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L. Henning: Die Kongoausstellung in Brüssel-Tervueren 1897.
1. Die Seeregion, umfassend die Völker von der
Mündung des Kongo bis Matadi und nördlich bis zum
Tschiluango; hier wohnen die Muschikongo (Musseronge)
südlich der Mündung des Flusses, nördlich hiervon die
Kakongo, sowie die Mayombe. Alle diese Stämme zeichnen
sich durch eine gewisse Körperkraft und Gewandtheit
aus. Das Weib ist im Durchschnitt gröfser und stärker
als der Mann. Hände und Füfse auffallend klein; die
Hautfarbe dunkelbraun, selten schwarz. Das Haar wird
kurzgeschnitten getragen, die Tättowierung ist wenig
häufig.
Das Weib besorgt die Zubereitung der Nahrung;
ihr tägliches Brot bildet der präparierte Maniok (Chicu-
anga). Zum Essen bedienen sich die Eingeborenen
hölzerner Näpfe, sowie hölzerner Messer und ebensolcher
Löffel. Nach jeder Mahlzeit reinigt man sich den Mund
mit Wasser, wie überhaupt ein wiederholtes Baden infolge
der Nähe des Flusses für die grofse Reinlichkeit der
Bewohner spricht. Die Kleidung besteht aus eingeführten
Stoffen aus Europa, wobei die grüne Farbe ausgeschlossen,
rot, weifs und schwarz dagegen mit Vorliebe getragen
wird. Am Abend und während der ganzen Nacht hüllen
sich die Eingeborenen in ihre Gewänder völlig ein, offen
bar zum Schutze gegen die Mosquitos. Die Hütten, aus
Bambus, sind mit Stroh oder Blättern gedeckt, je nach
dem sie im Walde oder in der Ebene stehen; es herrscht
die rechteckige und runde Form vor. Eine rege Industrie
herrscht unter ihnen: hauptsächlich werden Matten und
Körbe hergestellt, desgleichen beschäftigt sich das Weib
mit der Töpferei.
Zu den Palavern wird mittels der grofsen Trommel
eingeladen und ist eine Grundregel hierbei, ohne Waffen
zu erscheinen. Eine andere Regel ist die völlige Rede
freiheit; es gilt bei ihnen als Sprichwort: „Mit dem
Munde tötet man nicht“ und „man soll sich wegen eines
Wortes nicht beleidigt fühlen“. Das Palaver findet früh
morgens und mit nüchternem Magen statt: „Man ver
handelt mit mehr Kaltblütigkeit und die Gedanken sind
klarer, wenn man nichts getrunken hat“, heifst es; eine
Logik, gegen welche sicherlich nichts einzuwenden ist.
Der Eingeborene des unteren Kongo nimmt sich das
Weib aus seinem eigenen Stamm, mufs aber seinem
künftigen Schwiegervater einen bestimmten Kaufpreis
zahlen. Göwöhnlich drei Monate vor der Hochzeit zieht
sich die Braut in eine Hütte zurück, wo man ihr den
ganzen Körper rot bemalt. Nachdem seitens des Bräu
tigams dann der Kaufpreis erlegt ist, begiebt sich der
Schwiegervater zu dem Fetischpriester, der dann unter
allerhand Ceremonieen die Heirat „fruchtbar“ macht.
Die Familienbande werden strenge aufrecht erhalten;
es herrscht Polygamie, indessen nur bei den Häuptlingen
und den besitzenden Freien. Niemals mifshandelt ein
Mann sein Weib; die Kinder werden seitens ihrer Mutter
zärtlich geliebt.
Die Neger, des unteren Kongo haben Vorstellungen
eines höheren Wesens, „Zambi“ genannt, welches über
den Wolken wohnt und sich nicht um die einzelnen
Sterblichen kümmert. Zambi hat die Menschen und
Fetische, deren es eine Unzahl giebt, geschaffen. Bei
der Verehrung einiger von ihnen lassen sich deutlich
die Einflüsse christlicher Völker erkennen, was um so
besitzen : ein vollständiges Handbuch der Ethnographie, Fauna,
Flora, physischen Geographie , Kulturthätigkeit, Exportation
und Importation des Kongogebietes. Die einzelnen Kapitel
sind von Gelehrten und Fachmännern vorzüglich gearbeitet,
wozu noch ein reicher Illustrationsschmuck (meist nach
Originalen und Photographieen) tritt. Das 524 Seiten starke
Werk enthält eine in mehrfachem Farbendruck ausgeführte
Karte des Kongogebietes und ist auch im Buchhandel käuflich.
