
heute an 70 Kilometer), bald flössen sie in eine zusammen.
Diese Erscheinung ist zwar aus der Erde nichts Seltenes;
aber sie ist kaum ein zweites Mal so gut bezeugt und so
intensiv. Wir wissen, daß beide Flüsse zu Skylax' Zeiten
im vierten vorchristlichen Jahrhundert sich vereinigten, wäh-
rend nach Plinins, Strabon und Ptolemäus später jeder
seine gesonderte Mündung hatte. Im zweiten und dritten
nachchristlichen Jahrhundert flössen sie nach Dionysios Perie-
getes und Avienns vereint, im sechsten nach Procop getrennt,
im elften (Cedrenns), zwölften (Anna Comnena), vierzehnten
(Abulfeda) und fünfzehnten (Barbaro) wieder vereint und im
neunzehnten getrennt.
Nicht ein einziger von diesen Flüssen ist schiffbar—aus-
genommen vielleicht der Sihun bis Adaua hinauf, wo KotfchY
1335 Tartanen aus Kypern sah —, denn abgesehen von
den stets ihre Mündungen versperrenden Sandbarren' sind
sie im Sommer zu seicht, im Winter aber und zur Zeit der
Schneeschmelze zwar wasserreich, aber zu reißend. In Folge
der Entwaldung der Gebirge sind eben selbst die ansehn-
lichsten Wasserläufe dieser Länder mehr große Gießbäche als
Flüsse.
Betrachtet mau den Gesammtban der kilikischen Gebirge,
so füllt einem sofort auf, daß die Hauptketten des Tanros
nicht als Wasserscheide dienen, sondern an mehreren Stellen
von den auf den Hochebenen Kappadokiens und Kataoniens
entspringenden Flüssen durchbrochen werden. So vom Sihun
und seinen Nebenflüssen Schakut Sn und Kütschük Sn, vom
Dschihan und Gök Sn (Kalykaduos). Nur der bei Tarsos
vorbeifließende Kydnos und die westlich von demselben ent-
springenden kleinen Flüsse kommen nicht von jenseit der
Hanptkette her, sondern erhalten ihr Wasser nur von dem
Südabfalle derselben. Der Tauros bildet demnach hier keine
zusammenhängende Kette, sondern eine Ansammlung sehr
hoher und ausgedehnter Bergkegel, welche den allgemeinen
Abfall des centralen Hochlandes nach denl Meere zu uicht
unterbrechen. Vom südlichen Abfalle des Gebirges an lau-
fett die Gewässer in engen Thälern zwischen secnndären und
zum Meere hin niedriger werdenden Ketten, oft in langen
und tief eingeschnittenen Schluchten.
Umgekehrt ist die Kette des Amanos oder GianrDagh
compacter und schmaler; kein einziger ansehnlicher Fluß ent-
springt auf ihr und ihre scharfe Kammlinie füllt durchweg
mit der Wasserscheide zusammen.
Der Tauros hat eine bedeutende Höhe: die größte in
seiner westlichen Hälfte, der Bulghar-Dagh, beträgt nach
Dr. Kotschy 3550 Meter, während seine östliche Hälfte, der
Allah-Dagh, so weit man das von der Ebene aus beurtheilen
kann, etwa eben so hoch ansteigt. (Auf der Karte geben die
Verfasser dem elftem eine Höhe von 2900 bis 3500 Me-
ter, dem Allah-Dagh eine solche von 2900 bis 3200 Meter.)
Der Amanos ist zwar sicherlich weniger hoch als der
Tauros; doch schätzt man ihn im Allgemeinen zu niedrig.
Favre und Mandrot versichern, daß er an zwei oder drei
Punkten bestimmt 2000 Meter überschreitet. Niedriger als
der Amauos, zum wenigsten in seiner Westhälfte, ist der
Antitanros; von der Ebene aus sieht man keine Haupt-
kette sich aussondern, sondern hat nur einen Haufen mäßig
hoher Berge vor sich, deren keiner über 1500 Meter Höhe
zu erreichen scheint. DerDschebelMissis endlich ist viel-
i^'s Reise in Kilikien 1874.
fach nur hohes Hügelland; im Dschebel en-Nnr erreicht er
nach Mansell 716 Meter Höhe.
Geschichtliches. Ohne auf die alte Geschichte Kilikieus
hier zurückzukommen, aus welcher als die leuchtendsten Daten
der Durchzug des jüngern Kyros mit den 10 000 Griechen,
des Alexander mit seinen Makedonien und die Verwaltung
Cicero's, welcher die Eleutherokiliker endgültig unterwarf und
die Parther zurückwies, hervorragen, fei nur daran erinnert,
wie sich Phönikier, Assyrer, Perser, Griechen und Römer in
der Herrschaft des Landes ablösten. Als bei der Theilung
des Römerreiches Kilikien naturgemäß bei Byzauz blieb,
nahm jene lange Reihe von Schicksalsschlägen ihren Anfang,
welche das Land in seinen jetzigen Zustand versetzt hat. Seine
alte Bevölkerung ist völlig verschwunden uud hat verschiedenen
von Osten kommenden Eindringlingen Platz gemacht, welche
nach langen Kämpfen durch einander im Lande wohnen ge-
blieben sind und es nicht dahin haben bringen können, ein
einziges Volk zu bilden.
Im siebenten Jahrhundert bemächtigten sich die Araber
der ganzen Osthälfte des Landes bis Tarsos und machen
selbst mit wechselndem Glücke Einfälle in das Land nördlich
vom Tauros, während ihre Flotte Kleinasiens Südküste bis
nach Rhodos hin beherrscht. Im zehnten Jahrhundert be-
nutzen wieder die Byzantiner die Zerstückelung des Kalifen-
reiches, um ihre ehemaligen Provinzen zurückzugewinnen. In
der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts beginnt dann die
Einwanderung von Osten kommender Armenier, welche das
Schicksal des Landes tief berührte. Seit mehreren Jahr-
Hunderten schon hatte dieses Volk den Euphrat überschritten
und in der Landschaft Melitene (zwischen 34° und 36« östl.L.
Paris und 38° uud 39° nördl. Br.) und in Kappadokien
weite, nordöstlich von Kilikien gelegene Gebiete in Besitz ge-
nommen. Im siebenten Jahrhundert hatten dann die uuauf-
hörlichen Kriege zwischen dem oströmischen Reiche und den
Neupersern eine zweite armenische Auswanderung, dieses Mal
nach dem nördlichen Kleinasien, zur Folge gehabt, so daß im
elften Jahrhundert quer durch Kleinasieu vou der Mündung
des Halys (Kyzyl-Jrmak) bis zu dem großen Bogen des
Euphrat beim heutigen Malatia zusammenhängend eine
armenische Bevölkerung saß. Damals brachen zwischen 1030
und 1040 die Türken, welche schon Tnrkestan und Chorassan
erobert hatten, in Iran, Armenien und Georgieu ein und
verursachten dadurch eine dritte und letzte Auswanderung
nach Westen, welche südwärts bis Kilikien, das damals fast
entvölkert war, vordrang, und zwar nicht mit einem Schlage,
sondern, von Byzanz begünstigt, allmälig und stetig sich
wiederholend.
In Folge der türkischen Siege traten schließlich die arme-
nischen Könige ihr Land den Byzantinern ab und erhielten
dafür, allerdings als Vasallen, Fürstentümer in Kappadokien
und Kilikien. Sehr bald aber geschah, was die Griechen
hätten voraussehen können: Großarmenien vermochten sie
nicht gegen die Türken zu halten, während sich die Armenier
in Kilikien unabhängig machten. Es entstanden dort in der
Ebene und im Tauros eine Anzahl feudaler Fürstentümer
und unabhängiger Herrschaften, an deren Spitze bald die
Familie Rnpen trat. Ein Mitglied derselben, Konstantin
(1097), hals den Kreuzfahrern bei der Belagerung von An-
tiochia und erhielt dafür den erblichen Baronstitel. Damals
faßte das europäische Feudalwesen mit seinen Sitten, Gesetzen
und Titeln in Kilikien Fuß, und dies um so leichter, als die
Armenier von Alters her ein durchweg feudal gegliedertes
Volk gewesen waren. Immer mehr wuchs die Macht der
Rupeuier, und es gelang denselben schließlich trotz der steten
Einfälle der Türken und Griechen, welche sich gegenseitig die
Ebenen und Pässe Kilikiens streitig machten, und trotz des
C. Favre's und B. Mand,
Widerstandes vieler unter den kleineren Herren, ganz Kilikien
unter ihrem Scepter zu vereinigen. Im Jahre 1198 löste
Leo II., mit dem Beinamen des Großen, von den Kreuz-
fahrern unterstützt, jede Verbindung mit Byzanz, erklärte sich
zum Lehensträger des Deutschen Reiches und des Papstes
und erhielt dafür den Königstitel, das höchste Ziel für den
Ehrgeiz feiner Familie. Seitdem strebte er danach, durch
Aenderungen im armenischen Feudalwesen seine Königsrechte
zu vermehren und die Unabhängigkeit der Großen zu ver-
uichten.
Der Handel mit Orient und Occident nahm damals
einen kräftigen Aufschwung; Kilikien wurde zum Mittelpunkte
des Waarentansches. Lajazzo am Fuß des Dschebel Missis
trieb zu Lande Handel mit Bagdad, Bassora und Jkouiou,
mit China und Indien, und zur See mit Genua, Venedig,
Sicilien, Frankreich und Katalonien. Gleichzeitig blühten
auch die Künste, namentlich die Baukunst, und selbst die
Wissenschaften.
Nach Leo's Tode folgte sein Schwiegersohn, Philipp von
Antiochia, der aber 1227 von Hethum I., aus der Familie
der Barone von Lampron (heute Nimrun) im Tauros, vom
Thron gestoßen wurde. Die Dynastie derHethumier regiert
etwas über ein Jahrhundert, während dessen zwar die Ein-
fälle der Mongolen und ägyptischen Araber zurückgewiesen,
aber auch der Handel vernichtet, Städte verwüstet, die Be-
völkeruug decimirt wird und das Land reißend rasch in Ver-
fall geräth. 1342 folgte Johann von Lusiguau als Kon-
stantin III. dem letzten Hethnmier; aber nichts vermag mehr
den Fall der letzten christlichen Besitzung auf asiatischem Bo-
den aufzuhalten. 1347 wurde Lajazzo gestürmt und geplün-
dert, worauf die Armenier, nicht mehr im Stande, die Ebene
zu behaupten, sich in den Tauros flüchteten. 1375 endlich
wird der letzte König, Leo VI., von den Arabern gefangen
genommen und nach Aegypten geschleppt. Nur die Feste
Gorighos (das antike Korykos, südwestlich von Tarsos am
Meere), welche der König von Kypern den Muselmanen
wieder fortgenommen hatte, hält sich noch bis 1448 und fällt
dann durch Verrath, und Kilikien, welches drei Jahrhunderte
hindurch von dem großen Strome westlicher Civilisation mit
fortgerissen worden war, fällt nun ganz den Bekennern des
Islam anHeim. Turkomanifche Fürsten und Osmanlis kämpfen
nun um feine» Besitz, bis sich 1575Selim II. der letzten un-
abhängigen Besitzung bemächtigt und das Land dauernd dem
Türkenreiche einverleibt, vom Jahre 1832 abgesehen, wo es
die Aegypter Jbrahim-Pascha's vorübergehend besetzt hatten.
Jedoch übten noch vor ganz kurzer Zeit die Türken hier
nur eine nominelle Herrschaft aus, während die zwar besieg-
ten, aber nicht unterworfenen turkomauischeu Begs und die
armenischen Häuptlinge im Gebirge die wahren Gebieter
waren. Erst 1866 gelang es der Pforte, dieselben endgültig
zu unterwerfen und den Räubereien der kurdischen und tnrko-
manischen Nomaden ein Ende zu machen, wozu es eines gan-
zen Heeres unter Derwisch Pafcha und eines langen blutigen
Kampfes bedurfte.
Bevölkerung. Die einst so zahlreiche Bevölkerung
Kilikiens zählt nach Langlois jetzt nur 150 000 Seelen der
verschiedensten Herkunft und Religion. Die einzige Stadt,
welche diesen Namen verdient und welche gedeiht und stetig
zunimmt, ist Adana, die Hauptstadt des gleichnamigen Wilajet;
sie mag 40 000 bis 50 000 Einwohner zählen. Von Tar-
sos, Sis und ein paar Flecken abgesehen, sind alle anderen
Orte nur elende, am Rande der Ebene und im Gebirge zer-
streute, spärliche Dörfer.
Die Bevölkerung besteht aus allerhand Türken, Kurden,
Armeniern, Arabern, Anfariern (Syrern), Griechen und
Tscherkessen. Dazu kommt dann noch ein Stamm Neger,
Globus XXXIV. Nr. 5.
^'s Reise in Kilikien 1874. 73
der am westlichen Fuße des Dschebel Missis sitzt — kurz
ein Durcheinander, wie man es sich nicht vollständiger denken
kann. Türken und Tnrkomanen machen allein über die
Hälfte der Bevölkerung aus; beide Stämme, obwohl zur
selben Race gehörig, sind wohl von einander zu unterscheiden.
Was wir Türken und was sich selbst Osmanli nennt, hält
sich für weit besser als die Turkomanen, welche sie verächtlich
als Türk oder Tschnkur bezeichnen. Daher der Name Tschn-
knr-owa (Türken-Ebene) für das flache Land. Die Turko-
manen sind ebensowenig wie die Beduinen, Kurden, Per-
ser u. s. w. rechtgläubige Mohammedaner, werden vielmehr
von den Osmanlis auf gleiche Stufe mit Christen und Juden
gestellt und als Gianrs oder Ungläubige angesehen. Daher
stammt der moderne Name des Amanos, Gianr-Dagh,
weil derselbe von Turkomanen, Kurden und Armeniern be-
wohnt wird.
Als die Nachkommen Osman's Kilikien eroberten, war
für sie durch die Eroberung Konstantinopels die Periode des
Herumwanderns längst abgeschlossen und sie waren seßhaft
geworden. In Folge dessen drangen nur ihre Heere in das
Land eiu, keine Einwanderer, so daß es dort eigentlich keine
anderen Osmanli giebt als die von Konstantinopel geschickten
Beamten. Läßt man die Osmanli bei Seite, so hat man
bei der türkischen Bevölkerung zwischen der seßhaften Bevöl-
kerung, Bauern und Städtebewohner, und den Nomaden,
Tschukur- Turkomanen oder Juruken, welche nebst einigen
Kurdenstämmen die herumziehende Population Kilikiens bil-
den, zn unterscheiden. Dieselben leben wie alle ihre Stammes-
genossen in Asien unter Zelten, besitzen große Herden und
wandern im Sommer von der Ebene ins Gebirge, um dort
Kühle und gute Weiden zn finden.
Schwer ist es, zu sagen, zu welcher Race die seßhaften
Türken gehören. Sie sprechen die rauhe Sprache der Tur-
komanen, welche man leicht von der weichern Stambnler
Mundart unterscheidet. Andererseits weichen sie in ihren
Sitten, ihrem weniger wilden, aber auch weniger reinen
Typus und in ihrer orthodoxen Religion von ihren noma-
difchen Stammesgenossen sehr ab. Wahrscheinlich sind es
Abkömmlinge seldschnkidischer Türken entweder ans dem
Reiche von Jkonion oder aus den tnrkomanischen Fürsten-
thümern, welche in den Bergen gegründet und im 15. und
16. Jahrhundert von den Osmanlis unterworfen wurden.
Im Orient kennt man übrigens diese Unterscheidungen we-
nig; die Christen nennen Türke, was nur immer den ortho-
doxen Islam bekennt, in Syrien z. B. alle Mohammedaner
auch arabischer oder syrischer Herkunft.
Die zahlreichste Race nach den Türken ist die armenische,
welche sich namentlich im Gebirge findet. Dort leben sie
in Gemeinden, von denen manche noch vor wenigen Jahren
sehr unabhängig waren, wie z. B. Hadschin nordwestlich und
Zeitnn nordöstlich von der Stadt Sis. Einst Herren des
Landes und daselbst in compacter Menge ansässig, haben sie
in Folge der Jahrhunderte hindurch währenden Kriege an
Zahl sehr abgenommen. Sie gehören zn zwei Bekenntnissen,
dem unirten armenischen Ritus (Katholiken) und in weit
überwiegender Zahl zur orthodoxen oder gregorianischen
armenischen Kirche. Neben einigen griechischen und syrischen
Kaufleuten bilden die Armenier durch Reichthum und Bil-
dung die Elite des Landes.
Die Kurden sind zum größten Theile Nomaden und nur
ein Theil ist in Dörfern uud Städten ansässig. Im Ama-
nos sollen sogar einige Stämme von ihnen sich dauernd
niedergelassen haben. Ueber ihre Herkunft steht nichts fest.
Zur slottirenden Bevölkerung gehören ferner die nicht
sehr zahlreichen ansarischen Araber (N'säiri); viele von ihnen
ziehen zur Erntezeit aus dem Norden Syriens nach Adana
10
74 C. Favre's und B. Mandr
und kehren in ihre Heimath zurück, wenn sie keine Arbeit
mehr finden. Die übrigen Araber wohnen in den Städten.
Die wenig zahlreichen Griechen treiben meist Handel. Landes-
eingeborene sind sie nicht; denn die alte griechische Bevölkerung
ist völlig verschwunden und die Vorfahren der jetzt hier woh-
nenden Griechen sind alle aus dem Innern, namentlich aus
Kaisarieh (Caesarea) herzugewandert.
Zuletzt kamen die Tscherkessen, welche nach dem letzten
Aufstande im Kaukasus (1864) und der definitiven Erobe-
ruug des Landes durch die Russen in Kilikien einwanderten.
Mehrere Jahre lang trieben sie es wie ihre Brüder in Bul-
garieu und waren der Schrecken des Landes, bis sie, durch
Krankheiten und Noth decimirt, vorzüglich in dem östlichen
Theile der Mischen Ebene sich auf den Ackerbau geworfen
haben. Damals (1874) war ihre Lage keine schlechte; falls
sie sich an das Klima gewöhnen, werden sie über kurz oder
lang ein bedeutendes Stück der unbebauten und ungesunden
Ebene unter Cultur bringen. Ihre Anzahl wird, wohl etwas
übertrieben, auf 10 000 geschätzt.
Wie man sieht, giebt es unter all' den Völkern, welche
in wirrem Durcheinander das Land bewohnen, keine Nach-
kommen der alten Bewohner oder Eroberer. Das älteste
Volk ist das armenische, welches nicht vor dem elften Jahr-
hundert in Kilikien ansässig war, aber von seiner Geschichte
nichts mehr weiß. Waren doch schon im fünfzehnten Jahr-
hundert nach Barbaro die armenischen Inschriften der früheren
Epochen den Nachkommen unverständlich. Seitdem aber
sind zahlreiche schriftliche und bildliche Denkmäler verschwuu-
den, zahlreiche Erinnerungen erloschen, Unwissenheit und
Gleichgültigkeit gegen die Vergangenheit sind nur noch ge-
wachsen und kaum wird man im ganzen Lande ein paar
Leute finden, welche für die alte Landesgefchichte Interesse
bezeugen.
Heutiger Zustand des Landes. Zur Zeit von
Favre's und Mandrot's Reise herrschte in Kilikien Frieden
und Ruhe. Die Bevölkerung war nach dem Feldzuge Der-
wisch-Pascha's zum größten Theile entwaffnet worden und
fing an, ihre herkömmlichen Raubgelüste zu vergessen, so daß
ein gut bewaffneter Reisender weniger Gefahr lief als in
manchen Gegenden Europas. Einheimische sollen aber aus
ihren Reisen gefährdeter fein und bei der käuflichen türkischen
Gerechtigkeitspflege nicht immer genügenden Schutz finden.
Dem Mali oder Gouverneur in Adana stehen nur wenige
Truppen zur Verfügung.
Die wichtigsten Handelsstädte sind Adana und die beiden
Häfen Alexaudrette und Mersin, welche den meisten Verkehr
nach Europa mit Marseille unterhalten. An fahrbaren
Straßen giebt es im ganzen Lande nur die eine von Mersin
über Tarsos nach Adana, von welcher die letztere Strecke
noch unvollendet ist. In der Ebene bedient man sich roher
Büffelkarren, die sich ziemlich leicht fortbewegen, wo der Bo-
den nicht sumpfig ist. Noch mehr aber, auch im Gebirge,
sind Kamele in Gebrauch.
Anbau und Ausfuhr der Baumwolle und Wollprodnction
konnten hier einen großen Aufschwung nehmen, wenn nicht
die Uuzuverlässigkeit und Nachlässigkeit der Produceuten dem
Handel so nachtheilig wären und Europäer von einer An-
siedelnng abschreckten. Dazn kommt noch das ungesunde
Klima, welches den Einheimischen nicht minder wie den Frem-
den gefährlich wird. Ungesund sind allein die Monate Juli,
August, September und October, durch die alsdann Herr-
schenden Fieber aber auch in hohem Grade. Dieser Zustand
wird schon in der Zeit der Kreuzzüge erwähnt, im Alterthum
aber scheint er nicht existirt zu haben. So galt der Ansent-
halt in Tarsos, heute einer der gefährlichsten, bei den Alten
nicht für ungesund. Berichte aus dein vierzehnten Jahr-
-'s Reise in Kilikien 1874.
hundert melden dagegen, daß damals schon die ganze Bevöl-
kerung auswanderte, um dem Fieber zu entfliehen, und einer
aus dem dreizehnten sagt, daß, wenn 4000 Ritter sich in
Kilikien niederließen, am Ende des Jahres keine 500 mehr
davon übrig sein würden. Da die Ebene durch allmälige
Auffüllung der Lagunen entstanden ist, so ist ihr Untergrund
wahrscheinlich feucht und sumpfig geblieben, wie es ja ganze
Strecken nahe den Flüssen und beut Meere an der Ober-
fläche sind.
Im Winter ist es im Gebirge sehr kalt, während die
Ebene mehr feuchtes als strenges Klima hat. Schnee fällt
außerordentlich selten. Im Frühjahr steigt die Temperatur
plötzlich, der Schnee schmilzt in wenigen Tagen und in Folge
der Entwaldung stürzen die Wasserflnthen reißend rasch in
das Meer. Wie ein Schwamm sangt sich alsdann die Ebene
voll Feuchtigkeit. Tritt im Mai die Sommerhitze ein, so
fallen die Flüsse rasch und ihr Wasser wird schlammig und
ungesund. Der durch keine Pflanzendecke geschützte sumpsige
Untergrund wird von den Sonnenstrahlen erhitzt und haucht
nun pestileuzialische Dünste aus. Deshalb sind anscheinend
ganz gesund und trocken gelegene Orte, wie Tarsos, in dieser
Jahreszeit so überaus gefährlich. Im Mai wandert also
die Bevölkerung, um frische, reine Lnst zu athmen, nach der
Äaila, der Sommerwohnung im Gebirge. Die Nomaden
mit ihren Herden geben das Zeichen zum Aufbruch; die
Städter und Dörfler nebst den Behörden und selbst den Sol-
daten folgen nach und nur die Kranken und wer durchaus
nicht anders kann, bleiben in der Ebene zurück. In solcher
Weise verödet z.B. die Stadt Sis so vollständig, daß Rän-
ber und Schakale sich in den verlassenen Häusern einnisten.
Eine solche Auswanderung ist natürlich für Handel und
Verwaltung nicht sonderlich Vortheilhaft, und deshalb hat die
türkische Regierung versucht, diese halb nomadische Gewohn-
heit zu vernichten. So hat Derwisch-Pascha vor mehreren
Jahren für die Kurden und Tnrkomanen steinerne Dörfer
bauen lassen und wollte sie zwingen, dort das ganze Jahr
über zu wohnen. Aber Jahrhunderte alte Sitten lassen sich
nicht in einem Tage ausrotten: die Dörfer verfallen und
ihre Insassen ziehen nach wie vor in das Gebirge. Ebenso
hat die Regierung Beamten und Soldaten befohlen, während
der Fieberzeit auf ihrem Posten zu bleiben; doch wird dieser
Befehl wahrscheinlich eben so wenig befolgt werden wie so
viele andere. Nur die Tscherkessen scheinen eine Ausnahme
von der Regel zu machen und das ganze Jahr über in der
Ebene zu wohnen, wofür sie durch Fieber und andere Krank-
heiten gransam decimirt worden sind. Doch gehört es nicht
zn den Unmöglichkeiten, daß durch fortschreitende Cultur
schließlich das schädliche Klima gebessert und in Folge dessen
die Gewohnheiten der Bevölkerung geändert werden.
Kilikien gewährt den Anblick einer großen, weiten, von
einem Kreise hoher Berge umringten Ebene. Ihr Boden
ist, von der unmittelbaren Umgebung einiger Städte, die gut
angebaut sind, und mehrerer Dörfer, wo spärliche Gersten-
und Baumwollenfelder sich finden, abgesehen, vollständig kahl.
Nur hier und da gewährt spärliches Kraut eine dürftige
Weide, und ab und zu unterbrechen Felshöhen, mit alten
armenischen Schlössern aus der Kreuzfahrerzeit gekrönt, das
einförmige Gemälde. Den Hintergrund zu der meist in
dichten Nebel gehüllten Landschaft bilden die Berge.
Die einst reiche Vegetation ist in Folge der Kriege oder
vor den Viehherden der Nomaden oder auch durch die Sorg-
losigkeit der Regierung völlig verschwunden. Nachrichten
aus dem zehnten Jahrhundert sprechen von sehr üppigem
Pslanzenwnchse: Auavarza, das alte Auazarbos, war von
einem Haine von Dattelpalmen umgeben; Tarsos'Umgebung
war vor dem Feldzuge des Nikephoros (960), welcher alle
Carl Haberland: 3
Bäume niederschlagen ließ, reich bewaldet. Im dreizehnten
Jahrhundert scheint aber die Vegetation schon bedeutend ab-
genommen zu haben; denn der Umstand, daß in den Urkun-
den einzelne Maulbeerbäume, Eichen oder Weiden als Grenz-
Punkte einer Besitzung angegeben werden, beweist, daß solche
Bäume schon so selten waren, daß kein Jrrthum möglich
war. Heutigen Tages sieht man kaum ein paar Palmen
in Adaua. Von der unmittelbaren Umgebung dieser und
einiger anderen Städte abgesehen, wo Fruchtbäume wachsen,
sieht man auf 30 Kilometer in der Runde nicht einen ein-
zigen Baum in der Ebene. Nur an bevorzugten Stellen
und auf den Hügeln wächst niedriges Strauchwerk, wo
FrankolinhUhner nisten. Alles andere Land ist weit und
breit nur mit kleinen Grasbüscheln oder wilden Artischoken
bewachsen, zwischen welchen sich Gazellenherden tummeln.
Die vordersten Abhänge der Berge sind gleichfalls von den
sorglosen Türken ihrer Bäume beraubt worden und stehen
vollkommen kahl da. In seinem Innern dagegen birgt der
Tauros einen üppigen Pflanzenwuchs, namentlich mehrere
Arten von Eichen, Cedern, die große karamanische Fichte,
eine Menge Strauchwerk und stellenweise riesige Platanen.
Leider besteht nur die Unsitte, die schönsten Bäume abzu-
schälen und die Rinde nach Griechenland auszuführen, ein
Verfahren, welches eine vollständige Waldverwüstung zur
Folge haben kann.
Nicht wenigerreich ist die Fauna: in der Ebene Gazellen,
Füchse, Schakale, im Gebirge Wölfe, in den Sümpfen und
Dickichten Büffel, Wildschweine, zahlreiche, meist giftige
Schlangen, darunter manche sehr große; im Gestrüpp längs
s Ei im Volksglauben. 75
der Küste Frankolinhühner und in den Ruinen bunte Gänse.
Im Hügelland und Gebirge trifft man Rebhühner, Stachel-
schwebte, verschiedene Katzenarten, darunter Leoparden und
Panther, endlich Bären und Steinböcke. Hansthiere sind:
das langschwänzige Schaf und eine Ziege, die von der euro-
päifcheu Art sich unterscheidet. Beide int Lande zahlreich
vorhandenen Thiere sind wegen ihrer Wolle von Wichtigkeit
für den Handel. Verhältnißmäßig seltener und von kleinem
Wüchse ist das Rindvieh, welches nur Milch liefert — denn
sein Fleisch wird nicht gegessen. Pferde giebt es viel we-
niger als in Syrien, von wo sie wahrscheinlich eingeführt
werden. Viel verwendet werden Kamele, Manlthiere, Esel
und Büffel. In den Dörfern und Zeltlagern der Ebene
finden sich sehr große kurzhaarige Haushunde; außerdem auch
der schöne, schwarze, karamanische Windhund, der zur Gazellen-
jagd gebraucht wird, aber immer seltener wird. Außerdem
zählt Kotschy (Reise in den cilicischen Tanrns über Tarsus.
Gotha 1858) auf: in der Ebene einen Hirsch unbekannter
Species, Biber, Otter und gestreifte Hyäne, in den Küsten-
sümpfen vielerlei Wasservögel, im Gebirge Geier, Auerhähne,
Luchse, Dachse, Hasen, wilde Schafe *e. Tschihatschew
erwähnt nach Chesney im Tauros und Amanos anch den
Löwen, dessen Vorkommen im erstem Gebirge auch den
Herren Favre und Maudrot von den Eingeborenen bestätigt
wurde. An seiner Existenz vor noch nicht gar langer Zeit
ist nicht zu zweifeln; aber jetzt (immer vorausgesetzt, daß
dem keine Verwechselung Seitens der Einheimischen zu Grunde
liegt) muß das Thier überaus selten sein und nur ganz aus-
nahmsweise vorkommen.
Das Ei im V
Von Carl
Als Mittel um die Zukunft voranszuerfahren wird das
Ei von verschiedenen Völkern angewendet. Der Grieche fand
eine Vorbedeutung darin, daß das Ei, über das Feuer gehal-
ten, an dem einen oder dem andern Ende barst oder schwitzte *);
die Französin sieht, indem sie ein Ei ans den Kopf zerbricht
und es dann ins Wasser wirft, den künftigen Gatten 2); nach
Kräutermann ^) erfährt man, ob ein Kind beschrien ist,
dadurch, daß man ein Ei in ein unter der Wiege stehendes
Gefäß mit fließendem Wasser wirft; schwimmt es oben, ist
das Kind beschrien. Dem Harzer sagt ein Traum von Eiern
Unglück voraus*), gewöhnlich aber im übrigen Deutschland
wird ein solcher Traum auf Streit gedeutet5). Den Kasias
in Bengalen sind die Anspicien durch Eier die beliebtesten,
und sie zerbrechen oft eine große Menge derselben, um das
gewünschte Zeichen zu erhalten 6). Das Eiweiß benutzt man
in Schlesien und Ostpreußen als Wahrsagemittel, indem man
es ins Wasser gießt uud die dabei sich bildenden Figuren
deutet?).
1) Schoemann, Griechische Alterthümer, Berlin 1371/73,
Bd. II, S. 298. ^ 1 ;
2) Thiers, a. a. O. Nro. 477.
3) Grimm, Aberglauben, Nro. 966.
Zeitschr. f. d. M.. Bd. I, S. 203.
5) Wuttke, a. a. O. §. 66.
6) Zeitschrift für Ethnologie, Bd. V, S. 264.
7) Wuttke, a. a. O. §. 79.
olksglauben.
Haberland.
Aengstlich eingehalten wird in ganz Deutschland das Ge-
bot, die Schalen der gegessenen Eier zu zerdrücken und nicht
die ganze Schale fortzuwerfen, welchen Brauch wir schon bei
den Römern finden, die nach Plinius x) sowohl Eierschalen
als Schneckenhäuser durchbohrten, und welcher auch in Frank-
reich und anderen Ländern herrscht. Der Grund dieses Ge-
botes ist die Furcht, daß durch diese Ueberbleibsel von Un-
berufenen ein schädlicher Einfluß auf denjenigen, welcher die
betreffenden Eier gegessen, vermittelst der Hexenkunst ausgeübt
werden kann, wie dies auch schou von Plinius angegeben
wird und wie sich ganz der gleiche Aberglaube auch Hinsicht-
lich der Körperabsälle, der Haar- und Nagelschnitzeln, weit
verbreitet findet. Der vielfach vorkommende Ausdruck „die
Hexen nisten in den Schalen" 2) sowie die bayerische Mei-
nnng, daß die Hexen hineinkommen, wenn sie im Wasser
schwimmen s), versinnlichen diesen Glauben. Es ist dies in
Deutschland wohl der einzige Fall, daß den Ueberresten der
Speisen, weil diese Speise selbst in den Körper des Essenden
übergegangen ist, und sich dadurch eine sympathetische Beziehung
zwischen diesem und dem Übriggelassenen gebildet hat, eine
derartige Wichtigkeit und Kraft beigelegt wird; bei anderen
x) Naturgeschichte, Buch 28, Cap. 4.
2) Grimm, Aberglauben, Nro. 328.
3) Zeitschr. f. b. M., Bd. II, S. 101.
10*
76 Carl Haberland: Dl
Völkern, besonders ausgebildet bei den Polynesiern, findet sich
dieser Glaube auf alle Speisereste ausgedehnt und ängstliche
Sorgfalt auf dieselben verwendet.
Namentlich fürchtet man in Deutschland, sich das Fieber
durch Nichtzerdrückeu der Eierschalen zuzuziehen, da ein Fieber--
kranker sich nur derselben zu bemächtigen braucht, um sein
Fieber durch Vermitteluug der Schalen auf den Uuvorfich-
tigeu zu übertragen — im Oldenburgischen behauptet mau
eiu Gleiches auch hinsichtlich des Zahnwehes x), weshalb
auch ein mecklenburgisches Fiebermittel darin besteht, eine
gefundene Eierschale mit Wasser zu füllen und dreimal aus-
zutrinken2). Der böhmische Aberglaube verwendet zu Liebes-
zauber neben Todtenbein und Haar auch Eierschalen und
verbietet, wenn man dergleichen beisammen findet, es mit
bloßen Händen zu berühren3). Vereinzelt findet sich in
Deutschland anch der Glaube, daß die Unterlassung des
Schalenzerdrückens die betreffenden Hühner Schädigungen
durch Hexen aussetzt4) oder daß diese dann nicht mehr legen5).
Nach Thiers 6) schlug man in Frankreich dreimal auf die
Schalen, ehe man sie wieder auf den Teller that, oder zer-
brach sie überhaupt größtenteils, wie er zngiebt 7) aus Gewohn-
heit , zuweilen aber auch mit der stillschweigenden Verwün-
schuug, daß die Feinde des Betreffenden ebenso zerbrochen
werden möchten. Ferner theilt er mit6*), daß manche die
Eierschalen nicht verbrennen mögen, weil der heilige Lauren-
tius mit solchen Schalen verbrannt sei und sie ihn so zum
zweiten Mal verbrennen würden; diese Abneigung, Eier-
schalen zu verbrennen, findet sich auch im nördlichen Deutsch-
land und gleichfalls in Böhmen; hier sagt man, daß man
damit die Seelen der Verstorbenen brennt, oder fürchtet, da-
durch ein Geschwür zu bekommen9). Dürfen wir vielleicht
in diesem Glauben hinsichtlich der Verstorbenen ursprünglich
den an eine Wiedergeburt nach dem Tode, vorgestellt unter
dem Symbol des Ansschlüpsens des Küchleins aus dem Ei,
sehen und dadurch die Scheu vor dem Verbrennen der Scha-
len erklären?
Wie bei uns das Hühnerei Träger des Symbols und
des Aberglaubens, so verbindet der mohammedanische Orient,
ebenso wie schon das alte Aegypten, wie auch afrikanische
Stämme, wobei sich aber schwer entscheiden läßt, ob durch
mohammedanischen Einfluß, und selbst das orientalische
Christeuthum eine große Bedeutsamkeit mit dem Straußenei.
Von der Westküste Afrikas10) bis Persien und Indien schmücken
sie entweder die Spitzen der Moscheen oder sind in ihrem
Innern angebracht, und zwar, wenigstens nach der Angabe
von Brugsch n), als ein Symbol der Glaubenstreue. Auch
die Spitzen der Hüttendächer sind bei den Afrikanern vielfach
mit diesem Schmucke versehen; so fand sie Clapperton12) in
Borgu, Barth 13) in Boruu, hier mit dem Zwecke, die Frucht-
barkeit der Familie zu garantiren, Brehm 14) in den abessi-
1) Strackerjan, a. a. £>., Bd. I, S. 66.
2) Wuttke, a. a. O. §. 274.
8) Grohmann, a. a. 'O. Nro. 1451.
4) Grimm, Aberglauben, Nro. 1119.
b) Wuttke, a. a. O. §. 318 (Wetterau).
6) a. a. O. Nro. 33.
7) Ebendaselbst Nro. 8.
8) Ebendaselbst Nro. 74.
°) Grohmann, a. a. O. Nro. 266.
Mungo Park, Reisen im Innern von Afrika. Aus
dem Englischen. Berlin 1799. S. 60.
11) H. Brugsch, Reise der königlich preußischen Gesandt-
schast nach Persien. Leipzig 1862/63. Bd. I, S. 23.
12) Zweite Reise in das Innere von Afrika. Aus dem
Englischen. Jena 1829. S. 303.
13) Reisen und Entdeckungen in Nord- und Eentralafrika.
Im Auszuge. Gotha 1859/60. Bd. I, S. 376.
14) „Globus", Bd. III, S. 289.
Ei im Volksglauben.
nifchen Grenzländern. In Aoruba setzte man dagegen nach
Clapperton *) Krokodileier auf die Spitzen der Hütten, da-
mit sie die Bewohner gegen die Krokodile selbst schützen soll-
ten. Und wie noch jetzt in den Moscheen Aegyptens das
Straußenei als Zierrath herabhängt, so schmückte es auch
schon seine alten Tempel2), und noch weisen uns seine alten
Gräber nicht selten dasselbe in schönen großen Exemplaren
auf als Symbol der Wiedererweckung; denn wie der Strauß
seine Eier nicht auf gewöhnlichem Wege, sondern durch seinen
Blick ausbrütete, so sollte auch das Souueuauge des Osiris
die Mumie wieder beleben3). Dem orientalischen Christen-
thum ist das Straußenei gleichfalls nicht fremd; die Kirche
am Sinai zeigt uns über vielen der herabhängenden Lampen
ein solches und zwar an der Stelle, wo bei uns in gleichem
Falle der Flaschenzug angebracht sein würde 4).
Wenden wir uns nun der Seite des Aberglaubens zu,
der das Ei nicht Symbol oder Mittel zu einem Zwecke, son-
dern ein Gegenstand ist, auf welchen man abergläubische Be-
Ziehungen einwirkend denkt, so tritt uns zunächst die große
Sorgfalt entgegen, welche man auf das Ansetzen der Henne
zum Brüten verwendet. Vielerlei ist dabei zu beobachten,
vor allem ist natürlich die Wahl des Tages von Bedeutung.
Ueberhanpt verboten ist der Freitag, denn die Küchlein, welche
aus solchen Eiern kommen, fressen die Vögel oder die Thiere b);
in Bayern auch der Valentinstag, weil alsdann die Eier faul
werden«); dagegen ist allgemein als der günstigste Tag, wie-
der in Folge der bereits mehrfach erwähnten Beziehung, der
Peterstag7), oder in Bayern auch der Peter-Paulstag 8), in
Frankreich aber der Fastnachtstag9), in Westpreußen über-
haupt der Donnerstag angesehen10), dieser im Volksglauben
aber nicht mehr wegen der Beziehung zum Donar, sondern
weil Gott an diesem Tage die Vögel geschaffen hatU). Nach
altrömifchem Brauche12) uud ebenso noch jetzt nach prenßi-
schem13) und böhmischem14) mußte das Huhn nach dem
Neumonde gesetzt werden; fing es früher an zu brüten, so
kam nichts aus. Die Zahl der untergelegten Eier muß eine
uupaare sein; so war es schon zu Plinius'Zeiten in Rom 15),
so ist es noch jetzt in Nord- und Süddeutschland 16). Das
Geschlecht der ausschlüpfenden Küchlein hat man dadurch in
der Gewalt, daß man je nach dem gewünschten Geschlecht
zum Nest Bettstroh aus des Mannes oder der Frau Bett
verwendet X7); im Uebrigen aber geben nach Oldenburger Er-
fahrung lauge, fpitze Eier Hähne, stumpfe Hühner18), entgegen
der altrömischen Meinung, daß gerade die runderen Eier auf
die Hähne deuten^).
Von der Person, welche die Henne zum Brüten ansetzt,
1) a. a. O. S. 289.
2) „Globus", Bd. XXXI, S. 204 (nach Klunzinger).
3) Menzel, a. a. O. Bd. II, S. 139/140.
4) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. Leipzig 1872.
S. 272.
5) Grimm, Aberglauben, Nro. 800. Zeitschr. f. d. M.
Bd. III, S. 316.
6) Grimm, Aberglauben, Nro. 917.
7) Ebendaselbst Nro. 175. Simrock, a. a. O. S. 573.
8) Grimm, Aberglauben, Nro. 902.
9) Thiers, a. a. O. Nro. 108.
1«) Wuttke, a. a. O. §. 318.
11) Ebendaselbst.
12) Plinius, Bd. X, Eap. 75.
13) H. Frischbier, Hexenspruch und Zauberbann. Berlin
1870. S. 128.
14) Grohmann, a. a. O. Nro. 1038.
is) a. a. O. Bd. X, Eap. 75.
1«) Strackerjan, a. a. O. Bd. I. S. 105. Panzer,
Bd. II, S. 295.
17) Grimm, Aberglauben, Nro. 20, 1069.
18) Strackerjan, a. a. O. Bd. I, S. 25.
19) Plinius, Bd. X, Eap. 74.
Carl Haberland: T
kann gleichfalls mancherlei Einfluß auf die künftigen Küchlein
geübt werden. Setzt man sie, wenn die Leute gerade aus
der Kirche kommen, fo kommen viel Junge aus^); dasselbe
wird bewirkt, wenn man Stecknadeln in das Nest legt2) oder
wenn man die Eier in einer Männermütze, am besten in
einer heimlich fortgenommenen, in das Nest trügt3); im
Samlande geschieht es in einer Pelzmütze unter dem Spruche:
„Glatt hinein, rauh heraus"4). Legt man die Eier unter,
wenn die Schweine einkommen, und läuft man so geschwind
als diese, während man die Eier zum Nest trägt, so kommen
auch die Eier geschwind hinter einander aus °); hat man
dabei einen Sack auf dem Kopfe, fo daß die Zipfel nach oben
stehen, fo werden die Eier alle ausgebrütet °); trägt man
einen großen Strohhut dabei, so werden die Hühner groß--
köpsig 7); läßt man die Strümpfe lottern, die Haare fliegen
und trägt einen recht schlechten Rock, so haben die Küchlein
später Köbelu auf dem Kopse und gefiederte Füße s). Bis
hierher alles Fälle von Aberglauben aus directer Aualogie.
Der französische Glaube hält es für das Brütgeschäft günstig,
wenn die setzende Person vorher recht viel Wein getrunken
hatder Masure bekreuzt das Nest dreimal und spricht
dabei den Segen ohne Amen 10); Blumen müssen von dem
Gänsenest ferngehalten werden, sonst verdirbt die Brat11),
dagegen wirkt in Litthanen auf die Gänsebrut gut die Erde,
welche man sofort auf der Stelle, wo man wilde Gänse sieht,
zusammenscharrt und in den Gänsestall trägt12). In Böh-
men werden die Gänseeier, welche man zum Brüten unter-
legt, mit dem Zeichen des Kreuzes vermittelst einer Eichen-
kohle gezeichnet und die Gans dreimal vorher herumgedreht;
kein Strohhalm darf aus dem Neste gezogen werden, dagegen
müssen in dasselbe Quendel oder Liebstöckel gelegt werden;
ist einer Gans eine Feder aus dem Flügel oder Schweif
gerissen und im Backofen verbrannt worden, so ersticken alle
ihre Jungen 13). Das Ei, welches man stets im Neste lassen
muß, wenn die Henne fortlegen soll, wird in Süddeutschland
das Bilgei genannt; vielfach wird es, da es leicht fault,
durch ein ausgepustetes oder in neuerer Zeit durch ein Ei
aus Porcellau ersetzt.
Die alten Römer hielten nach Plinius u) dafür, daß bei
Donner während der Brütezeit die Eier verdürben, und legten
einen eisernen Nagel oder Erde, welche von einem Pfluge
herausgerissen, unter das Nest, nach Colnmella 15) auch Lorbeer-
zweige oder Knoblauchwurzeln16). Noch jetzt legen die Si-
Grimm, Aberglaube, Nro. 18. Wuttke, a. a. O.
§. 318 (Schlesien).
2) Frischbier, a. a. O. S. 128.
3) Ebendaselbst S. 127.
*) Ebendaselbst S. 128.
5) Grimm, Aberglaube, Nro. 762 (Osterode).
°) Zeitschr. f. d. M., Bd. III, S. 315 (vom Jahre 1612).
7) Grimm, Aberglaube, Nro. 19.
8) Ebendaselbst Nro. 575.
9) Thiers, a. a. O. Nro. 108.
10) Frischbier, a. a. O. S. 128.
n) Ebendaselbst.
12) Ebendaselbst S. 131.
13) Grohmann, a. a. O. Nro. 1021, 1022, 1025, 1023.
i*) a. a. O. Bd. X, Cap. 75.
15) Bei Angelt) de Gubernatis. Die Thiere in der
indogermanischen Mythologie. Uebersetzt von Hartmann. Leipzig
1874. S. 554.
16) Wenn aber de Gubernatis in den Nägeln und dem
Knoblauch Symbole des Donnerkeils und des Schwefelgeruchs
des Blitzes sehen will, so erscheint dies wohl sehr weit hergeholt
und ausgeklügelt, wenn wir bedenken, wie allgemein der Ge-
brauch des Eisens und des Knoblauchs als abergläubischer Schutz-
mittel wider allerlei übele Einflüsse ist und wie wenig Aehnlich-
keit der Geruch des Knoblauchs mit dem schwefligen des Blitzes
hat, außer daß sie beide dem Geruchsorgan nicht gerade ange-
nehm sind.
- Ei im Volksglauben. 77
ciliauer aus den Boden der Nester Nägel, damit diese jedes
Geräusch absorbiren und von den Eiern abziehen sollen x),
und in Masureu geschieht dasselbe mit einem Stahl, damit
beim Gewitter die Brut nicht betäubt wird2); der Böhme
bedeckt die brütende Gans mit einer blauen Schürze, aus
daß sie die Eier nicht ausschreie3). Auch wenn sich ein
Habicht während der Brutperiode hören ließ, wurden nach
römischem Glauben die Eier fehlerhaft 4); fliegt in Böhmen
ein Trupp wilder Gänse über das Haus, worin eine Gans
brütet, so kommen die Eier nicht aus^); stürzt man in der
Zeit des Ausschlüpfens einen Topf um, so ersticken alle
Küchlein 6).
Damit die Hühner überhaupt recht viel Eier legen,
empfiehlt es sich, sie in den Zwölften mit Erbsen zu füttern''),
im Samlande am Sylvesterabend mit weißen Erbsen ^),
anderwärts in Ostpreußeu am ersten Weihnachts- und Neu-
jahrstage mit Erbsen, welche man in der Kirche während des
Segens dreimal umgedreht hat^), vielleicht weil sich dem
Geiste eine Analogie zwischen den gefütterten Erbsen und den
gewünschten Eieru darstellte, jedenfalls aber wieder wegen der
Beziehung des Hühnervolkes zum Donar, dem die Erbse
geheiligt war, wozu sich noch stellt, daß mach böhmischem
Aberglauben Erbsenstroh, aus dem Fastnachtsbären gezogen,
das Ausschlüpfen bei Hühnern und Gänsen befördert10) uud
ferner das Brütnest für die Gänse gleichfalls aus Erbseustroh
fein muß "). Ferner bewirkt man ein starkes Eierlegen,
wenn man die Hühner zu Neujahr in der Mittagsstunde mit
allerlei Früchten unter einander füttert 12); in Böhme» thut
man es zu Weihnachten mit allen Getreidearten, wobei zu
sagen ist: „Ich menge, menge lauter Eier" 13), auch giebt
man der angesetzten Gans so viel Weizen, als sie fressen
mag u). Außer diesen Mitteln, um die Hühner oder Gäuse
zum fleißigen Eierlegen zu veranlassen, hat das böhmische
Volk deren noch verschiedene; ein der Nachbarin entwendeter
Sandwisch untergelegt, die Füße der Hausfrau in das Nest
gehalten, ein todter Frosch in dasselbe gelegt, ein schöner
glatter Kieselstein über das Dach in den Hühnerhof gewor-
fett, im Frühjahr herabgefallener Mörtel von den Kirchen-
wänden ins Futter gemischt15), sind sicher wirkende Haus-
mittet, von denen wenigstens das letzte, wenn auch in aber-
glänbischer Form, einen Erfahrungssatz enthält. Füttert
man die Hühner am Fastuachtstage, indem man sie in einen
Kreis stellt, so verlegen sie die Eier nicht 16); dagegen kann
man durch Schütteln eines Erbzaunes in der Sylvesternacht,
wenn man dabei spricht: „Die Eier sind für uns; das Kra-
kein für euch," bewirken, daß die Nachbarhühner die Eier
auf den Hof des Sprechenden legen17)- Das erste Ei' einer
Henne soll man über das Dach werfen^), wohl auch mit
Rücksicht auf das fernere Eierlegen und mit dem dunkeln
Bewußtsein eines Opfers für dasselbe.
1) Gubernatis, a. a. O. S. 554.
2) Frisch bi er, a. a. O. S. 128.
3) Grohmann, a. a. O. Nro. 1021.
4) Plinius, a. a. O. Bd. X, Cap. 75.
5) Grohmann, a. a. O. Nro. 547.
6) Ebendaselbst Nro. 1032.
7) Zeitschr. f. d. M., Bd. II, S. 328, n. Strackerjan,
a. a. O. Bd. I, S. 105.
8) Frischbier, a. a. O. S. 130.
») Ebendaselbst. Wuttke, a. a. O. §. 318.
10) Grohmann, a. a. O. Nro. 1024.
") Ebendaselbst Nro. 1021.
12) Grimm, Aberglaube, Nro. 761 (Osterode).
13) Grohmann, a. a. O. Nro. 1034.
14) Ebendaselbst Nro. 1021.
15) Ebendaselbst Nro. 1033. 1039. 1040. 1041. 1035.
16) Wuttke, a. a. O. §. 318 (Franken, Hessen).
17) Frischbier, a. a. O. S. 130/131 (Masnren).
18) Wuttke, a. a. O. §. 318 (Mecklenburg und am Rheine).
78 Carl Haberland: %
Die im Deutschen gewöhnlich Wind-, seltener Angsteier
genannten Eier, welche man vom Winde, nach anderer An-
sicht auch vom Staube, in welchem sich die Tauben vor
Wollust baden sollen, empfangen glaubt, nennt Plinins x)
Urineier und erklärt sie dadurch, daß die weiblichen Tauben
einander getreten hätten, behauptet ferner auch, daß immer
das dritte Ei bei den Tauben ein solches sei. Der deutsche
Glaube nimmt aber im Allgemeinen an, daß sie, ebensowohl
als die kleinen Eier mit dünnen Schalen, durch Einfluß von
Hexen so geworden sind 2). Ein ganz kleines Hühnerei
bedeutet im Oldenburgischen sogar den bald in dem Hause
einkehrenden Tod, wovor man sich aber schützen kann, indem
man das Ei in fließendes Wasser wirft oder es in Holz ein-
pflöckt, wozu sich besonders gut die Hausständer mit ihren
Astlöchern eignen 2), in welchem Falle es nach vereinzeltem
Glauben selbst wieder das Haus vor dem Blitze schützt^).
In Böhmen sagt es eine Feuersbrunst voraus, welche durch
deu bösen Geist, von welchem das Ei herstammt, veranlaßt
wird; man schützt sich davor, indem man es über das Haus
wirft5). Auch die Beßarabier und Jakuten schieben die
Schuld der Windeier dem Teufel zu und nennen sie nach
ihm6). Die Höhlung am stumpfen Ende des Eies erklärt
man daraus in Westfalen, daß sie als ein Opfer für die
Frau entstanden sei oder daß diese das Ei gekostet habe, wo-
bei man unter Frau jetzt die Jungfrau Maria, früher aber
wohl ihre Vorgängerin, die Freyja, verstanden haben mag 7).
Eine gefährliche Sache ist es, wenn ein Hahn ein Ei
legt, was nach weitverbreitetem Glauben jeder siebenjährige
— in einzelnen Gegenden auch wohl der neun-8) oder zwölf-
jährige 9) — thuu soll, namentlich wenn er ein schwarzer ist.
Ans einem solchen Ei entsteht nämlich, wenn es in Sand
oder Mist, besonders in Noßmist, gescharrt oder anderweitig
ausgebrütet wird, der Basilisk, welcher alles mit seinem
Blicke tödtet, ein Lindwurm oder ein Drache, und zwar nach
tyrolischem Glauben der letztere, wenn das Ei an einem feuch-
ten, der Basilisk aber, wenn es an einem trockenen Orte
auskommt10). Eigentümlich dem deutschen Glauben vom
Basilisk entgegengesetzt ist die von Aeliann) mitgetheilte
Notiz, daß gerade das Krähen des Hahns den Basilisk in
Zuckungen versetzen und ihn tödten soll. Um nun nicht der
Gefahr ausgesetzt zu seiu, einem solchen Ungethüm zum Da-
sein zu verhelfen, ist es uöthig, wenn man nicht wie in Tyrol
überhaupt keinen Hahn das sechste Jahr überschreiten läßt,
sondern ihn vorher schlachtet^), daß man einen Stein von
der Schwere eines Centner auf das Ei fallen läßt13), oder
es verbrenntH), oder es über das Dach wirst 15); unterläßt
luan letzteres, so schlägt der Blitz ins Hans 1G).
Außer dem Basilisken können aber Eier auch noch anderen
Wesen des Volksglaubens das Leben geben und tritt hierbei
dann als beliebtestes Mittel zun: Ausbrüten das Tragen in
der Achselhöhle eiues Menschen hervor. So ist in Böhmen
allgemeiner Glaube, daß, wenn man das erste Ei einer
1) a. a. O. Bd. X, Cap. 78. 80.
2) Strackerjan, a. a. O. Bd. I, S. 345.
s) Strackerjan, a. a. O. Bd. II, S. 134/135.
4) Ebendaselbst Bd. I, S. 25.
5) Grohmann, a. a. O. Nro. 1036.
6) „Globus", Bd. X, S. 204.
7) Montanus, a. 0. O. Bd. I, S. 150.
8) Rochholz, Kinderlied, S. 232.
v) Leoprechting, a. a. O. S. 78.
10) Alpenburg, a. a. O. S. 376.
n) Thiergeschichte, Bd. III, Cap. 31.
12) Alpenburg, a. a. O. S. 377.
Rochholz, Kinderlied, S. 232.
u) Strackerjan, a. a. O. Bd. II, S. 97.
*5) Grimm, Aberglauben, Nro. 583 (Pforzheim).
16) Ebendaselbst.
i Ei im Volksglauben.
schwarzen Henne neun Tage lang unter der linken Schulter
trägt, daraus der Sotek hervorgeht, welcher seinem Herrn
alles, was dieser wünscht, verschafft^), oder nach einer an-
dern Version, daß man dieses Ei sieben Wochen lang so tra-
gen muß, um einem kleinen Männchen, welches die Gabe
des Unsichtbarmachens verleiht, das Leben zu geben2); in
einer Sage aus dem Jnnkreis muß gleichfalls ein Ei, aus
welchem dann ein dienender Teufel entsteht, neun Tage in
beschriebener Weise getragen werden3), ebenso in den nn-
garischen Sagen das fünfeckige Ei, woraus das mythische
Pferd Tatos hervorgeht, sieben Sommer und Winter lang 4).
Nach böhmischem Glauben kann man überhaupt mit dem
ersten und letzten Ei einer schwarzen Henne hexen und z. B. das
Hans gegen Hexen und Zauberer schützen, wenn man es
über das Dach wirft; diese Zauberkraft kommt ihm aber
daher, daß es das Product einer Vermischung mit der Haus-
schlange und in Folge dessen ohne Dotter ist 5).
Auch in den Sagen anderer Völker spielt das Ei bei den
Geburten mythischer Persönlichkeiten eine bedeutende Rolle,
ebenso als Weltei in den verschiedenen Kosmogonien. Die
syrische Aphrodite wird aus einem Ei geboren, welches die
Fische im Enphrat fanden und dann eine Taube am Ufer
ausbrütete"), ebenso entstand die Helena aus einem solchen.
Eine alte koreanische in chinesischen Werken aufbewahrte Tra-
dition kennt die ähnliche Geburt eines Helden aus einem
Ei, welches seine von den Sonnenstrahlen schwangere Mutter
hervorbringt und welches diese, nachdem alle Mittel, es zu
vernichten, da Schweine, Rinder und Pferde, welche es zer-
treten sollten, ihm auswichen, vergebens gewesen waren, in
einen Stoff hüllte und es so lange an einen warmen Ort
stellte, bis daß der Knabe die Schale sprengte7). Der perua-
nische Mythus läßt drei Eier vom Himmel fallen, ein gol-
denes, ein silbernes, ein kupfernes, und daraus die Fürsten,
den Adel und das gemeine Volk entstehen 8).
Der Geuuß des Eies als eines Nahrungsmittels ist durch
den europäischen Volksglauben, außer daß er, wenigstens in
Deutschland, das Essen desselben ohne Salz verbietet und
mit Fieber bedroht9), in keiner Weise beschränkt ; anders aber
bei den außereuropäischen Völkern. Da tritt unter Einfluß
verschiedener Gründe, namentlich aber weil die Nahrung des
Huhnes oft keine reinliche ist und es Gewürm und dergleichen
durchaus nicht verschmäht, vielfach die Meinung auf, daß das
Ei keine passende Nahrung und daher besser von den Nahruugs-
Mitteln auszuschließen ist. So verschmähten die meisten
Völkerschaften des östlichen Afrika, ehe der arabische Einfluß
bei mehreren dies änderte, mit den Hühnern auch den Genuß
der Eier, und der Widerwille gegen letztere hat sich, wie
z. B. bei den Wanyamwezi, erhalten, obgleich die Abneigung
gegen den Genuß des Hühnerfleisches geschwunden ist 10).
Vielen derselben ist aber überhaupt auch jetzt noch der Genuß
von Hühnern und Eiern ein Gräuel; die Abessiuier halten
zwar Hühner, verschmähen aber, sie zu genießen, die Eier
1) Grohmann, a. a. O. Nro. 77.
2) Ebendaselbst Nro. 544.
3) Duller, Das deutsche Volk. Leipzig 1847. S. 45.
*) Gubernatis, 0. a. O. S. 222.
5) Grohmann, a. a. O. Nro. 543.
6) L. Preller, Griechische Mythologie. Berlin 1872/75.
Bd. II, S. 92.
7) A. Pfizmaier, Nachrichten von den alten Bewohnern
des heutigen Korea (in den Sitzungsberichten der Wiener Aka-
demie) Bd. LXXVII, S. 495.
8) I. G. Müller, Geschichte der amerikanischen Urreligionen.
Basel 1867. S. 327.
9) Wuttke, a. a. O. §. 206.
i°) K. Andree, Forschungsreisen in Arabien und in Ostafrika
nach Burton:c. Leipzig 1361. Bd. II, S. 218. 230. 324. 520.
Aus allen
sind, wenigstens den Frauen, verboten^); die Somali halten
überhaupt keine Hühner 2). In Sendschero und weiter nach
Süden, wie in Udschidschi^), dann bei den Kaffern, jedoch
mit Ausnahme der inneren Stämme4), finden wir gleich-
falls das Verschmähen des Eies als eines unpassenden
Nahrungsmittels. Auch im westlichen Afrika fand Mungo
Park5) bei den Mandingos, daß die Eier den Frauen ver-
boten waren und schon ein solches ihnen anzubieten als Be-
leidigung galt. Selbst unter den Mohammedanern hat in:
10. Jahrhundert im nördlichen Afrika eine Secte existirt,
welche gänzlich den Genuß der Eier verbot 6). Als Fasten-
speise wurden übrigens vom Christenthum die Eier erst im
16. Jahrhundert gestattet?). In Indien verschmähen die
besseren Classen das Ei als ein unreines Nahrungsmittel8),
eigentümlicher Weise auch ein ganz wilder Stamm auf For-
mosa, die SaprZks ; in Amerika schlössen es die Cariben 10)
und die Abiponer U) von ihrer Nahrung aus.
Vielfach hat sich auch das Volksrüthsel des Eies als eines
sehr passenden Objectes bemächtigt und wollen wir als Schluß
einen kurzen Abriß seiner Verwendung durch dasselbe, meist
nach dem von Manu Hardt12) gesammelten Material, geben.
Zunächst ist es da ein kleines weißes Faß, welches sich öffnet,
aber nicht schließt (spanisch), oder ein Eimer ohne Reif
(Böhmerwald), ein Bottich ohne Bände mit zweierlei Gnmpis
(Aargau)13), eine Tonne aus Engelland mit zweierlei Bier
(Schleswig-Holstein)14), ja selbst die Kanaresen in Ostindien
sollen nach Mannhardt dieses Räthsel vom Faß mit den bei-
den Getränken haben. Wie ein Faß ohne Band ist das Ei
auch ein Häubchen oder ein Hemd ohne Naht und Draht,
bei den Jnselschweden sind es nicht zwei Sorten Bier, sondern
zwei Herren in thürloser Kammer. Das nordische Räthsel
kennt den Inhalt des Schwaneneies als ein Bier, welches
nicht mit Händen oder Hämmern geschlagen ist und dessen
Verfertiger draußen bei den Inseln dabei thätig war 15).
1) Zeitschrift für Ethnologie, Bd. VI. S. 639/40.
2) v. d. Decken, a. a. O. Bd. II, S. 318.
3) Andree, a. a. O. Bd. II, S. 230. 520.
4) Fr. Müller, Allgemeine Ethnologie. Wien 1873.
S. 157.
b) a. a. O. S. 64.
6) A. v. Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des
Islams. Leipzig 1868. S. 384.
7) Lammert, a. a. O. S. 41.
8) J.Kerr, The domestic life, character and customs
of the natives of' India. London 1865. p. 297.
f) „ Gl 0 bus ", Bd. XXXI, S. 200.
i°) Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker. Leipzig
1859/72. Bd. III, S. 384.
11) Ebendaselbst Bd. VI, S. 162.
12) Zeitschr. f. d. M., Bd. IV, S. 394 sf.
13) R 0 chh 0 lz, Kinderlied, S. 234. Gumpis erklärt Noch-
holz durch „Schwappelu des eingemachten Sauerkrautes".
14) Müllenhof iu Zeitschr. f. d. M., Bd. III, S. 7.
15) Ebendaselbst.
Erdth eilen. 79
In einer fernern Reihe erscheint das Ei als ein weißes
Klösterchen oder Häuschen ohne Thür und Fenster, auch wohl
mit einem marmelsteinernen Walle, und der dasselbe bewoh-
nende Wirth oder das gelbe Männchen muß, wenn es heraus
will, gewöhnlich erst die Wand durchbrechen, oder es kommt
auch wohl auf Anklopfen fchon heraus und öffnet. Das
thürlose Haus ist in anderen Räthseln wieder mit Speise
gefüllt (Faröer), oder es wächst Fleisch und Bein in ihm,
oder es erscheint in ihm, dessen Marmorwand mit einer Haut
so weich wie Seide bedeckt ist, in einer krystallhellen Quelle
ein goldener Apfel (England), wohl die poetischste Form des
Eierräthsels, womit am schärfsten das einfache jütische „fett
von innen und mager von außen" contrastirt. Diese Haut,
„welche inwendig in der Eierschale liegt", wählt auch die
Edda^), zur Bezeichnung tadellosester Weiße, so weiß wird
alles, was in Urds Brunnen kommt, durch die Heiligkeit
desselben.
Weit verbreitet ist ferner der Vergleich des Dotters mit
einer gelben Blume in einer weißen Stadt oder einem weißen
Berge, welche erst ganz zerbrochen werden müssen, wenn man
die Blume pflücken will, wobei es interessant ist, zu verfolgen,
wie für die ursprüngliche weiße Stadt, ein sehr naheliegender
Vergleich, sich nach und nach, mehrfach der geographischen
Verbreitung des Räthsels entsprechend, bestimmte Oertlich-
leiten eingeschoben haben. So, sich am natürlichsten bietend,
die Stadt Wittenberg (Lübeck), dann Weißenau (Pommerellen),
Wissenburg (Aargan), und zwar ist hier die Bünne ein
Schloß, während sie in Wittenberg ein Dom ist. Der Dom
tritt in Folge dessen auch ohne Angabe der Oertlichkeit ein,
oder dem Wittenberger Dome substituirt sich der der betres-
senden Gegend bekannteste oder nächstgelegene, so daß wir in
diesem Räthsel in Anhalt Magdeburg, im Harz Halberstadt
für Wittenberg finden. Die gelbe Blume wird aber auch
zur vergrabenen goldenen Uhr, und hier bewahrt das oft-
preußische Räthsel noch die Erinnerung an Wittenberg, indem
es die Uhr hinter Wittenberg und Berlin vergraben sein läßt,
während das pommerellische Räthsel die Gegend nur als
zwischen Potsdam und Berlin liegend bezeichnet, so daß wir
verfolgen können, wie der ursprünglich klare und passende
Vergleich im Verfolg seiner Entwicklung unverständlich und
bedeutungslos wird, ein Schicksal, welches ebenso auch Mythe
und Aberglauben in ihrem Werden und Wachsen trifft und
die sichere Deutung von beiden oft so schwer oder unmöglich
macht. Als Schluß wollen wir endlich noch des verbreitet-
sten Räthsels gedeukeu, welches wohl jedem Leser noch aus
seiner Kindheit erinnerlich sein wird: „Weiß wirft Ulan es
aufs Dach und gelb kommt es wieder herunter; was ist das?"
*) Gylsaginning 16.
Aus allen
Australien.
— Der Capitän eines kürzlich in Hongkong eingelan-
fenen deutschen Dampfers veröffentlicht einen interessanten
Bericht über Naturerscheinungen auf der Insel Nenbritan-
nien in der Südsee. Er fand die ganze nordöstliche Küste
in dichtesten Rauch gehüllt und hatte die größte Mühe, den
Canal zwischen genannter Insel und der Insel Neu-Jr-
5 r d t h e i l e n.
land zu Passiren, da vier Fuß dicke Felder Bimsstein die
Oberfläche des Wassers bedeckten. Am 9. Februar erreichte
er Makada (Duke-os-Aork-Gruppe) und fand hier, daß auf
der Halbinsel Nenbritannien, am Fuße der sogenannten
Mutter- uud Töchter-Berge, drei Krater ausgebrochen waren,
welche ununterbrochen dichte Massen von Bimsstein auswar-
fen. Die Passage zwischen der Insel Duke of Jork und der
Blanche-Bay war durch eine compacte 5 Fuß dicke Masse
80
Aus allen Erdtheilen.
von Bimsstein vollständig blockirt. Am 10. Februar wälzte sich
eine Sturmflnth über die Blauche-Bay und kurz darauf kam
eine neue Insel zum Vorschein, welche ungefähr % Meilen
im Durchmesser hat. Dieselbe liegt im Süden von Heuder-
sou-Jusel und befindet sich auf einer Stelle, wo man früher
nicht unter 17 Faden tief Boden fand. Es ist wahrschein-
lich, daß andere Veränderungen stattgefunden haben, deren
Erforschung jedoch wegen der Massen schwimmenden Bims-
steins zur Zeit unmöglich war. Der Capitän des erwähn-
teu Schiffes meldet ferner, daß das Wasser in der Blanche-
Bay während zweier Tage brühheiß gewesen und ungeheure
Massen gesottener Fische und Schildkröten ans Land trieben,
welche von den in Folge der ungewöhnlichen Trockenheit an
einer Hungersnot!) leidenden Eingeborenen begierig verschlnn-
gen wurden.
— Von den Gambier-Jnseln im Stillen Ocean kom-
meu nicht allznhäusig Berichte. Jetzt giebt der französische
Marinearzt Dr. Brassae (in den Archives de medecine
navale T. XXVI) einige Mittheilungen, aus denen wir ent-
nehmen, daß seit 1834 dort die katholischen Missionäre
der Congregation von Picpus sich niedergelassen und eine
gewisse äußerliche Civilisatiou verbreitet haben, von der
Dr. Brassae indessen wenig erbaut ist. Das Hauptresultat
ihrer Bemühungen besteht im Tragen europäischer Kleider
Seitens der Eingeborenen, welche vergnügt an Bord der
„Astrolabe" und „Zelee" kamen „ötant leur chapeau avec
l'air de bourgeois endimanches"; dabei hatten sie nackte
Füße. Nach Hause zurückgekehrt warfen sie aber ihre Hosen
ab, wie wir bei der Heimkehr die Handschuhe ausziehen.
Die Häuser, welche ihnen die Missionäre erbaut haben, er-
weckten in den Eingeborenen keineswegs das Bedürsniß darin
zu wohnen. Die meisten sind schon in Ruinen, unbewohnt,
theils weil die Familien ganz ausstarben, theils weil man
sich scheut in einem Hanse zu wohnen, in dem Jemand ge-
starben ist. Die bewohnten Häuser aber haben weder Thü-
ren, noch Fenster, noch Decke und sind von empörender Un-
sauberkeit. Skrofeln und Phthisis sind sehr verbreitet, und
in wenigen Jahren werden die Gambier-Jnsnlaner gauz
ausgestorben sein. Dr. Brassae schreibt dieses Aussterben
consangninen Heirathen zn; doch dürfte diese Ansicht gegen-
über den neuen Erfahrungen über diesen Gegenstand nicht
stichhaltig sein. _
A in e r i k a.
— Der einst so gefeierte General John E. Fremont
ist jetzt gänzlich verarmt. Thatsache ist, daß er von seinem
großen Vermögen nichts mehr hat. Im Januar dieses Iah-
res wurden in Nenyork sogar seine Bücher und Gemälde
und sein Hansgeräth vom Sherif verkauft. So berichten
amerikanische Zeitungen von dem einst berühmten Reisenden
und Pfadsinder, der 1842 die erfolgreiche Expedition in die
Rocky Mountains ausführte und später die Geographie
Utahs und Californiens feststellte. Einer der höchsten Piks
der Felsengebirge trägt seinen Namen, er war amerikanischer
Präsidentschaftscaudidat und zuletzt ein Speeulaut und Grün-
der, der sein Elend selbst verschuldete. (Inzwischen ist er zum
Gouverneur von Arizona ernannt worden.)
— In einem zu San Francisco erscheinenden englischen
Blatte lesen wir: Unsere Stadt hat bisher wenig gethan, um
ihre reichste Nachbarin sich unterthan zu machen; denn der
Handel an der Westküste Mexicos ist seit vielenJahren
fast ganz in den Händen deutscher Kaufleute. Es giebt
Inhalt: Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar. II. (Mit fünf Abbildungen.) — E. Favre's und
B. Maudrot's Reise in Kilikien 1874. I. — Carl Haberland: Das Ei im Volksglauben. II. (Schluß.) — Aus allen
Erdtheilen: Australien. — Amerika. — (Schluß der Redaction 7. Juli 1878.)
auch einige wenige Franzosen und Engländer dort, doch die
Deutschen überwiegen bei Weitem. Das Geschäft, wie sie es
betreiben, erfordert ein ungeheures Capital, und wenn auch,
von uuserm Geschäftsstandpunkt aus betrachtet, die Methode
verwerflich erscheint, so hat ihr System doch zu dem Mono-
Pol geführt, das sie wegen ihrer Voraussicht und ihres Unter-
nehmuugsgeistes wohl verdienen. Sie haben das alte spa-
nische System der „Expeditionen" angenommen, wonach jedes
große Hans ein, zwei oder auch drei Schiffsladungen im
Jahre importirt. Einen oder zwei Monate vor Ankunft des
Schiffes eröffnet der Kaufmann, z. B. in Mazatlan, mit der
Steuerbehörde Verhandlungen und fragt sie, um welchen
Preis sie die Ladung zulassen will. Da es sich hierbei nun
um Summen von 150 000 bis 300 000 Doll. handelt, so sieht
man, wie wichtig die Steuerfrage für beide Theile ist. Ist
der Steuereinnehmer hart und besteht er ans einer hohen For-
dernng, so läßt der Kaufmann sein Schiff vor dem Hafen
kreuzen und setzt sich mit den Steuerbehörden anderer Häfen,
wie Gnaymas, Acapnlco oder Sau Blas, in Verbindung,
die ihm vielleicht mehr Nachlaß gewähren. Von dort bringt
er dann seine Waaren in Küstenfahrzeugen nach Mazatlan
und spart 20, 30 oder 40 Proe. von den nominellen Abgaben.
Das ist schon ein tüchtiger Gewinn und ermöglicht es dem
Hause, acht Mouate oder selbst ein Jahr Credit zu gewähren.
So haben denn auch viele dieser großen deutschen Häuser x/2
bis iy2 Mill. Doll. Außenstände und dabei vielleicht noch für
1 Mill. Doll. Waaren in Vorrath und eben so viel auf der
See schwimmend. Sicher, amerikanische Fabrikanten können
hier nicht mehr eoneurriren, die mexieanischen Westhäfen
sind für sie so gut wie versiegelt." So erzählt „Overland
Monthly"; wir registriren dies Urtheil als Zeichen, daß doch
nicht überall unser Handel in Verfall ist.
— Wie die „Brazil and River Plate Mail" vom 23. Mai
1878 berichtet, ist in Patagonien Gold gefunden worden,
nicht in solchen Mengen freilich wie in Californien oder
Australien, aber in weit größerer Verbreitung, von den Aus-
läuferu der Andes an bis an den Atlantischen Ocean und
vom Rio Santa Cruz bis zum Feuerlande hin. Der wahre
Sachverhalt ist bei der mitunter etwas rosensarbenen Dar-
stellnng jener Zeitung abzuwarten.
— M. Vaillant weist in seiner für die Pariser Welt-
ausstellung bearbeiteten Statistik nach, daß die Staaten am
La Plata im Verhältniß zur Bevölkerung mehr Vieh be-
sitzen als irgend ein anderes Land. Die betreffenden Zah-
len sind:
Kühe Schafe
Europa....... 89 678 248 194 026 236
Vereinigte Staaten . . 26 923 400 33 938 200
Australien . . . - . . 5 759 672 58 052180
Canada....... 2 624 290 3 155 509
Argentinische Republik. 13 493 099 57 546 413
Uruguay....... 6 092 488 12 189 511
Auf jeden Einwohner entfallen in Australien 2 Kühe
und 20 Schafe, am La Plata aber 8 Kühe und 28 Schafe,
in den Vereinigten Staaten nur y2 Kuh und 3/4 Schafe, in
Europa gar noch weniger. Die Moral davon ist, nach dem
„Standard" von Buenos Ayres, daß die Länder am La Plata
im 20. Jahrhundert das große Weidegebiet der Welt sein
werden und keine Zeit verlieren sollten mit Versuchen, Tuche,
Porcellau und dergleichen Dinge, die sie billiger und besser
aus Europa beziehen können, selbst herzustellen.
Redakteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vrannschweig.
K>-
T
Band XXXIV.
JUS 6.
Mit besonderer Derürksiclitigung der Antkroyologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten i nwn
-OtUUIl [ CtyJDcly zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. *
Von Sir Forsytl/s Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
in.
Lagerplatz Sandschu. Am 31. October haben wir
bei Tagesanbruch unsere Reise wieder angetreten, nachdem
wir unsere 110 Maulthiere vorangeschickt hatten, damit sie
heute den 16 000 Fuß (4880 Meter) hohen Sandschu-Paß
überschreiten. Ihre Lasten werden von Jaks getragen. Wir
selbst bedienen uns nun zum dritten Male dieser sonderbaren
Reitthiere, welche sehr muthig sind, aber dabei ebenso wider-
spenstig und störrisch, wie ihre Herren, die Kirghizen. Bald
stürzen sie ungestüm vorwärts auf die Gefahr hin, uns den
Hals zubrechen, bald legen sie sich gemächlich auf den Schnee
und käuen ruhig wieder, ohne sich im geringsten um
die Schläge zu kümmern, die man ihnen hinten auszählt,
während man sie vorn an Stricken emporzureißen versucht;
bald auch traben sie rasch steile Abhänge hinab und werfen
ihren Reiter zu Boden. Jeder von uns mußte erst einen
Jak nach dem andern Probiren, ehe er einen herausfand, der
sich den Wünschen seines Herrn anzubequemen vermochte.
Der Weg war ebenso schwierig, als die Reitthiere lau-
Ulsch: an der einen Stelle führte er durch eine so enge Felsen-
spalte, daß nur eben ein Jak hindurch Passiren konnte; dann
wieder standen wir vor riesigen Felswänden von mehreren
tausend Fuß Höhe, welche von leuchtendem Schnee bedeckt
Ovaren. Auf allen Seiten hoben sich die Umrisse schroffer
^lpfel von dem herrlich blauen Himmel ab; zuweilen zeigten
Uch auch Adler, deren unteres Gefieder von solch blendender
^eiße war, daß es selbst von dem schneeigen Hintergrunde
™ch abstach.
Unterwegs überholten wir unsere Maulthiere, welche
warten mußten, weil der Weg durch die Ballen einer ent-
gegenkommenden Karawane versperrt war. Etwa 1500 Fuß
9lng der Anstieg fast senkrecht in die Höhe. Man hatte
War in dem Schnee einen Pfad hergestellt; derselbe war
so glatt und schlüpferig, daß es uns außerordentlich
Globus XXXIV. Nr. 6.
schwer wurde, auf ihm vorwärts zu kommen. Nur mit der
äußersten Anstrengung erreichten wir die Höhe des Passes;
dort aber sahen wir uns einem für unsere Maulthiere wahr-
Haft fürchterlichen Hindernisse gegenüber: eine riesige glatte
Eisscholle bedeckte den Weg aus 100 Fuß Länge. Trotz der
großen Kälte und des schneidenden Windes setzte sich
Mr. Forsyth auf den Rand derselben und überwachte Person-
lich den Uebergang der Thiere über das Eis, dessen Ober-
fläche man mit Hacken rauh gemacht und dann mit Teppichen
und Decken belegt hatte. Aber selbst bei diesen außerordent-
lichen Vorsichtsmaßregeln geschah der Uebergang nicht nur
mit vieler Mühe und Leiden, sondern auch unter einigen Un-
glücksfällen und Verlusten. Nie werde ich die wahnsinnigen
Anstrengungen der armen Thiere vergessen, auf dem schmalen,
für sie hergerichteten Pfade das Gleichgewicht zu wahren.
Mehrere stürzten und gingen zu Grunde; eines fiel über den
Rand des Felsens, überschlug sich in der Luft, schlug von
Zeit zu Zeit gegen hervorstehende Felsen und blieb schließlich
aus einem kleinen schneebedeckten Plateau liegen. Mit einem
aus Neugier und Mitleid gemischten Gefühle hatten wir
seinem schrecklichen Sturze zugesehen und glaubten, daß es
lange, bevor es liegen blieb, tobt gewesen sei, als es plötzlich
aufstand, sich schüttelte und kurze Zeit darauf sich der langen
Reihe seiner Gefährten wieder anschloß.
Um vier Uhr lag endlich die Eisbank hinter uns; aber
nun begann es zu fchneen und der Himmel wurde so dunkel,
daß wir unserer Sicherheit wegen den Marsch beschleunigen
mußten. Dazu war der Abstieg noch steiler, als der Anstieg;
der Weg war mit Thierleichen besäet; die Samnthiere wag-
ten sich nicht vorwärts, blieben, sobald sie einen festen Stand-
punkt gefunden hatten, unbeweglich stehen und versperrten
den Weg. Endlich erreichten wir kletternd, gleitend, mit
Händen und Füßen uns helfend und durch die Maulthier-
11
I
Uebergang Uber den Sandschu-Paß. lNach einer Aquarelle Chapman's.)
Von Sir Forsyth's Gesa:
Herde uns einen Weg bahnend, bei Anbruch der Nacht das
Ende des Abhanges und bestiegen unsere Pontes wieder.
Um 8 Uhr Abends waren wir im Dorfe Getschga,
wo wir die Nacht ohne Betten oder Bettzeug in einer Kir-
ghizen - Hütte, um ein kleines Feuer gedrängt, zubrachten,
voller Unruhe um das Schicksal unserer im Paßübergang zu-
rückgebliebenen Diener und Thiere. Als dieselben endlich
zu uns gestoßen waren, fehlten von letzteren nur elf, wäh-
rend die Leute sich einzelne Glieder mehr oder weniger er-
froren hatten.
Da der Wasserstand im Sandschn-Flusse ein niedriger
war, so konnten wir unsere Reise an seinem Ufer entlang
fortsetzen, anstatt die viel längere, östlicher gelegene Straße
schastsreise nach Kaschgar. 83
über den 11847 Fuß (3614 Meter) hohen Tschutschu-
Paß, welche im Sommer bei Hochwasser genommen werden
muß, einzuschlagen. Gerade als wir Tnrkestan erreichten,
hatte der Winter begonnen, und das ganze Land war, wie
man dort sagt, vom Froste „verbrannt". Hier und da stan-
den unweit des Flusses an geschützten Stellen die Akoi oder
Fellzelte der Kirghizen. Bald aber kamen wir in besser be-
wohnte und angebaute Gebiete. In einem Gehöfte brachte
Gordon die Leute durch ein kleines Geschenk dahin, daß sie
ihm zu seinen Skizzen saßen. Hatte man bei solchen Ge-
legenheiten einmal den ersten Widerstand der Eingeborenen
gegen das „Sitzen" überwunden, und hatte ihr anfänglicher
Argwohn gegen solche sonderbare Bitte erst der Neugier beim
Einwohner von Kargalik. (Nach
Anblick des arbeitenden Zeichenstiftes oder Pinsels Platz ge-
macht, so führte der Aelteste der „Kotsch" oder Familien
meist die jüngste und hübscheste der Zuschauerinnen eilends
^veg, und bald erschien dieselbe wieder, mit einem großblmni-
gen, bunten Kleide augethan und ein Kind auf dem Arme
und wurde von dem Aeltesten als ein würdiges Modell
empfohlen. Als Kopfputz tragen die kirghizischen Frauen
eme Art Turban von weißer Leinewand, welcher eine enge
farbige Kappe bedeckt. Das Ende des Turbans wird unter
dein Kinne hindurch und über die Ohren geschlungen. Ihre
Kleider bestehen aus weißem oder buntem Kattun, der im
-Winter mit roher Baumwolle gefüttert wird. Alte kirghi-
Zische Frauen tragen am rechten Arme einen silbernen Ning
wid halten ihre hohen Kleider am Halse mit einer silbernen
Nadel zusammen. Von Frauen in Osttnrkestan werden diese
Schmucksachen, so viel wir bemerken konnten, nicht getragen,
r/! ganze weibliche Hälfte der kirghizischen Bevölkerung be-
ichastigt sich mit der Fabrikation von Filz.
Kargalik. Am 30. October sind wir in Sandschn
einer Photographie Chapman's.)
angelangt (der Ort liegt dort, wo der gleichnamige Fluß aus
dem Gebirge in die große tnrkestanische Ebene tritt). Wir mach-
ten daselbst einen zweitägigen Halt, um Sjad Jakub Chan
Tora und namentlich zwei Batterien gezogener Gebirgs-
kanonen, ein Geschenk des Chedive an den Atalik, zu erwar-
ten; zum Transporte dieser und noch anderer schwerer Dinge
wurden zweihöckerige Kamele erwartet. Am 2. November-
endlich brachen wir auf, zogen gegen Nordwesten am Fuße
des Gebirges hin und erreichten am 5. die blühende Stadt
Kargalik. Die ganze Gegend, welche wir von jenen Ein-
öden an durchzogen haben, war gut angebaut und mit netten
kleinen Häusern aus Erde oder Holz übersäet. Trotz der
Winterszeit gewährt das Land einen lachenden, angenehmen
Anblick und ist durch hübsche Gruppen von Pappeln und
Weiden belebt. Die Einwohner sind hier friedlich und ziem-
lich intelligent; leider sind aber viele von ihnen durch abscheu-
liche Kröpfe entstellt. Bor ihren Unterdrückern leben sie in
großer Angst.
In Kargalik hatte man für uns in Zeit von drei Wo-
11*
Von Sir Forsyth's Gesm
chen eigens eine sehr hübsche Wohnung erbaut. Sie bestand
zwar nur aus Erde, machte aber ihrem Baumeister alle Ehre;
es war ein Quadrat von etwa 60 Meter Seitenlänge und
war in Kammern getheilt, welche rings um einen Mittelhof
lagen. Hier sind wir wahrhaftig wieder inmitten der Civili-
sation; gleich beim Eintritt in die Stadt begegnete uns eine
vortreffliche Araba (zweiräderiger Karren), in welcher eine
ganze Familie reiste, etwa wie die Zigeuner in Europa, aber
dabei mit ganz außergewöhnlichem Eomfort. Drei fette Po-
nies zogen den Karren, einer in die Deichsel gespannt, die
beiden anderen davor.
Unsere Unterkunft war so vortrefflich, daß uns diese Zu-
rüstuugen bei unserm lebhaften Verlangen, vorwärts zu kom-
men, anfangs Furcht erweckten; denn wir konnten nicht glau-
Beamte des Dadkwah von Jarkand.
dem Momente begrüßt, wo sie zwischen Sandschu und Kar-
galik einen Theil des ihm untergebenen Gebietes überschritt.
Auch machte er uns ein Geschenk an Wild, unter welchem
wir zum ersten Male den nach unserm oben erwähnten Lands-
mann benannten und von ihm zuerst beschriebenen Shaw-
Fasanen sahen. Auf den ersten Blick sieht er genau so aus,
wie ein englischer Fasan. Aus den Berghöhen über Sand-
schu sollen Steinböcke vorkommen, aber wir konnten nicht
Jagd auf dieselben machen.
Jarkand. Am 8. November bekamen wir endlich die
Stadt Jarkand zu Gesicht. Diese commercielle Hauptstadt
Ostturkestans liegt unter 38» 25' nördl Br. und 77« 15' 55"
östl. L. v. Gr. in einer Höhe von 3923 Fuß (1195 Meter)
über dem Meere. Seit Marco Polo's Zeiten, d. h. seit
schaftsreise nach Kaschgar. 85
ben, daß dieselben nur für einen kurzen Aufenthalt bestimmt
sein könnten. Die Zimmer waren mit Teppichen belegt und
mit Kaminen, die nicht rauchten, ausgestattet, ein Luxus, der
für uns nach der seit Leh ausgestandenen Kälte den größten
Reiz hatte.
Kargalik liegt an der Hauptstraße, welche von Jarkand
nach Guma nnd Ehotan führt; dort stoßen die Wege zusam-
men, welche einerseits von Leh über den Sandschn-Paß, das
Kiliau-Gebirge uud den westlich von letztem liegenden Jangi-
dawan führen, andererseits vom Pamir herunterkommen, von
Taschkurgan längs des Sirikul-Flusses. Diese strategische
Wichtigkeit des Ortes hatten die Chinesen wohl erkannt und
dort ein Fort gebaut, was heute in Trümmern liegt.
Der „Häfim" von Guma hatte unsere Gesandtschaft in
einer Photographie Chapman's.)
fünf und einem halben Jahrhundert hat sich ihr Aussehen
wahrscheinlich nicht sehr geändert. Die alte Stadt ist ganz
aus Erde aufgeführt und von einer gleichfalls ans Erde be-
stehenden Mauer von 25 bis 30 Fuß Höhe umgeben, durch
welche vier Hauptthore führen. Irgend welche Merkwürdig-
feiten enthält sie nicht. Nachdem wir sie durchritten hatten,
erreichten wir die Neustadt, Jaugi-schahr, welche etwas höher
liegt, als die Altstadt. Dort residirt ein „Dadkwah" oder
Gouverneur mit seinen Beamten.
Unsere Behausung ist dieselbe, welche Mr. Forsyth1870
inne gehabt hatte. Die Zimmer sehen gut aus, haben treff-
liche Kamine und sehr prächtige Teppiche, beides wichtige
Dinge, denn Nachts friert es stark. Bei unserer Ankunft
wurden wir sowohl von der Bevölkerung wie von den Beam-
86
H. Kiepert: Die neuen Staatengrenzen auf der Balkanhalbinsel.
ten ausnehmend gut empfangen. Jakub Chan, dessen Er-
folge in Indien und Konstantinopel bekannt sind, hatte sich
einer begeisterten Aufnahme zu erfreuen. Uns begrüßte an
der Spitze feiner berittenen Leibwache der Sohn des Gou-
verneurs, welchem eine Menge von'Einwohnern der Stadt,
alle zu Pferde und in ihre schönsten, farbenprächtigen Fest-
gewänder gekleidet, das Geleite gaben. Wir unsererseits hat-
ten eine Escorte von Reiterei und Fußvolk, aus 22 Soldaten
der Peudschab-Armee bestehend, welche durch ihre stramme Hal-
tuug allgemeine Aufmerksamkeit erregten. Ihre Pferde hatten
während des Uebergangs über den Karakornm viel Pflege
erhalten und befanden sich darum in gutem Zustande. Auch
die Fußsoldaten hatten wir beritten gemacht und ließen jeden
für fein Thier und sein Sattelzeug fleißig Sorge tragen.
Am Tage nach unserer Ankunft statteten wir dem
Dadkwah von Jarkand, Mohammed-Junas, unfern Besuch
ab. Gegen zwei Uhr verließen wir unsere Wohnung, und
zwar zu Pferde, obwohl die Entfernung nur ganz unbedeu-
tend war. Uns voran schritten der Sergeant Rhind vom
92. Regiment Hochländer, dessen Nationaltracht großes Auf-
sehen machte, unser Dudelsackpfeifer und fünfzehn Leute,
welche auf Brettern allerlei prächtige Geschenke trugen.
Am ersten Thore war eine ansehnliche Wachmannschaft
aufgestellt; drinnen empfing uns der Sohn des Dadkwah,
schüttelte jedem von uns der Reihe nach die Hand und er-
kündigte sich nach nnserm Befinden, worauf wir zu antworten
hatten: „Mit Euerer Gunst, mir geht es vortrefflich."
Diese Worte flüsterte man uns Türkisch zu, und wir wieder-
holten sie, so gut es ging; auch in jener zweiten Höslichkeits-
bezeugung, sich gegenseitig den Bart mit der Hand zu strei-
cheii, bewiesen wir noch viel Unersahrenheit. Der „Salam"
besteht darin, daß man beide Hände auf das Herz legt und
sich mit einer Bewegung verbeugt, welche an das Gebahren
einer seekranken Person erinnert. Schließlich waren wir mit
diesen Ceremonien fertig und konnten drei Höfe durchschreiten,
in welchen verschiedene bewaffnete Wachen sich befanden.
Fast alle trugen sie die Tschogeh, eine Art dicken wattirten
Schlafrockes, den ein Gürtel zusammen hielt; dazu hatten
sie Stiefel, welche bis an das Knie reichten, und Umschlage«
tücher (s. Abbildung S. 84).
Als wir den dritten Hos betraten, sahen wir den Dad-
kwah am Ende des Audienzsaales an einem Fenster sitzen.
Er berechnete nun die Entfernung und seinen Gang so, daß
er genau zu derselben Zeit wie wir an der Thür des Saales
anlangte. Zuvorkommend führte er uns an das Ende des-
selben und bat uns Platz zu nehmen, worauf wir uns in der
vorschriftsmäßigen und höchst unbequemen Haltung nieder-
ließen, welche darin besteht, daß man niederkniet und mit dem
Gesäß die Hacken berührt. Dann wurden die Geschenke,
darunter eine große Spieluhr, dem Gouverneur, welchem sie
sehr zu gefallen schienen, überreicht. Während der kurzen
nun folgenden Unterhaltung brachte man Thee, ein köstliches,
parfümirtes und sehr süßes Getränk in chinesischen Tassen,
und darauf den „Dastarkwau", letzterer für uns eine reine
Förmlichkeit. Nach einem Aufenthalte von etwa zwanzig
Minuten verabschiedeten wir uns unter demselben Cere-
moniel, wobei der Dadkwah zu jedem von uns sagte: „Ihr
seid willkommen gewesen," worauf wir antworteten: „Möget
Ihr fortfahren, Euch wohl zu befinden."
Als wir unsere Wohnung wieder betraten, fanden wir
dort „Ehrenkleider", eine hohe Gunstbezeugung, welche die
Hochachtung des Gouverneurs gegen uns bewies. Wäre
der Gebrauch in seiner ganzen Strenge beobachtet worden,
so hätten wir schon während unseres Besuches selbst diese
mit erschrecklichen Darstellungen versehenen Prunkgewänder
empfangen und anlegen müssen und uns damit bei der Rück-
kehr öffentlich zeigen können. Aber es hätte zu abgeschmackt
ausgesehen, wenn wir sie über unsere Uniformen gehängt
hätten. Damit waren die Feierlichkeiten des Tages aber
noch nicht beendet; denn wir wollten bei Sonnenuntergang
noch ein Bad besuchen. Bor dem Abendgebete dorthin zu
gehen, wäre unpassend gewesen, und unsere Diener thaten
alles, was in ihren Kräften stand, um uns überhaupt davon
abzuhalten, weil es in diesem Lande strengen mohammeda-
nischen Glaubens unerhört war, daß ein Ungläubiger zum
„Hamam" zugelassen wurde. Aber unser ofsiäeller Führer
ermuthigte uns mit seinen freieren, aus Koustantinopel mit-
gebrachten Ideen und begleitete uns. Das Unternehmen
glückte und belustigte uns sehr; denn man hatte für uns ein
specielles Mahl von verschiedenen Fleischspeisen, vermischt
mit eingemachten grünen Bohnen und Reis, und bunten
Kuchen in Gestalt von Früchten bereitet. Bei der Rückkehr
war es mühselig genug, beim Scheine einer einzigen Fackel
auf unseren Ponies den Weg zu finden; denn obwohl es
noch nicht acht Uhr war, so waren die Straßen doch voll-
kommen dunkel und menschenleer: das Tam-tam war ertönt,
uud alle guten Bürger waren deshalb schon schlafen gegangen.
Die neuen Staatengrenzen auf der Balkanhalbinsel.
Von Heinrich Kiepert.
Den aus unseren Schuljahren her vertrauten geographi-
schen Namen der sogenannten europäischen Türkei werden
hoffentlich noch die meisten älteren der jetzt lebenden Gene-
ration ganz von der Karte verschwinden sehen; in dem weitern
Sinne, wie wir ihn noch vor Kurzem zu gebrauchen Pflegten,
können wir ihn jetzt schon streichen, nachdem er kaum zwei
Jahrhunderte sein Scheinleben geführt hat. Denn das dür-
fen wir nicht vergessen, daß selbst zur Zeit des stürmischen
Bordrängens der Osmanen nach Norden, über das von ihnen
niedergetretene, verwüstete, gräßlich mißhandelte Ungarn
hinweg fast bis ins deutsche Herz unseres Erdtheils hinein,
daß damals alle christlichen Reiche — nur vielleicht mit
Ausnahme des „allerchristlichsten" Monarchen in Versailles —
jenen Völkersturm doch nur als ein vorüberziehendes Gewitter
betrachteten und die baldige Wiederaustreibung der Türken
bestimmt erhofften. Daher sie denn anch an der altgewohn-
ten Benennung jener Länder im europäischen Südosten als
griechischer festhielten, wie ja noch im 17. Jahrhundert
selbst die serbische Hauptstadt Belgrad von Deutschen allge-
mein Griechisch-Weißenburg genannt wurde. Ja, die
Osmanen erkennen noch heute in dem aus der Zeit ihrer
Eroberungen beibehaltenen Sprachgebrauche die historische
Berechtigung des einst hier politisch wie noch jetzt consessionell
herrschenden Griechenthums an, indem der Name des „Römer-
landes" (byzantinisch Romania, türkisch Rüm-ili), den der
strengere administrative Sprachgebrauch auf alle Länder im
Süden des Haemns, die den letzten Rest des oströmischen
Reiches gebildet hatten, beschränkt und der jetzt nach enro-
päischem Vorschlage noch mehr eingeengt werden soll, im
Volksmunde durchaus, im Gegensatz zu Anädolu, die Ge-
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Chaliaä - Vy. "w
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}\ ) \\Bo^Aihi)8 j
WnrurO
/ore&?a.
H. Kiepert: Die neuen Staatengrenzen auf der Balkanhalbinsel.
sammtheit der Reichsländer auf europäischem Boden bezeich-
net und daher in der neugriechischen Form Rumelia selbst
der Nordhälfte des jetzigen griechischen Königreiches erhalten
geblieben ist.
Es sind nun zwar nicht neue und bisher unbekannte
Namen, welche an die Stelle der dismembrirten Reichshälfte
treten, wohl aber Staatengebilde, deren neugeschaffene poli-
tische Stellung und Abgrenzung sich als die zweite im Laufe
eines Jahrzehnts in die Karte Europas eingreifende bedeu-
tende Veränderung bemerklich macht und darum die allgemeine
Aufmerksamkeit wohl noch in höherm Grade in Anspruch
nimmt als die durch den Präliminarfrieden von St. Stefano
\ . \ ' O C
v Po
■trf;, ^-0v jV'
Chnoitficie ».A«i,i»z
Rumänien.
Serbien.
Montenegro.
Altes Gebiet
Neuer Zuwachs
Fürstenthum Bulgarien.
Ost-Eumelicn.
Türkische Provinzeil.
geschaffenen und nun bereits zn den Acten gelegten politisch-
geographischen Improvisationen. Denn die Ergebnisse der
jetzt unter der Betheiligung ganz Europas abgeschlossenen
Verhandlungen, mögen sie immerhin manche brennende Frage
ungelöst lassen und zahlreiche Keime drohender neuer Ver-
Wickelungen einschließen, treten wenigstens ins Leben mit dem
Ansprüche thatsächlicher Ausführung in nächstbevorstehender
Zeit und allgemein anerkannter Gültigkeit, wenigstens für
eine nach dem Maßstabe des Menschenlebens längere Pe-
riode.
In Betreff der drei bisher in recht zweifelhafter poli-
tischer Stellung, doch schon in festen geographischen Grenzen
existirenden Kleinstaaten, welche nun als Gehülfen der russischen
Action durch Anerkennung ihrer Selbständigkeit und durch
Gebietserweiterungen belohnt worden sind, ist ja schon von
der Presse sattsam die Ironie ihres neuen Looses hervorge-
88 H. Kiepert: Die neuen Staate
hoben worden, dessen Werth im umgekehrten Verhältnisse zu
ihren Leistungen steht. Rumänien, dessen über alle Er-
Wartungen selbst seiner besten Freunde angestrengte und von
entschiedenstem Erfolg gekrönte Beihülfe das Meiste gethau
hat, um seinen ungesuchten und fast erdrückenden Bundes-
genossen aus der kritischsten Lage zu befreien und ihm die
späteren Triumphe zu ermöglichen, wird einem starrsinnigen
point d'honneur zu Liebe, dem die anderen Mächte ihre
widerwillige Zustimmung schließlich nicht versagen konn-
ten, mit einem Gebietstausche abgefunden, der nur nach der
Zahl werthloser Quadratmeilen berechnet als ein gering-
fügiger Zuwachs erscheint, thatsächlich eine Verschlechterung
seiner Lage ist. Auch die in letzter Stunde zugestandene
kleine südliche Erweiterung des als angeblicher Ersatz der
abzutretenden reichen bessarabischen Fluren dem neuen Donau-
staate auf dem rechten Stromufer gewährten Gebietes bis
auf die Linie Silistria-Mangalia trägt nichts dazu bei, die
bittere Pille zu versüßen. Denn erst südlich von dieser Linie
beginnt der fruchtbarere Lehmboden der nach Süden flach an-
steigenden bulgarischen Terrasse; der nördlich davon gelegene
größere Theil der sogenannten Dobrudscha ist und bleibt,
was er schon unter den Römern war: armseliger, baumloser
Steppenboden, der auch dem fleißigsten Ackerbauer nur einen
dürftigen Ertrag gewährt; daneben im Delta des großen
Stromes Fieber aushauchende Sumpfstrecken wechselnd mit
schlechtem Walde, ein seit drei Jahrtausenden menschlicher
Geschichte von der Cnltnr noch so gut wie unberührt geblie-
benes Gebiet, dessen Bewältigung mehr als holländischen
Fleiß, und, was in diesem Lande fast noch mehr sagen will,
enorme Capitalanlagen erfordern würde. Aber nicht bloß
in physischer, auch in nationaler Beziehung ist der Tausch ein
für Rumänien höchst unglücklicher: an Stelle der seit alters-
her vorherrschend gleichartigen nur von schwächeren russischen
Ansiedelungen neuerer Zeit durchsetzten Bewohner der beiden
abzutretenden bessarabischen Kreise gewinnt es eine gemischte
Bevölkerung, in welcher die Rumänen nur eine Minorität
bilden neben zahlreichen bnnt durch einander gestreuten bul-
garischen, russischen, tatarischen Dörfern, unter denen sogar
ein paar Niederlassungen aus Rußland ausgewanderter und
unter dem Halbmond ihr Heil suchender deutscher Sectirer
nicht fehlen.
Das Land der „schwarzen Berge", Tzrnagora, wie es
sich selbst heißt, oder Montenegro, wie wir es zu be-
nennen von den Venetianern gelernt haben, hat allerdings
in der Entscheidungsstunde bei Plewna keinen Stein in die
Wagschale geworfen, aber doch nicht unbedeutende türkische
Truppentheile dauernd in Athem erhalten und vor allem,
seinem alten Hcldenruhm entsprechend, mit aller Anstrengung
seiner geringen Volkskraft und mit bedeutendem Erfolge ge-
fochten: es konnte ihm daher, bei aller Rücksichtnahme auf
die Empfindlichkeit seines österreichischen Nachbars, die wohl-
verdiente Gebietsvergrößernng nicht ganz vorenthalten werden.
Nur ist dieselbe erheblich kleiner ausgefallen als die nach dem
reichlichen Zuschnitt der Stipulationen von St. Stefano hoch-
gespannten Erwartungen des auf Expansion aus den Felsen-
einöden seines Adlernestes lüsternen Gebirgsvölkchens. Von
78 deutschen Quadratmeilen, die es bis zum letzten Kriege
besaß, sollte es mit russischer Hülfe mit einemmal auf 250
vergrößert werden; jetzt muß es sich mit einem Zuwachs
begnügen, den wir aus Grund der allerdings stellenweise noch
lückenhaften und unzuverlässigen österreichischen Karte auf
86 bis 88 Quadratmeilen berechnen, es sieht also immerhin
sein altes Gebiet zwar nicht mehr verdreifacht, aber doch
mehr als verdoppelt. Dabei entgeht es nicht dem Zutritt
widerhaariger albanesischer Volkselemente in der südöstlichen
Erweiterungszone, namentlich auch in dem so heiß erstrebten
grenzen auf der Balkanhalbinsel.
und endlich wirklich zugestandenen Küstenstrich von Antivari,
und was der größte Nebelstand ist, die einzige größere Ort-
schaft, die es in dem Mittlern ebenen und höchst unfruchtbaren
Theile dieses neuen Gebietes an der Moratscha nördlich vom
See von Scutari erhält, Podgoritza mit etwa 7000 bis
8000 Einwohnern, deren centrale und für einen Straßenbau
vom Hafen Antivari leicht zugängliche Lage es wohl zur
Rolle einer neuen Hauptstadt an Stelle des ärmlichen Felsen-
Winkels Cettinje befähigen würde, kommt nun in gar zu ge-
fährliche Nähe der Grenze gegen die bis auf Weiteres unter
türkischer Herrschaft verbleibenden Albanesenstämme.
Erheblich ist der Ausfall des definitiven Gebietszuwachses
gegenüber dem zuerst projectirten auf der nördlichen, hertze-
gowinischen Seite. Zwar gerade diejenigen Cantone, welche
seit vielen Jahren in permanentem Aufstand gegen die Pforte
verharrten: Baujaui, Rudiue, Duga, Piva, Drobujak, Scho-
rautzi, mit ärmlichem, unfruchtbarem, schwachbevölkertem Fels-
boden von derselben Beschaffenheit wie das eigentliche Monte-
negro, verbleiben diesem als ein wenigstens der Nationalität
und Confefsion nach gleichartiger Zuwachs und wohl als ein
willkommnerer die von denselben umschlossene schöne ergiebige
hohe Thalebene von Nikschitj mit der bezwungenen Felsen-
bürg selbst, dem seitherigen beständig drohenden Grenzposten
der feindlichen Macht. Dagegen müssen sie sich des An-
spruchsaus die gleichfalls längst von ihnen besetzte Hochebene
von Gatzko begeben, und gegen Nordosten wird die ihnen
zugedacht gewesene Grenze längs des Flusses Lim, durch
welche die Bosnien mit dem Reste türkischen Gebiets ver-
bindende Grenzzone gegen Serbien auf ein Minimum be-
schränkt gewesen sein würde, um eine zwischen 3 und 5 Mei-
len wechselnde Breite bis an die Tara zurückgerückt. Daß
damit eine Reihe besser angebauter volkreicherer Ortschaften,
namentlich Fotfcha an der Drina, Tfchainitj, Plewle oder
Taschlidscha, Prijepolje, Bjelopolje, wieder dem pro forma
türkischen, factifch wohl nächstens österreichischen Gebiete zu-
rückerstattet werden, möchte insofern für Montenegro kein
Schaden sein, als dieselben durch eine planmäßig längs jener
Verbindungsstraße begründete Reihe von Colonien des Herr-
schenden Volkes überwiegend dem Islam gewonnen worden
sind und deren Assimiliruug vermuthlich montenegrinischen
Versuchen eine zu schwere Ausgabe gestellt haben würde.
Serbien, welches unter den Dreien im vorletzten Acte
des blutigen Schauspiels das Wenigste geleistet und zuletzt
dem ohnmächtigen Erbfeinde gegenüber eine ziemlich wohl-
feile Statistenrolle gespielt hat, gewinnt factifch nicht nur
überhaupt am meisten, sondern hat alle Ursache, fpeciell dem
Congresse dankbar zu-sein, durch den es noch reichlicher be-
dacht worden ist als im März durch seinen russischen Protector.
Zwar ist auf der Westseite die in St. Stefano gezogene Grenz-
linie noch weiter zurückgerückt worden, die übrigens schon da-
mals altserbischen Bezirke, an denen ihrer historischen und
kirchlichen Beziehungen wegen jedes serbische Herz hängt
(Prischtina, Petsch, das Mutterkloster vou Djetschani und die
dazwischen ausgebreitete Ebene des „Amselfeldes", Kofsowo-
polje, mit dem Schlachtfelds von 1389), ausschloß, so daß
jetzt aus Rücksicht unbehinderter Verbindung der macedoni-
schen Eisenbahnlinie bis Mitrowitza und der weiterhin über
Nowipazar führenden Straße diese Striche nominell wieder
dem türkischen Gebiete überwiesen worden sind. Dagegen
ist die auf der Ostseite gegen Neu-Bulgarien jetzt fixirte
Grenze erheblich weiter hinausgerückt: sie schließt jetzt das
von beiden Bruderstämmen mit gleichem Eifer für die Be-
rechtigung ihrer Ansprüche umstrittene Pirot und südlich
über die Desiles hinaus, welche die große Ebene von Nifch
und Lefkowatz im Süden schließen, noch ein schönes Thalstück
der obern Morawa mit der Stadt Wranja ein. Das Ge-
H. Kiepert: Die neuen Staate
sammtresultat ist ein Gewinn von fast genan 200 deutschen
Quadratmeilen (mit einem möglichen Fehler von 5 bis 10
wegen Ungenanigkeit großer Stücke der Kartenverzeichnung),
gegen 150 bis höchstens 155, welche Serbien auf Grnnd
des Präliminarfriedens hätte beanspruchen können. Es ist
dies in der That ein namhafter, ja der beste Theil des so-
genannten Altserbiens (Stara Srbija), in welchem nur
eine Minorität serbischer Bevölkerung neben einer noch gerin-
gern Anzahl Bulgaren sich erhalten hat, seitdem die große
Masse im Gefolge des traurigen Rückzuges des letzten öfter-
reichischen Heeres, welches 1739 diesen Landstrich besetzt hielt,
die vorläufige Auswauderuug nach Ungarn vorgezogen hatte,
ans welcher dann eine permanente Niederlassung in der neuen
Heimath geworden ist. In die leer gewordenen Fluren und
Dorfschaften sind dann, und zwar in steigender Menge noch
im laufenden Jahrhundert, mohammedanische Albanesen als
sicherste Stützen der wankenden Türkenherrschaft eingerückt;
in noch weit größerer Zahl allerdings in die obengenann-
ten westlicheren und von der neuen Gebietsgrenze aus-
geschlossenen Gebiete Altserbiens bis zum obern Drin. Die
Assimilirung oder wenn möglich Verdrängung dieser durch-
aus feindlichen Volkselemente scheint eine für die nächste
Zeit fast die Kräfte des kleinen Staates übersteigende Auf-
gäbe.
Freilich von serbischen Autoritäten kann man nachträg-
lich die Behauptung hören, daß nicht nur auf diese Gebiete,
sondern auch auf Sofia und fast ganz Macedonien selbst die
saetische ethnographische Verkeilung ihnen und nicht den
Bulgaren oder gar den Griechen ein unbestrittenes Recht
verleiht, wenn man das eben so oft geltend gemachte histo-
rische der Befitzverhältnisse unter dem glorreichen Stephan
Duschan vor 500 Jahren als antiqnirt nicht will gelten
lassen. Aber das alles ist nur ein neuer Beleg für die Rich-
tigkeit der Bemerkung, die ich schon im vorigen Jahre gele-
gentlich habe drucken lassen, daß, um den sich direct auf-
hebenden und angeblich mit gleich guten Gründen belegten
Ansprüchen von drei bis vier streitenden Nationalitäten zu
genügen, das Festland der sogenannten europäischen Türkei
wenigstens das Doppelte seines sactischen Areals enthalten
müßte!
Die Bulgaren, denen in St. Stefano die möglichst
vollständige Vereinigung ihrer Nationalkraft, nur abzüglich
einiger Districte um Adrianopel, dagegen mit starken Ueber-
griffen in fremdes, namentlich griechisches Volksgebiet in
Aussicht gestellt war, sehen nun diese Hoffnung getäuscht
durch die Dreitheiluug ihres Gebietes, welche ihrem russischen
Protector vorzüglich durch Englands Interesse für vorläufige
Erhaltung eines noch lebensfähigen und zusammenhängen-
den türkischen Besitzstandes im Süden des Balkan abgepreßt
worden ist. So wird denn das westliche Drittheil, Mace-
donien, in welches christliche Bulgaren sich mit einer grie-
chischen Minorität theilen, nebst den vorzüglich von Renega-
ten derselben Nation, den sogenannten Pomaken, und von
- einer türkischen Minorität bewohnten Gebirgslandschaften
des Rhodope zunächst unter direeter türkischer Mißverwaltung
zu verbleiben haben. Von dem größern Rest soll aber wie-
der nur die größere nördliche Hälfte, das Land zwischen Do-
nan und Balkan, welches wir ja schon längst gewohnt waren
im engern Sinne unter dem Namen Bulgarien zu ver-
stehen, den ihm die türkischen Eroberer seit 1391 nach Maß-
gäbe des damaligen Besitzstandes gelassen hatten x), nach den
Beschlüssen des Congresses berechtigt sein, jenen althistorischen,
*) In den letzten Decennien wenigstens noch im Volksmunde,
während als officielle Benennung seit der durch Midhat neu
eingeführten Reichseintheilung allein der Name der Donau-
Provinz (Tuna-Vilajeti) gegolten hat.
Globus XXXIV. Nr. 6.
zrenzen auf der Balkanhalbinsel. 8ö
aber im März dieses Jahres mit kühnem Sprunge schon bis
an das Aegäische Meer ausgedehnten Namen im politischen
Sinne als autonomes Fürstenthum weiter zu führen.
Nur nach einer Seite hin hat es die russische Zähigkeit
noch zuletzt vermocht, gegen den durch England secundirten
Widerstand der Türken über jene herkömmliche Begrenzung
des Namens hinaus dem neuen Staate einen werthvollen
Zuwachs zn sichern. Das ihm nach Südwesten hin noch zu-
gelegte Saudschak (Regierungsbezirk) von Sofia gehört zwar
seinem Hanpttheile nach durch den Lauf der Gewässer, die
durch die Jskra der Donau zugeführt werden, der nördlichen
Abdachung an, liegt aber thatsächlich füdlich der schwer passir-
baren Hauptkette des sogenannten Kodscha-Balkan (oder der
Stara-Planina, des „alten Gebirges", wie es die Bulgaren
nennen), welche keineswegs mit der Hauptwasserscheide zwischen
Donau und Aegäischem Meere zusammenfällt, fondern in da-
von der Jskra aus der hohen Balkanebene von Sofia abwärts
dnrchflofsenen engen Felsenschlucht ihre bedeutendste Durch-
brechuug erleidet.
Der Besitz der Landschaft von Sofia (530 Meter über
dem Meere) sichert somit dem neuen Donaustaate den nnge-
hinderten Verkehr über einige der hohen Balkanpässe (Ost-
straße nach Etropol 1050, Nordstraße nach Widin l 480 Me-
ter), deren Ueberwindnng, allerdings im Winter, den rnssi-
schen Heeren noch weit größere Opfer gekostet haben würde,
wenn sie hier einem planmäßigen, durch die Natur des Landes
so außerordentlich erleichterten Widerstande Seitens der Tür-
ken begegnet wären. Eine künftige türkische Vertheidigungs-
linie, bedingt durch das Besatzungsrecht in den Balkanpässen,
wird damit an dieser Stelle auf die weit niedrigeren, feit
ältester Zeit stets von gangbaren Straßen gekreuzten Höhen-
züge zurückgeschoben, welche als Wasserscheide der Quell-
gebiete der Jskra und Maritza die Südabhänge des hohen
Balkan mit den nördlichen Vorbergen der Rhodope verbin-
den. Daß die innerhalb dieser Höhenzone gelegene am engsten
geschlossene Stelle der großen Heerstraße, der schon erheblich
östlich, also vor der höhern aber flachen Hauptwasserscheide
gelegene Sattelpaß vonKapndschik („kleines Thor" im Tür-
kischen) oder wie ihn die Bulgaren nach dem neuerdings gänz-
lich zerstörten römischen Triumphbogen genannt haben, das
Trajansthor, ganz innerhalb des mittelbar türkischen Gebietes
geblieben ist, oder mit anderen Worten, daß die neue Grenze
hier um etwa 4 deutsche Meilen gegen die Sandschakgrenze
zurückgerückt worden ist, haben wiederum die englischen Com-
missäre gegen den russischen Widerspruch durchgesetzt, und
zwar nicht allein an dieser Stelle, sondern um einen noch
etwas größern Betrag auch weiter westlich an der Südgrenze
im obern Flußgebiet der Struma (des Strymon der Alten),
in welches der bisherige Verwaltnugsbezirk von Sofia ziem-
lich weit übergreift. Da aber einmal dieser ganze Bezirk
Seitens der Türkei dem neuen Bulgarien im Prineip zu-
gestanden war, so mußte für die ihm entzogenen östlichen und
südlichen Grenzstriche ein Ersatz ans der Westseite gesucht
werden, und er ist in einem ungefähr ebenso breiten angren-
zenden Stücke des bisherigen, im Uebrigen zur Vergrößerung
Serbiens verwendeten Sandschaks von Nisch gefunden wor-
den, im obersten Thale der Nifchawa und dem ihres Zuflusses
Sukawa, um den Flecken Trn, also wiederum jenfeit einer
ziemlich merklichen Wasserscheidehöhe, die hier gerade zufällig
mit den Administrativgrenzen zusammenfiel. Man sieht
daraus abermals, wie häufig das an anderen Stellen fast
überängstlich gewahrte Prineip der sogenannten „natürlichen
Grenzen" auch bei diesen neuesten Abmachungen, sobald andere
Interessen es erforderten, durchbrochen worden ist.
Während das ganze somit im Süden des Balkan ein-
verleibte Gebiet und weit darüber hinaus fast ausschließlich
12
90 H. Kiepert: Die neuen Staat,
von Bulgaren bewohnt ist, leidet bekanntlich die östliche Hälfte
der herkömmlich unter Bulgarien verstandenen nordbalkani-
schen Landschaft auf eine für die gedeihliche EntWickelung des
neuen Staates bedenkliche Weife an einer bunten Mischung
der nationalen und consessiouellen Elemente, namentlich durch
das Vorherrschen der hier in großer Masse angesiedelten
Mohammedaner, theils Türken, Tataren, Tscherkessen, theils
selbst die bulgarische Sprache beibehaltender Renegaten (Po-
maken), welche gegen Nordosten hin in der sogenannten Do-
brndscha fast die ausschließliche, allerdings der armseligen
Beschaffenheit des Bodens entsprechend, ziemlich dünne Be-
völkerung bilden. An dieser Stelle ist, in Ermangelung
jeden durch die Confignration des Terrains gegebenen An-
Haltes, die Abgrenzung gegen das zu Rumänien gelegte Gebiet
reiner Willkür überlassen geblieben, die bis jetzt dem Ver-
nehmen nach nur für Belassnng der Donaustadt Silistria
auf bulgarischer, des Küstenstädtchens Mangalia ans rumä-
nischer Seite sich entschieden, die specielle Bestimmung der
Grenzlinie aber späterer Negnlirnng überlassen hat. Auch
im Verlaufe der Südgrenze gegen Osten, wo die bis dahin
zusammenhängende hohe felsige Kette des Balkan anfängt,
sich iu mehrere niedrigere bewaldete Rücken zu spalten, die
durch die weiterhin sich vereinigenden und verflachenden Thäler
der beiden Kamtschik-Flüsse geschieden werden, war der
im ersten Project bloß durch den Namen des Kaintschik be-
zeichnete Greuzzug nicht ohne Willkür zu fizciren und ist
schließlich nicht auf die an der Küste des Schwarzen Meeres
am schärfsten vortretende Landmarke, das steilabstürzende
Vorgebirge Em ine, welches hier den antiken Namen des
Haemus bewahrt, gefallen, sondern in ein mitten zwischen
demselben und der Kamtschik- Mündung verlausendes dors-
reiches Küstenthälchen. Das Gesammtareal des so um-
grenzten Bulgariens läßt sich mit einem möglichen Fehler
von 20 bis 25 Quadratmeilen ans höchstens 1150 deutsche
Quadratmeileu berechnen, die gegenwärtige Bewohnerzahl
natürlich noch viel weniger sicher abschätzen, doch dürfte sie
kaum über zwei Millionen betragen, aber bei der Ergiebigkeit
des weit größten Theiles des Bodens leicht in nicht allzu-
lauger Zeit der Verdoppelung fähig sein.
Südlich vom Balkan endlich ist aus einem Theile des
von Rußland ursprünglich auf Grund der vorherrschenden
Nationalität für Bulgarien beanspruchten Lünderstriches ein
circa 630 Quadratmeilen großes Gebiet zugeschnitten worden,
welches ungefähr die nördliche Hälfte der fpätrömifchen Pro-
vinz Thracieu ausmacht und, insofern diese in ihrer Ge-
sammtheit etwa der Osthülste des modernen Rumeliens ent-
spricht, nicht ganz passend für sich allein nach englisch-sran-
zösischem Vorschlage den Namen Ost-Rnmelien in Er-
nlangelnng eines Passendern erhalten hat. Es begreift die-
ses Land das obere Maritza- (Hebrns-) Becken mit seiner
üppigen Frnchtebene von Philippopel, das Tuudscha-Thal
mit seinen Rosenfeldern am Südfuße des Balkan, der gewinn-
reichen Heimath der Rosenölfabrikation, endlich den am reich-
sten entwickelten Theil der Müschen Küste mit dem Golfe
von Burgas, umgeben von mehreren kleinen, aber gewerb-
grenzen auf der Balkanhalbinsel.
und haudelreichen griechischen Küstenplätzen (Sozopolis, An-
chialos, Misivria). Die spärlich zerstreuten Mohammedaner
(fast ausnahmslos echt türkische Grundbesitzer oder Stadt-
bewohner) werden an Zahl weit überwogen von der christ-
lichm Bevölkerung, deren große Majorität auch hier Buk-
garisch als Muttersprache redet; neben ihnen bilden nur
in Philippopel, der natürlichen Hauptstadt des gauzeu Ge-
bietes, und in dessen südöstlicher Umgebung (namentlich in
der rein griechischen Landstadt Stanimak oder Steuimachos
und einigen benachbarten Dörfern) die Griechen einen durch
Wohlhabenheit, Fleiß und Bildung einflußreichen Theil der
Bevölkerung, währeud sie in den kleineren Landstädten mehr
vereinzelt als Kaufleute, Aerzte, Lehrer, auch Handwerker an-
gesiedelt sind. Bekauutlich bestimmt der Vertrag mit Rücksicht
auf dieses Vorherrschen des christlichen Elementes für das
sogenannte Ost-Rnmelien die Einsetzung eines christlichen
und von der Genehmigung der Vertragsmächte abhängigen
Gouverneurs, dessen Stellung jedoch der osmanischen Central-
regierung gegenüber immer nur eine halb-autouome sein wird:
aus letzterm Grnnde brauchte die südliche Abgrenzung gegen
das unmittelbar türkische Gebiet (das südliche Thracieu des
Alterthums) weniger ängstlich abgewogen zu werden. In ihrer
westlichen Hälfte war sie freilich nicht schwierig, da hier die
Bodenconsiguration selbst durch die mächtigen Ketten der
Rhodope, deren Gipfel bis zu 8000 Fuß ansteigen, eine
Scheide vorgezeichnet hat: zunächst im Südwesten gegen das
Mesta-Karasn-Thal, dann in der nordöstlich zwischen dem
Maritza-Becken und dem ganz überwiegend von Mohamme-
danern bewohnten obern Arda-Thale sich hinziehenden hohen
Bergkette; allein schon wo diese im Norden der untern Arda
sich in ein unregelmäßiges Hügelland auflöst, dessen Wald-
arme Rücken durchaus mit kleinen Dörfern besetzt sind, wird
eine zweckentsprechende Scheidung sich um so schwieriger aus-
führen lassen, als die auf Grund sehr unzureichenden Karten-
Materials niedergelegten Bestinunnngen des Vertrages über-
aus unbestimmt und auslegungsfähig geblieben sind. Das-
selbe gilt von der, stellenweise mit etwas ausfälligen Winkeln,
aber in Anlehnung an die theoretische Brauchbarkeit der
Wasserscheiden als sogenannter natürlicher Grenzen gezogenen
Linie von der Maritza bis zum Schwarzen Meere; wird
doch hier die in der Bodenform am meisten sich auszeichnende
isolirte über 800 Meter hohe Granitkuppe Sakar-Bai'r zwi-
scheu Maritza und Tundscha, über den die Grenze laufen
wird, in deni Wortlaute des Vertrags gar nicht einmal ge-
nannt, und zwar einfach aus dem Grunde, weil sie in der
neuen österreichischen Specialkarte, in Ermangelung eines
darüber hinführenden Rontiers eines der Genieoffiziere, auf
deren Arbeiten vorzüglich jene Karte beruht, fowohl ohne
Höhenbezeichnung gelassen als in der Terrainschrasfirung
nicht deutlich genug hervorgehoben ist; freilich kennen wir
ihre Natur ausreichend durch die geologische Recoguosciruug
v. Hochstetter's in Wien, allein dessen Elaborate zu lesen
haben weder Diplomaten und ihre Commissäre noch officielle
Kartographen sich die Zeit gelassen.
Dr. Alfred Nehring: Lebten zu Cäsar's Zeiten Renthiere im hereynischen Walde? 91
Lebten zu Cüsar's Zeiten Renthiere im hereynischen Walde?
Von Dr. Alfred Nehring.
I.
Unter denjenigen Säugethieren, welche mit der Vor-
geschichte des europäischen Menschen in naher Be-
ziehnng stehen und deshalb auch von den Anthropologen
zum Gegenstände eifriger Forschungen gemacht werden, steht
das Renthier obenan. Denn gerade wie jetzt das Dasein
gewisser nordischer Völkerstämme an das Dasein und Ge-
deihen dieser Hirschart geknüpft ist, so scheint es annähernd
auch mit den vorgeschichtlichen Bewohnern Mitteleuropas
gewesen zu sein, wenigstens während einer längern Periode
der Vorzeit. Freilich liegen vorläufig keine sicheren Beweise
dafür vor, daß das Renthier auf dem Boden Mitteleuropas
schon einer gewissen Domestication unterworfen war, wie es
heutzutage im Norden der Alten Welt vielfach der Fall ist.
Wahrscheinlich hat es den vorgeschichtlichen Bewohnern unserer
jetzt so cultivirteu mitteleuropäischen Länder nur als Jagd-
thier und noch nicht als Hausthier gedient; aber die in den
letzten Jahrzehnten so zahlreich ausgegrabenen Geräthe, Werk-
zeuge und Waffen, welche aus den Knochen oder den Ge-
weihen des Renthiers hergestellt sind, beweisen uns hinrei-
chend, daß diese Hirschart für die vorhistorischen Bewohner
unserer Gegenden wichtiger war, als irgend eines der übrigen
Jagdthiere, daß es ihnen nicht nur durch sein Fleisch, Blut
und Mark Nahrung gewährt, sondern auch durch seine Haut,
seine Sehnen, Knochen und Geweihe ein sehr dauerhaftes
Material zu den wichtigsten Gebrauchsgegenständen gelie-
fert hat.
Ans Grund der anthropologischen und paläontologischen
Untersuchungen, welche in den letzten Jahrzehnten mit außer-
ordentlichem Eifer und Erfolg in den meisten europäischen
Culturstaateu betrieben sind, wissen wir jetzt, daß das Ren-
thier, welches heutzutage in Europa auf die nördlichsten Di-
stricte Skandinaviens und Rußlands beschränkt ist, einst-
mals seinen Verbreitungsbezirk weit nach Süden,
nämlich bis an die Alpen und die Pyrenäen, aus-
gedehnt hat. Diese Zeit seiner größten Verbreitung auf
dem Boden Europas fällt in die sogenannte Diluvialperiode.
Wo das Renthier während der warmen Tertiärperiode gehaust,
und ob es damals überhaupt schon existirt hat, wissen wir
vorläufig nicht. Wir werden aber annehmen dürfen, daß
das Renthier (niag es nun während der Tertiärperiode im
hohen Norden schon existirt oder aus einer tertiären Hirsch-
art sich entwickelt haben) in der Posttertittrzeit mit zunehmen-
der Abkühlung des West- und mitteleuropäischen Klimas sich
ganz allmälig nach Süden verbreitet hat. Anfangs erschien
es in unseren Gegenden wohl nur sporadisch iu kalten Win-
tern, dann als regelmäßiger Wintergast; darauf fcheiut es
längere Zeit (und zwar während des Höhepunktes der Eiszeit,
resp. der Eiszeiten) sich geradezu in unseren Gegenden ein-
heimisch gemacht zu haben, bis es dann im Verlaufe der
Postglacialzeit ebenso allmälig verschwand und nach Norden
oder Nordosten sich zurückzog, wie es vou dorther gekom-
men war.
Diese einstmalige weitausgedehnte Verbreitung des Ren-
thieres steht jetzt vollkommen fest. Weniger sicher ist es,
ob man mit Lartet, dem berühmten französischen Forscher,
eine besondere Ren thier zeit anzunehmen hat, d. h. eine
Zeit, welche durch ein besonders starkes Hervortreten von
Renthieren, durch eine sonstige charakteristische Fauna und
durch ein entsprechendes Klima von der vorhergehenden und
von der nachfolgenden Zeit sich unterschieden haben soll. Ich
kann hier auf diese Frage nicht näher eingehen; doch möchte
ich mir die Bemerkung erlauben, daß nach meinem Urtheile,
welches sich einerseits aus eigene Ausgrabungen, andererseits
auf zahlreiche fannistifche Vergleichnngen stützt, eine solche
Rcnthierzeit nur unter sehr wesentlichen Einschränkungen
und somit nicht in dem Sinne Lartet's anzunehmen ist.
Für uns handelt es sich hier um die Frage, ob das
Renthier noch bis in die historischen Zeiten hin-
ein, oder genauer gesagt: bis zur Zeit Cäsar's, in
Deutschland gelebt hat. Diese Frage hat schon viele
Gelehrte beschäftigt, nicht nur Zoologen und Anthropologen,
sondern auch Philologen und Historiker; denn es handelt sich
dabei, abgesehen von manchen anderen Momenten, wesentlich
um die Auffassung und das Gewicht der bekannten Stelle,
welche sich bei Cäsar, Bell. Gall. VI, 26, findet. Dieselbe
gehört dem berühmten Excnrse an, in welchem Cäsar die
Gallier und die Germanen mit einander vergleicht und neben-
bei auch drei interessante Thiere des hereynischen Wal-
des erwähnt, nämlich: Renthier, Elen und Auerochs.
Die Beschreibung dieser Thiere läßt aber so viel zu wüu-
scheu übrig, daß die betreffenden Capitel (26 bis 28) den
Gelehrten viel Roth gemacht haben, und es vielen zweifel-
Haft erscheint, welche Hirscharten uud welche Ochsenart
Cäsar gemeint habe. Wahrscheinlich hat Cäsar im 28. Ca-
pitel den Ur mit dem Wisent zusammengeworfen; auch das
27. Capitel, welches sich aus das Elen bezieht, bietet dem
Erklärer manche Schwierigkeiten, am schwierigsten und wich-
tigsten aber ist die richtige Erklärung des 26. Capitels, wel-
ches gewöhnlich auf das Renthier bezogen wird.
Da es in der That für die Zoologie, fowie für die Kli-
matologie durchaus nicht unwichtig ist, ob man die Existenz
des Renthiers in Deutschland für Cäsar's Zeit annimmt,
oder nicht, so haben anch die bedeutendsten Naturforscher jenes
Capitel aus dem Bellum Gallicum des Cäsar einer ein-
gehenden Besprechung unterzogen. Sie sind aber keineswegs
alle zu demselben Resultate gekommen, sondern es stehen sich
die verschiedenen Ansichten zum Theil diametral einander
gegenüber.
Das betreffende Capitel lautet uach der Krahner'fchen
Ausgabe: Est bos cervi figura, cujus a media fronte
inter aures unum cornu existit excelsius magisque
directum his, quae nobis nota sunt, cornibus; ab ejus
sumnio sicut palmae ramique late diffunduntur. Eadem
est feminae marisque natura, eadem forma magnitu-
doque cornuum.
Daß dieses Capitel dem Erklärer manche Schwierig-
leiten bietet, wird jeder leicht erkennen. Man hat versucht,
diese Schwierigkeiten theilweise durch Conjectureu hinweg-
zuräumen, indem man z. B. für „unum cornu" geminum
cornu zu setzen vorgeschlagen hat. Doch würde es zu weit
12*
92 Dr. Alfred Nehring: Lebten zu Cäsar's
führen, auf diese mehr philologische Seite der Sache einzu-
gehen. Ebenso will ich es dem Leser ersparen, ihm alle die
sonstigen Ansichten, welche über das Cäsarische Renthier aus-
gesprochen siud, vorzuführen x). Ich erwähne nur ganz kurz,
daß Lenz (Zoologie der alten Griechen und Römer, 1856,
S. 215) unser Capitel gar nicht aus das Renthier, sondern
auf das Elen, und zwar auf das männliche Elen, bezieht,
während er in dem 27. Capitel eine Beschreibung des weib-
lichen Elen erkennen will. Eichwald dagegen hat unser
Capitel auf den Riesenhirsch, Cervus euryceros, bezogen
(Leth. ross. III, p. 367). Ich führe dieses nur deshalb
an, um zu zeigen, wie verschiedene Auffassungen der betreffen-
den Stelle möglich sind.
Die meisten Forscher beziehen, und zwar nach meiner
Ansicht mit Recht, das 26. Capitel auf das Renthier; beson-
ders der letzte Satz läßt eigentlich kaum eine andere Deutung
zu, da männliches und weibliches Thier in der That bei
keiner Hirschart sich so ähnlich sehen, wie beim Renthier, und
besonders das Vorhandensein eines Geweihes beim Weibchen
sehr charakteristisch ist. Also das'Renthier scheint Cäsar
allerdings in den: schon mehrfach eitirten Capitel gemeint
zuhaben; aber es ist sehr fraglich, ob er es wirklich im her-
cynischen Walde beobachtet, oder ob es überhaupt damals
in diesem Walde (wenigstens in dem germanischen Theile
desselben, um den es sich hier nur handeln kann) gelebt hat.
Diese Frage ist vou wissenschaftlichen Autoritäten, wie
I.Fr.Brandt, O. Fraas, BoydDawkins uud anderen,
in bejahendem Sinne beantwortet; besonders Brandt hat in
seinen „Zoogeographischen und Paläontologischen Beiträgen"
(Petersburg 1867) mit Aufwendung großer Gelehrsamkeit
sich entschieden dafür ausgesprochen, daß zu Cäsar's Zeit
Reuthiere den hercyuischen Wald bevölkert hätten.
Ebenso entschieden haben aber andere Gelehrte, insbesondere
dieFranzosen Cnvier, Lartet, Christy, Garrigon, sich
dahin erklärt, daß der Angabe des Cäsar kein Wissenschaft-
licher Werth beizulegen fei, da sie offenbar nicht auf eigener
Beobachtung, sondern auf fremden, zum Theil mißverstandenen
Erzählungen beruhe.
Ich kann mich dieser letztern Ansicht nur anschließen.
Da dieselbe aber bisher keineswegs unter den heutigen An-
thropologen und Zoologen die allgemein acceptirte ist, so
erlaube ich mir, ohne die ganze Entwickeluug der Streitfrage
zu berühren, nochmals etwas genauer auf die Sache einzu-
gehen und diejenigen Gründe, welche gegen die Existenz des
Renthiers im gernianischen Walde (zu Cäsar's Zeit) sprechen,
im Folgenden zusammenzustellen. Vielleicht gelingt es mir,
außer den schon von Anderen geltend gemachten Punkten
einige bisher weniger beachtete Momente zu einer richtigem
Beurtheilung der Frage beizubringen.
1. Die Angabe des Cäsar verdient wenig Ver-
trauen.
Wenn uns irgend eine ausfallende Mittheilung aus der
Gegenwart oder aus der Vergangenheit zukommt, so werden
wir das Recht haben zu fragen: „Verdient wohl der Bericht-
erstatter Glauben? Hat er selbst beobachtet oder sich von
anderen Etwas erzählen lassen? Und wenn letzteres der
Fall ist, hat er wohl die fremden Mittheilungen richtig ver-
standen und genau wiedergegeben?"
Daß wir dem Cäsar in naturwissenschaftlichen Dingen
ohne Weiteres glauben sollten, wird niemand von uns ver-
langen können. Prüfen wir also seine Mittheilungen! Unt
aber bei dieser Prüfung den richtigen Maßstab anlegen zu
Wenn man alles das zusammenstellen, resp. widerlegen
wollte, was schon über das Cäsarische NentHier Richtiges und
Falsches von Naturforschern und Philologen geschrieben ist, so
würde das ein ganzes Buch bilden.
Zeiten Renthiere im hercynischen Walde?
können, werden wir den ganzen Zusammenhang, in welchem
dieselben stehen, berücksichtigen müssen.
Cäsar hatte bereits im Sommer des Jahres 55 v. Chr.
den Rhein ans einer festen Brücke überschritten, hatte sich
aber, da er uichts Rechtes ausrichten konnte, sehr bald (nach
18 Tagen) wieder auf das linke Ufer zurückgezogen. Aus
seinen Worten (Bell. Grall. IV, 18. 19) geht ein bedeuten-
der Respect vor den germanischen Urwäldern hervor; er wagte
es nicht, dieselben zu betreten, Md begnügte sich damit, die
nächstgelegeneu Dörfer und Weiler der Sngambrer anzu-
zünden und ihr der Reife nahes Getreide niederzumähen.
Daß er bei dieser rühmlichen Thätigkeit Renthiere beobachtet
haben sollte, ist nicht sehr wahrscheinlich; er sagt auch nichts
davon, sucht aber seine sonstigen Resultate in ein möglichst
güustiges Licht zu stellen, ohne allerdings einen Leser, wel-
cher zwischen den Zeilen zu lesen versteht, davon zu über-
zeugen.
Im Sommer des Jahres 53 v. Chr. ging Cäsar zum
zweite» Male über den Rhein, und zwar wiederum auf einer
festen Holzbrücke, etwas oberhalb r) von der srühern Ueber-
gangsstelle. Dieses Mal richtete Cäsar ebenso wenig oder
noch weniger aus, als das erste Mal; er wagte es nicht, die
Suebi, auf welche er es hauptsächlich abgeseheu hatte, in ihre
Wälder zu versolgeu, sondern zog sich nach wenigen Tagen,
welche er in dem verhältnißmäßig gut cultivirteu Gebiete der
Ubier zugebracht hatte, wieder auf das linke Ufer des Rheins
zurück. Er selbst fühlte die Resnltatlosigkeit seines Rhein-
Übergangs sehr wohl. Um aber nicht sagen zu müssen:
„Ich kam, ich sah, ich zog mich zurück!" schob er in seine
Darstellung jenen langen Excnrs de Galliae Ger-
maniaeque moribus ein, welcher die ersten ausführ-
licheren Mitteilungen über Deutschland und seine alten Be-
wohner enthält und deshalb für uns außerordentlich Werth-
voll ist. (Buch VI, Cap. 11 bis 28.) Aber in der That
ist er nichts weiter als ein Verlegenheits-Excnrs, welcher dem
Leser die Resultatlosigkeit des Rheiuübergangs verdecken soll.
Bei den meisten Lesern erreicht Cäsar auch seinen Zweck voll-
kommen; man muß schon deu Exeurs vollstäudig überschlagen,
um zu erkennen, daß zwischen Cap. 10 und Cap. 29 eigent-
lich nichts geschehen oder erreicht ist.
Was nun den Excurs selbst anbetrifft, so ist alles, was
er über die ethnographischen und politischen Verhältnisse des
damaligen Gallien uud Germanien enthält, durchweg zuver-
lässig und zuui Theil uoch jetzt gültig; man erkennt in den
betreffenden Schilderungen und Betrachtungen den scharfen
und geübten Blick des großen Feldherrn und Staatsmannes.
Anders ist es mit den drei Capiteln, in welchen Cäsar
einen schwachen Anlauf zum beschreibenden Zoologen macht,
um den römischen Lesern einige merkwürdige Thiere des her-
cynischen Waldes vorznsühren. Am besten darin ist das,
was er über die silberbeschlagenen Trinkhörner der
Germanen sagt. Diese hat er offenbar selbst gesehen, er
mag auch wohl einmal einen Trunk darans versncht haben;
denn ohne ein oder mehrere Gelage dürfte der Aufenthalt
des Cäsar bei den Ubiern nicht hingegangen sein. Ob er
die wilden Ochsen selbst gesehen hat, kann schon be-
zweifelt werden, da er überhanpt nur kurze Zeit auf dem
rechten Rheinnfer (uud noch dazu in den getreideprodueiren-
den Districten der Ubier) verweilt und den hercynischen Wald
gar nicht betreten hat. Jedenfalls hat er sich die wilden
Ochsen von germanifchen Fürsten, welche diese Thiere oft
gejagt hatten, genauer beschreiben lassen, hat aber, wie es
scheint, den Urstier (Los primigenius) und den Wisent
(Los dison), welche damals beide noch in Germanien lebten,
Wahrscheinlich in der Gegend von Andernach.
Aus allen
zusammengeworfen, sei es nun, daß seine Gewährsmänner
ihm die beiden Arten nicht gehörig auseinandergehalten, sei
es, daß er den Unterschied nicht richtig erfaßt hatte.
Das zweite merkwürdige Thier des hercynifchen Waldes,
welches Cäsar hervorhebt, ist das Elen, oder wie er sagt:
Alces. Daß er diese Hirschart nicht selbst gesehen hat,
scheint mir eine ausgemachte Sache; sonst würde er dieselbe
besser beschrieben und dem Leser nicht den Unsinn von den
gelenklosen, steifen Beinen (crura sine nodis articulisque)
und der darauf begründeten Fangmethode (durch Ansägen
der zum Anlehnen dienenden Bäume) als baare Münze ge-
boten, sondern höchstens als komische Jagdlügen der germa-
nischen Jäger mitgetheilt haben. Cäsar selbst scheint kein
Liebhaber des edlen Waidwerks gewesen zu sein; nir-
gends iu seinem Werke über den gallischen Krieg ermähnt
er, daß er eine Jagd veranstaltet oder mitgemacht habe, ob-
gleich es ihm offenbar an Gelegenheit und in der ungünsti-
gern Jahreszeit auch an Muße nicht gefehlt hat. Dagegeu
hebt er die Jagdlust der Germanen an mehreren Stellen als
etwas Besonderes hervor. Sein Augenmerk war hauptsäch-
lich auf die Unterwerfung der widerspenstigen Barbaren und
auf die Beobachtung der politischen Verhältnisse in Rom
gerichtet; da blieb für die Jagd wenig Interesse übrig.
Wenn Cäsar schon über die wilden Ochsen und die Elen-
thiere des hercynischen Waldes solche Angaben macht, welche
wegen mangelnder Autopsie ziemlich mangelhaft sind, so gilt
dieses noch in höherm Grade von der dritten Merkwürdig-
keit, welche er erwähnt, von dem Ren thiere. Jene erst-
genannten Thierarten mögen damals in der unmittelbaren
Nachbarschaft oder selbst im Gebiete der Ubier noch zahlreich
gelebt haben, so daß die Häuptlinge der Ubier ihm eigene
Erlebnisse von der Elen- und Auerochsenjagd mittheilen konn-
Erdtheilen. 93
ten. Das Renthier aber, das ist meine feste Ueberzeugung,
war ihnen höchstens vom Hörensagen bekannt. Es ist mir
sehr wahrscheinlich, daß die mangelhasten und unzurei-
chenden Angaben, welche Cäsar über das Renthier
macht, von weitgereisten Handelsleuten oder Dol-
metschern stammten, welche gelegentlich die nordöstlichsten
Theile des hercynischen Waldes, also etwa das jetzige Ost-
Preußen, Kurland oder selbst Esthland, kennen gelernt hatten.
Bon diesen Leuten hat Cäsar seine Notizen über das Ren-
thier entweder direct oder erst durch Vermittelnng der nbischen
Häuptlinge erhalten. Dabei mögen leicht einige Mißvcr-
ständnisse auf Seiten des Cäsar in Folge mangelhafter Sprach-
kenntniß desselben oder ungenauer, befangener Ausdrucksweise
der Berichterstatter untergelaufen sein. Selbst gesehen
hat Cäsar das Renthier sicher nicht; es spricht da-
gegen die mangelhafte, sehr kurze Beschreibung, ferner der
kurze Aufenthalt des Cäsar in Deutschland, wobei er den
hercynischen Wald gar nicht betreten hat, schließlich anch die
Jahreszeit (Hochsommer), in welcher die Renthiere, falls sie
damals überhaupt uoch in Deutschland einheimisch gewesen
wären, sicher nicht auf den Getreidefeldern der Ubier dem
Cäsar zur Beobachtung sich dargeboten hätten.
Ans Grund aller dieser Momente komme ich zn dem
Schlüsse, daß Cäsar das Renthier im hercynischen Walde
nicht selbst beobachtet, sondern seine höchst mangelhafte Be-
fchreibnng desselben nach fremden, theilweife mißverstandenen
Mittheilungen aufgezeichnet und es irrthümlich unter die
Charakterthiere des hercynischen Waldes versetzt hat. Hier-
nach verdient die berühmte, oben mehrfach citirte Stelle
durchaus nicht diejenige Beachtung von Seiten der heutigen
Wissenschast, welche sie so vielfach gefunden hat.
Aus allen
A m e r i k a.
— Mitte December 1877 ist im Congresse zu Mexico
ein Präliminar-Vertrag zwischen Mexico und Guatemala
ratificirt worden, welcher die seit länger als einem halben
Jahrhundert zwischen beiden Freistaaten schwebende Grenz-
frage endgültig zu regeln bestimmt ist. Eine gemischte Com-
Mission von beiderseitig ernannten Ingenieuren soll zunächst
das streitige Gebiet kartographisch aufnehmen, und auf Grund
ihrer Arbeit werden alsdann die beiden Regierungen die de-
fimtive Grenzlinie bestimmen und festlegen.
— Aus Mexico. Durch das bisherige gespannte Ver-
hältniß zu England und Frankreich hat der geschäftliche Ver-
kehr Mexicos mit diesen Ländern fast ganz aufgehört, und
das freundliche Entgegenkommen des Deutschen Reiches hat
die Folge gehabt, daß die Deutschen nicht nur vou allen
Fremden in Mexico am liebsten gesehen werden, sondern daß
fast das ganze mexicanische Geschäft in deren Hände über-
gegangen ist; denn obgleich es in der ganzen Republik uur
1500 Deutsche geben soll, so vermitteln dieselben doch elf
Zwölftel des auswärtigen Handels; namentlich ist es
der Zweig der Merceria, der Leinen- und anderen Manufaetur-
waaren, womit sie das Land versehen, und dagegen außer
Silber noch Farbhölzer, Cedernholz, Kaffee, Taback, Gewürze,
Cochenille, Indigo, Marmor, Häute:c. ladungsweise in Zah-
lung nehmen. So bearbeiteu auch die Deutschen eine Menge
Minen, namentlich im Staate Michoacan, und statt sich in
die Händel zu mischen, an denen es hier nie fehlte, haben sie
Erdtheilen.
sich theilweife hier mit Mexicanerinnen verheirathet und Haus-
lich niedergelassen. —
Es ist bewuuderuswerth zu sehen, mit welchem Eifer
die mexikanischen Naturprodukte mehr und mehr Gel-
tmlg sich verschaffen: der Taback des Staates Veracruz uimmt
es schon mit den besten Gewächsen der Insel Euba auf, des-
gleichen der Kaffee, welcher an Wohlgeschmack dem arabischen
gleichkommt; alle Versuche, die Vanille-Pflanze anderswo zu
cultivireu, vermögen nicht das Aroma in deren Heimathland
(der südlichen Küste Mexicos) zu erreichen, die steinigen Pla-
teaux der Halbinsel Untercalifornien liefern eine unerschöps-
liche Menge Orchilla, und auf der Halbinsel Amata« wird
jetzt die Faserpflanze „Heneqnen" in solcher Menge gezogen,
daß nicht weniger als 500 Maschinen in den Haciendas thä-
tig sind, um dieselbe für den Exporthandel vorzubereiten,
abgesehen von einer dreifachen Zahl einfacherer Maschinen,
derer man sich zum Hecheln bedient. Hierzu wird uoch in
wenigen Jahren die Chinarinde kommen, da man seit län-
gerer Zeit augefangen hat, die Ehinchona auf verschiedenen
Plateaux zu pflanzen. —
Von allen Mitgliedern des Cabinets ist es besonders
der Ministro delFomento, Riva Palaeios, welcher die größte
Thätigkeit entwickelt, wohl wissend, daß gerade sein Depar-
tement — die Verbesserung der Communications Wege —
bisher am meisten im Argen lag; er hat daher eine große
Reise durchs Land unternommen, und befindet sich jetzt in
Tampico an der Ostküste, von wo eine Eisenbahn hinauf nach
Sau Luis Potosi gebaut werden soll, und um diesem Hafen
94 Aus allen
noch größere Sicherheit zu gewähren, als sie der von Vera-
crnz bietet, soll die Barre des Rio Panuco ausgebaggert
werden, so daß die großen Dampfer bis an den Quai ge-
langen können, was bisher nicht der Fall war. Die neue
Laudstraße nach San Luis wird schon am 5. März eröffnet
werden, und ähnliche Verbesserungen stehen im Hafen von Tux-
pan bevor, von wo man jetzt eine Telegraphenlinie, die Küste
entlang, errichtet, wo der Hasen auch gereinigt uud mit einem
Leuchtthurm versehen werden soll. Diese Häfen galten bisher
nur als große Schmuggel-Däpüts, hatten wenig Werth für
den legitimen Handel und ihre Unterhaltung kostete mehr als
sie einbrachten. Nicht minder thätig zeigt sich jener Minister
bei den anderen Staatsnnternehmuugeu; die Verbindung der
Veracruz-Eisenbahn mit dem reichen Staate von Oajaea (ver-
mittelst der Tehuacau-Bahu) wird auch schon am 5. März
vollendet sein (es ist dies ein Lieblingsdatum der Mexicauer
wegen des Rückzugs der Franzosen vor Puebla), uud die
Linien Leon-Guauajuato, Mexico-Toluca zc. schreiten rasch
fort, seit man die Soldaten bei denselben beschäftigt, welche
bei regelmäßiger Zahlung an kein Revolutioniren denken.
Von ferneren Eisenbahnunternehmungen sind zu nennen die
schon eröffnete Linie von Celaya nach Leon im Staate Guaua-
juato. Don Agnstin del Rio hat ferner den Contract für
die Bahn im Staate Aucatan von Msrida nach Peto über
Ticnl und Tecax erhalten; auch die Linie über den Isthmus von
Tehnantepec soll wieder aufgenommen werden, da die letzte
amerikanische Compaguie ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllte.
— Auch auf dem Plateau von Mexico haben groß-
artige Arbeiten begonnen, um endlich die früher regel-
mäßigenUeberschwemmuugen abzuhalten und bedeutende
Strecken dem Ackerbau öffnen zu können; die Spanier opser-
ten im vorigen Jahrhundert schon 50 000 Indianer bei dem
Bergdurchschnitt des Desaguö de Huechuatla, welcher die
Wasser des San-Crist6val-Sees nach dem Rio Tula führte,
uud jetzt krönt man dieses Werk, indem man selbst den
großen Salzsee von Tezenco in Angriff nimmt.
— Wie die Erfahrung in Californien zeigte, giebt es
kein besseres Mittel zur Förderung größerer Einwanderung,
als die Entdeckung reicher Goldwäschereien; solche haben
sich neuerdings im Staate Dnraugo beim Real Viejo gezeigt,
wo sich diese placeres von der Hacienda Ramos bis ans Eude
der von Sestin ausdehnen — eine Länge von vollen 30
Stunden. Andere Forschungen haben ergeben, daß in der
Sierra vou der Bufa de Juda an ein goldhaltiger Gürtel
von 3 Legnas Breite sich erstreckt. Jene Gegenden sind übri-
gens schon lange von den Mexicanern in größerm oder ge-
ringerm Grad ausgebeutet worden, je nachdem die Bewohner
zu ihren geringen Bedürfnissen oder Kirchenfesten einer
Summe bedurften. In solchen Fällen sollen die Bewohner
eines Dorfes sich aufmachen uud vou 8 Uhr Morgens bis
zum Dunkelwerden den Goldsand nach einem benachbarten
Gewässer schaffen und waschen; am nächsten Tage bringen
sie dann das gewonnene Gold einem Händler in Oro, der
ihnen 14 Doll. per Unze zahlt und dasselbe an die Münze
von Duraugo zur Prägung abliefert. Ueberhaupt zeigt sich
im Staate Dnrango jetzt viel Minenthätigkeit, denn im Mo-
nat Februar wurden 15 neue Bergwerke angemeldet sowie
5 andere in den benachbarten Districten von Cueucami und
Map um! (Aus der Augsburger Allgemeinen Zeitung.)
— Ueber Aeapulco, die bekannte Hafenstadt in der
mexikanischen Provinz Guerrero, enthalten die „Annalen der
Hydrographie und maritimen Meteorologie" (1878, VI, S. 248)
auch folgende Angaben aus den Reiseberichten S. M. S.
„Elisabeth", Capitän zur See von Wickede. „Der äußere
Eindruck, welchen gegenwärtig Aeapulco macht, ist ein höchst
trauriger, und dies setzt um so mehr in Erstaunen, als die
Sicherheit und Bequemlichkeit dieses Hafens, an der an guten
Häfen in der schlechten Jahreszeit so armen Westküste Nord-
amerikas, kaum etwas zu wünschen übrig läßt. Der Ort,
kaum 4000 Einwohner zählend, trägt alle Zeichen des äußer-
sten Verfalles an sich. Einige wenige unansehnliche einstöckige
Häuser bilden sogenannte Straßen mit aufgebrochenem Pflaster,
auf welchem ein Fußgänger Mühe hat vorwärts zu kommen.
Die Mehrzahl der Wohnungen liegt ziemlich unregelmäßig
durch eiuauder uud besteht aus elenden Baracken. Der größte
Theil der sehr armen Bevölkerung wohnt in Hütten, deren
Wände aus Palmenzweigen bestehen und welche nur bei den
etwas vollständigeren mit Lehm bestrichen werden. Nebenden
eigentlichen Mexicanern besteht die Bevölkerung hauptsächlich
aus den Nachkommen der frühern afrikanischen Sklavenrace,
ferner aus Nachkommen der Malayeu vou der Zeit her, als
Spanien noch einen blühenden Handel mit Asien betrieb, uud
aus Indianern. — Fische sind zu jeder Jahreszeit in Fülle
vorhanden, uud die Früchte wachsen ohne besondere Anstren-
guugeu der Feldarbeiter von selbst. Charakteristisch ist der
Mangel an Booten im Hafen. Etwa ein Dutzend ansge-
höhlter Baumstämme und einige gezimmerte Boote waren
alles, was die Bewohner zum Verkehr auf dem Wasser zu
besitzen schienen. Nirgends sah man Fischer oder Boote sich
auf dem Wasser bewegen, wie man das sonst an Hafenplätzen
zu sehen gewohnt ist. — Der Handel liegt in Folge der un-
sicheren Creditverhältnisse fast ganz darnieder. Im ganzen
Hasen befanden sich außer einem italienischen Kohlenschiffe
nur noch zwei kleine Küstenfahrer. Die Dampferlinien zwi-
schen Panama und dem Norden Amerikas laufen Aeapulco
an, um ihren Kohlenvorrath zu ergänzen -- Aeapulco ist der
einzige Kohlenplatz an dieser Küste. Als Rückfrachten für
die notwendigen Kohlenschiffe werden Häute und Hölzer
exportirt. Der Betrieb der in der Nähe befindlichen Silber-
niinen ist zur Zeit fast ganz eingestellt, und die Landleute
bauen im Allgemeinen nur so viel, als sie für ihre eigenen
Bedürfnisse nothwendig haben.
— Du Truppen der Republik Nicaragua, welche
bei der Beilegung des Streites zwischen diesem Staate und
dem deutschen Reiche am 31. März im Hasenorte Coriuto
unsere Flagge zu salutireu hatten, schildert ein Berichterstatter
im „Leipziger Tageblatt" solgeudermaßeu: Mit den Mann-
schasten ging's noch zur Noth. Es befandeu sich neben vielen
schwächlich aussehenden Leuten doch auch eine größere Anzahl
anscheinend kräftiger uud abgehärteter darunter, und bei meh-
reren derselben konnte man aus eiuer gewissen Sauberkeit
der Schloßtheile ihrer Gewehre auch auf einiges Interesse
für die Waffe (Remmington - Gewehr mit Haubayouuet)
schließen, was immerhin schon recht viel Anerkennung ver-
dient, da von Seiten der Herren Offiziere dieser Truppe auf
dergleichen Dinge kein Werth gelegt zu werden schien. Im
Uebrigen freilich ließ diese Garde von Managa viel zu wün-
schen übrig.
Abgesehen von den eben erwähnten Ausnahmen waren
die Waffen sonst durchweg unsauber uud angerostet. Die
Haltung war schlaff; Stillstehen schienen Offiziere uud Mann-
fchaften mit der Würde von freien Staatsbürgern unVerein-
bar zu halten; auf orduuugsmäßige Gewehrgriffe, wie sie
selbst bei den Türken „mit dazu gehöre«", ließen sie sich nicht
ein; einige hatten Sandalen an den Füßen, andere waren
barfuß, und der Anzug (Blonse uud Beinkleider aus blauem
Glanzleinen mit rothen Aufschlägen und Litzen und roth-
paspoilirte blaue Tuchmützen mit horizontal wegstehenden
Schirmen) war mehr als uialpropre.
Nicht besser uud nur uoch um desto auffälliger war die
äußere Erscheinung der Offiziere. Die blauen Röcke derselben
hatten theils eine Reihe, theils zwei Reihen Knöpfe; voll-
zählig waren dieKuöpfe aber nur au wenigen Röcken. Ver-
rostete Säbel und Säbelscheiden schienen „etatsmäßig" zn
sein. Hier uud da lugte aus den rothen Rockkragen und
Aermelansschlägen von verschiedener Form und Farbennüance
ein wollenes Hemd heraus, welches wohl nicht immer in
seiner nunmehrigen Verfassung gewesen sein mochte. Bein-
kleider von allen möglichen Farben — darunter z. B. eine
graue Eivilhose mit schwarzen Galons — waren auch da
Aus allen
und von einem der Herren wenigstens kann mit Bestimmt-
heit behauptet werden, daß er anch ein Taschentuch führte;
denn er entfaltete dasselbe während des Präsentirens beim
Flaggensalut, um sich mit ihm in diesem feierlichen Mo-
mente das vou der Tropensonne schweißtriefende Haupt zu
trocknen.
— Ueber den Jndianerstamm derPayaguas, welcher in
der Nähe von Asnncion am Paraguay haust und der von
den Guaraui ganz verschieden sein soll, erfahren wir durch
M. A. Bagnet jetzt Näheres (Bull. Soc. Geogr. d'Anvers.
Tome II, 63. 1878). Ihre Hütten, erzählt der Belgier, sind
aus Taquaras oder Bambusstäben errichtet, welche sie mit
Stricken aus frischer Rinderhaut verbinden. Darinnen schläft
die ganze Familie unter einander. Jagd und Fischfang,
deren Prodncte sie den Paraguayern verkaufen, sind ihr ein-
ziger Erwerbszweig. Für den Ertrag kaufen sie kaum die
uöthigeu Stoffe zu ihrer Bekleidung, der größte Theil geht
in Cachatza (Znckerbranntwein) ans, denn sie sind unverbesser-
liche Säufer. Die Payaguas sind hübsch gewachsen, ihre
Glieder sind wohlgeformt, und uie sah unser Gewährsmann
unter ihnen einen Krüppel. Ihr Gesichtsausdruck ist weit
offener als jener der finsteren nnd^. schweigsamen Gnarani.
Der Teint ist dnnkelgelb; die langen schwarzen Haare werden
auf der Stirn gerade abgeschnitten, während sie hinten zu-
weileu mit einem Streifen aus Affenhaut znsammeugebuudeu
werden. Sie haben wenig Bart nnd reißen sich die Augen-
brauen aus; bis zum Gürtel gehen sie nackt, ist es aber kalt,
so werfen sie einen Mantel aus Baumwollstoff um. Der
Weiberrock reicht von der Herzgrube bis zu den Knien, ihr
Schmuck besteht in Jaguarkrallen, während alle die Barbote,
einen großen Holzklotz, in der Unterlippe tragen. Dnrch
Druck nach unten zu verlängern die Weiber von Jugend auf
ihre Brüste, und wenn sie Mutter geworden sind, suchen sie
durch Pressen und Binden mit einem Riemen die Verlan-
gernng uoch größer zu machen. Auf ihren Fersen hockend,
setzen sie den Säugling, um ihn zu stillen, auf ihre Hüften;
tragen sie denselben auf dem Rücken, fo reichen sie ihm die
Brust unter dem Arme durch.
Das Tättowiren ist bei den Payaguas uoch im Gebrauche,
obgleich dieser Brauch schon selten wird. Ihr Kazike, Ma-
noel Bazan, der übrigens von seiner Würde nichts als den
Namen hat, ist in der bizarrsten Weise bis auf die Hüften
herab tättowirt. Die Tättowirnng selbst wird mit einer
spitzen Palmettorippe ausgeführt; der Patient verhält sich
während der sehr schmerzhaften Operation ganz ruhig. Die
frischen Wunden werden mit einem Pflanzensaft eingerieben
und nehmen alsdann eine violette Farbe an. Die Tättowi-
rnng hat bei den Frauen eine ganz besondere Bedeutung und
man kann nach derselben das Alter der Frauen erkennen.
Im Alter der Mannbarkeit, also zwischen dem achten nnd
nennten Jahre, werden den Mädchen Streifen im Gesichte
von den Schläfen bis zur Nase eingeritzt. Verheirathen sie
sich, was oft schon mit 10 Jahren der Fall, dann schneidet
man ihnen die Haare auf der Stirn gerade wie bei den
Männern und tättowirt das Kinn mit einigen Linien. Witt-
wen lassen das Haar wachsen und malen sich Thränen unter
die Augen. Die Heirath findet ohne Ceremonie statt; Ehe-
scheidnngen sind selten; treten solche dennoch ein, so bleiben
der Fran die Kinder und die Hanshaltnngsgeräthe mit Aus-
nähme der Waffen. Bei der Niederkunft wird der Frau von
ihren Freundinnen Beistand geleistet; das Kind bleibt nackt
und wird aus eine Ochsenhaut gelegt, auf der es bald auf
allen Vieren kriechen lernt.
Die Payaguas sind Heiden und haben nach nnserm
Gewährsmann keine Idee von einem höhern Wesen. Nach
ihrer Vorstellung werden die Bösen nach dem Tode in Kes-
fein verbrannt, während die Guten an den Gestaden eines
schönen fischreichen Stromes die Jagd betreiben. Die Ver-
suche der Jesuiten, sie zum Christeiithnm zu bekehren, schlugen
fehl. Ihre Todten begraben die Payaguas auf kleinen In-
Erdtheilen. 95
feln des Stromes und auf die Gräber legen sie Waffen und
Geräthe nieder; Feuer bereiten sie durch das Reiben zweier
Hölzer. Fische, Kaimanschwänze, Capibaras, Affen und
andere Thiere bilden ihre Nahrung, die sie in großen Kesseln
bunt durch einander kochen.
Die Sprache der Payaguas ist, nach Bagnet, so schwie-
rig, daß bisher sie uoch kein Fremder erlernt hat. Bagnet
konnte sie wegen ihrer Gutturallaute und Diphthongen nicht
aussprechen und saud auch in ganz Paraguay nur einen
einzigen Menschen, der die Sprache verstand; es war dies
ein Mestize, der fast sein ganzes Leben unter den Indianern
verbracht hatte.
Interessant ist die Salzbereitung der Payaguas. Sie
sammeln den salzhaltigen Boden (Barero) an den Usern des
Paraguay, laugen ihn aus uud koche« die Lauge in großen
kegelförmigen Vasen ein.
Polarländer.
Die niederländische Polarexpedition
ist am 6. Mai von Amniden in See gegangen. Nach dem
„Amsterdamer Handelsblad" theilt die Bremer Geographische
Gesellschaft einiges Nähere über das Schiff, die Ausrüstung
uud Zwecke der Expedition mit. Das Expeditionsschiff ist
ein Segelsahrzeng mit Namen „Willem Barendsz". Es ist
eine Schnnerjacht von 80 Tonnen und kräftigein Bau. Seine
Form ist derart, daß es starkem Andränge von Eis wieder-
stehen, event. von den Schollen nicht geklemmt, sondern eher
in die Höhe gehoben werden wird. Die Rippen und Span-
ten sowie alle Hauptverbiuduugen sind von kerngesundem
Eichenholze. Ueber der Eicheubeplaukung liegt, beginnend in
der Höhe der Wasserlinie bis auf anderthalb Meter unter
der letzter», eine zweite Eichenhaut. Der Vordersteven ist
zun: Schutze gegen das Eis mit Eisenplatten belegt. Im In-
nern weicht die Constrnetion des Schiffes insofern von der
gewöhnlichen ab, als es durchweg als Passagierschiff eiugerich-
tet ist und somit keinen eigentlichen Laderaum hat. Das
Schiff ist durch wasserdichte Schosse in drei Theile getheilt,
von welchen der einzelne voll laufen kann, ohne daß der be-
nachbarte davon mit betroffen wird. Das Wasser kann mit
Leichtigkeit ausgepumpt werden. In der Hintercajüte sind
die Räume für den Eapitän und die zwei Offiziere der
Expedition, mittschiffs wohnen der Zoolog, der Doctor und
der Photograph und im Vorderschiffe ist das Logis der aus
acht Leuten bestehenden Mannschaft. Nahe der Mittlern
Eajüte befinden sich die Räume für Steinkohlen und Pro-
viant und zwar in Quantitäten, welche für eine Reise von
achtzehn Monaten berechnet sind, obwohl diesmal die Dauer
der Fahrt auf nur sechs Monate bestimmt ist. Das Zeug
des Schiffes besteht aus einer zweimastigen Schnnertakelage
mit einer breiten Fockrah, so daß das Fahrzeug mit Hülse
seines schlanken Baues bequem segeln und wenden kann. Auf
dem Deck ist ein Dampskrahn von drei Pserdekrast errichtet,
um mit Hülse desselben Lothleinen, Schleppnetze und andere
Tane schnell einholen zu können. Die Bemannung des „Wil-
lem Barendsz" besteht im Ganzen aus vierzehn Köpfen, nänr-
lich ans dem Eommandanten, I. I. de Brnyne, Lieutenant
zur See zweiter Elaste von der königlichen Kriegsmarine,
den Offizieren Koolemaus Beijueu und H. M. Speelman,
ebenfalls Lieutenants zur See zweiter Classe, Dr. C. P.
Sluyter und dem Studiosus Heymaus, dem Photographen
Grant, drei Bootsleuten von der Marine, zwei Leuten vom
Lootswesen, zwei Vlaardinger Fischern und einem Steuer-
manne. Die Beköstigung ist dieselbe wie auf der königlichen
Marine und dabei kein Unterschied zwischen Matrosen und
Offizieren gemacht. Die Expedition soll mehrere Punkte von
Spitzbergen und Nowaja Zemlja besuchen; sodann eine Re-
cognoseirnngssahrt ostwärts in das Eismeer bis zu den Mün-
düngen der großen sibirischen Ströme Ob nnd Jenisei unter-
nehmen.
96
Aus allen Erdtheilen.
— Mr. Gordon Bennet, der reiche Besitzer des
„New-Uork Herald", welcher Stanley's afrikanische Reisen
bestritten hat, hat zu seiner beabsichtigten Nordpolarfahrt
(f. vorigen Band S. 159) die wohlbekannte „Paudora" er-
worben, und in „Jeannette" umgetauft, während der Kon-
greß dem Präsidenten die Erlaubuiß ertheilt hat, Offiziere
der Staatsmarine für die Reise abzncommandiren. Das
jetzt auf der Themse in Ausrüstung befindliche Schiff, wel-
ches einen ganzen wissenschaftlichen Stab an Bord nehmen
soll, wird aber nicht vor Juni nächsten Jahres, und zwar
wahrscheinlich von San Francisco durch die Beriugsstraße
nach seinem Ziele abgehen.
— Das Dampfschiff „Fräser", Capitän Nilsou, ist am
14. Juni von Gothenburg nach dem Jenisei und das
Dampfschiff „Lena", Capitän Johannessen, einen Tag später
nach der „Lena" abgegangen. Diese beiden Dampfer sollen
das Dampfschiff „Bega" auf der bevorstehenden wissen-
schaftlichen Eismeerexpedition des Professors Nor-
denskiöld begleiten. „Bega" wird Ende Juni abgehen.
Aus Geste wird vom 12. Juni geschrieben: Das Schiff
„Expreß", Capitän Gnnderson, welches im April dieses Jah-
res von Skntskär nach London absegelte, ist jetzt von letzt-
genanntem Platz nach Vardö abgegangen, um von dort die
Reise nach dem Jenisei fortzusetzen. „Expreß" hat von Lon-
don Waaren für Sibirien und Kohlen, welche an der Mün-
dnng des Jenisei für den Dampfer der Nordenskiöld'schen
Expedition bestimmt sind, mitgenommen. ■ Das Fahrzeug
wird vom Jenisei eine größere Partie Getreide sowie etwas
Talg nach Europa bringen.
— Am 19. Juni dieses Jahres hat der Schoner
„Gothen" Nenyork verlassen, um nach Resten der Frank-
lin'schenExpedition zu suchen. Das Schiff ist für 30 Mo-
nate ausgerüstet und steht unter Befehl des Capitäns Th o-
mas F. Barry, der früher schon Löffel mit Sir John
Franklins Wappen auffand und dadurch die gegenwärtige
Expedition veranlaßt?. Die Bemannung besteht aus 25 Mauu
und einem Eskimo als Jäger und Führer. „Gothen" wird
zuerst nach Whale Point an der Hndsons-Bay gehen, um
eine Anzahl Eskimos aufzunehmen, und dann nach Beach
Point in der Repulse Bay. Auf Whale Point traf Barry
früher die Eskimos, von denen er die Löffel kaufte; dieselben
sagten aus, daß das Schiff, von welchem dieselben stammten,
bei Cap Hallowell vom Eise zerdrückt worden sei. Seine
Bemannung, darunter Sir John Franklin, den sie als
„Hilata" oder Führer bezeichneten, wurde von den Einge-
borenen nach Cape Englefield, 640 engl. Miles von Whale
Point, gebracht, wo einer nach dem andern an Kälte, Huu-
ger und Krankheit starb und begraben wurde. Wichtig ist,
daß auch Bücher mit Aufzeichnungen vorhanden waren und
mit begraben wurden. Von Repulse Bay aus beabsichtigt
Barry zu Schlitten nach dem noch von keiner Expedition
erreichten Cap Englefield vorzudringen, was er in vier bis
fünf Wochen zu bewerkstelligen hofft.
— DerNameMartinFrobisher bleibt für alle Zeiten
mit der Geschichte der Erdkunde verknüpft. Eine Biographie des
ungemein thätigeu Mannes fehlte bis jetzt und erst 300 Jahre
nach seiner großen wiewohl erfolglosen Nordwestpassage-Expe-
dition ist sie jetzt von Frank Jones verfaßt worden^). Trotz
aller Rohheit, die seinem Zeitalter anklebte und auch bei Fro-
i) The life of Sir Martin Frobisher, Knight, contain-
ing a narrative of the Spanish Armada. London 1878.
Longmans et Co.
bisher in hohem Maße sich zeigte, war der Manu, der die
Nordwestpassage suchte und gegen die unüberwindliche Armada
der Spanier focht, doch kein gewöhnlicher Glücksjäger. Es
geht vielmehr, wie wir bei der Lectüre des vorliegenden
Buches erkennen, ein großer Zug durch sein ganzes Leben.
Das Jahr seiner Geburt ist uugewiß; es liegt zwischen 1530
und 1540, doch näher dem letztern. Ort seiner Geburt ist
Normanton in Aorkshire, wo seine aus Wales stammende
wohlhabende Familie sich niedergelassen hatte. Erzogen wurde
der Knabe von seinem Onkel, der ihn auch auf die See
brachte. Seine drei großen Expeditionen zur Auffindung
des nordwestlichen Weges nach Kathay (China) fallen in die
Jahre 1576, 1577 und 1578, wo er bis in den Norden der
Hudsonsstraße vordrang nnd von dort die berühmte „schwarze
Erde" mitbrachte, welche man für goldhaltig ausgab nnd die
sich als völlig werthlos erwies. Sämmtliche Expeditionen
verfehlten ihr Ziel nnd nur die Entdeckung einer Reihe ark-
tischer Küstenstriche bleibt als Gewinn derselben. Frobisher,
der später als Marineoffizier gegen Spanien sich auszeichnete,
wurde bei der Belagerung von Crozon tödtlich verwundet
und starb im November 1594 in Plymonth.
Nekrologe.
— Wie E. Behm in seinem Geographischen Monats-
bericht (Petermann's Mitteilungen 1878, S. 241) mittheilt,
hat Westafrika ein neues Opfer gefordert: Wilhelm Höpf-
ner, ein Freund des Dr. Laudien (f. „Globus" XXXIII,
S. 112), ist am 7. Februar dieses Jahres in Porto Novo
dem Fieber erlegen. Seit mehreren Jahren hatte er es sich
zur Lebensaufgabe gemacht, zur Erforschung Afrikas und znr
Civilisation seiner Bewohner beizutragen, und sich durch lange
energische Arbeit die Mittel zu seiner Reise, welche er Ende
August 1877 von Hamburg aus antrat, verschafft. Ende
Oetober kam er in Lagos an, wurde aber durch die Feind-
seligkeiten der kriegführenden Eingeborenen daran gehindert,
in das Innere einzudringen nnd den Zusammenfluß des Ko-
wara und Binnö zu erreiche». Er mußte also an der Küste
bleiben, wo er für das Stettiner Museum zoologische Samm-
lnngen machte, bis er dem tückischen Klima erlag.
— Ernst Freiherr von Bibra, geboren 1806 in
Schwebheim in Unterfranken, gestorben in Nürnberg am
5. Juni 1878. Anfangs studirte er in Würzburg Jura,
später Chemie. 1845 machte er eiue längere Reise durch Bra-
silien und Chile und schrieb darüber drei Bücher: „Reisen in
Südamerika", „Erinnerungen aus Südamerika" nnd „Aus
Chili, Peru und Brasilien". Nach seiner Rückkehr ließ er
sich in Nürnberg nieder, brachte dort eine reichhaltige Natu-
raliensammluug zusammen uud veröffentlichte außer einer
großen Menge von Novellen und Romanen, die zum Theil
in Südamerika spielen, eiue Reihe von Büchern, darunter
„Vergleichende Untersuchungen über das Gehirn des Men-
schen und der Wirbelthiere" (1854), „Die narkotischen Ge-
nnßmittel und der Mensch" (1855) und „Die Getreidearten
und das Brod" (1860). Die Kölner „Gaea", welche er eine
Zeitlang herausgab, uud der Leipziger „Kosmos" enthalten
viele Beiträge von ihm, und von seinen archäologischen Schris-
ten sind zu nennen: „Die Edelmetalle in der Cnltnrgeschichte",
„Die Bronzen und Kupferlegirungeu der alten und ältesten
Völker" (1869) nnd „Ueber alte Eisen- und Silberfnnde, eine
archäologisch-chemische Skizze" (1873).
Inhalt: Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar. III. (Mit vier Abbildungen.) — H. Kiepert: Die
neuen Staatengrenzen auf der Balkanhalbiusel. (Mit einer Karte.) — Dr. Alfred Nehring: Lebteu zu Cäsar's Zeiten
Renthiere im hercynischen Walde? I. — Aus allen Erdtheilen: Amerika. — Polarländer. — Nekrologe. — (Schluß der
Redaction 13. Juli 1878.)
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
Hierzu als Beilage: Literarischer Anzeiger Nr. 7.
#
Band XXXIV.
Mit desonäerer V^rücllsicktigung Äer AntllroNo!ogie und Gtlmologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 Q 7 Q
Oraun|0)n)etg zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. " 1 *
Von Sir Forsyth^s Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
IV.
Am Tage nach ihrer Ankunft in Jarkand erhielten die
Engländer die Erlaulmiß, Stadt und Umgegend zn besuchen,
doch unter der Bedingung, daß sie stets von einem Beamten
des Dadkwah begleitet würden. Es war das eine durchaus
vernünftige Maßregel, für welche man deu Fremden mehrere
Gründe anführte, ohne indessen den wahren zu nennen.
Im Jahre 1870 war es den Frauen verboten gewesen,
während der Anwesenheit Forsyth's sich auf den Straßen
sehen zu lassen, eine Anordnung, welche dieses Mal nicht
wiederholt wurde. So konnten denn die „Damen" der
Stadt ohne Hinderniß ihre brennende Neugierde, die Fremden
zu sehen, befriedigen — und diese kouuteu wieder ihrerseits
die Wintermoden Jarkands nach Belieben studireu. Chap-
man braucht den Ausdruck „Wintermoden", weil er im Mai
des folgenden Jahres, als er von den Hochebenen am obern
Oxus zurückkehrte, faud, daß sich in der Frauentracht inzwischen
eine vollkommene Revolution vollzogen hatte, welche sich vou
der Kopfbedeckung bis auf die Schuhe erstreckte. Im Winter
tragen sie auf dem Haupte eine Art enormen Turbans, der
meist aus schwarzer Lammwolle gemacht, oben mit Fischotter-
pelz verziert und mit bunter Seide oder Baumwolle eingefaßt
ist. Unter diesem Putze tragen die Frauen ein großes vier-
eckiges Stück weißen Musselins auf dem Kopfe, welches eut-
weder auf den Rücken herabhängt oder auch über die Schul-
tern bis nach vorn reicht und dort befestigt wird. Auch
halten es die Frauen zuweilen mit den Zähnen fest, so daß
es die Rolle eines Schleiers fpielt.
Das Haar wird zumeist in zwei lange Zöpfe geflochten
oder, ohne geflochten zu sein, in Locken getragen. Die Kleider
sind lang und weit, aber ohne Falten; aus dem Obergewaude
Globus XXXIV. Nr. 7.
tragen verheirathete Frauen als Abzeichen in Brusthöhe hon-
zoutale Streife». Dazu kommen hohe Stiefel von Leder
oder bunter, gestickter Wolle mit hohen Absätzen. Die Ober-
gewänder bestehen aus dicken starken Baumwollstoffen, die
mit roher Baumwolle gefüttert sind; dieselben sind von allen
möglichen Farben und Mustern, vou den einfachsten bis zu
den Prachtvollsten. Die erwähnten Streifen stechen immer
scharf vom Gewaude ab. Am beliebtesten unter den Farben
sind Grau, Chokoladefarbeu, Dunkelgrün und Blau. Die
Unterkleider sind gewöhnlich weiß mit rothen Streifen. An
Festtagen werden Seidenkleider aus Chotau und Andidfchan
getragen, welche auf lebhaftem Grunde große Muster in
chinesischem Geschmack zeigen und reich besetzt und gefüttert
sind. Zeugstiefel schmücken die Damen mit Stickereien und
coquetten Schleifen von Florettseide, das Ganze in Ueberein-
stimmung mit der Farbe, welche im gesammten Costüme vor-
herrscht. Bei solchen Gelegenheiten sind auch die Unterkleider
hellfarbig. Bei Festen entwickelt man eben so viel Pracht
und Geschmack für die Kinderkleider; Chapman sah Kleine
mit bunten seidenen Bänden: und sehr niedlichen Schuhen.
Hochgestellte Frauen tragen Seidenkleider mit Pelzfutter
und Kopfbedeckungen, welche ganz und gar aus echtem fibi-
rtfchen Fischotterpelz bestehen und das Stück 100 Mark
kosten. Schmuck wird anscheinend nicht getragen. Die
höchste Eleganz liegt darin, daß die Augenbrauen zusammen-
stoßen, daß die Flechten so dick als möglich erscheinen uud
daß man der Farbe der Wangen künstlich nachhilft. Auch
einen horuförmigeu Kopfputz, von welchem schon Shaw
spricht, sahen die Engländer; mitunter wird als Bestandteil
der Sommertracht darüber ein Ueberwurf von leichtem Mus-
13
96
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
selin getragen. Schleier sind wenig im wirklichen Gebrauche,
wenn man sie auch an der Kopfbedeckung befestigt. Die
Frauen hatten früher die Gewohnheit, ganz ohne Schleier
auszugehen; allein unter der Herrschaft des Atalik Ghazi hat
man jene Unsitte verboten und das strenge mohammedanische
Gesetz wieder eingeführt. So wie es jetzt heißt, daß der
Kasi (religiöser Beamter) die Runde macht, zeigt sich unter
den Frauengruppen auf den Straßen große Bewegung: sie
verstecken sich entweder, um
seinen Blicken zu entgehen, oder
lassen rasch den Schleier fallen.
In der ersten Zeit, wenn
die Engländer in der Stadt
ihre Spazierritte machten, ritt
ein Mzbaschi oder irgend 'ein
anderer Offizier vor ihnen her
und rief den Frauen zu, daß
sie vor den Fremden ihre
Schleier herablassen sollten.
Schließlich aber gaben sie diese
Vorsicht auf und das Erfchei-
nen der Engländer verursachte
unter den Frauen weder Alarm
noch jähe Flucht.
Die Männer tragen für
gewöhnlich eine enganschließende
Mütze, die mit Lammsfell
oder Pelz besetzt und oben ganz
rund ist. Der Schnitt ihres
Gewandes ist derselbe wie bei
den Frauen; nur wird es in
der Mitte von einem bäum-
wollenen Gurte zusammeuge-
halten. Die Stiefel sind hoch
und von einfarbigem Leder,
die Strümpfe von Filz. Die
höheren Stände tragen den ho-
hen, mit Otter- oder sonstigem
kostbaren Pelzwerke besetzten
„Tilpak"; ebenso haben sie
mit Pelz verbrämte Gewänder.
Turbane werden mit und ohne
die luxuriöse Pelzkappe getra-
gen. Die gewöhnlicheren Leute
nehmen zu ihren Kopfbedecknn-
gen und Winterkleidern Ham-
melfelle; auf eben solchen schla-
sen auch alle Stände und decken
sich mit Decken aus Filz oder
Baumwolle zu.
Die Gesichtsfarbe ist im Allgemeinen hell und die Haare
schwarz. Beide Geschlechter sind von mittlerer Statur und
von festem, robustem Aussehen. Die Frauen sind meist
hübsch und haben frische, angenehme Physiognomien; ihre
Füße sind klein und wohlgestaltet. Das Volk hat Anlage
zur Heiterkeit und guten Laune und Sinn für Vergnügungen,
für Musik und Tanz; aber der strengreligiöse Geist, welcher
in der Regierung Jakub Beg's vorwaltete, hat die früher
beliebten Vergnügungen bedeutend eingeschränkt.
Die Stadt Jarkand hat einen Umfang von etwa einer
deutschen Meile; sie liegt in der offenen Ebene und ist von
ausgedehnten volkreichen Vororten, gruppenweise in den Fel-
dern und Gärten zerstreuten Gehöften, umringt. Die Stadt
selbst hat etwa 5000 Häuser, ihre nächste Umgebung, die
Festung Jangi-schahr eingeschlossen, etwa eben so viel. Sieben
Personen auf das Haus gerechnet, gäbe das eine Bevölkerung
Jarkander Dame.
(Nach Zeichnungen von Chapman und Gordon.)
von 35 000 Menschen für die eigentliche Stadt; doch schätzen
Chapman und Bellew dieselbe nach dem äußern Eindrucke
auf nicht viel über 20 000 Seelen.
Die Straßen Jarkands sind voll von Bewegung und
lustigem Leben, wobei überall große Ordnung herrscht. Für
die verschiedenen Arten von Maaren und für die einzelnen
Industriezweige bestehen gesonderte Bazare, darunter auch
einige bedeckte. Ueberall wandern Austräger herum und
bieten mit lauter Stimme ihre
Sachen aus, die sie in flachen
Körben herumtragen, Pasteten-
bäcker mit Schiebekarren, Ge-
müsegärtner mit Körben, wel-
che sie nach indischer Weise an
einer biegsamen Stange auf der
Schulter tragen. Ebenso trans-
portiren die Wasserverkäufer
ihre Eimer oder ihrer zwei
schleppen ein breites, tiefes Be-
hältniß an einer Stange, wel-
che durch die Henkel desselben
gesteckt wird.
Jedesmal, wann die Eng-
länder vor einem Laden stehen
bleiben, um etwas zu kaufen
oder nach dem Preise zu fragen,
wird die bescheidene Summe,
welche einem einheimischen
Käufer abverlangt worden wä-
re, sofort in der ausschweifend-
sten Weise erhöht, und es bil-
det sich ein Kreis Neugieriger,
welche die „Firangi" — so hei-
ßen in Ostturkestan alle Fran-
ken oder Europäer — sehen
wollen.
Wir haben — schreibt
Chapman — unsere Anschaf-
fungen int Bazar mit gewal-
tig hohen Preisen bezahlt. Ich
trage jetzt eine grüne, breit
mit Pelz besetzte Mütze und
höchst sonderbare Stiefel, welche
man wie ein Paar Pantoffeln
ausziehen und an der Thür
stehen lassen kann, wenn man
in?ein mit Teppichen belegtes
Zimmer tritt. Dem Dadkwah
habe ich eine Visite abgestattet,
nachdem ich mir zuvor das
blühendste Persisch angeeignet hatte, von welchem mein Col-
lege Dr. Bellew behauptete, daß es mir von den Lippen fließe
wie das Wasser aus einem geöffneten Hahne. Wie dem nun
auch sei, so war ich doch von dem Besuche bei dem kleinen
alten Schlaukopfe, der für einen Bewohner Jnnerasiens, das
er nie verlassen hatte, sehr unterrichtet ist, höchst befriedigt.
Ich habe ihm fast die Einrichtung einer Sonnenuhr ver-
sprechen müssen, weil er das lebhafte Verlangen trägt, seine
Gebete genau zur festgesetzten Zeit zu verrichten. Auch über
den Compaß und andere wissenschaftliche Dinge haben wir
geplaudert, und er hat mich gefragt, ob ich meine Kenntnisse
nicht aus dem Pythagoras geschöpft hätte.
Ich soll ihm unsern schottischen Pfeifer, den er beim
ersten Male sehr wenig beachtet hatte, noch einmal schicken,
damit er seine Künste bewundern kann.
25. November. Mehrere Tage lang mußten wir einen
100 Von Sir Forsyth's Gesar
Theil unserer Zeit darauf verwenden, einen Streit zwischen
Mohammedanern und unseren Hindus zu schlichten, der in
diesem strenggläubigen Lande für uns sehr unangenehme Fol-
gen hätte haben können.
Am 15. konnte ich mit Dr. Bellew einen sehr interessan-
ten Spaziergang durch die Stadt unternehmen. Als wir
nach dem Bazar gingen, hörten wir Kinderstimmen, welche
ans einem kleinen Lehmhause kamen; wir traten näher und
sahen eine Probe von dem landesüblichen Schulunterrichte.
In einem etwa 20 Fuß langen Räume standen längs der
Mauern, eine über der andern, zwei Reihen Bänke, auf wel-
chen etwa 60 Kinder hockten, die damit beschäftigt waren,
eine Stelle aus dem Koran auswendig zu lernen. Alle
schastsreise nach Kaschgar.
recitirten zu gleicher Zeit ihre Lection, was einen ziemlichen
Lärm verursachte. Darunter waren neun Mädchen, von denen
zwei wirklich sehr hübsch waren. Als wir kleine Münze
unter sie vertheilten, war die Freude groß.
Dann durchmusterten wir verschiedeueKrambnden, nament-
lich die eines Gewürzhändlers, und kauften ein weißes Leo-
pardensell und merkwürdige Proben chinesischer Industrie,
welche noch vor wenigen Jahren hier in Blüthe stand. Der
große Markt, den wir gleichfalls besuchten, besteht aus einem
großen, sehr ordentlich gehaltenen Hofe, in dessen Mitte wie
in einem Schiffsräume 25 Kammern ausgegraben sind, für
Baumwollballen und andere Prodncte, die auf Lager liegen
müssen, bestimmt. Unter den Kaufleuten aus den verschie-
Ansicht von Jarkand. (Nach
denen Ländern Asiens fand sich auch ein Individuum in sehr
reinlicher europäischer Kleidung und von distinguirtem Be-
nehmen, der ohne aufzufallen in Wien hätte herumgehen
können. Wir hielten ihn für einen Nogaier aus Rußland;
er erklärte uns aber, daß er ans Chokand stamme. Wäh-
rend wir bei einem sehr liebenswürdigen Tuchhändler Wage
und Gewicht ulusterten und uns erklären ließen, setzte sich
ein Mann neben uns und ertheilte uns ungefragt Auskunft
über alle schwierigen Punkte. Es war ein „Käufer", eiu
Stand, der diesem Laude eigenthümlich ist und ohne dessen
Zuziehuug man in Jarkand keinen Kauf abzuschließen scheint.
Von Tagesanbruch an sind sie auf den Beinen und mischen sich
in alle Geschäfte, indem sie den Verkäufer ersuchen, seine
Forderung zu ermäßigen, und den Käufer, seinem Gebote
noch etwas zuzufügen, wofür sie ihre Proceute beziehen.
einer Aquarelle Chapman's.)
Die Menge hatte sich inzwischen in dichten Hausen um
die Bude gedrängt nnd der Makler wurde immer liebens-
würdiger, so daß ich ihm schließlich, um ihn los zu werden,
auf den Rücken schlug. Die Leute stimmten dein zu und
wir machten uns davon.
Zum Beschlüsse besuchten wir eine chinesische Nestau-
ratiou, wo man noch mit Stäbchen ißt. Da aber die Stunde
zum Brechen der Fasten noch nicht gekommen war, so be-
schränkte man sich dort darauf, die sehr appetitlichen Speisen
einstweilen zu bereiten.
Augenblicklich ist mein Zimmer mit Frauenkleidern voll-
gestopft, weil alle sich bereit zeigen, ihre schönsten Sachen zu
verkaufen. Vor der Hochzeit muß der Bräutigam seiner
Zukünftigen mehrere Prachtgewänder schenken. In dieser
Art besitze ich reizende kleine Stiefeln mit grünen Absätzen,
Jarkander Kaufleute. (Nach
kel und Sattel klemmt, um sie besser festhalten und verthei-
digen zu können. So jagen alle im Galopp querfeldein,
bis ihre Pferde sich allmälig zerstreuen und von einander
entfernen. Die Beute ist dann für alle, den ersten Sieger
ausgenommen, verloren. Aber rasch bringen die Jäger ihre
Pferde wieder heran uud saugen den Kampf mit ihrem Geg-
ner wieder an, indem sie in einer Linie zu dreien oder Vieren
sich neben ihm halten. Die Reiter, welche am weitesten von
der Ziege entfernt sind, haben dabei fast keinen Zusammen-
hang mit ihren Pferden mehr, so weit biegen sie sich über
uach der ersehnten Beute. Es gewährt einen schönen An-
blick, mit welcher Grazie und Vollkommenheit sie ihre Thiere
lenken. Ihr Sitz ist anscheinend nicht so fest wie der nuferige;
ihre Bewegungen erinnerten mich au die eines vortrefflichen
Schwimmers, der ohne sichtbare Anstrengung durch das
hotographieu von Chapman.)
Wasser gleitet und seinen Körper geschickt den geringsten
Schwankungen der Wellen anpaßt. Beim Oglak-Spiele
scheinen die Jarkander völlig zu vergessen, daß sie zu Pferde
sind. Nur selten haben sie die Zügel in der Hand und in
der Hitze des Wettkampfes jagen sie, den Körper halb ans
dem Sattel, über alle Unebenheiten des Landes hinweg.
Natürlich ist das Spiel nicht ohne Gefahr. Der, welcher
die Ziege in Händen hat, steht nicht an, wenn er sehr be-
drängt wird, sie nach vorn zn werfen, daß die galoppirenden
Pferde seiner Rivalen darüber stürzen.
Einem Kirghizeu unserer Truppe riß, als er sich über-
bog, der Steigbügelriemen, so daß er zu Boden stürzte und
sein Pferd ihm mit dem Hufeisen ein Loch in den Kopf schlng.
Mein Freund Mullah Scherif schoß mit seinem starken
isabellfarbenen Pony eine Lerche und flog mehrere* Fuß weit
Von Sir Forsyth's Gesar
die bis zum Knie hinauf in Gold und Silber gestickt und
mit zahlreichen blauen und rothen Rosetten besetzt sind.
Trotz solcher Geschenke hat jeder Ehemann das Recht, seine
Frau sich vom Halse zu schassen, wenn er nur dem Mollah,
der die nöthigen Scheidnngssormeln zu lesen beauftragt ist,
etwas Geld zahlt. Frauen sind hier billige Waare, die man
unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften das Stück von
10 Mark an sich verschaffen kann.
Als wir neulich von einer Jagd zurückkehrten, hatten wir
Gelegenheit, Jarkander beim Oglak-Spiele zu beobachten.
Dieselben besitzen überhaupt ausgesprochene Neigung für alle
Hebungen, bei denen es auf große Geschicklichkeit im Reiten
ankommt, und darum gehört der Oglak zu ihren Lieblings-
schastsreise nach Kaschgar. 101
spielen. Shaw giebt davon folgende sehr genaue Beschrei-
bung.
„Man legt eine Ziege ohne Kopf auf den Boden, und
es gilt nun, dieselbe aufzuheben, ohne vom Pferde zu steigen.
Jeder klammert sich mit einem Beine und einer Hand an den
Sattel, beugt sich nieder und versucht mit der andern das
Thier zu fassen. Tosend und schreiend drängt sich die Menge
um die Ziege, bis einem davon das Stück gelingt und der-
selbe sich rasch wieder im Sattel zurechtsetzt und davongalop-
pirt, von den übrigen eilends verfolgt. Zwar macht er, um
zu entkommen, zahllose Wendungen und Biegungen, aber
schließlich gelingt es einem und einem zweiten, ihn einzuholen
und die Ziege zu packen, so daß der erstere sie zwischen Schen-
102
H. Kiepert: Die neue russisch-türkische Grenze in Asien.
nach vorn, während die gesammte Cavalcade, ohne im Spiele
inne zu halten, im Galopp über beide hinwegjagte. Beide
aber standen auf und schüttelten sich; der Mann bestieg ruhig
sein Thier und nahm mit erneuter Lust an der Jagd wieder
Theil."
2 8. November. Gestern hat uns der Dadkwah ein
großes Diner von zahllosen Gerichten gegeben, worauf wir
uns von ihm verabschiedeten. Heute haben wir die Weiter-
reise nach Kaschgar angetreten, während unser Gepäck und
die für den Emir bestimmten Geschenke schon am 25. in vor-
trefflichen einheimischen Karren, die von vier Pferden, einem
in der Deichsel und drei davor, gezogen werden, abgegangen
sind. Noch ein paar Tage und wir stehen vor Jaknb.
Die neue russisch-türkische Grenze in Asien.
Von Heinrich Kiepert.
Der durch den Berliner Vertrag auch auf asiatischer Seite
herbeigeführten und durch englische Stimmen besonders scharf
als „definitiv" betonten Grenzverfchicbnng ist vielleicht wirk-
lich eine etwas längere Dauer beschicken als den unnatürlichen
Resultateu des Länderschachers auf europäischer Seite. Denn
hier in Asien handelt es sich nirgend um eine selbstthätige
Theilnahme der von dem Decret des europäischen Areopags
betroffenen barbarischen Bevölkerungen, dagegen sehr um die
schwierige und viel Zeit kostende Wiederholung einer Aufgabe,
mit deren Lösuug der nordische Koloß nach halbhuudertjähriger
Arbeit in dem ähnlichen Nachbargebiete des Kaukasus noch
keineswegs im reinen ist. Allerdings die Befestigung der
militärischen Herrschaft innerhalb der neuen Grenzen wird
ans diesem Terrain leichter und schneller von Statten gehen,
desto mehr Zeit aber die Gewöhnung der neuen Unterthanen,
dieses Gemisches von armenischen und georgischen Christen,
lasischen (den Georgiern sprachverwandten), kurdischen und
türkischen Mohammedanern, an die Formen geregelter Admi-
nistration erfordern: fo daß an ein Hinansgreifen über die
jetzt errungenen Grenzpfähle, dieses Schreckgespenst für die
britischen Handelsinteressen, anch bei Wiederkehr einer gün-
stigern politischen Lage für Rußland nicht so bald zu den-
ken ist.
In diesem Sinne wäre es fast als ein Bortheil für Ruß-
laud zu betrachten, daß es nicht einmal in Besitz des ganzen
in Folge seiner ungeschickten Kriegführung noch mäßig genug,
gegenüber den zuerst erweckten Hoffnungen, zugeschnittenen
Gebietes von etwa 625 deutschen Quadratmeilen gekommen
ist, welches es sich durch den Präliminarfrieden von S. Stefano
bereits gesichert zu haben glaubte. Allerdings hätte ihm
für die circa 175 Quadratmeilen, welche durch die Zähigkeit
britischen Widerstandes davon wieder in Abzug gekommen
sind, eine Compensation gebührt, welche auch in westlicher
Fortsetzung des annectirten Gebiets leicht gefunden werden
konnte: ohne Schaden für irgend einen der Betheiligten, da
das türkische Reich aus jenen Gebirgsgegenden selbst kaum
irgend welche Einkünfte zieht, aber mit großem Nutzen fürs
allgemeine. Denn es ist stets im Auge zu behalten, daß
auf asiatischem Boden jede Quadratmeile, nicht nur wenn
sie England, sondern auch wenn sie Rußland in der Lage ist,
orientalischer Barbarei zu entreißen, wirklich — trotz allen
heuchlerischen Geschreis von englischer Seite — dem Fort-
schritte und der Humanität, wenn nicht sogleich, so doch in
nächster Zukunft gewonnen wird, — ebenso aber natürlich
auch der Wissenschaft. Nicht der Geograph allein, auch jeder,
der sich für Fortschritte der Erd- und Völkerkunde interessirt,
mußte hier eine möglichst erweiterte Ausdehnung des rnssi-
schen, das heißt hier so viel als des unter europäischer Con-
trole stehenden Gebietes erWünschen: und in diesem Punkte
kann uns die projectirte englische Vormundschaft über alle
asiatische Provinzen der Türkei, die ins wirkliche Leben zu
rufen fast die britischen Kräfte übersteigt, keinen genügenden
Ersatz verheißen. Kann man von diesem Standpunkt die
Retrocession der südlichen Grenzzone im obern Thale des öst-
liehen Euphrat, als eines in mehreren Kriegs- und Friedens-
campagnen bereits ziemlich vollständig recoguoscirteu Land-
striches, eher verschmerzen, so ist es um so mehr zu bedauern,
daß nicht in der historisch und naturwissenschaftlich so hoch-
interessanten, aber dabei so schwer zugänglichen und darum
noch so wenig erkundeten Landschaft des Mittlern Dfchoroch-
Thales und des pontifchen Küstengebirges ein paar hundert
Quadratmeilen mehr durch Einverleibung ins russische Reich
den Gewinn genauer geodätischer Aufnahme und allseitiger
Erforschung ihrer Naturbeschaffenheit bereits jetzt erfahren
haben. In diesem Urtheil wird sich der unparteiische Deutsche
weder durch die Krokodilsthränen eines Salisbnry über das
unglückliche Schicksal, das der peuplade interessante, deren
Namen er in der Congreßfitznng vergessen hatte (derLasen),
unter russischer Knute drohe, noch durch die Stoßseufzer eng-
lifcher Handelspolitiker über den voraussichtlichen Gewinn,
welchen der nordische Rival aus dem Besitz von Batum ziehen
könne, irre machen lassen. Merkwürdig ist es in der That,
zu sehen, wie jetzt nach vollzogener Thatsache die früher als
ein Lebeusinteresse des „freien" Europa geschilderte Wichtig-
keit dieses Hafenortes in den jüngsten Parlamentsreden nach
der Fabel von den sauren Trauben zusammenschrumpft, wie
nun gar keine Rede mehr ist von dem Schreckgespenst einer
drohenden Concnrrenzbahn von Batum nach Hocharmenien
und Persien, eine Idee, die sich schon durch die ungeheure
Kostspieligkeit eines solchen Baues durch ein wahres Alpen-
land als abenteuerlich herausstellte.
Allerdings hat tatsächlich dieser „tiefe Hafen" (das be-
deutet ja der aus dem griechischen Alterthum conservirte Name
des bathys limen), den türkische Indolenz, ebenso wie die
bisherigen vier Jahrhunderte des Besitzes, auch noch ferner
unbenutzt gelassen haben würde, in den Händen des rührigem
Nachbars eine außerordentliche Bedeutung, weil ohne ihn die
schon partiell (bis Tiflis) als Eisenbahn hergestellte natür-
liehe Verbindungsstraße zwischen schwarzem und kaspischem
Meere des brauchbaren Anfangspunktes auch ferner würde
entbehren müssen. Denn der jetzige Terminus Poti ist und
bleibt ein elender, nunmehr gänzlich aufzugebender Nothbehelf
wegen seiner Lage an hafenloser Sanddüne und inmitten
fieberathmenden Sumpfes, der zu der primitiven Form der
Pfahlbauten zum Schutze vor den schlimmsten Miasmen und
vor dem giftigen Ungeziefer zwingt. Das Anfangsstück der
im weichen Schlammboden schwankenden Bahn auf die richtige
Linie längs des Fußes der Vorhöhen zum einzigen guten
Hafen dieser Küste, eben nach Batnm, zu verlegen, diesen Ort
selbst durch Ableitung der stehenden, gleichfalls fiebererzeugen-
H. Kiepert: Die neue russisch-türkische Grenze in Asien.
103
den Gewässer zu weiterm städtischen Anbau zu befähigen,
wird eine der nächsten und für den großen Verkehr folgen*
reichsten Aufgaben der russischen Regierung sein *).
Den Verlauf der neuen Grenzlinien nun, mit den schon nach
vier Monaten darin festgesetzten Modificationen, bringt
unsere Skizze in einer für das allgemeine Verständniß und
für die Eintragung in Karten selbst größeren Maßstabes
ausreichenden Größe zur Anschauung, auf Grund derjenigen
Specialkarte, in welche die Einzeichnung bei den VerHand-
lungen vom 3. März bewirkt worden war, nämlich eines
Blattes der noch unveröffentlichten, unter Direction des Ge-
nerals Stebnitzki von russischen Topographen bearbeiteten
- S\
Cbejiutypie v.TWislTU)
Iiitjioyrapftj# v.LeopJfraatz ,BerYiru
Die neue russisch-türkische Grenze in Asien.
Karte von Kleinasien; dieselbe hat natürlich den Verhand-
lungen der mit der Festlegung des veränderten Grenztracts
*), tmrd nicht überflüssig sein, bei dieser Gelegenheit ein
in Zeitungsnachrichten der letzten Wochen und Monate im rus-
fischen Interesse zum Ueberdruß wiederholtes Mißverständniß
zurückzuwelsen, als ob ohne einen fatalen Schreibfehler beim
.Friedenschluß von 1829 Rußland schon damals in den Besitz des
Hafens von Batum hätte gelangen müssen. Weder von diesem
selbst ist damals die Rede gewesen noch von dem ihn umschließen-
den großen Flusse Tscharuk oder Dschoroch, sondern der als
beauftragten technischen Commission des Berliner Congresses
als Material gedient.
Das nördlichste Stück der Westgrenze, von der Küste
Grenzfluß, statt des wirklich in den Wortlaut aufgenommenen
Küstenflüßchens Tscholok, damals gemeinte ist ein ebenso klei-
ner nur wenig über eine Meile weiter südlich parallel fließender
Bach, Tschürük-su (vergl. unsere Kartenskizze), so daß» ohne
jene Verwechselung nach der ursprünglichen Absicht der Unter-
Händler, Rußland höchstens 2 bis 3 Quadratmeilen mehr schon
damals hätte gewinnen können.
104 H. Kiepert: Die neue russi
etwa 7 Meilen aufwärts durch Berge die nahe an 3000
Meter reichen bezeichnet, bleibt unverändert ans den linken
Uferhöhen des Tscharnk bis südlich von der Stadt Artw in,
der bedeutendsten dieses ganzen Bezirks nicht nur durch Volks-
zahl (6000 bis 8000 Seelen, worunter viele Armenier), son-
dern auch durch naturwüchsige Industrie, besonders im Fache
der Weberei und Teppichsabrikation. Weiterhin aber ist auf
etwa 3 Meilen Länge der früher zugestandene Grenzzug von
der linken Thalseite des Tortnm-sn, eines der größeren Zu-
slüsse des Tscharuk, auf die rechte oder östliche verlegt, wahr-
scheiulich um den ganzen Thalgau (Kazä oder Kreis in
administrativem Sinne) von Tor tu m nngetheilt auf der tür-
tischen Seite zu lassen, welcher der südliche Hanpttheil desselben
bereits von Ansang an geblieben war x).
Derselbe Grund, der Wunsch die große Thalebene oder
das Kaza von Pasin am obernAraxes nngetheilt zu lassen,
hat denn wohl auch weiterhin südlich die Zurückrückuug der
neuen Grenze nach Osten hin bedingt, jedoch nur bis an das
Schlachtfeld von Zewin und die kleine Feste Medschingerd, die
schon in den Vorbergen liegen: aber nicht bis zum Hochrücken
des Soghanly-Dagh (Zwiebelgebirges), dessen beide Abhänge
nach Ost und West nunmehr den Russen verbleiben. Das
wird ihnen in dem nicht ausbleibenden nächsten Kriege das
Vorrücken auf Erzerum wesentlich erleichtern, da die Hoch-
pässe über jene Rücken die einzigen ernstlichen zwischen Kars
und Erzerum zu überwindenden Hindernisse bilden und bei
besserer Vertheidignngsstelluug des türkischen Heeres als
solche auch im letzten Winter sich würden geltend gemacht
haben.
Der weitere Verlauf der Grenze von dem über 3500
Meter hohen Gipfel Köfse-Dagh (dem „Eckberge") längs
des wasserscheidenden Gebirgskammes zwischen Araxes und
Euphrat, wodurch noch die armenische Stadt Kagisman auf
russischer Seite bleibt, das Enphrat-Thal aber mit seiner
östlichen Verlängerung bis Bajezid ausgeschlossen wird, be-
friedigt ein fpeciell englisches Interesse, nämlich die hindurch-
führende altgewohnte Handelsstraße von Trapezunt nach
Persien frei von russischen Zollschranken zu erhalten. Daß
freilich eine südlichere Verlegung derselben, beispielsweise in
die Richtung von Erzerum über Wan und Kotnr, unansführ-
bar sein sollte, wie man nicht nur in England, sondern nach
den flehentlichen Bitten des persischen Abgeordneten, Mal-
kom-Chan, an den Congreß auch im Orient selbst zu glauben
scheint, dürfen wir einfach als Aberglauben bezeichnen;
schwierig freilich würde ein solches Unterfangen sein, denn
es handelt sich dabei zunächst um eine Zügelung des in der
südlichern Zone stärker grassirenden, im Grunde aber alle
diesen Straßen bedrohenden kurdischen Raubgesindels, eine Auf-
gäbe, der allerdings die schwachen Kräfte des Osmanenreiches
hent kaum noch gewachsen sein dürsten.
Von den 450 Quadratmeilen, welche nun definitiv ruf-
fische Provinz geworden sind, gehören fast zwei Drittel dem
Hochlande an, das sich im Quellgebiet des Kur oberhalb
Ardahan und in der die designirte Gonvernementshanptstadt
Kars umgebenden Ebene zu einer Mittlern Höhe von 1600
bis 1300 Meter erhebt, daher lange und harte Winter zu
ertragen, geringen Ertrag durch Ackerbau, dürftigen Pflanzen-
wuchs und wenige Bäume hat; wogegen das nordwestliche
Drittel in der Abdachung zum Schwarzen Meere, mit seinen
tief eingeschnittenen Thälern zwischen Kämmen und Gipfeln,
i) Der überaus pittoreske, nach veröffentlichten Skizzen etwa
dem Berchtesgadener Königssee ähnliche, an den fchönsten Fo-
rellen überaus reiche Alpensee von Tortum, welcher nun den Fische
verachtenden Mohammedanern bleibt, würde, wenn zum russischen
Gebiet gezogen, wie zuerst bestimmt war, sicher bald einen An-
ziehungspunkt für Touristen gebildet haben.
h-türkische Grenze in Asien.
welche bis 4000 Meter ansteigen, durch seine reiche Bewäs-
serung und die Pracht seiner Waldvegetation, seine Nuß-,
Apfel-, Birnbäume, seine Kastanien, Ulmen, Platanen,
Myrthen, Rhododendren, Azaleen, das Entzücken jedes enro-
päischeu Besuchers erregt hat.
Zu den Abtretungen türkischen Gebietes an Rußland
kommt ferner noch eine sehr viel geringfügigere an Persien,
welche auf unserer Kartenskizze ohne übermäßige Ausdehnung
derselben nicht wohl zur Anschauung gebracht werden konnte,
übrigens auf jeder einigermaßen correcten Übersichtskarte
der sogenannten asiatischen Türkei leicht gefunden werden
kann. Genau 17 deutsche Meilen südlich von dem Eck-
Punkt, in welchem die russischen, türkischen und persischen
Grenzen zusammenstoßen, dem hohen Bergkegel des Ararat,
liegt das Oertchen Kotnr als Mittelpunkt eines nach Osten
sich öffnenden nach der persischen Stadt Choi hinabgehenden
Hochgebirgsthales, über welches bis halbwegs zwischen beiden
Orten die bisherige türkische Grenze nach Osten vorspringt.
Bis gegen 1350 gehörte dieses Gebiet, seinen natürlichen
Beziehungen angemessen, zu Persien; seitdem ist es von den
Türken besetzt und bei einer vorläufigen Grenzregnlirnng
durch die englifch-russischen Mitglieder der damaligen Grenz-
commission der Türkei bestätigt worden, auf Grund wissent-
lich falscher Zeugnisse der erblichen Localbehörden, wie der
einzige europäische Berichterstatter an Ort und Stelle, ein
englischer Offizier in türkischen Diensten, Mr. Frederick
Millingens, uns belehrt.
Nach diesem Augenzeugen, der durch offizielle Stellung
längere Zeit hier zurückgehalten, sich nothwendig genauere
Keuntniß der Ortsverhältnisse erwerben mußte, zählt der
nunmehr au Persien zurückgegebene District von Kotnr, dessen
Größe sich auf Grund der genannten russischen Karte auf
circa 16 bis 18 deutsche Quadratmeilen berechnen läßt, nicht
mehr als 13 Dörfer mit höchstens 8000 Einwohnern, fast
durchaus mohammedanische Kurden und nur wenige Arme-
nier als Kaufleute und Handwerker in dem auf 1000 bis
1200 Seelen geschätzten Hauptorte selbst, dessen elende Woh-
nungen fast durchaus unterirdische Höhlen sind. Die Arm-
seligkeit und den Schmutz dieses Lebens, die Nichtswürdigkeit
der jeder Bestechung zugänglichen türkischen Behörden, welche
auf eigene Faust Schmuggelhandel im Großen treiben, der
ihnen Concnrrenz machenden armenischen Kaufleute sich durch
Dolch und Gift zu entledigen wissen und dabei stets durch
Bestechung ihrer Oberen straffrei ausgehen, weiß der Eng-
länder kanm in hinreichend abschreckenden Farben zu schildern.
Aller Erfahrung nach werden diese Zustände sich unter per-
sischer Herrschaft schwerlich bessern! Daß aber nicht immer
Barbarei hier gehaust hat, daß ein gesicherter Verkehrsweg
zwischen Osten und Westen (nach Wan zu) vor Jahrtauseu-
den hier schon bestanden hat, lehrt uns eine Entdeckung,
welche derselbe Engländer gelegentlich in der Nachbarschaft
gemacht hat. Von dem vier Stunden südwestlich von Kotnr
gelegenen Knrdendörschen Pagan noch Stunden weiter
aufwärts in das Thal vordringend, fand er in einer mäch-
tigen Spalte der Granitfelswand ein 15 Fuß breites, 43 Fuß
hohes thorartiges Relief assyrischen Stils in vortrefflicher
Erhaltung mit sechs Zeilen Keilschrift, welche er an einem
i) Sohn des bekannten, noch hochbejahrt in Constantinopel
lebenden Archäologen und Numismatikers, in feinen lesenswerthen
Büchern la Turquie sus le regne d'Abdul-Aziz, Paris
1868, und Wild lifo among the Koords, London 1875. In
dem erstern (S. 486) findet sich beiläufig ein Beweis feltenen
Scharfblickes in einer ein volles Jahrzehnt zurückliegenden poli-
tischen Argumentation: die Prophezeiung, das Schicksal der
Türkei würde von keiner der Großmächte allein und überhaupt
nicht ohne die Mitwirkung Deutschlands und den Schiedsspruch
Bismarcks entschieden werden!
Seile von der obern Felshöhe sich herablassend, zu copiren
begann; da er aber in seiner mühsamen Lage nur mit einer
halben Zeile zu Stande kam, hat er auch diese mitzutheileu
unterlassen. Es ist dies also ein Punkt von historischer
Wichtigkeit, auf den sogleich jetzt die Aufmerksamkeit der
europäischen Commissäre, welche allein doch auch an dieser
Stelle die factische Grenzreguliruug durchzuführen haben
werden, hingelenkt sein möge.
Die Frage, welche mancher Leser noch auswerfen könnte,
welchen Grund gerade Rußland gehabt habe, auf dieser nicht
ihm selbst zu Gute kommenden Abtretung eines wenigstens
factisch von seinem besiegten Gegner besetzten Gebietstheiles
zu bestehen, sind wir natürlich als Uneingeweihte nicht in
der Lage zu beantworten. Nur das wird sich jeder selbst
sagen, daß es nicht aus uneigennützigem Wohlwollen für
den schwachen Nachbar im Süden geschehen ist, sondern be-
M. 105
Hufs Erreichung eines reellen Vortheils auf einem Umwege.
Wir hatten früher, als in S. Stefano zuerst diese Kotur-
Frage zur Sprache kam und schon die Erwerbung Bajezids
für Rußland als gesichert gelten durfte, an einen Gebiets-
anstausch gedacht, wodurch Rußland die directe Straßen-
Verbindung von Bajezid mit seiner Grenze am Araxes bei
Nachitschewan, welche durch eine Ecke persischen Gebietes
geht, sich zu sichern beabsichtigte. Da diese Aussicht nun
hinfällig geworden ist, so wird sich wohl ein anderes Tausch-
object für die an Persien gewährte Wohlthat irgendwo weiter
im Osten finden — vielleicht sogar im Osten des Kaspischen
Meeres, wo Rußland unablässig daran arbeitet, die schon
weit vorgeschobene Grenze noch mehr zu arroudireu und zu
sichern. Darüber werden ja aber die faits accomplis viel-
leicht schon allernächster Zeit erwünschten Aufschluß geben.
C y p
Natürliche Verhältni
Am 4. Juni 1878 wurde durch Layard und Savfet
Pascha die Convention von Konstantinopel unterzeichnet,
worin der Sultan unter Wahrung seines Besitzrechtes die Be-
setznng Cyperns England gestattete und zwar auf so lange, als
Rußland sich in dem Besitze der eben abgetretenen Territorien
von Batum, Ardahan und Kars befinde. Die Insel soll
fortfahren, einen Theil des türkischen Reiches zu bilden, und
der Ueberschuß ihrer Einnahmen über die Ausgaben — nach
anderer Version jährlich die feste Summe von 2 634 000 Fran-
ken — an den Schatz des Sultans abgeliefert werden. Da-
gegen verpflichtet sich England, dem Sultan in der Ver-
theidignng seines Reiches beizustehen, falls Rußland versuchen
sollte, sich eines weitern Theiles der asiatischen Türkei, als
des im Berliner Vertrage abgetretenen zu bemächtigen.
Zum Gouverneur der Insel wurde alsbald englischerseits der
Generalmajor Sir Garnet Wolseley (geb. 1833), Jrländer
von Geburt, der schon in Birma, in der Krim, vor Lucknau,
in China und namentlich im Aschantikriege sich Lorbeeren
gepflückt, ernannt; am 11. Juli wurde unter enthusiastischen
Kundgebungen der Bevölkerung die englische Oecnpation
Cyperns verkündet, und Tags daraus ergriff Admiral Hay
Besitz von der Insel, welche dnrch 10 000 Mann, davon
drei englische Bataillone, der Rest indische Truppen, besetzt
werden soll.
Daß dieser Wechsel ihres Herrn der Insel selbst nur zum
Besten gereichen kann, liegt so auf der Haud, daß es kaum
weiterer Beweise bedürfte. Griechische Bankiers in Galata,
welche um den Vertrag wußten, ordneten sofort große Land-
känfe auf Cyperu an, welche indessen noch der Bestätigung
der englischen Regierung unterliegen oder gar schon von der-
selben für ungültig erklärt worden sind, und nach einer andern
Meldung foll der Bodenwerth dafelbst seit Bekanntwerden
der Abtretung um das Zwanzigfache gestiegen sein. Die
Berichte des englischen Consnlaragenten Niddell vom Jahre
1876 und des Consnlaragenten Pierides vom Jahre 1877
bestätigten nur zum so und sovielsten Male den wohlbekann-
ten Schlendrian der türkischen Behörden. Nicht ein einziges
össentliches Werk war damals in Angriff genommen oder
Globus XXXIV. Nr. 7.
e r n.
und Landeskultur.
vollendet worden. Die Häfen oder richtiger Landungsplätze
ließ man ruhig mehr und mehr versanden und verkommen
und obwohl es nicht an Befehlen des Vezirs mangelte, daß
man Hasenkais, Straßen, Molen n. s. w. erbauen sollte, so
mangelte es doch an Geld — denn alle Einkünfte der Insel,
welche sich indem mit März 1876 endenden Finanzjahre
aus über 20 (?) Millionen Piaster beliefen, mußten in den
ninunersatteu Schatz in Stambnl abgeführt werden. Der
letzte Resorm-Firman nach Sultan Mnrad's Thronbesteigung
blieb aus Cyperu, wie überall sonst im Reiche, ein todter
Buchstabe. Nach wie vor weigerten sich die Gerichtshöfe,
das Zeugniß eines Christen gegen einen Mohammedaner-
gelten zu lassen; die Quälereieu der Polizeisoldaten beim
Eintreiben der Steuern aus dem Lande nahmen kein Ende,
und die Papiergeldwirthschast verschlimmerte die Lage noch
mehr und gab zu vielen Streitigkeiten beim Begleichen alter
Schulden Anlaß. In Folge wiederholter schlechter Ernten
wanderten zahlreiche Leute nach Syrien und Kleinasien aus,
während die Zurückbleibenden von der Regierung (?) erhalten
werden mußten. In Folge dessen soll die Türkei schon seit
länger als Jahressrist sich nach einem Käufer für die Insel
umgesehen haben. Sprechen doch manche Engländer die
Ansicht aus, ihre Regierung habe dergestalt die Verpflichtung,
die Cyprioten zu füttern, mit der andern Verpflichtung, den
jetzigen Besitzstand der asiatischen Türkei zu vertheidigeu, er-
kaust, und das Ganze sei ein schlechtes Geschäft. Dem sei,
wie ihm wolle — und wir sind darüber anderer Ansicht —,
so mag es sich bei der Unwissenheit, welche über die schöne
Insel zu herrschen scheint, verlohnen, einige exacte Angaben
über das Land hier wiederzugeben, welche deutschen Quellen
entstammen. Sind es doch hauptsächlich deutsche Reisende,
welche zur Keuutuiß Cyperns beigetragen haben, der Hal-
lenser Professor Ludwig Roß, Prof. Dr. Unger und Dr.
Kotschy, Prof. Franz von Löher, Ingenieur I. Seiff,
Dr. Schröder, Dragoman der deutschen Botschaft in Kon-
stantinopel, der österreichische Erzherzog Ludwig Salvat or;
uud die erste größere und genauere Karte der Insel ist die von
Professor Heinrich Kiepert, welche soeben im Maßstabe
14
106 Cy
von 1 : 400 000 bei D. Reimer in Berlin erschienen ist.
Außerdem ist zu nennen die Reise des Engländers Alexander
Drnmmo nd aus dem vorigen Jahrhundert, die Aufnahme
der Küsteu durch die englische Marine, die Arbeiten des
Franzosen de Mas Latrie und des Generals Cesnola
jüngste Ausgrabungen — und damit haben wir im Ganzen
und Großen die moderne geographische Literatur über Cypern
erschöpft. Zusammenhängendes über die geographische Con-
figuration, Geologie, Hydrographie, Klima, Vegetation, Acker-
bau u. s. W. enthält vor allem das 1865 in Wien erschienene
Werk: „Die Insel Cypern ihrer physischen und organischen
Natur nach, mit Rücksicht auf ihre frühere Geschichte gcschil-
dert von Dr. F. Unger und Dr. Th. Kotschy," ans
welchen! das Folgende einen kurzen Auszug giebt.
Danach beträgt die größte Länge der Insel von Basa,
dem antiken Paphos, im Westen bis zum äußerstell östlichen
Ausläufer, dem Cap H. Andreas, 30,27 geogr. Meilen, ihre
größte Breite vom Cap Kormakiti im Norden bis Cap Gatti
(Capo Gatto), dem alten Knrias Akra im Süden, 12,8 Mei-
len, ihr Umfang 83,5 Meilen und ihr Flächeninhalt
172,97 Quadratmeilen (173,2 Quadratmeilen nach einer
planimetrischen Berechnung in I. Perthes' Geographischer
Anstalt). Die au Vorgebirgen reiche Insel enthält zwei
verschiedene Gebirgssysteme, im Süden das wasserreichere,
westöstlich ziehende des Troodes, zu welchem noch die Berge
Adelphos (richtiger Paputsa), Machaeras und Monte S. Croce
gehören, und im Norden eine Kette steiler, doch minder hoher
Berge, die sich gegen Osten zum Cap H. Andreas hin in
Hügelland auslösen. Ersteres ist plntonischer Natur, wäh-
rend die Nordkette aus Kalkstein besteht, in welchem insel-
artig der Diorit des Troodes vorkommt, so daß zwischen
beiden ein innerer Zusammenhang besteht. (Der Troodes
entspricht dem antiken Aoos, sein östlicher Ausläufer Stavro-
vuui dem antiken Olympos, ein Name, den auch die östliche
Hälfte der Nordkette, heute Karpasiotika vuna genannt,
einst führte.) Zwischen diesen beiden Gebirgen dehnt sich
die größte Ebene der Insel aus, welche westlich von der
Hauptstadt Levkosia zu einer anscheinend niedrigen Wasser-
scheide anschwillt. Dadurch zerfällt sie in zwei Theile, einen
westlichen: kleinern, welchen der namenlose Fluß von Morphu
(sein größter, auf dem Paputsa entspringender Quellbach
führt übrigens den Namen Kntrapha) durchströmt, und einen
östlicher« größern, Mesavoria mit Namen, durch welchen der
gleichfalls auf dem Papütsa entspringende Pidias, der antike
Pediaios, mit seinem südlichen Nebenflusse Jalias (auch
Jdalia Potamos) fließt. Nach Nordeu strömen vom Troo-
des des Xeropotamos und der Klareos (nach anderer Angabe
ChionopotamoS geheißen), welche unfern des alten Soloi
münden, ferner der Fluß von Chrysochüs (Aspropotamos),
nach Süden der bei Kuklia mündende Kairopotamos (rich-
tiger Leropotamos), ferner der Chapotami, Knris, Ga-
ritt it. s. w. Im Sommer liegt der Unterlauf aller dieser
Flüsse trocken und ihr Oberlauf ist schwach, weil das Wasser
auf die Felder geleitet wird; tut Winter dagegen treten sie
über, namentlich der Pidias, der alsdann viel Schlamm zu-
rückläßt, weshalb er mit dem Nil verglichen wird. Dieser
große Wechsel des Wasserstandes macht es erklärlich, daß sich
in den Flüssen keine Fische finden. Die Flußbetten sind tief
eingerissen, sowohl im Gebirge, als auch in dem ausge-
schwemmten Thoubodeu der Ebene.
Süßwasserseen finden sich nur zwei, der von Paralilnni
südlich von Famagnsta und der von Jvatili; die anderen
Seen bei Famagnsta sind brakisch. Salzig ist der See bei
Larnaka und der große auf der nach Süden vorspringenden
Halbinsel Akrotirin, welche beide im August austrocknen und
dann sehr viel Kochsalz liefern, mit welchem in venetianischer
Zeit alljährlich 70 Schiffe befrachtet wurden. Nach neueren
Angaben foll der von Larnaka jährlich 200 000, der von
Limisso (Limasol) 300 000 Centner liefern. Das Salz
entsteht nicht durch Auslaugen des Seewassers, sondern ist
ein directes Product des Meeres. Die Seen liegen nämlich
tiefer, als der Meeresspiegel, so daß das Seewasser hinein-
sickert, worauf es im Sommer rascher verdunstet, als nenes
Wasser vom Meere aus zufließt.
Der Hauptstock des Troodessystems besteht aus Grün-
stein, der Kupfer enthält, welches schon von den Phoenikiern
ausgebeutet wurde. Die Erze wurden von denselben wohl
gleich bei den Tagbauen, wo sie gefunden wurden, verarbeitet,
wie die Schlackenhaufen zeigen, welche bis zu den Spitzen
des Gebirges hinaufreichen. Die von den Alten angegebene
Existenz von Kupfergruben zu Tamassos, Amathns, Soloi,
Kurion, Krommyon n. f. w., lauter Orte, welche wie
Tamassos am Fuße des Gebirges oder wie die übrigen
an der Küste liegen, ist dahin zu verstehen, daß es einfach
Orte waren, wo das Metall verarbeitet refp. ausgeführt
wurde. Die zurückgebliebenen Schlacken enthalten übrigens
nur ab und zu Spuren von Kupfer, so daß die Aus-
beutung eine vortreffliche war. Eisen findet sich bei Basa
(Paphos) und Levka in der Nähe des alten Soloi, Silber
und Blei überhaupt nur wenig.
Um den Kalk, aus welchem die Nordkette besteht, zieht
sich unwirklicher Wiener Sandstein, jünger als jener; dann
folgt äußerst fruchtbarer tertiärer Kalk und Mergel, der nicht
durch die Flüsse abgelagert, sondern an dieser seiner Stelle
ursprünglich ist. Zwischen beiden Gebirgszügen und fast
die ganze Küste umsäumend finden sich qnartäre Gebilde
(Sand, Sandstein, Conglomerate), welche wenig fruchtbar
sind und stellenweise bis zn 600 Fuß ansteigen.
Ursprünglich war der aus pyrogeuem Gestein bestehende
Troodes eine Insel für sich, während an Stelle der Nord-
kette lauter kleine Inseln existirten. Das Meer setzte dann
Jurakalk ab; das Ganze hob sich. Dann folgte Mergel und
Kalk. Die Sedimente sind darauf durch Erdbeben sehr ver-
schoben, gehoben und aufgerichtet worden.
Plinins (II, 204) meint, Cypern habe einst mit Syrien
zusammengehangen, eine Ansicht, welche in Anbetracht der-
gleichen Fauua und Flora beider Länder große Wahrschein-
lichkeit für sich hat. Ein Erdbeben mag der durch Hebung
entstandenen Verbindung ein Ende gemacht haben. Erd-
beben sind dort überhaupt sehr häufig, wie schou Seueca,
Dio, Eusebius und Andere berichten. So wurde Salamis
unter Constantinus Chlorus durch ein solches zerstört, und
noch heute siud leichte Erdstöße in Larnaka etwas ganz Ge-
wohnliches.
Auf Cypern giebt es wenig ergiebige Quellen, meist
oben im Gebirge, dagegen viele kleine. Der Grund der er-
stern Erscheinung ist Mangel an Schichtung, geringe Zer-
klüstnng des Gesteins, EntHolzung, ja stellenweise Vegetations-
losigkeit des Bodens. In der Nordkette entspringen die
stärkeren Quellen in einer Höhe von 500 bis 700 Fuß auf
der Grenze des Kalkes uud des darüberliegenden Sandsteins
oder Mergels. Dieselben haben perpetnirlichen Wasserreich-
thum uud kommen möglicherweise von den gegenüberliegenden
Gebirgen Kleinasiens her, nicht vom Troodes, wo die glei-
chen Schichten nicht so hoch hinauf reichen, wie in der Nordkette.
Was das Klima anlangt, fo wird es durch sehr heiße
Sommer, uuverhältnißmäßig kalte Winter und das Fehlen
eines Frühlings und Herbstes charakterisirt. Doch erzeugt
der Winter von October bis December eine Art Vorfrüh-
lingsflora. Der Osten der Insel ist wärmer, als der gebir-
gige Westen. In: Sommer steigt das Thermometer int
Schatten über 30° R.; doch hat er auch seine kühlenden See-
winde. Die Hitze erzeugt, wo staguireudes Wasser sich findet,
Fieber, so namentlich in den deshalb übel berüchtigten Küsten-
stcidten. Im Sommer fallt nie Regen, im Winter dagegen
oft dreißig bis vierzig Tage hinter einander, so daß die Flüsse
übertreten und der Verkehr unterbrochen wird. So schwoll
im Jahre 1330 der kleine durch Levkosia fließende Bach so
an, daß viele Häuser einstürzten und mehrere tausend Men-
scheu ertranken. Umgekehrt bleibt aber der Regen auch mit-
unter völlig aus, wie unter Constantin's Regierung einmal
volle 36 Jahre, so daß die Bewohner Cyperns auswanderten.
Deshalb zeigen auch die älteren Münzen der Insel als Sym-
bol der Hitze ost einen Löwenkopf mit offenem Nachen oder
auch die Sonne.
Vegetation. Wiesen fehlen auf Cypern fast ganz,
und nur hier und da finden sich kleine Flecken davon. Grä-
ser giebt es wenig; an ihrer statt giebt es Steppen von klein-
blätterigen, kriechenden Pflanzen, Zwiebel- und Knollen-
gewachsen und harten holzigen Zwergsträucheru, welche
letzteren zur Heizung dienen. Höher hinauf finden sich Oleander-
und Tamariskensträucher und endlich, doch nur im höchsten
Gebirge, Wälder von Seestrandskiefern und karamanischen
Föhren, hin und wieder von einigen Eichenarten und Pla-
tanen. Von besonderm Interesse sind sodann einige Harz
liefernde Pflanzen. Köper oder Goper, wovon der Name
Kypros abgeleitet sein soll(?), ist der semitische Namen eines
Strauches (Cistus creticus), dessen weichere Theile mit Haa-
ren dicht bedeckt sind, welche eine zähe, harzige, wohlriechende
Substanz, das Ladannmharz, absondern. Es ist ein sehr
ästiger, 2 bis 3 Fuß hoher Strauch, gesellig wachsend, der
sich im westlichen Theile der Insel in einer Höhe zwischen
2500 und 4500 Fuß oft in Massen findet. Was Herodot
(III, 112) von diesem Harze erzählt („Das Ledanon wird
in noch sonderbarerer Weise erzeugt, als das Zimmt. Denn
während es selbst so überaus süß duftet, bildet es sich an
einem höchst übelriechenden Orte: man findet es nämlich in den
Bärtcn der Böcke, wo es entsteht, wie das Harz an den Bän-
men"), ist insofern richtig, als es in der That von den Bär-
ten der weidenden Ziegen, an welche sich die klebrige Sub-
stanz der Blätter festsetzt, gesammelt wird, nur, daß es sich
nicht dort bildet. Storaxharz oder Amber, der übrigens
meist von Halikarnassos (Budrun) kommt, liefert der Baum
Liquidanibar orientalis, welcher nur in einigen Exempla-
reu beim Kloster Antiphonites vorkommt. Das als Kau-
mittel in den orientalischen Harems und als Liqueuriugre-
dienz benutzte Mastixharz sindet sich auf Cypern wenig.
Znstand der Agricultur. Der Wald ist, wie gesagt,
allmälig verschwunden; an Cnlturland giebt es circa 350 000
Joch (ä 36 Ar), während der nnprodnctive Boden mehr als
doppelt so viel ausmacht. Mehr als die Hälfte der Insel
ist eine Wüstenei, ein Umstand, welcher viel zur Vermehrung
der Trockenheit beigetragen hat. In Folge derselben ent-
stand ein umfassendes Jrrigationssystem und alle Flüsse und
Bäche wurden durch Cauäle und Gräben über das anliegende
Land vertheilt, so daß die meisten derselben das Meer nicht
mehr erreichen. Solchen Anlagen verdanken die fruchtbaren
Striche um Episkopi beim Vorgebirge Akrotirin, um Bafa
(Paphos), um Chytrea unter anderen ihre Existenz, während
andererseits die Überschwemmungen des Pidias, dessen Ge-
biet überhaupt sehr fruchtbar ist, durch den zurückbleibenden
feinen Schlamm den Ackerbau begünstigen. Auf den feuch-
ten Sanddünen in der Nähe der Flüsse gedeihen verschiedene
Gemüse, Zwiebeln, Krapp u. s. w., so bei Larnaka, zwischen
Famagnsta und dem nördlich davon gelegenen Trikomo n. s. w.
Weit weniger fruchtbar ist das Gebiet des an Eisenoxyd
reichen Conglomerats. Dieser Boden, der verbreitetste der
ganzen Insel, umsäumt den Humus der Pidias- und Morphu-
m 107
Ebene, sowie die Vorberge der beiden Gebirgssysteme und
nmgiebt die ganze Insel. Der Kalkmergel ist nur dort srucht-
bar, wo er, wie bei Dali (Jdaliou), Athileuu, Aradipu (alle
nordwestlich von Larnaka gelegen) n. s. w., bewässert wird;
sonst ist er durchaus steril. Augebaut werden Weizen, Gerste,
Hafer, Erbsen, Linsen, Bohnen, auch Sesam, dann Baum-
wolle (Ausfuhr jährlich nur 3000 —nach zur Helle von
Samo 8000 — Ballen, während sie in der Venetianer-
zeit das Zehnsache betrug), etwas Taback, viel Kürbisse, Me-
lonen, Gurken und wenig Gemüse. Zuckerrohr war einst
ein bedeutender Aussuhrartikel, ist aber jetzt ganz verschwun-
den. Brotfrucht x) wird oft kaum geuug für den eigenen
Bedarf gewonnen, dagegen wird viel guter Wein ausgeführt.
Derselbe gedeiht auf dem südlichen und südöstlichen Gelände
des Troodes, gleichviel auf welcher Unterlage, bis zu einer
Höhe von 4000 Fuß. Etwa x/i2 des Gesammtareals ist
mit Reben bedeckt, eine Cultur, welche uoch bedeutender Aus-
dehnung fähig wäre, wenn es nicht an Arbeitskräften fehlte.
Die Pflanze wächst ohne Duug oder Stütze, und aller
Wein, selbst die geringen Qualitäten sind gut. Die beste
Sorte, anfangs fast schwarz von Farbe und zuletzt braungelb,
ist der xqckjlv tr\g ao^{iav8c<,qlc(,sr so genannt nach der Com-
mende der Johanniter am Südabhange des Troodes. Die
Einwohner trinken mäßig — etwa ein Drittel der Ernte soll
auf Cypern selbst verbraucht werden. In Folge dessen ist
der Preis gering: zu Unger's Zeiten kostete die Okka (etwas
über 1 Liter) 1 bis 2 Piaster (10 bis 20 Pfennige). Doch
wächst der Werth des Kommaudaria-Weines mit dem Alter:
zweijähriger wird jetzt per Okka mit 5 Piaster, der mehr als
25jährige dagegen gern mit 90 bis 100 Piaster bezahlt
(zur Helle). Hauptausfuhrplatz für den Wein ist Limasol.
Der Oelbanm ist auf Cypern nicht einheimisch, son--
dern angepflanzt, aber bis 3500 Fuß Höhe über die ganze
Insel verbreitet. Die Früchte werden gegessen und auch zu
Oel gepreßt; exportirt wird nichts, oder doch nur geringe
Mengen nach Aegypten. In guten Jahren soll die Prodnc-
tion 1 Million Okka betragen. Einheimisch, vorzüglich ans
der Südküste zwischen Mazoto (südwestlich von Larnaka)
uud Limisso (Limasol), ist dagegen der Johannisbrot-
bäum, desseu Früchte (Karubeu) jedoch von den Eingebore-
nen nicht genossen werden. Sie machen vielmehr Syrup
daraus oder mästen damit das Vieh. Früher wurde viel
davou ausgeführt (und zwar 5/s der Ausfuhr nach Rußland,
s/s nach Aegypten, Syrien und Kleinasien, Ys nach dem
Adriatischen Meere); in Trieft machte man Branntewein
daraus, und Griechen und Russen essen die Früchte in der
Fastenzeit. Neuerdings legte dann die türkische Regierung
eine schwere Steuer auf die Bäume, in Folge dessen die
Baueru dieselben niederhieben. In den nicht zahlreichen Obst-
gärten werden Feigen, Eitronen, Orangen, Pfirsiche, Apri-
kosen, Aepfel, Birnen, Granaten und Datteln, auch Maul-
beerbäume für die Seideuzucht gezogen. Nach Uuger und
Kotfchy wurden früher jährlich an 500 Centner Seide aus-
geführt; seitdem aber ist die Seidenraupenkrankheit auch hier
aufgetreten uud hat die Production aus deu zehnten Theil
des frühern Ertrages herabgedrückt. Weitere zur Ausfuhr
gelaugende Producte Cyperns sind nach dein oben erwähnten
Herrn zur Helle (früher österreichischer Militärattache der
Botschaft in Konstantinopel, dann in türkischen Militärdien-
sten, jetzt Derwisch in einem Kloster zu Brussa): getrocknete
In mittelguten Jahren producirt Cypern 1 /2 Aull. Kilo
Weizen und 3 Mill. Kilo Gerste; von ersterm wird durchschnitt-
lich 1 Mill. im Lande verbraucht, der Rest ausgeführt, während
die Gerste fast gar nicht zum Export kommt, zur Helle von
Samo in Mitteilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft
in Wien, XXI, S. 205.
14*
108 Dr. Alfred Nehring: Lebten zu Cäsar's
Trauben, jährlich circa 150000 Okka; 100 000Okka Hasel-
nüsse, zur Hülste exportirt; circa 150 000 Okka Branntwein,
der nach Alexandrien geht; 150 000 Okka Leinsamen, der
nach Frankreich geht; 250000 bis 350 000 Okka Krapp-
Wurzel, die meist nach England ausgeführt wird; 300 000
bis 400 000 Okka Farbstoff vom Sumachbaum (nach Sy-
rieu und England); 10 000 Okka Rindshäute; etwa 60 000
Stück Schaf- und Ziegenfelle und ebensoviel Lammsfelle (nach
Europa).
Zeiten Renthiere im hercynischen Walde?
Eine furchtbare Plage für Cypern sind die Heu-
schrecken, eine der Insel eigenthümliche Art, welche sich
sehr rasch entwickelt und selbst die trockensten Steppenkräuter
verzehrt. Die Thiere haben jetzt ihre Brutstätte auf der In-
sel und erscheinen Jahr für Jahr. Gewöhnlich kann man
die Ernte noch vor ihrem Erscheinen einbringen. Larnaka
hat sich gegen diese Plage durch einen geglätteten Streifen
an seiner Mauer geschützt, welchen die Thiere nicht zu über-
schreiten vermögen.
Lebten zu Cäsar's Zeiten i
Von Dr.
Zu der Maugelhastigkeit und Unznverlässigkeit der
Cäsarischen Angabe kommen nun aber noch einige sehr wich-
tige Momente hinzu, welche ihre Glaubwürdigkeit vollständig
wankend zu machen geeignet sind: Das ist
2. Ein antiquarisches Beweismoment.
Kein Gräberfund in Deutschland, welcher auch nur an-
nähernd aus der Zeit Cäsar's datirt werden könnte, hat als
etwaige Beigaben Renthierreste geliefert, während es an
Gräbern nicht fehlt, in denen man neben polirten Stein-
Waffen oder bronzenen Gegenständen, welche ungefähr mit der
Cäsarischen Zeit gleichaltrig sein könnten, Reste vom Edel-
Hirsch, Auerochs, Pferd, Wildschwein und ähnlichen Thieren
ausgegraben hat. Sollte es reiner Zufall sein, daß bisher
Renthierreste in jenen Gräbern nicht gesunden sind, weder
in Deutschland, noch auch in Frankreich? Ich kann es nicht
glauben, zumal da man annehmen muß, daß das Renthier,
wenn es damals wirklich in den germanischen Wäldern ein-
heimisch gewesen wäre, eine hervorragende Rolle im Leben
der germanischen Jäger gespielt haben würde.
3. Ein paläontologisches Beweismoment.
Mit jenen Gräberfunden stimmen die bisherigen Ergeb-
nifse der Paläontologie vollständig überein. Man hat weder
in Deutschland noch in Frankreich sicher bestimmbare Renthier-
reste in solchen Ablagerungen gefunden, welche aus der Zeit
des Cäsar herrühren könnten. Alle fossilen Renthier-
reste unserer Länder, sofern sie nicht verschwemmt sind,
sondern auf ursprünglicher Lagerstätte liegen, stammen ans
älteren Ablagerungen, besonders aus diluvialen Höhlen-
und Felsspaltenausfüllungen, aus dem Löß, aus uralten
Torfmooren. Allerdings werden unsere norddeutschen
Torfmoore, welche schon zahlreiche Renthierreste geliefert
haben, meistens als jüngere Bildungen angesehen; diese An-
schauung scheint aber nur hinsichtlich gewisser Torfmoore und
hinsichtlich der oberen sich stets erneuernden Schichten richtig
zu sein. Viele unserer Torfmoore, zumal die untersten
Schichten derselben, reichen weit in die vorhistorischen
Zeiten zurück. Die Torfmoore bei Köchingen und
Alvesse (nordwestlich von Wolfenbüttel) haben schon mehr-
fach Steinäxte, Geräthe aus Hirschhorn und dergleichen ge-
liefert, welche aus eiue weit ältere Zeit als die des Cäsar
schließen lassen; und doch haben sie noch keinen Rettthierrest
geliefert, sondern nur Reste vom Elen, Los primigenius,
Pferd, Wildschwein, Kranich, Ente, wie aus dem Braun-
schweizer naturhistorischen Museum, sowie aus meiner eigenen
Sammlung leicht zu ersehen ist.
ere im hercynischen Walde?
Nehring.
Diejenigen Renthierreste aber, welche ich selbst in
hiesiger Gegend (nämlich beiThiede, Goslar, Wester-
egeln) ausgegraben resp. nachgewiesen habe, stammen
ganz entschieden aus den tieferen, diluvialen
Schichten der betreffenden Ablagerungen, welche außer den
Renthierresten auch Reste von Lemmingen und Eisfüchsen,
also von echt nordischen Thieren, geliefert haben. In den
obersten Schichten von Thiede und Westeregeln fehlten Ren-
thierreste vollständig; dagegen enthielten sie an letzterm
Fundorte Reste vom Reh, Edelhirsch, Wiesent (?), Wildschwein
und Biber, und zwar neben neolithischen Steininstrumenten,
welche allenfalls noch aus der Zeit Cäsar's herrühren könnten,
wahrscheinlich aber wesentlich älter sind.
Danach muß man annehmen, daß das Aussterben oder
Zurückweichen des Renthiers für unsere Gegenden in eine
weit frühere Zeit fällt, als die des Cäsar ist.
4. Biologische Beweismomente.
Das Klima, welches in Germanien zur Zeit des
Cäsar herrschte, war viel zu milde, als daß Renthiere
dabei hätten gedeihen können. Freilich hat man viel-
fach behauptet, das Klima Germaniens sei damals wesentlich
kälter gewesen als heutzutage, weil die römischen Schriftsteller
häufig über das rauhe, unfreundliche Klima unserer Heimath
klagen. Letzteres ist aber noch kein triftiger Grund für jene
Behauptung; heutzutage erscheint unser Klima einem Neapoli-
taner während der längsten Zeit des Jahres auch rauh und
unfreundlich, und es würde dieses noch viel mehr der Fall
sein, wenn er, wie einst die römischen Soldaten, häufig die
Nacht im Freien zubringen und auf ungebahnten Wegen
marschiren müßte.
Allerdings scheint das Klima Germaniens zur Zeit
Cäsar's etwas feuchter und kühler gewesen zu sein als
heute, was wohl hauptsächlich auf den Einfluß der großen,
dichten Wälder und der weitausgedehnten Sümpfe zurück-
zuführen ist. Damit hängt wohl auch der Umstand znsam-
men, daß die Winter damals mit größerer Regelmäßigkeit
Schneemassen mit sich brachten und die großen Flüsse ge-
frieren ließen. Daß aber das Wärmeqnantnm, welches da-
mals im Laufe eines Jahres theils direct von der Sonne,
theils durch warme Luftströmungen unferm Heimathlande
zugeführt wurde, ein wesentlich geringeres gewesen wäre als
heute, dagegen spricht der Charakter der damaligen
Vegetation mit voller Entschiedenheit. Wir wissen aus
Cäsar, Tacitus und Plinins immerhin so viel von der alt-
germanischen Vegetation, um den Hauptcharakter derselben
Dr. Alfred Nehring: Lebten zu Cäsar'!
benrtheilen zu können. Germanien war damals von nnge-
Heuren Wäldern bedeckt, in welchen riesige Eichbäume
den Römern besonders aufsielen. Auch Buchen gab es in
denselben; ferner war der Taxusbanm zahlreich zu finden,
also ein Nadelholz, welches keineswegs einen nordischen Cha-
rakter besitzt. Die dicken und langen Balken, welche Cäsar
zu seinen Rheinbrücken verwendete, deuten aus einen kräftigen
und schlanken Wuchs der damaligen Waldbänme.
