Globus.
Zllustrirte Zeitschrist für Länder- und Völkerkunde.
Chronik der Reise» und Geographische Zeitung.
Herausgegebeil von
*
Karl Andree.
(HtTa )
Hildburqhausen.
Verlag vom Bibliographischen Institut.
1862.
H
Vorwort.
Im Sommer des vorigen Jahres schloß Herr Hermann I. Meyer einen Vertrag mit einer pariser
Verlagsbuchhandlung, demgemäß er für Deutschland das Eigenthumsrecht von Illustrationen erworben
hat, welche die Zeitschrist „Le Tour du Monde, nonveau journal des voyages" mittheilt.
Mein Freund hegte anfangs den Plan, eine Zeitschrist etwa nach dem Muster der genannten
herauszugeben, und ersuchte mich, die Leitung derselben zu übernehmen. Ich entwickelte ihm mündlich
meine Ansichten. Wir haben, sagte ich, werthvolle geographische Zeitschristen für Gelehrte und Männer
von Fach, zum Beispiel jene für allgemeine Erdkunde in Berlin; die „Geographischen Mittheilungen",
welche in Gotha erscheinen, liefern viele Karten, und das „Ausland", von Oscar Pefchel vortrefflich
redigirt, ist eine Fundgrube interessanter Mittheilungen sehr mannigfaltiger Art. Darin pflichte ich
Ihnen bei, daß, abgesehen von den Karten, welche uns nur das äußere Bild der Erde und ihrer
Theile vorführen, bildliche Darstellungen und Erläuterungen ungemein ersprießlich seien gerade in einer
Zeitschrift, welche Geographie und Völkerkunde behandelt. Sie sind geeignet, das Natur- und Völker-
leben uns sinnlich nahe zu rücken, sie vermitteln eine klare Anschauung vieler Gegenstände, welche sich
vermöge der Schrift nur andeutungsweise schildern lassen; der Text ergänzt die Bilder und diese
ergänzen jenen. In anderen Zweigen der Wissenschaft hat man auch längst diesen Nutzen erkannt, und
ist demgemäß verfahren. Aehnliches sollte für die Geographie geschehen. Die pariser Zeitschrift enthält
manche gediegene Arbeiten, aber für Deutschland müssen Sie kein bloßes Journal der Land- und See-
reisen herausgeben. Erweitern Sie den Plan, geben Sie eine Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde
heraus, setzen Sie meinetwegen hinzu: „Chronik der Reisen und Geographische Zeitung" und nennen
Sie das Ganze Globus.
Wir besprachen dann den Gegenstand ausführlich und eingehend, und als Ergebniß liegt dem
Leser der erste Band des Globus vor. Daß derselbe keine gelehrte Zeitschrift sein sollte, verstand sich
eben so sehr von selbst, als daß er die wissenschaftliche Unterlage streng festhält, auf geschmackvolle
Darstellung Werth legt und auf Mannigfaltigkeit der Mittheilungen Rücksicht nimmt. Es kam darauf
an, der Wissenschaft neue Freunde im Kreise des gebildeten Publicums zu gewinnen, deren Theilnahme
für die Länder- und Völkerkunde anzuregen und wach zu halten. Deswegen steckte der Globus sich
kein enges Ziel, sondern wir greifen mitten hinein in's frische, volle Leben der Völker. Uns liegt auch
daran, wichtige Begebenheiten und Ereignisse der Gegenwart von einem Standpunkte aus zu erläutern,
der bei Behandlung der Tagespolitik zumeist unberücksichtigt bleibt, ich meine den geographischen und
insbesondere den ethnologischen. Gerade die Völkerkunde giebt wichtige Fingerzeige zur richtigen
Beurtheilung geschichtlicher und politischer Erscheinungen. Sie zeigt, daß die großen Unterschiede und
Abweichungen, welche in leiblicher, geistiger und sittlicher Beziehung bei den verschiedenen großen
Menschenfamilien hervortreten und welche durch den ganzen Verlauf der Geschichte und durch anthro-
pologijche Beobachtungen sich als Unbestreitbar ergeben, nicht etwa als Eonsequenzen des Zufalls oder
äußerer Umstände sich herausstellen; sie sind Erzeugnisse der Völkerpsychologie.
IV
Die großen Menschenfamilien haben sehr verschiedene Eulturwerthe; man kann nicht an
alle ein und denselben Maaßstab anlegen, kommt mit allgemeinen Heischesätzen nicht aus und wird
am Ende zugeben müssen, daß es höher und tiefer organisirte Racen giebt, Urstämme von sehr ver-
schiedenen Anlagen und immanenten Instincten, welche die Civilisation nicht beseitigen kann. Diese
vermag nicht die Naturanlage, welche vom Schöpser selbst gegeben wurde, von Grund aus zu ändern,
sie kann dieselben höchstens durch Cultureinflüsse bis zu einem gewissen Punkte modificiren. Zur Auf-
klärung über diese Verhältnisse soll der Globus nach Kräften beitragen, und von diesem Standpunkte
aus das Staatenleben aufmerksam verfolgen.
Wir einigten uns über den Plan. Bei der Ausführung sahen wir uns, soweit die bildlichen
Darstellungen in Frage kamen, zunächst vorzugsweise aus die Benutzung von pariser Illustrationen
angewiesen, doch brachten wir schon in der zweiten Nummer auch deutsche Illustrationen, deren Zahl im
Fortgange der Zeit sich mehr und mehr steigern wird. Auch wollen wir es an Karten nicht fehlen lassen.
Die Theilnahme, welche der Globus von vorne herein fand, war höchst erfreulich. Vor sechs
Monaten trat er in's Dasein und gegenwärtig beträgt die Auflage viertausend Exemplare. Darin liegt
ein Antrieb mehr, nach besten Kräften weiter fortzuschreiten. Der Kreis der Schriftsteller und Künstler,
welche dieser Zeitschrift ihre Mitwirkung zuwenden, erweitert sich; davon werden die Leser im Fortgange
des Unternehmens die Beweise erhalten.
Nur auf dringenden Wunsch meines geehrten Freundes, Herrn Herrmann Meyer, trete ich mit
meinem Namen als Herausgeber des Globus auf; die Zeitschrift, deren seitheriger Inhalt zum großen
Theil aus meiner Feder geflossen und bereit Redaction von mir besorgt worden ist, hat ja ohnehin sich
rasch Bahn gebrochen und macht ihren Weg. Mir liegt sie allerdings sehr am Herzen; ich arbeite an
ihr, trotzdem meine Zeit anderweit in nicht geringem Maß in Anspruch genommen wird, mit Lust und
Vergnügen, und es macht mir eine wahre Freude, daß ich dazu beitragen kann, der Wissenschaft
der Länder- und Völkerkunde, die für alle Lebensverhältnisse von so hervorragender Bedeutung ist, in
immer weiteren Kressen Freunde zu gewinnen.
Leipzig, im Februar 1862.
Dr. Karl Andrer,
Consul der Republik Chile; correspond, Mitglied der kais. königl. geographischen Gesellschaft zu Wien;
der naturforschenden Gesellschaft in der Wetterau; der Tael en letter kundig Genootschap zu Brüssel;
der Ethnological society in Neuyork; der Sociedad de los arnigos de la historia natural del Rio de
la Plata zu Buenos Ayres; der Historical society zu Neuyork; Mitglied der deutschen morgenläudischen
Gesellschaft; Ehrenmitglied der ökonomischen Gesellschaft für das Königreich Sachsen zu Dresden.
Inhaltsverzeichnis.
Nr. 1.
Nor zehn Jahren in Californien und Oregon.....
Eine Wanderung in Australien.........
Aus China................
Pascals Wanderung durch das Goldland Bambuk . . .
Das Kapitelhaus der Christusritter zu Thomar . . . .
Nene Nachrichten über Livingstone und die Missionäre iu
Jnnerafrika...............
Beichte in einem Kloster auf dem Athos ......
Grenzpfähle zwischen Rußland und Chiua .....
Erdbeben . :.............
Baläniceps Rex..............
Kleine Nachrichten: Dampferlinienzwischen Europaund
S!ordamerika. — Leguug des unterseeischen Telegraphen-
taues zwischen Malta und Tripolis. — Mirza Dschasfer
Chan in London. — Ein Schwarzer vom Senegal in Paris.
Nr. 2.
1
11
16
19
23
26
27
29
30
31
32
33
Schilderungen aus Persien...........
Paul Du Chaillu's Forschungsreisen und Abenteuer in West-
afrika.................43
Wie steht es mit dem Suez-Kanal?........52
Eiu Zahltag bei den Indianern in Wisconsin.....55
Das Kapitelhaus der Christusritter iu Thomar .... 56
Die Schlangen in Südost-Australieu ....... 58
Die angebliche Wasserverbindung zwischen dem schwarzen
Meere und dem kaspischeu See.........59
Ein Schiff im Eise des südlichen Polarmeeres.....60
Die deutsche Sprache in Nordamerika.......6l
Das Betragen der Russen und Engländer in China . . . 62
Kleine Nachrichten: Die Franzosen in Ostasien. —Die
Volksmenge in England. — Seltene Thiere ans Siain. —
Unterseeische Telegraphen. — Karawanen ans der Sahara
in Algier. — Eine Kreuzfahrt nach der Behringsstraße. —
-s- Ä^ac Douall Stnart's Reisen in Australien. — Die
nordamerikanische Blciregion. — Neuseeland. — Tibet.
— Sklavenschiffe. — Welches ist der höchste, vom Menschen
bewohnte Punkt ans der Erde? — Amurland. — Wag-
stück des Hanpmauus Pelly. — &t. Etienne . . . 63-
Nr. 3.
Ein Ausflug nach Norwegen..........
Nen-Caledonien im Großen Oceau ........
Aus deu Erinnerungen eines australischen Waidmannes.
Jagd auf Kängern's und Fasanen . ......
Die neuen Entdeckungsreisen in Afrika. I. In Centralafrika
nnd in? Westen..............
England und die indische Baumwolle.......
Reisen iu Japan............. .
Lafargue's Bemerkungen über die Länder am obern Nil .
Kleine Nachrichten: Der französische Reisende Lejean. —
Dnveyrier. — Richard Burton. — Der amerikanische Mis-
sionar Bert. — Livingstone und die Atakololo. — Die
chinesisch-tibetanische Expedition. — Diene englische Expedi-
tionen nach Jnuer-Asien. — Graf d'Escayrac de Lauture.
— Landenge von Danen. — Der Naturforscher Fordes.
— Erforschung von Labrador — Lady Franklin. — Die
Ersteigung des Monte Biso. — Die neueste australische
Expedition. — Bienenzucht in Frankreich. — Die Volks-
menge im britischen Reiche. — Armnth in England. —
®tc Bevölkerung in Bosnien. — Dampfschiffahrt. — Der
Eisenbahntunnel durch den Äliout Ceuis. — Der Archi-
pelagus der Solomons-Inseln. — Telegraphen in Ost-
asien. ^ Eine chinesische Fremdenlegion. — Eisenbahnen
in Ostindien. Raubthiere in Indien. — Der Sklaven-
handel au der westafrikanischen Küste. — Kupfergewinnung
in Californien. Die Bevölkerung in den Staaten Iowa
nnd Wisconsin. — Die Mormonen am Großen Salzsee.—
Nicaragua. — Die Inseln iu der Bay von Honduras. —
Bolivia. — Die Stadt Kingston auf Jamaica . . . 93—93 1
-(Ji
65
76
87
90
91
92
Nr. 4. . .
/■)!•*♦ 71 * Seite
Streifzüge in Norwegen ............97
Die neuen Entdeckungsreisen in Afrika. II. Im Osten . 107
Der Hafen und das Korallenriff von Pernambnco . - HO
Die Guanoinsel Jchaboe ...........1J2
Die Seeräuber in den östlichen Meeren . ......H4
Eine Königswahl am Gabunstrom in Westafrika . . . . 115
Eine Reise durch die westliche Sahara.......H6
Der Stamm der Beni Mezab in Nordafrika.....117
Die Völker am Gabun............119
Der Streit über den Gorilla nnd Du Chaillu .... 121
Ein Neujahrstag zu Jeddo iu Japan ..... . 122
Der Handel Europa's mit Chiua.........123
Znr Statistik der Banmwollenindustrie.......124
Die Londoner Ausstellung von 1862 und die Kolonien . - 124
Die italienische Gewerbeansstelluug in Florenz .... 124
Der uestbauende Affe, Nfchiego Mbnwe.......125
Die Wanderungen der Häringe.........125
Kleine Nachrichten: Rußland nndChina. — Die Suliua-
Mündung und der Handel der untern Donau. — Versan-
dung an den Münduugeu des Don nnd der Wolga. —
Europäische Ansiedler im Pendschab. — Eisenbahnen in
Indien. — Dampsslotille auf dem Judus. — Die Eiseu-
bahn von Smyrna nach Ephesns. — Telegraph nach Al-
gerien. — Das Telegraphentau von Bengasi bis Alexan-
dria. — Die Zustände im Innern von Mexico. — Gold-
entdecknngeu in Neu-Schottland. — Die Insel Sombrero.
— Das Telegraphenamt in Neu-Iork .... 127—128
Nr. 3.
Ein Aufenthalt iu Tripolis...........129
Mougkut, Köuig vou Siam...........140
Hermann Allmers über die Marschen der Weser nnd Elbe. 1. 145
Eine polnische Landkarte........... . 151
Ein Steppenbild . ............153
Der „unbekannte" Westen in Nordamerika......155
Erd- und Seebeben ...»........ .156
Zur Statistik der Schiffbrüche..........» 156
Die Bafchikuay-Ameife............157
Fischwanderungen in Südamerika ........157
KleineNach richten: Die Goldentdeckungen in Nenschott-
land. —Aus Westindien. — Volksmenge von Jamaica.—
Aus den audamanischeu Inseln. — Aus der Kapkolouie. —
Der Hafen Lagos an der afrikanischen Sklavenkiiste. —
Englische Beamten iu China. — Die Chinesen in Austra-
lien. — Queensland. — Protestantische Missionare iu
China. — Bankerotte in Nordamerika. — Flüchtige Skla-
ven. — Ein Clipperschiff. — Französische Civilisation. —
Gesundheitszustand in Manchester. — Strauße in Europa
ausgebrütet.............158—160
Nr. (>.
In Sibirien bei den Jakuten und Tungnsen.......161
Sklaven uud Sklavenhalter in Nordamerika.....167
Die Stadt Oporto am Donro....... . . . 171
Ein Eiugeboruer der andamanischen Inseln.....177
König Peppcl, Herrscher von Bouuy im Nigerdelta . . . 178
Eine Signare zu St. Louis am Senegal......179
Die Expedition auf dem obern Jang tse kiang in das Innere
von Chiua...............179
Das Emporblühen Californiens.........183
Dr. Hayes und das offene Polarmeer........184
Thee und Theehandel in Rußland.........185
Ein Schiffbruch au der Westküste von Australien . . . 187
Geisterklopferei in den Vereinigten Staaten.....187
Eine türkische Aenßerung............188
Stand der Gesittung in Irland........ . 188
Kleine Nachrichten: Friedrich Gerstäcker. — Friedrich
Gerstäcker über die Tyroler am Pozozn in Peru. — Adolf
Schlagiutweit's Tagebücher siud gerettet. — Eiue Expedi-
VI
tton nach Spitzbergen, — Livingstone. — Japan und die
europäischen Seemächte. — Die Russen im nordöstlichen
Asten. — Indische Baumwolle. — Hieu-suug, Kaiser von
China. — Der Vulkan bei Ai5. —"Britisch Cafraria. —
Die Postverbindung mit der Westküste von Afrika. — Der
Archipelagus der Salomons-Jnselu. — Die Sträflinge in
Westaustralien. —Zur Gesellschaftsstatistik in Australien.—
Die Münzstätten und Münzen in den Vereinigten Staa-
ten. — Gold und Kohlen. — Die Oelquellen in den Ver-
einigten Staaten uud Cauada. — Sau Francisco. — Der
Handel von Peru. — Walfischfang. — Ein neuer Punkt für
den Stockfischfang. — Die Ausgrabungen von cyrenaischen
Alterthümern.—Die russische Handels- und Schisffahrts-
gesellfchast. — Odessa. — Griechenland. — Lübeck . 188—192
Nr. 7.
Die Länder am Senegal und ihre Eroberung durch die
Franzosen....................193
Thessalonich in Macedonien ..........205
Ein Winter in St. Petersburg .........208
Hermann Allmers über die Marschen der Weser und Elbe. II. 214
Ein Bild aus den Llauos in Venezuela.......218
Ein blutiges Drama in der Südsee........219
Die Chinesen in ihrer bürgerlichen Stellung zu den Euro-
päern.................220
Die chinesische Stadt Tsche fu in der Provinz Schan tung . 221
Ein neuer Gott in Indien...........222
Kleine Nachrichten: Die angebliche Wasserverbindung
zwischen dem Schwarzen Meer und dem kaspischen See.
— Eisenbahnen in Indien. — Australien. — Der unter-
seeische Telegraph von Malta nach Alexandria. — Die
Telegraphenverbiuduug zwischen den beiden Weltmeeren.—
Zeitbestimmung, von Neu-Iork aus berechnet. — Meeres-
strömungen. — Westküste vou Afrika. — Die Dahlak-Jufeln
im Rothen Meere. — Bergbau in Preußen. — Polnisch
redende Bevölkerung in Preußen. — Aus Japan. — Zopf
und Knopf.............. 223—224
Nr. 8.
Ein Besuch in Rio de Janeiro..........225
Schilderungen ans deu La Plata-Staaten......233
Die Prairieseuer in Nordamerika.........240
Die Perlenfischerei bei den Dahlak-Inseln in dem Rothen
Meere.................241
Die Goldentdeckungen auf Neu-Seeland.......243
Bauern im badischen Schwarzwalde........243
Die Marschbewohner an Weser und Elbe......245
Ein Indianer und Indianerinnen am Rio Colorado . . . 246
Ein Brief Livingstone's............247
Die Reisen des Doctor Peney ans dem obern Nil .... 247
Torell's Expedition nach Spitzbergen .......249
Eine Besteigung des Vulkans Demavend in Persien . . . 250
Kleine Nachrichten: Doctor Peney am obern Nil gestor-
ben. — Die Niger-Expedition. — Das Innere der großen
Landschaft Guyana. — Eine Expedition nach Cearö,. —
I M. Stuart, der australische Entdcckungsreisende. —
Noch mehr Gold in Amerika. — Das Erdbeben in Men-
doza. — Die Oelquellen im westlichen Pennsylvanien. —
Massenarmnth in der Stadt Neu-Jork. — Armuth in
England. — Volksmenge in Canada. — Australien. —
Die Anzahl der Erdbewohner. — Der Postverkehr in Eng-
land. — Paraguay. — Ein Nachtbild aus Afrika. — West-
kiiste von Afrika. — Die englischen Antillen. — Die
Turner in Cincinnati und die freien Farbigen. — Heiligen-
fest in Peru. — Jos6 Maria el Rastrero. — Der Nach-
komme des großen Mogul. — Eine tamulische Druckerei.
— Anarchie im westlichen China. — Der Gorilla und
Hanno's Seereise jenseit der Säulen des Herknles. —
Alterthümer in Kleinasien........ 252—256
Nr. 9.
Gefangenschaft und Abenteuer bei den Patagouiern. I. . . 257
Die Urbewohner Australiens..........267
Die Playa von Granada. Von Jnlins Fröbel. . . . 271
Ein Besuch in der Grotte von Antiparos......272
Annehmlichkeiten einer Postreise in der Wüste.....275
Der Ausbruch des Vesuv...........276
Die constitutionelle Verfassung des Königreichs Tunis . . 278
Frauentrachten im Elsaß .......... . 279
Zwei Bauwerke in Portugal..........282
Eiu Schissskanal durch die Landenge von Danen .... 283
Kleine Nachrichten: Reisen in Afrika. — KarlAndersfon.
— Blondhaarige Bewohner im Atlasgebirge. — Ausbeute
der schwedischen Expedition nach Spitzbergen. — See-
fahrten der Japaner. — Der neue Kaiser vou China. —
Der König von Barma. — Eine Sternwarte auf dem Berge
Ararat. — Ein Winter in Texas- — Pfahlbauten in der
Schweiz. — Die Oelquellen in Nordamerika. — Die Gold-
gruben in Nen-Schottland. — Volksmenge von Belgien
und der Hauptstadt Brüssel. — Telegraphen- und Eisen-
bahnläugeu auf der Erde. — Der Weinbau in Algerien.
— Eine Zigeunerkönigin. — Die Neger und Weißen in
Nordamerika. — Nordamerikanische Complimente. — Ty-
rannei der Missionäre in der Südsee. — Missionäre bei
den Znlukassern. — Aus dem Pendschab in Ober-Indien.
— Strafe für einen Verbrecher in China. — Zur Sitten-
geschichte Italiens. — Die geographische Verbreituug des
Schneehasen. — Ein Urwald in Victoria, Südaustra-
lien................ 283—288
Nr. 10.
Gefangenschaft und Abenteuer bei den Patagoniern. II. . 289
Die nordamerikanischen Verhältnisse. Von Karl Andree.
Erster Artikel .'.............298
Volksleben in Neapel. 1............302
Kapitän Richard Burton bei den Mormonen in der Stadt
am Großeu Salzsee............310
Schlangenbeschwörer in Marokko.........313
Unsere schwarzen Brüder............314
Ein Wald aus den andamanischen Inseln......316
Die Forschungsreise von Burke und Wills in Australien von
Melbourne im Süden bis nach dem Carpentariabusen
im Norden............. . . 318
Kleine Nachrichten: Die australische Kolonie Victoria
auf der Londoner Ausstellung von 1862. — Erzeugnisse
der sklavenhaltenden Staaten in Nordamerika — Ein Cha-
rakterzug aus dem Leben der Araber. — Die Lachlau-
Goldfelder in Neu-Südwaleö. — Das Schloß Penha de
Cintra und das Schloß von Gnimaraens in Portugal 318—320
Nr. 11.
Volksleben in Neapel. II............321
Die nordamerikanischen Verhältnisse. Von Karl Andree.
Zweiter Artikel..............332
Sir James Brooke, Radscha vonSarawak, nnd die See-
räuber im indischen Archipelagus. I. .......335
Die australische Expedition von Burke und Wills .... 340
Aus Consnl Petherick's Reisen in Aegypten, im Sudan und
Centralafrika ..............344
Das Münster in Straßburg . . ........347
Kleine Nachrichten: Die Expedition des Herrn von
Heugliu. — Baron Karl von der Decken und der Schnee-
berq Kilimandscharo im östlichen Aequatorial-Afrika. —
Die Andamanen. — Australien. — Die südaustralische Er-
forschuugsexpeditiou unter M'Kiulay..... 350—352
Nr. 12.
Eine Eilfahrt durch den Kaukasus ........354
Die nordamerikanischen Verhältnisse. Vvn Karl Andree.
Dritter Artikel ... .... ..... 360
Sir James Brooke, Radscha VonSarawak, und die See-
räuber im indischen Archipelagus. II.......364
Jni brasilianischen Urwalde....... ... . 367
Die Probleme am oberu Nil. Das Land Kassa und der God-
schob. Debouo's Fahrt auf dem Sobat. Brun Rollet
in Bellenia und Gondokoro .........372
Im Rothen Meer und im östlichen Sndan ...... 376
Ein Blick auf Madagaskar...........380
Belem in Portugal...... ......381
Kleine Nachrichten: Gregory's Relje in Westaustralien.
— Reisen in Afrika. — Den Ursitz der Sklavenverschiffung
über See. — Eine Eigentümlichkeit bei den Frauen in
Nbet. — Robert Fortune. — Auf der Insel Rhodus. —
Räuber in den Goldfeldern von Neuseeland. — Der rus-
sische Telegraph nach Sibirien. — Steinkohlenhandel Eng-
lands im Jahre 1861...... ... 383—384
» -
Verzeichnis der Illustrationen.
Zu Nr. 1.
Indianische Gerichtssitzung......... . .
Grass Valley in Californien...........
Ein Claim in den californischen Goldgegenden.....
Die Riesenceder in Californien . . . . .....
Eine Schlucht im Wahsatsch-Gebirge........
Ein Jäger in Californien............
Der Gefangene am Kriegspfahl..........
Der Murraystrom bei Hochwasser.........
Ein australischer Squatter ..........
Schwarze am obern Senegal.......... .
Fischer anf dem Senegal............
Die Feln-Wasserfälle im Senegal.........
Springflut!) bei Rufisque............
Das Kapitelhaus zu Thomar...........
Die Beichte auf dem Athos...........
Russische und Chinesische Gränzsänlen in Ostasien . . . .
Zu Nr. 2.
Das Thor Schah-Abdulazim's iu Teheran......
Vorstadt von Teheran.............
In einem Hofranme in Teheran..........
Persische Physiognomien............
Persien .................
Perserinnen im Franengemach..........
Du Chaillu bei den Fan's ...........
Ndiayi, König der Fan-Kannibalen ......
Der Gorilla........*........
Marktplatz in Suez..............
Portal der Kirche des Äapitelhanses zu Thomar iu Portugal.
Fenster im Kapitelhause zu Thomar iu Portugal . . . .
Ein Schiff im Polareise............
Zu Nr. 3.
Norwegische Bauerntrachten am Hardanger Fjord . , .
Krageröe.................
Karl der Fünfzehnte als Kronprinz ........
Zu Christiansand..............
Das Krankenhaus iu Christiansaud.........
Norwegisches Karriol.............
Stadtwehr in Stavanger............
Ein Abkömmling der altnordischen Seekönige . . . • •
Frauen von Rosendal.............
Iu Ullersvang, am Bord des Bidar........
Fischmarkt in Bergen.............
Norwegische Gebirgspfade . . ........
Em Weg im Gebirge.............
Fjord von Framnäs ...........
Äuche von Vangsnäs.............
Eine Ansiedelung aus Neu-Caledouieu........
Port de France auf Neu-Caledouieu........
Eingeborene auf Neu-Caledonien.........
Jagd auf Kängern's^
Jagd auf den Leierschwanz . ' ' ^
Der Leierschwanz............
Kartenskizze von Afrika ..........
1
2
4
5
8
9
12
13
15
19
-20
21
24
25
•28
29
33
36
37
40
41
42
44
45
48
53
56
57
60
65
66
67
68
68
69
70
70
70
71
72
73
74
75
76
77
80
81
84
85
86
88
Zu Nr. 4.
r, I
Fjord von Veblungsnaeset
Marie aus Opthun . .
Wasserfall bei Opthuu
97
98
99
Die Horuntinderne.............100
Die Kirche in Lomb........................101
Knabe und Mädchen in Lauergaard........102
Mädchen in Christiansund...........103
In Romsdalen...............104
Im Lager bei Sjordalen............105
Norwegische Schützen.............106
Hafen von Pernambuco............111
Eiu Marabu in Adrar............117
Ein Trarza-Manre mit seiner Frau........118
Almamy Umar...............120
Zu Nr. 5.
Tanz der Neger zu Esseribe bei Tripolis.......129
Tripolis, vou der Nordseite gesehen........130
Citadelle von Tripolis............131
Tripolis, von der Landseite her gesehen............132
Die Tadschnra-Moschee ............133
Das Innere eines Hauses in Tripolis.......134
Die Konsulatstraße ..............135
Nomadenzelt der Ben Ulid...........136
Tripolis.................137
Tripolitanische Gärtner............1^8
Bewässerungsbrunnen............139
Mongknt, König von Siam ..........141
Ein Siamesischer Prinz............142
Ein Siamesischer Mandarin ...........143
Tempel mit den Graburnen der Könige von Siam . . . 144
Zu Nr. 6.
Eine tnngnsische Zauberfrau .........161
Eilbote und Fuhrwesen in Sibirien ........162
Der Bazar von Nertschinsk...........163
Ein Sommerdorf der Jakuten..........164
Ein Jakut auf dem Schlitten..........165
Jurten der Tuuguseu.............165
Das sibirische Argali .............166
Rua nova dos Juglezes iu Oporto........171
Fischhändler in Oporto............172
Eine Gruppe von Portugiesen..........173
Börse in Oporto..............174
Oporto am Douro .............176
Ein Urbewohner der andamauischeu Inseln .....177
Signare und Negerin zu St. Louis am Senegal .... 180
Signare und Dienerinnen...........181
Zu Nr. 7.
Ein Hofraum in Goree............193
Baobab, Adansonia digitata...........194
Ein Lager der Mauren am Senegal........195
Marktplatz in Goree.............196
Häuptling der Walofs.............197
Fort Lampsar am Senegal...........198
Karte von Senegambien............199
Walofs und Peuls am untern Senegal.......200
Schutz gegen die Mücken am untern Senegal ..... 201
St. Louis am Senegal............204
Ein Jude in Thessalonich...........205
Eine Jüdin in Thessalonich ...........206
Moschee in Thessalonich............207
VIII
Schlitten in St. Petersburg...........208
Eistransport in St. Petersburg.........209
Ein Traktir in St. Petersburg .........210
Vor einem Badhause an? Samstage........211
Jordann (Wassersegnung) in St. Petersburg.....212
Zu Nr. 8.
Musik am Bord des Dampfers.........225
Der Zuckerhut...............226
Negerinnen........*.......227
Weiß gekleidet...............227
Eine Frau von Stand in Rio..........228
Ein Palast-Schlüssel.............228
Schwarze Träger..........................229
Sappeurs der Nationalgarde..........229
Negerinnen................230
Ein Dienstmann..............230
Schwarzer Dienstmann............231
Stutzer.................231
Eine Versteigerung.............232
Schwarz gekleidet '..............232
Lastträger................232
Der Chasquis...............234
Jbarra's Schlachtopfer............236
Ein schwarzer Jaguar überfällt eine Judianerfamilie . . 237
Jaguar.................239
Landleute im badischen Oberlande.........244
Indianer und Indianerinnen am Rio Colorado .... 248
Der Demavend in Persien...........251
Zu Nr. 9.
Ein Reisender in den Pampas..........257
Ein Mazeppa-Ritt..............259
Patagonische Lagerstätte............260
Unter den Poyu-tsches............261
Kampf mit hungrigen Hunden..........263
Jagd auf Strauße und Guauacos ........264
Das Tschoeka-Spiel .............265
Karte: Die Pampas von Buenos Ayres und Patagonien . 266
Lagerstätte südaustralischer Eingeborener ...... 268
Australier aus der Kolonie Victoria, Südost-Australieu . . 269
Em Besuch in der Grotte von Antiparos......273
Grotte von Antiparos............274
Frauentrachten im Elsaß............280
Die Kirche unserer lieben Frau vom Oelzweig in Gnimaraens 281
Schloßthor von Penha da Cintra........■ 282
Waldlaudschast in Victoria, Süd-Australien.....285
Zu Nr. 10.
Ein festliches Wettrennen der Patagonier......291
Tanz der Patagonier.............292
Pferdsopfer................293
Der Nandu, südamerikanische Strauß.......295
Patagouisches Begräbniß............296
Die Flucht des Gefangenen...........297
Maccarouiverkäufer in Neapel..........304
Melonenverkäufer in Neapel......... . 305
Gemüseverkäufer in Neapel...........306
Bettlerinnen in der Toledostraße, Neapel......307
Ein Corricolo in Neapel............308
Wasserverkäufer..............309
Bäuerin................ . 309
Obst- und Essighändler...........309
Mssawa, Schlangenbeschwörer in Marokko......313
Waldregion auf Groß-Andaman.........317
Das königliche Schloß zu Cintra in Portugal.....318
Das alte Schloß in Guimaraeus, Portugal......320
Zu Nr. 11.
Der Schreiber für das Volk..............321
Das Morraspiel..............322
Wasserkarreu...............323
Tarantella................324
Kleidertrachten bei Neapel...........325
Ein Bürger aus der alten Zeit..........326
Ein Abbate................326
Neapolitanische Magd ............327
Hausmädchen...............327
Bettelmönche................328
Leichenbegängniß..............329
Siesta der Lazzaroui...........331
Sir James Brooke . . .........336
Radfcha Brooke's Wohnhaus auf Borneo......337
Ein Krieger der Dayaks . - .........339
Eine Ansiedelung in Südaustralien........341
Leiche eines Reisenden in Australien............343
In Straßburg..............347
Erwin von Steinbach's Denkmal.........348
Das Münster in Straßburg..........349
Theodor von Heuglitt.............350
Angriff der Andamaneseu auf eiucn Dampfer.....352
Zu Nr. 12.
Festung Ananur am Aragwi im Kaukasus ...... 353
Tschertowaia Dalina, Teufelsthal, im Kaukasus .... 355
Der Dariel-Engpaß im Kaukasus.........356
Eine Dschiguitowka in der kaukasischen Steppe.....357
Sion und Orsete im Kaukasus..........358
Abraham Lincoln, Präsident der uördlichen Uuiou ... 361
Die Sukuruhyu-Schlange...........367
Im Urwald . . ...............368
Auf dem «saguassu in Brasilien.........369
Wie man im Urwalde Skizzen zeichnet.......370
Wie man Skizzen zeichnet...........371
Stechmücken....................371
Bellenia, im Barylande, unweit vom obern Weißen Nil . 372
Aegyptische Niederlassung im Dar Fasogl......373
Gegend im Lande der Schelnks am Sobat......375
Uebergang über den Atbara..........377
Kassala.................378
Kosse'ir........................379
Suakiu.................379
Dschidda.................380
Portal der Marieukirche in Belein........382
Der Thurm von Belem bei Lissabon ........ 383
Vor zehn Jahren in Calisornien und Megon.
Die früheren Tage Calisornieus. — Die uordamerikauifcheu Abenteurer. — Fremout. — Gold und Goldgräber. — Leben und Treiben
in San Francisco. — Ein Claim. — Die Riesenbäume. — Ein Patriarch im Napathale. — Ein Ausflug uach Oregon. — Der Lachs-
lang. — Die Wurzelgräber. — Ausflüge nach Osten. — Am Kriegspfahl unter den Antah-Jndianern. — Aus einem Tagebuche. —
Calisornien spielt eine große Rolle in der Welt, nicht
nur weil es jährlich zwischen vierzig und fünfzig Millionen
Dollars Gold in den Handel liefert, sondern weil es durch
seine Weltlage und den Reichthnm seiner Hülssquellen den
Kern eines großen Reiches am Stillen Weltmeere bildeil
wird. Wie hat sich dort Alles binnen einem Jahrzehnt
geändert! Seit dreihundert Jahren kennt man diese Gestade,
vor kaum einem Jahrhundert ließen sich die ersten weißen
bald tauten nordamerikanische Abenteurer, namentlich Ge-
birgsjäger nnd Biberfänger von Osten her; aber sie wurden
von den Creolen als störende Eindringlinge betrachtet. Auch
die mexikanische Regierung hätte gern jene Anforderung
zurückgenommen; denn Calisornien zählte nur etwa sechs-
tausend weiße Einwohner neben sechsmal so viel Indianern,
und die amerikanischen Bärenschützen hatten angefangen, steh
in die inneren Zwistigkeiten zn mischen und für Californiens
Indianische (Gerichtssitzung-
Ansiedler dort nieder; Spanien sandte Missionäre und Sol-
daten, um die Glaubensboten zu schützen. Aber eine thätige
bürgerliche Bevölkerung fehlte; auch als das Land ein Ge-
biet des mexikanischen Staatenbundes wurde, kam kein
Schwung hinein, und was die Creolen etwa an Kraft be-
saßen, das vergeudeten sie in Aufständen und in politischem
Ränkespiel.
Bor etwa dreißig Jahren munterte die mexikanische
Regierung zur Einwanderung nach Calisornien auf, nnd
Glvbus 1861, Nr. 1-
Unabhängigkeit gegen Mexiko zu kämpfen. Diese ersten
Bahnbrecher und Schanzgräber zogen viele andere nach sich:
sie benahmen sich eben so barsch und hochfahrend wie ihre
von der See herkommenden Landsleute, die Walfischfahrer,
welche die Häsen besuchten, weil diese sichere Zuflucht und
Ersrischungspunkte darboten. Die Absperrung vom großen
Verkehr war von nun an ganz unmöglich; ein Gesetz, welches
allen Ausländern Zulaß verbot, wurde von diesen nicht
beachtet; sie blieben nnd kamen in wachsender Anzahl, und
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
siedelten sich auf fruchtbaren Strecken in dem menschen-
armen Land an. Der Gouverneur in Monterey ließ einmal
nahe an hundert Engländer und Nordamerikaner verhasten
und in Eisen legen; aber dadurch schreckte er die kühnen
Abenteurer nicht ab, sondern erbitterte sie im höchsten Grade.
Der Seehandel kam mehr und mehr in die Hand der unter-
nehmenden Fremden, amerikanische Kriegsfahrzeuge waren
seit 1842 alljährlich in den calisornischen Häfen erschienen;
von da an wurde auch der Zug über die Felseugebirge und
die Sierra Nevada immer stärker, und 1846 erschien der
berühmte Reisende I. C. Fremont. Der Gouverneur
wollte ihn und seine sechszig Gefährten ausweisen, aber als
Antwort wurde die nordamerikanische Flagge aufgezogen
und die Erklärung gegeben, daß man Widerstand leisten
werde. . Er sagte den Creolen den Krieg an, erklärte Cali-
unterlag; in allen fünf Erdtheilen bemächtigte sich vieler
Menschen eine fieberhafte Bewegung, und es begann eine
ungeheure Völkerwanderung. Binnen drei Jahren waren
mehr als dreimalhunderttaufend Menschen nach dem neuen
Dorado geströmt; Viele kamen von der Westküste Amerika's,
ans China und Australien; Andere umschifften das Kap
Horn; wieder Andere gingen über die Landenge von Pa-
nama; Taufende zogen vom Missouri aus über die weiten
Prairieflächen, die Felsengebirge, durch das Mormonen-
gebiet und über die Sierra Nevada; Alle waren Goldgräber,
Alle wollten binnen kurzer Zeit reich werden.
Wer damals europamüde war, sich aus irgend einem
Grunde nach der neuen Welt sehnte, und nicht den Pflug
zur Hand nehmen mochte, rief: Wohlaus, nach Californien!
Jeder Dampfer brachte von Panama nach San Francisco
Grass-Ballcy in Californien.
fornien für unabhängig und zog jetzt eine ntit dem Bilde
des grauen Bären geschmückte Flagge auf. Nach wenigen
Monaten hatte eine Hand voll kräftiger Männer eines der
schönsten Länder der Welt erobert, und im Februar 1848
trat Mexiko, im Frieden von Guadelupe Hidalgo, Califor-
nien an die nordamerikanische Union ab.
Nun waren der so fruchtbare Boden, die üppigen
Weidegründe uud die bewaldeten Berge im ruhigen Besitze
der Eingewanderten, deren Zahl sich damals schon ans etwa
fünfzehntanfend belief. Aber Californien lag „ani Ende
der Welt," und würde, bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge,
sich nur langsam entwickelt haben. Da entdeckte, gleich
nach dem Abschlüsse des Friedens, ein Mormone, bei
dem Ausbessern eines Mühlgrabens, Gold. Bald ergab
sich, daß die Nachhaltigkeit der Schätze keinem Zweifel
Lente, denen es nach Gold und Abenteuern dürstete, zumeist
Männer iiu kräftigsten Alter. Viele sind gestorben nnd
verdorben, Manche reich geworden, wieder Andere leben
längst als friedliche Ackerbauer. Ein nicht geringer Theil
ist auch, amerikamüde, wieder nach Europa heimgekehrt, je
nach Umständen in mehr oder weniger guten Verhältnissen.
Es ist erklärlich, daß sie gern von „jenen Tagen" erzählen,
die reich an Ausregungen und Hoffnungen, Wünschen und
Entbehrungen waren. Die Schicksale Vieler haben sich
seltsam genug gestaltet.
Ein Offizier, der in Algerien unter den Spahis ge-
dient, war afrikamüde und wollte Gold graben. Zu
Ende des Jahres 1850 langte er in Californien an. Er
war mit einigen anderen Abenteurern bekannt geworden,
deren einer eine angeblich ganz ausgezeichnete Maschine zum
Globus, Chronik der Reise
Goldwaschen erfunden hatte. Vier Männer bildeten eine
Genossenschast, die gemeinsam arbeiten und den Ertrag
theilen wollte. So kamen sie nach San Francisco, das
damals noch in seinen ersten Anfängen war. Seitdem hat
es sich bekanntlich zur Königin unter den Städten an der
Westküste Amerika's emporgeschwungen, trotz eines Dutzend
verheerender Feuersbrünste, trotz Mord und Todtschlag,
Geld- und Geschäftskrisen, Raufbolden und Handwerkspoli-
tikern, und trotz des bösen Gesindels, welches von allen
Strichen der Windrose dort zusammenströmte. San Fran-
cisco glich damals weit mehr dem Krater eines Feuerberges,
in dem allerlei vulkanische Elemente durcheinander brodeln,
als der Wiege, aus welcher ein großer Staat hervorgehen
soll. Aber das Leben war ungemein bunt und höchst eigen-
thümlich. • '
Als ich, erzählt der Offizier, durch die Straßen fchlen-
derte, kam ich an ein weitläufiges Gebäude mit einem
großen Schilde, auf welchem ich die Worte: „California
Exchange" las. Ist das eine Börse oder die Bude eines
Geldwechslers? fragte ich mich. Die Menschen drängten
sich in den Sälen und ich trat hinein, um zu beobachten.
Da wurde gegessen und getrunken, man las und rauchte.
Ich nahm an einem gedeckten Tische Platz, um zu essen, und
man brachte mir gekochten Lachs, trefflichen Bärenbraten,
Butter und Chesterkäse. Als ich fragte, was meine Zeche
betrage, bekam ich zur Antwort: „Kostet nichts!" Dieses
„No cliarge" befremdete mich. War ich denn in ein
Schlaraffenland gerathen, wo die Wirthsleute von den
Gästen kein Geld nehmen? Aber ich sah doch, daß von
anderen Leuten Zahlung angenommen wurde; in Bezug
auf meine Person mußte also wohl ein ganz besonderer
Umstand obwalten, der mir aber noch nicht klar war. Ich
nahm Platz in einem Lehnsessel und las in einer Zeitung;
da kam ein Cigarrenverkänser und bot mir von seiner
Waare an. Ich forderte einen Glimmstengel und reichte
dein Hausirer einen Dollar. Er uahm rasch noch drei
Cigarren, wickelte sie in ein Papier, sprach: „AU right"
mit» giug fort. Das Stück kostete also zehn Silbergroschen
und es war mindestens zweifelhaft, ob das Deckblatt dieser
Npmanns uicht etwa in der Gegend von Mannheim am
Neckar gewachsen sei! Wunderliches Land, dachte ich, der
Wirth nimmt nichts und der Cigarrenhändler zieht dir das
Fell über die Ohren. Am Abend erhielt ich den Schlüssel
zum Räthsel; in jener „Börse" zahlte man nichts für das
Essen, sondern nur für das Trinken; jenes bekam man mit
in den Kauf. Am Abend ging ich noch einmal hinein, trank
zwei Glas Cognac mit Wasser und gab dafür einen halben
Dollar.
Sau Francisco war überhaupt ein thenres Pflaster
und wir machten, daß wir fortkamen; es zog uns nach den
Goldfeldern. Bald saßen wir an Bord eines nach San
Sacramento bestimmten Dampfers. Es war eine herrliche
Fahrt; wir flogen über die glatte Meeresbucht rasch dahin
uud. erfreueten uns an der schönen Landschaft. Bei der
Einfahrt in den Strom (den San Sacramento) lag nns
eine englische Brigg im Wege und unser Capitain rief sie
an. Die Antwort lautete: „Ich sitze aus dem Grunde
fest; im andern Fahrwasser ist eine Sandbank!" Unser
Dampfer kehrte sich nicht daran; der Capitain sagte, er
wolle hindurch, wenn es sein müßte, über den Engländer
hinweg. Und in der That, er kam hindurch. Erst fuhr er
eine kleine Strecke weit zurück, ließ stark heize», spannte den
Dampf so viel als möglich an und rasete fort, an der Brigg
vorüber, von welcher wir ein nicht unbeträchtliches Stück
der Steuerbordseite losrissen. Der Engländer slnchte, der
Aankee wetterte auch, beim Anprallen waren ein paar
; und Geographische Zeitung. 3
j Dutzend unserer Fahrgäste auf Nase oder Rücken gefallen,
aber was machte das aus, wir kamen nach San Sacra-
mento!
Dort kauften wir einen Wagen und Maulthiere, luden
unsere Wundermaschine und alle übrigen Habseligkeiten
darauf und zogen nach dem Grasthale, Grass Valley,
um auf irgend einem „Placer" unser Glück zu versuchen,
nach Gold zu „diggen". Die Gegend, welche wir durch-
zogen, war uoch nicht angebaut, nur in weiten Zwischen-
räumen sahen wir dann und wann eine einsame Wohnung.
Unser Nachtlager hatten wir natürlich unter freiem Himmel,
gaben aber wohl Acht, daß wir uicht etwa überrumpelt wür-
den. Denn in den Blättern von San Francisco hatten
wir gelesen, daß bösartige Landstreicher umherschwärmten,
die es zweckmäßig fanden, nicht selber nach Gold zn graben,
sondern Reisenden dasselbe abzunehmen. Indessen war uns
das Glück hold und wir gelangten unangefochten in die
Nähe des Dorfes Nongh and Ready, in demselben Thale,
wo Nevada City steht. Dort sahen wir prächtige Placeres
im Hintergrunde einer Schlucht, die aussah, als wäre dies
Gestein durch einen Orkan durch und über einander ge-
worfen worden. Viele Bäume waren gebrochen oder um-
gehauen; die „Digger" hieben mit ihren Spitzäxten in den
Boden, andere wuschen Gold aus dem Sande. In der
Umgegend fanden wir Zelte und Hütten aller Art. Zwei
Tage fpäter waren wir im Grasthale, um dort wo möglich
Millionäre zu werden. Als wir unsere Maschine aus-
packten, strömten viele Neugierige herbei; sie hatten der-
gleichen noch nicht gesehen. Von San Francisco aus waren
wir an einige Schweizer empfohlen worden, die sich sehr
freundlich benahmen und nns den großen Placer zeigten,
wo wir einen „Claim" zu nehmen gedachten.
Schon damals hatte sich in Bezug ans Besitztitel durch
die Praxis eiu Gewohnheitsrecht ausgebildet, das einige
Zeit nachher von der Staatsgesetzgebung ausdrückliche Ge-
uehmignug erhielt. Das Recht, irgendwo nach Gold zu
graben, zn diggen oder zu waschen, und dafür eine gewisse
Stelle in Besitz zu nehmen, heißt ein Claim, ein Anspruch.
Bei den „Miners", welche bergmännisch verfahren, gilt als
Herkommen, daß ein Einzelner von einer Quarzader nicht
mehr als einhundert Fnß Raum in die Länge claimen kann,
und die Sache nahm folgenden Verlauf. Eiu Mann findet
eine goldhaltige Ouarzader. Sobald das bekannt geworden,
kommen noch andere Miners, stecken sich jeder eine Front
von hundert Fnß ab und gehen ohne Weiteres an die Arbeit.
Dein ersten Entdecker wird eine Extrafront von weiteren
hundert Fnß zugesprochen und diese bildet seine Belohnung
für deu Fund. Sämmtliche Antheile werden abgemarkt,
alle Miners, welche an derselben Fundstätte arbeiten, wäh-
len einen Recorder und dieser verfaßt eine Urkunde, in
welcher sämmtliche Claims verzeichnet sind. Sie wird beim
Countyschreiber als Beweisdocument hinterlegt. Jeder kann
seinen Claim nach Belieben verkaufen.
Wir fanden in unserer Gegend große Thätigkeit. Nach
langer Wanderung waren wir matt und müde, lagen indeß
recht gemächlich in nnserm Zelte. Aber gleich in der zweiten
Nacht brach ein fürchterliches Gewitter los, das in dem Thal
entsetzlich rollte und grollte. Zum Glück hielten die Seile
unseres Zeltes, aber der in Strömen herabfallende Regen
drang durch bis ans die Haut. Nachdem wir jeder einen
Claim von zehn Fuß in's Gevierte in Angriff genommen
und eine Menge goldhaltigen Sandes zusammengebracht
hatten, probirten wir unsere Maschine. Aber sie nützte uns
nichts, und obendrein waren wir beim Einkaufe des Queck-
filbers betrogen worden; es zeigte sich nämlich, daß man uns
verfälschtes gegeben hatte. Nun war freilich das Mißver-
i*
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
gnügen groß; wir hatten auf diese Maschine alle unsere
Hofsnungen gesetzt und diese waren zu Wasser geworden.
Unsere Genossenschast hatte fortan keinen Zweck mehr; wir
lösten sie auf, theilten den Rest unserer Habe und jeder ver-
suchte sein Glück aus eigene Faust. Ick blieb noch einige
Zeit in Grass Valley und machte von dort Ausflüge; meine
Freunde kehrten nach San Francisco zurück. Einer der-
selben ging nach Benicia und von dort in das nahe ge-
legene Napathal, das in die San Pablobucht mündet.
In diesem Garten Californiens, der damals erst besiedelt
wurde, bauete er sich au. Als er an den Eingang kam,
fand er das Land weit und breit mit wildem Hafer bedeckt;
mitten hindurch floß der Napaback, der für kleinere Schiffe
Wassertiese genug hat und bis zum neuen Dorse Napa
schiffbar war. Dort lag ein Fahrzeug, das ein Landmann
giganteum), war er vor Erstaunen außer sich. Dieser
schöne Baum ist der Küstenregion eigen und geht nicht weit
in's innere Land; man hat einzelne gesollt, deren Höhe
etwa dreihundert Fuß betrug. Noch riesenhaster sind freilich
die berühmten Lamberts- oder Zuckerfichten, die ich in
der Sierra Nevada gesehen habe, und die Wellingtonia
gigantea, die von den Nordamerikanern als Mammnth-
Washingtonbaum bezeichnet wird. Sie hat ihre rechte Hei-
math mitten in der Goldregion am Mokelnmne und Eala-
veras, und manche Bäume können, den Jahresringe« nach
zu urtheileu, nicht unter neunzehnhundert Jahre alt sein.
Sie haben 92 bis 96 Fuß im Umkreise. Als ein von der
Regierung der Bereinigten Staaten ausgesandter Botaniker
eine solche Wellingtonia fällen wollte, mußte er den Baum
zuerst mit Brnnnenbohrern durchlöchern lassen, und fünf
liin Claim in den califovnifchen Goldgcqenden.
in San Francisco, wo es als untauglich befunden war, ge-
kauft und hierher gebracht hatte, um es als Wohnung zu
benutzen. Es befand sich dickt am ItfcV und diente zugleich
als Waarenlager.
Weiter aufwärts war das Thal von Hügeln eingeengt,
die bis zum Gipfel hinauf mit Baume» bestanden sind.
Das Ganze glich weit und breit einem herrlichen Park, in
welchem gewaltige, zum Theil immergrüne Eichen theils
zerstreut umherstehen, theils dicht bei einander in Gruppen
sich erheben. Aber sie verschwinden und nehmen sich aus
wie Zwerge neben den Riesen der Pflanzenwelt, den zapfen-
tragenden Bäumen, welche nirgends in der Welt ihres
Gleichen haben. Als mein Freund zum ersten Male die
gewaltige Ceder sah, welche die Spanier Palo colorado
und die Nordamerikaner Recl wonrt nennen (Taxodium
Leute waren volle zweinndzwanzig Tage beschäftigt, um den
Stamm vom Stumpfe zu trennen. Aber noch immer stand
jener fest in vollem Gleichgewichte, und die fünf Arbeiter
hatten wieder zwei Tage laug vollans zu thun, um von allen
Seiten her Keile einzutreiben; dann erst gelang es, ihn um-
zustürzen. Das Fällen dieses einzigen Baumes verursachte
sechsthalbhuudert Dollars Kosten. In der Nähe lag ein
noch weit größerer Stamm, der vor etwa einem halben Jahr-
Hundert durch einen Zufall umgestürzt sein mochte. Er ist,
als er noch ausrecht stand, mindestens fünfthalbhuudert
Fuß hoch gewesen; am Bodeu mißt er 110 Fuß im Um-
fange uud hat 36 Fuß Durchmesser; seine Borke ist an
manchen Stellen 15 Fuß dick. Theile derselben sind später
in den GeWerbeausstellungen zn Neu-Uork und London ge-
zeigt worden. Er liegt in einem dichten Walde, von Lam-
Dic Öfiefeucobev in Califorilie».
G Globus, Chronik der Reisen
bertssichteu und Pechtanneu umgeben. Solcher Riesenbäume
sind int Ganzen nnr etwa einhundert Stück vorhanden; sie
stehen da als Glieder, welche unsere Tage mit einer uralten
Vergangenheit verknüpfen.
In jenem Thale traf mein Freund den berühmten
Patriarchen Aannt. Dieser merkwürdige Mann war so
recht das Urbild eines Kriegers, Biberfängers, Bärenjägers
und Pioniers, ein Bahnbrecher für die Einwanderung in
Calisoruieu, und damals fchou hoch bei Jahren. Er hatte
1812 unter.Jackson die Schlacht bei Nen-Orleans mitge-
macht, später in Florida gegen die Seminolen gesochten,
welche ihn gefangen nahmen und an den Kriegspfahl banden,
um ihn zn verbrennen. Nur durch eiu Wunder wurde er
gerettet. Daun wurde er Trapper und zog in den weiten
Westen, immer weiter der untergehenden Sonne zu, bis er
am Gestade des Großen Weltmeeres anlangte. Er durch-
streifte Californien und Oregon, banete sich einen großen
Nachen, schiffte an den Küsten umher und stellte den Werth-
vollen Seeottern nach. So kam er auch durch die Goldene
Pforte in die große, prächtig gegliederte Bucht von San
Francisco, welche damals uoch öde war, und besuchte das
flehte Dorf Perba bnena, an dessen Stelle sich nun die be-
triebsame Welthandelsstadt erhebt. Von dort steuerte er iu
die San Pablobucht, in welche, wie schon bemerkt, der Napa-
slnß mündet, und fuhr den letztern hinauf. Das wunder-
schöne Thal behagte ihm sehr; es war nur von Caymas-
Indianern bewohnt, und bei diesen banete Aannt sich eine
Hütte. Während er an derselben zimmerte und dabei frühe-
rer Tage gedachte, dämmerte plötzlich eine alte Erinnerung
in ihm auf, welche einen gewaltigen Eindruck auf ihn machte.
Eine alte Frau hatte dem Knaben, der eben zum Jüngling
heranreifte, wahrgesagt, ihm als endlichen Ruhesitz eiu schö-
ues Thal in Aussicht gestellt, und dieses mit seineu Wiesen-
ebenen, Eichenhainen, Bergen, mit dem Flusse uud selbst mit
den heißen Quellen, deren das Napathal mehrere hat, genau
beschrieben. Als Aaunt von den Seminolen, welche den
Gefangenen zu Tode martern wollten, an den Pfahl gebnn-
den wurde, gedachte er der Wahrsagerin und bedauerte
schmerzlich, daß sie falsch prophezeit habe. Seitdem war
das in Vergessenheit' gerathen, trat aber nun im Napathale,
wo er Alles verwirklicht fand, lebhaft vor seine Seele.
Nachdem er dann die vielen Wechselfälle feines Lebens
noch einmal im Geiste an sich vorübergehen ließ, sagte er
sich: hier ist gut Hütten bauen, und blieb im Napathale.
Aus dem Bären- und Otterjäger wurde eiu friedlicher Acker-
bauer und Viehzüchter. Anfangs hatte er sich freilich der
Indianer zu erwehren, aber es gelang seiner Klugheit, einige
Stämme zu sich herüberzuziehen, mit deren Hülfe die ihm
feindseligen zn bezwingen und den blutigen Fehden ein Ende
zu machen.
Vom Napathal aus unternahm mein Freund mit
einigen Landsleuten eine Wanderung nach Oregon. Es
handelte sich dabei um ein Unternehmen, das weit mehr
Nutzen brachte als das Goldgraben. Einer von dieser Ge-
sellschaft hatte feine Heimath an der Weser, und verstand
nicht nur Lachse zu faugeu, sondern auch sie zu räuchern.
Geräucherter Lachs wurde daurnls in Sau Francisco mit
Gold aufgewogen. Vom Meere aus ziehen nicht weniger
als fechs Arten Lachse alljährlich stroman; die größten findet
man im Columbia, wo sie manchmal bis zn füufzig, im
Durchschnitt aber etwa zwanzig Psuud schwer werden. Der
Fisch kommt im Mai nnd dann wieder im Oktober und
bildet ein Hauptnahrnugsmittel der Indianer in jenen Ge-
genden; er geht vom Hauptstrome auch in dessen Neben-
flüsse, so hoch hinauf, als nnr immer möglich, bis in die
Nähe der Quellen, wo dann das Wasser so seicht ist, daß
t und Geographische Zeitung.
viele von den Indianern mit den Händen gefangen werden.
Der Lachs hat eine gewaltige Muskelkraft, die es ihm möglich
macht, über hohe Wasserfälle zu springen. Man wird stun-
denlang nicht müde, die Fische bei dieser Arbeit zu beobachten.
Oft machen sie mehrere Sprünge, und zwar so, daß sie da,
wo die Wasserfalle oder Stromschnellen Absätze bilden, sich
zuerst und mit genauer Berechnung ans den untern Felsen-
absatz schwingen und somit zu einem neuen Sprung ansetzen
können; dann machen sie diesen. Manche wenden dabei
solche Kraft auf, daß sie sich selber tödteu, andere arbeiten
so anhaltend, daß sie vor Erschöpfung nicht mehr stroman
schwimmen können nnd vom Wasser getrieben werden. Dann
werden sie eine Beute der zahlreichen Adler und Geier.
Der Lachs ist um so fetter und schmackhafter, je näher
er noch dem Meer ist; im obern Lause der Flüsse erscheint er
mager und schon abgehungert. Im Columbiastrome sind
jene, welche man an der Tschinnk-Spitze fängt, ohne Zweifel
die delikatesten iu der ganzen Welt, und nächst ihnen die bei
Oregon City an den Wasserfällen des Willamette. Unsere
Landsleute waren verständig genug, sich mit den Indianern
in Einverständniß zu setzen, ihnen die Erlanbniß zum Lachs-
fang abzukaufen und sich ihrer Beihülfe zu bedienen. Denn
jeder Stamm hält darauf, daß sein Fischrevier nur von ihm
allein ausgebeutet werde; gegen eine Beeinträchtigung des-
selben würde er sich mit den Waffen erheben, und jede ein-
zelne Familie hat ihren bestimmten Platz, ihre besondere
Wasser- und Felsenstrecke, und diese bilden ihr geheiligtes
Eigenthum, wie bei dem Bauer der Acker, welchen er vom
Vater ererbt hat nnd pflügt. Was für den Indianer der
Prairie der Büffel, das ist sür jenen in Californien und
Oregon der Lachs; dieser bildet sein Hauptnahrungsmittel,
und ohne ihn müßte er verhungern, weil er sich zum Ackerbau
unfähig weiß. Er ist unn einmal Fischer und Wurzel-
gräber.
An den Lachsfang knüpft sich bei den Indianern man-
cherlei Aberglaube. In den ersten Tagen des Fanges, also
etwa in der Mitte des Aprilmonats, würden sie um keinen
Preis in der Welt einem weißen Manne einen Fisch geben
oder verkaufen, über welchen sie nicht vorher einen Kreuz-
schuitt gemacht und dann das Herz herausgerissen hätten.
Ein sterbenskranker Mensch wird in den Wald getragen,
und muß dort allein, ohne irgend welchen Beistand, sein
Leben beschließen; denn wer einen todten Menschen anrührt,
würde im ganzen Jahre keinen Fisch sangen können! Ein
Pferd darf nicht durch die Fuhrt gehen, an welcher man
Lachse sängt; das brächte Unglück.
Auch an zarten Lachsforellen, die gewöhnlich bis zu
zwei Fuß lang werden, sind die Flüsse reich, und diese Fische
gerade dann am schmackhaftesten, wenn der eigentliche Lachs
mager ist und nicht gefangen wird. Oregon ist sicherlich das
fischreichste Land der Welt, denn auch Häringe, Sardinen,
Störe, Stockfische, Karpfen, Flundern, Lampreten nnd Aale
kommen in ganz ungeheurer Menge vor.
Während ein Theil unserer Landsleute eiue ganze La-
dnlig geräucherter Lachse uach Sau Francisco brachte und
mit großem Vortheil verkaufte, zogen die übrigen mit den
Indianern im Land umher, um Beeren und Wurzeln zn
sammeln. Dabei spielten auch die Frauen eine Rolle. Es
ist Thatsache, daß sie bei den wilden Völkern um so mehr
gelteu, je mehr sie ihrerseits dazu beitragen, Nahrungsmittel
herbeizuschaffen. Bei den Jägernomaden nehmen sie deshalb
eiue sehr untergeordnete Stellung ein; bei den Fischernoma-
den, die in Oregon zugleich Wurzelgräber siud, habe» sie ein
Wort mitzureden.
Nach der Zeit des Fischfanges gehen die einzelnen Fa-
milien erst in die Berge, wo sie die zum Theil sehr wohl-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
' 7
schmeckenden Beeren sammeln. Dann ziehen sie weiter nnd
graben nach mehlhaltigen Wurzelknollen, welche sie
zerstoßen und trocknen. Diese bilden ihr Brot. Es- ist mir
ein Räthsel geblieben, weshalb man bis aus den heutigen
Tag noch keinen Versuch gemacht hat, irgend eine der vielen
eßbaren Wurzeln > welche im nördlichen Calisornien nnd
Oregon in unglaublicher Menge wachseu, bei uns in Europa
einheimisch zu machen! Wir wissen Alle, von welcher
Wichtigkeit die Kartoffel gewesen ist, und man darf wohl
annehmen, daß unter jenen oregonischen Wurzelknollen
manche den Anbau bei uns verlohnen und durch Pflege uoch
veredelt würden, gerade wie die Kartoffel. Am liebsten ist
den Indianern die Jthwa oder Kamaßwnrzel, Ca-
rnassa esculenta, welche zwiebelartige Schalen hat und in
großer Menge an feuchten Stellen der Wiesen wächst. Sie
erlangt die Größe einer kleinen Zwiebel, schmeckt wie eine
gekochte Kastanie, wird geröstet, zn einer Art Brot verbacken,
und bildet neben dem Lachse das Hauptuahrungsmittel der
Indianer. Kaum minder nützlich ist die Wappatnknolle,
die gleichfalls an sumpfigen Stellen wächst. Die dünne
weiße Bitterwurzel, Spatilon, sieht ans wie italienische
Nudeln und giebt einen etwas bitter, aber sehr angenehm
schmeckenden Brei. Man findet sie, gleich einer andern
bittern Wurzel, in trockenem Kiesboden; die letztere ist dick,
läuft nach beiden Enden verjüngt zu und gilt für sehr uahr-
Haft. Die Poxpox erscheint gleich im Anfange des Früh-
jahrs und wird gegessen, che die Kamaß gegraben werden
kann. Die Mesani ist weniger nahrhaft und gleicht einer
Pastinake; sehr'beliebt erscheint dagegen die Ka u i fch oder
Brotwurzel, welche in trockenem Boden wächst, so groß wie
ein Pfirsich wird und den Geschmack der süßen Kar-
tosfel hat.
Diese Streifzüge waren von schönem Wetter begünstigt
und in hohem Grade angenehm. Aber an einen sehr unwill-
kommenen Vorfall denkt der Lachsfänger von der Weser
nicht ohne Schaudern zurück. Als er einst von einer Wiesen-
fläche her in den Wald gehen wollte, bemerkte er ein dunkel-
farbiges Thier nüt einem buschigen Schweife, das rasch
weglief und in ein Erdloch schlüpfen wollte. Es war kanin
zur Hälfte hinein, als er herbeigesprungen kam und mit dem
Flintenkolben nach ihm schlug. Aber in demselben Angen-
blicke spritzte unter dem Schweif eine gelbliche Flüssigkeit
hervor, besndelte den Flintenkolben und verbreitete einen
furchtbaren Geruch, welcher unserm Landsmann eine An-
Wandlung voil Ohnmacht verursachte. Er fühlte sich von
diesem gräßlichen Gerüche wie erstickt, war aber zum Glück
an seiner Person unbeschädigt geblieben. Trotzdem wollte
der Geruch nicht von ihm weichen. Diese Bekanntschaft
mit dem berüchtigten Stinkthiere, das von den spanischen
Creolen als Zorilla bezeichnet wird, kann er auch heute noch
nicht vergessen. Das Thier hat als einzige Verteidigung
eiitc Blase am Hintertheil, aus welcher es seinen Saft gegen
feine Verfolger schleudert. Der Geruch ist beinahe nnver-
gänglich; er setzt sich in Kleidern fest und man muß dieselben
wegwerfen; der Saft ist ätzend und verursacht Blindheit,
wenn er in'sAnge kommt; kein Hund, welcher einmal mit dem
Zorilla Bekanntschaft gemacht hat, läßt sich jemals wieder
auf ein solches hetzen. Das Zorilla scheint in jenen Gegenden
unfern Iltls zu ersetzen, hält sich gern in der Nähe mensch-
licher Wohnungen auf und ist den Hühnerställen und Tau-
benfchlägen gefährlich. Die Indianer schneiden die Blase
weg nnd essen das Fleisch; sie boten unserm Landsinanne
davon an; ich glaube ihm aber gern, daß er sich schön be-
dankt hat.
Während dieser Zeit verweilte ich noch im Grafs-Valley,
denn allmälig sand ich Geschmack an dem dortigen Leben
und Treiben. Ein Nen-Aorker, welchen das Glück be-
günstigt hatte und dessen Vater gestorben war, ging in seine
Heimath zurück und verkaufte mir seine Hütte, die zwar
nicht glänzend, aber doch bequem war. Sie stand unter
einem hohen Tannenbaume, war aus Klötzen und Brettern
ausgebaut und mit Schindeln gedeckt. Regen konnte nicht
hineindringen, ein kleiner Ofen diente als Herd zum Kochen;
das Bett bestand aus vier Pfählen, über welche Segellein-
wand gespannt war, und einem mit Eichenblättern gefüllten
Sacke. Ein kleiner Garten mit allerlei Gemüse fehlte ailch
nicht, und vierzig Pfund Mehl, welche mir der Amerikaner
überließ, waren mir sehr willkommen. Ich konnte mir Brot
backen.
Es war recht hübsch im Grasthale; auch an Umgang
fehlte es nicht, nur war die Klage über Klapperschlangen
sehr allgemein. Einer von meinen Nachbarn kam wirklich
in große Gefahr. Er hatte ans einer Vertiefung im Ge-
büsch trockenes Laub in feinen Bettsack geschaufelt und auf
diesem schwellenden Lager recht sanft bis gegen Tages-
anbruch geschlafen. Da raschelt es im Bette; er denkt an
eine Ratte, denn diese ist den Europäern bis in die entlege-
nen Thäler gefolgt, greift hin und packt — eine Klapper-
schlange! Natürlich sprang er im Augenblicke fort, beobach-
tete aber die offene Thür. Nach einigen Stunden kam die
Schlange, die nun todtgefchlagen wurde. Er schnitt ihr die
Klapper ab und hat sie aufbewahrt.
Damals lieferte die Jagd noch hübsche Ausbeute; man
brauchte nur ein paar Stunden weit zu gehen und war sicher,
daß mau sich nicht vergeblich bemühen werde. Ich kaufte in
Nevada-Eity ein Maulthier, legte demselben eine Bären-
haut als Sattel auf und war eine Zeit lang Jäger von
Handwerk. Meine Bellte brachte ich gewöhnlich nach der
Stadt, und an einem Sonnabend erhielt ich, weil gerade die
Goldgräber in Menge dorthin kamen, für einen Hirsch
achtzig Dollars, schloß auch mit einem Gastwirth einen Ver-
trag über Wildliefernng. Von geprägtem Gelde sahen wir
nur wenig, alles wurde mit Goldstaub bezahlt. Jeder hatte
lederne Börsen und in jedem Kaufmannsladen hingen Gold-
waagen.
Als der Winter vorüber war, verließ ich Calisornien
und machte Streifzüge im Osten der Sierra Nevada, bis in
die südlichen Theile des Mormonenlandes an den oberen
Zuflüssen des Rio Eolorado, also in eine Gegend, die damals
noch so gut wie unbekannt war. Seit jener Zeit ist sie im
Austrage der Vereinigten Staaten vielfach erforscht worden.
Dann ging ich weiter, kam nach Nen-Mexico, besuchte Santa
Fe und Taos, gelangte in die Nähe der Quellen des Rio
graude und zog über die Felsengebirge südlich von dem jetzt
wegen seines Goldreichthums bekannt gewordenen Pikes Pik.
Wo nun ein rühriges Leben und Treiben herrscht, war da-
mals Alles Einöde und Wildniß. Von Bents Fort am Ar-
kansasfluffe wandte ich mich nach Süden hin, an den Ca-
nadian.
Dieser merkwürdige Fluß hat mit dem Lande Canada
nichts zn schaffen; der Name ist ihm von den Nordamerika-
nern gegeben und, nach ihrem Brauch, verunstaltet wor-
den. Canada heißt im Spanischen eine tiefe Schlucht,
und aus diesem Worte haben sie Canadian gemacht. Er
strömt durch eine ganz eigentümliche tafelförmige Ebene,
welche vielfach von Strömen, bis an deren Rand diese „Mefa"
reicht, und durch eine tiefe Schlucht, einen sogenannten
Canon, durchzogen wird. Ans einer Strecke von mehr als
einhundert Stunden drängt er sich ununterbrochen durch
solch eine tief eingerissene Schlucht und ist auf dieser ganzen
Länge nicht zu überschreiten. Denn seine Uferränder werden
durch Steilklippen gebildet, welche bis zn einer Höhe von
8
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
zwölf, ja von fünfzehnhundert Fuß fast senkrecht sich erheben. 1
In kleinerm Maßstäbe fand ich ähnliche Erscheinungen auch
im Westen der Felsengebirge. Manche Gefließe sind vielleicht
nicht zehn Schritte breit, aber ihre vom Regen und vom
Strome ausgewaschenen Schluchten haben eine Tiefe bis
zu einhundert Fuß. Oft ahnt der Reisende gar nichts von
einem solchen Hindernisse, bis er sich dicht vor dem Abgrunde
befindet; er muß dann weite Umwege machen, ehe er zn einer
Fuhrt gelangt, wo das Ueberschreiten für Menschen und
Thiere möglich wird. —
Wir schließen diesen Schilderungen eine andere an, die
neulich ein Franzose, Wogau, gegeben hat. Auch dieser Mann
war nach Californien geschleudert worden, wo er ein aben-
teuerndes Leben führte, das er fetzt mit einem weniger auf-
regenden Berufe vertauscht hat, denn er ist Telegraphen-
floh sofort weiter; nur ein paar Männer blieben, um den
Frauen behülflich zu sein, am Ufer zurück. Da wälzte sich
aus dein Dickicht vom Hügel herab ein grauer Bär, der in's
Wasser sprang und hinter einer Frau herschwamm. Die
Pfeile der Indianer erreichten ihn nicht. Nun trat ich aus
meinem Versteck hervor, legte mein Gewehr auf eiuem Weiden-
stamm an, schoß und traf. Mein zweiter Schuß war eben
so glücklich, aber der Bär kam an's Land und suchte seinen
Feind auf. Nachdem ich rasch geladen, kletterte ich auf einen
Weidenbaum und erwartete ihn. Er stand blutend, mit ge-
ösfnetem Rachen und mit seinen Tatzen am Baume, denn
klettern kann er nicht. Ich feuerte beide Schüsse in seinen
rotheit Rachen und er stürzte; ein paar Kugeln aus meiner
Drehpistole, welche seiu Auge verletzten, machten dem Leben
des Ungethüms ein Ende.
direetor in feiner Heimath. Längere Zeit wer er als
Bärenjäger umhergezogen, über die Sierra Nevada an den
Humboldtfluß und dann tit das Wahsatschgebirge gegangen,
wo er mit den A)ntas lind Navajo-Jndianern zusammentraf.
Am Green River (Rio verde), dem Hauptarme des Colo-
rado, vernahm er eines Tages wildes Geschrei, über dessen
Anlaß er Folgendes erzählt.
Ich hielt mein Ohr platt an die Erde und horchte;
dann sprang ich auf, eilte in eiu Weidengebüsch, legte mich
lang hin und paßte auf. Bald nachher kam eine ganze
Horde von Indianern, Männer, Weiber und Kinder wild
durcheinander, und alle sprangen in's Wasser wie Frösche.
Offenbar waren sie in Angst nnd Schrecken; die kleinen
Kinder hingen auf den Rücken der Mütter, welche langsamer !
schwammen als die Männer. Wer das diesseitige Ufer gewann, !
Der graue Bär ist ein sehr gefürchtetes Thier. Ich hieb
ihm die Tatzen ab und schlug ihm die Zähne aus; beide
dienten mir, nach Indianerweise, als Trophäen. Ich muß
in meiner ans Coyotefellen zusammengenähten Bekleidung
zu jener Zeit merkwürdig genug ausgesehen haben. Als der
Bär vor mir lag, kamen die Indianer nnd führten einen
Tanz auf; nachher stimmten sie einen Gesang an.
Einige Tage später ward ich von eben diesen Indianern
bestohlen und bald nachher mnschwirrten mich Pfeile. Ich
sah, daß derselbe Indianer, dessen Frau ich vor dem Bären
gerettet hatte, mir verrätherischer Weise nach dem Leben
trachtete, und es blieb mir nichts Anderes übrig, als ihn: eine
Kugel zn senden, die ihn verwundete. Er entrann, ich setzte
ihm nach, konnte ihn aber nicht einholen.
Am andern Tage war ich von Feinden umgeben, und
Eine Tchlucht im Wahsatsch--<Äebir^c.
10 Globus, Chronik der Reisen
begriff rasch, daß an eine Flucht nicht zn denken sei. Also
stellte ich mich an einen Baum und erwartete die Indianer,
die mich, etwa sechszig an der Zahl, bald umringt hatten. Ich
legte die Waffen nieder, und schritt auf sie zu, wurde aber
mit einem lauten Kriegsgeheul empfangen und nach wenigen
Minuten gebunden. Auf die Worte, welche ich in spanischer
Sprache an den Häuptling richtete, gab er mir eine india-
nische Antwort, die ich nicht verstand. Nach einer Weile
band man mir die Stricke an den Beinen wieder los und
schleppte mich fort, über den Sand, durch Gebüsch und einige
Bäche, und so gelangte ich zum Dorfe dieser Hutah-Jndianer,
wo man mich in eine ihrer Hütten brachte. Dort fand ich
den von mir verwundeten Indianer, seine Frau und eine
Anzahl von Verwandten. Jetzt fragte der Häuptling in
spanischer Sprache, ob ich den Mann kenne, und natürlich
erfolgte von meiner Seite eine bejahende Antwort. Man
zeigte mir die Wunde am Oberarme und somit war ich der
'That geständig und überführt. Nachdem vier oder fünf
Männer sich unter einander beredet, brachten sie mich in die
Berathungshütte. Sie war etwas größer als die anderen,
denen sie int Uebrigen ganz gleich sah. Dieser Stamm der
Hutah-Judiauer war ein hübscher Menschenschlag; ich fand
die Männer kräftig und schlank gewachsen; sie hatten Adler-
nasen und vorstehendes Kinn. Sie wohnten am obern
San Juanflusse, der vo>n gleichnamigen Gebirge herab-
kommt und einen Hauptarm des Grand River bildet, welcher
seinerseits einen der Hauptströme des Colorado ausmacht.
Die Häuptlinge hatten ihr Gesicht mit frischen Farben be-
strichen, die Adlerfedern als Schmuck in den Haarbüschel auf
der Mitte des Kopfes gesteckt; au Hals und Armknöcheln
hingen Zähne und Bärenkrallen, um die Hüften hatten sie
Fuchs- und Wolfsschwänze, neben Jedem lag eine Streitaxt
und in der Hütte hingen Skalpe. Zwei Indianer hielten
Wacht vor dem Eingänge, der mit einem Bärenfelle ver-
hängt war; die Häuptlinge rauchten und zeigten dem Ge-
fangenen eine mit Feindesblut bedeckte Streitaxt. Dann
wurde die Frau hereingeführt, um ihre Aussage zu machen,
worauf der Häuptling mich fragte, ob ich deshalb in's Land
gekommen fei, um Männer seines Stammes feindselig zu
behandeln? Ich entgegnete, daß ich nicht angriffsweise ver-
fahren sei, sondern mich nur vertheidigt hätte, nachdem
Pfeile gegen mich abgeschossen seien. Diese Vertheidiguug
ließ man nicht gelten; die Indianerin entfernte sich, die
Häuptlinge hielten abermals Rath, und der Oberste legte
mir jene Streitaxt auf den Kopf; das mochte wohl so viel
bedeuten, als mein Todesnrtheil sei gesprochen. Ich wurde
an einen Pfahl gebunden und verbrachte lange, qualvolle
Stunden, dann band man mich los und führte mich hinaus.
Die Indianer hatten sich geschmückt zu dem feierlichen Opfer,
und manche ritten prächtige Pferde, die mit Bären- oder
Büffelfellen bedeckt waren; eine große Menge hatte sich ver-
sammelt. Man band mich mit Händen und Füßen an den
Kriegspfahl. Da stand ich nun und mußte den verhäugniß-
vollen Streich mit der Axt erwarten; meine Rechnung mit
dem Leben hatte ich abgeschlossen.
Der erste Häuptling trat zu mir heran. Neben ihm
stand ein Indianer, dessen Gesichtszüge mir ganz europäisch
vorkamen. Er war gewiß älter als sechzig Jahre, aber noch
in voller Kraft. Die Indianer sind bartlos; dieser Mann
hatte einen langen weißen Bart, der einmal roth gewesen
sein konnte; er trug eine Büchse, hatte einen Revolver im
Gürtel und in der Hand eine Streitaxt.
Mein Erstaunen war groß, als diese seltsame Erschei-
nnng mich im besten Englisch anredete, um mir zu eröffnen,
daß ich zum Tode verurtheilt worden sei, einmal als Ameri-
kaner und dann wegen der Wnnde, welche ich dem Indianer
und Geographische Zeitung.
zugefügt. Indessen wolle man mir die dabei üblichen Mar-
tern ersparen; er, der Redner, habe das ausgewirkt; er sei
von ganzem Herzen Indianer, von Geburt ein Brite. —
Wogan berichtet weiter, daß er diesem Briten den
ganzen Sachverhalt auseinandergesetzt und sich als Fran-
zosen zu erkennen gegeben habe. Er schildert ferner, daß jener
Mamt ein Schotte, Namens Lennox gewesen sei, der aus Liebe
zum abenteuernden Leben unter die Indianer gegangen und
der Ihrigen einer geworden sei. Er rettete ihm das Leben. Wir
erinnern uns vor Jahren über diesen indianisirten Europäer
in ealisornischen Blättern Manches gelesen zu haben; auch
wurde berichtet, daß mehr als ein weißer Mann durch ihu
beschützt worden sei. Gegen die Einzelnheiten in Wogans
ausführlicher Erzählung hegen wir manchen begründeten
Zweifel; aber die Thatfache, daß er jenem Schotten sein
Leben verdankte, mag wohl richtig sein. Deshalb haben
wir diese ganz einfach mitgetheilt, den französischen Ausputz
aber wegggelasseu.
Die früheren Zustände Calisorniens lernt man sehr
gut aus einem 1854 in Neu-Aork gedruckten Buche von
Walter Colton kennen. Es führt den Titel: Drei Jahre
in Ealifornien. Dieser Mann befand sich im Juli 1846
in Monterey, als dort die nordamerikanische Flagge auf-
gezogen wurde. Im August wählte man ihn zum Alealden;
er war also Richter und Polizeidirector in Einer Person,
schrieb vierzehn Tage später den Prospectns zu einer Zeitung,
welche er redigiren half, und die ersten Nummern wurden
in Ermangelung eines Bessern auf Cigarrenpapier gedruckt.
Dann und wann hielt er aus deu Schiffen und am Lande
Predigten, und ging täglich auf die Jagd, um sich seine
Nahrungsmittel zu erschießen. Er verbot die Glücksspiele, und
beaufsichtigte die Gefängnisse. In seinen: Tagebuche schreibt
er: „Ich besuchte die Gefangenen bei ihrer Arbeit. Der eine war
ohne Hemd und gestand mir, daß er es an einen andern Gesan-
genen verspielt habe. Freilich hatten diese Lente keine Karten,
aber siewußten sich zu helfen. Siehatten nämlich einen Knochen
genommen und ihn in die Luft geworfen; wer ihn fo warf, daß
das dicke Ende zuerst die Erde brührte, gewann. Indianer
und spanische Californier würden sogar ltnt ihre Zähne
spielen, wenn sie nichts Anderes einzusetzen haben. Ich finde
in jedem ealisornischen Hanse einen Tanzsal und eine Ma-
donna, Tanzen nnd Knien wechseln tut Nu mit einander ab.
Der Californier ist von Kindesbeinen an bis an sein Grab
zu Pferd, aber er mag uicht arbeiten."
Ein sehr anschauliches Bild gibt Colton von der merk-
würdigen Aufregung, welche sich der Leute bemächtigte, als
das edle Metall gefunden war. Er schreibt unterm 29. Mai
1848 in sein Tagebuch Folgendes: —
Heute früh war es hier sehr lebhaft. Ein Mann
bringt die Meldung, daß am Ria de los Americanos viel
Gold gefunden worden sei. Die Leute schwatzen darüber,
es glaubt aber niemand recht daran. — Am 6. Juni. Das
Geschwätz über Goldentdecknngen will kein Ende nehmen; ich
muß endlich wissen, was daran ist und habe deshalb einen
Boten nach dem American River geschickt. Er hat hin tmd
zurück vierhundert Meilen zu machen, aber sein Pferd ist
gut und der Mann zuverlässig. — Am 12. Juni.. Heute
kam ein Mann vom Amerieanflnsse an nnd brachte ein
Stück Erz mit, das gelb aussieht und etwa eine Unze schwer
ist. Wie das von Jedermann beliebäugelt wird! Viele
wollen noch nicht glauben, daß es Gold sei, weil es nicht
genau so aussieht wie ein Fingerring; es sei ja auch unmög-
lich gewesen, daß dergleichen Schätze bis heute hätten ver-
borgen bleiben können.
Globus, Chronik der Reisen
Am 20. Juni. Mein Bote ist wieder zurück und hat
wahrhaftig Goldproben mitgebracht. Alle Leute machen
lauge Hälse. Als er das gelbe Zeug aus der Tasche zog
und es ihnen unter die Nase hielt, schwanden alle Zweifel;
doch meinte ein alter Creole, die ganze Geschichte sei von
den Uankees ausgedacht worden. Heute Nachmittag packt
schon Alles auf, Jeder will Gold holen und täglich ein paar
hundert Dollars verdienen.
Am 15. Juli. Seit dem tollen Goldfieber ist es gar
nicht mehr auszuhallen. Dienstboten sind kaum uoch zu
haben; was hier bleibt, will sich auf höchstens eine Woche
verdingen. Selbst unser Neger hat sich gestern Abend aus
dem Staube gemacht. Heute besorgen wir Drei: ein General
im Heer der Vereinigten Staaten, der Commandeur eines
Kriegsschiffes und ich, der Alcalde, schon am vierten Tage,
unsere Küche selbst, mahlen Kasse, schälen Zwiebeln, kochen
Fleisch und backen Fische.
Am 18. Juli. Heute langte ein Matrose mit 136 Unzen
Gold an, die er am Aubaslusse ausgewaschen hatte. Nim
sind die anderen Seeleute ausgerissen und haben vierjährigen
Lohn im Stiche gelasseu. Meine Zimmerleute, welche am
Schulhause baneten, sind auch fortgelaufen.
Im August. Mein irischer Diener Bob war acht Wochen
lang in den Minen und kam mit Gold im Werthe von
zweitausend Dollars zurück. Früher war er sparsam, jetzt
ritt er ein paar hübsche Pserde, lebte ungemein flott und
traktirte seine Freunde. Nun hat der Jubel etwa vier
Wochen gedauert und Bob geht wieder in die Minen; das
Geld ist ganz alle geworden. Am 16.August. Gestern kamen
vier unserer Bürger vom Federflusse zurück; sie arbeiteten
dort mit drei Anderen, hatten dreißig Indianerin Dienst ge-
nommeu, genau sieben Wochen und drei Tage gearbeitet und
für 76,844 Dollars Gold unter sich vertheilt. Einer von
meinen Bekannten, der ganz allein aus eigene Faust arbeitete,
ist sechs und vierzig Tage am Auba gewesen und hat 5356
Dollars heimgebracht, ein andrer 4534; auch unsere Weib-
liehe Dienerschaft ist in die Goldgruben geflogen.
September. Nun gehe ich auch hin, wo das Gold liegt.
Am 20. begegneten uns Leute, die aus den Goldgruben
zurückkamen. Ich habe nie eine so abgerissene, zerlumpte,
ausgehungerte, in jeder Beziehung armselige Gruppe von
Menschen gesehen; nur einige besaßen abgemagerte Gäule, die
übrigen schleppten sich mühsam mit wunden Füßen weiter
id Geographische Zeitung 11
und baten uns inständig um etwas Brot. Da zog der eine
einen schweren Beutel mit Gold hervor, um uns für die
Gabe zu bezahlen. Diese Leute hatten für mehr als hundert-
tausend Dollars bei sich, aber auf weiten Strecken nichts
zu essen gefunden. Dergleichen kommt hier freilich alle
Tage vor.
Am 4. Oktober. Wir sind in den Minen. Das Pfund
Mehl kostet einen halben Dollar, ein Pfund Farinzucker vier,
ein Pfund Kaffee fünf Dollars. Von Fleisch ist nur an der
Sonne gedörrtes, in Streifen geschnittenes Bullenfleisch zu
haben. Hente wurde eiue Schachtel voll Brausepulver mit
24 Dollars bezahlt, für 40 Tropfen Opium wurden gar 40
Dollars gegeben. Ein Fuhrmann erhielt von einem Arzte
Pillen gegen die Kolik und hatte dafür 100 Dollars zu zahlen.
Am 29. Oktober. Das Pfund Mehl ist auf zwei Dollars
gestiegen, das Quart Rum kostet zwanzig. Am 8. Novem-
ber. Jetzt sind schon mehr als sünzigtansend Goldgräber
hier zusammengeströmt. Einige haben Zelte, andere nicht;
einige besitzen Lebensmittel, anderen fehlt jeder Bissen. Man
arbeitet mit Brechstangen, Spitzhacken, Wiegen, Spaten,
Pfannen, Hämmern und Drillbohrern; an allen Ecken
und Enden knallt es, denn man sprengt das Gestein mit
Pulver weg. So buntscheckiges Volk ist wohl nie zuvor auf
Einem Punkte zusammen gewesen. Da wo vor Wochen eine
nun verlassene Lagerstätte war, liegen Todtengebeine umher,
welche von den Wölfen ausgescharrt worden sind; der Tod
hält eine reichliche Ernte.
Am 13. November. Ich habe nun genug von der
Goldgräberei gesehen und will wieder heim. Eben komme
ich von einer Höhe zurück, von welcher ich weit und breit
eine beträchtliche Goldregion mit ihren Schluchten und Bächen,
Zelten und Menschen überblicken konnte. Ich bin ein weit-
gereister Mann, habe den Niagara rauschen hören, kenne
die Parks und die City von London, die Boulevards von
Paris, die schönen Ufer des Rheins, die Trümmer der ewigen
Stadt Rom, Pompeji und den feuerspeienden Vesuv. Ich
habe auch Mondscheinnächte in Venedig durchträumt, auf
der Akropolis zu Athen gestanden und in dem halbbarbari-
schen Konstantinopel verweilt. Aber alle diese Herrlichkeiten
zusammengenommen haben doch keinen so eigentümlichen
Eindruck auf mich gemacht, wie diese „Diggings" in Cali-
formen. Das Ganze ist geradezu unbeschreiblich.
Eine Wanderung in Australien.
Die Viehweiden von Ren-England — Wie man die Heerden treibt. — Der Maequarie und Lachlan. Australischer Frühling, —
Die Landschaft am Murray. — Die Eingeborenen.
Etwa acht deutsche Meilen von Melbourne, der Haupt-
stadt der goldreichen Provinz Victoria, welche den Süd-
osten des australischen Festlandes einnimmt, liegt das Dorf
i?)enng am Flusse Parva. In diesem Orte haben sich auch
eunge Schweizer niedergelassen; sie treiben Ackerbau und
Viehzucht.
. . Nachmittags saßen oder lagen die Gebrüder
Eastella gemüthlich unter dem schattenspendenden Vordach
ihres Hauses. Mötzlich sprang der Hund auf, bellte froh
und lies weg. Gleich nachher kam er mit einem alten Be-
kannten zurück, der vor vielen Monaten gering verlassen
hatte, um die weite Reise von Sydney mich Adelaide durch
das Innere zu machen. Dieser junge Mann heißt Ernst
Lenba. Er war völlig abgerissen und abgemagert, sah
ganz braun ans, und war ziemlich in derselben Verfassung,
wie eiust unser Friedrich Gerstäcker, welcher früher, aber
allein und nur von einem Schwarzen begleitet, als einer der
Ersten, das Wagstück unternommen hatte, von Neusüdwales
aus am Murray hin und durch die Wüste nach Adelaide zu
wandern. Als er dort eintraf, sah er aus wie „ein Teufel
aus dem Busch". Diesen Ausdruck haben wir aus dem
Munde eines Landsmannes, welcher ihm bei seiner Ankunft
in den Straßen von Adelaide begegnete.
So mag sich wohl auch der Schweizer Lenba ansge-
nommeu haben; auch er kam zu Fuß an, iind gab, nachdem
die erste Begrüßung vorüber war, einige Erläuterungen
14 Globus, Chronik der Reisen
Sein Pferd war am Murray geblieben; er selber nahm sich
höchst malerisch ans in seiner blauen Leinwandhose, einem
einstmals rotheu Flanellhemde und einem abgetragenen
grauen Ueberziehrocke, der ihm aber viel zu weit geworden
war. Auf dem Kopfe trug er den klassischen Hut der Leute
im Busch; er wird aus den Blättern des Kohlbaumes ge-
flochten. Dem Manne selbst sah man es an, daß er seit
Monaten auf keinem weichen Lager geruht hatte. Der
chinesische Diener Taipnn betrachtete ihn und sagte in seinem
gebrochenen Englisch: „Mister Luba, Ihr sehr dünn; Ihr
nicht viel Tschautschau (Speise) und nicht Schlaf gehabt
im Busch? O, Mister Lauba, wir hier — sehr viel
Tschautschau!"
Im Verlaufe der nächsten Tage gab Lenba einen zu-
sammenhängenden Bericht über seine Erlebnisse, der uns
einen Einblick in das Leben und Treiben der australischen
Sqnatters und Viehzüchter gestattet.
Etwa fünfzig deutsche Meilen nördlich von Sydneys) liegt
eine ausgedehnte Weidegegend, welche man als Nen-England
bezeichnet. Sie ist in große „Stationen" abgetheilt; manche
derselben haben bis zu dreißigtausend Stück Rindvieh und
bis zu hunderttausend Stück Schafe. Die meisten Stationen
gehören reichen Squatters, die aber in Sydney wohnen,
denn Neu-ENgland ist keine angenehme Gegend, im Winter
kalt, im Sommer heiß und der Boden nickt ergiebig. Aber
zur Viehweide eignet er sich, namentlich wird das Rindvieh
stark und kräftig. Zur Mast treibt man es dann auf die
besseren Weiden im Süden. In Neu-England züchtet man
das Vieh, in Victoria und Süd-Australien setzt es Fleisck
an; deshalb wird es iu Heerdeu von zwei- bis dritthalbtan-
send Stück nach diesen beiden Kolonien getrieben.
Dieser Viehhandel verlangt ein beträchtliches Anlage-
kapital und der Unternehmer läuft dabei nicht geringe Ge-
fahr. Man muß genau die rechte Zeit treffen, und unter-
wegs auf keine Hindernisse stoßen; in den Ebenen am
Maeqnarie ist schon mehr als eine Heerde völlig zu Grunde
gegangen. Nun hatte ein in der Schweiz erzogener Eng-
länder, Darchy, eine Spekulation unternommen und zu Uiua
(Weewaa) am Flusse Nammoy, etwa 300 englische Meilen
nördlich von Sydney, ein paar tausend Ochsen gekanft, die er
nach Südaustralien treiben wollte, bis in die Gegend, wo
der Darling in den Murray mündet. Lenba schloß sich ihm
an, fuhr im Mai 1855 erst nach Sydney und von dort mit
Darchy uach Norden. Der Zug bestand aus diesen beiden
Männern, sodann zwei jungen Leuten, welche das Sqnatter-
Handwerk regelrecht erlernen wollten, drei Hirten, einem
Schaffner, der die Wägen unter Obhut hatte, und zwei
Schwarzen. Die letzteren sind auf solchen Zügen fast un-
entbehrlich; sie bauen Kähne, suchen verirrtes Vieh aus und
schaffen Wildpret in den Topf. Sechszehn Reitpferde und
zwei Gespann Zuggäule leisteten gute Dienste. Die Mnnd-
vorräthe bestanden aus zwanzig Centnern Mehl, Zucker,
Thee, gesalzenem Ochsenfleisch und Branntwein. Ein Zelt
fehlte natürlich anch nicht.
Am 5. Juni gegen Mitternacht gingen die Reisenden
in Sydney an Bord eines Dampfers, und fuhren nach
Maitland an der Mündung des Hunter, wo sie Pferde und
Wagen au's Land schafften und nnverweilt nach Uiua sich
auf den Weg machten. Diese Strecke, etwa siebenzig deutsche
Meilen, legte man in sehr kleinen Tagereisen zurück, um die
Pferde zu schonen, und kam nach etwa vier Wochen an Ort
und Stelle. Weit und breit ist dort die Ebene eintönig und
*) Die Schreibart Siduey ist durchaus falsch. Die Bewoh-
ner der Stadt müssen doch am besten wissen, weshalb sie dieselbe
Sydney schreiben.
und Geographische Zeitung.
öde; nirgends bemerkt man Spuren von Ackerbau, nur dann
und wann Hütten der Hirten, aber viele Tausende von
Schafen und Ochsen. Das Dorf Uiua zählt ein paar hnn-
dert Einwohner, hat ein Wirthshans und ein Polizeigebäude,
ein paar Kramläden und eine Schmiede, Alles Holzgebäude.
Nach vier oder fünf Tagen wurde die Ankunft der von
Darchy gekauften Heerde gemeldet. Er ritt ihr entgegen,
ließ aber einige Milchkühe voraus au deu Fluß treiben,
damit die ankommenden leichter in's Wasser gehen möchten.
Der Nammoy ist bei Uiua wohl zweihundert Schritt breit,
und es hat immer einige Schwierigkeit, eine große Heerde
durch ein solches Wasser zu treiben. Man verfährt dabei
so, daß man einige hundert Häupter von der großen Masse
absondert, und dann jene mit Schlägen und durch Geschrei
an's Ufer treibt. Sobald sie einmal im Wasser sind,
schwimmen sie etwa zu zehn oder zwölf neben einander in
dichten Reihen und brechen solchergestalt die Kraft des
Stromes. Manchmal kommt es freilich auch vor, daß die
zuvorderst schwimmenden mitten im Fluß eine halbe Schwen-
kung machen, die ganze Heerde rückwärts führen und solcher-
gestalt „einen Ring bilden"; dann muß man wieder von
vorne anfangen und hat große Mühe, die Thiere hinüber zu
treiben. Uebrigens gewährt ein solches Durchschwimmen
großer Heerdeu einen prächtigen Anblick.
Am andern Ufer wurden die Ochsen dein Käufer zu-
gezählt, und gleich am nächsten Tage setzte sich der Zug gen
Süden in Bewegung nach dem 180 englische Meilen ent-
fernten Flusse Macquarie. Sämmtliche Häupter waren
über 3 Jahre alt, von großem, kräftigem Schlage, und
kosteten durchschnittlich drei Pfund und zehn Schilling, also
ungefähr zwanzig deutsche Thaler. Von nun an hatten die
Menschen saure Arbeit.
Bei Tagesanbruch wurde das Lager aufgehoben; der
Schaffner schlug unter Beihülfe der Schwarzen das Zelt
ab und das Vieh wurde weiter getrieben. Darchy ritt
voraus und suchte passende Haltplätze für die Mittagszeit.
Dann und wann traf man noch Hirtenhäuser, wo man
frisches Fleisch haben konnte; auch waren die Schwarzen auf
der Jagd glücklich. Nach dreistündiger Rast zog man weiter
und legte bis zum Abend noch eine kleine Strecke weit zurück,
doch am ganzen Tage selten mehr als zehn englische Meilen.
Zwei Stunden vor Sonnenuntergang mußte man halt
machen, damit das Vieh weiden konnte. Bei Nacht war der
Dienst weit beschwerlicher als am Tage. Sehr oft wurden
die Ochfeu unruhig und wollten sich nicht niederlegen; bei
Dunkelheit mit Sturm oder unruhigem Wetter waren sie
immer in Bewegung. Manchmal kam aus unbekannter Ur-
sache ein plötzlicher Schrecken unter sie und dann brachen sie
durch, trotz allen Geschreies der Wächter, welche Feuerbrände
schwenkten, um sie zurückzutreiben. Am Morgen mußte man
sie dann von weit und breit her zusammentreiben. Uebrigens
haben die Ochsen, gleich den Menschen, ein Gefühl von der
Notwendigkeit, Oberhäupter nnd Führer anzuerkennen.
Der Squatter findet mit seinem geübten Blicke schon nach
wenigen Tagen heraus, welche Thiere Einfluß auf die an-
deren haben. Diese „Leiter" werden in besondere Obhut
genommen, und mit ihrer Hülse ist es verhältuißmäßig leicht,
die versprengten Ochsen wieder zusammenzubringen.
Der Nammoy, Castlereagh und Macquarie entspringen
am Westabhange der blauen Berge, strömen von Südost nach
Nordwest und fallen fämmtlich in den Darling, welcher von
Norden herkommt, und nach einem langen Lauf iu deu
Murray mündet. Darchy und Lenba zogen von Uiua am
Nammoy zwanzig Tage lang durch die Liverpool- nnd
Castlereagh-Ebene und kamen dann an den Macquarie, der
etwa so breit ist wie die Elbe bei Dresden. An seinen
Globus, Chronik der Reisen
Ufern trifft man, außer den Viehstationen, auch Ansiede-
lungen von ackerbautreibenden Leuten. Darchy fand in
Folge der Überschwemmungen das Wasser sehr hoch, und
mußte acht Tage liegen bleiben, ehe er die Ochsen hinüber-
treiben konnte. Die Schwarzen baneten rasch ein paar
Kähne aus Rinde der Gummibäume und schafften die Le-
bensmittel über das Wasser. Die Wagen wurden in der
Art hinübergezogen, daß man leere Tonnen an sie band und
die Pserde an langen Stricken vorspannte. Das ganze Land
zwischen den Flüsseu Macquarie und Lachlan bildet eine
weite, mit Gummibäumen und Mimosen bestandene Ebene
und ist Schafweide. Je weiter man sich vom Macquarie
entfernt, um so schlechter wird der Boden, und weite Strecken
find von Gestrüpp bedeckt, unter welchem Gras nicht gedeiht.
~er Zug gebrauchte fünfundzwanzig Tage, um jene Strecke
und Geographische Zeitung. 15
durch weiße Gummibäume und Mimosen bezeichnet. Gegen
Mittag brach die Sonne durch das Gewölk, uud mau glaubte
sich iu einem gelobten Lande. Das abgehungerte Vieh rannte
in die Grasebene und man gönnte ihm einige Ruhetage.
In Australien war also Frühlingsanfang, die Bäume
standen in Blüthe, Weide und Wasser war iu Menge vor-
Händen, die Reise schon bis ans das letzte Drittel zurück-
gelegt, uud dieses bot keine erheblichen Schwierigkeiten dar.
Lenba zog fortwährend am Lachlan hin, die Ochseu wurden
Nachts auf grasbedeckte Vorsprünge getrieben, große Halb-
inseln, welche der schlängelnde Fluß bildet, und ließen sich
dort leicht bewachen. Die Reisenden gingen auf die Jagd
oder deu Fischfang; Trappen und Kasuare rannten in
großer Menge über die Ebene, der Fluß war mit Wasser-
vögeln gleichsam bedeckt, und auf den Gummibäumen saßen
Ein australi
zurückzulegen, war fast die Hälfte dieser Zeit mitten in sol-
chem Gestrüpp, und es kostete große Mühe, die Ochsen in
langen Reihen hindurchzutreiben. Aber gerade in jenen
Gegend, wo Futter so spärlich war, mußte er doppelte
Tagereisen machen, um an einzelne feuchte, mit Gras be-
wachfene Stellen zu gelangen. Es war im September-
monat, und aus den Wolken strömte ununterbrochen ein
warmer Frühlingsregen herab, welcher das Ende des anstra-
tischen Winters verkündete.
Am 24. September waren die Reisenden drei Tage
lang durch dickes Gestrüpp gezogen uud bis auf die Haut
durchnäßt; da erblickten sie plötzlich die ausgedehnten, gras-
bewachsenen Ebenen am Lachlan; das Dickicht war wie ab-
geschnitten, etwa so wie in Europa ein junger Waldbestand,
welcher an Ackerfelder glänzt. Der Lauf des Flusses wurde
•x Squattcr.
Tauben zu Hunderten, reizende Thiere, graubraun, aschgrau,
gelb- oder rothbraun, oder auch mit bronzefarbigen Fittigen.
Die Schwarzen sammelten eine reiche Ernte von Eiern.
Es war ein idyllisches Leben, aber Gefahren stellten sich doch
auch eiu. Leuba saß eines Abends auf einem Baumstamm
am Flusse; in der einen Hand hielt er seine Tabackspfeife, in
der andern ein Glas mit Grog. Da gewahrte er zu seinem
Schrecken, daß eine große Diamantschlange, welche von
hinten auf den Baumstamm geschlüpft war, über seine Beine
hinwegkroch, um auf der andern Seite hinabzugleiten. Zum
Glück behielt er seine Fassung und bewegte sich nicht. Als
sie wieder am Boden war, sprang der Koch herbei uud
schlug sie tobt.
Am Lachlan machte der Zug täglich nur vier Weg-
stunden, um einen ganzen Monat lang die schöne Weide, auf
• M.
W
16 Globus, Chronik der Reisen
welcher die Ochsen prächtig gediehen, zu benutzen. Etwa
alle zehn englische Meilen weit fand man Stationen, und
das Vieh wird oft so schwer, daß man es nur mit Mühe iu
weitere Entfernungen treiben kann. Man hält nur wenige
Schafe, weil das Rindvieh gegen diese einen Widerwillen
hegt und da, wo jene geweidet haben, nicht fressen will, wäh-
rend im Gegentheil die Pferde gerade solche Stellen gern
aufsuchen. Eine Ochsenheerde kehrt um und läuft weg,
wenn man ihr einige Hammel entgegentreibt. Darchy's
Zug kam einmal dadurch in große Unordnung.
Endlich erreichte er Apple Hill unweit der Mündung
des Lachlan in den Murray, und trieb seine Heerde an
diesem letzten: entlang bis dahin, wo sich der Darling in
ihn ergießt. Die Landschaft wird durch unser Bild ver-
sinnlicht. Der Fluß war da, wo die Ochsen hindurch-
getrieben wurden, etwa eine Viertelstunde breit. Am Ufer
lagerten viele Schwarze, welche ihre Kähne den Reifenden
zur Verfügung stellten. Sie waren wohlgenährt, denn die
Jagd gab Ausbeute in Menge, und der Wilde versteht mit
seinem Wurfgeschoß, dem Bomerang, die Wasservögel zu
treffen. Diese Eingeborenen sind jetzt im Allgemeinen fried-
lich, denn sie kennen und fühlen die Ueberlegenheit der
Weißen, aber dann und wann treiben sie an den ent-
und Geographische Zeitung.
fernteren Stationen noch Vieh weg. Einst hatten sie uuge-
fähr dreihundert Ochsen geraubt und saßen eben beim Fest-
mahl, als etliche zwanzig Sqnatters, welche den Schwarzen
nachgeeilt waren, mitten in sie hineinsprengten. Diese wissen
ihre langen Peitschen, die sogenannten Stockwhips (man sehe
das Bild), ganz ausgezeichnet zu führen, und hieben mit den-
selben unbarmherzig anf die nackten Wilden los. Mehrere
von diesen wurden getödtet, die ganze Masse vertheilte sich
und floh nach allen Richtungen hin. Der Schwarze fürchtet
die Flinte nicht so sehr wie jene Stockpeitsche, und der mit
ihr bewaffnete Squatter zu Pferde jagt ihm Schrecken ein.
Darchy übergab am rechten Ufer des Murray dem
Käufer die Ochsen, bekam für jedes Haupt fünf Pfund zehn
Schillinge und hatte somit ungefähr viertausend Psund
Sterling Nutzen. Dann ging er nach Adelaide; die übrigen
Leute fanden Beschäftigung auf den Stationen der Um-
gegend, und Leuba ritt auf dem Wege nach Melbourne zu,
um wieder nach gering zu gelangen. Das war eine gefähr-
liche und beschwerliche Reife; unterwegs verlor er sein Pferd,
das iu einem Moraste versank, ging später von einer Station
zur andern, fand oftmals Tage lang keine solche, mußte
unter freiem Himmel schlafen, Hunger und Durst leideu, und
kam endlich wieder in weniger dünn bewohnte Gegenden.
Aus China.
Eröffnung der Handelsschifffahrt auf dem Iangtsekiang. — Die Ta'iking - Rebellen. — Die Gesandten in Peking
Der Sommerpalast und die Barbaren.
Die drei Kriege, welche England während der letzten
zwanzig Jahre gegen China geführt hat, sind von der euro-
päischen Seemacht in geradezu frevelhafter Weise gleichsam
vom Zaune gebrochen worden. Allemal war himmelschreien-
des Unrecht auf britischer Seite, und wenn man dieß auch
sonst nicht wüßte, so würde» die offenen Erklärungen im
englischen Parlamente darüber gar keinen Zweifel lassen.
Es war die gewöhnliche Brutalität John Bull's, der Mangel
an allem Sinn und allem Gefühl für Gerechtigkeit, der über-
all die britische Politik iu so bedauerlicher Weise kennzeichnet,
welche diese Kriege hervorrief. „Als gute Christen," fagt ein
anglochinesisches Blatt, „haben wir freilich nicht gehandelt,
aber als Engländer." Das ist genug.
Durch den Frieden von Tientsin vom 26. Juni 1858
war den Engländern gestattet worden, mit Kanffahrtei-
schiffen eine der Hauptverkehrsadern China's, deu gewalti-
gen Nantsekiang zn befahren. Die Engländer verletzten
aber sogleich diesen Vertrag, indem Lord Elgin mit fünf
Kriegsschiffen 120 deutsche Meilen den Strom hinauf-
fuhr. Mit Ausnahme von Schingkiang sollte vorläufig
kein anderer binnenländ ischer Hafen dem Verkehre eröffnet
werden. Durch deu neuen Bertrag von Peking sind diese
Beschränkungen beseitigt, und der Eröffnung des Handels
steht an und für sich kein Hinderniß mehr im Wege.
Ein großer Theil des Stromes und des Gebietes an
beiden Ufern befindet sich aber in der Gewalt der Taipiug-
Rebellen, welche seit 1851 den Fortbestand der kaiserlichen
Regierung bedrohen. Sie haben sich bemüht, mit den Euro-
päeru in gutes Einvernehmen zu kommen, weil ihnen daran
liegt, irgend einen Seehafen in Besitz zu nehmen und unmittel-
bar mit Fremden Handel treiben zu können. Im vorigen
Jahre wäre ihnen dieser Plan beinahe gelungen und sie hät-
teu ohne Zweifel den wichtigsten aller Häfen, Schanghai,
erobert, wenn sie nicht von den Engländern und Franzosen
mit Waffengewalt zurückgetrieben worden wären. Die Ant-
wort auf die Frage, weshalb diese sich in den chinesischen
Bürgerkrieg einmischten, ist leicht gegeben und sehr bezeichnend.
Die Rebellen haben den Genuß des Opiums verboten,
und Chinesen, welche den Opiumhandel beeinträchtigen, sind
natürliche Feinde der christlichen Engländer. Sie bilden
indessen immerhin eine Macht, der man nicht gerade allzn-
arg vor den Kopf stoßen darf. Gewiß haben die Ta'iping
arge Grausamkeiten verübt, etwa wie die Engländer in In-
dien, und das Land weit und breit verwüstet, aber am
schlimmsten bleibt, daß durch sie „trade is not oitly dis-
countenanced but even forbidden" (Overland China
Mail 15. April 1861), nämlich der Opiumhandel, denn der
Handel als solcher ist uicht verboten, wie sich aus folgenden
Nachrichten ergiebt, welche wir dem eben erwähnten, zu Hong-
kong erscheinenden, Blatte entnehmen.
Das erste Schiff, welches in gesetzmäßiger Weife den Han-
del auf dem Strome eröffnete, war der Dampfer Aangtse,
der am 22. Februar 1861 den Hafen von Schanghai
verließ, bis nach Hanken hinaufsteuerte und aiu 16. März
wieder zurückkam. Das Geschäft muß vorteilhaft gewesen
feilt, weil die Rheder sogleich einen dritten Dampfer in diese
Fahrt setzten. Denn schon früher war dasselbe mit dem
kleinen Dampfer Lanhna der Fall gewesen, der nur drei
Fuß Tiefgang bat und die Nebenflüsse des großen Stromes
befahren foll. Dieser ist dem Verkehre vollkommen eröffnet,
und die verschrieenen Rebellen haben ihrerseits alle zwischen der
kaiserlichen Regierung und den Engländern vereinbarten Be-
stinuuungen gern genehmigt. Consnln sind bereits in mehreren
Stromhäfen und vor denselben liegen zn etwaigem Schutz eng-
lischeKriegsschisse. Auch der bisher wenig beachtete Hafen Nin-
fchang ist eröffnet worden. Die Expedition unter Sir James
Hope war im März 1861 zurückgekommen, und der nord-
amerikanische Commodore Stribbling schickte sich seinerseits
Globus, Chronik der Reise
in Schanghai an, im April oder Mai gleichfalls bis Han-
ken, dem großen Handelscentrum, aufwärts zu dampfen.
Der Strom hat bis dorthin im Fahrwasser nirgends unter
20 Fuß Tiefe; nur bei Langschan ist eine seichtere Stelle.
Zunächst sind von den Engländern die Städte Schinkiang,
Hnkiang und Hangkeil als Stapelplätze ausgewählt worden.
Aus'dem Berichte der von Seiten der Handels-
kamlner zn Schanghai bevollmächtigten Kaufleute, welche
mit dein Viceadmiral Hope die Fahrt auf dem Strome im
Februar und März mitmachten, um Erkundigungen einzn-
ziehen, ergiebt sich Folgendes: Schwierigkeiten für dieSchis-
fahrt hat man nur unterhalb Nanking; in dieser Beziehung
ist die seichte Stelle bei Lanschan, 42 Miles von Wnsong
entfernt, hervorzuheben; dort wird man eine Lootsenstelle
errichten. Bon Nanking bis nach Hanken reichen die Karten
aus. Die Strömung war um jene Jahreszeit mäßig, 2 bis
31/2 Knoten in der Stunde. Doch steigt das Wasser im
Frühjahr, und im Juli und August wird bis in den Sep-
tember und Oktober eine weite Landstrecke um Hanken über-
fluthet, während der Strom 20 bis 30 Fuß über seinen
Decemberstand steigt. Zu allen Jahreszeiten fahren Dschon-
ken auf dem Flusse und benutzen den Wind.
Die Entfernungen sind von Schanghai nach: —
Schinkiang 138^ nautische Miles, nach Nanking (182)
435, Kinkiang (251) 433, Hanken (137) 570, Pohtschen
(157) 727 nautische Miles. Schinkiang selbst war noch in
den Händen der Kaiserlichen, der Berkehr am großen Kanal
von Süden her von den Rebellen gesperrt. Nanking, die
Hauptstadt der letzteren, war in größtem Verfalle. Huköu
liegt an der Ausmündung des Poyang-See's, ist aber
ein kleiner Platz. Der See ist im Allgemeinen seicht, hat
aber doch eine tiese und sichere Fahrbahn. In denselben
fallen nämlich viele schiffbare Ströme, welche aus den nach
Westen gelegenen fruchtbaren Bezirken kommen, in denen der
schwarze Thee wächst, z.B. der Fu und Kau, welche durch
die Provinz Kiangsi fließen und von dem Meilingpasse
kommen, über welchen von Canton her die Straße nach
Norden hinführt; die von Osten her in den Poyang-See
einströmenden Flüsse durchziehen die Gegenden des grünen
Thee's und sind durch eine große Anzahl von Kanälen mit
vielen anderen Gefließen des Binnenlandes in Verbindung
gesetzt worden. Die Stadt Kinkiang, am Strom, in der
Nähe des See's, ist nun durch die Rebellen verwüstet, soll
aber zu einem wichtigen Theemarkt erhoben werden. Bei
Wutscheu liegen gute Kohlen. Von Schinkiang bis Ngau-
king, in welcher letzteren Stadt (nicht zu verwechseln mit
Nan king) die Rebellen gerade von den Kaiserlichen belagert
wurden, gewahrten die Bevollmächtigten überall Spuren
von Verwüstung, weiter aufwärts sah es besser aus. Wenn
der Poyang-See den Mittelpunkt für eine nach allen Rich-
tungen hin sehr ausgedehnte Wasserverbindung bildet, so ist
Hangkeu, der wichtigste Stapelplatz im Innern China's,
gleichfalls der Ausgangs-, Knoten- und Endpunkt für ein
noch ausgedehnteres System von Wasser- und Landwegen
sowohl für den obern Ä)angtfekiang, dessen Zuflüsse und
jem\ welche sich in den Tnngting-See ergießen, wie für den
Flujz Han oder Seyang. Die Engländer wurden überall
sehr freundlich und zuvorkommend aufgenommen und leiteten
Handelsverbindungen ein.
Im Frühjahr unternahmen Engländer auch eine Reife
über.-».and von.(.anton nach Norden hin nach dem eben
erwähnten wichtigen ^>tapelplatze Hankön. Am 10. April
brachen Di. Dickson, der Kaufmann Thorbnrn, der Missio-
nar W. 3t. Butch und cht Herr Bonney auf. Sie wollten
über den Meilingpaß gehen, jenseit desselben die Wasserstraße
benutzen, von Hangkeu deu Yangtsekiang hinab nach
Globus 18KI. Nr. 1.
uud Geographische Zeitung. 1 7
Schanghai fahren und zur See nach Hongkong zurückkehren.
Wahrscheinlich erhalten wir durch sie interessante Aufschlüsse
über die zwischenliegenden Gegenden. Schon die Thatsachen,
daß vier Europäer eiue solche Reise wagen, legt kein nngün--
stiges Zeugnis; für die Chinesen ab.
Seit Anfang des Jahres 1861 sind von Canton ans
manche Ausflüge in's Innere, sowohl in's Gebirgsland als
aus dem Sikiang und dessen Nebenflüssen unternouimen
worden. Jene Reisenden wollten die Gegenden, welche sich
durch Seidenzncht auszeichnen, näher kennen lernen. Den
Vertragsbedingungen gemäß, führten sie Pässe, wurden von
den Mandarinen mit achtungsvoller Höflichkeit und vom
Volke sehr freundlich behandelt. Nur an einigen Plätzen,
von wo ans Antrieb der Europäer seither Menschen geraubt
und als Kuli's uach Euba verkauft worden sind, benahm die
Menge sich unfreundlich, weil sie in den Europäern überhaupt
nur Menschenräuber erblickt. Ju Tonghing wollten die
Engländer einen Führer miethen; dieser erklärte aber, er
möge mit Menschenräubern nichts zn schassen haben; „sie
würden ihn ja doch verkaufen, als ob er ein Schwein wäre."
In solchen Ruf haben sich die „eivilifirteu Christen" ge-
bracht!
Jene englischen Reisenden, welche von Canton einen
„kleinen Ausflug" über Land nach Hangken unternommen
haben, äußern iu ihren Briefen, daß Volk und Mandarinen
sich ganz trefflich benahmen. Ueberall war das Land be-
wnndernswürdig angebaut. Nördlich von Aing Tnck
besuchten sie den berühmten Felsen von Qnun Unne
San, in welchem sich eine geräumige Höhle befindet; diese
wird als Wirthshaus benutzt und durch Oellampen be-
leuchtet. Der ganze Anblick war so befremdend, daß die
Reisenden sich unwillkürlich an den Auftritt im Freischütz, iu
welchem Kaspar Kugeln gießt, gemahnt fühlten^').
Die kaiserliche Regierung, das geben selbst anglo-
indische Blätter zu, ist viel loyaler zu Werke gegaugen, als
die Politik der Engländer verdient, oder gar die napoleonische,
welche in China nicht einmal Handelsinteressen wahrznneh-
meu hat, aber am Kriege Theil nahm, um zu lärmen uud
von sich reden zu machen. Der Kaiser Hien Fnng hat in
der Pekinger amtlichen Zeitung ein Edikt erlassen (vom
4. December 18G0; iu Canton am 20. März 1861 ver-
öfsentlicht), demgemäß ein Ministerium der auswär-
tigen Angelegenheiten gebildet wurde. Damit ist nun
anerkannt, daß seine Regierung fortan auf dem Fuße der
Gleichheit Init fremden Staaten verkehren will, und dafür
spricht auch die Wahl der Männer, welche die neue Behörde
bilden. Auch hat sie derselben eine Anzahl gewandter Dol-
metscher beigegeben.
Was die Rebellen betrifft, so hält sich seit vorigem
Spätjahre der amerikanische Missionär I. I. Roberts bei
ihnen in Nanking auf. Wir haben von ihm mancherlei
Mitteilungen über seine Taipingfreuude gelesen; sie lassen
aber au Klarheit viel zu wünschen übrig. Einige seiner
Landsleute in Schanghai hatten deshalb einige bündig ge-
faßte Fragen an ihn gestellt, uud um deutliche Auskunft
gebeten. Hier sind sie, nebst deu Antworten des Herrn
Roberts.
*) Wir erhalten in dem Augenblicke, da diese Nummer iu die
Presse geht, die „Overland China Mail" vom 15. Juni mit der
Nachricht, daß die oben genannten vier Reisenden am 26. Mai
glücklich in Schanghai' angelaugt waren. Ihr „kleiner Ausflug"
von Canton durch die Provinz Hunan bis nach Hankön hatte
46 Tage in Anspruch genommen; sie fuhren von Hankön mit
einein amerikanischen Kriegsdampfer des Commodore Stnbblmg
ans den ?)angtsckiang nach Schanghai. Wir kommen auf den
Gegenstand zurück.
3
18 Globus, Chronik der Reisen
1. Welche Regierung haben die Taiping? — So viel
ich beobachten konnte: Kriegsgesetz. Neulich haben sie ein
Gesetzbuch drucken lassen, das ich noch nicht gelesen!
2. Haben sie eine regelmäßige Einrichtung? — Sie
haben sechs Bureaux, Aemter, wie die kaiserliche Regierung
in Peking. Aber die Beamten derselben begleiten jetzt den
König Kang Wang ans einem Feldzuge.
3. Ist das Volk, und sind insbesondere die besseren
Klassen ihrer Regierung günstig? — Den Satten bleibt keine
andere Wahl, als diese Regierung zu ertragen oder den Kops
einzubüßen. Sie unterwerfen sich ohne Murren.
4. Sind Staat und Kirche getrennt? — Ich habe
noch keine Kirche gebildet, und bevor ich kam, war keine vor-
handen. Ich glaube, daß in Tien Wangs Gebiet noch ein
ordinirter Geistlicher sich aushält, und meine, daß Tien
Wang (der Oberkönig der Rebellen) von Unterschied zwischen
Staat uud Kirche, und was dazu gehört, keinen bestimmten
Begriff habe.
5. Befolgen sie Glaubenslehren und Gebote des neuen
Testamentes? — Wie wäre das möglich ohne einen Pre-
diger? Sie befolgen jene Lehren und Gebote ganz bestimmt
nicht.
6. Was für Ausfichteu hat man auf friedliche Zu-
stände? — Jetzt ist keine Zeit von Friedeu zu reden; jetzt
ist eine Zeit wie jene Jehn's, der da fragte: „Was habe ich
mit Frieden zu thun?" Vor zwei Tagen ging einer ihrer
Könige mit einem Heer in's Feld, Kang Wang zog vor etwa
zwei Wochen aus und Tien Wangs Bruder wird demnächst
auch fortziehen. Dann werden etwa sieben oder acht ihrer
Könige mit Armeen im Felde stehen und fechten. Reden
Sie ihnen nicht von Frieden, bevor die „Teufelsbrut" (die
Kaiserlichen) ausgerottet worden ist; Sie könnten eben so
wohl dem Zehn vou Frieden sprechen, ehe er das Haus des
Ahab ausgerottet. Es scheint, als ob sie jetzt ihr Werk so
rasch als möglich vollenden möchten, und ich glaube, daß sie
nie zuvor so viele Streiter und königliche Befehlshaber als
jetzt in's Feld stellten.
7. Wollen Sie mir über ihre gegenwärtige Lage Aus-
kunft geben? — Auf diese Frage kann ich nicht näher ein-
gehen. Doch scheint mir Folgendes richtig zu sein: Nanking
hat von einem Angriffe der Kaiserlichen nichts zu besorgen,
wenn diese keine auswärtige Beihülfe haben. Die Taiping
sind in einem revolutionären Zustande, ohne Verbindung mit
fremden Völkern. Sie beten täglich zu Gott, unter dem
Namen himmlischer Vater, Schang ti, uud zum himmlischen
ältern Bruder, Christus, aber nicht nach den Vorschriften
des neuen Testaments. Sie haben keine regelmäßige Taufe
(„Eintauchung", denn Roberts ist Baptist) oder Abendmahl.
Die Gebete und Gesänge, welche ich 1847 in Canton den
(Stifter) Hung sin tsiuen lehrte, sind den meisten von ihnen
wie den Juden die Schlange des Moses, etwas Aeußerliches,
werden indeß täglich von Millionen wiederholt. Dies ist ihre
religiöse Lage. —
Das ist im Ganzen eine dürftige Auskunft. Die
Nachricht, welche zuerst eiu Pariser Blatt brachte, daß
nämlich die protestantischen Missionäre zwölf Kirchen in
Nanking bauen wollen, ist jedenfalls unrichtig. Wahr aber
bleibt, daß Engländer den Rebellen Waffen verkauft haben.
Zwei Briten, Bennet uud Mills, wurden von Seiten der
chinesischen Regierung deshalb verklagt, und der Gerichtshof
zu Schanghai verurtheilte im März 1861 den erstem zu
drei Monaten Gesängniß und fünftausend Dollars Geld-
strase, den letztern gleichfalls zu drei Monaten Haft und
zweihundert Dollars Strafe.
Bis jetzt läßt sich noch nicht absehen, daß die Rebellen
Bestandtheile höherer Gesittung in sich haben. Sie wüthen
und Geographische Zeitung.
wie rohe Barbaren; in Nanking haben sie den berühmten
Porzellanthurm eingerissen und die alten Kaisergräber zer-
stört, die doch chinesischen Dynastien angehörten. Seit acht
Jahren befinden sie sich im Besitze jener Stadt, und noch ist
sie zumeist ein Trümmerhaufen. Der Tien Wang, Ober-
könig, wohnt allerdings in einem schönen Palaste, seine
Person gilt für geheiligt, und er läßt sich nicht vor dem
Volke, souderu nur vor den zehn oder elf Unterkönigen sehen.
Die weibliche Umgebung dieses Himmelsfohnes besteht aus
ungefähr dreihundert Schönen, aber die Zahl der eigent-
lichen Gemahlinnen übersteigt nicht — acht und sechszig!
Daß die von den Taiping besetzten Gegenden in einer trau-
rigen Lage sich befiudeu, scheint außer allem Zweifel zu sein;
sie fordern von den Bauern eine Grundsteuer ein, die drei-
fach höher ist, als unter der kaiserlichen Regierung. Aber
auch diese letztere ist sehr schwach und durchaus zerrüttet.
Wir schließen den vorstehenden Mittheilungen noch
Einiges aus den Berichten an, welche bis zum Aufauge des
Maimouats gehen. Den Aangtsekiang befahren, außer
den oben erwähnten Schiffen, noch andere Dampfer, und
unter denselben einer, Fire Dart, von 200 Fuß Länge und
650 Tonnen Gehalt; er ist in Nen-Uork ganz nach dem
Muster der Schiffe gebant, welche sich für die Fahrt auf
dem Mississippi so zweckmäßig erwiesen haben. — Mehr
als fünfzig englische Matrosen, welche nach und nach aus
Schanghai' zu den kaiserlichen Truppen entflohen waren, sind
von diesen ausgeliefert worden. — Flußpiraten trieben ihr
Handwerk mit so großer Frechheit, daß man von Futscheu
aus ein Kanonenboot gegen sie aussandte, welche sechs
Räuberdschonken in den Grund bohrte, fünf verbrannte und
zwei nach Futschen aufbrachte.
Es ist eine unbestreitbareThatsache, daß allemal die
Engländer an den Kriegen schuld sind, welche sie in
fremden Erdtheilen zu führen haben. Nicht minder ist es
wahr, daß sie, und immer wieder sie, schuld an den Irrungen
und Unannehmlichkeiten sind, über welche sie dann in Presse
und Parlament so großen Lärm erheben, um gegen die Bar-
baren eisern zu können. „Aber gerade wir sind die
Barbaren" schrieb einst die „Overland China Mail",
und sie kennt ihre Landsleute.
John Bull spielt auch in China Macdonald,
er benimmt sich am Pe'lho wie zu Bonn am Rhein. Die
englisch-französischen Truppen lagen noch in Tientsin; am
25. und 26. März wurden die Flaggen der beiden Ge-
sandten, Bonrboulon und Bruce, welche in die kaiserliche
Hauptstadt gekommen waren, um dort zu bleiben, auf ihren
Palästen eutsaltet. Bruce hatte einige Tage vorher einen
Offizier vom Commissariat nach Peking vorausgeschickt, um
Lebensmittel zu besorgen. Dieses Nebenstück Macdonalds
heißt Foutblanc, und benahm sich so ungezogen, daß die
chinesischen Behörden schwere Klage über ihn führten. Der
Gesandte fand dieselbe begründet, und befahl dem Ge-
neral in Tientsin, ferner keinem Offizier den Besuch der
Stadt Peking zu gestatten. Die „Overland China Mail"
schreibt: „Das übermüthige Benehmen und das höchst uu-
verschämte Betragen mancher von nnsern Land- und See-
osfizieren ist zn nicht geringem Grade schnld an dem Wider-
willen, welchen die Orientalen ganz allgemein gegen den
englischen Charakter hegen. Jener Fontblanc hat wieder
einmal gezeigt, wie ein ungezogener und unerzogener Lon-
doner „Gentleman" sich aufführt!"
Dieselbe Zeituug spricht sich mit vollkommen gerecht-
fertigten: Unwillen gegen die Barbarei ihrer Landsleute bei
der bekannten Einäscherung des kaiserlichen Som-
merpalastes aus. Es stehe, sagt sie, den Engländern sehr
schlecht an, Gemeinplätze über die Rohheit der Vandalen
Schwarze am obern Senegal.
bietes soll gegenwärtig auf nahe an fünf Millionen Thaler ' FntaDialon, einen Lauf von etwa 40V französischen Meilen
sich belaufen. Dasselbe liefert Gummi, Erdnüsse und andere (Lieues) und ist in der Regenzeit von August bis November
Oelfrüchte, Häute, Arbeitsochsen für Westindien, Elfenbein, 250 Lieues weit für Schiffe von zwölf Fuß Tiefgang schiff'
Schisssbauholz und Getreidearten; auch gedeihen Indigo bar, nämlich bis Medina, das eine kleine Strecke weit unter-
und Baumwolle. Dazu kommt noch Gold in beträchtlicher halb des berühmten Wasserfalles von Feln liegt. Der süd
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
und der Muselmänner, welche die Bibliothek in Alexandria
verbrannten, zum Besten zn geben. Im Sommerpalaste
befand sich anch eine „Galerie der Quelle der Wis-
sensch asten," nämlich eine ungemein reichhaltige Bibliothek.
Der französische General protestirte gegen die Zerstörung der
äußerst werthvollen Schätze der Literatur, aber der englische
General ließ sie mit Vorbedacht vernichten, obgleich er Tau-
sende von Soldaten zur Hand hatte, welche die Bücher hätten
retten können. „Schimpf und Schande dieser vandalischen,
nein englischen, Barbarei fallen auf Großbritannien allein."
Wir heben mit Vergnügen hervor, daß jenes anglo-
chinesische Blatt dem ungeschlachten Gebahren, dem lügen-
haften planmäßigen Verdrehen von Thatsachen scharf ent-
gegentritt, in welchem sich die Cockneys und Rowdies der
Londoner Presse, namentlich die „Bullen der Times," ge-
fallen. Dasselbe läßt wiederholt den Chinesen Gerechtigkeit
widerfahren, und stellt die gentlemenartigen Sitten ihrer
Staatsmänner der „hochmüthigen Rohheit und dem Mangel
an Erziehung" entgegen, welche Lord Elgins Bruder, der
jetzt in Peking residirende Gesandte Bruce, in so bedauerus-
werther Weise bethätigt habe. Er und nur er allein sei durch
sein stupid-hochfahrendes Wesen am dritten Kriege gegen
China schuld gewesen; er habe Flegelei mit staatsmännischer
Würde verwechselt und sich „nngentlemanly" benomnien.
Paseals Wanderung durch das Goldland Bamlnck am Faleme und Senegal.
Die Region am Senegal. — Die heidnischen Malinke und die Verwüstungen durch die Mohammedaner. — Der Goldreichthnm von
Bambnk. — Die Katarakten. — Eine Springfluth.
Jener Theil Westasrika's, welcher im Süden die große Menge, denn namentlich das Land Bambuk, zwischen dem
Wüste begränzt, hat in unseren Tagen eine gesteigerte Wich- Faleme und Senegal, ist eines der goldreichsten Länder der
tigkeit für den Verkehr gewonnen. Die jährliche Handels- Erde.
bewegnng des von den Franzosen am Senegal besetzten Ge- Der Senegal hat seine Quellen in der Landschaft
20 Glovus, Chronik der Reisen
liche Hauptarm, der Faleme, kann auf einer Strecke von
40 solcher Meilen von Schiffen mit sechs Fuß Tiefgang
befahren werden.
Auf dem Senegal ging zuerst 1854 ein Dampfer bis
Bakel hinan; jetzt unterhalten die Franzosen eine aus zwölf
kleinen bewaffneten Dampfern bestehende Flotte auf diesem
Strome. Sie haben seit jener Zeit sehr bedeutende Erobe-
rnngen gemacht, die maurischen Stämme der Wüste, welche
auch auf das linke Stromufer hinübergedrungen waren, ge-
demüthigt, und man kann sagen, daß gegenwärtig beinahe
das ganze Senegalgebiet von ihnen abhängig sei. Offenbar
wollen sie vom obern Senegal bis an den obern Niger dringen
und den Handel desselben nach ihrem eigenen Gebiete hin-
lenken. Vor Allem kommt es ihnen darauf an, die moham-
medanischen Stämme, Mauren wie Schwarze, die Gewalt
und Geographische Zeitung.
station am Senegal, abgeschickt. Er sollte am Faleme bis
Cholobo hinaufreisen, also bis dahin, wo einst Mungo Park
diesen Fluß überschritt, und durch Bambnk an den Senegal
gehen. So durchwanderte er den innern Winkel zwischen den
beiden Flüssen und kam über das Tambanragebirge, welches
beide Becken von einander trennt.
Am 6. December 1859 verließ er Bakel und ging
dann am Faleme hinauf nach Kenieba, wo er die Gold-
region untersuchte. Wir erfahren von ihm, daß dort schon
französische Anstalten vorhanden sind, welche dieselbe aus-
beuten. Die Gegend ist 1858 in Besitz genommen worden.
Am 20. December trat er seine eigentliche Reise an. Er
nahm einen europäischen Unteroffizier, zwei schwarze Scharf-
schützen und vier Laptots mit. Laptots nennt man die
Eingeborenen, welche gegen Sold den Besatznugsdieust auf
Fischer auf
ihrer Waffen fühlen zu lassen, und sie haben, wie wir in
einer späteru Nummer des Globus zeigen werden, in dieser
Hinsicht schon bedeutenden Erfolg errungen, indem sie gegen
das weitere Vordringen der Bekenner des Islam eine
Schranke zogen. Das Land Bambnk ist uoch im Besitz Heid-
nischer Mandingo, oder wie sie im Lande selber heißen,
Malinke, und diese sind natürliche Verbündete der Fran-
zosen gegen die Mohammedaner. Von Bambnk geht der Weg
an den obern Niger, nnd deshalb haben die Franzosen in
allerjüngster Zeit Militärposten am obern Laufe des Senegal
bis über die Katarakten von Gnina hinaus zu gründen be-
schlössen. Sie fanden hu Lande selbst treue Verbündete, nnd
es lag ihnen daran, die Gegend selbst genauer kennen zu
lernen. Zu diesem Zwecke wurde der Marinelientenant
S. L. Pascal im Spätjahre 1859 von Bakel, einer Haupt-
>n Senegal.
den verschiedenen Militärposten versehen. Außerdem hatte
er einen Dolmetscher. Salz ist in Bambuk theurer als Gold
und bildet einen wichtigen Handelsartikel.
Von Kenieba führte der Weg nach San fand ig, das
fünf Minuten von Faleme liegt. Es ist ein nur aus einem
Dutzend armseliger Hütten bestehendes Dorf, in welchem
Penls (Fulbe, Fellatah) wohnen, die anfangs vor dem wei-
ßen Manne Furcht hatten und entflohen, dann aber zurück-
kamen und sich erboten, ihm die Goldlager am Flusse zu
zeigen. Weiter aufwärts, bei dem in Trümmern liegenden
Dorfe Kare Fattendi, wo prächtige Tamarindenbäume
stehen, war der Fluß sehr tief uud der Hippopotamus iu
großer Menge vorhanden; der Boden ist fruchtbar, aber
Alles lag öde in Folge der Verwüstungen, welche Al Hadschi,
ein fanatischer Mohammedaner, seit einigen Jahren ange-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
richtet hatte. Er wollte ein Reich am obern Niger und am
Senegal gründen, ist aber von den Franzosen mehrfach aus
das Haupt geschlagen worden. Auch beim DorfAlinkel
wurde Pascal vom Häuptling zn den Fundstellen des Goldes
am Flusse geleitet, der dort ungefähr zweihundert Schritte
breit ist. Am Ufer stehen hohe Bäume, das Bett strömt in
Cascaden und die Landschaft macht einen anmuthigen Ein-
druck. Am Abend hielten die Laptots ein leckeres Mahl,
denn die Dorfbewohner hatten ihnen ein Stück von einem
— Cayman überlassen! Am andern Tage kamen die Rei-
das rechte Ufer hinüber, und bald nahe an demselben oder
etwas entfernt ttt südsüdöstlicher Richtung nach Diachalel,
einem gleichfalls von Al Hadfchi verwüsteten Dorfe, wo
viele Baobabbäume, Weinpalmen und Bambus stehen. Auch
dort wird Gold gewaschen, ebenso bei dem großen Dorfe
Ka ffacho, das nur eiue Stunde Wegs entfernt liegt.
Hier schlug Pascal sein Zelt außerhalb des Ortes aus
und machte dem Häuptliug einen Besuch, welchen der-
selbe inmitten von etwa hundert schwarzen, mit Flinten
bewaffneten Kriegern entgegennahm und bald nachher erwie-
Die Felu-Wasserfälle im Senegal.
senden über ausgetrocknete Flußbetten, sogenannte Marigots,
durch hohes Gras, Mimosengebüsche und Gestrüpp, das
mächtig aufgeschossen war uud Schutz gegen die Sonnen-
strahlen gewährte. In Farabana, dem nächsten Orte,
wohnen M alinkes, welche denselben mit einer Mauer und
Basteien umzogen hatten. Auch diese Gegend ist sehr gold-
reich, und wenn der Faleme niedriges Wasser hat, sammeln
die Leute das edle Metall ans dem Userschlamm oder Sande.
Pascal war Zenge davon. Er ging an diesem Punkt auf
derte. Er brachte seinen Griot mit, einen Hofsänger, wel-
cher das Lob des großen weißen Häuptlings, nämlich des
Lieutenants Pascal, verkünden mußte. Diese Malinkes
wünschen, daß die Weißen in ihrem Lande sich festsetzen,
weil sie dann vor der Unterjochung durch Mohammedaner
sicher sind. Sie ehrten den Reisenden durch Gesänge, Tänze
und eine entsetzliche Musik, welche sie durch Trommeln und
das Znsammenschlagen eiserner Castagnetten hervorbrachten.
Der Weg nach Tambala führt durch Berge, wo man bei
22 Glovus, Chronik der Reise
jedem Schritte Eisen und Quarz findet. Der Marigot
Dnngu Choba ist so reich an Gold, daß Pascal ihn mit
dem Pactolus vergleicht. Ueberall waren die Schwarzen
sehr freundlich; nur iu S abuc ir zeigte der Häuptling zuerst
einiges Mißtrauen, kam aber bald, um sich zu entschuldigen.
Der Weg von dort nach Fuutamba am Faleme führt
durch ein schönes, fruchtbares Thal. Die Dorfleute sind,
wie alle Uferanwohner, auch jene des Senegal, sehr gewandte
Fischer mit dem Speer und jagen Flußpferde. Hippopotamns-
fleisch ist bei ihnen ebenso beliebt wie das vom Cayman.
Sie legen sich in einen Hinterhalt, warten geduldig, bis das
Thier an's Land kommt und schießen dann mit eisernen
Kugeln. In allen Dörfern bis nach Nanifara hin, das
etwa drei Viertel Stunden vom Faleme entfernt liegt, wird
Gold gewaschen.
Dort giug Pascal wieder auf das linke Ufer hinüber,
weil auf der andern Seite sich viele Marigots befinden. Als
er bei Chaffakiri anlangte, wo mehr als hundert Flinten
tragende Männer wohnen, war der Schrecken groß; die Leute
liefen in ihre Hütten und wollten nicht aus dem Dorfe
herauskommen. Pascal schickte erst seinen Dolmetscher, der
aber nichts ausrichtete; dann ging er selbst zum Häuptling,
um denselben zu beruhigen. Der Schwarze gab zitternd
dem weißen Manne die Hand, und klagte später, daß Alle
in großem Elend lebten; sie hätten weder Salz noch Pulver
und könnten aus den Handelsplätzen überhaupt keine Waa-
ren erhalten, weil in manchen zwischenliegenden Dörfern
Ranb oder Plünderung vorkommen. Pascal gab ihm be-
ruhigende Zusicherungen für die Folge, und nun war Heiter-
fett im ganzen Dorfe; die Leute tanzten und sangen bis zum
Morgen. Außer auf Trommeln und Castagnetten arbeiteten
die Musiker auch auf zwei riesigen Zithern, die zwölf bis
fünfzehn Saiten hatten und gleich einem Tamburin mit
Schellen behängt waren. Von Chassakiri kam Pascal nach
Cholobo, wohin er über den Faleme setzte. Dort sind die
Flußpserde äußerst gefährlich, und die Schwarzen wagen
sich deshalb nicht in's Wasser. Dieses sehr große Dorf ist
von Malinkes bewohnt und von einer Ringmauer ans ge-
trockneter Erde umgeben; auch innerhalb derselben hat jedes
einzelne Haus uoch seine besondere Befestigung. Die Haupt-
mairer ist ziemlich fest, die Bastionen sind rund und mit
einem kegelförmigen Dache gedeckt. Sie haben ein Stock-
werk in gleicher Höhe mit der Conrtine, neun bis zehn Fuß
über dem Boden, und dieses Gemach dient als Getreide-
speicher. Die Wohnbütten bestehen gleichfalls nur aus ge-
stampster Erde, die Dachsparren, welche man mit Gras und
Blättern überdeckt, sind Bambusstäbe. In diesen Hütten
stehen zum Aufbewahren des Getreides sechs Fnß hohe
Thongefäße.
Die Ortschaften der Malinkes sind unabhängig von
einander; jedes Dorf bildet eiue Art Republik unter einem
erblichen Häuptlinge. Religiöser Cultus kommt nicht vor;
die Rechtspflege wird von den Dorfvorstehern geübt, falls
nicht das Recht des Stärkern sich schon von vorne herein
geltend macht. Bei Heirathen macht man weiter keine Um-
stände und alle Kinder gelten für gleich. Die Malinkes an:
Faleme sind verschmitzt, feig und diebisch. Alle kleiden sich
in Zeuge, die man im Lande selbst webt und mit Pflanzen-
saft gelblich-schwarz färbt. Der Mann trägt immer die
Flinte in der Hand; Schießwaffe und Pulver bekommen sie
von Gambia. Alles beschäftigt sich mit Goldsuchen, und
es giebt in ganz Bambnk kein einziges Dorf, wo
man nicht aus den Flüssen, trockenen Bächen oder
gegrabenen Brunnen und Schachten Gold ge-
winne. Die Männer heben den Sand oder Schlamm
heraus und die Frauen besorgen das Herauswaschen des
t und Geographische Zeitung.
edeln Metalles. Frankreich will sich dort ein Californien
schaffen. _ . ^
Die Malinkes machen unter einem freien Manne und
einem Sklaven kaum einen Unterschied. Der letztere, gewöhn-
lich ein Gefangener, arbeitet für seinen Herrn, dem er ge-
horcht, aber im Uebrigen stehen sie als Gleiche neben ein-
ander. Im Allgemeinen sind sie stark und kräftig gewachsen,
doch trifft man nicht selten Kröpfe, fleischige Auswüchse,
Klumpfüße und Geschwüre. Die Anwohner des Faleme
sind nicht ganz fo roh wie jene im innern Berglande, lieben
die Geselligkeit, kommen häufig zusammen, um die öffeut-
licheu Angelegenheiten zu besprechen und sich etwas zu erzäh-
leu. Die schon erwähnten Griots wissen dann allerlei über
die Großthaten der Vorfahren mitzutheilen. Auf dem öffeut-
licheu Platze des Dorfes sitzen die Männer auf einer Er-
höhung von Bambus, der etwa sechzig bis neunzig Fuß in's
Gevierte hat.
Bambuk ist im Allgemeinen fruchtbar und könnte bei
geordneten Verhältnissen viel Getreide, namentlich Reis
ausführen. Pferde, welche bei den Bewohnern des rechten
Senegalufers häufig sind, kommen nur selten, höchstens bei
einigen Häuptlingen, vor. Mau glaubt, sie könnten nicht
gedeihen, aber die fünf, welche Pascal bei fich hatte, blieben
gesund. Die Eingebornen behaupten, daß die Blätter eines
gewissen Baumes in's Wasser fielen und demselben sehr schäd-
liche Bestandteile zubrächteu, wovon die Thiere stürben.
Im ganzen Lande ist man von den nachteiligen Eigenschaf-
ten des Wassers in Bambuk überzeugt; Pascal bestätigt die
Thatsache und hält für ausgemacht, daß der so überaus
metallreiche Boden die Schuld davon trage.
Die Karawanen verwenden zum Lasttragen nur Esel,
welche lange Reisen und große Entbehrungen vertragen,
während sie mit dürftigem Futter sich begnügen. Hornvieh
ist jetzt, nachdem die Mohammedaner so viele Heerden weg-
getrieben haben, nur in geringer Menge vorhanden; die
Schafe sind klein und kommen nur im Gebirgslande vor.
Bon Cholobe aus nahm Pascal den Weg nach dem
Innern hin in nordöstlicher Richtung, durch ein gebirgiges
Land, wo überall Eisen zu Tage liegt und der saftige Pflan^
zenwuchs in den Thalgründen fcharf gegen das dürre Hügel
land absticht. Gold wird immer häufiger und kommt in
wachsender Menge vor, je mehr man sich der Bergkette
Tamba Ura nähert. Am südwestlichen Fuße derselben
liegt Kofulabe, iu dessen Nähe Pascal mehrere jetzt ver-
lassene Schachte fand; sie find nur mit Rankengewächsen
und dornigem Gestrüpp bewachsen, und erinnerten den Reisen-
den an die Ereignisse, welche Mungo Park vor länger als
einem halben Jahrhundert in jenen Gegenden gesehen und
beschrieben hat.
Hart am Fuße des Gebirges liegt iu einer Ebene,
welche sich den: ganzen Tamba Ura entlang zieht, das Dorf
Dialafara. Das Gebirge bildet einen weit einspringen-
den Winkel oder Bogen, und der Ort ist wichtig, weil die
zum Senegal gehenden Karawanen dort anhalten. Alle
Wasserläufe, welche zum Faleme gehen, kommen von dieser
Bergkette, die einen zusammenhängenden Kamm hat, aber
lebendige Quellen mangeln ihm nnd deshalb sind diese
Wasserläufe nur Marigots, welche durch dasRegeuwasser
entstehen und in der dürren Jahreszeit fast gänzlich ans-
trocknen. Alle ohne Ausnahme führen Gold.
Pascal wurde in Dialafara sehr gut aufgenommen;
der Häuptling kam ihm entgegen und entfaltete möglichst
viel Pomp. Er war von seiner Familie und den Griots be-
gleitet, und äußerte, daß er iu der Ankunft des weißen Man -
nes ein Glück für das Land sehe; die Weißen möchten nur
kommen und bei ihm eiue Niederlassung gründen, wie sie
Globus, Chronik der Reisen
schon in Kenieba gethan hätten. Dann sandte er Milch und
Reis. Am Nenjahrstag 1860 kam der Reisende durch eine
ganze Reihe von Dörfern im Gebirge, das phantastische,
sehr malerische Gestaltungen zeigt. In den Schluchten hal-
ten sich viele hnndsköpfige Affen auf. Ueberall beschäftigen
sich die Leute mit Goldsuchen. Pascal zog in Nordwest-
licher Richtung bis Serechoto, das auf einem Kreuzwege
liegt, wo sich mehrere Straßenzüge durchschneiden. Es ist
nur 25 Lieues von der mehrfach erwähnten französischen
Niederlassung Kenieba entfernt und befindet sich recht im
-littelpuukte der goldreichsten Districte Netecho und Ehacha-
diau. Bis dorthin sollen einst die Portugiesen vorge-
drnngen sein.
Barka, Bruder des Königs Semunu von Natiaga,
erbot sich, den Reisenden durch das Gebirge bis zu deu
Wasserfällen von Guiua zu geleiten, und so zog Pascal am
3. 'Januar durch deu Engpaß von Kurndaba, das
„Felsenthor", welches den einzigen Weg durch das Gebirge
nach Natiaga bildet. Er ist etwa 130 Fuß breit und geht
von Westen nach Osten, seine Wände siud steil wie Mauern;
die oberen Lagen treten über die unteren hervor und die
Bahn ist wegen des vielen Felsgetrümmers sehr unbequem.
Der Weg durch Natiaga nahm zwei Tage in Anspruch.
Pascal traf unterwegs keiu Dorf, der Boden war nun nicht
mehr eisenhaltig, das Quarzgestein kam auch uicht ferner
vor, sondern ein sehr feiner, harter Sandstein. Als er am
Abend des zweiten Tages ans einer Bergschlucht herauskam,
erhoben sich plötzlich vor ihm drei gewaltige Pyramiden, die
so regelmäßig waren, daß sie wie ein Werk der Kunst aus-
saheu. Am 4. Januar erreichte er an der Mündung des
Marigot Bagncho den Senegal, und blieb im Dorfe Ba-
ganura, das durch die Mohammedaner verwüstet worden
war. Die gesamnlte Einwohnerschaft bestand ans vier
Schmieden, armen Leute», die kaum etwas zn essen hatten.
Zehn oder zwölf Lieues oberhalb Baganura liegt die
Mündung der beiden Stromarme, welche den obern Se-
negal bilden. Der eine, der Bachoi, weiße Strom (Choi,
m der Maudingofprache weiß), ist der einzige Zufluß,
welchen die hohe Bergregion von Djalon dem rechten User
und Geographische Zeitung. 23
des eigentlichen Senegal, d.h. des Ba fing, schwarzen
Wassers, zusendet. Der Ba-ule oder rothe Fluß, deu man
seither für einen Hauptzufluß des Bafiug gehalten hatte,
läuft nach Osten und mündet bei Kulukoro, oberhalb Aamina
iu den Djioliba (Niger). Er ist schmal; über seine Quelle
kouute Pascal nichts erfahren.
Baganura liegt unweit der Ka t a r a k t e n v o n G n i n a,
deren Brausen man schon in weiter Ferne hört. Der Rei-
sende entwirft eine sehr lebhafte Schilderung. Als er aus
einem Hohlweg heraustrat, lag ein prachtvolles Schauspiel
vor seinen Blicken. In einer Breite von mehr als 1200
Fuß stürzt das Wasser anderthalb hundert Fuß hinab;
während der Regenzeit ist aber die Breite gewiß noch einmal
so beträchtlich und am linken Ufer muß der Fall gewiß 180
Fuß messen. Dort ragen breite, ellendicke Sandsteinplatten
12 bis 15 Fuß über den Abgrund hinaus. Der Strom
läuft vou Norden nach Süden, die Felsenleiste, welche ihn
durchsetzt, von Osten nach Westen. Das Becken oberhalb
des Kataraktes ist nicht breiter als dieser selbst; in der Mitte
erheben sich einige Felsen, an welche der Aberglaube allerlei
Sagen knüpft. Uebrigens hat das Ganze etwas Regelmäßi-
ges und läßt sich leicht übersehen. Die Umgebungen sind
ganz kahl und dürr, nur steht am rechten Ufer anf einem
Weae ein Baobab, am linken liegt ein wenig abwärts das
Dorf Gnina.
Am 6. Januar verließ Pascal Baganura und war
am 8. iu Mediua, wo die Franzosen einen Militärposten
haben. Der Weg führte am linken Ufer durch eine ungemein
üppige Gegend, an den berühmten Felu-Wassersälleu
vorbei, welche der Senegal oberhalb Mediua bildet. Unsere
Abbildung versinnlicht denselben.
Eine andere Tafel giebt ein anschauliches Bild von
einer Springflnth bei Rnfisqne. Dieses Dorf liegt
nahe dem grünen Vorgebirge, wo diese Flnth oft mit großer
Heftigkeit auftritt, und schon mehr als einem Schiffe gefähr-
lich geworden ist. Sie stürmt gewaltig in die engen Buchten
hinein, und wehe dem Fahrzeuge, das sich überraschen läßt,
wie in: Jahre 1859 ein Dampfer, der an den Felsen schei-
terte.
Das Kapitelhaus der Christusritter zu Thomar in Portugal.
Das Königreich Portugal hat große Tage gehabt und kann
mit Stolz auf das fünfzehnte Jahrhundert zurücksehen. Damals,
und noch in der ersten Hälfte des folgenden Säculums, trieb ein
kühner Unternehmungsgeist viele Bewohner des kleinen Landes auf
>see, in ferne Gegenden als Entdecker und Eroberer. Dieser
Geist belebte auch die Christusritter, welche in Portugal das Erbe
der berühmten Tempelherren antraten und als eine Fortsetzung
dieses im Jahre 1312 aufgehobenen Ordens zu betrachten sind.
Zwar that der Papst Einspruch, aber König Dionysius gewährte
den Sattem seinen mächtigen Schntz und erwirkte 1319 für sie in
Rom die Bestätigung. Der alte Orden bestand in neuer Gestalt fort.
Anfangs hatte er seinen Hauptsitz im Casiel Marim, der afrikani-
schen Küste gegenüber, seit 1329 warT ho mar in Estremadnra seine
Hauptstadt. Erst 1789 wurde er säcnlarifirt und in einen Militär-
und Civilverdicustorden neuen Schlages umgewandelt. Indessen
behielten die 9iittcr noch bedeutende Einkünfte bis 1834; dann
wurden anch diese eingezogen und der Orden ist nun so moderner
Art, wie die meisten anderen.
Aber er hatte einst eine hervorragende Bedeutung, besaß ein-
undzwanzig Städte, vinhundertundsiebenzig Eommenden, und
der große Infant Heinrich, welcher sich den Beinamen des See-
sahrers erworben, war sein Großmeister. Die Ritter unterstützten
ihn in seinen Plänen und erhielten durch ihn ein Alleinrecht anf
Schifffahrten in ferne Gegenden. Heinrich, der Seefahrer und
Geograph, wollte neue Länder entdecken, die bisher verborgenen
Thcile der fremden Erdtheile, insbesondere Asrika's, besuchen lassen
und gab den Anstoß zu jenen Entdeckungsreisen, durch welche sein
Name, gemeinschaftlich mit vielen kühnen Seefahrern, unsterblich
geworden ist. Die Christusritter betheiligten sich mit lebendigem
Eifer und gaben Geld mit vollen Händen; sie nahmen an den
Seezügen Theil, weil es für sie darauf ankam, die Menschen in den
neuentdeckten Ländern mit der Lehre dessen bekannt zn machen, nach
dem sie sich nannten.
Binnen einem halben Jahrhundert gelangten die portngie-
sischen Seefahrer bis nach den Molukken und bis nach Brasilien;
sie erfüllten die Erde mit dem Ruhme ihrer Tapferkeit und schän-
deten ihren Namen durch blutige Grausamkeiten, zu welchen der
Glaubensfauatismns sie aufstachelte. Sie .stiegeu empor und sanken
wieder hinab wie ein Meteor. Noch ein halbes Jahrhundert, und
sie gehorchten der spanischen Krone. Später, 1649, wurde ihr
Land wieder unabhängig und verharrt seitdem iu einer bescheidenen
Stellung.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
25
26
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Manche schöne Denkmäler der Baukunst erinnern an die glän-
zenden Zeiten der Christusritter, vor allen ihr Kapitelhaus in
Themar; diese Architektur trägt ein geographisches Gepräge, sie
zeigt, daß Seefahrer ein solches Werk ausführten, Männer von
reicher Einbildungskraft und vom Geschmack der romantischen Ritter-
zeit. Unter dem obern Kreuze, das als Sinnbild der Glaubens-
trene alles Andere überragt, ist das Ritterkreuz von Aviz auf dem
hohen Theile der Gallerie, deren Geländer von Wappenschildern
gebildet wird. In den Ringen laufen Schiffstaue; die verschlnng-
nen Knoten an den Pfeilern stellen kleinere Schiffsleinen vor; in
dem länglich runden Fenster ist ein zusammengerolltes Tan mit
Segeln umgeben; die steinernen Ritter deuten an, daß tapfere
Männer sich auf das Meer wagen, an welches die Nachbildung der
Seekräuter, Korallen nnd Polypen erinnert.
Das ist redende Architektur, voll, üppig, romantisch, südlich,
mittelalterlich. Wer den Maßstab klassischer Einfachheit anlegt,
wird diese Bauart des Kapitelhauses iu Thomar viel zu reich und
überladen finden. Aber die Kunst braucht nicht immer streng
klassisch zu sein und sich au hergebrachte Schönheitsformen zu bin-
den, am allerwenigsten dann, wenn sie auch auö dem Steine reden
will, wie hier. Saxa loquuntur, kann man mit vollem Rechte
sagen. Wir haben ein Gebände von geographischer Bedeutung vor
nus, das einen großen Eindruck macht, und an Zeiten erinnert,
in welchen die großen Entdeckungen begannen.
Neue Nachrichten über Livingstone und die Missionare in Innerafrika.
