182 Dr. H. Jansen: Zur Vierhundert^ahrfeier Vasco da Gamas u. d. Entdeck, d. Seewegs n. Ostindien.
(d. h. „der türkische Schriftsteller bezw. Dichter“); ob
er ein Vollblut-Türke war oder aus griechischem oder
anderem Geschlechte stammte, wird nicht berichtet. Er
lebte während der Regierung des mächtigen Türken-
sultäns Sulaimän-Khän (1519 bis 1566). Von seiner
poetischen Begabung liegen mehrfache schwülstige
Proben in arabischer Sprache vor; seine Hauptbeschäf
tigung war jedoch Astronomie und Nautik, und zeit
weilig nahm er den Rang eines Qapudan („Flotten
kapitäns“) ein. Zwei Werke in türkischer Sprache
haben sich von ihm erhalten: „Mir’ät el-mamälik“
(= „Spiegel der Länder“), ein weitschweifiger Bericht
über seine verunglückte Mission in die indischen Ge
wässer zur Vertreibung der Portugiesen aus Diu (heraus
gegeben und übersetzt von H. Fr. von Diez, Berlin
1815), und der uns hier interessierende, vielfach eben
falls weitschweifige „Mohit“, den Sìdi 'Ali Ende 1554
zu Ahmadäbad in Gugrät verfafst bezw. kompiliert hat.
Zwei Handschriften des Werkes sind bekannt: eine in
Wien (Ende 1558 in Amid nach einem dort vom Ver
fasser zurückgelassenen Original niedergeschrieben und
1832 durch Freiherrn Josef von Hammer-Purgstall in
Konstantinopel erworben), und eine in Neapel (1570
abgeschrieben). Vom Text sind bisher nur zwei, aller
dings in topographischer Hinsicht sehr wichtige Kapitel,
das IV. und VL, und ein Teil des VII. veröffentlicht
worden, und zwar 1894 durch Dr. Luigi Bonelli in
Rom. Lange vorher schon hatte Baron von Hammer-
Purgstall mehrere Kapitel des Mohit ins Englische über
tragen (im „Journal of the Asiatic Society of Bengal“,
Jahrgang 1834, S. 545; 1836, S. 441; 1837, S. 805 und
1838, S. 767); die in der Festschrift vorliegende
Bittneri sehe Übersetzung ist auf Anregung Toma-
scheks entstanden.
Der Mohit (oder Muhit, arab. == „Umfasser“, „Um
fassende^, -s]“, „umfassendes oder Sammelwerk“ u. s. w.)
ist eine Kompilation aus arabischen Pilotenbüchern und
astronomischen Segelanweisungen, die gröfstenteils aus
vorportugiesischer Zeit stammen, und giebt die gesam
ten, durch Überlieferung vererbten Erfahrungen
der persischen, arabischen und indischen See
leute in übersichtlicher und wohlgeordneter Fassung
wieder. Als ein seltenes, vielleicht einziges Denkmal
orientalischer Nautik der letzten mittelalterlichen Jahr
hunderte besitzt diese Kompilation unschätzbaren Wert,
und es liegt nahe, diesen Seespiegel mit ähnlichen
Leistungen der Portugiesen, z. B. dem Sammelwerke
Pimenteis, zu vergleichen. Für Tomaschek war die
Vergleichung der topographischen Angaben die Haupt
sache, und zu diesem Zwecke war die Versinnlichung
durch die der Festschrift beigegebenen Kartenbilder
unumgänglich nötig.
Die Quellen, aus denen Sidi 'Alì schöpft, hat er
sämtlich angegeben ; er unterscheidet dabei ältere und
neuere. Vom Inhalte der älteren (aus dem 14. und 15.
Jahrhundert) wufste er wohl nur durch die aus ihnen
in die neueren Werke übergegangene Tradition ; diese
neueren Quellen stammen aus dem Anfang des 16. Jahr
hunderts (am wichtigsten darunter verschiedene Schriften
des Sulaimän ben-Ahmad). Auch aus eigenem Wissen
hat Sìdi Ali manches hinzugefügt, z. B. über die Haupt
erzeugnisse der Länder, die Antipoden (d. h. die Ameri
kaner), wobei er namentlich der Strafse „Magalläniya“
gedenkt und sich auf die Aussagen eines portugiesischen
Renegaten beruft; auch spricht er über den Gebrauch
des Astrolabs und des Kompasses sowie über die Ver
änderlichkeit der Lage des Nordpols bezw. des Polar
sterns (hierüber nicht weniger als siebenmal!).