Aus den Lichtungen und Rodungen gedieh das Getreide
sehr gut, ein hinreichender Beweis für eine bedeutende
Sommerwärme. Die starke Viehzucht (besonders Rind-
Viehzucht) weist auf das Vorhaudeuseiu üppiger Weiden hin.
Dazu kommt, daß wenige Jahrhunderte nach Cäsar der
Weinstock am Rhein gedieh, ebenso der Kirschbaum uud
andere Fruchtbäume aus südlicheren Gegenden.
Dieses alles deutet auf ein Klima, in welchen! das Ren-
thier weder als Hausthier noch als Jagdthier gedeihen kann.
Wenn auch Brandt das Renthier zn den klinischen,
d. h. accommodationssähigen Thiereu rechnet, welches wohl
im Stande gewesen sein dürste, das germanische Klima zu
ertragen, so sprechen doch die bisherigen Acclimatisations-
versuche dagegen. Denn bisher sind alle diese Versuche
trotz der angewendeten Sorgfalt mißlungen, und sie werden
meiner Ansicht nach auch in Zukunft mißlingen, wenn man
nicht solche Localitäten dafür auswählt, wie etwa das Brocken-
feld im Harze nebst dem obern Theile des Brocken; hier
möchten allenfalls die geeigneten klimatischen Verhältnisse,
sowie eine zusagende Nahrung für das Renthier vorhanden
sein, während dasselbe in unserer Tiesebene bei dem jetzigen
Klima ans die Dauer nicht existiren kann.
Wenn Brandt hervorhebt, daß im östlichen Rußland
noch heutzutage Renthiere zuweilen im Winter bis zum 52.
Breitengrade nach Süden gehen, so ist dieses bei der strengen
Winterkälte des osteuropäischen Continentalklimas sehr erklär-
lich. Auch in Mitteleuropa ist das Reuthier eiust während
der Wintermonate weit nach Süden gewandert; aber das
war nicht zur Zeit des Cäsar, wo Europa schon seine jetzige
Gestalt hatte, sondern weit früher, nämlich während derjeni-
gen Periode, in welcher West- und Mitteleuropa
viel continentaler gestaltet waren als heutzutage *),
so daß auch das Klima in unseren Gegenden deu Charakter
eines Continentalklimas besaß.
Zu allen schon angeführten Beweismomenten kommt
endlich noch der Umstand, daß das Ren thier gewöhnlich
gar nicht in Wäldern sich aufhält, sondern eine ent-
schiedene Vorliebe für die jenseits der Waldregion liegenden
Districte an den Tag legt. Die weiten, offenen Tundren
in Nordrußland und Nordsibirien oder die baumlosen, mit
Moos bewachsenen Fields der skandinavischen Gebirge bil-
den seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Ueber das norwegische
Reuthier fagt Brehm nach eigenen Beobachtungen 2) Fol-
geudes: „Niemals steigt es hier bis in den Waldgürtel herab,
wie es überhaupt ängstlich die Waldungen meidet. Die
kahlen Vergebenen und Halden, zwischen deren Gestein ein-
zelne Pflanzen wachsen, oder jene weiten Ebenen, welche
dünn mit Renthierflechten überspouuen sind, müssen als
Standorte dieses Wildes angesehen werden, und nur dann,
wenn cs von einem Höhenzuge nach dem andern streift, trollt
es über eine der sumpfigen, morastähnlichen, niederen Flächen
hinweg; aber auch bei solchen Ortsveränderungen meidet es
noch ängstlich den Wald."
Und dabei soll dieses waldvermeidende Thier vor 1900
Jahren zu den Charakterthieren des germanischen Urwaldes
Vergl. Boyd Dawkins, „Höhlenjagd", deutsch vvn Spen-
ge!, S. 288 ff.
2) Jllustr. Thierl., 2. Aufl., Bd. III, S. 121.
Zeiten Renthiere im hercynischen Walde? 109
gehört haben! Freilich geben Pallas und Wrangel an,
daß im nördlichen Sibirien das Renthier zuweilen
in Waldungen vorkomme. Auch Brandt erwähnt einige
derartige Beobachtungen aus neuerer Zeit. Aber dieses gilt
nur von einem vorübergehenden Winterauseuthalte; denn
nur für kurze Zeit, für die kältesten Wintermonate, fncht
das Renthier dort im Osten Schutz und Nahrung in den
Wäldern, weil der streuge Contineutalwinter ihm den Aufent-
halt auf seinen gewöhnlichen Weidegründen unmöglich macht.
Aber sehr bald im Frühjahr zieht cs wieder hinaus aus die
offene Tundra.
Mit seinem breiten Geweih würde das Renthier im
germanischen Urwalde sich kaum haben bewegen können; in
den lichten, dürstigen Birken- nnd Lerchentannenwäldern
Sibiriens mag das leichter angehen, zumal im Winter, wenn
dieselben ihr Grün verloren haben. Außerdem pflegen die
Renthiere, mit Ausnahme der trächtigen Weibchen^), im
Ansauge des Winters das Geweih abzuwerfen.
Es ist nicht unmöglich, daß die Angabe mehrerer antiker
Schriftsteller, wonach das Renthier im Lande der Sky-
then und Budinen vorgekommen sein soll, ans Wahrheit
beruht, zumal da man sich die Gebiete dieser Völker ziemlich
weit in das Innere Rußlands ausgedehnt denken darf.
Ebenso mag ein Rest von Renthieren noch während
des Mittelalters in Nordschottland(Caithneß) existirt
haben, wie man aus einer Stelle der Orkneyinga-Sage schließt.
Hier wie dort sind die Lebensbedingungen ganz andere wie
im germanischeu Walde; es wird also dadurch für die Exi-
stenz des Cäsarischen Renthiers nichts bewiesen.
Nirgends weidet das Renthier neben üppigen Getreide-
seldern oder unter dichtbelaubten, dickstämmigen Eichen, wie
sie zu Cäsar'sZeit in Deutschland vorhanden waren. Nir-
gends deckt sich heutzutage der Verbreitungsbezirk
des Auerochsen und des Eleu mit demjenigen des
Renthiers, sondern die Südgrenze des Renthiers greift
nur wenig über die Nordgrenze jener Thiere hinüber. Warum
sollte es zu Cäsar's Zeiten anders gewesen sein?
Das einzige Körnlein von Wahrheit, welches in
der Cäsarischen Angabe enthalten sein mag, liegt etwa
darin, daß vor 1900 Jahren wandernde Renthiere in den
damals schwach bewohnten Ostseeprovinzen zur Winterszeit
ziemlich weit nach Süden und Südwesten gingen, vielleicht
bis in die durch ihren Bernsteinreichthmn berühmten Küsten-
länder des heutigen Ostpreußens, deren Inneres von den nord-
östlichen Ausläufern des hercynischen Waldes in Gestalt von
Birken-, Ellern- uud Kiefernwäldern durchzogen wurde.
Im westlichen und Mittlern Deutschland dagegen hat das
Renthier, selbst als Wanderthier, damals nicht mehr gelebt;
seine dortige Existenz fällt in eine viel frühere Zeit, nämlich
in die Glacial- und in die Postglacialzeit, als Europa eine
ganz andere Gestalt und die Vegetation Deutschlands einen
ganz andern Charakter besaß, wie heutzutage oder zur Zeit
Cäsar's; in jener fernliegenden Periode gab es noch keinen
hercynischen Wald, sondern im äußersten Norden Deutsch-
lauds nnd vielleicht an Stelle der jetzigen Nordsee existirten
zeitweise (vermuthlich nach der Glacialperiode) tundraähnliche
Gebiete, viele Gegenden Mitteleuropas hatten damals einen
steppenartigen Charakter2), und der Wald war auf verhält-
nißmäßig kleine Districte in den Flußthälern, sowie am
Fuße und an den Abhängen der Mittelgebirge beschränkt.
Diese bleiben in den Hudsonsbay-Ländern auch zur
Winterszeit in offenen Gegenden, vielleicht des Geweihs wegen.
Vergl. Schreber, Säugethiere, S. 1069.
2) Vergl. A. Nehring, Die quateruäreu Faunen von Thiede und
Westeregeln:c. Braunfchweig 1378. Fr. Vieweg u. Sohn. S. 59.64.
110
Aus allen Erdtheilen.
A ii s allen
Europa.
— Auf Anregung des köuigl. preußischen Großen Gene-
ralstabs (s. Globus XXXIII, S. 95) ist die Herstellung einer
dasgesammte Reichsgebiet umfassendenGradabtheilnngs-
karte im Maßstabe von 1:100000 in.Angriff genommen;
der das Königreich Bayern treffende Theil dieser Karte ist
durch das topographische Bureau, und zwar nach Abschluß
der Arbeiten für den topographischen Atlas des Königreichs,
herzustellen; nur mit den Blättern der Pfalz sollen diese
Arbeiten jetzt schon begonnen werden. Bei der großen mili-
tärischen Bedeutung der Abtheilungskarte war die Anfer-
tignng eiuer Administrativkarte des Königreichs vorerst zu-
rückzustellen. Die Herstellung der Gradabtheiluugskarte der
Pfalz macht eine Recognoscirnng daselbst erforderlich.
— Von der von uns in Bd. XXXI, S. 352 besprochenen
„Statistischen Karte des Deutscheu Reiches von
I. C. Busch" (Leipzig, I. C. Hinrichs) ist bereits die vierte
berichtigte und ergänzte Auflage erschienen. Dieselbe enthält
alle Orte über 3000 Einwohner mit Angabe ihrer Bevöl-
kernngszahlen nach dem Census vom 1. Deeember 1875 im
Vergleiche zu denen vom 1. Deeember 1871, berücksichtigt
die Amts- und Kreishauptorte, auch diejenigen unter 3000
Einwohner, und giebt eine Uebersicht der Eisenbahnen.
— Die eben ausgegebenen „ Mittheilungen des V er-
eins für Erdkunde zu Leipzig" für 1877 enthalten
neben Vereiusnachrichten (der Verein zählt augenblicklich 410
Mitglieder) folgeude Aufsätze: H. Credner, Arbeiten und
Publicatioueu der geologischen Laudesuntersuchuug von Sach-
sen; Carl Emil Jung, Aus dem Seelenleben der Anstra-
lier, worin Betätigungen von Dankbarkeit, Kinder- und
Elternliebe, Mitleid, Mutterwitz aufgezählt werden, welche
für die gutartige Eharakteraulage dieser oft so verachtete«
Eingeborenen sprechen; Gerhard Rohlfs, Die Halfa und
ihre wachsende Bedeutung für deu europäischen Handel (der
berühmte Reisende berichtet über deu raschen Aufschwung des
Exports vou Halfa aus Nordafrika und die Bedeutung der-
selben für die Papierfabrikation, eifert gegen den Raubbau,
bedauert, daß sich Deutschland an diesem Handel noch gar
nicht betheiligt, welcher fast ganz in deu Händen Englands
liegt, und sucht die deutschen Kanfleute auf die uoch nnge-
hobenen Naturschätze Nordafrikas aufmerksam zu machen);
Rudolf Virchow, Anthropologie und Anthropogenie, und
E. Bruhus, Meteorologische Beobachtungen, angestellt auf
der Leipziger Universitäts-Sternwarte im Jahre 1877.
— Der von uns schon auf S. 46 dieses Bandes erwähnte
„Congres National de Geographie" soll im August
im Troeadero-Palast in Paris stattfinden und über folgende
Themata beratheu: 1. Mittel um geographische Kenntnisse
zu vermehren und zu verbreiten; es soll hierbei die fran-
zösifche geographische Orthographie möglichst festgestellt und
die Veranstaltung jährlicher geographischer Ausstellungen in
denjenigen Städten, wo geographische Gesellschaften existiren,
ins Auge gefaßt werden; 2. über Mittel, in Frankreich den
Geschmack an Ausflügen und Reisen zu verbreiten; 3. über
Mittel, die vou Franzosen unternommenen Forschungsreisen
zu ermuthigen, zu überwachen und zu leiten — man gedenkt
nämlich in Paris ein „Comite des Voyages" einzusetzen,
welches über die ihm vorgelegten Reiseprojeete und die Be-
fähignng der Reisenden selbst an die geographischen Gesell-
fchaften zu berichten hätte; 4. über Mittel, die französischen
Auswanderer und den französischen Handel aufzuklären, und
E r d t h e i l e li.
5. über Mittel, um in Frankreich geographische Gesellschaften
ins Leben zu rufen.
— In Paris ist eine Societe d'Anthropologie et
d'ethnographie polonaise begründet worden, die sich
speciell mit dem Studium der osteuropäischen Völker be-
fassen will, uameutlich mit jenen, die im Gebiete des alten
Königreick)s Polen wohnen. Der Franzose Paul Topiuard,
ein verdienter Anthropolog, ist zum Ehrenpräsidenten der
Gesellschaft ernannt worden. Präsident ist Herr Duchinski;
die übrigen Herren vom Vorstande sind uns in der Wissen-
schaft noch nicht begegnet. Was Duchinski betrifft, so ist
er eiu vom grimmigsten Russenhaß erfüllter Pole, welcher
die Theorie des Dichters Mickiewicz, die heutigen Russen
seien Mongolen, mit nicht viel Geschick wissenschaftlich zu
vertreten fncht.
— In Moskau hat sich eine Gesellschaft zur Eröff-
uuug des Handelsverkehrs zwischen Rußland und
Sibirien vermittelst des kürzlich eröffneten Seeweges ge-
bildet. Es nehmen daran die Fabrikanten Morozow, Sol-
datenkow und Kuop theil; noch in diesem Sommer werden
sie zwei Dampfer nach dem Jenise i schicken, deren einer nur
bis zur Mündung gehen soll, während der andere, ein Fluß-
dampfer, mit drei Barken und Waareu stromauf fahren und
in Jeuiseisk löschen soll. Die Gesellschaft beabsichtigt, jetzt
Zucker, Baumöl, Keroseu (Lenchtöl) und Stearinkerzen rnssi-
scher Fabrikation einzuführen, und nimmt als Rückfracht
Getreide und andere Prodnete, Mineralien, überhaupt alles,
was sich zur vorteilhaften Ausfuhr eignet.
Asien.
— Unlängst ist das erste Heft des ersten Bandes der
„Zeitschrift des Dentsä)en Palästina-Vereins"
(Leipzig 1878. Mit 5 Tafeln) erschienen und damit jener
Verein, dessen Ausruf unsere Zeitschrift in Bd. XXXI, S. 367
abgedruckt hat, ins Leben getreten. Das Heft bringt Nach-
richten über Augelegeuheiteu des Vereins, das Mitglieder-
verzeichniß, welches aber leider erst 186 Mitglieder aufweist,
ein Vorwort von Prof. Kautzsch, das in der Zeitschrift
anzuwendende Trauferiptionsalphabet, Mitteilungen über
topographische Funde in Jerusalem vou Baurath Schick uud
einen sehr vollständigen und dankenswerthen Bericht über
neue Erscheinungen auf dein Gebiete der Palästinaliteratur
(hauptsächlich für das Jahr 1877, doch auch Früheres bespre-
chend) von Prof. So ein. — Zweck der Gesellschaft ist be-
kanntlich die wissenschaftliche Erforschung Palästinas nach
allen Beziehungen zu fördern und die Theilnahme daran in
weiteren Kreisen zu verbreiten, was sie durch Herausgabe
der Zeitschrift und später namentlich durch wissenschaftliche
Untersuchungen auf dem Boden Palästinas selbst zu erreichen
sucht. Zu letztem Unternehmen sind aber mehr Mittel uud
mehr Mitglieder erforderlich, als augenblicklich erst beigetreten
sind. Ihr neue zu gewinnen, ist der Zweck dieser Notiz. Für
10 Mark jährlich, wofür die Zeitschrift geliefert wird, wird
die Mitgliedschaft erworben (Anmeldung u. a. bei Sic. H. Guthe,
Leipzig, Zeitzer Straße 22 d., oder Prof. Soeiu in Tübingen
oder Prof. Kautzsch in Basel); wir Zweifeln nicht, daß sich
auch unter unseren Lesern so manche finden, welche in irgend
welcher Hinsicht für das merkwürdigste Land der Erde so viel
Interesse hegen, um sich zu jenem kleinen Opfer zu entschlie-
ßen, damit auch Deutschland auf diesem Gebiete etwas leiste,
was Werth ist, den französischen, englischen uud amerikanischen
Expeditionen an die Seite gestellt zu werden.
Aus allen
— Am 12. März hat eine Expedition der Kais. Rnssi-
schen Geographischen Gesellschaft unter Führung des In-
genieurs Baron Aminow Petersburg verlassen und ist in-
zwischen in Jeuiseisk eingetroffen, um die Wasserscheide
zwischen den Strömen Ob und Jeuisei zu erforschen.
Den Chef begleiten die Ingenieure Lipin und Porzel; in
Jeniseisk sollen noch ein Offizier und mehrere Topographen
zu ihnen stoßen.
— Im Frühling 1876 bereiste der englische Hauptmann
Butler vom 9. Regiment, als Chinese verleidet, das Thal
des Atrek, welcher die Grenze zwischen Persien und den
Gebieten der Tnrkmanen. bildet, und es hieß damals, es sei
ihm gelungen, mit verschiedenen Häuptlingen des Teke-Stam-
mes Verkehr zu pflegen. Sein Bericht über diese gewiß
merkwürdige Reise ist nie erschienen, und die ganze Sache
gerieth in Vergessenheit. Im Mai 1877 mußte er dann
plötzlich dem Vieekönig in Simla Bericht erstatten und begab
sich darauf wiederum an die Nordgrenze Irans, wo er wich-
tige Entdecknngcn auf geographischem Gebiete machte und
angeblich auch wichtige politische Erfolge errang. So soll er
die neulich erfolgte Versöhnung zwischen den Turkmaueu und
der persischen Regierung zumTheile vermittelt haben. Meh-
rere Monate verweilte er bei den Tekke- und Achal-Turk-
maueu, welche die Thäler, von wo Herat mit Lebensmitteln
und Wasser versorgt wird, und die Gebirge bewohnen, welche
dem Vormarsche einer von Norden kommenden Armee nach
Afghanistan und Indien entgegenstehen. Diese Thaler und
Gebirge, vou welchen die Karten bisher noch nichts verzeich-
neten, hat Butler jetzt erforscht und aufgenommen, eine müh-
selige und langwierige Arbeit, für welche man in England
bei der von Rußland für Indien drohenden Gefahr besonders
dankbar ist. Unter anderen hat er die Onelle des Atrek an
einer Stelle aufgefunden, die weit von der bisher angenom-
menen entfernt ist, und eine bisher unbekannte Schlucht,
welche vom Kören-Tagh nordwärts führt und für Artillerie
passirbar ist, sorgfältig aufgenommen.
— Als Gegenzng gegen die englische Besitznahme von
Cypern scheinen die Russen das Chanat Buchara besetzen
zu wollen. Ihre Hauptmacht, nur aus 12 Bataillonen nebst
Kosaken und Artillerie bestehend, verließ am 11. und 13. Juni
Taschkend und rückt über Samarkand an die Grenze; der
rechte Flügel zieht vou Petro-Alexaudrowsk am Amn auf-
wärts bis Tschehardschui und von da wahrscheinlich gegen
Buchara, der linke steigt von Margilan in Ferghana nach
dem Alai-Plateau hinauf und geht dann am Amn abwärts.
Der Erdkunde stehen voraussichtlich wieder große Bereiche-
rnngen bevor, und vielleicht erleben wir es bald, daß der
Lößboden von Balch die archäologischen und inschriftlichen
Schätze des alten Baktra heransgiebt, welche jetzt noch durch
afghanische Barbaren für uns unzugänglich gemacht werden.
— Aus Kaschmir kommt die Nachricht von einer
Hungersnot!), welcher täglich Hunderte von Menschen er-
liegen. Doch scheiut der Grund des Uebels nicht in natür-
lichen Verhältnissen allein, sondern hauptsächlich in der Miß-
wirthschast des Maharadscha!) zu liegen. Die Hälfte des
Ertrages eines jeden Feldes nimmt derselbe als Steuer in
Anspruch und gestattet seinen Unterthauen nicht einmal den
Besitz eines der dort üblichen elenden Pflüge, die sie vielmehr
tageweise von ihm miethen müssen. In Folge dessen liegt
viel Land, das reiche Ernten tragen könnte, unbebaut, und
tritt einmal Mißwachs ein, so ist Mangel die unausbleibliche
Folge.
— Nach den „Times" haben die malayischen Häuptlinge
in der Umgebung des Gebietes von D s ch o h o r (auf der
Halbinsel Malakka gegenüber von Singapur) unter Znstim-
mnng der britischen Regierung den aufgeklärten Maharad-
schal) von Dschohor zu ihrem Herrscher erwählt. Miklncho-
Maelat) nennt denselben „einen merkwürdigen Mann, wel-
eher mit der Beobachtung alter Sitten und dem Wunsche,
seinem Lande zu nützen, Verständniß und aufrichtige Werth-
Erdtheilen. III
schätzung europäischer Ideen und Neuerungen verbindet"
(„Globus" XXVIII, S. 189). Der russische Forscher sowohl,
wie die Offiziere des deutschen Kriegsschiffes „Hertha"
(s. ebenda S. 350) hatten sich einer sehr zuvorkommenden
Ausnahme Seitens des Fürsten zu erfreuen. Derselbe be-
findet sich augenblicklich zum zweiten Male in England und
verfolgt dabei den Zweck, das Innere seiner Besitzungen,
welche Ueberflnß an natürlichen Reichthümern, aber keine
Straßen besitzen, zu erschließen.
Nekrologe.
— Dr. Friedrich Kampf, der Astronom von Liente-
nant Wheeler's II. 8. Exploring Expedition, ist am 30.
März d. I. in Washington im Alter von 36 Jahren ge-
storben. Seine Bildung erhielt er in Bonn, wanderte 1870
nach den Vereinigten Staaten aus, bekleidete dort zuerst eine
Stelle bei der Küstenaufnahme und betheiligte sich seit 1873
an Wheeler's wohlbekannten Forschungsreisen.
— T. T. So Oper, der englische Resident in Bhamo
am obern Jrawaddi, ist im April dieses Jahres von einem
Corporal seiner Sipahi-Wache, den er bestraft hatte, aus
Rache erschossen worden. Es ist das derselbe, dessen Werk
„Travels by a Pioneer of Commerce", ans welchem der
„Globus" in Bd. XXI, S. 42 und 168, Auszüge gebracht
hat, unlängst ins Deutsche übersetzt wurde (s. vorigen Band,
S. 112). Geboren 13. April 1837 in Snnderland, ging er
schon mit 16 Jahren nach Westaustralien, wo er mehrere
Jahre in verschiedenen Beamtenstellungen zubrachte. Dauu
lebte er als Kaufmann in verschiedenen indischen Städten,
wie Karatschi, Madras, Rangnn n. s. w., und ließ sich in
Schanghai nieder, von wo er 1868 die in dem oben ange-
führten Buche beschriebene Reise den Jang-tfe-kiang aufwärts
bis an die Grenze Tibets unternahm. In Folge der dort
sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten kehrte er nach
Schanghai zurück und versuchte 1870, vom Vieekönig, Lord
Mayo, unterstützt, von Assain aus China zu erreichen, mußte
aber wiederum bald unverrichteter Sache umkehren. Die
Beschreibung dieser Reise erschien 1873 unter dem Titel
„The Mishmee Country"; der „Globus" brachte Auszüge
daraus im 25. Bande (S. 313 und 347). 1872 begleitete
Cooper die mohammedanischen Rebellenfürsten aus Jünnan,
welche vergeblich in England um Hülfe gebeten hatten, nach
Birma, wurde dann britischer Resident in Bhamo, kehrte
aber wegen Kränklichkeit nach England zurück, wo er im
Jndia Office Beschäftigung fand. Zu Anfang 1877 brachte
er aus England die Banner und andere werthvolle Gegen-
stände nach Indien, welche bei der Proelamirnng des kaifer-
lichen Titels der Königin Victoria in Delhi gebraucht wur-
den, uud ging dann wiederum als englischer Agent nach
Bhamo, wo er nun seinen frühen Tod gefunden hat.
— Am 9. Juni ist ein auch auf geographischem Gebiete
bekannter Journalist, I. A. Mae Gahan, in Konstantino-
pel gestorben. Sein Vater war ein Ire, seine Mutter eine
Deutsch-Amerikanerin. Den dentsch-franzöfischen Krieg machte
er als Berichterstatter des „New-Uork Herald" mit; während
des Commnne-Aufstandes befand er sich in Paris. Seine
Bekanntschaft mit einigen Jnsnrgentenchefs hätte er beim
Einrücken der Truppen fast mit dem Tode gebüßt. Dann
eorrespondirte er für dieselbe Zeituug aus St. Petersburg
und reiste, trotz des gegenteiligen Verbotes, allein und ohne
Sprachkenntnisse den russischen Truppen, quer durch die Wüste,
nach CHiwa nach. Sein Buch „Campaining on tlie Oxus",
worin er seine damaligen Erlebnisse beschreibt, hat vier Auf-
lagen erlebt. Von Ehiwa begab er sich in das Lager des
Don Carlos und von dort mit Sir Allen Jonng in der
„Pandora" in die arktischen Gewässer. Ueber letztere Reise
veröffentlichte er „linder the Northern Lights". Zuletzt ging
er als Berichterstatter der „Daily News" uach der Türkei,
wo er sich um das Loos der Bulgaren _ historisch gewordene
Verdienste erwarb. Die Unerschrockenheit und Selbstverleng-
112
Aus allen Erdtheilen.
nnng des persönlich überaus liebenswürdigen Mannes, wel-
cher schon in seinem 33. Lebensjahre einem hitzigen Fieber
erlegen ist, machten ihn so recht geeignet zum Pionnier-Rei-
senden, und es ist vielleicht mit ihm ein zweiter Stanley zu
Grabe gegangen.
— Am 23. Juni dieses Jahres starb in London im
81. Jahre einer der bekanntesten englischen Nordpolfahrer,
Admiral Sir George Back. Geboren 6. November 1796
trat er mit zwölf Jahren als Midshipman in die Marine,
nahm an den Küsten Frankreichs und Spaniens am Kriege
Theil und war von 1809 bis 1314 Kriegsgefangener in
Frankreich. Dann diente er in Halifax und begleitete 1818
Sir John Franklin auf seiner arktischen Reise und seiner
Ueberland-Expedition von der Hudsous-Bay nach dem Cop-
permine-Fluß, nachdem er schon vorher unter Capitäu Buchau
eine gefährliche Entdeckungsreise in den Gewässern von Spitz-
bergen mitgemacht. Franklin nennt den jungen Back in sei-
ner wohlbekannten „Narrative" einen „Reisenden von echtem,
heroischem Schrot und Korn". 1821 wurde er Lieutenant
und begleitete im Frühling 1825 wiederum Franklin auf
dessen zweiter Nordpolexpedition, als es sich darum handelte,
gleichzeitig mit Beechy und Parry von verschiedenen Seiten
her die nordwestliche Durchfahrt festzustellen. Dann that
er einige Jahre lang keinen activen Dienst, bis er 1833 zum
Führer einer Expedition ernannt wurde, welche den schon im
vierten Jahre auf der Suche nach der nordwestlichen Durch-
fahrt abwesenden Sir John Roß auffinden und unterstützen
sollte. Am 8. August erreichte er das Fort Resolution am
Großen Sklavensee, entdeckte am 26. August den Großen
Fischfluß und überwinterte in Fort Relianee, wo er im
April 1834 die Nachricht von Roß' Ankunft in England er-
hielt. Im Juui brach er von dort nach dem Eismeere auf,
fuhr den Großen Fisch- oder Back-Flnß hinunter und erreichte
am 29. Juli das Meer. Den Sommer über setzte er seine
Forschungen im Eismeere fort und kehrte im September
nach England zurück. 1836 veröffentlichte er darüber „Narra-
tive of the Arctic Land Expedition to the Month of the
Great Fish River and along the Shores of the Arctic
Ocean in 1833 —1835" (Deutsch von Audree, Leipzig 1836).
Inzwischen zum Capitäu ernannt, commandirte er 1836 eine
weitere Expedition nach dem arktischen Nordamerika, wobei
er bis Frozen Strait gegenüber der RePulse Bay vordrang;
er beschrieb sie in „Narrative of the Expedition in Her
Majesty's Ship Terror, undertaken with a view to Geo-
graphica! Discovery on the arctic shores in 1836 —1837"
(London 1833). Für seine Fahrten erhielt er von der Lon-
doner und Pariser Geographischen Gesellschaft goldene Me-
daillen, 1839 wurde er geadelt, 1857 zum Eoutre-, 1363 zum
Viceadmiral, 1867 zum Admiral ernannt.
— Prof. William M. Gabb, der amerikanische Geologe,
ist am 30. Mai in Philadelphia an der Auszehrung gestor-
ben. Geboren ebendaselbst am 20. Januar 1839 und dort
erzogen, zeigte er schon als Knabe besondere Vorliebe für
Mineralogie und Paläontologie und stndirte später vornehm-
lich die fossilen Jnvertebraten der Vereinigten Staaten,
namentlich die der Kreideformation. 1860 trat er in den
Dienst der geologischen Aufnahme von Californien unter
Professor I. D. Whitney's Leitung und führte 1367 znsam-
men mit I. Roß, Brown und F. v. Loehr im Auftrage der
Lower California Company eine Durchforschung der cali-
fornifchen Halbinsel aus (s. Karte und Bericht in Peter-
mann's Mitth. 1863, S. 273 und Taf. 14). 1368 kehrte er
nach dem Osten zurück und nahm dann die Ländereien der Santo
Domingo Land and Mining Company und im Anschlüsse
daran einen großen Theil der Republik Santo Domingo
geologisch auf, eine Arbeit, welche er auf wiederholten Be-
suchen der Insel Hayti vervollständigte. Seine 1872 im
Maßstabe von 1:375000 erschienene geologische Karte der
Republik wurde von Prof. A. Petermann in seine Karte der
Insel (Mittheilungen 1374, Taf. 17) verarbeitet. 1873 trat
er in Verbindung mit der Regierung von Costarica, in
deren Auftrage er drei Jahre lang das Land geologisch und
topographisch aufnahm. Zugleich studirte er desfeu Natur-
gefchichte und Ethnologie und legte bedeutende Sammlungen
an, welche sich jetzt im Nationalmuseum in Washington be-
finden. Seine Karte ist in den Mittheilungen von Peter-
mann, 1877, Taf. 18, enthalten; eine Abhandlung über die
Ethnologie der Eingeborenen von ihm veröffentlichte die
American Philosophieal Society. 1876 reiste er nochmals
nach Santo Domingo, von wo er im vergangenen März
zurückkehrte, um bald darauf feinem Lungenleiden zu erliegen.
Er hinterläßt ein umfangreiches Mannfeript über die Geo-
logie und Paläontologie von Costarica, welches von kundiger
Seite demnächst herausgegeben werden soll.
Die Wörter Fetischismus, Australien, Polynesien.
Das Wort Fetischismus wurde niemals vor dem
Jahre 1760 gebraucht. Damals erschien ein anonymes Buch,
betitelt: Dn Culte des Dienx fetiches; ou Parallele de
l'ancienne Religion de l'Egypte avec la Religion actuelle
de Nigritie. Mau weiß, daß dies kleine Buch von de Brosses,
einem Freunde Voltaire's, herrührt. Bnffon hatte deBrosses
zum Studium der Naturvölker angeeifert, und er veröffent-
lichte in der Folge 1756 seine Histoire des Navigations aux
Terres Australes in zwei großen Quartbänden. In diesem
jetzt veralteten Werke kommen die von de Brosses gebildeten
Wörter Anstralia und Polynesia zum ersten Male vor *).
(Max Müller, Is fetishism a primitive form of religion?
in Mac Millan's Magazine, Juni 1373.)
— In dem interessanten Aufsatze über „Volksmedicin
bei den Serben" von Petrowitsch (Globus 1873, Nro. XXII,
S. 350) ist angegeben, daß die Serben den Kopfschmerz durch
Ausspreä)eu der Worte cnriren: „Schator Arepo Tenet
OperaRotas," und es wird behauptet, daß dies geheimniß-
volle Namen böser Geister seien, die im menschlichen
Körper wohnen. Dies letztere beruht auf einem Jrrthnm.
Zunächst ist zu coustatiren, daß auch in Deutschland auf
Amuleteu die Worte Sator arepo zc. vielfach vorkommen
(vergl. Wnttke, Der deutsche Volksaberglaube, 2. Aufl., 1869,
S. 167). Sie haben als Zauberworte eine ähnliche mystische
Bedeutung wie das Abrakadabra, und werden so unter
einander geschrieben, daß beim Auf- und Ablesen sich die-
selben Worte wiederholen:
Sator
arepo
tenet
opera
rotas
So kann man diese 25 Buchstaben nach jeder Richtung
lesen; doch sind dies keineswegs die Namen böser Geister.
Leipzig. Dr. Ploß.
:) Was das Wort feitigo betrifft, fo ist es portugiesisch
und correspondirt mit dem lateinischen kactitius, mit der Hand
gemacht, bezieht sich also auf die künstlich angefertigten Anmiete
und Idole der Neger.
Inhalt: Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreife nach Kafchgar. IV. (Mit vier Abbildungen.) — H. Kiepert: Die
ueue russisch-türkische Grenze in Asien. (Mit einer Karte.) — Cypern. I. — Dr. Alfred Nehring: Lebten zu Cäsar's Zeiten
Renthiere im hercynischen Walde? II. (Sck)lnß.) — Aus allen Erdtheilen: Europa. — Asien. — Nekrologe. — Vermischtes.
(Schluß der Redaction 20. Juli 1873.) ' __
Nedacteur: Dr. N. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
Hierzu zwei Beilagen. I. Prospectus, betreffend: Kurzes Lehrbuch der anorganischen Chemie. Von Prof. Dr.
Hermann Kolbe. Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig. — 2. Ankündigung, betreffend: Aus
der „Bibliothek des Unterrichts" von Ferdinand Hirt in Breslau, Königl. Universitäts und Verlagsbuchhändler.
•9
Band XXXIY.
Mit besonckerer Derücksicktigung lter AntKropologie tnut Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
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Dr. Richard Kiepert.
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zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. ^ ( *
Von Sir Forsytl/s Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
V.
4. December. Auf der Strecke von Jarkand bisKasch-
gar haben wir genau dieselbe Straße verfolgt wie Mr. Shaw
im Jahre 1868; er hat dieselbe so gut beschrieben, daß wir
nichts Besseres thun können als seinen Bericht hier zusammen-
zufassen. Zuerst kreuzt man in westlicher Richtung das Thal
von Jarkand in einem großen Theile seiner Gesammtaus-
dehnung. Um die Richtung genau innezuhalten, folgt man
den zahlreichen kleinen Moscheen unterwegs, welche in Tur-
kestan stets nach Südwesten orientirt sind. Das Land in
der Umgebung Jarkands ist außerordentlich bevölkert, stärker
als die "fruchtbaren Districte im Pendschab. Nach drei Mei-
len überschreitet man einen 12 bis 15 Meter breiten Fluß
auf einer Brücke. Wieder drei Meilen weiter zeigen sich
Sandhügel, welche von jetzt ausgetrockneten Wassern gebildet
worden zu sein scheinen; ihr einziger Rest ist ein Büchlein,
das sich zwischen den Hügeln hindurchwindet. Dann folgt
eine Salzebene, an deren Horizont sich die in nordsüdlicher
Richtung verlaufende Wand des Pamir erhebt. Von hier
aus gesehen verdient diese Erhebung ihren Beinamen „Dach"
oder besser „Obere Terrasse der Welt" (Bkm-i-duuja), den
man ihr häufig giebt, nicht; denn sie zeigt sich nur als eine
lange, niedrige Linie, während die gewaltigen Berge weiter
zurück liegen. Die Eingeborenen nennen das Gebirge ganz
einfach den „rothen Berg". Orientalen sind, wie man weiß,
zum Generalisiren nicht geneigt; sie haben für jeden Gegen-
stand im Besondern Namen, aber einer Gesammtheit eine
Benennung zu geben scheint ihnen unnöthig und unnatürlich.
Etwa vier Meilen von dort erreicht man das große Dorf
Kok-Robat, welches einen ziemlich wichtigen Markt und
Bazar besitzt und außerdem ein sehr bequem zu bewohnendes
Globus XXXIV. Nr. 8.
Haus, welches Mohammed - Jaknb sich als Raststation auf
seinen Reisen erbaut hat. Aehnliche Wohnungen, Urda
genannt, finden sich auf der ganzen Straße bis Kaschgar;
dieselben standen den Mitgliedern der Gesandtschaft als
„Gästen des Herrschers" zur Verfügung. Hinter Kok-Robat
wird die Gegend öde und steinig; zur Rechten zieht sich eine
Art Dschengeln hin, welche bis Aksn reichen und voller wil-
den Thiere, wie Tiger, Eber it. s. w., stecken sollen. Unter-
wegs stößt man auf eiu eiuzelues Serai', neben welchem sich
zwei Brunnen von etwa 100 Fuß Tiefe und eine Moschee
befinden. Das alles hat der Emir errichten lassen, ein Be-
weis, wie verständig er sein Land verwaltet. Etwas weiter-
hin erhebt sich in der Wüste eine zerstörte Moschee neben
einem ausgetrockneten Teiche. Dschingis-Chan soll dieselbe
nach den Überlieferungen der Eingeborenen erbaut haben,
als er zur Eroberung Turkestans auszog, und der Teich soll
einer von jenen sein, welche er überall graben ließ, wenn er
in der Wüste Halt machte. Das für fein Heer nöthige
Wasser soll er auf Kamelen mitgeführt und wenn ein Lager
aufgeschlagen wurde, sogleich einen Teich haben graben und
mit jenem Wasser füllen lassen, um daraus Meuscheu und
Thiere zu tränken. Sein Zelt, erzählen die Leute, war so
groß, daß zehntausend Menschen darin Platz hatten; dort
empfing er auch ganze Heere von Gästen und ließ ihnen den
Thee in Tassen aus Edelstein reichen.
Dann passirt man Kizil, ein ansehnliches Dorf; es
führt seinen Namen, welcher „roth" bedeutet, von dem eisen-
haltigen Boden und besitzt mehrere Schmelzöfen. Es folgt
Toblok, in dessen Nähe zwischen den Eingeborenen und den
Chinesen gekämpft wurde, als das Laud seine Unabhängigkeit
15
114 Von Sir Forsyth's Gesar
wiedergewann. Noch sieht man rechts von der Straße einen
großen Erdhügel, unter welchem die Gebeine der damals ge-
fallenen Chinesen ruhen. Auf der andern Seite befinden
sich zahlreiche Gräber ebenda gefallener Mohammedaner.
Es sollen sich damals von beiden Seiten 50 000 Mann
gegenübergestanden haben, Fußvolk bei den Chinesen, Reiter
bei den „Andidschanis". Auf diesem ganzen Wege hat man
zur Linken stets den Anblick der Berge von Pamir. Die
Wohnungen der Landleute sind ebenso behäbig und reinlich
wie etwa bei den kleinen Pächtern in England. Wirthschasts-
Höfe, Scheuern und Ställe sehen ordentlich und gefällig aus.
Das Land besteht abwechselnd aus grünenden Ebenen, von
Anbau umgebenen Dörfern und sandigen Hügeln, welche
Das Thal von Jarkand. (Nc
von Dampfschiffen und Eisenbahnen geschmückt. Die Ge-
sandtschaft wollte zwar dort nur einen Tag verweilen; allein
es langte ein Bote von Kaschgar an und meldete des Emirs
Wunsch, daß sie einen Ruhetag mehr machen möchte, um
sich nicht zu sehr anzustrengen. Der wahre Grund, den sie
später erfuhr, war, daß die für sie bestimmten Wohnungen
noch nicht völlig so hergerichtet waren, wie es der Fürst
wünschte.
So nahmen wir erst am 3. December unsere Reise,
welche durch wellige, mit Salz geschwängerte und für den
Anbau weniger geeignete Strecken Landes führte, wieder auf
und standen am nächsten Tage, eine Woche nach unserer
Abreise von Jarkand, am Ziele unserer Reise: Kaschgar lag
vor uns, wenn es auch unseren neugierigen Blicken vorerst
noch durch seine einförmigen Erdmauern verborgen war.
schaftsreife nach Kaschgar.
in ihrer Anordnung an jene gewaltigen Wellen erinnern,
welche nach einem Sturme in langen parallelen Linien am
Strande hinaufrollen. Jenfeit dieser Hügel überschreitet
uian einen kleinen Fluß und erblickt dann eine so lachende,
reizende Landschaft wie im Thale von Kaschmir. So weit
das Auge reicht, trifft es überall auf angebautes Feld und
zahlreiche darin zerstreute Gehöfte, welche von so viel Obst-
und anderen Bäumen umgeben sind, daß das Ganze fast wie
ein zusammenhängender Wald aussieht. Durch diese Ebene
führt die Straße nach Jangi-Hissar, welche zuletzt scharf
bergab geht. Der Ort, welcher in den letzten Kämpfen sehr
gelitten hat, gleicht der Vorstadt eines großen Centrums; in
einem der Häuser sah Mr. Shaw die Wände mit Malereien
einer Zeichnung Chapman's.)
5. December. Während der drei letzten Reisetage vor
Kaschgar wurden wir von einer uns entgegengeschickten Ehren-
wache unter Befehl des Pansad-Baschi (d. i. Befehlshaber
von 500 Mann) und Commandanten des Forts von Jangi-
Hissar, Chul-Mohammed, geleitet. Unweit der Hauptstadt
erschien eine andere hohe Persönlichkeit, Mirza-Ahmed, der
uns im Namen des Fürsten osficiell zu bewillkommnen hatte.
Derselbe führte uns in unsere sehr bequemen Behausungen,
welche außerhalb der eigentlichen Stadt in Jangischahr,
d. h. der Festung, wo der Emir residirte, und zwar neben
dem Hauptthore der Burg, gelegen waren. Wir fanden dort
sowohl für uns wie für unsere Leute alle Bequemlichkeiten,
welche wir uus nur wünschen konnten, vor. Ställe für
unsere Pferde, ein gut umzäuuter Hof für die Lastthiere,
nichts fehlte, und alles war mit größter Sorgfalt vorbereitet
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
worden. Unser Wirth, der wahrscheinlich ebenso neugierig
war, uns zu sehen, wie wir ihn, bestand daraus, uns noch
am Tage unserer Ankunft selbst zu empfangen, und so wur-
den wir noch vor der feierlichen Audienz, wo wir ihm das
'Schreiben und die Geschenke der Königin Überreichen sollen,
vor ihn gelassen.
Wir durchschritten zuerst zwei große viereckige Höfe, an
deren vier Seiten Soldaten in vollkommener Ordnung auf-
gestellt waren, und wurden dann in einen kleinen ganz leeren
Hof geführt, an dessen Ende ein großer Saal mit fünf oder
sechs Thüreu sich befand. Mr. Forsyth wurde allein an eine
derselben geführt und erblickte dort einen kräftigen, mittel-
großen Mann, welcher ihn freundlich begrüßte. Das war
Mohammed-Jakub. Er ergriff Mr. Forsyth bei der Hand,
erkundigte sich nach seinem Befinden und ließ ihn auf einem
Teppich neben sich Platz nehmen, während draußen eine
Salve von fünfzehn Kanonenschüssen erdröhnte. Dann sprach
er mit ihm von der Königin, von dem Vicekönig von Indien,
von den Schwierigkeiten der Reise über den Karakorum u. s. w.
Dann wurden die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft hin-
eingeführt uud jedem reichte der Fürst die Hand. Von da
an sprach er viel weniger und machte, um seine Würde zu
zeigen, zwischen je zwei Bemerkungen stets eine lange Pause.
Zum Schluß wurden Thee, Früchte und dergleichen herum-
gereicht, worauf wir uns verabschiedeten.
Bis zu dem Momente, wo der Brief der Königin über-
Thor der neuen Stadt (Jangischahr) bei Kaschgar. tNach einer Aquarelle Chapmau's.)
reicht wird, bleiben wir außerhalb Kaschgars in Jangischahr,
welches drei bis vier (englische) Meilen südöstlich davon liegt.
Bis jetzt ist es noch keinem Engländer gelungen, in die Stadt
einzudringen; aber wir werden dieErlanbniß dazu erhalten,
denn der Emir hat gesagt, daß die Mitglieder der Gesandt-
schast kommen und gehen könnten, wie es ihnen beliebte. Ein
merkwürdiger Wechsel in der Stimmung dieser Orientalen,
die sich nur schwer davon überzeugen lassen, daß unsere Ge-
sinnung eine wahrhaft freundschaftliche und friedliche ist. Die
Furcht, welche sie vor den Russen haben, verläßt sie keinen
Augenblick und macht sie gegen alle Europäer mißtrauisch.
Die Bazars und Läden der tnrkestanischen Städte sind
mit Waaren, die aus Nußland gekommen, häufig aber eng-
tische Fabrikate sind, angefüllt. Wir treiben alfo jedenfalls,
direct oder indirect, mit diesen Ländern Handel. Seit Jahr-
Hunderten haben sich Sitten und Gewohnheiten in diesen
Ländern sehr wenig geändert, denn wir sind von der Ge-
nauigkeit der Schilderungen Marco Polo's und noch älterer
Reisender überrascht.
11. December. Heute ist der Brief der Königin in
einem Kästchen aus Quarz und Onyx und der des Vice-
königs, welcher gleichfalls in einem kostbaren Bchältniß ver-
wahrt war, überreicht und unter häufigem Wiederholen der
Worte „Gelobt sei Gott!" in Empfang genommen worden.
Um die Höflichkeit zu erwidern, hat Mr. Forsyth den Fürsten
zu seinem neuen Titel als Emir, den ihm der Sultan ver-
liehen hat, beglückwünscht In der darauf folgenden zwang-
losern Unterhaltung sprach Iakub-Chan — so nannte er sich
von da an — mit Bewunderung von der englischen Königin,
der „strahlenden Sonne", in deren Schatten er glücklich sei,
15*
116
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
sich niederzulassen, und fügte hinzu, daß von nun an die
Straße zwischen London und Kaschgar offen sei. Immer-
hin achtnngswerthe Aeußerungen für einen solchen Empor-
kömmling!
12. December. Ich habe eine sehr bequeme Wohnung
in der britischen Botschaft, welche der Fürst ganz nach unseren
Ansprüchen hat einrichten lassen. Mir stehen zwei Zimmer
von 15 mal 12 Fuß zur Verfügung; beide hängen durch
eine Veranda, die ein prächtiger Teppich schmückt, zusammen.
Dieselbe gäbe ein treffliches Besuchszimmer ab, wenn ich
überhaupt Besuche erhielte; so habe ich dort nur meinen pho-
tographischen Apparat uud andere werthvolle Sachen zu stehen.
Es ist jetzt sehr kalt, aber das Eis ist nicht stark genug zum
Schlittschuhlaufen. Doch hängen ein Paar Schlittschuhe
neben uieineu Gewehren und Säbeln über dem Kamin.
Andere Theile meiner Wohnung sind mit russischem Zeug
und selbst mit scharlachrothem Moskauer Tuch ausgeschlagen;
ich habe Doppelthüren und Fenster ans Papier — kurzum
ich fühle mich sehr wohl und constatire, wie angenehme Woh-
mmgen man aus Erde Herrichten kann. In diesem Augen-
blicke trage ich eine kaschgarische seidene Schogah mit Zickzack-
mustern und habe Dank einem guten Feuer und meiner Pelz-
kappe von der Kälte nicht viel zu leiden.
Kaschgar ist nicht so groß wie Jarkand; ersteres mißt
nur 3 Meilen im Umkreise, letzteres dagegen 3]/2, uud wäh-
rend Jarkand ohne Umgebung 5000Häuser zählt, hat Kafch-
gar erst uuter Hinzurechnung der Vorstädte so viel. Beide
haben die gleiche sehr dicke Umwallnng von Erde, welche
durch zahlreiche viereckige vorspringende Thürme verstärkt
wird; beide sind ganz aus Erde erbaut und darum findet
sich in beiden kein einziges Bauwerk von architektonischem
Interesse. Der aus dem Pamir-Plateau entspringende Kizil-sn
(„der Rothe Fluß") theilt sich bei Kaschgar in zwei Arme,
deren einer nördlich, der andere südlich von der Stadt fließt
und die sich bald unterhalb derselben wieder vereinen. Zwei
gute hölzerne Brücken führen über diese Wasserlänse.
Nicht weit von der jetzigen Stadt liegen die mächtigen
Trümmer von Aski-Schahr, der „antikenStadt", über deren
Chapman's Zimmer im Hose der Gesandtschaft. (Nach einer Photographie Chapman's.)
Alter sehr widersprechende Angaben im Umlaufe siud, denn
dasselbe wird von 500 bis zn 2000 Jahre geschätzt. Jeden-
falls war es, nach ihren Resten zn schließen, eine ansehnliche
und stark befestigte Stadt, welche der Legende nach von Timnr
ein volles Jahr lang vergeblich belagert wurde, bis er die
Flutheu des Kizil-sn gegen ihre Mauern leitete und dadurch
Bresche legte.
Kaschgar ist Sitz eines beträchtlichen Handels mit den
russischen Besitzungen, soweit dieselben zwischen Taschkeud
und Kuldscha sich hinziehen. Auch besitzt sie wichtige In-
dustrieu, namentlich in Seide und Baumwolle. Seide
kommt vornehmlich aus Chotan, wo sie zum Verbrauche im
Lande selbst und für die Ausfuhr in verschiedener Weise her-
gerichtet wird. Die in Osttnrkestan fabricirten Banmwoll-
stofse sind auf deu Märkten von Badachschan und Russisch-
Turkestau wegen ihrer großen Haltbarkeit sehr geschätzt, und
Kaschgar, Jarkand und Chotan führen davon viel dorthin
aus. Bon Baumwollstoffen könnte man nur feine Sorten,
wie Musseline, bedruckte Kattune und dergleichen, welche man
in Ostturkestan noch nicht herstellen kann, dorthin ausführen;
doch würde man nicht viel davon abfetzen, weil die große
Masse der Bevölkerung dafür keinen Gebrauch hat. Man-
chester kann also in Centralasien auf keinen großen Markt
rechnen. Die rohe Seide von Chotan ist grob und von ge-
ringer Güte, aber nur wegen mangelnder Geschicklichkeit und
Sorgfalt in der Fabrikation. Das wird sich nicht ändern,
so lange das Prodnct keinen andern Absatz findet als im
Lande selber. Sobald aber zwischen Chotan nnd Britisch-
Indien sich ein regelmäßiger Verkehr entwickelt, wird sich
anch die Fabrikation vervollkommnen, wie sich ja anch die
Seide von Kaschmir verbessert hat.
Die Hauptwolleuproducte Kaschgars sind Filz und Tep-
piche. Tuch wird importirt und von den höheren Stünden
thener bezahlt. Hammelfleisch wird viel gegessen, und die
Felle werden zn Kleidern, Mützen und Bettzeug verarbeitet.
Zur Winterszeit hüllen sich die unteren Classen bei Tag und
Nacht in Schaffelle. Chotan und Kogfar südlich von Jar-
kand sind wegen ihres ausgezeichneten Filzes berühmt.
In Kaschgar wie in Jarkand trifft man eine beträcht-
liche Menge von Leuten rein chinesischer Abstammung, welche,
Kaschgar. Ansicht der Ruinen der alten Stadt. lNach einer Aquarelle Chapman's.)
118 F. Ratzel: Neuere Forsch
von den Soldaten abgesehen, fast alle sich in erbärmlicher
Lage befinden. Sie verdienen ihr Brot als Handwerker,
Bediente oder Austräger und herumwandernde Verkäufer,
eine Beschäftigung, welche stets die letzte Zuflucht für Greise
und Unglückliche bildet. In Folge der auf einander folgen-
den Revolutionen, welche mit Jaknb's Thronbesteigung ab-
schlössen, sind die Chinesen, welche ihr Leben nur dadurch
retten konnten, daß sie den Islam annahmen, in Armuth
und Dienstbarkeit verfallen. Sie mußten ihre chinesischen
Namen aufgeben und sich von den triumphirenden Mollahs
mohammedanische aufzwingen lassen. Einer von diesen
Unglücklichen, ein armer kleiner Händler in Jarkand, pflegte
uns zu besuchen und chinesische Curiositäteu zum Kaufe an-
zubieten. Melancholisch erzählte er uns von den Revolutio-
neu, in Folge deren er seinen schönen Namen, Tschau-liaug
Chwcn-tang, und seinen Zopf verloren hatte, nun Kafsim-
Achuu hieß und ein wahrer Gläubiger geworden war.
Auch Tunganen, welche die Stellung von Sklaven ein-
nehmen, sieht mau; es sind wahrscheinlich Gefangene aus
den Feldzügen um Turfau, denen man das Leben geschenkt
und die man als Diener verwendet. Seitdem der Atalik
herrscht, ist die Sklaverei zwar gesetzlich verboten; doch bezieht
sich das nur auf den öffentlichen Verkauf von Sklaven.
Denn die Sklaverei besteht noch in Gestalt eines unlöslichen
Bandes zwischen Herrn und Diener, eine Institution, welche
nur auf Fremde Bezug hat und die große Masse der Bevöl-
kernng durchaus nichts angeht.
Sehr geschickt sind die verschiedenen Handwerker. Wir
hatten einen Beweis dafür, als wir für zwei Höflinge des
Emir, welche sich in unserer Gesellschaft der für alle Kasch-
garer ganz neuen Leibesülmng des Schlittschnhlanfens hin-
geben wollten, ein Paar Schlittschuhe anfertige« ließen. Die
igen am untern Colorado.
uuserigen wurden in ganz vollendeter Weise nachgeahmt;
leider aber konnten sich die edlen Herren, für welche sie be-
stimmt waren, nicht lange derselben bedienen. Denn die
höchst linkischen Bewegungen eines Anfängers in jener edlen
Kunst schienen der feierlichen Würde eines orientalischen
Höflings doch zu sehr zu widersprechen, weshalb schon nach
dem ersten Versuche das Schlittschuhlaufen für „würdelos
und lächerlich" erklärt wurde. Wir dagegen setzen es zu
unferm eigenen Vergnügen und zur Belustigung der uns
umgebenden Zuschauermenge fort, welche uns bewunderte,
auch wenn einer von uns zu Falle kam. Ein solcher Zufall
erschien den Kaschgarern als eine Variation der Uebuug, und
gelegentlich gaben sie auch ihrem Erstaunen über die meister-
hafte Art, mit welcher einer von uns diesen Theil des Spiels
ausgeführt hatte, lauten Ausdruck.
Viele von den Arbeitern und Handwerkern, welche in den
Werkstätten des Atalik beschäftigt sind, sind Hindus und
sonstige Fremde. Unter den Geschenken, welche wir dem
Fürsten überbracht hatten, befanden sich auch Nähmaschinen,
von welchen die eine, welche mit prächtigen Verzierungen
versehen war, unterwegs zerbrochen war. Wir erkundigten
uns nun, ob es möglich wäre, dieselbe in Kaschgar repariren
zu lassen, worauf man uns einen Chokander zuschickte, wel-
cher nicht allein das Gewünschte vollständig ausführte, sou-
deru auch sonst mit der Maschine durchaus Bescheid wußte.
Wie er uns erzählte, Hütte er das in Taschkend gelernt. An-
dere Maschinen dagegen, welche wir arbeiten ließen, erweckten
kein großes Interesse, wie z. B. ein elektrischer Telegraph
gar wenig Aufmerksamkeit erregte, und als wir den Vorschlag
machten, den Draht bis in den Palast des Fürsten zu ver-
längern, wurden wir darin keineswegs ermuthigt.
Die Mohave-Wnste.
Neuere Forschungen am untern Colorado.
Von F. Ratzel.
Saline Flats. Pah-Ute nnd Mohave-Jndianer. Die Schlammvulcaue bei Monnt Purdy. Die Dünen.
New River und die projectirte Ableitung des Colorado in die Wüste.
Unter den Ausgabe», welche der Wheeler'schen Ersorschungs-
expedition von 1876 gestellt wurden, befand sich anch die
Untersuchung desjenigen Theiles von Südcalifornien, welcher
unter dem Niveau des Colorado-Flusses gelegen ist und von
welchem seit Jahren behauptet wird, daß er sich dazu eigene,
theilweise mit dem abgeleiteten Wasser des Flusses über-
schwemmt und dadurch fruchtbar gemacht zu werden. Lien-
tenant Bergland wurde mit der Lösung dieser Aufgabe be-
traut und seinem Berichte darüber entnehmen wir folgende
Mittheilungen.
Die kleine Expedition marfchirte im Juni 1876 von
Los Angeles über den Cajon-Paß (1063 Meter) und
durch einen Theil derMohave-Wüste nach demMohave-
Fluß, den sie bei Lane's Upper Crossing kreuzte, wo er
etwa 30 Meter breit und nirgends ganz 1 Meter tief war.
Die Wüste ist eine „SageDefert", deren einzige Vegetation
aus Sagebrufh (verschiedene holzige, sperrige, fast blattlose
Artemisia-Arten) und anderen charakteristischen Pflanzen der
Strauchsteppe, daneben aus einigen Wachholdersträucheru
und 10 bis 12 Meter hohen Anceas bestand. Indem man
dem Flusse folgte, kam man schon nach wenigen Meilen an
Stellen, wo die weiter oben nicht unbedeutenden Wafsermasscn
versiegt waren, und je weiter man kam, desto spärlicher
waren die Punkte, an denen man noch Wasser, wenn auch
nur stehendes, im Flußbett traf; doch konnte man überall
welches erlangen, wenn man einige Fuß tief im Sande des
Bettes grub. Mau gelaugte endlich zum Soda Lake oder
den Saline Flats of the Mohave, in denen der letzte
Rest des Wassers dieses Flusses versickert und verdampft;
es ist ein Becken von 30 Kilometer Länge und 15 Kilometer
durchschnittlicher Breite, im Sommer an der Oberfläche mit
einer weißen Verdunstungskruste salziger und alkalinischer
Stoffe überkleidet und nach den heftigen Regen des Winters
mit Wasser bedeckt, das zu brakisch ist, um von Menschen
oder Thieren benutzt zu werden, und das das ganze Becken
in ein Mittelding von Sumpf und See verwandelt. Dieser
große Tümpel soll alsdann einen Abfluß nordwärts nach
dem Death Valley (zwischen 36° und 37° nördl. Br.)
haben, was indessen nicht aufgehellt ist.
Von den Saline Flats nach dem Colorado ging die Expe-
dition Uber das kleine Bergwerksdorf Jvanpah, das am
Westfuß einer Gebirgskette gelegen ist, die hier das Thal
des Colorado von Westen her begrenzt. Dieser Weg zum
Colorado ist im Sommer durch Wasserarmuth nicht uuge-
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F. Ratzel: Neuere Forsck
fährlich, denn die Quellen sind dann theilweise oder ganz
versiegt und Graswuchs ist sehr selten. Bis in die Nähe
des Colorado dauert dieser wüstenhafte Charakter an und
das frische Grün einer üppigen Vegetation zeigt sich nicht
eher, als bis man die im Flusse gelegene Insel Cottonwood
Island betritt, die 8Kilometer lang und nicht ganz 1 Kilo-
meter breit ist und auf welcher eine Anzahl Pah-Utes von
Jagd und spärlichem Ackerbau lebt. Fischfaug betreiben die-
selben merkwürdigerweise nicht. Indem man in nördlicher
Züchtung den Fluß aufwärts ging, kam man zur Mündung
:gen am untern Colorado. 119
des Virgen River, dessen Wasser so salzig und schlammig
ist, daß es zum Trinken unbrauchbar war; es war von ziegel-
rother Farbe und führte an seiner Oberfläche eine rahmartig
aufschwimmende Schlammschicht von derselben Farbe. Ehe
man zum Virgen kommt, passirt man Calville, das einst
eine hoffnungsvolle Niederlassung war, nun aber aus nichts
mehr als Ruinen besteht. Es lag an der Südbiegung des
Colorado und am Endpunkt der Schisffahrt, an einem Punkte
also, der die natürlichen Bedingungen der Entwicklung eines
größern Verkehrsmittelpunktes besaß. Das Land besiedelt
Skizze eines Theils vom südöstlichen Californien, die
unter Lieutenant (;
sich jedoch zu langsam, als daß andere Niederlassungen als
Forts und kleine Bergwerkseolouieu schon zu gedeihen ver-
möchten. In dieser Gegend sind große Steinsalzlager vor-
Händen, die zum Theil bereits ausgebeutet werden; ihr Pro-
duct wird bei der Reductiou der Erze in Nevada und Arizona
verwendet. Die Expedition überschritt hier den Colorado,
um das Ostufer zu untersuchen, und passirte auf dieser Strecke
denjenigen Theil des Colorado-Thales, der als Mohave-
Thal bezeichnet wird. Sie fand hier Indianer vom Stamme
der Mohaves, welche kleine Stücke Land anbauen, aus denen
ste genug Melonen, Mais und Weizen gewinnen, um sogar
das nahegelegene Fort Mohave mit diesen Artikeln zu
versehen. Vou hier aus schlug man den Rückweg über die
Depression in der Colorado-Wüste darstellend. Aufgenommen
ic Bergland, 1876.
früher fast ausschließlich begangene Straße über Chncka-
walla, Los Toros und den Gorgonia-Paß nach S. Ber-
nardino ein, welche heute nahezu verlassen ist und anderen
Stelle gegenwärtig der Weg längs dem Mohave-Flnß immer
mehr in Aufnahme kommt. Die Vernachlässigung der Brun-
nen aus dieser Strecke verursachte der Expedition erhebliche
Schwierigkeiten, indem sie die Gewinnung genügend reinen
Wassers in hinreichender Menge sehr erschwerte, doch langte
sie endlich im September glücklich in S. Bernardino an.
Beim Durchschreiten dieses südlichen Theiles der Mohave-
Wüste hatte sie noch in dieser vorgerückten Jahreszeit in den
tieferliegenden und, wie gewöhnlich, heißesten Strecken Teni-
peraturen beobachtet, welche deuen von über 38« C. im
C/uvntV/r. ». Ilttiiriftf)
120
F. Ratzel: Neuere Forschungen :e.
Schatten, die man im Juni gefunden hatte, wenig nach-
gaben.
Eine zweite Expedition zu demselben Zweck war im Früh«
ling 1876 nach dem untern Colorado entsandt worden
und hatte vou Los Angeles aus ihren Weg in südöstlicher
Richtung genommen einer Linie entlang, die damals schon
bis Whitewater vou der S.-Pacific-Eisenbahn und von
dieser Statiou aus bis Ehrenberg am Colorado von den
Eilwagen (Stages) zweier verschiedener Linien befahren wurde.
Das Reisen war dadurch erheblich erleichtert und besonders
für die Wasserversorgung war durch Tieferlegeu ititd Reini-
gung der Quellen und Teiche ungleich besser gesorgt als
früher. Eude März erreichte man den Colorado gegenüber
der Gila-Mündung und fand einen niedriger« Stand des
Wassers, als zu irgend einer andern Zeit des Jahres beob-
achtet wird; die Schneeschmelze hat zn dieser Zeit weder im
Quellgebiet des Colorado noch in dem des Gila begonnen
und der Regeusall ist iu beiden Flußgebieten tut Frühling
gering. Von diesem Punkte aus wurden einige Mitglieder
der Expedition entsaudt, um die Schlammvulcane zu unter-
suchen, welche circa 15 Kilometer südlich von dem erloschenen
Vulcane Mount Purdy gelegen sind. Die ganze Gegend
und selbst die Umgebung dieses Berges ist flach und mit
Salzkrusten bedeckt und am Fuße des Mount Pnrdy fließt
ein Vach, der völlig salzig ist. Die Schlammvulcane sind
über eine Fläche von ungefähr 30 Aren zerstreut und erschei-
nen als Schuttkegel von 1 bis 2 Meter Höhe und 1 Va bis
6 Meter Durchmesser am Grunde. In einigen, deren Kra-
ter weit offen, sieht man den heißen Schlamm kochen
und Blasen werfen, und in kurzen Zwischenräumen werden
Schlammsäulen 1 bis 2 Meter hoch aus deuselbeu empor-
geschlendert, wobei indessen eine Regelmäßigkeit in der Dauer
der Zwischenräume nicht zn erkennen ist. Die kleineren
Krater haben auch nur kleine Oessnungen an der Spitze,
aus welchen beständig Schwefeldämpfe unter Zischen ent-
weichen. Ungefähr im Mittelpunkte dieser Schlammvulcane
liegt ein See, der mit demselben kochenden Schlamme an-
gefüllt ist, und außerdem findet sich ein kleiner See klaren
Wassers, das 38» C. warm ist, und eine klare Quelle voll
82» (5 Die Temperatur des kochenden Schlammes ist
99°(£. und die Schwefeldämpfe sind annähernd ebenso heiß.
Die Farbe des kocheuden Schlammes ist schwarz, des trockenen
grau; beim Erhärten scheint er Schwefel auszuscheiden, wie
lllit Schwefelkrusten bedeckte Hügel zu beweisen schienen,
welche ill der Nähe der Schlammvulcane gelegen sind und
ein Aussehen haben, als ob sie von solchen aufgeworfen seien.
Erdspalten, aus denen heiße Dämpfe entweichen, finden sich
zwischen Mount Purdy und den Schlammvulcaueu in größerer
Zahl..
Nicht weit von der Gila-Mündnng zieht vom Westufer
des Colorado ein Thal erst nach Westen ulld dann nach
Nordwesten in der Richtung des in der Colorado-Wüste lie-
genden Suulpssees Dry Lake. Es ist der New River, ein
Complex voll Canälen, die bei ungewöhnlich hohem Wasser-
staude aus dem Colorado gespeist werden und in der trockenen
Jahreszeit ihr Wasser verlieren, immerhin aber au der Menge
der Mezquite-Bäume, die Bodeu und Abhänge bedecken, auch
dalln noch kenntlich sind, wenn sie Jahre lang trocken gelegen
haben. Die Umgebungen dieses trockenen Flusses siud völlig
flach und theilweise mit Dünensand bedeckt, der in einem
Lager bei Jndian Wells während eines Sturmes, durch wel-
cheu die Expedition drei Tage all diesen Ort gefesselt wurde,
bis zu 1 Meter hohe Dünen aufwarf. Erst seit einigen
Jahren übrigens sind die Dünen bis in diese Gegend gekom-
men, wo sie jetzt schon beträchtliche Hügel bilden. Die Rich-
tnng ihres Fortschreitens scheint die westliche zu sein. Der
/
£
9'JW
F. Ratzel: Neuere Forscht
Sand, mit dem bei jedem Sturm die Luft in diesen dürren
Regionen sich erfüllt, ist kaum minder lästig als der Wüsten-
sand, den der Samum vor sich hertreibt; er füllt Menschen
wie Thieren Nasen, Augen und Ohren und macht oft genug
jede Fortbewegung unmöglich.
New River mußte das Interesse der Expedition in hohem
Grade erwecken, da derselbe einen natürlichen Canal für eine
Wasserleitung nach den unter dem Nivean des Colorado
und westlich von ihm gelegenen Landstrecken zu bieten schien,
welche nian dadurch aus dem traurigen Zustand der Ver-
trocknnug und Versalzung herauszureißen und durch bcstlln-
dige Wasserzufuhr mit der Zeit sogar fruchtbar zu machen
gedachte. Es wurden deshalb alle Nachrichten über den
New River, die man erlangen konnte, mit Eifer gesammelt.
Ihre Znsammenstellung ergiebt folgendes Resultat: Ein
Prosil von Fort Auma, das in der Nähe der Abzwei-
gnng dieses Beckens gelegen ist, bis über Jndian Wells hin-
aus zeigt einen beständigen Abstieg von dem erstern, welches
bei 42 M. (137,9 F.) über d. M. gelegen ist, bis zu 11,5 M.
(37,8 Fuß) unter dem Meeresniveau au einem Punkte,
der circa 10 Kilometer westlich von Jndian Wells gelegen
ist und von welchem an ein starkes Steigen beginnt, das bis
zum Kamm der im Westen vorgelagerten Sta.-Anna-Kette
sich fortsetzt. Abgesehen von der Schwierigkeit, welche in
der Thatsache sich entgegenstellt, daß ein Theil des New River,
und zwar ein Theil seiner obern Hälfte, schon auf mexica-
nisches Gebiet fällt, scheint also eine künstliche Ableitung von
Colorado-Wasser in die Depression westlich vom untern Co-
lorado durch das Vorhandensein jenes zeitweilig angefüllten,
gewöhnlich aber trockenen Flusses, des New River, in hohem
Grade erleichtert, ja von der Natur selbst der Canal gegeben
zu sein, in welchem dasselbe bewerkstelligt werden soll. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß bei sehr hohen Wasserständen,
wie sie allerdings Reihen von Jahren hindurch nicht ein-
treten, überfließendes Wasser aus dem Colorado austritt,
um im Bette des New River nach der westlich von hier
gelegenen Depression zu fließen. Es liegt sogar eine Aus-
sage vor, der zu Folge der New River nahe seinem Westende
bei Jndian Wells im Sommer 1862 etwas über 2 Meter
tiefes Wasser geführt habe, und im selben Jahre soll in
der Depression ein See von 90 Kilometer Länge und 45 Kilo-
meter Breite gestanden haben. Bei solchen Hochwassern ist
übrigens ein großer Theil der Usergelünde des Colorado
zwischen ihm und dem Ostabfall des südlichen Endes der
Sta.-Anna-Berge überschwemmt, um indessen bald wieder
trocken zu werden, während in den tieferen Stellen des New
River einzelne Tümpel sich länger als ein Jahr erhalten.
Die Oberfläche des in Californien liegenden Theiles der
Depression kann auf ungefähr 4000 Quadratkilometer (72
geogr. Quadratmeilen) geschätzt werden. Welche praktischen
Schwierigkeiten einer solchen künstlichen Zuleitung sich ent-
gegenstellen würden, bleibt erst noch näher zu untersuchen.
Einstweilen läßt sich aus den bisher angestellten Versuchen,
^ewässerungscanäle in diesen Gegenden anzulegen, so viel
^nehmen, daß die Lockerheit des Bodens die Wände der
v-cmälc leicht nachstürzen läßt und daß die immer weiter
vorrückenden Dünen, über deren ziemlich rasches Vorschreiten
a"ch hier die Berichte der längere Zeit im Lande Wohnenden
übereinstimmen, durch ihre Sandmassen dieselben zu ver-
schütten drohen. Man müßte also die Wände eines solchen
Canales verschalen und dazu noch ihn bedecken. Dieses leh-
ren wenigstens die weiter nördlich im Great Valley of the
olorado bei La Paz gemachten Versuche, wo ein mehrere
englische Meilen langer Jrrigationscanal angelegt wurde,
um den stellenweise fruchtbaren Boden dieses Thales der Cnl-
ur zu gewinnen. Nicht bloß das Nachstürzen der Wände
Globus XXXIV. Nr. 8.
gen am untern Colorado. 121
und die Sandwehen, sondern auch die Ueberschwemmnngen
des Colorado erschweren alle derartigen Unternehmungen in
hohem Grade, denn dieselben sind gerade hier, im obern
Theile des Unterlanses, wo der Strom aus seinen Canons,
die ihn bis hierher einzwängten, mit großer Kraft hervortritt,
doppelt stark und gewaltsam, und man weiß ans frühe-
ren Untersuchungen, daß die Ufer durch dieselben so außer-
ordentlich veränderlich sind, daß, wie schon in dem Berichte der
Jves' Colorado Expedition (1861) bemerkt wird, „eine ge-
nane Beschreibung, die sich auf die Erfahrungen einer ein-
maligen Untersuchung stützt, nicht bloß im folgenden Jahr,
sondern vielleicht fchon nach dem Verlauf einer Woche oder
eines Tages unrichtig befunden würde." Uebrigens kann
von einer Ableitung des Colorado-Wassers in diesen höheren
Theilen des Stromes in größerer Ausdehnung gar keine
Rede sein, da die Ufer bis zur Gila-Mündnng hinab noch
immer von ziemlich hohen stellenweise über 1000 Meter
ansteigenden Höhenzügen eingefaßt sind.
Beobachtungen über das Gefäll des Stromes ergaben
0,43 Meter per Kilometer im August in der Nähe von
Stones Ferry, 0,24 bei Camp Mohave im September und
0,25 Meter bei Fort 9)imia im März. Die Breite war
am erstern Orte 146 Meter, am zweiten 340, am dritten
140. Die Wassermassen per Secunde 18 410 engl. Cnbik-
fuß beim erstern, 11 623 beim zweiten, 7658 beim dritten
Ort. Die Wassertemperatur des Stromes bestimmte man
Ende August bei Camp Mohave durchschnittlich zu 24 bis
27° C. Wie sehr die relative Feuchtigkeit der Lust durch
den Strom beeinflußt wird, zeigt die Thatsache, daß sie
z. B. am 24. Juli bei Sonnenaufgang 0,399 am Ufer und
0,339 etwa 0,7 Kilometer von demselben entfernt, am 31.
August zu derselben Tageszeit 0,51 am Ufer und 0,428 auf
einer Mefa 1,30 Kilometer vom Strom entfernt betrug.
Was nun die praktischen Schlüsse betrifft, welche mit
Beziehung auf die obeu erwähnte Frage der Verwandlung
von Depressionen des Colorado-Gebietes iu Seen aus diesen
Beobachtungen sich ergeben, so ist zunächst hervorzuheben, daß
allerdings die Wassermassen, die der Colorado per Secunde
vorbeiwälzt, nicht einfach zu entnehmen sind aus den oben
angegebenen Zahlen, die auf einmaligen Beobachtungen be-
ruhen, und zwar auf Beobachtungen:, welche vorwiegend in
Zeiten Niedern Standes gemacht wurden; berechnet man die
Maxima, die aus dem bekannten höchsten Stande des Stro-
mes folgen, so findet man, daß dieselbe 49 849 engl. Cnbik-
fuß per Secunde bei Stone's Ferry betragen würde, und
daß die Wassermasse bei Fort Auma sich bei Hochwasserstand
verdoppelt und bei Camp Mohave verdreifacht. Man kann
also wenigstens für einen Theil des Jahres mit größeren
Wassermassen rechnen, als die obigen Beobachtungen aus den
ersten Blick annehmen zu lassen scheinen. Eine andere Frage
ist aber, ob selbst mit diesen Wassermassen, wenn sie in die
Depression der Colorado-Wüste geleitet würden, eine erheb-
liche Aenderuug des Klimas zu erzielen wäre. Man würde
einen See oder eine Reihe von Seen von etwa 2500 Quadrat-
kilometer Gesammtoberfläche herstellen können, und diese
Wasserfläche würde bei Niederwasser erheblich einschrumpfen,
um bei jedem Hochwasser wieder erneuert zu werden, aber
ihre Verdunstung würde nicht genügen, um das Klima er-
heblich feuchter zu machen, als es jetzt ist; denn in Süd-
Californien allem ist eine Fläche von 114 000 Quadratkilo-
meter (über 2000 geogr. Quadratmeilen) fast durchaus
wüstenhast. Der künstliche See wäre nichts als eine Oase
in dieser Wüste und die Sandwehen würden ihn mit der
Zeit ebenso einengen und am Ende ganz verschütten, wie sie
es schon niit zahlreichen anderen Oasen derselben Region
gethan. Daß dagegen in der gewiß nicht fernen Zukuuft,
16
122 Dr. Pechuel-Loesche: A
welche auch diesen Theil der Verewigten Staaten dichter
bevölkert und eindringender ausgebeutet sehen wird, jeder
Cubiksuß Wasser, sei es des Colorado oder irgend eines
Nebenflusses oder selbst einer Quelle, einen hohen Werth
erwerben muß und besonders für den Betrieb des Bergbaues
norm gefärbte Menschen.
und der Viehzucht, die beide hier am meisten Aussicht haben
dürften, steht außer Zweifel; im Hinblick auf diese Bedürf-
uisse wäre die Ableitung einer größern Wassermenge in die
Wüste zum hypothetischen Zweck einer Klimavcrbessernng
gegenwärtig nicht einmal klug zu nennen.
Abnorm g e f ä i
Von Dr. Pe
Der in Nro. 2 des laufenden Bandes des „Globus"
veröffentlichte Aufsatz „Scheckige Menschen" berührt eine
Frage, zu deren Beantwortung auch die solgeudeu Notizen
beitragen mögen.
Die von G. Rohlss ausgesprochene Ansicht, daß aus der
Vermischung schwarzer und weißer Racen zuweilen auch
scheckige Menschen hervorgingen, ist, soviel mir bekannt, durch
nichts begründet, auch nicht von anderer Seite bekräftigt
worden. Wohl aber liegen Beobachtungen vor, welche die
Fleckenbilduug als eine durch andere Einflüsse bedingte Er-
scheinung, als einen partiellen Albinismns, erkennen lassen.
Nicht immer ist dieser angeboren, sondern mag sich in ver-
fchiedenen Abstufungen, in irgend welchem Lebensalter ent-
wickeln, und später sogar wieder verschwinden.
Einige interessante Kreuzungsresultate zwischen einem
Portugiesen und einer Mulattin habe ich schon an anderer
Stelle erwähnt'), wie auch die Thatsache, daß Negerinnen
während der Zeit der Menstruation eine dunklere Hautfarbe
annehmen. Gewisse Ceremonien und Gebräuche in Loango
geben dem Eingeweihten eilt sicheres Urtheil über Eintritt
und Verlauf von sonst verheimlichten Vorgängen; die Be-
Nutzung einer Farbenscala schützt gegen subjective Tänschnn-
gen. Bei manchen der Mädchen bemerkt man bald viele,
bald wenige unregelmäßige und verschieden große Flecke,
namentlich im Gesicht und auf der Brust, welche um eine
oder einige Schattiruugen Heller sind, als die übrige Haut,
und welche während der Menstruation nicht dunkler werden,
und dann natürlich um so schärfer hervortreten. Von fern
sind diese Flecken kaum wahrzunehmen; da dieselben aber
entschieden heller sind als andere Partien, da ihnen also die
gleich dunkle Pigmentirnng fehlt — die Oberhaut wurde
durchaus gesund und von gleicher Textur wie au den normal
gefärbten dunkleren Stellen befunden —, so darf man die-
selben immerhin als Anzeichen eines localen und sehr schwach
ausgeprägten Leucismus anssassen.
Nun scheinen aber diese Flecken keineswegs beständig zu
sein, weder in ihrer Vertheilung noch in ihrer Zeitdauer.
Bei älteren Personen wurden dieselben sehr selten wahr-
genommen, gar nicht bei Kindern unter etwa zehn bis zwölf
Jahren, ferner nur selten bei Knaben, welche letzteres Alter
überschritten hatten; sie sind also vorzugsweise dem weib-
lichen Geschlechte eigenthümlich während einer gewissen Ent-
wickelnngsperiode. Unter den wenigen an der Küste lebenden
Europäern — nicht aber unter den Negern — ist der Glaube
verbreitet, daß diese milde Fleckenbildung ein Resultat sexueller
Krankheit sei; diese Annahme konnte jedoch in keinem Falle
begründet werden.
Aehnliche schwache Mißfärbung beobachtete ich auch in
den selbstverständlich ungleich helleren Gesichtern der Um-
x) Jndiscretes aus Loango. Ethnolog. Zeitschrift von
Bastian und Hartmann 1878, Heft 1.
b t e Menschen.
juel-Loesche.
wohner der Beringstraße; der landesübliche Schmntzüberzng
derselben beeinträchtigte jedoch ein schärferes Erkennen, und
die Fellkleidung beschränkte die Prüfung auf Kopf und Hände.
Es ist möglich, daß in allen diesen Fällen auch nur eine der
uusern analoge Sommersprossenbildung vorliegt.
Aenderuug der Hautfarbe am ganzen Körper tritt jedoch
auch bei Negern ein mit den verschiedenen Lebensaltern und
unter mancherlei anderen Einflüssen. Die Jugend mit ihrer
Fülle, mit ihrer gespannteren elastischen Haut, wird immer
vergleichsweise heller sein, als das Alter mit seiner welkeren,
verschrumpften Epidermis. Selbst jugendliche Individuen,
welche aus den Dörfern nach Factoreien übersiedeln, und in
Folge reichlicherer oder doch besserer Ernährung mehr Fleisch
ansetzen, und eine fettreichere Körperdecke erhalten, werden
sehr bald um eiue Schattiruug heller.
Doch auch andere, tiefer eingreifende Entwickelungsvor-
gäuge bedingen eine merkbare und zuweilen sehr ausfallende
Wandlung der Hautfarbe, die daun allerdings speciell durch
einen Wechsel der Pigmentirnng verursacht scheint. Ein
junges uoch uicht meustruirtes Mädchen hatte eine Färbnng
wie Nro. 2 der Farbenscala von Fritsch x), welche später be-
deutend und während der Menstruation zeitweilig bis zu
Nro. 3 und Nro. 7 derselben Scala dunkelte. Im nächsten
Jahre, als sie sich verheirathet hatte und hochschwanger war.
zeigte dieselbe Person eine so helle Hautsarbe, daß diese sich
am nächsten zu Nro. 6 der erwähnten Scala stellte. Diese
außerordentlich zn nennenden Veränderungen geschahen in
einem Zeitraum von sechszehn Monaten, bei ungestörtem
Wohlsein. Aehnliche Vorgänge, bis zur krankhaften Erschei-
uuug gesteigert, kennen wir auch au Europäerinnen.
Selbst eine so entschiedene und scharf meßbare Farben-
Wandlung kann kaum überraschen, wenn man bedenkt, daß
der Pigmentirungsproceß in voller Ausdehnung erst nach
der Geburt beginnt, da auch die Kinder der Neger sehr hell-
farbig, rostg-bräunlich und zuweilen fast rosig-weiß, wie Kin-
der der Europäer, geboren werden. Einige dunklere Fleckeu
zeigen sich häufig schon an einzelnen Partien des Körpers,
doch erlangt dieser seine normale Färbung erst nach Wochen.
In gewissem Sinne könnte man also anführen, daß Neger-
linder als Albinos zur Welt kämen, die häufig schon mit
dunkeln Flecken versehen wären.
Diese Färbung mag aber total oder partiell dem In-
dividuum für längere Zeit, für Jahre, selbst für das ganze
Leben verbleiben; dann liegt eine Hemmung der Pigment-
ablageruug vor, welche durchaus nicht von einem leidenden
Zustande der Person begleitet zu sein braucht, so wenig wie
im entgegengesetzten Falle, wenn eine zu starke Beförde-
run g der Pigmcntablageruug ein tieferes Dunkeln der Haut
verursacht. In anderen Fällen tritt erst später, bei schon
ausgefärbten Individuen, eine Rückbildung ein. In Folge
i) Die Eingeborenen Südafrikas.
Dr. Pechuel-Loesche:
innerer Vorgänge, oder rein äußerlicher Hautkrankheiten ver-
schwindet die Pigmentirung wieder von einzelnen Stellen,
oder von der ganzen Körperdecke, für schwankende Zeiträume,
oder auch für immer. Also durch Hemmung wie durch Be-
förderuug der Pigmentablagerung einerseits, wie durch Eut-
färbung dunkler Haut andererseits, mögen Abstufungen von
außerordentlicher Mannigfaltigkeit hervorgerufen werden,
von der mildesten bis zur schärfsten Fleckenbilduug, au ein-
zelnen Theilen oder an: ganzen Körper, bis zum gleichmäßi-
gen gelinden Farbenwechsel und ausgeprägten totalen Leu-
cismus. Letzterer ist in seiner vollkommensten Form wohl
als eine Folge krankhafter Fötation zu betrachten, und ist
dann gewöhnlich verbunden mit ebenfalls abnormer Färbung
der Haare uud Augen und einem leidenden Zustande des
ganzen Organismus.
Schon Battel, welcher zu Ende des sechszehnten Jahr-
Hunderts Westasrika und auch Loango besuchte, erzählt, daß
die Negerweiber zuweilen weiße Kinder gebären, welche dem
Könige als Zauberer dienten uud Dondos genannt würden.
Richtiger klingt der Name ndundu, in gutem Fiote muntu
mu ndundu (Mensch seltener), welcher zuweilen auch noch
den Europäern beigelegt wird, während ein Mulatte muana
mundeile (Kind des Weißen) heißt. Tuckey (S. 108) sah
am Cougo verschiedene Neger, deren Hände vollständig ge-
bleicht waren, wie in Folge einer Verbrühung; er scheint
diese Thatsache sich aus einer ziemlich verbreiteten Hautkrank-
heit zu erklären, welche namentlich den Handgelenken anhaf-
tctc und von ihm mit der Krätze verglichen wird. Auf Seite
383 wird ferner mitgetheilt, daß ein Würdenträger seine
etwa zwölfjährige Tochter mit sich brachte, deren Haut voll-
ständig weiß, aber von blasser kränklicher Farbe war, wäh-
rend im Uebrigen das Mädchen kräftig und gesund erschien.
Auch Douville, allerdings nicht der sicherste Gewährs-
mann, spricht von: Sohne einer Negerin und eines Mulatten,
dessen Augen roth, dessen Körper schwarz und weiß gefleckt
war, der das Sonnenlicht nicht vertragen konnte, nur Abends
ausging, schwach, hinfällig und furchtsam war.
Monteiro sagt in seinem interessanten Werke x) speciell,
daß Albiuos in Angola keineswegs ungewöhnlich seien, und
bezeichnet sie als abschreckend aussehende Creaturen mit
schmutzig weißer, krankhafter und verfchrumpfter Haut. Bur-
ton — denn dieser ist doch wohl der Verfasser des unten
angeführten Werkes —, der, so weit eigene Erfahrung in
Betracht kommt, wohl umfassendste Kenner Afrikas, sah in
Accra2) eilten zweifarbigen Neger, dessen uugesuude röthlich
weiße Haut mit tief schwarzen Flecken gezeichnet war, dessen
Haar ein stumpfes todtes Gelb, dessen „Pupillen" ein leich-
tes Braun hatten. Einige Jahre vorher war derselbe Manu
noch ein vollkommen normal gefärbter Neger gewesen, war
dann allmälig zu einem weißen Mann geworden und erlangte
gerade zur Zeit der Beobachtung seine Pigmentirung in so
auffälliger Weise wieder zurück. Der Autor sah später
ähnliche Individuen am Beninflusse uud einen so gezeichneten
Häuptling auch in Batanga.
Ich selbst sah in Afrika meinen ersten gefleckten Neger
im December 1874 in der Station Tfchintfchotfcho. Ein
kräftiger, gesunder Mann in den besten Jahren, hatte er an den
Unterarmen, Händen und Unterschenkeln viele unregelmäßig
geformte kleine und größere Flecken, welche fast rein weiß
erschienen, bei genauer Besichtigung jedoch ein stumpfes Gelb-
braun erkennen ließen, das an den Rändern ganz allmälig
ln die normale Hautfarbe überging. Das betreffende In-
dividuum sowohl wie andere gleichzeitig Befragte und end-
Angola and the river Congo I, 272.
2) Wanderings of a royal fellow II, 156.
bnorm gefärbte Menschen. 123
lich auch später noch an verschiedenen Orten Examinirte
legten der Sache nicht die geringste Wichtigkeit bei, konnten
mir nicht einmal einen besondern Namen für diese Erschei-
nung angeben, und sagten einstimmig aus, daß dieselbe
beliebig einträte und verschwände und nicht als Krankheit
betrachtet würde. Aehnlich scheckige Neger männlichen und
weiblichen Geschlechtes habe ich in früheren Jahren sowohl
in den Vereinigten Staaten wie aus den Westindischen In-
seln gesehen; besonders eine junge, sehr hübsche und durch-
aus gesunde Sklavin, die Kammerzofe der Tochter einer an-
gesehenen Familie auf Euba, war in milder Form mit einer
Regelmäßigkeit gefleckt, die frappant an die Zeichnung des
Jaguars erinnerte.
Ein kräftiger Mann im Dorfe Tschisanga in Aumba
erschien (1876) namentlich am Oberkörper dicht getüpfelt
wie ein Fliegenschimmel. Die Tüpfel waren höchstens so
groß wie ein Zehnpfennigstück, hell röthlichgelb im Centrum
und an den Rändern scharf braun von der duukelu Haut
abgesetzt. Es waren Pockennarben, die ihm als eine Erinne-
ruug au die Kraukheit verblieben waren, welche er zur Zeit
der großen Epidemie 1873/74 glücklich überstanden hatte.
Vielleicht würden ähnliche Fälle öfter beobachtet werden kön-
nen, wenn nicht die meisten Eingeborenen eben dieser Krank-
heit gewöhnlich rettungslos erliegen würden. Die Narben
sollten ursprünglich ganz weiß gewesen sein und schon bedeu-
tend gedunkelt haben. Ein intelligenter Engländer hat es
übernommen, diesen Mann sowie einen gleich zu erwähnenden
Knaben im Auge zu behalten und den Proceß der wieder-
kehrenden Pigmentirung zu beobachten.
Der Knabe, Bingana, etwa zwölf Jahre alt, Sklave und
Diener der Prinzessin Mpemba in Mambi (Uumba), kern-
gesund und wohlgeformt, von normaler dunkler Hautfarbe,
war mit fünf thaler- bis handtellergroßen, sehr hellen, fast
rein weißen Flecken (als wenn unter der Oberhaut weiße
Oelfarbe hervorschimmere) gezeichnet, deren Ränder ansge-
zackt und verwaschen erschienen. Einer derselben befand sich
auf der linken Schulter, drei auf der Brust uud der letzte
auf der linken Hüfte. Die Flecken hatten sich vor einige»
Jahren (ebenfalls vor der großen Pockenepidemie) allmälig
gebildet und sollten schon wieder bedeutend kleiner geworden
sein. Eine diese Rückbildung etwa verrathende Mißfärbung
der Umgebung war nicht zu bemerken, auch zeigte die Haut
überall dieselbe Glätte uud Weichheit. Druck schmerzte nicht
und brachte keine Farbenveränderung hervor. Die drei Flecke
auf der Brust wurden in Papiermustern genau nachgeschuit-
teu, damit diese meinem Beauftragten zur Coutrole etwa ein-
tretender Größenwandluugeu dienen möchten.
Einen vollkommenen Albino afrikanischer Race habe ich
nur einmal und zwar sehr flüchtig von fern gesehen. Es
war ein Mädchen aus den: Dorfe Filokumbi am Banya in
Aumba, das ich während einer Canoefahrt aus weiter Ent-
fernnug mit verschiedenen Gefährtinnen im Flusse badend
erblickte. Die Mädchen flüchteten eilig aufs Land und in
die Büsche, dabei repräsentirte sich dies eine in so leuchtend
Heller Farbe, daß man es nubedingt hätte für eine Euro-
päerin halten können. Nach der Landuug waren die Flücht-
linge weder im nahen Dorfe zu finden, noch durch Rufe der
Ihrigen herbeizulocken. Ich konnte nur in Erfahrung brin-
gen, daß das interessante Mädchen so geboren sei, helle Haare
habe und im Uebrigen normal weiblich ausgebildet und
durchaus gesund sei. Fragen bezüglich der Menstruation
wurden nicht beantwortet; verheirathet war das Mädchen
noch nicht.
Im Gegensätze zu den hier aufgezählten Fällen habe ich
noch einen Neger zu erwähnen, der häufig Landesproducte
nach der englischen Factorei am Tschiloango brachte, und
IG*
124 Cy
abweichend von allem sonst Gesehenen nicht die gewöhnlichen
hellen inneren Handflächen und Fußsohlen besitzt, sondern
solche, die genau gleichfarbig mit seiner normal dunkeln Haut
sind. Die Schleimhäute des Mundes waren nicht mißgefärbt.
Wenn man nun in Betracht zieht, daß ich während eines
zwanzigmonatlichen Aufenthaltes in Loango nur zwei Reisen
von kurzer Dauer im Lande unternehmen konnte, den bei
Weitem größten Theil dieser Zeit aber in Tschintschotscho
und Umgebung verlebte, also eine verhältnißmäßig nur ge-
ringe Zahl der Einwohner Loangos kennen lernte, so ist man
berechtigt, zu schließen, daß wenigstens partieller Lencismns
dort zu Lande eine nicht zu große Seltenheit ist. Aus den
angeführten Fällen aber — gegenteilige sind mir nicht be-
kannt — geht wohl genügend hervor, daß derselbe zu seiner
Entstehung nicht einer Vermischung der schwarzen und wei-
ßen Nace bedarf.
Abnorme Färbungen treten auch noch in anderer Weife
auf. Die Augen der Neger sind dunkelbraun; niemals habe
ich schwarze gesehen, wohl aber zwei Mal hellere. Die
Augen der jungen Prinzessin Tschibila von Mbnkn haben
jenes eigentümlich leuchtende, goldige Braun, das wir auch
unter Weißen als große Seltenheit (und namentlich als be-
sondere Schönheit an einer europäischen Fürstentochter) ge-
bührend bewundern; ferner sind die Augen eines jungen
Mannes im Dorfe Tschisamano unfern Tfchintfchotfcho voll-
ftäudig wasserblau. Das Sehvermögen ist bei beiden Jndi-
vidnen vortrefflich, auch sind diese sonst in jeder Beziehung
normal gebildet, und sind überdies die beiden schönsten Typen
ihres Volkes, die ich je gesehen.
Außerdem treten bei vollkommenen Negern auch abwei-
chcnd gefärbte Haare auf. Einen recht dunklen Mann mit
fuchsrothem Haar sah ich in Kinsembo, einen andern im
Bonnyflnß, und einen Kruncger mit vollendet tornisterblondem
Haarwuchs am Cap Palmas. Schweinsnrthx) bemerkt
*) Im Herzen von Afrika II, 63, 107.
ausdrücklich, daß er um Munfa's Residenz wenigstens 5 Proc.
der Monbnttn blondhaarig fand. Er nennt diese zugleich
die am lichtesten gefärbten Menschen, welche ihm, seit er
Unterägypten verlassen, unter die Augen kamen. Das Blond
vergleicht er jedoch nicht mit dem nnsern, souderu bezeichnet
es als von unreiner und wie mit Grau gemischter Färbung,
dem Hanf vergleichbar. Er erwähnt jedoch auch, daß besou-
ders hellfarbige Individuen in ihren Augen fast immer etwas
Krankhaftes hatten und manche Merkmale von ausgefpro-
chenem Albinismus erkennen ließen.
Nicht nur bei Afrikanern, sondern anch bei anderen
Racen treten abnorme Färbungen auf. Appuu *) erzählt
von einer dem Stamme der Atorai angehörenden Indianerin,
daß dieselbe veilchenblaue Augen gehabt habe. Mein Freund
Dr. Buchner in München theilte mir mündlich mit, daß er
aus Neuseeland Maori-Mädchen mit echt blondem Haare
gesehen habe. Ich selbst lernte vor Jahren auf den Sand-
wich-Inseln eine junge Dame reiner Race kennen, welche
blondes, etwas verschossen aussehendes Haar besaß, schwarze
Brauen und Wimpern und warme stahlblaue Augeu. Das
eben so seltene wie schöne Rothblond der spanischen Creolin,
dessen frappanter Contrast mit dem eigentümlich durchsich-
tigen und doch dunklen Teint, wie mit Brauen und Augen,
darf als etwas wohl sehr Abnormes hier ebenfalls angeführt
werden.
Auch der Verfasser (Earl os Pembroke) der köstlichen
„South Sea Bnbbles" erwähnt verschiedene Male das hell-
farbige Haar 2) einzelner der Südseebewohner. Er spricht
von den „flachshaarigen" Prinzen und Prinzessinnen von
Hnahina, und von dem „goldig braunen" Haar einiger Mäd-
che» auf Samoa. Jedenfalls ist der vielgereiste englische
Aristokrat wohl ein zu scharfer Beobachter, um uicht natnr-
farbenes von künstlich gebleichten! Haar unterscheiden zu
können.
Unter den Tropen II, 581.
2) S. 76, 87, 227, 233.
C y p
Ueber die Einwohnerzahl der Insel existiren fast nur
unzuverlässige Angaben; neuere sind zwar vorhanden, beziehen
sich aber nur auf die männliche Bevölkerung. Die 1841
vom Gouverneur Talaat Effeudi angeordnete Zählung ergab
103000 bis 110 000 Einwohner, davon 75 000 bis 76 000
Griechen, 32 000 bis 33 000 Türken (d. h. Mohammedaner),
12 000 bis 13 000 Maroniten, 500 römische Katholiken
und 150 bis 160 Armenier. Nach einem Consularberichte
des Herrn A. Caprera vom December 1846 soll sie damals
90 000 Köpfe (55 000 Griechen und 35 000 Mohamme-
daner) gezählt haben; Ritter giebt 1854 deren 110 000,
der nnzuverläfsige Syuvet (1871) 180 000 (120 000Grie-
chen, 55 000 Mohammedaner, 1250 Maroniten und 500
Europäer) an, während A.Ritter zur Helle von Samo
(Das Wilajet der Inseln des Weißen Meeres in „Mitthei-
luugeu der K. K. Geographischen Gesellschaft in Wien",
1878, S. 114) gelegentlich seiner Reisen ansCypern 1874
Erkundigungen einzog, welche aus 72 000 männliche Ein-
wohner lauteten. Danach schließt er auf eine gefammte
Seeleuzahl von circa 144 000, worunter 44 000 Moham-
e r n.
medaner und 100 000 Christen. Da aber in solchen türki-
scheu Volkszählungen die noch im Harem lebenden nnerwach-
senen Kinder männlichen Geschlechts nicht mitgerechnet zu
werden scheinen, so könnte mau getrost eine noch höhere Zahl
von Mohammedanern heransrcchnen. Durch die Güte des
Herrn Dr. A. Mordtmann in Konstantinopel, eines der
besten Kenner türkischer Zustände, erhielten wir soeben noch
neuere Zahleu, welche, wenn man ihnen Glauben scheukeu
will, darthuu, welche schweren Verluste an Menschen (in
Folge vou Auswanderungen) die schon erwähnten Mißernten
der letzten Jahre dem schönen Lande zugefügt haben. Der
officielle Staatsalmanach für das Jahr 1294 (1877) giebt
nämlich die Zahl der männlichen Bewohner auf 28 300,
der Almanach für das Jahr 1295 (1878) auf 31 700 an.
Selbst letztere Zahl würde noch bei Weitem nicht die Hälfte der
für 1874 angegebenen männlichen Bevölkerung repräsentiren.
Augenblicklich mag es also zwischen 60 000 und 70 000
Menschen aus Cyperu geben, eine Zahl, welche durch die
starken englischen Trnppensendnngen, die alsbald in Fluß
gekommene bedeutende Einwanderung von Malta, Syra und
Alexandria her und besonders durch die nun günstiger sich
gestaltenden Lebensbedingungen und Eigentumsverhältnisse
voraussichtlich sich rasch auf das erste Hunderttausend heben
wird.
Unter der Herrschaft Venedigs, welches die Insel im Jahre
1571 an die Türken unter Sultan Selim II. verlor, soll
dieselbe noch 860 Dörfer besessen haben; 1853 dagegen wa-
ren es nur noch 610, darunter 89 ausschließlich von Tür-
ken, 6 von Maromten und 515 von Griechen und Türken
bewohnte1). Nur zwei und ein halbes Jahrhundert blieben
die Eroberer int ungestörten Besitze ihrer Beute; denn im
Sommer 1832 besetzte Mehemed Ali Cypern und wurde
1833 vom Sultan förmlich damit beliehen; doch schon Ende
des Jahres 1838 wurde diese Verpachtung durch einen Fer-
man ausgehoben, und von 1840 bis 1878 war die Insel
wiederum directes türkisches Besitzthum, um jetzt hoffentlich
für immer ihren Peinigern entwunden zu sein und zu bleiben.
Administrative E i n t h e i lu u g. Unter türkischer Herr-
schast gehörte Cypern zum Wilajet der Inseln des Weißen
Meeres, welches bekanntlich außerdem die Inseln des Archi-
pels uud die troische Landschaft umfaßt. Auch ihm blieben
die willkürlichen, unaufhörlichen Wechsel, welchen die innere
Eintheilnng des osmanischen Reiches in neuester Zeit aus-
gesetzt war, nicht erspart: seit Juli 1870 war es als selbstän-
diges Sandschak oder Liwa (unter einem Mntessarif) von
jenem Wilajet losgetrennt, um vor etwa zwei Jahren wieder
dazugeschlageu zu werden. Es enthielt sechs Kazas oder
Aemter unter je einem Kaimakam, nämlich Bafo, Degir-
menlik (Levkosia, Nikosia, Lefkotfcha), Tnzla (Laruaka), Li-
masol, Kerine (Kerynia, Kirne) und Ma'usa (Magusa oder
Famagusta). Jetzt beabsichtigeu die Engländer, welche vor
Allem die Frage des Grundbesitzes — derselbe ist vielfach
Staatseigenthum — durch einen Ausschuß englischer und
türkischer Beamten regeln und den Bau von Landstraßen
— von Eisenbahnen kann auf der bergigen Insel nicht viel
die Rede sein — in Angriff nehmen wollen, Cypern in fünf
Kreise (Larnaka, Bafo, Chryfocho, Levkosia und Famagusta)
zu theilen. An der Spitze eines jeden soll ein englischer
Commissär und ihm zur Seite ein englischer Richter stehen.
In kirchlicher Hinsicht bestehen nach zur Helle für die Christen
vier Diöcesen, uud zwar das Erzbisthum von Levkosia und
die Bisthümer von Larnaka, Kerynia und Bafo. Der ge-
sammle Clerns soll sich auf mehr als 1700 Personen belan-
i) Diese wie viele der unmittelbar folgenden Angaben stam-
men aus der erwähnten Publication des Ritters zur Helle. —
Um den Abstand zwischen einst und heute zu ermessen, wollen
wir hier nur zwei Citate neben einander stellen, welche uns in
jüngster Zeit aufstießen. Bosio erzählt in seiner 1594 geschrie-
denen Geschichte, wie die Hospitaliter- (später Malteser-) Ritter
nach der verhängnißvollen Schlacht von Tolemais unter ihrem
Großmeister, de Villars, nach Cypern fuhren, und sagt von der
Insel unter Andern: „Cypern ist eine höchst edle und schöne
Insel. — Sie ist sehr fruchtbar und hat Ueberfluß an Wein,
Del, Korn, Zucker, Honig und Baumwolle, und sie ist so köstlich
und von solcher Annehmlichkeit, daß sie natürlich eine weichliche,
weibische Bevölkerung erzeugt, aus welchem Grunde die Alten
thörichter Weise sie als der Venus geweiht und heilig ansahen."
Clarke (Travels I, p- 315) urtheilte dagegen vor 60 Jahren
über Cypern: „Ackerbau vernachlässigt, Bevölkerung fast ver-
nichtet, verpestete Luft, Unthätigkeit, Armuth und Verwüstung;"
und Ritter zur Helle (a. a. O. S. 202) fügt hinzu: „Diese
wenig schmeichelhaften Worte können auch jetzt noch von jedem
Reisenden, welcher zu längerm Aufenthalte auf der Insel und
namentlich tm südlichen und östlichen Theile derselben sich ent-
schließen muß, als treffend anerkannt werden; diese Eindrücke
werden wo möglich noch verschlimmert durch die Strapazen und
Mühseligkeiten, welchen man bei Durchforschung des Innern
ausgesetzt ist; unerträgliche Hitze, Mangel an ordentlichen und
reinlichen Unterkünften, die Plagen zahlloser Jnsecten aller Ar-
ten u. f. w."
M. 125
fen! Der Erzbischof ist das unabhängige, keinem Patriarchen
unterworfene Haupt der Kirche dieser Insel und hat unter
dem Beirath der drei Bischöfe das Abgaben- und Landes-
fchnlwesen der Christen zu ordnen.
Handel uud Schifffahrt. Die hauptsächlichsten Pro-
ducte Cyperns haben wir oben schon erwähnt. Ritter zur
Helle (a. a. O. S. 207 ff.) theilt eine Uebersicht der Waaren-
ausfuhr aus Cypern mit, wonach dieselbe 1873 sich auf den
Werth von 40^ Millionen Piaster belief, die Einfuhr da-
gegen nur auf wenig über 10 Mill. Unter den einzelnen
Posten der Aussuhr sind hervorzuheben: 500 000 Kilo Ge-
treibe im Werthe von 11^ Mill. P., 1 000 000 Kilo Gerste
(11 Mill. P.), 8000 Ballen Baumwolle (6 300 000 P.),
50 000 Kantar (ä 400 Pfund) Johannisbrod (6 Mill. P.),
300 000 Ballen Krapp (IV2 Mill. P.) u. f. w.
An der Einfuhr waren ihrem Werthe nach besonders be-
theiligt: Amerikanischer Leim (25 000 Stück für 1275 000P.),
Zucker (250 000 Kilogramm für 1 136 364 P.), Leder,
Lackleder und Häute (895 000 P.), Taback (für 855 000 P.),
Reis (für 853 000 P.), Glaswaaren und Spiegel (für
800 000 P.), ferner Kaffee, Zitz, Eisen, Banmwoll-
garn u. s. w.
Ritter zur Helle theilt ferner (a. a. O. S. 209) Tabellen
über die Schifffahrtsbewegung auf der Rhede von Larnaka
für die Jahre 1870 und 1871 mit, aus welchen hervorgeht,
daß unter den Dampfern die österreichisch-ungarischen (52
resp. 53 vou 67 resp. 62), unter den Segelschiffen die tür-
fischen (851 resp. 866 von 965 resp. 950) bei Weitem
überwiegen, die englische Schifffahrt aber bisher durchaus
unbedeutend und verschwindend gewesen ist, ein Verhältnis?,
welches sich naturgemäß alsbald ändern wird. Von Herrn
Dr. Mordtmann in Konstantinopel erhielten wir nun
nachstehende Tabellen neuesten Datums, aus welchen hervor-
zugehen scheint, daß nahezu die Hälfte des cypriotifchen Han-
dels bisher von österreichisch-ungarischen Schiffen besorgt wor-
den ist. Allerdings ist dabei zu beachten, daß bisher die
Lloyd-Dampfer die einzigen sind, welche regelmäßig zweimal
im Monat Larnaka anlaufen. (Siehe Tabelle S. 126.)
Topographisches. Ueber die Hauptstadt der Insel,
Levkosia (oder Nikosia oder Leskotscha), besitzt die deutsche
Literatur unter Andern^) eine interessante, reich illnstrirte
Monographie aus der Feder des Erzherzogs Ludwig
Salvator von Toscana (Prag 1873; nicht im Buch-
Handel), aus welcher ein Theil der folgenden Daten stammt.
Levkosia liegt 147 engl. Fuß über dem Meere, 10 Fuß
höher als die Umgebung. Alle Reisenden, die sie besucht,
rühmen den eigentümlich fesselnden ersten Anblick der Stadt,
überragt von den zackigen Felsenrücken des nördlichen Küsten-
gebirges, mit ihren alten Festungswerken, ihren hohen go-
thischen Kirchen 2), ihren schlanken Minarcts und den zahl-
reichen Palmen, welche sich einzeln und in Gruppen über die
wirre Häusermasse erheben. Die drei Seemeilen lange
Mauer, welche 1567 von den Venetianern erbaut wurde,
umschließt ein vollständiges Kreisrund und ist mit 11 Bastio-
nen versehen; freilich haben, wie zur Helle sagt, diese Befesti-
gungen, ebenso wie die von Larnaka, Kerynia, Famagusta
und Limisso (Limasol), heute beinahe nur für Photographen
1) Wir nennen außerdem „Franz von Löher, Cypern,
Reiseberichte über Natur und Landschaft, Volk und Geschichte."
2) Cypern ist, nebenbei gesagt, das einzige Land, wo noch
heutigen Tages mit Vorliebe der gothische Spitzbogen beim Bauen
angewendet wird. Namentlich Levkosia besitzt noch viel gothische
Häuser aus der Kreuzfahrerzeit, und die Einwohner haben sich
mit der Zeit fo daran gewöhnt, daß sie fortgesetzt in dem glei-
chen Stile bauen. Den Engländern behagt diese Geschmacks-
richtnng ebenso sehr wie der andere zufällige Umstand, daß
St. Georg gleicherweise Schutzpatron Cyperns wie Englands ist.
126
Cypern.
Schifffahrt der cyprischen Rheden im Jahre 1876/1877 (d. h. vom 1. März 1876 bis zuin 28. Februar 1877).
Zahl der Schiffe Tonnengehalt
Flagge
Dampfschiffe Segelschiffe Total Dampfschiffe Segelschiffe Total
Deutsche............ 1 1 192 192
Englische............ 1 5 6 395 1788 2183
Französische . . . ........ 2 3 5 1347 687 2034
Griechische ........... — 48 48 _ 5460 5460
Italienische........... — 11 11 — 2383 2383
Jerusalemer........... — 3 3 — 225 225
Oesterreichische.......... 52 10 62 62059 2997 65056
Samiotische........... — 6 6 — 345 345
Türkische............ — 939 939 — 17488 17488
Total. . . 55 1026 1081 63801 31565 95366
L i m a s o l.
Englische............ — 7 7 — 3148 3148
Griechische........... — 91 91 — 10709 10709
Italienische........... — 10 10 — 4853 4853
Oesterreichische......... — 1 1 — 284 284
Rumänische........... — 4 4 — 152 152
Russische............. — 2 2 — 370 370
Samiotische........... — 6 6 — 280 280
Türkische ............ — 624 624 — 15368 15368
Total. . . — 745 745 — 35164 35164
F a m a g u st a.
Griechische........... — 19 19 — 723 723
Oesterreichische.......... 2 2 4 1818 708 2526
Türkische............ — 471 471 — 11195 11195
Total... 2 492 494 1818 12626 14444
noch Werth. Drei Thore führen tut Norden, Westen und
Südosten aus der Stadt, nach Südosten das von Famagusta
(Ma'usa Kapufsi), nach Norden das von Kerynia, vor iuc£-
chem das nur von Negern bewohnte Dorf Chioneti liegt,
nud nach Westen das Thor von Paphos (Baffo 5kapussi), wo
die Wasserleitung Arabahmet Su in die Stadt tritt. Mehr
als die Hälfte des von der kreisrunden Mauer umschlossenen
Areals wird von Gärten eingenommen, wo neben Gemüsen
und Opuntien Orangen, Mandarinen, Limonen, Cedro,
Aprikosen u. s. w. gedeihen und die Luft mit Wohlgerüchen
erfüllen. Ueberall rauschen Brunnen und Leitungen, um
denselben Wasser zuzuführen. Tripiotis ist der Name der
Hauptstraße; alle Straßen haben Namen, die, gleichwie die
Hausnummern, mit griechischer und türkischer Schrift an-
geschrieben sind. Die meisten Häuser sind nur aus Lehm-
ziegeln erbaut, wovon das Tausend 100 Piaster kostet, so daß
ein ganzes großes Haus aus nur 5000 Frcs. zu stehen kommt.
Die Straßen sind eng, winkelig und unsauber, uud nur in
den verhältnißmäßig ausgedehnten Bazars, deren Zahl sich
ans 23 beläuft, herrscht größeres Leben. Es werden dort
neben europäischen Waaren aller Art auch einheimische Gold-
und Seidenstickereien feilgeboten; die griechischen Schneider
dort sind schon im Besitze einiger Nähmaschinen. Bon hohem
Interesse aber sind vier Moscheen, welche aus einstigen gothi-
schen Kirchen umgewandelt worden sind; vor allem die einstige
Krönungskirche der cyprischen Könige, die Hagia Sophia,
einst eine dreischiffige, zum Theil dachlose Kirche von schönen
Verhältnissen und mit zierlichem Außeuschmuck, auf deren
beiden Thurmansätzen sich jetzt Minarets erheben; ferner
das Baptisterium mit schönem Portal, die Haider Pascha
Dschamisi, einst St. Katharinenkirche, und die Emerghs
Dschamisi, früher S. Nicolo. Außerdem zahlt man noch
zehn moderne Moscheen; bei der Serai Dschamisi steht noch
die Venetianersänle, auf welcher stets zahlreiche Naben sitzen,
und ein antiker Sarkophag. An Kirchen zählt die Stadt
eine katholische, eine armenische und zehn griechische, darunter
die des H. Lukas mit dem Bischossthrone. Die letzteren sind
meist mit Herbergen verbunden, haben aber zum Theil keine
Thürme, deren Erbauung erst seit dem Jahre 1856 gestattet
ist. Ferner existirt ein griechisches Kloster, Makara, und
ein katholisches, Sta. Croce, mit fünf Mönchen, welche schöne
Orangengärten besitzen. Das große Serai', die frühere Re-
sidenz des Paschas und Gouverneurs der Insel, ist ein alter
venetianischer Palast, über dessen Eingang sich das Wappen
der Republik erhalten hat- es umschloß unter türkischer Herr-
schast das Centralgefängniß für das türkische Asien. Sonst
besitzt die Stadt ein Militärspital, ein Telegraphenamt (der
Draht geht nach Ladikie in Syrien hinüber), einen erzbischös-
licheu Palast, der als klosterartig und sehr schlicht eingerichtet
geschildert wird, Knaben- und Mädchenschulen, auch türkische
Medresses mit kleinen Bibliotheken, 8 Bäder, nur ein Gast-
haus („Alk Sperauza"), 5 Chans und 23 Bazare. Als
der Erzherzog Levkosia besuchte, befanden sich daselbst 300
Knaben, welche sich zu Priestern bestimmt hatten, und 50
Seminaristen.
Die Zahl der Einwohner soll 20 000 betragen (meist
wird sie aber nur zu 12 000 bis 13 000 angenommen, so
von Seiff, zur Helle, Zwiediuek von Südenhorst, von Löher),
darunter über die Hälfte Türken und Neger, etwas weniger
Griechen, wenige Armenier, 80 bis 90 Katholiken und gar
keine Juden. Nach v. Löher soll jetzt die griechische Bevöl-
kernng der türkischen gleichkommen, ja das Griechenthum soll
sprachlich überwiegen. Man versteht es überall und spricht
es sogar in den meisten türkischen Häusern. Es giebt sogar
viele Mohammedaner, welche heimliche Christen sind, das
Kreuz schlagen und ihre Kinder taufen lassen. Feiern doch
die Türken hier nicht den Freitag, sondern den Sonntag.
Levkosia war Sitz des Paschas und eines Kaimakams
(für die Truppen) und ist es noch für den griechischen Erz-
bischos, den Klosterabt von Kikko (tuKykku), einen armenischen
Archimandriten und bat griechischen, österreichischen und sran-
zösischen Consularagenten. Wichtige Industriezweige sind
Reinigen der Baumwolle, Kattunweberei, Gewinnen und
Spinnen der Seide, Verfertigung von Säcken, Decken n. f. w.,
Färben und Bedrucken weißen englischen Kattuns. Exportirt
werden bedruckter Kattun, Seide, Veilchensyrnp, Pferde-
zäume und Lammsfelle.
Larnaka, an Stelle des altphönikischen Kition, vom
griechischen = Grab benannt, leitet seinen Namen
von den antiken Gräbern her, auf welchen es zum Theil
erbaut ist. Bei den Türken heißt die Stadt Kasaba Tnzla,
h. Salzgrubenort. Das Landen auf dieser Hauptrhede
der Insel ist namentlich im Winter oft sehr beschwerlich und
zu Zeiten fast unmöglich. „Auf der flachen, dürren Küste
^ schreibt Seiff, Reisen in der asiatischen Türkei, S. 76 —
oehnt sich dicht am Meere, von dessen Wogen fast bespült,
langgestreckt die unregelmäßige Häusermasse der sogenannten
Marina aus, während die eigentliche Stadt Larnaka ungefähr
20 Minuten weiter landeinwärts liegt. — Kein schattiger
Bciimt, kein grüner Busch erfreut das Auge, nur die flachen
Dächer des westlichen, von den Türken bewohnten Stadt-
theiles werden von den dürftigen Blätterwedeln einer Anzahl
Dattelpalmen überragt, denen man es ansieht, daß auch sie
nur eingewanderte Fremdlinge sind. Die nächste Unigebnug
ern. 127
der Marina wie der Stadt ist im Wesentlichen flach und
kahl, obwohl nicht unfruchtbar. In weiterer Entfernung
begrenzen niedrige, ebenfalls völlig kahle Hügel die Aussicht,
und nur in westlicher Richtung erhält das Bild einigen Reiz
durch den hohen, schroffen Felsenkegel des Monte Croce,
dessen Gipfel ein Kloster krönt, sowie durch einige andere
Vorberge des Troodos, des Hanptgclnrgsstockcs der Insel."
Die Stadt einschließlich der Marina soll 5000 bis 6000
Einwohner haben, ist dabei aber ziemlich tobt und reizlos.
Von den öffentlichen Gebäuden — sie besitzt 3 Moscheen,
4 Kirchen, 3 Bäder und 2 Klöster — ist das einzige beach-
tenswerthe die mehr alte als schöne griechische Kirche des
H. Lazarus aus dem 10. oder 11. Jahrhundert. Die Lage
ist wegen der umgebenden Sümpfe feilte fouderliche und
fieberfreie. Dem englischen Consnl N. H. Lang gelang
eS, während seines dortigen Aufenthaltes durch öffentliche
Snbfcription den bösesten der beiden Sümpfe urbar zu machen
und der Stadt in eisernen Röhren Wasser zuzuführen, wo-
dnrch sich der Gesundheitszustand bedentend besserte. Die
Engländer werden nicht zaudern, diese Arbeiten sofort wieder
auszunehmen und zu vollenden. — Unger und Kotschy mach-
ten in Larnaka eine interessante Beobachtung. Dort, wie
in Paphos, dem Hauptheiligthume der Liebesgöttin, finden
sich in den ersten Monaten des Jahres ungeheure, oft halb-
mannshohe Massen von Schaum am Strande, welcher sich
bei mikroskopischer Untersuchung als ans Myriaden von Eiern
einer kleinen Krabbe (Pilumnus hirtellus), verbunden durch
verwesende Ueberreste einer Schleimalge (Palmella Unge-
riana) und zweier Krabbenarten, bestehend herausstellte.
Ein Cnbikzoll enthielt über eine Million Eier! Jene beiden
Naturforscher sprechen deshalb die Vermnthung aus, daß die
Beobachtung dieses Phäuomens Anlaß gab zu jener Benen-
nung der Gottheit der Liebe und Fruchtbarkeit als Aphrodite,
der „Schaumgeborenen" (falls anders die Ableitung des Na-
mens von cccpQos und dvoj richtig ist).
Famagnsta. Kein Stadtname hat größere Wandlnn-
gen durchgemacht und hat unter der Sucht des Volkes, zu
etymologisiren, mehr sich verändert als dieser. Im Gegen-
satze zu der wahrscheinlich ältesten phönikischen Ansiedlnng
ans Cyperu, Amathns oder Chamath, d. i. Festung, erhielt
eine spätere Gründung auf dem Boden des heutigen Fama-
gnsta den nur in assyrischen Inschriften vorkommenden Na-
men „ Amtich adasti", d. i. „neue Festung", der, viele Jahr-
hunderte im Verborgenen fortlebend, bei Ptolemäus in der
griechischen Form , „die Sandverschüttete",
vorkommt, so gleichsam das Schicksal, was ihrem Hasen 13
Jahrhunderte später von den Türken bevorstand, andeutend.
Daraus machten dann die Venetianer mit Anklang an fama
und augusta Famagnsta, was die Türken ihrerseits zu
Ma'usa (Magusa), d. h. die starke, feste, abschwächten.
(Vergl.H.Kiepert, Lehrbuch der alten Geographie, S. 134.)
Heutigen Tages ist Famagnsta eine durchaus unbedeutende
Ortschaft: sie zählt nach zur Helle 150 Häuser, 1 Moschee,
1 Bad und 650 türkische Einwohner. Der Hasen ist zer-
stört, versandet und verschüttet; von den 32 Hectaren, welche
er jetzt umfaßt, find kaum zwei noch zur Aufnahme von klei-
nen Schissen brauchbar. Die Außenwerke der Festung
— schreibt Seiff — sind noch wohl erhalten, das Innere
aber ist wenig mehr als eine große Ruinenstätte, einschließlich
der Besatzung von kaum 200 bis 300 Türken bewohnt,
deren elende Hütten sich, neben der ungewöhnlich großen Zahl
zierlicher gothischer Kirchen und Palastruinen der einst blü-
henden Hafenstadt, wunderlich genug ausnehmen. Die
schönste und besterhaltene jener Kirchen, die ehemalige Käthe-
drale, in welcher sich die Könige von Cypern, bis zur Erobe-
rung der Festung durch die Genuesen (1373), als Könige
128 Aus allen
von Jerusalem krönen ließen, ist jetzt in eine Moschee ver-
wandelt. Dabei ist die Stadt von Sümpfen umgeben, welche
auf den Gesundheitszustand der Einwohner vom schlimmsten
Einflüsse sind. Bon den verschiedensten Seiten und schon
vor Jahren ist darauf hingewiesen worden, daß hier in Fama-
gusta niit verhältnißmäßig geringer Mühe sich ein Vortreff-
licher geräumiger, durch zwei kleiue vorliegende Inseln ge-
schütztet Hafen herstellen ließe, dessen Umfang z. B. Collas
auf 60 Hectaren angiebt. Neuerdings machten dann berufene
Stimmen darauf aufmerksam, daß Famagnsta eine weit bessere
Flottenstation abgebe als die jetzige Hauptrhede Laruaka, und
die englische Regierung scheint der gleichen Ansicht zu sein.
Denn schon sind Nachrichten eingetroffen, wonach die Eng-
länder angefangen haben, sowohl die mit Trümmern ange-
füllte Citadelle als auch den mit Sand verschütteten Hafen
auszuräumen. Famagusta ist also der erste Ort auf Cypern,
welchem der Besitzwechsel zu Gute kommt. Wird dem Orte,
welcher zur Hauptstadt eines der fünf cypriotifchen Kreise de-
signirt ist, außerdem auch die Wohlthat einer Quellwasser-
leitung und der Austrocknung der Moräste zu Theil, so scheint
nichts im Wege zu steheu, daß Famagusta wieder wird, was
es iu veuetianischen Zeiten gewesen ist, eine gesunde, ange-
nehm zu bewohnende, blühende Stadt von 30 000 Einwohnern
oder mehr.
Wir hätten diesem kurzen Abriß noch mancherlei über
die Klöster, die interessanten Burgen und Burgruinen und
die antiken Bauwerke der Insel hinzuzufügen, über die Schätze,
welche Cesuola's und Lang's Ausgrabungen zu Tage geför-
Erdtheilen.
dert haben u. f. w. Aber wir müssen uns begnügen, deshalb
auf die Quellenwerke von Unger und Kotschy und Cesnola
zu verweisen, um in der nächsten Nummer unserer Zeitschrift
einem Autor, der die Insel wiederholt selbst bereist hat, zur
Schilderung seiner Reiseerlebnisse und -Beobachtungen das
Wort zu geben: wir beginnen in Nro. 9 den Abdruck des
hochinteressanten vorläufigen Berichtes, welchen Dr. Paul
Schröder, Dragoman der Kais. Deutschen Botschaft in
Konstantinopel, über seine zweite Reise auf Cypern im Jahre
1873 niedergeschrieben hat.
Von Interesse mögen hier nur noch einige Urtheile über
das cypriotische Volk sein, mit denen wir schließen. Ihr
Landsmann, der auf deutschen Universitäten gebildete Archi-
mandrit Hieronymus Myriautheus, nennt in einer
Zuschrift an die „Times" die Griechen der Jnscl „eine
intelligente, arbeitsame, geduldige uud sehr religiöse Raee";
und Seisf (a. a. O. S. 84) sagt darüber: „So weit ich
mit den Bewohnern in Berührung gekommen bin, habe ich
dieselben sowohl in den Städten wie auf dem Laude stets
freundlich, artig und gefällig gefunden. Ihre Lebensweise
ist, wie die Bauart ihrer Häuser, durchgängig überaus ein-
fach, ja auf dem Lande meist geradezu ärmlich, und läßt die
Reinlichkeit der letzteren viel zu wünschen übrig. Da es
nirgends Gasthöfe giebt, selbst in den Städten nicht, so ist
der Reisende ganz auf die Gastfreundschaft angewiesen, die
aber stets in bereitwilliaster, ja nicht selten in liebenswürdigster
Weise gewährt wird.«
Aus allen
Vorurtheile gegen das Waschen.
A. Bastian erzählt in seinem neuesten Buche, „Die
Kulturländer des alten Amerika", I, S. 275, Folgendes:
„Als bei meiner Rückkehr die Hausgenossen von dem Bad
im Rio Poblanco (rechter Zufluß des Canca oberhalb An-
tioqnia) hörten, bekreuzten sie sich, denn sein Wasser worde
ängstlich gemieden, weil Fieber zeugend. Solcher Weisheits-
sprüche laufen viele um. In Peru meint man, daß, wer
von der Küste ans die Sierra besuche, sich acht Tage lang
weder Hand noch Gesicht waschen dürfe. Da nun (bei mei-
ner ersten Reise) einem solchen Zustand jeder andere vorzu-
ziehen schien, verletzte ich diese Vorschrift und erregte dadurch
nicht geringes Entsetzen unter den Gläubigen. Um das
Wasser zu vermeiden, wird überhaupt gern jede Entschuldi-
guug hervorgesucht, so daß das Waschen a) überall nur spar-
i) Ganze Wochen lang waschen sich die angesehensten Ein-
wohner in Guatemala weder Hände, noch Gesicht, noch Zähne,
und die geringfügigste Krankheit dient als Vorwand, um diese
Operation aufzuschieben (Dunn 1827).
In Ecuador glaubt man nach Hassaurek allgemein, daß
das Waschen des Gesichts mit kaltem Wasser Fieber und Rheu-
matismus erzeugt.
Inhalt: Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach
Forschungen am untern Colorado. (Mit einer Karte und <
Menschen. — Cypern. II. (Schluß.) — Aus allen Erdtheilen:
Erdtheilen.
sam geübt wird. Ich hatte die Gewohnheit, so oft wir anf
der Reise zn einem Halt kamen, mir als erstes ein Paar-
Schalen oder Gläser kaltes Wasser über den Kopf zu gießen,
und konnte sicher darauf rechnen, ebenso oft Tag für Tag
den erschreckten Ausruf zu hören: No Ilace daiio? (wird es
nicht schaden?), so daß ich immer die Antwort vorräthig
hielt. „Washing my l'ace created much speculation at the
village of Las Minas," erzählt Darwin, der Gefahr lief,
wegen solch mohammedanischer Reinigungen für einen Türken
gehalten zu werden, nach der herrschenden Ansicht, daß alle
Häretiker als Türken zu betrachten seien.
Wo im Kaukasus Bezirke der Christen und Mohamme-
daner zusammenstoßen, suchen die ersteren oft einen Ehren-
Punkt darin, recht viel Schweinefleisch zn essen und viel Wein
zu trinken, dagegen selten oder nie sich zu waschen, um sich
so durch positive sowohl wie negative Beweise von den Mo-
hammedanern zu unterscheiden. Ebenso betrachteten die Mis-
sionäre in Mexico die vielfach von der früher» Religion vor-
geschriebenen Waschungen mit verdächtigem Auge und auch
in Indien wurde oft gegen das Baden gepredigt, da der durch
das Taufwasser Benetzte sich später um den Schmutz des
Körpers nicht viel zu kümmern brauche, wofür die mitunter
als Schweinepriester bezeichneten Priester oder Mönche mit
gutem Beispiel vorangingen."
Kaschgar. V. (Mit vier Abbildungen.) — F. Ratzel: Neuere
inem Profil.) — Dr. Pechnel-Loesche: Abnorm gefärbte
Vermischtes.. — (Schluß der Redaction 27. Jnli 1878.)
Redacteur: Dr. N. Kiepert in Verlin, S. W. Lindenstraße 13, lll Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
#
Äschnst fit Jältd
Band XXXIV.
Mit besonderer Derüclisirktigung ller AntKroyologie unä Gtlrnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
urt f Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 ohq
<3lUUli|U)iDCly zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. " '
Von Sir Forsyth's
In ganz Osttnrkestan sind Lebensmittel überaus reich-
lich vorhanden und sehr billig. In Aksu kostet z. B. ein
Schaf zwei Mark und in Jarkaud gar nur eine drittel bis
eine halbe Mark. Dabei sind die Thiere stark und wohl-
genährt und gleichen durchaus nicht den kleinen mageren
Schafen, welche in Indien zu ähnlichen Preisen verkauft wer-
den. Achtzig Pfund Weizenmehl gelten gleichfalls zwei
Mark, vierzig Pfund Mais eine halbe Mark, und dabei lie-
gen noch weite Strecken fruchtbaren Landes aus Mangel
an Bevölkerung brach. Pferde, Esel und Ochsen giebt es
in großer Zahl. Die einheimischen Pferde sind kräftig und
ausdauernd und tragen mit Leichtigkeit ein Gewicht von 250
Pfund. Die besten sind die, welche die Kalmücken bei Ka-
raschar züchten. Ein Pferd kostet in Kaschgar im Durch-
schnitt etwas über 90 Mark. Die Kamele, von der zwei-
höckerigen Race, sind stark, tragen Lasten von 480 Pfund
und sind gewöhnt, große Kälte- und Hitzegrade zu ertragen.
Die meisten und besten kommen von Chotan. Die Esel
tragen 150 Pfund und werden für den Verkehr zwischen den
einzelnen Städten viel benutzt. Gleichfalls stark im Ge-
brauche sind die Karren, welche gewöhnlich von vier Pferden
gezogen werden, 1800 Pfund im Durchschnitt tragen und
^>s nicht chanssirten Wegen etwa 3 engl. Meilen in der
Stunde zurücklegen. Reitthiere sind so reichlich vorhanden,
daß man selten einem Fußgänger begegnet; alle Leute sitzen
aus Pserden, Kamelen, Ochsen oder Eseln.' Gefüttert wer-
den dieselben je nach der Jahreszeit mit Mais, Häcksel und
grüner oder getrockneter Luzerne, welche letztere hier üppig
gedeiht: ein und dasselbe Feld giebt im Jahr drei Schnitte,
und eine einzige Pflanze hält drei Jahre aus. Alles Futter
Globus XXXIV. Nr. 9.
nach Kaschgar.
ist stets in solcher Masse vorhanden, daß die Thiere nie
Mangel daran leiden. Umgekehrt haben wir nie einen durch
Beleibtheit ausgezeichneten Menschen gesehen. Ob vielleicht
die stete Ungewißheit und Unruhe, welche jede Existenz unter
einer despotischen Regierung begleiten, vor unbequemem
Embonpoint bewahren?
2 5. December. Heute Morgen in aller Frühe haben
wir einer großen Truppenschau beigewohnt, und nach der-
selben gab uns der Befehlshaber der Artillerie ein wahrhaft
luxuriöses Mahl. Als wir dann nach Hause zurückkehrten,
fanden wir dort ein Weihnachtsgeschenk, bestehend aus einem
lebenden Zehnender, mehreren Damhirschen, Schafen, einem
prächtigen Fuchse, einem Fasanen n. s. w., vor. Unser
Naturforscher, Stoliczka, hat als Geschenk für den Emir
eine herrliche Vögelgruppe ausgestopft. Da die Leute jetzt
wissen, wie viel Vergnügen wir an allerlei Gethier, lebendem
oder todtem, haben, werden wir bald eine ansehnliche Mena-
gerie zusammeuhaben.
Heute Morgen kamen unsere eingeborenen Diener, welche
die Bedeutung des Weihnachtsfestes für uns kennen, und
brachten ihre Glückwünsche dar; die Soldaten reichten uns
ihre Säbel hin, daß wir dieselben berührten, während die
Civilisten eine Goldsilla in der Hand hielten, die wir nach
den Regeln der landesüblichen Höflichkeit berührten und ihnen
zurückgaben.
8. Januar 1374. Die Zeit verstreicht, ohne daß wir
recht wissen, wie. Wir warten immer darauf, daß die Be-
rathungen über den Handelsvertrag am Hofe des Emir ihren
Abschluß erreichen. Ich benutze meine Muße, um Nach-
richten von allerlei Art über das Land einzuziehen uud dessen
17
130 Von Sir Forsyth's Gesav
neueste Geschichte zu schreiben. Ich sammele Documente
über die vornehmsten Familien und studire die Gründe, welche
dieselben an die erste Stelle emporgehoben haben; alle Ge-
rüchte über Ereignisse in den Nachbarländern werden von
mir verzeichnet. Die Mohammedaner hegen den festen Glau-
ben, daß gewisse Zeitabschnitte bestimmt sind, große Dinge
hervorzubringen; und zu diesen Perioden scheint auch das
Jahr 1874, welches eben begonnen hat, zu gehören. Nach
meinem Dafürhalten wäre das Wünschenswerteste für Tur-
kestan der Frieden, welcher allein im Stande ist, zur Ent-
Wickelung seiner Verwaltung beizutragen. Eine vernünftige
innere Politik, nach welcher übrigens der Emir mit Ver-
Musicireude Derwische iu Kaschgar.
einem Besessenen austreiben wollte, welcher die ihm zugedachte
Rolle anscheinend nicht geneigt war zu spielen. Dabei be-
nahm sich der Zauberer wie ein Taschenspieler, dessen Kunst-
stücke von einem seiner Zuschauer enthüllt werden. Zuerst
legte er ein spatenähnliches Instrument mit einem Loche, in
welches ein als Griff dienender Stock gesteckt werden konnte,
ins Feuer; dann stellte er eine kleine Schale mit Wasser
neben seinen Patienten, bestrich dessen Leib mit einer Art
Gabel und sang zu Ehren der Patriarchen mehrere Lieder,
die er auf einem Streichinstrumente begleitete." In einför-
migem Tone rief er dann die Hülfe aller Engel, Michael,
Gabriel u. s. w., an. Nichts hals. Dann nahm er das
Eisen aus dem Feuer, packte es mit den Zähnen und tanzte
um den angeblich Besessenen herum, steckte den Griff in das
Eisen, nahm mehrere mächtige Züge Wassers und spie es
auf letzteres, während der Kranke, ohne sich zu rühren, unter
schastsreise nach Kaschgar.
stäudniß und Energie strebt, wäre der nützlichste Fortschritt
für das Land.
Um die uns gelassene Muße auszufüllen, haben mehrere
Mitglieder der Gesandtschaft gruppenweise sich zusammen-
gethan und Ausflüge unternommen, welche der Emir gestattet
hat, indem er erklärte, daß er volles Vertrauen zu uns habe,
und seinen Offizieren befahl, für alle unsere Bedürfnisse
Sorge zu tragen. Vor der schrecklichen Kälte im Gebirge
kann er die Reisenden freilich nicht schützen.
9. Januar. Heute haben wir der Vorstellung eines
Derwisch beigewohnt, welcher in allen Künsten der Derwische
von Buchara bewandert zu sein vorgab und den Teufel aus
(Nach einer Zeichnung Chapman's.)
einem großen Haufen Kleider ruhig dalag. Endlich legten
wir uns in das Mittel und befahlen dem Besessenen, auf-
zustehen und den Teufel herauszulassen, was er auch äugen-
blicklich that. Der bestürzte Hexenmeister ließ sich rasch durch
einige Geldstücke trösten.
Ferner hatten wir Gelegenheit, an Markttagen in Kasch-
gar mnsicirende Derwische zu beobachten, welche ihre Concerte
öffentlich zum Besten gaben. Vambery sagt nnt Recht, daß
der Derwisch die wahre Persouification des orientalischen
Lebens ist: Faulheit, Fanatismus und Schmutz sind die-
jenigen Eigenschaften, welche ihn vor Allem auszeichnen und
die er als Tugenden betrachtet und preist. Der Derwisch
oder Bettler, mag er auch auf der untersten Stufe der socia-
len Leiter stehen,^ genießt oft mehr Ansehen als der Fürst,
welcher über Millionen herrscht und über unermeßliche Schätze
verfügt. Obgleich religiöser Enthusiasmus stets alle Hand-
Von Sir Forsyth's Gescm
lungcn im Leben eines Derwisch zuerst beeinflußt und iuspi-
rirt, so kann man doch an der Handlungsweise dieser Leute
genau den Einfluß messen, welchen der mohammedanische
Glaube überall in den zahlreichen Staaten, wo der Islam
herrscht, besitzt. So sehr sich auch der Emir Jakub bemüht
hat, den Mohammedanismus in seinem Lande zu kräftigen,
so hat das Volk doch etwas von den chinesischen Sitten be-
wahrt, hat die Strenge der mohammedanischen Tradition
eingebüßt und ist stets geneigt, sich zu vergnügen und lustig
zu sein. Deshalb haben die Derwische hier, um populär zu
sein, sich genöthigt gesehen, gewissermaßen die Rolle der
Troubadoure zu spielen: sie singen Lieder und Legenden, und
wenn gerade kein Mollah oder Kasi in der Nähe ist, so las-
sen sie bald von den feierlichen Gesängen zu Ehren des Pro-
pheten ab und lassen lustige Melodien ertönen, deren Texte
keineswegs mehr puritanisch herbe sind.
schaftsreise nach Kaschgar. 131
Kaschgar, 2 5. Januar. Die höfischen Jntriguen,
hier von außerordentlicher Lebhaftigkeit, sind das Einzige,
was die Einförmigkeit unseres Wartens unterbricht. Unser
Vertrag wird bestimmt unterzeichnet werden; aber um nichts
zu verzögern, müssen wir sehr umsichtig handeln und unter
nnferm Gefolge die strengste Mannszucht halten, um unser
erworbenes Ansehen nicht zu verringern. Sehr unterstützt
uns in Allem unser Freund Syad-Jakub, welcher an der
Spitze der Partei steht, welche die Einführung occidentalischer
Civilisation begünstigt, aber bei den hohen Würdenträgern
auf heftigen Widerstand stößt.
27. Januar. Heute ist Jdi-Kurban, das Fest zur
Erinnerung an das Opfer Abraham's; schon am frühen
Morgen hat der Emir feinen ganzen Hofstaat zum Gebete
um sich versammelt. Von meinem Zimmerdache aus sehe
ich Tausende von Eingeborenen in weißen Turbanen, die
Höflinge des Emir Jakub-Chan. 0
ihre Andacht verrichten und, den Bart in der Hand, ausrufen:
?,Es giebt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist fein
Prophet!" Nach dem Gebete ist der Emir zu Fuß nach
seiner Wohnung zurückgekehrt, was viel Zeit in Anspruch
nahm, da er in Folge von Wunden, welche er in seinen
Kämpfen mit den Nüssen davongetragen hat, sehr stark hinkt.
Am Gitter waren Thiere für das Opfer aufgestellt. Der
Fürst selbst opferte ein prächtiges Kamel, seine höchsten Beam-
tcn und Höflinge siebenzehn Hammel zu Ehren seiner drei-
Zehn Söhne und vier legitimen Frauen. Nach Beendigung
c,0 Opfers empfing der Emir bis 3 Uhr Nachmittags glück-
wünschende Besucher. In dem feierlichen Gebete wurde
der Name des Sultan Abdul -Aziz als
Tir'r r Ct ^e^)cg von Kaschgar" genannt, was sich
19?" Ü°ttbcrf,ar ausnahm. Ebenso betete man für den
-v Mohammed - Jakub und für die Vernichtung feiner
. c" ,xVtt ker ganzen Menge waren 25 Leute vertheilt,
losschrien " mußten, damit alle zusamen gleichzeitig
^anuar* Gestern haben wir dem Emir einen
ftdVfV S^tct, UM ihm nnsern Dank und unsere Erkennt-
Wt? J"v vortreffliches Benehmen zu sagen. Wir
u >• azu die landesübliche Tracht, nämlich Gewänder von
ich einer Photographie Chapman's.)
chinesischer Seide, die mit Schaffell gefüttert waren, Tnr-
bane und weite Stiefel, angelegt. Mr. Forsyth trug dazn
eine Mütze von Otterfell.
Im vierten Hofe des Palastes befand sich eine Wache,
welche aus den obersten Beamten bestand. Alle beobachteten
das tiefste Stillschweigen und hatten die Angen nieder-
geschlagen. Als ich bei einem mir bekannten Offizier vor-
überging, begrüßte ich ihn freundlich, was ihn offenbar mit
Furcht und Schrecken zu erfüllen schien. Denn er sah aus,
als erwartete er jeden Augenblick die schrecklichen Worte sei-
nes Herrn zu hören: „Schlagt ihm den Kopf ab!" Dieser
Zwischenfall belustigte mich sehr; aber ich konnte mich nicht
dabei aufhalten. Vor dem Emir angelangt, schüttelten wir
ihm alle der Reihe nach die Hand und brachten unsere Be-
grüßungen dar. Dann nahm Alles Platz und ein verlegenes
Schweigen erfolgte, bis der Emir das Wort nahm und er-
klärte, daß er cutzückt fei, uns zu sehen, daß die Freundschaft
uns und ihn zu Landsleuten gemacht habe, daß sein Reich
und seine Diener zu unserer Verfügung ständen n. f. w.
Mr. Forsyth antwortete ihm mit gleichen Lob- und Schmeichel-
reden, fo daß es auf die Dauer ziemlich langweilig wurde —
aber der Fürst konnte unmöglich in Anwesenheit eines seiner
Minister, der an der Thür stand, von gleichgültigen und
17*
132 Von Sir Forsyth's Gesa:
gewöhnlichen Dingen reden. Merkwürdig bleibt dabei seine
Gewohnheit, täglich mehrere Stunden hindurch seine Höflinge
ini feierlichen Schweigen um sich sitzeu zu haben, nur damit
sie ihrer Ehrenpflicht, seine Person zu bewachen, nach-
kommen.
Artusch, 22. Februar 1874. Der Handels- und
Freuudfchaftsvertrag zwischen England und Osttnrkestan ist
endlich zu unserer großen Befriedigung unterzeichnet worden,
und unser bisheriges einförmiges Leben hat nun ein Ende.
Wir haben einen Ausflug unternommen und befinden uns
augenblicklich in Artusch in dem Erdhause des Vorstehers,
welcher über die 60 bis 70 Familien des kleinen blühenden
schaftsreise nach Kaschgar.
Ortes gesetzt ist. Aus dem Herwege besuchten wir das Grab-
mal der berühmten Heiligen Bibi Mirjam, deren Legende
stark an gewisse Thatsachen der Evangelien erinnert. Sie
war die Tochter des Sultans Satuk, welcher angeblich vor
etwa 800 Jahren lebte und Chinese war. Sein Volk ver-
ehrte Buddha. Aber als er eines Tages auf der Jagd war,
erschien ihm der Engel Gabriel in Gestalt eines Hasen und
ermahnte ihn, einen bessern Lebenswandel zu führen und
Mohammedaner zu werden. Sofort kehrte er heim und
erklärte, es gebe nur einen Gott und Mohammed sei sein
Prophet, worauf feine chinesischen Unterthanen sich sofort die
Zöpfe abschnitten (welche die Chinesen doch bekanntlich erst
Mausoleum des Snltans Satuk-Bogra-Chan in
seit der Thronbesteigung der Mandschn im Jahr 1644 haben
annehmen müssen) und ihre Bärte wachsen ließen. Dieser
glorreiche Sultan Satuk wurde iu Artusch (4 deutsche Mei-
teil nördlich von Kaschgar) begraben; dort steht jetzt ein
Tempel und daneben eine Schule. Das Mausoleum hat
eine Kuppel, welche sich über einem quadratischen Unterbaue
wölbt, an dessen vier Ecken sich Minarets mit kleinen Kup-
peln erheben. Seine Außenseite ist mit rautenförmig g^
stellten blau, grün und gelb glafirten Ziegeln bedeckt. Das
Grab selbst bekamen wir nicht zu sehen, denn die Thür war
geschlossen und von zwei Priestern bewacht, welche, die Stirn
auf der Erde, mit großer Zungenfertigkeit Gebete hersagten.
Die Wände sind mit arabischen Sprüchen bedeckt und aus
einer Seite liest man das Datum 1244 der Hedfchra (1838)
als Jahr der Wiederherstellung des Gebäudes.
Unser Wirth, Mohammed-Chan-Kudfcha, ist eine Art
Artusch. (Nach einer Photographie Chapman's.)
Feudalhäuptling; er betrachtet sich als directen Repräsentanz
ten des großen Sultan Satuk und besitzt einen so ehrwür-
digen Stammbaum, daß er im Occideute von unermeßlichem
Werthe sein würde. Sein Vater nahm an einem Aufstande
gegen die Chinesen Theil, wofür diese ihm und seiner ganzen
Familie mit Ausnahme Mohammed-Chan's den Kopf vor
die Füße legten. Letzterer ist heute etwa dreißig Jahre alt,
würdevoll, von guten Manieren, ein trefflicher Wirth und
anscheinend intelligent. Wir haben uns Freundschaft ge-
schworen; aber wäre er mein Feind, so möchte ich nicht
innerhalb der Tragweite seiner Pistolen mich aufhalten.
Am 15. Februar verließen wir unfern Wirth, dessen
Sohn, Mnsa-Chodscha, nns weiter nach Norden begleitete.
Zuerst kreuzten wir mehrere Hügelketten aus Kies und Sand,
an deren Fuße Thon von verschiedenen Farben liegt. Da
es in dieser Gegend nicht regnet, so haben die Sandhaufen
134 Von Sir Forsyth's Gesm
eine beträchtliche Höhe sich bewahrt; aber sie sind so zerreib-
lich, daß sie statt des Wassers der Wind angreift. Stellen-
weise hat der Nordwind die Sandablagerungen ausgehöhlt
und Thäler mit sast senkrechten Wänden gebildet. Die
Unregelmäßigkeit der Sandlagen macht sich oft sehr malerisch,
und der rothe, blaue und grüne Thon erhöht noch das Ab-
sonderliche des Anblicks.
Bei einem kleinen Lehmfort an der Mündung eines
Thales machten wir Halt. Es hat nur eine Besatzung von
22 Mann, liegt aber so, daß dieselbe 500 Feinden den Durch-
zug verwehren könnte. Ans den beherrschenden Felsen ringsum
liegen vier kleine Befestigungen; zwar kann jede derselben
lschastsreise nach Kaschgar.
nur wenige Vertheidiger bergen; aber dafür sind sie fast
uuersteiglich. Dem Fort gegenüber steht eine Gruppe von
Weiden und Pappeln, Mazar Sngat Karawnl, d. h. das
Heiligthum des Vorposten der Weiden, genannt; dort soll
einst Satuk auf einem Feldzuge zur Verbreitung des Islam
den Fels mit seinem Säbel geschlagen und dadurch eine
Quelle für seine verschmachtenden Soldaten hervorgelockt
haben.
Die ganze Gegend hat ein wildes Aussehen, doppelt öde
und finster gegen Abend, als wir die Stelle erreichten, wo
man für uns einige Hütten zum Nachtlager hergerichtet hatte.
Dieselben waren aber so unreinlich und stanken so sehr, daß
Hazrat-Asak's Mausoleum bei Kaschg'
wir lieber die kalten Kirghizenzelte bezogen' und in ihnen
dürftigen Schutz gegen den eisigen Nordwind suchten, der ans
der Schlucht im Gebirge hervorwehte.
Am folgenden Tage pafsirten wir die gewundene Eng-
schlucht Taugitar, welche sich in einer Breite von 10 bis
30 Fnß zwischen hohen Kalkfelswänden hinzieht, und stiegen
dann zu ausgedehnten Weidestrichen hinan, welche ein west-
östlich verlaufendes Thal vou 8 bis 10 engl. Meilen Breite
und 20 Meilen Länge bilden. Im Norden lag eine Hügel-
kette vor uns, welche dieses Plateau vou einem zweiten noch
höhern trennt und im Sommer ein Lieblingsanfenthalt der
Kirghizen ist, welche im Sommer die untere der beiden Ebenen
vorziehen. Etwa 12 Miles von Tangitar stießen wir auf
ein halbes Dutzend für uns bestimmter Akoes; daneben be-
fand sich einKirghizeulager und derBegräbnißplatz Tigar-
(Nach einer Aquarelle Chapman's.)
matti. Ein solcher besitzt in der Regel fünf bis sechs dom-
förmig gewölbter Gräber, Gnmbaz genannt, welche man von
fern für Wohnungen lebender Menschen halten kann. Das
Lager zählte nur 12 bis 15 Zelte und eine Anzahl Kamele,
Pferde und Kleinvieh. Sonst war auf der ganzen weiten
Ebene keine Spur menschlichen Lebens zu entdecken.
Am Morgen war das Thermometer auf 20 Grad unter
Nnll gefallen. Von Tigarmatti ging die Reise nach Osten
und dann im Thale des Snghuu (Sogou) hinab, wo wir
wieder aus Kirghizen mit ihren Herden stießen. Dieses
Volk sitzt in einer Stärke von etwa 30 000 Zelten in den
Gebirgen nördlich und westlich von Kaschgar" und wechselt
dort seine Standorte je nach der Jahreszeit, so daß es bald
auf russischem, bald ans tnrkestanifchem Gebiete weidet. Nur
etwa ein Drittel jener Zahl erkennt den Emir als seinen
Dr. P. Schröder: Meine zweite '
Oberherrn an. Die, welche wir gesehen, sind die elendesten
und ärmsten von allen. — Ueber Artusch kehrten wir nach
Kafchgar zurück.
Vor diesem längern Ausfluge hatten wir schon einen
kürzern, aber sehr interessanten nach dem Mausoleum des
Hazrat Asak (2 bis 3 engl. Meilen nördlich der Stadt)
gemacht. Es ist das eines der wichtigsten religiösen Gebäude
im Lande, errichtet zu Ehren des mohammedanischen Heiligen
Chodscha Hidajatallah, der unter seinem Beinamen Hazrat
Asak (d. i. Seine sehr hohe Gegenwart) besser bekannt ist
und vor etwa anderthalb Jahrhunderten starb. Neben dem
Grabmale besteht eine auf Kosten eines Sohnes des Emirs
erbaute Schule, die aus umliegenden Ländereien, ebenso wie
das Mausoleum, große Einkünfte zieht. In Kaschgarien
giebt es etwa 60 solcher religiöser Anstalten von mehr oder
weniger Bedeutung, welche seit Jakub's Thronbesteigung so
dotirt und wiederhergestellt worden sind. Schule, Moschee
und Hospiz, welche damit zusammenhängen, bilden einen
großen Gebäudecomplex, in welchem eine Bevölkerung von
ise auf Cypern im Frühjahr 1873. 135
etwa 300 Seelen lebt. Der Unterricht in der Schule wird
von einer großen Anzahl von Priestern ertheilt und hat einen
ausschließlich religiösen Charakter. Das Grabmal ist ein
viereckiges Gebäude mit flachem Dache und einem Minaret
an jeder Ecke; außen ist es mit grün glasirten Ziegeln ge-
schmückt und außerdem mit einer Menge von Gehörnen von
Steinböcken, wilden Schafen und dergleichen, welche überall
au den Wänden als Weihegeschenke angebracht sind. Eines
derselben erregte wegen seiner Größe unsere Bewunderung
und wurde von dem Vorsteher der Anstalt Herrn Forsyth
geschenkt. Ueberhanpt empfing derselbe uns, die ersten Christen,
denen der Zutritt zu dem Heiligthume gestattet wurde, mit
großer Liebenswürdigkeit, und ließ uns unter einem Zelte
auf einem Erdhügel ein Mahl auftragen. Daneben lag ein
jetzt gefrorener Teich, den schöne Weißpappeln umstanden.
Auch im Hofe des Mausoleums erhob sich eine Gruppe dieser
Bäume und ringsherum standen Obstbäume und Weinstöcke,
so daß der Aufenthalt dort im Sommer ein sehr angenehmer
sein muß.
Meine zweite Reise auf Cypern im Frühjahr 1873.
Von Dr. P. Schröder, Dragoman der Kaiserl. Deutschen Botschaft in Konstantinopel.
(Aus Briefen an Prof. Heinrich Kiepert in Berlin.)
Konstantinopel 30. Mai 1373.
Am 11. März langte ich mit dem von Aegypten und
Syrien kommenden Lloyddampfer in Larnaka an und trat,
nachdem ich an diesem uud dem folgenden Tage noch einige
Borbereitungen getroffen, am 13. März meine Reise in das
Innere der-Insel an. Abgesehen von vier bis fünf Regen-
tagen war dieselbe immer von schönem Wetter begünstigt.
Auch in diesem Winter hatte es auf der Insel nur wenig
geregnet, und das Land bot daher, mit Ausnahme der schma-
len Nordküste, welche in klimatischer Hinficht von den übrigen
Theilen Cyperns sehr abweicht, einen traurigen Anblick dar.
In der Mesäorea (der großen östlichen Ebene) waren die
Aecker ganz unbestellt, und die Felder, die sonst um diese
Jahreszeit mit mannshohem Getreide bedeckt sind, bestanden
diesmal nur in einem ausgedörrten, durch die Trockniß ge-
borstenen und hart wie Stein gewordenen Erdboden. Schon
seit sechs Jahren leidet Cypern an Regenmangel und kommt
mit jedem Jahre mehr herunter. Die Bauern wandern
massenhaft nach Syrien und nach der gegenüberliegenden
kleinasiatischen Küste aus, obgleich die Regierung ihrer Aus-
Wanderung möglichst viele Schwierigkeiten in den Weg legt.
^>enn die Trockniß noch einige Jahre andauert, wird die
^nsel schließlich ganz entvölkert werden, wie schon einmal im
lerten Jahrhundert, wo es 36 Jahre hinter einander nicht
geregnet haben soll. Vor einigen Tagen las ich auch iu
wf1- ^kspondenz des „Levant Herald" aus Cypern,
af, ,tn der Trockenheit die Heuschrecken wieder auf-
Jrc ' b0n denen Cypern seit 1869, Dank den ener-
9M )jm Maßregeln des vorletzten Gouverneurs Said Pascha,
verschont geblieben war.
Auf meinen Excnrsionen im Innern habe ich möglichst
fitVw b0n^nen vorgeschlagenen Routen innezuhalten ge-
!»? eg sich irgend durchführen ließ. Auch habe ich
lchst meme alten Routen von 1870 vermieden; nur auf
der Strecke Baffo-Limifso bin ich wieder in meinen frühern
Weg, an der Küste entlang, gefallen. Da die Gebirge schon
vollkommen Passirbar waren, beschloß ich mich zuerst nach
dem Westen der Insel zu wenden, welcher viel mehr geo-
graphische Lücken bietet, als der Osten. Von Instrumenten
führte ich außer dem Compaß noch Barometer und Thermo-
meter bei mir. Leider fehlt mir für meine Barometer-
beobachtnngen der gleichzeitige Barometerstand am Meere,
da in Larnaka kein Barometer aufzutreiben war. Doch war
im Ganzen während meiner Reise bei dem vorherrschend kla-
ren trockenen Wetter der Luftdruck wenigen Schwankungen
unterworfen.
Von Larnaka ging ich in Begleitung meines mir von
1870 her noch wohlbekannten und mir noch sehr anhänglich
gebliebenen Agogiaten Pericli, den ich allen aus Cypern
Reisenden nur warm empfehlen kann, und eines Kawassen
des italienischen Consnlats zunächst ans dem kürzesten Wege,
d. h. aus der 1870 begonnenen und erst seit Kurzem fertig
gewordenen Chaussee, welche, Aradippu rechts, Koschi,
Petrosaui und Athienu links lassend, überPirogi nach Lev-
kosia führt, nach dieser letztgenannten Stadt, um dem Pascha
einen Besuch zu machen, ihm mein Empfehlungsschreiben
vom Großvezir zu überreichen und mir ein Bujuruldu an
seine Beamten auf der Insel auszukitten. Von Levkosia
aus beschloß ich die mir noch unbekannte Nordwestecke der
Insel zu besuchen und begab mich, nach eintägigem Ausent-
halte in der interessanten Hauptstadt, nach Lapitho an der
Nordküste, und zwar, da ich den Paß von Kerynia schon
kannte, auf einem directern westlichen Wege, der außerordent-
lich beschwerlich war und auch in bedeutenderer Höhe über
den Gebirgskamm führt, als jener. Ich berührte dabei die
Dörfer Göneli (eine Stunde von Levkosia), Photada und
Plessa und stieg dann auf der andern Seite hinab nach dem
großen Dorfe Karava, dem Nachbarorte von Lapitho.
136 Dr. P. Schröder: Meine zweite 3
Beide sind nur etwa fünf Minuten von einander entfernt
und bilden fast ein Ganzes. Es sind zwei der größten und
wohlhabendsten Dörfer Cyperns, die von etwa 1000 Fami-
lien, wovon 400 auf Karava und 600 auf Lapitho kommen,
bewohnt werden. Von Karava reitet man noch eine Viertel-
stunde durch die außerordentlich fruchtbare Ebene nach dem
hart an der Meeresbrandung gelegenen griechischen Kloster
AiEQOTCoLiqtos (spr. 51s d)ei-op>uto), wo ich bei den Möu-
chen übernachtete. Ich war sehr überrascht von dem auf-
fallenden Unterschied in der Vegetation zwischen der Süd- und
Nordseite der nördlichen Gebirgskette. Die ganze Nordküste,
namentlich aber die nächste Umgebung der an Quellwasser
sehr reichen beiden genannten Dörfer, glich einem großen
Garten; hier hatte es im Winter ausreichend geregnet, und
selbst ohne Regen würde diese Gegend im Frühling ihre
üppige Vegetation kaum verlieren, da die Bäche Jahr aus
Jahr ein in reicher Fülle vom Gebirge herabsließen. An
Mühlen zählte ich eine ganze Menge.
Von Ascheropiito schlug ich den am Fuße des Gebirges
etwa in einer Entfernung von einer halben Stunde vom
Meeresstrande hinführenden Weg nach V asilia ein, welches
von Lapitho 1V2 Stunden entfernt ist, und wandte mich
von da wieder über das Gebirge nach Süden zu dem ziem-
lich großen Dorfe Larnaka, welches auf dem Südabhange
des Gebirges ungefähr auf halber Höhe liegt und zum Unter-
schiede von der Scala Larnaka „Accqvcmci Aani&ov" ge-
nannt wird. Bei demselben liegt das Kloster Kathari,
eine Filiale des Monastir Aios Panteleimon, wo ich logirte.
Man hat von ihm aus einen guten Ueberblick über die tiefer
liegenden maronitischen Bergdörfer. Die Bodenformation
ist in dieser Gegend merkwürdig zerklüftet und zerrissen. In
Larnaka copirte ich mehrere griechische Inschriften, darunter
auch die schon von Waddington (Inscriptions grecques et
latines recueillies en Grece et en Asie Mineure, III,
7. partie „Ile de Chypre" Nro. 2779) herausgegebene,
aber nicht genau copirte, welche ein Ehrendecret des Erz-
Priesters Praxidemos und der Priester des Poseidon für den
Bürger Numeuios enthält. In der sechsten Zeile ist dent-
lich tov Iloöeidcjvos vov Nuqvcmlov zu lesen und
nicht, wie Waddington giebt, Amqvcmlov. Letztere Lesung,
aus welcher Waddington schließt, daß „l'ancien nom de la
localite devait aussi etre Larnax", liegt sehr nahe; doch
habe ich trotz wiederholter Prüfung des Steines nur ein N
gelesen, und auch mein Papierabdruck weist auf ein N hin.
Danach hieß der alte Ort, der hier lag (es sind auch Grä-
ber dort gefunden), Narnax, woraus man später nach Ana-
logie der Hafenstadt Larnaka „Larnax" oder „Larnaka"
machte, — inan müßte denn annehmen, was auch nicht nn-
möglich ist, daß in jener Inschrift das ^einfach für A ver-
schrieben ist. Ferner copirte ich bei Larnaka die merkwürdige
zweisprachige, phönizisch-griechische Inschrift, welche ein ge-
wisser Praxidemos zum Andenken und zur Verherrlichung
des Sieges des Ptolemäus Soter über Antigonus stiftete.
Der Stifter war offenbar ein Phönizier; er hieß Baalfchil-
lem, denn diesen Namen hat der phönizische Text statt
nQu^Ldrjiiog. Danach waren (trotz Engel) auch in diesen
Gegenden wahrscheinlich Phönizier angesiedelt (auH der Name
Lapathos scheint phönizisch zu sein; vergl. Leptis in Nord-
afrika), die aber allmälig ganz vom griechischen Element ver-
drängt oder absorbirt wurden. Unsere Inschrift zeigt, wie
schon zur Ptolemäerzeit die Phönizier griechische Namen an-
nehmen. Die (bereits von Vogue publicirte) Inschrift ist
in ganz feinen Zügen ans einem conisch geformten, scheinbar
künstlich angelegten, aber natürlichen hohen und sehr in die
Augen fallenden Felsen eingeritzt, den die Larnakioten Lar6-
Petra nennen.
ise auf Cypern im Frühjahr 1873. »
Von Kathari ging ich in westlicher Richtung über Kam-
bili, wo nur noch wenige Maroniten wohnen, und Margi
(nur noch eine verfallene Kirche, kein Dorf) nach Myrtn,
einem Dorfe, in welchem das Kloster des H. Panteleimon,
jetzt Sitz des Bischofs von Kerynia, liegt. Etwa 1/i Stunde
davon entfernt liegt das Maronitendorf Karpasia. Die-
ses lassen wir links und gehen in westlicher Richtung weiter
in 20 Minuten nach Diärios (AioQrjyos). Alle letzt-
genannten Ortschaften liegen in derselben Hochebene, und
zwar Myrtn westlich von Margi und dieses wieder westlich
von Kambili. Hinter Diorios senkt sich die Hochebene nach
dem Meere zu ab. Hier beginnt im Westen und Norden
der Akamantische Wald, aus niedrigen Fichten, Cypres-
sen und Gestrüpp bestehend; anderthalb Stunden ritten wir
durch die einsame Wildniß, in welcher eine erstickende Hitze
herrschte. Südlich daran schließt sich die Ebene von Morfn,
von dem Walde durch ein Flußbett getrennt, welches jetzt
natürlich vollkommen trocken ist. Dieselbe ist in ihren nörd-
lichen Theilen sandig und daher dort nur stellenweise bebaut.
Nach dreistündigem Ritte (von Divrios aus) kamen wir in
M orsu, dessen Glockenthurm schon längst uns sichtbar war,
an und stiegen in dem stattlichen Monastir des H. Mamas
ab. Vom Kirchturme aus nahm ich mit der Bussole die
verschiedenen sichtbaren Dörfer der Umgegend auf, wie ich
das Gleiche fchon auf dem höchsten Minaret des Domes der
Hagia Sosia in Levkosia gethan hatte. Von Morsu ging
es dann weiter durch Nikita, Kokkino Prastio, Kasivera, an
Pentagia und dem nahe dabei gelegenen Monastir Xeropo-
tamo vorbei nach Levka, um von dort aus die jungfräuliche,
selbst den Cyprioten so gut wie unbekannte Landschaft
Tylliria (am Nordwest-AbHange des Troodes) zu bereisen.
In Levka schüttelten die Leute bedenklich den Kopf über
meine absonderliche Idee, in die Tylliria zu gehen; man
schilderte mir die Einwohner als halbwilde, nur nothdürftig
in Lumpen gehüllte Menschen, die in Erdlöchern wohnten,
und bei denen ich außer grobem Gerstenbrot nichts zu essen
finden würde. Die Leute ständen dort so tief in der Cnltur,
daß sie nicht einmal recht wüßten, ob sie Mohammedaner
oder Christen seien n. s. w. Diese Nachrichten reizten meine
Neugierde noch mehr, und noch desselben Tages, an beut ich
nach Levka gekommen war, brach ich auf, um noch Galini,
das Levka am nächsten liegende Dorf der Tylliria, zu errei-
chen. Als Wegweiser in diese unwirkliche Gegend, wo alle
Wege aufhören, diente mir ein Kawaß des Mudirs von
Levka. Wir gingen zunächst nach Norden nach dem Meere
zu fast bis Karavostasi und wandten uns dann in einer Ent-
feruung von etwa y4 Stunde vom Meere, das Trümmer-
feld von Soli, „Paläochora", zur Rechten lassend, nach Westen
in das von Kampos kommende Thal, dessen Fluß noch reich-
liches Wasser führte. Dieses verfolgten wir etwa eine Stunde
lang aufwärts, verließen es dann aber und wandten uns in
die rechts, d. h. dein Meere zugelegenen Berge. Nachdem
wir eine halbe Stunde auf schrecklich steilem Fußpsade in
die Höhe geklimmt waren, erreichten wir Galini, das erste
Dorf der Tylliria, welches ziemlich hoch, dabei aber in einem
kraterähnlichen Kessel gelegen ist, so daß es erst sichtbar wird,
wenn man unmittelbar davor steht. Die ganze Gegend hat
etwas Alpinisches; sie ist mit frischem Rasenbodeu bedeckt
und die Häuser sind alle einzeln an den Abhängen angeklebt.
Die mir gemachten Mittheilungen über den Culturzustaud
der Bewohner waren nicht übertrieben. Sie gingen sehr
zerlmnpt und waren meist in grobe selbstgesponnene Sack«
leinwand gekleidet, die durch ihren langen Gebrauch allmälig
von Schmutz schwarz geworden war. Bunte Leinwandstosse,
die sonst bei den Cyprioten sehr beliebt sind, sah ich nur sel-
ten. Tische, Stühle, Betten n. s. w. sind vollkommen nn-
Dr. P. Schröder: Meine zweite R
bekannt; die Leute schlafen aus der bloßen Erde, wie die
Hunde. Ich übernachtete bei dem reichsten und vornehmsten
Einwohner, den ich unterwegs getroffen hatte; seine Hütte
war frei, da er mit seiner Familie in Kampos wohnte. Ein
Bett, d. h. ein Strohsack, war für mich im ganzen Dorfe
nicht aufzutreiben, ein solcher Luxusartikel existirt in der Tyl-
liria nicht; ich mußte daher wirklich auf harten Brettern
schlafen, so daß mir am andern Morgen alle Glieder steif
waren. Kaffee, ein Artikel, der sich doch sonst überall im
Orient, selbst in den ärmlichsten Nestern findet, war in Ga-
lini nicht zu erhalten. Die meisten Bewohner der Tylliria
kommen nie aus ihren Bergen heraus; wer Levkosia und die
„Scala" gesehen, ist ein weitgereister Mann. Levkosia, die
„jro/Ug", ist ihnen der Inbegriff alles Schönen und Treff-
lichen. Die Leute schienen mir sehr gutmüthig, aber im All-
gemeinen nicht sehr intelligent zu sein. Frauen und Kinder
waren mir gegenüber außerordentlich furchtsam und scheu;
sie sahen sicherlich einen Europäer zum ersten Male in ihrem
Leben. Des Abends hatte sich eine große Corona von Dorf-
bewohnern um meine Hütte versammelt, die in stummer ehr-
furchtsvoller Verwunderung den seltsamen Fremdling an-
staunten. Und wenn ich jemanden anredete und irgend eine
Frage an ihn richtete, so wich er meist scheu zurück.
Von Galini ging ich über das westlich von dort gelegene
Lutro nach Pyrgo, dem Hanptdorse der Tylliria. Der Weg
dorthin ist außerordentlich beschwerlich, da er immer bergauf
bergab führt und fortwährend Thäler, welche von Süden
nach Norden, d. h. nach dem Meere zu laufen, quer durch-
schneidet. Das bedeutendste dieser Thäler ist das des Flusses
Limnitis, welches an der Stelle, wo wir es überschritten,
etwa eine halbe Stunde vom Meere entfernt, ziemlich breit
ist und auf seiner Sohle noch für Oelbaum- und Feigen-
anpflanznngen hinreichenden Raum bietet. Ehe man den
letzten Höhenzug hinansteigt, auf welchem Pyrgos in beden-
tender Höhe liegt, überschreitet man noch das Flußthal des
Platys, welches an Wassermenge dem des Limnitis gleich-
steht und in dieser Gegend mit Oel-, Feigen- und Karnben-
bäumen sowie mit Getreide gut angebaut ist. Nach einem
äußerst mühseligen Ritte über holperige, steinige, oft sehr
steile Fußpfade, auf denen ein Pferd nicht gehen kann, son-
dern nur der Esel und Maulesel, kamen wir in dem ein-
samen, von aller Welt abgeschlossenen Dorfe Pyrgos oder,
wie es auch genannt wird, Lakkos Linardn, an. Zu der
Strecke Galini-Pyrgos, die in directer Entfernung höchstens
IV2 Stunden beträgt, hatten wir in Folge des schwierigen
Terrains und der schlechten Wege gerade 3V2 Stunden
gebraucht.
Die Tylliria ist nur sehr spärlich bevölkert, und sämmt-
liche Ortschaften liegen in der Nähe des Meeres, eine halbe bis
eine Stunde von diesem entfernt, im Gebirge. Am User des
Meeres selbst liegt kein einziger Ort; den Grund hiervon
haben wir in den Raubzügen der Piraten im Mittelalter
zu suchen. Das Innere des Gebirgsdistrictes ist ganz nn-
bewohnt, mit Fichtenwäldern bedeckt und ohne Commuui-
cationswege. Die Landschaft umfaßt folgende Ortschaften,
von denen einige nur aus ein paar Hütten bestehen: Galini,
Ammadiäs, Pyrgos-Haleri-Piennia (diese drei liegen nahe
bei einander), Lutro, Varlsia, Aios Theodoros, Ampelia,
^erüvuno-Messili (die genannten Orte liegen im Kaza von
^evka, die folgenden im Kaza Chryfochu), Kokkiua, Pachy-
namos, Pumos, Livadi, Haia Marina, Saliä, Argäka, Ma-
funda, Kinnsa. Lisso und Pelathusa gehören nicht mehr
Zur Tylliria, welche im Osten durch das von Levka nach dem
Kloster Kykku hinausführende Thal von Kampos, welches
zur Landschaft Marathäsa gehört, begrenzt wird.
Daß der Dialekt der Tyllirioten manche Eigentümlich-
Globus XXXIV. Nr. 9.
ise auf Cypern im Frühjahr 1873. 137
keiten habe, wurde mir von gebildeten Eyprioten bestätigt.
Mir war derselbe fast ganz unverständlich; dagegen konnten
sich meine beiden Begleiter, obgleich sie nie zuvor in dieser
Gegend gewesen waren, ganz geläufig mit ihnen unterhalten.
Einige Ausdrücke sielen mir auf, z. B. 6v[tßaMs rag
av&QCMius („schüre die Kohlen zusammen" statt des sonst
üblichen Gvvags); avaöna kql&ciql („ich ziehe Gerste
aus," d. h. ich mähe, für noTttco UQi&aQL); die kleinen
Fichten heißen Ttitvdici (statt ntvxcug), vom altgriechischen
Ttitvg, die Mutterschafe roxaösg (von twctö, rexa, ge-
bären) statt des sonst dafür gebräuchlichen ysvrjiisvcag-,
der Stamm tskgj ist im Neugriechischen sonst gar nicht mehr
erhalten. .Den Herd nannte man nistia (=sötLa). Ich
hätte gern Volkslieder gesammelt; aber bei dem merkwürdig
scheuen Wesen der Bewohner war es mir trotz Geld und
gnter Worte schlechterdings unmöglich, ihnen tQuyovdca
abzulocken. Leider hatte ich keinen Wein bei mir, der ihnen
ganz sicherlich die Zunge schon nach dem ersten Glase gelöst
haben würde. Ohne Wein, d. h. ohne Stimmung und Ver-
aulassuug, Tragudia zu singen, schämten sie sich. Vollends
kam ihnen meine Zumuthuug, dieselben nicht, wie es sich ge-
hört, mit möglichst lauterund hoher Stimme zu siugeu, son-
dern langsain vorzusagen (beim Gesang kann man nämlich,
da die Silben immer in langer gellender Tremolirung ge-
zogen werden, gar nichts verstehen) — dies kam ihnen höchst
sonderbar vor. So gelang es mir, nur einige Verse zu
sammeln, die mir mein Wirth in Pyrgos auf besonderes
Zureden vorsagte.
Es war meine Absicht, von Pyrgos aus in westlicher
Richtung weiter durch die Tylliria vorzudringen und dann
mit südöstlicher Wendung über Lisso, Sarauiä und Aspro
Panagia nach dem Kykkos-Kloster hoch oben im Troodes-
Gebirge hinaufzusteigen, welches der berühmteste selbst von
Russen besuchte Wallfahrtsort der Insel ist und ein angeb-
lich voni H. Lukas selbst gemaltes Bild besitzt. Aber die
Beschwerlichkeit des Reisens in der Tylliria, der Mangel
an Praktikabelen Wegen, die Müdigkeit unserer Manlthiere,
welche durch das fortwährende Aus- und Absteigen sehr mit-
genommen waren, die Unlust meines Agogiaten, der seine
Thiere zu schonen wünschte, — ferner aber auch die wenig
erfreuliche Aussicht acht Tage lang nichts als Wasser und
Brot, höchstens noch Eier zu essen (denn zu Schnecken und
Zwiebeln konnte ich mich nicht entschließen) und auf hartem
Boden ohne Bettsack zu schlafen, alles dies znfammengenom-
men mit der geringen Zugänglichkeit der Bewohner, die mir
auch für die linguistische Ausbeute nur wenig versprach, be-
stimmte mich die Tylliria zu verlassen und auf einem kürzern
Wege nach dem Kloster tu Kykku hinaufzuklettern. Ich
entschloß mich hierzu um so leichter, als uach den Angaben
der Bewohner von Pyrgos die von mir nicht besuchten Dör-
fer der Tylliria fämmtlich nicht weit von der mir fchon von
meiner ersten Reife her bekannten Meeresküste ab liegen.
Daher wählen die Tyllirioten, wenn sie z. B. von Pyrgos
oder Galini nach Pnmo oder nach Polis gehen, stets den
bequemen Küstenweg und niemandem füllt es ein, die be-
schwerlichen Gebirgspfade zu benutzen, welche eine Menge
von Thälern und Schluchten, die sich nach dem Meere zu
öffnen, durchschneiden. Da ich den Küstenweg kannte und
andererseits auch nicht auf demselben Wege, den ich gekom-
men, nach Levka zurückkehren wollte, so beschloß ich in süd-
südöstlicher Richtung quer durch die tyllirische Waldwildniß
nach Kampos zu gehen, welches fünf starke Stunden von
Pyrgos entfernt ist. Bei den schauderhaften Wegen und der
vollständigen Unbewohntheit dieses Waldgebirges war diese
Tour ohne einen mit der Gegend vertranken Führer nicht
auszuführen. Wir nahmen einen solchen in der Person eines
13
138 Dr. P. Schröder: Meine zweite l
Bauern von Pyrgos mit. Bis zum Limnitis-Flnsse wurde
der gestern zurückgelegte Weg wiederholt; dann ging es ein
enges Seitenthälchen nach Südosten aufwärts, an dessen
Ende hoch oben Aerovuuo liegt. Dieses lassen wir links lie-
gen und gehen zuerst nach Varisia, welches nur 7 a bis
3/4 Stunden von Galini entfernt ist, dann nach Süden quer-
durch den Fichtenwald, an tiefen Schluchten vorbei, oft hoch
oben auf schmalen Berggraten hinreitend. Die Berge fallen
oft zu beiden Seiten in schwindelerregender Steilheit ab.
Nach 2 ^stündigem Ritte durch den einsamen, aus niedrigen
jungen Fichten bestehenden Wald erreichen wir endlich das
Thal von Kampos; es ist eng, romantisch und reich an
üppiger Vegetation und steht in seltsamem Contrast zu den
eben durchmessenen Walddistricten. Die Hänge sind mit
Weinbergen bedeckt, zu denen das nöthige Terrain erst durch
Ausrodung des niedrigen Waldes gewonnen ist. Von der
Stelle, wo unser Waldpfad in das Thal einmündet, bis zum
Dorfe Kampos hatten wir noch 5/4 Stunden zu reiten.
Kampos, ein ziemlich großes Dorf, welches einen behäbigen
Eindruck macht, liegt sehr hoch. Die Felder rings herum
und das ganze Thal abwärts, soweit dessen Sohle Raum
bietet, sind sehr gut bebaut. Der Wein von Kampos ist
nicht übel: er hat den Geschmack des Komandaria, ohne so
süß zu sein.
Von Kampos, dessen Thal sich eine halbe Stunde weiter
hinauf oberhalb des Dorfes Zakistra schließt, führt ein
guter hochromantischer Weg über letzteres nach dem berühm-
ten Kloster rov Kvkxov hinauf, stets auf dem Grate von
Bergen entlang, so daß man rechts und links immer in die
tiefen, sehr steil abfallenden, mit Fichten bestandenen Ab-
gründe hinabschaut. Ju dem Kloster, das mitten im Walde
in einer Einsattelung liegt, wurde ich von den Mönchen,
etwa 100 an der Zahl, sehr freundlich aufgenommen und mit
einem sehr opulenten Frühstück bewirthet. Auch erhielt ich
von einigen der jungen Hieromonachi sehr werthvolle Auf-
schlüsse über die Geographie der Umgegend. Nach den Stra-
pazen der letzten Tage empfand ich die freundliche Aufnahme
zu Kykkos sehr augenehm, und ich hätte wohl daran gethan,
das Anerbieten der Mönche, dort zu nächtigen, anzunehmen.
Ich hatte mir aber vorgenommen, noch selbigen Tages Pro-
dromo zu erreichen nud verabschiedete mich deshalb, leider
etwas zn spät, Nachmittags 3 Uhr, vom Kloster, beging aber
die Unvorsichtigkeit, keinen Führer mitzunehmen. Die Folge
war, daß wir uns mehrere Male verirrten und schließlich
statt nach Prodroms in das Thal des Quellbaches des Flus-
ses Diorizos, der bei Kuklia mündet, gelangten. Anderthalb
Stunden gingen wir über Steingeröll und Felsblöcke in der
stockfinstern Nacht dem Bache entlang abwärts in der Hofs-
nung, auf ein Dorf zu stoßen. Aber schließlich gaben wir
dieselbe auf und sahen uns gezwungen, in einer sehr respec-
tabelen Höhe in? Freien zu campiren. Zun: Glück war die
Nacht trotz der Jahreszeit (21. März) nicht allzu kalt (vor
Sonnenaufgang zeigte das Thermometer 6° R.); auch such-
ten wir uns durch eiu wohlgenährtes und während der ganzen
Nacht uuterhalteues Feuer gegen die Kühle zu schützen. Am
Morgen erfuhren wir von einem Bauer, daß wir uns in
der Nahe des Dorfes Triseliäs, welches nur 1fi Stunde
abwärts liegen sollte, befänden. Von nnserm Nachtquartier
hatten wir noch 1 1/2 Stunden in nordöstlicher Richtung über
Lemithu nach Prodroms, dem höchsten Dorfe der Insel, wo
die Vegetation noch sehr zurück war, hiuauszusteigeu. Früh
8x/2 Uhr langten wir dort an. Unsere Manlthiere, die den
Abend vorher nichts zu fressen bekommen hatten und mit
hungrigem Magen noch den steilen höchst mühseligen Weg
nach Prodroms hinaufklettern mußte«, waren todtmüde. Ich
stieg in dem besten Bauernhause, an dessen Besitzer, einen
ise auf Cypern im Frühjahr 1873.
jungen intelligenten Griechen, ich von Kathara aus eine
Empfehlung hatte, ab. Jeder, welcher den Troodes, dessen
Gipfel vom Dorfe in 2 bis 2^/2 Stunden zu erreichen ist,
besteigen will, Pflegt hier Quartier zu machen und sich von
dem Besitzer führen zu lassen. Mein Wirth erinnerte sich
noch sehr wohl Uuger's und Kotschy's, welche vor zehn Iah-
ren einmal eine Woche lang im Hanse seines Vaters gewohnt
hatten, und erzählte außerdem von einem jungen französischen
Gelehrten, der vor einigen Jahren bei ihm logirt und auf
den Berg gestiegen sei.
Nachmittags erstieg ich in 2y2 Stunden den Troodes.
Es war ein sehr warmer Tag; das Thermometer zeigte auf
der höchsten Spitze noch 17"R., das Barometer genau 600.
Von dort machte ich Beobachtungen mit der Bussole. Oben
lag noch Schnee, aber nur in einzelnen zerstreuten Feldern,
während nach Aussage meines Führers der Berg in dieser
Jahreszeit gewöhnlich noch ganz damit bedeckt ist und
auf dem von uns eingeschlagenen Wege des Schnees wegen
kaum zu ersteigen ist; der diesjährige Frühling sei abnorm.
Die Aussicht von oben ist wirklich imposant und äußerst
großartig; sie erinnerte mich an den Brocken; man übersieht
fast die ganze Insel. Der höchste Gipfel ist ganz kahl; nur
Moose und eine Art Herbstzeitlose, deren Blüthen aus der
Schneedecke hervorsahen, wuchsen hier. Die unteren Par-
tien des Gipfels dagegen sind mit mächtigen Fichten bedeckt,
welche etwa 20 Minuten oberhalb Prodroms bei der Qnelle
Vrysi beginnen. Leider geht dieser alte Fichtenwald, der
letzte Rest des einstigen Wälderreichthums der Insel, mehr
und mehr seinem Untergange entgegen, da die Regierung
gar nichts gegen die systematische Entwaldung durch An-
brennen der Stämme (die Bauern bedienen sich statt der
Säge, welche sie noch nicht kennen, des Feuers) thut.
Unter den drei von Prodroms ans sich darbietenden
Touren (durch das Thal des Diorizos, der bei Kuklia, das
des Platräs-Baches, der bei Episkopi unweit der Ruinen
von Kurion mündet, oder auf dem directesteu Wege durch
das Basfische Kalkgebirge nach Baffo [Paphos] wühlte ich
nach langem Schwanken die letztere nach Westsüdwesten füh-
rende, obwohl sie landschaftlich die am wenigsten interessante
und lohnende war, hauptsächlich um einige Klarheit in die
noch nie genau festgestellten Positionen der Baffischen Berg-
dörfer zu bringen. Ich ging also von Prodromo das enge
romantische Thal von Paläomylo hinab, in welchem der
Gießbach Eharki fließt, der sich aber bald mit dem von Trise-
liäs kommenden Diorizos vereinigt, verfolgte sodann diesen,
den Hauptstrom, noch zwei gute Stunden abwärts, trat end-
lich auf einer soliden steinernen Brücke auf das linke Ufer
des Diorizos über und schlug dann, die jenseitigen Berge
hinaufreitend, den Weg nach dem noch drei Stunden ent-
fernten Bresia (spr. Vrescha) ein. Der Weg führte bei kei-
nem Dorfe vorbei, sondern nur an einer Mühle, genannt
Rudia, welche von dem etwa eine Stunde aufwärts eutfprin-
genden Flusse Xeros *) getrieben wird (derselbe fließt dem
Diorizos fast parallel und mündet unweit westlich desselben).
Von dort führt ein directer Weg in Westsüdwestrichtung
quer über den breiten Gebirgsrücken über Kilinia, Galatarga,
H. Photis und Hnlu nach dem Flusse von Kurdakas, welcher
bei letztem Dorfe überschritten wird 2).
x) Derselbe berührt auf seinem untern Laufe die Ortschaf-
ten Malunta, Sindi, H. Marina, Stavrokonu, Nata, Hole-
drika u. s. w.
2) Derselbe kommt von Kanaviu und Melamiu und fließt
bei Hulu, Lemona, Kurdakas, Letimbu, Kaläpia, Pitarku, Mo-
ronero, Amargäti, Apilu und Piskopi vorbei und mündet als
Potanios tis Ezusas bei Achelia (spr. AsckMa) zwischen Baffo
und Kuklia.
F. v. Richthofen's Bemerkungen zu Prschewalski's Entdeckung des Lob-nor.
139
Hinter Kurdaka steigt der Weg wieder in südwestlicher
Richtung aufwärts nach Letimbu, Kaläpia und Tsada, wo
man die höchste Höhe erreicht, und die Ebene von Paphos
vor einem liegt. Von Tsada bis Ktima (in der Ebene
unweit Paphos) hinab gebraucht man zwei Stunden; der
Weg führt zwischen den benachbarten Dörfern Messogi (links)
und Tremithusia (rechts) hindurch, läßt Konia und Anavargo
links, Chloraka, Petridia, Emba und Lemba rechts. Ich
habe die Lage dieser Bergdörfer über Baffo von Ktima aus
mittelst des Compasses zu bestimmen gesucht, so weit sie
vom Dache der bischöflichen Metropolis, wo ich logirte, ficht-
bar sind.
In Ktima wurde ich durch anhaltenden Regen, verbnn-
den mit Südsturm, anderthalb Tage zurückgehalten. Ich
benutzte meine Zeit dazu, trotz des Regens noch einmal nach
dem Trümmerhaufen (südlich von Ktima am Meere), der
den Namen Baffo führt, und nach der Felsengräberstadt
Paläokastro (westlich von Ktima am Meere) zu gehen. In
Ktima wurden mir zwei gut erhaltene Inschriften in söge-
nannten cypriotischen Charakteren, angeblich im Dorfe Drimu
von einem Bauern gefunden, zum Kaufe augeboten. Ich
beeilte mich, diese kostbaren Steine sogleich zu erwerben, mußte
mich aber später in Larnaka überzeugen, daß die Inschriften
gefälscht seien. Selbst in diese von aller Cnltnr und allem
Fremdenverkehr abgeschlossenen Gegenden ist also der Schwin-
del und Betrug schon vorgedrungen!
Von Ktima ging ich auf meiner alten Route am Meere
entlang ostwärts über Kuklia nach Limasol, der einzige
Weg neben der Strecke Athienn-Larnaka, welchen ich zweimal
gegangen bin, weil es sich nicht vermeiden ließ. Zwischen
Baffo und Kuklia münden au größeren Flüssen 1. dicht vor
Achelia der Potamos tis Eznsas, 2. 15 bis20 Minuten
vor (d. h. westlich von) Kuklia der Teros und 3. fünf Mi-
nuten weiter östlich der größte von allen, derDiorizos. Ueber
ihn, wie über den ersten, führen steinerne Brücken. Hinter
Kuklia mündet als vierter der C h a p o t a m i; er soll am Troodes
in der Gegend von Tornarides entspringen; doch habe ich mir
ftber seinen Lauf keine sicheren Angaben verschaffen können, weil
auch bei den Cyprioten dieser Gegend über deren Hydro-
graphie eine unglaubliche Verwirrung herrscht. Bei Epis-
kopi mündet derKuris oder, wie ich ihn inLimisso nennen
hörte, Karis, der am Troodes bei Moniates entspringt.
Mitten durch Limisso fließt der G arillis; eine Stunde öst-
licher und ihm parallel der Fluß von Jermasoia, der am
Gebirgsstock der Adelphi oder, wie die Cyprioten, denen der
Name „Adelphi" unbekannt ist, sagen: an der Paputza ent-
springt. Diese vorstehenden Angaben *) habe ich in Limisso
gesammelt. Gern hätte ich die Gebiete am Südabhange
des Troodes und der Paputza selbst besucht, um ein klares
Bild namentlich von der Richtung der verschiedenen Flnß-
thäler und die Lage der hier sehr zahlreichen, durch Weiubau
bemerkenswerthen Ortschaften zu gewinnen; aber ich war
schon über 14 Tage unterwegs, meine Pferde von den Ge-
birgstonren schon sehr mitgenommen und frische Maulthiere
waren in Limisso nicht zu bekommen. So beschloß ich die
Gebirge nördlich von Limisso später, nach Bereisung des
Ostens der Insel, in einer eigens dazu bestimmten Excursion
zu durchforschen — ein Plan, welcher wegen der Kürze der
Zeit nachher leider nicht zur Ausführung kam —, und die
mir von Ihnen empfohlene Route Limisso-Dä.li (südlich
von Levkosia), welche wenig Schwierigkeiten darbietet, ein-
zuschlagen. Dieselbe führt in nordöstlicher Richtung über
Amathns, Pentäkomo, Mari, Tochri, bei Skarino vorbei
hinab in das Thal des (nach Süden fließenden) Pentaschino,
dann am westlichen Fuße des Berges Slavrovuni entlang,
nach dem Kloster H. Thekla, bei Alhambra (links) und Limpia
(rechts) vorbei nach Dali. Bon dort ging ich westlich nach Pera
und das Thal des Pidias nach Levkosia hinab, benutzte von
da aus zwei Stunden die Chaussse, bog dann links ab über
Margu nach Ath ienn, wo kürzlich wieder interessante Funde
bei dem Orte ,,'stus Gvrgus" (Golgoi) gemacht sind, und
erreichte über die Kakiskala Larnaka.
Ueber meine Excnrsion nach dem Osten werde ich Ihnen
in meinem nächsten Briefe berichten. Meine epigraphische
Ausbeute ist weniger reich ausgefallen, als die geographische
ich habe drei Fragmente nnedirter phönizischer Inschriften
aus Kition, eine cypriotifche Inschrift ans Phyla und eine
Reihe meist kurzer griechischer Grabinschriften copirt.
i) Sowie noch eine Anzahl anderer rein topographischer,
welche hier fortgeblieben, aber auf Heinrich Kiepert's Karte von
Cypern (Berlin 1878) verwerthet worden sind.
F. v. Richthofen's Bemerkungen zu Prschewalski's Entdeckung
des Lob-nor.
In der Sitzung der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
f°v 6- April 1878 gab Herr von Richthofen eine Reihe
/rl Bemerkungen zu Prschewalski's Reiseresultaten
„• "Globus" XXXIII, S. 187, 198, 215 und 231),
ess/V^^" ^er den Lob-nor selbst von großem Inter-
den N t mi^ ^el Ueberzengendes haben. Wir entnehmen
S i2i t^un9cn genannter Gesellschaft (Bd. V, Nro. 4,
See ta 144) nachfolgende Ausführungen über jenen
um*!*. ^n°ch immer nicht völlig aus dem ihn bisher
umgebenden Dunkel hemuSge.wen zu fein scheint,
ftn-r auf das Wasserbecken des Lob-nor — sagt
arfivrtAf" — haben die Resultate Überraschungen
iimtfi., ^ *ücl5 die Meereshöhe anlangt, welche den Ver-
den noch auch in Anbetracht der umgeben-
nock nrf,^t' beren Wüstencharakter wohl bekannt war,
' auc9 m Hmsicht auf die geographische Länge seiner
Lage, welche verhältnißmäßig wenig von der früher ange-
nommenen abweicht — das Ueberraschende und Auffallende
besteht darin, daß Prschewalski das letzte Reservoir des Tarym
viel weiter südlich fand als die Karten und chinesische Be-
richte es angaben, und daß er einen Süßwassersee antraf,
wo wir Salzwasser mit Notwendigkeit voraussetzen muß«
teu. Der Tarym ergießt sich nach der Darstellung unter
39V20 nördl. Br. und 89^ östl. L. in einen See Namens
Kara-buran, tritt aber am jenseitigen Ende wieder heraus
und bildet einen zweiten See, den Tschök-knl oder Kara-
Koschuu. Der erste ist 30 bis 35 Werst lang und 10 bis
12 Werst breit, der zweite hat eine Länge von 90 bis 100
Werst bei einer Breite von 20; seine Tiefe beträgt 2 bis 3,
selten 4 bis 6, stellenweise 10 bis 13 Fuß. Bor dreißig
Jahren war der See tiefer, dann fiel er allmälig und seit
sechs Jahren ist er wieder im Zunehmen begriffen. Endloses
18*
140 F. v. Richthofen's Bemerkungen zu %
Schilfgestriipp bedeckt die seichteren Theile. Das Wasser
ist klar und süß, nur an den Ufern salzig, und dort breitet
sich eine Zone von vegetationslosen Salzmooren aus. An
dem nach Süden allmälig aufsteigenden Land sieht man die
Anzeichen von ehemaligen weit höheren Wasserständen. Nach
Nordosten geht der See in einen Salzsumpf über, welcher
mit Sandwüste wechselt.
Der erste See (Karaburau) ist nach dieser Darstellung
nur ein Klärungsbecken, dessen Wasser im Wesentlichen mit
denl des einmündenden Flusses gleichartig sein muß und nur
im Sommer durch starke Verdunstung ein wenig geändert
werden wird. Auch sein Fischreichthum ist daher leicht zu
erklären. Aber staunenerregend ist der Bericht über das
zweite Becken, welches dem wirklichen Lob-nor entsprechen
und das letzte Verdunstungsreservoir des Tarym sein soll.
Es kann als eine absolute Unmöglichkeit bezeichnet werden,
daß ein Seebecken, welches durch eine Reihe geologischer Pe-
rioden die Function einer fortdauernd durch einen großen
Fluß gespeisten Salzpfanne gehabt hat, süßes Wasser enthält
und Fischen zum Aufenthalt dient. Dies würde selbst dann
nicht denkbar sein, wenn das ganze Stromgebiet des Tarym
in Gegenden läge, welche nach gewöhnlichem Begriff völlig
salzfrei wären. Hier aber ist der Boden in allen Gebieten,
aus denen das Wasser zusammenströmt, so reich an Salz,
daß Brunnen süßen Wassers zu den Ausnahmen gehören
und nur unniittelbar an den Gebirgsrändern vorkommen.
Selbst in den Hochgebirgen sind salzhaltige Beckenablagerungen
überall vorhanden, und in den 11 000 Fuß hohen Thälern
des Altyn-tagh fand Prschewalski nur salzhaltiges bitteres
Wasser. Die Flüsse führen daher nicht nur die löslichen
Producte der Zersetzung der Gesteine herab, sondern laugen
fortdauernd die salzhaltigen Gebilde aus. Das Wasser des
Tarym muß mithin einen größern Betrag von Salzen ent-
halten als dasjenige beinahe aller anderen größeren Flüsse
der Welt; die Ansammlung derselben durch die Verdunstung
des Wassers muß in dem letzten Reservoir in starkem Maß
vor sich gehen, und die Fortsetzung des Borgangs durch un-
denkliche Zeiten sollte dort eine ungewöhnlich großartige Ab-
lagerung von Steppensalzen aller Art hervorgebracht haben.
Daher war es ganz erklärlich, daß die Chinesen seit alten
Zeiten den Lob-nor als den Salzseen«?' s^o^rjv, im Gegen-
satz zu den vielen anderen Salzseen von geringerer Größe,
bezeichneten. Auch hatten manche in der Ferne eingezogene
Erkundigungen der Neuzeit über den Lob-nor die Existenz
eines Salzsees bestätigt, während andere Berichte, die von
dem Fischreichthum sprachen, auf das Vorhandensein eines
Klärungsbeckeus hinzudeuten schienen. Allen theoretischen
Folgerungen und historischen Nachrichten entgegen erhal-
ten wir nun von dem ersten europäischen Augenzeugen, der
zugleich einen seltenen Grad der Beobachtungsgabe besitzt,
die vollkommen sichere Mittheilung, daß das letzte Wasser-
becken des Tarym ein Süßwassersee ist. Es müssen daher
besondere Umstände vorhanden sein, welche diesem scheinbaren
Zwiespalt zu Grunde liegen. Versuchen wir, einige Er-
klärungsweisen anzudeuten.
Man könnte annehmen, daß im Winter, wo nur eine
schwache Verdunstung stattfindet, der im schnellen Lauf in
den See einströmende Fluß sich als eine Lage süßen Wassers
über der stark conceutrirten Lauge ausbreitet. Doch spricht
hiergegen die geringe Tiefe des Sees, bei der eine Diffusion
der Salze kaum ausbleiben könnte. Eine zweite Erklärung
ließe sich in der Annahme finden, daß das Reservoir der
Gewässer des Tarym Aenderungen hinsichtlich seiner Lage
unterworfen ist. Wie periodische Wechsel im Laus der Flüsse
nach chinesischen Berichten ein ganz allgemeines Merkmal
für das Tarymbeckeu sind, so könnten in verschiedenen Zeiten
schewalski's Entdeckung des Lob-nor.
verschiedene Theile der salzigen Lehmsteppe als letztes Ver-
dunstnngsbecken gedient haben. Dies wird unl so wahrschein-
licher, wenn man die interessante Beschreibung verfolgt, welche
Prschewalski von den jetzigen Vorgängen im Flußbett des
Tarym giebt und auf welche wir bereits hindeuteten. Be-
sonders beachtenswerth ist die Thatsache, daß in Folge der
Sand- und Staubstürme die mit Vegetation bedeckten Ufer,
ebenso wie die Flußbetten, sich erhöhen, während zugleich der
benachbarte Boden durch Hinwegführung seiner aufgelockerten
Bestandtheile erniedrigt wird, so daß die Flüsse, ähnlich dem
Po und dem Hwang-Ho, in kastenartigen Rinnen fließen, welche
der Ebene aufgesetzt sind. Wie die Eingeborenen zum Zweck
der Fischerei das Wasser durch Einschnitte in die Userdämme
ableiten, so kann auch der Fluß selbst bei hohem Wasserstand
einen Damm durchbrechen und, gleich dem Hwang-Ho, sich
einen permanenten neuen Canal geben. Es ist somit die
Möglichkeit vorhanden, daß der Tarym den östlich gerichteten
Lauf, den unsere bisherigen Karten angeben, verlassen hat,
und der jetzige nach Südost strömende Fluß mit den beiden
Seebecken au seinem Ende, vielleicht schon von der Gegend
von Akhtarma an, von verhältnißmäßig später Entstehung
ist. In diesem Fall würde das frühere Seebecken nördlich
von dem jetzigen gelegen haben und im Lauf der Zeit ein-
getrocknet fein.
Eine dritte Erklärung, welche das größte Maß von Wahr-
scheinlichkeit haben dürfte, beruht in der Möglichkeit, daß
neben den beiden von Prschewalski beobachteten Wasserbecken
noch mindestens Ein anderes vorhanden ist, in welches ein
vom Tarym abgezweigter Canal mündet. Betrachten wir
zur Prüfung dieser Annahme die chinesische Karte. Meine
vielfache praktische Benutzung derselben hat mich gelehrt, daß,
trotz vielfacher Mängel im Detail, nichts auf ihr angegeben
ist, was nicht wirklich existirt. Wenn wir nun erwägen,
daß die Positionen der Städte Kharaschar und Korla, wie
sie sich auf jener Karte finden, durch die neuen Beobachtungen
nur eine ganz unwesentliche Aendernng erfahren, und daß
die südlich angrenzenden Gegenden in dem Verhältniß der
Lage und Entfernung von jenen beiden Orten eingezeichnet
wurden, so gewinnen wir einiges Vertrauen in die Nichtig-
keit der chinesischen Darstellung nach der genannten Richtung
hin. Dort sehen wir fast genau an dem Platz, wo aus
Prschewalski's Karte die Bereinigung von Ugen-Darya und
Tarym im Verhältniß zur Lage von Korla angegeben ist,
eine (mit der von Prschewalski eingeschlagenen sicher ganz
identische) Straße über den nach Osten gerichteten Tarym
hinweg in südlicher Richtung führend. Während bei Prsche-
walski der Fluß dieser Straße an der südlichen Seite folgt,
kennt die chinesische Karte einen solchen Lauf nicht, sondern
leitet den Tarym genau östlich weiter nach einem großen bei
Prschewalski nicht angegebenen See, welcher (wenn man ihn
ebenso wie Korla verschiebt) von dem 41. Breitengrad in
seinem nördlichen Drittheil durchschnitten wird. Diesen See
nennt die chinesische Karte Lop-tschor oder Lop-noor. Um
ihn herum, im Norden und Süden, liegen sieben kleine Seen,
von denen die nördlichen den Namen Tsau-Hu (Grasseen oder
Schilfseen) führen, während den südlichen verschiedene Benen-
nungen zngetheilt sind. Außerdem giebt die Karte viel wei-
ter im Südosten, und ohne jede Verbindung mit dem Tarym,
einen andern See unter dem Namen Khas-omo an, dessen
Mitte ungefähr 3 Grad östlich und l3/4 Grad südlich von
Korla liegt, nur wenig von der Stelle entfernt, wo der
Kara-koschuu von Prschewalski liegt *). Es drängt sich die
i) Die in Rede stehende chinesische Karte giebt allerdings
noch einen zweiten See westlich von dem Khas-omo an. Ein
Name für ihn ist nicht vorhanden. Da nun derselbe auf älteren
Karten nicht existirt und hinsichtlich seiner Gestalt wie der Rich-
F. v. Richthosen's Bemerkungen zu Prschewalski's Entdeckung des Lob-nor.
141
Frage auf, ob nicht dieser Khas-See dem schwarzen Koschun^)
von Prschewalski entsprechen dürfte.
Der Nachweis dieser Identität würde die Folgerung in-
volviren, daß der Tarym früher nur einen östlichen Lauf
nach dem wirklichen großen Lob-nor hatte, in späteres Zeit
aber aus der Gegend, wo sich ihm jetzt der Ugen-Darya ver-
einigt, eine Abzweigung nach Südosten erfuhr , welche der
Hauptfluß wurde; daß dieser Zweig in den ehemals isolirteu
Khas-See mündete, diesen vergrößerte und zum Hauptreservoir
gestaltete.
Es lassen sich für diese Annahme eine Reihe von Argu-
menten neben den schon genannten anführen.
a. Die chinesische Karte giebt nur ebenes Land int
Süden des Lob-nor an, verzeichnet aber ein Gebirge im
Süden des Khas-Sees, und dasselbe hat, im Verhältniß zu
diesem wie zu Korla, dieselbe Lage wie der Altyu-tagh von
Prschewalski.
d. Im Süden des Khas-Sees führt die Hauptstraße
uach Osten gegen Scha-tsch6u, und vou ihr zweigt sich ge-
rade südlich vom See eine andere nach Tibet ab, gerade wie
Prschewalski beides im Süden des Karakoschuu angiebt.
c. Prschewalski fand für seine beiden Seen den Namen
Lob-nor, welcher doch nach den Erkundigungen von Shaw,
Forsyth und Anderen noch jetzt weithin sehr bekannt ist, nicht
in Gebrauch. Dagegen begegnete ihm Prschewalski, offen-
bar ohne seine genaue Bedeutung zu erfahren, auf seinem
Weg an demjenigen Theil des Tarym, von dem der wirkliche
Lob-nor östlich liegen muß.
d. Die Combinatiou der historischen Nachrichten über
die ehemaligen Verkehrsstraßen von China nach dem Westen
führt mit ziemlicher Sicherheit zu dem Resultat, daß die
Gegend des eigentlichen Lob-nor von ihnen unberührt blieb
und sie vielmehr im Süden und Westen des Khas-omo vor-
überführten, sowie daß dort, und nicht am Lob, die Reiche
Liulau, Schenschen u. s. w. lagen, welche im Lauf der Ge-
schichte als in der Nähe des „Salzsees" gelegen genannt
werden 2).
e. Ein letztes und gewichtiges Argument geben die eigenen
Angaben von Prschewalski über die Wasseruiassen, welche die
einzelnen von ihm beobachteten Flüsse führen. Nehmen wir
den Faden zu 6 Fuß an, so fand er:
tung seiner Zuflüsse fast die genaue Wiederholung des Khas-omo
ist, jo liegt die Vermuthung nahe, daß durch einen Jrrthum eine
Verdoppelung der Zeichnung des Khas-omo sich in die Karte
eingeschlichen hat. Obgleich mir kein anderer derartiger Fall
auf der ganzen Karte bekannt ist/ hegte ich doch diese Vermu-
thung schon vor Prschewalski's Reise, und gab nur mit
Widerstreben beide Seen auf der Karte an, welche dem ersten
Band meines Werkes „China" beigefügt ist.
*) Es muß dahingestellt bleiben, ob der Ähnlichkeit des
Klanges eine wirkliche etymologische Verwandtschaft zu Grunde
uegt. Khas-omo ist mongolisch und heißt Nephrit-See, wahr-
ichemlich um die Farbe des Wassers zu bezeichnen, vielleicht auch
wegen des Nephrit-Handels, der über diese Gegend stattfand,
ri sagen die Türken Kasch. Kara-Kasch ist die gewöhn-
Aufzeichnung sür eine häufige Art des Nephrits. Es könnte
^^/^ra-Koschun aus dem Khas der Mongolen an dieser Stelle
siJ!. v? fe*n- Andererseits spricht gegen diese etymologische
m, "^.^tchaft der Umstand, daß die Chinesen den Namen des
^ , /^gsbezirks Kara-Koschun in der Schreibart Kara-Huo-
ripmevf r?*^0ksd)o gesprochen) wiedergeben. Es ist jedoch zu
. ,!\n' oaß dies ein vielgebrauchter Name ist, der auf ver-
ip f ^ uiohammedanische Bezirke, z. B. einen im Südosten von
Turfan, angewendet wird.
Tafel 8 und^9^ ®ar*en 3U ö- Richthosen's Werk „China",
Breite in Fuß ( Stromge- schwindigk.
1. Kontsche-Darya.... 42—60 10—14 ?
2. Jutschike-Darya . . . ? ? ?
3. Ugen-Darya..... 43—60 ? ?
4. Tarym bei Einmündung
des Ugen-Darya . . . 300—360 20 reißend
5. Tarym unterhalb der
Vereinigung mit allen
anderen Flüssen . . . 180—210 21 mäßig
6. Tarym zwischen den bei-
den Seen...... 125 14 170Fußiu derMinute
Es zeigt sich also, daß der vereinigte Fluß nur einen
Theil des Wassers (wahrscheinlich weniger als die Hälfte)
führt, welches die einzelnen sich vereinigenden Zweige zu-
sammengenommen enthalten. Selbst zur Zeit der größten
Sommerhitze wäre eine solche Verminderung des Volumens
trotz der starken Verdunstung nicht leicht zu erklären; aber
ganz unerklärlich bleibt sie iu diesem Fall, da die Beobach-
tnngen im Winter stattfanden, als selbst am Tage die Tem-
peratur nicht über 0° stieg und in der Nacht dieselbe bis
über — 20° C. herabfiel. Da nun Prschewalski zwischen
den einzelnen Wasserarmen reiste, so ist es möglich, daß die
östlichen Arme einen Theil ihres Wassers durch einen von
ihm nicht gesehenen Canal nach Osten in eine unzugängliche
Salzwüste entsenden, auf die sich der von ihm gehörte aber
so räthselhaft gelassene Name Lob-nor beziehen mag.
Kann es au sich beinahe als gewiß bezeichnet werden,
daß ein Süßwassersee, welcher tit einer Steppe von salzigem
Lehm liegt und nicht einem Fluß zum Durchgang dient wie
der Karabnran, sondern das aufgenommene Wasser in sich
verdunsten läßt, neuer Entstehung fein muß, so wird dies in
dem Fall von Prschewalski's Karakoschnn durch die Reihe
unserer Argumente erhärtet. Wir haben uns den Khas-See
als ein ehemals kleines, salziges Wasserbecken vorzustellen,
welches seinen Zufluß von dem Altyn-tagh und durch den
Tschertschen-Darya erhielt, und in das der Tarym in einer
verhältnißmäßig späten Zeit durch eine Abzweigung von sei-
nem frühern alleinigen, östlich gerichteten Lauf einbrach, da-
durch die Wasserfläche erheblich vergrößernd. Die Salz-
moräste an den Usern werden als Ueberreste des frühern
Zustandes zu betrachten sein. Dies erscheint als die nalür-
lichste Erklärung. Sie findet überdies ihre Bestätigung in
der Unsicherheit der chinesischen Beschreibungen aus neuerer
Zeit. Einmal ist die Rede von einem See, der 400 Li im
Umfang habe, dann wieder wird gesagt, daß der Lob-nor ein
Gebiet sei, zu dessen Umreisnng eine Armee (unter Kiön-
lnng) zwei Monate gebraucht habe, und daß es aus Steppen
und sumpfigen Wasserbecken bestehe. Damit ist der ganze
Bereich der Seen und Salztümpel bezeichnet.
So hoch wir dasjenige anschlagen müssen, was Prsche-
walski für die Erforschung des Lob-nor gethan hat, können
wir somit das Problem, für das er sich so großen Müh-
seligkeiten unterzogen hat, noch nicht als vollkommen gelöst
betrachten."
142
Aus allen Erdtheilen.
Aus allen
Afrika.
— Vom Ingenieur O. Schütte (f. „Globus" Bd. XXXII,
S. 240), welcher int Auftrage der Deutschen Afrikanischen
Gesellschaft Dr. Pogge's, Lux' und E. Mohr's Arbeiten in
Angola fortführt, ist eine sehr werthvolle kartographische Auf-
nähme des untern Qnanza-Flnsses und seinerUmgebun-
gen bis nach Anibaca und Malange hinauf in Berlin ein-
getroffen. Diese Arbeit, welche alles, was die portugiesische
Regierung bisher für ihre Colonie in dieser Hinsicht geleistet
hat, weit hinter sich läßt, wird demnächst in zwei schön litho-
graphirten und colorirten Blättern, die uns schon vorgelegen
haben, von der oben genannten Gesellschaft herausgegeben
und versendet werden. Am 1. Mai schrieb Schütte, daß er-
weitere Ausflüge in das Gebiet des Qnanza gemacht und
bei dieser Gelegenheit einen Wasserfall von ziemlich bedeu-
tenden Dimensionen entdeckt habe, der bei einer Höhe von
20 Metern eine Breite von 300 Metern besitze und den er
beabsichtigte «ach der Kaiserin von Deutschland zu nennen
(er ist wahrscheinlich identisch mit dem ans Sä, da Bandeira's
Karte als Cataracta, do Mupa do Condo bezeichneten. Red.).
Seine weiteren Pläne waren dann aus die Erforschung des
Talla-Mogongo-Gebirges zwischen den Oberläufen des
Quauza und Qnango und auf eine größere Expedition in
nordöstlicher Richtung gerichtet.
Wir mache« bei dieser Gelegenheit darauf aufmerk-
sam, daß Mitglied der Deutschen Afrikanischen Gesellschaft
Jeder wird, der seinen Beitritt zur Gesellschaft erklärt
(Berlin, 8. W. Friedrichstraße 191) und sich zu einem
Jahresbeitrag von mindestens 5 Mark verpflichtet, wofür er
die regelmäßigen periodischen Veröffentlichungen der Gesell-
schast uueutgeldlich zugeschickt erhält und zur Theiluahme an
den allgemeinen Versammlungen berechtigt ist. Im Jnter-
esse der Sache bitten wir unsere Leser, sich zahlreich bei die-
sem nutzbringenden, wissenschaftlichen und patriotischen Unter-
nehmen betheiligen zu wollen.
— Major Alexander von Mechow, Mitglied der
deutschen Loango- Expedition, wird mit Unterstützung des
Reichskanzleramts sich im August zur Erforschung des gro-
ßen Eongo-Zuflusses Quaugo wiederum nach Westafrika
begeben. Unter seiner Ausrüstung wird sich auch ein kleines
Dampfboot befinden. Um die wissenschaftliche Vorbereitung
auch dieses wie schon so mancher anderen Afrikareisenden hat
sich Dr. O. Kersten in aufopfernder Weise bemüht und
verdient gemacht.
— Der Vorstand der Deutschen Afrikanischen Gesell-
schaft hat in seiner letzten Sitzung Mitte Juli beschlossen,
die afrikanischen Reisepläne des Dr. med. Max Buchner,
welcher sich unter Prof. Zittel's Leitung in München mit
Geologie beschäftigte und augenblicklich bei Dr. O. Kersten
in Berlin das astronomische Beobachten erlernt, nach Kräften
zu unterstützen. Näheres über dieselben ist nur soviel be-
kauut, daß er zunächst die Hauptstadt des Mata Jamwo und
dann das Reich Lnba nordwestlich von jener zu erreichen
streben wird.
— „Die Deutschen Geographischen Blätter" (1878, Heft 3,
S. 186) bringen einen kurzen Bericht des Dr. E. Ruten-
berg über dessen bisherige Reisen in Südafrika und auf
Madagaskar, wo er bisher von Europäern nicht betretene
Wege gegangen ist. Afrika, wo vor Kurzem deutsche Reisende
fast gar nicht vertreten waren, beginnt wieder seine alte An-
ziehnngskraft auf dieselben zu üben.
— Die letzten Nachrichten von der internationalen
Erdtheilen.
(reotius belgischen) Expedition in Ostafrika (vergl. Globus
XXXII, S. 224 und 351, XXXIII, S. 224 und 365) lauten
dahin, daß die Herren Cambier und Maruo im Jauuar
und Februar dieses Jahres unter den größten Schwierig-
feiten eine Reise von Saadani landeinwärts bis Kwa-Kiora
unternommen und dabei wiederum coustatirt haben, daß an
die früher vorgeschlagene Verwendung von Ochsenwagen in
jenem Theile Afrikas wegen der Tfetfe-Fliege nick)t zu den-
ken sei (s. vorigen Band S. 352). Bald darauf trennte sich
Marno ganz von der Expedition und trat am 5. April die
Rückreise von Zanzibar nach Europa au. Ueber die Gründe,
die ihn dazu veraulaßteu, schreibt er an Dr. Petermann:
„Meine nominell beigeordnete, tatsächlich jedoch gänzlich ab-
hängige Stelluug, die vollkommene Jgnorirnng meiner Rath-
schläge zwangen mich zur Trennung von der Expedition, bei
welcher ich unter solchen Verhältnissen eine für mich geradezu
entwürdigende Rolle zu spielen vernrtheilt gewesen wäre,
und ganz bedeutende Krankheitssymptome beschleunigten meine
mit Zustimmung des Executiv-Comitös erfolgte Rückkehr."
Neuerdings hat die Internationale Afrikanische Gesellschaft
in Brüssel von dem unlängst zum Chef der Expedition er-
nannten Herr» Wautier ein Telegramm erhalten, wonach
ein weiteres Mitglied, M. Dntrienx, in Zanzibar angelangt
und die für die Reise erforderlichen Träger in Saadani, wo
Mr. Cambier die Vorbereitungen überwache, versammelt seien.
Am l. Juni sollten Wautier und Dntrienx dort zu ihm
stoßen uud etwa eiue Woche später der Aufbruch der etwa
350 Menschen umfassenden Karawane in das Innere erfolgen.
— Die neuesten Briefe aus Abeffinien berichten von
einer furchtbaren Hungersnoth (auch aus Marokko wird
eine solche gemeldet), die das Volk dort im buchstäblichen Sinne
des Wortes decimirt. Die einheimische Regierung kümmert
sich um den Jammer gar nicht, und von auswärts kommt
natürlich auch keine Hülfe. So wächst die Zahl der Opfer
von Woche zu Woche ins Ungeheuerliche. Die nächste Ernte
wird erst im November erwartet, und bis dahin kann der
vierte Theil der Bevölkerung zu Grunde gegangen sein.
Amerika.
— Der Superintendent Jackson liefert, nach der „Neu-
Yorker Staatsztg.", folgende Nationalitäts-Statistik der Ein-
Wanderer, die in dem Zeitraum vom 5. Mai 1847 bis
1. Juni 1878 im Castle Garden angekommen sind: Aus
Deutschland 2 146491, Oesterreich 20063, Irland 2014752,
England 742 207, Schottland 159 516, Frankreich 109 347,
Luxemburg 1236, Schweiz 83 801, Holland 39 607, Wales
28 632, Norwegen 47 455, Schweden 121 855, Italien 47098,
Belgien 10315, Spanien 8468, Westindien 8770, Dänemark
35 475, Polen 11291, Sardinien 2306, Südamerika 3266,
Portugal 1805, Nova Scotia 1672, Rußland 25 085, Canada
1559, Mexico 1201, Sicilien 339, China 1210, Ostindien 411,
Griechenland 287, Türkei 281, Arabien 10, Afrika 220,
Australien 249, Japan 197, Centralamerika 426, von nnbe-
kannter Nationalität 698.
— Das „Pittsburgher Volksblatt" schreibt über die
Oel- (Petroleum-) StadtTitusville im nordwestlichen Penn-
sylvania: Wie rasch lebt's sich in diesem Lande! Als die
Oelgewinnnng ansing, Geschäft im Großen zu werden, da
wuchsen so zu sagen über Nacht riesige Vermögen aus dem
Boden auf; Leute, die blutarm zu Bett gegangen waren,
wachten steinreich oder vielmehr ölreich wieder auf; meistens
warfen sie das so leicht gewonnene Geld in der unsinnigsten
Weise weg, uud jetzt sind sie wieder so arm wie jemals.
Aus allen
Pithole (südöstlich von Titusville) war seiner Zeit eine
Stadt mit 20000 bis 30000 Einwohnern; heute ist es eine
Ruine, in welcher nur noch wenige Familien Hausen. Vor
einem Jahre hörte man des Wegs hier herauf nichts als:
Bullion! Bullion! Alles strömte nach jenem neuen Oel-
districte; Häuser und Städtchen schössen wie Pilze aus der
Erde; es wurde gleich eine neue Eisenbahn gebaut; wie ge-
wöhnlich in solchen Verhältnissen, trat Uebersüllnng ein;
nach jedem Dollar, der zu verdienen war, griffen gleich nicht
zwei, sondern Dutzende von Händen. Jetzt ist Bullion
schon etwas Altes, sogar veraltet — beinahe versunken nnd
vergessen. Drüben im Clarion-District ist es nicht ganz
so schlimm, aber auch nicht mehr so glänzend, wie vor einem
Jahr. Es wird erzählt, daß dieser Tage eine ganze „City"
dort vom Sheriff ausverkauft werden soll; dieselbe wird vor-
her noch weiß getüncht, damit sie freundlicher aussieht und
einen bessern Preis bringt. Gegenwärtig ist der Bradford-
District (f. oben S. 16) oben an, nnd Alles strömt dahin.
Das Land dort hat sich bisher sehr ölreich erwiesen, und die
Brunnen fließen, wenn einmal durch Bohrung erschlossen,
von selber, so daß die großen Kosten des Betriebs mit Dampf
wegfallen. An und für sich ist Bradford ein abscheuliches
Schmutzloch ohne irgend welchen Abzug für den Abfall und
Abguß von Mensch und Thier.
— Wie sehr man fortwährend bemüht ist, in Ealifor-
nien nützliche Pflanzen aus anderen Ländern zu aeclimati-
siren, zeigt folgende Correspondenz der Augsburger „Allge-
meinen Zeitung" aus San Francisco d. d. 31. Mai: „Von
den Atlantischen Staaten, Enropa, Australien, Japan,
China :c. ist uns so ziemlich alles zugekommen, was uns
fehlte, doch waren dies meistens Fruchtbäume oder Zier-
Pflanzen; Bolivia lieferte uns die Chinchona, und jetzt haben
wir aus Chile noch einen neuen Zuwachs nützlicher Pflan-
zen erhalten; da in jenem Lande auch acht Monate Trocken-
heit im Jahre vorkommen, so werden die klimatischen Ver-
Hältnisse wohl gleich günstig sein, nur mit dem Unterschied,
daß dort der Winter mit dem I.Juli beginnt. Die Namen
der jetzt eingeführten Pflanzen und Sämereien sind wie folgt:
Tara, ein immergrüner schönblätteriger Baum von sehr festem
Holz, weshalb es hauptsächlich zu Ochsenjochen verwendet
wird; Carbonilla, gleichfalls ein Immergrün, beide von nn-
gefähr 40 Fuß Höhe, ein gutes Bauholz; Auillaja, ein gro-
ßer Baum, dessen Hauptwerth in der Rinde besteht, zu der
Ordnung der Rosaceä gehörig; er enthält einen seifenartigen
Saft mit Gehalt von kohlensaurem Kalk, weshalb der Baum
Qnillaja Saponaria genannt wird; er hat Blätter von
I V2 Zoll Lange und weiße Blumen, sein Saft dient als Sur-
rogat für Seife und zur Förderung des Haarwuchses; zu
diesem Zweck wird die Rinde schon seit Jahren hierher und
nach England verschickt; Bayota,' ein anderes Immergrün,
dem hiesigen wilden Lorbeer ähnlich; die Rinde dient als
trefflicher Farbestoff, und wird in England mit 225 Doll.
Per Tonne bezahlt; Mailnn, gleichfalls ein Immergrün, des-
sen Blätter ein treffliches Viehfntter abgeben, und dessen
Samen zum Färben dienen; Puema, ein großer Baum mit
hellgrünen iy2 Zoll langen Blättern, die guten Farbestoff
enthalten, und deshalb in Mexico exportirt werden; die Frucht
wird gekocht von den Eingeborenen viel gegessen."
^ Der mexieanische Minister der öffentlichen Bauten,
wa Palacios, hat mit dem Eapitän Enrico V. Conti, als
^Präsentanten mehrerer italienischen Firmen, ein Abkommen
ge royen, eine Dampferlinie von Genua nach Vera-
cruz einzurichten, der die mexieanische Regierung eine Snb-
i m "rl?000 Pesos monatlich zu zahlen verspricht, sowie
* 1 '"l ieden nützlichen Italiener, der als Einwände-
er ommt. Die Compagnie beabsichtigt die Emigration,
a wie bisher nach der Argentinischen Republik, nach Mexico
w m 6n' Un^ verspricht mehrere hundert Familien per Jahr,
e chen auf dem Isthmus von Tehnantepec Ländereien ange-
wiesen werden sollen.
Erdtheilen. 143
— Zwischen Honduras und San Salvador ist ein
Vertrag abgeschlossen worden, um die fünf centralamerika-
nischen Republiken mit Telegraph zu verbinden. Nicara-
gna und Honduras haben ein sehr umfangreiches Schutz-
und Trutzbüuduiß abgeschlossen, worin alle möglichen Punkte
vorgesehen sind. Verbrecher, politische ausgenommen, sollen
ausgeliefert werden, nnd die beiderseitigen Behörden haben
das Recht, solche 5 Leguas über die Grenze hinaus zu ver-
folgen.
— Die Spauier haben das wieder unterworfene Euba
in sechs Provinzen getheilt, deren jeder ein Gouverneur vor-
gesetzt wird. An der Spitze steht ein Generalgouverneur.
— Bekanntlich hat Lieutenant N. B. Wyse sich im
November 1877 wiederum nach dem Isthmus von Darien
begeben (f. „Globus" XXXIII, S. 16), um seine Forschun-
gen und Nivellirnngen behufs Anlegung eines interoceani-
fchen Canals dort fortzusetzen. Die Verbindung des Tnyra
mit dem untern Atrato erschien unausführbar, weshalb er
seine Untersuchungen auf einer nördlichern Linie zwischen dem
Tnpisa (nördlicher Zufluß des Tuyra) und der Bay Acanti
oder Gandi am Atlantischen Oceau anstellte. Schon Ende
Februar war die Arbeit vollendet; Wyse's Gefährten kehrten
nach Panama zurück, während er selbst sich nach der Landes-
Hauptstadt Bogota begab. Daß er dieses Mal glücklicher
war oder zu sein glaubt, beweist der Abschluß eines Vertra-
ges zwischen der colombianischen Regierung und dem von
Wyse vertretenen internationalen Comite, wonach letzteres
das Recht zur Erbauung des Canals, 600 Fuß Landes zu
seinen beiden Seiten und außerdem noch 1 Million Acres
Land an einer beliebigen Stelle erhält. Der Canal wird
neutral sein und dem Handel der gesammten Welt offen stehen
und soll vor 1895 vollendet sein. Nous verrons.
— Die Vereinigte - Staaten - Corvette „Enterprise",
welche mit der Aufnahme des Amazonenstroms nnd des
Madeira beauftragt ist (f. „Globus" XXXIII, S. 320), ist
am 24. Mai vor Para angekommen. Ihre Arbeiten an er-
sterm Flusse sollen bis Manaos nnd am Madeira bis San
Antonio, wo die projectirte Madeira-Eisenbahn ihren Anfang
nimmt, reichen. Letztere wird nunmehr, nachdem die eng-
tischen Unternehmer ihre Versprechungen nicht erfüllt und
sich gänzlich davon zurückgezogen haben, von den Herren Ge-
brüder Collius in Philadelphia und zwar binnen drei Iah-
ren hergestellt werden. Behufs besserer Ausbeutung der
natürlichen Reichthümer Brasiliens wollen die Nordameri-
kaner eine kleine Flotte von Handelssahrzengen zwischen jener
Bahn und dem Meere unterhalten, und zu deren Besten
wird jetzt die „Enterprise" eine hydrographische Aufnahme
jener Wasserläufe machen, Längen und Breiten bestimmen,
Untiefen, Stromschnellen und Barren bezeichnen u. s. w.
Ihr Befehlshaber ist der durch seine Aufnahmen auf dem
Isthmus von Danen wohlbekannte Commander Thomas
O. Selsridge, dem folgende Offiziere zur Seite stehen:
Eapitänlientenant S. H. Baker, Lieutenants F. W. Nichols,
G- Blocklinger, C. P. Perkins, L. G. Spalding, Schiffer
M. F. Wright, Zahlmeister G. H. Griffing, Ingenieur
W. A. Mintzer, Arzt M. L. Ruth, Zeichner Q. W. Sparrow
und die Fähnriche D. Peacook und H. I. Hunt.
Australien.
— Mr. A. W. Sergifon unternahm im vorigen Jahre
von Port Darwin aus eine Forschungsreise in den noch we-
nig bekannten Nordwesten des zur Colouie Süd - Australien
gehörigen Northern Territory. Er kehrte im November
mit seinen Gefährten in bester Gesundheit zurück. Der Be-
richt lautet im Wesentlichen wie folgt: „Ich fand das Klima
lange nicht so warm wie bei Port Darwin, ja öfters so kühl,
daß wir gern wärmere Kleidung gehabt hätten. Auch be-
lästigteu uns Fliegen und Mosqnitos viel weniger. Wir
reisten zunächst auf den Daly River zu. Die anliegende
Gegend war offen, und nach der Mündung des Flusses hin
144 ° Aus allen
breitete sich das fruchtbarste Land aus, welches sich zu Plan-
tagen vortrefflich eignen würde. Der Daly ist bis Mount
Hayward schiffbar und bewahrt auch darüber hinaus noch
eine ziemliche Breite und Tiefe. Er ist im Grunde nichts
weiter als eine Fortsetzung des Katherine River und des
Flora River. Der letztere, bis dahin unbekannt, wnrde von
uns entdeckt und von mir benannt, und zeigte, wo wir auf
ihn stießen, eine Breite von 73 Metern. Nachdem der
King sich mit ihm vereinigt, münden seine rasch fließenden
Wasser in den Katherine, und er scheint überhaupt die Haupt-
quelle des Daly zu sein. Unsere Reise führte uns dann
über Höhenzüge, wo wir die herrlichsten Thaler mit dem
üppigsten Graswuchs und vielen laufenden Creeks sahen,
nach dem nur kurzen Fitzmaurice River. Hier gelangten wir
in eine offene schöne Gegend. Weite Ebenen, Whirlwind
Plains, breiteten sich um uns aus; der Boden zeigte, na-
mentlich bei Turuiug Point und East Creek, wie ich sie be-
nannte, eine außerordentliche Fruchtbarkeit, und lausende
Wasser bemerkten wir überall. Ueberhaupt fiel uns die große
Menge Wasser auf, welche wir auf der Reise antrafen; nur
an einem Tage fehlte es uns. Der Victoria River war
unser nächstes Ziel. Er ist auf 106 Miles schiffbar und
bleibt auch dann noch ein respectabler, für kleine Boote fahr-
barer Fluß. Vom Daly bis zum Victoria passirten wir
1500 Fuß hohes Tafelland, welches von Klippen in der
Höhe von 1000 Fuß begrenzt wird und darum das Herunter-
steigen etwas schwierig macht. Schöne Blicke boten uns die
Thüler mit ihren laufenden Wassern. Wir schlugen jetzt die
Richtung nach der Telegraphenstation am Katherine River,
202 Miles südlich von Port Darwin, ein und waren ein-
stimmig der Ansicht, besser begrastes Land von Basalt und
Kalkstein nie zuvor gesehen zu haben. Eine Ansiedelung, zu-
nächst für Pastoralzwecke und dann auch für Plantagen,
wird wohl nicht lange auf sich warten lassen.
— Zu Anfang November 1877 entdeckte der Natnrfor-
scher Andrew Goldie, welcher sich znmZwecke zoologischer
Sammlungen schon zum zweiten Male auf Neu-Guiuea auf-
hielt, unweit Port Moresby Spuren von Gold (s. Pro-
ceedings os the Royal Geographica! Society XXII, S. 222)
und sandte Proben davon nach Australien. Den Fluß, an
welchem er das Gold sand, benannte der Entdecker nach sich
Goldie River; es ist ein Zufluß des Usborue, der in die
Redscar-Bay mündet. In Folge dessen steht, wie ans Mel-
Konnte gemeldet wird, ein gewaltiges Zuströmen von Leuten,
ein „Rush", nach jener Gegend in Aussicht, und auch die
Colouisirung der Insel wird vielfach besprochen und wird
wahrscheinlich bald in Angriff genommen werden.
— In Melbourne hat sich eine Australasiau Eolonisation
League gebildet, deren Zweck ist, die Colonie Victoria für
die Kleinheit ihres Territoriums (4148 deutsche geogr. Qua-
dratmeileu) im Vergleich zu den übrigen australischen Colo-
uieu dadurch zu entschädigen, daß Neu-Guiuea und die
Inseln von Anstralasien ihr annectirt werden. Eine Petition
in diesem Sinne wird an die englische Regierung abgehen,
und beabsichtigt die Gesellschaft mit einem Capital von vor-
läufig 50 000 Pf. St. jene Eolonisation zu betreiben.
Eine culturMorisih-pädagogische Miscelle.
Der bekannte Reisende v. Wrede sagt in seiner Schilde-
rnng der Beduinen (Globus, Bd. XVI, S. 280): „Aber wenn
die Beduinen viel fragen, so sind sie auch ihrerseits gern zum.
Auskunftgeben bereit, nur nicht auf directe Fragen. Da-
durch werden sie mißtrauisch. Wenn man sie aber nicht
Erdtheilen.
fragt, so fangen sie von selbst zu schwatzen an u. s. w. Aus
directe Fragen dagegen ist es schwer, eine befriedigende Ant-
wort zu erhalten." Manchmal, heißt es dann weiter, kam
Wrede dennoch in den Fall, solche stellen zu müssen, und die
Erfahrung lehrte ihn bald, wie er sich dabei zu benehmen
habe. „Man darf nie eine Frage, sagt er, auf welche
„Ja" oder „Nein" geantwortet werden kann, stellen.
In diesem Falle antwortet der Beduine stets eilig und uube-
dacht, um nur den Frager bald los zu werden. Will man
z. B. wissen, ob ein Ort, dessen Namen man zu kennen
glaubt, wirklich so heiße, so muß man nicht etwa fragen:
Heißt dieser Ort Makalla oder Borum? Darauf würde der
ungeduldige Beduine stets „Ja" antworten, selbst wenn man
ihn gefragt, ob ein Dorf in Hadramant „Paris" hieße? Fragt
man aber: wie heißt der und der Ort?, selbst wenn man
den Namen zu kennen glaubt, so ist der Beduine in den
meisten Fällen veranlaßt, die richtige Antwort zu geben."
Hier tritt uns ein oft wiederkehrendes Factum entgegen,
daß nämlich in der Fremde bei anderen Völkern als
auffällig und besonders bemerkenswerth erscheint, was in
der Heimath ebenso vorhanden und nur im alltäglichen
Leben übersehen wird. Gerade dieselbe Erfahrung wie
Wrede bei den Beduinen habe ich seiner Zeit beim Sam-
meln der Sagen, Gebräuche u. s. w. au unserm eigenen
Volke gemacht. Wollte man ein zuverlässiges, correctes Zeug-
uiß für eine Sache haben, so mußte man „indireet" die Leute
zum Reden nöthigen, so daß sie das betreffende Factum selbst
aussprachen; auf ein bloßes „Ja" bei einer Frage war gar
nichts zu geben. Darin bestand hauptsächlich die Kunst des
Sammelns, denn jenes ist oft nicht leicht. Fragte man z. B.
in der Uckermark: „Das ist ja wohl hier auch so, daß, wenn
die Mädchen in den Zwölften Hede auf dem Wocken haben,
es heißt: de „Wüde" kümmt n. f. w.," so konnte man sicher
sein, ein „Ja" zu hören, während dort allgemein der Namen
seiner Gemahlin, „Frick", in dem betreffenden Aberglauben
haften geblieben ist und es stets heißt: de „Frick" kommt u. s. w.
Es ist jenes Verhalten eben eine mehr oder weniger allge-
meine Eigenthümlichkeit der unentwickelteren Men-
scheu überhaupt, die nicht bloß überall in den unteren Cultur-
schichten sich zeigt, sondern auch ebenso bei Kindern ganz ge-
wöhnlich erscheint, wie jeder Lehrer bestätigen wird, der seine
Methodik an den Eigenthümlichkeiten der Kinder stndirt.
Wer da nach einer längern Auseinandersetzung den Schüler
etwa, statt ihn selbst zum Wiedergeben des Gehörten zn ver-
anlassen, fragt: „Hast du es verstanden?", der wird meist
ebenso wie Wrede bei den Beduinen das täuschende „Ja" zu
hören bekommen, mit dem der Schüler instinctiv die Sache
abzumachen, den Lehrer loszuwerden wünscht.
Die obige Bemerkung gilt übrigens nicht bloß von der
von Wrede gemachten Beobachtung, sondern hat eine noch
viel weitere Geltung. Wenn der bekannte Eulturhistoriker
Klemm z. B. die Menschen in active nnd passive Völker theilte,
so hat eine solche Eintheilung zwar insofern eine gewisse Be-
rechtignug, als man der kaukasischen Race mehr den ersten
Charakter beilegen dürfte. So wie es Klemm aber noch
weiter durchführen wollte, war es unbegründet. Er übersah,
daß bei allen Cnltnrvölkern die Masse eben jene Charakter-
eigenthümlichkeiten zeigt, welche er speciell gewissen Völkern
beilegte, die er dann als passive bezeichnete, und daß der
betreffende Unterschied zum Theil mehr Cultur- als Raeeu-
unterschied ist, wie er auch innerhalb der kaukasischen Race
selbst wiederkehrt.
Posen 1877. Direetor Dr. W. Schwach.
Inhalt: Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar. IV. (Mit fünf Abbildungen.) — Dr. P. Schröder:
Meine zweite Reise aus Cyperu im Frühjahr 1873. I. — F. v. Richthofen's Bemerkungen zu Prschewalski's Entdeckung
des Lob-nor. — Aus allen Erdtheilen: Afrika. — Amerika. — Australien. — Vermischtes. — (Schluß der Redaction
12. August 1878.)
Nedacteur: Dr. N. Kiepert in Verliii, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vrannschweig.
Mit besonderer HerücKsicKtigung äer AntKroyologle und Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 Q *7Q
-OlUlUl | U)u)610 zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. -l, t? < O.
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
ra
Unser Aufenthalt hier neigt sich seinem Ende zu, und wir
fangen an, an die Rückreise zu denken. Augenblicklich ist
übrigens Kaschgar von besonderm Interesse, weil die ver-
schiedenen Provinzialstatthalter mit den Jahrestributen nach
einander hier eintreffen. Der Dadkwah von Jarkand ist
noch nicht angelangt, aber der von Chotan, jenem an Wichtig-
keit unmittelbar folgend, bewohnt feit einigen Tagen ein
großes Lager neben unserer Behausung. Er muß ein schlauer
Fuchs sein; denn er war schon unter chinesischer Herrschaft
Gouverneur, hielt sich im Besitze seiner Würde auch während
des Aufstandes der Dnnganen, und selbst als diese den jetzigen
Herren des Landes weichen mußten, blieb er nach wie vor
Gouverneur. Ungerechnet das bare Geld und die Last von
150 Pferden hat er 500 mit Maaren beladeue Kamele bei
sich. Anstatt nun das alles zu gleicher Zeit feinem Fürsten
M übergeben und sich darüber qnittiren zu lassen, begiebt er
sich allmorgendlich mit 9 Pserden, 9 doppelläufigen Flinten,
9 Teppichen u. f. w. in den Palast und fährt in dieser Weise
so lange fort, bis seine Vorräthe erschöpft sind oder der Emir
>em bares Geld verlangt, was einer Entlassung gleichkommt.
v*n der Zwischenzeit läßt sich der Emir über die Zustände in der
betreffenden Provinz berichten und entscheidet über die ihm
vorgebrachten Klagen, was ihm um so mehr Zeit kostet, als
er, wie mau sagt, eine wahre Sucht hat, alles selbst zu erle-
digen.
Besonders charakteristisch für diesen Fürsten ist ferner
die Listigkeit, mit welcher er es auf tausenderlei Weisen ver-
Jucht, aus unsere Ansichten und Meinungen einen bestimmen-
den Einfluß auszuüben. Trotzdem ist er ein tapferer und,
wie man täglich zu sehen Gelegenheit hat, seiner Umgebung
xxxiv. Nr. 10.
weit überlegener Mann. Während z. B. alle mohamme-
danischen Eroberer in ihren Glaubenskriegen die literarischen
Schätze ihrer besiegten Feinde mit unerbittlicher Wnth ver-
nichteten, hat Jaknb beim Plündern der buddhistischen Tempel
und chinesischen Städte mit größter Sorgfalt alle Bücher
und Gegenstände von ähnlichem Interesse gesammelt und
mehrere tausend kostbare Bände zusammengebracht, welche
für europäische Orientalisten vielleicht von unberechenbarem
Werthe sein könnten. Auch besitzt er große Mengen von
Juwelen und von dem gesuchten Jü-Steine (Nephrit). Da-
bei entfaltet er weder in feiner Kleidung noch an feinen Pfer-
den irgend welchen Luxus und gestattet sich keine verschwen-
derischen Ausgaben, sondern verwendet seine Reichthümer nur
für das Heer und seine diplomatischen Verhandlungen. We-
nig ehrenvoll für ihn sind dagegen die Geschichten, welche
man sich davon erzählt, wie er sich seiner Gegner und Rivalen
entledigt. Darin, wie in den Listen und Ränken, durch
welche er sich aus den Schlachtfeldern den Sieg verschafft, ist
er furchtbar.
Seit einigen Tagen wird in den Vorstädten ein nament-
lich gestern stark besuchter Markt abgehalten, der jedoch auf
Befehl der Regierung demnächst geschlossen werden soll.
Unter chinesischer Herrschaft gab es bei solchen Gelegenheiten
mancherlei Belustigungen; alles Volk strömte hinaus und
Männer und Frauen tanzten zusammen und überließen sich
allerhand Vergnügungen. Das mißfiel den Mohammedanern,
und namentlich um den Frauen das Tanzen zu verwehren,
schließt man den ganzen Markt.
6. März. Noch sällt auf den benachbarten Bergen der
Schnee, aber der Frühling naht und alle Welt hat fein Kom-
19
146
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
men schon mit Freude begrüßt. Kleine Vögel, die aus Sü-
den kommen, kündigen ihn an. Vor drei Tagen hat ein
Eingeborener einen dieser gefiederten Glücksboten gefangen,
und diese Kunde hat sich sofort verbreitet. Man achtet näm-
lich begierig auf diese Vögel, denn dem Glücklichen, welcher
den ersten erwischt, steht das Recht zn, sofort beim Fürsten
eine Audienz zu erhalten, der ihm ein ganz neues Kleid ver-
ehrt. In der That, eine hübsche Sitte. Ebenso stehen die
ersten Blüthen der Fruchtbäume und die ersten Früchte dem
Emir zu und werden ihm sofort überbracht.
8. März. Jetzt ist ernstlich von unserer Abreise die
Rede. Der Emir hat schon von dem Tage gesprochen, wo
er uns verabschieden will, um dann nach Aksn zu gehen.
Syad-Jakub hat als Minister der auswärtigen Angelegen-
Helten den Auftrag erhalten, für alle Einzelheiten unserer
Rückkehr zu sorgeu. Die Rolle, welche er spielt, ist nicht
ohne Schwierigkeit und Gefahr; denn er hat eine verhältnis-
mäßig aufgeklärte Politik eingeleitet und trägt dafür die Ver-
antwortung. Er inspirirt den Emir, muß dabei aber den
Schein, als ob es so ist, vermeiden; denn wenn derselbe Plötz-
lich mißtrauisch würde und an der Ausrichtigkeit der Absichten
seines Ministers zn zweifeln anfinge, so gäbe es alsdann nur
die eine Lösung, jene gefürchteten Worte: „Schlagt ihm den
Kopf ab." Denn das ist stets der Hergang der Dinge in
mohammedanischen Reichen gewesen und ist es noch heutigen
Tages (wie man soeben in Aegypten gesehen hat).
17. März. Unsere Abreise von Kaschgar war höchst
glänzend; Musik, 19 Kanonenschüsse, Begleitung durch eiue
Anzahl Rathsherren uud Offiziere des Emir, nichts hat an
den uns erwiesenen Ehrenbezeugungen gefehlt. Jeder that
es dem Andern au Eifer zuvor, um uns angenehm oder rich-
tiger den: Emir zu Gefallen zu sein, welcher uus in der
sii
■
Musikanten des Emir. lNach einer Photographie Chapman's.)
schmeichelhaftesten Weise entlassen hat. Er erklärte, daß,
wenn seine Diener nicht auch die geringsten Wünsche des
britischen Gesandten erfüllten, sofort ihre Köpfe fielen. —
Jetzt bin ich wieder in Jarkand, wo ich mit dem Dadkwah
verschiedene Anordnungen für die Rückreise treffe. Unter-
Wegs wurde ich mit Aufmerksamkeiten überhäuft, von Ehren-
wachen begleitet uud unaufhörlich durch Boten befragt, wie
es mit meiner Gesundheit stände und ob ich auf der Reise
irgend ein Hiuderuiß angetroffen. Der Dadkwah hat mir
seit meiner Ankunft schon eine ganze Kleidersammluug ver-
ehrt; ich halte ihn zwar für einen vollendeten Heuchler, der
kein wahres Wort fagt, aber weil ich ihn brauche, mache ich
ihm große Complimente. Nach unserer letzten Zusammen-
kunft sandte er mir einen Offizier und ließ mir sagen, daß
alles, was er besitze, mein sei, und daß ich nur einen Wunsch
zn äußern brauchte, um ihn sofort erfüllt zu fehen. Ich
antwortete natürlich, daß mir seine Freundschaft mehr Werth
sei als alle Schätze Turkestans, und bat schließlich auf das
Zureden des Boten, mir Gold, Juwelen oder dergleichen zn
wünschen, um einen Soldatengürtel als Andenken. Aber
der Dadkwah ließ es sich nicht nehmen, mir 30 Pfnnd zur
Bestreitung meiner Reisekosten, einen Pony, einen Gürtel
und mehrere Stück Seide zu übersenden.
Jangi - hissar, 10. April. Ich habe hier wieder
meinen photographischen Apparat aufgestellt und Dank den
Süßigkeiten und kleinen Geldstücken, die ich vertheile, fehlt
es mir au Modellen nicht. Z. B. habe ich ein reizendes
Kind in feiner Wiege und ein kleines Mädchen von fechs
Jahren photographirt. Letzterem schenkte ich eiu kupfernes
Armband, einen billigen Spiegel und Bonbons, und von
diesem Augenblicke an stehen mir so viel Kinder zur Versü-
gung als ich nur wünschen mag. Ferner habe ich meine
Muße benutzt, um das Opiumrauchen zn stndiren, wofür
es hier ein vom Staate anerkanntes Etablissement giebt, wo
Männer und Frauen mit stauuenswerthem Eifer die Verderb-
liche Drogue genießen. Beim Eintritt übergiebt der Be-
sucher seine Werthsachen einem Wärter, welcher sie so lange
in Verwahrung nimmt, bis jener seine Sinne wieder bei-
sammen hat.
2 6. April. Wir kehren nun bestimmt über den Kara-
kornm zurück und ich werde die Berge von Pamir, welche ich
so lange vor Augen gehabt habe, nicht von Nahem sehen.
Doch ist es mir wenigstens während meines Aufenthalts in
Jangi-Hifsar gelungen, an einem klaren Tage eine sehr scharse
Photographie derselben zu machen.
Bor einem Monat ist Oberst Gordon in Begleitung des
Von Sir Forsyth's Gesa:
Dr. Stoliczka und der Hauptleute Biddulph und Trottcr
nach jenen Gebieten aufgebrochen. (Der nun folgende Ab-
riß seiner zweimonatlichen Neise dort ist Gordon's Tagebuch
entlehnt.)