Ein kühner Jäger, Baldwin, ist der erste Reisende gewesen,
welcher von Port Natal bis an den Sambesi vorgedrungen ist,
und der zweite, welcher die vor fünf Jahren von Liviugstone cnt-
deckten Victoria-Katarakten im Liambaye gesehen hat.
Nachdem er längere Zeit im Gebiete der Kaffern der Jagd obgelegen,
ließ er wegen der giftigen Stechfliege, der verderblichen Tfetfe, seine
Wägen und Ochsen zurück, um nach Nordwesten hin iu's Innere
vorzudringen. Die Blätter in der Capstadt erzählen, daß seine
Leute ihm dorthin nicht folgen wollten, er aber entschloß sich kurz
und machte sich mit Flinte und Taschenkompaß allein und zu Fuß
auf den Weg nach jenen Wasserfällen. Er hatte weiter nichts bei
sich als eine Karte nnd Livingstone'^ Beschreibung der Katarakten.
Seine Reise war ungemein beschwerlich; oft fehlte es ihm an Trink-
waffer, er traf sehr häufig auf wilde Thiere, und war dann freudig
überrascht, als er sich unvermnthet am Strome befand, etwa
anderthalb Wegstunden unterhalb der Wasserfälle! Der Fluß war
an jener Stelle mindestens viertausend Aards breit, es lagen aber
iu ihm viele zum Theil sehr breite Inseln. Endlich erschien ein
Nachen. Baldwin bewirlhete die Eingebornen mit dem Fleische
eines von ihm erlegten Rhinoceros und sandte einen Theil desselben
an deu Häuptling. Am andern Tage erschienen dann einige
Kähne, um den weißen Mann überzusetzen. Das Wetter war
heiß, und Baldwin konnte der Versuchung nicht widerstehen , ein
Bad zu nehmen; er sprang also ohne Weiteres in den Fluß und
war auch so glücklich, wohlbehalten wieder heraus zu kommen. Er
dachte nicht daran, daß es in demselben von Krokodillen wimmelt;
die Eingebornen halten es schon für gefährlich, auch nur eine
Hand in's Wasser zn halten. Einige Tage später wurde dann
auch ein Kaffer, welcher Wasser schöpfen wollte, von einem solchen
Flußungehencr gepackt und fortgeschleppt. Baldwin stellte sich dem
Unterhäuptling der Batakas vor, der ihn fragte, wer er sei und
wie er seinen Weg bis hierher gefunden habe? Der Reisende eut-
gegnete, er sei ein Engländer, zeigte dann seinen Taschenkompaß,
nnd gab zu verstehen, daß Livingstone ihn in diese Gegend bestellt
habe. Baldwin begab sich dann zu den Katarakten, deren Gebraus
er schon in einer Entfernung von drei englischen Meilen vernahm.
Er war erstaunt über die Großartigkeit dieser gewaltigen Natur-
erscheinnng, und bemerkt, daß Livingsione's bekannte Beschreibung
dieser Wasserfälle der Wirklichkeit gegenüber schwach und blaß
erscheine, weil überhaupt keine Schilderung mit Worten ihre wilde
und gewaltige Großartigkeit darzustellen vermöge. Als er dann
zu dem Kasserdorfe zurückkehrte, behandelten die Eingeborenen ihn
als Gefangenen, ohne zu sagen warum. Er befand sich allerdings
in einer bedenklichen Lage, weil sie ihm auch die Waffen genommen
hatten. Da kam nach einigen Tagen Doetor Livingstone an, be-
gleitet von seinem Bruder Karl, Doctor Kirk und zweinndsechszig
Makololos. Alle waren mit doppelläufigen Flinten bewaffnet.
Livingstone war unterwegs zu seinem alten Freunde Sekeletn,
I wollte nach dessen Hauptdorf Liuyauti und war vor zweinndfechs-
zig Tagen von Tete am Sambesi aufgebrochen. Diese ganze
Strecke hat er zu Fuße zurückgelegt nnd ist dabei gesund geblieben.
Als er die Kaffern fragte, weshalb sie den weißen Mann unter so
strenger Aufsicht gehalten, gaben sie eine in der That sehr ergötz-
liche Erklärung. Jener, sagten sie, wäre auf eine höchst über-
raschende Weise bei ihnen erschienen und dann sofort in den Flnß
gesprungen. Das wolle etwa eben so viel bedeuten, wie ein Selbst-
mord. Dann hätte er sich zn den Katarakten begeben und sei nach
Stellen hingeklettert, wohin sich kaum ein Affe wage. Es sei klar
gewesen, daß er sich mit alle dem habe nm's Leben bringen wollen;
wäre er aber umgekommen, dann würde Livingstone geglaubt
haben, sie, die Kaffern, seien Schuld an seinem Tode. Deßhalb
habe mau ihn unter genaue Aufsicht gestellt und so wäre er am
Leben geblieben.
In den uns vorliegenden Berichten vermissen wir das Datum
des Zusammentreffens zwischen Baldwin und Livingstone. Einer
andern Mittheilung entnehmen wir, daß zn Anfange des März-
monates 186 l Livingstone nnd Mackensie den Ruf mit a aufwärts
fuhren, um solchergestalt in's Innere zu dringen. Dieser Strom
mündet in der Nähe des Cap Delgado. Die Reisenden hatten für
diesen Entdeckungszng etwa drei Monate Zeit bestimmt. Living-
slone's übrige Reisegefährten wollten inzwischen auf Johanna, einer
der Komoro-Jnfeln, verweilen.
Bekanntlich hatte Livingstone von seiner früheren Reife eine
Anzahl Makololos aus dem Innern mitgebracht, die am untern
Sambesi so lange verweilten, bis der Missionar wieder ans En-
ropa zurückkehrte. Er hatte ihnen versprochen, sie in ihre Heimath
zurückzugeleiten und hielt sein Wort. Am 16. Mai 1860 brach er
mit ihnen von der portugiesischen Stadt Tete nach Nordosten hin in's
Innere auf und legten in drei Monaten nur etwa 609 Miles
zurück. Er zog am Nordnfer des Sambesi hin, über das Gebirge,
durch welches die Stromschnellen von Kebabrasa sich drängen,
überschritt die Nebenflüsse Loangna und Kafue und kam in eine
Ebene, welche der Strom iu einer Strecke von 100 Miles oberhalb
jenes Gebirges durchzieht. Darauf gelangte er in ein höheres
Land, wo die Luft frischer war und beim Tabaschen, weißen Berge,
war er etwa 2000 Fuß über dem Wasserspiegel des Sambesi, nn-
gefähr 3300 über dem Meere, also etwa auf Brockenhöhe. Dort
reifte es und eines Morgens sah man sogar Eis. Dann stieg
Livingstone in die große Ebene der Makololos hinab, und sah schon
aus einer Entfernung von 20 Miles die Dampfsäulen des Nictoria-
kataraktes. Er wollte eigentlich feine Makololos in gerader Strecke
nach Sefchecke bringen, machte aber doch einen Umweg von 40
Miles, um seinem Bruder Karl und dem Dr. Kirk die wunderbaren
Katarakten zn zeigen. Endlich gelangte er nach Sescheke und fand
dort seinen alten Freund, den Häuptling Sekeletn, welcher aus
seinen früheren Schilderungen allgemein bekannt ist. Er litt an
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
27
einer Hautkrankheit, an welcher, nach ächtafrikanischem Wahn-
glauben, Hexerei Schuld war. Sekeletn hatte sich, trotz seines
früher» Verkehrs mit Livingstone. von solchen Vorstellungen nicht
frei gemacht und einige ihm verdächtige Häuptlinge hinrichten
lassen. Der kleine» europäischen Colonie war es, was man hätte
im Voraus wissen können, schlecht ergangen. Mehrere Londoner
Missionare waren in Linyanti am Fieber gestorben; von neun
Europäern erlagen binnen drei Monaten nicht weniger als sechs
dem Klima. „Es scheint, als ob sie von einem nufehlbareu Gegen-
Nüttel keinen Gebrauch gemacht hätte», welches Livingstone 1850
ai» Ngaini-See einwandte, nm eins seiner Kinder z» heile» »»d
das er ihnen dringend anempfohlen hatte." So sagt ein anderer
Bericht, gewiß ohne jeden Grnnd; denn es widerstreitet allem gc-
suilden Menschenverstände, anzunehmen, daß gebildete Europäer
ein angeblich nicht sehlschlagendcs Mittel, desse» Gebranch ohnehin
ihnen sehr dringend anempfohlen worden war, nicht genomnien
habe» sollte». Gewiß ist, daß auch i» jene» Gegenden das afrika-
nische Fieber mörderisch wirkt.
* *•
*
Wir erhalten soeben daS sechste Heft des „Journal des Mis-
sion S evangeliqnes" von 1861, in welchem wir Ausklärungen finden.
In Bezug ans Bauuiwolle uud Missionen in Afrika bat bekanntlich
Livingstone äußerst sanguinische Ansichten und über die Bilduugs-
sähigkeit der Urasrikaner giebt er sich Hoffnungen hin, welche durch
den Erfolg nicht gerechtfertigt werden. Auf seiueu Rath schickte
die Londoner Missivusgesellschaft einige Sendboten »ach Linyanti ab
nnd diese nahmen ihre Frauen uud kleinen Kinder mit. Gegen Ende
des Jahres brachen sie vom Sambesi ans, wanderten bei 107" F.
Hitze im Schatte» durch wasserloses Land, litten Durst, uud kamen
Ende Februars uach Linyanti, wo sie Livingstone zu finden hofften
„den Hanptaustifter dieser Unternehmung"; er war aber nicht bei
seinem „Freunde" Sekeletn, dem Häuptling der Makololo. Liny-
anti fand man so »»gesund, daß selbst diese Schwarzen den
Platz aufgeben wolle». Als die Missionäre sich einen andern Platz
zu wähle» gedachten, verweigerte Livingstone's „Freund" seine
Einwilligung. Daun starben rasch uach einander die Frauen der
Missionäre Helmore nnd Price, Helmore selbst und drei Kinder-
rasch nach einander, die meisten schou in den ersten vierzehn Tagen
»ach ihrer Ankunft. Livi»gsto»e's „Freund" uud dessen vielgeprie-
senen Makololos benahmen sich unbarmherzig; sie wünschten allen
Weißen den Tod, nm deren Habe zu bekommen. Als Price am
Leben blieb, sing Sekelet» zn raube» a», nahm Wagen, Ochsen,
Zelte, Gewehre uud andere Sache» ohne Weiteres fort, und einer
seiner Boten sagte zu dem kranken Mfsiouar, der sortzureisen beab-
sichtigte-. „Du kannst eben so gut hier sterbe» wie anderwärts."
Am letzten Tage des Juni trat Price seine» Rückweg an; Living-
stone's „Freund" hatte Alles geraubt und ließ ihm nur zwei Hemden,
ein Zelt uud einen alten Mantel; er gab ihm nicht einmal etwas
Mehl. Unterwegs starb ihm feilte Frau i» der Wüste, in welcher
er nnverinuthet mit dem Missionär Mackensie zusammertraf, der
anch nach Linyati gehen wollte, nnd gar nicht glauben »lochte, daß
Livingstone's viel belobter Freund solcher Schandthateu fähig sei.
Vier Monatte nach dem Tode der Frau Helmore nnd der Kinder
fand sich da»» Livingstone zu Linyanti ein. „Er brachte als Frucht
seiner lange» Erfahrung in der Wüste, ei» wie er glaubt unfehl-
bares Heilmittel gegen daö Fieber mit, welches in jenen Gegenden
so mörderisch wüthet." Wir hatten also oben ganz recht, uns gegen
die Annahme zn äußern, daß die durch Leichtsinn einem sichern
Verderben Preisgegebenen ein angeblich unfehlbares Heilmittel
nicht angewandt haben sollten, falls sie im Besitz eines solchen ge-
wesen wären. Livingstone wurde von de» Makololos uud Freund
Sekeletn mit schönen Worten abgespeißt, die er wahrscheinlich
wieder für baare Münze genommen hat. Sie sagten ihm nichts
von dem Raube. Price entwirft eine Schilderung von dem schwar-
zeit Barbaren, welche jener Livingstone's geradezu entgegengesetzt
ist; er stützt sein Urtheil ausThatsachcn nnd wird wohl vollkommen
Recht haben. * ^ *
In einem Briese vom 26. September, eins Tete, also nach der
Rückkehr aus dem Innern, giebt Livingstone über seinen Ausflug
zn den Victoria-Katarakten noch einige Mitteilungen, welche wir
dem weiter oben Gesagten anschließen. Das Wasser im Sambesi
war damals so niedrig, daß er in der einen Hälfte des Spaltes,
durch welchen die Wasserfälle gebildet werden, auf den Gruud
sehen konnte; es ward ihm leicht, vom nördlichen User nach der
kleinen Insel hinüber zn gehen, welche er früher als Garteneiland
bezeichnet hatte. Die Tiefe des Spaltes beträgt mindestens 310
Fnß; der Strom hat eine Breite von einer Statntemile bis z»
einer englischen geographischen Milc, also 1607 bis 1852 Meters,
oder nicht ganz 6000 Fnß. Der Spalt bei der Garteninsel ist etwa
80 Fuß breit. Ein zweiter Wasserfall unterhalb des ersten ist der
von Momba oder Moatuba. Der Missionar Mvssat schrieb au
Livingstone, daß alle Flüsse im Lande des bekannten Kassernhänpt-
lings Moselekatse »ach Nordwest und Nordnordwest in den SaM-
bcsi fließen, oberhalb des SinaiuaneS nnd eines merkwürdigen
Gebirges, welches wohl ehemals den Gewässer» eines große»
Binnensees als Damm gedient habe, bis sie dann vermittelst des
Victoriafalles einen Abzug fanden. Die ganze Gegend müsse einst
ein Schauplatz vulkanischer Thätigkeit gewesen sein. Livingstone
fuhr den Sambesi abwärts, um ihn bei niedrigem Wasserstande zu
beobachten. Bei Kausalo sind Hindernisse für die Schisffahrt; bei
dein einige MileS weiter abwärts liegenden Kariba zieht eine
Basaltleiste durch das Bett, sie hat abcreine breite Lücke, welche
indessen für die mit nur sechs Zoll hohem Bord über Wasser
gehenden Kähne gefährlich ist. Beim Berg Urnmas fließt der
Srom reißend schnell; bei Chieova hat er zwei Felseuleisteu, die
jedoch ähnlich wie bei Kariba zn passiren sind. Livingstone be-
merkte am Ufer des Stromes mehrfach Steinkohle, auch bei Zunibo
nnd bei den Victoriafällen. Ein wirkliches Hinderniß für die
Schifffahrr des Sambesi findet sich bei Mornmbua, wo das Bett
durch Felsen versperrt war; Livingstone meint jedoch, daß man
bei hohem Wasserstand hinüberfahren könne; doch wohl »ur mit
Kähne» und nicht mit größeren Booten? Das Alles find vorerst
nur Andeutungen, welche in Livingstone's Reiseberichten später ihre
Ausführung finden werden.
Beichte in einem Kloster aus dem Athos.
Die Halbinsel, auf welcher der Berg Athos sich erhebt, ge-
hört zn M'acedouieu, und erstreckt sich in einer Länge von etwa
zwöls deutschen Meilen, bei einer Breite von zwei bis drei Meilen,
in'S Meer hineilt. Der höchste Gipfel, der eigentliche Athos, erhebt
sich bis z» 6400 Fnß. Fallmerayer nennt ihn das kolossale, von
der Natur selbst ausgeihürmt». nnd mit nnverwelklichem Festge-
wände nmzogene Münster von Byzanz. Dieses Bild ist nicht
Phantastisch, es ist naturgetreu; Athos steht da als Walddom der
anatolischen Christenheit, der sich in vereinsamter Majestät über
die tiefe Flnth des strymonischen Golfes erhebt. Der heilige Berg
mit seinem Urwald, mit feiner festverwachfeiien und versteinerten
Kirchcnversassnng, ist Centralpiinkt des oströmischen Glaubens,
gleichsam der Vatican des Orientes, Zielpunkt aller Sehnsüchten,
Sammelplatz des ReichthumS uud der kirchlichen Ueberliefcrnng,
Freihafen nnd letzter Zufluchtsort aller Weltsatten von Byzauz,
der von Barbarentritt nicht entweiht wurde. Von Kijew und den
28
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Quellen der Wolga, vom Dunkelwalde im innersten Kolchis, vom ! auf die Fürsten der Slawen und Moldo-Wlachen über. Athos
freien Hellas, aus den Thälern des Hämus, von Jllyrieu und j ward das neue Jerusalem der Scythen und alles, was der heilige
Tscheruagora blicken Aller Augen mit sehnsüchtigem Verlangen nach Klosterbnnd noch heute besitzt: Dasein, Glanz Schirm, Nahruugs
dieser großen Glaubens- und Bußanstalt des byzantinischen Kirchen- ! säst und Hoffnung, ist fromme Gabe der Sarmaten nnd aus
tchitms. Nach gänzlichem Verkommen der beiden orthodoxen Reiche, ! den danubischen Slawenländern oder ans Moscowien herbei-
von Byzanz und Trapeznnt, ging die Sorge für den heiligen Berg > geflossen.
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
29
Man zählt auf der Halbinsel einundzwanzig Großabteien,
von deuen sechs serbo-bulgarische Stiftungen sind: Chilantari, Zo-
grafu, Simopetra, St. Paul, ^enophn und Nussica. Zu ihuen
wallfahrten fromme Pilger von der Donau, um sich der Andacht
hinzugeben und bei einem frommen Kalojeros (Mönch) zn beichten.
Wir sehen, wie ein Donauslawe neben solch einem „Guten Vater"
sitzt, ans dessen Mönchsantlitz morgenländische Melancholie spricht.
Die ehrwürdige Gestalt mit vollem wallenden Barte und dem dunklen
Gewand ist dem ausdrucksvollen und scharfgezeichneten Gesicht ent-
sprechend. In der griechisch-rechtgläubigen Kirche gilt die Beichte in
Verbindung mit der Buße für ein Sacrament und vor der Absoln--
tion wird eine Genngthnung aufgelegt. Ein in's Einzelne gehendes
Sündenbekenntniß gilt für gut und heilsam, aber nicht für nothwen-
dig, und es bleibt Jedem freigestellt, ob er vor dem Abendmahl beich-
ten will oder uicht. Beichtstühle keunt die griechische Kirche nicht; sie
sind auch im Abendland erst in späterer Zeit ausgekommen, und
waren iu Deutschland noch am Ende des sechszehnten Jahrhunderts
unbekannt.
Russische und chinesische
russisch gewordenen Theile der Mandschurei, bis an die Gestade
der japanischen See; die Gränze wurde 1689 im Frieden vou
NertschinSk bestimmt und durch einen Vertrag von 1727 berichtigt.
ränzsäulen in Ostasien.
24; sie bilden die sogenannte abakauskische Linie: nach Osten hin
zählte man bis auf die Zeit der neuesten russischen Erwerbungen,
G3 bis in's Amurgebiet; im Ganzen 87 Gränzsäulen. Unser Bild
Gränzpfähle zwischen Rußland und China.
Beide Mächte kamen übereiu, sie durch festbestimmte Gränzsäulen
zu bezeichnen und diese an genau angegebenen Stationen zu errich-
ten. Solcher Stationen giebt es von Kiachta nach Westen hin
Diese beiden Weltreiche berühren einander auf einer Strecke
von vielen hundert Meilen; denn die Südgränze Sibiriens reicht
vom obern Jrtysch bis an's ochotskische Meer und nun auch, in dem
30
Glovns, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
veranschaulicht dieselben. Sie sind von Holz, das auf Steinen
ruhet; die russischen haben die Gestalt eines Kreuzes und eine rus-
fische Inschrift; jene des Blumeureichs der Mitte gleichen einer
Säule und haben im Osten mandschurische, nach Weste» hin chine-
fische Inschriften. Auf dem Bilde geht ein Mandschn mit Bogen
und Kocher neben einem reitenden Gräuzkosakeu.
Erdbeben.
Im indischen Archipel, auf Sumatra. — In Singapore. — In Perugia und in Algerien. — In Bourbonne leö BainS. — Der Vesuv. —
In Mendoza — An der Küste von Abcssinien.
Das Innere der Erdrinde ist seit Anbeginn dieses Jahres in
großer Bewegung; aus weit entfernten Gegenden berichtet man
von gewaltigen Erschütterungen. Die Katastrophe, von welcher
Mendoza in den argentinischen Staaten betroffen wurde, crin-
nerte an die berühmten Schreckenstage von Lissabon. Aber auch
die Inseln des indischen Archipelagus sind schwer heimgesucht
worden. Am IL. Februar, gleich nach 7 Uhr Abends, verspürte
man ein gewaltiges Erdbeben auf der Südküste von Sumatra,
in der Stadt Padang; es währte 115 Sekunden. Die Leute
flohen unter Wehgeschrei aus den Häusern, und ein Berichterstatter
schreibt: Es war mir, als ob ich mich auf einem vom Sturm ge-
peitschten Schiffe befäude und ich verspürte Anwandlungen von
Seekrankheit. Der Posten Sin gkel, welchen die Holländer in Nord-
sumatra an der Grenze des Königreichs Atschin besitzen, ist von den
Flutheu verschlungen worden, weil die Halbinsel, auf welcher sie
staud, sich senkte; die Besatzung hat sich nur mit genauer Noch
retten können. In Pnlo Nyas wurde das Meer durch eine unter-
seeische Bewegung mit ungeheurer Gewalt gegen das dortige Fort
geschleudert. Dieses wurde, ebenso wie die Faktorei Lagondie, von
den Wellen zerstört, in welchen 49 holländische Soldaten und Ma-
layeu ihren Tod fanden. Die Stöße waren so heftig, daß auch die
stärksten Männer zu Boden geworfen wurden. In der Gegend des
Gunong Sidali sind die meisten Dörfer in Schutt verwandelt und
viele Menschen unter den Trümmern begraben worden. Bei B a r o s
und Siboga öffnete sich die Erde und ans dem Schlünde sprang
siedendes Wasser empor. Augenzeugen berichten, daß der Bode«
sich, gleich einem ungeheueren Nachen, bald geöffnet und bald wie-
der geschlossen habe. Der ganzen Küste von Atschin entlaug wallte
der Ocean plötzlich auf, drang weit in's Land ein, riß Hänser und
Bäume um, drang über die Felder hinweg, und riß bei der Plötz-
licheu Rückströmuug eine große Menge von Menschen mit fort; im
Hafen Analabn vermißt man deren 135. Bei den Batoaiufeln
wurde urplötzlich das Meer mit fürchterlicher Gewalt hoch empor-
gehoben, an das Land nud über dasselbe hin förmlich geschleudert,
richtete unbeschreibliche Verwüstungen an, und stürzte mit derselben
Schnelligkeit zurück. Die ganze Insel ist zu einer grauenhast ver-
heerten Wüstenei geworden, und nicht weniger als 700 Menschen
haben durch das Wüthen des wilden Elementes den Tod gefunden.
In jener Gegend des Archipelagus ist seit jenem IL. Februar die
Erde noch gar nicht wieder zu Ruhe gekommen; der Berichterstatter
meldet, daß kein Tag ohne Stoße verging. Der Bnlkan Merapi,
welcher sich seit fünf Jahren ruhig gehalten hatte, trieb ans seinem
Krater gewaltige Rauchsäulen empor; im Talaug und Singaland
war Tosen und Gedröhn und man erwartete in verschiedenen Gegen-
den neue Ausbrüche und Erdbeben. In Singapore begann das
letztere an demselben IL. Febrnar um 7 Uhr 34 Minuten Abends;
die wellenförmige Schwingung ging von Südwest nach Nordost.
Die Stadt selber blieb unbeschädigt, aber manche Leute bekamen, wie
in Padang, Anfälle von Ucbclkeit nnd Erbrechen. Gleich nachher
fiel ein ungeheuerer Platzregen, der bis zum 22. Februar anhielt,
und zuletzt als förmlicher Wasserguß aus den Wolken herabkam.
Um 10 Uhr schien die Sonne wieder nnd jetzt bot sich ein merk-
würdiges Schanspiel dar. Chinesen nud Malayen waren darüber
aus, auf dem trockenen Laude Fische zu sammeln, die weit und in
großer Menge umherlagen. Es waren welsartige Siluroideu, welche
von einer Wasserhose in irgend einem Flusse Nordfumatra'S empor-
gehoben und über die Meerenge bis nach Singapore gebracht waren,
denn anders läßt sich die Erscheinung nicht erklären. Die Malayen
haben eine hübsche Sage über das Entstehen der Erdbeben. Die
Feenkönigin Potri wird vom Zwerge Gnnom Ledam gefangen ge-
halten. Aber manchmal wird der Zwerg vom Schlaf überwältigt;
dann entflieht sie nnd belustigt sich mit ihren Feen im Walde. So-
bald der Zwerg erwacht nnd seine Gefangene nicht sieht, geräth er
in Zorn, und schlägt mit solcher Gewalt auf die Erde, daß sie bebt.
Dann öffnet er anch die Schleusen des Himmels, der herabströ-
mende Regen benetzt den Feeen die Flügel, er kann sie alle wieder
einsaugen und sperrt sie wieder in die Felsenschlnchten ein.
Die zn Hongkong erscheinende Overland - China-Mail vom
11. Mai bringt einen Bericht aus Manila vom 5. Mai, dem zn-
folge dort am 25. April, um 2 Uhr 40 Minuten Morgens drei
Erderfchütternngen rasch hintereinander folgten. Das Wasser
im Flnsse Pasig erhob sich auf einer Strecke von mehreren hnndert
Klaftern, in der Mitte des Stromes, wie ein Kamm oder eine
Kette, warf Steine und Schlamm ans und roch stark nach Schwefel.
Auch zu Capiz auf der Jufel Pouay wurde der Stoß verspürt.
Im April war eiu heftiges Erdbeben im Gebiete von Perugia
und zu Biskra im südöstlichen Algerien. Zu Bourbonne les
Bains in der Chanipagne, Departement der obcrn Marne, bebte
dieErdezu derselben Zeit wie auf Sumatra. Der erste
Stoß erfolgte um 3 Uhr 10 Minuten früh am 12. April und giug
von Westen uach Osten; man vernahm ein Getöse wie von Ge-
schütz aus der Ferne und voraus ging ein unterirdisches Rolle«.
Um 8 Uhr 15 Minuten Morgens wiederholte sich ganz dasselbe, nur
war Alles schwächer. Am 14. April, 1 Uhr 27 Minuten Morgens
erfolgte der dritte Stoß nnd um 8 Uhr eine Explosion; am 15.
zwei Erschütterungen mit Explosionen; am 16. ein leichtes Beben
mit Getöse um 5 Uhr 15 Minuten Morgens, am 17. ein gleiches
um 23U Uhr früh. Dieser Badeort hat drei Hauptquellen , welche
aber durch alle diese Erdbeben keinerlei Aenderuug erfahren haben.
Der Vesuv ist seit dem 19. Deeember 1855 in nnuuterbroche-
ner Thätigkeit. Aus frühereu Zeiten hat mau kein Beispiel, daß
er so lauge Zeit nicht zur Ruhe gekommen ist. Am stärksten waren
die Ausbrüche im Jahre 1858, als Lava iu ungeheueren Massen ans
einer großen Menge von Spalten drang, tiefe Schluchten ans-
füllte und den fahrbaren Weg zur Einsiedelei und das Obferva-
torium zerstörte. Hier hat das Getöse seit drei Jahren nicht auf-
gehört und auch das Ausfließen der Lava nimmt feine« Fortgang.
Sie hat stundenweit das seither urbare Land überschwemmt und
liegt theilweise dritthalb hundert Fnß hoch! Schon daraus
ergiebt sich, welche ungeheueren Massen ans dem Berge hervorge-
drungen sind. Erst am 8. April 1861 haben diese Lavaströme
aufgehört, aber nur au den tiefer liegenden Rissen und Spalten,
denn in den höheren sind sie jetzt stärker als früher geworden. Die
Oeffnnng, welche sich am 19. December 1855 anfthat, grollt und
donnert wiederum fürchterlich; eine harte Lava, die den Gnind
derselben ausfüllte, lag fo tief, daß mau den Schall von einem
hinabgeworfenen Steine nicht hören könnte; jetzt ist diese Lava
beträchtlich höher geworden und durch ihre Spalten erblickt man
das unterirdische Fener. Beobachter sind der Ansicht, daß wohl
bald wieder eiu Ausbruch oben am Berge stattfinden werde, falls
nicht etwa der Kegel an den Seiten berste nnd dann in sich selbst
zusammenstürze.
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
31
Ueber das E r d b e b e n i n M e n d o z a haben wir sehr ausführ-
liche Nachrichten. Die gleichnamige argentinische Provinz erstreckt
sich dein Ostabhange der Cordillere entlang, ist kein Pampas - oder
Gaucholand, sondern vorzugsweise ackerbautreibend; sie erzeugt
viel Getreide und Wein. Die Silbergruben von Uspallata haben
früher eine sehr beträchtliche Ausbeute gegeben, und man kennt
viele andere Tilber- und Kupfergänge. Die Pampas, welche et-
was östlich von Mendoza beginnen, sind bisher von Erdbeben so
gut wie völlig verschont geblieben; Mendoza selbst liegt der großen
Längenzone der Andesvulkane sehr nahe, hatte aber seit länger als
einem halben Jahrhundert nur unbedeutende Erschütterungen,
und auch diese in lange» Zwischenräumen verspürt. Mau glaubte
sich vor starken Erdbeben sicher und die fürchterliche Katastrophe,
welche am 20. März 8 Uhr 45 Minuten Abends hereinbrach, war
deshalb um so überraschender. Die Stadt zählte etwas mehr als
zwölftausend Einwohner und war vou einiger Bedeutung als
Handelsplatz, welcher die Verbindung mit Chile vermittelte. Nr-
plötzlich gerieth der Erdboden in eine solche Bewegung, das; die
Menschen in den Straßen umgeworfen wurden; der erste Stoß ging
von Süden nach Osten und unmittelbar folgte ein Gegenstoß von
Norden nach Westen. Binnen fünf bis sieben Secundeu war
ganz Mendoza ein Trümmerhaufen. Die Stöße waren nicht senk«
recht, sondern wellenförmig und die Hauptschwingungen folgten
etwa der Richtung der auf dem Meridian lanfenden Spalte, anö
welcher einst die Hauptketten der Cordilleren durch plutouische Kräfte
gehoben worden sind. In derselben Streichnngslinic steht die
Reihenfolge gewaltiger Trachytkegel zwischen dem 30. n. 40. Grad
südl. Breite. Alle Erdstöße, welche in den Andes von Chile feit
Jahrhunderten beobachtet wurden, folgten immer der Richtung der
Erhebungsachse des Hauptgebirgszugcs. Ju Meudoza blieb keinem
Menschen Zeit, in's Freie zu flüchten; wer in den Wohnungen sich
befand, wurde im Nu verschüttet oder erschlagen. Alle Häuser und
Kirchen ohne Ausnahme stürzten zusammen; daß mehr als acht-
tausend Menschen ihren Tod fanden, wird auch durch die neuesteu
Nachrichten bestätigt. Bon 132 Nonnen in den Klöstern kamen
Ho nm's Leben. Wir wollen die Seenen des Jammers nicht
lml)« schildern; sie wurden noch gräßlicher, als Flammen ans vielen
Tnimmermaffen hervorpraffelten und Landleute eindrangen, nicht
nm zu helfe» und zu retten, sondern um zu plündern. Inzwischen
dauerten die Erschütterungen in den nächsten Tagen fort, obwohl
nur schwach, uud ängstigten die Ueberlebenden nur noch mehr.
Etwa dreißig Wegstunden nördlich liegt die kleine Stadt San
Juan, Hauptort der gleichnamigen Provinz, genau in der Richtung
des Stoßes. Sie wurde sehr stark erschüttert, aber uicht zerstört.
Mehrere vou den Andes herabkommende Flusse haben ihren Lauf
verändert, uud traten weit über ihre Ufer. Ju Santiago, der
Hauptstadt von Chile, welche 46 Wegstunden vou Mendoza, West-
lich von der Cordillere liegt, bemerkte man keine Stöße, wohl aber
in den Pampas weit nach Osten hin bis in die Näh? des Meeres.
Ei» Bericht fügt die folgende Bemerkung bei: Der Umfang des
Erschiilterungskreises war jedenfalls beträchtlich kleiner, als jener
dcö großen Erdbebens von Qnito und Jmbabnra in Ecuador, im
März 1859; denn dieses ist in einein Umkreise von zweihundert
Meilen verspürt worden. Aber im Betreff der Heftigkeit des
Stoßes nud der verheerenden Wirkung auf einem engen Räume,
ist unter ähnlichen Katastrophen in Südamerika mit jener, welche
Mendoza betroffen hat, wohl in neueren Zeiten nnr die von Rio-
bamba im Februar 1797 zu vergleichen.
Es möge hier »och hinzugefügt werden, daß die nördlich von
Mendoza und San Juan liegenden argentinischen Provinzen Cata-
marca uud Rioja, beinahe unter demselben Meridian und in der-
selbenStreichungslinie,schon oft durch Uebcrschwemmnngen uud Erd»
beben gelitten haben. Noch heute ist die Katastrophe von 1692 nicht
ans dem Angedenken der Menschen verschwunden. Die Stadt Este co
war ihrer vorteilhaften Lage wegen ein ansehnlicher Platz gewor-
den. Da kam, eben so plötzlich und gewaltig umc bei Mendoza, ein
fürchterliches Erdbeben, der Boden that sich auf, gewaltige Wasser-
ströme quollen hervor, und verwandelten die Stadt in einen Trüm-
merhanfen. Was sich vor diesen Erdbebenfluthen retten konnte, wurde
vou deu Indianern erwürgt. Heute weiß mau uicht mehr genau,
wo jenes Estceo gestanden hat. Auch iu deu Jahren 1844 bis 1847
waren Erdbeben häusig. JeucS vom 18. Oct. 1847 wurde um halb
elf Uhr Nachts verspürt, und zwar auf der ungeheuren Strecke
von 500 Stunden vou Norden nach Süden, und von Osten nach
Westen mehr als 100 Stunden, am meisten in den Provinzen
Salta, Tucumau und Santiago dcl Estero. In der Stadt Salta
wurden alle Häuser beschädigt und viele stürzten ein; in Tncnman
und Jujuy empfand man die Stoße gleichzeitig und viele Wohnuu
gen stürzte» zusammen. Das Erdbeben war ein „doppeltes"; in
den Vorstädten von Salta und an manchen andern Stellen barst
die Erde auseinander und warf Wafferströmc und Sandmassen
von verschiedeucr Färbung aus.
Auch am Rothen Meere war jüngst die vulkanische Gewalt
in eigenthümlicher Weise thätig. An dem Küstenstriche, welche
man als Samhara bezeichnet und der von den Danakil bewohnt
wird, bildet das Meer manche Bucht. Au einer derselben liegt
ALd, eine kleine Ortschaft, nach welcher vor einiger Zeit die Fran-
zosen ihre Hand ausstreckten, um südlich von Massawa einen Punkt
zu gewinnen. In der Nähe dieses Aed, 13" 57' uördl. Breite,
fanden am 8. Mai in der Frühe Erdstöße statt, die sehr hestig
waren und etwa eine Stunde laug anhielten. Dann siel um
Sonnenaufgang feiner weißer Stanb herab, der gegen Mittag
löthlicher wurde und bald nachher so dicht und schwarz, daß sich die
Tageshelle in Nacht verwandelte. Gegen Abeud lag dieser vnl-
kanische Staub kniehoch; am andern Tage fiel er noch, aber schwä-
eher. Dabei vernahm mau immer noch Getöse und während der
Nacht sah man, daß ans dem eine Tagereise weit im Innern liegen-
den D schebel Dnbbeh Feuer und Rauchsäulen aufstiegen. Bis.
her wußte man nicht, daß dieser Berg vulkanisch sei. Auf Kieperts
Karte der Nilländer (Neuer Handatlas Nr. 34) ist er deutlich
angegeben.
Balacniceps Rex.
lieber diesen merkwürdigen Vogel gaben vor etwa sechs
Iahten A. E\ Brehm in den „Reiseskizzen aus Nordostafrika"
nnd Theodoi von Henglin einige Nachrichten. Jener nennt ihn
mit Recht einen der interessantesten des Erdballs. Der Kenner,
welcher dieses Geschöpf zum ersten Male sieht, weiß seiner Bewnn-
dcruug nicht sattsam Worte zu geben, aber anch der Laie betrachtet
mit höchstem staunen ein Thier, dein er es anmerkt, daß nur das
märchenhafte Afrika die Erzeugerin fein konnte. An ihm ist Alles
kolossal, zumeist der Schnabel, welcher ihm bei den arabischen
Schiffern zu dem Namen Abu Markuhb, Besitzer des Vater des
Schuhes, verholfeil hat. Er zeigt iu der That große Aehulichkeit
mit einem jener plumpen Schuhe, welche die ägyptischen Bauern
»ragen; er ist ungemein breit, dick nnd kräftig, etwa zweimal so lang
als der Kopf, und an der Basis doppelt so breit als an der Spitze,
wo er in einem starken Haken endigt. Der Uuterschnabel ist, wie
beim Pelikan, höchst biegsam. (A. Brehm, Bd. 3, Seite 140.)
Das erste Exemplar welches nach Europa kam, besaß der be-
kannte Elfenbeinhändler Ulivi in Chartum, und es verfloß
lange Zeit, bevor man einige andere bekommen konnte. Herr von
Henglin schreibt, erst im Winter 1653 hätten einige seiner Be-
32
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
kannten den Vogel im Lande der Kihk zwischen dem 7. u. 8. Grade
it. Breite wieder aufgefunden. Er lebt, sagt dieser Gewährsmann,
einzeln und in kleinen Flügen an unbewohnten Orten in hohen
Gramineen-und Ambadschbüschen flanggestängelte, rohrartige Was-
serpflanzen mit weichem Marke) auf überschwemmtem Bode» und in
Sümpfen. Unmittelbar am weißen Strome wurde er blos einzeln
bei den Kihk-Negern augetroffen; westlich von diesem Strome ist
er an den vielen Chuar häufiger, besonders an einem mit dem
Strome parallel laufenden Flusse, dem Niebohr. Er ist furchtsam,
scheu und versteckt sich gern in den Gräsern; in seiner Haltung
gleicht er am meisten dem Marabu, sein Flug ist kurz und niedrig.
Er lebt blos von Fischen, die er, oft bis an die Brust im Wasser
stehend, geschickt heranssängt. Ein verwundeter Baläniceps setzt
sich, laut mit dem Schuabel knackend, gegen den Angreifer zur
Wehre. Man hat bisher keine Stimme von ihm gehört, sondern
nur ein kurze Zeit währendes Klappern mit dem Schnabel. Im
Juni baut er sein Nest, das auf einem zwei Fuß hohen Haufen
vou Ambadfch in den dichtesten Gramineen steht; er fügt dasselbe aus
Ambadschstäugeln, Reiser» uud Grashalmen roh zusammen.
Diese Nachrichten sind in der jüngsten Zeit durch Petherick
(Egypt, the Soudan aud Central Afrika, London 1861, p. 457.)
vervollständigt worden. Als dieser Reisende im Mai des Jahres
1858 ans der Gegend vom Aequator zurückkam, sah er im Bahr el
Gasal eine Anzahl seiner Elephantenjäger, welche von seiner Station
Gaba Schambyl nach dem weißen Nil zurückkehrten. Sic hatten
einen jungen Elephanten, ein kleines Rhinoceros und sechs Exem-
plare vom Baläniceps Rex, alle lebendig am Bord. Die letzteren
zeigen sich nur selten am Nil selbst, weil der Strom in jenen Ge-
genden steile Ufer hat, und diesem Wadvogel sich dort wenig Ge-
legenheit zum Fnttersnchen darbietet. Im Bahr el Gasal läßt er
sich zwar sehen, liebt aber vorzugsweise die Ufer au deu Morästen
weiter landeinwärts. Petherick hatte zwischen dem 5. nnd 8. Grade
nördlicher Breite mehrere Stationen für deu Elfeubeiuhaudel; der
originelle, nun auch vom afrikanischen Klima hingeraffte Franzose
de Malzac (mit welchem auch Brehm zusammentraf) besaß eine
solche unter dem Stamme der Röhl. Westlich vom Nil steigt auf
einer Strecke von etwa 30 englische Meilen der Boden fast uu-
merklich au und wird dann in einer Ausdehnung von 60 bis 70
Meilen wieder niedrig. Dieser Bezirk erstreckt sich vou Norden
uach Süden etwa 150 Meilen weit und bildet einen großen Morast,
der vom Regen gespeist wird uud einen Abfluß zum Bahr el Gasal
fiudet, wenn das Wasser bis auf eiue gewisse Höhe gestiegen ist
In dieser großen Sumpfregion liegen viele mit üppigem Gras-
uud Krautwuchs bedeckte und mit Gebüsch umsäumte Inseln,
uud auf ihnen verweilt der Baläniceps vorzugsweise gern. Man
sieht die stattlichen Vögel manchmal nur paarweise, manchmal
aber auch iu Gruppen bis zu einhundert Stück im Wasser
waden; weuu man sie ausscheucht, fliegen sie niedrig über dem
Wasser hin, fallen aber bald wieder ein, dagegen steigen sie in
großen Zügen hoch in die Luft, sobald uach ihnen geschossen wird.
Nachdem sie eine Zeit lang in Kreisen umherzogen, setzen sie sich
auf die höchsten Bäume uud kommen nicht wieder iu's Wasser, so
lange sie Verdacht haben. Ich glaube, daß sie Nachts auf der
Erde bleiben. Sie nähren sich vorzugsweise von Fischen und
Wasserfchlangcn; meine Leute haben geseheu, wie sie diese letztere»
verzehrten. Aber sie verschmähen auch die Eingeweide von Thieren
uicht, deren Leichnam sie mit dem starken Haken ihres Oberschnabels
leicht aufreißen. Sie brüten während der Regenzeit iu deu Mo-
naten Juli uud August, im Rohr oder im Grase gauz uahe am
Wasser, oder auf irgend einer trockenen, etwas aus dem Wasser
hervorragenden Stelle. Das Weibchen kratzt ein Loch in die Erde
und füttert dasselbe nicht mit Gras oder Federn aus, sondern legt
ohne Weiteres die Eier hinein, deren man oft ein Dutzend in einem
und demselben Neste gesunden hat. Meine Leute haben sehr oft
Eier oder Junge herausgenommen, aber die letzteren starben alle
und zwei Jahre lang waren die Versuche, sie aufzuziehen und am
Leben zu erhalteu, durchaus vergeblich. Eudlich verfielen sie darauf,
die Eier durch Hennen, welche mau vou den Raik-Negern bekam,
ausbrüten zu lassen. Mau uahm dem Bruthnhn die Hälste seiner
eigenen Eier weg uud ersetzte sie durch jeue vom Baläniceps, die
man frisch ans deu Nestern holte. Die Jungen krochen ans, und
hatten, zu nicht geringem Schrecken der Henne, mächtige Schnäbel,
benahmen sich natürlich nicht wie Küchlein, sondern eilten sogleich
einer kleinen Pfütze zu, welche man ihretwegen innerhalb einer
Umzäunung unterhielt. Negerknaben mußten regelmäßig kleine
Fische bringen; auch fütterte man die Thiere mit kleingehacktem
Fleisch von Eingeweiden, und so kamen sie auf. Em Paar ist
lebendig uach Europa gelangt.
Aleine V
Wampfcrlinicn zwischen Europa und Nordamerika. Es
giebt deren im laufenden Jahre acht. Wir beginnen mit den
deutschen.
1. Bremen-Neu-Aork. Die Schisse legen in Sontbampton
an. Sie machten 1860 zehn Fahrten hin und zurück; ein Dampfer
derselben machte die Fahrt von Neu-Jork nach Sonthampton in
11 Tagen 12 Stunden, nnd von Europa bis iu den Hudson iu
11 Tagen 4 Stunden.
2. Hambnrg-Nen -9)ork. Die Schisse legen in Sonthamp-
ton an, gehen allmonatlich zwei Mal. Die Teutonia fuhr im April
vorigen Jahres binnen 11 Tagen uud 1 Stunde nach Neu-Jork.
3. Die britisch - nordamerikauischeu Postdampfer,
die sogenannten Cuuards. Sie fahren zwischen Liverpool und
Neu-Jork undBofton; dieSchifse laufenQueenstown und Halifax
an. Unter ihren Schissen ist die Persia berühmt; sie fuhr int
August und September in!) Tagen und 8 Stunden von Neu-Jork
nach Liverpool. Die von Liverpool nach Boston fahrenden bilden
eine besondere Linie.
4. Postschiffe zwischen Liverpool nnd Montreal in
Cauada. Sie laufen bei Portland im Staate Maine an.
5. L iverpool - Philadelphia - uud Neu-Uorker
Schrauben da mpfer, welche in Queenstown anlaufen.
6. Die schottische Ankerlinie zwischen Glasgow und
Quebec - Montreal.
7. Die irische Linie zwischen Galway uud Boston.
Ihre Schiffe lausen St. Johns auf Neufundland an.
chrichtcn.
8. Havre - Neu-Uork. Die Schiffe laufen Cowes an.
Im Ganzen sind 32 bis 36 Dampfer in diesen Fahrten. Die
Nordamerikaner haben keine ihnen gehörende Dampferlinie nach
Europa, seitdem ihre Collins- Linie trotz hoher Zuschüsse von Sei-
ten des Bundes durch schlechte Verwaltung bankerott wurde. Im
Jahre 1860 gingen auf diesen Linien zwei Dampfer verloren, näm-
lich die Huugariau von der Liverpool-Quebec-Linie, welche am
Kap Sable mit Mann und Maus scheiterte, und der neue Dampfer
Counaught von der Galway-Linie. Daß auch Hamburg früher
durch Brand auf offenem Meere die Anstria verlor, ist bekannt.
Am 29. Mai 1860 ist die Legung des unterseeischen Telegra-
phentaues zwischen Malta uud Tripolis glücklich vollendet
worden. Dasselbe ist bereits im Juli von Tripolis bis B e u g h a s i
weiter geführt worden.
In London ist gegen Ende des Juni Mirza Dschaffer Chan,
Gesandter des Schahs von Persien, eingetroffen. Seine
Anwesenheit steht in Verbindung mit der Anlage eines Telegraphen
zwischen Persien und Europa und einer Eisenbahn, welche Iran
einerseits mit der Türkei, anderseits mit Indien verbinden würde.
In Paris ist neulich ein Schwarzer vom Senegal angekom-
men; er heißt Sibn Mogdad-Uoloff, uud hat die Reise vou Saiut
Louis, der Hauptstadt der französischen Besitzungen in Senegam-
bien, nach Mogador in Marokko durch die Wüste zurückgelegt. Er
hielt sich der Küste möglichst nahe und nahm im Allgemeinen den-
selben Weg wie vor zehn Jahren Leopold P an et.
Berantwortl. Redakteur: Hertmann I. Meyer in Hildburghausen. — Verlag des Bibliographischen Instituts iu Hildburghausen. —
Druck von GieseckeKDevrientin Leipzig.
Schilderungen ans pcrjien.
Anblick von Teheran. — Ein;»!, -incr G-sandtsch-A - HliWtea Scfcen. — ^eS"mb's&taiait«-— TH-alraNschc
Verbindungswege. — Leben und Treiben ans den? BaM. Hochzeiten mu <\ 1 Unterhändler nnd Beamte. —
Darstellungen. - Die Kanflente nnd die.Handwerker. — Bcakler, unteryano.^
Wer vom Süden her auf der Straße von I späh an
sich der Hauptstadt Persiens nähert, zieht über kleine Hügel
und durch unfruchtbare Thäler, bis er plötzlich eiue Wen-
dnng macht und dann eine weite Ebene vor sich sieht, oder
vielmehr eine ausgedehnte, von Osten nach Westen lan-
sende Thalfläche.
In dieser liegt Teheran. Jni Norden erhebt sich ein
mächtiger Gebirgszug, dessen höchste Gipfel mit ^chnee be-
deckt sind. Das ist der Elburs, diese gewaltige Kette, welche
den Hiukudusch mit den Gebirgen Georgiens verbindet, oder,
um mit den Schriftstellern des Alterthums zu reden, den indi-
schen Kaukasus mit jeucm Kaukasus, an welchen Prometheus
geschmiedet war. Und über diesen Elburs ragt noch wie ein
der Bibel genannt wird, und wo jetzt Re'i steht; er gewahrt
den Flecken Schahbdulasym, dessen vergoldete Kuppel sich
über die grüne Umgebung erhebt. Die Hauptstadt selbst
liegt in einem Grunde, und man weiß erst, daß man ihr
nahe kommt, wenn man an große Gärten gelangt imb an
die Kanats, Wasserleitungen, die unter der Erdoberfläche
hingeleitet worden sind. Da und dort liegen auch Trümmer
von Dörfern, stehen verfallene Thürme oder einzelne Bäume.
Endlich gelaugt der Reisende in die Stadt. Graf
Gobineau, welcher 1855 mit der französischen Gesandtschaft
nach Persien ging, entwirft eine sehr lebendige Schilderung.
Den Fremden war der Kiosk eines Prinzen von Geblüt als
Wohnung angewiesen worden. Sie lag in einem wohlge-
Tas Thor Schah Abdnlazim's in Teheran.
Riefe der ungeheure Spitzkegel des Demavend hinaus. Man
kann kein großartigeres Schauspiel sehen. Der Reisende,
welcher in diese Ebene von Teheran eintritt, bemerkt nach
Osten hin eine Bodenerhebung, welche scheinbar jenen Ge-
birgszng in zwei Theile scheidet. Weiter gen Morgen, etwas
nach rückwärts, beginnen in blauer Ferne die ausgedehnten
Ebenen, die sich bis uach Chorossan und Turkestau hinziehen
und durch welche der Weg einerseits nach dem Indus, au-
dererseits nach China führt. In jener Richtung verschwimmt
der Horizont, wie auf dem Meere; der Himmel ist wunder-
bar glänzend und durchsichtig. Dann und wann erheben sich
Sandwirbel hoch in die Luft und fallen plötzlich wieder zu-
sammen.
Roch immer erblickt der Wanderer Teheran nicht, wohl
aber sieht er aus der Ferne die Ruinen von Rhages, das in
Globus 18GI. Nr. 2.
pflegten Blumengarten, in welchem anch ein Empfangszelt
aufgeschlagen war. Gleich am andern Morgen, lange be-
vor der Einzug iu die eigentliche Stadt geschehen sollte,
fanden sich viele in Teheran verweilende Europäer zur Be-
grüßung ein; sodann kamen die Mitglieder der türkischen
Gesandtschaft und viele Perser in Festkleidern. Die Ka-
liandschi's gingen umher und brachten Pfeifen; etwa ein
Dutzend dieser Diener trugen schöne Kalians, Wasserpfeifen,
deren Caraffe von Krystallglas, der Kopf von Gold war.
Bor oder hinter diesen Kaliandschi's gingen die Pischked-
m et s, Pagen, und reichten Thee. Es war ein stetes Gehen
lind Kommen, die Unterhaltung war sehr lebhaft und die
höflichen nnd zierlichen Redensarten wollten kein Ende neh-
men. Die Perser sind bekanntlich keineswegs gravitätisch
wie die Türken, sondern munter und aufgeweckt.
34 Globus, Chronik der Reisen
Gegen Mittag stieg die Gesandtschaft zu Pferde und
war uach etwa einer halben Stunde vor einem großen sei-
denen Zelte, wo sie von den Großen des Reichs empfangen
wurde. Graf Gobinean erzählt weiter: Wir stiegen ab,
um die Complimente entgegen zu nehmen, welche sie im Auf-
trag ihres Herrschers uns zu sagen hatten, und nahmen an
einem mit Blumen und Süßigkeiten geschmückten Tische
Platz. Vor dem Zelte standen die Läufer des Schahs mit
ihren wundersam gestalteten, gelblich rothen Mützen, die
Uessaul's in rothen Röcken, und sehr viele Ferrasch's,
Polizeimänner. Auch sahen wir ein Geschwader regelmäßi-
ger Reiterei, der einzigen, welche Persien hat; man bezeichnet
sie als Gnlam's von der Leibgarde und sie bilden zwei
Geschwader Lanzenreiter. Auch Fußvolk war aufgestellt,
und eine große Menge Neugieriger fehlte uicht.
Nachdem wir aberinals eine Kalian geraucht und Thee
getrunken hatten, brachen wir auf. Der Schah hatte präch-
tig angeschirrte Pferde für die vornehmsten Mitglieder der
Gesandtschaft bereit gestellt, und mit ihnen Dschelodar's,
Diener, welche gestickte Decken auf deu Schultern trugen.
Dann ging der Zug fo laugsam weiter, daß er erst nach etwa
dreiviertel Stunden am Neuen Thore, also bei der eigent-
lichen Stadt, anlangte. Dort erhob sich der Pfahl der
Gerechtigkeit, an welchem gewöhnlich Köpfe von Missethä-
lern befestigt sind; an jenem Tage fehlten sie. Ein in Tehe-
ran wohlbekannter Irrsinniger stand auf dem Gerüste und
rief aus Leibeskräften: Ali! Ali! Diesen Menschen habe ich
drei Jahre lang täglich in den Straßen umherlaufen sehen;
er heulte in einem fort und gönnte sich weder Ruhe noch
Rast. Der Arme verlor früh eine kleine Tochter, die er sehr
liebte, und ist vor Schmerz darüber wahnsinnig geworden.
Gleich nachher zogen wir über den Grünmarkt und
der Andrang von Neugierigen war so stark, daß die Fer-
rasch's mit ihren Stäben Bahn machen mußten. Alles
schrie und lachte dermaßen durcheinander, daß man sein
eigenes Wort nicht hören konnte, und das Durchkommen
war eben keine leichte Sache. Die persischen Gassen sind
nur etwa vier Ellen breit, in der Mitte läuft eine Rinne
und alle paar Schritte kommt man an ein tiefes Loch. Die
Stadt ist lang, unsere Wohnung in derselben war weit vom
Neuen Thore und erst nach einer vollen Stunde gelangten
wir an Ort und Stelle.
Diese Wohnung war groß und schön, wenn auch gerade
kein Marmorpalast, denn dergleichen giebt es in Persien
nicht. Sie ist aus Ziegeln und Backsteinen ausgeführt. Man
trat ein durch einen gewölbten Gang, neben welchem die
Leibwächter ihr Gemach haben, und kam durch einen Corri-
dor in einen hübschen Hosraum mit einem Wasserbecken; an
der Seite stehen Platanen, Sträucher und Blumen, übri-
gens ist der Hof mit Platten belegt. An den Seiten laufen
einstöckige Gebäude hin; dort sind Zimmer für die Diener-
fchaft. Im Hintergrunde ist der Talar, große Salon,
mit drei Fenstern; zu beiden Seiten desselben springen Pa-
villons mit Nischen vor. Neben der Hauptwohnung befindet
sich das Enderun, innere Gemach, welches mehrere Ab-
theilungen hat und einen besondern Hofraum mit Garten
umschließt. Wir waren vollkommen zufrieden, weil wir im
gesundesten Theile der Stadt wohnten, Wasser in Menge
hatten und in fünf Minuten bis an das Schymyranthor
gelangen konnten; dieses führt nach der Berggegend hinaus.
Drei Tage nach unserer Ankunft begaben wir uns in
großer Gala zum Schah. Zuerst geleitete man uns in einen
Saal, wo Minister und Angesehene des Reiches, auch der
Oberfeldherr, uns erwarteten. Auch hier fehlten Wasser-
pfeife und Thee nicht. Dann erschien der Oberceremonien-
meister mit seinen: reich geschmückten Amtsstabe und einem
und Geographische Zeitung.
hohen ausgebauchten Turban, wie es früher am Hofe der
Sefewy's Brauch war. Lange rothe Strümpfe trug er zum
Andenken daran, daß es iu den Zeiteu Dfchiugischaus für
ein Abzeichen mongolischer Großen ersten Ranges galt, die
rothen Stiefeln nicht ablegen zu dürfen.
Wir durchschritten mehrere Höfe und Gänge und kamen
dann in einen großen Garten, welcher die Gebäude des Pa-
lastes umschließt. Diese haben zwei bis drei Geschosse; das
zu ebener Erde ist mit Gemälden geschmückt. Es sind Sol-
daten in — rosenrother Uniform, die etwa aussehen wie
Hanswürste vor den Meßbuden. Die Mitglieder der Ge-
saudtschast mußten Galoschen über die Stiefeln ziehen, dann
wandte sich der Ceremonienmeister mit dem Gesicht gegen
einen säulengeschmückten Talar, verneigte sich tief und ließ
seine Hände von den Knien bis über die Füße hinabgleiten.
Die Gesandtschaft machte eine europäische Verneigung und
durfte nun die Galoschen wieder ablegen. Im Garten waren
Soldaten aufgestellt, vor dem Talar Pagen, Beamte, Die-
ner aller Art. Der Ceremouieumeister erhob die Stimme
und rief, daß der Gesandte um die Gunst bitte, sich dem
Schah nahen zn dürfen. Von dem Herrscher war aber
immer noch nichts zn sehen; erst nachdem man fünfzehn
Schritte weiter gegangen war, konnte man ihn bemerken.
Nasreddin saß anf einem hohen glänzenden Throne und
war reich gekleidet; fein Knlydfcheh, ein kurzer Rock von
hellfarbiger Seide mit Borten besetzt, seine goldenen Arm-
ringe erglänzten von Diamanten, desgleichen der Schild sei-
nes Gürtels, der Griff des Schwertes und die Spange von
seiner Kopfbedeckung.
Vor dreißig Jahren galt Teheran selbst im Frühjahr
für einen unausstehlichen Aufenthalt; der Fremde war sicher,
vom Fieber gepackt zu werden, die Lnst war verpestet, das
Wasser abscheulich und wer aus anderen Städten kam, glaubte
in den Tod zn gehen. Das ist nun anders geworden; man
hat den Schmutz weggeräumt, die vielen Trünnner fort-
geschafft, hält einigermaßen auf Reinlichkeit und errichtet
manche hübsche Gebäude; insbesondere nehmen sich die vielen
Bazarc stattlich aus. Das vor einigen Jahren aufgeführte
Karawanferai von Hadfcheb Eddnleh ist eines der schönsten
Denkmäler Persiens und kann sich mit jenen vou Jspahan
messen. Den Grünmarkt, Meydan e Sebs, der im Mittel-
punkte der Stadt liegt, hat der Schah mit Gallerten um-
geben lassen; der Platz selbst ist gut gepflastert, hat ein
großes Wasserbecken und die beiden Thürme am Eingange
der Citadelle sind von oben bis unten mit Gnßmosaik ver-
ziert. Iu jedem Jahre werden stattliche Häuser gebaut;
Trümmer sind freilich auch vorhanden, denn eine persische
Stadt ohne Ruinen ist etwas ganz Undenkbares; aber es ist
doch Alles besser geworden, namentlich seitdem der König
Wasser von dem Berge herableiten ließ. Die Schilderungen
von Teheran aus dem Jahre 1845 passen jetzt gar nicht
mehr.
Europäer ziehen begreiflicherweise einen Aufenthalt
außer der Stadt vor, und Graf Gobinean wohnte während
der Sommerzeit im Dorfe Rnstamabad, das einige Stun-
den nördlich von Teheran liegt, in der Nähe von Niaveran,
wo der Schah verweilte. Seit neun Jahren hatte die Cho-
lera manche Opfer hinweggerafft, doch auf dem Lande, iu
der Nähe der Berge, trat sie uicht so verheerend auf als in
der Stadt. Persieu ist im Allgemeinen nicht ungesund zu
nennen; freilich hat es Fieber, aber diese kommen iu allen
heißen asiatischen Ländern vor. Wer in Teheran einen An-
fall bekommt, geht wo möglich rasch in's Gebirge, wird
bald wieder gesund, ist aber später vor Rückfällen nicht
sicher. Das Fieber tritt in sehr verschiedenen Arten aus;
jeues in der kaspischen Provinz Ghilan rafft den Kranken
Globus, Chronik der Reisen
nach dem dritten Anfalle hin, und die intermettirenden Fi»
ber wollen oft jahrelang nicht weichen. Am Allgemeinen sind
die Perser gesund und Landleute zwischen achtzig und neunzig
Iahren nicht etwa eine Seltenheit.
Ein nicht geringer Theil der Bewohner führt ein nn-
states Leben und man findet im Land ein unaufhörliches
Ziehen und Wandern. Irgend ein Bauer meint, daß die
Abgaben ihn zu schwer belasten. Also verbirgt er sein Geld
in einen Gürtel, setzt seine Frau aus den Esel, packt seine
fahrende Habe auf ein paar Pferde oder Ochsen und sucht
sich einen andern Wohnort. Willkommene Aufnahme findet
er sicherlich irgendwo, weil aller Orten mehr Feld vorhan-
den ist als die Leute bearbeiten können. Solche Bauern
wandern aber nur zeitweilig und um sich einen neuen Wohn-
ort zu suchen: dagegen scheint von vielen Derwischen das
Landstreichen förmlich als Lebensberuf angesehen zu werden.
Sie ziehen durch Persien etwa nach Calcntta oder Constan-
tinopel oder Kairo in Aegypten und treiben sich unablässig
umher. Das Reisen kostet sie nichts. Viele dieser „heiligen"
Männer sind nichts mehr und nicht weniger als Vagabnn-
den, manche dagegen wohlunterrichtete, ordentliche Leute.
Solch ein nomadisirender Philosoph wandert zu Fuß
oder reitet ans einem Esel in die weite Welt hinaus, bleibt,
wo es ihm eben gefällt, tagelang, oder auch ganze Wochen
und Monate in Städten oder Dörfern, schließt sich den Ka-
rawanen an und zieht mit ihnen durch die Wüsten, und
Niemand fragt ihn, was er wolle oder treibe. Häufig über-
nachtet er unter freiem Himmel unter Bäumen an einem
Bache; Gobinean traf einen Derwisch, der zum Vergnügen
einige Zeit bei den Ruinen von Rhages verweilte, weil es
ihm dort gefiel. Eines schönen Morgens war er verschwnn-
den und ließ sich nie wieder blicken. Dieser Mann war
unterwegs nach Kerbela, sehr gebildet, wußte viel, hatte
Manches geleseu und drückte sich in einer sehr gewählten
Sprache aus. Er mochte etwa sechszig Jahre alt feilt, trug
ein weißes Gewand von Baumwolle, das in Fetzen herab-
hing, zog barhaupt und barfuß umher, sein graues Bart-
haar war struppig, die Haut voll Runzeln und tief gebräunt,
aber das Auge feurig und der Ausdruck seines Mundes an-
mnthig. Diese Derwische wissen viel zu erzählen, das Volk
sammelt sich um sie uud hört ihnen gern zu. Sehr oft
unterhalten sie ihre Zuhörer über religiöse Gegenstände;
viele sind in ihren Ansichten freigeistig und verbreiten eifrig
ihre Lehren. Die Ketzereien, welche unablässig in der mo-
Hammedanischen Welt, namentlich in Persien auftauche»,
und in die so manche indische Vorstellungen und Begriffe
hineinspielen, muß man vorzugsweise auf Rechunng dieser
umherziehenden Derwische schreiben. Uebrigens findet man
auch manche mohammedanische Reisende, welche sich gar
nicht um die Glaubenslehren kümmern, sondern lediglich
nmherwandern, um sich zu unterrichten und Länder und
Leute kennen zu lernen.
Graf Gobiueau kam mit zwei äußerst merkwürdigen
Abenteurern in Berührung. Eines Tages, erzählt er, tra-
ten zwei Männer bei mir ein, die sich für Franzosen aus-
gaben. ^ Beide waren von Mittlerin Wuchs und sehr mager,
hatten schwarzblaue Augen und traten, wie in Asien alle
Menschen, die nicht zu den Kriegerstämmen gehörten, sehr
unterwürfig ans. Seltsame Landslente! dachte ich. Sie
trugen hohe zugespitzte Mützen von Filz, etwa wie die Us-
beken, iuid, im heißen Inlimonate, weite Röcke vonSchass-
sell aus Buchara. Ihre Ilnfanberkeit überstieg in der That
alles Denkbare. Der eine hieß Kakfcha, der andere Mostan-
scha und beide waren Tamnlen aus Pondichery, das be-
kanntlich eine französische Besitzung in Indien ist.' So er-
klärte sich die „Landsmannschaft". Ihrer Angabe nach
und Geographische Zeitung. 35
gehörten sie zur Braminenkaste und waren Bauern; mit
ihren religiösen Vorstellungen stand es verwirrt genug. Das
Feuer, meinten sie, habe alle Dinge geschaffen und könne
gar nicht genug verehrt werden; sie seien nun auf die Reise
gegangen, um diesem reinen Element ihre Huldigungen dar-
zubringen. Unter ihren Landsleuten in Pondichery ging
eine dunkle Sage um, der gemäß irgendwo in Tnrkestan ein
Atesch kedeh, Feuertempel, von ganz ungewöhnlicher Hei-
ligkeit vorhanden wäre. Manche Leute seien dorthin gepil-
gert, aber kein einziger hatte sich genau um Weg und Ent-
fernnng gekümmert; der Atesch kedeh lag eben weit nach
Norden hin. und Kakscha und Mostanscha hatten sich ohne
weiteres auf deu Weg gemacht, um ihn zu suchen.
Zuerst waren sie nach Bombay gegangen, und von
dort durch Kotsch bis au deu Indus. Sie pilgerten ström-
aufwärts, bald zu Fuße, bald auf einem Flußfahrzeuge,
wenn sie umsonst mitgenommen wurden. So kamen sie nach
Peschawer, wo sie nach dem Atesch kedeh fragten. Man
konnte ihnen nichts Näheres über den Feuertempel sagen,
meinte aber, daß vielleicht in Kaschmir ein solcher sei. Also
machten sie sich ans den Weg nach Kaschmir, wo sie erfuhren,
daß man dort das Feuer nicht verehre; aber man sagte
ihnen, Balch sei die Mutter der Städte, von Zerdescht,
Zoroaster, gegründet worden, und wahrscheinlich werde
dort ein Fenertempel sein. Die beiden Tamnlen gehen rich-
tig nach Balch. Aber dort ist kein Atesch kedeh, und sie
wandern weiter nach Buchara, um hier Erkundigungen ein-
zuziehen. In dieser Stadt wies man sie dann nach Baku
am schwarzen Meere, wo so viele Andächtige bei den Naphtha-
quellen ihre Andacht verrichten.
Kakscha und Mostanscha pilgern also weiter und kom-
nien bis Asterabad, am Südgestade des kaspischeu Meeres.
Aber es ist ein Mißgeschick, daß eben der dortige Statt-
Halter im Kriege mit den Tnrkomanen und weit und breit
das Laud unsicher ist. Die Wallfahrer müssen also besürch-
ten, daß man ihnen irgendwo den Kopf heruntersäbelt oder
sie in die Sklaverei wegschleppt. Was sollen sie ansangen!'
Sie müssen umkehren, gehen nach Mesched und von da nach
Teheran, um abzuwarten, ob gelegentlich die Wanderung
bis Baku möglich sei.
. Hier haben wir ein Beispiel, daß an der Malabarküste
bei Kenten, welche sich zur Braminenkaste rechnen, das Feuer
verehrt wird; indische und altpersische Vorstellungen spielen
also in einander über. Die beiden tamnlischen Pilger hatten
ein niedriges Leinwandzelt, unter dem sie beide wohl sitzen,
aber weder liegen noch stehen konnten. Ihre Speisen kochten
sie in zwei kupfernen Geschirren, denn sie aßen nichts was
von Anderen zubereitet war, und verzichteten damit auf alle
Gastfreundschaft. Sie waren schon seit vier Jahren unter-
Wegs und es verschlug ihnen gar nichts, daß sie auf dem
Rückwege von Baku noch eben so lange auf der Wanderung
sein würden. Wir sagten ihnen, daß sie bequemer heim-
kämen , wenn sie über Jfpahan und Schiras gingen und in
Bender Abufchähr (Bufchir) sich nach Indien einschiffen
würden. Aber das war ihnen ganz gleichgültig; ein Afiate
begreift den Werth der Zeit nicht. Endlich zogen sie ab,
und die Leute vou der Gesandtschast, welche ihnen gern eine
Gabe zuwenden wollten, fragten, wie viel ihnen angenehm
sein werde? Darin sahen jene eine ganz übermenschliche
Großmnth. Sie hatten alle Nahrung, selbst Thee und Ta-
bak zurückgewiesen; jetzt verlangten sie schüchtern dreißig
Schahy's, also etwa vier Silbergroschen! Das war
Alles.
So zieht der Asiate geduldig und mit Heilerin Sinn
weit und breit umher und weiß oft gar nicht einmal, wo er
sich befindet. Der wandernde Pilger bewegt sich frei und
5 *
38 Globus, Chronik der Reisen
ungehindert, Niemand tritt ihm in den Weg und die löb-
liche Polizei läßt ihn ungeschoren.
Im Morgenlande gilt der einzelne Mensch viel mehr
als der Staat. In Persien zum Beispiel kümmert sich
kein Mensch um denselben, wohl aber nm die herrschenden
Personen. Die Bevölkerung, denn dieser Ausdruck ist rich-
tiger, als wenn man Volk sagen würde, verachtet seine Herr-
scher und deren Werkzeuge, gleichviel ob sie gut oder schlecht
seien, denn ausgezogen und ausgebeutet wird er immer.
Anhänglichkeit au Staat und Vaterland kennt er nicht. Jeder
plündert ohne Schen so viel er vermag, und stiehlt vom
öffentlichen Einkommen; von einer regelrechten Verwaltung
hat man ohnehin keinen Begriff. In den Städten ist übri-
gens eine wirksame Polizei vorhanden, welche namentlich
nach Einbrechen der Dunkelheit strenge Aussicht übt. Des-
halb hört man keinerlei Lärm bei "Nacht und auch am Tage
wird darauf gehalteu, daß die Ordnung ungestört bleibt.
Aber das ist nur äußerlich. Ein Theil der Stadtbewohner
zahlt gar keine Abgaben; theils macht man alte Vorrechte
geltend, theils jagt man die Steuererheber ohne weiteres
fort. In dieser Beziehung kommt es vor, daß ganze Ort-
schasten dem Statthalter der Provinz Trotz bieten.
In alten Zeiten hatte Persien gute Verbindungsstraßen.
Insbesondere die fassanidischen Könige bauten, namentlich
im Süden, prächtige Wege, Brücken und Karawanserai's in
großer Menge; auch die früheren mufelmännifchen Herrscher-
familien waren in dieser Beziehung nicht, uuthätig und bis
zum Ausgange jener der Sefewy's, im ersten Drittel des
vorigen Jahrhunderts, wurde das Vorhandene leidlich gnt
erhalten. Seitdem trat Verfall ein. Jetzt findet man im
ganzen Reiche keine einzige Straße, welche diesen Namen
verdient, nicht einmal auf der ein paar Stunden langen
Strecke vou Teheran bis zur Sommerresidenz des Königs.
Einzelne Brücken sind auf Kosten von Privatleuten gebaut
werde«, man bessert sie aber nicht aus und viele verfallen.
Eigentliche Festungen besitzt Persien nicht, eben so wenig
ordentliche Zeughäuser oder Magazine. Das Heer ist nur
deshalb etwas nütze, weil es die turkomanischen Nomaden
abhält, im Uebrigen aber, der vielen Erpressungen wegen,
eine große Qual für das Land. Im Grunde genommen
liegt keine Übertreibung darin, wenn man sagt, daß eine
eigentliche Regierung in Persien gar uicht vorhanden sei.
Uebrigens herrscht vielfach ein munteres und bewegtes
Treiben, und für deu Europäer gewährt eiu Besuch iu den
Bazaren von Teheran, Jspahan oder Schiras einen hohen
Genuß. Unter den großen Bogengängen ist von früh bis
spät ein unablässiges Wogen von Menschen aller Art. Der
Kaufmann sitzt vor oder iu seiner Bnde, und hat seine
Waareu mit Kunst uud Geschmack zur. Schau gestellt. Die
Luty's, Stutzer, schreiten gespreizt einher, haben die Mützen
auf das eine Ohr gerückt, und bahnen sich mit den Ellen-
bogen Raum. Die Blinden singen; ein Geschichterzähler hat
sich einen Platz erobert und schreit was nur die Lungen her-
geben wollen. Da gehen Kurden; man erkennt sie an ihrem
gewaltigen Turban uud ihrer finster», sehr ernsten Miene.
Mirza's, Schreiber, mit dein Schreibzeug im Gürtel, drän-
gen sich wie Aale durch die Menge, gesticnliren wie Besessene
und lachen laut, und der eine oder andere geräth zwischen
eine Reihe von Mauleseln, die ihrerseits von Kameelen ge-
drängt werden. Durch eiu solches Gewirr zu kommen ist
nicht leicht, aber die Perser bringen das fertig. Ich sah
einen Derwisch mit spärlichem Haar; er trägt eine rothe
Kopfbedeckung mit einem Streifen, auf dem man einen
frommen Spruch liest; fem Leib ist halb nackt, über der
Schulter hängt eine A^'t, er rasselt mit einer Kette und
unterhält sich erst mit einem Mullah, einem Gelehrten, der
und Geographische Zeitung.
Bücher verkauft, uud dann mit einem Drechsler, welcher ihm
eiu Pfeifenrohr in Stand setzt. Dort reitet ein afghanischer
Edelmann, dem seine Dienerschaft zu Pferde folgt; er hat
scharf ausgeprägte Züge und seine Begleiter erinnern an die
Landsknechte. Sie tragen blaue Turbane, dunkle Kleider,
mächtige Säbel, breite Messer, lange Flinten und kleine
Schilder. In diesem Gewirr treibt sich auch eine Menge
von Frauen umher. Gewöhnlich gehen sie zu Zweien oder
Bieren, manchmal auch allein; alle tragen einen zumeist
baumwollenen blauen Schleier, welcher sie vom Kopfe bis
auf die Füße verhüllt. Das Gesicht ist überdies durch einen
Streifen von weißer Leinwand verhüllt, der hinten über
dem blauen Schleier befestigt wird uud vorne lang herab-
fällt. So kann man platterdings vom Antlitze gar nichts
sehen; die Frau aber sieht und athmet recht gut durch ein
viereckiges Stück Gaze mit weiten Maschen. Das Band vor-
dem Gesichte heißtRubeud, der blaue Schleier Tschader;
unter demselben und über dem Leibrocke trägt die Frau ein
langes Beinkleid, aber nur wenn sie ausgeht. Dann ist sie
förmlich umhüllt und eingewickelt uud wackelt auf ihren klei-
neu Hackenpantosfelu keineswegs anmnthig. Sie setzt sich
aus dem Bazar vor der Bude des Kaufmanns nieder, läßt
sich Stücke Leinwand, Sewe oder Baumwolle zeigen, schwatzt,
handelt und feilscht, und geht am Ende fort, ohne etwas ge-
kauft zu haben; sie macht es also genau wie ihre Schwestern
in Europa. Der Kaufmann freilich giebt sich alle mögliche
Mühe, seine Waare als preiswürdig und geschmackvoll an-
zurühmeu. Bor anderen Buden wird inzwischen politische
Kannegießerei getrieben; man erzählt sich allerlei ans dem
Harem des Schah; die Skandalchronik geht von Mund zn
Mund; man verborgt Geld oder leihet, versetzt Pfänder,
und keift und zankt, aber zu Schlägereien kommt es nur in
seltenen Fällen. Oft ist der Lärm so arg, daß man meint,
die Gewölbe müßten einstürzen.
Die Mädchen werden sehr jung verheirathet. Bei
wohlhabenden Familien verlangt der Vater gewöhnlich dreißig
Tomans, etwa 85 Thaler, als Kaufpreis für die Braut,
und gewöhnlich wird diese Summe der letztern eingehändigt.
Vor der Hochzeit verfließen mehrere Monate, und während
dieser Zeit darf der Bräutigam das Antlitz der Verlobten
nicht sehen; so will es wenigstens die Regel, allein die Müt-
ter schaffen Gelegenheit und drücken gern ein Auge zu. So
wird ihm Gelegenheit zum Namse'd basy, Spiel des
Bräutigams; er klettert über die Mauern auf die Terrasse,
steigt in die Fenster und gelangt so in's Enderun. Gewöhn-
lich ist er ein Bnrsch von etwa sechszehn, das Mädchen ein
Kind von elf Jahren. Manche erst zwanzigjährige Frau hat
schon deu zweiten oder dritten Mann geheirathet, denn
Scheidungen sind sehr leicht uud kommen häufig vor. Und
eben weil sie sich so leicht bewerkstelligen lassen, hat der
Perser keine Neigung sich mehrere Frauen anzuschaffen; bei
ihm ist die Polygamie nur eine Ausnahme. In der Stadt
Demawend, mit etwa viertauseud Einwohnern, fand Graf
Gobinean nur zwei Männer, welche jeder zwei Frauen hat-
ten, und die übrigen Leute fkandalisirten sich darüber. Die
zahlreichen Nossairi's (Aly Jllay's, Sektirer) halten streng
auf Einweiberei. Die Mehrweiberei ist also nicht schuld an
der Entvölkerung Persiens, weil sie tatsächlich nur als
Ausnahme vorkommt. Manchmal hat ein Perser in jeder
von zwei oder drei Städten, wo er seiner Geschäfte wegen
längere Zeit verweilen muß, eine Frau, aber auch das nur
selten.
Man hält übrigens die Frauen im Enderun insoweit
streng, daß in den Gemächern derselben nur Angehörige der
Familie Zulaß finden. Andererseits können sie von früh
bis spät ganz nach Belieben ausgehen, in manchen Fällen
Globus, Chronik der Reift
auch vom Abend bis znni Morgen fortbleiben. Die Frau
eines wohlhabenden Mannes geht früh zuerst ins Bad und
läßt sich von einer Magd begleiten; diese trägt einen Kasten
mit allerlei Schmuck- und Putzsachen. Nach ein paar Stun-
den kommt sie heim, macht dann Besuche und geht später in
irgend eine Gesellschaft. Manchmal wird auch zum Grabe
eines Heiligen gepilgert, zuweilen dreißig bis vierzig Stun-
den weit. Uebrigens herrscht immer noch der Brauch, daß
eine Frau, welche nach Kerbela und Mekka pilgert, im Fall
ihr Mann die Reise nicht mitmacht, sich für die Zeit der
Wallfahrt einen andern wählt, der später abgedankt wird
und dann nichts mehr gilt. So liegen gerade auch im Orient
schroffe Gegensätze dicht neben einander, und die Weiber er-
freuen sich in Persien tatsächlich einer großen Zwanglosig-
leit. Im Hanse gebieten sie allein, obgleich sie andererseits,
eben weil sie Weiber sind, bei den Männern für unznrech-
nungsfähige Wesen gelten; denn der Prophet von Mekka
will ja wissen, daß in ihrem Verstand eine Lücke sei, und
deshalb verlangt er für sie große Nachsicht, welcher dann
auch die Perserinnen in gewisser Beziehung sehr bedürfen.
Man schildert sie als zornig und heftig, und der Pantoffel
mit den eisenbeschlagenen Hacken ist in ihren Händen eine
gefährliche Waffe. Gras Gobinean kannte einen Mann,
dem seine dreizehnjährige Ehehälfte damit das Gesicht ganz
weidlich zugerichtet hatte.
Häusliches Leben in nnserm Sinne kennen die Perser
nicht. Frauen und Männer sind draußen, wenn es irgend
angeht. Der Mann schlendert ans den Bazar und macht
allerlei Besuche, bei welcheu die Förmlichkeiten und schone
Redensarten eine große Rolle spielen. Wer einen Auslands-
besuch machen will, schickt seinen Diener und läßt fragen,
an welchem Tage er nicht lästig fallen werde. Die Antwort
fällt nach Wunsch ans; man macht sich also etwa eine Stunde
nach Sonnenaufgang auf den Weg, weil es dann noch nicht
zu heiß ist, oder auch uiu die Zeit des Afr, dritten Gebetes,
das von vielen Persern unbeachtet bleibt. Es verschlägt
übrigens gar uichts, wenn man später kommt, denn, wie
schon gesagt, bei diesen Leuten hat die Zeit keinerlei Werth.
Der vornehme Mann nimmt so viele Diener als irgend
möglich mit; vor dem Pferde schreitet derDschelodar einher,
mit einer gestickten Decke, die ihm auf der Schulter hängt,
hinter dem Herrn der Kaliandschi mit der Wasserpfeife. So
geht es im Schritt durch Bazare und Straßen; man grüßt
die Bekannten und vertheilt Almosen. Einst trat eine sehr
wohlgekleidete Frau zu einem Manne, der auf Besuch ans-
ritt, nahe heran und bat mit weinerlicher Stimme um ein
kleines Almosen. Sie lebte offenbar im Wohlstand, und
antwortete aus die Frage, weshalb sie bettele, Folgendes:
„Ich bin reich, aber mein Kind ist krank; ich habe gelobt,
mich heute von Almosen zu ernähren, um durch diese Er-
niedrigung Allah's Mitleid zu erflehen." Andere Bettler
lind aus weniger rührender Veranlassung zudringlich. Sie
schreien uns entsetzlich laut an: „Mögen die heiligen Mär-
ihrer von Kerbela und Seine Hoheit der Prophet, und der
Fürst der Gläubigen (Ali) deine Hoheit znni Gipfel des
Ruhmes und Glückes emporheben!" Diese „Hoheit" ist oft
ein sehr schlichter Bürgersmann, der aber doch seine kleine
Münze spendet und dafür in die Wolken erhoben wird.
Dem Christen sagt der Bettler nichts vom Propheten, wohl
aber schreit auf den Ungläubigen allen Segen Seiner
Hoheit Issa (Jesus) und Ihrer Hoheit Meriam (Maria)
herab; sie sollen Heil ergießen über den prächtigen Herrn,
der ein Glanz unter den Christen sei.
Man kommt an die Thür, steigt ab, läßt die Diener
voraus gehen, schreitet durch einige schmale finstere Gänge
und ein paar Höfe und gelangt an die eigentliche Wohnung.
und Geographische Zeitung. 39
Der Mann, welcher den Besuch empfängt, tritt bis an die
vorderste Thür, falls er einen Mann von hohem Rang er-
wartet; bei gleichem Range schickt er einen Sohn oder jnn-
gen Verwandten. Dann wechselt man höfliche Redensarten
aus. „Wie kam Deine Herrlichkeit auf den Gedanken, diese
bescheidene Wohnung zu besuchen?" Der Andere preist die
allznviele Ehre, welche man ihm anthne und spricht: „Was
veranlaßt Dich, Deinem Sklaven so entgegen zu kommen?
Ich bin darüber in unaussprechlicher Verlegenheit; dieses
Uebermaß von Güte beschämt mich." So kommen beide
bis an die Thür des Empfangsaales, wo wieder die Com-
plimente über den Vortritt kein Ende nehmen wollen. Der
Hausherr sagt: „Du bist ja in Deiner Wohnung und Alles
hat Dir zu gehorchen." Dagegen werden alle möglichen
Einsprüche erhoben, bis am Ende der Besuchende seine Pan-
tosseln auszieht, der Hausherr ein Gleiches thnt und Beide
eintreten.
Gewöhnlich sind die zur Familie gehörenden Männer
versammelt, stehen an der Wand umher und verneigen sich
vor dem Eintretenden, welchen der Wirth in einen Winkel
auf einen erhöhet«: Sitz geleitet. Wieder neue Complimente
und Ablehnungen, während die übrigen Anwesenden sich
eines höflichen Lächelns befleißigen. Ans ein solches muß
ein Mann von Erziehung sich gründlich verstehen. Endlich
nehmen Beide Platz. Der Besuchende fragt den Hausherrn,
ob, unter Gottes Gnade, feine Nase fett sei? — „Sie ist
es, Gott sei gelobt, durch Deine Güte." — „Gott sei ge-
priesen dafür!" lautet die Antwort. Dann wendet man sich
zn dein Manne, welcher zunächst steht nnd fragt ihn, wie er
sich befinde? Die Antwort lautet allemal günstig: „Dank sei
Gott, durch Deine Güte." So muß man alle Anwesenden
anreden, aber jedesmal einige Abwechselung in die Frage
bringen, je uach dem Range dessen, an welchen sie gerichtet
wird. Nachher wendet man sich wieder zum Hausherrn und
stellt sich, als ob man ihn lange Zeit gar nicht gesehen habe.
Deshalb dann abermals die Frage, ob, so es Gott gefällt,
seine Nase fett sei? Antwort: „Sie ist es, Gott sei gedankt,
durch Dein Erbarmen." Graf Gobinean sagte, daß er
von ausgesucht höflichen Leuten diese Frage wohl viermal
hintereinander gehört habe. Ju Teheran wird noch jetzt in
der guten Gesellschaft ein heiliger Mann, Jmam Dfchnme,
hoch gepriesen. Bei vornehmen Leuten fragte er immer zn-
erst nach dem Wohlbefinden der Nase; das war freilich in
der Ordnung; aber der herablassende Heilige erkundigte sich
anch bei Dienstboten nnd gemeinen Soldaten, was ihre
Nase mache. Dadurch ist der große Heilige so vollsbeliebt
geworden.
Nachdem die Fragen wegen der Nase erledigt .sind,
wird eine kleine Pause gemacht; nachher wirft der Hausherr
ein paar Worte über das Wetter hin. Gestern sei es nicht
besonders gut, heute aber wunderschön geworden, und das
habe man auf Rechnung Seiner Excellenz zu setzen. Die
Richtigkeit dieser Wendung wird von den Anwesenden be-
stätigt, und einer fügt hinzu: was selber excellent sei, mache
die ganze Umgebung, und Alles, womit es in Berührung
komme, prächtig. Ausgezeichnete Vollkommenheit wirke Wnn-
der. „Wie könnte es auffallend sein, daß da, wo Deine
Excellenz erscheint, Gleichgewicht und Ebenmaß in allen
Dingen herrscht, und alles Schöne sich in seiner ganzen
Vollkommenheit zeigt?" Auch diese Bemerkung findet großen
Beifall und wird durch Verse aus mehr als einem Dichter
bekräftigt.
Der Besuchende muß natürlich auch seinerseits in der-
artigen Eomplimenten wetteifern. Er sagt also, das Wetter
sei erst schön geworden, seitdem man so gütig gewesen sei,
den Besuch zu genehmigen und man verdanke das Glück ans-
40
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
schließlich dem vortrefflichen Herrn des Hauses. Dann macht
er eine geschickte Wendung im Gespräch, um eine Anekdote
erzählen zu könNen, über welche alle Anwesenden hoch erfreut
sind. Der Hausherr drückt ihm dankbar die Hand, dieser
Druck wird mit Lächeln und Zärtlichkeit erwiedert und dann
Pfeife, Kaffee, Thee und Sorbet umhergereicht. Uebrigens
wissen die Perser allen diesen übertriebenen Höflichkeiten eine
scherzhafte Beimischung zu geben, durch welche sie das Steife
verlieren. Der bloße Schwulst der Complimente würde
lächerlich fein, das begreift man recht gut. Wer wirkliche
Geschäfte mit einem Andern abzumachen hat, faßt sich mit
solchen Förmlichkeiten kürzer, aber die Vorschriften der äußern
Höflichkeit werden von allen Klassen beobachtet, selbst von
den Lastträgern; nur die Nomaden kehren sich nicht daran.
hocken. Im Hintergründe befindet sich ein Gerüst, auf wel-
chem der Erzähler steht. Von früh bis spät folgt einer dem
andern. Er giebt allerlei aus Tausend und eine Nacht zum
Besten, weit mehr aber aus deu Geheimnissen Hame's, einer
siebenbändigen Sammlung von sehr buntem Inhalt. Auch
scherzhafte Anekdoten fehlen nicht und solche, welche Ausfälle
gegen die Frauen und die Mullah's enthalten, gefallen dem
Publikum vorzugsweise. Für theatralische Darstellung hat
dasselbe eine wahre Leidenschaft. Sie werden auf offenen
Plätzen und unter freiem Himmel aufgeführt. Die Frauen
stehen aus der einen, die Männer auf der andern Seite des
Zuschauerplatzes. Am beliebtesten sind die Vorstellungen im
Monat Moharrem; ihren Inhalt bildet der Tod der Sohne
Ali's und ihrer Angehörigen in der Ebene von Kerbela, und
Perserin.
Kadscharischer
Krieger.
Krieger. Bauer. Bürgersfrau. Eiu Maler.
Persische Physiognomie n.
Ein Mullah. Wahhal'i-Häuptling.
Sie werden deshalb von den eigentlichen Persern als plumpe,
ungeschlachte Leute gering geachtet.
Der Perser liebt Gesäuge und Erzählungen; aber die
ersteren müssen neu sein und womöglich einen satirischen
oder politischen Inhalt haben. Manche Liebes- und Trink-
lieder kommen ans deiu königlichen Palaste, in welchem selbst
die Frauen dichten. In Tonweisen ist man aber nicht sehr
erfinderisch und legt deshalb alten, allgemein bekannten Me-
lodien neue Worte unter. Wandernde Erzähler trifft man
auf allen Gassen; früher fand man sie auch in deu Kaffee-
Häusern, die aber nun geschlossen sind, weil sie Mittelpunkte
für eiue dem Hof abgeneigte Opposition bilden. In der
Nahe des Grünmarktes hat man einen großen Schuppen ge-
baut, zu welchem Stufen hiuaufsühreu: auf diesen können
ein paar hundert Zuhörer Platz finden, wenn sie zusammen-
das Stück nimmt zehn Tage in Anspruch; jeder einzelne Ab-
schnitt dauert drei bis vier Stunden. Und das ist den Per-
sern kaum genug, denn es handelt sich ja um die Leiden und
das Unglück ihrer religiösen Lieblinge. Die ganze Versamm-
lnng heult und wehklagt und schreit verzweiflungsvoll. Da-
niit meiuen es die meisten Leute ganz aufrichtig, selbst Euro-
päer werden davon ergriffen. Ein Mnllah hat auf einem
erhöhten Sitze Platz genommeil und nimmt zuweilen das
Wort, um der Menge recht eindringlich zu schildern, wieviel
die Jiuams gelitten haben. Er erzählt, wie sie gemartert
wurden, erläutert das Drama, verflucht die Ehalifeu als
grausame Unterdrücker und stimmt ein Gebet an. Dann
schlagen sich die Anwesenden, besonders heftig die Frauen,
vor die Brust, gleichsam nach dem Takte, singen und wieder-
holen oftmals in Wnthgefchrei die Namen Hussein, Hassan:
42
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Nach einem solchen Zwischenspiel geht die Darstellung des
Stückes weiter. Der Text ist seit vielen Jahren wesentlich
derselbe, aber man ändert allemal etwas ab und schiebt
rührende Austritte ein. Jene Schauspieler, welche die Nol-
len der Bösewichte spielen, brechen, gleich den Zuschauern,
in Thräueu über ihre eigene Niederträchtigkeit ans. Go-
binean sah einen Darsteller des abscheulichen Chalifen Uesid;
als er grimmige Drohungen gegen die Heiligen Hassan und
Hossein auszustoßen hatte, war er selber so ergriffen, daß
er vor Wuth kaum sprechen konnte und entsetzlich weinte.
Das Publikum wurde dadurch auf's Aeußerste erregt.
Die Kaufleute bilden in Persien den achtbarsten Theil
der Gesellschaft. Viele haben das Geschäft von den Vätern
ererbt, sind wohlhabend und halten sorgfältig auf guten
Ruf. Sie bedürfen für ihr Geschäft des öffentlichen Ver-
ist Bankier, Commissionär und handelt mit allen möglichen
Waareu. Mit seinen eigenen Zahlungen nimmt er es nicht
besonders pünktlich, hält Tag und Stunde nicht immer ein,
bezahlt aber gern Verzugszinsen. Gobinean erzählt, er wisse
aus eigener Erfahrung einen Fall, daß ein Mann eine
Summe im Werth vou 18,090 Francs, um welche man
ihn mündlich ersuchte, in einem versiegelten seidenen Beutel
hergab und den Empfangschein zerriß, weil dieser eine Art
Beleidigung sei; das Wort sei genügend. „In Teheran er-
hielt ich aus der süus Tagereisen entfernten Stadt Hamadan
durch einen Maulthiertreiber ein Gepäckstück, das für etwa
3090 Francs alte Münzen enthielt. Ich kannte den Mann,
welcher mir dieselben schickte, nicht einmal dem Namen nach.
Er hegte demnach über die Nechtschasfenheit eines Maul-
thiertreibers und eines ihm unbekannten Europäers nicht
Perserinnen im Frauengemach.
traueus und man vertrauet ihnen willig Gelder an. Der
größte Theil der Kapitalien, über welche die Perser ver-
fügen, befindet sich in ihren Händen und deshalb spielen sie
auch der Regierung gegenüber eine wichtige Rolle. Der
Minister ist oft in Bedrängniß und muß bei den Kaufleuteu
borgen. Diefe arbeiten mit fremden Kapitalien, müssen den
Eigenthümern Rechenschaft geben und borgen natürlich auch
der Regierung nur gegen völlige Sicherstellung. Sie erhal-
ten also zu diesem Zweck irgend ein Monopol, Anweisungen
auf gewisse Einkünfte oder auch Juwelen als Versatzstücke.
Einige Male ist der Hof in so großer Roth gewesen, daß er
daran dachte, sich für bankerott zu erklären; nach reiflicher
Neberlegung hat er es aber nicht gewagt, denn Niemand
würde ihm ferner etwas geborgt haben. Der Kaufmann
wird fehr geschont, er bezahlt keinen Heller Abgaben. Er
den mindesten Zweifel, und war gewiß selber ein redlicher
Mann.
Auch die Handwerker sind in recht guten Verhältnissen.
Sie bildeu Genossenschaften, Gilden, Esnaf's, welche, gleich
jenen der Kanflente, ihre besonderen Beamten und Vorsteher
haben uud aus der Mitte der Berufsgenossen von diesen
gewählt werden. Die Körperschaft hält ihre Auflagen, wie
die europäischen Innungen, hat ihre eigenen Kassen und
ihren Säckelmeister. Die Handwerker zahlen der Regierung
keine Abgaben, halten zu deu Kaufleuten, für welche sie
arbeiten, uud stehen auf gutem Fuße mit den Mullah's, den
Geistlichen, welche sich ihrerseits bei diesen Leuten beliebt
machen, um an ihnen eine Stütze zu haben. Der persische
Handwerker lebt in gewöhnlichen Zeiten ganz ungestört, das
Gesetz schützt ihn uud die Regierung will ihm wohl. Er ist
Globus, Chronik der Reisen
gewandt, sinnreich, betriebsam und fleißig. Das Letztere
natürlich auf seine Art. Denn nach europäischer Weise
täglich zwölf Stunden zu arbeiten und regelmäßig am Werke
zu bleibe«, das kommt ihm gar nicht in den Sinn, auch
würde ihm Niemand dergleichen znmuthen. Auch kennt er
unsere Art der Arbeitsteilung nicht, sondern macht Alles
selber. Für deu Mann als solchen ist das gewiß kein Nach-
theil, denn er wird nicht zur Maschine, wie viele unserer
Fabrikarbeiter. Er frent sich, wenn er Auftrag zu einer
ihm ganz neuen Art von Arbeit erhält, welche seinen Geist
beschäftigt, geht mit Feuer au's Werk, begreift rasch, was
man von ihm will, und schafft die Sache ganz ausgezeichnet.
Jchhabe, sagt der französische Graf, gesehen, daß Leute,
die sich erst einübten, meisterhafte Tische, Lehnsessel, Stühle,
Schränke und Fenster herstellten. In Schiras uud Jspahau
verfertigt man Messer nach englischem Muster ungemein
billig und so täuschend, daß auch das London auf der Klinge
nicht fehlt und man die Nachahmung nicht erkennt. Ich
gab einem Schlosser, der nie zuvor Sporen verfertigt hatte,
ein englisches Muster und er arbeitete mir ein Paar, welche,
vom Eisen abgesehen, mindestens so gnt waren wie jenes,
und obendrein waren sie um ein Drittel wohlfeiler. Was
sind dagegen unsere pariser Handwerker, die doch für Aus-
bunde vou Gewaudtheit und Geschicklichkeit gelten wollen!
Sie sind aber, was man auch dagegen sagen möge, unge-
schickt; mau hat feine liebe Noth, weuu mau ihnen eine Ar-
beit zumuthete, an welche sie nicht gewohnt sind; sie werden
gleich verdrießlich und erklären die Sache für unmöglich.
Ganz anders der persische Handwerker, der freilich in ande-
rer Weife arbeitet. Was in kurzer Zeit fertig gemacht wer-
den muß, das schafft er tu einem Zuge; was länger dauert,
erfährt häufig Unterbrechungen; die Arbeit soll ihm Ver-
gnügen machen, und wer ihm etwa für ein Stück im Voraus
bezahlt, kann lange warten."
Bor anderthalb hundert Iahren war die persische Ge-
werbfamkeit in hoher Blüthe und ihre Erzeugnisse hatten
und Geographische Zeitung. 43
einen Weltruf, besonders die Seidenwaaren, Brokate und
Sammete vou Kaschau, Ispahau, Nascht und Aezd, die
Waffen vou Kermau und Schiras, sodann die Baumwollen-
gewebe und Metallgeschirre. Von alle dem giebt es noch jetzt
nicht unerhebliche Reste, aber die frische Blüthe ist nicht
mehr vorhanden.
Eine zahlreiche Klasse bilden die Mäkler und Unter-
Händler. Ihr Beruf erfordert einen feinen Kopf, verschla-
gene List, Gewandtheit, Ueberrednngsgabe und ist also für
Leute, wie die Perser sind, recht eigentlich geschaffen. Man
kann sagen, daß jeder Perser, insbesondere aber jener von
Ispahau oder Schiras, ein geborner Dellal ist. Jedermann
verkauft oder versetzt Etwas; der König seine Diamanten
und Juwelen, seine Frauen versetzen ihren Schmuck, der
Mullah borgt auf seine Bücher, der Grundbesitzer aus seine
Felder. Jedermann hat Schulden und Forderungen. Wer
irgend etwas kauft, sei es ein Kleid, ein Kessel, ein Schmuck :c.,
erkundigt sich genau, ob nicht etwas darauf geborgt sei. Be-
sonders zur Zeit der großen Festlichkeiten, also am Nitrits,
Neujahr, uud während des Moharrem, haben die Delläls
keine Ruhe bei Tag und Nacht, weil Jeder versetzt. Es ist
einmal herkömmlich, daß Jeder borgt uud ausleihet.
Beim Perser gehört übrigens das Räukespielem zum
Lebensgenuß. Jeder thut, was er nicht thun sollte. Der
Herr bezahlt seine Leute nicht, also bestehlen sie ihn. Die
Regierung bezahlt ihre Beamten nicht, oder nur in schlechtem
Papier, und deshalb veruntreuen sie. Von oben bis unten,
durch alle Klassen hindurch, mit wenigen Ausnahmen, ist
alles eine Schurkerei ohne Maß, ohne Grenze uud leider
auch ohne die Möglichkeit einer Abhülfe. Jedermann gefällt
sich in dieser Rolle. Als ein hoher Beamter, der Emir
Nisam, anfing, den Beamten regelmäßig ihren Gehalt zu
zahlen, aber zugleich bei strenger Ahndung ihnen jede Er-
Pressung verbot, war das Mißvergnügen allgemein. Eine
solche Neuerung war unerhört und schien unerträglich!
Paul d» Cl|«illit's Forschungsreisen und Abenteuer in Westafrika.
Das Delta des Ogobai. — Der Fernando Va;. — Die äquatoriale Gebirbskette. Die Völkerschaften. Bakalai. Aberglaube und
Behexungen. Urteilsspruch eines Zauberers. Gifttrank. — Teufelsdoctoren. — Die Fan nnd ihr Kanuibalenthum. — Bei den Asch na
und Apingi. — Der Gorilla-Affe. — Allerlei Jagdabenteuer.
Durch den kühnen Reisenden aus Philadelphia ist wie-
der eilt Stück von dem Schleier gelüstet worden, welcher auf
dem Festlande Afrikas liegt. Es handelt sich um die Strecke,
welche zu beiden Seiten des Erdgleichers, etwa vom 1.° nörd-
licher bis zum 2.° südlicher Breite sich ausdehnt, um das
Küstenland vom Kap John im Norden bis zum Kap S. Ca-
therine im Süden, von der Mündung des Flusses Mündt,
der auch Danger heißt, bis zum Kamuta. Ju's Innere
hinein drang Du Ehaillu vom Kap Lopez, zwischen dem 8.
und !)." bis über den 14.° östlicher Länge hinaus.
Von dieser Region kannten wir bisher nur die Fluß-
Mündungen und das Gestade, aber beide nur mangelhaft.
Die Franzosen haben sich vor etwa zehn Jahren an der
Mündung des Gabunflusses festgesetzt und nordamerikanische
Sendboten dort eiue Station errichtet. Durch einen diefer
Missionare, Leighton Wilson, erhielten wir einige Werth-
volle Nachrichten über die in der Küstengegend wohnenden
Völker, insbesondere über die Mpongue, die Balakai (Ba-
keles) und Schekiani, aber das Innere war vor Du Chaillu
vou keinem weißen Manne betreten worden. Jetzt schildert
er uns dasselbe in ungemein lebendiger und anschaulicher
Weise, uud die Länder- uud Völkerkunde hat er in dankens-
werther Weise bereichert. *)
In England, wo man oft mit einem absprechenden
Urtheil rasch bei der Hand ist, sind manche Angaben des
Reisenden bezweifelt worden, ja, man ist so weit gegangen,
ihn mit dem durchaus lügenhaften Franzosen Donville,
welcher so viel Fabelhaftes über Congo mittheilte, aus eine
Linie zu stellen. Wer aber Wilsons Buch kennt und Du
Chailln's Werk aufmerksam gelesen hat, wird zu einer ganz
andern Ansicht kommen. In dein letztern kommen einzelne Irr-
thümer und Ausschmückungen, so weit persönliche Abenteuer
in Frage stehen, allerdings vor, denn Jäger tragen bekannt-
lich etwas stark auf; gewiß bleibt aber, daß seine Schilderuit-
gen der Völker, des Pflanzenwuchses und der klimatischen
*) Explorations and advcnturcs in Equatorial Afrika;
with accounts of the manners and customs of the pcople and of
the chasc of the Gorilla, Crocodilc, Leopard, Elcphand, Hippo-
potamus and other animals, by Paul B.Du Chaillu. London 1861.
6*
44 Globus, Chronik der Reisen
Verhältnisse richtig sind. Unbestreitbar bleibt ferner, daß
er schon 1856 einige Zeit als Handelsgehülfe seines Vaters
an verschiedenen Punkten der Küste lebte und mehr als eine
Negersprache erlernte; daß er dann seit jener Zeit vier Jahre
lang in der obenbezeichneten Region verweilte und Gegenden
durchforschte, über welche wir seither gar feine Kunde hat-
ten; beiß endlich die Beweise seiner Thätigkeit, die Ergeb-
nisse seiner Jagdzüge in verschiedenen Museen Nordameri-
ka's und Enropa's aufgestellt siud. Du Chaillu ist Jäger
und Zoolog; ihm lag vor Allem daran, der Naturwissen-
schaft neue Ausbeute zu gewinnen, und diesen Zweck hat er
erreicht. Auch lebte er mit den Schwarzen ununterbrochen
in so inniger Verbindung, wie nur selten ein Reisender vor
ihm. Auf jeden Fall ist seine Darstellung fesselnd, sein Buch
enthält viel Neues und Wichtiges und verdient die volle
Beachtung aller Freunde der Völkerkunde. Auf deu Streit,
und Geographische Zeitung.
*
Ungefähr fünfzig Mal habe ich Anfälle vom afrikanischen
Fieber gehabt und dagegen mehr als vierzehn Unzen Chinin
genommen. Von dem Hunger, welchen ich erduldete, von
den tropischen Regen, von den Angriffen wilder Ameisen
und giftigen Fliegen zureden, verlohnt sich nicht der Mühe."
Die von dem Reisenden durchwanderte Region nuter-
scheidet sich wesentlich von den dürren oder dünn bewaldeten
Ebenen in den anderen Theileu Asrika's, denn sie ist zumeist
gebirgig, reich bewässert und so dicht mit Holz bestanden,
daß Du Chaillu sie als einen fast undurchdringlichen Wald
mit dichtem Gestrüpp fand, manchmal mußte er sich einen
Weg mit der Axt bahnen. Bisher hielt man den Nazareth,
den Merias und Fernando Vaz für drei besondere Ströme;
es hat sich jedoch ergeben, daß sie untereinander zusammen-
hängen. Der Mexias und Nazareth sind, dem Reisenden
zufolge, nur Ausmündungen des Ogoba'i, der einen
Du Chaillu
welcher über dasselbe in England geführt wird, lassen wir
uns jetzt nicht ein.
Du Chaillu selber sagt' „Ich habe acht Jahre in jenen
Gegenden gelebt und zwar die ersten vier Jahre gemein-
schaftlich mit meinem Vater als Kaufmann. Als ich dann
1856 als Reisender auftrat, hatte ich den nicht geringen
Vortheil, leidlich an das Klima gewöhnt zu sein, die Sprachen
und Gewohnheiten der Stämme au der Küste zu verstehen,
und mit jenen im Innern durch Doluietscher verkehren zu
können. Ich bin, immer zu Fuß und nie von einem weißen
Menschen begleitet, etwa 8009 englische Meilen weit ge-
wandert. Mehr als 2000 Vögel habe ich geschossen, aus-
gestopft und heimgebracht; mehr als 60 davon sind neue
Arten. Ich erlegte etwa 1000 viersüß ige Thiere, von denen
200 ausgestopft sich in den Museen befinden; auch brachte
ich mehr als 80 Skelette mit. Von jenen Vierfüßern sind
20 bisher der Wissenschaft durchaus unbekannt gewesen.
:i den Fan's.
Theil seines Wassers vermittelst des Npuluuay iu den Fer-
nando Vaz sendet, so daß eigentlich alle diese Deltagewässer
als Mündungen des Ogobai erscheinen und mit einem sehr
verwickelten Netzwerk einer Menge von Gefließen, vielen
Sümpfen und dichten Wäldern das Delta des Ogobai
bilden.. Dieses reicht vom Nazareth, welcher unter 0° 41/
s. Br. und 9° 3' ö. L. mündet, im Norden, bis zum Fer-
nando Vaz, 1° 17' s. Br. 5° 58' ö. L. im Süden. Mitten
inne liegt die Mündung des Mexias. Für den Aufeut-
halt von Menschen ist dieses weite Delta ganz ungeeignet,
weil es iu der Regenzeit überschwemmt wird. Der Fer-
nando Vaz und der Mexias ergießen in der Regenzeit eine
so große Masse süßen Wassers in so starker Strömung durch
ihre nur etwa eine halbe englische Meile breiten Mündungen
in den Oeean, daß man dasselbe noch stundenweit verfolgen
kann. Dreißig Meilen aufwärts, wo der Fernando Vaz
schon den Namen Rembo führt, fließt er noch dnrch ein
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Flachland, welches in der Regenzeit weit und breit unter
Wasser steht; mehr landein wird das Land hügelig, und im
obern Lauf strömen der Rembo und der Ovenga zwischen
steilen Ufern in eine Gebirgsregion, deren Ebenen und breite
Thäler während der Regenzeit gleichfalls überschwemmt
werden.
Der Fernando Baz erhält zwar einen ^heil seines
Wassers vom Ogobai,
muß aber doch als eiu
selbstständiger Fluß be-
trachtet werden und hat
seine Quelle in den
Aschankolo-Bergen. Der
O g ob ct'i ist wahrschein-
lich einer der größten
Ströme im westlichen
äquatorialen Afrika.
Er entsteht ans der
Vereinigung zweier be-
trächtlicher Flüsse, des
Rembo Ngnyai und
des Rembo Okanda;
den erstern kennt Dn
Chailln theilweise, den
zweiten schilderten die
Eingebornen als ein be-
deutendes Wasser, das
größer sei als der
Nguyai, welchen der
Reisende als den präch-
tigsten Fluß schildert,
deu er in Afrika jemals
gesehen. Er strömt durch
ein reichbewaldetes Ge-
birgsland, aber die
Schifffahrt wird durch
den großen Engenic-
oder Samba Nagofchi-
Wasserfall unterbrochen.
Bis zu diesem könnten
die Dampfer von der
See her fahren, und
oberhalb der Katarakten
ist er gleichfalls für
große Dampfer schiff-
bar. Er zieht dort durch
eine herrliche Tropen-
gegeud, die reich ist an
Ebenholz, Barholz (das
roth färbt), Kautschuk,
Palmöl, Wachs und
Elfenbein.
Du Chailly bezeich-
net auf seiner Karte eine
von Westen nach Osten
oder umgekehrt laufende
Bergkette, welche er bis
über den 14. Grad ö. L. ^diayi. König der
selbst verfolgt hat. Er-
hält dieselbe für einen Theil des großen Gebirgszuges, der
quer durch das ganze Festland hinzieht und sich nirgends
über zwei Grade vom Aeqnator entfernt. Aus seinen eigenen
Wahrnehmungen und den Mittheilnngen von Eingeborenen,
die weither aus dem Innern bis in die Gegend gekommen
waren, wo Du Chailln umkehrte, zieht er den Schluß, daß
eine bedeutende Gebirgskette den Aeqnator entlang durch
Afrika gehe; sie zweige im Westen von der Kette ab,
der Küste entlang von Norden nach Süden laufe und
welche
___,..........U . , und endige
im Osten wahrscheinlich in dem Gebirgsland im Süden
Abessiniens, vielleicht falle sie anch int Norden des von
Burton und Speke entdeckten Tanganyika-See's schroff ab.
Am nördlichen AbHange lägen wahrscheinlich die Quellen
mancher Zuflüsse des Nigers, Tschadsee's und Nils; von
den am Südabhange
entspringenden Flüssen
strömten wohl einige
zum Rembo Okanda,
Rentbo Nguyai und
Congo, audere zum
Sambesi und in die
verschiedenen Seen Ost-
und Centralafrika's.
Der Reisende schlägt
für diese große Aeqna-
torialkette den Namen
Nkumn-nabnali vor,
nach einem etwa 12,000
Fuß hohen Spitzberge,
der den westlichen An-
sangspnnkt derselben
bilde.
Ans den Völkern,
welche die von Du
Chailly durchwanderte
Gegend inne haben, liegt
die Nacht dicker, geradezu
trostloser Barbarei, von
welcher wir ergreifende
Bilder vor uns sehen.
Einige Stämme sterben
rettungslos ab und ans,
andere sind Menschen-
fresser, Alle sind die
Beute eines gräßlichen
Aberglaubens, der sie
nie zu Ruhe kommen
läßt. Wir übergehen
die Mpongne oder Pon-
gos, welche schon durch
Wilson bekannt gewor-
den sind, niid greifen
einige Schilderungen
über die Bakala'i und
die Fan's heraus. Die
ersteren wohnen überall
im Laude in Dörfern
zerstreut, oft inmitten
anderer Stämme. Alle
diese Völker trachten da-
hin, sich die Herrschaft
über die Flüsse anzn-
eignen, weil es feilte
anderen Verkehrswege
r Fan'Kannibalen. Lande giebt. Sie
treiben die schwächeren
Stämme fort und machen allen Handel von sich ab-
hängig. Festen Besitz voll Grund und Boden, Anrecht und
Eigenthum an solchen, sind unbekannt, und deshalb wech-
feln die Wohnorte so oft. Die Bakala'i zum Beispiel bauen
heute ein Dorf, und verlassen dasselbe schon nach wenigen
Wochen oder Monaten aus einem für nns ganz nnbegreif-
liehen Grunde, noch ehe die Ernte eingethan werden kann.
46 Globus, Chronik der Reisen
Diese Menschen haben eine entsetzliche Furcht vvr dem Tode
und wollen keine Leiche sehen; Kranke werden fortgejagt und
sterben im Walde. Das Gefühl der menschlichen Theilnahme
oder des Mitleids bleibt ihnen völlig fremd. Ein Dorf ist
eben aufgebaut, das Feld bestellt worden. Aber dann stirbt
Jemand und das macht die Uebrigen bedenklich. Bald nach-
her stirbt wieder einer und nun sind die Leute nicht mehr zu
halten, deuu das Dorf ist ja, wie sie fest glauben, behext,
und einBeschwörnngsdoctor wird herbeigeholt. Er bestätigt
die Behexung, nennt die angeblich Schuldigen und diese
müssen den Mbnndu, Gifttrank, verschlucken. Das Dorf
wird dann abgebrochen und in der Nähe oder in weiter
Ferne wieder ausgeschlagen. Ihr ganzes Leben besteht in
einem Fliehen vor dem Tode, von dem sie gar nichts hören
wollen, denn mit ihm ist Alles vorbei; und doch wird das
Menschenleben für Nichts geachtet. Nach Sonnenuntergang
wittern sie in jedem Baum oder Busch einen Geist; oft wer-
den sie von unbeschreiblicher Furcht gepackt und wagen sich
schou im Zwielicht nicht mehr aus ihrer Hütte hervor. Da-
bei leben sie immer im Streit mit dem einen oder andern
Nachbarstamme. Das Eigenthum besteht in Frauen und
Sklaven, und das Ansehen, welches der Mann genießt,
richtet sich nach der Anzahl der ersteren. Für den Erlös des
Elfenbeins und Ebenholzes kauft der Bäfala'i' so viele Wei-
ber als möglich, denn der freie Neger arbeitet nie; jene be-
stellen ihm den Acker und sind seine Lastthiere, denn gezähm-
tes Rindvieh hat er nicht. Die Stämme im Innern waschen
sich selten oder niemals; statt dessen reiben sie sich täglich mit
Palmöl ein!
Wer mit dem seltsamen Aberglauben und dessen Ein-
Wirkungen auf deu Geist der Neger uicht näher vertraut ist,
wird uachsteheude Erzählung kaum glauben wollen. Wir
unsererseits zweifeln keinen Augenblick daran, daß sie voll-
kommen richtig sei und keine wesentliche Übertreibung ent-
halte.
Im Oktober 1859 fuhr Du Chaillu, der au der Müu-
dung des Fernando Vaz seit einigen Jahren die Niederlas-
snng Biagano oder Washington hatte, den Renibo hinaus
bis nach Gnmby; in diefer Gegend hört der Stamm der
Kannna auf und jenseits wohnen Bakalaü Der Reisende
war schon früher dort gewesen und wurde freundlich ein-
pfangen. Gerade damals lag ein angesehener Mann, Na-
mens Mpomo, schwer krank und die Neger hatten allnächt-
lich vor seiner Hütte getrommelt, um den bösen Geist zu
vertreiben. Doch der Tod stand ihm schon im Gesichte ge-
schrieben und er starb am andern Tage gegen Morgen. Der
Reisende erzählt:
Ich wurde durch Klageruf und Geschrei aufgeweckt,
und solch ein Wehegeheul afrikanischer Leidtragender ist
schrecklich anzuhören. Man ruft: Alles ist hin. Wir haben
keine Hoffnung mehr. Wir hatten ihn gern. Wir sehen ihn
nicht wieder! — Beim Tod eines Kamma kommt dessen
Hauptfrau und wirft sich auf sein Lager, umfaßt ihn, fingt,
ruft ihm eine Menge Liebesworte zu und viele Dorfbewoh-
ner stehen vor der Hütte und weinen. Solche Austritte
haben stets einen rührenden Eindruck auf mich gemacht. Als
ich Mpomo's Wohnung betrat, saßen seine Weiber auf der
Erde, warfen feuchte Asche und Staub über ihren Leib,
hatten ihre Bekleidungsstücke zerrissen und schoren das Haupt-
haar ab.
Aber schon am Nachmittage hörte ich allerlei
von Behexungen munkeln.
Die Trauer währte zwei Tage. Dann wurde der schou
iu Verwesung übergegangene Leib in einen Kahn gelegt und
zur Begräbnißstätte gebracht, welche etwa fünfzig englische
Meilen stromabwärts liegt. Die Frauen waren wirklich be-
und Geographische Zeitung.
trübt; bald nach seinem Ableben sah ich, daß jede ihn um-
armte und mit Thränen benetzte. Wer den afrikanischen
Charakter kennt und weiß, welche Nolle die Verstellung spielt,
wird freilich uicht sagen können, wie viel bei diesen Liebes-
beweisen auf wirkliche Trauer kommt. Jede Frau mußte
die äußerste Betrübuiß zur Schau tragen, sonst hätte sie den
Verdacht ans sich gezogen, daß der Verstorbene von ihr be-
hext worden sei und wäre angeklagt worden. Ich weiß Fälle,
daß Mütter getödtet worden sind, weil sie ihre Kinder be-
hext haben sollten.
Am Begräbnißtage begann man nachzuforschen, wer
wohl an dem Tode schuld sei. Hexerei mußte im Spiele
sein, denn diese Neger haben keinen Begriff davon, daß ein
Mensch natürlichen Todes sterben könne; Mpomo war ohne-
hin noch vor wenigen Wochen gesund gewesen. Man ließ
nun eiueu berühmten Doctor von auswärts holen, und bis
er eintraf, war das Volk in einer Aufregung, die sich immer
mehr steigerte. Als er kam, herrschte bei Jung und Alt eine
wahre Wnth, Rache an vermeintlichen Missethätern zu üben.
Der Doctor versammelte das Volk und begann mit seinen
Beschwörungen, durch welche er die Mörder entdecken wollte.
Männer und Knaben waren mit Speeren oder Beilen, Flin-
ten oder Messern bewaffnet, denn Blnt sollte fließen, Alles
dürstete danach. Zum ersten Mal verhallte in Gnmbiy meine
Stimme; meine Einsprache und Mahnungen blieben nnbe-
achtet und man hörte gar nicht auf mich. Zuletzt erklärte
ich, von mir würde dafür gesorgt werden, daß mein Freund
Quengneza, ihr Oberhäuptling, sie für jeden Mord bestra-
sen solle, aber sie waren mir zuvorgekommen und hatten
von ihm Erlaubniß ausgewirkt, die Hexen zu bestrafen. So
konnte ich denn nichts ausrichten, das blutige Werk nahm
seinen Fortgang, und ich war Zeuge gräßlicher Auftritte.
Der Doctor gebot Schweigen; nach einigen Minuten
sprach er: — da ist eine sehr schwarze Frau, die iu dem und
dem Hause wohnt,— er beschrieb die Hütte und deren Lage
ganz genau,-—von ihr ist Mpomo behext worden.
Als er so gesprochen, rannte die Menge mit schenß-
lichem Geheul, wilden Bestien vergleichbar, nach dem be-
zeichneten Hanse und packte ein junges Mädchen Namens
Okandaga. Sie war die Schwester eiues meiner Führer,
wurde uach dem Wasser hin geschleppt und gebunden. Dann
liefen Alle wieder zum Doctor. Die Arme rief mir zu, ich
möge sie retten, und ich hatte einen Augenblick die Wallung,
dieser ganzen Scheußlichkeit ein Ende zn machen. Aber so-
gleich wurde mir auch wieder klar, daß ich gar nichts aus-
richten könne. Ich trat hinter einen Baum und weinte über
meine Ohnmacht.
Abermals wurde Ruhe geboten. Der Teuselsdoctor
erhob wieder seine Stimme und rief: — Da ist eine alte
Frau iu dem und dem Hause; von ihr ist Mpomo behext
worden! — Die Menge stürzte fort, und holte eine Ver-
wandte des Oberhäuptlings, eine wackere alte Frau berbei.
Sie erhob sich stolz von ihrem Sitze, blickte der wilden Horde
dreist in's Gesicht und sprach: Ich will den Mbnndn trin-
ken, aber wehe meinen Anklägern, wenn ich nicht sterbe! —
Man brachte auch sie an's Wasser, sie wurde aber nicht ge-
bnnden und unterwarf sich Allem ohne Murren.
Zum dritten Male gebot der Teuselsdoctor Schweigen
und sprach: Da ist eine Frau mit sechs Kindern; sie lebt
da und da, wo die Sonne ausgeht. Auch sie hat Hexerei
gegeu Mpomo getrieben.
Nach einiger Zeit wurde eiue Sklavin Qnengneza's
herbeigeschleppt und an den Fluß gebracht. Dann kam der
Doctor, welchem die Menge folgte und stellte seine Anklage.
Okandaga habe vor einigen Wochen von ihrem Verwandten
Mpomo etwas Salz verlangt, das gerade selten war, er
Globus, Chronik der Reisen
hatte ihr diese Bitte abgeschlagen und sie ihm deshalb einige
unfreundliche Worte gesagt. Durch Zauberei nahm sie ihm
das Leben. Was die alte Frau anbelange, so habe sie keine
Kinder gezeugt, Mpomo aber hatte viele Kinder. Darüber
war sie ueidisch und behexte ihn. Drittens! die Sklavin:
Sie verlangte von Mpomo einen Spiegel, den er ihr nicht
gab. Deshalb behexte sie ihn und machte ihn todt! —
Bei jeder neuen Anklage brach das Volk in gesteigerte
Wnth aus, selbst die Angehörigen der auserkorenen Opfer
schrieen mit. Man brachte alle drei in einen großen Nachen,
der Doctor stieg auch hinein, viele Bewaffnete folgten, die
Trommelpauken wurden geschlagen und Mpomo's ältester
Bruder, Ouabi, brachte den Zaubertrank herbei. Okanda
schrie, selbst die alte Frau wurde bleich, denn auch auf dem
Antlitze des Negers kann man Blässe bemerken. Um den
großen Nachen herum lageu drei kleinere Nachen, in denen
bewaffnete Männer standen. Zuerst reichte man deu Gift-
becher der Sklavin, dann der alten Frau, zuletzt dem jungen
Mädchen. Aus der Meuge heraus rief man: Der Mbuudn
soll sie tödten, wenn sie Hexen sind; er soll sie leben lassen,
wenn sie keine Schuld haben!
Ich befand mich in fürchterlicher Aufregung, und doch
konnte ich meinen Blick nicht wegwenden. Alles war in ge-
fpannter Erwartung und man hörte keinen Laut. Plötzlich
sank die Sklavin um und sofort wurde ihr das Haupt vom
Rumpfe gehauen. Genau dasselbe geschah mit der alten
Frau; Okaudaga schrie entsetzlich, sank aber auch nieder,
und ihr Haupt fiel. Jetzt war Alles iu wilder Verwirrung
und Alle hackten auf die drei Leiche« ein, die in wenigen
Minuten in kleine Stücke getheilt waren; diese warf man iu
deu Fluß.
Dann zerstreute sich die Menge und im ganzen D orfe
herrschte die äußerste Stille. Die Furcht vor den Todten
schreckte sie. Am Abend schlich sich mein Führer Ahmtet,
Okandaga's Bruder, zu mir.
Ich habe mir viel mit den Teuselsdoctoren zu schasfeu
gemacht, um ihre eigentliche Meinung zu erforschen. Sie
lenken den Volksaberglanben derart, daß man kaum anneh-
Uten kann, daß sie sich selber betrügen, und doch steht auch
wieder außer allem Zweifel, daß sie an das ganze Teufels-
werk glauben. Sie sind zugleich Betrüger und Betrogene;
behängen sich mit allerlei Zauber, dem sie große Wichtigkeit
beilegen, und erzählen von seltsamen Gesichten und Trän-
men. So viel kann ich aus eigener Anschauung bekräftigen,
daß sie im Stande sind, große Quantitäten des Mbnndn
zu trinken, ohne daß er ihnen schade, und darin Hauptfach-
lich liegt eine Ursache von der Gewalt, welche sie über das
Volk ausüben. —
Solcher Nachtbilder sah Du Chaillu viele; wir finden
in seinem Werke kaum eine einzige Schilderung, die uns in
erquicklicher Weise berühren könnte. Alles zeugt von Blut,
Wildheit, Barbarei. Landeinwärts vom Muni, jenseit der
dritten -lieihe der Sierra del Crystal, östlich vom 11. Län-
gengrade, wohnt das Volk der Fan's. Bis dorthin hatte
Du Chaillu eiuen Häuptling des Mbondemostammes zum
Führer, er hieß Mbeue. Mitten im Walde traf er mit
einem Fau-Krieger und dessen zwei Frauen zusammen. Sie
hatten uie zuvor einen weißen Menschen gesehen, hielten ihn
für einen Geist und waren äußerst erschrocken. In ihren
Dörfern gewann er die Ueberzeuguug, daß sie Kannibalen
seien. Er schildert sie als das merkwürdigste Volk, welches
er in Afrika angetroffen; sie haben eine weniger dunkle Haut
als ihre Nachbant, sind kräftig und schlank gewachsen, und
ihr Blick zeugt von einer gewissen Intelligenz. Sie gehen
unbekleidet, bis auf Baumbast und Thierfelle, welche sie
über den Hüften befestigen, und feilen ihre Vorderzähue, die
und Geographische Zeitung. 47
außerdem schwarz gesärbt sind, spitz. Ihre Kopfwolle flech-
teu sie iu möglichst lange steife Zöpfe und verzieren diese
mit Glaskorallen. Ueber der Schulter hängt ein großes
Messer, am linken Arm ein Schild aus Elephautenhaut, die
getrocknet und im Rauche gehärtet wird, in der rechten Hand
tragen sie einen Speer. Als Fetische verehrt der Fan Fin-
ger und Schwänze von Affen, Haut, Haar, Zähne und
Knochen von Menfchen, Thon, alte Nägel, kupferne Kessel
und Muscheln, Federn, Krallen und Schädel von Vögeln,
Metallstücke, Holz, Pflauzeusaamen, Asche und noch ver-
schiedeue andere Dinge. Die Frauen sind häßlich, seilen sich
auch die Zähne und bestreichen den Körper niit rother Farbe.
Ueber die ganze Erscheinung des Fremden waren sie in
hohem Grade erstaunt, vor Allem über sei» Haar und seine
Hautfarbe; und sie konnten sich nicht erklären, daß die letztere
an den Händen weiß, an den Füßen dagegen schwarz sei.
Sie hielten nämlich die Stiesel für einen Theil des Körpers!
Wir haben schon gesagt, daß diese Fans Kannibalen
der abscheulichsten Art sind. Als Du Chaillu iu ihr Haupt-
dors einzog, begegnete ihm eine Frau, welche einen Manns-
schenket trug. Vor den Hütten lageu da und dort Menschen-
knochen. Im Versannnluugshanse wurde eben das Fleisch
einer Menschenleiche vertheilt, und der Kopf für deu König
zurückgelegt, denn dieser hat ein Anrecht auf alle Köpfe!
Diesem Könige Ndiayai stellte der Reisende sich vor.
Grimmig genug sah der Mann aus. Seinen Leib hatte er
bis ans eilten ans Baumbast verfertigten Schurz unbedeckt
gelassen und roth bemalt; Gesicht, Brnst, Unterleib und
Rücken waren stark tättowirt. Seine Majestät trug Waffen
und erschien über und über mit allerlei Gegenständen be-
hängt, welche den Zanber abwehren sollten. Krieger hatten
sich in beträchtlicher Anzahl eingefunden; sie trugen einen
Haarschwanz. Jener des Königs war der längste, nnd lief
unten in zwei Strängen aus, deren jeder mit Messingringen
und weiter auswärts mit Glasperlen verziert war. Ueber
den Fußknöcheln hatte dieser Monarch der Menschenfresser
dicke Messingringe, über dem Bastschurze eine Leoparden-
haut. Sein Bart war in mehrere steif vom Gesicht ab-
stehende Stränge geflochten und auch diese waren mit Per-
len verziert: die Zähne hatte er spitz gefeilt und schwarz
gefärbt. Seine Hauptfrau, Königin Mafchumba, ein nr-
häßliches Weib, war gleichfalls tättowirt, roth bemalt, trug
eiserne Ringe au deu Beinen und hatte spitzgefeilte Zähne.
Der König lies,' dem Fremden eine Hütte anweisen.
Das Dorf war erst vor Kurzem angelegt worden und bil-
dete eine lange Straße. Die Wohnungen sind etwa fünf
Schritte lang, sechs Fuß breit, von Mannshöhe, und wer-
den ans Baumrinde gemacht, über welche man ein Matten-
dach legt. Auf Stangen hängt Menschenfleisch, das ge-
räuchert wird. Man hält die Dörfer ganz fanber, denn die
abgenagten Menfcheuluochen, welche man zur Hütte hinaus-
wirft, gelten nicht für unrein. Der König erhielt vom
weißen Mann ein Geschenk, nnd war über Glasperlen,
Spiegel, Feile, Feuerstahl und einige Flinten hoch erfreut.
Am andern Tag erschien er in vollem Kriegerschmuck von
einem großen Gefolge begleitet. Er hatte einen Schild von
Elephantenhaut, drei Speere und einen kleinen Beutel mit
vergifteten Pfeilen, auf dem Kopfe trug er die rothen Fe-
deru vom Bogel Turako (Helmkuckuck, Eorythaix), und am
ganzeu Leibe noch mehr Zauber als am Tage vorher. Die
Fan's haben außer den angegebenen Waffen noch Bogen,
große Messer, die eine furchtbare Wehr bilden, Streitkolben
und Aexte. Das Messer steckt in einer Scheide ans Schlau-
gen- oder Menschenhaut.
Du Chaillu versichert, daß er in ganz Afrika keine
kräftigeren Neger gesehen habe als diese Fan's; sie kamen
48
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
auch aus den umliegenden Dörfern herbei, um deu Fremden
zu sehen; spielten aus einer Art Holzharmonika, Handscha,
und schlugen eine Paukentrommel, die sehr einfach ist, denn
man spannt ein Fell über einen ausgehöhlten länglichen
phanten getödtet worden, und man verkaufte seine Leiche,
die dann verzehrt wurde.
Wir können nicht umhin, dem Reisenden noch einige
Mittheilungen zu entlehnen, welche das Kannibalenthum der
iet Gorilla.
Block und das Werkzeug ist fertig. Nach und nach versam-
melten sich mehrere Hunderte von Kriegern, welche auf eine
große Elephautenjagd auszogen und an einem Tage vier
solcher Thiere erlegten. Ein Jäger war von einein Ele-
Fan's in das rechte Licht setzen. In so gräßlicher Weise
kommt die Menschenfresserei bei keinem andern Volke vor.
Du Chaillu berichtet, daß einst an der Küste einige dorthin
gekommene Fan's Hyänen gleich einen begrabenen Menschen
Globus, Chronik der Reis«
ausgescharrt uud gegessen haben. Ein andermal schleppten
sie eine Leiche in die Wälder, zerschnitten sie, räucherten die
einzelnen Stücke und nahmen diese mit sich fort. Beide That-
fachen werden vom Missionar Walker, der auf der Station
am Gabunflusse lebt, ausdrücklich bekräftigt. Die Fan's
machen aus dem Menschenfressen gar kein Hehl, weil sie
dasselbe ganz in der Ordnung finden. Leichen sind ein Haupt-
Handelsartikel zwischen den Bewohnern verschiedener Dörser,
es findet damit ein regelmäßiger Austausch statt, weil man
lieber Fremde als die eigenen Angehörigen verzehrt. Alle
Gestorbenen werden verspeist, mit Ausnahme der Könige
und Häuptlinge, denen man ein Grab in der Erde gönnt.
Dieses Volk der Fan's oder Panen dringt seit längerer
Zeit immer weiter aus dem Innern nach der Küste hin,
gründet neue Dörfer am Mnndi und Gabun und verdrängt
andere Stämme. Es liegt eine Art von Energie in jenen
Leuten; sie sind weit und breit die besten Schmiede und
Töpfer, aber vor Allem Jäger und Krieger. Das Leben
des Menschen gilt dem Fan nichts, weil jede Leiche einen
Handelswerth hat. Menschenopfer für ihre Fetische kennen
sie nicht; in jedem Dorfe befindet sich ein großes Götzenbild
in einer Hütte, die mit Schädeln von wilden Thieren, na-
mentlich des Gorilla, umgeben ist. Du Chaillu kann nicht
umhin, zu erklären, daß gerade diese wilden Kannibalen
„das bildungsfähigste Volk in ganz Afrika" seien. Sie be-
handelten mich, sagt er, mit unwandelbarer Güte und Gast-
sreundschast und sie haben mehr Mark und Anlage zur Auf-
nähme fremder Gesittungselemente als irgend ein anderer
Stamm. Sie sind energisch, kriegerisch, voll Muth und als
Feinde höchst gefährlich. —
Von den Kamma und Bakalai ging Du Chaillu zu
den Aschira, welche zwischen dem l.uud 2.° f. Br. ein schö-
nes, von Gebirgen nmsänmtes Prairieland bewohnen, und
weiter nach Osten hin zu den Apingi, deren Herrscher,
König Remandschi, in einem Dorf am Rembo Apingi,
etwas nördlich vom 1.° s. Br. und zwischen 12 und 13" ö. L.
wohnt. Dieser Strom war mindestens 400 Schritte breit.
Einen weißen Mann hatte man in jener Gegend noch nicht
gesehen, aber Du Chaillu wurde vom Häuptling sehr freund-
lich aufgenommen. Nachdem dieser ihm Bananen, Hühner
und Kastanien gegeben, sprach er: „Ich sehe nun, was von
meinen Vorfahren keiner gesehen hat. Sei willkommen
weißer Mann, Geist! Sei froh und genieße was ich Dir
gebe."
Gleich nachher wurde zu meiner nicht geringen Ver-
wunderung mir ein Sklav gebunden überliefert uud 9fe-
maudschi sagte: „Schlachte ihn Dir zum Abendessen, er ist
fett uud weich, uud Du bist wohl hungrig!" — Da spie ich
aus und ließ durch meinen Führer und Dolmetscher ihm
sagen, daß ich die Leute, welche Meuschensleisch essen, ver-
abscheue. Remandschi entgegnete etwa Folgendes: — „ Wir
haben immer gehört, daß ihr Weißen auch Menschen ver-
zehrt/ Zu was denn sonst kauft ihr unsere Leute? Ihr
kommt, wir wissen nicht von wannen und führt Männer,
Weiber und Kinder hinweg. Macht ihr sie nicht in enerm
Lande fett, um sie zu essen? Deshalb gebe ich Dir diesen
Sklaven, damit Du ihn schlachtest uud Dein Herz sich er-
freue." Es kostete einige Mühe, ihm klar zu machen, daß
die Weißen keine Kannibalen seien.
Bei diesen Schwarzen ist Alles Barbarei, es fehlt
unter ihnen der Zusammenhang, sie sind in zahllose kleine
Dorfgemeinden zersplittert, kennen, wie schon bemerkt, kein
festes Grundeigenthum, sind ewig in Furcht vor Zauber
und Hexerei und hatten zu allen Zeiten, längst bevor Euro-
Päer den Negerhandel begannen. Sklaven. Sklaverei ist
ans's Engste mit allen ihren Einrichtungen verwachsen, und
Globus 18C1. Nr. 2.
und Geographische Zeitung. 49
der Gebieter hat das Recht über Lebeu und Tod. Wer der
Hexerei verdächtig erscheint und nicht zum Gifttrinken ver-
urtheilt ist, wird verkauft. Der Sklavenhandel rettet vielen
das Leben, welche aus der Hand des einen Stammes in
jene des andern gehen, bis sie an der Küste zum Verkauf an
die Weißen gelangen. So erhält das Menschenleben Werth;
sobald die Nachfrage nach Sklaven an der Küste aufhörte,
würden gewiß alle der Hexerei beschuldigten Menschen ge-
tobtet werden. Jetzt ist der Werthmesser für alle Güter
und Sachen der Sklav. Wo wir nach Thalern schätze»,
rechnet der Afrikaner nach Sklaven. Ein Mann, dem man
Strafe auferlegt, wird um so uud so viele Sklaven gebüß't;
wer sich eine Frau anschafft, zahlt dafür so und so viele
Sklaven oder deren Werth etwa in Elfenbein und Färbe-
hölzern. Die Annahme, daß der auswärtige Sklavenhandel
Anlaß und Ursache für die Kriege der afrikanischen Völker
untereinander sei, ist irrig. Er trägt wohl dazn bei, das
Nebel zu verschlimmern, aber der wahre Grund zu den
Kriegen liegt darin, daß überhaupt nur das Recht des
Stärkeren gilt, daß man gar kein Eigenthumsrecht kennt,
vor allen Dingen aber muß man eine Hauptursache iu dem
abscheulichen Glauben an Hexerei suchen.
Von großem Interesse sind Du Chailln's Mittheilnn-
gen über den Troglodytes Gorilla. Vor dem Jahre
1846 war dieses merkwürdige und gewaltige Thier der
Wissenschaft völlig unbekannt, erregte aber sofort große Auf-
merksamkeit, als ein Missionar am Gabnnflnsse, I)r. Leigh-
ton Wilson, einige Schädel desselben fand und an die natur-
wissenschaftliche Gesellschaft iu Bostou sandte. Aber der
erste Europäer, welcher den Gorilla gesehen uud erlegt hat,
ist unser Reisender, aus dessen Schilderungen sich nnbe-
streitbar ergiebt, daß die „wilden behaarten Menschen",
welche der Karthager Hanno auf seiner berühmten Fahrt
an der Westküste von Afrika gefangen nahm, Schimpanse-
Affen gewesen sind. Er nannte sie, nach den Angaben
seiner Dolmetscher, Gorillas, später bezeichnete man sie
als Gorgonen; der elftere Name ist aber nun auf das merk-
würdige Thier übergegangen, welches wir näher beschreiben.
Der Reisende hatte von den Negern eine große Menge
von Fabeln, Sagen und Jagdgeschichten gehört, und war
entschlossen, das Ungeheuer in den düsteren Wäldern auf-
zufuchen. Es hieß, der Gorilla lanre auf Bäumen, um sich
auf friedliche Wanderer herabzustürzen und sie mit seinen
Krallen zu erwürgen, er greife den Elephanten an und
schlage ihn mit Knütteln tobt; er raube Frauen ans den
Dörfern, baue sich aus Laub uud Zweigen eine Hütte, auf
deren Dach er sitze und ziehe in ganzen Schaaren umher.
^ Die Wahrheit ist, daß der Gorilla in den einsamsten
Wäldern, am liebsten in recht dunkeln Thalschlnchteu oder
rauhen wilden Höhen lebt; auch siudet man ihn aus solcheu
Hochebenen, die mit großen Fels - und Steinblöcken bedeckt
sind. Er ist ein nomadisches Thier, das nicht lauge an ein
und derselben Stelle bleibt und gewöhnlich schon nach zwei
Tagen von einer Stelle wegzieht. Er ist dazu gezwungen,
um seine Nahrung zu finden. Er lebt nur von Pflanzen,
namentlich Beeren, wildem Zuckerrohr und Ananasblättern,
frißt aber gewaltig viel und weidet eine Gegend sehr rasch
ab. Auf Bäumen verweilt er nicht, klettert aber hinauf, um
Früchte, insbesondere Nüsse herabznholen, dann geht er aber
sogleich wieder zur Erde. Er hat nicht einmal nöthig, seiner
Nahrung wegen zu klettern; aber die Jungen schlafen auf
Bäumen, weil sie dort gegeu Angriffe wilder Thiere besser
gesichert sind. Das alte Männchen hält seine Nachtrast so,
daß es sich unter einen Baum setzt und mit dem Rücken am
Stamme ruhet. In größern Gesellschaften findet man den
Gorilla nicht; gewöhnlich ist ein Paar beisammen, doch trifft
50 Globus, Chronik der Reisen
man hin und wieder ein altes Männchen ohne Frau, welches
dann ganz besonders bösartig ist. Das letztere gilt bekannt-
lich auch von solchen Elephantenmännchen, die von dcrHeerde
aus irgend einem Grunde sich entfernt haben und einsam
leben. Jüngere Gorilla's hat man bis zn fünf Stück bei-
sammelt gesehen, nie in größerer Zahl; sie laufen, wenn
Gefahr ist, auf alleu Vieren weg und man kann ihrer nur
selten habhaft werden. Anch das alte Männchen weicht dem
Menschen gern aus, flieht aber niemals, sobald es sich dann
doch dem Jäger gegenüber sieht. Wenn es dem Reisenden
gelang, ein Paar zn überraschen, saß der Mann gewöhnlich
unter einem Felsen oder an einem Banme im dichtesten
Waldgebüsch, wo selbst bei Tage nur eine Art von Zwielicht
herrscht; das Weibchen suchte ganz in der Nähe sein Futter
und kreischte auf, wenn es witterte, daß nicht Alles gehener
sei. Der Mann blieb noch eine kleine Weile sitzen, sein
Gesicht wurde wild und grimmig, er stand langsam ans,
spähete mit den Augen umher, schlug au seine Brust, warf
den Kopf in die Höhe und begann fo fnrchtbar-gräßlich zn
brüllen, daß der Wald erdröhnte. Anfangs stößt er einige
kurze bellende Töne ans, nachher folgt ein langes, tief ans
der Kehle dringendes rollendes Gebrüll, das wohl über eine
Minute dauert und wie Getöse herannahenden Donners in's
Ohr dringt. Dann ist der Gorilla in der That schrecklich.
Ein kluger Jäger spart seinen Schuß bis zum aller-
letzten Augenblick auf, denn er weiß, daß Alles verloren ist,
wenn er den Feind nicht auf einen Schuß niederstreckt. Falls
er ihu nur verwundet oder gar gefehlt hat, stürzt der Go-
rilla anf ihn zn und seinem Anprall kann Niemand wider-
stehen. Eiu Schlag mit den scharfen Nägeln an der gewal-
tigen Hand reicht hin um einem Menschen die Eingeweide
herauszureißen oder den Brustknochen oder den Schädel zu
zerschmettern. Es ist vorgekommen, daß eiu Jäger, welcher
gefehlt hatte, mit dem Gewehr nach dem Gorilla schlug,
aber in demselben Augenblicke war der Mann eine Leiche.
Kein anderes Thier ist im Kampfe mit dem Menschen so ge-
fährlich als der Gorilla, weil er uns Gesicht gegen Gesicht
entgegen tritt und dann seine langen Arme als Angriffs-
wasfe benutzt.
Sobald er seinen Feind gesehen hat und den Kampf
bestehen muß, rückt er in kurzen Sätzen vor, bleibt stehen,
um sein gräßliches Gebrüll zn erheben, und schlägt mit den
Händen so gewaltig aus seinen Brustkasten, daß man ein
Dröhnen wie von einer großen Pauke vernimmt. Manch-
mal setzt er sich auch und starrt den Jäger an, während er
nmablässig gegen seine Brust schlägt. Dann steht er auf und
kommt mit wackelndem Gange näher; seine kurzen Hinter-
beiue trage» nur mit Mühe den gewaltigen Leib. Während
dieses wiegenden Gauges schlenkert er mit deu Armen, etwa
wie ein Matrose beim sogenannten Seegange, und er sieht
mit seinem dicken Wanste, seinem runden dicken Kopse, der
keinen Nacken hat, sondern auf dem Rumpfe sitzt, deu ums-
kelkrästigen Armen und der hohlen Brust, in der That fürchter-
lich aus. Seine tiefliegenden grauen Augen sprühen von
Bosheit und Ingrimm; er verzerrt sein Gesicht, verzieht
die scharfgeschnittenen Lippen und zeigt sein entsetzliches
Gebiß.
Der Jäger verhält sich inzwischen ganz ruhig und muß
manchmal fünf peinliche Minuten lang dastehen, bis er nur
anschlagen kann. Du Chaillu ließ ein Männchen immer
bis auf mindestens 24 Fuß herankommen; gewöhnlich feuert
mau erst, wenn der Gorilla nnr 14 oder 18 Fuß entfernt
steht. Nach einem Schnß auf ein Flußpferd läuft der Neger
fort; dem Gorilla gegenüber bleibt er stehen, weil die Flucht
ihm unter allen Umständen doch nichts nützen kann. Hat er
nicht gut getroffeu, so muß er Manu gegeu Mann um sein
und Geographische Zeitung.
Leben kämpfen und sehen, ob er dem verhängnißvollen Hand-
schlag ausweichen könne. Ausnahmsweise gelingt es ihm
wohl, mit einigen Verstümmelungen davon zu kommen,
wenn gerade ein anderer Jäger zur Hand ist und gut trifft.
Zum Glück stirbt der Gorilla eben so leicht wie ein Mensch,
sein Leben ist nicht zäher als das nnsrige, und ein Schuß in
die Brust streckt ihn nieder. Er stürzt vornüber auf's Ge-
ficht, streckt seine langen Arme aus und stößt einen Todten-
schrei aus, in welchem Gekreisch und Gebrüll sich mischen.
Dann ist der Jäger sicher.
Gewöhnlich geht der Gorilla auf allen Vieren und zwar
so, daß er Arm und Fuß derselben Seite gleichzeitig bewegt.
Die Arme sind so lang, daß Kopf und Brust beträchtlich
hervorragen. Er kann sehr schnell laufen. Ein erwachsener
Gorilla ist nicht zu zähmen, auch die jungen bleiben wild
und boshaft, sterben auch sehr bald in der Gefangenschaft.
Das Thier hat ungeheure Kraft. Ein Junges von etwas
über zwei Jahren konnte von vier Männern kaum festgehalten
werden. Der Gorilla knickt Baumstämme von sechs Zoll
Durchmesser und man sieht die Spuren, wenn er auf eiueu
Flintenlauf gebissen hat. Die Neger griffen diesen Gebieter
des Waldes erst an, als sie Schießwaffen hatten, und noch
jetzt wird der Ruhm des Mannes gepriesen, welcher ein
solches Ungeheuer erlegt.
Die Schwarzen im Innern essen Affenfleisch sehr gern;
das vom Gorilla ist dnnkelroth und zäh. Von den Völkern
im Küstenlande wird es verschmäht, weil sie zwischen sich und
diesem Affen eine ursprüngliche Stamnwerwandtschast an-
nehmen. Auch tut Innern rühren einzelne Familien den-
selben nicht an, weil ein Aberglaube es ihnen verbietet; sie
sind nämlich überzeugt, daß vor Zeiten einmal einer ihrer
weiblichen Vorfahren einen Gorilla zur Welt gebracht habe.
Die Haut ist dick und fest wie die vom Ochsen, bricht aber
leicht.
An Höhe des Wuchses findet ntan beim Gorilla eben
solche Verschiedenheit wie bei den Menschen. Du Chaillu
hat eine Anzahl Exemplare nach Philadelphia gebracht; sie
sind zwischen 5 Fnß 2 Zoll und 8 Zoll hoch; ein Geripp in
Boston mißt 6 Fuß 2 Zoll englisch. Das Weibchen ist viel
kleiner, bei weitem nicht so stark und auch nicht so massig
gebaut. Ein von dem Reisenden erlegtes war 4 Fuß 6 Zoll
hoch. Die Hautfarbe ist bei Alten und Jungen tief schwarz;
man sieht sie aber nur im Gesicht, auf der Brust und in der
innern Hand. Das Haar wird bei den Ausgewachsenen
eisengrau; jedes einzelne hat abwechselnd graue und weiße
Ringstreifen; auf den Armen ist es dunkler und länger als
am übrigen Körper, wohl bis zu zwei Zoll laug. Die Neger
behaupten, daß sehr alte Gorilla's ganz grau werden Der
Kopf ist mit kurzem, rothbraunem Haar bedeckt; die Brust
betnt Männchen kahl, bei den Jungen dünn mit Haar be-
wachsen; das Haar des Weibchens hat keine Ringstreifen und
spielt in's Röthliche, auch das am Arme ist nicht so lang
wie beim Manne. Die Augen liegen ties, der Mund ist
groß, die Lippen sind, wie schon bemerkt, scharf geschnitten
und haben kein Roth. Die Kinnbacken erscheinen geradezu
gewaltig, die Hundszähne, welche das Männchen dem Feiude
zeigt, geben dem wilden Geschöpfe ein noch gräßlicheres
Ansehen. Der Nacken fehlt beinahe gänzlich, der Hirnkasten
ist niedrig und zusammengedrängt; die sehr schwach ange-
deuteten Augenbrauen verlieren sich in's Kopfhaar. Augen-
ltder dünn; die Ohren gleichen genau denen der Menschen,
sind aber kleiner und liegen säst parallel mit den Augen.
Wenn man die Nase von vorne betrachtet, scheint sie flach zu
sein, von der Seite gesehen bemerkt man aber, daß sie etwas
hervorsteht. Der Gorilla ist der einzige Affe, bei welchem
I man eine solche Protection findet. Die Arme erscheinen im
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
51
Vergleich zum Rumpfe nicht übermäßig lang, wohl aber int
Verhältnis; zu den kurzen Beinen, die keine Wade haben.
Die Länge des obcrn Armes ist beträchtlicher als die des
Vorderarmes, die Hand sehr massig, stark, kurz und dick; die
Finger sind so kräftig, daß der mittlere manchmal sechs Zoll
im Umfange hat. Der Daumen ist kürzer wie beim Menschen
und nicht halb so dick als der Vorderfinger; bis dahin, wo
die Finger beginnen, ist die Hand behaart, in der inneren
Fläche aber nackt. Die Nägel gleichen denen der Menschen,
sind aber im Verhältnis; kleiner und stehen etwas über
die Fingerspitzen hervor. Ueberhaupt ist die Hand fast so
breit als lang, der Fuß dagegen viel breiter als beim
Menschen; die mittlere Zehe ist länger als die zweite und
vierte, die fünfte verhältnismäßig kürzer als beim Men-
schen. Diese Zehen zerfallen gleichsam in drei Gruppen; nach
innen hin die große, nach außen hin die kleine Zehe, wäh-
rend die drei anderen durch eine Spannhant verbunden
werden. Im Allgemeinen gleicht der Fuß des Gorilla dem
unseru weit mehr als irgend eines anderen Asfeu und ist
vortrefflich für den aufrechten Gang geeignet; auch klimmt
dieses Thier seltener auf Bäume wie irgend einer seiner
Stammverwandten *).
So war das merkwürdige Thier beschaffen, welches
Du Chaillu in den westafrikanischen Wäldern unter dem
Aequator aufsuchte. Er traf den Gorilla zuerst in der
Sierra del Crystal, etwa unter 1° nördl. Breite und 11"
östl. Länge. Die Neger hatteu Spureu desselben gesunden
uud diesen folgten die Jäger. Ich wußte, schreibt der Nei-
sende, daß ich gegen ein Ungeheuer auszog, welches selbst der
Leopard fürchtet, und das vielleicht deu Löwen aus dieser
Region vertrieben hat, denn er fehlt überall, wo man Go-
rilla's findet. Wir stiegen an einem Hügel hinab, über-
schritten einen Bach auf einem Baumstamme uud hatten
dann eine mächtige Anzahl von Granitblöcken vor uns
liegen. Die Schwarzen behaupteten, daß Gorilla's in der
Nahe sein müßten und wir gingen sehr behutsam weiter,
indem wir in zwei Abtheilungen um jene Felsenmassen zu
schreiten begannen. Es war Mittagszeit, aber selbst bei
Sonnenschein herrschte in diesem Wald ein Halbdunkel.
Mein Begleiter Makinda, der zum Stamme der Mbondemo
gehörte, ging rechts herum, uud ein Gorilla sah ihn. Plötz-
lich wurde ich von einem seltsamen und gräßlichen Gekreisch
aufgeschreckt. Vier junge Gorilla's liefen rasch davon. Wir
schössen, trafen aber nicht. Sie sahen wirklich aus wie
behaarte Menschen.
Diesmal war unsere Mühe vergeblich gewesen und wir
gingen mißverguügt nach unserem Lagerplätze zurück. Wäh-
rend wir um das Feuer herum saßen, erzählten sich die Ne-
ger allerlei Geschichten, bei denen ich aus Absicht eiu stiller
Zuhörer war und jede Frage vermied, um zu erfahren, was
sie eigentlich glauben. Der eine hatte gehört, daß einst zwei
Mboudemo- Frauen im Walde gingen; da trat ihnen ein
Gorilla in den Weg und schleppte das eine Weib fort; das
andere entfloh und erzählte im Dorfe den Vorfall. Man
gab die Unglückliche verloren, aber sie kam nach einigen
Tagen unverletzt heim. Der Gorilla habe sie mit Lieb-
) Des Gorilla ist von verschiedenen Reisenden unter folgen-
den Bencmlllgcn erwähnt worden, als: Pongo von Battel' im
jcchie I ^2., 3fngeiia von Bowditch IM«), Enge ena von Sa-
^11 ^c CI1(? ®autta: Labonlaye 1849, Ngena von
,yort .) -cflutfl o^er ^lna von Admiral Penaud, Dschina
von ^ecointe l .i l 1857. Abgesehen von dem Worte
Pougo stnd alle oiese Benennungen nichts als verschiedene Schrei-
bungen des Namens Nglna, mit welchen die Mvongne diese
Affen belegen. Ans die anatomische Beschreibung eiinngehen ist
hier nicht der Ort. J 5 ,5
kosungen überhäuft und dann wieder entlassen.— Das war
einer, in welchem ein Geist wohnt, warf ein Neger hin, und
die andern murmelten beifällig. Es herrscht nämlich bei
ihnen allgemein der Glaube, daß die Geister gewisser Ver-
storbener in Gorilla's übergehen, welche man an geheimniß-
vollen Zeichen erkennt. Diese Affen, meinen sie. könne man
weder fangen noch tobten, und sie seien noch viel klüger als
gewöhnliche Gorilla's. Ein anderer erzählte Folgendes:
Man fand Gorilla's in einem Zuckerfelde und wollte sie
vertreiben. Aber sie setzten sich znr Wehr, schleppten einige
Männer fort, und diese kamen zwar nach Verlans einiger
Tage wieder, aber die Nägel an Fingern und Zehen waren
ihnen abgerissen worden.
Noch manche Fabeln wurden zum Besten gegeben, unter
andern folgende. Einst verschwand ein Mann plötzlich aus
dem Dorfe. Wahrscheinlich hatte ein Leopard ihn getödet;
die Neger glaubteu jedoch steis und fest, er sei im Walde
plötzlich in einen Gorilla verwandelt worden und gehe als
solcher in dem Dickicht beim Dorfe um.
Späterhin war Du Chaillu so glücklich, den ersten jungen
Gorilla zn bekommen; seine Jäger brachten ihn lebendig
eiu. „Ich kann die Aufregung nicht beschreiben, welche mich
packte, als ich sah, wie meine Leute das kleine Ungeheuer herbei
schleppten. Er mochte zwischen zwei bis drei Jahre alt sein
und war dritthalb Fuß hoch. Meine Jäger hatten ihn zwi-
scheu dem Remboslnsse und dem Kap S. Catherine (südlich
von der Mündung des Fernando Vaz) eingefangen. Sie
hörten, daß ein Junges nach der Mutter rief, und bemerkten
bald nachher, daß sich im Gebüsch etwas bewegte. Einige
krochen näher und sahen, wie der kleine Gorilla Beeren
suchte; ein paar Schritte von ihm saß die Mntter. Diese
wurde geschossen nnd fiel, aber sogleich sprang, das Jnnge
herzn nnd umklammerte die Alte. Als die Jäger mit lautem
Freudengeschrei näher kamen, kletterte es an einem Banme
hinaus und brüllte. Nun blieb nichts weiter übrig, als das
Thier zu schießen oder den Baum zu fällen, und das letztere
geschah. Als er sank, warf ein Neger dem Gorilla ein
Stück Zeug über deu Kopf, so daß er uicht sehen konnte,
und dann wurde er gebunden. Unterwegs hatten sie ihm
eine gabelförmige Stange am Halse befestigt, und er konnte
nicht mehr beißen. Ich fand ihn ganz ungemein bösartig;
er brüllte und bellte, und blickte wild und grimmig umher.
Ich lies; einen starken Bambuskäsig für ihn bauen, um
ihn mit Muße zu beobachten. Zuerst kroch er in den Winkel.
