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Dr. A. Bielenstein: Das lettische Wohnhaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
werden, um kleine Zwischenräume zu füllen, und eine
recht warme Wohnung war einfach hergestellt. Siehe
das lettische Yolksrätsel: Häring auf Häring, Seehund
fett dazwischen. Auflösung: Die Balken in der Wand
und das Moos dazwischen. (A. Bielenstein, 1000 lettische
Rätsel, übersetzt und erklärt. Mitau 1881, Nr. 77.)
In Pebalg (Livland) sah ich vor einem Menschenalter
6 bis 7 Fufs 'lange Holzscheite schräg von aufsen an die
Hauswände gelehnt, um diese gegen Witterungseinflüsse
zu schützen.
Das Innere der Stuhenwände hatte bis vor Kurzem
(und hat gröfstenteils noch jetzt) keine Verkleidung,
keinen Kalkbewurf, sondern zeigte die oft nur roh be
hauenen Wandbalken, welche durch den Rauch der
abends brennenden Perget (Kienspäne) schwärzlich be
rufst waren. In Lubahn (Livland) pflegte man bei Zu
rüstung häuslicher Festlichkeiten diese schwarzen Wände
abzuwaschen, wodurch sie freilich reiner, aber nicht
weifser wurden. Im Neu-Autzschen (Kurland) habe
ich in meiner Jugend hei Gelegenheit von Hochzeits
feiern die Stubenwände mit weifsen Bettlaken behängt
gesehen.
Die Oberlage der grofsen Stube zeigte dem Auge
die Streckbalken, über welchen nun schon Bretter lagen,
auf welchen eine Lehmschicht der Wärme des Wohn-
raumes diente. Unter den Streikbalken waren vielfach
Bretter befestigt (lett. plaukti, dim. plauktini), welche
in jener Zeit die oft noch fehlenden Schränke ersetzten
und. Raum für allerlei, oft zur Hand zu nehmende
Gegenstände, z. B. auch für Gesangbücher darboten.
Andere Regale befanden sich an den Wänden, oft in
sehr primitiver Form: zwei Pflöcke waren in eine Balken
ritze geschlagen und darauf ein Brett gelegt. Das eben
gegebene Bild der istaba entspricht den Zuständen in
der Mitte unseres Jahrhunderts. In ihren Anfängen
war die istaba einfacher.
Wenn Lautenbach in seiner Abhandlung über
den lettischen Dialekt an der mittleren Abau (Kurl.), in
den „Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Spr.“
XIII, S. 291, das Wort schistaba neben ötseta aufführt,
als die Bezeichnungen zweier nebeneinander liegender
Gesinde, Bauerhöfe, die in der Autzschen Gegend pusche-
neeki, Hälftner, genannt zu werden pflegten, so ist der
Sinn jener Bezeichnungen klar: schistaba ist schi istaba
= diese Stube, diese Wohnung und nun auch dieses
Gesinde. Dieselbe Erweiterung des Begriffes finden wir
hei mäja, Haus, Heimstätte, und sodann namentlich im
PI. mäjas, Gesinde, Bauerhof. Die Pluralform dürfte
auf die Mehrheit der Gebäude im Bauerhof deuten. Das
andere Wort, ötseta, müfste genauer lauten ötr (a)
seta = das andere Gehöft, der andere Bauerhof. Diese
beiden Wörter können nur in ganz singulärem Gebrauch
eine Geltung haben, im Munde eben nur des Bewohners
des einen Gehöftes, wenn er von dem einen, seinem und
den anderen benachbarten in wechselseitigem Gegen
sätze spricht. Über das Wesen und die Art der istaba
schlechthin an sich läfst sich aus diesen Bezeichnungen
nichts entnehmen.
A. Bezzenberger hat bei Litauern nachgewiesen,
dafs sie eine stuba als separiertes kleines Gebäude mit
Kachelofen, eine bessere Gaststube, abgesondert von dem
alten rauchigen namas gehabt haben oder noch haben.
Bei den Letten ist mir bisher ein solches besonderes
Häuschen, eine istaba, die nicht an den nams angefügt
wäre, nicht bekannt geworden.