* *
Am 21. März verließen wir Jangi-Hissar, 21 Personen
an der Zahl, mit 58 Reit- und Lastpferden. Ein lasch-
garischer Offizier und 5 Soldaten bildeten nebst 5 von nn-
seren Sipoys unsere Geleitmannschast. Ein Schreiben mel-
bete dem Mir (Gouverneur einer weniger wichtigen Provinz,
dem Range nach weniger als ein Dadkwah)Futteh Ali Schah
von Wachan unsere Ankunft. Der Weg führte in südlicher
Richtung im Thale des Kinkol-Flnsses hinauf. Nach einigen
Marschtagen befanden wir uns unter nomadischen Kirghizen,
schaftsreise nach Kaschgar. 147
welche sich sehr freundlich benahmen. Sowie wir die Berge
betreten hatten, war die Kälte bedeutend gestiegen und wurde
der Schnee unser fast unvermeidlicher Gefährte. Namentlich
im Februar und März fällt er am reichlichsten, und die Zeit
war deshalb für einen Besuch der Pamir schlecht gewählt.
Aber für uns handelte es sich darum, diefe Reise jetzt zu
machen oder niemals, und so traten wir dieselbe trotz des an-
fänglichen Widerfprnchs unserer Leute an.
Am 24. März wurde der Kaskasu-Paß (12 850 Fuß
= 3915 Meter) überschritten, dessen Passage Schnee und
Eis so schwierig machten, daß wir Jaks zur Aushülfe be-
durften. Die Kirghizen mußten dieselben liefern. Am nach-
sten Tage ging es über den 13 300 Fuß hohen Tornt-Paß,
der eine einzige zusammenhängende Schueemasse darstellte.
Der Weg über das aus Kalkstein und Schiefer bestehende
Frauen von Kaschgar. (Nach
Gebirge wurde zunehmend schlechter; im Thale des Tangitar,
emes durch den Sirikul dem Flusse von Jarkand tributären
Gewässers, führte er häufig im Flußbette selbst hin. Zur-
itt der Schneeschmelze ist er dort vollständig unterbrochen.
ul -8. .befanden wir uns zwischen Feldern und Dörfern im
JlhiL ciivcicl)cat Thale des Sirikul und erreichten am 30. das
. * ^aschkurgan (10 250 Fuß — 3125 Meter), wo wir
eine vortreffliche Aufnahme fanden, abgesehen davon, daß der
oi tge Gouverneur, Hussun Schah, es mit vieler Geschick-
eit stets zn vereiteln verstand, wenn wir das Fort, wel-
anscheinend kein hohes Alter hat, besichtigen wollten,
p. ^ ,ait^ ®tcin und Erde erbauten Häuser dieser Gegeud
r!y" Dörfer und Weiler zusammengebaut und nicht, wie
n.V aschgar und Jarkand, ans den Feldern zerstreut. Meist
liegen die Ortschaften aber in Trümmern, weil ihre persisch
ter Photographie Chapman's.)
redende Bevölkerung in der Zeit von 1870 bis 1872 in
Masse ans Befehl des Emir, welcher einen Aufstand befürch-
tete, nach Kaschgar geschafft worden ist. In Taschkurgan
blieben wir zwei Tage, mit Vorbereitungen für die durch
Kälte und Schnee ungemein erschwerte Weiterreise nach
Wachan beschäftigt. Während des Aufcuthaltes im Sirikul-
Thale war der Himmel klar, so daß wir eine herrliche An-
sicht des zu 25 350 Fuß (7725 Meter) ansteigenden maje-
stätischen Tagharma-Piks im Norden hatten. Er erschien
uns als eine einzige leuchtende Masse von Gletscher und
Schnee.
Am 2. April traten wir die Weiterreise an, welche an
einem kleinen Znslnsse des Sirikol, dem Schindan, nach Süd-
Westen hinaufführte, und überschritten am nächsten Tage den
14 920 Fuß (4546 Meter) hohen Paß Nezatasch, welcher
19*
148 Von Sir Forsyth's Gesm
die Wasserscheide zwischen den Zuflüssen des im Lob-nor
endigenden Tarym und des zum Aral - See fließenden Amu-
Darja bezeichnet. Dort lagen die beiden berühmten Pamirs,
die große und die kleine, vor uns, nichts als eine lange Reihe
niedriger, roth gefärbter Berge ohne besondere Merkwürdigkeit.
Der Weg führte stets über Schnee; doch fand sich an dem
nächsten Lagerplatze, Kogatschak, wenigstens Gras für die
Pferde, und selbst hier in diesen eisigen Wüsteneien hatten
die im Voraus benachrichtigten Einwohner für die nöthigen
Lebensmittel gesorgt. Wir erfuhren später, daß Rustum,
der Befehlshaber unserer Geleitmannschaft, reichlich mit Gold
versehen worden war, um in Wachan für alle unsere Bedürf-
nisse Sorge tragen zu können. Am folgenden Tage erreich-
ten wir das Thal des Akfn, des nördlichen Hauptquellarmes
des Oxus (welchen die Einheimischen allerdings nicht als
solchen ansehen). Wir stiegen in seinem Thale bis zum See
Oi-Kul, aus welchem er entspringt, aufwärts und konnten
dadurch seinen Laus genauer bestimmen als der bekannte
Mirza im Jahr 1869. Das Thermometer zeigte nur 5 Grad
unter Null und trotzdem hatten wir wegen des eisigen West-
^schastsreise nach Kaschgar.
windes mehr von der Kälte zu leiden als im Januar im
Thian-schan. Dazu kam der Reflex der Sonne von der
alles bedeckenden Schneehülle, in Folge dessen wir sehr schmerz-
liche Augenentzündungen bekamen. Obendrein verzögerte sich
unser Fortkommen dadurch, daß wir wegen des Schnees den
richtigen Weg verloren. Das Thal des Aksu ist, wo wir
es betraten, 12 600 Fuß (3840 Meter) hoch und etwa
3 engl. Meilen breit, hat viel dichtes Gras und gute Weide-
Plätze und ist, wo der Boden feucht ist, mit zahlreichen Wei-
den bestanden. Höher hinauf (wo der von Südwesten kom-
mende Fluß die Pamir-Churd oder kleine Pamir durch-
strömt) findet sich zum Feueranmachen wie in Tibet nur ein
kleiner 6 bis 8 Zoll hoher Strauch, ähnlich dem Lavendel,
dann aber in Menge. Nördlich von der kleinen Pamir zieht
sich eine breite Kette abgerundeter Höhen hin, die Grenze
gegen die große Pamir bildend, südlich eine Kette schnee-
bedeckter Spitzen. Am zweiten Marschtage erreichten wir
den 13 100 Fuß (4000 Meter) hoch gelegenen See, der
3 Meilen lang, kaum 1 Meile breit und damals gefroren
war. Zu beiden Seiten steigen Höhen bis zu circa 2000
Kinder in Jangi-Hissar. (Nach
Fuß an; gegen Osten zeigte sich eine schöne gletscherbedeckte
Spitze von 22 000 Fuß (6700 Meter). 10 Meilen hinter
(westlich) dem See erreicht die kleine Pamir ihr Ende; ihre
Gesammtläuge betrügt demnach 58 Meilen. Jenseit des
nur 45 Meter über dem See liegenden wasserscheidenden
Passes geht es ziemlich steil bergab hinab in das Thal einer
andern Oxus-Quelle, des Sarhadd oder südlichen Pandschah.
25 Meilen vom See entfernt zeigten sich die ersten Spuren
von Anbau. In der zerstörten Niederlassung Langar erhiel-
ten wir ein Begrüßungsschreiben des Mir von Wachau, und
in Sarhadd, dem obersten bewohnten Orte des ganzen Tha-
les in etwa 3350 Meter Höhe, empfing uns sein Sohn Ali
Murdan Schah, ein junger Mann von 25 Jahren, mit schönen
Augen und Haaren und sehr angenehmen Manieren, um
uns nach Kila-Pandschah, der Residenz seines Vaters, zu
geleiten. Wie alle Bewohner Wachans ist er ein großer
Freund aller Arten von Sport und erzählte uns viel von
seinen sommerlichen Jagden auf den beiden Pamirs, wo er
dem Ovis Poli und den Steinböcken nachstellt.
Am 13. April erreichten wir Kila Pandschah (2770
Meter), nachdem wir unterwegs ununterbrochen mit Schnee-
einer Photographie Chapman's.)
gestöber und eisig kalten Winden zu kämpfen gehabt hatten.
Mir Futteh Ali Schah, ein hochgewachsener, aber schon alters-
schwacher Mann, begrüßte uns und geleitete uns in sein Lager
neben der Festnng. Der Ort hat seinen Namen von den
fünf Befestigungen im Thale des Oxus, von welchen drei
nur einfache Thürme in beherrschender Lage sind. Das wich-
tigste wird vom Mir bewohnt; es ist ein unregelmäßiges
Bauwerk vou Erde und Stein, mit hohen Mauern und zahl-
reichen Thürmen und steht aus einem Hügel am Flusse. —
Noch am selben Abend erwiderten wir im Fort dem Mir
seinen Besuch. Er empfing uns in einem Saale, dessen
Dach oben offen war, fo daß es zugleich als Rauchfaug und
Fenster diente, und welcher genau so eingerichtet war wie
alle Zimmer im ganzen Orte, nur daß er größer und höher
war. Nach Landesart führt der Eingang dazu durch die
Viehställe. Der Mir war von Aksakals (d. h. Aeltesten)
umgeben; beim Kommen und Gehen oder, wenn sie einen
Befehl empfingen, küßten die Leute ihm die Hand. Bei nn-
serm Empfange war alles, die Manieren der Leute ansge-
nommen, von großer Ursprünglichkeit.
Der anscheinend von seinen wenigen Unterthanen hoch
150 Von Sir Forsyth's Gesav
in Ehren gehaltene Mir verwaltet sein Amt seit 35 Jahren
und ist ein jüngerer Bruder Mohammed Rahim's, welcher
regierte, als Lieutenant Wood 1833 das Land besuchte.
Die Familie behauptet, von Alexander dem Großen abzu-
stammen. Der Mir selbst gilt für einen Zauberer, und
eine seiner ersten Fragen war, ob wir etwa außergewöhnliche
Zauberkräfte besäßen.
Wachan war stets von dem westlichem Badakschan ab-
hängig; im October des vorhergehenden Jahres hatte Futteh
schaftsreise nach Kaschgar.
Ali Schah sich nach Faizabad, Badakschans Hauptstadt, be-
geben, um dort seinen jährlichen Tribut von 2 Kamelen,
12 Pferden, 12 Kühen und 12 Decken abzuliefern. Geld
wird nicht gefordert, weil das Land keines hat. Dank dem
kräftigen Eingreifen des Atalik hat in der letzten Zeit hier
und in den Nachbargebieten stets Frieden geherrscht, die steten
Fehden haben aufgehört und die Bevölkerung sich vermehrt.
Freilich zählt auch heute Wachan nur etwa 3000 Seelen.
Es sind lauter Schiiten, deren geistliches Oberhaupt Aga
Eiu kaschgarischer Falkonir. (Nach einer Z
Chan von Bombay ist; demselben schicken sie alljährlich den
Zehnten ihrer Vieh- und Landwirthschast.
Das häusliche Leben der Leute hatten wir Gelegenheit
zu beobachten, als uns die fortwährenden Schneegestöber in
den ersten Tagen unseres Aufenthaltes in Wachan zwangen,
in deu Dörfern Unterkunft zu suchen. Die aus Erde und
Stein gebauten Häuser haben ein flaches Dach und sind von
Pferde- und Rinderställen rings umgeben. Die Familie
bewohnt einen großen Raum in der Mitte, welcher über dem
)nnng und einer Photographie Chapman's.)
Herde ein Loch in der Decke hat; rings herum stehen breite
Bänke zum Schlafen. Eine davon liegt abgeschlossen und
ist für die Frauen und Kinder bestimmt. Die Männer sind
kräftig, ausdauernd und kriegerisch; überall sieht man Waffen
an den Wänden hängen. Die erste Stelle nimmt darunter
die in ganz Turkestan gebräuchliche Luntenflinte ein. Die
Frauen haben ein für Bewohner solch rauheu Gebirgslaudes
zartes Aeußere; sie tragen keinen Schleier und scheinen mehr
Einfluß auf das Hanswesen auszuüben als sonst im Orient,
Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar.
151
eine Beobachtung, die wir auch bei den Kirghizen machten.
So oft wir für genossene Gastfreundschaft ein Geschenk geben
wollten, wurde die Hausfrau gerufen, um es in Empfang
zu nehmen. Alle Feldarbeiten besorgen die Männer, alle
häuslichen Geschäfte die Frauen. Letztere hatten oft sehr
regelmäßige Züge und nicht selten weiße Haut und blaue
Augen. Alle sprechen außer ihrem Dialekte persisch. Die
Männer tragen lange Kleider aus eigen gesponnener Wolle
oder aus Schaffellen, die Frauen Kleider und ein schmales
Kopsband aus weißem Kattun. Will ein Mann Luxus
treiben, so trägt er die spitze afghanische Mütze uud darum
den gewöhnlichen weißen oder blauen Turban.
Die meisten ziehen im Sommer mit ihren Herden auf
die nächsten Berge, und nur wenige bleiben in den Dörfern
zurück, um für die zukünftige Ernte zu sorgen, welche erst
nach der Rückkehr von den Sommerweiden eingebracht wird.
Die Herden bestehen aus Schafen, Ziegen, Ochsen uud Jaks.
Die Pferde sind klein, stark und gut genährt. Hanptproduete
sind Weizen, Gerste, Bohnen und Erbsen; in Zong bei Kila-
Pandschah wachsen auch Melonen und Aprikosen. Von
Bäumen gedeihen nur Pappeln und auch die nur au wind-
geschützten Stellen; an saudigen Stellen längs der Flüsse
finden sich kleine Weiden uud audere ausdauernde Sträucher.
Werthvolle Mineralien scheint Wachan nicht zu besitzen; wäh-
rend iu Badakschau sehr mittelmäßiges Salz und Eisen vor-
kommt. Um einige Hufeifen zu ersetzen, hatten wir die größten
Schwierigkeiten, das nöthige Eisen zu erhalten.
Zwischen Ost- und Westturkestan findet heutigen Tages
nur wenig Handelsverkehr statt. In Badakschan coursireu
dieselben Münzen wie in Wachan; aber es giebt ihrer nur
Der Metoria-See auf Pamir. (Nach einer Aquarelle Gordon's.
wenige und der Handel vollzieht sich meistens im Austausch.
Damals gerade wurde der Mir von einem ungeduldigen
Gläubiger aus Badakschan wegen der geringen Summe von
circa 880 Mark arg bedrängt. Zu seinem Glücke brauchten
^ir zur Beendigung unserer Reise viel Lebensmittel und
Pferde und bezahlten dieselben mit Gold, welches dem Herr-
>cher sehr zu Statten kam, um diese Staatsschuld abzu-
tragen.
Äi Kila-Paudschah verweilten wir 13 Tage, während
velcher Zeit wir viel vom Schnee und namentlich von hef-
igen Stürmen zu leiden hatten. Am 15. April schickte ich
mien Sipoy und zwei Leute des Mir nach dem großen Pamir-
^ee (Pamir-Kulan oder Victoria-See Wood's), um zu er-
sahreu, ob diese nördlichere Route passirbar sei. Da ihr
Gericht günstig lautete, brachen wir am 2 6. April auf; wäh-
U Dr. Stoliezka, Trotter und ich über die große Pamir
äwgen, kehrte Biddnlph über die kleine zurück, um seine
Beobachtungen zu vervollständigen. Am 4. Mai wollten
wir uns im Thale von Aktasch treffen. Unser Weg führte
am nördlichen Arme des Pandschah hinauf und zwar am
ersten Tage bis Langar-kischt, dem letzten bewohnten Orte
in demselben, nur 2 Meilen oberhalb des Zusammenflusses
der beiden Oxusquellarme. Der Sohn des Mir verabschie-
dete sich au diesem Abend und brachte uns zwei Hunde für
die Steinbockjagd als ein Geschenk, welches in seinen Augen
offenbar großen Werth besaß. Hunde stehen hier in großem
Werthe. Wood erzählt z. B., daß man einen Menschen
— Sklaverei ist hier überall im Schwange — gegen einen
Hund eingetauscht habe, und der Mir sagte uns beim
Abschiede, daß er stets unsere Landsleute und selbst einen
ihrer Hunde mit Freuden in Wachan bewillkommnen, uud
selbst zur Nachtzeit aufstehen werde, um ihnen etwas zu essen
zu bereiten. Ebenso gesucht sind gut dressirte Falken, und
die Falkonire in Wachan sind ebenso geschickt wie die von
Kaschgar, deren Künste wir bei dem Aussluge nach dem Grabe
Sultan Satuk's bewundert haben.
Von Langar-kischt an steigt die Straße allmälig. 25
Meilen davon beginnt die große Pamir. Da der Wasser-
152 Dr. P. Schröder: Meine zweite !
stand im Flusse niedrig und derselbe zum Theil gefroren
war, war der Marsch leichter. Schnee fiel verhältnißmäßig
wenig, und wilde Lavendel war reichlich vorhanden, wie im-
mer. Am I.Mai befanden wir uns amVictoria-See, wel-
cher ganz zugefroren und mit einer leichten Schicht Schnee
bedeckt war. Damals war er 10 Meilen lang und 3 Mei-
len breit, nimmt aber im Sommer bedeutend zu; er scheint
sehr tief zu seiu und liegt 13 900 Fuß (4240 Meter) hoch,
während südlich von ihm Berge sichtbar sind, welche noch
4000 bis 5000 Fuß höher austeigeu. Um von dort vor-
wärts zukommen, mußten wir uns einen Weg durch enorme
Schneemassen bahnen; erst beim Abstieg nach Aktasch ver-
schwanden die Schwierigkeiten. Im llebrigen sagten unsere
Führer: „Auf der Pamir giebt es Tausende von Wegen; mit
einem Führer kann man nach allen Richtungen hin gehen."
Man kann das Pamir-Plateau im Ganzen und Großen als
eine gewaltige abgerundete Gebirgserhebuug ansehen, durch-
zogen von breiten Bergketten, zwischen denen Hochthäler lie-
gen, die nach Osten zu offen und sanft geneigt, nach Westen
ise auf Cypern im Frühjahr 1873.
eng und steil abfallen. Soviel uns unsere Führer sagten,
scheint das Wort „Pamir" einen verlassenen, wüsten Gebirgs-
theil, den man jedoch während einiger Monate bewohnen kann,
zu bedeuten.
Von Artasch, wo wir die Leute des Mir reich beschenkt
entließen, schlugen wir denselben Weg, den wir gekommen,
wieder ein und erreichten am 21. Mai Jarkand uud ain
29. Jnni Leh, nicht ohne daß der Schluß unserer Reise durch
Dr. Stoliczka's Tod, eine Folge der auf Pamir ansgestan-
denen Strapazen, sich zu einem sehr traurigen gestaltete.
In Leh saud die Gesaudtschaftsreise ihren Abschluß. Ihr
doppeltes Ziel hatte sie erreicht; der gewünschte Vertrag war
abgeschlossen worden — Emir Jakub's Tod uud die chinesische
Eroberung Tnrkestans haben freilich Forsyth's politisch-com-
mercielle Resultate völlig wieder vernichtet — und die Ge-
lehrten der Expedition brachten über eines der interessantesten
Länder die werthvollsten Nachrichten heim. Sie wenigstens
haben sicherlich nicht umsonst gearbeitet.
Meine zweite Reise auf '
Von Dr. P. Schröder, Dragoman der K
(Aus Briefen an Prof. He
Böyükdere 30. Juli 1373.
Akanthn ^) (d. h. Dornberg) ist nächst Kerynia, La-
pitho-Karäva und Jalusa der bedeutendste Ort der Nord-
küste, von Davlo vier, von Kerynia zehn Stunden entfernt,
lieber demselben steigt in schwindelerregender Steilheit die
nackte, nur iu ihren unteren Theilen mit Fichten bewachsene
Granitmasse des vielgezackten Lithari in die Höhe, an den
sich westlich der noch höhere Elympos anschließt. Der
Berg westlich des Boghazi (des Passes, welcher vou Levkouiko
über die Nordkette an die nördliche Küste führt) heißt
Gamni, auf welchen dann noch weiter nach Westen als
höchste Gipfel der Kette der Berg von Antiphoniti, des-
seu breiten Rücken ein Kloster krönt, der gezackte Pente-
d a k t y l o und der K n tz o v e n t o -- B e r g (— Bussavento) fol-
gen. Im Osten dagegen folgt auf den Lithari eine Spitze, •
welche man Dyolichs. rka (? vielleicht — 8voXvxkqlm, die
beiden Wölfe?) nannte, dann die Berge Rnsupi und He-
katospitia mit mittelalterlichen Burgruinen. An diesen
schließt sich der breite H. Photios an, dessen Gipfel eine
Capelle dieses Heiligen tragen soll. Als letztes Glied in der
Kette erscheint der bei Kilanemo nach dem Meere zu vor-
springende und quer über den Küstensaum wie ein Riegel
sich vorschiebende Gndi, der letzte hohe Berg der Nordkette.
Jenseit Jalusas senken sich die Berge sehr, die spitzen Piks
hören auf, uud bei Rizokarpaso löst sich allmälig die Kette
ganz in ein System von Hochebenen und einzelnen Bergen auf.
Am Morgen des 7. April brach ich von Akauthu nach
Osten auf, um bis Jalusa die Küste entlang zu reiseu.
Meinen ursprünglichen Plan, die ausgedehnten Ruinen von
Mnlos (zwei Stunden westlich von Akanthn) zu besichtigen,
i) Diesen Ort an der Nordküste Cyperns hatte Dr. Schrö-
der Anfangs April von Larnaka aus über Pyla, Pergamo,
Kontöa, Prastiü und Levkoniko erreicht.
Zypern im Frühjahr 1873.
iserl. Deutschen Botschaft iu Konstantinopel,
urich Kiepert in Berlin.)
gab ich wieder auf, da ich durch diese» Ausflug — weil ich
auf demselben Wege nach Akanthn hätte zurückkehren Müs-
seu — einen vollen Tag verloren haben würde. Doch
konnte ich es mir nicht versagen, wenigstens die nordwestlich
von Akanthn gelegene Stelle Koroniäs auszusuchen. Ich
wählte also nicht den nächsten Weg nach Panagia Perganli-
tissa (in Ostnordost), sondern stieg die Berge in der Rich-
tnng nach dem Ausgange des Boghazi zu, welcher die Küste
mit der Mesaria (Mesavoria) in Verbindung setzt, hinab.
Die aus fruchtbarem Lehmboden bestehenden Vorberge sind
mit Gesträuch und niedrigem wilden Karnbeugebüsch reich-
lich bewachsen; weiter unten folgen Oliven und Karuben.
Nach Überschreitung mehrerer Schluchten wird nach einer
halben Stunde ein kleiner Fluß, Stirakulia genannt, in ge-
ringer Entfernung vom Meere pafsirt. Von da hatten wir
noch 25 Minuten bis zu einigen dicht am Strande aus
Steinblöcken roh zusammengefügten Schäferhürden bei denl
Hügel Koqcovluls. Ich bemerkte zwischen den über dieFel-
der zerstreuten Steinen auch verschiedene große Quaderblöcke,
aber keine Architektur- oder Sculpturreste. Ich lasse es
dahingestellt sein, ob die Ortschaft, welche jedenfalls einst
hier lag, in das classische Alterthum hiuaufreicht (dann lüge
Koqcovslm, welche Stephanns von Byzanz als „vierte
Stadt Cyperns" bezeichnet, am nächsten) oder nur dem Mittel-
alter angehört hat. Auf einer Insel, die wie Cypern auch
in der nachchristlichen Zeit so viele kriegerische Stürme durch-
gemacht hat, ist es oft schwer zu sagen, ob die vielen Trüm-
merfelder, denen der Reisende überall begegnet, auf eine
mittelalterliche oder altcyprische Niederlassung hinweisen.
Täuschungen sind in dieser Beziehung leicht möglich. Un-
ter der byzantinischen und fränkischen Herrschaft sind viele
neue Orte gegründet worden, die jetzt vom Erdboden ver-
schwnnden sind und ihre Spur nur in Haufen von durch-
eiuaudergeworfeneu Steinen, denen man es nicht immer
Dr. P. Schröder: Meine zweite Ii
sogleich ansehen kann, aus welcher Epoche sie stammen, hinter-
lassen haben. Im Allgemeinen kann man aber sagen, daß
da, wo sich zwischen den kleinen Steinen größere viereckig
behanene Blöcke, Spuren von dicken Mauern n. s. w. vor-
finden, wir es mit einer alten Ansiedelung zu thuu haben,
obgleich auf der andern Seite nicht zu leugnen ist, daß die
Existenz großer Blöcke, welche durch ihre Bearbeitung oder
sonstige äußere Kennzeichen auf ein hohes Alterthum hin-
weisen, noch kein unzweifelhaftes Kriterium für das Vor-
handensein einer alten Stadt an der Stelle, wo sie sich vor-
finden, abgeben, indem dieselben sehr wohl anderswoher ge-
schleppt und zu mittelalterlichen Bauten verwendet sein
können.
Eine halbe Stunde östlich von Koroniäs findet sich ein zwei-
tes altes Ruinenfeld, Liastrika, wie denn Uberhaupt die ganze
Nordküste von Kerynia bis Cap Andrea außerordentlich reich
an alten Trümmerstätten ist, auf welchen freilich nichts mehr
aufrecht steht, fondern alles zertrümmert und klein geschla-
gen ist. Das Vorhandensein von alten Mauerfundamenten,
Säulenstücken, Felsengräbern, Brunnen weist aber oft auf
ein hohes Alter hin. Diese Küste muß im Alterthuine
— diese Ueberzeugung wird jeder, der sie bereist, gewinnen —
sehr gut bevölkert und cultivirt gewesen sein. Ihre Frucht-
barkeit, die Frische des Klimas, der Reichthum an Quellen
und endlich die Menge der kleinen Buchten und Häsen sowie
auch die Nähe der cilicischen Küste mußte fchon frühzeitig
zu Niederlassungen einladen. Die Phönizier hatten hier nn-
zweifelhaft zahlreiche Colonien. Kerynia und Karpasia
waren phöuizische Gründungen; von letzterer Stadt sagt
Hellanikos in seinen cyprischen Geschichten (bei Steph. Byz.),
Pygmalion habe sie erbaut. Ich gebe im Folgenden eine
Auszählung derjenigen Oertlichkeiten zwischen Kerynia und
Cap Andrea, wo sich Ruinen vorfinden (die bedeutenderen
mit gesperrter Schrift). Ich habe sie sämmtlich mit Aus-
nähme von 2. und 3. besucht: I.Felsengräber bei Kerynia;
2. angebliche Ruinen zwischen Chartscha und H. Ambrosios;
3. Mulos (s. oben); 4. Koroniäs und 5. Liastrika bei
Akanthn; 6. ausgedehntes Ruinenfeld bei der Kirche und
dem Mouastir der Pauagia Pergämu, eine Stunde öst-
lich von Akauthu; 7. Galuni und Stiti, zwei nahe bei ein-
ander gelegene Stellen an der Küste, eine Stunde ostnord-
östlich von Davlo; 8. viele Felsengrabkammern, Säulen- und
Architekturreste in der Küstenebene unterhalb Jalnsa (Tia
lovött — Alyia lovöa)-, 9. Machärkona oder H. Therizos
(Spuren künstlicher Bearbeitung der Felfen am Meeresufer
sowie Felseugräber sollen in der Nähe sein); 10. Selenia
halbwegs zwischen Jalusa und Rizokarpaso; 11. H. Phi-
lou, eine halbe Stunde nördlich von Rizokarpaso am Meere;
12. Afeudrika; 13. to Kaftron auf dem letzten Vor-
sprunge des Vorgebirges C. Andrea.
Von Koroniäs aus gelangt man, dem Meere entlang
gehend, in einer halben bis dreiviertel Stunden nach Ueber-
schreitung zweier kleinen Flußthäler nach der Liastrika
genannten Gegend: bei einer hart an dem felsigen steil ab-
fallenden Meeresufer liegenden Capelle des Archangelos zei-
9cn sich vielfache Spuren einer zerstörten Ortschaft. Außer
eurer Unmenge zerbrochener Ziegeln, von denen einige Orna-
?"cntck zeigen, und behaueuer rechtwinkliger Steine bemerkte
' ) eine in den Felsen gehöhlte Cisterne, hier und dort Fun-
dämmte von dicken Mauern, einen mörserartig ausgehöhlten
Stein mit einem Loch auf der einen Seite, wahrscheinlich
M den Abfluß von Flüssigkeiten, und viele trogähnliche
Steine. Die Capelle ist offenbar ganz ans antikem Mate-
nal (Sandsteinquaderu) aufgebaut. Das Centrum der
Äüminerstätte bildet ein hoher, steil in das Meer abfallen-
der Felsenvorsprung, der auf jeder Seite eine kleine Bucht
Globus XXXIV. Nr. 10.
ise auf Cypern im Frühjahr 1873. 153
hat. Die Trümmer setzen sich nach Osten zn fort, find
aber schwer zu verfolgen, da der Küstenstrich, welcher sich
von jetzt aber durch das Zurücktreten der Berge wieder ver-
breitert, mit Gerste bebaut ist.
Nach dreiviertelstündigem Ritte erreichen wir die eben-
falls hart am felsigen Ufer gelegene Kirche des H. Mikalos,
wo das Ruinenfeld vonPanagia Pergamltissa beginnt.
Letztere Kirche liegt etwa zehn Minuten vom Strande ent-
ferut auf einem Hügel, südöstlich von H. Mikalos. Diese
Trümmerstätte ist eine der ausgedehntesten der ganzen Nord-
küste und reicht bis zu der am Meere gelegenen V2 Stunde
von der Panagia entfernten Capelle des H. Harälampos.
Sie ist auch von L. Roß besucht worden; doch wundert es
mich, daß er so flüchtig und, ohne ihr viel Bedeutung beizu-
messen, von ihr handelt. Jedenfalls muß hier im Alter-
thnm eixte bedeutende Stadt gestanden haben; Sakellarios
vermuthet Urania, welches bei Diodor bei Gelegenheit des
Feldzugs des Demetrios Poliorketes gegen Cypern im Jahre
306 erwähnt wird. Demetrios landete, von Cilicien kom-
mend, mit feiner Flotte ans der Nordküste bei Karpasia, um
von da aus nach der Hauptstadt Salamis (nördlich von
Famagusta), der Residenz des Menelaos, Bruders des Ptole-
mäos, zu ziehen und sie zu belagern. Um das ausführen
zu können, muß er zuvor Karpasia und Urania erobern.
Ersteres ist in der Gegend des heutigen Rizokarpaso, auch
schlechthin Karpaso genannt (unweit des Cap Andrea), zn
suchen, bei H. Philou oder bei Afeudrika, während Urania
eine Nachbarstadt von Karpasia gewesen zu sein scheint. Des-
halb halte ich es für nicht sehr wahrscheinlich, daß Urania
bei Panagia Pergamitissa, d. h. in einer Entfernung von
fast 15 deutschen Meilen von Karpasia, zn suchen sei. Auch
ist es schwerlich anzunehmen, daß Demetrius mit seinem
Heere an der schmalen Nordküste (zwischen Jalnsa und Davlo
tritt das Gebirge unmittelbar an das Meer heran) entlang
gezogen sei, wo das Terrain wegen der fortwährend anf ein-
ander folgenden Thäler, die überschritten werden müssen,
der Bewegung größerer Menschenmassen Schwierigkeiten dar-
bietet x). Bei der Annahme des Sakellarios müßte Deine-
trios dann mit einem großen Umwege durch die Schlucht
von Akauthu über Levkouiko gen Salamis gezogen sein.
Denn zwischen Jalusa und Kerynia giebt es außer dem schwie-
rigcu Saumpfade vom Pentedaktylos keinen andern Paß
über das Gebirge. Viel wahrscheinlicher ist es, daß Deine-
trius von Karpasia aus an der Südküste der Halbinsel ent-
lang oder den noch bequemern Weg durch die Hochebene,
auf welcher Audroniko und Lionarisso liegen, im Binnen-
lande nach Komikebir hinabzog und von da durch das Desil«
von Kastria nach Salamis rückte. Urania lag meiner An-
ficht nach nicht am Meere, sondern im Binnenlande; ich
glaube, seine Lage nahe bei Karpasia aufgefunden zu haben.
Bei Rizokarpaso, etwa 20 Minuten südöstlich davon, liegt
ein hoher Berg, von welchem aus man die ganze Südostküste
der Halbinsel von Cap Andrea bis südlich von Galinoporni
übersehen kann und ebenso einen Streifen des nördlichen
Meeres. Das Volk nennt ihn tü Rani (abgekürzt, wie ich
vermuthe, aus to Ovqccvlov, den Bach iu der Schlucht, in
welche der Berg gegen Westen steil abfällt, nannte mein
Führer nota^i tov'Puvlov). Derselbe ist zn einer Berg-
festnng wie geschaffen; von allen Seiten steigt er steil auf,
ist aber oben — wie mir schien, künstlich — abgeplattet und
bietet genügenden Flächenraum für eine Befestigung. Ich
Selbst für den einzelnen Reisenden ist der Weg von
Davlo nach Jalusa an der Küste entlang unpraktikabel. Die
Bauern von Davlo wühlen, wenn sie nach Jalusa gehen, stets
den Weg über die landeinwärts gelegenen Dörfer Eftakomi und
Platanisso.
20
154
Dr. P. Schröder: Meine zweite Reise auf Cypern im Frühjahr 1873.
habe den Berg trotz seiner fast senkrechten Steilheit erstiegen
und fand oben auf dem Gipfel Spuren früherer Bewohnung:
vor allem bemerkenswerth ist eine künstliche, in den Felsen
gehauene Kammer, etwa 2 Meter hoch, 5 Meter laug und
4 Meter tief. Die Wände waren theilweise noch mit Stnck
bekleidet und die Decke, ein großer natürlicher Felsblock, durch
vier Pfeiler gestützt, die aber — nach ihrem Materielle, Bruch-
steinen mit Mörtel zusammengefügt, zu schließen — erst
vv
später hinzugefügt worden zu fein scheinen. Der Raum wird
durch ein großes viereckiges Loch, welches gerade den Raum
zwischen den vier Pfeilern einnimmt, erhellt. Das Ganze
macht den Eindruck einer uralten Anlage; es war vielleicht
ein hypäthrales Heiligthum. Durch ein Loch in der Nord-
westecke kroch ich in das Innere. Auf der Plateforme sind
auch einige Cisternen.
Durch die Annahme, daß auf diesem Berge die Festung
Urania lag, erklärt sich der Marsch des Demetrius sehr leicht.
Urania, südwestlich von Karpasia, verlegte ihm den Weg nach
Salamis, indem es sowohl die Südküste als auch die Hoch-
ebene von Rizokarpaso beherrschte; er mußte es erobern,
wollte er nicht seinen Weitermarsch durch die Besatzung der
Beste beunruhigt scheu. Doch kehren wir zurück zu deu
Ruinen von Panagia Pergamitissa. Schon bei H.Mi-
kalos ist der Felsboden am Meere mit rechtwinklig gehauenen
Steinblöcken, Mauerwerk und zerbrochenen Sarkophagdeckeln
bedeckt; alles liegt wirr durch einander zwischen dornigem
Gestrüpp, welches das Vordringen sehr erschwert. Beson-
ders bemerkenswerth ist die große Menge dicht neben ein-
anderliegender Felsengräber, deren ich einige dreißig zählte.
Die meisten waren verschüttet, und der Eingang oft nur au
einem mit Erde ausgefüllten Einfchnitt in den Felsen erkenn-
bar. In mehrere dieser Gräber, deren Eingänge noch offen
waren, bin ich hinabgekrochen. Es sind rechtwinklige, sorg-
fältig ausgehauene Grabkammern, die in der Regel auf drei
Seiten Nischen für die (natürlich fehlenden) Sarkophage ent-
hielten, während auf der vierten die Thür liegt, zu welcher
gewöhnlich eiue in den Fels gehauene Treppe hinabführt.
Hier befand sich also die Nekropole zu der etwas mehr laud-
einwärts gelegenen Stadt. Aeußerlich merkt man von der
Existenz dieser Gräberstadt fast nichts, und ich wurde erst
ziemlich spät durch eiueu Zufall auf sie aufmerksam. Die
Gräber liegen nämlich alle unter dem horizontalen Fels-
boden, der mit Gestrüpp bewachsen ist; man grub bei Anlage
der Gräber zunächst ein Rechteck einen Meter tief aus und
uuterminirte dann den Felsen in horizontaler Richtung;
durch das Loch stieg man dann auf einer Steintreppe in die
Grabhöhle hinab. Wahrscheinlich sind auch die angrenzen-
den bebauten Felder voller Gräber. Die Trümmer mehren
sich, je näher man der Kirche der Panagia kommt. In der
Nähe derselben ist der Boden mit riesigen Quadersteinen,
Säulenschäften und Sarkophagdeckeln wie besäet; das Ganze
ist aber sehr schwer zu übersehen, da zwischen den Stein-
Massen überall dichtes Gestrüpp und Brennnesseln wachsen;
wo der Humus etwas reichlicher vorhanden war, gedieh Gerste.
Sehr gut ließen sich noch die Grundmauern eines rechteckigen
Gebäudes, welche aus großen Quadern zusammengefügt
waren und die selbst den Eingang noch deutlich erkennen lie-
ßen, aus dem Trümmerhaufen entwirren. Hinter der Kirche
liegt ein in den Felsen gehauener tiefer Brunnen. Den
Mittelpunkt der einstigen Stadt bildete offenbar die einige
Minuten nordnordöstlich von dem Hügel der Panagia gele-
gene Anhöhe, welche von den Umwohnern Epsilon genannt
wird und mit riesigen Steinblöcken bedeckt ist. Unter ande--
ren sah ich dort zwei steinerne Sarkophage; der Felsboden
war vielfach rechtwinklig zugehauen, und es waren auf diese
Weise künstliche Wände hergestellt.
/ riijateratscha
Fehler
JrT. Mikalos
Panagia
'MPergamitissa
Von da zur Capelle des H. Haralampos. Nahe dabei
liegen einige Hütten in den Feldern zerstreut, welche Tri-
gat«ratscha genannt werden (d.i. TQiatEQaröia, „die drei
Karubenbäume"; der Karnben^ (Johannisbrot-) bäum heißt
auf Griechisch rj %£quteci, was von den Eyprioten wie
teratscha gesprochen wird). Von hier hatten wir noch 33/4
Stnnden bis Davlo. Die Küste ist überall mit Karubeu
und Gerste bebaut, das Gebirge tritt nun unmittelbar bis
ans Meer heran und unser Weg führt fortwährend über
enge und tiefe Schluchten mit kleinen Wasserläufen und
Olivenwäldchen; dieses fortwährende Auf- und Absteigen macht
das Reisen in dieser Gegend sehr beschwerlich und ermüdet
die Maulthiere sehr. Aber dafür bildet der Küstenstrich eine
der reizendsten Landschaften Cyperns, wegen seiner Frucht-
barkeit, seines reichen Baumwuchses von Johannisbrotbäumen
und Oliven und der prachtvollen Aussichten links auf das
tiefblaue Meer, das sich mit Getöse gegen das felsige Gestade
bricht, und jenseits desselben auf die blanen, in ihren höchsten
Theilen vom Schnee weißglänzenden Berge Karamaniens,
rechts auf die majestätische Gebirgskette mit ihren scharfen,
eckigen Linien und hoch aufschießenden Piks, unter denen sich
namentlich der mit stolzen Ruinen, den „hundert Häusern"
(Ekatospitia),^ gekrönte Kantara-Berg malerisch ausnimmt.
Dies ist die axvri 'Aicucov (die Achäerküste) — keine Nie-
derung, sondern ein gebirgiges Land, wie Engel richtig be-
merkt —, wo Tenkros landete nnd nach Überschreitung des
Gebirges am Ausflusse des Pediaios Salamis gründete.
Je mehr man nach Osten vordringt, um so näher drän-
gen sich die Berge der Küste zu uud der Weg verläßt bis-
weilen das Meer und sucht die bequemeren landeinwärts
gelegenen Thäler auf. Nach 5/4 Stunden kommen wir an
Flamudi vorbei, das aber rechts anf dem Berge liegen
bleibt. Der von Flamudi kommende Bach fließt in einem
hübschen, mit hohen Cypressen bestandenen Thale, welches
Dr. P. Schröder: Meine zweite
wir eine Weile lang aufwärts verfolgen, um uns sodann
nach Erklimmung der östlichen Thalwand wieder mehr
dem Meere zuzuwenden. Von hier bis Davlo ritten wir
noch 11/'2 Stunden, während die directe Entfernung kaum eine
Stunde beträgt. Aber das beständige Ueberschreiteu der sich
nach dem Meere öffnenden tief eingeschnittenen Schluchten,
die jetzt so dicht auf einander folgen, daß selbst der Getreide-
bau aufhört, erfordert viele Zeit.
Davlo (o zJavXog) ist ein kleines griechisches Dorf,
bestehend aus 30 bis 40 ärmlichen Lehmhütten, gegen welche
die stattliche saubere Kirche sehr absticht. Es liegt am Fuße
des aus der Nordkette schroff aussteigenden And auf seiner
höchsten Spitze die Ruinen einer mittelalterlichen Burg, des
fränkischen Schlosses Kantara, tragenden Berges, der nach
allen Seiten hin auf Meile» sichtbar ist. Die Ruinen sich-
ren im Volksmunde den Namen Ekatospitia, auch wohl
„spitia tis rigenas", türkisch jüzbir oda. Unter Kantara
dagegen verstehen die Umwohner nicht die Schloßruinen,
sondern das etwa 3/4 Stunden weiter westlich (jenseit der
Wasserscheide mit der Aussicht nach Süden auf den Meer-
bufeu von Salamis und Famagnsta) liegende Kloster der
Panagia tis Kautaras. Der Gipfel mit den Ruinen liegt
von Davlo aus in Südosten, das natürlich nicht sichtbare
Kloster südwestlich unterhalb des sich im Westen an den
Ruiuenberg anschließenden vielgezackten Gipfels Koronia, der
selbst gerade südlich über Davlos liegt.
Am 8. April erstieg ich zu Fuß, früh um 6 Uhr auf-
brechend, bei Hellem, trockenem Wetter und später großer
Hitze von Davlo aus den Kautara-Berg, d. h. es war meine
Absicht, die Ruinen des Schlosses zu besuchen. Nun hatte
ich aber dem Führer gesagt, ich wolle nach Kantara und war
natürlich dabei der Meinung, Kantara sei mit Ekatospitia
identisch. Nach einer Stunde Steigens merkte ich wohl, daß
wir uns zu weit westlich vom Schloßberge abwendeten; doch
beruhigte ich mich, als mir mein Führer aus meine Fragen
wiederholt versicherte, dies sei der richtige Weg nach Kantara.
Uni 71/2 Uhr waren wir oben auf der Wasserscheide, von der
aus man beide Meere sehen kann. Oben lag Nebel. Statt
nun auf der Wasserscheide nach Osten zu gehen, wo meiner
Ansicht uach der wegen des Nebels unsichtbare Ruiuenberg
liegen mußte, wandte sich mein Führer rechts, d. h. uach We-
steu, und führte mich schließlich, nachdem wir noch 20 Minu-
ten aus dem Gebirgsgrate in westlicher Richtung, in Wolken
eingehüllt und bei 13° Wärme, weiter marschirt waren,
hinab — nach dem Kloster Kantara. Als ich es in einer
Entfernung von 1/4c Stunde zu meinen Füßen am südlichen
AbHange des Gebirges liegen sah, wurde mir das Mißver-
ständniß klar, und als ich meinen Führer zur Rede setzte,
weshalb er mich nicht hinauf nach der „alten Burg" geführt
habe, antwortete er mir sehr erstaunt: ich hätte ja immer
uach Kantara gewollt, nicht aber nach „Ekatospitia"; letztere
^gen von hier eine Stunde entfernt. Da wir so nahe bei
dein Monastir waren, und dasselbe zwischen grünen Gärten
einladend aussah, so machte ich nicht sogleich wieder
i Cj pudern stieg, allerdings etwas ärgerlich über den Zeit-
erlust, zu ihm hinab. Es ist nur von zwei Mönchen be-
vv)nt und hat eine schöne Aussicht auf die südlichen Vor-
. ev9^- Nach halbstündiger Rast legten wir denselben Weg
^ ^uer, halben Stunde bis zu der Stelle zurück, wo wir
« lUj Wasserscheide erreicht hatten, d. h. bis zur West-
1 )1 en Zacke des Koronia, und erstiegen sodann in einer
f?1 /,a^en Stunde, dieselbe Richtung beibehaltend, den
rpscl des Ruinenberges, wobei wir oft nur mit Mühe
^ einen Weg durch das dichte Gestrüpp bahnen konnten,
^te jehr umfangreichen, stattlichen Burgruinen, die sich in
Bauart in nichts von unseren deutschen mittelalterlichen
eise auf Cypern im Frühjahr 1873. . 155
Ruinen unterscheiden und mich lebhaft an Giebichenstein, die
Rudelsburg, Schönburg bei Naumburg oder an Hohenurach
in der schwäbischen Alb erinnerten, krönen einen auf dem
Gipfel des Berges ifolirt dastehenden, nackten, von allen Sei-
ten schroff aufsteigenden und ganz unzugänglich erscheinenden
Felsen. Nach längerm Suchen fand ich endlich auf der Süd-
feite eine Stelle, wo derselbe mit Znhülsenahme der Hände
und eines festen Stockes zu erklimmen war. Ich erreichte,
nachdem ich einige 40 bis 50 Fuß in die Höhe geklettert
war, ein Loch in der Mauer, von wo aus eine schmale zer-
fallene Steintreppe in den Burgraum hinaufführte. Mein
alter Führer Savas zog es vor, die halsbrecherische Kletter-
Partie nicht mitzumachen und lieber, während ich oben in den
„hundert Häusern" herumkroch, am Fuße des Burgfelsens
im Schatten eines Hollnnderbanmes ein Schläfchen zu ma-
cheu. Die Aussicht vou oben war erhebend: zu meinen
Füßen im Nordwesten das durch die gelbe Farbe seiner Lehm-
Häuser aus dem Grün des Küstenstrichs sich scharf abhebende
Dorf Davlos und die lang sich hinstreckende Nordküste mit
ihren vielen kleinen Buchten und davor lagernden Klippen;
jenseit des Meeres die in voller Klarheit daliegende karama-
nische Küste, im Süden Famagusta uud der Meerbusen von
Salamis sowie die Dörfer um Trikomo; im Osten das hü-
gelige Binnenland der Karpasischen Halbinsel mit dem großen
Dorfe Komikebir als Mittelpunkt. In weiterer Ferne zeigte
sich in S. 35 W. der Stavrovnno (der antike Olympos,
westlich von Larnaka), näher und ungefähr in derselben Rich-
tnng das weiße Monastir Panagia tis Kantaras und in
unmittelbarer Nähe (S. 55 W.) die Gipfel des Koronia-
Berges. Auf der Nordküste entdeckte ich noch außer Davlos
die Capellen der Panagia Pergamitissa und des H. Mikalos und
H. Haralampos, während sich ans halber Höhe des Ekato-
spitia-Berges, etwas östlich von Davlo, das Monastir
H.Nikolas zeigte. Die Burgruinen selbst sind ziemlich aus-
gedehnt und gut erhalten, umfassen viele Gewölbe, Gallerten
mit Schießscharten uud Thürme und wären einer genauen
Aufnahme wohl werth. Die äußeren Mauern sind sehr fest
und mit einer kleinen Neigung angelegt; auf der höchsten
Spitze des Felsens stehen einige Reste eines kleinen Gebäu-
des mit Spitzbögen, wie es mir schien, einer Burgcapelle.
Der Herabstieg erfolgte auf einem andern Wege direct
in der Richtung auf Davlos zu, wobei die Kirche H. Nikola
iu geringer Entfernung links liegen blieb. Schon nach einer
Stunde, Mittags 12 Uhr. erreichten wir Davlos, wo große
Hitze herrschte, während das Thermometer auf dem Kantara-
Schlöffe nur 14° zeigte. Das Barometer stand auf der
höchsten Spitze 706, unten am Meere 753.
Noch desselbigen Tages setzte ich meine Reise nach Osten
zu an der Küste entlang fort. Ich hatte darauf gerechnet,
schon um 9 Uhr Morgens von Kantara zurück zu sein und
dann sogleich weiter zu reisen, um noch am Abend Jalusa
zu erreichen. Dies war jetzt unmöglich. Man versicherte
mir in Davlo außerdem, daß der Weg au der Küste sehr
schlecht und beschwerlich sei, weil er fortwährend tiefe Schluch-
ten zu überschreiten habe; man käme leichter und schneller
Uber das landeinwärts gelegene Komikebir nach Jalusa, und
diesen Weg wähle Jedermann, der von Davlo dorthin oder
in umgekehrter Richtung gehe. Außerdem sagte man mir,
es gäbe an der Küste außer bei der eine Stunde entfernten
Stelle Galnnia keine alten Trümmerfelder. Obgleich ich
nun lieber der Küste cutlaug gezogen wäre, so gab ich doch
schließlich im Interesse der Maulthiere den Vorstellungen
meiner Leute nach, beschloß aber, nicht über Komikebir und
Lionarisso, welcher Weg mir schon bekannt war, zu gehen,
sondern nördlicher über Eftakomi, Platanisso und Kilanemo
am Fuße der nördlichen Bergkette entlang. Der Weg führt
20*
156 Dr. P. Schröder: Meine zweite N
zunächst an der Küste hin, überschreitet verschiedene durch
Gießbäche gebildete tiefe Thalsenkungen und führt nach einer
Stunde zu eiuem großen, verworrenen Trümmerfelde, welches
die Umwohner Galunia nennen und welches Sakellarios
mit der alten Stadt Aphrodision des Strabon und Ptole-
mäos identificirt. Die Ruinen liegen unmittelbar am
Meere, dem H. Photis, dem letzten hohen Berge der Nord-
kette, gegenüber. Weiter nach Osten senkt sie sich ganz be-
deutend und erhebt sich nur noch einmal vor Jalnsa in dem
schroff gegen das Meer sich vorschiebenden Vorgebirge Gndi
zu einem höhern Gipfel.
Von hier wenden wir uns mehr landeinwärts der Berg-
kette zu, welche wir östlich vom Photis-Berg in geringer Höhe
überschreiten. Aber der Führer verfehlte den richtigen Paß,
so daß wir zu weit westlich oberhalb Komikebir oder schlecht-
hin Komi herauskamen, erst nach dort hinabstiegen und von
da auf ebenem, doch sanft ansteigendem Wege nach dem
3/4 Stunden nordöstlich und höher gelegenen Estakomi,
nnserm Ziele, ritten. Beide Dörfer liegen auf derselben
mit Getreide angebauten Hochebene, welche zur Linken von
der Gebirgskette im Norden, zur Rechten durch eine niedrige,
felsige, mit Gebüsch bewachsene Hügelreihe (Trachonen) be-
grenzt ist. Die Breite dieses Ackerlandes mag nur 7* bis
x/2 Stunde betragen; sie wird gegen Estakomi zu geriuger.
Hinter der Hügelreihe im Süden liegt der hügelige, reichlich
mit Bäumen und Feldern bedeckte Landstrich, welchen ich
1870 auf dem Wege von Komikebir nach Lionarisso passirte.
In Estakomi, einem großen, am Abhänge des Gebirges an-
gelehnten, von Türken (im untern Theile) und Christen be-
wohnten Dorfe, wurde Nachtquartier gemacht.
Hinter dem Orte senkt sich das Land wieder etwas, und
nach anderthalbstündigem Ritt am Fuße der nördlichen Kette
entlang, immer durch hügeliges Land, wird Platanisso,
ein kleines ausschließlich von Türken bewohntes Dorf, erreicht.
Man hatte mir in Larnaka mitgetheilt, die Bevölkerung von
Platanisso sei drusischer Abkunft, und das Dorf führe auf Tür-
kisch den Namen Drnskjöi. Doch war letzterer Niemandem
in der Karpasia (der östlichen Halbinsel) bekannt, und auch
von der angeblichen drusischen Abkunft wußte Niemand etwas.
Die Bewohner sprechen Türkisch und Griechisch, sind aber
durchweg Mohammedaner. Auffallend waren mir die vielen
r o t h h a a r i g e n Kinder. Von Platanen war übrigens nichts
zu sehen, ebenso wenig wie in Tremethnsia bei Athienn von
Terebinthen; die Berge über dem Dorfe sind alle kahl. Hin-
ter demselben steigt der Weg die kahle Bergwand in die Höhe
ittib dann in ein nach dem Meere sich vielfach öffnendes
Hügelland mit Oliven- und Gerstenbau hinab. Eine halbe
Stunde, nachdem wir die steile Anhöhe über Platanisso er-
stiegen, erreichen wir Tschilänemo (KoiXavspog, d. i.
Windloch?), ein am Anfang eines nach Nordwesten zu ge-
gen das hier sichtbare Meer sich öffnenden Thales gelegenes
Dörfchen, dessen Bewohner, namentlich die Frauen, mir
dnrch ihre malerische Tracht und ihre langen blonden Locken
auffielen. Unmittelbar hinter dem Dorfe (d.i. östlich) steigt
der Weg eine Anhöhe hinauf auf das Hochplateau, iu welcher
südlich Lionarisso (nicht sichtbar) und vor uns im Osten, nur
1/4 Stunde entfernt, das große Gartendorf H. Androniko
mit seiner stattlichen Kirche liegt. Dasselbe dehnt sich weit-
ise auf Cypern im Frühjahr 1873.
hin aus, da jedes einzelne Haus von Gärten und Feldern
umgeben ist. Der Boden ist felsig, aber mit einer dünnen
Schicht rother Erde bedeckt, die sich namentlich gut zu Maul-
beer- und Feigenplantagen eignet. H. Androniko zeichnet sich
ebenso wie Jalnsa und Rizokarpaso durch seine bedeutende
Cultur der Seide aus, welche gleich von den Bauern selbst
gesponnen und gewebt wird. Der Ort zählt 160 Häuser;
die Bevölkerung ist halb griechisch und halb türkisch. Man er-
zählte mir hier im Kaffeehaus, daß bei Tschilanemo am Meere
sich alte Reste — wahrscheinlich Felsengräber — fänden.
Von H. Androniko reitet man in mäßigem Schritt über mit
Gestrüpp bedeckte Gegend noch 40 Minuten nach Nordosten
bis zu dem großen und reichen Dorfe Jalufa (Gialufa),
dessen Kirchthurm schon fast eine halbe Stunde vorher sicht-
bar wird. Die Hochebene fällt zuerst mäßig gegen das weit-
hin sichtbare Meer ab uud senkt sich dann zu einer mit dich-
tem Gebüsch bewachsenen, unten auf der Sohle mit Maul-
beerbäumen und Aeckern bedeckten Schlucht, deren Bach auf
einer steinernen Brücke überschritten wird. Nach Ersteigung
der jenseitigen Thalwand beginnen schon die Häuser von
Jalusa; doch hat man noch eine halbe Stunde von da bis
zum Mittelpunkte des Dorfes, der Kirche Archangelos, zu
gehen; der gauze Ort ist wohl eine Stunde lang, weil wie
in Androniko auch hier die Häuser isolirt iu der Mitte der
zu ihnen gehörigen wohlgepslegten und sorgsam eingezäunten
Gärten und Felder liegen. Außer den vielen Maulbeer-
Plantagen giebt es hier viele Oel-, Johannisbrot- und Feigen-
bäume, auch eiuige Palmen und hin und wieder niedrige
Pinien. Jalusa liegt noch auf dem Plateau, welches die
hier ziemlich breite Küstenebene im Süden begrenzt. Die
Küste springt unterhalb des Ortes weit in das Meer vor
und bildet im Nordwesten den kleinen Hasen Limenari; öst-
lich davon liegt ein Hügel, Akamas geuauut. Jene Küsten-
ebene trug im Alterthnme entschieden eine Niederlassung; die
Lage war zu günstig, die Nordküste außer bei Keryuia an
keiner Stelle so breit und der Boden ist sehr fruchtbar. Iu
der That siud dort auch viele alte Reste erhalten. Da wir
schon um 21/2 Uhr nach Jalusa kamen, Rizokarpaso aber
an demselben Tage nicht mehr zu erreichen war, so beschloß
ich, iu Jalusa zu nächtigen, und benutzte deu Nachmittag
dazu, mit dem Sohne meines Wirthes nach der Küstenebene,
dem Jalo, hinabzusteigen. Wir wanderten eine viertel
Stunde in nördlicher Richtung durch die Gerstenfelder bis
zu einer in der Mitte der Ebene gelegenen, mit Gesträuch
bewachsenen, felsigen Anhöhe, auf welcher eine steinerne
Windmühle gebaut wurde. Der ganze Felsboden war hier
zu Gräbern ausgehauen. Von da gingen wir quer durch die
Felder in nordwestlicher Richtung an dem sandigen Strande hin
und sahen bei dem Hügel Limenari Spuren unter dem Sande
verschütteter Hafenbauten; ein kolossaler Sandsteinblock ragte
noch halb aus dem Sande hervor. Von da aus wandten
wir uns wieder südöstlich zu dein y2 Stunde entfernten
Dorfe zurück, bei den verfallenen Capellen H. Georgios und
H. Jannis vorbei, wo sich viele alte Trümmer, große Ona-
dersteine und hier und da zerbrochene Säulenschäfte finden.
Nach Inschriften suchte ich vergebens. Im Hofe der Kirche
Archangelos sah ich auch ein großes korinthisches Säulen-
capitäl, reich mit Akanthusblättern geziert.
Handel und Verkehr der Euphrat^Tigris-Länder. 157
Handel und Verkehr der
Der Tigris wird gegenwärtig (Frühjahr 1878) von
Bassorah bis Bagdad von zwei englischen und sieben tür-
tischen Dampfern befahren, und die englische Gesellschaft soll
in der nächsten Zeit ein drittes Boot einstellen wollen, weil
der sehr Profitabele Handel von Jahr zu Jahr wächst. Die
meisten dieser Boote haben beladen gegen 4 engl. Fuß Tief-
gang, keines mehr. Auf dem Euphrat, der noch viel seichter
ist als der Tigris, soll alljährlich nur ein einziges Boot, von
der Regierung ausgesandt, bis Bir hinausgehen; Boote von
mehr als 30 Zoll Tiesgang können den Enphrat nicht be-
fahren.
Bassorah hat nur noch wenige von den 300 000 Ein-
wohnern übrig behalten, die es einst besaß. Es ist jetzt ein
kleiner Platz, hat aber seit der Eröffnung des Snez-Canals
etwas frisches Leben bekommen. In diesem Frühjahr ankerten
11 europäische Dampfer dort, um Getreide für indische und
europäische Plätze zu laden. Werste sind im Bau begriffen
und einige Häuser in europäischem Stile sind in letzter Zeit er-
richtet worden. Der Flußweg von Bassorah nach Bagdad
ist 850 Kilometer lang und die starke Strömung bewirkt,
daß die Dampfer durchschnittlich fünf Tage für die Bergfahrt
brauchen. Dieser ganze große Strich Landes ist gegenwärtig
wenig mehr als Weideland, auf welchem große Schafherden
gehalten werden, welche Inden und Armeniern in Bagdad
gehören nud für deren Hut die dort wohnenden Araber eine
Vergütung empfangen, welche so ziemlich das einzige bare
Geld darstellt, das diese Nomaden einnehmen. Seitdem in
Folge des Krieges die türkischen Truppen das Land verlassen
haben, nehmen dieselben znsehens wieder von ihren räuberi-
schen Gewohnheiten an; ein Scheich hatte mehrere Getreide-
schiffe geplündert, welche von Bagdad nach Bassorah fuhren,
und in einigen Fällen ihre Besatzung ermordet, so daß die
Regierung die Getreideschiffe durch ein Kanonenboot begleiten
lassen mußte. Die englischen Schiffe dagegen wurden ver-
schont. Auch außerdem herrscht viel Anarchie unter den
Araberstämmen, aber mehr in Gestalt von inneren Kämpfen
als von Ungehorsam gegen die türkische Herrschaft. Es wird
als ein Zeichen von Besserung der Zustände hervorgehoben,
daß in den letzten Jahren zahlreiche Araber sich in Ortschaften
aus Lehmhütten am Flußufer niedergelassen haben, wo man
früher nur Zelte oder Schilfhütten sah. Man sagt, daß,
wenn der Araber erst ansässig geworden sei, er auch sehr bald
vergleichsweise civilisirt werde; die Behauptung erscheint wahr-
scheinlich, wenn man an den demoralisirenden Einfluß des
Nomadenlebens denkt; die wirtschaftlichen Resultate sind
abzuwarten.
Erst in der unmittelbaren Umgebung von Bagdad findet
uian eine Ausnutzung des Bodens, welche der Fruchtbarkeit
desselben entspricht. Hier hat der Ackerbau in der jüngsten
Zeit erheblich zugenommen. 1877 soll Bagdad 50 000
Tonnen Getreide nach Bassorah verschifft haben, und im
April dieses Jahres sollen noch 30 000 Tonnen versandt-
bereit in den Speichern gelegen haben. Das Volk wollte
aber nicht dulden, daß dasselbe aus der Stadt entfernt werde,
so lauge die neue Ernte nicht ganz sicher sei. Um ganz
Bagdad giebt es keine Praktikabele Straße außer eine 5 Kilo-
Meter lange Pferdebahn nach der volkreichen Vorstadt Kas-
main. Midhat Pascha, der einzige energische und aufgeklärte
Generalgouverneur, den Mesopotamien seit Jahrzehnten hatte,
Euphrat-Tigris-Lünder.
baute diese Linie, welche sich zu 100 Procent rentiren soll.
Nachfolge hat er keine gesunden. Alle Lasten werden auf
dem Rücken von Lastthieren transportirt nud diese Besör-
deruugsweise ist sehr kostspielig. Der Trausport von 4 Mark
Werth an Datteln oder Getreide per Esel von Hillah nach
Bagdad kostet 6 Mark. Kein Wunder, wenn ringsum im
Innern dieProducte verfaulen, wenn sie in Fülle vorhanden
sind, und daß andererseits bei jeder localen Fehlernte Hungers-
uoth eintritt. Bei dem heutigen Zustand des Landes sind
Verkehrwege das nöthigste. Die wirtschaftlichen Anregungen,
welche von der Regierung und von Fremden ausgehen, haben
ausschließlich auf die Förderung des Ackerbaues hingewirkt,
und dieser hat sich verhältnißmäßig rascher entwickelt als die
Möglichkeit der Abfuhr seiner Erzeugnisse. Die Juden von
Bagdad haben in den Jahren der Verwaltung Midhat
Pascha's, wo die Verhältnisse ziemlich sicher waren, den ara-
bischen Landleuten der Umgebung bedeutende Capitalieu vor-
geschossen, vermöge welcher dieselben die alten versandeten
Bewässerungscanäle ausräumen und Brachland ansäen kön-
nen. Nach Abzug des Steuerbetrages geben sie die Hälfte
des Ertrages als Zins. Auch Dattelpalmen sind noch wie
vor Jahrhunderten zahllos im Euphratthal; aber die Absatz-
wege für ihre Früchte fehlen. Die europäischen Kenner des
Landes scheinen keinen Zweifel darüber zu hegen, daß eine
Pferde- oder Dampfeisenbahn von Bagdad nach Hillah und
30 Kilometer weiter nach Kerbela sich nicht bloß rentiren,
sondern dieser ganzen fruchtbaren Gegend zum größten Vor-
theil gereichen würde. Eine zweite Bedingung des Gedeihens
wäre die Oeffnung von Seitencanälen für den Wasserüber-
sluß, den in gewissen Zeiten des Jahres der Enphrat führt.
Den türkischen Ingenieuren, deren einige Jahr aus Jahr
ein mit Dammbauten und Ausbesserung der alten Dämme
beschäftigt sind, scheint dies nicht zu gelingen, und doch wird
behauptet, daß es unschwer möglich wäre, wenn man die ver-
sandeten Bewässerungscanäle der alten Babylonier, deren
Dämme noch intact sein sollen, ausräumen wollte.
Bagdad hat gegenwärtig ungefähr 100 000 Einwohner.
Von feiner Industrie ist wenig mehr zu sagen, als daß die-
selbe gleich der anderer türkischer Hauptstädte eine sehr leistungs-
fähige Kleinindustrie ist, welche fast ausschließlich für den
directen Verkauf in den Bazars arbeitet.
Nördlich von Bagdad ist die erste größere Stadt Ker-
bela, welche 60 000 ständige Einwohner, darunter 10 000
Eingeborene Britisch-Jndiens und Persiens, besitzt. Alljähr-
lich sollen nicht weniger als 120 000 Wallfahrer hierher
kommen. Jm Uebrigen hat der Ort keine Verkehrsbedeutung;
er liegt außerhalb der Straßen, welche für die größeren
Verkehrsströmnngen in dieser Gegend in Anspruch genommen
werden können.
Im December 1877 wurde Kerbela, welches ohne tür-
kische Garnison war, rebellisch, verweigerte die Zahlung der
Steuern und die Soldatenaushebung — über welche die
Araber, so gute Soldaten sie auch später in Reihe und Glied
abgeben, stets unzufrieden sind — und erklärte sich gewisser-
maßen zur Republik. Seine arabische Bevölkerung benutzte
die Gelegenheit, sich in den Straßen reguläre Schlachten zu
liefern und uralte Familieufehdeu auszufechten. Doch ge-
nügten 400 türkische Soldaten und 3 Kanonen, um die
Aufstäudifcheu mit schweren Verlusten zu Paaren zu treiben
158 Prof. A. Raimondi: Zur ph!
und zahlreiche Gefangene nach Bagdad abzuführen. Die
zweite heilige Stadt, Nedfchef, mit ihren gleichfalls reklli-
schen 12000 Arabern unterwarf sich dann sofort, und des
Sultans Autorität ist hier wieder ebenso stark oder schwach
wie sonst; denn zu einer gemeinsamen gleichzeitigen Anstren-
gnng, um das verhaßte türkische Joch abzuschütteln, werden
es die Araber nie bringen.
Viel wichtiger ist Mosul, das bereits im Kurdenland,
gegenüber Niuive, am Ende der Schissbarkeit des Tigris
gelegen ist. Die Gegend zwischen Bagdad und Mosul ist
ziemlich wohl augebaut und das Hauptgetreide ist hier Gerste.
Die Kurden dieser Gegend sollen als Ackerbauer ebenso tüch-
tig sein wie ihre nomadisirenden Stammesgenossen im Ge-
birge als Räuber berüchtigt sind. Den kurdischen Ackerbauer
stellt man, was Fleiß und Geschick anbetrifft, hoch über den
ansässigen Araber. Entsprechend der verhältuißmäßig dichten
Bevölkerung dieses Striches fehlt es in demselben auch nicht
an größeren Plätzen. Unter diesen ist Kerkuk mit 20 000
Einwohnern und Erbil (Arbela) mit 12 000 Einwohnern
zn nennen. Die zu erhoffende mefopotamische Eisenbahn
wird jedenfalls schon der dichtern Bevölkerung und dieser
Städte wegen den Weg am östlichen Tigrisufer vorziehen.
In der Nähe vou Erbil giebt es Petroleumquellen, deren
Product vou den Tigrisdampfern als Brennmaterial benutzt
wird.
Die Poststraße folgt vou Mosul dem Tigris, welcher sie
bei Dschezireh kreuzt, führt dann quer durch die kurdischen
Gebirge im nördlichen Mesopotamien über Mardin, Diar-
bekr und Urfah nach Biredfchik, wo sie den Enphrat
kreuzt und in das nördliche Syrien eintritt. Dörfer sind
in dieser Gegend zahlreich; Getreide, besonders Gerste, wird
in erheblicher Menge erzeugt, uud die früher, gerade für diese
Gegend, so verderblichen Kurdeneinfälle sind durch eine neu-
orgauisirte Gensdarmerie, welche aus 500 Tscherkesseu be-
steht, vermindert worden. Leider scheinen aber die Tscher-
kessen selbst auch hier von räuberischen Neigungen in ziemlich
Zur physikalischen G
Eine Skizze von Prof. !
(Ans dem
Die Republik Peru dehnt sich am Stillen Ocean von
3» 21' bis zu 22° 32' südl. Br. ans; da aber die Richtung
vorwiegend von Nordwest nach Südost ist, beträgt die Länge
der Küste mehr als 460 Leguas — 2300 Kilometer. Die Breite
Perus vom östlichsten Punkte an der Mündung des Flusses
Madeira bis zum westlichsten Punkte, dem Vorgebirge Pa-
rem am Stilleu Ocean, beträgt mehr als 18x/2 Längen-
grade, d. h. von 650 ^s zu 83° 40' 54" ttestl. L. vou Paris.
Die Gestalt Perus ist demnach sehr unregelmäßig; das ganze
Gebiet, ans welches die peruanische Nation Anrecht hat, zu-
sammeu berechnet, ergiebt eine Oberfläche von circa 67 700
Qnadratlegnas — 338 500 Quadratkilometer x).
Zwei große Bergketten, beide zusammen ohue Unterschied
die Cordillera de los Andes genannt, obwohl die östlichste
Kette allein berechtigt ist, diesen Namen zu führen, laufen
fast parallel von einem Ende Perus zum andern; unter
x) Hier liegt ein Jrrthum vor. Nach Behm und Wag-
ner, Die Bevölkerung der Erde, II, S. 76, beträgt das Areal
Perus 1 303 702 Quadratkilometer. Red.
italischen Geographie von Peru.
hohem Grade besessen zu sein, und der Zustand des Landes
hat sich durch ihr Eingreifen nicht so gebessert, wie die Ne-
gierung wahrscheinlich erwartet hat.
Bei Biredschik ist der Euphrat so seicht, daß er mit
Leichtigkeit durchwatet werden kauu, aber seine Breite beträgt
einen vollen Kilometer. Der Weg führt von hier nach
Aleppo über hügelige Kalkplateaux, deren Staub groß und
deren Fruchtbarkeit gering ist. Aleppo zählt 200 bis 300
Europäer unter seinen Einwohnern und hat durch zahlreiche
europäische Waareu, die in seinen Bazaren feilgeboten wer-
den, ein abendländischeres Gepräge als irgend eine Stadt
östlich von Smyrna. Vom Euphrat bis hier würde eine
Eisenbahn wahrscheinlich geringe Schwierigkeiten zu über-
winden haben, aber bis zur Ebene von Antiochia giebt es
Reihen von Hügeln zu übersteigen, welche zu großen Um-
wegen Anlaß geben werden. Die Poststraße führt jetzt ge-
rade über sie weg, die Eisenbahn würde ihr aber hierin nicht
folgen können. Antiochia liegt zwischen diesen Hügeln und
dem Gebirge vou Beilan (dem Amanns) in einer Ebeue,
die zur Häfte ein sieberanshauchender Sumpf ist. Zwei
Straßen, von denen man Reste sieht, die eine von den Rö-
mern, die andere von Sultan Murad angelegt, führten einst
quer hindurch, sind aber von dem schlammigen Boden fast
schon ganz verschlungen. Die Eisenbahn würde ihn wahr-
scheinlich umgehen können. Der Beilan-Paß wird cutf einer
guten Straße überschritten, deren Steigungen für Pferde
überall erträglich sind. Der höchste Punkt desselben liegt
wenig über 500 Meter. Von seinem Fuß bis Alexau-
drette sind es noch ungefähr 25 Kilometer. Der letztere
Ort ist bekanntlich kein Hafen, sondern eine Rhede, welche
den südlichen und sast allen westlichen Winden offen ist.
Immerhin ist der Verkehr zwischen Alexaudrette und Aleppo
so bedeutend, daß er gegenwärtig allein 10 000 Kamele als
Lastthiere nöthig hat.
(Mittheilung Grattan Geary's in der „Mail"
vom 26. Juli 1878.)
»eographie von Peru.
!l. Raimondi zu Lima.
Spanischen.)
11° uud 14° südl. Br. vereinigen sie sich und bilden eine
Art Knotenpunkt, von welchem andere untergeordnete Berg-
ketten ausgehen. Hinsichtlich der Hydrographie kann Peru
als ein Dreieck betrachtet werden, dessen eine Seite der Stille
Ocean ist, in welchen alle Flüsse der westlichen Cordillere
sich ergießen; die zweite Seite ist der Atlantische Ocean oder
richtiger gesagt der Amazonenstrom, zu welchem alle Flüsse
der östlichen Seite der Cordillere zusammenströmen, und die
dritte Seite bildet der Titicaca^See, in welchen alle Flüsse,
welche sich zwischen beiden Cordilleren befinden, münden.
Da Peru in seiner ganzen Länge von hohen Gebirgsketten
durchschnitten wird (nicht wenige Gipfel sind mit ewigem
Schnee bedeckt), so ist einleuchtend, daß das Klima sehr ver-
schiedenartig ist. In der That kann man ganz Peru in fünf
Zonen theilen, welche sich sowohl durch Klima als Erzeug-
nisse unterscheiden. Es sind dies das Küstengebiet, das Ge-
birge, Hochgebirge, die Cordillere und die Montana (Tropen-
gebiet hinter den Cordilleren).
Das Küstengebiet. Diesen Namen trägt derjenige
Theil Perus, welcher sich zwischen der Küste des Stillen
Prof. A. Raimondi: Zur ph!
Oceans in den ersten Erhebungen der Cordillere etwa bis
zu 1500 Meter hinzieht. Diese Gegend ist durch eiuen
außerordentlichen Regenmangel scharf ausgezeichnet; denn
als Regen kann man nicht denjenigen außerordentlich feinen
Niederschlag bezeichnen, welcher, als Sarna bekannt, kaum
den Boden benetzt, und welcher im Winter, d. h. vom Monat
Mai bis September, zu falle» pflegt.
Das Küstengebiet nimmt eine große meist sandige Ebene
ein, welche zuweilen von fruchtbaren Thälern durchbrochen
wird, welche im Ueberflnß die Hauptpflanzen und Früchte der
heißen und gemäßigten Zone hervorbringen, wie z. B. Zucker-
rohr, Baumwolle, Bananen, Auca, Reis, Weintrauben,
Mais, verschiedene Kleearten u. s. w. Da das Küstengebiet
Perus beinahe 13 Breitengrade nmfaßt, ist selbstverständlich
das Klima desselben von einem Ende zum andern sehr ver-
schieden; nichtsdestoweniger ist die Durchschnittstemperatur
gemäßigt uud in keinem Verhältniß vergleichbar mit der des
benachbarten Ecuador, indem man dieselbe für Lima auf
19° C. annehmen kann, trotzdem daß diese Stadt unter 12° 2'
südl. Br. liegt.
Das Küstengebiet, welches sich eben in Folge seiner
Trockenheit zum größten Theile unfruchtbar zeigt, bedeckt sich,
wo nur ein wenig Wasser vorhanden ist, mit einer üppigen
Vegetation. Um daher die Oberfläche des bebauten Landes
zn vermehren, hat man nach eingehenden Vorarbeiten mehrere
Wasserwerke ausführen lassen, unter denen hervorgehoben zu
werden verdienen der Canal von Uchusuma, welcher bestimmt
ist, das Wasser aus dem Gebirge nach der Stadt Tacna zu
leiten, ferner die Aufstauungen einiger kleiner Seen in der
Cordillere „Ascenfion" behufs Vermehrung des Wassers
des Nimac, welcher das Thal von Lima bewässert, und der
Canal nach Payta.
Das Gebirge. Mit dem Namen „Gebirge" (Sierra)
bezeichnet man in Peru die Region des gemäßigten Klimas
in einer Meereshöhe von circa 1500 bis 3500 Meter, und
zwar sowohl in dem westlichen Theil der ersten Cordillere
als auch zwischen beiden Gebirgsketten, obwohl in der That
diese Grenze sehr nach der topographischen Lage des Ortes
wechselt. Man könnte eigentlich sagen, daß diese Gegend
durch ihre meteorologischen Erscheinungen und deren Wir-
knngen charakterifirt wird. In der That regnet es im Ge-
birge und zwar zu der entgegengesetzten Zeit, wann die sench-
ten Niederschläge oder Sarua an der Küste fallen, das heißt
mit anderen Worten vom September bis April. Nichts-
destoweniger sind die Jahreszeiten Winter und Sommer die-
selben im Gebirge wie an der Küste, obwohl einige glan-
ben, allerdings irrthümlich, daß der Winter im Gebirge der
Regenzeit entspricht.
Der Mangel an Regen und der Ueberfluß desselben kenn-
zeichnet einerseits das Küstengebiet, andererseits das Gebirge,
und hat eine verschiedene Bauart der Häuser im Gefolge:
während im Küstengebiet flache Dächer vorherrschen, bedars
man im Gebirge eines schrägen Daches, um das Regen-
Hasser ablaufen zu lasseu. Durch diesen einfachen Unter-
schied in der Form des Daches kann schon ein des Landes
unkundiger Reisender auf den ersten Blick sehen, ob er sich
nn Küstengebiet oder im Gebirge befindet.
Das Klima dieser Gegend ist gemäßigt; das Thermo-
Meter steigt selten aus 22° C. und fällt selten bis auf den
Gefrierpunkt; Ausnahmen hiervon kommen nur an einzelnen
^rten vor, bei denen die topographische Lage einen größern
Zufluß ausübt.
In dieser Zone werden die Nutzpflanzen Europas an-
gebaut, welche sehr gut fortkommen und sehr gute Ernten
liefern. Die charakteristische Pflanze dieser Gegend ist aber
r m Peru einheimische Mais; in den Gräbern der alten
Mischen Geographie von Peru. 159
Peruaner schon finden sich Körner dieser nützlichen Pflanze.
Die hauptsächlichsten Pflanzen, welche neben dem Mais ge-
baut werden, sind Weizen, Gerste, Kartoffeln, ^Ice (alfalfa),
Pfirsiche, Aepfel u. s. w.
Die Pflanzen, welche gleichsam die Grenzen dieser Zone
bezeichnen, sind nach unten zu das Zuckerrohr, welches, obwohl
es noch fortkommt, doch fo lange Zeit zur Reife bedarf, daß
sein Anban nicht mehr lohnend ist. Die Grenze nach oben
zu bildet der Klee, welcher in Peru bis zu 3500 Meter voll-
kommen gut gedeiht; aber in dieser Höhe ist er bereits den
Frösten ausgesetzt.
Das Hochgebirge (Puna). Diese Gegend Perns wird
durch die Hochebenen oder ebenen Flächen gebildet, deren
höchste Höhe zwischen 3500 und 4500 Meter liegt; charak-
teristisch für dieselben ist diejenige des Departements Puna,
in welcher sich der große See Titicaca (1a gran laguna)
befindet. Das Klima ist kalt, namentlich des Nachts, so
daß das Thermometer mitunter bis auf 10 Grad unter
Null fällt.
Hinsichtlich seiner Prodncte kann das Hochgebirge (Puna)
als die Gegend der Weiden betrachtet werden, welche von
verschiedenen Grasarten gebildet werden und nicht allein zur
Ernährung der einheimischen Thierarten, wie Llamas, Al-
paccas und Vicnnas, dienen, sondern auch zur Züchtung
großer Herden von Rindvieh und Schafen. Nichtsdesto-
weniger wachsen in der untern Region dieser Zone auch viele
Pflauzeu, welche zur Ernährung ihrer Bewohner dienen,
z. B. Kartoffeln, Gerste n. s. w.
Cordillera. Von der äußersten Grenze des Hoch-
gebirges (Puna) bis zum höchsten Gipfel der Gebirge dehnt
sich die Zone aus, welche diesen Namen trägt. Sie ist we-
gen ihrer niedrigen Temperatur nicht cnlturfähig, da sie bei-
uahe stets mit Schnee bedeckt ist, welcher auf deu höchsten
Spitzen das ganze Jahr liegen bleibt.
Verschiedene dieser Schneegebirge erheben sich zu Uber
6000 Meter über deu Meeresspiegel und einige übertreffen
sogar die Höhe des Chimborazo. Die Grenze des ewigen
Schnees ist in Peru etwa bei 4800 Meter Uber dem Meere;
iudeß giebt es einige Orte, an denen vermöge besonderer
topographischer Verhältnisse sie sogar bis zu 6000 Meter
geht; die Temperatur dieser uuwirthbaren Gegend ist des
Tages, wenn die Sonne scheint, einige Grade über Null,
des Nachts aber, wenn der Himmel vollkommen klar und
wolkenlos ist, an einigen Orten bis zn 20 Grad unter
Null.
Der Boden des schneefreien Terrains ist mit einer Art
grünen Teppichs bedeckt, der einige Centimeter hoch ist uud
den Vicnnas und Alpaccas, welche diesen höchsten Theil
Perus bewohnen, eine spärliche Nahrung bietet.
Montana. In Peru bedeutet der Name Montana
nicht immer, wie man anzunehmen berechtigt ist, eine gebir-
gige Erhöhung, sondern wird stets für denjenigen Theil des
Landes gebraucht, welcher sich von der Küste ans hinter
der östlichen Cordillere befindet und mit Urwald bedeckt ist.
Erscheint in der Cordillere die Natur wegen des Man-
gels an Wärme behufs Eutwickeluug der Vegetation fast
vollkommen ausgestorben, so zeigt sich dagegen in der Mon-
tana, wo die Atmosphäre die besten Lebensbedingungen, näm-
lich Wärme und Feuchtigkeit, in sich vereinigt, die Natnr
in ihrer vollsten Ueppigkeit, sowohl in der Zahl und den
Arten ihrer Erzeugnisse als auch in deren Dimensionen.
Dieser bevorzugte Theil Perus besitzt außer jenen zahl-
reichen Naturproducten und dem Vorzug, daß der Boden
verhältnißmäßig eben ist, noch zahlreiche schiffbare Flüsse,
so daß dieselben sehr gut zum Transport der Natnrprodncte
sowohl als auch derjenigen des Ackerbaues dienen können.
160 Aus allen
Die Montana hat im Allgemeinen, wie schon erwähnt,
ein warmes und feuchtes Klima, aber beim Eingang in die
Thäler, d. h. iu denjenigen Theilen, welche der Cordillere
Erdtheilen.
zunächst liegen, ist das Klima gemäßigt, angenehm und sehr
gesund.
Aus allen Erdtheilen.
— Dr. Pechnel-Loesche in Leipzig und Dr. H.Mag-
nus in Breslau versenden den ersten einer ganzen Reihe
von Fragebogen anthropologischer Natur, welche zur Lösung
des Problems beitragen sollen, bis zn welchem Grade
die Naturvölker die Farben empfinden und durch
Benennung unterscheiden wie die Kulturvölker. Mit
Hülfe der beigefügten Farbenseala soll geprüft werden, in-
wiefern dieselben helle sowie dunkle Farbentöne als unter
sich verschieden auffassen oder benennen (ob sie z. B. Blan,
Violett, Schwarz, Grün, oder Roth, Orange, Gelb mit dem
nämlichen Worte bezeichnen oder nicht); ob sie die verschie-
denen Farbentöne der hellen sowie der dunklen Gruppen
auch wirklich als durchaus gleiche empfinden; oder ob sie
dieselben wohl zu unterscheiden vermögen, obgleich ihnen die
speciellen Benennungen für dieselben in ihrer Muttersprache
fehlen. Dieser Bogen, welchem bald andere folgen werden,
zunächst ein solcher über das Thema der abnormen Färbnn-
gen, soll in Tausenden von Exemplaren kostenfrei an Mis-
sionsgesellschasten, Handelshäuser und Vereinigungen, an
Colonialregiernngen und alle Gebildeten, welche mit Natur-
Völkern zu thun haben, an Reisende, Landbauer, Missionäre,
Händler u. s. w. verschickt werden, knrz an jeden, welcher
dem „Museum für Völkerkunde in Leipzig", der Centralstelle
des Unternehmens, seine Adresse mittheilen und die knapp
und scharf gestellten Bogen beachten und beantworten will.
Ebenso ist jeder hoch willkommen, welcher den Unternehmern
mit Rath beistehen will, besondere Anliegen hat und wich-
tige Punkte mit aufgenommen zu haben wünscht. Die in
der Folge erscheinenden Fragebogen sind nach einem ganz
bestimmten Systeme angelegt und werden nach ihrer Rück-
seuduug in die Bibliothek eingeordnet. Im Leipziger Mn-
senm soll dann das durch möglichst umfassende Betheilignng
aller Gebildeten auf dem ganzen Erdeuruude beschaffte Ma-
terial alleu Gelehrten zur Einsicht und Bearbeitung zngäng-
lich sein. Wir wünschen dem für den Ausbau der Völker-
künde überaus wichtigen Unternehmen den besten Fortgang
und richten an alle unsere Leser in fernen Landen die freund-
liche Bitte, dasselbe in der bezeichneten Weise nach Kräften
fördern zn helfen.
— Farbenblindheit. Im „Centralblatt für praktische
Augenheilkunde" liest man aus Breslau Folgendes aus der
Feder der Doetoren Magnus und Cohn: „Bon den Be-
hörden erhielten wir im November vorigen Jahres die Er-
lanbniß, sämmtliche hiesige Schulkinder einer Prüfung des
Farbensinnes zu unterziehen. Bisher haben wir 5079 Schü-
ler und Schülerinnen untersucht (Cohn 2061 und Magnus
3018). Die Vorproben in den Classen selbst wurden nach
Holmgren mit Rosawolle vorgenommen, jedoch nur diejeni-
gen Fälle in die Statistik eingefügt, welche nach mehrstün-
diger Specialprüfnug mittelst Pigment-, Eontrast- und Spec-
tralfarben sich als zweifellos farbenblind erwiesen. Schüler
wurden durch Magnus und Cohn 2761 untersucht; es faudeu
sich unter denselben 76 Farbenblinde = 2,7 Proe. Schüle-
rinnen wurden durch die Genannten 2318 untersucht; es
fand sich unter diesen eine Farbenblinde — 0,04 Proe.
Unter den Mädchen scheint also die Farbenblindheit zn den
allergrößten Raritäten zu gehören. Der einzige Fall, den
Magnus gefunden, betrifft ein Mädchen, welches sowohl für
Roth und Grün, als sür Blau und Gelb farbenblind ist,
ein ganz atypischer Fall, über welchen später genauer referirt
werden wird. Cohn fand unter 1061 Mädchen nicht ein
einziges farbenblind. Bei der Untersuchung der Schüler der
Zwinger-Realschnle fiel es Cohn anf, daß die Ueberzahl der
farbenblinden Schüler jüdische Namen hatte. In Folge des-
sen wurde von uns fortan auch die Confession aller nnter-
suchten Schüler uotirt. Dabei ergab sich folgendes über-
raschende Resultat: Cohu fand unter 642 christlichen Schülern
21 sarbeubliud — 3,2 Proe., Magnus fand unter 1305 christ-
lichen Schülern 21 farbenblind — 1,6 Proe., zusammen un-
ter 1947 christlichen Schülern 42 farbenblind — 2,1 Proe.
(Die Mutter eines dieser christlichen farbenblinden Schüler
war eine getanfte Jüdin.) Dagegen fand Cohn unter 358
jüdischen Schülern 17 farbenblind — 4,7 Proe., Magnus un-
ter 456 jüdischen Schülern 17 farbenblind — 3,7 Proc., zu-
sammen unter 814 jüdischen Schülern 34 farbenblind — 4,1
Proc. Es wurden also doppelt so viel Proeent jüdischer als
christlicher Schüler farbenblind gefunden. Auf den christlichen
Mädchenschulen waren 722 Jüdinnen untersucht und alle
normal gefunden worden; außerdem hat Cohn noch speciell
eine uur von 114 jüdischen Mädchen besuchte Industrieschule
untersucht uud dort ebenfalls nicht ein farbenblindes Kind
unter 114 Schülerinnen getroffen. Wenn wir uns anch die
Mittheilungen aller Beobachtungen, welche nach gemeinsamem
Plane bisher gemacht wurden und im Sommersemester anf
den hiesigen Schulen fortgesetzt werden, für eine größere Ar-
beit vorbehalten, schien es uns doch zweckmäßig, schon jetzt,
gestützt auf mehr als 5000 Fälle, hier auf die beideu völlig
neuen Ergebnisse aufmerksam zu machen, daß erstens unter
den Mädchen die Farbenblindheit fo gut wie nie vorkommt,
und daß zweitens die Farbenblindheit unter den Inden noch
einmal so stark verbreitet ist, als unter den Christen."
— Die Strafgelder, welche der Regierung der Samo a-
Inseln von Seiten Englands wegen allerlei Beleidigungen
gegen das britische Kriegsschiff Barracouta (vergl. obeu S. 32)
auferlegt wurden, sind nun doch gezahlt worden. Captain
Mnrray, welcher das Kriegsschiff Sappho befehligt, gab der
Regierung von Samoa in deutlichster Weise zu verstehen,
daß, sofern nicht nach Verlauf weniger Tage der Rest von
6000 Doli, beglichen sei, er sämmtliches Eigenthnm der Re-
gierung in Mullin zerstören und, wenn das nicht helfe, auch
Dörfer der Eingeborenen niederschießen und gleichzeitig die
Forderung erhöhen werde. Darauf hin wurde dann Zah-
lnng geleistet.
Inhalt: Von Sir Forsyth's Gesandtschaftsreise nach Kaschgar. VII. (Schluß.) (Mit sechs Abbildungen.) — Dr.
P. Schröder: Meine zweite Reise auf Cypern. II. (Mit zwei Abbildungen.) — Handel und Verkehr der Euphrat-Tigris
Länder. — Prof. A. Raimoudi: Zur physikalischen Geographie von Peru. I.
(Schluß der Redaetion 17. August 1878.)
Aus allen Erdtheilen: Vermischtes.
Nedacteur: Dr. R. Kiepert in Vcrli». S. W. Lindenstraße 13, lll Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
#
• fut cSd'n6ff. Uni
Band XXXIV.
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Je 11.
Mit besonäerer Herücksicktigung äer AntKroyologie unck Gtknotogie.
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Edouard Andres Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
i.-)
Wir hatten unsere Reisenden verlassen, als sie von Bo-
gota aus in das Stromgebiet des Orinoko nach Villa-
vicensio hinabstiegen und daselbst ausgehungert, ermattet
und doch voll Entzücken über die weit zu ihren Füßen sich
ausdehnenden Llanos ankamen. Der Ort, einstweilen Haupt-
stadt des Territoriums San Martin, datirt erst aus dem
Jahre 1842. Länger als zwanzig Jahre blieb er in den
Anfängen stecken und sing erst vor Kurzem an sich zu heben.
Seine günstige Lage zwischen Medina und San Martin,
welche weiter hinein in die Ebene liegen, und die verhältniß-
Ulcißige Nähe von Bogota bewirkten, daß dort das Schlacht-
^ieh von den Llanos sich sammelt, ehe es in die mehr bevöl-
kerten Theile des Landes getrieben wird. Rasch hob sich die
Bevölkerung von 300 auf 1300 und die Zuwanderung
dauert noch fort, so daß dem Orte eine glückliche Zukunft
^'vorzustehen scheint, vornehmlich wenn die beabsichtigte Straße
zum Zusammenfluß des Guatiquia und Rio Negro, bis
toohut die Dampfer des Rio Meta gelangen können, aus-
geführt wird, und dadurch Villaviceusio an eine große Handels-
ltraße zu liegen käme, auf welcher die Producte eines der
reichsten Länder der Erde zur Ausfuhr gelangten. — Alle
Häuser von Villaviceusio sind mit Palmenblättern bedeckt
und von äußerster Einfachheit. Ihr ganzes Zimmerwerk
besteht aus einigen unbehauenen Pfosten und Balken, die mit
Dianen an einander gebunden sind, die Wände aus einer
"'ttschuug von Erde und Gras, der Fußboden ist eine Tenne
von gestampfter Erde und auf derselben bilden die herkömm-
bis 21 bm ^rtn9 Reise „Globus« XXXII, Nr. 16
Globus XXXIV. Nr. 11.
lichen drei Steine der tulpa die Kochgelegenheit. Nur we-
nige sind etwas wohnlicher und haben geweißte Wände und
Musselin in den Fensteröffnungen — Fensterglas ist noch
nicht in das Territorium San Martin vorgedrungen.
Die Ankunft der Fremden erregte in Villavicensio große
Aufregung; die Frauen traten unter ihre Thüren und die
Männer dräugten sich herzu und erklärten sich um die Wette
bereit, die Ankömmlinge gastlich aufzunehmen. Andre aber
lehnte alles ab, um zunächst seine Empfehlungsbriefe bei den
Behörden abzugeben. Der Präfect des Territoriums, Rafael
Vanegas, den er zuerst aufsuchte, empfing ihn auf das
Freundlichste und ließ für ihn, seine Gefährten und seine
Sammlungen eine große Hütte zurechtmachen. Von den
übrigen Bekanntschaften, die er machte, war ihm besonders
die Emiliano Restrepo's, Besitzers großer Pflanzungen
in der Nähe von Villavicensio, später von großem Nutzen.
Er stammte aus dem Staate Antiochia, der unter allen in
Columbia der industriellste ist; durch Thätigkeit und Intel-
ligenz hatte er es dahiu gebracht, herrliche Producte zu erzie-
leu und dabei Geld zu verdienen, so daß man anfing, sein
Beispiel nachzuahmen. Mit ihm verabredete Andrv den Be-
such seiner Besitzung Vanguardia am zweitsolgenden Tage,
wohin ihn die militärische Macht Villavicensios auf Befehl
des Präfecten begleiten sollte. Es waren das im Ganzen
vier Mann, welche zusammen zwei Steinschloßflinten und
ein Remingtongewehr besaßen, wenig Kleider und gar keine
Schuhe hatten und vor Freude in die Lust sprangen, als sie
hörten, daß sie sich in unserer Gesellschaft aus dem Staube
machen sollten.
Um 5 Uhr des folgenden Tages erhoben sie sich aus ihren
21
162
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
Hängematten, um einen Ausflug nach der mit einer uueud-
lich mannigfaltigen Vegetation überdeckten Onebrada des
Parado zu unternehmen. Villavicensio liegt auf der Land-
zuuge zwischen diesem Flüßchen und dem Gramalote, unweit
der Stelle, wo sich beide iu den Gnatiqnia ergießen. Am
Parado sollte Andre eine der schönsten Palmen der Llanos,
den Corneto, antreffen. Schon mehrere Botaniker hatten
diesen stolzen Baum in anziehender Weife beschrieben, aber
keinem war es geglückt, ihn lebend nach Europa zu bringen,
eine Lücke, welche Audrs jetzt auszufüllen hoffte. Gut aus-
gerüstet und von einem Einwohner von Villavicensio geführt,
machten sie sich auf und gelangten durch Kaffeepflanzungen,
die eben mit weißen Blüthen wie überdeckt waren, bald in
den unberührten Urwald, wo Axt und Messer ihre stetig sich
erneuernde Thätigkeit des Wegemachens beginnen mußten.
Von Fels zu Fels springend, hielten sie sich so nahe als
möglich am Bach und bahnten sich einen Pfad durch das
hohe Kraut und über die umgestürzten, faulenden Baum-
stämme , welche ganz von zierlichen Kryptogamen überdeckt
waren. Im Schatten der Ingas, welche über stillere, ruhi-
gere Stellen des Baches ihre gesiederten Blätter herabhängen
ließen, zog eine reizende neue Aroidee die Blicke des Natur-
forfchers auf sich. Ihr Blatt ist oval, dunkelgrün und von
feinen Nippen gefurcht, die Blüthe wohlriechend und vom
reinsten Weiß. Andre zeichnete und beschrieb die Pflanze,
benannte sie uach einem Pariser Freunde Anthuriurn. I)e-
ckardi und sammelte zahlreiche lebende Exemplare, welche
glücklich nach Frankreich übergeführt wurden und in Gewächs-
Ankunft in Villavicensio. (Nach einer Skizze von M. Andre.)
Häusern ihre Blüthen entwickelt haben. Nachdem sie mehrere
Stunden zwischen Dickichten und Dorusträuchern herum-
geklettert waren, wurde die Quebrada plötzlich enger, ihre
Wände steiler und der Pflanzenwnchs dichter. Dort bemerkte
der Neifeude zwischeu den schlankeren Baumstämmen, deren
Kronen die Sonnenstrahlen abhielten, kegelförmige Bündel
von Stangen von der Dicke eines Flintenrohres, welche die
Basis eines Palmenstammes umgaben. „Das sind Corne-
tos!" rief alsbald einer der Führer.
Die Deckeria Corneto ist ein prächtiger Baum, dessen
Stamm 100 und mehr Fuß Höhe erreicht. Derselbe ist
schlank, glatt, nach oben zu geringelt. Das Auffallendste an
ihm sind die Strebepfeiler, welche ihn fest an den Boden
heften und eine Pyramide von etwa zwei Meter Höhe bilden.
Diese kräftigen Wurzeln, welche die dritte Abbildung getreu
darstellt, sind braun- oder sahlroth und mit stacheligen War-
zen besäet. Die eigenthümlichen siederspaltigen Blätter sind
zu einer Krone von 6 Meter Breite und darüber angeordnet,
in keilförmige, glänzend grüne Lappen zertheilt uud scheinen
vorn wie benagt. Ein großer Theil ihres Blattstiels bildet
eine Scheide. Die Blüthen sitzen an langen herabhängenden
Rispen; die Früchte, Steinfrüchte von dem Aussehen von
Reine-Claude-Pflaumeu, bilden, abwechselnd gestellt, Schnüre
von 1V2 bis 2 Meter Länge, deren jede, von unten gesehen,
so groß wie eine Weintraube erscheint, aber zwischen 50 und
80 Kilogramm wiegt.
Schon von Martius erwähnt öfters die Schwierigkeiten,
welche dem Botaniker beim Studium der südamerikanischen
Edouard Andrö's Reisen im nordw
Pflanzen sich entgegenstellen. Um keinen Preis ist ein In-
biaitcr, wenn es ihm einmal nicht beliebt, dahin zu bringen,
an solchem glatten oder — nach Umständen — dornigen
Stamme hinaufzuklettern, um Blätter und Blüthen zu holen,
so daß nichts anderes übrig bleibt, als die Bäume zu fällen,
was nicht immer leicht ist. Audrs hat das bei den Cornetos
zur Genüge erfahren. Deren Stamm ist so hart wie Eisen,
so daß eine Axt beim ersten Streiche zerbrach. Es mußte
lichen Südamerika 1875 bis 1876. 163
also mit dem zäheru Machete (Buschmesser) nach und nach
rund herum ein Einschnitt gemacht werden, bis man auf die
inneren weicheren Theile kam. Die kräftigen Schläge der
Soldaten brachten in wenigen Stunden eine Anzahl dieser
Palmen zu Boden, während andere von Lianengewinden im
Fallen festgehalten wurden und schräg in der Luft hingen.
Mit ihren Früchten wurden mehrere Säcke gefüllt, um durch
sie das schöne Gewächs nach Europa zu verpflanzen. In
Anthurium Decharcli. (Ein Viertel Größe; nach lebenden Exemplaren gezeichnet.)
Zahlreiche andere Pflanzen, dar-
ihm» Arm,*,, ' ^udrs Nene, Brownea grandiceps mit
liehen mir p1U°r ^en blüthen, Selaginella aneeps mit bläu-
Hemi'toi'. nlt^eV0^ schimmernden Blättern, und die neue
und tt,nf!v Ä' deren Blätter so groß sind, 3 Meter
Und Nirf • ^ ' ut:LL11
^lndrs kaum eines ans seiner* Schulter zu
ine Mein
ten Leberk
^ n ^oden, der Bach wimmelte von Wafferpslanzen,
tvanpiT . 7P "uule räum c
lich ]tc". ^u,c Spenge von Kryptogamen, nameut-
" ^'Selaglnellen, Leberkraut und Champignons, bedeck-
zwischen denen sich beim Nahen Andrs's einige Schlangen
hindurchwanden, und nicht weniger reich war die Thierwelt
durch Affen und Vögel in den Kronen der Bäume vertreten.
Es wurde Nacht, ehe sie, mit ihren gesammelten Schätzen be-
laden, Villavicensio wieder erreichten. Dort hatten sie noch
die Pflanzen einzulegen und ihre meteorologischen Beobach-
tuugen einzutragen, che sie ihre müden Glieder in den
Häugematten strecken konnten.
Mit Anbruch des solgeuden Tages nahm der Ausflug in
21 *
164
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
i'jlftl '-V-
'm0fl
W/Iß,
Fällen der Cornetos. (Nach einer Skizze von M. Andre.)
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
165
die Llanos seinen Anfang. Die Expedition bestand aus
Andr«, Fritz von Scherst, einem Herrn Saenz, einem Sol-
daten, zwei Peonen ünd drei Lastthieren. Johann Noetzli
blieb zurück, um die erlegten Thiere abzubalgcn, die Pflanzen
trocken zn legen und die Jnsectenjagd zu organisiren, an wel-
cher sich die Jugend mit großem Interesse betheiligte. Sie
schlugen eine nördliche Richtung ein und erreichten bald das
steile diesseitige Ufer des reißenden und breiten Rio Gna-
ttquia, aus dessen Bette hier und da Felsen hervorragten.
Ehe sie es unternehmen konnten, denselben zu durchwaten,
mußte erst festgestellt werden, ob nicht die Furth durch das
letzte Hochwasser verändert und verlegt wäre, ein Unter-
nehmen, welches die Geschicklichkeit und den Muth der Ein-
geborenen in das beste Licht setzte. Der sie begleitende Soldat
entkleidete sich, schnitt sich einen Stock von 3 Meter Länge
und stürzte sich entschlossen in den Fluß, wobei er mit dem
Stocke soudirte. In schräger Richtung durchschnitt er die
Strömung, hielt sich mit Kraft darin aufrecht, wenn er auch
bis an die Schultern darin eintauchte, und erreichte endlich
das andere Ufer. Kaltblütig kehrte er zurück und geleitete
die übrige Gesellschaft auf dem gefundenen Wege hindurch.
Jenseits war das Ufer niedrig, mit Rohrdickicht und wenigen
Schlingpflanzen bedeckt, so weit das Alluvium des Flusses
reichte. Bald aber begann von Neuem der Wald, iu welchem
eine Elfeubeiupalme und eine fchöue Aroidee besonders auf-
fielen. Ohne weitere Abenteuer als die Begeguuug eines
Tapirs oder eines kleinen Audes-Hirsches erreichten sie gegen
zwei Uhr Nachmittags Vauguardia, wo Nestrepo sie er-
wartete.
Es ist das eine etwa fünf Jahre alte Pflanzung mitten
im vollen Urwalde, welche durch das, was Arbeit uud In-
telligenz hier erreichen können, den besten Eindruck macht.
Die Besitzung wird durch zwei Bäche begreuzt, besitzt eine
dicke Humusschicht und reichliche Bewässerung und ihr Boden
Das Gehöft Vauguardia. (Nach Andrs's Skizze.)
ist zum Theil geneigt, znm Theil eben, so daß sie den Anbau
der verschiedensten Pflanzen, darunter den des Cacao- und
Kaffeebaumes, gestattet. Der Ankaufspreis war sehr gering
gewesen: 4800 Mark für 3000 Hectaren. Weit mehr aber,
als was sich der Staat als Besitzer dieses Terrains bezahlen
üeß, betrugen die Kosten für das Abmessen und Abstecken;
denn je unwissender und fauler die Feldmeffer hier sind, um
w unverschämter sind sie auch in ihren Forderungen, ein
Umstand, der noch auf lange Jahre hinaus die Befiedelung
es Territoriums San Martin beeinträchtigen wird. Unter
Ziehung eines erfahrenen Eingeborenen, welcher an dem
sm V*9C seinenAntheil erhielt, machte sich nun Restrepo ans
den^'r 5000 schwere Piaster (20 000 Mark) wurden auf
Itrfif • ,u^auf/ die Vermessung, die Entwaldung und die Bau-
"Wl ? öcrttlcndct; dieser Betrag sollte nie erhöht und zehn
rimns $ ausschließlich Restrepo's Gewinn zur Verbesse-
v X 1 Cl ^sitzung, und nur dazu, benutzt werden. Zuerst
dir^lr Hectaren niedergebrannt — man nennt
imS f C rn.^rcn desmonte — und aus diesem so gedüngten
ohnehin schon reichen Boden in drei Monaten eine gute
<abernte gewonnen, womit eine bis dahin in halbwildem
zustande auf den Savanen sich herumtreibende Herde Rind-
Viehs gefüttert wurde. Dann wurden auf demselben Stück
Lande Bananen-, Kaffee- oder Cacaobänme gepflanzt. In
den bergigen Strichen stellt man eine künstliche Wiese her,
und zwar mit zwei Gräsern von hohem Nährgehalt, Guinea
(Panicum maximum) und Para (P. molle), welche in ganz
Südamerika verbreitet sind. So lange diese Pflanzen jung
sind, weidet sie das Vieh in voller Freiheit ab; werden sie
alt nnd hart, so brennt man kurz vor dem Anfang der Regen-
zeit die Wiesen ab, um sie 14 Tage später wieder mit Vieh
bejageu zu können.
Reizend war der Anblick, welchen die Fremden von der
Veranda ans genossen, unter welcher ihnen das Mittagsmahl
ausgetragen wurde. In dem von Ställen und Maisdarren
eingefaßten Hofe zankten sich die Hühner mit wilden Vögeln
ans dem Walde um ihr Futter; aus dem üppigeu Grün der
Potreros ragten nur die Kopse des weidenden Rindviehs hervor,
beschattet von schönen Gruppen von Unamos-Palmen, welche
allein das Niederbrennen des Waldes überdauert hatten nnd
scharf gegen die noch aufrecht stehenden geschwärzten Stämme
anderer Bäume abstachen. Ueppige Felder von Jnca (Manihot
utilissima) und Mais ließen die Fruchtbarkeit des Bodens
erkennen, welche ein unweit vorbeirauscheuder Bach noch
166 Edouard Andrö's Reisen im nordlr
erhöhte. Ein besonders eingezäunter Fleck war mit allerlei
tropischen Fruchtbäumen bestanden und auf einem andern
wurden Arzneipflanzen gezogen, Hobo mit pflaumengroßen
saueren Früchten, die ebenso als Wundmittel dienen wie die
Blätter des Cordoncillo, Tacai, dessen mandelartige Früchte
eine gute Sorte Oel liefern, die Balsam gebenden Copaiba
und Tolu, wozu später noch Zarzaparilla, Quiua, Kautschuk
und Jpecacuanha, die sich in den nahen Wäldern finden,
kommen sollten. Arbeiten am Herbarium und am Tage-
bnche beschäftigten dann Andre bis zum Anbruch der Herr-
lichen Tropennacht; die Höhe von Vanguardia fand er zu
408 Meter. Eine Jagd anf Nachtschmetterlinge bei Fackel-
beleuchtung beschloß den ergebnißreichen Tag.
lichen Südamerika 1875 bis 1876.
Mit Sonnenaufgang befanden sie sich auf dem Wege
nach Salitre, einer andern Besitzung Restrepo's, welcher
durch Maisfelder und unbebautes Land führte. Um 8 Uhr
hatten sie ihr Ziel erreicht. Neben dem Hause, das von
Bananen beschattet und mit einer prächtigen Hecke frucht-
tragender Ananas umgeben war, fließt der gleichnamige von
der Cordillere kommende Bach, ein Zufluß des Guatiquia.
Auf seinem andern Ufer beginnt ein mächtiger Wald. In
dem tiefen Allnvialboden, den die Gewässer vom Ostabhange
der Andcs herabgeschwemmt haben, gedeiht der Cacaobaum
vorzüglich, wenn gute Draiuiruug und Feuchtigkeit von unten
dazukommen. In Salitre (ebenfalls 408 Meter hoch) findet
sich eine x/2 bis über 1 Meter starke Humusschicht, unter
Hacienda Cnmaral.
welcher schwarzer oder röthlicher Thon und zersetzter Sand-
stein liegen. Letztere sind in Folge der vielen in ihnen ein-
gebetteten Geschiebe, welche mit zunehmender Entfernung von
den Audes stets kleiner werden, für Wasser durchlässig. Aus
solchem tiefen, frischen Boden legte Restrepo sein „Cacaotal"
an. Zur Anlage eines Samenbeetes wählte er die groß-
früchtige Caracas-Art, welche den Caraque-Cacao liefert,
und eine andere aus der Provinz Autioquia, welche kleinere
Früchte (mazorcas), aber in großer Fülle und trefflicher
Qualität trägt. Der Boden lag nach Osten hin, war be-
schattet und wurde zuvor aufgelockert. Inzwischen ließ unser
Hacieudero auf dem anserwählten Platze die großen Bäume
niederschlagen, das Unterholz abbrennen und dort Mais säen,
welcher den Boden vollständig reinigte und nach hundert
Tagen geerntet wurde. Dann wurden in Abständen von
!ach Andrö's Skizze.)
vier zu vier Meter und in aufgeworfenen Beeten Bananen
gepflanzt, welche zwei Jahre lang die im Alter von acht
Monaten eingesetzten Cacaobäume beschatten müssen. Nach
Ablanf dieser Zeit werden die Bananen nach und nach, aber
endgültig durch ein baumartiges Hülsenfruchtgewächs (Ery-
thrina corallodendron) ersetzt. Unter solchen Umständen
tragen die Cacaobäume vom dritten oder vierten Jahre an,
ohne andere Fürsorge zu fordern als Schutz gegen einen
Wurm, der ihre Riude anfrißt, und daß der Boden rein
und durch daraufgelegte Bananenblätter locker und feucht
gehalten wird. Nun bedecken 20 000 Bäume etwa 50Hec-
taren und erforden an Kosten, Capital und Zinsen bis zum
achten Jahre, wo sie stark tragen, circa 39 000 Mark. Als-
dann bringen sie aber, 10 Arroben (125 Kilogramm) zu
240 Mark gerechnet, jährlich für 25 600 Mark Früchte,
Edouard Andrö's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
167
oder wenn man 5600 Mark für Verwaltung, Ernte :c. ab-
rechnet, netto 20 000 Mark, d. h. sie verzinsen das Anlage-
capital zu 50 Procent. Das sind keine erdachten Ziffern.
Das mögen sich Auswanderer vorhalten, und vor Allem
mögen die Columbier einsehen, daß sie diese Schätze nicht
eher heben werden, als bis die fortwährenden Revolutionen,
welche ihr schöues Land herunterbringen, endlich aufhören.
Gegen Mittag stieg die Gesellschaft zu Pferde und ritt,
von einigen mit Machetes bewaffneten Peonen begleitet, am
Rio Salitre hin. Kaum hatten sie den Wald erreicht, fo
eröffnete sich ihnen ein unerwarteter Anblick, ein Pflanzen-
wuchs von einer Ueppigkeit, gegen welche alles, was sie bis-
her selbst an den Ufern des Magdalenenstroms geschaut, weit
zurückblieb. Zwischen Baumriesen hindurch, die den Pfeilern
einer Kathedrale glichen, bahnten sie sich mit ihren Wald-
Messern den Weg. Kein Schrei eines Thieres, kein Vogelrns
störte um diese Mittagszeit die Ruhe in dem geheimnißvollen
Helldunkel. Vou oben bis unten bedeckten Schmarotzer-
pflanzen die Baumstämme; unzählige Lianen, von der Fein-
heit eiues Haares bis zur Stärke eines Taues, durchzogen
nach alleu Richtungen das Geäst bis in die höchsten Wipfel
und entfalteten dort ihre Blüthen. Da waren Banhinien,
Passifloren, Aroideen mit riesigen Blättern, Cyclantheen mit
ihren regelmäßigen Absätzen, Farrenkränter, Pfeffer- und
Vanilleranken uud Biguoniaeeen mit ihren leuchtenden Blü-
then, welche aus deu Laubgewölben herabfielen, ohne daß
man sehen konnte, von welcher Pflanze sie kamen. Da-
zwischen die glatten Stämme der Unamo-Palme und Astro-
caryum Cumare, einer andern Palmenart mit gelben eßbaren
Früchten von der Größe einer Aprikose, welche durch Stacheln
vor der Naschhaftigkeit der Affen geschützt werden. An den
Kantschukbänrnen, Jacarandas und Aeajus haften zahllose
Epiphyten, Moose, Flechten, Orchideen, Bromeliaceen,
Farne n. s. w., setzen sich in den Gabelungen der Aeste fest,
dienen sich gegenseitig zum Halte, hängen sich an die Schling-
pflanzen, greifen das Holz der Bäume an und zersetzen
es, bis das Ganze mit Krachen zusammenbricht und auf dem
verwesenden Leichnam des Waldriesen erst recht ein buntes
Pflanzenleben sich entfaltet. Namentlich einer von diesen
Baumkolossen siel dem Naturforscher auf; er war den ihn
begleitenden Eingeborenen als „Tukan-Baum" bekannt, weil
Scharen dieser Vögel ihn sich zum Aufenthalte erwählt hat-
oo
Werkzeuge (pala und Tbarretcm) und Stuhl iu Cumaral. (Nach Andro's Skizze.)
ten. Rasch sprang er vom Pferde uud eröffnete die Jagd
aus die Tukans, von denen bald Exemplare von drei verschie-
denen Arten tobt zu seinen Füßen lagen und die Jagdtaschen
füllten.
Bald daraus veraulaßte ein schwerer Sturz mit dem
Pferde Herrn Restrepo, ihren ortskundigen Führer uud Wirth,
Zur Umkehr, während seine Gäste ihren Weg durch den Wald
und Uber mehrere tief in den Humusbodeu eingeschnittene
Eriche fortsetzten. Um 5y2 Uhr erreichten sie die Savaue
und sahen Cumaral vor sich liegen, das, so stolz sein Name
sich auch auf der Karte ausnimmt, in Wirklichkeit nur aus
"n Paar bescheidenen Hütten besteht. In einer derselben,
L u einem gewissen Jgnacio Avila gehörte, fanden sie freund-
uche Aufnahme. Dessen Fran und Magd wiesen die Pferde-
knechte zurecht, knüpften die Hängematten der Reisenden im
'-Muptzilmner fest, drehten rasch ein paar Hühnern den Hals
v'1 c!lb f*et^en nebst Jgnamen und frischen Bananen in
en Kochtopf. Später erschien auch der Herr des Hauses,
jener mit Curat« behaftete Mischling, dessen Bild sich auf
S. 28 dieses Bandes findet. Er begrüßte sie ebenso freund-
lich wie es seine Frau gethau hatte, legte seine Pala, welche
beim Kasfeebau zur Verwendung kommt, und sein Barreton,
womit die Pfähle der Umzäunungen für das Vieh einge-
schlagen werden, nieder, setzte sich gravitätisch auf einen klci-
nen, mit einer Ochsenhaut überspannten, hölzernen Lehnsessel
uud sing mit seinen Gästen zu plaudern an.
Ehe die Nacht anbrach, fanden diese noch Zeit, mehrere
Vögel, darunter namentlich einen Garrapatero - Falken, zu
schießen. Das Abendessen beschlossen sie mit Apfelsinen, die
ein unmittelbar vor der Hütte stehender Baum in Fülle
lieferte. Zwar warnte die Wirthin davor mit dem Llanos-
Sprichwort: „Por la manana, esoro; a mediodia, plata;
por la tarde, mata" (Morgens sind Orangen Gold, Mit-
tags Silber, Abends Tod) ■— aber das hinderte die Fremden
nicht, welche wohlgemnth bis zum andern Morgen durch-
schliefen.
»
168
Dr. P. Schröder: Meine zweite Reise auf Cypern im Frühjahr 1873.
Meine zweite Reise auf
Von Dr. P. Schröder, Dragoman der K
(Aus Briefen an Prof. He
Böyükdere 30. Juli 1873.
Von Jalusa aus gelangt man ostwärts in 1 y2 Stunden
zu einer hart am Strande liegenden Trümmerstätte mit der
Capelle H. Therizos unweit des Sommerdorfes der Jaln-
sioten Mascherkona (j? Mu%£Q%(6va), welches aus etwa
zwanzig elenden aus Steinen roh zusammengefügten Schäfer-
Hütten (mandräs) besteht. Wir nahmen jedoch nicht den
mir schon bekannten Weg unmittelbar an der Küste entlang,
sondern einen näher an der hier sehr niedrigen Bergkette
auf halber Höhe sich hinziehenden, wobei wir mehrere Schluck)-
teu mit üppiger Vegetation zu, überschreiten hatten. Zu
beiden Seiten des Weges, rechts die sanft ansteigenden Berge
hinauf und links nach der Küste zu, ist der Boden überall
wohlbebaut und fruchtbar. Die einzelnen Häusergruppen
von Jalufa erstrecken sich noch weit nach Osten hin: noch
72 Stunde nach Aufbruch vom Hause meines Wirthes Pas-
siren wir das zu Jalusa gehörende Mahalle (d. i. Quartier)
Aksapoliti (der uach dem Meere sich hinziehende Theil Ja-
lusas heißt Kalamnia, und der südwestlich nach H. Andro-
niko zu liegende Livadia); zehn Minuten weiter folgt aber-
mals eine von Aeckern umgebene Gruppe Häuser, die mein
Führer Jera nannte; rechts oberhalb am Berge liegt in
einer Entfernung von 15 bis 20 Minuten eine Kirche
H. Marina und nahe dabei eine verfallene Capelle H. Pav-
los. 20 Minuten weiter hin kommen wir an der letzten
Häusergruppe von Jalusa, Melini, vorbei, hinter welcher sich
der Weg zu einer breiten Schlucht (ccqxukl tfjg msälvris)
mit einem reichfließenden Bache und schöner Vegetation von
Cypressen, Karubeugestrüpp, wilden Oliven und Schling-
pflanzen hinabsenkt. Eine halbe Stunde weiter verlassen
wir bei der verfallenen Capelle H. Georgi den anf der Höhe
hinlaufenden Weg und wenden uns südöstlich nach der Bucht
von Mascherkona hinab. Südsüdöstlich über diesem Orte
liegeil etwas unterhalb der verfallenen Capelle H. Dimitri
zwei jetzt fast ganz zerstörte mittelalterliche Thürme, genannt
tns Pyrkns (TtvQyoL).
Von Mascherkona gelangt man in einer Stunde nach
der Ruinenstätte Selenia, welche merkwürdigerweise von
dein genauen Sakellarios gar nicht erwähnt wird. Sie
liegt in einiger Entfernung vom Meere am Fuße des hier
wieder höher sich erhebenden Gebirges und zwar unter einem
Berge, den mein Führer Kavallitschvsti (?) nannte, da wo
sich etwas oberhalb der Kirche H. Photios eine kleine Schlucht
mit einem üppig sprudelnden Quell öffnet, dessen Wasser
(veqov trjs Eshsvtas) eines besonders guten Rufes sich
erfreut. Diese ganze Gegend ist auffallend reich an verfalle-
nen mittelalterlichen Kirchen und Capellen.
Selenia ist ein ziemlich ausgedehntes, nach Süden an-
steigendes Terrain voller Steine uud alter Gebäudereste,
dessen Gesannntüberblick aber durch das viele Gestrüpp ge-
stört wird. Die Kirche H. Photios ist ganz aus altem
Material aufgebaut; ich sah nahe bei ihr mehrere Säulen-
capitäle und einen ganz schmucklosen Sarkophag aus Sand-
stein. Der felsige Boden zeigte vielfache Spuren rechtwink-
Zypern im Frühjahr 1873.
iserl. Deutschen Botschaft in Konstantinopel,
inrich Kiepert in Berlin.)
liger Behauung, und auch wo er nur aus — freilich stein-
hartem — Erdreich bestand, war dasselbe zu Gräbern
ausgehöhlt. Unter anderm fiel mir eine kreisrunde Vertie-
fuug, zu welcher sieben Stufen hinabführten, anscheinend
eine Cisterne, ans; dieselbe war erst vor Kurzem von schätze«
suchenden Bauern aufgedeckt worden.
Hier lag eine altcypriotifche Stadt; darauf weisen mit
Sicherheit die etwas weiter oberhalb dicht an der Quelle be-
fiudlichen Ausgrabungen hin, welche im vorigen Sommer
von Bauern gemacht waren. Außer alten Manerresten und
mehreren rechtwinklig zugehauenen Sandsteinblöcken sah ich
hier viele sehr verwitterte Statuetten aus Porösem Sandstein,
30 bis 80 Centimeter hoch, auf dem Boden herumliegen;
man hatte sie als werthlos liegen gelassen. An ihnen fehl-
ten fast durchgängig die Köpfe und bisweilen auch die Füße;
alle zeigten denselben Typus: eine weibliche Figur iu langem
Gewände, Füße und Hände eng am Körper angeschlossen,
der rechte Arm auf der Brust liegend und einen Gegenstand,
vermutlich eine Taube, in der Hand haltend; der linke Arm
hängt am Körper abwärts und hält gleichfalls etwas, einen
Beutel oder Krug, in der Hand. Die Technik ist ganz alt-
cypriotisch und genau dieselbe, wie die der Statuen, welche
Cesnola in Athienn und Lang in Pyla ausgegraben haben;
auch die dort vorherrschende Manier, die Füße und Beine
der Statuen im Hochrelief auszuführen, finden wir hier
wiederholt. Bei der Kirche stehen einige Steinhütten; auf
dem Dache einer derselben lag der Oberkörper einer ganz
im eypriotischen Stil ausgeführten weiblichen Statue, mit
zwei Halsketten und Armspangen. Der Kopf lag daneben.
Unser heutiges Ziel war Rizok arpafo, das letzte Dorf,
aber zugleich auch der Hauptort der Karpasischen Halbinsel.
Der kürzeste Weg von Selenia dorthin führt über das nur
uoch von einem Pappas bewohnte Monastir Eleüsa; ich
wählte aber den an der Küste, um zuvor noch die Ruinen
von H. Philon mit dem angeblich antiken Tempel zu besuchen.
Um Mittag ritten wir bei glühender Sonnenhitze von Sele-
nia weiter. Der Anbau hört nunmehr auf und der steinige
Felsboden ist mit dichtem Gestrüpp, das die Cyprioten „Wald"
(orman) nennen, und in welchem wilde Ziegenherden hau-
feu, bedeckt. Den Strand bildet tiefer, feiner Sand, durch
den die Manlthiere mit Mühe waten. Ringsum herrscht
tiefe Stille in der einsamen Wildniß, und langsam bewegt
sich unsere kleine Karawane unter der glühenden Sonne „mit
müder Qual durch die sandige Haide". Nach lx/4 Stunde
führt uns der lange Savas, der auf seinem Eselchen den
Vorreiter macht, von der Küste ab mehr landeinwärts durch
den Wald nach einem einzelnen Bauerhause am Beginne
einer kleinen, zum Meere sich hinabziehenden Schlucht, welche
mit Feigen- und Maulbeerbäumen sowie auch mit Getreide
bepflanzt ist. Von den Insassen dieses von Obstbäumen
beschatteten Gehöfts, Asprokolymbos mit Namen, erfahre
ich, daß wir nahe bei Rizokarpafo seien, und um nach H. Philon
zu gelangen, an dem Strande hätten weiter gehen müssen.
Zehn Minuten später erreichen wir das Hochplateau und
Dr. P. Schröder: Meine zweite Reise auf Cypern im Frühjahr 1873.
169
sahen die ersten Häuser von Rizokarpaso und die Kirche der-
zeitigen Dreieinigkeit (Hagia Triada) vor uns liegen, hatten
aber noch eine gute halbe Stunde zu reiten, ehe wir in dem
weitläufigen Dorfe vor dem Hause von Savas, des Vaters
meines Agogiateu Perikli, aulaugteu. Derselbe quartierte
uns bei einem der wohlhabendsten Bauern ein, wo ich ein
eigenes Zimmer erhielt, in welchem ich mich für einige Tage
behaglich einrichtete.^
Rizokarpaso (to 'Pl^oxocqtcccöov) ist ein sehr großes
aus 250 bis 300 Häusern bestehendes und ausschließlich
von Griechen bewohntes Dorf, aus einem Hochplateau ge-
legen, welches im Norden sich allmälig uud ohne Schroff-
heit zum Meere hinabsenkt, nach Süden zu dagegen von der
Küste durch ein sehr gegliedertes Bergsystem geschieden wird.
Die Entfernung vom nördlichen Meere in gerader Linie be-
trägt etwa 1/2 Stunde, gegen das südliche Meer schien sie
mir etwas größer zu sein. Das Dorf mag wohlig Stun-
deu im Umfang haben uud zerfällt iu drei Quartiere
([KX%ccX7iud£s): 1. Chorio mit ungefähr 120 Hän-
fern und der stattlichen Kirche H. Triada (hier wohnte ich)
im Norden, von dem aus mau das Meer im Norden sehen
kann. 2. Leko mit etwa 80 Häusern und den Kirchen Ar-
changelos uud H. Synäfios, südlich sich an Chorio anschließend
und tiefer als dieses gelegen. 3. Anävryfi mit circa 110
Häusern und den Kirchen H. Jannis und H. Georgios;
schließt sich westlich an Leko an uud dehnt sich nach Nord-
Westen aus, dem Laufe eines sumpfigen Baches Potamia, in
dem es viele Schildkröten giebt, entlang; es ist der tief-
liegendste und fruchtbarste Theil von Rizokarpaso, aber jeden-
falls der weniger gesundere. In Chorio ist der Boden felsig,
aber doch sehr fruchtbar, da über dem Felsen eine Schicht
rother Erde liegt. Die große Ausdehnung des Dorfes hat
darin ihren Gruud, daß jedes Haus von Aeckern, Gemüse-
und Obstgärten umgeben ist. Alle diese Gärten waren sehr
gnt dnrch Canäle bewässert, in welche das Wasser aus dem
Braunen ßduHog) oder aus der ausgemauerten Cisterne
(do^a^isvrj) durch das Schöpfrad (ulcmufo, auch kvcoxccvoj-
Aaxxog genannt) geleitet wird. Jeder Garten besitzt ein
solches Schöpfrad.
Rizokarpaso ist ein wohlhabendes Dorf, dessen ganzes
- -\-H.Janmsm__- -
eh . W. Chertar
Anavrysi - - -
m'-4rc^n3l
Vuno in
",,m Profäi
Felsengräber
Aussehen mit anderen Dörfern Cyperns ebenso vorteilhaft
contrastirte, wie seine Bewohner im Aenßern sowohl wie im
Charakter von den übrigen Cyprioten. Hauptuahrungszweig
ist die Seideucultur; die Seide wird nicht nur aus den Co-
cous der Seidenraupen gewonnen, sondern auch von den
Bauern gleich gesponnen und zu Stoffen gewebt. Auch
Baumwolle wird cultivirt und bearbeitet, und die Viehzucht
ist nicht unbedeutend. In den Gärten bemerkte ich außer den
vielen Maulbeer- und Feigenbäumen auch Orangen, Grana-
ten, Weiu. Zu den Hecken werden vielfach die Cactnsbänme
verwandt; auch einige Palmengruppen (natürlich ohne Früchte)
sah ich. Die Bewohner find blond, und, namentlich die
Frauen, von feinem, schönem Körperbau; sie zeichnen sich
durch großen Fleiß aus, die Frauen nicht minder als die
Männer; die ersteren sieht man nicht nur am Webstuhl und
m der Mühle thätig (jedes Haus besitzt einen Webstuhl und
jeder einigermaßen wohlhabende Bauer seine eigene, von
einem Pferde gedrehte Mühle), sondern sie arbeiten auch im
freien zugleich mit den Männern bei Bestellung und
Dritte. Ferner sind die Karpasioten sehr gastfrei. Mit
brecht sagt Sakellarios von Rizokarpaso: Ol kuxomoi vrjs
XGy^VS TCCVVTjS ElVUL Ol C0Q<m6t£Q01, SVfl7JH£Öt£Q0l,
KVÖQSIOZEQOL ÖAajV XCüV XCCTOLJtCJV rfjs vijöov.
©ehr nützlich war mir die Bekanntschaft des Schullehrers
Globus XXXIV. Nr. 11.
M "Leko
von Leko, eines lustigen jungen Mannes, der früher Kauf-
manu gewesen war und sogar einige Zeit in Marseille sich
aufgehalten hatte; er führte mich im Dorfe, aus dem er ge-
bürtig war, herum und machte mich mit den Sitten und
Gewohnheiten seiner Bewohner bekannt.
Noch am Tage meiner Ankunft (10. April) benutzte ich
den Rest des Nachmittags dazu, mit Perikles' Vater nach
den Ruinen von H. Philon hinabzusteigen. Sie liegen
gerade nördlich vom Dorfe auf einem ins Meer sich erstrecken-
den Küstenvorsprnng. Die Küste ist hier mit Wald, d. h. nie-
drigen Cypressen und Fichten, bestanden, unmittelbar am
Meere aber, wo die Kirche steht, unbewachsen. Noch ehe
wir zu letzterer kamen, machte mich mein Führer auf eine
versteckt im Gebüsch liegende schöne Säule aus bläulichem
Marmor aufmerksam; bis vor wenigen Jahren habe sich
noch eine ganz gleiche Säule hier befunden, die Bewohner
von Jalnfa hätten sie aber, in mehrere Stücke getheilt, im
Jahre 1868 nach ihrem Dorfe transportirt, um sie zum
Bau ihrer Kirche zu verwenden. Die hart an dem felsigen
Strande gelegenen, im Ganzen recht wohl erhaltenen Ruinen
der byzantinischen Kirche des H. Philon sind schon von wei-
tem sichtbar und machen auf diese,» einsamen Küstenstrich
auf den Beschaner einen wirklich imposanten Eindruck: man
glaubt allerdings die Ruinen eines altgriechischen Tempels
22
170 Dr. P. Schröder: Meine zweite R
vor sich zu haben, für den denn auch manche die Kirche wirk-
lich gehalten haben. Jedenfalls ist die Kirche sehr alt, noch
aus der Zeit der byzantinischen Herrschaft und ganz aus
antikem Material, welches die Ruinen der alten Stadt, welche
einst hier lag, reichlich darboten, aufgebaut. Die Dimen-
sionen der Kirche sind nur klein, ich maß von dem westlichen
Haupteingang bis zur Apsis ungefähr 18 Schritt; aber der
reine Basilikenstil und die Harmonie der einzelnen Theile
sowie auch die Sorgfalt und Solidität des Baues, die Uberall
hervortritt, wirken großartig. Die Kirche ist dreifchiffig,
das mittlere Hauptschiff ist höher und breiter als die beiden
Nebenfchiffe und trägt ein eigenes höheres Dach, über dem
sich in der Mitte eine auf einem Cylinder ruhende Kuppel
abhebt. Der Haupteingang liegt auf der Westseite, zwei
andere Eingänge im Norden und Süden, zwischen beiden
die Hauptkuppel. Im Innern ist alles gewölbt; die Neben-
schiffe sind vom Hauptschiffe durch zwei Reihen von je drei
viereckigen Pfeilern getrennt, die wieder unter einander durch
Bogen verbunden sind. Die Südseite der Kirche hat am
meisten gelitten, hier fehlt das ganze Portal und ein Theil
der Wand. Das Innere ist mit Steinblöcken von großen
Dimensionen angefüllt; ich bemerkte darunter auch mehrere
antike dorische und korinthische Säuleucapitäle. Es wäre
für die Geschichte des byzantinischen Kirchenbaues, glaube
ich, nicht unwichtig, wenn die Kirche des H. Philott, ehe sie
ganz verfällt, von Architekten genau aufgenommen würde.
Dicht bei der Kirche ist der Strand überall mit den
Resten einer alten Niederlassung bedeckt: große Sandstein-
blöcke, Mauerfundamente, viele Scherben, Säulenschäfte und
Capitäle und ein Sarkophag. Die Küste bildet hier eine
kleine Bucht, die jetzt durch die vielen kleinen und großen
Steinblöcke, die den Meeresgrund bedecken, sehr wenig tief
ist, im Alterthnme aber einen kleinen Hafen bildete. Sehr
bemerkenswert!) sind die Spuren alter Hafenanlagen. Nord-
lich von der Bucht kann man einen aus mächtigen Quadern,
die durch eiserne Klammern von 1 bis 2 Fuß Länge ver-
bunden waren, aufgeführten Damm 100 Schritte weit ver-
folgen. Zum Bau dieser Mole sind auch Säulentrommeln
und ganze cannelirte Marmorsäulen verwandt worden, und
dieser Umstand scheint mir daraus hinzudeuten, daß diese
Hasenanlage nicht aus altgriechischer Zeit datirt.
Etwa y4 Stunde westlich von der Kirche des H. Philon,
da wo sich eine kleine vom Plateau von Rizokarpafo nach
dem Meere zu laufende, mit Gestrüpp dicht bewachsene
Schlucht (mit einem Wasserlaufe Tcotuyu tov noiQOvh)
öffnet, liegen alte Steinbrüche und viele Felfenkammern mit
Nochen, zu denen viereckige senkrechte Thüreu führen. Von
hier aus gingen wir zuerst ein Stück die Schlucht hinauf,
dann links nach dem Dorfe zurück.
Der folgende Tag war zu einem Ausfluge nach der jeu-
seits Rizokarpaso sich erstreckenden einsamen Spitze der
Karpasischen Halbinsel bestimmt: und zwar beschloß ich an
der Nordküste entlang bis zum Cap Apostolo Andreas hin-
auszugehen und dann auf der Südseite über Kloster H. An-
dreas zurückzukehren; ich glaube kaum, daß dieser Weg seit
Pococke jemals wieder von einem Europäer gemacht worden
ist i). Allerdings ist auf der Gaudry'schen Agriculturkarte
von Rizokarpafo aus eine rothe Linie nach dem Monastir
H.Andreas gezogen, und Gaudry scheint demnach diese Tour
gemacht zu haben; doch ist er aus demselben Wege zurück-
gekehrt, ohne die Nordküste mit den Ruinen von Asentrika
und das Cap gesehen zu haben. Auch von den Cyprioten
wird diese Gegend sehr selten besucht, weil es jenseits Rizo-
karpaso kein Dorf mehr giebt; denn das dort gelegene Makru
i) Neuerdings hat ihn General Cesnola zurückgelegt.
ise auf Cypern im Frühjahr 1873.
ist kein Dorf, sondern nur eine vom Monastir eine Stunde
entfernte mit Getreide bebaute Thalsenkung, in welcher einige
rohaufgeführte Hütten (mandräs) liegen, die den Hirten
und ihrem Vieh im Sommer zum Aufenthalte dienen. Der
einzige Punkt, wo noch eine feste Niederlassung von Men-
schen existirt, ist das Kloster des Apostels Andreas. Die
Bewohner desselben verkehren auf dem Wege, welcher in ge-
ringer Entfernung von der Südküste über Makru führt,
mit Rizokarpaso. Sonst sieht man in diesem äußersten, zum
größten Theil mit wildem Gestrüpp bedeckten Winkel Cy-
perns nur hin und wieder einige Hirten und wilde Ziegen-
Herden. Doch ist dieser Landstrich nicht unbebaut geblieben;
bei Asentrika ist auf dem schmalen Küstenstrich Gerste an-
gebaut, ebenso in den schmalen parallel der Südküste laufen-
den, vom Meere gewöhnlich durch Hügelreihen getrennten
kleinen Langthälern, in denen auch Oliven und Karnben und
andere Culturbäume sporadisch austreten; jenseits Makru
hört aber alle Cultur auf, und man sieht nur „Drittem".
Das Land ist durchweg gebirgig, doch kann man eigentlich
nicht mehr von einem fortlaufenden Gebirgsrücken, einer
Kette, welche die übrigen gebirgigen Theile beherrscht, reden.
Wie schon zwischen Jalnsa und Rizokarpaso löst sich das
Gebirge gegen Süden in ein System von Plateaus und
Bergen aus, die sich nicht als dem nördlichen der Küste pa-
rallel laufenden Bergrücken untergeordnete Verzweigungen
des letztern charakterisiren, sondern unabhängig von ihm auf-
treten. Die der Südküste zugewandten Berge sind viel man-
nigsaltiger und gegliederter als die Nordküste, erheben sich
auch unmittelbar aus dem Meere.
Früh Morgens 7 Uhr brach ich in Begleitung der bei-
den Savas, des Levkoniaten und des gleichnamigen Vaters
meines Agogiaten Perikles, welchem letztern ich mit seinem
Maulthiere einen Ruhetag gönnte, in nordöstlicher Richtung
auf, und erreichte nach einstündigem Ritte, indem wir von
dem mittlern Hochland eine tiefeingefchnittene und sich noch
weiter landeinwärts erstreckende Schlucht mit einem Bache
(to notuyil tov aytov Av8qovUov) hinabsteigen, bei
der Stiln genannten Oertlichkeit das Meer. Während bis-
her unser Weg nur durch wildes Gestrüpp führte, ist von
Stiln ab bis jenseits Asentrika (V2 Stunde östlich von Stiln)
der allerdings nur sehr schmale Küstensaum mit Gerste be-
baut. Da der Name dieses Ortes Stilu (ich bemerkte links
am Wege nur eine einzelne unbewohnte Behausung) auf eine
alte Niederlassung hinzudeuten schien, so gab ich genau auf
etwaige Ruinen Acht, konnte aber außer mehreren rechtwink-
lig behaltenen Steinblöcken nichts entdecken; doch lassen die-
selben auf alte Fundamente schließen, die jetzt wahrscheinlich
unter dem Meeressand, der gerade hier dem Strande ent-
lang niedrige Hügel (Dünen) bildet, begraben liegen. Hier
erstreckt sich eine kleine Landzunge ins Meer, an welche sich
die kleine Insel Levküniso anschließt, die offenbar einst
mit der Landzunge zusammenhing. Wir reiten noch etwa
20 Minuten hart an den Felsbänken, welche den Küsten-
saunt im Süden begrenzen, entlang und erreichen sodann,
da, wo sich der Küstenstrich erweitert, das Ruinenfeld von
'AcpsvzQinu. Man sieht noch Reste mehrerer Gebäude
ausrecht stehen, doch gehören letztere alle dem byzantinischen
Mittelalter an: es sind vornehmlich mehrere Kirchen, von
denen die der Tlavayiu 'AcpEVTQixmiööu, deren innere
Cella zu einer noch jetzt zum Gottesdienst benutzten Kirche
restanrirt worden ist, und die des 'A6c6^atog 'jQiäyyelog
die größten und durch ihre Architektonik nicht minder bemer-
kenswerth, als die Kirche des H. Philon, sind. Zwischen diesen
Kirchenruiuen, deren Trümmer ein wüstes Conglomerat gro-
ßer und kleiner Steinblöcke bilden, liegen mehrere roh aus
Steinen aufgeführte Hütten, die zur Zeit aber alle leer stau-
Dr. P. Schröder: Meine.zweite Reise auf Cypern im Frühjahr 1873.
171
den. Die Kirchen sind wahrscheinlich alle aus antikem Ma-
tcrial erbaut, obgleich keine äußeren Anzeichen, wie Jnfchrif-
ten, vermauerte Säulen, Capitäle und dergleichen, besonders
darauf hinweisen. Die bauliche Anlage der beiden genann-
ten Kirchen ist dieselbe wie bei der des H. Philon (drei
Schiffe mit je einer Apfis), nur sind die Dimensionen, we-
nigstens die der Panagia, bedeutend größer. In der restan-
rirten Capelle der P. Afentrikotiffa lagen zwei Capitäle, ein
dorisches und ein kleineres korinthisches. Dicht dabei finden
sich alte künstlich in den Felsboden gehauene Höhlen; in zwei
derselben kann man hinabsteigen: die eine war sehr geräumig,
hatte iu den Seitenwänden Nischen und in einer Ecke einen
Brunnen, links vom Eingang stand noch ein gemauerter Bo-
gen. In der Nähe war auch ein gegen 15 Fuß tief in den
Felsen gehauener Brunnen oder richtiger Cisterne und Spu-
ren alter steinerner Wasferrinnen. Nördlich von den nahe
bei einander hart am Fuße des Bergrückens gelegenen Kir-
chen dehnt sich die Küstenebene aus, die ohne Zweifel die
Fundamente vieler alter Bauten und Gräber birgt, deren
Spuren sich aber leider nicht mehr verfolgen lassen, weil
dieser ganze Küstenstrich mit Getreide bebaut ist. Der Bo-
den ist aber trotzdem noch mit kleinen Steinen besäet, die
größeren hat man aus den Aeckern zu steinernen Hecken zu-
sammengetragen und aufgeschichtet. Diese Aecker waren
früher im Mittelalter Weingärten, und noch jetzt finden sich
hier einige der großen Mühlsteine, mit denen die Trauben
gepreßt wurden.
Von der Kirche der Panagia gingen wir in Nordwest-
licher Richtung quer durch die Felder auf den kleinen Hafen
(„ro zu, welcher auf der englischen Seekarte
durch Exarchos-Bay bezeichnet ist (eine von den Kirchen heißt
vuos vov 'EgdQ%ov). Der Name Epiotisa, der sich dabei
geschrieben findet, ist in Cypern ganz unbekannt, und mein
Führer Savas, der mit der Gegend östlich von Rizokarpaso
sehr vertraut war, da er sieben Jahre lang auf dem Mona-
stir Hagios Andreas gewohnt hatte, versicherte, daß kein Ort
und keine Gegend dieses Namens existire. Der Name ist
vielleicht nur aus Afeutrikotifsa verderbt. Die englische See-
karte ist in Bezug auf Orthographie von Ortsnamen und
selbst vielfach betreffs der Lage der Ortschaften durchaus
nicht zuverlässig. So schreibt sie z. B. Andriako statt An-
droniko (auch falsch angesetzt), Ghalino statt Galinoporni,
Ialnfa fehlt ganz und stattdessen findet sich ein in Wirklich-
feit nicht existirendes „St. Londobika"; Rizokarpaso („Rizo-
karpo" geschrieben) ist total falsch angesetzt. Ein„Galatea"
am Meere existirt nicht; da wo dieser Ort angegeben ist,
ftegt Komajaln, Galäthia liegt dagegen mehr landeinwärts
nahe bei Tavro. Auch Akanthu, Flamudi und Davlos sind
falsch angegeben, jedes dieser Dörfer liegt östlicher.
„ Der Name Afentrika ist wohl nur falsche Aussprache
sür Afentika (von äcpsvTrjg, „der Herr", wovon auch das
urkische „Efendi" herstammt) und bedeutet wohl „Herrschaft,
^omanium"; ich habe leider nicht darauf geachtet, ob man
^ysvTQLxa als neutr. plur. oder rj ^AfpsvtQi'x.M
^et Sakellarios schreibt. Bei dem Hafen bemerkte ich
mehrere in den Boden eingerammte sehr dicke antike Säulen,
an welchen die Boote festgebunden worden waren.
Zu Afentrika muß in der byzantinischen Zeit ein beden-
ender Ort gelegen haben; aber vieles deutet darauf hin, daß
niT' V70lVn altgriechischer Zeit hier eine Stadt stand, vor
^ vielen Felsengräber, die sich von dem Hafen an bis
rrft Stunde weiter westlich gelegenen Insel Levkoniso
rJf,t Vn Un^ *lt ^enen man ant^e Topfgefäße, Lampen u. s. w.
L £ ""hrere dieser Gräber, die ganz so wie die
hinewgekr chlos Akanthu) angelegt sind, bin ich
Es fragt sich, ob die alte Stadt Karpasia mit Afentrika
zu identificiren ist oder mit der eine Stunde weiter westlich
gelegenen Trümmerstätte von H. Philon. Für letztere spricht
vor allem ihre größere Nähe zu dem heutigen Orte K^rpaso,
der den alten Namen bewahrt hat, für Afentrika dagegen
die größere Ausdehnung der Trümmer und die größere Breite
des ebenen Küstenstriches. Gegen beide Oertlichkeiten spricht
das Epitheton ccItceivyi, welches Dionysias (bei Steph. v. Byz.)
der Stadt KaQTtaöia giebt; man könnte danach versucht
sein, Pococke Recht zu geben, der die Trümmer der alten
Stadt in dem heutigen Rizokarpaso zu finden glaubt, wo
allerdings Antiquitäten (ich habe selbst deren gesehen, die
einen cypriotisch-phönizischen Stil an sich trugen) gefunden
werden und wo es im Dorfe selbst viele Felsengräber giebt.
Doch spricht die Notiz des Strabo, daß „die Breite des
Isthmus von Karpasia bis zum Südmeere 30 Stadien bc-
trage", eher dafür, daß Karpasia an der See lag. Dann
möchte das ulitHvri vielleicht nur die Lage der Stadt auf
einem in die See hinausragenden hohen Landvorsprung an-
deuten. Bei Afentrika sowohl wie bei H. Philon ist die
Küste ziemlich steil und fast senkrecht abfallend.
Die alten Fundamente setzen sich gegen Osten von Afen-
trika aus noch fort bis zu einer Gruppe von einigen Hütten,
wo die Getreidefelder aufhören, indem die Berge jetzt ganz
nahe ans Meer herantreten. An dieser Stelle, die man
kipos (Garten) nennt, sah ich rechts ab vom Wege unter
einer Felswand zwei große Höhlen, zu denen man durch
rechtwinklig ausgehauene Thüren eintritt. Im Innern
zeigen diese Höhten viele Spuren künstlicher Bearbeitung,
wie Nischen, Stufen, ein rundes Luftloch iu der Decke u. f. w.
Von da überschreiten wir einen Bergrücken und kommen auf
der andern Seite in eine Schlucht hinab, genannt Korakas,
wo einiges Getreide steht. Diese Schlucht öffnet sich gegen
das Meer, das wir zwei Stunden, nachdem wir Afentrika
verlassen, wieder erreichen. Hinter dem Bergrücken, der sich
südlich von dieser Thalschlucht ziemlich hoch erhebt, liegt
— wie mein Führer mir angab — das Kloster H. Andreas.
Wir verfolgten aber, uns immer in der Nähe der Küste
haltend, die Richtung nach dem äußersten Cap, welches die
Karpasioten Castro nennen. Das Land wird immer öder
und wilder; in dem Waldgestrüpp, dessen vorwiegender Baum
die niedrige krumme Cypresfe ist, sahen wir wiederholt Zie-
genherden, einmal auch wilde Esel und Pferde hernmschwei-
fen. Von Korakas aus konnten wir nur langsam vorwärts
kommen, da das Gestade hier aus nacktem, ausgewaschenem
Fels besteht, der gleich einem Schwämme durchlöchert ist,
so daß die Maulesel hier leicht straucheln; wo der Fels in
seinen Ritzen einiges Erdreich enthält, wachsen Cypressen,
die sich hier gar nicht über der Bodenfläche erheben, sondern
gleich Wurzeln lang hin kriechen und ihre vielen Zweige
über die nackte Felsfläche hinsenden. Diese verkümmerten
Zwergcypressen bildeten das zweiteHinderniß; dazukam noch
die große Hitze, die auf diesem ausgefressenen Felsgestade
bei völliger Windstille brütete. 3/4 Stunden hinter Korakas
kamen wir zu einer kleinen flachen Bucht, genannt Kordüia,
deren Ufer überall senkrecht ins Meer fallen. Von da hat-
ten wir noch eine Stunde bis zum Cap, das Felsgestade
bildet auf dieser Strecke keine Buchten. Die äußerste Spitze
des Caps bildet ein ifolirter hoher Felsen, der nnersteiglich
scheint und wie dazu geschaffen ist, um eine Burg oder einen
Wartthurm zu tragen. Diesen Felsen nennt man in bezeich-
nender Weise tv Kästron; er trug einst ein altes Gebäude,
darüber kann kein Zweifel sein. Ich kletterte hinauf und
fand oben Steintrümmer; an einer Stelle hatte jemand,
wohl ein schatzsuchender Bauer, gegraben und alte Mauer-
fnudameute aus Quadern zu Tage gefördert. Einige der
22*
172 Dr. P. Schröder: Meine zweite 3
Steine waren nach innen trogartig vertieft. Auch am Fuße
des Felsens finden sich Spuren antiker Baulichkeiten,
z. B. Fragmente von Säulen, ein dorisches Capital und be-
haltene Steinblöcke. Besondere Aufmerksamkeit verdient ein
kellerartig mit ziemlich starker Neigung in den Felsboden
hinabgetriebener, innen solid ausgemauerter Stollen, zu dem
eine im Gestrüpp versteckte und daher ohne Führer schwer
aufzufindende Treppe (halb verschüttet, ich zählte noch zehn
Stufen) hinabführt. Der Gang ist überwölbt, etwa 4 Fuß
breit und läßt sich etwa 35 Fuß weit nach innen verfolgen,
zuletzt aber ist er verschüttet; in der linken Seitenwand uu-
gefähr in der Mitte des Ganges ist eine Nische ansgehanen.
Das Ganze scheint eine alte phönizische Grabanlage zu sein;
eine weitere Ausrämuuug des Schuttes würde gewiß schließ-
lich zur Entdeckung von Grabkammern führen. Auch auf
dem südlich vom „Castro" liegenden und von diesem nur
se auf Cypern im Frühjahr 1873.
durch eine schmale Bucht getrennten kleinen Felsenvorsprung
der südöstlichen Küste bemerkte ich alte Trümmer: Funda-
mente eines Stnsenbanes, große rechtwinklig behaueue Steine
und Steintröge. An das „Castro" schließt sich gegen Nord-
osten gleichsam als äußerste Spitze der Insel noch ein steil
und schroff aus dem Meere sich erhebender nackter Felsen an,
der scheinbar mit dem Festlande zusammenhängt, bei näherer
Besichtigung sich aber als Insel erwies, die freilich nur durch
eine seichte Furth von 4 bis 5 Fuß Breite vom Castro ge-
schieden ist. Bei niedrigem Wasserstande mag diese Insel wohl
trockenen Fußes zu erreichen sein. Gegenüber dem Vorgebirge
Cap Apost. Andrea, welches heutzutage auch Uran tu vü,
(ovqccv tov ßov — Ochsenschwanz) genannt wird, liegen
die Inseln, die Strabo KXsldss nennt; die größte derselben,
die auch süßes Wasser hat, aber natürlich unbewohnt ist,
heißt heutzutage Kastellätzo, die dahinter gelegene kleinere we-
a Castro, b Unterirdischer Gang, c Felsvorsprnng mit Ri
eine kaum 1 bis 2 Fuß tiefe Furth gesch>
gen ihrer geringen Höhe Platslla. Außer diesen beiden
Inseln giebt es hier noch mehrere kleinere, die als einfache
kahle Felsen und Riffe über dem wenig tiefen Wasser empor
ragen. Plinius zählt vier Inseln: er meint außer den bei-
den genannten wahrscheinlich noch die ganz dicht bei dem
Castro als Fortsetzung des Vorgebirges liegende d und den
Felsen /.
Vom Castro aus bemerkte ich deutlich die syrische Küste
und zwar zwei langgestreckte Gebirge, von denen das eine
(70 bis 75° Abweichung von Norden nach Osten) der Gebel
Mnsa, das andere südlichere der Gebel Akrad und die zwischen
beiden liegende Lücke die Niederung, in der der Orontes
mündet, sein mußte. Gerade im Norden präsentirten sich
in voller Klarheit die tanrischen Schneegebirge. Im Rücken,
d. h. nach Südosten zu, konnte man die beiden Küsten der
Halbinsel verfolgen, die nördliche etwa nur eiue Stuude weit
bis zu dem Hafen Kordilia, die südliche, die viel gegliederter
ist und überall schroff abfällt, aber viel weiter. Das weiß-
en. d Letzter Vorsprung des Vorgebirges, vom Castro durch
en. e Kastellg.tzo. / Felsen, g Platella.
glänzende Monastir des H. Andreas war auf einem senkrecht
in die See abfallenden Felfenvorfprnng deutlich sichtbar.
Vom Cap hatten wir noch eine Stunde bis zum Kloster
zu reiten, immer der südlichen Küste entlang, an der sich
hier mit großem Getöse die Wellen brechen. Ich hatte mich
zu lange in Asentrika und auf Castro aufgehalten, so daß
wir erst um 5 Uhr Nachmittags an dem Monastir ankamen
und ich mich somit gezwungen sah hier zu übernachten. Denn
Rizokarpaso ist von hier noch vier Stunden entfernt. An
Stelle der verfallenen Capelle des Apostels Andreas erhebt
sich jetzt eine sehr stattliche Kirche, die erst im Jahre 1865
erbaut worden ist; bei der Kirche liegen einige Häuser, in
denen der den Gottesdienst verrichtende Pappas und einige
Ackerbauer, welche die dem Monastir gehörigen Aecker der
Umgegend bewirtschaften, wohnen. Ap6stolos Andreas (so,
nicht Hagios Andreas) ist kein eigentliches Kloster, sondern
nur Kirche.
Prof. A. Raimondi: Zur physikalischen Geographie- von Peru.
173
Zur physikalischen Geographie von Per».
Eine Skizze von A. Raimondi zu Lima.
(Aus dem Spanischen.)
II.
Klim a. Nach dem Gesagten ergiebt sich, daß das Klima
Perus sehr verschieden ist je nach der Temperatur und der
Negenmasse in den verschiedenen Zonen. Im Küstengebiete
fällt in den Monaten Juni bis October jener feuchte Nieder-
schlag, Santa genannt, welcher kaum den Boden benetzt; es
giebt keine elektrische Erscheinungen, in dieser Gegend sind
Donner und Blitz vollkommen unbekanntx).
Im Gebirge giebt es beinahe täglich heftige Regengüsse,
begleitet von Blitz und Donner, namentlich von Anfang
October an bis zum April. In dieser Jahreszeit, welche
durch die Stellung der Sonne dem Sommer entspricht, sind
die Nächte mäßig kalt; indessen von Juni bis October,
welche den Wintermonaten gleichkommen, ist es Tags über,
da beständig die Sonne scheint, nicht sehr kalt; dagegen aber
sind die Nächte, namentlich wenn der Himmel sehr klar ist,
sehr kalt.
In den Zonen der Pnna und der Cordillera ist das
Klima fast das gleiche wie im Gebirge (Sierra), nur mit
dem Unterschiede, daß die Temperatur bei Weitem niedriger
ist und daß die atmosphärischen Veränderungen, namentlich
in der Cordillere, sich weit schneller und stärker vollziehen,
so daß es sehr häufig vorkommt, daß man an einem
und demselben Tage Sonne, Regen, Hagel und Schneesturm
erlebt. Die elektrischen Erscheinungen sind weit intensiver
und beginnen in der Regel zwischen 1 und 2 Uhr Nach-
mittags.
In der Montana beginnen die Regen im Allgemeinen
später als in der Sierra und hören gewöhnlich im Monat
December vollständig auf. In diesem Theile Perus siud
die Regen weit ausgiebiger und die Atmosphäre erhält sich
durch die fabelhafte Vegetation meistentheils sehr feucht.
Politische Einth eilung. Das Territorium der Re-
publik Peru ist augenblicklich in 21 Departemente eingetheilt,
nämlich Loreto, Amazonas, Piura, Cajamarca, Lambayeqne,
Libertad, Aneachs, Hnannco, Jnnin, Lima, Callao, Hnanca-
velica, Jca, Ayacncho, Apnrimac, Cnßco, Pnno, Arequipa,
Moquegua, Tacna und Tarapaca.
Zwei dieser Departemente führen den Namen einer Küsten-
Provinz, nämlich Callao und Moquegua.
Alle diese Departemente umfassen 97 Provinzen und
diese sind wieder eingetheilt in Districte, deren 781 vorhan-
den sind.
Thierwelt. Peru ist sehr reich an Thieren; in erster
Reihe sind die Hansthiere zu nennen, namentlich Schlachtvieh
und Schafe, welche meistens auf den Weiden des höher gele-
genen Theiles Perus gezüchtet werden; letztere geben außer
ihrem Fleisch eine große Quantität Wolle, von welcher ein
Theil im Laude selbst verarbeitet, der andere nach Europa
exportirt wird.
i) Anmerkung des Uebersetzers.
Am 31. December 1877 fal; man in Lima Blitze und hörte
sogar zwei Donnerschläge, welche nicht verfehlten, die Bevölkerung
m Alarm zu versetzen; es folgte ein ^stündiger Regen. ein
Phänomen, welches seit dem Jahre 1803 nicht wahrgenommen
Au der Küste werden meistens Schweine und Pferde
gezüchtet. Unter den einheimischen Thieren Perus siud zu
nennen die Llamas, Hnanacos, Alpacca und Vicnnas; die
ersteren sind als Lastthiere sehr nützlich, ihr Fleisch dient den
Eingeborenen zur Nahrung und ihre Wolle wird von denselben
zu feinen und ordinären Geweben verarbeitet.
Von den Vicnnas werden die Felle ausgeführt; indessen
das Thier, welches den kostbarsten Aussuhrartikel liefert, ist
der Alpacca, dessen feine Wolle in Europa zu den Werth-
vollsten Gespinnsten verwandt wird; der Gesammtwerth der
allein aus dem Departement Pnno exportirten Alpaccawolle
beträgt jährlich über 1 Million Soles Silber — ca. 4 000 000
Mark.
Die Fauna des Küstengebietes von Peru ist dagegen schwach
vertreten und abgesehen von einigen Füchsen giebt es beinahe
keine wilden Thiere. In der Montana dagegen wimmelt es
von solchen, unter denen wir nur die Tapir-Arten, welche
im Lande Dante oder Gran Bestia genannt werden, hervor-
heben. Ferner die Pecaris oder Huanganes, welche ein
äußerst schmackhaftes Fleisch haben, verschiedene Arten Rehe,
Affen, Bären, Ameisenbären, Gürtelthiere n. s. w.; nichts-
destoweniger sind die schädlichen Thiere in verhältnißmäßig
kleiner Zahl vertreten; sie beschränken sich auf einige Bären-
und Katzeuarteu, unter den letzteren namentlich der Puma
(Felix Puma) und der Jaguar (Felix onza).
Pflanzenwelt. Bei den verschiedenartigen Klimaten
Perus ist es kein Wunder, daß die Pflanzenwelt ebenso ver-
schiedenartig sich darstellt: in den Küstengegenden und der
Montana werden gezogen und gedeihen des heißen Klimas
wegen die Pflanzen der Tropen, während in der Sierra die-
jenigen der gemäßigten Zone Europas vorzüglich fortkommen.
Im Küstengebiet werden, abgesehen von den hanptsäch-
lichsten Ackerbanprodncten, welche zur Ernährung der Be-
wohner dienen, wie Reis, Mais, Mca, süße Kartoffeln,
Kartoffeln, Klee behufs Fütterung der Hansthiere, u. f. w.
auch Zuckerrohr, Weinrebe, Oliven und die Cactnspflanzen,
letztere behufs Züchtung der Cochenille, gebaut.
Unter diesen Pflanzen wird indessen im großartigsten
Maßstabe das Zuckerrohr angepflanzt, und namentlich in den
letzten Jahren hat sich die Znckerprodnction außerordentlich
vermehrt, namentlich weil er auf europäischen Märkten sehr
gesucht wird, so daß schon heutzutage der Zucker einen der
hauptsächlichsten Ausfuhrartikel Perus bildet. Der Anbau
der Weinrebe ist ebenfalls von großer Bedeutung, namentlich
in den Departementen Jca, Arequipa uud Moquegua, welche
ausgezeichnete Weine und namentlich den berühmten Brannt-
wein Jlatin produciren.
Die Producte des Ackerbaues in dem Gebirge (Sierra)
bestehen hauptfächlich in Getreidearten, namentlich Weizen,
Mais und Gerste, und in Knollenfrüchten. In den höher
gelegenen Gegenden wächst die Qninoa und eine Kartoffel-
art, aus welcher der sogenannte Chuna präparirt wird (ge-
trocknet und hernach dem Frost ausgesetzt).
In der Montana wird außer dem Zuckerrohr noch Kaffee,
174 Prof. A. Raimondi: Zur phl
Taback und Coca angebaut; indeß alle diese Producte werden
nur im Lande verbraucht.
Die Coca wird hauptsächlich in der Montana der Departe-
mente Cußco, Huauuco, Ayacucho und Pnno gebaut; nichts-
destoweniger sind beinahe in allen tiefen und heißen Thälern
des Innern kleine Pflanzungen vorhanden. Dieses kostbare
Blatt, welches für die Indianer eines großen Theils von
Peru beinahe unentbehrlich ist, wird in großen Massen na-
mentlich in den Minendistricten gebraucht und ohne dieses
Anreizungsmittel könnten die Minenarbeiter ihre in Wahrheit
mühselige Arbeit kaum ertragen 1).
x) Prof. A. Bastian bemerkt über den Gebrauch der Coca
in seinem neuesten Reisewerke (Die Kulturländer des alten Ame-
rika, Bd. I, Ein Jahr auf Reisen, S. 203 f.) Folgendes: „Eine
andere, sehr eigenthümliche Methode, Entfernungen zu messen,
und die von den Indianern einiger Theile Perus verwandt wird,
wie z. B. in der Provinz Pataz, ist die nach Cocadas (Coca-
Bissen).
Bekanntlich findet sich bei der Mehrzahl der peruanischen
Indianer der Gebrauch, die Blätter der Coca (Erythroxylon
Coca) zu kauen, was ihnen als stärkendes Reizmittel dient und
sie befähigt, körperliche Anstrengungen zu ertragen, ohne reich-
licherer Ernährung zu bedürfen.
Es ist dabei nun in Beachtung zu ziehen, daß die durch
das Kauen einiger Cocablätter gewährte Anregung in ihrer Wir-
kung für einen umschriebenen Zeitraum fortdauert, und wenn
das Cocakügelchen (Acullico oder Prümchen), das im Munde
gehalten wird, nicht durch neue Blätter feinen Ersatz findet, fo
geht die Anregung vorüber und gleichzeitig beginnen dann die
körperlichen Kräfte zu sinken. Diese Zeitdauer, während welcher
die Aufregung anhält, oder besser gesagt die Entfernung (wie
man in Westphalen nach einer Pfeife Taback oder dem Rauchen
derselben die Entfernungen angiebt), welche innerhalb diefes Zeit-
raumes zurückgelegt werden kann, bezeichnet dasjenige, was der
Indianer der Provinz Pataz unter dem Namen der Cocada
begreift.
Aus dieser Auseinandersetzung folgt, daß die Cocada ein
Maß der Zeit ist und nicht des Weges, und demgemäß wird
die zurückgelegte Entfernung eine fehr verschiedene fein, ob in
flacher Ebene ohne irgend welche Hindernisse oder in einem ge-
brochenen Terrain mit Auf- und Abstieg.
Als Resultat- aus den während meiner Reife gemachten
Beobachtungen läßt sich ableiten, daß der Beginn der Anregung
einige (3 bis 10) Minuten, nachdem die Cocablätter in den
Mund eingeführt sind, anzusetzen ist, und daß sie, wenn man
keine neuen Blätter zufügt, 35 bis 40 Minuten dauern wird.
So würde die Cocada als ein Zeitmaß zu betrachten sein, das
zwischen 35 bis 40 Minuten schwankt, und während welches,
nach der Marschwelse des beladenen Indianers, auf einem ebenen
Terrain etwa 3 Kilometer zurücklegbar sind oder höchstens 2 Kilo-
meter beim Bergsteigen.
Während meiner Fußreisen zwischen der Ansiedelung Taya-
bambe und dem Fluß Huallaga hatte ich Gelegenheit, das eben
Dargelegte genauer zu beobachten. Ich kann hinzufetzen, daß
die Indianer ihre festen und bestimmten Plätze haben, an wel-
chen sie ausruhen und die verbrauchte Coca durch neue ersetzen,
und da sie hierfür immer einen etwas offenen Platz wählen oder
die Höhe eines Hügels, fo werden dadurch einige Cocadas länger
als andere. In solchen Fällen sah ich sie im höchsten Grade
der Erschöpfung an dem Ausruheplatz ankommen und bemerkte
oftmals die äußersten Anstrengungen zur Beschleunigung des
Schrittes, um den genannten Ort zu erreichen, wo sie sich dann
mit der schweren Last niederfallen ließen und einige Minuten
gleichsam bewegungslos liegen blieben, ehe sie sich wieder daran
machten, ihr Lieblingskraut zu kauen. Es war dann immer
bewundernswert!) zu sehen, wie nach 8 bis 10 Minuten einer
Labung von der Coca sie sich neu belebt fühlten oder, nach
ihrer Ausdrucksweife, gerüstet und befähigt, mit ihrer Last von
vier Arroben die Reife bis zur nächsten Cocada fortzufetzen, in-
dem am Tage 6 bis 8 Cocadas zurückgelegt wurden.
Die Coca, gleich all' den narcotischen Excitantien, die sich in
verschiedener Art auf der Erde im Gebrauch finden, wird durch
ihre Wirkung in Stählung der feinsten Federn des Körpers (im
Nervensystem) momentan raschere Erfolge zeigen, in der Dauer
aber natürlich die Maschine um so gründlicher verbrauchen, da
sich diese normal nur durch die in größerer Masse zugesührten
Nahrungsmittel bei langsamer und regelmäßiger Verbrennung
des Feuerungsmaterials im Stande erhalten läßt."
Mischen Geographie von Peru.
Neben den cultivirteu Pflanzen ist die Montana außer-
ordentlich reich an Medicinalpflanzen und Nutzhölzern, welche
in den weiten Wäldern häufig vorkommen, so namentlich an
Chinarinde, Zarzaparilla, Vanille, den Bäumen, welche den
peruanischen Balsam liefern, an Copaivabalsambäumen,
Gummibäumen und vielen verschiedenen Arten von Harzen,
ferner prachtvollen Bau- und Luxushölzeru, wie z. B. la caoba,
Cedern, Jacarauda, palo cruz, Lumballo :c. *c.
Mineralien. Ebenso reich wie an Pflanzen uud Thie-
ren ist Peru an Mineralschätzen, wenn nicht reicher. Rech-
nen wir hierzu noch den befruchtenden Guano, welcher uu-
geachtet seines organischen Ursprungs dennoch zu den Fossi-
lim gezählt werden kann, so giebt es ohne Zweifel auf dem
ganzen Erdball kein Land, welches von der Natur mit kost-
bareren Producten ausgestattet ist als Peru. In der That,
aller Welt sind die ungeheuren Massen dieses kostbaren Dung-
mittels, welche sich seit Jahrhunderten auf den Chinchas-
Inseln angehäuft hatten, bekannt; von diesen Inseln sind
bereits mehr als 15 Millionen Tonnen (zu 2200 Pfund)
ausgeführt, wozu noch die Ausfuhr von den Inseln Guanape
und Macabi sowie die großen jetzt noch auf den Lobos-Jnseln
und einigen Punkten des Festlandes der Provinz Tarapacca
existirenden Depots gerechnet werden müssen, ganz abgesehen
davon, daß schon zu Zeiten der Jucas dieser Guano zur
Düngung des Bodens behufs Gewinnung besserer Ernten
angewendet wurde.
Der Guano, dessen Erlös in Europa und den Bereinigten
Staaten von Nordamerika bis in die letzten Jahre die Haupt-
einnähme Perus bildete und jetzt noch große Summen, um
die Zinsen der auswärtigen Schuld *) zu decken, sowie ein
Einkommen von jährlich 3 000 000 Soles abwirft, sind
allmälig durch ein anderes höchst wichtiges peruanisches Natur-
product ersetzt worden, nämlich dnrch den Salpeter oder Ni-
träte de Soda, welches in großen Massen in der Provinz
Tarapacca gewonnen wird.
Schon jetzt ergiebt die Ausfuhrabgabe vom Salpeter mehr
denn 6 000 000 Soles per Jahr, eine Summe, welche einer
beträchtlichen Steigerung fähig ist, wenn die peruanische Ne-
gierung dahin kommt, diesen Artikel zu mouopolisireu, wozu
bereits der Anfang gemacht ist.
Aber auch abgesehen von diesen beiden Zweigen des na-
tionalen Reichthums (Guano und Salpeter) ist die Republik
Peru eines der reichsten Länder, namentlich an Erzen, Brenn-
stoffen und verschiedenen Salzen. Was die ersteren anlangt,
so kann man kühn behaupten, daß auch nicht ein Punkt seiner
weit verzweigten Bergzüge existirt, welcher nicht irgend ein
Mineral in seinem Innern birgt, so daß von dem Tage ab,
an welchem die jetzt im Bau begriffenen Eisenbahnen voll-
endet sein werden, sich unverzüglich die Ausfuhr der rohen
Metallerze vermehren wird, welche heutzutage wegen des
Mangels an Transportmitteln nicht stattfinden kann.
Es würde zu weit führen, eine Aufzählung aller äugen-
blicklich in Ausbeutung befindlichen, namentlich aber der wegen
Mangels an Capital oder von im Minenfache gehörig unter-
richteter Personen verlassenen Minen zu geben. Es genügt
zu erwähnen, daß beinahe in allen Departementen der Re-
publik sich Goldminen oder Goldwäschereien befinden, unter
denen die bedeutendsten diejenigen von Carabaga im De-
partemeut Puno, Paucartambo im Departement Cußco, von
Chuquibamba im Departement von Junin, von Pallasca
und Uco im Departement Ancachs, von Palaz im Departe-
ment Libertad, von Santo Tomas im Departement Ama-
i) Nicht ganz richtig; denn seit dem 1. Januar 1877 zahlt
Peru nicht mehr die Zinsen seiner auswärtigen Schuld.
Der Uebersetzer.
Aus allen
zonas und von Borja, Simon und andere im Departement
Loreto sind.
Dasselbe läßt sich von den Silberminen sagen, welches
Metall indeß in Peru noch weit häufiger vorkommt als
Gold.
Hinreichend bekannt sind die Minendistricte von Huanta-
jaga in Santa Rosa in der Provinz Tarapacca, diejenigen
von San Antonio de Esquilache, Cancharani und Pomassi
im Departement Putto, diejenigen von Caylloma im Departe-
ment Arequipa, die berühmten Minen von Huanta-Huallay
uud von San Juan de Lucanas im Departement Ayacucho;
die Minen von Lircay und Castroriregna im Departement
Huaucavelica, der oft erwähnte und mächtige Cerro de Pasco,
die Minen von Marococha, Uauli :c. im Departement Jnnin,
die Minen von Salpo und Saljapal im Departement Liber-
tad; die an Metall reichen Hügel von Hualgayoc, Chilete,
Punre im Departement Libertad, die Erze von Quiropalea,
Huallauca und Chota im Departement Huanuco und viele
andere mehr von geringerer Bedeutung in den Departementen
Piura und Amazonas.
Was die Qualität dieser Erze anlangt, so kann man
sagen, daß in vielen Orten der Republik gediegenes Silber
vorkommt, dann Argiano oder Plomo ronco, ferner Piragit
oder Rosicler, dann Psaturit oder Stephanit, im Lande Pol-
vorillo benannt, welches in der Regel ein sehr reiches Silber-
erz ist, und eine große Verschiedenheit von Kupfererzen (Cobre
grio), alle reich an Silber, im Lande mit dem Gefammt-
namen Paronada belegt, schließlich die sehr häufig auftreten-
den silberhaltigen Bleierze, welche im Lande je nach ihrer
Erdtheilen. 175
Zusammensetzung mit den vulgären Namen Carne de vaca,
Soroche, Acerello :c. bezeichnet werden und nur ihres Silber-
gehaltes wegen bearbeitet und als Erze uud zwar iu beträcht-
licher Quantität ausgeführt werden, ein Handelsartikel, wel-
cher, wenn, wie bereits erwähnt, einmal die im Bau begrif-
fenen Eisenbahnen vollendet sein werden, sich in großartigem
Maßstabe entwickeln wird.
Die Brennstoffe anlangend, die Seele jeglicher Industrie,
bleibt Peru nicht hinter anderen Ländern zurück. Zahlreich
und großartig sind die Anthracit-, ttlla-seca-, Ulla-grasa-
und Boghead-Miueu; große Lager von Ciquirtas, Torf und
Petroleum finden sich über das ganze peruanische Gebiet
zerstreut und werden dermaleinst, noch für den Bedarf der
Dampfschiffe und Eisenbahnen nutzbar werden und entschieden
andere Industrien ins Leben rufen. In Peru und Vorzugs-
weise im Küstengebiete befindet sich eine Verschiedenheit an
mineralischen Salzen, namentlich, außer dem bereits genann-
ten Salpeter, Borax (äs soda y cal), Sulfata de alnminia,
Carbouato und Sulfata de soda, verschiedene Magnesiasalze,
ausgedehnte Steinsalzlager und große Lager von Salgema
und salpeterhaltiger Erde, aus welcher Pottasche gewonnen
wird.
Schließlich hat Peru einen Uebersluß an Mineralwasser,
und man kann dreist behaupten, daß es auch in dieser Be-
ziehuug kein Departement giebt, welches nicht einige Heil-
quellen aufweist. Diese Mineralwasser sind sehr verschieden-
artigen Gehaltes, es giebt schwefelhaltige uud alkalinifche,
unter diesen letzteren solche, die Sal de Litio enthalten :c.
Aus allen
Vermischtes.
— Verbrecherschädel sind das specielle Studium Prof.
Benedictas in Wien, welcher eine Anzahl derselben iu Paris aus-
gestellt hat. Erläuterungen zu diesen Schädeln finden wir
in den „Mittheilnngen der Anthropologischen Gesellschaft in
Wien"; doch vermögen diese Auseinandersetzungen keines-
wegs in uns die Ueberzeuguug zu befestigen, als würden für
Verbrecher und besondere Kategorien von Verbrechen sich ein-
mal auch eigeuthümliche Schädelformen nachweisen lassen.
Jm Uebrigen will Prof. Benedict keineswegs bestimmte Sätze
aufstellen — dazu würde schon seiu Material nicht ansrei-
cheu —, sondern er will nur zu ähnlichen Sammlungen an-
regen, damit aus solchem gehäuften Materials sich Resultate
ziehen lassen, welche die Abweichungen der Verbrecherschädel
von den normalen Racentypen darthun. Die Statistik zeigt,
daß gewisse Verbrechertypen: Räuber, Fälscher, Hochstapler
und Diebe, in ihrer Mehrheit rückfällig werden, und daß
diese Rückfälligen die Mehrheit der Verbrecherwelt bilden.
Diese Verbrechernaturen sind als Abart des Culturmeuscheu
zu betrachten. „In derselben Proportion beiläufig hatten wir
bei Verbrechern anatomische Atypie (d. h. Abweichung vom
normalen Bau) zu erwarten; theils schon am Schädel, theils
bloß im Gehirn. Bei Vergleichnng normaler Schädel mit
Verbrecherschädeln wird das Verhältniß dadurch mächtig alte-
rirt, daß der Keim zum Verbrechen weiter verbreitet ist als
die Verbrechen selbst. Bei einem Theile wird der Befund
negativ sein müssen , weil das Verbrechen nicht in einem
fehlerhaften anatomischen Zustande, sondern in einem abnor-
men Temperamente oder in einer vorübergehenden abnormen
Erregung begründet ist. Diese letztere Kategorie von Ver-
c r d t h e i l e n.
brecheru wollen wir als physiologische den anatomischen gegen-
überstellen. Ferner ist es wichtig zu bemerken, daß die
Verhältnisse am Schädel nur eine ganz vage Andeutung vie-
ler wichtiger Details am Gehirn liefern, und daß äs facto
dieselben pathologischen und atypischen Schädelformen man-
uigfachen Functionsbeirrnngen des Gehirns entsprechen."
Man ersieht hieraus, daß etwas Festes, Genaues über
Verbrechen uud deren Ausdruck im Schädel sich eigentlich
noch gar nicht sagen läßt. Immerhin zeigen aber die von
Prof. Benedict in Paris ausgestellten Schädel durchaus ab-
norme Verhältnisse. Da ist der Schädel eines 25jährigen
wegen Mord zum Tode verurtheilten Südslaven, Lukas Bu-
dimcsicz, welcher unzweifelhaft, wie die Maße ergeben, als
ein mikrocephaler anzusehen ist. Dr. Benedict knüpft daran
folgende Bemerkungen: „Kein wirklicher Naturforscher in
der Welt wird wohl zu behaupten wagen, daß das Jndivi-
dnnm, dem dieser Schädel angehörte, in psychischer Bezie-
hung als ein Durchschnittsmensch zu gelten habe, uud den-
noch wurde er von der Justiz nach den heute bestehenden
Regeln der Jurisprudenz als solcher behandelt. Es würde
auch außerordentlich ominös sein, ein Verdict ans vermin-
derte oder aufgehobene Zurechnungsfähigkeit in diesem und
ähnlichen Fällen abzugeben. Denn die heutige Jurisdiction
würde sich genöthigt sehen, das Urtheil dadurch zu mildern
oder deu Thäter freizusprechen. Das wäre aber eine Gefahr
für die Gesellschaft."
Bereits früher hat Benedict hervorgehoben (Wiener
juristische Blätter 1876), daß die Lehre von der Strafe als
Sühne und die Lehre von der individuellen Schuld als
Hauptbasis für die Verurtheilung aufgegeben werden müsse,
und daß 1. der Schutz der Gesellschaft, und 2. die Cor-
176
Aus allen Erdtheilen.
rectionssähigkeit des Individuums die wichtigsten Gesichts-
punkte abgeben müssen. Ist keine Correction möglich, wie
bei dem mikroeephalen Lukas Bndimcsicz, „dann werden wir
die Freiheitsentziehung umso ausgiebiger vornehmen müssen,
je weniger wir das Individuum für zurechnungsfähig er-
klären können. Der Naturforscher muß aber durch sein wahr-
heitsgetreues Votum die Justiz zur Umkehr zwingen."
Bei Banknotenfälschern weist Beuedict als charakteristisch
eine große Differenz zwischen Frontal- und Parietalbogen
nach. Die normale Differenz schwankt gewöhnlich nur um
einige Millimeter. Der Bauknotenfälscher Szinka zeigt aber
eine Differenz von 3,4 Centimeter. Andere Bauknotenfälscher-
Schädel zeigten ähnliche hohe Differenzen.
— In den letzten Monaten hat uns die Verlagsbuch-
Handlung vou F. A. Brockhaus in Leipzig mit einer gan-
zen Reihe wichtiger und interessanter Bücher über Afrika
beschenkt, auf welche wir hier zunächst nur kurz hinweisen
wollen. Obenan steht als größte Neuheit der erste Band
von Stauley's großem Reisewerke, welchem im Mo-
nate August schon der zweite ungleich wichtigere folgen soll.
Das Werk führt den Titel •' „Durch den dunkeln Welttheil
oder die Quellen des Nils, Reisen um die großen Seen des
äquatorialen Afrika und den Livingstone-Flnß abwärts nach
dem Atlantischen Oeean. Von Henry M. Stanley. Aus
dem Englischen übersetzt von Professor Dr. C. Böttger. Mit
Karteu uud Abbildungen" (Preis 15 M., gebunden 17 M).
Die Wichtigkeit dieses Buches, welches so bald nach der im
Januar dieses Jahres erfolgten Heimkehr des Reisenden an
das Licht getreten ist, ist jedem unserer Leser im Voraus so
bekannt, daß wir kaum nöthig haben, mehr zu thun, als auf
sein Erscheinen hinzuweisen. Eine — natürlich nur sehr aus-
zügliche — Besprechung des Inhalts unter Beifügung von
Originalabbildungen wird der „Globus" voraussichtlich
demnächst bringen.
Eine zweite dankenswerthe Veröffentlichung ist die neue
umgearbeitete Originalausgabe von Dr. Georg Schwein-
furth's „Im Herzen von Afrika", eines Werkes, wel-
ches an wissenschaftlicher Gediegenheit, an stilvoller Methode
der Darstellung, an Gemüth und Herzenswärme alle gleich-
artigen Bücher, deren die letzten Jahre so viele haben er-
scheinen sehen, hinter sich läßt. Durch einige zweckmäßige
Kürzungen und Zusalltmeuziehungeu Seitens des Verfassers
selbst, durch kleinern Druck und größeres Format ist es ge-
lungen, den Inhalt der früheren zwei Bände zu 599 und
561 Seiten in einen Band von 513 zu bringen, welcher nicht
nur fämmtliche in der ersten Auflage enthalteneu Illustrativ-
neu, sondern noch eine Anzahl neuer werthvoller Holzschnitte
enthält und statt 30 Mark deren nur 12 kostet. Wir empfeh-
leu das vortreffliche Buch allen Freunden afrikanischer For-
schung auf das Angelegentlichste. — Eine dritte Novität
desselben Verlags ist das Reisewerk von Ernst von Web er:
„Vier Jahre in Afrika 1871 bis 1875." (2 Bde.
Mit Abbildungen in Holzschnitt, einem Plane und einer
Karte.) Es enthält im ersten Ballde eine überaus fesselnde
Beschreibung des Lebens und Treibens auf den Diamanten-
feldern West-Griqualandes, an welchem der Verfasser meh-
rere Jahre hindurch lebhaften Autheil nahm. Eigentlich
Ethnographisches enthält dieser Theil weniger, dafür um so
lehrreichere Einblicke in die englische Eolonialpolitik, welche
Herr von Weber bei all seiner Liebe und Bewunderung der
englischen Nation und seiner Hochachtung vor dem einzelnen
Repräsentanten derselben, dem englischen Gentleman (vergl.
S. 408), nicht umhin kann, der schwersten Treulosigkeiten
und Gewalttaten zu zeihen. Der zweite Theil enthält die
Reise per Ochsenwagen vou den Diamantfeldern dnrch den
Oranje-Freistaat nach Natal und von dort per Dampfer nach
Zanzibar, Aden und Suez und bietet ungleich mehr für Geo-
graphie und Ethnographie. So möchten wir vor allem auf
die Schilderung der Boers (S. 9), der Oranje-Republik
(S. 48), des Landes König Maroka's (@. 96), der Zulu-
Monarchie (S. 232) u. f. w. aufmerksam machen. Was aber vor
allem eindringlicher Beherzigung werth ist, sind die Eapitel
25, 26 und 31, in welchen der Verfasser in der umfassend-
steu Weife die Vortheile eines Colonialbesitzes erörtert uud
die baldige Erwerbung eines solchen für Deutschland mit
warmen, patriotischen Worten verlangt. Sein Vorschlag, die
deutsche Eolonialpolitik mit Acquisitum der Delagoa-Bay
und kräftiger Unterstützung des germanischen Elements in
der Transvaal-Republik einzuleiten, fand freilich seiner Zeit
an der maßgebenden Stelle kein Entgegenkommen ulld ist seit-
dem durch das energische englische Vorgehen in Südafrika gegen-
standlos geworden — trotzdem aber haben feine Auseinander-
fetznngen uichts von ihrem Werthe und Gehalte verloren,
und das Deutsche Reich wird und muß über kurz oder laug,
will es uicht von seinem hervorragenden Platze herabsinken,
sich ernstlich der Lösung dieser Frage zuwenden. Vortrefflich
hob neuerlich F. Ratzel (Die Beurtheiluug der Völker iu
„Nord und Süd" VI, S. 177 ff.) die Bedeutung der Colo-
nien für das Mutterland hervor: „Stützt sich doch heute
fchou die erste Rolle, welche englische Sprache uud theilweise
sogar englische Sitte im größten Theile der außereuropäischen
Welt spieleu, nicht bloß auf das Mutterland vieler Colonien,
Großbritannien selbst, sondern bald ebenso sehr auf die Ver-
einigten Staaten, dieses abgelöste Stück des britischen Colo-
nialreiches, und in Australien, Neuseeland, Südafrika wach-
fen ähnliche Glieder eines englisch redenden und bis zu einem
gewissen Grade auch englisch denkenden außereuropäischen
Eolouialvolkes empor. Bei einem großen Ueberblick der
heutigen Weltlage scheint dadurch die englische Sprache uud
was in ihr niedergelegt ist, scheinen englische Gesetze, Ge-
bränche und Sitten sicherer vor dem Untergange gewahrt
als die irgend einer andern Nation. Wir anderen Völker
mögen noch so kräftige Bäume sein, aber wir stützen unsere
Entfaltung auf Einen Stamm, während England einem in-
difchen Riesenfeigenbaum gleich auf zahlreichen, in neue Erde
gesenkten Säulen ruht." Wir empfehlen das anziehende
Weber'sche Buch, aus welchem eine scharfe Beobachtungsgabe,
ein weiter politischer Blick und viel Welterfahrung spricht,
unseren Lesern auf das Angelegentlichste; in aumuthiger
Weise versteht er zu erzählen, was er gesehen, was er erlebt,
was er in Erfahrung gebracht hat und was er selbst dazu
meint. Wir werden in den nächsten Nummern unseres
Blattes noch das eine oder andere Bemerkenswerte aus
diesen beiden Bänden mittheilen.
— Vor einigen Monaten gingen von Sydney ans zwei
Petitionen an die Königin von England ab, daß die Insel-
grnppe der Neuen Hebriden unter englische Hoheit möge
gestellt werden. Im März dieses Jahres erfolgte eine ab-
schlägige Antwort. Die Petitionen feien zwar der Königin
vorgelegt worden, aber die Regierung könne die Anuectiruug
zur Zeit nicht empfehlen.
Inhalt: Edouard Andre's Reise im nordwestlichen Südamerika 1873 bis 1876. I. (Mit sechs Abbildungen.) — Dr.
P. Schröder: Meine zweite Reise auf Eyperu im Frühjahr 1873. III. (Mit zwei Abbildungen.) — Prof. A. Ra imond i.-
Zur physikalischen Geographie von Peru. II. (Schluß.) — Aus allen Erdtheilen: Vermischtes. — (Schluß der Redactiou
24. August 1878.) _________________
Die Redaction übernimmt keine Verantwortung für die Znrücksendung von unverlangt zur Recension
eingesendeten Büchern.
Nedacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
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Band XXXIV.
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Jti 12.
Mit besonderer Herücksicktigung äer Antkropologle uiu! Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
SJxvrtitti f r^Vnotrt Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten i qwq
oraun |a)U>eig zum Preise von 12 Mar! pro Band zu beziehen. I t) i O,
Edouard Andrv's Reisen im
Cumaral (nach Andrs's Bestimmung 386 Meter hoch)
liegt unter 75° 54'tocftt. 8. und 4° 22' nördl. Br. an einem
der zahlreichen Bäche (canos), welche dem Gnatiqnia und
durch diesen dem Meta zufließen. Seine mittlere Tempe-
ratnr beträgt etwa 28°, und seine Einwohnerzahl belief sich,
als man dort noch ein Salzlager ausbeutete, auf etwa 200
Menschen, ist aber seitdem sehr gesunken. In der Nachbar-
schaft fehlt es nicht an Indianern, wenn dieselben auch auf
dem rechten Ufer des Rio Meta zahlreicher vorhanden sind.
Dieselben durchstreifen das ganze Territorium der Llanos
von Cabuyaro bis Pachaquiaro und nach Südosten hin.
Diejenigen bei Cumaral gehörten zu den Stämmen der
Chucunes, welche ihren Hauptstandort am Meta bei Ma-
quivor und am Rio Manacacia haben, und der Churoy es,
welche vom Ariari bis zum Meta hin Hausen. Letztere sind
groß, wohlgestaltet und von der Farbe trockenen Laubes mit
einer stärkern oder schwächern rothbraunen Schattirung.
Ihre Gliedmaßen unterscheiden sich von denjenigen der In-
dianer im Norden Columbiens durch die Verlängerung der
Knochen und die Feinheit der Gelenke; der Kops hebt sich
gut von den Schultern ab und hat eine fast viereckige Form,
der Gesichtswinkel ist wie bei den Kaukasiern, der Hals fein
und lang. Die schwarzen, dicken, glatten Haare bedecken
zum Theil die Stirn und hängen in dichten Massen auf die
Schultern herab; die schief von unten nach oben gestellten
Augen sind klein und stechend, die Nase groß, sein an der
Wurzel, aber mit breiten Flügeln, der Mund groß, die Lip-
Pen etwas dick, Bart spärlich, zerstreut und kurz. Die Krone
ihrer Zähne schneiden sie schräg ab. Der Körper, nament-
lich Arme und Beine, sind muskulös, die Hintere Rundung
Globus XXXIV. Nr. 12.
Südamerika 1875 bis 1876.
der Lenden, besonders bei den Frauen, sehr entwickelt. Hände
nnd Füße meist kurz und nervig. Das weibliche Geschlecht
besitzt den mächtigen Brustkasten, welcher die Indianerinnen
der nördlichen Cordittere auszeichnet, nicht; die Brüste sind
eiförmig und haben stumpfe Warzen. Ihre Sprache ist eine
sehr rauhe, gutturale und hat weuig Ähnlichkeit mit denen
der Stämme vom Orinoko. Ihre Hütten haben ein Gerüst
von Pfählen und sind mit Palmblättern bedeckt; sie entbehren
einer Oeffnnng, durch welche das Licht eindringen könnte.
Die Männer tragen einen schmalen Schnrz, guayaco ge-
nannt, der ans der Tataja-Rinde gewebt nnd mit Cumaro-
Stricken befestigt wird. Bei den Weibern ist derselbe etwas
länger und heißt furquina. Die Tataja ist die Rinde wahr-
scheinlich einer Malvacee, deren Fibern durch Klopfen von
dem fchleimhaltigen Stoffe getrennt werden. Dann werden
dieselben gewaschen und den Sonnenstrahlen ausgesetzt, wo-
durch sie in wenigen Tagen eine schöne helle Farbe erhalten
und zur Verarbeitung fertig hergerichtet sind. Für die
Schurze der Frauen werden die Fasern fast stets mit einer
Mischung aus Urrucai-Harz und Chica (ein in Columbien
weit verbreiteter Färbestosf. den man durch Auspressen einer
Liane aus der Familie der Bignoniaceen, der Bignoviia
Chica, erhält) roth gefärbt. Derselbe Stoff wird von den
Chnroyes dazu benutzt, sich auf Armen, Beinen und im Ge-
ficht rothe Striche zu tättowiren, während die Weiber sich
nur den obern Theil der Unterlippe damit färben und Punkte
anf den vier Extremitäten anbringen. Den Kopf schmücken
sie zuweilen mit einer Krone aus Federn des Guacamayo
(Ära Aracanga) nnd eines kleinen langschwänzigen Papa-
geies, gehen aber meistens barhaupt; um den Hals tragen
23
G
178
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
Churoyes-Judianer. (Nach einer Zeichnung von Andre.)
Edourd Andrö's Reisen im nordw
sie Bänder von Thierzähnen oder bunten Körnern und in
den durchbohrten Ohren Stücke Holz oder Rohr, mitunter
auch Vanille oder wohlriechende Wurzeln.
Mit Tagesaubruch erheben sich die Churoyss und ver-
wenden den ganzen Morgen zum mariscar, d. h. jagen
und fischen. Ihr Bogen ist aus Palmholz gefertigt, die
Pfeile ans einem leichten, bambusähnlichen Rohr; vorn sind
an letzteren zugespitzte Thierzähne, zuweilen anch Nägel oder
Drahtstifte befestigt, welche sie sich von den Llaneros gegen
Hängematten und verschiedene andere von ihren Fabrikaten
oder Thierfelle eintauschen. Jene Hängematten, chinchor-
ros genannt, sind aus drei verschiedenen Arten von Fäden
geflochten; das Netz aus Fasern der Moricho-Palme, die
lichen Südamerika 1875 bis 1876. 179
Bänder aus Cumare und die großen Stricke, woran das
Ganze hängt, ansxita, der Fiber detFourcroya longaeva.
Die Art der Herrichtung ist verschieden, je nachdem es sich
um eine gewöhnliche Hängematte oder um ein Prachtstück
handelt. Erstere ähneln einem Fischnetz mit kurzen Maschen.
Andre hatte eilte solche hinter dem Sattel auf seinem Maul-
thiere befestigt, aber verlor sie unterwegs. Am nächsten Mor-
gen brachte sie ein Peon in das Lager; aber sie war in der
einen einzigen Nacht, so sest sie war, schon zu drei Viertheilen
von Ameisen zerfressen worden. Die besseren Stücke sind
violet und gelb gefärbt, während die Frauen kleine Hänge-
matten für ihre Kinder mit einem Kranz von Papageienfedern
besetzen.
Das Salzwerk von Upin.
. Merkwürdig ist die Art und Weise, wie die Churoyvs
^ ^umars-Faser gewinnen. Sie schneiden dazn die jungen
glätter von Astrocaryum Cumare ab und zwar vor ihrer
^utfaltung, d. h. wenn die einzelnen Blättchen noch eines
auf dem andern liegen, lösen die einzelnen Theilchen nach
einander los und spalten sie mit dem Daumennagel der Länge
uach, indem sie auf beiden Seiten die Mittelrippe 10 bis
15 (Zentimeter weit losmachen; dann klappen sie die beiden
Hälften auf einander und ziehen ruckweise, von der Basis
anfangend, das Fleisch ab, so daß die Fasern bloßgelegt
werden. Diese Arbeit, welche bei aller Einfachheit doch große
Geschicklichkeit erfordert, wird in malerischer Weise ansge-
führt: die Indianer theilen sich in die Arbeit, indem sie zu
vieren neben einander hocken. Der erste löst die einzelnen
?ach einer Skizze Audro's.)
Blättchen los, der zweite spaltet sie, der dritte reißt die Fa-
sern heraus uud der vierte und letzte ordnet sie in Häufchen
und beschneidet sie am Ende. Mit mechanischer Regelmäßig-
keit arbeitet solch' eine lebendige Maschine. Die Faserbündel
werden darauf geschlagen und gewaschen, um alles Blatt-
fleisch und Schleim daraus zu entfernen, dann sorgfältig
zusammengebunden und zum Bleichen ans Bäume gehängt.
Die Indianer führen diese Arbeit mit großer Schnelligkeit
aus, ohne sich durch die aufwärts gerichteten Stacheln an
Blatt und Stiel stören zu lassen. Die Widerstandsfähigkeit
von Cumare-Stricken ist enorm; ein gedrehter Faden von
1 Millimeter Durchmesser reißt erst, wenn man ein Gewicht
von 10 Kilogramm anhängt. Drei geflochtene Fäden vom
selben Durchmesser tragen 15 Kilogramm. Im Wasser
23*
180
Edouard Andw's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
nimmt ihr Gewicht um ein Viertel zu. In Folge dieser
Eigenschaften steht dem Cumare-Baum, der aus allen Llanos
in Menge vorhanden ist, eine große industrielle Zukunft be-
vor, wenn man erst einmal ansängt, ihn auszubeuten und
auf dem Wasserwege des Meta uud Orinoko nach Europa
auszuführen.
Von anderen Indianerstämmen dieser Gegenden, den
friedfertigenTamas, denCnivas, Salivas, Amporos u.s.w.,
wird später noch die Rede sein.
Nun zurück nach Cumaral, wo Andre, von seinem intelli-
genten Wirthe Avila mancherlei interessante Nachrichten
über den noch in seinen er-
sten Anfängen befindlichen
Ackerbau jeuer Gebiete ein-
ziehen konnte. Von einigen
Haciendas bei Villavicenfio
und Sau Martin abgesehen,
ist der Pflug dort noch nn-
bekannt. Viehzucht dage-
gen blüht, und in Völler-
Freiheit weiden die halb-
wilden Herden auf der
Savane. Will man sie
zusammen haben, um sie
zu stempeln oder zu ver-
kaufen, so wird eine corri-
da veranstaltet, d. h. man
jagt sie zu Pferde, wie es
die Gauchos auf den argen-
tinischen Pampas thnn.
Immer enger schließt sich
der Kreis der Reiter, bis
die Thiers in einen von
Pfählen gebildeten Corral
getrieben sind. Widerfpän-
stige werden durch Lasso
uud Hunger gezähmt.
Von Körnerfrüchten
wird allein Reis ausgesäet
und zwar in einem Corral,
den die Rinder gedüngt
haben. An einem Regen-
tage steigen die Leute zu
Pferde und jagen das Vieh
so lange in dem Gehege
uul uitb um, bis der ganze
Boden durchstampft und
gelockert ist. Dann wird
das Vieh hinausgetrieben,
in die Stapfen ein paar
Hände voll Reis geworfen
und die Thiere nochmals darübergejagt, um die Körner mit
Erde zu bedeckeu. Vier Monate später wird geerntet; der
Ertrag ist ein hundertfältiger.
Am 6. Januar brach unsere Gesellschaft vou Cumaral
nach dem Salzlager von Up in auf. Jeder Weg und Steg
hörte nun auf; ringsum nichts als hohes Gras und fern
am Horizonte Wald. Drei kleine Hügel allein waren ficht-
bar und dienten zur Orientirnng. Anfangs ging alles gut,
weil das Gras vom Vieh niedergetreten und abgeweidet war;
aber nach zwei Stunden schon waren sie rings von hoher
Vegetation umgeben und hatten Weg und Richtung voll-
ständig verloren. Zugleich war die Sonne verschwunden
und es begann zu regnen. Andre sandte also die zwei Peone
nach verschiedenen Richtungen aus, ließ die Maulthiere gra-
seu und begann zu botauisireu, war auch bald in die Pflanzen-
Philodendron gloriosum. (Nach einer Aquarelle von Andre.)
welt eiues nahen Gehölzes so vertieft, daß weder der Regen
noch das Warten ihm zur Last fiel. Hier fand er zum
ersten Male die oben erwähnte Chica in wildem Zustande
und ebenso die Palme Mauritia flexuosa mit ihren präch-
tig grünen Blattsächern, uud weiterhin eine Bromeliacee vom
Genus Karatas, deren Blätter an der Spitze scharlachroth,
wie in Blut getaucht, sind. Eine Traube von ihren goldi-
gen, gestielten, pslanmengroßen Früchten, die eine dicke Haut
uud einen köstlichen Ananasgeschmack haben, wurde rasch ge-
pflückt, in Alkohol gefetzt und nach Europa mitgenommen.
Welche Fülle von Palmen gab es in dieser Gegend! Beim
Weiterreiten zählte Andre
auf kleinem Räume ihrer
nicht weniger als 25 Ar-
ten, von denen nur eine
geringe Zahl auch anders-
wo vorkommt. Da ist die
ebenso schöne wie nützliche
Mouche (Mauritia flexu-
osa), die im ganzen Ori-
noko-Gebiete verbreitet ist,
die elegante Cumare mit
gelben eiförmigen Früchten,
die einen genießbaren Saft
enthalten, die Guichire mit
10 Meter laugen Blättern
und 30 Meter hohem
Stamme, die Unamo, de-
reu Früchte in Menge ein
feines Oel liefern. Wem-
ger häufig sind die Corozo-
uud Pipire-Palme mit eß-
baren Früchten, die Ma-
naco, welche Palmkohl lie-
fert, die hohe und weit ver-
breitete palma real, dann
Mapora, Araco, Cubaro,
Aarai, Churubai, Choapo,
Tacai u. s. w. u. f. w.
Alle diese Palmen sind den
Botanikern noch zu wenig
bekannt, als daß Andre
die wissenschaftlichen Na-
men wenigstens einiger mit
Bestimmtheit angeben könn-
te. Sicher ist nur, daß
diese schönen Bäume der
Landschaft einen majestäti-
schen und verführerischen
Schmuck verleihe» und daß
sie für das Menschenge-
schlecht von dem größten Nutzen sind. Linne hat gesagt,
daß die ersten Bewohner der Erde ihre Nahrung und Be-
kleidnng von dieser Pflanzenfamilie entnahmen nnd wesentlich
Palmivoren waren. Für das Gebiet des Orinoko und der
großen südamerikanischen Flüsse ist das gewißlich wahr.
Andre's Gesellschaft näherte sich jetzt der Cordillere; das
Land begann allmälig anzusteigen und wieder zeigte sich der
Wald in seiner üppigen Mannigfaltigkeit. So lauge sie
auf der Savane sich befanden, erzeugten die Morichales — fo
werden die Gehölze vou Moriche-Palmen genannt — eine
gewisse Einförmigkeit; nur sie umgaben alle Wassertümpel,
denen sich die Einheimischen nicht zu nähern wagen. „Die
Moriches ziehen das Wasser an," sagte der Indianer Juan
zu Andre. „Wenn wir sie vernichten, werden wir durch
Wassermangel gestraft uud würden vor Durst sterben." Er
I
Edouard Andrs's Reisen im nordw
nahm die Wirkung für die Ursache. „Senor," meinte sein
Genosse, „Juan hat Euch nicht alles gesagt. Jedes Mo-
richal wird von einer Ungeheuern Boa bewacht, welche nie-
mauden sich nahen läßt." Nun erst konnte sich Andrs den
Schrecken seiner Leute erklären, so oft sie ihn zwischen den
halb im Wasser stehenden Palmengruppen botanisiren sahen.
Der Tag neigte sich seinem Ende. Die Palmen mach-
ten allmälig Dieotyledonen Platz. Ab und zu zeigten sich
Myrtaceen und fruchttragende Bäume wurden vorherrschend,
womit ein zahlreicheres Auftreten von Assen zusammenhing.
Immer zerrissener wurde das Terrain; stufenweise stiegen
geschichtete Gesteine über einander an und um 5^ Uhr war
die im Besitze des Staates befindliche Saline von Up in
lichen Südamerika 1875 bis 1876. 181
erreicht, deren Leiter, Gonzales, die Reisenden freundlich
empfing. Dieselbe, am gleichnamigeu Flusse gelegen, befindet
sich, Dank der Sorglosigkeit der Regierung, in einem erbärm-
lichen Zustande. Ein gewaltiger Erdsturz hatte im Jahre
1870, als man uoch das schon erwähnte Salzlager bei Cn-
maral bearbeitete, am Ufer des Rio Upin einen weit größern
Schatz von demselben Mineral bloßgelegt, woraus man sich
bald an dessen Ausbeutung machte. Die salzhaltige Bank
ist von großer Stärke und sieht wie regelmäßige, horizontal
geschichtete Alabasterblöcke aus. Darüber liegt Thon nud
dunkelbrauner Humus, den keine Znrüstnng irgend welcher
Art am Nachrutschen hindert. In Folge dessen weicht der
Regen die oberen Schichten auf und fpült sie herunter; das
Laboratorium
^alz wird dadurch verunreinigt uud am Fuße der Mine,
richtiger der Bergwand, bildet sich ein unergründlicher Mo-
£ßst, mit welchem die Reisenden in Folge ihrer Begierde, das
Lager in der Nähe zu besichtigen, unliebsame Bekanntschaft
machten. Das Nachtmahl verschaffte ihnen Gelegenheit, die
mehr als dürftige Ausstattung der Director-Wohnung kennen
Zu lernen. Derselbe fühlte sich in der Cordillere einsamer
als Robinson auf seiner Insel; seine Leute, 25 an der Zahl,
kümmern sich wenig um seine Anordnungen uud die Regie-
ruug läßt ihn am Nöthigsten Mangel leiden. Gearbeitet
wird nur während drei bis vier Sommermonaten, bis die
großen Regen einsetzen. Im letzten Jahre belief sich der
Brutto-Ertrag der Saline auf 2589 Piaster, die Ausgaben
auf 2381, so daß der Staatsschatz eine Reineinnahme von
208 Piastern oder 1120 Mark hatte! Und das bei einem
in den Llanos.
Lager von 9 Meter Stärke und von solcher Reinheit und
Stärke!
Die Arbeiter klettern auf die stufenförmig abgesonderten
Salzschichten hinauf, bohren mit Brecheisen Löcher hinein
und sprengen mit Pulver einzelne Blöcke ab, welche dann
zerkleinert und in einem Bretterschuppen zum Verkaufe auf-
bewahrt werden. Durch eiue Rinne wird zwar ein Wasser-
strahl aus das Salzlager geleitet; weil aber von oben bestän-
dig Erdmassen nachstürzen, so ist diese Spülung ganz uuzu-
reichend, und der schwarze Morast am Fnße der Saline
nimmt stetig zu. Ist der Wiuter vorüber, fo habeu 15 bis
20 Leute eiuen vollen Monat zu thun, bis an die Achseln
im Kothe stehend und dadurch Fieberanfällen ausgesetzt, deu
augesammelten Unrath nach dem Flusse zu schaffen. Wie
leicht wäre es, will man einmal die bisherige Art, unter
182
Edouard Andrö's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
freiem Himmel zu arbeiten, beibehalten, den Morast durch
einen Graben zu entwässern und genügende Wassermengen
vonl Rio Upin zum Spülen der Salzbank herzuleiten oder
noch besser unter bedeckten Gallerien das Salz zu brechen,
so daß man die Ausbeute während der Regenzeit nicht zu
unterbrechen brauchte. Unterschleife ließen sich dann durch
bessere Aufsicht leicht vermeiden, die Productiou auf das Drei-
oder Vierfache heben und der Preis des Salzes um mindestens
die Hälfte ermüßigen.
Von Upin (654 Meter) schlug Audr6 am Nachmittage
des folgenden Tages eine südliche Richtung ein, überschritt
eine Anzahl kleiner Bäche, durchwatete einen Morast, über
welchem sich ein Wald herrlicher Unamos- und Taguas-
Palmen wölbte, und erreichte noch vor Anbruch der Nacht
dieHacieuda Salitrö. Aber er fand das Haus leer. Ein
hohläugiger Mann theilte ihm mit, daß seit seiner ersten
Anwesenheit das Llanosfieber ausgebrochen uud Herr Nestrepo
mit seiner ganzen Familie nach Vangnardia geflohen sei.
Wohl oder übel mußten sie jedoch hier übernachten, während
neben ihnen ein junges Weib vom Fieber auf das Heftigste
geschüttelt wurde und mit dem Tode rang. Wie eine Be-
freiung erschien ihnen der Anbruch des Tages, als sie die
von allerlei Jnsecten und Gewürm erfüllte Hütte verlassen
konnten.
Schon um 11 Uhr erreichten sie Vangnardia, wo sie
ihren Wirth Restrepo in voller Genesung von den Folgen
seines Sturzes antrafen. Sein Weib und mehrere seiner
Kinder dagegen mußten dem Fieber ihren Tribut entrichten.
Wird der erste Angriff dieses heimtückischen Feindes nicht
abgeschlagen, so kann der zweite tödtlich sein; der dritte ist
es gewiß. Und dagegen giebt es, so viel Panaceen man
einem auch vorschlagen mag, nur ein Mittel, Chininsulfat
in großen Dosen, ein Gramm beim ersten Erscheinen, zwei,
auch drei bei der Wiederkehr, die man um jeden Preis zu
verhindern suchen muß.
In Vangnardia erwartete der Präsect Vanegas unfern
Früchte der Corneto-Palme.
Reisenden, um ihn nach Villavicensio zurück zu geleiten.
Seine Leute uud seiu Gepäck sandte er voraus uud behielt
nur einen Peon mit einem Maulthiere und leeren Säcken
bei sich, welche letzteren er mit Palmfrüchten und verschiedenen
Pflanzen füllen wollte. Auf diesem Ritte entdeckte er im
Walde, auf Sand und Humus wachsend, eine herrliche
Aroidee, welche er Philodendron gloriosunt benannte.
Ihre großen, 60 Centimeter breiten, herzförmigen Blätter-
Haben einen schneeweißen Mittelnerv und lassen ihr glänzen-
des Grün im Sonnenscheine spiegeln. Rasch sprang Andrv
aus dem Sattel, kniete nieder und sammelte mit Hülfe des
Präfecten zahlreiche Ableger der Pflanze, welche lebend nach
Europa gelangt und hier fchon mehrmals öffentlich mit vie-
lem Erfolge ausgestellt worden sind.
Wenige Stunden später langten sie anl Rio Guatiquia
an; diesmal war es aber so gefährlich ihn zu durchfurchen,
daß es ein Wunder war, daß nicht Reiter und Maulthiere
im Strudel verschwauden. Ohne Hinderniß wurde darauf
das steile jenseitige Ufer erstiegen und bald darauf war die
Hauptstadt der Llanos, Villavicensio, glücklich wieder er-
reicht. .
Als Andrei sich dem Hause näherte, wo Noetzli seiner
harrte, bot sich ihm ein merkwürdiger Anblick dar. Während
seiner Abwesenheit waren naturhistorische Gegenstände förm-
lich hinzugeströmt, uud drinnen hn Zimmer wie draußen
hingen an aufgespannten Leinen Felle von Affen, Fanlthieren,
Pecaris, Jaguars, Schlangen, Eidechsen, Coatis, Geiern,
Schildkrötenschalen, Blätter von Farnen und Palmen, allerlei
Früchte und große Stöße Papier zum Trocknen. Inmitten
dieses erstaunlichen Durcheinander saß der Ausstopfer, die
Hemdsärmeln bis au die Schultern aufgestreift, ulit Blut
bedeckt, ein Schlächtermesser zwischen den Zähnen und die
Haare im Winde fliegend, und öffnete gerade einen großen
Heulaffen, dort socai genannt. Der Anblick war so origi-
nell, daß Andrs ihn in einer Skizze festhielt.
Einige Ruhetage in Villavicensio wurden zum Ordnen
der Sammlungen und zu näherm Studium der Umgegeud,
ihrer Producte und Bewohner benutzt. Bald wurde auf
Jnsecten Jagd gemacht, bald geangelt, bald botanisirt. Am
steilen Ufer des Gnatiquia wuchsen riesige Corneto-Palmen,
deren mehrere ihrer Früchte wegen gefällt wurden. Eine
einzige solche Traube, welche an 3 Meter laug war, luachte
Dr. P. Schröder: Meine zweite Reise auf Cypern im Frühjahr 1873.
183
eine Last für zwei Menschen aus; als sie an einen Stock
gehängt und so von zwei Trägern auf den Schultern fort-
geschafft wurde, erinnerte der Anblick an jene Traube, welche
Josua's Kundschafter aus dem Gelobten Lande zurückbrachten,
wie sie Pouffiu gemalt hat.
Meine zweite Reise auf Cypern im Frühjahr 1878.
Von Dr. P. Schröder, Dragoman der Kaiserl. Deutschen Botschaft in Konstantinopel.
(Aus Briefen an Prof. Heinrich Kiepert in Berlin.)
IV.
Am folgenden Morgen fetzten wir die Reife nach Rizo-
karpaso fort. Eine halbe Stunde hinter dem Monastir lie-
gen links vom Wege im Gebüsch die Ruinen der ganz ver-
fallenen Capelle des H. Jannis; sodann folgt links die Bucht
Pach^namo (woraus die englische Seekarte Pacramo Beach
gemacht hat). Dieselbe führt ihren Namen mit Recht,
denn sie ist ringsum mit tiefem, gelbem Sande eingefaßt.
Unweit davon liegt etwas mehr landeinwärts der Grund
von Makru, den wir Passiren. Von da an zieht sich der Weg
immer zwischen Aeckern hin, auf denen hier und da einige
Hütten zerstreut liegen, überschreitet eine Stunde weiterhin
einen Sattel, tritt bei der kleinen Bucht Armyrolakkas nahe
an das Meer, führt um den hohen, in das gleichnamige Cap
auslaufenden Berg Pyla herum und erreicht die mit Gerste
bebaute Ebene Platia, wo wieder einige zerstreute, unbe-
wohnte Sommerhütten liegen. Dann durch ein enges Felsen-
thal (to 6zevco[mx, tov ayiov NmoXuov) cm das Meeres-
ufer, das hier einen kleinen nach einer ganz verfallenen
Capelle des H. Nikolaos benannten Hafen bildet. Unweit
davon mündet der Fluß Emetla, zu dessen beiden Seiten
eine kleine fruchtbare Ebene mit Getreidefeldern und Karuben-
und Oliveubäumen liegt. Dann geht es wieder landein-
wärts, zuerst in dem erwähnten Thalgrnnd, dann links eine
Schlucht, Kufüli geuanut, steil hinauf nach Nordwesten.
Links über uns liegen Felsen, Paläochori geheißen, wo viele
alte Grabhöhlen und Felsenkammern sich befinden sollen,
Kutoj ">gto cPi,Coy.((Q7icnTo
(fpr* eschi) veqov tge/dto!'.
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lies: Deka jatri wasilitschi
was ich leider erst erfuhr, als wir die Stelle schon pasfirt
hatten. Oben auf der Wasserscheide angelangt, verfolgen
wir dieselbe noch einige Minuten und machen dann einen
Abstecher nach dem südlich gelegenen, schon oben erwähnten
Berge Rani, von welchem man eine fchöne Aussicht auf die
Südküste und auf das nur noch 1/4: Stunde entfernte Rizo-
karpaso in Westnordwest hat; auch das nördliche Meer ist
jenseits des Dorfes als ein schmaler Streifen sichtbar. Bon
der Stelle ans, wo wir den alten Weg verließen, um auf
den Rani hinaufzuklettern, hat man noch x/4 Stunde bis
Rizokarpafo zu gehen; man steigt noch einige Minuten, bis
man das Hochplateau erreicht, aus welchem sogleich dieHäu-
ser von Lekko sich Präsentiren. Um 11 Uhr Vormittags
langten wir im Dorfe an.
Den Nachmittag dieses Tages (12. April) verbrachte ich
ruhig daselbst, da mich die Touren der beiden letzten Tage
sehr angestrengt hatten. Zudem herrschte eine schwüle Luft
und ein heißer Ostwind (Thermometer 23° R.). Die freie
Zeit benutzte ich dazu, in dem säubern Kafseehause mir von
den jungen Bauernburschen, die heute dort als an einem Sonn-
abend, der noch dazu Vorabend des Festes des in Cypern
besonders hoch verehrten heiligen Lazarus (to öußßatov
tov Acc&qov) war, sehr zahlreich versammelt waren,
kleine Volkslieder (TQuyovdLU) zu sammeln. Als Probe
gebe ich eines:
Unterhalb Rizokarpafo
Hat's fließendes Wasser.
Wer sich bückt, um das zu trinken,
Den Charon, er vergißt ihn.
Ein vierkantiges Kreuz
hängt an deinem Halse.
Alle küssen das Kreuz,
und ich dein Angesicht.
Zehn Königsärzte,
und wären sie noch so gelehrt,
sie heilen es nicht (en = ein Herz,
liebegetroffen.
tschä üli pädevmeni
en tin jam'skun mjan karvian (xctQßi'ce — xaot?ü(, Herz),
er öto-ktipimenin.
,SStcc xccQßovvci tov "Eqwtos feta karvuna tu Erotos
önoiög xctet IV 'yudvEi opiös kai 'eil jäni
xC uv xbv lyi&vovv lacßoi tsch' an ton janun iatri
TTabKmhqyrf («)u jutvEt,. palä(a)pligi tha meni.
Wer sich an den Kohlen der Liebe verbrennt,
wird nicht wieder gesund,
und wenn ihn die Aerzte heilen,
wird immer eine alte Wunde bleiben.
184 Dr. P. Schröder: Meine zweite 9
Die Menge der Felsengräber, welche sich theils in dem
Dorfe Nizokarpaso selbst (ich besuchte einige derselben, welche
dicht bei der Kirche H. Synesios lagen; es waren natürliche
Felshöhlen, deren Wände aber künstlich behauen und mit
Grabnischen versehen waren), theils auf dem ganzen Terrain
zwischen dem Dorfe und H. Philon, theils endlich südlich
vom Dorfe in der Richtung nach dem Hafen Cheloui zu bei
der Oertlichkeit MeliMgros sich finden, ferner die Alterthü-
mer, welche die Nizokarpasioten gelegentlich bei ihren Garten--
arbeiten, Brunnenanlagen u. s. w. ausgraben, lassen keinen
Zweifel darüber aufkommen, daß an der Stelle des heutigen
Nizokarpaso schon im Alterthume ein bewohnter Ort gelegen
haben muß, vielleicht Karpasia selbst („oa'jreiv)?"), dessen
Hafenstadt dann vielleicht bei H. Philon gelegen hat.
Am folgenden Tage nahm ich fast ungern Abschied von
dem originellen, von der übrigen Welt so gut wie abgeschuit-
teueu Hauptorte der Karpasischen Halbinsel und von ihren
freundlichen und arbeitsamen Bewohnern, den Weg nach dem
südlichen Meere in der Richtung auf Galinoporui, das vou
Nizokarpaso drei Stunden entfernt ist, einschlagend. Eine
Viertelstunde ritten wir noch, allmälig ansteigend, durch die
wohlgepflegten Aecker und Gärten des Dorfes, bis sich uns
die Aussicht auf das Meer und das vielgegliederte Hügel-
land eröffnet: die Berge sind meist mit wildem Gebüsch be-
deckt, zwischen dessen Grün sich hier und da in den Thälern
die grüngelben Saatfelder, die Kämpi, abhebe». Zur Linken
geht ein Thalgrund, Villürgha genannt, dem Meere zu, und
westlich darüber dehnt sich ein mit weiten Getreidefeldern
bedecktes hochgelegenes Platean aus, welcher Perikles' Vater,
der uus eine Stunde lang das Geleite gab, den Ks,mpos tis
notiäs nannte. Eine halbe Stnnde hinter Nizokarpaso steigt
der Weg in ein von hohen mit Gebüsch bewachsenen Bergen
eingeschlossenes Thal hinab, das sich allmälig verbreitert und
nach beut Meere zu öffnet. Wir verfolgen dasselbe fast bis
zum Meere und wenden uns dann, die südsüdwestliche Nich-
tnng mit der westsüdwestlichen vertauschend, rechts der Küste
entlang, von dem Meere nur durch eine Hügelreihe getrennt,
die hin und wieder, wo Wasserläufe münden, Durchblicke
nach demselben gestattet. Unser Weg führt beständig durch
Aecker, zur Rechten höhere Berge, zur Linken die Hügel am
Meeresufer. Dieser kleine zum Ackerbau benutzte Landstrich
mag kaum 300 bis 500 Schritt breit sein, erweitert sich
aber nach Galinoporni zu. Dieses Dorf, von den Türken
Kaleburuu („Schloßvorgebirge") genannt, erreichen wir in
iy2 Stunden, nachdem wir zum Meer gekommen. Man
rechnet von Nizokarpaso bis Galinoporni 3 Stunden (wir
machten die Strecke in 21/2 Stunden), von Galinoporni bis
zum Monastir H. Andrea (immer am Meere entlang) 6 bis
7 Stunden. Galinoporni war mir schon von früher be-
kannt. Es ist ausschließlich von Türken bewohnt und kün-
digt sich als Türkendorf schon von Weitem durch seine elen-
den verfallenen Lehmhäufer, die terrafsenartig an den Berg
angebaut sind, an. Die umliegenden Berge sind kahl und
öde und bestehen ans blendend weißem Kalk, von dem sich
die Häuser in der Farbe nicht viel unterscheiden,' was dem
Dorfe ein noch traurigeres Aussehen verleiht. Es wird
einiger Weinbau hier getrieben, doch wird aus den Tranben
kein Wein gekeltert. Das Dorf lag rechts über nnferm Wege
und, so wenig es zu einem Besuche einladend aussah, nahm
ich mir doch die Mühe, in das Nest hinauszureiten, in der
Hoffnung dort Alterthümer zu finden. Leider war der Bauer
Mustapha Moro, bei dem ich schon 1870 Antiquitäten an-
getroffen, nicht zu Haus.
Ich benutzte einen zweistündigen Aufenthalt im Cafs,
mir die „Kale" anzusehen. So nennen die Bewohner des
Dorfes einen künstlich angelegten, sehr ausgedehnten unter-
ise auf Cypcrn im Frühjahr 1873.
irdischen Bau, welcher auf der Ostseite des Bergrückens, aus
dessen Westabhauge das Dorf liegt, in bedeutender Höhe über
der Thalsohle in dem kalkigen Gestein angelegt ist. Der
Eingang zu diesem „Fuchsbau" ist schwer zu finden und kann
von unten aus, da die Thalwand fast senkrecht aussteigt,
nicht erreicht werden. Es führt ein Weg von Galinoporni
aus auf der Höhe bis zu einer Quelle, die sich am Ende
der Schlucht befindet, auf deren westlichen Wand die Höhle
wenige Meter unterhalb jenes Weges liegt. Von diesem
Wege aus kletterte ich unter Führung eines alten Türken zu
dem Eingang der Höhle hinab (ihr gegenüber ungefähr anf
gleicher Höhe liegt auf der Ostseite der Schlucht die vcr-
falleue Kirche der H. Anna). Die Höhle erinnerte mich, was
ihre Lage anbetrifft, lebhaft an die Höhle Adullam im Wadi
Ortas (in die sich David auf der Flucht der Sage nach vor
Saul verbarg). Doch ist sie im Juueru vou derselben ganz
verschieden. Es ist ein Complex von mehreren künstlich in
den weichen Kalkstein gehauenen Gallerien, deren Decken ge-
wölbt sind. Der Bau hat drei Eingänge, zu denen man
nur auf einem schmalen, kaum einen Fuß breiten Pfade ge-
langen kann. Der mittlere Haupteingang führt in einen
22 Meter langen und ungefähr 4 Meter breiten Gang, der
zu beiden Seiten wieder je drei Nebengallerien von acht
Schritt Länge und geringerer Höhe als die Hauptgallerie
hat. Es bleibt zweifelhaft, ob der ganze Bau eine Festungs-
oder eine Grabanlage war. Gegen letztere dürfte der Man-
gel an Nischen für die Sarkophage sprechen; ich bemerkte
nur eine kleine Nische (a) in der ersten Seitengallerie links.
die aber zu schmal ist, als daß sie zur Ausnahme eines Tod-
ten gedient haben könnte. Jedoch bemerkte ich an der Hinter-
Eingang
wand der Hauptgallerie und an der der zweiten Seitengal-
lerie rechts drei Vertiefungen (b b b) des lockern Erdreichs,
die bei einer Nachgrabung sich wahrscheinlich als Grabhöh-
Dr. P. Schröder: Meine zweite
len, wofür ihre Länge und Breite spricht, erweisen würden.
Bei Elissi und H. Simio sollen ähnliche Höhlen sein.
*
* *
Böjükdere, den 15. August 1873.
Ueber den weitern Verlauf meiner Reise fasse ich mich
kurz, um diesen Brief nicht zu sehr anschwellen zu lassen.
Von Galinoporni ging ich immer der Meeresküste ent-
lang in vier Stunden nach Komajalu. Nur mit Wider-
streben folgten meine Leute, welche durchaus den mir schon
bekannten nördlicher» Weg über Elissi und Vothylakka nach
Lionarisso (auf dem Hochplateau) einschlagen wollten. Ans
dieser Strecke berührte ich kein einziges Dorf; nur x/3 Stunde
hiuter Galinoporni sah ich rechts auf einer Anhöhe in einer
Entfernung von Stunde das Dorf Korovia liegen. Da,
wo der von dort kommende Bach in das Meer mündet, tritt
unser Weg unmittelbar an die Küste. Dieselbe ist außer-
ordentlich öde; kein Mensch begegnete uns bis Komajalu,
und es scheint, daß alle den Weg über die Höhen vorziehen.
Die Berge treten nun nahe an die See heran und sind be-
wachsen, während sie bei Galinoporni und Korovia kahl sind.
Hin und wieder ist dem steinigen Küstenstreifen (Trachoueu-
land) ein Stück Ackerland abgerungen, aber nur vereinzelt.
Nach anderthalbstündigem Ritte kommen wir an eine Stelle,
wo sich der Küstenstrich etwas erweitert und ein Bach mün-
det; die Berge treten mehr zurück und zwischen dem Busch-
werk, das sie bedeckt, sind ganze Strecken mit Getreide bebaut.
Diese Felder gehören zu dem kleinen Dörfchen Neta, das
selbst nicht sichtbar ist. Hier an der Mündung des Baches
machen wir unter Karubenbäumen eine Stunde Rast. Auf
den mit Gebüsch dicht bewachsenen Felshügeln auf dem rech-
ten Bachufer liegt eine zerstörte Capelle des H. Georg und
rings um dieselbe alte Ruinen: großes und kleines Stein-
geröll, große Bausteine, steinerne Rinnen, Tröge, viele Scher-
ben und alte Fundamente, alles bunt durch einander geworfen,
als wäre der Ort, der einst hier lag, gewaltsam zerstört
worden. Er heißt jetzt Säläna. Vergeblich suchte ich
nach Inschriften, Säulencapitälen und Architekturstücken mit
Ornamenten. In der Nähe sind mehrere große Höhlen.
Ich vermnthe, daß die alten Töpfe und Krüge, welche, wie
man mir 1870 zu Vothylakka erzählte, die Bauern von
Neta in den Spiläa am Meere gefunden hätten, von dieser
Trümmerstätte herrühren. — Weiterhin zeigte die aus Fels-
boden bestehende Küste fernere Spureu früherer Niederlas-
sungen in dieser jetzt so verödeten Gegend: auf eine lange
Strecke hin tauchten aus dem mit Gesträuch uud niedrigen
Bäumen bewachsenen Boden Reihen regelmäßig gefügter
Steine auf, parallel dem Meere; vermutlich standen hier
einst zum Schutze der Aecker Mauern, an denen sich die
Wellen brachen. Ferner sah ich am Wege runde in den
Felsen gehauene Cisternen. Etwa l'/2 Stunden westlich von
Svläna, wo ein zweiter Bach mündet und jenseits desselben
die verfallene Capelle Hagia (Aia) steht, zeigt der Felsboden
überall künstliche Bearbeitung: ganze Vierecke sind vertieft
ausgehauen, hohe senkrechte Wände mit Treppen hergestellt,
die Wände zeigten reihenweise Löcher und Nischen und der-
gleichen, ähnlich wie zu Lapathos, Trikomo und anderen Or-
ten. Dicht bei der Capelle entdeckte ich mehrere natürliche
Höhlen von riesigen Dimensionen, die im Innern und an
der Außenwand neben beiii Eingang auch vielfache Spuren
menschlicher Thätigkeit zeigten. In der einen waren im
Hintergrund Nischen angebracht und die Decke war in ge-
wissen Distanzen dnrch rohe Pfeiler gestützt. Diese Höhle
schien sehr groß zu sein; ich ging mit einem Lichte versehen
etwa 60 Schritte hinein. Sie dehnte sich noch weiter nach
innen zu aus, doch wollte ich mich nicht der Gefahr aus-
Glvbus XXXIV. Nr. 12.
eise auf Cypern im Frühjahr 1873. 185
setzen, mich in der Höhle zu verirren, und kehrte deswegen
um, zumal ich nur in gebückter Stellung hätte weiter vor-
dringen können. Es wäre interessant, wenn der in diesen
Höhlen befindliche lockere Schuttboden untersucht würde, um
zu constatiren, ob dieselben schon in vorgeschichtlicher Zeit
von Menschen bewohnt gewesen sind. 3/4 Stunden weiter,
Y4 Stunde vor Komajalu, liegt links vom Wege ein Trüm-
Merfeld, auf dem ich unter den Quadersteinen, Scherben, ge-
brannten Ziegeln und dergleichen auch mehrere sehr große
korinthische Capitäle bemerkte. Diese Stelle heißt H. Sostia.
In Komajalu wird übernachtet. Das Dorf ist ganz
christlich und zeichnet sich durch eine große stattliche Kirche
mit hohem Glockenthnrm aus; die Menge der in und bei
dem Dorfe liegenden, jetzt zum Theil verfallenen Capellen,
H. Gorgis, H. Nicolaos, H. Solomon!, Panagia, die fast
alle ans antikem Material erbaut sind, läßt darauf schließen,
daß Komajalu im Mittelalter ein bedeutender Ort gewesen
ist. Unter den Trümmern der Kirche des H. Georg fand
ich ein korinthisches Capitäl, mehrere Säulenschäfte, ein Stück
von einem Friese, alles aus Sandstein. Das Dorf liegt
noch 10 bis 15 Minuten vom Meere entfernt, am Fuße der
Trachonen oder Felsbänke, welche auf dieser ganzen Strecke
in größerer oder geringerer Entfernung vom Meere sich hin-
ziehen.
Von Komajalu ging es in 1^/4 Stunden nach H.Theo-
doro und zwar auf dem kürzern und bequemern nördlichen
Wege über Tavro. H. Theodors ist zu zwei Dritteln von
Türken bewohnt und zählt im Ganzen etwa 60 Familien.
Man hat vou hier aus und namentlich von dem südlich über
dem Dorfe sich hinziehenden Hügelrücken aus einen guten
Ueberblick über die Ebene von Komikebir, welchen ich zu
zahlreichen Compaßmessnngen benutzte. Von H. Theodoro
nach Trikomo, meinem heutigen Ziele (14. April), wählte
ich, weil mir die Straße über Kamaräs längs des Strandes
schon bekannt war, den Weg über Patriki, Avgalida (GeHöst
mit drei türkischen und einer griechischen Familie), und
H. Jlias (mit 40 Häusern). Von letztem Dorfe ritten
wir bis Trikomo eine Stunde über unbebautes, mit niedri-
gein Gebüsch, namentlich kleinen Cypressen, bestandenes
Trachonenland. Gerade auf der Grenze zwischen diesem und
dem fruchtbaren Ackerboden liegt Trikomo, ein etwa 150
griechische Familien und nur zwei Türken-Häuser zählendes
Dorf mit vielen verfallenen byzantinischen Kirchen und meh-
reren großen Tschistliks, wo ich bei einem mir schon von
früher her bekannten Engländer, Mr. Philipp M. (in Cypern
als Signore Philippos bekannt), logirte. Derselbe hat eine An-
zahl von Dampfmaschinen zum Reinigen der Baumwolle,
welche in der Messaria, namentlich bei H. Sergis und Trikomo,
viel gebaut wird, in Cypern eingeführt und läßt sie unter
seiner Aufsicht in Trikomo arbeiten. Da Heuer die Baum-
wollenernte schlecht ausgefallen war, so wurde auf einigen
auch Getreide gemahlen. Südwestlich gegen das Meer hin,
20 Minuten vom Dorfe, liefen alte Felsengräber und dicht
dabei die sogeuauuten iazco^icas (Steinbrüche), d. i. alte
Felsanlagen ähnlich denen zu Svläna zwischen Komajalu
und Galinoporni. Ueber ihre Bestimmung bin ich im Zwei-
fel; jedenfalls wareu es nicht einfache Steinbrüche, wogegen
die senkrecht wie mit dem Spaten geschnittenen Wände, die
rechten Winkel, die eingehauenen Nischen und stehen gelasse-
uen Stufen sprechen.
Von Trikomo führt ein gerader Weg in südwestlicher
Richtung über Ackerland über (V2 Stunde) Synkrasis (50
bis 60 Häuser, zur Hälfte türkisch), wo ich Alterthümer fand,
(1/2 St.) Lapathos, ein kleines ärmliches Dorf auf felsigem
Boden, und (3/4 St.) das wohlhabende christliche Jipsos
(Gypsos?) uach (1 St.) Levkoniko. Die beiden ersten
24
186 Die Motu auf
Dörfer bleiben links nahe am Wege und brauchen nicht
berührt zu werden, während durch Jipsos die Straße
mitten hindurch führt. Von Levkoniko kehrte ich in ziemlich
südlicher Richtung gerades Wegs über Jsnagra (% St.),
Vatili (l1/2 St.), Tremethnsia (1 St.), Trnlli und Kellia
nach Larnaka zurück; von den drei erstgenannten Orten aus
fixirte ich die Lage der umliegenden Dörfer. Der kürzeste
Weg von Vatili nach Larnaka geht, Tremethusia rechts lie-
gen lassend, über Arsus, Tralli und Kellia; doch ziehen
die Bauern meist einen etwas längern, aber bequemern
(avoiKtog öqo^ios, d. h. weniger gebirgigen) Weg über Lissi-
Pergamo und Pyla vor. Von Arsus wandte ich mich östlich
nach dem nahenTremethnsia, um die dort kürzlich gemach-
ten Ausgrabungen und antiken Funde in Augenschein zu
nehmen. Letztere übertrafen meine Erwartungen; eine ganze
Nekropole war westlich vom Dorfe in der Richtung nach
Athienu zu freigelegt worden. Die Grabkammern sind nur
in dein fast wie Stein so harten Erdboden — Fels ist hier
nicht — ausgehöhlt. Die meisten der hier gefundenen An-
tiquitäten, wie Reliefs, Lampen, kleine Goldsachen und na-
mentlich viele Glaswaaren, waren nach Larnaka an Herrn
Zenon Pieridis verkauft worden; doch sah ich noch an Ort
und Stelle mehrere große Reliefs, so ein solches von l1/2 Me-
ter Höhe in Stelenform, welches eine aufrecht stehende Per-
son in reichen Gewändern, ein Pferd am Zügel haltend,
darstellt. Die Kunst war griechisch, aber die Proportionen
nicht immer richtig. Auch fanden sich viele Sarkophage und
Stelen mit kurzen griechischen Aufschriften.
Trenn thüs, jetzt Tremithusia (spr. Tremithnscha,; die
Türken sagen Trementesch«), war im Alterthum und unter
den Byzantinern eine der ersten Städte Cyperns. Von
Terebinthen, von denen sie ihren Namen hat, ist heutzutage
aber keine einzige mehr zu sehen. Unter der byzantinischen
Herrschaft war es Bischofssitz; der H. Spiridion hatte den-
selben inne. Zerstört wurde der Ort im Jahre 1091 von
Richard Löwenherz, der hier das Griechenheer schlug. Das
armselige, zu 2/3 türkische, zu x/3 griechische Dorf, das jetzt
hier steht, ist gauz aus den Trümmern der alten Stadt ge-
baut; die ganze Umgegend ist mit Steinen besäet, und man
Neu-Guinea.
kann schon aus ihrer Masse auf die ehemalige Bedeutung
der Stadt schließen. Die griechische Nekropole dehnt sich
westlich vom Dorfe ans und ist jedenfalls erst zu ihrem klein-
sten Theile aufgedeckt. Die Bauern hatten in Folge des
Verbotes des Paschas die Ausgrabungen aufgeben müssen.
Vermutlich ist das ganze Land zwischen Tremithnsia und
dem 1x/2 Stunden entfernten Athienu voll Gräber, und es
würde sich verlohnen, hier größere systematische Ausgrabuu-
gen zu machen, welche sicher eine reiche Ausbeute liefern
würden. Trotzdem daß die gefundenen Inschriften auf Ste-
len griechisch sind, zeigen die Sculpturwerke doch den eigen-
thümlichen cypriotischen Typus, modificirt durch griechischen
Einfluß. Von den hier gefundenen Köpfen waren einige
ganz im griechischen Stil gehalten, andere wieder in rein
cypriotischem (hervorstehende Backenknochen, spitzer lächelnder
Mund, schiefe Chinesenaugen, orientalischer Kopfschmuck).
Vom Dache der Kirche des jetzt unbewohnten Klosters
des H. Spyridiou nahm ich die Lage der nächsten Orte auf.
Die vier Nachbardörfer Melusia, Tremithusia, Arsus und
Trullus (ot TqovXIol, d. h. die Hügel) sind ihres gn-
ten Honigs wegen berühmt. Gleich südlich hinter Tremi-
thnsia, wo ich übernachtete, steigt das Terrain zu dem Kalk-
gebirge an, welches die Küstenebene von Larnaka von der
Messaria scheidet. Wir erstiegen dasselbe am folgenden Mor-
gen; rechts in einer Thalsenkung liegen alte Steinbrüche
{Xmz(6[ikis) mit einer Quelle, die aus einem in den
Felsen getriebenen Stollen kommt (vo rov aylov
ZTtvQidcovog). Dann hinab in eine kleine mit Getreide
bebaute Ebene, an deren südlichem Ende, von ihr durch den
Felsen-EngpaßKlisüra geschieden, zwischen Bergen Trullus
liegt. Hinter dem Dorfe steigt der Weg wieder an, bis das
Meer im Süden zum Vorschein kommt, führt durch die ganz
kahlen uud vegetationslosen Kalkberge weiter und zuletzt
bergab in einem Flußthal, Armyri genannt, entlang nach
Kellia, unweit dessen ich von einer in der Kirche H. An-
tonios eingemauerten phönizischen Inschrift einen Papier-
abdrnck nahm. Von da ging es dann in schnellem Ritte
durch Livadia in einer Stunde nach Larnaka.
Die Motu auf
Unter dem Volke der Motu, das auf der südöstlichen
Halbinsel Neuguineas bei Port Moresby haust, hat niemand
länger gelebt als der Missionär William I. Turner. Er
hat sich sehr eingehend niit diesem eigenthümlichen Stamme
beschäftigt und seine Schilderungen im Journal des Anthro-
pologischen Instituts von Großbritannien (VII, 470) nieder-
gelegt. Im Folgenden geben wir auszugsweise das Wichtigste
aus Turner's Abhandlung wieder.
Port Moresby ist für die Eingeborenen ein wichtiges
commercielles Centrum; hier liegen im Grunde der Bucht
nicht weit von einander zwei Dörfer, Anuapata und Elivara,
die etwa 120 Häuser mit 1000 Einwohnern zählen. Dieser
Theil Nen-Gnineas ist von drei verschiedenen Stämmen be-
wohnt: den Koiari, den Koitapu und den Motu. Letztere
sind nur Küstenbewohner, besitzen Kähne und stehen in Feind-
schaft zu den Eingeborenen des Innern, stammen auch wohl,
nach Tnrner's Ansicht, aus einem fremden Lande. Die
Koiari sind dagegen Bergbewohner, Aboriginer und dunkler
als die Motu, in deren Plantagen sie gelegentlich räuberisch
Neu-Guinea.
einfallen. Die Koitapu endlich sind ein umherschweifendes
Volk, das von der Jagd lebt, auch bei den Motn-Dörfern
sich niederläßt, dann aber seine Abgeschlossenheit bewahrt wie
die Juden unter uns. Sie sind weit dunkler als die Motu,
von wildem Aussehen und stehen den Koiari näher.
Was nun die Motu im Besondern anbelangt, so sind sie
die hellen BewohnerNeu-Guiueas, welche beider Entdeckung
von Port Moresby durch das Schiff „Basilisk" vor einigen
Jahren das Interesse der Ethnologen erregten. Von den
Papuas weichen sie schon durch ihre Kupferfarbe ab und
Turner stellt sie unbedenklich zur malayo-polynesischen Race.
Betrachtet man Papuas und Motu im Prosil, so erkennt
man sofort den großen Unterschied zwischen beiden. Die
zahlreichen von Turner aufgenommenen Profilzeichnungen
sind leider verloren gegangen. Eine Art Racenstolz der
Motu gegenüber den Papuas ist leicht zu erkennen; sie ver-
achteten eingeborene christliche Lehrer von den Loyalty-Jnseln,
während sie die eingeborenen Christen aus Polynesien als
Gleichstehende behandelten. In ihrem Gesichtsausdruck haben
Die Motu m
die Motu etwas Europäisches, namentlich die Kinder, unter
denen man viele hübsche findet. Im Alter werden sie aber
häßlich und verfallen schnell, was vielleicht mit der sehr nn-
regelmäßigen Lebensweise zusammenhängt. Das Haar der
Motu ist lockig, nicht wollig und wird von den jungen Män-
nern und Frauen lang getragen. Turner beobachtete auch,
was wichtig ist, völlig schlichtes Haar bei manchen In-
dividnen. Kinder und verheiratete Frauen rasiren das
Haar; bei ersteren bleibt eine Locke an der Stirn und eine aus
dem Wirbel stehen. Haarscheeren ist auch — wie bei vielen
Völkern — ein Zeichen der Trauer. Die Haarfarbe ist
schwarzbraun, niemals kohlschwarz; bei den Kindern kommt
Haar von Sandfarbe vor, das später dunkelt. Die Statur
der Motu ist mittel, eher schwächlich als stark, was Turner
der spärlichen Nahrung zuschreibt. Das Zahleuverhältniß
der Geschlechter erscheint gleich; Kinder giebt es genug und
Tättowirtes Motu-Mädcheu von
kochen; die Männer lockern den Boden, zäunen die Plan-
tagen, binden die Bananen auf, jagen und fischen. Gelegeut-
hd) gehen auch die Weiber einmal fischen, dann bleiben aber
frie Männer zu Hause und warten die Kinder ab. Uebri-
gens sind die Weiber die Lastthiere, die alle Bürde schleppen
müssen, während der Herr Gemahl nur seinen leichten Speer
trägt. Bon der Kleidung der Motu läßt sich nicht viel
sagen; das Lami oder der Weibergürtel aus Palmrinde,
^ananenblättern:c. ist derselbe Schurz, wie er überall in
der Südsee von den Hüften bis ans Knie getragen wird.
Die Motnfrauen verfertigen dieselben nicht selbst, sondern
beziehen sie aus den Nachbarorten Elema, von wo rothe, und
^pati, von wo weiße Gürtel kommen. Schon die kleinen
Mädchen, sobald sie nur gehen können, tragen dieses Kleidnngs-
stück; die alten Frauen legen mehrere über einander an.
^as einzige Kleidungsstück der Männer ist ein zwischen den
Beinen durchgezogenes und dann um die Hüften gewundenes
Baststück.
Mannigfaltiger als die Kleider sind die Zierrathen:
Neu-Guinea. 187
alle scheinen ein hohes Alter zu erreichen. Die sittlichen
Verhältnisse sind im Allgemeinen zufriedenstellende und der
Mann begnügt sich mit einer Frau, selten machen hiervon
Häuptlinge eine Ausnahme, indem sie zwei bis drei Weiber
haben. Die Kinder werden gut behandelt und Kindermord
ist unbekannt; das Stillen dauert sehr lange und in der
Regel entwöhnt sich das Kind selbst, so daß man Kinder zur
Mutter hinlaufen und die Brust verlangen sieht. Bei den
Motu ist der Mann unumschränkter Herr, die Frau ist seine
untergeordnete Gehülfiu, die er gelegentlich körperlich züch-
tigt; dafür rächt sich das Weib durch eine lose Zunge, und
die Fluth vou Schimpfwörtern, die dem Munde einer
Motnfran entströmen kann, spottet nach Turner jeder Be-
schreibnng.
Die Beschäftigung der Männer und Frauen ist eine ge-
trennte. Die Weiber jäten die Pflanzungen, holen Holz,
:n-Gninea. Nach W. I. Turner.
Nasenstöcke, Ohrringe, Armbänder, Halsbänder, Brustplatten
aus Muschelschalen oder Schildkrot. Turner beschreibt alle
diese Gegenstände ausführlich und bildet sie theilweise ab.
Das Gesicht wird durch Bemalen und Tättowiren geschmückt;
als Zeichen der Trauer wird auch der ganze Körper schwarz
gemalt, wozu gebrannte Kokosnußschale dient, während man
zum Rothmalen Ocher benutzt. Die Art und Weise, wie
die jungen Mädchen tättowirt werden, erhellt aus der Ab-
bildnng; die Narben sind blan; das Dreieck auf der Brust
zeigt an, daß das Mädchen verlobt ist. Der zwischen den
beiden Dreieckslinien noch leer gelassene Raum wird aus-
gefüllt, wenn das Mädchen heirathet. Die Art und Weise
des Tättowirens konnte Turner nicht erfahren. Ausgenom-
men eine kleine Tättowirung in Form eines Oelblattes auf
dem Schlüsselbein sind die Männer frei von allen Zeichen.
Wallaby-Kängnrns, Fische, Yams, Bananen, Kokosnüsse
und Sago machen die Nahrung der Motu aus. Oft tritt
jedoch Hungersnoth ein. Sago kommt auf dem Handels-
wege von Cape Possession; dorthin bringen die Motu ihr
24*
188 Die Motu <
irdenes Geschirr als Tauschartikel. Nach der Sagozeit folgt
die Uamzeit und im Winter, unserm Sommer, folgen Ba-
nanen und Fische als Nahrungsmittel; vom August bis in
den October währt die Jagdzeit und dann lebt das ganze
Volk von Wallabysleisch. Auch Schweine und Hunde wer-
den verzehrt. Von Kannibalismus konnte Turner keine
Spur entdecken.
Im Allgemeinen sind die Motu ein gesundes Volk; doch
leiden sie an den landesüblichen Fiebern; auch sind Geschwüre
an den Beinen häusig und einzelne Fälle von Elephantiasis
wurden beobachtet. DieLasa oder das Zittermal kommt oft
vor und fast alle Kinder leiden an der Tona, einer Art
Warzen am Munde und den Armen. Plötzliche Krankheiten
schreiben sie dem bösen Geiste Vata zu, der im Walde lebt.
Nur wenige Leute geben sich mit einer Art ärztlicher Praxis
ab und verordnen Blätter und Wurzeln; doch ist der Glaube
an diese heimischen Doctoren nur gering. Als einst unter
den Eingeborenen von Port Moresby eine Epidemie aus-
brach, versuchten sie die Krankheit durch Lärmen, Schreien,
Schlagen mit Stöcken und dadurch, daß sie Feuerbrände in
die Luft warfen, zn verjagen. Stirbt ein Motu, so zeigen
die Hinterbliebenen aufrichtige Trauer; erkrankt einer gefähr-
lich, so versammeln sich die Verwandten um ihn und die
Weiber beginnen ihr Klagegeheul, das sich steigert, sobald
der Tod eintritt. Alsdann beginnt anch als Trauerzeichen
das drei Tage andauernde Trommelschlagen. Nachdem dies
vorüber, wird vor dem Hause das Grab gegraben, der Todte
in einer Matte hineingelegt und eine kleine Hütte über dem
Grabe errichtet. Nach einiger Zeit wird es wieder geöffnet,
der Leichnam herausgenommen und an den Ellenbogen und
Knien mit rothem Thon eingerieben, während die Wittwe
sich mit dem faulenden Fleische einreibt! Daun wird der
Todte wieder bestattet und nach und nach trägt man das
Grabhäuschen ab, so daß vom Grabe selbst keine Spur mehr
übrig bleibt. Dabei werden Schmausereien abgehalten.