Als ich ihm freundlich zuredete uud nahe an das Gitter
kam, sprang er gegen mich ein und bellte. Er blieb sehr
scheu uud wollte von Beere« uud Wasser nichts genießen,
wenn wir uicht weit vom Käfig zurücktraten. Am folgen-
den Tage war er wo möglich noch grimmiger, sprang gegen
Jeden ein, der nur irgend nahe kam, fraß aber die weißen
Theile von Ananasblättern und einigen Beeren; alles andere
Futter ließ er unberührt. Am dritten Tage wollte das
Brüllen und Bellen kein Ende nehmen, und beinahe wäre
ihm die Flucht gelungen, er wurde aber mit einem Netze
wieder eingefangen. Bei einem zweiten Versuche erging es
ihm nicht besser, und nach einigen Wochen starb er." Du
Chaillu hatte ihm ein mit Heu gefülltes Faß hinstellen
lassen, und er kroch sogleich hinein, schüttelte auch Abends
sein Bett auf und machte es locker. Bei einigen anderen
Jungen machte man ähnliche Erfahrungen; gekochte Speisen
rührten sie uicht an, auch wenn man sie hungern ließ. Alle
machten ein seltsames Manöver. Sobald man ihnen nahe
kam, konnten sie zwar wegen der Kette mit den Armen keinen
Schaden anrichten, sahen aber dem Menschen gerade in's
Gesicht, um die Aufmerksamkeit auf ihren Oberkörper hin-
znlenken, warfen sich dann plötzlich so zn Boden, daß sie auf
52 Globus, Chronik der Reisen
einem Arme und einem Beine lagen und versuchten mit beut
letztern einen Schlag zu führen.
Als Du Chaillu im Lande der Bakala'i umherzog, be-
geguete ihm Folgendes. Er hatte vier von seinen Jägern
nach verschiedeneu Richtungen ausgesandt, und war mit
einem erprobten Schwarzen, Namens Gambo, allein ge-
blieben. Von jenen Vieren hatte sich einer abgesondert, um
Gorilla's aufzuspüren. Nun erzählt der Reisende: Ich
mochte etwa eiue Stunde lang mit Gambo allein gewesen
sein, als wir plötzlich zwei Schüsse nach einander fallen
hörten. Im Nu machten wir uns nach jener Richtung hin
auf den Weg und hofften einen todten Gorilla zu finden;
aber nun erdröhnte der Wald von fürchterlichem Gebrüll.
Als wir näher kamen, gewahrten wir ein klägliches Schau-
spiel. Mein wackerer Jäger lag am Boden in einer Blut-
lache, und seine Eingeweide quollen aus dem aufgerissenen
Unterleibe hervor. Neben ihm fanden wir sein Gewehr;
der Kolben war abgeschlagen, der Lauf gebogen, und wir
bemerkten int Eisen die Spur vou Zähnen. Der Gorilla
hatte sich entfernt; dem Verwundeten legten wir, so gut es
ging, einen Verband an. Er konnte uns noch fein Aben-
teuer berichten und erzählte, daß er ganz Plötzlich einem
großen Gorillamann sich gegenüber gesehen habe. Sein
erster Schuß habe ihn an der Seite verwundet; das Thier
sei dann stehen geblieben und habe angefangen zu brüllen.
Der Jäger lud wieder und wollte eben feuern, als der
Gorilla zusprang, ihm das Gewehr aus der Hand riß und
ihm einen Schlag auf den Unterleib gab. Es soll bei ihm
Brauch sein, daß er abzieht, nachdem er seinem Feinde
einige Streiche versetzt hat.
In den Wäldern am Rembo vernahm eines Tages der
Jäger das Gebrüll eines männlichen Gorilla, der sein
Weibchen rief, und nach und nach eine Anzahl junger
Bäume abbrach, um das Mark herauszufressen. Ein an-
deres Mal traf er ein Paar dicht beisammen. Das Weib-
chen stieß einen Schrei aus und lief weg, das Männchen
dagegen blieb stehen, blickte seine Feinde an and begann zu
uud Geographische Zeitung.
brüllen. Dann kam er, ganz in der weiter oben von uns
geschilderten Weise in Sprungsätzen näher, schlug auf seine
Brust und war zuletzt nur noch etwa zehn Schritte von den
beiden Jägern entfernt. Als er dann noch einmal springen
wollte, jagten sie ihm zwei Kugeln in den Leib und im
Augenblicke stürzte er nieder. Er ist der größte in denl
naturwissenschaftlichen Museum zu Philadelphia, deuu er-
mißt vom Scheitel bis zur Zehe 5 Fuß 9 Zoll hoch, seine
Brust hat einen Umfang von 62 Zoll; er hatte seine Hände
krallenartig gebogen.
Wir haben schon bemerkt, daß in den von Du Chaillu
durchstreiften Gegenden sich der Löwe nicht findet, der doch
sonst in Afrika so oft vorkommt. Eben so fehlen Zebra,
Gnu, Giraffe, Rhiuoceros, Strauß und viele Antilopeu-
arten. Die Neger haben weder Rindvieh noch Pferde oder
Esel, wohl aber Hühner, Ziegen und eine Art vou Schaf.
Der wilde Stier jener Gegend, Bas brachicheros, der am
Rembo vorkommt, aber namentlich in der Küstengegend am
Kap Lopez in großen Heerden umherstreist, läßt sich uicht
zähmen. Die Eingeborenen nennen ihn Niare. Er ist
wild, scheu und nur gefährlich, wenn man ihn verwundet
hat; dann stürzt er wüthend auf den Jäger ein. Bei Tage
verweilt er in deu Wäldern, Nachts kommt er in Heerden
von etwa zwanzig Stücken auf die Wiesen. Die Größe und
Schwere gleicht jenen unseres kleinen Rindviehs, aber die
Klauen sind länger und schärfer. Das Haar ist röthlich,
beim Bullen etwas dunkler als bei der Kuh; der kahle
Schweif hat am Ende einen Haarbüschel. Der Kopf ist
leicht und erinnert einigermaßen an den eines Hirsches, das
Maul schwarz, die Ohren sind lang, spitz und mit langen
seidenartigen Haaren besetzt. Die Hörner sind nach hinten
anmuthig gebogen, schwarz, zehn bis zwölf Zoll lang, an
der Basis flach und unten rund, und mit runzeligen Ringen
versehen. Das Thier sieht aus, als ob es eine Art von
Mittelglied zwischen Kuh und Antilope bilde. Sehr hübsch
ist auch die Bougo-Autilope, Trogelaphus albo-virgatus,
und einige Tigerkatzen gehören zu den schönsten ihrer Art.
Wie steht es mit
Durch Pariser Blätter wurde jüngst wieder die Nach-
richt verbreitet, daß am Snez-Kanal die Arbeiten einen
rüstigen Fortgang nähmen. Man habe, heißt es, in der
Nähe treffliche Steinbrüche eröffnet, beschäftige gegenwärtig
etwa achttausend Arbeiter, werde noch im Laufe des Jahres
1861 die Süßwasserstrecke befahren und die Hälfte des ma-
ritimen Kanales bis Deeember vollenden! Im Jahre 1.862
könne dieVerbindnng beider Oeeane bewerkstelligt
werden. Der Unternehmer, Ferdinand' von Lefseps,
macht bekannt, daß die Ausgaben sehr beträchtlich unter
dem Voranschläge zurückbleiben würden.
Diese Angaben lausen, gut deutsch geredet, auf Schwindel
hinaus, welcher iu dieser Suezangelegenheit von Ansang an
eine so große Rolle spielt. Der Unternehmer ist nicht im
Stande, auch nur annähernd die Kosten zu berechne«, welche
die Hafenbauten bei Pelufium-Sa'idopolis und bei Suez
verursachen werden, oder zu sagen, ob er praktikable Häsen
zu schaffe» überhaupt im Stande sei. Darin liegt aber,
was die Bauarbeiten anbelangt, der Schwerpunkt.
Ueber den Grad der Handelsbedeutuug, welche der
projektirte Kanal möglicherweise zu gewinnen im Stande sei,
hat sich bei uns in Deutschland gleich damals, als 1856 das
dem Suej-Kmml?
Projekt von Paris her durch alle Welt ausposaunt wurde,
Karl Andree in einer Abhandlung ausgesprochen, die wir
in dessen „Geographischen Wanderungen", Dresden
JS59, Bd. II, S. 121 ff. wieder abgedruckt finden. Er
widerlegte als Geograph und als ein mit den Handelsstraßen
und den Verflechtungen der Verkehrsverhältnisse genau be-
kannter Beobachter die irrigen Angaben der Franzosen uud
führte ihre Übertreibungen auf das gebührende Maß zurück.
Im Wesentlichen lassen sich die von Andree aufgestellten
Ansichten folgendermaßen zusammenfassen.
Man hat beim Kanalbau eine gewaltige Summe tech-
nischer Schwierigkeiten zu überwinden, ist aber völlig außer
Stande, eiueu irgend sichern Kostenanschlag zu entwerfen.
Man wird weder am rothen, noch am mittelländischen
Meere große und bequeme Häfen, wie sie für eine dem Welt-
fchiffahrtsverkehr angemessene Wasserstraße nöthig sind, her-
stellen können.
Die Kanalfahrt wird so thener werden, daß die über-
wiegende Mehrzahl der Schisse auf dieselbe verzichten muß.
Der Kaual hat Zinsen für das Anlagekapital aufzubringen, die
Unterhaltungskosten zu decken uud 15 ProcentDurchgangsab-
gäbe vertragsmäßig an die ägyptische Regierung abzugeben.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
53
Der Kanal soll angeblich der großen Schifffahrt zwi-
schen Europa und dem fernen Osten, bis Japan und Austra-
lien hin, Raum, Zeit und Geld ersparen. Bezahlt könnte er
sich nur machen, wenn er Jahr ein, Jahr aus von Tausenden
großer Schiffe benutzt würde, wenn er mit den anderen
ozeanischen Fahrbahnen im großen Weltverkehr nicht nur in
Wettbewerb treten, sondern dieselben auch überflügeln könnte,
wenn er im Stande wäre, die große Schifffahrt von den
atlantischen Fahrbahnen abzulenken. Der Entwurf sagte,
daß ker Kanal den Weg um das Vorgebirge der guten Hoff-
nnng herum wo nicht ganz lahm legen, doch zu beträcht-
''x!1'. ~fycit überflüssig machen wolle, um dem Verkehr
»Milliarden" zn ersparen.
Dagegen wies Andree darauf hin, daß der Snez-
Kanal, auch wenn er in Bezug auf die technische Ausführung
allen Anforderungen entspreche, die atlantische Achse, um
die letztere ist vielmehr leichter und weniger gefährlich als
jene im mittelländischen und rothen Meere; auf ihr lasten
geringere Versicherungsprämien, sie ist nicht mit Kanalab-
gaben beschwert und braucht keine Schleppdampfer. Wind
kostet kein Geld. Auch für Schraubendampfer ist der atlan-
tische Weg billiger als über Suez, weil bei diesem die hohe
Assekuranz und die Kanalabgabe bleibt, und Kohlen dort
genommen werden müssen, wo sie am theuersten sind, also in
Pelnsinm oder Aden. Die schweren Güter ans dem Osten
werden wir stets vorzugsweise durch Segelschiffe erhalten,
die ohnehin theilweise Hülfsfchranben an Bord haben.
Ein Schiff, das z. B. von Stettin über Suez nach
Batavia fahren wollte, hätte sechs gefährliche Meerengen zn
pafsirein Sund, Aermelkanal, Straße von Gibraltar, Kanal,
rothes Meer mit der Bab el Mandeb und die Straße von
Singapore. Gute Segelschiffe fahren von Bremen nach
Ter Marltp
welche seit nun länger als drei Jahrhunderten der Welt-
Handel sich bewege, uicht verrücken könne. Die Völker am
Becke» des mittelländischen Meeres stehen weit hinter jenen
am atlantischen Oeean zurück. Der Suez-Kanal gewährt
keine kürzere Straße nach Australien :c. und der Weg ist
weniger sicher. Schon 1850 hat man die Strecke von
England nach Melbourne in Australien über Panama in
57 Tagen, über das Kap der guten Hoffnung in 78 Tagen
zurückgelegt, über Snez und Singapore in Tagen.
Auf See ist bekanntlich nicht die scheinbar kürzeste, nach
der Schnur gemessene Virne die wirklich kürzeste; der Schiffer
schlägt vielmehr häufig die scheinbar längsten Bahnen ein,
weil Winde und Meeresströmungen ihm die Wahl vorzeich-
neu; die Hydrographie der Oceaue giebt den Ausschlag.
Nautisch betrachtet ist von den atlantischen Häfen aus und
dorthin zurück der Weg über Suez weder kürzer, uoch
wohlfeiler, uoch sicherer als die atlantische Fahrbahn;
atz in SneZ-
Batavia in durchschnittlich einhundert Tagen; sie sind schon
auf dem Wege um das Kap in den indischen Oeean nach der
Zuckerinsel Mauritius in 79 Tagen gekommen. Die Fahrten
von Hamburg und Bremen nach Alexandria, also bis in die
Nähe des Eingangs zum Suez-Kanal, nehme», wenn sie
besonders k»rz si»d, mindestens 73 Tage in Anspruch!
Man gelangt also aus allen atlantischen Häfen Europas
auf der Fahrt um das Vorgebirge der guten Hoffnung eben
so schnell in den indischen Oeean, als — nach Alexan-
dria und Pelnsinm, also an den Eingang zum Kanal!
Dagegen ist die Fahrt durch den letzter» für viele Häsen
am mittelländischen Meere kürzer, aber die atlantische Han-
delszone wird auch nach Eröffnung des Kanals im Wefent-
lichen weder Umgestaltung noch Abbruch erfahren.
Der Snez-Kanal wird, indem er zwei Meere ver-
bindet, im Fortgange der Zeit einen sehr anregenden und
belebenden Einfluß üben und wesentlich beitragen, Gesittung
54 Globus, Chronik der Reisen
in die Länder am Rothen Meere zn bringen, welche dann
nicht blos von einer Seite her zugänglich sind. Der arabi-
sche Golf wird zu einer belebten Handlesstraße, in allen Küsten-
Plätzen werden neben arabischen und indischen Kaufleuten
auch europäische Geschäftsmänner ihre Häuser haben, wie
schon jetzt in Aden. Und wenn auch das Innere Arabiens
den christlichen Europäern nicht zugängig wird, so kann es
doch nicht fehlen, daß sie in Abessinien festen Fuß gewinnen
und auf die Umgestaltung der Verhältnisse in diesem zumeist
von Christen bewohnten Laude einwirken. Das innere
Ostafrika ist Produktenreich, kann werthvolle Erzeugnisse für
den Handel liefern und seinen Verbrauch an europäischen
Waaren beträchtlich steigern. Dieser Verkehr muß Vorzugs-
weise iu die Hände der mediterraneischen Europäer gelangen;
diese werden sehr wesentliche Vortheile von dem Kanäle
haben, weil er hier einen kürzern Weg nach Süden und
Osten eröffnet. Im Welthandel greift Alles in einander;
er bildet eine über die ganze Erde verschlungene Kette mit
tausend Gliedern, die allesammt, mittelbar oder unmittelbar,
in Berührung stehen, und durch welche eine elektrische Strö-
nmng geht, der kein Theil fremd bleibt. So wird ein Ge-
deihen der großen Handelsdomaine am Mittelmeer, der levau-
tinischen Verkehrszone und des commereiellen Bereichs am
arabischen Golf, auch auf die atlantischen Regionen för-
dernd und gedeihlich einwirken.
Auf einen Umstand legte Karl Andres schon 1856
ganz besonders Gewicht. „Man wird, sagt er, die Häfen im
Meere selbst, mindestens eine halbe Meile weit voul Gestade
entfernt bauen, für jenen von Pelnfium sogar Bausteine aus
dem griechischen Archipelagus holen müssen und ihn trotzdem
nie zu einem bequemen Hafen machen. Die Bedenken für
die Segelschifffahrt bleiben in jeuer südöstlichen Ecke zwischen
Syrien und Aegypten nach wie vor, weil bei der vor-
herrschenden Richtung der Winde die Dünen von El
Arisch ihre Gefahren behalten. In jener ganzen Region
zeigt das Meer, vermöge seiner Strömung der Küste entlang,
bei seichtem Wasser und der Masse von Sand, welchen die
Wüstenwinde ihm zuführen, eine entschiedene Neigung,
Bänke und Untiefen zu bilden. Der Bericht der inter-
nationalen Untersuchungskommission hat diesen wichtigen
Punkt, auf den so viel ankommt, nicht genügend erörtert.
Jene Meeresgegend steht seit den ältesten Zeiten bei den
Schiffern in bösem Rufe, und bis jetzt wenigstens ist der-
selbe durch die Erfahrung vollkommen gerechfertigt. Wind
und Wogen sind aber dort auch heute noch dieselben wie vor
dreitausend Jahren."
In ähnlicher Weise äußerte sich einige Zeit nachHerder
berühmte Ingenieur Stepheuson, und neuerdings haben
wir den Ausspruch eines Sachverständigen erhalten, dessen
Zuständigkeit von Niemandem bezweifelt werden kann. In
der Jahresversammlung der Londoner geographischen Ge-
sellschaft von 1869 lenkte der Geolog Mnrchison die Auf-
merkfamkeit auf einen Bericht des Kapitän Spr att, welcher
die Südküste des Mittelmeeres, insbesondere jene Aegyptens,
untersucht und aufgenommen hat. Auch der Meeresboden
ist von ihm einer genauen Prüfung unterzogen worden.
Folgendes sind die wichtigen Ergebnisse.
Wegen der vorwaltenden Nordwestwinde geht
der Wellenschlag und Drang vorzugsweise nach Osten, und
deshalb können die erdigen Bestandtheile, welche der Nil in's
Meer führt, nicht nach Westen hin oder nach Norden hin in
die tieferen Theile des Mittelmeeres getrieben werden, um
sich dort abzulagern, sie werden unablässig nach Osten hin
geführt. Durch diesen unwandelbaren Naturprozeß ist
Alexandria, weil dasselbe westlich von den Nilmündungen
liegt, frei von Schlick und Saud geblieben, während in Folge
und Geographische Zeitung.
der Erdanhäufungen im Delta selbst während der histori-
scheu Zeiten die Häsen von Nosetta und Damietta sich aus-
gefüllt haben und völlig unbrauchbar geworden sind. In
der noch weiter nach Osten liegenden Bucht von Pelnsium
sind diese Schlammablagerungen viel mächtiger als an
irgend einer andern Stelle der ägyptischen Küsten. Genau
dieselbe Wirkung hat jener vorherrschende Nordwestwind
aus die Dünen und den Flugsand der Küstenstrecken; er
hat Wohnorte und einst furchtbare Felder überschüttet und
Bodenvertiefungen ausgefüllt. Diese Dünen sind gebildet
aus dem Sande, welchen der Nil ans dem Innern Afrikas
herbeigetrieben hat; er ist dann au die Küste geschwemmt
und vom Nordostwinde getrieben worden.
DieseThatsachen stehen fest. Dazukommen Spratt's
Lothungen im Meere und genaue Beobachtungen über die
Bodenverhältnisse an der Küste, welche dieser Hydrograph
durch Karten und Durchschnitte veranschaulicht hat. Er
zieht den Schluß, daß die Angaben des Herrn von Less eps
über die Anlage des Kanals zwischen Suez und der Bucht
von Pelnsium auf durchaus unsicheren und falschen An-
nahmen beruhen. Denn:
1. Jene Bucht des mittelländischen Meeres, in welche
der Kanal münden soll, wird so unablässig und so regel-
mäßig mit Schlamin gefüllt (is so continuously and regu-
larly sifting up), daß gegen ein so mächtiges Lokalgesetz
der Natur auch ein fortwährendes Baggern nichts Helsen
kann. Es ist unmöglich, dort einen permanenten
Hasen zu bilden.
2. Der Flugsand, welcher von Westen nach Osten
getrieben wird, muß ununterbrochen den Kanal verschütten.
3. Der Boden, in welchem ein Theil des Kanals ge-
graben werden soll, besteht aus Nilsand, der sich in früheren
Zeiten angehäuft hat. Er kann das Wasser nicht halten,
sondern wird eine große Masse durchsickern lassen und
einsaugen.
Lesseps hat sich zu Gunsten seines Planes auf die
Deltabildungen der Donau und anderer in Theile des mittel-
ländischen Meeres fallender Flüsse berufen und diese als
Analogien geltend gemacht. Kapitän Spratt weist aber
nach, daß die von Lesseps als Beweise angeführten Verhält-
nisse geradezu gegen seine Projekte sprechen. Denn die
Malamoeeo-Einfahrt bei Venedig liegt windwärts vom Po
und leidet also nicht durch Deltaablagerungen dieses Stromes,
eben so wenig wie Alexandria durch jene des Nils. Im
schwarzen Meere liegen die Deltaablagernngen an der Do-
naumünduug leewärts von der letztern, und sowohl beim
Po wie bei der Donau werden durch die heftigen und mäch-
tigen Strömungen des Flußwassers offene Fahrstraßen er-
halten, was bei dem träg fließenden Wasser in der Bucht
von Pelnsium durchaus nicht der Fall ist.
Im Museum der praktischen Geologie zu London hat
Kapitän Spratt zahlreiche Proben von Sand und Schlamm
niedergelegt, um sichtbare Beweise für seine Aufstellungen zu
liefern. Uefcer das Kanalprojekt schreibt er unter Auderm:
„Es handelt sich um ein wahrhaft gigantisches Werk für
die Jngenieurknnst, um ganz ungeheuere Geldsummen so-
wohl für den Bau wie für die Unterhaltung; der Handels-
stand, welcher diese Summen hergeben soll, möge sich wohl
fragen, ob sie nicht unnützerweise in die See geworfen
werden. Ich bin fest überzeugt, daß das letztere der Fall
sei. Man sollte doch die Erfahrungen nicht unbeachtet lassen,
welche überall unter ähnlichen hydraulischen und physischen
Verhältnissen gemacht worden sind. Man würde beim
Suez-Kanal ununterbrochen und unaufhörlich gegen eine
gewaltige Menge in der Natur selbst liegender Hindernisse
ankämpfen müssen."
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Andere Fachmänner sind zu derselben Ansicht gelangt,
und es leuchtet cht, wie luftig die Behauptung ist, daß man
im Jahre 18(»2 die Fahrten von einem Meere bis zum an-
dern eröffnen wolle. Aber wenn das auch der Fall wäre,
so könnte nicht etwa die Schiffahrt selbst beginnen, denn es
käme dauu erst auf das Wichtigste au, den Bau der Häfen
an beiden Seiten, die man bei Suez wie bei Pelusium weit
in's Meer hinausbauen müßte, vermittelst gewaltiger dop-
pelter Hafendämme, welche da wie dort eine Wegstunde weit
von der Küste aus iu's Wasser hinaus zu führen wären.
Berichte in verschiedenen Blättern haben gemeldet,
daß bis Ende 1860 eigentlich noch gar nichts gethau war.
In einem derselben heißt es: „Mit allem bisherigen Geld-
aufwand ist noch nicht einmal die leichte Operation, einen
Kanal durch deu Sand zu graben, ausgeführt worden.
Es ist noch nicht gewiß, daß Herr v. Lesseps mit allen seinen
Millionen bis zn dieser Stunde (December 1860) so viel
Saud hinweggeräumt hat, wie Herr Davis mit einigen
Arabern und einigen hundert Pfund Sterling binnen
wenigen Monaten von deu Hügeln Karthago's wegfegte.
Run hält es aber gar nicht schwer, den Kanal zn graben,
die Schwierigkeit besteht nur darin, ihn mit Wasser zu
füllen und voll zu erhalten. Zur Anlage einer Mündung
ist kaum das Geringste vorbereitet. Zwei kleine Dämme
sind in's Meer hiuausgebaut und zwar in der Nähe der
sluß ausschüttet. Aber diese Vorarbeit hat mit dem Kanal
selbst nichts zu thun, sondern soll nur einen Hasen für die
Transportschiffe bilden, welche deu beim Kanalbau zu ver-
wendenden Stein herbeischaffen sollen."
Jedenfalls hat man hinlänglichen Grund, Alles, was
über den Suez-Kanal von Paris her veröffentlicht wird,
nicht blos mit Borsicht, sondern anch mit großem Miß-
trauen aufzunehmen.
Uns ist soeben eine Nummer der Neu-Uorker Zeitung „The
World" vom 19. Juni dieses Jahres zugegangen, in welcher sich
ein Amerikaner, I. B. Sconller, der eben ans Aegypten zurück-
gekommen war, über die Kaualaugelegeuheit ausspricht. Er nimmt
Bezug auf die Mittheilungen des turiner Professors Barnffi, in
welcher eine Unterredung des letztern mit Herru vou Lesseps
wiedergegeben wurde. L. hatte versichert, daß im Maimonat
186t der schiffbare Kanal zwischen beiden Meeren fertig sein werde.
„Ich habe im December 1860 in Aegypten über den Kanal der
Franzosen ganz besondere Nachforschungen angestellt, konnte aber
nur wenig erfahren. Meine Freunde in Alexandria und Kairo,
die seit Jahren im Lande wohnen und mit dessen Angelegenheiten
bekannt sind, erklärten, daß auf dem Isthmus uoch wenig oder
gar nichts geschehen sei. Die englischen Ingenieure iu Suez, welche
mit der Küsteuausuahme des Nöthen Meeres beschäftigt sind, schei-
nen auch nichts von dem Kanalunternehmen zu wissen. Dagegen
sagten mir einige Leute ani Rothen Meere, man habe einige Ar-
beiteu verrichtet, dann sei aber dem Franzosen das Geld ausgegangen
nnd mau habe die Leute verabschiedet. Bestimmtes schien Niemand
zu wissen, gleichviel ob Ausländer oder Eingeboreruer; die ganze
Angelegenheit betrachtete man als eine Vision, und nachdem ich mir
die Gegend am Rothen Meere näher betrachtet habe, bin ich sehr
geneigt, dem völlig beizupflichten. — Ich vermuthe, daß Herr von
Lesseps nach Europa zurückgegangen ist, mit durch Anleihen Geld
zn erheben oder mehr Actien auszugeben. Es liegt ihm daran,
leichtgläubige Gelehrte von der Art des Professors Baruffi zu
gewinnen, damit sie sein Unternehmen anpreisen und er eine reiche
Goldcrute halte. Denken Sie aber ja nicht daran, in den nächsten
zehn Jahren eine Fahrt auf dem Suez-Kaual machen zu wollen,
denn Sie würden sich bitter getäuscht sehen." So spricht jener
Amerikaner. Neuerdings hat Hr. v. L. den Versuch gemacht,
Zwangsarbeiter zu erhalten. Dagegen hat aber England Einsprache
gethau, weil dergleichen gegen seiu Uebereinkommen mit dein türki-
schen Sultau, deu Oberlehnsherrn des Bieeköuigs von Aegypten,
verstößt.
Ei» Zahltag bei den Indianern in Wisconsin.
Die Bundesregierung der Vereinigten Staaten von
Nordamerika kauft den Indianern ihre Ländereien ab und
zahlt dafür Jahrgelder an die verschiedenen Stämme. So
kommt sie für eine geringe Summe nnd auf friedliche Weife
in den Besitz von Grund und Boden, läßt denselben ver-
messen nnd bietet ihu an die Ansiedler feil, welche sich in
den neuen Gebieten niederlassen. In den nordwestlichen
Staaten ist die Anzahl der Indianer uoch heute nicht ganz
unbeträchtlich. Ihre Beziehungen zu der Bundesregierung
werden durch besondere Beamten, die Ansseher, Superin-
tendents, vermittelt und diese sollen auch dafür sorgen, daß
die Rothhänte nicht beeinträchtigt werden.
Alljährlich läßt der Aufseher die in seinem Amtsbereich
lebenden Indianer nach einem beliebigen Punkt entbieten,
damit sie dort ihre „Annuitäten" in Empfang nehmen. Das
gaschah auch jüngst zu Odanah, La Pointe Connty, Staat
Wisconsin. Dort erschienen die Torch Lake- (Lake dn Flam-
beau-), St. Eroix-Bad River- und La Pointe-Sippen,
sämmtlich dem großen Volksstamme der Odschibwä ange-
hörig. Ihre Zahl belief sich ans etwa dreitausend. Man
hat 18.r>4 mit ihnen ein Uebereinkommen getroffen, dem-
gemäß sie bis 1874 Jahrgelder erhalten. Außerdem sind
jedem ledigen oder verheirateten Manne 80 Acker Landes
vorbehalten worden, welches sie nicht verkaufen dürfen.
Ohne diese Bedingung würden sie binnen kurzer Zeit Alles
für ein paar Flaschen Branntwein (Skitwabn, d. h. Whiskey)
verkauft haben.
Ein Augenzeuge schildert deu Zahltag in Odanah in
folgender Weise. Ein Häuptling nach dem andern erscheint
vor dem vom Aufseher bevollmächtigten Agenten. Die
Häuptlinge Niedern Ranges bringen Holzstäbchen mit, um
so die Zahl ihrer Angehörigen nachweisen zn können; jedes
Stäbchen bedeutet eine Person nnd die Zählung ist rasch
vollendet. Alsdann werden der Reihe nach die Beutel und
Päckchen geöffnet, welche für jede einzelne Familie bereit
liegen. Jede enthält eine wollene Decke oder mehrere Stücke
von Wolltuch, Kattun und Musselin, fertige Kleider für
Männer, Hacken, Aexte, Messer, Pulver und Pulverhörn er,
eiserne Fallen, Flinten, Schrot, Zündhütchen, Blei, Oefen,
Küchengeräthfch aften und dergleichen mehr. Auch Geld wird
ausgezahlt; der Agent hat die mit Silbermünze gefüllten
Säcke vor sich stehen; er sitzt vor dem Lagerhause und läßt
durch seine Ausrufer jeden Einzelnen vorladen. Der In-
dianer erscheint, nimmt sein Geld in Empfang und berührt
dann das obere Ende der Feder oder des Bleistiftes, welchen
der Agent in der Hand hält, anf solche Weise wird der
Empfang des Geldes bestätigt und der Indianer entfernt
sich mit Geld nnd Maaren, um für einen Andern Platz zu
Portal der Kirche des Kapitelhauses zu Themar in Portugal.
Das Kapitelhans der Christnsritter
in Thomar.
Wir haben in unserer vorigen Nummer ein Bild vom
okrn Theile im Kapitelhause der Christusritter in Tho-
mar mitgetheilt. Wir geben jetzt zwei andere Bilder, welche
gleichfalls die ungemein reiche, volle und üppige Architektur
dieses großen Gebäudes versinnlichen. Das eine ist das
Portal, ein wunderschönes, mit Recht viel gepriesenes
Werk der Baukunst; das zweite ein Fenster, welches in
der That einen prachtvollen Eindruck macht. Wir verlangen
nicht, daß man in unseren Tagen bauen solle wie im
Mittelalter, aber wie nüchtern und kahl, wie arm an Ge-
danken und wie farblos nehmen sich die meisten „monu-
mentalen" Bauwerke unserer Zeit ans! Wie sticht der
„berlinische Pappkasten und Kasernenstyl" ab, gegen jene
bunte Fülle! Freilich entspricht er auch dem modernen
Frack, dem Cyliuderhnt oder den Soldatennnisormen und
ist insofern „zeitgemäß." Aber schön, poetisch, ergreifend
und erhebend ist er nicht.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
machen. Ein Häuptling überwacht die seiner Sippe
geleisteten Zahlungen und quittirt für die Gesammt-
heit in der Weise, daß auch er die Feder des Agenten
berührt. Alle Anwesenden erhalten von Letzterm
Mehl und Schweinefleisch als Geschenk.
Der ganze Auftritt hat etwas Malerisches.
Zwischen den Indianern treiben sich Händler und
Hausirer umher, welche zuvor einen Erlanbuißschein
gelöst haben, und manche gehen beim Verkaufe recht-
schaffen zu Werke. Andere schmuggeln freilich, trotz
aller Verbote, Branntwein ein, und dieser namentlich
ist des Indianers Verderben. Für Whiskey zahlt er
jedeu Preis, giebt er Alles hin, was er hat. Ueber-
Haupt kommen die Jahrgelder rasch in die Hände der
Hausirer.
Der Zahltag ist für die Indianer ein Fest, zu
welchem sie aus weiten Entfernungen herbeikommen.
Zu Odanah sah man sie niit Bogen und Pfeilen,
mit allen Schaugehängen und Zierrathen, auch ihre
ledernen Zelthütten, die Wigwams, führten sie mit
sich. Alle haben ihre Gesichter zum Theil in ab-
stoßender, abscheulicher Weise bemalt. Jeder trägt
eine Decke und verkriecht sich in dieselbe wie die
Schnecke in ihr Hans; er ist aufgeputzt mit Federn,
mit Fellen vom Stinkthier, mit Schellen und Glas-
korallen, Ohren- und Nasenringen, Bändern und
allerlei solchen Dingen mehr. Federu vom Adler
darf nur ein Krieger tragen, der bereits mit dem
Feinde gekämpft hat: so viele Federn er trägt, so
viele Schädelhäute, Scalps, hat er fchou gewonnen.
Die Adlerfeder ist des Kriegers höchster Stolz. Nur
der Tapfere darf ein Stück vom Felle des Stink-
thieres am Knöchel tragen; ohne ein solches zöge er
nicht in den Kampf. Einige haben Bärentatzen um
den Nacken hängen. Uebrigens benehmen sich alle
sehr friedlich und Unordnungen kommen an dem
Zahltage nicht vor.
Der Odschibwä verachtet alle Arbeit, sie ist
für seiuen hochfahrenden Sinn zu erniedrigend; mit
Geringschätzung blickt er aus die Arbeiten, welche der
weiße Manu verrichtet, und gerade dadurch geht er
zu Grunde.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Fenster im Kapitelhanse zu Themar in Portugal.
ÄlobuS ftir 1861. Nr. 'J.
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Glovus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
Die Schlangen in
Der „Jäger int Busch" hat in ganz Australien kein reißendes
Thier zu fürchten oder zu erlegen, denn Löwen und Tiger mangeln
diesem in so vieler Beziehung seltsamen Jnselkoutineute. Aber er
ist unablässig von nicht minder gefährlichen Feinden umringt und
hat sie auf Tritt und Schritt zu fürchten. Ein Waidmann, welcher
volle sechs Jahre lang das Gebiet der Kolonie Victoria, das so-
genannte Australia fclix, und ganz besonders die Umgebungen der
Hauptstadt Melbourne durchstreifte, giebt darüber umfassende Be-
richte, denen wir Einiges entlehnen. Er meint, kein anderes Land
in der Welt sei iu der Sommerzeit von Schlangen so arg heim-
gesucht, wie jene Gegend. Der Jäger möge gehen wohin er wolle,
in den tiefen Wald, über dichte Haide, über freie Ebenen, an
Sümpfe, Bäche oder Wasserlöcher, überall könne er darauf rech-
ueu, daß er seinen gefährlichsten Feind erblicke. Ich meine, sagte
er, vorzugsweise die schwarze Schlange. Sie kommt in sein
Zelt, iu seine Hütte, in seine Decken; er ist nirgends sicher vor ihr,
und entschlüge er sich nicht ein- für allemal der Furcht, so hätte er
keine ruhige Minute. Denn alle Augenblicke muß man gefaßt sein,
auf eine giftige Schlange zu treten; sie liegt oft zusammengerollt
grade im Wege, kriecht nicht etwa stets sogleich fort, sondern schießt
Basiliskenblicke ans ihn und ist wohl gar bereit, gegen ihn einzn-
springen. Häusig gewahrt mau sie erst, wenn die Gefahr schon
vorüber ist. Ich gewöhnte mich au ihren Anblick, habe Hunderte
getödtet und doch hat es mich immer kalt durchrieselt, wenn ich eine
solche Schlange sah. Noch jetzt denke ich mit Schauder daran, wie
oft mein Leben auf dem Spiele stand, und ich begreife gar nicht,
wie es möglich war, daß ich ohne Bisse davon kam. Einst warf ich
mich in Hemdsärmeln an einem heißen windigen Tage sehr ermü-
det auf meine Decke, und als ich da lag, bemerkte ich, daß kaum
drei Zoll vou meinem Arm entfernt eine sogenannte Teppich-
Schlange mich anstarrte. Zweimal habe ich die kleine Peitschen-
Schlange in einem Bündel Heu mit aufgenommen und zweimal
hat eine größere Art sich um mein Bein geschlungen. Meine leder-
neu Ueberziehhosen retteten mich, denn der Biß unter dem Knie
drang nicht bis in die Haut. Hundert und aber hundert mal habe
ich iu dichtem Grase Schlangen getreten, aber ich trug entweder
jene ledernen Neberzieher oder hohe Wasserstiefeln. Es ist allemal
gefährlich, einen umgefallenen Baumstamm oder einen Klotz anzu-
rühren, denn gewöhnlich liegen Schlangen darunter und Tausend-
füße fehlen auch uicht. Zum Glück übt sich das Auge bald und
man beobachtet instinktmäßig große Vorsicht.
In Victoria traf unser Jäger nur drei verschiedene Schlangen-
arten: die schwarze, die Diamant- oder Teppich-Schlange und die
kleine Peitschen-Schlange; aber alle drei sind gleichsehr giftig.
Weiter landeinwärts soll eine Art vou Boa leben, die unschädlich
ist; desto gefährlicher erscheint aber dort eine giftige Natter, von
welcher die Eingeborenen allerlei fabeln.
Die schwarze Schlange sieht sehr hübsch ans; manche
Exemplare sind am Bauche kupferroth. Sie wird höchstens sechs
Fuß und einige Zoll lang, durchschnittlich nur fünf Fuß; gewöhn-
lich findet man sie an Holzstämmen und in dichtem Gebüsch; int
Sommer geht sie, gleich der Teppich-Schlange, gern an's Wasser.
Diese australischen Schlangen haben einen starken, eigentümlichen
Geruch, der sich oft in nicht unbeträchtlicher Entfernung bemerkbar
macht. Die Teppich-Schlauge ist dünner als die schwarze,
hält sich zumeist au offenen Stellen auf und liegt bei trockenem
Wetter gern in einem Krabbenloche oder im Huftritte der Ochsen;
die geblich braune Farbe geht am Bauch in's Helle über und wech-
selt nach Jahreszeit und Alter. Kein vorsichtiger Ansiedler wird
neben Zelt oder Hütte Glasslaschen liegen lassen, weil bei heißem
Wetter die Schlange dergleichen gern aussucht. Die Peitschen-
Schlange ist nur fiugersdick und selten über einen Fuß laug, sieht
aus wie unsere Blindschleiche, hat aber einen spitzern Schwanz. Sie
liebt kahle Flächen und liegt häufig unter trockenem Knhdiiuger.
Südost-Australien.
Während der kühlern Jahreszeit, die man als Winter bezeich-
net, verkriechen sich alle diese Schlangen in alte Baumstämme,
Zäune und Erdlöcher nnd bleiben dort von Ende März bis Sep-
tember. Die Paarungszeit soll im Februar sein; auch behauptet
man, daß sie bei Nacht wandern, doch das bleibt zweifelhaft; denu
sobald die Sonne sich neigt, kriechen sie in ihre Schlupfwinkel. Sie
beißen nicht, wenn man sie nicht tritt oder nicht so sehr bedrängt,
daß ihnen kein Ausweg bleibt; man sieht es ihnen oft an, daß sie
gern entschlüpfen, und sie können sich mit unbegreiflicher Schnellig-
feit fortbewegen. Ich habe gewöhnlich zwei oder drei an jeden?
Sonnnertage geschossen, denn das ist sicherer als ein Angriff mit
dem Stecken; man muß wo möglich der Schlange von der Seite
her beizukommen suchen. Ich habe einmal gesehen, daß sie gegen
einen Hund einsprang. Sie hatte sich zur Hälfte aufgerichtet und
schoß dann wie ein Blitz. Manche Hnnde verstehen sich trefflich
aus deu Fang der Schlange; sie packen dieselbe und schütteln sie,
als ob sie eiue Ratte hätten; gewöhnlich werden sie aber doch ein-
mal gebissen und sind dann verloren. Ein guter Buschhund bleibt
in einiger Entfernung stehen, schlägt an und wartet, bis der Jäger
kommt. Die Stump-Eidechse läßt sich mit den Schlangen in einen
Kampf ein nnd bleibt Sieger, weil sie nach dem Biß ein Kraut
frißt, welches die gefährlichen Wirkungen des Giftes aufhebt. Ein
gewisser Uuderwood, welcher einem Kampfe zusah, lernte jenes
Kraut kennen und bereitete eine Mixtur, welche die Probe bestan-
den haben soll. Gewiß ist, daß manche Leute gebissen wurden und
doch nicht gestorben sind. Ein Holzhauer wurde vou einer Peitschen-
schlänge gebissen, hieb sich aber sofort den Finger ab nnd blieb ge-
snud; andere Leute schnitten die Wunde ans, ließen sie stark bluten
und brannten Pulver ab; nachher vertraueten sie sich einem Arzt
au. Sehr wirksam soll es sein, wenn man gleich uach dem Stiche
eiue starke Blutung hervorbringt und dann gekauete Jpecacnanha
auf die Wunde legt.
Die Schlangen in Südost-Australien leben nicht auf Bäumen,
können aber klettern nnd legen sich gern in Vogelnester. Ich stand
einmal, sagt der Buschjäger, ruhig am Wasser und lauerte auf
Enten. Es war ein heiterer Sommerabend. Plötzlich hörte ich int
Gebüsch etwas rascheln und sah wie eine große Teppichschlange an
einem hohen glatten Bauntstaunu emporkletterte. Gleich nachher
folgten andere und bald krochen ein Dntzend und mehr in verschie-
dener Höhe am Stautnt umher. Man kann sich leicht denken, daß
ich so rasch als möglich fortging, denn es war in jener Schlangen-
Niederlassung nicht geheuer. In langem Grase und dichtem Ge-
büsch giebt es Stelleu, wo sie zu Hunderten beisammen liegen.
Ochsen, die in solche Gegenden kommen, sind verloren; Schafe
springen oft mit allen Vieren auf eine Schlange und t'ödten sie. —
Die schwarzen Eingeborenen fürchten sich sehr vor den bösen
Kriechthieren und weichen ihnen sorgfältig aus; auch ist ihr Blick
adlerscharf und sie sehen jede Kleinigkeit am Boden. Man ißt die
schwarze Schlange, vorausgesetzt, daß sie in der Wnth sich nicht sel-
ber gestochen habe, was manchmal vorkommt; sie schmeckt wie Aal,
ist aber nicht so fett.
Diese Schlangen nähren sich von kleinen Thieren, Eiern und
Fröschen. Unser Jäger erzählt, daß er Zeuge gewesen, wie eine
Teppich-Schlange eine Anzahl kleiner Vögel bezaubert habe. „Sie
zwitschertet! und flatterten im Gezweig eines umgefallenen Baumes.
Die Bewegungen der Schlange warm ungemein anmuthig, sie stand
halb aufgerichtet, bewegte den Kopf rückwärts und nach vorne und
züngelte lebhaft. Offenbar suchte sie Beute anzulocken, schlüpfte
aber rasch hinweg, als sie mich erblickte." Wasserschlangen giebt es
in der Kolonie Victoria nicht, aber alle können schwimmen und
während der Sommerszeit trifft man sie an jedem Wasser. „Ich
habe oft gesehen, daß sie tranken. Ich schoß einmal ein Paar Enten,
welche auf der andern Seite des Baches in das Röhricht nieder-
fielen. Einen Himd hatte ich nicht bei mir, schwamm also selbst
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
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hinüber. Mitte» im Wasser sah ich einen schwarzen Stock ruhig
auf dem Wasser liegen. Als ich aber näher kam, zeigte es sich, daß
es eine schwarze Schlange war. Ich kam einen Fuß breit an
ihr vorüber, aber sie rührte sich nicht." Der australische Busch-
jäger versichert die Wahrhaftigkeit seines Berichtes, aber der Leser
wird vielleicht den Kopf schütteln und sagen: Eine Iagdgeschichte!
Durch die Buschfeuer werden alljährlich unzählige Schlangen ge-
tobtet, aber ausrotten wird man sie niemals, weil die vielen
Sümpfe, Haiden und Gebüsche, überhaupt die Strecken, welche sich
nicht zum Urbarmachen eigueu, ihnen Schutz gewähren.
Aie angebliche Wajserverbindnng Milchen de
Bor einigen Jahren wurde dieser Gegenstand vom Staats-
rath Bergsträßer in Astrachan eingehend erörtert. Er wies
darauf hin, daß schon Peter der Große den Plan zu einer künst-
liehen Verbindung beider Gewässer gehegt habe; die Arbeiten
wurden 1 <>97 begonnen, aber 1701 wieder eingestellt. In späteren
Zeiten ist die wichtige Frage oftmals berührt worden; man wußte,
daß die ausgedehnte Niederungssteppe vom Liman Manytsch bis
zum kaspischen See im Frühjahr sehr wasserreich sei, aber man
hatte keine genauen Karten. Im Jahre 1837 stellen die Herren
Fuß, Sabler und S«witsch fest, daß der Spiegel des kaspi-
scheu Meeres 81 Fuß tiefer liege als jener des schwarzen Meeres.
Eichwal dt wies nach, daß die Trennung zwischen beiden Meeren
nicht in die historischen Zeiten gefallen sei; Bergsträßer war
anderer Ansicht und meinte: daß in Anbetracht der örtlichen Ber-
hältuisse eine Wiederherstellung des ehemaligen Wasserweges (denn
einen solchen nahm er an) nicht allznschwierig und allzukostspielig
sein könne. Er wies darauf hin, daß iin Norden jener Niederung
schiffbare Seitenarme znr Wolga führen. Parrot hatte von einem
Armenier gehört, daß der östliche Manytsch sein Wasser, so lange
er welches habe, nach Osten fließen lasse, manche kleine Steppen-
slüsse aufnehme und unweit des kaspischen Meeres ende. Ein
alter Kalmücke wollte iu seiner Jugend von alten Leuten gehört
haben, daß der Manytsch ehemals in den kaspischen See geflossen
sei. Herr von B aer erfuhr, gleichfalls von alten Leuten, daß
noch jetzt von Zeit zu Zeit im ersten Frühlinge das Manytschwasser
sich in die Niederung des Kumaflnfses ergieße, und mit diesem
gemeinschaftlich dem Meere zuströme. Es war also vollkommen
gerechtfertigt, daß man auf nähere Untersuchungen einging. Auf
Bergsträßers Veranlassung unternahm N. und I. Iwanow
nnd Nasaro ff 1858 einen Reisezug zur Aufnahme der Knma-
Manytsch-Niederung. Bergsträßer hielt die Ergebnisse für viel-
versprechend nnd meinte: es könne nicht schwierig sein, im ersten
Frühjahre, trotz der weithin ansströmenden Wassermenge ans einem
der alten Flußbetten, von der Nähe des kaspischen See's aus zum
See Ehara chul nssnm, dem Flusse Kala ns, dem Liman Manytsch
in den Don nnd das asowsche Meer ganz zu Wasser zn gelangen."
Man müsse die ganze in der Steppe vorhandene Wassermasse in
ein einziges tiefes, nicht allzu breites Bett lenken uud das übrige
Wasser in Sammelbecken aufhalten. Das russische Ministerium
bewilligte Gelder für die Ausrüstung einiger Boote. Im Jahre
185'.) fand eine zweite Expedition statt, welche ermittelte, daß die
sogenannte wasserarme Gegend im Frühjahr eine große Wasser-
menge habe, die weite Niederung dadurch überschwemmt werde,
„daß also bei deu nöthigen Wasserkanten hinlängliche Sammel-
becken zur Speisung eines großen Kanals angelegt und unterhalten
werden könnten, besonders wenn der östliche Manytsch, die Knma
nnd der Kala ns die nöthigen Richtungen und Strömungen er-
halte." Er meinte ferner, die ganze Gegend sei wegen ihrer Boden-
beschafsenheit und Lage zn viel versprechenden Ansiedelungen ge-
eignet, Weizen, Oelsrüchte und Senf würden trefflich gedeihen.
Hornvieh und Pferde seien dort in ihrem wahren Elemente, eben
so Kammwollschafe. Der Wasserweg müsse noch bis zur Mitte des
siebenzehnten Jahrhunderts selbst für größere Fahrzeuge offen
gewesen sein.
[ schwarzen Meer nnd dem kaspischen See.
Die russische Regierung ließ abermals eine durchgreifende
Untersuchung anstellen, deren Ergebnis; von der Geographischen
Gesellschaft zu St. Petersburg veröffentlicht worden ist.
Die neue Expedition wnrde von Kostenkosf unternommen;
in seiner Begleitung waren Barbet deMarny uud Kryschiu.
Ihr Bericht wurde iu der Petersburger Geographischen Gesellschaft
verlesen, in deren Bulletin der berühmte Akademiker von Baer
einen Bericht mittheilt, dessen wesentlicher Inhalt folgender ist.
Die Reisenden haben den Manytsch trockenen Fnßes er-
forscht, und zwar von dem Salzstapelplatz Modschar, der 80 Werst,
also etwa 11 deutsche Meilen, vom kaspischen Meer entfernt ist, bis
an deu Don. Dieser Ausflug ans einer Strecke von 50» Werst
beschäftigte die Reisenden vom 17. September bis 10. Oetober
18(50. Die erste Hälfte verursachte große Mühsal und Beschwerde.
Als Ergebnis; der Forschung stellt sich heraus, daß der angebliche
Manytschslnß nichts anderes ist, als eine Vertiefung, welche die
Gewässer im Frühjahr sich ausgegraben haben. Sie füllen dieses
Bett nur während einer sehr kurzen Zeit und lassen es dann,
einige wenigen Seen abgerechnet, trocken liegen. Die Reisenden
erörtern, wie es sich mit deu Benennungen: Nied erlaub des
Manytsch, Thal und Bett des Flusses eigentlich verhalte,
und bemerken, daß man unter der erstem den niedrigen Landstrich
begreifen müsse, welcher sich vom untern Laufe des Don (der
bekanntlich ins asow'sche Meer mündet) bis zum kaspischen See
erstreckt uud deu Lauf des Manytsch anzeigt. Als Thal könne man
nur die Gegend bezeichnen, welche im Norden durch die Abhänge
der kleinen Orgeniberge, im Süden durch die hohen Züge begrenzt
werden, welche sich an die Ketten des Kaukasus anschließen. Den
Rest dieser Gegend bilden offene Steppen. Das sogenante Bett
des Manytsch ist eine ununterbrochene Reihenfolge von Schluchten,
vertieften Stellen, W äff erlaufen, salzigen Morästen, salzigen Seen
uud Ablagerungen; alle zusammen dienen während der Schnee-
schmelze den dadurch anschwellenden Wassern zum Abzugswege.
Der höchste Punkt der Manytschniedernng liegt beinahe in der
Mitte zwischen den Don nnd kaspischen Meere, und daraus folgt,
daß die Frühjahrsgewässer nach beiden Seiten hin ablaufen. Was
dem Don zufließt, bildet den westlichen, was dem kaspischen Meere
zu, den östlichen Manytsch. Das Bett desselben ist in der Steppe
wie im Thale, und mit allen seinen Windungen von Saudhügeln
eingeschlossen, welche parallel ihm entlang laufen und welche über-
Haupt die Steppen zwischen dein kaspischen und schwarzen Meere
kennzeichnen. Der Boden dieser Steppen ist fast überall mehr oder
weniger salzhaltig: im Frühjahr wird dieses Salz durch die zuströ-
menden Gewässer iu die Niederungen des Manytsch geführt, wo
sie an vielen Stellen verdunsten, au anderen sehr stark salzhaltige
Seen zurücklassen, wie denn überhaupt der Bodeu stark mit
Salz geschwängert ist. Diese ganze „ tobte Wüstenei" kann platter-
dings keine Menschen ernähren.
Von einem Kanal kann gar keine Rede sein. Der Manytsch
hat, wie bemerkt, Wasser nur im Frühjahr; die Anlage künstlicher
Sammelbecken würde eben so schwierig sein, wie das Halten des
Wassers; mau müßte den Unterschied des Wasserstandes zwischen
beiden Meeren benützen uud deu Boden tief ausgraben. Es ist aber
ganz unmöglich, eine Arbeiterbevölkerung am Manytsch anzusiedeln
60 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
und zu unterhalten. Der Gedanke, einen vom Don auslaufenden
Kanal zu graben, der auch nur einen Theil der Manytschuiedernng
mit Waffer versorgen solle, erscheine nnthnnlich; das Wasser würde
sofort salzig werden. Barbet de Marny's geologische Untersuchuu-
gm haben ergeben, daß die Wasserstraße, welche einst das kaspische
Meer mit dein schwarzen oder asow'scheu Meer verband, über die
historischeu Zeiteu hinaufreicht. Sie verschwand in Folge einer
durch vulkanische Kräfte verursachten Erhebung des Bodens,
welche nicht nur die Manytschttiedermlg, sondern auch das Land
der tschernomorischen Kosaken und die Steppen au der Kuma und
Wolga trocken legte. Wer also dort einen Kanal graben wollte,
würde der Natur selber Gewalt authuu.
Ein Schiff im Eise des südlichen Polarmeeres.
Den Bericht Mac Clintocks über die Fahrt zur Aufsuchung
Sir John Franklins liest man mit gespannter Aufmerksamkeit
und nicht ohne Rührung. Bei der Victoriaspitze, au der Nord-
Westküste der King-Williamsinsel, da wo die Backbay liegt, wurde
Hobsou schou einige Tage früher untersucht worden war. Es
hatte 28 Fuß Länge, war flach gebaut und offenbar für eine Fahrt
auf den: großen Fischflusse sorgfältig hergerichtet :md stand auf
einem sehr starken Schlitten. In diesem Boote lagen zwei meuschliche
Ein Schiff im Polareise.
der erste schriftliche Bericht der vermißten Seefahrer gefunden; er
war vom 28. Mai 1847, und damals war noch Alles wohl. Aber
am Rande stand eine Nachschrift, der zufolge die Schiffe Erebus
und Terror am 22. April 1848 verlassen wurden, nachdem sie seit
dem 12. September 1846 von Eis eingeschlossen gewesen. Franklin
war schon ain 11. Juni 1847 gestorben, und der Gesammtverlust an
Todten belief sich schon ans 9Officiere und 15 Lente von der übrigen
Bemannung. Am 26. April wollten die Ueberlebeudeu uach Back's
Fischfluß aufbrechen.
Am 30. Mai 1859 faud Mac Cliutock au der Westküste der
King-Williamsinsel unweit vom Kap Crozier (69" 8' nördl. Breite
106" 8' westl. Länge) au einer Stelle, wo die Küste eine Einbiegung
nach Osten macht, ein großes Boot, das von seinem Gefährten
Gerippe; das eine war von Wölfen heimgesucht worden, das an-
dere noch mit Kleidern und Pelzen umhüllt. Neben diesen Uu-
glücklichen lageu fünf Taschenuhren, an die Seite gelehnt staudeu
zwei Doppelflinten, von deren jeder ein Lauf geladen war. Neben
verschiedenen Andachtsbüchern lag ein Exemplar des Landpredigers
von Wakesield. Mae Clintock fand ferner eine erstaunliche Menge
von Kleidungsstücken, Nägeln, Feilen, allerlei Geräthschasten, etwas
Thee, vierzig Pfund Chocolade, etwas Tabak und Brennholz.
Schon vorher hatten die Eskimos erzählt, daß viele weiße Männer
auf dem Wege nach dem großen Fischfluß niedergestürzt seien; man
hatte am Kap Herrschet ein theilweise mit Schnee bedecktes Gerippe
gefunden. Eine alte Eskimofrau sagte: „Sie sielen nieder, und
starben während sie gingen."
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
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Ulis erinnerte der Bericht Mac Cliittocks an einen andern,
den wir einst über ein Todtenschiff im südlichen Eismeere
gelesen haben.
muß ein schreckliches Loos sein, bei grauser Polarkälte von
Eisbergen eingeschlossen, festgehalten und durch Kälte, Hunger,
Entsetzen und Verzweiflung aufgerieben zu werden, und sich zu
sagen, das; man spurlos verschwinde.
Im September des Jahres 1840 kreuzte der Walfischfahrer
Hope, Capitaiu Brightou, jenseit des Kap Horn im südlichen Eis-
meere. An einem Septemberabend trieb ihn der Sturm au Eis-
selder und Berge, welche eine weite Rhede bildeten. Etwa eine
balbe Seemeile entfernt, gewahrte man eine unabsehbare Kette von
hohen, schneebedeckten Spitzbergen; Alles starrte von Eis und nach
jener Richtung hin war der Ocean offenbar geschlossen. In dem
weiten Becken war indessen das Meer ruhig und die Hope war
jetzt nicht in Gefahr, gegen die Eisküste geschleudert zu werden;
auch schwammen keine Eisberge umher, da alle eine zusammen-
hängende Masse bildeten. Indessen war der Capitain doch immer
wachsam und die Bcmannnng stand bereit, den ersten günstigen
Wind zu benutzen, welcher sich int September in jenen Breiten ge-
wohnlich um Mitternacht erhebt. Bei längerm Verweilen in diesem
Eishafen konnte der Schreckensfall eintreten, daß die Eisberge be-
weglich würden, sich zusammendrängten und den Walfischfahrer
bis zum Eintritt milder Witterung oder für die Ewigkeit einkeilten.
Der Wind erhob sich wirklich um Mitternacht nnd zugleich
trat eiu heftiges Schneegestöber ein. Bald nachher erscholl ein
donnergleiches Rollen nnd das furchtbare Krachen der Eisberge
erfüllte die Mannschaft mit Grauen nud Entsetzen. Die bisher
starren Eismassen geriethen in Bewegung. Auch die Schollen fingen
an heftig zu treiben und gegen das Schiff anzuprallen, und kaum
bositc Brighton noch auf einen.Ausweg ans dem wogenden Eis-
labyrinthe.
Unter Gefühlen, die sich nicht schildern lassen, verging die
grauenvolle Nacht. Der Stnrm ließ nach als der Tag erschien, und
die Mannschaft athmete wieder auf, als sie sah, daß das Schiff nicht
wesentlich deschädigt war. Die Eiömassen, welche am Abend ein
undurchdringliches, gebirgiges Festland bildeten, hatten sich jetzt in
zahllose schwimmende Eilande aufgelöst nud bildeten gleichsam einen
beweglichen Archipelagnö.
Ein Schiss in Sicht! So rief etwa um Mittag der wachtha-
bende Matrose vom Mastkorbe herab. Der auf Deck befindliche
Capitain konnte wegen der zwischen der Hope nnd dem angezeigten
Schiff befindlichen Eisberge nur die Mastfpitzen wahrnehmen, aber
bald kam auch der Rumpf zum Vorschein. Die Bemannung
wunderte sich über den sonderbaren Zustand des Takelwerks.
Das Schiff trieb vor dem Winde gegen einen Eisberg und stand
dann fest.
Nun war kein Zweifel mehr, daß es von der Mannschaft ver-
lassen sei. Der Capitain ließ ein Boot in See und fuhr nach
dem Wrack. Bald zeigte sich, wie sehr es gelitten hatte. Auf dem
Verdeck lag hoher Schnee und kein lebendes Wesen war zu sehen;
auf wiederholten Ruf erfolgte keine Antwort. Brightou legte an
nnd stieg mit drei Matrosen an Bord. Keine Seele regte sich. Als
er in die Kajüte trat, was gewahrte er? Ein Mann saß auf einem
Stuhle vor einem Tisch, auf welchem ein Logbuch lag. Allen standen
die Haare zu Berge, denn der Mann blieb unbeweglich und der
Grnß, welchen man ihm znrief, blieb ohne Antwort. Der Mann
war eine erfrorene Leiche; in der Hand hielt er noch eine Schreib-
feder nnd im Logbnche lautete der letzte Satz: „17. Jannar 182!i.
Wir haben heute de» einundsiebzigsten Tag, seit wir vom Eis ein-
geschlossen sind. Trotz aller unsrer Bemühungen ging das Feuer
gestern aus. Des Capitains Versuche, es wieder anznmachen,
schlugen fehl. Seine Frau ist heute früh vor Hunger und Kälte ge-
sterben; fünf Matrosen sind gestorben. Keine Hoffnung mehr!" —
So war es in der Stenermannskajüte. In jener des Capi-
tains lag die Leiche einer Frau auf dem Bette; ihr Gesicht trug
fast noch Lebensfrische, nur die krampfhaft zusammengezogenen
Gliedmaßen ließen auf den Kampf schließen, welchen sie mit dem
Tode gekämpft. Neben ihr faß ein Mann; am Boden neben ihm lagen
Feuerstahl, Stein nnd ein mit eingebrannter Leinwand gefülltes
Feuerzeug. In den Hängematten fand man mehrere erfrorene Ma-
trofen, vor der Treppe lag ein todter Hund und nirgends war eine
Spur von Lebensmitteln zu finden.
Schrecken nnd Aberglauben der Matrosen erlaubten keine ge-
nauere Untersuchung, aber das Logbuch nahm Capitain Brighton
mit, um es den Rheder» heimzubringen. Das Schiff war die
Jenny und auf der Insel Wight zn Hanse; es war zuletzt im
Hafen vou Callao bei Lima gewesen und hatte volle siebzehn Jahre
im antarktischen Eise gelegen. Capitain Brighton ist mit der Hope
glücklich nach Europa zurückgekommen.
Die deutsche Sprache in Nordamerika.
Es macht unser» Landsleuten, welche uach Nordamerika aus-
gewandert sind, nicht im Mindesten Ehre, daß sie sich so arg an
unserer edeln Muttersprache versündigen. Man lese nur die söge-
nannten deutschen Zeitungen. Welch ein abscheuliches Gemisch, bei
dem das Englisch-Amerikanische wie das Deutsche gleich sehr miß-
handelt wird! Es ist, als ob diese halbgebildeten Michel sich kops-
über in ein erbärmliches Zwitterthum zu stürzen mit einander
wetteiferten.
Solch ein „ Provinzialmichel", der in Nen-Iork oder Phila-
delphia landet, staunt Alles Nene als seltsam an und hat nichts
eiliger zu thnn, als seinen ehrlichen Namen zu travestiren. Im alten
Schwabenlande, znBopsingen oder Sindelfingen, steht er im Kirchen-
buche als Johann Jakob Bänchle; sobald er aber nicht mehr
Bauer ist, sondern „Farmer" geworden und irgendwo in Illinois
oder Ohio wohnt, nennt er sich John James Bänchle nnd hält sich
mm erst für den rechten Jakob. Oder seine Wiege hat an der Elbe
gestanden; er ist Kanfmannödiener hüben gewesen und wird drüben
„Clerk", auö Karl Heinrich Adolf Meyer wird er zu einem Charles
Henry Adolphus Mycr, und stellt, wie er meint,' nun etwas
Rechtes vor. Auch in der Umgangssprache veryankeet sich John
; James, denn er will zeigen, daß er fähig sei, die Massen von oft
sehr rohen Ausdrücken zu behalten, an welchen die Rede des
gewöhnlichen Amerikaners so reich ist.
Da er selber seine Muttersprache nicht Werth hält, bedienten-
Haft den Iankees nachäfft und ohne wahre Selbstachtung ist, so
versteht es sich von selbst, daß er mich seine Kinder sprachlich ver-
wildern läßt. „Du muscht fertik Englisch lerne," sagt er zu seinem
Knaben, der inmitten der Uankeejngend dann auch überraschend
leicht Aankeesprache und die Unsitten von Jung-Amerika sich an-
eignet. Ein guter Beobachter hat einmal behauptet, daß kein dent-
sches Kind, welches ein Paar Jahre mit Uailkees verkehrt hat, mehr
deutsch reden wird, als es eben muß. Und das Deutsch, welches
eö dann spricht, ist immer höchst elend. Nichts von Endungen,
von Abwandlungen der Zeitwörter, ein geringer Wortvorrath,
und lauter uudentfche Wendnngeu bilden die Regel. Selbst in den
deutschen Schulen schwätzen sie Nankee-Englisch mit einander.
Sprachlich genommen kann man sie als sprachliche Maulesel be-
zeichnen; auch dann, wenn sie etwa in guten englischen Schulen
unterrichtet werden, sprechen sie kein reines Englisch, während sie
im Straßenjungen-Jankee-Slang eine große Geläufigkeit zeigen-
62 Globus, Chronik der Reiseil und Geographische Zeitung.
Deu richtigen Gebrauch der höheren Redewendungen und besonders
des lateinischen Elementes in der Sprache eignen sie sich selten
und immer nur langsam an. Tausende von gebildeten deutschen
Eltern sehen mit dem größten Schmerz, daß ihre Kinder, trotz
aller Gegenbemühnngen, keine von beiden Sprachen vollkommen
beherrschen lernen.
Die letzteren Bemerkungen stellt ein zu St. Louis erscheinen-
des Blatt an; es fügt hinzu, daß im Allgemeinen das Englische
viel leichter für die Kinder zu erlernen sei als das Deutsche; jeues
spricht sich bequemer aus. Die Grammatik ist viel einfacher und
sehr arm au Formen, die Redewendungen sind weit weniger aus-
gebildet und weit einförmiger als jene unserer herrlichen, nner-
ineßlich reichen und bildungsfähigen deutscheu Sprache. Im
Englischen hat jeder Gedanke seine bestimmte Ausdrucksform, welche
sich dein Gedächtnisse leicht einprägt, und iu deu meisten Fällen
sind die Formen kürzer und deutlicher, fallen leichter in den Mund
als im Deutschen. Beim Englischreden braucht man nicht lange
darüber nachzudenken, wie man sich richtig oder wenigstens ange-
messen ausdrücken solle, dafür hat schon die Sprache von selbst
gesorgt. Wenn nun der Durchschnittsmichel seine Muttersprache
verunreinigt, so macht sein Kind ihm diese Unart nach, und gute
deutsche Bücher giebt er ihm nicht oft in die Hand.
„Deutsche Schulen siud bei weitem nicht in hinlänglicher
Menge vorhanden; die meisten werden von Geistlichen gehalten,
welche entweder unfähig sind, Sprachunterricht zu ertheilen, oder
absichtlich der Jugend nur eiu dürftiges Mas; deutscher Sprach-
kenntniß gönnen; es scheint ihnen genug, wenn man ihre Predigten
verstehen oder den Katechismus auswendig lernen kann, und gerade
diese Sektenschulen sind es, welche den Kindern vollends ihre Lust
am Deutscheu verleiden. DieKinder müssen am Ende selbst einsehen,
daß sie in denselben nicht halb so viel lernen als in den englischen
Volksschulen, und sie messen dann die Schuld ihrer schweren Mutter-
spräche um so mehr bei, da das Englische wie spielend anfliegt.
Auch die Kinder gebildeter Aeltern nehmen gewöhnlich rasch die
Unlust zum Deutschen an, da beim Spiel und im täglichen Berkehr
das Englische ihnen viel leichter und mundgerechter vorkommt.
Die englische Volksschule, für welche Jedermann Schulsteuer zahlen
muß, kostet weiter nichts. Der Deutsche in Nordamerika hat, durch-
schuittlich genommen, nicht den rechten Nationalstolz; nur im
Handwerk, im Ackerbau und in den Volksfesten hält er zäh am
Heimathlichen. Aber die deutsche Sprache wird darum doch nicht
etwa in Amerika aussterben. Es sind glücklicherweise sehr viele
höher gebildete Deutsche da, welche wissen, wie viel mehr Werth
unsere Sprache und Literatur ist, als die englische, und wie hoch
unsere Wissenschaft und Kunst über jener der Engländer oder gar
der Nordamerikaner steht. Sie wissen ferner, daß eine völlige
Beherrschung zweier Enltnrsprachen eiu unschätzbarer Gewinn für
sie und für das neue Vaterland ist."
Äas Setragen der Aussen
Nicht ohne Vergnügen haben wir eiu Werk über Japan,
deu Amur und das Stille Weltmeer, von dem Engländer
Henry Arthur Tilley, London 1861, durchgesehen, und behalten
uns vor, unseren Lesern einige Auszüge aus demselben mitzn-
theileu. Das Bnch ist anspruchlos geschrieben und enthält manche
interessante Nachrichten. Tilley machte am Bord der russischen
Kriegscorvette Nynda im Jahre 1858 bis 1860 eine Erdumsegelung
mit und traf im Hasen von Nagasaki die russische Fregatte Askold,
welche im September 1858 von einem gewaltigen Wirbelsturme,
einem Taisnng, schwer beschädigt worden und nach Japan zurück-
gefahren war. Dort wurde sie ausgebessert.
Bekanntlich sind die Engländer, als Gesammtmenge betrachtet,
außerhalb ihrer Insel nirgends beliebt, weil sie in allen fünf Erd-
theilen sehr häufig ein abstoßendes Wesen zeigen. Sie stellen sich
überall sonverain hin, verletzen die Gefühle und Eigentümlichkeiten
anderer Völker, gehen da, wo sie die Macht haben, ohne jede Scho-
nuug und Rücksicht zu Werke und haben in ihrem Benehmen sehr
wenig Gewinnendes. Es sind die Leute, welche iu Japan ans den hei-
ligeu Berg des Landes, den Fuso yama, hinauf galoppiren, um
dort Thee zu kochen und Cigarreu zu rauchen, welche den indischen
Sipahis Patronen mit Fett von geheiligten Kühen geben und in
Japan mit bewußter Roheit die Landesgesetze übertreten. Auch
auglo-chinesische Blätter haben sich, wie wir in der vorigen Num-
mer zeigten, auf das Schärfste über das Treiben der Engländer
auch iu China ausgesprochen.
Tilley bemerkte während seiner Reise, daß in den fremden
Erdtheileu alle anderen europäischen Völker beliebter seien als die
Engländer, die es auch in Japan verstanden haben, die Abneigung
der Regierung wie des Volkes zn erwerben, während man dort
die Russen gern hat. Die Behörde hatte deu Offizieren der Askold
bereitwillig einen buddhistischen Tempel eingeräumt uud für die
Mannschaft eine sehr bequeme Bretterkaserne bauen lassen. Tilley
verkehrte täglich mit den Offizieren und hatte Mnße und Gelegen-
heit zu manchen Beobachtungen. Der Tempel war ein altes
Gebäude und reichlich mit geschnitzten Götterbildern versehen.
Am Eingang stand ein Russe Schildwacht uud ihm gegenüber
saßen iu einer Art von Schilderhanse ein paar japanische Polizei-
diener, um Alles zu überwachen.
und Engländer in Japan.
Die Russeil führten eiu angenehmes Leben uixb wurden von
Schanghai aus mit allen nothwenigen Bedürfnissen und Luxus-
gegenständen versorgt. Mit den Japanern nud den Japanerinnen
standen sie in bestem Einvernehmen; sie hatten sich Manches von
der Landessprache angeignet und konnten sich verständlich machen.
Eiu richtiger Takt sagte ihnen, daß es wohl auch klug gethan sei,
die japanischen Vornrtheile, oder was ein Europäer als solche
betrachtet, zu schonen und nicht gegen die Landessitte sich aufzulehnen.
„Ich sah eiu paar Mal, daß Männer, welche die englische Sprache
redeten, mit besudelten Stiefeln in japanische Zimmer eindrangen,
uud gegeu die Bitten und Vorstellungen des Hansbesitzers taub
waren. Es ist eiu im höchsten Grad unangemessenes Verfahren
von Seite der Fremden, höflichen Menschen in solcher Weise vor
den Kopf zu stoßen lind dann noch obendrein über sie zn schimpfen;
ich bemerkte aber während meines Aufenthaltes iu Nagasaki sehr
oft solche grobe Rohheiten. Ich wünsche, meine englischen Land-
tente ititd die Amerikaner möchten nicht vergessen, daß es völlig nn-
passend sei, die Japaner wie indische Diener oder chinesische Kuli's
zu behandeln. Höfliches Betragen und eine gewisse Sorgfalt, gegen
die landesüblichen Bräuche nicht zn verstoßen, und dabei mit ihnen
gesellschaftlichen Verkehr unterhalten, führt viel besser zum Ziele.
Nach dieser letzten Maxime verfuhren die Russen während ihres
ueumnouatlicheu Verweilens iu Nagasaki, uud deshalb waren sie
bei Volk und Behörden ungemein beliebt. Sie brauchten nur leise
einen Wunsch anzudeuten, uud konnten versichert sein, daß derselbe
unverweilt erfüllt wurde; Kapitäu Uukossky's Name war weit und
breit bekannt, und die Japaner riefen denselben in allen Straßen.
Bei den Spaziergängen der Offiziere drängten sich die Kinder froh
und freundlich all sie heran, Männer und Frauennickten ihnen zu."
So viel unterliegt wohl keinem Zweifel, daß an allen Jrruu-
geu zwischen den Fremden und Japanern nicht die letzteren Schuld
gewesen sind. Was würden wir sagen, wenn Plötzlich mit Gewalt
Japaner bei uns landeten, uns Vorschriften machen, unsere Gesetze,
Sitteu uud Gebräuche verletzen und uns mit schnöder Verachtung
behandeln wollten, als seien wir nicht mehr Herren im eigenen
Hause, sondern nur vorhanden, um von den Fremden mißhandelt
zu werden?
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
63
Kleine Nachrichten.
abscheulich gewirthschaftet hätten; es sei nichNveit her mit der
„großmüthigeu Nation". Die Russische Biene, ein iu St. Peters-
dura erschemeudes Blatt, sagte, Frankreich habe im Orient einen
großen Borsprung gewonnen und alle Völker, welche an der großen
Südsee wohnen, blickten jeiu weit mehr auf Frankreich als auf die
„geizigen und selbstsüchtige»" Engländer. Die Franzosen führen
bekanntlich, nin ihres Kaiters Namen zu erhöhen, seit zwei Jahren
einen Krieg gegen Cochinchina und haben dort Saigong in Besitz
genommen. Daun und wann liefern sie den feiudlicheu Truppen
eni treffen, man hat aber immernoch keinen Angriff gegen die
Hauptstadt Hui- unternommen. Im April 18(>l wütheten unter
ibueu, in Saigong zumal, Cholera, Blattern und Klimafieber: etwa
600 kranke Soldaten lagen in den Spitälern, täglich starben durch-
schnittlich fünfzehn Meiischeu. Alle eingeborenen Diener waren ge-
flüchtet; der Thermometer zeigte unter einem dreifachen Zeltüber-
hange I<>» bis 12»" F. Die Tuilerienglorie des Bonapartismns,
für welche das französische Volk die Figuranten herzugeben hat und
die man als „Ruhm" iu alle Welt ausposaunt, kostet viele Men-
fchenleben, von den vergeudeten Milliarden und aber Milliarden
ganz abgesehen.
yie Volksmenge in England. Nach der Zählung am
Ende des Jahres 1860 beträgt dieselbe, Wales und die zu England
gehörenden Inseln mit eingeschlossen, 2<),<K> 1,725 Seelen, was eine
Zunahme von 2,134,116 binnen zehn Jahren ausmacht. Mäuu-
Mvwv VV. VVVVV«* r VN s VVV^^M/VMV. wv
demnach etwa so viele wie das Königreich Würtemberg und Kur-
Hessen zusammengenommen, und für die letztverflossenen l0 Jahre
ergab sich eine Zunahme von 440,798 Seeleu. Die Bewohnerzahl
von London stellt sich gleich mit jener von zwanzig der bedeutend-
sleu Proviuzialstädte, von welchen feine weniger als 70,000 Seelen
Trent, Sunderlaud und Wolverhampton haben, alle zusammen-
genommen, 2,903,045 Seelen. In diesen Städten wächst übrigens
die Volksmenge noch rascher an, als in der Hauptstadt, denn die
Zunahme betrug bei jenen in 1» Jahren 501,05s Seelen nnd stieg
nm 25 Proccnt, iu London nur um l s Procent. Im abgelaufenen
Jahrzehnt hatten 2,240,355 Auswanderer die Häfen des ver-
einigten Königreichs verlassen. Davon waren 1,230,08V Jrlän-
der, <»40,210 Engländer, 183,627 Schotten, und etwa 195,000
Fremde aus andern Ländern.
Seltene Thiere aus Siam. Mongknt, Oberköllig von Siam,
ist ein gebildeter Monarch, der mit den Europäern auf friedlichem
nnd freundlichem Fuße verkehrt, Handelsverträge abgeschlossen,
seiu Land dem Berkehr eröffnet hat und Theilnahme für unsere
wissenschaftlichen Bestrebungen hegt. Insbesondere uimiut er ein
Interesse au unseren zoologischen Gärten, und hoffentlich läßt die
deutsche Gesandtschaft, welche nuter Graf Eulenburg aus Preußen
von Japan und China auch nach Siam geht, die günstige Gelegen-
heit uicht vorüber, um für den Berliner zoologischen Garten
werthvolle Exemplare zu erwerben. Nach Frankreich ist im Juni
isoi als Gescheuk König Mongkuts eine werthvolle Sammlung
lebender Thiere aus der siamesischen Hauptstadt Bangkok verschifft
worden. _ Sie besteht ans einem Paar junger weißer Elephanten,
zwei weißen Stieren mit Höcker und langem Haar, bisher in
Europa noch unbekannt: zwei Ziegen, angeblich tibetanisch, zwei
Bären aus dem nördlichen Siaiii, zwei Babuius, zwei Orang-
Utans und einem prächtigen Tapir. Dazu kommen noch ein paar
siebenjährige Elephanten, ein großer Asse, mehrere Ziegen, ein
t'V'ü Fuß hoher Kasuar, zwei bisher bei uns noch nicht gesehene
Hirsche und verschiedene andere Thiere, namentlich auch seltene Vögel.
Unterseeische Telegraphen. — Das englische Handelsmiui-
sterium hat durch einen Ausschuß vou Sachverständigen untersuchen
lassen, weshalb so manche unterirdische Telegraphenleitnngen fehl-
geschlagen seien. Bisher sind l 1,346 englische Meilen solcher Drähte
gelegt worden, von denen mir etwa 3000 sich praktisch bewährt
haben. Verloren gingen 2000 Meilen von dem großen atlantischen
Kabel, 3400 von dem, welches im rothen Meer und im indischen
Oeean versenkt ward, 700 von jenem, das zwischen Sardinien,
Malta nnd Korfu gelegt war, nnd 550 von dem zur Verbindung
Singapore's mit Batavia bestimmten Kabel. Die Sachverständi-
gen meinen, daß iu allen diesen Fällen die mangelhafte Verferti-
gung der Taue uud eiue ungenügende Berseukungsart am Miß-
lingen Schuld gewesen sei.
Karawanen aus der Sahara in Algier. Mit großem Eifer
trachten die Franzosen dahin, von dem Handel der Sahara so viel
als möglich von Marocco und Tunis abzulenken und die Karawa-
neu aus deni Innern nach Algerien zu ziehen. Auch iu den letzten
Jahren haben mehrere Reisende die Wüste durchzogen, die Oasen
besucht, um besonders mit den Tuarekstämmen, welche in der west-
liehen Hälfte der Sahara herrschend siixb,_ freundschaftliche Beziehun-
gen anzuknüpfen. Im vorigen Jahre besuchte D uv eyrier zunächst
Rhadames, die schöne Oase, welche etwa 250 Lienes in südöst-
licher Richtung von Algier etwa unter dem 30" uördl. Breite liegt.
Vou dort ging er weiter gen Süden nach der Oase Rhat. Die Er-
folge dieser Bemühungen werden nun sichtbar. Wir lesen nämlich,
daß am 20. Mai eiue Karawane aus Rhadames iu die Stadt Al
gier einzog; sie ist überhaupt die erste, welche vou dort kommt.
Ihr Anführer, Si Snnssi ben Ahmed, hatte voii Duveyrier ver-
nommen, daß für alle ans dem Süden kommenden Waaren in
Algerien die Eingangszölle abgeschafft worden seien, nnd folgte der
Aufforderung, zum Versuch eiue Reise zu unternehmen. Die Ka-
rawane ist aus leicht begreiflichen Gründen mit großer Aufmerk-
samkeit empfangen worden. Sie brachte Elephanteiizähne, gegerbtes
Leder, gelb und roth gefärbtes Leder, lauge und runde Lederkissen,
Pantherfelle, Sandalen, Wohlgerüche, Alaun, Bohnen und manche
medieinische Kräuter und zuui Schmuck bestimmte Gegenstände.
Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Widder, welcher ans dem
Negerlande stammt; er hat ziegenartiges Haar mit vereinzelten
Wollbüscheln. Si Snnssi hat allerlei europäische Waaren ein-
getauscht, welche er bis weit nach Süden hin, auch unter deu
Schwarzen, zu vertreiben gedenkt.
Eine Kreuzfahrt «ach der öehringsstrasie. Der Handels-
stand von San Francisco in Californien widmet den nördlichen
Gegenden des Stillen Weltmeers nnd namentlich dem Amurlande
große Aufmerksamkeit. Im vorigen Sommer rüstete ein Rheder
einen Schooncr (sprich Skuner), die Sau Diego, aus, eiu kleines
Schiff von nur 150 Tonnen Gehalt. Er fuhr zuerst uach einer
Guauo-Jufel iu der Nähe des Aequators und von dort in die nor-
dische Eisregion. Während er die Aliinten uud Kurilen anlief,
welche gleichsam als Tragpfeiler für den elektrischen Telegraphen
benutzt werden sollen, tauschte er Pelze, Thran und Fischbarten
und besonders Walroßzähne ein, deren manche 30 Zoll laug nud
unten 4\, bis 4 Zoll dick sind. Das Walroß wechselt die Stoß-
zahne oft, nnd die San Diego fand bei Eskimos nnd Kamtschada-
len nicht unbeträchtliche Vorräthe. Diese Völker haben Lanzen-
1 i? ,c ÖK Riemen befestigen. Diese verfertigen sie
aus Walroßhaut und die Harpunenspitze ans Walroßzähnen. Der
^chooner begegnete im Behringsmeere vielen Walfisch fang ern,
von denen nur wenige eine gute Ernte gehalten hatten. Es scheint,
als ob der widersinnige Gebrauch, die jungen Walfische gar nickt
zu schonen, wesentlich zur Verminderung dieser Thiere beitrage.
Uebrigeus bemerkte der Kapitän der San Diego, daß die englischen
Admiralitätskarten über jene nordischen Meeresstriche manche Ün-
richtigkeiten enthalten: die Karten von Bluut iu Neu-Uork seien
viel besser. Am 4. Juni gerieth das Schiff unter (>l° 17' n. Br.
zwischen Eisfelder, von welchen es 30 Tage lang umschlossen war.
Es drang bis 68° 30' vor und hatte oft stürmisches Wetter. Man
fand in diesen hohen Breiten manche Spuren früherer Seefahrer,
z. B. einen Signalposten mit dem Namen eines russischen Schiffes
ans dem Jahre > 716. Zu Nikolajeffsk am Amur lagen sieben ruf-
fische Regiernngsschiffe, lauter Dampfer, von denen mehrere nach
Japan steuerten. Am Amur sind große Schiffswerften angelegt,
und ans Nordamerika waren Gerätschaften, Maschinen und Werk-
zeuge aller Art iu großer Menge angekommen. Bereits sind einige
dort gebanete Dampfer von Stapel gelassen worden. Rußland
würdigt die hohe Bedeutung deö Ämurlaudes vollkommen nnd er-
muntert die Einwanderung von Handwerkern nnd Technikern in
jeder Weise. _
Zu den wichtigsten Reisen, welche jemals iu Australien nuter-
nommen worden sind, gehört die Wanderung J.Mac Don all
^-tu art's im Jahre 1860. Er ging von nur zwei weißenMännern
begleitet im März vom Chambers Creek, einem Zuflüsse des Gregory-
Sees, zwischen dem I 33sten und 135sten Grad östlicher Länge in
64 Globus, Chronik der Reisen
mußte er wegen Feindseligkeit der Eingeborenen umkehren, als er
nur uoch etwa 50 deutsche Meilen von'der Carpentariabncht, also
der Nordküste, entfernt war. Die geographische Gesellschaft in Lon-
don hat ihm nun ihre große Jahresmedaille zuerkannt.
Eine zweite Denkmünze hat Speke für seine Entdeckung des
Nyanza-See's erhalten. In derselben Sitzung, vom 27. Mai,
nahm Sir Roderick Murchisou den Reisenden Du Chaillu
gegen manche Angriffe und Verdächtigungen in Schutz, mit welchen
die englische Presse so freigebig gegen diesen kühnen Entdecker und
Naturforscher gewesen.
Die nordamerikanische Bleiregion. Dieses ausgedehnte
Revier wird durch deu Mississippi iu zwei Hälften geschieden.
Die kleinere, westliche, umfaßt die Connties Alamaki, Clayton und
Dubnqne im Staat Iowa; die größere, östlich vom Strome, be-
greift die Connties Grant und Lasayette, Iowa, Green und Sank
in Wisconsin und Davis in Illinois. Schon 1814 wurde in der
Gegend, wo jetzt Galena steht, auf Blei gegraben, 1820 Gruben
bei Mineral Point eröffnet; einige Jahre später wurden in dem
heutigen Stadtgebiet von Dubnqne die „Digger" von den Jndia-
nern vertrieben; erst 1833 wurde die Gegend sicher. Die Blei-
lager östlich und westlich vom Mississippi stehen im Zusammenhange.
Hanptort für die Versendung des Bleies ist die Stadt Galena; in
Mineral Point ist durch einen Hüttenmann aus Schlesien eine
Zinkschmelze errichtet worden. Galmei liegt nämlich in jenen Ge-
genden in großer Menge; die Bergleute bezeichnen ihn als Dry
Bone, weil seiue äußere Gestalt einige Aehnlichkeit mit der porösen
Fläche eines durchgesägten trockenen Knochens hat. Auch der Süd-
Westen des Staates Missouri, der überhaupt einen anßerordent-
lichen Reichthum an Metallen besitzt, hat eine Bleiregion, in der
man das in größter Menge vorkommende Bleierz ohne große Mühe
zu Tage fördert. Die Adern liegen wagerecht da in einer Tiefe
von 12 bis 00 Fuß. Neulich nahm in den Granby-Minen ein
armer Arbeiter einen „Claim" von dritthalb Ackern Landes, grub
mit seinem Sohn einen zehn Lachter tiefen Schacht und fand einen
Gang von zwei Fuß Dicke, für welchen ihm sofort 4000 Thaler
geboten wurden.
Neuseeland ist eine der jüngsten unter den engllischenKolonien,
trat aber schon 1853, dreizehn Jahre nach der Gründung, in den
Vollgennß der Selbstverwaltung und Selbstregierung. Auch eiu
Theil der vollziehenden Gewalt ist iu die Hände des Volkes ge-
geben, welches die sogeuanuteu Superintendenten wählt. Für die
Einwanderung der handarbeitenden Klassen ist Neuseeland recht
günstig, und'man hat dasselbe wohl als eine „Gegend für arme
Leute" bezeichnet. Freilich kostet die Ueberfahrt ans Europa bis
zum Lande der Antipoden viel Geld, und in der Kolonie haben
Ländereifpeculanten den Werth des Grundes und Bodens ungemein
in die Höhe geschraubt. Als Ludwig Schmarda vor einigen
Jahren (1854) sich in der etwa 5000 Seelen zählenden Hauptstadt
Auckland aufhielt, wurde ein Fuß Vorderseite in der Hauptstraße
mit zehn bis zwanzig Pfund Sterling bezahlt. Man führt
Gemüse, Hafer, Hen und Kartoffeln nach Australien aus. — Am
30. Juni 1860 wurde eine Zählung der auf dem neuseeländischen
Archipelagus lebenden Europäer veranstaltet uud sie ergab für die
acht Provinzen folgende Ziffern: Auckland 23,159, Taranaki 2,312,
Wellington 13,470, Hawkes Bat) 2,307, Nelson und Marlborough
10,94*1, Canterbury 14,017, Otago 10,456, He Stewart 52, zu-
saminen 76,714 Seelen gegen 59,328 am Eude des Jahres 1858.
In den besten Verhältnissen befinden sich jene Laudwirthe, welche
ueben dem Ackerbau auch Viehzucht treiben, einen Theil ihres
Bodens als Grasland benutzen und auf dem übrigen Wechsel-
wirthschast einführen. Pferde, Rindvieh und Schafe vermehren
sich stark uud setzen bei dem uahrhafteu Futter mehr Fleisch an als
m Australien. Bei den Schafen wächst das Vließ reicher und
schwerer, da die Wolle länger ist, sie wird aber weniger fein als in
Australien. Alle Futtergräser gedeihen vortrefflich und einen faf-
tigeren Graswuchs giebt es kaum irgendwo. Die Missionäre sind
zuerst 1814 auf Neuseeland erschienen; um 1820 begann die weiße
Bevölkerung sich iu kleinen Gruppen auszubreiten, aber vor 1831
ist kein Versuch zu regelmäßigen Ansiedelungen gemacht worden;
doch hatten Walsischfänger und entlaufene Matrosen einzelne Sta-
tionen an den Küsten. Im Jahre 1837 bildete sich in England
eine Colouisatiousgesellschast, durch welche die Pläne zur Eiufüh-
rnng einer theokratischen Verfassung unter der Leitung von 30
Missionären durchkreuzt wurden. Nach langen Kriegen mit den
Eingeborenen, iu welchen, wie gewöhnlich, alle Schuld auf die
Weißen fiel, begann 1846 die Ansiedelung in größerem Maßstabe;
1857 übergab die Compagnie ihre Besitzungen der britischen Krone.
Tibet. — Die jüngsten Nachrichten aus Asien melden, daß
nun auch Tibet dem Handel der Ausländer, insbesondere der
Verantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildbnrghar
Druck von Gi es ecke &
und Geographische Zeitung.
Russen, erschlossen worden sei. Die bekanntlich unter Oberherr-
fd)aft des Kaisers von China stehende Regierung der Dalai lama
hat einen darauf bezüglichen Erlaß veröffentlicht; den Fremden
sollen ferner keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt werden. Es
ist merkwürdig, wie rasch die Engländer, in Hinblick ans den
Wettbewerb im Handel, welchen die Moskowiter in Centralasien
ihnen machen, darüber her sind, die innern Gegenden zu erforschen.
Gleich als der Dang tse kiaug der Schiffahrt eröffnet wurde,
schlössen sich Einige der bekannten Expedition des Admirals Hope
an, um sich durch die chinesischen Binnenprovinzen
einen Weg durch Tibet nach Indien zu bahnen. Ihre
ersten, in Schanghai eingelaufenen Berichte waren vom Anfang des
Maimonates ; die Reisenden befanden sich schon oberhalb der Stadt
Jtschang, welche 364 englische Meilen stromaufwärts von dem
großen Stapelplatz Han ken liegt, und waren voll der besten Hoff-
nung auf das Gelingen ihres allerdings sehr schwierigen Unter-
nehmenS. Späteren chinesischen Nachrichten (vom 15. Juni) zu-
folge waren sie schon in Knei tscheu fit, 1203 englische Meilen
von Schaug Hai, uud bracheu uach Eching hu in der westlichen
Provinz Sze tschnen auf. _____
Sklavenschiffe. Im Mai hat ein Dampfer der Vereinigten
Staaten, die Saratoga, an der westafrikanischen Küste vor der
Mündung des Congo, ein mit 960 Sklaven beladenes Schiff auf-
gebracht.' Es war die Nightingale und aus Liverpool gekommen. In
England eifert mau stets gegen den Sklavenhandel, betheiligt sich
aber daran, weil die „schwarze Waare" einige hundert Proeent
Profit abwirft. Liverpool ist im vorigen Jahrhundert durch den
Sklavenhandel groß geworden; daher das bekannte Sprüchwort:
„Liverpool ist mit Negerschädeln gepflastert worden." Auch iu
Nordamerika werden alle Schiffe, welche auf den Sklavenhandel
fahren, in den sogenannten freien Staaten, besonders in Neu-
Jork und Massachnssets ausgerüstet. Gleichfalls im Mai nahm
der englische Dampfer Torch einen mit Sklaven beladenen Schooner
auf der Höhe vou Debrika.
Welches isl der höchste, vom Menschen bewohnte Punkt
auf der Erde? Bisher hat utau, mit Alexander von Humboldt,
angenommen, es sei die Meierei am Berg Antisana in Ecuador.
Aber ein Franzose, der viel in deu Audes von Peru reiste, Paul
de Cartuoy, erklärt für den am höchsten gelegenen Ort den Pneblo
de Ocornro in der Sierra Nevada ans dem Wege von Arequipa
nach Cusco. Er maß die Höhe, fand sie 17s! > 5 Pariser Fuß über der
Meeresfläche und bemerkt: „Die Erfahrung hat gelehrt, daß die
Lungen der Menschen eine noch weit mehr verdünnte Luft als jene
bei dem Weiler am Antisana einathmen können, und die Indianer-
in dem 2800 Fuß höher liegenden Ocornro liefern dafür den Be-
weis." Wir können hinzufügen, daß im Himalaya nnd im Kara-
kornmgebirge Pässe, deren Höhe nicht minder bedeutend ist, von
Schaf- und Ziegenkarawanen und der tibetanischen Treibern
überschritten werden. Die Gebrüder S/blagintweit begegneten
öfters solchen Karawanen.
Das ^lmurlcmd, über welches wir durch Deutsche nnd Russen
in den letzten Jahren so viele werthvolle Beiträge erhielten, nimmt
fortwährend die Aufmerksamkeit in Anspruch. Neuerdings sind
die Herren von Eichthal uud Meynier iu Sibirien, um an
den Amur zu gehen, denselben bis zur Mündung hinabzufahren
und naturwissenschaftliche, namentlich geologische, Forschungen an-
zustellen. Herr Schmidt befand sich zu Ansauge dieses Jahres
auf der großen Insel Sachalin, welche der Küste des von den Rns-
sen erworbenen Landes, int Süden des Amnr, gegenüberliegt. Er
ist Geolog, die Insel reich an Kohlen. Sein Adjunkt Brylkiu
hielt sich während des Winters im Dorf Endttn Gomo auf, um die
Sprache der Amos zu studiren.
Im Frühlinge dieses Jahres hat Hauptmann Pelly von der
Bombavarmee das Wagestuck ausgeführt, in seiner Uniform, nur
von wenigen Dienern begleitet und angeblich unbewaffnet, von
Teheran, der persischen Hauptstadt, aus über Herat und Kandahar
bis uach Peschawer zu reiten. Das ist allerdings ein keckes Unter-
nehmen gewesen, weck sowohl in Persien wie in Afghanistan die
Wege für einzelne Retsende unsicher sind.
öl. Elienne, die durch ihre Schmiedewaaren und Seiden-
b ander bekannte französische Fabrikstadt im Lvonnais, welche jähr-
lich im Durchschnitte für 80 Millionen Francs lieferte, hat nach
der Zählung von 1861 nur noch 84,000 Einwohner. Vor fünf
Jahren gab matt die Ziffer auf 115,000 an, wahrscheinlich mit
Hinzurechnung der nächsten Umgebung. Seit 1852 hat bekannt-
lich die Volksmenge in Frankreich eher ab- als zugenommen. Nur
jene in Paris wächst in künstlicher Weife an, mehr und mehr zum
Nachtheil des Landes.
feit. — Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghailseu. —
; D evrient in Leipzig.
Ein Ausflug nach Norwegen.
»•«Wfl«- — Krageröe, Christiauia und der Christianiafjord. — Die Umgebungen der Hauptstadt. — Der Kronprinz. —
h -u^idal. — In Christiansaud. — Das norwegische Karriol. — Fahrt durch das Land nach Stavauger.— Der Hardauger-
k' ~ Lachsfaug. — Ullensvang. — Bergen, Fischhandel uud Fischmarkt. — Nordlandsyachten. — Das norwegische Pferd. —
vgnesjord. — Framuäs. — Die Frithjofssaga. - Die Kirche von Vaugsnäs. — Der Feigum-Foß im Dystresjord. —
Gefährliches Reisen. —
Skandinavien ist bei den Reisenden in die Mode ge-
kommen. Was früher für eine weite uud beschwerliche
Reise galt, ist heute nur noch ein kleiner „Ausflug"; von
Hamburg aus macht man „Spritzpartien" bis über jenes
Nordcap hinaus, wo zwei bekannten Reisenden des vorigen
Jahrhundert „die Welt ausging". Sie sagten mit einer
gewissen Selbstgefälligkeit:
Hie tandem stetimus, nobis ubi defuit orbis.
man znr Verzweiflung gebracht, wenn die Schalmei der
Hirten, das Glockengeläut der Heerde übertäubt wird von
einem langweiligen Choral, auf welchen dann sofort ein
Dndler ans „Orpheus iu der Unterwelt" folgt! Mehr als
eiu ruhebedürftiger Mensch ist vor solcher Entweihung des
Berges ltub Waldes durch eine „Badcapelle", zum Molken-
hause und an den Fuß des Blocksberges geflohen; aber ach,
fehl Leiden war anch dort nicht zu Ende, denn überall stieß
Norwegische Bauerntra
Für einen Mann, der sich während der Sommer-
monate gründlich erholen will, ist der größte Theil des civili-
sirten Europa's längst auch gründlich verdorben, bis in die
tiefen Alpenschluchteu hinein. In den Bädern kann man es
ohnehin nicht aushalten; es giebt kaum uoch einen abge-
legenen, ruhigen Fleck, wo mau sich der Waldeinsamkeit
erfreuen dürfte. Selbst im Harze, auf der Harzburg, dem
heiligen Artisberga unserer altsächsischen Vorfahren, wird
Globus I80l. Nr. 3.
n am Hardangersjord.
er auf modische Reifröcke, selbst noch in Schierke und Elend.
„Gebildete" Damen wollen doch einen klassischen Boden
kennen lernen, dessen Goethe im Faust erwähnt! Wie lange
wird jDtc lüneburger Haide noch sicher vor solchen Qualen
sein? Sie hat iu der That manche reizende, wirklich idyl-
tische Flecke mit herrlichen Wäldern, grünen Wiesen, klaren
Bächen und auch frischer, reiner gesunder Luft; es träumt
sich dort so sanft beim Gesumme der emsigen Bienen «eben
s
66
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
duftigem Haidekraut. Wehe, wenn man diese schönen Oasen
in Berlin entdecken sollte, dann wäre auch die lüneburger
Haide verdorben!
Bis auf Weiteres hat man übrigens noch in Skandi-
navien einige Sicherheit vor dem Schwarme jener Groß-
und Kleinstädter, dem man so gern aus dem Wege geht.
Die Reise ist nicht immer bequem, und in den einsamen
Dörfern an den norwegischen Föhrden oder auf den Gletschern
wäre es kaum angebracht, die neueste Kleidermode zur Schau
zu stellen. Wer also Naturgenuß und frische Luft ohne
Patschuli sucht, wer neue Eindrücke in sich aufnehmen und
in einer „andern Welt" einige Monate leben will, macht
einen Ausflug nach Norwegen. —
Am angenehmsten reiset man an der wilden Küste dieses
an Naturschönheiten so reichen Landes, wenn man über
einen kleinen Dampfer verfügt; dann ist man unabhängig,
und kann nach Belieben die Punkte wählen, von welchen ans
man die verschiedenen Gegenden des Gestades oder das
Innere besuchen will. Ich traf in Sommer 1856 in Kopeu-
Hagen eine solche Dampfyacht. Wir fuhren den Sund
hinab, der von Schiffen jeder Größe belebt war, kamen mit
Punsch bewirthet. Die Hauptstadt Norwegens ist auch noch
durch einen wahren Archipelagus kleiner Felseneilande ge-
schützt, die uns bei Sonnenuntergang ihre phantastischen
Gestalten in herrlicher Beleuchtung zeigten. Unser kleiner
Dampfer wurde von einem erfahrenen Lootsen mit großer
Sicherheit gelenkt und wand sich wie eine Schlange durch die
Masse von Inseln; die sich wie Bühnenwände voreinander
schieben und Christiauia vor unserem Blicke verbergen,
bis wir dicht vor der Stadt ankommen.
Plötzlich siud wir im Hafen und erfreuen uns eines
herrlichen Anblickes. Die Stadt erhebt sich vom Meer
amphitheatralisch und wird von den hinter ihr aufsteigenden
Bergen überragt. Ich war erstaunt über diese ruhige,
sanfte Landschaft mit den runden, geschwungenen Linien,
den lebhaften Farben und der ungemeinen Frische. Bei dem
Worte Norwegen denkt man sich wohl rauhe Felsen mit
scharfen Formen, finstere und wilde Gegenden, womöglich
noch Eis und Schnee; aber der Charakter von Christiania's
Umgebungen hat eher etwas Südliches und gemahnt an den
Jura oder die Gebirge in Oberdeutschland. Erst nördlich
vom Sognefjord tritt der Alpencharakter auf. Dieses süd-
Kragerve.
günstigem Winde durch das Kattegat und waren rasch an
den bewaldeten Küsten der Grafschaft Lanrvig. Krageröe,
ein Eilaud am Eingange zum.Christianiasjord, kam auf
der östlichen Seite in Sicht.
Bei Horten stiegen wir an's Land. Dort ist der
nenangelegte Kriegshafen für die norwegische Flotte, und
der Ort macht einen säubern Eindruck. Auf grünen Hügeln
stehen kleine Holzhäuser, gelb, roth oder grün angestrichen,
als ob sie eben aus einer nürnberger Schachtel gekommen
wären; auf dem Werft liegen Corvetten und Kanonenboote,
und das Axtgetön der Zimmerleute kliugt wie Musik.
Nachdem wir an der kleinen Stadt Droback vorüber-
gefahren sind, kommen wir unter die Kanonen von Oscars-
borg; es schützt den Eingang zum Hafen von Christiania.
Das Festungswerk hat einen Thurm mit Zinnen, bildet
einen Halbmond, und seine 63 Kanonen bestreichen das
Fahrwasser, welches eine Breite von nur 1600 Fuß hat.
Die Werke sind von Granit und sehr stark. Man macht
keine Schwierigkeiten, wenn ein Fremder sie näher betrach-
ten will. Wir wurden vom Kommandanten freundlich auf-
genommen, nahmen ein Seebad und wurden mit starkem
liche Element ist auch vou Alexander Ziegler, in dessen
„Reisen im Norden" hervorgehoben worden. Er bestieg,
gleich uns, den etwa 500 Fuß hohen Eggeberg, von welchem
ß>/*vf Sov QvmVfffn htV
Von dort aus erblickt man die Stadt auf der, in den Fjord
sich als Dreieck hinabstreckenden, Landzunge. Zur Rechten
zieht der Bergkreis sauft hernieder in das Thal von Opslo,
dem uralten Königssitz der Normannen; nach Süden hin
liegt der herrliche Golf. Dieser glitzernde, viele Meilen
weit in's Land hineinziehende Wasserspiegel gewährt mit
den zahlreichen Schiffeil im Hafen, den vielen bewaldeten
Inseln, den schroffen Felsbildungen und den dunklen Kiefer-
Wäldern zwar nicht gerade eine neapolitanische Landschaft,
aber doch, bei der reinen Luft und der Intenfivität der
Farben, ein hübsches und eigenthümliches Bild.
Christiania hat einen schlichten, bürgerlichen Charakter,
die Bauart ist ohne Eigentümlichkeit; das königliche Schloß,
im Kasernenstyl aufgeführt, wirkt nur durch seine Masse,
Das Universitätsgebäude ist seiner Bestimmung würdig.
Reizend erscheinen manche Landhäuser in der Umgegend,
und Oscars hall, ein dem jetzigen Könige gehörendes
Globus, Chronik der Reisen
gothisches Schlößchen mit schönen Bildern von Gnde, Dahl
und Tidemand.
vUt ganz Norwegen ist man gastfrei in hohem Grad,
auch in Christiania. Aber dem Fremden fällt es auf, daß
bei diesen wackeren und ehrenwerthen Skandinaviern der
gesellschaftliche Berkehr zwischen beiden Geschlechtern so viel
Abgeschlossenes hat. Indessen die Leute wollen es einmal
so und befinden sich wohl dabei.
. sich sehr günstig, daß der damalige Kronprinz,
letzt ^lonig Karl der Fünfzehnte, in Christiania war, um von
doit aus das Land zn bereisen. Er ist ein großer, kräftig
und Geographische Zeitung. 67
dänischen Anmaßungen nicht befasse» und verlangen eine
Föderation, einen unter dem Könige Karl vereinigten Norden
bis zur Königsau. Sie wissen, daß Skandinavien gar kein
Anrecht auf Schleswig hat, und wollen nicht in ewige Händel
mit dem mächtigen Deutschland verwickelt sein.
Ob der König das begreift, ob er Einsicht und Klug-
heit genug besitzt, sich zum völligen Berständniß der Lage
und des wahren Bedürfnisses zu erheben, wird die Folge
lehren. Gegenwärtig setzen die P an-Skandinavien ans
ihn große Hoffnungen, und er hat auch nichts versäumt, um
als Freund ihrer Ideen aufzutreten.
Karl dcr Fünfzehn
gewachsener Mann, mit hübschem Gesicht, hat ein offenes
Wesen und einen etwas abenteuerlichen Geist, der ihn viel-
leicht weiter führt als für sein Land gut ist. Ein Eingehen
auf napoleonische Pläne, ein Hang zum Französischen, wäre
für den Enkel des weiland Advokaten Bernadette, welchen
das blinde Glück auf einen nordischen Thron hob, eine ver-
fehlte Specnlation; die wahren Interessen Skandinaviens
verlangen ein freundschaftliches Verhältnis; zu Deutschland.
Die aufgeklärten und verständigen Männer im Norden der
Ostsee begreifen das auch vollkommen, wollen sich mit den
c als Kronprinz.
Als er in Christiania war, feierten die skandinavischen
Studenten ein Berbrüderungsfest. Jene aus Kopenhagen
und Upsala wurden festlich empfangen und im Garten der
Universität wurde großer Commers gehalten. Der Krön-
Prinz kam in vollem Galopp herangesprengt und man
nahm ihn mit Jubel auf.
Wir folgte« ihm auf seiner Reise, weil wir so die beste
Gelegenheit fanden, das Volk, welches ihn in Masse festlich
begrüßte, in Feiertagslaune uud Schmuck zu beobachten.
Am 14. Juli fuhr er ab, uud eiue Stunde später ging auch
68 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
unser Dampfer in See. Schon am andern Morgen befan- das Nordische Venedig. Die etwas mehr als viertausend
den wir uns in dem engen Langaarsund, mit seinen Einwohner gaben sich alle Mühe, den hohen Gast würdig
grauen, eintönigen Felseneilanden; doch tritt dann und wann zu bewirthen. Der Vorsitzende des Festmahls war ein
eine grüne Oase aus und dann auch immer eine hölzerne würdiger Greis; er brachte alle Trinksprüche ans und nach
In Christiansand.
Bauernhütte. Auf Krageröe ist ein kleines Fischerdorf, jedem wurde dreimal Hurrah gerufen. Damit war es aber
dessen Bewohner uns mit Hummer und trefflichen Austern noch nicht vorbei, denn stets klatschten alle Anwesenden
versahen. Dann wurde die See wilder und schlug nun zwölfmal taktmäßig in die Hände, stimmten wieder ein drei-
hohe Wellen. Wir fuhren von Osten nach Westen quer maliges Hurrah an, schlugen abermals zwölfmal in die
Das Krankenhaus in Christiansand.
durch das Skagerrack nach Arendal an der Südküste, wo Hände, und so ging das sechsmal fort! Man hat derbe
wir noch vor dem Kronprinzen eintrafen. Es ist eine med- Hände in Norwegen.
liche Stadt; manche Häuser sind auf Pfähle gebaut, und Noch an demselben Abend steuerten wir nach Chri-
matt nennt deshalb diesen bescheidenen Ort etwas unpassend stiansand, der Hauptstadt eines Stiftes (Provinz). Der
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
69
Hafen ist vortrefflich. In ihm lag eine holländische
Dampffregatte, an deren Bord sich der Prinz von Oranien
befand; ihre Bemannung bestand zum größten TI)eil aus
farbigen Unten aus dem indischen Archipelagns. Wir hatten
einen Photographen am Bord, welcher die alte Kirche und
eine neben derselben stehende gewaltige Fichte abnehmen
wollte.. In einem gegenüberliegenden Bürgerhause empfing
uns die Frau recht freundlich; sie trug freilich nur Jacke
und Unterrock, aber eiue Stunde später erschien die Dame
in rauschendem Seidengewande und Spitzenhaube. Sie
wollte cö fich nicht nehmen lassen, uns Chokolade zu reichen,
und der Herr Gemahl stellte sich gleichfalls vor; er rauchte
seinen Hamburger Siegeltabak von Friedrich Justus iu
Hamburg aus einem gewaltigen Meerschaumkopfe.
Hoch oben auf einem steilen Felsen liegt das Lazareth;
es macht einen trüben Eindruck.
eine Art Postillou, hat einen ängstlichen Mann zu fahren,
nimmt das Fahrgeld ein und bringt das Roß zurück. Wer
schnell reisen will, sendet einen Borbotenzettel, und findet
dann auf den Stationen Alles zn raschem Weiterkommen
bereit. Das Pferd läuft, wie schou bemerkt, immer im
Trott; im Winter nimmt man statt des Karriols einen
Schlitten.
Wir fuhren im Gefolge des Kronprinzen in einer aus
vierzehn oder fünfzehn Karriolen bestehenden Karawane.
Auch ritten dreißig bis vierzig Bauern neben und hinter
dem Karriol des Fürsten. Auf engen Stellen des Weges
geriethen sie manchmal in Roth und Bedrängnis; und mehr
als einer stürzte in einen Graben oder glitt am AbHange
hinunter. Aber dadurch wurde die gute Laune nicht im
-Geringsten getrübt.
Das Land war sehr bergig. Im Hintergrunde des
Norwegisches Karriol.
Wir schickten unsere Dampfyacht um die Südspitze
Norwegens, Kap Lindesnäs, herum nach Stavanger, wohin
wir zu Laude gehen wollten. Die eigeuthümliche Art, iu
welcher man hier reisen muß, ist bekannt. Sie ist nicht be-
....... t"L ' ' stiegt auf einem >
einem Pferde
pfeilschnell bergauf und bergab, stets im
.....v, M" >-',v
quem, hat aber einen eigenen Reiz. Man stiegt
offenen zweiräderigen Karriol, das von nur eil
gezogen wird, pfeilschnell bergauf und bergab, |iuv> im
Trabe. Die Gemeinden haben wirkliche Straßen, oder was
man so nennt, in Ordnung zu halten und die Pferde zu
stellen. Das Karriol ist meist einsi^i.-.- wsws >
ist meist einsitzig; das Pferd geht in
einer Gabel von biegsamen Holze, und dieses vertritt die
Stelle der Federn. Vorne wird das Pferd eingespannt,
zwischen den Rädern befindet sich der einer Rußschale
gleichende Sitz der Reisenden, und hinten befestigt man den
kleinen Koffer, auf welchen: der Skydsjnnge sitzt. Er ist
Holmenthales dehnt sich ein Meeresarm bis zur Breite
von einer Stunde aus, und in dieser Gegend wird das Ge-
treibe früher reif als aus irgend einem andern Punkte Nor-
wegens. In Mandat speisten wir vortrefflichen Fisch, und
fuhren noch an demselben Tage durch eine sehr malerische
Gegend bis Lygdal, wo wir über Nacht blieben. Wir
fanden iiu Gasthofe eine bildhübsche blonde Aufwartemagd,
der ein rothes Mieder sehr schön stand.
Am andern Morgen kamen wir durch ein breites aber
nur dürftig angebautes Thal, das vom Lyngdalself durch-
strömt wird. Bei Figde verbreitert er sich und verschwin-
det hinter blauen Bergen. Wir gelangten nun in ein rechtes
Gebirgsland bis an den tiefen Fjord von Fede, der von
kerzengeraden Steilwänden eingeschlossen ist. Mittags waren
wir iu Flekkefjord, wo der Gasthof vou Landleuten aus
—
M
Ein Abkömmling der altnordischen Seetvnige.
Fuße eines prächtigen Wasserfalles vorüber; bald nachher
jedoch wird die Landschaft öde und bleibt so bis in die Nähe
von Stavanger. Es ist als ob man sich mitten in einem
Steimneer befände; die Felsen sind ohne jeden Pflanzen-
wuchs und liegen über eine unabsehbare Strecke zerstreut.
Höchst angenehm überrascht uns endlich beim Umbiegen
Frauen von Rofeudal.
uns an Bord unseres bereit liegenden Dampfers begaben,
der noch in derselben Nacht abfuhr. Ich will hier erwäh-
nen, daß man uns in Stavanger einen ehrsamen friedlichen
Bürger zeigte, der in gerader Linie von den einst so gewal-
tigen normannischen Seekönigen abstammt.
Schon am andern Morgen befanden wir uns in dem
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
der Umgegend dermaßen überfüllt war, daß wir dort kein
Unterkommen fanden. 3lber ein gastfreundlicher Bürger
nahm uns gern ans. Der Kronprinz mußte tafeln und die
Frauen und Töchter der angesehensten Leute hatten die Be-
dienung bei Tisch übernommen. Sie nahmen sich in ihren
hübschen Küchenschürzen allerliebst aus; junge Leute, zumeist
Gymnasiasten, besorgten das Wechseln der Teller. Nach
der Tafel wurde ein Umzug
durch die Stadt gehalten; ein
schlanker Adjutant hatte einen
wohlgenährten Pastor, ein an-
derer eiue sehr hübsche Dame
am Arme. Diese war aus
Bergen und nach Flekkefjord
geschickt worden, um ihre
leidenschaftliche Liebhaberei
für die Bühne zu vergessen.
Aber die Musik, die Fahnen
und das lebendige Treiben in
den Straßen einer gewöhn-
lich so ruhigen Stadt schienen
die alte Neigung wieder wach
gerufen zu haben; das hübsche
Mädchen warf flammende
Blicke umher und jubelte
hellauf.
Von Flekkefjord kamen Stadtwehr
wir nach E k erfn n d am Lnn-
desvand-See vorüber, wo das Gebirg an die Alpen ge-
mahnt; der Wald ist hübsch und dann und wann vernimmt
man das Rauschen eines Wasserfalles. In der Nähe von
Eide und manchen anderen Stellen führt der Weg hart am
hinter einem Bergvorsprunge das ruhige blaue Meer und
wir athmen freier auf, da wir nun am sandigen Gestade
entlang fahren. Aber auch in der Nähe von Stavanger-
sieht man noch keine Wälder, nicht einmal Bäume.
In dieser Stadt des Fischhandels, welche etwa zehn-
tausend Einwohner zählt, hielt die Bürgergarde einen großen
Umzug. Ein gewiß sehr respeetabler aber auch ungewöhnlich
beleibter Bankier marschirte
als Trommelschläger voran.
Kriegerisch sahen die biederen
Männer nicht gerade aus,
ich zweifle aber keineswegs,
daß sie bei der Landesver-
theidignng ihre Schuldigkeit
eben so gut thun würden,
wie ein Handwerkssoldat. —
Stavanger hat viel mit dem
Häringssange zu schaffen
und die- Häuser der Kanf-
lente sind zweckmäßig für das
Geschäft gebaut; die eine
Seite, am Wasser, gehört der
Fischen, die andere, nach den
Straße, den Menschen. Der
alte Dom hat schöne Glas-
fenster in der Einsatzrose;
in Stavanger. Kanzel und Bänke von Eichen-
holz sind sehr hübsch geschnitzt,
leider aber mit weißer Oelfarbe angestrichen. Die engen
und krummen Straßen waren am Abend glänzend belench-
tet, das Volk rief Hurrah, und fang; die Militärmusik
spielte. Wir vernahmen noch die Klänge derselben, als wir
Globus, Chronik der Reisen nnd Geographische Zeitung.
mit Recht weit und breit berühmten Hardangerfjord.
Die Landschaften sind in der That wunderschön, aber leider
trat Regenwetter ein und wir sahen damals von den Folge-
Fonden, diesen gewaltigen Gletschern, welche 5300 Fuß
über der Meeresfläche liegen, nur die runden mit Schnee
bedeckten Gipfel. Später sind sie uns jedoch in ihrer ganzen
Hracht entgegengetreten. Dann warfen wir einen Blick
n- r r.onie ^osendal. Am Strande bemerkten wir
viele -Bäuerinnen, die alle gleichmäßig gekleidet waren. Sie
trugen eine hohe Mütze mit schmalem Rande, ein rothes
'Halstuch um Weißen Stehkragen geschlungen, Jacke und 3tock
von schwarzer Farbe und ein rothes Mieder. Sie standen
da wie ein Bataillon in Reihe und Glied.
rosendaler Schloßgarten fanden wir Beweise für
die Acilde des Klimas, welcher sich der Hardaugersjord
erfreut, denn Walnüsse nnd Aprikosen werden unter freiem
Himmel reif, nnd doch liegt diese Gegend unter dem sechs-
zlgsten Grade nördlicher Breite. Das Wetter hatte sich
aufgeklärt und wir konnten uns an der Pracht dieser Herr-
lichen Landschaft erfreuen, welche immer neue Reize eut-
wickelte. Nach jedem Felsenvorsprung, den wir umschifften,
zeigte sich ein überraschender Wechsel, und ost glaubten wir aus
einem Schweizersee zn fahren. Ganz prachtvoll nahm sich
die Menge der über hohe Steilwände herunterstürzenden
Wasserfälle aus; an den Hügeln standen auf grünen Matten
schmucke Holzgebäude in malerischer Lage, nnd das Ganze
machte den Eindruck friedlicher Behäbigkeit. Ohnehin hatten
wir gerade Sonntag. Aus deu blauen Wogen schwammen
Kähne, in denen die Bauern zur Kirche gefahren waren,
und so gewann die Landschaft auch Leben. Um Mittag
landeten wir bei Utue, einem Weiler auf grüner Berghalde
am Söerfjordeu. Dort war man eben mit dem Auswaschen
der Netze zum Lachsfange beschäftigt. Der Fischer wählt
zur geeigneten Zeit eine kleine Bucht mit engem Eingang
aus welchen er vermittelst der Netze abschließen kann. Er
steht auf einem Felsenvorsprunge, gegenüber befindet sich
Zu Ullersvang, am Bord des Bidar.
72 Globus, Chronik der Rei
ein Genosse, und beide warten dann bis ein Zug Fische in>die
Bucht hineingeschwommen ist. Im passenden Augenblicke
ziehen sie das durch Schwergewichte am Grunde haftende
Netz empor und schneiden dein Lachs den Rückzug iu's freie
Wasser ab. Darauf geht es an's Harpuniren.
Bei der Kirche von Ullensvang, wo der Pastor den
Kronprinzen bewirthete, waren drei- bis viertausend Menschen
zusammengeströmt; wir fanden also treffliche Gelegenheit, uns
das Landvolk jener Gegend und die Trachten mit Muße zu
besehen. Wir zeichneten und photographirteu und die Leute
n und Geographische Zeitung.
der schottischen Puritaner, sondern waren heiter und lustig
am Tage des Herrn. Auf dem Rasen vor dein Pfarrhause
geigten die Spielleute tüchtig darauf los, die muntere
Jugend tanzte aus Leibeskräften und dann und wann trat
auch ein städtisch gekleidetes Mädchen mit in die Reihen
und ließ sich im Wirbel drehen. Ja, sogar die Töchter ver-
schiedener Pastoren nahmen au dieser, nach beschränkten eng-
lischen Begriffen, gotteslästerlichen Sabbathschänduug Theil,
uud sahen gar nicht aus, als ob sie darüber Gewissensbisse
verspürten oder einst in der Hölle zu braten befürchteten!
Fischmarkt
waren dabei nicht im Mindesten schüchtern, vielmehr dräng-
ten sich die hübschesten Mädchen herbei, um ihr Couterfei
nehmen zu lassen. Bejahrte Männer trugen scharlachrothe
Röcke und nahmen sich darin ans wie Leute aus den Tageu
des tapfern Ritters Eugenins oder Karls des Zwölften.
Zum Entsetzen der in unserer Gesellschaft reisenden Eng-
länder hielten diese norwegischen Bauern, schlichte Menschen
mit gesundem Verstaube, den „Sabbath" nicht iit der lang-
weiligen, abgeschmackten Art der britischen Hochkirche oder
in Bergen.
Der Prinz, welchen das ganze Leben und Treiben und
der herzliche Empfang in sehr heitere Stimmung versetzt
hatte, wollte der Lustbarkeit die Krone aufsetzen. Am
Strande lag sein Dampfer Vi dar. Der Name ist passend
für ein Norwegerschiff, denn die alte Mythologie sagt:
Das ist Vidar, der auf Wogen geht,
Odin's Sohn, in ernster Majestät.
Er lud die Pastoren nebst Frauen und Töchter und
einer Anzahl anderer Gäste, darunter die einflußreichsten
Globus für I8Ll. Nr. 3.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung. 73
Bauern und deren Töchter und Frauen, zu einer Abendlust-
barkeit auf dem Vidar ein. 3coch nie war ein Dampfer
mit einem Königssohne nach Ullensvang gekommen; viele
Leute aus den entfernteren Gegenden hatten solch ein Ranch-
schiff überhaupt noch nicht gesehen; deshalb war die Freude
doppelt groß. Rasch nahmen Frauen und Mädchen Tücher
und Mäutel und eilten an Nord. Die Musik begann zu
spielen, die Schaufelräder peitschten in die Wogen hinein
und der Vidar rauschte weit in den Fjord, 311 freudigem
Erstaunen der am Ufer stehenden Menge. Der Abend ward
etwas frisch; um so lieber tranken die Männer Punsch und
die Mädchen tanzten mit löblichem Eifer. Das ganze
Schauspiel war in der That eigentümlich und interessant.
Die Musik hallte an den Felsen wieder und mischte sich mit
dem Geräusch und dein Gemurmel der Kaskaden; dazu kam
das Lachen und Jubeln und Händeklatschen. Der Prinz
hatte uoch aus Christiania, Arendal und Christiansand
eine ganze Ladung Blumensträuße an Bord und verschenkte
sie nun an die Schönen von Ullensvang, welche auch ihrer-
seits ihn mit Kindern der Flora reichlich bedacht hatten.
Drei Stunden lang dauerte diese Lustfahrt auf dem Vidar;
dann kam Nacht herauf und wir wurden durch ein Feuer-
werk überrascht. Ein solches hatten die guten norwegischen
Bauern zuvor nicht gesehen; nun hörten sie Kanonenschläge,
sahen Raketen aussteigen, Töpfe voll Mäuse wild und wirr
durcheinander sausen und bengalisches Feuer leuchten. Das
gab einen prächtigen Abschluß mit Knallwirkung für deil
schönen Tag, von welchem man im Kirchspiel Ullensvang
gewiß noch unter Kindern und Kindeskindern sprechen wird.
Als die rofensingerige Morgenröthe emporstieg, ging
unser Dampfer in See nach Bergen, wo wir am Abend,
etwa eine Stunde vor Mitternacht, ankamen, und am
Tydske Bodurne landeten. Schon Theodor Mügge hat
mit Recht darauf hingewiesen, daß unter allen norwegischen
Städten keine einen so deutsche» Charakter trage als Bergen.
Es hat Giebelhäuser mit Erkern, reinliche, schmale und be-
lebte Straßen, und mit Bäumen bepflanzte Plätze. Die
Mehrzahl der etwa 25 bis 30,000 Einwohner versteht das
Deutsche. Der Platz ist in Bezug auf den Handel von
unserem großen Weltstapelplatze an der Unterelbe abhängig
und wird auch oft als Kleiu-Hamburg bezeichnet. Zu
Bergen war in den großen Tagen der Hansa eine Kolonie
jener meerbeherrschenden stolzen Kaufleute Deutschlands,
welche einst Königen Gesetze vorschrieben und Könige
demüthigten. Die Stadt liegt mitten zwischen sieben hohen
Fjelleu; nackte Gebirgsmassen steigen wohl zweitausend Fuß
hoch empor und fallen in den Waagfjord ab, der feine
Arme zwischen felsige Landzungen in die Stadt schiebt
Norwegische GcbirgSpfadc.
74
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
und den sichern Hafen bildet. Aber rund umherliegt ein grünes
Thal mit Wiesen und Gärten und schönen Landhäusern,
und von den Absätzen des Gebirges ist die Aussicht über
Stadt und Meeresarm von großer Schönheit.
Bergen ist ein Hauptort.für den nordischen Stocksisch-
Handel, und au der „deutschen Brücke" spielt die Stockfisch-
flotte eine bedeutende Nolle. Schwarzbärtige Spanier holen
den „Segen" ab, welcher jenseits des Polarkreises aus deu
Meeresflutheu geerntet wird; ebenso Italiener und Portn-
giesen und Franzosen. Der nordische Seefahrer bringt
seine Ausbeute am liebsten nach Bergen und empfängt fi'ir
seine Fische solche Waaren, welche er in seiner kalten Heimath
uöthig hat. Alles geräth in Bewegung, wenn die Nord-
landsslotte kommt, und gerade im Juli ankern Hunderte selt-
sam und altmodig gebaneter Schisse an der deutschen Brücke,
den Häusern der Kaufleute gegenüber, und werden als alte,
vielgetreue Freunde mit Jubel empfangen. Dann beginnt
ein lebhafter Verkehr und man stellt die Preise sest für
Rnndsisch und gerissenen Fisch, die alle nach dem Vaag, das
heißt 48 Pfund, gewogen werden. Eine Nordlandsyacht
ist plump wie die „Seerosse" der alten Wikinger; sie sieht
schwarz und nordisch aus,
hat einen hohen SOtaft in der
Mitte, der ein ungeheures vier-
eckiges Segel trägt; sie eignet
sich gut für die Fahrt durch
die zahllosen Labyrinthe der
Sunde und Fjorden, und ist
mit nur sechs bis acht See-
leuteu bemannt. Der Vor-
dersteven ragt beinahe bis zum
halben Mast empor. Die Hau-
seu trockener Fische werden
zu Hügeln aufgethürmt und
die einst so raschen Kinder der
Fluth liegen am Ufer hart
und verkrümmt wie Baumäste.
Stockfische und Häringe bilden
die Grundlagen des norwegi-
schen Ausfuhrhandels neben
dem Holze, welches man ans
den großen Wäldern schlägt.
Ein lebendiges Bild ge-
währt der örtliche Fischmarkt.
Der Schiffer bringt feine
Waare, bleibt am Bord und be-
festigt sein Fahrzeug au deu ziemlich hohen Usergestaven. Oben
finden sich in Menge Frauen und Köchinnen ein, welche
kaufen wollen. Da giebt es immer ein lautes Hin- und
Herrufen und Schreien, und man glaubt sich einen Augen-
blick nach dem Qnai Santa Lucia in Neapel versetzt.
Ich will die Festlichkeiten zu Ehren des Kronprinzen
nicht näher beschreiben, wohl aber bemerken, daß es an
jenem Tage wie in Strömen vom Himmel herabgoß. Man
sagt scherzweise, Bergen habe im Jahre nur dreihundert und
fünfundfechszig Regentage; gewiß ist, daß man durchschnitt-
lich deren zweihundert rechnen muß und der Guß oft wocheu-
lang anhält. Ein Holländer war sieben Jahre lang hinter-
einander nach Bergen gefahren, hatte nie einen trockenen
Tag gehabt und glaubte in einen falschen Hafen eingelaufen
zu sein, als er im achten Jahre an einem heitern, sonnen-
hellen Tage einlies. Die Einwohner sagen, daß so viel
feuchter Niederschlag für den Pflanzenwuchs, der nur eine
dünne Lage Dammerde hat, nöthig sei, damit er nicht verdorre.
Der Hafen gefriert nicht, Dank den Einwirkungen des
bekannten Golfstroms, der aus dem Antillenmeere durch deu
Ein Weg im Gebirge.
mexieauischeu Meerbusen und den atlantischen Ocean wär-
meres Wasser und mildere Luft bis in diese Gegenden bringt.
So bleibt die Verbindung nach der See hin offen, aber die
Landwege find int Winter um so beschwerlicher und manche
wären gar nicht zn passiren, wenn nicht das norwegische
Pferd ein in seiner Art vortreffliches Thier wäre. Auch
Alexander Ziegler, der es genugsam erprobt, läßt ihm
die gebührende Gerechtigkeit angedeihen. Das von achtem
Landesschlage wird durch einen über die ganze Körperlänge
von den Ohren bis zum Schweif sich hinziehenden dunkeln
Streifen gekennzeichnet. Es ist gewöhnlich hell, meist weiß-
grau, gelblich weiß oder snchsroth, mittelgroß, von kräs-
tigern gedrungenem Bau mit kurzem Hals und breiter
Brust. Seine Eigenschaften bestehen in Folgsamkeit, Treue,
Kraft, Ausdauer und Klugheit; zu Gebirgsreifeu eignet es
sich trefflich. Die „Bauernpost" legt ohne besondern Kraft-
aufwand eines solchen Pferdes täglich 16 Meilen zurück und
die Zuverlässigkeit des raschen, nie störrigcn oder bösartigen
Thieres — denn Beißer und Schmeißer oder Knrzathmige
kommen kaum vor — macht die Reisen durch das Gefühl
der Sicherheit, welches man hat, angenehm. Das Thier
läßt sich von jedem Kinde len-
ken; es ist eben so gewandt
als kühn, trabt über schmale
Brücken und geht ans Leitern
hinab, die mau an manchen
Orten bei steilen Absällen an-
gebracht hat.
Am 25. Juli steuerten
wir in den Sognesjord,
einen gewaltigen Busen, der
etwa fünfzig Stunden weit in's
Innere der skandinavischen
Halbinsel dringt. Seine Land-
schasten sind nicht so anmnthig
wie jene des Hardangersjord,
aber eben so malerisch. Sie
erscheinen rauher und strenger,
weit weniger bewaldet, auch
ist der Anbau viel spärlicher
und der Wohlstand geringer.
Der Eindruck ist oft geradezu
melancholisch. Aber bei jeder
Biegung, welche der langhin-
gestreckte und vielfach gewun-
deue Busen macht, gewinnt
man neue überraschende Aussichten. Die Fohrde selbst ist
eng, die mächtigen Steilwände der Berge spiegeln sich im
Meer und über alle ragt der Jostedalsbreen mit seinem
ewigen Schnee empor. Hier, im Sognesjord, ist poetisch
geweiheter Boden, die Heimath Frithjoss und der Jngeborg;
hier liegt Fr am n äs, das aus der Frithjosssage be-
rühmt ist.
Noch nie war auf der Flur des Norden
Ein schön'res Paar gesehen worden.
In seinem Schiff Elida ruderte er mit ihr froh iu's
blaue Meer hinein und
Wie herzlich bei des Segels Wenden
Klatscht sie ihm zu mit weißen Händen.
^ Da war kein Vogelnest zn hoch,
Für sie wnßt er's zu holen doch;
Der Adler selbst, in Wolkenhohen,
Mußt oft der Brut beraubt sich sehen.
Da war fein Bergbach reißend g'nug
Darüber er nicht Jngborg trug.
Das war so schön, wo Strudel sprangen,
Und weiße Aermchen ihn umschlangen.
Globus, Chronik der Reisen
Am Sognefjord zog Frithjof auch zur Jagd aus; der
starke Knabe bezwang ohne Speer oder Schwert den gcwal-
tigeu Bären, denn er war ein ächter Nordlandsrecke.
Brust gegen Brust ward da gekriegt,
Bis der zerkratzte Jäger siegt,
lind heimschleppt seine rauhe Beute.
Was Wunder, daß die Maid sich freute!
Denn Mannesmnth das Weib verehrt,
Der Starke ist des Schönen Werth.
Berühmt geworden ist die Kirche von Vangsnäs,
eilt kleines wurmstichiges Holzgebäude mit vielem Schnitz-
werk, ohne Orgel; aber der Quinde Foß (Foß heißt Wasser-
fall) macht eine erhabene und gewaltige Musik. Unsere
Abbildung zeigt das eigenthümliche Gebäude und daneben
und Geographische Zeitung. 75
Drapa ist ein Gedicht, welches der Skalde zu Ehren
eines abgeschiedenen Helden sang. Bei Framnäs, wo Frithjof
seines Baters Erbe antrat
Waren zn Ruhe gesetzt nun Bele und Thorsten der alte.
Wie sie es selber gewollt; ans jeglicher ^eite der Meerbucht
Wölbten die Gräber ihr Rund, zwei Brüste, welche der Tod schied.
Diese Kirche von Vangsnäs ist übrigens nicht zu ver-
wechseln mit der alten Hauptkirche von Bang, am Banger-
See bei Mjöse in Balders, welche dort etwa siebenthalb-
hundert Jahr gestanden haben mag nnd dann ein eigen-
thümliches Schicksal erlitt. Sie ist ein merkwürdiges Holz-
gebäude, Säulen, Thüreinfassung und Dach waren mit
Schnitzwerk reich verziert. Der Landschaftsmaler Dahl in
Dresden machte den romantischen König Friedrich Wilhelm
Im Fjord i
die alten Grabhügel, in welchen Gebeine skandinavischer
Helden der Borzeit ruhen.
Auch auf diese Grabhügel spielt Tegnvr, der Dichter
der Frithjofssage, an. Als König Bele spürte, daß „seine
Tage hingingen", gab er seinen Söhnen weisen Rath, und
dasselbe that auch Thorsten Wikiugsson „der Boude Werth",
der zu Bele sprach:
Nicht, König, sollst du einsam zn Odin zieh'u.
Wir theilten, Äönig Bele, stets i'cib und Freuden,
So soll nus auch zum Ende der Tod nickt scheide». —
— Ihr aber, meine Söhne, grabt uns'rer Treu
Eins rechts, ein? links vom Fjorde, der Gräber zwei.
Dem Wogensang ist lieblich im Schlaf zu lauschen
Und wie ein Drapa klingt uns das Meeresrauschen.
FramnäS.
von Preußen auf dieses merkwürdige Bauwerk aufmerksam.
Dieser kaufte 181t die Kirche, ließ sie in Stücken nach Bergen
bringen nnd über Hamburg nach Brückenberg in Schlesien
schaffen. Dort hat man im Nieseugebirge ans dein alten
norwegischen Holz eine neue Kirche gebaut. Das Schnitz-
werk am Haupteingang, die Kanzel, die verschiedenen
schuppenartigen Verzierungen sind Bestandtheile des alten
norwegischen Gotteshauses. So wurde ein Denkmal, welches
man in Skandinavien unbeachtet ließ, wenigstens theilweise
vor dem Untergänge bewahrt; seitdem achtet man aber in
Norwegen besser auf solche Werke der Vorzeit.
Die Anwohner des Sognefjord unterhalten nur ge-
ringen Verkehr mit der Außenwelt und haben ihre alten ein-
10*
7G Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
fachen Sitten treu bewahrt. Wir sahen das auch in dem
armen Fischerdorfe Nornäs, das in einer Bucht wie ver-
loren liegt. Auf dem Hügel über diesem Weiler erheben sich
drei gewaltige „Druidensteine" (wie die Touristen sich sehr
uneigentlich ausdrücken), eigenthümliche Massen, von welchen
die eine etliche dreißig Fuß hoch, aber nur etwa drei Fuß breit
ist. Bei heftigem Sturme wird dieser Bautasteiu hin und
her bewegt wie eine Fichte, und man fragt sich, wie es mög-
lich gewesen sei, demselben seinen Schwerpunkt int Boden
zu gebeu. Wir sahen ihn
um neun Uhr Abends bei
Mondenschein, der sein weiß-
liches Licht über diese geheim-
nißvollen Denkmäler ausgoß.
Die Fischer betrachteten
nnsern kleinen Dampfer mit
nicht geringem Erstaunen; er
war doch ein Riese ihrem
kleinen Schiffe gegenüber und
spie Dampf aus. Wir gaben
ihnen Schiffsbrot und Cigar-
ren; sie kannten das erftere,
aber die letzteren offenbar
nicht, weil sie uus fragten:
„Schmeckt das auch gut?"
Ueberhaupt wurden wir
durch die Unwissenheit dieser
Leute überrascht; manche im
übrigen Europa ganz ge-
wohnliche Sachen hatten sie Äird)C öon
zuvor ute gescheit. Auch
nahmen sie sich mit ihrer sehr dürftigen Kleiduug und dem
struppigen langen Haar etwas wild aus, aber ihre Erfchei-
uuug stand doch gewissermaßen int Einklänge niit der wilden
Landschaft.
Wir fuhren beiNacht weiter und erreichten am andern
Morgen Kaupanger im Dystrefjord, dessen Ufer be-
waldet fiud. Dort sieht man wieder Gehöfte, die auf wohl-
habende Besitzer deuten und die Menschen sind ganz anders
als in dein armen Nornäs. Sie waren höflich und ge-
sprächig, und empfingen uns mit Willkommen und Gott
fegue Euch. Dabei drücken sie Einem die Hand und küssen
zugleich die Außenseite ihrer eigenen Hand. Das Bier von
Kanpanger schmeckt recht gnt, ist aber so stark, daß man es
nur aus kleinen Stutzgläsern trinkt. Weiter landeinwärts
kamen wir in demselben Dystrefjord am Fuße deö Feigum-
Foß vorüber, dessen Wassersäule von jedem Winde hin und
her bewegt wird; der nasse Staub derselben siel in Wolken
auf unser Deck. Der schöne Wasserfall theilt sich in zwei
Kaskaden, die etwa achthuu-
dert Fuß tief herabstürzen;
aber im Frühjahr, wenn
der Schnee schmilzt, bilden
sie nur eine gewaltige Masse,
die tosend in's Meer herab-
stürzt.
Ganz im Hintergründe
des Dystrefjord stiegen wir
aus ttud rüsteten uns zur
Reife über die Gletscher.
Aber nur mit großer Mühe
konnten wir in Eide Pferde
bekommen, weil Reifende vor
uns die besten für sich er-
halten hatten. Aber wir
schlugen ttns munter hinein
in die eisigen Einöden des
Soguefjeldes, verach-
teten die zuweilen nicht ge-
Zangsnäs. ringen Gefahren des Weges
itnd fanden uns reichlich be-
lohnt. In der Ferne stiegen die gewaltigen Spitzen des
Skjodlcn empor, wir aber gingen in das wilde Thal
von Förthnn. Der Pfad läuft auf weiten Strecken über
einen steilen Berggrad an fürchterlichen Abgründen hin, wo
ein Fehltritt des Pferdes unrettbaren Untergang zur Folge
hätte, oder er geht attf kahlen, schlüpferigen Felsen bergab
und durch reißende Gießbäche; aber das Alles hat nichts
zu bedeuten, weil das treue ttttd kräftige norwegische Pferd
uns wohlbehalten an's Ziel bringt.
Neu-Caledonien
Die Besitznahme durch die Franzosen- — Die Missionäre und die A
Niederlassungen- — Gesundheitsverhältnissl
Die Franzosen wollen wieder eine Kolonialmacht wer-
den. Ihre Politik strebt dahin, immer mehr wichtige Punkte
an oder in der See zu erwerben, und sich für frühere Ver-
lttste zu entschädigen. Sie besitzen Algerien und bemühen
sich, einen Theil des Handels aus dem Sudan dorthin zu
lenken; in Senegambien sind sie bis über Bambuk hinaus-
gekommen und haben die maurischen Völker in der südwest-
liehen Sahara auf's Haupt geschlagen. Sie haben Einfluß
an der Küste von Abessinim gewonnen, wo sie einen Thron-
Prätendenten gegen den äthiopischen Kaiser Theodoros unter-
stützen. Der Kriegszug gegeu China bot eine günstige Ge-
legenheit, eine Abrechnung mit dem Kaiser von Annaitt zu
halten; sie nahmen ihm das südliche Kambodscha, haben sich
in Sai'gong festgesetzt, und damit eine sichere Stellung am
chinesischen Südmeere gewonnen. Im stillen Oeean besetzten
sie erst die Gesellschaftsinseln, deren Königin Pomare ihr
Vasall wurde; dann nahmen sie die Markesas und zuletzt
ül Großen Dcean.
Iben. — Häuptlinge. — Die Erzeugnisse der Insel. - Hasen und
— Anthropophagie und deren Ursachen- —
erklärten sie Neu-Caledonien für eine französische Be-
sitznng.
Dieses Neu-Caledonien ist offenbar dazu bestimmt,
einen Mittelpunkt für ihre Niederlassungen im großen Welt-
meere zu bilden, und man muß zugestehen, daß sie eine gute
Wahl getroffen haben. Die Insel, welche wir näher fchil-
dern wollen, liegt zwischen dem 20. Grade südlicher Breite
und dem Wendekreise des Steinbocks, der Ostküste Anstra-
liens gegenüber, mitten in einer großen oeeanifchen Fahr-
bahn, und von ihr aus kann das Korallenmeer unter Aufsicht
gehalten werden. Die Besitznahme war daher den Australiern
in hohem Grade unangenehm; sie machten bei der englischen
Regierung geltend, daß die Insel von Cook entdeckt worden
sei und deßhalb Großbritannien Anspruch auf sie erheben
könne. Aber diese Vorstellungen blieben unbeachtet, und am
24. September 1853 nahm der Befehlshaber der franzö-
sifchen Flotte im großen Oeean, Fevrier des Pointes, Neu-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
7 i
Caledonien und die vor der Südostküste desselben liegende
Fichteninsel (Islc des Pins, Tinos) in Besitz.
Zu dieser Eroberung oder Aneignung haben die Mis-
sionäre den Weg gebahnt, und wir wollen den Verlauf erzählen.
Im Anfange deö Jahres 1853 fuhr die Kriegskorvette
Constantine, unter Tardy de Montravels Befehl, aus dein
Wlfi'IT ftlYH SV? r\rftpf rvvf .f.~v <TNr»vf
Besitz nehmen solltet Im Januar 1854 langte er hier an,
und sah zu seinem nicht geringen Erstannen, daß bereits die
französische Flagge wehte. Fevrier des Pointes, der eine
Besetzung von Seiten Englands befürchtete, wollte dem letz-
tern zuvorkommen nnd war auf eigene Verantwortung von
Tahiti angelangt. Es erleidet keinen Zweifel, daß die schon
seit etwa zehn Jahren auf der Insel wirksamen Missionäre
ihm Eröffnungen gemacht hatten, und sie vermittelten auch
den Verkehr zwischen dem genannten Gegenadmiral und
einem der einflußreichen Häuptlinge. Dann hatte er ein
kleines Fort gebaut, dasselbe mit Besatzung versehen nnd
war bald wieder abgesegelt.
habhaft werden konnte, niederschoß. Aber bald nachher
scheiterte die Alemene auf einem Felsenriffe.
Als Tardy de Montravel ankam, hatte eben wieder ein
Schiffbruch stattgefunden. Ein Dreimaster, „das südliche
Krenz" aus Bordeaux, der von Melbourne in Australien
nach den Molukken fuhr, wollte auf Neu-Caledonien anlegen,
wurde durch ungenaue Seekarten irre geleitet und scheiterte
an der Südwestspitze auf einem Korallenriffe. Der Kapitän
warf sich mit seiner Frau und zwölf Mann Schiffsvolk in
zwei kleine Boote und fuhr der Küste entlang in sieben
Tagen nach dem Hafen Baladea; dabei war er fortwährend
von den Wilden bedroht. Tardy de Montravel nahm die
Schiffbrüchigen an Bord der Constantine.
Für diesen Offizier handelte es sich darum, die Mis-
sionäre wieder nach Ealedonien zu bringen, feste Burgen
und Kasernen zu bauen, und den Eingeborenen das franzö-
fische „Protektorat" (man weiß was das Wort bedeutet) au-
nehmbar zu machen. An: Hafen Baladea, wo die Mifsio-
näre unter deu Stämmen Puma nnd Pompo Freunde
hatten, ergaben sich keine Schwierigkeiten. Der Häuptling
Buhoue, dem man einige Geschenke gab, ließ sich dafür
Eine Ansiedelung aus Neu Caledonien.
Die ersten Missionäre waren 1843 nach Neu-Ealedo-
nien gekommen und hatten sich am Hafen Baladea auf der
Westküste allgesiedelt. Schiffbrüchige fanden bei ihnen gün-
stige Aufnahme, aber 1850 geriethen sie in Zwist mit den
Eingeborenen und waren in großer Bedräugniß, als ein
glücklicher Zufall das Schiff Brillante nach Baladea führte.
Der Kapitän lieferte den Eingeboreuen ein Treffen, befreite
die Missionäre luld brachte sie auf die Fichteninsel, von wel-
cher ans sie neue Verbindungen mit deu Neu-Ealedouieru
anknüpften und die französische Besitznahme wirksam vor-
bereiteten. Für diese war allerlei Anlaß oder Vorwand
gegeben. >un Jahre 1851 stellte ein französisches Kriegs-
schiff, die^Alcinene, im Korallenmeer Untersuchungen au,
und zwei £ ffiziere mit fünfzehn Mann waren in einer Scha-
luppe ausgefaudt worden, um einen Theil der Küste anszn-
nehmen. Als sie auf einer kleinen Insel in einer Bncht
friedlich um ein Feuer lagen, wurden sie von den Einge-
borenen überfallen, abgeschlachtet und aufgefressen. Der
Kapitän der Alemene übte Vergeltung, indem er die Hütten
der Wilden niederbrannte und alle Schwarzen, deren er
Wasser über den Kopf sprengen, galt damit sür getauft und
hieß fortan Philipp. Als er abermals Geschenke bekam,
trat er eine Strecke Landes ab und verzichtete ans das
Hanptvorrecht seiner königlichen Würde. Es bestand darin,
daß er die Rechtspflege in althergebrachter Weise ansübte.
Wie verhielt es sich damit? Der König schlug den Misse-
thäteru den Schädel mit einer Kellte entzwei. Dieses schönen
Privilegiums entäußerte sich der getaufte Bnhone-Philipp;
sodann willigte er ein, bei Bestrafung von Verbrechern die
Franzosen ein Wort mitreden zn lassen. Der Kommandant
richtete auch eine ans Eingeborenen zusammengesetzte Polizei-
Mannschaft ein, welche eine dreifarbige Binde um den Arm
tragen, und denen der Sold in Taback ausgezahlt wird.
Diese Leute erweisen sich sehr brauchbar, und sind stolz ans
ihr hohes Amt und ihr Abzeichen. Sie machen sich so
wichtig wie die weißen Polizeidiener in Europa. Philipp,
bisher eiu leidenschaftlicher Menschenfresser, mußte aus-
drücklich versprechen, seines Gleichen fortan nicht mehr zu
verspeisen, nnd erhielt einen prächtigen kuallrothen Rock, in
welchem er gern einherstolzirte.
78 Globus, Chronik der Reisen
Auf solche Weise beginnt mau bei deu Wilden mit dem
Anbahnen der „Eivilifation", von welcher sie dann nach und
uach aufgefressen werden. Mit der „Eivilifation" kommen
nämlich Branntwein, Blattern, noch andere Krankheiten, es
kommen neue Bedürfnisse und Angewöhnungen, und die
Folge ist, daß nach ein Paar Menschenaltern die wilden
Stämme bis auf eiuige schwache Ueberbleibfel verschwinden.
Sie gehen an der „Eivilifation", zn deren Ausnahme und
Bewältigung ihnen die Naturbegabung fehlt, rettuugslos
zn Grunde.
Von Baladea fuhr Moutravel nach Süden hin bis
Pnebo, das im Gebiete des Stammes Monelibe liegt, in
einer anmuthigen, fruchtbaren Gegend. Dort hatten die
Missionäre dasselbe Schicksal erlitten wie in Baladea, waren
aber von den Wilden selber zurückgeholt worden. Der eine
Häuptling hatte sich taufen lassen, wohl aus Eifersucht gegeu
einen andern, Namens Tarebate, der vom Christenthum
nichts wissen wollte, weil die Missionäre ihm zumntheten,
von seinen vier Frauen drei abzuschaffen und nur eine zu
behalten. Jener getaufte Häuptling, Hippolyt, war ein
brauchbares Werkzeug in den Händen der Missionäre, auf
deren Antrieb er um eine französische Niederlassung bat.
Wie hätte man ihm die Erfüllung eines solchen Wunsches
versagen können? Ein solcher Mann verdiente von Seiten
der „großen Nation" eine Anerkennung. Der Kommandant
ließ also zwei große Schaluppen ausrüsten, nahm seinen
Generalstab und ein paar Haubitzen au Bord, und landete
in der Nähe des großen Dorfes. Der gauze Stamm war
versammelt und erhob ein Frendengeschrei, als die Franzosen
sich iu Schlachtordnung vor dem Missionshause aufstellten.
Moutravel hielt eine Anrede, welche Hippolyt übersetzen
mußte, so gut er eben konnte; und dann wurde die fran-
zösische Flagge aufgezogen und mit Kanonendonner begrüßt.
Die Abtretungsurkunde hatte der Kommandant fix und fertig
mitgebracht; Hippolyt und Tarebate setzten ihre Zeichen
darunter, und erkannten nicht etwa die „Protektion", sondern
die „Sonveränetät" Frankreichs an; sie waren fortan Unter-
thanen oder Bürger der „großen Nation", welche diese
neuen Mitbürger und Brüder mit Taback und Schiffsbrot
erquickte, und den Häuptlingen einige Kessel, Waffen und
mit Flittergold besetzte Kleider schenkte. Während die
Offiziere in der Mission speisten, jubelten die ueuen Fran-
zosen draußen und führten ihre Tänze auf. Dabei wurde
der Takt mit einem Bambusstäbe geschlagen, und die Musik
machte sich jeder Tänzer selbst, indem er pfiff. Statt des
Gesanges haben diese Caledouier das Pfeifen, und das ist
eine ihrer Eigentümlichkeiten.
Uebrigens ging die Besitznahme nicht überall so leicht
von statten wie in Baladea oder Pnebo; Tardy de Mon-
travel schiffte auch der Ostküste entlang, um dort mit deu
Stämmen eine Verbindung anzuknüpfen und einen zur Nie-
derlasfung geeigneten Punkt auszusuchen. Aber wo der
Einfluß der Missionäre aufhörte, zeigten die Wilden sich
widerspenstig und wurden iu ihrer Feindseligkeit gegen die
Franzosen durch einige englische und amerikanische Matrosen
bestärkt. Es kommt nämlich in der Südsee oft vor, daß
Seeleute heimlich ihr Schiff verlassen, bei den Wilden blei-
ben und unter diesen Einfluß gewinnen. Solchen Leuten
muß die Herrschaft gleichviel welcher europäischen Macht
zuwider seü^ denn sie verdirbt ihnen das Handwerk; man
begreift also leicht, daß sie auch den Franzosen abhold sein
mußten.
An der Ostküste, in der Ortschaft Hiengnene, wohnte
ein mächtiger Stamm unter dein Häuptlinge Auarate.
Dieser kräftige Mann war früher einmal in Sydney, der
Hauptstadt von Neusüdwales, von der Regierung sehr
und Geographische Zeitung.
freundlich empfangen und gleichsam als König von ganz
Nen-Caledonien behandelt worden. Seitdem war er seinen
englischen Freunden, den „Sydney Men", wie er sich ans-
drückte, völlig ergeben; ohnehin hatte er von ihnen Schieß-
gewehre bekommen und seine Leute damit bewaffnet. Die
benachbarten Stämme waren darüber neidisch geworden,
und nun kam es für die Franzosen darauf au, einen solchen
Feind unschädlich zu machen.
Im Mai 1854 ankerten die beiden Kriegsschiffe Eon-
stantine nnd Prony vor Hiengnene; sofort kamen sehr viele
Wilde an Bord der Fahrzeuge und benahmen sich freundlich,
aber der Häuptling ließ fich nicht sehen. Man forderte ihn
auf, sich den Franzosen zn unterwerfen. Als er sich dessen
weigerte, ging ein Offizier mit einer Anzahl Seesoldaten
an's Land nnd verkündete ihm, daß er bis zum andern
Morgen um zehn Uhr der an ihn ergangenen Einladung,
sich dem Kommandanten vorzustellen, Folge leisten müsse,
widrigenfalls der letztere landen, die französische Flagge
aufziehen und die Sonveränetät des Kaisers über den
Stamm verkünden werde. Jede Einsprache des Häuptlings
solle dessen Absetzung zur Folge haben, nnd man werde ihn
seiner Läudereieu verlustig erklären.
So werden französische „Annexationen" in der Südsee
gemacht; und man braucht dabei uicht einmal die größte Ab-
gefchmacktheit und Lüge des neunzehnten Jahrhunderts, „das
allgemeine Stimmrecht" in Scene zu setzen.
Der Offizier, welcher dem Häuptling Bnrate jenes
Ultimatum zu überbringen hatte, fand ihn vor seiner Hütte
sitzen, und bewog ihn nicht ohne Mühe, mit an Bord der
Korvette zn gehen, wo man ihn sehr freundlich behandelte.
Man überredete ihn, am andern Tage mit seinen Kriegern
zu erscheinen und Zeuge bei der Besitzergreifung zu feiu.
Diese fand auch wirklich unter großem Pomp und Prahl
statt. Acht Schaluppen mit dritthalbhundert Seesoldaten
und fünf Kanonen wurden an'S Land gerudert, wo die
schwarzen Krieger sich aufgestellt hatten. Sie trugen theils
Flinten, theils Wurfspeere oder eiserne Beile, welche bei
manchen Stämmen an die Stelle der ans Grünstein ver-
fertigten Keulen getreten sind; dann verlas Tardy de Mon-
travel die Urkunde der Besitznahme, welche ein schwarzer
Missionsschüler seinen Landsleuten verdolmetschte; gleich
nachher wurde die französische Flagge aufgezogen und mit
dreimaligem Musketenfeuer begrüßt, während die Eonstan-
tine einundzwanzig Kanonen löste. Die Soldaten schwenkten
nun die Fahne und Buruate mußte, wohl oder übel, die Ur-
künde unterzeichnen. So ging Alles friedlich ab.
Am nächsten Tage machten die Schaluppen dem media-
tisirteu Häuptling einen Besuch. Sie fuhren den Fluß von
Hiengnene hinan, und die Eingeborenen liefen aus alleu
grünen Thalschluchten herbei, um das neue wunderbare
Schauspiel auzustauueu. Nach einer zweistündigen Fahrt
kam man an das Dorf, wo der von etwa dreihundert Krie-
gern umgebene Buruate seine Gäste in einem Hain von
Kokospalmen empfing. Auf einem Hügel erhob sich eine große
nencaledonische Hütte; auf einem walzenförmigen Unter-
gebäude stand ein hoher Kegel als Dach und ans diesem eine
Gestalt, welche einen Menschen vorstellen sollte. Zur Rech-
teu und Linken waren kleinere Hütten zerstreut. Auf einem
länglich runden Erdhügel standen sieben Pfähle, die ge-
wöhnlich mit Menschenschädeln verziert sind; die Enropäer
hatten sich aber einen solchen Anblick höflich verbeten, und
fo war der anstößige Schmuck für den Augenblick beseitigt
worden. Die Häuptlinge des Stammes, mehr als hundert
an der Zahl, standen in Gruppen vor dem Hauptgebäude,
alle ganz unbekleidet, aber völlig bewaffnet; Buruate trug
ein blauwollenes Hemd. Etwas weiter rückwärts, theilweife
Globus, Chronik der Reisc
hinter den Bäumen, sah man die Krieger, Weiber und
Kinder. Auch hier wurde die französische Flagge entfaltet
und mit Schüssen begrüßt; nachher ermahnte der Konnuau-
dant die Schwarzen, die abscheuliche Menschenfresserei einzn-
stellen; Buruate erhielt „zum Zeichen seiner neuen Ratio-
nalität", also als Mitglied der „großen ^Nation", deren
Angehöriger er von nun an war, eine Kanone zum Geschenk;
dabei wurde ihm bedeutet, daß er keinem Verbrecher mehr
den Schädel mit der Keule zertrümmern dürfe. Nachher
wurden Geschenke vertheilt und einige nnzerstückelt gebratene
Schöpse gemeinschaftlich verzehrt.
Bon nun an verhielten die Häuptlinge sich ruhig, und
die Schisse segelten nach der prächtigen Kanalabncht, wo der
Häuptling Kai sofort an Bord stieg, um sich bewundern zu
lassen. Er trug nämlich Beinkleider, Hemd, Mütze und
einen alten Neitersäbel. Der Hafen von Kanala ist ge-
räumig, hat vortrefflichen Ankergrund und nimmt einen
kleinen schiffbaren Fluß auf. Auch wächst dort Sandelholz,
und die Lage ist überhaupt ganz vortrefflich. Tie Franzosen
zogen es aber wohl mit Recht vor, zunächst an der westlichen
Küste Niederlassungen anzulegen, weil von dort die Verbin-
dung mit Sydney und mit Australien überhaupt leichter ist.
