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Mit besonderer Berücksichtigung äer Antkroyologie unä Gtünologie .
Begründet von Karl Andree .
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von Dr . Richard Kiepert .
Braunschweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern . Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen . ö l J»
Das russische T u r k e st a n .
( Nach dem Französischen der Mad . de Ujfalvy . )
VI .
Der Palast des Chans von Chokand ist in der Mitte der Stadt , nicht weit vom Flusse , ans einem Hügel gelegen ; hohe starke Mauern , um welche noch Graben gezogen sind , umgeben den weitläufigen Komplex von Gebäuden mit den dazwischen liegenden Höfen und Gärten . Eine Inschrift auf der glänzenden Vorderseite besagt , daß der Palast im Jahre 1287 der Hedschra ( 1870 unserer Zeitrechnung ) von Said - Mohammed - Chudajar - Chau erbaut worden ist . Eine hölzerne Rampe führt zu dem Haupteingange , ebenfalls hol - zerne Bretterstiegeu von dein Hofe in die Gallerten des obern Stockwerkes , deren reichbemalte Holzsäuleu zierlich und kuust - voll geschnitzte Kapitale zeigen . Die meisten der früher kost - bar ausgeschmückten Gemächer des Palastes befinden sich heute in einem Zustande der ärgsten Zerstörung , ein Werk der Rache der Chokander Bevölkerung gegen ihren Herrscher nach dessen Flucht mit den Russen im Jahre 1875 . Nur die Dazwischenkunst des Militärs konnte das Volk daran verhindern , den Palast dem Boden gleich zu machen . Der Audienzsaal des Chan ist in eine russische Kapelle nmge - wandelt worden ; die wohlerhaltene überaus reiche Decken - Malerei legt eiu günstiges Zeugniß für den Geschmack der modernen Chokander Kunst ab . Neben dem sogenannten Arbeitszimmer des Chan , in welchem er die zahllosen Todes - urtheile unterzeichnete , die allein seine Regierung zu befestigen vermochten , befindet sich das „ Labyrinth " , eine architektonische Spielerei , wie sie ähnlich in manchen unserer Schlösser der Rokokozeit vorkommt ; es ist ein Gewirr von kleinen zum ^heil finsteren Kammern und Gängen , aus denen ein Ilm
Globus XXXVI . Nr . 5 .
eingeweihter , wenn in die Mitte geführt , sich nicht zufinden vermag . Der russische Gouverneur von Chokand bewohnt nicht den eigentlichen Palast , sondern den Harem des Chan , ein ausgedehntes Gebäude , das seinerzeit den tausend ( nach Angaben einiger Chokander sogar 3000 ) Frauen des letzten Herrschers zum Ausenthalte gedient hat . Von den luftigen Gallerien , welche um das Gebäude laufen und auf welche sämmtliche Gemächer münden , genießt man eine herrliche Aussicht in den großen Garten . Hat derPa - last mit seiner hohen Manernmgebnng schon etwas Festungs - artiges , so wird der Eindruck noch verstärkt durch die vielen Kanonen , welche riugs um ihn aufgefahren sind , die Müu - duugeu auf die Stadt gerichtet , iu deren Besitz sich die Rus - seu nicht ganz sicher zu fühlen scheinen . Mehrere dieser Geschütze , unter ihnen einige Hinterlader , gehörten schon zu der Artillerie des Chan und wurden von ihm mehr als ein - mal gegen die eigenen aufrührerischen Unterthanen in An - wenduug gebracht . Die Geschichte von Chokand seit dem Anfange unseres Jahrhunderts ist nur eine fortlaufende Reihe von Empörungen , Usurpationen , Vertreibung oder Ermor - duug der Herrscher gewesen ; die Hauptrolle und treibende Kraft in den unaufhörlichen Umwälzungen übernahmen die nomadischen Kara - Kirghizen oder Kiptschaken , deren kriege - rischer Beistand jede Partei unüberwindlich machte . Auch Chudajar , der letzte Chan , wurde im Jahre 1846 nach der Ermordung seines Vaters Schir - Ali und nach der bald darauf erfolgten Beseitigung des Usurpators Murad - Chan durch die Kiptschaken zum Chan proklamirt . Er war erst
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