Die Motu glauben an die Unsterblichkeit der Seele.
Es sei etwas im Menschen, sagen sie, das nicht mit dem
Körper sterbe, doch aus ihm fort in das Land Tanln gehe.
Dort lebt der Geist (Tirava) eine unbestimmte Zeit; zuwei-
len kehrt er zurück. Kinder kehren oft schreiend in das Halls
zur Mutter zurück, weil der verstorbene Vater ihnen erschie-
nen. Die Wittwe tritt heraus und sieht den Verstorbenen
vor sich, doch mit den Füßen noch in der Erde, aus der er
hervorgekommen; sie will ihn ergreifen, doch er sinkt in den
Boden zurück. Derlei Dinge werden fest geglaubt.
Die Häuser der Motu sind sehr einfache Pfahlbauten,
die in Dörfern von verschiedener Größe zusammenstehen,
gewöhnlich nahe dem Strande, in einer Linie oder doppelten
Zeile erbaut. Oft stehen sie auch im Wasser selbst und sind
dann nur durch Kähne und Leitern zugängig; dies ist nament-
lich da der Fall, wo die Motu mit den Inlandbewohnern
verfeindet sind, die gelegentlich in räuberischer Absicht sie
überfallen und ihre Dörfer niederbrennen. Die vorhin
erwähnten Koitapn legen ihre Behausungen zuweilen in den
Bäumen an und Turner sah eine solche 45 Fuß hoch über
dem Boden.
Jagd, Fischerei, Ackerbau machen die Beschäftigung der
Motu aus. Die sehr häufigen Wallaby werden gejagt, indem
man das Gras anbrennt und die Thiere in große ansge-
spannte Netze treibt, in denen sie mit Speeren niedergestochen
werden. Anch das Fischen geschieht mit Netzen, da Angel-
haken den Motu unbekannt find; die Beute wird auf den
Markt gebracht und hier gegen Uams, Bananen :c. ans-
getauscht. Jede Familie besitzt ihre eigene Pflanzung, die
sorgfältig eingezäunt ist, um sie gegen die Wallabys zu schützen.
Das „Pflügen" des Bodens, wenn man so sagen darf, ist
f Neu-Guinea.
ein eigenthümliches. Sechs bis sieben Männer stehen hinter
einander an einem vorn zugespitzten leichten Balken, rennen
ihn in den Grund und heben dann mit vereinter Kraft, nach
dem Taete und Commandoworte arbeitend, eine große Erd-
schölle heraus. So geht es neben einander fort, bis der
ganze Boden umbrochen ist, der nun wie ein gepflügtes
Feld aussieht und mit Bananen und Aams bestellt wird.
Die Waffen der Motu sind hölzerne Speere, Bogen
und Pfeile, Keulen, flache Schilde und die Kota, ein kur-
zer Handspeer, der dem fliehenden Feinde in den Nacken ge-
stoßen wird.
JedesMotndors hat seine besondere Industrie, in wel-
cher es hervorragt und deren Prodncte gegen jene anderer
Dörfer ausgetauscht werden, so daß ein lebhafter Handel
entsteht. Kapati liefert die Weiberschürzen, Tatana rothe
Muschelzierrathen, Hula Kokosnüsse und Port Moresby ist
das Centrum der Töpferei. Taue uud Seile stellen die
Motu so vollkommen dar, daß sie europäischen Seilern zur
Ehre gereichen würden; sie benutzen dazu die Rinde des
Papiermaulbeerbaums. Während die Seilerei Sache der
Männer, entfällt die Töpferei ausschließlich auf die Weiber,
welche dreierlei Arten Thongefäße: Hotu, Uro uud Nao, ver-
fertigen. Der runde Hotu mit enger Mündung dient zum
Wassertragen; wird die Mündung weiter hergestellt, so ent-
steht der Uro, ein Kochtopf, während der Nao Schüssel- oder
Bowlenform hat. Alle werden aus blauem und rothem Thon
mit der freien Hand geknetet; die Uros und Hotns sind aus
zwei Stücken zusammengesetzt. Turner beschreibt die Mani-
pulation bei dieser Töpferei ausführlich, was zu wissen nicht
uninteressant, da unsere primitiven europäischen Urnenfabri-
kanten nicht anders wie die Motu gearbeitet haben werden.
Nachdem die Gefäße an der Lust getrocknet, brennt man sie
im offenen Feuer; noch heiß überzieht man sie mit einem
Decoct aus Baumrinde, wodurch sie einen schwarzen Ueber-
zug erhalten.
Da die Motu kein Bauholz besitzen, bauen sie auch keine
Schiffe. Holz zu Häusern und Zäunen beziehen sie von
Lealea, das 17 Miles weiter westlich liegt. An der Hood-
Bay aber, wo viel Wald ist, wird der Schiffsbau eifrig be-
trieben. Die Fahrzeuge sind Einbäume, welche mit einer
Steinaxt ausgehöhlt und, wie überall in der Südsee, mit
einem Ausleger versehen sind. Die Fortbewegung geschieht
mittelst Rudern uud Mattensegeln. Größere Fahrzeuge, die
Lakotoi, auf denen man weite Reisen unternimmt, sind mehr
Flöße, aus fünf neben einander befestigten Einbänmen be-
stehend, auf denen eine Plateforme befestigt ist. Diese Fahr-
zeuge fassen bis 100 Menschen und eine große Menge Waa-
ren. Ein oder zwei kleine Bäume dienen als Masten; der
Anker ist ein schwerer in Netzwerk gefaßter Stein mit einem
Tau aus Rohr geflochten. Dies sind die Schiffe, in welchen
die Motu ihre Handelsexpeditionen unternehmen und auf
denen sie ihre Thonwaaren exportiren.
Musikalisch siud die Motu nicht; sie besitzen nur zwei sehr
primitive Instrumente, die Kaba oder Trommel und die Bibo,
eine Art Maultromnel. Die Trommel, in Gestalt einer
Sanduhr, besteht nur aus einem ausgehöhlten Baumklotze,
ist mit Leguaufell überzogen und etwa 2 Fuß lang. Man
schlägt sie mit der Handfläche. Zeugfabrikation (Tapa)
aus der Rinde des Maulbeerbaumes wird nur von den Koi-
tapn betrieben.
Glaube an ein höchstes Wesen, religiöse Ceremonien,
selbst Opfer sind nach Turner bei den Motu nicht vorhanden.
„Dieser Mangel an Religion ist um so merkwürdiger, als
doch der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele vorhanden."
Aber der Aberglauben wuchert. Betrug und Lüge scheinen
einen wesentlichen Theil ihrer Existenz auszumachen. Kinder
C. Haberland: Hoc
fangen an zu stehlen, sobald sie laufen können, und das gilt
nicht als Verbrechen; nur fassen lassen dürfen sie sich nicht.
Felddiebstahl ist ganz allgemein und die Leute von Tatana
bei Port Moresby, welche keine Plantagen besitzen, leben
vollständig vom Felddiebstahl. Bettelei ist an der Tages-
ordnung und wird auf das Schamloseste betrieben; schenkten
die Europäer den Motu etwas, so dankten sie nicht, fondern
verlangten mehr. Eine conservative Tendenz ist in allen
ihren Handlungen bemerkbar; sie thuu ein Ding, weil ihre
Väter es so thaten. So holen z. B. die Koiari von ihnen
Meermuscheln, bringen diese 20 Miles ins Innere, brennen
sie dort zu Kalk und bringen den gebrannten Kalk dm Motu
zurück, die ihn zum Betelkauen nöthig brauchen. Obwohl
nun letztere das Verfahren beim Brennen genau kennen,
fällt es ihnen doch nicht ein dies selbst zu thuu, weil ihre
Väter es nicht thaten. So stößt auch die Einführung euro-
päifcher Dinge — obwohl sie dieselben bewundern — auf
großen Widerstand. Indessen ist doch der Taback bei ihnen
eingeführt und Männer, Weiber, Kinder, selbst die Säug-
linge rauchen. DieTabackspfeife ist ganz eigenthümlicher
Art. Sie besteht aus einem zwei Fuß langen Bambusrohr,
das an einem Ende offen ist und am andern eine seitliche
Oeffnnng hat. Der zu rauchende Taback wird in ein Blatt
gewickelt und in die seitliche Oeffnnng gesteckt, während der
Raucher am andern Ende zu ziehen beginnt, bis das Rohr-
voll Dampf ist. Nun schließt man das Rohr, entfernt den
Taback und läßt es in der Gesellschaft umhergehen, so daß
jeder einen Theil angesammelten Rauches verschlingen kann.
Die Motu siüd recht schmutzige Leute, die sich selten
waschen; ihr Haar wimmelt von Ungeziefer, das sie ablesen
und verzehren. Der Körper strömt einen ekelhaften Geruch
aus. Ihre Lieblingsstellung ist ein Hocken. Heiraths-
altung der Corpulenz. 189
ceremonien giebt es nicht. Zehn weiße Muschelarmbänder,
zwei etwa ellenlange Muschelhalsbänder, ein Schwein und
eine Axt sind der Durchschnittspreis, den der Bräutigam dem
Brautvater für fein Weib zahlt. Glaubt das Weib, daß es
nicht gut behandelt wird, so kehrt es zu den Eltern zurück.
Eine Regierungssorm scheint bei den Motu nicht zu existiren;
Häuptlinge, unter denen der älteste am meisten Ansehen ge-
nießt, beherrschen das Dorf; ihre Würde ist erblich vom Vater
auf den Sohn. Doch ist die Autorität der Häuptlinge nnr
eine geringe.
Die Sprache der Motu ist malayo-polynesisch und zer-
fällt in verschiedene Dialekte. Der Missionär Lawes hat
ihr Alphabet auf 18 Buchstaben festgestellt. Die Haupt-
Wörter werden nicht declinirt; ein Geschlecht existirt nicht;
das Zeitwort ist sehr unvollkommen. Dagegen existirt ein
Dual und doppelter Plural. Das von Lawes bisher gefam-
melte Voeabnlar umfaßt 900 Wörter; er hat einige geistliche
Lieder in die Motnsprache übersetzt und anch eine biblische
Geschichte in derselben begonnen. Folgende Tabelle zeigt
die Verwandtschaft zwischen den Motn und den malayo-
polynefischen Sprachen.
Deutsch Malayisch Polynesifch Motn
Vogel manu manu manu
Kokosnuß nyu niu kalu, niu
kommen mai mai mai
Auge mata mata mata
Frucht bua fua huahua
Hand lima lima ima
Straße dala ala tara
Weib bawine fafine haine
Hochhaltung d
Das Embonpoint, welches auch bei uns als das Zeichen
einer behäbigen, durch nicht allzu große Sorgen gestörten
Existenz gilt und welches bei einer gewissen Entwicklung
durch seine Bezeichnung als Bürgermeister- oder Pfaffen-
bänchlein^) darauf hinweist, daß es wenigstens scherzweise
als ein Vorrecht oder eine Begleitung gewisser Würden be-
trachtet wird, andererseits aber bei zu starker Entwicklung
von den glücklichen Besitzern gerade nicht mit freundlichen
Augen angesehen wird, steht bei verschiedenen Völkern in
ganz entschiedenem Ansehen und wird als ein beneidenswerthes
Gut erstrebt, in dessen Besitz sich namentlich die Aristokratie
dieser Völker befindet, deren arbeitloseres Leben bei reich-
licherer Nahruug natürlich das Fettwerden befördert.
So findet sich vielfach in Polynesien die Fettleibigkeit als
ein Abzeichen und Privilegium der Häuptlinge und ihrer
Familien, welche diese Eigenschaft im Gegensatze zn dem sich
gerade nicht durch Körperfülle auszeichnenden gemeinen Volke
oft in bedeutendem Grade besitzen; nur in Samoa scheint
die Corpulenz sich allgemeiner durch das Volk zu erstrecken 2).
!) Auch bei den Kalmücken zeigt sich nach Bergmann
(citirt in der Zeitschrift für Ethnologie, Bd. III, S. 17) die
Wohlbeleibtheit, zu welcher überhaupt bei der mongolischen Race
sich Anlage findet, namentlich bei den Priestern, betrifft aber bei
ihnen weniger den Unterleib, fondern soll mehr in die Brust
übergehen.
2) Dumont d'Urville, Reise nach dem Südpole und nach
er Corpulenz.
Den höchsten Grad erreicht sie aber bei den Häuptlings-
geschlechtern aus Hawai, deren Fleischmasse ganz kolossale
Dimensionen annehmen soll, und wo sie gleichfalls als die
größte Schönheit für das weibliche Geschlecht gilt, weshalb
nach der ersten Jugend namentlich bei den Frauen der Vor-
nehmen das Wachsen der Fleisch- und Fettmasse sich häusig
bis ins Ungeheuerliche steigert *). Auch auf Tahiti findet
sich diese Körperncignng bei den Vornehmen, wenn auch nicht
in dem Grade wie auf Hawai2); bei den Tonganern 3) und
namentlich den Markefanern nimmt sie bei Weitem befchei-
denere Dimensionen an und findet sich gleichfalls nicht so
allgemein in den höheren Ständen. Dagegen sind auf den
Gilbertsinseln die Häuptlinge wieder sehr corpnlent 5) und
auf der Loyalitätsgruppe verleiht die Corpulenz ganz bedeu-
tendes Ansehen, so daß dem wohlgenährten katholischen Mis-
fionspfarrer, welcher Ende der sechsziger Jahre dort angestellt
war, diese Eigenschaft nach der Aussage der die Gruppe be-
Oceanien auf den Korvetten Astrolabe und Zelee. Aus dem
Französischen. Darmstadt 1846/48. Bd. II, S. 134.
Th. Maitz, Anthropologie der Naturvölker. Fortgesetzt
von G.Gerland. Leipzig 1359/72. Bd. VI, S. 12. 22. 203.
2) Dumont d'Urville, a. a. O. S. 133. Maitz, a.a.O.
S. 22.
3) Dumont d'Urville, a. a. O. S. 133.
4) N. Armstrong in Lüdde-Berghaus, Zeitschrift sür
Erdkunde. Magdeburg 1842/50. Bd. VII, S. 365.
b) Maitz, a. a. O. Bd. V, Abthl. 2, S. 53.
190
C. Haberland: Hochhaltung der Corpulenz.
suchenden Seefahrer wenigstens die gleiche Verehrung znge-
zogen zu haben scheint als sein heiliges Amt J). Auf Viti
fehlt die Anlage zum Fettwerden gänzlich 2).
In Indien bewundert man gleichfalls die Corpulenz als
Zeichen einer guten Lebensstellung und begegnet ihr mit Re-
spect und Verehrung; als sehr erwünschten Körperzustand
befördert man sie vielfach durch Trinken von Ghi, zieht sich
aber andererseits dadurch leicht Leberleiden zu3). Be-
sonders in Sindh wird bei den höheren Classen viel auf
Dicke der Würde und Schönheit halber geachtet, so daß diese
vornehme Corpulenz dort sogar in das Sprichwort über-
gegangen ist4); überschreitet man dagegen die Grenze dieses
Landstriches und nähert sich mehr der Berggegend, so findet
man bald einen Wechsel dieses Geschmackes, die in Sindh
so erwünschte Corpulenz gilt hier als ein Unglück5). Auch
für die Schönheit der Frau ist Corpulenz bei den Indern
ein Erforderniß und bereits das Gesetz des Manu G) schreibt
vor, bei der Wahl des Eheweibes darauf zu achten, daß der
Gang graciös wie der eines jungen Elephanten fei, wozu
doch wohl jedenfalls eine tüchtige Körperfülle erforderlich ist.
Ganz im Gegensatze zu diesem indischen Geschmack steht der
chinesische, welcher bei der Frau gerade eine zarte und delicate
Gestalt fordert, der männliche wohlhabende Theil der Bevöl-
keruug sieht aber an sich auch gern ein behagliches Embon-
Point und verschmäht nicht, seine Lebensweise danach ein we-
nig einzurichten7).
Die classische Gegend für Wohlbeleibtheit der Souveräne
ist die südliche Hälfte Afrikas. Nicht alle Völker dieser Ge-
geud sind darin so bescheiden wie die Makololo, welche nur
eine gewisse Fülle des Fleisches verlangen, übermäßige Be-
leibtheit dagegen für häßlich halten8), vielen gilt gerade eine
solche als unumgängliches Erforderniß für die Herrscher-
gewalt. Die Ovambos wählen daher zu Regenten nur
solche Personen, welche Anlage zum Fettwerden zeigen9),
und erreichen, da nachher der König sich förmlich mästen
läßt, durch diese Zuchtwahl Exemplare wie den Herrscher,
welchen Galton 10) traf, und welcher im Freien schlafen mußte,
weil er wegen Fülle nicht mehr in die Hütte kriechen konnte.
Bei den eigentlichen Kassern soll sich übrigens selbst bei reich-
licher Nahrung Wohlbeleibtheit nicht einfinden n). Bei den
Matabele gilt Fettsein, ebenso wie in den Landstrichen südlich
von Congo 12), überhaupt als Privilegium des Königs und
wird das Fettwerden eines Unterthans bei den ersteren dein-
gemäß als ein schweres Verbrechen betrachtet^); den Wa-
gogo scheint der Wohlbeleibtheit sogar etwas Göttliches ein-
x) „AuslandJahrgang 1858, S. 36.
2) Maitz, a. a. O. Bd. VI, S. 542.
3) J. Kerr, The domestic life, character and customs
of the natives of India. London 1865. p. 208. H eber's
Leben und Nachrichten über Indien. Herausaegeben von F. Kr 0 h n.
Berlin 1831. Bd. II, S. 228.
4) Burnes, Reisen in Indien und nach Bukhara. Aus
dem Englischen. Stuttgart und Tübingen, 1835/36. Bd. I,
S. 42. I. E. Prichard, Naturgeschichte des Menschen-
geschlechts. Uebersetzt von R. Wagner. Leipzig 1840/48.
Bd. III, Abthl. 2, S. 249.
5) Burnes, a. a. O. S. 42.
°) Buch 3, Bers 10.
7) R. Werner, Die preußische Expedition nach China, Ja-
pan und Siam. Leipzig. 1873. S. 224.
8) „Ausland", Jahrgang 1865, S. 1230 (nach Living-
stone).
9) Ch. I. Andersson, Reisen in Südwestasrika 1850 bis
1854. Uebersetzt von Lotze. Leipzig 0. I. Bd. I, S. 206.
10) The narrative of an explorer in tropical South-
Africa. London 1853, p. 222.
n) „Ausland", Jahrgang 1859, S. 606.
12) „Ausland", Jahrgang 1859, S. 400.
*3) Andersson, a. a. O. S. 206 Note.
znwohnen, so daß sie starkbeleibten Personen göttliche Natur
zuschreiben sollen x). Uebrigens stellen sich uns schon aus
den Denkmälern des alten Meroe die Königinnen als nn-
förmlich beleibt vor, wir haben es also in Afrika mit einem
sehr alten Brauche zu thun. Im Königreich Karagwah
gilt ebenso wie in Unyoro und anderen afrikanischen Staa-
ten auch bei den Frauen, besonders bei denen der Könige,
die Wohlbeleibtheit als zum Begriff der Schönheit gehörig;
schon von frühester Jugend an werden die betreffenden Mäd-
chen einer richtigen Mästung mit Milchbrei oder geronnener
Milch unterworfen und von dieser ihnen in Unyoro täglich
eine Gallone oft unter Prügel eingezwängt2).
Diese Vorliebe für die übermäßig volle weibliche Form
findet sich allgemein bei den Arabern, und wohin sie ihre
Herrschaft und ihren Einfluß verbreitet haben, ist dieser Ge-
schmack gleichfalls gefolgt. Zwar war das ältere arabische
Schönheitsideal durchaus nicht auf diese Überschätzung der
Fleischmasse basirt, und noch jetzt zeigen z. B. die Frauen
der Himyaren niemals fette Gestalten3), aber schon früh
wuchs die Vorliebe für die Ueberfülle der Formen mehr und
mehr, und bereits die Zeit Mohammed's bietet uns in Ge-
stalt fetner Lieblingsgattin Aischa ein Beispiel außerordeut-
licher Beleibtheit. Diese war denn aber auch derartig, daß
Aischa, als zwei sie stützende Dienerinnen kaum ihr Gewicht
aushielten, stolz von sich sagen konnte, sie beuge sich unter
der Last ihrer Hüften wie der von einer schweren Bürde
niedergedrückte Mensch 4), und sie sich nicht wunderte, als
eine sie nicht kennende Araberin sich an einen nicht zu nen-
nenden hervorragenden Theil ihres Körpers lehnte in der
Meinung, daß diese Hervorragung nicht mehr zu ihm ge-
hörte 5). Von ihrer Nichte gleichen Namens ist uns die
Schönheitsbeschreibung überliefert, welche das von ihrem spä-
tern Gatten als Kundschafteriu abgesandte Weib ihm hinter-
brachte, und auch diese stützt sich namentlich auf die Fülle
der Formen, im Einzelnen auf die runden und vollen Schen-
kel, die fette und breite Brust, den schönen Bauch und slei-
schigen Unterleib, und dann zusammenfassend auf die allge-
meine Beleibtheit, welche sich überall in sehnigen Grübchen
verriethe und bei Bewegungen allen ihren Reizen die wellen-
förmigen Biegungen geronnener Milch verliehe6).
Das Hauptmittel, solche Fülle zu erzielen, ist wieder die
Milch. In Verbindung mit Kuskus fand Mungo Park7)
bei den Mauren die Kameelmilch dazu benutzt, welche in
großen Quantitäten den jungen Mädchen allmorgendlich ver-
abreicht wurde, häufig unter Prügel, wenn der jugendliche
Magen sich gegen das Quantum stemmte, und am untern
Senegal senden die dortigen Araber ihre jungen Frauen sogar
auf die fetten entfernten Grasweiden, um sie dort durch die
bessere Milch zu dem begehrten höchsten Embonpoint form-
lich heranmästen zu lassen 8). Uebrigens scheint diese Sucht
nach übermäßiger Fettentwickelnng, wie dies bereits Höst9)
von den Marokkanerinnen behauptet hat, die Fruchtbarkeit
K. Andree, Forschungsreisen in Arabien und Ostafrika
nach Burton, Speke u. f. w. Leipzig 1861. Bd. II, S. 157.
2) Andree, a. a. O. Bd. II, S. 287. S. W. Baker,
Der Albert Nyanza, das große Becken des Nil und die Erfor-
schung der Nilquellen. Uebersetzt von Martin. Jena 1867.
Bd. II, S. 153.
3) v. Maltzan in Zeitschrift für Ethnologie. Bd. V, <5.64.
4) „Ausland", Jahrgang 1858, S. 868.
5) Ebendaselbst.
c) Ebendaselbst S. 865.
7) Reisen im Innern von Afrika. Aus dein Englischen.
Berlin 1799. S. 133.
8) K. Arenz, Die Entdeckungsreisen in Nord- und Mittel-
asrika. Leipzig 1859. S. 44.
9) Nachrichten von Marokko und Fes. Aus dem Dänischen.
Kopenhagen 1781. S. 122.
Aus allen Erdtheilen.
191
zu mindern und ein frühzeitiges Aufhören derselben zu be-
Zum Schluß mag noch bemerkt sein, daß bei den Gal-
lieru für die männliche Jugend das Dickwerden verboten
und die Ueberschreitung eines gewissen Gürtelmaßes, wohl
jedenfalls als der jugendlichen Kraft und Behendigkeit fcha-
dend, mit einer Strafe bedroht war *).
___Carl Haberland.
i) W. Wachsmuth, Europäische Sittengeschichte. Leipzig
1331 ss. Bd. I. S. 76.
Lange Nägel.
Im Anschluß an die im 30. Bande, Seite 7 dieser Zeit-
schrist gegebenen interessanten Abbildungen der Hände anna-
mitischer Edelleute und an die sie begleitende Schilderung
der ostasiatischen Sitte, lange Fingernägel zu tragen, folgen
hier noch einige Notizen über die Verbreitung dieses Gebrauches
auch in anderen Gegenden. Auf Miudanao fand bereits
Dampier, daß man die Daumennägel, namentlich den der lin-
ken Hand, sehr lang trug uud dieselben nie beschnitt, sondern
nur befeilte *); noch jetzt herrscht dort diese Sitte, ebenso wie
auf Java 2). Unter den polynesischen Gruppen wird uns
von Tahiti berichtet, daß die Häuptlinge an einem oder an
allen Fingern lange, bisweilen gliedlange Nägel tragen und
solche sorgfältig rein erhalten^), unter denmelanesischen von
Viti, daß man als Zeichen der Fürstenwürde am Daumen
die Nägel wachsen läßt 4j. In Afrika ist die Sitte bei ver-
fchiedenen Völkerschaften verbreitet. Livingstone fand bei den
Makololo lange Nägel, weil sie dieselben überhaupt nicht zu
schneiden pflegten»), und Cameron fielen am Thronfolger in
Kanyenye die enorm langen Nägel seiner linken Hand auf,
welche er als Zeichen seines hohen Ranges und namentlich
auch als ein Zeichen, daß er nicht uöthig habe zu arbeiten,
trug 6). Auf der Goldküste galt die Länge der Nägel gleich-
falls als vornehm, je länger dieselben, welche übrigens stets
frei von Schmutz uud ganz weiß gehalten wurden, desto
höher war der Besitzer geachtet; Kaufleute nahmen oft den
Goldstaub beim Handeln damit auf uud scheinen sich dersel-
ben als eines Hohlmaßes dabei bedient zu Habens. In
Groß-Bassam (Guinea) läßt man die Nägel der linken Hand,
deren man sich beim Essen nie, sondern nur bei unreinen
Beschäftigungen bedient, gleichfalls lang wachsen Daß
bei den afrikanischen Völkerschaften übrigens bereits in alte-
1) Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande.
Leipzig 1749 ff., Bd. XI, S. 443.
2) Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker. Fortgesetzt
von G. Gerland, Leipzig 1859/72, Bd. VI, S. 23.
3) Ebendaselbst.
4) Ebendaselbst Bd. VI, S. 653.
ö) „Ausland" Jahrgang 1865, S. 1231.
„Globus" Bd. XXXI, S. 321.
7) Allgemeine Historie Bd. IV, S. 414.
8) Waitz, o.a. O. Bd. I, S. 151.
sten Zeiten lange Nägel als Hoheitszeichen üblich waren,
zeigen uns die Darstellungen des alten Meroe, auf welchen
die unförmig beleibten Königinnen sich durch die Länge ihrer
Nägel auszeichnen^). Die mexicanische Priesterschaft trug
gleichfalls lauge Nägel, wohl weniger als Nangauszeichnung,
als weil dieselbe» ebenso wie das Haar nicht geschnitten
werden durften ^°), dagegen berichtet Vasconcellos u), von
einigen wilden Stämmen Brasiliens, daß als Auszeichnung
ihre Häuptlinge die Daumennägel krallenartig hätten wach-
sen lassen.
Finden wir so den langen Nagel, weil er anzeigt, daß
sein Träger mit einer solchen Hand nicht arbeiten kann und
also über das gemeine arbeitende Volk hinausgehoben ist, bei
verschiedenen Völkern als eine Rangauszeichnung, so braucht
es uns nicht zu wundern, daß er auch bei uns in einigen
Gesellschastsschichteu als ein gewisses aristokratisches Air ver-
leihend sorgfältig gepflegt wird, da gerade die aus derartigen
Jdeenverbindungen niederer Stufen hervorgegangenen Sitten,
welche von dem hochstehenden Theile der Gesellschaft als
Auszeichnung krampfhaft festgehalten werden, von höchster
Zähigkeit sind, und sich noch weit in cultivirte Epochen hin-
einerstrecken, nachdem längst das Bewußtsein des nrsprüng-
lichen Gedankens, welchen! sie ihre Entstehung verdankten,
entschwunden ist. Mag nun erwähnte Sitte bei uns ein
solches Ueberlebsel sein oder mag die gleiche Idee wie bei den
niedrigstehenden Völkern auch in unserer modernen Gesell-
schast diese Verunstaltung der Hand bewirkt haben, jedenfalls
ist es interessant zu bemerken, wie der stolz auf seine wohl-
gepflegten Nägel blickende Aristokrat und der wulstlippige
Neger- oder menschenfressende Fidschihäuptling gleicher Sitte
huldige», und wie gerade derartige unwesentliche Gebräuche
den gewaltigen Zwischenraum, welcher Cultur uud Uucultur
scheidet, überbrücken. Carl Haberland.
9) Lepsius, Briefe aus Aegypten, S. 131. Auch zu ver-
gleichen Tafel XX der von ihm herausgegebenen „Wandgemälde
des Aegyptischen Museums zu Berlin".
Maitz, a. a. O. Bd. IV, S. 152.
n) Bei C. F. Ph. von Martins. Von dem Rechts-
zustande unter den Ureinwohnern Brasiliens. München 1832,
S. 19.
Aus allen Erdtheilen.
A u st r a l i e n.
— Am 22. April dieses Jahres traf von Sydney aus in
dem Schiffe „The Colonist" eine Expedition mit Abenteurern
in Port Moresby an der Südostküste von Neu-Guiuea
eüt, um nach Gold zu suchen und eine Ansiedelung ans der
Jufel einzuleiten. Nach den letzten Nachrichten befanden sich
diese Abenteurer so weit wohl, aber Gold hatten sie noch
nicht auffinden können. Eine Deputation von eingeborenen
Häuptlingen stellte angeblich das Gesuch au sie, die Regie-
ruug von Queensland zu vermögen, dafs sie die Protection
von Neu-Guiuea übernehme. Natürlich ist dies nichts wei-
192 Aus allen
ter als Humbug. Die Eingeborenen wissen nichts von
Queensland und wären herzlich froh, wenn die Abenteurer
sie in Ruhe ließen. Da letztere in der Regel sehr determi-
nirte Leute sind, für welche das Blut anderer Racen wenig
Werth hat, so wird eine Collision mit den Eingeborenen
wohl nicht lange ausbleiben. Ueberdies haben die Weißen
bestimmt erklärt, daß sie, wenn es ihnen gelinge, auf Neu-
Guinea Gold zu entdecken, mit den Waffen in der Hand die
Chinesen, mit denen jetzt aus China ein Schiff nach dem an-
dern iu Port Darwin eintrifft, zurückweisen würden. Es
wird sich unter solchen Umständen England doch wohl zur
Aunectirnng dieser Insel entschließen müssen.
— Der Neu-Guinea-Reisende D'Albertis ist nach
Europa zurückgekehrt. Er traf im Juli dieses Jahres mit
seine« sehr bedeutenden und werthvolleu naturwissenschaftlichen
Sammlungen, welche er auf seineu mehrmaligen Reisen auf
dem Fly River uud in anderen Gegenden von Neu-Guinea
zusammen gebracht hat, in London ein. Hier bot er diefel-
ben dem Britischen Museum zum Kaufe au, allein es waren
keine Geldmittel dazu vorhanden und das Geschäft unter-
blieb. D'Albertis wird schon in nächster Zeit in London
einen Auszug aus seinem interessanten Tagebuche veröffent-
liehen.
— Im Mai dieses Jahres versammelten sich in Mel-
bonrne Delegirte der Ministerien der australischen Colonien,
mit Ausnahme von Westaustralien und Neu-Seeland, um
über die Legung eines zweiten Kabels von Port Dar-
w in an der Nordküste von Australien nach Bonjoewangi au
der Südostkilste von Java, von dort unter Vermeidung der
Landlinie dieser Insel nach Singapore und von da nach.
Penaug Beschluß zu fassen. Die öfteren Unterbrechungen
im jetzigen Kabel und die auf der Java-Laudliuie so häufige
sinnlose Entstellung englischer Depeschen gaben Veranlassung
zu dieser Consereuz. Das Anerbieten von Seiten des Ver-
treters der Eastern Extension Telegraph Company in Lon-
don wurde angenommen. Diese Gesellschaft wird auf der
angegebenen Strecke eiu zweites Kabel legen lassen und er-
hält dafür auf 20 Jahre, außer der Einnahme aus den De-
peschen, einen jährlichen Zuschuß von 32 000 Pf. St. Die-
ser wird auf die Colonien, welche dem Vertrage beitraten,
nach der Kopfzahl ihrer weißen Bevölkerung vertheilt wer-
den, wogegen die Regiernngs- und Zeitnngsdepefchen dersel-
ben Colonien nur resp. die Hälfte und ein Viertel voin gel-
tenden Tarife zahlen.
Amerika.
Die Vermessung der amerikanischen Territorien.
F. B. Der „NewYork Herald" meldet am 9. Juli aus
Washington folgende Einzelheiten über die diesjährigen Ope-
rationen zur geographischen und geologischen Erforschung der
westlichen Territorien der Union, die jetzt bereits seit vielen
Jahren einen systematischen Plan zur Herstellung eines topo-
graphischen Atlas des ganzen, westlich vom 100. Längengrade
gelegenen Gebietes verfolgt. Die verschiedenen Feldabtheilun-
gen befinden sich bereits aus dem Wege nach ihren diesjäh-
rigen Gebieten in Utah, Nevada, California, Oregon, Colo-
rado, Neumexico, Arizoua und Texas. Jngenienrlientenant
Wheeler hat wieder den Oberbefehl über die ganze Ver-
Messung, welche wie früher aus den drei Hauptabtheilungen
von Colorado, Utah und California besteht, die in neun
Sectionen und drei astronomische Stationen zerfallen, welche
unter dem Befehl von Armeeoffizieren stehen.
Die einzunehmenden astronomischen Hauptpositionen
werden sein: Fort Sölden in Neumexico, Fort Bliß in Texas,
Erdtheilen.
Tnlare in Calisornien an der Südpacifiebahn, Dalles am
Columbiafluß und Wallawalla in Oregon. Die Central-
station befindet sich bei Ogden in Utah, wohin alle Signale
dieser Außenstationen eingesandt werden.
Professor Stevenson, der Geologe der Expedition von
1873, wird wieder ins Feld rücken, um die Erforschung der
Gebirge östlich vom Rio Grande und südlich von den Spa-
msh Peaks in Colorado fortzusetzen sowie auch, um die
Kohlenlager am Ostsuß des Felfeugebirges südlich vom 40.
Breitengrade zu untersuchen. In dem Comstock-Minenbezirk
in Nevada werden specielle geologische Untersuchungen zur
Herstellung einer Detailumrißkarte mit Durchschnitten der
wichtigsten Bergwerke stattfinden, zur Vollendung einer ana-
lytischen Aufnahme aller Theile dieser merkwürdigen Silber-
region. Die Operationen der neun Feldabtheilungen werden
folgende sein:
Von der calisornischen Section wird Abtheilung
Nro. 1 vom Camp Bidwell an der Oregongrenze nach Nor-
den gehen, um eiu Areal von etwa 16000 engl. Quadrat-
meilen der Südseite des Columbia-Bassins zu untersuchen.
Nro 2 wird von Carson in Nevada nach Süden gehen und
Triangnlationspnnkte auf dem Kamme der Sierra Nevada
feststellen sowie den noch nnvermessenen Theil letzterer südlich
vom Mono-See ausnehmen. Nro 3 ist speciell auf die Unter-
suchung der Washoe-Minenregion angewiesen.
Von der Colorado-Seetiou soll Nro. 1 vom Fort
Garlaud aus in zwei Abtheilnngen ans beiden Seiten des
Rio-Grande-Thales bis zur mexikanischen Grenze hinabgehen
uud Specialprofile zur Anlage einer Bahn von Fort Selden
nach Elpaso in Texas feststellen. Lieutenant Birnie, der
bereits fünf Jahre an der Vermessung thätig war, wird diese
Abtheilung führen. Nro. 2 unter Lieutenant Griffin wird
zwischen dem Rio Graude und dem Pecoxfluß südlich vom
Fort Stanton arbeiten und die Triangulation mit der astro-
nomischen Station bei Fort Bliß in Texas verbinden.
Nro. 3 wird von Prof. Stevenson geführt und soll das be-
reits erwähnte Feld einnehmen.
Die erste Abtheilung der Utah-Section wird durch
den Judiauerkrieg an ihrer beabsichtigten Arbeit in Oregon
zwischen Kelton und Wallawalla verhindert, und soll statt
dessen unter Lieuteuant Tillmall den östlichen Theil der Cas-
cadenkette in Oregon und ihre Lavabetten untersuchen.
Nro. 2, statt im Norden und Westen von Fort Hall zu ar-
beiteu, wird die Sierras bis zur califoruischen Küstenkette
erforschen, und von Los Angeles bis Santiago gehen. Nro. 3
soll eine astronomische Position bei Visalia in Südcalisornia
mittelst Triangulation nordwärts durch die Sierra Nevada
mit der Basis vou Virginia City in Nevada sowie nach Sü-
den mit derjenigen bei Los Angeles in Verbindung bringen.
Das gesammte, in dieser Saison zu erforschende Gebiet
umfaßt gegen 40 000 engl. Qnadratmeilen. Die ganze Arbeit
ist in Übereinstimmung mit dem Gesammtplan, der von
Lieutenant Wheeler im April 1872 verfaßt, vom Kriegs-
minister angenommen und im Juni vom Congreß bestätigt
wurde, uud der die ausführliche topographische Vermessung
der Territorien der Vereinigten Staaten, westlich vom 100.
Längengrade, ein Areal von 1443 360 engl. Quadratmeilen,
zum Zweck hat. Alle Abtheilungen sind wohl organisirt und
vollständig ausgerüstet uud werden binnen Kürzeln im Felde
stehen. Die Arbeit soll fünf Monate dauern; falls aber der
Congreß weitere Unterstützungen votirt, können die Abthei-
lnngen in den südlichen Theilen das ganze Jahr im Felde
bleiben.
Inhalt: Edouard Andro's Reise im nordwestlichen Südamerika. II. (Mit fünf Abbildungen.) — Dr. P. Schröder:
Meine zweite Reise auf Cyperu im Frühjahr 1873. IV. (Mit zwei Abbilduugeu.) (Schluß.) — Die Motu auf Neu-Guiuea.
(Mit 2 Figuren.) — C. Haberland: Hochhaltung der Corpuleuz. — C. Haberlaud: Lange Nägel. — Aus allen Erd-
theilen: Australien. — Amerika. — (Schluß der Redactiou 1. September 1878.)
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Svhn in Braunschweig.
Band XXXIV.
it besonderer Herücksicktigung iler AntKroyologie unck Gtlrnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
vi-. Richard Kiepert.
^rrtitn f<4iVrn>trt Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten i o wq
-O iClUtl | UjlUClQ zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. ^
Edouard Andres Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
in.
Wichtiger noch als der im vorigen Abschnitte besprochene
Cacaobau sind die Kasfeepflanzungen auf einigen Haciendas
des Territoriums San Martin, wie auf der den Herren
Convers und de Francisco gehörigen Hacienda delÄuqus
südlich von Villavicensio, wo erst vor zehn Jahren der erste
Kasfeebauul gepflanzt worden ist und jetzt deren 30 000
ihren vollen Ertrag bringen. Auch hier war der Erfolg
nur die Frucht zahlloser Mühen und Anstrengungen, welche
Mr. Convers anfangs allein, später mit seinem Compagnon
zusammen durchzumachen hatte. Bald hinderte ihn Fieber,
Mangel au Arbeitern und selbst an Geld, dann auch an
Wegen, bald der böse Willen der Eingeborenen, bald wieder
galt es Maschinen zu schaffen und so fort. Nun aber steht
das cafetal Prächtig. Als Andre im Januar sich auf deu
Llanos aufhielt, war es mit weißen Blüthen, wie mit Schnee,
dicht übersäet, ein Anblick, dem selbst die gewöhnliche Zurück-
Haltung seines Gefährten Fritz nicht Staud hielt, so daß er
in Ausrufe der Bewunderung ausbrach.
Weiter südwestlich liegt eine noch wichtigere Pflanzung,
den Herren Rvyös und Silva gehörig, welche als Muster
für die Cafetals der Llanos gelten darf, während die Ha-
cienda del Buquä wegen der Nähe des Hauptortes des Ter-
ritoriums sich außergewöhnlicher Bedingungen erfreut. Es ist
die Plantage in Ocoa auf der großen Ebene von Apiai, welche
letztere sich in einer Länge von 80 und in einer Breite von
10 Kilometer zwischen dem nördlichen Arme des Rio Negro
und dem Guatiguia hinzieht. Sie beginnt am Fuße des
Berges von Bueuavista, von wo Andre zum ersten Male
die Llanos erblickte, dort wo der Rio Negro mit westöstlicher
Richtung in den ebenen Theil des Territoriums San Martin
Globus XXXIV. Nr. 13.
tritt. 6500 Hectaren trefflicher Prärien vermögen dort
ebenso viele Häupter Vieh zu ernähren. Wasser ist in Ueber-
sluß und in bester Güte vorhanden; Ueberschwemmungen
stehen dort nicht zu befürchten, und das Salz von Upin könnte
die Viehzucht noch erleichtern, wenn die Regierung den Preis
desselben herabzusetzen und die Gewinnung zu verzehnfachen
wüßte. In diesem fruchtbaren Gebiete liegt der Cafetal der
Herren Neyes und Silva, der feinen Besitzern in weniger
als zehn Jahren zu Ruf und Reichthum verholfeu hat.
Zwiefach sind die Absatzwege für die dort gewonnenen Pro-
dncte, einmal über Bogota nach dem Innern von Columbia,
das andere Mal auf dem Rio Meta nach dem Auslande.
Um aber die schweren Transportkosten zu verringern, müßte
man baldigst die noch fehlenden 105 Kilometer des Cor-
dillerenweges von Susmuuco bis zum Zusammenflüsse des
Gnatiquia und Rio Negro fertig stellen. Am Ende jener
Ebene von Apiai liegt der Hafen Pachaqniaro, wo der gleich-
namige Cano in den Rio Negro fließt; letzterer ist daselbst
in drei Arme getheilt, deren einer 30 Meter breit ist und
dessen Dimensionen sich durch Absperrung der beiden anderen
leicht verdreifachen ließen. Von dort könnten die Landes-
producte auf den Curiaras genannten Fahrzeugen der In-
dianer bis an die Stelle hinabgebracht werden, wo der Meta
Dampfer von mehr als 5 Fuß Tiefgaug trägt.
Schlägt man von Ocoa aus diese Richtung ein, so kommt
man bei der Besitzung des Herrn Castro, la Boca del Monte,
dann bei la Compania, la Mgia und la Esperanza vorbei
zur Hacienda des Senor Alvarado, wo die Viehzucht im
Großen betrieben wird. Dort ist das Land des ganado
yacuno, des Viehs im wilden Zustande. Es sind nur ein
25
194 Edouard Andrö's Reisen im nordw
paar mit Bambuspallisaden umgebene Patios vorhanden,
um die zu zwei- oder dreihundert Stück auf ein Mal gefau-
genen Herden aufzunehmen. Die Kühe sind denen von hol-
ländischer Race ähnlich; sie sind groß, geben mäßig Milch,
sind dafür aber sehr stark und leicht zu mästen, namentlich
wenn man ihnen Salz giebt, wodurch sie zugleich zahm wer-
den und sich am Fortlaufen hindern lassen. Es ist ein wah-
res Vergnügen, diese Thiere zu sehen, wie sie, tief im Grase
gebettet und durch die großen Blätter der Morichs-Palme
gegen die Sonnenstrahlen geschützt, einträchtig mit insecten-
fressenden Falken zusammenleben, welche ihueu ruhig die
Zecken (garrapatas, wonach die Vögel selbst garrapateros
heißen) vom Felle ablesen. Diese Insecten setzen sich dem
Vieh namentlich in die Ohren und verursachen dort offene
lichen Südamerika 1875 bis 1876.
Wunden, welche, wenn ihm nicht die Falken zu Hülfe kämen,
leicht tödtlich werden könnten.
Auf der Savaue von Apiai finden sich auf sieben Be-
sitznngen etwa 2000 Stück Vieh, während vielleicht für das
Zehnfache Raum vorhanden wäre. Im ganzen Territorium
San Martin gab es nach Aussage des Präfeeteu selbst zu
Ende des Jahres 1874 45 842 Stücke Hausvieh (davon
40 305 Ochsen und Kühe) im Werthe von 2 808 860
Mark. Ein Stück Rindvieh kostet im Durchschnitte 56 Mark,
so daß ein Kilogramm Fleisch auf nur 12 bis 15 Pfennig
zu stehen kommt, Preise, von denen man in Europa nichts
weiß. Jene 40 000 Rinder weiden auf dem Gebiete südlich
vom Rio Upia und Meta, und dazu kommen im Territorium
Casanars etwa noch doppelt so viel, zusammen etwa 120 000
Kaffeepflanzuug
Stück auf einem Areal von 105 000 Quadratkilometer,
während nach Angabe der erfahrensten unter den dortigen
Ansiedlern darauf an 5 Millionen gehalten werden könnten.
Wie wenig die Viehzucht dieser herrlichen Gebiete sich
entwickelt hat oder eigentlich zurückgegangen ist, ergiebt sich
daraus, daß 1810 bei Beginn des Unabhängigkeitskampfes
die dortigen Missionen von Casanar«, Meta und Cniloto,
zwanzig an der Zahl, über 130 000 Stück Vieh besaßen,
welche unter der Pflege der Indianer gediehen, bis die Mis-
sionen säcnlarisirt wurden. Angesichts solcher Zahlen darf
man sich wohl fragen, welchen Vortheil diese Landstriche von
der Freiheit gezogen haben und ob die Missionen nicht das
einzige Mittel sind, den Indianern wenigstens die ersten An-
fänge der Civilisation beizubringen.
in den Llanos.
Es mögen hier noch einige Angaben über das Territo-
rium San Martin Platz finden.
Bis zum 16. September 1867 bildete dasselbe einen
Theil des Staates Cnndinamarca, wurde dann an die Bundes-
regierung abgetreten und durch Gesetz vom 4. Juni 1868
vou derselben angenommen. Verwaltet wird dasselbe nn-
mittelbar vom Präsidenten der Republik aus, der seine Voll-
machten auf einen in Villavicensio residirenden Präfecten
und auf corregidores überträgt. Dieselben sitzen an den
Mittelpunkten der Bezirke (corregimientos) oder der Dörfer
(aldeas)^ und hatten früher richterliche und administrative
Befuguisse; erstere haben sie seit 1874 an einen nationalen
Richter abgeben müssen. Für Testamente, Contracte und
dergleichen ist ein öffentlicher Notar bestellt. Daneben fnn-
196
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
girt in jeder Niederlassung ein ans drei Mitgliedern beste-
hender und von den Einwohnern gewählter Mnnicipalrath,
in welchem der Pfarrer so ipso Sitz hat. Im National-
congreß wird das Territorium durch einen Bevollmächtigten
vertreten. An Abgaben giebt es nur Zölle und das Salz-
Monopol; doch dürfen die Gemeinden Wegegelder, Ver-
zehrungssteueru u. f. w. erheben. Um die Einwanderung
zu befördern, ist der Verkauf deS unbebauten Landes gesetzlich
geregelt. Der Kauflustige hat unter Bezeichnung des ge-
wünschten Stück Landes sich an den Richter in Villavieensio
zn wenden, welcher mit fünf Zeugen vor dem Präfecten das
Land für frei und unbesetzt zu erklären hat. Dieser läßt
es dann ans Kosten des Antragstellers vermessen und ihm
den Besitztitel ausliefern. Die Hectare des besten Bodens
kommt so alles in allem auf 1,33 bis 1,60 Mark zn stehen;
verfügbar aber sind dort noch an 10 Millionen Hectaren!
Und welche Ernten dieser Boden liefert, haben wir im Borher-
gehenden gesehen. Nur die hauptsächlichsten Prodncte der
Llanos aufzuzählen würde zu weit führen ; aber erinnert mag
daran werden, daß hier zwei Sorten Kautschuk gewonnen
werden, drei Arten Vanille, wohlriechende Harze, zwei Sor-
ten Cacao n. s. w. Necho ist der Samen einer Cucurbi-
tacee, welcher ein gegen Krebsleiden viel gebrauchtes ätzendes
Oel liefert; der Algarrobo (Hymenea Courbaril) produeirt
eßbare Früchte und ein in Bogota als Firniß gebrauchtes
durchsichtiges Harz; von der riesigen Bombacee Balfo
(Ochroma tomentosum) benutzt man die Rinde zn Booteu;
der Avichnre liefert ein Guttapercha u. s. w. Von verschie-
Junge Bogotanerin im Putz.
denen anderen Medicinalpflanzen, von den Palmen und den
Culturgewächsen, wie Zuckerrohr, Maniok, Kaffee, Cacao,
Indigo, Baumwolle, Mais, Reis, Patate, Taback, Bauaue,
Colocasie u. s. w>, ist schon oben gesprochen worden. Zahl-
los und meist in Enropa noch unbekannt sind die werthvollen
Hölzer. Von Mineralien siudeu sich Kohlen bei Villavieensio,
Asphalt am Rio Upia, Goldsand im Ariari, Petroleum bei
Guaicaramo, Eisen in Salitr«, Cmnaral, Mediua :c. und
Salz bei Upiu. Die Flüsse wimmeln von Fischen allerlei
Art, Schildkröten giebt es in Menge, ebenso Vögel und
Wildpret, während von wilden Thieren dem Menschen keine
Gefahr droht.
Das Klima der Llanos ist eher gemäßigt (27" jährlicher
Durchschnitt am Fuße der Cordilleren) als heiß. Sechs
Monat herrscht Frühling (verano), vom November oder
December an, und sechs Monate Winter (invierno) oder
Regenzeit. Längs des Meta ist es heißer (im Durchschnitt
30") und feuchter. Wenn ein Colonist seinen Wohnplatz
vorsichtig wählt, kann er aus den Llanos in guter Gesundheit
leben. Auch die Ureinwohner sind kein Hinderniß für die
Besiedelnng des Territoriums; denn die fünfzehn dort leben-
den Jndianerstämme sind meist friedlich gesinnt und zählen
insgesammt nur 16 500 Köpfe, während sie früher zahlreich
und mächtig waren.
An einem schönen Jannarmorgen nahmen Andre und
seine Genossen endlich Abschied von ihren liebenswürdigen
Wirthen in Villavieensio und traten die Rückreise nach Bo-
gota an, von ihren neugewonnenen Freunden bis auf den
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
197
Paß von Bnenavista begleitet, von wo sie die Llanos zum
ersten Male erblickt hatten. Die erste Nacht blieben sie in
Susucamo, die zweite in Quetame, wo sie die berühmten
aber wenig besuchten Mineralquellen besichtigten. Am drit-
ten Tage brachen sie schon um 3 Uhr Morgens auf und
erreichten am selben Tage Abends 6 Uhr Bogota.
Kaum hatten sie dort den Gebrauch ihrer durch einen
snnszehnstündigen Ritt steif gewordenen Glieder wieder er-
langt, als auch schon ihre Freunde herbeikamen und sie über
ihre Erforschung der Llanos ausfragten. Auch der Präsident
der Republik ließ sich darüber einen kurzen Bericht erstatten
und ordnete dessen Abdruck int Diario oficial de Bogota
an. Die nächsten Tage vergingen mit Besuchen, Ausflügen
in der Umgebung der Städte, mit der Besteigung des Gua-
dalnpe und mit Botanisiren in dem berühmten Bogueron,
wo Linden, Karsten, Triana und Lindig so merkwürdige
Pflanzen gesammelt haben, und der jetzt mit den großen blnt-
rothen Blumenkronen der schönen Melastomacee Cliaetogastra
Lindeniana überdeckt war.
Der Aufenthalt in Bogota wird nach mehreren Wochen
entsetzlich öde. Wer nicht fleißig zu arbeiten hat oder Han-
del treibt, wie fast die gesammte Einwohnerschaft, den ergreift
bald tödtliche Langeweile. Die gewöhnlichen Unterhaltungen
sind Gespräche an den Ladenthüren und in der Calle Real,
das Hin- und Herlaufen auf dem Altozauo, dem gepflaster-
ten Räume vor der Kathedrale, ein Ritt auf staubiger, sou-
uiger Straße nach Chapinero, die religiösen Ceremouien in
den Kirchen nnd ein Spaziergang nach dem Wege „Quinta
deBolivar" über der Stadt. Dazu kommen noch an außer-
ordentlichen Vergnügungen gelegentlich eine Vorstellung in
dem meist leer stehenden Theater, das Unabhängigkeitsfest
oder irgend eine Volksbelustigung in dem alten 1550 von
Plan eures Bogotaner Gartens, der wahren Größe.)
E Traufen.
Jose de Nobles gegründeten Kloster S. Domingo, welches
jetzt, von Staatsbehörden, der Post, dem Finanzministe-
rinni u. s. w. in Beschlag genommen ist.
Als Andrs eines Tages die Kirchen der Stadt besuchte,
welche alle iu dem in ganz Südamerika herrschenden mit
vergoldeten Ornamenten überladenen Stile der verfallenden
spanischen Renaissance erbaut sind, siel sein Blick aus eiue
handschriftliche Ankündigung an der großen Thür der Ter-
cera-Kirche. Dieselbe besagte wie folgt:
„Am 14. December ist der Schatz der Kirche bestohlen
worden. Die Missethäter haben dem Heiligthuine drei präch-
tige Rofctt von Diamanten, Rnbinen und Smaragden, über
200 schöne Perlen und vier Amethysten gestohlen. Der Dieb
und seine Genossen sind excommnnicirt. Doch soll ihnen
verziehen werden, wenn sie die Sachen wieder bringen und
Reue zeigen. Vicente Arbelaez, Erzbischos von
23. December 1875. Bogota."
Ein Commentar dazu ist überflüssig.
A Eingang. I] Senkgrube. C Steinpflaster. D Gartenwege.
F Gebüsch.
Diese Tercera - Kirche wurde in den Jahren 1761
bis 1780 von Franziskanern erbaut und liegt am Ende der
Calle Real. Bemerkenswerth ist sie durch die Vergoldungen
des Chors und dessen drei Säuleustelluugcu über einander.
In der Mitte thront zwischen Heiligen, die nach der neuesten
Mode angekleidet sind, eine nach südamerikanischer Sitte mit
Falbalas überreich ausgeputzte Madonnenstatne. Die Chor-
wände sind ganz vergoldet nnd mit Gemälden geziert, über
deren Werth man besser schweigt, während die Wölbung aus
weiß angestrichenem Holze besteht und uuaugeuehm gegen
den prächtigen Chor absticht.
Die Kathedrale, deren Bau Pius IV. auf Wuusch Phi-
lipp's II. von Spanien anordnete, wurde von dem ersten
Erzbischos von Bogota, Juan de los Bamos, iu Angriff ge-
nommeu. Zu dem heutigen Gebäude legte aber erst seinNach-
solger, Adames, am 12. März 1572 den Grundstein, woraus
mit mehrfachen Unterbrechungen ein erbärmliches Bauwerk
entstand, bis 1807 der Kapuziner Domingo Petrez nach
Der Tequendama-Fall.
Edouard Andrö's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
neuen Plänen wiederum zu bauen anfing und im Jahre
1823 die Kirche vollendet dastand. Die F^ade zeigt zwei
ziemlich stilvolle Stockwerke, das untere dorisch, das obere
ionisch. Das Innere ist 5300 Quadratmeter groß und ent-
hält mehrere Grabmäler, darunter das des Gouzalo Jimenez
deQuesada, des berühmten Eroberers des Neuen Königreiches
Granada, welcher 1597 in Mariqnita am Aussatze starb.
Außerdem besitzt Bogota, an Kirchen die der Santa Barbara
und de las Nieves, beide aus dem Jahre 1581, die des
H. Carlos von 1604 und die Kapuzinerkirche von 1778,
ferner vier Nonnen-, acht Mönchsklöster und acht Capellen,
darunter die von Gnadalupe und von Montserrate auf deu
Bergen über der Stadt.
Die 1603 in einem
Kloster der Predigermönche
errichtete Universität be-
wahrt die Ueberreste eines
Museums in einem erbarm-
lichen Zustande, darunter
das Panzerhemd und die
Sporen Quesada's, den
Mantel Atahualpa's und
eine sehr unzulängliche Bi-
bliothek. Einheimische Leh-
rer unterrichten dort mit
Eifer in den höheren Cur-
fen des Secnndär-Unter-
richtes, freilich bei der ge-
ringen Lernbegier der Be-
völkerung ohne viel Erfolg.
Was sonst noch die alte
Stadt auf dem Andes-Pla-
teau an Gebäuden anfzn-
weisen hat, ist in Kurzem
Folgendes: eiu durchaus
unbedeutendes Theater; das
seit langer Zeit und noch
immer in Bau befindliche
Congreßhaus; die schöne,
aber schlecht gehaltene
Sternwarte, ein Vermächt-
niß des berühmten Mntis,
von wo die von Humboldt
gesehenen Instrumente seit-
dem verschwunden sind;
zwei Spitäler, welche von
französischen Schwestern
vortrefflich geleitet werden;
drei Schulen; ein Gefäng-
niß; die Münze, ein altes
Gebäude, dessen Insassen Begonia
leider wenig zu thun haben;
der alte bequeme erzbischösliche Palast; die Statue Bolivar's
auf der Stelle des 1826 durch ein Erdbeben zerstörten vicekönig-
lichen Palastes und die Residenz des Präsidenten der Repu-
blik, ein gewöhnliches, seiner Bestimmung durchaus unwür-
diges Haus.
In letzter Zeit hat sich der öffentliche Unterricht bedeutend
entwickelt und namentlich scheinen die Mädchenschulen gut
geleitet zu werden.
Die herrschende Race in der Stadt ist die weiße, von
spanischem Blute; dazu kommen in den unteren Ständen
Mischungen mit den eingeborenen Stämmen. Die jungen
Bogotanerinnen, welche nicht zur „sociedad" gehören, sind
zierlich, mitunter hübsch, und ihr Sonntagsputz ist nicht
ohne Reiz.
Eine Eigentümlichkeit Bogotas sind die Gärten, von
welchen die vierte Abbildung eiue genaue Vorstellung giebt.
Das im patio der Häuser liegende Viereck wird durch recht-
winklig sich schneidende Gänge und Diagonalen getheilt; die
Gänge, mit viereckigen Thonplatten gepflastert, haben in der
Mitte eine Grube zur Aufnahme des Regenwassers. Der
Bestand an Pflanzen ist darin fast stets derselbe: Rosen-
sträucher blühen darin das ganze Jahr; in der Mitte steht
mitunter ein colnmbischer Nußbaum (Juglans Bogotensis)
mit schönen Blättern und großen Früchten, und sonst wach-
sen dort im bunten Durcheinander Levkojen, Fuchsien, Pelar-
gonien, Spargel (!), dreiblätteriges Eisenkraut, allerlei Mohn,
Schwertlilien, Bartnelken, blauer Rittersporn, Lupinen,
japanischer Spindelbaum,
Ringelblumen, Calla, Veil-
chen und immerblühende
chinesische Schlüsselblumen.
Ueberall wiederholt sich diese
Vorliebe für europäische
Blumen.
Ehe Andrs von Bo-
gota nach Süden aufbrach,
waren mancherlei Vorberei-
tnngen zu treffen, die Aus-
rüstung zu vervollständigen,
Manlthiere für das Gepäck
zu kaufen und erfahrene
Peone zn miethen. Auch
die Präparirung derSamm-
lnngen, die Sendungen nach
Europa und die Bericht-
erstattnug an den franzöfi-
fchen Unterrichtsminister er-
forderten mehrere Tage Ar-
beit. Sechs Lastthiere wa-
reit gekauft, die beiden
Reitthiere hatten sich erholt,
zwei Brüder, Timoteo und
Jgnacio Mendoce, waren
als Peone angeworben, und
am 2. Februar wurde der
nicht eben angenehme
Marsch über die trockene,
staubige, baumlose Ebene
nach Süden, zunächst nach
Soacha, angetreten. Die
eben aus dem Potrero ge-
holten Manlthiere zeigten
sich widerspänstig, wälzten
sich im Staube und ent-
flohen im Galopp, so daß sie immer von Neuem beladen
werden mußten. Obendrein nahmen die Frauen der beiden
Peone einen etwas langen Abschied von ihren Gatten, deren
Sinne durch reichlichen Chicha-Gennß umnebelt waren.
Das erste Nachtquartier wurde in So ach a gemacht,
einem 2570 Meter hoch gelegenen Hauptorte eines Bezirks
mit 3000 Einwohnern, berühmt als Fundort von Masto-
dontenknochen. Die dortige Herberge sah leidlich aus, aber
die Leute darin waren Spitzbuben: nicht nur verschwanden
den Reisenden mancherlei Gegenstände, sondern böswillige
Hände öffneten auch zur Nachtzeit den Corral, wo ihre
Maulthiere sich befanden, und ließen dieselben entkommen.
Nur gegen Bezahlung verstanden sich am andern Morgen
die höhnisch lächelnden Kerle dazu, den Entflohenen nachzu-
magnifica.
200 Die Kohlenbergti
setzen, und ehe dieselben wieder eingebracht waren, verstrichen
kostbare Stunden, so daß Andre nicht, wie er gewünscht, in
der Hacienda Teqnendama in der Nähe des gleichnamigen
berühmten Wasserfalles übernachten konnte, sondern nach
Ueberschreitnng des Rio Fnnza oder Bogota nur das Gehöft
Canoas erreichte.
Am folgenden Tage machten sie sich, sobald es hell wurde,
auf den Weg, um zu guter Zeit deu Fall zu erreichen und
ihil uoch iu seiner ganzen Schönheit zu sehen. Schou der
Weg dorthin war interessant. Anfangs fließt der Rio Fnnza
träge uud in großen Windungen südwärts über die kaum
geneigte sandige Ebene. Daun nähert man sich dem Ab-
stürz des Gebirges; der Fluß tritt in dieMchlucht, an deren
Eingang die Hacienda Teqnendama liegt uud nimmt gleich-
zeitig eine scharfe ostwestliche Richtuug au. Sein Lauf wird
immer schneller, und schäumend umrauscht er die Klippen,
welche vou deu Bergesabhängen herabgestürzte Felsblöcke
bilden. Die Vegetation, zuerst aus Gräsern, Bromeliaceen
und stachligen Compositen bestehend, wird allmälig üppiger
und mannigfaltiger. Schon von fern verkündet ein dumpfes
Tosen uud eiue im Westen zum Himmel aufsteigende Wasser-
dampfsänle die Stelle des mächtigen Kataraktes. Um neun
Uhr hatten die Reisenden den bewaldeten Abhang über dem-
selben erreicht und ließen nun ihre Thiere unter der Obhut
des einen Peon zurück, um durch ein dichtes Gehölz bis zu
dem Punkte hinabzusteigen, wo sich der Nio Fuuza mit einem
eiilzigen Satze 146 Meter tief hinabstürzt (der Niagara ist
nur 50 Meter hoch). In wenigen Augenblicken waren sie,
mit Händen und Füßen sich auf dem schlüpfrigen Boden
anklammernd, zwischen großen Baumfarnen, die von Wasser-
staub trieftet», zu der unter unseren Füßen zitternden Sand-
steiuplatte gelangt, über welche hinab der Fluß seinen Riesen-
stürz vollführt.
!ke von Heraklea. .
Zuerst ist man von dem Anblicke nicht sonderlich ergriffen,
weil man zn nahe daran steht. Erst wenn man über die
Unebenheiten der 50 Meter langen Platte hinabsteigt, über
deren Mitte drei Wasserstrahlen, darunter einer von 10 Me-
ter Breite, hiuwegschießen, werden einem die gewaltigen Ber-
Hältnisse klar. Das Wasser stürzt sich übrigens nicht nn-
mittelbar in die Tiefe, sondern schlägt erst auf eiue zweite
Platte 8 Meter unter der ersten auf, mit dann mit riesigem
Bogen iu die Tiefe zu fallen, die noch von niemandem genau
ergründet wordeu ist, weil sie sich iu dem dichteu Wasser-
dampse verliert. Die Ränder der Schlncht sind nur Mor-
gens, ehe der Mittagsnebel die ganze Landschaft umhüllt,
sichtbar. Wenn sich die Farben des Prismas ans dieser
weißen Oberfläche abzeichnen und das polarisirte Licht in dem
Nebel eine Reihe von Regenbogen bildet, ist der Effect ein
zauberischer, und mit Recht gilt der Fall von Teqnendama
für eines der größten Naturwunder in Südamerika.
Die absolute Meereshöhe des Kopfes des Wassersalles
betrügt 2467 Meter; die unaufhörlich durch deu Wasserstaub
erfrischte Temperatur ist häufig niedriger als in Bogota.
Die Höhe des Falles ist öfters gemessen worden: sie beträgt
nach Mntis 212,75 Meter, nach Ezqniaqni 220,67 Meter,
nach Humboldt 177,12 Meter (iu seinen Briefen), 182,88
Meter (veröffentlichte Messung), nach Caldas 183,48 Meter
und schließlich uach Barou Gros' wiederholten sorgfältigen
Beobachtungen 146 Meter.
Auf dem vom Falle benetzten Felsen wächst ein merk-
würdiges Podostemon, vou welchem Andr« unter dem obern
Theil des Kataraktes selbst Proben gesammelt hat, ebenso
die Gunnera scabra mit ihren riesigen, runzeligen Blättern
und die Begonia magnifica mit herrlichen scharlachrothen
Blüthen, welche sie zu einer der schönsten Species des gan-
zen Genus machen.
Die Kahlenberg»
An der asiatischen Küste des Schwarzen Meeres liegt
etwa 130 engl. Meilen von der Mündung des Bosporos
ein ausgedehntes Kohlenfeld, welchem in Zukunft vielleicht
ein wesentlicher Einfluß auf das Gedeihen der Türkei be-
schieden ist. Die Kohle zeigt sich zuerst etwa 10 engl. Mei-
len östlich von der Stadt Heraklea (Eregli) und dauu auf
eiue Entfernung von 55 Meilen in den Bergen längs der
Küste in größeren oder geringeren Mengen und in nnregel-
müßigen Zwischenräumen. Jenseits des Vorgebirges von
Amassera ist sie nicht nachgewiesen. Reiche Lager finden
sich noch 7 bis 8 Meilen landeinwürts vom Meere, aber
weitaus die meisten bekannten liegen unmittelbar an demsel-
den oder nur 1 bis 2 Meilen davon entfernt, und zwar die
hauptsächlichsten iu den Thälern von Kosln, Znngeldek (Sun-
gnldeik) und Kilnmli, welche sich, alle innerhalb einer Eni-
seruung vou 30 engl. Meilen, nach der Küste zu össnen.
Diese Lager zeigen alle charakteristischen Eigenschaften der
echten Kohlenformation und die Qualität ihres Productes
ist meistens gnt, wenn dasselbe auch bei einigen durch dariu
enthaltene Unreinigkeiten für die Erzeugung von Dampf
ungeeignet ist. Diese dem Anschein nach gute Kohle ist oft
mit der wirklich brauchbaren vermischt worden uud hat die
Heraklea-Kohle unverdienter Weise in schlechten Ruf gebracht.
Die Landschaft, in welcher die Gruben liegen, ist gebir-
gig: eiue Bergkette zieht in einer Entfernung von 2 bis
rke Vau Heraklea.
4 Meilen der Küste parallel, und von ihr zweigen sich
unter rechtem Winkel Seitenäste ab, welche schroff zum Meere
abfallen. Zwischen deuselbeu liegen Thüler, deren sandige
Mündungen eine halbe bis eine engl. Meile breit sind, wtth-
rend sie ein, zwei Meilen weiter aufwärts bloße Gießbäche
vorstellen. An den schroffen Abhängen dieser Schluchten
treten die zahlreichen Kohlenlager meistens zu Tage; ihre
Mächtigkeit beträgt 3 bis 14 Fuß. Selten oder nie sind sie
horizontal, vielmehr unter 45 Grad gegen deu Horizont ge-
neigt, mitunter sogar stehen sie völlig senkrecht. In der
Regel streichen die Schichten nach Nordosten, sind aber sehr
verworfen, so daß kohlenleere Stellen häufig sind und der
regelmäßigen und billigen Ausbeutung der Lager große Hin-
dernisse entgegenstellen. Selten kann man eine Schicht 100
Faden weit abbauen, ohne auf solchen „Fehler" zu stoße«,
so daß um das Lager wieder zu erreichen die Anlage kost-
spieliger Gallerien oder Gänge nöthig ist. Das System,
nach welchem die Minen bearbeitet werden, ist complicirt.
In ihrer Nähe hat sich eine Bevölkerung von 400 bis 500
Leuten angesammelt, welche insgesammt „Kroaten" heißen
und mit Ausnahme einiger Lazen aus der Nähe von Batnm
alle aus den Küstenländern des Adriatischen Meeres stam-
men. Es sind christliche und mohammedanische Albanesen,
Montenegriner, österreichische Uuterthaueu aus Cattaro, die
sich wenig von den Montenegrinern unterscheiden, Bosnia-
Die Kahlenbergs
ken u. s. w. Unter ihnen finden sich einflußreiche Männer
oder Häuptlinge, Kroat-Baschis genannt. Hat ein solcher
ein Kohlenlager entdeckt oder in irgend einer Weise in Be-
sitz genommen, so bearbeitet er es auf seine Kosten und lie-
sert die gewonnene Kohle zu einem bestimmten Preise
— etwa 10y2 Mark — der Regierung an die Küste. Zwar
ist das Kohlenlager im Privatbesitze des Sultans und seiner
nächsten Verwandten; doch haben die Kroat-Baschis allmälig
mehr oder weniger bestrittene Anrechte darauf erworben,
kraft des Entdeckerrechts, darauf verwendeten Geldes, Kaufes
von einem andern und letzthin auch durch Kauf von der Re-
gieruug vermittelst der Localbeamten; nur müssen sie alle
gewonnene Kohle der Regierung verlausen.
Der Eigenthümer einer Mine bearbeitet dieselbe, wenn
und wie es ihm beliebt, so lange, als er nicht die Rechte eines
andern Besitzers verletzt. In Folge dessen ist die Kohle
überall etwa 70 bis 100 Faden tief längs der Bergabhänge
abgebaut worden, und immer mehr zeigt sich die Nothwen-
digkeit, mit Hülfe größerer Kapitalien Gänge anzulegen, um
die Kohlenschichten in größerer Tiese zu erreichen und aus-
zubeuten. Binnen Kurzem wird das die einzige Art und
Weise sein, an die Kohle zu gelangen, wenn man nicht die
weiter landeinwärts befindlichen Lager in Angriff nehmen
will, was bis jetzt wegen der Schwierigkeit, das Prodnct an
das Meer zu schaffen, unterblieben ist.
Die Kroate» sind bei allem Mangel an Civilifation und
Bildung doch flink uud anstellig und haben sich während des
Krimkrieges mancherlei Verbesserungen im Bergwerksbetriebe
von den Engländern angenommen. Die Arbeiter sind leid-
lich fieißig, erwerben täglich 2^ bis 3 Mark, leben einfach,
bewohnen dürftige Hütten an den Bergabhängen und ver-
wenden, so Christen wie Mohammedaner, ihr Geld auf schöne
Kleider, Waffen, Pulver und Getränke. Meist sind sie den
Kroat-Baschis, welche Waarenlager halten, tief verschuldet.
Ihre Streitigkeiten fechten sie in Zweikämpfen aus und sind
zu Mordthaten geneigt. Wenn Montenegro mit der Türkei
Krieg führt, so kehren alle Montenegriner in ihre Heimath
zurück, und wenn sie nach dem Friedensschlüsse noch am
Leben sind, so kommen sie wieder, um von ihren Gruben
wieder Besitz zu nehmen oder für ihre Häuptlinge zu arbeiten.
Die Kroaten sind alle Kohlenhauer, d. h. arbeiten mit
der Pike; eine Schaufel rühren sie nicht an und erniedrigen
sich auch nicht soweit, daß sie die Kohle aus dem Innern der
Grube nach der Oberfläche tragen. Das besorgen die durch-
weg mohammedanischen Bauern, welche in einem Umkreise
von 30 engl. Meilen und mehr um die Gruben wohnen.
Dieselben arbeiten nicht beständig daselbst, sondern abthei-
lungsweise, und zwar jede Abtheilung nominell zwölf Tage
lang. Unter der Regierung Abdul Medschid's war diese
Arbeit obligatorisch; Sultan Abdul Aziz aber hat alle Frohn-
den mit Ausnahme der Kriegszeiten abgeschafft. Krieg in-
dessen kommt in einer oder der andern Gestalt häufig in
der Türkei vor, und soviel ist gewiß, daß die Dorsvorsteher
auch jetzt noch stets Mittel und Wege finden, ihre Bauern
zur Frohnarbeit in den Gruben zu bringen. Dieselben sind
sehr unterwürfig und gelehrig und arbeiten in völliger Un-
terthänigkeit gegen die Kroaten, von welchen sie sast wie
Sklaven auf Zeit angesehen werden; dabei aber hassen sie
die Arbeit und suchen sich ihr unter allen möglichen Vor-
wänden zu entziehen. Nominell erhalten sie täglich von den
Kroat-Baschis einen Lohn von circa 90 Pfennigen, thatfäch-
lich aber bekommen sie davon nichts zu sehen. Angeblich
wird er dem Dorfvorsteher gezahlt, welcher ihn seinerseits
angeblich der Regierung als Steuerbetrag des Dorfes über-
mittelt. In Wirklichkeit ist die Sache viel verwickelter. Die
Regierung schießt dem Kroat-Baschi Geld ans geförderte, aber
Globus XXXIV. Nr. 13.
ke von Heraklea. 201
noch nicht abgelieferte Kohle vor; dieser zahlt dem Dorfvor-
steher (Mnktar) Geld, wofür letzterer eine bestimmte Anzahl
Arbeiter zu stellen verspricht. Nun kommt es häusig vor,
daß der Muktar entlassen wird und sein Nachfolger von der
ganzen Verabredung nichts wissen will, in Folge dessen im
ganzen Bezirk nichts wie Verschuldung, Schwierigkeit und
Verwirrung herrscht. Neben der Grubenarbeit müssen die
Bauern auch uoch alles in den Minen gebrauchte Bauholz
schlagen und zur Stelle schaffen, fowie die gewonnene Kohle
auf ihren Maulthiereu und Eseln an die Einschissungsstellen
oder Pferdebahnen transportiren.
Während des Krimkrieges erhielt die englische Regierung,
wenn auch erst nach einem heftigen Wortwechsel zwischen
ihrem Gesandten Lord Stratsord de Redcliffe und dem Sul-
tan Abdul Medschid als Besitzer, die Erlaubniß zur Ausbeu-
tung des Kohleulagers. Pferdebahnen wurden in den Thä-
lern angelegt und kleinere Schienengeleise in viele Gruben
geführt, ferner Entladestellen an der Küste errichtet und durch
regelmäßige Bezahlung der Arbeiter rege Thätigkeit hervor-
gerufen und zufriedenstellende Resultate erzielt.
Nur bei ganz ruhigem Wetter, d. h. nur während der
Sommermonate, kann Kohle verschifft werden. Die Küste
ist sehr steil und exponirt, und es würde sehr kostspielig sein,
einen oder mehrere Häsen anzulegen, denn es giebt keine
Vorgebirge, welche man dabei benutzen könnte, und das Was-
ser ist schon dicht am Ufer tief. Andererseits machen die
Gebirge, welche 20 Miles weit, Kette neben Kette, die Gru-
ben umgeben, die Anlage einer Eisenbahn dorthin factifch
unmöglich. In keinem Jahre sind mehr als höchstens
120 000 Tonnen Kohlen gewonnen worden, deren jede der
Regierung, wenn nach Konstantinopel geliefert, augeblich
16 Mark — in Wahrheit aber viel mehr kostet.
Die Gegend rings um den Grubenbezirk ist sehr schön;
die Berge sind vom Fuße bis zum Gipfel mit Bäumen, meist
Buchen, bedeckt und weite Strecken sind mit üppigen Rhodo-
dendren bewachsen. Wo die Gegend offner ist, gedeihen die
hier einheimischen Wallnuß-, Aepsel-, Birnen-, Mispel-,
Kirsch- und andere Fruchtbäume, während die Ufer der Ge-
Wässer oft meilenweit mit 30 bis 40 Fnß hohen Bnxbänmen
eingefaßt sind. In den Wäldern leben zahlreiche wilde
Schweine, welche in den Feldern der armen Bauern oft große
Verwüstungen anrichten. Rothhirsche werden, wenn im Win-
ter hoher Schnee liegt, oft lebendig gefangen. Bären sind
nicht selten; die Kroaten schießen in jedem Winter mehrere,
essen das Fleisch und benutzen das Fett zu Küchenzwecken.
Der Fasan ist einheimisch, wird aber selten gesehen. Viele
der in den Städten wohnenden Türken halten Falken, die
mit Kappen, Wurfriemen, Glocken n. s. w. ausgestattet sind
und bei der Jagd auf rothbeinige Rebhühner, die auf ange-
bauten Stellen ziemlich häufig sind, benutzt werden. Scha-
kale sind so häufig, daß ihr nächtliches Geschrei überaus lästig
fällt. Im Winter ziehen hier viel Schnepfen von Norden
her durch, und im Frühling werden auf den Klippen am
Strande Taufende von Wachteln mit Netzen und Laternen
gefangen.
Die Bauern wohnen in hohen zweistöckigen Blockhäusern
in wenigen, zerstreut liegenden Dörfern; den obern Stock
bewohnen die Menschen, den untern das Vieh. Polygamie
ist allgemein verbreitet. Die Frauen bebauen das Land,
während die Männer Holz schlagen und transportiren und
in den Gruben arbeiten. Es sind ruhige, gutmüthige, unter-
würfige Leute, welche den Eindruck machen, daß sie in hoss-
nungslose Armuth uud Elend versunken sind. Dagegen sind
die Osmanli in den Städten gut genährt und gekleidet und
behandeln die „Türk", d. h. die Landlente, mit Verachtung.
Aber dabei gehen aus letzteren die Soldaten hervor, welche
26
202 Geographisches und Ethnograph
Plewna vertheidigteu, aus den städtischen Osmanli dagegen
die zügellosen Baschi-Bozuks.
Das Klima der Südküste des Schwarzen Meeres ist zehn
Monate lang gut und gesund. Im Juli und August aber
ist die Hitze groß und Tertiausieber weit verbreitet. In der
Umgebung der Gruben entgehen demselben nur wenige, gleich-
viel ob Fremde oder Einheimische, obwohl es keine Sümpfe oder
sonstige offenbare Gründe für das Vorhandensein der Ma-
laria giebt. Zeitweilig verschwindet der Anfall vor einer
starken Dosis Chinin, kehrt aber ntit unverminderter Heftig-
keit immer wieder und wieder, felbst nach Verlauf von Iah-
reu, wenn man es am wenigsten erwartet. Es foll dem so-
genannten Campagna-Fieber bei Rom ähnlich sein.
Der Winter ist mild, und das Thermometer sinkt selten
unter den Gefrierpunkt. Dagegen fällt viel Schnee, so viel,
daß jeder andere Verkehr, als auf Schneeschuhen, die von
allen Bauern getragen werden, unmöglich wird. Zn solcher
hes von der British Association.
Zeit schießt man die Bären und Wildschweine und fängt die
Hirsche und Rehe; letztere werden selten geschossen, da ihnen,
wenn sie für denMufsulman genießbar sein sollen, bei leben-
digem Leibe die Kehle durchschnitten werden muß. Schnee
auf den Bergen und Stürme auf der See machen zuweilen
die Zufuhr von Lebensmitteln nach den Gruben und selbst
den Verkehr mit Heraklea Wochen lang unmöglich. Mehr-
mals ist die Grubenbevölkerung thatsächlich von Hungersuoth
bedroht gewesen. Alsdann ruht alle Arbeit in den Gruben;
denn durch nichts läßt sich dann der Bauer zurückhalten und
die Kroaten arbeiten ohne dieselben nicht, weil niemand da
ist, um den nach ihrer Ansicht unanständigen Theil der Grn-
benarbeit zu besorgen. Um die Kohlengruben von Heraklea
ertragreich zn machen, ist Geschick in der Bearbeitung, Kapi-
tal zu ihrer Eutwickeluug und eine ansässige Bevölkerung
zum Ersatz der türkischen Bauern uubediugt erforderlich.
(Nach „The Mail" vom 26. August 1878.)
Geographisches und Ethnographi
F. R. Die diesjährige Zusammenkunft der British Associa-
tion in Dublin hat sich besonders reich gezeigt an Mitthcilnngen,
welche in die Gebiete der Geographie, Anthropologie und
Ethnographie einschlagen uud die das hervorrageude Interesse
bekunden, das gerade diese Wissenschaften gegenwärtig erwecken.
Treffend hob Huxley in seiner einleitenden Ansprache in
Section D. (Anthropologie) die Veränderung hervor, die
gerade in der Stelluug der Anthropologie im Kreise der
Naturwissenschaften stattgefunden hat. Vor 20 Jahren war
es gefährlich, den fossilen Menschen zu erwähnen, und Spe-
cnlationen über die Einheit oder Vielheit der Racen, ihre
Verwandtschaften:c. wurden von Vielen als unwissenschaftlich
angesehen. Heute hat sich dieses soweit geändert, daß die
anthropologische Subsection eine der besuchtesten des ganzen
Congresses und in manchen Beziehungen, vorzüglich durch
die Heftigkeit uud das allgemeine Interesse der Debatten, die
in ihr stattfinden, der geologifchen Section, wie diese vor
20 und 30 Jahren war, ähnlich geworden ist. Huxley
meinte, es gebe in diesen Congressen, wie anf der Erde selbst,
immer gewisse Störungsmittelpunkte, an denen besonders
heftige Bewegungen zu Tage treten. Ein solches Centrum
vulcanifch lebhafter und weithin empfundener Discussionen
sei einst die geologische Section gewesen, habe aber seitdem
aufgehört es zu sein. So wie hente in der Geologie Sätze all-
gemein angenommen seien, welche vor einigen Jahrzehnten
von einer großen Zahl der Gelehrten uud Ungelehrten für
nicht bloß unbegründet, fondern auch für gefährlich gehalten
worden seien, so würden hoffentlich anch manche Aufstellungen
der Anthropologen, die aus dieser Subsection einen neuen
und sehr bemerkbaren Störungsmittelpunkt gemacht haben,
ohne Gefahr für Wissenschaft und Leben zur allgemeinen
Anerkennung gelangen. Uebrigens seien seit den 20 Jahren,
in denen es eine wissenschaftliche Anthropologie gebe, die
Fortschritte bereits erheblich, und selbst so heftig angefochtene
Sätze, wie der von der structnrellen Aehnlichkeit zwischen Assen
und Menschen, welche deu Unterschied zwischen diesem und
den höchsten Affen als geringer erkennen lassen wie denjeni-
gen, der die höchsten nnd niedersten Assen trenne, sei jüngst
von dem ansgesprochenen Anti-Darwinisten Quatrefages au-
erkannt worden. Aehnliches könne man von anderen Punk-
ches von der British Association.
ten constatiren. Vorzüglich hob Huxley auch die Fortschritte
in der Methode der anthropologischen und vorgeschichtlichen
Forschung hervor, wie sie sich z. B. in der Entwickelung der
Methoden der Schädelmessnngen deutlich auspräge. In
Bezug auf letztere machte Flowers eine Mittheilung, die
den Gehirnwägnngen, wegen der mannigfaltigen Beeinflns-
snngen des Gehirngewichtes durch allgemeine Constitution,
Gesundheitszustand :c. der Individuen, jeden Werth für die
Vergleichung absprach. Die eiuzige sichere Methode zur
Bestimmung der Gehirngröße sei die Messung des Schädel-
Hohlraumes, welche am besten nach Bnsk's Vorschrift ver-
mittelst angefeuchteter Samenkörner (welcher?) vorgenommen
werde, die in den Schädel gepreßt und dann ebenfalls unter
Druck in einem gradnirten Glasgefäße gemessen würden.
Burton legte Steinwerkzenge aus Aegypten und
dem Lande der Midianiter vor, unter anderen Steinwerkzeuge
aus eiuem Köuigsgrab. Auch Kauris werden in alten Grä-
bern gefunden. Die durch in der Souueuhitze zersprungene
Kieselknollen entstehenden „Feuersteinmesser" sind ihm zn-
folge von den von Menschenhand geschlagenen zu unter-
scheiden, aber die Beduinen haben sich in jüngster Zeit anf
die Herstellung der letzteren geworfen und ist in Folge dessen
Vorsicht bei der Sammlnng derselben geboten. Anch über
die arabischen Bewohner von Midian machte Burton
einige Angaben; unter Anderm hob er ihre Gewohnheit her-
vor, den Schädel der Neugeborenen einer Pressung zu unter-
werfen uud den Körper theilweife zu tättowireu. Von der
letztern Sitte meint er, aber wohl mit Unrecht, daß sie ihren
Ursprung in dem Wnnfche nach Abhärtung der Haut bei
Unzulänglichkeit der Kleidung besitze. Ihre Lebensdauer ist
in Folge der Strapazen, der ungenügenden Ernährung, des
Mangels an Reinlichkeit und der beständigen Kämpfe unter-
einander nicht groß. Blattern sind häufig; der Blatternkranke
wird in einer abgelegenen Hütte quarautäuirt, Speise und
Trank werden ihm mit einem Stocke zugereicht uud nur sein
Weib oder sonstige weibliche Verwandte theilen manchmal
seine Abgeschiedenheit. Als die hervorragendsten Charakter-
züge nennt Button: stark entwickelten Verwandtschafts- und
Stammessinn, Kampflust, Nachsucht, Argwohn. Den Tür-
keu wird es, ihm zufolge, nie gelingen, diese Bevölkerung zu
Geographisches und Ethnographisches von der British Association.
203
unterwerfen, wiewohl dieselbe ihre Zahl stark übertreibt, um
desto höhern Wegzoll von den Pilgern zu fordern, welche
durch ihr Gebiet ziehen.
EinRev. Grisfin machte Mittheilungen über eine aus-
sterbende Bevölkerung auf der Grenze von Hiudostau
und Bhutan, Fotos genannt, der er Negermerkmale zu-
schreibt und welche er als Neste der einstigen Bevölkerung
des Gaugesthales betrachtet wissen möchte, die von den
Ariern in die Berge getrieben worden wären. Ihre Sprache
soll den Nachbarn unverständlich sein; über ihren Glauben
ist nichts Verläßliches zu erfahren, doch beobachten sie nicht
die Speisegesetze der Hindus. Sie haben Ueberlieferuugen,
welche anzudeuten scheinen, daß sie von einer höhern Stufe
der Cultur herabgestiegen sind. Die unverhältnismäßig ge-
ringe Anzahl ihrer Frauen macht ihr Aussterben nur zu einer
Frage der Zeit.
Prof. Wilson von der Toronto University sprach von
der Schaffung neuer Menschenvarietüten, vorzüglich
durch Mischung, wobei er die canadischen Raeenverhältnisse
näher beschreibt. In der Colonie Manitoba, wo vorzüglich
Mischlinge von Indianern und Weißen leben, ist eine bemer-
kenswerthe Mittelform beider Raceu in der Entwickelnng
begriffen. Sehr richtig hob der Redner hervor, daß man
oft geneigt sei, die Menge des Jndianerblntes zu unterschätzen,
welches in den Adern der jetzigen amerikanischen Bevölkerung
fließe. Die Mischung gehe in Canada noch heute in großen:
Maßstabe vor sich uud ebenso sei die Zahl der Mestizen in
den Vereinigten Staaten, vorzüglich im Westen, größer als
gewöhnlich angenommen werde. Jedenfalls werde der In-
dianer, wenn er auch zum Aussterben vernrtheilt sei, unver-
wischbare Spuren in Körper uud Geist der weißen Amerikaner
zurücklassen, die an seine Stelle träten.
^ In der geographischen Section sprach Sir Wyville
Thomson in seiner einführenden Rede von den neueren
geographischen Entdeckungen und Veröffentlichungen, widmete
aber glücklicherweise den größten Theil der Zeit, die ihm ver-
stattet war, einer Darlegung des heutigen Standes der Tief-
seesorschungen, welcher wir folgende Angaben entnehmen:
die unterseeischen Temperaturmessungen haben in einem neuen
Thermometer von Negretti und Zambra ein Instrument
erhalten, wie man es bis heute oft wünschte, aber nie her-
zustellen vermochte. Prof. Mohn hat dasselbe bei seinen dies-
jährigen Messungen bereits erprobt und zwar zur Zufrieden-
heit. Es ist dieses ein Umdrehungsthermometer, so gebaut,
daß die Temperatur irgend einer Wasserschicht gemessen und
an der Scala festgelegt wird, ohne jede Beeinflussung durch
die Temperatur der Schichten, feien sie höher oder niedriger,
welche das Instrument bei seinem Herabkommen zu durch-
sinken hatte. Besonders in den arktischen Meeren, wo häufig
CUlc kälteste Schicht au der Oberfläche liegt, welche ihrerseits
on der kalten Schicht der größer» Tiefe durch eine warme
gc rennt ist, wird dieses Instrument von großem Nutzen sein.
as die Theorie der Verkeilung der Wärme in den Mee-
yU aubelangt, so findet W. Thomson, daß alle neueren Stu-
diesem Betreff die Annahme einer kalten antarktischen
, ^^^asse bestätigen, welche am Grunde von Süden her
a Cl .^'cr den Aeqnator hinaus zuugenförmig im Atlantischen,
tjcheit und Stillen Ocean sich vorschiebt. Er bleibt bei
inner schon früher geäußerten Ansicht stehen, daß die Ursache
leftr auf den ersten Blick so ganz abnormen Verschiebung
u >.ein Ueberwiegen der Verdunstung in der Nordhemisphäre
und des Niederschlages in der südlichen zu suchen sei, so daß
also der große Kreislauf des Wassers theils durch Verdunstung
in der Atmosphäre (in der nördlichen), theils durch laugsames
Strömen in den Meerestiefen (in der südlichen Hemisphäre)
bewirkt wird. Hinsichtlich der Tiefseesauua macht er das
schwerwiegende Geständniß, daß die Beziehungen derselben
zur Fauna der älteren tertiären und jüngeren mesozoischen
Meere nicht so innig seien wie er früher geglaubt habe,
wiewohl sie immer noch bedeutend größer erscheinen als die
der Seichtmeersauna. Die Bearbeitung der einzelnen Thier-
classen und überhaupt der Resultate der Challenger-Expedition
schreite rüstig fort. Der Bericht werde, soweit sich absehen
lasse, 14 bis löQuartbände zu 500 bis 600Seiten, 1200
Tafeln und viele Karten und Photographien einnehmen.
Der 1. uud 2. Band (Beschreibung und Magnetismus) werde
iu Kürze fertig gestellt sein. Von den Thieren schreiten die
pelagischen Geschlechter unter Holdich und die Radiolarien
unter Häckel rasch voran; Moseby wird die Tiesseekorallen,
A. Agassiz die Echinideu bearbeiten. Der Grundstock der
Sammlungen wird der Universität Edinburgh verbleiben,
während das britische Museum die Sammlung von Dupli-
caten erhalten wird. Zahlreiche Duplicate werden außerdem
an einheimische und fremde Museen versandt werden. Auch
über die Resultate der Nord- und Südpolarforschungen
äußerte sich W. Thomson, wobei er in Bezug auf das Nord-
polarbecken sehr richtig hervorhob, wie es endgültig weder
als nnt Eis erfüllt noch als Bett eines offenen Meeres,
sondern als ein unglückliches und unberechenbares Mittelding
zwischen beiden sich darstelle, desseu Beschissuug ebenso schwie-
rig sei als seine Vereisung (im Winter) mit Schlitten. Hin-
sichtlich der Südpolarländer sprach er die Meinung aus, daß
die weiten unerforschten Gebiete derselben nicht ein einziges
Südpolarland seien, sondern vielmehr ans Abwechselung von
größeren und kleineren Landmassen bestehe, welche durch eine
Eiskappe von durchschnittlich 400 Meter Dicke bedeckt und
theilweise sogar durch dieselbe mit einander verbunden seien.
Die Eisberge der Südpolarregionen, soweit sie dieselben im
„Challenger" beobachtet hätten, seien plattenartig flach. In
der Eisdecke dieser Länder, könne man annehmen, müsse unter
dem gewaltigeu Druck die Schmelzung des Eises beständig
vor sich gehen und das Wasser werde, der Schwerkraft fol-
gend, von Schicht zu Schicht sinken und endlich zwischen dem
Eis und dem Grunde sich Canäle graben.
Dr. Rae empfahl in einem Vortrag über den bestell
Weg zum Nordpol die Spitzbergeuseeu und verwarf ent-
schieden den Weg durch den Smith-Sund. Ueber die Er-
öffnnng Ostafrikas vomZambesi her gab I. Stevenson
einige Notizen, unter Anderm daß ein Portugiese von seiner
Regierung das ausschließliche Recht der Dampfschifffahrt auf
dem Zambesi und dem Schire für 30 Jahre erlangt habe,
und daß die dortigen portugiesischen Behörden durch einen
drückenden Tarif den Handel mit dem Innern zu lähmen
suchten. Seit 1877 habe vertragsmäßig der Sklavenhandel
an dieser Küste aufzuhören und sei gegenwärtig ein Schiff
unterwegs, das die portugiesische Regierung ausgesandt habe,
um dieser Vertragsbestimmuug Wirkung zu verschaffen. Die
Schifffahrt zwischen dem Zambesi und dem Nyassa-See ist
unterbrochen durch 100 Kilometer lange Stromschnellen,
oberhalb deren der Dampfer der neugegründeten Glasgower
Handelsgesellschaft „Livingstonia" den Verkehr besorgt.
26*
204
Holländer und Engländer in Südafrika.
Holländer und Engl
Die Boers sehen es nicht gern, wenn sich Engländer in
ihrer Nähe ansiedeln, und wo sich in einer Gegend allmälig
eilte größere Anzahl von solchen festgesetzt hat, pflegen die
Boers ihre dort gelegenen Farmen gern zu verkaufen und
in eine andere Gegend zu ziehen, wo sie wieder mehr unter
sich sind. Die gesellschaftliche Scheidung zwischen der hol-
ländischen und der englischen Nace fängt schon in Capstadt
an und geht von da sehr sichtbar durch die ganze Capcolonie
hindurch, sich in den beiden (jetzt auf einen znsammengeschmol-
zenen) Freistaaten lebhaft fortsetzend.
Das englische Element ist in der Regel hauptsächlich in
den Dörfern und Städten vorhanden; sein Einslnß hört aber
vollständig auf, sowie man auf das platte Land kommt.
Hier sind das holländische Element und die holländische
Sprache durchaus vorherrschend, und überhaupt ist die letz-
tere als allgemeine Landessprache viel weiter über ganz Süd-
afrika, namentlich auch unter den Eingeborenen, verbreitet
als die englische. Englische Sprache und Gesellschaft sind
nur in der östlichen Hälfte der Capcolonie sowie in den
größeren Städten (in Capstadt nur theilweise, vollständig
aber in Port Elisabeth, East London, Grahamstown, Queens-
town u. s. w.) vorherrschend. Auch in Bloemsontein gewinnt
das englische Element immer mehr und mehr an Terrain,
wie deutlich aus dem einen Umstände zu ersehen ist, daß in
der Hauptstadt einer holländischen Republik die amtliche
Sprache für den (ans dem Wege der Auction stattfindenden)
alltäglichen Marktverkauf seit zwei Jahren nicht mehr die
holländische, sondern die englische ist!
Die höheren Erziehungsanstalten in den größeren Städten
sind fast alle englisch, und dies trägt hauptsächlich zur allge-
meinen Verbreitung der englischen Sprache als Hauptsprache
der gebildeten Classen bei. Ganz auf dieselbe Art hat ja
früher die französische Sprache im Elsaß die deutsche Landes-
spräche nach und nach aus den höheren Gesellschaftskreisen
verdrängt und zur plebejischen Sprache der niederen Stände
degradirt. Die Universität in Capstadt (eine Universität
nur in englischem Sinne, die bloß examiuirt und Grade
ertheilt), die Gymnasien und höheren Töchterschulen daselbst
und in Grahamstown und Bloemsontein sind sämmtlich spe-
cisisch englische Aitstalten. Alle die jungen Holländer asri-
kanischer Abstammung (hier Asrikanders genannt), welche die
Rechte, Mediän und Naturwissenschaften studiren wollen,
können dies nur in englischen Instituten thun. Nur für die
Theologen der holländisch-reformirten Kirche besteht in Stellen-
bosch bei Capstadt seit 1859 ein holländisches Seminar, das
dieselben der früher bestandenen Notwendigkeit überhebt, ihre
Studien auf einer der Universitäten im holländischen Mutter-
lande zu absolviren.
Forscht man nach der Ursache der socialen Scheidung
zwischen der holländischen uud der euglischeu Bevölkerung,
so findet man, daß dieselbe weniger in persönlichen oder na-
tionalen Antipathien ihren Grund hat (denn die Charaktere
des Holländers uud des Engländers sind ja nicht sehr wesent-
lich verschieden und passen im Grunde ganz gut zu einander),
als vielmehr in der langjährigen schlechten Behandluug, welche
die holländischen Colonisten in Südafrika durch die englische
Regierung zu erdulden hatten.
Die englische Regierung in Capstadt hat seit der gewalt-
samen Annexion der Capcolonie im Jahre 1795 nur wenig
Inder in Südafrika.
gethan, um sich bei den Colonisten beliebt zu machen. Am
allermeisten aber hat sie sich seit dem Jahre 1834 verhaßt
gemacht, indem sie ohne alle vorbereitenden Schritte die
Sklavenemancipation in der Colonie proclamirte und rück-
stchtslos durchführte und dadurch die blühende Colonie ihres
ersten Bedürfnisses: billiger und stets disponibler Arbeits-
kräfte, beraubte. Die Emancipation hat die früher obliga-
torisch zur Arbeit genöthigten, an Fleiß und Gehorsam ge-
wöhnten Farbigen zu einem großen Theile zu indolenten,
selbstgenügsamen und aufgeblasenen, ungehorsamen und dem
Trünke ergebenen Faulenzern gemacht.
Das Gouvernement versprach den holländischen Colonisten
für die Emancipation ihrer Sklaven eine gewisse Geldentschä-
digung zu gewähren, hat diese Summe ihnen aber niemals
voll ausgezahlt! Gegen die infolge der Emancipation das
Land zahlreich durchstreifenden schwarzen Vagabunden und
Viehdiebe wurde den Colonisten jede Selbsthülfe auf das
Strengste verboten, ohne daß die Regierung ihrerseits das
Mindeste that, um nun selbst sie gegen jene Strolche zu
schützen.
Tausende von holländischen Bauern verließen infolge dessen
vom Jahre 1836 an ihre früher so blühenden Farmen und
suchten mit ihren Viehherden jenseits des Oranjestromes itub
in der heutigen Provinz Natal neue Wohnplätze, indem sie
die harte Arbeit in der gefahrvollen Wildniß dem fortgesetz-
ten Unterthanenverhältniß gegen eine so unverständig han-
delnde und ihre Interessen so mit Füßen tretende Regierung
vorzogen. (Es folgt nun eine Darstellung, wie die Boers
die Republiken Oranje-Freistaat, Natal uud Transvaal grün-
deten, und wie dann die englische Regierung die Früchte ihrer
Arbeit und Mühe ihnen regelmäßig gewaltsam wieder ab-
nahm, indem sie 1842 Natal, 1845 die Oranje-Republik
(zunächst bis 1854), 1871 die der Oranje-Republik gehören-
den Diamantenfelder und eudlich 1876 Transvaal annectirte,
so daß jetzt nur noch der Oranje-Freistaat existirt.)
Unter Präsident Brand (seit Februar 1864) ist letzterer
unbedingt der bestregierte Staat Südafrikas geworden, ein
wahrer Modellstaat für alle umliegenden Nachbarländer. Er
hat eben deshalb, namentlich durch die beispiellose Billigkeit
seiues gesammteu Regierungsapparates und die strenge Ehren-
haftigkeit seiner republikanischen Leiter, schon seit einem Jahr-
zehllt eine solche gewaltige Anziehungskraft auf die hollän-
dische Bevölkerung der angrenzenden englischen Capcolonie
ausgeübt, daß Tausende von Familienvätern ihre dortigen
Farmen im Stiche ließen und nach dem Freistaate emigrir-
ten, um für die unsympathische, übermäßig bnreankratisch
complicirte und theuere, negerhätschelnde und negerverziehende
englische Administration eine einfache uud billige, heimische
nationale Regierung und gute vernünftige Gesetze zum Schutze
gegen die barbarischen schwarzen Eingeborenen einzutauschen.
Infolge desseu besitzt der Oranje-Freistaat ans seinem Gebiet
von 2000 deutschen Quadratmeilen (also gleich dem Flächen-
inhalte von Bayern, Württemberg und Baden zusammen-
genommen) jetzt schon 6000 bis 7000 Farmen und ist der
Preis des Grundes und Bodens hier schon viel höher ge-
stiegen als in der englischen Capcolonie!
In neuester Zeit hat sich der Strom der fortwährend
aus der Capcolonie auswandernden jüngern Generation der
holländischen Bauern mehr uach der ausgedehnter» und
C. Haberland: Altjungfernschicksal nach dem Tode.
205
dünner bevölkerten Transvaal-Republik hingewendet, weil
hier die Farmen natürlich noch viel billiger sind. Es hat
sich im letzten Jahrzehnt durch ganz Südafrika unter der
holländischen Landbevölkerung deutlich das Bestreben bemerk-
bar gemacht, sich der englischen Regierung und den unheil-
vollen Folgen ihrer gefährlichen Negerpolitik zu entziehen
und sich unter einer allgemeinen nationalen Fahne zu sam-
meln.
Aus der Transvaal-Republik hat sich schon wieder ein
neuer Emigrationszug gegen Westen organisirt. Mynheer
Piet van Zyl mit seiner Familie und seinen Herden (300
Rindern, 60 Pferden, 1000 Schafen und 500 Ziegen) ist
seit November 1873 weit nach dem Westen, nach dem Lande
der Damara, gezogen, und beabsichtigte von den Häuptlingen
derselben große Ländereien anzukaufen. Zwölf ihm nach-
gezogene Boerfamilien mit ihren Herden warten seiner Nach-
richten am Ngmni-See. Sollten van Zyl's Pläne renssiren,
so wird sich dort im Herzen von Afrika vielleicht eine neue
holländische Republik bilden, der es an Zuzug aus der Cap-
colonie, dem Oranje- Freistaat und dem Transvaal-Lande
sicher nicht fehlen wird, zumal die jenseit des Ngami-Sees
sich unermeßlich ausdehnende Hochfläche reich an schönem
Weide- und Waldland und wohlbewässert von Flüssen und
Bächen sein soll. —
Von ihrer alten Verbindung mit Holland, ihrem Mutter-
lande, siud die afrikanischen Holländer seit der Annexion der
Capcolonie durch England vollständig losgelöst. Die früher
stattgefundene regelmäßige Einwanderung europäischer Hol-
länder hat gänzlich aufgehört und die alten Familieubande
zwischen Colonie und Mutterland siud zerrissen. Directer
Handel zwischen beiden wird auch nicht mehr getrieben, mit
Ausnahme etwa der portativen Hausapotheken, die alljährlich
aus Amsterdam in Südafrika eingeführt werden. Hollän-
dische Zeitungen und Bücher aus Europa fiuden auch keinen
nennenswerthen Absatz mehr nach Südafrika. So ist denn
dieser aus afrikanischen Boden überpflanzte niederdeutsche
Volksstamm vollständig von seiner Wurzel abgerissen und
nunmehr einzig auf sich selbst angewiesen, einem Landsee ähn-
lich, der keinen Zufluß von außen mehr hat.
Es muß noch hervorgehoben werden, daß die Boerbevöl-
kernng nicht einzig und allein von rein holländischem Blute
ist. Es dürften vielmehr nicht mehr als etwa 50 Procent
aus dem alten Bataverlande stammen, die übrigen 50 Procent
sind theils deutscher, friesischer und vlämischer, theils franzö-
sischer Abstammung; letztere aus der Zeit der großen
Hngenottenanswandernngen, welche seit dem Jahre 1685 ihre
Richtung nach dem Caplande nahmen, und die Ursache siud,
weshalb man noch heute so außerordentlich zahlreiche rein
französische Familiennamen unter den Boers findet, wie
z. B. Dnplessiz, Du Toit, Du Plooy, Coussy, Joubert, Lys,
Celliers, De Villiers, Jardine, Lesneur, Leroux, Collyu,
Parmentier, Anbrey, Cauviu, Beauclerc, Clarence, Saint-
Leger, Dantu, Deviue, De Eoq, Beaujean, Barbier, Vasson,
Albertyne, Marcus und viele andere. Diese fremden (Sie-
mente sind aber mit der Zeit vollständig im Holländischen
aufgegangen und haben gänzlich ihre frühere Sprache auf-
gegeben. —
Die gefammte weiße holländische Bevölkerung von Süd-
asrika, von Capetown bis Leydeuburg, beträgt jetzt sicherlich
nicht unter 225 000 Köpfe, also über 70 Procent der weißen
Gesammtbevölkernng von Südafrika, während die weiße
englische Bevölkerung sich nur auf etwa 90 000 belausen dürfte.
(Ernst vou Weber, Vier Jahre in Afrika, Leipzig, F. A.
Brockhaus 1878. II, S. 14 bis 24 und 83.)
Altjungfernschicksal nach dem Tode.
^ Der deutsche Volksglaube hat sich mehrfach mit dem
<oose der verstorbenen alten Jungfrauen beschäftigt und im
Gegensätze zu anderen Völkern, welche in demselben ein nn-
helmliches Element hervorheben, es mehr in scherzhafter Weise
ausgemalt. Wie das Leben der alten Jungfrau vom Volks-
glauben als ein unnützes, seinen Zweck verfehlt habendes be-
trachtet wird, so dictirt er auch der armen abgeschiedenen
^eele noch eine Beschäftigung zu, welche ebenso unnütz und
me ihren Zweck erreichend ist als das verlassene Dasein.
X'c lmiB daher, wie Moscherosch berichtet, in der Hölle
"niweselhölzchen und Zunder feilbieten, oder in Straßburg
•tC einbändeln helfen, in Wien den Stephansthnrm,
u -Lasel den Pfarrthurm abreiben und reinigen, in Frank-
^ Parthorn bohne" ^), in Nürnberg, wie es im
"pnci>wort heißt, mit den Barten alter Junggesellen den
1 lU'tt Thurm fegen2), eine Beschäftigung, welche wohl
uqo wenig erbaulich ist als die, den naßkalten Moorboden
ui't ^seiteiftr,ec^en Sterzinger Mooses bis zum jüngsten Tage
Nnsp? ^ Fingern nach Spannen ansznmessen, wozu der
.glaube in Tirol sie verdammt3). Kein Haar besser
öernna ^tjchrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde.
J&« ■* »• »«•»«»»■ «...
«>°uk ®. Aber-
Zürich mri ®',%" unb ®aScn Tirols
kommen übrigens, wenigstens in Tirol, die Hagestolzen weg,
und ist es hier dem Volkswitze noch besser gelungen, Strafen
für sie zu erfinden, welche die Nichtigkeit ihres verflossenen
Lebens Persisliren. Da müssen sie Wolken schieben, Fel-
seit abreiben, Steinböcke, welche aber nicht mehr vorkommen,
einsalzen; den kleinsten Ameisen einen Drahtring durch das
Maul ziehen gleich den Schweinen, welche diese Operation
am Wühlen verhindert; die Nebel, welche jeder Sonnenstrahl
wieder zerstreut, gleich Heu in Haufen schichten; Linsen wie
Scheitholz klaftern; schwarzen Gänsekoth so lange kauen, bis
er weiß wird, und Aehuliches *). In Wallis müssen die gc-
storbenen Hagestolzen an einem gewissen Orte hausen und
dort in durchlöcherten Körben Saud aus der Rhone zu Berge
tragen 2). Anderweiter Volksglaube läßt die Seelen der alten
Jungfern in bestimmte Vögel übergehen, so der süddeutsche
in den Kibitz, mundartlich Giritz und Geibitz, dessen lang-
weiliger Schrei ihren monotonen Eigenwillen versinnlichen
soll 3) — nach der im Lechrain gebräuchlichen Redensart
„Sie muß Geibitzen hüten" für als alte Jungfer sterben ^),
fällt ihr übrigens nur diese unangenehme Beschäftigung, nicht
1) Ebendaselbst S. 350 f. ....
2) E. L. Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch un
Spiegel der heidnischen Vorzeit. Berlin 1867, Bd. I, S. 155.
3) Ebendaselbst S. 154.
4) K. von Leoprechting, Aus dem Lechrain. München
1855, S. 292.
206 C. Haberland: Altjungj
die VerWandelung selbst zu —, so der ehstnische in den Bracht
Vogel, welcher daher auch scherzweise „Alte Jungfer" ge-
nannt wird *). Aehnlich galt schon den Griechen eine Art
Grille oder Heuschrecke, deren Blick einem jeden Wesen Scha-
den bringen sollte, für eine verzauberte alte Jungfrau2). In
der Gegend von Pforzheim sagt man, daß die Eidechsen sonst
Juugfern waren 3); der Siamese sieht in den Irrlichtern die
Seelen verstorbener Hagestolzen^).
Für ganz Deutschtirol ist das Sterzingermoos der Ort,
wo die Seelen der alten Jungfern hinverwiesen sind 5), für
die Hagestolzen ist der nahe dabei liegende Roßkopf oder das
Petereck im Wippthale bestimmt 6); anderwärts in Süd-
dentschland ist es das Giritzenmoos, ein fingirter Ort, wel-
cher der erwähnten Beziehung zum Kibitz seinen Namen ver-
dankt. Man sagt daher beim Tode alter böser Weiber, sie
seien in das Giritzenmoos gefahren^); im Frickthale jedoch
bedeutet dieser Ausdruck einen Brauch am Schluß der Fast-
nachten, das Begraben der alten Jungfern, wobei alle über
24 Jahr alte ledigen Mädchen von ihren Burschen auf Fuhr-
wagen geladen, dann unter großer Bespannung zun: Dorfe
hinausgefahren und bei einem Graben umgeworfen werden 8).
Diese ganze volkstümliche Auffassung des Altjungfernthums
steht in directem Gegensatze zu der religiösen Weihe, welche
die lebenslängliche Keuschheit im Nouuenthume des Katholi-
cismns gesunden hat, welche uns auch der Buddhismus zeigt,
und welche wir gleichfalls in den Sonnenjungfrauen Perus,
in den verschiedenen Nonnenorden Mexicos, in den römischen
Vestalinnen wiederfinden, und zeigt uns die Neaction des
gesunden praktischen Volksfinnes gegen die Anforderungen des
überspannten religiösen Gemüthes.
Diesen Gedanken, daß die menschliche Bestimmung ohne
die Zeugung von Nachkommenschaft nicht erfüllt ist, drückt
sinnig der Münchener Brauch aus, vor den Thüren nnver-
heirathet Gestorbener einen Strohwisch zu legen, weil sie keine
Körner gegeben haben9), und bietet sich uns zu vollendetester
Gestalt erhoben in der merkwürdigen Vision dar, welche eine
ledige Person im Jahre 1851 hatte. Diese sah nämlich
ein großes Volk aus lauter Kindern bestehend, welche sie ge-
habt haben würde, wenn sie geheirathet hätte, und welche nun
durch ihr Ledigbleiben nicht ins Dasein gerufen waren10), ein
Gedanke ähnlich dem, welcher der von Leuau in seiner „Anna"
ergreifend behandelten schwedischen Volkssage zu Grunde liegt.
Hier raubt bekanntlich zur Bewahrung ihrer Schönheit die
junge Gattin den sieben Kindern, welche ihrer Ehe entspros-
sen sollten, die ihnen bestimmte Existenz, indem sie durch
*) I. B. Holzmayer, Osiliana (in den Verhandlungen
der gelehrten Ehstnischen Gesellschaft zu Dorpat, Bd. 7") S. 80.
Bei den Ehsten erscheint das Schicksal, als alte Jungfer sterben
zu müssen, welches bei ihnen gerade sehr gefürchtet wird, oft als
Folge eines Racheactes abgewiesener Freier, welche durch eine
eigenthümliche Manipulation die Hartherzige dazu verdanunen
können. Ebendaselbst S. 86.
2) Zeitschrift fiir deutsche Mythologie:c. Bd. III, S. 275.
3) I. Grimm, Deutsche Mtytfjologte. Göttingen 1835.
Anhang: Aberglaube Nro. 592.
4) A. Bastian, Die Seele und ihre Erscheinungsweisen
in der Ethnographie. Berlin 1868, S. 100.
5) Zeitschrist a. a. O.Bd.II, S. 360. Alpenburg a. a.O.
S. 350.
6) Alpenburg, a. a. O. S. 350.
7) Nochholz, a. a. O. Bd. I, S. 154.
8) Ebendaselbst Bd. II, S. 75.
9) F. Nork, Die Sitten und Gebräuche der Deutschen
und ihrer Nachbarvölker. Stuttgart 1849, S. 357.
W. Menzel, Die vorchristliche Unsterblichkeitslehre.
Leipzig 1870, Bd. I, S. 161.
'nschicksal nach dem Tode.
ihren Ehering die gleiche Anzahl Weizenkörner auf einen
Mühlstein wirft, der sie zermalmt. Die athenische Sinnig-
keit holte auf den Gräbern nnverheiratheter Personen den
nicht zur Ausführung gekommenen hochzeitlichen Brauch durch
Darstellung eines wassertragenden Kindes oder auch nur
eines Wassergefäßes symbolisch wich*), ein Beweis, wie
auch das griechische Volk gleich dem nnserigen die Ehe zur
Erfüllung des Daseinszweckes für unbedingt erforderlich hielt.
Tragischer als im deutschen Glauben gestaltet sich bei
einigen anderen Völkern das Schicksal der Seelen jungfräu-
lich gestorbener Wesen. Der Serbe läßt die Seelen der vor
ihrer Verheirathnng verstorbenen Bräute nicht zur Ruhe ein-
gehen, das ihnen so kurz vor seinem Eintritt entzogene Glück
treibt sie dazu, als Wileu den Jünglingen nachzustellen und
in ihren nächtlichen Tänzen die ihnen verfallenen zu Tode zu
tanzen2). In Siam halten gleichfalls die Seelen Verstor-
bener Jungfrauen ihre Tänze und zwar in der Dämmerung,
wobei sie diejenigen tödten, welche sie dabei überraschen; auch
sonst sind sie bösartiger Natnr, indem sie mitunter einen
Schatten auf kleine Mädchen werfen und sie dadurch hin-
sterben lassen, oder den Franen, welche die ihnen verhaßte
rothe Farbe tragen, ein Leid zufügen 3). Diese kiudertödteude
Juugfranenseele keuut auch der griechische Volksglaube in
der rehkco 4). In Indien fährt die vor der Verheirathnng
gestorbene Braut in den Körper der später geheiratheten
Frau, entfremdet ihr das Bewußtsein des eigenen Selbst und
läßt sie in Folge dessen sich selbst schmähen, indem sie in der
Persönlichkeit der Verstorbenen rebct5); bei den Malaien
stehen die vor der Niederkunft Gestorbenen statuengleich im
Walde und locken die Männer zu sich heran6). Goethe's
„Braut von Korinth" gehört gleichfalls ganz in den Kreis
dieser Anschauung. Ueberall tritt uns hier der Glaube ent-
gegen, daß die im Znstande der Jungfräulichkeit abgeschiedene
Seele ihre Ruhe uicht finden kann und zu einem bösartigen
Geiste wird, der das ihm im Leben Versagte nun noch zu
erlangen oder aber es zu vernichten sncht, wodurch sich ihre
männerverführende und kinderschädigende Natur leicht erklärt.
Dieses tragische sowie das in Deutschland mehr in das
Scherzhaste gezogene Schicksal der Jungsrauenseelen berührt
sich übrigens ganz nahe mit dein, welches andere Personen
nach deutscher Anschauung trifft, welche gleichfalls ihre Be-
stimmnng nicht erfüllt haben. So kann der Selbstmörder,
weil er die ihm zngetheilte Lebenszeit nicht erreicht hat, der
ohne Erfüllung eines gethanen Versprechens oder Gelübdes
Gestorbene, die gestorbene Wöchnerin, weil sie das Nähren
und die erste Pflege des Neugeborenen nun nicht vollführen
kann, die Ruhe des Grabes uicht finden. Sie inüssen geister-
Haft umgehen, bis sich ihre Bestimmung erfüllt hat, bis die
vom Schicksal festgesetzte Lebensdauer verflossen, das Gelübde
dnrch einen Andern erfüllt, das Kind über seine erste Periode
hinans ist oder eine die Mntterpslege völlig ersetzende Be-
Handlung gefunden hat. Sie Alle findeil Erlösung in der
Zeit, nur der armen ledig verstorbenen Jungfrauen und Jung-
gesellen wartet keine solche Erlösung, sie müssen bis zum
jüngsten Tage die Zeit mit den ihnen auferlegte» zwecklosen
Beschäftigungen ansfüllen. Carl Haberland.
Schoemann, Griechische AlterthUmer. Berlin 1871/73,
Bd. II, S. 573.
2) I. Ä. Hannsch, Die Wissenschaft des slavischen My-
thus. Lemberg 1842, S. 308.
Bastiau, a. a. O. S. 102.
Ebendaselbst S. 74.
5) Ebendaselbst S. 202.
6) Ebendaselbst S. 108.
Aus allen Erdtheilen.
207
Aus allen
Europa.
Meyer's Reisehandbuch für die Deutschen Alpen:
Westlicher Theil, umfassend bayerisches Hochland, Nord-
tirol, Vorarlberg, Oetzthaler Alpen, Brennerbahn, Südtirol,
bearbeitet von Dr. Heinrich No«. Mit 4 Plänen, 16 Kar-
ten, 11 Panoramen und 13 Ansichten; 7 Mark. Oestlicher
Theil, umfassend Salzbnrg-Berchtesgaden, Tauern, Puster-
thal, Dolomiten, Oesterreich, Steiermark, Kärnten, Krain,
Küstenland, Dalmatien, bearbeitet von Franz Keil,
Dr. Heinrich No6 und Prof. Dr. Frisch ans. Mit 9Kar-
teu, 3 Stadtpläne«, 8 Panoramen und 21 Ansichten in Stahl-
stich; 5 Mark. (Verlag des Bibliographischen Justituts in
Leipzig.)
Die Namen der Bearbeiter — anerkannt zn den besten
Kennern der Deutschen Alpen gehörend — bürgen dafür, daß
die Darstellung des Buches und die reichlich gegebenen Rath-
schlage durchaus auf eigener Anschauung beruhen, ein Um-
stand, auf den wir, als eiueu Hauptvorzug des Buches, ganz
besonders aufmerksam inachen. Die Darstellung wirkt an-
regend, und treffliche Rathschläge zeigen dem Reisenden, wie
er die Schönheiten der Alpenwelt mit größtmögliche»: Nutzen
für Geist und Körper genießen und wie er mit größtmög-
licher Oekonomie für Zeit und Börse reisen kann. Besonders
das Capitel „Wohin reisen wir?" bietet eine vortreffliche
Orientiruug über jenen Theil der „Deutschen Alpen", die
durch die Ursprünglichkeit ihrer Bewohner, die Gemüthlich-
keit ihrer Gasthäuser und die größere Billigkeit des Reifens
fo große Vorzüge vor ihren schweizerischen Nachbarn haben.
Im Uebrigeu scheint es uns ein richtiger Standpunkt dieses
Führers, daß er weniger den Parforce-Bergsteiger, als viel-
mehr denjenigen Reisenden im Auge gehabt hat, der die Al-
Pen auch unterhalb 3000 Meter Meereshöhe noch schon findet.
— Aus Wien wird gemeldet, daß die flavische Pro-
paganda bei den Sloveueu einen großen Erfolg erzielt
hat. Dieses Volk, zn welchem 30 Proc. der Bevölkerung
von Steiermark, 24 Proc. von Kärnten, 30 Proc. von Krain,
sowie ein Theil der Grafschaft Görz nnd die Ortschaften um
Trieft nnd inr nordwestlichen Jstrien gehören, will seine
Sprache, die es noch lange nicht in allen Schulen durchgesetzt
hat, wieder aufgeben und die serbo-kroatische Sprache
alv Literatursprache annehmen. Dann reichte die serbische
Sprache von den „windischen Büheln" in Steiermark (nörd-
lich von Marburg) bis nach Albanien nnd Bnlgarieu. Na-
türlich wird man alles thnn, um diesen Sieg des Serben-
thnms zu hindern nnd den Slovenen ihren bisherigen Dialekt
Zn erhalten.
Asien.
— Dr. Schliemann befindet sich augenblicklich in Kon-
stantinopel und gedenkt seine Ausgrabungen in Troas wie-
der aufzunehmen, wenn es ihm gelingt, von der Pforte eine
Bedeckung von 50 Soldaten zum Schutze gegen Räuber zn
erhalten..
— Commander Cameron, der Afrikareisende, begiebt
Nch nach Kleinasien, um die für eine Eisenbahn nach Indien
m Vorschlag gebrachten Landstrecken (Mesopotamien und Ba-
bylonien) kennen zn lernen. Die überaus schwierige Bahn
Mersina-Diarbekir-Erzernm soll schon einer englischen
Gesellschaft vom türkischen Staatsrathe concessionirt worden
sein. Doch wird es aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem
Ban derselben nicht so rasch vorwärts gehen, als die Zeitnn-
gen glauben oder glanben machen wollen.
Erdtheilen.
— Ostindisches Handwerk und Gewerbe mit Rück-
sicht auf den europäischen Arbeitsmarkt. Von F. Jagor.
Ein interessanter vor dem Berliner Handwerkervereine gehal-
teuer Vortrag, welcher zunächst die große Handgeschicklichkeit
und Billigkeit der ostindischen Arbeiter bespricht und nach-
weist, wie trotz dem die gesellschaftlichen Einrichtungen der
Kaste, deren es Tausende und aber Tausende giebt, das aus-
gebildete Wuchersystem, das uuproductive Vergraben und
Verstecken des erworbenen baren Geldes die Entwickelnng
der dortigen Industrie bisher gehemmt haben. So finden
wir in Indien große Armnth, tiefe Unterwürfigkeit, blinde
Ergebung in das Schicksal nnd allgemeine Apathie, Dinge,
die namentlich bei den wiederholentlich grassirenden Hungers-
nothen zun: Vorschein kommen. Durch die Eisenbahnen,
Telegraphen und den Snez-Canal ist aber das Land aus sei-
uer bisherige« Abgeschlossenheit (erst 1834 wurden die sehr
strengen Verordnungen aufgehoben, die das Reisen der Euro-
päer in Indien verboten) herausgetreten und eine neue Epoche
beginnt für feine Völker. Zunächst macht sich der Einfluß
jeuer Factoren bei dem Austausche europäischer Fabrikate
und indischer Rohprodncte geltend; aber es wird wohl kaum
ausbleiben, daß über kurz oder laug auch die geschickteu, ge-
wissenhaften und beispiellos billigen Arbeitskräfte Ostindiens
zum Besten der europäischen Consnmenten verwerthet werden.
Nicht als ob indische Arbeiter nach Europa einwandern wür-
deu, was aus mehr als einem Grnnde unwahrscheinlich ist;
aber das durch Arbeitseinstellungen nnd socialistische Dro-
Hungen geängstigte und gefährdete europäische Capital wird
nach Judieu abfließen, welches zugleich viele Rohstoffe, wie
Baumwolle, Jute u. s.w., selbst erzeugt. Schon wird dort die
mit jedem Jahre steigende Kaffee-, Thee- und Jndigo-Pro-
duction mit europäischem Gelde betrieben, und selbst indisches
Capital kommt nach und nach aus seinem Verstecke hervor.
Die Zahl der Baumwollspiuuereieu in Indien wächst zu-
seheuds; dieselben beschränken sich bis jetzt auf gröbere Garne
nnd Stoffe und haben die englischen Fabrikate dieser Classe
nicht nur vom indische» Markte verdrängt, sondern machen
ihnen auch schon in Folge ihrer größern Haltbarkeit die Ein-
fuhr in China, Japan, Rußland und Amerika streitig. Die
Erregung der englischen Fabrikanten ist deshalb eine fort-
während wachsende. — Nicht minder bedeutend sind die Fort-
schritte, welche der Anbau von Thee, Chinchonapflanzen nnd
Inte macht, und indische Teppiche sind jetzt in England sehr
gesucht. Dazu kommt, daß die Regierung in neuester Zeit
die gewerbliche Thätigkeit in Indien nicht mehr, wie früher,
hemmt, sondern nach Kräften fördert, die Kohlen- und Eisen-
lagerstätten untersuchen läßt, ökonomische Museen begrün-
det u. s. w. So erwächst dem europäischen Gewerbe ein be-
deuklicher Rival, der nur durch intelligente, geduldige, fleißige,
gediegene Arbeit, durch Ausnutzung der wissenschaftlichen
Errungenschaften, durch Erfindung und kluge haushälterische
Verwaltung der Mittel zu bekämpfen ist. Ein Nachtrag führt
die neuesten Phasen des Kampfes, der zwischen weißen Ar-
beitern uud chinesischen Einwanderern auf nordamerikanischem
Boden spielt, vor.
— Major Campbell und Capitän Heaviside haben in
der Saison 1376 bts 1877 die Längenunterschiede zwi-
schen Bombay, Aden und Suez bestimmt, um die Ver-
bindung zwischen England und Indien herzustellen. Die
Sectio« Greeuwich-Suez war schon gelegentlich des Venus-
Durchgangs im Jahre 1874 erledigt worden. Folgende
Werthe wurden erhalten: die Station in Aden 2 St. 59 Min.
55,89 See., das Observatorium in Bombay 4 St. 51 Min.
208
Aus allen Erdtheilen.
15,88 See. und das in Madras 5 St. 20 Min. 59,42 See.
östlich von Greenwich. Nun werden die geographischen Län-
gen aller Orte in Indien gewöhnlich auf Greenwich bezogen,
und zwar mittelst des Observatoriums in Madras, das zu-
letzt zu 5 St. 20 Min. 57,3 See. — 80° 14' 19,5" östl. L. Gr.
bestimmt worden war, eine allgemein gültige und auch von den
„Nantical Almauacs" angenommene Zahl, die aber um 2,12
Zeit- oder 31,8 Bogeusecunden gegen die jetzt gefundene zn
kleiu ist. Wie Major Campbell es ausdrückt, besteht das
Resultat der Operationen jener Saison also darin, Indien
theoretisch um etwa 2000 Fuß weiter von England entfernt
zu haben.
— Dr. Naumann hat bei Sneyoshimnra in Japan
Küchenabfälle, echte Kjökkenmöddinger, entdeckt, welche
auch Urnenscherben, Knochen und Werkzeuge enthalten. Schon
früher hatte Professor Morse Küchenabfälle bei Omori ge-
fnnden, die er als von einer vorjapanischen Urbevölkerung
herrührend ansah. Dr. Naumann wies dagegen nach, daß
diese Kjökkenmöddinger von Aiuos stammen.
Es ist hierdurch abermals ein Glied in der langen Reihe
der über die Erde zerstreuten Kücheuabsälle gewonnen, die
nun in Dänemark, Schottland, Kalifornien, Brasilien, auf
den Andamanen :e. schon nachgewiesen wurden und die überall
einen sehr gleichartige» Charakter tragen.
— Eine nicht überall bekannte Thatsache ist es, daß man
in Japan schon seit mehreren Jahrhunderten Petroleum
zum Brennen verwendet, und daß es in der Provinz Etschigo
allein (au der Nordwestküste von Nippon) über 600 reichlich
fließende Quellen dieses Mineralöls giebt, welches beim Rei-
nigen nur y10 seiner Masse verliert. (L' Exploration.)
Afrika.
— Die „Chnrch Missionary Society" trifft Anstalten,
ein Dampfboot nach dem Oberläufe des Biuus zu senden.
In der an diesem Flusse gelegenen Stadt Hamarna (1855
von Vogel besucht) trifft man mitunter einheimische Händler,
welche das ganze unbekannte Innere Afrikas, soweit es
zwischen dem obcrn Binuö und den Seen Albert Nyanza
und Tauganjika liegt, durchkreuzt haben. Die Missions-
gcsellschast hat dem englischen Asrican Committee freie Fahrt
für einen Reifenden auf jenem Dampfer angeboten — und
so hat die Afrika-Forschung eine Basis für ein ganz neues
Arbeitsfeld gewonnen.
— Wie wir auf S. 64 des vorigen Bandes meldeten,
beabsichtigte die „Baptist Missionary Society" ihre Wirksam-
keit am untern Congo zu eröffnen, worin sie durch eine
reichliche Schenkung zweier Herren im Betrage von 1500
Pf. St. unterstützt wurde. Die Herren Greusield und Com-
ber, welche schon einige Jahre am Camernn thätig waren
und anch geographisch Einiges geleistet haben, sind jetzt dazu
ausgerüstet und mit einem kleinen Trupp eingeborener Ge-
hülfen versehen worden.
— Wo (im Oranje-Freistaate) keine Quelle vorhanden,
da ist für den in einer fremden Gegend sich neu ansiedelnden
Boer stets die Anlage eines Wasserdammes die erste und
nöthigste Arbeit. Obgleich Südafrika einen größern Regen-
fall hat als Mitteleuropa, so ist er doch dem Lande selbst im
Allgemeinen von nur wenig Nutzen. Die Regenmassen glei-
chen mächtigen Wolkenbrüchen, die sich auf ein dachförmig
nach beiden Seiten abfallendes Terrain ergießen; sie strömen
zu rasch durch die zahllosen schlangenförmig gewundenen
„Sloots", die überall den Erdboden tief zerrissen haben, dem
nächsten Flüßchen zu, das dadurch plötzlich zu einem toben-
den Strome anwächst. Durch verschiedene Zuflüsse schwellen
dann auch die Hauptströme des Landes kolossal an (in wem-
gen Stunden manchmal 30 bis 40 Fnß), aber nach einer
Woche ist gewöhnlich alles wieder vorüber, und einer Woche
von Überschwemmung folgen wieder Monate von Durst und
Wassermangel. Die südafrikanischen Flüsse sind eigentlich
nur Regenabflüsse, und ihr Umfang ist daher ganz nnglanb-
lichen periodischen Schwankungen unterworfen. Flußbetten,
die den größten Theil des Jahres über beinahe trocken liegen,
werden nach mehrtägigen großen Regengüssen zu schäumen-
den Strömen von der Breite der Elbe bei Dresden oder
gar der Donau bei Linz. So verströmt in zwei Stunden
eine Wassermasse, die, wenn in einem Reservoir gesammelt,
einer Farm für ihren Viehstand ein ganzes Jahr lang hätte
genügen können, und ein paar Tage nachher ist der Boden
wieder so hart und ausgetrocknet wie zuvor. — Eine Haupt-
sache ist es daher für jeden Farmer, wo irgend die Boden-
gestaltnng es ermöglicht, ein künstliches Reservoir anzulegen,
worin währeud der nassen Jahreszeit (dem Sommer, von
November bis März) ein Wasscrvorrath angesammelt werden
kann, der dann in der trockenen Saison (dem Winter) zur
Tränkung der Viehherde» vorhält. Ein Damm soll so groß
wie möglich angelegt werden, da die Sonnenstrahlen in die-
sem Klima unglaublich viel Wasser anftrinken.
Wenn der Boer in seinem Ochsenwagen, begleitet von
seinen Herden und hottentottischen Viehhirten, ans die Ent-
decknng einer neuen Weidegegend auszieht, um sich dort nie-
derznlassen, so beobachtet er genau die Stelleu, wo etwa ein
kleines Thal in die Ebene ausläuft, oder wo zwei zusammen-
tretende Hügelreihen die Anlage eines „Dammes" ermöglichen.
Derselbe wird durch seine Hottentotten ans Steinen und da-
zwischengestampstem lehmigem Boden so dauerhaft als mög-
lich hergestellt und hat natürlich nur drei Wände, während
die vierte Seite zum Einflüsse der Bäche von Regenwasser
offen bleiben muß. Die Anlage eines solchen Dammes oder
künstlichen Teiches kostet etwa 2 Mark pro Fuß. So lauge
derselbe noch nicht fertig ist, bleibt der Boer in seinem Wa-
gen wohnen; erst später denkt er daran, aus Backsteinen, die
er sich aus dem Lehmboden aussticht und mit Wasser ge-
mengt und geformt dann in der Sonne trocknet, ein Häns-
chen sich aufzubauen, das er mit einem Grasdache deckt.
Dasselbe hat selten mehr als zwei oder drei Zimmer und
gewöhnlich nur Ein Schlafzimmer für die ganze Familie.
Nur Papa und Mama haben in der Regel Bettstellen für
sich; die Kinder schlafen meist auf dem Boden anf Fellen
und Karrossen, wie die Kaffern und Hottentotten. Das
Acker- und Gartenland neben dem Farmhäuschen ist stets
entweder von einer Mauer oder von lebendigen Hecken, ge-
wöhnlich von dichtstehenden Feigenbäumen, umgeben und ent-
hält einige kleine Felder von Mais, Gerste, Hafer, Weizen
und Roggen, Küchengewächse und einen Garten mit Wein-
stöcken und Pfirsichbäumen, letztere oft in sehr großer Anzahl.
Zur Zeit der Blüthe müssen diese- Pfirsichwäldchen einen
herrlichen Anblick gewähren. Diese kleinen, künstlich bewäs-
serten Oasen mit ihrem Baumgrün, ihrem Quellengemurmel
und Vogelgesang, durchzogen von kleinen künstlichen Wasser-
canälen, machen auf den durch die weite öde Steppe ziehen-
den Wanderer immer einen sehr lieblichen Eindruck, der noch
viel schöner sein könnte, wenn die phlegmatischen Boers sich
mehr auf Baumpflanzungen und Blumenzucht legen wollten.
(Ernst von Weber, Vier Jahre in AfrikaI, S. 196 bis 198.)
Inhalt: Edouard Andrv's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876. III. (Mit sechs Abbildungen.) —
Die Kohlenbergwerke von Heraklea. — Geographisches und Ethnographisches von der British Association. — Holländer und
Engländer in Südafrika. — C. Haberland: Altjungfernschicksal nach dem Tode. — Aus allen Erdtheilen: Enropa. —
Asien. — Afrika. — (Schluß der Redaetiou 1. September 1878.)
Nedacteur: Dr. N. Kiepert in Verlin, S. W. Lindcnstraße 13, III Tr.
Druck und Verlast von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraimschweig.
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für Jänder.
Band XXXIV.
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14.
Mit bosontlorer Herücksirktigung ller AntKroyologie unä Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Dermin Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 ö ^ Q
OlUlin | U)IUtIQ ZUM Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. -I- t) i !).
Edouard Andres Reiseil im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
IV.
Nachdem sich Andre- mit Widerstreben von dem groß-
artigen Schauspiele des Tcqnendama-Falles losgerissen,
schlug er eine südwestliche Richtung ein, welche ihn über
die Höhe Paramo de San Fortunats nach Fufagafuga
bringen solltex). Letztere war ihm schon seit lange durch
die Sammlungen bekannt, welche mehrere hervorragende
Naturforscher, wie Hartweg, Linden, Goudot, Lindig und
Triana, dort gemacht hatten. Anfangs führte der Weg noch
über ebenes Land uud wand sich dann in langen Schlangen-
Windungen am Gebirge hinauf. Die Reisenden hatten sich
für den Fall vorgesehen, wenn auch uicht iu demselben Um-
fange, wie es jeder Bogotaner bei einer Reise über den
Paramo thut. Außer großen Lederhosen (zamarros) und
der ruana, welche dem peruanischen Poncho entspricht und
allgemein aus einem Stück Zeug mit einem Loche in der
Mitte, durch welches man den Kops steckt, besteht, führt ein
solcher ein Tuch mit sich, um das Gesicht uud namentlich
die Lippen gegen Kälte und Staub zu schützen. Auf dem
Fllzhute trägt er die fonda, eilt Gummituch, von welchem
der Regen abläuft, und vor sich auf dem Sattel, zusammen-
gerollt und festgeschnallt, den bayeton zum Schutze gegen
LC9en und nächtliche Kälte. Außerdem ladet er dem Last-
thiere meist noch einen Reisesack (almofrez) auf, welcher sein
kleines Gepäck und Mundvorrath enthält. Dieser ganze,
für einen Columbier von Stand unerläßliche Apparat ist
natürlich für einen reifenden Naturforscher überaus un-
bequem.
*) Siehe die Karte auf Seite 277 des 32. Bandes des
„Globus".
Globus XXXIV. Nr. 14.
Andre hatte statt der Lederhosen und Alpargatos hohe
Reiterstiefel augelegt, in welchen er sich weder vor Wasser,
noch vor Schlangenbissen oder Temperaturwechsel zu fürchten
brauchte. Dazu kam eine europäische Tuchweste mit zahl-
reichen Taschen, um rasch allerlei gesammelte Gegenstände
hineinstecken zu können, ein weites Hemde, ein Tnch um
den Hals, ein großer Filzhut und bei Regenwetter die
Ruana, welche jeder Bewegung hinderlich ist. Auch die
landesüblichen kupfernen Steigbügel in Schuhform, welche
den Fuß fo gut gegen Felsen und Wurzeln schützen, und
die großen amerikanischen Sporen adoptirte Andre; denn
feine mitgebrachten europäischen Sporen waren schon nach
wenigen Stunden verbogen. Mit aller Kraft muß der
Reiter sein Thier antreiben können, wenn es im Schlamm
versinkt, wenn ein Baumstamm den Weg versperrt oder
wenn es gilt, von einem Felsen zum andern zu springen,
Dinge, welche täglich wohl hundert Mal vorkommen. Die
Flinte hatte er aus der einen Seite um den Hals zu hängen,
die Botanisirtrommel auf der andern, das Waldmesser an
der Hüfte. In den Pistolenhalftern fand das Tagebuch,
ein Kasten mit Instrumenten, ein Farbenkasten, ein Taschen-
album, ein geologischer Hammer, ein Revolver, einige Stücke
Chocolade, Feuerzeug und Cigarren Platz, und statt der
Reitpeitsche führte er einen Stock mit einer kleinen eisernen
Hacke, um unbequeme Baumäste damit abzuschlagen. Hinter
ihm ritt Jean NoetzU mit dem Barometer, der stets auf-
recht gehalten werden mußte und die Reisenden häufig zur
Verzweiflung brachte; ferner trug derselbe einen großen
Zinkbehälter, in welchen sein Herr von Zeit zu Zeit das,
was er gesammelt, entleerte, eine Zange zum Ergreifen von
27
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
Schlangen, einen Schmetterlingssänger, eine Nanpenscheere,
einen Beutel zur Ausnahme lebender Pflanzen und außer-
dem Flinte uud Säbel. Sechs anscheinend gute und rüstige
Lastthiere waren mit dem Zelte, Conservebüchsen, Hänge-
matten, Zink- und Holzkästen, Blech und Zinn zum Löthen,
einigen Kleidern, Mosqnitonetzen und allen Sammlungen
beladen, mit letzteren aber nur so lange, bis ein Platz er-
reicht war, von wo man sie nach der Küste und von da nach
Europa schicken konnte.
Fritz von Scherst, der als
Tonrist reiste, war weniger
beladen und bedurfte von
den sechs Thieren nur eines.
Solches war die mit großer
Sorgsalt zusammengestellte
Ausrüstung unserer Expe-
bitton, welche in ihrem
Enthusiasmus damit bis
Quito zu gelangen ver-
meiute, ohne ein einziges
Thier einzubüßen. Allein
es sollte bald anders kom-
men.
Schon an der boca
del monte begannen die
Widerwärtigkeiten. Der
Weg führte über Abhänge,
welche durch den Regen
aufgeweicht und schlüpserig
gemacht waren. Ein dichter
kalter Nebel hüllte die
ganze Gegend ein nnd ver-
mehrte die Schwierigkeit
des Fortkommens. Stnn-
den lang mußten die Nei-
senden die sonderbarsten
Balancirkunststücke vollsüh-
ren, während die Maul-
thiere unaufhörlich in den
Koth einsanken und unter
ihrer Last niederstürzten.
Unweit des höchsten Punk-
tes des Paramo liegt eine
Art Haltepunkt, ein ziem-
lich großer, flacher Naseu-
platz, bezeichnender Weise
Contadero genannt, weil
dort nach vollendetem Ans-
stieg, mag der Reisezug
von Norden oder von Sü-
^cn kommen, Menschen
und Thiere gezählt werden.
Nicht selten fehlen welche
beim Appell; denn Nie-
wand kann sich, nach einem
Sprichworte, rühmen, die-
sen Gipfel ohne naß ge-
worden zu sein, überschritten zu haben, uud die Sümpfe
fordern unablässig ihre Opser.
>^etzt sahen die Reisenden die ersten Absätze einer Stiege
on 2300 Meter Höhe, auf welcher sie nach Fusagasuga
)luuuterzusteigen hatten. Anfangs ging alles gut; aber
noch war keine Stunde vergangen, als das Geschrei der
A)r!rttC »Caballeros, cuidado! el camino de palos!"
I )tung, ihr Herren! der Weg aus Baumstämmen) eine
besonders schwierige Stelle verkündete. Es war ein Abhang
von 35 bis 45° Neigung, welcher aus schlüpfrigem Thon
und durch den Regen aufgeweichtem Torfe und schwarzem
Humus bestand; dazwischen hier und da eine horizontale
Stelle mit schwankendem Untergründe. Hier wäre jede
Passage vollkommen unmöglich, wenn nicht die Eingeborenen
— der Staat thnt nichts dergleichen — Baumstämme ge-
fällt und sie einen neben den anderen quer über den im
Zickzack verlaufenden Weg gelegt hätten. So entsteht eine
halbwegs branchbare Paf-
Aechmea columnaris
sage, vorausgesetzt, daß sie
erst unlängst hergestellt
worden ist. Denn man
verwendet dazu keine Stäm-
me von Bäumen, sondern
von baumartigen Farnen
aus dem nahen Walde, was
einen sonderbaren Anblick
gewährt. Es sind große
Säulenschäste, s chwarz, run-
zelig, behaart, geringelt
durch die Spuren, welche
die abgefallenen Blätter
hinterlassen haben; ab und
zu hatte ein Stamm noch
Leben und ließ zur Seite
der merkwürdigen Dielung
lustig sein zierliches Laub
aufschieße». Diese Wege-
bessernng ist ganz ausrei-
cheud, so lange die Stäm-
me neben einander liegen
bleiben; aber solcher Zu-
staud dauert nur eiu paar
Tage, worauf durch die
Fußtritte der Maulthiere
und den aufweicheudeu
Regen die Treppe ihren
Zusammenhang verliert
und einem wirr durch eiu-
ander geworfenen Holzstoße
oder einer Riesentreppe,
deren Stufeu ein Erdbeben
aus einander gerissen hat,
gleicht. Und dieser schreck-
liche Weg zieht sich einige
Kilometerlang hin. Ohne
Unterlaß stürzten Andres
Thiere zu Boden, so daß
sie triefend und kothbedeckt
unten anlangten und den
großen Wald baumartiger
Farne betraten. Derselbe
bot aber einen Anblick dar,
welcher die ausgestandenen
(Längs- und Querschnitt des Fruchtknotens. ^ wt-w
Ein- ganz- Bliich-, F-»ch.zw-ig,> bl°ulich°m N-b°l, w-lch-r
au die Stelle des Regens
getreten war, zeigten sich Tausende jener herrlichen unver-
gleichlich zierlichen Gewächse mit ihren Federkronen, die
denen von Palmen glichen. Es waren wirkliche Bäume
von 10 bis 15 Meter Höhe, die ans einem Teppiche von
Kryptogamen emporwuchsen. Andre zählte zwölf verschiedene
Arten von Farnen und glaubt, daß damit die Zahl der in
der That dort vorhandenen noch keineswegs erschöpft ist.
Nachdem er mehrere Stunden durch diesen zauberhaften
Wald geritten war, vollzog sich ein Wechsel in der Vege-
27*
212
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
tation: durch vermehrten Glanz und Mannigfaltigkeit zeigte
sie die Nähe der Terra Caliente an, und die Farne ver-
schwanden von nun an im Dunkel des Unterholzes. Bald
darauf brach ein Uugewitter los, welches in kurzer Zeit die
Reisenden völlig durchnäßte und die Bäche zu mächtigen
Flüssen anschwellen ließ. Auf Stufen, die in den Sand-
stein gehauen waren, stiegen sie mühselig in die tiefe Schlucht
Barro Btauco hinab. In dem siutfluthartigeu Regeu und
bei anbrechender Nacht hatten sie ihre Peone und Maul-
thiere verloren und mußten fürchten, daß denselben ein
schlimmeres Unglück zugestoßen sei. Dazu plagte sie der
Hunger, und vergebens baten sie in einer Ansiedelung,
Agnadita genannt, um etwas Nahrung. Ohne Essen, ohne
Führer, in voller Nacht, bei jedem Schritte ausgleitend und
ihre müden Thiere am Zaume hinter sich her ziehend,
mußten sie also Fusagasuga zu erreichen suchen. Ändert-
halb Stunden dauerte dieser unheimliche Nachtmarsch, ehe
sich die ersten Lichter des Ortes zeigten. Bald darauf hatten
sie auch Unterkunft in einem alten Stalle gefunden, und
zwei Stunden später hatten sie auch die Freude, ihre Peone
und Lastthiere zwar mit Koth bedeckt, aber gesund und heil
ankommen zu sehen.
Eine strahlende Sonne beleuchtete am folgenden Morgen
Fusagasuga und feine reizende Umgebung. Das Thermo-
meter zeigte 16 Grad und stieg bald auf 20, die mittlere
Temperatur des Ortes. Vor den Blicken Andrs's lag eine
Die Brücke von Jcouonzo
weite, nach Südwesten geneigte Ebene, von einer doppelten
Reihe von Berggipfeln umringt, eiuft das Bett eines Sees,
bis fein Inhalt sich in Folge eines Dammbrnches iu den
Magdalena ergoß. Selbst dem oberflächlichsten Beobachter
müssen die Spuren einer gewaltigen Überschwemmung in
die Augen fallen.
So schöu die Stadt oder besser das große Dorf Fufa-
gasugÄ an dem bewaldeten AbHange der Cordillere daliegt
und so herrlich die von dort sich bietende Rundschau ist, so
häßlich ist es im Innern. Eine verfallene Kirche mit
wackeliger Treppe, eine einzige, hier und da mit runden
Kieseln bepflasterte Straße, Häuser aus Holz und Lehm,
deren jedes eine tienda (Laden) mit der denkbar dürftigsten
Ausstattung enthält, das ist alles. Aber bei den Ein-
geborenen hat sich bis heute das Gedächtuiß au eine berühmte
(Nach Andrs's Skizze.)
Schlacht erhalten, in welcher der Kazike Sagnanmachica von
Bogota den Häuptling der Tnnja-Jndianer blutig auf das
Haupt schlug. Culturhistorisch wichtiger ist jedenfalls eine
zweite geschichtliche Erinnerung aus den Zeiten Belaleazar's
und Quesada's: ans dem Wege über Fusagasuga wurden
die ersten Schweine nach der Hochebene von Bogota gebracht
und gaben dem Lande ein neues Nahrungsmittel.
Andre verweilte hier, in diesem Paradiese der Faulheit
und des Schmutzes, in dessen Umgebung manche Bogotaner
Familien Haeieudas besitzen und den Sommer verleben, zwei
Tage, sammelte lebende Baumfarne, Vögel, Jnfecten,
Mollusken, viele Schlangen, von welchen die Ebene wimmelt,
prächtige Orchideen n. s. w. und machte eine Reihe von
thermometrischen und barometrischen Beobachtungen, als
deren Resultat sich die Höhe des Orts» zu 1807 Meter
Edouard Andre's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
213
Jean Noetzli wird in die Schlucht des Sumapaz hinabgelassen. (Nach einer Zeichnung Andre's.)
214
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
ergab. Ehe er aber seine Reise nach Westen fortsetzte,
unternahm er am 7. Februar einen Abstecher südwestlich
nach Pandi, wohin ihn ein indianischer Zeichenfelsen und
die natürliche Brücke von Jcononzo lockten. Die Entfer-
nnng dorthin beträgt noch nicht 50 Kilometer, aber der Ritt
nimmt doch fast einen vollen Tag in Anspruch. Denn der
Weg steigt und senkt sich fortwährend nach bekannter ameri-
kanischer Weise, der es widerstrebt, eine Anhöhe zu umgehen.
Anfangs freilich führt er über die mit Rollsteinen bedeckte
Ebene hin, wo die zahlreichen Holzgatter, welche das Vieh
am Entweichen verhindern sollen, das Vorwärtskommen in
lästiger Weise hindern. Dann wurde der Rio Cuja durch-
führtet, hinter welchem das Terrain bewegter wird; bis
Pandi wechseln sich nun Berge und Schluchten ohne Unter-
laß ab. Unterwegs trifft man nur ein einziges Dorf von
Strohhütten, Arbelaez, wo einige Hundert Menschen woh-
nen. Dort hatten sie einen sonderbaren Anblick. Auf der
Mitte des Platzes hing von einem großen Ficus-Baume
ein Mensch herab, dessen Hände an einen Ast gebunden
waren. Eine Schaar Weiber umstand ihn, gesticulirte
heftig und schimpfte in wenig gewählten Ausdrücken auf den
Unglücklichen, dessen bleiches Gesicht das Nahen einer Ohn-
macht verkündete. Aus Andrö's Frage hieß es einfach, der
Menfch habe gestohlen und werde fo lange dort hängen, bis
er gestände, wo er das geraubte Vieh gelassen habe. Jeden-
falls eine eigenthümliche Art der Folter und Lynchjustiz!
Der Zeicheufelfen von Pandi. (Nach Zeichnungen der Herren v. Scherf und Andre.)
Gleich hinter dem Dorfe senkte sich der Pfad in die Que-
brada de Honda (1643 Meter hoch) hinab. Dort wuchs
auf den Bäumen und erratischen Blöcken eine Pflanze, die
Andre, wie er sagt, nie aus dem Gedächtnisse entschwinden
wird, eine große Bromeliacee mit meterlangen Blättern,
von denen zwei Drittel blutroth gefärbt sind. Aus deren
Mitte erhebt sich ein riesiger, 2^ Meter hoher, runder und
mit goldgelben Fruchtknoten bedeckter Stiel. Es war eine
neue Species, wie er sich nach seiner Rückkehr nach Europa
überzeugte; sie wird den Namen Aechmea columnaris,
Ed. And. führen.
Um 41/2 Uhr Abends hatten sie Pandi (auch Tumbia
oder Mercadillo genannt, 1000 Meter hoch), das an einem
Ausläufer der östlichen Cordillere liegt, erreicht. Noch am
selben Tage aber ritten sie in 25 Minuten zu der berühmten
Brücke von Jcononzo, welche Humboldt so herrlich be
schrieben und der Baron Gros genau studirt hat. w-"«—
mau sich der Stelle, so mag man kaum glauben, daß hier-
ein solches Naturwunder existirt. Steil senkt sich der Pfad
über runde Sandsteinblöcke und zwischen spärlichen Bäumen
zu einem Absätze hinab, aus welchen eine Brücke von Holz
folgt. Sie ist mit Erde und Gras bedeckt und gleicht allen
übrigen im Lande, nur daß ein paar wurmstichige Stangen
ihr als Geländer dienen. Den Fluß, der unter ihr fließt,
merkt man wohl, aber man sieht ihn nicht. Jenseits steigt
der Weg wieder steil durch üppige Vegetation empor. Aber
nun trete man auf die Brücke und biege sich vorsichtig über
das östliche Geländer: vor Schrecken fährt man zurück.
Unter einem öffnet sich ein schwarzer Abgrund mit senk-
rechten Wänden, in welchem 300 Fnß tiefer der Rio Snmapaz
Heinrich Kiepert: Zur E
als weißes Band schäumend dahinfließt. Hat sich das Auge
erst an das Halbdunkel gewöhnt, so sieht es von Zeit zu
Zeit über den Wellen wie Pfeile hinschießen, und das Ohr
vernimmt kreischendes Geschrei. Das sind guapacos, welche
sast wie Nachtvögel dort unten in den Spalten des Gesteins
hausen. Sechs Meter unter dieser Brücke liegt der große
Steinblock, der breiter ist, als das Flußbett, und deshalb
beide Wände mit einander verbindet.
Am nächsten Morgen litt Andre an Wechselfieber und
vermochte deshalb seinen Plan, sich an Lederstricken in die
Schlucht hinabzulassen, nicht auszuführen, fo daß Jean Noetzli
an seiner Statt das Wagstück unternahm. Mit einem Sack,
einer Flinte, einem Hammer und einem Messer beladen
wurde er, an vier ledernen Riemen hängend, unter zahl-
reichem Zulaufe des Volkes von zehn kräftigen Männern
in die Schlucht hinabgelassen. So entdeckte er zunächst, daß
der mächtige quer über der Schlucht liegende Steinblock
nicht, wie es von oben gesehen den Anschein hat, durchweg
aus Sandstein besteht, sondern daß das Schiefergestein
ununterbrochen von einem Ufer zum andern sich fortsetzt,
und daß der Sandsteinblock auf dieser natürlichen Brücke
ruht. Die Sandstein- und Schieferschichten, sieben an der
Zahl von der Brücke an, deren Höhe Andre zu 836 Meter
bestimmt hatte, wurden darauf ihrer Dicke nach gemessen.
In einer Höhe von 30 Meter zeigte sich eine Grotte in
Schiefer, worin guapacos nisteten, um deren Fang es sich
jetzt handelte. Alle Wände waren mit ihren Nestern dicht
bedeckt. Zehn Meter tiefer bildet eine vorspringende Schiefer-
platte den Boden einer zweiten Höhle. Trotz des Geschreies
der Vögel untersuchte Jean alle beide und fing einen der-
selben lebendig; auch gelang es ihm, ein Nest mit drei Eiern
zu erlangen. Dann wurde er weiter hinabgelassen; aber
hier traten Umstände ein, welche seine ohnehin schwierige
nographie der Donauländer. 215
Lage gefährlich machten. Die Schieferplatte hatte einen
Vorsprung, wodurch Jean verdeckt wurde und von oben
nicht mehr gesehen werden konnte; und hier wurde er von
Tauseudeu von Guapacos erbittert angegriffen, und mußte
sich mit seinem Machete wehren. Zwar rief er, daß man
ihn hinaufziehen solle; aber vor dem Brausen des Flusses
und dem Geschrei der Menge verhallte seine Stimme nn-
gehört, und stetig wurde er weiter hinabgelassen. Schon
war er nahe dem brausenden Wasser, als man seine gefähr-
liche Lage erkannte und unter dem Beifalle der Menge her-
aufzog. — Am folgenden Tage vervollständigte Andre selbst
die Beobachtungen seines Dieners, indem er sich selbst noch-
mals hinabließ, wenn auch nicht bis zur ganzen Tiefe, und
es gelang ihm, alle gewünschten Dimensionen dieses riesigen,
vom Wasser ausgewaschenen Felscanals festzustellen. Ein
langes Attest des Alcadeu von Pandi constatirte in Pomp-
haften Phrasen diese erste derartige Unternehmung.
Zum Beschlüsse besuchte Andre den bemalten Stein von
Pandi, etwa 1 Kilometer davon entfernt, welchen wir ab-
bilden. Wenn er aber in diesen Zeichen die Schilderung
jener gewaltigen Ueberschwemmuug und Sintslnth, welche
einst in Folge eines Dammbrnches den etwa 10 Kilometer-
großen westlich gelegenen See von Snmapaz entleerte, zu
erblicken vermeint, so sind das Träumereien ohne reelle
Basis. Wir wissen durch Richard Andre's „Ethno-
graphische Parallelen und Vergleiche", daß sich solche „Petro-
glyphen" überall auf Erden wiederholen und daß sie meist
nichts sind, als müßiger Zeitvertreib und die ersten Kunst-
leistungen primitiver Völker.
Am 10. Februar Abeuds waren die Reisenden wieder
in Pandi angelangt, um von dort die angesammelten natur-
historischen Schätze nach Europa zu senden.
Zur Ethnographie
Von Heinri
Ethnographie von Ungarn von Paul Hnnfalvy mit Zustimmung desAutoi
lag des Franklin-Vereins
Römer und Romanen in den Donanländer». Historisch-ethnographische Stndi
sität Innsbruck. Das. 1877. Wagnersche Univer
Die zwei genannten Werke, so verschiedenartig sie sich
nach Inhalt, Plan und Methode der Forschung erweisen,
berühren sich doch in einzelnen Partien ihres Gegenstandes
so nahe, daß es uns angemessen erschien, ihre Besprechung
§u vereinigen und über einzelne der am meisten streitigen
Punkte unsere eigene motivirte Ansicht darzulegen. Jusofern
ein namhafter Theil der ethnographischen Wissenschaft auf
historischer und sprachlicher, auf ältere Zeiträume be-
Züglicher Forschung beruht, wird es auch einer zukünftigen
Generation von Gelehrten an solchen mitunter nur allzu-
wenig Hoffnung auf Lösung gewährenden Streitfragen auf
diesem großen und wichtigen centraleuropäischen Gebiete
nicht fehlen. Denn nicht allein die untere oder östliche Hälfte
jenes reichen Stromgebietes des größten echt europäischen
Flusses, welche sich aus der Knechtschaft eines halbtansend-
jährigen Barbarenthums bis heute nicht ganz hat losringen
können, hat den völligen Untergang des weitgrößten Theils
semer antiken Bevölkerungen, wie sie während der friedlichen
Jahrhunderte römischer Herrschaft doch schon einen gewissen
Grad von Civilisation erreicht hatten, zu beklagen, und nicht
der Douauläuder.
ch Kiepert.
s ins Deutsche übertragen von Prof. I. H. Sch wicker, Budapest 1877, Ver-
XVI nnd 44« Seiten i).
en von Dr. Julius Jung, Privatdocenten der Geschichte an der Univer-
-Buchh. XLIV it. 3is "S. (leider ohne Register).
die dort bis vor Kurzem herrschende Barbarei allein setzte
dem europäischen Forschuugstriebe Hindernisse entgegen.
Auch in der obern Westhälfte des Donaugebietes, die eut-
weder als deutsch gewordenes Land oder doch durch deutschen
Einfluß schon längst der abendländischen Cultur erschlossen ist,
hat gerade die durch die Nähe Italiens gesteigerte Energie
der Nömerherrschast schon der frühern Kaiserzeit die nrein-
wohnenden Völkerstämme am tiefsten umgestaltet uud haben
dann die Einwanderungen germanischer, slavischer, finnischer
Stämme — ganz abgesehen von den nur zerstörenden aber
nichts neues schaffenden Raubzügen der Hunnen, Awaren,
Bulgaren — das Werk der Umformung zu deu jetzt beste-
i) Davon enthalten die 68 letzten Seiten hinter einander
folgend die 699 literarischen und kritischen Noten: eine überaus
unbequeme und dem Leser unnütz Zeit raubende Einrichtung,
zu der leider Humboldt's Kosmos das böse Beispiel gegeben,
mit der wir uns aber ebensowenig befreunden können, als mit
der gegen den sonst eleganten Druck des Buches unangenehm
abstechenden Anwendung schlecht lesbarer Kursivschrift für die
mitunter Seiten lang dem Text einverleibten Citate!
216 Heinrich Kiepert: Zur E
*
henden Völkerverhältnissen vollendet und von dem Ursprung-
lichen kaum erkennbare Spuren zurückgelassen.
Nirgend wohl in jenem ganzen weiten Räume haben
jene Kämpfe heftiger getobt, ohne doch, wie auf deutschem,
südslavischem, rumänischem Boden in der Consolidation eines
einigen Volkstums zu endigen, vielmehr bunt durch einander
gewürfelte Völkerbruchstücke hinterlassen, als in den die Mitte
des ganzen Donaugebietes einnehmenden ungarischen Ebeneu
und den sie zunächst umgebenden Bergländern. Aus drei,
oder wenn man die weniger zahlreichen, aber durch Besitz und
Bildung schwerer wiegenden Deutschen mitzählt, vier große-
ren Gruppen und wenigstens ebenso viel kleineren Theilen
anderer Stämme, unter denen der politisch vorherrschende
nicht einmal die absolute Majorität bildet, ist die unter der
Herrschaft der Stephanskrone zu einem noch immer gähren-
den Staatswesen geeinigte Bevölkerung zusammengesetzt;
über die bunte stellenweise ganz regellose geographische Ver-
theilung derselben belehrt schon ein flüchtiger Blick auf die
bekannte ethnographische Karte des verdienten Statistikers
v. Czoernig. Der zu diesem graphischen Werke gehörige
erläuternde Text ist bekanntlich gerade in Betreff Ungarns
unvollendet geblieben: ein Anlaß mehr für einheimische For-
scher, diese Lücke auszufüllen. Der bekannte tüchtige Historiker
und Philolog Paul Hnnfalvy, der sich dieser Aufgabe
neuerdings unterzogen hat, ist zwar, wie alle Gebildeten nn-
ter seinen Landsleuten, des Deutschen mit Zunge und Feder
vollkommen mächtig, so daß er seit Kurzem auch durch Her-
ausgäbe einer deutsch geschriebenen Nevüe, der „Literarischen
Berichte aus Ungarn", sich ein neues Verdienst um die Ver-
breitung der Kunde seines Vaterlandes zu erwerben begonnen
hat. Für das in Rede stehende Werk aber, statt einer der
drei Weltsprachen, zwischen denen E. Renan allein die
Wahl der Wiedergabe aller wissenschaftlichen Forschungen
gestatten möchte, vielmehr sein nationales Idiom zu wählen,
hat ihu natürlich die Rücksicht auf die Belehrung, welche
vorzüglich seine Landslente in dieser Beziehung bedürfen, be-
wogen. Diese Accommodation an ein vielfach noch in den
Elementen historischer Bildung stehendes Publicum läßt das
Buch entschieden auch in der uns vorliegenden deutschen
„Bearbeitung" (als eine solche, nicht als eine „sklavische
Übersetzung" erklärt nämlich Herr Schwicker Borr. S. XV
seine Arbeit angesehen wissen zu wollen) erkennen, und bietet
darum auch gauze, meist direet aus deutschen Werken ent-
lehnte Abschnitte, deren Inhalt bei jedem deutschen oder über-
Haupt westlichen Leser solcher Bücher als bekannt voransge-
setzt werden kann. Durch Ausmerzung solcher überflüssigen
und Zusammenziehungen der in behaglicher Breite sich er-
gehenden vielfachen Wiederholungen würde der Bearbeiter sich
ein größeres Verdienst um die Leser erworben haben, als
durch die hier und da eingefügten, nichts gerade wesentliches
und neues bietenden eigenen Zusätze :).
!) Um nvch eine andere unangenehme Seite der Kritik
gleich hier an der Schwelle abzuthuu, möchten wir auf einen
Mangel aufmerksam machen, der die deutsche Ausgabe zu ihrem
großen Nachtheil durch Schuld des Bearbeiters verunziert: ein-
mal die zahlreichen Druckfehler, besonders in den griechisch ge-
druckten Wörtern und Namen, aber auch Jncorrectheiten, welche
nicht dem Setzer zur Last fallen können und in Deutschland
keinem Professor verziehen werden dürften (z. B. Disgression
S. 110, Hepdomas S. 166, Paeon als „Landschaft" S. 62,
Limigant-Sarmaten S. 59, Metanasta-Jazygen), wo statt des
directen Rückübersetzens aus dem Magyarischen doch jedes
lateinische Wörterbuch sofort die richtige Form gelehrt hätte.
Dann aber könnte man einen bessern, von Austriacismen rei-
nern Stil um so eher verlangen, als Herr Schwicker in anderen
Arbeiten (z. B. öfteren Artikeln in der A. A. Z. und im Ma-
gazin f. Lit. d. Ausl.) gezeigt hat, daß er einen solchen wohl
leisten kann. Wendungen des k. k. Kanzleistils wie „die genug
nvgraphie der Donauländer.
So würden wir gleich die einleitenden Abschnitte aus der
allgemeinen Ethnographie nach der anthropologischen wie
nach der linguistischen Seite, welche von §. 1 bis 15 eigent-
lich nur Auszüge aus den allbekannten Schriften von Blumen-
bach, Retzius, W. v. Humboldt, Steinthal, Fr. Müller,
O. Peschel und Anderen bringt i), an dieser Stelle ebenso
gern entbehrt haben, wie die im Versolg der Einzeldarstel-
lnng bei jeder Gruppe sich wiederholenden „zoologischen
Charakteristiken" 3), welche nichts enthalten, als den Ziffer-
ausdruck einiger Schädelmessungen, selbst ohne auf die übri-
gen charakteristischen körperlichen Merkmale in Gesichtsschnitt,
Farbe der Augen, des Haares n. s. w. einzugehen. Jeden
Versuch einer Charakteristik der geistigen Stammeseigenthüm-
lichkeiten vollends würde mau durch das ganze Buch vergeb-
lich suchen.
Liegt die Stärke des Verfassers vorzugsweise auf der
Seite der historischen Betrachtung, so müssen wir doch zu
unserm Bedauern davon sogleich den ganzen ersten, die an-
tike, d. h. vormagyarische Zeit enthaltenden Abschnitt (S. 18
bis 35) als den entschieden schwächsten und sür deutsche Le-
ser leicht entbehrlichen ausschließen. Gleich der Beginn:
die Classification der sogenannten Stein-, Bronze- und Eisen-
Periode kann dem heutigen Standpunkte der sogenannten
prähistorischen Wissenschaft nach für veraltet gelten, und die
darin enthaltenen wenig zahlreichen Beobachtungen betreffen-
der Objecte aus ungarischem Gebiet werfen keinerlei Licht
auf die wirklichen ethnographischen Verhältnisse des Alter-
thnms 3). Ebensowenig gewinnen diese aus der den weit
harten Gesetze" (S. 220), „über Ermahnung der Römer" (S. 48;
gemeint ist: in Folge von Aufforderung des römischen Befehls-
Habers), „aus dem Borangelassenen" (£>. 171, statt „Vorstehen-
den"), „der Kehlhauch übergeht in" (<&. 407, Note 316 statt
„geht über"), lleberschristen wie die des V. Abschnittes: „Völker-
ankömmlinge die mit den Magyaren verschmolzen", und die wie
fast in jedem österreichischen Druckwerke sich zum Ueberdruß
wiederholende falsche Conftruction von nachdem mit dem Prä-
sens im causalen, statt im temporalen Sinne statt da, indem
sz. B. nachdem der jetzige Zustand das Produet der vorange-
gangenenZeiten ist; — nachdem die Sprache das geistige Besitz-
thum des Volkes ist; — nachdem wir ein Urtheil abgeben
müssen) und Umschreibung des Conj. Jmperf. durch das Hülss-
zeitwort würde, barbarische Wortungeheuer wie diesbezüglich
und dergleichen mehr sollten doch in einem Werke Wissenschaft-
lichen Charakters dem guten Geschmacke des Lesers erspart bleiben.
*) Die in §. 10 geäußerte Ansicht des Verfassers, welche
den sogenannten indoeuropäischen Sprachen, bekanntlich den for-
mell unter allen am höchsten entwickelten, nur eine höhere Po-
tenz der sogenannten Agglutination, keine eigentliche Flexion
zuschreiben und diese vielmehr ausschließlich auf die semitischen
Sprachen beschränken möchte, wird wohl im Kreise seiner deut-
schen Fachgenossen nirgend auf Billigung zu hoffen haben!
2) Am ausführlichsten die der Magyaren S. 273 bis 275,
dann der „ungarischen" (doch wahrscheinlich körperlich von ihren
übrigen Stammgenossen nicht verschiedenen) Deutschen S. 297,
der Slaven S. 333, der Rumänen S. 361, der ungarischen Juden
S. 374. Was jene vereinzelten Zahlen lehren sollen, ist schwer
abzusehen; begreiflich würde zumal unter der Voraussetzung der
Beherrschung eines weit reichern Materials nur eine verglei-
chende Zusammenstellung dieser Maße unter einander und mit
anderen gleichartigen Ergebnissen Schlüsse, und zwar immer
noch nur höchst allgemeiner Art, über den durchschnittlichen
äußern Typus zu ziehen ermöglichen.
3) In einzelnen Stellen dieser ersten Abschnitte ist manche
offenbare Gedankenlosigkeit zu rügen, von der wir nicht wissen,
ob sie schon dem eigentlichen Autor zur Last fällt, die aber dann
der Bearbeiter hinwegzuräumen verpflichtet war. So werden
in §. 19 die zwar nicht auf Autopsie, aber aus gleichzeitiger
Berichterstattung beruhenden Angaben bei Herodot, Cäsar,
Strabo ohne Weiteres in die vorhistorische Zeit eingereiht!
S. 46 ist in ein und demselben Satz die Grenze des Quaden-
reiches im 1. Jahrh. n. Chr. als unbestimmbar und sofort dar-
auf durch zehn ihm angeblich entsprechende heutige Comitate be-
zeichnet!^ Aus Ovid's (lidici getice sarmaticeque loqui wird
die Gleichheit beider Sprachen gefolgert, als ob que „oder"
Heinrich Kiepert: Zur Et!
größten Theil des Abschnittes römische Periode (§. 20
bis 23) einnehmenden in großer Breite und etwas naiver
Darstellung wiedergegebenen politischen Geschichte der
Kaiserzeit, wogegen man vergeblich nach Aufklärungen über
die socialen und ethnischen Zustände der römischen Provin-
zen Pannonien und Dacieu sucht. Wenn das Material
dafür nicht bei den bekannten Historikern des Alterthums
offen zu Tage liegt, sondern an versteckten Orten, besonders
in den aus der Römerzeit massenhaft erhaltenen Jnschrif-
ten gesucht werden muß, so ist seiner bequemen Benutzung
durch den genialen Fleiß und Scharfsinn Th. Mommsen's,
der in den einleitenden Abschnitten der großen lateinischen
Jnschriftensammlnng (1873) auch bereits die culturgeschicht-
licheu Resultate gezogen hat, und die auf neuen Funden be-
ruhende Nachlese O. Hirschfeld's (1876) genügend vor-
gearbeitet worden, eine Umgehung dieser reichen Quelle mit'
hin nicht zu entschuldigen 1). Auch die folgenden Abschnitte,
welche die germanisch-hunnische, die avarische Periode und
die der fränkischen Herrschaft behandeln (§. 24 bis 34),
bringen dem deutscheu Leser, der die darin zu Grunde geleg-
ten Werke Dümmler's und Büdingens kennt, nichts Neues,
wie das allerdings für magyarische Leser der Fall sein mag.
Doch wollen wir nicht übergehen, was aus eigener Forschung
des Autors hervorgegangen scheint, das in §. 32 richtig
hervorgehobene Verhältniß der auf später ungarischem Bo*
den im 9. Jahrh. zusammentreffenden nationalen Gegensätze,
der durch Activität in den Vordergrund tretenden deutschen
(wesentlich bairischen) Bewohner von Städten und Flecken
mit deutschen Namen zu einer an Zahl wahrscheinlich weit
überwiegenden slavischen Landbevölkerung, deren Wohnorte
zu unbedeutend sind, um von den Chronisten und Urkunden
der Erwähnung gewürdigt zu werden.
Erfreulicher für den Wissensdurstigen ist die Beschäs-
tigung mit dem zweiten Hauptabschnitt, der Darstellung der
ethnischen Verhältnisse, wie sie sich seit der magyarischen
Eroberung gestaltet haben, zunächst derjenigen dieses Haupt-
Volkes selbst, dem sehr natürlicher Weise allein die größere
Hälfte des Raumes in nur mitunter zu redseliger und
häufige Wiederholungen nicht ausschließender Weise gewid-
met ist. Verfasser befindet sich hier auf seinem eigensten,
historisch und sprachlich vollkommen beherrschten Arbeitsfelde,
und seine Erörterungen so mancher bisher dunkeln Punkte
können, namentlich von den aus diesem Gebiete nur aus-
nahmsweise einmal zu selbständigem Urtheile befähigten West-
europäischen Lesern, nur mit Dank entgegengenommen werden.
Zwar die ersten historischen Nachrichten über das Auf-
treten der Magyaren gehören noch zu dem Allbekannten,
da sie auf längst zugänglichen Zeugnissen Fremder beruhen:
dem des Arabers Jbn-Dasta (gegen 900), welches in
Chwolson's deutscher Übersetzung mitgetheilt wird, und dem
des kaiserlichen Dilettanten von Byzanz, Konstantinos Por-
phyrogennetos (um 950), welches uns zugleich die eiuhei-
mische Tradition über die frühere Heimath des ungarischen
bedeutete! S. 50 werden eine Anzahl Zuflüsse der Save aus
Strabo, bei dem die Namen gar nicht vorkommen (statt aus
-plinius und Ptolemäus) citirt! Auch daß bei Erwähnung der
Weisen des Pytheas als letzte benutzte Arbeit über diesen grie-
chtjchen Erdforscher die von Fuhr aus dem Jahre 1835 und
E. Ritter's betreffender Passus in den nach seinem Tode 1861
veröffentlichten Vorlesungen angeführt, dagegen Bessel (1853)
und besonders die epochemachende Untersuchung Müllenhoss's
(un l. Bd. der Deutschen Altertumskunde, 1870) ganz ignorirt
werden, zeugt doch wenigstens von einer überaus unzureichenden
Beherrschung des vorhandenen Materials.
*) Mommsen's Werk wird zwar S. 56 citirt, daß es aber
mcht gründlich benutzt ist, zeigt z. B. die Wiederholung eines
alten, darin widerlegten Jrrthums, der Gleichstellung des alten
Aguntum mit dem heutigen Jnnichen, S. 51.
Globus XXXIV. Nr. 14.
wgraphie der Donauländer. 217
Volkes aufbewahrt hat. Für die darin enthaltenen topo-
graphischen Daten bleibt Verfasser bei des seligen Hammer-
Purgstall Erklärungen stehen: die letzte, auch dem Araber-
bekannt gewesene Station des Volkes vor dem Eindringen
in die Donauländer ist der Landstrich im Norden des Schwar-
zen Meeres am Dnjepr oder, wie er dort mit alttürkischem
Namen genannt wird, dem Uz u, die weiter nach Nordosten
zurückliegende ältere im Lande Lebedia wird vom byzantiui-
scheu Autor richtig durch den Fluß Chidmas, d. i. den
Kilmas bei Wjätka, bezeichnet. Ein klareres Licht gewinnen
nun aber diese Angaben durch die Bestätigung, welche unser
moderner Autor auch jetzt noch nach Verlauf eines vollen
Jahrtausends aus dem Zeugnisse des ältesten und trotz aller
erklärlicher fremder Beimischung nationalsten Besitze seines
Volkes, aus der Sprache, zu gewinnen weiß: dieses führt ihn
mit völliger Sicherheit noch nördlicher hinauf am Ural zu
den dialektisch nächstverwandten Stämmen der Permi er,
Syrjänen und Wogulen. Allerdings war auch hier das
entscheidende Resultat von Untersuchungen aus dem Gebiete
einer noch so jungen Disciplin, wie die vergleichende Sprach-
Wissenschaft ist, dem Autor durch zwei Vorgänger vorweg-
genommen, deren Persönlicher Mnth, unter den für den Cnl-
tnrmenfchen größten Opfern in der unwirklichsten Umgebung
unter jenen rohen Naturvölkern selbst das erforderliche sprach-
liche Material zu sammeln, nicht genug anerkannt werden
kann. Es sind der Ungar Reguly (1844) und der ent-
serntere Stammgenosse ans dem früher schwedischen Finnland,
Prof. Ahlqvist (1858), die auch schon aus aufmerksamer
Vergleichnng sowohl der grammatischen Formen als des
Wortschatzes den überzeugenden Beweis für das einstige
Verweilen der Vorfahren der heutigen Magyaren in jenen
Gegenden geführt haben. Ueber ihre allgemeinen Ergebnisse
geht nun aber Hnnfalvy hinaus, indem er, derselben Methode
folgend, welche schon vor längerer Zeit Pictet, A. Kuhn und
Andere so glücklich auf die Urzeiten der arischen Völker an-
gewendet haben, das als allen Stämmen gemeinsam oder
andererseits als Entlehnung sich erweisende Sprachgut selbst
benutzt, um daraus Schlüsse auf den Culturzustaud vor und
nach der Trennung jener Stämme zu ziehen. Als gemein-
sam erweisen sich zunächst, außer einem sehr beschränkten
Kreise religiöser Vorstellungen, die sich meist aus die Ideen
von Segen und Fluch, auf Zauberkräfte um dieselben herbei-
zuziehen und dergleichen beschränken, aber noch keine reich
entwickelte Mythologie, wie bei den westfinnischen Völkern,
kennen, zunächst nur die überaus zahlreichen Ausdrücke, welche
auf die aus jenem rauhen Boden naturgemäßen Beschäftigungen
des Menschen, Jagd und Fischerei, Bezug haben; sodann
aber auch eine ziemliche Anzahl, welche eine über die Ansangs-
stadien bereits hinausgeschrittene Civilisation beweisen, wie
das Wohnen in Häusern, sogar in zusammengebauten Dör-
fern, die Keuntniß des Spinnens, Webens, Stickens und der
Benutzung der in den uralischen Berglandschasten häufigen
Metalle, Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei, aber anch schon
des Eisens, wie denn auch für eine Waffe, das Schwert,
die Ausdrücke in den verwandten Dialekten übereinstimmen.
Von Haussieren sind dagegen für jene älteste Periode nur
Pferd und Hund sicher zu erweisen, während sie schon für
Schaf und Rind, in Folge erst späterer Bekanntschaft mit
denselben, auseinandergehen. Ans dem ausfallenden Fehlen
des den übrigen ostfinnischen Stämmen gemeinsamen Wor-
tes für Meer im Magyarischen und dessen Ersatz durch ein
ursprünglich türkisches (tengiz, westtürk. deniz, magyar. ten-
ger) wird mit Recht der Schluß ans die Lage der besondern
Ursitze der Ungarn unter ihren Stammgenossen, am weitesten
südlich und an der Grenze der türkischen Stämme gezogen;
eben dahin weisen die übrigen in §. 41 nachgewiesenen
28
218 Heinrich Kiepert: Zur E
sprachlichen Einflüsse türkischer Wörter im Magyarischen,
insofern sie die später erlangte Bekanntschaft mit den meisten
Hansthieren, den im hohen Norden nicht wohnenden größeren
Naubthieren, den Getreide- und Obstarten und den Geräth-
schasten des Ackerbaues und der Hauswirthschast erweisen.
Einen weit größern Antheil ihres heutigen Wortvorrathes
haben die Ungarn dagegen den Slaven und zwar speciell
(wie die erste Autorität auf diesem Sprachgebiete, der Slo-
veue Miklofich, aus den besonderen Wortformen bewiesen
hat) dem in der Gegenwart auf deu kleinen Rest ihres alten
Terrains iu der Kram zurückgedrängten Stamm der Slo-
w en en zn verdanken, da sie das von diesen früher in weitem
Umfange an der Mittlern Donau besetzte Gebiet sich unter-
warfen. Es gehören dahin sehr viele Namen von der neuen
Heimath angehörigen Thieren und Pflanzen, ferner die mei-
ften auf Ackerbau, Handwerk, Wohnung, Kleidung, Speise,
Maß und Münzen bezüglichen Ausdrücke, endlich in geistiger
Beziehung alle Ausdrücke politischer und religiöser Ideen.
Die sogenannte nationale Tradition über die magyarische
Urgeschichte, wie sie bei drei erst beut 13. und 14. Jahrhundert
angehörigen Chronisten, Keza, Marcus, Johann v. Thurocz^
erhalten ist1), und zwar in demselben weitschweifigen und gegeu
die lakonische Kürze der Behandlung der folgenden Iahrhuu-
derte abstechenden Mißverhältniß, welches die ähnlichen söge-
nannten Mythhistorien anderer Völker ausweisen 2), mit ihrer
gänzlichen Jgnorirung aller Chronologie und namentlich des
in deu Donauländern tatsächlich bestandenen Avarenreiches
und ihremdirecten Anknüpfen an die angeblichen hunnischen
Vorfahren enthält auch nicht einen Punkt von historischer
Glaubwürdigkeit 3); eiu neues Verdienst Hnnsalvy's ist aber der
Nachweis, daß ihre auffallende Übereinstimmung unter ein-
ander auf Beuutzuug ein und derselben deutschen Quelle
beruht, welche ein praktisches Interesse an der Aufnahme
der germanischen Sagen aus der Zeit der Völkerwanderung
und des Eingreifens der hunnischen Eroberer des 5. Jahr-
Hunderts hatte. Es ist wahrscheinlich kein anderer, als der
in Ausbreituug seiner geistlichen Herrschaft überaus eifrige
Bischos Piligrim von Passau, der gegenüber der Rivalität
seines Salzbnrger Collegen bei der Neueröffnung Ungarns
für das abendländische Christenthum im 11. Jahrhunderte
die alten Ansprüche seines Sprengels aus das ehemalige Hnn-
nia nicht wollte verloren gehen lassen, dem wir die Zu-
sammenschmiedung jener angeblichen alten Traditionen ver-
danken.
Es solgt sodann wieder ein Abschnitt (IV. Christenthum
und Königthum bei deu Magyaren, §. 46 bis 50), dessen
Inhalt ethnographischen Zwecken völlig fremdartig ist, und
dessen fehr gedehnte Erörterungen über die Ursachen der
Kirchenspaltung zwischen Rom und Konstantinopel, über die
Natürlich wird der berüchtigte, noch von I. v. Hammer
und vielen leichtgläubigen Magyaren als echt hochverehrte söge-
nannte Anonymus Belae regis Notarius von unserm Autor,
wie von der ganzen jetzigen Kritik als eine Fälschung des
13. Jahrhunderts anerkannt.
2) Wie die Romane der römischen Königsgeschichte, der
griechischen Heroenzeit, der Moses-Josua-Periode verglichen mit
der Sterilität der beiden ersten Jahrhunderte der röinischeu Re-
publik, des Zeitraumes zwischen Troja und den Olympiaden,
der jüdischen Richterzeit, d. h. der thatsächlichen dürftigen An-
sänge wirklicher historischer Erinnerung.
3) Daß der Beweis der absoluten Fabelhaftigkeit jener Er-
Zählungen für die Landleute des Verfassers eine noch weitergehende
Bedeutung hat, als für uns abendländische, einer strengern Kritik
längst gewohnte Leser, denen er vielleicht überflüssig erscheinen
könnte, lernen wir aus der S. 202 gegebenen Versicherung, daß
heutiges Tages noch jeder Szekler (bekanntlich die im 11. Jahr-
hundert in Siebenbürgen angesiedelte magyarische Kolonie) auf
die directe Abstammung seines Volkes von den auf Attila's Be-
fehl dort angesiedelten Hunnen zu schwören bereit ist.
nographie der Donauländer.
Unechtheit der pseudoisidorischen-Decretalen und dergleichen
keinem deutschen Leser etwas nicht längst Gewußtes bringen.
Schwer ist es auch, die rechte Stellung im Verfolge des
ethnographischen Zusammenhanges für folche in der Folge
gänzlich verschollene Volkstheile zu gewinnen, wie es die im
Mittelalter im ganzen Lande zerstreuten, doch auch hier und
da als Ackerbauer in Dorsschasten zusammenlebenden söge-
nannten Jsmaeliten (d. i. Mohammedauer) gewesen sein
müssen, in denen der Verfasser Reste ausgewanderter Cha-
zaren und Bulgaren sieht, die erst durch den erzwuugeuen
Uebertritt zum Christenthum seit dem 13. Jahrhundert sich
in der übrigen Volksmasse aufgelöst haben. Der folgende
Abschnitt, welcher die verschiedenen Einwanderungen anderer,
aber mit den Magyaren entfernter verwandten Stämme
(„Völkerankömmlinge", wie sich der Uebersetzer wunderlich
ausdrückt) behandelt, hat es ebenfalls nur mit vorübergegau-
genen Phasen der Volksgeschichte zu thun, welche in der
Neuzeit nichts als bedeutungslose Namen zurückgelassen haben,
während die ursprünglichen Träger derselben, wenn sie auch
Jahrhunderte laug als Fremdlinge angesehen, von besonderen
nationalen Vorstehern «(sogenannten Jspanen) verwaltet wur-
den, längst in der großen Masse des herrschenden Volkes
aufgegangen sind. Dahin gehören die seit der zweiten Hülste
des 11. Jahrhunderts im Lande zerstreut erscheinenden Pe-
tschencgen,deren Name, magyar. Besenyö, slav. Besenowo,
noch jetzt an manchen Ortschaften des nördlichen und West-
lichen Ungarns hastet x). Dann ihre Besieger in den öst-
lichen Flachländern, die türkischen und gleichfalls heidnischen
Knm anen (magyar. Kun, Plnr. Künok), welche feit Ansang
des 12. Jahrhunderts von der südöstlichen Grenze Sieben-
bürgens her eindringen, zugleich aber auch über die Karpa-
ten vou N.-O. her, unter einem andern Namen, den sie von
den slavischen Nachbaren erhalten hatten (Polowtzy, magyar.
Palocz), sich Wohnsitze in den nördlichen gebirgigen Comi-
taten Borsod, Heves, Neograd, Gömör erzwingen. Die
Chroniken des 13. Jahrhunderts sind voll von den Nänbe-
reien, die das ebene Land Ungarns von ihrem nomadischen
Treiben zu leiden hatte; erst nach den ferneren Verwüstun-
gen desselben durch die Mongolen in den Jahren 1241 bis
1242 wurde der Versuch gewagt, sie durch seste Ansiedelung
in besonderen Districten und politische Privilegien auch dem
Christenthum zu gewinnen, was bis zu schließlichem Gelin-
gen immer noch über ein Jahrhundert erforderte. Als eine
Unterabtheilung der Kumanen (so in Urkunden noch des 16.
und 17. Jahrhunderts bezeichnet und durch sprachliche Merk-
male bestätigt) werden ferner die sogenannten Jazygier
(magyar. Jasz, Plnr. Jaszok, d. i. Bogenschützen, in latein.
Urk. Jassones) bezeichnet, und die mißbräuchliche Antikisi-
ruug dieses Namens für ein Volk, welches mit deii^Jazygen
des römischen Alterthnms nur zufällig einen Theil der
Wohnsitze gemein hat, auf Rechnung philologischer Gelehr-
samkeit der Zeit des Mathias Corviuus (15. Jahrh.) ge-
schrieben2). Gleichsalls den Kumanen (dem hier als der
allgemeinere geltende Namen) untergeordnet erscheint endlich
x) Wenn es aber auch in Siebenbürgen einen gleichnamigen
Ort giebt, den die dortigen Deutschen jener Zeit, als sie in den
neuen Ankömmlingen türkischen Stammes echte Heiden kennen
lernten, deshalb Heidendorf benannten und noch jetzt so nen-
nen, so folgt doch unseres Erachtens daraus noch nicht, wie der
Verfasser meint, daß alle vom Volke sogenannten Heidengräber
gerade von jenen Petschenegen herrühren müssen; nicht wenige
derselben in Siebenbürgen sind ja vielmehr weit altern Ur-
sprungs, aus der Römerzeit!
2) Noch ergötzlicher ist ein anderer Calembourg dieser in
archäologischen Dingen aller Kritik entbehrenden Gelehrtenzunst,
der die pila (Pfeile) jener Bogenschützen genügten, ihr den Na-
men Phüistaei zu geben (so in einer Urkunde von 1393).
Heinrich Kiepert: Zur E
in Urkunden zuerst des 15. Jahrhunderts eine Kriegerhorde
sogenannter Tataren^), bekanntlich außerhalb Ungarns eine
sehr verbreitete Benennung türkisch redender Nomadenstämme,
die aber hier schon längst keine Spuren mehr znrückgelas-
feit hat.
Ju dem Schlußparagraphen über die gegenwärtigen Zu-
stände ist von Interesse die Vergleichnng der seit einem Jahr-
hundert nur wenige Mal wiederholten Schätzungen (von
wirklichen Zählungen ist kaum zu rede»), welche erst in aller-
jüngster Zeit ciu mäßiges Anwachsen der echt magyarischen
Bevölkerung deutlich erkennen lassen, während vor einem
Jahrhundert der erste Gelehrte, welcher sich an einer Ab-
schätznng der Nationalitäten versucht hatte, Kollar, bereits
glaubte, das baldige gänzliche Aussterben der Magyaren in
Aussicht stellen zu müssen! Immerhin hat auch die erste
wirkliche, wiewohl uoch keineswegs mit ausreichender Ge-
nanigkeit ausgeführte Zählung vom Jahre 1851 unter einer
Gesammtzahl von 13^/z Mill. Bewohnern der ungarischen
Kronländer nicht viel über 5 Mill. Magyaren ergeben, die
sich nach Keleti's Schätzung um 1870 auf etwa 6 Mill.
vermehrt haben sollen.
Die Deutschen, die gegenwärtig schon durch ihre Zahl
von nahezu zwei Millionen, noch mehr aber durch geistige
Cultur, Thätigkeit, Besitz eine sehr hervorragende Stellung
in diesen Ländern einnehmen, werden auch in Beziehung aus
die älteren Zustände nur in das verdiente Licht gerückt, indem
sie geradezu als die Civilisatoreu der noch barbarischen Ge-
fellschaft, als die eigentlichen Stadtgründer und Träger aller
Prodnctiven Thätigkeit bezeichnet werden. Selbst in den am
meisten echt magyarischen Tiefebenen der Theiß giebt es im
Mittelalter keinen größern Wohnort ohne deutsche Bürger
oder, wie sie in den Urkunden des 13., 14. Jahrhunderts ge-
wohnlich heißen, liospites; in dem Landstriche älterer Cultur
westlich der Donau (dem alten Pannonien) finden sich schon
unter König Stephan bald nach 1000 fast ganz deutsche
Städte, wie Stuhlweißenburg und andere, die sich einer
selbständigen, durch die Privilegien des magyarischen Adels
nicht berührten Gemeindeverwaltung und Gerichtsbarkeit er-
freuen, daher das natürliche Streben entfalten, ihre Nationa-
lität möglichst unvermischt zu erhalten. Die weit größte
Zahl aber meisteutheils rein deutscher Städte, wiewohl der
Bodenbefchaffenheit ensprechend von kleinerm Umfange, findet
sich bekanntlich inl gebirgigen Nordungarn, in den an mine-
ralifchen Schätzen reichen Thälern der Karpaten: ein Umstand,
der gerade die von jeher im bergmännischen Fache sich ans-
zeichnende Nation in Menge anziehen mußte, den aber der
Verfasser zu unserm Befremden hervorzuheben durchaus
unterlassen hat.
Das enge Zusammenhalten der im Laude wohnenden
Deutschen beweist sich nirgend entschiedener, als in dem schnel-
len einmüthigen Ergreifen der Kirchenreformation, und fo
mußte uothwendig die von 1650 bis 1780 herrschende katho-
lisirende Gegenströmung zum großen Schaden des Staates
und) eine Schwächung und Verminderung des geistig bis
dahin alleinherrschenden deutschen Elements zur Folge haben;
Verfasser bemerkt ausdrücklich, wie viele Tausende der damals
gewaltsam zurückbekehrten Deutschen im nördlichen Ungarn
sich auch sofort eutnationalisirt und die Sprache der Slo-
Waken, unter denen sie wohnen, angenommen haben. Plan-
mäßig wurde dann seit dem vorigen Jahrhundert der Ein-
fluß des Protestautismns, so weit er sich immer noch vor-
züglich durch das deutsche Element geltend machte, neutralisirt
*) Warum wendet der Bearbeiter S. 245 ff. stets die hun-
dertmal berichtigte falsche Schreibart Tartaren an. während er
doch <&. 246 in einem magyarischen Stamme richtig tg.tä.1- und
422 in Citaten aus latein. tlrk. Tatari giebt?
nographie der Donauländer. 219
durch die Seitens der österreichischen Regierung in den durch
die Türkenkriege verödeten südlichen Ebenen, besonders dem
erst 1706 wiedereroberten Banat angelegten Colonien. Es
wurden diese Ländereien, welche bald durch den Fleiß der
neuen Ansiedler zu den blühendsten des ganzen Landes zähl-
ten, zwar auch an deutsche Ansiedler vergeben, aber durchaus
an katholische, meist aus dem oberu Rhein- und Moselland,
Franken, Tirol, zumeist aber aus dem schwäbischen Kreise,
daher der Name Schwab (magyar. Svab) für alle diese
Deutschen im ungarischen Sprachgebrauche herrschend gewor-
den ist. Die geringe Anzahl französischer Lothringer, sogar
vereinzelter Italiener uud Spanier, welche damals mit den
Deutschen Landbesitz erhielten, ist unter denselben schon längst
derart aufgegangen, daß sie deutsche Sprache und Sitte an-
genommen haben ]), ja so stark erweist sich hier im Süden
Ungarns — im Gegensatz zu dem Rückgang, den es im
Norden erlitten hat — das Deutschihum, daß es auch das
serbische uud rumänische Gesinde, selbst ganze Dorstheile
dieser Nationen nach und nach germanisirt hat. Gleichwohl
ist schon Joseph's II. aufgeklärtes Regiment von den durch
diese katholisch-deutschen Colonisten erreichten Resultaten so
wenig befriedigt gewesen, daß von Neuem an eine Zuziehung
gesteigerter Arbeitskräfte aus protestautischeu Gegenden ge-
dacht und solcher Zuzug auf jede Weife begünstigt wurde.
Allem da diese neuesten Colonisten im mittler» Landestheile
fast überall in zu geringer Anzahl unter einer überwiegend
magyarischen Bevölkerung vertheilt wurdeu, sind sie bedaner-
licherweise in weniger als einem Jahrhundert dem Deutsch-
thum fast vollständig entfremdet worden 2).
Ueber die siebenbürgischen Deutschen oder söge-
nannten Sachsen dürfen wir natürlich nach den fast erschö-
psenden historischen Werken von Maurer, Deutsch, Sei-
vert bei unserm Autor keine neuen Aufklärungen erwarten:
es fei hier nur bemerkt, weil es weniger allgemein bekannt
ist, daß anch in diesem südöstlichsten Colonialgebiete das
deutsche Element seit den Zeiten der ersten Niederlassungen
im 12. Jahrhundert, statt erhebliche Fortschritte zu machen,
1) Als einzige von jenen Colonisten übrig gebliebene Spu-
ren werden eine Anzahl von Familiennamen, besonders fran-
zösische, sowie ein paar Ortsnamen des Banats, wie Billet,
Soultour, Charleville, genannt.
2) Mancher Leser, der sich für Specialitäten der ethnogra-
phischen Bertheilung, so weit sie wenigstens unsere Nation an-
gehen, interessirt, dankt es uns vielleicht, wenn wir die aus
Hunsalvy's fleißiger Arbeit über die älteren deutschen Colonien
gesammelten Notizen hier übersichtlich zusammenstellen.
Sogenannte Sachsen, d. i. niederdeutsche Einwanderer,
welche zunächst für die Bergwerksarbeit von den ungarischen
Königen instand gerufen wurden, giebt es in compacten Mas-
sen in den Bergstädten Alt- und Neu-Sohl, Bries, Libethen,
Karpfen, Schemnitz, Kremnitz, sowie an der siebenbürgischen
Nordgrenze in Nagybanya und Felsöbanya; alsdann in den meist
viel kleineren rein deutschen, privilegirten Bergstädten (manche
darunter jetzt nur noch Dörfer) des Zipser Comitates, welche
bereits 1204 einen Bund zu gegenseitiger Bertheidigung schlössen,
1412 zur Hälfte an Polen abgetreten werden mußten und erst
1772 als alter ungarischer Besitz wieder an Oesterreich zurück-
gelangten; es werden ihrer als „königliche Freistädte" jetzt be-
kanntlich nur noch 16 gezählt, ursprünglich soll die Zahl 24 ge-
wesen sein, aber die mitgeteilten Listen ergeben noch einige
mehr. Es sind Leutschau, Kesmark, Neudorf, Leibitz, Bela, Men-
hartsdorf oder Berbö, Rißdorf, Matzdorf, Bölk, Michelsdorf,
Kirchdrauf, Wallendorf, Eulbach (oder Vellbach), Georgenberg,
Deutschendorf, Densdorf (eigentlich Dionysdorf), Odorin, Palms-
dorf, Spernsdorf, Dvnnerstmarkt, Kapsdors (mit dem dazu ge-
hörigen Primsdorf), Groß-Schlagendorf, Eisdorf, Müllenbach,
Durlsdorf; außer diesen privilegirten Orten werden noch Kakas-
Lomnitz, Hnnsdorf, Svabocz, St. Kirn, Zsakocz, Kalbach oder
Kaiderbach, Thomasdorf, sowie die deutschen Bevölkerungstheile
in den Städten Kaschau. Eperjes, Bartfeld, Zeben, Abanj und
in einigen Ortschaften des Thuroczer, Arvaer, Liptauer, Zem-
pliner Comitats als Sachsen angesehen. Als Oberdeutsche
28*
220 Heinrich Kiepert: Zur G
wenigstens in den letzten Jahrhunderten in einem auffäl-
ligen Rückgänge begriffen ist. So befinden sich z. B. die
schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts fast ausschließlich
von deutschen Bergknappen betriebenen Gold-, Silber- und
Kupferbergwerke von Radna, Groß- und Klein - Schlatten,
Salzburg gegenwärtig vollständig in den Händen der Rn-
mäuen oder Wlachen, und die damals ebenfalls deutschen Städte
Dees, Enyed, Thorenburg, Klausenburg sind schon seit dem
17. Jahrhundert fast durchaus magyarisirt worden^).
Die der großen slawischen Familie2) ungehörigen, in
ihrer Gesammtheit jedes der übrigen Völker der ungarischen
Krone an Zahl übertreffenden Volksstämme würden eine der
herrschenden Nation gefährlichere Macht repräfentiren, wenn
eine engere, wenigstens geistige Verbindung unter ihnen mög-
lich wäre: diese aber verhindert doch die zum Theil recht
starke Verschiedenheit ihrer besonderen Sprachen, wie eine
materielle Einigung ihre locale Zersplitterung, da sie größten-
theils in der Peripherie des Reiches wohnen. So haben sie,
seitdem die ältere kroatisch-serbische Eroberung des ganzen
Mitteldonaulandes (um 635) durch die neue magyarische
Völkerfluth zersprengt worden ist, nur noch eine secuudäre Be-
deutung, was allerdings nicht ausschließt, daß die beiden der
Zahl nach stärksten Slawenvölker, von denen Theile innerhalb
der Reichsgrenzen wohnen, nicht ohne Erfolg nach einer Ver-
stärkuug und räumlichen Erweiterung ihres Einflusses stre-
ben 3). Dies sind im nördlichen Berglaude die Slowaken,
ihrem Dialekte nach nächste Vettern der Tschechen in Böhmen
und Mähren, denen schon die Unterdrückung des Hussiteu-
verrathen sich dagegen durch ihren Dialekt in derselben Gegend
die sogenannten Gründner, d. i. die Bewohner von Schmölnitz,
Stoß, Schwedler, Remele, Gölnitz, Wagendrüssel, Metzenseif,
Dobschau, die sogenannten Krikehaier in Deutsch-Bronn, Stu-
ben :c., die alemannischen „Haidebauern" smagyar. Nyulasok,
d. i. „Hasenheger", genannt), welche im Wieselburger Comitat
3/4 der Bevölkerung bilden, endlich die einen österreichisch-bayeri-
schen Dialekt sprechenden Hienzen in vielen Flecken und Dör-
fern der Comitate Oedenbnrg und Eisenburg und namentlich
in den Städten Güns und Ruft. Die früheren oberdeutschen
Bewohner von Pukanz, Pilsen und anderen Nachbarorten dage-
gen haben völlig die slowakische Sprache angenommen.
1) Beiläufig zur Berichtigung eines alteingewurzelten (in
der Benennung septem castra schon bei dem Ungarn Keza im
13. Jahrhundert vorkommenden) immer wiederholten Jrrthums
über die Entstehung des deutschen Namens Siebenbürgen,
die Bemerkung des Verfassers, daß derselbe einfach eine Ver-
drehung des Namens Cibin (magyar. Szeben) ist, den die zu-
erstangelegte deutsche Kolonie Hermannstadt nach dem Flusse
Cibin (rechter Zufluß der Aluta) führte. Sie hieß davon Ca-
stra Cibin, deutsch „Sibinbürg".
2) Der lange als räthselhaft angesehene Name Tot, im
Plural T6tok, mit welchem die Magyaren alle Slavenstämme
zu bezeichnen pflegen, wird in der Anm. 537 aus der von ihnen
häufig gebrauchten Redensart toto „das ist, das heißt" erklärt.
3) Von den sechs slavischen Stämmen, die hier überhaupt
nach ihren Sprachen zu unterscheiden sind, werden bei der ge-
ringsügigen Rolle, welche _ sie schon ihrer Zahl nach im ungari-
schen Staate spielen, die in das Zipser Comitat eingewanderten
(protestantischen) Polen, die sogenannten Ruthenen oder viel-
mehr Russen (magyar. Oroszok) in den nordöstlichen Comi-
taten, deren Name schon beweist, daß sie erst nach dem 9. Jahr-
hundert eingedrungen sein können, sowie die seit 1739 angesiedelten,
nach wenigen Tausenden zählenden Kolonien von Bulgaren
von Hunfalvh natürlich nur nebenbei berührt, aber auch aus
die geschichtlichen und ethnographischen Verhältnisse der Croa-
te n geht er nicht im Einzelnen ein, als dem Gegenstande seines
Buches ferner liegend, da das frühere unabhängige Reich dieser
Nation, wiewohl seit etwa 1100 beständig mit der ungarischen
Krone verbunden, doch keineswegs in ähnlicher Art wie etwa
Siebenbürgen oder das Banat ein integrirender Theil des ma-
gyarischen Staates geworden ist, sondern in demselben immer
noch eine gewisse und neuerdings entschieden im Wachsen begrif-
fene Selbständigkeit behauptet.
nographie der Donauländer.
thums in jenen Ländern materielle und geistige Kräfte durch
Zuwanderung in das tolerantere Gebiet des Magyarenreiches
zugeführt hatte, denen es aber neuerdings gelungen ist, erheb-
liche uuter ihnen angesiedelte deutsche und magyarische Volks-
theile sich völlig zu assimilireu und deren Nachkommen für
die slawische Propaganda zu gewinneu. Zweitens gehören
dahin im Süden des Landes die Serben oder, wie sie in
Ungarn gewöhnlich genannt werden, Raizen (Ri.cz), deren
Leidensgeschichte aus dem wechselnden Schauplatz langjähriger
österreichisch-türkischer Kriege uuserm Autor Stoff genug zu
ausführlichen Digressiouen bietet. Kaiser Leopold des Ersten
erfolgreicher Versuch, die aus türkischem Gebiete wohnenden
Christen (und es konnte sich dabei eben nur um Serben han-
deln) zur thatsächlichen Unterstützung der kaiserlichen Heere
zu bewegen, mußte bei der durch ungeschickte Kriegführung
herbeigeführten Niederlage derselben 1690 nothwendig dahin
ausgehen, daß eine große Menge jener unglücklichen Nation
türkischer Rache zum Opfer fiel, eine noch größere Zahl
— es wird vou etwa zweihnnderttaufenden gesprochen —
die einzig mögliche Zuflucht auf österreichischem, d. h. zunächst
ungarischem Boden suchten, eine Auswanderuug im Großen,
die sich schon nach wenigen Jahren (1694) wiederholte.
Die vom österreichischen Kaiserhofe bei dieser Gelegenheit
ausgegangenen Proclamationen zeigen anschaulich, in welchen
trügerischen Hoffnungen einer baldigen Revanche am Halb-
mond man ohne deutliches Bewußtsein der eigenen Schwäche
sich noch wiegte: die demnächstige Zurückführung der nur als
Gäste aufgenommenen Serben in ihre alte Heimath südlich
der Save wird ausdrücklich vorbehalten, es werden ihnen da-
her keine definitiven Sitze, wofür in dem durch lange Kriege
verwüsteten Lande Raum genug war, angewiesen; sie blieben
nicht nur kirchlich (wegen ihres griechisch-orthodoxen Bekennt-
nisses), sondern auch politisch von den übrigen Landesbewoh-
nern durchaus geschieden, ein Staat im Staate, der nicht
vor 1791 definitiv aufgelöst wurde, nachdem doch schon die
Anerkennung des türkischen Besitzes im Süden der Save
durch den Karlowitzer Frieden 1699 und das völlige Miß-
liugeu des im Jahre 1739 erneuerten Türkenkrieges, der
mit dem schmählichen Rückzüge aus dem schon eroberten und
neubefestigten Nisch endete, jene Restitutionshosfnuugeu als
völlig illusorisch dargethau hatte. Von Neuem folgten da-
mals dem rückziehenden österreichischem Heere Tausende und
aber Tausende serbischer Familien zu den Stammgenossen
nördlich der Donau; so wurden von ihnen, neben und zwi-
schen den gleichzeitig angelegten deutschen Colonien, im Ba-
uat, in Slavonien, in den südlichen Comitaten des eigent-
lichen Ungarn zahlreiche serbische Dörfer gegründet, in wel-
chen sie im Laufe unseres Jahrhunderts zu einer Stärke vou
über einer Million angewachsen sind und bereits als ein
Körper von politischem Gewicht wegen ihrer natürlichen
Sympathien mit ihren Volksgenossen im Fürstenthume Ser-
bien und in Bosnien den magyarischen Staatsmännern
Kopfschmerzen zu verursachen begonnen haben.
Ueber die in den Schlußparagraphen behandelten kleinsten
Antheile an eingewanderten Völkern können wir eiliger hin-
weggehen; so interessant in socialer und ästhetischer Beziehung
die ungarischen Zigeuner und Armenier sein mögen, für
die Statistik bieten die geringen Bruchtheile von 5 und lx/2
pro Mille der Gesammtbevölkeruug, die sie hier bilden, wenig
Stöfs zur besonderen Darstellung. Daß die Juden hier,
wie in anderen halbcivilisirten Ländern, ein wesentliches
Culturelement bilden und mit gewohnter Geschicklichkeit sich
aller leicht zugänglichen Erwerbsquellen bemächtigen (be-
zeichnend ist, wie der Autor mittheilt, wie sie damit bei dem
einfältigen und leichtgläubigen Slaven und Rumäueu so
viel Glück haben, daß sie den gewitzteren Magyaren und
Heinrich Kiepert: Zur E
Deutschen gegenüber auf die Durchführung jener Rolle gern
verzichten); daß sie eben deswegen auch die Mittel zu einer
die übrigen Racen au Stärke weit überragenden Volksver-
mehrung besitzen, ist allgemein bekannt; weniger ist es wohl
der Maßstab dieser Vermehrung: im ganzen Lande, worin
sie jetzt circa 1/50 der Gesammtbevölkeruug bilden, Verdrei-
fachung im letztvergangenen halben Jahrhundert, in der
Hauptstadt Budapest natürlich eine uuverhältuißmäßig
stärkere Zunahme: Verfünffachung in den letzten 30 Jahren
und Anwachsen auf x/5 der Gesammtbevölkernng; der Ge-
treide- und sogenannte Producteuhaudel ist hier geradezu
ausschließlich in ihren Händen^).
Es bleibt noch einer der der Zahl nach bedeutenderen
Volksstämme, dessen Wichtigkeit vor allem darin liegt, daß
wir guten Grund haben, ihn für den ältesten historisch
bekannten, wenigstens in der ganzen Osthälfte des Landes,
wahrscheinlich auch des nördlichen Gebirgslandes zu halten.
Wir reden von den Rumänen, wie sie sich selbst, oder
Walachen, wie fast alle übrigen Sprachen (Olah die
Magyaren) sie nennen, über deren Herkunft und Stamm-
Verwandtschaft wir allerdings eine andere Anficht verfechten,
als der besprochene Autor. Herr Huufalvy hat nämlich
völlig des verstorbenen Rösler bekannte Hypothese adop-
tirt 2) und wiederholt sie wesentlich mit dessen eigenen Aus-
drücken, wonach die gesammte romanisch (walachisch) redende,
gegenwärtig über 8 Millionen starke Bevölkerung nördlich
der Donau erst im späten Mittelalter aus den Süd-Donau-
ländern, dem heutigen Bulgarien, in welchem jene Gelehrten
den eigentlichen Herd der gründlichen Romanisirung des
Ostens erkannt haben wollen, über den großen Strom ein-
gewandert sei! Gegen diese, von Rösler geistreich und
scharfsinnig verfochten?, aber durchaus nicht mit stichhaltigen
Gründen erwiesene Behauptung ist fchon vor einigen Jahren
der zweite von uns besprochene Autor, Doceut Jung in
Innsbruck, in mehreren kleineren Schriften sehr bestimmt
aufgetreten, und gegen dessen Beweisführung richtet sich nun
wieder Hnnfalvy's sehr weitläufige Polemik, ohne uns in
irgend einem Punkte überzeugen zu können. Die Vor-
stellnng, die er sich von dakischen Ureinwohnern des Berg-
landes, besonders des östlichen Siebenbürgens, aber auch des
Flachlandes der Moldau macht, welche der römischen Herr-
schaft gar nicht unterworfen gewesen, also auch sprachlich
nicht romanisirt worden sein sollen, mithin nicht die Vor-
fahren der heutigen romanifch redenden Bewohner sein könn-
ten, ist durch kein einziges antikes Zengniß zu belegen; die
Behauptung, daß der Volksname selbst nur südlich der Donau
im damaligen „Römerlande" (Romania) entstanden sein
könne, widerlegt sich von selbst durch Beispiele des populären
Gebrauches desselben Namens in anderen Gegenden der
romanischen Sprachgebiete (Suisse romande, Lorraine ro-
mande, romanceros in Spanien!). Ebenso hinfällig sind
die ferneren Schlüsse aus dem Untergange der römischen
Ortsnamen, welche sich bei Fortdauer der alten Bevölkerung
1) Hinsichtlich des sehr dunkeln ersten historischen Vorkom-
mens dieses Volkes in den Donaulandschasten hat sich Verfasser
eine Stelle des Bischofs Salvianus (5. Jahrhundert) entgehen
lassen, die Herr Jung anführt, ohne sie allerdings auf die Juden
zu beziehen; aber was kann man anderes verstehen unter den
„Massen syrischer Menschen, die fast des größern Theils der
Städte sich bemächtigt haben?" (Syricorum liominum turbae,
quae majorem ferme civitatum universarum partem
oceupaverunt.)
2) Herr Jung weist übrigens dieser kühnen Combination
bereits ein hundertjähriges Alter nach, wiewohl allerdings Rösler,
dessen Buch 1871 erschien, von seinen Vorgängern Berkö 1778,
Sulzer 1781 und Engel mchts gewußt zu haben scheint. Aus
der Gegenseite stehen zu ihm Autoritäten wie Miklosich, Momm-
sen und Tomaschek.
nographie der Donaulünder. 221
ebenso wie in anderen römischen Provinzen hätten erhalten
müssen i), als ob deren überhaupt gerade aus Dakieu in den
spärlichen historischen und geographischen Quellen so viele
überliefert werden, um daraus Folgerungen ziehen zu können,
und als ob nicht die lange Periode der wechselnden Herr-
schaft fremder Barbaren feit der gothifchen Eroberung im
3. Jahrhundert den Untergang des gefammten städtischen
Lebens (das nicht vor den sächsischen Niederlassungen in
Siebenbürgen im 13. Jahrhundert vou neuem beginnt) und
damit anch die Stadtnamen selbst hinreichend erklärte2).
Daß die wlachische Sprache nicht auch germanische Be-
standtheile enthält, beweist keineswegs, wie Verfasser will,
daß das sie redende Volk erst nach der Periode der Gothen-
Herrschaft, die doch nur eine äußerliche und vorübergehende,
nicht wie die römische eine umgestaltende war, in dieses Land
gekommen sein könne; er vergißt dabei gänzlich, daß die
Gothen über ein Jahrhundert lang auch südlich der Donau,
gerade in denjenigen Gegenden, wo er die Urheimath der
Wlachen sncht, gewohnt haben, ohne daselbst irgend eine
sprachliche Spur zurückzulassen. Und wie hinfällig wird
ferner die Anwendung des stets etwas bedenklichen argu-
mentum a silentio bezüglich des Fehlens älterer historischer
Erwähnungen des Wlachenvolks durch die vom Verfasser
selbst beigebrachten Thatsachen, daß er während der Türken-
Herrschast noch des 16. und 17. Jahrhunderts so gut wie
nie genannt wird und überhaupt zum ersten Male im Jahre
968 bei den Byzantinern als BXu%oi erscheint, während
doch sein Ursprung ans altgermanischem Munde, also über
ein halbes Jahrtausend früher, uubezweiselt ist.
Am allerwenigsten kann uns endlich die mit besonderer
Vorliebe und Ausführlichkeit auf die kirchlichen Verhält-
nisse gestützte Auseinandersetzung des Verfassers überzeugen:
obwohl über die allmälige Verbreitung der griechischen so-
genannten orthodoxen Form des Christenthums unter die
nördlichen Nationen nur vereinzelte chronologische Daten
überliefert sind, der gesammte Fortgang dieser geistigen Be-
wegung bei der Spärlichkeit der Quellen in Dunkel gehüllt
bleibt, und obwohl auf viel schwierigeren und unendlich wei-
teren Wegen dieselbe consessionelle Form sich über den ganzen
Norden Osteuropas verbreitet hat, erklärt er es doch für
unmöglich, daß ein jetzt zu vielen Millionen nördlich der
unteren Donau und nur theilweise unter magyarischer Herr-
schaft lebendes Volk, wie die Walachen, seine griechische
Orthodoxie auf demselben, iu diesem Falle sogar recht nahen
Wege sollte erhalten haben. Der Umstand allein, daß sie
derselben Formel und demselben Cnltus wie die Byzantiner
anhängen, gilt ihm als beweisend für ihre späte, erst nach
der Consolidatiou des lateinischen Christentums in Ungarn
und Siebenbürgen erfolgte Einwanderung aus Provinzen
des griechischen Reiches, ja er sinkt eine neue Stütze für
diese seine Ansicht in der Thatsache einer noch im 16. Jahr-
hundert verstärkten Zuwanderung von Walachen nach Sieben-
bürgen, welche doch wirklich nichts anderes, als die Steige-
rung des äußern Druckes durch die Türkenherrschaft beweist.
!) „Von England bis nach Moesien hin," sagt Verfasser
wenig zutreffend; er müßte bei näherer Untersuchung sich über-
zeugt haben, daß von den aus dem Alterthum überlieferten
geographischen Namen in Britannien bei weitem die meisten, in
Pannonien, Ober-Moesien :c. fast alle untergegangen sind!
2) Auch die angeblich für allgemeine Herrschaft des Slawen-
thums vor der magyarischen Eroberung Siebenbürgens beweisende
Kraft einiger von den Walachen aus dem Slawischen herüber-
genommenen Orts- und Flußnamen, wie Belgrad und Gre-
dischtje, Tirnowa und Tschernawoda, wird keinen unbefangenen
Leser überzeugen, auch wenn man zugiebt, daß die aus dem
dakischen Alterthum erhaltenen Namen der größeren Flüsse:
Aluta, Maros, Szamos, Kokel, Korös, wohl auch die Periode
slawischen Besitzes überstanden haben könnten.
222 Heinrich Kiepert: Zur (
Wir müssen gestehen, daß diese ganze Exposition, die im
Wesentlichen nur eine Erweiterung der Rösler'schen Hypothese
ist, uns in der Luft schwebend erscheint; sie läßt es völlig
unerklärt, wie aus der anscheinend übervölkerten Landschaft
im Süden der Donau, in welcher unzweifelhaft schon im
frühesten Mittelalter das Slawenthum alle übrigen Volks-
und Sprachreste verschlungen hat, die Vorväter eines jetzt
nach vielen Millionen zählenden Volkes hätten hervorgehen
können, das in einer nördlicher gelegenen, ebenfalls gänzlich
vom slawischen Element überflntheten Landschaft die roma-
nische Zuuge bewahren konnte. Wenn irgend ein Moment
uns die Ueberzengung von der ununterbrochenen Erhaltung
des romanisirten Dakenvolkes in seinen alten Wohnsitzen ge-
währen kann, so ist es doch gewiß, worauf Referent schon
wiederholt aufmerksam gemacht hat, die fast genau lineare
Uebereinstimmnng der Grenzen des alten Dakiens, wie
es von Trajan erobert wurde, von der Theiß im West
bis zum Dnjestr im Ost mit den heute noch bestehenden
Grenzen der rumänischen Sprache; die Wiedererfüllung
genau desselben Areals durch eine neue Zuwanderung
in ein Land, das man sich dann füglich nur als völlig
menschenleer geworden vorstellen müßte, wäre wahr-
lich eines derjenigen Wunder, welche in unserer Zeit nur
blinder Köhlerglaube, aber nimmermehr die Wissenschaft zu-
geben kann.
Daß aber in der That zur Zeit, als die magyarischen
Eroberer inDakien eindrangen, da selbst von der gesammten
Bevölkerung keine andere Sprache als lateinisch (natür-
lich meinem vulgären Dialekt) gesprochen wurde, scheint uns
vor allem ganz entschieden zu folgen aus dem Umstände,
daß der magyarische Sprachgebrauch für die Sprache Latiums
nnd Roms nur das Wort deak (fpr. djäk) gebraucht; ein
Argument, von dem wir uns billig wundern dürfen, daß es
weder vou Herrn Huufalvy beachtet noch von Herrn Jung
im Interesse seiner Beweisführung benutzt worden ist.
Indem wir uns zu dem zweiten der oben im Titel an-
geführten Werke wenden, freuen wir uns, dem Leser dessel-
ben statt des ungenießbaren Wustes der Excurse und Noten
des so eben besprochenen Buches den Genuß eines, nicht nur
mit erschöpfender Gelehrsamkeit und durchdringender Kritik,
sondern auch in geschmackvollster und zweckentsprechendster
Weise durchgearbeiteten Werkes in Aussicht stellen zu können,
dessen vielversprechender Autor die streng philologische Schule
eines Waitz und Mommsen nirgend vermissen läßt. Wenn wir
in seinen Ausführungen die anregenden Gedanken sowohl der
eben genannten Forscher, als die eines L. Stenb, Otto Hirsch-
seld, Ficker und Anderer oft genug wiedererkennen, so finden
wir sie gleichwohl zu unserer nicht geringen Befriedigung als
Ausgangspunkte weitgehender Untersuchungen fruchtbar ver-
wendet. Das Thema der betreffenden Schrift ist in ethno-
graphischer Beziehung ein wesentlich engeres, dagegen räum-
lich umfassenderes als das der ersten, indem es nur die aus
der römischen Colouisatiou hervorgegangenen historischen
Gebilde, diese aber im gesammten Umfange des Donangebie-
tes ins Auge saßt. Daß dieses ganze große Areal nur
einmal im Verlaufe der uns historisch bekannten Zeit,
unter den Römern, damals aber sogleich auf viele Jahrhuu«
derte und dann nie wieder ein politisches Ganzes gebildet
hat, und zwar in der Gewalt des energischesten und coloni-
sationssähigsten Volkes der alten Welt, dessen Cnlturarbeit
bis in unsere Tage hinein seine Fortwirkungen äußert, ist
der natürliche Ausgangspunkt der Darstellung des Autors.
Dieselbe beginnt daher mit der Geschichte der Eroberung der
Donauländer durch die Römer, ihrer Provinzialverwaltnng
und Militärverfassuug. Es folgt die Schilderung der Gau-
Verfassung der unterworfenen Barbarenvölker und des an-
jnographie der Donauländer.
fänglich unvermittelt daneben stehenden städtischen Lebens in
italischer Weise in den neneroberten Provinzen. Es wird
der Unterschied der socialen Gestaltung derjenigen Gebiete
hervorgehoben, welche schon in vorrömischer Zeit eine ein-
heitliche politische Gestaltung erlangt hatten, wie das keltische
Reich Noricnm uud Dakieu in monarchischer Form oder
Dalmatien durch republikauische Couföderatiou, und denjeni-
gen, welche niemals über das bloße Nebeneinander verein-
zelter Gaue hinausgekommen waren, wie nicht allein das
hochgebirgige Raetien, sondern auch das meist flache, aber
weithin durch Wälder uud Sümpfe erfüllte Pannonien.
Weniger die mageren und boruirten Historiker der spätem
Kaiserzeit, als die nach immensen Zerstörungen immer noch
reiche Ausbeute gewährenden Inschriften (ein Material, von
welchem unser erstgenannter Autor keinen, Herr Jung aber
einen sehr ausgiebigen und erfolgreichen Gebranch macht)
lassen deutlich genug die Planmäßigkeit der römischen Stadt'
und Lageranlagen und den von denselben aus auf die Gauen
der Urbewohuer ausstrahlendem Einfluß der höhern südlichen
Civilisation erkennen. Die Militärcolonien längs der Donau-
grenze, obwohl ursprünglich nicht als Civilgemeinden consti-
tuirt, gewinnen nach und uach durch Ansiedelung gewerb-
nnd handeltreibender Bevölkerung in ihrer Nähe ebenfalls
einen gewissen städtischen Charakter, der durch Niederlassun-
gen ausgedienter Veteranen als Grundbesitzer verstärkt wird;
gerade aus solchen Lagerplätzen x) sind in der Folge die be-
dentendsten Städte dieser ehemaligen Grenzländer des Römer-
reiches hervorgegangen. Ihr schnelles und dauerndes Auf-
blühen erklärt sich aus dem gewinnreichen Handelsverkehr
mit den Barbarenvölkern, an dem selbst die bedeutenderen
Binnenstädte, wie das vindelicische Angnsta (Augsburg), Vi-
ruuum in Noricnm, Savaria in Pannonien und andere
durch ihre Capitalmacht regen Autheil nehmen; eben auf
dieser Priorität des Marktverkehrs aber beruht bis auf den
heutigen Tag das Uebergewicht des städtischen Lebens auf
dem rechten Donauufer gegenüber dem fo viele Jahrhunderte
später der Civilisation gewonnenen linken, auf welchem nur
einzelne gauz moderne Schöpfungen, wie z. B. die junge
ungarische Reichshauptstadt, eine scheinbare Ausnahme machen.
So wenig wie in Dakien mit dem Rückzüge der römi-
schen Truppen und Colonien unter Aurelian ist nun in den
Süddonauländern, namentlich den von germanischen Völkern
besetzten oberen, das römische Leben durch den Einbruch die-
ser noch ziemlich barbarischen Volksmassen plötzlich erloschen;
wie starke Wurzeln es getrieben hatte, wie kräftig sein sitti-
gender uud umgestaltender Einfluß auf die Eroberer Jahr-
hunderte fortgewirkt hat, bis endlich erst im spätem Mittel-
alter im Flach- und Hügellande auch die letzten Träger der
in den innersten Gebirgswinkeln uoch bis heute erhaltenen
romanischen Volkssprache sich dem germanischen Idiom an-
bequemen, das hat Verfasser verstanden mit wirklich histori-
scher Kunst aus den zerstreuten und dürftig fließenden Quel-
len höchst lichtvoll und belehrend darzustellen. Zunächst sind
es, bei dem fast vollständigen Erlöschen der sogenannten Welt-
lichen Literatur, vorzugsweise Martyrologien und Heiligen-
i) Das technische römische Wort dafür: canaba, im mittel-
alterlichen Latein canipa „Vorrathhaus, Lagerkeller" bedeu-
tend, ist nicht nur in das Italienische als cänova (besonders in
Toscana gebräuchlich), sondern auch ins Deutsche unter der Form
„Kneipe" übergegangen. Solche halb militärische, halb bür-
gerliche Ortschaften, die bis ins 2. und 3. Jahrhundert bürger-
licher Mumcipalverfassung entbehrten, waren im germanisch-
illyrischen Grenzlande z. B. Regina (Regensburg), Batava (Passau),
Lauriäcum (Ruine Lorch bei Enns), Vindoböna (Wien), Car-
nuntum (Ruinen bei Deutsch Altenburg unfern Haimburg), Vre-
getio (Uj-Szöny gegenüber Komorn), Arrabona (Raab), Aquin-
eum (Alt-Ofen), Singidunum (Belgrad) u. a.
Heinrich Kiepert: Zur (ü
legenden, denen, auch wo sie nicht (wie Engippins und Ve-
nuntius Fortuuatus) gleichzeitige Berichte geben, stets ein
historischer Kern zu Grunde liegt, dann eine nicht nnbeden-
tende Menge urkundlicher Notizen des fpätern Mittelalters
(deren manche der Verfasser bereits bei seinem nicht weniger
umsichtigen, nur mit seinen Forschungen auf ein engeres Ge-
biet sich beschränkenden Vorgänger, L. Stenb, gefunden hat),
welche mitunter höchst seltsame Streiflichter auf die socialen
Zustände jener wenig bekannten Jahrhunderte reslectiren.
Wir sehen die germanischen Eroberer, so viel ihnen bis auf
deu heutigen Tag von uraltem Götterglaubeu im innersten
Gemüthe zurückgeblieben ist, doch wiederum vielfach mit dem
ganzen Eifer der Neubekehrteu einen ausfallenden Gegensatz
bilden zu dem zähen Fortleben mancher altrömischeu oder
noch älteren (keltischen, rätischen) Culte unter den doch schon
seit Jahrhunderten nominell dem zur Staatsreligion gewor-
denen Christenthum anhängenden Provinzialen. Es ist dies
um so erklärlicher, als gerade die den höheren und wohlhaben-
deren Ständen ungehörigen Bewohner der Colonien und
anderen Proviuzialstädte bei dem wachsenden Anstnrme der
Barbaren zuerst die gefährdeten Grenzländer verließen und
sich über die Alpen zurückzogen, während die niederen Classen,
darunter namentlich eine große Zahl der besitzenden Acker-
bauer, zurückblieben. Wie diese „Walchen", wie die Deut-
schen sie benannten, zuweilen auch „Ladiner" geuauut, sowohl
in ganzen größeren Gauen, wie in den Städten Regensburg,
Passau, Salzburg und anderen, in besonderen Quartieren
(„Walchengassen") zusammenwohnend, ihre Sprache noch bis
ins zehnte, innerhalb des Gebirges, z. B. im Unter-Jnnthal,
noch bis ins dreizehnte Jahrhundert (Zeit der Stadtgründung
von Innsbruck, 1234), im Etschlande bis ins sechzehnte, be-
wahrt haben, wie ihre spärlichen Neste in den osttirolischen
Hochthälern von Gröden uud Enneberg dem sicher» Endziel
völliger Germauisirung immer näher rücken, vor welchem
ihre Volksgenossen in Graubünden nur die früh errungene
politische Selbständigkeit bis heute, uud auch keineswegs voll-
ständig, bewahrt haben, davon bitten wir den Leser zu seinem
eigenen Genüsse durch die lichtvolle Darstellung unseres
Autors selbst sich näher zu unterrichten.
Ein neues Licht fällt ferner auf die vollständige, aber
im Gegensätze zu dem so lange romanisch gebliebenen obern
Etschthale schon sehr früh durchgeführte Germauisirung der
östlichen Gebirgslandschaft an der Eisack und Rieuz (den
Zuflüssen der Etfch) und der obern Drau oder des söge-
nannten Pusterthales, welches bei der niedrigen Einsatte-
lung seiner Wasserscheide den leichtesten ostwcstlicheu Durch-
gang durch diesen centralen Theil der Alpen gewährt. Ver-
fasser zeigt, wie die im sechsten Jahrhuudert stattfindenden
Versuche der panuonischen Slawen, deren Nachkommen noch
jetzt als Slowenen im steirisch - kärntischen Dranthale
sitzen, in jener Richtung weiter nach Westen vorzustoßen,
wodurch sie schließlich die directe Verbindung der beiden neu
eroberten Länder germanischen Besitzes: Bajuwariens und
Lombardiens, unterbrochen haben würden, die Politik der mit
den lombardischeu Königen nahe verbundenen bayerischen
Herzöge dahin bestimmte, durch eine massenhafte Colonisation
Mvgraphie der Donauländer. 223
im Pusterthale, deren Daten an geistlichen Stiftungen nach-
gewiesen werden, die bedrohte Verbindung zu sichern und so
dem Deutschthum auch längs des Südfußes der centralsten
Alpenkette einen unanfechtbaren Besitz zu gewinnen.
Der letzte und fast ausführlichste Abschuitt des Buches
wendet sich von der Alpengegend zu den östlichen Romanen,
den sogenannten Wlachen in demjenigen Sinne, dem wir
oben gegenüber der schiefen Darstellung des Huufalvy-
Schwicker'scheu Buches Ausdruck gegeben haben, und bekämpft,
nach uuserm Ermessen, mit völlig unangreifbaren Argnmen-
teu jene Irrlehre. Einen verdienstlichen, wenn auch bei der
Weitsichtigkeit des Materials noch lange nicht erschöpfenden
Beitrag zur Beweisführung der Continnität dakischer Bevöl-
kernng in Siebenbürgen und Ostungarn (bis in das Mar-
maroschcr Comitat hinauf) liefert namentlich die im Anhange
gegebene Zusammenstellung echt romanischer Bergnamen ans
diesen Gegenden, welche der Autor den Localsorschuugeu sei-
ues Freundes und College» Kerner verdankt: ein Beitrag,
dem wir bald ähnliche von gleicher ethnographischer Wichtig-
keit folgen zu sehen wünschten *).
J) Herr Jung hat durch mehrere Hinweise in seinem Buche
unsere Neugierde erweckt auf eine Schrift eines frühem College»,
Professor I. H. Biederm ann, welche seitdem als Festschrift der
Grazer Universität zum 15. November 1876 unter dem Titel
„Die Romanen und ihre Verbreitung in Oesterreich, Graz 1877"
erschienen ist, unseren vielleicht etwas zu hoch gespannten Erwar-
tungen jedoch sehr wenig entsprochen hat. Es ist ohnehin, wie
Verfasser selbst eingesteht, kein durchgearbeitetes Werk eines Fach-
gelehrten, es ermangelt sogar, was bei dem vorzüglich der
juristischen Seite seines Faches zugewandten Statistiker weniger
ausfallen kann, jeder soliden historisch-philologischen Grundlage
und ergeht sich daher, mit höchst unhistorischcr Verneinung des
Hervorgehens der romanischen Volkssprachen aus der vom römi-
schen Siegervolke den Provinzen eingepflanzten Civilisation, in
wüsten Träumen einer angeblichen „keltoligurischen" Urverwandt-
schast von Nationen, die, wie z. V. Iberer und Jtaliker, that-
sächlich nicht das Mindeste mit einander gemein haben; ja wir
sinden Argumentationen so leichtfertiger Art, daß wir sie nur
als Curiosum zur Kennzeichnung der Schrift dem Leser auf-
tischen dürfen, wie wenn S. 105 die wilde Hypothese einer schon
in Nordafrika beginnenden durch Spanien und das Rhonegebiet bis
in die Centralalpen hineingeworfenen Völkerwanderung auf nichts
anderes als die angebliche Identität der in diesen Gebieten heu-
tigen Tages gezüchteten Nacen von Schafen und Rindvieh be-
gründet wird! Je schwächer Verfasser auf sprachlichem Gebiete
ist, desto schwächere Stützen nimmt er seinen Kombinationen zu
Hülfe: als solche müssen uns nach dem Charakter der wörtlich
gegebenen Anführungen wenigstens die uns bisher unbekannten
Philologen Cohen, Cubich, Cerineo, Fortis, Lovrich, Lucio, Pi-
rona, Reutz, Stancovich und andere erscheinen, neben denen in
bunter Mischung als Autorität angeführt zu werden für Forscher
ersten Ranges, wie Ascoli und Schuchardt, offenbar keine Ehre
ist. Der eigentliche Inhalt der Schrift bleibt bei allem Ge-
pränge mit Massen von Namen und statistischen Daten ziemlich
dürstig und offen gestanden werthlos: es ist ein eingeständlich
mehr zusälliges als irgendwie abgeschlossenes Aggregat von
Notizen über Aus- und Zuwanderungen romanischer Familien
oder Einzelner, natürlich größtentheils aus den letzten Jahr-
Hunderten, womit unseres Erachtens gar nichts für die allgc-
meine Jahrtausende hindurch in Bewegung gebliebene Vertheilung
der ethisch und sprachlich verschiedenen Volkstheile des österreichi-
schen Territoriums (denn auf dieses beschränkt sich der Verfasser)
bewiesen werden kann.
224
Aus allen Erdtheilen.
A us allen
A m e r i k a.
— Nach dem letzten Bericht des nordamerikauischen „In-
dian Office" sollen 1877 von den 278 000 in den Vereinig-
ten Staaten (mit Ausnahme von Alaska) lebenden Jnd ia-
nern 112 903 bürgerliche Kleidung tragen; 22 199 Häuser,
darunter 1103 im letzten Jahre erbaute, sollen von Indianern
bewohnt werden; es giebt danach 330 Schulen auf den
Indianerreservationen, mit 437 Lehrern, 11515 Schülern
und einem Aufwände von 337 379 Doll.; es können simmer
nach dem Bericht) 40 397 Indianer, abgesehen von den fünf
civilisirten Stammen des Jndian Territory, lesen; sie haben
von 292 550 bestellten Acres Land über 6 Millionen Bnshels
Weizen, Gerste, Hafer, Roggen n. s. w. geerntet; sie besitzen
nahezu 1 Million Schafe, Schweine, Rindvieh und so fort.
Aber wer glaubt denn, schreiben die „New Jork Times",
daß 112903Indianer „bürgerlicheKleidung tragen"? Zwei-
fellos liefert die Regierung für so viel Indianer Kleidungs-
stücke; aber nur ein Theil davon gelangt an seine Bestim-
mnng, uud davon wird wieder ein Theil verkauft oder nach
indianischem Geschmack umgearbeitet. Mit den Häusern ist
es dieselbe Geschichte: ohne Zweifel sind 22 199 Häuser für
Indianer gebaut worden, und dieses edelmüthige Unternehmen
wird auch so lange fortgesetzt werden, als weiße Unternehmer
noch Material und Arbeit zu diesem Zwecke liefern können.
Aber nun höre man, was der Abgeordnete Corbett vonWyo-
ming über seinen nenlichen Besuch der Shoshone-Bannock-
Reservation in jenem Territorium an den Congreß berichtet
hat: „Ich bemerkte, daß eine große Anzahl von Häusern,
übereinstimmend in ihrem Aenßern, von geringer Größe,
aber bequem in ihrer Einrichtung, dort erbaut worden waren.
Zugleich sah ich aber, daß keines von denselben bewohnt war,
und als ich den Jndianeragenten um Auskunft anging, er-
fuhr ich, daß sie für die Indianer bestimmt seien, aber nie-
mals bewohnt würden." Sie zogen eben ihre tepis oder
Zelte und das Leben nach Sitte ihrer Väter vor. Jener
Agent war außergewöhnlich aufrichtig; er fagt in seinem
letzten Berichte: In der Regel tragen die Indianer keine
bürgerliche Kleidung, weil dieselbe, wie sie sagen, nicht so
bequem ist wie die Decke :c. Die Shoshones sind 1800 See-
len stark und davon stehen etwa 1300 unter dem Einfluß der
Agentur. Sie besitzen 525 Acres eingesenztes Land und
hatten einmal 300 Acres, welche von der Regierung umgeackert
waren; aber mehr als ein Drittel davon ist wieder wüst und
brach und nutzlos wie je zuvor. — In der Ute-Reservation
in Colorado haben 3000 Indianer 12 Millionen Acres Land
inne und haben davon im Jahr 1822 genau 22 Acres mit
etwas Korn und Gemüse bestellt. Ihre Schule zählte sechs
Schüler; acht Monate lang wnrde unterrichtet, was 1260 Doll.
kostete, d. h. 210 Doll. für jeden jungen Ute. Nach Aussage
ihres Agenten betrachten die Ute die Arbeit als ein Miß-
geschick, und wird ein Kind dazu angehalten, so zeigt es, ehe
es noch erwachsen ist, den größten Widerwillen gegen jede
Anstrengung. Jene oben angeführte Statistik des „Jndian
Office" sagt also nicht die Wahrheit über die Fortschritte der
Indianer in der Civilisation.
Erdtheilen.
— Der amerikanische Ackerban-Minister hat kürzlich con-
statirt, daß sich in den ausgedehnten Höhlen von Texas
enorme Mengen von Guano vorfinden, angeblich 20 000
Tons von besserer Beschaffenheit als der Fisch-Guano. Ihren
Ursprung schreibt man den dort hausenden zahllosen Fleder-
mänsen zu. Da auch im Indischen Oeean verschiedene Guano-
Inseln entdeckt worden sind, so ist die befürchtete Erschöpfung
der Vorräthe des kostbaren Stoffes wieder um einige Zeit
hinausgeschoben worden. („Nature".)
— Der Hafen von San Diego in Südcalifornien
ist kürzlich von dem Küstenvermessungsdampfer „Haßler"
von Neuem aufgenommen worden, wobei sich herausstellte,
daß sowohl in der Wasserlinie als in der Tiefe nicht die gc-
ringste Veränderung seit der Vermessung vom Jahre 1859 statt-
gefunden hat. Die 7000 neu angestellten Lothungen stimmen
noch ganz genau mit den Tiefenangaben der alten Karte
überein, trotzdem man glaubte, daß der einfließende San-
Diego-Flnß nach den Überschwemmungen vom Jahre 1873
den Hafen stark versandet habe. Dieser Fluß wird jetzt durch
einen vorgebauten Damm gezwungen, in die nördlich von der
Stadt San Diego gelegene False-Bay zu münden.
— Prof. Bastian hat, ehe er seine neue große Reise
nach Hinterindien angetreten (f. oben S. 47), die vorher-
gehende in Süd- und Mittelamerika im Jahre 1876 unter
dem Titel „Die Culturläuder des alten Amerika"
(Berlin 1878, Weidmann'sche Buchhandlung) beschrieben.
Der erste Band (XVIII und 704 Seiten mit 3 Karten) be-
handelt unter dem separaten Titel „Ein Jahr auf Rei-
seu" die Reisen, welche Bastian zum Zwecke archäologischer
Sammlungen mit nie ermüdendem Eifer durch Chile, Peru,
Ecuador, Columbien, den Jsthmns und Guatemala unternahm.
Unvergleichlich ist die Rastlosigkeit und Geschicklichkeit, mit wel-
cher er den werthvollen Resten des indianischen Alterthums
nachzuspüren und sie zu erwerben versteht, die Ausdauer des
Fünfzigjährigen, der mit einem Stück Chocolate in der Tasche
die anstrengendsten Gebirgswege zurücklegt uud ohne Rast
und Ruhe sein Ziel verfolgt. Nicht hervorgehoben zu wer-
den braucht, welcher Werth Urtheilen dieses Mannes zu-
kommt, der in allen fünf Erdtheilen mehr zu Hause ist als
irgend ein anderer; schade nur, daß seine Angaben über den
heutigen Cultnrznstand jener Länder nur zerstreut in der
fortlaufenden Erzählung sich finden! Wie drastisch z. B. ist
die Schilderung des peruanischen Eisenbahnschwindels! Welche
profunde Belesenheit entwickelt er bei der Behandlung solcher
Fragen wie die der unbefleckten Empfängniß (S. 262), der
Reliquien (S. 76) und anderer zahlreich eingeflochtener, die
er vom ethnologischen Standpunkte aus bespricht! Den Be-
schluß des Bandes machen 240 Seiten „Aus Religion
und Sitte des alten Peru", während der zweite Band
(XXXVIII und 967Seiten) „Beiträge zu geschichtlichen
Vorarbeiten" bringt, und zwar zur Geschichte der Juca
in Peru, der Chibchas mit den Stämmen im Magdalenen-
und Cauca-Thale, der Stämme des Jsthmns und der Au-
tillen, von Guatemala und Mexico. Ein dritter in Aus-
ficht genommener Band soll die Beschreibung der unterwegs
gesammelten Gegenstände (jetzt in der ethnologischen Abtheilung
im königlichen Museum in Berlin) enthalten.
Inhalt: Edouard Audrä's Reise im nordwestlichen Südamerika. IV. (Mit fünf Abbildungen.) — Heinrich Kiepert:
Zur Ethnographie der Donauländer. — Aus allen Erdtheilen: Amerika. — (Schluß der Redaction 10. September 1878.)
Die Redaction übernimmt keine Verantwortung für die Znrücksendung von unverlangt zur Reeension
eingesendeten Büchern.
Redakteur: Dr. R. Kiepert in Verlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vrannschweig.
Hierzu als Beilage: Literarischer Anzeiger Nr. 8.
und
Band XXXIV.
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Mit besonderer Berücksichtigung äer AntKroyologie unA Gtlmologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
vi-. Richard Kiepert.
S)Avrtitrt frkvriotrr Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten i nwn
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Edouard Andrö's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
V.
Es folgt nun ein Ausflug von etwa 18 Kilometer Länge
ostwärts nach dem Dorfe Pasca (2134 Meter) und über
dasselbe hinaus in die Cordillere, um einerseits die herrliche
Orchidee Odontoglossum Alexandrae zu sammeln, anderer-
seits den Ort kennen zu lernen, wo vor mehr als drei Jahr-
Hunderten der von Venezuela kommende Federmann mit fei-
ner beutegierigen Schar auf der Suche nach dem Goldlande
des Dorado (des Königs des Reiches von Manoa, der an-
geblich allmorgendlich sich den ganzen Körper mit Gold pn-
dern ließ) unter den entsetzlichsten Anstrengungen und Ent-
behrnngen das Gebirge Uberschritt. Von Hunger gepeinigt,
verzehrten sie ihr Vieh und die meisten ihrer Pferde und
nährten sich endlich von Wurzeln; aber es gelang ihnen, ihre
Hühner am Leben zu erhalten — und von diesen stammen
alle Bewohner der heutigen Hühnerhöfe Columbiens ab. In
Pasca war es, wo Federmann einen Abgesandten Qnesada's,
der sich schon in Bogota festgesetzt hatte, empfing und sich
bereden ließ, jenem die Eroberung des Landes allein zu über-
lassen. Dafür erhielt er reiche Schätze an Gold und Sma-
ragden und schiffte sich mit vollen Händen auf dem Magda-
lenenstrome nach Europa ein.
Nach der Rückkehr nach Fnsagasuga gingen mehrere Tage
darüber hin, Vögel auszustopfen, Früchte in Alkohol zu legen,
Kisten mit Baumfarnen, Orchideen und anderen Naturalien
über Honda nach Europa zu senden und dergleichen. Dann
brach die Gesellschaft nach Westen auf, um zunächst die
cuevas oder Grotten vonPanchö zu besuchen. In Bogota
schon hatte Andre von den Begräbnißgebränchen der alten
Panche- und Guanche-Jndianer erzählen hören, welche im
Südwesten am Fuße der östlichen Cordillere lebten und sich
Globus XXXIV. Nr. 15.
in das Land zwischen Fnsagasuga, Pasca, Melgar und den
Cerros von Viota und Tibacni theilten. Dabei hatte er
anch vou dem Vorhandensein natürlicher Höhlen in den Ber-
gen bei Panche und Tibacni erfahren, welche cuevas genannt
werden und in denen die Indianer einst ihre Todten begrn-
ben. Nun war es ihm in Fnsagasuga gelungen, zwei Man-
ner aufzufinden und in seine Dienste zn nehmen, welche jene
Grotten schon einmal besucht hatten. Mit Hacken und Sei-
len bcwaffuet, zog die Gesellschaft südwestwärts in der Rich-
tung auf die Cerros de Pena Blanca und Anvila, deren
gewaltige Sandsteinwände in der Ferne schimmerten. Zuerst
führt der Weg auf der geneigten Ebene vou Fnsagasuga hin,
wo aus niedrigem Graswnchse große vom Wasser gerundete
erratische Blöcke hervorragten, und überschreitet dann den Rio
Subia auf der Brücke vou Chocho; aber ein Unwetter hatte
dieselbe hinweggerissen, so daß die Reisenden einen südlicher»
Uebergang bei Chinaota unterhalb Panche aufsuchen mußten.