Ohnehin liegen dort Steinkohlen, namentlich in der Bucht
von Morare, zu welcher man gelangt, wenn man die
Südspitze umschifft hat. Dort fallen manche kleine Gefließe
in's Meer, und die Schiffe können treffliches Wasser ein-
nehmen, das vom Goldberge herabkommt. Dieser Mont
d'Or ist ein einsam stehender Spitzberg, in welchem man
früher Goldlager zu finden glaubte. Von ihm fällt eine
Kaskade etwa sechszig Fuß hoch herab; der Boden in der Um-
gegend ist fruchtbar lind schöne Wälder sind in unmittelbarer
Nähe; dazu kommen üppige Wiesen, die sich zu Viehweiden
eignen, und das ganze Hafenbecken ist von Kohlenlagern
umsäumt. Der kleine Dampfer Prony ergänzte seine Vor-
räche; binnen fünf Stunden hatten zwanzig Schiffsleute
etwa fünfzig Centner Kohlen gefördert. Morare bat jedoch
keinen guten Ankergrund, nnd deshalb haben die Franzosen
ihre Hauptniederlassung au der benachbarten Bucht von
Nnmea gegründet. Sie nennen dieselbe Port de France
und hoffen, daß sie zur Hauptstadt ihrer Besitzungen im
Stillen Weltmeere heranwachsen werde.
Unser Bild giebt eine Ansicht von diesem Port de
France nach einem Lichtbild, das 1859 aufgenommen
wurde. An der Einfahrt zu einer tiefen, Wohlgeschütz-
ten, von Bergland umsäumten Bucht, gleich neben einer
schmalen Halbinsel, öffnet sich ein sicherer, leicht zugängiger
Hafen, der ohne Schwierigkeit vertheidigt werden kann. Die
Landschaft bildet einen Halbkreis, dessen Berge amphithea-
tralisch emporsteigen. Aber die Niederlassung hat einen
empfindlichen Mangel, weil sie anderthalb Wegstunden von
dem nächsten süßen Wasser entfernt liegt; man will später
den Bach bis zur Stadt hin ablenken, muß sich aber vorerst
mit dem Graben tiefer Brunnen begnügen. Zunächst hat
man, recht nach französischer Art, eine Kaserne gebaut,
daneben steht der Flaggenstock, dann ein Regierungsgebäude
und einige andere Wohnhäuser. Man hat also militärisch
und bnreankratisch angefangen, während deutsche nnd eng-
tische Ansiedler mit Wohnhäusern, Schulgebäuden und Ur-
barmachen des Ahldes begonnen haben würden. Uebrigens
hat man einen Garten angelegt, um dort mit „Acclimatisation
und Kulturen 3xn suche anzustellen. Es zeigt sich auch in
Nen-Ealedonien wieder, daß die Franzosen das Colonisiren
nicht verstehen, sie zäumen den Gaul beim Schwanz auf,
und hätten doch in der Nahe, in dem gegenüberliegenden
Australien oder in Neuseeland ein Vorbild, wie man beim
Ansiedeln zu Werke geheu mnß. Noch ist, »ach neun Jahren,
und Geographische Zeitung. 79
Alles öde und einsam anf Neu-Caledonien, es fehlt jene rege
Thätigkeit, welche man in den Ansiedelungen germanischer
Völker findet. Uebrigens sind seit 1855 die französischen
Missionäre wieder in voller Wirksamkeit, nnd haben ihre
Stationen bei Port de France und auf der östlichen Küste
zu Puebo. Auf jeder Station haben sie ein paar hundert Ein-
geborene um sich versammelt, und einige derselben haben ihre
Hütten mit Schiefer gedeckt und mit Kalk geweißt. Da sie
zu regelmäßigem Bestellen der Felder angehalten werden und
Vieh bekommen haben, so fehlt es hier nicht an Lebensmit-
teln, nnd das Menschenfressen ist dadurch von selbst in Ab-
gang gekommen. Die Sendboten haben einige Kirchen
gebaut, und wenn die Glocke ertönt, verläßt der Schwarze
die Arbeit und kommt zur Kirche. Freilich geht es mit dem
Singen nicht besonders gut, und Kirchenlieder kann man
doch nicht pfeifen! Uebrigens sind unbefangene Beobachter
der Meinung, daß sie von Allem, was die Missionäre ihnen
sagen, wenig oder nichts verstehen, weil vermöge ihrer Na-
turaulage ihr Geist unfähig ist, eine abstraete Idee 51t fassen,
sich ein unleibliches höchstes Wesen auch nur zu denken.
Indessen sind manche gutwillig und folgsam gegen die Mis-
sionäre, welchen die Schwarzen immerhin vieles Gute
verdanken. Bei Puebo haben dieselben auch den Reis- und
Maisban eingeführt. Eine wahre Wohlthat sind auch die
Hausthiere: Kühe, Schweine nnd Ziegen, welche die Insel
früher nicht hatte. Auf der fruchtbaren Fichteninsel herrscht,
infolge der Fürsorge, mit welcher die Sendboten zu Werke
gehen, Ueberflnß; die Eingeborenen haben vollauf Kokos-
nüsse, Zuckerrohr und Bananen; auch gedeihen Wem, Feigen
und einige europäische Getreidearten. An der Bienenzucht
finden die Schwarze» viel Vergnügen.
Das Alles sind löbliche, aber freilich noch sehr schwache
Anfänge, denn die Zahl der Eingeborenen, welche von dem
Einflüsse der weißen Männer einigermaßen berührt werden,
beträgt kaum zweitausend Köpfe, und die überwiegende
Mehrzahl der Uebrigen benimmt sich ungemein gleichgültig
oder widerborstig. Viele wollen das Menschenfressen noch
nicht aufgeben. Einst machte ein Pater dagegen Borstel-
langen, aber der Wilde antwortete: „Was willst du denn,
wenn ick^inen int Kampf getödteten Feind esse?" — „Aber
er ist ja Deinesgleichen, ein Mensch wie dn selber, vielleicht
gar mit dir blutsverwandt." — „Einerlei; sein Fleisch füllt
den Magen eben so gut wie das von einem Andern, und ver-
zehrst du nicht das Schaf und das Huhu, welches du selber
gefüttert hast?" Das ist nencaledonische Logik der schwar-
zen Kannibalen. Bei den von Missionären etwas Gezähmten
findet man, wie schon gesagt, oft Gehorsam, ja sogar eine
Art von Fleiß, aber aus sich selber heraus bringen sie Nichts
zn Wege; sie sind ohne selbstständige Intelligenz, haben
weder moralisches Bewußtsein, »och einen Begriff von
Menschenwürde; sie sind so ganz und gar passiv, daß man
zweifeln muß, ob sie überhaupt fähig seien, auch unter allen
nur denkbaren günstigen Verhältnissen aus eine etwas höhere
Stnse zu gelangen.
Die Franzosen stellen jetzt diesen Wilden einen Heische-
sah entgegen nnd sagen: „Ihr müßt euch entweder zu uns
emporschwingen oder zn Grunde gehen." Das ist aller-
dings unbarmherzig, aber zu umgehen ist die Antwort nicht:
„Es handelt sich nun darum, zu erproben, ob Anleitung und
Erziehung diese Schwarzen aitf eine solche Stufe innerer
Ausbildung zu erheben vermögen, welche ihnen ein Anrecht
giebt, in den neuen Verhältnissen überhaupt zu existiren; ob
überhaupt die geistige Fähigkeit ihnen innewohnt, die Be-
griffe: Arbeit, Pflicht, Gesellschaft überhaupt zu begreifen."
In Australien sind diese Versuche fehlgeschlagen, der Squatter
hat die Wilden nicht geschont, und auf Tasmanien sind die-
Globus, Chronik der Reisen und Geographichse Zeitung.
81
32 Globus, Chronik der Reisen
selben völlig ausgerottet worden. Die Zukunft muß lehren,
was die Franzosen aus Neu-Caledouieu machen.
Jedenfalls ist die Insel ein werthvolles Besitzthum.
Sie liegt zwischen 20« 10' nnd 22" 26' südlicher Breite
und 161« 35' bis 104° 35' östlicher Länge von Paris; die
Breite beträgt durchschnittlich 10, die Länge 66 Lienes.
Sie ist gebirgig, die Höhenzüge folgen der schrägen Züchtung
der Insel selbst, und sind nirgends höher als 1200 Meter,
also noch nicht 4000 Fuß. Von ihnen kommen viele kleine
Gewässer herab, welche dann im Flachlande Moräste bilden;
Wald und Weideland wechseln miteinander ab. Victor de
Rochas, welcher sich 1859 in Neu-Caledouieu aufhielt, be-
merkte, daß die Aecker bei den Dörfern gut bestellt werden,
zumeist mit Taro, Jgnamen, Zuckerrohr, Bananen und
Bataten. Was die Thierwelt anbelangt, so fehlen Ba-
trachier völlig, und von Reptilien kommen nur einige wenige
Eidechsenarten vor; auch schwimmt dann und wann eine
Seeschlange an's Ufer. Zuweilen lassen sich Heuschrecken
in ungehenern Schwärmen nieder, fressen dann weit und breit
die Gegend kahl, und ihre verwesenden Leichen verpesten
die Luft. Uebrigens erscheint diese Plage nur in langen
Zwischenräumen.
Die Regen- oder Winterzeit beginnt im Anfange Ja-
nuars und dauert bis April, dann folgt die trockene Zeit in
allmäligen Uebergängen. Die mittlere Jahrestemperatur
beträgt zwischen 22. und 23. Grad Celsius. Vom Mai bis
November ist das Wetter mild und angenehm bei Tage und
frisch bei Nacht; Januar und Februar sind die heißesten
Monate. Der Thaufall ist für eine tropifche Gegend ver-
hältnißmäßig schwach, Stürme sind selten und kommen nur
vor, wenn der Winter einsetzt und der erste Regen auf den
heißen Boden fällt und Dämpfe sich entwickeln. Der Ost-
südostpassat ist vorherrschend. Die Regenzeit ist auch die
Zeit der Stillten (Calmen), die aber nicht lange dauern
und sich meist bei Sonnenuntergang einstellen. Int Januar
toben dann und wann Orkane, die aber bei weitem nicht so
heftig sind als in Westindien. Das Klima läßt in Bezug
auf die Gesundheit nur wenig zu wünschen übrig. Aller-
dings ist während der Regenzeit die Hitze manchmal sehr
lästig, aber bald folgt dann eine angenehme Kühle. Merk-
würdig erscheint der Umstand, daß trotz der vielen Sümpfe
und Moräste und der Bewässerung der Taroselder das
Sumpffieber fast gar nicht auftritt, und die Aerzte nur selten
Chinin anzuwenden brauchen. Die Europäer haben des
Acker- und Straßenbaues halber vielfach Urbodeu aufge-
brechen, bei Port de France einen Sumpf trocken gelegt,
und trotzdem hat sich auch nicht ein einziges Mal intermit-
tirendes Fieber gezeigt. Bei jener Ortschaft liegen Moräste
von süßem und brakigem Wasser, über welche der Wind
streicht, und doch ist weder bei den Soldaten noch bei den
Ansiedlern jemals das Fieber zum Vorschein gekommen.
Auch die Eingeborenen bleiben davon verschont. Sie woh-
nen am liebsten dicht am Meere oder an den Flüssen, bauen
ihre Hütten gern an feuchten, ja sogar sumpfigen Plätzen,
schlafen fast unbekleidet auf der Erde und bleiben doch
gesund.
nnd Geographische Zeitung.
Die Neu-Caledouier sind oceanische Neger, haben eine
rußig-schwarze, iu's Chokoladeubrauue übergehende Haut-
färbe, schwarzes wolliges Haar, ziemlich viel wolligen Bart,
breite, gequetschte, tief zwischen den Augenhöhlen liegende
Nase, dicke Lippen, die aber nicht so wulstig sind wie bei den
Afrikanern; die Jochbeine stehen vor, die Schneidezähne sind
prognath, die Stirn ist hoch, schmal und convex, der Kops
in der Quere sehr abgeplattet, besonders an den Schläfen.
Die mittlere Größe dieser Leute kommt etwa jener der Fran-
zosen gleich; Rumpf und Glieder haben gute Verhältnisse,
auch sind Brust- und Muskelentwickelung gut. Im Allge-
meinen haben sie manches Übereinstimmende mit den Be-
wohnern des Fidschi-Archipels, die jedoch besser gebaut sind
und eine hübschere Hantfarbe haben. Als häßlich kann man
den neucaledonischen Mann nicht geradezu bezeichnen; Manche
haben sogar regelmäßige Züge, namentlich an der Ostküste,
wo wahrscheinlich mit braunen Polynesien: Vermischung
stattgefunden hat. Man weiß z. B. ganz bestimmt, daß vor
nicht gar langer Zeit von Uvea (der Insel Wallis) Ans-
Wanderer nach den östlich, ganz in der Nähe von Nen-Cale-
donien liegenden Loyalty-Inseln kamen nnd dorthin den
Namen ihrer Heimathinsel und ihre Sprache verpflanzten.
Sie vermischten jich mit den alten Einwohnern, und die
Mischlinge sind ein hübscherer Menschenschlag geworden als
jene. Die caledonischen Frauen sind äußerst häßlich; sie
scheeren das Kopfhaar ab, durchbohren das Ohrläppchen,
müssen angestrengt arbeiten und altern frühzeitig. Sie sind
kleiner als die Männer, werden im zwölften oder dreizehnten
Jahre mannbar, nehmen oft erst im Alter von viernnd-
zwanzig Jahren einen Mann, und gebären nicht viele
Kinder. Diese werden mindestens drei, oft fünf bis sechs
Jahre laug ^gesäugt. Die Männer altern weniger rasch,
doch kommen nur wenige zu hohen Jahren. Sie können die
Jahre nicht zählen, und wissen also nicht, wie alt sie sind.
In Baladea kannten die Missionäre 1847 einen Mann,
welcher bei Cooks Anwesenheit auf der Insel geboren wurde.
Das Erscheinen des ersten Europäers auf Neu-Caledonien
war ein Ereigniß, das man nicht vergessen hat. Jener
Greis war ungemein hinfällig und sah aus, als wäre er
neunzig Jahre alt; er war aber nur dreiuudsechszig, denn
Cook landete im Jahre 1774.
Die Caledonier haben, als echte Wilde, ein ungemein
scharfes Auge und seines Gehör, sind gewandt, laufen gut,
können augenblicklich eine bedeutende Kraft entwickeln, aber
diese hat keine Dauer. Wahrscheinlich rührt das von ihrer
Nahrungsweise her. Ehemals hatten sie kein anderes
Fleisch als ihr eigenes, denn Thiere fehlten der Insel; aber
es gelüstete sie sehr nach Fleisch. Bogen und Pfeile, um
Vögel zu schießen, besaßen sie nicht. So verfielen sie aus
physiologischem Drang auf die Anthropophagie. „Wir
müssen Fleisch essen, und deshalb Krieg führen", entgegneten
sie den Missionären. Das Menschenfressen war nicht etwa
ein unnatürliches Laster bei Wilden, die auf einer Insel
vereinsamt wohnten, auf der ihnen die Fleischnahrnng fehlte.
Seitdem sie Schafe, Kühe, Ziegen und Schweine haben,
gelüstet es >ie nicht mehr nach Menschenfleisch.
Aus den Erinnerungen eines australischen Waidmannes.
Jagd auf Kängeru ö und Fasanen.
Als wir neulich im Thiergarten zu Dresden zwei zahn? geworden und dabei doch so unbefangen geblieben sind,
muntere Käugern's lustig umherhüpfen sahen, erfreute« wir als wären sie in ihrem heimathlichen „Busch." Sie ersetzen
uns daran, wie diese Kinder der australischen Wilduiß so in Neu-Holland unfern Hirsch, welcher jenem Jnselconti-
Globus, Chronik der Reiseil und Geographische Zeitung.
83
nente fehlt. Den Naturforschern sind schon zwanzig bis
dreißig Speeies bekannt, von denen manche auf Nen-Gninea
vorkommen.
Die Gestalt des Thieres kennt jetzt bei uns jedes Kind,
und wir brauchen sie nicht näher zu schildern. Aber wir
wollen Einiges aus den Auszeichnungen eines australischen
Jägers mittheilen, welcher, landeinwärts von Port Philipp,
Jahrelang dem edlen Waidwerk oblag, vorzugsweise dem
Kängern nachstellte und dasselbe in allen seinen Eigenthürn-
lichkeiten beobachtete. Die langen Hinterbeine, sagt er,
scheinen auf den ersten Blick in keinem Verhältniß mit der
Größe des Thieres zu stehen, eignen sich aber vortrefflich
für den Zweck, für welchen sie da sind. Sie sind dreifach
gegliedert und der Schenkel ist gestaltet wie bei andern Thie-
ren das Schulterblatt. Alles ist auf nachhaltige Sprung-
fertigkeit eingerichtet; der Fuß, welcher das dritte Glied bildet,
je nach dem Alter des Thieres 12 bis 18 Zoll lang und
mit einem 2 bis Zoll langen, sehr scharfen Nagel bewehrt:
die Vorderbeine, oder wenn man so sagen will, Arme sind
sehr kurz, aber die Krallen bestehen aus fünf langen Fingern
mit scharfen Nägeln. In aufrechter Stellung sitzt das Thier
wie ein Eichhörnchen, aber den Schweif streckt es der Länge
nach am Boden aus, denn biegen und winden kann es ihn
nicht. Beim Laufe springt es in gerader Stellung, schwingt
sich vermittelst der Hinterbeine empor, benutzt dabei den
Schweif und hält oft die Borderbeine dicht au die Brust wie
ein erfahrener Schnellläufer. So kommt es ungemein rasch
vorwärts und man hat Beispiele, daß Kängcru's auf einer
Strecke von mehr als vier deutschen Meilen verfolgt wurden,
theilweife durch Ströme schwammen und doch nicht eingeholt
wurden. In Südostaustralien erreicht die dortige große
Kängeruart, im Sitzen, eine Höhe von 5 Fuß; das größte,
welches ich jemals erlegte, hatte vou der Nasenspitze bis zum
Schweifende eine Länge von 9 Fuß 0 Zell. Der Schweif
ist an der Wurzel sehr dick und wird nach dem Ende hin
immer dünner; bei vielen alten Männchen wird er .1 bis 4 Fuß
laug uud hat ein Gewicht bis zu 15, Pfd., unter Umständen
anch 20 Pfd. Ei» altes Männchen macht Sprünge bis zu
dreißig (?) Fuß. Der Ausdruck des Gesichts ist mild und
sanft, aber die Physiognomie ebenso mannigfaltig uud ver-
schieden wie bei den Schafen. Der Kopf hat Aehnlichkeit
mit dem einer Damhirschkuh, die Nasenlöcher sind nicht
weit, die Ohren groß, und manche Männchen haben eine
römische Nase, gerade wie manche Schafböcke auch. Ein aus-
gewachsenes Weibchen oder ein junger Bock wiegt bis zu
120 Pfd., ein altes Männchen wohl bis zu 200 Pfd. Zum
Verkauf kommen nur Hinterviertel und Schwanz; der letz-
tere giebt eine kräftige und schmackhafte Fleischbrühe.
Die Farbe ist nach Alter uud Geschlecht verschieden,
gewöhnlich aber auf dem Rücken dunkel mäusegrau, an den
Seiten und am Bauche heller; das Haar ist weich, sein und
steht dicht; die Haut kann man gut zu Spritzledern an Wägen
verwenden. Hin und wieder, aber selten, kommen Böcke vor,
die weiß sind. In den Wäldern, welche ich durchstreifte,
fand ich zwei Arten Kängcru's; eine größere, die auch auf freien
Ebenen häufig vorkam und gewöhnlich in starken Rudeln
auftrat, und eine kleinere, welche dunkler und unter dem
Bauche röthlich war. Diese liebt einsame Gegenden, buschige
Schluchten uud kommt in Rudeln von höchstens einem Dutzend
vor. Das Fleisch beider Arten ist sehr mager, steht an
Wohlgeschmack hinter uuserm Wildpret oder Schöpsenfleisch
zurück, selbst die Hunde werden nicht fett davon. Das Thier
hat übrigens eine ganz ungemeine Menge Blut.
Das Kängern hat in feinem ganzen Auftreten viel
vom Schaf uud vom Damhirsch; es ist schüchtern, aber
Auge, Gehör uud Geruch sind ungemein scharf. Beim
Laufen kauu es die gerade vor ihm befindlichen Gegenstände
nicht sehen, und läuft nicht selten dem Jäger gerade in den
Schuß. Es ist kein Wiederkäner, lebt gesellig nnd Rudel
von sechzig bis anderthalbhundert Stück sind keine Selten-
heit. Nach der Brunstzeit ziehen sich viele alte Böcke in die
Einsamkeit der Wälder zurück und verlassen die Heerde, und
jedes Rudel hat eine besondere Weidegegend. Es scheint,
als ob die verschiedenen Rudel sich nicht unter einander
mischen. Am liebsten halten sie sich in offenen Waldungen
auf, und äsen Morgens, in der Abenddämmerung nnd
wohl auch bei Nacht. ' An heißen Sommertagen ruhen sie
am liebsten in feuchten Schluchten im Gebüsch, Winters
dagegen auf trockenen sandigen Plätzen, gewöhnlich auf An-
höhen, wo sie stundenlang an derselben Stelle bleiben. Es
gewährt einen anmnthigen Anblick, solch ein Rudel zu beob-
achten ; einige spielen munter miteinander, während manche
am Grase und an jungen Büschen herumnibbeln (— dieser
Ausdruck ist zugleich englisch und niederdeutsch, und be-
zeichnet die Sache vortrefflich —), oder auf der Seite liegen,
um sich von der Sonne bescheinen zu lassen.
Etwa um die Weihnachtszeit trennen sich die Jungen
von den Müttern und bilden eigene Rudel, manchmal von
fünfzig Stück, und sie sehen dann gar niedlich ans; ohnehin
ist das Kängeru ein sehr reinliches Thier. Nur während
der Brunstzeit kommen unter den Männchen harte Kämpfe
vor, im Uebrigen leben alle friedlich mit einander. Man
kann ein Rudel wie Schafe nach jeder Richtung hin treiben,
aber nicht zum Umkehren bewegen. Sie folgen einem Leit-
bocke. Sie fressen außer dem Grase gern die zarten Sprossen
kleiner Sträucher nnd Haidekräuter und das sogenannte Kän-
gerngras; in angebauten Gegenden richten sie, wie unser
europäisches Wild, auf den Getreidefeldern Schaden an. In
der Gefangenschaft essen sie gern Brot, das sie, gleich den Eich-
Hörnchen, in die Vorderpfoten nehmen. Im Busche leiden sie
viel vom Bandwurm; sie können sich lange Zeit ohne Wasser
beHelsen und haben keine bestimmten Tränkestellen, von denen
ihre gewöhnlichen Lagerplätze oft meilenweit entfernt liegen.
Sehr gern halten sie sich in der Nähe von Rindviehheerden
auf.
Das Kängeru gehört bekanntlich zu den Bentelthieren,
Marsupialien. Diese tragen ihre Jungen nicht bis zur voll-
kommenen Reife aus, sondern gebären dieselben in kaum
halb entwickeltem Zustande Die Einwirkung des Mutter-
körperS auf die weitere Ausbildung des Jungen geschieht in
einer Hautfalte am Unterleibe des Weibchens, die oft einen
weiten Beutel oder Sack bildet; das oft ganz formlose, nieist
noch der Glieder ermangelnde, im Verhältnis; ungemein kleine
Junge gelangt auf eine noch nicht genau erforschte Art in
jenen Behälter, der sich an den Rändern zusammenzieht, einen
warmen Schutzort bildet und, weil er zugleich die Zitzen
enthält, den Jungen Nahrung darbietet. Diese bleiben
lange Zeit in ihrem Schutzorte, zu welchem sie auch dann
noch oft zurückkehren, wenn sie sich schon im Freien bewegen
können. So auch beim Kängeru, das etwa sechzig Tage
an den Zitzen der Mutter hängt, dann völlig ausgebildet
erscheint und vom Zitzen, an dein es zeither festsaß, abfällt.
Aber nun giebt ihm dieser Milch. Das Junge lebt dann so
lange im Beutel der Mutter, bis es so weit ausgewachsen
ist, daß es denselben verlassen kann. Aber bei jeder Gefahr
sucht es in demselben eine Zuflucht. Die Alte packt mitten
im schnellsten Springlaufe das Kleine und steckt es iin Nu
in den Beutel, ans welchem dann der kleine niedliche Kopf
hervorschaut. Sie trägt es so lauge mit, bis sie selbst in
die äußerste Gefahr geräth; nur dann erst wirft sie das
Jnnge weg, um sich selbst zu retten. Ich war einst Zeuge,
als ein Adler eiu Kängeru jagte, das ein schon ziemlich
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
86
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
erwachsenes Kalb im Beutel hatte. Der schlaue Vogel
wagte keinen unmittelbaren Angriff, ängstigte aber unun-
terbrochen die Mutter, weil er wußte, daß sie das Kalb
wegwerfen würde, wenn sie sich völlig erschöpft hätte. Ich
schoß den Adler und auch das Kängeru konnte ich haben.
Aber ich konnte es nicht über das Herz bringen, eine Mutter
zu tödten, welche so große Anstrengungen gemacht hatte,
ihrem Jungen das Leben zu erhalten.
Der Schweizer Castella, dessen wir schon früher er-
wähnten (Globus S. 11) be-
merkt, daß die von Jägern ver-
folgten Kängeru's gern hinter
einander iit einer Linie laufen
und zwar fo, daß die alten
Männchen zuletzt kommen. Wir
verfolgten, sagt er, ein hüb-
sches Rudel mit unfern Hnn-
den. Anfangs schien es, als ob
wir weit hinter ihm znrückblei-
ben sollten, aber wir sprengten
vorwärts, und kanten immer
näher und unsere Bente war
uns sicher. Da rief eine der
mit uns reitenden Frauen um
Gnade für eiu Kängeru. Es
war eiu Weibchen, das sein
Junges aus dem Beutel her-
ausgeworfen hatte, und das
Kleine lief nun hinter der
Mutter her. Die Hunde
waren eben daran, es zu
packen, aber wir konnten es
retten und mit nach Hause
nehmen, wo es bald zahm und
Aller Liebling wurde.
Die Annahme, d*iß die
psychischen Fähigkeiten der
Bentelthiere sehr schwach seien,
paßt auf das Kängeru uicht
im Mindesten. Der anstra-
tische Jäger, welcher jahrelang
beobachtet hat, spricht ganz
entschieden aus, daß wenig-
stens Kängeru, Opossum und
australische Katze in dieser Be-
ziehnng mit uuserm Hirsch,
Hasen und Frettchen zum aller-
mindesten auf gleicher Linie
stehen.
Die jungen Kängeru's
sind schon im Oetober völlig
ausgewachsen, und werden
um die Weihnachtszeit, in der
man sie an Freunde oder an
Kinder als anmnthige Hans-
thiere zu verschenken pflegt,
mit einem Psnnd Sterling be-
zahlt. Sie lieben die Wärme sehr; man steckt sie deshalb
gewöhnlich in einem aus Opossumfell verfertigteu Beutel
und legt sie in der Mittagsstunde in die Sonne. Die Mutter
hat drei Zitzen im Beutel, wirft aber in: Jahre nur ein
Junges. Die Paarungszeit fällt in den Januar oder Fe-
bruar; es wäre gut, wenn man die Kängeru's vom Oetober
bis in den März schonen wollte. Aber der australische An-
siedler betrachtet sie als schädliche Thiere und thut Alles,
um sie in seiner Gegend auszurotten; er sängt sie in Schlin-
gen, schießt sie, macht mit Hunden Jagd ans sie, blos um sie zn
tödten, und läßt sie häufig liegen, weil er ans das Fleisch
keinen Werth legt. Es darf also nicht befremden, daß ihre
Zahl sich schon beträchtlich vermindert hat. Allerdings richten
sie weit mehr Schaden an, als unsere Hasen und Kaninchen,
aber doch nur iu deu angebauten Gegenden, und Australien
hat noch ungeheure Steppen und Wüsten, wo man sie doch
nicht zwecklos vernichten sollte. Das Thier hat auch seinen
Werth; das ans der Haut bereitete Leder ist feiner als Kalb-
fell und ebenso groß, und eine
Haut kostet nur etwa einen
halben Thaler.
Das Kängeru ist, wie
schon bemerkt, ein harmloses
Thier, aber zugleich ein ge-
fährlicher Feind! Die Krallen
des Hinterfußes fiud eiue ge-
fährliche Waffe und es kann
damit einem Hunde den ganzen
Leib aufreißen, wie der Eber
mit seinen Hauzähnen. Ich
habe gesehen, daß es einen
Hund mit den Vorderbeinen
aufhob, ihn, wie die Bären
pflegen, an sich drückte und nach
ihm biß. Ein alter Bock, den
ich erlegt hatte, sprang auf
mich zu, fiel aber glücklicher-
weife erschöpft nieder. Das
verwundete Thier fncht, wie
der Hirsch, gern Wasser auf,
und sucht den Hund, welchen
es etwa gepackt, zu ertränken.
Sein Leben ist sehr zäh; es
läuft auch nach einem töd-
lichen Schusse sehr weit, bis es
dann innerlich verblutet und
niederstürzt. Man muß ihm
aber auch dann sehr vorsich-
tig nahe gehen, und sich wohl
hüten, in das Bereich der
Hinterfüße zu kommen, weil es
mit denselben bis zum letzten
Augenblicke gegen seinen Feind
ausschlägt. Das ist mir zwei-
mal begegnet, aber ich war
zum Glück so nahe an dem
Thiere, daß es mir das Fleisch
von den Beinen nicht herab-
reißen konnte.
Ein ausgezeichneter Jagd-
bezirk beginnt etwa 35 englische
Meilen südwestlich von Mel-
bonrne, von wo sich bis zu den
Heads ein theils bewaldetes,
Der Leierschwanz. theils offenes Vorgebirge er-
streckt. Dort haben wir binnen
zwei Jahren mindestens zweitausend Kängeru's geschossen. Wer
die Jagd zum Vergnügen treibt, verfolgt das Thier in offenen
Gegenden und Waldlichtungen zu Pferde mit guten Hunden.
Dies ist die aristokratische Art und Weise zu „kängernen,"
wie man sich in Australien ausdrückt. Gute, zu dieser Jagd
sorgfältig abgerichtete Hunde von schottischer Zucht stehen
hoch im Preise, weil sie selten sind; die meisten Kängeru-
Hunde sind nicht von reinem Schlage. Ein Hund, welcher
mit dem verfolgten Kängern Schritt halten, dasselbe nieder-
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
87
bringen und sich doch vor dessen Hinterkrallen sichern will,
muß sehr vorsichtig sein und darf ihn? nur auf deu Nacken
springen. Junge Hunde sind meist unvorsichtig und müssen
Lehrgeld bezahlen; wenn sie aber erst ein paar Krallenhiebe
bekommen haben, werden sie klüger. Ich schoß au jedem Tage,
an welchem ich ans den Anstand ging, mit leichter Mühe ein
Paar Kaugeru's. Manchmal kamen Freunde aus Melbourne
und wir hielten daun ein großes Treiben. Wenn ich allein war,
also die gehörige Ruhe hatte, zielte ich immer nach dem Nacken.
Selbst Jägern von Handwerk wird das ununterbrochene
Jagen auf Käugeru's langweilig und sie bringen Abwech-
selnng in ihr Geschäft, indem sie den Wasservögeln nach-
stellen, die an den geigueteu Oertlichkeiten in unzähliger
Meuge vorhanden sind, oder sich nach dem a nstralischeu
Fasan umsehen, einer Menura superba, welchen die Ein-
geboruen, nach dem ihm eigenthümlichen Rufe, den Bulla
Bulla nennen. Er ist in abgelegenen Schluchten der Berg-
ketten sehr häufig, namentlich in den Daudenongbergen, an
den Plentyketten, in der Quellgegend des Yarra, am Baß-
slusse:e. An sich ist das braune Gefieder dieses Bogels
nicht hübsch; er erreicht die Größe uufers Fasans. Aber
der Schweis des Männchens ist wunderschön und sehr
laug; die Federn siud mit Fasern bekleidet wie beim Para-
diesvogel, haben die Gestalt einer Lyra und beide äußerste
Federn sind nach auswärts gekrümmt. Dieser „australische
Fasau" gehört zu den schönsten Vögeln in der Welt, hält
sich meist an der Erde im dichtesten Gesträuch oder neben
umgestürzten Baumstämmen auf und man sieht ihn selten
fliegen. Der Jäger muß still liegen und seinen Rnf nach-
ahmen; auch thnt er wohl, wenn er einen schwarzen Mann
zum Begleiter nimmt. Die Eingeborneu kennen seine Eigen-
thümlichkeiten; sie gehen im September, wenn der Schweis
am schönsten ist, in die Schluchten und kommen gewöhnlich
mit reicher Beute zurück. Ich habe Rest und Eier gesehen.
Das erstere war breit und gewölbt, die letzteren hatten eine
duukelchokoladenbrauue Farbe.
Die neuen Entdeck«
I. In (5entralafr
Während die Engländer nur mit Widerstreben aner-
kennen mögen, daß Deutschland auch in der Wissenschaft
der Erd- und Völkerkunde unstreitbar den ersten Rang ein-
nimmt, und unsere Forschungsreisenden durch Kühnheit,
Ausdauer, Vielseitigkeit und Gediegenheit der Kenntnisse in
vorderster Reihe stehen, wird dieser Vorrang in Frankreich
gern nud willig zugegeben. Alfred Manry sagte 1860 in
seinem Jahresberichte an die geographische Gesellschaft zu
Paris: „Deutschland liefert auch seine Beiträge zu den
Eutdecknngsreisenden, und ihren Forschungen ist eben so
wohl das Gepräge des Scharssinns und der Gründlichkeit
aufgedrückt, wie ihren gelehrten Arbeiten. Man wendet sich
an die Deutschen, wenn es darauf ankommt, irgend ein
großes geographisches Problem zu lösen und dasselbe mit
allen übrigen Zweigen der Wissenschaft in Verbindung zu
bringe«."
Für diesen Ausspruch des französischen Geographen
liefern auch unsere Reifenden in Afrika den Beleg, schon seit
den Tagen des alten Kolbe, welcher hundert Jahre vor
Lichten stein das Kapland gründlich erforschte nnd beschrieb.
Hornemann war ein Pionier für Erforschung der Sahara.
Und wenn der Leser einen Blick auf die Karte wirft, so wird
er sehen, auf wie weiten Strecken der Schleier, welcher auch
jetzt noch über einem großen Theile von Afrika liegt, durch
Deutsche gelüftet worden ist. Wir sind weit entfernt, die
Verdienste ausländischer Reisenden nicht nach Gebühr aner-
kennen zu wollen, die Gerechtigkeit erfordert indeß, daß wir
jene unserer Landsleute nach Verdienst in den Vordergrund
stelle». Auch wir haben in Afrika Märtyrer der Wissen-
schaft zu betrauern, aber das unglückliche Geschick derselben
entmuthigt unsere Reisenden nicht. Overweg, Vogel,
Schönlein und Roscher erlagen dem bösen Klima oder
dem Pfeil der Barbaren; doch Karl von der Decken ist in
Sansibar und Theodor vonHeugliu unterwegs, um das
Innere des östlichen Sudan zu erforschen und wo möglich
zuverlässige -Nachrichten über Eduard Vogels Schicksal zu
erhalten.
Heinrich Barths große Reise von Tripolis am
mittelländischen Meere nach Süden hin bis an den Binne
und von Kuka am Tsad gen Westen bis nach Timbuktu,
lgsreisen in Afrika.
a und im Westen.
macht für die Forschungen im Rorde» des Aequators Epoche,
in wissenschaftlicher Beziehung weit mehr, als des nicht min-
der zähen nud unerschrockenen Livingstone's Wanderung von
deu Mündungen des Sambesi quer durch das Festland nach
Loanda. Barth kennzeichnet uns, wenn nicht in lebhafter,
spannender Schilderung, doch anschaulich und mit muster-
haster Gründlichkeit, die Wüste, das Herz des iuneru Sn-
dan, das Reich Bornn und die von den Fellata eroberten
Landschaften. Wir folgen ihm an den mittlem Niger,
welchen, wie den Binne, vor ihm keines Europäers Auge
gesehen, uud leben mit ihm in Timbuktu, wo viele Monate
taug sein Leben täglich bedroht war. Durch ihn wissen wir
Näheres über die Bodenverhältnisse der Sahara, und daß
im Zittau die eigentlichen Gebirge nicht zusammenhängende
Ketteit, sondern vereinzelte Berginassen bilden, z. B. der
Alantika in Adamana, der Mendif in Mandara, der H6m-
bori in Dalla. Durch ihn kennen wir die Region zwischen
der Oase Rhat und Katsena, 12. Breitengrade; zwischen
Kuka nnd?)ola, C>. Breitengrade; Mäsefia und das Laud der
Musgos, Bäghirnii, Adamaua, Kotof'6; deu Binue, den
Färo, den mittler» Äciger, die Fellatalande, Asben und
Aghades. Er wirft helle Lichtstrahle» in das Dunkel der
Geschichte dieses inner» Sudan und malt uns das Lebeu
und Treiben der Tuareks, dieser Jmoschahr, welche mit den
Berbern im Atlas einem und demselben Volksstamm ange-
hören, die Wüste bis zum atlantischen Oeean beherrschen
und, immer weiter nach Süden vordringend, schon auf das
rechte Ufer des Nigers hinüber gegangen sind. Dort stoßen
sie mit den Fellata zusammen, die ihrerseits sich immer
weiter uigerabwärts vorgeschoben haben, während ihre drei
Reiche in Verfall gerathen. Barth gelangte glücklich heim;
seine Gefährden ruhen unter afrikanischem Sande, Richard-
sou iu Ungurntna, Overweg nahe dem Tsad-See, dessen
Inseln er erforscht hatte. Vogel war später gekommen.
Als er am 1. Deeember 1854 auf dem Wege uach Kauo
durch den dichten Wald von Buudi ritt, traf er mit Heinrich
Barth zusammen, der von Timbuktu zurückkehrte, nachdem
man ihn längst für todt gehalten hatte!
Barth ging von Norden her mitten durch die große
Wüste; vor ihm hatte 185(1 ein Franzose, Leopold Panet,
88
Glolms, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
den westlichen Theil derselben von St. Louis am Senegal
aus nach Norden hin bis Mogador, dem bekannten marok-
kanischen Handelsplatz am atlantischen Ocean, durchzogen.
Durch ihn sind mehrere Oasen zwischen dem 17. und 28.
Grade nördl. Breite bekannt geworden, insbesondere Aderer
oder Ardrar, mit der Hauptstadt Wadan. Weiter westlich
liegt Schinghit, das beträchtlichen Salzhandel treibt, und
zwei Tagereisen südöstlich die Stadt Atar. Der Verkehr
anch in dieser westlichen Sahara ist weit lebhafter, als man
früher allgemein annahm. Anch Nun oder Glimim, eine
Stadt der Ait-Hassan-Araber, ist ein wichtiger Marktplatz,
auf welchem die aus Marokko kommenden europäischen
Waaren gegen Gummi, Ziegenhäute, Kameelhaar, Wolle
und Straußfedern ausgetauscht werden. Von Nun nach
Mogador zog Panet fast immer der Küste entlang über
mehrere geleisig laufende Gebirgsketten.
Die Franzosen sind fortwährend sehr eifrig, das Land
im Süden Algeriens näher zu erforschen, weil ihnen daran
liegt, den Handel aus dem Innern so viel als möglich nach
ihren Besitzungen zu lenken. Wir wollen von den neueren
Reisenden nur Buderba's und Duveyriers erwähnen.
Der erstere unternahm 1858 einen Ausflug nach der schon
von Barth besuchten Oase Rhat oder Ghat, aber von Nord-
westen her, über Laguat durch das Dünenland, El Udsche,
welches eine Breite von ungefähr hundert Stunden ein-
nimmt. Er kam durch das Land der Aseguer-Tuareks und
nach A'in Hadschadse, wo die von Timbnktn und Tuat nach
Mekka bestimmten Pilgerkarawanen Halt machen. Bnderba
ist ein Dolmetscher und seine Nachrichten über das Land sind
von Interesse. Auch er machte eine ähnliche Bemerkung wie
Panet, daß nämlich die Sahara bei weitem nicht so dürr
und unfruchtbar ist, als man bisher glaubte; fast überall
kann man durch Brnnnengraben Trinkwasser erhalten.
Kabylien ist vielfach von dem Major Aucapitaine
durchzogen worden; die algerische Sahara hat während der
letztverflossenen dritthalb Jahre Heinrich Dnveyrier
Klobus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
89
nach verschiedenen Richtungen hin durchforscht; auch er
wollte nach Rhat. Zu Ansänge des Jahres 1860 ging er
von Biskra nach El Heb, um dort mit der von Sus kom-
inenden Karawane zusammenzutreffen. Mit dieser zog er
in's Belad el Dfcherid, einer Provinz von Tunis, die uoch
wenig bekannt war. Dort besuchte er, nachdem er das
große Schott, dieses zur Wüste ausgetrocknete Meer, durch-
zogeu, die zwischen Palmenhainen sich weit hindehnende
Stadt Nasta, welche etwa 8000 Einwohner zählt, und ging
dann nach Toser, der Hauptstadt des Dfcherid. und weiter
nach Nessawa, einem Archipel von Oasen, in welchem mehr
als hundert Dörfer liegen sollen; bis dorthin drangen, wie
stch aus allerlei Getrümmer ergiebt, einst die Römer vor.
Noch jetzt sind die Ruinen der alten Stadt Tacape vor-
handen. Während Dnoeyrier das südliche Tunesien durch-
streifte, entdeckte einer seiner Landsleute, VictorGnerin,
mehr als fünfhundert alte Inschriften und die Namen von
zehn bisher unbekannten Städten aus der Römerzeit.
Darauf trat Dnveyrier, der nach Biskra zurückgekehrt war,
einen Zug in die Gebiete der Tuareks an; denn den Fran-
zoseu liegt viel daran, mit diesen Beherrschern der Wüste in
freundschaftliche Beziehungen zu kommen; sie bieten, wie
bemerkt, Alles auf, um die Karawanen von Tripolis und
Tunis ab- und nach Algerien zu ziehen. Mit Lebensgefahr
durchwanderte er die etwa siebeuzig deutsche Meilen breite,
völlig wasserlose Wüste bis uach Ghadames, einer Oase,
die man alö den Vorposten der großen Sahara bezeichnet.
Dort blieb er vom August bis September und ging dann
nach Tripolis zurück, um gleich nachher auf einem neuen
Wege durch Djebel Refufa wieder uach Ghadames und von
dort nach Rhat vorzudringen.
Um die Erforschung der Senegalländer hat sich
Faidherbe große Verdienste erworben. Tie Franzosen
haben dort ihre Herrschaft nach dem Innern hin bis Walo
am Faleme und bis Dakkar ausgebreitet; Pascal wurde
ks.V.i in das goldreiche Bambuk, namentlich in die Provinz
Tamba Ura gesandt, von dessen Gebirge Gold herabge-
schwemmt wird. Das Volk, die Maliuke, erhält Feuer-
waffen vom Gambia her. In ihrem Gebiete liegt der
Wasserfall von Guina; der Senegal ist dort etwa 1200 Fuß
breit und stürzt 150 Fuß hinab. Vor Pascal hatte kein
Europäer diese großartigen Katarakten gesehen.
Vom Senegal aus drang der Schiffsfähndrich Mage
unter großen Gefahren, und nachdem die Mauren ihn zwei-
mal ausgeplündert, bis nach Tagant vor, einem Gebirgs-
laud, das etwa vierzig Meilen nördlich von Bakel liegt;
Vincent ging von St. Louis uach Norden durch das Gebiet
der Trarza in das Land Tins und nach Adrar. Tins liegt
nordöstlich vom Kap Blanco zwischen 21. und 23.° nördl. Br.;
in seinem östlichen Theile findet man die große Sebcha von
Hschil, eine ungeheure und unerschöpfliche Masse von Stein-
salz, ungefähr 8 Meilen laug und 3 Meilen breit. Dort
werden jährlich etwa 20,000 Kameele mit Salz beladen.
,^!ou öroßem Interesse ist auch die Reise, welche der
französische Seelieutenant Lambert im Februar nach Fnta
Djalou unternahm, jener höchst interessanten Berglandschaft
in Westafrika, welche vom 11. und 12.° nördl. Br. durch-
schnitten wird. Von der centralen Hochebene derselben
strömen der Senegal, Gambia und Faleme, der Niger, der
Rio Nn»ez intd etite große Anzahl anderer Wasserläufe uach
ver^chledeuen Richtungen hin. In dieser Region lebt eine
dichte Bevölkerung; durch sie wird bald der europäische
Handel an der Küste aus direkte und sichere Weise die
Märkte am oberen Niger erreichen. Dort ist auch ein
Stammsitz der Fellata (Peuls, Fulde), mit deren Häupt-
lingeu die Frauzoseu freundschaftliche Verbinduugeu auzu-
Globus 1861. Nr. 3.
knüpfen bemüht sind. Das war auch der Zweck Lamberts,
dessen höchst anziehende Reise wir in einer der nächsten
Nummern des „Globus" mittheilen werden.
Wir wenden uns weiter nach Süden an den untern
Niger oder Quorra. Im Jahre 1857 war in England
ein Dampfer ausgerüstet worden, welcher den Strom so
weit als möglich hinauffahren sollte. An der Spitze der
Expedition stand Dr: Baikie, ein tüchtiger Mann; das
Schiff, die Pleiade, wurde aber so nachlässig geführt, daß
es bei Rabba scheiterte; man hatte die Flußkarte Beecrosts,
der 1845 in der Etiope über Rabba hinausgekommen war,
an Bord, ließ aber dieselbe unbeachtet. Die Mannschaft
rettete sich und blieb zunächst ein ganzes Jahr in Rabba,
von wo aus sie durch das Land Horuba eine Verbindung
mit der Seeküste bei Lagos herstellte. Glover machte von
Rabba aus Reisen am Niger landein, sand, daß der Strom
bei Waru einen Wasserfall bilde, und kam bis Wawa und
Bnssa, also bis dahin, wo Mungo Park seinen Tod fand.
Durch May wurde das Innere von Uoruba näher bekannt,
lind Baikie unterhielt freundschaftlichen Verkehr mit dem
Könige von Nnsi. Im Oktober 1858, ein Jahr nach dem
Schiffbruch der Pleiade, kam der Dampfer Snnbeam und
holte die Expedition nach Fernando Po ab, wo sie neu eiu-
gerichtet wurde. Mit dem Dampfer Rainbow fuhr sie
wieder stroman; das Schiff hatte jedoch 4 Fuß Tiefgang
und fand im Monat Januar 1859 zu wenig Wasser; der
Ouorra steigt erst im Monat Juni. Baikie mußte also
umkehren, schiffte nach Lagos und zog auf dem von May
eröffneten Wege durch \>)oritba wieder uach Rabba. Von
dort aus hat er seitdem seine Forschungen an beiden Ufern
des Niger fortgesetzt, bis über die Mündung des Binne
hinaus, und ist bis Bida int Lande Nnpi oder Nnffi gelangt,
wohin noch kein Europäer vor ihm gekommen war.
Von nicht geringem Interesse sind die Reisen du
Chaillu's, welcher im Auftrage der Akademie der Natur-
Wissenschaften zu Philadelphia das westafrikanische Küsten-
land im Süden des Gabnnflnsses zn beiden Seiten des
Aequators, bis etwa hundert deutsche Meilen weit in's In-
uere, erforschte. Er setzte sich vier Jahre lang, bis 1858,
unablässig großen Gefahren aus, trotzte aber doch etwa
fünfzig ^ieberaufällen und war glücklich genug, eine Anzahl
von Gorilla-Affen zu erlegen, dieser wildesten und furchtbar-
sten Affen, die bisher nur wenig bekannt gewesen sind. Du
Ehaillu fand, daß etwa 25 Meilen von der Küste landein-
wärts eine dreifache Gebirgsreihe zieht, deren Hauptketten
er für eine Fortfetznng des Konggebirges hält. Jene, welche
von der Küste, Fernando Po gegenüber, bis znm Flusse
Muni länft nnd weiter landein sich mit dem Konggebirge
vereinigt, ist alö Sierra del Cristal bekannt. Der Reisende
kennt in der vor ihm nicht erforschten Gegend im Norden des
Aqnators drei schiffbare Flüsse, nämlich den Muni oder
Dendscher, den Mundet und Gabun, und hat über das
Wassersystem im Innern eine Menge werthvoller Nach-
richten gesammelt. Manche Ströme beschiffte er, fand das
Land sehr ungesund, gewann aber reiche Ausbeute an Vö-
geln. Auch über die Sitten nnd Gebräuche der schwarzen
Bewohner erhalten wir von ihm werthvolle Mittheilungen.
Er zeigt, wie tiefe Nacht der Barbarei auf ihnen liegt, uud
daß alljährlich Taufende von Menschen getödtet werden, weil
man sie im Verdachte der Zauberei hat. Als vor einigen
Jahren der Negerkönig am Kap Lopez starb, wurden sechszig
Leilte abgeschlachtet, welche man für betheiligt bei böser
Hexerei hielt; man glaubte, der König sei durch Zauber aus
dem Wege geräumt worden. Es ist kennzeichnend für die
Zustände, daß der König der Apingi zu Ehren des weißen
Mannes uud um demselben ein schmackhaftes Abendessen zu
12
90 Globus, Chronik der Reisen
geben, einen Mann abschlachten lassen wollte. Wir haben
über du Chailln schon iu der vorigen Nummer berichtet.
Das einst viel genannte Königreich Congo, welches seit
langer Zeit in Versall gerathen ist, wurde 1857 von dem
Weltfahrer Adols Bastian aus Bremen besucht. Er fand
in der Hauptstadt San Salvador, wohin seit langer Zeit
kein Europäer gekommen war, Alles in Trümmern und in
der Regentin eine ganz gewöhnliche Negerfrau. Von dem
frühern Pomp eines barbarischen Hofes ist nichts übrig
geblieben als ein hohles Titelwesen; zerlumpte Schwarze
führen die Titel Herzöge, Marquis, Graf, und tragen ein
Kreuz, das sie als Christusorden bezeichnen. In demselben
Jahre 1857 fuhr Kapitän Hunt mit der Alecto den Congo-
flnß aufwärts, welcher durch die Expedition Tnckey's 1816
eine so traurige Berühmtheit erlangt hatte; denn sast die
gesammte Mannschaft war gestorben. Der Strom hat
einen ungemein gewundenen Lauf und viele Wasserfälle,
unter welchen die von Gallala am beträchtlichsten sind.
Von großer Wichtigkeit erscheinen die Reisen des La-
dislaus Magyar im Innern Südwestafrika's, weil sie
eine bisher sehr mangelhafte oder gar nicht bekannte Region
erschließen. Magyar war im Januar 1849 von San Fe-
lipe de Bengnela aufgebrochen und mit der großen Jahres-
karawane landeinwärts nach Bihe gezogen, wo er sich
dauernd ansiedelte und mit der Tochter eines Königs ver-
mählte. Von dort aus unternahm er weite Reisen, auf
welchen er auch, von Süden hin nach Norden, den Weg,
welchen Livingstone von Osten nach Westen her gemacht,
durchkreuzte. Er giebt eine Menge werthvoller Nachrichten
über die Kimbunda-Stämme, über den Zaire, Kaluuda und
England und die
Die Civilisation hängt in der That an einem Baumwollen-
faden. Man denke sich, daß die vier bis fünf Millionen Ballen,
welche seither jährlich aus den südlichen Staaten Nordamerikas in
den Handel kommen, auch nur zwei Jahre ausblieben! Daö Un-
glück wäre unermeßlich, weil Millionen Arbeiter dann ohne Be-
schäftignng wären und alle Lebensverhältnisse in Europa eine
völlige Umwälzung erführen. Wir geben heute nur Andentungen,
weil wir diese Lebensfrage gelegentlich im Globus eingehender er-
örtern wollen, bemerken aber, daß seither alle Bemühungen, einen
Erfolg für die nordamerikanische Baumwolle zu finden, den Er-
Wartungen nicht entsprochen haben. Wir begreifen die ängstliche
Spannung, mit welcher man namentlich in England auf die vou
einer fanatischen und gewissenlosen Partei des Nordens, der söge-
nannten republikanischen, heraufbeschworene Krifis Nordamerika's,
betrachtet. Man muß nordamerikanische Baumwolle haben, denn
was sollte aus Manchester und ganz Lancashire werden, wo man
schon im August die Arbeitszeit auf die Hälfte eingeschränkt hat?
Man setzt in England große Hoffnungen auf Afrika; aber
auch dort würde die Baumwolle ein Erzengniß der Zwangsarbeit
sein, wenn man die Waare regelmäßig und in großer Menge, also
dem Bedarf und der Nachfrage gemäß, erhalten wollte. Der freie
Neger arbeitet in tropischen Gegenden entweder gar nicht oder doch
äußerst unregelmäßig. Aber im besten Falle müßten immerhin
wenigstens zehn Jahre vergehen, ehe eine Lücke, welche Amerika
ließe, von Afrika her ausgefüllt würde. Nun hofft man von
Ostindien Rettung. Wir haben gute Gründe zu der Annahme,
daß dieses Land in Betreff der Baumwolle nur subsidiarisch eiu-
springen, nicht aber das nordamerikanische Erzeuguiß ersetzen und
dasselbe überflüssig machen kann. Auch ist und bleibt Ostindien
ein unsicherer Besitz, wo wenigstens zeitweilig Gefahr eintreten
und der Baumwollenbau unterbrochen werden kann. Indessen
und Geographische Zeitung.
den Kahsabi, über Kamba und das Land am Knnene. Seine
Wanderungen umfassen den Landstrich zwischen dem 8. und
15.0 südl. Br. in den Kimbunda-Ländern, zwischen dem 9.
und 11.° im Mnn-Ganguella-Lande, beide zwischen 19. und
27.0 östl. L. von Greenwich. Im Jahre 1853 hatte er von
der portugiesischen Regierung zu Mossamedes den Auftrag
erhalten, den Fluß Kunene zu erforschen; auch sollte eine
Expedition ausgerüstet werden, um die Schisfbarkeit des
Stromes näher zu untersuchen. Man wußte, daß derselbe
durch eine fruchtbare, an edlen Metallen reiche Gegend fließe,
hatte aber keine genauere Kunde über die Mündung. Er
entspringt in Nano, einem Gebirgslande, und mündet unter
etwa 161/2° südl. Br. Dem Schweden Andersson, welcher
schon früher die Lande der Damaras, der Ovampo und
Ovaherero durchzogen hatte, war es 1860 gelungen, von
Süden her bis an den Flnß Okavango vorzurücken, den
wir früher nicht kannten. Die Missionäre Hahn und Rath
haben viele neue Nachrichten über das Leben und die weite
Verbreitung der sogenannten Buschmänner gegeben, die viel
höher nach Norden hinaufreichen, als man gewöhnlich annahm.
Beide zogen an den Flüssen Omnraniba nnd Ovampo
hin, in welchen sie Krokodile fanden, und kamen im August
1857 an einen See, der etwa 15 Wegstunden im Umfang
hat und aus welchem der Omnramba abfließt. Die weite
Gegend von der Walfischbai nach Norden hin bis zum Ku-
uene ist stärker bevölkert, als man früher glaubte; die
Ovampo haben in den Otschorukakubergen Kupfergruben
und die Missionäre fanden Riesenbäume, deren Stamm
20 Fuß Durchmesser hatte.
idische Baumwolle.
sind die Anstrengungen der Engländer, diesen Anbau in Indien
zu steigern, nicht ganz mißlungen und uns liegen darüber interes-
sante Berichte vor.
Die „Manchester Cotton Company" hielt am 27. August eine
Sitzung, um Mittheilungen ihres Vorsitzenden anzuhören. Sie
beschloß, einen Sachverständigen, Herrn Haywood, nach Indien
zu schicken. Angenehm waren ihr die Eröffnungen, daß die Re-
gierung besonders mit Rücksicht auf die Verschiffungsplätze der
Baumwolle, die Anlagen und Besserung von Verkehrswegen nach-
drücklich betreiben lassen werde. Die Straßen am Khyga Ghat
von Darwar (an einem obern Zuflüsse des Krischna, also im
Westen, landeinwärts von Goa), nach dem neuen Hafen Seda-
fchegar, wird man rasch vollenden, am Hafen eine Anlände und
Dämme bauen, der Mauchester-Compauy bequem gelegene Stellen
zur Anlage von Preßhäusern, Auskörnungsmaschinen und Vor-
rathsspeichern verabfolgen. Sämmtliche Behörden in den Präsi-
dentschaften Bombay nnd Madras sollen angewiesen werden,
Herrn Haywood und seinem Begleiter Forbes hülfreich an die
Hand zu gehen. Beide werden in Bombay landen, sich nnver-
weilt nach Darwar begeben, Agenten bestellen, Baumwolle kaufen,
sie reinigen lassen und verschiffen. In Sedaschegar sollen sie den
Hafen untersuchen, und sich überzeugen, ob er sich zur Baum-
wolleuverschissung besser eigne als Kumtah nnd andere benach-
barte Seeplätze, und die im Bau begriffene Straße von Seda-
schegar durch die Ghats (das Küstengebirge) nach Buukapur bereisen
und sich in die Baumwollenbezirke von Darwar begeben, um dort
eine Centralstation zu errichten und Cottou Gins (Entkörnnngs-
Maschinen) und Pressen auszustellen. Auch sollen sie Agenten für
den Ankauf der Baumwolle ernennen. Haywood wird dann
besuchen die Baumwollenbezirke Lingsnr, Bellary, Bangalore,
Ra'lschur Duab uud Maissur, Co'lmbatur, Palghat, Tinnevelly,
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
91
Madura, Salem, Madras, Koringa, Schandah, Nadjpur, Um-
rauti und Kandehfch; dann soll er gehen von Bombay nach Sn-
rat, Broatsch, Baroda. Ahmedabad, Raikot, Dhollera und Gogo.
Die Direktoren der Manchester- Company senden eine Menge
von Maschinen nach jenen Gegenden, die im Februar 1862, wenn
die Baumwollenernte in jenen Gegenden beginnt, aufgestellt sein
werden, und giebt außerdem 20,000 Pfund Sterling aus, um den
Anbau aufzumuntern und zu regeln; außerdem verwendet sie im
laufenden Jahre zu demselben Zweck in Westafrika 1500 Pfuud
Sterling.
Im Unterhause kam die jüdische Baumwolle am 25. Juli zur
Sprache und der Colonialminister Sir Charles Wood ging näher
auf dieselbe ein. Die Zufuhr werde im Laufe des Jahres jedenfalls
beträchtlicher fein als je zuvor. Bereits seien 620,000 Ballen aus
Indien nach England verschifft worden und etwa 300,000 dürfe
man noch erwarten; das seien 320,000 Ballen mehr als früher.
Die jetzigen hohen Preise würden, wie er hoffe, den Anbau der
Baumwolle in Indien aufmuntern, und man werde sie dort wohl
endlich sorgfältiger pflücken und reinigen. Die indische Regierung
hat beträchtliche Summen verausgabt, um zu ermitteln, welche
Arten sich am besten für das Land eignen; aus dem südlichen Ben-
galcn seien beträchtliche Massen nach Calcntta gebracht worden.
Es sei Pflicht der Regierung, die Wege bis in die Baumwollen-
distrikte in guten Stand zu bringen, namentlich nach den beiden
Hauptgegenden Darwar und Berar. Aus dem letzteren könne
man sie auf der East Jndian Peninfnlar-Bahn befördern, die so
rasch als möglich vollendet werden solle, oder auf dem Godavery,
für dessen Schiffbarmachnng an schwierige Stellen man eben jetzt
mit großem Eifer arbeitet. —
Der Vorsitzende der Company äußerte, daß England seit
14 Jahren für das Pfuud Baumwolle zwei Pence mehr über
den „natürlichen" Preis bezahlt habe. Es verbraucht jährlich
1000 Millionen Pfund, und habe seither 1 Million Pfund Sterling
rein weggeworfen für — amerikanische Baumwolle, die man zu
theuer gekauft habe! Im laufenden Jahre habe England für die-
selbe Quantität Baumwolle, wegen der thenren Preise, 9 Millio-
nen Pfund Sterling mehr zu zahlen als 1860. Man möge aus
Indien kaufen.
Wir wollen hier noch hinzufügen, daß man in Bombay selbst
keine großen Hoffnungen in Betreff einer gesteigerten Baumwollen-
erzeuguug hegt. Ein Kaufmann, welcher in jener indischen Hafen-
stadt ansässig ist, schrieb neulich der Times, daß man die Ausfuhr
nur noch um höchstens 200,000 Ballen steigern können. Wer, so
bemerkt er. einigermaßen mit den Baumwollenverl,ältnissen bekannt
ist, weiß anch, in welcher kritischen Lage sie sich befindet, nnd wie
gefährlich es unter allen Umständen wäre, sich auf irgendwelche
Operationen für die Zukunft einzulassen. Die Reiots, Bauern,
pflanzen lieber Hanf, Flachs und Indigo, weil die Preise dasür
besser lohnen als jene der Baumwolle. —
Die Engländer hantieren viel mit Zahlen, weil Zahlen be-
weisen. Aber in ihrem Bestreben, die Baumwolle aus Indien zu
beziehe», vergessen sie, daß dieselbe vorzugsweise mit Silber be-
zahlt werden muß, während man die amerikanische zumeist oder
gauz mit englischen Fabrikaten bezahlt. Das macht einen
wesentlichen Unterschied. Als Absatzmarkt für europäische Manu-
fakturwaareu wird Indien niemals einen Ersatz für Nordamerika
bilden können, weil es eben Indien, ein orientalisches Land, ist;
es wird immer vorzugsweise Silber verlangen und an sich ziehen.
England ist in Verlegenheit, seitdem es die westindischen Neger
durch die Emaucipation der Trägheit nnd der Verwilderung preis-
gegeben und eine abolitiouistische Politik befolgt hat, von welcher
es empfindliche Rückschläge empfängt. Jene Emaucipation und
diese Politik haben sich in wirtschaftlicher wie in menschenfreund-
licher Hinsicht als durchaus verfehlt und verhäuguißvoll ausge-
wiesen; aber man schämt sich, das einzugestehen, und täuscht sich
selbst wie Andere mit unlogischen Sophistereien.
Reisen in Japan.
Rutlierford Alcock'ö Besteigung des Fusi nama
Der Weg, welchen die holländische Gesandtschaft von der Fak-
torei Desima bei Nagasaki nach Ueddo nehmen mnßte, wenn sie
allemal nach Ablauf vou vier Jahren dem japanischen Kaiser Hnl-
dignngen und Geschenke darbrachte, ist uns längst bekannt. Vom
innern Laude wissen wir dagegen noch wenig, doch wird nun all-
mälig der Schleier gelüftet.
Im Herbste des Jahres 1860 unternahm der englische Mini-
sterresident in Japan, Nutherford Alcock, von Kanagawa bei
Ieddo aus, eine Wanderung nachdem heiligen Berge der Ja-
paner, dem Fnsi yama und nach den heißen Schwefelquellen
von Atarni. Am 9. September wurde iu der Versammlung der
British Association zu Manchester ein Bericht erstaltet, welchem
wir das Nachstehende entlehnen. Alcock gelangte bis auf deu Gipfel
des Berges, dessen Höhe 14,000 englische Fuß übersteigt und konnte
gemächlich die ganze Hakoni-Gebirgskette erforschen. Au-
sangs machten die japanischen Minister einige Einwendungen, denn
offenbar hätten sie die Reise gern hintertrieben. Sie erklärten, daß
im .uili und August die zur Besteigung geeignete Zeit sei, weil
dann am wenigsten Schuee liege; in jenen beiden Monaten wallen
viele Pilger auf den heiligen Berg. Aber sie gehören nur deu
niederen Klassen an und Edellente oder Beamten von einigem
Range halten es unter ihrer Würde, die Wallfahrt zu machen. Die
japanischen Minister nahmen davon Anlaß, dem englischen Ge-
sandten vorzustellen, daß es seinem Stande nicht angemessen sei,
den Fusi yama zu besuchen.
Alcock ließ sich indessen nicht abschrecken und trat am 4. Sep-
und Wanderung von Nagasaki nach Kanagawa.
tember von Kanagawa aus seine Wanderung an. Unter sieben
anderen Männern, welche die Reise mit ihm machten, waren Ro-
binson, Lieutenant von der indischen Flotte, der mit physikalischen
Werkzeugen zu Beobachtungen versehen war, und der Botaniker
Weitsch. Bor dem cnglichen Consnlatsgebäude standen in langen
Reihen Pferde und Packthiere, deren Besitzer sich dem Zug an-
schließen wollten. Auch gab die Regierung den Fremden eine Be-
decknng mit, unter dem Verwände, anf gefährlichen Wegen für die
Sicherheit derselben zu sorgen, in Wahrheit aber, um ihr Thun und
Treiben beobachten zu lassen.
Der Weg von Ieddo zum Berge (Dama) Fusi läuft etwa
fünfzehn englische Meilen weit an der Küste hin nnd führt einige
Meile über Halbinseln. Die große Reichsstraße von Nagasaki nach
der Hauptstadt läuft gleichfalls am Gestade hin und war für die
Reifenden bis Dosiwara offen. Alle Daymios, Lehnfürsten, deren
Besitzungen nach jener Richtung liegen, ziehen alljährlich zweimal
hin und zurück, mit ihrem großen und stattlichen Gefolge auf
dieser Straße zu Hofe, wo sie bekanntlich alle Mal sechs Monate
verweilen müssen. Der Weg führt durch die Pässe des Hakoui-Ge-
birges uud diese werden von Regierungsbeamten streng überwacht,
damit keine Waffen, Frauen oder Töchter der Daymios durch-
geschmuggelt werden; bis znr Rückkehr der Magnaten behält man
sie als Geiseln.
Der weitberühmte heilige Berg war an einem schönen Som-
merabend von Aeddo aus, in einer Entfernung von achtzig engli-
fchen Meilen, sichtbar; fein Haupt hatte er freilich in Wolken gehüllt,
12*
92
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
doch die Abendsonne goß um die purpurne Masse des Fusi einen
goldenen Schein. Er gehört zu den schönsten Bergen der Welt;
von einer breiten Unterlage steigt er jäh empor, bildet einen voll-
kommenen Kegel, der nur ganz oben etwas abgestumpft ist, und
überragt alle umliegenden Berge. Die Hauptstraße, welche zu ihm
führt, wird vom Lakikawa (Kawa, Fluß) durchschnitten, der
beinahe so berühmt ist, wie der heilige Berg selbst. -Eiue große
Menge von Trägern stand bereit, um die Reiseudeu hinüber zu
bringen; manche wurden aus den Schultern getragen, andere auf
kleinen Gerüsten. Die Nachricht vom Anzüge der Fremden hatte
sich rasch verbreitet und aus Städten und Dörfern strömten Leute
in großer Menge herbei, um die Europäer zu sehen; bei Odawar a
war ein so dichtes Gedränge, daß Alcock nicht absah, wie man
hindurch kommen solle. Aber Alles ging in der besten Ordnung
vor sich. Die Führer traten auf die Menge zu, winkten mit einem
Fächer, riefen Oh tanirio, d. h. kniet nieder! und sogleich öffnete
sich, wie durch Zauber, eine breite Gasse. Jeder senkte das Haupt
und der Leib verschwand in wunderbarer Weise hinter den Beinen
und Knieen. Die Japaner haben nämlich eine große Gewandt-
heit in einer eigentümlichen Art sich niederznkauern. Nach zwei
Tagereisen befand sich der Zug am Fnße der etwa 7000 Fuß hohe»
Hakoui-Gebirge. Der Weg war herrlich; er führt vou Oda-
wara nach Miffima dnrch die Hakouipässe und sehr rauhes Ge-
birgslaud. Das Besteigen des Fusi yama war sehr beschwerlich.
Oben liegt ein gewaltiger Krater von 1100 Iards Länge und 600
Iards Breite; die Tiefe beträgt ungefähr 350 Iards. Das Un-
terlaud war durch Gewölke verdeckt. Der letzte Ausbruch des
Vulkans fällt in das Jahr 1707. Das Hinaufsteigen erforderte
acht Stunden Zeit, zum Hinabgehen brauchte man nicht einmal
vier Stunden.
Im Laufe des Sommers 1861 machte Alcock eine Wanderung
von Nagasaki uach Kanagawa, über welche wir einen kurzen Be-
richt in der Overland China Mail (vom 27. Juli, aus dem North
China Herald) finden; das Datum der Reise ist nicht näher ange-
geben. Der niederländische Generalconsnl de Witt, der englische
Consul Morrisou, Wirgmauu, Correspoudent der Londoner
Jllnstrated News, und Gower, vou der englischen Gesandtschaft,
hatten sich Herrn Alcock angeschlossen. Ueberall benahm sich das
Volk mit musterhafter Höflichkeit. Auch diese Wanderung scheint
der kaiserliche Hof nicht gern gesehen zu haben, denn die Beamten
schilderten die Sache als sehr gefährlich. Aber Alles lief ganz vor-
trefflich ab; fämmtliche Magnaten, durch dercu Gebiet der Weg
führte, ließeu die Fremden höflich begrüßen und gaben ihnen
Ehrengeleit.
Die Landschaft wird als über jede Beschreibung herrlich dar-
gestellt, als geradezu wunderbar. In allen Städten und Dörfern
war Zufriedenheit und großer Wohlstand offenbar; aber nichts
geht über Osaka und dessen Hafen Hiogo, welcher 1863 dem
auswärtigen Handel eröffnet wird. „Osaka ist zugleich das Paris
und London von Japan, Hauptsitz des Handels und des Luxus,
eiue ungeheure, überall von Kanälen durchschnittene Stadt, mit
prächtigen Waareuhäuseru und unzähligen Brücken. Aller Orten
tritt Einem der Fortschritt entgegen, Alles ist in lebendiger Thätig-
feit, im besten Gedeihen, in musterhafter Ordnung. Osaka steht
in hoher Blüthe und das ganze Land bildet entschieden einen Ge-
gensatz zu China, denn in Japan geht Alles vorwärts."
Hiogo, zwanzig englische Meilen von Osaka, ist ein schöner
Hafen. An den wohlgehaltenen Meeresufern werden Magazine
für den auswärtigen Handel gebaut; in der Umgegend stehen
reizende Landhäuser. Nagasaki und Iokuhama sind noch nicht
Japan, sondern wie Vorhöfe und Außenwerke. Mit Land und
Volk wird Europa erst dann näher bekannt werden, wenn Osaka
und Hiogo dem Verkehr erschlossen sind. Aber so viel ist schon
jetzt vollkommen ausgemacht, daß Japan in mancher Beziehung die
europäischen Länder weit überflügelt hat, und daß seine eigenartige
Civilisation sich vollkommen mit der nnsrigen messen kann. Das
Jnselreich des Sonnenaufgangs steht mindestens ebenbürtig neben
unserm Abendlande, und wir Europäer, die wir uns so gern als
allein „civilisirt" Privilegiren, werden von den Unterthanen des
Tätkuu Manches lernen können.
Lafargue^s Bemerkungen über die Länder am obern Nil.
Gerade jetzt, wo es sich mehr als je darum handelt, ein wich-
tiges geographisches Problem zu lösen, gewähren alle Mitteilungen
von Reisenden über die Regionen am obern Nil ein erhöhtes Interesse.
Die Frage nach den Nilquellen ist mit ihrer scharfen Ecke in den
Vordergrund gerückt und wird auf Jahre hinaus die öffentliche
Theilnahme fesseln.
Inzwischen drängen sich die Berichte über jene Gegenden und
Ferdinand Lasargue giebt in einem Briefe an den pariser Akade-
miker Jomard werthvolle Beiträge. Jener Arzt lebt seit 1835 in
den Ländern, welche der ägyptischen Herrschaft unterworfen sind,
und während eines Zeitraums von siebenzehn Jahren hat er weite
Reisen im Sudau gemacht. Nun macht er in einem aus Chartum
vom 15. September 1860 datirten Briefe darauf aufmerksam, wie
wichtig die Dampfschifffahrt für die Kunde der Gegenden am
obern Nil werden könne. Mit Hülfe derselben lasse sich die ganze
Region binnen drei oder vier Iahren gründlich erforschen.
Seine Ansicht ist, daß alle Reisezüge zur Erforschung der noch
unbekannten Gegenden vom Bahr el Abiad ausgehen müssen.
Vermittelst der Segelschifffahrt kann man aber vermöge der me-
teorologifchen Verhältnisse des Sndan nicht über eine bestimmte
Gränze hinaus. Die ägyptische Regierung erlaubt die Dampf-
schifffahrt auf dem Nil nur vermittelst solcher Fahrzeuge, welche
ihr selber gehören. Lasargue erhielt nun vom Prinzen Halim Pascha
einen kleinen Dampfer von etwa 25 Pferdekraft, um die drei großen
Flüsse zu erforschen, welche das System des Bahr el Abiad bilden,
und späteren Entdeckern den Weg bahnen zu helfen.
Am 22. September 1857 verließ er Schubra bei Kairo, und
war am 25. December zu Meraweh in Obernubien, wo er des
niedrigen Wasserstandes wegen bis zum 1. August 1858 liegen blieb.
Am 2l. August war er in Berber; über alle Katarakten kam er ohne
Gefährde, wiewohl nicht ohne erhebliche Anstrengungen. Auf der
Strecke von Berber nach Chartum, im September, benutzte er Holz
als Brennstoff; es bewährte sich trefflich, weil es hart und schwer
ist. In Chartum blieb er vom 21. September bis 22. October, um
Vorbereitungen sür die Reise auf dem obern Nil zu treffen.
Der Dampfer schleppte zwei große sudauesische Boote, deren
jedes mit Lebensmitteln und Glasperleu im Gewicht vou 200 Ardeb
beladeu war; mau legte deshalb in der Stunde nur etwa eine
Lieue zurück, während der Dampfer ohne diese Boote recht gut vier
machen könnte. Am 29. November erreichte er Gondokoro,
etwas südlich vom 5." N. Br. uud war am 25. December wieder
in Chartum. Auf der ganzen Reise hatte er nie Mangel an Holz;
zuweilen wurde die Röhre zum Dampfkessel durch Wasserpflanzen
verstopft, aber diesem Uebelstande läßt sich leicht abhelfen, wenn
man vor der Röhre ein Gitter anbringt. Krankheit und Ränke
verhinderten ihn, eine zweite Reife zu machen.
Die isegelschiffsahrt, sagt er, kaun nur während einer be-
schränkten Zeit des Jahres ersprießlich sein. Der Nordwind tritt in
Chartum uicht vor Ende Octobers ans und wird erst im Novem-
ber stark und regelmäßig; dann ist aber der Nil schon um einige
Meter gefallen uud wird immer niedriger bis der Regen eintritt.
Mit diesem stellt sich aber auch der Südwind ein. Wäre es
Glolms, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
93
umgekehrt, so hätte man das große Problem Wohl längst lösen
können.
Trotz dieser Hindernisse hat aber der Handel schon große
Schwierigkeiten überwunden, namentlich auf dem Bahr el Gasal,
von wo eine große Menge Elephantenzähne in den Verkehr kom-
men. Die chartumer Kaufleute haben sogar schon Factoreien in
Fertit, bei den Namnam; sie machen den arabischen Kauflcnten,
den Dschellabs, aus Dar Für, einen für diese sehr nachtheiligen
Wettbewerb, weil sie auf dem Stromwege, welchen sie auf einer
weiten Strecke benutzen, viel bequemer uach Fertit gelangen, als
die Dschellabs auf dem Karawanenwege. Der Elfeubeiuhaudel
wird schon in den nächsten Jahren von Dar Für abgelenkt sein und
künftig die Nilstraße benutzen. Ein Kaufmann aus Chartnm.
Ali Umnri, der eine Factorei in Fertit hat, gab folgende Auskunft
Er fuhr mit gutem Winde ab und gelangte binnen dreizehn Tagen
nach Rek, wo die Handelsfahrzeuge zusammentreffen. Dort ist
ein großer tiefer See, dessen westlichen Theil Rohrsümpfe bilden.
In diesem verschwinden die Flußläufe, deren Vorhandensein bis
jetzt ermittelt worden ist. Es giebt deren fünf und drei sind
bedeutend.
Der erste kommt von Westen und die Kaufleute bezeichnen ihn
als den Araberfluß, weil die Refegataraber au ihm wohnen.
Der zweite berührt Fertit und wird wegen des an ihm hausenden
Staninieö der Dschiurs, Bahr el Dschinr genannt. Er hat
reines klares Wasser und fließt das ganze Jahr hindurch. In der
Regenzeit hat er viel Wasser, aber im „Winter" ist er so seicht, daß
Boote ihn nicht befahren können. Ein dritter Fluß kommt vou
Südeu her, und ist, gleich den beiden vorgenannten, nur in der
Regenzeit schiffbar. Man erzählt, daß einige Kaufleute au diesem
Flusse zu Fuß bis iu die Breite, iu welcher Goudokoro am weißen
Nil liegt, gekommen seien, uud dort war er noch nicht zu Ende.
(— Es wird wohl der Fluß gemeint sein, an welchem Maduuga
liegt, uud welchen Petherick bei Gutu überschritt. —)
Als die Kaufleute im Rek-See versammelt waren, verließen
sie ihre Boote und setzten ihre Reise zn Fuß fort. Nach sechs Ta-
gen gelangten sie zn den Dschiur-(Djur, Giour-)Negeru, uud vou
diesen in sieben Tagen nach Fertit. (— Die Djur hat Petherick auf
seiner Karte eingetragen, etwa unter dein ti." N. Br. —) Das Gc
biet der Namnam gränzt an jenes von Fertit, und die beiden
Völker, welche verschiedenen Stammes sind, leben unablässig in
Krieg mit einander. Die Namnam sind Menschenfresser und
Menschenfüße gelten bei ihnen für eine große Delicatesse. Ihre
Hant ist nicht so dunkelfarbig wie jene der Bewohner von Fertit.
Lafargue räth jedem künftigen Entdecker, dem Dampfboot eine
sudanesische Biulc, ein Sandal, alö Vorrathsschiff anzuhängen; er
könne dann, den Zeitaufwand für Holzfällen :c. mit eingerechnet,
binnen dreißig Tagen eine Strecke von ."»HO Lieues zurücklegen.
An Brennstoff sei nirgends Mangel. Der Dampfer müßte am
15. October von (£Hartum abfahren und man müsse darauf rech-
nen, zwölf bis vierzehn Monate auszubleiben. Goudokoro könne
man in der ersten Hälfte des Novembers erreichen und dort bis
zum April verweilen. Iu dieser Zwischenzeit müsse man das Sc-
g-lboot zn den Nuers schicken, um neue Vorräthe an Durrah ein
zunehmen. Von diesen lege man einen Theil in Goudokoro nieder,
und fahre von dort am 1. Mai bei steigendem Wasser stromauf,
so weit eö möglich ist. Der angebliche Katarakt oberhalb der Insel
Tschankehr (Jangner) ist kein Hinderniß. „Ich habe ihn besucht
uud bin mit meiner Barke viermal über denselben hinweggefahren,
ohne einen Felsen zu berühren." In der Mitte Septembers kann
der Dampfer wieder in Gondokoro, und im October wieder in
Chartum zurück feiu.
Auf dem Bahr el Gasal ist noch Alles zu thun übrig, aber
gerade auf diesem Wasser kann ein Dampfer vom größten Nutzen
sein. Die Expedition müßte in ähnlicher Weise ausgerüstet werden,
wie jene für den weißen Nil, auf sechs Monate Lebensmittel au
Bord nehmen, am 20. Jnni von Chartum abfahren und uach dem
Rek-See gehen. Dort muß sie den Zeitpunkt wahrnehmen, der ihr
erlaubt, durch Rohr uud Wasserpflanzen zu fahren, welche den
Eingang zu den Wasserläufen erschweren, nnd sie kann eö zur Zeit
der Platzregen nnd der Anschwellungen des Wassers. Sie kann
dann bis etwa zum 10. October ungehindert ihre Forschungen an-
stellen und in jedem Monate 580 Lieues zurücklegen.
Eine uach dem Sob-U bestimmte Expedition würde gleichfalls
am 20. Juni Chartum verlassen und könnte im October zurück sein.
Dieser Fluß ist von großer Wichtigkeit. Kaufleute wollen auf
demselben bis in die Nähe der Berge Abessiniens gekommen sein;
sie haben von den Negern an jenem Flusse blaugestreifte Baum-
wollenzeuge gekauft, die aus Goudar gekommen waren; außerdem
Kupfer und Glasperlen, welche gleichfalls von Osten her zu ihnen
gelangten.
Die Reisekosten für alle diese Expeditionen veranschlagt La-
fargue auf höchstens 150,000 Francs.
Aleine
Der französische Reisende Lejean, welcher seit dem vorigen
Jahre die Gegenden am Rothen Meere und die Länder am obern
Nil besuchte, meldet unter dem 13. Juni 18G1 auo Chartum, daß
er nach Europa zurückkehren müsse; seit sieben Monaten l>alc um
das Fieber geplagt uud beide Beine seien ihm gelähmt. £r mti|;
also auf den Plan verzichten, seinerseits die Nilquellen zu ent-
decken, doch wird seine Reise nicht ohne Ausbeute sür die Wl^eu-
schaft sein. Es gelang ihm. den Bahr el Abiad (Weißen Strom)
bis nach Gondokoro, der österreichischen Mission, welche Pater
Knoblecher gründete, aber später des bösen Klimas wegen wieder
aufgeben mußte, stroman zu fahren. Dort traf er im Januar den
Doctor Peney, welcher eben den Fluß Jtiey erforscht hatte.
Lejeau bezeichnet als Ergebnisse feiner Forschungen Folgendes:
Eine Karte des ägyptischen Sudan, ans welcher die Flußgebiete
de« Mareb und Atbara zum ersten Male richtig eingetragen wor-
den; sie iitut utaeii in Äordofan und iu Sennaar ans, uud eut-
hall die zwischen .legypten und Abessinien streitigen Landschaften.
Ferner^ verspricht er eine genaue Aufnahme des Keilak nnd zweier
Nebensinifc desselben, eine Karte des gesammten östlichen Sudan
mit Angabe einiger neuen Handelsweae, über welche er von den
Dschellabs, aiabischen Äarawanenkaufleuten, Knude erhielt. Wei-
ter eine ethnographliche Karte des ganzen Nillandes. Diese wird
von ganz besonderm Interesse lein. Lejean sagt, sie beruhe aus
unbedingt zuverlässigen Grundlagen, nämlich auf Vocabularien
und den verschiedenen Gesichtstypen, von den Kopten bis zu deu
ichrichten.
Niam Niam. Den Stamm oder die Familie der Bidscha, welche
vermittelst der Ababdeh bis nach Aegypten hineinreicht, sei abessi-
nifch; die nnbische Familie habe platterdings mit deu Abeisinieru
nichts geniein. Die Gallavölker nennen sich nicht, wie noch Kraps
annahm, Orma oder Ormo, was iu ihrer Sprache Menschen be-
deutet. Die Denka am weißen Nil seien von den SchelukS ver-
schieden; abgesehen von 'Nase und Lippen, habe er, nur die Deuka's
ausgenommen, iu jener Region überall, recht hübsche Gesichtstypen
gefunden; bei den Schirs zum Beispiel solche, welche an die Köpfe
römischer Cäsaren erinnern. Was die Sprachen anbelangt, so
seien jene der Bari, der Nuer, der Scheluks uud das Koudschara
sehr wohlklingend, während das Denka dem Geschnatter der Vögel
gleiche. Der Reisende bringt auch viele Wafseu, HanSgeräthe,
Schmucksachen uud dergleichen mehr vom obern Nil und vom
Keilak mit. Von den 21 libyschen Figuren vou Harafa (dem Kap
Bellnt Pallme's) hat er 17 copirt. Am ll. Juli wollte er von
Chartum abreisen, und die Gule-Berae in Sennar besuchen. In
denselben leben die Nachkommen der früheren Sultane von Sen-
nar, schwarze Männer, welche auch über weiße herrschten, deren
Macht aber dnrch Mehemed Ali von Aegypten gebrochen wurde.
Er bemerkt, daß die drei nubischen Dialekte: daö Dongolawi.
Malsassi und Kensi, weit von einander abwichen und vielleicht drei
verschiedene Sprachen bilden.
94
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Duvegrier^ ein anderer französischer Reisender, welcher seit
dem vorigen Jahre von Algier aus die Sahara nach verschiedenen
Richtungen hin durchstreift hatte, beabsichtigte von der Oase Rhat
(Ghat) aus nach Westen bis Jnsalah vorzudringen, er hat aber in
Folge der Streitigkeiten unter den verschiedenen Tuarek-Stämmeu
seinen Plan aufgeben müssen. Im Mai dieses Jahres war er in
Serdeles auf der Straße von Tripoli nach Boruu, und nur allein
der Weg nach Mnrsnk in der Oase Fessan war ihm offen. Er
wollte dorthin, nm von seinen Anstrengungen einige Zeit auszu-
ruhen.
Richard Burton, der berühmte Reisende, welchem wir die im
hohen Grad anziehenden Werke über Arabien, Härrär, die ostafri-
kauische Seenregion, Sindh und die Nilgherris verdanken, ist Ende
des Augustmonats nach Fernando Po in der Bucht von Biasra ab-
gegangen. Er ist zum britischen Consul auf jener Insel ernannt
worden, und tritt an die Stelle Hutchinsons, der einige treff-
liche Bücher über das äquatoriale westafrikanische Küstenland und
die Nigerexpedition veröffentlicht hat. An Burton erhält er einen
würdigen Nachfolger, und wir dürfen von dem letztern mit Be-
stimmtheit werthvolle Nachrichten über jene Gegenden erwarten.
Die ostafrikanischen Forschungsreisen Burtons und Speke's siud
jüngst in einer Bearbeitung von Karl Andree, zu Leipzig bei
Costenoble, erschienen; sie gewähren ein spannendes Interesse und
geben einen tiefen Einblick in die Verhältnisse von Ländern und
Völkern, die bisher völlig unbekannt waren.
Der amerikanische Missionär Lert ist im Ansauge
Jahres bis zu dem. von Du Chaillu ausführlich beschriebenen
Volke der Fau oder Pahuius, von seiner Mission am Gabun aus
vorgedrungen und hat bei diesen Anthropophageu eine sehr gute
Ausnahme gesunden.
Livingstone und die Makololo. Wir haben neulich darauf
hingewiesen (Globus, D. 27), wie hartherzig und unmenschlich die
auf Livingstone'ö Antrieb nach Südafrika zu deu Makololo ge-
schickten londoner Missionäre von diesen Barbaren und deren
Häuptling Sekeletn behandelt worden sind. Alle Hofsnungen, welche
Liviugstoue von jenem Volke hegte, haben sich als durchaus unge-
rechtfertigt erwiesen. Einen Beleg dafür giebt auch Andersson
in seinem neuesten Werke: „Der Okavanga-Fluß". Er entdeckte
diesen Strom in der Gegend, wo die Ovaqnangari wohnen
und trat mit dem Häuptlinge Tschikongo in freundliches Einver-
nehmen. Dieser klagte sehr darüber, daß die Makololo ihm fast
alles Vieh geraubt hätten, und Andersson bezeichnet diese „Freunde
Livingstone's" als die „Plage des centralen Südafrika's". Das
also, schreibt er, war das Ergebniß aller Bemühungen Liviug-
stone's, jenes Volk von Raubzügen abzumalinen. Alle Ver-
sprechungen, welche mau dem wacker« Entdecker gegeben hatte,
waren, um einen milden Ausdruck zu gebrauchen, Täuschungen
auf beiden Seiten. Jener Stamm hat, wie ich glaube, dem
Dr. Livingstone zweierlei Gesichter gezeigt. Ohne Zweifel besitzt
er persönlich großen Einfluß auf diese Leute und wenn er selber an
Ort und Stelle ist, geht ohue Zweifel Alles glatt und gut. Aber
sobald er den Rücken wendet, bewahrheitet sich das Sprüchwort:
Wenn die Katze nicht daheim ist, tanzen die Ratten auf dem Tische.
Eiu Missionär ist, Alles in Allem genommen, wenn er auch uoch
so praktisch und hochgeachtet wäre, niemals geeignet, in die Ge-
Heimnisse der Wilden einzudringen. Wir haben dafür in Hülle
und Fülle Beweise aus allen Ländern, wo Missionäre wirkten,
und meine eigenen Erfahrungen bestätigen den Satz.
Neue englische Erpeditionen nach Inner-Asien. Man
folgt in England und Indien den großen Fortschritten der Russen
im centralen und östlicheu Asien mit gespannter Aufmerksamkeit,
weil man eine Beeinträchtigung des britischen Handels befürchtet.
Um Schaden abzuwehren, trifft man jetzt allerlei Vorkehrungen;
vor allen Dingen soll Jnner-Asien genauer erforscht werden. In-
dische Blätter'enthalten darüber interessante Angaben. Auf An-
trieb des seitherigen Generalstatthalters Lord Canuiug ist eine
Expedition ausgerüstet worden, an deren Spitze Kapitän Smith
steht; mit ihm gehen der Jngenieurlientenaut Jackson und der
Geolog Meddlicot nebst anderen Gelehrten. Die asiatische Gesell-
schaft zn Calcntta, die Handelskammern von Bombay und Kur-
ratschi, die Theepflanzer im britischen Himalaya und manche
Beamte im Pendschab haben Instructionen ausgearbeitet, Fragen
gestellt und allerlei Nachweisungen gegeben. Die Reisenden sollen
noch im Lause dieses Jahres von Simla aus aufbrechen und über
Kanawar nach Markant» vordringen, wo jetzt die Russen ein Con-
sulat errichtet haben. Sie gedenken von dort nach Lhasfa in Tibet
zu gehen, und über Dschigatschar, Phagri, und durch den Paß von
Tschola nach Sikkim und Dardschiling zurückzukehren. Manche
Nachweisungen unserer Landsleute, der Brüder Schlag iutweit,
werden ihnen sehr nützlich sein, denn diese sind für jene Regionen
wahre Bahnbrecher gewesen. Die indische Regierung hat sich für
die Reisenden durch die britische Gesandtschaft in Peking kaiserliche
Pässe geben lassen. Smith hofft in der tibetanischen Hauptstadt
mit dem Kapitän Blakiston zusammenzutreffen; dieser ist, wie
wir schon früher mitgetheilt haben, bis Hanken am Dangt se kiang
mit dem Admiral Hope gefahren und dann weiter stromauf ge-
gangen, um durch das westliche China nach Tibet vorzudringen
und von dort über Ladak nach Indien zurückzukehren. Smith
wird als ein eben so unternehmender wie erfahrener Mann ge-
schildert. Er ist schon zweimal über den Himalaya gegangen, von
Almora über den Niti-Paß aus das tibetanische Plateau, hat den
Mansarawar-See besucht und war am obern Setledsch. Im
Jahre 1835 sollte er das Stromthal des letztern erforschen und bis
zu dem Punkte vordringen, wo aus der andern Seite des Hima-
laya der Brahmaputra in die Ebeue tritt. Das gelang ihm auch.
Später war er iu der Krim, wo er während des Krieges mit Ka-
pitän Speke einen Ausflug in den Kaukasus verabredete; er
konnte aber keine russischen Pässe erhalten. Speke ging nach Asrika,
Smith nach Indien zurück.
Auch iu einer audern Gegend Asiens sind die Engländer sehr
thätig. Oberst Phayre, derselbe, welcher vor einigen Jahren als
Gesandter am Hofe des Königs von Ava war, hat eine Expedition
von Ranguhu iu Pegu nach Bamo ausgerüstet. Sie soll bis
au die Grenze der chinesischen Provinz Iünnan vordringen.
Auch ist es im Plane, von Assam aus den Lauf der Brahmaputra
näher erforschen zu lasfeu.____
Die chinesisch ^tibetanische Expedition ist, laut Nachrichten
aus Hong koug vom 27. Juli, verunglückt; die „große Ueberland-
Partie" hat umkehren müssen, langte aber wohlbehalten in schang hat
wieder an. Die früheren Nachrichten, welche von den Reisenden
eingelaufen sind, waren aus Kweichow oberhalb Hang köu, dann
kamen sie nach Uan, wo mau sie zwar höflich behandelte, doch
konnten sie weder Träger uoch Lastthiere bekommen und mußten
deshalb die Fahrt ans' dem Strome fortsetzen. Am 28. April
erreichten sie Schnn fing. Der Befehlshaber, ein Mandschngeneral,
wollte sie nicht empfangen, und der dorrige französische Bischof, der
viele Jahre in der Provinz Sse tschnen sich aufgehalten hatte,
warnte sie vor einem Complot; Soldaten hatten die Absicht, so
verhaßte Fremdlinge zu ermorden. Es kam den Reisenden vor,
als ob man in jener entfernten Provinz uoch gar keine Kunde von
den Bestimmungen des tientsiner Vertrages habe (oder man wollte
absichtlich nichts davon wissen); wohl aber war das Gerücht von
einer großen Schlacht dorthin gedrungen, in welcher die Fremden
Sieger geblieben; an das letztere mochte man jedoch nicht glauben.
Die Engländer fuhren au mehrern großen Städten vorüber, die
aber aus Furcht vor deu Rebelleu alle geschlossen waren. Nach
großen Schwierigkeiten wurde am 18. Mai Sni tschen erreicht.
Dort lagen viele Krieger vor den Stadtthoren, die man gesperrt
hatte, damit die Bürger sicher vor ihnen seien, denn jene „Braven"
waren in einem Zustande gänzlicher Unbotmäßigkeit und hatten
böse Raufhändel unter einander. Die Fremdlinge sandten einen
Brief an den Präfekten und baten, ihm die Aufwartung machen zu
dürfen; er wollte aber die Thore nicht öffnen, sondern ließ den
Engländern sagen, wenn sie ihn sprechen wollten, werde
er Körbe an der Mauer hinab lassen; sie könnten sich
hineinsetzen nnd sollten danu heranfgezogen werdeu.
Darauf mochten sie sich nicht einlassen. Während der vier Tage,
welche jene bei Sui tscheu lagen, warfen die Soldaten Steine nach
ihnen, uud der Mandarin ließ ihnen sagen, sie möchten nur um-
kehren, weil weiter landein Alles in der Gewalt der Rebellen sei.
Kein Bootsmann wollte sie fahren. Sie kamen dann nach Pin
schang, das am 26. Mai von den Rebellen angegriffen wurde;
man schoß auf das Fahrzeug uud nun liefen die chinesischen Matro-
sen fort. So blieb nichts weiter übrig, als den Iang tse kiang
wieder hinabzufahren.
Graf d'Cscayrac de Lauture, welchem wir ein vortrefflich
geschriebenes Werk über den Sudau und das Land der Schwarzen
am obern Nil, verdanken, ist glücklich nach Europa znrückge-
kommen. Er war mit der französischen Expedition vor Peking,
wurde von den Chinesen gefangen, abscheulich mißhandelt und ent-
ging nur mit genauer Roth dem Tode.
Man giebt die Hoffnung noch nicht auf, einen Punkt auf der
Landenge von Darien zu finden, an welchem die Dnrchstechung
des Isthmus und die Aulage eines Kanales möglich ist. Bisher
sind bekanntlich in dieser Hinsicht alle Bemühungen gescheitert. Im
vergangenen April machte sich eine französische Reisegesellschaft auf
den Weg, drang bis zum Flusse Chnqninaca vor, fnbr den Sa-
bana etwa fünf, die Lara zwei deutsche Meilen hinauf, konnte
Globus, Chronik der Reisen
aber dann nicht weiter vordringen, weil die Regenzeit und auch
sonst manches Hinderniß eintrat. Die Bodenerhebung auf diesen
Strecken betrug nicht mehr als 50 Meter und die Indianer zeigten
sich nicht unfreundlich; die Reisenden, an deren Spitze der Inge-
nienr Boudiol steht, kehrten nach Neu-Uork zurück. Dieser will
im December wieder nach dein Isthmus und zur Fortsetzung seiner
Untersuchungen die trockenen Monate des Jahres 1862 benutzen.
Der Naturforscher Fordes ist im Juli zu Lima angekom-
men; er soll im Auftrage der Londoner Gesellschaft der Wissen-
schasten und in den Audes von Peru und Bolivia geologische
Forschungen anstellen, und er ist dazu der rechte Mann. Wir
dürfen interessante Berichte von ihm entgegen sehen.
Erforschung von Labrador. Im Juni sandte die cana-
dische Regierung den Prosesser Hin d anö Toronto zur Erforschung
dieser Halbinsel ab, deren Inneres noch wenig bekannt war. Er
landete am Moisieslnsse, welcher aus den Seen auf dem höchsten
Plateau kommt. Hind fand das Land sehr gebirgig und zum groß-
ten Theil baumlos. Nach drei Wochen, gegen Ende des Juni, war
er am obern Moisie, der dort auch für die kleinsten Fahrzeuge nicht
mehr schiffbar ist. Der Weg, ein alter Jndianerpsad, folgt einer
Kette kleiner Seen. Das innere Plateau ist ausgedehnt und sehr
einförmig; die Flüsse strömen mehr als 300 Miles lang auf dem-
selben und dann nach der Nordostküste hin.
Ladg Franklin, die hochherzige Gattin des Nordpolfahrers,
macht eine Reife um die Erde. Sie war im Juni zu Honolulu
auf den Sandwich Inseln, wo die ansässigen Europäer und Ame-
rikauer ihr zu Ehren ein Festinahl hielten. Der König Kameha-
mema und dessen Gemahlin waren zugegen und Lady Franklin
hatte den Platz zwischen den braunen Majestäten. Der König
tanzte eine Quadrille mit der Nichte der Lady Franklin.
Der Monte Viso ist in den See-Alpen am 30. August dieses
Jahres zum ersten Mal erstiegen worden. Seine Höhe beträgt etwa
11,800 Fuß. Das Wagniß wurde von Turin ans durch W.
Mathews und F. W. Jacomb unternommen; sie hatten zwei
Führer ans Chamonnix bei sich. Sie waren Morgens um 9 Uhr
20 Minuten auf dem Gipfel; er^besteht aus zwei fast gleichhohen
Felsenleisten, welche durch einen Schneegrat mit einander verbnn-
den find. Der Oberhimmel war unbewölkt uud die Rundschau er-
streckte sich über die penninischen Alpen vom Monte Rosa bis zum
Montblanc, über die ganze Kette der grajischen Alpen, die Gebirge
der Dauphine, die See-Alpen bis nach Genna hin. Nach Osten
hin lag in Folge des heißen Wetters ein Duft über dem Lande, so
daß die piemontesische Ebene verschwamm und Turin nicht sichtbar
war. Auch über den See-Alpen lag eine Wolkenbank und so ent-
zog sich das Mittelmeer dem Blicke.
Die neueste australische Expedition. Am 16. December
1860 verließ ein in Melbourne sorgfältig, auch mit Kameelen, auö-
gerüsteter Reisezug den Coopers Creek, um nach Norden hin
bis zum Meerbusen von Carpeutaria vorzudringen. Sie ist völlig
mißlungen. Ende Juni's 1861 kam ein Mitglied der Expedition,
Brage, nach Melbourne zurück und brachte betrübende Kunde.
Der Sommer war ungemein trocken, der Wassermangel groß,
Scharbock stellte sich ein und die Eingebornen benahmen sich in
hohem Grade feindselig. Leider ist auch der Verlust von Menschen-
leben zu beklagen. Unser Landsmann, der Naturforscher Ludwig
Becker, und drei Engländer erlagen den Anstrengungen und Be-
schwerden; sie starben in der Wüste. Auch mehrere Kameele und
Pferde gingen verloren.
Sirnenzucht in Frankreich. Im September halten die
französischen Jmmcnväter eine Versammlung iu Paris, bei welcher
mehrmals einhundert Bienenzüchter erschienen. Die Ausstellung
der Stocke stuid im Orangeriegebäude des Palastes Luxemburg
statt, und bezeugte den großen Fortschritt, welchen man seit einigen
Jahren, besonders nach dem Vorgange Deutschlands gemacht hat.
^nJ.nmenvater in der Champagne besitzt mehr als eintausend
stocke, uud nianche früher verarmte Gemeinden helfen sich durch
die wenig UstipieUge und doch so einträgliche Bienenzucht wieder
Ä, t »SVa .Schweis, daß Frankreich im Jahre für
etwa sie cuzlg ..Millionen Francs an Honig nnd Wachs er-
zengt, außerdem aber uoch fnr sechzig M i 11 i o n c n einführt.
Nie Volksmenge im britischen Reiche. Die Ergebnisse der
amtlichen Zahlung sind^tetzt folgende. Am 8. April 1861 lebten auf
den britischen Inseln 29,058M Seelen; mit Hinzurechnung der
Land - nnd Seesoldaten und Matrosen 29,25'0,0v0 Männlicben
Geschlechts waren 14,380,000, weiblichen 14,954,000; also kom-
und Geographische Zeitung. 95
men auf 100 männliche 104 weibliche. Bier Millionen Per-
fönen weiblichen Geschlechts sind dem Hanse entzogen, in ihren
Hausfrau- uud Mutterpflichten beeinträchtigt, weil sie in den ver-
schiedenen Gewerbs- und Favrikzweigen beschäftigt werden. Bin-
nen 60 Jahren hat die Bevölkerung um 82 Procent zugenommen;
seit 1801 ist sie um 13//4 Millionen angewachsen. Seit 1831 sind
nahe an 5 Millionen Köpfe ausgewandert. Den Blaubüchern
zufolge haben die britisch-nordamerikanischen Besitzungen gegen-
wärtig 3,785 000 Einwohner, die australischen 1,275,000; auf
Westindien kommt nur 1 Million, auf die Kapcolonie uud über-
Haupt Afrika 870,000, Ceylon 1,754,000; Mauritius, Hong kong
uud Labnan 280,000; europäische Besitzungen 305,000. Dazu
kommen noch 135'/» Million ans Indien, so daß sich eine Gefammt-
zahl von 275,000,000 Seelen herausstellt.
Ärinuth in England. Ende Juli 1861 war die Zahl der
Armen, welche in England öffentliche Unterstützung bekommen,
von 768,943 auf 808,449 gestiegen. Das war aber noch bei wci-
tem nicht die Gesammtzahl der Almosenempfänger, weil aus 282
Kirchspieleu die Listen noch nicht eingegangen waren.
Oic Bevölkerung in Bosnien zählt, einem Bericht der A.Allg.
Zeilung zufolge, ohne die regelmäßigen Truppen nnd die Fremden
810,000 Seelen. Vou diesen sind 316,000 Mohamedaner, 380,000
Christen der griechisch orientalischen, 111,500 der römischen Kirche,
2500 Juden, nur die Mohamedaner sind bewaffnet nnd können
an Bafchi Bosuks, bewaffnetem Aufgebot, 60,000 Mann stellen.
Das Eyalet Erczeg, die Herzegowina, hat 290,000 Einwohner;
davon sind 68,000 Mohamedaner, 180,000 Christen der orienta-
tischen und 42,000 der römischen Kirche. Auch dort sind nur die
Mohamedaner bewaffnet und sie können 12,000 Mann Landsturm
aufbieten.
Oampfschisfsalirt. Die vier großen englischen Gesellschaften,
welche überseeische Fahrten machen lassen, besitzen gegenwärtig
einhundert und siebenzehn oceanische Dampfer. Da-
von kommen aus die, nach Amerika fahrenden Cnnards 31, auf die
Peninsular uud Orieutal 52, auf die Royal Mail, nach Westindien
und in der Südsee 24, und aus die Liverpool-, Nen-Aork- und Phi-
delphia-Linie 10.
Der Eisenbahntunnel durch den Moni Cents. An diesem
großen Werke wird rüstig Tag und Nacht gearbeitet. Anfangs
hatte man nur Spitzhacken benutzt und mit Pulver den Fels ge-
sprengt, aber bald nachher setzte man Maschinen in Bewegung,
welche das Gestein sehr schnell zerhacken. Sie werden vermittelst
gepreßter Luft in Bewegung gesetzt, haben 250 Pferdekraft und
arbeiten auf der entgegengesetzten Seite eben so viel wie 2500 tüch-
tige Männer. Der Tunnel erhält elektrisches Licht; täglich ge-
winnt man bei einer Breite von 180 Fuß, neun Fuß. Dieser
gewaltigste aller Durchbrüche wird 12 Kilometer, also weit über
drei deutsche Wegstunden lang, liegt 1330 Meter über der Meeres-
fläche und l060 Meter unter dem Gipfel des Mont Cenis. Er
hat eine Neigung von 1/2 auf 1000 bis zum Mittelpunkte, wo
man für den Ablauf des Wassers einen kleinen Kanal anlegt.
Der Archipelagus der Salomons-Änseln, welcher sich östlich
von Neu Guinea in einer langen Eilandkette von Nordwest nach
Südost erstreckt, bildet eine der furchtbarsten Regionen im Großen
Ocean, und steht in dieser Beziehung weder den Molukken noch
den Philippinen nach. Im laufenden Jahre ist dort im Auftrage
einer Antwerpener Gesellschaft eine belgische Expedition auge-
langt, um an einem geeigneten Punkte zunächst eine Handels-
factorei anzulegen. Es scheint, als ob man zunächst mit dem An-
baue edler Gewürze beginnen wolle.
Telegraphen in Gflasien. Die russische Regierung uimmt
es mit diesem Verkehrsmittel sehr ernst uud hat im Anfange des
Jahres 1861 Befehl gegeben, Linien in einer Länge von 6000
Kilometer herzustellen. Ein Drittel davon ist für die jüngst von
China abgetretenen neuen Gebiete im Amurlande bestimmt. Diese
Linie gebt über Schabarowka, am Amur und Ussuri hin und ver-
mittelt die Verbindung zwischen Nikolajeffsk am untern Amur mit
Nowgorod, dem südlichsten der von Rußland erworbenen Häsen
am japanischen Meere. Noch im laufenden Jahre wird die Tele-
graphenverbindung von Kasan an der Wolga nach Omsk in West-
sibirien vollendet, und man wird dann nnverweilt dieselbe bis
Jrkutsk weiterführen. Von dort soll dann ein Draht bis an die
Amurmündung, ein anderer bis nach der Handelsstadt Kiachta an
der Grenze der Mongolei geführt werden. Dann ist eine ununter-
brochene telegraphische Verbindung von Gibraltar und von Tri-
polis in der Berberei bis an das japanische Meer hergestellt.
96 Globus, Chronik der Reisen
Eine chinesische Fremdenlegion hatte sich seit dem vorigen
Jahre am Iang tse kiang gebildet und dort den kaiserlichen
Truppen gegen die Nebelleu angeschlossen. Sie bestand aus eut-
lauseueu Soldaten und Matrosen verschiedener Landsmannschaften.
Jeder Mann bekam monatlich 33 Dollars und Atzung; daneben
aber anch Alles, was die Legion erbeutete. Eine englische Ordonnanz
von'1'855 verbietet den britischen Uuterthaneu, sich, gleichviel auf
welcher Seite, am chinesischen Kriege zu betheiligen, aber die Land-
streicher kehrten sich nicht daran, denn die reiche Beute lockte sie.
Jetzt geht es mit ihr zu Ende. Am 11. Mai machte die etwa 70
Köpfe.starke Baude einen nächtlichen Angriff auf Tsiug pn, wurde
aber vou ihren chinesischen Genossen im Stiche gelassen uud zurück-
geworseu. Nicht weniger als 23 Mann wurden getestet oder ver-
wundet, andere gefangen uud vou den Chinesen enthauptet; wieder
andere sind an die Engländer ausgeliefert worden , uud die Legiou
ist nun zertrümmert. Auch einige Deutsche waren in ihren Reihen.
Eisenbahnen in Ostindien. Im vorigen Jahre sind neue
Strecken im Belaufe vou etwa 130 deutsche Meilen eröffnet worden,
darnnter jene von Cynthea nach Radfchmahal. Sie bildet einen
Theil der östlichen Bahn und schneidet die Krümmungen des
Ganges so ab, daß man von Calcntta bis Radfchmahal den halben
Weg erspart. Im Bau sind etwa 590 Meilen, von denen man
1862 beinahe die Hälfte dem Verkehr übergeben will; dann wird
auch die große Stammbahn von Caleutta nach Delhi ganz befahren
werden. Einige andere Pläne, z. B. die Bahn von Allahabad nach
Dfchubbelpore, hat man ungünstiger Zeitlänfte wegen vorläufig
aufgegeben. Bei den indischen Eisenbahnen sind 18,189 Beamte
angestellt, von denen nur 1137 Europäer. Die Eingebornen be-
sorgen deu Dienst vortrefflich, bekleiden anch manche höhere Stellen
und 1860 kamen auf 3,112,500 Fahrgäste nur 5 Todesfälle.
Naubthiere in Indien. Insbesondere die Tiger sind bekannt-
lich in vielen Theilen Indiens eine entsetzliche Landplage. Man
weiß, daß vor der Südspitze Hinterindiens, auf der kleineu Insel,
auf welcher der berühmte Seehafen Singapore liegt, durchschnittlich
an jedem Tag im Jahre ein Mensch von Tigern geraubt wird,
welche theils in dem dichten Gestrüpp ihre Schlupfwinkel haben,
theils vom Festlande nach dem Eiland hinüberschwimmen. Neuer-
dings haben wir durch ostiudische Blätter statistische Nachweise über
die.Verheerungen, welche anch in anderen Laudestheilen von ver-
schiedenen Raubthieren angerichtet werden, und die Ziffern^ sind
entsetzlich. Allein im Pendschab wurden im Jahre 1809 qetödtet:
1 Frau, 6Männer, 467 Kinder; verwundet: 3 Frauen, 33Männer,
83 Kinder, im Ganzen getödtet 474, verwundet 119. Im Jahre
1860 getödtet: 4 Frauen, 9 Männer, 432 Kinder. Zusammen
445; verwundet 500. Am ärgsten stellte sich das Verhältniß in
der Provinz Amritsir heraus, wo in den beiden Jahren 347 uud
299 Kinder das Lebeu durch wilde Thiere verloren. Während
dieser Zeit hat die Regierung 14,386 Rupien für die Erlegung von
4225 solcher Bestien gezahlt ; davon waren 47 Tiger, 355 Leopar-
den, 537 Bären, 3254 Wölfe, 32 Hyänen. Die Wölfe siud wegen
ihrer großen Menge am schädlichsten, und die Eingebornen tragen
selber die Schuld der Verwüstungen, weil sie zu träg sind , einen
Ausrottungskrieg gegen diese Thiere zu führen. Es läge in ihrer
Macht, die Zahl derselben wenigstens sehr beträchtlich zu vermindern.
Der Sklavenhandel nimmt an der westafrikanischen Küste
ununterbrochen seinen Fortgang. Im Juni wurden vou deu
englischen Kreuzern eiu spanisches Sklavenschiff uud zwei Nord-
amcrikaner aufgebracht. Alle ainerikauischeu Sklavenfahrzeuge
werden in denjenigen Staaten der Union ausgerüstet, welche selber
keuie Sklaven halten. Zwei andere Amerikaner hatten volle La-
duug und entgingen den Kreuzern. Dieser Handel mit „Ebenholz"
ist üugeheuer gewinnreich. Unternehmer, welche das mit einer
Hülssschraube versehene amerikanische Sklavenschiff Storni King
ausgerüstet haben, sollen binnen zwei Jahren mehr als dritthalb
Millionen Dollars verdient haben.
Kalifornien, das an Metallen unerschöpfliche Laud, fängt nun
auch an, Kupfer auszuführen. Besonders in Calaveras Conuty
sollen die Gruben einen ungemein reiche« Ertrag vortrefflichen
Erzes geben. Im Juni siud die ersten 300 Tonnen nach England
verschifft worden.
Die Bevölkerung in den Staaten Iowa und Wisconsin.
Diese beiden jungen Staaten verdanken ihren Ausschwung, zum
und Geographische Zeitung.
Theil auch ihre Gründung, wesentlich der deutschen Einwanderung.
Die Volksmenge stieg in Iowa von 192,214 Seelen im Jahre 1850
auf 676,453 im Jahre 1860, jene Wisconsins von 305,391
auf 777,771 Köpfe. Aber die deutsche Bevölkerung ist auch iu diesen
Staaten nirgends im Verhältniß zu ihrer Kopfzahl und ihrer Be-
deutung in der gesetzgebenden Versammlung oder bei der Aemter-
besetzuug vertreten. Von den 30 Mitgliedern des Staatssenates in
Wisconsin ist kein einziger iu diesem Staate geboren. Eiu Senator
ist aus Deutschland, 1 aus der Schweiz, 1 aus Irland, 14 sind ans
dem Staate Nen-Uork, 2 ans Maine, 4 ans. Ohio, 2 aus Vermont,
3 aus Connecticut und 1 ist aus Pennsylvanien. Der älteste ist 54,
der jüngste 29 Jahre alt. — Der Senat der Legislatur von Iowa
besteht aus 43 Mitgliedern, worunter sich 13 Advocateu, 8 Farmer,
7 Aerzte, 6 Kaufleute, 4 Bankiers, 1 Schuhmacher, 1 Prediger,
1 Lehrer u.l Redacleur befinden. Dieselben sind in folgenden Staaten
geboren: — In Pennsylvanien 11, Ohio 8, Kentucky 7, Neu-Jork
3, Virginien 3, Connecticut 2, Indiana 2, je einer in den Staaten
Missouri, Rhode-Island, Nord-Carolina, Vermont, Illinois, Mary,
laud und einer in Deutschland. Das Religionsbekenntniß
finden wir folgendermaßen angegeben: 10 Senatoren find Metho-
disteu, 9 bekennen sich zu gar keiner Religion, 6 sind Lutherauer,
5 Presbyterianer, 2 Baptisten, 2 Congregationalisteu, 2 Christen
ohne Beisatz, 2 Universalisten, 1 Episcopale, 1 Katholik, 1 Quäker
und 1 Protestant. Alle bis auf Einen sind verheirathet. Der jüngste
ist 25 und der älteste 55 Jahre alt.
Die Mormonen am Großen Salzsee lassen sich durch die
Verwirrung in den Vereinigten Staaten gar nicht beirren; wäh-
reud die Leute am Mississippi und Potomac einander die Hälse
abschneiden, bauen sie sich ein prächtiges Schauspielhaus von
80 Fuß Vorderseite und 144 Fuß Tiefe. Es hat ringsum eine
Halle mit dorischen Säulen, ist im Innern sehr bequem und ein-
fach aber geschmackvoll, sehr dauerhaft aufgeführt und hat etwa
hunderttausend Dollars gekostet. Am l. Januar 1862 soll dieser
Musentempel unter großen Feierlichkeiten eröffnet werden.
Nicaragua ist ein schönes Land, das viel Baumwolle in de«
Handel liefern könnte, wenn die Bewohner fleißig wären. Ein
Nordamerikaner, John Rüssel, hatSaamen, angeblich 50,000 Pf.,
in der Landschaft Chinandega vertheilt und muntert den Anbau
auf. Einige dreißig Ballen sind im Juli zur Verschiffung nach
Nordamerika gekommen; sie nahmen den Weg von Realejo, das
zum Niederlagshafen erklärt worden ist, nach Panama, gingen
von dort auf der Eisenbahn nach Aspinwall-Colon und von da
nach Neu-Dork. Baumwollenregionen giebt es in Hülle und Fülle
auf Erden, es kommt nur darauf, fleißige Arbeiter zu beschaffen;
darin liegt die Schwierigkeit.
Die Inseln in der von Honduras, welche Großbri-
tanuieit sich im Jahre 185)2 willkürlich angeeignet und für eine
englische Colonie erklärt hatte, find am 1. Juli 1861 der Republik
Honduras wieder übergeben worden. Jene eigenmächtige Be-
setzung, welche auch nicht einmal durch einen Schein vou Anrecht
entschuldigt werden konnte, gab bekanntlich Anlaß zu langwierigen
diplomatischen Streitigkeiten mit Nordamerika, welche nun ihren
Abschluß gesunden haben.
Iu Solivia beschäftigt man sich mit Einführung des Deci-
malsystems; auch will die Regierung die Dampfschifffahrt auf den
Flüssen Mamore und Gnaporc unterstützen, um für die Landes-
erzeuguifse uach dem Amazonenstrom einen Abzugsweg zu ge-
winnen. Am l2. Mai dieses Jahres hat der provisorische Präsi-
beut Acha einen, schon am 21. Juli 1847 mit Spanien abge-
schlossenen Vertrag genehmigt, durch welchen die Unabhängigkeit
der Republik vom Mutterlaude auch formell anerkannt wird. Die
übrigen amerikanischen Staaten, welche sich nach und nach uuab-
hängig vou Spanien machten, sind schon früher wie tatsächlich, so
auch durch ausdrückliche Verträge, selbstständig gewesen.
Die Stadt Kingston ans Iamaiea, einst ein blühender
Hafen, ist seit der Sklavenemancipation ganz unbedeutend ge-
worden. Die Zählung von 1844 ergab noch eine Bevölkerungs-
ziffer von 32,943 Seelen, jene von 1861 nur noch 5584 Köpfe.
Zu der Verminderung haben allerdings auch die Cholera und die
Blattern Einiges beigetragen.
Verantwvrtl. Redakteur:
Herrmann I.
Streiszüge in Norwegen.
Die Schnee- und Eisfelder. — In Opthun. — Die Wasserfälle. — Ein Pastor, der sich kurz faßt. - Ein seltsamer Brauch in Proest-
satcr. ou Gnldbrandsdalen. — Die Schlucht von Kringelen, Sinclair'ö Schotten und die uorwegischeu Bauern. — Die rotheZipfel-
mutze. — 5?auergaard. — Ein verliebter Engländer und ciu reicher Bauer. — Romsdalen. — Die Zauderer von Froltinderne. —
Christiansnnd. — Iu Droutheim. — Der heilige Olaf, — Heeresübungen der norwegischen Krieger.
sich eben in einer solchen Gegend bereiten läßt. Die Tafel-
mnsik fehlt nicht, wenn brausender Sturm von den Höhen
herab heult und Milliarden feiner Eisnadeln in die Lüfte
wirbelt, in denen sie, gleich Wolken südlicher Feuerkäfer, fun-
keln und blitzern. Solche Schneestürme, welche der Norwege
Fanuarauk nennt, hüllen in den höheren Gegenden bei
Winterzeit oft viele Tage lang den Horizont ein und jagen den
feinen Eisnebel bis in die Wolken hinauf. Ein Wanderer,
welchen solch ein Sturm ereilt, ist unrettbar verloren; denn
er vermag auch die nächste» Gegenstände nicht zu erkennen
und findet den Tod in einer der zahllosen Klüfte.
Ich habe erzählt, daß wir auf sehr beschwerlichen We-
gen wandelten. Viele Schnee- und Eisgesilde in Norwegen
bilden furchtbar öde Wüsteneien; oft reitet man durch zer-
risseue Hochflächen, zwischen deren Senkungen und Hebungen
sich die Wasser sammeln, und wo oft nur schmale Steinlager
die einzige Brücke bilden. Die Thiere gehen hinüber, suchen
vorsichtig ihren Weg und das norwegische Roß bewährt sich
auch dort. Man kommt über Schneefelder, anf denen die
Hufe hohl wiederklingen; mitten aus verblendenden Weiße
springen Bergzüge empor, an denen meilenweit ausgedehnte
Gletscher sich herabsenken. Gletscher und Schneegefilde laufen
Fjord von Pcl'lungsnaesct.
oft iu eine unbekannte Wildniß hinaus. Am tiefsten Hon-
zonte sieht man ihren blauen Glanz und das Gefunkel ihrer
blendenden Krystalle im rothen Glühen der Abendsonne. Am
Fuße dieser Eiswälle liege» Wasserbecken, die das schmel-
zeude Naß ausnehmen, und deren windbewegte Oberfläche
seltsam absticht gegen die Starrheit der Massen, welche mit
drohenden Hörnern über ihnen hängen. Man reitet stunden-
lang an einem solchen Gletscherzuge hin, um dann zu einem
andern zu gelangen, der noch wilder als die früheren seine
ungeheure Eishaube über schwarzen steilen Wänden trägt.
Dann sucht man unter eiuer Felsenwand ein schützendes
Obdach, um auszuruhen und ein Mahl einzunehmen, wie es
GlobuS 1801. Nr. 4.
Auf diesen Fjellen nützt bei Schneegestöber kein Weg
weiser. Dann und wann findet mau einen solchen. Er besteht
aus Haufen von Schiefertrümmer, welche anzeigen, wo die
mannigfachen Windungen durch zerklüftete Felsen einen Weg
uiöglich »lache». Solch ein Merkzeichen deutet auch die Gräuze
ani Guldbrandsdalen an.
Doch ich nehme meine Erzählung wieder auf. Nach-
dem wir über eiue Reihe von Felsenleisten geritten waren,
von welchen das klare Gletscherwasser herablief, kamen wir
an den kleinen Weiler Opthun, den letzten, welcher am Ab-
hange des Sognefjeld liegt. Dort wohnen, abgeschieden von
aller Außenwelt, drei Familien, aber freilich iu einer Um-
13
98
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
gebung, welche an landschaftlichen Schönheiten reich ist. Die
paar hölzernen Hütten liegen aus einem platten Felsenvor-
spruuge, neben dein ein herrlicher Wasserfall herabstürzt.
Unser Zug brachte einiges Leben in diese Einöde. Ein sieben-
zehnjähriges blondes Mädchen, das wir Photographien,
begleitete mich auf meinen Ausflügen in die Umgegend. Diese
Marie in Opthun empfand doch sehr die Langweile der
unendlichen Wintermouate, in denen es nur so wenige Stun-
den am Tage hell ist. Dann wird gesponnen nnd immer wie-
der gesponnen beim trüben Schein der Lampe und ein Tag
verläuft wie der andere, ohne daß Abwechselung käme. Das
Mädchen sehnte sich, einmal ans den Bergen, durch welche
Opthun von der übrigen Welt abgeschieden ist, hinaus zu
kommen, wäre gern an's Meer und über See bis Amerika
gegangen. Bis in jene Einöde war allerlei Kunde von der
neuen Welt gedrungen; Maria hatte gehört, daß dort im
ganzen Jahre kein Schnee falle, daß die Blumen immer blü-
hen und Jeder reich und glücklich wäre. So malen sich die
Menschen alle ein Paradies, aber gewöhnlich verlegen sie es
in eine recht weite Ferne.
Ich war nicht grausam, als ich Mariens Täuschungen
zerstreute und ihr auseinandersetzte,
daß auch jenfett des Weltmeeres die
Menschen Last und Qual vollauf zn
tragen haben. Ich wollte das hübsche
Kind mit seinem Schicksale versöh-
nen; sie sollte sich an dem genügen
lassen, was ihr einmal zu Theil ge-
worden war.
Gegen Abend führte sie mich an
den Wasserfall. Der Weg dorthin war
gefährlich nnd beschwerlich, und ich
mußte sehr vorsichtig sein, um aus
dem schlüpfrigen Gestein nicht anszu-
gleiten und iu den Abgrund zu stürzen.
Mark freilich flog wie ein Bogel da-
hin, denn sie war barfuß! Glücklich
gelangten wir auf einen Fels, welcher
den Wasserfall überragte, und von
dort konnte ich mir in aller Muße
cht erhabenes Schauspiel betrachten.
Aber in dieser wilden Landschaft be-
merkte ich nicht einen einzigen Gras-
Halm, gar keine Spur vou Pflanzen-
wuchs.
Die Cascade von Opthun ist schon, aber mit vielen
anderen norwegischen hält sie keinen Vergleich aus, nament-
lich nicht mit denen in THelemarken und im Hardangerfjeld,
den klassischen Gegenden der Wasserfälle. Dort sieht man
sie auf allen Seiten von den Felsen stürzen, bald im Sprunge,
von Absatz zu Absatz, oder in Bogenstürzen, oder Ungeheuern
Polypen vergleichbar, die mit tausend weißen Fingern an
steilen Felsen wachsen, und gleich schwerem, gediegenem, slüs-
sigern Silber niederrollen und in glänzenden Schaum gehüllt
sind. Am großartigsten aber, zugleich wunderbar schön und
wild, ist der berühmte Rinkan Föß, der rauchende Wasserfall
in THelemarken, inmitten der schwarzen, mächtigen Felsen-
wände. Schon in weiter Ferne erblickt man seine Ranch-
sänle, aber ein Rauschen vernimmt man noch nicht, der
Strom in der dunkeln Tiefe hat nur ein dumpfes Murren.
Aber man kommt näher; man sieht, wie die Felsen einen
Kessel bilden, wie hohe glatte Wände aussteigen, welche fast
senkrecht in eine schwindelnde Tiefe stürzen. Sie treten mit
scharfen Graten zusammen, als wollten sie den schwarzen
Spalt zuschließen. Aber hoch von oben fällt, 670 Fuß tief,
ein langer, glänzender Wasserstreif herunter; eine rauschende,
Marie aus Opthun.
kochende, zischende Masse, welche klingend an die Felsen schlägt,
abprallt, aufspritzt und, unten zu Staub zerschmettert, wie-
der emporwirbelt. Da hat das Auge keinen Ruhepunkt; wie
durch einen Magnet angezogen, folgt es dem Sturze der
Wasser, welche rastlos brausend sich verschlingen und wieder-
gebären. Der Mensch ist erstaunt und entsetzt, das Herz
schlägt rascher, aber es jauchzt aus, wenn ein Sonnenstrahl
durch die Regenwolken sich Bahn bricht und einem Blitze ver-
gleichbar über den ganzen Fall läuft. Dann ist es, als habe
die unsichtbare Hand des Allerhalters in jenen schwarzen Fel-
sen plötzlich ein silbernes Meer geöffnet, das in gediegenen
Wellen hervorbricht: so leuchtet es und fährt in weißen
Blitzen auf. Die Myriaden sprühender Funken umglänzen
Alles in Regenbogensarben, welche auf- und abziehen, sich
rasch bilden und wieder verschwinden.
Kein Reisender hat Norwegen mit so viel Innigkeit und
poetischer Wärme geschildert, jenem skandinavischen Lande
und dessen Menschen so viel Liebe entgegengetragen, als unser
so früh verstorbener Theodor Mügge. Die Norweger soll-
ten denl wackern Manne billig einen Bautasteiu zu ehrendem
Andenken errichten. „Am Rinkan Foß," sagte er aus seinem
dichterischen Gemüth heraus, „könnte
man Stunden- und Tagelang sitzen
und wieder und immer wieder in das
Gebraus und Leuchten hinein schauen.
Denn Wasserfälle und Meereswellen
haben die Macht erhalten, die Seele
des Menschen in Träume zu wiegen
und, mit ihrem Rhythmus voran ran-
scheudem Gehen und Kommen, Sehn-
sucht und Phantasie zu erwecken.
Solche Werke machen den fühlenden
Menschen gut. Es ist so herrlich, so
edel und tief rührend, die Natur in
ihrer höchsten Majestät zn schauen,
daß man darüber Vieles vergißt,
was sonst wohl den Eindruck der
Größe schmälert."
Früh Morgens um zwei Uhr
brachen wir von Opthun auf, wo wir
nicht einmal Talgkerzen gefunden
hatten; man scheint nur die Lampe
zu kennen. Wir mußten nun eine
Strecke von achtzehn großen Weg-
stunden an einem Tage zurücklegen.
Das unbewohnte Hochland zwischen den Stiftern Akers-
hnns und Bergen bildet ein mehr als 150 Stunden langes
und etwa 25 Stunden breites Plateau, das von unzähligen
tiefen Schluchten zerrissen, von Spalten durchfurcht wird.
Auf diesen Unterlagen erheben sich die Gletschermassen,
namentlich jene des Jotnnfjeldes. Nach Norden hin dacht es
sich gegen Romsdalen ab, nach Süden hin zum Hardanger-
sjeld. Auf jener Hochfläche liegt fast das ganze Jahr hin-
durch Schnee, und die zackigen Spitzen, welche hoch empor-
ragen, geben der ganzen ohnehin wilden Landschaft einen
nur noch wildern Charakter.
Als wir bergein ritten, erzählte uns ein Führer eine
recht artige Aneedote. In seinem Dorfe hatte man für den
Bieekönig ein Mahl angerichtet. Als er, nebst seinem Ge-
folge, vom Karriol herabstieg, empfand er das Bedürfniß
zu speisen und dann auszuruhen. Aber die übliche Anrede
mußte er sich gefallen lassen; der Pastor stand schon bereit
und dem Kronprinzen bebte vor einem langen Sermon, viel-
leicht weil er wußte, daß die meisten geistlichen Herren sich
in sehr weit ansgesponnenen Reden gefallen. Aber jener nor-
wegische Pastor war ein Mann von Geschmack nnd scheint
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
99
an Lnther's Wort: „Thu's Aiaul auf, hör' aber bald auf!"
gedacht zu haben. Der würdige Mann machte seine Sache
gut, denn er sprach:
.Königliche Hoheit! Als Pastor an dieser Kirche danke
ich dein Himmel dafür, das; er es den Angehörigen dieses
Pfarrspreugels vergönnt, ihren Vicekönig leibhaftig vor sich
zu sehen. Als Mann fühle ich mich glücklich, deu Landes-
Herrn begrüßen zu können, und ich danke dafür dem König
der Könige. Als Greis erflehe ich auf Ihr erlauchtes Haupt
I Hl ......rflehe ich auf Ihr erlauchtes Haupt
deu Segen des Herrn, und als Anordner des für Sie bereit
stehenden Festmahles bitte ich Sie, freundlich damit fürlieb
zu nehmen. Sie sind willkommen, königliche Hoheit!"
Allen Refpeet vor diesem braven Pastor.
Im hohen Norden siud die Nächte während der Som-
merzeit so hell, daß man auch während der Nacht auf
beschwerliche» Wegen reisen kann. Aber wir befanden uns
in keiner angenehmen Lage, denn unseren Blicken war jeder
Pfad verborgen. Führer und Pferde tasteten sich indessen durch.
Als die Sonne emporstieg, befanden wir uns in der Region
des ewigen Schnees. Im Hin-
tergrunde streckten die H o r n u-
tiuderue ihre phantastischen
Spitzen hoch in die Lüfte. Wie
sie so prächtig, so unbeschreib-
lich erhaben sich ausnahmen,
als das Gold der Frühsonne
auf diese weiße» Massen fiel!
Im Vordergrunde wälzte sich
ein halbgefrorener Wasserstrom
in die Tiefe. Aller Pflanzen-
wuchs hatte, Reuuthiermooö
ausgeuomnleu, völlig aufge-
hört ; Alles war kahl, derPsad,
vou welchem dann uud wann
einige Spuren sichtbar wurde»,
iin höchsten Grade beschwerlich.
Manchmal gingen wir zu Fuß,
aber bald ging uns derAthem
auS. Bier lange Stunden
waren nöthig, um die Gletscher
von Horung und Smörsta-
blinder zu umgehen. £s war
in der That keine leichte Ar-
beit. Bald mußten wir durch
rauschende Bergströme waten
»ud da»» wieder über Brücke»
reiten, die sich ohne Zweifel
recht malerisch ausnahmen,
aber uns doch sehr unbehaglich vorkaute», denn sie hatten
keine Geländer und zu beiden Seiten gähnten Abgründe!
Aber einer unserer Reisegefährten hatte uns eine ange-
nehnle Ueberraschung bereitet. Es wäre» nämlich von
ihm einige Führer vorausgeschickt worden und sie hatten
ans dem Midsjeld, einer kleinen Ebene zwischen zwei Berg-
seen, ein Zelt aufgeschlagen, in welchem ein Mahl für
uns bereit stand. Bor uns erhoben sich majestätische Berg-
gipset, die Forneranken, deren grünliche Gletscher uns an
jene voiu Grindelwald iu der Schweiz gemahnten. Das
Zelt stand ans dem Schnee, meine Finger waren erstarrt,
aber der achte Madeirawein verfehlte seine Wirkung nicht.
Nachdem wir uns durch Speise uud Trank und Ruhe
erquickt hatten, zogen wir fürbaß durch ein enges Thal, das
schwai^n 0 <steinwänden eingeschlossen ist. Durch das-
selbe fließt die Bevra, welche ihr grünliches Wasser aus den
Gletschern erhält und in die Seen von Holdulsvand fließt,
an denen die Landschaft weniger wild erscheint; denn bald
Wasserfall bci Oplhun.
treten schon wieder Sträucher auf, namentlich der Wachhol-
der; auch wird der Boden ebener, man befindet sich auf einer
Hochfläche, die Pferde könne» wieder traben »nd thu» es
mit Lust.
Es mochte wohl gegen sechs Uhr Abends sein, als wir
Proestsäter erreichten. Es ist eine einsame Hütte, die von
Wiesen umgeben ist und zum Pfan sprenget von Lomb gehört.
Wir waren siebenzehn Stunden unterwegs gewesen uud Je-
derinan» wird u»s glaube», daß Roß und Reiter recht müde
wäre». Wie thateu uns da die ländlichen Betten wohl!
In jener Gegend herrscht eine Sitte, die vielleicht in
keinem andern Lande der Welt wieder vorkommt. Ich
bemerkte in der Diele, welche zunächst dem Bette gelegt wird,
Höhlungen, die etwas plump ausgeschnitten waren und
mit der Gestalt eines menschliche» Fußes Ähnlichkeit zeigten.
Was konnten diese Hieroglyphen bedeuten? Ich hielt Nach-
frage bei Liva, der Tochter des Hauses, und bekam vollstän-
dige Aufklärung. Wenn eine Braut zun» ersten Mal in's
Ehebett steigt, muß sie eine E pnr ihres Fußes auf der Diele
zurücklassen. Der Brauch ist
alt. Uebrigens schmeckten die \
trefflichen Lachse, der Renn-
thierbrate» und der Glühwein
in diesem Proestsäter ganz ans-
gezeichnet. _ /
Am andern Tage erreich-
ten wir Lomb uud fanden im
Hause des Pfarrers gastliche
Aufnahme. Die Kirche ist ein
bemerkenswertes Bauwerk,
natürlich aus Holz, wie fast
überall in Norwegen, aber
besser gehalten als die meisten
anderen. Das verdankt man
dem trefflichen Pastor, der als
Mitglied des Storthings dafür
wirkte, daß man von Staats-
wegen die nöthigen Summen
zur Ausbesserung bewilligte.
Bon Lomb aus »lachte»
wir einige Karriolfahrten auf
der Hochebene »ach verschiede-
neu Richtungen hin und schiff-
te» auch auf dem Waagevard-
fee. Dann gelangten wir nach
Lanergaard, einem Gehöft
im Gnldbrandsdalen, das
an der großen Straße nach
Christian!« liegt. Nun hatte ich die, in der norwegischen
Geschichte so berühmte, Schlucht von Kringelen ge-
sehen.
Gustav Adolf von Schweden war int Kriege mit Däne-
marks Könige Christian dem Vierte». Jener hatte 1611
den Grafen Adolf Mnnkhaven nach Schottland geschickt, um
dort Volk zn werben. Oberst Sinclair warb eine Schaar-
streitbarer Männer, zog mit ihr, wie das Volkslied sagt, über
die salzige See, und sollte vom Moidefjord durch Romsdalen
in's Innere dringen. Er vermaß sich, Norwegen wie einen
Maulwurf zn zerquetschen, zog 1612 plündernd u»d verhee-
rend durch Romsdalen und kam dann auch in Gnldbrands-
dalen bis zu jenem Paß von Kringelen. Er hatte etwa
neunhundert Mann Kriegsvolk bei sich. Die Bauern waren
erbittert über die Raubsucht und über die Gewaltthätigkei-
ten, die von den fremdländischen Söldnern verübt wurden.
Sinclair hatte jedem seiner Soldaten ein hübsches Mädchen
und einen Ackerhof versprochen, sobald Norwegen bezwungen
13*
100
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
worden sei. Die Sage erzählt, ein Bauer, welchem man beide
Arme auf dem Rücken zusammengebunden, habe den Schot-
ten als Führer dienen müssen. Als er sie bis in Guldbrands-
dalen hinein geleitet, wußte er zu entkommen. Er erzählte,
welche Grausamkeit die Schottländer verübt hätten; auch hier
würden sie eben so arg Hausen und wütheu. Da rotteten sich
die Bauern gegen den wilden Feind zusammen und beschloß
sen, ihn bis auf den letzten Mann zu vernichten. Sie stell-
ten sich bei Kringelen auf, weil dort das Thal eine enge
Schlucht mit steilen Wänden bildet und der Fluß wildschäu-
meud hindurchströmt. Dort legten sie sich in Hinterhalt und
Versteck. Der Feind zog heran und ahnte nichts Arges. Die
Norweger, etwa dreihundert an der Zahl, standen ans der
Höhe; um die Aufmerksamkeit der Schotten abzulenken, hat-
Also ziehen sie sorglos weiter. Da bläst das norwegische
Weib zuni zweiten Male und wiederum lassen die Schotten
ihren hochländischen Dudelsack pfeifen. Einige Bauern feuern
vom Wasser herüber, aber die Schotten geben sich nicht ein-
mal die Mühe, die Schüsse zn erwiedern, sondern schwenken
lustig mit ihren Hüten und lachen hell auf.
Aber von jenem Augenblicke an hat kein einziger der
neunhundert Schotten, welche mit Oberst Sinclair über die
salzige Woge herüber gekommen war, in Norwegen wieder
gelacht oder ans dem Dudelsacke gespielt. Deuu urplötzlich
donnerte eine gewaltige Lawine von Felsblöcken und Baum-
stämmen auf die Uebermüthigeu herab und begrub sie. Dann
stürmten die Bauern in die Schlucht hinein und ermordeten
Alles, was lebendig war. Man wollte den Räubern ihren
Die Hornntinderne.
ten sie etliche von ihren Leuten, die nur harmlose Sicheln
trugen, in der Schlucht aufgestellt. Sie nahmen ganz rich-
tig au, daß dieselben von den Schotten verfolgt werden wür-
den. Der Plan gelang vollständig. Auch ein junges Weib,
Pillar Gnri, geübt int Blasen des Alpenhorns, war als
Schildwacht auf der andern Seite des Wassers aufgestellt
worden. Sie sollte zum ersten Male blasen, sobald die Schot-
ten in den Engpaß eingezogen wären, zum zweiten Male,
wenn ihre größere Anzahl die Stelle erreicht hätte, wo der
Hinterhalt gelegt war. So schritt die Vorhut, uichts Arges
ahnend, in die Schlucht von Kringelen hinein. Pillar Guri
läßt zum erste« Male das Horn ertönen. Die Schotten wer-
den stutzig und horchen den Tönen, welche aber sosort vom
Schalle der Regimentsmusik Sinclair's übertäubt werden.
verdienten Lohn geben. Die Frau Siuclair's, welche ihren
Mann begleitete, war von der Felslawine unberührt, ihr
Kind jedoch verwundet worden. Auch sie wurde nicht ver-
schont; sie erlitt dasselbe Schicksal, wie dreihundert Söldner,
welche den erbitterten Bauern lebendig in die Hände sielen.
Es heißt, Frau Sinclair, welche gefangen wurde, als sie eben
ihrem Kinde die Wunden verband, habe so lauge mit den
Siegern, die nun schottisch mit dem Dudelsack ausspielte«,
tanzen müssen, bis sie todt niedergefallen sei. Die übrigen
Gefangenen stellte man als Zielscheibe ans und schoß nach
ihnen; fechfen von ihnen, welchen die Kugeln nichts anhaben
konnten, schnitt man den Hals ab; achtzehn Mann schickte
man als Siegeszeichen an den dänischen König. Sinclair's
Leiche sollte kein christliches Begräbniß haben und wurde
102
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
außerhalb des Friedhofes bei der Kirche in Kvam beigescharrt.
Die Grabschrift lautet: „Hier liegt Oberst Sinclair, der
1612 bei Kringelen fiel, mit neunhundert Schotten, die von
dreihundert norwegischen Bauern, unter Anführung des Ber-
don Segelstad von Ringeboe, zermalmt wurden, wie irdene
Töpfe/'
Wir wollen diese „norwegische Heldenthat" nicht etwa
verkleinern; die Bauern hatten ganz recht, einen übermüthi-
gen Feind, der raubend ihr Land durchzog, zu vernichten.
Aber man macht nicht selten aus diesem Gemetzel im Eng-
passe von Kringelen eine gewaltige Begebenheit, welche sich
mit den Großthaten der tyroler und schweizerischen Bauern
messen könne. Das ist wohl zu viel. Im Engpässe steht
ein hölzernes Kreuz zum Andenken an Sinelair's Untergang;
der schwarze Felsen, auf welchem das norwegische Weib in
das Hirtenhorn stieß, liegt auf der andern Seite des Flusses.
In Lauergaard waren die Landleute von weit und
breit zusammengeströmt, um den Prinzen zu sehen. Die
Männer tragen rothe Mützen wie Masaniello und die Fi-
schersleute am neapolitanischen Meerbusen, und sie steht
ihnen recht gut; aber sie tra-
gen auch einen Frack mit
Schwalbenschwänzen, und
der steht ihnen schlecht. Bei
den Frauen bemerkte ich Mie-
der aus schottischem Zeuge;
diese Mode rührt vielleicht
aus Sinclair's Zeit her. Die
brennend rothe Mütze spielt
in Norwegen eine Hauptrolle,
sie ist ächt national und ein
nicht unwichtiger Handels-
artikel für Elberfeld. Deuu
in dem „frommen" Wupper-
thale wird sie gesponnen,
gewebt und türkischroth ge-
färbt. Bom Stifte Bergen
an, nach forden hin, muß
Hut und Kappe der Zipfel-
mütze weichen, und auch der
Prinz trug eine solche, wo-
rüber die norwegischen Bau-
ern sehr erfreut waren. Als
Karl der Bierzehnte in Dront-
heim gekrönt wurde, stan-
den etwa zehntausend Bauern
dicht gedrängt in den Straßen, durch welche der Krönungs-
zug kam, und ans allen zehntausend Köpfen saß die rothe
Zipfelmütze.
Die Frauen und Mädchen in Lauergaard sind so
schlank und nett, daß sie auch den Fremden Wohlgefallen.
Ein junger, langaufgeschossener Engländer, der nach Nor-
wegen gekommen war, mit Lachse zu fangen, war an einer
Angel hängen geblieben; ein hübsches Mädchen hatte den
Gentleman gefangen und sich' von ihm heirathen lassen.
Der Vater der Braut war übrigens vorsichtig zu Werke
gegangen und hatte, bevor er sein Jawort gab, die weite
Reise nach London nicht gescheut, um dort über den verlieb-
ten Jüngling die nöthigen Erkundigungen einzuziehen. Sie
fielen günstig aus, die Heirath wurde vollzogen und nun
lebt der Londoner, seelenvergnügt und zufrieden wie ein nor-
wegischer Bauer.
Ans der Meierei Toftemöen fanden wir einen reichen
norwegischen Bauer, er besitzt wenigstens eine halbe Million,
ist aber verständig genug, uicht deu vornehmen Mann zn
spielen, sondern nimmt den Pflug selber iu die Haud. Die-
Knabe und Mädchen in Lauergaard.
ser Mann heißt Tofte, ist seiner politischen Gesinnung nach
ein entschiedener Demokrat , rühmt sich aber, vielleicht nicht
mit Unrecht, daß er von dem alten hochberühmten Könige
Harald Schönhaar abstamme. Er besitzt vortreffliche Pferde,
auch einen ausgezeichneten Wettrenner, der den Preis davon
getragen hat. Dieser gelbliche Klepper hat auf dem Rücken
einen schwarzen Streifen wie ein Zebra.
Nachdem wir nun den düstern See von Lasjö herum-
gefahren, befanden wir uns in Romsdalen, einem der
berühmtesten Thäler Norwegens. Gleich anfangs begegnete
uns eine Frau, neben welcher sechs Kinder hergingen; —
drei Paar Zwillinge. Der Vater soll ein Rennthierjäger
sein. Er hatte seinen Haussegen dem Prinzen vorgestellt,
welcher jedem Kind einen blanken Thaler gab.
Romsdalen ist eines der schönsten Thäler in der
weiten Welt, wundervoll wegen des saftigen Grüns der
Grasnarbe, wegen der herrlichen Wasserfälle und der ge-
waltig kühnen Bildung des Gebirges. Mit donnerndem
Geräusch fallen die Ströme herab, theileu sich oft in meh-
rere Arme, bilden dann klare Bäche, welche sich dnrch's Thal
schlängeln, dort smaragd-
grüne Wiesen bewässern und
den Fluß Rauma bilden.
Manchmal wird das Thal
so eng, daß man von einer
Seite nach der andern hin-
über einen lauten Ruf ver-
nehmen könnte. Auf der
Strecke von Ormelin nach
Flatmark war dieses Thal
lieblich und von ungemein er-
quickender Frische; das Laud
an den Ufern der Rauma
war sorgfältig bestellt. Das
Gebirg entwickelte sich iu der
That großartig; zur Rechten
stieg das gewaltige Roms-
dalshorn fast senkrecht
mit seiner schneebedeckten
Spitze empor. Es dient
den Schiffern als Landmarke.
Zur Linken lagen die Frol-
tinderne wie eine kolossale
mit Zinnen versehene Mauer.
Die Sage weiß, daß die
phantastischen Felsen , welche
emporragen, ursprünglich böse
König Olaf der Heilige in
um das Evangelium zu
ans dieser Gesteinsmasse
Zauberer warnt. Als der
Romsdalen eindringen wollte,
verbreiten, wollten sie ihn daran verhindern; aber das war
vergebliches Bemühen, denn der fromme Mann verwandelte
sie in Stein. In dieser Gegend, die einen skandinavischen
Olymp bildet, war auch der Sitz der alten volksthüm-
lichen Götter, und lange Zeit wehrten die Bewohner des
Thales sich gegen den fremden Glauben, welchen man ihnen
aufzwang.
Der Romsdalfjord ist mit einer Reihenfolge von Berg-
spitzen, Berghörnern, Bergzähnen und Gletschern von selt-
famer Gestalt, gleichsam umsäumt. Eiuige dieser Höhen
steigen senkrecht ans dem Meere empor bis in die Region
des ewigen Schnees. In Europa giebt es sicherlich Nichts,
das mit diesem phantastischen Anblicke verglichen werden
könnte; es ist als ob das Ganze von einer Heerschaar ge-
waltiger Titanen mit Riesenäxten aus deu Wolken gehauen
worden wäre. Unsere Ansicht vom Veblnngsnaesetfjord
giebt davon eine Vorstellung.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
103
...... , «/vnv HU OVUtMUl UUV tl/Cltv
in Booten gefahren. Wir kamen über Gletscher, durch
enge und düstere Schluchten, über liebliche offene Wiesen
und über klare Alpenseen, und nun hatten wir wieder Salz-
wasser unter uns. Eine solche Art zu reisen hat schon des-
halb etwas Angenehmes, weil man mit den Transport-
Mitteln abwechselt; dabei ermüden Leib und Geist viel weniger,
als wenn man immer geht oder immer reitet, immer fährt.
Bisher hatten wir gutes Wetter gehabt, aber nun war
es damit vorbei. Ein starker Regen begleitete uns auf der
Fahrt nach Christians und, einer kleinen Stadt, die höchst
malerisch auf nackten Felsen, auf vier Inseln, liegt. Die
Bewohner leben vom Fischfang und vom Fischhandel; selbst
Spanier kommen, um deu Meeressegen hier im hohen Nor-
den abzuholen, und manche hübsche Frauen und Mädchen
in Christiansund haben schwarze Augen, die an Andalusien
erinnern. Sie sehen in ihren schwarzen oder veilchenblauen
Seidenröcken und den rothen Umschlagtüchern ganz aller-
liebst ans; das fanden auch die Schweden, welche den Prin-
zen begleiteten. Natürlich wurde dieser
festlich bewirrhet. Die Bürger hatten
eine Inschrift gewählt, welche also lau-
tete: „Unsere Treue ist fest, wie der
Felseu, auf welchem unsere Häuser
stehen." — Natürlich nur unter der
Bedinguug, daß Norwegens Verfassung
und Freiheit von Seiten des Königs nn-
angetastet bleibe.
Wir dampften Abends weiter und
waren am andern Morgen in Fjord von
Drontheim. Das Wetter hatte sich
aufgeklärt, und die dunkeln Berge hoben
sich scharf vom blauen Himmel ab. Der
Anblick der alte» norwegische» Krö-
uuugsstadt ist in der That reizend. Sie
steigt amphitheatralisch vom Meer und
der Nidaa bis zu grünen Hügeln empor;
der Gesichtskreis wird von Bergen be-
gränzt. Der Ort selbst bietet aber keinen
altertümlichen oder auch uur eigenar-
tigen Anblick dar, wie Bergen, son-
dern ist durchaus modern. Feuers-
Mädchen in Christiansund.
Drontheim verdankt seinen Wohlstand dem Fischhandel und
viele Kaufleute siud reich. Drontheim gilt für die altcK
Stadt im Lande und an sie knüpfen sich viele geschichtliche
Erinnerungen. Mau denkt sogleich an Hakon Jarl, welchen
uns Deutschen Oelenschlägers Dichtung nahe gebracht hat,
an Harald den Guteu, an Olaf Tryggwesou, den kühnen
Recken, welcher hier in Trouthjem (so heißt die ^tadt bei
den Norwegern) die isländischen Häuptlinge zur Annahme
des Christenthnms zwang. In dem alten Königshof am
Dome haben manche Helden und Fürsten gezecht und Kampf-
spiele gehalten und Kämpeviser, Gesänge zu Ehren kühner
Necken, gesuugeu. Aber die Namen dieser Kämpen und Ber-
serker siud verschwunden und verklungen. Doch Drontheim
bleibt klassischer Boden und ganz richtig ist die Bemerkung,
daß sich um diese ^?tadt Norwegens Geschichte wie um einen
Mittelpunkt gruppire. Noch jetzt werden die Könige des Landes
zu Droutheim, im alten Dome des heiligen Olaf gekrönt.
Der Dom steht uoch, obwohl er vom Blitze des Himmels
und durch den Uugeschmack der Menschen empfindlich beein-
trächtigt worden ist. Man hat ihn im zwölften Jahrhnn-
dert gebaut; in ihm rnheten die Gebeine des heiligen Olaf,
zu denen in den Tagen des Mittelalters viel Volkes wall-
fahrtete. Jetzt liegen die Neichskleiuode in diesem Dome,
der 1328, 1421 und 1531 durch Brand gelitten hat. Der
Chor ist gewaltig groß, hat viele Portale, Spitzbogen und
schlanke Fenster, die modern überputzten Säulen des Mar-
morganges sind schlank und ansprechend, aber an den Wän-
den der Kirche hat man kleine hölzerne Logen angebracht,
mit seidenen Vorhängen von verschiedenen Farben. Das
macht einen barbarischen Eindruck.
Die geschichtlichen Erinnerungen, welche sich an Dront-
heim knüpfen, sind von Lord Dufferin, welcher einige
Wochen nach uns dort war, mit poetischem Geiste wach ge-
rufen worden. Er hat der Stadt in seinen „Briefen ans
hohen Breitegraden" ein eigenes Kapitel gewidmet. Auch
er empfand, daß der Dom durch die neuen Verböserungen
viel von seinem Wesen eingebüßt habe, aber ein schönes Ge-
bände bleibt er trotz alledem.
Als Harald der Strenge von Norwegen nach England
herüberschiffeu wollte, um dort den König Harold zu be-
kriegen, öffnete er zuvor im Droutheimer
Dome den Schrein, in welchem König Olaf
der Heilige ruhte. Er schnitt ihm Nägel
und Haare ab, die er dann als schützende
Heilthümer für sich und sein ganzes Ge-
folge betrachtete. Dann verschloß er den
Sarg wieder und warf deu Schlüssel in
den Fluß Nid, welcher in Drontheim
mündet. Die Gebeine blieben ferner nn-
angetastet, bis in den Zeiten der Glau-
beusändernng die lutherischen Dänen
den Schrein sammt dem Heiligen weg-
holten. Aber nicht nur diesen nahmen
sie, sondern auch die goldenen und sil-
bernen Kelche und die mit Edelsteinen
verzierten Monstranzen. So wurden
die früheren Heidenverfolgungen vergol-
ten; eine Barbarei löste die andere ab.
In Drontheim trennte sich unsere
Reisegesellschaft. Einige wollten bis nach
dem Nordkap, Andere gingen quer
über die skandinavische Halbinsel durch
Lappmarken bis an den bottnischen
Meerbusen; ich machte noch einige Ausflüge in die Um-
gegend, um dann gerades Weges heimzukehren. Erst
sah ich mir von Außen das hölzerne Theatexgebäude an,
dann noch einmal das königliche Schloß; dieses bildet ohne
Zweifel das größte Holzgebäude in der^Welt. Nachher be-
suchte ich Münk Holm, ein Festungswerk von geringer
Bedeutung, auf einer mitten im Hasen liegenden Klippe.
In diesen Mauern haben früher manche dänische Staats-
gefangene trübe Tage verlebt. Es war einst ein Kloster;
jetzt verwahrt man dort Verbrecher, die von einer kleinen
Besatzung bewacht werden. Dann schiffte ich nach Sjor-
dalen, wo die Soldaten ein Lager aufgeschlagen hatten
und Heeresübungen hielten.
Das Lager war am Meeresufer, am Ausgang eines
Thales und das Gelände sehr abwechselnd, also zum kleinen
Kriege vortrefflich geeignet. Dieser paßt seinerseits wieder
gut für die ganzen Anlagen des norwegischen Kriegers, der
kein Angriffs-, sondern ein Verlheidignngssoldat ist. Prinz
Karl hatte in Sjordalen die rothe Zipfelmütze abgelegt, die
Uniform angezogen und den Befehl übernommen. Es moch-
ten etwa zweitausend Manu im Lager sein, fast alle mehr
106
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
oder weniger Rekruten, aber voll Eisers für die Sache. Der
junge General hielt sie von früh bis spät in Athem und
ging mit gutem Beispiele voran.
Der kleine Krieg, welcher zwei Tage hinter einander
im Gebirge geführt wurde, bot eine Menge interessanter
Erscheinungen und Zwischenfälle dar. Es stellte sich heraus,
daß der Norweger des innern Landes sich trefflich zum Berg-
schützeu eignet. Im Gebirge ist er in seinem wahren Ele-
mente, als ein flinker, unermüdlicher Plänkler. Die Leute
kletterten wie Katzen an den steilen Abhängen empor und
selbst der Regen schadete ihrer Lebendigkeit nicht viel.
Im Lager selbst ging es lustig genug her: die Sol-
dateu saugen und führten volksthümliche Tänze auf, zum
Beispiel den Hallingdans. Das ist ein Tanz, mit welchem
nur ein wohlgeübter Seiltänzer oder ein norwegischer Sol-
dat zurecht kommt, denn es gehört dazn nicht wenig Uebung,
Kraft und Gewandtheit. Ein Soldat kratzt auf einer acht-
denken. Ich will bemerken, daß der norwegische Soldat
vom zweiundzwanzigsten bis zum siebeuuudzwanzigsten Jahre
dient; mit der Landwehr ist das Heer etwa einundzwanzig
Tausend Mann stark. Norwegen, eine natürliche Felsen-
bnrg vou ungeheurer Größe, hat nur die beiden Festungen
Frederikssten und Kongsringer; daneben noch verschiedene
Citadellen, die aber von keinem Belang sind.
