GLOBUS.
ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- und VÖLKERKUNDE.
VEREINIGT MIT DER ZEITSCHRIFT „DAS AUSLAND“.
HERAUSGEBER: Dr. RICHARD ANDREE. VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN.
Bd. LXXII. Nr. 11. BRAUNSCHWEIG. 18. September 1897.
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit der Yerlagshandlung gestattet.
Isländische Münchliausiaden.
Aus dem Isländischen übersetzt von Dr. ph.il. August Gebhardt.
Auch die isländische Litteratur kennt ihre Münch-
hausiaden, die hier den Freunden vergleichender Litte-
raturgeschichte wie denen der Volkskunde des Nordens
in deutscher Übersetzung vorgelegt werden sollen. In
seinem Büchlein „Fslenzkar Pjóésogur, Reykjavik 1895“
hat sie O'lafur Daviässon aus dem Nachlasse Jón
A'rnasons, des unsterblichen und so verdienstvollen
Sammlers isländischer Volkssagen, veröffentlicht, der sie
vermutlich erst nach dem Erscheinen seiner reichhaltigen
Sammlung „Fslenzkar PjoSsögur og iEfintyri, Leipzig
1862 und 1864“ nach mündlicher Überlieferung auf
gezeichnet hat; wenigstens enthält diese Sammlung
keinerlei Sagen dieser Art l ).
Es mufs bemerkt werden, dafs die nachstehend
wiedergegebenen Sagen teilweise auch von anderen Per
sonen erzählt werden, als denen sie hier zugeschrieben
sind, wie dies ja auch bei anderen Volkssagen aller
Länder der Fall ist.
Die Entscheidung darüber, ob diese Erzählungen
aus der Fremde eingeführt oder auf Island entstanden
sind, ob sie im letzteren Falle ganz frei aus dem Volks-
innern entsprungen sind, oder einem fremden Vorbilde
ihre Entstehung verdanken, diese Entscheidung über
lasse ich berufeneren und besseren Kennern vergleichen
der Litteraturgeschichte. Hier möge der Hinweis darauf
genügen, dafs ihre Fassung echt isländisch ist. Die
Beschäftigung der einzelnen Personen, die Tiere, die
eine Rolle in den Sagen spielen, die Naturvorgänge,
die hindernd oder helfend eingreifen, dies alles ist volks
tümlich, einheimisch, isländisch.
Da die Himmelsrichtungen, sowie die Entfernungen
in den zu erzählenden Märchen teilweise von Bedeutung
sind, so ist umstehend eine Kartenskizze von Island im
Mafsstabe 1:1440 000 beigegeben.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen lassen wir
den isländischen Erzähler unverändert zu Worte
kommen.
I. Die Geschichte von dem Lügenmeister Bjarni.
Es war einmal ein Mann, der hiefs Bjarni und
wohnte auf Bjarg (d. i. Berg) im Mieffjord. Seine Frau
hiefs Snselag und war die Tochter Bjarnis des Reichen
aus dem Gaue Meäalland. Sie hatten zwei Söhne, Jón
ff Eine grofse Zahl isländischer Volkssagen und Märchen
ist in deutscher Übersetzung gedruckt bei Konrad Mauiei,
Isländische Volkssagen der Gegenwart, Leipzig 1860, Joh.
Cal. Poestion, Isländische Märchen, Wien 1884 und bei M.
Lehmann-Pilhes, Isländische Volksagen, Berlin 1889,
Neue Folge 1891.
Globus LXXII. Nr. 11.
Hundewindchen und Ari. Bei Bjarni ging es oft knapp
zu, trotzdem er ein eifriger Hauswirt war. Er ging
jeden Winter ins südliche Island und befehligte zu Garä
ein Fischerboot. In dem Winter aber, von dem hier
erzählt wird, war eine stille Zeit und daher machte er
sich erst ziemlich spät nach seinem Fischerplatze auf.
Er hatte einen falben Hengst und eine braune Stute
bei sich und ritt die Braune, den Falben aber führte
er am Zaume. An Gepäck führte er nichts bei sich als
zwei Viertel Molken, die er dem PörcS zu MeiSastacfir
versprochen hatte. Bjarni nahm den Weg über die
Holtavöräuheide und als er ins Thal der Norderach kam,
wurde der Wind so kalt und scharf, wie er noch nie
erlebt hatte. Als er so eine Weile geritten war, drehte
er sich um und sah, dafs von dem Falben nichts mehr
da war, als der Kopf, denn das Unwetter hatte den
übrigen Körper des Tieres aus den Halsgelenken ge
rissen. Da liefs er auch den Kopf fahren, denn es nützte
ja doch nichts, sich damit abzuschleppen. Das Unwetter
tobte weiter und endlich wurde Bjarni aus dem Sattel
geweht, doch konnte er zum guten Glück noch mit dem
Daumen in die Mähne des Rosses greifen, an der er
nun drei Tage lang hing wie ein vom Winde hin und
her gewehter Strohhalm. Dann endlich legte sich das
Ungewitter. Unterdessen hatte sich trotz des heftigen
Sturmes die Stute nicht gerührt und stand noch immer
an derselben Stelle. Nun bestieg er das Pferd wieder
und setzte seinen Weg fort, wie wenn ihm nichts in die
Quere gekommen wäre. Als er aber bei Aberanes den
Abhang hinabkam, fiel vor ihm das eine Viertel Molken
nieder, das vom Winde hierhergeführt worden war. Das
Fäfschen war stark angesengt, so nahe war es im Fluge
der Sonne gekommen. Nun ergriff Bjarni eine Schiffs
gelegenheit nach Garä und liefs sich als Bootsführer
anwerben.
Am ersten Sommertage ruderte er mit seinen Boots
leuten zeitig des Morgens hinaus, und nicht lange
dauerte es, da zog eine pechschwarze Wolke auf. Als
sie nun auf dem Angelplatz angekommen waren, machten
sie einen guten Fang, so dafs sich Bjarni vornahm, öfters
dahin zu kommen. Daher stiefs er, bevor er wieder an
die Küste rudern liefs, das Messer, mit dem er die
Fische aufzuschlitzen pflegte, in die Wolke. Beim
nächsten Auszug hielt er nun auf dieses Messer als sein
Ziel zu und nach sechs Tagen Ruderns erreichte er es
am siebenten. Doch da erhob sich ein scharfer Wind,
so dafs die Schneide des Messers die Wolke zerrifs. In
zwischen hatte er einen prächtigen Schellfisch erlegt.
Nun liefs er den Anker lichten und nach der Küste
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