Um 4 Uhr Nachmittags erreichten sie letztern Ort, die ehe-
malige Hauptstadt der Indianer gleichen Namens, von wel-
cher heute nicht mehr die geringste Spur vorhanden ist. Sie
liegt in 1250 Meter Höhe in reizender Gegend; gegen Nor-
den schützt sie der Cerro de Pena Blanca, gegen Süden der
von Anvila, gegen Westen der 1931 Meter hohe Alto de
Viota, während das Thal sich nach Osten zum Rio Subia
(der von der Brücke von Chinaota an den Namen Rio Panche
annimmt) und den tieferen Theilen der Ebene von Fusaga-
snga hin öffnet, welche letztere man in ihrer ganzen Aus-
dehnnng überschaut. Bon Panche aus, dessen Stelle jetzt
eine Zuckermühle des Herrn Avelino einnimmt, liegt Fusaga-
suga in N. 62° O., was in keiner Weise mit der Codazzi'-
29
226
Edouard Andrö's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
scheu Karte stimmt, welche hier Fehler und Jrrthümer
aufweist. Deutlich sieht man, wie die Ebene von den vier
Flußbetten des Rio Pauchs, Cnja, Negro uud des die vor-
hergehenden aufnehmenden Rio Snmapaz durchschnitten wird.
Ihre vereinigten Gewässer fließen durch den Durchbruch des
Desaguadero und von dort zum Magdalenenstrome.
Mit Sonnenaufgang des nächsten Tages begann die
lange uud beschwerliche Besteigung des Gebirges, welches die
Cnevas enthält. Man folgte dem Kamme des Cerro d'An-
vila, dessen Gipfel „picacho dela Guacamaya", d. i. Papa-
geienberg, heißt, weil er wie ein krummer Schnabel gestaltet
ist. Auf Terrain, das mit kurzem Nasen bedeckt war, folgte
ein steiler von Sandsteinplatten gebildeter Abhang von etwa
40 Grad Neigung, welcher mühsam überwunden werden
mußte. Ein Fels mit zwei hohen Kreuzen lenkte dort ihre
Blicke auf sich. „Die cruz de Mayo!" (Maikreuz) sagten
Cruz de Mayo bei Panchs. (Nach einer Zeichnung Andrs's.)
die Peoue. Es waren zwei aus rohen Stämmen zusammen-
gefügte Kreuze, welche in einer Felsspalte befestigt waren.
Einige vertrocknete Blumen und Büschel vom Winde zer-
zauster Palmenblätter zeugten von dem frommen Sinne der
Leute, welche die steilen Abhänge hinangestiegen waren, um
ihre Opfergaben darzubringen. „Das ist ein geweihter
Platz — sagte einer der Führer, indem er sich bekreuzte —.
Alle Jahre am dritten Mai, an welchem einst die Panche-
Indianer das Gräberfest feierten, steigen die Bewohner der
Nachbarschaft in Menge hier herauf und beten für ihre in
dem Cerro begrabenen Vorsahren."
Rafch vollendete Andre eine Skizze des Maikrenzes und
dann wurde die Besteigung fortgesetzt, welche nach zwei Stnm
den zum Ziele führte. Ein gewaltiger Fels hing über dein
Thale; feine Höhe über Panche betrug 535 Meter in
senkrechtem Abstände. Unter ihrem Standpunkte sprang eine
schmale Felsleiste etwas über dem Abgrunde vor. Auf dem
Bauche kriechend uud an Gras und Schlingpflanzen sich fest-
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
227
haltend, gelangte zuerst einer der Führer dorthin, woraus sich
die übrigen an Stricken bis dort hinabließen. Von da
erreichten sie kriechend die schräge Oessnung einer in der
Felswand sich öffnenden Höhle. In ihrem Innern lagen
in buntem Durcheinander zahlreiche Menschenknochen und
kleine Sandsteinbrocken, welche sich von der Decke losgelöst
hatten. Röhrenknochen, Wirbelsäulen, Schlüsselbeine, Schen-
kel und zerbrochene Schädel waren mit Resten eines ziemlich
seinen Pita-Fadens gemischt; letzteres war ein Schmuck, wel-
cheu die Panche-Judiauer, wie noch heutigen Tages die Ein-
geborenen des Choco, an den ausgetrockneten Lippen ihrer
Todten anbrachten. Aber nicht ein Scherben von Töpfer-
waare, nicht ein Gegenstand von allen fand sich vor, mit
welchen die alten Peruaner ihre Mumien bestatteten und
welche die ecnadorianischen Hnacas in solcher Menge ent-
halten. Diejenigen, welche die Leichen ihrer Verwandten
an so hohe und unzugängliche Orte hinaustrugen, scheinen
nur den Wunsch gehabt zu haben,
sie den Angen der Menschen zu
entziehen und sie vor Feuchtigkeit
und vor den Zähnen der wilden
Thiere zu schützen.
Nach Angabe eines der Füh-
rer finden sich zwei Stunden wei-
ter gegen Westen am Berge Qui-
nini ebenfalls menschliche Reste,
aber unter anderen Verhältnissen.
Durch Menschenhand sind dort
große unterirdische Räume ausge-
höhlt worden, welche man nur
zum Theile erforscht hat, aber von
denen man glaubt, daß sie den
Berg von der einen Seite bis zur
andern durchziehen. Die Gräber
sind dort in den Felsen gegraben,
mit einer Steinplatte bedeckt und
enthalten menschliche Reste, aber
ohne Gesäße oder andere Beigaben.
Etwas weiter östlich hat man in
Pena Blanca bei Tibacui in einem
Cerro, der dem von Anvila paral-
lel läuft, Gefäßfchcrben gefunden,
und ähnliche Höhlen wie am „Pa-
pageienkops" giebt es in Pasca
bei der Lagune von Chisaca. Nach-
dein Andre einen Sack mit Knochen angefüllt hatte, ließ er
sich wieder hinaufziehen, worauf der Abstieg nach Panche
rasch von Statten ging.
Dort erwartete sie bei Herrn Avelino ein heiteres Mahl.
Noch vor Einbruch der Nacht fand Andre Zeit, zahlreiche
Pflanzen und Jnsecten zu sammeln. In einem nahen klei-
nen Gehölze fand er „lasttragende" Ameisen (Hormiga car-
guera), welche in langen Reihen ihrem Neste zueilten. Jedes
von den Thierchen trug zwischen seinen Kinnladen ein oval
zugerichtetes Stück Blatt, welches es wie eine Fahne hoch in
die Höhe hielt.
In Panche steht eine Zuckermühle genau dort, wo sich
cmst eine mächtige Citadelle auf einem Hügel erhob, der
rings einen guten Ausblick gewährte; von dort ans suchten
Panchös ihre östlichen Nachbarn, die Sntagaos, Guanches
und Chibchas , heim. Es war das erste Mal, daß Andre
une Zuckermühle (trapiche) in Thätigkeit sah. Unter einem
großen kreisrunden und mit Stroh gedeckten Schuppen saßen
auf einem Schemel zwei Frauen und ließen Zuckerrohr zwi-
schen drei Holzcylinder von roher Form, welche durch ein
Göpelwerk getrieben wurden, gleiten. Zwei von einem Inn-
Ameisenhaufen. (Nach einer Zeichnung Andre's.)
gen gepeitschte Maulthiere setzten die schwerfällige, knarrende
Maschinerie in Bewegung. Der ausgepreßte Saft floß in
einen Holztrog und dann durch eine Röhre in einen größern
Kübel. Ein paar Schritte von dem Schuppen steht eiu halb
in den Boden eingelassener Ofen von Erde uud darüber eiu
Kessel mit einem aufgesetzten Holzrande, in welchen der frisch
ausgepreßte Saft gegossen wird. Darin läßt man ihn kochen,
bis er dick wird und eine Farbe wie dunkelbrauner Ocker
annimmt. Ehe er gerinnt, d. h. nach etwa zweistündigem
Kochen, gießt man ihn in Formen, flache, durch Querbretter
getheilte Kasten, wo er zu Stücken von je ein Pfund Ge*
wicht erstarrt. Jede Form faßt zwei Arroben oder fünfzig
Stücke von zusammen fünfzig Pfund. Mit diesem ganzen
Apparate, nämlich zwei Paar Maulthieren, einem Kinde,
um sie anzutreiben, vier Frauen zum Hineinstecken des Roh-
res in die Mühle und acht Männern, um die Masse zu
kochen, zu trocknen, zu verpacken, das Rohr zu schneiden und
zum Trapiche zu bringen, erzeugt
man sehr selten 10 Arroben (125
Kilogramm) per Tag. Man ver-
gleiche diese Zahl mit der Produc-
tiou einer guten Zuckermühle aus
den Antillen, so lernt man den
elenden Zustand dieser Industrie
im Herzen Columbiens in einer
Entfernung von nur zwei Tage-
reisen von Bogota kennen.
Von dieser angeborenen Unbe-
kümmertheit abgesehen, welche jeden
Colnmbier der warmen Zone mit
wenigen Ausnahmen sich Mehr-
um seine Ruhe als um sein Ge-
schäst und sein Vorwärtskommen
sorgen läßt, war Herr Avelino
ein liebenswürdiger Genosse uud
Wirth, dessen Erzählungen die
Fremden gern zuhörten.
Die Weiterreise führte über
den Cerro de Viota, wo Au--
dre ein ganz neues Landschafts-
bild kennen lernte. Hier traf er
zuerst auf eiueu Eichenwald —
nicht einen mitteleuropäischen,
noch auch einen solchen, wie ihn
die Mittelmeerländer besitzen. Es
waren vielmehr riesige Bäume mit runzeligen, sahlen,
schnurgeraden Stämmen, welche ein herrliches Laubdach
von Lorbeer- oder Magnolienblätteru trugen. Eicheln,
größer als Nüsse, lagen auf dem dicht mit Blättern be-
deckten Boden. Diese Bäume gehören zur Specics Quer-
cus Ilumboldtii und bilden den' gesammten Bestand jenes
Waldes, in welchem kein Gesträuch, keine andere Pflanze
gedieh als eine sonderbare Orchidee (Catasetum) uud ein
fadenförmiges Farnkraut des Genus Acrostichum. Nur
selten drang ein Lichtstrahl durch die dunkele Blättermasse, und
vollständiges feierliches Schweigen herrschte in dem gleichsam
verzauberten Walde. Andre bestimmte feine Höhe zu 1774
Meter, genau dieselbe, in welcher er schon bei Fnsagasuga
einige Exemplare desselben Baumes angetroffen hatte.
Um Mittag wurde der Alto de Viota (1931 Meter),
der eiue herrliche Aussicht auf die Ausläufer der Cordillere
und das Thal des Magdalencustromes darbietet, überschritten
und dann schon in Viota (613 Meter nach Andre, wäh-
rend Codazzi 1300 Meter angiebt) übernachtet, weil der an
Morästen reiche Uebergang über den Paß Thiere uud Leute
mehr als gewöhnlich angestrengt hatte. Entzückend war aut
29*
228
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
folgenden Tage der Weg nach Tocaima. Zuerst senkt er
sich sanft zwischen Königspalmen abwärts, deren goldige
Früchte eine vortreffliche Butter (mantequilla) liefern, und
führt dann im Bette des Baches Cachimbnlo hin, der unter-
Trapichs (Zuckermühle). (Nach einer Zeichnung Andrs's.)
Zuckerkochen in Panachs. (Nach einer Skizze Andres.)
halb der Brücke von Tocaima in den Nio Bogota mündet.
Ein frischgrüner, bezaubernder Pfad zwischen Lauben von
Blättern und Blüthen, welche die süßesten Düfte aushauchten.
Mehrere Stunden lang folgten die Reisenden dem Bache,
Edouard Andrö's Reisen im nordtt
bald ihn immer von Neuem von einer Seite zur andern
überschreitend, bald im Wasser hinreitend. Bewundernswerth
ist die Verschiedenheit und der Reichthum der Vegetation,
unter welcher namentlich die Kokospalme und die Brownea
arhiza, einer der schönsten Bäume, die Andre je gesehen,
hervorragten.
Als sie den Rio Bogota, denselben, der als Rio Funza
den Tequendama-Fall bildet, erreichten, erfuhren sie erst, daß
die alte Drahtbrücke seit mehreren Jahren zerstört war, und
daß man den Fluß nur schwimmend oder im Boote Yassiren
könnte. Augenblicklich war der zwischen enge User einge-
schlossene Flnß zwar ziemlich reißend und schäumend, wurde
aber doch theils aus die eine, theils auf die andere Weise
überschritten. An seinem Ufer wurde 1544 von Hernando
llichen Südamerika 1875 bis 1876. 229
de Vargas Cerrillo de Manosalva die Stadt Tocaima ge-
gründet. 1673 wurde sie in einer Nacht durch eine Ueber-
schwemmung des Rio Bogota zwar völlig zerstört, aber die
Lage zwischen dem Magdalena und Bogota, welches die Er-
zeugnisse der warmen Region consnmirte, war so günstig,
daß man sie wieder aufbaute, diesmal jedoch auf einem zwei
Kilometer entfernten Hügel. Leider geht demselben alles
Wasser ab und muß von dem Flusse geholt werden, ein
schwerer Uebelstand bei einer Stadt von 6500 Einwohnern,
welche eine mittlere Jahrestemperatur von -f- 27V20 besitzt.
Tocaima, wo unsere Gesellschaft um 2 Uhr Nachmittags
bei einer Hitze von 38° im Schatten anlangte, liegt 508
Meter hoch. Wegen seiner hohen Temperatur nennt man
es „das Fegefeuer von Columbien". Aber von dem Hügel,
Straße in Guataqui mit
auf welchem es erbaut ist, überschaut man ein weites, reiches
Thal, von welchem Andre bei Sonnenuntergang eine Skizze
aufnahm; die Abhänge der centralen Cordillere und die
Cerros von Viota begrenzen den Horizont im Westen und
Osten. Der hiesige Markt, welcher alle Producte der war-
mm Region ausweist, hat Ruf; auch das Vieh der kalten
Region und der Llanos von San Martin wird zeitweilig
dort aufgetrieben, und mit Vergnügen bemerkte Andre, daß
die Bevölkerung, welche auch Fleisch zu genießen angefangen
hat, thätiger und industrieller ist als diejenige anderer Orte,
welche sich fast ausschließlich von vegetabilischer Kost nährt.
Andre sah hier seinen Wirth aus Villaviceusio wieder, der
hierher gekommen war, um Llauos-Vieh zu verkaufen.
An Festtagen ist der große Platz des Ortes sehr belebt.
?r Kirche. (Nach Andre.)
Schon die ihn umgebenden mit Ziegel gedeckten Häuser ver-
künden den allgemeinen Wohlstand. Alter Reichthum stammt
noch aus den Zeiten, wo die Kupfer- und Goldbergwerke
der Nachbarschaft Einwanderer anlockten, die hier reich wnr-
den und dann im Lande blieben. Die Bevölkerung des Ortes
nahm in Folge dessen zu und enthielt viel europäisches Blut.
Zahlreich sind die hübschen Frauen, die man hier findet, und
namentlich an Markttagen kann man dieselben studireu, von
der Senora und ihrer Zofe an bis zu der Fruchthändlerin
ans der Umgebung. Eine der reizendsten Erscheinungen,
welche Andre in Columbien zu Gesichte bekommen, war die
Dienerin in der PosadaT'wo er wohnte. Bei der herrschen-
den Gluthhitze war sie nur mit einem leichten Hemd bekleidet,
welches die Formen rein und klar erkennen ließ. Die regel-
C. Favre's und B. Mand
mäßigen Züge, die fast weiße Gesichtsfarbe und die
großeil, schönen, schwarzen Augen mit langen Wimpern der-
riethen, daß spanisches Blut in ihren Adern floß. Mit
Grazie verrichtete sie ihre niederen Beschäftigungen, für
welche ihre ungewöhnlich feinen Hände und Füße nicht ge-
schaffen erschienen.
So fesselnd Tocaima und seine Umgebung in botanischer
und geologischer Hinsicht auch war, so mußte doch Andre
Angesichts der Thatsache, daß die Regenzeit nahte und die
centrale Cordillere mit dem schrecklichen Passe von Quiudio
noch vor ihm lag, an baldigen Aufbruch nach Westen denken.
Die erste Nacht wurde in Casas Viejas amRio Seeo
zugebracht. Von dort führt der Weg an dem linken süd-
lichen Ufer des genannten Flusses abwärts nach Guataqui.
Unterwegs fesselte eine Diluvialformation von großer Mächtig-
keit Andre s Aufmerksamkeit; eine wahre Sintfluth von
Schlamm hat sich einst von den Bergen herabgewälzt und
die nächsten Thäler weit uud breit 10, 20, 30 Meter hoch
bedeckt. Durch diese Schicht hat sich der Rio Seco sein
Bett gegraben, und noch heute sind Erdstürze etwas Alltäg-
liches an seinen Ufern. Eine Menge von Vögeln Hausen
an seinen öden Ufern, an denen nur stachelige Bäume und
wilde Baumwolle gedeihen. Endlich erreichten sie Gua-
taqui.
Zwei Orte in Columbien hat Andre aus seiner Reise
als „Ofenloch" (boca delliorno) bezeichnen hören; der eine
liegt am Rio Dagua, der andere ist Guataqm (2661/2 Meter),
wo das Thermometer nur sehr selten unter 30° sinkt und
oft über 36° steht. 291/2" ist die mittlere Jahrestemperatur.
Andre vermochte diese Thatsache bei seinem einwöchentlichen
gezwungenen Aufenthalt daselbst zu bestätigen. Nach einigem
Suchen gelaug es ihm auch, mancherlei Gepäck aufzufinden,
welches ein Zelt, Confervebüchfen, photographische Uten-
silien u. s. w. enthielt und von Honda aus direct hierher
geschickt worden war. Die erste Mahlzeit, welche die Fran-
zosen, denen der nationale clixipe längst zum Ueberdruß war,
von diesen Borrätheu hielten, wurde für sie zu einem wahren
Feste. Im Uebrigen benutzten sie ihre Muße, die Samm-
lungen zu ordnen uud zum Theile nach Europa zu schicken.
t's Reise in Kilikien 1874. 231
Guataqui kann man die „Hahnenstadt" nennen. In
seinem ganzen Leben hat Andre nicht so viel Hähne auf ein-
mal gesehen, und namentlich gehört, als hier. Ihr Geschrei
brachte ihn fast zur Verzweiflung; denn selbst in der Nacht
zwischen 8 Uhr Abends und Tagesanbruch ließ es nicht nach.
Die Bevölkerung des Ortes, welche 2000 Seelen zählen
mag — und darunter nicht einen Tischler, nicht einen Schuh-
macher, ja nicht einmal einen Geistlichen, weil niemand sich
dem mörderischen Klima und dem Fieber, das bei niedrigem
Wasserstande des Magdalena in zwei bis drei Tagen tobtet,
aussetzen mag —, hatte sich damals verlaufen. Der Alcade
von Guataqui erklärte den Reisenden, daß sie seit fünf Iah-
ren ohne Pfarrer seien. „Hier wird man geboren, verhei-
rathet sich und stirbt, wie die Hunde. Meine Untergebenen
sind unlenkbar, ohne Moralität, von ungezügelter Leidenschast.
Religiöse Vorschriften giebt es nicht und die Civilgesetze sind
für sie ein todter Buchstabe; ich verzichte darauf, sie zur Gel-
tuug zu bringen. Unter uns gesagt, nicht acht Tage würde
ich mein Amt behalten, wenn es nicht mein Geschäft förderte
und meinen Credit bei den Firmen am untern Magdalena
sicherte."
Auf dem Marktplatze steht die Kirche, ein geräumi-
ger Schuppen, dessen Vorderseite unsere vorletzte Abbildung
zeigt. Aber welchen Anblick gewährte das Innere! Fleder-
mäuse und allerlei Nachtvögel hatten in dem unbenutzten
Gotteshause seit Jahren ihren Wohnsitz aufgeschlagen und
Boden und Wände mit ihrem Kothe beschmutzt. Mächtige
Spinnen hatten mit ihrem Gewebe den Zugang in den
Beichtstuhl versperrt; auf einem dreibeinigen wurmstichigen
Tische lagen zerrissene Papierlaternen von der letzten Frohn-
leichnamsprocessiou und von den Altarkerzen hatten die Ratten
nur einige Stümpfchen übrig gelassen — ein abscheulicher
Anblick. Das würdige Seitenstück dazu bot der wüste, ver-
salleue Begräbnißplatz — voller Verachtung für eine Bevöl-
kerung kehrte Andre zurück, welche, in grenzenloser Trägheit
und Jmmoralität versunken, keine Anstrengung macht, sich
aus einem Zustande herauszuarbeiten, welcher hundertmal
schlechter ist als der der Indianer, welche vor ihr das Land
inne hatten.
C. Favre's und B. Mandrot's Reise in Kilikien 1874.
ii').
Einzelheiten von der Reise.
Am 19. April 1874 langten die Reisenden in Antio chia
an, nm über den Amanos sich nach Kilikien zu begeben in
der Absicht, dort archäologische Forschungen anzustellen und
gewisse sortisieatorische Reste des armenischen Mittelalters
aufzunehmen, ein Plan, zu welchem der um die Keuutuiß
Nord-Syriens und der Kreuzfahrergefchichte verdiente Guil-
laume Ney in Paris den Anstoß gegeben hatte. Die Hungers-
noth, welche seitdem Kleinasien heimgesucht hat, trat damals
zuerst aus; in Folge dessen reichten drei Tage kaum hin, um
die nöthigeu Pferde, und Maulthiere zum Transport ihrer
Zelte, Gepäckstücke und des photographischen Apparats zu
beschaffen. Am 22. April Nachmittags brachen sie endlich
nach Alexandrette auf. Weil in jenem Jahre die gute
Jahreszeit sehr spät eingetreten war, hatten sie fast einen
ganzen Monat verloren und waren nun gezwungen, einen
Theil ihres Programms, Marasch betreffend, auszugeben,
und sich wegen des Nahens des heißen kilikischen Sommers
auf die Gebiete in der Nähe des Meeres zu beschränken.
Die Hitze hatte in Folge eines glühenden Südwindes mit
einem Schlage eingesetzt; bei ihrer Abreise von Ladikieh stand
das Thermometer im Schatten über 35 Centigrade, wäh-
rend sie 14 Tage früher in Kalaat el Hosn, jener mächti-
gen syrischen Kreuzfahrerburg, uoch Schneefall gehabt hatten.
Die Straße nach Alexandrette überschreitet hinter An-
tiochia den Nahr el Asy (den antiken Orontes) und führt
dann nordöstlich in einiger Entfernung vom Flusse das Thal
aufwärts. Anfangs gut im Staude, verliert sie bald ihr
europäisches Aussehen, um sämmtlichen übrigen Wegen des
i) Vergl. laufenden Band Nro. V, S. 71.
232 C. Favre's und B. Mandl
Orients zu gleichen. Ringsum ist das Land unbebaut und
fast wüst. Nach drei Stunden befanden sie sich in der Breite
des Sudusers des Sees von Antiochia, von welchem sie ein
Höhenzug trennte. Seine Ufer sind sehr sumpfig, und sein
Wasserstand wechselt je nach der Jahreszeit; durch letztern
Umstand erklären sich die verschiedenen Formen, welche die
Reisenden dem See geben. Ein paar Dörfer, anscheinend
ans elenden Hütten bestehend, liegen im Thale zerstreut.
Rasch nähert man sich nun dem Gebirge, betritt eine
Art Engpaß und erreicht sechs Stunden von Antiochia den
in Trümmer liegenden Chan Karamnth. 2 Kilometer nord-
westlich von demselben liegt ein Kreuzfahrerschloß, wahr-
scheinlich eiust Bagras genannt; der Ausnahme desselben wid-
meten die Reisenden einen Vormittag. Dann ging es in
nördlicher Richtung auf wenig betretenen Steigen, wo ihr
Führer sich verirrte, auf den Amanos hinauf. Je höher sie
kamen, desto umfassender wurde die Aussicht über Ebene und
See, aus welchem hierund da große flache Felsen, auf denen
die Sonne in tausend Farben spielte, emportauchten. Jen-
seits desselben lag die tnrkomanische Ebene (el Amk) im
Nebel. Weiter gegen Osten bezeichneten hohe nackte Hügel
von hellgelber Farbe die Richtung auf Aleppo; es ist der
Dschebel Mar-Saman; und gegen Süden ist noch Antiochia
am Ufer des Oroutes sichtbar. Auf der Höhe des Passes
(800 bis 900 Meter) ändert sich die Scene, und eine noch
großartigere Aussicht erwartet den Reisenden. Hinter sei-
nem Rücken verschwindet Syrien, und vor seinen Augen er-
scheint das Meer und Kleiuasieu. Gegen Norden zieht sich
die weite sandige Rundung des Golfs von Alexandrette und
dahinter erheben sich die dunkeln Umrisse des Dschebel-Missis,
an welchen sich westlich die niedrige Küste bei der Mündung
des Pyramos anschließt. Ganz hinten aber ragen aus
Dunst und Nebel wie eine riesige Mauer die Schneespitzen
des Tauros hervor und verlieren sich am westlichen Hori-
zonte.
Bon nun an befanden sich die Reisenden in Kilikien.
Durch deu Jrrthum ihres Führers hatten sie den Kamm
des Amanos westlich von dem gewöhnlichen Uebergange, dem
berühmten „Syrischen Thore" (Pylae Syriae), überschritten.
Drei Stunden, nachdem sie Bagras verlassen, langten sie in
Bei'lan an, ohne das Syrische Thor gesehen zu haben.
Beilan ist ein großes Dorf mit einem Bazar, drei Stunden
von Alexandrette auf steiler Berglehne gelegen. Allen denen,
welche den tödtlichen Miasmen der Küstenstadt entfliehen
können, dient es als Sommeraufenthalt und ist zugleich Halte-
Punkt für die zahlreichen Karawanen, die von Antiochia,
Aintab und Aleppo nach dem Meere gehen. Auf dem fchma-
len, felsigen Wege zwischen Beilan und Alexandrette herrscht
ein unaufhörliches Kommen und Gehen schwer beladener
Kamele oder leer zurückkehrender Karawanen. Hunderte
von Kamelen schreiten reihenweise, eines an das andere ge-
bnnden, einher und hemmen mitunter den ganzen Verkehr.
Zu allen Zeiten ist dieser Weg, als der einzige, der von Sy-
rien nach Kilikien führte, von großem commerciellem und
militärischem Interesse gewesen.
Alexandrette, das alte Alexandria ad Issum, von
Alexander dem Großen nach seinem Siege gegründet, ist
heutigen Tages nur eine Waarenniederlage ohne eigenes
Leben und fast ohne ständige Bevölkerung. Weil der Zu-
gang zu ihm schwierig und seine Lage ungesund ist, wird
es verlassen werden, sobald man an dieser ungastlichen Küste
einen ausreichend sichern Hafen, Suvdieh z. B., eingerichtet
haben wird. Inzwischen fordert, bis man das nöthige Geld
und die nöthige Thatkraft gefunden, das Fieber Jahr für
Jahr in Alexandrette, welches neben Tarsos und Mersin der
ungesundeste Platz des ganzen Landes ist, zahlreiche Opfer.
t'S Reise in Kilikien 1874.
Die gefährliche Jahreszeit beginnt aber erst im Juni, so daß
die Reisenden ungestraft iu der Niederung vor der Stadt
lagern konnten.
Am folgenden Tage setzten sie ihre Reise nach Norden
längs des Strandes fort und erreichten in drei Stunden
die bei den Seeleuten als „Säulen des Jonas" —dort foll
nämlich der Prophet vom Walfisch ausgeworfen worden
fein — bekannte Ruine in dem Engpaß des „Kilikifchen
Thor es". Anfangs läuft der Weg am Strande entlang.
Von Osten her stürzen einige Gießbäche in tiefen Schluchten
von den nahen Steilwänden des Gebirges herab. Aus den-
selben Schluchten kommt zuweilen auch ein Wind hervor,
der wegen seines Ungestüms und seines plötzlichen Auftretens
auf der Rhede von Alexandrette sehr gefürchtet wird. All-
mälig wird dann der Weg schmaler, bis die letzten felsigen
Ausläufer des Amanos an das Meer herantreten. Das ist
die engste Stelle des Passes „Kilikisches Thor".
Die „Säulen des Jonas" sind nur Reste eines monu-
mentalen antiken Thores, welches den Paß schloß oder be-
zeichnete. Bogenwölbnng und Fries sind herabgestürzt, und
nur die beiden Pfosten ans weißem Kalkstein, die von fern
wie Säulen aussehen, stehen noch aufrecht. Im Mittelalter
hieß die wahrscheinlich von Sperrmauern flankirte Ruine
Portella, und dort wurde Seitens des Königreiches Klein-
Armenien Zoll erhoben. Dicht daneben liegen Reste eines
Krenzfahrerfchlofses, welches ebenso wie der Paß heute Sa-
kal Tutan genannt wird und lange als Chan gedient hat.
Etwas weiter gegeu Norden liegt am Fnße des Gebir-
ges das Dorf Sari Saki, bei welchem ein Weg über den
Amanos einmündet. Auf syrischer Seite sperrt denselben
die Festung Gastim; einst sehr betreten, ist er heutigen Ta-
ges schlecht zu begehen. Alle diese Amanos-Pässe hießen
im Alterthnme „Syrische Thore"; nur die nördlichsten
„Assyrische".
JenseitPortella nach dem drei Stunden entfernten Pa-
jas zu wird die Küste immer breiter; man reitet eben hin
ans einem mit kleinen Steinen besäeten und mit grünen Ge-
büschen bedeckteu Strande, der sanft zum Gebirge ansteigt.
Das Land ist, von zwei Dörfern aus den ersten Höhen des
Amanos abgesehen, absolut verödet. Pajas, das antike Bajae,
ist ein Flecken an einem kleinen Fluß mit einem Bazar, zwei
Schlössern und einer Garnison; es hat dort ein Kai'makam
seinen Sitz. Hinter dem Orte wird die Küste 4 bis 5 Ki-
lometer breit. Hier verließen die Reisenden die Straße
nach Adana, welche sich dicht an der Küste hält, und bogen
rechts ab, um dem Gebirge näher zu bleibeu. Der Weg
stieg leicht an, überschritt mehrere Bäche uud trat dann in
eine wahre Oase von Wasser und Bäumen der verschieden-
sten Arten; er führte bei mehreren armenischen Dörfern mit
prächtigen Obstgärten vorbei, deren eines mit Recht den
Namen Küsalli (das schöne Dorf) führt. Grüne Hecken
fassen die Straße ein, die ganz von Laub überschattet ist.
In zwei starken Stunden von Pajas an war das Dorf
Schuk-Merziwuan erreicht, von wo man in Ostsüdost
einen der Hauptberge des Amanos erblickt. Sein noch zn
Ende April mit Schnee bedeckter Gipfel läßt auf eine Höhe
von über 2000 Meter schließen. Nach dreiviertel Stunden
hören die Bäume plötzlich auf, und man erreicht einen rasch
zwischen kiesigen Ufern strömenden Fluß, den Deli Tschaü
(d. i. das tolle Wasser), den antiken Pinaros, dessen Thal
tief in den Amanos einzuschneiden scheint. Durch dasselbe
führt nach Angabe der Eingeborenen ein Weg nach dem öst-
lichen Abhänge des Gebirges; doch ist derselbe nur schlecht,
und die Gebirgsbewohner stehen in übelem Rufe. Hier be-
fanden sich die Reifenden mitten auf dem Schlachtfelde
von Jfsos. Das von Assyrien her anrückende Heer des
C. Favre's und B. Mandrot's Reise in Kilikien 1874.
233
234 C. Favre's und B. Mandri
Dareios war nördlich vom Gebirge Amanos herabgestiegen
(nicht, wie behauptet wird, im Pinarosthale), hatte auf dem
rechten nördlichen Ufer dieses Flusses Befestigungen aufgeführt
und die nächsten Berge besetzt. Alexander, welcher schon das
Kilikische Thor passirt hatte und sich in der Gegend des
heutigen Alexaudrette befand, mußte, um den Perfern eine
Schlacht zu liefern, umkehren. Gewöhnlich verlegt man
Issos, nach welchem Orte die Schlacht heißt, an den Pina-
ros, was aber mit den Angaben der Alten nicht stimmt.
Favre und Mandrot setzen also Issos mit Mansell einige
Kilometer nördlich vom Meerbusen an, indem sie sich vor-
behalten, die Sache in einer besondern Veröffentlichung näher
zu begründen.
Hat man den Deli Tschai durchführtet, so betritt man
zunächst eine etwa drei Kilometer breite Ebene, wo des Da-
mos' Heer sich sammelte, und gelangt dann zwischen Kalk-
Hügel, welche mit Gestrüpp bedeckt sind und vom Amanos
sich westlich bis zum Meere hinziehen, zwischen beiden nur
eine enge Passage lassend. Ans denselben liegt zwischen
Bäumeu versteckt das Dorf Erzün, von wo man über einen
sanften Abhang in die Ebene von Issos hinabsteigt. Die
Ruinen dieser Stadt erreicht man von Schuk Merziwuan
in vier Stunden. Dieselben bestehen ganz aus schwarzem
Basalte uud sind ziemlich schlecht erhalten, obwohl man dort
noch einige interessante Bauten der griechisch-byzantinischen
Zeit findet. Die einst sehr sumpfige und ungesunde Ebene
von Issos ist heutigen Tages völlig ausgetrocknet, so daß
man Mühe hat, einen Tropfen Wasser zu finden; selbst die
beiden auf der Karte angegebenen Bäche waren damals zur
Zeit der Schneeschmelze trocken. Diese Aendernng soll sich
nach Angabe der Einwohner vor etwa fünfzehn Jahren voll-
zogen haben. Das Wasser fließt zwar weder nördlich durch
den Paß von Topra Kalefsi, noch südlich zum Meere ab;
wahrscheinlich rührt die Austrocknung der Ebene davon her,
daß man an ihrem nördlichen Ende, am Eingange zum Passe,
Erddämme aufgeführt hat, welche das von Topra kommende
Wasser abhalten, so daß sich dort mehrere stagnirende kleine
Seen gebildet haben. Der Fluß, welchen die meisten Kar-
ten die Ebene durchfließen lassen, existirt übrigens nicht.
Von Issos bis zum Schlosse Topra Kalessi sind es
zwei Stunden Weges, zuerst über ebenes Land, dann durch
einen etwa 200 Bieter breiten Engpaß zwischen Ausläufern
des Amanos und dem Dschebel Missis. Der vollkommen
ebene Boden dieser Passage ist offenbar vom Wasser an seine
Stelle gebracht worden. Gegen Norden endet sie mit gleich-
falls flachen Felsen, die nur wenig über die Ebene hervor-
ragen, aber doch hoch genug, um jeden Abfluß des Wassers
von dieser Seite zu verhindern. Etwas weiter hin liegen
auf einem Hügel die ziemlich gut erhaltenen Reste der arme-
nischen Festung Topra Kalessi. Derselbe ist etwa 80 Meter
hoch, von sehr regelmäßiger conischer Gestalt und besteht
wahrscheinlich aus demselben Basalte, wie er auf der ent-
gegengesetzten Seite des Amanos nördlich vom See von An-
tiochia vorkommt. Anch das Schloß selbst ist von Basalt-
stücken erbaut. Die Reisenden stiegen sogleich hinaus uud
sahen von oben zu ihrem großen Erstaunen, daß die Höhen
des Dschebel Missis und des Amanos, zwischen welchen sie
eben hindurch geritten waren, hier scharf nach Westen und
Osten zurückwichen, und sich nach Norden eine weite, nur
von den fernen Ketten des Tauros und Antitauros begrenzte
Ebene ausdehnte. Von dem auf den Karten angegebenen
Gebirge, welches zwischen ihnen und dem Dschihan liegen
sollte, war nichts zu sehen; nur einige Felshügel waren in
der Ebene zerstreut. Nach Nordosten hin konnten sie bei
der klaren Morgenluft Anazarbos auf seinem Hügel und so-
gar die Felsen über dem Schlosse des fernen Sis erkennen.
c's Reife in Kilikien 1874.
Von Topra Kalessi unternahmen Favre uud Mandrot
einen Ausflug nach Osten, wo in einer Entfernung von etwa
10 Kilometer der kleine Ort Asmanieh am Fuße des
Amanos liegt. Er ist Sitz eines tfcherkefsischen Kai'makam
und hat einen Bazar, findet sich aber bis jetzt noch auf kei-
uer Karte. Von dort gehen zwei Straßen über den Ama-
nos, die eine über einen Paß beim Schlosse Tschordaa, die
andere nach Kilis und Ai'ntab längs des Flüßchens Ära-
tschai', an welchem Asmanieh liegt. Letztere wird vom Han-
bei sehr stark benutzt und führt über eine der niedrigsten Ein-
sattelungen in der Hauptkette des Gebirges. Uuweit südlich
von ihr, südöstlich von Topra Kalessi, sahen die Reisenden
einen dritten schneebedecktenGipfel, welcher ungefähr 3000 Me-
ter Höhe haben muß, während weiter nördlich der Kamm
des Gebirges niedriger ist und erst vor Marasch noch ein-
mal im Bejnk Dulldull sich zu bedeutenderer Höhe erhebt.
Am 30. April verließen sie Topra nach Norden, durch-
fuhrteten zunächst den kleinen Ara-tschaü, einen Zufluß des
Dschihan, und betraten dann eine kahle Ebene, von wo aus
sie zur Rechten den Ausblick auf die gesammte Kette des
Amanos, eine Reihe scharfgezackter Gipfel, hatten. Zwischen
ihnen und dem Gebirge tauchen hier und da felsige, nur theil-
weise mit Erde bedeckte Höhen von länglicher schmaler Form
aus der Ebene aus und beschränken die Aussicht. Nachdem
sie schon am nördlichen Ufer des Ara-tschai die Straße von
Adana nach Kilis und Ai'ntab gekreuzt, überschritten sie hier
eine zweitedie von Adana wahrscheinlich im Thale des
Dschihan aufwärts nach Marasch führt. Nur muß man
mit dem Worte „Straße" nicht den europäischen Begriff
verbinden; es sind das nicht einmal Wege, sondern Pfade,
welchen seit uralter Zeit Reisende und Karawanen gefolgt
sind, und an die nie ein Ingenieur seine bessernde Hand an-
gelegt hat. Weiter führt der Weg bei zwei anderen Fels-
höhen vorbei, auf denen Tnrkomanen ihre Lager anfgeschla-
gen haben. In einiger Entfernung weidete eine große Herde
Gazellen. Zwei Wegstunden etwa gegen Nordosten lagen
am Fuße des Gebirges und auf dem rechten Ufer desDschi-
han die Trümmer des Schlosses Bndrum Kalessi auf
einem eigentümlich geformten Felsen, bei welchem sich das
Thal jenes Flusses zu verengen beginnt.
Drei und eine halbe Stunde, nachdem sie Topra ver-
lassen, erreichten sie ein kleines armenisches Dorf am linken
Dschihan-Ufer gegenüber den Ruinen von H emetie Kalessi,
welche auf dem letzten Ausläufer des hier rechtwinklig gegen
Südwesten in die Ebene vorspringenden Antitauros gelegen
sind und von einem hohen Berggipfel überragt werden. In
Folge der Schneeschmelze war es den Reisenden unmöglich,
den Fluß hier zu durchführten, und sie waren deshalb ge-
zwnngen, demselben, welcher hier nach Nordosten ausbiegt,
zu folgen, um eine Fähre zu erreichen, welche ihnen gestattete,
den geraden Weg nach Sis zn verfolgen. Zwei und eine
halbe Stunde lang führte der Weg durch sumpfiges, über-
fchwemmtes Land, wo Tscherkessen ihre Herden weideten, bis
sie die Fährstelle erreichten. Dort aber harrte ihrer eine
neue Enttäuschung: die Fähre war mit allen, welche sich
darauf befunden hatten, fortgerissen worden. Gruppen von
Kaufleuten faßen dort geduldig auf ihren Gepäckstücken und
warteten, daß der Fluß sich beruhigte, während Tscherkessen
sich auf ihren kleinen Pferden in das tobende Wasser stürz-
ten und vergeblich versuchten hindurchzuschwimmen. Die
gelben Gewässer des Dschihan schwollen so rasch an uud
traten dermaßen über die Ufer, daß, als die Reisenden nach
kaum einer halben Stunde durch den Sumpf zurückritten,
ihre Thiere sich mit Mühe und Noth durch denselben hin-
durcharbeiteten.
Die Fährstelle liegt an dem nördlichsten Punkte des Bo-
C. Favre's und V. Mand:
gens, welchen der Dschihan nach Norden beschreibt; von da
an fließt er nach Südwesten und macht in der Ebene zahl-
reiche Windungen. Drei Stunden westlich von dort zeichnet
sich der Felsen von Anazarbos mit seinen schroffen Wänden
und seinen Ruinen scharf vom blauen Himmel ab. Die
Reisenden waren nun gezwungen, nach der mehr als eine
Tagereise entfernten Brücke von Mifsis zu reiten, um Sis
zu erreichen, und ritten anfs Gerathewohl erst südlich, dann
südwestlich über die Ebene; sie kreuzten den Ara-tschai zum
zweiten Male und erreichten nach sechs Marschstnndcn den
Dschihan bei Jsmail-bey-köi wieder. Es ist das ein
großer Flecken mit einigen Läden, einem Chan, aber keinem
einzigen Baume und gewissermaßen die Hauptstadt der
Tscherkessen in Kilikien. Etwa 2 Kilometer weit ziehen sich
seine neugebauten Häuser am Flusse hin, überragt von dem
weithin sichtbaren Minareh einer Moschee. Der Ort würde
offenbar große Bedeutung gewinnen, wenn er eine Brücke
über den Fluß besäße; aber es existirt nur eiue, nicht ein-
mal immer benutzbare Führe, uud zwar ziemlich weit ström-
abwärts von dem Flecken. Ein Theil seiner Bewohner trägt
echt mongolischen Typus zur Schau, rothe Haare, vorspriu-
geude Backenknochen und eng zusammenstehende Augen; es
sind das Leute vom Tatarenstamme der Nogaü oder Naga'i,
welche aus dem Laude nördlich vom Kaukasus uud westlich
vom Kaspischeu Meere stammen und aus freiem Antriebe
und vor den Tscherkesseu ausgewandert zu seiu scheinen.
Unter ihnen lebt ein Franzose, der aus Adana gekommen ist
und eine Anstalt zum Auskernen der von den Tscherkessen ge-
bauten Baumwolle errichtet hat. Derselbe erzählte den Reisen-
den mancherlei von diesen Stämmen. In Folge ihrer schlechten
Lebensweise und namentlich der Schaffellmützen, welche sie
in diesem heißen Klima ruhig beibehalten haben, sind an-
sangs viele von ihnen gestorben. Jetzt fangen sie an sich
allmälig umzubilden, uud viele haben schon ihre Pelzmütze
mit dem Tarbusch vertauscht. Auch lernen sie Türkisch,
und ihre wilden Sitten werden durch ihre Beschäftigung als
Ackerbauer und Hirten gemildert. Doch ist ihre Unredlich-
keit berüchtigt. Die Nogaler sind nach Aussage jenes Fran-
zosen die weniger schlimmen; denn wenn sie auch Gott uicht
fürchten, so fürchten sie doch wenigstens den Teufel, während
sich die Tscherkessen um keinen von beiden kümmern.
Von Jsmail-bey-köi wollten sie zunächst das Schloß
Shilan Kalessi, auch Scheich-meran Kalessi genannt,
welches unweit davon auf einem Felsen sichtbar ist, besuchen,
ersahen aber zu ihrem Schaden, daß es die Karten fälschlich
auf das linke, östliche Ufer des Pyramos, auf welchem sie
sich befanden, setzten. Das rechte aber, auf welchem die
Ruiueu in der That liegen, war wegen des Hochwassers nicht
zu erreichen. Dies Mißgeschick benutzten sie, um einen Aus-
flug nach Aias an der Küste eine Tagereise südlich von
Jsmail-bey-köi zu unternehmen. In südlicher Richtung rit-
ten sie über die ziemlich smnpsige, aber einigermaßen ange-
baute Ebene hin. Die Felder trugen Gerste uud Baumwolle,
von denen letztere kaum erst aus dem Boden hervorragte.
Nach 21/2 Stunden überschritten sie den Weg, welcher von
Alexandrette durch den Paß Kurd Kulek (auch Demir Kapn,
im Alterthume „Amanisches Thor" genannt) und über den
Dschebel Nur nach Missis und Adana führt, und in seiner
ganzen Länge vom Telegraphendraht begleitet wird. Eine
Stunde später erreichten sie den Dschebel Missis südwest-
lich von jenem Passe. Derselbe besteht hier nur aus ziem-
lich sonderbar geformten und meist nicht hohen Hügeln, welche
sich von Aias im Süden bis nach Jssos im Norden längs
der Meeresküste hinziehen und erst bei Jssos etwas höher
ansteigen. Westlich von Aias ist der Dschebel Missis, wel-
cher dort etwas vom Meere zurücktritt, weit höher, bildet eine
t'§ Reise in Kilikien 1874. 235
nach Südosten streichende richtige Bergkette und fällt dann
steil zum Ufer des Pyramos ab, jenseits dessen er sich nur
durch einige, im Vorgebirge K a r a d a s ch endigende Terrain-
wellen fortsetzt. An diese Kette, deren höchster Punkt der
Dschebel Hod« zu sein scheint, schließt sich eine zweite,
kürzere und höhere mit nahezu nordsüdlicher Richtung: der
Dschebel Nur, an dessen Westfuße der Dschihan entlang
fließt. Der Dschebel Missis hat also die Form eines V,
dessen beide ungleich lange Arme durch einen Winkel von
etwa Losgetrennt sind; der längere östliche reicht vom Dfchi-
han im Süden bis nach Topra Kalessi, der kürzere südliche
vom Dschihan bis Shilan Kalessi.
Bon der Ebene zum Dschebel Missis emporsteigend ge-
langten die Reisenden auf halber Höhe nach dem armenischen
Dorfe Magars, überschritten dann den Kamm des Ge-
birges, kreuzten eine längliche Ebene, Aias Owa oder
Aias Tuschumder Owa, welche zum Meere hin Abfluß
hat und von den Herden der nomadischen Tnrkomanen be-
weidet wird, überstiegen einen zweiten Höhenzug und erreich-
ten sieben Stunden, nachdem sie Jsmail-bey-köi verlassen,
Was.
Aias, das antike Aigai, war im Mittelalter unter dem
Namen Laias oder Lajazzo ein sehr bedeutender Hafenort,
dessen Zolleinkünfte die Könige von Klein-Armenien be-
reicherte. Heute ist es nur ein Haufen von in wüster Ebene
zerstreuten Ruinen aus verschiedenen Zeiteil; unter ihnen ge-
währt nur das armenische Schloß an der Meeresküste über
dem alten Hasen noch einen etwas stattlichem Anblick. Die
Ringmauer nimmt jetzt ein Dorf ein, und eine kleine Insel
wenige Minuten vom Strande trägt die Reste einer Befesti-
guug. Von Aias an dehnt sich bis zur Mündung desDschi-
han zwischen Gebirge und Meer eine wellige Ebene aus,
die ganz mit wilden Artischoken bedeckt ist. Das Wüstenhafte
des Landes wird durch diese dürstige Vegetation wenigstens
etwas gemildert.
Zwischen Aias und Missis giebt es zwei Wege, einen
längern um das südliche Ende des Gebirges herum und dann
am Dschihan hinauf, und einen kürzern quer über die Ebene
und das Gebirge. Letztern wählten die Reifenden, indem
sie nordwestlich auf den zweigipfeligen Dschebel Hod6 losrit-
ten. Zur Linken blieb am Meeresufer das Dorf Shumur
Talek liegen, welches die türkische Regierung früher einmal
zum Ausgangspunkte einer projectirten Eisenbahn, welche
sich an das mesopotamische Netz anschließen sollte, zu machen
gedachte. In Folge der seitdem angestellten Studien wurde
der Plan geändert; diese Projecte aber, welche zu Anfang
dieses Jahres noch als auf unbestimmte Zeit vertagt galten,
haben seitdem durch die englische Einmischung neue Bedeu-
tung erhalten: schon ist einer englischen Gesellschaft von der
türkischen Regierung die Concession zu einer Bahn von Mer--
sina über Diarbekir nach Erzerum ertheilt worden.
Nach 2^ Stunden befanden sich die Reisenden am Fuße
des Gebirges und stiegen durch verbranntes Gebüsch aus-
wärts. Die Türken sollen es im Jahre 1866 angezündet
haben, weil es Rebellen zum Zufluchtsorte diente; vielleicht
aber haben es ganz einfach die Nomaden gethan in der Hoff-
nung, dadurch reichlichern Graswuchs für ihre Herden zn
erzielen, wie das ja stets ihre Sitte war. Daun aber hat
der Erfolg ihren Erwartungen nicht entsprochen; denn die
Erdkrume ist verschwunden und überall tritt der nackte Kalk-
felfen zu Tage. In 11/2 Stunden war der etwa 500 Me-
ter hohe Kamm des Gebirges erstiegen, nnd es ging hinab
in eine auf drei Seiten von Bergen umschlossene Hochebene,
deren Gewässer zwischen den beiden erwähnten Schenkeln
des Dschebel Missis nach Nordosten hin abfließen. Dann
erreichten sie die Schloßruine Gwal Oglu, welcher die
30*
236 Neue assyrische
Tscherkessen den Beinamen Mosku geben; sie liegt auf einem
hohen, nach drei Seiten hin steil abfallenden Felsen an dem
Punkte, wo die Dschebel Nur (höchster Punkt 716 M.) und
Hodv (608 M.) zusammenstoßen, etwa 290 bis 300 M.
über dem Dschihan und 100 M. über jener kleinen Hoch-
ebene. Am Fuße des Schlosses tritt der Weg in eine kleine
Engschlucht und führt rasch und steil an den Fluß hinab:
drei Stunden genügen, um das ganze Gebirge zu überschrei-
teu. Von der Höhe des Schlosses hat man einen sehr aus-
gedehnten Ueberblick über das ganze Land im Norden und
Westen. Der Dschihan unten schlängelt sich durch eine zum
Theil überschwemmte Ebene und verschwindet schließlich hin-
ter dem Ausläufer des Dschebel Missis. Zwischen Fluß
und Gebirge sind in einer Entfernung von ein paar Kilo-
meter Dörfer zwischen Bäumen sichtbar. Die ersten Bäume,
welche die Reisenden seit neun Tagen zu Gesicht erhalten
hatten, ein kleines Gehölz nördlich von Ai'as ausgenommen!
In Westnordwest steigt aus der Ebene von Adana ein
vereinzelter Hügel von länglicher Form und ziemlicher Be-
trächtlichkeit auf, den keine Karte angiebt, trotzdem er von
Wichtigkeit ist. Denn er bestimmt nach Ansicht von Favre
und Mandrot die periodischen Wechsel, welche der Sihun
(Saros) unterhalb Adana erleidet, ebenso wie die im Kara-
dasch-Vorgebirge auslaufenden Höhenzüge die Schwankungen
an der Mündung des Dschihan. Da die Ebene vollkommen
flach ist, genügt das geringste Hinderniß, um jene Flüsse von
der einen Seite der Erhebungen auf die andere zu drängen
Ausgrabungen.
und so periodisch die Trennung oder Vereinigung ihrer Mün-
düngen zu veranlassen. Leider fehlte den Reifenden die Zeit,
jenen Hügel zu besuchen, um dort etwa nähere Begründun-
gen für ihre Hypothese zu finden, und selbst seine Lage haben
sie uicht ganz genan fixiren können.
Vom Fuße des Dschebel Missis geht der Weg zwischen
diesem und dem gewundeneu Laufe des Dschihan direct nörd-
lich nach Missis, bis wohin man von Gwal Ogln 2^/z Stnn-
den braucht. Unterwegs begegneten sie Negern, Angehörigen
eines Stammes, welcher in zwei Dörfern am östlichen Ende
des Dschebel Missis haust. Langlois, welcher dies erwähnt,
schildert sie als unbändige wilde Geschöpfe. Jene aber wa-
ren groß, wohlgestaltet, gut gekleidet und auf kräftigen Eseln
beritten, kurz entsprachen jener Angabe keineswegs. Wann
und wie sie von Afrika herübergekommen sind, vermochte
niemand zu sagen. Vielleicht hat sie Ibrahim-Pascha bei
der Eroberung Kilikiens durch die Aegypter dorthin gebracht.
Ehe man Missis erreicht und die Dschihan-Brücke über-
schreitet, hat man auf dem linken Ufer des Flusses die
Mauern und Reste der antiken Stadt Mopfuhestia, die fpä-
ter Mamistra hieß, zu Passiren. Missis selbst ist nur ein
elender Flecken auf den Höhen des rechten Flußufers, der
sehte ganze Wichtigkeit nur der Brücke verdankt; dieselbe
scheint allerdings während des Hochwassers das einzige Ver-
binduugsmittel zwischen beiden Usern von Marafch an bis
zum Meere zu fein.
Neue assyrische
Austen Henry Layard war es, der 1847 bis 1850 zuerst
auf den Trümmerhügeln Nineves Ausgrabungen unternahm
und zwar mit solcher Energie und solchem Geschick, daß er
nach dem Ausspruche von Friedrich Delitzsch „allein wohl
die Hälfte alles überhaupt Möglichen leistete." Etwa
30 Kilometer südlich von Mosul liegen auf dem linken Ufer
des Tigris unweit des heutigen Dorfes Nimrud die Trüm-
mer der niuevitifcheu Südstadt Kala h. Im weiten Umkreis
umzieht eine sichtbare Mauer, deren Nordseite allein schon
die Trümmer von 58 Thürmen ausweist, die verschwundene
Stadt; aber hoch über der Ebene erhebt sich im Südwesten
die einstige Plateforme der assyrischen Königspaläste und
Tempel. Nicht weniger als vier große Paläste hat Layard
hier entdeckt: im Nordwesten die Paläste Salmanassar's I.,
welcher um 1300 v. Chr. die Stadt gründete, und Assur-
nazir-pal's, welcher sie späterhin um 885 v. Chr. neu auf-
baute, in der Mitte den Palast des biblischen Tiglath-pileser,
im Südwesten den Asarhaddon's, einen der größten bis jetzt
gefundenen Paläste. Layard's Name wird für alle Zeiten
neben denen Botta's, Oppert's, Rawlinson's auf dem Gebiete
der Assyriologie gefeiert bleiben; kaum minder glückliche Nach-
folger fand er in dem leider zu früh verstorbenen George
Smith, dem Entdecker der chaldäischen Genesis, dessen epoche-
machende Forschungen vor drei Jahren publicirt wurden,
und jetzt in dem Armenier Hormuzd Nassam, einem Ab-
gesandten des britischen Museums.
Nassam begann, wie wir einem ausführlichen Referate
der „Times" entnehmen, feine Ausgrabungen am südöstlichen
Theile der großen Pyramide, welche den nördlichen Theil in
der Nähe des großen Tempels des Kriegsgottes krönt, den
Layard 1849 entdeckt hatte. Er verfolgte zunächst einen
Ausgrabungen.
von Layard angelegten Graben, führte ihn östlich weiter und
drang so in die Cella des Tempels in der Nähe der Altar-
stufen ein. Nachdem seine Leute das Innere ausgeräumt,
sah er einen 150 Fuß langen und 90 Fuß breiten Raum
vor sich. Im westlichen Theile des Gebäudes lag der Altar,
zu dem man auf drei Stufen hinaufstieg. Altar uud Stufen
waren 18 Fuß breit und etwa 4 hoch. Dahinter lag ein
weiter viereckiger Raum, wo vielleicht die Bildsäule des Kö-
uigs stand, zu dessen Ehre der Tempel errichtet war. Rechts
und links vom Altare waren Reihen von Sitzen angebracht.
Eine interessante Entdeckung Rassam's waren die schön ge-
malten Ziegel in diesem Tempel, die zur besondern Zierde
des Daches benutzt worden waren. Sie bestanden aus einem
sehr feinen an der Oberfläche emaillirten Thone uud waren
außerdem uoch mit geometrischen Mustern versehen. Da
sieht man das Malteserkreuz an seinen vier Spitzen noch mit
dem Geisblattornamente, wie die assyrischen Künstler es zur
Verzierung der königlichen Gewänder benutzten; dazwischen
ist eine Tulpen- oder Lotusknospe angebracht. Vom Mittel-
punkte der Ziegel hing ein Gehänge herab, das in einer Ku-
gel endigte, auf der die Inschrift zu lesen: „Der Palast
Assur-uazir-pals, der Reichthum von Bit Kitmuri, welches
in Kalah liegt." Jedes dieser Gehänge ist durchlöchert,
augenscheinlich um einen Ring zur Befestigung der Lampen
darin anzubringen. Theilweife waren die Ziegel reich ver-
goldet, einzelne zeigten mattgrüne Grundfarbe. Man nehme
zn diesem Schmuck das seinpolirte Cedernholz des Tempel-
daches und man wird sich eine Vorstellung von der Pracht
des Ganzen machen können.
Nach den Inschriften, welche hier aufgefunden wurden
< und die der Jstar, der Königin von Kitmuri, geweiht sind,
Neue assyrische
war dieses ein Tempel der assyrischen Liebesgöttin, hier wnr-
den ihre Mysterien gefeiert, hier verehrte man ihre beiden
heiligen Jungfrauen, Samchat (Vergnügen) und Harimat
(Leidenschaft); hier auch beging man die Wehklagen um den
alljährlich sterbenden Tammuz, „den Sohn des Lebens", den
alljährlich Jstar aus ihrer Höllenfahrt aus dem Hause des
Todes wieder holte, Festlichkeiten, die dann über Phönicien
und Cypern zu den Griechen gelangte». Bedenkt man den
alten Zusammenhang zwischen Cypern und dem Aphrodite-
Cnltus, so wird es wohl keinem Zufall zuzuschreiben sein,
daß Assurbanipal (684 v. Chr.) in diesem Tempel einen
Keilschriftcylinder aufstellte, welcher die Tribute aufzählt,
welche die cyprischen Könige nach Assyrien zahlten. Als
Monarchen werden da aufgeführt: Aegystus, König von
Jdalium; Pythagoras, König von Kidrnzi; Jthuander, Kö-
nig von Paphos; Damastis, König von Cnrinm; Karmes,
König von Tamifsus; Dames, König von Ammochosta;
Unasagns, König von Lidni und Pnyuz, König von Aphro-
disia. Das von Rassam ausgesuudeue Cyliuderfragmeut
enthält glücklicherweise die vollständige Liste der cyprischen
Könige.
Während seiner Ausgrabungen zu Nimrud hörte Nassam,
daß in dem 9 engl. Meilen weiter nordöstlich gelegenen Schutt-
Hügel Balawat Araber, die ein Grab gruben, auf ein
Bronzemonument gestoßen seien. Sogleich begab er sich
dorthin und sah, daß ein sehr werthvolles assyrisches Denk-
mal ans Tageslicht gefördert worden war. Es war eine
große bronzene Trophäe, gut erhalten und mit schönen Bas-
reliefs in Neponssvarbeit bedeckt. Da nun fast alle assy-
rischen Monumente paarweise vorkommen, so ließ er, um das
zweite Stück zu finden, in der Nähe weiter nachgraben und
fand auch richtig eine zweite, kleinere Trophäe, ja die Sockel
einer dritten und vierten, die indessen schon in früheren Zei-
ten entfernt worden waren. Da jedoch hier arabische Grä-
ber vorhanden waren, so konnte, um diese nicht zu stören,
Rassam nur äußerst vorsichtig zu Werke gehen; trotzdem
ereigneten sich Aufläufe. Auch das Gebäude, auf welches
man hier gestoßen war, zeigte sich als Tempel, der an jeder
Seite einen Altar mit vier Stufen hatte, umgeben von einem
gepflasterten Vierecke. Unter dem Altar stand eine große,
an einer Seite offene Steinkiste, in welcher drei Steintafeln
neben einander lagen, jede 12 Zoll lang und 8 Zoll breit.
Die Kiste selbst, welche diese Tafeln barg, war 3 Fuß lang
und 2 Fuß breit; auf ihrer Vorderseite war eine Inschrift
von 50 Linien angebracht, welche sich als Duplieat der In-
schrist auf den Steintafeln herausstellte. Die Inschrift be-
ginnt mit dem Namen, den Titeln und der Genealogie des
assyrischen Königs Assur-uazir-pal' (885 bis 860 v. Chr.)
und besagt, daß er der Erbauer der wichtigsten Tempel und
Paläste von Kalah ist. Kurz werden die Grenzen des Rei-
ches aufgeführt, welches dieser große Monarch dnrch seine
Eroberungen erweiterte; sie reichten vom Sagros-Gebirge
und den Ufern des Wan-Sees bis an die Abhänge des Lib'a-
non und an das Mittelmeer. Einen großen Theil Syriens
und das nördliche Mesopotamien sowie die südlichen Lande
von Kar-Dunias oder Babylonien hatte er unter seine Herr-
schast gebracht.
Nachdem so Assnr-nazir-pal sein Reich vergrößert, wandte
er seine Thätigkeit den inneren Verhältnissen zu und sorgte
für die Verschönerung seiner Hauptstadt. Er war ein großer
Verehrer und treuer Diener des Kriegsgottes Adar und der
Jstar, die auch als Königin der Schlachten gefeiert wurde.
Ihnen weihte er seiue Eroberungen und ihre Tempel schmückte
er mit seiner Kriegsbeute. In deu Borstädten Kalahs baute
er ihre Verehrungsstätten, für sich aber auf dem Tnl Labiru
einen Palast, mit einem Tempel daran, der gleichfalls
Ausgrabungen. 237
seinen Gottheiten gewidmet war. Aus der Inschrift ersehen
wir auch, daß er den Namen ihrer Stadt in Jmgur Bel,
Vorstadt des Bel, umänderte. Das ist die Stadt, die
heute durch die Schutthügel von Balawat bezeichnet wird.
Auch daß Dach und Thüren aus Cedernholz, die Statue
des Gottes aus Marmor mit goldener Brustplatte herge-
stellt waren, lernen wir aus den Inschriften. Gold, Sil-
ber und kostbare Steine waren überhaupt nirgends gespart
worden, so daß das Ganze einen prachtvollen Eindruck machte.
Die drei Juschristtafelu in der Kiste waren gleichsam die
Grundsteine des Tempels, in denen der König feierlich seine
Nachfolger auf dem assyrischen Throne anruft. Der Schluß-
passus lautet: „Wer diese Tafel sehen und viele Flüche aus-
rufen wird, dem soll Jstar, die Herrin des Krieges und der
Schlacht, seine Waffen zerbrechen, soll ihn beleidigen, berau-
beu. Der, welcher diese Tafel sehen und sie aufheben wird,
der soll sein Gesicht reinigen und Opserthiere davor erschlagen
und soll sie wieder an ihren Platz stellen; Assur, der große
Herr, wird seinen Gebeten sein Ohr leihen und in der Schlacht
der Könige wird er ihn finden an der Stelle seines Herzens,
wo der Muth anhebt."
Am östlichen Ende des Schutthügels fand Nassam einen
tiefen alten Brunnen und dabei Reste von Aqnädncten.
Assur-nazir-pal erzählt in seiner Inschrift, daß er einen 80
Tepki tiefen Brunnen grub, um den Tempel mit Wasser zu
versehen. In einer Seitencapelle des Tempels hatte der
mächtige König die Trophäen niedergelegt, auf welchen Dar-
stellnngen der Kriege und Schlachten angebracht waren, in
denen Adar und Jstar ihn so oft zum Siege geführt.
Diese Trophäen, von denen die größte glücklicherweise
vollkommen gut erhalten ist, sind ganz einzig in ihrem Cha-
rakter, und es ist schwer sich einen Begriff davon zu machen,
wozu sie eigentlich gebraucht wurden. Die große ist 20 Fuß
hoch und besteht aus einem soliden inneren Holzrahmen, der
mit Bronzeplatten bedeckt war, auf denen die Annalen der
Könige eingravirt sind. Am obern Ende ging der Nahmen
in zwei hohle Bronzestücke aus, die in ihrer Form gewöhn-
lichen Thürgriffen sehr ähnlich sind. Auch sie haben, wie
das Ganze, einen Kern von Cedernholz. Von jeder der bei-
den Seiten des Rahmens gehen sieben Arme aus, bedeckt
mit Basreliefdarstellungen aus der Regierung des Königs,
alle in der schönen Reponsssarbeit ausgeführt, von der Assy-
rien so herrliche Beispiele liefert. Diese Schnörkelarme sind
6 Fuß 6 Zoll lang uud an ihrem äußern Ende nach innen
gekrümmt; an den Hauptholzrahmen sind sie mit Bronze-
nageln befestigt, von denen sich noch eine große Anzahl vor-
findet. Wie sorgfältig in allen Einzelheiten die Assyrier
ihre Arbeiten ausführten, erkennt man noch daran, daß um
jedes Nagelloch herum eine hübsch gearbeitete Kante ange-
bracht ist. Das ganze Rahmenwerk stand auf zwei Bronze-
füßen von sehr solider Arbeit. In den Basreliefs selbst findet
man viele Darstellungen, welche aus den Scnlptnren der
Palastmauern nicht vorkommen. Die Feinheit des Werkes,
bei dem alle Einzelheiten auf das Sorgfältigste ausgeführt
find, scheint anzudeuten, daß dasselbe nach Skizzen ausgeführt
ist, welche die die Armee begleitenden Künstler an Ort und
Stelle ausnahmen. Jedenfalls ist die Trophäe in diesem
Tempel der öffentlichen Beschauung wegen aufgestellt gewe-
seu, hervorgegangen aus demselben liberalen Sinne der assy-
rischen Könige, welcher diese zur Stiftung der königlichen
Bibliotheken und anderer öffentlicher Werke veranlaßte.
Die meisten Scenen sind mit kurzen Keilinschrifteu zu ihrer
Erläuterung versehen.
Glücklicherweise veranschaulicht uns die Trophäe einen
der wichtigsten und interessantesten königlichen Feldzüge, über
den bisher anderweitige Nachrichten mangelten. Von Kaläh
238 Neue assyrische
am achten Tage des Monats Jvar (April) im Jahre 870
v. Chr. ausziehend, begann die assyrische Armee ihren Feld-
marsch gegen das nördliche Syrien. Nachdem der Tigris
überschritten war, schlug der König den Weg nach Karche-
misch, der Hittiter-Hauptstadt an den Ufern des Enphrat,
ein, deren Lage noch heute durch die Mouuds von Jerabolus
bezeichnet wird. Auf einer der Trophäenplatten stellt der
Künstler den Uebergang der assyrischen Armee Uber den Ti-
gris dar. Der König hoch zu Rosse, sein Pferd von Ennn-
chen geführt, die barhäuptig vor ihrem Herrn herschreiten.
Der König selbst hat Helm uud Rüstung abgelegt, er trägt
ein langes loses Gewand und eine leichte Mütze. Auch
das Pferd gehört nicht zur Gattung der schweren Schlacht-
rosse. Hinter ihm schreiten wieder zwei Eunuchen, welche
ihm seine Waffen, Köcher, Bogen, Keule und Schwert, nach-
tragen. Den Schluß bilden zwei königliche Leibgardisten in
voller Rüstung. Die Wagen sind gerade bereit über den
Fluß gesetzt zu werden, die Kutscher sind abgestiegen und
führen ihre Rosse am Zaum; sie wie alle Soldaten erscheinen
nur im leichten Marschcostüm. Ueber der Sceue steht die
Inschrift: „Ich überschritt den Fluß Tigris." Der obere
Theil dieser Platte ist mit einer Darstellung des Marsches
bedeckt; man sieht Wagen und Soldaten, einige tragen
Standarten, andere Speere; es sind die Colonnen der
Armee.
Nachdem die königliche Armee glücklich den Tigris über-
schritten, setzte sie ihren Marsch fort und empfing unterwegs
Tribut von den meisten Fürsten Mesopotamiens; sie setzte
über den Enphrat und drang in Karchemisch ein, wo der
Hittiter-König gleichfalls seinem mächtigen südlichen Herrn
Tribut leistete. Von Karchemisch aus giug der Weg ent-
lang der syrischen Route und wieder sehen wir, wie Städte
und Länder am obern Orontes ihre Gaben darbringen. Der
König constatirt, daß er unterwegs einen Flnß Namens
Apre überschritt, in welchem der moderne Afrin erkannt wird.
Jetzt war die assyrische Armee am Libanon, zog demselben
entlang über Baalbek und erblickte an der Mündung des
Nahr-el-Kelb das „große Meer des Westens". Mehr als
zwei Jahrhunderte lang, seit den Tagen des syrischen Feld-
znges unter Tiglath Pileser I. (1120 v. Chr.), hatten die
Assyrer das Mittelmeer nicht gesehen, das nun wieder vor
ihren siegreichen Scharen sich ausbreitete. Aus Freude über
den Erfolg opferte der König den Göttern, wie eine Scene
uns zeigt, auf der alle Ceremonien dieser religiösen Handlung
dargestellt sind. Mit schäumenden Wellen, angefüllt mit
merkwürdigen Thieren, präsentirt sich uns das Meer. Ein
großes Hippopotamns, in der Darstellung ein echter Levia-
thau, wie er im Buche Hiob vorkommt, verschlingt das Fleisch,
welches Soldaten als ein Opfer für die Meeresgötter in die
Wellen werfen. In der Aufzählung der Gegenstände, welche
der König als Tribut empfing, werden auch erwähnt die
„Zähne des Nachiru, des Meeresprodnctes", worunter wohl
das hier abgebildete Thier zu verstehen, dessen Name das laut
schnarchende oder athmende bedeutet. Auch eiu schwimmen-
des Krokodil und zahlreiche Krabben und Fische sind abge-
bildet. Das Krokodil wurde den Assyrern schon 1120 v. Chr.
zur Zeit Tiglath Pileser's bekannt, als der ägyptische König
ihm ein solches zum Geschenke sandte. Es ist daher mög-
lich, daß in den königlichen zoologischen Gärten zu Kalah
sich auch ein Nilpferd befand und daß dieses der assyrische
Künstler zum Modell nahm, als er nach seiner Heimkehr
die Wunder der Meerestiefe darstellte. Wir sehen aus den
Platten ferner zwei Soldaten, welche von einer Priestergruppe
Opfergaben in Empfang nehmen und in das Meer werfen.
Hinter diesen ist eine Reihenfolge religiöser Dienste dargestellt,
die vor einer Königsstatue ausgeführt werden. Auf einer
Ausgrabungen.
in den Felsen gehauenen Tafel, die ein halbkreisförmiger
Bogen umzieht, ist der König, angethan mit dem königlichen
Gewände, abgebildet; eine Hand erhebt er anbetend, während
er in der andern ein kurzes Scepter oder eine Kriegskeule
trägt. Diese Statue ist fast genau gleich jener, die in: Tem-
pel zu Nimrud gefunden wurde und nun im Besitze des bri-
tischen Museums ist. Bor dieser Königsstatne sind zwei
Standarten aufgestellt, welche aus runden Metallfcheiben
bestehen, die mit Qnasten verziert sind und göttliche Embleme
zeigen. Ferner steht ein kleiner tifchförmiger Altar, bedeckt
mit einem Tuche, vor der Statue; auf dem Altar kleine Opfer-
gaben, auch jene eigenthümlichen conischen Gefäße, die oft
unter den Opfern sich befinden. Hinter diesen stehen an
einem kleinen bronzenen Altar mit Füßen in der Form von
Rinderbeinen drei opfernde Priester. Auf dem Altar steht
ein mit Kohlen gefülltes Metallgefäß, in das die Priester
Weihrauch streuen. Ueber dieser ganzen Scene steht geschrie-
ben: „Ich ordnete an, daß gegenüber dem großen Meere ein
Bild gemacht werde."
Nun bestätigt es diese Bronzedarstellung der Trophäe,
daß an der Mündung des Nahr el Kelb in der Nähe von
Beirut noch heute sechs in den Felsen eingehauene assyrische
Felsbilder zu sehen sind, auf denen dieselbe Scene dargestellt
ist. Beide zusammen sind der untrügliche Beleg für die
Wahrheit des Zuges, den Assur-nazir-pal vor jetzt gerade
2748 Jahren vom Tigris bis zum Mittelmeere ausführte.
Auch die Art und Weise, wie die Felsbilder ausgehauen
wurden, ist auf einer der Bronzeplatten veranschaulicht. Ein
Soldat oder vielleicht ein königlich assyrischer Ingenieur steht
vor einem Fels, in der einen Hand einen Meißel, in der
andern einen rundköpfigen Hammer haltend; hinter ihm ein
Priester oder Schreiber, der ihm augenscheinlich die Worte
dictirt, die er einhauen soll. Zwei herannahende Soldaten
bringen einen Stier und einen Widder zum Opfer. Die
Inschrift besagt: „Ich ließ Schlachtopfer darbringen; ich be-
fahl ein Bildniß meiner Majestät einzumeißeln."
Wieder ein anderer Theil der Platte führt uns ein Opfer
in einer Schlucht zwischen Bergen vor. Unten stehen vier
conische Steine, die den Baalin,, deu von den. Syriern ver-
ehrten Figuren, gleichen. Ein königlicher Schreiber unter-
handelt mit einem Priester, nnd der König, gefolgt von einem
Eunuchen, naht sich dem redenden Paare. Vielleicht will
der Herrscher den fremden Gott versöhnen, dessen Diener
jener Priester ist. Links von dieser Scene sieht man, wie
ein königlicher Beamter und ein paar Soldaten ein Rind
schlachten; letzteres liegt auf dem Rücken, seine Füße sind
mit Stricken zusammengebunden und ein Diener stößt ihm
ein kurzes Schwert in den Nacken. Leider fehlt hier jede
erläuternde Inschrift.
Was die übrigen Scenen dieser merkwürdigen Trophäe
betrifft, fo behandeln sie alle Einzelheiten des assyrischen
königlichen und militärischen Lebens. Das Lager, Nacht-
Märsche, Belagerungen, Stürme anf Festungen, Capitula-
tionen, Hinrichtung von Gefangenen sehen wir dargestellt;
die Bewohner der Küstenstädte, die Männer von Sidon und
Tyrus bringen Tribut: Gold, Silber, Kupfer, Zinn (sie),
Stoffe, Zähne des Nachari (Delphin), kostbare Hölzer, na-
mentlich Cedernholz von« Libanon — alles durch Inschriften
erläutert.
Auch iu den oft durchsuchten Palästen Sennacherib's und
Assurbanipal's zu Kojundschik machte Rasfam noch Ent-
deckungen; mehr als 1400 Keilinschriften brachte er von
dort zurück. In der „Bibliothek Sardanapal's" fand er
einen Jnschriftencylinder mit 12 000 Linien Schrift, den
Bericht über die zwanzigjährige Regierung Assurbanipal's.
Dieser Cylinder ist vom Jahre Schamas-danin-ani, d. i. 640
Aus allen
v. Chr., datirt. Er ist vollkommen gut erhalten und erzählt
auch die gegen Aegypten geführten Kriege. Jedenfalls kann
sich das britische Museum gratulireu, daß es zu seinen schon
so großartigen assyrischen Sammlungen diese neuen Schätze
hinzu erhält.
(Am 20. September gedenkt Mr. Rassam wiederum
Aus allen
Amerika.
— Der Sutro-Tuuuel, eiu Riesenwerk in seiner
Art', ist uach fast neunjähriger Bohrarbeit am 8. Juli voll-
endet und die Verbindung mit den Minen der Comstock
Lode, der reichsten Silbererzader Amerikas, bei Virginia
City in Nevada hergestellt worden. Der Tunnel hat eine
Länge von 20170 Fuß und bezweckt, die Minen zu entwäs-
sern uud zu ventiliren sowie die Tagfördernng des Erzes
zu erleichtern.
— Ueber das Trinken der Indianer machtBastian
in seinem neuesten Werke „Ein Jahr auf Reisen" (S 73)
folgende interessante Angaben: „Auf der Heerstraße (bei
Anibato auf dem ecuadorianischen Hochlande) trieben sich eine
Menge Indianer mit ihren Frauen nnd Kindern umher, die,
größtentheils betrunken, aus den Sonntagsjchenkeu in ihre
Heimathsdörser zurückkehrten. Doch war die Trunkenheit
keine lärmende, sondern dem unterwürfig ergebenen Charakter
der Indianer gemäß eine stillvergnügte, indem sie, monoton
vor sich hinschwatzend, im Trabe hinter einander herliefen uud
die im Rausche Taumeluden und Stürzenden mit sreund-
schaftlichsten Dienstleistuugen einander unterstützten. Besou-
ders schien es Aufgabe der Fraueu, ihre Ehemänner heim-
zuleiten, und suchten sie derselben oftmals mit einer, trotz der
komischen, fast rührenden Zärtlichkeit gerecht zu werden.
Bereits zu Torquemada's Zeit begannen die Indianer
in Mexico, wie die übrigen Stämme in Amerika und Afrika
seit der Berührung mit den Europäern, sich dem Laster der
Trunkenheit zu ergeben; aber er weiß noch, daß dies früher
nicht der Fall gewesen, und die Begleiter Cortez' fanden sie noch
als das „nüchternste Volk der Welt". Vou einem Trunkenbold
sagte man, wie Sahagnn bemerkt, daß er „sein Kaninchen"
(statt den „Affen") habe, und der Rauschtrank wurde Ceutzonto-
tochtli (400 Kaninchen) genannt. — Gegen den Mißbrauch
fpirituöser Getränke bestanden sehr strenge Gesetze, und wa-
reu im Allgemeinen bei Festlichkeiten den Ueberdreißigjährigeu
nur zwei Becher erlaubt, wobei einzig in der Weinlese, wenn
unter Verehrung des Gottes Jzquiteeatl die Magney-Pflanze
zuerst angebohrt wurde, für die Arbeiter eine Ausnahme
gemacht werden mochte. Sonst konnte nur auf ärztliches
Z>.uguiß hin Kranken oder der Stärkung Bedürftigen, wenn
sie sich an die Behörde wandten, ein freierer Gebrauch des
Weins erlaubt werden, ebenso bei schwerer Arbeit oder den
Soldaten auf einem Feldzug, doch felten mehr als drei Becher.
Dagegen durften Sechszigjährige, um sich nach den Mühen
eines langen Lebens zu erholen, ungestraft trinken, und denen,
die das siebenzigste Jahr überschritten hatten, war ein nnein-
geschränkter Gebranch des Weins freigestellt, dessen sie sich
bis zur Sinnlosigkeit bedienen mochten, wie es in den Bilder-
erkläruugeu zu den Tafeln des Codex Mendoza ausge-
sprochen ist.
— Das peruanische Ministerium für öffentliche
Arbeiten hat eine interessante Statistik veröffentlicht, wonach
in demjenigen Gebiete, welches jetzt die Republik Peru bildet,
im Jahre 1791 uicht weniger als 70 Gold-, 834 Silber-, 40
Zinnober- und 12 Bleibergwerke bearbeitet wurden, aus wel-
cheu in den letzten fünfzig Jahren spanischer Herrschaft über
700 000 Mark Silber im Jahre gewonnen wurden. 1877
Erdtheilen. 239
von England abzureisen, um seine Arbeiten in Nineveh, wo
inzwischen sein Nesse gegraben hat, weiter zu fördern. Im
nächsten März soll die Bibliothek iu Kojuudschik daun grüud-
lich durchforscht werden. Etwa 400 neue assyrische Tafeln
sind nach dem British Museum uuterwegs.)
5 r d t h e i l e n.
dagegen stellten sich jene Zahlen wie solgt: 10 Gold-, 34
Goldquarz-, 482 Silber-, 95 Kupfer-, 217 Kohleubergwerke,
49 Petroleumquellen uud andere von geringerer Wichtigkeit.
Der Silberertrag war auf 180 000 Mark gesunken, Haupt-
sächlich weil das berühmte Bergwerk Cerro de Pasco, das
seiner Wiederbearbeitung entgegen zu gehen scheint, seit 1825
unter Wasser steht.
Australien.
— Der durch sehte sibirische Reise und sonst auch uu-
sereu Lesern wohlbekannte Dr. O. Finsch gedenkt, im Auf-
trage der Berliner Akademie der Wissenschaften eine Reise
nach Mikronesien zu unternehmen, um dort zunächst für
natnr- und eulturhistorische Zwecke zu sammeln. Es sind
ihm dazu die Mittel der Humboldt-Stiftung zur Verfügung
gestellt worden.
— Depeschen von den Fidschi-Jnseln berichten von einem
großen Erdbeben in Tanna auf deu Neuen Hebriden, wo-
durch die Küste um etwa 20 Fuß gehoben wurde. Millio-
ueu von Fischen wurden ausgeworfen und kamen um, und
viel Cauoes gingen zu Grunde.
— Das bekannte Schiff „Alert" von der letzten eng-
lischen Nordpolexpedition foll unter Befehl seines alten Ca-
pitäns, Sir George Nares, wieder in Dienst gestellt werden,
um im südlichen Stillen Oeean Aufnahmen zu machen.
Zunächst soll es die inneren Verbindungen der Magel-
haens-Straße mit dem Busen von Peüas an der chilenischen
Küste untersuchen und dann sich nach dein Fidschi-Archipel
begeben, wobei es uuterwegs nach Kräften die Kenntniß der
Hydrographie der Gesellschafts- und der Freundlichen Inseln
zu fördern sucheu wird. Mehrere Monate werden sodann
in der Umgebung von Fidschi uud auf die Untersuchung ge-
sährlicher Stellen zwischen Fidschi und Neuseeland verwendet
werden, worauf es zum Schluß die Riffe und kleinen Inseln
im Nordwesten vou Australien und zwischen diesem Conti-
nente und den Häsen von Niederländisch-Jndien, auf deren
manchen sich in letzter Zeit ein reger Verkehr in Folge der
Ausbeutung des Trepang, der Perlenbänke und Guanolager
entwickelt hat, erforschen wird.
— Die Colonie Südaustralien zählte am 31.Deeem-
ber 1877 eine Bevölkerung von 236 864, gegen 225 677 im
Vorjahre, und gehörten davon 123 392 dem männlichen uud
113 472 dem weiblichen Geschlechte an. Die Hauptstadt,
Adelaide, hatte 33 000 Einwohner. Die Sterblichkeit unter
den Kindern war wieder ungewöhnlich hoch, denn unter den
Gestorbenen des Jahres (3235) fielen 48,40 Proe. auf Kin-
der im Alter bis fünf Jahren. Es wanderten 13 744 Per-
sonen (darunter 4988 auf Kosten der Colonie ans Europa)
ein und 8170 aus. Die Aussichten für Einwanderer sind
keineswegs goldene; die Verarmung in der Colonie steigert
sich nach statistischen Angaben. — Südanstralien besaß am
31. März 1877 an Pferden 106 903, an Rindvieh 219 441,
an Schafen 6133 291 (gegen 6179 395 im Vorjahre) uud an
Schweinen 102 295. Von den 578 361 600 Acres, welche die
Colonie umfaßt, waren am Schlüsse des Jahres 1877 erst
7 497 234 in Privatbesitz übergegangen. Davon befanden sich
1 514 916 unter Cultur, und zwar 1 083 732 nnter Weizen mit
einem Ertrage von 5 867 569 BnsHels, ä 60 Pfund Gewicht. —>
240 Aus allen
Der Import des Jahres 1877, von dem aber wieder im
Betrage von 603 569 Pf. St. reexportirt wurde, bewerthete
4 642 299 Pf. St. Der Export dagegen erreichte die Höhe
von 4 526 532 Pf. St. Daran betheiligten sich als Haupt-
stapelproducte Wolle mit 2196 019 Pf. St., Brotstoffe (Wei-
zen uud Weizenmehl) mit 1 203 303 Pf. St. und Kupfer mit
568 010 Pf. St. — Die Zahl der in Port Adelaide ein- und
ausgelaufenen Schiffe bezifferte 1732, gegen 1310 im Vor-
jähre, mit einem Tonnengehalte von refp. 692 200 und 704 452.
Die Colonie besaß 42 größere und kleinere Dampfer. — Die
Revenue des Finanzjahres 1876/77 (von Juli zu Juli ge-
rechnet) belief sich auf 1 415 703 Pf. St. und schloß mit einem
Deficit von 53 641 Pf. St. Die öffentliche Schuld snmmirte
anf 4 237 300 Pf. St., zu deren jährlicher Verzinsung
195 460 Pf. St. uöthig waren. — Die Colonie besaß Ende
Mai 1878 fertige Eisenbahnen in der Länge von 346 Miles.
An 386 Miles wurde noch gebaut und 30^ Miles, deren
Bau ebenfalls parlamentarisch beschlossen war, wurden ver-
messen.
— In der Nähe von Millieent, einem Orte östlich von
Rivoli Bay und 320 Miles südöstlich von Adelaide, ist ein
Lager vou Guano, welches auf mehrere tausend Tonnen
geschätzt wird, entdeckt worden.
— Im Jahre 1375 pachteten die Herren Lewis, Levi
and Way von der Regierung der Colonie Südaustralien ein
Areal von 52 Qnadratmeilen auf der Halbinsel Coburg an
der Nordküste von Australien, um dort Viehzucht zu betreiben
und auch dm Markt von Port Darwin mit Schlachtvieh zu
versorgen. Diesem Beispiele siud nun die Herren Wiugfield
und Robinson gefolgt. Sie haben das 16 Kilometer östlich
von Port Essiugtou, dem schönen Hafen von Coburg Penin-
snla, gelegene Crocker Island für gleichen Zweck in Pacht
genommen. Die Insel, welche gut bewässert und fruchtbar
ist, umfaßt einen Flächeninhalt von 6 deutschen Quadrat-
Meilen, und dafür zahlen die Herren einen jährlichen Pacht
von nur 64 Mark. Das Klima ist kühl und erfrischend und
die Insel eignet sich zum Sanatorium für die Ansiedler im
heißen Northern Territory.
— Der Reverend G. Taplin, langjähriger Vorstand
der Missionsanstalt für Eingeborene am Point Macleay an
der Ostküste des Lake Alexandrina (Südaustralieu), hat eine
Grammatik der Sprache des Narrinyeri-Stammes der
australischen Eingeborenen geschrieben, welche auf Kosten der
Regierung von Südaustralien in Druck erschienen ist.
— Die Regierung von Südaustralien hat unter der spe-
eiellen Aufsicht ihres Generalfeldmessers Mr. G. W. Goy-
der eine ausgezeichnete Karte der angesiedelten Districte
von Südaustralien anfertigen lassen, welche ein Meister-
stück der Photolithographie ist und in jeder Beziehung das
Vollständigste leistet, was die Kartographie bisher über Süd-
anstralien veröffentlichte. Die Karte ist 20 Fuß 9 Zoll (engl.)
lang und 7 Fuß 4 Zoll breit, im Maßstabe von 4 engl. Mei-
len auf den Zoll. Sie verfolgt im Osten die Grenzlinie der
Colonie (141" östl. L. Gr.) bis zu 26° südl. Br. Der Coo-
per's Creek und seine zahlreichen Seen und Nebenwasserläufe
bieten hier besonderes Interesse. Die Karte, verläuft dann
westlich bis zu einem Puukte, welcher noch ungefähr 100
Miles (161 Kilometer) von der Ueberlandtelegraphenstation
Charlotte Waters (801 Miles oder 1294 Kilometer nordnord-
westlich von Adelaide) entfernt liegt. Von hier ab nimmt
sie eine südliche Richtung und erreicht die See bei Lipson's
Cove (34° 10'südl. Br.) au der westlichen Küste von Spencer's
Erdtheilen.
Güls. Aus technische» Gründen mußte von den angesiedelten
Distrieten der Colonie der Theil ausgeschlossen bleiben, wel-
cher um Port Lincoln herum liegt und den Namen des Flut-
ders-Districtes führt.
— Die Colonie Victoria hatte im April dieses Jahres
schon 967 Miles Eisenbahnen in Betrieb, gegen 762 im
Vorjahre. Diese Zahl wird sich im Laufe dieses Jahres
noch beträchtlich erhöhen.
— Es ist in Australien nichts Ungewöhnliches und jeden-
falls nach Verhältnis? viel häufiger als iu Europa, daß Män-
ner ihre Frauen oder umgekehrt böswillig verlassen oder daß
der eine Theil ohne Ausklärung verschwindet. Da nun in
solchen Fällen nach englischem Gesetze eine Ehescheidung nicht
zu erlange» ist, so hat statt dessen das Parlament von Vic-
toria folgende sehr eigenthümliche Aushülfe für diese Co-
lonie fubstituirt. Es wird Persouen, welche von ihrem Gat-
ten resp. Gattin seit sieben Jahren nichts gehört habe», ge-
stattet, sich wieder zu verheirathen, ohne sich der Anklage anf
Bigamie von Seiten des Staatsanwalts auszusetzen. Sollte
sich aber später herausstellen, daß der verschwundene Gatte
(Gattin) uoch am Leben ist, so wird die Heirath wieder null
uud nichtig und die Kiuder illegitim. Solche Personen wer-
den iu die Civilstandsregister als Wittwer uud Wittwen
eingetragen, indem angenommen wird, daß die fehlende Ehe-
Hälfte todt sei und indem das Gesetz das Eingehen einer
neuen Ehe zwar uicht verbietet, aber eine solche auch nicht
förmlich anerkennt. Trotz dieser Beschränkung werden pro-
blematische Ehen dieser Art doch oft genug geschlossen.
In Queensland ist der Parlameutsbeschluß, daß
jeder iu der Colonie landende Chinese mit einer Kopfsteuer
von 10 Pf. St. zn belegen sei, nunmehr zur Ausführung
gelangt. Diese ungerechte Besteuerung verstößt offenbar gegen
alles Völkerrecht und fängt an, auch unter den Weißen Un-
willen zu errege«. Die Maßregel, welche eine zu starke Ein-
Wanderung der Chinesen nach den Goldfeldern abwehren soll,
dürfte wohl bald wieder aufgehoben werden.
— Der neulich zum Ritter erhobene Sir Thomas Elder,
jener reiche Großkaufmauu, Sqnatter uud Minenbesitzer in
Adelaide, welchen wir schon öfters Gelegenheit hatten wegen
seiner ausgezeichneten Dienste um die Erforschung Australiens
zn erwähnen, importirte vor etwa zehn Jahren gegen hnn-
dert Kamele aus Ostindien und placirte sie anf seinen
großen Besitzungen am Lake Hope, bei Umberatana, Bel-
tana u. s. w. im Far North, nördlich von Port Augusta.
Die meisten derselben crepirten, wohl weil ihnen die neue
Heimath, im Vergleich zur alteu, zu gute Nahrung darbot.
Der Nachwuchs aeclimatisirte sich aber besser und hat sich
heute schon auf 400 vermehrt. Dieselben leisten vortreffliche
Dienste, nicht bloß bei Forschungsreisen und um große Lasten
zu tragen, sondern auch als Zugthiere. Es ist nämlich jetzt
gelungen, sie zum Ziehen zu verwenden, und werden sie da-
bei ähnlich wie Ochsen paarweise angejocht. Sechs Kamele
sind im Stande, eine Last von sechs Tonnen auf Wegen,
welche viel zu wünschen übrig lassen, weite Strecken sortzu-
ziehen.
— Der revidirte Ceusus der Colonie Nen-Seeland
wurde Anfang Juni dieses Jahres pnblicirt und giebt ohne
die Eingeborenen eine Bevölkerung von 414 671 an, wovon
230 898 dem männlichen und 183 773 dem weiblichen Ge-
schlechte angehörten. Eingeschlossen sind 4300 Chinesen. Die
Chatam Islands, welche zu Neu-Seelaud gehören, zählten
173 Weiße, und zwar 100 männliche uud 73 weibliche.
Inhalt: Edouard Andrv's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876. V. (Mit sechs Abbildungen.) —
C. Favre's uud B. Mandrot's Reise iu Kilikieu 1874. II. (Mit einer Karte.) — Neue assyrische Ausgrabungen. —
Aus allen Erdtheilen: Amerika. — Australien. — (Schluß der Redaction 15. September 1378.)
Nedacteur: Dr. N. Kiepert in Verlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vüweg und Sohn in Brauuschweig.
#
Band XXXIV.
Mit besonderer HerücksicKtigung cker AntKropologie unä Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
vi-. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 Q *7 Q
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. ö i o»
Edouard Andres Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
VI.
Nachdem von Guataqui aus die dazu bestimmten Kisten
nach Europa abgesendet waren, gab Audrs am 1. März
das Zeichen zum Ausbruch und stieg mit seinen Gefährten
an den Magdalenenstrom hinab, welcher hier eine Breite
von 400 Meter und eine Schnelligkeit von 5 Meilen (See-
meilen?) die Stuude besitzt. Guataqui gegenüber liegen auf
dem linken Ufer des Flusses einige Fischerhütten, Guataqui-
cito genannt, deren Insassen sich hauptsächlich damit beschäf-
tigen, Reisende, welche sich aus dem Staate Cnndinamarca
nach dem Staate Tolima, uach Guamo, Jbagu« oder Amba-
lema begeben, in Cauoas über den Fluß zu setzen. Sät-
tel, Kisten, Waffen, Instrumente u. s. w. wurden zuerst hin-
übergeschafft, durften aber am jenseitigen Ufer nicht eher
ausgeladen werden, als bis auch die Maulthiere glücklich
ihren Uebergang bewerkstelligt hatten, ein Unternehmen, wel-
ches oft von tragikomischen Zwischenfällen begleitet ist. Zwei-
bis dreihundert Meter oberhalb der Stelle, wo man das
andere Ufer zu erreichen wünscht, wird die Fahrt angetreten,
zu welcher ein 30 Fuß langes und aus einem einzigen aus-
gehöhlten Baumstamme bestehendes Boot genommen wird.
Dasselbe ist so schmal, daß ein Mensch kaum darin Platz
findet. Gerudert uud gesteuert wird es vou zwei Leuten
vorn uud hinten; in der Mitte sitzt ein dritter und hält die
Lederriemen, welche an den Köpfen der Thiere befestigt find.
Letztere werden dann in das Wasser getrieben, während das
Boot stromaufwärts von ihnen mit aller Kraft über den
Fluß gerudert wird und so die Strömung etwas abschwächt.
Mit aller Anstrengung schwimmen die Thiere, von denen
man nur die Köpfe, oft nur die Nüstern über dem Wasser
erblickt, während die Arrieros schreien, toben, mit Steinen
Globus XXXIV. Nr. 16.
werfen, kurz einen Höllenlärm vollführen. Aengstlich ist
besonders der Augenblick, wenn die Thiere in die volle Strö-
mung gelangen, sich darin überschlagen, die Leinen durch ein«
ander wirren und alles mit sich hinabzuziehen drohen.
Dieses Mal ging die Uebersahrt ohne Unfall ab, und
Andre hatte so die Gewißheit, mit seinen immerhin schon
arg mitgenommenen Thieren Flusse, Seen und Ueberschwem-
mungen Passiren zu können. Während sich dieselben im
Sande wälzten oder in der Sonne trockneten, nahm er einige
geodätische Beobachtungen vor, um die genaue Breite des
Flusses zu ermitteln. Eine ganze Schar schwarzbrauner
Kinder unterbrachen sofort ihre Schwimmübungen im Flusse
und umringten ihn im Nu. Gegeu Mittag endlich saß die
Gesellschaft im Sattel und schlug den Weg westwärts nach
Piedras ein. Hier hatten sie zunächst die Ebene des Fluß-
thales zu überschreiten, welche sich in völliger Oede und
Trockenheit, voller Staub uud Unfruchtbarkeit weithin bis an
den Fuß der Central-Cordillera erstreckte. Nur hier und
da unterbrachen fleischige Pflanzen, Opuntien, Plombagineen
uud dergleichen die traurige Fläche, und nur wo sich Flüsse
ihr Bett tief eingeschnitten hatten, verriethen einzelne grüne
Laubkronen die Anwesenheit des belebenden Elementes. Sie
befanden sich auf dem Gebiete, welches am 12. Mai 1595
die Mefa de Herveo mit einem Schlammstrome von 10 bis
30 Meter Dicke überschüttet hatte. Es wurden damals
25 Myriameter Landes begraben; spätere Allnvionen haben
den Boden geebnet uud mit leichtem Sande bedeckt. Beim
Uebergange über den Rio Opia fand Andrs eine tiefe Sen-
kung in der Savane. Der Fluß hatte sein linkes Ufer,
welches 80 Meter senkrecht abstürzte, bloßgelegt, so daß man
31
242
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
an diesem natürlichen geologischen Durchschnitte deutlich die
Geschiebeformationen erkennen und die Entstehung jener lan-
gen Hügelreihen stndiren konnte, welche mit einer Höhe von
höchstens 100 bis 150 Meter der Axe der Central-Cordillere
parallel laufen und durchaus von den erratischen, hauptsäch-
lich trachytischen Blöcken, die von den Hochgipfeln stammen,
verschieden sind.
Die Nähe des Wassers hatte hier das Auftreten von
Büschen und Blumen, welche die öde Landschaft angenehm
unterbrachen, zur Folge. Auch einige Gruppen von Kokos-
bäumen standen am Flußuser; am Fuße eines derselben zog
ein sonderbares Bauwerk, eine Art verfallenden Zinnen-
thurmes, die Aufmerksamkeit Andrs's auf sich. Er trat
näher und fand einen — Ameisenhaufen. Derselbe war
Großer Ameisenhaufen am Rio
unbewohnt; vielleicht ist er gewaltsam erstürmt worden, und
mau weiß, daß siegreiche Ameisen niemals in einem eroberten
Neste sich niederlassen. So lange man am Rio Opia bleibt,
sieht man auch fortgesetzt Pflanzenwuchs; so wie man ihn
verläßt, beginnt auch wieder die sonnenverbrannte Savane
und hält bis Piedras (378 Meter) an, welches um 4^ Uhr
Abends erreicht wurde. Seinen Namen trägt es von den
zahllosen Steinen, welche das Land ringsum bedecken. Das-
selbe ist trocken und nur mit kurzem Grase bedeckt. Zwischen
Opia. (Nach Andres Skizze.)
den Geschieben finden sich Trachytblöcke, welche der Tolima
bei seinen Ausbrüchen bis hierher geschleudert hat. 300 Fuß
müssen die Einwohner zum Rio Opia hinabsteigen, um
Trinkwasser zu holen. Ihre Zahl ist ansehnlicher, als die
wenigen Straßen des Ortes vermutheu lassen. Uebrigens
war das Quartier der Reisenden im Hause von Don Daniel
Terreros das erste auf dieser ganzen Reise, welches geschmack-
voll und reinlich eingerichtet war.
Am selben Abend veranstaltete Andrs noch eine ergiebige
Edouard Andre's Reisen im nordw
Jagd auf Vögel, welche es auf den Savanen in Menge giebt.
Die Zahl ihrer Species ist größer als selbst im Innern der
großen Urwälder, denn Luft und Sonnenlicht sind für sie
Hanptbedingnngen. In Piedras war eines jener reizenden
Geschöpfe mit Rubinfedern, der Pyrrhocephalus rubineus,
bis zur Unklugheit zutraulich. Andre schoß ein Pärchen
davon und erbeutete selbst ihr niedliches Nest mit den darin
befindlichen Eiern.
Für den nächsten Tag war Cuatro Esquiuas, ein
Wegeknotenpnnkt in der Ebene, als Ziel bestimmt, da es
unmöglich war, Jbague zu erreichen. Der Boden war der
denkbar einförmigste; er bestand aus leicht zerreibbarem Tuff,
zwischen welchem einzelne Glimmerblättchen blitzten. Wo
lichen Südamerika 1875 bis 1876. 243
sich ein Wasserlauf seiu Bett tiefer eingegraben hatte, trat
Sandstein in mächtigen Bänken oder großen gerundeten
Blöcken auf und zeigte sich je näher den Bergen um so häu-
siger.
Als sich die Reisegesellschaft einer Hütte, Cerca de Piedras
genannt, näherte, wo auf einzelnen Wassertümpeln sich med-
liche Seerosen und eine kleine blau- und weißblüheude Pou-
tederiacee ausbreiteten, erhoben sich vor ihren Füßen einige
merkwürdige Vögel. Den einen nannten die Peone clo-qni,
ein Name, der sein Geschrei nachahmen soll; er hat die Größe
einer Gans, weiß und rothes Gefieder und einen langen
krummen Schnabel und läuft laugsam. Eiu zweiter, pela-
ronzo geheißen (Vanellus Cayennensis), ist größer als
Jagd auf der Savane von Piedras
unser Regenpfeifer und läßt den Menschen nahe an sich heran-
kommen, so daß Andre in kurzer Zeit mehrere erlegte. Diese
belustigende Jagd zog sich mehrere Kilometer weit hin, bis
die Vögel im Grase verschwanden und die nackte, kahle Ebene
wieder in ihr Recht trat.
In dem ärmlichen Rancho Cerca de Piedras noch jenseit
des bestimmten Zieles übernachteten sie, so gut es eben an-
ging; in der Umgebung sammelte Andre vierzehn Gramineen,
fast alle vom Genus Deyeuxia, eine hübsche kleine Malvacee
mit großen orangefarbenen Blüthen, und zahlreiche kleine
Pflänzchen, welche man nur kniend einheimsen kann. Eisen
ist in jener Gegend so weit verbreitet, daß es mit Erfolg
ausgebeutet werden könnte. Weiterhin steigt das Land an;
die Gewässer, Zuflüsse des Rio Chipalo, beginnen rascher zn
fließen; die Hügel rücken näher. Immer mehr Pflanzen-
i. (Nach einer Skizze von Andre.)
species treten auf, immer mehr Schmetterlinge, und znletzt
erreichten sie Jbague, früher Hauptstadt der Provinz To-
lima, einen Rang, den sie vor langer Zeit an Gnamo hat
abtreten müssen. Damals gerade aber hatte sie denselben
wiedererlangt; General Cordova, der Präsident des Staates,
war eben mit seinem Personal eingetroffen.
Jbagues Gründung datirt aus den ersten Zeiten der
Conquista und geschah durch Galarza in dem kleinen Thale
de las Lanzas, von wo es schon im folgenden Jahre auf
seineu jetzigen höher gelegenen Platz zwischen den Flüjsen
Chipalo und Combeima verlegt wurde. Der Boden ist dort
wellig; die Häuser sind, diejenigen am Marktplatze ausge-
nommen, von ärmlichem Aussehen, die Straßen uneben, ohne
Pflaster und deshalb schmutzig. Dem Cultus dienen eine
Kirche und zwei Capellen; in dem ehemaligen Dominikaner-
31*
244
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876.
kloster befindet sich jetzt die öffentliche Schule. Die Bevöl-
kerung zählt etwa 10 000 Seelen und treibt außer Ackerbau
Karawanenhandel über den Qnindio nach dem Staate Cauca;
denn von Jbaguä geht jener schwierige Weg über die centrale
Cordillere, von welchem schon so viel Reisende erzählt haben,
und den jetzt Andre mit seinen Gefährten zurückzulegen hatte.
In der Nähe finden sich warme Quellen, eine reiche Schwefel-
grübe, mehrere Silberadern und viel Zinnober, welcher letz-
tere aber nicht ausgebeutet wird. Das Klima der 1320 Meter
hoch gelegenen Stadt ist vortrefflich; in der Umgegend wur-
den anf bewässerten Feldern, namentlich auf dem Alluvium
des Flusses Combeima, Reis, Cacao, Kaffee, Zuckerrohr,
Mais, Pataten, Orangen und eine ganze Reihe anderer
Früchte gewonnen. Möglich auch, daß die Verlegung des
Regierungssitzes nach Ibagne etwas zum Aufblühen des
Ortes beiträgt.
Nachdem sich die Reisenden in einem ehemaligen Verkaufs-
laden mit Hülfe ihrer Feldbettstellen, die sie in Gnataqui
gefunden hatten und nun zum ersten Male benutzten, ein-
gerichtet, benutzten sie den folgenden Tag zu Visiten, deren
erste dem Präsidenten Cordova galt. Sein Regierungspalast
glich einer weißgetünchten Scheune auf ein Haar; der einzige
officielle Pomp war ein wachestehender Soldat. Sonst
herrschte die größte Einsachheit. Der Präsident schlief auf
einer Ochsenhaut und ließ sein Essen aus der Posada Mon-
talvo, allerdings der besten des Ortes, kommen. Mehr als
Kirche des Dominikaner-Klosters in Jbague. (Nach einer Zeichnung von Andre.)
einmal sah Andre seine Ordonnanz mit einer rauchenden
Schüssel und einer Flasche Bier von einheimischem Gebräu
über den Platz schreiten. — Der Präsident war damals
etwa 50 Jahre alt, groß, stark, selbst etwas beleibt, von
sehr braunem Teint, trug nicht sonderlich gewählte schwarze
Kleidung und sprach kalt, höflich und wenig lebhaft. Den
französischen Naturforscher empfing er zuvorkommend und
las die Empfehlungsbriefe der hohen Beamten in Bogota
aufmerksam durch. Das Gespräch, welches sie führten, war
wenig erfreulich; der General hatte feinen Posten mit Selbst-
Verleugnung angenommen und schien von seiner Mission
wenig erbaut. „Unser Staat — sagte er — ist der ärmste
in ganz Columbien; von schönen Aussichten anf hohe Berge
uud weite Savanen kann man nicht leben." — „Aber Sie
haben doch berühmte Goldgruben, wie die von Marmato,"
warf Andre ein. „Gewiß! Aber es fehlen die Wege,
welche dorthin führen, die Arme, um sie auszubeuten, und
Anbau iu der Nachbarschaft, um die Bergleute zu eruäh-
reu." — „Warum werden denn keine Wege gebaut?" —
„Das ist eben die Sache. Die Goldminen können wir nicht
ausbeuten, weil die Wege fehlen, uud Wege können wir nicht
bauen,- weil uns das Gold fehlt. Und fremdes Capital,
abgeschreckt durch unsere inneren Fehden, bleibt klugerweise
daheim." Uud dem konnte Andre füglich nicht wider-
sprechen.
Später erkundigte sich der Präsident nach seinen Reise-
planen und wollte selbst ihm einen Peon und zwei Lastochsen
aussuchen, welche er zur Unterstützung seiner schon sehr ge-
schwächten Maulthiere bedurfte. Denn die Jbagnenos er-
klärten ihm mitleidig, daß er mit den seinigen niemals den
Edouard Andrs's Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 187G.
245
Die Wachspalmen (Ceroxylon Andicola) des Quindio. (Nach Andrs's Album.)
246 Edouard Andres Reisen im nordtv
Quindio überschreiten würde. Selbst mit unbeladenen Thie-
ren wäre das schwierig. Auf solche Warnungen mußte er
wohl hören und er beschränkte deshalb sein Gepäck, indem er
manche schwere Gegenstände und die seit Panche gesammel-
ten Naturalien über Gnataqui und Honda nach Europa
schickte. Während letztere etikettirt und verpackt wurden,
durchstreifte er die Umgegend und namentlich die Ufer des
malerischen reißenden Combeima, welche reichliche Gelegenheit
zur Jagd auf Wasservögel, Pekaris, Tapire und Affen dar-
bieten.
Jbagns selbst ist gut mit Wasser versehen; die vom To-
lima kommenden frischen Flnthen nimmt ein Eanal (acequia)
auf uud leitet sie unterirdisch in die Straßen der Stadt.
Dort aber führen an jeder Straßenkreuzung ein paar wacke-
lige Stufen zn der Leitung hinunter, und den ganzen Tag
über schöpfen dort Frauen und Kinder aus diesen offenen Cister-
nen Wasser, welches sie in ihrer Unachtsamkeit ständig ver-
unreinigen.
Ebenso guten Ruf wie das Klima der Stadt, welches
durch erquickende Brisen von den hohen Schneebergen im
Nordwesten und Westen abgekühlt wird, genießen auch ihre
Einwohner. Schon Humboldt rühmte die unübertreffliche
Ruhe, die Annehmlichkeit und die reiche Moosvegetation des
lichen Südamerika 1875 bis 1876.
Ortes. Auch Religiosität wird den Bewohnern nachgerühmt.
Früher pflegten sich die Lastträger, ehe sie die lange und
gefährliche Reise über den Quindio antraten, der heiligen
Jungfrau zu empfehlen und nach der Rückkehr Weihegefchenke
zu stiften. Sie glichen darin Seeleuten. Heute, wo eine
halbwegs leidliche Straße das Thal des Magdalenenstromes
mit demjenigen des Canea verbindet, sind die Träger zwar
verschwunden, aber die althergebrachte Ehrfurcht vor dem
Heiligen ist geblieben und zeigt sich namentlich bei Leichen-
begängnissen; im schroffen Gegensätze dazu steht freilich die
wahre Wuth, mit welcher in Jbagns die blutigen und uu-
menschlichen Hahnenkämpfe gepflegt werden. Diese Leiden-
schaft, welche die mit den Kämpfen zusammenhängenden und
oft sehr bedeutenden Wetten nur noch mehr entflammen,
grassirt hier in so ausgedehnter Weise, daß Andre voller
Haß gegen die entartete Bevölkerung den Ort nach vier
Ruhetagen verließ.
Seine Karawane war nicht gerade glänzend, doch konnte
er hoffen, daß sie an dem in der guten Jahreszeit leidlich
gangbaren Passe, welchen Humboldt und Bonpland 1801
zu Fuß oder auf dem Rücken von Trägern überschritten
hatten, nicht scheitern würde. Sieben Tage sollten genügen,
um ihn nach Cartago zu bringen; es wurden daraus zehn.
Caballo de palo (Proscopia
Zor der Abreise händigte er dem General Cordova acht
Piaster ein als Bezahlung für die zwei Lastochsen bis Car-
tago; der General und Präsident sollte sie dem Arriero,
Manuel Gomez, erst nach geschehener Leistung einhändigen.
Außerdem war ein Führer angenommen worden, so daß die
Karawane insgesammt ans sieben Männern und acht Thie-
rend bestand.
Am 6. März um fjy2 Uhr stieg sie die Hauptstraße
von Jbagne westlich hinan. Mit Bambnspallisaden ein-
gehegte Gärten, in welchen hauptsächlich Orangen und Brot-
fruchtbäume sowie der Nifpero (Sapota Achras) gediehen,
bildeten die liebliche Verlängerung derselben. Dann ging
es hinab zum Rio Combeima und ans einer langen bedeckten
Brücke über denselben hinweg. An der Spitze der hohen
Bambnsbüfche schaukelten sich bei dem leisesten Lufthauche
die laugen Nester eines hier gewöhnlichen Webervogels (Cassi-
cus Alfredi). Wo der Weg wieder bergan steigt, zeigt
sich Granit. In einer Höhe von 1780 Meter tritt wieder
baumartiger Stechapfel und dann die fchöne Papaveracee
Bocconia frutescens anf, welche stets ein sicheres Zeichen
hochgelegenen Landes ist. Bon dort aus überschauten sie
Jbagne und die Ebene bis zum Magdalenenstrome hin zum
letzten Male. Auf schlüpfrigen Stufen ging es dann die
Höhen über den Rio Evello hinauf und wieder hinab nach
El Moral, wo Glimmerschiefer an die Stelle des Granits
tritt. In jener Gegend hat man Goldklumpen und verfchie-
deue andere Erzgange gefunden.
scabra). (Nach der Natur.)
Der armselige Rancho Mediacion, von einer mannig-
faltigen, reichen Vegetation umgeben, war das erste Nacht-
quartier. Bis dahin hatten sich die Manlthiere wacker ge-
halten, so daß Andre sich nun dem Sammeln und Suchen
hiugeben konnte. Die Temperatur war hier in einer Höhe
von 2000 Meter schou frisch; die Stelle der in der warmen
Region so allgemein verbreiteten Gräser Guinea und Para
nahm jetzt weißer Klee (Trifolium repens) ein, der hier
carreton oder yerba gorda heißt, weil er das Vieh fett
macht. Auch die Jnfecten wurden zahlreicher; große grüne
Mistkäfer flogen schnurrend umher, ab und zu zeigte sich die
schöne goldiggrüne Coleoptere Chrysophora chrysochlora
und langsam schob das caballo de palo (Proscopia scabra)
seine langen Beine und seinen graulichen Leib, der einem
trockenen Zweige ähuelt, durch das Gras. Im Grunde
der Quebradas standen Palmen, deren Blätter fast ohne
Ansuahme ein Nest des Webervogels trugen. Seit Jbague
hatten die Vegetationszonen rafch gewechselt; nur anfangs
noch bewahrten die grasigen Abhänge und Gebüsche ihren
einförmigen Charakter. Hinter Mediacion trat an Stelle
des Schiefers rother Straß; auf dem Wege, welcher dem
Kamme des Gebirges folgte, konnte man deutlich die geolo-
gische Formation erkennen. Zn bedanern ist es, daß der
Pfad nicht am Rio Evello, einem Zuflnffe des Combeima,
entlang führt, wo man nnr an ein paar Stellen senkrechte
Felsen von weichem Schiefer zn durchbrechen gehabt hätte;
aber man weicht nun einmal nicht von der alten Weise ab,
Dr. Carl Sachs'
jeden Weg geradeaus über Berg und Thal zu führen, was
jede Reise in Columbien so halsbrecherisch macht.
Es folgten nun die Qnebradas Bnenavista, Aguacaliente
mit einer warmen Quelle nndAznfral, deren Solfatare 1827
Boussingault untersuchte. Mau hat den Schwefel dort aus-
zubeuteu gesucht, ist aber wegen der schädlichen Schwefel-
wasserstoffgase davon zurückgekommen. Den Pflanzen da-
gegen schadet der dichte Qualm nicht: eine herrliche Vege-
tation hatte sich dort entfaltet. Hier zuerst tritt die Wachspalme
auf, welche hoch über zahlreiche Baumfarnen, Tacfonien,
Orchideen vom Genus Brassia mit weißen grünpnnktirten
Blüthen, Stanhopeen, Flechten tc. sich erhebt. In Pis de
San Juan fanden die Reifenden ein schlechtes Nachtquartier
und waren genöthigt, für schweres Geld zwei weitere Last-
ochsen auf einen Tag zu miethen, um ihre Maulthiere zu
schonen. Weiter giug es, zuerst im Thale des Rio Evello,
dann die Bergesabhänge hinauf und hinab nach der Stelle,
welche die camellones (Kamelsrücken) oder caminos almo-
liadillados heißt; letzteres Wort kommt von almokada —
Kopfkissen. Hier führt der Weg über aufgeweichten, geneig-
ten Boden und besteht aus einer Reihe regelmäßiger quer-
laufender Risse oder tiefer Furchen, welche mit erhöhten Bee-
ten abwechseln. Letztere gleichen in der That Querpolstern
und sind etwa so weit von einander entfernt, als ein Maul-
thier schreitet. Sind jene Gräben im richtigen Abstände
Reise in Venezuela. 247
ausgehoben, so kann auch ein Reitthier dort höchstens bis
zum Bauche einsinken; völlig unpassirbar wird jedoch diese
Strecke, wenn kurz vorher Ochsen mit ihrer langgestreckten
Gangart darüber getrieben worden sind.
Endlich erschienen die Wachspalmen (Ceroxylon Andi-
cola) in ihrer ganzen Majestät, die Wurzeln im Wasser, die
Wipfel in den Wolken. Ihr Stamm ist von fern gesehen
weiß wie Elfenbein und trägt eine Garbe herrlicher 6 Meter
und darüber langer Blätter. Doch lichten sich die Wälder-
täglich mehr; denn zu Tausenden werden die schönen Jahr-
hunderte alten Stämme niedergeschlagen. Dann kratzt man
das außen am Stamme ausschwitzende Wachs ab, verpackt
es iu Säcke und schickt es nach Bogotä, wo es zu Züud-
Hölzchen verarbeitet wird. Die 60 bis 80 Meter hohen
Bäume finden sich in einer Höhe von 1900 bis 3000 Meter,
d. h. gehen bis an die Grenze der Paramos hinauf. In
Columbien sind sie recht eigentlich die Palmen der kalten
Zone. Auch sonst noch bot die Pflanzenwelt hier oben ihre
Schätze dar; mitten in solcher Umgebung lag in 3000 Meter-
Höhe die Hacienda de las Crnces, wo ein intelligenter und
unternehmender Mann, Ramon Cardsnas, ihr Wirth war.
Dort langten sie am 8. März um 5 Uhr Abends in einem
unbeschreiblichen Zustande von Ermüdung, Unsauberkeit und
Zerlumptheit an.
Dr. Carl Sachs^
Das unten mit vollem Titel angegebene Reisewerk erin-
nert lebhaft an Rudolf von Willemoes-Snhm's reizende
„Challengerbriefe", welche wir auf S. 367 des 32. Bandes
des „Globus" besprachen. Beidemale sind es junge Natur-
forscher, die voller Begeisterung im Dienste ihrer Wissen-
schaft über Meer ziehen und in warm empfundenen Worten
das, was sie gesehen und erlebt, erzählen. Aber ehe noch
ihre Bücher in die Hand des Pnblicums gelangen, hat schon
ein mißgünstiges Geschick sie aus der Reche der Lebenden
gerissen und beidemale ein vielverheißendes Talent vernichtet;
Willemoes-Snhm ruht seit dem 14. September 1875 aus
dem Boden des Stillen Oceans, und Carl Sachs, Assistent
am Berliner physiologischen Institute, büßte durch einen er-
schütternden Unglücksfall, der noch im frischen Andenken
Aller ist, am 17. August dieses Jahres am Monte Cevedale
bei Bormio sein junges Leben ein. Möglich, ja wahrschein-
lich, daß keiner von beiden, wäre ihm ein längeres Leben be-
schieden gewesen, je wieder über ferne Länder und Meere
uns zu erzählen gehabt hätte; die Trauer über ihren Ver-
lnst wird dadurch nicht verringert, und nur um fo größer
wird der Schmerz, wenn man bedenkt, in wie jungen Iah-
ren es ihnen gelang, ihre Namen mit der Geschichte ihrer
Wissenschaft auf das Engste zu verknüpfen.
Jedem Gebildeten ist es bekannt, daß Alexander von
Humboldt zu Ansang dieses Jahrhunderts die ersten plan-
mäßigen Versuche und Beobachtungen über die wunderbare
elektrische Kraft des südamerikanischen Zitteraales anstellte.
Seitdem sind 77 Jahre verflossen, ohne daß in der Heimath
jenes Thieres neue Forschungen über dasselbe stattgefunden
haben, so viel Naturforscher dieselbe auch besuchte». Die
Menge ungelöster wissenschaftlicher Aufgaben, welche sich au
in Venezuela').
den Organismus des Zitteraales knüpften, wurde schließlich
eine so große, daß im Frühjahr 1876 die K. Akademie
der Wissenschaften zu Berlin die verfügbaren Mittel der
Humboldt-Stiftung für die Lösung derselben bestimmte itirß
Dr. Sachs mit der Ausführung des Unternehmens beauf-
tragte. Seine Reife nach Venezuela fällt in die Zeit vom
October 1876 bis zum Juli 1877; ihr Hauptrefultat besteht
in der auatomischen und physikalischen Untersuchung des
Zitteraales, worüber demnächst eine größere Monographie
veröffentlicht werden soll, welche natürlich nur für Fachgenof-
sen von Interesse ist. In dem in Rede stehenden Buche
dagegen wollte Dr. Sachs nur eine einfache Schilderung
des Eindrucks geben, welchen Land und Leute in den durch-
reisten Gebieten aus ihn gemacht haben. Wissenschaftliche
Fragen hat er nur so weit in den Kreis seiner Darstellung
gezogen, als er für dieselben allgemeines Interesse voraus-
setzen zu dürfen glaubte. Ueber fpannende romantische Er-
lebnisse hatte er nicht zu berichten; aber bei der angestrebten
Objeetivität und Unbefangenheit der Darstellung wird es
dem vortrefflich geschriebenen Buche an eifrigen Lesern und
Freunden nicht fehlen. Sachs hält mit seinem strengen Ur-
theile über allerlei Gebrechen im venezolanischen — nament-
lich Politischen — Leben nicht zurück, nud offenbar liegt ihm
nichts ferner, als im Lobe oder Tadel zu übertreiben. Was
er sagt, scheint darum volle Glaubwürdigkeit zu verdienen,
und es ist erfreulich, daß er auch von manchem edlen Zuge,
von Gastfreundschaft, Muth uud Tapferkeit, zu berichten weiß.
Aus den Llanos. Schilderung einer naturwissen-
schaftlichen Reise nach Venezuela. Von Carl Sachs, Med.Dr.
Mit Abbildungen. Leipzig, Verlag von Veit und Comp. 1879.
VII und 369 Seiten. Preis 9 Mark.
248 Dr. Carl Sachs'
Am 21.October 1876landete Dr.Sachs inLaGnayra,
der „Hölle" von Venezuela, deren mittlere Jahrestemperatur
(28,1^) nur noch durch diejenige eines Theiles von Central-
afrika um ein Geringes übertroffen wird, und ritt noch an
demselben Tage über die Küsten-Cordillere nach Caracas,
ein Weg, der einem Naturfreunde die denkbar größten Ge-
nüsse bietet. Schon Humboldt vergleicht ihn mit den Alpen-
Pässen des St. Gotthard und des Großen St. Bernhard.
Die horizontale Entfernung zwischen La Gnayra und Cars.-
cas beträgt nur 1^/4 deutsche Meile; auf dieser kurzen Strecke
steigt man vom Meeresspiegel aus bis zum Kamme des
Gebirges, der eine durchschnittliche Höhe von 5000 Fuß be-
sitzt und von einzelnen höheren Berggipfeln überragt wird,
empor, und hierauf nach dem 2700 Fuß hoch gelegenen Thale
von Caracas hinab, wozu man mit guten Thieren 31/2, zu
Fuß etwa 5 Stunden braucht. Während der ersten 2000 Fuß
ist der Weg steil und mühsam, dabei von Felswänden beider-
seits eingeschlossen; riesige, 30 bis 40 Fuß hohe Cactus,
deren hier und da mannsdicke Stämme sich candelaberartig
in senkrecht aufsteigende Aeste theilen, große Büsche dornig
gezähnter, langblättriger Agaven umsäumten diesen Theil
des Weges. Allmälig aber wurde die Steigung sanfter, in-
dem der Weg in größeren Biegungen verlief, und das Dornen-
gestrüpp machte freundlicheren Laubhölzern und Gebüschen
Platz, die, je mehr mit der zunehmenden Höhe eine mildere,
den Pflauzeuwuchs nicht versengende Temperatur sich ein-
stellte, immer üppigere, dichtere und blüthenreichere Formen
aufwiesen. Endlich lenkte der Weg in eine thalartige Sen-
kung des Abhangs ein, die, soweit das Auge reichte, im voll-
steu Schmucke einer jungfräulichen, uie von der Hand des
Menschen augetasteteu Vegetation prangte; es war die gün-
stigste Jahreszeit, der Schluß der Negeumonate; kein trocke-
nes Blatt hing an den Zweigen; Alles athmete Sättigung
und Erquickung. Schon begannen die Schatten der Nacht
sich über den Abhang zu lagern, der Vögelchor hielt sich
müde in den Baumkronen verborgen, aber schönfarbige
Dämmerungs- und Nachtfalter umgaukelten die blüthenpran-
geuden Gebüsche, uud, im dichtesten Laub verborgen, begann
die harmlose Cicade ihr Lied.
Dort hielt Sachs sein Thier einige Augenblicke an, um
die prachtvolle Ferusicht zu genießen, die erst jetzt, an einer
völlig offenen Stelle des Weges, in ungemessener Weise sich
darbot. Wie von einem riesenhohen Thurm glaubt man
senkrecht herabzuschauen, da der bedeutende Neigungswinkel
des Abhanges durch eine optische Täuschung noch vergrößert
wird. Von der durch die Entfernung zum Miniaturbildcheu
verkleinerten Stadt und den auf der Rhede liegenden Schif-
fen, von dem grünen Ufersaume der Cocale des Dorses
Maiquetia und dem in duftiger Ferne verschwindenden Cabo
blaneo schweift der Blick über die gewaltige, tief ultramarin-
blaue Fläche des Caribeu-Meeres, in das soeben am west-
lichen Horizont die Sonnenscheibe einzutauchen beginnt.
Urplötzlich, fast ohne jede Dämmerung, bricht die Nacht her-
ein und mahnt zur Weiterreise. Noch hatte er eine Stunde
bergauf zu steigen; ein betäubendes Concert von Jnsecten in
unglaublich hohen Tonlagen erfüllte die Luft, und zahlreiche
Leuchtkäfer zogen ihre Funkenlinien durch das nächtliche Dun-
kel. Endlich war der Kamm des Gebirges erreicht; es folgte
eiue Strecke ebenen Weges und dann stand er am jenseitigen
Abhang und erblickte tief im Thale die erleuchteten Quadras
der Stadt Caracas, seines vorläufigen Reisezieles.
Gleich seine erste Umschau in der Landeshauptstadt gab
ihm Mancherlei zu denken. Von der Thür seines Hotels
aus sah er das niedrige gothische Universitätsgebäude, dessen
Fortsetzung eine schmale, mit einem Thurm versehene Fa§ade
bildete, welche ihm als „ei museo" bezeichnet wurde. „Neu-
Reise in Venezuela.
gierig, etwas mehr von diesem Museum zu sehen, als die
Faxade, begab ich mich dorthin, wo, meiner Berechnung nach,
die Seitcnwand des Gebäudes sich befinden konnte; ich mußte
laut auflachen, als ich mich überzeugte, daß an die Faßade
unmittelbar die Wohnhäuser der Straße grenzten, daß das
ganze museo, ähnlich wie eine Conlisse im Theater, nur aus
jener Fa^adenwand bestand. Man war der Meinung ge-
Wesen, daß die Universitätsfront nach dieser Seite hin einen
würdigen Abschluß finden mußte und hatte zu diesem Zweck
jenes „museo" aufgeführt. Ich erwähne diesen Umstand,
weil er eine treffende Illustration venezolanischer Zustände
im Allgemeinen giebt; wo Personen und Mittel nicht aus-
reichen, um eiuen Zustand, den man für wünschenswert!)
hält, sactisch herbeizuführen, da setzt man einfach statt der
Wirklichkeit den Schein, statt des Gebäudes eine bloße Faxade.
Die Selbstzufriedenheit und sogar Selbstbewunderung, in der
ein großer Theil des Volks befangen ist, wird dadurch nicht
im Geringsten beeinträchtigt."
Nichts anderes ist es, wenn die strengen Vorschriften der
Examina so milde gehandhabt werden, daß selten, wenn über-
Haupt je, ein Candidat durchfällt. Häufig genug gelingt es
einem solchen, der sich in einem oder mehreren Fächern nn-
sicher fühlt, durch Connexionen den Präsidenten der Repn-
blik für sich zu interessiren, der ihn dann von der Prüfung
in jenen Fächern einfach durch Machtspruch dispeusirt. „Es
giebt dies im Kleinen einen Begriff von dem Despotismus,
der in diesen Staaten trotz der äußerlich republikanischen
Formen in Wirklichkeit herrscht. Verfassung und Gesetze
sind ganz vortrefflich; nur das eiue ist zu bedaueru, daß sie
nicht befolgt werden. Der augenblickliche Machthaber steht
über dem Gesetze, wie das Fatum über den Göttern; er sagt,
wie einst der große Ludwig, „L'etat c'est moi." Welcher
europäische Monarch würde wohl im Stande sein, beispiels-
weise einen Candidaten der Medicin von der Prüfung in
Anatomie zu dispeusiren?"
Der damalige Präsident Gnzman Blanco, welcher
nach längeren Kämpfen feit 1870 als Dictator drei Jahre
und darauf seit 1873 als verfassungsmäßig erwählter Prä-
sident vier Jahre lang das Land regierte, wurde felbst von
seinen Feinden den besseren Herrschern Venezuelas zugezählt.
Zwar hat er sich und seine Anhänger in kolossaler Weise
bereichert, ein Fehler freilich, den er fast mit allen seinen
Vorgängern theilt und mit allen seinen Nachfolgern theilen
wird. Es haben auch bis 1874 mehrfache Revolutionen
stattgefunden; aber andererseits hat Gnzman für Handel
und Verkehr, für Kunst uud Wissenschaft mehr gethan, als
eine gauze Reihe seiner Vorgänger zusammengenommen.
Er hat Caracas mit Denkmälern und öffentlichen Ballten
geschmückt, die Universität gehoben, Verkehrsmittel geschaffen,
die ausländische Spekulation ermuntert, zwei Eisenbahnstrecken
eröffnet. Seit 1874 herrschte in dem von Natur so reich
begabten Laude eine kurze Ruhe, freilich mehr die Ruhe der
Erschöpfung als der Zufriedenheit. Ackerbau uud Handel
begannen wieder aufzuleben und der Export, dieses weseut-
liche Kriterium der Prosperität eines Landes, hob sich in fünf
Jahren (von 1870 bis 1875) auf das Zehnfache. Was
müßten 50 Jahre ungestörten Friedens unter einer starken,
intelligenten Regierung aus Venezuela machen!
Manche von Guzman's Verbesserungen stehen freilich
einfach auf dem Papiere. Die Fahrwege, welche man zu
bauen angefangen, find meist unvollendet geblieben und
befinden sich jetzt in schlechter»! Zustande, als die frühe-
ren Reitwege. Ebenso verhält es sich wahrscheinlich mit
den Maßregeln zur Hebung der Volksbildung. Ein
Decret vom 7. Juni 1870 erklärte den Primär - Unterricht
für unentgeltlich und obligatorisch; es wurden eine große
Dr. Carl Sachs'
Menge Schulen gegründet, und ein 1875 dem Congresse
vom Ministerium vorgelegtes gedrucktes Memoire enthält
die stolze Angabe, die Zahl der Schulen sei von 100 (mit
3744 Schülern) auf 654 Schulen mit 22 669 Schülern
gewachsen. „Mau weiß eben in Venezuela recht gut, daß
Papier geduldig ist. Während meines Aufenthaltes inCala-
bozo löste sich eine vom Dr. Machado geleitete Unterrichts-
anstatt daselbst auf, weil die Regierung den Lehrern keinen
Pfennig Gehalt auszahlte, und Aehnliches wurde mir von
anderen Orten berichtet."
Den widerwärtigsten Zug in Gnzman's Persönlichkeit
bildet die Art, wie er sich in den Zeitungen, namentlich der
ofsicielleu „Opinion nacional", sowie sonst auf jede mög-
liche Weise Weihrauch streuen ließ. Die Titel „Ilustre
Americano" und „Rejenerador", welche er sich vom Con-
gresse ertheilen ließ, sind, so lächerlich sie für den Präsidenten
einer Republik von iy2 Millionen Einwohnern erscheinen
müssen, keineswegs das Crasseste in diesem Gebiete. Die
„Opinion nacional", unter seiner persönlichen Censur stehend,
brachte Artikel, in denen der Rejenerador in eine Reihe mit
Moses, Napoleon I. und Washington gestellt wurde; das
Beste leistete jedoch ein Literat, der eine ganz ernsthafte Ver-
gleichnng zwischen Guzman und Jesus Christus anstellte und
zu dem Resultate kam, Christus sei zwar der größte Wohl-
thäter der Menschheit gewesen, aber unmittelbar hinter ihn
an Werth und Bedeutung sei Guzman Blanco zu stellen!
Während seiner Präsidentschaft ließ sich Guzman zwei Sta-
tuen von Bronze in der Hauptstadt, sowie noch andere in
verschiedenen Städten errichten. In einem Lande, wo der-
jenige Theil der Staatseinnahmen, welcher wirklich im In-
teresse des Staates verwendet wird, auch nicht zu den noth-
wendigsten Dingen ausreicht, zwei kostspielige Standbilder
eines und desselben noch lebenden Mannes in einer Stadt!
Daß man, wenn nicht vor der Entrüstung des eigenen Vol-
kes, so doch vor dem Spott des Auslandes nicht im Gering-
sten bangte, als man diesen Unsinn beging, zeugt von einer
beneidenswerthen Kaltblütigkeit. —
Sein Gepäck übergab Sachs zur Weiterbeförderung nach
Calabozo, wo er seine Studien an den Zitteraalen austel-
len wollte, einem Arriero und kaufte für sich einen hellfar-
bigen Macho (männliches Maulthier) für 200 Pesos
(ä 3,2 Mark). Der hohe Preis, in welchem die Thiere jetzt
in Venezuela stehen, ist das Resultat einer Seuche, welche
im Jahre 1843 ausbrach und in kurzer Zeit solche Verhee-
rungen anrichtete, daß von den gewaltigen Herden wilder
Pferde und Maulthiere, welche früher in den Llanos umher-
schwärmten, nur ganz geringe Reste übrig sind; vor dieser
Zeit kostete ein junges uoch nicht zugerittenes Pferd 3 bis
4 Thaler, ein schon gebrauchsfähiges Maulthier 15 Thaler,
während jetzt für Pferde von besonderer Schönheit bis
700 Thaler und mehr bezahlt werden.
Mit Empfehlungsbriefen und der landesüblichen Aus-
rüstuug an Bolsas (Ledertaschen) und Cobija (Poncho) ver-
sehen, verließ Sachs am 9. November Nachmittags in Ge-
sellschaft eines einheimischen Kaufmanns nach einem Anfent-
halte von 13 Tagen Caracas, das er am folgenden Morgen
von der Paßhöhe des Gebirges Higuerote (die Einheimischen
kannten diesen von Humboldt angegebenen Namen nicht) zum
letzten Male erblickte. Es begrenzt dieses Gebirge das Thal
von Caracas im Süden und Westen. Als er oben anlangte,
wichen eben die Nebelmassen vor der aufgehenden Sonne.
Um ihn herum lag eine Berglandschaft ausgebreitet, die wie
ein in Erstarrung versetztes Meer anzuschauen war; keine
schroff heraustretenden Kegelspitzen, keine jähen Abgründe,
nur sanfte Wellenlinien zeigte die Formation des Gebirges.
Die einzelnen Rücken waren überall von einer Unzahl kleiner,
Globus XXXIV. Nr. 16.
Reise in Venezuela. 249
parallel verlaufender Qnerthäler gefurcht, welche rechtwinklig
in größere tiefere Thäler einmündeten. Diese ganze nach
Humboldt 25 Quadratmeilen umfassende Berglandschast traf
Sachs uoch in völlig demselben Zustande an, wie der be-
rühmte Reisende vor 75 Jahren. Dichter Urwald bedeckte
jeden Fußbreit dieser schönen Thäler und Abhänge; nur in
der Umgebung des Dorfes Los Teques traf er geringe Spu-
reu von Cultur, obwohl das ganze Gebiet von großartiger
Fruchtbarkeit ist und das milde Klima den Anbau europäi-
scher Getreidearten ebenso wie den der kostbaren Tropen-
producte gestattet.
Von dort senkt sich die Straße in das Thal des Rio
Tny hinab nach dem Meierhofe von Gnaya und führt
über eine niedrige Wasserscheide in das Thal von Aragua,
wo statt des dichten Urwaldes, der bisher den Weg begleitete,
nnseru Reisenden ein mit allen Erzeugnissen der tropischen
Agricultur aufs Reichste geschmückter, von einer dichten Be-
völkeruug bewohnter Landstrich empfing. Derselbe ist noch
heute, wie zu Humboldt's Zeiten, der Brennpunkt der land-
wirthschastlichen Thätigkeit Venezuelas, dessen durch unver-
gleichliche Fruchtbarkeit des Bodens und mildes Klima be-
güustigte Productiouskraft selbst die häusigen Revolutionen,
welche an anderen Orten die Bevölkerung völlig ruinirten,
nicht lahmzulegen vermochten. Hier, in dem „Garten von
Amerika", trifft man auf einem Flächeuraume von circa
26 Quadratmeilen Cnltureu von Kaffee, Cacao, Indigo,
Taback, Mais, Zuckerrohr, Baumwolle, Uuca und Bananen.
Auch Weizen gedieh in dem milden Klima noch zu Hum-
boldt's Zeiten, ist aber jetzt durch den leichtern uud lohnen-
dern Anbau des Kaffee ganz verdrängt.
Die Bewässerung dieses paradiesischen Thales ist eine so
reichliche, daß selbst zur Zeit der größten Trockenheit der
Atmosphäre überall das frischeste Grün den Reisenden entzückt.
Die Gewässer fließen bekanntlich, da das Thal ein rings ab-
geschlossenes Becken ist, dem in der westlichen Hälfte gelege-
nen Valencia-See zu und bilden somit ein eigenes Hydro-
graphisches System ohne Verbindung mit dem Ocean. Die
Bevölkerung des Thales betrug zu Humboldt's Zeit 52000
Seelen und hat sich seitdem auf 130 000 gehoben.
An diesem zweiten Reisetage übernachtete Sachs in der
6500 Einwohner zählenden Stadt La Victoria, verlebte
den folgenden auf der einem Deutschen gehörigen Hacienda
Palmare, besuchte am dritten den T a c a r i g n a - S e e und ritt
bis Villa de Cura (9500 Eiuw.), wo er seinem Thiere
zu Liebe einen Rasttag machte. Die Stadt liegt in einem
umfangreichen, von niedrigen Bergen eingeschlossenen, in
Folge der großen Trockenheit fast vegetationslosen Thale.
Ebenso führte der Marsch des folgenden Tages nach San
Juan de losMorros durch ein ödes, von losen Felsblöcken
erfülltes Thal, ein Charakter, welchen das Land bis Para-
para (7000 Einw., circa 800 Fuß hoch) hin beibehält.
Erst auf dem Wege von dort nach Ortiz (4000 Einw.,
Hauptstadt des Staates Guarico) entfaltet sich, gleichsam
als Scheidegruß für den in die Steppe eintretenden Reifen-
den, die Vegetation noch einmal in reicher und malerischer
Weise. Schöne stattliche Bäume standen zu den Seiten des
Weges, darunter manche als Bauhölzer hochberühmte Arten und
zwei, welche durch die heilkräftigen Wirkungen der von ihnen
gewonnenen Harze berühmt sind: der Copaiva-Baum (Co-
paifera officinalis), der auch auf den Llanos in unge-
heurer Menge vorkommt uud den kostbaren Copaiva-Balfam
liefert, und der Tacamajaca, dessen durch Einschneiden der
Rinde gewonnenes festes citronengelbes sehr brüchiges Harz
in Venezuela als Wundbalsam geschätzt ist.
Jenseits der Stadt Ortiz erstreckt sich in der Richtung
von Osten nach Westen ein ziemlich breiter, aber niedriger
32
250 Dr. Carl Sachs'
Hügelkamm, La Galera genannt, welcher zu etwa 200 Fuß
über das Thal von Ortiz, zu 500 über das Niveau der
Llanos ansteigt. Es ist das die letzte Vorbergkette der
Küsten-Anden; von ihr steigt man unmittelbar in das ge-
waltige, 16 000 Quadratmeilen betragende Bassin der Lla-
nos hinab. Als der südamerikanische Continent sich noch in
einem Zustande geringerer Hebung befand, bildeten diese
Steppen ein großes Meeresbecken; damals brandeten die
Wogen des Atlantischen Oceans gegen den Abhang der
Galera.
In einer auf deren Rücken gelegenen Posada (Herberge)
übernachtete Sachs. Dort tauchte plötzlich eine etwa 20 bis
25 Fuß hohe Palme mit grüngelben fächerförmigen Wedeln
auf, die Palma de cobija (Copernicia tectorum), auch
Palma llanera oder Palma de sombrero genannt. In
den Gebirgsgegenden kommt dieselbe nur ganz vereinzelt vor,
und Sachs hatte sie nie vorher gesehen. Hier dagegen be-
ginnt sie ans einem scharf abgeschnittenen Saume sofort in
großer Anzahl, um dann im eigentlichen Llano, wo sie in nn-
geheurer Massenhaftigkeit vorkommt, eines der wesentlichsten
Elemente der Vegetation zu bilden. Es dürfte schwer sein,
einen zureichenden Grund für die scharfe Grenze aufzufinden,
welche diesem Gewächse gezogen ist.
Sachs hatte erwartet, einen plötzlichen schroffen Wechsel
zwischen dem waldigen Charakter der Gebirgslandschaft und
der Steppenscenerie anzutreffen. Dem ist jedoch nicht so;
der Abhang der Galera von Ortiz ist ein äußerst sanfter,
ohne fcharfe Grenze geht die Hügelkette in die horizontale
Fläche der Steppe über. Die schönen Laubbäume, welche
aus dem Rücken der Galera als dichter Wald den Weg um-
säumen, bilden nach und nach immer kleinere Gruppen, welche
durch grasbedeckte Lichtungen von einander getrennt sind;
allmälig treten an die Stelle der höheren Bäume niedrige
Büsche, welche vorzugsweise aus dornigen Mimosen mit zart-
gefiederten Blättern bestehen und häufig noch im schönsten
Blüthenschmncke prangen, der den sie überkleidenden Ranken-
gewüchsen angehört. Auch diese Büsche werden seltener und
seltener, und endlich eröffnet der frei werdende Horizont den
Blick auf das unermeßliche Grasmeer, aus dem nur hier
und da inselgleich kleine Gruppen der Copernicia-Palme
und des krüppelhaft wachsenden Chaparrobanmes sich erheben.
Etwa eine halbe Stunde, nachdem Sachs Morrocoi am
Fuße der Galera verlassen, drehte er sich zufällig um, und
ein Ausruf der freudigsten Ueberraschnng entfuhr seinen Lip-
Pen. Statt der sanften Abdachung der Galera, die vorher,
beim Eintritt in den Llano, unterstützt durch den sehr all-
mäligen Wechsel der Vegetation, den Uebergang zwischen Ge-
birge und Ebene völlig verwischte, glaubt man jetzt in Folge
der perspectivischeu Verkürzung, welche durch die Entfernung
bedingt ist, eine scharf und schroff aus der Ebene sich erhe-
bende Bergkette zu erblicken. „La costa del mare!" (die
Küste des Meeres) rief sein Begleiter aus, und in derThat,
kein Vergleich kann treffender sein. Zwischen dem Höhen-
znge und dem Beschauer breitet sich eine völlig gleichmäßige,
streng horizontale Fläche aus, so daß das Ganze die tän-
fchendste Aehnlichkeit mit einer steilen felsigen Küste erhält,
die in einiger Entfernung vom Meere aus gesehen wird.
Auch ist die Empfindung, mit der man aus der dicht bevöl-
kerten und zum Theil reich angebauten Gebirgslandschaft in
die öde, unwirkliche Steppe hinaustritt, durchaus verwaudt
mit derjenigen des Schiffers, der aus ficherm ruhigem Hafen
in den weiten einsamen Ocean hinaussteuert; man fühlt sich
in eine neue scheinbar unendliche Welt versetzt, alle Bedin-
gnngen des Lebens sind verändert, neue Reize und neue Ge«
fahren stellen sich dar.
Wie vor Alters die Galera den Markstein zweier seind-
Reise in Venezuela.
licher Reiche, des Meeres und des Landes, bezeichnete, so
bildet sie noch heute die Grenze zwischen zwei Gebieten, die
in jeder Erscheinungsweise des Naturlebens sich diametral
gegenüberstehen. Die Küsten-Anden mit ihren fruchtbaren
Hochthälern sind die agricnltnrale Zone Venezuelas, eine
zahlreiche, an Dichtigkeit zum Theil den volkreichsten Gegen-
den Europas (?) nahekommende Bevölkerung genießt daselbst
aller Segnungen, welche der dnrch ein gemäßigtes Klima
begünstigte landwirtschaftliche Fleiß mit sich bringt; alle die
verfeinerten Lebensgenüsse, welche Civilisation und ein reger
Handel mit fernen Ländern in ihrem Gefolge führen, sind
dort längst eingebürgerte Gewohnheiten. Dichte Wälder,
alle Reize einer üppigen Tropen-Vegetation in höchster Ent-
faltnng aufweisend, bekleiden Berg und Thal überall, wo
nicht die Hand des Menschen nützliche Cnltnrpslanzen an
ihre Stelle setzte.
Wie verschieden hiervon ist das Bild der Llanos, jener
unermeßlichen Grassteppen, welche noch heute fast ausschließ-
lich der Viehzucht dienen, in denen, abgesehen von wenigen
kleinen Städten, nur eine spärliche fast halbwild zu nennende
Bevölkerung iu stetem Kampfe mit der Natur lebt, in denen
aber bei aller Armnth des Pflanzenlebens eine reiche Man-
nigfaltigkeit interessanter, zum Theil dem Menschen surcht-
barer Thiersormen herrscht.
„Es liegt — sagt Humboldt, dessen Darstellung der
Llanos von der größten Treue und plastischen Objectivität
ist, und nur in Einzelheiten nicht mehr dem heutigen Zu-
stände entspricht — etwas Imposantes, aber Trauriges und
Finsteres in dem einförmigen Anblick dieser Steppen. Alles
ist darin gleichsam erstarrt: selten nur mag der Schatten
einer kleinen Wolke, die durch den Zenith geht und die Nähe
der Regenzeit verkündet, auf der Savaue gefeheu werden.
Ich lasse unentschieden, ob der erste Blick der Llanos nicht
ebenso überraschend ist, wie der der Andenkette."
Zur Zeit, als Sachs die Llanos betrat, waren die von
April bis October dauernden Regenmonate bereits vorüber;
im November pflegen nur noch einzelne Schauer zu fallen,
welche die Austrocknung des Bodens durch die wiederkehren-
den Strahlen der scheitelrechten Sonne nicht aufzuhalten ver-
mögen. Dieser Austrocknung unterliegen zuerst die höher
gelegenen Theile der Llanos, die sich vom Fuße der Galera
von Ortiz bis zum Breiteugrade von Calabozo ausdehnen
und von den Bewohnern als Llanos altos unterschieden
werden. Die Höhe des am Fuße der Galera beginnenden
Theiles der Steppe über dem Meeresspiegel beträgt noch
etwa 700 Fuß, während Calabozo 470 Fnß, San Fernando
de Apure 370 Fuß hoch liegt. Der Fall der Gewässer, die
vom Fuß der Galera nach dem Apure hinströmen, beträgt
mithin etwa 300 Fuß. Diese geringe Höhendifferenz ist
für die Lebensverhältnisse der menschlichen und thierischen
Bewohner des Llano von weittragender Bedeutung. Wäh-
rend Sachs bei seiner Ankunft zu Rastro in der Nähe von
Calabozo noch weite Gebiete überschwemmt antraf, waren
die Llanos altos bereits im Zustande großer Trockenheit,
und die Rinderherden waren schon nach dem Süden getrie-
ben worden. Die ein bis zwei Fuß hohen Gräser des Llano
alto, welche während der Regenzeit eine unübertreffliche Weide
darbieten, waren bereits völlig vertrocknet und im Zerfall
begriffen. Weit und breit war der Boden in den mattgelben
Farbenton der verdorrten Grasdecke gehüllt; der über ihn
hinbrausende Ostpassat riß Staubwolken auf, welche den
Horizont verdunkelten und durch die das Licht der Sonne
mit gelbem Schimmer hindurchdrang. Gelb in den ver-
schiedensten Schattirnngen war der Grundton der Landschaft;
selbst die fächerförmigen Wedel der 25 Fuß hohen Coper-
niciapalme, die vom Winde bewegt ein eigenthümlich rascheln-
Dr. Carl Sachs'
des Geräusch erzeugen, waren bereits gelb gebleicht. Nebeu
diesen Palmen wuchsen jedoch andere Bäume in nicht gerin-
ger Zahl, welche zu Gruppen vereint durch das frische Grün
ihrer Belaubung dem Auge einen wohlthnenden Ruhepuukt
in der weiten, trübgelben Fläche gewährten.
Die Zahl der Laubbäume ist gegenwärtig bei weitem
nicht mehr so gering, als sie zur Zeit von Humboldt's Reise
gewesen zu sein scheint. Das Schauspiel eines freien schar-
sen Horizontes, eines „Oceans von Gras", wie er es be-
schreibt, zeigt sich erst in der Nähe des Apure. Jm Uebrigeu
aber sind die Llanos gegenwärtig in dem Maße bewaldet,
daß überall der größere Theil des Horizontes von grünen
Gebüschen eingenommen erscheint, die freilich im Verhältniß
zu der weiten Grasfläche nur wie Inseln im Weltmeere er-
scheinen.
Es ist den Llaneros selbst sehr wohl bekannt, daß hier
eine Veränderung vor sich geht. Als Ursache dieser zuneh-
menden Bewaldung bezeichnen sie die gewaltige Verminderung
in der Zahl der Rinder, welche seit etwa dreißig Jahren
stattgehabt hat. Während der endlosen Revolutionskämpfe,
welche diese Zeit erfüllten, wurde das Rindvieh gleichsam
als öffentliches Eigenthum angesehen, das beide sich bekämpfen-
den Parteien um die Wette plünderten. Jede vagabondirende
Tropa von vier oder fünf Mann schlachtete nach ihrem Be-
lieben zu ihrer Mahlzeit ein Rind und überließ das Uebrig-
bleibende den Geiern. Ein Ersatz ward natürlich nie gelei-
stet. Hierzu kam der Umstand, daß eine Zeit lang, in Folge
der Handelsbewegung ans ausländischen Märkten, die Häute
so im Preise stiegen, daß der Werth eines lebenden Rindes
noch nicht den Betrag erreichte, der in den Hafenplätzen für
die Haut bezahlt wurde. Die Folge davon war, daß viele
Herdenbesitzer mit Freuden die Gelegenheit ergriffen, ihr
durch die beständigen Revolutionen gefährdetes lebendes Eigen-
thum zu Gelde zu machen, das man eher durch Vergraben
sichern konnte. So wurden viele Tausende von Rindern
nur um ihrer Häute willen geschlachtet, und die Zahl dieser
nützlichen Thiere, welche zu Humboldt's Zeiten noch auf
iy2 Millionen veranschlagt wurde, erlitt eine ganz außer-
ordentliche Verminderung. Der Preis eines Rindes von
mittlerer Größe, früher 3 bis 4 Thaler betragend, ist jetzt
auf 20 bis 30 Thaler gestiegen. Während nun in früheren
Zeiten durch die zahllosen weidenden Rinder die jungen, sich
entwickelnden Keime baumartiger Pflanzen abgefressen oder
niedergetreten wurden, können sie sich jetzt in der vereinsamten
Steppe ungehindert entwickeln, und die daraus entstehende
Zunahme der Bewaldung wird wahrscheinlich so lange an-
halten, bis die Zahl der Rinder in den Llanos wiederum
eine der frühern ähnliche Höhe erreicht haben wird.
Zwischen den Llanos altos und den tieferen Savanen,
welche von den großen Zuflüssen des Orinoco durchströmt
werden, bestehen nicht unerhebliche Unterschiede. Der Cha-
rakter der Natur, sowohl was das pflanzliche als das thie-
rifche Leben anbetrifft, ist in den Ebenen des Apure und
Meta im Allgemeinen großartiger und wilder. Während
die Gräser in den oberen Llanos selten mehr als eine Länge
von 2 Fuß erreichen, schießen sie hier zu so gewaltiger Höhe
empor, daß sie über dem Kopse des Reiters zusammenschla-
gen. Ein Hauptunterschied aber besteht in dem Vorhanden-
sein der „Esteros", ausgedehnter namentlich an den Ufern
der großen Ströme gelegener Savannen, welche während des
ganzen Jahres, auch zur Zeit der größten Trockenheit, frische
Weidegräser erzeugen und daher für die Llaneros von un-
schätzbarem Werthe sind. Nach ihnen werden die Herden
hingetrieben, wenn in der Zeit vom December bis April die
Grasdecke in den höher gelegenen Llanos zu Staub zerfällt.
Die menschlichen Bewohner dieser Steppen bestehen in
Reise in Venezuela. 251
dem südlich vom Rio Meta gelegenen Theile ausschließlich
aus unabhängigen Indianern, die den Stämmen der Gna-
hibos, Gnamos und Otomacos angehören. Nördlich davon
sind es die sogenannten Llaneros, eine eigene Elasse far-
biger Menschen, welche durch Mischung der verschiedenen
Racen des Landes, der rothen, weißen und schwarzen, ent-
standen sind. Ausgenommen sind nur die wenigen kleinen
Städte, wie Calabozo und San Fernando, welche Handel
und Gewerbe treiben und sich in ihrer aus allen Berufs-
clafseu zusammengesetzten Bevölkerung von den anderen Städ-
ten der Republik nicht unterscheiden. Die eigentlichen Llane-
ros bewohnen nicht die Städte, sondern das freie Land, meist
als Peone auf den Hatos oder Meierhöfen einzelner reicher
Herdenbesitzer, zum Theil auch in eigenen kleinen Niederlas-
snngen.
Ein solcher Hato, dessen Bewohnern oft die Aufsicht
über mehrere Taufende von wild umherschweifenden Rindern
anvertraut ist, besteht aus ein paar Hütten, welche in rohester
Weise aus den Stämmen und Wedeln von Palmen errichtet
werden. Die Bewohner derselben führen, auf die einfachsten
Bedürfnisse beschränkt, ein sorgloses, ungebundenes Leben.
Der Llanero plagt sich nicht mit Schule oder Kirche; er-
kennt und verehrt die Namen einiger Heiligen, welche als
besonders kräftige Beschützer des Menschengeschlechts gelten;
weiter erstreckt sich seine Religion nicht. Seine eigentliche
Wohnung ist der Sattel, in dem er buchstäblich den größern
Theil seines Lebens zubringt; wie ihr Gegenbild, die Gau-
chos in den argentinischen Pampas, so sind die Llaneros
ausgezeichnete Reiter. Der Knabe wird als mannbar ange-
sehen, sobald er ein ungezähmtes Roß zu bändigen und, im
Carrisre dahinsprengend, den wilden Stier mit dem Lasso
zu fangen vermag. Von Jugend auf an den Kampf mit
der Natur gewöhnt, ist der Llanero von waghalsigem, toll-
kühnem Charakter; er setzt schwimmend mit seinem treuen
Roß über die von reißenden Krokodilen wimmelnden Ströme
und betrachtet es als ein Fest, wenn er im Einzelkampfe
dem Beherrscher des Waldes, dem Jaguar, begegnet. Die
Lanze, mittelst deren die Herden gelenkt werden, handhaben
die Llaneros mit solcher Meisterschaft, daß sie sowohl in dem
Unabhängigkeitskampfe gegen die Spanier, als in den späte-
ren Revolntionskriegen dieser Waffe halber stets als die ge-
fürchtetste Truppe angesehen wurden. Ihr unruhiger leicht-
sinniger Charakter ist die Ursache, daß sie leider nur allzu
schnell zu Schilderhebungen gegen die Regierung zu veran-
lassen sind.
Für sein Roß empfindet der Llanero eine zärtliche Zn-
neiguug; wenn er nach anstrengendem Marsch vom Sattel
steigt, rastet er nicht eher, als bis er sein Thier reichlich mit
Nahrung und Trank versehen hat; in der Noth wird er sich
lieber seinen letzten Vorrath entziehen, als seinen treuen Ge-
fährten hungern lassen. Er singt im Uebermuthe.
Mi cavallo y mi zamba Mein treues Roß und mein
Se me murieron a un tiempo, Mädchen,
AI diablo la mujer! Die starben zu gleicher Zeit.
Mi cavallo es lo que siento. Zum Teufel mit dem Weibsbild!
Ums Roß nur ist mir's leid.
Die Frauen und Mädchen der Llanos verbringen ihr
Leben in süßem Nichtsthun; neben den häuslichen Werrich-
tungen, die sich auf ein Minimum reduciren, beschäftigen sie
sich im günstigen Falle noch damit, ein kleines Stück Land
mit Bananen oder Uuca zu bebauen. Eigentliche Ehen
werden unter den Llaneros selten geschlossen, wiewohl es
kaum je an Kindersegen mangelt. Als Sachs einst ein
junges Mädchen, das einen niedlichen Säugling auf seinen
Knien schaukelte, fragte, wer der Vater des Kindes sei, er-
hielt er genau dieselbe Antwort, wie Sir Head unter ähn-
32*
252 Notizen zur Handels- und
lichen Umständen in den Pampas, nämlich: „Quien sabe?"
(Wer mag das wissen?). Ein Gleiches fand er im ganzen
Innern Venezuelas, wo kirchliche Ehen geradezu eine Selten-
heit sind. Oft war er erstaunt, wenn ihm in einem ziem-
lich respectabelen Hanse der Hausherr seine „senora esposa"
in aller Förmlichkeit vorstellte, und er hinterher erfuhr, daß
hier nur eine freie, mit gegenseitigem Kündignngsrecht ein-
Verkehrs-Geographie.
gegangene Vereinigung vorlag. Jeden Augenblick kann eine
solche wilde Ehe gelöst werden und beide Theile „verhei-
raten" sich aufs Neue, ohne daß man darin etwas Anstößi-
ges findet; in die vorhandenen Kinder theilt man sich nach
gütlicher Uebereinkuust. Welch' buut gemischte Familien
dadurch mitunter entstehen, ist leicht zu ermessen.
Notizen zur Handels- und Verkehrs-Geographie.
I.
Hamburgs Handel. Oesterreichs Bergbau-Production. Oesterreich-Ungarns Eisenbahnen. Großbritanniens Import von
Nahrungsmitteln. Marseilles Einfuhr. Cyperns Handel. Wirtschaftliche Lage von Bosnien. Zustände in der per-
fischen Provinz Ghilan. Einfuhr amerikanischer Banmwollwaaren in China. Der projectirte Handelsweg zwischen Assam
und Jünnan. Die Straßen Jünnans.
F. E. Mittheilungen über den Handel Hamburgs in den letzten Jahrzehnten.
Zu Hamburg angekommene Seeschiffe.
Im Durchschnitt der Jahre Schiffe Reg. Tons Dampfschiffe Segelschiffe Aus außereurop. Ländern
1821—30 2284 193,614 36 2248 (200)
1831—40 2657 260,452 239 2418 301
1841—50 3613 427,324 • 368 3245 361
1851—60 4649 756,099 929 3720 461
1861—70 5092 1,260,674 1712 3380 509
1871—74 5421 2,334,780 2628 2790 794
1875 5260 2,117,822 2739 2521 768
1876 5433 2,228,162 2916 2517 836
1877 5473 2,233,929 2958 2515 840
Direct von außereuropäischen Plätzen wurden nach Hamburg eingeführt (ohne Contanten):
1875 1876 1877
M. M. M.
Von Häfen jenseits des Cap der guten Hoffnung und des Cap Horn .... 43,552,000 71,681,000 62,392,000
Von Häfen Südamerikas O.- und N.-Küste, Afrikas W.-Küste, den Mittellän-
123,941,000 113,954,000 118,325,000
Nordamerikas O.-Küste......................... 89,084,000 85,943,000 89,466,000
256,577,000 271,578,000 270,183,000
Direct von europäischen Plätzen wurden eingeführt (ohne Contanten):
Großbritannien und Irland.....................
Frankreich, Belgien und Niederlande ..............• .
Südeuropa............................. .
Nordeuropa............................
Dazu über Altona..............
Einfuhr land- und flußwärts.....................
Außerdem Contanten und edle Metalle ....
500,023,000 466,873,000 439,120,000
90,463,000 87,426,000 95,304,000
19,305,000 19,063,000 19,775,000
26,723,000 32,638,000 37,499,000
78,231,000 71,690,000 68,293,000
729,792,000 775,115,000 846,879,000
1,701,114,000 1,704,383,000 1,777,053,000
245,952,000 151,352,000 422,774,000
Notizen zur Handels- und Verkehrs-Geographie.
253
Gewicht und Werth der Einfuhr Hamburgs:
Im Durchschnitt der Jahre Gewicht in Netto Centner Werth ohne Contanten
1846—50 20,622,000 409,272,000
1851—55 28,471,000 587,040,000
1856—60 35,459,000 753,303,000
1861—65 41,947,000 894,831,000
1866—70 52,249,000 1,098,270,000
1871—74 71,734,000 1,670,478,000
1875 76,814,000 1,701,114,000
1876 85,373,000 1,704,383,000
1877 91,248,000 1,777,053,000
— Oesterreichs (ohne Ungarn) Bergbau- und
Hüttenprodnction in 1877 (inM.-Ctr.). Braunkohlen
71 260 192; Steinkohlen 48 858 634; Alaun- und Vitriol-
schiefer 1 476 613; Graphit 118 576; Braunstein78999;
Schwefelerz 63 646; Bergöl 6080; Arsenikerz 1352. Die
HUtten erzeugten inM.-Ctr.: Roheisen 2 590 362; Blei
53 140; Zink 45 192; Glätte 35 020; Quecksilber 3916.
In Kilogramm: Silber 27 169; Gold 8,7. Der Gesammt-
Werth der Producte des Bergbaues betrug 40 715 748, des
Hüttenbetriebes 22 556 034, der Salinen 22 323 814
Gulden.
Oesterreich-Ungarns Eisenbahnen betrugen Ende
1877 19 362,6 Kil. 1877 wurden in Oesterreich 477,9,
in Ungarn 73,5 Kil. dem Verkehr übergeben.
*
* *
— Einem Berichte des Board of Trade über die Ver-
sorgung von Großbritannien und Irland mit Nahrung
von dem Ausland entnehmen wir folgende Tabellen über
den Werth der Nahrungsmitteleinfuhr und das Verhältuiß
derselben zur Bevölkerung.
Jahr Bevölkerung Werth der Einfuhren in Pfund Sterling.
Schlachtvieh Getreide Verschiedenes Summe pro Kopf d. Bevölkrg.
Pfd. Eh. P.
1858 28,389,770 1,390,063 20,164,811 4,343,592 25,898,471 — 18 3
1859 28,590,224 1,634,766 18,044,203 4,680,629 24,359,598 — 17 —
1860 28,778,411 2,117,860 31,676,353 8,076,304 41,870,517 1 9 1
1861 28,974,362 2,211,969 34,922,095 9,151,078 46,285,142 1 11 11
1862 29,255,015 1,888,236 37,744,148 10,630,734 50,293,118 1 14 5
1863 29,433,918 2,655,072 25,956,520 10,841,324 39,452,916 1 6 10
1864 29,623,578 4,275,322 19,882,181 12,157,010 39,314,513 1 4 6
1865 29,861,908 6,548,413 20,725,483 12,667,838 39,941,734 1 6 9
1866 30,076,812 5,839,058 . 30,049,655 13,483,715 39,372,428 1 12 10
1867 30,334,999 4,148,382 41,368,349 12,489,331 58,006,062 1 18 3
1868 30,617,718 2,698,496 39,432,624 13,277,683 55,408,803 1 16 2
1869 30,913,513 5,299,087 37,351,089 15,189,933 57,840,109 1 17 5
1870 31,205,444 4,654,905 34,170,221 14,773,712 53,598,838 1 14 4
1871 31,513,442 5,663,150 42,691,464 16,593,668 64,948,282 2 1 3
1872 31,538,757 4,394,850 51,228,816 18,604,273 74,227,939 2 6 8
1873 32,124,598 5,418,584 51,737,811 23,854,967 81,011,362 2 10 5
1874 32,426,369 5,265,041 51,070,202 25,224,958 81,560,201 2 10 4
1875 32,749,167 7,326,288 53,086,691 25,880,806 86,293,785 2 12 8
1876 33,093,439 7,260,119 51,812,438 29,851,647 88,924,204 2 13 9
1877 33,444,419 6,012,564 63,536,822 30,144,013 99,692,899 2 19 7
— In Marseille kamen 1876 an 8746 Schiffe mit
2 645 000 M.-Tonnen und gingen ab 8654 Schiffe mit
2 590 000 Tonneu. Haupteinfuhrartikel zur See sind:
Getreide (mit durchschnittlich 1 bis 2 Mill. M.-T.), Oel-
sameu (220 000 T.), Rohrzucker (80 000 T.), Kaffee
(20 000 T.), lebendes Vieh (300 000 Häupter).
Frankreichs Handel mit den Colonien und dem Aus-
laud hat 1867 bis 1876 einen jährlichen Durchschnittsumsatz
von 8464 Mill. Francs gehabt; 1857 bis 1866 betrug
derselbe jährlich durchschnittlich 6280, 1837 bis 1846 3175,
1827 bis 1836 1366 Mill. Francs.
— Für Einfuhr und Ausfuhr der Insel Cypern theilt
ein in Aegypten ansässiger leitender Kaufmann der „Times"
folgende Zahlen mit:
Ausfuhren Bestimmung vorzüglich Werth in Pf. St.
Getreide England, Frankreich, n0000
Oesterreich
Baumwolle Frankreich, Oesterreich 20 000
Weine Aegypten, Oesterreich 50 000
Salz Türkei 11000
Seide und Cocons Frankreich 10 000
Häute, Wolle, Hadern und Kleinigkeiten: Unbestimmbar.
254
Notizen zur Handels- und Verkehrs-Geographie.
Einfuhren Herkunft Werth in Pf. St.
Baumwollwaaren
fe'bei- O°st.r«ich, Griech...-
tand
Tabak Griechenland, Aegypten 16 700
Ferner giebt derselbe als mittlere Löhne der Feldarbeiter
5 Piaster für männliche, 3 für weibliche mit Ernährung,
als Zins für an Landbesitzer ausgeliehenes Geld 12 bis
20 Proc. an, wobei aber zn dem letztern zu bemerken, daß
der Schuldner das Darlehen in Papiergeld von etwa 55 Proc.
Werth erhält und sich dagegen zur Rückzahlung in Baargeld
verpflichtet. Bei Landpachtnngen geht y2 des Productes
au den Eigenthümer für Pacht und 7io an die Regierung
für Steuer.
— Der Bericht des britischen Acting-Consul Freeman in
Bosna-Serai über die w i rt h s ch aftl i ch e L ag e v o n V o s n i en
im Jahre 1877 bezeichnet die türkische Schätzung des Steuer-
ertrages für dieses Jahr mit 52 Mill. Piaster (circa 7,6
Millionen Mark) für übertrieben, vorzüglich wegen der Un-
möglichkeit, den Zehnten und die Militärsteuer in allen Thei-
len der Provinz einzusammeln, aber trotz eines erheblichen
Deficits feien die Einkünfte noch hinreichend zur Bestreitung
der Verwaltung und zur Erhaltung einer starken Militär-
macht, und unter einer festen Regierung werde Bosnien nicht
allein seine eigenen Kosten aufbringen, sondern sogar Ueber-
schüsse liefern. In erster Linie standen unter den Ausfuhren
des vorigen Jahres, wie immer, die Erzeugnisse der Vieh-
zncht. Die Pferdezucht, welche früher besonders in kleinen
Gebirgspferden Hervorragendes leistete, ist durch den über-
mäßigen Pferdebedarf in Folge des Krieges zurückgegangen.
Eine Hauptförderung derselben, die Einfuhr guter arabischer
Pferde durch die Paschas und andere wohlhabende Türken,
dürfte in Zukunft wegfallen. Die Ausfuhr von Hornvieh
und Schweinen nach Dalmatien, von Häuten, vorzüglich
Schaf- und Ziegenhäuten, nach Wien und Pesth, war nicht
unbedeutend. Die Ausfuhr von Fellen wilder Thiere er-
reichte wegen des Aufstandes und des milden Winters nicht
den Durchschnitt, als welchen man in den letzten Jahren
25 000 Hasen, 10 000 Füchse, 9000 Marder, 3500 Dachse,
3000 Iltisse, 1000 Eichhörnchen und 800 Wölfe annahm.
Die Erzeugung von Wolle kann auf 250 Tonnen geschätzt
werden, wovon der größte Theil nach Oesterreich geht. Von
bosnischen Jndnstrieproducten erfreuten sich nur Hufeisen
und Nägel, die direct in den Eisenwerken verfertigt werden,
starker Nachfrage von Seiten der Kriegführenden und wnr-
den in erheblicher Menge ausgeführt; die übrigen Gewerbe
arbeiteten fast ausschließlich nur für den sehr gesunkenen
innern Bedarf.
Der Bericht des britischen Consüls Churchill schildert die
Lage der Bevölkerung von Ghilan (im Jahr 1877) erheb-
lich verschieden von den landläufigen Beschreibungen persischer
Provinzialzustände. Er bezeichnet es als unrichtig, daß die
Perser, wenigstens in diesem Theil des Reiches, in so hohem
Grade von ihren Herrschern unterdrückt seien, daß sie un-
fähig würden, sich über ein niedriges, barbarisches Lebens-
nivean zu erheben. Elementare Bildung sei in dem Maße
verbreitet, daß fast jedes Kind, Knabe wie Mädchen, zur
Schule gesandt werde, wo es lesen und schreiben lerne; dabei
sei ihre natürliche Intelligenz eine sehr bedeutende, so daß
sie in jungen Jahren mit Europäern ähnlichen Standes den
Vergleich aushalten. Vorzüglich ihre Nachahmungsfähigkeit
ist hervorragend und sie sind im Stande, irgend ein Prodnct
europäischer Werkstätten, das ihnen vorgelegt wird, nach-
zuahmen. Dabei besteht freilich eine große Ursache von
Rückständigkeit noch heute wie seit Jahrhunderten unverändert
fort, nämlich die Schwierigkeit, sich aus Büchern über die
neueren Fortschritte und Veränderungen der Welt und des
Wissens zu unterrichten. Es giebt fast nur geschriebene
Bücher, deren Zahl im Ganzen gering ist und deren Inhalt
durchschnittlich um ein halbes Jahrtausend hinter dem zurück-
steht, was selbst unsere elementaren Bücher verkünden.— Die
Lage der Ackerbauer ist im Ganzen keine schlechte, der Boden
ist fruchtbar und die Pachtverhältnisse günstig. Der Pächter
erhält in der Regel die Hälfte oder ein Drittel des Products.
Weideland steht seinem Vieh umsonst offen. Die Wälder
sind bis zu solchem Grad allgemeines Eigenthum, daß sogar
die Herstellung von Holzkohlen jedem freisteht. Die Haupt-
nahruug ist Reis, der in Masse gewonnen wird uud billig
ist. Der Preis des Hammelfleisches ist ungefähr 25, der
des Ochfeufleifches 12 Psg. per Pfund. Die Kleidung
besteht aus Wollengeweben, welche die Landlente selbst an-
fertigen. Das Leben der Landbauer ist im Ganzen nüchtern.
In vielen Theilen von Indien werden 40 Mark als durch-
fchnittliches Jahreseinkommen eines Bauern angegeben, in
Ghilan kann man 100 bis 180 rechnen. Die Steuern
sind nicht wie in der Türkei verpachtet und der Steuererheber
wagt in der Regel nicht, mehr als 10 bis 20 Proc. auf-
zuschlagen. Die öffentliche Sicherheit ist in Ghilan im
Ganzen größer als in den meisten anderen Theilen des Rei-
ches, selbst Diebstähle sind nicht häusig. Zum Theil mag
dies darin beruhen, daß die Bevölkerung dieser Provinz, so-
weit sie landbewohnend ist, sich durch ihren Muth auszeichnet.
Faustkämpfe und Jagd find ihre beliebtesten Unterhaltungen,
während die Städter allerdings wie im übrigen Persien
durch ihre Indolenz und Furchtsamkeit sich auszuzeichnen
scheinen.
— Aus Shanghai, 6. Juli, wird der „Times" über
das Überhandnehmen der Einfuhr amerikanischer Baum-
wollenwaaren geklagt, das man in erster Linie auf die Ver-
fälfchuug (übermäßige Appretur) der Lancashire-Waareu,
welche vollkommen Regel geworden zn sein scheint, außerdem
aber auch auf die Ueberproductiou in den Vereinigten Staaten
zurückführt, welche zur Ausfuhr um jeden Preis dränge.
Die amerikanische Einfuhr von Baumwollengeweben hat sich
von 1870 bis 1877 von 3765 auf 36 673 Ballen gehoben,
während die englische in denselben Waarengattungen zurück-
gegangen ist. Die Einfuhr nach Shanghai ist aber über-
Haupt im Rückgang, denn nur Opium zeigte im verflossenen
Jahr eine leichte Steigerung, während die gesammten Zoll-
einnahmen von 3 465 000 Taels (zu 6 Mk. 40 Psg.) in
1876 auf 3 269 000 in 1877 zurückgingen. Es ist jeden-
falls eine bemerkenswert^ Thatsache, daß von englischer Seite
selbst die Schädigung voll zugegeben wird, welche der eng-
tische Handel durch die schlechten Praktiken der Fabrikanten
erfährt, und daß es gerade die Nordamerikaner sind, welche
durch größere Solidität ihre cisatlantischen Vettern aus dem
Felde schlagen, ist ebenso neu als interessant.
* *
—^ Die Thatsache, daß Autoritäten in chinesischen Din-
gen, wie Sir Th. Wade, der jetzige, und Sir R. Alcock, der
frühere britische Gesandte, in Peking sich mit an die Spitze
des Comitss für Schaffung eines großen Verkehrsweges von
Calcntta durch Affam (über Sudiya) und Jünnan
Aus allen
nach dem Uang-tze-kiang gestellt haben, scheint dieser
Unternehmung in den Augen des urteilsfähigen Publicums
in keiner Richtung größere Aussicht zu eröffnen als sie nach
der Natur der Sache haben kann. Assam selbst ist noch
wirtschaftlich zu wenig bedeutend, als daß die Regierung
sich mit der Garantie einer Brahmapntrathal-Bahn im gegen-
wiirtigen Augenblick belasten möchte (sie hat schon früher den
Bau oder die Unterstützung einer projectirten Linie von der
nordbengalischen Linienach Dibrngpnr abgelehnt); der geltend
gemachte Vortheil des directen Bezuges chinesischer Kulis
aus Jünnan für die assamesischen Theepflanznngen kommt
bei der Entvölkerung dieser nach 20jährigem im bekannten
chinesischen Stile betriebenen Aufstande erst seit 1874 paci-
sicirten Provinz noch gar nicht in Betracht (Consnl C. Baber
schätzte ihre Bevölkerung in einem voriges Jahr veröffent-
lichten Bericht nur aus 1 Million), und an den Nachwehen
dieses Aufstandes kranken Industrie uud Handel der allem
Anschein nach von der Natur allerdings sehr reich begabten
Provinz^).
i) Rutherford Alcock verwahrt sich in einer Zuschrift an die
„Times" gegen die Annahme, daß das Comits für die Ent-
Wickelung neuer Verkehrswege in Assam, dem er sammt Sir
Thomas Wade und Anderen angehört, den „wilden" Plan hege,
einen Verkehrsweg zwischen Indien und China via Assam zu
schassen und zwar zunächst zu dem Zwecke, den Theeplantagen
von Assam chinesische Kulis aus Jünnan zuzuführen. Der
Hauptzweck dieses Comitss sei vielmehr, die indische Regierung
zur Verbesserung der Verbindung zwischen Assam und Calcutta
zu veranlassen und zwar vorzüglich durch Entwickelung der
Dampsschiffsahrt auf dem Brahmaputra und der Anlegung einer
Zweigbahn von der Northern Bengal R. R. zu irgend einem
Punkt am Flusse, wo dadurch eine Hauptlinie des indischen
Erdtheilen. 255
— Die Straßen Jünnans schildert Consnl Baber
in dem erwähnten Berichte folgendermaßen: „Die Straße
von Jünnan-fu nach Teng-Yüeh ist die denkbar schlechteste
mit dein geringst möglichen Verkehr. Sie ist wirklich ge-
fährlich auch für einen vorsichtigen Fußgänger, nicht zwar
wegen der steilen An- und Abstiege, die er beständig zu über-
winden hat, auch nicht in Folge der Abgründe, die ihm ent-
gegengähnen, sondern wegen der Beschaffenheit des Weges
selber. Dieser ist nach chinesischer Art durchaus gepflastert,
indem rohe Blöcke ziemlich lose neben einander gelegt sind,
„gut für 10 und schlecht für 10 000 Jahre", wie das chine-
fische Sprichwort sagt. In diesen Berggegenden wird ein
solcher Weg nie ausgebessert; es bedienen sich hingegen die
Anwohner seiner Steine, um Löcher in ihren Mauern zn
stopfen oder zum Bau von Einfassungen um ihre Felder;
auch stürzen wohl ganze Abschnitte des Pflasters die Abgründe
hinab. Für den Reisenden ist es immer ein erfreulicher
Moment, wenn er eine nngepflasterte sandige Strecke erreicht,
wo er sein Ange zu etwas Bessern: gebrauchen kann als zur
Erspähung desjenigen Steines, der am wenigsten geeignet
ist, ihm den Hals zu breche»."
Eisenbahnnetzes mit der natürlichen Verkehrsader von Assam in
Verbindung gesetzt werde. Eine Dampferlinie zwischen Dibsu-
gahr und irgend einem Punkte in der Nähe von Dhubsi sei im
Begriffe, eingerichtet zu werden, und in Verbindung damit hege
man den Plan, eine Zweigbahn von Rungpur nach Dhubsi zu
bauen. An einen Verkehrsweg nach China könne man bei deni
gegenwärtigen entvölkerten und verarmten Zustand der zunächst
in Betracht kommenden Provinz, Jünnans, und bei den gerin-
gen Kenntnissen, die wir von dem Lande zwischen Assam und
Jünnan haben, heute noch nicht denken.
Aus allen
Europa.
— Die eben ausgegebenen „Mittheilnngen des Vereins
für Erdkunde zu Halle a. S. 1878" enthalten außer Vereins-
Nachrichten (Zahl der Mitglieder 146; Berichte über 10 Sitzun-
gen und Verzeichniß von 120 gelehrten Gesellschaften, Ver-
einen k. , mit welchen Schriftentausch stattfindet) an wissen-
schaftlichen Abhandlungen Folgendes: Heinrich Fritsch,
Das Racenbecken und seine Messung; Karl von Fritsch,
Reisebilder aus Maroeco; Emil Jung, Am Eooper Ereek,
und A. Pissis, Bericht über die Wüste Atacama.
— Ferdinand Löwl, Aus dem Zillerthaler Hoch-
gebirge (Gera 1878. Preis 5 Mark), beschreibt eiue Reihe
von Hochgebirgstonren zu Nutz und Frommen anderer Be-
sucher eines der schönsten Theile Tyrols, und diesem Zweck
zu Liebe sind oft recht eingehende topographiche Schilderungen
tingeflochten, welche den gewöhnlichen Leser ermüden. Die
Tendenz des Buches spricht sich in folgender Stelle aus
(S. 372): „Es giebt keine anregendere körperliche Uebnng als
die Ueberkletternng eines schmalen, wild zerrissenen Felsgrats.
Man kann sich da so recht austoben, jeder Muskel, jeder
Nerv wird gespannt, das Auge strengt sich an, vor jedem
Sprunge die Distanz bis auf eine Linie genau auszumessen,
um jeden Fehltritt zu verhindern. Bald kommt eine scharfe
Kante, über die man schwindelfreien Hauptes hiuwegbalau-
ciren muß, bald eine schräg geneigte Platte, deren Ueber-
schreitung einen sichern, festen Tritt erfordert, endlich ein zer-
sägtes Geschröfe, durch das man sich mit Hülfe des Bergstocks
oder mit Händen und Füßen nach Anhaltspunkten suchend
hinaufarbeitet. Fürwahr, wer die Freude an dem Kampfe >
Erdtheilen.
mit den Schrecken und Gefahren der Hochgebirgsnatnr kin-
disch und lächerlich findet, der arme Mann hat nie empfnn-
den, was es heißt, im Vollgennsse physischer Kraft und über-
schäumender Jngendlnst zu schwelgen und die Hindernisse,
welche die starre, todte Materie dem Andringenden entgegen-
setzt, im Sturm zu überwinden, der kennt den dunkeln Drang,
die geheimnißvolle Sehnsucht nicht, die uns hinaufzieht zu
den stolzen Höhen, die uns anspornt, den finsteren Bergriesen,
die so unnahbar, so selbstbewußt und verächtlich ins Thal
herniederschauen, den Fuß auf den Nacken zu setzen und den
Tribut einer unermeßlichen Rundschau von den Besiegten zu
fordern!" Angehängt ist eine kritische Besprechung der Lite-
ratnr über das Zillerthaler Hochgebirge.
— Die „Times" verzeichnen ohne Quellenangabe eine
Nachricht, welche die Träumereien gewisser Archäologen in
bestem Lichte erscheinen läßt. Bei Michalkow in Galizien
fand eine Bäuerin beim Arbeiten ans dem Felde einen aus
100 000 Gulden Werth geschätzten Goldschatz, bestehend aus
Bechern, einem Stabe, Broschen mit Drachenköpfen und einer
Krone. Nach genauer Prüfung des Stils, der Ornamente
und der einschlägigen Stellen der griechischen Autoren sind
die Lemberger „Autoritäten" zu dem überzeugenden Schlüsse
gekommen, daß der Schatz die Kroniusignien des Perserkönigs
Cyrns (!) sei, welcher um 529 v. Chr. auf seinem Feldzuge
gegen die Massageten umkam.
— L. Angesichts der allseitigen Beachtung, welche die
Bodenveränderungen in nnserm Nachbarstaate Holland,
namentlich die Austrocknung des Hartem er Meeres und
des Y gefunden haben, muß es billig auffallen, daß die glei-
chen Bestrebungen in einem andern Nachbarstaate Deutsch-
256
Aus allen Erdtheilen.
lands, und zwar in Dänemark, wenige kleine Zeituugs-
notizen abgerechnet, bis jetzt so ziemlich unbemerkt geblieben
sind. Vielleicht ist auch das Fehlen einer topographischen
Specialkarte über den größten Theil von Jütlaud mit daran
Schuld, daß die Keuntniß dieser Veränderungen nicht schon
in weitere Kreise gedrungen ist, da die Schöpfer der betreffen-
den Arbeiten bisher in Wort und Schrift sich nur in laud-
wirtschaftlichen Kreisen vernehmen ließen. Und doch sind
diese Arbeiten in ihrer Mannigfaltigkeit ganz geeignet, die
Aufmerksamkeit nicht nur des Finanzmannes und National-
ökonomen, sondern auch die der Geographen und Karto-
graphen in hohem Maße zu fesseln.
Begnügen wir uns zunächst an der Hand des neuesten
bis 1377 revidirten Blattes der Karte von Dänemark im
Stieler'schen Handatlas uns den Umfang der Veränderungen
zu vergegenwärtigen, welche der wirtschaftliche Aufschwung
des letzten Jahrzehnts in diesem Lande herbeigeführt hat.
In Jütland ist auf der östlich der Linie Aarhnns-Ran-
ders vorspringenden Halbinsel der Kolind-Snnd jetzt ein
fruchtbares Wiesenland, umschlossen von zwei Armen des
Kolind-Baches, welche, durch Dämme vou den Wiesen ge-
trennt, längs des Nord- und Südufers des frühern Sees
sich hinziehen und eine halbe Stunde vor der Stadt Grenaa
sich zur Greuda wieder vereinigen. Weiter westlich, nahe bei
Skive an einem der südlichen Ausläufer des Liimfjord, ist
der Taftum-See jetzt ebenfalls trocken gelegt und so frncht-
bar, daß die Hectare Wiesenland schon mit 200 bis 300 dä-
nischen Kronen (ei 1,12 Mark) verpachtet wird. Ein kleiner
Graben führt die früher in den See mündenden Bäche zu
dem alten Ausfluß in den Liimfjord, während ein neuer
Canal die in dem frühern See durch Regen und Berieselung
sich sammelnden Gewässer ebendahin leitet. An dem dicht
dabei gelegenen Flynder-See sind allerdings seit 1874 die
Entwässerungsarbeiten aufgegeben und der See steht wieder
voll Wasser. Weiter nördlich, ebenfalls nahe dem Liimfjord,
ist der Vilsted-See durch Anlage eines Mühlgrabens auf
ein Viertel seines frühern Umfanges zurückgeführt und der
trockene Boden in Ackerland und Wiesen verwandelt; ein
Aufwand von 100 000 Kronen wird noch erforderlich sein,
um die Trockenlegung ganz zu vollenden. An der Nordseite
des Liimfjord selbst ist die Insel Gjöl allerdings nur durch
zwei Dämme, deren Richtung zwei auf der Stieler'schen
Karte erkennbare Inseln kennzeichnen, mit dem nördlich lie-
genden Festlande verbunden. Weiter westlich ist der Meer-
theil, welcher östlich der Halbinsel Hannä weit nach Norden
vorspringt, die Bygholm Veile, durch einen Damm vom
Liimfjord getrennt und wird in seinem größern südlichen
Theile im Jahre 1879 zur Cultur eingerichtet, der nördliche,
durch einen zweiten Damm von dem südlichen getrennt, sieht
seiner Anstrocknnng uoch entgegen. Für den Meertheil west-
lich Hannä, die Veslös-Veile, wird zunächst der Bau
eines Sperrdammes am südlichsten Ende dieses Busens im
Jahre 1879 beginnen. Weiter westlich, nahe dem Orte Thisted
am Liimfjord, ist der Sjörring-See und dicht dabei der
kleinere Sjör ring-See völlig trocken gelegt; auf dem Acker-
boden des ersten: liegen die umfangreichen Gehöfte von Ros-
vang und Eggebaeksande. Der nördlich der Verbindung zwi-
schen Liimfjord und Nordsee dicht an den Dünen gele-
gene Flad-See, dessen östlicher Theil der Oernm-See
heißt, liegt trocken, der Zufluß ist in einem breiten Canal
um das Südost- und Südufer des Sees herumgeführt. Auf
der vom Liimfjord umflossenen Halbinsel Thyholm sind eben-
falls kleinere Trockenlegungen erfolgt und auf der Insel Mors
ist der See in dem nordöstlichen Theile nicht mehr vor-
Händen.
Längs der Westküste der jütischen Halbinsel endlich sind
folgende Veränderungen zu verzeichnen: An Stelle der ver-
sandeten Agger-Minde ist imThyborön-Canal etwas süd-
lich davon ein neuer breiterer Durchbruch getreten, durch wel-
chen die Fluth der Nordsee sich bis Aalborg hin fühlbar
macht. Im Nissumfjord ist die Thorsminde durch einen
Damm geschlossen, dicht nördlich davon vermittelt eine zehn-
thorige Schleuse deu uöthigen Wasserabfluß aus dem Fjord,
der sich bereits ganz in einen Süßwassersee verwandelt hat.
Der südliche Theil des Fjord, durch einen sieben dänische
Meilen langen Damm allseitig eingeschlossen, jetztFeldsleg-
Kog geheißen, zeigt theils fruchtbare Wiesen, theils wird er
für Ackerbau eingerichtet, und die weitere Anstrocknnng des
ganzen Fjord geht nach Beendigung langjähriger Processe jetzt
rascher ihrer Verwirklichung entgegen. Weiter südlich ist der
Stadil-Fjord ebenfalls fruchtbares Wiesen- und Ackerland
geworden mit einigen kleineren Seen in der Mitte, und die
Insel, welche ihn vom Ringkjöbing-Fjord trennt, steht ans
der Westseite ganz mit dem Festlande in Verbindung.
Schließlich ist auch der Fiil-See, deu die dänische General-
stabskarte bereits in seiner neuen Gestalt zur Darstellung
bringt, durch Tieferlegen des Ausflusses in die Nordsee auf
kaum ein Drittheil des frühern Umfangs zurückgeführt, eine
weitere Vertiefung wird ihn bis auf ein kleines Flußbett
völlig trocken legen lassen, aber auch schon der jetzt gewon-
nene Seeboden liefert einen überreichen Ernteertrag.
Den oben angeführten Arbeiten treten nicht weniger
umfangreiche auf den Inseln, namentlich auf Seeland (Lamme-
fjord) und Falster (Böto-See) zur Seite, aber auch die zahl-
reichen kleineren Anlagen zur Berieselung (namentlich längs
der Karnp-Aa in Jütland) und zur Bewaldung der Haiden
und Dünen tragen dazu bei, dem dänischen Boden ein mehr
und mehr verändertes Ansehen zu geben.
— Auf der Versammlung der französischen geogra-
phischen Gesellschaften (s. oben S. 110) wurde unter
Anderm beschlossen, daß jedes Mitglied einer der verschiedenen
französischen und algerischen Gesellschaften zu den Sitzungen
der anderen Zutritt haben sollte. An die fremden Vereine
soll dasselbe Ersuchen gerichtet und womöglich eine Mitglieds-
karte einer universellen geographischen Gesellschaft eingeführt
werden.
— Der berühmte französische Geograph Elisse Rselus,
welcher wegen seiner Theilnahme am Commune-Ansstande zur
Transportation verurtheilt und sodann zum Exile begnadigt
worden war, hat durch ein Decret des Präsidenten der Re-
publik nuläugst die Erlaubniß zur Rückkehr nach Paris er-
halten.
Afrika.
^ Am 21. September hatten wir die Freude, den von
langjährigen Reisen im Süden und zuletzt in Centralafrika
nach seiner nordischen Heimath, St. Petersburg, heimkehren-
den Herrn Dr. Junker in Berlin begrüßen zu können.
Bekanntlich sind eine Anzahl vorläufiger Mittheilnngen von
ihm in Petermann's Geographischen Mittheilnngen und der
Zeitschrift der Berliner Gesellschaft für Erdkunde abgedruckt
worden. Die letzte seiner Reisen im Gebiete westlich vom
Nil, über welche noch nichts Näheres verlautet ist, führte
ihn im Gefolge einer von Regiernngs wegen unternommenen
Ghazia noch um etwa einen halben Breitengrad südlicher in
das Monbnttu-Land hinein, als seiner Zeit Schweinsnrth
vorzudringen vermochte. Sorgsam geführte Tagebücher und
Rontenanfnahmen werden den in seiner Gesundheit auschei-
nend ungeschwächten Reisenden befähigen, unserer Kenntniß
jener Gebiete einen bedeutenden Zuwachs zuzuführen und
die Karten erheblich zu verbessern.
Inhalt: Edouard Andres Reisen im nordwestlichen Südamerika 1875 bis 1876. IV. (Mit fünf Abbildungen.) [Fort-
setznng in einer späten: Nummer.^ — Dr. Carl Sachs' Reise in Venezuela. I. — Notizen zur Handels- und Verkehrs-
Geographie. I. — Aus allen Erdtheilen: Europa. — Afrika. — (Schluß der Redactiou 23. September 1878.)
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Verlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
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MM MMlöer. m
Band XXXIV.
AL
JS17.
Mit besonderer Berücksichtigung cker AntKroxologie unck Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
STxrrtitrr frhvnotn Jährlich 2 Bände k 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten i o wo
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Skizzen aus Süd-Rußland.
(Nach dem Französischen des Herrn F. de Mely.)
Auf einer Tarantasse legte Herr von Msly die 80 Kilo-
meter von Sebastopol bis Jalta zurück. Bis an das Thor
von Baidar ist der Weg sehr malerisch; plötzlich biegt der-
selbe kurz um, führt unter einem monumentalen Thore hin-
durch und — tief unter sich erblickt man das Meer und die
Straße, welche in langen Windungen zur Küste hinabsteigt.
Mit unglaublicher Kühnheit ist sie in die Felsen gegraben;
bald läuft sie am jähen AbHange hin, bald durch Tunnels
hindurch, dann wieder verschwindet sie den Blicken, um einige
hundert Meter tiefer wieder zu erscheinen. Weit und breit
findet man nichts Aehnliches, als die georgische Kunststraße,
nur daß sich der rauhe Charakter dieser Gegend nicht mit
dem Reize der Südküste der Krim vergleichen läßt. In
Georgien staunt man über die dunkeln gewaltigen Felsen,
während in der Krim eine üppige und entzückende Flora die
riesige Felswand mit ihrem Grün überzieht. Wie geschaffen
erscheint der Absturz, um in diesem reizenden Winkel Ruß-
lands die ganze Kraft wohlthätiger Sonnenstrahlen wirken
zu lassen.
Zur Rechten erblickt man am Meeresstrande das Schloß
Alupka, das Eigenthum des Fürsten Woronzow, dann die
Lustschlösser der Kaiserin Livadia und Eriklik und zuletzt im
Hintergrunde einer entzückenden Meeresbucht Jalta, dessen
Berge damals noch mit Schnee bedeckt waren.
Eine gewichtige Empfehlung verschaffte dem Reisenden
als Führer für feine Ausslüge einen Tataren, der vollkommen
französisch sprach, Kasimow, welcher nach vielem Herumreisen
in Jalta eine Anstalt zur Bereitung von Kumys (gegohrene
Stutenmilch) für brustkranke Personen eröffnet hatte. Gleich
Globus XXXIV. Nr. 17.
ain nächsten Morgen nach seiner Ankunft ritt Mäly iu Ka-
simow's Gesellschaft anf unsäglich schlechten Pfaden dem
Innern zn.
Die an den Abhängen gebaute» Dörfer haben ein ganz
eigenthümliches Aussehen und gleichen denen in der persischen
Wüste sehr. Die über einander hervorragenden Häuser mit
ihren flachen Dächern stellen gleichsam die Stufen einer
Riesentreppe dar; von der im Grün der Bäume versteckten
Moschee sieht man meist nichts als das Minareh. Eva-
sili, das nur von armen Familien bewohnt ist, wird ohne
Aufenthalt pafsirt. Ein Gießbach nimmt weiterhin die ganze
Breite des Weges ein, auf welchem zwei Ochfen einen Schlit-
ten zu Thale schleifen. Auch ein führerloses, mit langen
Stangen beladenes Pferd begegnet ihnen; bleibt es mit seiner
Last an irgend einer Ecke eines Hauses hängen, so hält es
ruhig an, drängt rückwärts, wählt sich eine andere Richtung
und befreit sich so ohne alle fremde Hülfe aus seiner unan-
genehmen Lage.
Ein reicheres Dorf als Evasili ist Dereköi, wo M6ly
bei Kasimow's Bruder einkehrte. Auf der Veranda, welche
jedes Haus besitzt, saßen zwei junge Mädchen, die Töchter
des Wirths, und webten Schleier; als sie den Fremden er-
blickten, ergrissen sie schleunigst die Flucht, trotzdem daß ihr
vorurteilsfreierer Oheim sie zurückhalten wollte. Durch kein
Zureden ließen sie sich bewegen, wieder zum Vorschein zu
kommen, und das einzige, was Msly von ihnen noch zn sehen
bekam, waren ihre kleinen rothen mit Goldmünzen besetzten Fez.
Während sich Wirth und Gäste nun zum Essen nieder-
ließen, kam ein Tatar herangeritten, band sein Thier an
33
258
Skizzen aus Süd-Rußland.
einen Pfeiler des Balcons und setzte sich ohne Weiteres mit
an die Tafel, während der Hausherr sofort für sein Pferd
Hafer holte. Niemand kannte ihn oder hatte ihn jemals in
Dereköi gesehen; er kam von Aluschta, wohin er ging, sagte
er nicht; nach einer halben Stunde erhob er sich, dankte und
ritt davon. Das ist tatarische Gastfreundschaft, die keinem
verweigert wird.
Alle Frauen, alt und jung, färben sich wöchentlich ein-
mal Haare und Nägel roth — so schreibt es das religiöse
Gesetz vor, vielleicht um ihren Besitz weniger begehrenswerth
zu machen. Ihre Sittlichkeit ist übrigens tadellos; vergeht
sich einmal eine, so wird sie aus dem Dorfe gejagt. Da
sie nun anderswo nur unter sehr ernsten Formalitäten Aus-
nähme findet, so muß sie betteln gehen, und diese Aussicht
läßt sie uicht voiu Pfade der Tugend abweichen. Polygamie
wird immer seltener; in Dereköi haben nur zwei bis drei
Tataren mehrere Frauen und alle übrigen scheinen durchaus
nicht geneigt, sich einen Harem anzulegen.
In jedem Garten, vor jeder Thür steckt auf einem Pfahle
ein gebleichter Pferdeschädel, wie er sich ebenso bei den Ta-
taren des Kaukasus und sonst bei vielen Völkern auf Erden
vorfindet mit der Bestimmung, Haus und Hof zu schützen *).
Die Priester dieser Tataren studireu erst in Bachtscheserai,
dann in Simferopol; in jedem Dorfe findet sich einer,
der dreimal täglich die Gläubigen zum Gebete ruft. Meist
versammeln sich indessen nur die alten Leute, während die
jungen draußen aus dem Felde bei ihrer Arbeit bleiben. Be-
finden sich aber letztere während der Gebetsstunde in der
Jalta, von Massandra aus gesehen. (Nach einer Photographie.)
Nähe einer Quelle, so verrichten sie ihre Abwaschungen, knien
nieder, beten einige Augenblicke und gehen dann wieder an
ihre Arbeit.
Um sich einen eigenen Hausstand zu gründen, braucht
ein junger Mann 600 Rubel; hat er nicht so viel, so schießen
die Bewohner des betreffenden Dorfes das Fehlende zusammen.
Denn bei ihnen stehen alle für einen und Arme giebt es
nicht. Hat ein Mädchen beide Eltern verloren, so klopft sie
an eine Thür und setzt sich an den Herd; dort wird sie aus-
genommen und adoptirt, und wenn ihr Adoptivvater bei ihrer
Verheiratung nicht genug Mittel besitzt, um sie auszustatten,
so geht er im Dorfe umher und sagt: „Ich habe eine Toch-
ter zu verheirathen," und dann wird ihm niemand seinen
Geldbeitrag verweigern.
Da alle jungen Mädchen stets verschleiert gehen, so kann
ein Heirathslustiger nur verstohlener Weise seine Wahl tref-
sen. Wenn die Mädchen Abends bei einer Freundin zu-
sammenkommen, steigt er auf ein nahes Dach und wählt.
Durch Vermittelung einer alten Frau bringt er fein Anliegen
vor die Eltern; aber auch im günstigen Falle darf er seine
zukünftige Frau erst nach der Hochzeitsfeier sehen. Wehe
ihm, wenn seine Freunde ihn dabei antreffen, daß er als
Verlobter mit ihr zu sprechen wagt! Sie schlagen ihn braun
und blau uud ziehen ihm die Kleider vom Leibe, die er nur
gegen Erlegung von Buße wiedererhält. Indessen thnn auch
die Eltern der Braut, als könnten sie nicht sehen; und nur
S. Richard Andree, Ethnographische Parallelen und
Vergleiche S. 127. Schädelcultus.
Skizzen aus Süd-Rußland.
259
wenn der Bräutigam sich zu dumm benimmt, wird seine An-
Wesenheit bemerkt, und er muß sich schleunigst davonmachen.
Wenn der Hochzeitstag festgesetzt ist, erwählt der Schwieger-
Vater einen „Hochzeitsmeister", wozu er gewöhnlich den
reichsten unter den Freunden seines Schwiegersohnes nimmt;
denn diesem füllt es zu, bei allem der erste zu sein, das
schönste Geschenk zu machen und den Werth der Gaben,
welche die übrigen Eingeladenen dem jungen Paare darbrin-
gen, zu bestimmen. Bei solcher Sachlage wird die Ans-
richtnng einer Hochzeit, anstatt Kosten zn verursachen, ein
einträgliches Geschäft. M«zly lernte einen Tataren kennen,
der aus der einen Seite für ein solches Fest 1200 Rubel
ausgegeben, auf der andern Seite aber 3400 eingenommen
hatte.
Mannigfach sind die Ceremonien bei einer Hochzeit, wie
de Mely eine solche wenigstens zum Theile mit ansehen
konnte. Der Vater des Bräutigams, ein reicher Tatar,
hatte, als er vou der Anwesenheit des Fremden hörte, ihn
sofort dazu aufgefordert. Es ist hier Sitte, daß jeder dem
Zuge, welcher die Braut dem Manne zuführt, sich auf der
Straße entgegenstellen und die Passage verwehren kann, welche
die Ehrenjünglinge durch stets vorräthige Geschenke erkaufen
müssen. Der Zug bestand ans vier Wagen; in den drei
ersten saß das Ehrengeleit und die Eltern, im letzten nur
Mutter und Tochter, letztere ganz und gar in ein Stück Gold-
brokat von herkömmlicher Färbung gehüllt und anscheinend
in tiefstem Schmerze, wie es die Sitte will, auf die Mutter
sich lehnend. Ihre Freundinnen dagegen sind vom Zuge
Das Tatarcudorf Dereköi bei Jalta. (Nach einer Photographie.)
ausgeschlossen; auf den umliegenden Dächern hocken sie ver-
schleiert und schauen von dort dem Treiben zu. Voran schrei-
tet ein jnnges Mädchen mit einer Fahne. In dem Augen-
blicke, wo die Braut aus dem Wagen steigt, werfen ihr
Frauen vom Dache aus Weizen und Hirse auf das Haupt
als Zeichen der Fruchtbarkeit. Dauu betritt sie das Hans
unter den wild einfallenden Tönen der Musik, welche Tage
lang ununterbrochen dieselbe Melodie zum Besten giebt. Nun
sucht man den Bräutigam, der sich versteckt hat und eine
Viertelstunde hindurch gesucht werden muß. Endlich hat
man ihn gesunden, schleppt ihn unter Jnbelgeschrei vor die
Thür, setzt ihn aus einen Stnhl und dort zieht ein Barbier
Seife und Rasinnesser hervor und übt an ihm seinen Berus
aus. Dabei macht er so langsam, als sei er eigens bezahlt,
den Bräutigam schmachten zu lassen; alle Augenblicke schleift
er sein Messer oder hält seinem gelangweilten Opfer einen
Spiegel vor das Gesicht. Ist er endlich mit seiner Arbeit
fertig, so führen die Freunde den Bräutigam ins Haus, brin-
gen ihn ganz weiß gekleidet zurück und putzen ihn nun zum
Hanswurst heraus; der eine zieht ihm seine Schuhe an, der
andere seine Weste, der dritte seine Strümpfe und so fort
und der letzte häugt ihm einen Ueberrock um, dessen Taschen
mit allerlei Gegenständen, Schnupftüchern, Tabacksdofen,
Geschenken seiner Braut n. s. w., vollgestopft werden, lieber
die Hände deckt man ihm ein großes rothes Tnch und Abends
färbt man ihm Zeigefinger und Daumen der rechten Hand
roth. Dann begann der Tanz und das Herumreichen von
Getränken, während dessen M«ly sich entfernte.
33*
Orianda. (Nach einer Photographie.)
262 Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia- m
Jalta ist für Nußland, was Trouville für Frankreich;
durch den Schloßban des Fürsten Woronzow ist es in die
Mode gekommen, fo daß heutigen Tages von Baydar an bis
Ursuw eine ganze Reihe von Schlössern, Villen und Schweizer-
Häuschen den Meeresstrand bedeckt. Alle sind sie von dem
frischesten Grün umgeben; überall ziehen sich Weingärten an
den Gehäugen hinauf, deren Traubeu in der gegen Nord-
winde geschützten Lage vortrefflich gedeihen. Die Tempera-
tnr behagt dem Weinstocke dort so sehr, daß man sast am
Meeresnfer alle Gewächse des Bordelais antrifft. Die Ein-
förmigkeit dieser Felder voll Stöcke könnte man jedoch tadeln,
wenn sich nicht das helle Laub immergrüner Eichen, silbern
glänzende Oelbänme und dunkle Cypressen zwischen die
Erdbeerbäume und Eichen mischten und vergessen ließen, daß
gleich jenseits der schützenden Berge die trockene Steppe be-
ginnt, wo die Hammel nur dürstige Nahrung finden. Um
so ergreifender ist der Gegensatz, wenn man von den hohen
schneebedeckten Gipfeln herabsteigt und vor sich am Strande
die verschiedensten Gewächse, von der nordischen Fichte an
bis zu afrikanischen Palmen, findet. In dieser herrlichen
Oase sucht die vornehme Gesellschaft, das Kaiserpaar an der
Spitze, zur Badezeit Entschädigung für die rauhen Winter
am Ufer der Newa. Einige Tage genügen gar nicht, alle
Neize zu sehen; stets nene, freilich meist steile Spazierwege
öffnen sich, wo Pferd und Wagen selten von Nutzen sind.
So stürzt sich unweit Jalta iu großartiger Landschaft
ein Wasserfall 600 Meter hoch von den Felsen herab und
hat sich ein weites Becken in das Gestein gegraben, in welchem
es von Forellen wimmelt. Von dort aus überschaut man
den ganzen Meerbusen und Jalta im Vordergrunde. Dicht
dabei liegt, 1000 Meter über Livadia, das Lusthaus Eriklik
in den Bergen, wo die Kaiserin während der größten Hitze
verweilt. Die Wege, welche dorthin führen, sind vortrefflich
gehalten, aber sehr steil. Das Schloß selbst ist im Innern
wie im Aenßern sehr einfach; fein Hauptreiz ist seine stille
einsame Lage fern vom Lärmen der Städte.
Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze.
Was in Livadia stört, ist, daß man nur berganf oder
bergab steigend dorthin gelangen kann. Dem Strande pa-
rallel ziehen sich lange Alleen am Bergabhange über ein-
ander hin, welche durch schattige, aber sehr steile Pfade mit
einander in Verbindung stehen. Der zugehörige Park ist
sehr groß und umschließt eiu ganzes Dorf, wo sich eine Schnle
für die Kinder der Bediensteten, Casernen, Ställe mit Zu-
behör, Säle für Negimeutsmnsiker und ein Gebäude für die
kaiserlichen Adjutanten siudet. Das Schloß ist mit aus-
gesuchtem Geschmacke nach Angabe der Kaiserin selbst aus-
gestattet und uuterscheidet sich darin von allen seines Gleichen,
Sans-sonci ausgenommen. Im untern Stocke liegen die
Empfangszimmer, ein Arbeitscabinet, große und kleine Sa-
lons, darüber die sehr einfachen, aber mit herrlichen Ge-
mälden geschmückten Privatgemächer. So hängt über dem
Bette der Kaiserin ein Rafael und an den Wänden Bilder
des Russen Aiwasowski, welcher es verstanden hat, den Land-
schasten des Schwarzeu Meeres ihre unvergleichlichen Farben-
töne so trefflich abzulauschen. An der ganzen einen Seite
des Gebäudes zieht sich eiue lange, mit großem persischen
Mosaik getäfelte Veranda hin, welche die an den Trage-
Pfeilern sich emporwindenden Schlingpflanzen herrlich kühl
erhalten. Von dort oben hat man den Ausblick über das
Meer, die aukernden Schiffe und Jalta bis hin zum „Bären",
einem Felsen weit drinnen in der See.
Orianda bewohnt der Großfürst Nikolas, Sohn des
Großfürsten Konstantin. Es ist ein großes viereckiges Ge-
bände, eine mächtige Kaserne, welche einen innern mitPflan-
zen und einem Springbrunnen geschmückten Hof nmgiebt.
In Wahrheit ist dort weder Geschmack noch Comsort zu
finden, nur der Park am Meere ist reizend. Dort zeigt man
Höhlen im Gestein, welche einst Seeräubern zur Zufluchts«
stätte dienten. Interessantes ist dort sonst wenig zu sehen,
ausgenommen etwa eine Miniatnrdarstellnng vom ganzen
südlichen Rußland mit dem Schwarzen und Kaspischen Meere,
dem Kaukasus und Persien.
Die Garo-, Khassia- und Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze').
Von Emil Schlagintweit.
Das lange und schmale Thal des Brahmaputra trennt
das Gebirgssystem des Himalaya von jenem der hinterindi-
schen Halbinsel; ein Kranz von Bergen umsäumt Hufeisen-
förmig das Thal, verbindet den Himalaya mit den Gebirgen
Hinterindiens und bildet die Wasserscheide gegen das Fluß-
gebiet des Jrawadi. Der höchste dieser Gebirgszüge ist die
Barail- oder Saramethi-Kette. Gegen Süden im Staate
Manipnr und dem Gebiete der Lnschai setzt sich diese Kette
mit den in Südostrichtnng streichenden hinterindischen Ge-
birgszügen in Verbindung, nimmt selbst von 24° bis zu
72» nördl. Br. Nordwestrichtung an, und heißt von da
an Patkye- (Patkoi-) Gebirge; vou dem mächtigen Gebirgs-
knoten imLande der NamangNaga unter 95-"/4»östl.L.V.Gr.,
von welchem gegen Nordwest ein das Land der Naga von
jenem der Singpho abschließender Kamm ausgeht, eutseudet
dieses Gebirge eiue lange Kette gegen Osten und tritt mit-
telst dieser in Berührung mit den Gebirgen, welche östlich
der Beuge des Brahmaputra vom Himalaya zu deu Meri-
diangebirgeuHinterindiens herabziehen. Der wasserscheidende
Kamm bildet zugleich die politische Grenze zwischen dem eng-
tischen Kaiserreiche Indien und dem Königreiche Birma mit
seinen tributäreu Grenzländern. In der Barail-Kette rei-
chen die Gipfel bis über 3700 Meter empor; etwas niedri-
ger wird die Patkye-Gipfelreihe, in ihrem Ostkamme liegt
der gaugbarste Paßübergang nach Birma nur 661 Meter
hoch. Das Gestein dieser Ketten ist Sandstein; Granit tritt
jenseits der breiten Thalsenkung auf, in welchem der Dhan-
siri fließt, ein stattlicher Zufluß des Brahmaputra, der an
einem mächtigen Gebirgsknoten der Barrail-Kette unter
25° nördl. Br. entspringt, an dessen anderer Seite der Knl-
a) Hauptquelle für die hier geschilderten Gebirgsländer
sind die jährlichen Verwaltungsberichte (Annual Administration
Report) der Beamten für die Garo, Khassia und Dschaintya,
Naga-Hill-Districts (Calcutta, Foreign Department Press),
die ich, bis zuni Juni 1877 reichend, der Freigebigkeit der indi-
schen Regierung verdanke, auch sind E. T. Dal ton, Descrip-
tive Ethnology of Bengal (Calcutta 1872 mit prachtvollen
Abbildungen) und zahlreiche Notizen in indischen Zeitschriften
und Verwaltungsberichten benutzt.
Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia- tu
lung seinen Ansang nimmt, gleichfalls ein Zufluß des Brah-
maputra, der jedoch nordwestlich abfließt, während Dhansiri
fast genau Nordrichtung hat.
Südlich dieser beiden Flüsse biegt das Gebirge schroff
nach Westen um, der von diesem Gebirgsknoten gegen We-
sten gerichtete Kamm setzt an die Hauptachse sast rechtwinklig
an; die Kammlinie behält die Richtung von Ost nach West
bei und stürzt bei der Einbiegung des Brahmaputra in die
bengalische Ebene steil zur Niederuug ab. In dieser West-
lichen Hälfte ist die Höhe der Berge eine viel geringere; der
höchste Pnnkt, der Mopatberg in der Hügelreihe nordöstlich
von Tscherrapuudschi, ist 2040 Meter hoch.
Zahlreiche Ausläufer feukeu sich von den Ketten herab;
auf englischer Seite decken'die Gebirgszüge mit einer durch-
schnittlichen Breite von 80 Kilometern und einer Länge
von 800 Kilometern eine Fläche von 62,003 Quadratkilo-
meiern (1126 deutsche Quadratmeileu) nach den neuesten Be-
rechnnngen des indischen Vermessungsamtes und kommen hier-
an Ausdehnung ziemlich gleich den Ländern Tyrol, Kärnten
und Steiermark. Politisch wird dieses Gebirgsland nach
den Volksstämmen, denen es zum Aufenthalt dient, als Garo-,
Khassia-, Dfchaintya- und Naga-Gebiet unterschieden; erstere
drei Gebiete vertheilen sich auf die kleinere Hälfte westlich des
Kullung-Flnsses und umfassen rund 26 000 Quadratkilometer.
Landschaftlich hat das Land den Charakter einer lieblichen
Mittelgebirgslandschaft; die breiten Thäler sind fruchtbar,
Hochwald und schwer durchdringliches Niederholz bedecken bis
zur Spitze hinauf die Bergzüge, ihre Abhänge sind stellen-
weise zu Feldern für Reis, Mais und Baumwolle terrafsirt
und künstlich bewässert. Aus Hainen und Obstanlagen blicken
die niedrigen Holzhäuser der Dörser hervor, die meist über der
Thalsohle stehen, ja noch wenige Schritte unter den Bergkup-
Pen in Höhen zwischen 1500 bis 2000 Meter angetroffen wer-
den, und zum Schutze gegen Uebersälle durch räuberische Nach-
barstämme gern auf schwer zugänglichen Plateaux erbaut sind.
Hochalpine Gebirgsnatur ist dem Grenzgebirge eigen; dieses
hat sich durch seiue Uuwegsamkeit als Grenz- uud Schutzmauer
gegeu die Völker auf der birmanifchen Seite des Gebirgs-
abhanges bewährt; östlich vom Staate Manipnr bis zum
Passe über den Ostgrat des Patkoi-Gebirges findet sich auf
länger als zwei Breitengrade kein gangbarer Paßübergang.
Das Klima zeichnet sich durch außerordentlich große
Feuchtigkeit aus, insbesondere sind die vom Seewind der
Bay von Bengalen getroffenen Südabhänge mit wässerigen
Niederschlägen in einer Höhe bedacht, wie wenige andere
Binnengebirge der Erde und bewirkten in Tscherrapundschi
wie Samaguting das Aufgeben von Verwaltungssitzen der
englischen Behörden, obgleich auf Herstellung von Wohnuugs-
und Gerichtsgebäuden bereits große Summen verausgabt
waren. Auf der gegen Affam zugekehrten Seite nehmen die
Niederschläge ab, bewirken aber auch hier, daß die Bevölke-
rung sich aus den Thälern auf die Abhänge hinaufzieht.
Die durchschnittliche Regenmenge _ beträgt in den Garo-
Hügeln, dem westlichsten und niedrigsten Ausläufer des Ge-
birges in Tura, dem Hauptorte des Gebietes, in 600 in
Höhe 2997 mm, in den Khassia-Hügeln, dem Centrum der
nach West gerichteten Bergrücken in Tscherrapuudschi
(1257 m hoch), sogar 14 193 mm (und diese Regenmenge
kommt so gut wie ganz in der 3 bis 4 Monate dauernden
Regenzeit herab!), fällt in Schtllong nordöstlich davon
(1965 m hoch) bereits auf 2160 mm und erreicht in Sa-
magutiug in den Naga-Hügeln in 1500 m Höhe nur mehr
1258 mm. Das Jahrestemperaturmittel beträgt in Tscherra-
pundschi 16,9° C., Maxima sind im westlichen Gebirge
32« C. Unter den N a t n r P r o d n c t e n ist aus dem Pflanzen-
Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze. 263
reiche hervorzuheben das Vorkommen der wilden Theestaude
und die Bevölkerung der Wälder mit wilden Elephanten.
Die Bevölkerung ist eine höchst eigenartige; sie setzt
sich aus jenen Racen zusammen, die man bei den Euro-
päern in Indien, im Gegensatze zu deu Hindus und Mo-
hammedanern, als Aborigines bezeichnet, während neuere
amtliche Werke dafür richtiger den Namen „Gebirgsstämme"
einführten. Nur ein verhältnißmäßig sehr kleiner Theil der
Dörfer find direct englisches Gebiet; vom Reste steht ein
Theil unter englischem Schutz und ihre Fürsten lassen sich als
Vasallen beaufsichtigen; die Stämme im Nordosten erfreuen
sich auf einer Ausdehnung von 23 000 Quadratkilometer
sogar noch voller Unabhängigkeit. Der Versuch, die englischen
uud Vasallengebiete nach Zahl ihrer Einwohner aufnehmen
zu lassen, mußte 1372 aufgegeben werden, weil eine solche
Zählung eine gefährliche Aufregung zu verursachen drohte,
die mindestens das Leben der als Zähler wirkenden Personen
gefährden konnte. Durch Schätzungen ist die Zahl der Ein-
wohner erhoben auf 630 756 Personen, was auf den Qua-
dratkilometer 10, auf die deutsche Quadratmeile 572 Ein-
wohner ergiebt und was noch etwas niedriger ist, als die
Bevölkerung der uuwirthlicheren Thäler Tyrols (der Oetz-
thaler, Glocknergruppe :c. oder der Bezirkshauptmannschaften
Jmst und Zell am See). Im Einzelnen vertheilen sich
die Einwohner auf
120 000 Garo (davon 80 000 britische Unterthanen, der
Rest Vasallen),
92 750 Khassia (davon 8372 britische Unterthanen, der
Rest Vasallen),
49 088 Dschaintya (alle englische Unterthanen),
368 918 Naga (davon 14 Dörfer englisch und 68 918
unter Controle),
630 756 (davou rund 100 000 englische Unterthanen,
200 000 Vasallen, der Rest mit etwas über
300 000 noch außer Coutrole).
Die Garo
sitzeu bis Maimensing an der Südostbieguug des Brahma-
putra herab; sie siud hier in verhältnißmäßig dichten Massen
(12 000 sitzen jetzt allein in Maimensing) in die Ebene
herabgestiegen und sind dort als landwirtschaftliche Arbeiter
geschätzt. Die Berg-Garos spalte» sich in drei Gruppeu:
Nunya, Lyutea (wohl von Bengali, langta, nackt) uud Abeugya;
erstere sitzen den Khassia zunächst und verstehen ihre Sprache,
während die am Westraude sitzenden Garo mit ihren östlichen
Brüdern sich nicht verständigen können. Was Garo-Sprache
genannt wird, hat sehr viele Fremdworte aus den arischen
Sprachen am Fuß des Gebirges angenommen; P. I. Keith,
dem wir eine Grammatik und ein Wörterbuch des Garo
verdanken, findet in der Sprache Anklänge an das Sanskrit,
Robinson dagegen, ein anderer Forscher in dieser Sprachen-
gruppe, bringt sie zum Tibetischen in Beziehung, R. N. Cust
dagegen hält, und wohl mit Recht, Verwandtschaft mit dein
Katfchari für wahrscheinlicher, so daß die Garo am eng-
sten an die Stämme in der östlichen Ecke der südlich vorge-
lagerten Ebene sich anschließen. Die Garo am Räude des
Gebirges verstehen Bengali; das Garo hat keine Schrift.
Von Statur ist der Garo gedruugeu, von starkem Glieder-
bau; das Gesicht ist ruud, die Stirn steht nur wenig über
die kleinen aber dunklen Augen hervor; die Nase ist unge-
wöhulich platt, im Profil betrachtet liegt der Nasensattel
tiefer als die Augen; die Lippen sind dick uud stehen weit
vor, so daß der Gesichtsausdruck selbst bei jungen Leuten
wenig Anziehendes hat. Die jungen Mädchen haben plumpe
264 Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia- u
aber volle Formen, die Frauen altern außerordentlich rasch,
noch mehr die Männer in Folge von Ueberanstrengung, ge-
schlechtlichen Ausschweifungen und häufigem Betrunkensein.
Vom Charakter läßt sich nur Gutes sagen; der Garo ist
gutmüthig, offen und ehrlich, ein Feind der Lüge — was
sich von den Bewohnern der Ebene nicht behaupten läßt —
und dem gegebenen Worte treu; sie sind sorgsame Hausväter
und bedacht aus das Wohl der Kinder, die Mädchen geben
anhängliche züchtige Frauen ab und haben den Ausschwei-
fungeu der Jugend entsagt. Der Anzug besteht bei beiden
Geschlechtern meist aus einem 30 bis 40 Centimeter breiten
Schurze von Banmwollenzeng, der oberhalb der Hüfte ge-
Knuden ist und die Schamtheile nur uothdürstig bedeckt;
Mädchen benehmen sich züchtig, wenn sie beim Sitzen oder
Knien die Füße an einander schließen. In der kalten Jahres-
zeit, dann mt höhern Alter, bedeckt man auch die Brust. Der
Kopf ist meist tnrbanartig mit Baumwollentüchern nmwnn-
den, vielfach ersetzt ein 10 bis 15 Centimeter breites rothes
Band die Tücher. Unter den Lyntea-Garos tragen die Mäd-
chen keinerlei Schmuck; sonst stecken sie schwere Messingringe
in die Ohren und behängen Hals und Brust mit vielen
Reihen vou rothen Perlen aus Kornelkirschen und dergleichen.
In der Nahrung sind sie gar nicht wählerisch: sie essen alle
Sorten Fleisch, wie Getreide, Früchte, Beeren u. s. w., nur
Milch genießen sie nicht. Beliebt ist eine Art Branntwein
aus Reis und Hirse destillirt.
Die Sitten sind unter Unverheirateten sehr frei, die
Geschlechter geben sich unbedenklich einander hin, wie sie sich
eben bei der Arbeit im Felde, in der Nachbarschaft und der-
gleichen treffen. Zur Ehe wühlt sich uicht der Jüugliug
das Mädchen — Frauenwahl gilt sogar als unehrenhaft —,
sondern das Mädchen giebt dem Manne ihren Heiraths-
Wunsch zu erkennen; dies geschieht in der Weise, daß sie ihm
ein Versteck verräth und den Weg dazn angiebt, ans welchem
der Mann zur bestimmten Zeit dahin gelangt. Dorthin
bringt die Braut etwas Lebensmittel; das junge Paar ver-
bringt dort einige Tage in Einsamkeit, zeigt sich dann den
Seinigen und nun erst beginnen Festlichkeiten und Schman-
sereien. Der zur Segenspende beigezogene Priester nimmt
ein Paar Tauben wie einen Hahn nnd eine Henne zusam-
men und führt mit einem Stock einen Schlag auf ihre Köpfe;
bleiben sie sofort tobt, so gilt dies als ein gutes Zeichen,
dagegen trauert man, wenn eines der Thiere noch fortfliegt.
Eigenthümlich ist dem Erbrecht, daß die Weiber und nicht die
Söhne Hans und Hof erben; die Wittwe setzt den Besitz
des Mannes fort und erhält vom Jüngling, den sich die
Tochter zum Manne heraussucht, in wirtschaftlichen Fragen
die Rechte seiner Frau eingeräumt. Die Kinder werden dem
Stamme der Mutter zugerechnet, nicht jenem des Vaters.
Sehr eigenthümlich ist, daß die Knaben, Jünglinge und ledi-
gen älteren Leute nicht in der Familie wohnen. Das elter-
liche Haus — ein 20 bis 24 m langes bei 8 bis 10 m
breites Gebäude aus Bambus erbaut — besteht aus einem
einzigen osfeueu Wohnräume; am hintern Ende find Zim-
merchen abgetheilt als Schlafzimmer für die Verheiratheten
und die Mädchen. Die männliche Jugend des Dorfes da-
gegen wohnt abgesondert im Dekatschang („Junggesellen-
Haus"), das ebenfalls aus einer großen Halle und Schlaf-
zellen besteht. Die Häuser der Fürsten sind von gleicher
Bauart, aber viel größer (30 m lang, 12 bis 15 m breit),
mit geschnitzten Tragsäulen und fortlaufenden Bänken aus
Bambus an den Seiten des Wohn- und zugleich Empfang-
ranmes, auf welchen die Besucher sitzen und Nachts sich hin-
legen. Viel Fleiß verwendet der Garo ans Brunnen; das
Wasser wird in Bambusröhren oft weit hergeleitet, nnd nn-
ter den mächtigen Strahl, den der Brunnen ausspeit, stellen
Naga-Völker au der iudisch-birmanischen Grenze.
sich Mädchen wie Knaben, legen ihr geringes Gewand ab
nnd nehmen ein erfrischendes Bad. Die Landwirthschaft ist
in der Kindheit; man säubert jährlich V3 Hectar vom Nieder-
holz und Unkraut, wobei mit einer Lambiri genannten Axt
die Hauptarbeit gethau wird; mit diesem Instrument macht
sich der Garo einen Zahnstocher, fällt Bäume, zieht der
Maus das Fell ab oder tobtet eilten Feiud, wie die Um-
stäude es gerade erfordern. Das gerodete Land dient für
drei Jahresernten; es wird mit der Haue umgerissen und in
der Reihenfolge Reis (Herbstreis), Baumwolle, in welche
Hirse eingesäet ist, und wieder Reis angebaut. Der Be-
darf au Hausgeräth und Erzeugnissen der Ebene wird auf
Jahrmärkten eingehandelt, auf denen die Einkäufe noch ohne
Geld im Wege des Tauschhandels bewirkt werden.
Die Religion ist offenbar den Verhältnissen angepaßt,
denn in ihrer Schöpfungsgeschichte ist selbst den Feringis,
den Fremden oder Engländern, ein Platz angewiesen, mit
denen sie doch erst seit einem Jahrhundert in Berührung
kamen. Der oberste der Götter ist Rischi Salgoug; er
wohnt im Himmel, verließ diesen aber einst mit seiner Gat-
tin Apongma und stieg zur Erde hernieder; sie ließen sich
in der Gegend von Tnra nieder, dem Hauptorte der Garo-
Berge, und erzeugten hier einen Sohn, welcher der Vater
wurde vom Feuer und aller Himmelsgestirne, dann eine
Tochter, welche zur Mutter der Menschheit wurde. Salgoug
und Apougma kehrten hierauf zum Himmel zurück. Die
Welt schus Nustu, die einem selbst erzeugten Ei entschlüpfte;
ihren Sitz nahm sie anfangs auf einer Wasserlilie, sand
diese Stellung aber nngemüthlich und ließ sich von Hiraman,
Herrn der Unterwelt, Erde darreichen, mit welcher sie für
sich und ihre Nachkommen einen Wohnplatz herrichtete. Das
Wasser aus ihrem Leibe erzeugte Ströme, es entstand darin ein
Krokodil. Aus dem nun befeuchteten Grunde sproßten Grä-
ser und Sträucher empor, der Hirsch war das erste Thier,
das die Dickichte bevölkerte; dann rief Nustu hervor Fische,
Frösche, Schlangen, Büffel, Gänse, schuf den Priester und
eine Tochter, welche nun den Priester ehelichte. Drei wei-
teren Töchtern wurden ihre Männer aus dem Himmel her-
beigeschafft, aus ihren Nachkommen bildeten sich drei Menschen-
racen: die Tibeter als oberstes Volk, die Garo und als
niederstes Volk die Feringi (!) an deren Stelle früher wahr-
fcheiulich die Judier, Bengali, genannt waren. Diese
Schöpfungsgeschichte bildet das Dogma des Garo. Die Gei-
ster Salgoug's wachen wie über Sonne, Mond und Sterne,
so über die Wälder, Flüsse und Häuser der Garo; man
opfert ihnen weiße Hahnen, Reis uud geistige Getränke,
während die Geister niedrigern Ranges sich mit Blumen be-
guügeu müssen. Tempel oder Bethäuser fehlen; dafür ist
vor jedem Garo-Hause ein Bambn eingerammt, der mit
Bändern und Blumen geschmückt ist und vor welchem man
seine Gaben niederlegt. Der Priester ist hierzu nicht nöthig,
wird aber in allen wichtigen Lebenslagen herbeigerufen.
Priester kann jeder werden; man wirft sich hierzu selbst auf
und erweist seine Begabung durch die Kenntniß des Mythen-
schatzes des Volkes an religiösen Überlieferungen und Geister-
erzählungen und der Opserceremonien. Das Amt vererbt
nicht; der Inhaber ist verheiratet, beackert das Feld und
zieht in den Krieg wie Andere. Bei wichtigen Ceremonien,
wie Segensprechnng an Neuvermählte, Beschwörung der
Geister für Kranke, steckt sich der Priester Sandalen an die
Füße und Pfauenfedern ins Haar, nnd hiermit ist die Amts-
tracht vollendet. Bei Beschwörungen von Geistern nimmt
der Priester unter dem Bambn, der zum Altar dient, Platz
und besingt den Geist in langathmigen Versen, während ein
Gehülfe das zum Opfer bestimmte Ziegenböckchen, Huhn und
dergleichen um den Bambnstock langsam herumführt. Ju-
Dr. Carl Sachs' Reise in Venezuela.
265
zwischen trägt oder zerrt man den Kranken neben den Prie-
ster; das Opferthier wird gewaschen, mit Salz bestreut und
ihm unversehens mit einem Hiebe der Kopf abgeschlagen.
Mit dem Blute beschmiert der Priester den Altar und die
Umstehenden.
Die Todten werden verbrannt und die übrig bleibenden
Gebeine in den Fluß geworfen. Der Todte bleibt offen lie-
gen bis alle Verwandte zusammenkommen; oft liegt er acht
Tage uud noch länger und ist schon stark in Verwesung
übergegangen, bis er dem Feuer übergeben wird. Der Holz-
stoß muß möglichst nahe dem Sterbehause aufgerichtet wer-
deu; man gräbt hierzu ein Loch aus, aber trotzdem ist es zu
verwundern, daß keine Feuersbrunst entsteht; oben hinauf
werden als Opfer für die Schntzgeister des Verstorbenen
Baumwolle, Reis, Branntwein und dergleichen gelegt und
das Gauze vor dem Anzünden mit dem Blute des zu Ehren
der Gäste geschlachteten Thieres besprengt. Starb ein Häupt-
ling, so sandte man früher eine Bande in die Ebene hinab
mit dem Auftrage, einem Bengali den Kopf abzuschlagen,
weil man damit den Göttern ein wohlgefälliges Geschenk zu
machen glaubte; diesem abscheulichen Brauche machten die
Engländer ein Ende.
Dr. Carl Sachs^ '
n
Am Morgen des 19. November, am zehnten Tage nach
seinem Aufbruche von Caracas, ritt Sachs in Rastro de
arriba ein, welches am Südabhang einer jener flachen
Bodenerhebungen liegt, welche die Llaneros als Mefas be-
zeichnen. Die Erhöhung dieses Plateaus über das Niveau
der umliegenden Llanos ist eine so geringe, daß sie bei ihrer
stets mehrere Meilen betragenden Flächenausdehuung dein
Blicke des Reisenden völlig entgeht. Gleichwohl sind sie für
die Hydrographie des großen Llanobeckens von Wichtigkeit,
da sie die einzigen Wasserscheiden der zahlreichen Flüsse des-
selben darstellen. So sind es im östlichen Theile der Llanos
die Mesas von Amana, Guanipa und Jonoro, welche die
zum Orinoko und die nach Norden zur Meeresküste von
Cnmana laufenden Gewässer scheiden. Außer den Mesas
finden sich im Llauo noch kleinere als Bancos bezeichnete
Bodenerhebungen. Die einzige bedeutendere Hügelgruppe
der Llanos ist die Serrania delBaül in der Nähe des Or-
tes el Baul an der Vereinigung des Rio Tinaco mit dem
Rio Cojedes.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in dem abgelegenen
Rastro die Kunde, daß ein „Joruugo" (Ausländer) gekom-
men sei, und maßlos war das Erstaunen der armen nnwis-
senden Dorfbewohner, als sie hörten, daß Sachs „äs allä"
(von jenseits, d. h. von Europa) gekommen sei, um Tembla-
dorm zu fangen und zu untersuchen. An den ironischen
Blicken, welche sich die Leute gegenseitig zuwarfen, merkte
er, daß sie ansingen, ihn für einen Verrückten zu halten;
er griff daher zu dem Auskunftsmittel, ihnen die fabelhafte-
sten Dinge über deu Nutzen, der von der Kenntniß desZitter-
aales zu erwarten stehe, vorzulügen, um nicht von vorn-
herein in ihrer Achtung zu verlieren.
Weltbekannt ist die Humboldt'sche Erzählung, wie er am
19. März 1800 mit Hülse der in den Sumps gejagten
Steppenpserde in den Besitz von Tembladoren gelangte.
Sachs hielt es daher für selbstverständlich, daß auch er sich
desselben Mittels werde bedienen müssen, um die merkwür-
digeu Bewohner des nahen Cano Rastro in seine Gewalt
zu bekommen, und nur der hohe Preis, in welchem gegen-
wärtig Pferde und Manlthiere in den Llanos stehen, schien
ihm bedenklich. Er beschied also noch am Tage seiner An-
knnft eine Anzahl verwegener Kerle in seine Wohnung und
machte ihnen den Vorschlag, am nächsten Morgen Zitteraale
mit Hülfe von billigeren Eseln zu sangen. Anfangs ver-
standen sie ihn gar nicht, so daß er genöthigt war, ihnen die
Humboldt'sche Schilderung vorzutragen. Da sie nun begriffen,
Globus XXXIV. Nr. 17.
Reise in Venezuela.
was gemeint war, brach die ganze Gesellschaft in schallendes
Gelächter aus, so daß es Mühe kostete, sie wieder in ernste
Sthnmnng zu bringen.
Niemand weder von ihnen noch von allen später befrag-
ten Leuten hatte jemals von dem Kampfe der Pferde und
Fische gehört; niemals kann es in den Llanos Sitte gewesen
sein, die Tembladoren oder Gymnoten auf solche Weise zu
saugen; es müßte sich sonst bei den Bewohnern der Gegend
eine Spur von Erinnerung daran erhalten haben. Eine
sonderbare Verkettung von Umständen hat dazu geführt, daß
ein einzelnes Erlebniß zu einer Sitte und Gewohnheit, zu
einem hervorstechenden Zuge im Naturcharakter eines Landes
gestempelt worden ist.
Zuletzt ließen sich die Leute in der Aussicht auf eine gute
Belohnung herbei, in jenem Eaüo es mit Angeln und Netzen
zu versuchen, gaben es aber nach mehrstündigen erfolglosen
Bemühungen auf, weshalb Sachs sein Standquartier nach
der nur 2^/z Stunden entfernten Stadt Calabozo am
Rio Guärico verlegte. Der Fluß, dessen User wie die-
jenigen aller Llanoslüsse beiderseits von einem Streifen
schönen Waldes eingefaßt sind, war noch sehr wasserreich und
reißend, obwohl er bereits zwei Monate im Fallen begriffen
war. In der Regenzeit, die von den Eingeborenen Invierno
oder Winter genannt wird, obwohl sie in die Sommermonate
von April bis October fällt, ist er ein gewaltiger Strom,
der selbst von kleineren Dampfschiffen befahren werden könnte.
In der Trockenzeit dagegen sinkt sein Spiegel dermaßen, daß
in der Gegend von Calabozo nur einzelne Lagunen oder
Charcos zurückbleiben, welche durch scheinbar völlig trockene
Strecken des Strombettes getrennt sind. Selbst in diesem
Zustande besteht freilich, wie man sich leicht überzeugen kann,
noch eine Strömung des Wassers. Es ist das dieselbe Er-
scheinung, welche im äquatorialen Afrika an Flüssen von viel
bedeutenderer Größe auftritt. Das Wasser unterliegt bei sei-
nem Vordringen im Flußbett zwei großen Ursachen der Ver-
Minderung, der Verdunstung und Filtration. Von erstem- ist
es bei den enormen Graden der Lusttrockenheit, die Sachs wäh-
rend der Wintermonate im Llano beobachtet hat, schon schwer,
sich eine Vorstellung zu machen, und doch wird sie vielleicht noch
übertroffen durch die Wirkungen der Filtration, welche nir-
gend gehindert ist, da alle Llanoslüsse, so viel Sachs deren
gesehen, in einem sandigen, permeablen Bett dahinfließen.
In Folge des Abnehmens der Quellen und der erwähnten
beiden Ursachen sinkt nun der Wasserspiegel des Flusses und
es erheben sich zuerst Inseln und Uferbänke, sogenannte
34
266 Dr. Carl Sachs'
Playas, über denselben. Je mehr aber das Wasser sinkt,
desto mehr wird an den seichteren Stellen des Flußbettes die
oberirdische Strömung eingeengt, bis sie endlich ganz ver-
schwindet. Nur an den tieferen Stellen hält sich das Was-
ser und bildet sogenannte Charcos, welche durch scheinbar
trockene Strecken des Bettes getrennt sind. Aber das Was-
ser in denselben stagnirt nicht, sondern wird in Folge des
Flußgefälles "(300 Fuß vom Fuße der Galera bis zum
Apure) von Charco zu Charco durch den fandigen Boden
der Playas hindurchfiltrirt. Der Wasserspiegel des Flusses
ist also im Gebiete einer Playa unter dem Boden zu suchen,
wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man dort ein
Loch gräbt. Genau in der Höhe, welche dem Spiegel des
nächsten Charco entspricht, stößt man aus feuchten Sand,
und sofort füllt sich das Loch bis zu dieser Höhe mit Wasser.
Auf niedrig gelegenen Stellen einer Playa genügt es, einen
Stock in den Sand zu stoßen, um diese Erscheinung zu beob-
achten. Die Eingeborenen machen davon Gebrauch, indem sie
aus solche» Löchern Wasser schöpfen, welches in Folge der
Filtration krystallklar geworden ist, während das der Char-
cos von trüber schlammiger Beschaffenheit ist. Die Charcos
sind übrigens das Elysinm der Fischer, da es für die darin
eingeschlossenen Fische kein Entrinnen giebt. Solchen unter-
irdischen Lauf haben sämmtliche Canos und alle kleineren
Nios des Llano; ausgeschlossen davon sind der Rio de la
Portuguesa, der Apure, Arauca, Meta und die südlich davon
gelegenen Ströme. Auch bilden sich Charcos und Playas
nur im Mittlern Laufe der Ströme; denn in ihrem obern
Theile ist der Wasserverlust noch nicht so beträchtlich, daß
das Niveau unter den Grund sinken könnte, während sie
dort, wo sie in den Apure oder Portuguesa münden, meist
ziemlich tief uud gleichmäßig mit Wasser erfüllt sind, was
vielleicht auf der Nachbarschaft jener größeren Ströme beruht.
Als Dr.Sachs inCalabozo anlangte, konnte er durch
ben Gnarico hindurchreiten, während er im Winter nur in
großen Canoas (Bote ohne Kiel, welche aus einem einzigen
großen, mit Ajrt und Feuer ausgehöhlten Baumstamme be-
stehen) passirt werden kann. Das jenseitige linke Flußufer
erhebt sich zu einer Höhe von 40 bis 50 Fuß; es bildet den
scharf abfallenden nördlichen Rand der Mesa de Calabozo,
welche den bis hierhin in südlicher Richtung strömenden
Guarico uach Westen abdrängt. Am Nordrande dieses Pla-
teans, welches eine Ausdehnung von mehreren Meilen hat,
dicht am linken Flußufer ist die Stadt Calabozo erbaut;
durch ihre hohe Lage ist sie gegen Ueberfchwemmungen treff-
lich geschützt, auch mache» sich die in einem heißen Klima
so wohlthätigen Passatwinde hier besonders kräftig fühlbar.
Calabozo gilt für deu gesuudesten Ort der Llanos, was Sachs
aus eigener Erfahrung bestätigen kann; der Grund dafür ist
wohl hauptsächlich in der durch seine relativ hohe Lage be-
dingte gute Drainirung des Bodens zu sucheu.
In Calabozo gab Sachs zunächst seine vom Präsidenten
Guzman Blanco erhaltenen Empfehlungsbriefe ab, so bei
dem jovialen Pfarrer Sarmiento, mit welchem er während
feines Aufenthaltes um so bessere Freundschaft hielt, als
religiöser Fanatismus in Venezuela überhaupt nicht zu Haufe
ist. Der zweite Besuch galt dem Licenciado Dominguez, dem
ersten Advocaten des Ortes, der wie alle seine dortigen
Standesgenossen sich auch aufs Feldmessen verstand. Denn
die großen Grundbesitzer (Hateros) der Llanos bemühen sich
gegenwärtig, ihre Territorien gegen einander abzugrenzen
und ihre Größe festzustellen, was bei der Ausdehnung der-
selben kein geringes Unternehmen ist. Es giebt Hateros in
Calabozo, deren Grundbesitz einem souveränen deutschen
Fürstenthum gleichkommt, die aber bei der gegenwärtigen
Rebuction des Viehbestandes weniger Einkünfte daraus be-
Reise in Venezuela.
ziehen, als mancher Bauer der Weichselniederungen aus sei-
nen wenigen Morgen Landes. Der letzte Besuch geschah
bei dem Jese politico (oberster Beamter), einem schwarzen
Zambo Namens Bolivar, der natürlich den unvermeidlichen
Titel General führte. Der lächerliche Mißbrauch, der mit
diesem Titel getrieben worden ist, bildet einen charakteristischen
Zug in der neuern Geschichte des Landes. Namentlich
unter der Falcon'schen Regierung, aber auch späterhin, wurde
jeder Angestellte und jede sonstige Privatperson, die man an
das Interesse der Regierung fesseln wollte, zum General er-
nannt. Mit diesem Titel ist sogar ein ziemlich bedeutendes
Gehalt verbunden, das natürlich nur in einer verschwinden-
den Minorität von Fällen ausgezahlt wurde. Der Staat
Carabobo besitzt nach dem officiellen Ausweise unter 110 000
Einwohnern 448 Generäle; selbst an Frauen wurde dieser
Titel verliehen.
Sachs konnte für 5 Pesos (16 Mark) monatlich ein
geräumiges, an dem Hauptplatze und neben dem Regierungs-
gebäude gelegenes Haus miethen; der Hintere Theil desselben
war zwar eingestürzt, in den vorderen Räumen konnte er sich
jedoch noch wohnlich einrichten, wobei die wohlhabenden Ein-
wohner der Stadt förmlich wetteiferten, ihn mit den nöthigen
Einrichtungsgegenständen, wie Stühlen, Tischen, Spiegel,
Trink- und Eßgeschirr, Leuchtern und Petroleumlampen, zu
versehen; auch ein großes weilbauchiges thöuernes Stand-
gesäß, Tinaje genannt, fehlte nicht. Die Eingeborenen sind
sehr geschickt in der Anfertigung solcher Gefäße mit poröser
Wandung, zu denen ihnen die lehmigen Flußufer reichliches
Material bieten. Das Trinkwasser erhält sich in ihnen auch
während der größten Hitze kühl und frisch, und einzelne Ge-
säße, die man theurer bezahlt, besitzen diese Eigenschaft in
besonders hohem Grade. Calabozo ist, auch zur Zeit der
größten Trockenheit, mit vortrefflichem Quellwasser versorgt,
das innerhalb einiger rißartiger Vertiefungen des Bodens
aus der Wand derselben hervorsickert. Eine derselben, San-
jonote genannt, bietet einen hübschen Durchschnitt der Boden-
sormation. Auf eine kaum fußdicke Humusschicht folgt eine
15 Fuß mächtige Schicht eines röthlichen Conglomerates,
darauf eine 10 Fuß starke Schicht weißen fetten Thones,
endlich in einer Dicke von 15 Fuß ein in horizontalen Schich-
ten angeordneter farbiger Thon, bald in gelben, bald in schön
rothen Nüancen. Aus letzterer Schicht entspringen, etwa
35 Fuß unter dem Niveau der Stadt, die Quellen, deren
Wasser von Frauen und Mädchen, welche die weitbauchige
Tinaje auf dem Kopfe tragen, fowie von braunen Peones,
welche es auf Eseln zur Stadt führen, beständig geschöpft
wird. Jener farbige Thon wird unter dem Namen „Carniz"
von den Einwohnern als Anstrichfarbe für ihre Häuser be-
nutzt. Die über ihm gelegene Conglomeratschicht ist es,
welche mit einer merkwürdigen Gleichniäßigkeit den Boden
des weiten Beckens der Llanos überkleidet uud von Humboldt
nicht sehr treffend als „Rothsandstein" der Llanos bezeichnet
wird. Abgerundete, meist aus Quarz bestehende Gesteins-
fragmente sind durch ein feinkörniges, eisenhaltiges Binde-
mittel zu einer ziemlich festen Masse von bald röthlicher,
bald gelblicher Farbe vereinigt; das Ganze ist offenbar eine
recente Bildung, durch Zersetzung des Materials nmliegen-
der Gebirge entstanden. Trotz alles Suchens vermochte
Dr. Sachs keine organischen Einschlüsse darin zu entdecken.
Häufig tritt diese Schicht nackt zu Tage, wo dann ein Pflanzen-
wuchs unmöglich ist. Sonst findet man sie von einer ver-
schieden dicken Humusschicht bedeckt, welche in sich alle Be-
dingungen der Fruchtbarkeit trägt und nur des Wassers
bedarf, um Alles in Hülle und Fülle hervorzubringen, was
die tropische Natur dem Menschen bietet.
Sobald Dr. Sachs in seinem Hause einigermaßen wohn-
Notizen zur Handels-
lich eingerichtet war. empfing er die Gegenbesuche der Nota-
bilitäten des Ortes und einer größern Anzahl anderer Ein-
wohner und wurde von den weltmännischen Manieren, den
freisinnigen Anschauungen und der allgemeinen Bildung die^
ser, einen so ablegeueu Erdenwinkel bewohnenden Leute
höchlichst überrascht. Unter den besseren Classen ist die
Kenntniß der französischen Sprache fast allgemein, die der
englischen nicht selten; gegenwärtig aberlernt die heranwach-
sende Generation in den Schulen vorzugsweise Deutsch.