Das norwegische Heer ist nicht künstlich vom Volke
getrennt, hat keinen künstlich aufgeblähten Standesdünkel,
und kein Junker hat Privilegien auf Offizierstellen oder
Kadettenhäuser. Kein armer Edelmann kann Kinder in
Menge zeugen, welche dann vom achten oder zehnten Jahr an
auf Landeskosten in Kadettenhäusern Atzung und Kleidung
und Unterricht erhalten und so einseitig abgerichtet werden,
daß sie sich für eine ganz andere, höher stehende Menschen-
klasse halten als jene, auf deren Kosten sie genährt werden.
Dergleichen Widersinn kennt man in Norwegen nicht. Das
Norwegische Schützen.
saitigen Geige, ein Anderer hält mit dem Säbel eine Poli-
zeimütze so hoch als möglich in die Lust; dann nähern sich
die Tänzer und machen dabei allerlei komische Verrenkungen,
drehen sich langsam im Kreise, springen dann mit einem
Ruck hoch empor und versuchen, mit dem Fuße die Mütze
von der Säbelspitze herabzuschlagen. Dabei wird noch viel
hin- und hergehüpft oder gesprungen. Auch- Lustigmacher
fehlen nicht; ich sah zwei Soldaten, welche sich in einander
verschlungen hatten und vierfüßiges Thier spielten, natürlich
zu großem Ergötzen der Umstehenden.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Norweger ihr
Vaterland gegen jeden angreifenden Feind wacker vertheidi-
gen würden. Sie haben nationalen Stolz, sind freie Leute
und lieben den heimischen Herd. Sie würden mtch begeistert
und bereitwillig zu jedem Opfer sein. Aber wer sollte sie
angreifen? Gewiß kein Eroberer, denn was wäre aus dem
armen Norwegen anderes zu holen, als blutige Köpfe?
Auch Schweden darf an keine Einverleibung dieses Landes
Land hat überhaupt keiue Junker. Offiziere und Mann-
fchaft fühlen sich als Zusammengehörige; es geht patriar-
chalisch zu. Davon zeugt der nachstehende Vorfall.
Ein im Dienste strenger aber gerechter, nicht im min-
desten von gefrorenem Dünkel besessener, Hauptmann war
bei deu Leute« sehr beliebt. Einst erschien eine Abordnung
derselben bei ihm und der Sprecher sagte: „Hauptmann,
wir haben gehört, daß Du eiue Erbschaft gemacht hast,
weshalb trittst Du sie nicht an?" Der Offizier entgegnete,
daß er dann einen kostspieligen Proceß führen müsse, nnd
dazu gehöre eiue Summe, die über seine Kräste gehe. Die
Soldaten gingen sort, kamen aber nach einigen Tagen und
brachten einen Beutel voll Geldes mit, das von der Com-
paguie zusammengeschossen war, um dem Hauptmann zu
seinem Erbe zu verhelfen. „Hier, nimm Du die Summe
uud gelange damit zu Deinem Rechte. Verlierst Du, so
verlieren wir Deinen Proceß; gewinnst Du, so giebst Du
uns den Borschuß wieder." Das Letztere geschah.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
107
Die neuen Entdeckungsreisen in Afrika.
II. Im Osten.
Wir wenden uns nach der Ostseite Asrika's, von wo
uns in den letzten Jahre eine so reiche Fülle wichtiger Mit-
theilungen zuströmte. Auf der schönen Insel Madagaskar
fand 1856 der englische Missionar Ellis eine gastliche
Aufnahme bei der alten Königin Ranovalo *), welche seit
länger als 30 Jahren ein strenges Regiment über das Volk
der Howa's und die ihnen unterworfenen schwarzen Stämme
führte. Die Europäer sind in früheren Zeiten auf Mada-
gaskar willkommen gewesen, man gestattete auch den Mis-
sionaren willig den Aufenthalt. Aber die Königin Ranovalo
kannte die Umtriebe, welche von Seiten der Pariser Politik
unablässig gemacht werden, um diese angeblich „französische
Insel" in Besitz zn nehmen. Noch vor wenigen Jahren war
in Paris ein Plan entworfen worden, die Königin zu stürzen
und einen katholischen Prinzen als Vasallen 'Napoleons ans
den Thron zu setzen. In diesen schlechten Handel war
unsere arglose, aber nicht besonnene Landsniänniu Ida
Pfeiffer wohl ohue ihr Wissen verwickelt, und sie entging
nur mit genauer Noth wohl der Hinrichtung, aber nicht dem
Tode, zu welchen! sich in dein ungesunden 'Niederlande Ma-
dagaskars in ihr der Keim entwickelte. Nach Entdeckung
der Verschwörung wurde sie, nebst den betheiligten Fran-
zoseu, ausgewiesen, und die Königin ließ etwa zweitausend
ihrer Unterthanen hinrichten.
Ueber Mosambik und die portugiesischen Besitzungen
an der Ostküste hat der englische Konsul Mac Leod werth-
volle Nachrichten mitgetheilt und durch sie die Schilderungen
David Livingstone's ergänzt. Dieser unternehmende
Entdecker verweilte nach seinem denkwürdigen Zuge durch
das Festland Asrika's, welchen der Leser auf der mitgetheilteu
Karte verfolgen kann, eine Zeitlang in Europa, ging aber
schon am 4. Marz 1858 abermals nach dein Sambesi ab
und fuhr gleich im Juli wieder stromanswärts, um zunächst
den von Norden her einmündenden Fluß Schire zu unter-
suchen. Er verließ denselben unter IG0 2' siidl. Br., schlug
zu Lande den Weg nach Norden ein irnd kam an einen noch
von keinem Europäer besuchten See, den Schirwa, welcher
eine Länge von etwa 12 bis 15, eine Breite bis zu 20 Weg-
stunden haben soll, zwischen 6000 Fuß Hoheit Bergen, 2000
Fuß über der Meeresfläche liegt und von Krokodilen Wim-
niclt. Zwischen diesem See und einem andern, dem
Ninyessi, liegt nur eiue zwei Stunden breite Felsenleiste
oder GebirgShöhe, und aus ihm fließt unter 14" 23' füdl.
Br. der Schireflnß ab. Seit 1858 fiud mehrfach Nach-
richten von Livingstone nach Europa gelangt; er durchzieht
die Gegenden am Sambesi, um gesundes Land zu suchen,
und hält bei den Engländern die Wahnhoffunng rege, daß
sie aus jenen Regionen eine große Zufuhr von Baumwolle
erhalten könnten. Den letzten Nachrichten zufolge hatte (wie
wir iu Nr. l des „Globus" meldeten) Livingstone zu Anfang
des laufenden Jahres sich an den Rufnma begeben, um
diesen Strom so weit als möglich aufwärts zu befahren.
-ü. eiter nach Norden hin, nahe dem 10. 0 südl. Br.,
hegt der Nyauzasee, in dessen Nähe Albrecht Roscher
aus Hanibnrg einen frühzeitigen Tod gefunden hat. Roscher
kam un September 1858 in Ostafrika au und begab sich
zunächst nach Qmloa (Kilwa), um von dort in die Region
der bmnenlandischen ^een und bis in's Herz von Lnnda
hinein, an den Hof des barbarischen Königs von Luceuda,
*) Sie ist im Frühsommer 1801 gestorben.
vorzudringen, über welchen der Portugiese Gamitto 1831
ausführliche Kunde gab. Albrecht Roscher hatte, um sich
an das Klima zu gewöhnen, eine Landreise an der Küste
gemacht und manche Punkte astronomisch bestimmt; aber er
traf von vorn herein auf manche Hindernisse. Die Ein-
geborenen, namentlich am Lufidschislnsse, zeigten sich feind-
selig, auch war er einige Male geplündert worden; aber er
behielt seine Ausdauer nnd drang iu der That bis zum
Nyassasee vor, welchen er im Herbst 1859 erreichte. Er
kam krank an, verweilte bei einem Häuptling, dem Sultan
Makama, in Usewa, nnd beschloß im März, als es sich mit
seiner Gesundheit etwas gebessert hatte, an den Fluß Ru-
finita zn gehen, um einige dort zurückgelassene Maaren zu
holen. Es war wohl unvorsichtig, daß er sich in Begleitung
von nur zwei Dienern über die Gränze des befreundeten
Sultans hinauswagte. Er erreichte das Dorf Hisangnny,
wurde am 20. März 1860 in die Hütte eines Eingeborenen
geführt und, während er im Schlafe lag, von dem Besitzer
derselben, Mokotoka, mit Pfeilen erschossen. Seine Habe
und seine Tagebücher sind geraubt worden. Nähere Auf-
fchlnsfe werden die Mittheilungen des Herrn von der
Decken aus Hannover geben, welcher im April 1860 nach
Ostafrika abgegangen war, um sich mit Albrecht Roscher zu
vereinigen.
In jener Strecke Asrika's, welche zwischen dem indischen
Oeean nnd dem 30. Längengrade östlich von Grecnwich
einerseits nnd vom Aeqnator bis zum 10." südlicher Breite
andererseits liegt, ist in der jüngsten Zeit eine bisher mibe-
kannte Welt erschlossen worden. Die Portugiesen und
Araber wußten, daß dort im weiten Lande große Seen vor-
haudeu seien; schon der alte Ptolemäns hatte in diese
Gegenden die Nilquellen verlegt, aber Bestimmtes wußte
Niemand. Da gaben deutsche Sendboten den Anstoß zur
Erforschung. Sie gründeten 1844 zu Rabbai Mpia bei
Mombasa eine Mission, um dem Wanikavolke das Christen-
thum zu predigen und wo möglich eine Kette von Missionen
durch ganz Afrika bis an den Gabnnslnß an der Westküste
zu gründen. Zu solchem Zweck war es geboten, das Land
im Innern zu erforschen. Die Missionen haben allerdings,
wie sich voraussehen ließ, in religiöser Beziehung gar keinen
Erfolg gehabt, aber die Wanderungen der unerschrockenen
Sendboten sind der Wissenschaft sehr nützlich geworden.
Ludwig Krapf, der früher in Abefsinien gewesen war,
machte 1848 und 1852 auf verschiedenen Wegen Ausflüge
nach Fnga, dem Hanptorte des Königs von Usambara;
1849 und 1851 durchzog er das Land Ukambani; sein Mit-
arbeiter Rebmann unternahm drei Reisen nach Dschagga;
ein dritter, ErHardt, ging gleichfalls nach Fuga und schiffte
auch mit Krapf au der Küste hin gegen Süden bis Kilwa
und zum Vorgebirge Delgado. Durch Krapf und Rebmann
wurde bekannt, daß in der Nähe des Aequators zwei hohe,
mit ewigem Schnee bedeckte Berge sich erheben: der Kenia,
etwa unter 10 45' siidl. Breite und 36" östl. Länge, und der
Kilimandscharo, 3^" siidl. Br. und 37" östl. Länge. Daß
diese Berggipfel vorhanden sind, erleidet keinen Zweifel,
allein es ist, wie es scheint auf keineswegs ausreichende
Gründe hin, in Abrede gestellt worden, daß sie mit ewigem
Schnee bedeckt seien. Die beiden Missionare, welche ihnen
einige Male ganz nahe waren, drücken sich indeß mit ganz
unumwundener Bestimmtheit aus, und es bleibt nur zu
bedauern, daß sie nicht Alles aufboten, um wenigstens einen
14*
108 Globus, Chronik der Reisen
der beiden Berge zn ersteigen. Wie dem aber anch sein
möge, sie haben die Erdkunde wesentlich gefördert und über
das Leben der schwarzen Völker jener Gegend viel Licht ver-
breitet. Kraps hat im August 1861 eine neue Reise nach
Afrika angetreten. Er will an der ostafrikanischen Küste,
etwa unter 3°füdl. Br. eine neue Missionsniederlassung
zur Bekehrung der Wanika- und Gallastämme gründen und
hat zur Beihülse zwei Deutsche und zwei Engländer. Nach-
dem er seine Station dort eingerichtet, gedenkt er das söge-
nannte nordöstliche Horn des afrikanischen Festlandes, die
Region zwischen dem Aeqnator und Abessinien, zu durch-
wandern. Vor länger als dreihundert Jahren haben die
Portugiesen, nach ihrer Besitznahme von Malindi, dazu
mehrere, allerdings mißlungene Versuche gemacht; auch be-
mühten sie sich, von Abessinien ans nach Malindi an den
Oeean vorzudringen, kamen aber nur bis Enarea und
Sendschero. Kraps will nun erforschen, ob noch christliche,
vielleicht anch jüdische Ueberreste in den südlich von Abessi-
nien liegenden Ländern Gansi, Kassa, Wolamo, Kombat und
Kortschassi vorhanden seien. In Gnragne leben Christen,
die vielleicht manche uns noch ganz unbekannte Schriften
in äthiopischer Sprache besitzen. Die Sprach- und Völker-
knnde dars von dieser Reise des unerschrockenen Missionars
manche schöne Ausbeute erwarten, ebenso die Geographie.
Vielleicht gelingt es ihm, die südöstliche Wasserscheide des
Weißen Flusses (Bahr el Abiad), die Quellen und den Lauf
der Flüsse Sobat und Godschob aufzuhellen und über den
Lauf der Gebirgszüge Nachrichten zn geben. Sein Weg
wird ihn dnrch die Regionen führen, in welchen die uns jetzt
nur dem Namen nach bekannten SeenUsole, Zämbnrn und
Omo liegen. Wahrscheinlich kehrt er aus dem abessinischen
Gondar über Chartum durch Sennar, Nnbien und Aegypten
heim, und gelingt sein Vorhaben, so wird durch dasselbe
Heugliu's Reiseplan in gewisser Beziehung ergänzt.
Von Rebmann erhielten die englischen Reifenden Bur-
ton und Speke wichtige Fingerzeige, bevor sie in's Innere
aufbrachen. Für sie handelte es sich darum, über die Region
der großen Seen in's Klare zu kommen, und sie hatten das
Glück, ihre große Aufgabe zu nicht geringem Theile zn lösen.
Richard Burton, ein Mann von ganz ausgezeichneter
Begabung, war schon früher in Ostindien durch Sindh und
in die Nilgherris gewandert, dann 1853, als afghanischer
Derwisch verkleidet, mit einer Pilgerkarawane von Uambo
über Medina nach Mekka gezogen, und hatte sich 1855, von
dem Hafenplatze Seila ans, durch das Laud der Somal bis
nach Härrär gewagt, wohin vor ihm kein christlicher Euro-
päer gekommen war. Kapitän Speke, gleichfalls Offizier
des indischen Heeres, hatte tapser in vier Schlachten gegen
die Sihks gefochten und dann Urlaub genommen, um Ober-
indien, einen Theil des Himalaya und des füdlichen Tibet
zu durchstreifen und vorzugsweise die Thierwelt zu erforschen.
Im Jahre 1854 schloß er sich in Aden an Burton an, um
mit ihm das Laud der Somal zn erforschen. Während
die Expedition in dem Hasenplatze Berbera lange Zeit auf
die Karawane von Ogadam, welcher sie sich anzuschließen
gedachte, warten mußte, unternahm Speke einen Streifzug
nach Osten hin bis zum Ras Kori und überschritt die
Küstenkette. So gelangte er auf die Hochebene im Innern
des „östlichen Horns." Dann ging er nach Aden zurück,
fuhr abermals nach der Somaliküste bei Karam und ging
mit Kameeleu" nach Berbera, von wo ans Burton, welcher
die erste Reise nach Härrär nur als eine Probe betrachtet
hatte, eine zweite Wanderung unternehmen wollte, um 1854
in Härrär eine Agentur für den Handelsverkehr mit den
ostafrikanischen Stämmen im Innern anzulegen. Der große
Markt in Berbera war zu Ende; die Engländer blieben
und Geographische Zeitung.
noch, um in den nächsten Tagen die Reise anzutreten. Aber
am 19. April wurden sie vou etwa 350 Somalbeduinen bei
Nacht überfallen; diese warfen Speere in das Zelt, in wel-
chem Bnrton, Lieutenant Herne und Speke sich befanden.
Der Feind wollte das Zelt einreißen, um die drei Engländer
in die Falteu desselben zu verwickeln; gegen die Ueberinacht
konnten die Wenigen sich nicht wehren und mußten fliehen,
obwohl 20 Feiude vor dem Eingange auf der Lauer lagen.
Burton erhielt eine Menge Keulenhiebe, schlng sich aber in
der Dunkelheit durch und entkam gleich seinem Gefährten
Herne nach den Hütten von Berbera; ein anderer Offizier,
Stroyan, wurde erschlagen. Daß Speke sein Leben rettete,
war ein Wunder. Er ging ans dein Zelte und hielt seine
Drehpistole einem Beduinen dicht auf die Brust, aber die
Waffe versagte. Drei Männer sprangen ihm auf den Leib,
knebelten ihm die Hände ans den Rücken zusammen und
schleppten ihn fort. Er konnte kaum athmen, man gab ihm
jedoch zu trinken und ließ ihn bei Tagesanbruch liegen. Er
sah, wie die Wilden ihren Kriegstanz aufführten, um die
Beute herumtanzten, und hörte, wie sie einen Dankgesang
anstimmten. Da kam ein Beduine und fragte in Hindustani,
was der Franke im Lande zu schaffen habe; er wolle ihn mit
der Keule todtfchlageu, wenn er ein Christ sei, er solle aber
das Leben behalten, wenn er ein Muselmann wäre. Dann
kam ein anderer, schwang auch seine Waffe und eilte gleichfalls
weiter. Speke machte sich allmälig die Hände frei, konnte
einen Lanzenstich abwehren, erhielt aber noch eine Menge
von Keulenschlägen auf Arme und Hände, Schenkel und
Schulter. Zuletzt gab mau ihm noch einen Stich in's Bein.
So kroch er, mehrfach von Speeren nmfaust, bis an den
Strand, wo er, von Blutverlust völlig erschöpft, wie todt
hinsank, sich aber wieder aufraffte und bis an die Hütten
von Berbera kam.
Es waren also zwei erprobte Männer, welche die
Wanderung zn den großen Binnenseen antraten. Zuvor
hatten sie einige Küstenfahrten unternommen und einen
Ausflug nach Fuga in Ufambara gemacht, gleichsam um
sich auf das große Werk vorzubereiten. Diese Reise wurde
am 27. Juni 1857 von Kaole, einem Küstenpunkte der Insel
Sansibar gegenüber, angetreten; sie ist eine der interessante-
steu, die je beschrieben worden sind, ungemein reich an
wissenschaftlichen Ergebnissen und uicht minder reich an
spannenden Begebenheiten. Bnrton's Schilderung führt
uns mitten hinein in das volle afrikanische Leben und Trei-
ben, lehrt uns eine Menge neuer Völker und deren Eigen-
thümlichkeiten kennen, erläutert die Handelsverhältnisse ein-
gehend und spauut unser Interesse in hohem Grade. Aber
die Reise war auch reich au Qualen und Leiden für die
kühnen Entdecker, welche allein, vou unzuverlässigen Beglei-
tern umgeben, den Zng durch eine Menge wilder Stämme
wagten, deren Barbarei geradezu trostlos erscheint.
Der Weg führte von der Küste am Kingani hinanf
zunächst nach Sengomero im Lande Kntn, das nach 17 Ta-
gereifen erreicht wurde. Weiter leitete der Pfad, denn von
Wegen kann nicht die Rede sein, in 23 Tagen über das
Usagaragebirge nach Ugogi, über den 5700 Fuß hohen
Rnbehopaß. Bei Ugogi, 6<> 40' südl. Breite uud 36» 6'
östl. Länge, hatte diese innere Hochebene 2700 Fuß Meeres-
höhe. Weiter ging die Reise durch die Wildniß Marenga
Mkali in 20 Reisetagen nach Tnra in Uniamnesi und über
Kaseh (5° nördl. Br., 33° 3' östl. L., 3940 Fuß Meeres-
höhe), wo arabische Kaufleute Faktoreien für den Handel mit
dem Innern haben, in 37 Tagen nach dem 3190 Fuß hohen
Ufenye. Nun war der Fluß Malagarasi überschritten, und
auf dem Wege über Ukarauga gelangten die Wanderer in
10 Reisetagen nach Udschidschi am östlichen Ufer des Tan-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
109
ganyikasee's, 4» 54' nvrdl. Br., 30« 3' östl. L., am
14. Februar 1858. Schon am Tage vorher hatte Burton
den ersten Blick aus den See geworfen; als er seinem Führer
auf einen steilen Hügel folgte, sah er plötzlich einen hellen
Streifen. „Was ist das?" fragte er, und erhielt zur Ant-
Wort: „Es ist das Wasser!" „Ich stand ganz erschrocken
und bestürzt da. Meine Augen waren noch leidend, die
Bäume gestatteten keine freie uud volle Aussicht, und heller
Sonnenschein fiel nur auf einen Theil des See's, während
der andere im Dunkel blieb. Da begann ich, etwas voreilig,
mir Vorwürfe über meine Thorheit zu machen; ich hatte
mein Leben auf's Spiel gesetzt und meine Gesundheit einge-
büßt, und das eines so unbedeutenden Begebnisses wegen!
Als ich über einige Schritte weiter vortrat, lag der See in
seiner ganzen Pracht vor mir und nun war ich voll Bewun-
derung uud Entzücken!" Sein Wasser erglänzte wie ein
Spiegel zwischen den Bergen, am grünen Strande lagen
Dörfer zwischen wohlbestellten Feldern und Fischerkähne
schaukelten sich auf den Wellen."
Der Tanganyikasee, auch See von Udschidschi genannt,
liegt 1850 Fuß über der Meeresfläche, 2000 Fuß niedriger
alö die Hochebene von Uniamnefi, zwischen 3 0 25' und 7 0
20' südl. Breite, und ist etwa 250 englische geographische
Meilen lang; die durchschnittliche Breite beträgt etwa 20 sol-
cher Meilen, au einigen Stellen aber wohl 35. Der See
ist das Centrnm einer großen muldenförmigen Einsenknng
im Festlande, ein langer schmaler Trog. Die Breite seiner
Nordspitze liegt mit dem südlichen Ende des Nyanza- (un-
passend Victoria-Ukerewe genannten) See's fast in derselben
Linie; das Wasser ist süß. Kein Strom fließt hinaus; die
von Speke auf seiner Karte gezeichneten „Mondgebirge",
welche in großem Halbbogen den See angeblich im Norden
umziehen, siud nicht vorhanden. Burton erklärt sie für rein
erfunden, für durchaus phantastisch; Speke habe wissentlich
die Welt getäuscht.
Auf diesem See machte Speke einen Ausflug uach der
gegenüberliegenden Küste, Burton bis an die nordwestliche
Ecke bei Uvira, wo Handel mit Elfenbein getrieben wird.
Der Aufenthalt am See und auf demselben dauerte vom
14. Februar bis zum 26. Mai; am 19. Juni waren die
Reisenden wieder zu Kaseh in Unyanyembe, von wo sie erst
am 26. September wieder aufbrachen. Burton litt schwer
am Fieber, benutzte aber deu Aufenthalt zu Kaseh, um von
den Arabern Erkundigungen über die Landschaften und Völker
im Norden des Tanganyika und im Westen des Nyanza,
namentlich über das Königreich Karagwa, einzuziehen. Die
Entdeckung des letztern See's war Speke's Ausgabe. Er
brach am 11. Juli 1858 vou Kasel) auf, erreichte das
Wasser, legte in 45 Tagen eine Strecke von mehr als
lOOdeutschen Meile» hin nnd her zurück und war am 25. Au-
gust wieder in Kaseh. An den Nyanza war er bei Muanfa
ÄwVt/. V-'V yv^v v v * •v
v« dem Meere, die Südspitze liegt ...... -
~ „ und 33» östl. Länge. Die Anwohner des
Sudufers wissen nicht, wie weit er nach Norden sich er-
strecke, uud ob man ihn nach Norden hin bis 1'/./ über
,c" 5 ^"auslegen könne, bleibt noch zweifelhast,
jedenfalls traat er ---- L
welches während w. «w-
genzeit aus einer ausgedehnten Region nach diesem See hin-
strömt. Dieses Wasserbecken reicht ohne Zweifel bis an den
Aeqnator; ob in demselben eine der Hauptquellen des Weißen
Nils liege, kann erst durch nähere Forschungen ermittelt
werden. Bis jetzt ist Alles, was man in dieser Beziehung
vorgebracht hat, durchaus ungewiß.
Am 4. März 1859 waren Burton und Speke wieder
in Sansibar. Bon der Küste bei Kaole bis zum Tanganyika-
See hatten sie 955 englische Statutmeileu in 420 Stunden
25 Minuten Reisezeit zurückgelegt. Speke ist isgo wieder
nach Ostafrika gegangen, um abermals bis zum Nyanza-
See vorzudringen und zu ermitteln, ob es mit seiner Ansicht
von der Nilquelle richtig sei; Anfang Octobers trat er von
Bagamoyo, Sansibar gegenüber, gemeinschaftlich mit Ka-
pitän Graut die neue Reise an. Er hofft, bis nach Gon-
dokoro am Weißen Flusse zu gelangen, wohin Petherick ihm
entgegen reisen wird.
Wir können hier ans die Bestrebungen, welche auf Ent-
deckungen der Nilquellen gerichtet sind, nicht näher eingehen,
behalten uns jedoch vor, sie gelegentlich im Zusammenhange
darzustellen. Der Weiße Nil, Bahr al Abiad, nimmt etwas
südlich von 10 0 n. Br. von Westen her den Bahr el Gasal
auf, welchen man als einen Hauptarm betrachtet. Der
östliche Arm, welcher bislang alö eigentlicher Weißer Strom
bezeichnet wurde, ist der Tubiri und bekanntlich mehrfach
bis zum vierten Grad hinauf befahren worden. Die katho-
tische Mission aus Oesterreich, au deren Spitze Pater Kno-
blech er stand, hatte ein Haus zu Gondokoro, in dessen
Nähe Brnn Rollet eine Station zum Elfenbeinhandel
anlegte. Uli vi war von dort bis nach Garbo unter dem
dritten Breitengrade gekommen. Der Nil hat oberhalb
Gondokoro viele Stromschnellen; sein Bett wird enger, drängt
sich durch die Gniriberge nnd wird erst oberhalb der
Merikatarakten beim Dorfe Galnffi wieder fahrbar. So
behauptete wenigstens der Benetianer Miani, der im März
1860 bis zum zweiten Breitengrade vorgedrungen sein will;
er erzählt, daß er bei Galnffi seinen Namen in einen großen
Tamarindenbaum eingeschnitten habe. Er sagt ferner, daß
er den Strom verlassen mußte, um über die Gniriberge zu
gehen; doch bedürfen seine Angaben noch der Bestäftigung.
Der Reisende ist inzwischen wieder nach Afrika abgegangen,
»in seine Entdeckungen zu vervollständigen nnd weiter zu
führen. An den obern Nil, um wo möglich bis zu den
Quellen vorzudringen, hatte sich auch Wilhelm Leje a n bege-
ben, nnd auch Dr. Peney war gleichfalls dorthin gezogen.
Den oben erwähnten westlichen Arm Bahr el Gasal er-
forschte in den letzten Iahren der englische Conful in Chartum,
Johann Petherick, theilweise; wir haben durch ihn um-
fassende Nachrichten über diesen Fluß, über deu Nnavr-
(Nuer-) See und die am rechten Ufer des Bahr el Gasal
wohnenden Völkerschaften, insbesondere die Dschnr, die Dor
und die vielbesprochenen Nyam-Nyam, jene angeblich ge-
schwänzten Menschen, erhalten. Petherick ist jedoch nicht
den Fluß selbst hinaufgefahren, sondern von der Insel Kyl,
unweit vom rechten Ufer, nach Süden hingegangen. Bei
Gutu, im Lande der Dor, zwischen dem zweiten und dritten
Breitengrade, überschritt er einen Zufluß des Vahr el Gasal,
welcher von Osten herkam, und ging südlich weiter bis
Mundo, das er aus seiner Karte, die freilich keinen Anspruch
aus strenge Genauigkeit machen kann, gerade unter den
Aeqnator verlegt. Dort jwar er mitten unter den Nyam-
Nyam, die zwar keine Schwänze haben, wohl aber Men-
schenfresser sind. Das Letztere ist bis in die jüngste Zeit
bezweifelt worden, aber Pethericks Darstellung macht dem
Streite darüber ein Ende.
Unsere llebersicht schließen wir mit einem Hinblick auf
Eduard Bogel, an desseu Schicksal das deutsche Volk einen
so lebhaften Antheil nimmt. Alle sind von der Ueberzeugung
durchdrungen, daß eö ein nationaler Ehrenpunkt sei, über sein
Ende in's Klare zu kommen und nach so langem Schwanken
1 Globus, Chronik der Reiser
und Zweifeln zu einem festen Abschlüsse zu gelaugen. Was
von Seiten Englands, welchem diese Pflicht zunächst oblag,
geschehen ist, hat sich als unzureichend erwiesen; wir wollen
indessen die Bemühungen Hermans in Tripolis und Baikie's
in Rabba dankbar anerkennen. Es kann nicht bestritten
werden, daß Vogel ein Opfer englischer Unvorsichtigkeit
wurde; denn es war ein verhängnißvoller Fehler, das
dem Sultan von Wadai gehörende Elfenbein in Bengasi
wegzunehmen. Für die schwachen Hoffnungen, welche man
da oder dort über Bogel noch hegt, kann man höchstens
Wünsche geltend machen, während Alles dafür spricht,
daß der Reisende längst nicht mehr am Leben sei. Vogel war
am 7. März 1853 zu Tripoli in der Berberei angelangt, dann
an den Tsadsee in Bornu gekommen, hatte das Forschungs-
werk Barths fortgesetzt und war am 1. Januar 1857 von
Kuka aus nach Osten hin aufgebrochen. In seinem Briese
vom 5. December 1856 schreibt er: „In etwa zwei Tagen
werde ich eine Recognoseirung nach Wadai, wo möglich bis
Wara, machen." Er ist dorthin gekommen, aber Nach-
richten von seiner Hand sind nicht mehr nach Europa gelangt.
Alle nur einigermaßen glaubwürdigen Angaben stimmen
dahin überein, daß er ein Opfer der Barbarei des Sultans
von Wadai' geworden sei.
Aber einen solchen Todten darf Deutschland nicht ruhen
lassen, er darf für uns nicht verschollen sein; wir wollen Ge-
wißheit über das Schicksal jenes Märtyrers der Wissen-
schaft haben. Diese Ueberzeugung drang auch überall in
unserm Deutschland durch. Und auch im Orient selbst war
die Theiluahme lebhaft. Ein französischer Arzt, der mehr
als zwanzig Jahre in Aegypten gelebt und lange zu Siut
verweilt hatte, das den Stapelplatz für die aus Kobbe in
Darfur kommenden Karawanen bildet, wollte die Bahn
brechen. Dr. Cuuy war schon 1854 nahe daran gewesen,
nach Darfur reisen zu können, wurde aber dnrch das Miß-
trauen des Abbas Pascha, Vicekönigs von Aegypten, daran
gehindert. Im Jahre 1857 nahm er unter nicht so un-
günstigen Verhältnissen seinen Plan wieder auf. Er war
im Mai 1858 zu El Obeid in Kordofan nnd hoffte durch
Darfur nach Wadai zu kommen. Das erstere Land betrat
er auch, erlag aber bald nachher zu Kobbe einer Krankheit.
Freiherr von Neimans, eben so muthig als jener fran-
zöfifche Arzt, war gleich diesem entschlossen, Alles aufzubieten,
nm nach Wadai vorzudringen, uud wollte ebeu aufbrechen,
als am 15. März 1858 ihn der Tod in Aegypten hinwegraffte.
Nun tritt Freiherr von Heugliu in die Schranken,
ein Reisender, so tüchtig und geeignet, wie nur irgend einer
auf der Welt für die Lösung einer schwierigen Aufgabe. Er
ist durch Much und Ausdauer erprobt und kennt einen
großen Theil Afrika's, namentlich auch die Länder am
obern Nil, nnd überhaupt einen beträchtlichen Theil des
innern Sudan. Während eines siebenjährigen Aufenthaltes
in Chartnm, der großen Handelsstadt am Zusammenflusse
des Weißen und Blauen Nils, fand er Gelegenheit, znver-
lässige Kunde ans manchen bisher nur wenig bekannten Re-
gionen einzuziehen; er war im Lande der Somal, in den
Hababländern am Rothen Meer, in Abefsinien und in der
und Geographische Zeitung.
Wüste zu beiden Seiten des Nils. Rüstig, unter allge-
meiner Theilnahme, ist er an's Werk gegangen. Er wollte
zunächst von Massawa am Rothen Meere nach dem Lande
der Bogos gehen. Dieses Land der Bogos liegt im Norden von
Abessmien, wird von 16° nördl. Br. und 36° östl. Länge
durchschnitten und hat ein Klima wie Italien. Dort lebt, in
der Hauptstadt Kereu, seit 1855, unter einem gastsrennd-
lichen christlichen Volke, Werner Munzinger aus Ölten
in der Schweiz, welchem wir eine Menge werthvoller Mit-
theilnngen über jene Gegenden, insbesondere auch eine Schrift
über die Sitten und das Recht der Bogos, verdanken. Er
hat sich bereit erklärt, an der Forschungsreise Theil zu
nehmen; bei ihm, in Keren, werden die letzten Vorberei-
tnngen getroffen; dann geht die Expedition nach Westen hin,
um von Chartnm, wahrscheinlich im Oetober, ihr Ziel zu ver-
folgen. Die übrigen Mitglieder sind: Di-. Steuduer aus
Greifenberg in Schlesien; er ist Botaniker und Geognost;
Th. Kinzelbach aus Stuttgart, welchem die Höhenmes-
snngen, geographischen Ortbestimmungen und meteorolo-
gischen Arbeiten obliegen, und Ludwig Hansal; dieser ist
Sekretär, Dolmetscher und Gepäckmeister. Während Mun-
zinger alles ans Völker- und Sprachkunde Bezügliche be-
rücksichtigt, und auch Herr von Henglin an diesen Forschun-
gen sich betheiligt, wird der Letztere seine besondere Aufmerk-
samkeit der Thierkunde und der Landwirtschaft zuwenden.
Als Zeichner werden sich alle beschäftigen und für die geogra-
phifche Erforschung wird ganz von selbst Jedem ein Theil
zufallen.
Die Lösung der Aufgabe hängt begreiflicher Weise von
den Umständen ab; es ist unmöglich, einen bis in's Einzelne
gehenden Plan vorzuzeichnen und dasGanzemnß dem Ermessen
Heuglins überlassen bleiben. Er zeigte auch von vorn herein
seinen praktischen Sinn, daß er sich auf den Plan einer Reise
vom Mittelmeere, dnrch das unbekannte Land der Tibbns,
nach Wada'i gar nicht einließ, sondern, was allein ver-
ständig erscheint, Chartum zum Ausgangspunkte gewählt
hat. „Durch feine Expedition soll die Erforschung der Land-
schaften zwischen: dem Nil und dem Tsadsee versucht werden,
eines Landstriches, welcher zu dem Kern des unbekannten
Innern von Afrika gehört." Dringt er nicht in Wadai ein,
so wird er wahrscheinlich die Länder am obern Nil gründlich
erforschen.
Auf jeden Fall handelt es sich, auch abgesehen von der
menschlichen Theilnahme, die sich an Vogels Schicksal knüpft,
um ein großartiges deutsches Unternehmen, welches dem
gefamin'ten Vaterlaude zur Ehre gereicht. Muthige Männer
bieten mit Zuversicht allen Gefahren Afrika's Trotz, um
über das Schicksal eines Märtyrers endlich sichern Aufschluß
zu erhalten uud auch ihrerseits den Ruhm deutscher Wissen-
schaft zu erhöhen. Die Theilnahme der Nation folgt den
kühnen Reisenden auf ihrem schweren Wege und gewiß wird
sie nicht müde werden, dnrch ergiebige Beiträge zu ermög-
lichen, daß das große Werk in vollem Umfang durchgeführt,
die Aufgabe glänzend gelöst werden könne. Der Ersolg
Heuglins nnd seiner Begleiter wird die Ehre des deutschen
Namens mehren.
Der Hasen und das Korallenriff von Pernambnco.
Pernambneo ist eine der reichsten Handelsstädte des Nur die Altstadt, Olinda genannt, steht aus etwas höherem
Kaiserreichs Brasilien und verschifft in beträchtlicher Menge Boden, als die etwa eine halbe Stunde südlich von ihr lie-
Zucker, Häute, Kaffee, Tabak, Baumwolle und noch andere geude Hafenstadt Recife; wer vom Meere her sich dieser
Landeserzeugnisse. Sie liegt au einem flache» Strande. Doppelstadt nähert, erblickt zuletzt hohe Kokospalmen, und
Globus, Chronik der Reift
bald darauf einige Äangada's, merkwürdige, höchst eigen-
thümliche Fahrzeuge. Sie bestehen ganz einfach aus meh-
rereu zusammengebundenen Balken, auf denen man einen
Stuhl und einen Mast mit Segel befestigt hat. Die Wellen
schlagen über ein solches Fahrzeug, dem Seitenborde fehlen,
aber es segelt schnell, ist sicher und der Schiffer wagt sich
oft weit in's Meer hinaus. Mau bauet es aus dein Holze
des Ape'iba, eines lindenartigen Baumes.
Die Stadt zählt mehr als siebenzigtausend Einwohner,
kann aber nnr einem Kaufmann gefallen. Die Häuser siud
höher, die Straßen noch enger als in Rio Janeiro und wo
möglich noch unsauberer. Fast in allen Städten Brasiliens
überläßt ja der träge Mensch das Geschäft der Straßen-
reinignng dem Himmel, welcher Regen schickt, und wo der
Bodcu eine starke Neigung hat, wird dann auch zeitweilig
etwas weniger Schmutz vorhanden sein. Aber Pernambnco
liegt flach. In der nassen Jahreszeit sind die Straßen voll
und Geographische Zeitung. III
Fluthzeit über das Meer, bei Ebbe dagegen ragt es an
manchen Punkten sichtbar hervor. Da, wo man es auch
bei Hochfluth erblickt, sind hin uud wieder Oessnnngen, Ein-
fahrten, welche anch für große Seeschiffe hinlänglich tiefes
Fahrwasser haben. Das Wasser an der Binnenseite bildet
dann natürliche Häfen, und unter diesen ist jener vou Per-
uambnco der wichtigste. Bon Norden her gesehen, bietet er
dem Beschauer ein angenehmes Bild.
Zur Linken liegt die langhingestreckte Riffmasse, welche
durch einen langen weißen Schaumstreifen bezeichnet wird,
denn unaufhörlich brandet die See an diese natürliche
Mauer; im ruhigen Binnenwasser liegen zahlreiche Kauf-
fahrer vor Anker, wehen die Flaggen aller Handelsvölker,
und auf der Jufel Nogueira, welche im Innern den Hasen
begränzt, und das Gemälde heiter abschließt, erheben sich
stattliche Kokospalmen mit ihrem herrlichen Grün. Ueber
das Seezeughaus ragt der Thurm der Sternwarte empor;
Hafc» von Pcrnambuco.
Schlamm, in den heißen Monaten voll Staub, und mau
begreift, daß unter solchen Umständen das gelbe Fieber-
große Verheerungen anrichtet.
Eigentlich besteht die „Doppelstadt" aus drei Aothei-
hingen. Die eine, wo der Großhandel seine Hauptstätte
hat, liegt ans einem schmalen Streifen Landes, der zwischen
der See und einem Flusse von Olinda sich hinzieht und
Recise heißt; in einer zweiten, San Antonio, das auf einer
Insel liegt, wohnt der höchste Regierungsbeamte, und dort
drängt sich der Kleinhandel zusammen; die dritte, Boa Vista,
besteht aus einer langen Straße mit theilweise recht hübschen
Häusern. Alle drei Theile sind durch Brücken mit einander
verbunden.
Bon Interesse ist die Hafenbildung. Die Nordküste
Brasiliens ist von der Natur durch einen Riff geschützt, das
sich in geringer Entfernung vom Festlaude wie eine Mauer
hinzieht. Nur au wenigen Stellen erhebt sich dasselbe zur
hinter ihm liegt Pernambnco auf den alluvialen Ablage-
rungen zweier breiten aber seichten Flüsse, des Biberibe und
Capiberibe, welche sich in den Hafen ergießen. Sie theilen
die Stadt in mehrere Viertel, gewähren zwischen diesen eine
leichte Wasserverbindung und man hat deshalb Pernambnco
schon als das amerikanische Venedig bezeichnet.
Ueber die Korallenriffe und die namentlich in der Süd-
fee von Polypen gebildeten Inseln hat man viel und lange
hin- und hergestritten. Leroy und Gaymard haben nachge-
wiesen, daß diese Polypen nur in seichtem Wasser leben
können und daß in beträchtlicher Tiefe keine Spuren der-
selben vorkommen. Die Koralleninsekten siedeln sich ans
einem Felsenboden an, welchen die Natur für sie zurecht ge-
macht hat; ihre Arbeit besteht lediglich darin, daß sie die
schon vorhandene Oberfläche dnrch ihren Detritus ver-
mehren. Die Annahme jener beiden Naturforscher wird
durch die nordbrasilischen Riffe entschieden bestätigt; den»
112 Globus, Chronik der Reisen
überall wo diese Riffe stets unter Wasser stehen, ist ihre
Oberfläche mit kleinen Polypen bedeckt. Ein Seeoffizier
der französischen Marine, welcher seine Beobachtungen im
Monitenr de la Flotte mittheilt, sagt, daß er der Beobach-
tung wegen in einer Jangada über solche Risse hinwegge-
fahren sei; die von deu Madreporen gebaueten unterseeischen
Gärten hätten ihm einen herrlichen Anblick gewährt.
Ich habe, sagt er, dieselben Thiere nebst zahlreichen
Seepflanzen auf solchen Riffen gefunden, welche bei halber
Flnth zu Tage treten, aber nur an der Meeresküste, wo sie
stets den Einwirkungen der Wellen vermittelst der Brandung
ausgesetzt waren. Dagegen war aber ans demselben Riffe,
an der dem Lande zugekehrten Seite, in dem Fahrwasser
zwischen der natürlichen Küstenmauer, keine Spnr von ihnen
zu finden, und an der Küste bildet der Detritus dieser
Koralleninsekten nur eine dünne Lage oder Schicht von neun
Zoll bis höchstens drei Fuß Dicke. Die Formation, welche
den Polypen ihr Dasein verdankt, ist sehr leicht von dem
unter ihr liegenden Gestein zn unterscheiden; dieses besteht
aus Quarz, Feldspath und Bruchstücken von Muscheln,
die durch einen kiesel- und kalkhaltigen Mörtel verbnn-
den sind.
Man erkennt deutlich, daß das Gestein, ans welchem
das Riff besteht, nach seiner Bildung emporgehoben worden
ist. Die Neigung nach der Seeseite bildet durchschnittlich
und Geographische Zeitung.
einen Winkel von 45 Grad, mehr oder weniger; an einer
Stelle fällt es dagegen vollkommen senkrecht ab, an einer
andern wird es lediglich durch Ablagerungen gebildet, wie
aus deu dort sehr zahlreich liegenden Muscheln hervorgeht,
die sich noch in ihrem natürlichen Zustande befinden, ihre
Farbe behalten haben und mit den noch vorhandenen ganz
gleich sind. Gegenwärtig besteht die Arbeit der Polypen
darin, das Riff vor der zerstörenden Einwirkung der Wellen
zn schützen.
Das letztere bildet von der Nordküste Brasiliens nicht
eine znsammenhängige Kette, sondern ist dann und wann,
wie schou bemerkt, vou Oefsuungen durchbrochen, welche eine
Reihe gerader, paralleler Linien bilden, und zwar so, daß
eine Linie, welche am Riff aufhört, weiter nach außen hin
in derselben Richtung wieder aufgenommen wird. Das Riff
macht nirgends eine Krümmung. Bei Pernanibueo ist die
Streichung von N. 20° O. zu S. 20° W. Sie ist «lso
sehr regelmäßig, oft auf weiten Strecken von gleicher Höhe,
und ans der Ferne gesehen gleicht das Riff in der That
einer von Menschen ausgeführten Mauer. Bon den Hügeln
des Kap St. Augustin überblickt man es auf eine weite
Strecke hin. Die natürliche Mauer ragt dort etwa vier
englische Meile» weit aus dem Meer empor und sticht mit
seiner regelmäßigen geraden Linie scharf gegen die vielen
Einbuchtungen der Küste ab.
Die Guano
Der Vogeldünger, Guano, welchen Peru in den Welt-
Handel liefert, spielt bekanntlich eine wichtige Rolle. Schon
die Jnka's ließen ihn verwenden, unter der spamscheu Regie-
rung wurde er veruachlässigt und Europa benutzte ihn nicht,
bis iu den Jahren 1839 und 1840 die ersten Ladungen nach
England kamen. Die Unternehmer waren der Franzose
Boapoillet und der Engländer Bland von der Firma
Meyer und Bland in Valparaiso. Anfangs lachte man
über den „Vogelmist" und wollte sich auf deu Gebrauch
nicht einlassen; bald nachher gewann man freilich eine ganz
andere Ansicht.
Unter Kaufleute und Schiffer kam ein Guanofieber;
man spürte nach Guanoregionen, in welchen die kostbaren
Exeremente der Seevögel nicht Monopol waren wie in Peru;
auch manche bisher unbeachtete Inseln an der Westküste von
Afrika wurden erforscht und iu der That wurde dort gesuu-
den, was man suchte. Ganze Flotten steuerten uach dem neuen
gelobten Lande, nach dem Hafen Angra peqnena, nach Mer-
eury, Hollams Bird, und anderen Punkten, aber alle wurden
durch Jchaboe in Schatten gestellt. Diese Insel unter
26° 18' S. Br. 14° 58' Oestl. L., ist ein vulkanischer Fel-
sen, hält etwa dreiviertel einer englischen Meile im Umfange
und ragt nicht mehr als dreißig Fuß über die Meeresfläche
empor. In: Norden und Südwesten ist sie von Felsen um-
geben, die bis eine Meile weit in die See reichen; das Fest-
land ist nur eine Meile weit entfernt; im Südosten liegt ein
gefährliches Riff, durch welches ein schmales Fahrwasser
führt.
Jchaboe hat gar keinen Hafen und anch der einzige
Ankerplatz, zwischen Insel und Festland, ist unsicher; die
Tiefe beträgt nur drei bis neun Faden (18 bis 54 Fuß),
Ebbe und Flnth nur sechs Fuß, während der Ankergrund
felsig, uneben und mit Seetang bedeckt ist. Deshalb halten
die Anker schlecht, und namentlich bei Südwind sind die
isel Ichalwe.
Schisse iu eiuer schlimmen Lage. Im Jahre 1844 ver-
loren iu eiuer Octobernacht nicht weniger als vierzehn Schiffe
ihr Bugspriet, einige anch Masten und zwei wurden so arg
mitgenommen, daß man sie ohne Weiteres eondemuiren
mußte. Sehr häufig sind „Rollers" (Morgen, wieder
deutsche Matrose rollende Seewellen nennt), welche, ähnlich
wie bei St. Helena und Aseension, gerade bei Windstillen
am heftigsten auftreten.
An einem schönen Nachmittage lag die Guauoslotte
ruhig vor Anker. Die See lag wie ein Spiegel und die
Schifsslente waren an den Gerüsten mit Einladen beschäf-
tigt. Da rollten plötzlich die Morgen heran, binnen weni-
gen Minuten waren sechs Boote gekentert. Diese Wellen-
berge drängen Wassermassen vor sich her, rauschen eine nach
der andern heran und ihr Kamm wird von Schaum gebil-
det. Sie gewähren einen großartigen aber entsetzlichen
Anblick, und die eigentliche Ursache dieser merkwürdigen
Erscheinung ist noch jetzt unbekannt. Doch weiß man, daß
diese ungeheuren Wogensäulen bei Mondwechsel und bei
Vollmond erscheinen. Dann reißen sie Alles mit sich sort,
brechen sich am Ufer mit wahrem Donnergctöfe, zerschellen
und stürzen weit landeinwärts. Mit den regelmäßigen Ge-
zeiten haben sie nichts zu schassen; der Barometer zeigt bei
ihrem Andringen keinerlei Veränderung, eben so bleiben sich
die Luftverhältnisse gleich, das Wetter bleibt wie es immer
ist, d. h. ein schwerer, dicker, fast undurchdringlicher Nebel
hängt fast das ganze Jahr hindurch am Horizonte.
Karl Johann Audersfou giebt in feinem jüngst er-
schieneueu Werke über den Oka van go-Fluß (London 1861)
eingehende Nachrichten über Jchaboe. Ein Seemann aus
Liverpool, Andreas Livingstone, wies zuerst die dortigen
Kanslente und Rheder auf die reichen Schätze dieser Insel
hin ; allein der beschränkte Eomptoirverstand, welchen man
so überaus häusig bei Kaufleuten aller Länder findet, wies
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
113
ihn zurück. Man hatte im Comptoir nichts von der Insel
Jchaboe gehört, also konnte sie gar nicht auf der Welt sein!
Es kostete große Mühe und lange Zeit, einige Leute zur
Ausrüstung dreier kleiner Schiffe zu bewegen. Sie fuhren
mit versiegelten Befehlen ab. Das eine Fahrzeug kam zu-
rück, weil es Jchaboe nicht finden konnte; der andere Skuner
gelangte nach Angra peqnena, wählte dort schlechten Anker-
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von Jchaboe, wohin der Kapitän in einem Boote fuhr, aber
gar nichts ausrichtete und dann gleich nach St. Helena unter
Segel giug. Das dritte Schiff war im April und Mai
1843 bei der Insel, hatte aber keine Balken und Breter am
Bord, um die uöthigen Gerüste zu bauen, und konnte des-
halb nur langsam einladen. Indessen gelangte es glücklich
nach Europa zurück und brachte seine Ladung nach Dum-
fries. Nun wußte der Eomptoirvorstand, daß ein Jchaboe
in der Welt war, und noch im Spätherbst des genannten
Jahres wurden in Liverpool uud Glasgow mehrere Schiffe
»ach den neuen Gnanogegenden ausgerüstet.
Damals war Jchaboe über und über mit Guano be-
deckt; au der Nordseite lag dieser Dünger in ungeheuren
Haufen, weil dieser Theil gegen die Südwinde geschützt ist
und deshalb den Vögeln bessere Ruheplätze gewährte als
die dem Sturm mehr ausgesetzte Südseite, wo der Guano
deshalb nicht in so gewaltiger Masse lag. Auf der Nord-
feite hatte er eine Tiefe von vierzig Fuß und die Schiffe
holten von der Insel mehr als 200,000 Tonnen Guano,
jede von 20 Centnern. In den Excrementen faud man auch
viele Ueberbleibsel vom weißen Tölpel(Pelecanus basdanus)
und vom Kormoran, am Südende viele verwesende See-
Hunde uud deren Abgänge. Aber mindestens die Hälfte der
gefammten Guauomaffe kam von dem Pinguin, der bekann-
ten Fettgans, und dessen Leichen.
Ein Augenzeuge, welcher im November 1843 die „duf-
tige Insel Jchaboe" besuchte, hebt hervor, daß er sie im
buchstäblichen Sinne des Wortes mit lebendigen Pinguinen
bedeckt fand. Die Vögel waren nicht im Mindesten scheu
uud mau mußte sie mit Stöcken auseinandertreiben, um sich
einen Weg zn bahnen. Die Matrosen sammelteu Eier zu
taufenden. Auch jetzt noch sind Pinguine in unzähliger
Menge vorhanden, denn die Insel ist ihr Lieblingsanfenthalt
uud sie sind keineswegs schüchtern.
Die ersten Schiffe hatte», wie schon bemerkt, kein Holz
am Bord, um Gerüste zum bequemern Einladen zu bauen
uud doch sind dergleichen unbedingt nothwendig, weil die
Brandung sehr heftig ist. Sie halfen sich anfangs mit
Sparren, Masten und Planken, so gut es eben gehen wollte.
Es war keine kleine Mühe, bei hoher Brandung, tiefem
Wasser und unebenem Boden, solche Gerüste zwei- bis drei-
hundert Fuß weit iu's Meer hinaus zu bauen; es war außer-
dem nicht einmal möglich, sie in gerader Linie ansznführeu,
uud manche wurden weggerissen. Allmälia überwand man
indessen alle Schwierigkeiten.
Nu.l la.uett uuabläfsig Schiffe an und bald erhoben
sich ^trelt.gke.teu, weil die Mannschaft jet
die Borband fei*,», 1 *
-......- i»-iö lagen schon neun-
zehn Gnanofahrzenge bei Jchaboe; jedes suchte nach Belieben
einen geeigneten Platz auf der uördlichen Seite, welche bald
völlig in Beschlag genommen war. Späterhin mußte man
Globus 1861. Nr. 4.
eine andere Methode befolgen; die Mannschaft eines neu-
ankommenden Schiffes einigte sich mit einer andern, die
eben einlud, half ihr bei der Arbeit uud erhielt als Lohn
dafür die Ladestelle, wenn jenes Schiff absegelte. Im Jnli
und August 1844 lagen etwa dreihundert Schisse bei der
Insel lind nun kaufte man Ladeplätze ans der Nordseite für
thenres Geld. Kaufleute und Schiffer ans der Kapstadt
hatten Gruben, Stationen lind Gerüste in Besitz genommen,
welche sie zu theilweise unvernünftig hohen Preisen verkaufte»,
obwohl sie auf den Guano gar kein ausschließliches Anrecht
hatten. Viele, die nicht zahlen konnten oder wollte», nahmen
nun auch deu südlichen Theil in Angriff, lind fände» a»ch
dort trefflichen Guano.
Der Befehlshaber der Kriegsfregatte Isis entwarf
1S11 folgende Schilderung: — Man denke sich eine Flotte
von zweihundertfünfnndzwanzig Schiffen, die dicht neben
einander liegen. Manche sind alt, schlecht und noch einmal
nur für diese Fahrt aufgetakelt. Viele Kapitäne sind lieder-
liche Leute uud ihr Schisfsvolk ist nicht besser. Vierthalb-
tausend Männer der niedrigsten Klasse, meist dem Trunk
ergeben, sind ans engem Nanm in stetem Verkehr. Indessen
gewährt doch das Ganze einen stolzen Anblick, und jene
Lente bieten ungewöhnlichen Gefahren mnthig die Stirn. —
Einige Monate später waren etwa sechstausend Ma-
trosen nnd Arbeiter auf und bei Jchaboe. Die schon von
Guano befreiten Strecken des Felsens waren mit Zelten be-
deckt, in denen es Tag und Nacht wild herging; viele Leute
wurden gar nicht nüchtern, uud der Unfug erreichte einen so
grauenhaften Umfang, daß der Befehlshaber der Isis, im
Einvernehmen mit den Ordnern, Befehl gab, alle Zelte ohne
Ausnahme au einem einzigen Tage abznfchlagen. Jede Ein-
rede war vergeblich, weil die Kanonen der Isis geladen
waren, nnd ihre bewaffneten Boote nm die Insel fuhren.
Gegen Abend war auch nicht eine Seele mehr auf Jchaboe,
uud dasselbe durfte nur während der Arbeitsstunden be-
treten werden.
Man räumte mit dem Guano so rasch ans, daß schon
nach einen» Jahre, im Herbst 1814, nicht weniger als 90,000
Tonnen verschifft worden waren. Vom September 1844
bis zur Mitte Februars 1865 ist dann auch der noch vor-
handene Nest hiuweggeschasst worden.
Die Landwirthe haben für den Guano, welchen Jchaboe
lieferte, ungefähr zehn Millionen Thaler bezahlt. Der
Preis auf der Jusel war von der jeweiligen Nachfrage ab-
häugig, und betrug 5, 15 bis 20 Schillinge für die Tonne.
Die Fracht belies sich durchschnittlich auf ! Pfund Sterling;
guter Guano wurde in England von den Importeuren zn
6 Pfd. 10 Sch. bis 7 Pfd. 10 Sch. abgegeben, aber der
Zwischenhändler und Mäkler schlug noch auf und der Land-
wirth bekam die Tonne nicht unter 8 Pfund Sterling.
Nun ist Jchaboe längst wieder öde. Es hat große
Werthe geliefert; die Art nnd Weise, wie man den Guano
wegschaffte, war sinnreich, der Muth, mit welchem man den
Gefahren des Meeres trotzte, bewundernswürdig. Die
Seeleute scheueten weder die an das Ufer prallende, don-
nernde Brandung, welche so hänsig die Gerüste fortriß, noch
die gefährlichen Morgen. Es lag in den Verhältnissen uud
au der Witterung, daß durchschnittlich in der Woche mir
drei Tage gearbeitet werden konnte, weil man während der
übrigen Zeit nicht zn laude» vermochte. Sobald daö »lög-
lich war, arbeitete man unermüdlich mit dei» Spaten, füllte
die Säcke nnd schaffte diese vermittelst der Gerüste zn
den Booten. Dann war Alles geschäftig wie in einem
Jmmenkorbe.
Dort arbeiteten Männer in Gruben, aus welche«
is
114
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Staub aufwirbelte und förderten den Guano, welcher von
Anderen iu Säcke geschaufelt wurde; diese brachte man auf
Schubkarren oder Schultern bis an die Boote, welche zu
den Schiffen fuhren, wo man ihnen die Ladung abnahm.
Es hat Tage gegeben, an denen nicht weniger als zweitausend
Tonnen binnen zwölf Stunden von der Insel fortgeschafft
und an Bord gebracht worden sind. *)
*) Die englische Regierung hat im Sommer 1SG1 Jchaboc.
Mercury und andere Punkte an der Südwestküste Afrika's förmlich
in Besitz genommen.
Die Seeräuber in den östlichen Meeren.
Die Seemächte haben sich große Mühe gegeben, dem
Piratenwesen in den hinterindischen und chinesischen Gewäs-
sern zu steuern, aber fortwährend erschallen ans jenen Gegen-
den Klagen über die Frechheit der Seeräuber. Im Anfange
des Jahres 1861 haben sie sogar dicht vor dem Hafen von
Singapore Schiffe weggenommen. Ein gegen sie ausgefaud-
ter Dampfer, Hooghly, brachte drei ihrer Prahus auf, deren
Besatzung aus Malayen bestand. Sie hatten kurz vorher
acht chinesische Schiffslente gemordet. Auch der Meerbusen
von Siam ist wieder unsicher.
Die Handelsbewegung des indischen Archipelagus,
Siams und China's beträgt jetzt alljährlich dritthalbhnndert
Millionen Thaler und ist fortwährend im Anwachsen. An
große europäische Kauffahrer wagen sich die Piraten nur in
Ausnahmefällen, aber den Prahns der Eingeborenen sind
sie int hohen Grade gefährlich. Am meisten gefürchtet werden
die Jllanos, welche ihre Schlupfwinkel auf den Inseln zwi-
schen Borneo und Magindanao haben, und die Sarebas
und Sakarran an der Nordwestküste Borneo's; dazn kounuen
dann weiter nach Osten hin chinesische Piraten.
Mit großen, tiefgehenden Fahrzeugen läßt sich gegen
sie nichts ausrichten; uur kleiue Dampfer, welche ihnen in
die Flnßulündungeu folgen können, siud mit Erfolg gegen sie
anwendbar. Es bleibt ein großer Uebelstand, daß sie bei vie-
leu einheimischen Fürsten mittelbar oder unmittelbar Schutz
und Unterstützung finden. Ein kräftiger und großartiger
Mann, der vielgenannte Radfcha von Sarawak, James
Brooke, hat klar begriffen, worauf es ankommt, wenn den
Piraten das arge Handwerk gelegt werden soll. Er kennt
kein Erbarmen gegen Räuber und Mörder, sondern rottet
sie ans, wo er ihrer habhaft wird. Dafür haben ihn die
wunderlichen Philanthropen, welche in der Exeterhalle zu
London durch wenig Logik, aber viele unklare gesalbte Redens-
arten sich bemerklich machen, arg verdammt, aber Brooke
hat sich uicht an Leute gekehrt, die sich zudringlich in hundert
Dinge mischen, von denen sie in der Regel gar nichts ver-
stehen.
• Als er vor zwanzig Jahren als Privatmann an die
Nordwestküste von Borneo kam und Herrscher von Sarawak
wurde, fand er, daß manche eingeborenen Stämme uicht nur
Seeraub als Handwerk trieben, sondern auch Jagdzüge iu's
Innere unternahmen, um deu Dayaks die Köpfe abzufchuei-
den, welche dann als Siegeszeichen aufgehängt wurden. Die-
sen Lustbarkeiten machte Brooke ein Ende; er ließ die Mör-
der hängen, und nach zwei Jahren exemplarischer Strenge
war in Sarawak Leben oder Eigenthum so sicher wie in
Europa. Die Piraten in jener Gegend, für welche die From-
men der Exeterhalle eine so rührende Theilnahme zeigten,
hatten 1841 an dreihundert nachgewiesene Mordthaten ver-
übt, 1812 nnr zwischen zwanzig und dreißig. Aber die
Frommen schrieen so sehr, daß 1852 die englische Regierung
schwach genng war, dein Radscha von Sarawak Hindernisse
bei seinem guten und nützlichen Werke in den Weg zu legen.
Als er dann aber nach Europa kam und den irre geleiteten
Staatsmännern die wahre Sachlage schilderte, erhielt er
wieder freie Hand, und die Folge ist, daß Kopsabschneiden
und Seeraub aufgehört haben, so weit eben fein Einfluß und
seine Macht reichen.
Die Spanier lind Holländer sind nicht selten von den
Piraten geradezu verhöhnt worden. Im Jahre 1844 schickten
diese einen Brief nach Makaffar auf Celebes und bedrohten
die Stadt mit Einäscherung; zugleich beraumten sie dem hol-
ländischen Admiral Ort und Tag an und forderten ihn auf,
sich mit ihnen in einer großen Seeschlacht zu messen. In den
ersten Monaten des Jahres 1861 kreuzten zwei niederlän-
tische Dampfer weit und breit im Archipelagus umher, zerstör-
ten einige Dutzend Piratenschiffe und manche ihrer Schlupf-
winkel, aber das Alles siud nur vereinzelte Unternehmungen,
bloße Palliativmittel, welche dem Uebelstande selbst nicht ab-
helfen. Ueber kurz oder lang werden die Kolonialmächte ein-
mal sich zu einer großartigen und durchgreifenden Maßregel
einigen müssen, und mit gemeinsamen Kräften in großem
Styl den Ausrottungskrieg gegen die Seeräuber führen. Bor
allen Dingen müßte man, was auch Brooke dringend anräth,
jeden Häuptling, welcher die Seeräuber irgendwie begün-
stigt, nachdrücklich bestrafen und für jeden Schaden verant-
wortlich machen. Dampfkanonenboote würden den Piraten
am gefährlichsten fein, und wenn ein paar Dutzend solcher
Fahrzeuge uur drei Jahre laug ununterbrochen im Archi-
pelagus kreuzten, jede Seeräuberprahu iu deu Grund bohr-
ten, jedes Piratennest zerstörten, dann würde das böse Hand-
werk bald lahm gelegt sein.
Sehr schlimm ist der Unfug iu den chinesischen Gewäs
sern. Im vorigen Juni wurde ein großes englisches Schiff
aus Swansea, das von Caleutta nach Whampoa bestimmt
war, bei der Einfahrt in den Fluß von Canton überfallen;
die Europäer wehrten sich jedoch gegen die Uebermacht so
tapfer, daß von den vierzig Seeräubern binnen wenigen
Minuten acht Mann getödtet und viele verwundet waren;
ihre Prahn wnrde in den Grnnd geschossen. Schlimmer
erging es dem französischen Sknner Christian, der von Hong
kong Lebensmittel nach dem Peiho bringen sollte. Er wnrde
am I.November von einer AnzahlSeeränbertschonken über-
fallen, die ihn vor der Mündung des Flusses Wang tfchen
kaperten. Der Kapitän, der Steuermann, vier Manilaleute
und sechs Chinesen wurden sogleich ermordet, nur dem fünf-
zehnjährigen Sohne des Kapitäns gelang es, an's Land zu
schwimmen.
Dieses Piratengeschwader hatte schon längst die Auf-
merksamkeit der chinesischen Behörden erregt, und nun war
ihr Maß gerüttelt voll. Der kaiserliche Commodore Wu
in Futscheu war entschlossen, ein Beispiel zu statniren, das
denn auch ein ächt chinesisches Gepräge trug. In einen«
Briefe aus jener Stadt, datirt vom 23. November, finden
wir Folgendes.
Seit einigen Jahren liegen hier die Schiffsleute ans
Canton und aus Tschin tscheu iu bitterer Fehde, die vor eini-
gen Monaten ärger als je zuvor wurde. Viele von diese"
Leuten waren Seeräuber. Wu lockte etliche zwauzig ihrer
Schiffe aus dem Flusse uud befahl dann, daß alle eantone-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
115
fischen Lorchas bei Kuantau ankern sollten. Er bemannte
seinerseits eine Anzahl von Kriegsfahrzeugen, gegen welche
seine Feinde sich znr Wehr setzen wollten. Aber Wu war auf
der Hut; er griff sie au, verbrannte drei Schiffe, trieb zwei
ans den Strand, alle übrigen in die weite See und nahm
viele Piraten gefangen. Etwa fünfzig derselben wurden im
Wasser gespeert oder mit Kugeln erschossen. Am folgenden
Tage wurden mehr als zweihundert Seeräuber eingebracht.
xVeder einzelne ward von vier chinesischen Soldaten geleitet,
welchen man bunte Fähnchen voran trug. Die Gefangenen
waren fast nackt, die Hände hatte man ihnen auf dem Stücken
zusammengeknebelt, auch au deu Füßen hatte man sie geses-
felt, so das; sie mit Mühe gehen konnten, und dabei wurden
sie noch sehr barbarisch behandelt. Freilich waren sie ganz
abscheuliche Kerle. Ein Dutzend, welche sich widerspenstig
gezeigt, hatte man schon auf dein Wasser ohne Weiteres
geköpft, ein Paar andere gleich am Strande todt geschossen.
Die Köpfe dieser Schlachtopfer wurden anf Stangen voran
getragen, und unterwegs auf einer Brücke vier Piraten die
Köpfe vom Rumpfe gehauen, um dem Volke ein erbauliches
Beispiel zu geben. Nachdem man die übrigen durch manche
Straßen geführt hatte, wurde» sie wieder an Bord gebracht.
Es waren etwa 170 Cantonesen; einige dreißig fertigte man
unterwegs ab; die anderen brachte man, ich weiß nicht warum,
wieder au's Land nnd Alle wurden, bis auf einen zehnjäh-
rigen Knaben, enthauptet. Die Henker wetteiferten an Schnel-
ligkeit, und der eine verstand sein blutiges Werk so gut, daß
er G.'5 Köpfe binnen etwa einer halben Stunde herunterschlug.
Commodore Wn hatte mit einem blauen Knopfe Gericht
über die Verbrecher gehalten; als er einige Wochen später
wieder in See ging, hatte er durch des Kaisers Gnade einen
rothen Knopf erhalten, war also an Rang und Würde
erhöhet worden.
Es ist merkwürdig, mit welchem Gleichmuthe die Chi-
nesen den Tod ertragen; offenbar haben sie eine sehr elastische
Geistesbegabnng. Ihr Land ist mit Gräbern gleichsam bedeckt
und bei Schang Hai sieht man in den Feldern nicht selten
offene Särge stehen. Man hat dergleichen auch in den Häu-
seru, wo sie monatelang bleiben. Die Knochen thut man
dann in besondere Urnen oder Töpfe.
Auch im Busen vonOman, an der Küste von Ostarabien,
haben sich die Piraten im Frühjahr 1801 bemerkbar gemacht.
Der englische Skuner Good Hope, welcher am 5. März von
Bombay nach den Knriamuria-Juselu in See ging, wurde
auf der Höhe des Kap Fatask überfallen. Seine Beman-
nung bestand nur ans drei Leuten, die Seeräuber griffen ihn
mit zehn Booten an, in deren jedem zehn bis zwölf Leute
waren. Nachdem sie das Schiff genommen nnd die Masten
gekappt hatten, brachten sie jene Drei an's Land und nah-
men ihnen sogar die Beinkleider. Man gab ihnen fünfzehn
Pfund Schiffsbrot nnd zeigte ihnen, wohin der Weg nach
Maskat führe. Diese Stadt lag noch etwa vierhundert eng-
tische Meilen entfernt.
Die ausgeplünderten Männer traten den Weg durch
die Wüste an und hielten sich, nni die Richtung nicht zu ver-
lieren, der Küste so nahe als möglich. Eilf Tage lang zogen
sie ununterbrochen, ohne Bekleidung und barfuß über den
heißen Sand; bei Nacht waren sie dem kalten Thau aus-
gesetzt, der sie noch empfindlicher berührte als der brennende
Sonnenstrahl am Tage. Ans weiten Strecken fanden sie kein
Wasser; einmal waren sie achtundvierzig Stunden ohne
einen Trunk und als sie dann einen kleinen Pfuhl fanden,
war das Wasser brakig und verursachte heftiges Leibweh. In
langen Zwischenräumen trafen sie wandernde Araber, deren
Frauen sich voll Theilnahme zeigten. Am eilften Tage leg-
ten sie sich an einem Busch nieder, um zu sterben; sie waren
nun längst ohne Brot und Wasser, völlig erschöpft und hat-
ten sich verzweisluugsvoll iu ihr Schicksal ergebe». Da hör-
teu sie das Geschrei eines Esels; einer von ihnen kroch über
einen niedrigen Sandhügel und sah jenscit desselben einen
Lagerplatz arabischer Nomaden, welche neben ihren Eseln
nnd Kameelen Rast hielten. Bon diesen Leuten bekamen sie
Wasser und wurden freundlich behandelt. Nachdem sie ihr
Mißgeschick erzählt, gab man ihnen auch Fisch, Reis, Milch
und Matten zur Nachtruhe; ja diese arabischen Samariter
cauterisirten ihnen auch die Magengegend und sogleich ließen
die Leibschmerzen nach. Noch mehr; die Unglücklichen wur-
den auf Kameele gesetzt und so nach Maskat gebracht. Der
dortige Herrscher gab das Versprechen, die Piraten durch
einen Dampfer züchtige» zu lassen.
Eine Königswahl um 0>u bu nitro m in Westasrika.
Zu beiden Seiten des Gabun, welcher unter den»
Aeqnator in's atlantische Weltmeer mündet, wohnt das Volk
der Pougos, oder wie sie sich selbst nennen, Mpongne. Wir
haben über dasselbe vor einigen Jahren durch den Missionar
Wilson und jetzt eben durch den Naturforscher du Chaillu
eine Fülle interessanter Nachrichten. Er befand sich gerade
im Lande, als der bejahrte „König Glass" starb. Der schwarze
Häuptling war lange Zeit krank gewesen, hatte sich aber mit
großer Zähigkeit an's Leben geklammert und mochte vom
Tode nichts wissen.
Gegen die Missionare zeigte er sich stets sehr freundlich,
blieb aber bei seinen Landesbräuchen und wurde zuletzt un-
gemein fromm, natürlich auf seine Art. Er ließ seinen Lieb-
lingSsetisch sehr oft neu bemalen und mit allerlei Tand auf-
putzen, und nicht selten kamen berühmte Zanberdoctoren aus
den: innern Lande, um alle Hexerei abzuwenden. Er schien
zu wissen, daß das Volk seiner müde sei und ihn gern durch
Zauberei aus der Welt schaffe» wollte. Für den Doctor
kommt es i» jenen Gegenden vor Allem darauf an, solchen
vermeintlichen Zauber zu entfernen; wirklicke Heilmittel sind
nur Nebensache. König Glass galt aber bei seinen Unter-
thauen selber für einen gewaltigen und bösartigen Hexen-
meister, und nur selten wagte es Jemand, nach Einbruch
der Dunkelheit an seinem Hause vorüberzugehen. Man
hielt es schon für eiu gefährliches Wagniß, bei Tage dasselbe
zu betreten, und nur die Aussicht auf eiu Glas Rum war
stark genug, die Bedenklichkeiten zu überwinden.
Als nun König Glass dem Tode nahe war, stellte sich
das ganze Volk, als sei es trostlos über alle Maßen. Du
Chaillu sagt, daß ihm einige schwarze Freunde im Vertrauen
mittheilten, man hoffe, daß er diesmal sterben werde. Und
er starb. „Nach einigen Tagen hörte ich gegen Morgen ein
entsetzliches Wehegeheul uud das ganze Dorf schwamm in
Thränen. Es ist geradezu merkwürdig, mit welcher Leichtig-
feit die schwarzen Frauen bei einer ganz unbedeutenden Ver-
anlassung förmliche Wafserfluthen aus ihren Augen pumpen
und dabei immerfort hell auflachen."
Das Trauern, Heulen und Jammern n»i den alten
König dauerte volle sechs Tage lang. Am zweiten Tage wurde
er ganz insgeheim begraben, denn bei den Mpongue gebieten
15*
116
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Brauch und Herkommen, daß nur einige wenige Männer
die Leiche des Häuptlings beisetzen; das Volk darf die Be-
gräbnißstätte nicht kennen. Diese Neger halten sich nämlich
für das vortrefflichste und klügste Volk unter allen Schwar-
zen, und besorgen, daß andere Stämme sich drts Hirn eines
verstorbenen Mpouguekonigs aneignen, daraus einen mäch-
tigen Fetisch verfertigen und dadurch zu derselben Klugheit
wie sie selber gelangen könnten! Einen solchen Vortheil gönnen
sie natürlich ihren Nachbarn nicht. Es ist Sitte, daß man
über jedem Grabe eiues Mpongne ein Stück Zeug als Flagge
aufsteckt, aber nach dein Begräbnisse des Königs Glass be-
zeichnete man eine Stelle, wo der verstorbene Potentat nicht
lag. Selbst du Chaillu, dem die Schwarzen im Uebrigen
alles Vertrauen schenkten, konnte nicht erfahren, wohin man
die Leiche gebracht hatte.
Während der Trauerzeit beratschlagten die Aeltesten
über die Wahl eines neuen Königs, und auch diese findet
insgeheim statt. Am siebenten Tage soll die Krönung statt-
finden und dann erst wird dem Volke eine Mittheilung ge-
macht; der neue Gebieter ist der letzte, welchen man von der
Wahl in Kunde setzt.
Es traf sich, sagt du Chaillu, daß mein guter Freund
Ndschogoui der Auserwählte war. Man hatte ihn ernannt,
weil er von guter Familie und bei den Leuten sehr beliebt
war. Von dem Glücke, welches ihm bevorstand, hatte er gar
keine Ahnung; auf jede» Fall wußte er sich ganz vortrefflich
zu verstellen. Als er, am siebenten Tage nach dem Ableben
des alten Glass, ani Stromufer auf- und abging, wurde er
plötzlich vom Volke umringt, und mußte sich der laudes-
üblichen Feierlichkeit unterwerfen, die uns freilich sehr selt-
sam vorkommt. Man drängte sich nämlich in dichten Massen
um die ueue Majestät, und belegte den Mann mit allen nur
denkbaren Schmähwörteru. Noch mehr, man spiee ihm in's
Gesicht, versetzte ihm Fausthiebe, gab ihm Schläge, bewarf
ihn mit ekelhaftem Schmutz. Wer ihn nicht körperlich miß-
handeln konnte, verfluchte ihn, seinen Vater und seine
Mutter, seine Brüder und seine Schwestern und obendrein
noch alle seine Vorfahren. Als ich dies mit ansah, hätte ich
keinen Heller für das Leben dieses Throneandidaten gegeben,
aber die Sache selbst wurde mir klar, als ich genauer zu-
hörte. Ein stämmiger Bursche versetzte dem neuen Herrscher
einige tüchtige Schläge und rief dabei: „Noch bist Du unser
König nicht; jetzt können wir mit Dir noch machen, was uns
gefällt. Später müssen wir thnn, was Du willst!"
Der neue König Ndschogoui zog sich aus dem bösen
Handel, so gut es eben anging, ließ Alles mit sich geschehen
und lächelte. Nachdem der Unfug etwa eine halbe Stunde
gedauert, geleitete man die neue Majestät in die Wohnung
des verstorbenen Königs, wo er sich niedersetzen mußte, um
noch einmal angespieen und ausgeschimpft zu werden. Als
aber alle diese notwendigen Feierlichkeiten beendigt waren,
traten die Aeltesten vor und einer derselben sprach folgende
Worte, welche das Volk wiederholte: „Wir wählen Dich jetzt
zu unserem König; wir verpflichten uns, auf Dich zn hören
nnd Dir zu gehorchen."
Alles schwieg. Man brachte den seideneu Hut,
welcher bei den Mpougue für das Sinnbild des Königthnms
und der Herrscherwürde gilt und setzte ihn auf Ndfchogoni's
Haupt; auch wurde er mit einem rotheu Mantel bekleidet
und nuu von Allen, die ihn eben noch so arg gescholten und
mißhandelt hatten, achtungsvoll begrüßt.
Das war die Krönung und auf diese folgten allerlei
Festlichkeiten, die sechs Tage lang ununterbrochen anhielten-
Der neue König übernahm mit der Würde des Verstorbenen
auch dessen Namen. Er mußte unablässig essen und immer
wieder essen und dazu schlechten Rum trinken. Das ganze
Volk wälzte sich förmlich in wilden Orgien, und ans der
Umgegend strömten die Leute in Menge herbei, brachten
Num, Palmwein nnd allerlei Lebensmitel lind begrüßten
den neuen Gebieter. Der alte Glass, um welchen man sechs
Tage geheult hatte, war nun vergessen, der nene Herr war
todtkrant von allem Essen und Trinken und-Jubelu. Als
der Ruin getrunken war, durfte der ueue Monarch sein Haus
verlassen und nun begann seine Regierung.
Eine Reise durch die westliche Sahara.
SibuMoghdad, mohammedanischer Beamter in der fran-
zösischen Stadt St. Louis am Senegal, hat von dort aus am 10.
Deeembcr 18G0 eine Reise nach Mogador in Marokko unternommen
und die letztgenannte Stadt am 7. März 1861 erreicht. Ein zu
Algier erscheinendes Blatt giebt eine Beschreibung derselben.
Si bu Moghdad wollte auf dem angegebenen Wege nach Mekka
pilgern und sich in Mogador auf einem Dampfer nach Alexandria
einschiffen. Er brach mit einer Karawane von Handelsleuten auf,
welche im Laude Tiris ansässig waren, und Datteln aus Adrar,
Goldbarren aus Tischit nach St. Louis gebracht hatten. Mit ihnen
kam er durch das Gebiet der Trarzas, deren Land reich an
gummitragenden Bäumen ist. Dieses Volk, das in der westlichen
Sahara eine wichtige Rolle spielt, zerfällt in drei Bündnisse oder
Abtheilungen, nämlich in jene der Kriegerstämme, welche man als
ElArab bezeichnet, die ihnen zinspflichtigen Stämme, Senaga,
und die Marabustämme, El Tholba; die letzteren reden ber-
berisch, die beiden ersteren arabisch. Als Si bn Moghdad ans dem
Gebiet der Trarzas in jenes von Tasoli gelangte, erfuhr er, daß
der Häuptling von Adrar, an welchen er Empfehlungsbriefe hatte,
gestorben sei; sein Nachfolger war von dem eignen Brnder ermordet
worden, und nun ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Der Reisende
mußte deshalb eine mehr westliche Richtung durch Jnschira ein-
schlagen; dann gelangte er, immer weiter gen Norden ziehend, in
das Land Akschar nnd sah im Osten die Gebirge, welche Adrar
einschließen.
Dieses letztere hatte er schon früher einmal besucht. Er schildert
dasselbe als eine gesegnete Gegend mit seßhaften Einwohnern vom
Berberstamme, etwa 7000 au der Zahl. Die einst blühende Stadt
Wadan ist in Folge von Bürgerkriegen jetzt in Verfall; eine au-
dere Ortschaft, Schiuguiti, zählt 800 Häuser und treibt über
Tischit Handel mit Timbuktu. Nomadenstämme erheben einen
Jahrestribut von den feßhaftenBerbern. Weiter kam SibuMoghdad
in das ausgedehnte Land Tiris, das im Westen vom Oeean be-
spült wird, im Osten an die wüste Sandgegend El Mechter
gräuzt, reich an Kameelen ist, aber von Nomaden durchzogen
wird, welche den Karawanen auflauern. Bei dem Stamme der
Hel et H ad sch Mochtar bildet Kameelmilch mehrere Monate im
Jahre die einzige Nahrung; die Weiber werden von den Männern
angehalten, davon so viel als irgend möglich zu verschlingen, und
die Mädchen werden mit Kameelmilch förmlich gemästet, damit sie
den höchsten Grad landesüblicher Schönheit erreichen, nämlich
recht rund nnd sehr fett werden. Si bn Moghdad genoß während
seines ganzen Aufenthaltes im Lande Tiris keine andere Speise als
Kameelsmilch. Ans der Weiterreise sah er räuberische Leute vom
Stamme der M a s ch d n f, traf unterwegs mit anderen Mekkapilgern
zusammen, welche sich ihm anschlössen, und kam durch ein Gebirgs
Globus, Chronik der Reise» und Geographische Zeitung.
117
laud, in welchem er mehrfach Wassermangel litt, am 6. Februar
an den Fluß Sagiat el Hamra, welcher das unabhängige TiriS
von den Stämmen scheidet, die dem Beherrscher Marokko's Tribut
zahlen. Er bezeichnet auch die Passage zwischen jener Region der
Sahara, welche Si bn Moghdad, seitdem er das Gebiet der Trar-
za's verlassen, durchwandert hatte, und den fruchtbaren Gegenden
Nordafrika's, welche vou seßhaften Menschen bewohnt werden.
gador. Der Weg führte durch Kabylendörfer, und am 10. März
erblickte er von Agadir an« wieder das Meer, welches er zuletzt
iin Lande der Trarza'ö gesehen hatte. Bei jener Stadt erhebt sich
neben einem Engpässe ein Thurin, an welchem die Reisenden vor-
über müssen, denn der Kaiser von Marokko läßt von jedem Stück
Pich einen Zoll erheben und auch die Maaren müssen eine Abgabe
erlegen. Aber man zahlt nur von verkäuflichen Gegenständen,
Gilt Marabud in Adrar.
Bon nun an hatte die Karawane feine Räuber mehr zu fiirch
ten, die Ortschaften folgten einander in nicht zu großen Zwischen
räumen und am 1<>. Februar war sie in Ned Nnn, dem Mittel
Punkte von acht verschiedenen Ortschaften, deren beträchtlichste
Glemim heißt. Hier blieb der Reifende bis zum 25. Februar,
verkaufte feine Kameele und nahm Pferde und Maulthiere bis Mo
z. B. von einem Handpferde, nicht von dem Kameel oder Rosse,
welches der Reisende reitet. Am 7. März war Mogador cv-
reicht, von wo Dampfer nach Tanger gehen. Si bu Moghdads
Reisezug giug ein wenig westlicher als jener von Leopold Panet im
Jahre 1850.
Der Stamm der Beni Meznb in Rordnsrika.
Die Franzosen haben bisher die Stämme der Sahara, sü>.lich
von Algerien nicht beunruhigt. Aber jene im Norden der östlichen
Sahara wurden 184!) von General Herbillou und 18.'>0 von Can-
robert bezwungen; 1853 unterwarfen sich jene im Süden vonOran,
Von Wichtigkeit war, daß 1854 die Beni Mezab in ein freund-
schaftlichcS Verhältnis; zu Frankreich traten, weil bald nachher die
Bewohner der Oase War gl a diesem Beispiele folgte». Einige
Stämme zwischen Wargla und Constantiue uuterwarseu sich 1^!>!>
dem General Devanx. Weiter südlich sind die Tnarek Herren der
Wüste, und mit ihnen wollen die Franzosen gern in gutem Ein-
vernehmen stehe«, damit der Weg ans Algerien nach Timbnetn
am Niger nnd nach Senegambien nicht versperrt werde. Ein
englischer Reisender, Tristram, welcher im vorigen Jahre jene
Gegenden besuchte, cutwirft eine Schilderung der Beni Mezab.
Sie sind höflich, mild und artig, offenbar ganz verschieden von den
Arabern; weder in GesichtSbilduug «och Gewohnheiten oder
Sprache haben sie etwas Jsmaelitisches. Sie haben mehr Aehn
lichkeit mit den Inden, sind schlau, berechnend vorsichtig uud lie-
ben das Geld; auch gelten sie für rechtliche Leute, zeigen sich gast
frei, lieben den Krieg nicht >nnd tragen in ihrem eigenen Bezirke
keine Waffen. Dagegen sind sie große Freunde der Musik und in
den sieben Städten ihrer Republik sind Tamtam und Pfeifen in
steter Thätigkeit. Mau hat sie wohl als die Veuetianer oder Schwei-
zer Nordafrika's bezeichnet, denn sie machen weite Reisen von Tim«
bnctn bis nach Kleinasien; man findet sie bei allen Karawanen von
und nach Marokko, Tnnis, Algier und Aegypten. Sic haben
118
Globus, Chronik der Neisen und Geographische Zeitung.
große Heelden von Kameelen, welche sie allerwärts vermiethen.
Ihre Regierung ist republikanisch und hat dabei einen theokratischen
Zusatz Die juugeu Männer siud sast alle außer LaudeS, kehren
aber in späteren Jahren alle dauernd in ihre Heimath zurück. Im
Handel und Wandel sind sie rechtschaffen, im Gespräch glaubwürdig,
und ihr häusliches Leben ist nntadelhaft. In jeder größern Stadt
der Berberei findet man Beni Mezab; sie bilden eine Art Innung
unter einem Amin, Vorsteher. Dieser ist für die Schulden jedes
einzelnen Mitgliedes der Körperschaft haftbar. Man sagt, unter
ben an den Fluß und handeln mit den Europäern. Früher waren
sie diesen durch ihre Raub- und Kriegszüge sehr lästig; gegeuwär-
tig stehen sie in einem Vertragsverhältnisse zn den Franzosen.
Unsere Abbildung stellt einen Trarzas - Manren nebst seiner
Frau dar.
Weiter uach Norden hin, gleichfalls im westlichen Theile der
großen Wüste, über Tiris hinaus, liegt, wie weiten oben gesagt
wurde, das Land Adrett, wohin, vom Süden her, die Karawanen-
straße durch Tiris führt. Hauptmann Vincent, welcher 1860 Adrar
Ein Trarza-Maure mit feiner Frau.
den Mezab bestehe ein Geheimbund uach Art der Freimaurerei;
die Mitglieder haben geheime Zeichen. Für Leute, die so weit um-
herkommen, hat eiue solche Verbindung gewiß einen großen Vor-
theil.
Die Trarza's, das mächtigste manrische Volk im südwest-
lichen Theile der Sahara, streifen bis an das rechte Ufer des unte-
ren Senegal und stehen mit den Franzosen in Verbindung. Sie
besitzen die Region der Gummibäume, bringen den Ertrag dersel-
besuchte uud desseu Leben von den dortigen Marabuts bedroht
war, hat das Vilduiß eines solchen frommen Mannes photogra^
phirt. (S. 117.)
Die Köpfe des Trarza-Manren und des Marabut, iu dessen
Adern arabisches und berberisches Blut gemischt zn sein scheint,
haben viel kaukasischen Typus. Ein ganz anderes Gepräge trägt
ein dritter Charakterkopf, jener eines Fell ata-Herrschers aus
Fnta Djalo. (S. 120.) Diese Gebirgslandschaft ist die Quellgegend,
in welcher, nahe bei einander, der Senegal, Faleme, Gamuio, Rio
Grande nnd Kakriman entspringen, zwischen dem lOteu uud 12ten
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
119
Grade nördl. Breite und 13ten und 1 lte:t Grade östl, Länge von
Pari«; die Hauptstadt ist Timbo. Dorthin ging, vom Rio Nu-
nez aus, im Jahre 1860 der Marinelieutnant Lambert, um mit dcu
beiden Fellata-Herrschern, im Auftrage des französischen Statt-
Halters der senegambischeu Besitzungen, freundliche Beziehungen
anzuknüpfen. Der eine dieser Herrscher ist Umar, der Almamy,
das heißt zugleich weltliches nnd geistliches Oberhaupt. Er hat
feine Residenz in Sokotoro, einer kleinen Ortschaft unweit ^.imbo,
am rechten Ufer des Senegal, welcher dort Ba fing genannt wird.
Umar ist ein ausgezeichneter Mann. Lambert fand in seinen Zii-
gen Kraft, Milde und Würde zugleich; sein ganzes Benehmen war
eines Herrschers würdig. Seine Hautfarbe ist etwas dunkler, alö
sie bei nuvei mischten Fellata (Peuls, Fulla) zu sein pflegt. Seine
Mutter und Großmutter gehörten dein schwarzen Stamine der von
deu Fellata bezwungenen Djalonken an. Lambert's Reise ist uu-
gemein anziehend dargestellt uud erinnert oft an die Schilderungen
Mungo Park's und Rene Cailli^'s. Wir werden sie in einer der
nächsten Nummern deö Globus mittheilen.
Die Völker
Das westasrikauische Küstenland nnter dem Aeqnator hat seit
^ ilsons trefflicher Darstellung nnd du Chaillu'S viel-
besprochenem Neisewerke (18G1) in weiten Kreisen Aufmerksamkeit
erregt. Wir haben schon gesagt, daß wir den Werth des letzt-
genannten Buches vorzugsweise in den ethnographischen Schilde-
ruugeu finden. Nun erhalten die Darstellungen des amerikani
scheu Reifenden dnrch den Schisfslientnant Braouezec vielfach
Bestätigung. Die Franzosen haben bekanntlich eine Niederlassnng
am Gabnn uud finden also Gelegenheit, mit den Völkern der Küsten
region mannigfache Verbiudungen zn unterhalten. Braouezec
giebt iu dem Bulletin der Pariser geographischen Gesellschaft einige
Bcmerkuiige» über die Völker am Gabun, dessen Zuflüssen und
von jenen am Ogo Uwaf, den bn Chaillu Ogoba'i nennt.
Der Gabun oder Gabon ist eigentlich kein Strom, sondern
ein Meeresarm, der 33 englische Meilen weit in'S Land dringt und
viele kleine Gewässer aufnimmt. Die Hanptvölkerschasteu sind:
die Gabonuesen oder Pougoö, die Bnlns, die Akalaiö nnd die
Pahnins.
Die Pongoö nennen sich selbst Pongoi; bei den drei anderen
Völkern heißen sie respeetive Baiokow, Baioki nnd Baiokue. —
Die Bnlns nennen sich selber Mischicki; von den Pongoö wer
den sie genannt Schekians, von den Akalais Baschiticki, von den
PahninS Bassekabale. — Die Akalais nennen sich Mekelai;
bei den Pongoö heißen sie Akalais, bei deu BuluS Bekelai und bei
den Pahuius Bimmgomb. — Die P ahuinS nennen sich Faou
oder Fan, bei den übrigen heißen sie PahninS. Sie zerfallen in
zlrei Stämme.
Die Pongoö sind oft geschildert worden. Diese friedlichen
Seilte am Gabun nnd Kap Lopez haben die Polygamie, vermitteln
den Handel mit den Stämmen im Innern nud besitzen iu ihrer
Sprache das N, welches die drei anderen oben genannten Völker
nicht keimen.
Die Bit Ins haben ihre Dörfer am Gabnn, am Rhambovnnd
am Bnlombo Empolo. Ihre Zahl nimmt rasch ab. Braouezec
besuchte ein Dorf, in welchem nur vier Männer, aber dreißig
Frauen wohnten nnd von den letzteren gehörten nicht weniger
als neunzehn dem Häuptling. Weiber stehlen ist eine Haupt
Beschäftigung dieser Völker nnd auS dem Ranb entstehen häufige
Fehden.
Die B uln's lassen bei den PahninS, von welchen sie Elfen
bei» kaufen, allemal ein paar Franen als Geiseln. Man steckt
diesen die Füße iu einen dicken Klotz und erlöst sie erst, wenn alle
'^audclsverpflichtungen erfüllt sind. Dieses Geiselgebeu ist bei jenen
Völkern allgemein.
IT>ie Akalais, etwa GO,OOO Köpfe stark, wohnen voll Ogo
Unnu bis zu den Flüssen Bogo£ und Ulombo Empolo, d. h. dem
^omo. tzvie sind dunkelfarbiger alö die Buln's und die verschie-
' ^ häufig des Weiberraubes wegen
rn Fehde. Wahrend die Pahnins gefürchtete Krieger zu Laude sind,
zeichnen sich die Akala.'s nnd Bnlu's als gewandte Schiffer nnd
Schwimmer ans.
NM Gabun.
Das Hanptnahrungömittel aller dieser Völker bildet die Ba
nane; dazu kommen Fische, Geflügel und Schöpse. Sie verzehren
auch das Fleisch des Lamantin (der Flußkuh, Mauati), dessen Fett
im März und April vortrefflich schineckt, wie auch das geräucherte
Fleisch. Auch Jgnamen werden viel verspeist. Fisch uud Fleisch
genießen sie mit Palmöl nnd mit Odika, einer fettigen Chocolade,
welche man ans einer Nuß bereitet.
Die Pahuius oder Faii, etwa 120,000 Köpfe stark, zer-
fallen in zwei Stämme, die iu manchen Gegenden sich vermischt
haben, nnd werden von den Küstenbewohnern sehr gefürchtet.
Braouezec bestätigt bn Chaillu's Angaben über die Fan.
Sic sind, sagt er, sehr tapfer uud ziehen den Speer der Schieß-
Waffe vor, kämpfen am hellen Tage und tragen Schilde ans Ele-
phantenhant. Ihre Dörfer sinb reinlich nnd bilden eine lange
Straße, an deren Ende die Schmiede liegt; in der Mitte befindet
sich das Gemeindehans. Die Fan sind, im Gegensätze zn den Pen
go<5, Akalai'ö nnd Buln'S, Menschenfresser, die anch ihre eigenen
Landslente verzehren. Von den anderen Völkern jener Gegend
sind sie völlig verschieden nnd nicht schwarz, sondern mehr gelb-
braun. Ihre Nase erinnert an die altägyptische, das Ange ist
mandelartig gespalten wie bei den Nubiern, die Backeulnochen
springen nur wenig vor, daö Becken ist eng, der Wuchs hoch und
hübsch. „Ich glaube, sie sind auS Nubieu quer dnrch Afrika bis in
diese Gegend gekommen" (?). Viele können gar nicht schwimmen.
Alle diese Völker haben den Fetischdienst. An den Quellen
des Coino sah Braouezec einen Niesenbanm ans einem Berge.
Dort, sagte man ihm, seien die Menschen geschaffen worden nnd
der Schöpfer habe Jedem etwas Honig gegeben.
Die Häuptlinge der Bnlu's und Akalai's verbergen das Ge-
sicht, wenn sie trinken, weil sie den bösen Blick fürchten. Diese
Sitte ist in Afrika weit verbreitet; sie kommt auch am Hofe von
Dahome vor.
Oestlich von den Fan leben kriegerische Wanderstämme. Jen
seit deö KrystallgcbirgcS kommt nur spärlich Salz vor, daö eine
Handelswaare nach dem Innern bildet, denn iu der Kiisteugegcud
hat man es in Menge.
lieber die Flüsse jener Region giebt Braonezec folgende
Nachrichten. In das Aestuarium des Gabun fällt von Norduord-
oft dcr Como oder Ulombo Empolo. Er ist ein wirklicher Fluß,
denn das Wasser kommt auö dem Krystallgebirge. Der von Osten
her iu deu Gabun mündende Bogo6 reicht weiter landein nnd ist
kein eigentlicher Flnß; Ebbe uud Fluch gehen bis zn seinem äußer-
steu Puukt hinauf. Wir finden die Richtung beider schon auf du
Chaillu's Karte richtig angedeutet.
Dcr Rhambvö, wie die Pougoö, oder Lim bis, wie die
Akalai's ihn nennen (bn Chaillu's Rembo), theilt sich iu zwei
Arme. Der linke ober uörbliche, der eigentliche Rhambov, hat einen
Lauf von 550 Miles; au ihm wohnen Pongoö'S, Bnlu's undAka-
lai'S (bn Chaillu bezeichnet ihn als Rembo Nguiai). Der rechte
Arm kommt ans Südsüdost nnd Süd nnd heißt ?)ambi. Er ist
dn Chailln'S Rembo Apono oder Apiugi.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
121
Der Streit über den Gorilla und Du Chaillu.
In England führt man jetzt eben wieder einmal einen recht
widerwärtigen Streit, dessen wir erwähnen, weil er geographische
Angelegenheiten oder vielmehr Forschungsreisende zum Gegen-
stände hat. Es giebt in London eine Anzahl von Gelehrten, die mit
einer Art von kleinlicher Mißgunst alle Fortschritte in den Wissen-
ichasten betrachten, welche nicht von John Bull gemacht werden. Zu
diesen gehört uamentlich Norton Shaw, Secretär der geographi-
scheu Gesellschaft, welcher vor mehreren Jahren selbst einen Mann
wie Heinrich Barth in geradezu giftiger Weise (in einem Aufsatze
^Cl ^iterary Gazette) anfeindete. Jetzt eben wird von mehr als
einer Seite ein eben so unwürdiges Spiel gegen die Gebrüder
^chlagintweit in Scene gesetzt. Man kann es diesen muthigen
iuid gelehrten Männern nicht vergeben, daß sie Ausländer sind.
Sie haben mit ihrer magnetischen Aufnahme Indiens und des Hi-
walaya eine große Arbeit würdig vollendet, die Sachverständigen
sind über den ersten Band ihres großen Reisewerkes des Lobes und
der Anerkennung voll. Die Schlagintweit haben den größten
Gefahren getrotzt, um die Wissenschaft zu bereichern, einer der drei
Brüder hat dabei, tief in Jnnerasien, sein Leben gelassen. Aber
das hindert englische Gelehrte nicht, ihre Leistungen zu verkleinern,
denn die Schlagintweit sind Ausländer und ihr Buch wird iu
Deutschland gedruckt; daS erscheint als Verbrechen vollauf! Die
Ergebnisse der großartigen Bemühungen liegen vor, aber nun
sagen die Neider, daß englische Ingenieure die Arbeit eben so gut
hätten machen können. Das ist wohl möglich; aber weßhalb haben
sie dieselbe nicht gethan, sondern drei deutschen Männern den
Ruhm überlassen? Jetzt wird nachgerechnet, wie viel die Expedi-
tion in den Himalaya uud nach dem Karakornm-Gebirge an Geld
erfordert habe, wie hoch die Druckkosten iu Deutschland sich belaufen,
und in kleinlicher Weise gestichelt, daß die Resultate doch nicht
großartig seien, als man wohl habe erwarten können. Zugleich
wird angedeutet, daß Engländer wohl viel mehr zu Staude gebracht
haben würden; indische Ingenieure hätten auch das Geld verdienen
können; selbst ein Manu wie der Botaniker Hooker entblödet sich
Nicht (Athenäum, 21. September), zn behaupten, daß er englische
Ingenieure kenne, „deren Untersuchungen und magnetische Auf-
nahmen vou unendlich größerem Werthe seien, als jene der Schlag-
intweit." Dafür wäre freilich der Beweis erst beizubringen. Aber
interessant ist noch ein Eingestäudliiß Hookers. Er schreibt näm-
"ich, daß die Schlagintweit, als sie vor dem Antritt ihrer Reise
Nach London kamen, sogleich feindliche Angriffe erfahren hätten,
lediglich weil sie ernannt worden seien, ein großes Werk durchzn-
Bühren. Er, Hooker, habe jedoch Alles gethan, sie gegen ihre Neider
^ viel als möglich in Schutz zu nehmen; den« sie hätten ja deßhalb
keinen Tadel verdient, sondern jene, von denen sie ernannt wor-
freu seien!
Auch Du Chaillu, ein Mann, der mit den oben genannten
Untschen freilich auch nicht entfernt einen Vergleich aushalten kann,
wird nun feit Monaten immerfort angezapft. Wir haben in Nr. 2
es Globus gesagt, was von seinem Reisewerke zn halten sei. Es
'st nicht nur interessant geschrieben, sondern auch für die Völker-
künde von entschiedener Bedeutung. Du Chaillu ist ein Jäger, er
hat allerlei naturwissenschaftliche Kenntnisse, macht aber keinen
Anspruch daraus, Naturforscher zu sein. Es mögen Jrrthümer in
'einem Buch enthalten sein, vielleicht ist der Mann etwas „rühm-
*ed,g" gewesen, aber darum verdient er nicht, daß man ihm alle
hre abschneidet. Zuerst trat der Dr. Gray auf, welcher uach-
weisen wollte, daß Du Chaillu keinem Gorilla in die Brust geschos-
wl, sondern die Wunden von hinten beigebracht habe. Dabei bleibt
01 ^ann noch jetzt und beruft sich auf einen Thieransstopser,
welcher dasselbe behaupte. Es fehlt nicht viel, so zieht er den
Schluß, daß man eben deßhalb dem Amerikaner Du Chaillu
gar uichts glauben könne. Nun tritt aber wiederholt der berühmte
Globus für 18(51. Nr 4.
vergleichende Anatom Professor Richard Owen für Dn Chaillu
in die Schranken, indem er mit wissenschaftlichen Gründen klar
nachweist, daß Gray und der Thieransstopser von den Sachen,
über welche sie zu urtheilen sich anmaßen, nichts verstehen, und daß
die Wunde, an welcher der Gorilla erlag, diesem Riesenafseu aller-
diugs vou vorne beigebracht worden sei. Gray hatte behauptet,
das letztere könne kein Waidmann annehmen; jetzt bringt aber
Owen dagegen das Zengniß eines gewaltigen Nimrod vor dem
Herrn bei, nämlich des Sir Philipp Gray Egerton; dieser sagt:
„Die Kugel hat deu Gorilla nicht von hinten getroffen, sondern ist
in die Brust hineingefahren."
Damit waren nun Gray uud der Ausstopfer beseitigt; aber
die Feinde des Amerikaners sind deßhalb noch nicht ruhig. Sie
haben vom Gabunflusse einen Brief erhalten, welchen ein Herr
R. B. Walker geschrieben hat und veröffentlichen denselben im
Athenäum vom 21. September. Walker erklärt Du Chaillu's
Buch für eine aumuthige Dichtung, welche einer fruchtbaren Ein-
bildungskraft ihr Dasein verdanke. Freilich sagt Walker dann
ausdrücklich, daß er in deu Dörfern der menschenfressenden Fau,
in welchem Du Chaillu Menschenknochen vor den Hütten liegen
fand, nicht gewesen sei; iu den Fandörfern, welche er besuchte,
habe er dergleichen nicht gesehen. Der amerikanische Missionar
Wilson (— von dem wir das ausgezeichnete Werk über das West-
liehe Afrika besitzen —) habe freilich dergleichen Knochen gesehen.
Walker sagt ferner: Was Dn Chaillu über das wilde Wesen und
die Unbezähmbarkeit der jungen Gorillas erzähle, könne nicht wahr
sein, deuu er, Walker, habe einen jungen Gorilla gehabt uud der
sei äußerst gelehrig uud zahm gewesen. Die Schilderung Dn Chail-
ln's über die Baschikuay-Ameise (welche wir mittheilen werden) sei
übertrieben; das Thier sei zwar äußerst lästig, aber nicht gar so ge-
fährlich, wie er es darstelle. Die Mittheilungen, welche er in lingni-
stischer Beziehung mache, habe er von einem französischen Schiffs-
kapitän erhalten, aber die Zahlwörter der Mponguesprache seien
unrichtig mitgetheilt worden. Die naturwissenschaftlichen Exemplare,
welche Dn Chaillu gesammelt, seien erst in Neu-Uork präparirt
worden, nicht in Afrika. Kurzum, der Reisende sei etil eitler Mensch,
der viel Unwahres behauptet habe.
Walker kann für keinen unbefangenen Zeugen gelten, denn
in der Times vom 23. September werden ihm böse Dinge von
einem „Asricanns" nachgewiesen, der für Du Chailln eine Lanze
bricht. Walker ist nämlich nicht der Geistliche William Walker, auf
welchen Dil Chaillu sich in seinem Buche beruft, sondern ein Jäger
am Gabun, der früher als Lobredner Du Chaillu's auftrat. In
den Jahren 185$ und 1859 schrieb er zwei Briefe au die ethnologische
Gesellschaft in London, die gedruckt sind. Darin heißt es unter an-
berat: „Du Chaillu ist eilt netter kleinerBnrsch, dessen Beschreibung
der Völkerstämme, welche außer ihm noch kein anderer weißer Manu
gescheu hat, Ihnen Vergnügen machen wird. Sie werden ihn nach
wenigen Monaten selbst kennen lernen uud ich gehe deßhalb nicht
auf eine Beschreibung der von ihm erlebten Abenteuer ein. Er ist
nicht im Mindesten ruhmredig (he is no boaster), ich setze
vollkommenes Vertrauen in Alles, was er mir erzählt hat, und
ich denke, man darf sich ans das, was er berichtet, verlas-
seil." Plötzlich ist nun R. B. Walker anderer Ansicht und behanp-
tet das Gegentheil. Zwar gesteht er, daß er in deu Gegenden,
welche Du Chaillu besuchte, gar nicht gewesen sei; aber er hat früher
dessen Berichten vollen Glauben beigemessen, hat sie der ethnologi-
scheu Gesellschaft als treu und von einem Wahrheit liebenden
Manne kommend empfohlen; weßhalb widerspricht er Plötzlich sich
selbst? Der Angabe Du Chaillu's, daß die Fankannibalen mit Men-
schenleichen unter sich Handel treiben, widerspricht Walker auch nicht.
Nun, solche Leute werden wohl auch Menschenknochen umher liegen
lassen, etwa wie die Europäer Thierknochen. Weiter schrieb Wal-
122
Glovus, Chronik der Reisen
nnd Geographische Zeitung.
ker unterm 3. Mai 1859: „Ich glaube, Du Chaillu ist der
eiuzige Europäer, welcher den Njeua oder Gorilla iu
wildem Zustande gesehen und der einzige, welcher ihn
getödtet hat." Iu seinem Briese vom 22. Juli 1861 sagt er da-
gegen : „Ich zweifle, gleich vielen Personen, daran,
daß Herr Du Chaillu jemals einen Gorilla erlegt
habe, oder anch nnr beim Tödten eines solchen zugegen
gewesen sei." Das ist ein böser Punkt. Walker widerspricht sich
und das eine Mal oder das andere Mal ist er ein Lügner. Glau-
ben verdient er nicht.
Der Streit ist auch iu den folgenden Nummern des Athe-
nänms weiter geführt worden. Gray hatte das Gerippe des Gorilla
photographircu lassen, um darzuthnn, daß die Kugel von hinten her
eingedrungen sei; aber Owen weist nach (in der Nummer vom
5. Oetober), daß man dabei dem Gcripp absichtlich eine falsche
Lage oder Stellung gegeben habe. Er bleibe dabei, daß die Kugel
von vorne eingedrungen sei. Dn Chailln's Beschreibung der
Gorillajagd müsse als richtig und vortrefflich geschildert anerkannt
werden. Eben so zeigt Owen, daß es eine Lüge sei, wenn bc-
hauptet werde, Dn Chaillu habe die Haut nicht gleich in Afrika mit
Arsenik präparirt. Es sei serner richtig, daß der junge Gorilla
an Halshaar und Haut Spuren vom Anlegen einer Kette trage;
auch die (im Globus Nr. 2 mitgetheilte) Erzählung von der Wild-
heit des jungen Gorilla sei ohne Zweifel richtig und genau. Dn
Chaillu habe mehrfach öffentliche Vorträge über feine Reifen gehal-
ten, namentlich vor der Geographischen Gesellschaft. Daraus und
aus persönlichem Verkehr hat Owen den Eindruck empfangen, daß
der Reifende ein offener, wahrhaftiger und rechtschaffener Mann
sei, und sehr wohlgeeignet, seiue Erlebnisse so anziehend zn schil-
dern, wie er es iu seinem Bnche gethan habe.
Ein Neujahrstag )
Ich machte mich am 11. Januar 1860 ans den Weg von Ka-
nagawa nach Kawasaki und gelaugte rasch an den Flnß Hokaugo,
der in ruhigem Laufe durch eiue ungemein fruchtbare Landschaft
fließt. Die Ueberfahrt bewerkstelligte ich auf einer Fähre. Die
Straße war zn beiden Seiten mit Häusern eingefaßt und die ver-
schiedenen Dörfer stießen dicht an einander. Das größte heißt
Omori, und dort traten wir in ein Theehans, um Erfrischungen
zu nehmen. Zu unserer Ueberraschung laseu wir an den Wänden
allerlei Sentenzen in holländischer Sprache, z, B. „Na lyden volgt
verblydeu" und: „Emde goed, alles goed", also: Auf Leid folgt
Freud', und Ende gut, Alles gut! Diese Stoßseufzer waren 1844
von Mitgliedern der niederländischen Gesandtschast auf dem Wege
nach Ieddo geschrieben worden, und gewiß sind diese Leute, welche
man zu jeuer Zeit streng überwachte, damals nicht in heiterer Laune
gewesen. Jetzt kann bekanntlich der Fremde sich in Japan freier
bewegen und ist durch Verträge gegen Willkür geschützt. Zwar
riefen neugierige Knaben uns das Wort To sin, d. h. Fremde,
Sinesen, nach, das hatte aber weiter nichts zu bedeuten. Die
Straßen waren sehr belebt; uns begegneten auch viele Soldaten
mit ihren Offizieren und hohen Beamten, die in Tragsesseln (Nori-
mons) getragen wurden und theilweise ein recht ansehnliches Ge-
folge hatten. Die Häuser sind einfach gebaut, aber ungemein
schmuck und sauber und die Wege vortrefflich unterhalten. Endlich
erblickten wir die herrliche Bay von Ieddo; der schöne Wasser-
spiegel erglänzte im Sonnenlichte und war von unzähligen Dschon-
ken nnd Barken belebt. Im Hintergrunde lag die große Haupt-
stadt vou Bäumen überschattet.
Mein Begleiter machte mich auf einen großen viereckigen Platz
aufmerksam, in dessen Mitte ein Staudbild Buddha's sich erhob.
Eine Anzahl wilder Hunde schnobberte an kleinen Grabhügeln
herum. Ich befand mich auf dem Sutsuga mori, dem Hinrichtnngs-
platze von Aeddo, über welchen Jeder gehen mnß, der auf der
großen ganz Japan durchziehenden Kaiserstraße (To ka'i do) an-
langt. Gleich nachher war ich in der Vorstadt Siuagawa; sie
bildet eine sehr lange Straße mit unzähligen Theehäuseru. Ueber
diese Lustgärten und Gasthäuser hat man in Europa allerlei irrige
Vorstellungen, indem man Gasthäuser, Nestanrationen und Stätten
der Ausschweifung mit einander verwechselt, und doch ist unter
ihnen ein großer Unterschied. Die eigentlichen Theehänser, Tscha
ga, werden Abends geschlossen; der Reisende fiudet in den Hotago
ga, Herbergen, ein Unterkommen; die verrufenen Häuser, Dioro
ga, befinden sich gewöhnlich in besonderen Stadttheilen und sind
mit Mauern und Gräben umzogen.
Der erste Tag des Syo gnats, ersten Mondes, fiel diesmal ans
den 23. Januar. Die Feier des Neujahrs in Japan erinnert in
vieler Beziehung an europäische Bräuche. Im kaiserlichen Palast
Heddo in Japan.
erscheinen die großen Lehnfürsten (Da'i'myos), um dem Herrscher
(Taiknn) ihre Huldigung darzubringen, die Beamten (Aakunin)
statten ihren Vorgesetzten Besuche ab und auch die Privatleute be-
glückwünschen einander und machen sich gegenseitig Geschenke. Die
Visitenkarten spielen im gesellschaftlichen Leben der Japaner eine
große Rolle, und während der ersten vierzehn Neujahrstage muß
jeder höfliche Manu seinen Bekannten die vom Herkommen geböte-
nen Besuche abgestattet haben.
Aeddo's Straßen sind, mit Ausnahme weniger, nur schmal,
aber sehr belebt. Am ersten Syo guats boten sie einen ungemein
belebten Anblick dar. Ich wollte (so schreibt der Reisende Radol-
phus Lindau) den Zug der Davuyos mit ansehen, und ein Mitglied
einer fremden Gesandtschaft hatte versprochen, mich in den kaiser-
lichen Palast zu führen; aber am Vorabend nnd am Morgen des
Nenjahrstages erschienen Regierungsbeamte bei ihm nnd baten, er
möge seine Wohnung nicht verlassen, weil eine unzählige Menschen-
menge ans den Beinen sein würde, und wir vielleicht uns in Un-
aunehmlichkeiten verwickelt sehen könnten. Wir legten aber daraus
weiter kein Gewicht, sondern gingen Morgens um zehn Uhr aus,
um zn scheu, wie die Dillge ständen. Als die Leute in den Gassen
sich durchaus friedlich verhielten, begaben wir uns nach dem kaiser-
lichen Palast, wo wir etwa um Mittag eintrafen. Zug nach Zug
kam au uns vorüber. Alles verlief in musterhafter Ordnung nnd
wir waren ungestört Zeugen eines prächtigen Schauspiels.
Das kaiserliche Schloß hat mehrere Ringmauern und ist mit
einigen Gräben umzogen, wir kamen aber nur bis über die erste
Brücke, weil wir iu der Nähe des Haupteinganges bleiben wollten.
Dicht neben demselben steht ein Wachtgebände und vor demselben
stellteil wir uns auf. Ein langer schöner Gang führte zum zweiten
Brückenthore, wo iu langen Reihen Beamte, Offiziere und deren
Dienerschaft sich ausgestellt hatten. Alle waren in Staatstracht;
Offiziere und Soldaten barhaupt und trotz der Kälte vom Knie bis
zum Knöchel unbekleidet. Aber sie sahen so militärisch aus, wie
unsere besten europäischen Truppen.
Das Geleit eines Fürsten, der beim Kaiser aufzieht, besteht
aus ein- bis dreihundert Personen, je nachdem ein Da'i'myo mehr
oder weniger mächtig ist. Vor ihrer Sänfte wird als Zeichen der
Würde auf hoher Lanze ein mit Rabenfedern geschmückter Hut ge-
tragen; auch schreiten mehrere Mannen voran, und zur Seite geht
der Schwertträger, welcher die Masse seines Fürsten in seidener
Scheide trägt. Die Sänfte (Norimou) gleicht einem kleinen Hanse
und wird von acht Dienern getragen. Den Schluß des Geleit-
znges bilden Offiziere und Soldaten des Fürsten, ein Theil seiner
Dienerschaft und zwei Stallmeister, welche das prächtig angeschirrte
Roß des Da'i'myo führen. Andere tragen auf der Schulter zwei
an einem Stabe befestigte Körbe, in welchen sich das Reisegepäck des
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
123
Fürsten befindet. Alle Norimons der Männer haben die na -
Farbe des Bambus, aus welchem sie verfertigt sind; Me
Frauen siud grün oder roth, je nachdem die Dame verhena
oder niä)t. ,
Wir verweilten zwei Stunden laug au demselben
Der Handel Cur
Der Handelsverkehr mit dein östlichen Asien hat während der
Zeißig Jahre einen gewaltigen Aufschwung gewonnen,
"eitdem die Nconopole fielen, welche ihn früher einengten, die
Schranken uiedergebrocheu wurden und die freie Thätigkeit
bcs unternehmenden Kaufmanns waltet, ist ein völliger Umschwung
««getreten. Auch Barma, Siam und Japan sind, gleich China,
«'öffnet worden, und der Verkehr mit diesen neuen Regionen ist
nur erst im Beginne. Aber er hat schon jetzt eine ungeheuere Bc-
^utung und es handelt sich dabei um kolossale Werthe. Ucber den
Verkehr zwischen Großbritannien und China gab Oberst Sykes,
««st Vorsitzender der englisch-ostindischen Compagnie und für Alles,
was sich auf dcu fernen Osten bezieht, ein ausgezeichneter Gewährs-
"'min, am 7. September in der British Association zn Manchester
interessante Nachrichten.
Sykes deutete an, daß Großbritanniens Politik gegen China
stets eine ungerechte gewesen sei, aber eine gewaltige Ausdehnung
des Handels habe sie im Gefolge gehabt. Im Jahre 1814 betrug
die Handelsbewegung zwischen beiden Ländern nur 5,750,000, im
Jahre 1826 schon über 7 Millionen Pfund Sterling, In den sieben
Jahren von 1826 bis 1833, wo die englisch-ostindische Compagnie
ihr Monopol des Handels mit China einbüßte, war die Handels-
Bewegung auf einen Jahresdurchschnitt von zehn Millionen ge-
stiegen; sie wurde aber seitdem immer beträchtlicher und erreichte
18;>6, ganz abgesehen vom Opiumhandel zwischen China und o«-
b^», die Summe von 17,526,198 Pf. Sterling, also in runder
Summe mindestens 120,000,000 deutsche Thaler.
Aber die Exporte aus China übersteigen die britischen Ein-
'Uhren um durchschnittlich 4 Millionen Pf- Sterling, und dieser
Ausfall muß durch Silber gedeckt werden. Da jedoch die Hau-
dclsbilauz zwischen China und Indien, des Opiums wegen, sich
"""'er zn Gunsten des letztern Landes stellt, so floß das m Ch.na
fohlte europäische Silber nach Indien. Aber ans diesem Lande
kommt davon nichts nach Europa, denn Indien hält da? Sil-
bei sich fest.
Unter den chinesischen Häfen steht Schanghai tn erster Reihe,
,c Ausfuhr von dort ist mächtig angewachsen und ist in gar kei-
"«" Verhältnisse zur Einfuhr. Im Jahre 1844/45 betrug der
A°rt von Thee nur 3,800,627 Pfund, jener der seide 64dd
a '«l j aber gleich im folgenden Jahre vervierfachte sich ^e - ,'cc
««sfuhr und jene der Seide stieg ans 18,192 Ballen. So ging es
. 'unb in dem Jahre, in welchem die TatPiug>Rebellen Nanking
«»«ahmen, 1853, exportirte China 69,^31,000 Pfund Thee uu
o,076 Ballen Seide. In Folge des Bürgerkriegs sank dann im
'senden Jahre der Export von Thee auf 50Vs Millionen Pfund,
aber jener der Seide stieg auf 58,319 Ballen, wovon auf Schang-
p, 30 Millionen Pfund Thee und 53,965 Ballen Seide kamen,
^"tdcm schwankte die Theeanssuhr China's nach England zwischen
• und 54 Millionen Pfund, aber jene der Seide stieg mehr und
N sl' sie 1856/57 die größte Ziffer erreichte, nämlich 92,160
»' 1860 betrug sie 67,874 Ballen.
Binnen sechszehn Jahren ist die Theeanssuhr China's um l 300,
l^ne der Seide um 950 Procent gestiegen. Im Jahre 1850 nahm
. roßbritannien mehr als die Hälfte des gefammten chinesischen
^eö, nämlich 31,62 l,204 Pfund Thee und nur 19,084 Ballen
eben so lange währten die einander folgenden Züge der Fürsten.
Dann entfernten wir uns nnd gelangten ohne jeglichen Unfall in
unsere Wohnung. Auch au den beiden folgenden Tagen trug noch
Alleö ein festliches Gepräge, die Läden waren geschlossen, die Leute
trugen ihre besten Kleider und allmälig wurde Alles wieder ruhig.
pa's mit China.
Seide; die vereinigten Staaten von Nordamerika nahmen
18,299,388 Pfund Thee, aber uur 1554 Ballen Seide,
Jni Jahre 1855/56 gingen nach Großbritannien in 130 Schiffen
91,931,800 Pfund Thee und 50,489 Ballen Seide, 1857/58 von
dem erster» 61 '/s Million Pfuud, von der letztern 76,215 Ballen
in 113 Schiffen.
Was das Opium anbelangt, so hat die chinesische Regierung
sich der Einfuhr desselben stets widersetzt und ans den Schleichhandel
damit Todesstrafe gelegt. Sie blieb fest dabei, obwohl sie in Geld-
bedränguiß war und große Einkünfte hätte gewinnen können, wenn
sie die Einfuhr gegen Zoll frei gab. England wollte aber um jeden
Preis den Chinesen das Opium aufzwingen und zettelte deshalb
Kriege an; Oberst Sykes sagt, uud er muß es wissen: „Welche
Vorwände wir auch nahmen, um Krieg anzufangen, derselbe ent-
stand allemal aus den Opiumverwickelungen und weil wir den
Opiumschmuggel trieben. Unglücklicherweise lag es in uuserm Ju-
teresse, den Verbrauch dieser Waare anzustacheln." Selbst als Nan-
king der chinesischen Regierung verloren ging, ließ sich die Regie-
rnug nicht zur Erlanbniß des Opiumhandels herbei; sie wurde
ihr erst nach der Einnahme von Peking abgezwungen. Ueber die
Wirksamkeit der „Opiuinklansel", welche der Vertrag enthält, sind
jedoch schon Weiterungen entstanden. „Noch eine Schwierigkeit
tritt uns von einer andern Seite her in den Weg, nnd es kann
leicht sich ereignen, daß wir abermals Blut und Geld vergeuden,
um die Taiping-Rebelleu zum Freigebe» des Handels mit Opium
zu zwingen. Wir haben von der Mandschuregieruug Alles erzwuu-
geu, was der britische Kaufmann nur wünschen konnte, aber in der
Brust der Maudschu kocht Wuth über die Erniedrigung der kaiser-
lichen Regierung, und die Beamten sind geneigt, die Ausführung
des Vertrags von Tien tsin durch allerlei Ausflüchte zu hinter-
treiben. Die Rebellen ihrerseits bethenern in ihren Erlassen, daß
sie den Ausländern freundlich gesinnt seien, nennen sie christliche
Brüder und wollen Handel mit den Fremden treiben. Aber eine
Ausnahme machen sie ganz ausdrücklich. In ihren religiösen Pro-
clamationen wird der Handel mit Opium verboten; wer sich mit
demselben befaßt, hat sein Leben verwirkt. Die Steuerzahler in
England haben also zu bestimmen, ob wir auf dem von uns (we-
gen des Opinmabfatzes) betretenen Wege noch weiter wandeln,
ob wir abermals Blut und Geld vergeuden wollen, um schnöden
Gewinnes halber einem widerstrebenden Volke eine schädliche
Waare aufzwingen zu wollen. Im bejahenden Falle ersticken wir
dann auch eiue volkstümliche Bewegung gegen eine fremde
Dynastie."
Diesen Betrachtungen setzte der bekannte Volkswirth New-
March die Bemerkung entgegen, daß die Chinesen wohl selber
Opinm bauen würden, wenn man es ihnen nicht ans Indien lie-
fere. Er übersah, daß darin kein Grund für die Engländer liegt,
jenes Reich in Krieg zn verwickeln, was nun, in geradezu nichts-
würdiger Weise, schon dreimal geschehen ist. Anch scheint New-
march nicht gewußt zu haben, daß die Chinesen schon längst in
ihrer westlichen Provinz Ann nan Opium bauen und davon jähr-
lich etwa 6000 Kisten liefern. Am rohesten ist das Verfahren der
Engländer in der Opinmangelegenheit einmal von dem bekannten
Sir John Bowriug beschönigt worden
16*
124
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Zur Statistik der Baumwollenindustrie.
In der englischen Grafschaft Lancaster betrug 1692 der Iah-
reswerth des steuerbaren Eigenthums 95,(0» Pf. Sterling, 1841.
dagegen an 6,200,000 und 1860 schon 10'/2 Mill. Pf. St. In der
Stadt Manchester betrug er 1839 erst 670,000 Pf. St. und in Sal-
ford 1844 nur 160,000; dagegen 1860 schon respective 1'/» Mill.
und 350,000 Pf. St. Beide Städte zählen gegenwärtig zusammen
460,000 Seelen. Manchester zahlt jährlich 7:2,000 Pf, St. für sein
Wasser; es hat binnen 30 Jahren 60 Meilen Straßen ausgelegt,
eine Fläche von 205 Acres gepflastert und 137 Meilen Abzugs-
kanäle gebaut. Dieser ganze Fortschritt beruht ans der Baum-
wolle. In den vier Jahren 1842 und bis mit 1845 betrug die
Baumwolleneinfuhr Großbritanniens und Irlands durchschnitt-
lich 2,672,000 Ballen (zu 450Pfund), in den drei Jahren vor und
mit 1860 schon 3,651,000 Ballen. Im Jahr 1841 waren nur
14 Procent aller Zufuhren nicht amerikanische Baumwolle, 1860
aber erst 20 Procent, trotz aller inzwischen in verschiedenen Erd-
theilen gemachten Anstrengungen. Das Land erzeugte 1830 erst
182 Millionen Pfund Baumwollenfabrikate, 1860 aber 886 Mil-
lionen Pfund. Verwandeln wir die Pfunde in Jards, so haben
wir für 1830 Uards 914 Millionen, für 1861 aber 4,431,0(0,000
oder 2,517,000 englische Meilen. Damit könnte man den
Erdball einhundert Mal umwickeln. Der Werth dieser
Baumwollenfabrikate überstieg den Werth der Staatseinnahmen,
denn er betrug sieben und siebzig Millionen Pfund Ster-
ling. Die Ausfuhren betragen mehr als 16 Millionen Pf. St.
an Werth, nach Abzug der Kosten des Rohstoffes, und so viel ist
reiner Gewinn; der Gesammtexport an Banmwollenwaareu stellt
sich auf 42 Millionen. Im Jahre 1840 waren 17 Millionen, 1856
schon 28, aber 1860 schon drei und dreißig Millionen Spin-
deln vorhanden, deren Werth, nebst den Webstühlen, auf 41
Millionen geschätzt wird; die Pferde kraft beträgt 110,000, und
der jährliche Kohlenverbrauch 650,000 Tonnen; die Arbeits-
löhne stellen sich ans 11,250,000 Pf. Sterling. Durch Sharp's
felfacting Mute wird, je nach verschiedenen Arbeitszweigen, an 20
bis 100 Procent, gegen früher, an Arbeitskraft erspart, und die
Verbesserungen au deu Spindeln wirken so, daß die 33 Millionen
jetzt so viel schaffen, wie 37 Millionen nach dem frühern Systeme
thnn würden. Die Maschinenfabrikation ist so thätig, daß für alle
Maschinen, welche sie liefert, ein jährlicher Zuwachs von 1,874,000
Ballen Baumwolle nöthig wäre; eiu großer Theil dieser Maschi-
neu geht in's Ausland. Manchester ist die „Citadelle der
B a u mw o l l e n m a n n fa ct n r."
Die Londoner Ausstellung
Diesmal werden diese letzteren ganz anders vertreten sein als
1851, wo viele von ihnen gar Nichts eingeschickt hatten und die
fünfzig Kolonien, denn so viele zählt Großbritannien, von dem
ihnen zugemessenen Räume, 23,500 Fuß, nur 6180 Fuß iu Au-
spruch nahmen. Nnr Indien that sich einigermaßen hervor. Jetzt
haben sie mehr oder weniger beträchtliche Summen verwilligt. Es
sind genehmigt worden von Cauada 8000 Pf. Sterling, von der
Kapkolonie 5000, British Columbia 2000, Queensland und Tas-
mania je 2000, Neusüdwales 3000 und noch für 5000 Gold, Vic-
toria bewilligte 10,000 Pf. Sterling, denn Australien will mit sei-
nem Golde Staat machen und dasselbe wissenschaftlich geordnet
ausstellen. Mau wird also eine Uebersicht bekommen, aber kein
Klumpen (Nngget) darf über sechs Unzen wiegen. Dazn kommen
dann alle Geräthe und Maschinen, vermittelst welcher man das
Gold gewinnt. Man bringt Golderde, Goldsand, Goldquarz und
wird die Methoden der Ausbeute und Bearbeitung durch die Pra-
xis anschaulich macheu. Victoria, oder Australia Felix, dessen
n 1862 und die Kolonien.
Hauptstadt Melbourne ist, zählte 1851 erst 80,000 Seeleu, jetzt
nahe an 700,000, exportirt für 15 Millionen und führt fast eben
so viel ein. Das ist eine jährliche Handelsbewegnng von 200 Mil-
lionen deutscher Thaler! Etwa 400,0!)0 Acker Landes sind unter
Anbau; die Kolonisten besitzen sieben Millionen Häupter Vieh und
haben schon für 800 Millionen Thaler Gold nach Europa gesandt.
Westindien, durch die Sklavenemancipation sehr gehemmt, hat
seine große Roth, sich für schweres Geld Arbeiter aus Chiua und
Indien zu verschaffen; denn mit den freien Negern, die äußerst
trag und anmaßend sind, weiß es nichts anzufangen. Es kann
höchstens Rohzucker ausstellen. Mehr Interesse werden selbst die
Artikel von den Sandwich- und den Fidschi-Jnseln gewähren;
was die vielgerühmte Niederlassung Liberia bringen wird, muß
man abwarten, viel wird es nicht sein, wenn nicht etwa philan-
thropischer Humbng mit unterläuft. In vorderster Reihe, und
gewiß in vieler Beziehung Europa überragend, wird Japan sein,
von wo eine großartige Sendung angekündigt worden ist.
Die italienische Gewerbeausstellung in Florenz.
Sie hat deu fremden Beobachtern zn mannigfachen Bemer-
kungen Anlaß gegeben. Zunächst wird hervorgehoben, daß nur
sehr wenige Italiener, namentlich der mittleren und höheren Klas-
feit, in's Ausland reisen und sich damit eine reiche Quelle der
Belehrung verschließen. Auch sind die Bewohner der verschiedenen
Landestheile mit einander fast gar nicht bekannt. Die Italiener
leiden, wie ein ihnen sehr günstig gesinnter Engländer hervorhebt,
an großer Selbsttäuschung; es sei für sie unbedingt nöthig, über
sich selbst zur Klarheit zn kommen und die Ursache ihrer Impotenz
zu ergründen. „Sic müssen endlich lernen, daß es ihre Aufgabe
ist, zu arbeiten. Vielleicht hat die Ausstellung für sie einen
negativen Vortheil; sie wird ihnen sagen, daß sie etwas Besseres
hätten liefern müssen, als was sie dort zu zeigen haben. Die Heu-
tigert Italiener arbeiten nicht eiu Drittel so viel, als sie müßten
und könnten. Man sagt wohl, ihre Trägheit habe staatliche Nr-
fachen, aber ihr gesellschaftliches und häusliches Leben ist doch weit
mehr Schuld daran" In Betreff des Ackerbaues verstehen sie
nichts vom Zusammenwirken und von der Theilung der Arbeit,
und doch siud die Bauern gerade diejenigen, welche sich noch am
besten um Italien verdient gemacht haben. In Florenz war sehr
schönes Vieh aus den Provinzen der Aemilia ausgestellt; diese,
Toscana und Neapel, lieferten etwas sehr primitive Seiden-
gewebe; Piemont und Genua Sammete; die Wollen- und Baum-
wollenwaaren sind gering; Mailand lieferte Goldschmiedearbeiten,
manchen Städte schickten recht hübsche Juwelierarbeiten. In Hand-
schuhen, Hüten, Strohgeflechten, Zündhölzchen und dergleichen
war recht preiswürdige Waare vorhanden. „Was die Künste
anbelangt, so ist darin den heutigen Italienern alle schassende
Kraft abhanden gekommen. Das gestand mir auch ein Hochgestell-
ter patriotischer Edelmann zu. Unsere Kunst wie unsere Poesie,
so sagte er, ist lediglich Nachahmung und Reprodnction. Uebri-
gens sind die italienischen Künstler sehr geschickte Nachahmer.
Die Zeit wird lehren, ob das Land entnervt nnd abgelebt ist,
oder nicht."
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung. 125
Dex nestlianende Asse, Uschiego Mbuwe.
Unter den bisher der Wissenschaft unbekannten Vierfüßlern,
welche der Naturforscher Du Chaillu in der Küstengegend des aqua-
torialen Westafrika entdeckte, ist dieser IroAloclytes Lalvus eines
der interessantesten Thiere. Der Reisende war im Juni 1857 von
seiner zeitweiligen Niederlassung Biagano am Zusammenflüsse des
Rembo Oveuga und des Npulonay, welche iu die Mündung des
Fernando Vaz fallen, den Npulonay hinaufgefahren. Dieser steht
weiter hinauf mit dem Flusse Ogobai in Verbindung, und in diesen
ergießt sich der Anengne, ein Abfluß aus dem gleichnamigen See,
der etwa unter dem 1° südl. Breite und etwas westlich vom 10"
ostl. Länge liegt. In den Wäldern an diesen Wasserbecken lag
Du Chaillu der Jagd ob. Eines Tages bemerkte er an einem
Baum ein merkwürdiges Dach über einigen abgebrochenen Aesten.
Auf die Frage, ob Jäger sich ein solches Obdach zurecht machen,
wenn sie in den Wäldern schlafen wollen, entgegnete sein schwarzer
Begleiter Okabi, daß eine Affenart dergleichen „Nester" baue:
"Also war ich einem der wissenschaftlichen Welt bisher unbekannten
Thier auf der Spur, und man wird begreifen, wie freudig ich da-
durch angeregt wurde. Alle Mattigkeit verschwand und ich war
entschlossen, nicht zu ruhen, bis ich einen solchen Affen erlegt haben
würde." Der Naturforscher sah späterhin manche solcher Nester,
^ie befinden sich fünfzehn bis zwanzig Fuß, felteu höher, über dem
Boden auf einem Baume, der von anderen ein wenig entfernt steht'
und unter dem Aste, über welchem das Obdach sich befindet, keine
anderen Aeste mehr hat. So ist der Nschicgo Mbuwe vor Raub-
thiereu uud Schlaugeu sicher und sitzt vor allen Dingen immer
trocken. Er ist sehr scheu, liebt Waldgegenden, die recht einsam sind,
und die Neger bekommen ihn nur selten zu Gesicht. Okabi konnte
als erfahrener Jäger genauere Auskunft geben, die sich auch be-
stätigte. Männchen und Weibchen tragen gemeinschaftlich die
Baustoffe herbei, nämlich belaubte Zweige, aus welchen sie das Dach
verfertigen uud allerlei Reben und Schlingpflanzen, um dasselbe am
Baume zu befestigen. Die Arbeit ist so hübsch, das Dach so zweckmäßig
gebaut, daß mau ein Werk geschickter Menschen vor sich zu sehen
glaubt. Es fällt kuppelartig über, so daß der Rcgeu, vor welchem
das Thier völlig geschützt bleibt, hinabfließen kann. Der Mann
bauet, die Frau bringt ihm die Baustoffe hinauf, aber jedes wohnt
ftuf einem besonderen Banme, doch so, daß beide nahe bei einander
stehen. Der Nschicgo lebt paarweise, nicht gesellig in größerer
Äenge, wie manche andere Affen; manchmal wohnte ein Alter, der
stch aus dem Leben völlig zurückgezogen hat, als Eremit ganz allein.
Die Hauptnahrung besteht in Beeren, und der Nschiego bauet seiu
Obdach, wo er dergleichen in Menge findet; nachdem er die Um-
gegend abgeweidet, zieht er weiter und bauet sich ein neues Dach.
Er benutzt diese Wohnung höchstens vierzehn Tage. Du Chaillu
lag schon ein paar Stunden lang auf der Lauer, als er zu seiner
größten Freude ein mehrfach wiederholtes Hu, hu! vernahm.
Der Mann rief nach seiner Frau. Gegen Einbruch der Dunkel-
heit saß dann ein Nschiego unter seinem Obdache, denn von einem
Neste kann man eigentlich nicht reden. Seine Füße ruheten ans
dem untern Zweige, auf welchem er saß, sein Kopf reichte bis unter
die Kuppel und den rechten Arm hatte er um den Baum geschlnn-
gen. In solcher Weise schläft er. Du Chaillu gab Feuer und
sofort stürzte der Nschiego herab. Am andern Morgen wurde er
genan untersucht. Er war ein Männchen, kleiner als ein ausge-
wachsener Schimpanse und hatte einen kahlen Kopf; das ist eine seiner
besonderen Eigentümlichkeiten. Seine Länge betrng 3 Fnß 11
Zoll; die Haut ist da, wo sie keine Haare hat, schwarz; Kehle, Brust
uud Unterleib sind mit schwärzlichem Haar dünn bestanden, an
den Beinen ist dasselbe schmutzig grau mit Schwarz gemischt;
Schulter und Rücken haben schwarzes, zwei bis drei Zoll langes
Haar mit etwas Gran gemischt; an den Armen geht das schwarze
Haar bis zum Knöchel. Der Nschiego ist bei weitem nicht so stark
als der Gorilla, weder Brust noch Mnskelu sind bei ihm so mäch-
tig entwickelt, aber seine Arme sind länger nnd messen ausgebreitet
bei einem etwas über vier Fuß hohen Mann sieben Fuß. Du
Chaillu fand späterhin im Lande der Aschira wiederholt Gelegen-
heit, den Nschiego Mbuwe zu beobachten. Jeder begiebt sich gegen
Abend in seiu Nest; Mauu und Frau erwiederu gegenseitig ihren
Ruf, sie unterhalten sich. Der Reisende ließ einen Baum abhaueu,
um das Nest genan zu untersuchen.
Der Naturforscher hatte das Glück, einige Zeit nachher im
Lande der Gumbi am Ovengaflnsse, abermals einen bisher uube-
kannten Affen zu erlegen, den Troglodytes Kulukamba, welcher
gleichfalls über 4 Fuß hoch wird. Unter allen Affen ist er der-
jenige, dessen Schädelbau jenem des Menschen sich am meisten nä-
hert, auch ist sein Gehirn größer als das der übrigen. Der Kopf
ist rund, eben so das Gesicht, welches von einem unter dem Kinn
hinlaufenden Backenbart eingefaßt ist; die Jochbeine stehen weit,
der Kiefer aber nicht sehr stark vor, die Backen sind eingefallen, das
Haar ist schwarz.
Die Wanderuni
Woher kommen die Millionen nnd aber Millionen dieser nütz-
lachen Fische, ans welchen der Wohlstand mancher Gegenden beruht'
und die in mehr als einem Lande so nothwendig sind wie daö
liebe Brot?
, ^ Man ist über diese häufig erörterte Frage immer noch nicht völlig
jn ö ^are gekommen. Deshalb wurde sie jüngst in der zoologi-
schen Abtheilung der British Association zu Manchester wieder auf-
genommen, und ein Herr T. M. Mitchell, welcher seit Jahren
dem wichtigen Gegenstände seine besondere Aufmerksamkeit zuge-
wandt hat, gab eingehende Erläuterungen. Es lag ihm daran,
den Nachweis zu führen, daß die Häringe, welche zeitweilig an den
verschiedenen Küsten Nordenropa's erscheinen, unzweifelhaft Ein
geborene der dortigen Meeresstrecken feien und uicht etwa ans
weiteutlegenen Regionen des Oceans dorthin wandern. Damit
stellt er sich der Ansicht entgegen, daß man das nördliche Polar-
weer als die Heimath dieser Fische betrachten müsse. Wir wollen
seine Aufstellungen kurz zusammenfassen.
Man sagte bisher, die Häringe kämen in großen Zügen, die
eine Breite von mehreren Seemeilen einnehmen, von Norden
n der Häringe.
her an die Küste Schottlands; der eine Theil schwimme dann an
der westlichen Küste hin, nach Irland zu, ein anderer dagegen an
der Ostküste. Dagegen läßt sich Folgendes sagen. Die Häringe
laichen an unseren Küsten, in Buchten und Flüssen, sind also bei
uns zu Hause. Nach dem Laichen gehen die ausgewachsenen Hä-
ringe iu's Meer, halten sich den Küsten nahe uud ernähren sich
dort bis zur nächsten Laichzeit, während die Jungen in der Laich-
gegend bleiben, bis sie groß geworden sind. Für das Alles sprechen
folgende Gründe. Die Häringe, welche verschiedene Gegenden anf-
suchen, sind auch au Größe, Gestalt nnd Beschaffenheit nicht gleich;
der Häring hat au jeder besondern Küste ein unverkennbares, ver-
schiedenes und specifisches Gepräge. Die Abweichnngen treten so
scharf hervor, daß der Kenner auf deu ersten Blick sagen kann, wo-
her ein Häring stamme.
Wir finden, daß alljährlich zu einer bestimmten Zeit, Häringe
von einer gewissen Größe auf denselben Stillen erscheinen. So
ist z. B die Sorte, welche an der weit in's Meer vortretenden
Küste von Stadtland in Norwegen gefangen wird, weit größer als
jene an der Westküste der Shetlandsinseln, und diese letztere ist fast
126
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
doppelt so groß als der erste Jahresfang bei Thurso. Diese sind klei-
ner als jene von der Insel Man, Minch und die Loch Fyne-Häringe
von Caithneß und Bauff, und auch kleiner als jene von der Küste
von Aberdeenshire, Fifeshire und Berwickshire. Die Iarmouth-
Häringe sind wieder kleiner als diese letzteren und in den Seen des
westlichen Hochlandes sieht und kennt man die verschiedene Größe
sehr genau. In einigen dieser schottischen Seen hat man seit Jah-
ren eine große Menge von der zehnten Klasse gefangen, die alle
von vortrefflicher Beschaffenheit waren. Eine Klasse von der Größe
der Iarmonth-Häringe besuchte bis in die letzten Jahre hinein den
Lijmsjord in Jütland und kommt auch jetzt noch an die dortige
Küste. Dagegen sind jene in der Ostsee, an der mecklenburgischen
Küste weit größer als die dänischen, au der Pommerischen und
theilweise preußischen Küste dagegen um ein Drittel kleiner; noch
weiter nach Osten hin werden sie wieder größer, etwa so wie jene
im Moray Firth.
Wer nun die Ansicht hat, daß die Häringe aus dem hohen
Norden stammen, muß zwei Arten annehmen; eine, welche auf
ihrem Zuge kleiner, und eine zweite, welche während desselben grö-
ßer wird. Selbst im englischen Kanäle lassen sich in verschiedenen
Oertlichkeiten ganz verschiedene Größen nachweisen, und das ist
auch vom Professor Valencienne in dessen Ausgabe von Cnvier's
Naturgeschichte der Fische geschehe::. Die Häringe, welche mau bei
Calais säugt, sind größer und platter als jene von Dieppe, welche
runder uud kürzer erscheinen.
Was nun die Beschaffenheit uud Güte anbelangt, so sind die
an den Küsten der Shetlandsinselu uicht so fett als jene, welche
man gleichzeitig an dem Gestade von Thurso bis zum Loch Broom
fängt. Im Anbeginn der Fischerei sind jene im Loch Fyne nicht
so fett uud ölig als die ersten Thurso-Häringe uud jeue vou Loch
Fyue besser als die vou der Ostküste. Auch findet ein großer, leicht
bemerkbarer Unterschied statt zwischen denen von Caithneß uud
Morayshire einerseits und von Aberdeenshire und Berwickshire
andererseits. Die Güte der dänischen und baltischen steht hinter
jener der Häringe vom Moray Firth uud von der Küste au bcit
westlichen Hochlanden zurück. Jene an der Küste von Holland
taugen gar uichts; die vou Iarmouth sind nicht so gut als die
nordschottischen, uud die au den französischen Küsten auch schlecht.
Man hat feilte beglaubigten Beispiele davon, daß Häringe
gesehen wurden, welche aus sehr hohen Breiten gen Süden zogen.
Kein Kapitän holländischer Häringsbüsen hat jemals beträchtliche
Züge im Norden der eigentlichen Region des Häringssanges
gesehen; anch unsere grönländischen Walfischfahrer wissen davon
nichts zu erzählen. Scoresby, gewiß eiu Gewährsmann ersten
Ranges, sagte mir, daß er auf seineu vielen Reisen im Hoheit Nor-
den niemals nach Süden ziehende Häringsfchaaren gesehen habe.
In den grönländischen Gewässern sind Züge von Häringen
nnbekannt, und man hat diese Thiere niemals im Magen der dort
gefangenen Watfische gefunden. Der gemeine Walfisch, Balaena
Mysticetus, nährt sich von Actinien, Sepien, Medusen, Kreb-
feu und Schuirkelschnecken. Der Narval lebt im spitzbergischen
Meere, aber Scoresby fand in seinem Magen nur Sepien; in
jenem des Walroffes nur Garnelen, Krebse und junge Seehunde.
Auch andere Thiere wurden von demselben Seemanne untersucht,
z. B. verschiedene Alken, Taucher und anch der grönländische Hay;
in keinem faud er eine Spur vou Häringen. Dasselbe war der
Fall mit dem alten würdigen Missionar Egede; er hebt ausdrück-
lich hervor, daß er bei Grönland niemals Häringe gesehen. Der
berühmte deutsche Naturforscher Bloch, mit welchem Lacepöde
übereinstimmt, bemerkt, daß Fische von der Größe des Härings,
selbst in süßem Wasser, vom Frühling bis zum Herbste nicht so
weite Reisen, wie man den Häringen zuschreibe, machen könnten.
Er hebt auch hervor, daß man diese an gewissen Oertlichkeiten das
ganze Jahr hindurch finde, und das stimmt mit den Erfahrungen
der Fischer im Loch Fyne zusammen, welche das ganze Jahr hin-
durch junge und alte Häringe fangen.
Man behauptet, daß die Häriuge vom hohen Norden her
kommen, aber Niemand hat gesehen oder weiß, ob sie auch dorthin
zurückkehren, oder auch daß sie uach Südeu hinziehen; im letztern
Falle schwimmen sie nur au der Kiiste hin, um zn laichen. Wir könn-
ten fragen, weshalb gerade die kleinsten nach der Ostsee zögen, die
größeren in die Nordsee? Man sagt, die Häringe flöhen vor den
Walsischen nach Süden; weshalb sieht man dann aber den Wal-
fisch nicht jedes Jahr an jeder Küste? Aarrell sagt in seinem Werth-
vollen Buch über die Fische: ,,Es unterliegt keinem Zweifel, daß
der Häring das tiefe Wasser rings um unsere Küsten bewohnt und
sich diesen nur nähert, wenn er seinen Rogen unter der belebenden
Einwirkung einer höhern Temperatur und des Oxygens ablagern
will. Sobald das geschehen ist, verschwinden die Züge von unserer
Küste, aber einzelne bleiben zurück uud man säugt dergleichen in
allen Monaten des Jahres."
Manche andere Fische haben beim Laichen ähnliche Gewohn-
heiten , z. B. der Lachs, welchem man doch keine weit entfernten
Meere zur Heimath anweist. Die Sprotte kommt in Zügen an
den britischen Inseln von November bis März vor, die Else (Mai-
fisch) vom Mai bis Juli; im Severu bleibt sie zwei Monate, im
Mittelmeer erscheint sie bei Smyrna uud Rofetta, im December
uud Januar ist sie im Nil bis uach Kairo hinauf zu finden. Der
P Usch er findet sich vom Juui bis Eude des Jahres iu Zügen an
der Küste von Cornwallis ein. Alle diese Fische besuchen Heerde«-
weise verschiedene Gestade uud Flüsse zu verschiedenen Zeiten zu
einem und demselben Zwecke, aber Niemand wird daraus sol-
gern, daß ihre Heimath in einem weitabgclcgencn Meerestheile sich
befinde.
Mitchell kommt demnach zn folgendem Endergebnisse: der
Häring bewohnt die Gewässer in der Nähe der Küsten, an welchen
er laicht. Wenn er deu Rogen abgelegt hat, ziehen die Schaaren
wieder vou der Küste ab. Seiu Erscheinen etwas früher oder fpä-
ter uud ob er der Küste näher kommt oder etwas entfernter bleibt
als sonst, hängt von der Beschaffenheit des Wetters, von warmem,
klarem Himmel, oder kalter Luft und Wolken und von der Tiefe
des Wassers in der Laichgegend ab.
Wir wollen hinzufügen, daß neulich Alex auder Ziegler
(Reisen im Norden, Leipzig 1860.1. S. 41—60) sich sehr ausführ-
lich mit deu Wanderungen der Häringe beschäftigt uud die verschie-
denen Angaben sehr fleißig zusammengestellt hat. Er fragte noch-.
,,Wo ist die eigentliche Heimath des Härings? Die Götter mögen
es wissen, die Menschen nicht; sie müßten denn, wie die Haru-
spices, aus den Eiugeweideu der Thiere zu weissagen verstehen?"
Wir haben oben mitgetheilt, daß das vou Seiten Scoresby's
geschehen ist. Eiu „geheimnißvoller" Fisch ist uun wohl der Hä-
ring nicht mehr, und für einen Sohn des Poles wird man ihn
nicht mehr halten dürfen. Aber für die nordeuropäischen Staaten
bleibt er von einer ganz ungemeinen Bedeutung. insbesondere sür
Schottland und Norwegen, wo er eine Grundlage des Wohlstandes
bildet. Mau nimmt an, daß jährlich über zweitausend Millionen
Häringe gefangen werden. *)
*) Nachdem obiger Aufsatz schon im Druck war, fanden wir, daß
schon vor einem halben Jahrhundert Catteau Calleville in seinem
„Gemälde der Ostsee'', Weimar 1815. S. 190. zu demselben Ergebniß
gekommen war, wie jetzt Mitchell. „Der Fisch, sagt er, hält sich das
ganze Jahr hindurch in der Ostsee und den nahegelegenen Meeren auf;
allein nur im Frühling, einem Theile des Sommers und im Herbst
zeigt er sich in dichten Reihen in der Nähe der Küsten; die übrige Zeit
des Jahres hindurch hält er sich vorzugsweise auf dem Grunde des
Meeres auf. Das Nämliche findet ohne Zweifel anch in allen übrigen
Meeren statt, llebrigens ist es auch gewiß, daß die Häringe zuweilen
ihre gewöhnlichen Aufenthaltsorte verändern, entweder für immer oder
nur auf einige Zeit.
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
127
Kleine N a ch r i ch t e n.
^ Rußland und China. Seit dein Ausbruche der großen Ne-
bellion in China hat Rußland in Ostasten große Vortheile er-
rnngen. Wir brauchen nur an die Erwerbung des Amurlandes
und die Ausdehnung der Gränze an den Küsten des Großen Oeeans
bis nach Korea zu erinnern. Sodann ist das Ansehn der Pekinger
Legierung in der Mongolei sehr gesunken, und das mächtige
^congolenvolk der Chalchas (Kalkas) steht gegenwärtig mehr unter
^nssischcr als unter chinesischer Herrschaft. Damit ist nun Ruß-
land Herr sämmtlicher Karawanenstraßen geworden. Früher war
^er Handelsverkehr zwischen Sibirien und dem chinesischen Reiche
bekanntlich auf die beideu Nachbarstädte Kiachta und Maimatschin
beichränkt; etwa im Jahre 1854 gestattete China, daß auch weiter
nach Westen hin eine sogenannte Einbruchsstation eröffnet wurde.
Drei Jahre später erschien ein russischer Bevollmächtigter in Peking
und erwirkte einen Vertrag, demgemäß auch Barkul, Miasutai,
'volin und Kuren dem russischen Handel eröffnet wurden. Bekannt-
uch sind iu Folge der neuesten Friedensschlüsse alle Beschränkungen
>ur die Ausländer in China beseitigt worden und sie können mit Pas-
eil überall im Lande reisen. Chinesen kommen jetzt nach Jrkutsk und
wurden auch im Sommer 1861 auf der großen Messe von Nischm
Nowgorod erwartet. Als im Oktober 1860 die Engländer und
Franzosen vor Peking lagen und diese Hauptstadt bedrohten, suchte
^>e chinesische Behörde um Vermittelnng beim russischen Gesandten
Mnatiesf nach, und durch dieselbe kam der Friedensvertrag vom
*4. und 25. Oktober zu Stande. Nach Abschluß desselben gab
^gnatieff den europäischen Bevollmächtigten ein Gastmahl. Als
Man ebeu bei Tafel saß, kam ein russischer Eilbote aus JrkutSk an.
Er hatte die Reise von dort, durch die Mongolei nach Peking, in
nnr 14 Tagen zurückgelegt. Am 28. Oktober sandte General
Jguatieff seinen Bericht über die Vorgänge in Peking mit der ge-
wöhnlichen Post ab; sie gelangte in sechszehn Tagen nach Kiachta
und von dort in weiteren siebzehn Tagen nach St. Petersburg.
Das macht im Ganzen nur d r e i u u d d r e i ß i g Tage. Da Ruß-
land sowohl in Sibirien wie im Amurlande eben jetzt Telegraphen
bauen läßt, so werden wir vielleicht schon im nächsten Jahre die
Nachrichten ans China und Japan nicht mehr auf dem Wege über
?en indischen Ocean und das Rothe Meer, sondern wochenlang
srnher über Rußland erhalten, bis im mohammedanischen Orient
c!nc zusammenhängende Drahtlinie hergestellt wird. Wir lesen
cn t daß das Ministerium iu St. Petersburg 80,000 Silberrubel
"Uch zur Anlage des Drahtes von Nikolajeffsk au der Amnrmün-
°ung nach Chabarowka angewiesen hat. Von Indien abgesehen,
bat bereits der Schah von Persien seine wichtigste Handelsstadt
^ebris (Tauris) mit seiner Residenz Teheran durch eine Tele-
öraphenlinie in Verbindung gebracht/ Rußland will eine Linie von
Tebris uach Tislis im lausenden Jahre vollenden. In der asia-
"schen Türkei reicht der Telegraph jetzt bis nach Bagdad.
Äie Äulina^Uündung und der Handel der untern Donau.
Die Versandung dieses Hauptarmes im Delta der Donau, hat
w ^ngen Jahren zn großen Beschwerden von Seiten der Schiffer
gegeben; die Tiefe im Fahrwasser betrug nur noch 8 bis
' Miß. _ Größere Fahrzeuge konnten also diese Mündung nicht
'ehr Passiren, und eine der wichtigsten Verkehrsadern des Handels
q^rso gnt wie gesperrt. Alles vereinzelte Baggern hals nichts, aber
fijr .fe lvnrde immer nöthiger und zn einer solchen vereinigten
I ? die europäische!: Großmächte. Gemäß dem pariser Friedens-
ertrage vom 30. März 1856 wurde die Sache von einer europal-
L°ix Donaucommission iu die Hand genommen, deren Arbeiten
ht zu eiiiein Abschlüsse gekommen sind. Die Barre von Sünna
. 8^ge desselben jetzt wieder eine Tiefe von 17 bis 18 Fuß.
^as ist großer Gewiuu für Schifffahrt und Handel. Welche
. edentnng der letztere hat, ergiebt sich ans folgenden Ziffern. Aus
fiir rumänischen Häfen Braila und Galatz wurden 1860 verschifft
^•WJO preußische Wispel Getreide im Werthe von I8V2 Million
tin ^U' Der Geldwerth aller Getreidearten, welche aus deu uu-
st'y? Donauhäsen von Turn Severin bis Snlina verschifft wurden,
lte sich ans 375,650,000 Galatzer Piaster, gleich 25,900,000 Thlr.
«zu kamen dann noch Talg, Wolle, Fleisch, gesalzene Fische, Holz,
rjJ1'}, Knochen, Mehl, Käse ?c. im Werth von etwa 5 Millionen
ta;5jn' und 1 Million für die Befpeifnng der 3295 Seeschiffe,
27 Ä5,^ie Sulinamündnng passirten. Odessa hat 186«) für
" ^ultioneu Ziubcl Getreide ausgeführt, außerdem für 1 Million
fl'g und für 4 Millionen Wolle. Die Gefammtausfuhr für die
nanhäfen nnd Odessa stellt sich ans die beträchtliche Summe von
bis 70 Millioueu Thaler.
q Versandung an den Mündungen des Don und der Wolqa.
"mnalig und anhaltend versandet die ganze Nordostküste des asow-
schell Meeres bei Taganrog und Nostow nud die ganze Nord- und
Nordwestküste deö kaspischen Meeres. Die russische geographische
Gesellschaft hat eine Expedition ausgerüstet, welche die Ursachen der
Versaudung im nordöstlichen Theile deö asowscheu Meeres unter-
suchen und begutachten soll, ob eö möglich sei, derselben abzuhelfen.