Es sei hiermit aufs Angelegentlichste empfohlen.
leichter verständlich ist, wenn man bedenkt, wie schon
seit dem 15. Jahrhundert portugiesische Missionare sich
am Unterlaufe des Kongo festgesetzt hatten. Der
Fetischpriester übt gleichzeitig die Funktionen des
Arztes aus.
Die Begräbnisgebräuche sind sehr kompliziert und
wird dabei alles Pulver verschossen, was der Verstorbene
bei seinen Lebzeiten besafs. Für die Häuptlinge werden
eigene Leichenwagen gebaut, die dann von Hunderten
von Personen auf einer eigens dazu hergerichteten
Strafse nach dem Begräbnisplatz gezogen werden. Der
Leichenwagen besteht aus zwei Teilen: im oberen ruht
die Leiche selbst, während im unteren Teil alles dem
Toten gehörige Material mitgeführt wird.
2. Die Region der sogen. Krystallberge,
umfassend das Kataraktengebiet, Stanley-Pool und den
Kwangodistrikt. Die Bevölkerung des ersten Gebietes
umfafst die Bas un di, nördlich vom Kongo bis gegen
die Grenze des französischen Kongogebietes hin, die
Babuendi, der zahlreichste und mächtigste Stamm,
von hier bis gegen Stanley-Pool, endlich die Bakongo,
am linken Ufer des Flusses bis Leopoldville. Die Sprache
sämtlicher genannter Stämme ist die gleiche, wie die der
ersten Region: nämlich Fiote. Auch diese Völker ge
brauchen hölzerne Geräte zum Essen, deren Herstellung
einen eigenen Industriezweig bildet. Männer und Weiber
rauchen den selbstgebauten Tabak aus Thonpfeifen.
Die Kleidung besteht in eingeführten Stoffen, wobei
sowohl Männer als Frauen sich reichen Schmuck anlegen.
In dem Wohnungsbau herrscht die rechteckige Hütte
vor, deren Wände meistens aus den Fasern der Raphia-
palme gebaut werden. Ackerbau und Viehzucht wird
getrieben, doch liegt der erstere nur in den Händen der
unfreien Weiber; die freien Evastöchter arbeiten nur
dann, wenn es ihnen beliebt; es herrscht ausgedehnter
Marktverkehr, wobei zu bemerken ist, dafs die täglichen
Märkte (Lalu) in der Regel nur an den Karawanen-
strafsen abgehalten und dabei nur Lebensmittel an die
durchziehenden Träger verhandelt werden ; sonst finden
die Märkte nur alle acht Tage statt. Bemerkenswert
ist, dafs die Woche dort nur vier Tage hat: Kandu,
Konzo, Kenge, Sona; die viertägige Woche, in der kein
Markt abgehalten wird, heifst Onduelo. Der Monat
zählt sieben Wochen und das Jahr ist nach Wiederein
tritt der Regenzeit abgelaufen.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dafs die Bakongo
eine eigentümliche, hieroglyphenartige Schrift besitzen
und sah ich zwei Fetischhölzer ausgestellt, welche in
der That hinsichtlich ihrer eingravierten Schriftzüge
an Hieroglyphen erinnern. Es wäre eine hochwichtige
Sache, dieser eigentümlichen Erscheinung näher auf
den Grund zu gehen.
Polygamie herrscht überall ; der Kaufpreis richtet
sich nach dem Arbeitswert der Frau; auch hier wie in
der ersten Völkergruppe herrscht inniger Zusammenhalt
innerhalb der einzelnen Familien und Kindesliebe.
Religionsanscbauungen und Trauergebräuche sind
den oben geschilderten ähnlich: war der Verstorbene
ein Häuptling oder ein Reicher, dann wird sein Leichnam
ein ganzes Jahr lang in seiner Hütte geräuchert, hierauf
in eine Anzahl Matten eingewickelt, derart, dafs das
Ganze schliefslich wie ein grofser Ballen von 1 m Durch
messer aussieht.
Die Bevölkerung des Stanley-Pooldistrikts ist eine
sehr gemischte; die Fruchtbarkeit des Bodens, die Schiff
barkeit des Stromes haben eine Menge Völkerschaften
herangezogen, welche strenge genommen zwar keine
ethnographische Einheit vorstellen, sich aber hinsichtlich