Calabozo war bis vor wenigen Jahren die Hauptstadt
des Staates Gnarico, der unter den 21 Staaten der Repu-
blik seiner Einwohnerzahl nach (191 000) die erste Stelle
einnimmt. Noch 1868 zählte sie über 13 000 Einwohner
und war in ganz Venezuela wegen ihres Reichthums, ihrer
stattlichen Häuser und Kirchen, ihrer gebildeten, liebenswür-
digen und gastfreundlichen Einwohner berühmt. Armuth
war daselbst eine unbekannte Sache; die den Calabocenos
(Einwohner von Calabozo) gehörigen Herden sollen die nn-
geheuere Zahl von einer Million Köpfe erreicht haben, was
ein Fünftel des gesammten Viehstandes der Republik reprä-
sentirte. Aber ein großer Theil desselben ging während des
Krieges der Gelben und Blauen (1868 bis 1870) und
durch den Sieg der ihr feindlichen Gelben verloren; viele
Einwohner waren gefallen, andere wanderten aus und ihre
Zahl sank auf 5618, worauf auch der Sitz der Regierung
von Calabozo nach dem viel unbedeutendem Ortiz verlegt
wurde.
Dieser Rückgang im Wohlstande der Stadt war jedoch
den Einwohnern keineswegs anzumerken; sie besitzen ein ge-
wisses savoir vivre, wie keine zweite unter den kleinen Städ-
ten des Innern. Der Creole ist vonNatnr lebenslustig und
versteht es, sich über Unglücksfälle hinwegzusetzen; so leben
auch die Calabocenos nach wie vor auf vergnügtem Fuße
uud versäumen keine von ihren gewohnten Lustbarkeiten.
Auch gehört die Stadt trotz ihrer Unglücksfälle noch immer-
zu den besser situirten des Landes, und Sachs war erstaunt,
dort inmitten eines weiten uucultivirten Steppenlandes einen
großen Theil der verfeinerten Lebensgenüsse anzutreffen, welche
ib Verkehrs-Geographie. 267
Handel und Civilisation dem Menschen gewähren. Das
beliebteste, fafhiouabelste Getränk bildet z. B. Berliner Tivoli-
Bier; ebenso gelangen Weine und allerhand Conserven in
Blechbüchsen dorthin, und die Posadas der Stadt, in denen
sich namentlich bei Gelegenheit der mit Leidenschaft getriebe-
nen Hahnenkämpfe ein reges Leben entwickelt, sind mit guten
Billards versehen, an denen Sachs sich oft genug überzeugte,
daß die rauhe Hand manches Llaneros das Queue ebenso
geschickt zu führen weiß als den Lasso.
Die Straßen der Stadt sind schnurgerade, genau nach
den Himmelsrichtungen orientirt und schneiden sich in rechtem
Winkel; die Häuser bestehen, wie in Caracas, aus einem
Erdgeschoß mit großem Hofraum; in den besseren Quartieren
sind sie durchweg aus Ziegelsteinen aufgeführt, welche am
Orte selbst gebrannt werden. Die Stadt besitzt mehrere
große Plazas mit hübschen Kirchen; die an der Plaza prin-
cipal gelegene Hauptkirche rührt noch von den Spaniern her,
ist aber durch einen nachträglich hinzugefügten häßlichen vier-
eckigen Thurm verunstaltet worden.
Die ersten Tage seiner Anwesenheit benutzte der Reisende,
um die Stadt und ihre Umgebungen ein wenig kennen zu
lernen, bestieg mit dem Pfarrer den Thurm der Hauptkirche,
deren Plateforme einen weiten eigentümlichen Rundblick aus
die Llauos gewährt, und besuchte die den wohlhabenderen
Einwohnern gehörenden Fruchtgärten in der Umgebung und
das Dors Misiou de abaxo mit seinen aus dem Grunde von
Erdspalten befindlichen natürlichen kalten Bädern, zu welchen
die Calabocenos in den heißen Monaten Ausflüge in großer
Gesellschaft unternehmen. Dann wandte er sich wieder mit
Eifer seiner Hauptaufgabe, der Erlangung von Tembla-
doren, zu. So viel Leute sich aber auch bei ihm meldeten,
um die von ihm ausgesetzte Belohnung zu verdienen, so ge-
lang es doch keinem ein solches Thier zu saugen, und schon
dachte er daran, seinen Wohnsitz nochmals weiter südlich an
den Apure zu verlegen, als er die Bekanntschast des Gene-
rals Guaucho machte, welcher ihm das Gewünschte zu ver-
schaffen versprach.
Notizen zur Handels- und Verkehrs-Geographie.
ii.
Nene Linie des österreichischen Lloyd. Auswanderung aus der Schweiz, kanadische Schiffahrt, Fischerei und Einwandern»«. Bevölkerung und Export von
Oregon. Baumwollernte 1878 und Eisenbahnen der Vereinigten Staaten. Eisenbahnen in Argentinien. Aus- und Einfuhr Guatemalas. Vcrjchiedcues
aus Japan. Wirtschaftliche Lage von Ceylon in 1877. Schiffsverkehr von Singapur, Takau und Taiwan.
F.R. Oesterreich-Ungarn. Der neue Vertrag der Lloyd-
Gesellschaft mit der österreichischen Regierung setzt eine Aus-
dehnnng der Fahrten durch den Snez-Canal nach Indien
fest, welche von jetzt an die Dampfer jener Gesellschaft bis
Singapore und wahrscheinlich bald nach Hongkong führen
wird. Die Linie Triest-Bombay, welche 1872 aufgenommen
wurde, hat sich hauptsächlich durch die RückVerfrachtung der
indischen Baumwolle nützlicher und lohnender gezeigt als
man erwartete. Es werden nun jährlich solgeude Fahrten
gemacht werden: Triest-Bombay, dreimal; Triest-Bombay-
Singapore, sechsmal; Triest-Calcutta, sechsmal. Sollten
aus dieser Ausdehnung innerhalb der nächsten vier Jahre
keine Schädigungen für die Gesellschaft erwachsen, so ver-
pflichtet sie sich zu einer weitern Ausdehnung bis Hongkong.
Die zu berührenden Punkte sind: Port Said, Suez, Aden,
Ceylon, und, wenn nöthig, Dschidda und Hodeida. Nach
diesem Bertrage, der bis 1887 währen soll, empfängt die
Gesellschaft von der Regierung eine Subvention von 437 022
Gulden, außer 210 000 für die Snezcanal-Taxen — 277 000
Gulden mehr als früher für die Bombay-Liuie bezahlt wurde.
Schweiz. Nach einer Zusammenstellung des schweize-
rischen Statistischen Bureaus betrug die Auswanderung aus der
Schweiz 1877 (ohne die Cantone Genf, Waadt, Freiburg,
Solothurn und Uri) 1691 Köpfe, von denen 1027 nach
Nord-, 335 nach Mittel- und Südamerika, 167 nach Afrika,
117 nach Australien, 11 nach Asien gingen. In den zehn
Jahren seit 1868 betrug die Auswanderung aus der Schweiz
35 158, also 3516 pro Jahr.
Cauada hatte am 31.December 1877 7362 registrirte
Schiffe mit einem Tonnengehalt von 1 310 468. In dem
vorangehenden Jahr waren 430 Schisse mit 118 986 Ton-
nen gebaut worden. In demselben Jahr betrug die Aus-
fuhr von Fischereiprodncten aus Cauada 7 000 402 Doll.,
wovon nach den Vereinigten Staaten ^/z, nach Großbritan-
nien y6 ging. — 1877 ließen sich 27 082 Ansiedler in
Canada nieder.
34*
268 Notizen zur Handels- 1
Oregon. Dem Berichte der Handelskammer von Port-
land (Oregon) entnehmen wir, daß die Bevölkerung des
Staates, die nach der Zählung von 1870 91 000 betrug,
in dem Jahre vom I.August 1877 bis 31. Juli 1878 um
circa 20 000 zunahm. Der Staat führte in diesem Jahre
um mehr als 3 Mill. Doll. mehr aus als im vorhergehen-
den. Hauptgegenstände der Ausfuhr sind Weizen, Lachs
und Holz. Vom erstern (stimmt Mehl) wurden 180 000
Tonnen ausgeführt und auf eben so viel hofft man in diesem
Jahre. Die Lachsausfuhr ist seit einigen Jahren in Ab-
nähme begriffen; sie bewerthete 1876/77 2 370 000,
1877/78 nur 1 800 000 Doll. und der diesjährige Fang
war weniger ergiebig als seit Jahren.
Vereinigte Staaten. Die gesammte Baumwoll-
ernte dieses Jahres wird auf 4 811 000 Ballen gegen
4 483 000 im vergangenen Jahre veranschlagt. Der Eon-
sunt im Lande selbst wird auf 1 546 000 Ballen gegen
1 435 000 im Vorjahre veranschlagt. — Die Eisenbahnen
der Vereinigten Staaten, deren Gesammtlänge 1871
44 614 engl. Meilen betrug, waren Ende 1877 auf 74 112
augewachsen. Das darin angelegte Capital betrug 1871
223, 1877 435 Mill. Doll., an Zinsen wurden 1871 56,
1877 58 Mill. Doll. bezahlt. Gar keine Zinsen zahlten
die Eisenbahnen folgender Staaten: Arkansas, Colorado,
Florida, Kansas, Louisiana, Mississippi, Missouri, Nebraska,
Oregon, Texas, Vermont. Auch die calisornifchen, mit Aus-
nähme der Central Pacific R. R., und die meisten Linien
in Iowa und Minnesota waren in demselben Falle.
Argentinien. Die Eisenbahnen der Argentinischen
Republik hatten Ende 1877 eine Gesammtlänge von 1409
engl. Meilen. Das für ihren Ban aufgewendete Capital
wurde auf 124/s Mill. Pf. St. beziffert. Die längste Linie
ist Cordoba-Tucuman mit 341 Meilen.
Guatemala. 1877 betrugen die Aussuhren 3 773 183
Doll., wovon auf Kaffee 3 358 956, der Rest vorzüglich auf
Cochiueal, Wollenwaareu, Häute und Muscovada cutfällt.
Nach England gingen von diesen Werthen 1 073 977, nach
Calisornien 1 037 531, nach Deutschland 819 910, nach
Frankreich 311 870, der Rest (in der Reihenfolge der Be-
träge) nach Neuyork, Belize, Central- und Südamerika. Die
Einfuhren betrugen in dem gleichen Jahr 2 571677 Doll.,
wovon aus England 1 208 894, Frankreich 458 162, den
Vereinigten Staaten 378 753, Deutschland 317 397 Doll.
stammen. Seit 1874 hat der Werth der Ausfuhren um
410 122, der der Einfuhren um 579 847 Doll. zugenommen.
Bemerkenswerth ist der geringe Betrag der Einfuhren aus
dem angrenzenden Mexico, welche zu nicht mehr als 236 Doll.
im Jahre 1877 aufgeführt sind.
Japan. Die Regierung vereitelte die Bemühungen
peruanischer Agenten um Gewinnung japanesischer Kulis.
Das Schiff, das bereits gechartert war, um eine Ladung
davon uach Callao zu bringen, mußte ohne dieselbe absegeln.
Ein neuer Handelsvertrag mit den Vereinigten Staaten,
welcher diesen größere Vortheile einräumt (?) als anderen
Handelsmächten, ist am 24. Juli in Washington unterzeichnet
worden. — Eine Handelskammer aus japanesischen Kauf-
leuteu und Bauquiers hat sich in Tokio gebildet. — Das
erste einheimische Anlehen der japanesischen Regierung, 12^
Mill. Doll., am 1. Mai aufgelegt, war Mitte Juli voll-
ständig gezeichnet.
Wirthschaftliche Lage von Ceylon in 1877.
Das Budget der Insel für 1877 schwankte in Ein- und
d Verkehrs-Geogrnphie.
Ausgaben zwischen 15 und 16 Mill. Rupien (zu 2 Mark).
An Eisenbahnen war die Linie Colombo -Panadura am
1. September eröffnet worden, während Navalapittiya-On-
vah noch in der Vorarbeit sich befand. Colombo hatte einen
Schiffsverkehr von 1634 ein-und 1536 ausgehenden Schif-
fen mit 606 222 beziehungsweise 539 073 Tonneu. Die
Perlfischerei ergab 6 849 720 Perlmuscheln, von denen 3/4
im Werth von 190 000 Rupien der Regierung zufielen.
In Folge der in Indien herrschenden Hnngersnoth war die
Einwanderung von Kulis eine ungewöhnlich große; es wan-
derten 177 581 eiu und 88 609 aus und waren rund 300 000
in den Kaffeepflanzungen beschäftigt. Man sah sich gezwnn-
gen, durch Verschärfung der Quarantäne-Vorschriften und
Aehnliches diesen Zufluß zu verringern, und auf der andern
Seite durch öffentliche Bauten, Herabsetzung von Löhnen und
Arbeitszeit foviele von denselben als nur möglich zu beschäftigen.
Der Reisbau fährt fort sich zu heben durch Wiederherstellung
der alten Bewässerungsteiche, wodurch manches brachliegende
Land wieder der Cnltnr gewonnen werden konnte. Das
ganze mit Reis bebaute Areal ist auf circa 700 000 Acres
zu schätzen. Die Kaffee-Ernte betrug 943 047 Centner,
wenig im Vergleich zu der wachsenden Ausdehnung des
Areales. Die Blätterkrankheit des Kaffeebaumes ist uoch
immer ein großes Hinderniß reicherer Erträge. Es wird
sich zu zeigen haben, ob die großen Neuanlagen im Kaffee-
bau durch übermäßigen Capitalznfluß aus England hervor-
gerufen, sich unter diesen ungünstigen Verhältnissen lohnen
werden. Seit 1871 sind die Preise der Plantagen um das
Doppelte und Dreifache gestiegen. Der Anbau des liberi-
fcheit Kaffees ist noch im Versuchsstadium. Die Bodenfläche
des Theebaues hat sich feit 1872 von 10 auf 2720, die der
Chinarinde von 500 auf 5578 gehoben. Auch dem Cacao
wird vermehrte Aufmerksamkeit zugewendet. Chinarinde
wird bereits bedeutend ausgeführt, während Thee dem Local-
verbrauch dient. In der Ausfuhr erscheinen neben Kaffee
besonders Zimmet, Kokosöl uud -Faser (Coir) und Graphit.
Unter den Einfuhren nimmt Reis (1876 nahezu 6 Mill.
Bufhels = 4y2 Mill. Centner) den ersten Platz eiu. Die
bedeutendsten Abnehmer ceylonischer Producte sind in Europa
außer England Trieft (79 482 Centner Kaffee, 43 000
Centner Zimmet), Marseille und Venedig.
(Preuß. Handels-Archiv.)
Schiffsverkehr von Singapur. Im Jahre 1877
kamen in Singapur 1123 Dampfer und 896 Segelschiffe
an und gingen 1174 Dampfer und 743 Segelschiffe ab.
Der gesammte Tonnengehalt ankommender Schiffe betrug
1 338 537, der abgehender 1 257 456 T. England war
unter den ankommenden Schiffen mit 1355 (872 067 T.),
Deutschland mit 129 (86 227 T.), die Niederlande mit
128 (56 500 T.), Frankreich mit 117 (151167 T.),
Siam mit 76 (32 892 T.), Spanien mit 52 (41 299 T.),
Sarawak mit 42 (8785 T.), Italien mit 37 (30 415 £.),
Nordamerika mit 35 (26 893 T.) vertreten.
Der Schiffsverkehr in Takan und Taiwan (For-
mosa) bezifferte sich 1877 auf 284 Fahrzeuge mit 84 461 T.,
wovon 149 mit 44 709 T. auf englische, 118 mit 35 190T.
ans deutsche und 15 mit 4194 T. auf dänische, der Rest
auf niederländische Schiffe entfallen. Die deutschen Schiffe
nehmen also 41,6 Proc. oder über 2/5 des hier in Frage
kommenden Tonnengehaltes in Anspruch.
Aus allen Erdtheilen.
269
Aus allen
Asien.
— Das englische Foreign Office hat den durch seine Auf-
«ahme Palästinas bekannten Lieutenant Kitchener (s. „Glo-
bns" XXXI, S. 367, XXXII, S. 320) znnl Chef der Auf-
nahme von Cyperu ernannt.
— „Cyprns" ist der Titel eines neuen Wochenblattes
für Landbau und Handel, wahrscheinlich der ersten je auf
Cyperu veröffentlichten Zeitung, deren erste Nummer am
29. August in Larnaka erschien, und die den alten Satz be-
stätigt, daß, wo immer Engländer sich niederlassen, eines der
ersten Resultate dieses Factums das Erscheinen einer Zeituug
ist. „Cyprns" enthält vier Seiten zu je vier Columnen, ist
halb in englischer, halb in griechischer Sprache geschrieben
und kostet trotz seines geringen Umsangs 40 Pfennig pro
Nummer.
— Prof. H. Grtttz veröffentlicht in der August-Nummer
seiner „Monatsschrift:c." eine wichtige Abhandlung über die
Lage des Sinai oder Horeb. Nachdem er aus Bibelstellen
den Beweis geführt, daß man den Sinai nicht auf der gleich-
uamigen Halbinsel suchen und nicht mit dem Serbal oder
Dschebel Mnsa identificiren kann (Prof. Ebers' Bestimmun-
gen der verschiedenen Stationen in der Wüste nennt er „topo-
graphische Träume"), kommt er zu dem Schlüsse, daß Sinai
in der Nähe von Edom und der Wüste Pharan, bei Kadesch,
gelegen haben muß. Dieser Gedauke ist nicht neu, aber Grätz'
Beweise aus der Bibel sind schlagend, und es ist zu verwun-
dern, daß der verstorbene Dr. Beke, welcher dieselben Stellen
anführt, sie nicht richtig verstanden hat. Alle Geographen
und Bibelforscher, sagt Prof. Grätz, haben sich bei der An-
setznng Sinais zwischen Suez und Akabah durch mönchische
Traditionen irreführen lasse«. Grätz' Identification des
Sinai mit dem Berge Araif, welcher nach Prof. Palmer
etwa 20 engl. Meilen von Ain-Gadis (Kadesch) nach Aegypten
zu entfernt ist, ist sehr annehmbar. (The Athenaeum.)
— Die Behörden des „British Museum" haben jetzt für
Mr. H. Rassam einen Firman erlangt, welcher nicht wie
die früheren sich darauf beschränkt, gewisse Stellen, wie Ko-
juudschik, Nimrud und Ballawat, zu Nachgrabungen freizuge-
beu, sondern die ganzen Paschaliks vonMosnl und Bagh-
b ab einschließt und die bisher unerforschten Gebiete des füd-
lichen Babyloniens zu durchsuchen gestattet. Orientalisten dürfen
also hoffen, über kurz oder lang die großen Bibliotheken von
Sippra, Cutha und Agane und auch die wichtige Stätte von
Karchemisch in Syrien in Angriff genommen zu sehen.
Nordost-Syrieu, das alte Hittiter-Reich, ist noch ganz nner-
forscht und verheißt wichtige geographische Resultate.
— Der letzte orientalische Krieg hat, wie er aus uatio-
nalen Gründen seinen Anfang nahm, so auch wieder zur
Verschiebung der nationalen Grenzen geführt, und die poli-
tische wie die ethnographische Karte Kleinasiens und der
Balkanhalbinsel erlitt durch ihn große Veränderungen. Die
Lage der Armenier ist durch die Uuthateu der Kurden, Tscher-
kesfen und entlassenen türkischen Soldaten so unerträglich
geworden uud die Pforte zeigt sich so wenig geneigt, diesem
Unwesen zu steuern, daß eine Aus Wanderung der Arme-
nier aus türkischem auf russisches Gebiet in großem
Maßstabe begonnen hat, und zwar zunächst aus Erzerum
selbst, aus Chuis und aus dem Districte Alaschgerd, welcher
im Vertrage vou S. Stefano an Rußland abgetreten, in
dem von Berlin aber der Türkei zurückgegeben wurde. Da
der armenische Winter schon gegen Ende September beginnt,
so beeilen sich die Auswanderer so viel als möglich, um noch
E r d t h e i l e n.
vor Eintritt desselben das russische Gebiet zu erreichen. Die
Gesammtzahl der Ausgewanderten wird schon auf 200 000
geschätzt.
— Der Geueralgouverueur der chinesischen Provinz
Kan-su, Tso Tsnng-tang, richtet jetzt seine Anstrengungen auf
die Pacisicatiou des „Neuen Gebietes", wie Kaschgarien
und Dsnng arien genannt werden. Mit anscheinend gutem
Erfolge sucht man durch Landschenkungen Leute aus den 18
Provinzen Chinas zu bewegen, sich dort niederzulassen. Tso
hat der Regierung als das beste Mittel, dort dauernde Ruhe
zu erziele», anempfohlen, das Land in Präfectnren uud
Districte wie China selbst einzntheilen. Die Andidschanis,
welche mit Jakub Beg einst in das Land kamen, hat er gründ-
lich ausgerottet, so daß von dieser Seite sein Plan keine
Hindernisse zu gewärtigen hat. Um jene Eintheilnng durch-
zuführen, ist nach seiner Ansicht eine sorgfältige Aufnahme
des Landes nöthig, um die Fruchtbarkeit des Bodens, die
ökonomische Lage der verschiedenen Districte und deren Steuer-
fähigkeit zu ermitteln. Namentlich letzterer Umstand liegt
der Regierung um so mehr am Herzen, als die Unterwerfung
Kaschgariens dem Reiche so unendliche Kosten verursacht uud
feinen iuneru Handel so lange geschädigt hat. (Mail.)
— Die Ansstellnngswuth hat auch Jnuerasieu ergriffen:
in Taschkend soll nunmehr eiue landwirthschaftliche
und industrielle Ausstellung stattfinden, wobei die Re-
gierung Prämien an goldenen und silbernen Medaillen und —
Ehrenkastane vertheilen wird.
— Die Petersburger Geographische Gesellschaft läßt jetzt
im Vereine mit der Gesellschaft der Naturforscher einen Plan
zur wissenschaftlichen Erforschung der wenig be-
kannten Theile des Kaukasus ausarbeiten.
— Prschewalski rüstet sich schou jetzt wieder zu seiner
zweiten Reise nach Tibet, welche er bekanntlich aus Ge-
suudheitsrücksichteu uud wegen der unsicheren diplomatischen
Beziehungen zwischen Rußland und China zu Anfang dieses
Jahres hatte aufgeben müssen (s. oben S. 46).
Afrika.
— Daß Italien in Tunesien nicht unerhebliche na-
tionale Interessen zu schützen hat, ergiebt sich aus folgenden
Daten, welche eine römische Korrespondenz der „Allgemeinen
Zeitung" mittheilt: Die Anzahl der in Tunis angesessenen
Italiener beträgt 30 000, während alle anderen europäischen
Nationen zusammengenommen dort nur 15 000 Köpfe zäh-
len. Die Handels- und Verkehrssprache ist die italienische.
Die italienische Colonie besitzt eigene Spitäler uud Schulen
und dominirt durch Vermögen und Intelligenz dort entschieden
über die anderen Nationen. Die Zahl der italienischen Schiffe,
die alljährlich in den Hafen von La Goletta einlaufen, betrügt
1300 bis 1500. Um alle diese Interessen hat sich bisher aber
die italienische Regierung so gut wie gar uicht gekümmert,
während Frankreichs Einfluß ein ungleich bedeutenderer ist.
— Gerhard Rohlfs gedenkt im October feine projec-
tirte Expedition nach Jnnerafrika anzutreten, allerdings nicht
in so zahlreicher Begleitung, wie früher (s. „Globus", lau-
fenden Band S. 43) gemeldet wurde. Es soll ihn, wie
„Athenaeum" meldet, uur der Zoologe Dr. Stecker begleite».
Derselbe wird gleich beim Beginn Gelegenheit finden, die nie
genau erforschte und gesammelte Fauna von Tripolis, welche
sich weit von derjenigen Tunesiens und Aegyptens unter-
scheidet, kennen zu lernen. Rohlfs wird von Tripolis über
Knfara nach Wadai gehen, wo er auf eben fo freundliche
Aufnahme hofft, wie sie Nachtigal zu Theil wurde, will dann
270 Aus allen
womöglich die Quellen des Biuue und Schari aufsuchen und
in das Gebiet zwischen ihnen und dem Ogowe und Congo
eindringen. Am 5. October hat er sich durch einen Vortrag
in der Berliner Gesellschaft für Erdkunde von seinen dortigen
Freunden verabschiedet.
— Von dem inA.Hartleben's Verlag erscheinenden
Werke: „Die Sahara oder Von Oase zu Oase, Bilder aus
dem Natur- und Volksleben in der großen afrikanischen
Wüste", von Dr. Josef Chavanne (20 Lieferungen s,60Pfg.)
(s. „Globus" Bd. XXXIII, S. 272) sind soeben Lieferung
13 bis 20 erschienen und ist damit das Werk zum Abschluß
gelangt. Der Verfasser führt in diesen Lieferungen den Leser
durch die bisher kaum ihrem Namen nach bekannten Gebiete
der westlichen Sahara, wir durchziehen das fruchtbare Draa-
laud, durchqueren die schreckensreiche Dünenregion der Jgidi
und die öde Tanesrnft und gelangen durch die „Leib der
Wüste" genannte Landschaft nach der Wüstenstadt Timbnktu.
Von hier aus unternehmen wir Ausflüge in das Bergland
Aderer, an die Dünenküsten des Atlantischen Oceans, und
an den Senegal, und brechen hierauf nach Osten auf, um
durch das Land der Anelimmiden-Tnareg und die Fellahta-
staaten das an Naturschönheiten überreiche Alpenland der
Wüste Air zu erreichen. In rascher Folge begleiten wir
Dr. Nachtigal in ein zweites hochinteressantes Alpenland der
Sahara, nach Tibesti, und nach Südosten weiterziehend durch-
queren wir die unermeßlichen Weidegründe der Nomaden-
stamme im Norden Wadais, um spater all' die Gefahren
und Mühsalen der Durchkreuzung des libyschen Sandmeeres
kennen zu lernen. Die Ankunft in der großen an Alterthums-
bauten so reichen Oase Chargeh versetzt uns in einen ganz
neuen Abschnitt der Sahara. Wir durchziehen die Libyschen
Oasen und besuchen die im Alterthume berühmte und gehei-
ligte Stätte des Orakels, des Jupiter-Ammou-Tempels in
der Oase Siuah, wandern in der großen Depression Nord-
afrikas nach Westen, um über die Oasen Audschila und Ma-
radeh wieder an den Ausgangspunkt unserer großartigen
Wüstenreise nach Tripoli zu gelangen. — Was der Verfasser
sich zur Aufgabe gestellt hat — eine lebensvolle und richtige
Vorstellung über die Sahara zu vermitteln, den vielgestaltigen
Naturcharakter der einzelnen natürlichen Regionen derselben,
das Leben, die Sitten und Gebräuche ihrer Bewohner, den
Lesern in lebendiger Schilderung vor Augen zu führen —,
hat er mit seinem Werke erreicht. Doch auch der Fachmann
wird im Anhange interessante Daten und Notizen zu weiterer
Verwendung finden. Ein umfangreiches alphabetisches Re-
gifter ist zum Schlüsse dem interessanten Buche beigegeben.
— Am 2. September nahm die Pariser Geographische
Gesellschaft Besitz von ihrem neuen Hotel, Boulevard St. Ger-
main Nro. 134. Dabei verlas der Unterrichtsminister
Bardonx einen Brief des französischen Consuls in Zanzibar,
wonach von dem französischen Entdeckungsreisenden Abb«
Debaize, der sich nach dem Tanganjika-See unterwegs be-
findet, vortreffliche Nachrichten daselbst eingelaufen sind.
— Aus einem in der „Mail" vom 16. September ab-
gedruckten Briefe eines in ägyptischen Diensten stehenden
Herrn, ä. 6. Chartum, 4. August, an Sir Samuel Baker
entnehmen wir Folgendes: „Die interessanteste Neuigkeit,
seit ich Ihnen zuletzt schrieb, ist die glückliche Ankunft von
sechs Elephanten in Dnfli (am obern Nile). Vor eini-
gen Jahren erhielt der Chedive fünf Elephanten aus Indien
zum Geschenke, und da dieselben fast unbenutzt in Kairo ihr
Futter verzehrten, so ließ sich Oberst Gordon dieselben nebst
einem kleinern afrikanischen Elephanten aus den Gärten von
Dschezireh nach seiner Aequatorialprovinz schicken. In der
Obhut einiger Jndier marschirten die Thiers nach Assnan,
von wo Mr. Rosset sie über Halfa, Dougola und die Bajuda-
Steppe nach Chartum brachte. Bei Mudurmau schwammen
sie durch den Weißen Nil und belustigten dann einige Mo-
nate lang die Bevölkerung von Chartum. Als Oberst Gor-
Erdtheilen.
don zuletzt hier war, beauftragte er Herrn Marco, einen
Dalmatiner, welcher sich schon am Sobat als ein Mann von
großer Thätigkeit und Brauchbarkeit bewährt hatte, die Ele-
phanten nach Lado zu schaffen. Vor einigen Tagen ist Marco
hierher zurückgekehrt und hat eine sehr interessante Beschrei-
bnng seiner Expedition gegeben. Mitte Februar verließ er
Chartum in Begleitung von ein paar Jndiern und einigen
schwarzen Soldaten, welche schon hier in der Abwartnng der
Thiers unterwiesen worden waren. Der Zug ging am öst-
lichen Ufer des Weißen Nil bis gegenüber von Hellet Kaka
hinauf, wo er durch den Fluß schwamm ohne mehr Anstren-
gnng, als uöthig gewesen wäre, ein Boot hinüber zu rudern;
die Leute saßen dabei auf den Elephanten. Von dort ging
es nach Faschoda, wo sie 27 Tage blieben, weil die Jndier
vom Weißen Nil genug hatten. Nachdem die schwarzen Sol-
daten hier ihren Unterricht in der Pflege der Thiere zu
Ende erhalten, zog die Expedition am westlichen Ufer durch
das Land der Schillnk bis gegenüber der Sobat-Mündung,
durchschwamm dort nochmals den Fluß und landete etwas
südlich von der Stelle, wo sich der Sobat mit dem Nil ver-
einigt.
Nun begann der große Marsch zu Lande vom Sobat
nach dem Bahr, den noch kein Araber oder Europäer aus-
geführt hat. Er dauerte 31 Tage und war mit vielen Lei-
den verbunden. Man hatte nur für 10 Tage Lebensmittel
mitgenommen und war auf die anzutreffenden Eingeborenen
angewiesen. Diese Berechnung erwies sich jedoch als falsch,
da alle Eingeborenen beim Anblick von Menschen, die auf
Elephanten ritten, davonliefen in der Meinung, glaube ich,
daß der Teufel selbst in ihr Land gekommen sei. Manches
Chor und mancher See wurde durchschwömmen und zuletzt
Bahr erreicht, wo man frische Lebensmittel erhielt. Von
dort nach Lado waren weitere 10 Tage erforderlich und dann
ging es nach einiger Rast weiter nach Dnfli, wo die Ele-
phanten jetzt allerlei schwere Lasten schleppen müssen.
Diese ganze Sache ist nicht nur sehr interessant, sondern
auch sehr wichtig und sollte in den für afrikanische Geo-
graphie sich interessirenden Kreisen gebührende Beachtung
finden, weshalb ich bitte, von diesem meinem Briefe jeden
geeignet erscheinenden Gebrauch zu machen. Drei Dinge
stehen jetzt fest: erstens kann der indische Elephant in Afrika
leben; zweitens braucht er nicht in derselben kostspieligen
Weise, welche in Indien unumgänglich nöthig ist, gefüttert
zu werden, und drittens braucht man keine indischen Diener
für ihn. Das hauptsächlichste Hinderniß für Afrika-Reisende
ist die Beschaffung von Trägern; aber wer wird nach solchen
verlangen, wenn er über 15 bis 20 Elephanten verfügt? Ich
mag etwas zu enthusiastisch sein, aber nach Allem, was ich
von Herrn Marco höre, bin ich wirklich der Meinung, daß
man mit Hülfe von indischen Elephanten Afrika ein Jahr-
hundert früher hätte erforschen können. So viel wenigstens
kann man behaupten, daß bei Expeditionen, wo Geld keine
große Rolle spielt, wie z. B. bei denen von Lucas, Stau-
ley u. s. w., in Zukunft Elephanten verwendet werden
müßten.
Emin Effendi (Dr. Schnitzler) ist von Oberst Gordon
zum Gouverneur der Aequatorialprovinzen ernannt worden,
und zwar sehr vernünftiger Weise, da Emin Effendi voll-
ständig mit dem von ihm zu _ verwaltenden Lande bekannt
und auch sonst in jeder Hinsicht für seinen Posten befä-
higt ist.
Einige Leute von M'tesa sind jetzt hier, um Oberst Gor-
don zu sehen, und ich glaube sicher, daß nach ihrer Rückkehr
M'tesa sich von den freundlichen Absichten der ägyptischen
Regierung gegen ihn überzeugen lassen wird. Einige bos-
hafte Leute scheinen ihm allerlei Unsinn über Aegyptens Ab-
sichten in den Kopf gesetzt zu haben. Die jetzt nach Uganda
unterwegs befindlichen Missionäre (der Chnrch Missionary
Society, s. „Globus" XXXIV, S. 48) werden in ein oder
zwei Tagen hier anlangen und dann in Gesellschaft eines
Aus allen Erdtheilen.
271
deutschen Photographen Buchter und von M'tesa's Leuten in
etwa einer Woche nach Lado aufbrechen.
— Aus S. 16 dieses Bandes gaben wir die absprechende
Aenßernng eines Engländers über die elenden Zustände in
der Delagoa-Bay nach dem „Natal Mercury" wieder.
Jetzt verzeichnet die „Mail" das von demselben Blatte ge-
brachte Gerücht, daß zwischen England und Portugal Ver-
Handlungen wegen Abtretung jenes Gebietes schweben. Sollte
dasselbe englisch werden, so würden die Angelegenheiten Süd-
afrikas dadurch eine ganz andere Gestalt gewinnen. Welchen
Eindruck jene verrufene Bay auf weiterblickende Männer
macht, erhellt am besten daraus, daß Herr Ernst vonWeber
(Vier Jahre in Afrika, II, Cap. 25) seiner Zeit der deutschen
Regierung den Erwerb derselben vorschlug, um von dort aus
die holländischen Bauernrepubliken gegen englische Uebergriffe
moralisch zu schützen, der Anglisirnng Südafrikas vorzu-
beugen und dessen Germanisiruug einzuleiten. Sind das
nun auch fromme Wünsche geblieben, so haben doch Weber's
Angaben über die Delagoa-Bay, wenn sie auch schon aus
dem Jahre 1875 datiren, augenblicklich ein gewisses Interesse
(ct. a. O. S. 299 ff.). Die Mittheilungen, welche er von
einem Deutschen und anderen dort ansässigen Geschäftsleuten
erhielt, gaben ihm die Ueberzeuguug, daß es nur wenige
Plätze auf der Erde giebt, wo ein Kaufmann sein Capital
mit solchem Gewinn um- und umwendet wie dort. Der
Handel ist theils Import nach den 70 Stunden entfernten
Goldfeldern von Transvaal, theils Tauschhandel mit den in
einem weiten Umkreise im Innern des Landes wohnenden
Kaffernstämmen, den Amatongas, Amaswasis und Zulus.
Die Haupteinfuhr für diese schwarzen Völker bilden Schieß-
bedürsnisse: Flinten, Blei und Schießpulver. Ein einziger
Kaufmann von Durban verkaufte in den letzten drei Jahren
in Delagoa-Bay 7000 Flinten, alte ausrangirte europäische
Gewehre, die ihm selbst das Stück von Europa her bis zur
Bay nur 20 Mark kosteten, während er dafür von den Kaf-
fern für je eine Flinte jederzeit ein Stück Rindvieh erhielt,
so daß er im Ganzen 7000 Rinder bekam, die er zu Lande
durch Zululand nach Natal trieb und dort zu 100 bis 120
Mark das Stück verkaufte. Der Bruttogewiuu an diesem
Geschäft betrug also 560 000 bis 700 000 Mark und der
Nettogewinn wird nur eine verhältnißmäßig geringe Summe
weniger betragen haben. Bei solchem kolossalen Geschäfts-
gewinn ist es denn sehr natürlich, wenn alle hier ansässigen
Händler den neuen Ankömmlingen und den Leuten in der
Ferne das Dortbleiben resp. das Dorthinreisen zu verleiden
suchen; denn eine lebendige Coneurreuz würde bald diesem
commercielleu Paradiese ein Ende machen. Das Klima bietet
natürlich dazu den bequemsten Vorwand, und die durch zahl-
reiche von Zeit zu Zeit an große Zeitungsblätter eingesandte
Correspondenzartikel verfolgte Politik, Delagoa-Bay als ein
Batavia, Saigon oder Neu-Orleaus darzustellen, wo es nur
wenigen auserwählten und löwenkräftigen Naturen vergönnt
sei, die Früchte ihres Fleißes noch bei Lebzeiten einzuheim-
sen, hat bis jetzt noch viele speenlative europäische Kaufleute
zurückgehalten, hier ihr Comptoir aufzuschlagen. Factum ist,
daß allerdings der Platz, wo die bisherige Niederlassung
Lorenzo Marques steht, der allerungüustigste ist, der mir
überhaupt ausgesucht werden konnte. Er wurde bei der ersten
Errichtung einer portugiesischen Handelssactorei im Jahre
1544 mit Absicht auf einer auf drei Seiten von Sümpfen
umgebenen Landzunge gewählt, weil diese Sümpfe zur Fluth-
zeit mit Wasser bedeckt sind und daher den ersten Ansiedlern
gegen die Angriffe der damaligen wilden und räuberischen
Kafferustämme der Küste einen werthvollen Schutz boten.
Aber man hat nur einige Schritte bergan zu steigen und sein
Haus auf der allmälig bis zu 200 Fuß ansteigenden Berea,
d. i. dem hoch und luftig gelegenen Uferbergrücken, anfzu-
bauen, um dort eine gegen alle Bedrohlichkeiten des Fiebers
vollständig gesicherte und gesunde Wohnung zu haben.
Lorenzo Marques hat jetzt 3000 Eiuwohuer, die in 70
Häusern von Stein und 40 halb von Stein und halb von
Lehm aufgeführten Gebäuden wohnen. Die Stadt ist in
raschem Zunehmen begriffen, seitdem die Goldfelder von
Transvaal entdeckt sind, da sie für dieselben den nächsten
Handelsstapelplatz abgiebt. Wie sich seitdem der Handel ge-
hoben hat, beweisen die folgenden Zahlen:
Import und ^ ^
Export zusammen Zollertrag
1866 .... 164550 Mark 1856/57 .... 8859 Mark
1871 .... 286 095 „ 1870/71 .... 31 137 „
1874'. ... ? 1874/75 .... 399000 „
Im Tauschhandel mit den Eingeborenen wird eine Flinte
^ einer Kuh — 10 wilden Katzenfellen gerechnet. Die letz-
teren sind grauschwarz getigert und dienen den Zulus zur
Bekleidung ihrer Hüftengürtel (a. a. O. S. 304). Der hohe
Werth der Delagoa-Bay besteht hauptsächlich darin, daß sie
auf der ganzen 220 deutsche Meilen betragenden Küstenstrecke
vom Cap der Guten Hoffnung bis nach Lorenzo Marques
der einzige vollständig sichere Hafen ist, denn alle übrigen
an der Küste von Süd- und Südostafrika gelegenen Häfen
sind entweder nur offene Rheden oder haben durch Sand-
barren gefährdete Einfahrten. Die Delagoa-Bay ist den
Schiffen zu allen Jahreszeiten gleich zugänglich und groß
genug, um die mächtigsten Kriegsflotten in sich aufzunehmen.
Die beiden Winkel der Bay bei Lorenzo Marques und West-
lieh von der Insel Juyak (Port Melville) sind tief genug für
die größten Schiffe (bei Hochwasser 21 Faden und bei Ebbe
16 Faden tief), und wenn eine reichere Regierung als die
portugiesische den herrlichen Hafen besäße, so würden rasch
Piers, Docks und Kais entstehen und die bis jetzt so schwie-
rige Ausladung und Befrachtung der Schiffe dann außer-
ordentlich erleichtert werden. Bis jetzt fehlt es sogar an einer
Landungsbrücke; alle Waaren müssen eine Strecke weit auf
dem Rücken von Trägern durch das denselben bis an die
Brust reichende Wasser nach den Booten getragen und in
diesen dann nach den weiter draußen ankernden Schiffen ge-
führt werden. Allerdings hat der neue (1875) Gouverneur,
Seuhor Angnsto di Eastilho, bereits den Bau einer Landnngs-
brücke, eines neuen Zollgebäudes und eines Regiernngs-
palastes in Angriff genommen und will auch in nächster Zeit
auf der hohen Berea auf Point Reuben einen eisernen Leucht-
thurm erbauen sowie auf der Sandbank Cockburn Shoal in
der Bay ein Leuchtschiff plaeireu.
Arktisches Gebiet.
— Die schwedische Expedition, welche unter Füh-
rung des Professor Nordenskjöld die Fahrt in das Eis-
meer um Sibirien herum zur Beriugstraße unternimmt, ver-
ließ am 4. Juli Gotheuburg. Die Expedition lief zunächst
Tromsoe an, um den Kohlenvorrath zu ergänzen, pafsirte
das Nordcap bei Sturm, berührte dann noch den kleinen
norwegischen Hafen Vadsö und steuerte darauf zur Jugor-
straße.
— Mr. Bennet (s. oben Nro. VI, S. 96) beabsichtigt,
außer der „Pandora" noch die Uacht „Danntleß" auf der
Spitzbergen-Route zu einer Entdeckungsreise im Arktischen
Meere auszusenden.
— Durch deu Unternehmungsgeist von Mitgliedern der
Bremer Geographischen Gesellschaft, welche sich zu dem Zweck
mit russischen Kaufleuten in Verbindung gesetzt haben, wer-
den in diesem Sommer von deutschen Seeplätzen
Dampfer mit Gütern sowohl nach dem Ob als nach
der Mündung des Jenisei expedirt. Der Dampfer
„Luise", von 700 Tons Tragfähigkeit, CapitänBurmeister,
Rheder Baron Knoop, hat am 21. Juli mit verschiedenen
Waaren (namentlich russischen Prodncten) befrachtet, Cux-
haven verlassen, um die Fahrt nach dem Jenisei anzutreten,
wobei die norwegischen Häfen Bergen und Vardö angelaufen
werden sollen. Diese Reise machen ein Bremer Kaufmann,
Herr Schmidt, als Juspector der dortigen Deutschen Ver-
272 Aus allen
sicherungsgesellschast, und ein Beamter des kaiserlich russischen
Finanzministeriums, Herr Ehlertz, mit. Es schloffen sich die-
ser Expedition ein kleinerer Dampfer, „Moskan", geführt
von Capitän Dahlmann, und drei von dem Dampfer „Luise"
zu schleppende eiserne Leichtersahrzeuge an. Die letzteren und
der Dampfer „Moskau" sind bestimmt, die aus Europa mit-
gebrachten Güter den Jenisei aufwärts ins Innere von Si-
birien zu bringen und sollen auch für die Zukunft diesen
Dienst versehen. Die zweite Unternehmung geht von Hrn.
Kaufmann O. Bartuiug in Hamburg und Hrn. Funck in
Barnaul aus, und hat die Erreichung des Nadym im Ob-
Meerbusen zum Ziel. Der zu diesem Zwecke ausgerüstete
Dampfer „Neptun" (420 Tons Tragfähigkeit), Capitän
Rasmnfsen, hat Hamburg bereits am 14. Juli ver-
lassen. Derselbe ist mit verschiedenen Kaufmannsgütern be-
laden. Die Rückfracht dieses Dampfers nach Europa, beste-
heud in Getreide und sonstigen sibirischen Prodncten, ist
unter der Leitung des Herrn Fnnck und eines Agenten des
genannten Hamburger Hauses jetzt auf dem Ob unterwegs
nach der Mündung des Nadym. „Neptun" ist bereits am
31.JnliVardöPassirt und dürfte seinen Bestimmungsplatz ge-
gen Mitte August erreicht haben (f. u.) Der Dampfer „Luise"
dagegen ist leider im Beginne seiner Reise nach dem Jenisei
mit einem norwegischen Lootseu an Bord auf einer in den
Karten nicht verzeichneten Klippe in der Nähe des kleinen
Ortes Brönö an der norwegischen Küste während der Nacht
vom 29. auf den 30. Jnli gestrandet. Die „Luise" ist aller-
diugs später durch Hülfe der „Moskwa" und eines von Dront-
heim requirirten Schleppdampfers abgekommen, mußte indeß
nach Bergen znr Reparatur zurückkehren und fomit die
Weiterreise nach dem Jenisei der vorgerückten Jahreszeit
wegen unterlassen. Um die Expedition sür dieses Jahr nicht
aufgeben zu müssen, haben sich die Betheiligten sofort ent-
schloffen, durch die Charterung eines andern Dampfers Er-
satzzn schaffen, und Haider norwegische Dampfer „Zar itza",
Capitän Brunn, von 313 Registertons, bereits am 17. August
mit dem nicht beschädigten Theile der Ladung aus der
„Luise" und in Begleitung der „Moskwa" die Reise von
Brönö aus fortgesetzt. Nach den letzten Nachrichten waren
die Schiffe am 21. August Hammerfest passirt und beabsich-
tigten die Capitäne dann aus dem Porsanger Fjord nach
See zu gehen, so daß sie die Mündung des Jenisei ver-
mnthlich in den ersten Tagen des September erreichen wer-
den. Es steht zu hoffen, daß diese, trotz des unglücklichen
Zwischenfalls der Strandung der „Luise", mit auerkennens-
werther Energie aufrecht erhaltene Expedition glücklich zu
Ende gefüht und der Dampfer „Zaritza" im Herbste wohl-
behalten mit sibirischen Gütern nach Europa zurückkehren
werde. (Mittheilung der Bremer Geographischen Gesellschaft.)
— In den Vereinigten Staaten erwartet man nach
„Natnre" den Capitän Tyson mit der „Florenee" zurück,
in welcher er voriges Jahr eine vorläufige Nordfahrt unter-
nahm, um der größern polaren Ansiedelung des Capitän
Howgate in Lady Franklin Sound den Weg zu bahnen
(s. „Globus" XXXII, S. 176 und 271). Letzterer Plan ist
nicht aufgegeben, sondern nur um eiu Jahr verschoben wor-
den, weil der Congreß sich vertagte, ohne die dafür geforderte
Geldbewilligung zu machen. Die Bitte foll 1879 erneuert
werden, unterstützt durch einen Bericht, welcher auf den wissen-
schastlicheu Beobachtungen des Capitäns Tyson und seiner
Begleiter fußt.
— JnHolland sind interessante Briefe von der hollän'-
Erdtheilen.
dischen Nordpolarexpedition (f. oben S.95) eingetroffen,
wonach dieselbe am 9. (?) Mai in Jan Mayen und am 27.
Juni bei Amsterdam-Insel eintraf und daselbst den dort be-
grabenen holländischen Seefahrern ein einfaches Denkmal
errichtete. Daun wurden die übrigen Hauptpunkte von Spitz-
bergen besucht und nach Vardö in Norwegen gefahren, von
wo man Mitte August Nowaja Zemlja zu erreichen hoffte.
— Wie die Schiffsnachrichten gemeldet haben, ist der
am 14. Juli von Hamburg nach dem Ob-Meerbnsen (Mün-
dung des Nadym, auf 72° östl. L., 66%° nördl. Br>) expe-
dirte Dampfer „Neptun", von 420 Tons Ladefähigkeit und
12 Fuß Tiefgang, Capitän Rasmuffen, bereits am 6. Septem-
ber nach Hammerfest mit voller Ladung sibirischen Weizens
zurückgekehrt. Es ist dies die erste in einem Sommer mit
Hin- und Rückfracht glücklich vollführte Handelsfahrt nach
Nordsibirien, und letztere daher für die Eröffnung jener See-
Verbindung von hoher Bedeutung. Die erste Anregung zu
dieser Unternehmung ging von einem in Sibirien lebenden
deutschen Landsmann, Herrn Funck in Barnaul, ans. Schon
bei der Anwesenheit der Mitglieder der Bremer westsibirischen
Expedition in Barnaul begrüßte derselbe die Idee, durch
diese Forschungsreise zugleich dem deutschen Seehandel neue
Bahnen zu ebnen. Im vorigen Winter kam derselbe nach
Bremen, wo sich später leider die Verhandlungen mit einer hie-
sigen Rhedereigesellschaft behufs Aussendung eines Dampfers
nach dem Ob zerschlugen. Herr Funck trat sodann mit einem
Hamburger Kaufmann, Herrn O. Bartning, in Verbindung,
und kam eine Vereinbarung zu Stande, deren Folge die Fahrt
des „Neptun" gewesen ist. Der „Neptun" war mit Kauf-
mannsgütern aller Art beladen. Der „Neptun" traf am
13. August am Nadym ein und hatte auf der Fahrt dahin
keinerlei Schwierigkeiten durch Eis. Der Verabredung gemäß
waren hier bereits die Herren Funck und Kühn mit der auf
Leichterfahrzeugeu, die von Dampfern geschleppt, angebrachten
Ladung sibirischen Weizens, um diese au den „Neptun" ab-
zuliefern und die aus Europa mitgebrachten Güter in
Empfang zu nehmen. Obwohl Einrichtungen für Löschen
und Laden im Ob-Meerbnsen schwerlich vorhanden, wurde
dieses Geschäft in verhältnismäßig kurzer Zeit beendigt, und
konnte der „Neptun" bereits am 24. August seine Rückreise
antreten. Nach dreizehn Tagen traf derselbe in Hammerfest
ein. Vielleicht wird die Reise künftig, wenn erst die sehr
ungenügend bekannten Fahrwafferverhältnisse des Ob-Meer-
bnsens genauer ermittelt, in noch kürzerer Zeit gemacht wer-
den können. Ja, wenn man Depots in den nördlichen nor-
wegischen Häsen errichtet, wird es vielleicht zu ermöglichen
sein, in der eisfreien Hochsommerzeit zwei Reisen hin und
her zu macheu. Schließlich mag uoch darauf aufmerksam
gemacht werden, daß unter den sibirischen Stromgebieten das
Obgebiet für den Seehandel das wichtigste ist. Der Schiff-
fahrtsverkehr auf dem Ob ist schon ziemlich entwickelt, denn
es fahren auf demselben über dreißig Dampfer. Das Ob-
Gebiet ist der prodnctivste und bevölkertste Theil von Sibi-
rien. Es ist sehr erfreulich, daß sich zur Eröffnung der Fahrt
sowohl nach dem Ob als nach dem Jenisei deutscher Unter-
nehmnngsgeist bethätigt und daß somit das Programm, wel-
ches die hiesige geographische Gesellschaft bei Aussendung
ihrer westsibirischen Expedition aufstellte, nämlich neben den
allgemein wissenschaftlichen Zwecken auch die Interessen des
deutschen Handels zu fördern, seiner Erfüllung mehr und
mehr entgegengeht. (Mitth. der Geogr. Gesell, in Bremen.)
Inhalt: Skizzen ans Süd-Rnßland. I. (Mit vier Abbildungen.) — Emil Schlagint weit: Die Garo-, Khassia-
nnd Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze. I. — Dr. Carl Sachs' Reise in Venezuela. II. — Notizen zur
Handels- und Verkehrs-Geographie. II. — Ans allen Erdtheilen: Asien. — Afrika. — Arktisches Gebiet. — (Schluß der
Redactiou 2. Oktober 1878.)
Redactenr: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindcnstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
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Band XXXIV.
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Mit besonderer Berücksichtigung äer AntKroNologie unä Gtllnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern, Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten q m q
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. 1 ö l O*
Skizzen aus Süd-Rußland.
(Nach dem Französischen des Herrn F. de Mely.)
II.
Reichern Glanz als Orianda verheißt Alupka, wenn erblickt, wie sich das imposante Gebäude, von tatarischen
man es auf der Straße von Baidar nach Jalta von oben Häusern umgeben, aus dem Blättergrün erhebt. Bei jeder
Schloß Alupka. (Nach einer Photographie.)
Windung der Straße kommt man bei einem Hanse mit flachem
Dache vorbei, auf dessen Schwelle gewöhnlich ein Tatare sitzt
Globus XXXIV. Nr. 18.
und die Vorübergehenden betrachtet, während seine Frau,
wenn sie noch jung ist, schleunig sich hinein flüchtet. Vor
35
274 Skizzen aus
der dem Gebirge zugewandten Seite des Schlosses liegt ein
schmaler Hof, der aus dem Felsen heraus gearbeitet ist und
von einer monumentalen Halle abgeschlossen wird. Herr-
liche Cypressen, die ersten, welche in der Gegend gepflanzt
wurden und von denen alle jetzt dort vorhandenen herstam-
men, überragen ihn. Die beiden ganz aus grauem Granit
erbauten Fanden des Schlosses gleichen sich durchaus nicht;
die nach der Landseite gekehrte zeigt anglo-maurefken, die
>üd-Rußland.
nach der See hinschauende ganz orientalischen Stil. Das
Ganze soll 14 Millionen Franken gekostet haben; Stein
für Stein wurde eigens dazu ausgewählt, so daß jeder genau
dieselbe graue Tönung zeigt und keiner aus einem andern
Blocke als wie sein Nachbar geschnitten erscheint. Die Zun-
mer sind von etwas überladener Pracht. Großartig ist das
Vorzimmer, nur daß eine Marmorschale mit einem Spring-
brunnen schlecht zu dem 'gebohnten Parquetfnßboden paßt.
Mupka, vom MeereLaus geseh
Zur Rechten tritt man in einen Komödiensaal, durchschreitet
einen langen Wintergarten und erreicht den riesigen Speise-
saal, wo eiue mit Fayence belegte Nische, in welcher klares
frisches Wasser sprudelt, die Stelle des Kamins einnimmt;
vier große Gemälde von Hubert Robert und zwei 6 Fuß
hohe chinesische Basen von Cloisounv-Arbeit vollenden die
Ausschmückung des Raumes. Unstreitig das reizendste Ge-
mach des Schlosses ist das mit Kunstgegenständen angefüllte
(Nach einer Photographie.)
Arbeitszimmer der Fürstin in chinesischem Stil mit Berzie-
rangen ans dunklem auf hellem Eichenholze; eine Thür führt
in einen kleinen Garten, wo Weinreben einen plätschernden
Marmorbrunnen beschatten. Der sogenannte Waffensaal
in einem Nebengebäude verdieut eher den Namen einer Geräth-
kammer; seine einzig interessanten Stücke sind der mit dem
Bildnisse des Königs geschmückte Marschallsstab Philipp's
vou Orleans, ein Säbel Peter des Großen und der Katha-
Skizzen aus Süd-Rußland. 275
276 Skizzen aus
rina's. Das Sehenswertheste von Alnpka ist jedoch das
maurische Thor aus der Seeseite und die löwengeschmückte
Treppe, deren Stufen aus eine geräumige Platesorme führen,
welche nach vorn und nach beiden Seiten eine ebenso schöne
Aussicht gewährt, wie umgekehrt den Blick vom Meere aus
uach dem orientalischen Wunderbau hinauf entzückt.
Am nächsten Tage erreichte de Mely über Simferopol
die Eisenbahn und auf ihr mit weitem Umwege und in lan-
ger Fahrt über Alexandrowsk, Lozowaja und Rostow Nowo
Tscherkask, die Hauptstadt des Landes der donischen Ka-
zaken, Das vornehmste Bauwerk derselben ist der Palast
des Hetman, dessen eine Seite auf die große die ganze Stadt
durchschneidende Straße, dessen andere auf eine lange Allee
von Linden schaut, die freilich klein sind, aber doch angenehm
gegen die weite, den ganzen Horizont einnehmende Steppe
absticht. Nowo Tscherkask ist eine gauz junge Stadt; sie
wurde erst 1805 angelegt. Weder Pflanzen noch Bäume
wuchsen auf dem Hügel, den sie jetzt einnimmt, und mit
großen Kosten wurde der uöthige Humus für wenige Vege-
>üd-Nußland.
tation herbeigeschafft. So hat man ein ganz kleines, erbarm«
liches Gehölz geschaffen, wo sich Abends nach einer Hitze
von 35° bis 40° die gute Gesellschaft versammelt, um frische
Luft zu schöpfen, welche in den Straßen bei all' ihrer Breite
nicht zu finden ist. Um so mehr ist der Ort selbst ansge-
blüht, besonders seitdem er im Jahre 1863 mit den sehr
nöthigen Wasserleitungen versehen und durch Eisenbahnen
mit Woronesh nnd Taganrog am Azowschen Meere verbuu-
den worden ist. Am Ende der Promenade liegt das Gerichts^
gebäude und die Bibliothek, wo die Archive der schon im
15. Jahrhundert auftretenden Kazaken, d. h. ihre Urkunden
und Gerechtsame, die Stäbe ihrer Hetmane, ihre Kriegs-
trophäen und die ihren Großwürdenträgern verliehenen Ehren-
säbel aufbewahrt werden.
Da der Hetman der donischen Kazaken, an welchen Msly
Empfehlnngsbriefe überbrachte, verreist war, so benutzte er
seine freie Zeit zunächst zu einem Ausfluge nach den Kohlen-
gruben vou Schatuaja 30 Kilometer nördlich von Tscherkask.
Eine Eisenbahn verbindet beide Orte. Vom Bahnhofe führte
gesehen. (Nach einer Photographie.)
Verwaltung hat ihnen die dazu nöthigen Einrichtungen her-
stellen lassen.
Der dort gewonnene Anthracit ist von außerordentlicher
Härte, so hart, daß man, um ihn in den Häusern brennen
zu können, an den Oesen besondere Umänderungen hat vor-
nehmen müssen. Er gleicht so sehr dem Marmor, daß Msly
einige Tage später eine prachtvolle Vase im Palaste des
Hetman, welche ganz einfach in Schatnaja aus Anthracit
geschnitten worden war, für marmorn hielt. Die Eisenbahn-
gesellschaft hat mit der Bergwerksverwaltung einen Vertrag
dahin geschlossen, daß erstere täglich 40 Waggons zur Ab-
fuhr der Kohle stellt, damit sich die Arbeiter in den unter-
irdischen Gängen frei bewegen können. Allein sie kommt
ihren Verpflichtungen schlecht nach, so daß mitunter zehn
Tage vergehen, ohne daß sie einen einzigen schickt und dann
plötzlich eines Morgens ihrer 200 auf einmal ankommen.
In Folge dessen häufen sich die Hunde in den Gruben zu
sehr an und beengen die Arbeiter, welche gezwungen sind,
bald ihre Arbeit zu unterbrechen, bald Hals über Kopf zu
Nowo-Tscherkask vou der Steppe aus
ihu eine Telega nach der Wohnung des Directors, einem
reizenden Hause inmitten der öden Steppe. Unweit davon
erheben sich einige hohe rauchende Schornsteine; auf kleinen
Eisenbahnen wird die Kohle fortgeschafft, kurz eiu ungewöhn-
liches Leben herrscht auf der soust so stillen und ruhigen
Ebene. Neben dem Hanse stehen in kleinen schlecht umzäun-
teil Gärten einige Strohhütten, wo Bergleute wohnen; auf
der andern Seite liegt ein kleiner Park mit Wasser und Bäu-
men, der den Aufenthalt dort erträglicher macht.
Angenehm war der Franzose überrascht, daß ihn die
Gattin des abwesenden Directors mit vollendeter Gast-
srenndschast empfing und in seiner Muttersprache ihm Rede
und Antwort stand. Dort, wo noch vor wenigen Jahren
nur Pferdeherden herumschweiften, arbeiten jetzt zwei Dampf-
Maschinen au der Förderung der Kohlen, ist eine Art Dorf
entstanden und wachsen Bäume. Etwa 900 Arbeiter finden
daselbst Beschäftigung; uach russischer Sitte verlangen sie
am Abend eines jeden Sonnabend ein russisches Bad, um
den Tag des Herrn würdig.feiern zu können, und die Gruben-
Skizzen aus
arbeiten. Die russischen Eisenbahnen stehen eben noch im
Beginn der Entwickelung; später wird diese Gegend am Don
unzweifelhaft, wenn richtig angegriffen, von großer Wichtig-
keit werden. Hier zeigt die Steppe, welche Schätze sie um-
schließt; aber ihr fehlen, damit dieselben erschlossen werden
können, fleißige und intelligente Ansiedler.
Süd-Rußland. 277
Nach Tscherkask zurückgekehrt, verwendete M«ly einen
Theil des nächsten Tages zum Besuch der Kazaken-Stanitza
Kridanskoje, welche zwischen Neu- und Alt-Tscherkask,
der frühern Hauptstadt der donischen Kazaken, liegt. Eine
einstündige Bootfahrt auf dem Flusse brachte ihn dorthin.
Das Dorf stand seit Beginn der Überschwemmung mit der
Die Moskowaja-Straße in Nowo-Tscherkask. (Nach einer Photographie.)
Der Palast des Hetman in Nowo-J
übrigen Gegend nur durch Boote in Verbindung und hatte
schon vorher seine Rinder- und Pferdeherden unter Aufsicht
einiger Leute in die Steppe geschickt. Die mit gelbem Ocker
angestrichenen Holzhäuser sind trefflich gehalten und reinlich
und zeugen von einem gewissen Wohlstande. Im Schlaf-
zimmer brennt eine kleine Lampe vor einigen Heiligenbildern
und in einer Ecke stehen die von Generation zu Generation
lerkask. (Nach einer Photographie.)
vererbten Truhen, welche die Staatskleider, Kappen und pelz-
besetzten Brokatmäntel enthalten.
Man sollte glauben, daß beim Sinken des Flusses Sumpf-
fieber entstehen müßten. Das ist aber nicht der Fall. So-
bald der Fluß wieder seinen gewöhnlichen Wasserstand erreicht
hat, sproßt überall das Gras iu Fülle hervor und gewährt
den Pferden reiche Nahrung.
278 Skizzen aus
Inzwischen war der Termin, zn welchem der Hetman in
seine Residenz zurückkehren sollte, herangekommen; Mäly
bestieg also wieder sein Boot, welches ihn nach Nowo-Tscher-
kask zurückführte. Nur vou Weitem sah er, nicht ohne Be-
dauern, daß er aus Mangel an Zeit vorbeifahren mußte, die
Thürme uud vergoldeten Kuppeln von Stara-(Alt-)Tscher-
kask über das überschwemmte Land emporragen. Seit der
Gründung von Nowo-Tscherkask ist dessen Bedeutung sehr
herabgegangen; seine Einwohner sind es müde geworden,
an einem Orte zu leben, dessen Straßen sich vier Monate
in jedem Jahre in Canäle verwandeln, und zogen es vor,
in der neuen Hauptstadt zu wohnen, deren höhere Lage es wenig-
stens gestattet, daß man dort stets zu Fuß gehen kann.
In Nowo-Tscherkask angelangt, gab der Reisende seine
Empfehlungsbriefe im Palaste ab und erhielt einige Stunden
üd-Rußland.
darauf durch einen Adjutanten die Nachricht, daß ihn Ge-
neral Krasuokutzki am nächsten Vormittage empfangen werde.
Als er sich zur angegebenen Stunde pünktlich einfand, traf
er in dem Borzimmer zwei roth und gelb gekleidete Priester
von mongolischem Typus, mit stumpfen Nasen, schief stehen-
den Augen und unglaublich barocken Mützen auf demKopse:
es waren der kalmückische Bakschai Archad-Schubanow und
sein erster Stellvertreter, welche in Begleitung ihres Dol-
metschers ihrem Vorgesetzten, dem Hetman, einen Besuch ab-
statteten. Sie wichen von Allem, wasMsly bisher gesehen,
so ab, daß er ein lebhaftes Verlangen empfand, diese Leute
in ihrer Heimath aufzusuchen. Das war so leicht nicht;
aber es gelang ihm durch Vermittelung des Hetman, einige
Tage später ihren Knrnl, der mitten in der Steppe zwischen
Aksai und Astrachan liegt, besuchen zu können. Der Ge-
Stara-5
neral, welcher ihn in der liebenswürdigsten Weise empfing,
gab ihm einen seiner Adjutanten zur Seite, welcher den Füh-
rer abgeben, seine Fragen beantworten und ihn ans hunder-
terlei Einzelheiten, die ihm sonst entgangen wären, aufmerk-
sam machen sollte. Immerhin mußte man so lange warten,
bis der Bakschai heimgekehrt sein würde, und da er noch
einen ganzen Tag in Tscherkask bleiben wollte, so wurde
beschlossen, erst zwei Tage nach ihm abzureisen, damit er Zeit
hätte, alles zum Empfange seiner Besucher vorzubereiten.
Die Zwischenzeit wurde mit einem interessanten Ausfluge
uach dem Krongestüte Prevalje ausgefüllt. Für den Besuch
des Kalmükendorfes stellte der General Herrn de Meli) seine
eigene Tarantasse zur Verfügung; eine zweite schaffte der
ihm beigegebene Adjutant zur Stelle, der sich von seinem
Diener, einem Kazakeu, begleiten ließ, und für Mnndvorräthe
sorgte der Besitzer des Gasthauses, in welchem Meli) abge-
stiegen war. So mit allem Röthigen wohl versehen, traten
sie ihre Reise an, welche zuerst auf der kaukasischen Straße
bis Olginski nnd dann in der Richtung des 47. Breiten-
grades nach Osten führte. Gewöhnlich gehen die Beamten
auf ihren Dienstreisen über Stara-Tscherkask; aber die Stadt
war damals gerade unzugänglich: die übergetretenen Wasser
des Dou zwangen die Reisenden zn einem großen bogen-
förmigen Umwege, so daß sie auf einer Entfernung von fünf-
zig Kilometer die zwischen dem Grün der Bäume hervor-
leuchtenden Kuppeln, die sich in der Ueberschwemmung wieder-
spiegelten, fortwährend zur Seite hatten.
Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia- und Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze.
279
Die Garo-, Khassia- und Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze.
Von Emil Schlagintweit.
Ii.
Die Khassia.
Die Khassia wohnen den Garo zunächst; ihre Nachbarn
sind die Dschaintya, an welche nordöstlich die Mikir sich an-
schließen. Politisch waren diese Stämme jederzeit getrennt,
aber ethnographisch bilden sie ein Volk. Die Khassia sind
die civilisirtesten von allen; sie sind zwar einem Zustande
der Wildheit noch sehr nahe geblieben, aber stehen doch nicht
mehr ganz niedrig, der Einfluß des Verkehres mit Europäern
macht sich bereits bemerkbar. Als Race sind Khassia wie
Dschaintya ein schöner Menschenschlag mit ausfallend gut
entwickelter Fuß- uud Armmusculatnr, die in Indien in
der Ebene gar nicht angetroffen wird und unter Gebirgs-
Völkern selten ist; sie sind dabei geistig geweckt und lieben
kriegerische Künste; man sieht sie nie unbewaffnet, hier tritt
auch der fast mannslange Schild auf, der zugleich zum Schutz
gegen Negeu dient. Kinder gehen nackt, bei Erwachsenen ist
die Bedeckung des Körpers aber voller als bei den Garo.
Die Sprache ist besser als von jedem andern Stamme dieser
Gruppe erforscht; wir besitzen vorzügliche Grammatiken vom
Missionär Pryse, von Robinson und dem Berliner Gelehrten
W. Schott; auch der Verstorbeue H. C. von der Gabelentz
beschäftigte sich damit und Missionär Roberts verdanken wir
ein ausführliches Euglisch-Khassia Wörterbuch. Die Sprache
gehört zu deu einsilbigen und bildet ein Glied der großen
Thai- oder Schan-Familie, die aus nördlichen Ursitzen nach
Hinterindien einbrach und hier in schmalem Streifen bis
zum Meerbusen von Siam hinabreicht. Schriftzeichen feh-
leu, der Maugel einer Schrift erschwert die englische Ver-
waltung fühlbar. Als Nahrung dient Fleisch in jeder eßbaren
Form, Fische, die getrocknet verzehrt werden, Früchte, Reis
und Mehlspeisen. Eigen ist das Kauen von Betel in sau-
ligem Zustande, welcher das Email der Zähne schwarz färbt
und hierdurch deu sollst angenehmen Gesichtsausdruck unschön
verändert. Die Sitten sind jenen der Garo ähnlich; auch
hier zieht nicht der Mann die Frau zu sich hinüber, sondern
dieser tritt als neues Mitglied in Familie uud Besitz der
Gattin ein. In religiösen Fragen neigen Khassia wie
Dschaintya dem größten Aberglauben zu; früher waren
Menschenopfer üblich zur Beschwichtigung der erzürnten
(Natur-) Gottheit; dieselben gaben aber 1834 den Englän-
dern berechtigten Anlaß, dem Fürsten des betreffenden Slam-
mes der Dschaintya die Landesverwaltung abzunehmen x).
Der Khassia wie Dschaintya ißt nicht, geht nicht auf die
Reise, tritt teilten wichtigen Abschnitt seines Lebens an, ohne
nicht den Geistern zu opfern — beim Trinken und Essen
taucht man die Finger dreimal ein und besprengt den Bo-
x) Ein bei solchem cannibalischen Anlasse gebrauchtes Opfer-
messer ist der ethnographischen Sammlung meiner Brüder ein-
verleibt; es läßt sich am besten einem vergrößerten Büttnermesser
jener Art vergleichen, mit welchem die Holzspunde eingetrieben
und dann glatt, dem Fasse eben, abgeschnitten werden. Das
Messer ist an der Spitze breit, wuchtig und vorn scharf schneidig,
der Rücken breit; nach dem Griffe zu verjüngt es sich; die Klinge
ist an 40 Zentimeter, der Griff 25 Ccntimeter lang; am brei-
ten Ende der Klinge ist ein Auge eingravirt und gelb ein-
gelegt.
den — und die Zeichen zu befrage»; iusbefoudere spielt
das Aufschlageil von Eiern eine große Rolle, und deren wer-
den oft viele verbraucht, da man den Versuch so lauge fort-
setzen muß, bis sie ein günstiges Gebilde ergeben, denn bis
dahin gilt der Geist als feindlich und ist erst durch die Be-
harrlichkeit des zu ihm sich wendenden Gläubigen umzu-
stimmen. Auf das Gottesnrtheil des Wassers wird häufig
erkannt; als unterlegen im Rechtsstreit gilt, wer am wenigsten
lange unter Wasser bleibt. Bei dieser Probe kann man sich
durch einen Beistand vertreten lassen, so daß auch unter die-
sem Naturvolk ein mit guter Lunge versehener Anwalt im
Vortheil ist. Ein Familienfest, das bei Wohlhabenden zum
Volksfest wird, ist die Begräbuißfeier. Der Todte wird
verbrannt, und da in der Höhe der Regenzeit Feuer im Freien
nicht in Brand zu fetzeu ist, fo wird der Leichnam in einen
hohlen Baumstamm gelegt und durch Uebergießen von Honig
bis zum Ende der Regenschauer vor Verwesung bewahrt.
Schwer empfunden wurde 1854 das Auftreten von Cholera
während der Regenzeit; die Aufspeicherung der vielen Todten
erwies sich als uuthnnlich, und man entschloß sich, dieLeich-
name ausnahmsweise nach Sitte der Hindus der Ebene dem
Wasser zu übergeben; unter fortgesetzten Opfern und Be-
fchwörnngen warf man sie in die tief ausgewaschene Erosions-
schluckst eines Gebirgsbaches zum großen Entsetzen der im
unterhalb liegenden Tscherrapuudschi wohnenden englischen
Beamtenfamilien.
Als Laudwirthe sind Khassia wie Dschaintya äußerst
träge, der sehr fruchtbare Boden, der bedeutende Erträgnisse
an Reis liefern könnte, ist nur zu einem sehr kleinen Theile
angebaut. Ebenso wenig entwickelt ist das Gewerbe; ihre
Frauen weben nicht, und das Einzige, was an Fabrikaten
gerühmt wird, ist der aus Magneteisen hergestellte Stahl in
der Form von Aexten und Messern; doch wird auch vou
diesen Geräthen nichts zur Ausfuhr, sondern nur zum Haus-
bedarf hergestellt. Im Handel kauft mau auf Märkten gegen
Tausch wie gegen englisch-indisches Geld (Rupien).
Weltbekannt, wenigstens im Kreise der Archäologen,
wurden die Khassia und ihr Gebiet durch die bis in die
Gegenwart geübte Sitte der Ausrichtung gewaltiger Stein-
monolithen in senkrechter Lage, wie wir sie in Form und
Zweck in den Dolmen, Cromlechs und Stoueheuges Europas
wiederfinden. Hier in den Khassia-Bergen war diese Art
Denkmäler zum ersten Male aus Indien gemeldet worden;
seither sind sie auch im Mittlern und südlichen Indien auf-
gedeckt worden, besonders ausführlich ist die Beschreibung aus
Tschota Nagpur am Nordrande Centralindieus l). Au allen
diesen Fundorten bestehen die Denkmäler aus aufrechtstehen-
den unbehauenen Bruchsteinen von mehr als Mannshöhe,
viele Ceutuer schwer, ohne Inschrift; vor ihnen liegen gleich-
i) E. T. Daltoii, Rucke Sterne Monuments in Chutia
Nagpur and otlier places, Journal ot' tlie Asiatic Society
of Bengal 1873, Part. I, p. 112, mit drei photographischen
Ansichten. Von allgemeinem Interesse ist, daß ihre Beschreibung
vollkommen auf die Dolmen der Krim paßt. Vergl. W. Köp-
Pen, Streifzüge in der Krim, Russische Revue Bd. V, S. 545.
Für die Khassia berichte ich nach Aquarellen meines Bruders,
Hermann von Schlagintweit-Sakünlünski.
280 Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia- ui
falls unbehauene und noch gewichtigere Steinplatten, auf
kurzen steinernen Tragsäulen ruhend. Die Khassia bringen
diese Steine oft aus weiter Ferne auf Holzschleifen herbei,
vor die sich Hunderte vou Menschen spannen; wo es angeht,
wird die Reibung durch untergelegte Rollen überwunden.
Die horizontal liegenden Platten sind als Grabstätten, auch
Opfertische, gemeint, die senkrecht stehenden sind dagegen
Erinnernngs- und Gedenksäulen. So werden Verträge
durch Aufrichtung solcher Steinsäuleu gleichsam besiegelt,
selbst einem beliebten englischen Beamten wiederfuhr 1373
die Ehre der Aufrichtung einer solchen Denksäule. Diese
Säulen und Grabtische stehen nie allein, sondern grnppen-
weise beisammen; sie werden mit keinerlei Inschrift versehen.
Der Einsenknng des Steines an der bestimmten Stelle folgt
ein großes Volksfest.
Der Mikir-Stamm im Dschaintya-Land erfuhr erst
in der neuesten Zeit aus administrativen Ursachen Beachtung.
Derselbe soll ursprünglich südlich davon in Katschar gelebt,
dann vor Bedrückungen Zuflucht im Dschaintya-Lande gesucht
haben; hier fanden sie nicht die Aufnahme, die sie erwartet hat-
ten, begaben sich deshalb unter den Schutz des Radschas vou
Assam und bewohnen in den Districten Nangong und Goal-
para das Land hinab bis zum Brahmaputra. Die Könige
von Assam entwaffneten die Mikir; dadurch wurden sie aus
unruhigen Nomaden friedliebende Ackerbauer und sind als
Taglöhner gesucht. Ihre ethnographische Stellung im Ge-
wirre der Völker der Ostgrenze Indiens bedarf noch end-
gültiger Feststellung; im Aeußern, Anzug und Sitten haben
sie jedenfalls viel mit den Khassia gemein, eigenthümlich ist
ihnen aber ein ärmelloses Wams aus roth gestreifter, an
beiden Enden ausgefranster Baumwolle, das geradezu das
Wahrzeichen der Stammeszugehörigkeit ist. Das Haus ruht
wie bei den Khassia auf einem hohen Rost aus Pfählen, zu
welchem man auf einem eingekerbten und schief angelehnten
Baumstamme emporsteigt; die Behendigkeit, mit welcher die
Eingeborenen solche Einbaumtreppen selbst mit schweren Lasten
auf- und absteigen, ist stannenswerth. Der Mangel an
Scham geht noch weiter als bei den Khasfias; in einem nicht
abgeheilten Räume schlafen Verheirathete, Ledige und Kinder
neben einander. Die Ehe wird ohne große Förmlichkeit ge-
schloffen, die Neuvermählten geben den Verwandten ein Fest.
An indische Vornrtheile erinnert, daß die Mikir kein Rind
schlachten und sich selbst der Milch enthalten. Wittwen
können sich wieder verheirathen. Der ganze Stamm lebt
in gedrückten Verhältnissen und zählte 1372 59 798 Seelen x).
Die Naga-Völker.
Unter allen Völkern, welche südlich von Assam wohnen,
sind die Nagas der Zahl wie dem bewohnten Gebiete nach
das stärkste; die letztjährigen englischen Expeditionen haben
festgestellt, daß sie über die Wasserscheide zwischen Brahma-
putra und Jrawadi hinauswohnen und jedenfalls noch das
Qnellgebiet des Kaindwen- oder Namtonai-Flusses bevölkern,
des großen westlichen Zuflusses des Jrawadi. Die Erklä-
rung des Namens war zunächst aus dem Sanskrit Naga
(Schlange) versucht worden; Andere führten es zurück auf Ben-
gali nangta (Hindoftani nanga), nackt, während eine dritte
Theorie das Katfchari-Wort Naga herbeizieht, was einen
jungen Mann, dann einen Krieger bedeutet; die Frage ist
noch eine offene, letztere Erklärung aber die annehmbarste.
Die Naga selbst haben für ihr Volk keinen gemeinsamen
i) Eine ausführliche Beschreibung eines Wohnhauses für
Junggesellen, die auch bei diesem Stamme abgesondert schlafen,
giebt mit Abbildungen Brownlow in den Proceedings der
Asiatischen Gesellschaft von Bengal, Calcutta 1874, S. 17.
Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze.
Namen, sondern, wie sie in zahlreiche Stämme gespalten sind,
so nennen sie sich auch nach dem Dorse ihres Wohnsitzes
oder mit dem Namen, der für eine Gruppe vou Dörfern,
deren Insassen sich als ein Stamm fühlen, in Gebrauch kam.
Nach Dutzenden, ja nach Hunderten zählen die Stämme;
einige beschränken sich auf ein einziges Dorf. Der Race
nach liegt hier kein einheitliches Volk vor; Lieutenant Butler,
der als Beamter Jahre lang unter ihnen lebte, und Peal,
Inhaber einer Theepflanznng in Nordkatschar, welcher ihr
Land ebenfalls wiederholt besuchte und dauernd in Geschäfts-
berührnng mit ihnen blieb, unterscheiden zwei Volkstypen,
die ganz deutlich als verschiedene Racen sich abheben: „eine
schöne, kräftige, muntere, geweckte uud hellfarbige Race, die
ihre meist terrassirten Felder mit vielem Fleiße bebaut;
Hauptrepräsentant dieser Gruppe sind die Angami-Naga.
Die andere Race ist dunkler, schmutziger und drückt sich mehr,
ein gutes Beispiel ist der mürrische Lhota; besonders hervor-
zuHeben ist, daß diese Race jedesmal zurückweicht, wenn sie
mit dem stärkern Volke in Berührung kommt." Für einen
andern ausgezeichneten Forscher aus diesem Gebiete, Oberst
E. T. Daltou, ergab sich die tiefe Spalte des Dhaugsiri-
Flnsses und seines östlichen Nebenflusses, des Doyang, als
ethnographischen Markstein; er faßt die östlich von diesem
Nebenflüsse sitzenden Stämme, die im Aeußern, in Sitten
und Sprache große Uebereinstimmnng zeigen, als Ostrace
zusammen, und setzt dieser gegenüber eine westliche, aber
weniger einheitliche Gruppe, in welche verschiedene Völkerreste
verschmolzen seien. Das Auftreten zahlreicher Dialekte ist
ein weiterer Beweis dafür, daß wir es bei deu Naga mit
verschiedenen Volksstämmen zu thun haben, die unter einem
gemeinsamen Namen gehen; so groß ist die Sprachverwir-
rung, daß die englische Verwaltung, die sonst vou ihren
Beamten Kenntniß der Provinzsprache verlangt, davon absah,
dagegen jedem Stamme, den sie unter ihre Controle bringt,
die Abordnung eines Dolmetschers an den Amtssitz des
Beamten auferlegt, damit dieser sich in dem Bischen Assame-
sisch, dessen er schon mächtig ist, vervollkommne und die Auf-
trüge an seinen Stamm in ihre Sprache übersetze. Bei den
Schwierigkeiten, welche die Herstellung eines genauen nnd
zu Sprachvergleichungen brauchbaren Vocabnlares macht,
fehlt es noch an genügendem Materiale, um aus der Sprache
zur Bestimmung der ethuographifchen Stellung der einzelnen
Volkstheile gegen einander wie zu den Nachbarvölkern zu
gelangen; die vorliegenden Sprachproben, welche Robinson
mit Missionär Brown zu einer Grammatik des Naga zu
verarbeiten unternahm, behandeln nur bestimmte räumlich
eng begrenzte Dialekte, die über die Wohnsitze des Stanunes
hinaus nicht verstanden werden. Es fehlt jedoch nicht an
anderen Merkmalen der Zusammengehörigkeit; so ist allen
Naga eigenthümlich die Sitte des Tättowirens, dann eine
Haarfrisur, wobei das Haupthaar auf dem Hinterkopfe in
einen Knoten geschürzt wird. Diese Haartracht kommt auch
im centralen Theile Indiens vor, aber findet sich dort nur
unter einzelnen Resten der vorarischen Bewohner Indiens
vor; hier dagegen ist sie allen Gebirgsstämmm an der Grenze
gegen Hinterindien eigen nnd wird geradezu zum Wahrzeichen
des das Grenzgebirge gegen Birma bewohnenden Volkes *).
Ganz eigenartig ist das Tättowiren. Kein anderes indisches
Volk ritzt Zeichen in die Haut, während hier jeder Stamm
seine eigenen Zeichen hat. Diese Sitte weist auf einen
Zusammenhang der Naga mit den in Jünnan und am Nord-
rande von Birma nnd Siam wohnenden Völkerstämmen hin,
von denen diese Unsitte gleichfalls berichtet wird.
i) Vergl. Th. II. Lewin, The Lushai Dialect of the
Dzo or Kuki Language, Calcutta 1874.
Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia- u:
In der folgenden Beschreibung ist eine Schilderung der
Augami-Naga gegeben, eines der größten Stämme westlich
des Doyang-Flusses; wir besitzen über diese durch ihren
langjährigen, am 25. September 1875 leider durch einen
Naga-Speer getödteten Aufsichtsbeamten, Lieutenant C. Butler,
ausführlichere Nachrichten als über jeden andern Stamm.
Wo im Folgenden wörtlich citirt wird, geschieht es nach
Butler.
DieAngami-Naga zählen in 46 Dörfern 6367 Häu-
fcr; zu je fünf Bewohnern gerechnet, gelangt man zu einer
Stammesstärke von 31 835 Seelen. Die Dörfer erstrecken
sich 50 Kilometer in der Länge, 30 Kilometer in der Breite,
so daß rund 1500 Quadratkilometer (28 deutsche Quadrat-
Meilen oder ein Areal von der Größe des Herzogthums
Sachsen-Altenbnrg) ihr Gebiet bilden; die Bevölkerung wohnt
sohin unter ihnen dichter als bei ihren Nachbarn. In der
äußern Erscheinung siud diese Naga kriegerische Gestalten;
sie haben athletische Formen, die Muskeln sind an Armen
und Waden stark entwickelt, an Größe überragen sie im
Durchschnitt die anderen Stämme. Die Hautfarbe ist ver-
hältuißmäßig hell, doch finden sich unter ihnen wie unter-
allen Stämmen der indo-chinesifchen Grnppe Schattiruugeu
ins Braune, die vom oliveufarbeueu und röthlichen Tone
bis ins Jndianerroth und Dunkelbraun spielen. „So
schwarze Menschen wie in Bengalen traf ich nur einen und
von diesem ergab sich, daß er ursprünglich ein assamesischer
Gefangener war, dem eine Tochter des Landes zu Heirathen
erlaubt worden war." In der Gesichtsform ist auch Wech-
sel, breite Backenknochen herrschen jedoch vor; die schönsten
Leute werden in den höheren Thälern angetroffen. Unter den
Weibern findet man einzelne, die man ganz hübsch nennen kann,
„aber ich weiß nicht, ist es die freimüthige Schaustellung ihrer
Reize oder die Gelegenheit der ungehinderten Begleichung
mit den vor Augeu tretenden Formen der Männer, That-
fache ist es, daß ich vergebens nach den weichen Formen und
schöngezogenen Linien suchte, welche den Frauengestalten an-
derer Racen Ansehen und Schönheit verleihen. Diese Reize
fehlen zwar auch denJndiern von Kaschmir bis zum Meer-
bnsen von Bengalen; hier aber war ich erstaunt, wie schnell
Frauen unter harter Arbeit ungeschützt vor Sonnenbrand
in Verbindung mit frühzeitiger Mutterschaft altern; in wenig
mehr als sechs Jahren sah ich wahre Kinder in niedliche
Mädchen und diese wieder in kräftige Mütter verwandelt,
während ich andererseits Mütter und Frauen, an deren
jugendlichem Aussehen ich mich erfreut hatte, in wenigen
Jahren in alte Weiber zusammengeschrumpft sah mit kaum
einer Spur ihres frühern guten Aeußeru. Die Frauen
sind züchtig, treu, vergnügt und, ganz im Gegensatz zu den
Männern, nie müssig; sie tragen Holz aus dem Walde, das
Wasser von den Brunnen herbei, kochen die Mahlzeiten,
brauen den Reisbranntwein, weben im Hause und behacken
den Acker. Wenn ich von Tüchtigkeit spreche, so ist das
Wort nicht in unserm Sinne zu nehmen, sondern nach den
Vorstellungen eines Naga auszulegen. Die Beziehungen
der beiden Geschlechter zu einander und die Feststellung des
Standpunktes, den sie einnehmen sollen, war jederzeit in der
Welt einer der heikelsten Probleme, und gerade die sortge-
fchrittenen Nationen haben am meisten erprobt, wie schwierig
es ist, zwischen der Scylla puritanischer Enthaltsamkeit,
welche die Geschlechter nahezu gänzlich von einander hält,
und der Charybdis der Zügellosigkeit hindurchzusegeln. Hier
unter den Nagas befinden wir uns in einer urwüchsigen
Gesellschaft; sie straft Untreue in der Ehe mit dem Tode,
aber dachte niemals daran, daß von den Ledigen oder sagen
wir freien Mitgliedern des^Stammes Enthaltsamkeit verlangt
werde oder bei ihnen auch nur wünschenswert!) sei. Junge
Globus XXXIV. Nr. 18.
Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze. 281
Mädchen und Männer vermischen sich mit der vollen Frei-
heit, welche das Naturgesetz ihnen möglich macht; was sehen
wir als Folgen? Prostitution und alle schlimmen Krank-
heiten iu ihrem Gefolge sind unbekannt, keine öffentliche
Dirne treibt hier ihr Geschäft; ein Naga-Mädchen würde
sich schämen, ihren Körper anzubieten, und wehe dem Bnr-
schen, der seinen Zweck auf anderm Wege als durch Liebe
erreichen will. Die Eltern mögen die Kinder in ihrer Wahl
berathen, haben aber kein Einspruchsrecht. Das ganze Sitten-
gesetz gipfelt in Ehe und Ehescheidung; leider muß man
sagen, daß sie sich in einem Jahre folgen, ohne daß daraus
ein Gerede entsteht; Unverträglichkeit der Anschauungen
genügt schon zur Trennung." Die Hochzeit wird mit einem
ergiebigen Mahle uud Festlichkeiten gefeiert, wobei der Bräu-
tigam, wenn er es vermag, den Eltern der Braut ein Ge-
fchenk macht. Die Ehescheidung macht eine Theilung alles
beweglichen Vermögens nöthig; die Frau erhält ein Dritt-
theil und lebt dann entweder allein in einem Häuschen oder
kehrt zu ihren Eltern zurück, bis sie wieder heirathet. Bei
einem Todesfall erben nicht die Töchter, sondern die Söhne
mit Ausschluß der Töchter und der Wittwe, das Hans sällt
dem jüngsten Sohne zu. Die Wittwe und Töchter behalten
ihre persönlichen Anzüge und werden von den Söhnen und
Brüdern bis zur Verehelichung oder auf Lebenszeit erhalten.
Der Anzug des Naga ist schreiend und auffallend.
Hanptkleidungsstück der Männer ist ein dunkelblauer oder
schwarzer Schurz aus selbstgemachtem Baumwollenzeug, von
1 bis 1,25 Meter Länge, 40 bis 50 Centimeter Breite,
mit drei oder bisweilen vier Reihen kleiner weißer Muscheln
benäht. Dieser Schurz wird um die Lenden gegürtet, an
das vordere Ende ist ein Bindfaden genäht, der zwischen die
Beine hindurch gezogen und hinten befestigt «Wird; die Scham-
theile sind dadurch vollkommen bedeckt. „Ich kenne keine
andere Art sich zu kleiden, welche alle Theile, die einen
Mann bilden, in ihrer vollen Schönheit oder in ihren Man-
geln sofort beurtheilen lassen." Bei schlechtem Wetter wirft
der Mann eine Art Shwal über die Schultern. In den
Ohren stecken mächtige Gehänge, zuweilen aus Jagdtrophäeu,
wie einem Eberzahn, bestehend; das Originellste find aber
Bündel aus gebleichter Baumwolle hinter den Ohren zu
Ballen von einer Mannesfaust gepreßt und mittelst einer
Rosette, von welcher lange Fäden auf den Hals herabhängen,
an das Ohrlid befestigt. Um den Hals liegt ein Baum-
wollenband, an welchem hinten eine mächtige Muschel hängt.
Arme uud Füße sind mit Ringen ans Elfenbein, Messing
oder buut bemaltem Flechtwerk verziert. Das Haupthaar
wird im Gesicht gerade abgeschnitten und glatt über die
Stirn gebürstet, so daß es diese bis auf wenige Centimeter
oberhalb der Augenbrauen bedeckt; einige theilen dieses Haar
ab und bürsten es nach den Seiten zu hinaus. Das übrige
Haupthaar läßt man lang wachsen und schlingt es zu einem
eigentümlichen Knoten, „nicht unähnlich dem vor Kurzem
getragenen Chignon." Rund herum sind weiße Baumwollen-
bänder gewunden und an Festtagen steckt man Vogelsedern
hinein, am liebsten Schwanzfedern vom Horuvogel, welcher
die dichten Waldungen nach Tausenden bevölkert. Die Ge-
wänder der Frauen sind durchweg weniger farbenreich
als bei den Männern; man muß bei ihnen zwei Trachten
unterscheiden: eine vollere uud die ursprüngliche. Die eigent-
liche Nagatracht entspricht dem Urzustände des Volkes. Bis
zur Pubertät und noch darüber hinaus gehen einzelne ganz
nackt; dann wird an einem Baumwollenstricke mit verzierten
Enden ein schön polwter länglicher Messiugschild mit recht-
winkligen Ecken gehängt, innen wattirt; manche tragen dar-
unter noch eine Schürze, aber viele entschlagen sich derselben
und bedecken die Scham mit nichts als diesem Messingschild,
36
282 Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia- und
der bei schnellem- Gehen ans die Seite gezogen wird. Der
volle Anzug ist decent; er besteht aus einer langen um Hüfte
und Füße geschlungenen Schurze, die bis unter die Wade
reicht; nach aufwärts setzt sich daran ein spitzzulauseudes
Tuch, das durch ein um den Hals lausendes Band bis über
die Brüste hinaufgezogen wird uud diese noch bedeckt; die
Schulter bleibt unbedeckt. Alle Frauen sind mit Geschmeide
dicht behangen; am beliebtesten sind Halskette und Armringe,
welche oft den halben Arm entlang laufen. Die Schenkel
uud Wadeu sind zuweilen mit Längslinien tättowirt.
Eine interessante Figur ist der Krieger. „Es giebt kaum
eine Erscheinung, die malerischer wäre als ein Angami-Krie-
ger in voller Ausrüstung, der in seinem Gala-Kriegsaufzug
umherstolzirt, die Berge von seinem eigentümlichen Kriegs-
geschrei wiederhallen läßt, das, von einigen hundert Kehlen
ausgebracht, von außerordentlich durchdringender Wirkung
ist und bald zn tiefem Baßton herabsteigt, bald in ein nn-
gewöhnlich wildes, jackalartiges Gellen übergeht." Das Ge-
ficht des Mannes ist tättowirt, um Auge, Nase uud Mund
laufen je nach Stamm- oder Familienverbindung spitz oder
ruud sich verbindende Linien, dazwischen Punkte, alles dunkel-
sarbig eingeätzt; „das Ganze giebt dem Gesichte eine un-
natürlich tiefe Schwärze und macht den Ausdruck so furcht-
erregend, wie wenn ein Weißer sein Gesicht schwärzt." Auf
den Kopf hat der Krieger einen phantastischen mit Federn
und Bändern verzierten Helm gestülpt oder auch nur ein
Band eingeflochten und dies mit aufrechtstehenden Federn
geschmückt; von den Ohren stehen Federn ab und Baum«
wollensransen fallen auf den Nacken herab. Der Hals hängt
mit Zierrath dick voll, noch dichter sind die Arme umwuudeu,
Waden und Knöchel sind mit Schmuck und Bändern geziert.
Um den Unterleib und die Hüfte sind Tücher gewunden, die
bald in einer in lange Fransen auslaufenden farbenreichen
Schürze oder in einem breiten um die Oberschenkel und die
Hinterbacken gezogenen reich verbrämten Bande enden. Die
Waffen sind der Spieß, deren jeder Krieger zwei führt, der
Dao und der Schild. Der Speer hat eiue lauge eiserne
Spitze uud ist, wenn aus der Nähe geführt oder einem nahen
Hinterhalte geworfen, eine gefährliche Waffe; man darf ihn
nie anlehnen, sondern er muß stets frei uud senkrecht stehen,
weshalb das untere Ende auch mit einem Eisen bewehrt ist.
Der Dao ist Streitaxt und zugleich Holzbeil wie Küchen-
Messer, dessen vorn 46 Centimeter breites gegen den Schaft
sich verjüngendes Eisen in der Richtung der Längsaxe an
einen Griff von 50 Centimeter befestigt ist; der Naga steckt
es rückwärts in den Gurt. Zum Schutze gegen Angriffe
dient ein Schild fast von Manneshöhe und 50 bis 60 Centi-
meter Breite; das Gestell ist von Bambn, den Ueberzng bil-
det außen die Haut eines wilden Thieres mit den Haaren,
innen ein dünnes Brett; die oberen Enden sind mit Federn
und dergleichen geziert. Neuerdings kommen Feuerwaffen
in Gebrauch. Die Engländer verbieten zwar den Verkauf
von Gewehr uud Munition an die Naga, diese aber holen
diese stark begehrte Waffe in Birma, wenn es nicht gelingt,
eine englische Polizei- oder Militärwache anzuschleichen, sie zu
ermorden und ihr die Waffen abzunehmen. Originell ist die
Kriegserklärung; an Anlaß fehlt es nicht, da Blutfehde noch
Stammesgesetz ist. Her mit Krieg bedachte Stamm erhält
vom Angreifer ein Stück verkohlten Holzes, eine Schote des
Cayennepfeffers und eine Flintenkugel (früher einen Speer-
spieß) zugesandt; diese Jnsignien bezeichnen Niederbrennen der
Dörfer, die Hauptangriffswaffe und den beißenden Schmerz,
welchen den Angegriffenen der Racheact bereiten wird. Eigen-
thümlich ist, daß diese Kriegszeichen dem bedrohten Stamme
Naga-Völker an der indisch-birmcmischen Grenze.
nicht direct zugehen, sondern von Dorf zu Dorf weiter ge-
reicht werden. Unterwürfigkeitserklärnng wird durch Dar-
reichung eines Hundehalsbandes, an welchem ein Strick hängt,
verständlich ausgedrückt.
Die Dörfer uud Häuser stehen nach Art der Khassia und
Garo auf Rosten uud nicht in der Tiese, fondern möglichst
nahe den Berggipfeln. Der steten Fehden wegen sind sie
stark befestigt; die Hindernisse der Annäherung bestehen in
starkem Pfahlwerk und massiven Steinmauern; hierzu kommen
in Kriegszeiten tiefe mit Reisig und Gras dünn bedeckte
Gruben uud Pandschies oder scharf zugespitzte Bambnrohre,
die mit Stricken an einander gereiht sind und in Gruben
über den Weg, wo er von Gras überwachsen ist, hinter ein-
ander aufgestellt werden; der Feind tritt hinein und verletzt
sich entweder beim Eintreten — alle Naga gehen barfuß —
oder beim Niederfallen. Die Engländer lernten diese nnfchein-
baren Pandschies als Ursachen sehr schlimmer Verletzungen
kennen; daß die Spitzen vergiftet seien, wie bei anderen
Völkern dieser Gebirge, wurde nicht beobachtet.
Ueber ihre Herkunft haben die Nagas folgende Legende.
„Vor lauger Zeit, als die Welt noch jung war uud Götter,
Menschen und Thiere noch friedlich neben einander wohnten,
lebten ein Gott, eine Fran und ein Tiger bei einander. Die
Frau starb und der Tiger machte sich daran, ihren Körper
sich zur Mahlzeit zu nehmen: dies machte dem glücklichen
Znsammensein ein Ende und die Familie trennte sich.
Einige Zeit später entstand zwischen zwei Brüdern, den Söh-
nen des großen Fürsten der Menschen, Streit; beide verließen
die Heimath, wo ihre Wiege stand, ans verschiedenen Wegen;
dabei machten beide Zeichen, der eine in den Tschombn-, der
andere in den Tschemn-Baum. Einschnitte im Tschombn-
Baum bleiben Tage lang weiß, im Tschemu werden sie so-
fort fchwarz; die größere Menge der Nachfolgenden zog den
Weg der weißen Marken, die Minderzahl folgte den schwarz
gewordenen Wegzeichen; erstere führten in die Ebene, letztere
in die Gebirge vonAssam und daher die größere Ueberlegen-
heit der Tephrimas, d.i. Leute vonAssam, oder der Weißen."
Ueber Religion und Zukunft nach dem Tode ist sich der
Naga gänzlich unklar. „Einige antworteten auf meine Frage
nach diesen Dingen, daß ihre Geister in die höheren Regionen
hinüberfliegen werden, wenn sie hienieden ein tugendsames
Leben führten und jedes Uebermaßes in Speise und Trank,
insbesondere des Genusses von Fleisch, sich enthielten; andere
waren aber über die Frage ganz erstaunt und antworteten:
Nach dem Tode beerdigt man uns, unsere Leiber verwesen
und damit hat das Leben ein Ende; wer kann mehr wissen?
Bedenken wir jedoch, daß der Todte mit seinen Kleidern,
seinen Waffen und einem Huhn begraben wird, so folgt
daraus doch, daß sie eine unbestimmte Idee vom Leben nach
dem Tode haben, dessen Einzelnheiten sie jedoch nicht benn-
ruhigen. Ihre Religion läßt sich in das einzige Wort Furcht
fassen; alle religiösen Ceremonien, Gebete, Beschwörungen
und Opfer, werden in dem Glauben vorgenommen, daß man
damit ein bevorstehendes Uebel abwende; dagegen ist der Naga
unfähig des Gefühles der Demuth, der Verehruug und der
Anbetung gegen eine allesvermögende Gottheit. Ich traf
einst einen Häuptling, welcher aus Anlaß des Absterbens
seines geliebtesten Sohnes am Fieber in Folge Erkältung
auf der Jagd in voller Kriegsrüstung ins Freie rannte, den
Kriegsruf ausstieß, deu Gott, der ihm seinen Sohn raubte,
zum Zweikampf herausforderte und diesem dann schließlich
fürchterliche Flüche nachsandte wegen seiner Feigheit, sich
nicht mit ihm zu messen."
C. Favre's und B. Mandrot's Reise in Kilikien 1874.
283
C. Favre's und B.
Einzelheiten v
Die Straße von Missis nach Adana soll für die landes-
üblichen Karren fahrbar sein; die Entfernung kann in fünf
bis sechs Stunden zurückgelegt werden. Favre und Man-
drot gingen jedoch nicht direct nach Adana, sondern nord-
wärts am rechten User des Dfchihan in 22/2 Stunden nach
Shilan Kalessi. Der Fluß läuft hier zwischen dem Fuße
des Dschebel Missis nnd dem einer Hügelmasse, deren hoch-
ster Punkt nördlich am Sihnn liegt, und deren letzte Ans-
läuser eben am Dfchihan zwischen Missis und Shilan er-
sterben. Wie alle übrigen Denkmäler derselben Art in Kili-
kien liegt das Schloß Shilan oder die Schlangenburg auf
dem Gipfel eines Kalkfelfeus, welcher das nördliche Ende
des Dschebel Missis bezeichnet. Aber anstatt daß der Fluß
um denselben herumfließt, bricht er durch eine Art Engpaß
und trennt dadurch den Kalkfelsen von der übrigen Kette,
so daß zwischen Fluß und Berg nur ein schmaler Pfad übrig
bleibt.
Bon hier braucht man vier Stunden quer über die Ebene
nach Tnmlo Kalessi; anfangs geht der Weg nordwestlich
längs der Hügel, fällt eine Stnnde vor dem Ziele in die
directe Straße von Missis nach Sis und überschreitet gleich
darauf einen Bach, dessen breites Bett die Annahme, daß
er einst bedeutender war, rechtfertigt. Dies Factum stände
in Kilikien nicht allein da, wo zahlreiche Flüsse an Wasser-
reichthnm verloren haben, seitdem das Land in der Ebene
und einem Theile des Gebirges seinen Banmwuchs eingebüßt
hat. Tumlo Kalessi liegt, wie Shilan, auf einem Berge
über einem Dorfe. Von dort ging es in zwei Stunden
ostwärts über die kahle Ebene nach dem Dorfe Kastall
unweit des Dfchihan; rings um dasselbe dehnen sich Sümpfe
aus, deren Wasser den Pferden bis an den Bauch reicht.
Zwischen Dorf uud Fluß steht dichtes Gebüsch, in welchem
zahlreiche wilde Schweine Hausen. Die Bewohner von Ka-
stall genießen im Lande eines schlechten Rufes. Von dort
an wendet sich der Weg nach Anavarza nach Nordnordosteu
und bleibt vom Flusse, der nicht sichtbar ist, etwas entfernt.
Bald wird der Boden wieder fester; nian überschreitet zwei
Nebenflüsse des Dschihan und zuletzt einen dritten größern,
welchen die Eingeborenen für einen Arm des Dschihan ans-
geben, der aber in Wahrheit dnrch den Zusammenfluß des
Deli Tschai oder Flusses von Sis und des Sanran
Tschai — zwischen beiden liegt der Felsen von Anavarza —
gebildet wird. Ehe man jene Ruinen, welche zu den interes-
santesten des Landes gehören, erreicht, überschreitet man den
Deli Tschai auf einer kleinen Brücke nnd reitet dann nord-
wärts an den Hügel hin.
Anazarbus, heute Anavarza genannt, hieß im Alter-
thume auch Justinopolis und Jnstinianopolis nach den bei-
den Kaisern, denen es seinen Wiederaufbau verdankte. Im
Mittelalter diente sie den ersten Rnpeniern zur Residenz,
uud seit Leo II. wurde sie durch einfallende Feinde und Erd-
beben völlig zerstört. Mitten aus der Ebene erhebt sich ein
J) S. „Globus" XXXIY, S. 71 und 231 und Karte auf
S. 233.
t'g Reise in Kilikien 1874.
>n der Reise*),
fast nach allen Seiten steil abfallender Felsen zu 200 bis
300 Meter Höhe; er ist etwa 5 Kilometer lang und an
zwei Stellen so schmal, daß es von einem Abhänge bis zum
andern nur 15 Meter sind. Oben liegt eine sehr alte, zu-
letzt von den Armeniern wiederhergestellte Burg. Von dort
genießt man eine weit ausgedehnte Aussicht, vorzüglich gegen
Osten, wo sie den ganzen Antitauros umfaßt. Besonders
gegen Nordosten, zwischen Kars-Bazar und Sis, sind die
Berge niedrig uud erscheinen wie ein Haufen mäßig hoher
Hügel ohne ausgesprochene Hanptrichtnug, während weiter
südwärts das Gebirge bedeutend ansteigt. Am Fuße der
Anhöhe liegen die Reste der antiken Stadt nebst einer byzan-
tinischen Ringmauer in Hufeisenform, deren beide Enden sich
an den Fuß des Felsens anlehnen. Außer dem Schlosse
und der Umfassungsmauer, den beiden einzigen Denkmälern,
welche nebst einem römischen Thore noch aufrecht stehen, las-
sen sich noch ein Theater, ein zur Hälfte in den Felsen gear-
beitetes Stadium, Uutermaueruugeu christlicher Kirchen,
Wasserleitungen, Gräber n. s. w. unterscheiden. Die ein-
zigen Bewohner des Ortes sind einige Familien, welche den
Raum innerhalb der Ringmauer bebauen und ihr Wasser
sehr weit her holen müssen.
Von Anavarza bis Sis sind es 4^/z Stunden. Der
Weg führt durch die ziemlich angebaute Ebene, zuerst an
einem Aguäducte hin, welcher einst Wasser nach Anazarbus
brachte, dann über einen kleinen Fluß, den Hali-Poa oder
Alapor, welcher einst eine zweite, westlicher gelegene Wasser-
leituug speiste, um wenige Kilometer weiter die ersten Vor-
höhen des Tanros zu erreichen. Dann steigt der Weg zwischen
zwei Höhenrücken in einer Art cultimrtenThales mit großen
Bäumen empor, in welchem der Hali-Poa zu entspringen
scheint.
Die Stadt Sis selbst liegt auf einem geneigten, öden
uud felsigen Plateau am Fuße eines hohen, weißen, kahlen
Felsens, welcher in dieser Richtung den Anfang des Anti-
tanros bezeichnet. Sein Kamm zieht sich in nordsüdlicher
Richtung etwa zwei Kilometer hin und wird fast ganz von
einem langen Gürtel zerstörter Befestigungen eingenommen,
welche sich genau der launenhaften Configuration des Felsens
anschließen. Es ist das von den armenischen Königen er-
baute Fort und ihre Residenz nach Anazarbus. Im Nor-
den bilden die Berge in einiger Entfernung einen dnnkelen
Halbkreis, welcher auf beiden Seiteu nach Süden und nach
der Ebene zu niedriger wird. Westwärts erblickt man bei
klarem Himmel die schneebedeckten Spitzen des Allah-Dagh.
Aus derselben Seite fließt au: Fuße des Felsens der Deli
Tschai, um sich dann im weiten Bogen südöstlich nach Ana-
varza zu wenden. Man sieht ihn am Nordende des Burg-
berges aus einem von Norden kommenden Engthale heraus-
treten, in welchem einige Stunden oberhalb Sis das Schloß
Tunis Kalessi, noch weiter aufwärts das von Andil und
wenig östlicher das Kara Sis Kalessi sichtbar ist.
Die Stadt Sis mag höchstens 4000 bis 5000 Seelen
zählen; ungleich den meisten orientalischen Städten hat sie
in ihrer Umgebung keine Gärten, und Bäume sind dort sel-
36*
284 C. Favre's und B. Mandl
tcn. Die Sonnenhitze wird durch die Ausstrahlung der
Felseu wahrhaft unerträglich; obendrein ist das Wasser schlecht,
so daß der Ort für ungesund gilt und im Sommer vollstäU'-
dig verödet. Sis ist Residenz eines Paschas, welcher unter
dem Bali von Adana steht. Frllher wohnte dort auch ein
armenischer Patriarch, bis er durch einen Aufstand vertrieben
wurde und nach Aintab flüchtete. Sein verlassenes Kloster
fällt jetzt in Trümmer. Einige Reste des alten Tarbas
oder armenischen Königspalastes sind nebst einer Kirche und
der Burg die einzigen Denkmäler der Stadt; unweit davon
liegt eine zum Theil römische Brücke, auf Grund deren Texier
(wohl mit Unrecht) in Sis das antike Flavias erblickt hat.
Bon Sis nach Adana rechnet man zwei Tagereisen in
südöstlicher Richtung. Zuerst überschreitet man nördlich von
der Stadt den Deli Tschai, dann eine unbebaute Ebene und
erreicht nach zwei Stunden im Dorfe Bjik-köi wieder Hügel-
laud, welches sich westlich zum Sihun hin erhebt. Nachdem
er die verschiedenen Quellflüsse des Paltala - Tschai, eines
Nebenflusses des Pyramos, überschritten, steigt der Weg be-
deutend an und erreicht acht Stunden hinter Sis beiButsch
el Kandel einen sehr schmalen Gebirgskamm, welcher
zwischen dem Gebiete des Pyramos und des Saros die
Wasserscheide bildet, und an dessen Westsnße der hier einen
starken Bogen nach Osten bildende Sihun fließt. Diese
Kette, welche nach der Stadt Sis benannt wird, ist nicht
sehr hoch; von der Ebene aus kann man ihren Kamm nicht
sehen. Auch giebt Texier, welcher sie weiter nördlich über-
schritt, an, daß ihr Gipfel mit Wäldern von Cedern und
Fichten bedeckt fei, was darauf schließen läßt, daß sie 1600
Meter Höhe nicht übersteigt. Gegen Süden wird sie nie-
driger und ist an dem Punkte, wo sie Favre und Mandrot
überschritten, noch keine 500 Meter hoch.
Bon Bntsch el Kandel bis Adana ist der Weg noch 7y2
Stunden lang und führt meist längs der Wasserscheide über
sehr gebirgiges Terrain, welches znm Dfchihan allmälig, zum
Sihun aber, der übrigens nicht sichtbar ist, sehr steil abfällt.
Bald ist der Kamm sehr schmal, bald verbreitert er sich zu
kleinen Felsplateaus, welche mit Gebüsch und stellenweise
auch mit einzelnen Bäumen bewachsen sind. Bei dem Chan
Deressi passirte man einen kleinen Begräbnißplatz, wo die
in den Kämpfen Derwisch Pascha's gefallenen Gebirgs-
bewohner bestattet sind. Bon dort an nimmt der Kamm,
welcher die Fortsetzung der Kette von Sis bildet, eine süd-
liche Richtung an und wird zusehends breiter und flacher,
bis er an den Ufern des Dfchihan verschwindet. Bald ver--
läßt man die Berge, der Weg wendet sich nach Westen, und
nach mehrfachen Aus- und Abstiegen befindet man sich Plötz-
lich in der reich angebauten Ebene von Adana, dessen üppige
Gärten und Minarets in einer Entfernung von wenigen
Kilometern vor einem liegen.
Adana steht auf dem rechten westlichen Ufer des Sihun,
welcher einige Kilometer nördlich der Stadt ans den Bergen
heraustritt; auf dem linken liegt nur eine Vorstadt, an welche
sich Begräbuißplätze anschließen, zwischen denen alle Reisen-
den ihr Lager aufschlagen. Die Stadt mag 40 000 bis
50 000 Einwohner von den verschiedensten Racen und Re-
ligionen zählen. Schon Tenophon kennt sie; Hadrian erbaute
die dortige 16 Bogen zählende Brücke über den Strom,
Justiuian und seine Nachfolger besserten sie aus. Schloß
und Ringmauer dagegen sind verschwunden. Oberhalb der
Brücke ist der Fluß mit kleinen Schiffsmühlen bedeckt, deren
knarrende Räder die heftige Strömung unaufhörlich dreht.
Am linken Ufer hin führt ein anscheinend sehr belebter Weg
nach Norden, die Straße nach Basandara ins Gebirge, welche
wahrscheinlich im Sihun-Thale hinauf nach Hadschin führt.
t's Reise in Kilikien 1874.
Sie müßte man einschlagen, um den so ungenügend bekann-
ten Lauf des Flusses zu erforschen.
Adana ist eine blühende Stadt, der Baumwollmarkt und
im Großen und Ganzen der Mittelpunkt aller Handelsbewe-
gungen in Kilikien. Ringsum ist die Ebene vortrefflich be-
stellt und mit Prächtigen Getreidefeldern bedeckt. Selbst
Weingärten sieht man. Im Mai kommen von allen Sei-
ten Arbeiter dorthin, um sich für die Ernte zu vermiethen.
Adana ist auch Niederlage für alle Maaren, welche aus dem
Innern Kleiuasieus kommen, fei es von Osten über Marafch,
sei es von Südosten über Aintab, Kilis und Missis. Lange
Reihen von Kamelen ziehen auf der Straße von Mersin
hin, welches in gleicher Weise für Adana wie für Tarsus
Hafenstadt ist. Es giebt dort viel Christen, namentlich Ar-
menier, in deren Händen der Reichthum und das Gedeihen
der Stadt liegt. Einen eigentlichen Bazar findet man in
Adana nicht, aber zahlreiche Läden, welche den Straßen ein
europäisches Ansehen verleihen. Im Sommer ist das Klima
verhältnismäßig gesund, und während der Fieberzeit wandern
auch nicht alle ihre Einwohner aus, wodurch sie sich zu
ihrem Vortheile von Tarsus unterscheidet.
Auf dem rechten Ufer des Sihun sieht man drei Wege,
von welchen zwei nach Norden in das Gebirge führen, der
dritte westwärts nach Tarsus und Mersin. Schon lange
geht man mit dem Plane um, letztere fahrbar zu machen,
hatte auch damals (1874) den größten Theil der Erdarbei-
ten fertiggestellt, die Kunstbauten dagegen noch kaum in An-
griff genommen, weshalb die Reisenden den Unebenheiten
der in Bau befindlichen Straße den glattern Boden der
Ebene vorzogen. Mahmud Pascha, der letzte Großvezir des
Sultans Abdul-Aziz, war damals in Ungnade gefallen, zum
Statthalter von Kilikien ernannt worden und schien die
Straßenarbeiten recht lebhaft betreiben zu wollen; aber wahr-
scheinlich haben seine Zurückberufung nach Konstantinopel
und das Mißgeschick des Reiches nochmals die Vollendung
jenes Baues verzögert.
Da Favre und Mandrot das Land nicht verlassen woll-
ten, ohne den berühmten Engpaß des kilikischen Thores ge-
sehen zu haben, so schlugen sie von jenen drei erwähnten
Wegen den östlichsten ein und ritten zwischen Feldern uud
Weinbergen hin gerade nach Norden. Unweit der Stadt
beginnt der Pfad anzusteigen und erreicht nach zwei Stunden
den Rand eines felsigen, nach Westen zu ansteigenden Pla-
teaus. Ostwärts dagegen fällt es rasch zu dem tiefen, etwa
2 Kilometer entfernten Thale des Saros ab, der hier feinen
Hauptnebenfluß, den von Nordwesten kommenden Tschakit,
aufnimmt. An letzterm führte ihr Weg nach Westnordwesten
hin aufwärts. Sein Thal ist eben uud theilweife angebaut,
obgleich es wenig Dörfer enthält; einförmige kahle Höhen
schließen es auf beiden Seiten ein.
Nach 11/2 Stunden erreichten sie die Stelle, wo er sich
aus zwei fast gleich großen Quellflüssen bildet; der, welcher
den Namen Tschakit führt, hat hier dieselbe Richtung, wie
der vereinigte Strom, fein Nebenfluß Kütfchük Su kommt
von Norden. Beide Flüsse entspringen weit im Norden und
durchbrechen die Tauros-Kette in tiefen Schluchten; von dem
wasserreichen Tschakit ist bekannt, daß er längs der Straße
von Koniah nach Tarsus hinfließt, wogegen der Lauf des
Kütschük Su viel weniger sicher und bekannt ist. Unsere
Reisenden vermuthen, daß es der Korküu der Fischer'schen
„Karte von den Nordabhängen des Bnlghar und Allah
Dagh" ist.
Oberhalb jener Confluenz wurde der Tfchakit zum ersten
Male in einer fehr tiefen Fuhrt gekreuzt, vier Stunden spä-
ter ein zweites Mal und dann sein Thal verlassen. Der
Weg stieg nun im Thale eines kleinen Nebenflusses hinauf
C. Favre's und B. Mand
und trat bald in die Region des Hochgebirges, wo jeder
Anbau verschwand. Steil und steinig folgt er den Windun-
gen der Schlucht genau so wie in der Zeit der Römer; aber
obwohl er seitdem nicht ausgebessert wurde, so wird doch
aller Verkehr zwischen Adana, Tarsus und Kaisarieh aus
ihm mit Kamelen vermittelt. Vier Stunden nachdem sie
das Tschakit-Thal verlassen, erreichten sie den zerstörten
MeuzilChau, wo nur ein alter türkischer Zaptieh mit seinem
Sohne lebt. Sonst ist das Land weit und breit verödet,
und zwei Stunden in der Runde findet sich nicht eiu Gras-
Halm für die Pferde. Alles ist Fels, aber mit üppigem Ge-
büsch und Strauchwerk bedeckt, das fast die Größe gewöhn-
licher Bäume erreicht und zahlreichem Wilde zum Aufenthalt
dient. Die Berge werden allmälig höher und bedecken sich
mit Wald; doch sind ihre Gipfel noch abgerundet. Bald
hinter dem Chan verließen sie das Thal und stiegen über
einen Sattel in das Stromgebiet des Flusses von Tarsus
(Kydnos) hinüber, welches sie beim S arisch Chan erreichen,
der halbwegs zwischen dem Meuzil Chan und dem Schlosse
Külek (Gülek) liegt. Dort wächst ein Taback, der vortreff-
lich wäre, wenn er nicht fo grün gepflückt würde; foust ist
der Chau der einzige Ort weit und breit, wo man Gerste
für die Pferde findet. Es vereinigt sich hier der von Adana
kommende Weg mit einem andern, welcher von Tarsus her-
aufführt und der Telegraphenleitung folgt, und tritt alsbald
in den Engpaß des Kilikischen Thores, heute Külek (Gülek)
Boghaz genannt. Das Thal ist gerade für den Bach (Külek
Tschai) breit genug und zu beiden Seiten von mächtigen Ab-
hängen eingefaßt, welche theils mit Gebüsch bedeckt, theils
felsig und mit großen karamanischen Fichten, Tannen oder
kleineren Cedern bestanden sind. Humus findet sich aber so
wenig, daß man nicht begreift, wovon sich die großen schlau-
ken und starken Stämme, aus denen man Schisssmasten
macht, nähren.
Ein sehr steiler Anstieg brachte die Reisenden auf einen
Gebirgskamm zwischen zwei Thälern, welchen nördlich das
Schloß Külek überragt, das Gnglag der Armenier, eines
der wichtigsten Lehen ihres einstigen Köuigreiches, weil es
den Engpaß beherrscht, der zu allen Zeiten eine der beden-
tendsten Militär- und Handelsstraßen der alten Welt gewesen
ist. Heute ist es nur noch eine Ruine aus einem 1600 Me-
ter über den Meeresspiegel ansteigenden Felsen, welcher von
Westen uud Süden zugänglich ist, während er nach Norden
und Osten 600 Meter senkrecht in das Thal abstürzt. Er
oder seine nördliche Fortsetzung bildet den einen Pseiler des
Kilikischen Thores, den andern der ihm gegenüberliegende,
ebenso hohe Gipsel Kara Kutur. Die Schlucht zwischen
beiden ist so eng, daß Weg und Bach zusammenfallen, und
die Felsen an der engsten Stelle nur 10 Meter von ein-
ander entfernt sind. Und doch, wie viel Eroberer sind von
den Zeiten der Pharaonen bis herab aus Ibrahim Pascha
hier hindurchgezogen! Noch sieht man griechische Stelen und
verwischte Inschriften, Reste der römischen Straße und an-
derer Arbeiten am Flusse und vielleicht noch Spuren von
der einstigen Anwesenheit der alten Aegypter.
Nördlich vom Thore wird der Paß etwas breiter, dann
öffnen sich die Berge, und man betritt ein welliges Platean,
welches der 2 bis 3 Stunden oberhalb des Thores entsprin-
gende Fluß von Külek mit der Richtung N.-O. — S.-W.
in einer tiefen Spalte durchfließt. In derselben Richtung
läuft die Straße nach Koniah über einen niedrigen Sattel
nach dem Thale des Tfchakit hinüber; 5 Kilometer vom Ki-
likifchen Thore wird sie durch eine Reihe von Schanzen ge-
sperrt, welche Ibrahim Pascha angelegt hat und die vom
Schlosse Külek aus deutlich sichtbar sind. Nördlich vom
Schlosse liegen jenseit dieses Plateaus bewaldete Bergabhänge,
l's Reise in Kilikien 1874. 285
welche die Basis des nördlichen Endes des Bulghar Dagh
bilden, während im Westen uud Süden abgerundete Höhen
oder langgestreckte Kämme die Thäler von einander scheiden.
Leider verhüllte ein dichter Nebel den Hauptstock des Bulghar
Dagh und schnitt den Reisenden zeitweilig die Aussicht gänz-
lich ab; kaum daß er ihnen einen kurzen Durchblick auf Meer
und Ebeue gestattete, während dessen sie die Lage von Tar-
fus und Sarisch Chan fixiren konnten.
Der Gipfel von Külek ist der höchste Punkt in der dor-
tigen Gegend, wenn nicht sein Nachbar Kara Kntnr ihn um
einige Meter übertrifft; bis zu dieser Höhe (1600 Meter)
scheinen in diesem Theile des Tanros die großen Wälder
hinaufzureichen. Dicht bei dem Schlosse liegt ein Sommer-
dors (Jaila), das den Leuten von Tarsus und Adana wohl-
bekannt ist; damals im Mai war es freilich noch unbewohnt.
Die einzigen bewohnten Orte in der Umgegend waren das
Dorf Külek in halber Höhe des östlichen, und ein kleines
Gehöft am Fuße des westlichen Abhangs des Berges, wo
sich eiue jetzt in Trümmern liegende Anstalt zur Verarbei-
tnng silberhaltigen Bleies befindet.
Von dort führt der Weg nach Nimrnn im Allgemeinen
südwestlich über verschiedene Zuflüsse des Kydnos und die sie
scheidenden Kämme, so über den Kirkitli Tschai, durch die
malerische mit üppiger Vegetation bedeckte Schlucht Dsche-
heuua-Deressi (Höllenthal), in welcher der 10 Kilometer von
hier entspringende Kydnos selbst fließt, dann über einen
Kamm in das kleine Thal von Fakülar Köi, wo die meisten
der in der Ebene verkauften Holzgeräthe, Flinten- und
Pistolenschäfte verfertigt werden, endlich zum vierten Male
über einen Kamm hinab nach Nimrun.
Nimrun, in der Geschichte bekannter unter dem Namen
„Lampron", ist wie Külek zugleich ein zerstörtes Schloß, ein
elendes Dorf und eine Jaila, welche im Mai uoch leer steht,
aber vom Juni an von den Bewohnern von Tarsus sehr
stark besucht wird. Im Mittelalter gehörte das Schloß der
mächtigen Familie der Hethumier, Barone von Lampron,
welche nach den Rupeuieru den Thron Kleinarmeniens be-
stiegen. Seine Ruinen krönen den Gipfel eines einzelnen
schroff aufsteigenden Felsens. Von dort hat man eine weite
Aussicht gegen Norden auf die Hauptkette des Bulghar
Dagh, die als hohe kahle, stellenweise mit Schneegipfeln be-
setzte Mauer erscheint. Die Höhe der letzteren, deren höch-
stcr der nicht sichtbare Metdesis ist, wechselt von 2900 bis
3550 Meter. Halbwegs zwischen Nimrun und der Haupt-
kette verläuft eine zweite, der ersten parallele, aber niedrigere
Linie von Gipfeln. Anscheinend werden beide durch eine
starke Depression von einander getrennt, in welcher der Kyd-
nos und dessen verschiedene Nebenflüsse entspringen. Zu
der niedrigem Kette gehören der Tschau Dagh, der Berg
von Külek, der Kara Kutur und Ak Dagh; sie bildet zwischen
dem Bulghar Dagh und der gleichfalls ziemlich scharf aus-
geprägten Kette, welche das Gebirgs- vom Hügellande trennt,
eine merkliche Zwischenstufe.
Nach Kotschy liegt Nimrun 1250 Meter hoch, alfo be-
deutend niedriger als Külek. Darum ist auch die Jaila
unterhalb des Schlosses von einem wahren Walde von Obst-
und namentlich Kirschbäumen umgeben, deren Früchte in der
Ebene hoch geschätzt werden. Von dort bis Tarsus rechnet
man iy2 Marschtage oder etwa 13 Stunden. Anfangs
führt der Pfad im Thale des Kalaa Tschai (d. i. Schloß-
Fluß) hinab, welcher östlich bei Nimrun vorbeifließt. Dann
überschreitet er ihn und steigt am linken Ufer gegen Süd-
osten hinan, während das immer tiefer werdende Thal mehr
sich nach Süden zu entfernt. Hinter der Brücke Kafelbikin,
welche über den Kalaa Tschai führt, werden die Berge wie-
der kahl, und an Stelle der Bäume treten graue Felsen und
286 C. Favre's und B. Mand
Gestrüpp; die Abhänge werden weniger schroff und man ge-
langt in die Region der Hügel. 2 Kilometer stromaufwärts
von der Brücke tritt der Fluß schäumend aus einer wilden
malerischen Engschlucht heraus, macht eine scharfe Biegung
und fließt dann, Plötzlich beruhigt, in großen Windungen
über eine kleine ganz mit Rhododendren bestandene Ebene
hinweg. An dieser Stelle kann er leicht durchführtet wer-
den, aber unmittelbar darauf tritt er wieder iu eine Schlucht,
deren Wände allerdings niedriger siud, als die der ersten,
vereinigt sich dann in der Ebene mit dem östlichen Arme des
Kydnos und bildet den berühmten Fluß von Tarsus (Tar-
sns Tschai oder Mezarlik Tschai). Von Kaselbikiu bis Tar-
sus rechnet man noch 4 Wegstunden über zerrissenes, ödes
Hügelland; erst 2 Kilometer vor der Stadt beginnt die Ebene
und erst dann erblickt man ihre in Gärten halb versteckten
Gebäude.
Texier hat behauptet, daß die Lage des antiken Tarsos
heutigen Tages sich nicht auffinden lassen könnte, und führt
als Beweis dafür an, daß der Kydnos, welcher einst die
Stadt durchfloß, dreiviertel Stunden von der jetzigen Stadt
entfernt fließe. Und dennoch hat Tarsus seine Stelle nicht
gewechselt, wie außer anderen Resten auch zwei byzantinische
Thore beweisen, welche den von der alten, jetzt verschwunde-
nen Ringmauer umschlossenen Raum im Westen und Nord-
osten begrenzen. Der Kydnos aber durchfloß in der That,
wie die alten Autoren berichten, die Stadt, während heute
sein Hauptarm eiue viertel Stunde nach Osten von den
Ruinen des Schlosses und dem einen eben erwähnten Thore
entfernt ist. Aber außerdem wird die Stadt noch von einer
Menge kleiner Flußarme durchströmt, welche sie mit Wasser
versorgen und den schönen Pflanzenwuchs'ihrer Gärten näh-
ren; ja der von Nordwesten kommende Reisende muß, ehe
er die Stadt erreicht, einen solchen Arm überschreiten, und
so ist man berechtigt zu sagen, daß der Kydnos noch heutigen
Tages Tarsos durchfließt. Ferner weiß man aus den Er-
Zählungen der Reisenden, daß der Lauf des Flusses durch die
Stadt sich vielfach geändert hat, was Angesichts der viel
größeren Veränderungen an seiner Mündung nichts Erstaun-
liches hat. Es kann mithin sehr wohl möglich sein, daß
früher einmal irgend einer der Nebenarme der Hauptarm
gewesen ist, während das heutige Kyduosbett jener Kanal
wäre, den Kaiser Jnstinian zur Ableitung der Flnthen
bei Hochwasser graben ließ. Da schließlich die alte Stadt
viel größer als die heutige war, welche nach Langlois nur
7000 Einwohner zählt, so kann sie sich leicht ostwärts bis
an, ja über den Fluß hinweg allsgedehnt haben. Eine ge-
naue Untersuchung der Localität würde diese Fragen ohne
Zweifel lösen; immerhin steht es fest, daß Tarsos noch heute
auf derselben Stelle liegt, wie einst.
Merkwürdiger ist die fortschreitende Entfernung der Stadt
vom Meere. Zu Strabon's Zeiten lag sie 5 Stadien
oder höchstens 1 Kilometer von der Mündung des Kydnos
in die Lagune, welche als Hasen diente; heute trennen sie
20 Kilometer festen Landes von der See, und die Seestadt
Tarsos ist eine Landstadt geworden. Dieser Umstand im
Verein mit der Ungesnndheit des Sumpfbodens erklärt den
Verfall des Ortes, welchem Mersin und Adana täglich mehr
von seinem Verkehre rauben.
Nordöstlich von Tarsos liegt der berühmte Wasserfall
des Kydnos, bei welchem der Tradition nach Alexander fein
bekanntes unheilvolles Bad nahm. Der malerische Sturz
über eiue Felsbank hat aber keineswegs, wie behauptet wor-
den ist, 10 Meter Höhe, sondern höchstens die'Hälfte. Sieht
man dort, wie wenig Wasser der Hauptarm des Flusses zu
Thale führt, so begreift man fchwer, wie einst die Galeeren
Kleopatra's bis nach Tarfos hinauffahren konnten. Er er-
t's Reise in Kilikien 1874.
reicht hier noch lange nicht eine Breite von 160 Fuß, welche
ihm Beaufort an seiner Mündung giebt, geschweige denn die
200 Fuß, welche er nach Xenophon in Tarsos selbst maß;
bei Niedrigwasser soll man ihn wenig oberhalb des Falles
leicht durchwaten können. Man muß also eine beträchtliche
Abnahme des Wassers seit dem Alterthnme hier annehmen,
welche wahrscheinlich mit dem Verschwinden der Vegetation
in der Ebene und im Tanros ursächlich zusammenhängt. —
In den Hügeln nördlich von Tarsos entspringt der Karasu,
ein unbedeutender Bach, dessen weniges Wasser aber nach An-
gäbe der Eingeborenen hinreicht, den Kydnos zn vergiften
und dadurch zahlreiche Krankheiten hervorzurufen. Nach
Kotfchy haben ihn die Alten canalisirt, damit sich sein uu-
reines Wasser nicht mit dem des Kydnos vermische.
Die Bauwerke von Tarsos sind in sehr schlechtem Zu-
staude; zu nennen sind nur das kleine byzantinische Schloß,
auf welchem vielleicht einst Tankred sein Banner aufpflanzte,
die Moschee Uli Dfchami, früher eine armenische Kirche, und
der berühmte Dnnuk-Dasch, der die Phantasie der Archäolo-
gen schon so viel gereizt hat und nach Langlois möglicher
Weise das Grab Sardcmapal's ist.
Von Tarsos bis Mersin sind es circa 30 Kilometer, zu
welchen die Reisenden noch keine fünf Stunden brauchten.
In westsüdwestlicher Richtung zieht sich die unvollendete
Fahrstraße über die kahle uud fast unbebaute Ebene hin.
Die Hügel im Norden treten derselben immer näher und
werden schließlich beim Dorfe Jascha Köi und den Ruinen
eines kleinen armenischen Schlosses erreicht, welche jetzt beim
Ausbau der neuen Straße als Steinbruch dienen. Dann
treten die Berge wieder in einem Halbkreise weit zurück und
berühren das Meer erst bei Mersin wieder. 3 Kilometer
vor diesem Orte trifft man ein zweites kleines Schloß auf
einem hohen Hügel und so noch mehrere auf der Linie
Adana-Tarsns-Gorighos, von denen die Geschichte weder den
Namen noch sonst etwas zu berichten weiß.
Mersin, angeblich aus der Stelle des alten Zephyrion
erbaut, ist eine kleine ganz moderne Stadt, welche zusehends
an Bedeutung wächst; es ist der Hasen für Tarsus und
Adana, Merasch, Kaisarieh uud andere Städte des innern
Kleinasiens, trotzdem es südwestlichen Winden sehr exponirt
ist. Schlimmer als das ist aber das schädliche Klima, in
Folge dessen alle Einwohner, welche es nur irgend vermögen,
gegen Ende Mai ins Gebirge ziehen. Etwa 10 Kilometer
südwestlich von Mersin liegt an der Küste die jetzt verlassene
Stätte des antiken Soloi, des Pompejopolis der Römer,
welche hier kilikische Seeräuber zwangsweise ansiedelten.
Eine von Säulen begrenzte Straße, welche, von dem ellip-
tischen Hasen ausgehend, die Stadt durchschnitt, ist noch er-
kennbar, ebenso der Zug der Ringmauern, dagegen schwer
das Theater. Die Ruinen führen jetzt den Namen Hakmun.
Theils in einem elenden Boote, theils zu Fuß legten
Favre uud Maudrot die Entfernung von Mersin bis Gorig-
hos zurück. Von Hakmun an wird die Ebene am Meere,
welche zwischen den Felshügeln des Tauros und hohen Sand-
dünen eingeschlossen ist, zusehends enger. Ienseit des Sor-
kuu Su erreicht man Lamas an der Mündung des gleich-
namigen Flusses, welcher im Alterthume die Grenze zwischen
Kilikia Tracheia und der Pedias bildete. In der That hört
die Ebene bei Lamas vollständig auf, und es beginnt eine
Reihe felsiger völlig kahler Vorgebirge, welche ins Meer
abstürzen uud durch kleine trockene Schluchten und Buchten
von einander getrennt sind. Da findet sich weder Wasser,
noch Pflanzenwuchs, noch menschliche Wohnstätten; es läßt
sich kein traurigerer uud öderer Anblick denken, und derselbe
wird noch durch die Ruinen verschlimmert, welche etwa
15 Kilometer weit bis Gorighos fast ohne Unterbrechung
Die Wahrsaget
auf einander folgen und dieser Küste das Aussehen einer
stlUcn Nekropole verleihen. Auch die Entwaldung hat das
ihrige dazu beigetragen. Auf dieser öden Küste siud alle
Epochen vom griechischen Alterthume an bis zu den letzten
Tagen türkischer Thätigkeit hin vertreten; heidnische und
christliche Grabmäler fassen den Weg in ununterbrochener
Folge ein, dann Kirchen, Capellen und Klöster aus dem
Mittelalter, Häuser, Wasserleitungen, Wachthürme und
Schlösser, welche die Zeit und Erdbeben zerstört haben. Denn
dies jetzt so verlassene Land war einst mit Städten, Eleufa-
Sebaste, Korykos uud anderen, bedeckt und noch im Mittel-
alter beschatteten grüne Wälder die jetzt nackten Klippen.
In G o r i g h o s existiren noch unter einer Menge anderer
Ruinen zwei Schlösser, eines am User, das andere auf einer
davorliegeudeu Insel, welche im Mittelalter hochberühmt
waren. Zuerst Lehen der armenischen Grafen von Gorig-
hos, kamen sie später an die Lusignans, waren einer der letz-
ten Zufluchtsorte der Kreuzfahrer auf dem asiatischen Fest-
lande uud sielen erst 1448 endgültig den Türken in die
:st der Chaldäer. 287
Hände. Im Alterthume war Korykos, dessen Name sich so
vortrefflich erhalten hat, ein Schlupfwinkel der kilikifchen See-
ränber; in seinem Hafen zwischen beiden Schlössern Vernich-
tete Pompejus ihre Flotte. Heute wohnt dort nur eine ein-
zige Fischerfamilie, uud auch nur, weil sich dort Wasser
findet, welches man sonst auf der ganzen Küste bis Lamas
hin vergeblich suchen würde.
In rein geographischer Hinsicht bietet dieser für Archäo-
logen fo interessante Strand weniger; das Meer ist freilich
herrlich, aber die gleichmäßig abstürzenden Felsen im Norden
versperren jede Aussicht auf den Tauros. Uud einen Aus-
flug in das Innere verwehrte unseren Reisenden der Man-
gel au Zeit. In Gorighos endete ihre Tour durch Kilikieu:
am 29. Mai brachte sie ihr Boot iu wenigen Stunden bei
einer sehr starken westlichen Brise, welche glücklicherweise
erst am folgenden Tage zum Sturme anwuchs, nach Mersin
zurück uud zwei Tage später schifften sie sich nach Smyrna
ein uud verloren die Schneegipfel des Tauros bald aus den
Augen.
Die Wahrsageku
Die Inschriften, welche die großen Forscher ans dem Ge-
biete der Assyriologie, Botta, Layard, Rawlinson, Hiucks,
Oppert uud Andere, zn Tage gefördert hatten, verewigten
meist die Kriegszüge der Könige von Babel und Assnr oder
zählten die von ihnen erbauten Tempel und Paläste auf.
Wohl werden auch die Götter genannt, hier uud da sehen
wir religiöse Ansrnsuugeu, Gebete; aber Mythen, Legenden,
Dogmen fehlen uud das Wesen der chaldäisch-babylonischen
Religion konnte nicht constatirt werden. Erst neuere For-
schnngen, namentlich die Ausbeutung der Bibliothek Asnr-
banipal's mit ihren Schriften über Religion, den Listen von
Gottheiten mit ihren Titeln, Eigenschaften, au sie gerichteten
Hymnen, den Beschwörungen gegen böse Geister, Mythen
und Legenden der verschiedensten Art, brachten uns den Stoff,
auf welchem die Neligionsgeschichte des alten Mesopotamiens
sich aufbauen ließ.
Unter denen, welche die neu aufgespeicherten Schätze am
schnellsten auszubeuten verstehen, verdient FranHvis Le-
normaut in erster Reihe genannt zu werden. In seinem
neuesten Werke'), dessen deutsche von ihm selbst revidirte und
stark bereicherte Ausgabe soeben erschienen ist, behandelt er
zunächst die Magie und Zauberei der Chaldäer, stellt er einen
Vergleich derselben mit der ägyptischen au uud giebt uns
dann einen Ueberblick der chaldäisch-babylonischen Religion
und ihrer Lehren. Wie bekannt ist Lenormant ein sehr eisri-
ger Verfechter der turanischen Abkunft des ältesten Cnltnr-
Volkes von Mesopotamien, der sogenannten Akkader mit
agglntinirender Sprache, eine Ansicht, die vom ethnographi-
schen Standpunkt scharf anfechtbar ist. Auch im vorliegend«:
Buche geht Lenormant wieder auf dieses Lieblingsthema ein,
ohne, wie wir glauben, neue entscheidende Gründe ins Ge-
secht zu führen. Im zweiten Theile behandelt er die Wahr-
sagerei uud Weissagekunst der Chaldäer, uud dieser ist es,
den wir hier speeieller besprechen möchten, da er ethnolo-
gisch von besonderm Interesse ist und Gelegenheit zn ver-
gleichenden Betrachtungen giebt.
Unter Chaldaern versteht Lenormant, wie die alten Grie-
chen, jene zahlreiche Priesterkaste, welche seit dem 20. Jahr-
hundert sich über Babylonien uud Chaldäa verbreitet hatte uud
i) Die Geheimwissenschaften Asiens. Die Magie und Wahr-
sagekunst der Chaldäer. Zwei Theile in einem Bande. Jena.
H. Costenoble 1873.
nst der Chaldäer.
mit ihrem alles umfassenden Wissen auch die Assyrer der
Civilisatiou zuführte. Astrologie war ihre Hauptbeschästi-
gung und sie bildete anch den Hauptruhm derselben unter
allen Völkern des Alterthums. Die Neigung zur Astrologie
erwuchs den Chaldäo-Babyloniern schon frühzeitig aus der
Eigeuart ihrer religiösen Anschauungen. Indem sie den
Himmel, die wunderbare Harmonie der Gestirne und den
Einfluß der Sonne auf die Pflanzenwelt genau beobachteten,
waren sie schließlich dahin gelangt, alle Erscheinungen in der
Natur mit den glänzenden Gestirnen in Verbindung zu briu-
gen. Sie verehrten diese Gestirne, führten systematische
Beobachtung derselben ein und brachten es dahin, daß ihre
Astrologie in gewisser Beziehung auf wissenschaftliche Ge-
nanigkeit Anspruch machen konnte. Stellung und Erschei-
nnngsphasen der Gestirne hatten bei ihnen eine bestimmte
Bedeutung, welche die Priester erläuterten. Die Weis-
sagungen der Sterndeuter beeinflußten die gesammte Lebens-
thätigkeit, alle öffentlichen und privaten Unternehmungen, und
zwar in einem Maße, wie dies bei keinem andern Volke der
Fall war. Geradezu waren sie, wie Lenormant sich aus-
drückt, dadurch in eine grenzenlose geistige Knechtschaft ge-
rathen; denn sie waren der festen Ueberzeugnng, daß die Ge-
fchicke der Menschen von einem bestimmten, unwandelbaren,
durch die Sterne geoffenbarten Gesetze geleitet wurden. Ihr
ganzes Sinnen und Trachten zielte demnach lediglich darauf
hin, alle Erscheinungen zu erfassen, die das Herannahen der
durch himmlische Einflüsse bedingten Ereignisse ankündigten,
um danach ihr ganzes Leben einzurichten und drohendes Un-
glück zu vermeiden.
Für die Chaldäer war alles Notwendigkeit und nach
dieser Anschauung konnte natürlich auch der geringste, nnbe-
dentendste Umstand nur vermöge der allgemein herrschenden
Wechselwirkungen eintreffen. Man brachte nun historische
Begebenheiten uud menschliche Geschicke mit Naturerscheinun-
gen jeglicher Art, welche als Vorzeichen galten, in Verbindung
und schuf ein förmliches System mit gründlichen Regeln zur
Erforschung der Zukunft, ein System, das eben so consequeut
durchgeführt wurde wie ihre berühmte Sterndeutern. So
steht denn ihre Wahrsagekunst als ebenbürtige Schwester neben
der letztern.
Schon der Prophet Hesekiel (XXI, 21) erwähnt die
Wahrsagerei der Chaldäer mit Pfeilen: „Denn der König
288
Die Wahrsagekunst der Chaldäer.
zu Babel wird sich an die Wegscheide stellen, vorn an den
zween Wagen, daß er ihm wahrsagen lasse, mit den Pseilen
um das Loos schieße." Diese Belomantie war auch den
Arabern bekannt und blühte zur Zeit des Mohammed be-
sonders zu Mekka. Pseile, mit den Namen der Gegner
bezeichnet, wurden im Köcher geschüttelt, um an dem zuerst
herausspringenden den Namen der Stadt zu erkennen, die
man zuerst angreifen sollte. Auf den babylonischen und
assyrischen Cylindern sieht man die Loospseile noch häufig
in der Hand der Gottheiten der Planeten Jupiter und Venns
abgebildet, welche die arabischen Astronomen noch heute das
große und kleine Glück nennen. Nach Lenormant ist diese
Belomantie akkadischen Ursprungs, „sie übertrug sich sogar
aus China." Dies zu beweisen unterläßt unser Autor
freilich, welcher allzuviel auf die bequeme Entlehnungstheorie
giebt, statt die einfachere und natürlichere selbständige Ent-
stehung solcher Gebräuche bei verschiedenen Völkern anzu-
nehmen. Er fühlt dies wohl auch selbst, wenn er hinzusetzt:
„Freilich ist immerhin einzuwenden, daß ein so einfaches und
unentwickeltes Verfahren nicht als charakteristisches Merkmal
einer Völkerschaft betrachtet werden könne. Denn nach Hero-
dot war dasselbe auch bei den europäischen, also arischen, Sky-
then vertreten, ebenso wie es nach Tacitns den Germanen,
nach Ammianns Marcellinus den Alanen und auch im alten
Italien bekannt war." Neben der von Hesekiel beschriebenen
Belomantie kannten die Chaldäer noch ein anderes, damit
verwandtes Verfahren, bei dem die Pfeile abgeschossen wur-
den, um aus der größern oder geringern Entfernung, in
welcher sie niederfielen, die Zukunft zu erkennen. Man ver-
gleiche damit die Erzählung vom Besuche des Königs Jonas
beim sterbenden Elisa (2 Könige, XIII, 14 bis 19).
Die Weiffageknnst der Chaldäer ging Hand in Hand mit
der Astrologie und die Regeln beider Wissenszweige sind in
exactester Form redigirt, in einer langen Reihe von Werken
niedergelegt. Vorhanden ist ein darauf bezügliches aus 25
Tafeln bestehendes Werk ausNiuive wenigstens dem Inhalts-
verzeichnisse nach. Unter den Titeln findet man da: „Der
Herr des Geldes, der Erklärer der Regengüsse." Offenbar
handelt es sich hier um die Deutungen, die man dem Regen
entnahm (Brechomantie). Der Titel eines andern Capitels
lautet: „Wird das Aussehen eines Hauses alterthümlich, so
ist dies für die Bewohner ein verhängnißvolles Zeichen."
Wir haben hier also etwas, was an die sogenannte Oekos-
kopie der Griechen erinnert.
Interessant ist, daß der „Stern, welcher vorn einen Kern,
hinten einen Schweif hat," also der Komet, nach chaldäi-
scher Anschauung lehrt, „daß die Stadt des Landesfürsten in
die Gewalt des Feindes gerathen wird." Wäre nun die
Entlehnungstheorie Lenormant's richtig, fo müßten alle Völ-
ker, bei denen der Komet als ein Warnnngszeichen und
Unglücksbote gilt, diese Anschauung aus Mesopotamien geholt
haben. Nun dachten aber die alten Mexicaner genau so;
wir haben den gleichen Aberglauben bei den Abiponern (nach
Dobrizhosser), bei den Australiern, ganz zu schweigen von
den europäischen Völkern der Gegenwart und des Alterthums *).
Es ist nichts mit der Entlehuungstheorie.
So ist es auch mit der Deutung des Vogelfluges bei den
Chaldäern, über den schon Diodorus Siculus (II, 29) be-
richtet und die in der ganzen Welt bekannt ist, und kaum
anders verhält es sich mit der Weissagerei ans den Ein-
i) Ich erinnere an Lucan:
Ignota obscurae viderunt sidera noctes,
Ardentemque polum flamrais, coeloque volautes.
Obliquas per inane faces, crinemque timendi
Sideris, et terris minitantem regna cometem.
geweiden der Thiere, die in den Keilschrifttexten eines
großen auguralwissenschastlichen Werkes des Königs Sargon I.
in vier Fragmenten behandelt wird. Das erste Fragment
erzählt von einem leider nicht näher angegebenen Anzeichen,
welches man in den Herzen junger Hnnde, Füchse, wilder
und zahmer Schafe, Widder, Pferde, Esel, Rinder, Löwen,
Bären, Fische und Schlaugen beobachten könne; jedoch hatte
die betreffende Erscheinung bei einem jeden dieser Thiere eine
besondere Vorbedeutung. Das zweite Fragment bezieht sich
auf Wahrzeichen, die man aus der Färbung und äußern Er-
scheinung der Eingeweide von Opserthieren, speciell des Esels
und Maulthiers, entnehmen kann. „Sind die Eingeweide
des Esels auf der rechten Seite schwarz, — auf der rechten
Seite bläulich, desgleichen ihre Windungen, — auf der rech-
ten Seite dnnkelfarben, — auf der linken Seite dunkel-
färben, — auf der rechten Seite kupferfarben, •— auf der
linken Seite kupferfarben," so sind diese Erscheinungen eben
so viel Vorbedeutungen für die Jahreszeiten und das Schick-
sal des Landes und des Landesfürsten. Dieselben Erschei-
nnngen, die auf der rechten Seite günstig waren, sind un-
günstig auf der linken und umgekehrt. „Die Kunst, aus
den Eingeweiden der Opferthiere zu weissagen, verbreitete
sich unzweifelhaft von Babylonien aus über alle benachbarten
Länder, im Norden über Armenien und Kommagenen, im
Westen über Phönicien bis Karthago und zwar über Palä-
stiua, wo ihre Ausübung den Hebräern ausdrücklich verboten
war. In Kleinasien, wo sie vorzugsweise betrieben wurde,
waren besonders die Einwohner von Telmessos wegen ihrer
großen Gewandtheit in dieser Wahrsagerei berühmt."
Ob das nun so „unzweifelhaft" ist, wie Lenormant er-
zählt, möchte ich billig bezweifeln. Denn auch die Augurien
gehören zu jener Art von Weissagungen, die über die ganze
Erde ziemlich gleichmäßig verbreitet sind. The principal
sacrifice of the Sakarang Dayaks is killing a pig and
examining its heart, which is supposed to foretel eyents
with the utmost certainty, berichtet Spenser St. John
(Life in the forests of the far east I, 63). Ehe die
Battas auf Sumatra in den Krieg ziehen, schlachten sie einen
völlig weißen Ochsen oder Vogel und schließen aus der Be-
weguug der Eingeweide auf das Glück oder Unglück, welches
sie haben werden (Marsden, Sumatra, Leipzig 1785. 399).
Die Kimbnnda in Westasrika lassen ihre Wahrsager aus den
Eingeweiden der Kriegsgefangenen wahrsagen (Ladislaus
Magyar I, 275). Der Luba oder Priester der Galla in
Ostafrika weissagt ans der Farbe der Eingeweide von Zie-
gen, ob Sieg oder Niederlage die Galla im kommenden Jahre
begleiten solle (Kraps, Reisen in Ostafrika, I, 99). Und
auch in der neuen Welt: Bei dem Feste von Raymi opferte
der Peruanische Priester ein Lama und suchte, nachdem er
den Leib des Opfers aufgeschnitten, in den Eingeweide« die
geheimnißvolle Zukunft zu lesen. Waren die Prophezeiungen
ungünstig, so wurde eiu zweites Opfer geschlachtet, in der
Hoffnung, daraus eine tröstlichere Zusicherung zu erlangen
(Prescott, Eroberung von Peru, I, 81). Man wird wohl
einsehen, daß man mit der unzweifelhaften Ausbreitung der
Augurien von Babylon aus über alle Mittelmeerlaude vor-
sichtig verfahren muß.
So macht uns Lenormant weiter bekannt mit den Vor-
bedeutuugeu der atmosphärischen Erscheinungen, den Pro-
phezeiungen aus Feuer, Wasser und Edelsteinen, ans Pslan-
zen, Thieren, Mißgeburten, aus Träumen und geometrischen
Figuren. Alles ungemein reiche Capitel, die für den Ethuo-
graphen, Culturhistoriker und Bibelforscher ein unerläßliches
Studium bilden. Richard Andree.
Inhalt: Skizzen aus Süd-Rußland. II. (Mit sieben Abbildungen.) — Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khassia-
und Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze. II. — C. Favre's und B. Mandrot's Reise in Kilikien 1874. (Schluß.)
R. Andree: Die Wahrsagekunst der Chaldäer. (Schluß der Redaetion 9. Oetober 1378.)
Redactcnr: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenfiraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
Hierzu als Beilage: Literarischer Anzeiger Nr. 9.
■Mß 'm Mnki. u>[d
Band XXXIV.
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,M 19.
it besonderer Herücltsicktigung der AntKroNologie unc! Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
SV^rrtitti irhviiptn Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 Q 17 Q
-O lUllIi | u)U)ClQ zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. I N « O.
Skizzen aus Süd-Rußland.
(Nach dem Französischen des Herrn F. de Möly.)
III.
Bei Aksai wurde der Don auf einer festen Schiffbrücke
überschritten, welche in sehr ingeniöser Weise so eingerichtet
ist, daß der Verkehr niemals durch Hochwasser unterbrochen
werden kann. Acht große, im Strome verankerte Fahrzeuge
,<2? /.i
Kurnl Kalmuk.
dienen als Brückenbogen, während die Klappe an beiden stände sich hebt und senkt. Damals waren die Wasser sehr
Ufern eine Art Sprungbrett ist, welches mit dem Wasser- hoch, so daß beide Klappen sehr steil geneigt und für die
Globus XXXIV. Nr. 19. 37
290 Skizzen aus
Pferde schwer zu überwinden waren. Wenn Schiffe die
Brücke Passiren wollen, läßt man einfach den mittelsten Pon-
ton treiben und bringt ihn dann Nüttels eines Blockes wieder
an feinen frühern Platz.
Während in der Nachbarschaft von Akfcü, einer ziemlich
großen, reinlichen und gut gehaltenen Stadt, noch einige
Dörfer lagen, werden sie weiterhin seltener und kleiner und
hören schließlich ganz aus. Die kaukasische Straße, welcher
die Reisenden noch immer folgen, läuft nun auf einem fchma-
len Damme durch überschwemmtes Land; der Verkehr auf
demselben war überaus schwierig, denn weil in Akfcu gerade
Markt gehalten wurde, bewegten sich lange Reihen von Kar-
ren, große Rinderherden und Karawanen dorthin und dräng-
ten sich auf engem Räume zusammen.
üd-Rußland.
Auf der ersten Station wollte Mäly mit der Cigarre
im Munde das Haus des Postmeisters betreten; aber ein
Wink seines Begleiters hielt ihn davon ab. Erst auf der
Weiterfahrt gab ihm dieser die Erklärung seines Benehmens:
es wohnten dort Altgläubige, Nachkommen jener Leute,
welche sich gegen die Reformen Peter's des Großen erhoben
und die Neuerungen, welche er iu Rußland eingeführt hatte,
verdammt hatten. Darunter befand sich auch der Tabak;
sie sähen ihre Wohnungen für besudelt an und wären in
ihrem Fanatismus im Stande, dieselben für immer zu ver-
lassen, wenn jemals darin geraucht würde. Im Uebrigen
sind sie aber freundlich, und ihre entgegenkommende Gast-
freuudschast lernt der Reisende in diesem öden Lande um so
mehr schätzen. Ieuseit Patpoluy, wohin die Station von
Fangen eines Her
Alt-Tscherkask zeitweilig verlegt war, beginnt die Steppe in
ihrer ganzen Einsamkeit und Großartigkeit. Ganz in der
Ferne kann man gewöhnlich den Ort, wohin man reist, er-
spähen, häufig aber rufen Luftspiegelungen die seltsamsten
Täuschungen hervor. Mau glaubt Wiesen mit schönen Strö-
men, schroffen Klippen am Meere, selbst Häuser und Wind-
mühlen zu sehen, bis plötzlich der ganze Spuk verschwindet.
Bei einiger Erfahrung ist es übrigens nicht schwer, eine solche
Spiegelung an der Wasserlinie, welche sie von der Erde zu
trennen scheint, zu erkennen.
Unterwegs wurden viele kleine Schluchten gekreuzt, in
denen die Verdunstung eine dünne Lage Salz zurückgelassen
hat und das Gras herrlich gedeiht. Die einzelnen Gestüte
werden durch kleine vom schmelzenden Schnee genährte Bäche
:e§ mit dem Lasso.
von einander geschieden; dort löschen die Pferdeherden (Ta-
bnne) ihren Durst; und wenn jene Wasserläufe im Sommer
austrocknen, so finden sie doch immer noch an tieferen Stelleu
das uöthige Naß.
Spät in der Nacht erreichten die Reifenden das Gestüt
Orlow (Orlowka), wo sie nur dürftige Unterkunft fanden, so
daß sie schon früh am andern Morgen die Fahrt nach Iwanow
fortsetzten. In dem Ocean von Grün, der sie umgab, war
die Natur sehr belebt: Trappen slogen aus, Silberreiher schau-
ten von fern herüber und glichen, durch den Morgennebel
gesehen, Straußen, kleine Regenpfeifer ließen den Wagen
dicht an sich herankommen und an den Bächen tummelten
sich Schnepfen. Um Mittag war Iwanow erreicht; zwei
Stunden von dort führt eine Holzbrücke über einen kleinen
Skizzen aus Süd-Rußland.
291
Fluß, der in den Sal sich ergießt. Das ist die Kalmüken-
Grenze, und bald zeigt sich auch in der Ferne etwas, was
an die bunten hölzernen Häuschen erinnert, wie sie im
Schwarzwald sabricirt werden. Eine von kleinen bunt an-
gestrichenen Häuseru umgebene Pagode, zwei Kibitken (kal-
mükifche runde Zelte), große Pferdeherden, ein Teich, an
welchem neun verkrüppelte Bäume, die ersten seit Akfcn am
nördlichen User des Don, stehen, das ist der Knrul der drit-
teu Ceuturie des südlichen Departements. Am Ende des
Dorfes stehen ein paar mit gelbem Oker angemalte Häuser,
welche sich schon dnrch ihre Farbe als Wohnungen von Ka-
zaken ankündigen: sie stellen das seßhafte Element dar, wel-
ches allmülig in den Knruls sich festsetzt. Straßen giebt es
nicht; die auf Pfählen stehenden Bäume sind an den ersten
besten Ort hingepflanzt und
sehen aus, als köuute man ~
sie jeden Augenblick aushe-
ben und an eine andere
Stelle verpflanzen. Der
Oberpriester aber begnügt
sich nicht mit seinem Holz-
Hanse; die beiden Kibitken
in der Mitte der Ansiede-
lnng sind die für ihn und
seinen ersten Stellvertreter
bestimmten Sommerwoh-
uungen. In dem Knrul
giebt es nur Priester, che-
lose Leute, welche keine Fran
unter sich dulden; um eine
Kalmükenfamilie zu sehen,
muß man ein weit entfern-
tes Lager besuchen.
Vor dem Hause des
Oberpriesters hielt M«ly's
Wagen an; schon lange
war er dort erwartet wor-
den und schon von weitem
erkannten die Reisenden
das intelligente Gesicht des
Mannes, dem sie vor we-
nigen Tagen im Palafte
des Hetmans in Nowo-
Tscherkask begegnet waren.
Das Haus selbst besaß nur
drei Zimmer, rechts eines,
in der Mitte ein Speise-
zimmer, hinten ein drittes;
das mittelste war den Gä-
sten zur Wohnnng einge-
räumt. Die Priester hat-
teu schon auf ihr Erschei-
nen gewartet, um ihnen zn^ Ehren eine Musikanfführung
zu veranstalten; aber die Fremden zogen es vor, dieselbe
verschieben zu lassen und die Pferdeherden, welche ihret-
wegen an dem Dorfteiche zusammengetrieben worden waren,
zu besuchen. Denn es sollten mehrere davon mit dem Lasso
gefangen werden, ein Schauspiel, das sie uicht versäumen
wollten. Sie stiegen also zu Pferde, während etwa fünfzig
Priester, die ganze Einwohnerschaft des Kurul, ihnen zu
Fuße folgten.
Es waren da etwa 2000 stämmiger, gnt gebauter Pferde
versammelt, welche bei den Fremde» vorübereilten. Während
dessen galoppirten drei Kalmüken, Wächter der Tabnue, in
die Ebene hinein und ließen ihren Lasso, damit er sich aus-
rolle, hinter sich herschleifen; für gewöhnlich hängt er zn-
Gebetmühle.
sammengerollt an einem Ringe, der hinter ihrem rechten
Schenkel am Sattel befestigt ist. Es ist eine starke Leine
vou geflochtenem Roßhaar, etwa 15 Meter lang und an dem
einen Ende mit einem Schiebering aus Birkenholz versehen,
während das andere, welches der Reiter in der Hand hält,
ganz glatt ist, dafür aber im Augenblicke, wo man den Lasso
schleudert, rasch um den rechten Schenkel gewickelt wird, so
daß selbst die wütheudsten Sätze dem gefangenen Pferde
nichts helfen. Das Verfolgen, Fangen und Bändigen des
Thieres geht im Uebrigen nicht anders vor sich als etwa in
den argentinischen Pampas.
Nach etwa 11/2 Stunden ließ der Oberpriester, der seine
Gäste nicht begleitet hatte, denselben anzeigen, daß die Za-
kuski (d. i. Naschwerk oder Vorspeise, welche die Russen vor
der Mahlzeit genießen) sie
in seiner Kibitka erwarteten.
Auf dem Wege dorthiu ka-
meu sie bei einer Gebets-
Windmühle vorbei. Sie
bestand aus vier kleinen
Flügeln auf der Spitze einer
circa 11/2 Meter hohen
Pyramide, in deren Jnnerm
Litaneien zn Ehren des letz-
ten im Gerüche der Heilig-
fett verstorbenen Bakschcü,
dessen Gebeine unter einem
Grabmale daneben ruhten,
durch den Wind iu Bewe-
guug gesetzt wurden. Diese
Art Gebetmühle scheint für
besonders wirksam zu gel-
ten, weit mehr als eine
kleinere Sorte, welche mit
der Hand gedreht werden
muß.
Noch am selben Tage
wurde auch die Pagode
besucht, ein großes vierecki-
ges Gebände, in welche das
gemeine Volk keinen Zu-
tritt hat. Seine Wände
sind nnt Gemälden auf
Reispapier bedeckt, welche
von den Bewohnern des
Kuruls selbst angefertigt
wurden und an Feinheit
Miniaturen gleichen. Im
Typns ähneln sie den indi-
schen, wie ja die Kalmüken
als die einzigen europäischen
Repräsentanten des weit
verbreiteten Buddhismus, der die größere Hülste Asiens be-
herrscht, anch in diesem Zweige des Enltns die Erinnerungen
an die asiatische Heimath bewahrt haben. Für Götterbilder
aber „hat der vom äußersten Schabloneuwefeu getragene
tibetische Buddhismus ganz genaue Normalmaße und Ver-
hältnißzahlen vorgeschrieben, Zeichennetze und Constructious-
formeln entworfen, durch welche eine erstaunliche Gleichför-
migkeit in den Figuren, Stellungen und Attributen einer
jeden Gottheit erzielt wurde" (E. Schlagintweit, „Globus"
XXXIII, S. 168). Als sich aber am Ende des 17. Jahr-
hunderts die Kalmüken von den Mongolen abtrennten und
den Buddhismus mit sich nach Europa brachten, erkannten
sie die geistliche Oberhoheit des Dalai Lama an und gehörten
zu seinen eifrigsten Verehrern. Erst seitdem sich die größere
37*
Skizzen aus
Hälfte unter Ubachech 1771 wieder auf chinesisches Gebiet
zurückgezogen, haben sich die russischen Beamten bestrebt, die
Beziehungen mit Lhassa in Tibet möglichst zu unterbrechen
und unter den Kalmüken ein ganz selbständiges Kirchenregi-
ment einzurichten.
Süd-Rußland. 293
,Vou der Decke der Pagode hing ein großer rother Bal-
dachin herab und von dessen vier Ecken ebenso viele schwarze
Schirme; zur Linken steht ein hübscher in Fächer geseilter
schwarzer Schrank zur Aufbewahrung der heiligen Bücher,
die theils auf Pergament geschrieben sind, theils in langen
Der Bakfchcn und seine Stellvert
mit Goldbnchstaben beschriebenen Seidenstreifen bestehen.
Gegenüber der Thür liegt das Allerheiligste, eine Art Alko-
ven, der durch eine Thür mit rautenförmigen Glasfenstern
abgeschlossen ist. Darin stand eine kleine Pagode aus ver-
goldetem Holze und in dieser drei goldene Götzenbilder und
auf ihr eine goldene, in Seide gehüllte Göttin, die schon
:ter. (Nach einer Photographie.)
durch ihre Stellung ihre Herrschaft über die anderen bewies.
Der Bakschai gestattete seinen Güsten, diese Götterbilder nach
Belieben zu betrachten; ihre Namen zu nennen konnte er sich
aber nicht entschließen. An den Wänden hingen die beim
Gottesdienste verwendeten musikalischen Instrumente, vier
große Trompeten, zwei von Bronze, zwei von Silber und
294
Skizzen aus Süd-Rußland.
Gold, vier große mit einem Busch von Straußenfedern ge-
zierte Tamburins, Flöten, darunter eine, welche aus einem
menschlichen Schienbein bestand und mit Silber verziert war,
Klingeln, Becken, kurz ein ganzes Orchester, das die Fremden
am folgenden Morgen zu hören bekommen sollten.
Von der Pagode begaben sie sich in die Kibitka des
Bakschai, wo Kaviar, Kumys, Champagner vom Don u. s. w.
als Vortisch ihrer wartete. Das Zelt war das landesübliche
von dickem, grauem Filz, der Uber ein Gestell von biegsamem
Holze gespauut ist. In der Decke gewährt eine Oessnnng,
welche sich durch Anziehen von Schnüren beliebig vergrößern
und verkleinern läßt, dem Lichte Zutritt. Eiu persischer
Teppich vertritt die Stelle der Thür. Sonderbar aber
nahm sich in der innern Ausstattung ein kleines Polisander-
bureau und ein Cretonnezeug mit rothgedruckten Bildern im
Stile Ludwig's XV. aus, während Tisch, Bett u. s. w.
durchaus asiatisch waren, und im Hintergrunde ein kleiner
tragbarer Altar niit dem Bilde des letzten Bakschai' stand.
Davor waren 21 Untertassen mit Reis, Oel, Lichtstümpschen,
zerschnittenen Pfeffernüssen, Hirse n. s. w. als Nahrung für
die Götzen aufgestellt. Mitternacht kam heran, che das
schlechte Abendessen, bestehend aus Ziegelthee, der mit ran-
ziger Butter, Salz und Pseffer gekocht wird, Hammel-
fuppe, Hammelfleisch mit Reis, gehacktem Hammelfleisch
und gekochtem Hammelfleisch, beendet war, und die Reisen-
den sich ermüdet auf die kubanischen Teppiche ausstrecken
konnten.
Ihr erstes Geschäft am folgenden Morgen bestand im
Anhören der Tempelmusik. Alle Instrumente waren jetzt
von den Wänden herabgeholt und befanden sich an ihrem
Platze; es waren 15 Musikanten, welche in zwei Reihen
einander gegenüber aufgestellt werden. Hinten vor dem
Musikinstrumente der Kalmüken beim Gottesdienste.
Allerheiligsten hatten die vier Trompeten, jede verschieden
gestimmt, ihren Platz; sie waren so schwer, daß sie vorn von
Schnüren, die an der Decke befestigt waren, gehalten werden
mußten, und tönten so laut, daß es vor ihrer Schallöffnung
kein Priester aushalten kann, ohne der Gefahr ausgesetzt zu
sein, taub zu werden. In der Mitte zur Linken steht der
erste Stellvertreter des Bakschai' mit blauer Brille und leitet
bald mit einer kleinen Glocke, bald mit Becken die Musik,
welche mit einem rasch anschwellenden dumpfen Brummen
beginnt. Nach vier, fünf Takten fallen die Becken und Flö-
ten eiu, das Tempo wird schneller, die Klingel tönt dazwi-
schen und die Tamburins werden geschlagen; allmälig läßt
der Lärm wieder nach, itttt bald von Neuem zu beginnen.
Eine sonderbare, tolle Musik!
Nach einer Viertelstunde waren die Musikanten erschöpft,
freilich die Hörer nicht minder, und fo besuchten nun letztere
eine zweite vorhandene Pagode von kleineren Dimensionen,
aber derselben Anordnung, in welcher die Gewänder des ver-
storbenen Bakschai' aufbewahrt werden und sein Hut der Ver-
ehruug der Gläubigen ausgestellt ist.
Nach einem flüchtigen Besuche eines Lagers profaner
Kalmüken trat Mely seine Rückreise nach Tscherkask an,
wobei ihm seine neuen Freunde bis an die Grenze ihres
Gebietes zu Rosse das Geleit gaben.
Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khnssin- und Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze. 295
Die Garo-, Khassia- und Naga-Völke
Voll Emil S
Sämmtliche Stämme standen vor Einmischung der Eng-
länder und stehen noch heute, soweit englische Controle lücht
reicht, unter keiner einheitlichen Obrigkeit. Jeder Stamm,
ja jedes Dorf bildet seinen eigenen politischen Bezirk, und der
Vorstand, Dorfältester (Lakhma oder Lafchar bei den Garo,
Wahadar bei den Khassia und Dschaintya, Penma bei den
Naga) ist der erste unter Gleichberechtigten; sein Ansehen
beruht rein auf den persönlichen Eigenschaften, auf dem
Auftreten und Wohlstand des Mannes. „Jedermann folgt
den Eingebungen seines eigenen Willens; wir haben eine
Form der einfachsten Demokratie vor uns, vou welcher man
glauben sollte, sie würde sich keinen Tag erhalten können,
und dennoch ist es Thatsache, daß sie besteht." Blut kann
nur durch Blut gesühnt werden; theoretisch ficht jeder Mann
seine eigene Fehde allein aus, praktisch artet aber jede per-
sönliche Feindschaft in eine solche zwischen Familienverbänden
aus, und wenn auch ein Dritter zwischen den Streitenden
ruhig soll hindurchgehen können, so sind doch die einmal
erregten Leidenschaften eine Gefahr für die Uebrigeu. Gegen-
über den angrenzenden Bewohnern der Ebene ist der An-
spruch auf Land eine ständige Quelle von Zwist, und schließ-
lich von blutigen Angriffen. Die Gebirgsbewohner erachten
Cnlturland, das jene in Besitz nahmen und bebauen, als ihr
Eigenthum, ulid es kommt schließlich dazu, daß die anstößigen
Gehöfte überfallen und niedergebrannt, die Insassen nieder-
gemacht und die Felder verwüstet werden.
Solche Raubzüge brachten die Engländer zuerst mit den
Garo in Berührung. In das Jahr 1822 fällt der erste
englische Verwaltuugsact; damals wurden die Ländereien am
Fuße der Berge gegen den Rangpnr-District (an der Süd-
biegung des Brahmaputra) von den Grundstenergesetzen für
Beugal ausgenommen, weil durch diese Zwistigkeiten ent-
stehen könnten. 1824 wird Unterassam dem englischen Be-
sitze einverleibt; sofort entstehen dieselben Schwierigkeiten am
Nordfuße des Gebirges. Es gelang die Ansprüche der Garo
zu befriedigen, und ein nicht unbedeutender Tauschhandel von
Baumwolle gegen Mannfaete der Ebene kam in Gang; aber
hungrige bengalische Zemindare oder Besitzer des Rechtes
auf Abgaben vom Grund und Boden verpachteten bisher nn-
bestrittenes Garo-Laud und die Ruhe war nun gestört.
Einfälle in größerm Maßstabe machten 1861 eine größere
militärische Expedition in ihr Land nöthig; nach Niederbren-
nnng einiger Dörfer zogen die Truppen jedoch wieder ab
und das alte Spiel erneuerte sich. Erst 1366 entschloß sich
die Regierung, im Gebirge selbst, in Tnra, ein militärisch
organisirtes Polizeicorps zu stationiren. Dorf um Dorf
unterstellte sich der Jurisdiction des dort residirenden Beam-
ten und die Einwohner führten willig die geringen Abgaben
ab, welche ihnen zum Zeichen der Anerkennung englischer
Oberhoheit auferlegt wurden. Nur ein kleiner Kern hielt
seine Unabhängigkeit hoch und bewies sein Nichteinverständ-
niß mit der Unterwerfung ihrer Stammesbrüder durch fort-
währende Einfälle auf britisches Gebiet; die Regierung be-
schloß „diesem Räubernest von Wilden mitten in britischem
Gebiet mit Gewalt ein Ende zu machen und Wege durch
das Gebirge zu ziehen, längs welcher unsere Polizei patrouil-
an der indisch-birmanischen Grenze.
liren kann." Im November 1872 brach eine Macht von
500 Polizisten und drei Conlpagnien indischer Infanterie auf,
hatte im Januar auch das letzte renitente Dorf besucht und
neben Einsetzung von Dorfältesten und Regnliruug einer
Haustaxe insbesondere auch daraus bestanden, daß alle Tro-
phäen an Schädeln Erschlagener ausgeliefert wurden. Seit-
her genügte die an drei Orten vertheilte Polizeimacht zur
Aufrechthaltung der Ordnung, die Grenzen der Garo-Mar-
knngen gegen die Ebene wie gegen die Khassia-Berge wnr-
den durch hohe, weit sichtbare Grenzsteine bezeichnet und gute
Saumwege, die zum Theil schon zu Karrenwegen erweitert
sind, augelegt. Die Ruhe ist seither uicht gestört worden,
Einfälle fanden uicht mehr statt und die Blutfehde fordert
kein Opfer mehr.
Die Khassia und Dschaintya hatten die Wildheit, nn-
ter welcher die Garo noch leiden und es zu Staatenwesen
nicht bringen, bereits vor längerer Zeit abgestreift; als die
Engländer 1824 von Katschar und Unterassam Besitz er-
griffen, fanden sie, daß diese Völker init der Ebene einen leb-
haften Handel unterhielten, dessen Werth mehrere Millionen
Mark im Jahre werthete, und daß überall feste Regierungen
eingesetzt waren. Die Khassia waren damals wie heute in
25 kleine demokratisch organisirte Staaten zersplittert*•).
Die sogenannten Fürsten, die meist nicht den Namen Radscha
(Fürst), sondern Wahadar oder Obere führen, werden als
solche vom Volke auf Lebenszeit gewählt; sie konnten wegen
schlechten Verhaltens abgesetzt werden, ein Fall, der jedoch
seit der englischen Einmischung nicht mehr vorkommt. Ein
gemeinsames Oberhaupt fehlte; 1826 schlössen die Englän-
der mit dem Radscha (über 6924 Unterthanen) von Nong-
khlau einen Vertrag ab, in welchem dieser die englische Ober-
Hoheit anerkannte. Der Fürst übernahm auch für kleinere
Nachbaren Verbindlichkeiten, diese aber bewiesen ihre Nicht-
Zustimmung 1828 durch Niedermetzelung zweier englischer
Offiziere und ihrer ganzen Escorte. Die Engländer mach-
ten kurzen Proceß; der Fürst, der sich zu viel Herausgenom«
men und während der Züchtignngsexpeditiou gegen die
Thäter seinen Beistand verweigerte, wurde abgesetzt und auf
Lebenszeit im Zuchthaus zu Dakka eingesperrt, die Für-
sten mit Geldstrafen belegt und gezwungen Verträge zu unter-
zeichnen, die einer Bitte um Verzeihung gleichkamen. Ihre
Ohnmacht wurde ihnen hierdurch klar, und seitdem herrscht
Ruhe; die Aufstände von 1859 und 1861 waren nicht Wehr-
das Werk der Oberen, sondern beutelustiger Banditen, welche
die Absicht, das Laud von der Fremdherrschaft zu befreien,
nur zum Vorwand nahmen. 1830 ließen sich die Englän-
der Land zur Station Tscherrapnndschi abtreten und 1840
(bekräftigt 1857) gegen Jahrgelder das Ansiedelungsrecht
zusprechen; Schilloug, die Hauptstadt der 1873 von Bengal
abgetrennten und gebildeten Provinz Assam, liegt in 1965
Meter Höhe, im Gebiete der Khassias. Die Dschaintya
hatten die geordnetste Regierung unter allen Stämmen die-
Ihre Namen, Bevölkerung, Einnahme, waffenfähige
Mannschaft und Produete sind ausführlich behandelt in Bengal
Administration, Report for the year 1872/73, Part II,
p. 170 (Calcutta 1873).
296 Emil Schlagintweit: Die Garo-, Khasfia- ui
fer Gebiete. Als die Engländer mit ihnen 1824 zuerst in
Berührung kamen, fanden sie an der Spitze des Volkes einen
Fürsten mit großem Vermögen an Grundbesitz uud Haus-
gercith, dem alle Theile des Volkes gehorchten; ihre Brah-
manen standen bei jenen der Ebene im Gerüche wirklicher
Hindus, jedoch nur vom Range der Sudras oder untersten
Kasten. In der Absicht ihre Besitzungen diesseits des Ge-
birges mit jenen nördlich am Brahmaputra auf dem kürze-
sten Wege zu verbinden und eine Militärstraße hindurch-
zulegen — die jedoch noch Jahrzehnte auf sich warten ließ
und schließlich westlicher über Tscherrcipundschi und Schillong
geführt wurde —, veranlaßte die Ostindische Compagnie den
Fürsten 1824, sich unter ihren Schutz zu stellen; 1835 ent-
deckte man, daß der Vasall seit Jahren das Wegfangen von
Hindus der Ebene begünstigt, wenn nicht gar angeordnet
hatte, um sie seinen Göttern als Opfer zu schlachten. Der
Fürst willigte gegen eine Pension und den Genuß seines
Vermögens in die Abdanknug, uud das Land wird seitdem
als englische Provinz verwaltet. Sitz der englischen Gebiets-
Verwaltung ist Dfchowai (Jowai); dasselbe ist durch einen
Saumweg mit Dschaintyapur und Silhet verbunden.
Die N aga machten die erste Bekanntschaft mit den Eng-
ländern 1831, in welchem Jahre drei Beamte mit einem
großen Gefolge, darunter 700 Soldaten, den Auftrag erhiel-
ten, von Katschar aus einen Weg quer durch ihr Land nach
Sibsagar am Brahmaputra zu erzwingen. Jedes Dorf
stellte sich ihrem Vordringen entgegen, die Naga verbrann-
ten lieber ihre Vorräthe, ehe sie zugaben, daß die Eindring-
linge sich ihrer bemächtigten. Seit dieser Zeit stehen die
Naga zu den Engländern auf dem Kriegsfuß; volle vierzig
Jahre hindurch ließen sie sich eine lange Reihe von Einsal-
len, kühnen Angriffen wie heimlichen Ueberfällen und offenen
Verhöhnungen der Gegner zu Schulden kommen; ein Vor-
dringen der Engländer wußten sie durch heldeumüthige Ver-
theidigung ihrer Dörfer stets abzuwenden oder sie griffen zu
Betheuerungen guteu Verhaltens für die Zukunft, wenn der
Anprall zu ungestüm war. So folgten sich Einfälle, mili-
tärische Expeditionen und Unterwürsigkeitserklärungeu in
bunter Reihe; in der Sache aber änderte sich nichts und die
Beziehungen der Engländer zu den Naga blieben so schlecht,
wie vor vierzig Jahren. Endlich brach England mit seiner
Politik „meisterhafter Unthätigkeit, die sich theoretisch so
sehr empfiehlt, praktisch aber zu Niederlagen führt". 1867
wurde das Dorf Tschimukedima zum wiederholten Male ge-
stürmt und als Niederlassung und Sitz englischer Beamten
wie einer starken Polizeistation bestimmt; die Station wurde
Samaguting benannt und liegt auf einem Hügel rechts vom
Oberlauf des Dhangsiri-Flnsses. Mit Durchführung dieser
Maßregel beginnt die wirtsame Beschützung der Ansiedler der
Ebene vor Einfällen; alle feindlichen Ueberfälle sind von nun
an in das Innere der Gebirge verlegt. In diese inneren
Thäler drangen nun in Folge der Unterwürfigkeitserklärun-
gen benachbarter Stämme, die von dahinter liegenden mit
Krieg bedroht wurden oder zur Vermessung der Grenzen des
britischen Schutzgebietes, endlich zu Erkundigungen über die
Stimmung und politischen Zustände unter den Eingeborenen,
wiederholt Colonnen vor. Man kann es diesen Naturvölkern
nicht verdenken, wenn sie, wie 1875 zweimal, über solche Ab-
theilnngen herfallen und sie niedermetzeln; denn eine solche
Expedition tritt ganz militärisch auf, hat reguläre Soldaten
oder Polizisten mit Gewehren bei sich, erläßt Proelamationen,
fordert die Dorfältesten zu sich und droht Strafe an für
Beschädigung der von und für sie angelegten Wege, Grenz-
zeichen und dergleichen. So bestand die am I.Februar 1875
angegriffene Abtheilung aus 267 Mann, darunter 42 Si-
pahi und 22 Polizeisoldaten, 80 Mann wurden durch die
Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze.
Angreifer beim Ueberfälle getödtet. Jedem solchen Unfälle
folgte eine Züchtiguugs-Expeditiou; diese hatte jedesmal Er-
Weiterung des Coutrolbezirkes zur Folge, uud so konnte 1876
das Hauptquartier der euglischeu Verwaltung von dem zu
niedrig gelegenen und ungesunden Samaguting uach Wokha
in 1828 Meter Höhe, 87 Kilometer südlich von Golaghat,
verlegt und um 124 Kilometer weiter nordostwärts, nur
20 Kilometer vom Doyang-Fluß entfernt, vorgeschoben
werden.
Die englische Verwaltung sorgt für Befestigung der
öffentlichen Sicherheit durch eine militärisch organisirte Poli-
zeimacht (83 Mann unter den Garos, 50 Mann unter den
Khassias und Dschaintyas, 163 Mann unter den Nagas
[1877]) und durch Eröffnung des Landes durch Wege. In
letzterer Beziehung sind ganz besonders große Fortschritte zu
verzeichnen. Der Bau macht noch jetzt große Schwierig-
leiten; die Arbeiter müssen von einer stattlichen Bedeckuugs-
Mannschaft begleitet sein; während der Regenzeit reißt das
hoch angeschwollene Wasser die Brücken weg, die Regengüsse
überschwemmen die Wege; im Sommer macht das aus dem
Weguntergrund üppig hervorschießende Unkraut und Unter-
holz die Weglinien wieder dem Dickicht gleich, von dem sie
mit Mühe gereinigt worden waren. Dadurch, daß man die
anwohnenden Stämme zu ihrer Unterhaltung verpflichtete,
gelang es jedoch, die Hauptorte mit Afsam wie Bengalen
durch gute Saumwege zu verbinden, die stellenweise sogar
schon in Karrenwege umgewandelt werden konnten. Unter
den Nagas wnrde die Weganlage unerwartet Ursache zu Er-
Pressungen; wiederholt wurden von noch nicht erreichten
Stämmen vorliegende Dörfer, fobald das sie bisher vom
Hinterlande abschließende Walddickicht gelichtet und ein Weg
hindurchgelegt war, mit Ueberfällen bedroht, wenn sie sich
jetzt, wo ihr Dorf leicht zu erreichen sei, nicht mit einer Gabe
abfinden. Mit Schulen befreunden sich diese Gebirgsbewoh-
ner wenig, nur unter den Garos zeigen die von Beamten
und Missionären eingerichteten 24 Schulen Zuwachs (Ge-
sanimtschülerzahl 405). Allgemeiner gewinnen englische
Aerzte Verträum, besonders überraschte die Wirkung des
Jmpfens als Mittel gegen Verbreitung der Blatternkrank-
heit, die sonst zahlreiche Opfer forderte.
Unter der englischen Verwaltung ist überall Ruhe ein-
gezogen und eine Civilisation angebahnt, wie sie aus dem
Volke Heraussich uicht entwickelt hätte; nur die Nagas sind un-
geachtet mancher befriedigender Ergebnisse der englischen Ein-
Wirkung noch eben so bereit wie früher, unter sich in Hader
zu geratheu und die inneren Wirren aus die Bewohner der
angrenzenden Eulturländer zu übertragen. „Es gehört ge-
ringe Voraussicht dazu, um die Möglichkeit, ja geradezu die
Notwendigkeit zu behaupten, daß wir früher oder fpäter ge-
zwungen sein werden, einen Schritt weiter zu machen im
unvermeidlichen Vorwärtsmarsch, in jener edlen Friedens-
Mission, die unserLoos zusein scheint, wo immer derAnglo-
sachse seinen Fuß hinsetzt." (Worte des langjährigen Auf-
fichtsbeamten unter den Nagas, Lieutenant I. Butler.) Die
ethnographische Wissenschaft zieht von solcher Ausdehnung
des englischen Controlgebietes nicht den geringsten Nutzen.
Nur wenige hundert Kilometer trennen die vorderste Spitze
der hier beschriebenen Gebirgsländer und das Thal von
Assam von den Radschmahalbergen, dem nordöstlichsten Ende
der Kette, welche die Halbinsel Vorderindiens durchzieht;
diese Entfernung ist so gering, daß es denkbar ist, Indien
möge in weit zurückliegender Zeitperiode durch vorarische
Eiuwauderer, die alledem Thale des Brahmaputra hervor-
brachen, bevölkert worden sein. Noch bedarf es aber der
Aufschließung der birmanisch-tibetischen Grenzländer Affams,
einer Durcharbeitung der Sprachen, einer eingehenden Ver-
Dr. Carl Sachs'
gleichung der Körperformen unter diesen Grenzvölkern, ehe
die so vorschnell ausgesprochene Behauptung den Anspruch
auf Wahrscheinlichkeit erheben kann, daß die sämmtlichen
Reise in Venezuela. 297
Aboriginer Vorderindiens, die dunklen Bewohner seiner
Waldgebirge, wirklich Einwanderer aus dem Innern Ost-
asiens seien.
Dr. Carl Sachs'
Don Gnancho war das Ideal eines Llanero, ein Meister
in allen Künsten des Leibes, dabei offen, edelmüthig und
gastfreundlich, eine wahre Siegfriedsnatur; im Reiten,
Schwimmen, Fechten, in der Jagd und im Fischfang suchte
er seinesgleichen. Im Galopp dahinsprengend riß er den
wilden Stier der Llanos am Schweif zu Boden oder fesselte
ihn aus weiter Entfernung mit seinem nie fehlenden Lasso.
Ein gefeierter und gefürchteter Kriegsheld, stürmte er im
Jahre 1868 an der Spitze einen Häufleins von 200 Lanzen--
reitern die von 2000 Mann besetzte Stadt Calabozo; seine
Lieblingsbeschäftigung aber war die Jagd der Jaguare, deren
er einst in den Wäldern des Apure drei in gleichzeitigem
Kampfe erlegte. Dabei war er weit entfernt von jener
eitlen Prahlerei, welche so häufig den Creolen auszeichnet;
ein Mann der entschlossenen That, hielt er treulich, was er
versprach, ungleich der Mehrzahl seiner Landsleute. Es fiel
Dr. Sachs nicht schwer, den intelligenten Mann für sein
Vorhaben zu interessiren, und er erfuhr von ihm, daß seine
in einiger Entfernung südöstlich von Calabozo gelegene Be-
sitzung los Tamarindos der geeignetste Punkt für ihn sei,
da der unweit davon strömende Rio Oritucu, ein linker Zu-
sluß des Guarico, nebst den zahlreichen, in ihn mündenden
Canos überreich an Tembladoren sei. Dorthin, an den
von dichtem Walde eingefaßten Oritucu begaben sich also
beide in Begleitung dreier Peone und bemerkten auch als-
bald an der Mündung des Cano Merecnritu den ersten
Temblador, ein dunkles schlangenartiges Geschöpf, das gegen
sechs Fuß Länge zu haben schien. Unter einem überhängen-
den Copaivabaum gelagert, hielten sie einen kurzen Rath.
In den Fluß selbst eiuzüdriugen wäre Tollkühnheit gewesen;
denn der Oritucu ist eines der gefährlichsten Gewässer der
Llanos. Neben den großen besonders wilden Alligatoren,
denen bei der Höhe und Steilheit der Ufer im Falle eines
Angriffs schwer zu entkommen sein dürfte, sind es die
Stachelrochen oder Rayas (Trygon hystrixMüll. Henle),
die zahlreichen Tembladoren und vor allem jene Pest aller
Gewäffer des tropischen Südamerika, der Caribensisch, welche
dem Eindringling Verderben drohen. Die Raya ist eine
platte rundliche Scheibe mit einem dünnen, spitz auslaufenden
Schwänze, der nahe dem hintern Ende einen mit Widerhaken
versehenen, langen, aufrichtbaren Stachel trägt; vor demfel-
ben befinden sich noch 1 bis 2 kleinere, zum Ersatz dienende.
Dieser Stachel ist eine furchtbarere Waffe, als es den An-
schein hat. Im Sande vergraben und dadurch fast uukennt-
lich, schleudert der Fisch sein sicher treffendes Geschoß auf
den sorglos Nahenden, und die so erzeugte Wunde ist von
einer schwer zu erklärenden Bösartigkeit.
Viel gefährlicher, weil in weit größeren Massen vorkom-
mend ist jedoch der gefräßige Caribensisch, der sich nicht
scheut, trotz seiner Kleinheit (er mißt selten über 7 bis 8 Zoll)
selbst über den Menschen mit furchtbaren Bissen herzufallen.
Die Kraft seines Gebisses, das wie eine scharfe Säge geformt
Globus XXXIV. Nr. 19.
Reise in Venezuela.
ist, übertrifft alle Vorstellung; ein singerdicker Stecken festen
Holzes, den Sachs einem schon erschöpften Exemplar vorhielt,
war im Nu durchgebissen; auch dicke stählerne Angelhaken
widerstehen ihren Zähnen nicht. Menschen und Thiere,
welche beim Ueberschreiten eines Flusses noch weit vom Ufer
entfernt von Caribensifchen überfallen werden, sind unrettbar
verloren, da selbst im Falle die zugefügten Verletzungen nicht
tödtlich sind, der Blutverlust sie am Schwimmen hindert;
Fälle dieser Art ereignen sich jedoch nicht gerade häufig.
Denn trotz dieser Gefahr werden viele Flüsse, welche notorisch
von den Fischen wimmeln, fortwährend überschritten; auch
werden große Fischzüge in ihnen veranstaltet, wobei eine be-
deutende Anzahl von Menschen für geringen Lohn mehrere
Tage lang nackt im Wasser arbeitet.
Da jedoch der Oritucu selbst von den Eingeborenen we-
gen seiner gefährlichen Bewohner gemieden wird, fo beschränkte
sich das Jagdgebiet des Don Guancho und Dr. Sachs auf
die Mündung des Cano Merecnritu. Ersterm gelang es
bald, mit Hülfe eines starken Angelhakens einen Zitteraal
gleichsam zu Harpuniren; aber die dabei entstandene Verletzung
war so bedeutend, daß geringe Aussicht vorhanden war, so
erbeutete Thiere für die nöthigen Experimente am Leben zu
erhalten. Don Guancho ging also zu einer andern, ebenso
sinnreichen wie interessanten Fangweise über, wobei man auf
die Neugierde des Thieres rechnete, eine Eigenschaft, die fast
allen Fifchen in hohem Grade zukommt. Es ist bekannt,
daß jedes im Waffer erregte Geräufch die darin befindlichen
Fische veranlaßt, sich nach der betreffenden Stelle hin zu be-
geben, wahrscheinlich durch die Hoffnung auf Beute getrieben.
Die Gesellschaft verhielt sich also eine Zeitlang still und
wars dann, hinter Bäumen versteckt, kleine Steinchen ins
Wasser des Cano, um das Wild anzulocken. Wirklich glit-
ten bald mehrere Tembladoren den Calw aufwärts, um zu
sehen, was es gäbe, und wurden durch ein quer vor die
Mündung desselben gespanntes Netz sofort an der Rückkehr
gehindert. Mit einem zweiten Netze begaben sich zwei der
Peone eine kleine Strecke weit aufwärts, stiegen ins Wasser
hinab und hielten das Netz so zwischen sich ausgespannt, daß
es ebenfalls den Wasserlauf quer absperrte. Nunmehr rück-
ten sie langsam abwärts bis in die Nähe des ersten festste-
henden Netzes und trieben so die Bewohner des ganzen Ge-
Indes auf einen geringen Raum zusammen. Vergebens
schleudert jetzt der zornige Gefangene feine Donnerkeile: todte
Fische und Frösche, die plötzlich auf der Oberfläche erscheinen,
sowie mancher Ach- und Weheruf, manches Caramba! und
Ave Maria purisima! der im Wasser stehenden Fischer
künden die Kraft seiner elektrischen Schläge. Er ist umringt,
wird zwischen den beiden Netzen aus dem Wasser gehoben
und zappelt auf dem Sande. Aber niemand getraute sich,
die beiden gefangenen Gymnoten aufzuheben, um sie in das
mitgebrachte Faß zu befördern, bis Sachs kurz entschlossen
seinen Tuchrock auszog, ihn über die Thiere breitete, sie so
38
298 . Dr. Carl Sachs'
faßte und in den Behälter warf. Daß dies eine weise Vor-
ficht war, bewies der Umstand, daß er trotz des schützenden
Tuches noch deutliche Schläge erhielt.
Uufer Raum erlaubt es nicht, ausführlicher auf alles
einzugehen, was der Autor über das Leben und Aussehen
der Tembladoren, über seine Untersuchungen derselben und
über sein Leben in Calabozo berichtet, wo er Weihnachten
— ein ganzes Capitel widmet er den Vergnügungen uud
Festlichkeiten dieser Zeit — verlebte. Wir bitten aber nn-
sere Leser um so mehr, das Buch selbst zur Hand zu nehmen
uud sich den Gennß zu verschaffen, eine der besten Reife-
beschrcibnngen der letzten Jahre gründlich kennen zu lernen;
sie werden sicher in uuser Urtheil einstimmen, daß ihnen sel-
ten auf 370 Seiten mehr Genuß und Belehrung zu Theil
geworden ist, als durch dieses Werk eines jugendlichen Me-
diciners.
Gegen Ende des Monats Februar 1877 hatte Sachs
seine Laboratoriumsarbeiten zum Abschlüsse gebracht. Auf
einem letzten Ausfluge zum Rio Oritucu versah er sich mit
einer Anzahl frischer Gymnoten, um sie günstigen Falles
nach Europa überzuführen (was freilich bei keinem gelang),
und trat, nachdem er sich in einer Reihe von Besuchen von
den ihm befreundeten Familien der Stadt verabschiedet hatte,
am 6. März seine Reise nach Camaguan am Portuguesa,
einem linken Zuflüsse des in den Orinoco mündenden Apure,
an. Drei bespannte Karren mit der gleichen Zahl von
Carreteros sollten sein Gepäck, alle die benutzten Apparate,
die augelegten Saminlungen und die Wasserkiste mit den
Zitteraalen auf dem als gut und eben geschilderten Wege
südwärts nach Camaguan schaffen. Nach wenig mehr als
einer Stunde wurde das steiluferige, dort fast völlig trockene
Bett des Guarico überschritten, und dann ging es weiter auf
der traurig monotonen Savanne nach dem Meierhofe von
Lecherito, wo sie sich mit frischem Wasser versahen. Zu
diesem Zwecke führt der Reisende eine Tapara, einen mit
Stricken umflochtenen Flaschenkürbiß, am Sattel hängend
mit sich, und er muß die Punkte, an denen genießbares Was-
ser zu finden ist, genan kennen, um nicht der Gefahr des
Verschmachtens ausgesetzt zusein. Man trifft zwar imLlano
überall in einer Tiefe von wenigen Fuß auf das Grund-
Wasser, welches au allen Stellen, wo durch Zufall der Boden
bis zu dieser Tiese gespalten ist, Bassins oder Quellen bildet, die
während der größten sommerlichen Trockenheit nicht versiegen,
so daß die Anlage von Bruunen bei der lockern Beschaffen-
heit des Bodens leicht und erfolgreich wäre. Aber die Trüg-
heit und Indolenz der Bewohner ist so groß, daß man dieses
einfache Auskunftsmittel verschmäht uud sich mit demjenigen
begnügt, was die Natur bietet. An einigen wenigen Stel-
len finden sich kleine Lagunen, welche bis nahe an das Ende
der Trockenheit eine geringe Menge Wassers enthalten; aber
dies Wasser ist von allem möglichen Gethier verpestet und
in Farbe und Geruch so abschreckend, daß nur der peinlichste
Durst es genießbar finden läßt. Nur zwei Mal traf Sachs
auf der 16 bis 18 deutsche Meilen langen Strecke zwischen
Calabozo und Camaguan Brunnen primitivster Art an, wäh-
rend die Bewohuer aller übrigen nicht gerade seltenen Ran-
chos sich mit dem schrecklichen Wasser der Lagunen begnügten,
das sie oft noch aus weiter Entfernung herbeischleppen muß'
ten. Versiegen endlich auch diese letzten Hülfsmittel in Folge
der anhaltenden Dürre, so sind dieselben Leute, welche wäh-
rend der winterlichen Ueberschwemmnngen ihre Wohnung
nur in Booten verlassen können, in den Monaten März und
April genöthigt, vor der Trockniß in günstiger gelegene Orte
zu flüchten. Je weiter Sachs nun vordrang, desto seltener
wurden die Gruppen von Fächerpalmen und Chaparro-
Bäumen, welche, wenn auch nur für Augenblicke, den Weg
Reise in Venezuela.
beschatteten. Die verdorrte Grasdecke verschwand allmälig,
sie war unter den sengenden Sonnenstrahlen zu Staub zer-
fallen oder vom Savannenbrande verzehrt. Der ausgetrock-
nete, gehärtete Boden hatte klaffende Spalten geworfen, die
bei geringer Tiefe durch ihre große Zahl das Vordringen er-
fchwerten. Es war eine vollkommene Wüste, welche die
Reisenden umgab; nicht ein einziges lebendes Wesen war
weit uud breit zu schauen und die ganze Natur schien in
bleiernen Todesschlas versunken. Um so erstaunter war
Sachs, bei seinem Nachtquartier, dem Rancho San Pedro,
das üppige Grün eines großen Bananenfeldes zu finden, das
mit halbreifen Fruchttrauben strotzend beladen war. Nicht
das Geringste geschah zur Bewässerung dieser Anpflanzung,
welche inmitten einer mit völlig verdorrtem Graswuchs be-
deckten Steppe an einer beliebigen Stelle angelegt war. Die
Wurzeln dieses prächtigen Gewächses dringen wohl tief ge-
nug in den Boden ein, um bis an die vom Grundwasser
imbibirte Zone zu gelangen, so daß sie fünf Monate hin-
durch des Regens entbehren können.
Auch am folgenden Morgen behielt die Ebene anfangs
den nämlichen monotonen, baumarmen Charakter bei, bis
sie nach fast dreistündigem Ritte um 7 Uhr den Hato von
Matapalito am Saume eines großen Palmenwaldes er-
reichten. Der Name der Ansiedelung ließ vermnthen, daß
der Matapalo, der bekannte Tödte- oder Würgebaum, hier
in besonderer Menge vorkomme. Die meisten Namen
kleiner Ortschaften im Llano sind entweder von Gewächsen
abgeleitet, welche daselbst häusig auftreten, oder irgend einem
Kalenderheiligen entlehnt. Im letztern Falle wählt man
gern den Namen desjenigen Heiligen, welcher den Ruf als
besonderer Beschützer gegen irgend eine Calamität genießt,
welche den Ort vorzugsweise bedroht. So heißen viele be-
sonders von Schlangen heimgesuchte Orte San Pablo, weil
dieser Heilige als Schutzgott gegen Schlangen gilt; andere,
an denen schreckliche Gewitter häusig sind, heißen aus ähn-
lichem Grunde Santa Barbara und dergleichen mehr.
Naturforscher, welche tropische Länder bereist haben,
haben wiederholt gegen Sachs behauptet, daß eigentliche
Palmenwälder, d. h. solche, welche einzig und allein aus Palmen
einer Species bestehen, nicht existiren. Der Wald von Ma-
tapalito aber beweist die Unrichtigkeit dieser Behauptung;
denn mehrere Stunden weit ist das Land dort fast ausschließ-
lich von der Palma de Cobija bedeckt, welche zum größten
Theile die gleiche Höhe von etwa 25 Fuß haben. Anfangs
zeigte sich nur ab und zu eine Palme, welche von dem tücki-
schen Würgebaume umklammert war; bald aber steigerte sich
ihre Zahl und in der Mitte des Waldes konnte man über-
Haupt nur mit Mühe eine Palme auffinden, welche davon
frei war. Das Gewächs soll, wie seine Begleiter versicher-
ten, zuerst als harmloser Gast in der Krone der Palme sich
ansiedeln, um dann nach unten zu wachsen und den gast-
freundlichen Wirth auf Leben und Tod anzugreifen. Ist
dies richtig, so ist es das System der Luftwurzeln, welches,
allmälig erstarkend, in seiner Vereinigung den Stamm bildet,
der nach Absterben der Palme feine stattliche Krone in die
Lüfte erhebt.
Zwei Tagemärsche weit blieb das Land ziemlich dicht be-
waldet, am Ansang des dritten aber traten sie aus dem scharf
abschneidenden Saume des Gehölzes heraus auf eine weite,
herrlich grüne und mit weidenden Rinderherden bedeckte Ebene,
kl Estero de Camaguan genannt, die in schroffstem Gegen-
satze zu der einförmigen verschmachteten Natur stand, welche
Sachs während der letzten vier Monate vor Augen gehabt
hatte. Drei Fuß hohe, weiche, saftige Gräser, der Art an-
gehörig, welche Lambedora genannt wird, weil die Rinder sie
mehr zu lecken als zu kauen scheinen, bedeckten die weite
Dr. Carl Sachs'
Fläche; nicht ein einziger Baum unterbrach das gleichförmige
helle GrUn der Savanne, welche mit Ausnahme des eben
verlassenen waldigen Hintergrundes nach allen Richtungen
hin einen freien, scharfen, geradlinigen Horizont darbot, ahn-
lich dem des Meeres. Solche Esteros oder Savannen,
welche während des ganzen Jahres frische Gräser erzeugen,
finden sich, wenn man von den oasenartigen Strecken in den
oberen Llanos absieht, nur in der Nähe der großen Ströme.
Es ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob es ein durch
diese Nähe bedingter größerer Wasserreichthum des Bodens
oder eine besondere Fruchtbarkeit desselben ist, was dieser
Eigentümlichkeit zu Grunde liegt. Für letztere Ursache
spricht der Umstand, daß diese Esteros in der Regel diejenige
Ausdehnung bezeichnen, welche die Flüsse bei ihrem An-
schwellen in der Regenzeit einzunehmen Pflegen. Als Sachs
in den Estero de Camaguau eintrat, war er noch 12/2 deutsche
Meilen vom Ufer des Portuguefaflusses entfernt; aber die
Reste eines alten Bootes, das liegen geblieben war, sowie
äußerst zahlreiche leere Gehäuse einer Schnecke aus der Gat-
tung Ampullaria bezeugten die Richtigkeit dessen, was seine
Carreteros behaupteten, daß nämlich zur Zeit des Jnvierno
der aus seinen Usern tretende Portnguefa bis an den Waldes-
rand reicht und die Savanne nur für Boote passirbar macht.
Unzweifelhaft hinterläßt der Fluß auf den überschwemmt
gewesenen Ländereien einen feinen Schlamm, der vielleicht
der Grund einer besondern Fruchtbarkeit der Esteros sein
könnte.
Die wenigen Ranchos dieser Gegend waren mit einem
obern Stockwerke, ähnlich dem Heuboden eines Bauernhauses,
versehen, wo zur Zeit der winterlichen Ueberschwemmung
diejenigen Bewohner hausen, welche nicht in die Stadt
flüchten können. Im unteren Raum, durch den die Wogen
hindurchrollen, tummeln sich die Krokodile und Boaschlangen
des Stromes; ihnen sehen wenige Fuß höher die Herren des
Hauses zu, deren Lebensunterhalt während dieser trüben Zeit
sast nur auf dem Fischfang beruht. Unter ihrem eigenen
Dache Wersen sie Angel und Netz aus, um die beschuppten
Eindringlinge zu erbeuten. Ein kleines Canoe ist das ein-
zige Mittel, um mit der Außenwelt in Beziehung zu treten.
Ziehen sich endlich die Fluthen zurück, so hinterlassen sie den
Boden in aufgeweichtem, morastigem Zustande; die schlimm-
sten Miasmen entsteigen dann dem gährenden Sumpfe, und
selbst die längst acclimatisirten Bewohner leiden an den
Wechselfiebern, die durch dieselben erzeugt werden. Erst im
Januar werden die Esteros trocken und verlieren ihren bös-
artigen Charakter; doch sind Fieber auch dann hier noch hän-
siger als an anderen Orten.
Am vierten Tage seiner Reise erreichte Sachs das Städt-
chenC a m a g n a n (2000Einwohner) amRioPortuguesa,
verabschiedete sich dort von seinen Carreteros, miethete sich
einen Bongo (langes, schmales Boot aus einem ausgehöhlten
Baumstamme) und fuhr in demselben den jetzt bei nicderm
Wasserstande von zahllosen Caymans und Vögeln wimmeln-
den Strom nach San Fernando am Apure hinab, wo
er am folgenden Tage anlangte. Auf dem gauzen Wege
hatte er nicht einen einzigen Rancho am Ufer gesehen.
San Fernando ist Sitz der Regierung des Staates
Apure und zählt 3053 Einwohner. Seine Lage ist ungün-
stig gewählt, die Häuserreihen stehen dicht an dem steilen,
aus lockerm Lehm bestehenden Ufer, das von der Gewalt des
Stromes beständig unterwühlt und losgerissen wird. Meh-
rere Häuser standen damals auf so uusicherm Boden, daß man
während der nächsten Regenzeit ihren Einsturz erwartete, und
einem großen Theile des Ortes steht im Laufe der Zeit das-
selbe Schicksal bevor. Die Existenz von San Fernando be-
ruht auf dem ziemlich bedeutenden Handel, den feine Ein- I
Reise in Venezuela. 299
wohner betreiben. Die Ackcrbanproducte der zum großen
Theil reich angebauten Provinz Varinas, vorzugsweise iu
Kaffee und Taback, dem bekannten Varinasknaster, bestehend,
werden mittels des schiffbaren Portuguesa hierhergeschafft,
um dann behufs des Exportes nach Bolivar befördert zu
werden. Einen bedeutenden Handelsartikel bilden auch Häute
von Rindern und Rehen, in geringerm Maße einzelne Dro-
guen. Andererseits ist San Fernando die Zwischenstation
des Jmporthandels, der sein Centrum in Bolivar hat und
alle Erzeugnisse der ausländischen Industrie, sowie das in
den Salinen von Cumanä, gewonnene Salz dem Binnen-
lande übermittelt. Aehnlicher Art ist der Handel, welcher
in dem am obern Apure gelegenen Orte Nutrias stattfindet.
Obgleich überreich mit fruchtbaren Ländereien versehen,
treibt der Staat Apure dennoch so gut wie gar keinen Acker-
bau; alle Lebensmittel, abgesehen von Rindfleisch, bezieht die
Stadt San Fernando von dem Orte el Baül in den oberen
Llanos; täglich gehen von dort mehrere große Boote, beladen
mit getrockneten Fischen, Bananen, Mais und Cassavebrot,
ab, um mittelst der Flüsse Tiuaco und Portuguesa nach San
Fernando zu gelangen. Die alleinige Beschäftigung der
Apurenos ist die Viehzucht, welche durch das ungeheuere, mit
Weidegräsern von vorzüglicher Qualität bedeckte Territorium
sehr begünstigt wird; freilich haben die Revolutionskriege die
Zahl der Rinder ueuerdiugs fehr vermindert. Dieselben
werden vorzugsweise nach den Küstenstädten des Nordens
verhandelt.
In San Fernando benutzte Dr. Sachs seine Zeit, um
die Wirkungen verschiedener Gifte zu studiren, die er sich
mit vieler Anstrengung zu verschaffen wußte, so das der
Guachamaca-Pflanze und das des berühmten indianischen
Pseilgistes Curare, während er sich vergeblich bemühte, des
Manzanillo (Hippomane mancinilla), den Scribe's kühne
Phantasie aus Südamerika nach dem Schauplatz der Oper
„L'Africaine" verpflanzt hat, habhaft zu werden. Dagegen
gelang es ihm, eine Anzahl junger Gymnoten zu erbeuten.
Während feines Aufenthaltes in San Fernando begann, dies-
mal ungewöhnlich früh, die Regenzeit und alsbald schmückte
sich eine große Zahl von Bäumen und Strauchern, welche
in Folge der anhaltenden Dürre ihre Belaubung eingebüßt
hatten, mit frischen Blättern und Knospen; auch was der
Trockenheit Widerstand geleistet hatte, prangte jetzt in frische-
ren, blühenderen Farben. Am 26. März begann das Stei-
gen des Flusses, und sofort wurde das bisher völlig klare
Wasser desselben intensiv gelb, an einigen Tagen sogar sörm-
lich braun, weil der Fluß immer neue Partien seiner lehmi-
gen Uferwände mit sich fortspült. Diese enorme Verun-
reinigung des Flußwassers hält so lange an, bis der Strom
das Maximum seiner Höhe erreicht hat, und während dieser
Zeit müssen die Bewohner von San Fernando, welche allein
aus das Apure-Wasser augewiesen sind, dasselbe durch künst-
liche Mittel, wie das Zusetzen von etwas gepulvertem Alaun,
klären. — Zahllos war das Heer von Fnsecten, welche jetzt
zum Vorschein kamen, Zancudos, Termiten und Ameisen,
Nachtschmetterliuge, Käfer, Cicaden n. f. w. Mehrfach
konnte man beobachten, wie bestimmte Arten plötzlich in Mos-
saler Menge austraten, um nach einigen Tagen wieder spur-
los zu verschwinden.
Weil sich keine Schisssgelegenheit stromabwärts darbot, war
Dr. Sachs länger, als er anfangs beabsichtigte, gezwungen,
in San Fernando zu verweilen, bis endlich am 19. April
eine Lancha, ein einmastiges, breites, bauchiges Segelfahrzeug,
vom Orinoco her anlangte, um nach Einnahme neuer La-
dung nach Cindad Bolivar zurückzukehren. Da der Fluß
bereits stark gestiegen war, konnte er hoffen, auf ihr eine
angenehme und schnelle Fahrt zu haben.
38*
300 . Neb
Wenn sich einst die Llanos in den Händen einer fleißigen und
zahlreichen Bevölkerung befinden werden, dürfte es unschwer ge-
liugeu, den Apure, welcher gegenwärtig der Schifffahrt einige
Hindernisse bietet und für Dampfer nur während der Regenzeit
schiffbar ist, durch Regulirung seines Bettes zu jeder Jahres-
zeit für Fahrzeuge von mäßigem Tiefgange pafsirbar zu
machen. Unter den gewaltigen Binnenwasserstraßen, durch
welche der Continent von Südamerika sich vor allen anderen
Erdtheilen auszeichnet, nimmt die von den Mündungen des
Orinoco durch den Rio Apure bis nahe an den Fuß der
Cordillereu sich erstreckende Linie eine der hervorragendsten
Stellen ein. Ans einer Strecke von etwa 200 Meilen (bis
Palmarito am obern Apure hinauf) ist sie nirgends von
Katarakten unterbrochen und bietet felbst gegenwärtig, ohne
alle Kunsthülfe, während eines großen Theiles des Jahres
eine völlig unbehinderte Fahrstraße, welche sich mittels zahl-
reicher Seitenlinien weit in die umgebenden Territorien hin-
ein verzweigt. Mit der Colonisation der Llanos, deren Bo-
den auf weiten Strichen ohne Weiteres für den Anbau
geeignet ist, würde jene großartige Wasserader sofort eine
unermeßliche Wichtigkeit erlangen. Die Colonisationsversuche,
welche von einzelnen intelligenten Bewohnern der Llanos
gegenwärtig, meist an beliebig gewählten Orten, unternom-
men werden, glücken ohne Ausnahme und zeigen, daß außer
den Frutas menores (Früchten des täglichen Bedarfes) auch
Producte wie Kaffee, Zuckerrohr, Kakao u. s. w. in ausge-
zeichueter Qualität gewonnen werden können. Womit keines-
wegs gesagt sein soll, daß nicht auch in Zukunft ein Haupt-
Moment der Bedeutung der Llanos in der Viehzucht liegen
wird.
Sehr naheliegend dürfte die Zeit, in welcher die Llanos
dem Ackerbau erschlossen werden, freilich nicht fein. Noch
liegeu ausgedehnte Thalgründe und Hochebenen in den ge-
birgigen Theilen des Landes völlig unberührt und von jung-
sräulichem Walde bedeckt; wenn hier die Cultur noch nicht
Wurzel gefaßt hat, nachdem bereits Jahrhunderte seit dem
Eindringen der weißen Race verflossen sind, um wieviel ge-
ringer sind die Aussichten für die Llanos, deren brennendes
Klima gegen den ewigen Frühling der Tierra temblada
(gemäßigte Region zwischen 400 und 2200 Meter über dem
Meere) so abschreckend contrastirt!
N e k r
— Die große „Indische Aufnahme" hat, wie Sir Alcock
in seinem Jahresberichte der Londoner Geographischen Ge-
sellschast mittheilt, kürzlich außer General Sir A. S. Waugh
und Oberst Montgomerie (f. „Globus" XXXIII, S. 239)
noch den Obersten D. G. Robinson und den Lieutenant
I. E. Gibbs durch den Tod verloren. Oberst Robinfon's
Name ist eng mit einer der frühesten und besten Aufnahmen
jener Behörde, der der gebirgigen und schwierigen über
10 000 engl. Quadratmeilen großen Gegend zwischen Indus
und Dschelam, verbunden. Dieselbe erforderte etwa acht Jahre
Arbeit, und die daraus resultirende Karte ist eine der schönsten
von allen, die je in Indien ausgeführt worden sind. Zuletzt
war Robinson Generaldirektor der indischen Telegraphen.
Lieutenant Gibbs, einer der jüngsten und vielversprechend-
sten Offiziere jenes Departements, erlag einem Choleraanfalle,
als er im District Ahmedabad fern von jeder ärztlichen Hülfe
mit- Aufnehmen beschäftigt war. Die Jahresberichte des
„Great Trigonometrical Survey" seit 1873/74 enthalten viele
werthvolle Beiträge seiner Feder.
— Mit dem am 18. April dieses Jahres in London ver-
storbenen Dr. Thomas Thomson hat die Geographie einen
der frühesten und eifrigsten Erforscher der Länder jenseit
des Himalaya und denjenigen Mann verloren, welcher den
ersten wahrhaft wissenschaftlichen Bericht über die Geographie,
Geologie und Botanik des weiten Gebirgslandes zwischen
dem Pendschab und Osttnrkestan gegeben hat. Geboren am
4. December 1817 in Glasgow als Sohn des gleichnamigen
berühmten Chemikers, stndirte er dort und wurde 1839
Doctor der Mediciu. Stets bezeigte er für Naturwissen-
schasten die größte Vorliebe, zuerst für Chemie und Minera-
logie, später für Conchologie und Entomologie, schließlich für
Botanik. Auf seines Vaters Wunsch studirte er anfangs in
Glasgow und einen Winter auch bei Liebig in Gießen Che-
mie, wandte sich dann aber unter Sir W. Hooker der Bota-
nik zu, trat nach Vollendung seiner medicinischen Studien
1840 in die Dienste der Ostindischen Compagnie und machte
als Arzt den afghanischen Feldzug mit, deu er als einer von
den wenigen überlebte. In Ghazni belagert und gefangen
genommen, wurde er mit anderen nach Kabul geschickt und
löge.
sollte nach Buchara in die Sklaverei verkauft werden; es
gelang ihnen aber in Bamian, ihren Herrn durch Geld und
Versprechungen zu veranlassen, daß er sie zu der vorrückenden
englischen Armee brachte. Früher hatte er Gelegenheit gehabt,
drei Monate lang die Umgegend von Kabul und Ghazui
geologisch uud botanisch zu durchforschen. Bis 1847 benutzte
er feixte freie Zeit in Moradabad, Lahor und Firozpnr, die
Botanik der Ebenen und der Vorberge des Himalaya zu er-
forscheu; dann wurde er auf Betreiben seiner Freunde zu
einem der drei Commifsäre ernannt, welche die Grenze zwi-
schen Kaschmir und Tibet festlegen sollten. Im October er-
reichten sie Leh und gaben sich, da die chinesischen Beamten
nicht erschienen, in Ladak und Kaschmir ihren Specialstudien
hin. 1848 erforschte er den Schayok-Flnß bis zu seiner
Quelle am Karakornm-Paß (18 200 Fuß). Ueber diese Reisen
schrieb er: „Western Himalayas and Tibet", welches ihm
von der Londoner Geographischen Gesellschaft eine goldene
Medaille eintrug. Die nächste Zeit wurde ihm durch Fieber-
anfalle getrübt. 1850 und 1851 bereiste er Sikkim, die
Khassia-Berge, Katschar, Tschittagong und die Suuderbunds,
stetig arbeitend und forschend, so sehr er auch am Magen
uud vou Fieber zu leiden hatte. März 1851 kehrte er mit
kolossalen botanischen und geologischen Sammlungen. und
Beobachtungen, aber mit gebrochener Gesundheit nach Europa
zurück. Alle Bemühungen, von der Ostindischen Compagnie
eine Unterstützung zur Herausgabe und Verwerthnng seiner
Schätze zu erlangen, waren uud blieben vergeblich, und die
aus eigene Kosten begonnene Herausgabe seiner „Flora of
British India" mußte er deshalb einstellen. — Von 1854
bis 1861 lebte er wieder in Indien als Director des bota-
nischen Gartens und Professor der Botanik in Calentta;
dann kehrte er nach England zurück und besuchte Indien nur
noch 1871 als Secretär der Expedition zur Beobachtung der
Sonnenfinsterniß.
— Am 16. Juni 1878 starb in Sydney der ausgezeich-
uete australische Geolog und Mineralog W. B. Clarke,
dessen werthvolle Schriften so zahlreich sind, daß sie eine kleine
Bibliothek bilden. Er wurde am 2. Juui 1798 in der Graf-
fchaft Suffolk in England geboren. Nachdem er seine Schul-
bildnng auf der Dedham Grammar Schoo! vollendet, bezog
er im Jahre 1817 die Universität Cambridge. Sein Beruf
war zwar Theologie, aber mit großem Interesse hörte er auch
Vorlesungen über Geologie und Mineralogie bei Prof. Sedg-
wick und Dr. Clarke. Nach Beendigung seiner Studien
machte er viele wissenschaftliche Reisen in Europa. Im
Jahre 1839 wanderte er zur Stärkung seiner geschwächten
Gesundheit nach Australien aus und blieb in Sydney. Von
1844 ab bis ans Ende seines Lebens hatte er in St. Leonards,
einer Vorstadt von Sydney, eine Pfarre inne. Um die geo-
logische und mineralogische Kenntniß Australiens hat sich
Clarke außerordentliche Verdienste erworben und er galt in
diesem Fache als erste Autorität. Diese Anerkennung wurde
ihm auch von Seiten vieler gelehrter Gesellschaften in Europa
zu Theil, welche ihn zu ihren Ehrenmitgliedern zählten.
— R. Daintree, nächst Clarke der bekannteste Geologe
Australiens, der sich namentlich um Victoria und Queensland
Verdienste erworben hat, ist gleichfalls unlängst gestorben. Zuerst
betheiligte er sich an der geologischen Aufnahme von Victoria
(von 1854 bis 1864), an der Erforschung des Baß River,
des Kohlenlagers von Cape Patterson n. s. w., wobei er zu-
gleich zahlreiche Photographien zur Erläuterung der allgemei-
nen Geologie und namentlich der physikalischen Structur der
Goldfelder anfertigte. 1864 ließ er sich als Squatter in
Queensland nieder und wurde 1869 zum Regierungsgeologen
für die nördliche Hälfte jener Colonie ernannt, in welcher
Eigenschaft er mehrere wichtige Goldfelder entdeckte. Seine
geologische Karte von Queensland basirt auf zahlreichen eige-
nen Reisen. Für die internationale Ausstellung von 1872
stellte er den bewunderungswürdigen Queeusläuder Annex
zusammen; 1872 im August wurde er zum Generalagenten
seiner Colonie in London ernannt, wo er erst 47 Jahr alt
im Juli dieses Jahres starb.
— In Cnenca in Ecuador starb am 20. Juni dieses
Jahres der deutsche Botaniker Gustav Wallis, geboren
am 1. Mai 1830 in Luneberg in Detmold. 1860 sandten
ihn die großen Brüsseler Horticultnristen Lindens nach Süd-
amerika, um neue Pflanzen zu sammeln, und acht Jahre lang
durchreiste er fast ohne Unterlaß Brasilien, Peru, Ecuador,
Bolivia, Columbia, Panama und Costarica, wo er überall
kolossale botanische Sammlungen machte. 1868 machte er
im Austrage von Veitch u. Comp, in London eine ähnliche
Reise nach den Philippinen, kehrte aber 1871 nach seinem
Lieblingsgebiete, dem Nordwesten von Südamerika, zurück,
wo er, arm und im Dienste der Wissenschaft abgenutzt, in
einem Hospitale verschied. Unter den reisenden Botanikern
unserer Tage stand Wallis durch seinen Mnth, seine That-
krast und wissenschaftliche Befähigung obenan; mehr als 1000
neue Varietäten von Pflanzen hat er in Europa eingeführt,
und keinen geringeren Theil der herrlichen Schätze unserer bota-
nischen Gärten verdankt mau seinem unermüdlichen Eifer.
Er zählte auch zu den Mitarbeitern des „Globus".
— Zu Anfang des Monats Juli verstarb in Wien der
dortige Vertreter Brasiliens, Chevalier Adolso v. Varn-
Hagen, Vicomte v. Portoseguro, ein entfernter Verwandter
Varnhagen's v. Ense und der Sohn Friedrich Ludwig Wil-
helm's v. Varuhageu aus dem Fürstenthnme Waldeck, welcher
in portugiesische Dienste trat, nach Brasilien kam und dort
als Ingenieur, General und Bergwerksdirector lebte, und
über dessen Wirken sein Sohn Adolso in seiner „Allgemeinen
Geschichte von Brasilien" (liistoria geral do Brazil. Por
un socio do Instituto Historico do Brazil, Natural de
Sorocaba) ausführlich berichtet hat. Dieses Werk, das 1855
in Rio de Janeiro erschien, wurde wegen des gelehrten
Fleißes, der kritischen Forschung und der ruhigen klaren Auf-
fafsung des Verfassers allgemein anerkannt. Die Geographische
Gesellschaft zu Paris, deren Mitglied Adolfo v. Varnhagen
war, ließ sich über das Werk einen außerordentlichen Bericht
durch Herrn d'Avezac erstatten, welcher Bericht als selbständiges
Buch im Druck erschien; dem deutschen Brasilier wurde darin
löge. 301
viel Lob gespendet, sein Fleiß und Scharfsinn gepriesen, er
aber auch zugleich manches Jrrthums beschuldigt. Hiergegen
verantwortete sich Adolfo v. Varnhagen nachdrücklich in zwei
kritischen Abhandlungen. Die eine führt den Titel: „Vespuce
et son premier voyageund ist Alexander v. Humboldt
zugeeignet; die zweite, wegen deren der Verfasser eigens nach
London, Florenz und Neapel reiste, um die dort aufbewahrten
Origiualhaudschrifteu sorgfältig einzusehen, heißt: „Examen
de quelques points de l'histoire geographique du Brezil,"
und widerlegt die Angriffe d'Avezac's mit ehrenhafter Würde
und nachdrücklicher Schärfe, so daß er den Sieg davontrug.
Mit Alexander v. Humboldt stand Adolfo v. Varnhagen in
brieflichem Verkehr. Die portugiesische Akademie der Wissen-
schaften ernannte ihn zu ihrem Mitglieds. Das erste Buch,
das er herausgab, war die Biographie von Martin Alsonso
de Sonza, die 1839 in Lissabon erschien. (A. Z.)
— Dr. Thomas Oldham, welcher von der Gründung
des Geological Survey oflndia im Jahre 1851 an bis 1876
an der Spitze dieses Instituts gestanden hat, ist am 17. Juli
1878 in Rugby gestorben. Geboren im Mai 1816 zu Dubliu,
studirte er dort und in Edinburgh, wurde 1839 erster geo-
logischer Assistent des mit der Aufnahme von Irland betrau-
teu Obersten Portlock, 1845 Professor der Geologie in Dublin
und war von 1846 bis 1850 Director der geologischen Auf-
nähme von Irland. Im März 1851 ging er nach Indien
und leitete die geologische Aufnahme des Landes, die Heraus-
gäbe der officiellen geologischen Karten und der dazu gehöri-
gen Memoirs. Seit 1861 gab er auch die „Palaeontologia
Indica" heraus.
— Capitäu Felix Joues, englischer Marineoffizier,
starb am 3. September 1878 in Fernside. Schon als Knabe
diente er unter Moresby, welcher von 1830 bis 1834 das
Rothe Meer aufnahm, auf dem „Palinurus", und lieferte
einen großen Theil der erforderlichen Zeichnungen. Dann
diente er als Zeichner im Golf von Manar und Palk Strait
unter Lieutenant Powell, bereiste Ceylon behufs Ortsbestim-
mungen uud Aufnahmen und begleitete 1841 Capitän Lynch
zu dessen Aufnahme des Enphrat. Auf dem Dampfer „Ni-
tocris" in Baghdad statiouirt, gelang es ihm, Jahr für Jahr
irgend einen Theil des interessanten, aber von feindlichen
Arabern beunruhigten Landes aufzunehmen. 1844 bereiste
er mit Sir H. Rawlinson die türkisch-persische Grenze, wov-
über er ein Memoir mit Karte veröffentliä)te, befuhr 1846
den Tigris vou Baghdad bis Samarrah und nahm 1848
den alten Nehrwan-Eanal und seine einst fruchtbare,, jetzt
wüst liegende Umgebung auf. Er schrieb dann die Geschichte
des Canals von seiner Erbauung in der Zeit der persischen
Sassaniden an und begleitete sie mit einer Karte. 1850 nahm
er das alte Tigrisbett auf, entdeckte die Lage des antiken
Opis und untersuchte die von Tenophon beschriebene medische
Mauer. 1852 arbeitete er am Tigris uud oberu Zab und
nahm die Ruiueu von Ninive auf, und machte 1853.eine
vortreffliche Karte von Baghdad. 1854 sandte er seine drei-
blätterige Karte von Babylonien nebst Memoir nach England.
1855 verließ er das Land seiner bisherigen Wirksamkeit und
ging als politischer Resident nach Buschir im Persischen
Meerbusen. Als 1857 der persische Krieg ausbrach, lieferte
er, damals Resident in Baghdad, der englischen Regierung
einen detaillirten Angriffsplan mit Jtinerarien, Wegwei-
sern n. s. w., nahm auch zusammen mit Oberst Malcolm
Green den Schatt-el-Arab und Karun auf, wodurch Sir
I. Outram in den Stand gesetzt wurde, Mohammerah an-
zugreifen. Für alle diese dreißigjährigen Dienste ist ihm nie
eine Belohnung von der Regierung zu Theil geworden. 1858
kehrte er nach England zurück. Seine letzte Arbeit ist eine
Karte der Enphrat-Tigris-Länder in vier großen Blättern,
bisher nur Manuscript. Außer Zeitschriftsartikeln schrieb er
„Narrative of a Journey througk parts of Persia and Kur-
distan in Company with Major Rawlinson." (Bombay 1849.)
— Sir Richard John Griffith, ein bedeutender
302 . Aus allen
englischer Ingenieur und Geologe, geboren am 20. Septem-
ber 1784 in Dublin, ist ebenda am 22. September 1873 ge-
storben. 1815 gab er die erste Lieferung seiner geologische:!
Karte von Irland heraus, welche 1355 vollendet wurde.
— Am 25. September 1378 ist der weitbekannte Karto-
graph Dr. August Petermann plötzlich in Gotha gestorben.
Geboren am 18. April 1822 zu Bleicherode bei Nordhausen,
trat er nach Besuch des Nordhauseuer Gymnasiums mit 17
Jahren in die von Berghaus geleitete geographische Kunst-
schule iu Potsdam, deren hervorragendster Schuler er gewor-
den ist. Was er hier in sechsjährigem Aufenthalte auf den
Seen und Hügeln des schönen Havellandes im Lothen, Mes-
sen, Aufnehmen u. s. w. lernte, hat er niemals in fernen
Erdtheilen direet verwerthen können; daß es nnverwerthet
geblieben ist, wer mag das Angesichts seiner zahlreichen engen
Verbindungen mit den hervorragendsten Reisenden der letzten
dreißig Jahre behaupten? Als Keith Johnston in Edinburgh
1845 es unternahm, Heinrich Berghaus' physikalischen Atlas,
den bis auf den heutigen Tag noch unentbehrlichen und nicht
ersetzten, sür England zu bearbeiten, berief er Berghaus' beste
Schüler, H. Lange und Petermann, zu sich, welcher letztere
dann zwei Jahre später sich in London auf eigene Füße
stellte. Hier war es, wo er zuerst durch die afrikanischen
Reisen Heinrich Barth's und Overweg's, welche mit auf sein
Betreiben der Gesandtschaft Richardson's nach Bornn (1849)
beigegeben wurden, und Vogel's (1853) und die Nordpolfahrt
Sir John Franklin's auf das Studium jener Erdtheile hin-
geführt wurde, für welche er Zeit seines Lebens eine leicht
erklärliche Vorliebe bewahrt hat: Afrika und die Nordpolar-
läuder. Als er 1854 au die Spitze von Justus Perthes'
geographischer Anstalt berufen wurde, welche durch seine rast-
lose Thätigkeit und Sachkeuntuiß zu dem geworden ist, was
sie heute darstellt, war er in das rechte Fahrwasser gekommen.
Nicht nur, daß ihm in dem zahlreichen technischen Personale
jener Anstalt allmälig die Gehülfen bei der schönen, oft
mnstergiltigen Herstellung seiner Kartenwerke zur Seite tra-
teu, daß er nicht wenige Schüler heranbilden konnte, an denen
er später feste Stützen fand; es gelang ihm auch, in seinen
„Mitteilungen aus I. Perthes' Geographischer Anstalt"
(seit 1855) eine Revue zu schaffen, wie sie in ihrer eigenthüm-
lichen Gesammtheit kein anderes Land besitzt. Gleich von
vornherein errang sich dieselbe Dank den Berichten Heinrich
Barth's aus Afrika und anderer einen zahlreichen Leserkreis,
Erdtheilen.
und erst in den letzten Jahren haben die Beitrüge der Afrika-
Reisenden aufgehört, iu solcher Fülle wie in den fünfziger
und fechsziger Jahren dort zu erscheinen.
Und wenn die Reisenden in solcher Weise ihn und sein
Unternehmen unterstützten, so hat er es ihnen mit Zinsen
heimgezahlt! Wie unermüdlich warb er bei Regierungen und
Vereinen, bei Privaten und Fachleuten, wenn er einen unter-
nehmenden und mit den vielerlei Eigenschaften eines Afrika-
Reisenden wohl ausgerüsteten Mann gefunden hatte, den es
nun zu unterstützen galt! Wie ist er da umhergereist, wie
viel Hunderte von Briefen hat er geschrieben, bis er die Mit-
tel zusammengebracht hatte, um seinen Schützling einen Vor-
stoß in das Unbekannte wagen lassen zu können! So rief
er die Expedition von Vogel, die von Henglin und Muu-
ziuger nach Ostafrika in das Leben, so förderte er des Unglück-
lichen Moritz von Benrmann Reise nach dem Sudan, so gab
er den Anstoß dazu, daß Rohlfs nach seiner gefahrvollen
marokkanischen Wanderung sich dem Innern Afrikas zuwandte,
so hat er für Karl Manch's Reisen in Südafrika das Geld
zusammengebracht, und wohl mag es wenige unter den Heu-
tigen Afrika-Reisenden geben, welche sich nicht bei ihm Raths
erholt haben.
Hat sich nun auch dieses Verhältuiß zwischen den Rei-
senden draußen und dem Geographen in der Gothaer Stndir-
stube gelockert, seitdem die neugegründeten nationalen und
internationalen afrikanischen Gesellschaften die weitere Auf-
hellung Afrikas mit größeren Mitteln in Angriff genommen
haben, fo wird das Aufhören eines andern Zweiges von
Petermann's Thätigkeit um so schmerzlicher empfunden wer-
den: seine Fürsorge für die Nordpolarforschuug, für
welche er seit 1865 ein unermüdlicher Vorkämpfer gewesen
ist. Nicht weniger als 135 einzelne Beiträge znr „Geographie
und Erforschung der Polarregionen" enthalten seine „Mit-
theiluugeu" bis auf den heutigen Tag; und seinem rastlosen
Bemühen ist es gelungen, daß auch Deutschland in neuester
Zeit seine drei Nordsahrten zu verzeichnen hatte. Die erste
unter Werner (1865) erlitt zwar schon beim Aussegeln Ha-
varie; die zweite aber unter Koldewey (1868) drang bis West-
lich von Spitzbergen vor; die dritte unter Koldewey und
Hegemann (1869 bis 1870) erzielte au Grönlands Ostküste
schöue Resultate. Seine Nordpolarkarten sind die besten,
welche existiren — wer wird nach ihm wieder für diese wich-
tigeu Forschungen die Lanze einlegen?
Aus allen
Asien.
— Wir unterlassen es absichtlich, über Afghanistau,
welches die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt gerade jetzt
am meisten unter allen asiatischen Ländern ans sich zieht,
ausführlichere Mittheilungen zu bringen, weil der „Globus"
erst vor Kurzem über das Land und seine Bewohner von
einer der berufensten Federn Deutschlands eine längere Ab-
Handlung veröffentlicht hat (vergl. „Globus" XXXII, S. 43
und 55, Emil Schlagiutweit, Die Besitzungen des Amir
von Afghanistan: 1. Grenzen und Ausdehnung; 2. Boden-
gestaltuug; 3. Gewässer; 4. Klima, Charakter der Landschaft
und Producte; 5. die Bevölkerung Afghanistans; 6. Staat-
licheVerhältnisse; 7. Afghanistans Beziehungen zu England).
Von anderen neueren auf das Land Bezug habenden Arti-
keln des „Globus" ueuneu wir hier nur: H. Vambery,
Die Bedeutung Herats (XX, S. 81); Emil Schlagint weit,
Indiens Grenznachbaren gegen Afghanistan (XXX, S. 105
und 123), und Georg Gerland, Bannn und die Afghanen
Erdtheilen.
(XXXI, S. 315, 331, 343, 361 und 374). Die genannten
vier Arbeiten dürften genauere und eingehendere Aufschlüsse
enthalten als weitaus die meisten Eompendien, und vorläufig
jedes Zurückkommen auf dies Thema überflüssig machen.
Dagegen mag die Reproduction dreier afghanischen Typen
aus einem ältern Bande (XIX, S. 85)^ von augenblicklichem
Interesse und uns darum gestattet sein. Es sind die von
H. Vambery dem „Globus" mitgetheilten Porträts des
Herrschers Schir Ali, seines Vezirs Mehemmed Nur und
seines Kriegsministers, welche 1869 bei Gelegenheit der Zu-
sammenkunft Schir Ali's mit dem Earl of Mayo in Am-
ballah aufgenommen wurden. Ueber den Amir schrieb da-
mals Vambery:
„Schir Ali zeigt in seinen Zügen einen Ausdruck von
Gelassenheit und Sanftmuth, stark untermischt mit den Spn-
ren, welche ewige Kämpfe und Sorgen in denselben zurück-
gelassen haben. Trotzdem daß er von Kindheit auf in Kampf
und Fehde, in Zank und Hader großgezogen worden, scheinen
doch die Zwistigkeiten in den letzten Jahren ihn am meisten
Aus allen Erdtheilen.
303
in Anspruch genommen zu haben. Einmal auf der Spitze
feines Glückes angelangt, stand er das andere Mal wieder,
feiner sämmtlichen Ländereien beraubt, an dem Rande des
Ruins seiner Größe. Daß er ein Herz voll edler Gefühle
besitzt, beweist am besten der Umstand, daß er seinen herbsten
Unglücksschlag in dem Verluste seines Sohnes fand, welcher
in der Schlacht bei Kedisch-baz neben Kelat-i - Ghilzi fiel.
Der arme Mann konnte von der Leiche seines Sohnes nur
mit Mühe entfernt werden. Drei Tage lang nahm er weder
Speise noch Trank zu sich, und der Trübsinn, der das Aergste
Kriegsminister. S
befürchten liep, wollte Monate lang nicht von ihm weichen.
Sein Anzug ist das buuteste Gemisch von Nationaltrachten.
Sein Unterkleid ist streng afghanisch, das Oberkleid heratisch,
aber nach bocharischer Art mit Galonen verziert; das Schwert
besitzt eine özbegische Form, während seine Kopfbedeckung wie
auch die seines Gefolges aus dem turkomauischeu kurzen
Telp ek (Pelzmütze) besteht. Diese Kopfbedeckung ist die paf-
fendste für kriegerische Leute, ist weder schwer noch groß und
verleiht dem Träger einen martialischen Anblick."
— Von ihrem Mitgliede Herrn Sibiriakoff erhielt die
Geographische Gesellschaft in Bremen folgendes Telegramm:
Nordenfkjöld telegraphirt mir via Moskau, daß er am
27.August glücklich die Leuamüuduug erreichte und hoffe,
^r Ali. Mehemmed Nur.
mit vollem Erfolge die Reise nach der Beringstraße fortzu-
setzen. Bereits früher wurde gemeldet, daß der Dampfer „Lena",
welcher mit der schwedischen Expedition (Dampfer „Bega")
ausging, den Lenastrom aufwärts fahrend, die Stadt Jakntsk
an der Mittlern Lena am 22. September erreichte. Mit vol-
lem Grunde darf man sich jetzt der Hoffnung hingeben, daß
Prof. Nordenfkjöld das Jahrhunderte alte Problem der Nord-
ostdurchfahrt lösen und durch die Beringstraße den pacifischen
Ocean erreichen werde. Das eben ausgegebene vierte Heft
der Zeitschrift der Gesellschaft, „Deutsche Geographische Blät-
ter", euthält ausführliche Berichte über die in diesem Som-
mer unternommenen Polarreisen.
— Am 18. August ist Capitäu Lovett Cameron von
304 ' Aus allen
Portsmonth auf dem „Orontes", auf welchem ihm die Re-
gierung freie Fahrt bewilligt hatte, nach Cypern abgereist
(s. oben S. 207). Nach kurzem Aufenthalte daselbst wird er
über Ladakieh, Aleppo, Urfa, Mardin, Mosnl, Baghdad,
Bassorah und durch Südpersien und Balndschistan nach Ka-
ratschi gehen, um zu untersuchen, ob sich zwischen dem nord-
westlichen Indien und dem Euphrat-Thale eine Eisenbahn-
Verbindung herstellen läßt. Seine Reise geschieht nicht von
Regiernngs wegen, sondern auf seine eigene Gefahr. Er
hofft, seine Reiseroute aufzunehmen, Photographiren und
botanisiren zu können.
— Der Oberkommandirende der kaukasischen Armee hat
befohlen, aus dem auf Grund des Berliner Vertrags mit
Rußland vereinigten Theil des Sandschaks Lazistan eine be-
sondere Provinz Batum zu bilden, welche in admini-
strativer Beziehung in die Hafenstadt Batum und die drei
Bezirke Batum, Artwiu und Adscharien, jeder mit drei
Distrieten, zerfällt. Die Localverwaltnng der Provinz con-
ceutrirt sich in der Person des Militärgouverneurs von Batum.
Afrika.
— Der Nil, welcher in diesem Jahre mehr als einen
halben Fuß über den höchsten Stand, dessen man sich erin-
nern kann, gestiegen war, begann zu Anfang October rasch
zu fallen. Trotz außerordentlicher Vorsichtsmaßregeln hat
aber der Arm von Damiette bei Samannd die Dämme durch-
krochen, über 100 engl. Quadratmeilen überschwemmt, 20
Dörfer zerstört und über 600 Menschenleben vernichtet.
— Dr. Schweinfurth beschuldigt in einer 'Zuschrift
an den „Esploratore" die ägyptischen Regierungsbeamten,
daß sie den Reisenden im Sudan alle nur möglichen Hinder-
nisse in den Weg legen und daß trotz aller gegentheiligeu
Versicherungen der Regierung der Sklavenhandel fortdauert,
nicht auf deu Hauptstraßen des Landes, aber auf Umwegen,
wo die Unglücklichen nur um so größere Strapazen anszu-
stehen haben.
— Die British Association hat einem Plane, die Insel
Sokotora naturwissenschaftlich erforschen zu lassen, ihre
Zustimmung ertheilt. Die wichtigsten vegetabilischen Pro-
dncte der Insel scheinen Aloö, Drachenblut und Datteln zu
sein. Die Landfauna ist arm, aber der See reich an Fischen,
Amber und Perlen, welche letztere noch jetzt ausgebeutet werden.
— Der katholische Bischof Horner schreibt in anschei-
nend etwas tendentiöser Weise (nach der „Mail"), daß die
zehn Missionäre, welche von der algerischen katholischen
Mission nach Jnnerafrika gesendet sind (s. „Globus" XXXIII,
S. 255 und 365), am 16. Juni unter Vorantragnng des
Banners des Heiligen Herzens Bagamojo verlassen haben.
Seit Menschengedenken sei keine Karawane so rasch ansge-
brochen; Dank dem Organisationstalent des Pater Charme-
teut konnten sie nach nur dreißigtägiger Vorbereitung ab-
reisen, während sich die belgische Expedition nach siebeumonat-
lichem Aufenthalt in Zanzibar noch immer in Bagamojo
befindet. Der Vorstand der Methodistenmission in Udschidschi,
Mr. Price, hat, durch das totale Fehlschlagen seines Planes,
Ochsenwagen zu verwenden, entmnthigt, seinen Posten und
seinen College«, Mr. Thompson, verlassen. Derselbe Fall
sei es mit Mr. Mackay, dem Vorstand einer andern eng-
lischen Mission am Tangaujika-See, welchem gar thätliche
Mißhandlung von Eingeborenen vorgeworfen wird. Die belgi-
Erdtheilen.
sche Expedition hat fortwährend mit Enttäuschungen jeder Art
zu kämpfen, die sie zum größten Theile bei besserer Bekannt-
schast mit dem Lande, d. h. eingehenderem Studium der Werke
früherer Reisender, hätte vermeiden können. (Folgen Aus-
fälle auf die „Freimaurer", welche Afrika ohne Zuziehung
der „Religion" erschließen möchten, und Beschreibungen ka-
tholischer Ceremonien in Bagamojo, bei welchen auch die
zwei kleinen Kanonen (!) der Missionäre „in ihrer Weise den
Ruhm Gottes verkündeten.") Der Sultan von Zanzibar
zeigt mehr und mehr, wie gut ihm seine europäische Reise
gethan; er bricht Straßen durch und legt Häuser nieder, um
quer durch seine Stadt eine Fahrstraße zu erbauen. Dieselbe
reicht noch eine Strecke weit in die Insel hinein, ist nirgends
unter 8 Meter breit und gleicht stellenweise einem Boulevard,
der von Orangenbäumen beschattet ist. Auch hat der Sultan
kürzlich einen gewaltigen Damm errichten lassen, auf welchem
man auch zur Fluthzeit von der Stadt aus die Insel errei-
chen kann. — Was auch jene katholischen Missionäre erreichen
mögen, es ist und bleibt zu bedauern, daß die Saat religiö-
sen, für die Schwarzen zudem völlig unverständlichen Zwie-
spaltes nach Jnnerafrika getragen wird. Schon dieser Brief
läßt erkennen, weß Geistes Kinder sich die afrikanische Seen-
region zum Arbeitsfelde ausersehen haben.
— Oskar Lenz, Skizzen aus Westafrika (Publieation
des Allgemeinen Vereins für deutsche Literatur. IV. Serie.
Berlin 1878. A. Hofmann n. Comp.). Der wohlbekannte
Wiener Geologe und Ogowe-Forscher giebt in diesem hübsch
ausgestatteten Werkchen nicht eine fortlaufende Reisebeschrei-
bnng, deren Anfänge und Vorläufer in seinen ausführlichen
Briefen im Correspondenzblatte der Afrikanischen Gesellschaft
fchon vorhanden waren, sondern eine Sammlung von 15 von
einander unabhängigen Essays über die natürlichen und socia-
len Zustände jener wenig besuchten und bekannten Küsten-
länder. Von speeiell ethnographischem Interesse sind nament-
lich die Abschnitte über die Jninga, die Fan-Cannibalen, die
sogenannte Zwergrace der Abongo, die Osaka und Adnma
und über Aberglaube und Fetieismus; ein Abschnitt handelt
von Elephanten- und anderen Jagden, ein anderer von den
Handelsverhältnissen in Westafrika, einer von Liberia und
der Kruküste, einer von St. Paul de Loauda, während die
übrigen in Form einer Reisebeschreibung gehalten sind.
Alles, was der Autor bespricht, hat er selbst gesehen und
erlebt, obendrein als einer der ersten Weißen gesehen; es
kann darum nicht fehlen, daß seine gut geschriebenen Skizzen
als das erste deutsche Buch über jene Gebiete mit wohlver-
dientem Interesse begrüßt und gelesen werden.
— Die „Mail" verzeichnet nach französischen Zeitungen
das hoffentlich unbegründete Gerücht vom Tode des Liente-
nant de Semells (s. Bd. XXXIII, S. 15 und 365), welcher
in Begleitung des belgischen Offiziers Bnrdo im vergangenen
Frühjahre nach Westafrika aufbrach und sich am 29. Juli in
Boni im Nigerdelta einschiffte, um den Fluß bis zur Ein-
Mündung des Biuus, dann diesen selbst hinaufzufahren und
so in noch völlig unbetretene Gebiete einzudringen. Sein
letzter Brief vom 28. Juli meldete ihre Abreise von Boni
und zugleich, daß Semells während seines Aufenthaltes da-
selbst heftig am Fieber gelitten habe und bei seinem Auf-
bruche kaum erst wiederhergestellt fet. Seitdem fehlten alle
weiteren Nachrichten, bis sich plötzlich jenes Gerücht ver-
breitete.