In Astrachan , sagt Staatsrats) Bergsträsser, ist schon seit länger
als zwei Jahren eine Commissiou von Wasserbaningenienren thä-
tia. welche eiuen bequemeu Weg aus Astrachan durch einen Arm
w «rw-l r-ir.r*
die Steppe gehen nnd größteutheils uur bei Hochwasser fahrbar
sind, nimmt alljährlich bedeutend zu. Demi die Wolga bringt in
ihr Delta eine ungemein große Masse von Ablagerungen, die sich
iu dem stillsließeudeu Wasser der Seitenarme oder im nördlichen
Theile des kaspischeu Meeres zu Bodeu setzen. Das erste Dampf-
schiff, welches im Jahre 1861 aus Astrachan in's Meer ging,
brauchte, ehe es iu freies Fahrwasser gelaugte, fast anderthalb Mo-
nate für eine Strecke von 80 Werst, nud eiu Dampfer ans Baku,
welcher der Ausbesserung wegen nach Astrachan mußte, kreiste
seit Äusaugs April vor der Müudnug der Wolga vou einer Saud-
baut zur andern. Nnr bei starkein anhaltenden Wind aus Südost,
der hinreichend Wasser eintreibt, konnte es über jene Saudbänke
kommen.
Europäische Ansiedler im Pendschab. Es war früher Sh-
stein der ostiudischeu Compagnie, die dauernde Niederlassung vou
Europäern iu Indien nicht zu ermuntern, Kaufleute natürlich
ausgenommen. Seit einigen Jahren haben sich die Dinge ganz
anders gestaltet; Europäer strömen uach Oberiudieu eiii. Das
malerische, sehr gesunde Kangrathal im Pcndschab ist sehr frncht-
bar nnd wasserreich und eignet sich vortrefflich zum Anbau des
Theestrauch eS. Die Cultur desselben wird jetzt schon von nicht
weniger als sechs Theecompagnien betrieben, nnd anch der Seiden-
bau sollte in dieseni Jahre begonnen werden. Auch in anderen
Gebirgsgegenden lassen sich Ansiedler nieder; ans der Strecke zwi-
schen Simla und Dalhonsie beschäftigen sich etwa dreißig enro-
päische Capitalisteu mit dem Theeban.
Eisenbahnen in Indien. Sie werden ohne Zweisel in man-
chen Verhältnissen jenes großen Landes eine wesentliche Umgestal-
tuug hervorbringen. Am 13. Mai wurde die Scinde-Bahn
zum ersten Mal in ihrer ganzen Länge befahren. Sie reicht vom
Karratschi 114 englische Meilen in's Innere, wurde im April 1858
begonnen und ist jetzt ganz vollendet. Die meisten Arbeiter waren
Eingeborene ans Kotsch nnd diese haben auch die beideu Viaducte
von Mallir und Bahren gebaut. Die Bahn beginnt bei K a r r a t s ch i
am Meere, läuft über Landi, Dorbadschi, Dschnugschaihl, Schim-
pihr, nach Kotri am Jndnö. Diese Stadt bildet den Hasen für
Haiderabad; dorthin kommen viele Dampfer, Europäer haben sich
angesiedelt und der Handel mit Salpeter, den man in jener Ge-
gend gewinnt, wird immer bedeutender. Dschnng aihl liegt auf
der Mitte der Linie, nur 20 Miles von der alten Stadt Tatta am
Indus; sie wird sich zu einer Kernstadt emporarbeiten. Karratschi
hat eine sehr schöne Haudelslage und ihr Verkehr ist bedeutend ge-
wachsen. Während die Ein- und Ausfuhr 1843 erst 122,160 Pfd.
Strl. betrug, ist sie 1859 auf 2,584,000 Pfd. Strl, gestiegen.
Auch im Pendschab werden Eiseubahneu gebaut. Die Linie
vou Multau uach Lahore und Amritstr ist 250 Miles laug und
läuft an der Bergkette im Dnab hin, zwischen dem Rawi und Set-
tetsch. Die Anlage bietet des flachen Landes wegen gar keine
Schwierigkeiten, und die ganze Strecke soll zn Ende 1862 im Bau
vollendet seiu.
Dainpfslolille ausdem Indus. Sie ist voller Thätigkeit. Auf
diesem reißenden Strome leisten die Dampfschlepper sehr wichtige
Dienste. _
Die Eisenbahn von SmMna nach Ephesus wird im Früh-
ling 1862 eröffnet.__
T' leqrapl) nach Algerien. — Frankreich hat im September
eine zweite unterseeische Linie nach Afrika vollendet, welche kein
fremdes Gebiet berührt. Dieselbe geht von Port Vendres aus und
au der balkarische« Insel Minores vorbei, über die seichten Meeres-
stellen, welche in der Nähe derselben liegen.
Das Telegraphentau von Bengasi im Tripolitanischeu bis
Alexandria in Aegypten ist in den letzten Tagen deö Septembers
128
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
unter See glücklich gelegt worden. Es bildet einen Theil des sub-
marinen Telegraphen, der Malta mit Aegypten verbindet. Dieser
hat eine Gesammtläuge von 1400 Miles, Vermittelst desselben
werden vom Ende Octobers an Nachrichten aus Indien binnen
dreizehn (?) Tagen in Europa sein.
Die Zustände im Innern von Mexico sind bekanntlich ganz
ungemein zerrüttet und persönliche Sicherheit ist eigentlich nirgends.
Der Engländer Eh. Sevin, welcher vom Hasenplatze San Blas
am Stillen Ocean über Tepic, Quadalaxara und Lagos nach
Guanaxuato reiste, bemerkt Folgendes: Von Tepic nach San Juan
de los Lagos hatten wir immer Reisegefährten, welche sich schon in
den Gasthäusern uns anschlössen. Sie waren allemal sehr froh,
den Weg iu Begleitung von Ausländern machen zu können; denn
die Straßen sind ganz unsicher, und wer etwas Werthvolles bei sich
führt, wird nicht wagen, allein zn reisen. Früher gingen Post-
kutschen zwischen Tepic, Guadalaxara und Gnanaxnato; sie wurden
aber sast täglich angehalten, die Fahrgäste von Räubern ansge-
plündert, und so mußte mau diesen Verkehr einstellen. Seitdem
ziehen die Reisenden in Karawanen, zu Pferde, oder nehmen Privat-
kutschen, die aber alleinal eine Couducta haben, das heißt, von
einem bewaffneten Geleit umgeben sind. Es ist aber sehr häufig
vorgekommen, daß diese Geleitssoldaten sich verkleideten, nachdem
sie die Reisenden an der Station, bis zn welcher sie dieselben zu
führeil hatten, verlassen, und selbst als Räuber auftraten. Sie sind
immer genau unterrichtet, ob der Eine oder Andere werthvolle
Gegeustäude bei sich führe; deßhalb muß man in den Mesons,
Gasthäusern, sehr vorsichtig sein, weil nicht selteu der Wirth mit
den Räubern unter einer Decke steckt; jedenfalls haben die letzteren
in den Gasthöfen ihre Auspasser und Zuträger. In San Juan
de los Lagos verweilte Sevin fünf Tage, weil gerade der
große, weitberühmte Jahrmarkt abgehalten wurde. Er beginnt am
5. December und dauert acht bis zehn Tage. Lagos liegt, nach
Mühleupfordt, auf 6206 Fuß Meereshöhe au der großen Straße,
welche von der Hauptstadt Mexiko nach dem Norden führt. Unter-
Wegs traf er mehr als zwanzig amerikanische Güterwägen, die von
Guadalaxara kamen, tauseude von beladenen Maulthieren und
eine Masse vou Fuhrwerken aller Art. Ganze Familien kamen
in Karawanen aus einem Umkreise von einhundert spanischen
Meilen, theils als Handelsleute, theils als Wallfahrer (denn die
Messe fällt mit dem großen Jahresfest eines wnnderthätigen Marien-
bildes zusammen), oder als Spieler. Denn das Glücksspiel ist gleich-
sam die Seele des Mexicaners und wird auch in Lagos in groß-
artiger Weise getrieben. Am großen Platze liegt die Casa de las
Partidas. Dieses Haus enthält achtzehn große Räume, deren
jeder an einen Bankhalter verpachtet ist. Nun schreibt der Englän-
der: ,,Diese Spielbanken gleichen denen, welche mau noch zu argem
Schimpf für das hoch gebildete deutsche Volk in Homburg, Baden
und Wiesbaden findet." Bekanntlich hatte das hochgebildete
deutfcheVolk durch sein Parlament diesen „argen Schimpf" beseitigt,
aber die Regierungen der drei betreffenden Länder beeilten sich,
die Spielhöllen, welche im halbbarbarischen Mexico ihres Gleichen
finden, wieder zn eröffnen. Während der Messe in Lagos sind etwa
fünfzigtausend Fremde anwesend. Man bringt europäische Güter
theils'von den östlichen Häfen Tampico und Vera Cruz dorthin,
theils von Westen her aus Sau Blas und Mazatlan. Der Umsatz
ist ganz außerordentlich stark. Die deutschen, englischen, französischen
und spanischen Handelshäuser iu der Hauptstadt Mexico schicken
sämmtlich Bevollmächtigte auf diese Messe; die Regierung stellt
fünfhundert Mann Soldaten zum Schutze gegen die Räuber auf.
Trotzdem wird viel gestohlen und oft geplündert.
Goldentdeckungen in Neu-Schottland. Im Laufe des Juli-
Monates hat man auf dieser Halbinsel (britische Besitzung, Ostküste
Nordamerika's) G o l d iu beträchtlicher Menge gefunden. Die Fund-
stätten liegen im Connty Lnnenburg, also im südöstlichen Theile, und
wir finden in Morse's Atlas von Nordamerika, 1850, dort schon
einen Gold-River verzeichnet. Ueber die neue Goldgegend,
welche mau The Ovens nennt, wird aus Halifax in der ersten
Augustwoche berichtet: Eine große Menge unternehmender Leute
zog dorthin, und man hatte bereits Verordnungen gegeben, um
das „Diggeu" zu regeln. Hart am Meeresstrande scheint die Aus-
beute am ergiebigsten zn sein; man hat Strecken von 33 Fnß Bor-
derseite und 30 Fuß Tiefe ausgelegt, und zahlt dem Grundeigen-
thümer für jedes einzelne „Lot" 5 Pfund Sterling als Jahresrente.
Auch bei Taugiers, das 6U englische Meilen von jenen Ovens ent-
fernt liegt, soll der Goldertrag nicht unbedeutend sein. In den
während der letzten Jahre von Kapitän Palliser durchforschten
Gegenden am Sas katschewan ist im Laufe dieses Sommers auch
Gold gefunden worden und zwar am nördlichen Hauptarme dieses
Stromes. Zu Fort Garry am Redriver kamen in den ersten
Angnsttagen einige Männer an, welche für etwa 1400 Dollars
Goldstaub ans jener Gegend brachten. Die Hudsonsbay-Gesell-
schaft sieht es sehr ungern, daß viele Leute in jene neue Goldgegend
ziehen, weil sie besorgt, daß ihr Betrieb des Pelzhandels in jener
nordwestlichen Region ihrer Besitzuugeu dadurch leiden werde.
Die Insel Sombrero im caraibischeu Meere erregt jetzt Auf-
merksamkeit, weil auf derselben, angeblich reichhaltige, Guanolager
ausgebeutet werden. Das Produkt soll, chemischen Analysen zu-
folge, 70 bis 80 Procent phosphorsaueru Kalk enthalten und geeig-
ixet seilt, au die Stelle der Kuocheu-Düngung zn treten. Som-
brero liegt unweit von der holländischen Insel St. Martin. Seit-
her wurde der dort gewouuene Guauo in den südlichen Staaten
der ehemaligen nordamerikanischen Union verwandt; seit deren
Häsen blockirt sind, kommt er nach London.
Das Tclegraphenaint in Ueu-Dork, der Centralpnnkt aller
Telegraphenlinien der neuen Welt von Halifax bis Nen-Orleans,
liegt an der Ecke des Broadway und der Liberty - Straße. Das
Gebäude ist 5 Stockwerke hoch und wird von der Gesellschaft
vollständig benutzt. Im Erdgeschoß befindet sich das Vorraths-
departement, welches den Zweigosficen in den ganzen Vereinig-
ten Staaten «wozu auch die couföderirteu gehören) die zur
Einrichtung von Linien nöthigen Materialien, wie Batterien,
Kupfer, Zink:c., Draht, Instrumente und Isolatoren liefert.
Dies Departement hat eine große Fabrik in Williamsburg, wo 30
Leute allein mit Fertigmachen und Ausbessern der Instrumente
beschäftigt sind. Hinten im Erdgeschoß liegt das Sandy Hook De-
partement, welches die Quarantäne, Fort Hamilton, Navesink,
Sandy Hook, Long Brauch, Squau uud South Amboy als Sta-
tionen hat. Dieses Departement berichtet die Ankunft der Schiffe
und Nachrichten aus Europa. Für Depefcheu wegen Ankunft der
Schiffe an Rheder uud Interessenten wird uach der Größe des
Schiffes bezahlt und zwar für jede Tonne 1 Cent, so daß eine Depesche
über ein Schiff von 1000 Tonnen 10 Schilling kostet. Wenn ein
europäischer Dampfer ankommt, wird ein Boot von Sandy Hook
aus abgeschickt, um die Nachrichten so früh als möglich zu bekom-
men. Diese sind vou Agenten der Presse in Europa aus Leiuwaud-
papier geschrieben, in einer blechernen Kapsel hermetisch verschlos-
sen, und die letztere wird über Bord geworfen. Der Telegraphist
im Boote nimmt das Papier heraus, biudet es eiltet oder mehreren
Brieftauben unter die Flügel, die Tauben tragen die Nachrichten
nach Sandy Hook und von dort werden sie nach Neu-Aork telegra-
phirt. So siud die Neuigkeiten oft schon in Neu-Or-
leaus, bevor das Schiff in Sandy Hook ist. Eine Lärm-
glocke geht telegraphisch nach dem Bureau in Neu-Aork, welche einen
Todten aufwecken könnte.
Im Erdgeschoß ist noch die Expedition mit fünf Commis und
etwa 20 Laufburschen, und ferner 4 Telegraphen, welche blos die
Stadt und Gasthöfe versorgen. Die Depeschen werden nämlich
oberhalb der Canalstraße nicht durch Boten, sondern durch De-
peschen an die Zweigosficen bestellt uud vou dort aus abgeliefert.
So kostet eiue Depesche einen Zuschlag vou 12 Cents an der 27.,
25 Cents an der 45. Straße und höher hinaus 50 Cents mehr. Es
giebt 12 Zweigbureaus mit je 3 Telegraphistelt und 4 Boten.
Die Hauptoffice ist im Parterre uud nach den vier Weltgegeu-
deu eingeteilt in 4 Bureaus. Dort werden die Depeschen ein-
getragen und dauu deu Telegraphisteu übergeben, die in 3 Reihen
von 30 Instrumenten arbeiten. Sie schicken täglich ungefähr 1000
Depeschen ab und empfangen eben so viel. Die Länge der Depeschen
beträgt von 10 Wörtern zu vier bis fünf Zeitungsfpalteu. Jeden
Morgen telegraphiren die Bureaus im ganzen Lande hierher, wie-
viel Depeschen sie am Tage vorher expedirt, und was sie dafür
gelöst haben, so daß die Controle über einen ganzen Welttheil hier
täglich geschieht.
In dem 2. Stockwerke sind die Bureaus der höheren Beamten
und der Verwaltung. Im 3. Stockwerke haben die Neu-Jork
Albany und Bussalo Gesellschaft und die Rechuungsbehörde ihre
Zimmer. Im 4. Stockwerke sind die Bureaus des Agenten der
Presse, wo die Depeschen hundertfach copirt und an Zeitungen hier,
resp. im Laude versendet werden. Zugleich ist dort das Bureau
für auswärtige Depeschen. Wenn man z. B. nach Europa tele-
graphireu will, so schickt der Beamte hier die Depesche auf den nach-
sten Dampfer , der von Amerika abgeht oder Cap Rae berührt und
im Augenblick der Ankunft des Dampfers in Europa wird die De-
Peschs an den Adressaten telegraphirt.
Vcranlwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.—
Druck vonGi eseckek Devrient in Leipzig.
Ein Ausenthalt in Tripolis.
Nach Hadschi Stander; Baron von Krasst. 1860.
®ie Syrte. — Anblick der Stadt. — Die Gassen und der Schmutz. — Merkwürdige Bauart. — Die Naja und die Kul-oglus. — Allerlei
Erpressungen. — Die grüne Oase von Tripolis. — EineSommersrische. — Der Dattelbaum und der Palmwein Lakby. — Ein Negerdorf.—
-tcinj der Schwarzen. — Hassan, der Kawass Baschi und die Blntsegnung. — Fütterung der Obstbäume. — Kleidertrachten. — Die
^otophageu und die Pygmäen. — Der Kampf mit den Kranichen. — Straußenjagd. — Äas schöue Mädchen auf dem schwarzen Fische.
Von allen Küstenländern des Mittelmeeres hat sich bis
jetzt nur ein einziges der regelmäßigen Dampffchiffverbin-
dnng mit Europa und dem Besuche neugieriger Touristen ent-
zogen. Das ist Tripolis, einer der drei alten Barbaresken-
staaten. Er wird im Norden vom Mittelmeer, im Osten
von Aegypten, im Westen von Tunis und im Süden von
der Wüste Sahara begränzt. Aber vor etwa 26 Jahren ist Tri-
polis aus einem fast selbstständigen Staate zu einer einfachen
Provinz des türkischen Reiches, zu einem Eyalet, herabge-
hara, aber hier tritt sie mit ihren gelben Sandwogen bis an
die Syrien heran. Diese Ausmündung der Sahara bildet
gleichsam die natürliche Pforte zum Vordringen in den Sn-
dan, das Land der Schwarzen, und von hier aus nahm auch
die große Expedition zur Erforschung des Innern ihren Aus-
gang, von der nur unser berühmter deutscher Landsmann,
Heinrich Barth, als der einzige Ueberlebende heimkehrte.
Nach diesem großen Reisenden blieben mir nur noch
die Straßen, welche westlich von Ghat nach Ai'n Salah und
Tanz der Neger in Esseribe bei Tripolis.
funken. Das Tripolitanische hat viele Wechselfälle erlebt;
es war den Kyrenäern und Karthagern, den Römern und
Vandalen, den Arabern, Karl dem Fünften und den Mal-
teserrittern unterworfen, welchen es die Türken 1551 wieder
abnahmen. Buut und gemischt ist auch die aus etwa an-
derthalb Millionen Köpfen bestehende Volksmenge; denn im
Lande wohnen Mauren, Berbern, Türken, Neger, Juden
und Franken.
Im ganzen Norden Afrika's schützt das Atlasgebirge
deu Küstensaum gegeu das Vordringen der Sandwüste Sa-
Globus 18G1. Nr. 5.
östlich von Mursuk nach Wadai führen, zu erforschen übrig.
Ich wählte Tripolis zum Ausgangspunkte meiner Reise und
verweilte dort ein volles Jahr, um mich an das Klima zu
gewöhnen, die Sprache geläufig zu erlernen uud freundschaft-
liche Verbindungen mit den Kaufleuten von Ghadames anzu-
knüpfen, deren Karawanen unangefochten jene Länder durch-
ziehen, welche ich besuchen wollte. Mein amtlicher Charak-
ter als Hadschi (Mekkapilger) machte es mir dort möglich,
das Wesen der Eingeborenen näher kennen zu lernen; als
Mnfafir (fremder Reisender) wäre mir dazu weniger Ge-
130 Globus, Chronik der Reise
legenheit gegeben worden. Ich theile hier die Stellen aus
meinem Merkbuch mit, welche sich auf Tripolis nnd seine
Oase beziehen.
Wenn man unter der Leitung eines tüchtigen Kapi-
täns bei günstigem Winde auf einer maltesischen Goelette
oder arabischen Schebecke Malta verläßt, so kann man das
tripolitanische Ufer innerhalb achtundvierzig Stunden aus
dem Meere auftauchen sehen. Es erscheint niedrig und erst
in der Ferne erblickt man die Berge des Innern, welche dem
Schiffer als Richtpunkt dienen. Bei größerer Annäherung
unterscheidet man die sichelförmige Gestalt der Küste und in
ihrem Mittelpunkte die glänzend weißen Häuser der Stadt.
Nach Osten zu ist sie von einem düstern Palmenhain um-
geben, der bis an's Meer reicht, während im Westen die
kahlen und nackten Sandebenen der Sahara sich bis an's
Ufer herandrängen; nur hier nnd da werden sie von einigen
kümmerlich vegetirenden Sträuchern unterbrochen.
Bor der Bucht, welche den Hafen bildet, breitet sich
ein Kranz von Klippen aus, der wie ein künstlicher Damm
von Menschenhänden aufgebaut erscheint und zum Schutze
und Geographische Zeitung.
Städte:: des Orients, elende Krambuden, verfallene Häuser
und fußhohen Koth sehe. Und doch giebt es eine Straßen-
Polizei! Sobald eiu neuer Pascha von Konstantinopel ankommt,
erläßt er ein ungeheures Manifest, in welchem mit größter
Beredtsamkeit der Nutzen der Reinlichkeit hervorgehoben wird.
Die strengsten Strafen drohen Demjenigen, der es wagt,
gegen die öffentliche Gesundheitspflege zu handeln und den
Koth vor seiner Hausthür sich anhäufen läßt. Flugs machen
sich die Einwohner an die Riesenarbeit, um den Straßenschmutz
zu entfernen. Man besprengt nnd fegt die Gassen, in denen
sich bald hohe Haufen von Unrath erheben, und diese schafft
man vor die Stadt hinaus. Inzwischen herrscht überall ein
unerträglicher Gestank. Nun sind die Wege sauber, aber
man erhält sie nicht reinlich, sondern der alte Schlendrian
reißt wieder ein, bis der alte Pascha abberufen wird, ein
neuer erscheint und gleichfalls ein Reinlichkeitsdekret erläßt,
welches gerade so wie das des Vorgängers gehandhabt wird.
Mit der besonders interessanten Geschichte von Tripo-
lis mich zn befassen, ist hier nicht meine Absicht. Ein alter
Triumphbogen erinnert an die Zeiten der Römerherrschaft.
Tripolis, von der
des Hafens dient. Bei starkem Winde branden die Wogen
gegen ihn an und bilden einen weißen Schaumkranz rings
um die Bay.
Man hat oft die Bemerkung gemacht, daß die Städte
der Türkei, welche von ferne einen so verführerischen Anblick
darbieten, in der Nähe ungemein an Reiz verlieren. Bon
Konstantinopel, Smyrna, Alexandrien nnd Jerusalem kann
ich das nach eigener Anschauung bestätigen; wenn mau jene
Bemerkung verallgemeinern will, so kann man sagen, daß
der Orient, welcher uns in den Büchern so schön und Poe-
tisch erscheint und die Einbildung des Europäers entflammt,
einen großen Theil seines Zaubers einbüßt, nachdem man
ihn betreteu hat.
Tripolis bildet keine Ausnahme. Der angenehme Ein-
druck, welchen die Stadt von der Seeseite macht, verschwin-
det sogleich, wenn man an dem elenden Quai landet, der
nur als Vorplatz des Steueramtes dient, welches sich in
einer mit allen Farben bunt bemalten Bretterbilde befindet.
Durch das Festungsthor gelangen wir in die nnregelmä-
ßigen und schmutzigen Gassen, in denen ich, wie in allen
Nordseite gesehen.
Wir durchschritten ihn, als wir durch das Bab el bar, das
Thor am Meer, die Seepforte, in die Stadt eintraten.
Die meisten Straßen, welche ich durchwanderte, zeig-
ten eine höchst originelle Erscheinung, die ich sonst nirgends
wieder gefunden habe. Von zehn zu zehn Schritten nämlich
sind die einander zugekehrten Häuser durch etwa drei Schuh
dicke Bögen verbunden, die ein Haus durch das andere stützen
nnd so verhindern, daß die Mauern einstürzen. Trotzdem
kommt es in jedem Jahre vor, besonders zur Regenzeit, daß
die Stützbögen nachlassen und eine ziemliche Anzahl Gebäude
zusammenfällt. Man begreift dieses aber erst dann, wenn
man die hier angewandten Baustosse näher kennen lernt. Der
Kalk ist sehr schlecht und die Bausteine bestehen nur aus
einem leicht zusammengesritteten Sande; das zum Bau ver-
wendete salzige Wasser taugt auch nichts und so kommt es
denn, daß ueue Gebäude schou im Verlans eines Jahres das
Ansehen von Ruinen erhalten. Dazu gesellt sich uoch das
schleimige Abfallen des Mauerverputzes. Die Baumeister
und Hauseigentümer werden hierdurch entmnthigt, sich auf
neue Bauten einzulassen. Als schöne Gebäude können nur
Globus, Chronik der Reis
das Missionshaus, die Konsulatswohnungen und die Hau-
ser der wenigen europäischen Kaufleute gelten.
Die Bauart ist bei allen Häusern beinahe die nämliche.
Um einen viereckigen Hof läuft eine bedeckte Gallerie, die von
dünnen Säulen getragen wird. Die Zimmer sind lang und
schmal, weil man, des theureu Holzes wegen, lange Trag-
balken nicht anwendet. Im Grundriß haben sie meist die
Form eines lateinischen Kreuzes, von welchem das Fußstück
fehlt, oder sie bilden einen Korridor, an den sich in der Mitte
im rechten Winkel ein langes Gemach anschließt. So besteht
jedes Zimmer aus drei Theileu, die durch Vorhänge von
einander geschieden werden können.
Der am Hasen gelegene Stadttheil wird zumeist von
Christen bewohnt; dort befinden sich auch die Kirchen und
Konsulate. In der westlichen Hälfte wohnen die Juden und
hier sieht es noch unsauberer aus als in den mittleren Stadt-
gegenden, wo die Mohammedaner ihre Quartiere haben. Im
Ganzen beträgt die innerhalb der Mauern lebende Bevöl-
kerung etwa 20,000 Seelen.
Am Südostende der Stadt liegt das Schloß, ein plum-
und Geographische Zeitung. 1Z1
Cisterne anlegen wollte, traf man auf große Massen von
Gebeinen und Menschenschädeln.
Dies ist der herrliche Palast, in dem der Gouverneur,
ein türkischer Pascha, thront und seine Herrschaft über einen
Länderstrich ausübt, der fast so ausgedehnt wie Deutschland
ist. Dieses große Laud ist aber fast nur eine einzige Wüste,
in der etwa eine Million Naja gruppenweise zerstreut leben!
Der Name Naja, den die Unterthanen des ottomani-
schen Reiches tragen, ist ein glücklich gewählter Ausdruck, der
zugleich deu ganzen politischen und gesellschaftlichen Zustand
und das Verwaltuugs- und Regierungswesen des Orientes
bezeichnet. Naja bedeutet Heerde, die Unterthanen sind
die Hämmel, welche sich von den Paschas scheeren nnd abzie-
hen lassen.
Die Stärke der Heeresmacht, über welche der türkische
Schäser der tripolitanischen Heerde gebietet, beträgt etwa
6000 Mann. Tausend stehen im Gebirge, die anderen sind
in der Ebene und Stadt vertheilt; kleine Posten halten die
Küste besetzt. Und mit dieser Handvoll schlecht gekleideter und
elend ausgerüsteter Truppen, die mehr mit Versprechungen
Citadellej
per und unförmiger Steinhaufen, von unregelmäßiger Bau-
art, dessen hohe Mauern Befestigungen vorstellen sollen,
aber ich glaube, daß sie, trotz des weißen Kalkverputzes,
kaum einem Dutzend Kugeln Widerstand leisten würden. An
einen monumentalen Plan oder eine künstlerische Idee darf
man hier nicht denken. Man kommt iit einen Irrgarten von
zwecklosen Korridoren oder nnerforschlichem Winkelwerk und
das Ganze ist aus dem wahnsinnigen Gehirn eines nnzu-
^'echnungsfähigen Architekten entsprossen.
Der große Andienzsaal mag einmal schön gewesen sein,
<*öer jetzt verhüllt er seine Pracht unter einer Schmutzdecke,
fre hier uud da durch frischbeworfene Stellen unterbrochen
^ird, mit welcher türkische „Künstler" die Wände noch mehr
verunstalteten. Die oberen Zimmer sind eingestürzt und
un Erdgeschosse sind die Gemächer wie Höhlen oder Kata-
komben, in welche das Tageslicht nur durch die Risse der
bemoosten Wände eindringt. Wer mag sagen, welche schreck-
lichen Tragödien einst in diesem Chaos von Gebäuden sich
ereigneten, ehe Enropa's Civilisatiou die Herrscher dieses
Landes überwachte? Als man vor zwei Jahren eine große
Tripolis.
als mit Geld bezahlt werden, halten die Türken ein so gro-
ßes und mit schlechten Verbindungsstraßen versehenes Land
unter ihrer Herrschaft, ja sie denken dabei noch an Erobe-
rungen. So unterwarfen sie vor Kurzen: Ghadames uud
bedrohen jetzt Ghat und das Land der Tibbus.
Dieselbe Politik verfolgt man auch iu Algier. Man
sucht sich die Eingeborenen langsam, nach nnd nach zu unter-
werfen, indem man sie unter einander entzweit und dann
aus der Zwietracht Nutzen zieht. Die Hauptmacht der Tür-
ken, der Stein des Hindernisses für alle nationalen Unab-
hängigkeitsverfnche, besteht aber in den Bewohnern der Oase
von Tripolis und des Küstenstriches, den sogenannten Ku l-
oglus (Kuluglis). Im sechszehuteu Jahrhundert, nach der
Eroberung, vertheilte Dargut-Pascha die Ländereien der Oase
an seine Kriegsgefährten, die sich mit den Weibern des Lan-
des verheirateten; so entstand eine Mischrasse, in welcher
das fremde Blut überwiegend ist. Die Kul-oglus (Söhne
der Diener) hatten als Nachkommen der Eroberer das Bor-
recht, keine Steuern zu zahlen, aber sie müssen Kriegsdienste
thuu. Noch heute zahlen sie keinen Grundzins, sind dagegen
1 7 *
Tripolis, vvii der ^
wissen. Trotzdem werden sie von den Türken verdientermaßen
verachtet und trotz ihrer Privilegien sind sie nicht immer Vör-
den Plackereien der Vorgesetzten geschützt. Den Blutegeln,
welche alle zwei oder drei Jahre von Konstantinopel hierher-
geschickt werden, dienen sie zum Aussaugen der Bevölkerung,
und obgleich sie sich oft über deren Härte gegen sie selbst
beklagen, sind sie doch stets bereit, ihre Landsleute schinden
zn helfen. Die Unterwürfigkeit ist bei ihnen zur andern Na-
tur geworden. Sie beklagen sich über den Pascha, verfluchen
die Türken und wünschen die nationale und unabhängige
Dynastie der Karamanli zurück; aber wenn man in dem-
selben Augenblick einem dieser Unzufriedenen einen noch so
kleinen öffentlichen Posten giebt oder ihnl eine Schale Kaffee
reicht und ihn einladet sich zu setzen; wenn ein Pascha ihm
zutraulich ans die Schulter schlägt und ihm lachend Pese-
bfcitc her gesehen.
ich gewöhnte mich zugleich durch einige Ausflüge an das
Klima und lernte die Sitten der Leute in den Küstengegenden
kennen.
Vor den Thoren der Stadt, die auf der einen Seite
vom Meere, auf der andern vom Sande umgeben ist, dehnt
sich eine dürre Ebene ans, auf der nach vorangegangenen!
Regen einige Grashalme sichtbar werden. Dieser Platz dient
den Soldaten zum Exerciren, dem Volke jeden Dinstag zur
Abhaltung von ziemlich großen Märkten, die den Namen
Snng-ettelate führen.
Die äußerste Gränze dieser sandigen Gegend ist ein lan-
ger grüner Streif, der aus einem dichten Hain von Oran-
gen, Feigenbäume, Granaten, Oelbänmen und unzähligen
Palmen gebildet wird. Hinter dieser erstreckt sich im Halb-
kreis ein Wald von etwa drei Meilen Breite, die Menschie.
132 Globus, Chronik der Reisen
verpflichtet, bei jedein Aufruf als unregelmäßige Truppen
einzurücken. Nicht durch ihre Anzahl oder ihre militärische
Macht und Zucht (nur zweitausend sind mit Flinten bewasf-
net) erhält man dieses Land in Gehorsam und doch liegt in
ihnen der Nerv der türkischen Herrschaft.
Dies erklärt sich folgendermaßen. Wie die Jäger sich
ost wilde Thiere zähmen, um mit deren Hülse die freien
Thiere derselben Art zu überfallen, so bedient man sich von
Seiten der Türken der Kul-oglus, um unter den Eingebore-
nen Zank und Zwietracht zu erregen, damit man sie desto
besser unterwerfen könne. Die Kul-oglus selbst sind im Lause
der Zeit zu Arabern geworden, die sich jetzt gegen ihre Brü-
der von den Fremden gebrauchen lassen, welche den Spruch:
Theile, um zu herrschen, vortrefflich anwenden. Sie sind
die Entzweier, welche jede nationale Erhebung zu vereiteln
und Geographische Zeitung.
venk oder Kiarata nennt, so ist er vor Freude außer sich
und sofort bereit, das Beste des Landes zu verrathen und
Alles zu thun, was die Unterdrücker verlangen.
Ich hatte mich in einer kleinen Gorfa (hohen: Zimmer)
eingemiethet, welches mir ein Kaufmann überließ. Mein
Wirth war nur zeitweilig in Tripolis, da er sein Geschäft
in Sockna, auf dem halben Wege nach Fefsan, hatte. Sehr
häufig erhielt er Besuche, die für mich höchst interessant wa-
ren. Da kamen die Kanfleute von Ghadames, welche trotz
des Verbots kleine Truppen von fünfzehn bis zwanzig Neger-
fklaven zum Verkauf einschmuggelten; fanatische Marabnts,
die uns mit Betteln belästigten, und kleine Stammhänpt-
linge, welche zu einem Bankier gingen, um die Steueru eut-
richten zu können. Diese Besuche waren mir nützlich bei den
Vorbereitungen zn meiner größern Reise nach dem Innern;
Globus, Chronik der Reisen
Er bildet die eigentliche Oase von Tripolis, in der man zwei
Tage lang fortwandern kann, ohne ein Stückchen Wüste an-
zutreffen. Dieser reiche Vegetationsgürtel bietet einen merk-
würdigen Gegensatz zu den Sandebenen dar, die ihn einsas-
sen. Auf der einen Seite sieht man einen blühenden Garten,
in dem die üppigsten Gewächse herrlich gedeihen, und auf
der andern die Wüste mit der absoluten Unfruchtbarkeit ihres
verbrannten Sandes, der durch den Wind wie die Wogen
des Meeres bewegt wird. Das ganze Geheimniß dieses
Gegensatzes beruht aber nur darin, ob Wasser vorhanden
ist oder nicht. Wasser ist Leben.
Ueberall in der Menschie sind Ziehbrunnen angebracht,
die eine große Menge klaren Wassers liefern und durch ma-
gere Kühe in Bewegung gesetzt werden, die ein halbnackter
Neger antreibt. Diese Arbeit dauert Tag und Nacht fort
und Geographische Zeitung. 1ZZ
gemeinen Leute sich mit Basina, einem mit Oel gewürzten
Gerstenmehlbrei, begnügen.
Abgesehen von diesen verschiedenen Speisen und den ver-
schledenen Sitzen — der Teppich für die Bornehmen, Stroh-
matten für die Bürger und der uackte Erdboden für die Ple-
bejer —, sind die Vergnügungen dieselben. Man setzt sich
an den Rand eines Dschebie (Wasserbecken), das mit sri-
schem Wasser gefüllt ist, man plaudert, man raucht und trinkt
große Mengen Lakby. Der Lakby ist aber die eigentliche
Ursache dieses Sommeransflugs.
Wen» im Frühjahr die erstarrten Baumsäfte wieder
zu kreisen beginnen, klettert ein Mann mit einem scharfen
Beil bis zur Spitze der schlanken und schuppigen Dattelpalme
hinauf. Oben schlägt er, da wo der schattige Laubbusch deu
schwanken Stamm überragt, ohne Mitleiden alle die schönen
Die Tadschur
vom Ende der Regenzeit bis zur Wiederkehr derselben, also
wahrend etwa acht Monaten. Man nennt dies mit einem
arabischen Worte Senie, d. h. „einen Theil Land mit Was-
fer überschwemmen, welches ein Lastthier aufzieht." Und
das Alles bezeichnet ein Wort.
In den Monaten April und Mai ist es besonders an-
genehm, die Gärten der Menschie zn durchstreifen und dort
einen langen Ke!ftag hinzubringen. Die Belustigungen sind
für die Besitzer der Gärten je nach ihrer gesellschaftlichen
Stellung oder nach ihren Geldmitteln verschieden. Gebrate-
ues Hammelfleisch und Pilan wird von den Türken und sol-
chen Eingeborenen genossen, die sich ein türkisches Ansehen
geben wollen. Ungeheure Schüsseln mit nationalem Knskus,
auf denen ganze Lammviertel und gebratene Hühner liegen,
dienen dem wohlhabenden Bürger zur Speise, während die !
l-Moschee.
Wedel bis auf vier ab, die im Kreuz stehen bleiben. Ueber
eins dieser Blätter wird ein Seil gezogen, dessen beide En-
den auf deu Bodeu herabhängen, und zwischen zwei andere
Wedel macht er einen tiefen Einschnitt in die Krone des
Stammes. Dann steigt er herab und zieht all dem Seile
einen kleinen Wasserkrug mit langem Hals hinauf, der gerade
unter die Wunde des Baumes zu hängen kommt; nach zwölf
Stundeil wird der Krug herabgezogen und durch einen an-
dern ersetzt. Mau sinvet in ihm eine blaßgelbe Flüssigkeit,
die etwa trübem Gerstenwasser gleicht. Das ist der frische
Lakby, ein fader zuckersüßer Saft, der als leichtes Abführ-
mittel gilt. Nachdem diese Flüssigkeit einige Stunden gestan-
den hat, beginnt ein Brausen in dem Gefäße, der Saft klärt
sich und scheint zu kochen. Die Gährnng beginnt, kleine
Luftblasen steigen auf und ein leichter Schaum wird auf der
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Oberfläche bemerkbar. Und wenn man nun das prickelnde
Gebräu kostet, so glaubt man den feinsten Schaumwein zu
schlürfen. Doch berauscht dieses Getränk noch nicht, es wirkt
nur angenehm erheiternd und hat abführende Wirkungen. Im
Verlauf eines halben Tages jedoch wird dieses angenehme
Getränk weiß und dick wie Milch, nimmt einen durchdriu-
genden Geruch und leicht säuerlichen Geschmack an und wirkt
berauschend wie Branntwein. Der Schaumwein hat sich in
ein starkes Weißbier verwandelt. Aber so gerade lieben die
Mohammedaner den Lakby, und der gute Muselmann, wel-
cher sein Antlitz mit Abscheu von einem Glase Wein abweu-
det, trinkt ohne Scheu vor allen Leuten feine Tasse Lakby,
der ja nur „Palmenwasser" ist! Er muß den Krug bis zur
Neige leeren, denn schon am andern Tage findet er statt
des köstlichen Getränkes eine ekelhafte, schleimige, von rech-
lichen Essigfliegen umschwärmte Flüssigkeit. Demnach ist der
Lakby eins der vergäng-
lichsten Getränke, und
kann nur im Schatten
des Baumes, der ihn er-
zeugt, genossen werden.
Alle Versuche, die Gäh-
rung zu regeln und die
Flüssigkeit in Flaschen
aufzubewahren, sind ge-
scheitert, da entweder die
Flaschen zersprengt wer-
den, oder, wenn sie aus-
halten, das Getränk doch
in jene ekelhafte fchlei-
mige Flüssigkeit über-
geht. Hier finden wir
also eine praktische An-
Wendung des alten Sa-
tzes, daß man genießen
soll, so lange es angeht.
Am Rande der
Menschie, doch nicht in
dieser selbst, liegt nicht
weit von Suug-ette-
late eiu achtes Neger-
dorf mitten im Wüsten-
sande. Es besteht ans
etwa fünfzig zerstreuten
und ohne Plan hinge-
bauten Hütten. Es heißt
Esseribe (die Stroh-
Hütten). Die Wohnuu-
gen haben einen runden Das Innere eines
Unterbau, auf welchem
sich ein abgestumpfter- Kegel erhebt; das Ganze gleicht einem
häßlichen Bienenstock. Als Baumaterial dienen Binsen und
trockene Palmblätter. Die Einwohner sind Bollblutneger,
welche nur Nachts in diese Hütten kriechen, am Tage aber in
der Sonne und dem Sande sich herumtreiben.
Es war Mittag. Ein wolkenloser tiefblauer Himmel
stand über nns, die versengenden Strahlen der Sonne prall-
ten von dem staubigen Sandboden zurück und erlaubten uns
kaum zu athmen. Aus einem weiten Platze inmitten des
Dorfes erschienen etwa zwanzig halbnackte Neger und stampf-
ten und sprangen, daß ihnen beinahe der Odem verging.
Dabei brüllten sie in einförmiger Weise eine Art Volks-
gesang. Nun stellten sie sich auf, jeder einen Schritt von
dem andern entfernt, und begannen einen Tanz, indem sie
mit den Stäben, welche sie in der Hand hielten, aneinander
schlugen. Dieses regelmäßige Geklapper, verbunden mit den
Tönen einer Trommel, die ein in der Mitte des Kreises
sitzender Neger schlug, eiferte sie zu dem wilden Tanze an.
Dieser Trommler erschien nns wie ein fabelhaftes Wesen.
Auf dem Kopfe hatte er eine spitze Mütze, die mit allerlei
Flitterwerk ansstaffirt war, vor der Brust und dem Gesicht
hing ein langhaariges Ziegenfell, das für Mund und Augen
Löcher enthielt. Auf einem Faden von Kameelhaaren hatte
er Stückchen von trockenem Holze und Knochen aufgereiht,
die bei der leisesten Bewegung seines Körpers ein Geklapper
verursachten. Seine Trommel hielt er unter der linken
Achsel fest und bearbeitete sie mit den langen affenartigen
Armen. Die im Umkreise hockenden Weiber begleiteten die
Trommeltöne mit Händeklatschen. Diese Damen waren ganz
besonders aufgeputzt. An der Hand und den Fußknöcheln
hatten fie große kupferne Ringe und über den meist wohl-
geformten Busen hingen Halsbänder von Glasperlen herab;
sonderbare Rosenkränze,
in denen Muscheln, Ko-
rallenstückchen, Ambra
it. wohlriechendes Harz,
die Zähne wilder Thiere,
Münzen und andere
schöne Dinge einen klei-
nen in gelbes Kupser ge-
rahmten Spiegel ein-
faßten, bildeten gleich-
falls einen Theil des
Schmuckes. Die feine-
ren Damen hatten den
linken Nasenflügel nnd
die Unterlippe durch-
bohrt, in welcher sie einen
dicken silbernen Knopf
trugen. Um das Bild
zu vervollständigen, ka-
men die ungezogenen
Kinder des Dorfes her-
beigelaufen. Es waren
Rangen, so schwarz und
glänzend wie ein srisch
gewichster Stiefel; mit
wahrer Lust wälzten sie
sich in dem heißen Saude
umher. Einige alte Wei-
ber sammelten sich bei
einem großen Kochtops,
um Bajina über einem
Feuer von Kameelmist
Hauses in Tripolis. zu kochen, dessen Ranch
kerzengerade in die Höhe
stieg. Ein pac» gezähmte Strauße schauten dumm darein.
Bei all' diesen Seenen glaubte ich mich mitten in den Sudan
versetzt.
Die Bevölkerung von Esseribe besteht aus sreigelasse-
nen und flüchtigen Sklaven. Die Männer ziehen von Zeit
zu Zeit in die Stadt, um sich als Handlanger oder als
Lastträger zu vermiethen. Von den Weibern schweigt man
am besten.
Als Begleiter auf meinen Ausflügen in der Umgebung
der Stadt diente mir der Kawass-Baschi, Polizeihauptmaun,
des französischen Konsulats, welchen der Generalkonsul mir
zur Verfügung gestellt hatte. Er war ein prächtiger Wada'i-
neger, volle sechs Schuh hoch, und abgesehen von seinem
ergrauenden Barte, hatte er sich noch alle Kraft und Frische
der Jugend erhalten. Hassan war kein gewöhnlicher Mensch;
achtzehn Jahre lang hatte er zur Zeit der Karamanli d?n
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Stamm der Werschafana regiert, und Keiner hatte es so gut
wie er verstanden, diese aufrührerische Bevölkerung im Zaum
zu erhalten. Stets hatte er mit äußerster Tapferkeit das
Beste seiner Untergebenen gegen die benachbarten Stämme
und selbst gegen die Regierung verfochten. Das Leben eines
Menschen galt ihm nicht mehr als das eines Hammels; man
konnte ihm ein großes Vergnügen machen, wenn man ihn
fragte, wie viel Menschen denn durch seine Hand gefallen
wären? In diesem Punkte war sein Gewissen ganz ruhig.
Im Uebrigen war er ein braver Kerl und diente dem Kon-
snlat schon seit zehn Jahren mit Auszeichnung.
Aus einem unserer ersten Ausflüge uahete ihm eine
Gruppe von fünf bis sechs bittenden Weibern. Zwei hatten
Kinder an der Brust, deren Kopf, Gesicht und Hals mit
einem eiterigen Ausschlag bedeckt war, der einen abscheulichen
Anblick gewährte.
„Vater," redeten
die Weiber Hassan an,
„der Prophet Gottes
sendet dich in unser
Haus, denn wir waren
schon auf dem Wege, dich
in der Stadt anfzn-
suchen. Der Dschar-
du n (eine kleine uuschäd-
liche Eidechse) ist über
unsere Brust gelaufen
und hat unsere Milch
vergiftet. Sieh' die ar-
wen Kinder an und heile
sie um Gottes willen!"
„Bist du denn
Arzt?" fragte ich mei-
uen Gefährten. „Nein,"
antwortete er, „aber ich
habe die Blutfegnun g
in meinen Händen und
wer diese besitzt, kann
Kbe Krankheit heilen.
Sie ist ein Geschenk
der Natur an jene
Menschen, welche
viele Kopse abge-
s ch lagen habe n.
Kommt ihr Weiber und
3^bt mir den Lohn!"
Sogleich reichte eine
der Mütter dem Doctor
k>Ne weiße Henne, sieben Die Konsulatstraße
^ier und drei Zwanzig-
^rastücke, warf sich dann zu seinen Füßen und hielt das
kranke Kind in die Höhe. Hassan nahm seinen Feuerstein und
S^ahl heraus, als ob er sich eine Pfeife anzünden wolle.
"Bismilla, in Gottes Namen," sagte er und fing an, über
kleinen Patienten Funken zn schlagen, indem er die erste
Sure des Koran dabei hersagte.
Die andere Frau machte es mit ihrem Kinde jetzt grade
wie die erste; dann schieden beide erfreut von danneu,
aber nicht ohne vorher dem Wnnderdoctor ehrfurchtsvoll die
Hand geküßt zu habeu.
Dem Neger Hassan mußte bei diesem ganzen Verfahren
W - .. .....
wein ungläubiges Wesen aufgefallen sein. Um mich aber zu
Überzeugen, rief er den Weibern beim Scheiden zu: „Ver-
säumt uicht, in acht Tagen mit euren Kindern in der Skifa
(Wartesaal des Konsulats) zu erscheinen." Nach einer Woche
^schienen die Weiber wirklich mit ihren Kindern vor mir.
Das eine war vollständig geheilt, das andere zeigte nur noch
geringe Spuren des Ausschlags. Mehr als zwanzig schla-
gende Beispiele haben mich seitdem überzeugt von der Kraft
jener Blutsegnung.
Von dem hier herrschenden Aberglauben will ich nur
zwei Beispiele anführen, ohne irgend einen Commentar dazu
zu geben.
In den ersten Tagen des März begab ich mich uach
Tadschura, einem drei Meilen östlich von Tripolis gelege-
neu Dorfe, um an den Ufern eines kleinen Sees Bekassinen
zn schießen. Der geringe Erfolg am Morgen verleidete mir
die Jagd und ich verbrachte deshalb den Rest des Tages mit
Spaziergängen im Dorfe und dessen Gärten. Ich besuchte
die bemerkenswerthe Moschee, von der man mir erzählte, sie
sei ursprünglich eine alte von den Spaniern im 16. Jahrh.
erbaute Kirche; es ist dies aber eine durchaus unhaltbare
Ansicht. Das Gebäude
ist eine gleich vom An-
fang für den mohamme-
danischen Kultus er-
richtete Moschee. Viel-
leicht stammt sie noch aus
den früheren Zeiten des
Islam, wurde später,
als die Spanier Herren
des Landes waren, in
eine christliche Kirche um-
gewandelt und erhielt
nachher wieder ihre alte
Bestimmung. Ein vier-
eckiger Glockenthurm,
der von der Moschee ab-
gesondert steht, scheint
noch auf die spanische
Zeit hinzudeuten. Keine
Inschrift, keine Ver-
zierung hat christlichen
Charakter; die Säulen,
welche die Gewölbe tra-
gen, haben keine Kapi-
täler und die weißen
Kalkwände gebe» gar
keinen Anhaltpunkt über
den Styl und das Alter
der Moschee.
Als ich dieselbe
verließ, trat ich in den
Garten, um ein wenig
auszuruhen. Die Obst-
bäume trugen weiße und
rothe Vlüthen, die eine reiche Ernte von Aprikosen, Psirsi-
che» und Mandeln verhießen. Der Gärtner, ein alter weiß-
bärtiger Araber, war eben damit beschäftigt, unter einem
großen Aprikosenbaum drei Hammelköpfe zu verbrennen, die
noch mit der Wolle versehen waren. Nachdem ich ihn gegrüßt,
fragte ich nach seinem Beginnen. „Ich füttere meine Müsch-
ntnsch," antwortete er. „Wenn ich ihnen ihre Nahrung nicht
vor dem Wehen des Dschibly (trockener Südwind) gebe, der
mit Ende des Monats eintritt, so fallen alle diese schönen
Blüthen ab und ich habe keine Ernte. Wie sollte ich dann
die Steuern zahlen und mit den Meinigen leben?" Als ich
Zweifel in feine Worte fetzte, machte er mir einen Borschlag,
der die Richtigkeit seiner Ansichten beweisen sollte. Ich kaufte
ihm für etwa dreizehn Franes von vornherein die Ernte
eines Aprikofenbanms ab, der nun aber auch die wohlthätige
Räuchernng mit den Hanimelköpfen nicht empfing. Als ich
138
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Ende April nachschaute, war mein Aprikosenbaum unfrncht-
bar geblieben, während seine eingeräucherten Nachbarn schon
Früchte angesetzt hatten.
Der andere Aberglaube bezieht sich auch auf Gärtnerei.
Wenn ein Oelbanm mehrere Jahre hinter einander keine
Früchte giebt, so bringt man ihn durch eine halbe Mitkal
Gold (etwa hundert Francs) wieder zur Vernunft. Das
Metall wird au eiueu kurzen Faden befestigt nnd in ein Loch
eingefügt, welches man dem widerspenstigen Baume beibringt.
Die Oeffnnng verkittet man dann mit zerstoßenen Muschel-
schaaleu und Thon und spricht einige Formeln aus dem Ko-
ran. Im nächsten Jahre trägt der dankbare Baum schon
Früchte.
In der ersten Zeit mei-
nes Aufenthalts siel mir be-
sonders die häßliche Tracht
beider Geschlechter auf. Der
barbareskische H a u l y ist
ein langes graues oder wei-
ßes Wolltuch, das mit Fran-
sen verbrämt ist. Männer
wie Weiber hüllen sich von
Kopf bis zu Fuß in diesen
dicken Stoff ein; die Falten
werden alle auf der Brnst
vereinigt und dort von einer
kupfernen Spange znfam-
mengehalten. Die Weiber
verhüllen ihr Gesicht bis
auf ein kleines dreieckiges
Loch vor dem linken Auge.
Der Hauly ist ein entarteter
Nachkomme der römischen
Toga. An der Gränze der
Sahara, im Dscherid, wird
noch ein feinerer Stoff ge-
arbeitet, aber dieser ist bald
so zerrissen und beschmutzt,
daß man ihn von dem ge-
wohnlichen nicht nnterschei-
den konnte. Weder Tag
noch Nacht verläßt der Hauly
seinen Besitzer; er dient als
Teppich, Decke oder Mantel
nnd wird nie gewaschen.
Die Haulys der Männer
reibt man mit Gypspulver
ein, um sie zu weißen, wäh-
rend die der Weiber mit
Schwefeldämpfen gebleicht
werden. Unter dem Hauly
tragen Manche noch die ge-
meinen arabischen Kleider,
Weste und weite Hose. Hat man das Glück, in das Innere
eines der besseren Häuser einzudringen nnd dort sich in den
Frauengemächern umzusehen, dann erblickt man unter dem
gewöhnlichen Hauly von Wolle einen ans Seide, blau und
weiß gewürfelt, und unter diesem noch einen dritten von
feiner Gaze.
Eine bemerkenswerthe Thatfache ist die Zähigkeit, mit
welcher die Bevölkerung der Länder, von wo der Mohamme-
danismns ausging, an alten Traditionen festhält. So könnte
Herodot sein Gebirge der Grazien, wo der Cynips entspringt,
im Dschebel Gharian der heutigen Araber wieder erkennen,
während der alte Homer gewiß über alle Abhandlungen
lachen würde, die mau über seine Lotophageu schrieb, we
Tripolitanische Gärtner.
von Hagebutten genährt haben sollen. Er würde uns in den
Beni Uled und Awakir an den Küsten der großen Syrte, die
vom Lotob leben, die eigentlichen Lotophagen zeigen. Der
Name Lotob für die frische Dattel beruht übrigens auf einem
Jrrthum, der richtige Ausdruck lautet Notob.
Ich war ebenso begierig, diese Lotophagen zu besuchen
wie Ulysses. In: französischen Konsulate lernte ich zwei ihrer
Häuptlinge, den Scheich Abdallah Galbuu und den Scheich
Ammad kennen. Sie hatten lange für ihre Unabhängigkeit,
gestritten und sich erst jetzt, aber nur durch Vermittelung des
französischen Konsulats, der Türkenherrschaft unterworfen.
Ich war einige Zeit ihr Gast und muß gestehen, daß ihr
Leben trotz der Einförmigkeit nicht ohne Reiz ist. Der Dattel-
bäum gibt fast ohne War-
tung, abgesehen von der
Befruchtung der weiblichen
Blüthen im Frühjahr, ihnen
eine mühelose Ernte. Frisch
oder getrocknet gelten die
Früchte als herrliche Speise
im Sommer, außerdem lie-
fert der Baum deu Palm-
wein. Die zu einem Kuchen
zusammengepreßten Datteln
heißen Hadschin und bilden
den Wintervorrath der Beni
Uled. Die großen Heerden
gewähren Milch, Butter
und Wolle im Ueberflnß;
letztere wird von den Frauen
zu Haulys versponnen und
verwebt. Ihr Lager schlagen
sie bei einem Brunnen in
der Sandwüste auf, treiben
vor Tagesanbruch ihre
Heerden aus die spärliche
Weide und kehren zurück,
um das Bieh zu tränken.
Nachdem die ganze Um-
gebung ihres Lagers abge-
weidet ist, schlagen sie die
Zelte ab und suchen sich eine
neue Weidestelle.
Mit der Zeit sind sie
nicht sehr haushälterisch, wie
aus folgendem Beispiele
hervorgeht. Eines Tages
entfernte ich mich fünf bis
sechs Stunden von ihrem
Lager nach Süden hin, in-
dem ich einige Bakr-el-
wahasch verfolgte. Es sind
dies Antilopen vom Körper-
bau des Maulesels und mit einem Kuhkopf, auf dem ein
Paar lange gerade Hörner stehen. Plötzlich sah ich etwa
zwanzig Schritte vor mir einen Menschenkopf aus dem Sande
hervorstehen. Es war ein Straußenjäger, der sich bis über
den halben Leib in den Sand eingegraben hatte.
„Esfabrn min Allah! die Geduld ist eine Gabe Got-
tes!" rief er mir ohne Grnß entgegen: er war angenfchein-
lich bei schlechter Laune. „Warum störst du meine Jagd?
Ich warte hier schon acht und zwanzig Tage auf die Strauße,
habe mich eingegraben in dieses Loch, und nun kommst du und
verdirbst mir die Sache. Gott möge dich gesund erhalten."
Ich habe auch Strauße gejagt, aber auf eiue prak-
tischere Art, denn ich verfolgte sie zu Pferde, bis sie ermüde
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
139
teu, und dann schoß ich sie nieder. Ein Straußenfell gilt
etwa 500 bis 600 Piaster. Uebrigeus ist die Jagd in diesen
öden Gegenden mehr eine Arbeit als ein Vergnügen; größere
Thiere kommen nicht bis an's Meer, und so ist man denn
ans Gazellen und Antilopen beschränkt. Die Armuth der
Vögelwelt ist auffallend und ich gebe hier die sonderbare
Erklärung wieder, welche ich von Arabern hörte.
Eines Tages kehrte ich nach einer sehr unergiebigen
Jagd auf Geflügel zu den Zelten zurück. Selbst Kraniche
und Störche, die sonst im Morgenland so häufig siud, seh-
len hier.
„Weißt du denn nicht," sagte mir ein alter Beduine,
„daß Gott den Storch klüger als deu Menschen erschaffen
hat? Vor der Ankunft der
Türken, welche der Himmel
verfluchen möge, saß in Tri-
polis ein Sohn des Landes
als Sultan, mit laugem
Arm und offener Hand. Er
saugte uns nicht aus, fou-
deru prägte selbst Geld,
welches er unter die Leute
vertheilte. Die ganze Welt
aber weiß, daß der Storch
einen Widerwillen vor sol-
chem Geld hat, auf dem der
Name eines Landes geprägt
steht, weil das die Quelle
von allen liebeln und Leiden-
schaften ist. Die Störche
würden schon wieder kom-
men, wenn hier die türki-
scheu Münzen nicht mehr
im Umlauf wären."
Und die Kraniche? fragte
ick). „Diese dürfen nicht über
die Hammada (große Felsen-
region, welche Tripolis von
Fessan trennt) herüber, weil
dort die Buschebr ihnen auf-
lauern. Das sind die Dschin,
welche vom Propheten Sulei-
man, gelobt sei sein Name,
für ewige Zeiten in jene
Wüste verbannt sind. Sie
waren ein zahlreiches und
mächtiges Volk, das aber von
feinen Nachbarn znrückge-
Zogeu und von aller Welt
verachtet lebte." *
„Als der Prophet Su-
leiman ihnen einen Apostel
fandte, um sie auf den Weg
des Rechts und zum eiuzig wahren Glaubeu zurückzuführen,
ermordeten ihn die Gottlosen und verspotteten die göttlichen
Gebote. Sie glaubten sich über alle anderen Menschen er-
haben, fuhren in ihrem bösen Treiben fort und fürchteten
den mächtigen Suleimau nicht. Aber zu diesem Uebermnth
gesellten sie «och eine Schändung der Gläubigen, indem sie
an die Stelle des Mihrab (Winkel in der Moschee, welcher
die Richtung nach Mekka anzeigt) in ihrem Tempel ein
Schwein setzten und die heiligen Waschungen mit Kameel-
Harn begingen."
„Im Lande der Buschebr gab es aber viele Krauiche.
Diese Vögel entsetzten sich über die nnheiligen Handlungen
und schickten einen Abgeordneten zu Suleimau, um deu Fre-
vel anzuzeigen. Der Prophet vernahm zürnend den Bericht
und beauftragte deu Wiedehopf, seinen Lieblingsvogel, alle
Kraniche des Erdenrundes zu versammeln. Als diese bei-
säumten waren, bildeten sie eine große Wolke, die ihren
Schatten über alle Länder zwischen Mesda und Mursuk ver-
breitete. Jeder hatte einen Stein im Schnabel und so slo-
gen sie über das gottlose Land der Bnschebr und ließen ihre
Bürde herabfallen. Dadurch wurden alle Aufrührer gestei-
nigt. Aber deren Geister irren ohne Ruhe in der felsigen
Einöde umher und versperren den Kranichen den Durchzug
durch dieselbe."
Diese Geschichte giebt einen Beweis davon, mit welcher
Zähigkeit alte Sagen noch im Munde des Volkes leben. Man
kann in dieser Legende, trotz
des muselmännischen Ge-
wandes, deutlich die Fabel
vom Kampf der Pyg-
mäen mit den Kranichen
erkennen. Wenn darüber
noch ein Zweifel wäre, so
würde er niedergeschlagen
durch die Identität des Na-
mens Buschebr und Pyg-
mäe. Buschebr bedeutet
„Vater der Spanne,"
ein Mensch, dereine Spanne
groß ist.
Der Monat December
war da. Die Regenzeit wollte
nicht beginnen und der Him-
mel war außerordentlich
heiter. Nach dem öffentlichen
Gebete am Freitag zog die
ganze Bevölkerung aus der
Stadt, der Pascha, der Kadi
und die Jmans aller Mo-
scheen waren an der Spitze.
Die Besatzung folgte mit
Sack und Pack und stellte
sich bei dem Brunnen von
Sung-ettelate in Schlacht-
orduung auf.
Als das Geschrei:
Amin, Amin! ausgestoßen
wurde, um das lange Gebet
zu schließen, welches der äl-
teste Jmcm mit erhobener
Stimme gehalten, nahm der
Generalgouverneur eine
Erdhacke und begann von dem
Brunnen nach dem Meere
Bewässcrungsbrunnen. hin eine Furche zu ziehen.
Freiwillig nahm die ganze
Bevölkerung hierau Theil und in kurzer Zeit war ein Gra-
ben vollendet. Darauf warfen die Marabnts siebenzig Leder-
schläuche, deren jeder genau tausend kleine Steinchen enthielt,
in den Brunnen und suchten nun das Wasser in den Gra-
ben zu lenken, der bald zu einem kleinen Bach anschwoll.
Zugleich umringte eiu Trupp Kinder den Kadi und bewarf
ihn mit Sand und Kies, bis dieser ehrwürdige Beamte, sei-
nes Turbans beraubt und barfüßig, die Flucht uach der
Stadt nahm. Um das Zauberwerk zu vollenden, setzten sich
nach der Flucht des Kadi die Truppen in Bewegung, mar-
schürten bis an die Knie in's Meer und wateten, solcher-
gestalt exercirend, den Strand entlang. Diese ganze Cere-
mouie sollte dazu dienen, den Regen herbei zu locken. Aber
18 *
140 Globus, Chronik der Reisen
der Negen kam nicht; einen Tag, zwei, drei, wartete man.
Erst nach einer Woche erhob sich der Westwind, große graue
Wolken ballten sich zusammen, die himmlischen Schleusen
öffneten sich und überschwemmten das Land. Es war
dies die Wirkung der 79,000 Steine. Zweifel ist nicht
erlaubt.
Zwischen dem Dschebel Gharian und dem Ufer des
Meeres lag einst eine üppige Weidegegend, welche viele Men-
schen und Heerden ernährte. Aber der wasserspendende Fluß
verschwand und an die Stelle des glücklichen Landes trat
eine dürre Wüste. Wie dies kam, das erfahren wir aus der
Geschichte von dem schönen fremden Mädchen und dem gro-
ßen schwarzen Fisch.
Eines Tags erschien an der Küste ein schönes Mädchen
auf einem großen schwarzen Fische. Es war mit Gold und
Geschmeide bedeckt, wie eine Verlobte, die den Bräutigam
erwartet. Aber der Anblick der Menschen erschreckte die Jung-
sran, und deshalb blieb sie in einiger Entfernung vom Ufer,
schaukelte sich auf deu Wellen und machte bei der leisesten
Annäherung Miene, sich zn entfernen. Die Erzählung die-
fes Wunders ging bald durch das ganze Land und der Sohn
des Sultans stieg selbst vom Ghariangebirge herab, um das
Mädchen anzuschauen. Vor ihm war die Seejungfer weni-
ger schüchtern, antwortete auf seine Fragen und erzählte, daß
sie von einer Insel Namens Malta stamme. Sie willigte
anch ein, näher an das Land zu kommen, beschwor aber den
Prinzen, die Pflichten der Gastfreundschaft zu beobachten.
Sie lenkte also ihren Fisch in eine Flußmündung, um zn
und Geographische Zeitung.
landen. Doch kaum war sie im Flusse, als man ihr durch ein
Seil den Rückzug zum Meere abschnitt. Bestürzt schwamm
sie den Fluß aufwärts, verfolgt vou den treulosen Menschen.
Am eifrigsten zeigte sich dabei der Sohn des Sultans, nnein-
gedenk seines Versprechens. Vergebens erinnerte sie ihn an
seinen Schwur und bat ihn, ihr Vertrauen nicht zu täuschen;
vergebens drohte sie ihm mit der Strafe Gottes; er ließ
nicht ab. Flüchtig langte sie endlich am Fuße des Gebirges
au, wo die Quelle des Flusses lag, und schon wollte man sie
ergreifen, als sich ein Abgrund unter ihr öffnete, in dem sie
sainmt den Wassern des Flusses verschwand, die sie unter
der Erde zum Meere zurückführten. Der Abgrund schloß
sich über ihr; aber die Wasser kehrten nicht wieder bis zum
heutigen Tage.
Die Bestürzung unter der Bevölkerung war groß, als
das Bett des fruchtbringenden Flusses trocken blieb, die
Bäume und Blumen hinwelkten nnd an die Stelle des guten
Bodens gelber Saud trat. Der Fluß war trotz aller Nach-
forfchungen nicht wieder zu finden. Da entschlossen sich dann
eine Anzahl Gebirgsbewohner von Tarhanna, nach Malta
zu wandern, um dort die Verzeihung der Meerjungfrau und
mit derselben die Wiederkehr des Flusses zu erlangen. Sie
gingen und kamen nie wieder heim.
Aus dieser phantastischen Erzählung ließe sich der Schluß
ziehen, daß bei Tripolis ein unterirdischer See sich befindet
und daß die Insel Malta einst von Leuten aus deu Tarhauua-
bergen bevölkert war, die durch mehrere trockene Jahre und
Mißeruten aus ihrer Heimath vertrieben wurden.
Mongkut, Kö
Alle Länder im fernen Orient haben vollauf Ursache
gehabt, sich über die Berührung mit den Europäern zu bekla-
gen. Wie blutig die Engländer in Indien zu Werke gehen,
weiß Jedermann; Birma ist von ihnen zerstückelt worden,
China binnen zwanzig Jahren dreimal mit Krieg überzogen,
dem Könige von Annam oder Cochinchina sind die Fran-
zosen nnd Spanier in's Land gerückt und Japan hat das
Benehmen der Fremden nicht zn loben.
Nnr ein einziges von jenen Ländern ist seither von den
Fremden nicht mißhandelt worden: das Königreich Siam.
Mit ihm stehen Europäer und Nordamerikaner in freund-
lichem Einvernehmen, das Land ist dein Handel eröffnet
uud der Herrscher hat Gesandtschaften an europäische Höfe
geschickt. Im Jahre 1857 erschienen seine Vertreter in
London, 1801 in Paris nnd Rom; alle, die mit ihm in
Berührung kamen, sind seines Lobes voll.
Siam liegt iu Hinterindien zwischen Barma und Co-
chinchina, an dem nach ihm benannten Meerbusen, unweit
der großen Fahrbahn von und nach China nnd ist ein Nach-
bar des indischen Archipelagns. Sein großer Reichthum an
werthvollen Erzeugnissen zieht die fremden Kaufleute au,
uud der König, welcher sie als willkommene Gäste betrachtet,
läßt ihnen Schutz angedeihen. Er rühmt sich, ein Freund
der Abendländer zu sein, nnd bis jetzt hat er durch die That
bewiesen, daß er es ehrlich meine.
König Mongknt ist eine Erscheinung, wie die Welt sie
noch uicht gesehen hat, ein Despot, ehemals Mönch und nun
ein „philosophischer" Monarch, und in religiösen Dingen so
duldsam uud mild, daß man in manchen Staaten Enropa's
sich ihn billig zum Muster nehmen könnte. Protestantische
und römisch-katholische Missionäre, welche einander befeh-
den, sind doch einstimmig in der Anerkennung dieses buddhi-
ig \mx Siam.
[tischen „Heiden", der Alle mit gleichem Wohlwollen behan-
delt, und ihnen die Pforten seines Reiches geöffnet hat, da-
mit sie ihre Lehren verkünden, wie es ihnen beliebt. Er hat
ihnen gesagt, daß es ihm Freude mache, wenn die Bonzen
seines Landes sich mit den Priestern aus Europa in wissen-
schaftliche Erörterungen und Streitigkeiten einlassen; der
wohlwollende Monarch fügte aber zugleich bei, es sei den
weißen wie den weizengelben Geistlichen wohl zn rathen,
dabei die Liebe walten und, wie er sich ausdrückte, das odium
tlieologicum uicht hervortreten zu lassen.
Denn Mongknt versteht nicht blos sehr gut die eng-
tische Sprache, sondern auch Lateinisch. Er unterzeichnet sich
in seinem Briefwechsel mit Europäern als Rex Siamensium;
er liest den Tacitns, Virgilins und Horatins in der Ursprache
und kennt die Geschichte des Abendlandes in ihrem Znsam-
menhange von den Zeiten des Alterthums bis heute. Er
besitzt lateinische und englische Bibelausgaben, auch kirchliche
Bücher in Menge, denn die Missionare lassen es ihm daran
nicht fehlen; Londoner Zeitungen nimmt er täglich zur Hand.
Mit einem Worte, der König von Siam ist ein wissenschaft-
lich gebildeter Mann und mit dem Jdeengange der abend-
ländischen Kulturvölker vertraut. Das war bis jetzt unerhört
auf einem Thron im fernen Morgenlande. Aber daneben
ist er auch ein orientalischer Despot, der eine unbegränzte
Vollgewalt ausübt, und wird als Träger der Krone und
Inhaber der höchsten Würde wie ein Gott verehrt. Alles
liegt vor ihm auf den Knieen. Darin steckt ein schroffer
Gegensatz, welchen der König selber wohl begreift und über
welchen er sich mehr als einmal gegen Europäer ansgespro-
chen hat. Er bemerkte, daß er die Siamesen nicht anders
macheu könne als sie seien; die herkömmliche Ordnung dürfe
er um so weniger über den Haufen werfen, weil die Gemü-
Globus, Chronik der Reisen und geographische Zeitung.
141
ther darauf gar nicht vorbereitet seien. Abendländische Be-
griffe von königlicher Amtsgewalt und Bürgerfreiheit lägen
den Ostasiaten, also auch seinen Unterthanen, ganz fern und
sie hätten dafür gar keinen Begriff. Er aber wolle seine
irdische Allmacht mild, gnädig und gerecht walten lassen.
Der König war fast ein Vierteljahrhundert Mönch, ein
Bonze, oder wie wir Europäer diese siamesischen Geistlichen
nennen, eiu Talapoiue (nach dem Schirm, welcher ans den
Blättern der Talapatpalme bereitet wird und welchen die
Bonzen zu tragen pflegen). In Siam nennt das Volk die
Geistlichen Phra,
d. h. Große. Des-
wegen führt auch der
König dieses Wort
in einem langen Ti-
tel, welcher also lau-
tet: „Phra Bard
Somdetsch Phra
Paramendr Maha
Ac o n g k u t Phra
Chan Klan Chan
thn hua."
Den Thron be-
stieg der merkwür-
dige Manu im Jahre
1851; bis dahin
hatte er in der Ein-
samkeit eines bnddhi-
stischen Wat, das
heißt eines Klosters,
gelebt und eifrig den
Studien obgelegen.
Er las viele Sans-
kritwerke und die
heiligen Bücher der
Buddhisten. Als ka-
tholische Sendboten,
insbesondere auch der
vortreffliche Bischof
Paittegoix, ihn in
seiner Zelle besuch-
ten, nahm er sie
freundlich auf, trat
mit ihnen in engen
Verkehr und lernte
zunächst Lateinisch.
Nicht minder zuvor-
kommend war er ge-
gen die protestanti-
schen Missionare aus
Amerika, welche ihn
ün Englischen unter-
richteten, dessen er,
wie schou bemerkt,
längst vollkommen
mächtig ist. Er besaß
fchou als Mönch eine
große Bibliothek, mathematische und physikalische Werkzeuge
und ein chemisches Laboratorium, anch liebt er die Musik
und spielt Klavier. Ju Betreff seiner theologischen Richtung
ist er Reformator; aber er war schon int Kloster Führer einer
Partei unter den Bonzen, welche dahin trachtete, eine Menge
von Mißbräuchen abzuschaffen, welche sich nach und nach
m Lehre und Kultus eingeschlichen haben.
Das gegenwärtige Herrscherhaus in Siam gelangte
1782 in Folge einer Umwälzung auf deu Thron. Damals
Mongknt, König von Siam
hatte ein von Wahnsinn heimgesuchter König denselben inne.
Volk und Adel erhoben sich, setzten ihn ab und wählten
Mongknt's Großvater, welcher damals Oberbefehlshaber des
Heeres war. Er regierte neun und zwanzig Jahre, sein
Sohn und Nachfolger dreizehn Jahre. Dieser hinterließ
zwei Söhne, welche ihm die Oberkönigin geboren hatte; sie
steht über allen andern Frauen des Monarchen und hat den
Vorrang. Diese beiden Söhne waren Chan Fa Mongkut,
der am 18. Oktober 1804 geboren ist, und Chan Fa Noi.
Eine Frau zweiten Ranges hatte den Prinzen Kromkluat
geboren und diesem
spielten die angesehen-
sten Edelleute und
Würdenträger die
Krone in die Hand.
Mongkut wurde über-
gangen. Der König
hat nämlich ein Recht,
seinen Nachfolger zn
ernennen. Ein an-
derer orientalischer
Prinz würde viel-
leicht zu deu Waffen
gegriffen und Krieg
begonnen haben, aber
Mongkut wollte kein
Blutvergießen. Des-
halb ging er in ein
Kloster, blieb in dem-
selben sieben und
zwanzig Jahre lang,
studirte uud betrieb
das Buchdrucken als
eine Lieblingsbeschäf-
tignng.
Erst nachdem der
Usurpator Krom-
kluat , der sich, wie
König Salomo der
„Weise", mit einem
Harem von sieben-
hundert Weibern be-
gnügte, 1851 mit
Tod abging, trat
Mongkut aus dem
Dunkel seiner Klo-
sterzelle hervor. Die
Edellente hatten sich
ihrer Pflicht erinnert.
Am 18. März bestieg
er den Thron und
erhob seinen Bruder
Noi zur Würde eines
Waugua, das heißt
jüngeru Königs.
Diese Einrichtung
eines Nebenkönigs
kennt man nur in Siam, sie kommt in keinem andern Lande
derartig vor. Der zweite König hat eine untergeordnete
Gewalt, eine „reflectirte Autorität", wie eiu Missionar sich
ausdrückt, bezieht eiu Drittel der Reichseiuküufte und hat
zweitausend Soldaten unter seinem Befehl. Noi starb 1858;
er war, gleich seinem Bruder, eiu sehr gebildeter Manu,
sprach und schrieb Englisch und lebte wie ein Abendländer.
Die von ihm nachgelassene Bibliothek und seine Gemälde-
sammlnng sind sehr werthvoll. Der jüngere König ist, gleich
— - -
GloVus, Chronik der Reisen nnd Geographische Zeitung.
dem höchsten Monarchen, von Zeichen der Hoheit und Würde
umgeben, hat seine Minister und wird vom Oberkönig in
allen wichtigen Angelegenheiten zu Rathe gezogen.
In Mongknt's Palast zu Bangkok herrscht noch der alte,
sprüchwörtlich gewordene Glanz und Pomp orientalischer
Könige. Die weißen Mauern, von welchen die, man kann
wohl sagen Palaststadt umzogen ist, kann man in einer hal-
ben Stunde kaum umgehen. Innerhalb derselben erheben
sich viele schöne Gebäude, Tempelhallen, in welchen Behör-
den Sitzung halten, Kasernen und Häuser für den Auseut-
halt der Thiers, sowohl des berühmten weißen Königselephan-
ten, als auch der Kriegselephauteu. Die Wohnungen für
die königlichen Frauen bil-
den eine besondere Abthei-
lung. Ueberall sind die
weiten Hofräume mit Gra-
uit- oder Marmorplatten
belegt und inmitten des
größten Hofes erhebt sich
der Mahaprasat, die läng-
liche Audienzhalle, in wel-
cher der König Fremde,
namentlich Gesandte, em-
pfängt. Sie ist mit ver-
glasten Ziegeln gedeckt,
über welchen sich ein schlan-
ker Thurm erhebt. An den
Säulen hängen Bilder,
z. B. des Papstes Pius des
Neunten, der Königin von
England, des Präsidenten
der Vereinigten Staaten
und jenes des nun verstor-
benen Kaisers von China,
Hien sung. In dieser Halle
wird die Leiche des Königs
ein ganzes Jahr lang in
einer goldnen Urne ans-
bewahrt; dann verbrennt
man sie nnd setzt sie in dem
Palaste bei, welcher die
Gräber der Monarchen
umschließt. Zu jener Halle
predigen auch die Tala-
poinen vor den Frauen des
Königs.
Wir wollen das Cere-
Uloniel des siamesischen
Hofes schildern. DerThron
steht anf einem zwölf Fuß
hohen Gerüste und der
König läßt den vor ihm
befindlichen Vorhang her-
abziehen, wenn er sichtbar
Ein Siamesischer Prinz.
werden will.
In der Halle
sind die Angehörigen der königlichen Familie und die Wür-
denträger je nach ihrem Rang in Gruppen geordnet.
Musik verkündet, daß der Herrscher nahe. Sofort werfen
sich alle Anwesenden platt auf den Boden. Zunächst dem
Throne strecken sich zur Rechtem und zur Linken in zwei Ab-
theilnngen die Prinzen von Geblüt platt hin; neben ihnen,
aber nach rückwärts zu, die Minister. Den Rang eines
jeden Würdenträgers erkennt man daran, wie nahe beim
Throne oder wie weit von demselben Jemand sich anf die
Erde legen kann. Alles ist sklavische Wegwerfung, Erniedri-
gung und gänzliche Unterwürfigkeit.
Unweit von der großen Halle führen Stufen zu einem
Gerüst, auf welchem gleichfalls ein Thron steht. Dort giebt
der König fast alltäglich Gehör, und manchmal liegen mehr
als einhundert Edellente platt anf dem Boden umher. Wer
etwas mitzutheileu oder eiue Guade zu erbitten hat, theilt
sein Anliegen einem Hosedelmanne mit. Dieser kriecht auf
allen Vieren zum Thron hinan, darf aber dabei seine Hände
nicht über die Köpfe der anderen umherliegenden Edelleute
emporheben; das wäre ein entsetzlicher Verstoß gegen die
Hofetikette! Alles was der König schreibt, wird in ein gold-
nes Gefäß gelegt.
An den Eingängen zu den verschiedenen Abtheilungen
des Palastes erheben sich gewaltige Granitsäulen, die aus
China gekommen sind, und
bilden allerlei phantastische
Gestalten: Niesen, Dra-
chen, Vögel mit Menschen-
köpfen und allerlei andere
Ungeheuer. Das Lusthaus
des Königs ist ganz enro-
päisch eingerichtet; über der
Thür stehen mit lateini-
schen Buchstaben dieWorte:
Royal pleasure; dasselbe
bedeutet auch eiue Aus-
fchrift iu Sanskritbuch-
staben. Aus dem großen
Büchersaale tritt der König
anf einen Söller, um den
Vorstellungen der Schau-
spieler und Tänzer znzu-
schauen.
Daß die Frauenge-
mächer keinen geringen
Raum einnehmen, finden
wir glaubhaft, weil Seine
Majestät allein sechshnn-
dert Gemahlinnen und
Nebenfrauen unterhalten,
während die Gefammtzahl
der innerhalb der Palast-
mauern wohnenden Schö-
neu aus etwa dreitausend
angegeben wird. Die Ge-
mächer der Gemahlinnen
sind glänzend ausgestattet,
auch mangeln schöne Gär-
ten nicht, und diese werden
um so höher geschätzt, da
im Uebrigen die königlichen
Damen von dem Verkehr
mit der Außenwelt abae-
schloffen sind.
Auch Gerichtshöfe,
Schauplätze für das Volk, ein Zeughaus und eine Waffen-
schmiede befinden sich innerhalb der Palastmauern. Der
weiße Köuigselephant hat seinen besondern Stallpalast und
seine Dienerschaft, welche ihm die Fliegen abwehrt, ein mit
Blumen bestreutes Lager bereitet, die Delikatessen als Futter
reicht und für ihn Musik macht.
Siam hat fünf Rangstufen von Mandarinen, die aber
wieder in eine große Zahl von Unterabtheilungen zerfal-
len und denen ein strenges Ceremoniel vorgeschrieben ist.
Unsere Abbildungen zeigen einen Mandarinen in gewöhn-
licher Tracht und einen Prinzen des königlichen Hanses in
Staatstracht.
Weiter oben führten wir einen Titel des Königs an. Das
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
143
war aber nur der kleine, denn er hat noch einen größern,
welcher folgendermaßen lautet: Phra bat somdet — Phra Ko-
rvin nithara — Maha maknt — Thephajaphong — Wong-
saditsaro krasat — Nikarodom borom — Maha schakrapha-
tiraxa — Borom tham mamika — Maha raxathirat —
Phra, schom klao ju sna. Das heißt: die göttlichen Füße,
Excellenz — der Erhabene, Vollkommene, Höchste — die
große Krone — welche abstammt von den Engeln — des
erlauchtesten Herrschergeschlechts — der großen nnd mächti-
gen Könige — der da hat die vollkommene Gerechtigkeit —
der große Kaiser — der erhabene Gipfel, welcher herrscht.
Wir finden in dem Werke des Bischofs Paillegoix
(Description du Royaumc Thai ou Siam, Paris 1854,
Tome II. p. 261 sqq.) eine Beschreibung der Krönung des
Königs, welche wir mittheilen, weil sie den asiatischen Pomp
veranschaulicht. Nach dem
Tode des „ befehlenden
Gipfels" tritt der neue
„Gebieter der Welt" die
Regierung an. Man führt
ihn in den Palast ein und
dort ist es seine erste Pflicht,
die Leiche des Verstorbenen
zu waschen. Dann leisten
alle Prinzen und Würden-
träger ihm den Eid der
Treue, der aus das Haupt
eines jeden Verräthers ent-
setzliche Flüche herabruft.
Alle Anwesenden trinken
das von den Bonzen gewei-
hete Wasser ans einer gol-
denen Schale, nachdem des
Königs Schwert in dasselbe
eingetaucht worden ist. Alle
Häuser in der Hauptstadt
Bangkok sind mit Laternen
geschmückt, in den Straßen
tausende von Altären mit
Blumen verziert und mit
Seidenzeug überdeckt; bren-
nende Wachskerzen stehen
vor Spiegeln, Räucherwerk
duftet empor nnd Alles jn-
belt. Die Hofastrologen
schreiben den Namen des
Königs auf eine mit wohl-
riechenden Flüssigkeiten
übergossene Platte von
Gold, die zusammengelegt
und in ein goldnes Rohr
gethan wird, welches man in einem silbernen Kasten verwahrt.
Neun Mandarinen, deren jeder einen Leuchter mit drei Kerzen
in der Hand hält, gehen neunmal um deu Kasten herum, die
Bonzen und Sterndeuter blasen auf Muschelhörnern, schla-
gen ans Trommeln und Kesselpauken. Damit geben sie das
Zeichen für den Herrscher. Er kommt, tritt in die Halle,
vertheilt an einhundert Bonzen gelbe Gewänder und reicht
dem Oberpriester eine brennende Kerze. Dann trägt man
ein Idol, die Göttin des Sieges, herein. Nachdem der König
vor ihr seine Andacht verrichtet, umgürtet er sich mit einem
goldgestickten weißseidenen Tuche und besteigt dann erst den
^hron. Nachdem zwei Prinzen ihn mit Weihwasser besprengt
haben, wäscht er sich die Hände und vertauscht den weißen
Gürtel mit einem gelben. Dabei werden die Mnscheltrom-
petßn unaufhörlich geblasen,
Der König begiebt sich in eine andere Halle und besteigt
den achteckigen Thron, welcher unter einem pagodenartigen,
in sieben verjüngten Absätzen emporsteigenden. Schirmdache
steht. Dieser Schirm ist der Savetraxat, das höchste
Sinnbild des Königthums. Der Herrscher nimmt Platz und
wendet sein Antlitz gen Osten; in ehrerbietiger Entfernung
sitzen acht Priester um den Thron herum. Der, welcher dem
Herrscher gerade gegenüber sitzt, spricht den Segen und gießt
dein Könige Weihwasser in die Hand. Einen Theil desselben
trinkt dieser, mit dein übrigen wäscht er sich das Gesicht, nnd
diese Feierlichkeit wird an den sieben anderen Ecken des Thro-
nes wiederholt. Der König besteigt dann ein viereckiges
Throngerüst und setzt sich, diesmal das Gesicht nach Norden
richtend, auf einen goldnen Löwen. Ein alter Priester singt
den Segen, wirft sich zn Boden und überantwortet Volk nnd
Land dein neuen Gebieter.
Diesem reicht ein Page einen
Savetraxat, ein anderer
händigt ihnl die erwähnte
goldne Platte mit dem Na-
menszng ein, andere Wür-
denträger bringen die Krone,
ein mit Diamanten besetztes
Halsband, den Königsstab
und das Schwert. Auch
reicht man ihm achtKriegs-
Waffen, ' nämlich Lanze,
Wurfspeer,Bogen,Schwert,
Dolch, Schwertstab und
Muskete.
Jetzt darf er reden.
Er steht auf und verkündet
mit lauter Stimme, daß er
seinen Unterthanen erlaube,
Bäume und Pflanzen,
Wasser nnd Steine zu be-
nutzen. Ein Mandarin ent-
gegnet: „Deine Diener neh-
inen entgegen die vortreff-
lichen Befehle ihres Gebie-
ters, dessen Stimme so
majestätisch klingt wie des
LöwenGebrüll."DerKönig
streuet Blumen von Gold
nnd Silber unter das Volk
aus und gießt Wasser ans
den Boden, damit Alles,
was auf Erden wächst und
lebt, gesegnet werde. Die
Priester machen tosenden
Lärm niit Tamtams und
Kesselpauken, Muscheltrompeten und anderen Instrumenten.
Die große Audienzhalle, wohin der König sich nun
begiebt, ist mit einem von Edelsteinen und Diamanten fun-
kelnden Teppich belegt. Die Bonzen murmeln Gebete, die
Musik erschallt. Der höchste Edelmann kriecht auf allen Vie-
ren zum König hinan und bringt die Huldigung der Edel-
leute dar. „Wir beugen unsere Häupter vor den geheiligten
Füßen deiner Majestät, unserer Zuflucht, welche deu diamant-
geschmückten Thron bestiegen hat und mit uneingeschränkter
Gewalt bekleidet ist; der da sitzt unter dein Savetraxat,
welcher ein Schrecken ist unserer Feinde und dessen Name
geschrieben steht auf der Goldplatte." Der König entgegnet,
daß Jeder ihm ohne Furcht nahen könne. Die Minister tre-
ten vor. Einer erklärt, daß er dem Gebieter Schiffe, Zeug-
Häuser und Soldaten überantworte; ein anderer überliefert
144
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
die Elephanten, Rosse und Städte, ein dritter die Paläste
mit Allem was darin ist, ein vierter die Hauptstadt, ein
fünfter alle Felder und Ernten, ein sechster die Schatzkam-
mer. Nun erst darf der König sich in die inneren Gemächer
zurückziehen, wo er Erfrischungen nimmt und, während er
in einem Palaukin in den Tempel des smaragdenen Buddha-
bildes getragen wird, Geld unter das Volk austheilt.
Der mächtige König ist Herr über Leben und Tod, sein
Wort gilt Alles; aber dieser vom Volke wie ein Gott gesürch-
tete Despot ist doch
seinerseits ein willen-
loser Sklave des —
Herkommens! Er,
für seine Person, darf
sich nicht etwa frei
bewegen, kann nicht
thuu, was ihm ge-
fällt, dennVorschrif-
ten, denen er gehör-
chen muß, binden ihn
wie eiserne Fesseln.
Der Despot ist einem
strengen Despotis-
mus unterworfen;
Ueberlieferuug,Dog-
men und Vorschriften
der heiligen Bücher
sind seine Gebieter.
Er muß sich nach der
Phraraxamonthicra-
bau richten und diese
Norm schreibt ihm
vor: wann er auf-
hören muß zu schla-
seu, wann er auf-
stehen soll, baden darf
oder muß, und Al-
mosenzu spendenhat;
ferner: zu welcher
Stunde er Fürsten
n. Edelleuten Gehör
ertheilen, Staats-
geschäfte erledigen,
stndiren, Nahrung
zu sich nehmen oder
seilte Frauen sehen
darf. Er ist in einem
Käfiche von Vor-
fchriften gefangen,
aber in allen Dingen,
über welchediefe keine
Bestimmung enthal-
ten, gilt sein Wille
unbedingt.
Wir sagten oben,
daß König Mongknt
ein duldsamer Mann sei
Tempel mit den Graburnen der Könige von Siam.
Dafür giebt anch ein Schreiben
Zeuguiß, welches dieser Buddhist durch zwei, vom Bischof
Paill^goix nach Rom geleitete Siamefen dein Papst am
10. Novbr. 1852 überreichen ließ. In demselben heißt es:
„Ich habe noch keinen Glauben an Christus, ich bin ein
frommer Anhänger des Buddhismus, aber ich halte mich nur
an die Philosophie dieser Religion, welche durch so ungeheuer-
liche und abgeschmackte Fabeln entstellt worden ist, daß sie
einmal völlig aus der Welt verschwinden muß. Deine Hei-
ligkeit kann sich fest versichert halten, daß unter meiner Re-
gierung die Christen nicht verfolgt werden und die römisch-
katholischen, welche ich unter meinen besondern Schutz nehme,
zu keiner abergläubigen Feierlichkeit, welche ihrer Religion
zuwider ist, sich herbei zu lassen brauchen. Ich habe den
Bischof von Mallos (Paillegoix) beauftragt, das Deiner
Heiligkeit zu erklären."
Auch durch Sir John Bowring haben wir interef-
saute Nachrichten über König Mongknt erhalten (The k i Dg-
cl om aud people of Li am, London 1857), aber eilte viel
gründlichereDarstel-
lung dürfen wir wohl
gelegentlich von nn-
serem Landsmanns
Robert Schom-
b n r g k erwarten, der
schon seit Iahren als
englischer General-
konsnl in Siam lebt
und manchmal Be-
richte im Londoner
Athenäum verössent-
licht. Neulich hat er
(Nummer v. 5. Okto-
ber in einem Briefe
aus Bangkok vom
20. Juli) die Ge-
brauche geschildert,
welche das Volk bei
einerMondfinsterniß
beobachtet. Als die
Scheibe am Himmel
sich verfinsterte, ent-
stand eine ungeheure
Aufregung, ein fürch-
terlicher Lärm. Die
Siamefen wollten
den großen Drachen
verscheuchen, welcher
einen Angriff auf den
Mond machte. Sie
schlugen auf Metall-
scheiden und Kessel-
pauken, bliesen auf
deuMnschelhörneru,
schrien und feuerten
Musketen ab. Als ein
europäischer S chiffs-
kapitäu Raketen ge-
gen den Mond an-
steigen ließ, war der
Jnbelgroß. DieHof-
astrologen berechnen
ganz einfach mit
Hülfe der vier Spe-
eies deu Eintritt von
Sonnen- und Mond-
sinsternissen sehr genau im Boraus. Als der Komet erschien,
erließ König Mongknt eine Erläuterung über diese Himmels-
erscheinnng und eine Btahnung an das Volk; er sagt unter
Anderem: „Krieg kommt nur, weil die Menschen daran schuld
sind, die Kometen haben mit demselben nichts zu schaffen, sie
sind auch nicht an Seuchen schuld. Wer sich vor den Blat-
tei-» fürchtet, soll zu den beauftragten Aerzten gehen und
sich impfen lassen."
Die Hauptstadt des Königs ist Bangkok, vas jetzt
schon zu einem der wichtigsten Handelshäfen im fernen Osten
Globus, Chronik der Reisen
sich emporgehoben. Denn Mongknt hat das Land den Frem-
den geöffnet, mit mehreren Staaten Verträge abgeschlossen,
die frühern Monopole abgeschafft und mäßige Zölle auferlegt.
Seit Jahren laufen hunderte von europäischen Fahrzeugen,
auch deutsche, welche Reis holen, dort ein. Bangkok liegt
einige Stunden oberhalb der Mündung des Menam in den
Busen von Siam. Dieser Strom, gleichsam die Lebensader
für das Land, ist in seinem untern Lause zu beiden Seiten
mit herrlichen Wäldern umgeben. Aus dem Gewirr grüner
saftiger Zweige und Blätter lugen tropische Früchte hervor
und iu ungeheurer Menge flattern Vögel umher. Selbst auf
den Sandbänken ist Leben, denn ein beidlebiger Fisch taucht
aus dem Wasser hervor, bewegt sich über den festen Boden
hin und verschwindet dann int Gestrüppwal!?. Hunderte und
tausende von Booten fahren stroman und flußab, manche
hoch beladen mit den vielfach benutzten Blättern der Atap-
Palme. Am Ufer liegen Bambushütten zerstreut, auf dem
Wasser chinesische schwimmende Häuser mit Schildern und
Inschriften auf scharlachrothem Papier. Eine Strecke land-
einwärts ragen Tempel empor. Vor denselben gehen oder
Eitzen Priester in gelben Gewändern, mit kahlgeschorenem
Haupte und mit dem Fächer in der Hand. Je näher man
und Geographische Zeitung. 145
der Stadt kommt, um so geräuschvoller und lebhafter wird
das Ganze. Tempelpyramiden, Kuppeln und Gärten steigen
über Wald und Gärten empor, über dem Grün blitzen die
buntfarbigen Dächer. Festungswerke, weiße Mauern mit
Schießlöchern beherrschen den Strom, an dessen beiden Sei-
ten eine Reihe schwimmender Bazare liegt und viele hunderte
von Häusern auf Pfählen sich erheben. In Bangkok sind
Strom und Kanäle, meist die Straßen, Hauptverkehrswege
und das Boot ist wie Droschke oder Omnibus. Aber was der
Stadt eilt besonders eigentümliches Gepräge giebt, das sind
die vielen reichen, glänzend geschmückten Buddhatempel und
Tempelklöster. Sie sind so eigenthümlich gebaut, daß B ow-
ring darauf verzichtete, sie zu beschreiben. Im Phra Chn
Pon Tempel liegt eine Statue des ruhenden Buddha aus
Backsteinen, 3G5 Fuß lang und mit dicken Goldplatten über-
zogen. In den Corridoren dieses einen Tempels haben die
Missionare mehr als neunhundert reich vergoldete Buddha-
bilder gezählt. Paillegoix, der so viele Jahre an Ort und Stelle
lebte, erklärt, daß man in Europa sich von der Pracht der bud-
dhistischeu Tempel iu Siam gar keinen Begriff machen könne.
In dieser phantastischen Hauptstadt Bangkok herrscht
der philosophische Mongknt, Lex Siamensium.
Hermann Allmers über die
Hermann Allmers, der Vogt von Rechtenfleth. — Die Marschen <
und Sande im Strome. — Wnrthen. — Schlenzen. — Die Deiche
und Deichschan, — Stnrmflnthen. — Deichbrnche. -
Nicht viele jener Reifenden, welche alljährlich von
Bremen auf der Weser, von Hamburg auf der Elbe hinab-
fahren, haben Kunde von den Eigenthümlichkeiten des
Landes, welches diese beiden Ströme von einander trennt.
Die Gegend erscheint in der That „trostlos und langweilig",
Man sieht nur Wasser und grüne Ufer, die weiter abwärts
in Nebel verschwimmen oder sich dem Blicke völlig entziehen;
man sehnt sich, sobald als möglich nach Norderney oder
Helgoland zu kommen.
Und doch übt gerade dieses Land mit seinen Marschen,
Mooren nnd Haiden auf den, welcher es einmal kennt, eine
mächtige Anziehungskraft aus, schon wegen des schroffen
Gegensatzes, welchen es zu den fruchtbaren Ebenen des süd-
wichen Niedersachsens, zu deu Regionen der Mittelgebirge
"der gar zu den Hochalpen bildet. Dort unten, im Ebbe-
imd Flnthgebiete jener Ströme und am flachen Meeres-
gestade, ist Alles ganz anders gestaltet; selbst die Lnft trägt
einen Charakter, der ihr im Binnenlande fehlt, Pflanzen-
wuchs und Thierleben sind eigenartig, und ganz eigenartig
lK auch das Lebeu und Treiben der Menschen. Von alle
dem wissen die draußen Wohnenden nicht viel; höchstens
haben sie vernommen, daß die Marschen fruchtbar und die
Dauern reich sind, daß aus jenen Gegenden unsere herrliche
^ausfahrtei-, leider uoch uicht deutsche Kriegs-, Flotte
Mele ihrer Matrosen erhält, Bursche so ruhig, voll Muth
und Ausdauer, wie jemals ans dem Salzwasser gefahren
und. Auch steht in den Lehrbüchern der Geschichte, daß im
Mittelalter die wackeren Stedinger-Baueru einen Helden-
kämpf gegen Ritter und Erzbischöfe gekämpft habeu, welcher
Uch mit den Großthaten der Begleiter des Leonidas bei den
^hermopylen vollauf messen kann. Sodann hat man ver-
uonnnen, daß in jenen Marschen Leute friesischer Abstam-
Globus 1861. Nr. 5.
der Weser und Elbe.
in Weser und Elbe. — Gegensatz von Marsch und Geest. — Platen
; deren Bärme und Bestickung. — Spatenrecht. — Deichordnnngen
- Der Marschbewohner im Kämpfe mit den Fluchen.
mnng wohnen, und in den höher liegenden Theilen, der
Geest, der niedersächsische Stamm vorwaltet.
Aber, wie schon bemerkt, wie Viele wissen Näheres
über das Natur- und Volksleben jener Gegenden in nnserm
deutschen Norden, wer durchwandert ein flaches Land, dem
die Aumntl) jener landschaftlichen Reize, welche wir im Ge-
birge finden, durchaus mangelt? Wer zum Vergnügen
Wanderungen macht, geht lieber in deu Harz oder nach
Thüringen, an den Rhein und iu die Alpen.
Aber auch die Marschgegenden verdienen unsere Auf-
merksamkeit und Theilnahme in hohem Grade. Der Alt-
vater Goethe hat das schon vor länger als einem halben
Jahrhundert vortrefflich ausgesprochen. Er sagt von den
Friesen:
Nnd dieses Leben sollt ihr billig kennen,
Das Land wohl kennen, dem eö angehört,
Das immerdar, in seiner Flnren Mitte,
Den deutschen Biedersinn, die eigne Sitte,
Der edeln Freiheit längsten Sproß genährt;
Das meerentrungene Land, voll Gärten, Wiesen,
Den reichen Wohnsitz dieser tapfern Friesen.
So kennzeichnet er mit wenigen Worten Land nnd
Leute der Marschgegenden, über welche wir durch Hermann
Allmers ausführliche Kunde erhalten.
Wer ist Hermann Allmers? Am rechten Ufer der
Unterweser, einige Meilen oberhalb Bremerhavens, liegt in
der Osterstader Marsch hinter hohen Deichen das Dorf
Rechtenfleth. Dort wohnt der Bogt Hermann Allmers,
ein Mann von alter friesischer Abstammung, auf dem von
den Vätern ererbten Hofe. Er mag jetzt iu der Mitte der
dreißiger Jahre stehen, ist mit Glücksgütern gesegnet und
hat das Vertrauen seiner Mitbürger, die ihn zum bremischen
Provinziallandtage nach Stade gesandt haben. Mit Stolz
19
146
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
kann er sich einen Bauer nennen und thut es auch, und es
ist ein Glück für unser Deutschland, daß wir auch solche
„Bauern" haben. Allmers ist mit Vorliebe Landwirth und
pflegt seinen Viehstand, er hängt an seinen: alten Erbe mit
Freude und Stolz und mochte es mit keinem andern ver-
tauschen. Er freuet sich feiner Heerden, ist aber auch emsig
beflissen, feine nächste Umgebung zn bilden und zu veredeln.
Er hat in seiner Gegend die Liebe zum Volksgesange geweckt
und sorgt für Verbreitung guter Bücher. Weuu an langen
Winterabenden die Fluth gegen die Deiche brandet und der
Sturm tobt, sitzt Allmers wohl inmitten seiner Nachbarn und
erzählt von seinen Wanderungen, oder er liest daheim die
Nibelungen oder Dante in der Ursprache. Er ist kein
„lateinischer Bauer", sondern ein durch und durch wissen-
schaftlicher Mann, der feine alten Sprachen und Klassiker
kennt und die neueren dazu; er hat eiu gründliches Ver-
ständlich der Geschichte und Literatur, und erfreut sich an
den Werken der Kunst. Der Kunst und des Alterthums
wegen ist er aus seinem Marschdorfe mehr als einmal nach
München und über die Alpen nach Rom gewandert. Er
besuchte die großen Hauptstädte Enropa's, er hat eine gedie-
gene, teilte Bildung, er ist Poet, aber er ist gern auf seinem
Hose im Marschdorfe Rechtenfleth. Bremen hat er in der
Nähe, und dieses ist seine städtische Heimath, mit welcher er
stets in geistigem Verkehr bleibt. Es mag hier nebenbei
bemerkt werden, daß man aus manchen Bauergütern, wie
die Marschen sie haben, in andern Gauen, z. B. in Ober-
sachsen, ein paar „Rittergüter" herausschälen könnte, ohne
daß der Verlust sehr zu merken wäre; aber der Besitzer solcher
Marschhöfe will eben nur Bauer sein und er hat Recht. In
Allmers, der entschiede» auf der Höhe unserer Zeitbildung
steht und von schöner Humanität durchdrungen ist, trieb die
friesische Anhänglichkeit an den heimathlichen Boden tiefe
Wurzeln, aber nicht minder stark ist seine Liebe zum „großen
heiligen Vaterlands"; er ist ein kerndeutscher Mann, brav,
bieder und herzlich in jeder Beziehung.
Seine „liebe gottgesegnete Heimath" hat er in einem
Werke geschildert, das geradezu mustergültig genannt werden
kann. Es ist das „Marschenbuch. Land- nnd Volksbilder
aus den Marschen der Weser und Elbe. Von Hermann
Allmers. Gotha 1858." Durch eine Menge ungünstiger
Zufälle, insbesondere durch die Schuld eines Verlegers, der
sein Geschäft einstellen mußte, wurde die ausgezeichnete Ar-
beit wenig bekannt. Dieser Ungunst des Geschickes wollen
wir, so viel an uns liegt, entgegen zu wirken suchen, und
unsere Leser werden es uns Dank wissen. Vor etwa drei
Jahren sagte Allmers in einem Briefe, welchen er an den
Verfasser dieser Zeilen richtete: „Ich habe diese Heimath-
bilder mit ganzer liebevoller Seele nnd Hingebung ent-
worfen. Sah ich doch die Abfassung dieses Buches für ein
Stück meiner Lebensaufgabe an; denn es galt, meine liebe,
entlegene, halbvergessene Heimath deu Vaterlandsgenossen
im übrigen Deutschland bekannt zu machen, nnd ich würde
unsäglich glücklich sein, wenn mein Vorhaben mit einigem
Erfolge gekrönt würde."
Die Leser mögen nrtheilen, ob das Streben gelungen,
und ob Allmers ein Meister in geschmackvoller, klarer und
schwunghafter Darstellung sei, und ob er es verstehe, die
Natur nicht nur zu beobachten, sondern auch wie ein Maler
zu schildern.
Zuerst entwirft er ein Bild von der Entstehung der
Marschen, nnd zeigt, wie sich dieselben bildeten. Hier kön-
neu wir ihm nicht in die Einzelnheiten folgen, so trefflich
auch die Darstellung ist. Dann bemerkt er: — Es sind
nicht allein Kräfte und Verhältnisse der bewußtlosen Natur,
welche Land schaffen; auch der Mensch greift mit starkem
Arm in die Fluth uud zwingt sie, ihm Tribut zu geben. Er
legt Schlengen, Stakwerke und Deiche an, er entreißt ihr,
was sie entführen will, er gebietet ihr, nach seinem Willen
hierhin oder dorthin zn strömen und ruft ihr oft ein kräftiges
Halt entgegen. Niemand kann mit so stolzem Selbstgefühl
feinen Heimathsboden besitzen, als der Marschbewohner, der
ihn zum Theil geschaffen, znm Theil mühevoll errungen hat,
der ihn jahraus jahrein mit ungeheurer Kraft und Aus-
dauer vertheidigen muß gegen die wilden, ewig nagenden,
ewig wühlenden und spülenden Finthen. Aber dieses nnab-
lässige Ringen und Kämpfen hat ihn gestählt und geweckt,
wie es ihn anch erfüllt hat mit Much uud Ausdauer, Freiheits-
liebe, Selbstständigkeit uud innigem Heimathsgesühle.
Ueberall lehnen die Marschen sich flach an den Rand
des höhern sandigen Landes, an die Geest, oder lagern sich
auch zum Theil auf ihm. In den Marschen nennt man
schlechtweg Alles Geest, was nicht Marsch ist. Der hohe,
jetzt mit Haide, Wald oder Kornfeldern bedeckte Geestrand
war einst das wirkliche Flußufer und zum Theil Düueubil-
duug. Deutlich sieht mau noch jetzt vielen sanften, wellen-
förmigen Geesthügeln ihre ehemalige Dünengestalt an, und
wo keine Marschen davor liegen, gehen diese am Meeresufer,
z.B. in der Nähe von Cuxhaven, auch iu wirkliche Düuen
über. So liegen alle Marschen um die minder fruchtbare
Geest wie ein grüner, üppiger Rand, in welchem die letztere
mit mannigfachen Landzungen und Vorhügeln hineintritt.
Vom Herzogthum Bremen hat man daher schon vor Alters
gesagt, es sei wie ein schlechter, mit goldener Kante besetzter
Mantel, oder wie ein magerer Pfannkuchen mit leckerem
Rande. —
Bevor wir weiter gehen, wollen wir kurz die verschie-
denen Marschgegenden, welche Allmers behandelt, angeben.
1. Ost erst ade. Ein schmaler, fünf Stunden langer
Streifen am rechten Weserufer, vom Amte Blumenthal bis
zum Lande Wührden, das die Nordgränze bildet und eine
halbe Stunde nördlich vom kleinen Binuenfluffe Drevte
beginnt.
2. Das Land Wührden, ein oldenburgisches Amt,
ist die kleinste und am wenigsten eigenartige aller Marschen,
kaum eine Geviertmeile groß.
3. Das Vieland, gleich nördlich vom vorigen. Hier
wird die Marsch sehr schmal und zieht sich bis zum Geeste-
fluß, zwischen der Weser und dem Sandlande wie ein
schmales grünes Band hin. Das altfriesische Wort Vie
bedeutet einen Sumpf. Im Vielande liegen Bremerhaven
nnd Geestemünde.
4. Das Land Wursten, die nördlichste Marsch des
rechten Weserufers, völlige Seemarsch mit echter Meer-
strandsslora.
5. Land Handeln, die nördlichste Marsch am linken
Elbufer. Südlich von ihm
6. das Land Kehdingen, von jenem durck den
Ostesluß getrennt; es endet stromauf bei Stade an der
Schwinge, welche die Gräuze bezeichnet zwischen Keh-
dingen uud
7. dem Alten Laude, das aufwärts bis Altona
gegenüber reicht.
8. Das Stedinger- Land am linken Weserufer,
abwärts bis zur Mündung der Hunte, nnd weiter nördlich
!). das Stadland nnd das Bntjahdinger Land.
Zwischen Marsch nnd Geest liegt häusig 'ein Moor-
strich, oft aber gränzen jene beiden Bodenarten so hart an-
einander, daß man mit einem Fuß auf trockenem Sand-
boden, mit dem andern ans fettem Marschboden stehen kann.
Marschland entsteht auch jetzt noch vor unseren Augen, uud
wir sehen Neu- nnd Umbildungen. Was hier ein Ufer
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
147
gewinnt, muß ein anderes verlieren, denn Ebbe und Flnth
tragen den schon abgelagerten Schlamm bald hierher, bald
dorthin, und es ist die Aufgabe des Menschen, das Abgesetzte
festzuhalten.
Die Geest ist hoch, wellenförmig und hügelig, von
Quellen und Bächen durchrieselt, mit Geröll und zum Theil
mächtigen Steinblöcken bedeckt, hat Wälder und Haiden,
leichten Sandboden und wird nur in der Nähe der Dörfer,
welche oft stundenweit auseinander liegen, bebaut. Die
Marsch dagegen bildet eine fast mit dem Meeresspiegel
gleichliegende vollkommene Fläche. Sie hat keine Wälder,
keine Quellen, keine Haiden, keine Sandflächen, keinen ein-
zigen Stein, er sei denn durch Menschenhände dorthin ge-
bracht worden. Sie ist eine einzige, weite, grüne, fruchtbare,
fast baumlose Ebene. Wild wenigstens wächst kein einziger
Baum; nur in den Dörfern und Gehöften und an den We-
gen hat man sie gepflanzt. Aber kein Fleck ist da, der un-
benutzt geblieben wäre. Wiese reiht sich an Wiese, Acker an
Acker; schnurgerade Wege, Kanäle und Gräben durchschneiden
nach allen Seiten das mit zahlreichen Dörfern und statt-
lichen Einzelgehöften besetzte Land, und endlich, was die
Haupteigeuthümlichkeit der Marschen ausmacht, ein hoher
starker Deich, der sie in ihrer ganzen Ausdehnung umzieht,
und hinter welchem sie liegen wie hinter einem Festungswall,
schützt sie vor den Finthen.
Weser und Elbe durchströmen ihr Mündungsgebiet in
nicht sehr bedeutenden Krümmungen. Aber der Strom
beider wird unablässig aufgehalten und verändert durch eine
Menge größerer und kleinerer Inseln und Bänke, die sich
selber gebildet haben. In der Weser werden diese meistens
„Platen" genannt, in der Elbe heißen sie „Sande", wenn
sie auch nicht aus Saud bestehen. Diese Inseln verändern
fast alljährlich ihre Gestalt, reißen hier ab und setzen dort
wieder an, ziehen sich hier zu einer größern zusammen und
werden dort von den reißenden Finthen in mehrere kleinere
zertrümmert. Bon einer Küste nagt der Strom in diesen:
Jahrzehend das Land ab und schwemmt es an die andere
Küste, um es vielleicht abermals nach einigen Jahren auch
von dieser wieder abzureißen, wenn der Mensch mit kräftiger
Hand kein Veto einlegte. Anf diese Weise findet ein ewiger
Stromwechsel statt, der das Fahrwasser zu großer Unbe-
quemlichkeit der Schiffer fast alljährlich verändert. — Der
Marschbewohner zieht von diesen Inselbildungen den man-
nigfachsten Nutzen. Die kaum bei niedriger Ebbe frei wer-
denden Bänke liefern ihm Sand zu seinen Wegebauten, zu
seinen Ziegelfabriken, für seine Gartenpfade, und zn noch
sonstigen allerlei häuslichen und technischen Bedürfnissen.
Die Sandbänke vor der Mündung bieten reiche Lager von
Muscheln, aus welchen der Marschbewohner Mörtel zn sei-
nen Häuserbauten brennt. Die Sandbank überzieht sich
bald mit weißem Schlamm und wird höher nnd höher, so
daß sie nun Plate heißt. Nach einigen Jahren treten die
ersten Pflanzen auf, meistens Binsenarten (Sch-pus); wird
sie »och höher nnd fester, so stellt sich das hohe Nohr ein
(■l^iragmites communis), für die Marschen eine hochwichtige
Pflanze; nicht sowohl weil sie ein passendes Material zum
Dachdecken liefert, sondern auch hauptsächlich, weil sie der
beste Verbündete des Marschbewohners in seinem Kampfe
mit den Finthen ist. Das Rohr hat nämlich eine dicke,
gelblich-weiße, kriechende Wurzel, deren hohle Röhren durch
eine Menge Knoten in Kammern getheilt find und nach allen
Richtungen schnell wuchernd und in tausend Schlangenwin-
düngen den Boden durchziehen. Dadurch gewinnt diese
Pflanze für die Erdbildung der Marschländer eine hohe
Wichtigkeit. „Packwurzeln" nennt sie trefflich bezeichnend
der Marschbauer; denn kaum hat ein aufgeschwemmtes Ufer
oder eine Flußinsel die nöthige Höhe, nm Rohr zu tragen,
so sproßt dieses auch bald reichlich hervor, seine Wurzel-
schlangen packen in kurzer Zeit so sehr alles Erdreich, daß
dasselbe bald den spülenden Finthen trefflich zu widerstehen
vermag. Daher wartet man auch meistens nicht erst so
lange, bis jenes Rohr von selbst aufwächst, sondern beeilt
sich, Wurzelballen in den jungen Boden zn setzen, wohl wis-
send, wie vortrefflich es beisteht, denselben zn behaupten.
Auch das Rohr gedeiht nur in gewisser Höhe und wenn
noch die regelmäßige Flnth das Land stets überschwemmen
kann. Wird nun eine Insel so hoch nnd so trocken, daß die
gewöhnliche Fluth sie nicht mehr bespült, so wird auch das
Rohr von Jahr zn Jahr feiner, kürzer und kümmerlicher,
bis es endlich ganz verschwindet, um dafür einem üppigen
hohen Graswuchs mit mannigfaltigen blühenden Kräutern
Platz zu machen. Jetzt liefert die Insel dem Marschbewoh-
ner schon manche Fuhre duftigen Heues auf den Boden, noch
später weidet er sein Biel) darauf, und zuletzt kommt er
selbst, wirft einen Erdhügel, eine „Wurth" aus, welche die
Fluth nicht erreichen kann, baut sich aus der Spitze des
Hügels seine Wohnung und führt nun mit Weib und Kind,
Gesinde und Vieh hinfort sein einsames, beschauliches Insel-
leben. Die größten Inseln endlich, bei denen es sich der
Mühe lohnt, werden durch ordentliche hohe Deiche immer
den Flutheu entzogen, wie denn z. B. die Elbinsel Wilhelms-
bürg, zwischen Harburg und Hambnrg, ringsum bedeicht ist.
Ein Hauptmittel zur Gewinnung neuen Landes nnd
zur Erhaltung des vorhandenen sind die Schien gen, welche
man in einigen Gegenden auch als Stakwerke bezeichnet.
Sie wehren die dem Ufer sich nähernde Strömung ab und
leiten diese von demselben fort, damit kein Einriß erfolge,
und drängen das Fahrwasser, welches durch ihre Wirkung
vertieft wird, mehr nach der Mitte. Der Strom, welcher
sich an ihnen bricht, lagert die Schlammtheile ab, welche er
mit sich führt, und giebt auf diese Art Land her. Solcher
Schlengen liegen an Elbe und Weser hunderte, aber die An-
läge ist theuer nnd schwierig. Sie sind wichtig, weil von
ihnen oft die Sicherheit von Dörfern nnd ganzen Land-
strichen abhängt.
Hat der Marschbewohner durch die Schlengen dem
Strome so viel Land abgezwungen, daß dessen Umfang mit
den Eindeichungskosten in gutem Verhältnisse steht, so
schreitet er zur Bedeichnng desselben. Bisher hieß es
Vorland, Außendeich oder Held er nnd konnte nur als
Wiese oder Weide benutzt werden, denn der Fluß hatte bisher
noch eine Art Anrecht nnd bedeckte das Land bei jeder hohen
Fluth mit seinen Wogen; an Ackerbau war also noch nicht
zn denken. Aber durch die Deiche wird es denselben ent-
rissen und erhält nun einen ganz andern Charakter. Gräben
und Kanäle durchziehen es jetzt, Weiden und Saatfelder be-
decken es, eine andere Pflanzenwelt sproßt hervor; Gräser
und Kräuter verdrängen die Sumpfgewächse und bald sieht
man nur noch an wenigen Spuren, daß es einst aus dem
nassen Element hervorging. Von den Deichen hängen
daher alle Fruchtbarkeit und aller Wohlstand, ja
das ganze Dasein der Marschen ab, und so ist es
natürlich, daß man alle Aufmerksamkeit und allen Ernst
und Eifer auf Tüchtigkeit und Erhaltung jener Deiche hin-
wendet.
Streng genommen kann der Marschbewohner nicht im
Plural von seinen Deichen sprechen, da diese nur einen ein-
zigen hohen ununterbrochenen Damm ausmachen, der sich
längs dem Flusse hinzieht, die Marschländer davon trennt
und sie schützend nmgiebt. Die hannöverischen Weser- und
Elbemarschen besitzen allein einen Deich, der, vom Osterstade
bis zum Alten Lande einschließlich gerechnet, die Länge von
19*
148 Globus, Chronik der Reisen
21 geographischen Meilen hat und nur an der äußersten
Nordwestspitze im Amte „Ritzebüttel", wo die Geest nnmit-
telbar an's Meer tritt, durch Dünen auf eiue kurze Strecke
unterbrochen wird; ein Werk, an dem Jahrhunderte hindurch
gebaut und gebessert wurde.
Je näher man den Flußmündungen kommt, desto
stärker und geböschter werden die Deiche, welche zuletzt den
Namen See deiche führen. Jndeß ist die Gränze zwischen
Fluß- und Seedeichen nicht scharf bezeichnet und die einen
gehen ganz allmälig in die anderen über. Die Höhe der
Seedeiche steigt auch nur um wenige Fuß über die der
anderen, weil ja der Wasserstand sich überall ziemlich gleich
bleibt. Durchschnittlich ist die Höhe sämmtlicher Deiche vom
Boden an gerechnet zwischen 15 bis 30 Fuß schwankend,
ihre Stärke dagegen beträgt bei der Mündung mehr als das
Doppelte.
Die innere Seitenwand der Deiche ist überall ziemlich
steil, die äußere hinwieder in einer sanften Schrägung anf-
steigend. Diese Schrägung, Böschung oder Dossirnng
genannt, wird nach der Strecke, in der sie zu einer gewissen
Höhe aussteigt, bestimmt. So sagt man z. B., ein Deich
habe eine dreifüßige Dofsiruug, wenn seine Seitenlinie auf
einer Strecke von drei Fuß um einen Fuß austeigt.
Der Fuß des Deiches, oder vielmehr die letzte Fort-
setzung der Dossirnng, wird die Bärme genannt. Die
obere Deichfläche, welche durchschnittlich 6 bis 12 Fuß Breite
hat, und, um dem Regenwasser Abfluß zu gewähren, oft
etwas convex gebildet ist, heißt die Kappe.
Die Erde zum Deichbau wird mit seltenen Ausnahmen
immer aus dem Vorlande geholt, welches man daher in der
Nähe des Deiches ewig in großen flachen Gruben von qua-
dratischer Gestalt abgegraben sieht. Ein solches eiu oder
zwei Fuß tief ausgestochenes Quadrat ist indessen oft schon
in einem kurzen Zeitraum wieder vollgeschlemmt, weil man
sorgt, daß größere und kleinere Kanäle (sogenannte Bal-
gen und Gruppen) bei jeder Fluth das Wasser des Flusses
hineinführen. Ueberhanpt erhöht sich das ganze Vorland,
da es ja stets allen höheren Finthen ausgesetzt ist; es ist im
Laufe der Zeiten in einigen Gegenden fast sechs Fnß höher
geworden als das Land innerhalb des Deiches. Dies ist
unter Andern im nördlichen Osterstade der Fall.
Zunächst ist dann auf die zweckmäßigste Bekleidung der
Deichwände zu sehen, welche die Erde vor den Finthen, wie
vor Abbröckelnng durch Trockenheit zu schützen vermag.
Die gewöhnlichste, natürlichste und in der Regel hinreichende
Bekleidung ist Rasen, mit dem auch fast alle Deiche der
Elbe und Weser überzogen sind. Er bildet, wenn er gut
gepflegt, von allem Unkraut, Maulwurfs- und Mänfelöchern
rein erhalten, und endlich, wenn er niit Vieh und Schaafen
beweidet wird, bald ein immer dichter werdendes silzartiges
Gewebe (die Grasnarbe in den Marschen genannt), welches
beu Wogen wie der Dürre trefflich widersteht.
Wenn aber diese Grasnarbe einmal zerstört ist, sowie
an Stellen, die den heranstürmenden Wogen zu sehr ansge-
setzt sind, wählt man eine andere Art der Bekleidung, näm-
lich das Besticken oder Benähen. Dieses besteht darin, daß
man Schilf, oder wo dies fehlt, langes Stroh auf der Dos-
siruug ausbreitet, und dann dasselbe durch quer darüberlie-
geude Strohstreifen, die man vermittelst eines Instrumentes,
„Deichnadel" genannt, in kurzen Absätzen einen Fuß tief in
die Erde drängt, befestigt.
Diese Bekleidung bedeckt dann die äußere Dossirung
wie eiue Art Matte, ist aber stets nur für einen Winter-
berechnet, weil das Stroh in der Erde bald verrottet und
das Ganze sich dann auslöst. Es ändert sich die Bestickung
der Deiche aber auch dahin ab, daß in einigen Gegenden
t und Geographische Zeitung.
Weidenruthen statt Stroh genommen worden; doch geschieht
dieses sehr selten. An einigen holsteinischen Deichen bedient
man sich dagegen zur Bedeckung einer starken Faschinenlage,
die durch Pfähle fest an den Deich gehalten wird und gute
Dienste leistet. Zu den hannöverischen und oldenburgischen
Marschen kommt diese Art der Bedeckung nicht vor. Im
Alten Lande dagegen ist sie gebräuchlich; hier werden die ein-
zelnen Flechtwerke Flakken genannt.*)
Die allerdauerhafteste, aber auch bei weitem kostspie-
ligste Bekleidung ist endlich die Steindossirnng, bei der
man den Deichkörper mit genau aneinander gefügten und
durch Cement verbundenen Quadern von Granit oder
Sandstein, oder auch mit äußerst hart gebrannten Ziegeln,
z. B. sogenannten holländischen Klinkern, belegt. Diese Art
der Bekleidung findet bei sehr wenigen oder nur bei den
allerstärksten Seedeichen statt, welche den wüthendsten Wo-
gendrang abzuhalten haben. Wir finden sie in Holland,
Ostfriesland, an der Nordspitze des Butjahdingerlandes und
an der holsteinischen Küste.
Außerdem schützt man die Deiche noch dadurch, daß
man am Fuße der äußern Bärme eine oder mehrere Reihen
von Weidenbäumen pflanzt oder Pallifaden setzt, an denen
sich die Wogen brechen.
Doch nützen sie im Ganzen wenig. Weiden gedeihen
auch nur, so weit der Fluß süßes Wasser führt, und kommen
nicht fort, wenn Seewasser die Ufer bespült. Der beste
Deichschntz jedoch ist und bleibt ein recht großes Vorland.
Wo ein solches vorhanden, leiden die Deiche sicherlich am
wenigsten.
Auf einer Seite Sumpf und Binsen, Schilfgeflüster
und Fluthengeriesel, Wellengesunkel, ferne schwellende Segel
und das öde weite Watt mit seinen flatternden Möven-
schwärmen; auf der andern aber die mächtige grüne Ebene
mit ihren buschreichen Dörfern, mit Thnrmspitzen und statt-
liehen Bauergehöften, mit Saatfeldern und Viehfchaaren,
mit Rädergerassel und Sensenklang, mit Taubengeflat-
ter und Lerchengeschwirr. Wer anf all' dies üppige Leben
nnd Treiben nah und fern hinabschaut, wie es die reichen blü-
henden Marschen hinter ihren hohen starken Deichen entfalten,
die sich gleich mächtigen Festnngswällen in ihrer ganzen Länge
schützend vor ihnen herziehen, dem wird schwerlich der Ge-
danke in den Sinn kommen, daß anch diese gesegneten Fluren
einst nichts Anderes waren, als was jenseits der Blick er-
fchant, ein weites sumpfiges Rohrfeld, oder gar ödes kahles
Watt ohne alle Vegetation, oder allenfalls an ihren höchsten
Stellen ein paar fleischige Salzpflanzen tragend, nnd daß
sie sofort wieder in den alten wüsten Zustand übergehen
würden, wenn einmal die Deiche verschwänden.
So sehen wir also in diesen letzteren die erste aller
Daseinsbedingungen der Marschen, von deren Erhaltung
das Leben wie das Wohl und Wehe vieler Tanseude, ja von
denen die Existenz ganzer Landstriche abhängt. Aber noch
mehr — nnd daran mögen wohl Wenige denken— wir haben
sie auch zugleich als ersten und einzigen Anlaß eines ansge-
bildeten, auf Gesetz und Recht begründeten Znstandes zu
betrachten. Vor der Bedeichuug stelle man sich die Marschen
vor als weite, seichte und schlammgefüllte Busen von kahlen
Sanddünen, den jetzigen Haidehügeln, begränzt und nach
dem Meere zu offen. Der träge Fluß rieselte wohl in hnn-
dert Armen hindurch, eine Menge kleiner oder größerer
Inseln von Sand bildend. Die weiten Binsen- und Rohr-
selder waren das einzige Grün. Zweimal des Tages kamen
*) Flakke ist das deutsche Wort, für welches man in der
Sprache der Kriegskunst leider das Fremdwort Faschine ange-
nommen hat. Wozu geht man im Auslande sprachlich betteln, wenn
mau daheim Alles eben gut und viel reichlicher hat? Red.
Globus, Chronik der Reise
die grauen Fluchen und bedeckten Alles. In der einen Stunde
sah mau nichts als Schlamm, in der andern nichts als
trübes Wellengeriesel; der nebelgraue Himmel vollendete das
finstere öde Bild.
In dieser traurigen Einöde hatten sich nun die Men-
scheu niedergelassen. Hier und dort aus den größten Inseln
hatten sie, um sich gegen die Finthen zu schützen, einen Erd-
Hügel, eine Wurth aufgeworfen; da verbrachten sie in einsamer
Rohrhütte, umgeben vou Wellengemurmel und Schilfge-
flüster, ihr armseliges Leben, von den Fischen, die sie fingen,
und den Sumpf - und Seevögeln, die ihre Pfeile erlegten,
sich kärglich nährend, aber in vollkommener Freiheit, in
völliger Unabhängigkeit von einander. Höchstens vereinigte
sich dann uud wann ein Seeräuberzug. Au ein gemeinsames
Oberhaupt, au Gesetze und Spuren einer Verfassung war
nicht zu denken.
So fanden Roms Legionen die Marschen. Sie mochten
mit Recht diese Gegenden trostlos, ihre Bewohner elend und
bedauernswerth nennen und konnten wohl vor solcher uu-
wirthbaren Natur zurückbeben; kamen sie doch aus dem
schönen, sonnigen Italien.
Ein ganz ähnliches Bild bieten noch jetzt die Watten
Nordfrieslands mit ihren Halligen. Anch hier ist es gar
mancher Schiffsmannschaft wie ein Zauberspuk erschienen,
wenn sie bei dunkler Nacht uud mitten im Wogengebraus
plötzlich in die lampenhellen Fenster eines traulichen be-
wohnten Stübchens schaute, au denen sie hart vorbeisegelte.
Die noch jetzt zahlreich vorhandenen Wurtheu sind ein
deutliches Zengniß von jener ersten Zeit der Marschen. Doch
auch als schon Deiche das Land umgaben, wurden noch
Wnrthen aufgeworfen, theils um trocknere Wohnungen zu
gewinnen, theils aber auch der Sicherheit wegen, da die an-
fangs schwachen und niederen Deiche wenig Schutz gewähren
konnten. Vor Allem wurden für Kirchen und Begräbniß-
Plätze die höchsten Wurtheu geschaffen. Sie sollten hoch und
sicher hinausragen, wenn alles Land umher die Flutheu
überbrausten.
Eine Menge Ortsnamen bezeichnen ebenfalls die Stelle
solcher Wurtheu; so im Lande Hadeln die Dörfer Lüding-
Worth, Jlienworth; in Osterstade das Dorf Wnrtfleth;
im Stadlaude erinnert das Wort Wurp (von werfen, auf-
werfen), wie Golzwarder Wurp, Schmalenflether Wurp
darau. Endlich hat das ganze Land Wursten seinen Namen
davon, welches nichts Anderes heißt, als das Land der
Wurthsassen, der auf Wurtheu Gesässigeu. Doch wieder
Zurück in die Vorzeit!
Jener armselige Zustand des vereinzelten Wurthlebens
konnte uicht dauern. Die Bevölkerung nahm zu, die Wur-
then vermehrten sich, wurden höher und ansehnlicher; anch
bereinigte man mehrere zu einer großen gemeinsamen, aus
der nun die ersten Dörfer entstanden. Die ersten Spuren
von Viehzucht, welche einst diese Gegend so reich machen
sollte, treten jetzt hervor, denn schon nähren die Hügel ein
1)?ftv. fechte Schafe. Immer stärker und stärker wird die
-Bevölkerung, immer näher rückt man zusammen, auch ist
bereits mancher kleinere und seichtere Flußarm abgedämmt;
da endlich erwacht der Gemeingeist und durchdringt kräftig
ermnthigend alle bisher in völliger Zersplitterung und Uuab-
Bangigkeit vou einander lebenden Wurthbewohner.
Man verbindet und rüstet sich zum ernsten Kampfe
mit den Finthen und beginnt mit vereinter Macht durch
Ausführung von Deichen dem Meere eiu kräftiges „Bis
Hierher und uicht weiter" zuzurufen.
Eine solche Vereinigung Bieler mußte sofort ein neues
^'ebeu entfalten. Gegenseitige Pflichten und Rechte mußten fest-
gestellt werden, Pflichten gegen den Deich, Rechte auf
und Geographische Zeitung. 149
das dadurch ge si ch ert e Lau d. Straseu wurden geschaffen
für den saumseligen Arbeiter oder den mnthwilligen Zer-
störer der Deiche, Richter gewählt, um entstandene Streitig-
feiten zu schlichten; den Erfahrensten und Aeltesten unter ihnen
wurde die Aufsicht und Leitung des Ganzen übertragen —:
die Geschichte der Friesen, als Volk, hat begonnen, ein ge-
ordneter Rechtszustand ist angebahnt und die reichen blühen-
den Marschen sind begründet.
Diese Vereinigung zu gemeinsamer Arbeit nannte man,
wie sie noch jetzt heißt, eine De ich acht oder ein Deich-
band, ihre Satzungen Deichordnung oder Deichrecht
uud die ersten Ausseher uud Leiter des Deichweseus Deich-
gräfeu.
In diesen alten Deichordnungen herrscht oft eine Weis-
heit, Umsicht und Klarheit, eine solche der Wichtigkeit des
Gegenstandes angemessene Strenge, daß sie uns immer noch
mit Bewunderung und Verehrung für den Geist unserer
Vorfahren erfüllen müssen, wenn sie gleich für unsere Zeit
uicht überall passen würden.
Schon aus dem 14. Jahrhundert haben sich noch srie-
sischeDeichordnuugeu erhalten, vielleicht die ältesten bekannten.
Die erste Grundlage aller alten Deichordnungen beruht
auf dem Spruche: Kein Land ohne Deich, kein Deich
ohne Land. Also jedes von den Deichen beschirmte Grund-
stück ist deichpflichtig, uud die Deichpflicht ist von dem Laude,
worauf sie haftet, unzertrennlich und geht als Reallast auf
jeden Besitzer desselben für alle Zeiten über.
Ein Kernspruch heißt: De uich will dikeu, mot
wikeu. Auf ihm beruht das sogenannte Spatenrecht.
Wer die auf seinem Grundstücke haftenden Deichpflichten,
namentlich in Nothfällen, nicht erfüllte, ging desselben ohne
Gnade verlustig. Dem Eigenthümer stand aber selbst ein
Recht zu. Wollte oder kouute er bei wiederholten und
großen Deichschäden die hohen Kosten nicht tragen, so stach
er seinen Spaten in das belastete Grundstück und zeigte dies
sodann dem Deichgräfen oder Deichrichter an. Damit ent-
sagte er gänzlich seinem Anrechte daran. Wer nun den
Spaten zog, übernahm die Deichlasten uud ward Besitzer
des Grundstücks. Fand sich in bestimmter Zeit keiner dazu,
so mußte der Entsagende sein aufgegebenes Eigenthum
zurücknehmen; im Fall er jedoch durchaus unvermögend und
unfähig war, nahm die Gemeinde Deich und Land an sich.
In den meisten Gegenden ist das Spatenrecht längst ausge-
hoben, in anderen besteht es bis heute. Alleiu schwerlich
wird jemals noch ein Spaten in's Land gestochen werden.
Das letzte Mal dürfte es in Osterstade nach der furchtbaren
Weihnachtsfluth 1717 in Anwendung gekommen fein.
Von einer wahrhaft drakonischen Strenge waren in
einigen alten Deichordnungen die Strafen. Wer nur Bäume,
die zum Schutz des Deiches gepflauzt waren, beschädigte,
dem wurde die Hand abgehauen; wer seinen Deich in
schlechtem Zustande hielt, also daß dieser dadurch zum Ver-
derben des Landes einbrach, der wurde lebendig mit sammt
dem Holz und den Steinen seines Hauses darin bedeicht
(Stedinger Deichrecht, 1424). Und wer mnthwilliger und
boshafter Weife den Deich beschädigte, der ward ohne Gnade
verbrannt. Noch in der Deichordnung für das Herzogthum
Bremen, 1743, kommen ähnliche Strafen vor. Zn dieser
heißt es auch, daß Deichgräfen und Deichgefchworue mit
Strenge darauf zu halten haben und mittelst harter Bestra-
sung verwehren sollen, daß bei den Deichen und der Deich-
arbeit, „als wobei man sonderlich aus die gerechte uud
sündeustrasende Hand Gottes zurückzusehen hat, nicht ge-
slucht, liederlich geschworen und gotteslästerliche oder ärger-
liche Reden verführet werden." Ja in einer Deichordnung
herrschte sogar ein Gesetz, das den Deich zu einem Asyl
150
Globus,, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
inacht, und gebot, daß ein verfolgter Uebelthäter, wenn er,
gerade an dem Deich arbeitete, nicht eher, als nach voll-
brachten: Tagewerke verhaftet werde, sondern so lange er-
arbeitet, unantastbar sei. Mit so viel Ernst, ja mit solch'
hoher Ehrfurcht betrachtete man damals die Deiche, auf's
Tiefste von ihrer hohen Bedeutung und Wichtigkeit durch-
drungcu.
Zum Deichgräfeu wird, wenigstens in der Hannover-
schen Marsch, noch heute ein erfahrener, angesehener Bauer-
gewählt, der mit einem Wasserbaukundigen und den Deich-
geschworenen jährlich zweimal einen Umzug zu Pferde iu
säuern Distriet unternimmt, oder wie es genannt wird,
Deich schau hält. Die erste heißt die Frühlingsschau und
findet meistens im März oder April statt. Bei dieser wird
nachgesehen, wie der Zustand der Deiche nach den Stürmen
und Fluchen des vergangenen Winters beschaffen ist, und
die daran vorzunehmende Arbeit bestimmt, während bei
der Herbstschau, die man in der Regel im Oktober hält, die
vollendeten Arbeiten selbst abgenommen werden. Ist die
Schau vorüber und deren Ergebniß zu Protokoll geuom-
me», so geht es nach alter Sitte zu einem Gastmahle,
welches entweder der Deichgräse, der dafür die bei der
Schau fallenden Strafgelder bekommt, oder, wie es im
Oldenburgischen Sitte ist, der Beamte des Bezirks giebt,
und wozu auch Andere geladen werden. In alten Zeiten
hatten diese Deichmahle wahrhafte Bedeutung; eigene Ge-
setze bestimmten oft die Zahl und Art der Gerichte, und im
Lande Wursten brachte der Deichgräfe stets den alten
Spruch dabei aus:
Gott bewahre Damm und Diken,
Sieh! uu Bollwark im dcrgliken
Dario use Land nn Good
Uli cit erlik Wurster Blood,
Mit der alten Kraft der Friesen verschwand in letzter
Zeit leider auch manche ehrwürdige Sitte. So sind auch
diese alten Deichmahle in vielen Marschen entweder ganz
abgekommen oder höchstens in ein einfaches Frühstück ver-
wandelt. Die Wurster aber hielten noch vor einigen
Iahren, als eine große allgemeine Deichverstärkung vollen-
det war, ein feierliches Deichfest mit einem Umzüge zu
Wagen und zu Pferde auf dem Deich, an welchem sich fast
das ganze Land betheiligte, mit Gottesdienst in der alten
Kirche zu Dorum und einem großen Gastmahle tut Landes-
hause.
Um ganz die hohe Wichtigkeit und Bedeutung der
Deiche zu begreifen, muß man einmal eine gewaltige
Stnrmflnth mit angesehen haben; denn wer ein solches
Ereignis; nie erlebte, wird sich schwerlich von der Größe und
Schrecklichkeit desselben eine Vorstellung machen können.
Die rechte Zeit der Sturmflntheu ist vom Oktober bis
znin April.
Wenn eine Zeit lang ein anhaltender Westwind weht,
der große Wassermassen in den Kanal trieb, und diese nun,
sich nach Nordosten oder Norden umsetzend, gegen die Küsten
nnd weit iu die Flüsse hinaufpeitscht, wodurch die Ebbe sehr
aufgehalten oder fast gauz gehemmt wird, wenn sich dazu
noch eine Spriugflnth gesellt, dann steigen die wilden
Wasser oft zu einer Höhe und Furchtbarkeit, die einem das
Herz erbeben machen.
Aber ruhig erwartet sie der Marschbewohner: weiß er
doch, daß seiue Deiche hoch und stark genug sind, ihm
sichern Schutz zn gewähren. Höchstens mag ihn ein trüber
Gedanke an die Mühen und Kosten der Dächarbeit kommen,
die durch wenige Stunden herbeigeführt werden können.
So steht er, unbekümmert um den heulenden Sturm,
auf der Kappe des Deiches und schaut iu ernstem Sinnen
auf die wallenden Fluchen, von denen er genau weiß, wann
sie gegen den Deich heranströmen werden.
Noch ist das Vorland trocken, noch sind die Finthen
in ihrem Bette, doch man sieht schon wie sie toben, wie sie
sich bäumen und die weißen Zähne zeigen, als harrten sie
voll Ungeduld der Stunde, da eine höhere Macht ihnen das
Anzeichen zum Angriffe giebt.
Jetzt nahen sie. Lauter und Lauter wird das Brausen
und Donneru. Sie erreichen das Vorland, in kurzer Zeit
ist es bedeckt und beut nun, so weit das Auge reicht, nur
eine einzige wilde Wasserwüste, deren Schauinkäinine bleu-
deud weiß gegen das trübe Grau der Wogen abstechen. Kein
Schiff ist weit und breit zu erspähen, alle sind sie vor dein
Sturme in sichere Buchten geflüchtet, und nur hier und dort
kündet ein einsamer Weidenbaum, der mit feinem nickenden
wild zerzausten Haupte aus den Flutheu ragt, daß da unter
den wilden Wogen grünes fruchtbares Land liegt.
Und noch immer höher schwillt das Gewässer; jetzt ist
auch die Bärme, der Fuß des Deiches, besluthet, endlich der
Deich selbst, und es beginnt durch den Widerstand desselben
eine furchtbare Brandung, ein wahrhaft majestätisches
Schauspiel. Mit zerstörender Gewalt schnaubt Woge auf
Woge an ihn hinauf; kaum wird die erste zurückgewiesen
von seiner Schrägung, als schon die nächste mit erneuter
Wnth heranrollt. Dazu steigt die Fluch noch mit jedem
Augenblicke. Hoch aufbäumen sich die wilden Wasser und
schauen gierig über den Deich iu's gesegnete Land, weit
hinein ihren stäubenden Schaum schleudernd, als ob sie der
Anblick ihres alten Eigenthums mit doppelter Wnth erfüllte.
Dazu der heulende Sturm, der des Himmels dunkle Regen-
wölken in rasender Eile vor sich hinjagt; Schaaren segeln-
der Möven, die umsonst mit dem Winde kämpfen, bis sie
ermattet sich auf die geschützten Wiesen und Aecker flüchten,
und endlich hie nnd da ein Marschbewohner, der trotz Sturm-
gewalt und Wogendrang sich mühsam längs des Deichs
durch den spritzenden Schaum arbeitet, um zu erspähen, ob
ihm nicht die Flutheu einen Balken oder einige Bretter oder
sonst eine Beute zutreiben. Alles Dies vereint, giebt ein
Bild von wilder Großartigkeit.
Doch der Marschbewohner blickt noch immer kalt nnd
ruhig iu den Aufruhr. Hat nur der Deich hinreichende
Höhe und Schrägung, so wird er nicht vor einer Fluch
weichen, ob auch ihre Wogen noch so mächtige Stücke heraus-
reißen und noch so tiefe Höhlungen iu seinen Leib wühlen.
Doch wehe ihm! wenn das Wasser so hoch steigt, daß
es mit dem Gipfel des Deiches gleich wird. Vom nnabläf-
sigen Bespülen ist dann bald die festgetretene Kappe erweicht,
und das Schicksal der Menschen hängt oft nur noch an
einem Haar. Die geringste Lockerheit des Erdreichs, ein
einziges Mäuseloch oder ein Maulwurfsgang kann jetzt Ur-
fache des größten Unglücks werden. Durch die kleinste
Rinne dringt sofort das Wasser, spült sich schnell weiter und
im Nu reißt ein Stück der Kappe fort.
Ist aber Das geschehen, so ist auch ein Deichbruch
unvermeidlich; denn mit furchtbarer Gewalt dringt jetzt die
hoch aufgestaute Fluch durch die entstandene Oesfnnng, die
mit jeder Minute breiter und breiter wird. Da endlich
bricht auch das letzte noch feste Erdreich bis auf den Grund
fort, und durch nichts mehr gehemmt, schießt donnernd und
brausend der rasende Strom durch die weite Gasse dahin,
tief den Grund aufwühlend, Alles was er auf seinem Wege
findet, mit sich fortspülend, Häuser im Nu zertrümmernd,
Bäume ausreißend, Menschen und Thiere in seinen Finthen
begrabend nnd bald die weite ruhige Marschebene in eine
wilde graue Wasserfläche verwandelnd.
Sowie sich daher eine Kappstürzuug zeigen will, wird
Globus, Chronik der Reisen
nnd Geographische Zeitung.
151
in höchster Hast das Mögliche aufgeboten, um dieselbe zu
verhindern. Sandsäcke, Mist, Stroh, Balken, Bretter,
Alles was nur irgend dienlich sein kann, wird zur Ver-
stärknug auf die bedrohte Stelle gebracht.
Ebenso eilt man auch nach einem wirklichen Deich-
bruche, fo wie nur die Ebbe es zuläßt, die entstandene Lücke
für die nächste Fluth so gut wie möglich zu verstopfen.
Eiligst nnd mit großer Strenge werden selbst die umliegeu-
den Ortschaften dazu aufgeboten, um schuell aus allem mög-
liehen Material eine hohe mächtige Barrikade aufzuwerfen.
Alan arbeitet mit kaum glaublicher Anstrengung, nnd doch
spült vielleicht schon wenige Stunden darauf die Fluth das
ganze mühevolle Werk wieder fort, und Alles war umsonst.
Allmers giebt einen Ueberblick verheerender Sturm-
fluthen bis auf die jüngste Zeit. Furchtbar war jene am
Weihnachtstage des Jahres 1717. Nachdem schou tagelang
ein furchtbarer Sturm aus Westen geweht nnd ungeheuere
Wassermassen aus dem britischen Kanal in die Nordsee ge-
Peitscht hatte, brachen sie über die Marschen herein und
richteten unbeschreibliches Unglück an. Nicht eine Gegend
blieb verschont, namentlich litten die Oldenburger Marschen
und fast in allen Kirchen hängen dort heute noch Gedächtniß-
tafeln, die aus ihren Kirchspieleu manche grausige Geschichte
erzählen. Mau weiß genau, daß dort die Fluth 2471
Menschen und über 40(^0 Stück Vieh fortspülte; in Ost-
friesland fast die gleiche Zahl, und auf der deutschen Nord-
seeküste überhaupt mehr als fünfzehntausend Menschen!
Das war die letzte große Fluth des vorigen Jahrhunderts.
Am 21. Oktober des Jahres 1815 stürmte das Meer
noch einmal mit wilder Gewalt gegen die Küsten, aber seine
Macht war vergeblich. Diesmal trotzten alle Deiche, weil
sie doppelt so hoch und stark waren, wie jene von 1717.
Die Wogen vermochten nur tiefe Höhlungen hinein zu
wühlen und sie manchmal bis zur Hälfte zu zerreißen.
Aber eine zweite, unmittelbar daraus folgende Fluth würde
alle Deiche zertrümmert und unsägliches Unglück herbeige-
führt haben. Daö Schicksal des Osterstader Dorfes Offen-
Warden hing bei dieser Fluth au einem Haare. Der wegen
eines Schleuseubaues neu aufgeworfene, noch ganz lockere
Deich vor jenem Orte litt bereits auf das Höchste. Schon
begannen die hochgefchwolleuen, unablässig herandrängenden
Fluthen, sich oben durch die Deichkappe einen Weg zu
bahnen. Die Gefahr hatte den höchsten Gipfel erreicht,
eine Kappstürznng war mit jeder Minute vorauszusehen
und dann ein vollendeter Dnrchbrnch unvermeidlich. Da
w a r fen si ch d i e B e w o h n er d e s D o r f e s (der Ingenieur
Schröter, Eukel des Astrouomeu, voran) voll Mnth
mit ihren Leibern auf die Deichkappe. Jeder ein
Büudel Stroh vor sich, lagen sie dort so lange im Sturm
und Wogeudrang, bis das Wasser gefallen und die Noth
vorüber war, und retteten mit Gefahr ihres Lebens nnd
unter unsäglicher Anstrengung ihr Dorf.
Eine polnist!
„Großpolen muß wieder erstehen. Es muß
reichen von Smoleusk bis Meseritz und von Danzig
öis zum Scharzen Meere!"
So rufen jetzt polnische Edelleute im Nameu der „pol-
tischen Nationalität", der uiau wieder zu ihrem Rechte ver-
Helsen müsse. Sie erheben den „Schmerzensschrei", und
zeigen von vorne herein, was die Gesittung von ihnen zu
erwarten hätte, wenn überhaupt die Bestrebungen des pol-
Nischen Junkerthums auf Erfolg rechnen können. Sie miß-
handeln die Inden, laufen Sturm gegeu die Deutschen,
welche Betriebsamkeit in das verwilderte Land gebracht haben
nnd legen die Brandfackel auch an die Stätten der Gewerb-
famkeit, an die deutschen Fabriken. Der Jnstinet des Müsfig-
gängers wüthet gegen die fleißigen Menschen nnd steigert
dadurch nur noch die große Nichtachtung, welche das gebildete
Europa längst vor dem nrsarmatischen Treiben an der
Warthe nnd Weichsel hegt.
Trügen die Polen den Untergang ihres Staates mit
würdigem Ernste, gingen sie in sich, trachteten sie mit sttt-
ucher Energie darnach, ihre alten nationalen Sünden abzn-
^gen und dnrch Tugenden zu ersetzen, sie würden dann ans
^heilnahme und ntüde Beurtheilung rechnen dürfen. Aber
!le thnn gerade das Gegentheil; sie gcbehrden sich turbulent
wie im vorigen Jahrhunderte. Sie führen einen phan-
tastischen Karneval auf, eine politische Tragikomödie, in
welcher auch Rüpel auftreten, welche dem polnischen Volke
zurufen: „Die Deutschen sind gefühllose Halbbar-
'aren, Despoten, welche an den Eireus des Kaisers Nero
gemahnen!" Mit Sarmaten, die sich unter dem Jubel der
, nker solche Acußeruiigen gegen uns erlauben, dürfen wir
Mcht glimpflich verfahren, aber wir wollen anch gegen sie
gerecht sein.
Man wirft wieder mit der Redensart von einer „Aus-
)t Landkarte.
erstehuug Polens" um sich, obwohl die Geschichte der-
selben längst ihr Recht angedeihen ließ. Sie erlaubt wohl,
daß Staatenleichen für einen Augenblick galvanifirt werden,
aber sie gestattet ihnen keine Lebensfähigkeit. Woran und
wodurch ging der polnische Staat zu Grunde? Jedermann
weiß es. Es giug zu Grunde au seiner unruhigen, nnsitt-
lichen, das eigene Land an die Fremden verrathenden
Adelsdemokratie, an der religiösen und politischen Uuduld-
samkeit, au dem Zwange, welcher auf solchen Staatsan-
gehörigen lastete, die nicht zur polnischen Nationalität ge-
hörten. Er giug zu Grunde an dem Drucke, mit welchem der
Edelmann den leibeigenen Bauer beschwerte, an der Trägheit,
dem Luxus, der Verschwendung nud Unwirthlichkeit der
Adeligen, an dem Mangel eines Bürgerstandes, welchen die
' Polen ans sich selber herauszubilden nie vermocht haben.
! Mit einem Worte, Polen ging an der polnischen Wirth-
schaft zu Grunde. Jetzt eben treibt man wieder polnische
Wirtschaft in Polen ; die Enkel haben nichts gelernt, aber
j die Sünden der Väter vergessen.
Wir haben hier die Anmaßungen des polnischen Adels
nicht etwa vom politischen Standpunkte zu beurtheilen; es
ist aber unsere Aufgabe, die ueusarmatifcheu Bestrebungen
einer geographischen und ethnologischen Erörterung zu unter-
werfen.
Die Polen haben Landkarten in Umlauf gesetzt, auf
welchen das gesammte Gebiet der weiland polnischen Re-
publik verzeichnet ist, uud sie machen Anspruch nicht nur ans
staatliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit des polnisch-
redenden Volkes, sondern verlangen zugleich Wiedervereiui-
gnng aller Provinzen, welche einst zum „polnischen Reiche"
gehörten. Was ste einmal besessen haben, wollen sie wieder
erobern. Im Namen der „Nationalität" möchten jie
sofort die sehr berüchtigt gewordene „Annexion" auch für
152 Globus, Chronik der Reisen
sich ausbeuten. Eine Minderheit will über die Mehrheit
verfügen.
Das alte Polen war ein zusammenerobertes Land,
in welchem nur der dritte Theil der Bevölkerung die pol-
nische Sprache redete. Es konnte sich nach Osten hin aus-
dehnen, so lauge sich die Russen der Mongolen und Ta-
taren zu erwehren hatten und überdies unter Theilsürsten
zerstückelt waren. Nach Westen hin drangen die Polen vor,
so lange die Deutschen ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise nach
anderen Richtungen hin wandten. Sobald Rußland unter
Einem Herrscher vereinigt und der Tataren ganz Herr ge-
worden war, gebot es sofort den Polen ein Halt. Von der
westlichen Seite her drangen die Deutschen mit Pflug. Axt,
Mauerkelle, Hobel und Schwert immer weiter nach der
Weichsel hin. Das alte Polen bestand aus dem sogenannten
Klein-Polen, das heißt den Wojwodfchaften Krakau,
Sandomir und Lnblin; aus Groß-Poleu, nämlich Posen,
Kalisch, Sieradie und Lenczycza; Knjavien, d. h. Brzese-
Kujawsky und Jnowraelaw; Masovien, also Masovien
im engern Sinne, Plotzk, Rava und Dobrzyn. Es rech-
nete zu sich Pommern und Preußen mit den „Wojwod-
fchafteu" Kulm, Marienburg und dem Herzogthum Preu-
ßen; ferner Podlachien östlich von Masovien, das Groß-
fürstenthum Lithauen, welches den ganzen Nordosten um-
faßte; also Lithaueu im engern Sinne, d. h. Wilna und
Troki; das Herzogthum Samogitien; Schwarz- und
Weiß-Rußland, d. h. die Wojwodschaften Nowogrodek,
Brzesc-Litewski, Minsk, Polotzk, Witebsk, Mfcislaw und
Smolensk. Dazu kamen dann Kurland, das mit Sem-
galleu ein Herzogthum unter der polnisch-lithanischen Krone
bildete, die Wojwodfchaft des polnischen Livland; Roth-
rußland, d. h. Galizien, Pokukieu, Belz und Chelm,
Wolhynien, Podolien, die Ukraina und das Land
der Kosaken. Das Gauze hatte zur Zeit der ersten Thei-
lung, bis 1772, eiueu Flächeninhalt von etwa 21,340 Ge-
Viertmeilen.
Schon vom Jahre 1588 au war Polen im wachsenden
Verfall und Rußland wurde immer stärker. Das letztere
gewann die ihm von den Polen aberoberten Länder allmälig
zurück, nahm schon 1611 Smolensk wieder, und 1621 ging
Riga für Polen verloren, die Moldau und Walachei lösten
ihr Lehnsverhältniß mit dem letztern, in der zweiten Hälfte
des siebenzehnten Jahrhunderts zog es den Kürzern in den
Kriegen mit Schweden, mit dem Kurfürsten von Branden-
bürg und mit Siebenbürgen; 1667 mußte es die Ukra'i'na
am linken Ufer des Dnjepr und Kiew au die Moskowiter
abtreten und wurde auch von den Türken geschlagen.
Die Folgen der Einführung der Jesuiten, welche 1578
nach Polen kamen und das Liberum veto (Nie pozwalam,
ich will nicht), durch welches seit 1652 eine zügellose Junker-
demokratie die Angelegenheiten des Staates bestimmte, machte
sich fühlbar. Auch hatte man keinen Bürgerstand. Seit 1718
wurde der russische Einfluß überwiegend; die polnischen
Edellente, deren wirthfchaftliche Verhältnisse durchaus zer-
rüttet waren, verkauften sich an die Feinde des Landes, und
den Königsstuhl bestieg ein Günstling der russischen Kaiserin.
Früher waren die polnischen Wellen weit nach Osten
hin vorgedrungen, nun kam die moskowitische Rückströmung,
welche genau so weit reichte, wie die russischen
Mundarten. Rußland nahm in der ersten Theilung
Weiß-Rußland und Roth-Rnßland, also Länder, welche
Polen erobert hatte. Zwei weitere Theilnngen blieben nicht
aus, 1815 erfolgte die vierte. Rußland nahm auch das
sogenannte Eougreß-Polen, dessen östliche Gränze mit der
polnischen Sprachgränze zusammenfällt, Preußen nahm Po-
sen und Westpreußen, Oesterreich Galizien.
und Geographische Zeitung.
Diese Theilnngen wird Niemand rechtfertigen; sie sind
ebenso unsittlich wie die ganze polnische Wirtschaft und nur
durch die letztere wurden sie überhaupt möglich. Diese ist
auch Schuld, daß die Weltgeschichte mit eisernem Schritt
über Polen hinweggegangen ist.
Es liegt in dem Gange, welchen die Geschichte in Polen
und demselben gegenüber genommen hat, eine Art von histori-
scher Gerechtigkeit, die freilich durch finstere Mächte voll-
zogen wurde. Dem Volke und dem ganzen Staatswesen
fehlte der innere Halt; die wilde Adelsdemokratie hatte keine
Berechtigung mehr zum Dasein. Sie hatte nicht das Zeug
in sich, aus den zusammeneroberten Landschaften einen orga-
nischen Staat zu schaffen und ihn ethisch zu durchdringen;
Alles war ein mechanisches Nebeneinander. Die Vergröße-
rnng war rasch von Statten gegangen, die Verkleinerung
war allmälig. Aber es bleibt bemerkenswerth, daß aus
Lelewel's historischen Karten, welche Polens nrsprüng-
licheu Umfang in den Jahren 1025 und 1033 darstellen,
die Gräuze gegen Rußland sich genau eben so stellte, wie
jene zwischen Rußland und dem „Königreich" Polen unserer
Tage. In den Gegenden, welche östlich von dieser Gränze
liegen, in ganz Lithaueu zumal, waren die russische Sprache
und die griechische Religion jene des Volkes, nicht etwa die
polnische Sprache oder die katholische Kirche. Noch zu Ende
des sechszehnten Jahrhunderts bekannte sich dort der größte
Theil des Adels, insbesondere die Wisnowiecki, Tschetwer-
tinski, Czartoryiski, Oginski, Sangnszko, Ostrogski,
Sapieha, Chreptowitsch und viele andere zur russischen
Kirche. Sie sind ursprünglich keine Polen. Alle öffentlichen
Docnmente wurden in russischer Sprache versaßt, und
das lithauische Gesetzbuch (Statut litewski) ist erst zu
Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts in polnischer
Übersetzung erschienen, während der russische Text noch
lauge Zeit uachher der authentische war.