Ehe wir auf die weiteren Anbauten von Kammern
an istaba und nams kommen, führe ich ein Zeugnis
aus dem Volksliede dafür an, dafs es eine Zeit gegeben
hat, wo der Lette ein zweiteiliges Haus, den nams mit
der istaba, aber keine unmittelbar daran gebaute Kam
mern gehabt hat.
Warum, Knechtclien, nahmst Du ein Weib?
Weder hast Du einen nams, noch eine istaba;
Deinen nams, Deine istaba
Wiegt der Wind noch im Walde
(d. h. die Balken zu Deinem Hause stehen noch ungehauen
im Walde).
Und ferner:
0 Windau, o Abau!
Hilf die Balken herabflöfsen, —
In diesem Jahr den nams zu bauen,
Im folgenden die istaba.
Fig. 1 zeigt den Rifs eines zweiteiligen Hauses, wo
nams und istaba ungefähr gleich grofs sind. Die Gröfsen-
verhältnisse haben sehr mannigfaltig gewechselt und
können deshalb füglich nicht in Mafs und Zahl ange
geben werden. Beispielsweise führe ich Wohnhaus
breiten von 22 und 27 Fufs an. Die Wohnhaushöhe bis
zu den Streckbalken dürfte meist 7 Fufs betragen. In
älteren Zeiten ist der Flurraum (a) mit der Kochstelle ( d )
gröfser und die Wohnstube ( b ) mit dem Backofen (c)
kleiner gewesen. Allmählich ist die Wohnstube gröfser
geworden und über den Flächenraum des Flurs weit
hinaus gewachsen, wie es ja natürlich war, da der Flur
aufhörte, selbst Wohnung zu sein und ausschliefslich
zum Kochraum und „Vorhaus“ herabsank.
Als seit der Mitte dieses Jahrhunderts die Bauern
wirte auf hörten, Fröhner ihrer Gutsherren zu sein, und
statt der Frohne anfingen, eine Geldpacht für ihr Ge
sinde zu zahlen, oder gar bald durch Kauf Eigentümer
ihrer Gesinde zu werden, trennte sich sehr rasch diese
sociale Schicht der Bauernwirte von der der Knechte,
und die Familie des Wirts schied aus der allgemeinen
Wohnung, indem an die gemeinsame Wohnstube (let
tische istaba) mindestens eine oder zwei Kammern
(lettische kambari) angebaut wurden [siehe Fig. 3 ( e)
und Fig. 7 (ee)]. Diese bekamen Kachelöfen und hier
wohnte der Wirt mit den Seinen, zuerst noch auf Estrich-
fufsboden, bald aber auf Bretterdiele mit besseren
Möbeln und mehr Komfort. Die Gesindestube für die
Dienstleute blieb noch wie sie war, bis neuerdings auch
die Knechtswohnungen Bretterdiele zu bekommen an
fangen.
Auf der anderen Seite des nams gab es schon da
mals in der Regel Kammern [siehe Fig. 2 ( g ), Fig. 3
(//) und Fig. 7 (//)], die gewöhnlich noch ohne Ofen
als Handkammern, als Ablegekammern dienten. Wir
kommen hiermit zu dem dreiteiligen Hause, welches
1 . aus dem nams, 2 . aus der istaba, die später durch
Wirtskammern erweitert wurde, 3. aus Wirtschafts
räumen verschiedener Art auf der anderen Seite des
nams bestand. Von den kalten Kammern ist die eine
oder andere auch mit einem Ofen versehen und zu einer
Wohnung gebraucht worden für die aufs Altenteil redu
zierten Wirtseltern, oder auch für Mietsleute. Solche
Mietsleute waren entweder Handwerker für die Bedürf
nisse des Landvolkes oder auch wohl einmal „Lostreiber“,
waleneeki, Leute, die in keinem Dienstverhältnisse zum
Wirt auf Jahreslohn standen, sondern demselben für
die Wohnung und Beheizung und ein Stückchen Garten
land, vielleicht auch für Durchwinterung einer Kuh,
eine Anzahl von Wochen im Sommer während der
scharfen Arbeitszeit Hülfe leisteten. An manchen Orten
ist dieses Hausende auch als Raum für Kleinvieh be
nutzt worden, zu schweigen von den Fällen, wo an
dieser Stelle einst eine Getreidedarre (rija) nebst Ge
treidescheune sich befand. Diese Vereinigung von
Wohn- und Dreschräumen kann hier nicht besprochen