Inhalt: Skizzen aus Süd-Rußland. III. (Schluß.) (Mit sechs Abbildungen.) — Emil Schlagintweit: Die
Garo-, Khassia- und Naga-Völker an der indisch-birmanischen Grenze. III. (Schluß.) — Dr. Carl Sachs' Reise in Vene-
znela. III. — Nekrologe. — Aus allen Erdtheilen: Asien. (Mit einer Figur.) — Afrika. — (Schluß der Redaction
22. October 1878.)
Nedacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindcnstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
Hierzu eine Beilage: Prospekt, betreffend „Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik. Herausgegeben von
Prof. Dr. Carl Arendts in München. A. Hartleben's Verlag in Wien, Pest und Leipzig."
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Band XXXIV.
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Stauley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
i.
Stanley's Biographie. Organisation der Expedition und Marsch bis zum Ukerewe.
rnng dieser großartigsten und an Erfolgen reichsten aller
Afrika-Reisen vorliegt :).
9!ach deu Briefen des Reisenden brachte der „Globus"
noch während der Expedition feinen Lesern die letzten Nach-
richten über den Fortgang derselben 2); vieles blieb aber hier-
bei unvollständig und ungenügend. Erst jetzt an der Hand
seines Werkes ist es möglich, eiue klare, zusammenhängende
Schilderung dieser epochemachenden Forschungsreise zu liefern.
Vorher mögen jedoch einige biographische Angaben über
den großen Reisenden, dessen ereignißvoller Lebenslauf nur
wenig bekannt ist, hier Platz finden; um so mehr als dieselben
ein helles Licht aus die Fähigkeiten uud den Charakter dieses
merkwürdigen Mauues werfen.
Henry Morton Stanley hat ein gutes Recht sich
so zu nennen, obgleich sein wirklicher Name John Now-
lands ist. Er wurde im Jahre 1340 bei Denbigh in
Wales geboren; seine Eltern waren so arm, daß er in seinem
dritten Jahre dem Armenhaus vou St. Afaph übergeben
I". B. Mit derselben rastlosen, keiuHiuderuiß kennenden
Energie, mit welcher Stanley seine großartige Forschuugs-
reise vou Ausaug bis zu Eude siegreich durchführte, hat er
die vou vielen Reisenden fast noch mehr gefürchtete Aufgabe
— die Beschreibung derselben — vollendet. Schon wenige
Monate nach seiner Rückkehr nach England, noch körperlich
leidend in Folge der außerordentlichen Strapazen und Eut-
behruugeu der Reise, uud mitten in den zeitraubenden Ta-
gen von öffentlichen Ehreubezeuguugeu, Berichterstattungen
vor geographischen Gesellschaften und Entgegennahme ihrer
Medaillen und Diplome x) vollendete er das umfangreiche
Mauuscript, so daß uns jetzt in zwei stattlichen, mit vielen
Illustrationen uud Karten geschmückten Bänden die Schilde-
i) Stanley erhielt die goldenen Medaillen der geographischen
Gesellschaften von London, Paris, Italien und Marseille, silberne
von der Handelskammer von Marseille und der Munieipalität
derselben Stadt; zum Ehremnitgliede wurde er ernannt von den
geographischen Gesellschaften von Antwerpen, Berlin, Bordeaux,
Bremen, Hamburg, Lyon, London (correspondirendes), Marseille,
Montpellier, Wien und von der Gesellschaft der Künste in Lon-
don. Von dem Könige Victor Emanuel erhielt er eine goldene
Medaille, von dessen Nachfolger Humbert ein Portrait desselben
mit der eigenhändigen Unterschrift: „All' intrepido viaggia-
tore Enrico Stanley — Umberto Re." Der Chedive "von
Aegypten Uberreichte ihm den Großstern des Medschidje-Ordens;
in Paris wurde er zum „officier de l'instruction publique"
ernannt, und in Nordamerika nahmen beide Häuser des Eon-
gresses einstimmig ein Dankvotum an ihn an, eine Ehrenbezeu-
gung, die er höher schätzt, als alle anderen.
Globus XXXIV. Nr. 20.
„Through the Dark Continent; or, the
Sources of the Nile, around the Great Lakes of Equa-
torial Africa, and down the Livingstone River to the
Atlantic Ocean." (Sampson Low, London.) In autorisirter
deutscher Ausgabe bei F. A. Brockhaus in Leipzig (2 Bände,
1878). Ein großer Theil der wissenschaftlichen Ergebnisse mußte,
obgleich druckfertig, wegen Raummangel für einen fpäter zu
erscheinenden Supvlementband verschoben werden.
2) „Globus" XXVII, S. 192. XXVIII, S. 373. XXX,
S. 166, 183, 198, 215. XXXI, S. 277. XXXII, S. 313,
374. XXXIII, S. 10, 29, 57.
306 • Stcmley's letzte Forschungsreise
wurde, in welchem er zehn Jahre lang blieb und eine Er-
ziehung erhielt, die ihm eiue Lehrerstelle in der Schule in
Mold in Flintshire verschaffte. Im Alter von 15 Jahren
schiffte er sich als Cajütenjunge auf einem nach Nen-Orleans
bestimmten Schiffe ein. In dieser Stadt fand er bei einem
Kaufmanne, Namens Stanley, Unterkommen; derselbe adop-
tirte den Knaben an Sohnesstelle und gab ihm seinen Na-
men. Als sein Pflegevater im Jahre 1861 beim Ausbruch
des großen Bürgerkrieges starb, ohne ein Testament zu
hinterlassen, ging der junge Stanley in die Dienste der Süd-
staaten, wurde aber bald gefangen genommen. Er trat dar-
v\
durch Afrika (1874 bis 1877).
auf freiwillig auf die Seite der Nordstaaten, und wurde bald
zum Feihurich an Bord des Panzerschiffes „Ticonderoga"
ernannt. Im Jahre 1865, nach Beendigung des Krieges,
entschied er sich für die Journalistenlaufbahn, auf weicher-
er so glänzende Erfolge erringen sollte. Zuerst bereiste er
die Türkei und Kleinasien als Zeitungscorrespondent und
besuchte auch wieder seine Heimath in Wales und das Armen-
haus, dem er seine Erziehung und somit Alles verdankt.
Im Jahre 1867 kehrte er nach Amerika zurück, wurde aber
sogleich im Austrage des „Newyork Herald" als Kriegs-
berichterstatter mit der englischen Armee nach Abeffinien ge-
Stanley vor seiner Reise.
schickt, wo er den ganzen Feldzug mitmachte. Nach dem
Falle von Magdala eilte er nach Spanien, um der Nevolu-
tiou von 1868 als Reporter des „Herald" beizuwohnen.
Im Oetober 1869 kehrte er von dem Blntbade in Valentin
nach Madrid zurück, als eiue Depesche ihn nach Paris rief,
wo ihm der jüngere Bennet, der Sohn des Heraldbefitzers,
den Auftrag ertheilte, den seit zwei Jahren in Jnnerafrika
verschollenen Livingstone aufzusuchen. Doch vorher sollte er
noch andere Aufgaben lösen. Er eilte über Marseille nach
Aegypten und wohnte der Eröffnung des Suezeanals bei,
fuhr dann den Nil bis zur Insel Philci hinauf und berichtete
(Nach einer Photographie.)
über Baker Pafcha's bevorstehende große Sndan-Expedition;
zugleich schrieb er einen praktischen Femdenführer für Unter-
Ägypten. Dann reiste er nach Jerusalem, wo er die dortigen
Ausgrabungen besichtigte, und hierauf über Konstantinopel
nach der Krim, um die Schlachtfelder derselben zu besuchen.
Bon Odessa fuhr er über das Schwarze Meer nach Trape-
zunt, berichtete über die Projectirte Euphratthal-Eisenbahn,
reiste über Tislis durch den Kaukasus bis ans Kaspische Meer,
wo er Nachrichten über den bevorstehenden russischen Feldzug
nach Chiwa sammelte, und eilte dann über Teheran dnrch
Persien und Afghanistan nach Indien, wo er im August 1870
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
307
ankam. Im October fuhr er Uber Mauritius und die Sey-
chellen nach Zanzibar; hier landete er im Januar 1871 und
trat sogleich seine Hauptaufgabe, den Zug uach dem Tan-
ganjika, an. Am 28. October „entdeckte" er Livingstone in
Udschidschi, im Mai 1872 war er wieder in Zanzibar und
bald darauf in Europa, wo seine Leistung zuerst mit Miß-
trauen betrachtet, ja sogar offcn als amerikanischer Humbug
bezeichnet wurde; erst durch die Details seiner Berichte und
Livingstone's eigene Briese gelang es ihm, die verdiente An-
erkennung zu erlangen, die in der Ueberreichnng der goldenen
Medaille der Königlichen
Geographischen Gesellschaft
in London gipfelte. Er
schrieb seine Bücher „How
I found Livingstone" und
„My Kalulu" und kehrte
nach Amerika zurück, wo
er über seine Expedition
Vorlesungen hielt, die aber
wenig Erfolg hatten. Im
Jahre 1873 sehen wir ihn
bereits zum vierten Male
in Afrika, wo er wieder
als Berichterstatter des
„Herald" dem englischen
Feldzug gegen die Aschan-
tis bis Knmassie folgte.
Im April 1874 nach Eng-
land zurückgekehrt, wohnte
er als einer der Bahrtuch-
träger der Beisetzung der
Leiche Livingstone's in der
Westminster-Abtei bei, wo
er schon den Entschluß faßte,
das von jenem unvollen-
dete Erforsch uugswerk in
Afrika fortzusetzen. Vor-
her vollendete er noch sein
Werk „Coomassie and
Magdala", den Bericht
über seine beiden asrikani-
schen Feldzüge, machte sich
dann mit mehr als 130
Reiseberichten und sonstigen
Werken über Centralafrika
vertraut und theilte den
Besitzern des „Daily Tele-
graph" in London, den
Herren Levy und Lawson,
den Vorschlag zu einer
neuen Forschungsreise mit.
Eine telegraphische Depe-
sche nach Neuyork forderte
Herrn Bennet zur Bethei-
liguug an den Kosten der-
selben auf; binnen wenigen Stunden blitzt der Kabel die
lakonische Antwort: „Yes — Bennet" unter dem Atlanti-
schen Ocean zurück, und die anglo-amerikanische Expedition
„zur Lösung der noch übrigen (!) geographischen Probleme
Jnnerafrikas" ist beschlossen 1).
Binnen zwei Wochen nach dem Beschluß mußte Stanley
alle Vorbereitungen für seine Reise treffen, Boote kaufen,
i) Stanley's Werk ist gewidmet den Herren I. M. Levy
und Edward L. Lawson, Besitzern des „Daily Telegraph", Herrn
James Gordvn Bennet, Besitzer des „Newyork Herald" und
Herrn Edwin Arnold, Nedacteur des „Telegraph".
Sultan Bargasch. (Nach einer Photographie.)
und zwar eiu großes und zwei kleinere, Pontons bestellen
und die ganze Ausrüstung, Gewehre, Munition, Seile, Sät-
tel, Arzneien und Lebensmittel, Geschenke für eingeborene
Häuptlinge, wissenschaftliche Instrumente, Schreibmateria-
lien n. s. w>, anschaffen. Das große Boot war seine eigene
Erfindung, und wurde von dem Schiffsbauer Mefsenger in
Teddington bei London genau nach feinen Angaben ausgeführt.
Es wurde aus spanischem Cederholz von 3/8 Zoll Dicke ge-
baut und hatte eine Länge von 40 Fuß, bei 6 Fuß Breite
und 30 Zoll Tiefe; seine Eigenthümlichkeit war, daß es sich
zum Transport in fünf
Sectionen von je 8 Fuß
Länge zerlegen ließ. Fer-
ner engagirte Stanley drei
junge Engländer als Ge-
hülfen, uämlich Frederick
Barker, einen Commis, und
die Brüder Frank und Ed-
ward Pocock, die Söhne
eines Fischers in Kent, die
als Bootführer vou Nutzen
sein sollten. Alle drei bo-
ten ihre Dienste freiwillig
an und blieben bei ihrem
Vorsatz, auch nachdem ih-
nen alle Gefahren Afrikas
mitgetheilt worden. So-
bald übrigens Stanley's
Mission bekannt geworden,
liefen massenhaft Gesuche
von Personen aller Stände
und Gewerbe ein, die der
Expedition ihre Dieuste au-
boten; bis zu seiner Abreise
lagen über 1200 Briese
vor, die natürlich unberück-
sichtigt blieben, da die Aus-
wähl bereits getroffen war.
Auch wurde Stanley dnrch
die große Anzahl seiner
Freunde überrascht, die ihm
Geschenke aller Art „als
Zeichen ihrer Hochachtung"
einsandten, wie Feldsla-
schen, Uhren, Pfeifen, Pi-
stolen, Messer, Cigarren,
Arzneien, ja selbst Bibeln,
Gebetbücher und religiöse
Tractate „zur Vertheilnng
an die schwarzen Heiden".
Auch zwei schöne Hunde
wurden ihm geschenkt, zu
denen er noch drei andere
kaufte, meistens Bulldoggen
und Jagdhuude.
Charakteristisch für Stanley ist es, daß er vor Autritt
seiner Expedition noch ein Mal den Atlantischen Ocean kreuzte,
um während eines fünftägigen Aufenthalts in Amerika von
seinen Freunden Abschied zu nehmen. Bei zwei kleinen Ab-
schiedsessen in London, die der Nedacteur des „Telegraph"
und der Vertreter des „Herald" ihm zu Ehren gaben, sagte
er auch seinen Bekannten in England Lebewohl und schiffte
sich mit seinen Begleitern, den Booten, Hunden und allen
Vorräthen der Expedition — die von den englischen Dampfer-
linien zum halben Preise bis Zanzibar befördert wurden —,
39*
308
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
ein; am 13. August 1874 trat er seine Reise nach der Ost-
friste Afrikas an.
Ehe wir Stanley weiter folgen, müssen wir einen kurzen
Blick auf die damalige Kenntniß der Geographie Central-
afrikas werfen. Der Tanganjika-See wurde 1858 von
Burton und Speke entdeckt. Letzterer kreuzte denselben und
Beide machten eine kurze Küstenfahrt ohne das Nordende zu
erreichen. Livingstone erreichte den See 1867 an seinem
Südwestende, folgte der Westküste und kreuzte ihn bei Ud-
schidschi; 1871 fuhr er mit Stanley bis zum Nordende;
1874 umfuhr Cameron die ganze Südhälfte mit Ausnahme
des äußersten Südendes und entdeckte den angeblichen Lnkuga-
Ausfluß. Der Ukerewe (Victoria Nyauza) wurde 1858
von Speke allein entdeckt, der sein Südende bei Muauza er-
reichte; 1862 umging er mit Grant die West- und Nord-
Westseite desselben und entdeckte
den Victoria - Nil - Ausfluß.
Er stellte den Ukerewe als
Hauptquelle des Nils fest, doch
blieb der Umfang desselben nn-
bekannt, ja selbst seine Einheit
wurde angezweifelt, indem spä-
tere Karten ihn nach Angaben
von Eingeborenen in fünf
Theile zerfallend darstellten.
Der Mwntan (AlbertRyan-
za) wurde 1864 von Baker
entdeckt, der einen Theil seines
Ostufers bis zu dem einflie-
ßenden Victoria-Nil befuhr.
Der Lauf des Lualaba war
von Livingstone bis Nyangwe
ziemlich festgestellt, doch starb
er in dem Glauben, daß dieser
zum Nilsystem gehöre; auch für
Cameron blieb Nyangwe der
weiteste Punkt an dem geheim-
nißvollen Flusse, von dem
kein Mensch wußte, wohin er
fließe. Der höchste bekannte
Punkt am C o u g o wurde 1816
vou Tuckey's Expedition, die Der Bootführer Uledi und Mauwa Sera. «.Nach'einer Photogr.
400 uautische Meilen von der
Mündung an hinaufdrang, erreicht, aber woher der mächtige
Strom kam, blieb tiefes Geheimniß. So waren die von
Stanley's Vorgängern hinterlaffenen Probleme der Geographie
Centralafrikas beschaffen; in wie weit es diesem gelang, die-
selben zn lösen, soll die Schilderung seiner von Meer zu
Meer reichenden, 2 Jahre 8 Monate und 20 Tage langen
Forschungsreise klarstellen.
Am 21. September 1674 landete Stanley zum zweiten
Male auf der Insel Zanzibar, 28 Monate nach seiner letz-
ten Abfahrt von dort. Er brachte seine Begleiter und alle
Vorräthe sicher unter und nahm selbst seinen Aufenthalt bei
seinem langjährigen Freunde Herrn Sparhawk. Die Jnfel
und Stadt Zanzibar selbst sind durch die Werke der vielen
Reisenden, welche sie zum Ausgangspunkt ihrer Expeditionen
wählten, hinlänglich bekannt. Von mehr Interesse ist der
Herrscher dieses Reiches, der Sultan Bargasch bin Sayid,
über den Stanley eine sehr Vortheilhafte Meinung hegt.
„Es ist unmöglich," sagt er, „für diesen Fürsten nicht ein
freundliches Interesse zu fühlen und ihm zu den Reformen,
die er jetzt in fein Land einzuführen sucht, vollkommenen Er-
solg zu wüuscheu. Hier sehen wir einen in der strengsten
Schule des Islam erzogenen, arabischen Herrscher, der ge-
wohnt ist, die schwarzen Eingeborenen Afrikas als rechtmäßige
Siegesbeute und erlaubten Handelsgegenstand anzusehen,
plötzlich den Wünschen europäischer Menschenfreunde nach-
geben und einer der thätigsten Gegner des Sklavenhandels
werden." Besonders seit der gastfreundlichen Aufnahme,
die ihm 1875 in England erzeigt wurde, darf er als be-
freuudeter und aufrichtiger Verbündeter angesehen werden,
der willens ist, sein Aeußerstes zur Unterdrückung des Sklaven-
Handels zu thuu. Der Fürst beherrscht als unabhängiger
Souverän ein Gebiet, welches außer den Inseln Zanzibar,
Pemba und Mafia noch fast 1000 englische Meilen Küsten-
linie umfaßt uud sich über einen Flächenraum vou gegen
20 000 Quadratmeilen (circa 944 geogr.) mit einer Be-
völkernng von einer halben
Million erstreckt.
Für einen Forschnngsrei-
senden wie Stanley, der seine
Expedition organisirt, ist das
Leben in Zanzibar voll an-
strengender Arbeit. Jeder Au-
genblick des Tageslichtes muß
zu Auswahl und Ankauf der
verschiedenen Arten von Zeug,
Glasperlen und Draht benutzt
werden, welche bei deu vielen
Stämmen, deren Länder er
durchziehen will, beliebt sind.
Starke, halbnackte Träger
schleppen große Ballen nnge-
bleichter Banmwollzenge, buu-
ter und gestreifter Tücher, Ta-
fcheutücher uud rother Mützen
herein, Säcke von blauen, grü-
nen, rothell, weißen und bern-
steinfarbigen Perlen, groß und
klein, rund und oval, und Rollen
aus Rollen dicken Messingdrah-
tes. Alles dies muß unter-
sucht, sortirt, vertheilt uud em-
zeln numerirt, in tragbare Bal-
len, Säcke, Packete oder Kisten,
je nach Werth und Beschaffenheit, verpackt werden. Der Fuß-
boden ist mit abgerissenen Verpackungen, Umschlägen und
Deckeln und einem Gemisch von altem Papier und Packlein-
wand, Blechdeckeln und zerbrochenen Brettern, Sägespänen
und andern: Abfall bedeckt. Packträger, Diener, Herren und
Arbeiter gehen in diesem Wirrwarr aus und ein, rollen
Ballen umher und werfen Kisten um, und vom frühen Mor-
gen bis zur Nacht ertönt ununterbrochen das Zerreißen von
Papier und Leinwand, das Dröhnen der Hämmer, Rufe
nach dem Farbentopf oder den Nummern von Ballen und
Kisten und das Geschrei und athemlose Stöhnen der Arbeiter.
Dabei ist Alles in Schweiß gebadet; hastig wischt man sich
mit dem Tuch über das Gejicht; die Neger benutzen Hände
und Hemdsärmel zu demselben Zweck, denn der Thermo-
Meter steht auf 95 Grad Fahrenheit (28° R.). Mitten
in dieses schreckliche Durcheinander strömt dann noch der
erste Hanfe von Leuten herein, die der Expedition ihre Dienste
anbieten; denn überall ist bekannt geworden, daß Stanley,
dessen Großmnth nnd Freundlichkeit auf seiner ersten Expe-
ditio» in Zanzibar noch nicht vergessen ist, alle starken Män-
ner, die eine Last tragen können, anwerben will. Da heißt
310 " Stanley's letzte Forschungsreise
es denn, mit Vorsicht eine Auswahl treffen, um alle körper-
lich Untauglichen sowie durch schlechte Eigenschaften Untüch-
tige zurückzuweisen; auch keine Sklaven werden angenommen,
sondern nur Waugwana (freie Neger von Zanzibar) als
Pagazis (Träger) angeworben. Vor Allen suchte Stanley
diejenigen zu gewinnen, die sich bereits auf feiner ersten und
anderen Expeditionen bewährt hatten, und wurden aus diesen
die 21 Anführer ausgewählt und mit den gebräuchlichen
Geschenken von Ringen, Halsketten, Armbändern u. s. w.
bedacht. Zum Hauptführer wurde Mauwa Sera ernannt,
der schon 1360 Speke und Grant begleitete, 1871 Stan-
ley's zweite Karawane führte und im folgenden Jahre die
Abtheilung zur Unterstützung Livingstone's befehligte. Andere
Anführer waren der bekannte Mabrnki Speke, Tfchaupereh,
Simba (der Löwe), Gardner, Ulimengo (die Welt), Rod-
fchab :c., alles frühere Begleiter von Speke, Livingstone oder
Stanley. Zum Bootführer wurde Uledi, ein junger kräftiger
Neger, ausgesucht, von dem noch öfters die Rede sein wird.
durch Afrika (1874 bis 1877).
In einer öffentlichen Besprechung, Schanri genannt, theilte
ihnen Stanley die Zwecke seiner Expedition zur allgemeinen
Befriedigung mit.
Bald nach der Rückkehr von der Probeexpedition nach
dem Lnsidfchi-Delta (deren Schilderung Stanley auf den
Snpplementband verschoben hat) kam das zerlegbare Boot
„Lady Alice" aus England an. Zu seinem großen Schrecken
fand er jedoch, daß die einzelnen Theile, jeder im Gewichte
von fast 300 Pfund, zum Transport zu fchwer waren; doch
gelang es einem geschickten englischen Zimmermann in Zan-
zibar, die Sectionen nochmals zu zerlegen, so daß sie bei
nur drei Fuß Breite selbst auf den engsten Dschungelpfaden
Afrikas getragen werden konnten. Auch einen vollständigen
photographischen Apparat mit Trockenplatten führte Stanley
auf der ganzen Reife mit sich, und sind die meisten Holz-
schnitte in seinem Werke (und danach in diesen Artikeln) nach
seinen eigenen Aufnahmen in Centralafrika gezeichnet.
Das Gesammtgewicht der Waaren, Tücher, Perlen,
Die Expedition in Rosako.
Drähte, Vorräthe, Arzneien, Betten, Kleider, Zelte, Muni-
tion, Boote, Ruder und Bänke, Instrumente, Schreibmate-
rialien, des Photographicapparates und zahlreicher anderer
Gegenstände betrug etwas über 18 000 Pfund oder 8 Ton-
nen, und wurde so genau als möglich in Einzellasten von je
60 Pfund eingetheilt, was somit eine Tragkraft von 300
Mann erforderte; doch wnrden außerdem noch 40 Mann aus
dem Festlaude angeworben, um durch Schwäche oder Krauk-
heit entstehende Lücken zu füllen. Vor dem amerikanischen
Consul machten 230 Mann ihr Zeichen neben ihren Namen,
wodurch sie sich für einen monatlichen Lohn, der je nach Alter
und Kraft zwischen 2 und 10Doll. wechselte, und Rationen,
verpflichteten, Stanley zwei Jahre lang zu folgen, wohin er
sie führe. Am Tage der Contractnnterzeichnung wurden
6260 Doll. (26 000 Mark) au Vorschüssen ausbezahlt.
Stanley dagegen verpflichtete sich „als ehrenwerther weißer
Mann", seiue Leute freundlich zu behandeln, gegen alle Feinde
zu schützen, im Krankheitssalle nie hülfslos zurückzulassen
(Nach einer Photographie.)
nnd nach beendeter Reise in ihre Heimath zurückzuführen.
Wie treu er dieses Versprechen gehalten, ergiebt sich aus der
Geschichte seiner Expedition.
Am 12. November 1874, am Ende des Ramadan, führte
Stanley in fechs arabischen Dhans seine ganze Expedition
mit den drei Europäern, 224 Waugwana, den Hunden,
Booten und allem Material nach Bagamoyo auf „den dun-
keln Coutiueut" hinüber.
-i-
-i- *
Nach mehrtägigem Aufenthalt zur Anwerbung der noch
fehlenden Träger wurde am Morgen des 17. November der
erste kühne Schritt ins Innere gethan. Ein Hornsignal rief
alle Leute der Expedition in Reihe und Glied zusammen,
damit jedem seine Last zugewiesen werde. Jeder große,
kräftige Mann erhielt einen Zengballen von 60 Pfund Ge-
wicht, jeder kurze, untersetzte Träger einen 50 Pfund schwe-
Stanley's letzte Forschungsreise
rcn Sack mit Glasperlen, jeder junge Mann eine Kiste von
40 Pfund mit Vorräthen, Munition u. s. w. Den gesetzten,
älteren Leuten wurden die wissenschaftlichen Instrumente, die
Thermometer, Barometer, Uhren, Sextanten, Quecksilber-
flaschen, Compasse, Schrittmesser, die photographischen Appa-
rate mit den Platten, Bücher u. s. w., alles iu 40 Pfund
schweren Kisten Ubergeben, während ein durch Vorsicht und
den sichersten Schritt ausgezeichneter Träger den nur 25 Pfund
schweren Kasten erhielt, in welchem die drei Chronometer in
Baumwollballen verpackt lagen. Die zwölf Kirangozis oder
Führer, lauter junge kräftige Leute in langen Hochrothen Ge-
wändern, mit Snider-Büchsen bewaffnet, haben das Vorrecht
erbeten, die Messingdrahtrollen zu tragen. Die Bootträger
sind Riesen an Gestalt und Kraft, denn sie sind professionelle
Hamals (Lastträger) aus Zanzibar. Für jede Bootsection
sind vier Mann bestimmt, die einander paarweise ablösen;
sie erhalten höhere Löhnung als selbst die Anführer, außer
Manwa Sera, ferner doppelte Nationen und dürfen auch
ihre Weiber mitnehmen. Auch fechs gesattelte Reitesel be-
gleiten die Expedition," für die vier Europäer und zwei für
durch Afrika (1874 bis 1877). 311
etwaige Kranke; für letztere bilden auch sechs Träger mit
drei Netzhängematten ein fliegendes Lazareth.
Gegen 9 Uhr setzte sich der Zug iu folgender Ordnung
in Bewegung: voran eine Vorhut vou vier Anführern, auf
welche in einiger Entfernung die zwölf Führer in rothell
Kleidern mit den Drahtrollen folgten, dann die lange Reihe
von 270 Trägern mit dem Material der Expedition und die
Bootträger mit den Sectionen der „Lady Alke" an Trag-
stangen, hinter ihnen die Familien einiger Anführer und
Bootträger, zusammen 36 Weiber und zehn Knaben mit
kleinen Lasten, darauf die Reitesel mit den Europäern und
ihren Gewehrträgern; den Abschluß des fast eine halbe eng-
lische Meile laugen Zuges bildeten 16 Häuptlinge als Nach-
Hut, im Ganzen 356 Seelen der anglo-amerikanischen Expe-
dition. Edward Poeock, als ehemaliger Hornist, bläst die
Signale, deren Bedeutung er dem Hauptführer Hamadi ge-
lehrt hat; dieser trägt ein riesiges Elsenbeinhorn, das er beim
Ende des Tagesmarsches oder bei drohender Gefahr ertönen
läßt. Vor ihm geht ein Knabe mit einer Trommel, die er
in der Nähe von Dörfern als Warnung schlägt. Nach einem,
Das Lager i
bei 140 Grad in der Sonne, sehr anstrengenden Marsch
wurde die ganze Expedition in der schnell zusammengesetzten
„Lady Alice" über den breiten Kingani gesetzt, wobei sich
das Boot vortrefflich bewährte, und gegen Abend das erste
Lager bei Kikoka bezogen.
Wir haben soweit dem Entstehen und der Organisation
der Stanley'scheu Expedition, ihrer Ausrüstung uud dem Ab-
marsch eine so ausführliche Schilderung gewidmet, weil sie
von der Art und Weife derartiger afrikanischer Forschnngs-
reisen, ihren Mühseligkeiten und Schwierigkeiten, ein an-
schaulicheres Bild liefert, als man es in den bisherigen Reise-
berichten finden kann. Da Stanley, um sein erstes Ziel,
den Ukerewe See, zu erreichen, zuerst gegell 300 engl. Meilen
weit auf der großen Handelsstraße nach Westen zog, die von
der Küste zum Tauganjika führt, und welche schon in den
Werken zahlreicher Reisender erschöpfend beschrieben wurde
(vergl. Burton,Speke, Stanley [1871], Cameron „Globus"
Bd. 31, Nro 20 bis 24), so kann dieser Theil der Expedi-
tion kürzer gefaßt werden.
Stanley's Zug nach Westen lief gegen 30 engl. Meilen
Mpwapwa.
nördlich von. den gewöhnlichen Reisestraßen. Bei Rosako,
dem zweiten Halteplatz, nahm er ein photographisches Gruppen-
bild seiner Leute mit den Europäern iu der Mitte auf. Der
Wamifluß wurde auf einer von den Eingeborenen geschickt
aus Lianen verfertigten Hängebrücke passirt. Im Lande
Nguru tragen die Einwohner runde Holzscheiben in den
durchlöcherten Ohrläppchen und eine Sammlung von großen
Eiperlen, kleineu Ziegenhörnern und Messingketten als Hals-
bänder; auch färben sie das Gesicht mit Ocker. Auf der
Ebene bei Kitangeh schoß Stanley zwei Zebras und sah eine
Herde von zehn Löwen. Bei Tubugwä entdeckte er ein Stein-
salzlager. Am 12. December kam die Expedition, nach
25tägigem Marsch von der Küste, in Mpwapwa an, wo das
Lager unter den ausgebreiteten Aesten riesiger Sykamoren,
Boabab- und Tamarindenbäume aufgeschlagen wurde; hier
waren bereits 50 Manu mit ihren Vorschüssen? und vielen
Gewehren desertirt. Am 16. wurde die gefürchtete Marenga-
Mkali-Wüste im Eilmarsch ohne Verlust passirt. Am 23.
begann die Regenzeit im Ernst mit einem^tobenden Sturm,
der die Ebene mit gelben Wasserbächen bedeckte, und während
312 Stanley's letzte Forschungsreise
der Feiertage wurde die Expedition durch das Unwetter in
Singeh festgehalten. Bei Dschiweni oder „den Steinen"
fanden sich flache Tröge in den Felsen, welche Generationen
von weiblichen Kornzermalmern ausgehöhlt haben. JnMu-
kondokn, einem Bezirk, der gegen 109 kleine Dörfer enthält,
kam Stanley am 29. December an; 20 Mann standen auf
der Krankenliste, fünf andere defertirten, von den aus Eng-
land mitgebrachten Hunden waren fchon drei gestorben.
Jetzt verließ Stanley den Pfad nach Westen und dem
Tanganjika und schlug den Weg nach Norden ein, um das
Südufer des 300 engl. Meilen uach Nordwesten entfernten
Ukerewe zu erreichen. In Mwcnna sagte ihm der Hänpt-
lingsfohn den Erfolg feiner Reise durch feilt Orakel voraus,
iudeiu seine rechte Ledersandale, dreimal emporgeworfen, jedes-
mal umgekehrt auf den Boden fiel. Die dortigen Frauen
waren ungewöhnlich hübsch, nlit schmalen Nasen und feinen
Lippen. Der Marsch führte jetzt über ein Hochland, 3300 Fuß
über dem Meere, mit Wäldern des stattlichen Maiombo
(afrik. Esche), in denen riesige Granitblöcke zerstreut lagen.
Bei Mnhalala begann eine pfadlose, breite Wildniß von
dichtverflochtenem, niedrigem Buschwerk, Gesträuch und Reisig,
durch welches gewaltsam Bahn gebrochen werden mußte.
Die Führer verloren den Weg, Simba mit fünf Mann und
einem Reitesel blieben zurück und kamen um, alle Lebeus-
mittet waren verzehrt, und am 9. Januar kam die Expedi-
tion zum Stillstand. In dieser Roth sandte Stanley 40
der stärksten Leute nach Snna, dem nächsten Orte in Urimi,
voraus, um sogleich mit leichten Getreidelasten zurückzukehren.
Um am folgenden Tage seine zahlreichen Leute vor dem drohen-
den Hnngertode zu schützen, nahm Stanley aus den Arzneivor-
rächen 10 Pfund Hafermehl und 4 Pfund Revalenta ara-
bica, die er in einem Blechkoffer mit 25 Gallonen Wasser
kochte, so daß auf jeden Kopf zwei Tassen dünner Hafersuppe
zur Fristung des Lebens kamen. Ani nächsten Morgen kehr-
ten die Abgesaudten mit genug Hirse für eine Mahlzeit zu-
rück, und sogleich wurde der Marsch fortgesetzt, und am 12.
Suua erreicht, wo die Expedition Lebensmittel erhielt und
vier Tage zur Erholung blieb.
Die Warimi sind ein schöner, großer Menschenschlag;
der Häuptling war 6 V2 Fuß hoch. Sie gehen ganz nackt
und tragen als Schmuck Messingdrahtgewinde um den Hals,
Hüften, Arme und Beine; Federn und Zebra- und Giraffen-
mähnen auf dem Haupte bilden den Kriegsschmuck. Ihre
Waffen find Speere, Bogen, lange Pfeile und Schilde aus
Rhinozeroshaut; sie üben allgemein die Beschneidnng aus.
Am 17. mußte in Folge der mißtrauischen Haltung der Ein-
geborenen weitergezogen werden, obgleich 30-Mann krank
waren und Edward Pocock, bei dem der Typhus ausgebrochen,
in der Hängematte getragen werden mußte. Am nächsten
Tage wurde Tfchiwjn (400 Meilen vom Meere und 5250 Fuß
über dessen Spiegel) erreicht, und bald nach der Ankunft im
Lager starb Edward Pocock. Er wurde am Fuße einer
großen Akazie begraben, in dessen Rinde der Bruder des
Todteu ein tiefes Kreuz einschnitt. Bei Tschiwju entsprin-
gen die ersten Bäche, die sich vereinigend den Liwnmbn bil-
den, der später Monangah genannt wird, und schließlich als
Schimiju in die Südostecke des Ukerewe mündet, und somit
die südlichste Nilquelle bildet. Am 21. Januar wurde die
Jtnru-Greuze passirt und am Abend in dem Thalbecken von
Winjata gelagert, welches von ovaler Form gegen 12 Meilen
lang und 6 breit ist, uud mitten von dem Liwumbu in W.-N.-W.-
Richtung durchflössen wird. Eine Menge bevölkerter Dörfer
bedecken es von einem Ende zum andern. Nachdem das
Lager auf einer Anhöhe verschanzt worden, wurde Manwa
durch Afrika (1874 bis 1877).
Sera mit vier Mann zurückgeschickt, um den seit zwei Tagen
vermißten Kais Hallek, der 1871 Livingstone den Briefsack
brachte, zu sucheu; sie faudeu seinen von 30Wnnden bedeck-
ten Leichnam am Rcntbc eines Waldes ein paar Meilen zu-
rück. Die Zahl der Kranken war groß, 20 schon gestorben
und tut Ganzen 89 desertirt. Obgleich zuerst freundlich,
sammelten die Waujaturu bald ihre Kriegsschaareu uud mach-
ten am 23. Januar mit Speeren, Bogen, Pfeilen und Schil-
den bewaffnet einen Angriff auf das Lager, um sich in den
Besitz der Schätze desselben zu setzen. Obgleich sie durch die
überlegenen Waffen der Expedition blutig zurückgewiesen
wurden, fetzten sie die Feindseligkeiten fort. Drei Tage tobte
der Kampf in dem Thale, denn Stanley ließ zur Nothwehr
Streifscharen seiner Leute in verschiedenen Richtungen durch
dasselbe ziehen, die Dörfer verbrennen und Ochsen, Ziegen
uud Korn als Beute mitführen. Doch zeigten sich die Ein-
geborenen so tapfer, daß sie der Expedition einen Verlust vou
24 Todteu, 4 Verwundeten und 12 Gewehren beibrachten;
erst nach Einnahme der Felsenburg, auf welche sie sich zurück-
gezogen, konnte Stanley am 26. nnbelästigt den Weitermarsch
antreten. Da aber die Expedition auf 3 Europäer, 206
Waugwaua, 25 Weiber uud 6 Knaben, darunter 23 Kranke,
zusammengeschmolzen war, mußten die Anführer und Reit-
efel Gepäck tragen und vieles Entbehrliche verbrannt werden.
Von jetzt an führte der Weg stetig absteigend nach Nord-
Westen durch die verschiedenen Bezirke des großen Landes
Usukuma, das bis an das Südufer des Ukerewe reicht. Die
Ebenen wimmelten von Wild aller Art: Giraffen, Zebras,
Gnus, Büffel, Spring- uud Wasserböcke, Kudus, Hartebeests,
wilde Eber und viele Arten kleinerer Antilopen und von
Vögeln aller Art: Ibisse, Feldlerchen, Fischhäher, Königs-
fifcher, Gänse mit Sporenflügeln, Enten, Geier, Flamingos,
Löffelgänfe und Kraniche. Da Stanley mit Glück der Jagd
nachging, war das Lager bald reichlich mit Wildpret ver-
sehen. Auch die Eingeborenen waren freundlich und ver-
kauften Lebensmittel billig, denn auch au Bodenerzeugnissen,
wie Getreide aller Art, Bohnen, Kartoffeln, Wicken, Sesam,
Hirse, Gartengeinüsen, Melonen und Tabak, war das Land
außerordentlich reich. Die Expedition schwelgte im Ueber-
flnß der langentbehrten Geuüsfe; unzählige Ziegen und Hüh-
uer wurden geschlachtet. Herden von Rindvieh, Ziegen und
Schafeu bedeckten das herrliche Parkland in solcher Anzahl,
daß dasselbe von ihnen oft thatfächlich weiß aussah. Durch
Anwerbung neuer Träger konnte die Stärke der Expedition
wieder auf 280 Mann gebracht werden, und alle Noch und
Sorgen waren verschwunden.
Am 27. Februar wurde der letzte Tagesmarsch am frühen
Morgen begouuen, um uoch an demselben Tage den See zu
erreichen. Als vou der Vorhut, welche soeben einen lang-
gestreckten Abhang hinaufgezogen war, plötzlich ein Freuden-
geschrei ertönte, lief Frank Pocock ungeduldig voraus. Bald
kam er den Hut schwenkend uud freudestrahlend zurück und
rief: „Ich habe den See gesehen, und er ist großartig!"
Wenige Minuten später stand auch Stanley aus der Anhöhe und
sah 600 Fuß unter sich und 3 Meilen entfernt den See-
fpiegel wie Silber in der blendenden Sonne glänzen. Die
Wanjamwefi stimmten ein Triumphlied auf sich selbst, ihren
weißen Führer und den See an, und um 4 Uhr Nachmit-
tags zog die Expedition in das kleine Dorf Kagehyi, am
Südostufer des Ukerewe, ein. Der 720 engl. Meilen lange
Marsch von der Küste hatte 103 Tage gedauert, was mit
Abzug der Rasttage einen Durchschnitt von etwas über
10 Meilen für jeden Tagesmarsch ergiebt.
G. v. Siebig: Die geographische Bertheilung des Luftdruckes. 313
Die geographische
Die Bertheilung des Luftdruckes über der Erdoberfläche
ist eng verbunden mit Borgängen, an welchen Jedermann
Antheil zu nehmen Pflegt, nämlich mit dem Wetter und sei-
nen Aendernngen.
So sehr wir auch gewohnt sind, das Wetter als das
unbeständigste aller Dinge anzusehen, so ist diese Ansicht doch
nur so lange richtig, als man die Uebergänge von einem Tage
zum andern betrachtet. Ueberblickt man längere Zeit-
abschnitte, so zeigt sich überall, daß der Wechsel der Witte-
ruug der gleichen bewundernswürdigen Ordnung unterworfen
ist wie alle Vorgänge, welche auf Naturgesetze begründet
sind.
Niemanden wird es etwas Neues sein zu hören, daß der
Barometerstand, der den Luftdruck angiebt, mit der Witterung
zusammenhängt. Neu ist aber unsere Kenntniß der atmo-
sphärischen Vorgänge, insoweit sie diesen Zusammenhang für
größere Theile der Erdoberfläche überblicken läßt, und
indem sie dadurch die Bedingungen verständlicher macht,
welche unseren eigenen klimatischen Verhältnissen zu Grunde
liegen. Diese beruhen auf der geographischen Bertheilung
des Luftdruckes, welche ich versuchen will in ihren wichtigsten
Zügen hier darzustellen.
Aus langjährigen meteorologischen Beobachtungen ergiebt
sich, daß jeder Monat vom ersten bis zum letzten Tage einen
bestimmten, regelmäßigen, Mittlern Wärmegang besitzt, der
hauptsächlich vom Sonnenstande der Jahreszeit bedingt ist.
Daneben aber zeigen die einzelnen Monate unregelmäßige
wärmere und kältere Perioden, deren Temperaturschwankung
in Unterschieden von nahezu gleicher Größe jedes Jahr
wiederkehrt.
Eine der größten ist die Schwankung des April, welche
in München nach den vieljährigen Beobachtungen Lamont's
einen Mittlern Unterschied von 27° E. zwischen der wärmsten
und kältesten Stunde des Monats aufweist. Solche Tem-
peratnrschwanknngen nun sind immer mit einem bestimmten
Wechsel in der Richtung des Windes verbunden, welcher wäh-
rend der rauhen Jahreszeit bei kälterem Wetter von einem Punkte
zwischen Nord und Ost kommt, bei wärmerm von einem
Punkte zwischen Süd und West. Der nordöstliche Wind
bringt erhöhten Luftdruck, kältere und trocknere Luft, der süd-
westliche einen geringem Luftdruck mit Wärme und Feuchtig-
keit; und aus dem regelmäßigen Zusammentreffen dieser
Gegensätze der Witterung mit den Windrichtungen schließen
wir auf einen Zusammenhang zwischen Luftdruck, Wind,
Temperatur und Feuchtigkeit.
Fragen wir nach den Bedingungen dieser Zusammen-
geHörigkeit und nach der Ursache des Wechsels, so richtet
sich unsere Aufmerksamkeit zuerst auf deu Wind und feine
Entstehung. Wir werden sehen, daß die Windrichtung jedes-
mal abhängig ist von der Bertheilung der Luftdruckes auf
der Erdoberfläche, und es sind hauptsächlich die Forschungen
x) Vortrag, gehalten im Geographischen Vereine zu Mün-
chen im April 1878 von Dr. G. von Liebig, Docent an der
Universität München, Badearzt in Reichenhall. Zur Grund-
läge der Darstellung dienten unter den neueren Arbeiten beson-
ders die von Wojeikof, Buchau, Hann und von den Autoren
der Oesterreichischen Zeitschrift für Meteorologie. Die Isobaren
sind nach Wojeikof und nach Mohn gegeben.
Globus XXXIV. Nr. 20.
des Luftdruckes').
Buchan's, des Secretärs der schottischen Meteorologischen
Gesellschaft, welchen wir die Vervollständigung unserer Kennt-
nisse darüber verdanken.
Wie entsteht nun die Bewegung größerer Luftmassen,
welche wir Wiud nennen?
Wir können ruhende Luftmassen auf zweierlei Weise in
Bewegung setzen, durch ungleiche Erwärmung oder durch ver-
schiedenen Druck.
Wenn man zwischen einem geheizten Zimmer und einem
kalten eine Verbindungsthür öffnet, so entsteht bekanntlich
eine Luftströmung. Die erwärmte Luft des einen Zimmers
ist durch die Wärme ausgedehnt und deshalb leichter, die
des kalten ist durch die Kälte zusammengezogen und deshalb
dichter und schwerer: es wird sich nun zwischen den beiden
neben einander gelagerten Luftmassen das Gleichgewicht her-
stellen, indem die Luft des kalten Zimmers durch deu untern
Theil der Thüröffnuug in das warme Zimmer eindringt,
die Luft des warmen Zimmers wird dagegen, weil sie leich-
ter ist, durch deu obern Theil der Thüröffnung in das kalte
fließen.
Wenn unten die kalte und oben die warme Luft in beiden
Zimmern gleichmäßig vertheilt sind, ist das Gleichgewicht her-
gestellt und die Luftströmung wird aufhören.
Würden wir aber die Luft des einen Zimmers immer
von Neuem erwärmen, die des andern abkühlen, so würde
die Luftströmung fortdauern, so lange Erwärmung und Ab-
kühlnng im Gange sind.
Bei Anwendung verschiedenen Druckes entsteht die Be-
wegnng dadurch, daß die stärker gedrückte, also zusammen-
gepreßte Luft eine größere Spannung erhält als die umge-
bende Luft sie besitzt, wie dies zum Beispiel iu einem Blasbalge
oder in einer Luftpumpe der Fall ist. Die stärkere Spannung
ertheilt der Luft einen Antrieb zur Bewegung, welche sich
dahin richtet, wo ihr der geringste Widerstand entgegensteht.
Sie verbreitet sich also in dieser Richtung mit einer Ge-
fchwindigkeit, welche dem Verhältniß der Größe des ausgeüb-
teu Druckes entspricht.
Durch Ertheilnng eines höhern Druckes kann man auch
erwärmte und dadurch leichtere Luft in eine solche Spannung
versetzen, daß sie eine kältere und schwerere Luft aus ihrem
Platze verdrängt, und dies geschieht bekanntlich zum Zwecke
der Ventilation und Erwärmung großer Räume unter An-
Wendung von Luftpumpen und Schaufelrädern.
In der freien Atmosphäre nun entsteht die Bewegung
der Luft genau so wie wir sie künstlich hervorbringen; es
wirken aber in der Atmosphäre gewöhnlich beide Ursachen,
Druck und Wärmeunterschiede, zusammen.
Der Luftdruck, den wir an der Erdoberfläche finden, wird
durch das Gewicht der über einander gelagerten Luftschichten
hervorgebracht: je mehr Luft über einer Gegend angehäuft
ist, um fo größer der Druck und die Spannung in der untern
Schicht an der Oberfläche. Der Luftdruck ist aber nicht
gleichmäßig über die Erde verbreitet, und es ist die ungleiche
Erwärmung der Luft, welche eine ungleichmäßige Bertheilung
der Luftmassen vermittelt.
Denken wir uns eine Insel im Meere, auf welcher die
unteren Luftschichten durch Erhitzung des Bodens am Tage
stark erwärmt werden. Die Luft dehnt sich aus und steigt
40
-tt>0 fio 420 /ao fO ffä W So O < ZQ 40 60 so SOO /Sa *60 /6o /so
Isothermen
Januar
\ Cum berief
y&ajfcta
rjxcharu
Wß iival
NitukatA
'Jifdcku MasJtR
linthuJcLuS-
O est lieh
316 G. v. Liebig: Die geographi
in die Höhe. Oben erkaltet, kann sie nicht zurücksinken, da
der Strom fortdauert, und sie muß sich deshalb nach den
Seiten Uber dem Meere ausbreiten, wo ihr hinzukommendes
Gewicht den Druck vergrößert, während er auf dem Lande
geringer wird. Daher entstehen nun in den unteren Schich-
ten Luftströmungen mit der Richtung vom Meere nach dem
Lande.
Bei Nacht findet eine Umkehr dieser Vorgänge statt.
Indem die Luft über dem festen Boden durch dessen stärkere
Wärmeausstrahlung kälter und dichter wird als über der
gleichmäßig warmen Wasserfläche, zieht sich die über dem
Lande ruhende Luftsäule zusammen: in den oberen Schichten
wird die herabgesunkene Luft seitlich ersetzt durch Luft, welche
in derselben Höhe über dem Meere lagerte.
Dadurch aber wird der Luftdruck über dem Lande jetzt
erhöht und es entstehen auf dem Erdboden Luftströmungen,
die nun vom Lande nach dem Meere gerichtet sind.
Es wäre nicht nöthig gewesen, hier gerade eine Insel
als Beispiel zu wählen, da sich auch auf dem Festlande bei
verschiedener Erwärmung die Verhältnisse in ähnlicher Weise
wiederholen.
Auf der Erdoberfläche sind immer große Gegensätze der
Wärme vorhanden: die Richtungen der aus ihnen entstehen-
den Luftbewegungen werden durch die Kugelgestalt der Erde
und durch deren Lage zur Sonne bedingt. Es herrscht über
den Gegenden am Aequator, welcher als größter Kreis die
Erde umgiebt, das ganze Jahr über eine Wärme, die nicht
unter 26<> C. beträgt, und auch die Abkühlung der Nacht
macht darin wenig Unterschied, denn in den Aequatorial-
gegeudeu sind etwa 7/s der Oberfläche mit Meer bedeckt und
über dem Meere ist der Wechsel der Wärme zwischen Tag
und Nacht bekanntlich ein sehr unbedeutender.
Im Gegensatz hierzu herrschen in den Polargegenden
gleichzeitig sehr niedrige Temperaturen, die durchschnittlich
im Sommer 0° nicht übersteigen, die aber im Winter bis
400 (5 unter 0° sinken können.
Die Höhe der Atmosphäre ist im Verhältniß zur Größe
der Erde nicht bedeutend, sie läßt sich annähernd berechnen
und beträgt 10 bis 12 Meilen. Bedenkt man aber, daß
die Erde einen Durchmesser von 1700 Meilen besitzt, so
würde auf einem Kreise von einem halben Meter Durch-
messer die Höhe der Atmosphäre nicht größer erscheinen als
die Dicke des Kreidestriches, welcher den Umfang des Kreises
auf der Tafel bezeichnet. Eine Luftsäule von 10 Meilen
Höhe übt immerhin durch ihre Schwere einen bedeutenden
Druck auf den Theil der Erdoberfläche aus, über welchem
sie sich befindet, auch wenn sie sehr verdünnt angenommen
wird. Weil aber die atmosphärische Luft eine Hülle um die
Erde bildet, fo trifft jeden Theil der Erdoberfläche ein be-
stimmter Druck, welcher der über ihm befindlichen Luftmenge
entspricht.
Diesen Druck können wir mit dem Barometer messen,
indem wir ihn mit dem Drucke oder, was gleichbedeutend ist,
mit dem Gewichte einer Quecksilbersäule vergleichen.
Wenn man eine lange Glasröhre, die an einem Ende
verschlossen ist, luftleer macht und sie dann mit dem offenen
Ende unter Quecksilber taucht, so daß keine Luft eintreten
kann, so zwingt der Luftdruck das Quecksilber in der lust-
leeren Röhre aufzusteigen, bis es eine Höhe erreicht, welche
dem Luftdrucke das Gleichgewicht hält. Mau nennt eine so
im Glasrohre eingeschlossene Quecksilbersäule ein Barometer,
und das Gewicht der Säule im Barometer ist genau so groß
wie das Gewicht einer Luftsäule von etwa 10 Meilen Höhe
und mit einer Grundfläche, welche dem Querschnitt der Röhre
gleichkommt.
Gewöhnlich benutzt man aber nicht das Gewicht des
ie Vertheilung des Luftdruckes.
Quecksilbers, sondern der Bequemlichkeit wegen die Höhe der
Quecksilbersäule, um den Druck einer Luftsäule von gleichem
Durchmesser zu bezeichnen. An der Meeresfläche beträgt
bei uns die mittlere Höhe des Quecksilbers im Barometer
760 Millimeter und dieses Maß entspricht also dem Drucke
der Luft an der Meeresfläche.
Jedesmal wenn das Quecksilber im Barometer seine Höhe
verändert, so ist dies ein Beweis für uns, daß auch das Ge-
wicht der Luft über einem Orte sich geändert habe. Wenn
das Barometer gestiegen ist, so ist mehr, wenn es gefallen
ist, so ist weniger Luft über dem Orte angehäuft als vorher.
Man hat nun für zahlreiche Orte der Erdoberfläche
durch mehrjährige Beobachtungen die mittleren Barometer-
stände ermittelt, und deren Vergleichung hat ergeben, daß
über bestimmten Gegenden der Erde eine größere Luftmenge
das ganze Jahr hindurch angehäuft ist als über allen anderen
Gegenden iu ihrer Umgebung.
Eine solche Gegend nennt man einen Ort höchsten Baro-
meterstandes oder den Ort eines Druckmaximums.
Es giebt ferner Gegenden, über welchen der Luftdruck
immer ein geringerer ist als in ihrer Umgebung, und diese
nennt man Orte eines Druckminimums oder geringsten
Druckes. In anderen bestimmten Gegenden bilden sich Druck-
maxima oder Druckmiuima, welche nur während des Winters
oder während des Sommers Bestand haben.
Aus dem, was ich bereits mitgetheilt habe, wird es nun
erklärlich werden, wenn wir finden, daß die Winde immer
von Gegenden kommen, an welchen ein höherer Druck herrscht,
und daß sie nach Gegenden gerichtet sind, wo der Druck ein
geringerer ist, und zwar vorzugsweise nach der zunächst gele-
genen Gegend geringsten Druckes.
Es muß aber der Ausbildung der Druckmaxima und der
Druckminima schon eine Bewegung in der Atmosphäre voraus-
gegangen sein, und der Antrieb zu dieser Bewegung, welche
zu der Vertheilung des Luftdruckes führt, so wie wir sie sin-
den, wird durch die Wärme hervorgebracht.
Es wird daher das Verständniß erleichtern, wenn wir
zunächst die Vertheilung der Wärme auf der Erdoberfläche
beachten.
Aus der Karte (S. 314) sind die Linien gleicher Wärme
oder die Isothermen für den Januar angegeben. Der Aus-
druck will sagen, daß alle Gegenden, welche eine solche Linie
berührt, im Januar die gleiche mittlere Temperatur haben.
Die grünen Linien der Karte geben die Temperaturen von
0<> und darunter an, die rothen die höheren Temperaturen
über 00. Beachtet man die Ziffern, welche die Temperatur
jeder Linie anzeigen, so ergiebt sich im Allgemeinen, daß die
Äquatorialgegenden am wärmsten sind, und daß die Wärme
abnimmt, je mehr wir uns den Polen nähern. Die beiden
mittleren rothen Linien nördlich und südlich des Aequators ver-
binden beiderseits alle Orte, deren mittlere Temperatur im
Januar 25° C. beträgt. In der Gegend des Aequators
selbst ist sie noch etwas höher. Auf jede dieser Linien folgt
eine andere, welche die Temperatur von 200 C. angiebt.
Weiterhin nach Süden und Norden bezeichnet jede folgende
Linie eine Temperaturabnahme um 100 C. Die erste der
grünen Linien giebt also die Gegenden an, welche im Januar
00 haben, die zweite Gegenden von — 10°, die dritte von
— 20°, die vierte von — 30°. Endlich ist über dem öst-
lichen Asien die Gegend der größten bekannten Kälte auf
dem Festlande durch einen Ring angedeutet, welcher die Orte
von — 40° C. umschließt.
Besonders auf der nördlichen Erdhälfte bemerkt man,
daß die Linien gleicher Wärme nicht als Kreise um die Erde
laufen wie die Breitenkreise, sondern daß sie starke Biegungen
zeigen, welche ihrer Lage nach ein verschiedenes Verhalten
G. v. Liebig: Die geographi
des Festlandes und des Meeres andeuten. Wir sehen, daß
über der Meeresfläche Ausbeugungen wärmerer Linien bis
Uber den Polarkreis nach Norden sich erstrecken, während auf
dem Festlande entgegengesetzte Ausbeugungen kälterer Linien
sehr weit nach Süden reichen. Es besteht also im Winter
zwischen Land und Meer ein großer Wärmeunterschied, der
am bedeutendsten in hohen Breiten auftritt, denn wir finden,
daß über dem Meere zwischen Island und Norwegen die
Temperatur noch nicht unter den Gefrierpunkt gesunken ist,
während in gleicher Breite in Ostasien eine Temperatur von
— 40° herrscht.
Der Grund dieser Verschiedenheit ist darin zu suchen,
daß die Temperatur der Luft immer von der Temperatur
der Erdoberfläche abhängig ist. Weil nun das Land im
Winter durch Ausstrahlung viel stärker erkaltet als das
Meer, so ist auch die Luft über dem Lande kälter als über
dem Meere. Aber es trägt noch ein besonderer Umstand
dazu bei, die Temperatur im Nordatlantischen Meere und
im Nördlichen Eismeere zu erhöhen, und dies ist die Zufuhr
von Wärme, welche der Golfstrom jenen Gewässern bringt.
Er geht von den Aeqnatorialgegenden des Mexicanifchen
Golfes aus und sein Einfluß reicht bis zur Insel Nowaja
Semlja und bis Spitzbergen; eine ähnliche Strömung besitzt
der nördliche Stille Ocean.
Wenden wir nun unsere Blicke der südlichen Erdhälfte
zu, die im Januar auf dem Höhepunkte ihres Sommers sich
befindet. Hier ergiebt sich das umgekehrte Verhalten, daß
nämlich im Sommer die Festlande die höheren Temperaturen
besitzen und das Meer die geringeren. Die kleinen rothen
Ringe in der Mitte eines jeden südlichen Festlandes schließen
Gegenden der größten Wärme ein, deren mittlere Tempera-
tur im Januar 30° C. beträgt.
Der Grund liegt darin, daß das feste Land, so wie es
bei Abwesenheit der Sonne stärker erkaltet, so auch unter
der Einwirkung der Sonnenstrahlen sich höher erwärmt als
das Meer.
Auch hier bemerken wir auf dem Meere eine Einbiegung
der Isothermen nach Norden, ich erwähne besonders die Ein-
biegung der südlichen Linie von 25° C. über demSüdatlan-
tischen Meere bis in die Nähe des Aequators. Diese zeigt
eine stärkere Herabsetzung der Temperatur der Meeresober-
fläche gegenüber den Festlanden von Afrika uud Südamerika
an, welche bewirkt wird durch ein Zuströmen kältern Wassers
aus den südlichen Polargegenden.
Es ist noch hervorzuheben, daß in den Aequatorial-
gegenden, wo die Sonne niemals weit von ihrem senkrechten
Stande abweicht, die Temperatur einem erheblichen Wechsel
mit den Jahreszeiten nicht unterliegen kann, wie auch aus
der Betrachtung der Karte hervorgeht. Dort zieht sich eine
Zone, die etwa 10 Breitengrade umfaßt, als äquatorialer
Gürtel größter Wärme rings um die Erde, und in dieser
Zone herrscht das ganze Jahr hindurch eine Temperatur
von 26° bis 27° C. Die Wirkung des großen Wärme-
Unterschiedes zwischen dieser Zone und den Polen einerseits
und zwischen Land und Meer andererseits führt zu der Ver-
theilung des Luftdruckes, wie sie auf der vorstehenden Karte
der Isobaren oder Linien gleichen Luftdruckes für den Januar
dargestellt ist.
Die farbigen Linien der Karte, die Isobaren, verbinden
jedesmal Orte, an welchen im Januar der gleiche Barometer-
stand herrscht. Die grün gefärbten bezeichnen die geringeren
Lustdrucke von 760 Mm. an absteigend, die Linien rother
Färbung bezeichnen die höheren Luftdrucke über 760 Mm.
Die Karte zeigt uns, entsprechend der Isothermenkarte,
auf der nördlichen Erdhälfte die Verhältnisse des Winters,
auf der südlichen die Verhältnisse des Sommers. Zugleich
>e Vertheilung des Luftdruckes. 317
erkennen wir in der Anordnung der Linien, daß bestimmte
Verhältnisse, unabhängig von den Jahreszeiten, auf beiden
Erdhälften gleichmäßig das ganze Jahr über zum Ausdrucke
gelangen.
An dem Erscheinen der grünen Farbe in der Aequatorial-
gegend sowohl wie in den höheren nördlichen und südlichen
Breiten erkennen wir sogleich, daß auf der Erdoberfläche drei
Gebiete geringem Druckes auftreten, welche zwei Gebiete
höhern Druckes zwischen sich einschließen. Diese allgemeine
Anordnung wird durch den Wechsel der Jahreszeiten nicht
beeinflußt, denn sie umfaßt sowohl die nördliche Erdhälste,
wo es Winter ist, als die südliche, welche Sommer hat. Die
breitere grüne Linie in der Mitte und in der Nähe des Aeqna-
tors, welche zugleich dem Gürtel größter Wärme entspricht,
bezeichnet den Mittlern Druck von 760 Mm., der gürtel-
förmig die Erde nmgiebt. Die ganze Anordnung begründet,
wie wir sehen werden, die Anschauung, daß die Luft, welche
in der heißen Zone erwärmt wird, in die Höhe steigt
und zunächst in den oberen Schichten der Atmosphäre in
der Richtung nach den Polen hin absließt. In kälteren
Zonen wieder abgekühlt, strömt sie dann an der Erdober-
fläche dem Aequator wieder zu, um den Kreislauf von Neuem
zu beginnen.
Betrachten wir zunächst die südliche Erdhälste, auf wel-
cher die Ausbildung der regelmäßigen Verhältnisse nicht ge-
stört ist durch das Auftreten großer Landmassen wie im
Norden.
Wir bemerken, daß der Druck über den südlichen Meeren,
vom Aequatorialgürtel ausgehend, ein zunehmender ist: die
rothen, ringförmigen Linien zwischen 20° und 40° südl. Br.
zeigen die Druckhöhen von 762 Mm. an. Sie schließen ein
noch höheres Druckgebiet ein, welches durch kleinere Ringe
innerhalb der ersteren angedeutet ist. Diese kleineren Ringe
bezeichnen die Orte des höchsten Luftdruckes oder Druckmaxima
auf der südlichen Erdhälste, und sie sind durch ein eingeschrie-
benes M näher bezeichnet. Der Luftdruck erhebt sich da-
selbst im Innern bis zu 768 Mm.
Wir unterscheiden auf der südlichen Halbkugel drei Druck-
maxima, welche sich sämmtlich über dem 30° südl. Br. vertheilen;
es ist also bis zum 30°, vom Aequator ausgehend, der Druck
ein zunehmender. Von da an aber beginnt er weiter nach
Süden hin wieder abzunehmen, und diese Abnahme schreitet
ununterbrochen bis zu den Polargegenden fort. Auf der
südlichen Seite des höchsten Druckgebietes fällt der Druck
zunächst bis zum 40. Breitengrade wieder auf 762 Mm.
Die nun weiterhin ans einander folgenden Linien bezeichnen
jedesmal Druckabstände von 6 Mm., indem die erste den
Druck von 756 Mm., die zweite von 750 Mm. und die letzte
von 744 Mm. angiebt. Diese liegt in der Nähe des 60.
und 61. Breitegrades.
Dieselbe allgemeine Anordnung zeigt sich nun auch auf
der nördlichen Erdhälfte, wo sie indessen durch das Vor-
herrschen der Festlande in ihrer regelmäßigen Ausbildung
gestört ist. Vom Aequator ausgehend finden wir, daß nach
Norden der Luftdruck ebenfalls zunimmt, und daß die beiden
rothen Linien, welche den Druck von 762 Mm. bezeichnen,
auch hier Gebiete eines noch höhern Druckes einschließen.
Besonders möchte ich zunächst die beiden Druckmaxima hervor-
heben, welche in dem nördlichen Allantischen und dem Stillen
Meere über dem 30° nördl. Br. ausgebildet sind. Die Heber-
einstimmnng dieser Anordnung mit der gleichen auf der südlichen
Erdhälste, wo die Maxima des Druckes über dem Meere im
30° südl. Br. gefunden werden, deutet auf eine Ursache,
welche beide Erdhälsten gemeinschaftlich berührt und welche
von den Jahreszeiten unabhängig ist. Wir werden später
sehen, daß das unveränderte Bestehen des nordatlantischen
318 Aus allen
Druckmaximums für die klimatischen Verhältnisse Europas
eine wesentliche Bedeutung besitzt.
Lassen wir nun einstweilen die Druckverhältnisse des Fest-
landes außer Acht und verfolgen wir das weitere Verhalten
des Druckes auf dem nördlichen Meere. Er beginnt, wie
wir sehen, vom 30° an, ebenso wie auf der südlichen Halb-
kugel, abzunehmen. Es wird aber im Norden die gerade
Erstrecknng der Linien geringern Druckes durch weit nördlich
hin reichende Landmassen unterbrochen, welche die Gegend
geringern Druckes in zwei Hauptgebiete theileu, die an den
grünen ringförmigen Drucklinien zu erkennen sind. Das eine
liegt zwischen Europa und Nordamerika, das andere zwischen
Nordamerika und Ostasien. Erst noch weiter nördlich ver-
schmelzen diese beiden Gebiete Niedern Druckes mit ein-
ander.
Scheiden wir die Verhältnisse aus, so weit sie, auf beiden
Erdhälften sich wiederholend, in ihrer allgemeinen Anordnung
durch den Wechsel der Jahreszeiten nicht verändert werden,
so ergiebt sich zunächst, daß solche nur über den Meeren Be-
stand haben. Die Festlande zeigen ein mit den Jahreszeiten
wechselndes Verhalten.
Der verhältnißmäßig schmale Gürtel Niedern Druckes,
Erdth eilen.
welcher in der fast ganz dem Meere angehörigen Äquatorial-
zoue die Erde umschließt, ist zugleich der Gürtel der größten
gleichmäßigen Wärme. Zu beiden Seiten desselben nimmt
in zwei sehr breiten Zonen der Druck über den Meeren auf
beiden Erdhälften zu, bis er unter 30° der Breite seine größte
Höhe erreicht. Er nimmt von dort an nach den Polen wie-
der ab.
Ich möchte hier darauf aufmerksam machen, daß der
Raum zwischen 30° nördl. und 30° südl. Br. genau die
Hälfte der gauzeu Erdoberfläche umfaßt. Wir sehen nun
aber auf der Karte, daß das höhere Druckgebiet von mehr
als 760 Mm., nahe am Aequator beginnend, nördlich uud
südlich noch über 30° hinaus sich ausbreitet. Es folgt
daraus, daß die Fläche des Mittlern Erdtheiles, über
welchem, mit geringen Ausnahmen, rings um die Erde
die größere Luftmenge angehäuft ist, eine bedeutendere Aus-
dehuuug besitzt, wenigstens während unserer kalten Jahres-
zeit, als die beiden übrig bleibenden Zonen zwischen dem
hohen Druckgebiete und den Polen. Für diese bleibt daher
eine verhältnißmäßig geringere Luftmenge übrig, was wir an
der raschen Abnahme des Druckes jenseits der Linien von
762 Mm. in der Richtung nach den Polen erkennen.
Aus allen
Asien.
— Dr. vonHorn von der Horck, durch seine authro-
pologisch-ethnographischen Reisen in Lappland und zn den
Sioux bekannt, rüstet sich jetzt in Berlin zu einer Expedition,
welche zur Lösung der Frage nach der ursprünglichen
Besudelung Amerikas durch Asiaten beitragen soll.
Dieselbe soll drei bis vier Jahre dauern und längs der Ost-
küste Asiens nach dem arktischen Meere gehen, wobei alle
größeren Inseln besucht werden, dann die Berings-Straße
kreuzen und an der amerikanischen Westküste nach S. Fran-
eiseo führen. Wenn auch Aufnahmen, Arbeiten mit dem
Schleppnetze, Sammeln von naturhistorischen Gegenstän-
den n. s. w. Berücksichtigung finden sollen, so wird doch der
Hauptnachdruck auf Anthropologie gelegt werden.
— Generalmajor Lomakin, Commandeur der trauskafpi-
scheu Militärabtheilnng, theilt der „Moskauer Zeitung" mit,
daß der Amn-darja in der Nähe des frühern Forts Bend
(zwischen Chodscha-ili und Mangyt) in sein altes Bett
wieder eingetreten sei. Dieser Vorgang ist durchaus nichts
Unerhörtes und hat sich im Laufe dieses Jahrhunderts be-
reits mehrmals wiederholt; aber jedesmal haben die Be-
wohner Chiwas, Meister im Errichten von Dämmen, es
verstanden, den Durchbruch zu verstopfen und den Strom
wieder in sein gewöhnliches Bett zu lenken. Es ist sofort
eine wissenschaftliche Expedition nach dem See Sary-Kamyfch,
durch welchen der alte Oxnslauf führt, abgesandt worden,
um die höchst interessante Thatsache näher zu untersuchen.
— Der Wortlaut des in französischer Sprache abgefaß-
ten, von dem Dampfer „Lena" nach Jakutsk gebrachten uud
von da Per Post zur Telegraphenstation Jrkntsk beförderten
Telegrammes des Professors Nordenskjöld an Sibiriakoff
(f. oben S. 303) ist der folgende: „Beide Schiffe („Bega"
und „Lena") glücklich am 27. August an der Mündung der
Lena angekommen, in einem fast eisfreien Meere. Dampfer
„Bega" wird die Fahrt nach der Berings-Straße mit bester
Hoffnung auf vollständigen Erfolg fortsetzen." Nach einem
andern von Professor Nordenskjöld an Herrn Dickson in
5 r d t h e i l e n.
Gothenburg gerichteten Telegramme wurde das berüchtigte
Cap Tfcheljuskin von der Expedition ohne nennenswerthe
Hindernisse durch Eis passirt. Die Expedition verließ
bekanntlich die Mündung des Jenisei am 9. August, brauchte
demnach zu der Fahrt nach dem etwa 850 Seemeilen ent-
fernten Mündungsdelta der Lena 18 Tage.
(Mittheilung der Bremer Geographischen Gesellschaft.)
— Die Abtretung der Nordspitze von Borneo Seitens
der Sultane von Brunei und Snlu an eine englische durch
Baron Overbeck repräsentirte Gesellschaft, welche anf S. 286
und 333 des vorigen Bandes besprochen wurde, ist noch keines-
Wegs vollendete Thatsache, sondern scheint Verwickelungen
hervorrufen zu sollen. Denn obwohl jene Eessionsurkuude
vom Sultan von Snlu bereits am 24. Januar dieses Jahres
unterzeichnet wurde und schon im April von jener Gesellschaft
Agenturen an der fraglichen Küste errichtet worden sind, so
ist doch am 15. August, wie die Allgemeine Zeitung berichtet,
zwischen der spanischen Regierung und dem Sultan ein Ver-
trag abgeschlossen worden, wonach der ganze Archipel von
Snlu und dessen Dependentien unter die spanische Son-
veränität treten und der Sultan sich als loyaler Unterthan
Sr. Majestät des Königs Don Alfoufo und feiner Nachfolger
erklärt. Dafür erhält er eine äußerst geringe jährliche Sub-
sidie. Es ist mithin die Nordostküste von Borneo im lau-
senden Jahre zweimal abgetreten worden, an eine englische
Gesellschaft und an Spanien, an die erstere wohl als Per-
fönliches Eigenthum, au letzteres als unterthäniges Gebiet.
— Der Malayische Archipel. Land und Leute. Von
C. B. H. v. Rosenberg. Mit zahlreichen Illustrationen
und einem Vorworte von Prof. P. I. Veth in Leiden.
Leipzig. Gustav Weigel 1878.
Herr von Rosenberg, ein Darmstädter, ist seit längerer
Zeit als ein gründlicher Kenner des großen ostasiatischen
Archipels bekannt, wofür zahlreiche naturwissenschaftliche Auf-
sähe in den zu Batavia erschienenen wissenschaftlichen Zeit-
schristen Zeugniß ablegen. Nicht weniger als dreißig Jahre,
1840 bis 1871, hat er als holländischer Beamter in Nieder-
ländisch-Jndien verlebt, das er von Sumatra im Westen bis
Aus allen
Neu-Guinea im Osten kennen lernte. Als Beamter hatte
er überall Gelegenheit, sich genau mit Land und Leuten ver-
traut zu machen, und von dieser Vertrautheit giebt auch sein
ungeschminktes Buch auf jeder Seite uns Kenntniß. Neben
allgemeiner Bekanntem wird der Geograph und Ethnograph
hier vieles Neue finden. Dahin rechnen wir die Mitthei-
lnngen über die kleinen der Westküste Sumatras vorgelager-
ten Inseln, wie Nias und die Mentawey-Jnseln, als deren
erster gründlicher Schilderer v. Nosenberg anzusehen ist. Neu
ist auch die Schilderung des Innern der Insel Eeram;
viele Ergänzungen unserer Kenntnisse erhalten wir von den
Arn-Jnseln bei Nen-Guinea, deren Schilderung durch Wallace
nach unserm Autor wenig genau ist. Auch der Völkerkundige
wird sich durch das Studium des Buches belohnt sehen.
Wenn er die Schilderung des Verpfändens der eigenen Per-
son an Gläubiger auf der Insel Nias liest, erkennt er sofort,
daß hier das gleiche System wie an der Guiueaküste herrscht,
wo es alsPanyarren bekannt ist; es ist auf derselben Insel
Brauch, daß Personen aus demselben Stamme sich nicht mit
einander verheiratheu dürfen — was dem Totemismns der
Rothhäute und ähnlichen Gebräuchen in Australien :c. ent-
spricht. Das tättowirte dreieckige Brustschild der Mentawey-
Insulaner wird erst ausgefüllt, wenn der Jüngling in die
Reihe der Männer tritt, womit man einen übereinstimmen-
den Brauch bei den Motu an der Ostspitze Nen-Guineas
vergleichen wolle („Globus" XXXIV, S. 187). Von der
Sprache der Mentawey-Jusulauer sagt v. Rosenberg (S. 202),
daß sie „nicht die mindeste Aehnlichkeit mit den Jdio-
men, die auf den umliegenden Eilanden und aus Sumatra
gesprochen werden," habe, was wohl nicht ganz streng zu neh-
men ist. Denn die Mentawey gehören doch zu den malayi-
schen Völkern. Sehr wichtig erscheint uns auch die Schilde-
ruug der gleichfalls bei Sumatra gelegenen kleinen Insel
Engano, deren Bewohner dunkelbraun bis schwärzlich sind
und Bart tragen; Tättowirnng findet bei ihnen nicht statt;
ihre Schnitzereien haben auffallende Aehnlichkeit mit jenen
der Papnas. Die Häuser haben Bienenkorbform und stehen
auf Pfählen. Die Bienenkorbform wird aber sonst nirgends
im Archipel angetroffen. Das alles sind Anzeichen, welche
auf Ueberbleibfel der alten dunklen, den Papuas verwandten
Urrace der ostasiatischen Inseln schließen lassen, wie sie in
den Negritos der Philippinen, den Samangs der Halbinsel
Malacca, den Kalongs auf Java (A. B. Meyer) noch vor-
handen sind. Aufgefallen ist uns (S. 337), daß der Ver-
fasser im Widerspruch zu allen neuen Forschern büschelför-
migen Haarwuchs bei den Papuas annimmt.
Richard Andree.
Afrika.
— Von Ernst Marno's „Reise in der ägyptischen
Aeqnatorialprovinz und in Kordosan", welche wir ans S. 231
des vorigen Bandes ausführlicher besprachen, hat die Verlags-
Handlung (A. Hölder in Wien) eine wohlfeile zweite Auflage
veranstaltet, welche wie die erste (Pracht-) Ausgabe die Reise-
beschreibnng selbst und die höchst originellen sudanesischen
Thierfabeln sowie die Illustrationen enthält, nicht aber den
wissenschaftlichen Anhang (meteorologische Beobachtungen,
Jtinerare, astronomische Beobachtungen, anthropologische
Messungen) und die Karten.
— Eine von Herrn Mattenci aus Massaua in Rom
eingetroffene Depesche berichtet von einer Seitens des Königs
Johannes von Abessinien verlorenen Schlacht, welche den
Krieg zu Gunsten des Königs Menelik von Schoa entschieden
und diesem die Krone Abessiniens eingetragen hat. Es
braucht kaum betont zu werden, von welcher Bedeutung diese
Thatfache für Aegypten ist, und wie dieselbe auch für die
gegenwärtig in Schoa weilende geographische Expedition der
Italiener unter dem Marchese Antinori ein großes Jnter-
esse hat.
— Die Expedition, welche das Eomits des Asrican
Erdtheilen. 319
Exploration Fund nach Ostafrika abzusenden beabsichtigt
(s. S. 48 dieses Bandes), soll am 14. November nach Zan-
zibar abgehen. Mr. Keith Johnston, der Anführer der-
selben, wird von Mr. Thomson begleitet werden, welchem
speciell das Studium der Geologie obliegt. Erst im kom-
Menden Frühling wollen dieselben in das Innere aufbrechen
und die Zwischenzeit mit kürzeren Ausflügen, Sammeln von
Nachrichten u. s. w. zubringen. — Die letzten Briefe von der
belgischen Expedition datiren vom 26. August, wo Eam-
bier sich in Kididimo circa 400 Kilometer von der Küste
befand. Ein Gerücht, welches kürzlich die Ermordung der
Reisenden meldete, scheint sich nicht zu bestätigen.
— Die letzte Nachricht vom See Victoria Nyanza
ist vom Mai datirt. Ein Brief des Missionärs Herrn Wil-
son ist eingelaufen, der sich wohnlich bei König Mtesa ein-
quartiert hat und dessen besonderer Gunst sich erfreut. Seine
drei Genoffen, die auf dem Nil-Weg ins Land geschickt wnr-
den, haben zuletzt von Chartnm ans von sich hören lassen,
und zu dieser Zeit dürften sie alle sich wohl in Uganda zu-
sammengesunden haben. Wie das „Athenäum" dazu bemerkt,
kann man sich nicht verbergen, daß die Dinge in Jnnerafrika
einer Krisis entgegengehen. „Wenn die ägyptische Regierung
drohende Demonstrationen gegen Süden macht, so wird
Mtesa die Kriegstrommel rühren lassen, und die Folgen mö-
gen verhängnißvoll für die friedlichen Unternehmungen der
Ehurch Mifsionary Society, deren Sitz Zanzibar ist, werden.
Es ist ernstlich zn hoffen, daß dem ägyptischen Gebiet gegen
Süden irgend eine Grenze gezogen werde. Wie ausgezeichnet
die Absichten Oberst Gordon's, des ägyptischen Statthalters
des Sudan, auch sein mögen, seine Amtsdauer ist nur be-
grenzt und er kann einen Nachfolger in einem mohamme-
danischen Pascha der schlimmsten Sorte erhalten. Es kann
als ein Axiom betrachtet werden, daß die Ausdehnung der
ägyptischen Herrschaft über den Aeqnator hinaus oder selbst
nur bis zu dieser Linie ein schweres Unglück für Mittelafrika
sein würde. — Einige Jesuitenmissionäre bereiten sich
zur Abreise nach Afrika über das Cap im November vor,
um eine neue Mission im Thale des obern Zambesi zu
begründen. Ihre ersten Statioueu beabsichtigen sie unter
den Matabele und Betschuana zu errichten und später wo-
möglich ihre Operationen bis zu der Region am See Bang-
weolo auszudehnen. (A. Z.)
— Soeben ist der zweite Band der von Prof. Böttger
bearbeiteten deutschen antorisirten Ausgabe des Stanley'-
schen Werkes „Durch den dunkeln Welttheil" (Leip-
zig, F. A. Brockhaus) erschienen, mit welchem dieses in sei-
ner Form höchst anziehende und seinem Inhalte nach für die
Geographie geradezu epochemachende Buch vollständig vorliegt.
Nach den vielfachen und wesentlichen Ergänzungen, welche
Stanley im ersten Bande in Bezug auf die Forschungen in
den afrikanischen Äquatorialgegenden von 40° bis zu 30°
östl. L. bot, tritt er in diesem zweiten Bande fast durchweg
als der Entdecker auf, welcher mit wahrem Heldeumuth und
bewundernswerther Ausdauer den dichten Schleier, welcher
die circa 120 Meilen breite Aeqnatorialzone von 39° bis zu
14° östl. L. bisher bedeckte, zuerst gelüftet und in einer der
merkwürdigsten Fahrten, von denen je ein Reisender berichtet
hat, einen Hunderte von Meilen langen Stromlaus in eine
bis zum Jahre 1877 fast ganz weiße und leere Fläche der
Karte Afrikas zuerst genau eingezeichnet hat. Der zweite
Band ist noch reicher illnstrirt als der erste, nämlich durch
17 größere eine ganze Seite füllende und 91 kleinere in den
Text eingefügte Holzschnitte. Außerdem bringt er Karten
des Lnkuga-Creek, der Stanley- und Livingstone-Fälle, als
wichtigste und für die geographische Wissenschaft ungemein
werthvolle Beilagen aber zwei zusammen etwa einen Quadrat-
meter große Karten der West- und Osthälfte des äquatorialen
Afrika. Außerdem füllen die Anhänge und das Register
noch ungefähr sechs Bogen. Man findet zunächst für 110
häufig vorkommende Begriffe die Ausdrücke in 54 afrikani-
320
Aus allen Erdiheilen.
schen Sprachen zusammengestellt, darauf mancherlei geogra-
phisches und statistisches Material und am Schluß sehr sorg-
fältig ausgearbeitete Uebersichtstaselu über Stanleys Wan-
derungen und Fahrten in Afrika. Ein freilich sehr kurz
gefaßter Bericht über diese Reise nimmt in dieser Nummer
des „Globus" seinen Anfang und ergänzt die früheren Pro-
visorischen Mittheilungen. Für jede eingehendere Bekannt-
schaft mit den Ergebnissen und Erlebnissen dieser Reise werden
trotzdem unsere Leser genöthigt sein, zu dem Originalwerke
zu greifen, welches noch durch einen dritten Band, enthaltend
Capitel über Hydrographie, Ethnologie und Naturgeschichte
Centralafrikas, einen Bericht über die Erforschung des Rn-
ftdschi-Flnsses und einen Nachtrag von Karten und Abbil-
düngen erweitert werden wird.
— Mrs. Finley — berichtet Ernst v. Weber (Vier
Jahre in Afrika, II, S. 131) — erzählte mir von einer merk-
würdigen Puppe, Fingo Doll genannt, die bei den Ein-
geborenen (um Thaba-Nchn östlich von Bloemsontein im
Oranje-Freistaate) eine große Rolle spielt. Ein jedes Fingo-
mädchen erhält, sobald sie mündig erklärt wird, eine solche
Puppe, welche sie so lange behält, bis sie heirathet und ein
Kind bekommt. Darauf giebt ihr die Mutter eine neue
Puppe, welche sie wieder bis zum zweiten Kinde behält und
so fort. Diese Puppen werden sehr heilig gehalten, und um
keinen Preis möchte sich ein Mädchen oder eine Frau davon
trennen.
— Der Gouverneur des Caplandes, Sir Bartle Frere,
hat durch Proklamation jüngst den Häuptling des Pondo-
Landesin Frei-Kaffraria (zwischen Natal und dem Caplande
am Indischen Ocean gelegen) abgesetzt und sein Gebiet zu
beiden Seiten des St. John River für englisches Kroneigen-
thum erklärt. Seit 1844 hat die britische Regierung die ver-
schiedenen Pondo-Stämme gegen die Zulus und andere Feinde
beschützt und dafür verlangt, daß sie den Engländern Treue
hielten, deren Feinde nicht bei sich aufnähmen und flüchtige
Verbrecher auslieferten. Diesen Vertrag hat der vorige
Häuptling, Fakn, getreulich ausgeführt, aber nicht so sein
Sohn und Nachfolger Umquikela, welcher in seiner feindlichen
Gesinnung gegen England bis zu offener Gewalttätigkeit
gegangen ist. Sir Bartle Frere hat also zwei Residenten
im Pondo-Lande ernannt, den Major Elliott für die Stämme
westlich vom St. John's River und den Reverend I. O. Ox-
land für die östlich davon, und wird an der Mündung des
Flusses Zölle erheben lassen, wie in der Capcolonie. Es ist
damit eingetreten, was wir auf S. 64 des vorigen Bandes
voraussagten: Frei-Kaffraria ist von der Landkarte verschwuu-
den, das Land der Ama-Pondos ist annectirt und südlich
vom 28. Breitengrade giebt es keine freien Kaffern mehr.
Die nächste englische Erwerbung in Südafrika wird natur-
gemäß der rings von englischem Besitze umgebene Oranje-
Freistaat sein, wenn nicht schon vorher Portugal die Delagoa-
Bay verkauft (f. oben S. 271).
— Das „Journal de Ronen" veröffentlicht Nachrichten
von Paul Soleillet, welcher unlängst seine Reise quer
durch Afrika von Senegambien nach Algerien angetreten
hat (s. oben S. 15). Ehe er St. Louis verließ, erhielt er
vom Colonialrath eine Unterstützung von 5000 Frcs. bewil-
ligt und erklärte in einem stark besuchten Vortrag im April,
daß er zwei Jahre später „die Ufer des Mittelmeeres zu be-
grüßen hoffe." Am 19. April trat er seine Reise nach Bakel
am Senegal, 850 Kilometer von St. Louis, an in Begleitung
des Scheich Ahmadu, eines stattlichen Negers, der die Wall-
fahrt nach Mekka gemacht hatte, Timbuktu kannte und fließend
arabisch sprach. Am 12. Mai erreichte er, am 3. Juni sein
Gepäck Bakel. Am 8. Juni brach er nach dem Dorfe Kn-
niakoro (1250 Kilometer von St. Louis) auf und erreichte
es am 23.; unterwegs hatte er unter heftigen Regengüssen
zu leiden und Sümpfe zu passiren, die ihm bis an denHals
reichten. Trotzdem war er bei guter Gesundheit und voll
Hoffnung, obwohl ihm bei Tage die Fliegen und bei Nacht
die Moskitos arg zusetzten. Freilich befand er sich bis dahin
noch im Bereich des französischen Einflusses und hatte wohl
Strapazen, aber keine Gefahren zu bestehen gehabt. Ueber
Kuuiakoro hinaus ändert sich aber die Lage: das Land ist
wenig bekannt und wird zeitweilig von Räubern durchzogen.
Doch weiß Soleillet, was ihm bevorsteht, und ist guten
Muths nach Jarnina am Dscholiba, 50 Kilometer von Segu,
wo er den Winter zubringen will, aufgebrochen. Hoffentlich
befindet er sich jetzt schon längst in Segu und hat Unter-
Handlungen mit Tidiani, dem Sultan von Massena, ange-
knüpft, damit er ihm die Thore von Timbuktu öffne.
__(„Mail".)
Amerika.
— Aus Hayti berichtet der amerikanische Generalcon-
snl in Port-au-Prince, daß die Finanzen der Negerrepublik
in geordnetem Zustand seien, die Schuld an Frankreich fast
abbezahlt, und die Gründung einer Nationalbank bevorstehe.
Die Marine, wenn auch klein, ist in gutem Zustand, für die
Armee sind neue Waffen und Uniformen nöthig. Dem Er-
ziehungsweseu wird große Aufmerksamkeit gewidmet; es exi-
stiren 370 Schulen, darunter 202 Landschulen, mit 673 Leh-
rern. Die Ernte war gut ausgefallen, Nahrungsmittel sind
billig, und die Einwanderung, hauptsächlich aus Italien,
dauert fort.
— Wie bereits auf S. 143 dieses Bandes erwähnt, kam
die nordamerikanische Corvette „Enterprise" unter Com-
mander Selfridge am 24. Mai dieses Jahres vor Para an
und erhielt von den brasilianischen Behörden, trotzdem ihre
Papiere merkwürdiger Weise nicht ganz in Ordnung waren,
in liberalster Weise die Erlanbniß zur Weiterfahrt. Außer
gewöhnlichen Booten hatte sie auch ein kleines Dampfschiff
an Bord, welches auf dem obern Madeira, der zur Sommer-
zeit sehr flach wird, zur Anwendung kommen sollte. Am
3. Juni verließ sie Para, begann sofort in diesem wohlbe-
kannten Gebiete ihre Arbeit und lief am 7. in den eigeut-
lichen Amazonen ström ein. Trotz zweier Unfälle an der
Maschine, welche das Schiff gleich zu Beginn seiner Unter-
nehmung trafen, lief es doch fchon am 17. Juni in den
Madeira ein und fuhr denselben bis zum 24. aufwärts,
wo man gezwungen war, den kleinen Dampfer zum weitern
Fortkommen zu benutzen. Derselbe wurde für einen Monat
ausgerüstet, unter Lieutenant Blockliuger weiter stromauf-
wärts geschickt und hat seine Aufgabe glücklich gelöst, eine
wenn auch keineswegs exacte, doch brauchbare Karte des
Stromes mit seinen Sandbänken, Felsen, Wirbeln n. s. w.
herzustellen, welche den nordamerikanischen Handelsschiffen
bei ihren geplanten Fahrten nach dem Innern Brasiliens zu
Gute kommen soll. Am 26. September war die „Enter-
Prise" wieder in Neuyork und konnte berichten, daß der
Wasserweg auf dem Amazouenstrome und Madeira bis zu
den Fällen bei San Antonio hinauf neun Monate im Jahre
der Schifffahrt zugänglich und nur im August, September
und October für beladene größere Fahrzeuge nicht passir-
bar sei.
Inhalt: Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877). I. (Mit sechs Abbildungen.) — Die geogra-
phische Vertheiluug des Luftdruckes. Von Dr. G. v. Lieb ig. I. (Mit zwei Karten.) — Ans allen Erdtheilen: Asien. —
Afrika. — Amerika. — (Schluß der Redactiou 29. October 1878.)
Nedacteur: Dr. N. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
Hierzu als Beilage: Literarischer Anzeiger Nr. 10.
&
Band XXXIV.
ety)
it.
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Jo 21.
Mit besonderer Herücksicktigung äer AntkroVoloZie unä Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braun schweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen uud Postanstalten q * q
zun: Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. I V <
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
ii.
Die Umschiffung des Ukerewe^).
?. B. Das Dorf Kagehji im Bezirke Utschambi
des Landes Usukuma, wo Stanley am 27. Februar 1875
den Ukerewe-See (Victoria-Nyauza) erreichte, liegt am
Südufer einer großen Bucht, die den Südosttheil des Sees
bildet, ein paar Meilen westlich von dem Orte Muauza,
woSpeke am Z.August 1858 denselben zuerst entdeckte und
sich drei Tage lang aufhielt. Von dem Häuptling von
Kagehji, Namens Kaduma, und seinem Verbündeten, dem
dort ansässigen arabischen Händler Suugoro, wurde Stanley
gastfreundlich empfangen und ihm eine conifche Strohhütte
von 20 Fuß Durchmesser, die jedoch vou Natten wimmelte,
als Quartier angewiesen, während seine Begleiter sogleich
den Bau eines Lagers aus Grashütten begannen. Die ersten
Tage nach der Ankunft wurden der so nothwendigen Ruhe
gewidmet, die neu angeworbenen Träger aus Usukuma sämmt-
lich entlassen und ein großer Festschmans vou den Wang-
wana- und Wanjamwezi-Trägern gefeiert, zu dem Stanley
sechs juuge Ochsen und 20 GallonenPombs (einheimisches
Bier aus gegohreuem Korn oder grobem Mehl) lieferte, und
als weitere Geschenke für ihre Treue und Ausdauer drei
ganze Ballen Zeug und 120 Pfund Glasperlen an sie ver-
theilte, so daß er, wie schon vor drei Jahren, wieder den
Beinamen erhielt: „Huju Msungu n'u fungua mikono"
(der weiße Mann mit der offenen Hand).
Die Wanjamwezi-Träger zeichnen sich durch ihr in Locken
i) Vergl. die Karten „Globus" XXVIII, S. 376, und
XXX, S. 167.
Glvbus XXXIV. Nr. 21.
geflochtenes langes Haar aus, welches sie zum Schmuck mit
Kupferstücken und den großen rotheu und weißen Samsam-
perlen behängen; das Gesicht wird oft tättowirt, und zwar
bei den Männern mit schwarzer, bei den Frauen dagegen
mit blauer Farbe. Stanley nennt sie die besten aller Pa-
gazis.
Die Nachricht von der Ankunft einer Expedition mit
drei weißen Männern hatte sich bald weithin verbreitet
und zog eine große Anzahl von Händlern ans einem Umkreis
von 20 bis 30 Meilen nach dem sonst einsamen Dorfe her-
bei. Fischer von der Insel Ukerewe, deren Hügel nach
Norden die Aussicht auf den See begrenzen, kamen mit ihren
Canoes voll getrockneter Fische, die Einwohner von Magn
und Sima, östlich von dem Lager, brachten Cassave oder
Maniok und reife Bananen; die Hirten von dem 30 Meilen
südlich gelegenen Usman trieben ihre Ochsen herbei und die
Bewohner der historischen Muauza im Westen brachten ihre
Hacken, Eisendraht und Salz sowie süße Kartoffeln und
Aams in Menge. Stanley's tägliche Nahrung bestand zu
dieser Zeit aus Hühnern, süßen Kartoffeln, Milch, Thee und
Kaffee, wahrend seine beiden weißen Gefährten noch Reis
und Mais- oder Hirsebrot hinzufügten.
Während Stanley das zerlegbare Boot für die Seefahrt
in Stand setzen ließ, wurden seine Leute durch die abergläu-
bischeu Märchen der Eingeborenen über den See in Schrecken
versetzt; da sollten geschwänzte Menschen an seinen Ufern
leben, auch Menschenfresser und eiu Stamm, der riesige wilde
Hunde zum Kriege abrichtete; auch sollte der See so groß
41
322
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
sein, daß seine Umschiffung viele Jahre lang dauern müßte,
nnd wer würde dann noch am Leben sein? Nach sieben
Tagen war das Boot segelsertig und die Vorräthe von Mehl
und getrockneten Fischen, Zeugballen und Perlensäcken und
den unzähligen anderen nothwendigen Gegenständen an Bord
gebracht. Als aber Stanley nach Freiwilligen rief, die ihn
anf der Seefahrt als Bootsmannschaft begleiten wollten,
meldete sich trotz angebotener Geschenke und höherer Löhnung
kein einziger, ans Furcht vor den angeblichen Gefahren des
Sees, so daß er sich gezwungen sah, durch Befehl seine Ge-
fährten selbst zu bestimmen. Katschetsche, sein Oberconstabler,
sagte ihm, daß die in Bagamojo zu Kiraugosis ausgesuchten
jungen, kräftigen Männer die Seeleute der Expedition feien,
worauf Stanley ans denselben eine Bootsmauuschaft von zehn
Matrosen und einem Steuermann wählte, darunter Safeni,
den Bootsführer, Zaidi Mganda, den Steuermann, Baraka,
Sarboko, Robert Ferusi von der Zanzibar- Mission, Ki-
rango n. s. w. Die beiden Weißen blieben mit vollen
Instructionen zur Aufsicht des Lagers zurück, und am 8. März
trat Stanley an Bord der „Lady Alice", dem ersten euro-
päifchen Boot auf den Wellen des Ukerewe-Sees (den die
Wafuknma „Niaudfcha" nennen), die
erste Umschiffung desselben an.
Stanley hatte beschlossen, der Küsten-
linie in ihrer ganzen Ausdehnung zu
folgen; er fuhr deshalb zuerst uach
Osten am Ufer jener großen Bucht eut-
lang, welche die Südostecke des Sees
bildet, nnd die Stanley zu Ehren des
Entdeckers Speke-Golf nannte. Bei
Jgnsa, dem ersten Halteplatz, wurde
ein eingeborener Fischer Namens Sa-
ramba, der schon mehrere Fahrten anf
dem See gemacht, als Führer und
Dolmetscher angeworben. Am nächsten
Tage überfiel ein heftiger Sturm das
Fahrzeug und trieb es bis in die äußerste
Südostecke des Golfs an der kleinen In-
sel Natwari vorbei, bis in die Mün-
dung des Schimiju-Flusses. Stanley
fuhr eine Strecke weit denselben hinauf; zur Rechten erheben
sich die dürren, kahlen Hügel von Magn, zur Linken die
mit Buschwerk bedeckten Mazanza-Höhen. Das Fluß-
bett verengert sich bald auf 400 Aards Breite, durch welches
die braunen Gewässer der vereinigten Flüsse Monangah,
Luwamberri und Duma als Schimiju in den Golf strö-
men. Dieser Fluß, die südlichste Quelle des Nils, hat einen
Lauf von 300 Meilen (englische, wie alle in diesen Artikeln),
was dem Nil eine Gesammtlänge von 4200 Meilen giebt
und ihn somit zum zweitgrößten Strome der Welt macht.
Eine Landung an den Ufern von Manaffa wurde durch
eine große Heerde wilder Nilpferde verhindert, die mit auf-
gerissenen Rachen das Boot angriffen. Am 11. März
mußte den ganzen Tag gegen einen starken Ostwind gerudert
werden, um das östliche Ende des Speke-Golfs zu erreichen.
Dasselbe verengt sich hier auf 7 Meilen und wird von den
niedrigen, bewaldeten Ufern des Landes der wildenWirigedi
abgeschlossen, durch welches der Ruana-Flnß sich in zwei
schmalen Armen in den See ergießt. Auf der Nordseite
des Golfs liegen die kahlen Berge von Schaschi, die uach
Westen allmälig in eine niedrige braune Ebene auslaufen,
die am Ufer von Mimosen eingefaßt ist. Das Westende
des Golfs bildet ein nach seiner Form Pyramidenspitze
genanntes Vorgebirge, der füdwestliche Ausläufer einer
Bergkette. In der Nähe desselben liegt eine Anzahl kleiner
Inseln, welche aus Gruppen riesiger Felsen bestehen, die
Mnjamwezi-Träger.
aber vou üppiger Vegetation bedeckt sind. Die größte der-
selben heißt Kitaro, auf welcher Rinder und Ziegen weiden.
Ihre Bewohner haben sich vor den langen Messern und brei-
ten, schweren Speeren der Wirigedi dorthin geflüchtet. Am
Abend campirte Stanley auf einer kleinen Insel in der Mitte
der Bay vou Ukerewe, östlich von der schönen Insel Nisnah,
die von Colonisten der großen Insel Ukerewe bewohnt ist.
Am nächsten Morgen machte er die Entdeckung, daß Ukerewe
keine Insel im eigentlichen Sinne des Wortes ist, da sie mit
der gegenüberliegenden Spitze des Festlandes durch eine fehr
niedrige, buschbewachsene Landenge von einer Meile Breite
verbunden ist, welche freilich von einem 6 Fuß breiten, seichten
Canal, der an manchen Stellen nur 3 Fuß Tiefe hat, der
sogenannten Rugedzi-Straße, durchschnitten wird.
Am 13. fuhr das Boot vor einer Brise mit sechs Kno-
ten Geschwindigkeit am Südufer der „Insel" Ukerewe ent-
lang, deren dicht bebaute und zahlreich bevölkerte Gestade sich
300 Fuß über den See erheben. In der Nähe der West-
spitze liegt die Gruppe der kleinen Kirigi-Jnseln, deren
Schilfrohr die Heimath einer Ungeheuern Anzahl von Kroko-
dilen ist, von denen Stanley in einem Neste 58 Eier fand.
Auch Warneidechsen bis zu 7 Fuß Länge
und andere kleinere Gecko- und Eidechsen-
arten bewohnen die Eilande in enormer
Zahl. Nachdem er die bewaldeten Hügel
am westlichen Ende von Ukerewe bei
' Wirn passirt und zwischen den Kune-
neh-Jnseln, welche 4 Meilen zur Lin-
ken blieben, und der Insel Jrangara
zur Rechten durchgesegelt war, lag die
unermeßliche, oceangleiche Fläche des
N'jauza vor ihm (so uannte Speke den
See nach der Aussprache der Araber und
Wangwana, während alle an seinen
Ufern lebenden Stämme den Namen
entweder Nihjandfcha oder Nihjanza aus-
sprechen).
Im Norden von Ukerewe liegt die
große Insel Uk ara, deren zahlreiche Ein-
wohner voller Aberglauben sind und an
Zauberer und Hexerei glauben. Indem Stanley an derselben
vorbei nach Osten rudern ließ, sah er den Tafelberg Mad-
schita aus dem Festlande (den Speke von Mnanza aus für
eiue Insel hielt) aus den ihn umgebenden Ebenen empor-
steigen. Am 16. März campirte er auf einem Vogelfelfen,
der gegen 3 Meilen vom Fuße des Madschita entfernt im
See lag, während jener sich steil 2000 bis 3000 Fuß über
denselben erhebt. Von hier führte die Fahrt an den Ufern
des großen Landes Urnri auf der Ostseite des Sees eut-
lang nach Norden weiter. Die ganze Küste ist gut angebaut
und mit zahlreichen Dörfern dicht bevölkert. Die User sind
mit tiefen Buchten nnd Einfahrten eingekerbt, und steigen,
besonders bei den Vorgebirgen, schroff aus dem Waffer em-
por; doch an manchen Stellen ziehen sich wellenförmige Ab-
hänge 3 bis 4 Meilen weit ins Innere. Viele unbewohnte
Felseninseln liegen in der Nähe des Festlandes. Während
des Nachtlagers an den Doboselsen hätte ein sich plötzlich
erhebender Sturm fast das Boot zertrümmert. Die Jnfeln
sehen meistens kahl und felsig aus, doch finden sich auf vie-
len derselben große Strecken üppigen Graswuchses, die un-
zähligen Nilpferden als Weideplatz dienen. Diefe Thiere
find im Ukerewe von äußerst wilder Natur und griffen oft
das Boot mit Wuth an. Von der 150 Fuß hohen Spitze
einer kleinen Jnfel besichtigte Stanley die Mori-Bay, in
welche ein unbedeutender Fluß aus S.-O. einmündet. Die-
fes Eiland, obgleich nur ein paar hundert Pards lang, ent-
824 Stanley's letzte Forschungsreise
hielt eine außerordentlich reiche Vegetation, darunter Ananas,
Mimosen, Akazien, Weißdorn, Gummibäume, Weinreben,
Euphorbien, Aeschinomenen, Lianen, Wasserrohr und Speer-
gras in größter Ueppigkeit. Die Eingeborenen in dem nun
folgenden Utiri geriethen Uber die Ruder und das Steuer
des Bootes in großes Erstaunen; als aber das Segel ausge-
zogen wurde, entflohen sie voller Schrecken. Gruppen grauer
Felseneilande liegen bei Mo hur o längs der Küste, die sich
als kahle, unbewachsene Ebene 5 bis 6 Meilen weit bis zu
den unregelmäßigen Höhenzügen im Innern erstreckt. Dann
folgt die tief ins Land schneidende Kaviroudo-Bay, in
welche der Gori, ein bedeutender und starker Strom wäh-
rend der Regenzeit, einmündet. Derselbe bildet die Nord-
grenze von Ururi; auf seinem rechten Ufer beginnt das ge-
birgigeLand Ugejeja. Weit im Innern soll hier das Land
eine große Ebene bilden, und gegen 15 Tagereisen vom See
sollen nach den Berichten der Eingeborenen „niedrige Hügel
stehen, welche Ranch und zu Zeiten Feuer aus ihren Spitzen
ausstoßen." Diese Gegend heißt Susa und ist ein Theil
des Masai-Landes. Auf 20 Tagereisen fallen alle Ge-
Wässer in den Ukerewe; jenseits dieser Strecke soll ein kleiner
See sein, der einen Fluß uach Osten sendet — vielleicht der
Ozi oder Dana.
durch Afrika (1874 bis 1877).
Am 21. März fuhr die „Lady Alice" durch die Meer-
enge, welche die Insel Ugiugo von der Küste trennt. Zur
Rechten auf dem Festlande stiegen die dunkeln Vorgebirge
des Goschiberges gegen 900 Fuß steil aus dem See empor,
um dann, etwas zurückweichend, 2000 bis 3000 Fuß Höhe
zu erreichen, zur Linken thürmte sich die hohe, mit Bäumen
bewachsene Ugiugo-Jnsel auf. Leichte Rauchsäulen, die aus
den Wäldern aufstiegen, verriethen die Anwesenheit von Men-
schen; der größte Theil des Festlandes schien unbewohnt.
Am Abend campirte Stanley auf der Brückeu-Jufel, die
ihren Namen einer natürlichen Brücke aus Bafaltfelseu ver-
dankt, die einen unregelmäßigen Bogen von 24 Fuß Länge
und 12 Fuß Tiefe bildet, unter dem man von einer Seite
der Insel zur andern hindurchgehen kann. Dichtes Busch-
werk, hohes Gras und einige schöne Mangelbäume bedecken
die Insel, die gegen 50 Fuß Höhe hat.
Am nächsten Tage passirte das Boot eine große Anzahl
Inseln, die unter dem Aequator liegen, und fuhr in die
Nakidimo-Bay ein, deren dunkelbraunes Wasser die Ein-
Mündung des bedeutenden Ugoweh-Flnsses verrieth; auch
hier waren die Nilpferde fehr zahlreich, und wie gewöhnlich
äußerst wild. Ein günstiger Wind trieb das Boot dicht an
der Küste von M ah ata entlang, auf der Stanley eine dich-
Die Br
tere Bevölkerung und zahlreichere Gruppen großer Dörfer
bemerkte, als bisher irgendwo anders. Die Eingeborenen,
welche Armbänder von kleinen Landmuscheln über dem El«
bogen und Kränze derselben um den Kopf trugen, suchten
vergeblich das Boot in einen Hinterhalt ihrer mit Speeren
und Schleudern bewaffneten Krieger zu locken. In der
Nacht wurde wie gewöhnlich auf einer kleinen, vom Festlande
entfernten Insel campirt. Am 23. fuhr das Boot durch
eiue zwei Meilen breite Straße in die Bay von Maujara
ein, die im Osten von den Hügeln dieses Landes, im Norden
von der Ugaua-Ebeue, im Westen von dem langen, schma-
len Tschaga-Vorgebirge und im Süden von der großen
hohen Insel Usuguru eingeschlossen wird. Diese Bucht
bildet den nordöstlichsten Theil des Ukerewe, aber der Reisende,
der sich ihr zu Lande nähern würde, müßte sie für einen
separaten See halten, da die Vorgebirge von Maujara und
Tschaga gänzlich durch die Spitzen der Insel Usuguru ver-
deckt werden. Bei dem Dorse Mniwenda ans dem Fest-
lande tauschte Stauley von den Eingeborenen Lebensmittel
gegen blaue Perleu ein. Die Kleidung beider Geschlechter
besteht dort allein aus einem Gürtel von Bauauenblättern;
bei den Männern fehlen die oberen und unteren Schneide-
zähne, auch rasiren sie deu Kopf bis auf einen Haarkamm
über der Stirn kahl. Am 25. fuhr Stanley durch den
V* Meilen breiten Canal zwischen Usuguru und Tschaga aus
der Bay hinaus, mnßte aber vor einem wüthenden Nord-
wester bei der Insel Ugewi, 11/2 Meilen vom Festlande,
Schutz suchen. Bald näherte sich ein großes Ugamba-
Canoe von rothbrauner Farbe mit 20 Ruderern und eben
so vielen Kriegern mit Schilden und langen Speeren. Von
dem langen emporgekrümmten Vordertheil bis zum Bug des
Cauoes wehte eine Reihe feiner Grasbüschel an einer straffen
Schnur wie eine Mähne. Die zum größten Theil berausch-
teu Eingeborenen wurden äußerst zudringlich, bis ein abge-
feuerter Pistolenschuß sie etwas einschüchterte; als aber noch
fünf andere, ähnliche Canoes herbeikamen, ließ Stanley das
Segel aufhissen, so daß jene weit zurückblieben. Am Abend
brach ein schreckliches Gewitter über dem Boot los, welches
mit doppelten Seilen an dem Steinanker in 75 Fuß tiefein
Wasser lag. Donner uud Blitz waren ungewöhnlich stark,
die Temperatur sank plötzlich auf 62" F. und große Hagel-
körner sielen in Menge; dabei stürzte der Regen in solchen
Massen herab, daß zwei Mann in jeder Section des Bootes
unausgesetzt schöpfen mußteu, um das Boot über dem Wasser
zu halten. Am nächsten Morgen dagegen schien die Welt
wie neugeboren, der Himmel war ein blauer Krystall, die
Stcmley's letzte Forschungsreise
Ufer leuchteten in frischem Grün und der See glänzte wie
polirter Stahl. Im Nordosten erhob der Masawa-Berg
seinen 3000 Fuß hohen Gipfel. Bei der Insel Namungi
tauschten die friedlichen Eingeborenen Bananen, Hühner,
Eier und süßen Marambawein aus Bananen in Menge mit
Stanley ein und begleiteten ihn mehrere Meilen weit mit
30 Cauoes, die das Boot ins Schlepptau nahm.
Am 26. März fuhr die „Lady Alice" an der Südküste
der Insel Uwuma entlang, deren baumlose Grasflächen sich
300 Fuß hoch steil über den See erheben. Heerde» von
Rindern und Ziegen weiden auf denselben; die zahlreichen
Dörfer ans Kegelhütten sind nicht eingezäunt. Bei einem
Vorgebirge machten die wilden Eingeborenen mit großen
Steinen und Schleudern einen Angriff anf das Boot, doch
trieb ein Revolverschuß sie zurück. Am folgenden Tage
durch Afrika (1874 bis 1877). . 325
wurde Stanley sogar von einer Flotte von 13 großen Canoes
voller Krieger angegriffen, die sich erst zur Flucht wandten, als
die Kugeln seiner großen Büchse mehrere der Canoes zum
Sinken gebracht hatten. Am 28. fuhr Stanley in den von
Speke 1862 entdecktenNapoleon-Canal, den Ausfluß des
Sees, hinein und campirte bei den Riponfällen, deren
ausführlichere Schilderung mit photographischen Ansichten
später folgt, da Stanley sie im Ganzen drei Mal besuchte.
Auf der Westseite des Canals beginnt das Reich Uganda,
dessen Herrscher Mtesa Stanley besuchen wollte. Auf der
Insel Kiwa empfing ihn der Häuptling gastfreundlich, und
dort wohnte er zum ersten Male seit Verlassen des Lagers
mit Eingeborenen zusammen. Auch in der Buka-Bay gab
der Mtougoleh (Unterbefehlshaber) ein Festmahl von Milch,
Bananen, Ziegenfleisch, süßen Kartoffeln und Eiern ihm zu
Empfang durch die Leibgarde
Ehren und sandte einen Boten mit der Nachricht von der
Ankunft eines Weißen an Mtesa. Das ganze Land vom
Ufer bis zu den Hügeln ist mit grünen Weiden und Hainen
von Feigenbäumen, Tamarinden und Pisang bedeckt. Am
2. April kamen sechs große Canoes voller Leute in der
Kadzi-Bucht Stanley entgegen. Ihr Befehlshaber Ma-
gassa mit einem Kopsschmuck von Perlen und weißen Hahnen-
federn, einem schneeweißen langhaarigen Ziegensell und einem
rothen Kleide kniete vor Stanley nieder und überbrachte ihm
in des Kabakas (Kaiser oder König von Uganda) Noamen
eine Einladung, Uganda zu besuchen, die mit der gewöhnli-
chen Höflichkeitsformel Ugandas fchloß: „Twijanzi -janzi-
janzi!" (Dank, Dank, Dank.) — Am 4. fuhr die „Lady
Alice" mit ihrer Canoe-Escorte an der kuppelförmigeu Li-
naut-Jnsel vorbei durch die 4 Meilen breite Einfahrt in
Kaisers Mtesa iit Usawara.
die Murchifon-Bay, die gegen 10 Meilen breit und
14 Meilen lang ist. Am folgenden Tage landete Stanley
bei Usawara, des Königs Jagddorf, im obern Theil der
Bucht.
Schon von Weitem sah er Tansende von Eingeborenen
anf dem AbHange versammelt und als das Boot sich näherte,
formirten sich zwei lauge Reihen von Gewehrträgern, an
deren Ende mehrere Männer in rothen, schwarzen und weißen
Kleidern bei einer Flaggenstange standen. Als Stanley ans
Land stieg, wurden mehrere Hundert Gewehre abgefeuert,
Trommeln und Pauken vermehrten den Lärm, Fahnen und
Flaggen wurden geschwenkt, die Soldaten präsentirten das
Gewehr und das Volk erhob einen lauten Znrnf. Stanley
schritt zwischen den Reihen auf die Hauptfahne zu, wo ein
junger Mann in rothem Rock mit weißem Unterkleid ihn in
Mtesa und seine Würdenträger.
(Nach einer Photographie.)
*
Stanley's letzte Forschungsreise
Uganda willkommen hieß. Dies war der Katekiro, der
Stellvertreter oder Premierminister des Kabaka; derselbe wies
ihm und seinen Leuten eiu Quartier an und übersandte ihm
in Mtesa's Namen 14 fette Ochsen, 16 Ziegen und Schafe,
100 Bündel Bananen, drei Dutzend Hühner, vier Holzkrüge
voll Milch, vier Körbe süßer Kartoffeln, 50 Kolben Mais,
einen Korb Reis, 20 frische Eier und 10 Töpfe Maramba-
wein. Der Ueberbringer dieses königlichen Geschenkes kniete
nieder und bat Stauley, dasselbe anzunehmen, da der Kabaka
seinen Freund, der so weit gereist, um ihn zu besuchen, nicht
eher sehen könne, als bis derselbe gegessen habe und satt sei.
„Twijanzi-janzi-janzi." Am nächsten Morgen holten ihn
zivei Pagen in langen weißen Hemden mit Gürteln zur
Zusammenkunft mit Mtesa ab, zn der er sich, umgeben von
seinen Leuten in ihren Festkleidern und mit Snidergewehren
bewaffnet, begab. Am Ende einer kurzen, breiten Straße
stand eine Hütte, vor welcher der Kabaka auf einem Stuhl
saß, während eine große Anzahl Häuptlinge, Wakungu (Ge-
nerale), Watongoleh (Obersten), Leibwächter, Fahnenträger,
Trommler, Pfeifer, Henker, Pagen n. s. w. zu beiden Seiten
in Reihen faßen oder knieten. Als Stanley sich näherte,
schlugen alle Trommler einen betäubenden Wirbel, worauf
Mtesa sich erhob, und mit ihm sein ganzes Gefolge, und beide
sich warm die Hände schüttelten.
Mtesa, der 35. Kabaka von Uganda, ist ein großer, über
6 Fuß hoher Mann im Alter von etwa 30 Jahren, mit
schlanker, hagerer aber kräftiger Figur, einem glatten, rnnzel-
losen Gesicht von dunkelrothbrauuer Farbe und großen glän-
zenden Augen. Seine angenehmen, intelligenten Gesichts-
züge ähneln denjenigen der großen ägyptischen Steinbilder,
wie auch die gewöhnlich auf dem Knie ausgestreckte Linke
an die Stellung des Ramfes in Theben erinnert. Seine
Kleidung bestand aus einem dickwollenen, schwarzen Kaftan
über einem weißen goldverzierten Hemde; den glatt abrafirten
Kopf deckte ein türkischer Fez. Sein Sitz, ein Armsessel
einheimischer Arbeit, stand auf einem viereckigen Leoparden'-
fell, auf dem seine mit Strümpfen und rothen Pantoffeln
bekleideten Füße ruhten. Sein nächstes Gefolge war ähnlich
gekleidet; hinter ihm stand Pokino, der Premierminister, neben
diesem Sekebobo, der Häuptling von Tschagws, zur Linken
Tfchambarango und im Hintergrunde andere Wakungu und
große Häuptlinge wie Kangan, Mkwenda, Sabaganfi u. s. w.
Fast alle fprecheu außer ihrer eigenen Sprache auch Kifuaheli
(Küstensprache von Zanzibar).
Zwei Tage später ließ Mtesa vor seinem Freunde
„Stamlih", wie er deffen Namen aussprach, eine Flotten«
revne von 40 prächtigen, braunangestrichenen Canoes mit
gegen 1200 Mann ausführen. Die Capitäne derselben,
welche weiße Baumwollhemden und eine Art Turban trugen,
während der Admiral sich durch eine rothe, goldverzierte Jacke
und einen rothen Fez auszeichnete, führten mit Speer und
Schild einen Kriegstanz aus. Bei diefer Gelegenheit sah
auch Stanley 200 der königlichen Weiber, die im Ganzen
gegen 500 zählen, und bemerkte unter denselben mehrere
von sehr Heller rothgelber und ein paar sogar von fast weißer
Farbe.
Am 10. April kehrte der Kabaka mit seinem Gefolge
und 200 Musketieren nach der Hauptstadt zurück, wohin
ihn Stanley begleitete. Der breite Weg führte Uber Hügel
und Thäler, durch Dschungeln und Gärten, Wälder und
Felder voll üppigster Vegetation, in denen kegelförmige Hüt-
ten mit kleinen Vorhallen in dichten Pisanghaineu versteckt
lagen. Nach dreistündigem Marsche wurde Rubaga, die
Hauptstadt, erreicht. Auf einem abgerundeten Hügel steht
der Kibnga oder Palast, ein großes, hohes Gebäude aus
Rohr und Gras, umgeben von Gruppen kleinerer Hütten
durch Afrika (1874 bis 1877). 327
uud Höfe, während hohe Pallifaden aus Wasserrohr und
eine breite Ringstraße den ganzen Hügel umgeben. Von
dieser laufen gerade, glatte Heerstraßen bis zn 100 Fuß Breite
strahlenförmig aus uud kreuzen die den Hügel umgebenden
Sümpfe als Corduroy-Straßen *). Alle Wege sind ebenfalls
von geraden Reihen hoher Mutete eingefaßt, zwischen denen
die Hütten, Höfe und Gärten der Eingeborenen in Bananen-
und Feigenhainen liegen. Stanley erhielt für sich und seine
Leute mehrere geräumige Hütten in einem Pisangwalde als
Wohnort.
Eine Woche laug blieb er in Rubaga uud hatte täglich
Zusammenkünfte mit Mtesa, über welchen er eine sehr günstige
Meinung faßte, da er sah, daß der uoch von Speke als Heid-
nischer, blutdürstiger Barbar geschilderte Herrscher, seit seiner
Belehrung zum Islam durch den arabischen Händler Mnley
bin Salim, sich und feine Umgebung fast civilisirt hat und
für Cultur und Fortschritt empfänglich ist2). — Am 11. April
hielt plötzlich unter Trompetengefchmetter ein anderer Weißer
seinen Einzug; es war dies der ägyptische Oberst Liuaut
de Bellefonds, der als Gordon Pafcha's Gesandter an
Mtesa von Gondokoro herkam, und mit welchem Stanley
während ihres mehrtägigen Zusammenseins viele angenehme
Stunden verlebte. Am 15. kehrte er nach Usawara zurück,
um die Weiterfahrt auf dem See an der Westküste entlaug
fortzusetzen; Linant versprach ihm, seine Rückkehr in Rubaga
abzuwarten 3). Am Morgen des 17. verließ die „Lady Alice"
die Mnrchison-Bay, begleitet von zehn Canoes unter des
Häuptlings Magassa Befehl, welche zur Ueberführuug der
ganzen Expedition von Kagehji nach Uganda dienen follten.
Am nächsten Tage campirte er bei Dfchumba nahe der
400 Aards breiten Mündung des Katongo-Flusses, der
mit seiner schwachen Strömung die Südgrenze des eigent-
lichen Uganda bildet; auf seinem rechten Ufer beginnt Uddn,
das bis an den Kagera reicht. Am 21. passirte Stanley
die Straße zwischen dem Festlande und der Insel Sesse.
Bei einer Länge von 42 Meilen und einer Breite von 20
ist dies die größte Insel im Ukerewe; von ihren kohlschwarzen,
schüchternen, abergläubischen und unreinen Bewohnern bezieht
Mtesa die meisten seiner Canoebaner und Seeleute. — Das
Festland bildet große, halbmondförmige Bayen, die von dich-
ten Wäldern eingefaßt sind. Am nächsten Tage fuhr das
Boot in den Kagera ein und 3 Meileu weit denselben
hinauf, bis die Stärke der Strömung die Ruderer überwäl-
1) Eine in Nordamerika gebräuchliche Art Weg zum Passiren
von Morästen, der hergestellt wird, indem Baumstämme dicht
neben einander quer über die Straße gelegt werden, und nicht,
wie der Ueberfetzer der deutschen Ausgabe in Folge einer Wort-
Verwechselung annimmt, „eine mit dickem gerippten Baumwoll-
zeug belegte Straße."
2) Anders urtheilt ein Deutscher, Dr. Schnitzler (Emin
Effendi), über den innerafrikanischen Potentaten, den er zu Ende
des vorigen Jahres besuchte. Er schreibt (Petermann's Mit-
teilungen, 1878, S. 375): „Ein Todesschweigen liegt über dem
Lande (Deg«a, nur 20 Kilometer nördlich von Mtesa's Haupt-
stadt Rubaga). Auf dem enormen freien Platze vor Muambia's
Hauptort Degsa wächst kniehohes Gras und seine weiten Höfe
und Häuser find menschenleer. Mtesa's Leute haben auf seinen
Befehl Nachts das Land überfallen und Leute und Vieh, Vor-
räthe und Hausgeräth fortgeschleppt, ihres Herrschers Gelüsten zu
fröhnen. Vor einzelnen Häusern liegen noch Stücke frisch jgear-
betteten Rindenstoffes, halb vollendete zierliche Bastmatten —
von ihrem Werke wurde die Hausfrau fortgeschleppt, als Sklavin
des Königs Haushalt zu mehren. Wahrlich ein Schauspiel, um
Mtefa's civilisatorische Befähigung und Stanley's hochtönende
Tiraden darüber deutlich und klar zu veranschaulichem"
3) Als Stanley nach sechs Wochen noch nicht erschienen war,
kehrte Linant nach Gondokoro zu Gordon's Hauptquartier zurück.
Auf einer zweiten Mifsion wurde er am 26. August bei Lahore
von den Baris mit 36 Soldaten niedergemetzelt.
328 G. v. Liebig: Die geographi
tigte. Dieser Strom ist an der Mündung 150 Aards breit,
zwei Meilen höher gegen 100; eine Messung ergab 85 Fuß
Tiefe, so daß er ohne Zweifel der stärkste Zufluß des Sees
ist. Südlich von seiner Mündung beginnen die langen
Klippenreihen desUsongora-Plateaus, aus dessen erstem
Dorf Makongo die Feindseligkeit der mit Speeren, Bogen,
langstieligen Hackmessern und Rohrschilden bewaffneten Ein-
geborenen Stanley nach der 3 Meilen entfernten, 130 Fuß
hohen Insel Musira hinübertrieb. Mittlerweile hatten
die begleitenden Uganda-Canoes nnter Magassa sich allmttlig
unter verschiedenen Vorwänden entfernt, so daß Stanley sich
entschloß, nach der 30 Meilen östlich, draußen im See gelegenen
Alice-Jnsel zu fahren, um von dort den kürzesten Weg nach
dem Lager einzuschlagen. Diese Insel, welche das Boot erst
spät am Abend erreichte, besteht aus 400 Fuß hohen Basalt-
felsen und wird von 40 Wakerewe-Fischerfamilien bewohnt.
Mangel an Lebensmitteln zwang Stanley nach Süden weiter-
zufahren; nach einer bei Regen und Kälte schlaflos znge-
brachten Nacht auf derBarker-Jnsel trieb ihn derHnnger
nach der Bnmbireh-Jnsel. Dieselbe ist gegen 2 Meilen
breit und 11 lang und besteht ans einer grasbewachsenen
Hügelkette mit steilen, aber angebauten Seiten, auf welchen
auch Rinderheerden weideten; in 50 kleinen Dörfern in
Pisangwäldern leben gegen 4000 Einwohner. Trotzdem die
Eingeborenen den centralasrikanischen Kriegsruf: „Hiju-a
hijuuuu!" erhoben, fuhr Stanley am 28. April in eine
kleine Bucht am Südostende der Insel ein. Kaum war er
aber auf die freundliche Einladung der Eingeborenen hin ge-
landet, als mehrere Hundert derselben ins Wasser stürzten
und das Boot mit der Mannschaft und allem Inhalt
20 Aards weit Uber das felsige Ufer ans Land schleppten und
die Ruder fortnahmen. Dann entstand eine schreckliche Scene
um das Boot, Wälder vou Speeren, Keulen und Knoten-
stöcken wurden geschwungen, 30 bis 40 Bogen gespannt und
mit Pfeilen gezielt, während Stanley mit gespannten Revol-
vern bereit stand, sein Leben so thener als möglich zu ver-
kaufen. Endlich gelang es Schekka, dem Häuptling von
Bumbireh, seine Leute zur Berathung zurückzuziehen, worauf
Stanley die Gelegenheit ergriff und seine Leute mit groß-
ter Kraftanstrengung das Boot ins Wasser schieben ließ.
Sogleich stürzten die Wilden, gegen 300 Mann stark, im
e Vertheilung des Luftdruckes.
vollen Kriegsanzug, mit schwarz nud weiß bemalten Ge-
sichtern und den eigenthümlichen Usongora-Schilden her-
bei; doch Stanley schoß die beiden vordersten mit einer
Kugel seiner Elephantenbüchse nieder und half seinen Leu-
teu ins Boot, woraus sie sogleich mit den losgerissenen
Bodenbrettern fortruderten. Mehrere nachsetzende Canoes
wurden durch die Explosivkugelu der Büchse zum Sinken
gebracht. Mit zwölf halbverhungerten Leuten im Boot
wurde die ganze Nacht bei Windstille mit den schwachen
Brettern weitergerudert; gegen Morgen trieb ein heftiger
Südwestwind die „Lady Alice" an einer Insel vorbei. Erst
am Nachmittag des 30. April nach dreitägigem Fasten gelang
es die unbewohnte Zn fluch ts-Insel zu erreichen, wo
Stanley ein paar fette Enten schoß und grüne Bananen und
kirschartige Fruchte gefuudeu wurden. Nach einem Ruhetag,
der zur Anfertigung von Rudern benutzt wurde, fuhr Stanley
an der unbewohnten Singo-Insel vorbei nach Jto, deren
mit Schleudern bewaffnete Einwohner ihn zurücktrieben, so daß
er nach der Insel Ukerew e hinübersteuerte. In demWiru-
Hafen gelang es endlich Fleisch, Kartoffeln, Milch, Honig,
Eier und Hühner einzutauschen, die an Bord des Boots ge-
kocht und verzehrt wurden. Noch denselben Abend fuhrStan-
ley weiter, um sein Lager ans der andern Seite des Speke-
Golfs zu erreichen, aber gegen 3 Uhr Morgens erhob sich
wieder ein schrecklicher Sturm aus Nordnordoft mit Blitz
und Donner, haselnnßgroßen Hagelkörnern und haushohen
Wellen, doch bewährte sich das Boot ausgezeichnet. Gegen
Morgen fand sich Stanley gegen 30 Meilen im Nordwesten
von Kagehji, worauf er mit aufgehißtem Segel vor günstigem
Winde an der Ufnknma-Küste entlang direct auf das Lager
zusteuerte. Freudengeschrei und Gewehrschüsse tönten ihm
schon von Weitem aus demselben entgegen, und als der Kiel
des Bootes auf den Sand lief, stürzten 50 seiner Leute ms
Wasser, hoben Stanley auf ihre Schultern und trugen ihn
singend, tanzend und händeklatschend durch das ganze Lager.
Denn 57 Tage lang war er fortgewesen, und das Gerücht
seines Todes hatte sich schon verbreitet. Frank Pocock kam
ihm freudig entgegen; als aber Stanley fragte, warum Fre-
berief Barker nicht käme, erwiderte er, traurig auf einen
niedrigen Hügel am See deutend: „Weil er vor zwölf Tagen
starb und dort begraben liegt!"
Die geographische
Den Schlüssel für das Verständniß dieser Anordnung
giebt uns die Vertheilung der Wärme, welche wir vorhin
kennen gelernt haben, wenn wir zugleich die Richtung der
Winde und einige andere Wahrnehmungen zu Hülfe nehmen.
Die hohe Wärme des äquatorialen Gürtels erzeugt dort
einen aufsteigenden Luftstrom, welcher Tag und Nacht nicht
unterbrochen wird. Er wird beschleunigt durch die Vermi-
schung der Luft mit Wasserdampf, denn in der Äquatorial-
gegend ist die Erdoberfläche zu 7/s vom Meere bedeckt, und der
Wasserdampf, mit der Luft vermischt, erhöht ihren Auftrieb,
weil er leichter ist als Luft von gleicher Temperatur. Man nennt
den Aequatorialgürtel auch die Gegend der Windstillen,
denn dort hört jede regelmäßige oder stärkere horizontale Luft-
strömnng auf, weil die seitlich zuströmende Lust schon wäh-
des Luftdruckes.
rend ihrer Annäherung erwärmt wird, wobei sie allmälig ihre
Geschwindigkeit verliert, und zuletzt in die aufsteigende Be-
weguug hineingezogen wird.
Der mit in die Höhe geführte Wasserdampf giebt in den
Äquatorialgegenden Veranlassung zu immer erneuter Bil-
duug von Wolken, welche wie ein großer Ring die Erde um-
gebeu, und bedingt so das häufige Auftreten der großartigen
Gewitter, für welche jene Gegenden bekannt sind.
Was wird nun aus der in die Höhe gestiegenen Luft?
Dieselbe kann auf dem gleichen Wege nicht wieder zur Erde
zurücksinken, weil immer neue Luft nachdrängt. Sie muß
sich, wie oben schon an dem Beispiele der Insel gezeigt wurde,
wenn erkaltet, in der Höhe zu beide» Seiten des Aequators
G. v. Liebig: Die geograph
ausbreiten, und indem sie seitlich abfließt vermindert sich der
Luftdruck unter dem aussteigenden Luftstrome.
Die aufgestiegene Lust muß aber nun durch neuen seit-
lichen Zufluß an der Erdoberfläche ersetzt werden und für
diesen Zweck wird die Luft über weiten Gebieten in Bewe-
guug gesetzt. Man trifft auf den zum Ersätze nach dem
Aequator strömenden Wind auf allen Meeren und sein Flie-
ßen erleidet ebensowenig eine Unterbrechung, als der ausstei-
gende Luftstrom selbst, der ihn veranlaßt. Dieser Wind ist
bekannt unter dem Namen des Passatwindes.
Wie stark und wie regelmäßig die Wirkung des ausstei-
geuden Luftstromes ist, das erkennt man an den weit gesteck-
ten Grenzen der Pafsatzone, an dem gleichmäßigen Fließen
und an der unveränderten Richtung des Windes. Die Gren-
zen des Passatwindes reichen bis zum 30" nördlicher und süd-
licher Breite, und wie sein ununterbrochenes Wehen die ersten
Seefahrer überraschte, das zeigt die Besorgniß um die Rück-
kehr, welche, wie man erzählt, die Begleiter des Columbus
erfüllte, als sie von dem Passatwinde den Gestaden Amerikas
entgegengesührt wurden.
Der Passatwind, aus kälteren Gegenden in wärmere
fließend, ist verhältnißmäßig trocken und der Himmel über
der Passatzone ist deshalb auf dem Meere unbewölkt und
regenlos.
Wir haben die über der äquatorialen Zone aufsteigende
Luft verfolgt, bis sie sich nach ihrer Abkühlung in größerer
Höhe seitlich auszubreiten begann. Ihre Ausbreitung ist nur
möglich in der Richtung der Pole, nach Süd und Nord, denn
in den Richtungen nach Ost und West steht ihr andere auf-
gestiegene Luft entgegen, welche gleichfalls das Bestreben hat
sich auszubreiten. Sie fließt also nun in der Richtung nach
den Polen weiter, uud weil diese der Richtung des Passates
entgegengesetzt ist, wird der obere Lnftstrom Antipassat
genannt.
Je weiter man sich vom Aequator entfernt, um so mehr
erkaltet die ganze Atmosphäre, wobei sich die aus den wärmeren
Gegenden kommende Lust zusammenzieht und verdichtet. Da
nun der unten fließende Passat dem obern Strome einen
dessen Zufluß entsprechenden Abfluß nicht gestattet, weil er
ihn verhindert den Raum bis zur Erdoberfläche einzunehmen,
fo wird die Luft über der Passatzone sich stauen, und wegen
der zunehmenden Verdichtung wird ihre Ansammlung nach
der äußeren Grenze hin wachsen. Dazu kommt nun noch
der Umstand, daß der Umfang der Erde, wie ein Blick auf
den Globus zeigt, im Kreise des Aequators eiu größerer ist,
als in den Breitekreisen, welche den Polen näher liegen, und
daß also die Luftmenge, welche die oberen Regionen in der
Aequatorialzone anfüllte, anf ihrem Wege bis zum 30.
Grade auf immer kleineren Kreisen sich zusammendrängen
muß. Wir erkennen diese Vorgänge au der zunehmenden
Erhöhung des Luftdruckes bis er an die Grenze der Passat-
zone im 30° der Breite.
Auf den Meeren erreicht der Luftdruck aus beiden Seiten
des Aequators unter dem 30. Grade der Breite seinen
Höhepunkt und nimmt von diesen Gegenden aus sowohl
nach dem Aequator als nach den Polen hin ab. Ich
habe schon erwähnt, daß von den Orten höchsten Druckes
aus die Luft an der Erdoberfläche nach solchen Richtungen
vorzugsweise in Bewegung gesetzt wird, in welchen ihr der
geringste Druck entgegensteht. Vom 30. Grade ausgehend
vermindert sich der Druck hauptsächlich nach zwei Seiten,
die einander entgegengesetzte Lagen haben, nämlich nach dem
Aequator und nach dem Pole hin.- in der polaren Richtung
aber stärker. Es nehmen daher vom 30. Grade aus an der
Meeresoberfläche zwei Luftströmungen ihren Ursprung, deren
Ziele entgegengesetzte sind; die eine ist der schon besprochene
Globus XXXIV. Nr. 21.
he Vertheilung des Luftdruckes. 329
Passatwind, die andere ist der jetzt zur Erdoberfläche herab-
gestiegene Antipassat. Dem letztern steht jenseits der Grenze
der Passatzone kein Hinderniß mehr entgegen zur Erde herab-
zusinkeu, und er kann also, von den Orten der Drnckmaxima
ausgehend, die ganze Höhe der Atmosphäre einnehmen. So
erhält die über der Passatzone angehäufte Luft vom 30. Grade
an einen reichlichen Abfluß.
Von hier an ist nun der Antipassat unter dem Namen
des Aequatorialstromes bekannt und bildet als solcher
die regelmäßigen südwestlichen Winde der nördlichen gemäßig-
ten Zone, welchen in der südlichen gemäßigten Zone nord-
westliche Winde entsprechen.
Die große Regelmäßigkeit dieser Luftströmungen ist be-
sonders wichtig für den Seefahrer, dem sie bei ihrem bestän-
digen Wehen einen ähnlichen Vortheil bieten, wie die Passate.
Er kennt die Gegenden, wo sie austreten, und er sucht sie
auf, um feine Fahrt zu beschleunigen. Die scheinbar weite
Umwege einschlagenden Fahrbahnen der Schiffe, welche um
das Cap uach Indien und China gehen, gewähren schnellere
Fahrt, weil sie günstigen Wind darbieten.
Die großen Lustmengen nun, welche diese Winde und die
Passatwinde den Gegenden der Druckmaxima beständig ent-
ziehen, werden fortwährend ersetzt aus der Luft, welche iu den
oberen Schichten der Atmosphäre vom Aequator aus in der
Richtung der Pole fließt.
Da nun an jedem Orte höchsten Druckes einem untern
Abfluß ein oberer Zufluß entspricht, so folgt daraus, daß
Gegenden, über welchen ein Druckmaximum liegt, zugleich
Orte des herabsinkenden Luftstromes sind.
An den Orten der Drnckmaxima herrschen, ebensowohl
wie unter dem aufsteigenden Luftstrome am Aequator, die
Windstillen vor, denn im Innern einer Gegend, von welcher
Windströmungen nach entgegengesetzten Richtungen ausgehen,
kann ebensowenig eine Lnstbewegung gefühlt werden, als im
Innern eines Blasbalges der Luftzug schon besteht, den wir
an seiner Mündung gewahren. Daher sind auch die Ge-
genden auf dem Meere unter dem 30. Grade der Breite
häufigeren Windstillen unterworfen und die Seefahrer be-
zeichnen sie mit dem besondern Namen der Roßbreiten (Horse
latitudes).
Es hat längerer Zeit bedurft, um das gleichzeitige We-
heu des Antipafsates oberhalb des Passatwindes zn erken-
nen, denn erst spät wurden die Vermuthungen, welche
man darüber hatte, durch verschiedene Wahrnehmungen be-
stätigt. Zu diesen gehört die Richtung des Wolkenzuges in
größeren Höhen, welche man zu beiden Seiten der Aeqnato-
rialzone noch erkennen kann; dann dienten die Ausbrüche
von Vulcauen, welche in der Passatzone beobachtet wurden,
dazu, diesen Nachweis zu liesern, indem die bis zu ungeheuren
Höhen emporgeschleuderten Aschenwolken eine ihrer ersten
entgegengesetzte Richtung einschlugen, nachdem sie eine be-
stimmte Höhe — oberhalb des Passatstromes — erreicht hat-
ten. Endlich ist auf hohen Bergen der obere Luftstrom uu-
mittelbar beobachtet worden: Die Besteiger des Pic von
Teneriffa, auf den Canarischen Inseln in 28° nördl. Br.,
fanden auf dem Gipfel in 10 000 Fuß Höhe immer einen
kräftigen Antipassat, während nnten der Passatstrom herrschte.
Der merkwürdigste Nachweis für das Vorhandensein eines
obern Luftstromes wurde aber durch das Mikroskop geliefert.
Es werden nämlich an verschiedenen Orten des westlichen
Mittelmeeres und auch in Tirol und der Schweiz von Zsit
zu Zeit staubartige Trübungen der Lust bemerkt, welche man
lange Zeit dem Staube zuschrieb, den der Wind aus der
afrikanischen Wüste mitführen sollte, bis Ehrenberg
diesen Staub mit dem Mikroskope untersuchte und darin
42
330 G. v. Liebig: Die geograpl
Geschöpfe nachwies, welche in den Äquatorialgegenden
Südamerikas vorkommen.
Diese Thatsache beweist zugleich, daß der AntiPassat nicht
erst in gemäßigten Breiten seine südwestliche Richtung erhält,
sondern daß er sie schon auf seinem Wege oberhalb des
Passatwindes besitzt, womit die übrigen schon erwähnten That-
sachen übereinstimmen. Der von dem Äquator nach den
Polen abfließende Luftstrom erfährt nämlich auf beiden Erd-
Hälften eine Ablenkung nach Osten; der Passatwind da-
gegen, ans dem Wege von dem Pole zum Aequator, erführt
umgekehrt eine Ablenkung nach Westen und tritt demnach als
nordöstlicher Wind auf der nördlichen und als südöstlicher
Wind auf der südlichen Erdhälfte auf. Es ist bekannt, daß
diese Ablenkungen eine Folge der von dem Aequator nach
den Polen abnehmenden Umdrehungsgeschwindigkeit der Orte
an der Erdoberfläche sind.
Wenden wir uns nun zu denjenigen Verhältnissen des
Luftdruckes, welche mit dem Wechsel der Jahreszeiten sich
ändern. Ihr Auftreten gründet sich auf die wechselnden
Wärmeverhältnisse zwischen Land und Meer: das Land,
welches unter den senkrechten einfallenden Sonnenstrahlen
sich stärker erwärmt als das Meer, und welches bei ver-
minderter Sonnenwärme schneller und tiefer erkaltet, ist im
Sommer wärmer, im Winter kälter als die umgebenden
Meere. Der Sommer zeichnet sich also dadurch aus, daß
über den am stärksten erwärmten Theilen des Festlandes mit
einem aufsteigenden Luftstrome Druckminima entstehen, welche
man ans der Karte an den hellgrünen Kreisen über den
Festlanden der südlichen Halbkugel erkennt, sie sind mit dem
Buchstaben m bezeichnet.
Dem über dem Lande verminderten Druck steht ein er-
höhter über dem Meere entgegen, es entsteht also von den
zunächst gelegenen Meerestheilen aus in den unteren Luft-
schichten eine örtliche Strömung, welche nach dem Lande ge-
richtet ist. Dieser Wind führt feuchtere Luft mit sich und
bringt den tropischen Ländern im Sommer ihre Regenzeit.
Wie wir sehen schließt sich unsere Karte der Isobaren
mit großer Genauigkeit an die Wärmeverhältnisse an, was
um so werthvoller ist, als die Thatsacheu, welche den beiden
Karten zu Grunde liegen, ganz unabhängig von einander
gefunden worden sind.
Die Übereinstimmung geht so weit, daß die verhältniß-
mäßig stärkere Abkühlung der Meeresoberfläche, welche wir
zwischen Afrika und Nordamerika bis in die Nähe desAequa-
tors reichend fanden, auch durch ihren Einfluß auf die Jso-
baren sich kund giebt. Der Einbiegung der Isotherme von
25° entspricht eine gleiche Einbiegung einer Isobare höhern
Druckes, von 762 Mm., bis nahe an den Aequator. Diese
Thatsache kann als Beweis dienen, daß auch bei unbedeuten-
den Wärmeuuterschieden der Oberfläche unter sonst gleichen
Umständen der höhere Druck stets über der kühlern Grund-
fläche sich ausbildet.
Um so ausgeprägter muß diese Erscheinung während des
Winters auf der nördlichen Halbkugel sich ausdrücken, wo
die ausgedehnten Festlande im Winter stark erkalten. Die
Bestätigung finden wir in der Ausdehnung der Linien des
höhern Druckes auf der nördlichen Erdhälfte, welche sich an
die Umrisse des erkalteten Festlandes anschließen, während die
Druckmaxima, Orte des höchsten Druckes und zugleich des
absteigenden Luftstromes, auf der Karte durch kleinere rothe
Ringe und den Buchstaben M angedeutet, in den Gegenden
liegen, wo die Isothermenkarte die größte Kälte anzeigt.
Die Druckverhältnisse der Meeresgebiete im höhern Nor-
den werden durch das Vorherrschen der stark erkalteten Land-
Massen in eigenthümlicher Weise beeinflußt.
In jenen Gegenden, wo die Wärmeunterschiede zwischen
che Vertheilung des Luftdruckes.
Land und Meer verhältnißmäßig am größten sind, nämlich
zwischen Island und Norwegen, sowie im nördlichen Stil-
len Meere, führt die Meereswärme, unterstützt durch den
aufsteigenden Wasserdampf, zur Bildung von Orten des auf-
steigenden Luftstromes, die zugleich Orte des geringsten
Druckes sind. Dieselben sind durch die kleineren grünen
Ringe und den Buchstaben m bezeichnet.
Vergleichen wir die Lage der Druckmaxima auf dem nörd-
lichen Festlande der alten Welt mit den Angaben der Jsother-
menkarte, so erkennt man leicht, daß durch die ausnehmend
starke Erkaltung der Luft in Ostasien die Bildung eines
Maximums im 30. Grade der Breite über dem asiatischen
Festlande verhindert werden muß. Die in dieser Richtung
rasch zunehmende Verdichtung der Lust bedingt eine Ver-
schiebnng des Maximums vom 30. Grade weiter nördlich
bis zur Gegend der größten Kälte, und seine genauere Lage
wird außerdem noch durch die Lage der beiden Druckminima
über den nördlichen Meeren beeinflußt.
Während des Winters bilden demnach die asiatischen
Landgebiete im Norden des 30. Breitegrades im Grunde
genommen eine Erweiterung der Passatzone, die sich vom
Meere auf das Festland und dort bis zum höhern Druck-
gebiet des nördlichen Asiens fortsetzt. Aehnliche Verhältnisse
findet man über dem nördlichen Amerika entwickelt, welches
gleichfalls ein winterliches Druckmaximum besitzt.
Auf dem asiatischen Festlande wird nördlich vom
30. Grade ein Herabsinken des AntiPassates verhindert durch
eine kräftige Luftströmung, welche, den größten Theil Asiens
überziehend, nach äquatorialen Gegenden gerichtet ist, genau
so wie über den Meeren der unten fließende Passatwind das
Herabsinken des Antipassates bis zum 30. Grade der Breite
verhindert.
Die von dem nördlichen Asien ausgehende und nach dem
Aequator gerichtete Luftströmung wird nun nicht mehr als
Passatwind bezeichnet, sondern sie erhält den Namen des
Polarstromes, obgleich sie nicht vom Pole herkommt, son-
dern vom nördlichen Festlande. Man erkennt oberhalb des
Polarstromes den entgegengesetzt fließenden Antipassat oder
besser Antipolarstrom in Sibirien und im nördlichen Amerika
an dem Zuge der obern Cirruswolkeu.
Nachdem wir nun die Vertheilung des Luftdruckes über der
nördlichen Erdhälfte kennen gelernt haben, hat es keine Schwie-
rigkeit, die Richtung der daraus entstehenden Winde zu verfolgen.
Die Winde, welche ans dem asiatischen Druckmaximum ihren
Ursprung nehmen, sind trocken und kalt, weil sie vom erkal-
teten Lande kommen. Sie ergießen sich hauptsächlich nach
dem Aequator und nach dem nahe gelegenen Druckminimum
des nördlichen Stillen Oceans und ertheilen den ostasiatischen
Küstengegenden, vom Ochotskischen Meere bis zum südöst-
lichen China, ihre bekannten rauhen Klimate. Indien ist
durch hohe Gebirgszüge gegen diese Winde geschützt.
Blicken wir auf das nordwestliche Asien und auf Europa,
fo finden wir dort, wie schon oben angegeben, den Aequato-
rialstrom herrschend, der dem Polarstrom zur Seite fließt,
aber in entgegengesetzter Richtung. Ursprünglich von dem
atlantischen Druckmaximum im 30. Breitegrad ausgehend
und nach dem isländischen Druckminimum gerichtet, wird er
durch die Erdumdrehung östlich abgelenkt und überzieht als
südwestlicher und westlicher Wind die europäischen Länder,
in manchen Jahren dehnt er seine Herrschaft bis nach West-
sibirien hin ans. Der Aequatorialstrom hat eine größere Ge-
schwindigkeit als der Polarstrom, weil der Drnckunterschied
zwischen dem atlantischen Maximum und dem isländischen
Minimum im Verhältniß zur Entfernung ein größerer ist,
als die Druckunterfchiede, welche den Polarstrom bedin-
gen. Die Luft, welche er mit sich führt, kommt vom At-
Dr. Carl Sachs'
lantischen Meere und aus Süden, sie ist daher wärmer,
feuchter und specisisch leichter, als die Luft der nördlicheren
Gegenden des Festlandes: dennoch aber verdrangt sie diese
unter der Gewalt der ihr ertheilten Bewegung. Dabei
bringt sie uus einen geringem Barometerstand, größere
Wärme, Regen oder Schnee.
Da wo sich die Grenzen des Aequatorialstromes und
des ihm entgegengesetzten Polarstromes berühren, verschieben
sie sich gegenseitig hin und her, uud uicht immer ohne ge-
waltsame Einbrüche. Es kommt regelmäßig vor, daß von
Zeit zu Zeit, nach längerm Wehen des Aequatorialstromes
die Druckunterschiede zwischen dem atlantischen Maximum
und dem inländischen Minimum sich vermindern, und wenn
dies der Fall ist, läßt die Kraft des äquatorialen Windes nach.
Es können dann die kalten Ströme des nördlichen Asiens
auf ihrem Wege nach Süden über ihre gewöhnlichen Gren-
zen sich ausdehnen und Europa überziehen. Sie verdrängen
den Aequatorialstrom zur Seite uud nach oben, und indem
sie den Raum an der Erdoberfläche in den uutereu Luft-
schichten einnehmen, erhöhen sie den Barometerstand uud
bringen trockene Kälte.
Diesem Wechsel der beiden Luftströmungen verschiedenen
Ursprungs verdanken wir unsere regelmäßig wiederkehrenden
Witterungswechsel bis ins Frühjahr hinein, deren ich in der
Einleitung gedacht habe.
Ich will nun noch kurz der Verhältnisse des Sommers
Reise in Venezuela. 331
gedenken, so weit sie Europa berühren. Im Sommer ver-
schwindet das ostasiatische Druckmaximum, dagegen bildet
sich über dem Mittlern Asien ein aufsteigender Luftstrom, der
dem größten Theile Asiens seine Regenzeit bringt, indem er
örtliche Winde heranzieht, welche von den Meeren nach dem
Lande gerichtet sind. In Europa wird dessen Einfluß inso-
sern gespürt, als bestimmte nordeuropäische Gebiete im Som-
mer regelmäßig auch Regen mit Nordwestwinden erhalten.
Es wurde schon erwähnt, daß das nordatlantische Druck-
Maximum, welches im Winter über dem 30. Grad der Breite
liegt, auch int Sommer, bestehen bleibt, allein in der Gegend
des winterlichen Minimums zwischen Island und Nor-
wegen wird im Sommer der Druck ein höherer. Gleich-
wohl wird der Druckunterschied, welcher den Aeqnatorial-
ström bedingt, auch im Sommer im Verhältniß zur Entser-
nung nicht wesentlich geändert, denn in Folge der stärkern
Erwärmung der nördliche» Erdhälfte rückt im Sommer das
nordatlantische Maximum um etwa 10 Breitegrade weiter
nach Norden und der größere Theil Europas bleibt deshalb
auch im Sommer unverändert in der Bahn des Aeqnatorial-
stromes.
Europa verdankt diesem Vorherrschen der Winde des
Aequatorialstromes während des ganzen Jahres die Verthei-
lnng seines Regensalles über alle Jahreszeiten und den vor-
zugsweise milden Charakter seines Klimas.
Dr. Carl Sachs'
Am 24. April war die Lancha „el Apure" reisefertig,
und Dr. Sachs schaffte sein Gepäck, eine Kiste mit sechs
lebenden Gymnoten eingeschlossen, an Bord und versah sich
mit Conserven, um auf alle Fälle gegen Mangel geschützt
zu seiu, und einem mächtigen Quantum von Aguardiente
blanco, um damit die Bootsmannschaft sich geneigt zu machen.
Schwer betrunken fand sich dieselbe am Abend gleichfalls ein,
löste die Taue und stieß ab. Sechs schwere, etwa 20 Fuß
lauge Ruder waren am Vordertheil angebracht; jedes der-
selben reichte vom Wasser bis nach dem entgegengesetzten
Rande des Fahrzeuges und wurde von einem Matrosen
stehend gehandhabt. Der mittlere Theil der Lancha war von
einem niedrigen, aus Palmblättern hergestellten, mit getheer-
tem Tuch gedeckten Dach, Caroza genannt, überwölbt; dar-
unter befand sich der Raum für die Passagiere, über dem
Dach aber saß der Patron, der den Tact zum Rudern gab
uud mittels einer Leine das Steuer lenkte. Der Hintere
Theil des Verdeckes endlich war hauptsächlich den Perrich-
tuugen des Koches, der den pomphaften Titel Maestro führte,
gewidmet und mit einem kleinen Kochofen versehen. Wäh-
rend sie abführe», sammelte sich einiges schwarzes Gesindel
am Ufer und sandte ihnen eineFlnth der kräftigsten Schimpf-
und Spottreden nach, welche von den Matrosen mit der größ-
ten Virtuosität erwidert wurden. Je weiter sich die Lancha
entfernte, desto lauter erhoben die Schreienden ihre Stimme,
um sich der andern Partie verständlich zu machen; jeder Satz
wimmelte von den sonderbaren Krastausdrückeu, mit denen
die spanische Sprache in Südamerika bereichert worden ist.
Diese eigentümlichen Abschiedszärtlichkeiten gehören not-
wendig zur Abfahrt einer Lancha; die Matrosen würden es
Reise in Venezuela.
als eine unglückliche Vorbedeutung für ihre Fahrt ansehen,
wenn sie einmal nicht mit der gewöhnlichen Anzahl kräftiger
Flüche vom Lande abstoßen sollten.
Nachdem man einige Zeit gerudert hatte, wurde das
Fahrzeug am User sestgebuudeu und jeder legte sich schlafen,
wo er gerade Platz fand. Am nächsten Morgen brach man
zeitig auf; Sachs stieg auf das Dach der Caroza, um die
erfrischende Brise zu genießen, die sich kurz vor Sonnenauf-
gang erhoben hatte. Die Ufervegetation war hier ziemlich
einförmig: niedrige Gebüsche bildeten überall eine nndnrch-
dringliche, dicht an den Wasserspiegel heranreichende grüne
Mauer, über welcher sich im Hintergründe die weit ansge-
breiteten Kronen stattlicher Samans oder Ceibabäume er-
hoben. Abgesehen von den Schlingpflanzen, den Luftwurzeln
nnd den parasitären Gewächsen, die man bei einer ober-
sachlichen Betrachtung leicht übersieht, hätte man sich ebenso
gut an den Gestaden irgend eines deutschen Flusses glauben
können als an denen des Apure. Jene sprichwörtlich gewor-
dene Ueppigkeit und Pracht der Tropeunatnr entfaltet sich
nur dann, wenn die beiden Bedingungen pflanzlichen Gedei-
hens, Feuchtigkeit und Fruchtbarkeit des Bodens, zusammen-
treffen. In Venezuela sind die nebligen Abhänge der Cor-
dilleren und vor allem die ewig feuchten Wälder des Orinoco-
Delta als derartige Gebiete zu nennen. Dort freilich wird
auch alles, was die kühnste Phantasie an überwältigendem
Reichthum pflanzlicher Gestalten sich auszumalen vermag,
durch die Wirklichkeit weit übertroffen.
Die User des in schnellem Steigen begriffenen Apure
boten ein Bild der vollkommensten Einsamkeit; nur selten
tauchte der lange gelbliche Körper eines schwimmenden Kro-
42*
332 . Dr. Carl Sachs'
kodiles mit Rücken und Schnauze aus dem Wasser, und auch
von Vögeln, welche Sachs auf seiner ersten Flußreise von
Camaguan nach San Fernando in so ungeheueren Mengen
gesehen hatte, war wenig zu erblicken. Während des ganzen
Tages kamen sie höchstens zwei bis drei Mal an ärmlichen
Ranchos vorüber, die von kleinen Conucos (Pflanzungen)
umgeben waren. Die Matrosen erhoben dabei zur Begrü-
ßuug jedesmal ein unsinniges Geschrei, worin ihnen die vor
ihre Thür eilenden Bewohner der Hütte nichts nachgaben.
Mit Spaßen und Schimpfworten von wahrhaft vorfintflnth-
licher Derbheit tractirte man sich, bis keine Partei mehr die
andere verstehen konnte. Die wenigen Bewohner dieser
Niederlassungen waren von indianischer Abkunft, gingen jedoch
nach der gewöhnlichen Landessitte gekleidet.
Kurz nach Sonnenuntergang dieses zweiten Tages wurde
die Gabeltheilung des Apure erreicht, und die Lancha lief in
den nördlichen der beiden Arme ein, welcherApnrito heißt
und den Rio Guarico aufnimmt. Eine gewaltige Strö-
muug, die viel stärker ist als in dem andern Arme, und deren
Ursache Sachs nicht ermitteln konnte, erfaßte hier das Fahr-
zeug und trieb es mit der Schnelligkeit eines Dampfers vor-
wärts, so daß die Mannschaft alle Vorsicht anwenden mußte,
um nicht beständig im Kreise gedreht oder gegen das User-
getrieben zu werden. Von den beiden Armen des Apure,
welche gesondert in den Orinoco münden, wird eine große
längliche Insel, Isla de Apurito genannt, umschlossen, welche
mehrfach von verbindenden Caüos durchbrochen wird. Ihr
Boden ist von außerordentlicher Fruchtbarkeit und erzeugt
während des ganzen Jahres Weidegräser von vorzüglicher
Beschaffenheit, weshalb die Insel als Potrero für das Rind-
vieh zur Trockenzeit von großem Werthe ist.
Im Fluge wurde die schöne breite Mündung des Gua-
rico Passirt; an die Stelle des dichten Waldes, der bisher
die Ufer eingesäumt hatte, trat jetzt Savannenvegetation.
Doch zwang bald die hereinbrechende Nacht zur Unterbrechung
der Fahrt. Am folgenden Abend wurde die Stelle erreicht,
wo sich vom Apurito der Caüo Manatl abzweigt, durch
den die Lancha in den Hauptstrom zurückzukehren gedachte,
ein Unternehmen, welches der Patron bis auf den nächsten
Tag verschob. Der Cano hat seinen Namen erhalten vom
Manati (Manatus australis), einer Süßwassercetacee, welche
früher daselbst häufig gewesen sein soll, jetzt aber nur noch
selten angetroffen wird. Er ist berühmt wegen seiner enorm
reißenden Strömung; selbst Dampfer sollen stromaufwärts
nur mit der größten Schwierigkeit dagegen ankämpfen können.
Als sie am nächsten Morgen in diesen kaum 100 Fuß brei-
ten Cano einliefen, sah Sachs ein, daß der Patron mit seiner
Vorsicht Recht gehabt hatte. Denn mit rasender Schnellig-
keit schoß das Fahrzeug dahin; an jeder Biegung aber wurde
es durch die im Wasser vorhandenen Strudel blitzschnell im
Kreis herumgetrieben, während der Patron am Steuer und
die mit Stangen und Rudern versehene Mannschaft alle
Vorsicht aufbieten mußten, um zu vermeiden, daß der Boden
des Fahrzeuges durch Anrennen gegen herabgestürzte, aus
dem Wasser ragende Uferbäume beschädigt würde. Jm Ver-
lauf einer Stunde hatte die Lancha, oft fast mit der Gefchwin-
digkeit eines Eisenbahnzuges fortgetrieben, den Cano passirt,
was stromaufwärts oft mehrere Tage in Anspruch nimmt,
und lief in den breiten ruhigen Apure ein, unweit von dessen
Mündung ein Rasttag gemacht wurde, um das Schiff für
die Reise auf dem Orinoco mit einem Mäste und einem Sc-
gel zu versehen. Dann ließ man sich langsam der Mündung
zutreiben, und schon nach einer halben Stunde lag die Herr-
liche breite Wasserfläche, der Orinoco, vor ihnen. Rafch
wurde das Segel aufgehißt, um mittels der Brise in die
Mitte des Stromes zu kreuzen. Eine scharfe Linie trennte
Reise in Venezuela.
das dunkelgelbe Wasser des Apure von den klaren, fast färb-
losen Fluthen des Hauptstromes. Wie ein Meer war seine
weite Fläche vor ihnen ausgebreitet. Ein schmaler, ver-
waschener gelber Streifen in weiter Ferne verrieth die san-
digen Playas des jenseitigen Ufers, während der Horizont
dahinter von einem dunkelgrünen Waldessaume eingenommen
wurde. Die Täuschung, daß man in die offene See hinaus-
steuere, wurde vermehrt durch die plötzlich in beträchtlicher
Stärke austretende Brise, welche über die weite Fläche ohne
Widerstand dahinbrauste. Der Richtung des Stromes ent-
gegengesetzt wühlte sie schäumende Wellen bis zur Höhe von
mehreren Fuß auf, daß die kleine Lancha wie eine Nußschale
umhergeworfen wurde und in allen ihren Fugen krachte.
Der Orinoco ist der dritte unter den großen Strömen
Südamerikas; seine volle Stromesentwickelung wird gewöhn-
lich zu 320 deutsche Meilen angegeben, was jedoch nach
neueren Ermittelungen über den Ort seines Ursprungs zu
niedrig veranschlagt erscheint. Sein Flußgebiet umfaßt einen
Flüchenraum von 17 331 Quadratmeilen; ^/z davon gehören
zu venezolanifchem Gebiet, von dem sie mehr als die Hälfte
ausmachen. 436 Flüsse, darunter mehrere vom Range der
Donau, wie der Meta, Apure, Carony, und mehr als 2000
Flüßchen führen ihre Gewässer dem Orinoco zu, der bei An-
gostura nach Codazzi's Schätzung durchfchnittlich 240 000
Cubikfuß in der Secuude ergießt, was etwa der Wassermasse
des Ganges gleichkäme. Aber wie steht es mit den Fort-
schritten der Cultur an seinen Ufern? Die Missionen der
Franziskaner und Capuziner sind in den Unabhängigkeits-
kriegen allmälig zu Grunde gegangen, und an die Stelle der
Mönche, welche ein friedliches Regiment in den Dörfern
führten und die Eingeborenen vor der verderblichen Berüh-
rnng mit den Weißen schützten, traten Regiernngscommissare,
welche ihr Amt nur benutzten, um mit der größten Habsucht
und Treulosigkeit die schutzlosen Indianer auszubeuten. Gleich
Sklaven mußten diese für ihre Bedränger arbeiten und ihnen
die Producte ihrer Industrie fast ohne allen Entgelt abliefern,
bis sie endlich, das unabhängige Leben in den Wäldern vor-
ziehend, die Missionen verließen. Die davon unterrichtete
Regierung vermochte aber keine Abhülfe zu schaffen. Leider
haben sich aber mit dem Verfall der Jndianerniederlafsuugen
die Aussichten für eine dereinstige Cnltivirung Guyanas
sehr vermindert, weil die weiße Race allein dort nur an
wenigen Punkten mit Erfolg colonisiren könnte und nur
Indianer dauernd die Schwierigkeiten zu überwinden ver-
möchten, welche die Bösartigkeit des Klimas, die ungeheuere
Menge der blutsaugeuden Jnsecten und die undurchdringliche
Dichte der Urwälder darbieten. Kein Kolonisationsversuch
an den Ufern des obern Orinoco könnte von Erfolg fein,
wenn es nicht gelingt, die indianische Race als arbeitende
Klasse, als Kern der Bevölkerung heranzuziehen. Dem ist
aber bis jetzt systematisch entgegengearbeitet worden. Ihre
Zahl ist seit einer Reihe von Decennien in stetiger Abnahme
begriffen, und man dürfte schwerlich fehl gehen, wenn man
der systematische»: Verführung zum Genüsse starker, mit be-
täubenden Substanzen versetzter Branntweine, deren sich die
Weißen bedienten, um die Indianer desto leichter auszubeuten,
einen großen Antheil hieran zuschreibt. Die Ueberlebenden
aber hassen ihre Bedränger und mißtrauen ihnen, und es
wird langer Zeit und vieler Mühe bedürfen, um diese
Empfindungen zu verwischen. Ob aber die venezolanische
Regierung überhaupt zu irgend welcher Anstrengung in der
bezeichneten Richtung geneigt ist, ist eine keineswegs über
alle Zweifel erhabene Frage.
Am ersten Tage der Schifffahrt auf dem Orinoco ge-
langte Sachs nach dem Städtchen Caycara, dessen circa
1000 Einwohner einen ziemlich lebhaften Handel betreiben,
Dr. Carl Sachs'
den die glückliche Lage des Ortes am Vereinigungspunkte des
Apure und obern Orinoco begünstigt. Gegenstände des
Handels sind Schildkröteneier, Hängematten, die aus den
Fasern der Chiquichique-Palme gedrehten, sehr dauerhaften
und auf dem Wasser schwimmenden Taue, vornehmlich jedoch
die aromatischen Tonga-Bohnen (Frucht von Dipterix odo-
rata), hier Sarrapia genannt, welche am rechten Ufer des
Orinoco in bedeutenden Massen vorkommen, nach Europa
exportirt werden und als aromatische Beimischung zum
Schnupftabak dienen. Unterhalb des Ortes ändert der Ori-
noco seine bis dahin nördliche Richtung und fließt von nun
an in einer durchschnittlichen Breite von 3/4 deutschen Mei-
len bis zu seiner Mündung nach Osten; der Anblick des
Stromes, der, Morgens von der Brise aufgeregt, hohe schau--
meude Wellen wirft, so daß es ein tolles Wagniß wäre, ihn
mit kleinen Booten zu befahren, während er Mittags ruhig
mit spiegelglatter Oberfläche dahinfließt, ist überall von un-
beschreiblicher Majestät. Anfangs waren beide Ufer von
Bergen begrenzt; bald aberzeigten sie denselben gleichmäßigen
waldigen Charakter, wie die des Apure. Die Nächte waren
so hell und klar, daß die Fahrt fast stets während derselben
fortgesetzt werden konnte; ohne zu rudern hielt man das
Schiff lediglich in der Mitte des Fahrwassers und ließ es
von der rapiden Strömung forttreiben. Am Mittag des
vierten Tages gelangte man an die etwa 20 Meilen ober-
halb von Cindad Bolivar gelegenen Stromschnellen, deren
gefährlichere, el Jnfierno (die Hölle) genannt, zur Passage
gewählt wurde, und erreichte am sechsten den vortrefflichen
Hafen von Ciudad Bolivar. Zunächst fuhr man an der
westlichen Vorstadt, dem sogenannten Perro seco, vorüber,
in welchem vornehmlich die ärmere, farbige Bevölkerung
wohnt. Es war die erste Stunde des Tages, und die schwar-
zen Userfelfen boten einen interefsanteu Anblick, da eine ganze
Anzahl von Frauen und Mädchen auf ihnen beschäftigt war,
sich für die kommende Hitze des Tages durch ein Bad zu
stärken. Während die einen sich der Kleider entledigten, wa-
ren die anderen bereits beschäftigt, sich am User stehend das
lauwarme Wasser des Stromes mittelst großer Kalabassen
über Kopf und Körper zu gießen. Andere endlich ordneten,
in den romantischsten Stellungen a 1a Loreley ans den schwar-
zen Felsen sitzend, ihre langen rabenschwarzen Haare. Die
Marineros hielten die Lancha dicht am Ufer und ermangel-
ten nicht, die badenden Schönen mit einigen Bonmots von
urwüchsiger Kraft und Deutlichkeit zu bedenken, worauf jene
die Antwort keineswegs schuldig blieben.
Ciudad Bolivar bildet die äußerste Grenze der oceanischen
Ebbe und Fluth und kann von Seeschiffen mäßigen Tief-
ganges das ganze Jahr hindurch, während des Hochwassers
aber, welches Mitte April beginnt uud Mitte August seinen
höchsten Stand erreicht, selbst von den allergrößten Fahrzen-
gen erreicht werden. Der Strom steigt alsdann 40 bis
50 Fuß über das Niveau des niedrigsten Wasserstandes und
die Strömung erreicht eine fast unheimliche Schnelligkeit und
führt zahlreiche Bäume und selbst ganze Strecken des Ufers
mit sich.
Die Hauptstraße des 8486 Einwohner zählenden Ortes,
Calle de Coco, welche sich am Flußufer hinzieht, ist der Sitz
des meist in deutschen Händen befindlichen Handels, deshalb
wohlgepflastert und mit eleganten, der Landessitte zuwider
meist zweistöckigen Häusern und Geschäftslocalen versehen.
Die sämmtlichen in sie mündenden Querstraßen steigen da-
gegen stark an, da die Stadt terrassenartig am Abhänge eines
200 Fuß hohen Hügels von Hornblendeschiefer aufgebaut ist.
Bolivar vermittelt Aus- und Einfuhr der Binnenprovinzen:
exportirt werden Banmwolle, Tabak, Kakao und Kaffee aus
dem Staate Zamora (früher Provinz Varinas), Rinderhänte,
Reise in Venezuela. 333
Reh- und Jagnarselle aus den Llanos, Kautschuk und Dro-
gnen aus Guyana selbst und das in den Minen von Caratal
gewonnene Gold, dessen Menge stetig zunimmt. Anderer-
seits gelangen alle Erzeugnisse ausländischer Industrie und
das in den Salinen von Cnmana gewonnene Salz ans dem-
selben Wege nach den Provinzen des Innern. Dieser Han-
del ist so bedeutend, daß schon 1857 die Donane von Bolivar
trotz des starken Schleichhandels fast eine Million Pesos ein-
nahm und die nordamerikanische Gesellschaft, welche seit den
vierziger Jahren das Monopol der Dampfschifffahrt auf dem
Orinoco und allen Nebenflüssen desselben besitzt, vortreffliche
Geschäfte macht. Leider beutet sie ihr Vorrecht zum Nach-
theil des Landes in der Weise aus, daß sie nur diejenigen
Strecken befährt, welche notorisch einen hohen Gewinn ab-
werfen; andererseits ist freilich nicht zu leugnen, daß der
Geschäftsbetrieb häufig unter den chronischen Revolutionen
im Lande viel zu leiden hat.
Wenn Bolivar durch seineu lebhaften Handel, durch das
Zuströmen vieler Fremden und namentlich Goldsucher und
durch die feinen Formen der bessern Gesellschaft vollkommen
das Abbild einer europäischen Stadt bietet, so wird man doch
täglich durch das Erscheinen von Indianern daran erin-
nert, daß man sich an der Grenze eines unerforschten, wil-
den Landes befindet. Fast jeden Tag landen in Bolivar eine
oder mehrere große Canoas mit Indianern beiderlei Ge-
fchlechts, welche die Erzeugnisse ihrer kleineu Industrie und
ihres Laudbaues verkaufen und Messer, Aexte, Angeln n. s. w.,
vor allem aber bunte Glasperlen einhandeln wollen. Es
sind theils Cariben, die am linken Ufer des Orinoco in klei-
nen Niederlasfungen zerstreut lebeu, theils Guaraunos aus
dem Orinoco-Delta. Wie auf der Wanderung, so gehen sie
auch in den Straßen der Stadt einer hinter dem andern, die
Männer voraus, die schwer bepackten Weiber und Kinder
hinterdrein. Die ersteren tragen einen langen Streifen eines
blauen Stoffes um Lenden und Schultern geschlungen, so
daß Arme und Beine frei bleiben; für die Frauen und Mäd-
chen besteht in Bolivar eine gesetzliche Verordnung, wonach
sie nur bekleidet die Stadt betreten sollen. Häufig tragen
sie denn auch Röcke aus bunten Stoffen, die von den Schul-
tern bis zu den Knöcheln reichen; ebenso häufig aber kommen
sie, ohue daß jemand daran Anstoß nähme, in ihrem Na-
tionalcostüm nach der Stadt. Außer den Perlenschnüren
um die Arme tragen sie dann nur ein kleines Schürzchen aus
baumwollenem Stoffe, welches kuapp den dringendsten An-
fordernngen des Berhüllens genügt; es ist kaum größer als
ein Handteller und wird durch eine um die Hüften geschlnn-
gene Schnur befestigt. Mit großer Zähigkeit hält diese Race
an ihren überlieferten Begriffen von Schönheit und Anstand
fest. Nie wird eine Indianerin, selbst aus Niederlassungen,
welche häufigen Verkehr mit den Weißen haben, es unter-
lassen, ihr Gesicht mit rother Onotosarbe anzumalen, bevor
sie mit anderen Leuten zusammentrifft. Diese Bemaluug,
welche gegen die natürliche Bronzefarbe der Haut fcharf ab-
sticht, wird bald in Form eines breiten Bandes über Wan-
gen und Nasen, bald in zwei runden Flecken oberhalb der
Augenbrauen angebracht. Die langen schwarzen Haare wer-
den meist schlicht herabhängend getragen; die Mädchen kam-
men jedoch die vordersten Haare über die Stirn nach vorn
und schneiden sie ein paar Finger breit über den Augen-
brauen quer ab, so daß die größte Ähnlichkeit mit einer
Haartonr, die auch bei den civilisirten Europäerinnen sehr
beliebt ist, entsteht. Sehr kräftig waren die Indianer, welche
Sachs in Bolivar sah, nicht, doch normal proportionirt bis
ans den hervortretenden Unterleib, welcher wohl eine Folge
der überwiegend pflanzlichen Nahrung ist. Die Frauen er-
schienen durchweg erheblich kleiner als die Männer. Die
334 Oschanin' s Expe
Gesichtszüge sind von ernstem, melancholischem Charakter
und stehen dem Typus der kaukasischen Race ungleich näher,
als diejenigen des Negers. Schön aber, wie C. F. Appnn,
kann man die Indianerinnen nicht nennen; erträglich wäre
das höchste Prädicat, was Sachs einzelnen zuerkennen würde.
Ihre Sitten haben sich überall da, wo sie mit den Weißen
verkehren, nicht zum Vortheil geändert; von den unabhängig
gen Stämmen des Innern wird dagegen versichert, daß sie
sich, abgesehen von der allgemein verbreiteten Polygamie, einer
großen Sittenreinheit erfreuen.
Auch in Bolivar bildete die weitere Erforschung des
Zitteraales und namentlich Erkundigungen über seine Fort-
pflanznngsweise des Neiseuden hauptsächlichste Beschäftigung.
Freilich gelang ihm dort nur der Fang eines einzigen Thie-
res; doch traf er Maßregeln, daß ihm Tembladoren nach
Berlin nachgeschickt würden. Jene sechs Exemplare, welche
er schon besaß, überstanden zwar die Seereise bis Bremen
vortrefflich, aber die kurzen heftigen Stöße des Eisenbahn-
Wagens verletzten die zarte Haut der Thiere dermaßen, daß
sie in Berlin binnen drei Tagen insgesammt umstanden.
Am 3. Juni begab sich Dr. Sachs an Bord eines der
kleinen Dampfer der Orinoco-Compagnie, der ihn nach Tri-
nidad bringen sollte. Die Regenzeit war bereits in voller
Stärke hereingebrochen, und fast jeden Tag strömte 1 bis
2 Stunden lang eine wahre Sintfluth vom Himmel herab.
Statt des Ostwindes, welcher während des größern Theiles
des Jahres im ganzen Gebiete der Llanos herrscht, wehte
jetzt ein ziemlich kräftiger Westwind, von dm Eingeborenen
Varines genannt, welcher im Vereine mit der Strömung
den den Orinoco hinauffahrenden Segelschiffen einen fchwe-
ren Stand bereitet. Der zweite Tag dieser Fahrt war
einer der genußreichsten der ganzen Reise. Der Dampfer
war bereits vor Tagesanbruch in den Cano Macareo,
einen der westlicheren und bedeutenderen Arme des Orinoco-
deltas, eingelaufen. Seine Breite beträgt durchschnittlich
etwa 1000 Fuß, oft aber auch viel weniger. Zahllose
kleinere Canos zweigen sich vom Hauptstrome ab und bilden
Verbindungen zwischen den verschiedenen größeren Strom-
armen, so daß ein labyrinthisches Netz kleiner Wasserläufe
entsteht, von dem keine noch so genaue Karte eine Borstel-
lung geben kann. Die Ausdünstungen desselben im Vereine
mit dem von der nahen Küste her wehenden Seewinde be-
ion nach Karategin.
wirken, daß die Atmosphäre über dem 400 Quadratmeilen
betragenden Terrain des Delta ewig mit Wasserdämpfen
gesättigt bleibt. Es ist die feuchte warme Luft eines Treib-
Hauses, welche beständig über diesem Lande rnht, aber eines
gewaltigen, grenzenlosen Treibhauses, dessen Dach der tief-
blaue Tropenhimmel ist. Vier Terrassen unterscheidet man
in dem Aufbau dieses großartigen Gemäldes. Die Ober-
fläche des Stromes, in der Nähe des Ufers, ist mit Wasser-
gewachsen bedeckt, welche als zierlich geknotete Stengel mit
pseilförmigen Blättern emporragen oder mittels des zu einem
Luftballon aufgetriebenen Blattstieles sich schwimmend erhal-
ten; darüber baut sich etagenweis in undurchdringlicher Fülle
der Urwald auf. Zunächst dem Wasserrande ziehen sich
niedrige Gebüsche hin, prangend in buntem Blüthenreichthnm,
der weniger ihnen selbst, als den sie bedeckenden zahllosen
Schmarotzergewächsen angehört; dahinter erheben sich hoch-
stämmige Baumriesen, der tonnenartig aufgeschwollene Ceiba,
die mit kolossalen, strebepfeilerartigen Seitenrippen versehenen
Ficusarten, der gigantische Algarrobo und zahllose andere
Magnaten des Waldes. Von fern gesehen bilden die ver-
schlungenen Laubkronen eine ununterbrochene dunkelgrüne
Mauer, über welche als anziehendster Punkt in dem ganzen
Gemälde die hier in ungeheuerer Menge meist gruppenweise
auftretenden Palmen ihre durch das helle Grün lebhaft gegen
die Umgebung abstechenden Kronen erheben. Nicht müde
wurde Sachs, die Lianengnirlanden, die zahllosen Orchideen
und die mannigfache Bildung der Luftwurzeln zu bewundern
und bedauerte nichts mehr als die Schnelligkeit, mit der das
Schiff durch die vereinte Kraft des Dampfes und der Strö-
muug bei diesen prächtigen Bildern vorübergetrieben wurde.
Mit Wehmnth nahm er Abschied von der Herrlichkeit der
Tropen, als kurz vor Sonnenuntergang der Dampfer die
Mündung des Cano verließ und durch die schmale Serpent's
mouth. genannte Straße in die Gewässer des Golfes von
Paria einfuhr. Am nächsten Morgen ging der Dampfer
auf der Rhede von Port of Spain auf Trinidad vor Anker,
und Ende Juni landete Sachs in Bremerhafen.
Wir wollen aber nicht schließen, ohne nochmals unsere
Leser zu bitten, sich durch eingehendere Lectüre des reizenden
Buches die Bekanntschaft eines der besten neueren Reisewerke
zu verschaffen.
Oschanin's Expei
V — y. VonKarategiu sagt Hnle in seiner Einleitung
zn Wood's Reise ins Quellengebiet des Oxns nicht mit
Unrecht, daß es zu den wenigst bekannten Regionen Asiens
gehört, und in Hinsicht der Dunkelheit, in welche es gehüllt
ist, nur von einigen Theilen Tibets übertroffen wird. Wenn
er daher in seinem ausgezeichneten Essay sich theils auf
Jstachri, Edrissi und andere alte geographische Schriften,
theils wieder anf die nach Hörensagen gesammelten Nachrich-
ten moderner Reisenden bezieht, so thaten die Russen, die nn-
mittelbaren Nachbaren des rätselhaften Gebietes, bisher auch
nichts anderes, als die Aussagen von Karateginern und
Galtscha's aus Matschin zu sammeln, und, wie G.Arend a-
renko im 9. Hefte des VII. Jahrganges der „Russischen
Revue" gethan, der Öffentlichkeit zu übergeben. Mit einer
um so größern Freude begrüßen wir das jüngst begonnene
Unternehmen, nämlich die wissenschaftliche Expedition nach
tion nach Karategin.
Karategin, die unter Leitung des russischen Reisenden Oscha-
nin über Taschkurgan sich im vergangenen Sommer auf
den Weg gemacht hat, und nun ihren ersten Bericht in der
Form eines aus Karatag vom 23. August datirten Briefes
in der Taschkender Zeitung veröffentlicht. Wir entnehmen
demselben folgende interessante Daten.
Von Jekebag (nicht Jakkobag x) ging der Weg am gleich-
namigen Flusse entlang, der hier durch niedere Vorgebirge
hinzieht, nach dem nur 20 Werst entfernten Haidar-Bnlak
am rechten Ufer besagten Flusses, dem gegenüber etwas wei-
i) Jeke-bag heißt einzelner Garten, während Jakkobag
ohne jegliche Bedeutung ist. Leider scheinen die Russen sich dar-
auf zu verlegen, die topographische Nomenclatur Centralasiens
aufs Unkenntlichste zu verstümmeln. Fast alle geographischen
Namen sind fehlerhaft wiedergegeben. Vergl. übrigens die Karte
von Hissar in „Globus" XXXI, S. 9.
Erdth eilen. 335
Von Taschkurgan ging die Expedition nach dem Quellen-
gebiet des Sang-Gardak, speciell nach dem 20 Werst ent-
fernten Sarim-Saglik ^) über den 11 000 bis 12 000 Fuß
hohen Paß Lagari-Murda, der hinsichtlich der abnormen
Schwierigkeit, namentlich was den Abhang anbelangt, selbst
dem unwegsamen Karakazuk-dawan (Paß des schwarzen
Pfahles) nicht nachsteht. Von Sarim-Saglik gelangt man
nach einem 10 Werst langen Marsche nach Bagtsche, eben-
falls auf einem schweren, über schmale Carniese führenden
Wege, inmitten so dichter Waldungen, daß sie in ganz Tnr-
kestan nicht ihres Gleichen haben. Die vorherrschenden
Baumarten sind Fichte, Ahorn, Weißdorn, Beinholz, Birn-
bäum und eine besondere Gattung von Esche; auch ist hier
eine Gattung bisher noch nicht beschriebener wilder Wein-
Aus allen
ter unten der Ort Patar sich befindet. Die zweite Station
war Taschkurgau, in der Luftlinie wohl nur 10, aber auf
der Straße 24 Werst entfernt und zwar auf einem höchst
mühsamen, durch den Engpaß Tschakman-kujdi (— es hat
Blitze gegossen) circa 8000 Fuß hoch ansteigenden Pfade,
der aber noch verhältnißmäßig besser ist, als der über schmale
Bergcarniese und schlechte Brücken führende Winterweg.
Taschkurgan selbst liegt am rechten User des Jekebag-Flusses,
uicht weit von dessen Vereinigung mit dem Kelan Schiran
(Schirab?), und ist ein armseliges Dorf, das höchstens aus
150 Gehöften besteht. Hier erst stellte es sich heraus, daß
es nach Karatag (nordwestlich der Stadt Hissar), dem ersten
Ziele der Expedition, gar keinen directen Weg gebe, nnd daß
man über Sarüdschui (gelber Fluß) wohl äuch noch aus
Umwegen gehen müsse. Es erwuchs jedoch aus diesem Um-
stände ein Vortheil, nämlich die Rectisicirnng der Karte,
indem es sich herausstellte, daß das Quelleugebiet des Kette-
und Kitschi-Uru-darja früher etwas zu sehr nach Osten ver-
legt worden war. So gelang es auch einerseits die Größe,
andererseits die Benennung der uach Schirabad uud Jurttschi
(zwischen Dehiuau und Sari-dschui) ziehenden Flüsse richtig
zu stellen; so heißt ersterer gar nicht Seugri-tag, wie Majew
berichtet, sondern ganz einfach Schir-Abad-derja x), während
der andere, der den Namen Sang-gardak-darja (?) führt2),
um das Vierfache länger ist, als auf der bisherigen Karte
angegeben wurde.
1) Derbent oder Schirabad-Darja nennt ihn auch Maiew's
Karte. (Red.)
2) Sang-Gardak ist entschieden fehlerhaft, denn es soll Sen-
gir-tag (Wall-Berg) heißen.
trauben anzutreffen. Sang-Gardak, in einer Höhe von
4000 Fuß gelegen, zählt ungefähr 200 Höfe. Dort wo der
Sang-Gardak-Flnß aus den Bergen hervorkommt, liegt der
Weiler Dagan (Dogan —Falke?), wohin die Reisenden auf
einem 23 Werst langen, wohl etwas leichtern, aber noch immer
ziemlich mühsamen Weg gelangten; von dem sich ablösenden
Geröll der Berge sind erst im vergangenen Frühjahre dort
15 Gärten verschüttet worden. Von Dagan traf die Expe-
dition nach einem 10 Werst langen Marsche in Sari-Dschni
und vonda auf dem Wege über Regar in Karatag (45 Werst)
ein, von wo aus sie über Hissar nach Duschembe und dann
in nordöstlicher Richtung vorzudringen beabsichtigt. (Weitere
Nachrichten über die zur Erforschung Centralasiens unter-
nommeue Reise werden wir nachholen.)
x) Richtiger Sarimsaglik — Knoblauchsort.
A us allen
Asien.
— In seiner Nro. 283 vom 13. October 1378 schreibt
der „Golos": „In schwedischen Zeitungen findet sich uuter
der Adresse des Kaufmannes O. Dickfon in Göteborg folgen-
des Telegramm abgedruckt: „Nordenskjöld langte am 27.
August an der Mündung der Lena au. Am 19. August hatte
er Eap Tscheljuskin umschifft. Das Meer ist vollständig frei
von Eis. Die Fahrt soll ohne Verzug zur Berings-Straße
fortgesetzt werden und weiter nach Japan. — Briefe an die
Expedition sind nach Jokohama zu adressiren." Die schwe-
dischen Blätter beginnen sich überhaupt mit Nachrichten über
die jüngste Fahrt Pros. Nordenskjöld's zu füllen. So theilt
man aus Tromsö interessante Einzelheiten aus den Erleb-
nissen der beiden Dampfer „Frazer" und „Expreß" mit. Sie
waren vorausgesegelt und trafen erst am 31. Juli mit den
beiden übrigen Schiffen, der „Lena" und „Bega", auf welchem
letztern sich Nordenskjöld persönlich befand, zusammen. Bis
zur Mündung des Jenisei setzten sie die Reise gemeinsam
fort; dort trennte man sich. Die beiden erstgenannten Fahr-
zeuge gingen flußaufwärts, um mancherlei Fracht einznneh-
men, und sind bereits glücklich nach Europa zurückgekehrt;
die „Lena" aber und „Bega" segelten ihrer Bestimmung zu-
folge die Küste entlang der Lenamündung entgegen. — Ueber
diese Fahrt bringt nun das „Helsingsors Dagblad" eine lange
Korrespondenz, die ihm vom „Dickson-Hasen" aus (an der
Jeniseimünduug), 6. d. 8. August, zugegangen ist. Neben
vielem andern Interessanten wird in diesem Briefe von den
längeren oder kürzeren Landreisen berichtet, die Prof. Norden-
skjöld, Dr. Almqvist und ihre Begleiter dazwischen unter-
Erdtheile n.
nommen haben, hauptsächlich zu dem Zwecke, um Leben und
Sitten der Samojeden kennen zu lernen. Um die Mitte
Juni kommen diese gewöhnlich mit ihren Renthierherden bis
zum Dorfe Chabarowka herunter und kehren von dort beim
ersten Schneefall wieder nach Pusstosersk an der Petschora
zurück. Manche Herden zählen bis zu 1090 Renthieren."
— Die Wichtigkeit der Entdeckung einer nordöstlichen
Pasfage um das nördlichste Vorgebirge Sibiriens, Tschel-
juskiu, sagt die „Rußkaja prawda", läßt sich heute noch
nicht ganz überschauen, indeß sind einige Folgen bereits heute
klar; sie sind von politischer und ökonomischer Bedeutung.
Die erste wichtige Folge wäre, daß die Verbindung des
europäischen Rußlands mit seinen Besitzungen am und im
Stillen Ocean bedeutend erleichtert würde. Im Falle eines
Bruches mit England wäre es Rußland möglich, aus Europa
eine Kriegsflotte auf einem Wege in den Stillen Ocean zu
entsenden, dessen Länge mit keinem andern der bis jetzt be-
nutzten, namentlich mit der Fahrt durch den Suezcaual und
der Umschiffung des Vorgebirges der Guten Hoffnung, ver-
glichen werden kann. Aber dieser politische Nutzen kann, so
bedeutend er auch sein mag, mit dem ökonomischen durchaus
nicht verglichen werden, welchen diese Fahrt Sibirien bringen
würde, dessen Centrum ja durch gewaltige Flüsse mit dem
nördlichen Oceane verbunden ist. Es sind kaum zwei oder
drei Jahre vergangen, seitdem man die Passage aus dem
Oceane in den Ob und den Jenisei entdeckt hat, und schon
hat man in diesem Jahre aus Sibirien ganze Schiffsladungen
Weizen, Hans, Lein und anderes nach Europa gesandt und
fünf oder sechs Schiffe sind mit ihrer Ladung glücklich an
den Ort ihrer Bestimmung gelangt. Hieraus darf man
336 Aus allen
schließen, daß sich die Schifffahrt nach der Mündung der Lena
ebenfalls bald beleben wurde, wenn die Möglichkeit der Um-
segelnng des Vorgebirges Tscheljuskiu erwiesen sein wird.
Hierdurch würde der Gedanke Lomouosow's realisirt werden,
welcher während seines ganzen Lebens darüber nachgesonnen
hat, wie das Nördliche Eismeer durch die Schiffahrt zu be-
leben sei.
Vor Allem will das dem westlichen Europa durchaus
nicht zugeneigte „Nowoje Wremje", daß durch die Entdeckung
einer Einfahrt in die Lena Sibirien vom Monopole der
Ausländer befreit werde. Welches Monopol bis jetzt ein
Ausländer in Sibirien hat, ist mir freilich ganz unerfindlich.
__(A. K.)
Australien und Inseln des Stillen Oceans.
— Die Regierung von Westaustralien hat eine Expe-
dition zur Erforschung des wenig bekannten Territoriums
ausgeschickt, welches nördlich von 19° südl. Br. liegt uud sich
östlich bis Port Darwin an der Nordküste hinzieht. Mr.
Alexander Forrest, der Bruder des bekannten Australien-
reisenden John Forrest, den er auf seinen Reisen begleitete,
ist Führer der Expedition.
— Aus verschiedenen Gründen haben bisher alle große-
reu Eolonisationsversnche im NorthernTerritory geringen
Erfolg gehabt; augenblicklich jedoch ist ein solcher im Gange,
der im Falle des voraussichtlichen Gelingens großen Nutzen
zu stiften verspricht. Bisher war es fast unmöglich, große
Herden dorthin zu schaffen; jetzt aber unternimmt man das
kühne Experiment, Schafe uud Rinder quer durch den Eon-
tinent von Südaustralien dorthin zu treiben. Zwischen 20 000
und 30 000 Schafe und 10 000 Stück Rindvieh Marschiren
in mehreren Abtheilnugen, deren eine von dem bekannten
ReisendenErnest Giles angeführt wird, langsam den wei-
ten Strecken begrasten Landes im Norden zu. Zu dieser
Reise denkt man sieben Monate zu gebrauchen, eine Zeit, die
sich wegen der langen und häufigen Rasten wahrscheinlich noch
um ein gutes Stück vermehren wird. Bis jetzt hat man
schon Steinwüsten und wasserlose Strecken Landes von 200
bis 300 engl. Meilen Länge glücklich oder doch nur mit ge-
riugem Verluste passirt.
— Wenn der „New Aork Herald" und der „London
Daily Telegraph" Stanley ausschickten, um Liviugstone auf-
zufucheu uud das Innere von Afrika weiter zu erforschen,
so ist diesem Beispiele jetzt der Eigentümer und Redaetenr
der in Brisbane in Queensland erscheinenden Zeitung
„The Queenslander" gefolgt. Mr. Gresley Lukin, so heißt
er, hat auf eigene Kosten eine Expedition ausgerüstet, welche
am 12. Juli von Blackall aus, einem kleinen Orte am Barcoo
im Districte Mitchell, in möglichst gerader Richtung auf Port
Darwin die Reise angetreten hat. Das zu bereisende Terrain
ist zum großen Theile noch völlig unbekannt. Die Expedition,
welche ihre Aufgabe voraussichtlich in fünf Monaten aus-
führen wird, steht unter der Führung des Mr. Ernest
Favence, eines tüchtigen Bnshman, und des Feldmessers
Mr. Briggs, und ihr Hauptzweck ist die Auffindung einer
geeigneten Route für eine transeontinentale Eisenbahn von
Barcoo nach Port Darwin. Eine solche würde dann von
einer Gesellschaft von Eapitalisten gebaut werden, sofern die
Regierungen von Queensland und Südaustralien bereit wä-
ren, der Gesellschaft dafür ein Areal von beträchtlichem Um-
fange zu beiden Seiten der Bahn als Eigenthum zu über-
weisen.
Erdth eilen.
— Am 14. August starb laut einem Telegramme aus
Melbourne in St. Kilda im Alter von 68 Jahren der Be-
gründer der Eolonie Victoria oder wenigstens ihr erster
permanenter Bewohner, Edward Henty, welcher mit sei-
nem Bruder am 19. November 1834 in Portland Bay gelan-
det war.
— Im Maiheft des „Bulletin" der Pariser Französischen
Geographischen Gesellschaft beschreibtAchille Raffray feine
Fahrten längs der Nordküste von Neuguinea, welche er
von Januar bis August 1877 ausgeführt hat. (Ueber den
Antritt dieser Reise vergl. „Globus" XXXI, S. 192). Auch
ihm wie so manchem seiner Vorgänger ist es nicht gelungen,
tiefer in das Land einzudringen; was er ausführte, sind
lediglich Küstenfahrten längs der Hauptinseln und der klei-
uereu Inseln Masor und Korido. Nirgends ist er mehr als
eine halbe deutsche Meile in das Innere vorgedrungen und
seine Hauptresultate siud die bedeutenden Naturwissenschaft-
lichen Sammlungen (vergl. „Globus" XXXIII, S. 335).
Amerika.
— Eiue Expeditou nach Brasilien haben die
Herren Mackie und Scott in Philadelphia ausgerüstet, um
einen Handelsweg auf den großen Flüssen zwischen Bolivien
und Brasilien ausfindig zu machen. Eine Abtheilung geht
als Vortrab nach Bolivien, um dort Studien zu machen.
Die sehr zahlreiche Reisegesellschaft besteht aus den Herren
Mackie als Leiter, Gorham als dessen Vertreter, Lockwood
als Mineralogen, Keasby als Geographen, Pennigton als
Arzt, Ernest Morris als Naturforscher und sieben anderen
Weißen. Es besteht der Plan, auf dem untern Amazonen-
ströme, dem untern und dem oberu Madeira (oberhalb der
Fälle) Dampfer zu unterhalten, die Fälle mittelst der im
Bau begriffenen Eisenbahn zu umgehen und so das nördliche
und westliche Bolivien zu erschließen. Bisher wurden die
dorthin bestimmten nordamerikanischen Waaren zum größten
Theile an der peruanischen Küste gelandet und mit Maul-
thiereu über die Eordillere an ihren Bestimmungsort geschafft,
was ein halbes Jahr in Anspruch nahm und per Tonne
55 Doll. kostete. Auf dem neuen Wege hofft man die von
Nenyork an erforderliche Zeit auf 30 Tage und die Kosten
auf 15 Doll. per Tonne zu ermäßigen. Etwa in der Mitte
des August wollten die Expeditionsmitglieder an den Fällen
des Madeira zusammentreffen, dieselben zu Boote befahren
und dann die Flüsse Mayntata, Beni, Mamore, Jtenez oder
Gnapore u. s. w. aufnehmen. Ihr Hauptquartier wird
Cochabamba fein. (Nach dem Geographica! Magazine.)
— Auf S. 271 des 31. Bandes berichteten wir von der
Vorschiebung der Jndianergrenze in Argentinien durch
General Alsina. Jetzt beabsichtigt General Roca, das süd-
liche Hauptquartier nach der Insel Choel-e-choel im Rio
Negro zu verlegen und den Lauf dieses Flusses von den
Andes bis zum Oceau zur Grenze zu machen. Die kaum
zwei Jahre alte Grenze verursachte damals einen Kosten-
aufwand von 600 000 Pf. St., denjenigen der neuen veran-
schlagt man auf etwa die Hälfte davon, welche die Schaf-
Züchter durch eiue freiwillige Anleihe unter sich ausbringen
wollen. Der Rio Negro foll nach Oberst Guerrico's Auf-
uahme für Schiffe von 10 Fuß Tiefgang bis an die Andes
schiffbar sein.
Inhalt: Stanleys letzte Forschungsreise durch Afrika. II. (Mit fünf Abbildungen.) — G. v. Liebig: Die geogra-
phische Verkeilung des Luftdruckes. II. (Schluß.) — Dr. Carl Sachs' Reife in Venezuela. IV. (Schluß.) — Ofchanin's
Expedition in Karategin. — Aus allen Erdtheilen: Asien. — Australien und die Inseln des Stillen Oceans. — Amerika.
(Schluß der Redactiou 2. November 1878.)
Nedacteur: Dr. N. Kiepert in Verlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Svhn in Vraunschweig.
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Band XXXIV.
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Ja 22.
Mit besonäerer Berücksichtigung iler Antkroxologie unä Gilnwlc-gie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braun schweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 Q ^ ^
zuni Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. " '
Stanleys letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 Ins 1877).
*
III.
Die Insel Ukerewe. Fahrt der Expedition über den See. Der Krieg Mtesa's gegen Uwuma.
F. B. Am 5. Mai 1875 kehrte Stanley von der erfolg-
reichen Umschiffung des Ukerewe-Sees nach seinem Lager bei
Kagehji zurück. Während seiner Abwesenheit war Frederick
Barker am 23. April plötzlich am Fieber gestorben. Auch
Mabruki Speke, einer seiner besten Leute, der schon Burton,
Speke, Graut und Livingstone begleitet hatte, sowie fünf
andere, darunter einer der stärksten Bootträger, waren alle
an der Ruhr gestorben. Ans der Wage ergab sich Stanley's
Gewicht als nur 115 Pfund, 63 weniger als bei der Abreise
von Zanzibar; auch überfiel ihn jetzt das Fieber, und erst
am fünften Tage gelang es ihm, durch unausgesetzten Ge-
branch von Chinin die Anfälle zu überwältigen. Mit athem-
losem Staunen horchten seine Leute, in dichten Reihen ge-
schart, den Erzählungen über die Seereise; der Führer Sa-
ramba wurde als Held angesehen und Lieder zum Preise des
Bootes wurden verfaßt und gesungen.
Da die Uganda-Canoes unter Magafsa, welche die Expe-
dition nach Uganda bringen sollten, verschollen blieben, ent-
schloß sich Stanley, dem Landwege am Westufer des Sees
durch Mwere zu folgen. Der Häuptling dieses Landes
sandte ihm jedoch eine Gesandtschaft, welche den Durchzug
des „weißen Mannes mit langen rothen Haaren nnd rothen
Augen" entschieden verbot; da ihm viele starke Stämme ver-
bündet waren, mußte der Plan ausgegeben werden. Und
doch mußte Stanley nach Uganda zurück, denn das nächste
ihm vorgeschriebene Ziel war die Erforschung des Mwntan-
Sees im Nordwesten. Aber sein eigenes Boot konnte nur
15 Mann fassen und in Usukuma gab es keine Canoes.
Globus XXXIV. Nr. 22.
Da sagte ihm Suugoro, der arabische Händler, daß Lukongs,
der König der Insel Ukerewe, Besitzer einer großen Flotte
sei, und sogleich beschloß Stanley, den Beistand dieses Herr-
schers zn erlangen. Vorher sandte er Pocock, seinen letzten
weißen Begleiter, mit Geschenken hinüber, und segelte dann
selbst am 29. Mai in der „Lady Alice" nach Ukerewe. —
Er landete zuerst an der Wezi-Jnsel im Speke-Golf mit
ihren eigenthümlichen Gruppen riesiger Granitfelsen. (Auf
dieser Insel fand später die Ermordung des Missionärs
O'Neil von der Church Missionary Mission, sowie ihres
Führers, Lieutenant Smith, des erwähnten Arabers Suugoro
und vieler ihrer Begleiter durch die Wakerewe statt, während
sie, ohne des Königs Lukongs Erlaubuiß, die Frauen des
Arabers, darunter des Königs jüngste Schwester, ans Uker-
ewe zu entführen suchten.) Am nächsten Tage fuhr Stau-
ley durch den Rugedzi-Caual, welcher die Insel Ukerewe vom
Festlande trennt. Das Boot mußte mit Stangen hindurch-
gestoßen werden, da er durch Schilf, Rohr nnd Wasserpflanzen
halb zugewachsen war und seine größte Breite an manchen
Stellen nur 6 Fuß betrug. Auch der Madschita-Berg soll
durch einen ähnlichen Canal isolirt sein. Am 31. Mai kam
Stanley in des Königs Residenz, Msossi, der Hauptstadt
von Ukerewe, an und erhielt eine Hütte angewiesen, sowie
Ochsen, Bananen nnd Milch als Lebensmittel übersandt.
Am nächsten Morgen fand seine Zusammenkunft mit Ln-
kougo auf einer Ebene statt, wo derselbe, von vielen Häupt-
liugeu, Kriegern, Weibern und Kindern umgeben, ihn erwar-
tete; der Köuig ist ein hübscher, hellfarbiger Mann von 26
43
338
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
bis 28 Jahren. Am Abend besuchte er, nur von wenigen
Häuptlingen begleitet, Stanley heimlich in dessen Hütte und
nahm seine Geschenke entgegen, nämlich zwei schöne Teppiche,
eine schottische und zwei rotheDecken, Schmucksache» aus Kupfer,
30 feine Tücher, 50 Fuudo (ein Fnndo besteht aus zehn
Halsbändern) Perlen, zwei Rollen Messingdraht u. s. w.
Auf Stanley's Bitte um Cauoes versprach er baldige Ant-
wort. Am 6. Juli kam er wieder in der Nacht zu Stanley
und sagte ihm, daß seine Leute zwar zu furchtsam seien, um
die Reise uach Uganda zu machen, doch werde er ihn von
einer Menge Canoes mit ihren Leuten nach dem Lager be-
gleiten lassen, anscheinend um die ganze Expedition nach
Ukerewe überzusetzen, dann müsse aber Stanley die Wakerewe
vertreiben und sich der Canoes bemächtigen, denn diese sowie
ihre Ruder schenke er ihm. — Am 12. Juni kehrte Stanley
durch die Rugedzi-Straße wieder nach Kagehji zurück, be-
gleitet von 27 Canoes mit 216 Wakerewe. Nach der An-
kunst wurden alle Fahrzeuge 80 Hards weit vom Wasser
aufs Land gezogen und alle Ruder in Stanley's Hütte ge-
bracht, und hierauf den Eingeborenen der Wille ihres Königs
mitgetheilt. Da sie sich aufrührerisch zeigte» und mit Gewalt
drohten, wurden sie zum Lager hinausgetrieben und ihnen
vier der Canoes übergeben, in denen sie in drei Tagen in
Abteilungen nach ihrer Insel zurückkehrten.
Heber das Reich Ukerewe theilt Stanley viele inter-
essante Einzelheiten mit, welche er während seines zwölf-
Drei Frauen von der Expedition. (Nach einer Photographie.)
tägigen Aufenthalts dort sammelte. Der Gründer desselben
war Ruhiuda 1., der seine Leute in Canoes von Uzongora
und Jhangiro a»l Westnfer des Sees herüberbrachte uud
auch die Plantane und den Pifang auf der Insel einführte.
Ein kleiner Rest der besiegten Ureinwohner, welche Wakwaia
heißen, wohnt »och am Südufer vou Ukerewe. Lnkonge ist
der fünfzehnte König der Insel seit der Eroberung. Die
königliche Grabstätte liegt bei Kitari am Nordufer; alle
Köuige werden dort in sitzeuder Stellung begraben. Außer
vielen umliegenden Inseln gehört auch ein Theil des Fest-
landes zu dem Reiche; dieser wurde in einer fünftägigen
Schlacht mit den wilden Watatnrn-Hirten erobert, in welcher
viele Wakerewe den vergifteten Pfeilen ersterer erlagen. Die
Watatnru sind hellfarbig, mit geraden Nasen und dünnen
Lippen, die Wakerewe dagegen zeigen eine Mischung des
äthiopischen mit beut Negertypus: beide Stämme leben jetzt
friedlich zusammen. Der König wird als Regen- und Dürre-
»lacher mit übernatürlichen Kräften angesehen. Die Be-
grüßung des Königs ist eine eigenthümliche; seine Unter-
thanen klatschen i» die Hä»de uud knien dicht vor ihm nie-
der; ist er befriedigt, fo bläst und spuckt er in ihre Hände,
worauf sie sich Gesicht und Augen anscheinend mit dem
Speichel einreiben, den sie als Augenmittel anzusehen scheinen.
(Wem füllt nicht hierbei das Händeauflegeu der englischen
Könige gegen den Kropf [„king's evil"] ein?) Zur Be-
grüßung unter einander knien die Wakerewe ebenfalls nieder,
klatschen in die Hände und rufen: „Watsche, watsche!
Watsche sug! Mohoro! Eg sura?" d. H. .Morgen,
Morgen! Guten Morgen! Ein guter Tag! Bist du wohl?"
Es kostet 12 Ziegen und drei Hacken, um eine Frau ihren
Stanley's letzte Forschungsreise
Eltern abzukaufen; Sungoro, der Araber, mußte Lnkongs
350 Pfund Perlen und 300 Aards Zeug geben, um dessen
Schwester als Weib zu erhalten. Aermere Leute geben
Speere, Bogen und Pfeile, aber erst nach der Geburt des
ersten Kindes hören die Forderungen der Verwandten auf.
Diebe, Ehebrecher und Mörder werden enthauptet, können
aber auch durch freiwillige Sklaverei ihr Leben retten. Die
Weiber tragen als Schmuck fo zahlreiche Ringe von Messing-
draht um den Hals, daß es von Weitem wie ein Kragen
oder eine Krause aussieht; bei den Männern sind Fuß- und
Armbänder aus Kupfer, Messing, Eisen oder Elsenbein be-
liebt. Als Tranerzeichen werden Binden aus Bananen-
blättern um den Kopf getragen und die Haut mit schwarzer
Farbe aus Holzkohle und Butter bemalt. Die alten Weiber
zeichnen sich durch die ungewöhnliche Länge ihrer Brüste aus,
durch Afrika (1874 bis 1877). 339
welche wie Beutel bis zum Nabel hinabhängen und mit
Schnüren an den Leib gebunden werden. Die Kleidung
beider Geschlechter besteht aus halbgegerbten Ochsenhäuten
und Ziegensellen oder einem Gürtel von Bananenblättern
oder grobem Graszeug.
Die von Stanley aus Ukerewe erhaltenen Canoes waren
sämmtlich so alt und verfault, daß ihre Planken neu zu-
sammengenäht und kalfatert werden mußten. Dann ließ
Stanley alle benachbarten Stämme zu einem Getreidemarkt
einladen, auf dem er jede acht Maas (gegen 72 Liter) mit
einem Doti (4 Aards) Zeug bezahlte. Im Ganzen kaufte
er als Proviant für die Reise 12 000 Pfund Getreide,
Matama, Hirse und Mais, sowie 500 Pfund Reis, die alle
in Säcken von je 100 Pfund verpackt wurden. Am
19. Juni wurden 150 Männer, Weiber und Kinder, etwa
Bilder ar
1 Kornspeicher. 2 Haus. 3 Seffel. 4 Canoe. 5 Weib
Halsringen.
die Hälfte seiner Leute, mit 100 Ladungen Zeug, Per-
len und Draht und 88 Säcken Getreide in die Canoes ein-
geschifft; Stanley selbst begleitete sie in seinem Boot, welches
den größten Theil der 30 Kisten Munition trug. Mit
Berührung derMabibi-Jnseln am Südufer von Ukerewe
und der Insel Kunnsnäh am Westende letzterer wurde spät
am Abend die 50 Meilen nordwestlich von Kagehji gelegene
Insel Mi ander eh erreicht; freilich nur mit großer An-
strengung, denn fünf Canoes gingen auf dem Wege unter,
so daß ihre Bemannung nur mit Mühe gerettet wurde; fünf
Gewehre, eine Kiste Munition und 1200 Pfund Getreide
gingen dabei verloren. Am nächsten Tage wurde Singo
erreicht und dem Häuptlinge der großen Insel Komi vier
fast neue Canoes abgekauft, so daß am 24. Juni ohne wei-
tern Unfall alle Leute und Maaren ans der bekannten Zu-
fluchts-Jnsel landeten. Auf der Südseite derselben ließ
Stanley ein starkes Lager mit zwei großen Vorrathshäusern
für das Getreide und die Waaren erbauen. Als Besatzung
X
Ukerewe.
He Brüste. G Ein Krieger. 7 Frauen mit messingenen
8 Fischnetze.
desselben blieben 44 Mann mit Pocock und Manwa Sera
als Befehlshabern und vier Canoes zurück, während Stan-
ley am 26. Juni mit dem Boot, 17 Canoes und 106 Mann
in vier Tagen nach Kagehji zurückfuhr, um den Rest seiner
Leute abzuholen. Für 40 Aards Zeug kaufte er eiu großes,
aber sehr altes Canoe, welches 30 Mann halten konnte und
das zum Transport der Reitesel dienen sollte; seiner plum-
Pen Form halber tauften seine Leute es „das Nilpferd".
Am 6. Juli fuhr Stanley mit der andern Hälfte seiner
Expedition, gegen 150 Mann, und allen Thieren und Waa-
ren von Kagehji fort, das ihm vier Monate lang als Lager
gedient hatte, und kam fünf Tage später ohne Unfall auf
der Zufluchts-Jnsel an. Auch hier wurde Alles im besten
Znstand vorgefunden und somit befand sich die ganze Expe-
dition wieder beisammen. Die Besatzung hatte während
Stanley's Abwesenheit mit den Eingeborenen des Festlandes
und der benachbarten Inseln Freundschaft geschlossen und
Lebensmittel von ihnen erhalten; der Häuptling von Komi
43*
340 Stanley's letzte Forschungsreise
schloß sogar mit Manwa Sera Blutsbruderschaft. Da Stau-
leh's Flotte uoch nicht groß genug war, um die ganze Expe-
dition zu fassen, trat er die Weiterfahrt wieder mit einer
Hälfte derselben an. Am Abend vor der Abfahrt fand ein
Festschmaus statt, wozn große Massen Rindfleisch gebraten
und viele Krüge Marambawein angeschafft wurden; zum
Schlüsse führten die befreundeten Könige und Häuptlinge
der umliegenden Inseln im Mondschein einen Tanz auf.
Am 18. Juli fuhr Stanley ab; indem er mehrere klei-
uere Juselu berührte und auf deuselbeu Ubernachtete, kam er
am dritten Tage bei Mahjiga, der südlichsten, aber uube-
wohuten Insel der gefürchteten Bnmbir eh -Gruppe, an.
Bei dem Hafen auf der Westseite derselben wurde das Lager
errichtet und alles Buschwerk auf 200 Mrds Entfernung
beseitigt, anch ein 12 Fuß breiter Weg durch die ganze Insel
durch Afrika (1874 bis 1877).
von Nord nach Süd durch den Wald gehauen. Auf dem
höchsten Punkte der Insel wurde ein Wachthaus mit einem
Posten von fünf Mann unter einem Anführer errichtet. Am
frühen Morgen des 24. fuhr Manwa Sera mit 16 der groß-
ten Canoes nach der Zufluchts-Jufel zurück, um den Rest
der Expedition abzuholen. Er nahm alle Leute mit, außer
45 Mann und vier eingeborenen Führern, welche Stanley als
Garuison der Insel bei sich behielt.
Von den Eingeborenen der Insel Jr ob a. welche zwischen
Mahjiga und Bumbireh liegt, erhielt Stanley die Nachricht,
daß die Wilden letzterer Insel und der Köuig Antari („der
Löwe") von Jhangiro auf dem Festlande die Weiterfahrt
der Expedition nach Uganda mit Waffengewalt verhindern
würden; von dem Wachtposten sah Stanley 13 große Canoes
voller Krieger von dem Festlande nach der Insel hinüber-
Der Ausfluß des Victoria-Njauza: Die Ripou-Fälle, der
Arriöre-Garde. (Na
fahren. Da auch die Haltung der Eingeborenen von Jroba
verdächtig war, da sie sich weigerten Lebensmittel zu bringen
und die Mannschaft ihrer Canoes das an allen dortigen
Küsten allgemein übliche Zeichen der Verachtnng machten,
indem sie mit den Rudern daö Waffer hinter sich in die Lnft
warfen, fuhr Stanley ani 26. mit dem Boot, vier Cauoes
und 35 Mann nach ihrer Insel hinüber, landete und ergriff
ihren König und zwei Häuptlinge als Geißeln mit der Dro-
huug, dieselben so lauge gesaugeu zu halten, bis Schekka, der
Köuig von Bnmbireh, dessen Verrätherei Stanley seiner Zeit
fast zmn Opfer gefallen wäre, eingeliefert würde. Schon am
nächsten Abend brachte ein Jroba-Canoe Schekka und zwei
seiner Häuptlinge gefangen ein; nur mit Mühe konnte Stan-
ley sie vor der Wuth seiner Leute schützeu, da er sie als
Geißeln zur Sicherheit der Expedition zurückhalten wollte.
Am 28. kamen drei große Canoes mit je 20 Mann von
sprnng des Bictoria--Nils. Auf dem Berge das Lager der
einer Photographie.)
Antari an, dessen Gesandter nochmals Stanley aufforderte,
umzukehren oder den Krieg zu erwarten.
An demselben Tage fuhr eine kleine Flotte von sechs
schönen braunen Canoes dnrch die Straße zwischen Bnm-
bireh uud dem Festlaude auf Mahjiga zu; es waren Wa-
ganda, deren Befehlshaber Sabadn Stanley mittheilte,
daß Magassa, welcher Stanley auf der Fahrt von Uganda
nach Kagehji verlassen hatte, die geraubten Ruder von Bum-
bireh zu Mtesa gebracht habe, der beim Anblick der „Füße"
des weißen Mernes denselben für tobt gehalten habe. Er
selbst habe den Auftrag, den Araber Suugoro von Kagehji
nach Uganda zu bringen und zugleich Nachrichten über Stanley
einzuziehen. Auch Magassa ziehe zu letzterem Zweck mit großer
Macht an der Küste entlang, und ein anderer Anführer,
Mkwanga, folge ihm mit acht großen Canoes nach. Auch diese
kamen am uächsteu Morgen an, zugleich mit fünf kleineren aus
Stanley's letzte Forschungsreise
Uzongora mit zusammen 300 Mann, so daß Stanley jetzt
über eine Streitkraft von 470 Mann, davon 70 Musketiere
und 350 Waganda-Speerträger, verfügen konnte. Mittler-
weile mehrten sich die Anzeichen, daß Antari fortfahre, seine
Kriegsmacht ans Bnmbireh zu sammeln und er bereits 100
Canoes mit 1000 Mann, davon gegen 600 Bogenschützen,
beisammen habe, und daß noch 2000 Mann Hülfstruppen vom
Festlands unterwegs seien. Trotzdem sandte er eine Freund-
schastsbotschast, so daß der Waganda-Ansührer Sabadn gegen
Stanley's Warnung mit mehreren Canoes nach Bumbireh
fuhr, um Bananen zu holen. Kaum hatte er aber beiKad-
schürt in derselben Bucht gelandet, in welcher Stanley über«
fallen worden war, und hatten sich seine Leute in einem
Pisanghain zerstreut, als die Wa-bambireh sie verrätherifch
angriffen, einen Häuptling tödteten uud acht Krieger
mit Speeren und Pfeilen so schwer verwundeten, daß sechs
durch Afrika (1874 bis 1877). 341
derselben später starben und die anderen nur mit großer Noth
entkamen. Jetzt schien der Krieg unvermeidlich und wurde
auch im Kriegsrathe von allen Anführern zum Beschlüsse
erhoben, dem auch Stanley beitrat, da er die Unmöglichkeit
erkannte, mit Weibern, Kindern und Waaren bei der Feind-
seligkeit der Wa-bambireh weiterzufahren. Am 3. August
kam Mauwa Sera mit dem Rest der Expedition von der
Znflnchts-Jnsel an, doch waren unterwegs zwei Mann niit
einem Boote untergegangen. Am nächsten Tage führte
Stanley eine Macht von 50 Musketieren, mit je 20 Pa-
tronen, und 230 Speerträgern in 18 Canoes gegen Bnm-
bireh.
Da die Entfernung acht Meilen beträgt, kam die Flotte
erst um 2 Uhr Nachmittags bei der feindlichen Insel an; alle
Höhen waren dicht mit Reihen von Kriegern besetzt und auf
jeder Spitze standen Wachtposten. Die Hauptmacht der
Ansicht der Ripon-Fälle von Uganda a:
Wilden schien in einem Pisangwald versteckt. Stanley ließ
seine Flotte in einen, später Schlachtenbucht genannten Hafen
an der Westküste einlaufen und in einer Reihe gegen 100
Dards von dem steil ansteigenden Ufer ankern, und sogleich
stürzten die Wilden, 2000 bis 3000 Mann stark, zur Verthei-
diguug ihrer Insel ans Wasser herab. Nochmals ließ Stan-
ley sie auffordern, Frieden und Freundschaft zu schließen, als
aber die einstimmige Antwort: „Nangu!" (Nein!) zurück-
tönte , gab er Befehl, eine Gewehrsalve in ihre dichtesten
Reihen zu feuern. Trotzdem Todte und Verwundete den
Boden bedeckten, vertheidigten die Wilden mit großer Tapfer-
keit das Ufer über eine Stunde lang, indem sie, manche
bis an die Hüften tili Wasser und audere im Schilf ver-
steckt, mit Bogen und Schleudern einen Hagel von Pfei-
len und Steinen unterhielten, die aber alle zn kurz sie-
len. Dann näherte sich die Flotte auf 50 Pards dein
i. (Nach einer Photographie Stanley's.)
Ufer und sogleich stürzten sie zu Hunderten mit erHobe-
nen Speeren herbei, um die vermeintliche Landung zurück-
zuweisen. Eine mörderische Breitseite brachte ihnen so schwere
Verluste bei, daß sie ganz entmuthigt sich auf die Hügel zu-
rückzogen. Stanley hielt diese Strafe für genügend und
verbot die von seinen Leuten stürmisch verlangte Landung.
Erst spät am Abend kamen die Sieger in ihrem Lager an.
Da Stanley jetzt die Passage für frei hielt, wurde am
5. August die ganze Expedition eingeschifft. Auf Hamadi's
Hornsignal setzte sich die Flotte von 37 Canoes und dem
Boot mit zusammen 685 Seelen in Bewegung. Beim
Vorbeifahren bei Bumbireh kündigten die vollkommen ein-
geschüchterten Wilden ihre Unterwerfung an; ihren König,
Schekka, führte Stanley mit, um ihn seinem Oberherrn,
Mtesa, zn überliefern. Auch auf der ganzen Weiterfahrt
wurde Stanley mit seiner gefürchteten Macht von allen
342 Stanley's letzte Forschungsreise
Stämmen voller Freundschaft empfangen und reichlich mit
Lebensmitteln versorgt. Er fuhr an der Uzongora-Küste
entlang, wo die Eingeborenen in langen Reihen ohne Waffen
am Ufer standen nnd ihn laut begrüßten, und campirte wie-
der auf der Mufira-Jnfel, wohin der früher feindliche
Häuptling vonMakongo ihm vier Ochsen nnd 200 Bündel
Bananen schickte. Am 12. August pasfirte die Flotte die
Mündung des Kagera und die Tschawasimba-Spitze,
und landete Nachmittags im Hafen von Dnmo in Uganda,
genau im Westen der Südspitze der Insel Sesss. Sogleich
ließ Stanley ein befestigtes Lager erbauen, das er unter Po-
cock's Befehl stellte, und segelte wenige Tage später in feinem
Boote fort, um vou Mtefa die versprochene Hülfe zum Zuge
nach dem Mwutau zu erlangen.
Am 18. landete er in Ntewi in der Nähe der Mnrchi-
durch Afrika (1874 bis 1877).
fon-Bay, wo er das Boot in dem Dorf unter Dach brachte
und auch die in Bumbireh geraubten Ruder zurückbekam.
Ferner erhielt er die Nachricht, daß Mtefa sich im Kriege
mit der Insel Uwnma befinde, deren Einwohner sich gegen
ihn erhoben und den Tribut verweigerten, und schon mit dem
Heere nach Usoga gezogen sei. Stanley fuhr deshalb in
Canoes bis zur Bnka-B ay weiter und zog dann nordöstlich
Überland uach dem Victoria-Nil, den er bei den Riponfällen,
welche die Waganda Dfchindfcha nennen, erreichte. Unter-
wegs waren ihm häufig Boten entgegengekommen, welche
ihm Mtesa's Salams überbrachten; auch seinen Spazierstock
übersandte ihm dieser als Beweis, daß sie wirklich vonMtesa
gesandt seien (eine Sitte, die auch in Dahomey gebräuchlich
ist). Sehr anders sah die Umgebung der Fälle aus, seit
Stanley sie vor fünf Monaten in seinem Boot besucht hatte,
Der Napoleou-Canal im Vktoria-Njanza von den Höhen ü
fahrt von Usoga nach Uganda. (9
denn jetzt wimmelte der damals einsame und ruhige Fluß
von vielen Canoes, und Taufende von Männern, Weibern
uud Kindern bedeckten seine Ufer. Auf der andern Seite
des Flusses erstreckte sich das ungeheure Lager des Heeres
und konnte Stanley in der Mitte desselben Mtesa mit seiner
Umgebung an ihren weißen Kleidern und rothen Mützen
erkennen. In fünf großen Canoes mit einer Escorte der
königlichen Leibwache fuhr er über den Fluß und befand sich
bald inmitten der Ungeheuern Armee, welche Mtesa aus allen
Theilen fernes Reiches zusammengerufen. Da sah er die
mageren Eingeborenen von Karagwe mit unzähligen Rin-
gen aus Elsendraht um die Beine, wilde, gänzlich nackte
Wakedi neben den reinlichen Waganda in brannen Klei-
deru aus Rinde, die schwerfälligen Canoebaner von Sess«
und die eitelu Wasoga, welche mit Gras ausgestopfte
Lammfelle als Kopfschmuck und lange weißhaarige Ziegen-
c den Ripou-Fälleu. Die Flottille Mtesa's auf der Ueber-
ch einer Photographie Stanley's.)
felle als Kleider trugen; ferner Wanjambu und Wazon-
gora mit ihren eigenthümlichen Waffen und Schilden, die
Hülfsvölker von vielen Jnfeln im See, auch Araber uud
Wangwana mit Gewehren n. f. w. Im Ganzen zählte das
Heer gegen 150 000 Krieger, welche von 13 Waknngn
(Oberbefehlshabern, Generälen) mit 131 Watongoleh (Unter-
befehlshabern, Obersten) befehligt wurden. Letztere hatten
Truppen von 50 bis 3000 Mann unter sich, während die
kaiserliche Leibwache 3000 Mann unter 23 Watongoleh
zählte. Die eigentliche Waganda-Streitmacht mochte 125 000
Mann stark sein; diejenigen der Hülfstruppen 25 000.
Hierzu müssen noch gegen 50 000 Weiber uud eben so viele
Kinder und Sklaven beider Geschlechter gezählt werden, so
daß Stanley nach genauem Ueberschlag die Gefammtzahl der
Seelen in Mtesa's Lager ans 250 000 schätzte.
Nachdem er von den obersten Häuptlingen begrüßt wor-
Stnnley's letzte Forschungsreise
den, fand am nächsten Morgen seine Zusanimenkunft mit
Bitesa statt. Das königliche Quartier bedeckte einen großen
Raum, in dessen Mitte eine Kegelhütte stand. Vor der
breiten Thür derselben saß Mtesa, auf beiden Seiten von
Fahnenträgern und erblichen Leibwächtern umgeben, während
die Würdenträger und Häuptlinge im weiten Halbkreise auf
Matten saßeu und die Leibwache mit geschultertem Gewehr
in Doppelreihen, die Trommler und Pfeifer an der Seite,
den Hintergrund füllte. Mtesa empfing Stanley mit großer
Wärme und ließ sich von dem Anführer Sabadn alle Einzel-
heiten des Krieges gegen Bnmbireh und der Reise erzählen.
Als hierauf Stanley um die versprochene Escorte nach dem
Albert-See bat, erwiderte Mtesa, er sei jetzt im Kriege
gegen die Rebellen vonUwnma, und es sei in Uganda nicht
Sitte, während der Kabaka Krieg führe, Fremdlinge weiter-
durch Afrika (1874 bis 1877). 343
ziehen zn lassen; doch sobald der Krieg zu Ende sei, solle ein
Häuptling mit einem Heere Stanley an den Mwntan gelei-
ten. Da Stanley wußte, daß er ohne ein solches nicht durch
das feindliche, allen Fremden verschlossene Uujoro und An-
kori dringen könnte, und er schon zu weit nordwärts gegan-
gen war, um umzukehren, beschloß er. sich geduldig iu das
Unvermeidliche zu fügen und mittlerweile einem centralafri-
kanischen Kriege beizuwohnen.
Am 27. August brach Mtesa sein Lager ab und das
Heer trat den Marsch nach der Nakaranga-Spitze an,
vor der die kleine Insel Jngira liegt, auf welcher die Wa-
wuma ihre Streitmacht zusammengezogen hatten. Die Avant-
garde war schon vorangezogen, doch gelang es Stanley, den
Vorbeimarsch des Hauptcorps zu sehen. Zuerst kam die
Legion des Häuptlings Mkwenda, der im Katongo-Thal re-
Eine der großen Seeschlachten zwischen den Waganda und
Vorgebirge
giert. Alle Häuptlinge, obgleich zum Islam übergetreten,
sowie ihre Krieger, trugen gleich nordamerikanischen India-
nern Kriegsmalereien von Ocker und Pfeifenthon. Die erste
Abtheilung zählte ohne den Troß gegen 30 000 Mann;
nach ihrem Vorbeimarsch, der im Halbtrab stattfand, war
der vorher schmale Pfad in eine breite Allee verwandelt.
Hierauf folgten die Truppen des alten Generals Kangan
mit wehenden Fahnen, Trommeln und Pfeifen; anch bei
ihnen waren Gesicht und Körper mit weißer, schwarzer und
gelber Farbe bemalt. Daun stürmten 2000 große, aus-
erlesene Krieger vorbei, indem sie den Kriegsruf: „Kavya,
kavya!" erhoben 1) und mit Speeren und Schilden raffelten.
i) Die beiden letzten Silben des Titels „Mukavya", d. h. Kö-
nig, welchen Mtesa in seiner Jugend führte. Die Waganda-
Krieger rufen nämlich als Kriegsgejchrei den Namen ihrer be-
treffenden Anführer aus und wiederholen die zwei letzten Silben
,en Wawnma im Canal zwischen der Insel Jngira und dem
Nakaranga.
Hinter ihnen folgte im Geschwindmarsch die Leibwache des
Kabaka, mit Musketen bewaffnet, gegen 200 voran, dann
100 aus beiden Seiten des Weges, Mtesa und den Katekiro
(Premierminister) umschließend, und 200 Mann als Nach-
trab, alle mit Fahnen, Trommeln und Pfeifen. Mtesa mar-
schirte zu Fuß mit unbedecktem Kopf; er trug einen blau-
carrirten Rock mit schwarzem englischen Gürtel und sein
Gesicht war Hochscharlachroth gefärbt. Der Katekiro im
dunkelgrauen Kaschmirrock ging vor ihm, wahrscheinlich um
etwaige Meuchelmörder zu täuschen. Hinter der Leibgarde
folgte Häuptling auf Häuptling, Legion auf Legion auf ein-
ander, jede einzelne Abtheilung an ihrem eigenthümlichen
Trommelschlag erkennbar. Alle eilten im Schnellmarsch,
desselben, wie z. B.: „Mkwenda, wenda, wenda!" „Sekebobo,
bobo, bobo!" „Kitunzi, tunzi, tunzi!" u. s. w.
344
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
einem bei den Waganda im Kriege üblichen Halbtrab, vor-
bei. Etwa zwei Stunden nach Beginn des Vorbeimarsches
marschirte Kasudschu, der Wächter der Prinzen und der Weiber
Mtesa's, mit einer Avant- und Arrisregarde von ie 2900
Speerträgern vorbei. Die Zahl der Weiber betrug gegen
5000, von denen aber nur etwa 500 dem kaiserlichen Harem
angehören, während die anderen Dienerinnen des Haushaltes
sind. Stanley bemerkte unter den ganzen 500 nur etwa
20, welche dem europäischen Geschmacke entsprachen, und von
diesen nur drei, welche schön genannt werden konnten. Diese
hatten gerade Nasen, schmale Lippen, große glänzende Augen,
schöne Formen und die Hautfarbe von Quadronen; sie ge-
hörten der Wahuma-Race aus Ankori an und ihr kurzes,
krauses Haar allein erinnerte an ihre Abstammung. Mtesa
selbst schien die fetten, fleischigen Weiber mit den ausgewor-
fenen Lippen und platten Nasen des echten Negertypus jenen
gleichzustellen. Auf den königlichen Harem folgte Mtesa's
Onkel, der alte Sabaganzi, mit einer großen Anzahl seiner
eigenen Weiber, welche in Uganda Reichthum repräsentiren,
da sie so gut wie Zeug, Kühe, Perlen oder Gewehre einen
festen Marktwerth haben. Noch immer folgten die Heeres-
abtheilungen, Woge auf Woge, eine lebende Fluth vou Krie-
gern, der sich auch Stanley anschloß. Nach dem Abmarsch
des Heeres überfielen die kühnen Wawnma das Lager an
den Fällen, erschlugen die Wachen und setzten es in Brand.
Am Abend sah man ihre Flotte im Triumph nach ihrer
Insel zurückfahren.
Am 1. September, nach viertägigem Marsch, erreichte
das Heer die Nakaranga-Spitze, auf welcher jede Abtheilung
die ihr vom Katekiro angewiesene Position bezog. Mtesa's
Quartier mit der Leibgarde befand sich wieder in der Mitte
des Lagers; Stanley und seine Bootsmannschaft erhielten
Wohnungen an der Hauptstraße des Lagers. Bei Sonnen-
untergärig war das ganze Heer in 30 000 Kuppelhütten
untergebracht, über welche sich hier und da höhere Kegel-
Hütten, die Wohnungen der Anführer, erhoben.
Nur eine 700 Aards breite Meerenge trennte die Land-
spitze von der kleinen Insel Jngira, aus welche die Re-
bellen von Uwuma, gegen 20 000 Mann stark, sich mit ihren
Familien und einer Flotte von gegen 150 Canoes zurück-
gezogen hatten. Diese Insel, welche kaum eine Meile lang
und nur eine halbe breit war, erhob sich als ziemlich hoher
Berg mit sehr steilen Seiten aus dem Wasser. Mtesa's
Flotte zählte 325 große uud kleine Canoes, von welchen
Das schwimmende Fort
aber nur 230 kriegstüchtig waren. Der größte Theil ihrer
Mannschaften kam von der Insel Sesss. Der Großadmiral
der Flotte war Galmuga, der jedoch nur die Ruderer beseh-
ligte, während die Krieger unter dem Befehl ihrer betreffen-
den Anführer stehen. Das größte Cauoe, das Stanley sah,
war 72 Fuß lang, 7 Fuß 3 Zoll breit und 4 Fnß tief;
feine 32 Sitze hielten 64 Ruderer und den Steuermann.
Gegen 100 Canoes waren 50 bis 70 Fnß lang uud faßten
durchschnittlich 50 Mann, die 50 Canoes der zweiten Clafse
von 30 bis 50 Fuß Länge konnten je 40 Mann tragen und
die 80 Fahrzeuge von 18 bis 30 Fuß Läuge der dritten
Classe hatten Mannschaften von je 20 Ruderern. Dies
ergiebt eine Gesammtzahl von 8600 Ruderern; da aber in
einer Seeschlacht jedes Boot noch so viele Krieger als mög-
lich aufnimmt, konnte Mtcfa eine Kriegsmacht von 16 000
bis 20 000 Mann einschiffen.
Am dritten Tage lies die Waganda-Flotte von 325 Ca-
noes unter Befehl des Mknngn Sekebobo gegen Jngira aus
und die Wawuma kamen ihnen mit 100 Canoes bis zur
Mitte der Straße entgegen. Mtesa saß gleich Xerxes bei
Salamis auf dem Bergabhange und mehrere Meilen weit
bedeckten die branngekleideten Waganda das User. Als die
Waganda-Flotte in fester Ordnung vorrückte, öffneten die
Wawuma ihre Linie nach rechts und links und stürzten sich
auf beide Flanken ihrer Feinde. Bei diesem Anblick sprang
Mtesa hoch auf und erhob seinen Kriegsrus: „Kavya, ka-
vya!" und das ganze Heer rief: „Kavya!" Aber fchon
auf Jngira lossteuernd.
hatten die Rebellen 14 Fahrzeuge erobert, mit denen sie sich
in tieferes Wasser zurückzogen, wohin ihnen die Waganda
nicht zu folgen wagten. Auf diese Niederlage folgte eine
mehrtägige Pause, worauf Mtesa Stanley um seinen Rath
fragte, da die Waganda auf dem Wasser furchtsam seien.
Auf feinen Vorschlag begannen 40 000 Mann sogleich den
Bau eines Dammwegs von Steinen und Bäumen, welcher
Nakaranga mit Jngira verbinden sollte.
Mittlerweile ließ Mtesa sich von Stanley in europäischen
Wissenschaften unterrichten. Da dieser bei Mtesa großes
Interesse an Religion fand, ließ er ihm durch einen Zögling
der Zanzibarer Mission einen Auszug der Bibel von der
Schöpfung bis zur Kreuzigung in die Kisnaheli-Sprache
übersetzen. Als dieser vollendet war, erklärte Mtesa vor
seinen versammelten Häuptlingen, daß er dem Islam ent-
sage und zum Christenthum übertrete. „Stamlih," sagte
er, „sage den Weißen, daß ich bin wie ein Mann in der
Finsterniß oder wie ein Blindgeborener, und daß mein eiu-
ziger Wunsch ist, sehen zu lernen, und ich werde ein Christ
bleiben, so lange ich lebe."
*
* *
Am 14. September befahl Mtesa einen zweiten Angriff
auf die Rebellen. Vierzig große Canoes formirten sich in
Schlachtordnung, das Vordertheil der Nakaranga-Spitze zu-
kehrend. Mtesa nahm mit seinen Lieblingsfrauen in einer
Stanley's letzte Forschungsreise
großen Hütte auf dem Abhänge Platz und etwa drei Viertel
seines Heeres setzte sich ebenfalls Reihe hinter Reihe, Tau-
sende auf Taufende, vom Ufer bis zur Bergspitze aus dem
Vorgebirge nieder. Bei Mtefa befanden sich die 50 großen
Kriegspauken und gegen 100 Pfeifer. Der phantastisch ge-
kleidete Hauptpriester brachte mit hundert Begleitern beider
Geschlechter' alle Zaubermittel von Uganda herbei, bestehend
ans todten Eidechsen, Holzstücken, Haut, Nägeln von Leichen,
Thierklauen, Vögelschnäbeln, Kräutern, Blättern n. s. w.,
alle in bunten perlverzierten Gefäßen verschlossen. Diese
wurden einzeln dem Kabaka hingereicht, welcher, trotz seiner
Bekehrung, sie sämmtlich mit dem Zeigefinger berührte, um
den bösen Geist Mnzimu zu besänftigen und sich den Sieg
zn sichern, wie dies in Uganda vor jeder Schlacht Gebrauch
ist. Während derselben singen die Priester ihre Beschwö-
rungeu und halten dem Feinde die Zanbermittel entgegen,
während mit Kürbissen voller Steinchen ein betäubender
Lärm erhoben wird. Mtesa und seine Krieger waren im
vollen Kriegsputz und Malerei; am meisten waren die Wa-
soga geschmückt. Ihr Befehlshaber Ankori und feine Offi-
ziere trugen schneeweiße Straußenfedern auf dem Kopf,
Löwen- und Leopardenfelle auf dem Rücken und weiße lang-
haarige Affen- und Ziegenfelle um die Hüften; felbst ihre
Lanzenschäfte waren mit Ringen von Affenfellen und Federn
verziert.
Die Flotte bewegte sich jetzt in einer Linie, das Hinter-
theil voran, langsam auf Jngira zu; auch dort hatten meh-
rere Tausend Krieger, Weiber und Kinder als Zuschauer
sich auf den Bergabhang gesetzt. Als die Waganda in
Schußnähe gelangten, eröffneten sie ein stetiges Feuer auf
ihre Feinde. Aus ein Signal fchoffen plötzlich die braunen
Canoes derselben, 194 an Zahl, aus dem dichten Rohr und
Schilfrand hervor und stürmten mit gellendem Kriegsgeschrei
pfeilschnell auf die Waganda zu, welche sich laugsam unter
den Schutz des Dammwegs zurückzogen. Am Ende desselben
standen nämlich unter des Katekiro Befehl 100 Musketiere
und vier kleiue Haubitzen, welche, sobald die Wawuma in
Schußweite gekommen, eine Breitseite auf sie abfeuerten,
welche, obgleich mehr Lärm als Schaden verursachend, jene
gleich erschrockene, um ihre Beute betrogene Krokodile in das
Schilf ihrer Insel zurücktrieb. Dies war die ganze Schlacht;
das Heer marschirte ins Lager zurück und die Canoes beider
Parteien wurden ans Land gezogen.
Vier Tage später riefen die großen Kriegstrommeln wie-
der zum Kampfe. Vorher fand eine Burfah (Kriegsrath)
aller Häuptlinge statt, in welchem Mtefa jedem Feiglinge
mit dem Feuertode drohte. Die ganze Flotte von 230 Canoes
sollte an dem Angriffe theilnehmen und die obersten Würden-
träger das Commaudo führen. Das Centrum wurde von
100 Canoes unter Kanta gebildet, der rechte Flügel von
50 unter Tfchambarango und der linke von 80 unter
Mkwanda. Die Musketiere und Haubitzen waren wieder
auf dem jetzt 200 Aards langen Dammwege aufgestellt. In
dieser Ordnung fuhr die gegen 16 000 Mann enthaltende
Flotte über den Canal und näherte sich der Insel Jngira
bis auf 30 Aards, wo sie die zur Verhinderung einer Lan-
dung aufgestellten Schleuderer der Wawuma mit einem mör-
derifchen Feuer überschüttete. Aber schou stürmten die 196
Canoes der Rebellen herbei, vor denen die Waganda wie
gewöhnlich sich bis in die Mitte der Meerenge zurückzogen
und sich vor dem Dammwege nach beiden Seiten theilten, so
daß die Musketiere und Haubitzen eine diesmal gutgezielte
Salve in die dichten Reil/en der Verfolger werfen konnten.
durch Afrika (1874 bis 1877). 345
Von einer Gruppe von 20 Canoes im Centrnm wurde über
die Hälfte gänzlich zerschmettert und es erzielten besonders
die abgefeuerten Eifeubolzeu eine schreckliche Wirkung, so daß
die Wawuma nach ihrer Insel zurückfuhren und viele Todte
und Verwundete ausluden. Noch zwei Mal griffen die Wa-
ganda an und wurden wieder vou den Wawuma, die sich
wie hungrige Haifische auf sie stürzten, zurückgeworfen«, um
ihrerseits wieder dem verheerenden Feuer von dem Damm-
Wege zn weichen. Ein paar Tage später fand eine dritte
erfolglose Schlacht zwischen 178 Wawuma- und 122 Wa-
ganda-Canoes statt, und am folgenden Tage verfolgten die
nnbesieglichen Rebellen in 203 Fahrzeugen 214 Waganda-
Canoes bis dicht an den Dammweg, wo ihnen wieder die
Schützen die Beute entrissen, da sie selber keine Schußwaffen
hatten.
Am5.October war der Krieg seinem Ende so fern als je
und Stanley's Geduld, welcher am 12. August sein Lager ver-
lassen hatte, fast erschöpft, da er erkannte, daß Mtesa selbst
mit der Uebermacht seiner Leute und Waffen auf diese Weise
nie die Wawuma besiegen würde. Auch war der Vorrath
an Schießpulver fast erschöpft und der Bau des Dammwegs
hatte ganz aufgehört. Stanley schlug deshalb Mtesa einen
Plan zur unblutigen Unterwerfung der Rebellen vor, wobei
er anf den Aberglauben derselben rechnete, und der von Jenem
angenommen wurde. Er ließ drei der größten Canoes von
70 Fuß Länge neben einander in 4 Fuß Entfernung durch
Querbäume verbinden und auf die so erlangte Platsorm
aus Stangen eine dichte Pallisadenverschanzuug ohne Oeff-
ingen von 7 Fuß Höhe, 70 Fuß Länge und 27 Fuß
Breite aufbauen. Mehrere lauge bunte Fahnen wurden
über diefer schwimmenden Festung ausgezogen und eine Be-
satzung von 60 Ruderern und 100 Musketieren iu dieselbe
eingeschifft.
Am Morgen des 13. October bewegte sich dies geheimniß-
volle Fahrzeug anscheinend von selbst uud ohne Menschen-
kraft Angesichts beider Heere über den Canal auf Jngira zu
uud blieb 50 9)«rds vom Ufer derselben liegen. Unter dem
lautlosen Schweigen der versammelten Tausende ertönte eine
mächtige Stimme aus dem Innern des geheimnißvollen Ban-
Werkes: „Sprecht; was wollt Ihr thun? Unterwerft Ihr
Ench Mtefa oder sollen wir Euch mit Eurer ganzen Insel
in die Luft sprengen? Antwortet schnell, denn wir können
nicht warten!"
Die Wawuma wurden von Angst und Schrecken ergrif-
fen, denn nie hatten sie etwas Aehnliches gesehen. Welches
schreckliche Wesen mochte aus dem mysteriösen Fahrzeug
sprechen; vielleicht der böse Geist Muzimu selbst? All' ihr
Muth und ihre Tollkühnheit waren dahin und zitternd kün-
deten sie ihre Unterwerfung au. Drei Stunden fpäter
brachte ein Canoe den Tribut für Mtesa, mehrere Elfenbein-
zahne und zwei junge Häuptlingstöchter für den königlichen
Harem. So endete der große Krieg zwischen Uganda und
Uwuma am 13. October 1875. An demselben Nachmittag
kehrte Mtesa's Flotte nach den Dschindscha-Fällen zurück und
zwei Tage später trat das Heer den Rückmarsch an. Durch
Zufall gerietheu die trockenen Grashütten des Lagers in
Brand, so daß viele Hülflose, Kranke, Verwundete, Weiber
und Kinder in den Flammen umkamen; selbst Stanley und
seine Leute entgingen denselben nur mit Mühe.
Am 13. erreichte er Ugungn auf der Ugauda-Seite der
Ripoufälle und am 29. zog er mit Mtesa und dem Heer in
die alte Hauptstadt U lag alla (unweit nordöstlich von Rn-
baga) ein.
Globus XXXIV. Nr. 22.
44
346
Arbeiten des anthropologischen Instituts von Großbritannien und Irland.
Arbeiten des anthropologischen Znst
cc. Vor Kurzem wurde der siebente Band des Journal
of the Anthropological Institute abgeschlossen und wie
schon früher wollen wir auch jetzt den Lesern des „Globus"
einen Ueberblick über den hauptsächlichsten Inhalt dieser
wichtigen Publication geben (vergl. „Globus" XXXII,
S. 125).
Im Ganzen enthält der Band 40 Abhandlungen, die
meisten von originalem Werthe; acht darunter sind ethno-
logischen Inhalts. Sehr werthvoll sind die Berichte
verschiedener Missionäre und Gelehrten in Australien, welche
über die Sprachen und Traditionen der Eingeborenen an den
Colonialsecretär von Nen-Süd-Wales, Ridley, ihre Mit-
theilungen eingesandt haben. Die Wörterverzeichnisse der
Kamilaroi- und Wailwnan-Sprache sind hoch willkommen,
ebenso die genaue Schilderung des unter dem Namen Bora
bekannten Gebrauches, der bei der Mannbarkeitserklärung
der jungen Australier herrscht. Zwei Weiße, Houery und
Macdonald, haben demselben beigewohnt, und der letztere
erzählt, daß dabei eine Figur aus Erdwällen hergestellt wird,
deren Umrisse dem menschlichen Körper gleichen und die
22 Fuß lang ist. Bestätigt wird vom Kamilaroi-Stamm
der Totemismns, d. h. daß die Mitglieder desselben Stam-
mes nicht unter einander Heirathen dürfen; neu erscheint uns
eine sehr ingeniöse Methode des Schildkrötenfanges bei den
Cap-?)ork-Eingeborenen: sie befestigen nämlich eine Remora
(Sangfisch) an eine Leine und lassen ihn nun ausschwimmen;
sobald er sich an einer Schildkröte festgesaugt hat, ziehen sie
diese mittelst der lebendigen Angel an sich heran.
„Eines Benedictiner Missionärs Bericht von den Ein-
geborenen Australiens und Oceaniens aus dem Italienischen
des Don Rndesindo Salvado" ist die Übersetzung einer
altern aus dem Jahre 1846 stammenden Arbeit, die indessen
wenig bekannt wurde. Wichtig erscheint, was Salvado über
die religiösen Vorstellungen der Australier von New-Nursia
mittheilt. Die Seelen der Verstorbenen flattern auf den
Bäumen gleich Vögelu, eine anderweitig auch oft vorkommende
Vorstellung, wofür uns z. B. augenblicklich die Parallele aus
der alttschechischen Königinhoser Handschrift einfällt. Da
heißt es in dem heidnischen Geist athmenden Gedichte Zaboj
und Slawoj:
Auch so manche Seele flattert dort von Baum zu Baum hin.