Klein- und R o t h r u ß l a n d gehörten niemals zum
Urgebiete der polnischen Nationalität, Kiew ist die Wiege
der russischen Herrscher. In Wolhhnien und Podolien war
Alles so urrussisch, daß noch Sigismund der Dritte 1589
ein besonderes Tribunal für die polnisch-russischen Provinzen
errichtete, in denen nur das Russische Gerichtssprache war.
Nachdem die Jesuiten in's Land gekommen waren, wurde
der griechische Klerus mit barbarischer Grausamkeit verfolgt.
Aber Polen hatte eine verhäuguißvolle Bahn eingeschlagen;
die Macht dieses Staates beruhete nicht auf eigener Kraft,
sondern auf zeitweiliger Schwäche feiner Nachbarn. Als
diese sich kräftiger fühlten, wurde der Spieß umgekehrt, und
schon früh erklärten die Nüssen, „daß sie alles geraubte
Eigenthum wieder erobern wollten." Und dieses Ziel haben
sie im Fortgange der Zeit vollständig erreicht, denn Polen
zog sich sein Schicksal durch eine wunderbar widersinnige
Handlungsweise selbst zu.
Es hatte erbitterte Parteikämpfe, keine Ordnung im
Staatswesen, keiu organisirtes Heer und keine Finanzen,
wohl aber eine Oligarchie, von welcher die Junkerdemokratie
gegängelt wurde. Mit Recht sagt der englische Geschicht-
schreiber Alison: „Polen verband mit dem Ungestüm einer
Adelsdemokratie das Ansschlnßshstem der Aristokratie. Es
besaß die Jnconfeqnenz der Republik ohne die Energie der-
selben und den Druck der Monarchie, ohne deren Festigkeit."
In der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts fielen die
Kosaken ab, weil sie die polnische Unterdrückung nicht mehr
ertragen konnten. Schon 1661 weissagte König Johann
dem Reichstage die Theilung; das Land werde eine Beute
der Nachbarn werden. „Der Moskowiter wird Lithanen zu
seinem Autheil wählen, dem Brandenburger Groß-Poleu offen
stehen, das Hans Oesterreich Krakau für sich passend finden."
Globus, Chronik der Reise
König Johann war ein Prophet. Im achtzehnten
Jahrhundert ging Polen unter, im neunzehnten hat es Ex-
perimente gemacht, wieder aufzuleben, aber vergeblich. Der
erste Napoleon benutzte es als Werkzeug seiner Leidenschaften,
für den zweiten wird es lediglich ein Werkzeug der Berech-
nnng sein. Ein Binnenland, ohne reiche Gliederung, getrennt
vom Meer und dessen erfrischendem Hauche, mit einem nn-
entwickelten Volke, könnte ohnehin nie einen kräftigen Staat
bilden.
Aber die polnischen Adeligen und die mit ihnen ver-
bündeten Priester verlangen das „alte Polen" zurück! Kos-
ciuszko, der tapfere Mann und edle Vaterlandssrennd, mit
dessen Namen und Andenken das heutige Geschlecht so viele
Koketterie treibt, konnte in dem Verzweislnngskampfe, den er
bei Maciejowice schlug, kaum zehntausend Streiter dem
Feinde entgegenstellen. Weshalb waren die Leute des alten
Polen nicht bei dem edeln Helden? Sie hatten ihn im Stiche
gelassen und er rief das Wahrwort aus: Finis Poloniae!
Phantastischer Enthusiasmus und politische Unfähigkeit sind
nicht geeignet, einer Staatenleiche wieder Leben einzuhauchen.
Die Länder, welche östlich und südöstlich vom heutigen
Königreiche Polen liegen, haben eine nicht-polnische
Volksthümlichkeit, eine nicht-polnische Sprache, und
zum größten Theil auch eiue nicht-polnische Religion.
Allerdings kamen auch im Fortgange der Zeit Polen in
jene Gegenden, aber sie bildeten stets nur einen sehr kleinen
Bruchtheil der Bevölkerung. Das ergiebt sich aus statisti-
schen Nachweisnugen. Die fünf ehemals polnischen Provin-
zen, nun russischen Gouvernements, Kiew, Tschernigow, Pol-
tawa, Wolhynien und Podolien hatten nach der Zählung
von 1835 zusammen 8,898,500 Einwohner; davon be-
kannten sich nur 1,361,500 nicht zur griechischen Kirche,
also weniger als der fünfte Theil, der ohnehin noch die
griechisch Unirten, die Inden und Protestanten umfaßt. Wie
kann nun in einem Lande, wo kaum der siebente oder achte
Mensch ein Pole ist, von einer „polnischen Nationalität" die
Rede sein?
Ein polnischer Schriftsteller, Leonhard Chodzko, räumt
auch ein, daß in der alten Wahlrepublik nur ein Drittel
der Gesammtbevölkernng poluisch gewesen sei. Bon den 18
Millionen waren etwa 6 Millionen Polen, 8 Millionen
Russen, je eine Million Lithaner und Deutsche, während die
Zahl der Juden sich nahe an 2 Millionen belief. _ Gegen-
wärtig mag die Anzahl polnisch redender Menschen im Gan-
zen sich ans 7 V2 Millionen Köpfe belaufen, während das
Gebiet der ehemaligen polnischen Republik etwa 28 Millio-
neu Seelen zählt. Nun möchte ein Bruchtheil, welcher nur
ein Viertel der Gesammtmenge zählt, die Herrschaft an sich
reißen und in ähnlicher Weise verfahren, wie die Magyaren
ln Ungarn!
^ In Posen und Westpreußen besteht jetzt beinahe die
Hälfte der Bevölkerung aus Deutschen, und bald werden diese
Letzteren das polnische Element wie längst an Gesittung und
»leiß, so auch au Zahl überflügelt haben. Eine Flur nach
ker andern kommt, in Folge der polnischen Unwirtschaftlich-
und Geographische Zeitung. 153
feit, in deutsche Hände. Betriebsamkeit und Ordnungsliebe
ziehen dort ein, wo die Trägheit weicht.
Wie fanden die „deutschen gefühllosen Halbbarbaren"
das polnische Land, als sie dorthin kamen? Man kann es
in Friedrichs des Großen Werken lesen. Der König schreibt:
„Die Städte waren in erbärmlichem Zustande. Kulm
hatte gute Mauern, große Kirchen, aber statt der Straßen
nur die Kellergewölbe ehemaliger Hänser. Vierzig Häuser
bildeten den großen Marktplatz; von ihnen waren 28 ohne
Thüren, ohne Dach, ohne Fenster und ohne Besitzer. Brom-
berg (das jetzt etwa 20,000 Einwohner zählt) hatte 1775
nur 800 Seelen, und war völlig im Verfall feit der Pest
von 1709. Die Polen thaten Nichts, diese Städte wieder
zu heben. Friedrich fügt hinzu, man werde es kaum glau-
ben und doch sei es Thatsache, daß in jenen unglücklichen
Gegenden ein Schneider eine seltene Erscheinung war; eben
so fehlten Apotheker, Stellmacher, Maurer und Tischler,
welche dann der König hinschaffen ließ. Natürlich waren
sie „deutsche Halbbarbaren." Napoleon der Erste hat ge-
sagt, „daß Alles Gute und Ordentliche, aller Fortschritt in
Polen, den Preußen zu verdanken sei." Die Halbbarbaren
haben für Kulturmittel gesorgt. Im Jahre 1815 hatte
Preußisch Posen gar keine Realschule, 1861 hat es deren 3;
es befaß 2 Gymnasien und hat nun 6; die Zahl der Stadt-
und Dorfschulen stieg von 543 auf mehr als 1200, die
Zahl der iu denselben beschäftigten Lehrer von 884 auf
2200, jene der Schüler von 31,000 auf mehr als 200,000.
Das sind Folgen der „deutsche» Tyrannei." Einem
polnischen Edelmann muß es seltsam erscheinen, daß unter-
preußischer Regierung Jedermann ohne Ausnahme gleiche
Rechte hat, daß die Verwaltung keinen Unterschied macht
zwischen dem Bauer und Adeligen, daß man gerichtlich an-
gehalten wird, Schulden zu bezahlen und daß, wenn sie nicht
bezahlt werden, die Güter unter den Hammer kommen, und
dann durchgängig von Deutschen gekauft werden, welche den
Kaufschilliug erlegen.
Solche Betrachtungen drängten sich uns auf, als wir
die Landkarte sahen, welche Iung-Polackien von dem Zu-
kuuftsreiche, dem wiederhergestellten „alten Polen" entwor-
fen hat. Danzig spielt als Seehafen auf derselben eine
Rolle, aber nicht als Danzig, sondern als Gdansk. Alle
Städtenamen stnd natürlich polnisch eingetragen worden,
auch Königsberg als Krolewiec und Marienburg, die
Stadt der deutschen Ritter, als Malborg. Thorn ist
Toruu, Graudenz Grudziouz, Kulm Chelmno, Dir-
schan Tczewo, Mewe heißt Gniew, Bromberg Bydgosz,
Küstrin Kostrzyn und so fort. Die Weichsel und Oder-
festungen will natürlich das Junge Polen für sich nehmen,
— wenn es kann.
Von allen Staaten, welche untergegangen sind, verdient
Polen die geringste Theilnahme. Wir haben schon gesagt,
wodurch es sich zu Grunde richtete. Eine Wiederherstellung
Polens erscheint aus geographischen und ethnologischen
Gründen eben so unmöglich als überflüssig. Sie würde nur
ein Element der Verwirrung mehr in Europa sein.
Ein S t e p p e n li i l d.
Nußland hat, bei seinem Vordringen nach Jnnerasien, die
Kirgisensteppe zwischen dem Mittlern Laufe des Uralstromes und
dem Syr Darja (Jaxartcs) in Abhängigkeit zu bringen gewußt.
Die Negierung gründete in der Steppe feste Ansiedelungen, zuerst
Fort Orenborgskoje oder Neu-Orenburg, unter 49° 38' 17"
GU'buS 1861. Nr. 5.
nördl. Breite, 81° 15' östl. Länge, am rechten Ufer des Flusses
Turgai, 450 Werst (7 gleich 1 deutschen Meile) von Orskaja, dann
in demselben Jahre Fort Uralskoje oder Nowo-Uralskoje,
am linken User des Jrgis, unter 48° 37' 29" nördl. Breite, 78°
58' 21" östl. Länge; endlich unter 4L» 4' 19" uövbt. Breite und
20
154
Globus, Chronik der Reisen
und Geographis che Zeitung.
79° 26' 56" östl. Länge am rechten Ufer des Syr Darja, etwa 60
Werst oberhalb der Einmündung desselben in den Aralsee, die
Festung Rahim, welche aber bald nachher Aralskoje Ukre-
plenje genannt wurde. Seitdem siud uoch andere solche Militär-
Posten angelegt worden.
Im Sommer des Jahres 1847 wurden die neuen Plätze vom
General Obrntschew besucht, und in seiner Begleitung besand sich
der treffliche Naturforscher A. Nöfchel, um Beobachtungen an-
zustellen, welche Herr vou Helmersen im achtzehnten Bande der
„Beiträge zur Kenntniß des russischen Reiches und der angräuzeuden
Länder Asiens" 1856 veröffentlicht hat. Obrntschew wollte die
jüngst gebauten kleinen Festungen mit Besatzung und den nöthigen
Vorräthen versorgen. Es war keine leichte Aufgabe, eine bedeu-
tende Menge von Menschen, Pferden, Lebensmitteln, Vorräthen
und Baumaterial durch eine wasserarme, von den Strahlen der
Sonne durchglühete Steppe zu führen, in welcher das Rean-
mnrsche Thermometer im Schatten auf 35,& Grad stieg, während
der Sand sich zu 47,5 Grad erhitzte! Der Zug war in den letzten
Tagendes Maimonats 1847 von Orskaja aufgebrochen, hatte in
33 Tagen etwa 1000 Werft zurückgelegt und begrüßte am
I.Juli wohlbehalten den blauen Wasserspiegel des Aralsees und die
öden Ufer des Iaxartes, an welchem er mit Glockengeläut und
Kanonendonner empfangen wurde. Damals brachte mau zuerst
ein verdecktes Segelboot uud einige zwölfrudrige Barkassen auf deu
Aralsee, auf welchem bisher nur einige kirgisische Boote schwammen;
die letzteren haben sich die Kirgisen in Chiva und der Buchara ver-
schafft.
Nöschel entwirft ein prächtiges, ungemein anschauliches Bild
von der Steppe. Sie stellt sich dem Beobachter als eine baumlose,
an Bergen arme Fläche dar, die sich mit einem meeresähnlichen
Horizont an das blaue, oft gauz wolkenlose Himmelsgewölbe an-
zuschließen scheint. Allem diese Fläche bietet durchaus keine voll-
kommene Ebene dar, denn bei genauer Untersuchung zeigt sie sich
wellenförmig gestaltet, sodaß Roß und Reiter uud sogar das große
Kameel auf dieser scheinbaren Ebene oft in geringer Entfernung
dem Auge verschwinden, als wären sie untergetaucht. Sanfte Er-
Hebungen wechseln mit flachen Vertiefungen, ähnlich den Wogen
eines großen Meeres, sodaß der Gesichtskreis bald außerordentlich
erweitert, bald sehr beengt ist.
Der gänzliche Mangel an markirten größeren Gegenständen,
als Bäume, Gebäude uud dergleichen, erschwert dem Ungeübten das
Messen der Entfernung mit dem Auge so sehr, daß er den gröbsten
Täuschungen ausgesetzt ist. Hügel von wenigen Hundert Fuß Höhe
tauchen schon in weitester Ferne empor, aber viel überraschender
sind die tiefen Wasserrisse und Thäler mit steilen Rändern, an
welche der Reisende oft plötzlich gelangt, ohne sie vorher bemerkt zu
haben.
Licht, Wind uud Schall werden hier durch Nichts aufgehalten,
sie gehen ungehindert ihren Gang. Nirgends Schatten, nirgends
Windstillen, nirgends Wiederhall. Ueberall glüht es, überall weht
es, überall ist es unheimlich still und stumm. Unter dnnkelen Ge-
Witterwolken wirbelt sich bisweilen der Staub empor und zieht in
wilden Bewegungen durch die Fläche hin als eine Säule, die Alles
zu überschütten droht. Nur in den unteren, stark erwärmten Lnst-
schichten erleidet das Licht eiue merkliche Aeuderung in seiner Rich-
tuug uud ruft die vielbesprochenen, trügerischen Bilder der Fata
Morgaua hervor. Leben und Bewegung erblickt man nur noch an
den Ufern der Gewässer und auf den vereinzelten Hügeln und
Bergen, die oasen- und inselartig in dem großen Steppenmeere
auftauchen.
Zu den kennzeichnenden Eigenschaften der Steppe gehört anch
der ausfallend schroffe Wechsel verschiedener Bodenarten, welche vou
der fruchtbarsten Dammerde durch alle Grade der Güte hindurch
bis zum lockern Triebsande und todten Salzsumpfe hinab anzu-
treffen sind, und die grelle Verschiedenheit der Erscheinungen in den
einzelnen Jahreszeiten. Flora, Fauua und hydrographische Ver-
Hältnisse sind daher nirgends so sehr von dem Boden und der Zeit
abhängig als hier. Jede Bodenart bietet besondere Erscheinungen,
jede Jahreszeit ein anderes eigenthümliches Bild dar.
So breitet sich hier vor dem Wanderer ein wiesenartiger
Teppich aus, bald bunt bewachsen mit üppigen Futterkräutern,
Blumen und Gesträuchen, bald einförmig grün. Oder der Weg
geht über sanfte Wellenberge hin, deren Gipfel mit Todtendenk-
mälern geschmückt, deren Thäler und Schluchten mit süßem Wasser
erfüllt uud mit malerischen Felspartien verziert sind. Hier bewegt
sich mit langsamem Schritte der Zug der Nomaden, die ihre großen
Heerden weiden. Dort ergötzt sich in munteren Sprüngen die
Saiga- Antilope, ergeht sich das Murmelthier und die ganze Fa-
milie der Nagethiere der Steppe; es nisten Schaaren von Vögeln,
verbergen sich Schlangen und grüne Eidechsen, summen zahllose
Käser uud Fliegeu, schrillt das Heimchen oder die gefräßige Heu-
schrecke und flattert der bunte Schmetterling.
Ein anderes Mal wird das Auge ermüdet durch unabsehbare,
graugrüne uud gelbe Flächen, die mit Wermutharten und anderen
Pflanzen bedeckt sind. Aus diesen Flächen taucheu grüne, mit Salz-
pflanzen bewachsene Oasen und schneeweiße mit Salzansblähungen
bedeckte Stellen, stiukende, schwarze, grundlose Salzsümpfe oder
vereinzelte, steilansteigende Bergspitzen hervor. In den Ritzen und
Spalten des salzigen Bodens hausen Skorpione, Taranteln, Pha-
langen und andere Spinnenarten, und auf der Oberfläche bewegeu
sich uugeschickte Kröten und Eidechsen. Aber Alles ist grau, gelb
und fahl, selbst die meisten Wasser sind trübe und salzig. Dennoch
sind diese unerfreulichen Flächen der beliebte Aufenthalt des sogeuann-
ten wildeu Pferdes oder Esels, der Kameele und Schafe und bilden
reiche Quellen von Kochsalz und von Feuerungsstoffen. Als letz-
tere beuutzt man besonders die Pflanze Atriplex cana, kirgisisch
Kjnk Pok genannt.
Und wieder an einem andern Orte sieht man sich in einer end-
losen, sandarmen Wasserwüste. Alles ringsum ist bleudeud gelb,
die Lnst staubig und trocken. Der Sand glühend und wie durch
gewaltige Stürme zu Hügeln und Bergen zusammengeweht, zwischen
denen kesselförmige, mit 'gutem Wasser versehene Vertiefungen er-
scheinen. Diese Saudwüsteu entbehren jedoch nicht alles Lebens.
Ein zarter Schimmer von Grün, der durch eigeuthümliche Pflanzen
gebildet wird, bekleidet oft die Abhänge und in den Vertiefungen
verbergen sich grüne Flächen schilfartiger Gewächse, häufig sogar
dichte Gebüsche von Weiden, Tamarix und Sacksaul. Diese kleinen
Gärten werden durch besondere Arten von Insekten und Vögeln
belebt.
Dem Reisenden, welcher nur den Ufern der Gewässer entlang
zieht, bietet die Steppe wieder ein anderes Bild. Auch hier wechselt
der Boden durch verschiedene Grade der Güte hindurch, nur mit
dem Unterschiede,'daß hier der Wechsel schneller ist; die einzelnen
Bodenarten nehmen weniger Raum eiu und erscheinen zerstückelter.
Die Folge davon ist, daß ein und dasselbe Gewässer fast nie aller
Orten mit ein und derselben Art von Wasser erfüllt ist. Es pflegt
da, wo der Grund des Flusses oder Sees sandig ist, klar und süß
oder nur wenig salzig zu sein; da, wo er thonig oder salzhaltig er-
scheint, ist auch das über ihm sließeude oder stehende Wasser trübe,
salzig uud bitter. Größere Ansiedelungen können in dieser Steppe
nicht gelingen, weil der fruchtbare Bodeu an den Gewässern so zer-
stückelt und in abgerissenen Partien erscheint. Auch bemerkt man,
daß da, wo guter Boden in größerer Ausdehnung vorhanden ist,
gewöhnlich die hinreichende Menge vou Wasser fehlt, und wo das-
selbe vorhanden ist, mangelt es oft an Acker- und Wiesenland.
Aber jedenfalls gehören die Ufer der Gewässer zn den belebteren
nnd freundlicheren Theilen der Steppe, denn die Nähe des Wassers
ruft einen ausfallend kräftigern und länger dauernden Pflanzen-
wuchs hervor. Oft sind ganze Flächen mit blühenden Pflanzen be-
deckt; man sieht kleine Felder von Hirse, Gerste, Hanf, Arbusen und
Melonen, welche irgend ein heerdeuloser Kirgise durch künstliche,
mühevolle Bewässerung pflegt. Dichte, hohe Schilfwälder begleiten
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
155
den Saum des Wassers; sie verbergen eine Menge von Sumpf- und
Wasservögeln, Schildkröten und anderen Amphibien, großeHeerden
wilder Schweine, Ottern und gelegentlich auch Tiger. Menschen und
Thiere werden durch Schaareu von Mücken und Fliegen Mastigt.
Weiter oben wurde gesagt, daß der Anblick der Steppe je nach
den Jahreszeiten verschieden sei. Sobald der Schnee zu schmelzen
angefangen hat und von den Gipfeln der Hügel verschwunden ist,
erwacht sogleich eine eigenthümliche Regsamkeit. Zwei mächtige
Elemente, Wasser und Feuer, beginnen einen wilden Kampf. Es
sluthet uud brennt, als gelte es die Vernichtung der endlosen Fläche.
Die Gewässer überschreiten ihre Ufer, jeder Bach wird zum Flusse,
jeder Flnß zu einem reißenden Strome, jeder Sumpf zu einem fast
uferlosen See. Die Kirgisen zünden an den bereits trockenen
Stellen das dürre Gras und Gestrüpp des vorigen Jahres an.
Ranch erfüllt die Lnft und der Horizont erglänzt wie ein Feuermeer.
In den Niederungen wogt das Frühlingswasser, als wolle es den
Boden ertränken und auf den Höhen verzehren leckende Flammen
mit blutiger Zunge das alte dürre GraS. Feuer und Wasser, jedes
auf seine Weise, snchen die erschlaffte Kraft des Bodens zu erneuern
und zu stärken. In der That folgt nach dem Erlöschen der Flamme
und dem allmäligen Rücktritt des Wassers Schritt vor Schritt die
wohlthätige Wirkung dieser großartigen Restauration des Bodens.
Auf den fchwarzgebrannteu Höhen gewahrt man bald eine üppige,
dunkelgrüne Decke, und auf dem vom Wasser kaum verlassenen Bo-
den erscheint ein in den schönsten Farben prangenderBluinenteppich,
der von summenden Insekten und dichten, wolkenartigen Schaaren
verschiedener Vogelgattungen belebt wird. Aber dieses freundliche
Bild währt uicht lauge; Iris, Tulpen und Mandelstrauch sind
bald verblüht und wie durch Zauber ist alle Pracht dahin; die In-
selten sind verschwunden, ebenso die Schaaren der Vögel. Nur eiu
blendendes, schattenloses Lichtmeer umfließt noch mit glühenden,
austrocknenden Strahlen die weite, grüne Fläche; die Fata Mor-
gana erwacht, in dnnkelnWolken dräuet das Gewitter uud iu furcht-
baren Säulen wirbelt der Staub empor. Aber der Sturm ver-
scheucht die Wolken und vergebens sehnt man sich nach dem erqnik-
keudeu Regen. Immer deutlicher theilt sich das Grün in verschieden-
farbige Felder ein, die Salzsümpfe und Sandebenen treten immer
bestimmter hervor, Flüsse uud Seen weichen allmälig in ihre Betten
zurück und schrumpfen zusammen. Das Wasser wird dick und
trüb, voll Infusorien, der Sand glühend, der Biß der Schlangen,
Skorpione und Taranteln immer gefährlicher und unerträglich das
wilde Heer der Mücken und Fliegen. Das Gras wird gelb und
dürr und nur an den Ufern und zwischen den Sandhügeln erhält
sich auch deu Sommer hindurch einiges Grün.
Nim kommt der Herbst. Die Sonnenstrahlen haben das
Stechende, Versengende verloren, die Lüfte werden kühler, die
Wolken dichter, Regenschauer erquicken den Boden und unter den
sonnenverbrannten Halmen entsteht abermals ein grüner Schimmer.
An den Ufern der Gewässer knospen sogar wieder Blüthen hervor,
als wolle es noch einmal Frühling werden. Aber dann bricht der
Winter mit Frost und Schneesturm (Burau) herein, und strenet
seine Flocken aus. Er versetzt die wiedererwachte Natur mit eisiger
Strenge iu den langen Schlaf.
In solchen Steppen wählt sich da und dort ein Kirgise, welcher
nicht so glücklich ist, Heerde» zu besitzen, eine Stelle zum Anbau, die
er dann bewässern muß. Er theilt die Oberfläche des Landstückes
durch kleine Erdwälle in Vierecke von verschiedener Größe ein und
zieht Wassergräben, die einerseits mit dem Flnß oder See in Ver-
binduug stehen, andrerseits mit einem der entferntesten oder am
höchsten gelegenen Vierecke. Er versieht die Leitungsgräben noch
mit Querdämmen, im Fall der Boden vom Wasser ans landein-
wärts steigt, weil dann das mühsam Eingeschöpfte nicht wieder
zurückfließen kann. Aber wo das Land vom Ufer her sich neigt,
bewässert er ohne Gräben, nnmittelbar ans dem Flusse. Der ar-
beitsame Kirgise beginnt mit dem höchstgelegenen Viereck und schöpft
so lange Wasser aus dem künstlichen oder natürlichen Becken, bis
das Viereck gefüllt ist; dann dnrchbricht er den kleinen Erdwall
zwischen diesem nnd dem nächsten Quadrat nnd schöpft wieder
Wasser nach. So erntet er Getreide, das er, in Ermangelung von
Gebäuden, in Erdlöchern aufbewahrt.
Der „unbekannte" Westen in Nordamerika.
Alles Unbekannte hat für die Menschen seine Schrecken; die
Alten glaubten, das atlantische Meer sei eine fürchterliche Wasser-
wüste, über der ewige Nacht und Nebel lägen und in dessen Fln-
then fabelhafte Ungeheuer Haufen. Ebenso glaubte man noch in
Amerika vor kurzer Zeit, daß nicht weit westlich von der Grenz«
linie der Staaten Missouri nnd Iowa eine unwirkliche, öde Ebene
beginne, die sich bis zu den Felsengebirgen erstrecke und jede Ansie-
delung absolut unmöglich mache. Je mehr aber diese angeblichen
Wüsten von Reisenden und Offizieren der Armee erforscht werden,
desto mehr fruchtbare, grasreiche Thäler und wasserreiche Bäche
werden gefunden, welche die Erhaltung von Heerde» und den An-
ban des Bodens möglich machen.
Die Auswanderung uach Califoruieu auf dem Landwege war
die erste Thatfache, die bewies, daß die angeblichen Wüsten nicht so
absolut unfruchtbar sind. Die erfolgreiche Ansiedelung einer Ge-
meinde von 50 — 00,000 Mormonen zeigte abermals die Möglich-
keit, diese Wüste bewohnbar zu machen. Und jetzt hat sich in knr-
zer Zeit ein nenes Gemeinwesen von Goldgräbern in der Gegend
von Pikes Peak festgesetzt, die bereits damit nmgehen, einen neuen
Staat zu gründen. Wäre das Land wüst und unfruchtbar, so
würde es Niemand einfallen, sich in jenen entfernten Gegenden
niederzulassen. Es ist jetzt so viel festgestellt, daß das Land zwi-
schen dem Missonri und der Goldregion reich ist an Wasser nnd
Gras nnd daß es sich deswegen zum Anbau eignet.
Aber selbst der höchste Norden Nebraska's bis an die nörd-
lichen Felsengebirge ist nicht öde, wie die Reisen des Major
Schoonover. des Agenten der „sechs großen " Jndianernationen
zeigen. Dieser Strich wird der ganzen Länge nach, von Osten nach
Westen vom Iellow Stone-Flusse durchzogen. 27,000 Indianer
bewohnen noch diese Gegenden; den Weißen sind sie sehr feindlich
gesinnt, da sie wohl wissen, daß sie von ihnen eines Tages ans ihren
Jagdgründen werden vertrieben werden. Major Schoonover uud
seine Begleiter brachten ihre Waaren, die sie mitführten, beinahe
600 Meilen weit auf dem Aellow Stone hinauf. Er versichert, daß
der Fluß im Sommer 9Ü0 Meilen über seiner Mündung in den
Missouri für Dampfer schissbar sei. Dieser Flnß ist viel stärker
wie der Missouri, ähnlich wie der Missouri an seiner Mündung
in den Mississippi. Der Iellow Stone-Flnß wäre daher der eigent-
liche Missouri. (?) Vier- oder fünfhundert Meilen oberhalb derMün-
dung ist das ihn begränzende Land allerdings öde und unfruchtbar.
Weiter hinauf aber hat das Land Wald und Prärie. Wenn diese
Ansicht des Major Schoonover richtig ist, so könnten ans diesem
Flusse die Vorräthe für die Regierungstruppen nnd andere Waa-
ren bis auf eine Entfernung von 400 Meilen von Salt Lake City
zn Wasser transportirt werden und ganz bis in die Nähe verschie-
dener Forts in jener Gegend.
Das zum Anbau geeignete Land in dem Thale des Uellow
Stone bedeckt einen Flächenraum vou 100,000 Quadratmeilen, ist so
groß als der Staat Neu-Iork und die Neu-Englandstaaten zusam-
mengenomme». Weuu die Berichte des Majors Schoonover über
die Schiffbarkeit des Aellow Stone richtig sind, so können die Acker-
bauprodukte jener Gegenden leicht verschifft werden.
20*
156
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Die Ceutralregieruug hat bisher für diese Regionen so gut
wie gar nichts gethau, besonders für eine Route nach dem
Stillen Meere in jenen Gegenden. Alle ihre Anstrengungen
gingen in der Richtung von Neu-Mexico. Der Norden und
Nordwesten wurden von ihr den wilden Thieren und Indianern
überlassen.
E r d - und
Die Erdbeben dauern fort. Man schreibt aus Lahnstein
in Nassau vom 29. August, daß dort und in dem benachbarten
Koblenz in der Nacht vom 28. auf den 29. ein heftiger Stoß em-
Pfunden wordeu sei. Wir haben (Globus S. 30) Mittheilungen
über die Erdbeben gemacht, welche in der Mitte des Februars im
indischen Archipelagus so große Verwüstungen anrichteten. Noch
im März hielten dieselben an, wie uns folgender Bericht zeigt:
Die Insel Simo, welche zu der Batu-Gruppe an der Westküste
Snmatra's gehört, wurde am 9. März von einem schrecklichen Un-
glück heimgesucht. Die Insel zählte vor der Katastrophe 120 Häuser
mit 1045 Bewohnern. Gegen Abend des 9. März verspürte man
ein ziemlich starkes Erdbeben, die Einwohner liefen daher nach den
offenen Plätzen zwischen den Gebäuden, begaben sich aber nachher
auf das freie Feld, da man fürchtete, die Häuser, welche schou große
Risse bekamen und zu wanken begannen, würden einstürzen. Kurz
darauf vernahm man aus der Ferne mehrmals hintereinander ein
furchtbares Krachen, wie von Kanonenschüssen, und gleich darauf
sah man weit draußen im Meere eine riesige schaumweiße Woge,
welche mit Blitzesschnelle dem Lande zuschoß; ihr folgte gleich eine
zweite und dann noch eine dritte, und alle drei erreichten die flie-
henden Bewohner und nahmen Alles — Menschen, Thiere, Hän-
ser und Bäume — mit sich, da sie mit derselben Blitzesschuelligkeit,
mit der sie gekommen, auch wieder zurückströmten. Von 282
Personen, welche da versammelt waren, wo sich unser glücklich
verschonter Berichterstatter befaud, wurden 206 vom Wasser sort-
gerissen, und vou den 120 Häusern und 1045 Bewohnern der In-
sel wurden 96 Häuser zerstört und kamen 675 Menschen um, ohne
die 163 zn rechnen, welche fremd und zufällig auf der Insel au-
wesend waren. Von den 4000 Bäumen einer Plantage blieben
nur 6 stehen. Nach der Katastrophe bot die Insel ein Bild der ent-
setzlichsten Verwüstung dar uud die Menge der umherliegenden
verwesenden Leichname verpestete die Luft, obschou der größere
Theil der Umgekommenen in der Tiefe des Meeres begraben liegt.
Seebeben.
— Große Felsstücke waren vom Meere 3—400 Fuß weit auf's
Laud geschleudert und einem riesenhaften Jawi-Jawi-Banm, wel-
cher nahe am Ufer gestanden, fand man mit zerrissenen Wurzeln
uud Zweigen 400 Fuß von der Küste liegen. Bei alle dein Unglück
kamen doch auch einige Beispiele wunderbarer Lebensrettnngen vor,
so z. B. fand man zwei Tage nach dem Unglück ein einjähriges
Kind in der Krone einer 15 Fuß hohen Kokospalme, obfchon ge-
schunden und fieberkrank, doch noch lebend hängen; ein anderes
Kind fand man lebend an der Brust seiner tobten Mutter liegend.
— Dieses Erd- und Seebeben wäre demnach das zweite auf der
Batu- oder Batoagruppe gewesen, denn jenes, von welchem wir
früher Meldung thaten, fand am 16. Februar statt.
Die Seebeben, welche sich schon im vorigen Jahre im atlan-
tischen Ocean in der Näye des Aequators bemerkbar machten,
wurden 1L61, wohl gemerkt im Märzmonate, wieder verspürt.
Kapitän Wikander segelte mit dem russischen Schiffe Dallas von
Maulmein au der hinterindischen Küste nach London. Am 20.
März, 7 Uhr Abends empfand er auf 0 Grad 27 Minuten nördl.
Breite uud 20 Grad 30 Minuten westl. Länge einen heftigen Stoß
und es war als ob die Dallas auf den Grund gerannt sei und die
Masten erbebten. Das Wetter war schön, der Wind schwach. An
demselben 20. März, Abends 7 Uhr 15 Minuten war das Bark-
schiss Melbourne von Dnndee, ans der Reise von Port Adelaide
nach London, auf 0 Grad 20 Minuten nördl. Breite, 20 Grad
35 Minuten westl. Länge. Plötzlich vernahm die Mannschaft ein
lautes, rollendes Getöse, und in demselben Augenblicke erbebte das
Schiff vom Bug bis zum Stern. Die Bewegung hielt vier bis
fünf Minuten au. Kapitän Cowri schreibt: „ Ich wußte, daß wir
in der Region vulkanischer Erscheinungen waren, und folgerte, daß
wir ein Erdbeben hatten. Doch war das Geräusch und das Er-
zittern des Schiffes so, daß man hätte glauben können, wir führen
über harten Grund oder ein Korallenriff. Die See schäumte em-
por wie eine Braudung."
Zur Statistik der Schissbrüche.
Aus einem Parlamentsberichte, welcher die im Jahre 1860
an den britischen Küsten stattgesnndenen Schiffbrüche erörtert, geht
hervor, daß durch dieselben jährlich im Durchschnitt ein Verlust
von achthundert Menschen verursacht wird und Eigenthum im Be-
lauf von anderthalb Millionen Pfund Sterling verloren
geht. Das genannte Jahr zeichnete sich höchst unvorteilhaft aus,
beim von der Mitte des Mai bis in jene des Juni ereigneten sich
nicht weniger als 250 Schiffbrüche'. Für das ganze Jahr beträgt
die Summe derselben 1379. Schiffbrüche und Strandungen haben
gegen früher zugenommen, dagegen ist die Zahl der Zusammen-
stöße geringer geworden; sie beträgt 298 Fälle, gegen 349 im Vor-
jähre. Auch sind nicht so viele Menschenleben als früher verloren
gegangen, nämlich 264 weniger als durchschnittlich iu deu letztver-
flosseneu neun Jahren. Bei den 1379 Schiffbrüchen von 1860
kamen 536 Menschen um, während 2152 durch Rettungsboote,
Raketen und Mörserapparate und dergleichen Anstalten gerettet
wurden. Vou 2795 Fahrzeugen, welche in den Jahren 1859 und
1860 verloren gingen, waren nicht weniger als 1504 Kohlenschiffe;
die übrigen gingen in Ballast, oder hatten Holz an Bord, oder
waren Passagierschiffe. 912 waren Skuuers, 644 Briggs. In Eng-
land herrscht bekanntlich nicht, wie in unseren deutschen Seeplätzen,
ein Prüfungszwang für Steuerleute und Kapitäne; deswegen sind
auch so viele britische Kapitäne untüchtig. Von den Schiffbrüchen
im I. 1860 kommen nicht weniger als 554 auf Kapitäne, welche
keinen Nachweis ihrer Tüchtigkeit geliefert hatten. Unglücksfälle
trafen zumeist kleinere Schiffe zwischen einer Tragfähigkeit von 50
bis 300 Tonnen. Bei Südwest gingen III Fahrzeuge verloren,
bei Westnordwest 128, bei Nordwest 104. Acht scheiterten bei ganz
ruhigem Wetter, 151 bei einer frischen Kühlte, 168 in heftigem
Sturm, 101 iu gewöhnlichem Sturme, 139 in einem Orkane. Bei
21 Schiffbrüchen hatte der Kapitän kein Senkblei am Bord,
2 gingen verloren durch Trunkenheit der Mannschaft, 35 wegen
grober Fahrlässigkeit, 39 waren seeuntüchtig, 5 hatten unrichtigen
Kompas.
Gegenüber einem so Ungeheuern Verluste vou Gut uud Blut
hat man in England gewiß alle Ursache, endlich die Vorsichtsmaß-
regeln zu treffen, welche wir Deutschen nie außer Augeu gelassen
haben. Nächst den Engländern und Nordamerikanern
haben wir Deutsche die meisten Schiffe auf See,
weit mehr als jedes andere Volk, die beiden genannten aus-
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
157
genommen; aber die Zahl unserer Seeverluste ist ganz ungeheuer
geringer.
Au den britischen Inseln sind während der letztverslossenen
elf Jahre 6883 Menschen in den Wellen umgekommen. Auf einer
Schiffbruchkarte sind die gefährlichsten Stellen verzeichnet worden.
Auf die Strecke von Skerries und Lambay bis Fair Head und Mull
of Cantire kommen allein 1453; aus jene von Farn Islands bis
Flamborongh 523, von Flamborongh Head bis North Forcland 957;
von Landsend bis Hartlands Point und bei den Scilly-Inseln
330, und so fort. Zwischen den Farn Islands und North-Fore-
land sind jetzt 62 Stationen für Rettungsboote uud eben so viele
Raketen- und Mörserstatioueu. Ju jedem Winter werden durch
sie dort viele Menschen dem Wassertode entrissen.
Daß Zusammenstöße von Schiffen in den englischen Gewässern
vorkommen, erklärt sich leicht, theils aus der ganzen Gestaltung
der Küste, dem engen Wasser zwischen den vielen Inseln und der
Ungeheuern Menge von Fahrzeugen, welche unablässig auf dem-
selben schwimmen. Die Zahl derselben, welche einlaufen, beträgt
für die letzten Jahre durchschnittlich 204,945 mit einer Tragfähig-
feit toon 29,530,906 Tonnen; jene der auslaufenden 209,402 mit
29,530,906 Tonnen. Binnen sechs Jahren sind aber trotzdem nur
1788 Collisiouen, oder etwa 300 jährlich, vorgekommen. Viele von
den Schissen, welche in dunkler stürmischer Nacht mit einem andern
zusammenprallten, sind binnen wenigen Minuten mit Mann uud
Maus spurlos verschwunden.
Die Baschikuay-Ameise.
Im Haushalte der Natur spielen bekanntlich die Ameisen eine
wichtige Rolle, besonders in den tropischen Waldgegenden. In
jenen Westafrika's findet man sie in ungeheuerer Fülle, und manche
Arten sind für Menschen und Thiere in hohem Grade gefährlich.
Du Chaillu fand in den von ihm durchwanderten Gegenden min-
destens zehn verschiedene Arten, von welchen die Baschiknay,
welche bei dem Mpongnevolke Nschunu heißt, am meisten gefürchtet
wird; vor ihr schaudert selbst der grimmige Leopard zurück. Diese
Thiere ziehen in langen regelmäßigen Reihen durch die Wälder, iu
Zeilen von etwa zwei Zoll Breite und oft in der Länge von einigen
Wegstunden. Der ganzen, wenn man so sagen darf, Heersäule
entlang, gehen größere Ameisen als Offiziere, um das Ganze in
Ordnung zu halten. Sobald der Zug an Stellen kommt, wo er
nicht gegen die Sonne, welche das Thier nicht ertragen kann, ge-
schützt wird, bauet er sofort Gänge unter der Erde, uud durch diese
zieht das ganze Heer. Sobald es hungrig ist, macht es einen
Frontmarsch und greift mit unwiderstehlicher Wnth an. Auch
Elephauteu und Gorillas ergreifen eben sowohl die Flucht wie die
schwarzen Leute, denn was in den Bereich der Baschiknay kommt,
ist ohne alle Rettung verloren. Straußen, Hunde, Leoparden, Anti-
lopeu werden in unglaublich kurzer Zeit überwältigt, getödtct und
verzehrt; nur die nackten Knochen bleiben liegen. Diese Ameisen sind
Tag und Nacht auf der Wanderung, und wenn sie einem Negerdorfe
nahe kommen, läßt mau Alles im Stiche und eilt hinweg. Sie
ziehen in die Hütten und fressen alle Kakerlaken, Tansendsüße, Ratten
und Mäuse auf. Eine große Ratte ist in wenigen Minuten in ein
Geripp verwandelt, aber alle Pflanzenstoffe bleiben unberührt.
Selbst die Jnfektenwelt flieht vor einem sehr gefährlichen Feinde,
welcher seine Beute bis in die höchsten Spitzen der Bäume verfolgt.
Die Baschikuay greift im Sprung an und packt mit ihren zangen-
artigen Fühlern; der Biß ist sehr schmerzhaft. Die Neger erzählen,
daß man ehemals bei ihnen Verbrecher solchen Ameisen vorgeworfen
habe. Diese besitzen einen scharfen Geruch. Sie sind größer als
alle amerikanischen Ameisen und wenigstens einen halben Zoll
lang, roth oder dunkelbraun und in so ungeheurer Menge vorhan-
den, daß der oben genannte Reisende einen ununterbrochenen Zug
beobachtet haben will, der zwölf Stunden lang an ihm vorbei-
kam. Er erzählt ferner: daß sie beim Ueberschreitcn von Bächen
einen lebendigen Röhrenschacht bilden, welchen sie an beiden Seiten
des Ufers etwa an einem Baume oder hohem Busche befestigen und
daß durch diese Röhrenbrücke der Zng hindurch marschiere. (?) Eine
andere, noch größere Art der Baschiknay kommt in den Gebirgen
südlich vom Aeqnator vor; sie ist graulich weiß, und hat einen
schwarzröthlichen Kopf und ein so starkes Gebiß, daß sie Stückchen
aus dem Fleisch herausreißen kann. Aber sie bewegt sich langsam
und ist auch nicht in so großer Menge vorhanden. Die Nschel-
lelay oder weiße Ameise greift keine lebenden Wesen an, sondern
lebt von Pflanzenstoffen und hat eine große Abneigung gegen das
Tageslicht. Auch sie bauet Gäuge und außerdem Hügel, die wie
ein riesiger Pilz aussehen, denn sie haben ein überhängendes Dach.
Die rothen Blattameisen leben ans Bäumen uud bringen
manche derselben zum Absterben. Sie wählen das Ende eines
Baumzweiges, das dicht belanbt ist, leimen die Blätter derart an-
einander, daß sie einen Sack oder Wentel etwa von der Größe einer
Orange bilden, und dieses ist ihr Nest. Es gewährt einen eigen-
thümlichen Anblick, wenn man die Bäume mit einer unzähligen
Menge solcher Nester behängt sieht, aber der Wanderer flieht sie,
weil der Biß dieserBanmeister ungemein schmerzt. Eine schwarze
Ameise bauet eiu au Baumzweigen hängendes Nest von zwei
Fuß Länge und einen Fuß im Durchmesser; dasselbe hat im Innern
Gänge uud Gallerieu; iu diesen wird gearbeitet, das Ei gelegt, die
Jugend erzogen. Das ganze Nest wird gegen den Regen durch ein
aus einzelnen, übereinander hängenden Blättern gebanetes Dach
geschützt, welches zugleich der Luft Eingang gestattet.
Fischwanderungen in Südamerika.
Durch Amadeus Moure haben wir eine sehr eingehende Be-
schreibnng des gewaltigen Paraguay-Stroms erhalten, der
recht eigentlich im Herzen Südamerikas, in der brasilianischen Pro-
vinz Matto grosso, entspringt, in sieben kleinen Seen, Siete La-
gnnas, etwa unter 13 Grad südl. Breite. Im oberu Laufe em-
pfäugt er von der linken Seite her, noch in Brasilien, den S. Lon-
ren?o, der seinerseits unter 17 Grad 19 Minuten südl. Breite den
Fluß Cnyabä aufnimmt. Dieses schöne Gewässer fließt an der
gleichnamigen Stadt vorüber nnd kommt von der Serra dos Pa-
recis. In ihm bemerkte Moure eine eigeuthümliche Erscheinung.
Alljährlich, sobald die Regenzeit eintritt und dann das Land
weit und breit überschwemmt wird, also Ende Octobers und zu
Anfang Novembers, schaaren sich vier oder fünf verschiedene Arten
Fische zusammen, beginnen zu wandern, uud machen dabei ein
Geräusch, das man über eine halbe Stunde weit hören kann. Es
hört sich au, als ob Karren über ein schlechtes Pflaster rollen.
Diese Fische ziehen langsam stromab uud verbreiten sich dann
in dein Ueberschwemmungswasser. Ich sah dieses merkwürdige
Phänomen zum ersten Male bei der Stadt Cnyabä am 1. Novem-
ber 1851 und sie währte bis znm 15. November. Der Enrimbata
eröffnet die Wanderung; der eben so große Pacn folgt uud scheint
jenen zu verfolgen. Nachher kommen andere Arten. Die Leute
1-58
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
fangen dann eine wahrhaft nnglanbliche Menge Fische, nicht etwa
mitNetzen, sondern mit denHänden und inKörben, oder mitPfeilen.
Dann herrscht Lustbarkeit und für den Fremden hat das Schauspiel
viel Anziehendes,
Die Schwärme laichen in dem Ueberschwemmungswasser, und
im Mai oder Juni beginnt dann eine Wanderung stroman, aber
ohne jenes Geräusch. Die Zahl der Fische ist dann noch größer,
die Ordnung des Zuges aber wieder dieselbe wie beim Hinab-
schwimmen. Die kleinen werden von den größeren verfolgt, welche
wieder vor größeren fliehen, von denen sie eifrig verfolgt werden.
Sobald das Ueberschwemmungswasser seichter wird, eilen alle fort,
und ziehen durch die schmalen Wasserwege, welche zum Flusse füh-
reit. Viele hunderttausende bleibe« zurück und kommen nm. Fast
alle Schuppenfische jener Gegenden machen eine Jahreswanderung
von etwa 50 deutschen Meilen abwärts und ebenso weit wieder strom-
an; in der Zwischenzeit ist der Cuyaba von jenen Arten gleichsam ver-
waist. Das Ueberschwemmungswasser hat durchschnittlich eine
Tiefe von 15 bis 18 Fuß. Unter den Fischen jener Gegend wird
der obenerwähnte P acu am meisten geschätzt, weil er ungemein
wohlschmeckend ist. Bemerkeuswerth erscheint der Piranha, die
Sch«re. Er ist änßerst grimmig und beißt mit seinen scharfen
Hakenzähnen ans Alles ein, was er für Fleisch hält. Er kommt
gleich in Massen an Stellen, wo er Blut wittert, und macht auch
das größte Thier in wenigen Minuten zu einem Geripp. Die
Menschen haben große Furcht vor diesem Flußtiger und er ist in
der That unter den Fischen der allergesährlichste.
Kleine N
Die Goldcutdeckungen in Ueuschottland. Wir haben dieses
überraschenden Fundes ^schon erwähnt; jetzt liegen uus amtliche
Berichte vom Anfange Septembers ans Halifax vor. Bis 1860
hatte Niemand eine Ahnung davon, daß in jener Provinz Gold zu
finden sei; selbst deu Geognosten, welche das Land untersucht hatten,
blieb der Schatz verborgen. Dann verbreitete sich ein Gerücht, daß
Gold unweit der Küste liege und einige Hundert Leute gingen auf
gut Glück iu die Wälder; sie fanden, etwa zehn Wegstunden vom
Meer entfernt, in der Nähe der Quellen des Flusses Tangier wirk-
lich etwas Gold, es war aber nur wenig. Man hörte bald nichts
mehr von der ganzen Angelegenheit, aber im März sah ein Mann,
der aus einem Bache trinken wollte, ein Stück Gold aus den Kie-
seln im Wasser hervorscheinen. Er nahm dasselbe ans, suchte weiter
nach und fand wirklich mehr. Diese Stelle liegt eine halbe eng-
lische Meile östlich von der Mündung des Tangier; dieser ist ein
sehr kleiner Fluß, dessen Quelle unweit von jener des Mnsqnodo-
boit liegt; er strömt durch eiue Kette kleiner Seen, führt die Ge-
Wässer aus einer wilden, rauhen Gegend ab und mündet dann,
etwa 40 Miles östlich von Halifax in deu atlantischen Ocean. Die
Fundstätte des Goldes lag sehr günstig, nur eine Viertelstunde vom
schiffbaren Wasser. Im Frühjahr kam etwa« nach Halifax; die
Regierung ließ die Ländereien auslegen, und einige alte Australier
und Californier nahmen Lots. Durch diese erfahrenen Männer
kam die Sache in Aufschwung. Aus einem 5 Fuß tiefen und 4 Fuß
breiten Loche wurdeu im Mai, binnen drei Tagen, für 75 Dollars
Gold gewonnen, nicht etwa so, daß man es in Klumpen gefunden
hätte, sondern aus zerstampften Quarzgesteiu. Goldführende
Quarzgänge laufen meilenweit an der Küste hin. Wer ein aus-
gelegtes Lot von 50 Fuß Front und 20 Fuß Tiefe nahm, sollte
dafür anfangs eine Jahresrente von 40 Dollars zahlen; sie wurde
aber im Mai nm die Hälfte ermäßigt, und die Regierung läßt von
dem Gelde Wege nach und iu der Goldgegeud herstellend In deu
Sommermonateu find immer vier- bis achthundert Goldgräber
am Tangier beschäftigt gewesen, nnd haben gute Ausbeute gewou-
nen. Den Betrag kennt man nicht, da keine Abgabe gezahlt wird.
Jeder gräbt aus feinem „Claim" heraus, so viel er will und kamt.
Aber die Menge des nach Halifax gebrachten Goldes ist schon be-
trächtlich. Compagnien schlagen Schächte und Stollen; man ist
schon iu 45 Fuß Teufe gekommen und hat einen Klumpen von 300
Dollars Werth gefunden. Im Juni wurde eine zweite Fuudstätte
bekannt. Sie liegt bei Lünenbnrg ungefähr (X) Miles von Halifax
auf einer etwa eiue Viertelstunde breiten Halbinsel, die ganz ans
Quarzstein besteht. Dort führt auch der Saud Gold, und diese
„Küstenwäschereien" sind sehr ergiebig. Bald entdeckte mau Gold
auch bei Dartmouth, Shetharbonr nnd Lawrencetown; an der
ganzen Südküste und weit in's Innere hinein lagert goldhaltiger
Quarz, Zehn Miles nördlich vom Halifaxhafen hat man zn Ende
des August Gold bei Waverly am Thomas-See in zerstreut um-
herliegenden Quarzkieseln gefunden und in denselben manche
Stücke von 80 bis 100 Dollars Werth. Allem Anschein nach kommt
auch noch in anderen Gegenden Gold zum Vorschein; inzwischen
sind auch Londoner und Halifaxer Kapitalisten zusammengetreten
und haben eine „Nova Scotia Gold-Mining-Company" gebildet.
Äus Westindien. Im Jahre 1860 sind etwa 40,000 Neger-
sklaven aus Afrika auf der Insel Euba gelandet worden; während
der Ueberfahrt sollen etwa 7000 gestorben sein. An einer Ladung
von 500 Schwarzen machten die Unternehmer binnen vier Monaten
einen Profit von etwa 170,000 Dollar. Sie zahlen in Afrika
durchschnittlich 50 Dollars für den Kopf, rechnen, daß unterwegs
a ch r i ch t e n.
einhundert Schwarze sterben, Schiff, Ausrüstung :c, werden zu
25,000 D. veranschlagt und in Euba beträgt der Kops 400 bis 500
Dollars. — Jamaica, wo wieder viele Zuckerpflanzungen unter
dem Hammer stehen, läßt schwarze Einwanderer aus Sierra Leone
holen; andere „Lehrlinge", die sich dazu verstanden, auf der Insel
zn bleiben, haben jeder eine Prämie von 10 Pf. St, bekommen. —
Trinidad hat wieder 500 Arbeiter aus China erhalten. — In
Haiti betrug die Staatseinnahme für das Jahr 1860 die Summe
vou 1,232,000 D.; sie kam aus deu Ausfuhr- uud Einfuhrzöllen.
An Kaffee wurden 101/2 Millionen Pfuud mehr verschifft, als in
irgend einem frühern Jahre. Die Bauern müssen nach Vorschrift
der Regierung Kaffee bauen; es existireu dafür Zwangsgesetze.
Mulatten aus den nordamerikanischen Sklavenstaaten bauen etwas
Baumwolle und haben schon einige tausend Ballen verschifft; die
farbigen Einwanderer ans den nördlichen Vereinigten Staaten
sind viel weniger arbeitsam, — St. Domingo, die vormalige
„braune" Republik, welche den östlichen, größern Theil der Insel
Haiti umfaßt, ist bekanntlich seit dem Frühjahr 1860 wieder unter
die Herrschaft Spaniens zurückgekehrt. Die königliche Regierung
hat ausdrücklich erklärt, daß die Sklaverei nicht wieder eingeführt
werden solle oder dürfe; sie sei dort keine Nothwendigkeit.
Volksmenge von Äainaica. Diese Insel hatte 1844 eine
Bevölkerung von 377,433 Seeleu; nach der Zählung von 1861
war dieselbe auf 441,264 gestiegen. Seit der Freilassung der
Schwarzen vermindert sich bekanntlich die Zahl der Weißen, ans
keinen Fall hält sie in Westindien Schritt mit dem Zuwachs der
dunkelfarbigen Menschen. Die Voraussagung, daß die Antillen
allesainmt deu letzteren anheimfallen nnd damit für eine höhere Ge-
sittnng verloren gehen werden, erhält fchon jetzt ihre Bestätigung.
Auf Jamaica z. B. leben nur 13,816 Weiße neben oder zwischen
346,374 Negern nnd 81,065 Mnlatten. Viele Neger sind, den
Klagen der Missionare zufolge, wieder Fetischanbeter geworden und
verehren die Schlauge. Da die freien Neger sich zu regelmäßiger
Arbeit nicht herbeilassen, so bringen die Engländer jene Schwar-
zen, welche sie auf gekaperten Sklavenhändlerschiffen finden, ohne
Weiteres als „Lehrlinge" oder „freie Arbeiter" nach Jamaica. In
den letzten Tagen des August brachten sie eine Ladung von 260
Köpfen uud vertheilten dieselben ohne weiteres an Pflanzer, welche
mit Hülfe dieser Arbeiter Baumwolle baueu wollen.
Auf den andamanischen Inseln im bengalischen Meerbusen
haben die Engländer eine Strafkolonie angelegt, nach welcher
sie Verbrecher ans ihren östlichen Besitzungen schicken. Die An-
siedelnng ist bei Port Blair und steht unter einem Kapitän Hongh-
ton. Die Pinaug-Zeitung bringt erfreuliche Nachrichten über diese
Anstalt. Eine beträchtliche Landstrecke ist urbar gemacht worden
uud unter Anbau, und giebt reichlichen Ertrag. Bisher hat man
nur Verbrecher ans Indien nach Port Blair gebracht, wahrschein-
lich kommen demnächst Chinesen aus Houg kong hinzu, Kokos-
bäume und Betel gedeihen vortrefflich; jene in den niedrigen Ge-
genden, diese im Berglande. Die Kokosbänme pflanzt man in Ent-
fernungen von je 30, die Betelrebe von 10 Fuß, Land und Klima
eignen sich auch für den Anbau von Indigo, Ingwer, Cnrcnmä,
Gmneapfeffer nnd Jguamen. Honghton hat anch auf der Insel
Groß Koko eine Ansiedelung gegründet und läßt dort Tekholz schlagen.
Daßjfltina aufdenAndamanen ist ungesund. Im Jahre 1859 starben
in Port Blair nicht weniger als 63, sage dreiuudsechszig Procent
der Zwangsansiedler, im Jahre 1860 nur etwas über 13 Procent.
Globus, Chronik der
Ihr Betragen ist im Allgemeinen gut, und mit den Eingeborenen
kommt mau leidlich aus. Daun und wann plündern sie freilich
noch. Sechs von ihnen sind gefangen und nach Maulmein ge-
schafft worden, wo sie Englisch lernen und so weit als möglich ist,
civilisirt werden sollen. Die Bewohner, der Andamanen sind gleich
den Sim angs an den Gränzen der Provinz Wellesley, ungemein
gefräßig; sie verschlingen eine ungeheure Menge Nahrung, wenn
sie sich dergleichen verschaffen können, und zermalmen auch Thier-
knochen. Im Allgemeinen sollen sie ziemlich fügsam sein.
Aus der Kapkolonie. Den Nachrichten vom 31. August zu-
folge befand sich dort die Frau des Reisenden Livingstone, um
demnächst sich nach dem Sambesi einzuschiffen, an welchem ihr
Mann verweilte. Aus Hamburg waren zwei Schiffe mit Auswan-
derern angekommen, die sogleich lohnende Beschäftigung fanden. —
Mit einemTheile der Znlnkaffern ist die Regierung in Schwie-
rigkeiten verwickelt; es sind aber nicht dieselben, gegen welche Eng-
land früher Krieg führte, sondern andere, mit denen die holländi-
schen Boers (sprich Bnhrs, d. h. Bauern) iu Fehde lageu. Diese
setzten den blutgierigen Häuptling Dingaan ab und erhoben dessen
Bruder Panda. Dieser benahm sich friedlich gegen Holländer und
Engländer, zu großem Mißvergnügen seines Sohns Ketfchnayo,
der von wilder Gemüthsart ist und größern Einfluß als sein Va-
ter besitzt. Von dieses Ketschuayo Barbarei zeugt der Umstand,
daß er vor einigen Iahren einen seiner Brüder verbrannte; ein
anderer, welchem er nachstellte, ist zn den Engländern geflohen
und wird vom Bischöfe von Natal erzogen. Somit hat man gleich
einen Prätendenten in Petto. Die Provinz oder Kolonie Natal
wurde vor nun 22 Jahren von deu Engländern in Besitz genom-
men. Damals war diese Gegend in Folge von Schaka's und Din-
gaans Wüthereien verödet. Sobald aber die englische Flagge Schutz
gewährte, zogen Massen von Kaffern aus dem Zululande in das
Gebiet vou Natal, weil sie dort sicher waren. Ihre Anzahl beläuft
sich jetzt an 150.000; fast alle haben Bieh, Franen und Töchter
mitgebracht, und ein Weib gilt bei jenen Leuten so viel wie zehn
Kühe. Ketschuayo, der Alles was in seinem Lande lebt, als sein
persönliches Eigenthum betrachtete, ist über solche Verluste höchlich
erbittert. Um deu Irrungen ein Ende zu machen, gedenkt man
ihm nun sein Land zu nehmen. Uebrigens ist die Kapkolonie iu
finanzieller Bedrängniß; sie hat eine Jahresausgabe von 600,000
Pf. St. uud hat sich jetzt um 100,000 Pf. St. höher besteuert, die
Eingangsabgaben für Wein, Spirituosen und Tabak verdoppelt.
Demnächst soll eine Zweigbahn von Wellington nach Malmesbury
in Angriff genommen und eine Telegrapheuliuie von Kapstadt
über Port Elizabeth uach Graham? Town hergestellt werden. Die
gesetzgebende Versammlung hat beschlossen, das seither unabhäu-
gige Kafferuland (Cafraria), vom Keiflusse bis Natal, der Kolouie
einzuverleiben. Dasselbe ist so groß wie England mit Wales und
zählt 35,000 Krieger, aber die Häuptlinge sind einer Vereinigung
mit England günstig. Auch die Gnanoinsel Jchaboe ist am 29. Juni
für England in Besitz genommen worden und mit den benachbar-
ten Eilanden soll ein Gleiches geschehen.
Der Hafen Lagos an der afrikanischen Sklavenküfle.
Londoner Blätter bringen die kurze Notiz: „Am 5. August wurde
das Gebiet von Lagos an die britische Krone abgetreten; der König
hat den Vertrag unterzeichnet." Die Sache ist nicht unwichtig:
Lagos bildet deu Seehafen sür das Land Joruba, das man früher
Jarriba nannte. Dasselbe liegt zwischen Benin uud Dahomey,
ist aber größer als diese, und erstreckt sich von der Meeresküste bis
zum Niger. Früher war es unter einem Könige vereinigt, ist aber
jetzt in eine Anzahl kleiner Landschaften getheilt, deren Häuptlinge
oft in Fehde mit einander liegen. Bis in den nördlichen und öst-
lichen Theil sind von Norden her die erobernden Fellata gedrungen,
und verbreiteten den Mohammedanismus; von Westen her wird
Uoruba durch deu König von Dahomey bedroht. Er will Abbeokuta
zerstören, eine von mehr als zwanzig verschiedenen Negerstämmen
begründete Stadt, in welcher viele Christen wohnen und mehrere
Missionare sich aufhalten. Die Engländer haben viele halbcivili-
sirte Schwarze ans Sierra Leone dorthin geschickt, um den Baum-
wollenbau aufzumuntern, bis jetzt mit geringen! Erfolge. Zu
Rabba ain Niger liegen noch immer die Leute von Baikie's bekann-
ter Expedition, deren Dampfer dort scheiterte. Bon Rabba ans
wird seit einigen Jahren das Land oberhalb des Nigerdelta's nach
verschiedenen Seiten hin durchforscht und von jener Stadt bis
Lagos ist eine Reisestraße eröffnet worden. Uns scheint nun, als
ob das Bestreben der Engländer auf dreierlei gerichtet sei. Sie
^vollen dem weitern Vordringen der Fellata Schranken setzen und
diese nicht bis an's Meer dringen lassen; sie wollen sodann dem
blutbesndelten Könige Bahadnng vou Dahomey entgegen treten
und die Unabhängigkeit von Abbeoknsa sichern, damit die dortigen
Christen und Baumwollenbauer nicht gestört werden. Das errei-
und Geographische Zeitung. 159
chen sie, indem sie sich das Gebiet von Lagos gesichert haben. Der
gleichnamige Hafen war früher ein sehr berüchtigter Sklavenmarkt.
Er liegt an der Mündung des großen Flusses, welcher aus dem
Herzen von Aornba kommt und dorthin leichten Zugang gewährt,
an einer schiffbaren Lagune, die sich westlich bis zum Rio Volta
erstreckt und nach Osten hin mit deu Armen des Nigerdelta's in
Verbindung steht. Im Jahre 1852 stürmten die Engländer den
Platz, um der Sklavenausfuhr ein Ende zn machen; aber der Sieg
kostete viel Vlnt, weil die Neger von Lagos, welche zum Volke der
Popo gehören, nachdrücklichen Widerstand leisteten.
Englische Beamten in China. Die in Hong kong erfchei-
nende Overland China Mail führt nachdrücklich Beschwerde gegen
das barsche und hochfahrende Betragen, welches auch die englischen
Beamten gegen die Chinesen sich zu Schulden kommen lassen. Wir
Alle, schreibt sie, vom Gouverneur angefangen, sind gar zu geneigt,
die Chinesen als niedriger stehende Menschen und untergeordnete
Wesen zu betrachten. Vor wenigen Monaten hatte ein sechszigjäh-
riger Mann vor dem vollziehenden Rathe eine Zeugenaussage zu
machen. Man ließ ihn vier volle Stunden lang stehen
und bot ihm keinen Stuhl an, trotzdem er sich ans Mattig-
keit oft an die Wand lehnte. Dieser Zeuge, Herr Seko, war alt
und rheumatisch; einem jungen Engländer, der gleichfalls eine
Zeugenaussage gab, wurde sogleich ein Stuhl gereicht. Mau sah
wohl ein. welche Rücksichtslosigkeit in einem solchen Verfahren lag,
aber — es gab ja keinen Präccdenzfall, daß ein Chinese in Gegen-
wart des Gouverneurs ans einem Stuhle gesessen hätte! Der chine-
sische Dolmetscher durfte sich uur zeitweilig setzen. Abgesehen von
der UnHöflichkeit, welche in einem solchen Benehmen der Behörde
liegt, wäre ihr von der ganz gewöhnlichen Klugheit eiu rücksichts-
volleres Benehmen geboten; es ist eiu verhäuguißvoller Jrrthum,
zu wähnen, daß wir gebildete Chinesen wie rohe Neger behandeln
dürften. _
Oic Chinesen in Australien werden von den englisch redenden
Leuten in Nen-Süd-Wales in gehässiger Weise angefeindet und
arg mißhandelt. Man will ihnen das Goldgraben verwehren, das
man als Alleinrecht der Englischen betrachtet. Ein Brief aus Syd-
ney erzählt manches Unerbauliche über diese Rohheiten. „Die Chi-
nesen haben sich friedlich und ordentlich betragen; ihre Gegner
schmiedeten gegen sie ein förmliches Complot. Eine Bande von
fünfzig Kerlen zog aus dem TiPPerary Gull uach Lambing Flat,
um die Himmlischen aus den Goldstätten, welche sie bearbeiteten,
zu verjagen. Unterwegs schlössen sich ihnen andere Pöbelhaufen
an, und dann siel die Rotte mit Musik über die Chinesen her. Sie
wurden entsetzlich mißhandelt, mußren fliehen und alle ihre Habe
in Stich lassen. Die Engländer plünderten und stahlen Alles was
sie fanden, und was sie nicht mitnehmen konnten, wurde zerschlageu
uud verbrannt. Die trunkene Diebesbande rannte dann zwei
Stunden weit nach dem Backs Creek, um dort dieselben Barbareien
auszuüben. Viele Chinesen, welche rechtzeitig gewarnt worden
waren, entflohen mit ihrer besten Habe, wurden aber von Reitern
eingeholt und umzingelt. Daun ging es ohne Gnade uud Barm-
Herzigkeit über sie her; jeder Reiter packte einen Chinesen am
Zopfe, zerrte die Köpfe bis an den Sattel und schlug auf sie los.
Die Behandlung war ganz abscheulich. Natürlich wurden die
Chinesen reiu ausgeplündert uud ihr Lager machte man dem Boden
gleich. Die weich geprügelten, entkleideten, verwundeten Menschen
jagte man fort; sie hatten nichts zu essen uud kein Obdach. Ein
rechtschaffener Sqnatter in der Nachbarschaft, Herr Roberts, er-
barmte sich ihrer und gab ihnen zn essen. Dafür wurde er jedoch
von der Baude bedroht, uud die weiblichen Mitglieder mußten,
um sich zu sichern, in das nächste Dorf fliehen. Eben heißt es hier
in Sydney, Herrn Robert's Haus sei niedergebrannt worden. Die
Regierung schickte Polizeimänner aus, um die Rädelsführer ein-
zufangen. Drei derselben wurden verhaftet, aber sogleich entstand
unter den Diggers ein „Roll 11p"; sie rotteten sich zusammen und
verlangten die Freilassung der Verbrecher. Es fielen Pistolen-
schliffe. Dann wurde die Aufruhracte verlesen,_ aber die Bande
ging nicht auseinander. Der Commissar ließ blind feuern; auch
das half nichts, und als die berittene Polizeimanuschaft einsprengte,
wurde sie mit Schüssen begrüßt. Vier Mann sanken vom Pferde.
Nun gab auch die Fußpolzei Feuer uud die Reiter hieben ein.
Die Baude wurde dadurch auseinander gejagt, aber einzelne
Schüsse fielen noch. Die Rotte ließ einen Todten auf dem Platze,
viele wurden verwundet. Am andern Tage erfuhr der Hauptmann
der Polizeimannschaft, daß er vou etwa dreitausend Diggers an-
gegriffen werden solle, sie hätten geschworen, ihre Kameraden zu
rächen. Seine Mannschaft war nur 57 Köpfe stark; er mußte deß-
halb nach der Ttadt Daß zurückweiche:, und telegraphirte von dort
uach Sydney, damit er Verstärkung bekäme. Die Rotte veran-
staltete für den erschossenen Dieb ein feierliches Leichenbegängniß.
Weit und breit werden Räubereien verübt. Die gefangenen Men-
1(30 Globus, Chronik der
terer wurden gegen Bürgschaft freigelassen, weil es den Behörden
augenblicklich an Macht fehlte, die Rotte zu Paaren zu treiben."
So standen die Dinge am 22. Juli; das Ganze ist ein Intermezzo,
welches die europäischen Männer der vielgerühmten Civilisation
ausführen.
Queensland, die vor einem Jahre von Neu-Südwales ab-
gezweigte neue Kolonie, welche den nördlichen Theil der Ostküste
von Australien einnimmt, eignet sich bekanntlich durch Boden-
beschassenheit und Klima für deu Anbau der Baumwolle. Jüngst
hat sich nun eine „Queensland Cotton Company" mit einem Ka-
pital von 50,000 Pf. Sterling gebildet; sie will den Baumwollen-
bau durch Arbeiter aus Indien in Angriff nehmen lassen.
protestantische Missionare in China sind in der jüngsten
Zeit sehr thätig gewesen und ihreZahl hat sich vermehrt. JnderPro-
viuz Cantou leben 17 in der gleichnamigen Hanptstadt, 1 in Schan-
lnng fu, 5 in Swatau und 6 deutsche Missionare iu deu Nordwest-
lich von Hongkong liegenden Distrikten San on und Tnng knn.
In Amoy nnd dem südlichen Theile der Provinz Fo fielt 10; in
Futscheu 8; iu der Provinz Schinkiang 10 oder 12; zn Schanghai
und überhaupt iu der Provinz Kiang sn 23; in der neu eröffneten
Provinz Schau tung sind bereits 5 iu Schi fu und in Tang tschei
2 thätig; die Provinz Tschi li hat 6 in der Stadt Tien tsin; Han-
kvu iu Hupe 2, Nankin 1. Nicht minder eifrig sind die katholischen
Missionare, welche längst über ziemlich alle Provinzen zerstreut sind,
und angeblich etwa 800,000 Chinesen bekehrt haben. Der Ver-
breitung des Christenthums steht bekanntlich in China kein Hinder-
uiß mehr im Wege.
Sankerotte in Nordamerika. Zuverlässigen Berechnungen
zufolge betrug die Zahl der während des Jahres 1859 in den Ver-
einigten Staaten stattgehabte» Geschäftsbaukerotte 3,913 mit
einer Gesammtschnldenlast von 65,294,0C0 Dollars. Dabei muß
berücksichtigt werden, daß in diesen Zahlen nur die Fallissements
größerer Geschäftsfirmen eingeschlossen sind. Rechnet man die klei-
neren Geschäfte, welche während des Jahres 1859 znfammenbra-
chen, so kann man den Gesammtbetrag der Bankerottschulden ans
volle 80 Millionen Dollars veranschlagen. Von diesen Fal-
lissements kommen allein auf die Stadt Neu-Dork 290 mit Passi-
veu im Betrage von 13,218,000 Dollars. 410 von den 3,^>13
Fallissements werden als betrügerische klassisicirt, mit einer Ge-
sammtschuldeulast von 5,650,0(>0 Dollars. 130 Baukerottenre,
deren Passiva sich auf die Gesammtsumme von 6,242,000 Dollars
belaufen, werden als solche aufgeführt, die wahrscheinlich ihren
Gläubigern vollauf gerecht zu werden im Stande sind. Rechnet
man zu dieseu Summen noch die Gerichtskosten und Advokaten-
gebühren, welche durch die Fallissements veranlaßt wurden, so
kann mau annehmen, daß durch das Creditsystem mindestens 90
Millionen Dollars in den Vereinigten Staaten verloren gingen.
Flüchtige Sklaven aus deu Vereinigten Staaten leben im
westlichen Canada in großer Menge; man schätzt ihreZahl auf
ungefähr 55,000 Köpfe. Manche sind ganz ordentliche Leute, viele
aber sehr träa und eine wahre Last für die Gemeinden, welche von
ihnen heimgesucht werden. Schon mehrfach haben sie Unruhen an-
gezettelt uud die Weißeu klageu über die unerträgliche Anmaßung
des schwarzen Proletariats. Die Abolitiouisteu iu den Vereinigten
Staaten haben eine eigenthümliche Art von Menschenfreundlichkeit.
Sie gründeten einen Verein, dessen Mitglieder verpflichtet sind,
Sklaven ihren Herren abwendig zu machen, jene zur Flucht auzu-
reizen uud nach Canada auf Kosten der „Gesellschaft der unter-
irdischen Eisenbahn" zu schaffen. Sobald der Schwarze einmal in
Canada ist, bekümmern jene Philantropen sich nicht mehr um ihn.
Dieser Verein der unterirdischen Eisenbahn hat dnrch sein metho-
disches Sklavenstehlcn viel dazu beigetragen, deu Südeu aus der
Uuiou zu treiben. In Canada ist man jener in's Land geworse-
nen Neger dermaßen überdrüssig, daß man schon mehrmals ganze
Schiffsladungen nach Haiti geschafft hat, „um die arge Landplage
zn vermindern."
Ein Clipperschiff, die Fiery Croff, das im vorigen Decem-
ber an der Merfey vom Stapel lief, segelte am l8. Januar von
Liverpool ab, war am 8. Mai zu Hongkong in China und snhr
nach Fu tscheu fu, um Ladung einzunehmen. Von dort stach der
Clipper am 11. Juni wieder in See und war am 22. September
in London. Das sind die schnellsten Reisen, welche je ein Segel-
schiff von und nach China gemacht hat. Der genannte Clipper hat
keine hölzernen Masten, sondern sie sind ans Stahl geschmiedet
und haben sich trefflich bewährt.
Berantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hi!
Druck von Giesecke &
und Geographische Zeitung.
Französische Civilisation. Es ist ermittelt worden, daß in
dem französischen Departement der obern Vienne 66 bis 67
Procent der Bevölkerung, also volle zwei Drittel der Gefammt-
bewohner, weder lesen noch schreiben kann. Gewiß hat Graf G o-
binean Recht, wenn er in seinem ausgezeichneten Werke über die
Ungleichheit der Menschenrassen ausdrücklich hervorhebt, daß „die
ganz überwiegende Menge der Franzosen sehr zurückgeblieben sei
nnd noch in tiefer Barbarei stecke." „Diese Menschen haben ein
unüberwindliches inneres Widerstreben gegen unsere Civilisation.
Sechsundzwanzig Millionen leben ganz außerhalb unseres Ideen-,
Gesittnngs- uud Gesellschaftskreises. Mit unseren Massen in Frank-
reich verhält es sich, wie mit den Wilden. Diese Masse der Be-
völkernng in Frankreich ist ein Abgrund, über wel-
chem die Civilisation iu der Luft hängt, und diese tie-
fen, staguirendeu Gewässer, welche auf dem Boden dieses Abgrnn-
des schlummern, werden dermaleinst hervorbrechen, um auflösend
und zersetzend zn wirken. Der französische Bauer sieht iu uns
höher gebildeten Menschen seine Feinde." So lautet das Urtheil
eines ausgezeichneten Franzosen über seine eigenen Landsleute.
Gesundheitszustand in Manchester. In der British Asso-
ciation las ein Herr David Chadwick eine Abhandlung vor, in
welcher er die ungeheueren Fortschritte rühmte, welche man in die-
ser Stadt gemacht habe. Alles wurde roseufarbeu geschildert. Aber
eiu anderer Herr Chadwick, mit dem Vornamen Edmund, stellte
ein ganz anderes Gemälde daneben, und es ergab sich, daß die
Negersklaven iu Amerika weit besser daran sind, als die freien bri-
tischen Arbeiter. Nirgends ist es mit den Gesundheitsverhältnissen
so abscheulich bestellt, als in der Fabrikstadt Manchester. Der Ty-
phus, welcher aus den Armenhäusern Englands längst verschwun-
den ist, richtet in den Wohnungen der Fabrikarbeiter schreckliche
Verheerungen an. Hoher Arbeitslohn kann nicht sür den Verlust
der Gesundheit entschädigen. Man drängt die Leute in überfüllte
Arbeitsräume und sie schlafen in Zimmern, deren Luft aus eiuem
Gemisch der Ausdünstung von Kloaken und Mistgruben uud vou
Kohlenqualm besteht. Bösartige Fieber hören nicht auf. Dr.
Greenhow bezeichnete die Kloaken als das Ungeheuer von Man-
chester. „In dieser Stadt erlebt die Hälfte aller Kinder, welche
geboren werden, nicht das fünfte Jahr; auch Erwachseue leiden
sehr an der, durch die Kloakenlust erzeugte», Diarrhöe, welche au
einer großen Anzahl vou Todesfallen schuld ist. Manchester wett-
eifert in Ungefnndheit mit Liverpool, nnd die Verbrecherstatistik
zeigt, daß es auch mit den sittlichen Verhältnissen sehr schlecht
steht." Ein Herr Tartt bemerkte, daß kanm ein einziges großes
Gebäude iu Manchester ordentliche Lüftung habe. Selbst die viel
gerühmte Freihaudelshalle (— in welcher so viel Humbug verau-
staltet wird, au welchen man auf dem Continente glauben soll —)
sei schlecht gelüftet, ,,und der Gasthof, iu welchem ich wohne, ist,
wegen der schlechten Gaseinrichtung, wie ein Backofen." Da fehlt
dann freilich das, was die Engländer Comfort, wir Deutscheu
Behäbigkeit, uennen.
Strauße in Europa ausgebrütet. Endlich ist ein Versuch
gelungen. Seitdem die Franzosen im Besitze von Algerien sind,
haben sie viele Stranße nach Europa gebracht und sich große Mühe
gegeben, eine Brut zu erlangen, indeß alle Bemühungen schlugen
st'hl, auch im zoologische» Garteu zu Marseille. Aber der Direktor
desselben, Suquot, ließ sich nicht entmnthigen. Er wählte in der
Gemeinde Moutredou eine saudige Ebene aus, zwischen dem Meer
uud dem Gebirge, das südöstlich von der Bucht sich erhebt. Dort
siud Bäume uud Büsche, welche den Straußen Schutz gewähren,
und der Sand ist warm. Man umzäunte eine Strecke von 2000
Fuß Länge uud 1500 Fuß Breite und brachte am 2. März dieses
Jahres einige Stranße dorthin. Anfangs fühlten sie sich dort nicht
heimisch und liefen unruhig umher, aber bald gewöhnten sie sich
nnd das Legen begann. Das Nest war weiter nichts als ein Loch
im Sande und sah aus wie eiu abgestumpfter Kegel, aber nach nnd
nach wurde der Raud durch Anhäufung höher gemacht, und daran
arbeiteten Männchen und Weibchen abwechselnd. Am 20. April
waren fünfzehn Eier- gelegt worden. Bis dahin hatte das Weibchen
vor und nach dem Eierlegen einige Stunden auf dem Neste gesessen,
ein paar Mal sogar einen ganzen Tag lang. Nach jenem Tage
übernahm aber das Mannchen die Wache, das Weibchen nur, wenn
jenes einmal zeitweilig sich entfernte. In Algerien hat man be-
obachtet, daß die Brutzeit 56 bis 60 Tage daure; Hr. Suquot war
deshalb erstaunt, daß schon 3. Juni früh das erste Junge aus-
kroch; am Abend jenes Tages waren schon elf Stück vorhanden.
^ L 1 ™ beließe» die Jungen das Nest und gingen unter
Aussicht der Aeltern umher; eiues blieb etwas zurück uud starb
sehr bald. Die übrigen zehn sind gediehen, wuchsen auch rasch und
am v. August waren sie so groß wie junge Truthühner.
scn. Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Devrient in Leipzig.
In Sibirien hei den Jakuten und Tungnsen.
Die ungeheure Läuderstrecke vom Ural, welcher Europa
von Asien trennt, bis zur Behringsstraße, die eine Scheide
zwischen der neuen und alten Welt bildet, bezeichnen wir mit
dem Namen Sibirien. Der alten Überlieferung gemäß
schaudert uns, weun wir dieseu Namen nur hören. Man
denkt uoch immer an dorthin verwiesene Verbrecher, Räuber
und Mörder, welche für Europa unschädlich gemacht werden,
indem man sie an einsame Stätten verbannt, und in die
dichten Wälder am Alban, au der Lena oder Olekma schickt,
wo sie auf Zobel jageu müssen. Wir sehen diese Unglück-
lichen mit weitaufgeschlitzten Nasen, an denen man sie er-
Kultur. Der Norden und der Osten werden bis an's Ende
der Tage int Besitze der Jägeruomaden bleiben, aber im
Westen und Süden sind viele fruchtbare Gegenden, mit
einem Klima, das wenig strenger ist, als jene der ent-
sprechenden Regionen im europäischen Rußland, und den
Südwesten hat mau sogar mit Italien verglichen. Das
heißt freilich die Farben etwas stark auftragen, aber so viel
ist gewiß, daß Sibirien im Fortgange der Zeit sich zu einem
Kulturland emporarbeiten wird.
Vor etwa zehn Jahren äußerte einmal der westphälische
Freiherr von Haxthausen: Sibirien werde gewiß eine
Ein» tungusische Zauberfrau
kannte, wie an einem Brandmark, und uns fröstelt es bis in
die Knochen hinein, wenn wir an die sibirische Kälte auch
nur denken, und uns im Geiste in die öden Moosebenen,
diese schwammigen Tündern versetzen, welche von der Wald-
region bis in die Nähe des Eismeeres reichen.
Aber wir müssen uns hüten, zu verallgemeinern. Das
Wort Sibirien hat einen weiten Begriff. Ein Blick auf die
Karte zeigt, daß es nach Süden hin bis zum fünfzigsten
Breitengrade reicht, und denselben an mehreren Stelleu
überschreitet. Drei Fünftel des ausgedehnten Gebietes ent-
ziehen sich freilich jedem Anbau, und damit jeder höhern
Globus 1861. Nr. 6.
größere Bedeutung für die'Knltureutwickelung erhalten, wie
Nordamerika. Daß darin Übertreibung liegt, wird Jeder-
mann leicht begreifen. Wollte aber Herr von Haxthausen
nur sagen, daß jenes Land ungemein werthvoll für den Ver-
kehr sein und im Fortgange der Zeit eine große Wichtigkeit
erhalten werde, dann hatte er ganz recht. Sibirien hat eine
Weltlage, die man nicht leicht zu hoch anschlagen kann.
Es ist ein großes Durchzugsland zur Vermitteluug des Ver-
kehrs mit Centralasien. Ans Buchara und Turkestau über-
Haupt, aus Uarkand und Kokand, uud aus Chiua und der
Mongolei kommen Karawanen, deren Handel Rußland in
21
Eilbote und Fuhrwesen in Sibirien.
reisen bis Peking hat! Diese fortschreitende Machtausdeh-
nung Rußlands ist von großartiger Bedeutung für die Aus-
dehuung des Handels und der Gesittung; sie reißt halb
Asien in die Strömung der europäischen Zivilisation hinein,
erobert ein Wüsten- und Steppengebiet, eine Einöde von
dreimalhuuderttausend Geviertmeilen. Wir sehen die An-
sänge einer großen weltgeschichtlichen Arbeit, welche Ruß-
land zu vollziehen hat. Seine Kultursendung ist ihm im
Osten angewiesen. Dort hat es seit zwei Jahrhunderten eine
große kontinentale Spürkraft bewährt; die oceanische Be-
gabung ist seinem Volke versagt, und im Westen, nach Europa
hin, haben die Moskowiter nichts zu schaffen. Jede Politik
in Rußland, welche ihren Schwerpunkt nicht in Asien sucht,
ist übel berechnet, und muß mit ihren Plänen nothwendig
scheitern. Nur in Asien kann sie Lorbeeren, in Europa nichts
als Dornen einernten.
trefflichen Schlittenbahn wegen, weniger anstrengend, und
noch rascher als im Sommer.
Durch die Eröffnung der Amurschifffahrt hat Ostsibi-
rien eine Pulsader für deu Verkehr gewonnen. Früher war
es von dem belebenden Elemente, dem Meere, völlig abge-
schlössen. Nach den Häsen Ochotsk und Ajan am
ochotskischen, sechs Monate im Jahre durch Eis versperrten
Meere, war die Verbindung mit entsetzlichen Beschwerlich-
keiten und großer Gefahr verbunden. Man mußte, je nach
der Gegend, aus welcher man kam, das aldanische, das
Jablonoi- oder Stanovoh- Gebirge überschreiten. Alle Städte
Ostsibiriens werden sich nun heben, namentlich auch Nert-
schinsk, das einst als Verbannungsort so verrufen war.
Es _ bildet einen Mittelpunkt für die ungemein ergiebigen
Blei- und Silbergruben eines ausgedehnten Bergreviers,
in welchem etwa 50,000 Menschen beschäftigt find. Schwere
102 Globus, Chronik der Reise
seine Steppenhäfen zu lenken gewußt hat. Geu Osten hin
bahnt der Amur einen Weg nach Japan, China und dem
Stillen Ocean. Auf ihm kommen europäische und ameri-
kanische Waaren bis auf den Markt von Jrkntsk. Ein
großer Theil der Mongolen, welche Sibiriens Nachbarn
sind, insbesondere die vier Millionen Chalchas (Kallas),
sind zum Czar iu eine Art von Vasallenverhältniß getreten,
und seit nun fünf Jahren ist Rußland in der Lage, alle
Karawanenwege, welche aus dem innern Asien nach Norden
ziehen, zu kontroliren.
Die russischen Schildwachen reichen von Armenien bis
an die Gränzen der Halbinsel Korea. Binnen zweihundert
Jahren hat Rußland in Asien langsam, aber unablässig und
sicher Fortschritte gemacht, bis es nun auch einen großen
Theil der Mandschurei erworben, und nur wenige Tage-
und Geographische Zeitung.
Binnen wenigen Jahren wird der elektrische Telegraph
vom Winterpalast an der Newa bis iu das Haus der russi-
scheu Gesandtschaft in Peking vollendet sein; eiue Eisenbahn
bis an die Mündung des Amur wird folgen, und ist viel-
leicht schon hergestellt, bevor unser Jahrhundert in den
Schooß der Zeiten hinabgerollt ist. Schon jetzt gelangen
die Postreiter von Peking in China bis nach Jrkntsk, der
Kernstadt Sibiriens unweit vom Baikal-See, binnen sechs-
zehn Tagen, und die Nachricht vom Abschlüsse des Tientsiner
Friedens kam über Jrkntsk und Sanct Petersburg sast vier
Wochen früher nach London, als auf dem Seewege und
über den arabischen Meerbusen. Die russische Regierung
bietet Alles aus, um die Verbindung in Sibirien und in
der Mongolei so viel als möglich zu beschleunigen. Auch
im Winter wird sie nicht unterbrochen; sie ist dann, der
Globus, Chronik der Reisen
Verbrecher werden noch jetzt zu lebenslänglicher harter
Arbeit in jene Gruben verbannt und streng behandelt;
Andere, welchen kein todeswürdiges Vergehen zur Last fällt,
erfreuen sich einer mildern Behandlung; das wird von dem
leider so früh verstorbenen Reisenden Castre'n aus Finn- :
land bezeugt. Jeder gewöhnliche Verbannte bekommt mo- j
natlich zwei Pud Mehl und zwei Rubel Geld; Handwerker
erhalten täglich 15 Kopeken. Wenn sie in den Gruben
arbeiten, haben sie in jedem Monate eine freie Woche.
Sobald ein gewöhnlicher Verbannter in Nertfchinsk an-
kommt, nimmt man ihm die Ketten ab; wer zwanzig Jahre
lang sich untadelhaft betragen hat, ist frei, zahlt auch keine
Abgaben und erhält Ackerland.
Nertfchinsk liegt am oberu Amur, nämlich am Haupt-
arme desselben, der Schilka. Rußland schloß dort 1687
den ersten Gränzvertrag mit China. Im Jahre 1781
wurde die Ortschaft zur Stadt erhoben. Sie zählt etwa
3000 Einwohner, hat zwei russische Kirchen, eine Stern-
warte uud eiue Bergschule. Neben Blei und Silber liefert
das Grubenrevier auch Gold, Quecksilber uud Zinn.
Der Verkehr ist lebendig. Vor dem nach Art der
und Geographische Zeitung. IgZ
Jakuten und Tunguseu, erscheinen nicht selten in Nertfchinsk,
auch Buräteu finden sich eiu. Diese letzteren gehören zum
großen mongolischen Menschen stamme; dagegen sind die
Tunguseu, Bewohner des Kreises Nertschinsk, Stamm-
genossen der Mandschuren, und die Jakuten, in der Pro-
viuz Jakutsk, mit den Tataren verwandt, obwohl sie in
Sprache und Blut manche mougolischeZuthat erhalten haben.
Die Tuugusen reichen bis an das ochotskische Meer,
doch wohnen in einzelnen Gegenden auch Korjäken, Jakuten
und russische Ansiedler zwischen ihnen zerstreut. Der Tun-
guse ist entweder ansässig, ein „ Stand-Tnngnse", oder ein
Nomad, „Nenuthier-Tnnguse", und dieser hat uoch am
meisten von der alten Urthümlichkeit seines Volkes bewahrt.
Er ist gntmüthig, fröhlich, bleibt immer nur wenige Tage
an einem uud demselben Orte, zieht unablässig umher, uud
ist glücklich, wenn er unter freiem Himmel leben uud die
frische Luft genießen kann. Dieser kräftig gebaute Mensch
hat eine offene Physiognomie, ist sanguinischen Tempera-
mentes, sorglos, leichtsinnig, leichtgläubig, höflich und gut-
müthig, gastsrei und fröhlich, ehrt das Alter, begreift leicht,
ist aber oberflächlich und unbeständig.
Der Bazar von Nertschinsk.
morgenländischen Karawauserais gebauten Kaufhose (Gosti-
noi Dwor) sehen wir ein buntes Durcheinander von Russen,
Tataren, Nord- und Ostasiaten. Der Kosack handelt einen
Reitzamn oder ein Messer ein, russische und kirgisische
Frauen haben ihre Kinder mit auf den Markt genommen,
Kameele stehen beladen, um Waaren nach Jrkutsk zu brin- !
gen, auch deutsche Handelsleute fehlen nicht. Die Nomaden
kaufen Taback und Flintensteine, geschäftige Tataren rufen
Kappen aus Buchara, Gürtel und Schlafröcke aus; selbst der
Hausirer aus dem Aankeelande bietet hier seine „Notions",
allerlei Waaren durcheinander, feil, aber der Tatar ist ihm
gewachsen und nicht minder pfiffig. Denn der tatarische
Hausirer, gegen welchen selbst der jüdische uicht aufkommt, ist
in allen Schlichen erfahren. Im Vordergrunde sehen wir
beturbante Buchareu, welche mit ihrer Ruhe uud Gemessen-
heit einen scharfen Gegensatz zu deu beweglichen Tataren
bilden. Ihr bleiches, meist schön geformtes Antlitz sticht
Vortheilhaft ab gegen die breiten, gelben Gesichter der Mon-
golen oder der Kirgisen.
Auch Jagdnomaden aus dem nordöstlichen Sibirien,
Diese Renuthier-Tunguseu wohnen iu Jurten, welche
unten kreisförmig find, und nach oben hin in einen Kegel
auslaufen. Unser Bild zeigt die Bauart derselben. An
die Querstäbe, welche auf den unteren Pfahlstöcken ruhen,
bindet man lange Stangen, deren obere Enden derart an
einander gelegt werden, daß sie einen zuckerhutförmigeu Kegel
bilden. Dieses Stangengerüst wird mit gegerbten Renn-
thierfellen bedeckt, und oben läßt man eine Oeffnuug, durch
welche der Rauch abziehen kaun. Jede Jurte hat zwei ein-
ander gegenüberliegende Thüren, welche durch Rennthierfelle
geschlossen werden; der Fußboden wird mit klein gehacktem
Cedernholze belegt, in der Mitte, gerade unter der Abzugs-
ösfnuug, befindet sich der Herd.
Der Tungnse bauet solch eiu luftiges Obdach auch für
deu Winter, und ist in demselben allerdings gegen Kälte und
Unwetter wenig geschirmt, aber er schlägt dasselbe an sehr
geschützten Stellen auf, wo es vom Winde uicht bestrichen
werden kann, uud warme Kleider besitzt er iu Hülle uud
Fülle. Sein Lieblingsgetränk ist der Ziegelthee. Solch
einen« Nomaden ist das Rennthier vom größten Werths;
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
165
denn er reitet auf demselben, es ist außerdem sein Zug-
und Lastvieh, das Fleisch bildet eine Hauptnahrung, die
Sehnen geben den Frauen Zwirn, die Felle Allen Kleidung
und Dächer für die Jurten. Deshalb schätzt man auch deu
Reichthum eines Mannes nach der Anzahl der Rennthier-
Weibchen, welche er besitzt, aber die genaue Zahl derselben
glücklicher Mensch. Er braucht keinen fruchtbaren Boden,
keine Wiesen oder Steppen, nud lebt am liebsten im sinstern
Wald oder in den Bergen. Aus ihren Jagden durchstreifen
die Tnngnsen eine ungeheuere Strecke Landes, von der
Mündung des Amur bis iu die Nähe des Baikal-Sees;
man findet sie an der Angara und Lena, an der Kowyma
Ein Jakut auf dcm Schlitten.
erfährt man nie, weil der Tunguse den Aberglauben hat,
daß seine Heerde» aussterben, wenn ein Anderer weiß, ans
wie vielen Häuptern sie besteht. Das Nennthier paßt vor-
trefflich zunl Tnngufen, denn gleich ihm liebt es ein Umher-
schweifen, und bleibt nicht gern längere Zeit an demselben
Orte. Der Mann besorgt die Heerde und geht auf die
und Jndigirka, am Eismeer und an der Küste von Ochotsk.
Die meisten von ihnen sind äußerlich zur griechischen Kirche
bekehrt, aber das alte Schamanenthmn spielt uoch immer
eine große Rolle, und die Zauberfrau, welche iu hohem An-
sehen steht, muß in wichtigen Fällen Rath durch Wahr-
sagung ertheileu.
Jurten der
Jagd oder den Fischfang; das ist seine Beschäftiguug, alles
Andere liegt den Frauen ob. Uebrigens ist auch bei diesen
Wanderhirten jetzt viel Russisches eingedrungen; sie rechnen
bei ihren Einkäufen schon nach moskowitischem Maß uud
Gewicht.
So ist der Tunguse ein in der ihm zusagenden Weise
Tungusen.
Der Jakute liebt, im Gegensatz zum Tungusen, die
weiten Ebenen, sowohl die bewaldeten, wie die offenen.
Das Land, welches er durchstreift, ist so recht normal oft-
sibirisch. Im Osten und Süden von Jakntsk steigen hohe
Felsengebirge empor; im Westen und Nordel! dehnen sich
zum Theil bewaldete Ebenen aus, und der aus Dammerd
166
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
bestehende Boden ist ganz ungemein fruchtbar. Seine
Triebkraft erscheint geradezu wunderbar, und in jener Ge-
gend kann man wirklich das Gras wachsen sehen. In den
ersten Tagen des Maimonats ist noch Alles mit Schnee
bedeckt, und man erblickt vom Rasen noch keine Spur; drei
Wochen später ist Alles grün, die Bäume sind vollständig
belaubt, und auf den Inseln in der Lena erreicht das Gras
binnen Monatsfrist eine solche Höhe, daß es einem Reiter
bis an den Kopf reicht. Aber trotz der starken Sommer-
wärme thanet der Boden höchstens bis in eine Tiefe von
vier Spannen auf, weiter kann die Hitze nicht eindringen;
unterhalb ist Alles gefroren. Das weiß man genau, weil
man iu Jakutsk bis 370 Fuß Tiefe gegraben hat. Vis
dahin fand man den Boden noch eisig, weiter konnte man
nicht eindringen.
Ostsibirien ist ungemein reich bewässert, und mit einem
Geäder breiter und tiefer Ströme gleichfani überspannt.
Aber die Ufer sind öde, auf den Flüssen schwimmen nur
kleine Kähne aus Birkenrinde, in denen zwei bis drei Men-
schen Platz haben, oder Nachen, die man aus sieben Brettern
zusammen zimmert. Flüsse und Seen sind höchst ergiebig au
Das sibiri
Fischen. Diese ganze Region wird von sehr strenger Kälte
heimgesucht; während der vier Wintermonate hat sie 40
bis 49 Grad Neanmnr. Aber deshalb ist sie nicht ungesund;
die Eingeborenen leiden zumeist nur an Husten und Rhen-
matismen, aber auch bei solcher Kälte gehen sie ans die Jagd
uud unternehmen weite Reisen. Im Sommer ist an allen
Stellen, welche von den Sonnenstrahlen erreicht werden, die
Hitze fürchterlich drückend, ärger und empfindlicher als in
den Wüsten Afrika's; man hat kaum Lust, sich zu bewegen,
und mit nackten Sohlen kann man gar nicht auf den Saud
treten; man verbrennt sich die Haut. Deßhalb gehen die
Jakuten lieber im Whttev (und in welchem Winter!) barfuß,
als während der heißen Monate, und die Hitze ist ihnen weit
empfindlicher, auch weit ungesunder, als die strenge Kälte,
und Blutdurchfälle stellen sich dann häufig ein. Die rufst-
schen Aerzte kennen bis jetzt kein wirksames Gegeumittel.
Aber in dem weit ausgedehnten Jakutenlande sind die
Temperaturverhältnisse natürlich sehr verschieden, je nach
der Lage. Im westlichen Theile, zum Beispiel bei Olek-
mi n sk, wo die von den Jablonnoi-Gebirgen herabkommende
Olekma in die Lena mündet, stellen sich die Fröste ziemlich
spät ein, und deshalb wird Getreide dort reif. Dagegen
thanet ick Nordwesten, bei Dfchigansk, unter dem nördlichen
Polarkreise, der Boden nur zwei Spannen tief aus, und
vom Monat August an fällt dort Schnee bis in den Monat
Mai hinein. Bei solcher Kälte hüllen die Eingeborenen sich
in wärmende Pelze. Ein wunderlicher Engländer, Kapitän
Cochrane, unternahm 1820 eine Fußreise durch Ruß-
land und Sibirien bis zum Eismeer und Kamschatka, und
führte dieselbe glücklich zu Ende. Er kam im Oktober von
Olekminsk nach Jakutsk, blieb dort drei Wochen uud zog im
November weiter nach Osten. „Meine Absicht war, das
etwa dreihundert deutsche Meilen entfernt liegende Nischni
Kolymsk (am Eismeer, im Lande der Jnkagiren) zu errei-
cheu, also in der kältesten Jahreszeit denkältesten
Theil von Nordostasien zu durchwandern. Das
hielt ich für eine leichte Sache, da ich gewiß wußte, mit
meiner warmen Kleidung fünfzig Grad Reanmur Kälte
aushalten zu können. Bei 270 R. ging ich in Jakutsk
in einem Rocke von Nanking, in Beinkleidern von
Nanking, in Schuhen und Strümpfen, und unter dem Hemde
hatte ich weiter uichts, als eine abgetragene Flanelljacke.
>e Argali.
In Jrkntsk bin ich während des Januars bei einer Kälte
von vierzig Grad Reanmur ohne warme Bekleidung zu
Bälleu und Mahlzeiten gegangen. Selbst die Eingeborenen
begreifen nicht, wie ich das aushalten könne, aber der
Mensch vermag sich an Vieles zn gewöhnen, wenn er nur
will. Ich habe Kälte, Hunger und Ermüdung ausgestau-
den, fühlte aber nie so viel Mnth und heitern Sinn, als
wenn Andere ihn verloren; daher dachte ick, anch jetzt, daß
ein paar leichte Handschuhe und eine Kappe auch im
schlimmsten Falle mich schützen würden."
Man veranschlagt die Zahl der Jakuten auf etwa
hunderttausend männliche nnd eben so viele weibliche Seelen.
Sie sind fast alle nach russischem Ritus getauft, halten viele
Kirchengebote, gehen alljährlich zur Beichte, aber nicht zum
Abendmahl, und fasten nicht gern. Aber auch bei ihnen ist,
gleick wie bei den Tnngnsen, viel vom alten Schamanismus
hängen geblieben^namentlich kommen bei Unglücksfällen und
Krankheiten die Schamanen, die Zaubermänner, zum Vor-
schein, stellen Beschwörungen an, unl Teufel und böse Geister
zu verscheuchen, und opfern ein Thier.
Durchschnittlich ist der Jakute eiu Mensch von mitt-
Globus, Chronik der Reisen
lerem, kräftigem Wüchse, mit etwas plattem Gesicht, ver-
hältnißmäßig gebauter Nase, braunem oder schwarzem Auge,
schlichtem schwarzem Haar und ohne Bart. Die Hautfarbe
ist bei denen, welche kein mongolisches Mischblut haben,
weiß, aber etwas in's Gelbliche spielend; doch wechselt die
ursprüngliche Hautfarbe iu Folge äußerer Einflüsse drei-
oder viermal im Jahre; im Frühling durch die Einwir-
kungen der Luft, im Sommer durch jene der Sonne, und im
Winter durch die Kälte und den Rauch des Herdes. Diese
Leute sind friedlich und führen keinen Krieg, außer gegen die
wilden Thiere; sie zeigen sich sehr intelligent, und sind so
schlau, daß selbst der Russe sie nicht übervortheilen kann.
Ihre Gastfreiheit ist musterhaft, und gern geben sie dem
Reisenden zu essen und zu trinken, ohne dafür etwas zu ver-
langen. „Gott hat mir zn essen und zu trinken gegeben,
damit auch andere Menschen daran Theil nehmen können."
Alte Leute werden hoch geehrt, man befolgt ihren Rath, und
es wäre ein großes Verbrechen, sie zn beleidigen oder auch
nur zu reizen. Die Kinder sind auch dann noch folgsam
gegen die Aeltern, wenn sie längst geheirathet und ihren
eigenen Hausstaud haben. Viele Frauen sind recht hübsch,
und Töchter reicherer Leute erhalten in Jakntsk eine sorg-
fältige Erziehung. Der Jakute liebt Taback und Brannt-
wein, ist ein höchst ausdauernder Mensch, kann im Nothfalle
drei Tage lang arbeiten, ohne etwas zu essen, und ist auf
seinen Reisen jeder Entbehrung gewachsen. Der Waldjakute
lebt manchmal Monate lang vorzugsweise mir von Wasser
und Ficktenrinde, und meint, daß das eben so und nicht an-
ders sein müsse; zu andern Zeiten aber stopft er sich mit
Fleisch voll. Diebstahl wird mit Ruthenstreichen bestraft;
der Empfänger einer solchen Strafe verliert, wenn der Ans-
druck erlaubt ist, seine bürgerlichen Rechte, kann nie wieder
ein Zengniß ablegen, und hat im Rathe der Männer keine
Stimme mehr. Prozeßsucht ist eine der Schattenseiten im
Charakter der Jakuten, welche übrigens zu Handwerken sehr
anstellig sind. Manche sind zugleich Goldschmiede, Huf-
und Kesselschmiede und Zimmerleute zugleich, sie können
Schießgewehre auseinander nehmen und wieder zusammen-
setzen, und das Volk hat überhaupt ein großes Talent zum
Nachahmen. Sie sind auch gute Schützen auf der Jagd und
haben Neigung zum Handelsbetrieb.
Sklaven und Sklaven
Seit länger als dreißig Jahren ist, vorzugsweise durch
die englischen sogenannten Menschenfreunde und ihre Nach-
treter, die nordamerikanischen Abolitionisten, in alle Erör-
terungen über die Frage der Negersklaverei eine große
Leidenschaft hineingetragen worden. Das hat nicht gut ge-
thau; wir sehen die Folgen dieser so in jeder Hinsicht un-
gerechtfertigten Aufregung. Durch sie ist vorzugsweise der
große überseeische Staatenbund in Trümmer gegangen, und
ein Bürgerkrieg heraufbeschworen worden, der gleich von
vorne herein mit einer Barbarei geführt wird, die ihres
Gleichen sucht!
Die Bestrebungen der Abolitionisten, welche unter dem
Deckmantel der Philanthropie den Apfel der Zwietracht in
die Welt geworfen haben, sind grundverderblich und erscheinen,
von welcher Seite man sie auch ansehen möge, als ein geradezu
heilloses Unglück für die weißen wie für die schwarzen
Menschen in den heißen Ländern. Man darf sich darüber
nicht länger täuschen; die salbungsvolle Phrase, welcher aller
höhere sittliche Inhalt fehlt, darf nicht länger die Herrschast
behalten, der Fanatismus seinen verderblichen Einfluß auf
und Geographische Zeitung. 1(37
Auch der Jakute wohnt in einer Jurte. Er schlägt
auf einer weiten Wiese eine Sommerhütte von kegelförmiger
Gestalt aus dünnen Stangen aus, und bedeckt dieses Ge-
bäude, das die Gestalt eines spitze» Zuckerhutes hat, mit
Birkenrinde; die Winterwohnungen haben eine ähnliche Ge-
statt, sind aber dauerhafter und werden von Innen und
Außen mit Thon, Hen und Dünger überzogen ; dagn kommt
dann noch die Schneedecke. Eingesetzte Eisscheiben, Marien-
glas, Thierblasen oder geöltes Papier lassen etwas Licht
eindringen.
Die westlichen Jakuten halten Rindvieh und Pferde;
die östlichen treiben vorzugsweise Rennthierzucht. Als Zug-
thier dient, außer dem Hunde, auch das Nennthier. Zwei,
höchstens drei derselbeu, spannt der Mann vor seinen leichten
Schlitten, die Narta, und er fliegt mit ihnen wie ein Pfeil
über die glatte Schneefläche.
In den Jurten der Tnngusen und jener Jakuten,
welche bis in die Thäler der Alpengebirge Ostsibiriens
ziehen, herrscht allemal große Freude, wenn es im Herbst
gelingt, ein wildes Schaf zu erlegen. Dieses Argali,
Ovis Amnion, ist vom Altai bis zum Meerbusen von
Ochotsk verbreitet, und geht nach Norden hin bis etwas
über deu sechzigsten Breitegrad hinaus. Eiu ausgewach-
seuer Bock mißt in der Länge siebenthalb Fuß und hat un-
gefähr vierthalb Fuß Höhe. Die Hörner erscheinen nnge-
heuer massig und werden dreißig bis vierzig Pfund schwer.
Das wilde Schas hat also die Größe eines Damhirsches; im
Sommer ist die obere Seite schmutzig weiß, Seiten und
Bauch sind braun, über das Kreuz läuft ein brauner Streifen.
Im Winter wird die ganze Färbung weißlich, und nur an
der Schwanzwurzel bleibt eiu weißer Ring. Unter dem
langen, starken Haare liegt eine dichte weiße Wolle. Dieses
sibirische wilde Schaf lebt in Heerden, weidet im Sommer
in den Alpenthälern, und ist im Herbst wohlgenährt und
schmackhaft; im Winter nährt es sich von Moos und Flechten.
Die Jägernomaden wissen diesem scheuen, aber neugierigen
Thiere auf eiue schlaue Art beizukommen. Sie stellen eine
Art von Puppe iu's Freie, um die Aufmerksamkeit des Ar-
gali zu fesseln. Während das Thier deu ihm neuen Gegen-
stand neugierig betrachtet, schleicht der Jäger von der andern
Seite herbei und erlegt die Beute.
ilter in Nordamerika.
die Gemüther nicht ewig behaupten. Er wird ihn einbüßen,
wenn man in weiteren Kreisen sich mit den Thatsachen
bekannt macht und von den Luftgebilden der Abstraction
auf den Bodeu der Wirklichkeit zurückkehrt. Ohnehin ist ja
der Abolitionismus den Ereignissen gegenüber bankerott ge-
worden. Selbst in England, das bis vor einem halben
Jahrhundert der größte und unbarmherzigste Sklavenhändler
der Welt war, die Neger seinen Kolonien aufzwang, und
nachher die Negerfreundlichkeit bis zum Zerrbilde steigerte,
gewinnt nun bei vielen Leuten der gesunde Menschenverstand
die Oberhand. In unserem Deutschland, wo man an der
wichtigen Frage nicht unmittelbar betheiligt ist, gewahren
wir dieselbe Erscheinung.
Wir werden uns angelegen sein lassen, den hochwich-
tigen Gegenstand im Globus, wie wir glauben vorurtheils-
frei, zu erörtern. Uns liegt es nur an der Wahrheit, an der
wirklichen, praktischen Humanität, uicht an einer angeblichen
Menschenfreundlichkeit, welche den Thatsachen gegenüber
nicht Stich hält und in ein wahres Labyrinth von Jammer
und Elend geführt hat.
168 Globus, Chronik der Reisen
Wenn die Erziehung der Menschen zu höherer Gesittung
etwas gilt, wenn es als eine Pflicht der höher Gebildeten
erscheint, für die sittliche und wirtschaftliche Entwickelung
derer zu sorgen, welche ihrer Herrschaft oder Obhut auver-
traut sind, dann läßt sich ohne Mühe nachweisen, daß die
Abolitiouisten sich schwer an der Menschheit, namentlich an
dem schwarzen Theile derselben, versündigen, also gerade an
jenen, welchen sie nützen möchten.
Nichts liegt uns ferner, als die gegenwärtige Form
der Negersklaverei vertheidigen zu wollen; wir billigen sie
eben so wenig wie die Übertreibung, mit welcher man die
Schwarzen in vielen Ländern emaneipirt hat. Wo das
geschah, und wo sie sich selbst überlassen blieben, namentlich
überall in Südamerika und in Westindien, gewahren wir
eine fortschreitende Verwilderung. Das allem Richtige liegt
zwischen deu beiden verwerflichen Systemen, der unbedingten
Emancipatiou und der unbedingten Sklaverei in der Mitte.
Für den Neger, der unter den großen Menschenstämmen von
Anbeginn der Geschichte als der Minderjährige da steht
und noch lange, vielleicht bis au's Ende der Tage, du solcher
bleiben wird, ist eine wohlwollende Vormundschaft
von Seiten der Weißen, zwischen und neben denen er wohnt,
das einzig und allein Angemessene. Er versteht mit der uu-
bedingten Freiheit nichts anzufangen, und von einer schranken-
losen Gleichheit mit deu Weißen ist ohnehin keine Rede.
In Nordamerika spielt eine verächtliche Heuchelei iu
die Frage hinein; der Abolitionismns steht in der Lüge, er-
steht im Widerspruch zwischen den Grundsätzen, welche er
aufstellt und der Praxis, durch welche er sie zu schänden macht.
Als im Juli dieses Jahres die freien Farbigen im erzaboli-
tionistischen Staate Massachusetts sich als Freiwillige au die
Regimenter der Bostoner anschließen wollten, wurden sie
von diesen zurückgewiesen. Sie wandten sich dann, im Namen
der, von den Abolitiouisten immer so stark betonten, Gleich-
heit aller Menschen, der Freiheit, Brüderlichkeit und Nächsten-
liebe, mit einer Beschwerdeschrift an die Legislatur, und
baten, als „Vertheidiger der Freiheit" am Kampfe gegen
die südlichen Secessionisten theilnehmen zu dürfen. Was
war die Antwort? Die Legislatur entschied, daß die Neger
und Mulatten nicht in die Regimenter eintreten sollten;
und dabei hatte es sein Verbleiben.
In der Armee der sklavenhaltenden Staaten dienen
dagegen freie Farbige zn tansenden und in der für den prah-
lerifchen Norden so schimpflichen Niederlage von Bulls Nun
haben sie mit Erbitterung gegen die angeblichen Wohlthäter
der Neger gekämpft. In manchen südlichen Regimentern
bekleiden sie Unteroffiziersstellen; bei den nördlichen aus
den „freien" Staaten wäre dergleichen unmöglich.
Wir wollen noch mehr Beispiele anführen, durch welche
die feltsame Liebe zur Gleichheit aller Menschen in den
„freien" Staaten gekennzeichnet wird. Als das durch die Aboli-
tionisten iu blutigen Bürgerkrieg gestürzte Gebiet Kansas
sich 1860 eine Staatsverfassung gab, schloß es nicht nur,
und mit Recht, die Sklaverei aus, sondern nahm in seine
Verfassung den Satz auf, daß kein freier Färb ig er-
den Boden von Kansas betreten dürfe!
In Ohio wurden die farbigen Aeltern von der Schul-
steuer befreit, damit man nicht genöthigt sei, schwarze und
gelbe Kinder in die Volksschulen aufzunehmen. Man hat die
Farbigen von aller nicht geradezu vorübergehenden Arbeits-
befchäftiguug ausgeschlossen, indem ein Gesetz diejenigen,
welche sich ihrer bedienen, auch verpflichtet, sie dann auch
ihr Lebenlang zn uuterhalteu. Julius, ein Berliner Menschen-
freund, aber eiu ehrlicher, wunderte sich sehr, als er in den
„freien" Staaten die Abneigung gegen die Farbigen weit
stärker fand, als im Süden. Er sah, daß man sie im Norden
und Geographische Zeitung.
nicht einmal in den Kirchen der Weißen zuließ; sie müssen
ihre Kinder in „Niggerschulen" schicken; nicht einmal in
den Rettuugshänsern für jugendliche Verbrecher nimmt
man Schwarze und Mulattenkinder auf, eben so wenig in
den Taubstummen- und Blindenanstalten.
In Neu-Aork, Boston und Philadelphia und anderen
großen Städten sind Häuser und Kirchen der Schwarzen
nicht selten vom weißen Pöbel geplündert und einge-
äschert worden, ohne daß die Missethäter bestraft worden
wären. In den Sklavenstaaten Tenessee und Nord-
Carolina hat der freie Neger und Mulatte Stimm-
recht wie der weiße Bürger.
Im „freien" Staate Nen-Aork wird keinem Far-
bigen ein Erlanbnißfchein zur Haltung eiues von
einem Pferde gezogenen Karrens ertheilt, dieses
Privilegium ist den Weißen vorbehalten; der Neger darf
nur Schub- und Stoß-Kärrner fem. Das ist Freiheit!
In Philadelphia und iu Boston stehen die Namen der
Farbigen im Wohnungsanzeiger abgesonder t hinter denen
der Weißeu oder werden durch einen Stern bezeichnet. Das
ist Gleichheit!
Auf dem Leichenacker zu Ciucinnati in Ohio liegen die
weißen Leichen in der Richtung von Osten nach Westen,
die Schwarzen in jener von Norden nach Süden. Das
ist Brüderlichkeit! Und noch dazu in einer so aboli-
tiouistischen Stadt. Absonderung sogar uoch auf dem Got-
tesacker! —
Und die Philanthropie! Ein Farbiger in Boston
klagte eine Geldforderung gegen einen Weißen ein, der nicht
bezahlen konnte. Aber der fromme Mann war Inhaber
eines Kirchenstuhles. Diesen wollte Niemand kaufen und
das Gericht sprach ihn dem Gläubiger zu. Aber damit
der Schwarze uicht in die Kirche komme, sie durch seiu
Gebet nicht etwa verunreinige, nahmen die Vorsteher der
cougregationalistischen Gemeinde ohne Weiteres den Stuhl
iu Beschlag, verinietheten ihn uud gaben den Ertrag dem
schwarzen Christen. Zu Raudolph, iu demselben erzaboli-
tionistischen Massachusetts, ereignete sich genan der gleiche
Fall.
Im abolitionistischen Staate Connectieut eröffnete
eine wohlwollende weiße Frau, Namens Croudall, eine
Schule, in welcher sie schwarzen Kindern unentgeltlichen
Unterricht gab. Davon nahm die Legislatur dieses „freien"
Staates Anlaß, eiu Gesetz zu geben, welches verbietet, den
nicht im Staate selbst geborenen Schwarzen Unterricht zu
ertheileu.
Die „freien" Staaten Indiana und Illinois
haben sich gegeu alle Farbigeu anderer Staaten völlig ab-
gesperrt. Ein Neger, welcher die Gräuze überschreitet, wird
vierzehn Tage in's Gefängniß gesperrt, und dann wieder
fortgeschickt. In abermaligem Betretnugsfalle wird er aus-
gepeitscht und verkauft!
Von so erbaulichen Thatsachen, welche in den freien
Staaten zur Tagesordnung gehören, könnten wir eine
lange Reihe anführen. Doch genügen die obigen, um dar-
znthuu, wie es mit der vielgepriesenen Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit jener nördlichen „freien" Staaten sich
verhält.
Wer die Thatsachen erwägt, wird die Redensart ver-
lachen, mit welcher man so lange Europa zu täuschen ver-
sucht hat. Wer möchte so thöricht sein und auf die Phrasen
solcher „Menschensrennde" noch irgend einen Werth legen?
Was uns entgegentritt, das ist die platte Lüge nnd die
Jnconseqneuz.
Die Philanthropen des Nordens haben überall dem
Neger und Mulatten die Stellung eines Paria, eiues Aus-
Globus, Chronik der Reisen
würflings in der Gesellschaft aufgedrängt. Eineul solchen
„freien" emancipirten Paria gegenüber ist die Lage der bei
weitem überwiegenden Menge Sklaven geradezu beueidens-
Werth. Im Süden hat der Neger eine klare Stellung uud
weiß, woran er ist. Man steckt dem schwarzen Manne
gegenüber nicht in der Lüge, sondern sagt ihm ganz einfach
und gerade heraus: „Du hast von Natur eine andere An-
läge und Begabung als wir Weißen. Wir erkennen dir
eine gesellschaftliche Gleichberechtiguug nicht zu. Du hast auch
eine andere Stellung als wir; fügst du dich in diese, so bleibst
dn in jeder Beziehung ungehindert." Die freien Farbigen
haben sich in dieselbe gefügt. Es steht ihnen frei, anszu-
wandern, aber sie bleiben in den südlichen Staaten, und
bis jetzt haben sie treu zu ihren weißen Landsleuten gestanden.
Auch die Sklaven haben sich nicht gerührt, sondern gearbeitet
nach wie vor. Sie mögen ihre Lage mit jener der „freien"
Farbigen im Norden nicht vertauschen, und in vielen „freien"
Staaten würden sie ja nicht einmal Aufnahme finden.
Es giebt verschiedene Arten von Abolitionisten. Zu
den ehrlichen gehören die Abstract-Radikalen, welche für
Alles nur Eine Formel haben und die Lehren der Ethnologie
und der Geschichte, überhaupt alle Erfahrungen vollkommen
unberücksichtigt lassen. Zu deu unehrlichen gehören die Stellen-
jäger uud Aemtersucher, welchen der „Nigger" lediglich ein
Vorwand für eigennützige Zwecke ist; sie benützen ihn als
Lastthier, um auf seineu Schultern in Amt uud Würden
einzureiten, und „von der Krippe zu fressen", d.h. sich einen
Antheil an den Staatseinnahmen zu sichern.
Neulich sprachen wir in einer großen Stadt Mittel-
dentschlands mit einem eifrigen Abolitionisten, welcher Feuer
und Flamme gegen die südlichen Secessionisten war. Ter
Mann hatte die Mittheilungen, welche ans Nen-Aork vielen
deutschen Blättern zugesandt werden, naiv genug, für Wahr-
heit genommen. Er befürwortete eifrig die Emancipation
der Neger. Aber wir kennen denselben Mann als einen
entschiedeneu Gegner der Emancipation der Juden!
Seit einer langen Reihe von Jahren haben die Aboli-
tionisten planmäßig eine Menge von Schristeu iu Umlauf
gebracht, deren Zweck dahin geht, den Süden der ehemali-
gen Unionsstaaten so schwarz als möglich zu schildern. In
vielen dieser Bücher spricht sich eine fürchterlich giftige
Bitterkeit gegen die Sklaven haltenden Staaten aus. In
erster Linie steht der durch uud durch unsittliche Roman der
Frau Beecher Stowe. Onkel Toms Hütte ist voll von
lügenhaften Übertreibungen uud selbst in England hat man
das Buch eiu „Monstrum" genannt. Lügenhaft und plan-
mäßig ist auch das Buch eines Mannes, der einst zu Naleigh
in Nord-Carolina im Zuchthause saß. Wir meinen jenes
von Nowan Hinton Help er über die „bevorstehende Krisis".
Sie ist nun da.
Im Interesse der Abolitionisten durchreifete Frederic
Law Olmsted mehrmals deu Süden, über welchen er nun
bereits fünf umfangreiche Werke veröffentlicht hat. Alle
beziehen sich aus die Sklaverei uud die Neger. Das letzte
dieser Bücher: Journeys and Explorations in the Cotton
Kingdom, erschien vor eiuigeu Wochen in zwei Bänden zu
London. Olmsted ist in einer Parteiansicht befangen, aber
er verschweigt die Thatsachen nicht und seine Urtheile sind
von der ingrimmigen Wuth, durch welche so viele seiner
Parteigenossen sich charakterisiren, weit entfernt. Es liegt
in ihnen eine Art von Milde und wir wollen aus den Mit-
theilnngen dieses Abolitionisten Einiges hervorheben.
Olmsted gesteht zu, daß das System der „gezwungenen
Arbeit" für den Neger viel Gutes mit sich bringe. Er schildert
den „Nigger" im Allgemeinen als einen plumpen, schelmen-
haften, trägen, grotesken Burschen, als eine glückliche Creatur,
Globus 1861. Nr. 6.
und Geographische Zeitung. J 69
welche an Sonn- und Feiertagen tanzt und singt, und an
den Wochentagen so viel als möglich das Arbeiten umgeht.
Er ist gut genährt und für fein leibliches Wohlergehen wird
emsig gesorgt. Einem Wesen, das achthundert bis dreizehn-
hundert Dollars Werth ist, thnt man ohne NotH nichts zu
Leide. Der ländliche Arbeiter in England muß sich sehr
häufig mit Brod und Wasser behelfen und freuet sich, wenn
er ein Stückchen Käse von abgerahmter Milch dazn hat.
Der Nigger hat alle Tage Brot nnd Schweinefleisch so viel
er nur essen mag; Zeit jnr Erholung und Ruhe von der
Arbeit ist ihm vollkommen gegönnt, nnd es steht nur bei
ihm, durch Extraarbeit, zu welcher er auch hinreichende Muße
findet, Geld für sich zu erwerben. Er wird gerade so be-
handelt, wie ein weißer Arbeiter in England behandelt werden
würde (aber nicht behandelt wird), wenn der Gruudbesitzer
erst zwei- bis'dreihundert Pfund Sterling für den Ankauf
einer solchen Arbeitskraft ausgeben müßte; wenn er ferner
verpflichtet wäre, den Mann in Kraukheit uud iu seinen
alten Tagen zu verpflegen. Niemand kann in Zweifel ziehen
oder in Abrede stellen, daß dann der englische Feldarbeiter
eine weit bessere Stellung hätte; er würde mehr ausruheu
köuueu, weniger arbeiten, besser gekleidet sein uud mehr uud
besser speisen. Jetzt nützt man ihn völlig aus, er muß sich
überarbeiten, wird jeder Ungunst des Wetters preisgegeben,
leidet an chronischen Rheumatismen, Faulsiebern uud Lungen-
kraukheiteu. Diese nun richten unter den Feldarbeitern Ver-
heeruug au, nehmen dem Leibe Kraft und Leben. In dieser
Beziehung steht der Nigger beneidenswert!) gegen die Feld-
arbeiter anderer Länder da. Allerdings schwebt die Peitsche
des Aufsehers über ihm, aber Olmsted, der Abolitionist,
hebt hervor, daß er auch in dieser Beziehung nicht schlimmer
daran sei wie der englische Bauer bis zu Eude des vorige»
Jahrhunderts, als der Gemeindebüttel und der Gutsbesitzer
ihre Knüttel weidlich tanzen ließen gegen sanle oder betrü-
gerische Arbeiter und schlechtes Gesinde. (Die „Prügel"
kommen noch überall vor, auch auf dem Festlande. Der
Handwerksmeister „drischt uud ohrfeigt" den Lehrjungen und
die Meisterin thut nicht selten ein Gleiches, der Bauer prü-
gelt den Juugkuecht, und so fort. Das ist nicht hübsch, aber
diese „kurze Justiz" ist unter den weißen Menschen zu allen
Zeiten herkömmlich gewesen und wird es ohne Zweifel auch
bleiben. — Vertheidigen wollen wir sie nicht, sondern nur
die Thatsachen hervorheben. Die Mißhandlung von Negern,
welche brutal gezüchtigt wnrden, bildet immer nur Ausnahmen
uud einzelne Fälle, welche von den Abolitionisten angeführt
werden, finden in England, in dem idyllischen Mecklenburg
uud auch sonst an der Ostsee ihre Nebenstücke.)
Olmsted sagt, daß harte Grausamkeit dem heutigen
Sklavereisysteme fremd seien. In ganz Virginien erhalten
nur Kinder, namentlich Burschen von zehn bis vierzehn
Jahren, eiue körperliche Züchtigung, wenn sie unnütze Streiche
gemacht haben, aber genan in derselben Weife, wie ungezogene
weiße Knaben und Mädchen in allen Ländern der Welt anch.
Ein Pflanzer ist nicht so thörig, seine kostspieligen Diener
zu mißhandeln, deren Arbeitskraft wesentlich dnrch heitern
Sinn bedingt wird. Man stachelt den von Natur trägen Neger
znr Arbeit an nicht durch Furcht vor Strafe, sondern dadurch,
daß man ihm Geldvorschuß iu Aussicht stellt. Er macht es
gerade so wie der Handwerksgeselle, der in Feierstunden arbei-
tet, um sich Extrageld für einen lustigen Sonntag zu verschaffen
oder sich besser zu kleiden. Der Pflanzer weiß, wie viel darauf
ankommt, die Neger bei guter Laune zu erhalten.
Die obigen Stellen haben wir dem Londoner Athenäum
entlehnt, weil in ihnen die Ergebnisse von Olmsted's Beob-
achtuugen zusammengefaßt sind. Das Folgende ist wörtlich
aus dem Buche des Abolitionisteu.
22
170 Globus, Chronik der Reise
„Die Sklaven haben sehr viele Gelegenheit, sich Geld
zu erwerben. Dem Gesetze zufolge gehört dasselbe ihrem
Herrn, ähnlich wie die Habe eines Minderjährigen dem
Familienvater. Aber niemals nimmt man dem Sklaven das
Geld, er kann dasselbe nach Belieben für sich verwenden,
und ist dabei weniger behindert, als für seiue Moral und
seine Gesundheit gut erscheint. Ein Blatt zu Richmoud
beschwerte sich einmal, daß man deu Ausschweifuugeu gegen-
über zu nachsichtig gegen die Sklaven sei und erzählte, daß
sie Abendessen mit Champagner hielten. Die Polizei
jener Stadt hob eine Spielholle auf, die höchst elegant ein-
gerichtet war; zwanzig schwarze Gentlemen, Sklaven, spielten
nnl hohe Summen. Unter ihnen waren mehrere, die im
Gerüche großer Frömmigkeit standen. Alle wurden Abends
zur Haft gebracht, erhielten am andern Morgen ein Dutzend
Hiebe und wurden dann entlassen."
„Auf der Straße gingen zwei Negersklaven vor mir
her, und ich vernahm Folgendes. — Ich habe das ganze
Jahr in der Tabacksfabrik gearbeitet und für die Weihnachts-
tage nur zwanzig Dollars, habe scharf gearbeitet, manchmals
bis zwölf Uhr; habe einen Nigger zum Aufseher. — Einen
Nigger? — Ja, einen schmierigen Nigger, der befehlen will,
als wäre er ein weißer Mann. Das ärgert mich; sonst wäre
Alles gut! — Es ist iu den Tabacksfabriken Brauch, daß
man Sklaven und freie Neger auf eiu ganzes Jahr für einen
bestimmten Jahreslohn annimmt. Jeder braucht täglich
nur 45 Pfund Taback aufzuarbeiten; was er darüber schafft,
ist sein Privatgewinn, der ihm alle vierzehn Tage richtig
ausgezahlt wird. Durchgängig verthnt er dieses Geld mit
Spielen, Trinken und auf noch schlimmerem Wege. Dem
oben erwähnten Sklaven waren zwanzig Dollars nicht genug
zum Verthnn für die zwei Weihnachtstage."
Es kommt gar nicht selten vor, daß Negersklaven,
welche sich freigekauft haben und nach andern: Staaten,
z. B. Pennsylvanien, gegangen sind, von dort wieder in die
Sklavenstaaten zurückkehren, obwohl das verboten ist. Sie
fühlen sich unbehaglich iu deu „freien" Staaten, wo die
falsche Stelluug ihnen nicht behagt, und wo kein weißer Mann
einen Farbigen am Tische oder im Omnibus dulden würde.
Sie sind dort eben gesellschaftliche Paria's, Ausgestoßene.
Das ist im Süden ganz anders; der Abolitionist selber
bezeugt es: „Ich war erstaunt über das gesellige Zusammen-
und Nebeneinanderleben von Weißen und Schwarzen. Neger-
frauen trageu zugleich ein schwarzes und ein weißes Kind
auf dem Arme; schwarze und weiße Kinder spielen mit-
einander; aus Thüren und Fenstern gucken, wenn ein Bahn-
zng vorüber geht, zumal weiße und schwarze Köpfe. Ich
sah einen hübschen wohlgekleideten Mulatten von gutem
Benehmen im Eisenbahnwagen neben einem weißen Herrn.
Farbige sollen, den Bahnordnungen zufolge, nur in zweiter
Klasse fahren, aber jeder Herr kann seinen farbigen Diener
neben sich in die erste Klasse nehmen. Weiße Mädchen und
Mulattinnen schwatzen freundlich mit einander, ich sah, daß
schwarze und weiße Kinder Confect aus derselben Düte
nahmen und daß sie alle mit einander, Groß und Klein, so
freundlich und vertraulich mit einander umgingen, daß man
im Norden dergleichen nicht nur mit Erstaunen, sondern
auch mit dem äußersten Widerwillen und Mißbehagen an-
sehen würde."
Das klingt anders als die Lügen und die Zerrbilder-
geschichten der Frau Beecher Stowe.
Für uns Europäer ist schon der bloße Begriff der
Sklaverei widerwärtig, namentlich feit etwa einhundert
Jahren. Trotzdem zwangen die Engländer den Kolonien
immerfort Sklaven auf; sie tragen viele Schuld daran, daß
und Geographische Zeitung.
dereu eiue so große Masse, im Ganzen noch etwa nenn Millio-
nen vorhanden sind. Jetzt spielen sie die Ultraphilanthropen,
obwohl sie mit ihrer eignen Emancipation, die ohnehin völlig
übereilt war, kein Heil gestiftet haben! Der Neger selbst, und
der Afrikaner insbesondere, hat freilich ganz andere Begriffe
von Sklaverei, als der Europäer. Die Ansicht vom Werthe
und Wesen der persönlichen Freiheit ist bei den verschiedenen
großen Menschenrassen sehr verschieden und es erscheint un-
geeignet, die Abstractioneu des sogenannten philosophischen
Jahrhunderts für alle Raffen und alle Kulturstufen als
gültig hinzustellen, etwa Roussean's Heischesätze auf die ganze
Menschheit ohne Weiteres anwenden zu wollen. Weil man
vergessen hat zu individualisiren, ist man in ein Jrr-
gewinde gerathen nnd hat vielfach die Natur der Dinge auf
den Kopf gestellt. Wir sehen an der allgemeinen Verwirrung
iu ganz Amerika, von Peru bis zum St. Lorenz, wohin man
mit den Abstractionen gerathen ist und welche Zerrüttung
einen ganzen Erdtheil heimsucht. Man verkennt nicht nnge-
straft die von der Natur selbst ganz verschieden-
artig gegebenen Knltnrwerthe und anthropologi-
scheu Anlagen der verschiedenen großen Menschen-
rassen. Phrasen und Wünsche sind ohnmächtig gegenüber
immanenten Begabungen.
Wir werden, wie schon bemerkt, diese wichtige, so tief
in das sittliche, bürgerliche und Verkehrsleben eingreifende
Frage nicht außer Acht lassen. Heute schließen wir unsere
Betrachtungen mit einer Stelle aus dem zu Neu-Uork erschei-
nenden Hnnt's Merchants Magazine, die von Belang ist,
und zu besonderem Nachdenken Veranlassung giebt.
„Der gesammte Welthandel drehet sich um das
Erzeuguiß der Sklavenarbeit. Was wäre der Handel ohne
Baumwolle, Zucker, Reis, Taback und die zum Schissbau
uöthigen Gegenstände? Sie alle sind aber mehr oder weniger
Erzeugnisse der Sklavenarbeit. Es ist eine festgestellte That-
sache, daß freie Arbeit allein, jetzt wenigstens, die Nachfrage
und deu Bedarf der Menschen an diesen Waaren nicht be-
friedigen kann. Man hat gesagt, ein freier Arbeiter leiste so
viel wie fünf Sklaven. Wenn dem so ist, weshalb hat man
denn nicht schon längst freie Arbeit angewendet, um alle
jene Artikel in hinreichender Menge zu schaffen? Versuche
wurden gemacht, wir wissen auch, daß sie (so weit Neger in
Frage kommen) gescheitert sind. Wenn freie Arbeit vorteil-
hafter wäre als Sklavenarbeit, so würde man sie längst in
Brasilien, Euba und Nordamerika eingeführt haben. In
allen diesen Ländern ist ja die freie Arbeit nicht etwa ver-
boten. Die Sklavenstaaten gehen weit liberaler zu Werke
als die freien Staaten. Diese verbieten Sklavenarbeit, jene
lassen auch freie Arbeit zu. Der Capitalist aus dem Norden
kann mit seinem Gelde und der freien Arbeit nach dem Süden
kommen und der Sklavenarbeit so viel Concnrrenz machen
als ihm beliebt. Hingegen verbieten die freien Staaten die
Concnrrenz der Sklavenarbeit, während der Süden seine
Thore aller und jeder Arbeit weit geöffnet hat. Weßhalb
kommt die freie Arbeit nicht? Was wird aus England, dem
Erzagitator für den Abolitionismns, wenn die Baumwolle
aus den Sklavenstaaten fehlt? Und noch eine Frage: Bra-
filien zählt auch mehr als drei Millionen Sklaven. Wes-
halb hat die englische PseudoPhilanthropie immer nur gegen
die südlichen Staaten Nordamerikas geeifert, während sie
ein Gleiches gegen Brasilien mit uichten thnt? "
Daß es mit der Logik der Engländer nicht weit her ist,
weiß die Welt. Wir lesen jetzt eben in der Times, daß man
von Manchester aus auch in Brasilien den Baumwollenbau
durch englische Kapitalien anmuntern und ausdehnen will.
Natürlich mit Hülse der Sklavenarbeit!
Globus, Chronik der Reisen nnd Geographische Zeitung.
Die Stadt Bjwrta am Douro.
Die Mündung des Stromes. — Die Straßen der Stadt. — Der Portwein und dessen Verfälschung.
Einwohner uud Volksleben.
Recepte zu Mischungen.
Oporto, das heißt der Hafen, ist in Portugal nächst
Lissabon die wichtigste Stadt. Wer kennt nicht den weltbe-
rühmten Wein, welcher am Flusse Douro wächst und von
diesem Hafen ans in alle Welt verführt wird? Er hat
Feuer und Kraft und ist vortrefflich, wenn er unverfälscht
bleibt. Aber leider läßt sich keine andere Weinart so leicht
,nachmachen", und unsere Weinkünstler bringen „Portwein"
in den Handel,
der den Ufern
des Douro so
fremd ist, wie
die Eisbären
den Ländern
unter dem Ae-
quator. Doch
davon sprechen
wir später.
Die Stadt
liegt etwa eine
deutsche Mnle
weit von der
Mündung des
Stromes, des-
sen Barre sehr
gefährlich ist
nnd die einsah-
renden Schisse
zu großerVor-
sicht nöthigt;
nmdieansdem
Wasserhervor-
ragenden Fel-
sen lagert sich
Sand, welcher
das Fahrwas-
ser sehr verän-
derlich gestal-
tet. Die eng-
lische Handels-
gesellschast in
Oporto schlug
einst der portu-
giesischen Re-
gierung vor,
die Felsen zu
sprengen und
die Einfahrt
frei zu machen,
aber darauf
ging man nicht
ein, weil man
jene Barre für
diebesteSchntz-
wehr des Ha- 9lUfl n0M ^ 2"glez
sens gegen Ueberfälle barbareskischcr Seeräuber hielt.
Und doch wären die Festungswerke, von welchen die Mün-
dung beherrscht wird, vollkommen ausreichend gewesen, jenen
Piraten den Zugang zu verwehren und heute giebt es ja
ohnehin keine Barbaresken mehr. Uebrigens ist der Douro
bei der Stadt nicht viel breiter als der Main bei Frankfurt,
und er kann auch nur Schiffe tragen, welche höchstens drei-
hundert Tonnen Last halten.
Das südliche Gepräge der ganzen Stadt und ihres
Treibens fällt dem Reisenden gleich beim ersten Blick auf.
Sie steht an und auf zwei großen Granithügeln zu beiden
Seiten des Stromes, wenn man die Ortschaften hüben und
drüben als ein Ganzes rechnet. Die eigentliche Stadt erhebt
sich in der Provinz Entre Douro e Miuho, am rechten Ufer;
aus dem linken steht Villa nova de Gaia (Portus Cale,
daher der Na-
me Portugal),
während die
Altstadt im Al-
terthnm als
Castrum no-
vurn bezeichnet
wurde. Ueber
dieHäuserragt
die Domkirche
empor, welche
1832vonDom
Petro als Ci-
tadelle benutzt
wurde, und in
der That be-
herrscht sie die
Stadt. Beide
Theile sind,wie
)as Bild zeigt,
durch eineHän-
gebrücke ver-
bunden. Der
Hafen, in dem
jährlich im
Durchschnitte
etwas mehr als
zwei Taufend
Schiffe einlau-
fen, ist sehr be-
lebt und man
trifft dort die
Flaggen aller
auf See fah-
renden Völker.
Aus der Ferne
gesehen, bietet
Oporto einen
überraschenden
Anblick dar.
Die Straßen
steigen Hügel-
an,invielenhat
man Treppen-
stufen einge-
hauen, manche
sind eng,düster,
winkelig und natürlich sehr unbequem für den Verkehr.
Dieser hat sich deshalb die neuen Stadttheile und das Ufer
ausgewählt, und dort drängen sich die Geschäfte zusammen.
Hier sind die Gassen breit uud schnurgerade, die Plätze ge-
räumig, es fehlt aber auch alles eigenthümliche Gepräge; sie
sind eben modern, gleichartig nnd ohne architektonischen Cha-
rakter, wie der neue Anbau in so vielen andern Städten
Europa's; der höhere Kasernen- uud Pappkastenstyl, welchen
22*
in Oporto.
174 Globus, Chronik der Reise
die platte Nüchternheit beliebt, herrscht vor. — Für die rege
Geschäftstätigkeit dieses Hafenplatzes zeugt schon die That-
fache, daß im Zollhause nicht weniger als dreihundert und
siebzehn Beamte angestellt sind. Im Jahre 1859 betrug der
Geldwerth der Einfuhr mehr als achtunddreißig, jener der
Ausfuhr mehr als vierundvierzig und eine halbe Million
Francs; von der letztern kameu allein siebzehn Millionen auf
den Portwein; dasÜebrige vertheilt sich auf andere Landes-
erzeuguiffe, namentlich Oel, Korkholz, Rosinen, Sumach,
Südfrüchte und dergleichen mehr. Auch hat Oporto ein-
hundert und zwanzig verschiedene Fabriken.
Am Stromufer herrscht das regste Handelstreiben;
auf dem Wasser liegen die Schiffe; dem Uferstrande entlang
und in den benachbarten Straßen, namentlich in der Rna
nova dos Jnglezes, das heißt der Neuen Engländer-
und Geographische Zeitung.
reden, um Weine aus einer gewissen Gegend mit einer all-
gemeinen Benennung zu bezeichnen, so spricht man im Han-
del auch im Allgemeinen von Portweinen. Doch kommen
jene in Portugal auch wohl unter dem Namen anderer Häfen
vor, in welchen sie zur Verschiffung gelangen, ähnlich wie
man in Frankreich von Bordeaux- oder Cette-Weinen
redet. So stammt der Figueiras-Wein aus der Gegend
zwischen Coimbra und Aveiro, aus der sogenannten Ba'ir-
rada. Er geht zumeist nach Brasilien, wohin er von Figu-
eiras aus versandt wird. Die Weine aus dem portngiesi-
schen Estremadura kommen von Lissabon aus in den Welt-
Handel und heißen Lissabon er Weine.
Am Douro beginnt die beste Weingegend etwa zehn
deutsche Meilen oberhalb Oporto's und zieht weiter stroman.
Es ist die Cima do Douro, das portugiesische Rheingau.
Börse in
straße, befinden sich die meisten Comptoirs. Oporto hat
auch ein recht hübsches Börsen gebäude, aber unter dem
blauen Himmel und bei dem meist schönen Wetter macht
man die Geschäfte gewöhnlich im Freien auf der Straße ab.
Sie drehen sich vorzugsweise um den Wein, von dem aber
in der Stadt selbst nur wenig lagert; die Hauptkeller sind
am linken User in Villa nova de Gaia, und manchmal ent-
halten sie die beträchtliche Menge von fünfzigtausend Pipen!
Die Niederlagen sind trefflich gebaut; man legt nur zwei
Pipen übereinander.
Das unter dem Namen Portwein bekannte Gewächs
wird nicht in der Umgegend der Stadt gebaut, sondern wei-
ter landeinwärts am obern Douro. Wie wir die Weiue von
Rüdesheim, Geisenheim,Oestrich, Ranenthal:e. als Rhein-
gauer bezeichnen, und wie wir von Psälzer-Weinen
Oporto.
Dort sind alle Hügel mit Reben bestanden, und die zumeist
von Engländern gebildete Gesellschaft zur Bewirtschaftung
der Weinberge am obern Douro, welche früher ein Monopol
hatte, läßt eine sorgfältige Aufsicht führen. Sie bestimmt,
in welcher besondern Gegend diese oder jene Rebensorte ge-
pflanzt werden müsse, damit sie volle und kräftige, leichte
oder halbschwere Weine erhalte. Alle, welche zur Verschif-
fung gelangen, erhalten bekanntlich einen Zusatz von Brannt-
wein. Von den vierzigtausend Pipen einer Jahresernte
gehen fast zwei Drittel nach England, wie denn überhaupt
ein großer Theil der Weinberge am Douro in englischem
Besitze sich befindet.
Man macht schon in Oporto den Wein für deu Ge-
schmack der einzelnen Länder zurecht. Die Engländer beziehen
ihn am liebsten jung und in Fässern, lagern ihn in ihren
Globus, Chronik der Reise
Kellern eine Zeitlang, ziehen ihn dann auf Flaschen und
lassen ihn reis werden. Die Nordamerikaner nehmen meist
zweite Qualität; sie muß mild schmecken und viel Farbe
haben. Nordeuropa nimmt von Portugal direkt gern alte,
reine, feine Sorten, und davon geht Manches nach Bremen
und Hamburg, wo man trefflichen Portwein findet; doch
kommt dort auch viel Ordinäres in den Handel, das aus
den Londoner Docks stammt.
Die Fälschung der Portweine wird übrigens in
mehr als einein Lande, vor Allem aber in London, ganz
systematisch und in großartigem Maßstabe betrieben. Die
von Parlamentsausschüssen angestellten Untersuchungen ha-
ben darüber merkwürdige Dinge zum Vorschein gebracht.
Schon in Portugal beginnt die Versetzung mit Branntwein.
Daran ist theilweise die dortige Gesetzgebung schuld. Weine
zweiter Qualität dürfen gar nicht nach England geschickt wer-
den, sondern nur uach außereuropäischen Gegenden. Die
kleinen, leichten, der Gesundheit zuträglichen Weine, welche
man ganz allgemein in Portugal selbst trinkt, sollen auch
jetzt uoch nicht ausgeführt werden. In England fabricirt
man jährlich etwa vierzigtausend Pipeu Portwein, nament-
lich in den Niederlagen an den Catheriue-Docks. Ein Fabri-
kant theilte dein Parlamentsausschusse, welcher über die
Weinverfälschungen zu berichten hatte, folgendes „Recept
zu Portwein" mit. Man nimmt:
963, Gallonen Wein aus Sicilieu,
1766'/2 „ französischen, am liebsten Roufsilon
2604 „ verschiedene spanische Weine,
1419 „ Portwein,
394 „ Kapwein,
1620 „ „Melange",
205 „ Branntwein.
Das Ganze wird gemischt und ergiebt dann 8971 J/2 Gallo-
nen Portwein! Da die verschiedenen Mischungssorten
bereits mit Branntwein versetzt waren, so ist klar, welche
große Menge Alkohol in solchem unedlen Getränk ent-
halten ist.
Die ganze Sache wird so offenkundig getrieben, daß in
den Londoner Docks besondere Vorschriften gegeben worden
sind, welche der Weinfabrikant beobachten muß. Die Weine
sind'dort in zwei Klassen getheilt. Zum Verbrauch in Eng-
land sollen die Mischungen nur aus Weinen ein und dessel-
ben Landes bestehen; die zur Ausfuhr bestimmten kann man
dagegen, wie obiges Recept zeigt, aus allen möglichen Sor-
ten zusammenbrauen. In der Praxis kommen aber auch die
letzteren zum Verbrauch in England; man verschifft sie näm-
lich nach einer beliebigen Insel im Kanäle, z. B. nach Jersey
und führt sie von dort in den ersten besten englischen Hasen
ein. Ein Sachverständiger bemerkte in dem erwähnten Aus-
schusse: „Man kann allemal Drei gegen Eins wetten, daft
ein Mann, welcher in England Portwein zu genießen glaubt,
nicht einmal verfälschten Wein ans Portugal trinkt, sondern
ein Geschmier aus Weinen, die schon in ihrem Ursprungs-
lande verarbeitet worden sind und dann in England als
Gesammtgeschmier aus's Nene zurechtgemacht werden.
Aber dieser Mischmasch besteht doch wenigstens ans
Wein; dagegen bildet der Rebensaft in manchem andern
Gebräu nur den allergeringsten Bestandtheil. Dasselbe wird
zusammengesetzt aus Ingwer, Stachelbeeren, Erdbeeren,
Primelblüthe, Hollnnderblüthen und Holluuderbeeren (Flie-
der). Ein beliebtes Recept für Portwein ist noch folgen-
des: mau nimmt 45 Gallonen Aepfelwein, 6 Brannt-
wein, 8 Portwein, 2 Gallonen Schlehen, die in 2
Gallonen Wasser gekocht werden; dann drückt man den Sast
aus. Die Farbe giebt man mit rothem Sandelholz.
Dieser „Portwein" kann schon nach einigen Tagen auf Fla-
x und Geographische Zeitung. 175
schen gezogen werden; man gießt dann in jede Bonteille noch
einen Theelössel voll Kaschusast, welcher dem Gemisch das
Ansehen giebt, als ob es alt sei und taucht den Kork in eine
Brühe von Brasilholz mit Alaun. Eine Hauptrolle beim
sabricirten Portwein spielt immer die Hollnnderbeere und
die Blüthe vom Hollunder; man nimmt anch sehr häufig
Brasilholz, Hartriegel, Rübenfaft und Lackmus.
So viel vom natürlichen und künstlichen Portwein.
Es gewährt ein großes Vergnügen, in den Straßen von
Porto nmherznschlendern. Zunächst kann man den Kauf-
mann beobachte», der durchgängig ein fehr bedächtiger Mensch
ist und im Verkehr große Vorsicht beobachtet. Seiu Stand
ist der einflußreichste in der Stadt, nachdem der Adel sich
selber in die zweite Linie gestellt hat. Früher besaß dieser
ein tatsächliches Alleinrecht auf Aemter und Würden; als
er aber Partei für Dom Miguel genommen hatte, während
die Bürgerschaft der liberalen Sache zugethan war, kam er
in den Hintergrund. Jahre lang hielt er sich fern von der
Stadt, und söhnte sich erst allmälig mit der constitntionellen
Regierung aus. Nun lebt er wieder in Porto, wo die Hän-
ser der Edelleute zumeist in der Nähe der Kathedrale stehen.
Am elegantesten nimmt sich die Blnmenstraße aus.
Die Häuser dieser Rua dos Flores stammen zumeist aus
dem sechzehnten Jahrhundert. Dort wohnen die Juweliere
und Modenhändler; am Largo da Feira sind die Wechsler-
laden; in den Gassen, welche demDonro naheliegen, drängt
sich Alles zusammen, was mit Schifffahrt und Fischfang zu
thun hat. Diese Unterstadt ist eng und finster. Als die
hübschesten, geräumigsten Gassen kann man die Nene Johan-
nes- und die Sanct Antons-Straße bezeichnen; außerdem
j noch die schon erwähnte Rua nova dos Jnglezes. Diese
: bildet einen Sack, denn sie ist an einem Ende durch einen steil
abfallenden Felsen geschlossen, auf welchem sich dann die
Kathedrale und der bischöfliche Palast erheben. Der Psaf-
fenweg, Ealzada dos Elerigos, führt zur Promenade
der Tugenden, Paffeio dos Virtndes, und zum Karme-
literplatz.
Das Volkstreibeu ist regsam genug. Wir sprachen
schon vom Kaufmanne und vom Edeliuanne. Im Allgemei-
nen sind die Portuenses Leute, welche die Gemächlichkeit
lieben; sie gehen langsam und auch Männer tragen den
großen Sonnenschirm, Chapeo do sol; aber das Gesicht hat
einen lebendigen Ausdruck, die Bewegungen sind lebhaft und
bezeichnend. Bunte Bilder und Gruppen findet man überall.
Da sieht man eigenthümliche Trachten auf dem Fischmarkte;
wie denn überhaupt am Wasser viel Bewegung herrscht; in
den Straßen rnsen Banern und Bäuerinnen Orangen, an-
dere Früchte, Gemüse, Käse und Blumen ans, welche sie in
ihren aus Binsen geflochtenen Körben tragen. Die Bäuerin-
nen liebeu an ihrer Kleidung grelle und volle Farben. Ueber
den Platz geht ein Maulthiertreiber und pfeift ein Liedlein
vor sich hin; seine Thiere hat er mit rothen und blauen, gel-
beu und grünen Bändern behängt. Ein Mann treibt Kühe,
welche vor den Häusern gemolken werden; man weiß also,
daß man unverfälschte Milch bekommt. Schwerfällige Kar-
ren werden von Ochsen gezogen, aber in vielen Straßen kann
gar kein Fuhrwerk benutzt werden; sie sind zu steil und haben
auch Treppenstufen. Dort hilft der fleißige und stämmige
Lastträger aus, welcher aus der nordspanischen Provinz Ga-
lizien stammt. Der Gallego ersetzt das Lastthier, er trägt
die Cadeirinha, Portechaise, und je zwei und zwei tragen in
taktmäßigem Schritt eine solche Sänste in den steilen Gassen;
sie sind auch Wasserträger. Am Hafen sieht man Barqnei-
r o's, Bootführer, in Menge. Sie wittern bald heraus, ob
man eiu Fremder sei, nehmen die braune Wollenmütze vom
Kopse und schreien uns in allen möglichen Tonarten an
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
177
Hum Bote, Excelleuzia, hum Bote, hum Bote, Bote, Bote,
Bote? Also ein Boot. Daß Mönche und Nonnen nicht
fehlen, versteht sich von selbst.
Der Portugiese ist kein rüstiger Arbeiter, und über die
verschiedenen Beschäftigungen gehen noch immer manche
Vornrtheile im Schwange. Ein englischer Kaufmann in
Oporto wollte einst eine beträchtliche Menge Düngererde in
seinen Garten bringen lassen und sich dazu eines Werkzeuges
bedienen, das in jener Stadt zu den Seltenheiten gehört,
nämlich eines Schubkarrens. Der Gärtner mochte aber
von einem solchen, wie er meinte, neumodischen Dinge nichts
wissen und erklärte dasselbe für unzweckmäßig. Da griff der
Kaufmann selbst zu und schob den Karren, um zu zeigen,
wie man die Sache anzugreifen habe. Sie wollte aber dem
Gärtner doch nicht einleuchten, er schüttelte den Kopf. Der
Kaufmann wurde abgerufen; als er wieder kam, sah er, daß
der Gärtner sich einen Gehülfen geholt hatte und beide
schleppten nun Düngererde in einem Korbe, der halb so viel
faßte als der Schubkarren. Beide Leute wurden fortgeschickt;
statt ihrer kam ein Neger, der die Arbeit ganz ordentlich ver-
richtete. Uebrigens gilt es auch für unanständig, Lasten aus
dem Rücken zu tragen.
Ein Eingeborener der andamanischen Inseln.
Es ist merkwürdig, wie nahe oft die äußerste Barbarei neben
der höchsten Civilisation liegt! Ostindien ist seit uralten Zeiten
ein Kulturland
und nun schon
längst im Besitz
einer cnropäi-
schen Macht, Den
bengalischen
Meerbusen ken-
nen wir als eine
der belebtesten
Fahrbahnen des
Welthandels,und
ganz nahe diesem
Verkehrswege
liegt dieHafelnng
der Andama-
nen, deren Ur-
bewohner noch
heute zn den wil-
dcsten auf der
ganzen Erde ge-
hören. Man hat
sie gemieden, sich
in keine Beruh-
rnng mit ihnen
eingelassen, bis
vorwenigenJah-
ren die englische
Regierung In-
diensdieseJnseln
als Station für
deportirte Ver-
brecher anserkor;
sie schaffte gefan-
gene Sipahis da-
hin; die ,,Meu-
terer" sollten den
Aufstand gegen
ihre europäischen
Gebieter anf den
Andamanen bü-
ßen. — Die In-
seln liegen nn-
weit der hinter-
indischen Küste
zwischen 19° 32'
und 13° 40' N> Breite; die beträchtlichste derselben, Groß-
And am an, ist 140 englische Meilen lang und etwa 30 breit, aber
durch drei schmale Meeressunde in drei Theile geschieden. Auf ihr
Globus 1861. Nr. 0.
Ein Urbewohner der andamanischen Inseln
erhebt sich der Saddle Peak bis etwa 2400 Fuß Meereshöhe. Der
Pflanzenwuchs ist üppig, die Salangane bauet ihre eßbaren Schwal-
bennester in den
Felsenlöchern.
Wissenschaft-
liche Reisende
wurden beaus-
tragt, diese Insel
zu untersuchen;
ein Arzt ausBeu-
galen,v. Mouat,
leitete das Unter-
nehmen, welchem
der französische
Naturforscher
Mallitte sich au-
geschlossen hatte;
ein wohlbewaff-
neter Dampfer
wurde vomKapi-
tan Baker befeh-
ligt. Die Eng-
länder landeten
im Monat De-
cember 1857 und
begannen ihre
Forschungen.Als
der Dampfer sich
in einer nur etwa
flußbreiten Mee-
resstraße befand,
zeigten sich be-
wasfnete Jnsnla-
ner und steuerten
ihreNachen gegen
das Schiff hin.