Der Inhalt des Mohit ist vom Verfasser in zehn
Hauptkapitel (bäb) eingeteilt, die in je fünf Abschnitte
zerfallen:
Kap. I: Orientierung; Messung des Himmelskreises,
der Sterndistanzen und Berechnung der Sternhöhen.
Kap. II: Chronologie; das Sonnen- und Mondjahr;
Reform der Zeitrechnung.
Kap. III: Kompafseinteilung.
Kap. IV: Verlauf der indischen Küste: 1. über dem
Winde (westlich vom Kap Comorin), 2. unter dem Winde
(östlich davon); 3. die direkten Kurse; 4. die Inseln
und Archipele des Indischen Meeres; 5. Exkurs über
die Neue Welt (dieses Kapitel bildet einen Teil der
Übersetzung Dr. Bittners).
Kap. V: Auf- und Untergang sowie die Benen
nungen der Kompafssterne (kürzlich von Dr. Bittner
in der „Zeitschrift des Oriental. Instit.“ der Wiener
Universität behandelt).
Kap. VI: Die Polhöhen aller namhaften Hafenorte
und Inseln im Bereich des Indischen Oceans, berechnet
in isba oder Fingerbreiten (Zollen) als Höhen der
Bärengestirne (w ursae minoris (Polarstern), ß und y
ursae minoris, und «, ß, y, 8 ursae maioris). Dieses
überaus wichtige isba -Kapitel hat Bittner gleichfalls
übersetzt; es bildet einen Hauptbestandteil der vor
liegenden Festschrift.
Kap. VII: Zusammenfassung der astronomischen Er
gebnisse; dazu kommen zwei wichtige Abschnitte,
worin die Entfernungen einiger Hafenorte unter
Zugrundelegung der Längeneinheit zäm enthalten sind;
auch diese liegen hier übersetzt vor.
Kap. VIII: Windlehre (betreffs der Monsune).
Kap. IX: Die Schiffswege (von v. Hamm er-P. in
seine Extraits aufgenommen und von Tomaschek mit
verwertet).
Kap. X: Die Hurikane oder Taifune (tüfän) und die
Kautionen bei deren Eintritt (ebenfalls von v. Hammer -P.
in seine Extraits aufgenommen).
Man sieht, der Inhalt des Mohit ist höchst reich
haltig; wir haben ein orientalisches Pilotenbuch oder
sailing directory vor uns, das alle Leistungen der
Vergangenheit weitaus überragt; nur einige ähnlich an
gelegte Schriftwerke abendländischer Herkunft, z. B. die
niederdeutschen Seespiegel der Hansastädte oder das
fürs Mittelmeerbecken so nützliche Werk Uzzanos
lassen sich dem Mohit an die Seite stellen. Der Mohit
bildet somit den organischen Übergang von den zumeist
nur sporadischen Ermittelungen sämtlicher vorausge
gangener Zeitperioden zu dem ausgebildeten Wissen der
Neuzeit und füllt so eine klaffende Lücke in unserem
Wissen über die grofse und wichtige indische Region
aus; reicht doch der Horizont dieses Seespiegels vom
Räs el-duäir (Kap an der ägyptisch-nubischen Küste
des Roten Meeres, 21° lat N) bis zur Delagoabai, von
Gidda (dem Hafenorte Mekkas) über alle Küstenstrecken
und Archipele bis Timörlaut und Korea! Eine durch
Jahrhunderte fortgesetzte Praxis, das gemeinsame Werk
persischer, arabischer und indischer Seeleute und Piloten
spiegelt sich in diesem Seespiegel wieder.
Was die orientalische Kartendarstellung be
trifft, so findet sich bei den älteren arabischen Geo
graphen selten ein Anlauf zur Bestimmung der
Küstenrichtung, und auf ihren Kartenbildern (z. B.
auf Edrisis Weltkarte von 1154) erscheinen nur das
Mittelmeer, das Rote Meer und der Persische Meerbusen
annähernd richtig wiedergegeben, während weiter in