Der Glaube jener Australier an die große Schlange
Uocol, welche am Boden eines großen Teiches lebt und die
Schwarzen, die daraus trinken wollen, tobtet, mag mit dem
Schlangenglauben anderer Völker verglichen werden.
Ein Herr Gavin Hamilton hat die Gebräuche der
Indianer am Stuarts Lake und Fräser River in Britisch-
Nordamerika zum Gegenstände seines Studiums gemacht;
er bestätigt die Abscheiduug der Frauen vom Stamme zu
gewissen Zeiten und theilt die Speiseverbote mit, denen sie
unterliegen. Legenden, welche er unter den Indianern von
Fort Langley sammelte, beziehen sich auf den Ursprung der
Flüsse, Seen, Inseln und der pelztragenden Thiere.
Nachrichten von Socotora, das neuerdings die Auf-
merksamkeit der Briten mehr fesselt, theilt der Marinecapitän
F. M. Hunt er mit. In mancher Beziehung stimmen seine
Beobachtuugeu nicht mit denen seines Vorgängers Lieutenant
Wellsted.
nts von Großbritannien und Irland.
A. Simsou hat sehr sorgfältig den Stamm der Za-
paros in Ecuador stndirt. Das Volk ist sehr abergläubisch,
zeichnet sich aber durch scharfe Sinne aus und was Simson
von ihrer Gabe, den Feind oder das Wild zu entdecken,
erzählt, grenzt an Cooper. Ihre Art zu freien empfiehlt
sich durch Einfachheit. Der Bewerber fetzt vor die Thür
seiner Anserwählten Nahrungsmittel hin.- nimmt sie diesel-
ben an und kocht sie, dann wird sofort der neue Hausstand
begründet. Läßt sie alles unberührt, so bedeutet dies einen
Korb.
Eine „Charakteristik der Malayo-Polynesier" giebt uns
der Missionär S. I. WHitmeez er bezieht sich namentlich
aus die Samoa-Jnsnlaner, hebt die hohe Stellung des Wei-
bes bei ihnen hervor und berichtet über die Erblichkeit von
Rang und Titelu. Uebrigens ist er ein Degradations-
Anhänger und befindet sich in dem Wahne, die Polynesier
seien von einer frühern höhern Stufe aus eine niedrigere
herabgesunken.
Prachtvoll ist die Sammlung von Waffen und Geräthen
der Nikobaresen uud Andaman-Jnsnlaner, die Oberst Lane
Fox und E. Man abbilden und erläutern, und manche der
Waffen überraschen durch höchst sinnreiche Einrichtung.
Was Dr. Turner über die im Steinzeitalter lebenden Motn
an der Ostspitze Neuguineas, die er für Polynesier hält, mit-
theilt, ist im Ansznge bereits „Globus" XXXIV, S. 186
wiedergegeben worden.
Nicht weniger als 17 Abhandlungen beschäftigen sich mit
der Ur- und Vorgeschichte des Menschen. I. W. Knowles
giebt Nachträge zu den vorgeschichtlichen Funden von Port-
stewärd bei Londonderry; derselbe versucht auch eine Classi-
sication der Feuersteinpfeilspitzen; Hodder Westropp schildert
die Küchenabfälle von Ventnor; Edward Laws jene von
Tenby in Pembrokfhire. Die megalithischen Denkmale im
Allgemeinen macht M. I. Walhonse zum Gegenstande seiner
Betrachtungen, ohne neue Gesichtspunkte aufzuführen, wäh-
rend A. L. Lewis die großen Steindenkmäler von Nord-Wales
und Kent beschreibt. Zu den Mounds von Portsmonth in
Ohio führt uns R. B. Holt. Höhlenfunde theilen Boyd
Dawkins und Tiddeman mit, die unterirdischen Bauten von
Driffield in Aorkshire schildert I. R. Mortimer.
Daß Aegypten seine Steinzeit besessen, ist nun nach län-
germ Streite eine ausgemachte Sache und auch in Deutschland
anerkannt. Jukes Browne bildet zahlreiche Funde von
Kratzern, Messeru, Pfeilspitzen ab, die bei den Schwefelbädern
von Helwan gesunden wurden.
Lange haben wir keinen Aufsatz gelesen, welcher den Ein-
flnß des Lebensraumes (1e milien) besser charakterisirt als
eine geistreiche Arbeit Johu Rae's über die Wanderun-
gen der Eskimos. Es handelt sich hier um die Eontro-
Verse, ob die sogenannten arktischen Hochländer, nämlich die
durch Kaue, Hayes :c. bekannt gewordenen Eskimos am
Smithsunde, dorthin via Nordpol oder entlang der Nordküste
Nordamerikas gelangten. Rae entscheidet sich, gegenüber
Markham, für die letztere Ansicht und zeigt nun, daß die
Eskimos sich allemal ihrer Umgebung anpaßten. Ob sie
ihre Hütteu aus Stein, Holz oder Schnee banen; ob sie
Thran oder Holz zum Heizen gebrauchen; ob sie Harpunen,
Lanzen, Pfeile und Bogen als Waffen benutzen; ob sie große
Boote oder Schlitten aus Seehundsfell oder Knochen her-
Aus der chinesis
stellen — das alles sind keine mit der Race, sondern einzig
mit dem Lebensraume zusammenhängende Fragen.
Von genauer Kenntniß der einschlägigen Literatur zeugen
zwei Abhandlungen von Howorth: Uber die Wanderungen
der Sachsen und Uber die Ausbreitung der Slaven (Croa-
ten). Continentale Forscher werden darin nichts Neues
finden.
Die Anthropologie im engern Sinne ist nur durch we-
nige Aussätze vertreten Dr. Crochley Clapham beschäftigt
sich mit dem Gewichte des Gehirns der Chinesen und Palan-
Insulaner; Rae bespricht Eskimoschädel. Die Eskimos an
der Beringstraße sind brachycephal, die Grönländer dolicho-
cephal, zwischen beiden, am Kupferminenfluß, herrscht der
mesocephale Typus. Letztere, meint Rae, mögen den reinen
Typus repräsentiren, während an der Beringstraße Jndia-
ner-, in Grönland dänische Einmischung modificirend wirkten.
Von Shaw liegen zwei Abhandlungen vor; eine über
Rechtshändigkeit und Linkshandigkeit und eine andere Uber
den „geistigen Fortschritt der Thiere während der Menschen-
Periode."
en Märchenwelt. 347
Linguistischer Art sind vier Abhandlungen. Hier tritt
uns nun — schreckenerregend! — der Name Hyde Clarke's
entgegen. Diesmal ist der fruchtbare unkritische Mann in-
dessen gnädig, er hat nur eine Arbeit beigesteuert. Indessen
sie trägt einen vielversprechenden Titel.- „Ueber den Himalaya-
Ursprung der Magyaren." Resultat: die ugrischen Spra-
chen und jene der Himalayagrnppe sind verwandt, namentlich
die des östlichen Nepal. In diesem Lande wohnt ein Stamm,
der Magar heißt, dessen Sprache ungeheure Aehnlichkeit mit
dem Magyarischen haben soll. Ich registrire gleich neben
diesem Aufsatze jenen des Missionärs W. Roß: „Merk-
würdige Übereinstimmung des Vocabnlars der keltischen und
Maorisprache." Manche Uebereinstimmungen sind allerdings
schlagend, doch derlei läßt sich ja bei sehr vielen Sprachen
nachweisen und Roß ist auch geschult genug, um dadurch
nicht etwa eine Verwandtschaft der Kelten und Maori nach-
weisen zu wollen, sondern deutet nur an, daß in verschiedenen
Sprachen noch einige Ueberreste einer vorgeschichtlichen tlr*
spräche sich herumtreiben.
Aus der chinesis
a. Ein chinesisches Sprichwort versichert, daß „die
Menschen der vier Meere Brüder sind." Es liegt darin
etwas Wahres, und die Existenz der mythologischen Brüder-
schaft zwischen uns Europäern und den Bewohnern des
Himmlischen Reiches nachzuweisen hat Dr. N. B. Dennys
unternommen in einem vor Kurzem bei Trübner in London
erschienenen Werke, welches den viel versprechenden Titel führt
The Folk-Lore of China and its affinities with that
of the Aryan and Semitic Races. Ueber chinesische Lieder,
Geschichten und Aberglauben ist in der letzten Zeit viel ge-
schrieben worden, doch da es meist in wenig verbreiteten zu
Schanghai erscheinenden Zeitschriften veröffentlicht wurde, fo
ist es auch bei uns in Europa ungenügend bekannt geworden.
Dr. Dennys hat sich durch Sammlung uud Anordnung all'
dieses zerstreuten Materials daher ein großes Verdienst er-
worben und wir müssen gestehen, daß manche der von ihm
mitgetheilten Uebereinstimmungen schlagend sind, ja sogar
Licht über manchen europäischen Aberglauben:c. verbreiten
können.
Wie wir haben die Chinesen Trauringe, nur sind diese ein
wo möglich noch wichtigeres Symbol als bei uns. Im süd-
lichen China beschenkt die Braut den Mann bei der Hochzeit
mit ein paar Schuhen und deutet auf diese Weise an, daß
sie sich unter seine Herrschast stellt — es ist also das um-
gekehrte Pantosfelregiment. Die Schuhe werden sorgfältig
aufbewahrt und der Theil des Paares, welcher mit ihnen
davongeht, zeigt dadurch seine Scheidung an. Damit möge
man auch den bei uns herrschenden abergläubischen Gebrauch
des Schuhwerfens vergleichen. Unsere modernen Spiritisten
(z. B. der Astrophysiker Prof. Zöllner in Leipzig, dieser
Schüler des bekannten Mr. Slade) würden Freude empfiu-
den, wenn sie hörten, daß das storchschnabelartige Instrument,
die bekannte „Kinderscheere", auch in China zu spiritistischen
Offenbarungen benutzt wird. Die chinesischen Media ver-
stehen es genau so, die Dummen hinter das Licht zu führen
wie ihre europäischen Collegen, nur wenden sie bei ihren
Schreibereien keine Schiefertafeln an, sondern mit Sand
bestreute Tische, auf denen die Geister ihre Autographeu
hinterlassen.
en Märchenwelt.
Die Chinesen sind so abergläubisch wie nur irgend ein
anderes Volk, doch nimmt der Aberglauben bei ihnen beson-
dere, ihrem ganzen Wesen entsprechende Formen an. Geister-
glauben herrscht bei ihnen wie bei uns, nur sind die chine-
fischen Geister ganz eigenthümliche Gesellen. So gehen und
sprechen die körperlosen Geister der Selbstmörder nicht bloß,
wie sie es bei uns machen, sondern ihre Hauptliebhaberei ist
es, die Ueberlebeudeu zu veranlassen, auch Selbstmord zu
begehen. In Hang-tscheu war ein verzaubertes Hans, das
niemand kaufen wollte, bis endlich ein unternehmender Spe-
cnlant es um ein Spottbilliges erstand. Als er die erste
Nacht in demselben schlief, wurde er plötzlich durch die Er-
scheiuuug einer Frau erweckt, die laugsam heranschritt. Um
ihren Nacken hing ein rothseidenes Tuch, und nachdem sie ihn
begrüßt, befestigte sie einen Strick an einem Balken der
Decke, steckte ihren Kopf in die Schlinge und lud den Mann
ein, dasselbe zu thun. Doch er verlachte das Gespenst, das
nun bitterlich schrie und von dannen ging. Von der Zeit
an war das Haus nicht mehr verzaubert.
Es giebt in China auch Geister, die man verehrt und
liebt, obwohl sie nichts mit dem bekannten Ahnencnltus des
Volks zu thun haben. So erhängt ein Hansbesitzer eine
Katze uud fastet nun sieben Wochen lang, worauf der Katzen-
geist versöhnt ist und ein sehr nützlicher Diener seines Mör-
ders wird, denn „um die vierte Stuude der Nacht, bevor
noch der Hahn gekräht hat," geht er auf Diebstahl aus und
bringt seinem Herrn reiche Beute ins Haus. Auch die
Füchse haben besondere Gespensterhaft. Sie wohnen in
einem Zwischenreich, das weder die Erde noch das Gebiet
der Todten ist, und besitzen die Macht, wieder lebendig zu
werden, um dann Ermordete an ihren Mördern zu rächen.
So erzählte ein „gelehrter Chinese" dem Dr. Dennys fol-
gende Geschichte. Einer seiner Freunde stand im Verdachte,
seine Frau ermordet zu haben; jedenfalls war sein Haus
verzaubert und namentlich spukte es im Zimmer der Ver-
storbenen, so daß dieses verschlossen werden mußte. Eines
Abends aber veranlaßte der Erzähler seinen Freund, mit ihm
in das verzauberte Zimmer zu gehen; kurz uachdem sie ein-
getreten waren, erschien auch die Todte, ganz wie ehemals
44*
348 Weitere Nachrichten von Oschm
im Leben gekleidet, ging in eine Ecke des Zimmers, holte
dort ein Gefäß mit Wasser und reichte dieses ihrem Ehe-
manne dar, der vor Schrecken niederfiel. In dem Augen-
blicke verschwand der Geist, ein Fuchs aber rannte zur Thür
hinaus. Nun verschloß man das Haus ganz, der vermeint-
liche Mörder zog fort. „Aber der Geist der ermordeten
Frau wird ihn noch in Gestalt eines Fuchses zu Tode qua-
leu." Vergnügterer Art sind die kleinen Tintengeister, die
als kleine schwarze Kerlchen aus der Tinte der Literaten auf-
steigen und diese necken.
Eine gute Seite des chinesischen Charakters enthüllen die
Geschichten, in welchen von der Aufopferung der Kinder für
die Eltern die Rede ist. Ein Mandarin sollte enthauptet
werden, wenn der Guß eiuer Glocke, die für den Pekinger
Glockenthurm bestimmt war, mißlänge. Da ging sein hübsches
junges Töchterchen Ko^ai zu einem Astrologen und fragte,
was es thuu müsse um des Vaters Leben zu retten, worauf
dieser sagte, der Glockenguß geläuge nur, wenn das schmel-
zende Metall mit dem Blute eines unschuldigen Mädchens
vermischt werde. Als nun der Guß begann, stürzte sie sich
unter dem Rufe: „Für meinen Vater!" in die siedende
Masse. Ein Mann, der dabeistand, wollte sie noch ergreifen,
bekam aber nur ihren Schuh. Als die Form zerschlagen
wurde, stand die Glocke nntadelhast da, nnd als man sie
läutete, klang ihre Stimme melancholisch und wimmernd.
Das Volk glaubte darin das Wort hsieh, Schuh, zu hören
und sagte: „Die arme Ko-ai ruft nach ihrem Schuh." Daß
auch heute uoch, in unserer bösen Zeit, die Kinderliebe in
China nicht erstorben ist, dafür kann man in der chinesischen
Presse Beispiele finden. So erzählt der Shanghai Courier
im November 1875, daß ein braver Sohn, um seiner armen
kranken Mutter zu helfen, ein Stück Fleisch aus seinem Arme
schnitt, daraus Bouillon kochte und der Mutter zu trinken
gab, die nun genas. Im Mai 1874 berichtete die Pekiuger
Zeitung, daß eine pflichtgetreue Tochter aus ihrem Arme ein
Stück Fleisch schnitt nnd für den kranken Vater zubereitete,
der dadurch gesund wurde. Alle Mädchen in China scheinen
indessen nicht so brav zu sein, denn man erzählt sich, es gäbe
einen Mädchenbund, dessen Mitglieder geschworen haben, nie
zu Heirathen. Werden sie von ihren Eltern dazu gezwungen,
so ermorden sie ihre Männer mit einem Gift, dessen Haupt-
bestandtheil Kinderblut ist!
Viele der chinesischen Märchen erscheinen uns nur als
Varianten unserer eigenen Kindergeschichten, so daß man
geneigt ist, für beide Indien, den geographischen Mittelpunkt,
als gemeinsames Vaterland anzusehen. Selbst zur Erklä-
rnng und Erläuterung unserer eigenen Legenden tragen die
chinesischen bei, so z. B. zur Erklärung der Sage von
St. Georg, dem Drachentödter. China und Japan sind die
classischen Länder der Drachengeschichten und der Drache wird
in beiden als Wirkung der Atmosphäre, der Stürme und
Winde dargestellt. Orcane und Wasserhosen sind die ttr-
typen der Drachen. In chinesischen Chroniken lesen wir:
A. D. 1605. Ein paar Drachen fochten mit einander in
in's Expedition nach Karategin.
Wham-poa; sie rissen einen großen Baum aus nnd demolir-
ten viele Häuser. — A. I). 1608, im 4. Monat. Ein
wirbelnder Drache wurde über der verzierten Spitze einer
Pagode gesehen; ringsum waren Nebel nnd Wolken; nur
der Schwanz des Drachen war sichtbar. In der Zeit, daß
man ein Mahl einnimmt, war er wieder verschwunden und
hinterließ die Spuren seiner Klauen an der Pagode. —
Chinesische Werke aus dem Eude des 16. Jahrhunderts
erzählen ferner von einer mächtigen Schlange, welche junge
Mädchen verschlang. Nachdem sie schon neun Opser ver-
schlungeu, bot sich ein Mädchen Namens Ki selbst als zehn-
tes an. Indem sie sich vorsichtig der Höhle der Schlange
näherte, stellte sie eine Schüssel mit Honig und Reis an den
Eingang derselben und wartete dort, begleitet von einem
Schlangenhunde und bewaffnet mit einem guten Schwerte.
Als nun der Drache hervorkam, sich au dem leckern Mahle
zu erquicken, fiel ihn die Dogge an und das Mädchen hieb
ihm mit dem Schwerte den Kopf ab. Dann ging sie in die
Höhle, holte die Gerippe der neun Opser und beweinte deren
frühen Tod.
Wem fällt nicht sofort die europäische Variante bei sol-
gender chinesischen Geschichte ein? Ein Holzhacker fand eine
Höhle, ging hinein und sah dort ein paar Schachspieler.
Nachdem diese ihre Partie beendet, trat er wieder heraus,
um seine Arbeit zu vollenden. Aber alles um ihn war ver-
ändert, er sand keinen Verwandten mehr im Dorse, denn er
hatte unbewußt ein paar hundert Jahre iu der Höhle zuge-
bracht.
Ferner: Ein Hund, der die Magie verstand, nahm die
Gestalt des Mannes einer schönen Frau au und besuchte sie
so. Doch einst ereignete es sich, daß zu gleicher Zeit der
echte und der unechte Mann zu der Frau kamen. Da diese
nun den echten nicht finden konnte, rief sie den Richter, der,
eine Verzauberung ahnend, beide in einen Käfig sperren ließ
und einen Tiger zu ihnen brachte, der nur Thiere, aber keine
Menschen tödtete. Natürlich fraß der Tiger den falschen,
während der echte zu seinem Weibe zurückkehrte.
Liebesgeschichteu spielen anch ihre Rolle. Ein Fischer
fuhr täglich am Fenster eines schönen Mädchens mit seinem
Boote vorüber und zwischen beiden entspann sich ein Liebes-
verhältniß. Da starb das Mädchen uud als man ihren
Körper zerschnitt, fand man, daß ihr Herz von Eisen war,
darauf emgravirt der Fischer und sein Boot. Als man ihm
dies Herz zeigte, starbauch er. So geschehen 350 vor unserer
Zeitrechnung.
Zum Schlüsse eine Geschichte, die als Warnung für spar-
same Kriegsminister dienen kann. Ein solcher gab Befehl,
daß in Friedenszeiten die Pferde der Reiterei in den Mühlen
beschäftigt werden sollten und sparte so viel Geld. Als nun
aber ein Krieg ausbrach und die Cavallerie zum Angriff
vorging, da gewahrte sie zu ihrem Schrecken, daß die Pferde
nicht auf den Feind zu, sondern alle im Kreise herumgingen.
Deshalb wurde sie besiegt.
Weitere Nachrichten von Oschanin's Expedition nach Karategin.
Li. V — y. In unserm ersten Berichte über die russische selbe jedoch aus einem bisher gänzlich verschlossen gebliebenen
Expedition nach Karategin haben wir dieselbe auf einem durch Gebiete, daher die weiteren Details auch um so interessanter
Oberst Majew schon theilweise besuchten und einigermaßen werden. Herr Oschanin ist seinem kurzen Berichte zufolge
bekannten Terrain begleitet. Von Karatag an bewegte sich die- von Karatag am 27. August aufgebrochen und hat in Ka-
Aus allen
firnihan (— Schlupfwinkel des Ungläubigen) übernachtet.
Am 16. langte er in Fezzabad an, welches am Flusse Jljak
(Jlek?)^) gelegen ist, und traf endlich am 17. in Kelan-descht
(= großes Feld), dem Grenzort zwischen Hissar und Kara-
tegin, ein, von wo aus der Weg ohne Rast in fünf Tagen
nach Germ, dem Hauptorte Karategins, fortgesetzt wurde.
Bezüglich der Einzelheiten der zurückgelegten Strecke erfahren
wir, daß der Weg von Feüzabad ununterbrochen am Flusse
Jljak sich hinzieht, ja denselben bis zu seiner Quelle verfolgt,
wo ein circa 12 Werst langes und 1 bis 4 Werst breites,
ein Alai en miniature vorstellendes (?) Thal, Namens Deschti
Bidan (— Wachtelfeld), sich befindet. Dasselbe wird von
Oezbegen aus dem Stamme Karlik bewohnt, die den Winter
hier, den Sommer hindurch in der Stärke von 700 bis 800
Zelten in den Wäldern von Hissar und am Ufer des Sur-
chan zubringen. In diesem Thale entspringt außer dem
Jljak, der ein Nebenfluß des Kafirnihan ist, noch der Fluß
Abi-Germ (= warmes Wasser), der in den Snrchab
(= rothes Wasser), bekanntermaßen einen Nebenfluß des
Oxus, mündet. Am Abi-Germ liegt die gleichnamige Festung,
so genannt von der in der Nähe existirenden heißen Quelle,
welche, von einem 5 Arschin breiten Gebäude aus Holz um-
geben, 2 Arschin tief ist, und in einer Minute wenigstens
20 Eimer (Wedro) Wasser liefert, welches^gauz durchsichtig
klar ist, so daß man am Boden jedes Sandkorn unterscheiden
kann. Das Wasser hat keinen besondern Geruch, eiueu nur
leicht säuerlichen Geschmack und eine Temperatur von -j- 33° R.
und wird selbstverständlich als Heilmittel gegen verschiedene
Krankheiten gebraucht.
Von Abi-Germ geht die Straße nach Snrchab, und zwar
immer am rechten Ufer, mitunter in einer Entfernung von
3 bis 4 Werst, um die einzelnen Nebenflüsse zu überschreiten
oder die bis hart an den Fluß reichenden Bergrücken zu um-
gehen. Aufstiege, Abhänge, Karniese und Balcone sind sehr
häusig, doch ist ungeachtet der steilen Orte der Weg bis-
weilen breit genug für drei neben einander Reitende, keines-
falls gefährlich, für Kanonen aber nnpassirbar. Das Snrchab-
thal besteht im Allgemeinen aus einer ganzen Reihe von
Erweiterungen, wo der Fluß niit seinen Armen und Neben-
slüssen hinzieht, und aus einigen sehr engen Pässen, wo das
Wasser mit rasender Schnelligkeit in seinem Bette hineilt. Der
ersten Brücke begegnet man beim Dorfe Sari-Pul (= gelbe
Brücke) 4 Werst unterhalb Germs; sonst pflegt von einem
Ufer zum andern die Heberfahrt nur mittels Schläuchen (Tursuk)
bewerkstelligt zu werden. Schisse giebt es in dieser Jahres-
zeit gar keine. Die Russen fanden die ganze Gegend ziem-
lich gut bevölkert. Die Hauptbeschäftigung ist der Ackerbau,
i) Diese richtigere Schreibart defolgt Majew.
Erdtheilen. 349
und selbst solche steile Abhänge sind bebaut, wo es kaum mög-
lich scheint, festen Fuß zu fassen. Gebaut wird Weizen,
Gerste und Flachs, und bei künstlicher Bewässerung auch
Hirse und Luzerne, von welchen Bodenerzeugnissen hier und
da auch nach der Landschaft Derwaz (= Pforte) (im Süd-
osten) exportirt wird, wogegen von dort Baumwolle und Eisen
eingeführt wird. Germ wird überhaupt als ein sehr ärm-
licher Ort geschildert, in welchem weder Häute, Stricke oder
Pelze, ja nicht einmal ein Hufeisen zu finden war.
Der Herrscher des Landes, vulgo Schah genannt, befin-
det sich, wie wir hören, schon seit einem Jahre im Arreste
in-Bochara, das schon längst souveräne Rechte über Kara-
tegin beansprucht, und es hat auch der Emir den eingesperr-
ten Landesfürsten durch den Dadchah (= Gouverneur, wört-
lich Gerechtigkeitspfleger) Chudai-Nuzar ersetzt. Jusolge dessen
ist in Derwaz, dessen Herrscher mit dem von Karategin in
Freundschaft lebt, ein Aufstand ausgebrochen, zu dessen Be-
wältigung Chudai-Nuzar sich dahin begeben hat. Derselbe
ist auch als Obercommandirender dort zurückgeblieben, selbst-
verständlich nachdem er den Herrn von Derwaz besiegt und
ihn gleichfalls nach Bochara in Arrest geschickt hat.
Herr Oschanin beabsichtigt von hier zuerst am Snrchab
entlang und dann nach dem Muk-su (— Beerenwasser) zu
gehen, wo er unter den Kara-Kirgisen die nöthigen Führer
nach dem Pamir zu finden hofft. Sonderbarerweise sind
solche in Karategin selbst nicht zu erlangen, denn wenngleich
die Leute von der Existenz des „Daches der Welt" gehört
haben, so hat es doch noch keiner besucht. Nicht uninteressant
sind einige Rectisicationen bezüglich der russischen Karten von
Derwaz, und es soll namentlich die 30-Werst-Karte des
Generalstabes richtiger sein, als die 40-Werst-Karte, obwohl
auch erstere noch fehlerhaft genug ist. So wird unter an-
derm auf letztgenannter Karte der Chullajas(?) als in den
Ktfchi- (Kitschi —klein?) Surchab ^) sich ergießend dargestellt,
während derselbe einen linken Nebenfluß des Surchab bildet,
im obern Laufe den Namen Wachja(?) führt, welcher bald
hier bald dorthin versetzt, von einigen sogar mit Wachan
identificirt worden ist. Es ist dies ein großer Fluß, dessen
Mündung Oschanin 45 Werst unterhalb Germ gesehen hat.
Die Gebirgskette, welche den Surchab vom Chulljas trennt,
erreicht auf einem Punkte die Höhe von 15 000 Fuß. Germ
selbst liegt iu einer Höhe von 5000 bis 5500 Fuß. Vom
letztgenannten Orte ist der Brief Ofchanin's vom 25. August
(6. Sept.) datirt. Wir werden auf feine späteren Berichte
zurückkommen.
i) Auf der Karte in „Globus" XXXI, S. 9 Chulias und
Kitschi-SurchZ.b geschrieben und erstem richtig als Zufluß des
Wachsch oder Surchkb dargestellt.
Aus allen
Europa.
— Im Verlage von Orell Füßli n. Comp, in Zürich
erscheint seit dem vorigen Jahre unter dem Titel „Jllustricte
Wanderbilder" eine Sammlung von Beschreibungen der
sämmtlichen Bergbahnen sowie der besuchtesten Touristen-
Gegenden und beliebtesten Ausflüge der Schweiz, welche sich
durch ihre reiche Ausstattung mit landschaftlichen Ansichten,
Panoramen und kleinen Uebersichtskarteu und ihren billigen
Preis tpro Heft 50 Cts.) für Touristen und namentlich
c r d t h e i l e n.
sedeutäre Sommerfrischler sehr empfiehlt. Vou Männern
geschrieben, welche in der betreffenden Gegend dauernd ihren
Wohnsitz haben oder doch gründlich zu Haus sind, und je
ein enger begrenztes Gebiet umfassend, vermögen die nied-
lichen Bücher auf ihren 20 bis 30 Seiten Text ungleich mehr
in die verborgenen Schönheiten und Reize der geschilderten
Gegend einzuführen als die compendiöfen Führer von Ber-
lepfch, Bädeker oder Meyer, nicht minder auch ausführlicher
von der Erbauung und den äußeren Verhältnisseu der Berg-
bahnen, von den Berglocomotiven und dergleichen zu berich-
350 Aus allen Erdtheilen.
teu. Bis jetzt liegen von dem Cyclns acht Bcindchen vor, sind 1. Die Arth-Rigi-Bahn. (Mit 20 Illustrationen
von denen die ersten fünf sich mit Bergbahnen, die letzten und 1 Karte.) 2. Die Ueltiberg-Bahn. VonJ. I. Bin-
drei mit bevorzugten Touristen-Gebieten beschäftigen. Es der. (Mit 25 Illustrationen.) Behandelt zugleich auch Zii-
Oberhofen bei Thun.
Scherzlingen am Thuner See.
rich und die weitere Umgebung des Uetli, wie Falelsche, strationen und 2 Karten.) 4. Heiden und die Rorschach-
Baldern, die Mauegg und Albishochwacht. 3. Die Luzer- Heiden-Bahn. Von H. Szadrowsky. (Mit 22 Jlln-
ner Rigi-Bahn. Von H. A. Berlepsch. (Mit 22 Jllu- strationen und 2 Karten.) Giebt historische, commercielle,
Aus allen
naturwissenschaftliche zc. Notizen, behandelt Heiden als Luft-
und Molkenkurort, bespricht die Excnrsionen von einfachen
Spaziergängen an bis zu Hochgebirgstoureu sowie die Zu-
Erdtheilen. 351
fahrtsliuieu zu der betreffende Bergbahn, was auch in den
übrigen Heften nicht unterlassen ist. 5. Die Wädeusweil-
Einsiedeln-Bahn. Von I. I. Binder. Mit 20 Jlln-
Der Albula-Paß.
Ausblick vou Golzwyl auf den Faulen See und den Brienzer See.
strationen.) Bespricht auch den Züricher See, den berühmten
Wallfahrtsort Einsiedeln und dessen Umgebung. 6. Thun
und Thuner See. Mit 23Illustrationen (von denen wir
zwei mittheilen) und I Karte. 7. Jnterlaken. Von Dia-
con Gerber in Jnterlaken. Mit 20 Illustrationen (vergl.
den „Ausblick von Golzwyl") und I Karte. 8. Das Ober-
352 Aus allen
eng ab in. Von Dr. Pernisch, Kurarzt m Tarasp-Schuls.
Mit 21 Illustrationen (darunter der Albnla-Paß, den wir
abdrucken) nnd l Karte. — Wenn die Praktische Branchbar-
feit der Hefte, die sich ganz doch nnr an Ort nnd Stelle er-
proben läßt, an der wir aber nicht zweifeln, der künstlerischen
Ansstattnng gleichkommt, so werden sich dieselben gewiß rasch
einbürgern, ein Umstand, der vielleicht die Verlagshandlung
znr Beigabe von theilweise noch detaillirteren Karten veran-
lassen mag.
— Der König von Württemberg hat angeordnet, daß
das statistisch-topographische Bürean eine eingehende Unter-
snchnng des Bodensees, speciell wohl des zu Württemberg
gehörenden Theiles, welcher die tiefsten Stellen des Sees
nmschließt, vornehmen soll, und zwar in Hinsicht auf Zoo-
logie, Botanik, Tiefen-, Würmemeffnngen n. s. w. (21. Z.)
— Im Verlage von I. C. Hinrichs in Leipzig erschien
von Carl Georg ein bibliographisches Werkchen, das bei
einschlagenden Arbeiten von Nntzen sein kann: Die Reise-
literatur Deutschlands ans den Jahren 1871 bis 30. April
1877 und die wichtigsten Erscheinungen aus früherer Zeit.
Mit Einschluß -.von Plänen und Reisekarten. Nach dem
Alphabet der Länder und Ortschaften zc. sowie mit Berück-
sichtigung der medieinischeu Bäderliteratur.
— Seit dem 1. Oetober erscheinen in Deutschland zwei
neue geographische Monatsschriften, die eine in Leip-
zig nnter dem Titel „Ans fernen Zonen" nnd unter der
Redaction eines Geistlichen, G.Knnze, welcher sich in ethno-
graphischer Hinsicht besonders der Mitwirkung von Missio-
nären erfreuen wird, und eine zweite in Wien nnter dem
Titel „Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik"
nnd unter der Redaetion von Prof. Dr. Carl Arendts in
München.
— Am 5. September wurde der Abzugsstollen 'des
Schemnitz er Bergwerkes in Ungarn, welcher unter Kaiser
Joseph II. 1782 begonnen worden ist, vollendet. Er führt
etwa 10% engl. Meilen meist durch sehr hartes vulcauisches
Gestein nnd durchschneidet die Gruben in einer Tiefe von
800 bis 1500 Fuß unter der Erde. Es ist der dritte große
Abzugsstolleu, der innerhalb der letzten zwei Jahre vollendet
wurde; die beiden anderen siud der Sutro-Tunnel iu Nevada
(vergl. oben S. 239) und der Rothschönberg-Stollen, welcher
die Wasser der Freiberger Gruben in die Elbe leitet.
— Die größte je versuchte trigonometrische Operation,
die Verbindung der spanischen und algerischen
Triangulation, wird demnächst in Angriff genommen
werden. Die spanischen Ingenieure sind auf der Sierra Ne-
vada und dem Berge Tetica, die französischen iu Fillaussen
bei Nemours und Ben Sabra bei Oran stationirt. („Mail".)
— Einer Mittheilung der „Times" zufolge besteht noch
heute die Nachkommenschaft der schottischen Leibgarde
Karl's VII., des „Kol äs Bourges", in der Nähe dieser
Stadt, wo sie (in St. Martin d'Anxiny) unter ihrem Führer
Stewart angesiedelt wurden und durch Binnenheirathen sich
fast rein erhalten haben. Ihre Zahl betrage 3000, die sich
vorwiegend mit Obstbau beschäftigen nnd eine eigentümliche
Bodengemeinfchaft pflegen, die dem russischen Mir ähnlich
sein soll.
— Nicht ganz Großbritannien ist so dicht oder vielmehr
so übervölkert, wie die Censnslisten es darzustellen scheinen.
Ein Bericht von St. Kilda, einer der äußeren Hebriden,
meldet, daß dort, wo im vorigen Jahrhnndert über 100 Men-
scheu wohnten, nach einer Zählung von 1877 nur 76 vorhan-
Inhalt: Stauley's letzte Forschungsreise durch Af
beiten des anthropologischen Instituts von Großbritannien i
Nachrichten von Oschanin's Expedition nach Karategin. —
(Schluß der Redaction 10. November 1878.)
Nedactenr: Dr. N. Kiepert in
Druck und Verlag von Friedrich V
Erdtheilen.
den sind. 1861 waren es 78, 1871 71. Macanley, der
klassische Beschreiber dieser Regionen, schätzt die Zahl der
Menschen, die St. Kilda ernähren könnte, auf 300, Lord
Brongham verstieg sich sogar zu 1500. Der Rückgang der
Bevölkernng beruht theilweise auf großer Kindersterblichkeit
(272 Geburten auf 3 Todesfälle im Durchschnitt der letzten
21 Jahre), dann auf der Auswanderung von 36 Insulanern,
die 1856 nach Australien gingen. Selbst die Verwüstungen,
welche 1831 die Cholera hier anrichtete, sind noch nicht aus-
geglichen. Von anderen lebenden Wesen befinden sich ans
der Insel 50 Rinder und 1500 Schafe (norwegische Race),
von welch' letzteren lein Drittel auf einer kleinen Nachbarinsel
ihre karge Weide finden. Aber die Hanptnahrnngsqnellen
der Bevölkerung siud Vogelfang und Eiersuchen.
— Die serbische Regierung hat nach einer Cor-
respondenz der „Allgemeinen Zeitung" in ihrem neu er-
wordenen Gebiete alsbald dem Schulwesen volle Auf-
merksamkeit geschenkt, so daß Mitte Oetober bereits über 50
Volksschulen in Gang waren. Erfreulich ist, daß die Dorf-
bewohner eiueu großen Theil der Kosten sofort auf sich nah-
men. In Nisch bestanden aus der Zeit Midhat Pascha's eine
Mittelschule und eine mit einem Waisenhause verbuudeue
Gewerbeschule, welche beide im Kriege zu Grunde gingen.
Nun hat die serbische Regierung an Stelle der Gewerbeschule
in Nisch ein Gymnasium errichtet und die Gewerbeschule mit
einem Cursns der Handelsschule nach Pirot verlegt. Erfreu-
licheres ist seit lange von der Balkanhalbinfel nicht gemeldet
worden.
— Der letzte Türkenkrieg hat neben manchem anderen
auch eine Ausdehnung des lateinischen Alphabets zur
Folge gehabt: die österreichische Regierung hat nämlich in
Bosnien und der Herzegowina anstatt der von der türkischen
Regierung gebrauchten cyrillischen Schrift die lateinische für
ihre Erlasse in serbisch-croatischer Sprache eingeführt, und
zweitens kommt dieselbe Schrift nun auch mit der rumä-
nischen Herrschaft in der Dobrudscha zur Geltung, während
sie in dem an Rußland abgetretenen Beffarabien durch die
russische verdrängt wird.
— Ueber den bekannten Reisenden Prschewalski be-
richtet der „Golos": „Am Mittwoch den 11. (23.) Oetober
findet die erste Versammlung der Petersburger Geographischen
Gesellschaft statt. Während dieser Versammlung wird Oberst
N. M. Prschewalski einen Vortrag über seine letzte Reise
ins Innere Asiens halten. N. M. Prschewalski kehrte be-
reits im Frühling nach Rußland zurück und verlebte den
ganzen Sommer auf Auorduuug der Aerzte auf seinem Land-
gute, um dort zu Kräften zu kommen. Dieser Tage ist von
ihm ein Brief angelangt, aus welchem erhellt, daß er von
seiner schweren Krankheit vollkommen geheilt und wieder der-
maßen zu Kräften gekommen sei, daß, wenn es die Umstände
erlauben sollten, er die durch seine Krankheit unterbrochene
Reise fortsetzen könne." (A. K.)
Arktisches Gebiet.
— Die niederländische Polarexpedition (s. oben
S. 95) ans dem Schoner „Willem Barendsz" ist am 14. Oe-
tober in ihre Heimath zurückgekehrt. Von dem Naturforscher,
Dr. Sluiter, abgesehen hat niemand an seiner Gesundheit
Schaden gelitten. An denjenigen Stellen, wo berühmte
niederländische Nordfahrer, wie man glaubt, umgekommen
sind, hat man Grabdenkmäler errichtet und außerdem auch
wissenschaftliche Beobachtungen angestellt. Bericht nnd Karte
sollen binnen Kurzem erscheinen.
.a (1874 bis 1877). III. (Mit sieben Abbildungen.) — Ar-
d Irland. — Aus der chinesischen Märchenwelt. — Weitere
Aus allen Erdtheilen: Europa. — Arktisches Gebiet. —
lin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
>ieweg und Sohn in Vraunschweig.
Hierzu zwei Beilagen: 1. Prospectus, betreffend: „Ratzel, aus Mexico; — Büchner, Reise durch den Stillen
Oeean; — Koerte, landwirthschaftliche Kulturbilder." — 2. Prospectus, betreffend: „Populär-naturwissenschaftliche
Volksschriften". Verlag von A. Haack in Berlin.
3^
^ «*»
Band XXXIV.
%
%
Jv,
y° 23,
it desonÄerer Herücksirktigung l!er Antkropologie unä Gtknologie.
Begründet von Karl Anbree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
m ^ . Jährlich 2 Bände k 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten o wo
OtCt HU [ Cl)It)ClQ zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. ®
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
IV.
Land und Leute von Uganda.
Geschichte. Das Reich Uganda soll im 13. oder
14. Jahrhundert durch Einwanderer aus dem Norden be-
völkert worden sein. Der Sage nach hieß der Patriarch und
erste König von Uganda Kintu, der vielleicht arabischer oder
äthiopischer Abstammung war. Er soll die Kuh, die Ziege,
das Schaf, das Huhn, den Pisang und die süße Kartoffel
mitgebracht und sich am Mwerango-Fluß in dem menschen-
leeren Lande angesiedelt haben. Alle Waganda halten sich
für seine und seiner Frau directe Nachkommen.
Mtesa, der jetzige Herrscher, soll in gerader Abstam-
mnng einer langen Reihe von Königen seit Kintu der 35.
Kab aka (Kaiser) von Uganda sein, was ein für ein central-
afrikanisches Reich bedeutendes Alter beweist. Nakivingi,
der zwölfte Herrscher, eroberte Unjoro, und König Tscha-
bagu besiegte Usoga und verleibte es seinem Reiche ein.
Kamanja, der Großvater Mtesa's, überwältigte das wilde
Volk der W a k e d i im Norden von Usoga, welche eiserne Harnische
trugen und vou großeu, abgerichteten Hunden in die Schlacht
begleitet wurden. Sein Sohn, Suna II., bestieg den Thron
von Uganda etwa im Jahre 1836. Er war äußerst blut-
dürstig uud ließ seine Unterthanen oft zu Hunderten hin-
richten; an einem Tage wurden 800 Waganda wegen eines
einzigen Verbrechens enthauptet. Er eroberte Ankori, Un-
joro und die vereinigten Reiche von Usongora und bewäl-
tigte sogar die tapferen Wawuma. Einen großen Aufstand
der Wasogo unterdrückte er mit seiner Flotte von 500 Ca-
noes, welche die auf eine Insel zurückgezogenen Rebellen
durch Hungersnoth zur Uebergabe zwang, und ließ 60 ihrer
Globus XXXIV. Nr. 23.
obersten Häuptlinge hinrichten. Er starb im Jahre 1860
an den Pocken, nachdem er seinen ältesten Sohn, Kad-
schumba, zum Nachfolger ernannt. Allein die obersten
Würdenträger fürchteten die Grausamkeit und zügellosen
Leidenschaften des Prinzen; sie ergriffen ihn und wählten
den damals 19jährigen,-milden, großäugigen Mtesa, einen
jüngern Sohu Suua's, zum Herrscher. Kaum hatte dieser
die Macht in Händen, als er seinen wahren Charakter zeigte
und alle seine Brüder und die Häuptlinge, die ihn auf den
Thron erhoben, hinrichten ließ. Gleich seinem Vater ver-
ordnete er fast täglich Blutbäder von Männern und Wei-
bern und sonstige Grausamkeiten, von denen Speke, der erste
Europäer, der ihn besuchte, noch Augenzeuge war. Seit er
jedoch vor mehreren Jahren durch den Araber Muley zum
Islam bekehrt wurde, ist er viel menschlicher geworden, ent-
hält sich des übermäßigen Pombetriukeus uud hat die häu-
sigeu Massenhinrichtungen abgeschafft; auch ist er eifrig be-
müht, fremde Cnltnr in seinem Lande einzuführen. Seiue
Regierung hat sich wie die seiner Vorgänger durch siegreiche
Feldzüge gegen alle benachbarten Völker ausgezeichnet und
sein Katekiro (Minister, Stellvertreter) hat seiue Fahne
bis Nu au da uud an den Mwutan getragen. Er hat
Gesandtschaften au den Chedive nach Goudokoro und an die
Sultane von Zanzibar geschickt und ist in den letzten Jahren
von vielen Weißen besucht worden.
Das Land. Mtesa's Reich hat annähernd die Form
eines Halbmondes, der die Nord- und Nordwestküsten des
Ukerewe-Sees umfaßt; seine Länge beträgt gegen 300 geogr.
45
354
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
Meilen, seine Breite deren 60, während der Flächeninhalt
des Reiches mit den vielen Inseln im See etwa 30 000
Quadratmeilen beträgt. Rechnet man noch die 40 000
Quadratmeilen der Reiche Unjoro, Ukedi nnd Ankori hinzu,
welche alle Mtesa's Macht anerkennen und ihm Tribut be-
zahlen, so stellt sich die Totalgröße des Reiches auf 70 000
Quadratmeilen, lieber- die Bevölkerung dieser Länder liefert
Stanley folgende Liste, deren Zahlen auf feinen sorgfältigen
Schätzungen beruhen:
Das eigentliche Uganda (vom
Victoria-Nil zum Katonga)
Uddu........
Bwera.......
Koki........
Usoga........
Ukedi........
Unjoro.......
Usagara ober Ankori . . .
Karagwe.......
Usui........
Uzougora mit Jhaugiro und
Bumbireh......
Die Insel Sesse.....
Die Insel Uwnma ....
Alle anderen Inseln' . . .
750 000 Einwohner
100 000 „
30 000 „
70 000 „
500 000 „
150 000 „
500 000
200 000
150 000 „
80 000 „
200 000 „
20 000 „
15 000 „
10 000
zusammen 2 775 000 Einwohner
Dies ergiebt eine Dichtigkeit der Bevölkerung von 38
Seelen auf jede Quadratmeile im ganzen Reiche Uganda.
Unter der großen Menge der Erzengnisse dieses Landes
finden sich: Elfenbein, Kaffee, Gummi, Harze und Myrrhen,
Löwen-, Leoparden-, Otter- und weiße Ziegenfelle, letztere
mit feinen Seidenhaaren von 4 bis 8 Zoll Länge gleich denen
von Angora, Ochsenhäute, schueeweiße Affenselle und Rinden-
tuch, ferner schöne Rinder, Schafe nnd Ziegen. Die Haupt-
sächlichen Bodenprodncte find Papawen, Bananen, Tjams,
süße Kartoffeln, Erbsen, verschiedene Bohnenarten, Melonen,
Gurken, Pflanzenmark, Maniok und Tomaten, während die
in der Nähe der Hauptstadt vorkommenden Getreidearten
Weizen, Reis, Mais, Kaffernkorn, Hirse und Wicken um-
fassen. Der Boden der ganzen Küstenregion des Landes ist
von unerschöpflicher Fruchtbarkeit; die dichten Wälder ent-
halten riefige Teak- und Harzbäume, Baumwollholz und
Tamarinden, während viele der unbewohnten Gegenden am
See sich durch Dichtheit, Ueppigkeit und Mannigfaltigkeit
ihrer Vegetation auszeichnen. Das höhere, zum größten
Theil baumlose Land, obgleich auch der Pisang- und Feigen-
bäum vorkommen, enthält ausgedehnte, grasreiche Weide-
gründe. Gegen Westen geht das ebene, wellenförmige Land
in rauhe Hügelreihen und diese in mächtige Gebirgsketten
voller Abgründe, tiefer Thäler, Gießbäche und Katarakte
über, die in 10 000 bis 15 000 Fuß hohen Bergspitzen all-
miniren.
Die Waganda (1. der Kopi oder Bauer). Die
Hütten im östlichen Central-Afrika. 1 u. 2 Waugwana-Lagerhütten. 3 Unjamwezi-Hütten. 4 Hütten in Karagwö und
Uddu. 5 Hütten in Uganda. 6 Kleine Tembö in Ugogo.
Bewohner des Landes sind von Gestalt groß und schlank,
viele über 6 Fuß hoch, stark und kräftig. Ihr Gesicht nnd
Gehör ist allgemein außerordentlich scharf; ihre Haut, die sie
mit Butter einreiben, hat eine glänzende dunkelbraune Farbe.
Sie sind alle mit Kleidern aus brauner Feigenrinde bekleidet,
die, auf der Schulter geknotet, bis auf die Füße fallen; gänz-
liche Nacktheit ist in Uganda verpönt. Die große Mehrzahl
der Waganda sind Bauern, Kopis genannt. Ihre Woh-
nnngen sind von hohen Rohrpallisaden umgeben, die mehrere
Höfe einschließen. Im äußersten derselben steht die kleine
356
Stcmley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
viereckige Hütte, in welcher dem Hausgotte Muzimu kleine
Opfer, wie Schneckenhäuser, Lehmkugeln, Holzstücke oder ein
in die Erde gestecktes Hartebeest-Horn intt eiserner Spitze,
dargebracht werden. Im innern Hof steht die große, kegel-
förmige Haupthütte mit dem breiten Vordach über der
Thür. Im Innern stützen eine große Anzahl Pfosten das
Dach und eine Rohrwand bildet zwei Abtheilungen, eine Art
Vorraum und das Schlafzimmer des Kopi und seiner Fa-
milie. Die Hansgeräthe bestehen aus einigen geschnitzten
Stühlen, dem Brett für das Würfelspiel, einigen Thontöpfen
und Körben, Rindentuch, ein paar Speeren, Schild, Trom-
mel, Pfeifen und dem Troge zur Bereitung des Maramba
(Bananenweins). Hinter dieser Hütte stehn zwei kleinere
in Höfen, wo die Weiber arbeiten, den Bananensaft aus-
pressen, Tabacksblätter trocknen, Gemüse aussuchen oder aus
langstieligen Pfeifen rauchen. Vor den Hütten liegt der Gar-
ten mit Früchten und Gemüsen, eingefaßt von Rizinus-,
Kaffee- und Tabackspflanzen, Zuckerrohr und Feigenbäumen,
hinter denselben die Pisanghaine und Getreidefelder, welche
dem Kopi seine Hauptnahrung sowie Maramba und Pombe
liefern. Die Hütten und Kleider des Kopi von Uganda find
besser als diejenigen der meisten afrikanischen Stämme, seine
Speere, Schilde und Canoes übertreffen alle anderen, er hat
reichliche Nahrung und ist gut nnd oft verheirathet, er
braucht keine Feinde zu fürchten, doch das Einzige, was ihm
abgeht, ist — Schutz gegeu seinen eigenen Herrscher.
(2. Der Mknngn oder Häuptling.) Es giebt in
Uganda keinen Adelsstand oder erbliche Titel (außer dem der
Ulangira oder kaiserlichen Prinzen), sondern es werden alle
Häuptlinge und Würdenträger vom Herrscher aus dem
Stande der Kopis ernannt; mit ihrer Rangerhöhung ver-
ändern sie zugleich den Namen. Als Beispiel einer Hänpt-
lingscarriöre mag diejenige des jetzigen Katekiro von Uganda
dienen. Derselbe war Sohn eines Mtongoleh oder Unter-
befehlshabers und hieß ursprünglich Magassa. Mtesa,
dem er gefiel, ernannte ihn zum Wächter des kaiserlichen
Badehauses; später erhielt er ein doppelläufiges Gewehr und
wurde Oberst der Leibwache. Als solcher erhielt er verschie-
dene Missionen nach entfernten Theilen des Reiches ange-
wiesen, die er so geschickt ausführte, daß Belohnungen von
Land, Sklaven und Rindern folgten nnd er zum Mknngn
oder Häuptling zweiten Ranges erhoben wurde. Als eines
Audienzhalle Mtesa's.
Tages ein Oberhäuptling Namens Pokino bei Mtesa in Un-
gnade siel, erhielt Magassa den Befehl, Pokino's Land und Na-
men „aufzuessen". Binnen Kurzem war Pokino erschlagen
und sein Name und Land von dem ehemaligen Magassa über-
nommen. Auch ein zweiter großer Häuptling wurde ihm
zur Bestrafung überwiesen, so daß er Herr von ganz Uddn,
einem Bezirk von 3000 Quadratmeilen mit zwei Haupt-
städten und zwanzig Unterhäuptlingen, Tauseudeu von Skla-
vcn beiderlei Geschlechts, Ungeheuern Rinderheerden und einer
Bevölkerung vou 100 000 Seeleu wurde. Dann sandte
ihn Mtesa mit einem großen Heere aus einen Kriegszug
gegen die hellfarbigen Bewohner des Schneeberges Gam-
baragara und die Stämme der Halbinsel Usongora im
Muta-Nzigs-See. vou wo er siegreich mit Tausenden
von Sklaven und Rindern zurückkehrte. Nachdem er über
seinen Heerzug in öffentlicher Audienz vor Mtesa berichtet,
deutet dieser auf eine vor ihm stehende Reihe Krüge voll
Bier und sagt: „Trinke, wenn Du es wagst!" Pokino
nimmt einen Schöpflöffel nnd füllt ihn mit Pombä, wendet
sich dann an seine zu Tausenden versammelten Krieger und
ruft laut: „Tekeh?" (Bin ich würdig oder nicht?) und
als die Menge einstimmig zurückruft: „Tekeh!" (Du bist
würdig!) nimmt er den Probetrank. Auf ihn folgen seine
Häuptlinge; werden sie würdig besuudeu, so erhalten sie Be-
lohnungen, verdammt sie aber das Volksnrtheil, so verfallen
sie dem Henker. Bald darauf siel Mjaudscha, der da^
malige Katekiro, in Ungnade; er wurde enthauptet und Pokino
erhielt seine Stelle, die höchste im Reiche nach dem Herrscher.
Er sitzt jetzt täglich zur Rechten desselben, befiehlt und be-
stimmt Alles, erhält seinen Antheil an aller Kriegsbeute und
Geschenken und ist unumschränkter Vicekönig von Uganda.
Und doch kann er sich nicht seiner Macht erfreuen, denn
immer schwebt ein Damoklesschwert über ihm und zn jeder
Stunde kann der Haupthenker Kasndschn, „der Herr vom
Stricke", ihm winken.
(3. Der Kabaka oder Kaiser.) Ans dem Gipfel
eines abgerundeten Hügels steht eine große Gruppe hoher
Kegelhütten, über welcher die roth und weiß gestreifte Fahne
von Uganda weht. Ein breiter Weg und hohe Pallisaden
von Matete (Wasserrohr) umgeben den Gipfel des Hügels
im Umkreis. Breite, glatte Heerwege führen den sanften
Abhang hinauf, eingefaßt von Rohrzäunen, hinter welchen
Gruppen von grauen Hütten in dem Grün der dichten
Pisanghaine versteckt liegen. Die Wege sind von Eingebo-
i
Ma-ur-ugungu gelobt, das Land Namiondschu's „aufzuessen".
358
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
reuen in ihrer malerischen Tracht bedeckt, die zu dem kaiser-
lichen Quartier auf dem Hügelgipfel hinaufziehen, denn der
lange Wirbel einer Keffeltrommel meldet, daß Mtesa eine
Bursah (Audienz) halte.
Hinter einer Anzahl von Höfen steht die große Audienz-
halle, eine 25 Fuß hohe und 18 Fuß breite Strohhütte mit
großem Vordach und 60 Fuß langem Giebel, den eine dop-
pelte Pfostenreihe im Innern stützt; am Ende derselben sieht
man durch den breiten Eingang eine weiß gekleidete Figur
sitzen. Die Häuptlinge strömen hinein und setzen sich zu
beiden Seiten der Hütte in langen Reihen an den Nohr-
wänden nieder, nachdem sie entweder nach arabischer Sitte
durch Verbengnng und Handkuß oder auf Wagauda-Weife
dnrch Niederwerfen und Händeemporhalten, während sie
„Twijanzi-janzi!" (Dank, Dank!) rufen, den Herrscher be-
grüßt haben.
Mtesa sitzt auf seinem Armstuhl, der auf einem Leo-
pardenfell steht; vor ihm liegen ein paar rothe türkische Pan-
toffeln und ein polirter Elsenbeinzahn auf dem Boden. Er
trägt einen gestickten rothen Nock über einem weißen Kleide,
in der Rechten hält er den Goldgriff eines arabischen Säbels,
die Linke ruht wie gewöhnlich auf dem Knie, den glattrasirten
Kopf bedeckt ein türkischer Fez. Neben ihm stehen vier Leib-
Wächter, von denen zwei mit Gewehren bewaffnet sind, wäh-
rend die anderen die Reichsinsignien von Uganda, eine Kupfer-
und eine Stahllanze, halten. Hinter ihm steht der Katekiro
und knien zwei Schreiber, zur Linken fitzt Stanley und den
Hintergrund und beide Seiten fällen Waknngn, Watougoleh,
Trommler und Pfeifer, Leibgarden, Pagen, Henker u. f. w.
Bald tritt eine Gesandtschaft von Mirambo, dem Be-
Herrscher des fernen Unjamwezi und dem Schrecken der
Araber, herein; sie bitten um Mtefa's Freundschaft und legen
Musikalische Instrumente. I Kinanda. 2 Pfeife aus Ubudschwe. 3 Horn eines Karawanenführers. 4 Trommel ans
Uzimba. 5 Flöte der Kopi oder Bauern. 6 Trommel aus Uganda. 7 Guitarre aus Usoga. 8 Große Kriegstrommel
aus Uganda. 9 Gnitarre aus Uganda. 10 Einseitiges Bandscho ans Unjamwezi.
ihres Herrn Geschenke, Tuche, Drahtrollen, europäische Tel-
ler, ein großes Servirbrett, einen rothen Rock und einen
arabischen Dolch mit silbernem Griff, vor ihm aus den Boden
nieder. Dann folgen die Abgesandten eines Landes, dessen
Häuptling gestorben; Mtesa ernennt einen Nachfolger, und
der Bevorzugte wirft sich vor ihm nieder und ruft seine
„Twijauzis". Hierauf tritt ein langer Zng von alten und
juugen Weibern ein, bei deren Anblick sich Mtesa und seine
ganze Umgebung erheben, denn es sind Mitglieder der kaiser-
lichen Familie und Nachkommen von Kautanja und Snna,
den Vorgängern des Kabaka. Dieser umarmt sie, eine nach
der andern, und nimmt ihre Geschenke, lebende Hühner, eigen-
händig in Empfang. Plötzlich niest Mtesa und sogleich
stürzen eine Anzahl Häuptlinge herbei und bieten ihm ihre
Kopftücher als Schnupftücher an. Dann tritt ein Spiel-
mann mit der Guitarre der Eingeborenen herein und trägt
seine monotone Musik vor, während eine Gesandtschaft des
Königs von Usui eine Heerde fetter Rinder als Tribut iu
den Hof treibt. Mtesa schenkt jedem seiner Häuptlinge einen
Ochsen und Alle werfen sich zu Boden und rufen eifrig ihre
„Twijanzis".
Plötzlich stürzt ein Bote herein und meldet, daß Na-
miondschu, cht kleiner Fürst vom Victoria-Nil, sich empört
habe und mit Kabba Rega, dem Könige von Unjoro, con-
spirire. Alle Häuptlinge ergreifen ihre Speere und Spazier-
stöcke uud bieten sich laut zur Bestrafung des Rebellen an.
Mtesa rollt seine Augen umher und wählt den jungen Häupt-
ling Ma-nr-ugungn aus, der sich vor ihm niederwirft
und ruft: „Kabaka, ich bin hier!" — „Gehe," sagt Mtesa,
„nimm fünf Watongolehs und ihre Leute und iß Namioudschu
und sein Land auf!" — „Twi-jauzi! jauzi! jauzi!" ruft
Ma-ur-uguugu und reibt sein Gesicht im Staube; dann
springt er empor, ergreift feinen Schild und ein paar Speere,
hebt sie in heroischer Stellung hoch auf uud ruft laut: „Ka-
Leben und Gewohnheiten
baka, sieh mich an! Der Kabaka befiehlt und Namiondschn
soll sterben, und ich werde sein Land ganz aufessen! Twi-
janzi'-janzi-janzi-janzi!" und so weiter a.ä Wünitum. Der
Kabaka erhebt sich. Die Trommler schlagen einen langen
Wirbel und alle Häuptlinge, Höflinge, Pagen, Bittsteller
und Fremde springen auf die Füße. Ohne ein weiteres
Wort geht Mtefa durch eine Seitenthür in die inneren Ge-
mächer, und die Morgen-Burfah ist beendet.
Der Zutritt zu den abgeschlossenen Höfen des Kabaka ist
dem Fremdling natürlich nicht gestattet, sonst könnte er viel-
leicht sehen, wie Mtesa in einem derselben seine gntdiscipli-
nirten Amazonen, lauter hübsche, braune Mädchen mit jung-
fränlichen Busen, einexercirt, oder wie er in einem andern
der Fellahs in Palästina. 359
Hofe sein Mittagsmahl von reifen Bananen und geronnener
Milch zu sich nimmt, oder mit seinen Weibern und Kindern
lacht und' spielt, oder vielleicht mit einem Lieblingspagen
seine Schatzkammer mit den Geschenken seiner vielen Be-
sucher, Europäer, Türken oder Araber, mustert.
Auch Mtesa hat seinen Titel mit steigendem Range ge-
wechselt. Vor seines Vaters Snna Tode war er ein Mlan«
gira oder Prinz; als er den Thron bestieg, erhielt er den
Titel Mnkavja oder Mkavja (König), aber nachdem er
andere Könige und Länder besiegt und sich das kaiserliche
Recht erobert hatte, wurde er Kabaka oder Kawaka von
ganz Uganda. F. Birgham.
Leben und Gewohnheiten
Lieutenant C. R. Conder, der Führer der zur Erfor-
schung Westpalästinas ausgeschickten englischen Expedition,
giebt in einem der letzten Capitel seines Werkes: „Tent
Work in Palestine" (London 1878, 2 Bde.) eine Schilde-
rung der Fellahs. welche um so mehr Beachtung verdient,
als sie ein Volk betrifft, das bis jetzt nur wenig erforscht, ja
oft mit den Beduinen oder sogar der herrschenden Nation,
den Türken, von welchen es in Palästina vielleicht kaum
hundert giebt, verwechselt worden ist. Diese Schilderung
gewinnt auch noch besonderes Interesse dadurch, daß gerade
die Lebensweise und Sitten der Bauern zur Erläuterung der
biblischen Geschichte und Verhältnisse weit wichtiger sind, als
diejenigen der Städter, welche überdies schon durch Lane's
Schilderung des Lebens in den ägyptischen Städten, die un-
gefähr auch auf die Bewohner von Damaskus uud Jerusalem
paßt, eiue ausreichende Würdigung erfahren haben.
Ein Fellahdorf besteht aus zwanzig bis hundert um das
hohe, zweistöckige Haus des Scheichs zusammengedrängten
Hütten, die gewöhnlich auf einer Erhöhung in der Nähe eines
Gewässers liegen und in den Berggegenden meist ans Stei-
ncn alter Ruinen, in den Ebenen dagegen aus an der Sonne
getrockneten Lehmsteinen gebaut und mit Lehm gedeckt werden.
Zum Dach nimmt man im Süden, wo es knppelsörmig ist,
Steine, im Norden Reisig, das auf Stämmen oder Balken
ruht und mit Lehm beschmiert wird, der jedes Jahr frisch
aufgetragen und gewalzt werden muß. Im Sommer werden
auf den Dächern Bnden errichtet, in welchen die Einwohner
Nachts schlafen. Ein Schornstein ist nicht vorhanden, der
Rauch des Holzfeuers zieht aus der Holzthür oder durch die
fcheibenlofen Fenster ab. Außer Bettgeräth, einigen Matten
und Kochgeschirr enthält das Innere des Hauses gewöhnlich
kein Mobiliar, und nur bei den Wohlhabender:: findet man
Teppiche und erhöhte Divans. Außerhalb des Dorfes liegen
die Feigen- und Granatäpfelgärten, von indischen Feigen-
hecken umzäunt; hier und da auch schöne Olivenhaine; ganz
in der Nähe ist das Mukkm l) mit seiner weißen Kuppel,
umgeben von flachen Gräbern mit unbehauenen Grabsteinen,
in denen hänsig eine kleine Vertiefung zum Sammeln des
Regenwassers als Tränke für die durstigen Vögel angebracht
ist. Vor dem Dorfe liegt der Brunnen oder die Quelle, zu
der schlanke Mädchen und behäbige Matronen unter einem
i) Vergl. hierüber „Globus" XXXII, S. 251.
der Fellahs in Palästina.
jeder Beschreibung spottenden Gekreisch, Geleis und Geschnat-
ter die großen schwarzen oder braunen Krüge tragen und
mit ihrer Wasserlast auf dem Kopfe eilig zurückkehren. Im
Dorfe selbst trifft man zuerst auf deu Ghufr oder „Wächter"
(2. Sam. XVIII, 24). Dieser führt den Fremden nach dem
Gasthause, wo er auf öffentliche Kosten mit Kaffee bewirthet
und gespeist wird, und wofür er beim Abschied dem Wächter
ein kleines Geschenk macht.
Die Bevölkerung eines Dorfes schwankt zwischen 30 bis
40 und 1000 Personen, welche die gut gebauten Ortschaften
Galiläas enthalten. Die Männer bestellen das Feld, die
Knaben hüten die Herden, die Frauen kochen und holen Was-
ser. Ihre Nahrung ist fast ausschließlich vegetabilisch und
besteht aus ungesäuertem Brot, das in Oel getaucht wird,
aus Reis, Oliven, Weinsyrnp (Dibs), geschmolzener Butter
(Semn) uud Eiern; ferner aus Kürbissen, Melonen, Erbsen.
Gurken; in Zeiten der Noch werden die Malven (Chobbei-
zeh) in saurer Milch oder in Oel gekocht und bilden dann
ein wichtiges Nahrungsmittel. Fleisch essen sie nur au gro-
ßeu Festen oder bei den Kod-Opfern; ihr Getränk ist Was-
ser und Kaffee, welches beides sie in unglaublichen Quanti-
täten zu sich nehmen; Kaffee mit Limonensaft ist auch das
gewöhnliche Heilmittel der Dysenterie.
Die typische Kleidung der Bauern, die übrigens in den
verschiedenen Theileu Palästinas uud nach den Religionen
verschieden ist, besteht erstens aus dem Turban: ein wollener
oder seidener Shawl, der um eine rothe Mütze (Tarbusch)
mit blauer Troddel gewunden oder in flache Falten gelegt ist.
Unter dieser Mütze befindet sich eine zweite oder auch zwei
Filzmützen (Libdeh) und unter dieser wieder eine enganschlie-
ßende weiße baumwollene gesteppte Mütze (Takijeh). Im
Mittelpunkte des Landes ist der Turban sehr hoch, im Sü-
den breit; die ungeheuren Turbans, welche früher getragen
wurden, sieht man jedoch jetzt sehr selten; nur einige alte
Dorfscheichs tragen sie noch bei feierlichen Ceremonien. Ein
Reicher oder Frommer trägt einen weißen Shawl, ein Scherif
oder Nachkomme des Propheten einen grünen; in Samaria
ist der Turban Hochroth, im Süden gewöhnlich gelb und
chokoladebraun gestreift. Diese ehrwürdige Kopfbedeckung,
welche öffentlich niemals gern abgelegt wird, wird hinter die
Ohren herabgezogen, wodurch diese rechtwinklig abwachsen
oder sogar uach unten umschlagen.
Ein außerordentlich weites und vom Halse bis zur Hüfte
360 Leben und Gewohnheiten
offenes Hemd bedeckt den Körper und wird durch einen brei-
ten Ledergürtel zusammengehalten (Matth. 111,4). Es reicht
bis zum Fußgelenk; auf der Reise aber „gürtet" der Bauer
„seine Lenden" (1. Köu. XVIII, 46), indem er den Saum
des Hemdes zwischen den Beinen bis zum Gürtel durchzieht
und so die Beine bis zur Mitte der Lende entblößt läßt.
Die Aermel fallen bis auf die Knie herab uud werden hänfig
mit einem Strick zwischen den Schultern zusammengebunden.
Dann folgt ein viereckiger, rauher Wollenmantel (Abba),
mit Löchern für die Aermel und einem Ausschnitt für den
Hals. Er ist gewöhnlich weiß, mit breiten braunen oder
iudigosarbeuen Streifen; die besseren schwarz mit farbigem
Saum. Die Füße stecken in rothen Lederschuhen, mit spitzen
Zehen uud einer spitzen Lasche hinten; sie reichen bei den
Reitern bis zum Knie uud sind vorn mit einer Troddel ver-
ziert. Die reicheren Bauern tragen außer den erwähnten
Kleidungsstücken noch ein roth und Purpur oder weiß und gelb
gestreiftes Oberkleid (Kumbkz), auch die von den Städtern
getragene kurze Tuchjacke (Dschnbbeh).
Die Kleidung der Frauen ist, wie sich erwarten läßt,
reichhaltiger. Im Philisterlande besteht sie, wie in Aegypten,
aus einer weiten blauen Robe mit Schleppe, einem schwar-
zen Kopfschleier uud einem mit Fransen aus Gold- oder
Silbermünzen geschmückten Gesichtsschleier, welcher von den
Augen bis zur Taille reicht und durch einen hölzernen oder
metallenen Cylinder an dem Kopfschleier befestigt wird. Ju
Gaza und Afchdod tragen sie eine Art Visir aus weißem,
mit Goldmünzen geschmücktem Stoff, welcher Nase, Mund
und Kinn bedeckt. In den Gebirgen von Jerusalem uud
Hebron ist die Kleidung wahrscheinlich seit den ältesten Zeiten
unverändert geblieben, da sie nicht leicht einfacher sein könnte.
Das blaue Hemd ist nicht gauz so weit, aber länger als das
der Männer; die Aermel sind spitz; ein Gesichtsschleier fehlt;
dagegen fällt ein schwerer, weißer Kopsschleier bis auf die
Taille herab, und dem Anstände ist völlig Genüge geleistet,
wenn die Frau ihn über den Mund zieht oder, falls ihre
Hände beschäftigt siud, mit den Zähnen festhält. In Sa-
maria uud Untergaliläa tragen sie unter einem enganschlie-
ßenden Purpur (oder roth) und weißgestreiften Kleide mit
engen Aermeln ein Aermelhemd und blaue, baumwollene
Pumphosen. Die Taille wird durch einen schweren Leibgurt
zusammengehalten und über den Kops ein Käppchen oder
Kopftuch gezogen.
Die Haartracht der samaritanischen Frauen ist sehr merk-
würdig und, so viel ich weiß, noch nicht genauer beschrieben.
Sie besteht aus einer Kappe, die vorn wie ein Pferdehuf ge-
staltet ist. Von der Stirn bis zu den Ohren zieht sich ein
halbmondförmiger Schmuck aus über einander gereihten sil-
kernen Münzen, der durch ein Tuch am Kopfe festgehalten
wird und oft die ganze Aussteuer einer Frau im Werthe von
100 Mark repräsentirt. Die Frauen haben schöne Augen,
verunstalten sich aber durch die schwarzen oder indigofarbenen
Tättowirnngen auf Gesicht, Brust, Füßen und Händen; ein
einzelner Strich zwischen den Augen ist gewöhnlich uud sieht
einem Schönpslästerchen nicht unähnlich (3. Mösts XIX, 28).
Zum Zeichen der Freude färben sich Männer und Frauen
Nägel, Fingerspitzen uud Handflächen mit Henna; bei einer
Hochzeit werden auch die Schwänze der Pferde und die Thü-
reu der Häuser damit gefärbt.
Die Christen, deren Kleidung sich von derjenigen der
Mohammedaner unterscheidet, tragen ein Hemd mit engen
Aermeln, eine geblümte oder gestickte Weste, einen fest um
die Taille gewundenen Shawl, bis an den Fuß reichende
Pumphosen von blauer Baumwolle oder Tuch, und endlich
auch die kurze vorn offene Tuchjacke (Dschubbeh) mit engen
Aermeln, welche sie den reicheren moslemischen Scheichs und
der Fellahs in Palästina.
den Städtern entlehnt haben. Auf der Reise tragen sie die
Knfijeh (Kopstuch) oder den Tarbusch (Fez) mit deu inneren
Mützen, aber ohne Turban. — Die gewöhnliche Tracht der
Christenfrauen ist sehr malerisch. Ein kleines, diagonal ge-
saltetes Kopftuch hält ihr duukeles, lockiges Haar zusammen;
die gestreifte oder geblümte Jacke schließt eng an und weite
unter dem Knie zusammengeschnürte Hosen (Schintijg,n) fal-
len in Falten auf das Fußgelenk herab. Diese Beschreibung
gilt hauptsächlich für Obergaliläa, wo die Christen am zahl-
reichsten sind. Unter den reichen Bauern in Nazareth tragen
die Frauen auch einen weißen, leinenen Ueberwurs (Jzkr),
der über den Kopf fällt und wie ein Ballon sich um den
Körper aufbläht. In Bethlehem tragen die Männer, obwohl
Christen, Turban und Kumbäz, die Frauen ein weites bunt-
farbiges Hemd mit spitzen Aermeln, die Mädchen einen wei-
ßen Schleier; die alten Frauen einen dicht mit Münzen be-
setzten und znm Theil von dem weißen Schleier bedeckten selt-
samenFilzcyliuder, der einer griechischen Priestermütze ähnelt.
Häusig zieht sich von dem Hute herab auch eine Kette aus
Münzen um das Kinn, und mehr als eine arme Frau ist
wegen diesen Schmuckes ermordet worden.
Wir wollen an dieser Stelle noch des Aussatzes gedenken,
einer relativ häufigen uud dunkeleu Krankheit. Die Bauern
leiden meist an Augenentzündung, Dysenterie und Fieber mit
Leberaffeetionen, im große« Ganzen sind sie aber gesund,
kräftig gebaut und ausdauernd. Die Ausfätzigeu wohnen
nicht in den Dörfern, sondern außerhalb der großen Städte
— in Jerusalem am Südwestende der Stadt, innerhalb der
Mauern — in besonderen Quartieren und beschließen hier,
verabscheut und vernachlässigt, ihr elendes Leben, ohne daß von
der Regierung zu ihrer Unterstützung oder Beaufsichtigung
etwas geschähe. Die Krankheit, deren Ursachen man nicht
kennt, bricht nicht vor dem 12. und nicht nach dem 45. Jahre
aus. Sie ist durchaus nicht auf eine Nation beschränkt:
Norweger, Italiener, Spanier und Hindus sind ihr ebenso
ausgesetzt wie die Syrier; sie wird weder durch die Nahrung
noch durch das Klima veranlaßt; sie steht in keinem Zu-
sammenhang mit der Temperatur; und es ist endlich zweisel-
Haft, ob sie contagiös oder erblich ist. Die Städter haben
merkwürdigerweise nichts von ihr zu leiden, obwohl fast aus
jedem Dorfe und namentlich aus dem christlichen Mm-Allah
Aussätzige in die unmittelbare Nähe der Städte ziehen. Für
den gewöhnlichen tuberculöseu Aussatz x) giebt es bis jetzt
kein Mittel, doch ließe er sich wohl verhüten, wenn man die
Bauern au größere Reinlichkeit und Sittlichkeit gewöhnen
könnte und wenn gleichzeitig die Aussätzigen in Asylen ab-
geschlossen würden. Die Kranken leiden zuerst Hunger, in
den späteren Stadien auch große Schmerzen; ihre Körper-
kräfte schwinden, ihr geistiges Leben erstirbt, und bald sind
sie, nach ihrem eigenen Worte, „wie Ochsen", ohne Gefühl,
sich kaum der äußern Welt bewußt und gehen so unter schreck-
lichen Qualen langsam ihrem Ende entgegen.
Von diesem abstoßenden Gegenstande wenden wir uns
dem täglichen Leben der Bauern zu. Höchst überraschend ist
die unterscheidende Physiognomie jedes Dorfes; in dem einen
sind die Leute hübsch, in anderen häßlich, und stets haben sie
allesammt eine starke Familienähnlichkeit, welche offenbar von
der steten Inzucht herrührt.
Die Hauptceremonieu bei der Hochzeit bestehen in dem
Umzug (Zesseh), welchen Braut und Bräutigam in Beglei-
tuug ihrer Freunde durch die Straßen halten. Ebenso wird
die Aussteuer von einer Schar singender, in die Hände klat-
schender und kreischender Frauen begleitet. Doch ist unter
i) Es scheint das nicht der 3. Mosis XIII, 31 beschriebene
weiße Aussatz zu sein, obwohl auch dieser noch vorkommt.
Die Expeditionen der asrikanij
den Bauern das Vermögen der Braut naturgemäß gering,
und wie in Italien trägt oft ein Maulthier in einer einzigen
Kiste die ganze Aussteuer. Bei der christlichen Hochzeits-
processton, welcher Conder 1872 in Nazareth beiwohnte,
kam zuerst ein Zug Frauen, welche von Zeit zu Zeit in die
Hände klatschten und den Zagharit oder kreischendes Geheul
ausstießen, welches sowohl Freude als Schmerz ausdrückt.
Die meisten trugen Uber dem Kopfe den schwarzen Mantel
mit gesticktem Rande. Die Braut saß dicht verschleiert und
bunt geputzt zu Pferde, von dreien ihrer weiblichen Verwand-
ten gestützt, während zwei andere Frauen den Zügel hielten;
vor ihr ging eine Frau, welche aus dem Kopfe einen Korb
Blumen nebst einer Flasche Wein und einem Kuchen trug.
Gegen zweihundert weiß gekleidete Männer mit Abbas und
seidenen Knsijehs oder Turbans bildeten den Zesseh des Bräu-
tigams. Unter dem Abfeuern alter messingbeschlagener Büch-
sen zog die lärmende Menge vor dem Bräutigam her nach
dem Marktplatze; hier schlössen etwa 150 Männer Schulter
an Schulter gedrängt einen Kreis, klatschten in die Hände
und schrien aus Leibeskräften „Attala!" wobei sie sich hin
und her wiegten, während ein Mann, mit hennagefärbten
Backen, schwarz und purpurnem Kopfputz und anfgekrämpten
Hemdsärmeln den Kreis mit Rosenwasser besprengte und ein
zweiter in grüner Kleidung auf einem Beine herumhüpfte.
Dann wurde eine Flinte abgeschossen, eine Art Ansprache ge-
halten und von Neuem begann das rasende Händeklatschen. Der
Bräutigam saß auf einem rothgesattelten Pferde, hinter sich
einen grüngekleideten Knaben, rauchte eine Cigarrette und hielt
in der Hand einen Blumenstrauß und einen Sonnenschirm.
Ihm folgten die Frauen aus seiner Familie, und die Gäste
tanzten paarweise in langsamem Schritt eine Art Mazurka
neben ihm. Bei aller ceremoniellen Freude herrschte aber
doch keine wirkliche Heiterkeit; man sah kein lachendes Ge-
sicht, alles ging mit der steifsten Etikette vor sich.
Der mohammedanische Zesseh, den Conder gleichfalls in
Nazareth sah, war von dem eben geschilderten wenig ver-
schieden. Zuerst kamen Tamburinschläger und Kesselpau-
ker; dann folgten die Frauen, auf diese die Braut, welche
über dem Jzs.r einen rothen Schleier und einen schwarzen
Gesichtsschleier trug und von zwei gleichfalls verschleierten
m Gesellschaft in Deutschland. 361
Frauen gestützt wurde. Der Bräutigam setzte sich während
des Tanzes, der von zwei Schwertträgern ausgeführt wurde,
auf einen Binsenstuhl, den ein Mann ihm nachgetragen hatte.
Dazu sang der Chor das Kosewort „Ja aini, ja aini"
(o mein Auge).
Die Kinder wachsen gewöhnlich ohne jede Erziehung und
Unterricht auf und lernen ebenso schnell fluchen wie sprechen;
wenigstens hat Conder einen sechsjährigen Knaben gesehen,
der unter den gemeinsten Schimpfwörtern seinen Vater mit
Steinen warf. Sie sind schon eben so ernst wie ihre Eltern,
grausam gegen Thiere, unter einander boshaft und tyran-
nisch. Die älteren Knaben hüten die Herden und erwerben
sich dadurch eine außerordentlich genaue Ortskeuutuiß, so
daß die Ziegenhirten die besten Autoritäten für die Namen
der Ruinen und Quellen sind. Die Hirtenknaben haben ein
Spiel Maukalah, das nach Lane auch in Aegypten gespielt
wird; den Erwachsenen scheinen dagegen Vergnügungen zu
fehlen, sagen sie doch selbst mit schrecklicher Wahrheit, sie
hätten „zur Fröhlichkeit keine Muße in ihrem Herzen". Die
gewöhnliche Unterhaltung der Städter besteht in dem Anhö-
ren von Märchen, den Tänzen der ägyptischen Almehs,
Schach und Brettspiel. Geldspiele werden für unanständig
gehalten, aber in den gemeinen Cafes und Restaurants der
Städte noch sehr häufig gespielt. Uebrigens sind diese Unterhal-
tuugen, ebenso wie die widerwärtigen Productioneu der männ-
lichen Tänzer, auf die reicheren Städte beschränkt und in den
Dörfern vollständig unbekannt. Der einzige Sport, den
die Bauern kennen, ist das Scheinturnier, Dscherid, ein Kamps
zweier Reiterscharen mit Wurffpeereu oder Stöcken; ihre
Künste sind aber gewöhnlich nicht weit her.
Die Begräbnißceremonien sind sehr einfach. Der Todte
wird, nachdem kaum der letzte Athemzng entflohen ist, begra-
ben, — ein Knabe z. B., der von einem Oelbamne gestürzt
war, schon nach einer Viertelstunde; auf der mit grünem
Tuche bedeckten Bahre liegt der Turban; die Frauen folgen
heulend nach und wehen anch, wie Conder bei Askalon sah,
mit Tüchern der Bahre zu. Die Gräber werden nur durch
ein paar Steine kenntlich gemacht und sind so slach, daß die
Hyänen oft die Leichen wieder ausgraben.
Die Expeditionen der afrikanis
Der Herbst des Jahres 1877 scheint für die Thätigkeit
der „Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland",
wie sich die nunmehr einzige derartige Vereinigung nach Ver-
fchmelzuug mit ihren beiden Vorgängerinnen nennt, einen
Beginn erhöhter Thätigkeit und hoffentlich größerer Prospe-
rität zu bezeichnen. An der nördlichen Küste Afrikas sind
bereits zwei von ihren Reisenden gelandet, G. Rohlss und
Dr. Stecker, um baldigst in das Innere aufzubrechen, ein
dritter, Dr. M. Buchuer, wird Anfangs December in Angola
eintreffen, und die von Dr. W. Erman herausgegebenen
„Mittheilungen" der Gesellschaft schicken sich an, die ein-
laufenden Berichte und Nachrichten rasch den Mitgliedern zu
übermitteln. Das erste Heft derselben bringt deren schon
eine ganze Reihe, wenn auch erst von geringerer Wichtigkeit;
wir theilen daraus einiges mit.
Seit dem 10. December 1877 befindet sich der Ingenieur-
Otto H. Schütt aus Aachen (vergl. „Globus" XXXII,
S. 240) in Angola; über seine ersten Arbeiten berichteten
Globus XXXIV Nr. 23.
>en Gesellschaft in Deutschland.
wir auf S. 142 des 33. Bandes. In Malange, der
vielgenannten Station innerhalb des Portugiesischen Macht-
bereiches (16x/4° östl. L. Gr., 9° 38' südl. Br.) bot sich ihm
seitdem zwar Gelegenheit, den Marsch Dr. Pogge's zur
Hauptstadt des Muata Jamwo zu wiederholen, da dort an-
wefende Leute dieses Herrschers ihn gern demselben zugeführt
hätten; doch lehnte Schütt das Anerbieten ab, um einen neuen
Weg einzuschlagen, nämlich direct nordwärts (oder Nordost-
wärts) durch das Land des Mai, Fürsten von Luba, bis zur
nördlichsten Biegung des Congo vorzudringen. Niemand
ist bisher auch nur bis zu Mai direct gegangen; nnr L. Ma-
gyar kam im Jahr 1850 seinem Gebiete nahe. Am I.Juli
1878 berichtete Schütt, daß seiue Vorbereitungen trotz viel-
sacher Schwierigkeiten durch die wirksame Unterstützung der
schon durch Pogge, Lux und Mohr bekannten Brüder Machado
in Malange beendet, die Träger beisammen und alles zur
Abreise bereit sei: „Ich denke eine Reise bis zum Aequator
zu machen; schon zwei Tagereisen von hier komme ich in
46
362 Die Expeditionen der afrikani
Gebiete, wo ein weißes Gesicht noch nie gesehen worden.
Ich kann scheitern wie andere vor mir; aber was menschliche
Energie leisten kann, werde ich wahrscheinlich auch leisten,
und für die Gebiete, die es uns glückt zu durchziehen, erhal-
ten Sie die topographische Aufnahme des Landes, orni-
thologische, mineralogische Sammlungen und außerdem aller-
lei Nebeustudien. — Im Falle meines Todes setzt mein
guter Kauierad Gierow die Sache fort, der sich mit Aus-
nähme der Ortsbestimmungen gut eingearbeitet hat".
Einen südlicheru Weg wird Dr. M. Buchner (s. „Glo-
bus" XXXIII, S. 142) einschlagen, für dessen Reise nach
Quizememe, der Hauptstadt des Muata Jamwo, die er aus
einer andern Straße als vor ihm Dr. Pogge zu erreichen
gedenkt, und darüber hinaus die Reichsregierung 30 000
Mark bewilligt hat. Dr. Buchner hat bereits auf einer
Reife um die Erde, vorzüglich in Polynesien, praktische Reise-
ersahrungen gesammelt und seine Kenntnisse mit dem speciellen
Hinblicke auf Forschungsreisen in Afrika seitdem in München
und Berlin vervollständigt. Er verließ Hamburg am 19.
October, Lissabon am 5. November und wird voraussichtlich
Ansang December in Loanda eintreffen. Er hofft, bei eini«
gem Aufenthalte in Quizememe die argwöhnischen Bedenken
des Muata Jamwo — welchem er zugleich im Namen des
deutschen Kaisers Geschenke an Waffen und dergleichen als
Anerkennung für die freundliche Aufnahme des Dr. Pogge zu
überbringen hat — zu besiegen und ein Vordringen nach
Norden, vielleicht nach Njangwe, zu ermöglichen. Gelingt
ihm das nicht, so will er umkehren, bis er einen Punkt fin-
det, wo er nordwärts vordringen kann.
Als dritter Reisender im Congo-Gebiete, der aber uu-
abhängig von der Afrikanischen Gesellschaft operirt, ist end-
lich Major von Mechow (s. „Globus" XXXIII, S. 142)
zu nennen, welcher sein Augenmerk speciell aus die Ersor-
schung des westlichsten unter den großen Zuflüssen des Eongo,
auf den Quaugo, gerichtet hat.
Das dritte Eisen, welches die Afrikanische Gesellschaft
augenblicklich im Feuer hat, ist die Rohlss's che Expe-
dition (vergl. „Globus" XXXIII, S. 48 und 269), zu
welcher die Reichsregierung gleichfalls 30 000 Mark bewil-
ligt hat. Bekanntlich beabsichtigt dieselbe, von Tripolis über
Kusara Wadai zu erreichen, dessen Herrscher sie ein kaiser-
liches Handschreiben und werthvolle Gefchenke zu überbringen
hat, den Ursprung des Schari zu erforschen und vielleicht den
nördlichen Bogen des Congo zu erreichen. Wadai hat Rohlss
als Ausgangspunkt gewählt, weil es sich durch eine starke
Regierung auszeichnet und seine Südgrenze sich dem Congo
verhältnißmäßig am meisten nähert. Freilich erscheinen die
von dort aus in die südlichen Heidenländer stetig uuternom-
menen Raubzüge als ein schweres Hinderniß für ein Vor-
dringen in dieser Richtung; andererseits aber haben dieselben
nicht vermocht, den Handel nach dort ganz zu unterbrechen.
Dr. Nachtigal hat Kausleute kennen gelernt, welche die aus
den achten Grad nördlicher Breite fallende Südgrenze von
Wadai noch um etwa 50 deutsche Meilen nach Süden über-
schritten und dort einen mächtigen Strom mit Inseln und
zahlreichen großen Booten der Eingeborenen erreicht hatten,
dessen Jdentifieirung einen wesentlichen Fortschritt in der
Kenntniß Jnnerafrikas bezeichnen würde. Wadai erschien
mithin um so mehr als günstige Basis, als Dr. Nachtigal
früher bei dem dortigen Könige Ali freundliche Aufnahme
gefunden hat. Leider ist derselbe aber inzwischen verstorben
und ihm sein Bruder gefolgt, über dessen Gesinnung Frem-
>en Gesellschaft in Deutschland.
den gegenüber man anscheinend nicht im Klaren ist. Rohlss
hat also den Plan gefaßt, wenn ihm von Wadai aus ein
Vordringen unmöglich gemacht wird, nöthigen Falles dasselbe
von dem westlichem Bornn aus zu bewerkstelligen.
Die Herren Rohlss, Dr. Stecker und v. Czillagh
aus Graz, der die Expedition als Volontär mitzumachen beab-
sichtigt, sind inzwischen über Paris und Malta am 24. Oe-
tober in Tripolis eingetroffen, wo sie schon mit Anlegen
von Sammlungen und seit dem 1. November wahrscheinlich
auch mit regelmäßigen meteorologischen Beobachtungen be-
gönnen haben und die Ankunft ihres Gepäcks und der Ge-
schenke an den Sultan von Wadai erwarten. Rohlfs schreibt
unter anderm: „Bis jetzt wurde schon ein früherer Diener
von mir (der auch v. Bary nach Rhat begleitete), Moham-
med Schtcmi, eugagirt. Die Kamele sind zwar viel theuerer
als in früheren Jahren (ein gutes Kamel wird kaum unter
400 Frcs. zu beschaffen fein), aber andererseits ist es sehr
erfreulich, daß der Karawanenverkehr zwischen Tripolitanien
und Wadai einen so großen Aufschwung genommen hat wie
nie zuvor. Die Karawanen gehen zum Theil via Audfchila,
zum Theil via Murzuk und Borgu. Es ist demnach zu
hoffen, daß dem Abgang unserer eigenen Karawane und der
Ankunft derselben in Wadai keine großen Schwierigkeiten ent-
gegentreten werden."
Abgesehen Von diesen drei großen Expeditionen hat die
Afrikanische Gesellschaft in Deutschland am 13. Jnli 1878
der „Internationalen Afrikanischen Association",
der Stiftung des Königs Von Belgien, welche die Cambier-
Wautier'sche Expedition nach Ostafrika (s. „Globus" XXXIII,
S. 142) unterhält, 10 000 Mark überwiesen und Herrn
Adolph Krause, welcher sich im Sommer 1878 in Tri-
polis befand und nach Wadai zu reisen beabsichtigte, mit
3000 Mark unterstützt. Gleichzeitig erklärt der Vorstand,
daß er sich es von nun an besonders angelegen sein lassen
wolle, für die Veröffentlichung der von den Reifen-
den einlaufenden Berichte und die Verwerthnng
ihres wissenschaftlichen Materials zu sorgen. Für-
letzteres werden wahrscheinlich die Nova Acta da- Leopoldiuisch-
Carolinischen Akademie der Naturforscher als Organ dienen,
während für erstere die „Mittheilungen" ins Leben gerufen
sind, welche voraussichtlich und hoffentlich interessante Original-
beitrage in Fülle zu veröffentlichen haben werden.
§. 1 der Satzungen der „Afrikanischen Gesellschaft in
Deutschland" bestimmt: „Die Gesellschaft verfolgt im An-
schlich an die in Brüssel gegründete „Internationale Afrika-
nifche Association" nachbenannte Zwecke:
1. Die wissenschaftliche Erforschung der unbekannten Ge-
biete Afrikas;
2. deren Erschließung für Cnltur, Handel und Verkehr;
3. in weiterer Folge die friedliche Beseitigung des Sklaven-
Handels."
Voll und ganz schließen wir uns darum dem Ausrufe
des Ausschusses der Gesellschaft an und ersuchen unsere Freunde
und Leser in Deutschlaud und dem Auslande, namentlich
auch die in überseeischen Ländern, dem Vereine als Stifter
(solche zahlen einen einmaligen Beitrag von 300 Mark) oder
Mitglieder (Beitrag jährlich 5 Mark) beizutreten und das
Interesse an jenem civilisatorischen Werke in immer weitere
Kreise zu tragen. (Meldungen sind zu adressireu an den
Vorstand der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland, Ber-
lin W. Friedrichstraße 191.)
Hermann v. Schlagintweit-Sa künlünski: Das Auftreten von Bor-Verbindungen in Tibet. 363
Das Auftreten von Bor-Verbindungen in Tibet').
Von Hermann von Schlagintweit-Sakünlünski.
Allgemeine Verhältnisse; die Beschränkung der Quellen im centralen und im nördlichen Hochasien; die Mineral-
quellen uud Thermen. — Der Boraxbezug aus Tibet. — Borsäure und Borax. — Daten über die Fundstätten im
östlichen Tibet (Bul Tso, ein Soda-See; Naht Singh und die Bhot-Rajpüts). — Unsere Beobachtungen im westlichen
Tibet an den Thermen von Püga. — Der Borax im Handelsverkehre.
Allgemeine Verhältnisse. Im tibetischen Hochasien,
auch bis in die Nähe der Mittelstufen des nördlichen Künlmt-
Abhanges in Ostturkistan, ist die Zahl der Quellen, die zu
Tage treten, und die Wassermenge, welche sie liefern, ver-
hältnißmäßig sehr gering. Selbst große Flächen, zumeist
im Norden der Karakorüm-Kette, sind entweder ganz Wasser-
leer oder unterscheiden sich hydrographisch von tief liegenden
Wüsten nur dadurch, daß isolirter Abfluß aus Gletschern
oder aus den Höhen, die noch über die Schneegrenze sich
erheben, während der wärmeren Monate des Jahres perio-
disch sie durchzieht.
Bedingt ist diese Seltenheit der Quellen durch die ge-
ringe Menge atmosphärischen Niederschlages und durch die
bedeutende Verdunstung, ehe das Grundwasser in den Mulden
oder, bei genügender relativer Erhebung und bei günstiger
Schichtenstellung des Gesteiues, am untern Rande von Ab-
hängen sich ansammeln kann. Vermehrend wirkt auf die
Verdunstung schon die starke Insolation des Bodens; noch
größer ist der Einfluß der extremen Trockenheit der Luft
in diesen Gebieten, wo überdies der Luftdruck, vielfach selbst
längs der Thalsohlen, ein sehr geringer ist. Nach den direc-
ten Beobachtungen in Hochasien, die in nnserm englischen
Reisewerke in Vol. II, „Hypsometry", zusammengestellt sind,
hatte sich für Luftdruck von 14,96 engl. Zoll oder 380,0 mm,
„von halber Atmosphäre", Mittelwerth der Höhe von
18 600 bis 18 800 engl. Fuß ergeben.
Unter den constanten, noch wasserreich zu nennenden
Quellen, obwohl unabhängig von Firnwasser, war die höchst-
gelegene, die von uns in Tibet aufgefunden wurde, jene am
Lagerplatze Murgai in Rubra. Sie tritt zu Tage bei 16 382
engl. Fuß; der Barometerstand war 16,63 engl. Zoll (am
6. August 1856).
Als Maximum der Höhengrenze der Quellen für ganz
Hochasien wird 16 500 bis 17 000 Fuß anzunehmen sein,
mit Einschluß zugleich isolirter Fälle höchsten Vorkommens
in besonders günstigen Lagen und mit geringerer Wasser-
menge. Die Quelle zu Murgai zeigte sich dort zusammen-
fallend mit der Strauchgrenze; gleiche Coincidenz gilt auch
für die übrigen Theile des centralen und nördlichen Hoch-
ästen, weil in den etwas feuchteren Gebieten, wo die Vege-
tatton begünstigt ist, die Quellenhöhen ebenfalls die größeren
sind. Dagegen wird auf der Südseite des Himalaya, wo
die directe Besonnung durch die Wolkenbildung so sehr be-
schränkt ist und wo die Niederschlagsmenge auch in Regen-
form so hoch ansteigt, bei 15 200 Fuß für die Strauch-
grenze, das Auftreten der obersten Quellen, fast um 2000
i) Im Auszuge aus Sitz.-Ber. der k. b. Akad. der Miss.
II. Classe, München 1878, S. 461 bis 494. (®ie Höhen sind
in englischen Fuß gegeben; 1000 engl. Fuß — 304,79 Meter
= 938,3 Par. Fuß. liebet Transscription, erläutert im
„Glossary", ßesults, Yol. III, sei hier nur erwähnt: ch —
tsch im Deutschen ; K — hörbare Aspiration; ^ — dsch; sli = sch ;
v = w; 2 — weiches s. Auf jedem mehrsilbigen Worte ist
der Hauptton angegeben.)
Fuß, das Höhere. Diese Differenz würde, den klimatischen
Verhältnissen entsprechend, eine noch größere werden, wenn
nicht in jenen Regionen schon durch das Vorherrschen
steiler Gebirgsform die Entstehung der Quellen erschwert
wäre.
In den Alpen steigt die Höhengrenze des Auftretens von
Quellen, wie wir früher in den „Untersuchungen über die
physikalische Geographie und die Geologie der Alpen" zu
erläutern hatten, zu 9000 bis 9600 engl. Fuß hinan (Bd. I,
S. 243). Die Strauchgrenze, für welche in den Alpen 8000
Fuß Höhe sich ergiebt, wird dabei von den Quellen stets um
mehr als 1000 Fuß überschritten.
Topographisch zeigt sich schon in den Alpen für die
Quellen, verschieden darin von den kleineren europäischen
Gebirgen, eine verhältnißmäßig große Depression unter
die mittlere Gipfel- und Kammhöhe, welche über 2000 engl.
Fuß beträgt. In Hochasien wird für das ganze Gebiet,
ungeachtet des flachen Ansteigens der centralen Theile, der
Abstand der obersten Quellen von der Kamm- und Gipfel-
gestaltnng noch ungleich größer. Veranlaßt ist dieses hier
vor Allem durch die viel geringere Dichtigkeit der Luft; es
ist mit Ausnahme der Hochregionen der Südseite des Him-
alaya die absolute Menge atmosphärischer Feuchtigkeit
überall sehr bedeutend vermindert.
In trockenem Klima im Allgemeinen sowie in großen
Höhen vermehrt sich durch Zunahme der Verdunstung des
Bodenwassers relativ die Menge gelöster Salze, welche Quellen
mit sich führen. Aber in den meisten Gebieten Hochasiens
ist an sich durch die geologische Formation mit Auftreten
kristallinischer, schwer löslicher Gesteine der Salzgehalt der
Süßwasserquellen sehr beschränkt; und es ist derselbe in
Tibet und in Tnrkistän selbst für die Hauptströme der großen
Thäler weniger gesteigert als die Verdunstung allein es
erwarten ließe — deshalb, weil in den meisten Lagen der
größern Erhebung wegen die Wärme als fördernde Be-
dingung der Lösung von Bodensalzen eine bedeutend gentin-
derte ist.
Mineralquellen und Thermen — Quellen, die sich durch
Menge und meist auch Qualität des Salzgehaltes oder durch
ihre Temperaturverhältuisse als anomal unterscheiden —
hatten sich gleichfalls in Hochasien zur Beobachtung geboten.
Entsprechend ihrem Auftreten in hohen Breiten ist dasselbe
auch ans den Hochgebirgen durch niedere Lufttemperatur
als solche uicht ausgeschlossen; doch zeigt es sich stets geolo-
gisch local bedingt und eng begrenzt.
In Hochasien sind die meisten der in Europa bekannten
Erscheinungen dabei vertreten, und zwar in ziemlich ähnlicher
relativer Häufigkeit ungeachtet des großen Unterschiedes
der Bodenerhebung. Die höchst gelegenen heißen Quellen,
die wir fanden, waren jene der Mineralquellengruppe in der
Nähe des Salzsees Kiük Kiol im Karakäsh-Thale in Ost-
turkistän; Höhe 15 010 engl. Fuß.
364 Hermann v. Schlagintweit-Sakünlünsk
Der Boraxbezug aus Tibet. Als eine an sich un-
gewöhnliche Erscheinung ist für Hochasien, und zwar für
Tibet, das Auftreten von Bor-Berbindungen hervorzuheben.
Ueberdies zeigen sie sich dort deutlicher als in Europa und
sind auf mehrere in der Oberflächengestaltung ganz getrennte
„Localitäten" vertheilt. Sie bieten sich unter so eigenthüm-
lichen topographischen und physikalischen Erscheinungen, daß
durch ihre Lagerstätten schon seit langer Zeit die Bewohner
auf diese Naturproducte felbst und auf die Benutzung der-
selben aufmerksam geworden sind.
Ich werde versuchen, allgemein zusammenfassend die jetzt
vorliegenden Daten über die Bor-Berbindnngen zu geben,
obgleich Uber das Austreten derselben directe Beobachtungen
durch Europäer nur in den westlichen Theilen Hochasiens
bisher gemacht wurden.
Im östlichen Tibet ist das Vorkommen von Bor-
Verbindungen quantitativ das größere; es reichen vereinzelte
Nachrichten von Europäern über dieselben als Gegenstand
des Handelsverkehrs ziemlich weit zurück, doch sind diese nur
iudirecte Daten, meist nach den Mittheilungen der Jndier.
Auch die von uns während der Reisen gesammelten An-
gaben beschränkten sich für Osttibet auf die Erläuterungen,
die wir über Borax von eingeborenen Handelsleuten erhalten
konnten; in Sikkim und in Bhutan war es mir wenigstens
möglich, mit tibetischen Karawanenführern selbst, durch Hin-
dostani-Dolmetfcher, in jenen Bazars mich zu besprechen.
Was aus Tibet ausgeführt wird, ist zweifach borsaures
Natron, der Borax, der aber zum Theil erst künstlich dort
hergestellt wird. Es wird nämlich an einer der Bezugs-
statten zur Herstellung von Borax das borsäurehaltige Was-
ser eines von heißen Quellen gebildeten kleinen Sees benutzt.
Dort wird der Borax hergestellt durch Mischung dieses Was-
sers mit Boden-Efflorescenzen, die vorzugsweise aus kohlen-
saurem Natron oder Soda bestehen.
Das Auftreten von Soda als Bodensalz ist in Tibet
ziemlich häusig und in einzelnen Lagen sehr ausgedehnt;
die Ausscheidung an der Bodenobersläche herrscht vor in
kalter trockener Jahreszeit, und an jenem borsäurehaltigen
See soll ungeachtet bedeutender Höhe seiner Lage die Pro-
dnction des Borax nur im Winter vorgenommen werden;
das beizumischende Bodensalz, das ohnehin nicht aus reiner
Soda besteht, wird nur sehr unvollständig von adhärirender
erdiger Masse getrennt, und es ist deshalb das Boraxprodnct,
das aus jener Localität geliefert wird, sehr unrein. Erste
Mittheilung darüber, aber in sehr unvollkommener Weise,
hat, ä. d. August 1786, ein Brief von William Blane aus
Säfttäu nach Europa gebracht1).
An den anderen Fundstätten in Tibet wird überall Borax
gesammelt, der schon als natürliches Erzengniß sich bietet.
Localitäten desselben im östlichen Tibet wurden angegeben
in einem fast gleichzeitigen Berichte aus der Missionsanstalt
in Patna, abgesandt im September 1786 2). Als die eine
Lage, 25 Tagemärsche westlich von Lasa, wird darin das
Marme-Gebiet genannt; als eine zweite, 10 Tagemärsche
noch weiter im Gebirge, nennt der Bericht das Tapse-Thal;
eine dritte Stelle, deren Position nicht näher bezeichnet ist,
heißt darin CH6ga. Mit Bestimmtheit wird vom Auftreten
des Borax als natürliches Erzeuguiß gesprochen, und es wird
„Some Particulars relative to the Production of
Borax." Phil. Transactions, 1787, p. 297 — 300.
2) „A letter from the Father Prefect of the Mission
in Thibet, Joseph da Rovato, containing some Observa-
tions relative to Borax." Phil. Transactions, 1787, p. 301
— 304. (Dieser Brief ist, in der Sprache des Originals, italie-
nisch dort gegeben.)
i: Das Auftreten von Bor-Verbindungen in Tibet.
dasselbe als Ausscheidung festen Salzes in wassererfüllten
Pfuhlen beschrieben.
Ueber einen See des östlichen Tibet, an dessen Ufern
Borax in festen Schichten abgelagert ist, findet sich Mitthei-
lung von Sannders im Werke von Turner (London 1800) *);
Sannders hatte die politische Mission als der Beobachter
für naturwissenschaftliche Gegenstände nach Bhutan und
nach Tashilhdupo in Tibet im Jahre 1783 begleitet. Das
Boraxlager selbst hatte Sannders nicht gesehen. Er schätzt
die Lage desselben 13 Tagemärsche von Tashilhnnpo ent-
sernt, gegen Norden. Jedenfalls liegt demnach dieser See
viel östlicher und bedeutend weiter abwärts im Stromge-
biete des DiHong als die Fundstätten, welche in den beiden
vorhergehenden Mittheilungen besprochen sind. (Als „Na-
men" für diefeu See habe ich Ma-pin-mu Thsa-le augegeben
erhalten.)
„Dieser See," wie Saunders sagt, „hat 20 engl. Meilen
Umfang und hat weder Zufluß noch Abfluß eines Baches.
Er wird von Wasser von Salzquellen gefüllt und bleibt
doch immerfort gleich groß; dabei wird der Borax von den
Uferrändern gesammelt, ans der Tiefe wird in den mittleren
Theilen festes Kochsalz heraufgeholt."
Daß in jener regenarmen Gegend die Wassermenge des
Sees stets nahezu die gleiche bleibt, hat nicht die Unwahr-
scheinlichkeit zufälliger Coincidenz, sondern läßt sich aus ge-
wisser Combination von Wasser und Bodeugestaltung sehr
wohl erklären. Ist die Wassermenge der Quellen gering,
aber groß genng, um dem Eintrocknen des Sees zu wider-
stehen, so kann in einem so flachen Becken, wo bei geringer
Vermehrung oder Verminderung der sich ansammelnden
Wassermenge die Oberfläche, welche wasserbedeckt ist
und ausdünstet, so bedeutend sich ändert, innerhalb en-
ger Grenzen das angesammelte Wasservolumen das gleiche
bleiben.
Daß Kochsalz mehr als etwa spurenweise in der Tiefe
sich ansetzt, kann nur eintreten, wenn gleichzeitig Sättigung
der Lösung vorliegt; weil Salz aus der Tiefe heraufgeholt
wird, läßt sich schließen, bei der UnVollkommenheit der Werk-
zeuge jener Gebirgsvölker und bei ihrer Entbehrung selbst
großer Holzgeräthe, daß die Tiefe wenigstens nicht sehr be-
deutend ist. Geringe Dimensionen überhaupt machen allein
das Ansetzen festen Salzes in gesättigter Lösung wahrschein-
lich; es würde dies dann sehr wohl mit den Formen anderer
Kochsalzquellen sich vergleichen lassen, die wir in Ost-
turkistan in kleinen Pfuhlen austreten sahen. Da Saunders
den See nicht selbst besuchte, ist ohnehin bei der steten Nei-
gnng wenig cnltivirter Menschen, alles Ungewöhnliche in
seinen Eigenschaften und in seinen Formen bedeutend zu
überschätzen, sehr wohl anzunehmen, daß die Angaben der
Eingeborenen über die Größe des Sees übertrieben waren,
oder daß vielleicht innerhalb der ihm gegebenen Fläche „von
20 Meilen Umfang" nicht 1 großes, sondern mehrere solch'
kleinerer Salzwasserbecken sich zeigen würden.
In den Nachrichten, die während der letzten Jahre ein-
getroffen sind, ist für das östliche Tibet noch ein anderer
See als Borax-See bezeichnet worden, der gleichfalls hier zu
besprechen ist; er befindet sich in jener großen östlichen
Gabelung des Hauptkammes des Karakorum-Gebirges, die
nördlich von Tashilhnnpo uud von Lasa liegt. Bekannt wa-
ren für diese Erhebungsstufe seit längerer Zeit schon, vor
allem ihrer Größe wegen, der See Nam Tso oder Tengri
Nur und der See Namur Tso; der erstere galt als der
*) Turner, „An Account of an Embassy to the court
of the Teshoo Lama in Tibet;" Bericht von Saunders,
S. 406.
Hermann v. Schlagintweit-Sakünlünski:
größte See in Tibet, was durch das Eintreffen directer Beob-
achtnngen jetzt bestätigt worden ist.
Die neuen Mittheilungen wurden kürzlich über jenes
Gebiet durch Nain Singh geliefert, einen der Eingeborenen,
welche gegenwärtig von Indien aus zu Beobachtungen in den
Hochgebirgen verwendet werden.
Nain Singh aus Milum in Kamaon war in den Iah-
ren 1855 bis 1857 von uns in Dienst genommen worden
und wurde dann von Oberst Montgomerie als Native Assi-
stant für die indische Landesaufnahme (Great Trigonome-
trical Survey) engagirt. Nain Singh hat auch in seiner
neuen Verwendung gut sich bewährt und hat dort sehr bald
Gelegenheit erhalten, selbständig zu reisen x).
Seiner Abstammung nach ist Nain Singh einer der
Bhot-Rajpüts, die sich als Mischrace, aber mit Beihalten
des turauischen Charakters in ihrer Sprache, auf die indische
Seite der centralen Theile der Himalaya-Kette vorschieben.
In den meisten der östlicher liegenden Theile des Himalaya-
Gebirges ist aber auch die reine Race der Bhots oder
Tibeter auf die indische südliche Seite vorgedrungen. In
Bhutan und in Sikkim sowie in den nördlichen Hochstufen
Nepals noch ist die Bhot-Bevölkernng reiner Race die zahl-
reichste2). Bei solcher ist auch der Cultus der gleiche ge-
blieben wie im Heimathlande, nämlich der Buddhismus. Die
Mischracen aber haben den HindmCultus, mehr oder weniger
verändert, angenommen. Unter anderm zeigt sich dies so-
gleich schon darin, daß die Personennamen in Verbindung
mit einer Art von Kastenwesen zahlreich rein indische sind
(wie bei „Nain Singh"), ungeachtet des tnranischen Cha-
rakters der Sprache in Kamaon.
Der betreffende See heißt Bul Tfo. Er liegt dem Tengri
Nur ziemlich nahe, etwas nördlich von der Mittlern Thal-
linie jenes Hochlandes und etwas höher noch als der T6ngri
Nur, für welchen 15 500 Fuß als vorläufiges Ergebuiß der
Beobachtungen Nain Singh's anzunehmen ist.
In Dr. Ganzenmüller's 3) sorgfältiger und möglichst
vollständig durchgeführter Bearbeitung der bis jetzt vor-
liegenden Bereifungen uud Beschreibungen Tibets, die mich
veranlaßt hatte, auf seinen Wunsch eine allgemeine verglei-
chende Zusammenstellung dem Buche beizufügen, ist der Auf-
findung dieses Sees durch Nain Singh sowie der von ihm
durch die Tibeter erhaltenen Angaben gleichfalls fchon er-
wähnt (S. 52), wie folgt:
„Benannt ist der See nach dem Bul oder Borax, der
daraus gewonnen wird. Er ist etwa 6 Meilen lang und
5 Meilen breit. Er konnte vom Pandit Nain Singh von
einer erstiegenen Höhe übersehen werden."
Es ist dies die Angabe nach dem Report, den Mont-
gomerie publicirte; aber die Deutung des Wortes „Bul"
ist in demselben entschieden irrig. Bei den Tibetern ist die
Benennung des Borax4) „Thia-le". Bul aber heißt nicht
Borax, sondern Soda; speciell die schon oben erwähnte Boden-
Efflorefcenz. Nain Singh, dessen Landessprache als Bhot-
Rajput gleichfalls das Tibetische ist, hat auch die Verwen-
1) Erläutert in meinem „Bericht über Anlage des Herba-
riums". Denkschr. der II. CI. d. k. b. Ak. d. Miss., Bd. XII,
S. 165. Details über die Reise Nain Singh's und der anderen
in ähnlicher Weise entsandten Pandits sind von Oberst Mont-
gomerie ofsiciell publicirt.
2) Die Verhältnisse zu Milum sind besprochen in „Reisen
in Indien und Hochasien", Bd. II, S. 332.
3) „Tibet nach den Resultaten geographischer Forschungen
früherer und neuester Zeit." Stuttgart, Levy und Müller, 1878.
*) Das Wort Borax, jetzt in Europa gebraucht, ist das
arabische „Borak"; früher war bei uns der Name desselben
„Tinkal", modificirt aus „Tinkar", der Benennung im indi-
scheu Handel.
Das Austreten von Bor-Verbindungen in Tibet. 365
dnng des Salzes, die er sah, keineswegs als dem Begriffe
von Soda widersprechend aufgefaßt. Denn er fügte gerade
über dieses Bul-Salz das noch bei, was eben die allgemeine
Benutzung der Soda in Tibet ist, ohne daß er darin etwas
Ungewöhnliches für das Salz, das hier sich bot, gesunden
hätte. Er sagte nämlich über diesen Bul, „daß er in Tibet
zu den Nahrungsmitteln gehört, indem er von den Ein-
geborenen als eine Würze des Fleisches, des Thees sowie
zum Waschen der Kleider und dergleichen verwendet wird,
und daß er in großen Quantitäten von den Händlern weg-
geführt wird."
Im westlichen Tibet wurde uns das Vorkommen von
Borax nur bekannt für eine Region, für das Püga-Thal
in Rüpchn, einer Provinz Ladaks. Im Jahre 1856 hatte
mich meine Bereifung der tibetischen Salzseen mehrmals in
die Nähe geführt, am unteren Ende, wodurch zugleich die all-
gemeinen topographischen und geologischen Verhältnisse der
Umgebungen mir bekannt wurden; 1857 war mein Bruder
Adolph an das obere Ende des Boraxbadens gekommen.
Die mittlere Höhe der boraxhaltigen Quellen ist 15 310
engl. Fuß.
Die Besprechung der geologischen Verhältnisse in Ver-
bindung mit dem Auftreten des Borax zu Püga ist in mei-
ner ausführlichen Abhandlung als getrennt gehaltener Gegen-
stand angereiht. Die ungewöhnlichen Erscheinungen der
Wasser- und Bodenverhältnisse, ans welche dabei eingegangen
werden kann, dürsten bei der Mächtigkeit des Austretens von
Borax zu Puga Anhaltspunkte zur Beurtheilung der meisten
unbestimmter gehaltenen Angaben über Einzelheiten an an-
deren Lagerstätten bieten.
Der Borax im Handelsverkehr kommt aus dem öst-
lichen Tibet meist über Bhutan und Assam nach dem Süden;
zum Theil wird er über Nepal nach Indien gebracht. Die
Stücke, die ich in Kathmandn sah, zeigten eisenhaltigen
Thon, Gyps, auch etwas Schwefel eingeschlossen. Häufig
ist die Masse etwas fettig, weil man vor dem Transporte
Oel oder Fett zusetzt, um sie, wie man mir sagte, gegen zu
starkes Zerfallen zu schützen.
Aus dem westlichen Tibet geht der Weg des Trans-
Portes, ohne das nördlich von der Fundstätte gelegene Le zu
berühren, direct gegen Südwesten nach der Hauptverkehrs-
linie zwischen Tibet und Lahol, und aus dieser nach dem West-
lichen Indien.
Aehnlich wie zum Getreidehaudel werden dabei im Hoch-
gebirge von den Tibetern meist Schafe benutzt, welche mit
zwei seitlich hängenden Säcken bis gegen 40 Pfund schwer-
beladen werden.
Die Reinigung von erdiger Maffe und von fremden
Salzen wird erst in Indien, und zwar nach dem Verkaufe,
im Großen vorgenommen. Es genügt, in heißem Wasser
zu lösen, die festen Theile, die sich zu Boden senken, durch
Umgießen der Flüssigkeit von dieser zu trennen und deren
Erkaltung eintreten zu lassen, wobei sich bedeutende Menge
des reinen Borax aus der Mutterlauge krystalliuisch aus-
scheidet.
Seine allgemeinste Anwendung findet Borax bekanntlich
als Schmelzmittel, in Indien gleichfalls; er verändert zwar
nicht unmittelbar die Schmelzbarkeit der Metalle, aber er
begünstigt die Behandlung derselben dadurch, daß er die stö-
rende Einwirkung von Oxydkrusten entfernt, indem er mit
diesen eine leichtflüssige glasartige Verbindung bildet.
In Indien wird noch der Borax in wässeriger Lösung
benutzt, um jene Jncrustationen auf Zweigen zu erweichen,
welche Gummilack und die rothe „Läkh"- (oder Lack-) Farbe
liefern; es sind dies zellenartig angesetzte Secretionen der
366 Drei madagas
Schildlaus-Species Coeeus lacca, welche aus sehr verschie-
denen tropischen Bäumen vorkommen.
Früher wurde ungeachtet der großen Entfernung Borax
fast ausschließlich aus Tibet über Indien in Europa ein-
geführt. In Indien selbst ist ein Vorkommen desselben nicht
bekannt; auch in Europa kommt Borax in Natur nirgends
vor, aber seit der Production fester gereinigter Borsäure aus
heißen Gasströmen im Toscanischen, die am Fundorte selbst
nsche Märchen.
sogleich zur Bereitung von Borax benutzt wird, hat die Ein-
fuhr via Indien aufgehört.
Die Borsäure wird speciell zu Porcellan- und Glasberei-
tuug (in Europa) gebraucht. Eine eigenthümliche Verwen-
duug im Kleinen hat sich für Borsäure bei uns zur Präpa-
ratiou des Dochtes von Stearinkerzen ergeben, da bekanntlich
bei solchen Kerzen kein Abschneiden restirenden Dochtes nö-
thig ist.
Drei madagask
Von afrikanischen Märchen des Festlandes sind bereits
mancherlei Sammlungen bekannt geworden, wie z.B. Calla-
way's Nursery Tales etc. of the Zulus, Bleek's
Reynard the Fox in South Africa (deutschWeimar
1870) und andere mehr, von madagaskarischen hingegen
weiß man bisher noch nicht viel und die Specimens of
MalagasyFolk Lore, welche der norwegische Missionär-
Dahle in Antananarivo hat drucken taffeit, werden diesem
Mangel um so weniger AbHülse leisten, als nicht einmal
eine Übersetzung beigegeben ist. Sehr großen Dank verdient
daher eine englische Dame, Miß Cameron, die daraus drei
Märchen übersetzt und einem Freunde in der Capstadt zur
Bekauutmachung mitgetheilt hat, so daß dieselben nun in der
Aprilnummer des Cape Monthly Magazine zu lesen
sind. Ich glaube der mnthmaßlichen Absicht des letztgenann-
ten anonymen und mir gänzlich unbekannten Herrn, der mir
freundlicherweise einen Sonderdruck zugesandt, am besten da-
durch zu entsprechen, wenn ich die erwähnten drei Märchen
in deutschem Gewände einem größern Kreise zugänglich mache,
was hierdurch geschieht.
Die wilde Katze und die Ratte.
Die wilde Katze und die Ratte spielten mit einander;
die Ratte war die Haushälterin nnd die Katze die Jägerin.
Die letztere war immer auf der Jagd, während inzwischen
die Ratte ein Loch in die Erde grub; doch merkte die Katze
nicht deu Zweck desselben. Hieraus beriethen sich beide und
kamen überein, einen Ochsen zu stehlen.
Sie gingen also, wie man erzählt, auf den Diebstahl aus
und bemächtigten sich eines schönen Mastochsen; aber die
Ratte wurde von der Katze betrogen, denn diese nahm das
Fleisch für sich und gab der Ratte mir die Knochen. Als
sie nun beide gegessen hatten, so blieb noch viel übrig, wes-
halb die Ratte noch etwas von dem Fleisch verlangte, bekam
aber nichts davon, sondern erhielt nur die Haut, worauf die
Katze den Rest des Fleisches zerschnitt, ihn einsalzte und in
einen Korb vernähte, sodann diesen an der Thürpsoste zum
Trocknen aufhängte und wieder auf die Jagd ging.
Als so die Katze ans der Jagd war, machte die Ratte,
wie man erzählt, ein Loch durch den Korb und fraß das
Fleisch bis aus deu letzten Bissen ans. Wie nun die Katze
von der Jagd heimkehrte, sprach sie und sagte: „Ich will
mir etwas Fleisch zum Abendbrot holen;" da sie aber den
Korb herunternahm, fand sie auch uicht das Geringste darin
und wurde darüber so böse, daß sie die Ratte packen wollte;
allein diese lief in das Loch, das sie gegraben, und entging
so dem Tode. Da verfluchte die Katze die Ratte und sagte:
„So lange mein Geschlecht dauert, muß es auf die Zerstö-
arische Märchen.
rung von Natten ausgehen." Dies ist der Grund, weshalb
die Ratten von den Katzen aufgefressen werden.
* *
In dem vorliegenden Märchen zeigt sich eine genaue Ver-
waudtschaft mit dem deutsche» „Katze und Maus in Ge-
sellschaft" (Grimm Nro. 2), welches sich auch sonst noch in
mancherlei Gestalt wiederfindet; so z. B. Benfey, Pantscha-
tantra I, 596 f., §. 227, 1; Radloff, Proben der Volks-
literatur der türkische» Stämme Südsibiriens, 3, 369 ff.;
Hahn, Griechische und albanefifche Märchen, 2, 99 ff.,
Nro. 89; auch in Schottland, Frankreich und noch ander-
wärts begegnet man diesem Märchen.
Die Vazimba.
Man glanbt, daß es ehedem ein Volk gab, welches V a-
zimb a hieß und von kleinem Wuchs war mit großen Köpfen;
auch jetzt uoch sollen einige ans der Westküste wohnen.
Diese Leute machten sich eines Tages auf, um am User
zu spielen, uud singen das Thier, welches Fananimpito-
loha (siebenköpsige Hydra) heißt; dann kamen sie zu der
Schlange Tompondrano und ein Vazimba schickte sie auf
eiue Botschaft, indem er zu ihr sagte: „Geh hin zu meinen
Eltern und sage: Also spricht euer Sohn Ravazimba: Ich
bin unter das Wasser hinuntergegangen und wünsche euch
Lebewohl; schicket mir daher das Blut eines lebendigen Ge-
schöpses mit seinen Füßen, seinem Pelz und seinem Fett,
wenn ihr dies thuet, so wird Segen über euch kommen!"
Hieraus ging die Schlange ihres Weges.
Aus dem genannten Grunde heißen jene Schlangen
Tompondrano (Herr des Wassers). Mau glaubt, daß
der Vazimba ihnen Gewalt verliehen, so daß fast niemand fo
kühn ist, sie zu tödteu.
Einige Zeit daraus schickte der Vazimba den Vintsy
(einen kleinen blauen Vogel) zu seinen Eltern und sprach:
„Grüße meine Eltern von mir und sage zn ihnen: Also
spricht Ravazimba: Schicket mir Geflügel und Schafe."
Und als der VintfY feine Botschaft ausgerichtet, ging
er fort und kehrte zu Ravazimba zurück und dieser sprach zu
ihm: „Weil du hurtig und klug gewesen bist, verleihe ich
dir Ehre; ich werde auf deinen Kopf eine Glorienkrone
fetzen und dich Tag und Nacht in blauen Schmuck kleiden.
Wenn du Junge bekommst, will ich sie auferziehen und
alle diejenigen in ihrer Jugend erschlagen, die dich zu tödteu
suchen."
Dies, glaubt man, ist der Ursprung der Schönheit dieses
Vogels nnd deshalb auch befindet sich fein Nest stets am Ufer
des Waffers. Gleichermaßen findet man bis auf heutigen
Aus allen Erdth eilen.
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Tag nicht viele Leute, die so kühn sind, den Vintsy zn töd-
ten oder zu essen. Einige glauben fest an die Wahrheit die-
ser Erzählung und erweisen dem kleinen Vogel große Ehr-
erbietung.
Viele der Einwohner von Jmerina haben den Vazimba
angefleht und gesprochen: „Wenn Du mir Gunst erweisen
willst, oder wenn ich von dieser meiner Krankheilt geheilt
werde, oder wenn ich oder meine Frau Kinder bekommen
sollte, dann will ich Dich mit Salbe salben und Dir Schafe
und Geflügel als Opfer darbringen."
Der Songomby.
Der Songomby soll ein großes schnellfüßiges Thier sein,
ungefähr von der Größe eines Ochsen, nnd nach der Mei-
uuug einiger Leute sogar Menschen verzehren. Vor nicht
sehr langer Zeit uoch hielten verschiedene Bewohner des Sü-
dens dafür, daß das Roß der Songomby gewisser Länder
jenseits des Wassers sei und daselbst ans folgende Weise ge-
fangen werde. Man legt ein Kind gebunden an den Ein-
gang der Höhle des Songomby, und wann er dann das Ge-
schrei des Kindes hört, kommt er heraus und wird alsbald
gefangen. Gleicherweise, sagten die Südländer, werden auch
wir Songombys mit List fangen und uns ihrer als Pferde
bedienen. „In der Nähe unserer Stadt," berichtet derjenige,
der dieses erzählt, „befindet sich eine Höhle, worin sich einige
solche Thiere aufhalten sollen. Sehen sie einen Menschen,
so fallen sie ihn unfehlbar an und obwohl die Songomby-
stnte nicht sehr grimmig kämpft, so feuert sie doch den Hengst
an und hält im Angriff standhaft bei ihm aus." Eine Ge--
schichte erzählt von einem Manne, der bei Nacht ans der
Reise einem Songomby begegnete. Der Kampf, der sich
zwischen ihnen entspann, war sehr heftig und dauerte bis
nächsten Morgen; doch besaß der Mann eine ungewöhnliche
Stärke und wurde deshalb nicht von dem Songomby gefres-
seit. Dies, sagen sie, ist ein sicherer Beweis von dem Vor-
handenfein des Songomby. Eine andere Geschichte betrifft
ein unruhiges Kind, das von den Eltern aus dem Haufe ge-
jagt wurde und sicherlich von den Songomby wäre gefressen
worden, wenn ihm nicht einige Leute zu Hülfe gekommen
wären. Noch eine andere Geschichte erzählt von einem un-
gezogenen Kinde, das gleichfalls die Eltern aus dem Hause
jagten und dabei riefen: „Komm her, Songomby, da nimm!"
Da kam der Songomby in der That, und das Kind schrie:
„Seht, seht, hier ist er wirklich!" Aber die Eltern antwor-
teten: „Nun gut, dann kann er dich fressen!" (Denn sie
glaubten, das Kind spräche die Unwahrheit.) Nach einer
kleinen Weile öffneten sie die Thür, und sahen, daß das Kind
nicht mehr da war, worauf sie in Begleitung einiger Nach-
barn das Kind mit Fackeln aufsuchten. So fanden sie denn
entlang dem Wege Spuren vou dem Blute des Kindes, denen
sie folgten, bis sie an die Höhle des Songomby gelangten.
Noch viele andere Geschichten werden erzält, welche von dem
Vorhandensein des Songomby Zengniß ablegen
Felix Lieb recht.
Aus allen E r d t h e i l e 11.
Asien.
— Die politischen Verwickelungen zwischen Rußland und
England haben seit dem Frühlinge dieses Jahres eine erhöhte
Thätigkeit der russischen Offiziere in dem zwischen Rus-
sisch-Tnrkestan und Afghanistan belegenen unabhängigen Ge-
biete herbeigeführt, aus welcher der Erdkunde voraussichtlich
ein großer Nutzen erwachsen wird. Einen bedeutenden An-
theil daran hatte Oberst Majew, dessen erste Reise in His-
sar unseren Lesern erinnerlich sein wird (s. „Globus" XXXI,
S. 9 und 27, mit Karte). Von Ende Mai bis zum 16. Juni,
wo er in Taschkend wieder eintraf, hat er das Land zwischen
Dscham (südwestlich von Samarkand) und detn Amn-Darja
bei Kilif bereist, somit sich ungefähr auf demselben Gebiete
bewegt wie zu Beginn feiner Reise von 1875; er kam zu dem
Schlüsse, daß die Straße von Ehuzar über Derbent, Schirab
und Schirabad nach dem Oxns für ein nach Afghanistan vor-
rückendes Heer die vortheilhafteste sei. — Eine zweite Expe-
dition, bestehend aus den Herren Osch an in, New e ski und
Radiouow, ist von Samarkand über Schehrisebz, den
Sengri-Dagh, Dehinan, Düschambe, Kasirnahau (diese Orte
wurden gleichfalls fchou im Jahre 1375 von Majew be-
sucht), nach Gharm in Karategin abgesendet worden, soll sich
dann südwärts wenden und Pamir zu erreichen suchen (ver-
gleiche die beiden vorigen Nummern). — Ferner wur-
den von Fort Naryn zwei Offiziere ausgeschickt, um topo-
graphische Untersuchungen im Jfsyk-Kul-Districte zu
machen. Sie sollten eine Straße zwischen Naryn und Kasch-
gar aufnehmen und Baron Kaulbars' Arbeiten aus den Iah-
ren 1863alnd 1869 vervollständigen. Das Gebiet von Knldfcha
wurde dagegen in diesem Jahre nicht untersucht, weil dort
schon Recognoscirnngen östlich bisManas und auf der Süd-
feite des Tian-schan bis Karaschahr vorgenommen worden
sind, und zwar durch Hauptmann Larionow, welcher auch
die Gebirge Sary-Dschas und Muztag östlich vom Jssyk-knl
überschritt. Ueber dieselben giebt es nur den einzigen Weg,
welcher über den Mnzart-Paß nach Aksn in Chinesisch-Tur-
kestan führt. Larionow hat eine Routenaufnahme und ein
Verzeichniß barometrisch bestimmter Höhen geliefert. — Ma-
jew ist sodann im vergangenen Sommer nochmals in Hissar
gewesen. Die „Tnrkestanifche Zeitung" schreibt darüber:
„Die Reise N. A. Majew's dauerte zwanzig Tage (vom 9.
bis 29. August). Bis nach Karschi befand er sich unter den
Personen der Gesandtschaft, welche der Generalgouverneur
von Turkestau au deu Emir vou Afghanistan abgesandt hatte;
von Karschi reiste er über Ehuzar ins Gebirge. Diesmal
Hat er den geraden Gebirgsweg erforscht, welcher vom Weide-
platze Tengi-Haram über den Bergrücken Wasch und durch
das Thal des Kartschak-Darja nach dem großen und wohl-
habenden Kischlak Kuitan führt. Bis jetzt war der bedeu-
tende Gebirgsfluß Kartschak-Darja ebenso wie der Kuitan-
Darja gänzlich unbekannt. Hierauf erforschte Majew auch
den sehr wichtigen Weg von Kuitan nach Schirabad über
das Gebirge und durch die Schlucht Teugadawal. Diese
lange, vielfach gewundene Schlucht durchschneidet das ganze
Massiv des Kütün-Gebirges. Ueber einen andern solchen
Gebirgsrücken, den Paschchnrd, geht der Weg durch die
Schlucht Ehodscha-Ulkau. Von Schirabad ging Majew nach
dem Uebergang über den Surchan beim Kischlak Kakaity und
folgte dem Thale des Surchan aufwärts bis Regar und
Sary - dschui. Um die Rückreise nicht ans- schon bekannten
Wegen zu machen, schlug er die Richtung nach Schehrisebz
ein, und zwar auf demselben Wege, welchen Anfangs August
dieses Jahres W. F. Oschanin (f. oben) untersucht hat.
368 Aus allen
Derselbe ist sehr schwierig; er führt von Sary-dschui über die
Kischlaks: Sengridag, Bachtscha und Taschkurgan nach Jaka-
bagh. Dieser Weg gilt nicht einmal als Karawanenweg, den
Lastthiere zurücklegen können; denn er führt größtentheils
über Felsvorsprünge, die oft nur x/4 Arschiu breit siud und
über den reißenden und schäumenden Sengridag-Darja über-
hängen. In Schehrisebz verabschiedete sich Majew vom
bucharischen Emir und dankte ihm für die Unterstützung,
welche er auf feinen Befehl von den bucharischen Behörden
erhalten hatte. In diesem Jahre wurde somit viel zur Ver-
vollstündiguug und Verbesserung unserer Karten von Mittel-
asien gethan.
— Die „Pekinger Zeitung" enthielt im vorigen Jahre
Edicte, durch welche die außerordentliche Hartnäckigkeit, mit
der unglückliche chinesische Kandidaten sich Jahr für
Jahr bei der Examinationscommifsion melden, treffend illu-
strirt wird: es werden an 42 Caudidateu Ehrengrade ver-
liehen, welche endlich im Alter von 90 Jahren und darüber
durchkamen, und an 36, welche im Alter zwischen 80 und 90
den vergeblichen Kampf ausgaben.
— Dr. Sjäwertzow, der bekannte Zoologe, ist von sei-
ner Reise nach Pamir (f. „Globus" XXXIII, S. 239) nach
St. Petersburg zurückgekehrt. Er ist bis zum See Rang-knl,
der Sariz-Pamir und Alitschur-Pamir (zwischen 38» und 39»
nördl. Br.) vorgedrungen, also in den eigentlichen Kern des
dortigen noch unbekannten Gebietes, dessen Karte durch ihn
zahlreiche Bereicherungen und Berichtigungen erfährt.
Amerika.
— Ein Wörterbuch der Pescheräh-Sprache.
Einer gütigen Mittheilung des deutschen Ministerresidenten
in Chile, Herrn v. Gülich, verdanken wir die zu Santiago
erscheinende Zeitung El Ferrocarril vom 3. Juni 1873, in
der sich eine sehr wichtige Notiz befindet. Der zu Uschnvia
im Feuerlande ansässige Missionär T. Bridges ist nämlich
gegenwärtig mit der Zusammenstellung eines vollständigen
Wörterbuches des Aagham, der Sprache der südlichsten Be-
wohner Amerikas, beschäftigt. Die Sprache soll bewuuderus-
Werth wegen ihrer Vollständigkeit und Regelmäßigkeit sein
und das Werk wird 15 000 einfache und zusammengesetzte
Wörter enthalten.
Für die Vergleichnng der amerikanischen Sprachen wer-
den wir damit ein höchst wichtiges Werk empfangen, das
uns als Schlußstein in der langen Reihe der Idiome vom
nördlichen Eismeer bis an die Magalhaesstraße noch fehlte.
Es könnte überraschen, daß jene Sprache, deren Namen
Aagham wir zum ersten Male hier lesen, es admirable por
su complejidad y regularidad, wie der Ferrocarril sagt,
allein manche Züge, die wir bei Darwin, Fitzroy und Snow
finden, lassen erkennen, daß die Feuerländer mit uichteu jene
tiefstehenden Menschen sind, als welche die gewöhnlichen
Schiffer sie uns gern darstellen. Andree.
Arktisches Gebiet.
— Die „Deutschen Geographischen Blätter" (II, Heft 4,
S. 275) berichten von einem Versuche, welcher unter großen
Anstrengungen, aber mit etwas besserm Erfolge als bisher
in diesem Sommer gemacht wurde, um von der Westküste
Grönlands in das mit Eis überdeckte Innere vorzndrin-
gen. Er geschah von drei Dänen, dem Marinelieutenant
Jensen, dem Eandidaten Kornernp und dem Architekten
Groth, welche die Küste zwischen Godhaab und Frederiks-
Erdtheilen.
haab zu untersuchen und zu vermessen hatten. Ihr Ziel
waren einige 10 Meilen (dänische?) entfernte, nördlich von
Frederikshaab aus dem Eise hervorragende Bergspitzen; ihr
Gepäck zogen sie auf drei kleinen Schlitten selbst. Am 14. Juli
begann die Wanderung. Nach zwei Tagen nahm der lose
Schnee auf der im Ganzen wellenförmigen Erdoberfläche so
zu, daß das Vordringen sehr gefährlich wurde, indem man
fortwährend in verborgene Spalten und Löcher sank und sich
durch Stricke an eiuauder befestigen mußte. Dazu herrschte
fast stets Nebel und am 23. Juli ein Schneesturm; auch
erschwerten die vielen Unebenheiten und tiefen Abgründe die
Reise. Am 24. war der Fuß der Berge endlich erreicht; aber
nun folgte ein sechstägiger Südoststurm mit anhaltendem
Schneefalle und Regen, so daß erst am 31. an eine Bestei-
gnng gedacht werden konnte. Die Höhe des Berges (Nu-
natak) betrug circa 5000 Fuß absolut. Jenseit desselben
dehnten sich, so weit das Auge reichte, Eisflächen und Eis-
berge aus. Am 5. August erreichte die Expedition nach
23tägigem Aufenthalte auf dem Eise ihren Ausgangspunkt
wieder.
— Am 26. September kehrte der norwegische Walroß-
sänger E. Johannesen mit gutem Fange aus dem Polar-
meere uach Tromsoe zurück. Er verließ die Spitze der
Admiralitätshalbinsel (75° nördl. Br.) am 19. September
und brauchte bei günstigem Winde zur Heimfahrt nur acht
Tage. Er berichtet, daß die Eisverhältnisse nördlich von
Nowaja Zemlja und im Karischen Meere in Folge der be-
ständigen Südwestwinde ganz ungewöhnlich günstige gewesen
sind, und daß die Grenze des festen Eises sehr weit nach
Norden gelegen haben muß. Seiner Ansicht nach wäre es
ihm, wenn er einen Dampfer gehabt hätte, leicht gewesen,
nördlich über Franz-Joseph's-Land hinaus zu ge-
langen. Allein mit einem Segelschiffe habe er sich hierauf
um so weniger einlassen können, als seine Aufgabe nicht Ent-
deckuug, sondern Fischfang war. Auf seineu Fischerkreuzeu,
die sich östlich bis zu 90° östl. L. und bis zum Eap Taimyr
ausdehnten, fand er ein eisfreies Meer östlich bis auf 36»
östl. L. und nördlich bis auf 77» 30 bis 40' nördl. Br., also
im Norden der Nordspitze Nowaja Zemljas. Er entdeckte
auf etwa 77° nördl. Br. eine ungefähr 2% norwegische Mei-
len (ä 1^ deutsche Meilen) lange Insel, die er umsegelte
und „Eensamheden" (Einsamkeit) benannte. Sie war am
westlichen Ende ziemlich hoch, verflachte sich aber gegen Nord-
osten. Am Strande fand sich eine große Menge Treibholz.
Auf der Insel traf er die gewöhnlichen Vogelarten des Eis-
meeres, aber auch andere, die sich im Karischen Meere nicht
vorfinden. Ferner bemerkte man drei Eisbären. Eine Lan-
duug konnte wegen der Dünung und des Nebels nicht be-
werkstelligt werden. Am Südostende fand sich etwas Trümmer-
eis. Hier wurden vierzig Walrosse getödtet. Das Meer an
der West- und Nordseite war sehr tief, dagegen flach auf der
südlichen und östlichen Seite, so daß man nicht weit entfernt
Festland vermnthen durfte. Von der Insel weg segelte Ca-
pitän Johannesen in südöstlicher Richtung bis zum 90. Grad
und entdeckte hier am 20. August , da der bisher herrschende
Nebel etwas nachließ und die Witterung sich aufklärte, auf
etwa drei Meilen Entfernung in direct südlicher Richtung
Land. Dieses war nach seiner Meinung die westliche Seite
des Cap Taimyr. Eis war nirgends zu sehen, und da sich
in Folge dessen auch keine Aussicht auf einen Fang eröffnete,
kehrte Capitän Johannesen wieder um.
(Mittheilung der Bremer Geographischen Gesellschaft.)
Inhalt: Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877). IV. (Mit fünf Abbildungen.) — Leben
und Gewohnheiten der Fellahs in Palästina. I. — Die Expeditionen der afrikanischen Gesellschaft in Deutschland. —
Hermann v. Schlagintweit-Sakünlünski: Das Auftreten von Bor-Verbindungen in Tibet. — Drei madagas-
karische Märchen. Von Prof. Felix Liebrecht. — Aus allen Erdtheilen: Asien. — Amerika. — Arktisches Gebiet. —
(Schluß der Redaction 19. November 1873.)
Redakteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunschweig.
Hierzu eine Beilage: Literarische Anzeigen aus dem Verlage von Fues (R Reisland) in Leipzig.
M-
&
Band XXXIY.
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.fji.
Mit bosontterer Berücksichtigung iler Antkroxologie unä Gtknologie.
Begründet von Karl Andree.
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Dr. Richard Kiepert.
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Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
V.
Der Zug nach dem Mnta Nzigö. — Durch Karagwe. — Ankunft in Udschidschi.
Am 13. November 1875 nahm Stanley in der Haupt-
stadt Uta galt a Abschied von König Mtesa von Uganda und
fuhr von dein Hafen Ntewi in seinem Boote, begleitet von
20 Waganda-Canoes voller Krieger, nach Dumo (circa
y20 slldl. Br.) zurück, wo er drei Monate vorher seine Expe-
dition zurückgelassen hatte. An demselben Tage wurde der
Häuptling Sambuzi mit 1900 Kriegern Überland nach dem
Thale des Katonga gesandt, wo er mit Stanley zusammen-
treffen sollte, um diesen als Escorte auf dem Marsche nach
dem Mnta Nzigä x) zu begleiten. Nach viertägiger Küsten-
fahrt kam Stanley in Dumo an, wo er das Lager und alle
seine Leute in bestem Zustand vorfand; während seiner gan-
zen Abwesenheit waren sie auf Mtesa's Befehl reichlich mit
Lebensmitteln versorgt worden. In wenigen Tagen waren
alle Traglasten wieder gepackt, das Boot zerlegt und die
Expedition reisefertig; am 26. November wurde der Marsch
nach Nordwesten durch das Reich Uddu nach dem Stelldich-
i) Auf Stanley's großer Karte schließt das südende des
von Baker 1874 entdeckten Albert Njanza (Mwutan) nach Gessis
(1876) und Oberst Mason's (1877) Erforschungen nördlich vom
I.Grade nördlicher Breite ab. Der von Stanley am 11. Ja-
nuar 1876 erreichte Userpunkt liegt etwa 7 Minuten südlich
vom Aequator, so daß er wahrscheinlich einen ganz neuen
See entdeckt hat, den auch seine Karte als solchen unter dem
Namen „Muta Nztge" ausnimmt, was an den schon 1862
von Speke erkundeten und aus dessen Karte angeführten „kleinen
Luta Nzige" erinnert. Eine Note auf Stanley's Karte beim
Albert-See sagt: „yet it may be presuined to have a cou-
nection with Muta Nzige!"
Globus XXXIV. Nr. 24.
ein am Katouga angetreten. Das Land war mit abgernn-
beten, baumlosen Hügelketten nud breiten grasbewachsenen
Thälern mit Ameisenhügeln und spärlichem Buschwerk be-
deckt; Wild aller Art war so zahlreich, daß Stanley in fünf
Tagen 57 Hartebeests, zwei Zebras und einen Wasserbock
erlegte; auch Löwen und Leoparden sollen zahlreich sein.
Bei Nuwewa setzte die Expedition in dem Boote über den
1500 Uards breiten Katonga, der mit durchschnittlich
5 Fuß tiefem Wasser ohne Strömung eine mit Schilf und
Papyrus' bedeckte Lagune bildet. Am 23. December traf
Stanley in Langurwe mit dem Waganda-Hülföheer unter
Sambuzi zusammen. Der Weitermarsch nach Westen führte
am Nordufer des Katonga entlang, in dessen viele schils-
bedeckte Seitenarme zahlreiche klare Nebeuflüsse von Nord
uud Süd einmünden. In dem Grenzdorfe Kawanga zwi-
schen Uganda und Uujoro stießen noch mehr Hülsstrnppen
zu der Expedition, deren Gesammtzahl mit Weibern und
Kindern sich jetzt auf 2800 Seelen belief, von welchen Stan-
ley's eigene Leute 180 zählten.
Am 1. Januar 1876 marschirte der Zng in Unjoro
ein. Das Laud nahm jetzt einen gebirgigen Charakter an;
rauhe, zackige Hügelreihen, einzelstehende Felsspitzen mit
großen Granit- und Eisensteintrümmern und riesige Berg-
kegel vou bedeutender Höhe erhoben sich in allen Richtungen.
Einen Hauptunterschied zwischen Uganda und Unjoro bildet
ferner die Nahrung der Eingeborenen, welche fast ausschließ-
lich in jenem aus Bananen, in diesem ans süßen Kartoffeln
besteht. Das Land war wie ausgestorben; alle Einwohner
47
870
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
hatten sich beim Nahen des Heeres geflüchtet. Bei Beuga
befand sich das Lager 5200 Fuß über dem Meeresspiegel
auf der Wasserscheide zwischen beiden Njanzas, von welcher
der Katonga ostwärts in den Ukcrewe und der Rnfaugo
nach Westen in den Muta Nzigs fließen. Von der Spitze
eines Hügels sah Stanley weit im Nordwesten die ungeheuere
blaue Masse des großen Berges im Lande Gambaragara
sich vom Horizont abheben; zu Ehren seines amerikanischen
Chefs gab er ihm den Namen G o rdon-B ennett. Dieser
Berg bildet einen 14 000 bis 15 000 Fuß hohen, abge-
stumpften Kegel, der sich in einer Reihe von Absätzen aus
der Ebene erhebt; zahlreiche Gießbäche stürzen seine steilen
Seiten hinab und seine Spitze soll oft mit Schnee bedeckt
sein. Die Eingeborenen von Gambaragara sollen ein Volk
von heller Hautfarbe und regelmäßigen Gesichtszügen
sein; da Stanley mehrere Individuen desselben selbst gesehen,
die er im Aussehen mit Südeuropäern vergleicht, scheint die
Thatsache außer Zweifel. Die Frauen sollen sehr schön
sein; die von Stanley gesehenen hatten nichts vom Neger-
typns außer das krause Haar. Auch an Mtesa's Hof traf
er mehrere Mitglieder dieses Volkes. Ihr Land umfaßt
alle den großen Berg umgebenden Bezirke. Die Basis, die
Abhänge und der Gipfel desselben sollen von einer zahlreichen
Bevölkerung dicht bewohnt sein. Der König von Gamba^
1 Speer aus Ost-Manjema. 2 Speer aus Urundi, Karagwü und Uhha. 3 Schild aus Iltyoro. 4 Messer aus Uregga.
5 Messer aus Rua. 6 Messer aus Uwuma und llsoga. 7 Messer ans Manjenia. 8 Messer aus Uregga. 9 Messer aus
Uganda. 10 Messer aus Ukcrewe. II Keulen und Spazierstock, 12 Gewöhnlicher Speer aus Unjamwezi. 13 Speer aus
Uregga. 14 Uganda-Matschetö. 15 Schild aus Maujema. 16 Hakenmesser aus Uhjeja. 17 Schild aus Uganda. 13 Haken-
messer aus Unjamwezi. 19 Schild aus Usougora und Bumbireh. 20 Usougora - und Bumbireh - Matschets. 21 Speer
aus Maujema. 22 Speer aus Uganda.
ragara heißt Ny-ika; im Kriegsfälle zieht er sich mit seinen
Häuptlingen und ihren Familien ans den Gipfel des Berges
zurück, welcher der Krater eiues erloschenen Vnlcanes zu
sein scheint; in seiner von hohen Felsenmauern umgebenen
Höhlung soll ein kleiner, runder See liegen, in dessen Mitte
eine hohe Felsensäule steht. Es ist dort sehr kalt und der
Schnee fällt häufig. Da die Hauptnahrung dieses Volkes
aus Milch besteht, sollen sie ungeheuere Viehheerdeu besitzen;
der Katekiro vou Uganda erbeutete auf seinem Feldznge gegen
Gambaragara 50 000 Stück Rinder. Bei ihrer Einwan-
deruug aus Nord-Uujoro sollen die Eingeborenen alle „weiß"
gewesen sein, doch ist durch Vermischung mit den benachbarten
Negerstämmen die Zahl der Schwarzen und der Hellfarbigen
jetzt fast gleich geworden; aber die königliche Familie und
diejenigen der Häuptlinge haben die ursprüngliche Hautfarbe
und Gesichtsbildnug rein erhalten.
Am 8. Januar campirte das Heer an dem 40 Uards
breiten, eiskalten Mpanga-Fluß, der auf dem Gordon-
Bennett-Berge entspringt und, sich mit dem Rusango ver-
einigend, in den Muta Nzigu sällt. Die Dnrchschnittshöhe
der Lager über dem Meeresspiegel betrug nur 4600 Fuß,
doch waren die Nächte wahrscheinlich in Folge der von dem
Schneegipsel des Gordon - Bennett herkommenden Winde
empfindlich kalt, und fiel das Thermometer einmal sogar auf
53° F. Auch sehr dichte, feuchte Nebel stellten sich jeden
Morgen ein. Der Weitermarsch durch das nordwestliche
Ankori führte am Rusango entlang, der mit vielen Strom-
schnellen, Katarakten und Fällen zum See hinabstürzt; das
Land hatte ganz den Charakter einer wilden Schweizerland-
schaft angenommen. Nördlich erhob der Edwin-Arnold-
Berg seine 9000 Fuß hohe, längliche Knppel, während
rings umher spitze und abgerundete Bergkegel und Gipfel
sich anfthürmten, zwischen deren Quarz-, Basalt- und Sand-
steinselsen wilde Bäche hinabdonnerten; Spuren früherer
vulcauischer Thätigkeit waren an vielen Stellen sichtbar.
Am 9. Januar stieg die Expedition zu den Feldern,
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
371
Gärten und Dörfern des volkreichen Uzimba hinab, dessen
Einwohner vor den Trommeln und Fahnen der Avantgarde
eiligst flüchteten. Ein Streifzug wurde ausgesandt, um
einige Gefangene zu machen, durch welche man den Haupt-
lingeu des Landes die Absichten der Expedition mittheilen
könnte. Gegen zehn Eingeborene wurden eingebracht und
bald, reich beschenkt, mit der Botschaft entlassen, daß die
Waganda einen weißen Mann hergeführt hätten, welcher
den See sehen und befahren wolle, für alle Lebensmittel be-
zahlen und ihnen keinen Schaden zufügen würde. Am 11.
verließ das Heer die Uzimba-Dörfer und schlug seiu Lager
im Bezirke Unjampaka (4724 Fuß über dem Meeres-
spiegel) eine Meile vom Rande des Plateaus auf, an dessen
Fuß, 335 Meter tiefer, der See lag. Am folgenden Tage
brachten 300 Mann der Eingeborenen die Antwort zurück,
daß das Land zu Unjoro gehöre, dessen König, Kabba Rega,
mit den Weißen (den Aegyptern unter Gordon Pascha) im
Kriege sei, und daß deshalb der weiße Mann keinen Frieden
haben könne, sondern am nächsten Tage den Krieg beginnen
würde. Diese Botschaft verursachte fast eine Panik uuter
den Waganda, die sich sogleich auf den Rückzug vorzubereiten
begannen. Trotzdem sandte Stanley seinen Führer Mauwa
Sera mit 50 Mann und 500 Waganda an den See, um
einen Weg zu suchen, auf dem das Boot und die Waaren
über den steilen Plateaurand hinabgebracht werden könnten
uud um Canoes zur Befahruug des Sees zu suchen. Er
Hütte uud Hausgeräthe vou Uzimba und Ankori. l Sessel. 2 Milchgefäß. 3 Sessel. 4 Trinkgefäß. 5 Suppeuuapf.
6 Suppenteller. 7 Milchgefäß aus Ankori. 8 Napf. (Ibis 8 von Holz.) 9 und 10 Irdene Kochtöpfe. 11 Irdenes Wasser-
gefäß. 12 Teller. 13 Tasse. 14 Schüssel für Bananen und süße Kartoffeln. 15 Wassergefäß ans Uzimba. 16 Napf aus
Uzimba. (12 bis 16 von Holz). 17 Haus in Uzimba.
selbst führte 50 Mann an den Rand des Plateaus, unter
dem der blaue See gleich einem Ungeheuern Spiegel voll-
kommen ruhig dalag, nur am Ufer von einem schmalen
Brandungsstreifen eingefaßt. Die gegenüberliegende, gegen
15 Meilen entfernte Küste bildete das hohe Usongora-
Vorgebirge, welches den von Stanley zu Ehren einer eng-
tischen Prinzessin getauften „Beatrice-Golf" im Westen
begrenzt. Gegen Mittag kehrte Manwa Sera zurück und
berichtete, daß man nur an langen, starken Seilen die Lasten
über den fast senkrechten Abhang hinablassen könne, da selbst
die Eingeborenen ihre Salzsäcke, in Ochsenhäute verpackt,
heraufziehen, und daß nur fünf kleine, untaugliche Fischer-
canoes gefunden worden seien.
Diese unwillkommenen Nachrichten, sowie die auf allen
umliegenden Höhen zahlreich postirten Feinde bewogen die
Waganda, fogleich einen Kriegsrath abzuhalten, in welchem
Sambuzi und fämmtliche Häuptlinge gegen Stanley's ener-
gische Bitten und Drohungen den Rückzug beschlossen, den
die große Kriegstrommel sogleich dem Heere verkündete. Da
Stanley keine Aussicht sah, mit seinen wenigen Leuten seinen
Plan durchzusetzen, und ihm noch die Hoffnung blieb, auf
einem andern Wege den See zu erreichen, mußte er sich fügen;
es war dies das einzige Mal auf seiner ganzen Expedition,
daß es ihm trotz seiner Energie unmöglich war, sein Vor-
haben auszuführen.
Am frühen Morgen des 13. Januar trat das Heer in
guter Ordnung den Rückzug an, 1000 Speerträger voran,
die Expedition mit den Waaren in der Mitte nnd 1000
Waganda und 30 Wangwana-Schützen als Nachhut; wider
Erwarten machten die Eingeborenen keinen Angriff, uud an
demselben Abend campirte das Heer wieder am Rusaugo-
Fluß. Erst zwei Tage später griffen die Eingeborenen in
Benga die Arriöregarde an, wurden aber leicht zurückgewiesen.
Am 27. trennte sich in Kisossi die Waganda-Escorte von
Stanley, nachdem Sambuzi ihn noch um mehrere Traglasten
Perlen bestohlen hatte. Stanley blieb drei Tage in Msossi
und sandte drei seiner Leute an Mtesa mit der Botschaft,
wie schlecht Sambuzi seine Aufgabe erfüllt habe. Mtesa
47*
372 Stanley's letzte Forschungsreise
ließ sich in öffentlicher Bursah alles genau berichten und
gab dann voller Wnth dem Befehlshaber seiner Leibwache
den Auftrag, Sambuzi und sein Land „aufzuessen"; binnen
wenigen Tagen wurde dieser in Ketten wie ein Sklave ein-
gebracht. Auch ließ Mtesa Stanley ein neues Heer von
60 000, ja 100 000 Kriegern unter Befehl seiner ersten
Häuptlinge anbieten, nin ihn nochmals an den See zu gelei-
ten; aber diese Nachricht erhielt Stanley erst in der Nähe
des Kagera-Flnsses weit im Süden, so daß er schon aus die-
sem Grunde, abgesehen von feinem Mißtrauen gegen Wa-
ganda-Versprechen, das Anerbieten ablehnte; diese letzte
Botschaft schloß seinen langen Verkehr mit dem Herrscher
vou Uganda.
durch Afrika (1874 bis 1877).
Am 19. Februar überschritt Stanley den Kagera-
Fluß, deu er Alexandra-Nil nennt, bei dem Orte Kitan-
gute; er fand ihn von Ufer zn Ufer 400 Aards breit, aber
nur 100 Dards in der Mitte hatten eine mächtige, tiefe
Strömung von 3^ Knoten per Stunde, während auf bei-
deu Seiten große Strecken stehenden Wassers mit Binsen,
Wasserrohr und Papyrus bedeckt waren. Das Wasser hatte
eine dunkle Eisenfarbe, war aber für einen so starken Strom
sehr rein, als ob es aus einem nicht entfernten See her-
komme. Die Eingeborenen nennen den Kagera „die Mutter
des Flusses bei Dschindscha" (d. h. des Victoria-Nil bei
deu Nipon-Fällen), und ist er ohne Zweifel der stärkste Zu-
fluß des Ukerewe-Sees.
Afrikanische Canoes und Ruderbote. I Usnkuma. 2 Udschid
am Luama-Fluß. 5 Uganda. 6 Ukerews. 7 Karagm
Zwei Tagereisen durch die südliche Hälfte des Kagera-
Thaies, wo großes Wild, wie Elephauten, Nashörner, Gi-
raffen, Büffel und viele Antilopenarten, sehr zahlreich waren,
und über die ersten Bergketten von Karagwe brachten die
Expedition am 25. Februar nach Kasnrro, der in einem
tiefen Thal gelegenen Station mehrerer reichen arabischen
Händler. Diese theilten Stanley mit, daß es unmöglich
sei, von hier nach Westen an den Muta Nzigv zu gelangen,
da das mächtige Reich Rnanda, dessen „Kaiserin" eine
große Frau mit Heller arabischer Gesichtsfarbe sei, allen
Fremden verschlossen sei und mehrere arabische Handels-
karawanen bereits dort zu Grunde gegangen wären. Zwei
Tage später führten die Araber Stanley nach der 3 Meilen
entfernten Hauptstadt vou Karagwe, um deu König Rnma-
nika zn besuchen, den schon Speke und Grant vor 16 Iah-
ren sahen. Von Kasnrro, welches 3950 Fuß über dem
Meere liegt, stieg Stauley westwärts die steilen Abhänge bis
zu 5350 Fuß Höhe empor, von wo sich eine herrliche Aus-
ficht auf das unten gelegene, breite, schilfbedeckte Kagera-Thal
)i und Urnndi. 3 Unjampaka (Beatrice-Golf), 4 Manjema,
am Alexandra-Nil. 8 Arabische Dhan in Udschidschi.
mit seinen vielen kleinen Seen und die verbindende Silberlinie
des Stromes öffnete. Jenseits erhob sich Bergkette auf Berg-
kette und weit im Nordwest waren die drei zuckerhutsörmigen
Kegel des 12 000 Fuß hohen Usnmbiro-Berges sichtbar.
Ans einer Rasenterrasse, 1000 Fuß über dem blauen Win-
dermere-See, lag das von starken Pallisaden im Kreise
umgebene Dorf des Königs.
In einer Hütte wurde Stauley von dem jetzt gegen 60
Jahre alten Rumanika empfangen; derselbe ist 6x/2 Fuß
hoch, hat ein längliches Gesicht von edlem Schnitt, eine rö-
mische Nase und zeichnet sich durch äußerst sauste Manieren
und eine milde Stimme aus. Er empfing Stanley mit
großer Freundlichkeit und gab ihm Erlanbuiß, das ganze
Land zu erforschen. Am 6. März wurde das Boot auf dem
See flott gemacht und ein Wettrudern zwischen demselben
und mehreren Karagwe-Canoes veranstaltet, welchem der
x) Vergl. die Karte dieses Flusses in „Globus" XXXI,
S. 280.
Stanley's letzte Forschungsreise
König im vollen Staat beiwohnte. Er trug viele blanke
und schwere Kupferringe um Beine und Arme und ein Kleid
von scharlachrothem Flanell; sein Stock war 7 Fuß lang
und ein Gefolge von seinen Söhnen, Häuptlingen und 50
Speerträgern umgab ihn, während Trommler und Pfeifer
eine wilde Musik aufführten.
Am nächsten Tage begann Stanley die Erforschung des
Kagera und seiner Seen, welche die Eingeborenen Rwe-
rns nennen. In seinem Boote, begleitet von mehreren
Wanjambu- (Karagws-) Canoes, umfuhr er zuerst den
Windermere-See, den er acht Meilen lang, gegen 21j2 breit
und durchschnittlich über 40 Fuß tief fand; ringsum erhoben
sich 1200 bis 1500 Fuß hohe, grasbewachsene Berg-
ketten. Am nächsten Tage fuhr er gegen eine Strömung von
21/2 Kuoteu per Stunde den Kagera hinauf; die Breite des
Stromes wechselte zwischen 50 und 100 2)ards, eine Anzahl
Lothungen ergaben durchschnittlich 52 Fuß Tiefe; auf beiden
Seiten wuchsen riesige Papyrusmauern, durch welche die
Pfade von Nilpferden liefen. Stanley landete am- linken
Ufer uud bestieg eine Anhöhe, von welcher er das Thal über-
Die drei Kegel des Ufumbiro-Gebirges von dem Berge in
nur 11 Tagereisen nach Westen liege. Das Wasser war
überall gut und süß, aber von brauner Eisenfarbe. Eine
Landung bei einem Dorfe an der Mnwari-Küste wurde
durch die Feindseligkeit der mit Bogen bewaffneten Eingebo-
renen verhindert. Am 12. März kehrte Stanley zu Ruma-
nika zurück und ließ sein Boot wieder zerlegen und nach
Kasurro zurücktragen.
Schon am nächsten Morgen eilte' er mit 30 Wanjambu-
führern nach Norden, um die 35 Meilen entfernten heißen
Quellen von Mtagata zu besucheu. Die ganz mit Gras
bewachsenen Ebenen, Thäler und Berge dienten großen Vieh-
Heelden als Weidegründe; auch Nashörner, weiße und braun-
schwarze, waren zahlreich. Von dem Gipfel des Kiwan-
darä-Berges sah er nochmals die drei Riesenkegel des
Ufnmbiro in W.-N.-W.-Richtnng, gegen 45 Meilen entfernt.
Am Morgen des dritten Tages stieg er in die Mtagata-
Schlncht hinab, die mit riesenhaften Bäumen gefüllt ist; auch
das Unterholz von Lianen und zahllosen Schlingpflanzen ist
in Folge der warmen Erde und heißen Dämpfe von uuge-
wohnlicher Ueppigkeit. In den Zweigen lebten Paviane nnd
langgeschwänzte Assen. Die heißen Quellen sind sechs an
Zahl; ihre größte Wärme ist 12972° F-; die Badebassins,
die gegen 12 Fuß Durchmesser und 2 bis 5 Fuß Tiefe ha-
ben, zeigten eine Temperatur von 110° F. Während
Stanley's dreitägigem Aufenthalt kamen und gingen eine
große Anzahl kranker Eingeborener aller benachbarten Län-
der, welche die Quellen benutzten und mit Baden, Fanllen-
zen, Singen und barbarischer Mnsik sich die Zeit vertrieben.
Stanley selbst spürte keine Wirkung des Wassers aus seinen
durch Afrika (1874 bis 1877). 373
sah und endlich seinen wahren Charakter erkannte. Der
Jngezi, wie die Eingeborenen es nennen, nmfäßt die ganze
Fläche zwischen den parallelen Bergketten von Mnwari im
Westen und Karagwe im Osten mit dem sogeuaunten Ka-
gera-Strom, demFnnzo oder den papyrnsbedeckten Strecken
und den Rwerns oder Seen, deren es, mit Einschluß des
Windermere, 17 giebt. Die größte Breite zwischen den
Bergketten beträgt 9 Meilen, die geringste gegen eine Meile,
während der ganze Flächeninhalt von dem Ausfluß bei Mo-
rongo, „dem lärmenden Fall", bei Iwan da im Norden
bis Uhimba im Süden etwa 350 engl. Quadratmeilen
nmfäßt. Der Funzo oder Papyrus bedeckt 9 bis 14 Fuß
tiefes Wasser, während die Nwerns 20 bis 65 Fuß Tiefe
haben; alle sind mit einander, wie mit dem Flusse, unter dem
Papyrus verbunden. Zehn Meilen höher den Fluß hinanf
fuhr das Boot in den 50 Quadratmeilen großen Jhema-
See ein. Die Einwohner einer Insel in demselben zeich-
neten sich durch Aussatz und Elephantiasis aus; sie theilten
Stanley mit, daß der Kagera ans dem großen Akanjaru-
See (Alexandra-Njanza) komme und daß der Muta Nzig«
der Nähe der heißeu Quellen von Mtagata ans gesehen.
Körper, doch glanbt er, daß bei den Eingeborenen schon die
ungewohnte Reinlichkeit bei Hautkrankheiten hilft. Während
Stanley's Aufenthalt lebte er als Gastfreund eines Sohnes
des Königs Rumanika; am 19. März kehrte er nach Kafurro
zurück.
Bei dem Abschiede von Rumanika zeigte ihm dieser sein
Zeughaus, Museum und Rüstkammer, eine kuppelförmige
Strohhütte vou 30 Fuß Durchmesser. Folgende Schätze
und Waffen waren im Innern in bester Ordnung aufgestellt:
16 roh gearbeitete Messingfiguren von Enten mit kupfernen
Flügeln, 10 dem Elenthier ähnliche Figuren aus demselben
Metall, zehu kupferne Kühe ohne Köpfe, eiserne Hakenmesser
von ausgezeichneter Arbeit, Speere mit Doppelklingen, meh-
rere riesige, sehr scharfe Speerspitzen von 18 Zoll Länge nnd
8 Zoll Breite, Lanzen mit Spitzen und Schäften von gelöthetem
Eisen, andere mit kettenförmigen Stäben oder einer Menge
Ringe an der Spitze und dem Griffe, mehrere mit kupfernen
Klingen und zusammengeflochtenen Eisenstäben als Schaft,
große Fliegenwedel mit feingearbeiteten Eisengrifsen, schwere
Hackmesser mit polirten Klingen nnd ein Gegenstand wie ein
Wnrfanker mit vier Eisenhaken an einem Messingstiel, ferner
ausgezeichnete Tuche einheimischer Arbeit, so fein wie Lein-
wand aus zartem Gras geflochten, nnd in Streifen und
Mustern schwarz und roth gefärbt, der aus einem massiven
Holzklotz sehr sauber geschnitzte königliche Stuhl, sowie Becher,
Pokale, Holzteller, Milchgesäße u. s. w. An den Wänden
standen die Geschenke der Araber, schwere Kupfertröge und
plattirte Deckel englischer Arbeit, auch Speke's Geschenk, eine
Drehflinte, nahm einen Ehrenplatz ein. Vor der Hütte
Rüstkammer, Waffen und Schätze Rnmanika's.
mtb Schießscharten umgab. Auf dem Weitermarsch starb
„Bull", der letzte der fünf aus England mitgebrachten Hunde,
an Entkräftung nach einer 1500 Meilen langen Fußreise.
Am 19. zog die Expedition in Serombo, einer der größ-
ten Städte in Unjamwezi, ein; sie hatte 2^ Meilen Umfang
und enthielt gegen 1000 große und kleine Hütten und eine
Bevölkerung von 5000 Seelen. Der König Ndega war
ein 16jähriger Knabe, dem eine Regentschaft von zwei Man-
japara (Alten) zur Seite stand. Die königliche Hütte
hatte 30 Fuß Höhe und 54 im Durchmesser. Zwei Tage
später zog Mirambo, der bekannte König von Unjamwezi *),
der Schrecken der Araber, dessen Name im größten Theile
des östlichen Centralasrikas berühmt und gefürchtet ist, mit
einem Heere von 1500 seiner mit Gewehren bewaffneten
Rnga-Rnga (Räuber, Banditen) ein; der Lärm der großen
Kriegstrommeln, das Abfeuern Hunderter schwer geladener
Vergl. „Globus-- XXXIII, S. 54. „Unjamwezi, König
Mirambo's Reich.«
Musketen und der Zuruf der Menge empfing ihn. Er sandte
drei seiner mit rothen und blauen Tuchröcken, weißen Hem«
den und großen Turbanen bekleideten Häuptlinge als Ge-
sandte an Stanley, um ihn um seine Freuudschas^und eine
Zusammenkunft zu bitten; diese fand am nächsten Tage statt.
Mirambo ist ein magerer Mann von etwa 35 Jahren,
fast 6 Fuß hoch, mit regelmäßigen Gesichtszügen und sans-
ten, ruhigen Manieren; er war ganz wie ein Araber mit
Turban, Fez, Tuchrock, weißem Hemde und Pantoffeln ge-
kleidet und trug einen türkischen Säbel. Gegen 20 seiner
Anführer begleiteten ihn, und drei Knaben trugen seine Ge-
wehre. Er machte einen so günstigen Eindruck auf Stau-
ley, daß dieser beim Gegenbesuch am nächsten Tage Bluts-
brüderschast mit ihm schloß und Geschenke austauschte.
Am 23. April zog Stanley weiter; er verließ jetzt den
von Speke 1862 benutzten Weg und zog südwestlich dem
Tanganjika zu. Die vielen kleinen „Könige" in Unjamwezi
machten sich durch hohe Tributsorderuugeu sehr lästig.
Am 5. Mai durchzog die Expedition mit großen Vorsichts-
Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877).
standen die 52 großen Kriegstrommeln des Königs in Nei-
heu aufgestellt.
Am 26. März, nach einmonatlicher Ruhe in Karagwe,
setzte die Expedition den Marsch nach Süden fort. In
Uhimba, 68 Meilen von Kafurro, erreichte sie deu füdlich-
steu Ort in Karagwe, wo drei Söhne Rnmanika's wohnen;
Elephanten, Nashörner uud Büffel waren zahlreich. In dem
folgenden U f ni herrschte Hnngersnoth und alle Lebensmittel
waren darum ungewöhnlich theuer. Stanley hatte im Gan-
zen nur noch 20 Ballen Waaren; er gab jetzt definitiv den
Plan auf, nach Westen durch die feindlichen Länder nach dem
Mnta Nzigü zu dringen, sondern beschloß nach dem Tau-
gaujika weiter zu ziehen. Am 7. April überschritt er bei
Ujagoma die 5600 Fnß hohe Wasserscheide, von welcher
der Loh ugati ostwärts in den Ukerewe-See und der Ober-
laus des Malagarazi, des größten Zuflusses des Taugan-
jika, nach Süden strömen. Seit 15 Monaten hatte Stan-
ley die Quellflüsse und Quellseen des Nil von ihrem süd-
lichsten Ursprünge an erforscht; von jetzt an sollte sein Weg
keine einzige weitere Quelle des ägyptischen Stromes be-
rühren.
Bei Usambiro wurde das große Laud Unjamwezi
erreicht, wo Lebensmittel wieder reichlich wurden. Die
Hauptstadt von Usambiro, in welche Stanley am 14. April
einzog, war ein großes Dorf mit 2000 Einwohnern, welches
ein 4 Fuß tiefer und 6 Fuß breiter Graben mit Pallisaden
376 Leben und Gewohnheiten
maßregeln einen Theil des Landes der gefürchteten Watuta,
des wildesten Volkes in Centralafrika. Die Watuta, die sich
durch ihren sonderbaren Federkopfschmnck auszeichnen, sind
ein vor etwa 30 Jahren auf einem Raubzuge gegen Urori
von dem Volke der Mafitts oder Maviti, einem nord-
westlich vom Nyaffa-See ansässigen Zweige der Zulukassern,
abgesprengter Stamm, der sich bis zum Taugaujika durch-
schlug uud die Araber aus Udschidschi vertrieb. Ihr Ein-
fall in Uhha wurde vou den tapferen Bewohnern dieses
Landes zurückgeschlagen, worauf sie nach Nordwesten bis an
den Ukerewe zogen, aber bald in das reiche Land Ugomba
in Unjamwezi, ihren jetzigen Wohnsitz, zurückkehrten und mit
den benachbarten Stämmen theils Bündnisse schlössen, theils
in ewigem Raubkriege liegen; Mirambo benutzte 1000 ihrer
Krieger bei seiner Eroberung von Tabora.
Am 20. Mai fuhr die Expedition in dem Boote bei
der Fellahs in Palästina.
Ugaga über den eine Meile breiten Malagarazi, der in
der trockenen Zeit dort nur 60 Aards Breite hat; von hier
fällt er in zwei Reihen von Fällen zu dem 900 Fuß nie-
drigern Tanganjika hinab. Nach einem Tagemarsch durch
ein dichtes Walddschungel, wobei sechs Nebenflüsse des Mala-
garazi gekreuzt wurden, zog Stanley am 27. Mai 1876
zum zweiten Male in Udfchidfchi am Tanganjika-See
ein. Nichts hatte sich verändert; der See breitete sich mit
derselben großartigen Schönheit ans, die gegenüberliegenden
Goma-Berge hatten dieselbe blau-schwarze Farbe, die
Brandung war noch ebenso unruhig, der Himmel zeigte das-
selbe prachtvolle Blau und die Palmen all' ihre Schönheit;
aber der große alte Held, dessen Gegenwart einst den Ort
mit solchem Interesse für Stanley erfüllt hatte, — Living-
stone —tr war nicht mehr! F. Birgham.
Leben und Gewohnheiten
Die Fellahs treiben hauptsächlich Ackerbau und Vieh-
zucht. Der Landbesitz zerfällt in drei Claffen: Kronland,
Waküf oder Kirchengut und Mnlk oder Freiland. Erste«
beiden werden an den Meistbietenden verpachtet; letzteres ist
entweder Erbland aus der Zeit der moslemischen Eroberung
oder Land, das von den Kronländereien legal weggegeben
wurde, oder solches, das ebenso gegen Tribut weggegeben
wurde, oder endlich Zehntland, von dem nicht mehr als die
Hälfte des Ertrages der Regierung anheimfällt. Es wird
nach Fedd;ut gemessen, d. i. die Fläche, welche ein Joch
Ochsen pflügen kann. In den Bergen mißt er 36 bis
40 Acres, in den Ebenen, wo der Boden schwerer uud er-
giebiger ist, 28 bis 36; der Grundbesitz eines Dorfes schwankt
zwischen 10 und 100 Fedd-Uts. Als Grenzen der Lände-
reien dieueu Thaleinschnitte, Gebirgsrücken und große Steine,
welche auch die Grenzen zwischen den Besitzungen der Dörs-
ler anzeigen. Sehr interessant ist es, daß das Wort „Tahum",
welches im Hebräischen die Grenzen der Levitenstädte (Mo-
ses IV, 35) bezeichnet, noch heutigen Tages von der Land-
bevölkernng in dem gleichen Sinne angewendet wird, und in
einem einzelnen Falle liegt ein großer Stein, welcher die
jetzige Grenze der Ländereien von Es-Semü'a (Eschtemoa),
einer Levitenstadt, bezeichnet, genau in der gehörigen Ent-
sernnng von 3000 Ellen vom Dorfe.
Die gewöhnlichen Ernten sind Gerste und Weizen, außer-
dem noch Hirse, Sesam, Mais, Melonen, Taback und Baum-
wolle; Linsen, Bohnen, Erbsen und anderes Gemüse wird
im Winter geerntet. Indigo wächst wild und wird hin und
wieder im Jordanthale angebaut. Ferner sind noch zu er-
wähnen die schöueu und großen alten Olivenhaine, nament-
lich ans den niedrigen Bergen; die Weinberge auf hohen
Kämmen, wie bei Hebron, wo die Traube durch die Herbst-
nebel anschwillt; die Feigengärten namentlich in dem christ-
lichen District Dschusna und Bir-er-Zeit. In der Nähe
von Quellen gedeihen Granatäpfel, Aprikosen, Walnüsse,
Pflaumen, Aepsel, Maulbeeren, Birnen, Quitten, Orangen,
Limonen und Bananen.
Das Land bleibt nie brach, höchstens aus Mangel an
Arbeitskräften; Dünger wendet der Bauer nie an, während
er die Vortheile der Wechselwirthschast kennt. Das Pflügen
der Fellahs in Palästina.
beginnt zur Zeit des ersten Regens gegen Ende November
und wird behufs der Späternte im März oder April fort-
gesetzt. Der Pflug ist sehr primitiv, sehr klein, mit einer
Schar wie eine Pfeilspitze, einem Griff, ähnlich dem eines
Spatens, und einem Querstück, welches der Pflüger mit
der einen Hand faßt, während die andere einen spitzigen
Treibstock hält. Eine lange Stange verbindet den Pflug
mit dem schweren Joch des Zugviehs. Die Furche ist uatür-
lich sehr flach, da der Pflug die Erde nur oberflächlich auf-
reißt und den jungfräulichen Boden darunter ganz unberührt
läßt. Gewöhnlich folgen einander zwei Pflüge, der erste
etwa von einem Kamel gezogen, der andere von zwei kleinen
Ochsen oder einem Ochsen und einem Esel (Deuteron. XXII,
Die Gerstenernte beginnt in den Ebenen im April und
dauert in den Bergen bis Jnni. Das Stroh ist sehr kurz
und die Stoppeln werden verhältnißmäßig lang gelassen.
Die Männer kauern beim Mähen und gebrauchen eine der
unserigen ganz ähnliche Sichel (Seis). Das Korn wird in
kleine Garben gebunden, diese werden aufgeschichtet und in
Netzen von Kamelen nach der Tenne (Beijadir oder Dfchurün)
getragen. Nach alter Sitte wird die Ecke des Feldes
(Dscherü'ah) nicht abgeerntet, sondern den „Wittwen und
Vaterlosen" überlassen; ebenso bleibt ein Büschel Weizen
zur Nachlese für die Armen und Hülflosen stehen (III. Mos.
19, 9 bis 10); diese Nachlese wird von den Frauen besonders
gedroschen (Ruth II, 15 bis 17).
Die Tenne, ein breiter, ebener Raum von wenigen bis
zu 50 Quadratyards Größe, liegt unter freiem Himmel,
gewöhnlich hoch und stets an einer windigen Stelle, weil
zur Dreschzeit starke Winde nicht vorkommen und das Ge-
treibe vor Eintritt des Herbstes eingebracht wird. Das Korn
wird von Rindern oder Pferden ausgetreten, die vor einen
schweren hölzernen Schlitten aus zwei vorn in die Höhe ge-
bogenen Brettern gespannt und von einem auf dem Schlitten
stehenden Knaben gelenkt werden. An der untern Seite
des Schlittens sind in einer Anzahl Vertiefungen kleine rauhe
Steine aus hartem Basalt eingefügt, welche wie Zähne wir«
ken, und das Getreide zerreißen. Das ausgedroschene Korn
wird auf der Tenne in einen kegelförmigen Haufen (Sübeh)
Leben und Gewohnheiten
gesammelt, mit einer hölzernen Schaufel oder einer dreizinki-
gen Holzgabel geworfelt, dann gesiebt und in unterirdischen
Scheuern (Mets.mir), d. h. 4 bis 5 Fuß tiefen kreisrunden
Brunnenlöchern aufgespeichert, welche sorgfältig versteckt und
oben mit Lehm verschlossen sind und dem unachtsamen Rei-
ter leicht gefährlich werden können. Häufig stehen sie auch
unter dem Schutze des MnkKm und sind deshalb in der Nähe
dieses Gebäudes ausgegraben.
Der Oelbaum ist der Stolz Palästinas und eine der
Hauptquellen seines Reichthums. Der kühle, angenehme
Schatten macht sie den Reisenden lieb, und mehr als ein«
mal werden ihre Zelte vor Sturm und Regen durch die
gewaltigen Stämme geschützt. Während in Syrien der
Schatten des Feigenbaumes für ungesund gilt und Augen-
leiden erzeugen soll, ist der desOelbaumes allgemein beliebt.
Die Oliveuernte erfordert wenig Mühe. Das Land wird
zwar im Jahre zwei- bis dreimal gepflügt, aber die Bäume
werden weder gedüngt noch beschnitten und tragen deshalb
nur jedes zweite Jahr; doch nehmen die Heuschrecken von
Zeit zu Zeit den Bauern diese Mühe ab-, und nach einer
derartigen gründlichen Beschneidung liefern die Bäume im
nächsten Herbste eiue vorzügliche Ernte. Im October ist
die Frücht reif, wird — thörichter Weise — mit langen
Stangen abgeschlagen oder geschüttelt und dann eingesam-
melt und gepreßt. Der Oelbaum wächst laugsam, und viele
Bäume um Sichem und Gaza haben ohne Zweisel ein hohes
Alter, ja die Leute vou Gaza behaupten sogar, daß dort seit
der moslimischen Eroberuug kein Baum nachgepflanzt worden
sei und die ältesten aus der Zeit Alexauder's des Großen
stammten. Und erstere Angabe ist an sich nicht unwahr-
scheinlich, deun der Baum stirbt nur selten ab, sondern wenn
der Stamm verfällt, so treibt die Wurzel neue Schößlinge,
so daß an Stelle einer alten Olive ein ganzes Heer starker
Seitentriebe tritt.
Wie zu Jakob's Zeiten hüten die jungen Männer die
Schafe und Kühe und leben oft weit von ihrer Heimath ent-
fernt. Im Frühjahre ziehen die Herden nach den reichen
Weidegründen der Ebenen und des Jordanthales, wo eiue
Art Sommerdörfer (Azbs-t) existirt. Mitunter übt dort ein
Beduinenstamm vertragsweise seinen Schutz über die Herden
aus. Die Schafhürden sind gewöhnlich in Höhlen am Rande
der Wüste Inda (I. Sam. 24, 3), und in diesen schlafen die
Knaben mit ihren Pflegebefohlenen des Nachts, namentlich
im ersten Frühling zur Lammzeit. Alle Hansthiere, Rinder,
Schafe, Ziegeu und Pferde, sind merkwürdig klein. Kaum
weniger wichtig als die Herden sind für den Bauer die Ka-
mele, welche die Stelle von Karren und Wagen vertreten.
Sie erfordern wenig Pflege, da sie sich von jedem beliebigen
Dornstrauch nähren; im Frühling werden sie geschoren und
zum Schutz gegen die Jnsecten mit Theer und Oel bestrichen,
was ihr Aussehen uud ihren schon sonst unangenehmen Ge-
ruch keineswegs verbessert.
Damit haben wir die Skizzirung der Sitten und der
täglichen Verrichtungen der Fellahs beendet uud brauchen
wohl kaum noch besonders darauf hinzuweisen, daß jedes ihrer
Worte, jede ihrer Handlungeu, ihrer eigenthümlichen Gewohn-
heiten aus einer so fernen Zeit stammen, daß sie selbst, die
bei dem gewöhnlichen Conservativismus der Orientalen ohne
an Aenderung zu denken ihren Vätern nachahmen, den Ur-
spruug vieler Gewohnheiten vergessen haben. Sie können
nur sagen: „Das stammt aus alten Zeiten!" „Unsere
Väter thaten so." „Es ist immer so gewesen." Ihre ge-
wöhnlichen Ausdrücke gleichen den biblischen so sehr, daß
man sich aus der Gegenwart in die Zeiten Abraham's ver-
setzt glaubt. „So wahr der Herr lebt!" ist uoch ihr ge-
wöhnlicher Schwur, uud noch reden die Frauen den Frem-
Globus XXXIV. Nr. 24.
der Fellahs in Palästina. 377
den an mit „mein Vater" oder „mein Bruder" und be-
grüßen ihn mit dem ehrwürdigen Worte „Friede sei mit
Dir."
Nach unparteiischer Abwägung ihrer leicht ins Auge
springenden Licht- und Schattenseiten urtheilt Conder, daß
sie gut beanlagt, aber unter einer ungerechten und unfähigen
Regierung verkommen und völlig rninirt worden sind.
Syrien steht unter dem Wali (Generalgouverueur) von
Damaskus, Palästina unter den Mutessarifs von Acre und
Jerusalem, welche ebenso wie ihre Unterbeamten, die Kaima-
ks,ms, vou jenem Wali ernannt werden und mit ihm stehen
und fallen. Und ein Wali wird vielleicht alle halbe Jahr
oder noch öfter abgesetzt! Selbst wenn also ein fähiger und
gerechter Mann Verbesserungen einführen wollte, so fehlte
ihm doch die Zeit, und sein Nachfolger würde überdies höchst
wahrscheinlich alles, was er geschaffen hat, wieder umstürzen.
Ferner ist das Gehalt so gering, daß es zum Lebensunterhalt
nicht ausreicht, und infolge davon „essen" die Beamten, wie
die Bauern sagen, manchmal wenig, manchmal viel. Nur
gegen einen Mann — Midhat Pascha — ist diese Klage
nie erhoben worden.
Nicht die am wenigsten verderbten dieser Würdenträger
sind die Kadis. Der Pascha oder Kciimäfäm ist gewöhnlich
ein Soldat, der die Lage der Dinge mit jovialem Cynismns
betrachtet, der Kadi dagegen ein Richter mit religiösem Cha-
rakter, dessen Gesetzbuch der Koran ist, der ein Sochtah
(oder, wie wir sagen, ein Sofia), ein „Forscher" war und
in der Schule der Ulemas in Konstantinopel unterrichtet
wurde. Er trägt einen weißen Turban, betet regelmäßig,
hat einen hohen Preis für sein Amt gezahlt und sncht sein
Capital so gut als möglich zu verzinsen. So leidet das
Land nicht nur unter tyrannischen Statthaltern, sondern
anch unter corrumpirten und ungerechten Richtern.
Die Aufgabe der Regierung besteht lediglich in dem
Eintreiben der Steuern und der Unterdrückung der beständig
vorkommenden Ausstände. Das Korn soll vor der Ernte
besteuert werden, aber die Beamten warten mit der Be-
stenernng bis zum letzten Augenblick, und um das überreife
Korn zu retten, muß sie der Bauer häufig mit der Hälfte
des Ertrages bestechen. Die Steuer auf das Mulklaud ist
ohne Berücksichtigung der verschiedenen Ernten in guten
und schlechten Jahren definitiv festgesetzt, wodurch schon
manches Dorf zu Grunde gerichtet wurde. So erzählten
dem Engländer 1873 in Kurkwa die Leute mit Thränen
in den Augen, die Olivenernte fei so gering ausgefallen,
daß der Ertrag nicht einmal die Steuern decke. Die
Steuern werden dnrch Baschi-Bozuks eingetrieben; manch-
mal macht zu diesem Zwecke auch der KaimMm (Unter-
gonvernenr) selbst eine Rundreise nnd wird dann mit allen
seinen Begleitern als Ehrengast ans Kosten des Dorfes
bewirthet. Auch die Soldaten haben Freiqnartier und
erpressen unter einer Menge von Vorwänden von den
unglücklichen Bauern, die Niemand zum Fürsprecher haben,
Geld. Gleich verhäuguißvoll für das Gedeihen des Landes
ist die Conscription, welche oft die Blüthe der erwerbsfähigen
Bevölkerung, zuweilen sogar, als Strafe, die gesammte
männliche Bevölkerung in Ketten nach Europa oder Arme-
uieu fortführt, — und nur wenige sehen die dunklen Oliven-
Haine und die glänzende Kuppel ihres Dörfchens wieder.
Unter einer solchen Regierung mußten die Fellahs sanl,
verschwenderisch und tückisch werden. Weshalb sollen sie
fleißig sein und Geld erwerben, wenn, wie einer aus den
besseren Ständen zu Conder sagte: „die Soldaten und der
KaimMm alles essen?" Ihr Leichtsinn ist sehr groß und
rührt hauptsächlich her von dem Gefühl der Ungewißheit
über ihre nächste Zukunft. Der Lebensunterhalt ist zwar
48
378 Aus dem Nordwt
billig und eine Familie von fünf Personen soll von 500 Mk.
im Jahre leben können; aber sie werden durch den Wucher
zu Grunde gerichtet. Selbst ihre Kleider sind mit Geld
gekauft, das zu 40 oder 50 Proc. geliehen ist, und eine
Gesellschaft, welche Geld zu 20 Proc. ausleihen würde,
wäre deshalb für Palästina eine Wohlthat. Ihre Selbst-
regieruug könnte ihre fremden Herrn beschämen: von Natur
ein gelehriges Volk, gehorchen sie ihren Scheichs und Ael-
testen unbedingt, sie kennen Gerechtigkeit, Mitleid und
Hülfsbereitfchaft gegen ihre Nächsten, und ihr Sittengefetz
ist namentlich für die Frauen theoretisch sehr streng. West-
lich von Beit Atkb liegt in einem Thale eine merkwürdige
Höhle — Mughkret Umm et Tüeiuun, „Höhle der beiden
n von Kleinasien.
Seitengallerien" — mit einer 60 Fuß tiefen Grube, in
welche die von den Aeltesten schuldig gesprochenen Frauen
hinabgestürzt werden. Eine ähnliche Höhle und ein ähn-
licher Gebrauch findet sich im Antilibanos. In der Praxis
sind die Fellahs dagegen so unsittlich, als es eben geht.
Wir wollen unsere Skizze damit schließen. Sie soll
weniger eine erschöpfende Darstellung der Gewohnheiten
und Sitten der Fellahs geben, als vielmehr die Aufmerk-
samkeit auf ein Volk lenken, das des Stadiums wohl Werth
ist, weil es in Sprache, Kleidung, Religion und Gewohn-
heiten ein lebendiges und so zutreffendes Bild der Menschen
ist, unter denen Christus wandelte und lehrte, daß man sie
moderne Kanaaniter nennen könnte.
Aus dem Nordwej
Da alles, was über Kleinasien verlautet, jetzt von be-
sonderem Interesse ist, so haben wir einzelne Briefe eines
Times-Correspondenten, welche derselbe seiner Zeitung in
den letzten Monaten aus Brussa, Eski-schehr und Siwri-
hissar geschrieben hat, besonders gern gelesen und theilen dar-
aus einiges mit, soweit es uns von Wichtigkeit und neu
erscheint. Erbegiunnt mit Brussa, welche er die hübscheste
und best gedeihende türkische Stadt, die er gesehen, nennt.
Allein Erdbeben und Wechselfieber forgen dafür, daß der
Aufenthalt daselbst kein zu angenehmer sei. Vor, d. h. nörd-
lich der Stadt dehnt sich eine Ebene von 20 engl. Meilen
Länge und 10 Meilen Breite aus, reich bewässert und mit
fettem Boden, fo daß sie wie ein Garten aussehen könnte;
aber sie ist fast unbebaut, mit Brombeersträuchern und üp-
pigem Unkraut bedeckt und enthält stellenweise Sümpfe, deren
Ableitung wahrscheinlich dem Wechselfieber ein Ende machen
würde. Einige Landeigentümer fingen unlängst an, etwa
sünf engl. Meilen von der Stadt entfernt Reisfelder anzn-
legen, erregten aber damit großen Unwillen bei der Be-
völkernng, welche die Culturen beschuldigte, die Ungesundheit
der Stadt zu vergrößern, und deren Verbot bei der Regierung
durchsetzte. Da aber die Ernte groß und die Besitzer reich
waren, so bauen sie trotzdem ihren Reis weiter, was auch
gewiß kein Schaden ist. Wahrscheinlich wird aber über
kurz oder lang die gegnerische Partei ihren Willen doch durch-
setzen und an Stelle der Reisfelder wieder Sumpf treten.
Zwischen Brussa und dem Hafen Mudanieh giebt es
eine macadamisirte Straße und eine schmalspurige Eisen-
bahn. Erstere ist einmal sehr gut gewesen, aber seit ihrem
siebenjährigen Bestehen niemals ausgebessert worden — ein
Wunder, wenn es anders wäre! —, befindet sich darum jetzt
stellenweise in sehr schlechtem Zustande und ist im Winter-
gewiß fast unpassirbar. Die Eisenbahn wurde im Jahre
1874 vollendet, hat aber nie Stationsgebäude und sonstigen
Zubehör erhalten, ist nie befahren uud nie ausgebessert worden
und deshalb arg verfallen. Brücken wurden weggespült;
fünf Locomotiven rosten unter einem Schuppen in Mudanieh
und in Brussa faulen einige Güterwagen unter freiem
Himmel. Und dabei hat die Bahn der Regierung pro engl.
Meile 7,400 Pfd. St., mithin im Ganzen etwa 3 Millionen
Mark, gekostet, während nur die Unternehmer einen Nutzen
davon gehabt haben (und wahrscheinlich eine Anzahl Beamten)!
Sie hätte während des letzten Krieges für den Transport
von Stroh, Korn n. s. w., welches erst dem türkischen, später
dem russischen Heere von hier zugeführt wurde, dann auch
m von Kleinafien.
zur Beförderung und Unterhaltung der Tausende von Flücht-
lingen von großem Nutzen sein können. Die Besitzer der
Brussaer Seidenspinnereien erklärten dem Berichterstatter,
daß sie auf dieser Bahn, wäre sie im Gange, jährlich
25 000 Tonnen Kohle beziehen und dadurch 15 000 Pfd. St.
fpareu würden, die sie jetzt mehr für Holz ausgeben müßten.
Zu der Vernachlässigung des Grundes und Bodens und zur
Nachlässigkeit der Regierung kommt als Drittes die seit
1875 herrschende Krankheit der Seidenwürmer, deren Prodnct
sonst so hochberühmt ist und in Frankreich und England sehr
gesucht wird. Während aber die hier erzeugten Coeons sonst
ausreichten, um alle Spinnereien in Gang zu erhalten, müssen
jetzt große Quantitäten aus Adrianopel und Saloniki ein-
geführt werden. Wie heruntergekommen überhaupt das
Land ist, beweist die Angabe eines Schweizer Kaufmannes,
welcher früher bedruckte Baumwollstoffe und dergleichen aus
Europa nach Angora und anderen Städten des Innern
importirte, aber dies Geschäft völlig aufgeben will, weil die
Bevölkerung zu arm und das Land seit den letzten drei
Jahren zu sehr erschöpft worden ist, um den Import ferner
zu verlohnen.
Die Türkenfrauen nehmen in Brussa mehr Antheil am
öffentlichen Leben, als anderswo in der Türkei. So sah der
Correspondent, daß in einer Seidenspinnerei eine ganze An-
zahl türkischer Frauen und Mädchen mit unverhülltem Ge-
ficht neben doppelt so vielen Griechinnen nnd Armenierinnen
arbeiteten nnd sich auch durch die Anwesenheit der Geschäfts-
inhaber, dreier Europäer, darin nicht stören ließen. An
Markttagen kommen ihrer Hunderte zur Stadt, rittlings auf
ihren flinken, kleinen Eseln sitzend, und zu beiden Seiten
hängt ein großer Korb mit Producten, die sie verkaufen
wollen. Nähern sie sich der Stadt oder begegnet ihnen
ein Mann, so bedecken sie sich das Gesicht mit einem Taschen-
tnche, benehmen sich aber im Uebrigen so ungezwungen, wie
unsere Marktweiber.j
Mohammedaner wie Christen leiden hier gleichermaßen
unter der Plage der Tscherkessen, welche das ganze Land
überschwemmt habeu und vom Raube leben. Wo die Regie-
rung schließlich mit ihnen hin will, ist schwer zu sagen, und
es wird auch nicht leicht sein, sie aus diesem Lande der Berge
und Wälder wieder zu entfernen. Die Tataren dagegen,
die zu den besten, friedfertigsten und fleißigsten Stämmen
des türkischen Reiches gehören, ziehen langsam und ruhig
ihres Weges dahin; es wäre ein Jammer, wenn sie in den
Schneestürmen des Hochlandes im Innern zu Grunde gingen.
Aus dem Nordwt
.
Jedenfalls ist es unbegreiflich, wie die Regierung diese brauch-
baren Leute auf der Wanderschaft verkommen läßt, während
von der Küste des Marmara-Meeres an weit und breit
fruchtbares Land in Hülle und Fülle zur Verfügung steht,
und durch Befiedelung desselben mit Tataren sowohl diesen
als auch dem Lande geholfen werden könnte.
Die Seidenzucht int Wilajet Chudawendikjar, welches
das alte Mysien und einen Theil von Phrygien umfaßt,
schafft dem Lande in guten Jahren einen Verdienst von
6x/2 bis 7 Millionen Mark. Schweizer und Franzofen
haben diese Industrie eingeführt, und 15 von den Spinne-
reien sind noch heute in den Händen von letzteren, während
5 Türken und die übrigen 81 griechischen und armenischen
Rajahs gehören. Die Franzofen geben jedoch nach und
nach ihre Fabriken auf und verlassen ein Land, für dessen
Entwickelung sie so viel gethau haben; nach ihrer Angabe
können sie die beständigen Verluste und das Stillstehen ihrer
Anlagen in Folge der Unsicherheit des Besitzes nicht mehr
aushalten, und dazu kommen noch als weitere drückende
Last die inneren Zölle, welche die Regierung erhebt. Für
einen Fremden ist nichts unsicherer als der Besitz, mag er
denselben auch uach den strengsten Regeln türkischen Rechts
erworben haben. Und wenn er sich schon Jahre lang dar-
in befunden hat, so kann doch immer noch jemand auftreten
und behaupten, daß derselbe einst seinen Vorfahren gehörte
und denselben unrechtmäßig entzogen fei; fast stets werden
die localeu Gerichtshöfe dem Kläger sich geneigt erweisen,
während es für einen Ausländer überaus schwer ist, ein
günstiges Urtheil zu erstreiten, und noch zehnmal schwieriger,
die Execntion eines solchen durchzusetzen. Dabei ist das
Land von Natur so reich, daß ein Fremder beim Anblick
all der trocken liegenden Quellen des Ueberflnfses sich leicht
verleiten läßt, sein Geld an eine viel versprechende Unter-
nehmung zu wagen. Dann aber muß er sich Jahre lang
herumzanken und Confnln, Gesandten und Paschas lästig
fallen, bis er der Sache überdrüssig abzieht uud sich glücklich
schätzt, wenn er nur einen Theil des mitgebrachten Geldes
wieder mit fortnehmen kann. Viele Ausländer aber haben alles
verloren, und von keinem ist es bekannt, daß er auch nur
mäßige Erfolge aufzuweisen gehabt hat.
Am 23 September verließ der Berichterstatter Brussa
in ostsüdöstlicher Richtung und erreichte am selben Tage
Ak-su. Der Weg führte über fruchtbares, aber wenig an-
gebautes Land, zuerst etwa 10 engl. Meilen im Thale von
Brussa hin; auf dieser Strecke hatte man den Bau einer
Chaussee in Angriff genommen nnd wieder liegen lassen
und so gerade genug gethan, um die alte natürliche Straße
für Karren nahezu unpassirbar zu machen. Von Ak-sn
ging es in strömendem Regen nach Aineh-göl, einer kleinen
türkischen Stadt, welche auf einem niedrigen Hügel inmitten
einer etwa 100 engl. Quadratmeileu großen, reich bewässerten
und frnchbaren Ebene liegt. Der größere Theil derselben
ist auch mehr oder weniger bebaut, aber das Uukraut über-
wuchert die Nutzpflanzen, weil die Confcription das Land
ruinirt, und alle Feldarbeit, selbst das Pflügen, von Weibern
besorgt werden muß. „Ting-ting macht der Telegraph
— erzählte der Tschausch der Polizeisoldaten in Aineh-göl
nnserm Reisenden — und fort marschiren 3000 Mann
nach Rumelien. Die Hälfte davon kommt niemals wieder."
Gegen die Tscherkessen wissen sich aber die Leute zu helfen.
„Die Leute hier fürchten sich nicht wie die Bulgaren und
Griechen, vor den Tfcherkessen. Wenn zwei Türken einen
Tscherkessen im Walde treffen, schießen sie ihn tobt. In
manche Dörfer lassen die Bewohner einen Tscherkessen gar
nicht eintreten, und diese wagen das auch nicht. Sie sterben
hier schnell, 150 allein in der Stadt. Die Regierung ver-
en von Kleinasien. 379
abreicht den Erwachsenen täglich ^2^ka (circa 13/s Pfund)
und jedem Kinde ?/g Pfund Brot. Ein junger Hund würde
dabei draufgehen."
Jenfeit Aineh-göl führt der Weg zwei Stunden lang
über' die schon erwähnte Ebene, dann über eine circa
2000 Fuß hohe, unten mit Eichen, höher hinauf mit Fich-
ten bewaldete Bergkette, Akka-Daghler geheißen, und endlich
hinab uach B azardfchik, wo der Reifende übernachtete und
die ersten Angoraziegen zu sehen bekam. Weiterhin, etwa
30 engl. Meilen vor Eski-fchehr, ändert sich der Cha-
recktet der Gegend vollständig. Statt der Bergketten und
wohlbewässerten Thäler sieht man trockenes, bäum- und
wasserloses Hochland ohne einen grünen Halm und mit
geringer Bevölkerung. Selten einmal, daß man eine kleine
Schaf- oder Ziegeuherde antrifft, noch seltener ein Dorf,
dafür aber Begräbnißstätten, welche beweisen, daß das Land
einst besser bevölkert war. Hungersnoth in den Jahren
1821 nnd 1871, Cholera im Jahre 1848, Conscription
und die Furcht der Frauen vor Nachkommenschaft haben es
so heruntergebracht.
Die Bevölkerung von Eski-fchehr mag 12 000 Moham-
medaner und 1000 Christen zählen. Die Stadt zieht aus
den bekannten, circa 15 engl. Meilen entfernten Meer-
schaumgruben, von deren Prodnct jährlich für 23/4 bis 3
Millionen Mark verkauft wird, ansehnlichen Nutzen. Es
arbeiten in den Gruben 6000 bis 7000 Männer in Gesell-
schaften und aus eigene Rechnung und bezahlen der Regie-
ruug ein Viertel von dem Werthe des gewonnenen Meer-
schanms, wobei ihnen genug bleibt, daß sie weit und breit
für ausnahmsweise wohlhabend gelten. Dabei sind sie aber
auch außergewöhnlich verderbt und confumireu, so Männer
wie Weiber, jährlich 80 000 Oken oder etwa 160 000
Weinflaschen voll Raki. Es sind ausschließlich Moham-
medaner, aber ruhig und sonst wohlgesittet. Die Christen
dürfen keine neuen Häuser, noch auch eine Kirche bauen. In
Folge dessen und wegen der Tscherkessen sind die Wirths-
Häuser überfüllt und es herrschen Krankheiten in der Stadt,
darunter trotz ihrer fast unangenehm hohen, trockenen Lage
das Fieber, woran im Jahre 1871 siebzig Procent der
Bevölkerung gelitten haben. Ueberall hört man dieselbe
Klage über die ausnahmsweise Heftigkeit des Fiebers; in
Angora sollen es volle 85 Procent der Einwohnerschaft,
Männer, Weiber, Kinder, gehabt haben. Chinin hilft
dagegen nur eine Zeit lang. Ebenso hat die Viehseuche
hier zahllose Opfer gefordert. Trotz alledem ist die mate-
rielle Lage der Leute dort besser, als man erwarten möchte,
und als sonst in Kleinasien. Zwar sind die Dörfer bis
zum Ekel schmutzig, aber die Einwohner sind gut gekleidet,
auscheinend auch gut genährt, besitzen Schafe, Kühe, Ochsen
und Büffel uud überarbeiten sich nicht. Ans der Reise nach
Eski-schehr sah der Correspondent nur zwei Pflüge auf dem
Felde arbeiten, aber Hunderte, nein Taufende von Männern
(trotz der Confcription?) in den Dörfern und Städten
faulenzen.
Der dritte Brief ist aus Siwri-hiffar im alten Ga-
laden datirt. Die Fläche des bebauten Landes ist dort sehr
klein, weil es wenig Dörfer giebt und die Bauern nur
gerade fo viel Getreide bauen, als sie für sich und ihre
Familie brauchen, und ihren Hauptwohlstand, wenn man
das Wort anwenden kann, in den Angoraziegen suchen, von
denen zwar große Herden existiren, aber nicht annähernd
so viel, als das Land ernähren könnte. Jedes Dorf besitzt
ein enormes Gebiet, 12 bis 15 englische Meilen im Umfang,
und wenn nöthig, bieten die fast unbewohnten Berge im
Süden mehr Weideland zur Genüge. Ueberdies grasen die
Herden nicht stets streng auf dem Gebiete ihrer Dörfer,
48*
380 Missionär Wilson bei
sondern wandern fast nach Belieben in dem ganzen wilden
öden nackten Berglande umher. In dem Gebiete zwischen
Eski-schehr und Siwri-Hissar liegen einige Tnrkmanendörser.
Dieselben werden nur im Winter bewohnt, während im
Sommer ihre Besitzer als Nomaden mit ihren Ziegen,
Pferden und Kamelen herumziehen. Außerdem besorgen
sie fast alle Transporte im Lande, und der Correspoudeut
begegnete unterwegs zahlreichen ihrer Karawanen, welche
insgesammt Weizen nach Jsmid oder Mndanieh bringen.
Indessen verthenern sich die Kosten des Getreides durch den
Transport auf das Doppelte oder Dreifache, so daß sich der
Versandt kaum lohnt. Wäre das anders und wären genug
Menschen zum Ackerbau da, so könnte dies Gebiet enorme
Quantitäten Korn exportireu; denn so kahl und öde es auch
aussieht, findet es doch nach Aussage aller iu der Korn-
production selten seines Gleichen. Es erinnerte den Schrei-
ber namentlich an die Landschaft Dartmoor in Devonshire
und das um so mehr, als gelegentlich „Tors" (schroffe,
spitze Felsen) wie dort in England auftreten. Siwri-Hissar
selbst liegt innerhalb eines solchen „Tor", einer langen
gekrümmten Felswand, welche die Stadt im Norden, Osten
und Westen umgiebt. Ihre Häuser stehen eines über dem
andern auf dem steilen Felsabhange, der aus grobem, zer-
reiblichem Granite besteht, dessen Zersetznngsprodnct Stadt
und Umgegend mit zolltiefem Staube erfüllt. Wasser ist
in Siwri-Hissar und seiner Umgebung selten; es giebt, von
den wenigen kleinen Zuflüssen des Sakaria abgesehen, keinen
Bach, nicht einmal einen Sumpf, und ebenso wenig Berge.
Zwar scheinen die großen einförmigen welligen Ebenen von
solchen begrenzt zu fem; aber das Land steigt so allmälig
an und senkt sich wieder, daß man beim Passiren der Wasser-
scheiden kaum Hügel vor sich zu haben glaubt.
Da, wie gesagt, die Bauern nur so viel Getreide bauen,
als sie gerade zum Lebensunterhalte brauchen, so ist es
begreiflich, daß sie bei Mißernten, wie im Jahre 1873,
schwer zu leiden haben. Damals starben auch ihre Ziegen
in großen Massen; ein Dorf z. B., welches deren früher
önig Mtesa in Uganda.
8000 besaß, hat jetzt nur noch 500. Eine ganze Anzahl
Gemeinden packten darum zusammen, was sie hatten, und
zogen auf Nimmerwiederkehr nach Gegenden, wo Getreide
zu haben war. Große Mengen, namentlich von Mohain-
medanern, starben auch Hungers, während die reicheren
Christen ihren armen Glaubensgenossen durchhalfen. Siwri-
hissar hat etwa 11 000 Einwohner, davon die kleinere Hälfte
(5000) armenische Christen. Jetzt geht es ihnen nach
ihrem eigenen Geständnisse gut, und sie können nach Be-
lieben Häuser, Kirchen und Schulen bauen. Bor zwei
Jahren zerstörte ein Feuer 550 Christenhäuser, drei Schn-
len und zwei Kirchen; doch sind die Häuser jetzt fast alle
wieder hergestellt, zum Theil mit Hülfe von reichen, in
Manchester und Konstantinopel ansässigen Landsleuten.
Mit den Türken leben die Armenier in Frieden, aber nur,
weil sie sich von denselben, welche noch obendrein durch die
jüngsten Verluste des Reiches au Provinzen erbittert sind,
jeden Spott und jede Beleidigung gefallen lassen.
Das einzige bebaute Land um Siwri-hissar sind einige
ärmliche Weingärten; Regen war dort zu Anfang October
seit vier Monaten nicht gefallen, die Quellen und Brunnen,
welche die Stadt versorgen, waren dem Versiegen nahe, und
deren Benutzung den Christen von ihren türkischen Mit-
bürgern untersagt. Die Stadt liegt 3270 Fuß über dem
Meere und hat kalte Nächte. Holz ist sehr thener, weil es
in einer Entfernung von 40 engl. Meilen von der Stadt
nicht vorkommt. Für gewöhnlich wird Kuhmist gebrannt.
Die Christen leben ausschließlich vom Handel und produciren
nichts, so daß es schwer begreiflich ist, woher sie bei der
dünnen Bevölkerung des Landes nicht nur ihre Nothdurst
bestreiten, fondern auch noch für Schulen, Kirchen, Prie-
ster u. f. w. forgen. Der Haupthandel ist der mit Ziegen-
haaren, woraus Mohair gewebt wird; leider ist diefer Stoff
feit drei Jahren sehr aus der Mode gekommen und aus die
Hälfte seines frühern Preifes gesunken, worunter die
Bauern in diesem Theile Kleinasiens zu leiden haben.
Missionär Wilson bei
Der „ChurchMissionary Intelligencer and Record"
für November 1878 enthält einen in mehrfacher Hinsicht
interessanten Brief des Missionärs C. T. Wilson (s. „Glo-
bns" XXXIV, S. 319), welchen derselbe in der Zeit vom
19. April bis 11. Mai 1878 schrieb. Es ergänzt derselbe
Stanley's Angaben über Uganda und den Victoria-See in
erwünschter Weise, wie denn überhaupt jene Mission berufen
erscheint, das von Stanley nur in großen allgemeinen Zügen
entworfene Bild von dem See, seinen Inseln und Uferländern
im Einzelnen auszuführen.
Zuerst führt Wilson eine Reihe von 32 Königen von
Uganda bis auf Mtefa an, welche im Großen und Ganzen
mit der von Stanley gegebenen stimmt, nur daß Letzterer
drei Fürsten mehr (Nro. 10, 11 uud 15) anführt. Es ist
das immerhin ein guter Beweis für Stanley's Zuverlässig-
feit. Die Waganda — schreibt Wilson weiter — haben
drei Götter, welche sie anbeten, genannt Tschiwnka, Nendi
und Mnkasa. Die beiden ersten sind Waldgötter, die in
Bäumen hausen sollen, und haben bestimmte Stellen, wo
man sie vornehmlich verehrt und durch Opfergaben sich günstig
zu stimmen sucht. Letzteres sind schwarze Schafe und Zie-
König Mtesa in Uganda.
gen, die aber nicht getödtet, sondern zur freien Verfügung
des Gottes an der betreffenden Stelle belasten werden. Für
jeden solchen Opferplatz giebt es einen Priester, der ihn beanf-
sichtigt. Zwei liegen nahe bei Wilson's Wohnung; Mtesa
soll dieselben zu beseitigeu wünschen, stößt dabei aber natür-
lich auf starke Opposition. Beide Götter, Tfchiwuka und
Nendi, waren einst aus Erden große Könige und hatten we-
der Vater noch Mutter; man verehrt sie besonders in Kriegs-
zeiten, weil sie in der Schlacht Schutz gewähren sollen.
Der dritte Gott, Mukasa, ist eine Art Neptun, der im
Njauza haust und hauptsächlich von den Fischersleuten an-
gebetet wird, die er vor Sturm und Ertrinken bewahrt. Die
Waganda beten auch zu der Blatterkrankheit, welche mitunter
epidemisch auftritt und viel Volks dahinrafft; denn — sagen
sie — wenn sie Macht hat, so viele Leute zu tödteu, muß
sie ein Gott sein.
Es giebt Leute in Uganda, Mandwa genannt, von denen
man glaubt, daß sie Hausgeister besitzen, mit der unsichtbaren
Welt Verkehr haben und kommende Ereignisse voraussagen
können. Einen Tag, ehe Wilson Uganda erreichte, kam ein
solcher Wahrsager zu Mtesa und behauptete, daß der Fremde
Notizen zur Handels-
nie zurückkehren, sondern unterwegs sterben werde. Als dann
die Nachricht kam, daß Wilson nahe, ließ Mtesa den falschen
Propheten rufen nnd ins Gesängniß werfen, wo er wahrschein-
lich noch Ende April faß.
Nachdem Wilson dann erzahlt, wie es ihm durch Zufall und
Ueberrednng gelang, Mtesa von einer Kriegserklärung an
Aegypten zurückzuhalten, fährt er am 6. Mai fort: „Unsere
Karten des Victoria Njanza müssen in der Nordwestecke noch
sehr vervollständigt werden, da dieselbe dicht mit Inseln,
darunter manchen großen von 15 bis 16 (engl.) Meilen
Länge, bedeckt ist. Ich kenne ihre Zahl nicht; aber das Volk
hier giebt 400 an, und ich selbst habe auf meiner dreimaligen
Fahrt von und uach Uganda etwa zwischen 50 und 60 ge-
sehen. Man scheint sie insgesammt als „Sasse" oder
„Sasse-Inseln", zu deutsch etwa „Inseln der Fischer", zu
bezeichnen. ' Ihre Bewohner sprechen einen andern Dialekt
als die Leute auf dem Festlande. Die kleineren Inseln sind
meist unbewohnt, aber herrlich bewaldet, so daß ich auf einer
derselben unser Boot zu erbauen vorschlagen werde, wenn
Mackay und Genossen anlangen. — Eines der ersten Dinge,
die zu machen sind, wenn unsere Gesellschaft erst etwas
größer sein wird, ist eine sorgsame Aufnahme der Nordwest-
lichen Ecke des Njanza; denn die Fahrt zwischen diesen In-
seln ist verwickelt und schwierig, selbst bei Tage und gutem
Wetter, und gefährliche Klippen und Untiefen giebt es in
Menge. Wenn wir zu dem Entschlüsse kommen, das Boot
auf einer der Inseln zu bauen, und Mtesa uns Urlaub giebt,
so wäre das eine vortreffliche Gelegenheit, jene Aufnahme
auszuführen und in dem für die Dhau erbauten Dingy, wel-
ches drei Mann und etwas Gepäck faßt, von Insel zu Insel
zu fahren. Die Inseln reichen nach meinem Überschlage
etwa bis 0°40' südl. Br. Obwohl die ganze Gruppe Sesse
heißt, so haben doch alle größeren und einige von den kleine-
reu eigene Namen. Die Leute erzählen mir, daß der arme
ermordete Smith zwischen diesen Inseln Lothungen vornahm,
aber ich habe in seinen Papieren keine Notiz darüber ge-
sundeu.
Weil ich gerade vom Njanza spreche, so will ich eine
interessante Thatsache anführen, welche wahrscheinlich viel
Licht über den Einfluß verbreitet, den die Wassermenge im
Victoria Njanza auf den Nil in Aegypten ausübt. Die
Sache ist die: bald nach meiner (ersten) Ankunft in Kagei
(Kagehji) im vergangenen Jahre, d. h. etwa in der Mitte
Februar 1877, bemerkte ich, daß der Spiegel des Sees lang-
fam stieg. Sobald ich dessen sicher war, merkte ich mir einen
Felsen, der halb aus dem Wasser hervorragte, und beobachtete
ihn von Tag zn Tag. Etwa Mitte Mai, d. h. ungefähr
zehn Tage nach dem Aufhören der Regen, hatte der See
seineu höchsten Stand erreicht, nachdem er im Ganzen genau
zwei Fuß über den bezeichneten Punkt gestiegen war, und
id Verkehrsgeographie. 381
begann dann zu fallen. Bei meiner (zweiten) Ankunft in
Kagei am 12. Januar 1878 fchaute ich nach meinem Fel-
fen und fand zu meinem Erstaunen das Wasser nur 1 bis
iVa Zoll unter dem höchsten Stande vom Mai 1877, eine
Folge des überaus nassen Wetters, welches in den beiden
vorhergehenden Monaten zu einer Zeit, wo gewöhnlich wenig
oder gar kein Regen fällt, in Ufukuma geherrscht hatte. Da
nun der gesammte Spiegel des Sees um 2 Fuß über die
gewöhnliche Höhe dieser Jahreszeit gestiegen war, so mußte
eine unendlich vergrößerte Wassermasse über die RipouFälle
zum Abfluß kommen und, wofern der Victoria Njanza in
der alljährlichen ägyptischen Überschwemmung irgend eine
wichtige Rolle spielt, notwendigerweise sich dort fühlbar
machen und das um so mehr, als das Steigen vier Monate
vor der gewöhnlichen Zeit eintrat. Wenn man also die
Zeit, welche die Fluth nöthig hat, um vom Njanza aus
Aegypten zu erreichen ^), richtig in Anschlag bringt, kann
man erträglich zuverlässige Daten erhalten, um den Einflnß
des Victoria Njanza auf die befruchtenden Ueberschwemmnn-
gen im Lande der Pharaonen zu berechnen. Bald nach mei-
ner Ankuust in Kagei reiste ich nach Unjanjembe und fand
bei meiner Rückkehr am 15. März die Höhe des Seespiegels
ebenso wie am 12. Januar; und als ich wenige Tage später
nach Uganda zurückkehrte, wurde mir der abnorm hohe Wasser-
stand an der Nordküste des Sees bestätigt."
Am 9. Mai schreibt Wilson: „Mtesa leidet schwer an
einer, wie ich fürchte, unheilbaren Krankheit und schiebt die
Schuld davon auf Zauberei. Alle Bakungn oder Hänpt-
linge fürchten sich schrecklich, daß einer oder mehrere von
ihnen als die Schuldigen der Todesstrafe verfallen werden.
Mir sagte gestern jemand: „Alle Häuptlinge zittern vor
Furcht und jeder fragt: Wer wird es sein?" (nämlich das
Opfer). Ich fürchte, es wird Blutvergießen geben. Gestern
war ich bei einer Berathuug der Häuptliuge zugegen und
bemerkte auf allen Gesichtern die größte Angst; alle sprachen
mit verhaltenem Athem, als wären sie entsetzt, ihre eigenen
Stimmen zu hören."
Am 11. Mai jedoch, wo Wilson eine Audienz bei Mtesa
hatte, besaud sich derselbe besser, war gegen den Missionär
ausnehmend freundlich und sprach davon, daß er binnen
Kurzem Gesandte an die Königin von England schicken
wollte. Wilson fügt hinzu, daß er in der letzten Zeit in der
Sprache von Uganda große Fortschritte gemacht habe und
in zwei bis drei Monaten sein Bocabnlar nach England sen-
den zu können hoffe.
i) Der Nil steigt in Aegypten von Mitte Juli bis Mitte
August rasch, dann langsamer, bis er um Anfang October
seinen .Höhenpunkt erreicht. Vergl. „Globus" XXXII, S. 264.
Notizen zur Handels- und Verkehrsgeographie.
III. i)
F. R. — Schweden im Jahr 1877. Eine uugeuü-
geude Ernte, ungünstige Conjnneturen in den beiden größten
Industrien Schwedens, der des Eisens und Holzes, und die
Rückwirkung der seit 1874 nur immer wachsenden Stockung
1) Vergl. „Globus" XXXIV, S. 267.
des Handels und Verkehres habeu das Jahr 1877 zu dem
für Handel uud Verkehr uugünstigsten gemacht, welches
Schweden seit dem Beginn der jetzigen Krisis durchzumachen
hatte. Nur die überwiegende Solidität des Handelsstandes
und die Gesundheit des schwedischen Bankwesens haben eme
Katastrophe abgewandt, welche am Ende des vergangenen
382
Notizen zur Handels- und Verkehrsgeographie.
Jahres über dem dortigen Handel zu schweben schien. Die
Werthe der Ein- und Ausfuhr sind für 1877 noch nicht be-
kannt. Von 1867 bis 1876 hatten sie sich folgendermaßen
entwickelt:
Kronen Kronen
Jahr Einfuhr Ausfuhr
1867. . . 133 040163 127 319 000
1870. . . 139 956 886 151 506 111
1873 ... 260 606 606 218 826 220
1875. . . 260 519 469 203 763 566
1876 ... 283 059 457 222 743 506
Deutschland führte 1876 von Schweden ein für 16 403 000
und aus für 57 865 000 Kr., der Umsatz zwischen beiden Län-
dern betrug also 74 268 000 Kr. Großbritannien mit einem
Umsatz von 318 558 000 Kr. (42 Proc. des Gesammtumsatzes)
steht allen voran, und Dänemark mit 74199 000 Kr. folgt
unmittelbar nach Deutschland. Mehr als 20 Mill. Kr. er-
reicht außerdem der Umsatz mit Frankreich (37 Mill.), Ruß-
laud (27 Mill.), Norwegen (23 Mill.) und den Niederlanden
(22 Mill.). Ju der Einfuhr stehen an erster Stelle: Mann-
factnren 73,6, Colonialwaaren 46,9, Lebensmittel von Thie-
ren 27,7, Mineralien 21,4, Getreide und Produete daraus
21 Mill. Kr.; in der Ausfuhr: Unbearbeitetes Holz 104,
Getreide und Produete daraus 45,4, Metalle 34 9 Mill. Kr.
Hauptabsatzgebiet für Holz, Eisen und Getreide ist England,
das seinerseits Schweden mit Steinkohlen, die indessen auch
aus Deutschland in zunehmender Menge eingeführt werden,
und mit Manufactureu versorgt.
Der Schiffsverkehr ist bis jetzt nur für Stockholm
und Gothenburg mit Sicherheit anzugeben. Im erstern Hafen
betrug in diesem Jahre der Gesammtverkehr 3349. Unter
den ankommenden waren 573 finnische, 494 schwedische, 247
deutsche, 170 englische, 125 norwegische Fahrzeuge, davon kamen
aus England 462, Finnland 436, Rußland 298, Deutschland
233. In Gothenburg verkehrten 3994 Schiffe; unter den ein-
kommenden 1229 schwedische, 355 dänische, 267 englische, 175
norwegische und 107 deutsche; von 1781 auslaufenden gingen
681 nach England, 409 nach Dänemark, 216 nach Norwegen,
141 nach Deutschland, 103 nach Frankreich.
Die Ernte von 1877 war unter mittelmäßig. Nach
der Menge des Ertrages ordnen sich die Getreidearten fol-
gendermaßen: Hafer 64,2, Winterroggen 21,8, Gerste 17,8,
Winterweizen 3,7 Mill. Cub.-Fuß.
An Eisenbahnen besaß Schweden 1877 466,4 Meilen,
wovon 151,4 Staats- und 315 Privatbahnen. In demselben
Jahre wurden von den Telegrapheuleituugeu 1 015 593 Tele-
gramme befördert.
Die Fischerei in deu Binnengewässern ist für die all-
gemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse des Reiches nicht von
Bedeutung. Dagegen gewann an der schwedischen Westküste
in den Provinzen Gothenburg und Bohus durch unerwartete
Ankunft eines Ungeheuern Heringsschwarmes von Ende 1876
bis Februar 1877 die Seefischerei ein so unverhofftes Arbeits-
feld, daß im Anfang weder Fische noch Menschen und andere
Hülfsmittel zum Fang und Versandt in hinlänglicher Menge
vorhanden waren. Es wurden dort insgesammt 150 800 Ton-
nen gefangen.
Die Forstwirthschaft Schwedens hat zu spät begonnen,
die Wälder zu schützen, durch deren Ausrottung in vielen
Gegenden der Ackerbau nicht den geringsten Nutzen gezogen
hat, da die klimatischen und hydrographischen Verhältnisse
durch dieselbe verschlechtert worden sind. Vorzüglich die Pro-
vinzen Schonen und Westergötland, auch Hallaud und das
westliche Smaland haben dadurch gelitten. Auch jetzt noch
berechnet man den jährlichen Zuwachs auf nicht einmal ganz
50 Proc. des Verbrauches (im Lande selbst 1 050 Mill., für
die Ausfuhr 140 Mill. Cub.-Fuß) und neuere amtliche
Untersuchungen haben in vier Provinzen (Malmöhus, Hal-
land, Göteborg und Upsala) den Waldmangel als e.in beste-
hendes Uebel, und in drei (Ehristianstad, Bleking?, Skara-
borg) als ein nahe bevorstehendes festgestellt. Nur in den
zwei nördlichen Provinzen Kopperberg und Gefleborg ist noch
Ueberflnß an Wald bei dünner Bevölkerung und geringer
Ausnutzung vorhanden. Wenn also auch Schweden mit sei-
nen 43 Proc. des Areales in Waldung als einer der wald-
reichsten Staaten Europas erscheint, so ist doch die Verthei-
lnng dieses Reichthums eine sehr ungünstige, denn die be-
völkerten und gewerbthätigen Provinzen gerade sind waldarm,
während die ausgedehntesten Wälder sich in denjenigen Thei-
len des Landes finden, welche durch ihre dünne Bevölkerung,
ihren Maugel an Verkehrswegen und ihr Klima der Aus-
Nutzung dieses Schatzes die geringsten Vortheile bieten. Von
den Wäldern Schwedens sind 72 Proc. Privatwaldungen;
jedoch vergrößert der Staat seit Jahren seinen Waldbesitz
durch Ankäufe.
Die Bevölkerung Schwedens betrug am Schluß des
Jahres 1876 4429 713; sie hatte sich im Laufe dieses Jahres
um 1,06 Proc. vermehrt, und zwar die städtische um 2,85
und die ländliche um 0,77. Am Schlüsse von 1877 hatte
Stockholm 153 528 Einwohner. Die Auswanderung ging
von 9727 in 1875 auf 9418 in 1876 herab.
— An der Schifffahrtsbewegung in den Häfen
Großbritanniens waren 1877 hauptsächlich folgende Län-
der mit den beigesetzten Zahlen von Schiffen und Tonnen
betheiligt: die Vereinigten Staaten mit 7962 Schiffen und
7 487 142 Tonnen, Frankreich (ohne Colonien) mit 31835
Schiffen und 6 833 587 Tonnen, Deutschland mit 13 837
Schiffen und 4 849 887 Tonnen, Rußland mit 8411 Schiffen
und 3 377 968 Tonnen, Niederlande mit 8973 Schiffen und
3 198 225 Tonnen, Eanada init 3826 Schiffen und 2 927 765
Tonnen, Schweden init 7536 Schiffen und 2 372 913 Tonnen.
Die Gefammtzahl der in diesen Häfen Großbritanniens ver-
kehrenden Schiffe betrug 65 323 mit 25 909 904 Tonnen, wo-
von auf die britische Flagge 37 927 mit 17 484 573 Tonnen,
auf die norwegische 6036 mit 1 901 955 Tonnen, die deutsche
4849 mit 1474 686 Tonnen, die französische 4338 mit 773 220
Tonnen, die italienische 1393 mit 737 184 Tonnen entfielen.
— Der Verkehr von Reisenden betrug 1877 in den fran-
zösischen Caualhäseu und Ostende in Ankunft und Ab-
reise 423 979. Davon entfielen auf Calais 180 982, Bonlogne
132 386, Dieppe 62 916, Ostende 28 653, Havre 19 037.
*
-i- *
Einem Consularbericht über Cyperu entnehmen wir,
daß die Ein-- und Ausfuhren der Insel 1878 erheblich abge-
nommen haben. Die erstereu betrugen 1876: 2 309 600, 1377:
2 105 449, die letzteren 1876: 4 150 240, 1877: 3 018 360 Mark.
Die Erzeugung von Weizen fiel von 1 600 000 Kilo in 1876
auf 800 000 in 1877, diejenige von Gerste von 2 400 000 Kilo
in 1876 auf 1 500 000 in 1877. Die Ursache des Rückgangs
liegt theils in ungewöhnlicher Trockenheit des Jahrgangs
1377, theils in den kriegerischen Zeitverhältnissen. Die
Banmwollenernte ergab circa 2000 Ballen. An Wolle wur-
den 330 000 Pfund gewonnen. Die Zahl der Schafe wird
auf 750000 augegeben. Au Oel wurden 1877 250 000 Oka
(2% Pfund engl.) gewonnen. Es ist dies nur eine halbe
Ernte; die vollen Ernten, welche nur etwa alle fünf Jahre
eintreten, betragen reichlich das Doppelte. An Taback wnr-
den höchstens 5000 Oka gewonnen. Aus den Salzseen von
Larnaka wurden ungefähr 4 500 000 Oka erzeugt und davon
ungefähr 4/5 nach Syrien ausgeführt. Die Schwammfischerei
beschäftigt an den eyprischen Küsten ungefähr 40 Boote und
350 bis 400 Menschen, und wurden 1877 etwa 2500 Oka
Schwämme, vorwiegend gemeinere Sorten, gefischt. Unter
den Industrien steht die Gerberei und die Seidenweberei
obenan. Die Geschäfte, denen die Türken sich vorzüglich
widmen, sind die der Barbiere, Fleischer, Schuhmacher, Satt-
ler und Zeugdrucker, während so ziemlich in allen anderen
Gewerbszweigen die Griechen voranstehen. Die Bevölkerung
von Eypern wird m diesem Bericht auf 200 000 angegeben,
wovon % Griechen und Vs Muselmänner sein sollen.
Notizen zur Hcmdels-
— HandelvonBangkokimJahre1877. In der Aus-
fuhr erscheint Reis mit 20 549 533 T., Zucker mit 255 280 T.,
Pfeffer mit 122 883 T., getrocknete Fische mit 393 777 T.,
Salz 628117 T., Eisenholz 87 334 T., Teak-Holz 107 570
Stämme bezw. Planken. Der Gesammtwerth der Ausfuhr
bezifferte sich auf 9 153 609 mex. Piaster, während der der
Einfuhren nur zu 5 930 531 mex. Piaster angegeben wird.
Die letztere ist nicht nach ihren verschiedenen Artikeln ange-
führt. Was die einzelnen Artikel der Ausfuhr anbetrifft, so
bleibt Reis immer an der Spitze derselben, wiewohl das
Jahr 1877, in welchem die Regenzeit statt im Mai im August
eintrat, für die Cultur dieser Frucht nicht günstig war. Ein
Ausfuhrverbot, welches von der Regierung erlassen wurde,
hatte wenig Wirkung. China und Singapur sind die Haupt-
abuehmer für dieses Erzeugnis;. Der Fischhandel Siams,
sowohl in Fluß- als Seefischen, ist, wie die oben angebenen
Zahlen ausweisen, bedeutend. Eine kleine Heringsart (im
Lande Platu genannt), welche der Nordost-Monsnn in großer
Zahl in den Golf von Siam treibt, bildet getrocknet einen
Ausfuhrartikel nach Java und ein wichtiges Nahrungsmittel
der Siamefen. Das Salz wird an der Küste in Salzgärten
gewonnen und geht in großen Mengen nach Singapur,
China, Java. Das Teak-Holz, welches in Bangkok zur
Ausfuhr kommt, stammt großentheils aus den siamesisch-
britisch-birmanischen Grenzgebirgen, wo das Recht der Ab-
Holzung flächenweise verkauft wird. Durch Einschnitte bringt
man die Bäume zum Absterben und giebt dem Holz schon
vor dem Fällen eine gewisse Trockenheit. Dann wird es
mehrere Jahre später gefällt und durch Elephauteu zu den
Flüssen hinabgebracht, auf denen man es weiterflößt. Teak-
holz geht von hier wenig nach Europa, da Monlmein den
europäischen Bedarf vorwiegend befriedigt, dagegen sind China
und Niederländisch-Jndien die Hauptzielpunkte der siamesischen
Teakholzausfuhr. Dasselbe wird dort vorwiegend zu Hasen-
bauten verwandt. In der Einfuhr Siams spielen China
und Indien mit einheimischen Prodncten noch immer eine
hervorragende Rolle. China importirt, nach Schätzung, in
Siam mehr als alle anderen Länder zusammen und das Ueber-
handnehmen des Verbrauches europäischer Waaren hat bis
jetzt die chinesischen nur in einigen wenigen Zweigen zurück-
gedrängt. Thee, und zwar ausschließlich grüner, der aus
Amoy eingeführt wird, steht unter den Einfuhren aus China
in erster Reihe. Er ist ein nnabweisliches Bedürfnis für
alle Schichten der Bevölkerung. In Bangkok unternimmt
z. B. der Mandarin keine kurze Bootfahrt in der Stadt,
ohne seinen gefüllten Theetopf bei sich zu haben. Steingut,
Poreellau, Banmwoll- und Seidenstoffe, Papier, Eßwaaren
der verschiedensten Art bilden weitere wichtige Artikel dieses
Handels. Die zahlreichen Chinesen in Siam leben, abgesehen
vom Reis und den frischen Fischen, fast nur von den aus
China eingeführten Eßwaaren und umgeben sich mit chine-
fischen Erzeugnissen in Kleidung und Hansgeräth. Aber auch
der gewöhnliche Siamese hat noch jetzt in seiner dürstig ein-
gerichteten Wohnung fast ausschließlich chinesische Gegen-
stände. Die Schüssel, von der er ißt, ist aus Hainau, der
Reisbranntwein (Samschn), den er trinkt, ist aus Hongkong,
die Messingschalen, welche nicht fehlen dürfen, kommen aus
China und so fort. Durch chinesische Kaufleute wird auch
die Einfuhr des Opinm besorgt, das ans Ostindien gebracht
und in großem Maßstabe geschmuggelt wird. Außerdem lie-
fert Ostindien die sogenannten Palays, baumwollene
Lendentücher, welche die einheimischen mehr und mehr ver-
drängen, außerdem Seidenstoffe, Brocate, Edelsteine. Die
Jndier, die diesen Handel vermitteln, werden wegen ihres
mohammedanischen Glaubens in Siam Araber genannt. Aus
Java kommt schlechter Branntwein und Sarongs für die
hier wohnendenMalayen und Javanen. Australien bringt
Steinkohle. Unter den europäischen Staaten hat England
die größte Einfuhr nach Siam. Es werden dort namentlich
große Bestellungen für die Regierung, den Hof und die ersten
nb Verkehrsgeographie. 383
Familien gemacht. Dampfschiffe, Maschinen der verschieden-
sten Art, eiserne Brücken, Waffen, Möbel, Shirtings kommen
von dort. Deutschland dürfte in zweiter Linie zu nennen
fein. Seine Einfuhr läßt an Mannigfaltigkeit nichts zu wün-
schen übrig und hat Aussicht, die englische, welche den hie-
sigen Handel früher nahezu monopolisirte, noch mehr zurück-
zudräugeu. Sie besteht vorzüglich aus Kurz- und Metall-
waaren, Möbeln, Schmucksachen, Bier, Zündhölzern und
zahllosen Kleinigkeiten. Frankreich bringt Möbel, Leder,
Glas- undPorcellanwaaren, Oesterreich Glas- und Leder-
fachen, Belgien Waffen, Nordamerika außer Mehl, Cou-
serveu, starken Baumwollenzeugen hauptsächlich Steiuöl, das
sich immer mehr einbürgert und sogar in den mittleren Clas-
sen und im Innern das einheimische Kokosnuß -Oel ver-
drängt. Die Geldgeschäfte Siams mit der übrigen Welt
werden in Singapore gemacht.
Der Schiffsverkehr im Hafen von Bangkok betrug
1877 580 Schiffe (191789 T.) in der Ankunft und 521
(182 246 T.) im Abgang. Daran betheiligten sich von dent-
scher Seite 63 Segel- und 3 Dampfschiffe (21615 T.) in der
Ankunft und 63 Segel- und 3 Dampfschiffe (21722 T.) im
Abgang. Nach Hamburg gehörten davon 23, nach Apenrade
11, nach Sonderburg 7, nach Bremen 5.
Von Bedeutung für den Schiffsverkehr Bangkoks ist die
Thatsache, daß zu Petrin am Bangpakong-Flnsse wegen der
vielen dort befindlichen Reismühlen ein neuer Hafenort, unter-
halb Bangkok, 18 Seemeilen von der Küste, sich entwickelt
hat, zu dem der Zugang wegen milderer Beschaffenheit der
Barre leichter sein soll als zu dem von Bangkok.
Nach ihren Werthen zusammengestellt, folgen die wichtig-
sten Aus- und Einfuhrartikel von Bangkok in folgender Reihe
auf einander. In der Ausfuhr: Reis 5 933 151 mex. Piaster,
getrocknete Fische 220 965, Baumwolle 198 917, Teakholz
194 477, Zucker 187 884, Pfeffer 162 339, Japanholz 146184,
Büffelhäute 139 151, Rosenholz 133 323, Sesam 113 569, ge-
salzene Fische 112 587. In der Einfuhr: Shawls 583 587,
Shirtings 559 021, Opium 373 215, Seideuwaareu 323 528,
Getränke 311617, Blattgold 266 607, gefärbte Zeugwaaren
200 684. Die Hauptplätze der Ausfuhr find Hongkong und
Singapore, nach welchen 4,3 bezw. 3,2 Mill. mex. Piaster
gehen, während von den Einfuhren aus Singapore 3,3,
Hongkong 1,5, Europa 0,21 Mill. kommen. An dem Schiffs-
verkehr im Hafen von Bangkok betheiligten sich in Abgang
und Ankunft von siamesischen Schiffen 230 Segelschiffe und
34 Dampfer mit zusammen 99 300 Tonnen.
(Preußisches Handelsarchiv 1873, Nro. 37.)
— Telegraphischer Verkehr in Indien. Der dem
englischen Parlament vorgelegte Bericht über das indische
Telegraphenwesen bekundet in diesem Zweige der öffentlichen
Arbeiten seit dem Jahr 1868 einen lebhaften Aufschwung.
Die Drahtlänge stieg seit dem gedachten Jahr von 18 067
Meilen auf 39 700 Meilen im Jahre 1877, die Länge der
Linien von 13 386 anf 17 840 Meilen; die Zahl der Tele-
graphenämter betrug 1863 178, im Vorjahre 234. Die über-
raschendsten Ziffern zeigt der Depeschenverkehr. Auf den indi-
schen Telegraphen wurden befördert: an Privatdepeschen 1866
269 638,1877 1008119, an Staatsdepeschen 1367 41 306, 1377
100 916; die Gesammtzahl der Depeschen incl. jener des Tele-
graphendienstes selbst stieg von 373 832 im Jahre 1863 auf
1 166 833 im Jahre 1877; die Totaleinnahmen betrugen 1863
114 499 Pf. St., 1877 249 646 Pf. St. In diesen Ziffern
sind jene für Ceylon inbegriffen.
* * *
— Tunis. Ende September ist von der projectirten
Bahn, welche Tunis mit der algerischen Grenze (bei Suk
Ahras). verbinden soll, die Strecke Tubarba -Medjez el
Bab (31 Kilometer) dem Verkehr übergeben worden, so
daß die Regentschaft nun außer der Linie Goletta - Tunis
noch eine weitere Eisenbahn, die von Tunis nach dem
westlichen Theile des Landes führt, besitzt. Diese letztere
384 Aus allen
Bahn wird von einer französischen Gesellschaft gebaut und
betrieben, während die Linie, welche Tunis mit dem Meere
verbindet, sich im Eigenthum eines englischen Consortiums
befindet (und soeben an erstere verkauft worden ist. Red.)
— Die Einfuhr von Eisen- und Stahlschienen in die
Vereinigten Staaten von Nordamerika hat vom
1. Juli 1863 bis 30. Juni 1878 in folgender Weise ab' und
gleichzeitig vom 1. Jan. 1868 bis 31. December 1877 die
einheimische Erzeugung wie angegeben zugenommen:
Erzeugung Einfuhr
Tonnen Tonnen
1868 . . . . 506 714 151 097
1869 . . . . 593 586 266 228
1870 . . . . 620 000 313 338
1871 . . . . 775 733 513 023
1872 . . . . 1 000 000 595 321
1873 . . . . 890 077 400 546
1874 . . . . 729 413 166 790
1875 . . . . 792 512 47 132
1876 . . . . 879 629 5 273
1877 . . . . 764 709 12
1878 . . . . — 12
— Nach den Berichten der Steel and Iron Association
gab es 1877 716 Hochöfen in den Vereinigten Staa-
ten, mit einer Erzeugungsfähigkeit von 4 Mill. T., aber es
standen nicht weniger als 446 davon außer Arbeit und die
Gefammterzenguug von Roheisen betrug nicht mehr als
2 314 585 Tonnen.
— Der Werth des Außenhandels von Brasilien
wird für 1876 auf 194 Mill. Doll. geschätzt, von denen 94
auf die Ein- und 100 auf die Ausfuhren entfallen. Die
Einfuhren vertheilen sich anf England mit 30,4, Frankreich
16,3, Vereinigte Staaten 7,2, Belgien 4,8, andere Länder
35,2 Mill. Doll. Von den Ausfuhren nehmen die Vereinig-
ten Staaten 45,5, England 25,1, Frankreich 11, Belgien 2,5,
andere Länder 15,8 Mill. Doll. Die einheimische Industrie
Brasiliens ist kaum nennenswerth; die 30 Baumwollmanu-
Erdtheilen.
factnren, welche bestehen, arbeiten ausschließlich billige Stoffe
für deu einheimischen Verbrauch.
— Einem amtlichen Berichte über die Colonie Blu-
menan vom 5. Juli 1878 entnehmen wir, daß Ende Juni
1875 die Bevölkerung 12 291 Köpfe betrug und zwar:
Deutsche 9012, Italiener 545, Südtyroler 1473, Brasilianer
1250, Engländer 5, Franzosen 6. Darunter waren 7855
Protestanten und 4434 Katholiken. Es gab 1204 gezimmerte
und 1010 provisorische Häuser, 1 protestantische und 1 katho-
lische Kirche, Hospital, Irrenhaus, 2Schulhäuser, Gefängniß.
Es bestanden 2 öffentliche und 6 Privatschulen in dem Haupt-
ort und 19 Privatschnlen in anderen Theilen der Colonie.
In Cultur war eine Bodenfläche von 3970 Hectaren, welche
an Haupterzengnissen lieferte: Mais 63 044, Knollenfrüchte
88 204 und Maniokmehl 11 239 Hectoliter, Zucker 202 500,
Arrow-Root 16170, Taback 14 000, Baumwolle 2000, Kaffee
1500 Kilogramm, Branntwein 350 000 Liter. An Vieh gab
es 1542 Pferde, 244 Manlthiere, 6250 Rinder, 16 600
Schweine. 70 000 Geflügel. Unter den Erzeugnissen der Vieh-
zucht stehen in erster Linie Butter mit 47 000 und Käse
82000 Kilogramm. An Honig wurden 6000, an Wachs
550 Kilogramm gewonnen. Es gab 117 Zuckermühlen
(2 davon eiserne), 202 Branutweinblasen, 82 Pflüge, 30 Säg-
und 19 Mahlmühlen, 4 Reisschälmühlen, 10 Ziegeleien. An
fahrbaren Straßen waren Ende 1876 236 Kilometer vor-
Händen. Die Ausfuhr von Erzeugnissen der Colonie bewer-
thete 190 000 M. Reis. Die Gesamtausgaben für 1876
392 479, die Einnahmen 397 372, die Schulden der Colonisteu
(hauptsächlich Vorschüsse für Ansiedelung und Landkauf)
176 971. Bis Ende 1874 war die Einwanderung fast voll-
ständig deutsch, 1875 und 1876 wanderten dagegen nur 576
deutsch und 1614 italienisch Sprechende ein. Die Gesammt-
einwandernng ist seit 1875 bedeutend im Steigen. Sie betrug
1871 23, 1872 207, 1873 426, 1874 362, 1875 1129, 1876
1078.
— Britisch-Gnyana empfing 1877 4678Einwanderer,
wovon 3982 (Knlis) aus Ostindien, 606 von Barbadoes, 90
von Madeira; 492 Kulis kehrten nach Indien zurück und nah-
men 29 805 Doll. Ersparnisse mit sich.
Aus allen
Asien.
— Die „Times" enthalten folgendes Telegramm aus
Bombay, 12. November: „Sir Andrew Clarke, Mitglied für
öffentliche Arbeiten im vieeköniglichen Rache, besuchte im
letzten Februar Waiuad (einen kleinenDistrict in der Prä-
sidentschast Madras mit gesundem und neun Monate im
Jahre für Europäer angenehmem Klima, während drei Mo-
nate lang Fieber herrschen), und da er nach seinen anstrali-
schen Erfahrungen das Land für fehr goldreich hielt, lud er
mit Genehmigung des Viceköuigs Mr. Brough Smyth, den
bedeutenden Bergwerksingenieur von Victoria, ein, einige
erfahrene Minenarbeiter nach Indien zu senden, um die
Quarzriffe zu durchforschen. Mr. Smyth hat schon auf eiuer
Fläche von 25 mal 13 engl. Meilen 90 von 2 bis 4 Fuß
starke Vorkommnisse von Gestein entdeckt, welches per Tonne
bis zu 200 Unzen Gold enthält. Reicheres Erz zeigt auf
Erdtheilen.
dem Bruche feines und grobes Gold und einzelne erbsengroße
Stücke. In manchen Riffen ist viel praktisch unproduktives
Gestein, welches aber immerhin per Tonne 8, 10, 14Penny-
weights (20 — 1 Unze), 2 und 4 Unzen enthielt. Man glaubt,
mit Capital und unter guter Leitung einen sehr großen Be-
trieb ins Leben rufen zu können." Es wäre das für den
ziemlich ausgedehnten und bisher hauptsächlich durch seine
Kaffeeplantagen bekannten District — derselbe liegt südlich
von Maisur (Mysore) auf den nördlichen Ausläufern des
Nilagiri-(Neilgherry-) Gebirges — ein um so größerer Se-
gen, als er letzthin durch Trockenheit und sonstige Unglücks-
fälle mehr als gewöhnlich gelitten hat. Bekannt ist übrigens
das dortige Vorkommen von Gold schon lange, und seine
erste officielle Erwähnung datirt aus dem Jahre 1831. Es
fand aber damals keine eingehende fachmännische Untersuchung
statt.
Inhalt: Stanley's letzte Forschungsreise durch Afrika (1874 bis 1877). V. (Mit sechs Abbildungen). — Leben
und Gewohnheiten der Fellahs in Palästina. II. (Schluß.) — Aus dem Nordwesten von Kleinasien. — Missionär Wilson
bei König Mtesa in Uganda. — Notizen zur Handels- und Verkehrsgeographie. III. — Aus allen Erdtheilen: Asien. —
(Schluß der Redaction 29. November 1878.)
Nedacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenstraße 13, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
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