Sogleich fetzten
die Engländer
ihre Boote ans,
um mit Jenen
freundliche Ver-
bindnngen anzn-
knüpfen. Sie
schwenkten ihre
Tücher, erhielten
aber einen wah-
ren Hagel von
Pfeilen als Antwort. Darauf gaben die Europäer Feuer, tödteten
eine Anzahl Wilder und nahmen einen Krieger gefangen.
Diese Wilden wohnen in Hütten der allereinfachsten Art,
178
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
welche mit Palmblättern gedeckt und allen Winden offen find.
Der ganze Zierrath besteht in Schweinsknochen und Schildkröten-
schalen. Die Engländer fanden nichts, das auf Menschenfresserei
deuten konnte; bisher hielt man die schwarzen Bewohner der In-
seln für Anthropophagen. Sie gehören zn jener großen Gruppe
östlicher Schwarzen, welche man mit sehr verschiedenen Beueu-
nungen als Papuas, Alsurns, Endamenen, Aetas oder Negritos,
bezeichnet. Bestimmte, zuverlässige Abtheilungeu dieser Gruppe
haben wir auch heute uoch nicht. Die Leute auf den Audamauen
sind sehr dunkel, und selten fünf Fuß hoch; der dicke Kopf sitzt tief
zwischen deu Schultern, das Haar ist wollig, wie bei den Neger».
Bei sehr vieleu steht der Bauch weit hervor; Arme und Beine siud
hager. Diese Andamauesen gehen völlig nackt, statt aller Beklei-
dnug beschmieren sie den Leib mit rothem Ocker oder Thon, welcher
sie gegen die Stiche der Insekten schützt. Die Gesammtzahl dieser
Insulaner wird auf etwa dritthalbtauseud Köpfe geschätzt.
Unsere nach einer Photographie gezeichnete Abbildung liefert
den Beweis, daß die Andamanefen unschöne Leute siud, aber viele
Stämme auf dem australischen Festlande siud doch weit häßlicher.
Wild sind sie anch, ob aber in den früheren Schilderungen dieser
Lente, die namentlich nach den Aussagen birmanischer Holzfäller
herrühren, welche auch Salanganen-Nester sammeln, nicht Manches
übertrieben war, bleibt zweifelhaft. Der oben erwähnte Kriegs-
gefangene, welchen unser Bild darstellt, wurde uach Kalkutta
gebracht, wo er an der Schwindsucht starb; er war nicht wild und
stürmisch, sondern traurig und niedergeschlagen. Man ermittelte
durch ihn, daß die Sprache auf den Audamauen teilte Aehnlichkeit
mit jener auf deu Nicobaren oder von Tennasferim hat.
Die Waffen der Insulaner, namentlich die Bogen aus Eisen-
holz, sind ungemein stark und geschmackvoll gearbeitet, die Pfeile,
theils glatt, theils eingezackt, sind vier Fuß lang; eine Art derselben
hat eine bewegliche Spitze und dient als Harpnne. Der Fischfang
liefert die Hauptnahrung; die Schwarzen siud recht eigeutlich
Ichthyophagen. Seit dem nennten Jahrhundert hielt man sie
für Anthropophagen.
König Peppel, Herrscher
Er wollte die Welt und die Herrlichkeiten Enropa's sehen.
Also fuhr der schwarze König nach London, wo natürlich Alles,
was um ihn her vorging, fein höchstes Staunen erregte. Nur
schwer trennte er sich 1861 vou allen diesen Herrlichkeiten. Ein Segel-
schiff brachte ihn nach Bonny zurück. Er trägt eiue Admiralsnni-
form und feine Königin trägt Erinoline. Die schwarze Dame ist 17
Stein schwer, und wurde vom Bord in's Boot mit Hülfe von sechs
stämmigen Kruleuten hinabgehoben. Peppel hatte eine aus vier
Männern bestehende Regentschaft eingesetzt, aber die Regenten
machen ihm nnn alle möglichen Schwierigkeiten. Er sollte nur an's
Land gehen, wenn er dreien dieser würdigen Männer jährlich 7000
Pfd. Sterling Einkünfte verbürgen wollte. Der vierte wollte ihn
gar nicht wieder zur Regierung lassen. Keine Spur vou Legitimi-
tätsgesiihl lebt iu den Herzen jener Schwarzen, und König Peppel,
der iu Europa allerlei gelernt hatte, wollte sich die Krone auf's
Haupt setzen.
Als wir diese Nachricht vou König Peppel in der Times lasen,
erinnerten wir uns einer Unterredung, die Herr I. Sm i th mit die-
fem „Könige" vor etwa zehn Jahren gehabt hat. Burton, welcher
jetzt in Fernando Po britischer Consnl ist und sich gewiß mit dem
Köuig Peppel iu Verkehr einlassen wird, erwähnt derselben iu sei-
uem Buche über Ostafrika. Die Schwarzen möchten gern einmal
Gott vor Angen sehen, aber nur um Rache dafür zu nehmen, daß
er ihre Freunde, Verwandten und Ochsen sterben läßt.
Smith erzählt: Ich nahm jede Gelegenheit wahr, mit ihnen
über Gott und Religion zn sprechen. Eines Tages sagte ich zum
Häuptling: Was habt Ihr gethan, König Peppel?
Dasselbe wie Ihr; ich danke Gott.
Für was?
Für alles Gute, das Gott mir sendet.
Habt Ihr Gott schon gesehen?
Schi! nein! Ein Mensch, der Gott sieht, muß sogleich sterben.
Werdet Ihr Gott sehen, wenn Ihr sterbet, König Peppel?
Das weiß ich nicht. (Dabei wurde er sehr aufgeregt.) Wie
kann ich das wissen? Denke gar nicht daran und will auch über
diesen Gegenstand gar nichts mehr hören.
Weshalb denn nicht?
Das geht Ench nichts an und Ihr habt nicht darnach zu fragen,
denn Ihr seid hierher gekommen, um mit mir Handel zu treiben.
von Bonny im Nigerdelta.
Smith schreibt weiter: Ich wnßte nun, daß ferner nichts
mit ihm anzufangen sei, und ließ den Gegenstand fallen. Indem
ich von Sterben und Tod sprach, hatte ich eine zarte, sehr empfind-
liche Saite berührt. König Peppel sah nnn wild und grämlich ans,
der Ausdruck in seinem Gesicht wechselte rasch, und er war inner-
lich sehr aufgeregt, Endlich gebürdete er sich sehr heftig, sein Ant-
litz zeugte von wildem Grimm und er fuhr dann mit den Worten
heraus : Wenn ich Gott hier hätte, so würde ich ihu auf dem Flecke
todtschlagen. — Nach so diabolischen Worten trat ich voll Entsetzen
einen Schritt zurück: Ihr möchtet Gott todtschlagen, König Peppel?
Ihr schwatzt wie ein Verrückter, Ihr könnt Gott nicht todtschlagen.
Aber angenommen, Ihr könntet ihn umbringen, dann würde ja
Alles gleich aufhören, denn er ist ja der Geist, welcher das Weltall
zusammenhält. Er aber kann Euch tödten.
Ich weiß, daß ich ihn uicht todtschlagen kann, aber wenn ich
ihn todtschlagen könnte, so würde ich ihn todtschlagen.
Wo lebt Gott?
Dort oben. (Er zeigte uach dem Himmel.)
Aber weshalb möchtet Ihr ihn denn todtschlagen?
Weil er die Menschen sterben läßt.
Aber, mein guter Freund, Ihr möchtet doch nicht etwa ewig
leben? Oder möchtet Ihr das?
Ja, ich möchte immer leben.
Aber nach und uach werdet Ihr alt und dann schwach und
hinfällig, wie jener Mann dort. (In der Nähe stand ein blinder
abgemagerter Mensch.) Ihr werdet lahm und taub werde» wie
dieser, und blind obendrein und habt kein Vergnügen mehr auf der
Welt. Wäre es nicht besser, Ihr stürbet vorher und machtet Eurem
Sohue Platz, wie Euer Vater Euch Platz gemacht hat?
New, das will ich nicht; ich will bleiben, wie ich bin!
Aber bedenkt doch; wenn Ihr nun nach dem Tode an einen
Ort kämet, wo es schön und herrlich ist und —
König Peppel siel mir in's Wort: Davon weiß ich nichts, daö
kenne ich nicht; ich weiß, daß ich jetzt lebe, ich habe sehr viele
Frauen, viele Nigger (Sklaven) und Kähne; ich bin König und
viele Schiffe kommen in mein Land. Weiter weiß ich nichts, aber
am Leben bleiben will ich.
Ich konnte zn keiner Antwort kommen, denn er wollte nichts
mehr hören, und wir sprachen dauu vou Handelsgeschäften.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
179
Eine Signare zu St. Louis am Senegal.
Es ist eine ausgemachte Wahrheit, daß man den Menschen
nur iu sehr bedingter Weise einen Kosmopoliten nennen kann.
Jede große Menschenrasse ist ,vom Schöpfer auf gewisse klimatische
Regionen angewiesen, innerhalb welcher sie völlig allem gedeiht.
Der Bewohner der heißfeuchten tropischen Tiefländer und Küsten-
strecken könnte in Norwegen und Sibirien nicht ansdauern. Der
Europäer, auch jener ans den südlichen Ländern unseres Erdtheils,
entartet an Leib und Seele iu deu glühenden Gegenden des äqua-
torialen Afrika. In Bengalen werden die Kinder ans ungemischtem
europäischem Blute selteu elf oder zwölf Jahre alt; man schickt sie
deshalb früh nach Europa oder iu die kühlen Gegenden der Vor-
berge des Himalaya. Es giebt weder iu Mosambique, uoch iu
Angola oder Bengnela eine portugiesische Familie von reiner Ab-
stammung im dritten Grade. Negerfamilien aus Beuguela würden
in Rußland es gleichfalls nicht bis zur dritten oder vierten Gene-
ration bringen.
Europäer, welche sich, zumeist des Handels wegen, oder als
Soldaten längere Zeit iu solchen heißen Ländern aufhalten, finden
dort keine europäischen Frauen. Das gilt namentlich von den
Kolonien und Faktoreien der an der westlichen wie an der östlichen
Küste Afrika'?. Die meisten, welche man aus der Heimath dorthin
gebracht hat, sind rasch dem Klima erlegen, oder, mit siechem
Körper, so schnell als möglich wieder heimgekehrt.
Deshalb gehen die Europäer Verbindungen mit eingeborenen
Frauen ein, und so entsteht ein Mischlingsgeschlecht. Die Kinder
bezeichnet man bekanntlich als Mulatten, wenn die Mutter eine
Negerin, als Mestizen, wenn sie eine amerikanische Indianerin
ist. Die Kreuzungen sind so manchfaltig, daß man zum Beispiel
in Peru deren mehr als fünfzig zählt. Die Manchfaltigkeit der
Blntnlifchuugen ist dort am größten, wo Mensche» verschiedener
Rassen neben und durch einander wohnen.
Am untern Senegal, in den französischen Besitzungen,
namentlich in der Hauptstadt St. Louis, leben Europäer lieben
Negern verschiedener Völker; auch kommen Mauren, Araber, Ber-
beru und Mischlinge, welche aus den Kreuzungen dieser verschie-
denen Stamme entsprossen sind, nicht selten vor. Sie haben, je
nach der Blutmischuug, und je nachdem das Blut des einen oder
anderen Stammes vorschlägt, ein sehr verschiedenes Gepräge. Die
Frauen ans gemischtem Blute bezeichnet man am Senegal mit dem
aus dem Portugiesischen verderbten Namen Signaren.
Viele von ihnen sind bildhübsch, besonders wenn auch berbe-
risches uud maurisches Blut iu ihren Adern stießt, und der Neger-
typns mit deu ausgeworfenen Lippen, den vorstehenden Backen-
knochen und dem Wollhaare zurückgetreten ist. Eine Signare wählt
der Weiße sich als Genossin für die Zeit, welche er iu der Kolonie lebt;
er betrachtet uud behaudelt sie als seilte Frau, er feiert die Hoch-
zeit, erkennt die Kinder an, aber eine bürgerliche und kirchliche
Bestätigung einer solchen Verbindung gestattet das Herkommen
nicht; es würde die Trauung nur mit einer weißen Frau aus
ungemischtem Blut erlauben.
Die Signare leitet das Hauswesen, uud wird vou reichen
Leuten wie eine vornehme Dame gehalten, welcher schwarze Die-
nerinneu zur Verfügung stehen. Den Verbindungen geht manch-
mal eiu eigeuthümlicher uud landesüblicher Austritt vorher. Die
Signare verständigt sich mit einem Weißen, der sie zur Lebens-
genossin wählt. Dann verläßt sie ganz in der Stille an einem
Abend das Hans ihrer Mutter uud entläuft. Die Sitte will, daß
sie dabei von den schwarzen Dienerinnen unterstützt werde. Vorher
hat eine Wahrsagerin, deren es unter den Negerfrauen viele giebt,
Glück prophezeiet, Beschwörungen veranstaltet, Zauber gesungen
und Glück verkündet.
Im Hause des Weißen nimmt die Signare dessen Namen an,
wird Madame N. N., uud die Kinder werden vom Vater aner-
kannt. Es giebt einzelne Fälle, in denen ein Weißer sich in späteren
Lebensjahren die Mutter seiner Kinder auch in aller Form antrauen
ließ, aber dergleichen bildet die Ausnahme.
Die Expedition auf dem oberen Dang
Wir haben dieses höchst interessanten Reisezuges schon einige
Male im Globus kurz erwähnt. Jetzt erhalten wir aus Houg
Konz vom 12. September einen ausführlichen Bericht, welchen die
dortige Overland China Mail in einem Supplemente mittheilt.
Wir geben einige Auszüge über die Regionen, welche früher von
europäischen Reisenden uoch nicht besucht wurden; sie eröffnen
einen Einblick in die Verhältnisse deö inner» China.
Die vier Männer, welche denZng unternahmen, waren Oberst-
lieutenant Sarel, Kapitän Blakiston, Dr. Barton und Hr.
Schereschewöky vou der nordamerikanischen Mission zu
Schang Hai. Sie verließen die Stadt mit dein Geschwader des
Admirals Hope am 11. Februar 18G1 und fuhren mit demselben
bis Ao chow (Jo tscheu) unweit des Tuug-thiug-Sees, vou wo sie
dann in chinesischen Booten weiter stromauf fuhren Unsere Leser
Nüssen (Globus S. 61), daß es ihre Absicht war, durch die westliche
Provinz Sze tschuen nach Tibet vorzudringen, Lhassa, die Hattpt-
stadt deö Dalai Laina, zu besuchen uud von dort über den Himalaya
»ach Indien zu gehen. Das Unternehmen war riesenhaft und
Macht dein Muthe jener vier Männer alle Ehre, aber es ist fehl-
geschlagen; weiter nuten wird sich ergeben, weshalb man es nicht
durchführen konnte.
Der Yang tse liaug ist von der Müuduug bis zn dem großen
Stapelplatze Hanken genau bekannt; von dort bis Ping schau hat
Blakiston ihn aufgenommen. Ueberall war der Strom mit
Dschonken gleichsam besäet: sie kamen ans der Provinz Hu-nan,
tse lnang in das Innere von China.
über den Tuug-thing-See nach Hanken oder ans Tschnug-king in
Sze-tschuen. Manche waren sehr roh gezimmert und führten
Mattensegel, namentlich jene, welche Steinkohlen ans Pan-king
im Jnueru von Hu-nan brachten. In Hauken laden sie aus uud
werden, ähnlich wie manche Donauschiffe iu Wien, auseinander
geschlagen und als Nutzholz verkauft. Auch schwammen viele
Holzflöße auf dem Strome; ans Sarel's Beschreibung ersehen
wir, daß sie unseren großen Rheinflößen gleichen.
Die meisten Städtenamen, welcher Sarel erwähnt, findet man
aus guten Karte» vou Ostasien, zum Beispiel jener in Kiepert's
Handatlas. Bei Knei sahen die Reisenden, wie die Chinesen ihre
Kohlenwerke bearbeiten; diese lagen offen au Hügelabhängen. Wir
wollen hier bemerken, daß in China das Wort F n eine Stadt
ersten Ranges bedeutet; tschöu (welches die Engländer, die ja
überhaupt eine abscheuliche Nameuschreibuug haben, unrichtig als
chow bezeichnen) eine solche zweiten, uud hielt eine solche dritten
Ranges bezeichnet.
Unweit der Stadt Wu-schau-tieu, wo Mohn zur Opium-
Verfertigung gebaut wird, liegt die Gränze zwischen den Provinzen
Hn-Pe und Sze-tschnen. Dort wachsen wilde Aprikosen, Walnüsse,
die Castorölpslanze und der Banm Tung-Schn, dessen Nuß einen
werthvollen Firnis liefert. Sie gleicht der sogenannten Brasilnuß
(von der Bertholictia cxcclsa), ist aber giftig.
Weiter aufwärts liegt K nei - tf chen - fu (englisch Qnaichow!),
1080 geogr. oder 1200 Statutmiles vou Schaug-hai, 444 der letzteren
23*
182
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
aufwärts vouHankeu und 78 oberhalbJ-tfchang. Stroman vondieser
letzter» Stadt bietet die Schifffahrt einige Schwierigkeit, weil auf
der Strecke bis Kuei-tscheu acht Stromschnellen liegen. Die größten
Boote, welche aufwärts an Leinen gezogen werden, haben eine
Länge von 120, eiue Breite von 15 Fuß und gehen beladen drei
Fuß tief. Dampfer können mit aller Sicherheit aufwärts und
abwärts fahren. In einem Ort, oberhalb Wan, im Dorfe Huling,
wurden die Reifenden von römisch katholischen Chinesen sehr
freundlich empfangen; die Leute klagteu, daß sie vou den Man-
darinen sehr schlecht behandelt würden; vor einiger Zeit habe
der von letzteren aufgereizte Pöbel die Kapelle ausgeplündert und
verbrannt. Von Wan bis Tfchnng-kiug wird überall Mohu in
großer Menge gebant. Die Ernte findet etwa gegen Ende des Mai-
monats statt; dann pflügt man die Felder rasch um und bestellt
sie mit Zuckerrohr, Mais und Baumwolle; auch Reis ist häufig.
Oberhalb Tfchaug-tfcheu hatte sich überall das Landvolk
zusammengerottet, um sich der Rebellen zu erwehren. Diese West-
lichen Rebellen werden dort als Tn-fih, örtliche Räuber, be-
zeichnet und haben mit den bekannten Tai-piug im Osten keinen
Zusammenhang; mau nennt aber die einen wie die anderen
Schang-mao, Laughaare. Die Tu-fih schneiden aber den Zopf
ab. Tfchuug-kiug-fu liegt an der Mündung des Hotscheu-
flusses, der ans dem nördlichen Sze-tfchnen kommt, und hat eine
vortreffliche Handelslage. Etwa 120 MileS weiter oberhalb mündet
der Fu-fnng, wieder 80Miles höher der Min-ko bei Sn-tschen; er ist
mit Tfching-tn-fu, der Hauptstadt von Sze-tschnen, durch einen
Kanal verbunden. Der Hotscheu ist bis Schün-king für große
Dschonken schiffbar, Seide, Wachs und Hanf kommen in großer
Menge ans dem Bezirke Kia-ting am Min, der sich aber damals
im Besitze der Rebellen befand. Oberhalb Tfchungking führen
die Boote keine Segel mehr; die zn Thal fahrenden sind zumeist
mit Salz und Landeserzengnissen beladen; Baumwolle wird auf
Bambnöflößen stroman geschifft. Bei L n mündet der F u - s u u g,
bei S i n - t s ch e u, einer großen Stadt, der Min-kiang von Norden
her. In der Umgegend richteten die Rebellen arge Verwüstung
an; Leichen mit abgeschnittenen Köpfen, denen man die Hände
anf den Rücken gebunden hatte, trieben in Menge den Min hinab.
Der Handel mit gelber und weißer Seide, Wachs, Taback und
Honig ist iu ruhigen Zeiten sehr beträchtlich, war aber jetzt völlig
unterbrochen.
Oberhalb Sin-schen ist das Land sehr gebirgig und der Fluß
wird so schmal, daß feine durchschnittliche Breite nur etwa dritt-
halbhundert Iards beträgt. Dort lagern überall Steinkohlen,
welche man in etwa zwanzig Tagen nach Hanken hinabschifft. Den
Reisenden war es auffallend, daß in jener Gegend viele Leute
braunes Haar haben; weiter abwärts kommt dergleichen nicht
vor. Von Siu-tfcheu aufwärts bekommt der Aang-tfe-kiang den
Namen Äin-scha-kiang „der Goldstrom;" die Schiffer
bezeichnen ihn indeß gewöhnlich als Fluß von Aün-nan.
Die vier Reisenden gelangten nnn bis Pin Schang, einer
kleinen, mit Mauern umzogenen Stadt am linken Ufer; dorthin
war vor ihnen noch kein Europäer gekommen. Der Oberbeamte
benahm sich anfangs höflich, bemerkte aber, daß die Nebelleu in der
Nähe seien und die Fremden wohl thäten, die Stadt zn verlassen.
Das Volk schloß die Thore und feuerte gegen sie, aber die Europäer
nahmen davon weiter keine Notiz. Mit den Rebellen hatte es
übrigens seine volle Nichtigkeit, denn sie unternahmen in derselben
Nacht einen Stnrm. Es war acht chinesisch, daß jeder von ihnen
im Gefecht eine Laterne trug; auch die Mauern waren beleuchtet!
lieber die Beschaffenheit des Stromes oberhalb Ping-Schan konnte
Sarcl nichts Näheres erfahren, er hörte nur, daß etwa 100 Li
weiter aufwärts Wasserfälle oder Stromschnellen sich befänden
Die Bootsleute verweigerten ihre Dienste, weil die Rebellen zn
gefährlich waren; auch gehen oberhalb Ping-Schan keine Boote
mehr. Mau mußte darauf verzichten, das Land der Miaotse zu
besuchen, welches westlich von Ping-Schan liegt.
Aber es traf sich, daß ein Häuptling dieser unabhängigen
Stämme mit einigen seiner Landsleute an Ort und Stelle war.
Er machte den Reisenden einen Besnch und benahm sich sehr
freundlich. Wir gaben ihm, sagt Sarel, Messer und Wein. Diese
Miaotse (Mautse) sehen ganz anders aus als die Chinesen; ihr
Gesichtöanödruck hat etwas Offenes und Rechtschaffenes, was man
von jenem der Chinesen nicht behaupten kann. Einige hatten das
Haar ganz abgeschoren, andere ließen es lang wachsen und einige
hatten einen Zopf. Bei dem warmen Wetter trugen sie nur eine
leichte Baumwollenjacke, Beinkleider und Grassandalen; den blauen
Turban hatteu sie oberhalb der Stiru iu einen Kuoteu geschlungen.
Sie selber nannten sich Hnh-ei oder J-schin, schwarze Barbaren
oder Fremde, und wiederholten mehrmals, daß sie keine civilisirten
Leute seien. Alles was sie iu deu Kajüten sahen, wurde genau
vou ihnen betrachtet, sie waren überhaupt sehr neugierig, benahmen
sich aber dabei durchaus anständig. Der Häuptling sprach etwas
Chinesisch, von feinen Begleitern verstand aber keiner diese Sprache.
Wir wurden vou ihnen gewissermaßen als Anverwandte betrachtet
und sie nannten uns weiße Mautse. Keiner von ihnen konnte
schreiben oder lesen. Sie besitzen iu ihrem Laude Pferde und Horn-
Vieh, haben aber, wie sie selber sagten, kein anderes Getreide als
Mais. Der Häuptling versicherte, daß wir in ihrem Lande Mittel
zum Fortkommen genug finden würden, aber zuvor müßten wir
eine sehr gebirgige Gegend durchwandern und in Ping-schan sei
keinerlei Fuhrwerk zu bekommen. Wenn die Reisenden nicht unter
dem Schutz eines Häuptlings ständen, würde man sie ausplündern.
Ueber die Gränzen ihres Landes konnten wir nichts Genaues
erfahren, nach Westen hin müssen sie aber in der Nähe von Barma
und Affam liegen. —
Das Land in der Umgegend von Pin-Schang ist hügelig und
fruchtbar; Mais, Reis, Zucker und Curcumae gedeihen vortrefflich,
der Cactus erreicht eine beträchtliche Höhe, die Seidenzucht bildet
eiue Hauptbeschäftigung. Wasserschlangen und Aale fängt man
in den Reisfeldern und sie werden gegessen. Die Bewohner sind
ruhige, friedliche Leute, haben sich aber gegen die Rebellen bewaffnet,
weil die Regierung ihnen nicht zu Hilfe kommt. Das Letztere ist
ihnen in mancher Hinsicht ganz recht, denn wo die kaiserlichen
Truppen im Felde stehe», werden die Leute auch von ihnen aus-
geplündert. —
Schon oben wurde bemerkt, daß die Rebellen im Westen mit
den Tai-ping in keiner Verbindung stehen. Sie sind ans Räuber-
baudeu entstanden, die immer stärker und zahlreicher wurden, weil
die kaiserliche Regierung ihrem Unfnge nicht steuerte. Ohnehin
sind die Provinzen Uün-nau und Sze-tschnen allzeit durch Ränber
mehr oder weniger beunruhigt worden. Vor zwei Jahren traten
vier Räuberhauptleute auf, brachten große Banden zusammen,
vereinigten sich und trotzen seitdem den Mandarinen. Ein großer
Theil von Sze-tschnen ist in ihrer Gewalt, sie haben sogar die
Vorstädte von Tsching-tn-sn und diese Hauptstadt selbst belagert.
Auch ein Theil der mohammedanischen Bevölkerung von Mn-
nan ist iin Aufstände. Au ihrer Spitze steht ein Mekkapilger, der
Hadfchi Ma Unssn; er hat sein Hauptquartier im westlichen Theile
der Provinz zn Ta-lif-fn, und beherrscht die ganze Straße, welche
aus Barma durch Mn-nan nach Sze-tschnen führt.
Man kaun sagen, daß das westliche und südliche China den
Häudeu der kaiserlichen Regierung entglitten ist. In einzelnen
Bezirken und Städten regieren zwar die Mandarinen noch; wenn
aber die Rebellen anrücken, ergreifen jene in der Regel das Hasen-
panier. Der Handel ist im ganzen Westen gelähmt. Uebrigens
sind jene Rebellen nicht so „fanatische Wilde" wie die Tai-ping,
sie verwüsten nicht um zu verwüsten, obwohl sie freilich auch die
Häuser niederbrennen, vou welchen ans man ihnen Widerstand
leistet. Die Tai-ping sind bis in die Provinz Kuei-tscheu gedrungen,
weiter westlich aber bisher nicht gekommen.
Sarel bemerkt am Schlüsse seines Berichtes Folgendes: „So
viel wir abnehmen konnten, haben die Mandarinen unserer Expe-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
183
dition keine Hindernisse in den Weg gelegt, mit Ausnahme jener
von Tschnng-ting; sonst sind wir überall von ihnen höflich behan-
delt worden. Die Behörden waren neugierig, zn wissen, was wir
eigentlich wollten; wir erhielten angeblich ein Ehrengeleit, aber
dieses sollte offenbar uns überwachen und Bericht erstatten. Wenn
wir nicht bis Tibet kamen, so liegt die Schnld nicht an den
Behörden, sondern weil es unmöglich war, Reisebegleituug zu
erhalten. Die Leute wollten nicht in Gefahr kommen, sich die
Hälse abschneiden zu lasseu. Der Viceköuig von Sze-tschueu ist
auch Gouverneur von Tibet nnd soll den Fremden nicht abhold
sein. Deu besten Weg, auf welchem man iu's Innere von China
eindringt, bildet ohne Zweifel der Jang-tfe-kiang."
Das Emporblühen Californiens.
Wir haben (Globus Nr 1.) die Anfänge dieses Staates geschil-
dert, der noch nicht einmal fünfzehn Jahre alt ist und doch schon
eine so hohe Bedeutung für den Welthandel gewonnen hat. Er
verdankt dieselbe dem großen Umschwung im Verkehr, zu welchem
er selber durch seine höchst ergiebigen Goldgruben so wesentlich bei-
getragen, der raschen EntWickelung seiner Hülfsquellen überhaupt,
seiner vortrefflichen Weltlage am Stillen Ocean und der unabläs-
sigen Einwanderung, welche ihm aus dem östlichen Amerika uud
aus China immer frische Arbeitskräfte zuführt.
Als in Folge eines beklagenswerthen, unverantwortlichen
Strebens vieler Führer der sogenannten republikanischen Partei,
welche ihr demagogisches Treiben mit dem Mantel der Philanthro-
pie zn verdecken suchten, die südlichen Staaten der Union zum Aus-
scheiden gedrängt wurden, tauchte in Calisornien die Frage auf, ob
man uicht einen besondern Staatenbund am Großen Welt-
meere bilden solle. In der That erblicken wir in Californien den
Ansatz, den Kernpunkt dafür, uud wir siud auch überzeugt, daß
sich im Fortgange der Zeit ein solcher bilden werde. Die Roth-
wendigkeit uud der Vortheil werden deu Ausschlag geben. So
lange eine Aussicht war, die große Union zu erhalten, mochte
mau iu San Francisco Alleö aufbieten, um mit derselben Hand
in Haud zu gehen. Allein heute schon sieht jeder Unbefangene, daß
die politische Verblendung der herrschenden Partei in den Nord-
staaten dcu weiten Riß unheilbar gemacht hat. Der Scheiduugs-
Prozeß hat eiumal begonnen'und wird weiter gehen; eine neue
Grnppirnng der Staatencomplexe in Nordamerika kann uicht
ausbleiben nnd ist nur noch eine Frage der Zeit. Eine paciftsche
©nippe, eine Consöderation der Staaten am Großen Ocean, welche
Californien, Oregon nnd Washington umfaßt, erscheint als etwas
eben so Zweckmäßiges als Natürliches, nnd eben deshalb wird sie
anch nicht ausbleiben. Die Baude des Verkehrs mit deu Staaten
am atlantischen Gestade sind einmal festgeknüpft, und sie werden
auch nicht zerrissen werden, wenn der Staatenbund am Großen
Weltmeere als selbstständige Grnppe dasteht. An der Hand der
Union sind jene Gemeinwesen so sehr emporgewachsen, daß sie
allein, auf eigenen Füßen gehen können. Sollten alle Versuche zu
einer Wiederherstellung der Union scheitern, so kann Californien,
vermöge seiner Lage, mit verhältnißmäßiger Ruhe dem Parteien-
kämpfe zusehen nnd die Erschütterung am ersten verschmerzen. Die
Wichtigkeit seiner Weltstclluug würde erst dauu völlig gewürdigt
werden.
Die Redaktion deö GlobnS verdankt freundlicher Theiluahme
die Mittheilung eines Berichtes ans San Francisco, der manche
werthvolle Angaben enthält, welche unseren Lesern willkommen sein
werden. Wir geben einen Auszug.
Calisoruieu hat die Prüfungszeit überwunden, die harte uud
strenge Schule, durch welche neue Länder gehen müssen, ist über-
standen. Das verderbliche Treiben gewissenloser Politiker, die gleich
Haifischen nach Beute schnappen, die Verschwendung der össent-
lichen Gelder uud die schlechte Verwaltung, sie alle haben den
Staat glücklicherweise nicht zu Grunde gerichtet. Die zerrütteten
Finanzen wurden geordnet, der Wohlstand der Bürger ist im
Wachsen.
Der Zuwachs der Bevölkerung Californiens betrug im Jahre
1860 ungefähr 30,000 Köpfe, so weit die Einwanderung in Be- j
tracht kommt. Die Anzahl derer, welche auf verschiedenen Wegen
über Land kommen, läßt sich nicht genau ermitteln. Die Gesammt-
bevölkeruug übersteigt gegenwärtig 650,000 Seelen.
Seewärts haben sich neue Handelswege nach China, Japan
und dem Amur eröffnet, der Ackerbau wird immer bedeutender
und dasselbe gilt von der Gewerbthätigkeit. Californien hat jetzt
schon seine eigenen Wollfabriken, Papiermühlen, Zuckerraffinerien
und Gießereien sammt Werkstätten zum Maschinenbau; der Ertrag
der Goldgruben hat eher zn- als abgenommen und die Silber-
minen von Waschoe haben sich als ausgiebig bewährt.
In dem Hafen von San Francisco kamen 1860 von auswärts
1686 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von 538,081 Tonnen an; die
ihnen ausgezahlten Frachtbeträge beliefeu sich auf 4,110,050 Dol-
lars. Im Jahre vorher waren etwa 60,000 Tonnen mehr äuge-
kommen, aber trotz der Verminderung blieb der Markt überfüllt,
weil die auswärtigen Verschiffer nach einem sehr fehlerhaften Sy-
stem arbeiten, indem sie ihre überschüssigen Waaren in Californien
um jeden Preis loszuschlagen trachten. Ein wilder Betrieb des
Einfuhrgeschäfts ist für jenen Markt, der sich ans so weit entlege-
nen Quellen versorgt, gleichsam zur Regel geworden; er paßt aber
um so weniger, weil, wie schon bemerkt wurde, Calisoruieu seine
eigene Gewerbsamkeit steigert und dafür alle günstigen Bedingnn-
gen hat.
Die Ausfuhr, Gold abgerechnet, stellte sich auf Z'/zMillio-
nen Dollars nnd beinahe die Hälfte davon bestand in californischen
Landeserzengnissen. Das ist eine Vermehrung von 125 nnd 132
Procent gegen die Vorjahre. Die Ausfuhr von Wolle, welche
1851 erst 175,000 Pfund betrug, war 1860 auf 3,055,325 Pfund
gestiegen und außerdem hatten die inländischen Fabriken 266,000
Pfund verarbeitet. Die Weizenernte stellte sich auf 6,650,000 Bn-
schels, von welchen etwa 2 Millionen zur Ausfuhr gelangten. Cali--
sornisches Getreide wird jetzt regelmäßig noch nach England,
Australien uud selbst nach den atlantischen Staaten verschifft, nnd
mit der steigenden Arbeitskraft kann man sehr leicht das Drei- und
Vierfache zur Ausfuhr liefern. Nachdem das Land dahin gekom-
men war, sich selbst zn versorgen, konnte es rasch zur Ausfuhr
übergehen. Das ist auch für die Schifffahrt von Wichtigkeit. Frü-
her mußten die fremden Schiffe, nachdem sie ihre Waaren gelöscht
hatten, in Ballast versegeln, jetzt werden alle frei gewordenen
Schiffsräume rasch für Getreide gewollneu. Die Aufgabe, das
Getreide lohnend ausführen zu können, wird erfüllt, die Güte uud
Haltbarkeit der Waare ist erprobt und die Aufträge laufen iu
solcher Menge ein, daß dieselben seither kaum zur Hälfte ausgeführt
werden konnten. Nun ist Sau Francisco noch mehr wie früher
ein Sammelplatz unbeschäftigter Fahrzeuge aus allen Gegenden
der Südsee geworden; sie kommen in Menge, sobald der Ernte-
ertrag anfängt, aus dem Innern au die Küste zu kommen.
Das Alles wirkt nicht nur belebend auf deu Hafenverkehr,
sondern auch auf die Wechseloperatioueu. Unablässig zieht
edles Metall, insbesondere Silber, nach Asien ab, in Folge der
starken Ausfuhrbilanz zu Gunsteil Chiua's. Das ist ein hervor-
stechendes Merkmal im heutigen Welthandel. Die Eon-
trole darüber wurde seither von London ausgeübt. Nun aber hat
Sau Fraucisco angefangen, in dieser Beziehung eine Nolle zu spie-
leu. Es liegt deu mexikanischen Häfen, ans welchen das Silber
184
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
zur Verschiffung kommt, nahe und bildet einen geeigneten Vermit-
telnngspnnkt zwischen den nur eintausend deutsche Meilen entfern-
ten Endpunkten der großen commerziellen Bewegung, nämlich der
Westküste Amerika's und derOstknste Asiens. Mexico ist als die
Wiege, China als die Gruft des Silbers zu betrachten.
In Ostasien, Indien mit eingerechnet, das für sein Opium auch
Silber erhält, v e r s ch w i u d e t d i e H ä l f t e d e r S i l b e rp r o d u o
tion Amerika's wie spurlos. Dafür zeugen schon die Extreme
des englischen Conrfes, der zwischen 43 und 58 D. ans 40 Tage
Segelentfernung eine Differenz vou 30 Procent bildet, während
die Hälfte genügend ist, die wirklichen Kosten und das Ziusver-
hältniß der direkten Ueberfchiffung in westlicher Richtung zu decken.
Bisher ist die Verbindung mit Ostasien durch raschsegelude Klipper
unterhalten worden, man geht aber ernstlich mit dem Plane um,
eine regelmäßige Dampfschifffahrt herzustellen.
Gold, ein Stapelerzenguiß des Landes, wird fortwährend in
großer Menge gewonnen. Zur Verschiffung kamen im Jahre 1860
für 42,303,346 Dollars, 1859 für 47,640,255 Dollars. Aber die
Prodnction war 1860 nicht etwa viel geringer, weil mehr im Lande
selbst blieb. Silberwerke werden in einer größern Zahl in An-
griff genommen. Dahin gehören die Coso-Gruben in Tnlare
Connty. Einige ergaben von 1100 bis 2300 Dollars Werth
pro Tonne Erz, andere von 400 bis 2000 Dollars. Die Erze der
Galena-Ader haben ans 15 Fuß Tiefe 800 Dollars und ans 40 Fuß
Tiefe 2000 Dollars Gehalt geliefert. Zwei andere Adern verspre-
chen gleichfalls gute Ergebnisse. Auch im Tenjon Canon und in der
San Emedio-Schlncht sind Erze in mächtigen Adern aufgefunden
worden. Die Prüfung ergab 600 Dollars Silber auf die Tonne
Erz. Die Silberentdeckungen erstrecken sich von Mendocino nach
San Diego. In Nevada, Amador, Napa, Santa Clara, fast in
jedem Connty des Staates ist Silber nachgewiesen worden. Ans
Kupfer wird in Crescent City gearbeitet; auch in Amador, Kla-
math, Napa und Souoma kommt dieses Metall vor. Der Reich-
thnm au Zinnober unterliegt jetzt keinem Zweifel mehr. Er
findet sich nicht nur in der Gebirgsreihe, wo die Nen-Almaden-
Quecksilbergrube liegt, sondern auch im Rücken der Küstenkette,
wo rechts und links von Nen-Jdria dieselbe Ader auftaucht, sodann
auf Zwischenzügen durch Santa Clara Connty; in Klamath, So-
nora, Eldorado, Calaveras und Mariposa, im Napathale bei den
Geysern. Vom Helenabergeim Napathale wird anch Quecksilber
zn Markte gebracht, von welchem überhaupt 9348 Flaschen zur
Ausfuhr kamen, zumeist, solange eines Prozesses wegen die Grn-
ben von Nen-Almaden geschloffen waren, ans jenen von Neu-
Jdria, Gnadalnpe und Enriqneta. Nen-Almaden ist nnn anch
wieder im Betriebe. Calisornien kann den Quecksilberbedarf aller
Erdtheile, Europa ausgenommen, reichlich decken. Es führte von
1854 bis 1859 nicht weniger als 126,661 Flaschen von dieser
Waare aus.
Jedenfalls ist für Calisornien ein materielles Gedeihen ge-
sichert, und die Ergebnisse, welche man in einem so kurzen Zeit-
räum erreicht hat, machen der Betriebsamkeit und der Ausdauer
seiner Bewohner alle Ehre.
Eh-. Hayes und da
Am 7. Juli 1860 fuhr I r. Hayes. welcher Kaue'S zweite
Expedition nach dein Polarmeere (1853 bis 1855) mitgemacht
hatte, aus den Vereinigten Staaten nach den? hohen Norden ab.
Er wollte wo möglich zwei wichtige Probleme lösen, nämlich das
Vorhandensein eines offenen Polarmceres nachweisen und
den N o r d p o l erreichen.
Am 9. August verließ er mit seinem kleinen Sknner „United
States" Uperuavik in Grönland und war am 27. September im
Winterhafen (Winter-Harbour), wo Kaue überwintert hatte.
Derselbe liegt, unter 78" Nördl. Breite, etwa vier Wegstunden
voin Kap Alexander, welches den am weitesten nach Westen hin
vorspringenden Punkt der ganzen grönländischen Westküste bildet,
an der Ostküste der Smiths-Straße. Den nördlichsten Punkt,
welchen einer von Kane's Begleitern, Morton, erreichte, bildet
Kap Constitution, etwa unter 81° 22' N. Br.
HayeS litt im Winterhafen keinen Mangel an frischen Lebens-
Mitteln; etwa dreihundert Rennthiere wurden an Bord gebracht,
und manche andere am Lande getödtet und verzehrt; auch erlegte
man zwanzig Polarhasen und sechzig blaue Füchse, Der Astronom
Sonntag starb, während er mit dem aus Kane's Reisen wohl-
bekannten Grönländer Hans einen Ausflug machte. Hans war
Morton's Begleiter. Dr. Hayes unternahm am 4. April 1861
eine Schlittenfahrt, welche bis zum 28. Mai dauerte. Er kam bis
821/V' Nördl. Br.; so behauptet wenigstens die kurze Notiz, welche
uns bis jetzt über Hayes' Unternehmen vorliegt. *) Das offene
Polarmeer, welches er suchte, und dessen Dasein er als gewiß
angenommen hatte, fand er natürlich nicht, sondern nur offene
Wasserstellen, dergleichen überall in den hochnordischen Meeren
vorkommen. Am 15. Jnli brachte er sein Schiff ans dem Winter-
*) Wir finden eben, in New-Uork Herald, vom 15. Oktober noch
eine Notiz über Hayes. Dieser zufolge überwinterte er im Port Foulke,
machte von dvrt aus Schlittenfahrten und kam nach Norden hiu nur bis
81° 5' Nördl. Breite am 18. Mai dieses Jahres. Außer Herrn Sonn-
tag starb auch der Schiffszimmermann Gibsvn Caruthers.
i offene Polarmeer.
Hafen, war am 31. August wieder iu Uperuavik uud Mitte Okto-
bers in Neu-Uork.
Wir wollen an die Umstände.erinnern, welche zn der An-
nahme veranlaßten, daß ein offenes Polarmeer vorhanden fei. Sie
ist von Manchen, anch von dem Schreiber dieser Zeilen, gleich
anfangs bestritten worden.
Morton hatte Kane's Schiff, die Advance, welche unter 78°
37' N. Br., 70"40' W. L. im Eise lag (und noch liegt), am 4. Juni
1854 verlassen, war mit jenem Hans in einem Hundeschlitten nach
Norden hin gefahren, und hatte am 21. Juni das Kap Andrew
Jackson, 80"17' N. erreicht; auf der gegenüberliegenden Seite lag
ein anderes Vorgebirge, das er Kap John Barrow nannte, in
etwa 80" 17' N. Br., 69° 58' W. L. Bis dorthin reichte die feste
Eismasse in der Smith-Straße; weiter nach Norden hin
wurde das Eis weich und morsch. Den Meerestheil, welcher sich
nördlich von dieser Eismaffe in der Smiths-Straße ausdehnte,
bezeichnete Kane als den K e u u e d y - K a nal. Da, wo er beginnt,
mußte Morton das Meereis verlassen und mit seinem Schlitten
ans dem festen Lande weiter fahren. Gegen Norden hin erblickte
er nach einiger Zeit offenes Wasser. Anfangs glaubte er an eine
Täuschung, als er dann aber viele Seevögel von solchen Arten
erblickte, die nur in offenem Wasser leben, glaubte er nicht mehr
an dem offenen Polarocean zweifeln zu dürfen. Das Eis bildete
ein großes Hufeisen von einer Küste der Straße bis zur andern.
Der Wind, welcher drei Tage hinter einander ans Norden wehete,
trieb keiue einzige Eisscholle herbei, obwohl auch die Strömung
von Norden her kam. Am 23. Jnni erreichte Morton das Kap
Constitution, 81°22' N, 66° W.; weiter kam er nicht. Diese
nördliche Ostküste des Smith-Snnder, respective Kennedy-Kanales,
bezeichnete Kane als Was hing ton-Land. Morton bestieg am
Kap Constitution einen etwa 480 Fnß hohen Punkt, und gewahrte
von dort aus ans der gegenüber liegenden Seite (also im Grinnell-
Lande) des Kennedy-Kanales, in der Richtung nach Nordnordwest,
i einen abgestumpften Kegelberg. Er schätzte die Höhe desselben aus
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
185
mehr als 2500 Fuß und nannte ihn Mount Edward Parry;
er verlegt ihn unter 82" 30' N.
Dieser Berg war bisher der nördlichste Punkt auf Erden,
welchen weiße Menschen gesehen hatten, wenn nicht etwa anders-
wo irgend ein alter Walfischfahrer bei Spitzbergen eben so hoch
hinaufgefahren ist. Jetzt wäre nun, der oben erwähnten kurzen
Mittheilung zufolge, Dr. Hayes dem Pole zu eben so nahe ge-
kommen. Sein Reisebericht wird darüber Näheres melden.
Die Bergkette, zu welcher der Parry-Berg gehört, nannte
Kaue Victoria- und Albert-Kette; sie war höher als jene
auf der grönländischen Seite. Morton sah vor sich nach keiner
Richtung hin Eis, und Kane glaubte daraus folgern zn dürfen,
daß der Oceau vom achtzigsten Grade bis zum Pol hin frei von
Eis sei. Morton habe am Kap Constitution eilt offenes Wasser
gefunden, in welchem eine gauze Flotte von Fregatten segeln könnte,
uud dieser Kenuedy-Kaual habe sich zu einer freien, unabsehbaren
Meeresfläche erweitert. In jener eisfreien Region war ein mnn-
teres Thierleben, namentlich sah man Ringel- uud Eidergänse in
großer Menge. Namentlich die erstere (Anas bernicla) kommt
selten in's Binnenland und hält sich nur iu offenem Wasser aus.
Morton sah, daß sie iu großen Zügen nach Norden und Osten hin
zog, und folgerte daraus, daß uach jenen Richtungen hin kein Eis
liege. Die Seeschwalbe (Sterna arctica), eilt Vogel, welcher gleich*
folls offenes Wasser verlangt, brütete am Kap Constitution. „Das
Rauschen der Wellen schlug wie Musik au mein Ohr und tief unter
mir brandete die offene See."
Daß er offenes Wasser gesehen hat, unterliegt keinem Zweifel,
aber ob es zu einem eisfreien Polarbecken führte oder, was viel
wahrscheinlicher, nur aus einen Theil jener Polarregion beschränkt
ist, das war nicht nachzuweisen, uud gehört in das Gebiet der
Vermuthuugeu. Das offene Wasser des Kennedy-Kanales erschien
mitten in der starren Eiswüste als eine mysteriöse Flüssigkeit. ©o
viel ist sicher, daß Hayeö das offene Polarmeer nicht gefunden hat,
sondern „nur eisfreie Stellen, welche an der grönländischen Küste
keineswegs ungewöhnlich sind."
Es möge daran erinnert werden, daß schon der holländische
Seefahrer Heinrich Bareutz 1596 nördlich von Nowaja Semlja
freies Wasser fand. Seit Jahrhunderten spricht man von dem
offenen Polarmeer und sucht, stets vergeblich, nach einem solchen.
Scoresby glaubte an das Vorhandensein desselben; W ran gell
wollte nördlich von Sibirien einen ausgedehnten, unendlichen
Ocean gesehen haben, der aber, wie wir längst wissen, nicht vor-
handelt ist. Das Eismeer täuscht und ist in jedem Jahre anders.
Genau da, wo einst Kapitän Parry im Wellington-Sunde freies
Wasser fand, fror später Welcher mit seinen Schiffen ein.
Jnglefield wollte im Smith-Sund ein offenes Polarmeer
gefunden haben, und genau an jener Stelle traf Kane auf eine
undurchdringliche Eisschranke, und konnte mit seinem Schiff Ad-
vance nicht weiter. Der Schreiber dieser Zeilen äußerte vor
länger als vier Jahren, als Kane's Bericht erschien, Folgendes:
,,Den Kenuedy-Kaual und das Meer nördlich und östlich
vom Kap Constitution fand Morton gewiß frei vom Eise wäh-
rend und so lange er dort war. Aber nichts bürgt dasür,
daß dieselbe Meeresstreck? zn anderen Zeiten ganz mit Eis angefüllt
sei. Wenigstens spricht alle Analogie für das letztere, und wir
unsererseits können uns nicht entschließen, an das Vorhandensein
von Kane's oder vielmehr Morton's offenem Polarmeere zu glau-
ben, bevor dasselbe bündig erwiesen und wiederholt befahren wor-
den ist. Bis dahin steht weiter nichts fest, als daß Morton im Juui
l854osfenes Wasser im Norden des 80. Breitengrades gesehen hat."
Kane suchte seine Annahme in etwas seltsamer Weise zu
begründen. Noch in historischen Zeiten sei das Klima in jenen
Regionen weniger streng gewesen, als gegenwärtig; auch habe eine
beträchtliche Erhebung der Küsten stattgefunden. Abgesehen von
dem deutlich nachweisbaren alten Meeresufer, den verschiedenen
Terrassen uud anderen geologischen Anzeichen, erkenne man die
Erhebung der Küste auch daran, daß die Steinhütten der Einge.
bereuen jetzt nicht selten an Stellen lägen, wo sie rings vom Eis
umschlossen seien. Vielleicht dürfe man annehmen, daß der Golf-
ström, den man vom Westen her bis zur Küste vou Nowaja Semlja
nachweisen könne, durch das letztere gleichsam abgebogen und nach
dem Meeresraum am Pol hingedrängt worden sei. — Diese letztere
Bermuthuug ist die schwächste; denn wie sollte der Golfstrom, nach-
dem er auf weiten Strecken durch das Eis des Polarmeeres ge-
flössen, uoch Wärme genug haben, iu seinem verendenden Aus-
läuser und bei jedenfalls niedriger Waffertemperatur einen ganzen
Polarocean frei von Eis zu halten, in einer Region, wo die initt-
lere Jahrestemperatur weit unter Null steht; wie könnte er in der
Eiswüste eiue immerwährende Oase nie gefrierenden Wassers
schaffen?
Dove, ohne Frage die größte Autorität, hat nachgewiesen,
daß die mittlere Jahrestemperatur am Pole 30° unter dem Ge-
frierpunkte betragen müsse, jene des kältesten Monats 58.60°, und
daß jene des wärmsten Monats noch einen Grad unter dem Ge-
frierpunkte stehe. Mit Recht konnte Admiral Beechey, der anf
die von Parry mitgeteilten Temperaturtabellen von der Melville-
Insel hinwies, fragen: „Wer kann solche entsetzlichen Mitteltem-
peratnren lesen und uoch glauben, daß dabei das Meer schiffbar
bleibe, außer in dem sehr beschränkten Rannte zwischen zerbrochenen
Eisslarden, uud auch dann immer nur während einer sehr kurzen
Zeit?"
Aus den Berichten aller Seefahrer, welche die hochnordifchen
Gewässer besticht haben, wissen wir, daß in jenem Oceane an
vielen Stellen sich zeitweilig größere oder kleinere Becken offenen
Wassers bilden, aber diese sind nicht andauernd, und werdeu zu
andern Zeiten wieder vom Eise ansgesüllt. Man kann sich gar
nicht anf sie verlassen. Und deshalb mußten und müssen auch für
alle Zeiten die Versuche, den Nordpol zu erreichen, fehlschlagen.
Eine zusammenhängende feste Eisdecke, auf welcher mau vou
Süden her mit Hunde- oder Rennthierschlitten beliebig weiter
fahren könnte, ist nicht vorhanden. Schiffe können nicht einen
Ocean befahren, der eine unablässige und durchaus unberechenbare
Reihenfolge von festem Eis, Packeis, Treibeis, Eisbergen, Eis-
feldern, Scholleneis und offenem Wasser darbietet, und wo ein
fester Conrs gar nicht inne gehalten werden kann.
So wird denn wohl der Nordpol wie der Südpol für uns
mit ewiger Nacht bedeckt bleiben. Di-. Hayes, der mit zu großer
Zuversicht seine Expedition unternahm, hat weder das offene Po-
larmeer gefunden, noch den Pol erreicht, wohin beinahe ein halbes
Jahrhundert vor ihm Eduard Parry zu gelaugeu hoffte. Der Pol
ist uoch unzngängiger, wie seither die Nilqnellen. Ueber diese
werden wir in's Klare kommen, über den Nordpol schwerlich.
Thee und Theehandel in Rußland.
Im Mittlern und westlichen Europa ist ziemlich allgemein die
Meinung verbreitet, daß man in Rußland vorzugsweise nur aus-
gezeichnet gute Theesorteu trinke. Man bezieht deshalb von dort
den theuren „Karawanen-Thee", zahlt die Eingangsabgabe und
hält sich überzeugt, daß mau nun treffliche Maare habe. Manch-
Glvbus 1861. Nr 6.
mal ist das auch richtig, eben so oft aber auch nicht. Der Gegen-
stand selbst wurde durch einen sachkundigen Mann in Rußland
erläutert, dessen Berichte das Ministerium des Innern veröffent-
licht hat.
Der Thee kommt aus seiner Erzengnngsgegend, hauptsächlich
24
186
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
den mittleren Provinzen China's auf dem Kaiserkanale nach
Norden und dann vermittelst der Kameel-Karawanen durch die
Mongolei an die sibirische Gränze, also seither nach Kiachta.
Die Kisten sind 63 bis 67, oder 87 bis 93 Pfund schwer; im ersten
Falle heißen sie Quadratkisten, in letzterem halbe Kisten (Kwa-
dratnyje und Polntornije). Aber der Blnmenthee feinerer
Sorten wird in kleine Kisten verpackt, und von diesen gehen 32
auf eine Kiste.
Der Käufer in Kiachta nimmt vor dem Abschlüsse des Handels
eine Probe vermittelst einer kleinen Schaufel, nachdem er ein Loch
in die Kiste gebrochen. Diese wird, wenn ihm die Waare gefiel,
in feuchte Kuhfelle genäht, und so geht sie nach den russischen
Märkten Enropa's. Hier wird der Thee aus den Originalkisten
genommen und in Bündchen von verschiedenem Gewicht nmge-
packt, wenn er für den Verbrauch in Rußland bestimmt ist. Der
russische Wiederverkäufer geht schlecht mit der Waare um, weil er
sie im Kramladen neben Zucker, Kaffee und dergleichen mehr, auf-
stellt; dadurch verliert der Thee bald sehr viel von seinem feinen
Gerüche.
Der Thee, welcher aus Schang-Hai und Canton nach Europa
kommt, leidet dnrch die Seeluft und das Lagern im Schiffsräume;
nachher geht mau dann oft eben so barbarisch mit ihm um, wie iu
Rußland. Iu England, Deutschland und Frankreich steht er in
den Verkaufsläden nicht selten mitten zwischen Kassee, Liqueuren
und dergleichen mehr; in Paris stellt man ihn sogar in offenen
Schaaken aus, und dadurch verliert er natürlich allen feinern
Duft. In den chinesischen Theehäsen ist dieser so stark, daß die
Matrosen beim Einladen einen leichten Rausch bekommen.
Die „Thee-Barbaren" in Europa, auch in Rußland, gießen
kochendes Wasser auf den Thee uud stellen diesen auf die Feuer-
Pfanne des Ssamovar; sie lassen ihn gleichsam schmoren und aus-
laugen und dabei geht der feine Duft verloren. Ein Chinese
würde Thee, welcher eine Viertelstunde anf der Maschine oder gar
in einer Kanne gestanden hat, durchaus verschmähen.
Der ächte Sohn des großen Blumenreiches der Mitte befolgt
bei der Bereitung des Thees fünf Regeln. Er nimmt erstens,
wenn irgend möglich, frisches Berg- oder Quellwasser, und in
Ermangelung desselben lieber Fluß- als Brunnenwasser. Zweitens
nimmt er zum Kochen desselben einen irdnen Topf und gießt
dasselbe anf den Thee, welcher sich in einer Porzellankanne befindet,
oder noch besser in einer Tasse, welche in der Mitte mit einem Deckel
zugedeckt werden kann. In der Nähe von rohem Fleische, Fisch,
Oel oder Talg verliert der Thee seinen reinen Geruch und bekommt
einen unangenehmen Beigeschmack. Drittens: der Chinese mischt
nie verschiedene Sorten durcheinander. Viertens: er gießt lieber
abgekochtes als völlig siedendes Wasser auf. Fünftens wird vor
dem eigentlichen Aufgusse der Thee mit warmem Wasser abgespült,
damit er allen Staub verliere.
Bevor Rußland von der chinesischen Regierung die Abschaffung
der früheren Handelsbeschränkungen erwirkt hatte, kam der Tschai
baichowy, der Karawaueuthee besserer Sorte, nur über Kiachta,
und in kleinen Quantitäten auch über Semipalatiusk, nach En-
ropa. Von Kiachta ging er zunächst nach Jrkntsk und von
dort zumeist nach der Messe von Nifchui Nowgorod. Die bisherige
Gestalt nahm der Theehandel erst 1792 an, und seitdem ist die Thee-
einfuhr fortwährend angewachsen. Damals betrug sie nur 6851
Pud (zu 40 Pfund); dann verbreitete sich der Theeverbranch immer
mehr, und 1820 kamen schon 101,00t) Pnd nach Rußland, 1847
schon 2-26,410 Pud; jetzt wohl weit über 250,000. Das gilt von
dem Tschai baichowy, den feinen Sorten.
Aber auch die geringeren sind von Wichtigkeit. Von sibirischen
Nomaden und von den Russen im Lande jeuseit des Ba'ikal-See's,
sodann westlich von demselben auch bei Kalmücken und Tataren,
wird der Ziegel- oder Backstein-Thee, verbraucht. Dieser
Kirpitschui tschai geht seit 1830 zollfrei ein, uud die Eiufuhr
stieg 1847 auf mehr als 130,000 Pud allein über Kiachta. Der
gemeine Mann in Rußland kennt ihn nicht; er geht aber in großer
Menge nach Nifchni Nowgorod und von da, wohlgemerkt, an die
Theehändler in Moskau und St. Petersburg. Wir werden
sehen, wozu diese biederen Männer ihn verwenden.
In Jrkutsk kostet eiu Pfuud Karawanenthee von der
geringsten Sorte 1 Rubel 7s> Kopeken Silber, in Petersburg
gilt die angebliche gleiche Sorte 1 Rnbel 50 Kopeken!
Man weiß ans Erfahrung, daß der allergewöhnlichste Thee,
welcher in Jrkutsk gekauft und in einer wohlverwahrten Kiste
nach Petersburg geschickt wurde, vou besserer Beschaffenheit ist, als
die Petersburger Sorten zu zwei Rubel. Wenn man die Peters-
burger Theehändler fragt, woher sie ihre geringeren Sorten beziehen,
dann sagen sie: ans Semipalatinsk. Aber von dort muß der
Thee einen Weg von fünsthalbhundert deutschen Meilen bis zur
Newa machen, Zoll bezahlen, Transport, Lagergeld tc. tragen und
kann also, wenn Alles mit rechten Dingen zugeht, iu Petersburg
nicht zu 1 Rubel 40 Kopeken verkauft werden, was doch oft ge-
fchieht. Auch kommt überhaupt, wie die Zollregister ausweisen, im
Ganzen nicht so viel Karawanenthee nach Semipalatinsk, als nur
allein die beiden Städte Moskau und Petersburg verbrauchen.
Die Sibirier, welche in den genannten Hauptstädten leben,
ließen es sich augelegeu sein, das „Geheimniß" aufzuklären. Wo-
her kamen die ordinären Sorten und der billige Preis? Die Leute
sahen genau zu, fanden in dem Thee ungewöhnliche Blätter,
Spitzen und Stengel; der Aufguß war röthlich und trübe. Die
Regierung wurde aufmerksam gemacht, ließ Untersuchungen vor-
nehmen und dadurch wurde ermittelt, daß der Thee allerlei Ver-
fälschungeu erfuhr. In Petersburg mischt man ihn mit den
Blättern des Weiderichs (Epilobium), in Nischni Nowgorod und
Kasau mit Schartenkraut (Serratula). Diese Beimischungen
find der Gesundheit nachtheilig und die Verfälscher wurden deshalb
gerichtlich verfolgt. Die stets anwachsende Einfuhr von Ziegel-
thee erregte Aufmerksamkeit; davon kamen 130,000 Pud nach
Rußland, wo in Europa, außer den Tataren in Kasan, niemand
ihn trinkt. Für wenigstens 65,000 Pud waren keine Verbraucher
nachzuweisen. Es ist bekannt, daß der Baichowy tschai, der
Karawanenthee aller Sorten, nur ans den frischen Blättern
der Theestande bereitet wird. Je jünger das Blatt, um so besser
der Thee; von Stengeln und Stielen kann in der-
gleichen Sorte» keine Redesein. Dagegen wird der Back-
st ein thee ans reifen, vollkommen ausgebildeten Blättern bereitet,
vielleicht auch mit aus solchen einer andern Stande. Man pflückt
die Blätter mit Zweigen uud Stengeln ab und preßt sie in höl-
zernen Formen zusammen wie Backsteine; daher der Name. Wenn
man im Karawanenthee anch nur ein Ste ngelchen oder ein
B r u ch st ü ck v o n einem Zweige findet; wenn unter den kleinen
Blättern auch nur ein einziges langes, röthliches, die
normale Größe übersteigendes Blatt vorkommt, dann ist
sicherlich der Thee gemischt, hat eine Verfälschung erfahren.
Die Sibirier sind gründliche Theekenuer und unterscheiden
alle Sorten gleich am Geschmack des rohen Blattes, ohne sich zu
irren. In Jrkutsk zum Beispiel geht jede Hausfrau in die Läden,
probirt den Thee, indem sie einige Blätter in den Mund nimmt,
und weiß dann die Qualität genau anzugeben. Im europäischen
Rußland wird eine solche Probe nicht vorgenommen; man nimmt
den Thee aus den Kisten, macht Päckchen von verschiedenem Ge-
wicht daraus und bietet diese feil.
Die sibirischen Kaufleute untersuchten den Petersburger Thee
genau. Sie nahmen ein Pfund zum Preise von 1 Rnbel 50 Ko-
peken, schütteten ihn in eine Theekanne, übergössen ihn anfangs
mit heißem, aber nicht kochendem Wasser. Der Geruch war
dumpfig, wie von abgestandenen Theeblättern. Man ließ dieses
erste Wasser ablaufen uud begoß ihn mit noch heißerem; nun ver-
wandelte sich der Geruch iu jenen des Backsteinthees. Zuletzt nahm
man siedendes Wasser und dann stellte sich der eigentliche Thee-
gernch ein. Durch dieses Verfahren überzeugten sich die Sibirialen
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
187
daß in der von ihnen geprüften Petersburger Mixtur nur du
Drittel aus reinem Thee, der Rest aber aus abgekochten Thee-
blättern und Backsteinthee bestand. So war nun auch das Räthsel
gelöst, wo die oben erwähnten 65,000 Pud Kirpitschni tschat bleiben.
Der Theefälscher kauft die ordinäre Sorte reinen Thecs zn
1 Rubel 50 Kopeken; das Drittelpfund kostet ihn 50 Kopeken;
ein Drittelpfund Ziegelthee 16 Kopeken; die getrockneten Thee-
blätter hat er für höchstens 4 Kopeken; das Pfund, welches er als
Thee verkauft, kommt ihm also auf höchstens 70 Kopeken zu stehen
und er läßt sich dasselbe mit anderthalb Rubel bezahlen. Die Ver-
Mischung mit Ziegelthee ist übrigens ganz unschädlich.
,,Wer iu Petersburg Thee zu 1 Rubel 50Kopeken verlangt,
wofür der Kaufmann schon in Kiacht a eben so viel oder noch mehr
bezahlen muß, betrügt sich selbst."
Mit dem Tbee sollte man stets sehr sorgsam umgehen. Einst
wurde von Moskau nach Petersburg eine Kiste mit der allerbesten
und theuersten Sorte abgefertigt. Man hatte sie ungemein sorg-
faltig verschlossen uud dann iu Leder verpackt. Durch ciu Versehen
tarn sie nicht sogleich an ihre Bestimmung, sondern blieb ein Jahr
lang bei einem Pelzwaarenverkänfer stehen. Als man sie dann
öffnete, war aller feine Geruch völlig verschwunden und der Thee
! war gauz ordinär.
Ein Schiffbruch an der Westküste von Australien.
Daß diese Westküste zu den nnwirthlichsten Gegenden der Erde
gehört, ist eine Thatsache, für welche wir jüngst wieder einen Beleg
erhalten haben. Das Schiff Marie Gabriele aus Nantes kam am
12. Februar dieses Jahres jenem Gestade zwischen dem 22. und 23.
Grade südlicher Breite nahe, also etwa da, wo das Eendragtsland
und de Wittsland zusammenstoßen. Es scheiterte früh Morgens
etwa 12 Seemeilen von der Eloatesspitze auf einer elf Fuß unter
Wasser liegenden Korallenbank. Die Mannschaft rettete sich in der
Schaluppe uud zwei kleineren Booten durch die sehr gefährlichen
Riffe an's Land, welches sie gegen 10 Uhr erreichten; den Strand
bildete« weiße Sanddünen. Mittags unternahm der Kapitän mit
einigen Begleitern einen Streifzug nach dem Innern hin. Er-
fand kein Wasser, die ganze Gegend trostlos öde, überall nur
Sandhügel und hin und wieder einige durchaus kahle Bäume.
In dieser Wüstenei konnten die Schiffbrüchigen nicht bleiben, sie
mußten fort! Anfangs erwogen sie, ob eine Wanderung nach
Süden hiu bis zu den englischen Niederlassungen am Schwanflusse
möglich sei; aber der Umstand, daß auch uach jeuer Richtung hin
das Gestade überall eben so öde ist, war entscheidend. Also mußten
sie sich zu einer gefährlichen Seereise entschließen; sie wollten das
mehr als anderthalbhundert deutsche Meilen entfernt liegende Java
zn erreichen suchen. Ein Theil der Mannschaft barg Alles, was
vom Wrack her durch die Brandung an's Land gespült wurde,
namentlich Fässer mit Mehl, Wein, Branntwein, Essig und andere
Sachen, die Uebrigen gingen mit dem Kapitän bis an die Cloates-
spitze, wo sie einen Eingeborenen antrafen, der bald fortlief. Man
folgte ihm und sah hinter den Sanddünen mehrere Gruppen
schwarzer Menschen. Jener Mann kam bald nachher an den Strand,
machte allerlei Zeichen und wies auf einen schwarzen Rauch, der
hinter einigen Bäumen emporwirbelte. Zwei Matrosen unter-
nahmen das Wagstück, mit ihm dorthin zu gehen. Etwa fünfzig
Männer saßeu oder lagen um eiu kleines Feuer herum. Sie waren
durchaus unbekleidet und hatten nicht einmal Hals- oder Armringe,
die man bei jenen Wilden, welche mit Europäern iu Berührung
kamen, zu finden Pflegt. Das Haar hatten sie mit röthlichem Oker
beschmiert. Von Frauen, Hansthieren und Hütten war nichts zn
sehen. Jener Eingeborene, welchen die Schiffbrüchigen zuerst sahen,
nahm nichts zu essen oder zu trinken an, warf aber gierige Blicke
auf die Messer. Als man ihm ein ganz neues zeigte, wollte er sich
überzeugen, ob es auch durchsichtig sei. Der Kapitän wollte ermit-
teln, ob er etwa schon mit Europäern, insbesondere mit Missiona-
ren in Berührung gekommen sei und zeigte ihm ein Crucifix, das
aber weiter keinen Eindruck auf ihn machte. Der Mann war hoch,
aber schwach gewachsen, unsauber im höchsten Grad und hatte die
fleischigen Körpertheile tättowirt. Als die Mannschaft der Küste
entlang fuhr, folgten ihr die Eingeborenen am Strande. Am
14. Februar fand sie mit der Schaluppe einen Weg durch die Riffe,
war nun in diesem kleinen Fahrzeuge auf dem freien Ocean und
schiffte westnordwestlicher Richtung nach Java zu. Am 22. Febr.
traf sie unter 13" 23' südl. Breite 108° 17' westl Länge von Paris,
ein Holländerschiff, das von Java nach Europa fuhr; die Louise,
Kapitän Buys von Amsterdam. Sic wurde an Bord genommen
und kam wohlhehalteu in die Heimath.
Geisterklopferei in dc
Der vierte Jahresbericht der Spiritnalisten ist im Buchhandel
erschienen. Verleger ist U. Clark in Auburn, N. I. Das Doku-
ment enthält verschiedene statistische Angaben, welche die Zahl der
Anhänger des Spiritualismus in den Ver. Staaten und die Lite-
ratur dieser Verirruug des Geistes als im raschen Wachsen begriffen
erscheinen lassen. Ihnen zufolge zählt der Spiritualismus 1,537,000
Anhänger iu den Ver. Staaten und 63,000 in den beiden canadi-
schen Provinzen, Euba und Südamerika, also 1,600,000 in ganz
Amerika. Im Staate Neu-Iork hausen 420,000, in Ohio 200,000,
in Illinois 100,00>>, iu Massachusets 150,000, in Michigan und
Wisconsin 160,000, in Maine 50,000, in Missouri 32,000 und
in Peuusilvanien 40,000 Spiritnalisten. Die südlichen Staaten
stellen kein so zahlreiches Contingent, wie die östlichen und
westlichen Staaten. Südcarolina und Arkansas siguriren in
dem Berichte mit 3000, Kansas, Nebraska, Oregon und Neu-
Mexico, alle vier zusammen genommen mit 8000. In jedem
Staate und jedem Territorium leben dem Berichte zufolge fpi-
ritualistische Gläubige. Florida, das unter allen Staaten am
it Vereinigten Staaten.
schwächsten vertreten ist, prangt mit 1000 Anhängern in den sta-
tistischen Tabellen. Im Laufe des verflossenen Jahres sollen nicht
weniger als 160,000 Proselyteu gewonnen worden sein. Der Ver-
fasser dieser statistischen Zusammenstellung giebt durchaus keine
Quellen an, ans denen er geschöpft hat, und es ist mehr als wahr-
fcheiulich, daß dieselben in seinen eigenen Conjecturen zu suchen
sind, und daß er die Zahl seiner Mitgläubigeu durch die Ver-
größernngsbrille des sich selbst schmeichelnden Egoismus gemustert
' hat. — Denn es läßt sich kaum denken, daß über V/2 Millionen
mit Vernunft begabter Wesen am Gängelbaude einiger auser-
wählten Betrüger und Taschenspieler laufen.
Blättern wir weiter in dem Jahresberichte, so finden wir, daß
es in jenem Lande 226 Mediums (oder Mittelspersonen zwischen
der Erde und den geschiedenen Geistern) giebt, welche im Zustande
der Verzückung mit den Geistern verkehren nnd Orakel ertheilen;
ferner L03, welche die Gabe, Krankheiten zu heilen, besitzen, und
andere Mediums. Weuu doch ein „Medium" die Nordamerikaner
von ihrer Parteiwnth heilen könnte!
24*
188
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Eine türkische Aeußerung.
Folgende Bemerkungen, welche ein Pascha in Kleinasien gegen
einen europäischen Reisenden äußerte, verdienen mitgetheilt zu
werden. Seit dreißig oder vierzig Jahren, so sprach der Osmane,
hat Europa uns gequält und gedrängt, damit wir Bart, Serwal
(Pumphosen) und Turbau ablegen möchten; nur dann würden
wir civilisirte ?ente seiu. Sultan Mahmud vernichtete die Jauit-
scharen und gab sich unendliche Mühe, sein Heer auf europäische
Weise einzurichten. Aber was sahen wir? Als die Franzosen im
Kriege gegeu Rußland nach Konstantinopel kamen, erschienen sie
als Zuaven mit grünen Turbanen, als Tnrcos mit weißen
Turbanen, als Spahis mit rothem Burnus, als afrikanische
Jäger mit weißem Burnus; die gauze Armee hatte weite Pump-
Hosen (Scharwar sersüal) und an den Beiueu Terliks, gerade wie
unsere Arnauten sie tragen. Ei, da war mir's, als ob ich eine
Armee aus de» Zeiten des Sultans Bajasid sähe! Was sollen wir
vom gesunden Menschenverstände der Europäer denken? Ihr
tadelt unsere Tracht und dann nehmt ihr sie selber an. Wir wissen
gar nicht mehr, was uns geschieht; den Turban haben wir verloren
und nun werden wir auch bald den Kopf verlieren. Ihr habt über
unsere langen Bärte gespottet. Wir haben sie uns gestntzt und nun
laßt ihr sie lang wachsen. Maschallah, Maschallah! Welche Regel
sollen wir nun befolgen, wonach uns richten? Ihr habt mit un-
serer Regierung besondere Capitulationcn, denen zufolge ihr über
euere Landsleute Gericht halten dürft. Wenn wir aber einen frän-
kifchen Verbrecher festnehmen und dem Conful überantworten, läßt
der ihn entwischen nnd stellt wohl gar noch eine Klage auf Schaden-
ersatz gegen unsere osmanische Behörde an. Beim englischen Eon-
sul habe ich ein merkwürdiges Bild gesehen; es stellt indische Re-
bellen dar, die an Kanonenläufe gebunden sind und englische Ar-
tilleristen legen die Lunte an das Zündkraut. Der Judier wurde
von der Kanone weggeblasen. So etwas thnn christliche Europäer
und ihr findet das in der Ordnung. Was würdet ihr aber schreien,
wie würdet ihr gegentürkische Barberei wettern, wenn wir moham-
medanischen Osmanen Andersgläubige vor Kanonenläufe bänden
und durch Kugeln auseinanderrissen? Antworte mir, christlicher
Europäer! — Der Reisende schwieg.
Stand der Gesittung in Irtand.
Jüngst machte ein LondonerBlatt die ganz richtige Bemerkung:
Nachdem England sechs Jahrhunderte lang im Besitze der Sma-
ragd-Jnsel gewesen, habe es noch nicht einmal wagen dürfen, diese
Insel, wie sie wirklich sei, dem Könige zu zeigen. Jetzt sei das anders.
Irland, das als seinen größten Wohlthäter die Auswanderung,
Kartoffelkrankheit uud Huugersuoth zu preisen habe, werde nun
rasch so werden wie England, wo freilich auch der zehnte Mensch
ein Almosenempfänger ist. Freilich sei viel irischer Boden in die
Hände von Engländern gekommen, aber der Bauer achte das Ge-
setz mehr als früher, sei der Trunkenheit weniger ergeben; man
höre nicht gerade oft, daß ein Grundbesitzer oder dessen Verwalter
bei Tische oder vor der Thür todtgeschossen werde. Mau könne jetzt
in Irland lebe» nnd wie ein vernünftiger Mann leben.
Die Times haben seit einiger Zeit einen wandernden Bericht-
erstatter in Irland, welcher ein Bild von den wirtschaftlichen und
sittlichen Zuständen der verschiedenen Provinzen entwirft. Rosen-
färben sind sie freilich nicht, aber der Engländer ist doch leidlich zu-
frieden. In den nördlichen Theilen von Tipperary, Kings Couuty
und einigen andern Bezirken, die noch vor wenigen Jahren wegen
der Familienkämpfe und blutigen Parteiraufereien berüchtigt waren,
gehtes nnn friedlich her. Durch Auswanderung nudHuugeröuoth ist
die Zahl der Raufbolde vermindert worden, welche in dieser Gegend
so viel Unfug trieben; die Zurückgebliebenen bessern sich und das
alte heiße Blut macht sich nicht allzu oft in alter Weise Luft. In
den Landstädtcheu sieht man allerdings noch große Begräbnisse mit
Branntweintrinken, einen Auflauf mit Prügelei und zerschlagene
Köpfe. Bei Jahrmärkten schließt der Handelsmann wohl seine
Bude zu, um sich gegen die Steine zu schützen, in deren Werfen
die Tipperary Ronghs eine große Kraft und Geschicklichkeit zeigen.
Gelegentlich wird bei Nacht und Nebel ein Karren mit solchem
Wurfgeschütz heimgesucht, und nach Einbruch der Dunkelheit schlägt
sich die junge muntere Welt in den Straßen herum, daß es nur
so kracht uud klappt. Auf dem Lande zeigt man uns das und jenes
Dorf, in welchem Herr N N. erschossen wurde, oder eine Stelle,
wo man vor etlichen Monaten einen Mann, der Abends heimging,
mit einem Steine todtschlug, „aber er wurde doch nicht ansge-
plündert, man ließ ihm sein Geld". Auch wird manchmal auf
Agenten der Gutsbesitzer gefeuert und so weiter. Ein englischer
Ansiedler sagte uns trotz alledem, daß die Leute in Tipperary so
harmlos als möglich seien, und daß sie ihm nie etwas zu Leide ge-
than haben. Dabei zeigt er mir freilich allemal seine geladene
Doppelbüchse und seinen Revolver, welchen er stets zu seiner Ver-
theidiguug bereit hält. Manchmal entsteht ein Gefecht aus reli-
giösen Zänkereien, uud Mordthaten siud am hellen Tage verübt
worden. Jüngst war auf deu Gütern des Grafen Derby bei Doon
ein Gefecht, an welchem sich viele Menschen betheiligten; die Ver-
anlassung lag in den vielen Uebertritteu zum Protestautismus.
So sieht also ein Land ans, in welchem es sich, wie die Times
sagt, für vernünftige Leute recht wohl leben läßt. Der Bericht-
erstatter meint, die oben augeführten Vorgänge seien Ausnahme-
fälle und der Bauer sei jetzt besser daran als iu irgend einer frühern
Zeit. Das wollen wir glauben. Denn kläglicher als ehemals konnte
ein Mensch überhaupt nicht daran sein.
Kleine P
Friedrich Verstärker ist von seiner Reise nach Südamerika,
welche er im Frühjahr 1860 antrat, in der Mitte des Oktobers
1861 glücklich und in voller Frische zurückgekommen. Er fuhr von
Southampton nach Aspiuwall, über die Isthmus-Eisenbahn nach
Panama. Ein Hauptzweck seiner Reise ging dahin , die Republik
Ecuador näher kennen zu lernen. Deshalb schiffte er zunächst
nach dem Hafen Esmaralda's und dann an den Pailon. ^ Unter
großen Mühseligkeiten stieg er landein, durchwanderte die Provinz
Imbabura und verweilte einige Zeit in Quito. In Guayaquil
schiffte er sich nach Lima eiu, und durchstreifte einige Theile von
Peru, indem er über Cerro do Paseo uud Huanaco uach der von
Tyrolern gegründeten Kolonie am Flusse Pozozn vordrang, um
ch richten.
die Zustände dieser Ansiedelung kennen zn lernen. Ueber Hnauca-
bamba kehrte er uach Lima zurück, um sich in Callao, dem Hasen
dieser peruanischen Hauptstadt, uach Chile einzuschiffen. Nachdem
er kurze Zelt in dem ihm schon von früher her bekannten Valpa-
raiso sich aufgehalten, fuhr er uach Valdivia. Dieser südchileuische
Platz sollte den Ausgangspunkt für eine Reise in das Land der
Patago uier bilden. Es war, so bemerkte uns der Reisende, sein
Liebliugswunsch, diese vielbesprochenen Indianer, insbesondere deu
mächtigen >stamm der Pehnenches, näher kennen zn lernen, einige
Zeit unter ihnen zu verweilen uud bei El Carmen, au der Mün-
bniig des Rio Negro, am atlantischen Meere, wieder zum Vorschein
zu kommen. Er gelangte aber nur bis zn den Indianern am Ranco-
Globus, Chronik der Reisen
und am Mayhue-Biuuenfee; ein weiteres Vordringen nach Osten
hin erlaubten der südliche Winter und die hochangeschwollenen
Ströme nicht; Gerstäckcr hat aber keineswegs auf einen Besuch
Patagoniens verzichtet und hofft, gelegentlich einmal unter den
Pehnenches leben zu können. Im chilenischen Hasen Constitution
ging er an Bord eines nach Montevideo bestimmten Schiffes, fuhr
um das Kap Horn, und gelangte glücklich in die Mündung des
La Platastromes. Nachdem er in Buenos Ayres, das er schon von
früher kannte, einige alte Freunde besucht, wanderte er von Mon-
revideo zu Laude durch Uruguay nach Südbrasilien bis Santa
Catharina, und fuhr von Rio de Janeiro mit einem Dampfer nach
Bordeaux. Ueber Ecuador und Südbrasilien kann Gerstäcker gewiß
manche interessante Ausschlüsse geben. In Porto Alegre wird,
wie wir von ihm erfahren, zn Anfang des Jahres 1862 eine
beut] che Zeitnng erscheinen. Gründer derselben stud die dortigen
deutschen Kaufleute; die Leitung wird Herr Theodor Oel ckers,
einer der vormaligen Maigefangenen in Sachsen , übernehmen.
Friedrich Gerstäckcr über die Tgroler am Po;o;u in
Peru. Herr Dannau vou Schütz aus Nassau hatte sich gegenüber
der peruanischen Regierung verpflichtet, eine Anzahl deutscher Au-
siedler in's Land zu bringen und schaffte anch einige Hunderte über
das Weltmeer. Nachdem wir vor zehn Jahren ein so schlagendes
Beispiel von der Gewissenlosigkeit der peruanischen Behörden ge-
genüber unseren Landslenten erhalten hatten, ließ sich voraussehen,
daß auch jetzt das Schicksal der Tyroler kein beneidenswerthes sein
werde. Von Zeit zn Zeit verlauteten auch sehr ungünstige Berichte
über ein Unternehmen, das auch unter den günstigsten Umständen
als ein unbesonnenes hätte bezeichnet werden-müsseu. Denn man
brachte die Leute iu eiue Wilduiß, wo sie von allem Verkehr mit
der übrigen Welt abgesperrt sind. Durch Gerstäcker erfahren wir
nnn vermittelst der Allgemeinen Zeitung Näheres und Zuverläs-
siges, denn er ging selbst an den Pozozn, um mit eigenen Augen
zu sehen. Er fand den Fluß als eine» reißenden Bergstrom voll
großer Steine uud bezeichnet ihn als einen jungen Niagara. Die
hinüberführende Brücke bestand in einer starken — Rebe, welche
nothdürftig mit Messingdraht geflickt war; „eine bitterböse und auch
gefährliche Passage, welche nur noch mehr dazu dient, die Colonie
zu ifolireu. Auf der andern Seite, wo die Richtung gerade nach
Cerro do Pasco liegt, ohne daß mau uöthig hätte, den Pozozn zn
überschreiten, existirt gar kein für Pferde oder Manlthiere zu be-
gehender Weg. Ich wollte aber auch diese Gegeud keuueu lernen
und mußte später fünf Tage ununterbrochen durch die furchtbarste
Wilduiß klettern, brechen und steigen, welche eine tropische Vege-
tation aufzubringen im Stande ist. Die Deutscheu am Pozozu
leben nicht unähnlich einer freundlichen, aber von der Welt abge-
schnittenen Insel im Oeeau Das Klima ist warm, aber nicht nn-
gesund, der Boden sehr fruchtbar. Die Tyroler ziehen Alles, was
sie gebrauchen: Kaffee, Mais , Reis, Uuca, Bananen, Kartoffeln,
Zuckerrohr, Taback. Durch die Freundlichkeit eines Landsmannes,
des Herrn Nenner aus Hamburg, hat jede Familie eine Kuh und
ein paar Schweine bekommen; wilde Schweine und Geflügel sind
in den Wäldern häufig. Die Leute leben in Bezug auf Speise und
Trank im Ueberflusse, können aber nicht fiir einen Thaler Berthes
von allem Ueberflnß verkaufen, denn sie haben keine Absatzwege;
nicht einmal Kleider und Schuhe können sie anschaffen. Auch fehlt
eiu Arzt. Sie erklärten, daß Herr von Schütz sich ehrenwerth
gegen sie benommen habe. Der ursprüngliche Plan der perua-
nischen Regierung war darauf hinausgegangen, die Ansiedelung
dicht an die oberen Ufer des Amazonenstromes oder dessen schiff-
bare Zuflüsse zu verlegen, um dort mit ausländischen Kräften dem
peruanischen Staate neue Handelsverbindungen zu eröffnen, über-
haupt den Verkehr au der Ostseite der Cordilleren zu beleben. Die
Regierung gab das versprochene Geld, aber dasselbe wurde von
ihren Beamten veruntreut; der Weg von Cerro do Pasco nach dem
Pozozu, wohin man, nach Aufgeben des ersten Planes, die Tyroler
brachte, wurde nicht gebaut. Die Regierung hat dann Herrn von
Schütz im Stich gelassen und er nährt sich in Lima vom Unterricht-
geben." Gerstäcker stellte dem Präsidenten von Peru die Sachlage
vor; ob aber Abhülfe kommen wird, bleibt mehr als zweifelhaft,
da in Peru Revolutionen an der Tagesordnung sind. Die Nieder-
lassung am Pozozu zählt 143 Personen. Wir wollen hier be-
merken, daß bis ans den heutigen Tag alle solche Niederlassungen
im tropischen Südamerika nicht haben gedeihen können, und so
wird es auch ferner sein ; das liegt einmal unabwendbar in den
Verhältnissen selbst und laßt sich eben nicht ändern.
Adolf Schlagintweit>s Tagebücher sind gerettet. Sir Ro-
derich Mu rchiso u meldete der Londoner Times vom 4. November
diese für jeden Freund der Wissenschaft höchst willkommene Nachricht.
Lord William H ay, Civilcommifsar in Kaschmir, hatte keine Mühe
gespart, um über das Schicksal unseres unternehmenden dentschen
und Geographische Zeitung. 189
Landsmannes und dessen Nachlaß Erkundigung einzuziehen, und
es ist ihm auch gelungen, das Tagebuch des Reisenden zu erlangen.
„Dasselbe," schreibt Lord W. Hay an seinen Brnder, Lord Gifford,
„ist nnn in meinen Händen, und enthält 135 eng geschriebene
Seiten. Dazu bekam ich anch einen Schädel, der, wie man mir
vertraulich mittheitte, jener Schlaginlweit's ist. Die letzten Notizen
hat S. am II. August 1856, wenige Tage vor seinem Tode, ein-
getragen." Dieses Tagebuch wird au die Brüder des Verstorbenen,
die Herren Robert und Hermann von Schlagintweit, geschickt,
welche dasselbe bei der Bearbeitung ihres großen.Werkes benutzen
werden. Die drei Reisenden hatten bekanntlich das Karakornm-
und das Kueulueu-Gebirge überschritten, und waren bis Eltschi,
iu der Nähe von Darkand, gekommen. Dort trennte sich Adolf
von seinen Gefährten, ging in westlicher Richtung nach Norden
hin, um Kokaud zu erreichen, wurde aber bei Kaschgar vou einem
mohammedanischen Räuber enthauptet.
Eine Expedition nach Spitzbergen war im Frühjahr unter
der Leitung O. Torrel's nach dem hohen Norden abgegangen.
Sie erreichte am 22. Mai Daues-Jusel, und erforschte die nord-
östlichen, nördlichen und westlichen Küsten von Spitzbergen. Nach-
dem sie eiue beträchtliche Anzahl vou Punkten astronomisch bestimmt,
und meteorologische und magnetische Beobachtungen angestellt hatte,
kehrte sie zurück, und war am 23. September wieder im norwe-
zischen Hasen Tromsöe. Durch ihre Aufnahmen wird die Karte
von Spitzbergen manche Berichtigung erfahren. Torrel hat auch
werthvolle Sammlungen für Geologie, Botanik uud Zoologie mit-
gebracht; lebende Weich- uud Schaleuthiere wurden aus einer
Meerestiefe von 1000 bis 1300 Faden zu Tage gefördert.
Livingllone hat, wie die neuesten Nachrichten aus der Kap-
stadt melden, darauf verzichten müssen, den Rufuma-Strom
zu befahren. In seiner Begleitung befand sich Mackenzie, aber
alle Bemühungen der Reisenden schlugen fehl. Näheren Berichten
sehen wir entgegen. _
Japan und die enropäifchen Seemächte. Wir haben mehr-
fach darauf hingewiesen, daß Japan, in Folge der Eröffnung für
den Weltverkehr, in manche Verlegenheiten gerathen ist. Das "Volk
hegt Abneigung gegen die Fremden, und daran sind Vorzugs-
weise die Engländer durch ihr ganz ungeeignetes Benehmen schuld.
Wir begreifen sehr wohl, daß die kaiserliche Regierung iu Jeddo
keine Neigung hegt, noch mehr Verträge abzuschließen. Sehr
bezeichnend für ihre Ansichten ist ein Aktenstück, welches sie dem
amerikanischen Min isterresidenten Townsend Harris übermittelt
hat, damit derselbe es in Amerika und Europa bekannt mache. Es
trägt das Datum vom 2. Mai 1861. Die Regierung sagt: „Seit
fast drei Jahrbnnderten standen wir in keiner Beziehung zu den
auswärtigen Mächten. Die Erzeugnisse des Landes genügten den
Bedürfnissen des Volkes; die gewöhnlichen Verkaufsartikel waren
für mäßige Preise, die sich fast gleich blieben, zu bekommen; alleut-
halben herrschte Ruhe und Zufriedenheit." Dann wird des Ab-
fchluffes vou Verträgen mit verschiedenen Mächten erwähnt; die
Gestattung des auswärtigen Handels in den geöffneten Häfen
haben aber zu ganz anderen Ergebnissen geführt, als man er-
wartet. Die vermöglichen Volköklassen sehen davon keinen Vortheil
nnd den ärmeren erwächst daraus keine Wohlthat; die nothwen-
digsten Lebensbedürfnisse werden thenrer, das Volk fühlt sich nnbe-
haglich. Der Schluß lautet: „Es unterliegt übrigens keinem
Zweifel, daß die Zeit nicht mehr fern ist, in der unser Volk zur
Erkenntniß des Nutzens kommen wird, welcher ohne Zweifel aus
einem Handelsverkehr mit auswärtigen Ländern entspringt. Aber
bei dem jetzigen Staude der öffentlichen Meinung würde die Ab-
fchließuug neuer Verträge mit anderen Mächten schwere Folgen,
vielleicht sogar eine Empörung uach sich ziehen. Wie man es bei
den dermaligen Verhältnissen für nöthig erachtet bat, vorzuschlagen,
daß die vertragsmäßig zugesicherte Eröffnung der Häfen von
Hiogo nnd Niegata, so wie der Städte Aeddo und Osaca für
den auswärtigen Handel vorläufig aufgeschoben werde, so haben
wir auch zu constatireu, daß wir für jetzt außer Staude sind, uns
in neue Verträge mit fremden Staaten einzulassen. Es ist der
Zweck dieser Zuschrift, über den gegenwärtigen Stand der Dinge
in unserm Lande zuverlässige Mittheilungen zn machen nnd dadurch
der Sendung vou diplomatischen Agenten zuvorzukommen, welche
den Auftrag hätten, neue Handelsverbindungen anzuknüpfen, in
die wir zu unserem Bedauern nicht eintreten könnten. Der Wunsch
unserer Regierung geht dahin, daß die hiermit gegebene Ans-
einandersetzung zur Kenntniß der Regierungen der Hauptwelt-
mächte gelange."
Uebrigens muß zwischen dem Mai und dem Juli doch wieder
eine andere Strömung am japanischen Hofe die Oberhand bekommen
haben, denn wir finden in einem Nen-Uorker Blatte, dem Weekly
190 Globus, Chronik der
Herald vom 3. Oktober, einen Brief aus Kanagawa vom 3. Juli,
demgemäß eine japanische Gesandtschaft nach verschiedenen euro-
päischen Hauptstädten, auch nach Berlin, abgehen sollte. In den uns
zugängigen chinesischen Blättern, welche bis zum 15. September
reichen, haben wir darüber nichts gelesen.
Die Russen nehmen im nordöstlichen Asien einen wichtigen
Punkt nach dem andern in Besitz. Nachrichten aus China vom
12. September melden, daß sie sich auf Tsu-sima festgesetzt haben,
einer Insel zwischen Japan und Korea. Sie legteu ohne Weiteres
Waarenhäuser an und baneteu ein Spital. Das Eiland ist wichtig,
weil es einen vortrefflichen Hafen hat und mau von dort mit
Dampfern in wenigen Tagen nach Nagasaki oder nach Schanghai
fahren kann. Als die Engländer von dieser Besitznahme hörten,
steuerte Admiral Hope sogleich uach Tsu-sima <Sima bedeutet im
Japanischen Insel) und fand dort ein russisches Kriegsfahrzeug
vor Anker. Das Eiland gehört eigentlich einem japanischen Fürsten,
welcher sein gutes altes'Recht auf einen so werthvollen Besitz nicht
aufgeben mag. ____
Indische Baumwolle. Der Gegenstand ist von äußerster
Wichtigkeit, uud wir geben deshalb von Zeit zu Zeit darüber einige
Notizen, welche das Urtheil wirklicher Sachkenner enthalten. Ein
mit den indischen Verhältnissen genau bekannter Mann weist (im
Euglishmau vom 14. September) nach, daß allerdings die hohen
Preise der Baumwolle zu einer gesteigerten Anpflanzung Anlaß
gegeben haben, aber nur in wenigen Bezirken. Im Allgemeinen
sei der indische Bauer lder Reiot, sehr abgeneigt, sich auf neue Kul-
tureu eiuznlassen, besonders wenn man sie ihm dringend anem-
psehle; er fürchte eine Vermehrung der Abgaben. In Dharwar,
im Radfch Pore Duab und im westlichen Berar mache man aller-
dings große Anstrengungen, „was aber das Ergebniß sein wird,
kann nur die Zukunft lehren." Die Preisverhaltnisse fallen we-
niger in's Gewicht, als das große Risiko des Transportes bis an
die Küste, und die damit verbundenen großen Anflügen. Als Er-
zeugungsland für Baumwolle wird das Peudfchab, das Fünf-
stromlaud, dringend empfohlen, wo man 1860 schon 43,316,800
Pfuud geerntet habe. Davon hätten etwa vier Millionen Pfund
den Weg bis an die Küsten gefunden, das übrige werde im Lande
selbst verbraucht. Als ein Baumwollenlaud wird auch Ober-
Barma gerühmt, von wo vor der Rebellion in China jährlich
zehn Millionen Pfund uach der chinesischen Provinz Uünnan aus-
geführt wurden. Seit sechs Jahren ist dieser Markt nicht mehr
zugängig, und man hat deshalb den Baumwollenbau fast ganz
eingestellt. Ranguhn, die Hauptstadt des britischen Pegn, könne
ein großer Markt für diese wichtige Stapelwaare werten, wenn
man den König von Barma veranlassen könne, den Ausfuhrzoll
abzuschaffen; das lasse sich errreichen, wenn England seine Ausfuhr-
zölle auf Reis oder Fisch aufhebe.
Hien-fung, Kaiser von China, ist am 22. August 1861 in
seinem Palaste zu Iehol, an der Gränze der Mandschurei, mit Tod
abgegangen. Sein Vater Tao-Kuaug starb, nach einer Regierung
von dreißig Jahren, im Februar 1850. Den Reichsgesetzen zufolge
kann der Herrscher ein beliebiges Mitglied der kaiserlichen Familie
zu seinem Nachfolger ernennen, also auch einen Bruder oder Oheim
oder eiueu Sohu. Hieu-sung war Tao-kuaug's viertgeboruer Sohn.
Der Vater hoffte viel von ihm, aber der neue Kaiser ergab sich den
Lüsten wie ein Sardanapal und lebte zumeist in seinem Harem.
Die Leitung der Staatsgeschäste übertrug er seinem Bruder, dem
Prinzen Kunz. Im Oktober 1860 verließ er die Hauptstadt und
flüchtete vor den europäischen Barbaren uach Uehol, wo er, abge-
mattet durch ausschweifendes Leben, erst dreißig Jahre alt, starb.
Auch in sehr kritischen Zeiten mochte er nichts von öffentlichen An-
gelegenheiten hören oder Geschäfte besorgen. Als er den Thron
bestieg, war er zwanzig Jahre alt.
1 Der Vulkan jbei vli'ö, der Dschebel Dnbbeh, welcher am
8. Mai dieses Jahres eine ungeheure Menge Asche auszuwerfen
anfing, hatte im August nicht weniger als 19 Krater, die bei Tage
rauchen, während man bei Nacht zugleich die Flammen aufsteigen
sieht. Der eine ist 600 Fnß lang und halb so breit. An manchen
Stellen des Vulkans stürzen Wasserflutheu hervor. Durch den
Ausbruch sind zwei Dörfer völlig zerstört worden.
Britisch Casraria. Der von den Engländern seither schon
in Besitz genommene Theil des Kaffernlandes, mit Einschluß des
sogenannten Transkei-Gebietes chatte zu Anfang des Jahres 1860
eine Volksmenge von 64,212 Seelen. Davon waren Deutsche
(welche zumeist der englisch-deutschen Legion angehört haben) 2659,
andere Europäer 3230, die übrigen Landeseingeborene. Diese hat-
ten 11,208 Hütten in 242 Dörfern, 25,148 Kühe und Ochsen uud
und Geographische Zeitung.
8640 Pferde. Die Europäer, welche sich besonders auf die Schaf-
zucht verlegen, hatten 76,146 Häupter Wollvieh und etwa 9000
Kühe und Ochsen. Im Allgemeinen gedeihet diese Ansiedelung.
Die Postverbindung mit der tvestküste von Afrika ist sehr
regelmäßig. Sie reicht bis in das Delta des Niger, nach A l t c a l a -
bar. Der Dampfer, welcher am 29. August diesen Platz verlassen
hatte, war am 11. Oktober in Liverpool. Er berührte Cameruns
am 1. September, Fernando Po am 2., Bonny am 5., Nun und
Braß-Mündnng am 6., Benin am 7., Lagos uud Accra am 12.,
Cape Coast Caste am 14., Cap Palmas am 16., Sierra Leone am
21. Von Bathnrst am Gambia fuhr er am 25. September ab,
war am 1. Oktober bei Teneriffa, am 3. bei Madeira.
Der Archipelagus der Salomons^Änscln, welcher sich östlich
von Nen-Guinea in einer langen Eilandkette von Nordwest nach
Südost erstreckt, bildet eine der fruchtbarsten Regionen im Großen
Ocean, und steht in dieser Beziehung weder den Molukken noch
den Philippinen nach. Im laufenden Jahre ist dort im Auftrage
einer Autwerpeuer Gesellschaft eiue belgische Expedition auge-
langt, um au einem geeigneten Punkte zunächst eine Handels-
factorei anzulegen. Es scheint, als ob man vor der Hand mit dein
Anbaue edler Gewürze beginnen wolle.
Die Sträflinge in tveflaustralien. Westaustralien ist die
einzige Kolonie, wohin aus Englaud noch Verbrecher deportirt
werden; die Ansiedler selbst wünschten die Zusendung solcher Ar-
beitskräste, weil die Einwanderung freier Leute allzu spärlich war.
Allmälig hat mau seit 1853 etwa 5000 „Convicts" dorthin ge-
schickt. Ein Geistlicher, welcher acht Jahre in Freemantle lebte und
alle Theile der Kolonie kennt, hebt hervor, daß dieselbe sich in
materieller Beziehung, eben in Folge der Einführung solcher De-
portirter, gehoben habe; vor derselben befand sie sich, während der
ersten 21 Jahre nach ihrer Gründung, in traurigen Verhältnissen,
und stand 1850 geradezu am Rande des Abgrundes; durch die
Arbeit der Deportirteu wurde sie gerettet. Die Ceususaufnahme
von 1859 zeigte im Vergleiche zu jener von 1854 eine Bevölkernngs-
zunähme von 2«! Proceut; die Einnahme der Kolonie stieg von
34,000 auf 48,000 Pfd. Sterling, und gab einen Ueberschnß von
3000; die Ausgabe der Reichsregierung verminderte sich von
132,000 aus 92,000 Psd. St.; die Einfuhren fielen von 128,000
auf 125,000, die Ausfuhr stieg von 36,000 auf 93,600 Pfd. St.
Im Jahre 1854 Ware« erst 1l,000 Acker Landes urbar, 1859 schon
mehr als 25,000; man hatte nun 8000 Pserde, 30,000 Stück
Hornvieh, 231,000 Schafe; acht Kupfer- uud vier Bleigruben sind
im Betrieb. Das Betragen der „Convicts" wird im Allgemeinen
gelobt; sie wissen, daß sie nicht entfliehen können und streng beaus-
sichtigt werden, finden gute Behandlung, erwerben Eigenthum uud
fügen sich in die neuen Verhältnisse. Sie befinden sich in einem
Ungeheuern, überall von Wüsteneien und Meer umgebenen Ge-
fängnisse, aber in demselben können sie sich auf einem Räume von
Mehreren Tausend Onadratmeilen frei bewegen. Jeder einiger-
maßen fleißige Couvict kann ein unabhängiger und wohlhabender
Mann werden. Nach einer, den Umständen gemäß kürzeren oder
längeren Probezeit, bekommt er einen Urlaubsschein, und kann sich
dann, ganz nach seinen Neigungen und Fertigkeiten, Beschäftigung
suchen. Als Schäfer erhält er 175 Thaler jährlich und reichliche
Kost; als Hausdiener erhält er Kost, Wohnung und 105 bis 200
Thaler jährlich; als Diener außer dem Hause wöchentlich 6 bis
10 Thaler; als Tagarbeiter l. Thaler 5 bis 20 Neugroschen;
Handwerker bekommen täglich 2 bis 3 Thaler. Er kann Grund
und Bodeu erwerben und Ackerbauer werden. In Folge guten
Betragens erklärt die Regierung ihn für vollfrei in der Kolonie;
er wird dann in derselben Bürger, aber er muß im Laude bleiben,
denn in Großbritannien oder in anderen Kolonien darf er sich nicht
aushalten. Rückfälle in das Verbrecherwesen kommen selten vor.
Die Bevölkerung von Westaustralien ist über einen weiten Raum
dünn zerstreut, uud die verschiedenen bewohnten Distrikte, man
könnte sagen die Oaseu, sind durch ausgedehnte Waldländereien
oder Sandstrecken von einander getrennt. Buschklepper (Busch-
rangers) kommen in Westaustralien uicht vor, vou Straßenraub
hat man kaum jemals etwas gehört. Verlaufen kann sich Niemand,
der nicht in der Wüste verhungern will; jeden Flüchtling spürt die
Polizei mit Hülse ihrer schwarzen eingeborenen Diener aus. Im
Jahre 18v9 lebten in der Kolonie 3846 deportirte Männer, davon
waren 117.^ bedingt begnadigt worden, oder Leute, deren Termin
ablief, 1666 hatten einen Urlaubsschein, 1007 waren Gefangene.
"m 9!:Dßclt llebelstand bildet das große Mißverhältniß zwischen
den Geschlechtern, denn ansein erwachsenes Frauenzimmer kommen
sieben Manner.
Globus, Chronik der Reisen
Zur GtsellschastsftatistiK in Australien. Wir fügen der
vorigen Notiz einige statistische Angaben über die anderen Kolonien
Australiens bei. Das Mißverhältniß zwischen Männern und
Frauen zeigt sich auch in diesen. In den achtzehn Iahren von
1842 bis 1859 kamen in die Kolonie Victoria (die von dort
wieder Ausgewanderten abgerechnet) 235,770 Männer und
130,759 Frauen. Als 1860 die Volkszählung vorgenommen
wurde, ergaben sich 64 weibliche auf 100 männliche Seelen; in
Westaustralien nur 56, und 72 Proceut der erwachsenen Männer
waren uuverheirathet oder hatten in der Kolonie keine Frau. Es
erklärt sich also, daß die Gerichte manchmal gegen Männer wegen
„Weiberverkaufs" einzuschreiten haben. — In Neusüdwales
wurde, dem Blaubuche von 1859 zufolge, je der achtzehnte
Mann in's Gesänguiß gebracht; die Hälfte der Verhaftungen
geschah in Folge von Vergehen, die iu trunkenem Znstande verübt
worden waren. Vou 350,000 Köpfen wurden 9419 von der Po-
lizei wegen Trunkenheit verhaftet. Die geistigen Getränke bilden
den ärgsten Feind der Kolonien. In Neusüdwales besuchte jeder
zehnte Kops die Schulen, aber Südanstralien (Hauptstadt
Adelaide) mit 122,000 Einwohnern hatte dagegen nicht weniger
als 2123 Lehrer für Sonntagsschulen, welche vou mehr als 20,000
Leuten besucht wurden. — Port Philipp, iu der Kolouie Vic-
toria, hatte 1836 erst 117 Ansiedler ans Europa; ehe ein Viertel-
jahrhnndert verfloß, zählte es deren mehr als eine halbe Million.
Die Münzstätten und Münzen in den Vereinigten Staaten.
Die Hauptmünzstätte der nun auseinander gerissenen Union befindet
sich zu Philadelphia; daneben bestehen fünf Zweigmünzen.
Die erstere begann 1793 ihre Thätigkeit; sie lieferte im Fiskal-
jähre 1858 (am 30. Juni endigend) für 10,221,877 Dollars
Goldmünzen, für 4,971,823 Dollars Silbermünzen, für 234,000
Dollars Kupfermünzen, zusammen 15,427,700 Dollars Münze.
Die im Jahre 1838 errichtete Zweigmünze zu Neu-Orleaus
lieferte für 1,315,000 Dollars Goldmünzen, für 2,942,000 Dollars
Silbermünzen, zusammen für 4,257,000 Dollars Münzen. Die im
gleichen Jahre errichtete Zweigmünze zu Charlotte (Nord-Caro-
lina) lieferte 177,970 Dollars Goldmünze; die ebenfalls un Jahre
1838 errichtete Zweigmünze zu Dahlouega (Georgia) lieferte
100,167 Dollars Goldmünze. In der im Jahre 1854 m San
Francisco ((Kalifornien) errichteten Müuze wurden für
19,276,095 Dollars Gold- nnd für 147,503 Dollars Silbermünzen,
und in der 1854 erstandenen Münze zu Nen-Aork (Affay-Office)
für 21,798,691 Dollars Gold- und für 171,962 Dollars Silber-
münzen geprägt. Im Ganzen wurden feit 1793 bis zum 30. Juni
1858 für 651,639,089 Dollars Gold in den Ver. Staaten gemünzt.
Die Minen der Ver. Staaten lieferten dazu für 443,127,921 Dollars
Gold uud für 3,017,200 Dollars Silber. Der neue Cent besteht
aus 88 Theilen Kupfer und 12 Theilen Nickel. Ein Silber-Dollar
wiegt 4121/2 Gran, davon sind 371'/^ Gran reines Silber, der
Rest Kupfer Em Golddollar wiegt 25 8,10 Gran, wovon 23
22 100 Gran reines Gold sind, der Rest aus Kupfer und Silber
besteht. Em englischer Sovereign wiegt 123^ Gran; davon sind
113 Gran reines Gold.
Gold und Kohlen. Ein amerikanisches Blatt stellte neulich
folgende Betrachtungen an, bei denen es die Bedentuug des Goldes,
als eiues Hebels im Verkehr, doch wohl etwas zu genug schätzt.
Seit der Entdeckung des Goldes in Australien und Callsormen,
repräseutirte der alljährliche Ertrag desselben einen bedeutenden
Werth in den wechselseitigen Beziehungen des Weltverkehrs. Wohl
mag ein Vergleich zwischen den Pittsburger Diamauteu und dem
gelben Metall Californiens anmaßend erscheinen; doch statistische
Tabellen, welche schon manches Luftschloß zerstört, werden auch
hier die Täuschung beseitigen, daß das glänzende Metall, vom com-
merciellen Standpunkte aus betrachtet, deu Werth der fossilen
Kohle übertreffe, womit viele unserer Hügel angefüllt sind. Die
statistischen Tabellen für das Jahr 1859 schlagen deu Gesammt-
Werth der Goldernte der Erde auf nicht mehr als 145,000,000
Dollars an, wovon Californien für 70,000,000 Dollars, Australien
für 50,000,000 Dollars, und Europa, Asien, Afrika und die übrigen
Theile Anierika's etwa für 25,000,000 Dollars Werth producirt
haben. Dagegen weisen die zuverlässigen Tabellen desselben
Jahres 1858 nach, daß in den verschiedenen Minen der Welt
150,000,000 Tonnen Kohlen gegraben worden sind, deren Werth
sich auf wenigstens 187,000,000 Dollars oder nahezu auf die Hälfte
mehr beläuft, als der Werth der Golderute desselben Jahres beträgt.
Die Umwandlung des Goldes in Münze verzehrt menschliche und
mechanische Kraft. Die Müuze als solche hat au und für sich einen
bloß nominellen, die Kohle aber einen produktiven Werth. Während
der Werth des Goldes im Golde selbst liegt, und iu einem gewissen
Grade ein blos relativer ist , ist der der Kohle ein reeller und pro-
ductiver Das Gold repraseutirt Werth, die Kohle producirt ihn.
Die Kohle ist die Erzeugerin bedeutender Arbeitskraft, die Berei-
und Geographische Zeitung. 191
teriu des zu uuserm Unterhalte und unserer Bequemlichkeit Erfor-
derlicheu. Der, welcher sich weigerte, den Werth und die Vortheile,
die der Besitz des Goldes mit sich führt, anzuerkennen, wäre freilich
im Unrecht: Kohlen würden ein schlechtes Taschengeld abgeben;
doch sind sie im Allgemeinen viel werthvoller als das glänzende
Metall. Pennfylvanien hat in dem weiten Schooße seines Gebietes
einen ebenso großen uud das Wobl der Menschheit fördernden
Reichthum, als Californien uud Australien zusammengenommen.
Oic <£Delcjxtcllen in den Vereinigten Staaten und Canada.
Vor etwa zwei Jahren entdeckte man im westlichen Penusylvauieu
und in den benachbarten Gegenden des Staates Neu-Uork eine große
Menge von Erdölquellen, die einen reichen Ertrag geben. Neuer-
diugs hat mau dergleichen anch in Canada gefunden. In den
Vereinigten Staaten liegen die ergiebigsten Quellen unweit der
Atlantic uud Great Westeru-Bahu, auf welcher das Oel uach Neu-
Jork zum Markte gebracht wird. Jene in Canada fand man etwa
zwölf englische Meilen vou der Station Wyoming, die an der
Great Western- und Canada-Bahn liegt. Vor zwei Jahren hatte
man von deu Quellen noch keine Kunde, denn sie lagen im dichten
Urwalde; jetzt sind dort mehr als .500 Menschen angesiedelt; im
vorigen Winter kamen in Landkutschen täglich etwa 50 Leute dort
an, viele blieben, und zwei große Gasthäuser nehmen Fremde auf.
Im August schöpfte man aus ungefähr einhundert „Brunneu"
Oel. Die Grundbesitzer geben Landstrecken auf 99 Jahre ab, uud
erhalten dafür 300 Dollars Anzahlung und für jene Zeit ein
Drittel des geförderten Oeles. Man gräbt die Brunnen bis zn
40 bis 60 Fuß Tiefe und kommt dann auf Gestein; oft quillt das
Oel schon früher zu Tage, ist aber gewöhnlich von geringer Be-
fchaffenheit, nnd nicht so gut wie das „Felseuöl". Man bohrt
nämlich im Gestein etwa 40 bis 70 Fuß tief uud ist dann fast alle-
mal sicher, auf Oel zu treffen. Neben jedem Brunnen stehen große
Behälter von Holz, welche von 500 bis 2000 Gallonen fassen;
man pumpt in sie das Oel aus dem Brunnen, zieht es dann aus
Fässer und verschickt es. Die Arbeit, einen Oelbrunnen zu bohren,
dauert kaum einen Monat nnd kostet nur einige Hundert Dollars.
Ein Arbeiter au der Pumpe erhält täglich einen Dollar und fördert
dafür 4000 Gallonen oder 100 Fässer voll. Nimmt man, was
sehr gering ist, nur au, daß jeder der einhundert Brunnen bei
Wyoming täglich 15 Fässer oder 600 Gallonen liefere, so ergiebt
sich schon ein großer Ertrag; man meint aber, daß vor Ablaus des
Jahres 1861 mindestens fünfhundert in Betrieb sein werden. Aber
schon jetzt geben jene hundert Brunnen 60,000 Gallonen täglich,
360,000 in jeder Woche oder 18,720,000 Gallonen jährlich. Nun
fragt sich aber, wie lange diese natürlichen Oelqnellen vorhalten
werden.
San Francisco in Californien hat nach dem neuesten Adreß-
handbuche 83,223 Einwohner. Davon sind etwa 3000 Chinesen
und 2000 Neger und Mulatten.
Oer Handel von Peru ist, trotz der bürgerlichen Zerrüttung
dieses immer unruhigen Landes, nicht unbedeutend. Im Jahre
1851) betrug der Werth der eingeführten Waaren, so weit dieselben
an den Zollhäusern controlirt werden konnten, 76,596,111 Francs,
wovon für l?Vs Millionen Banmwollenwaaren, für beinahe 6
Millionen fertige Kleidungsstücke waren. Knrzwaaren 18 Millionen,
Tuche mehr als 8'/^ Million; dazu kommt aber noch der sehr
beträchtliche Schleichhandel. Die Ausfuhr betrug 83,583,286
Francs oder 16,716,657 Silberpiaster. Es fand statt aus den
acht Häfen Callao, Jquique, Arica, Jslay, Huauchaco, San Jose,
Payta und Loreto nnd den Chincha-Juseln. Diese letzteren lieferten
für 8,535,720 Piaster Guano. Deutschland (Hamburg) war bei
der Einfuhr mit nur 503,495 Piastern betheiligt.
Walfischfang. Bekanntlich durchstreifen die Walfischfahrer
alle Oceane, und suchen immer nene ergiebige „Wiesen" auf.
Ehemals stellte« sie vorzugsweise in den grönländischen Gewässern
dem Leviathan der Tiefe nach, später kreuzten sie vorzugsweise gern
im südlichen atlantischen Ocean, dann im südlichen stillen Welt-
meere. Als die Walthiere, insbesondere jene, von welchen das
Spermaceti kommt, dort an Menge abnahmen, fuhr der größte
Theil der Schiffe in die nördlichen Theile dieses Oceans und bis
über die Behringsstraße hinaus. Eben jetzt verändern sie aber-
mals den Schauplatz ihrer Thätigkeit, uud besuchen vorzugsweise
den indischen Ocean und wieder die südlichen Theile des atlantischen
Weltmeeres. In diesen Gewässern kreuzten im Jahre 1861 mehr
als einhundert Schiffe, zumeist nordarnerikanische. Die neue Wal-
fischregion im indischen Ocean reicht von Java Head bis Kap
Leenwin in Australien, eine Strecke vou etwa 1600 Seemiles, und
die diesjährige Ausbeute hat dort etwa anderthalb Millionen
Thaler eingetragen. Einzelne Geschwader kreuzten schon 1838 in
192 Globus, Chronik der Reisen
jenen Gegenden. Dieser Walfischsang belebt den Handel im indi-
schen Ocean; die Nordamerikaner verkaufen nämlich allerlei Fabrik-
waaren und nehmen dagegen Sandelholz, Wachs, Perlmutter und
andere Landeserzengisse.
Sin neuer Punkt für den Ätocksischfang. Die Hauptregion,
auf welcher dieser wichtige Zweig der Schifffahrt betrieben wird,
sind bekanntlich die Bänke von Neufundland; aber auch bei den
Faröern und im Meere bei Island kommt der Fisch iu großer
Menge vor. Im Laufe dieses Jahres war er aber hier fast ganz
ausgeblieben, und am 28. Juni kamen die Schiffe Resolution aus
London und Adveuture aus Gravesend ganz leer nach der Themse
zurück. Jndeß der Kapitän des letzter» Schiffes erinnerte sich, daß
ein isländischer Seefahrer ihm vor etwa fünfzehn Jahren eine
Mitteilung über den Fischreichthum bei Rockall gemacht habe.
Rockall ist eilt Felsen, der 500 englische Seemeilen südwestlich von
Island liegt und kaum 20 Fuß über die Meeresfläche emporragt:
er liegt auf einer etwa 80 englische Meilen langen Bank und
wird bei hoher See völlig überflnthet. Das nächste Land ist
St. Kilda, eine der Hebrideninseln, von wo Nockall etwa l30 Mei-
len entfernt ließt. Die Kapitäne der beiden obengenannten
Schiffe stachen nun am 2. Juli wieder in See, um noch einmal
ihr Glück zu versuchen und kamen schon am 13. Juli mit voller
Ladung zurück; der Fang war so reich gewesen, daß sie nach süns
Tagen Arbeit wieder heimsegeln konnten. Sobald sie eine Leine
mit den Haken ausgeworfen hatten, konnten sie auch schou eine
andere aufziehen, so eifrig bissen die Fische an. Um die Fahrzeuge
schwärmten blaue Haifische in großer Menge uud hielten eine sette
Ernte; die seevögel waren so zahm, daß sie auf Deck kamen und
den Fischabfall verzehrten. Die Stockfische waren ungewöhnlich
groß, manchmal bis 100 Pfund schwer; die Leber giebt reichlich
Thran; die Zunge ist dick und fett, aber kürzer als jener bei
Neufundland. Die beiden Schisse sind, von einigen anderen Fahr-
zeugen begleitet, noch einmal nach Rockall gefahren, das im künf-
tigeu Jahre sicherlich von vieleu Schiffen besucht werden wird.
Spätere Nachrichten aus Westray, nördliche Orkaden, bestätigen
das Vorstehende. Die genannten Schiffe hatten binnen sechs
Tagen abermals eine volle Ladung Fische gefangen. „Das Meer
um jenen einsamen Rockallselsen ist Millionen Werth, ist ein
Californien iu der See. Iu solcher Anzahl uud Größe hat nie
zuvor ein Fischer Stockfische gesehen. Dazn kommen Haifische
von 30 Fuß Länge, mit einem Rachen, der cm Kalb verschlingen
könnte, uud eine Menge von Walthieren. Auch sah man andere
Fische, die noch unbekannt waren, und Tintenfische größer wie
Delphine. Künftig wird mau die uöthigeu Gerätschaften mit-
nehmen, nm den Haifischfang regelmäßig zn betreiben; die ab-
scheulich gefräßigen Thiere sind in unglaublicher Menge vorhanden
uud liefern einander oft die wildesten Kämpfe. Drei zumal waren
mit einander im Gemenge auf dem Kamm einer gewaltigen atlan-
tischen Woge und peitschten sie dermaßen zu Schaum, daß sie einer
au felsiger Küste sich brechenden Brandungswoge glich. Der dritte
Hai, welcher sich in den Streit zweier anderer um die Beute, einen
großen vom Angelhaken herabgefallenen Fische mengte, trug jene
davon. Er hätte auch ein Faß verschlingen können, so mächtig
war sein Nachen." Im lausenden Jahre kann man keine Fahrten
mehr uach Nockall unternehmen; der September ist iu jener Ge-
gend schon zu unruhig, der Nebel zu dicht, die Nacht zu laug, uud
also Gefahr vorhanden, daß ein Fahrzeug gegen die Felsen treibe.
Aber im nächsten April uud Mai will eine ganze wohlausgerüstete
Flotte ihr Glück dort versuchen, auch gedenkt man den Abfall der
Fische nützlich zn verwenden, zn Thran oder Guano. Die Stock-
fische .ziehen gern ans Gegenden fort, in denen man- die abge-
schnitteneu Köpfe uud Eingeweide in's Meer wirft. Auch Wal-
fischfahrer gedeuken bei Nockall ihr Glück zn versuchen.
Die Ausgrabungen vc>n cyrenaischcn Alterthümern.
Cyrene war eine der blühendsten Kolonien der alten Griechen.
Sie wurde im Jahre 631 vor unserer Zeitrechnung von Männern
der kleinen Insel Thera, bei Creta, an der nordasrikanischen Küste
gegründet, auf dem Hochlande von Barka, in fruchtbarer Gegend.
Lange Zeit behauptete diese Republik ihre Unabhängigkeit, unter-
warf sich dann den Mazedoniern und später den Römern. Cyrene
war Vaterstadt einiger der ausgezeichnetsten Männer des Alter-
thums , namentlich des Geographen Eralosthenes und des Philo-
sophen Anstipp; auch der Dichter Kallimachus stammte von dort.
Gleich so vieleu anderen Städten, über welche die Völkerstürme
vernichtend hinbrausten, versank es in einen Trümmerhaufen, aus
welchem nun in unseren Tageu Schätze der alten Kunst hervor-
gegraben werden. Im Oktober wurden nicht weniger als 63 Kisten
mit Standbildern und Denkmälern von Marsa Susa (dem alten
Veranlwortl. Redaktrur! Herrin an« I. Meyer in Hildburg!
Druck wen Giesecke
und Geographische Zeitung.
Apollouia, Hafeustadt vou dem drei deutsche Meilen landeinwärts
liegenden Cyrene) nach Malta geschisst. Sie gehen nach England
in's britische Museum, und wir wünschen nur, daß man dort nicht
so mit ihnen verfahren möge, wie mit den Alterthümern aus Lycien
uud Ninive, die noch jetzt nicht einmal aufgestellt worden sind.
Cyrene lag 20l10 Fuß über der Meeresfläche, uud es kostete nicht
geringe Mühe, die Schätze des Alterthums bis an den Hafen zn
bringen. Unter denselben befinden sich eine Statue der Minerva,
in halber Lebensgröße, und^ein kolossales weibliches Standbild; in
einem andern Theile der Stadt sand man eine Statue, wahr-
scheiulich einen König aus dem Herrscherstamme der Ptolomäer
darstellend; im Apollotempel gleichfalls eine weibliche Statue mit
einem sehr schönen Kopfe; eine weibliche Gestalt in sitzender
Stellung, mit ägyptischen Gesichtszüge»:, uud vieles Andere, z. B.
eine Jägeriu mit einem Hunde, und im Tempel der Venns sehr
schöne Skulptureu uud Statuen. Ein Apollostandbild ist beinahe
völlig unverletzt; ebenso eine Venns mit Cnpido, der anf einem
Delphine sitzt; verschiedene Reliefs, insbesondere eines der Nymphe
Cyrene, welche einen Löwen erwürgt; sodann vortrefflich ausge-
führte Köpfe in Lebensgröße, eine völlig erhaltene weibliche Büste.
Die englischen Ossiziere Smith und Porcher legten auch zwei
große Tempel bloß, aber die Säulen wareu zerstört. Die schöne
Ausbeute an Alterthümern erhielt man aus nur fünf Häusern;
die Nachgrabungen haben els Monate in Anspruch genommen.
Die russische Handels^ und Schiff^ahrtsgeseltschaft, welche
dem Triester Lloyd in den östlichen Theilen des mittelländischen
Meeres Wettbewerb macht, hat gegenwärtig nicht weniger als
siebenundvierzig Dampfer in Thätigkeit. Sie befährt mit denselben
nicht blos die Häfen am azowscheu und am Schwarzen Meere, son-
dern unterhält von Odessa ans auch eine wöchentliche Verbindung
mitKoiistantinopel und Galatz. Gelegentlich besuchen dieseDampser
auch Smyrna, Salonichi, Jaffa, Alexandria, Messina, Neapel,
Marseille uud sind auch schou oft bis London gefahren. Sie arbei-
teil mit Verlust. _
Iu Odessa kamen im Jahre 1860 nur 1135 Hochseeschiffe au;
im Jahre vorher 1462. Von den Dampfern waren 90 russische,
5 englische, 4 belgische und 51 österreichische. Die Weizenausfuhr
belies sich auf 11,73 >,651 Silberrubel, jeue des Mais auf 1,767,109,
des Hafers aus 1,341,206, der Gerste auf 1,211,025, des Roqaeus
800,695, des Mehls aus 78'>,132. Odessa ist bekanntlich einer der
wichtigsten Getreidehäfen. _ Auch die Ausfuhr vou Wolle, 1860 für
7,927,37l> silberrubel, ist von Bedeutung; jene von Leinsamen
stellte sich auf mehr als drei Millionen Rubel, die von Talg auf
etwas mehr als eine Million. Die übrige Ausfuhr bestand in
Erbsen, Rübsameu, Häuten, Seilerwerk:c.; und der Gesammt-
Werth der 1860 ausgeführten Waaren betrug für das Jahr 1860
die Summe von 33,156,137 Silberrubel; jener der Einfuhr
14,476,513. Die anderen Getreidehäfen jener pontischen Region
sind Kertsch, Theodosia, Berdiansk, Maruipol und
Taganrog. Der Hasen und die Rhede von Theodosia waren
im Januar, bei einer Kälte von 18 bis 20" R., so weit das Auge
reicht, dick mit Eis bedeckt; dergleichen war seit 1812 nicht mehr
vorgekommen. _
Griechenland hat eigentlich nur ein einziges wichtiges Aus-
fuhrerzcuguiß. Das sind die Korinthen; diese bilden die Grund-
bediugnug seines Verkehrs uud Wohlstaudes, vou dem Gedeihen
dieser Frucht hängt das Land ab. Im Jahre 1860 gediehen sie
beispiellos. Nicht weniger als 80,000,000 Pfund wurden aus-
geführt; die Hafeustadt Patras allein exportirte 52 Millionen
Pfund, während in den Vorjahren die Ernte des ganzen Landes
kaum so viel betragen hatte. Gegen die Krankheit der Korinthen-
tranben hat man im'schwefeln ein nntrügliches Heilmittel gefunden.
Die Stadt Patras ist durch deu Koriuthenhandel zur Blüte ge-
langt; auch Vouitza nimmt an dem Handel theil. Die jonischen
Inseln liefern im Durchschntttsjahr etwa dreißig Millionen Pfund.
iiilmli hat sehr viel von seinem alten Glänze verloren, ist
aber immer noch eine wichtige Handelsstadt, welche namentlich mit
allen baltischen Landern einen lebhaften Verkehr unterhält. Im
Jahre 1860 liefen 1134 Schiffe über See ein; dann kamen aus
Rußland und Finnland 288, Schweden 369, Dänemark und dessen
deutschen Herzogthümern 178, Großbritannien 168, Belgien 6,
Frankreich 12, Holland 6, Norwegen 7. Von deutschen Flaggen
waren betherltgt Preußen mit nur 37 Schiffen, Mecklenburg 11,
Bremen 18. Die Zahl der abgegangenen schiffe betrug 1151,
wovon 142 mit Ladung, die übrigen in Ballast.
ujen Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Devrient in Leipzig.
Die Länder am Senegal und ihre Eroberung durch die Franzosen.
Die Bedeutung des Seuegal. — Charakter der Küste au der afrikanische» Wüste. — Die Portugiesen als Entdecker. — Ansiedelung der
Franzosen. — Ihre Stellung zu deu Häuptlingen der Eingeborenen. — Der Marabu Al Hadschi als Prophet und Eroberer. — Seine
Kriegszüge nnd Verwüstungen, — Belagerung der Burg Mediue und deren Entsatz durch den Gouverneur Faidherbe. — Tapferer
Widerstand Paul Holl's. — Eine Expedition nach dem Grünen Borgebirge. — Goree. — RnfiSqne, die Geister des Meeres und ihre
Paläste. — Die Republik Nones. — Christen in Joal. — Eine Schlacht mit dem Könige der Walofs. — Die Tiedos. —
Leben und Treiben der Eingeborenen.
Alles drängt darauf hin, die schönen Länder am sagen-
reichen, aber in unseren Tagen zum größten Theil bekannt
gewordenen N ig er, in den europäischen Handelsverkehr
hinein zu ziehen. Von Norden dringen europäische Waaren
durch die große Wüste bis Kano und Timbuklu; nach dieser
von Agadir aus dem Auge. Er kommt auf die Höhe des
Kap Nun, das früher von den Seefahrern gefürchtet wurde,
und gewahrt dann zu seiner Linken einen hohen, kahlen
Strand, auf welchen eine glühende Sonne herabbrennt, und
gegen den auch der Wogendrang des atlantischen Oceans
Ein Hofraum in Gorvc.
letztern Stadt, über welche wir durch Reue Caillie nnd
Heinrich Barth ausführliche Berichte erhielten, trachten die
Franzosen, von ihren Besitzungen am Senegal aus, einen
sichern Handelsweg zu eröffnen; der untere Stromlauf des
Niger, dessen Mündungen wir erst seit etwa einem Viertel-
jahrhundert kennen lernten, wird von englischen Dampfern
befahren.
Wir wollen heute einen Blick auf Senegambien
werfen. Ein Schiffer, der vom Norden her an der West-
afrikanischen Küste hinsteuert, verliert bald die hohen, schnee-
bedeckten Gipfel des Atlasgebirges und die aumuthigen
Uferlandschaften zwischen dem Kap Spartet und der Bay
Globus 1861. Nr. 7.
gewaltig anprallt. Das ist der oeeanische Saum, die Ein-
fassuug der großen Wüste, der Damm, welcher das Sand-
meer gegen das Eindringen der gewaltigen Wellen und
Strömungen des Weltmeeres schützt. Schiffbrüchige haben
diese Saharamauer erklommen; sie fanden an der inner»
Seite nur eiue einförmige, trostlose, weit ausgedehnte Fläche,
einen Horizont ohne Gräuzen, ausgedörrten Boden, kein
grünes Gras, keinen Strauch, kein Wasser. Der Wall der
Wüste zieht sich auf einer Strecke von einigen hundert
Stunden am Ocean hin. Erst am Weißen Vorgebirge fällt
er allmälig ab, und statt seiner zieht sich am Gestade hin eine
Dünenkette, die gegen Süden niedriger wird, und dann
25
194 Globus, Chronik der Reisen
etwa unter dem sechszehnten Breitengrade, in eine lauge
und schmale Sandzunge ausläuft. Bei dieser bricht sich ein
großer Stroul aus dem tropischen Afrika ferne Bahn iu's
Meer. Das ist der Senegal. Den Namen erhielt er
uach dem Berberstamme der Senaga, welche der portugie-
sische Seefahrer Laucarote im Jahre 1447 am rechten Fluß-
user fand. Hat schon der Karthager Hanno diesen Fluß
gekannt? Ist dieser schöne Wasserlauf der Stachyris des
alexandrinischen Geographen Ptolemäns? Wir Europäer
lernten ihn erst seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
kennen; aber bis in's sechszehnte Jahrhundert ist er nur von
den Portugiesen besucht worden. Sie trieben Handel mit
den Anwohnern, und durch diesen ist in die Sprache der
Waloss, Serere und Malinke mancher portugiesische Aus-
druck gekommen. Sie gaben deu zu Berber- oder Araber-
und Geographische Zeitung.
Im Jahre 1758 nahmen die Engländer den Senegal
in Besitz, 1777 kam er wieder an die Franzosen, welche ihn
während der napoleonischen Zeit noch einmal verloren, und
erst 1817 wieder iu Besitz nehmen konnten. Sie schickten
fünfzehn Gouverneure uach einander dorthin, aber alle
zeigten sich unfähig. Vou einer eigentlichen Kolonie konnte
gar keine Rede sein, und Ansiedler aus Europa kamen nicht.
Die Zahl der Europäer belief sich auf höchstens einhundert
Köpfe; sie wohnten auf eiuer kahlen, armseligen Sandinsel,
und trieben mit den anwohneuden Völkern einen wenig
belangreichen Handel.
St. Louis, die Hauptstadt, hatte allerdings zwölf-
tausend Einwohner, buntscheckig an Farbe und Lumpen, viele
üppige Signaren und einige ausschweifende Europäer. Am
Strome lageu mehrere kleine Festungswerke zerstreut, unter
Baobab, Adansonia digitata.
stammen gehörenden oder ans beiden gemischten Bewohnern
der westlichen Wüste die allgemeine Benennung Mauren.
Die Portugiesen konnten nur einen kleinen Theil ihrer
vielen überseeischen Besitzungen behaupte«. Jene am Se-
uegal kamen iu die Hände der Franzosen, welche niemals
das Kolonisiren verstanden haben. In den Jahren 1620
bis 1758 bildeten sich nach und uach nicht weniger als acht
große Handelsgesellschaften, die aber alle zu Grunde gingen.
Sie besetzten das Grüne Borgebirge mit der Insel Gore'e
und gründeten die Stadt St. Louis. Es fehlte ihrem
ganzen Treiben an Schwung. Aber durch eiueu ihrer
Beamten, Andreas Brue, wurde das innere Land ani Se-
negal bis zn den Feln-Katarakten bekannt; nicht minder der
Faleme-Flnß und das Land Bambnk, dessen goldhaltige
Distrikte Brue erforschen ließ.
deren Mauern Tauschhandel getrieben wurde. Früher ver-
kaufte man dort Sklaven, nachher handelte man Gummi
aus der Sahara ein, oder Felle, welche die viehzüchtenden
Fnlbe brachten, und etwas Goldstaub. Bor acht Jahren
beschränkten sich die Besitzungen der Franzosen noch auf die
Stadt St. Louis au der Mündung des Seuegal; stromauf-
wärts hatten fic eine Faktorei in Bakel, wohin 1854 der
erste Dampfer ging, und ein Comptoir zu Senedebu am
Faleme. Für jeden Fleck, auf welchem sie wohnten, mußten
sie deu eingeborenen Häuptlingen einen Jahrestribut zahlen;
selbst für den Grund und Bodeu, auf welchem St. Louis
steht, erhob der Häuptling von Sor, einem aus etwa einem
Dutzeud Strohhütten bestehenden Dorfe, eine Abgabe. Ein
Franzose, der irgendwo Handel treiben wollte, mußte unter
dem 'Namen Co u tum es den Häuptlingen einen Zoll er-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
195
legen, ehe er noch wußte, ob man überhaupt Verkehr gestatten
wolle. An den Eseales, Stellen, wo die Gummimärkte
abgehalten werden, zahlte ein Boot für sechshundert Francs
Werth an die Mauren, und die Erlaubnis;, das Gummi
nach St. Louis zu schaffen, mußte gleichfalls erkauft werden.
Die französische Regierung ihrerseits zahlte Tribut an den .
schon erwähnten Dorfhäuptling von Sor, an die Häuptlinge
von Walo, den König von Eayor, an die maurischen Fürsten
der Trarzas, Bracknas, Dnaisch und Askörs, an den Al- !
mamy von Futa, den Häuptling von Dimar, an jenen von
Gadiaga, an den Almamy von Bondn, und sogar an die
Sklaven verschiedener Häuptlinge. Der König von Frank- |
reich schloß Verträge „im Namen des Schöpfers von Himmel
und Erde," welche z. B. folgende Bestimmung hatten: „Die
Regierung zahlt dem Brak von Walo 10 Flaschen Brannt-
wein:c., seinem Diener zwei Flaschen Branntwein und eine
Stange Eisen; der Prinzessin Gimbotte einen kleinen Koffer,
und mächtigste aller maurischen Häuptlinge, und schrieb den
Handelsleuten nach seinem Gutdünken Gesetze vor.' An den
Punkten, wo er den Verkehr gestattete, mußte der Kaufmann
an Abgaben zahlen: Zwei Stück Guinee (blaues Baum-
wollenzeug) für jede 2000 Pfund eingehandelten Gummis;
für das Abendessen des Königs und für kleine Ausgaben
desselben je zwei Stücke, für die kleinen Ausgaben der Kö-
nigin anderthalb Stücke, für den Minister und dessen Abend-
essen zusammen zwei Stücke. Außerdem mußte man all-
abendlich dem Minister, bei Strafe von fünf Ellen Guinee,
eine Schüssel mit Reis senden. Beim Verweigern dieser
Abgaben wurde „der Handel geschlossen."
Die „Räuber der Wüste", die Mauren, waren die
eigentlichen Gebieter des Landes, und auch die eingeborenen
Völker Walofs, Peuls, Sereres und Malinkes schmachteten
unter ihrem Drucke. Die Trarzas hatten anch das linke
Ufer des untern Senegal in Besitz genommen, und trieben
Ein Lager der Mauren am Senegal.
in Stück Muffetin, vier Flaschen Branntwein, zehn Rollen
Taback und ein Pfund Gewürznelken, außerdem noch, zn
ihren» Lebensunterhalt, ein Faß Cognac."
Trotz alledem waren die senegambischen Handelsleute
von Seiten der Häuptlinge manchen Erniedrigungen ansge-
setzt, und wurden beraubt und bestohlen. Europäer durften
auf dem Strome keinen Handel treiben, Eingeborene von
St. Louis mußten jedem Dorfe, bei welchem sie anhielten,
Tribut geben, und oftmals wurde ihnen, trotzdem fie fran-
zösische Flagge führten, von den Mauren das erhandelte
Gummi weggenommen. Schiffe, welche an der Mündung
des Stromes auf den Strand geriethen, gehörten nach Ein-
tritt der zweiten Fluth dem Könige von Eayor. Die Fran-
zofen zahlten Tribut sogar für die Erlaubnis?, in dem Fluß-
netze bei der Insel St. Louis mit Booten fahren zn dürfen.
Der König der Trarzas-Manren erhob Zölle in Getndar,
einer Vorstadt von St. Louis! Er war der HochmütHigste
die Ausbeutung des Landes ganz systematisch. Der ein
Maurenhäuptling erhob Tribut in Cayor, der andere in
Dimar, ein dritter nannte sich Fürst von Dagana, ein
vierter Herr von Dav und so fort. So arg war der Druck,
daß im Verlaufe der Zeit nach und nach etwa anderthalb-
hundert einst volkreiche Dörfer der Walofs allein ans der
Strecke zwischen dem See von Cayor und dem Meere völlig
verschwanden. Einige eingeborene Häuptlinge nahmen den
Mohammedanismus an, stellten sich unter die Schutzherr-
schaft der Mauren, und ihre schwarzen Krieger (Tiedoö,
Waffenmänner) waren bald eben so fanatisch und grausam,
wie die maurischen Oberherren. Es war von Seiten der
französischen Handelsleute sehr unklug, daß sie diesen Bar-
baren Schießpulver und Waffen lieferten.
Allen diesen Zuständen machte ein Mann ein Ende,
der sich auch um die Länder- und Völkerkunde Verdienste er-
worben hat, und dessen wir im Globus schon mehrfach
25*
198
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
erwähnt Haben. Das ist der Oberst Faidherbe, seit acht
oder neun Jahren Gouverneur am Senegal. Er beschloß,
um jeden Preis dem Unfuge der Mauren ein Ende zn
machen, sie vom linken User des Stromes zu verdrängen,
und den schwarzen Bewohnern Ruhe und Frieden zu sichern.
Er führte feine Streiche rasch und kräftig; 1857 bezwang
er die Trarzas und den Fanatiker Al Hadschi, im April
1858 die Schwarzen von Ndiampur, 1859 jene von Gimn
und Sine; er durchzog das Land vom Meere bis zn den
Feln-Katarakten, und bis in die Nähe des Gambia. Die
Folgen eines so nachdrücklichen Einschreitens waren sehr
wohlthätig. Alle oben erwähnten Abgaben (Contnmes) sind
abgeschafft, Walo und Dimar ist den Mauren entrissen und
unter die Kolonialverwaltung gestellt worden; die Volks-
menge ist von 17,000 auf 34,000 Seelen gestiegen; die
Oberherrlichkeit der Franzosen, welche, im Vergleich zn jener
der Mauren oder fanatischer Fellata, als eine wahre Wohl-
that erscheint, reicht nun schon bis zu den Schwarzen in den
Landschaften Futa Toro, Bondn, Kasson und Bambnk.
Ueberall hat Faidherbe Schulen für beiderlei Geschlechter
gegründet, und bemüht sich, Civilifation zn verbreiten.
bar. Also ging er an's Werk. Zunächst versicherte er sich
der Zustimmung seiner nächsten Nachbarn, und warb Ver-
bündete, bewaffnete anch seine zahlreichen Sklaven, hatte
bald einen beträchtlichen Heerhaufen beisammen, und predigte
nun in allen Gauen der Fnlbe (Penis, Fellatah) den heiligen
Krieg gegen die Kasirs, die Ungläubigem In der linken
Hand hielt er den Koran, in der Rechten ein Schwert. Allen,
die mit ihm zogen, versprach er die Habe der Ungläubigen
aus dieser Welt, und Mohammed's Paradies in jener. Bald
strömten große Schaaren herbei; sie kamen aus den Wäldern
von Futa, aus den Schluchten von Fnladu und Dschaloyka,
und At Hadschi gebot über etwa zwanzigtausend beutelustige
Fanatiker. Diese stürmten zuerst gegeu die Malinkes (Mau-
dingos) in der Landschaft Bambnk, und verschonten auch die
ärmste Hütte nicht; Alles wurde ausgeraubt und nieder-
gebrannt, im Namen Gottes und des Propheten. Dann
zogen sie plündernd und sengend, an den Bafing, das heißt
den obern Senegal, und an den obern Niger, und bedroheten
Sego, die Hauptstadt der Bamanas, den Mittelpunkt, von
welchem aus das Heidenthum, der Fetischismus der Neger,
dem fanatischen Mohammedauismns bis auf diesen Tag
Fort Lampsar am Senegal.
Es ist von Interesse, die Art und Weise der Krieg-
führnng am Senegal näher zu betrachten; sie gewährt einen
Einblick in das Leben und Treiben der Völker jener Gegend.
Wir haben in einer.früheren Nnnlmer des Globus
(S. 23) die Wasserfälle von Feln geschildert; unweit der-
selben haben die Franzosen das Fort Medine augelegt, und
dieser Posten ist wichtig für sie, weil er den Zugang »ach
den Landschaften Bambnk, Kasson und Kaarta sichert. Aber
er gerieth einmal in dringende Gefahr.
Im Jahre 1854 oder 1855 kam ein Marabu aus
dem senegambischen Futa von einer Pilgerfahrt nach Mekka
zurück. Dieser Al Hadschi, Wallfahrer, Pilger, war ein
ehrgeiziger Mann; es gelüstete ihn, am Senegal eine Nolle
zn spielen, wie weiland der große Prophet in Arabien, oder
wenigstens wie Abd el Kader in Algerien. Und hatte nicht
erst zu Anfang unseres Jahrhunderts ein Emir der Fnlbe,
Sultan Danfodio, ein mächtiges Reich von Sokotu aus ge-
gründet? War doch auch der Scheich Ahmadu am Niger,
zwischen Dschenne und Timbuktu, mächtig geworden; und
was Jenen gelungen, war doch anch für Äl Hadschi erreich-
reichen Widerstand geleistet hat. Auch Al Hadsch
wurde zurückgeworfen, und begab sich nun in nordwestlicher
Richtung nach der Landschaft Kaarta, wo das uneinige Volk
mit einander in Fehde lag. Die Di avaras, die alten
Besitzer des Grundes und Bodens, hatten sich gegen die
Massassis aufgelehnt; diese sind Bcknbaras, welche im
vorigen Jahrhundert als Eroberer aus Sego nach Kaarta
kamen. Hier hatte Al Hadschi leichtes Spiel. Er siel über
beide Parteien her, schlachtete mit heiliger Unparteilichkeit
Alle ab, die sich ihm in den Weg stellten, verwandelte ganz
Kaarta in eine Wüstenei, und that ein Gleiches mit Kasson.
Hier wüthete er am ärgsten gegen die Ulad Mbareks, einen
mohammedanischen Stamm, der in dem plündernden Krieger
keinen Heiligen erblickte.
Mit Beute beladen und mit Blut besudelt, wollte Al
Hadschi nach dem senegambischen Futa zurückkehren, denn
dieses sollte der Mittelpunkt seiner neuen Macht werden.
In seinem Wege lag das Fort Medine, welches Oberst
Faidherbe vor ein paar Jahren gegründet hatte. Während
Al Hadschi in den umliegenden Landschaften mit Feuer und
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aus Steinen und Erde. Ihre Zahl betrug mehr als sechs-
tausend Köpfe.
Die kleine Besatzung der Burg stand unter dem Be-
fehl eines tüchtige« und tapfern Mauues, Paul Holl.
Der Name läßt auf deutsche Abstammung schließen. In
der Voraussicht, daß Al Hadschi auch für das Fort Mediue
gefährlich werden könne, hatte Holl schon im Anfange des
Jahres 1857 jene Tata durch eine doppelte Erdnmwallung
rechnen zu dürfen glaubte; aber anch diese Schwarzen waren
zum Widerstand entschlossen, wenn sie von weißen Männern
angeführt würden.
Noch am Abend jenes Tages erfuhr Paul Holl, daß
Al Hadschi einen Sturm gegen das Fort unternehmen wolle;
die Leitern hatte er, mit seiner heiligen Hand, den wildesten
Fanatikern seines Heeres anvertraut. Er hatte iu offenem
Felde gepredigt, seinen Streitern Lohn und Ruhm verheißen.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Schwert wüthete, hatten sich viele Flüchtlinge aus Kaarta
und Kassou zu den weißen Leuten geflüchtet, um bei ihnen
Schutz zu suchen. Als ihren Häuptling betrachteten sie den
Kassouke Sambala, welcher von ihren alten Königen ab-
stammte. Unter den Kanonen von Medine hatten sie ein
Dorf gebaut und daneben eine Tata, eine Art von Burg
iu die Verteidigungslinie der Burg einbezogen. Die Ar-
beiten waren kaum beendet, als am 18. April einige Flücht-
linge meldeten, Al Hadschi käme herangezogen. Sogleich
nahm Holl mit Sambala Rücksprache; auch dieser war zur
äußersten Gegenwehr entschlossen. Dann begab er sich zn
den Banlbara-Flüchtlingen, auf deren Ausdauer er weniger
202 Globus, Chronik der Reise
Offenbar wußte er, wie viel gerade auf einen Sieg über die
Weißen ankam, denn wenn er Medine eroberte, war seine
Macht fester als je begründet.
Die regelmäßige Besatzung der Burg zählte nur vier-
undsechszig Mann; davon waren zweiundzwanzig schwarze
Soldaten, vieruuddreißig Laptots, das heißt schwarze Ma-
trosen, dazu kamen der Sekretär des Kommandanten, zwei
weiße Artilleristen, drei Seesoldaten und ein Sergeant.
Am andern Morgen, 20. April, zog Al Hadschi heran.
Er hatte seine aus zwauzigtauseud Kriegern bestehende Macht
in vier Angrisfssänlen getheilt, und diese warfen sich zumal
gegen Sambala's Tata und gegen das Fort. Zum Erstaunen
der Europäer schritten sie, ganz gegen die Gewohnheit der
Schwarzen, in dichten Linien, ganz still uud gesenkten Hauptes
einher. Sie benahmen sich wie Leute, die einen festen Ent-
schluß für alle Fälle gefaßt, und einen unerschütterlichen
Glauben an die Worte ihres Propheten haben. Dieser
hatte ihnen die Versicherung gegeben, daß die Kanonen der
Weißen nicht losgehen würden; das habe Allah ihm offen-
bart; er wolle seine Gläubigen schützen und bewahren. Aber
es kam anders.
Holl wartete ruhig, bis der Feind nur noch etwa hnn-
dert Schritte vou den Mauern entfernt war. Dann ließ
er Feuer auf Feuer geben, und in die dichten Reihen der
Fanatiker hinein kartätschen. Aber immer füllten sich die
gelichteten Reihen wieder, und bis elf Uhr Morgens wurde
allmal der Angriff erneuert. Sechs Stunden hatte der
Kampf gedauert; dann erst wichen Al Hadfchi's Krieger
zurück. Der Prophet hatte sich mit seiner Frau außerhalb
der Schußweite aufgestellt; jetzt mußte aber auch er weichen.
Weinend und in fürchterlicher Wuth zog er nach seinem
Lager zurück. Die Tapfersten seiner Taliba's, gläubigen
Anhänger, hatte er eingebüßt, sie lagen in Reihen uud Hau-
seu vor den Wällen von Medine. Allah hatte doch gestattet,
daß die Kanonen losgingen.
Noch am Abend vorher hatte Holl Eilboten nach den
verschiedenen französischen Posten gesandt, namentlich nach
Bakel, das stromabwärts an: Senegal liegt, und nach Se-
uudebu am Faleme; ferner an den Befehlshaber des
Dampfers Gnet Ndar, welcher unterwegs war, um neue
Vorräthe nach Medine zu bringen. Eilige Unterstützung
war in der That Vonnöthen, denn Al Hadschi gab sein
Spiel noch nicht verloren. Im Laufe des Monats unter-
nahm er noch zwei, allerdings vergebliche Stürme gegen
Medine; aber hier ging der Pulvervorrath auf die Neige,
und der Feind, der über viele tausend Krieger gebot, hielt
die Festung umzingelt, uud schuitt ihr alle Verbindung uach
Außen ab. Gegen Ende des Maimonats stellte sich in Me-
dine Mangel an Lebensmitteln ein, die Tauseude von Flücht-
lingen, welche in Sambala's Tata sich zusammengedrängt
hatten, mußten hungern, und fristeten ihr Leben nur noch
nothdürftig durch Erdnüsse, deren täglich eine kleine Menge
verthcilt wurde. Bald stellten sich auch, in Folge der Ent-
behrung, Krankheiten ein. Die eigentliche Besatzung bekam
außer Erdnüssen auch eiu wenig Hirse; Wein und Brannt-
wein waren erschöpft, Mehl und Schiffsbrot beschädigt, aber
zum Glück war noch Kaffee und Farinzncker vorhanden.
Die Blokade zeigte sich so wirksam, daß keine Seele
aus dem Fort heraus konnte; es war unmöglich, bis an den
Fluß zu gehen oder in Sambala's Tata, ohne daß den Leuten
die Kugeln um den Kopf sausten. Al Hadschi hatte eine
förmliche Belagerung unternommen, und seine Approschen
bis etwa achtzig Fuß vou den Wällen vorgeschoben. Von
dort aus flogen Kugeln und Drohreden herüber, und mit
den erstereu durfte die Besatzung nicht antworten, weil sie
ihren Schießbedarf auf das Aenßerste zu Nathe halten
und Geographische Zeitung.
mußte. Nachts konnte Holl ganz genau hören, was sie mit
einander sprachen. Nicht selten riefen sie: „Verloren seid
ihr, Männer von Medine; eure Dampfer (Sahare) haben
wir bei^Diakandape weggenommen; die Männer, welcke euch
zu Hülfe kommen wollten, sind durch uns aus einander ge-
jagt. Schießbedarf werdet ihr auch nicht bekommen, denn
er ist in unsere Hände gefallen. Der Gouverneur kommt
anch nicht. Al Hadschi ist der Gebieter, ergebt euch. Die
Muselmänner von St. Lonis wollen wir schonen, die Bam-
bara's wollen wir tödten; Paul Holl soll langsam verbrannt,
Sambala in Stücke gehauen werden. Hört, ihr Tnbab
(wahren Gläubigen), weshalb haltet ihr es mit den Kafirs,
den Bambara's und den Kaffonke's? Ohne euch hätten sie
längst einen rothen Streifen um den Hals herum."
Die Mohammedaner und schwarzen Soldaten unter
Holl's Befehl riefen ihrerseits: „Ihr habt erfahren, wie
stark unser Arm ist, und wir halten treu zu unseren Verbün-
deten. Die Weißeu haudelu auders, als euer Prophet, sie
verratheu ihre Freunde nicht. Wir wollen standhaft zu ihnen
halten. Ihr sollt ausgerottet werden; der Tag kommt. Der
Gouverneur nahet mit seinem Feuerschiffe."
Ein paar Tage später kamen Feinde ganz in die Nähe
der Tata Sambala's, um ihn abwendig zu machen. „O
Sambala, du stammst von den Königen in Kasson ab, du
bist Dawa Demba's Sohn, desselben Mannes, welchen die
Weißen einst um Schutz anfleheten. Wie niedrig bist du
geworden! Du bist nur ein Gefangener der Weißen lind hast
deine Familie entehrt."
Sambala antwortete: „Bin ich ein Gefangener der
Weißen? Um fo besser. Ich will gern ihr Gefangener sein.
Die Weißen sind gut, sie haben Erbarmen mit den Unglück-
lichen, sie nehmen dem Manne das Weib nicht und lassen
der Mutter die Kinder. Sie machen es nicht, wie euer Al
Hadschi. Euer Al Hadschi ist ein Räuber. Weshalb verfolgt
mich euer falscher Prophet mit seinem Hasse? Ehe er seinen
Raub begann, sprach ich den Salam (war ein Moham-
medaner); ich allein von allen Söhnen Dawa Demba's
trank kein starkes Getränk. Nun sagt dem Hadschi, daß ich
ihn und seine Lehre verachte; sagt ihm, daß ich Wein trinke,
sagt ihm auch, daß ich sogar Sangara (Branntwein) trinke.
Ja, sagt ihm das!"
So befehdeten sie einander auch mit Worten, wie einst
Griechen und Trojaner vor den Mauern Jliums. Aber die
Lage wurde immer bedenklicher, das Pulver war bis aus
eiue Kleinigkeit zusammengeschmolzen. Sambala kam und
verlangte Schießbedarf, uud Holl durfte doch uicht eilige-
stehen, daß es ihm daran fehlte, weil er dann feine Verbün-
deten entmnthigt hätte; er mußte sie hinhalten. „Dort, im
Magazin, habe ich noch viel Pulver, aber wir wollen davon
gegen die Unglücklichen keinen Gebrauch machen. Haben wir
nicht schon geuug dieser Leute getödtet? Sieh nnr, wie die
Leichen umher liegen! Die Luft ist ohnehin schon stark ver-
pestet. Wenn sie uns wieder angreifen, sollt ihr Pulver
habeu. Bleibt uur ruhig, in den nächsten Taaen kommt
Entsatz."
Paul Holl hatte bis in den Juli standhaft ausgeharrt,
und drei Angriffe abgeschlagen. Jetzt war er ohne Munition
und Lebensmittel, und nicht im Stande, einen vierten Sturm
abzuwehren. Seine Leute waren so abgemattet, daß die
Wachtposten uicht mehr hinlänglich besetzt werden konnten,
und von den sechstausend zusammengedrängten Schwarzen
starben ^chou viele Hungers. Holl begriff vollkommen die
ganz hoffnungslose Lage; es blieb ihm nichts weiter übrig,
als wie ein tapferer Mann fein Leben thener zu verkaufen,
und ehrenvoll zu sterben. Er verständigte sich darüber mit
seinem Sergeanten, Namens Deplat, und dieser dachte
Globus, Chronik der Reisen
eben so. Wenn der Feind eindrang, wollte der Letztere im
Blockhause, wo Bomben lagen, Feuer anlegen, und Holl ließ
die noch übrigen Bomben in sein Zimmer bringen, um sich
mit ihnen in die Luft zu sprengen, sobald der Feind da sei.
Am 18. Juli waren die Lebensmittel völlig ansge-
gangen, auch die letzten Ueberbleibsel hatte man ausgezehrt,
für den andern Tag war gar nichts mehr vorhanden. Da
vernahm die auf das Aenßerste bedrängte Besatzung einzelne
Kanonenschüsse aus der Ferne. Sie horchte aus. Klein-
gewehrseuer folgte. Das Geräusch kam ans der Gegend, wo
die Kippes liegen; diese sind zwei hohe Felsen auf beiden
Seiten des Senegal, stromabwärts, und bilden gleichsam
eine Riesenschleuse, durch welche sich das Wasser mit reißen-
der Schnelligkeit hindurchdrängt. Al Hadschi wußte voll-
kommen, wie wichtig dieser Punkt war, und hatte ihn be-
setzen lassen, um jedem Schiffe die Durchfahrt zu verwehren.
Aber Faidherbe vereitelte feine Anschläge.
Der Gouverneur hatte sich am 4. Juli, als das Strom-
wasser anwuchs, vou St. Louis nach Bakel begeben, wo er
erfuhr, daß die mit dem Dampfer nach Medine abgeschickten
Vorräthe noch unterwegs waren; das Schiff saß sest und
war fast gescheitert. Die größte Eile war geboten, und doch
war der Flnßweg beschwerlich, weil das Wasser siel. Aber
Faidherbe wollte das Fort um jedeu Preis entsetzen. Mit
etwa einhundert Handwerkern, meistens Maurern aus
Matam, einigen Laptots und sechszig weißen Soldaten zog
er weiter, und war am 3 8. Juli Morgens bei den Kippes.
Bis dahin war er mit seinem Dampfer glücklich gelangt.
Die Stromenge wurde vom Geschütze Al Hadschi's be-
herrscht; mit dem Dampfer konnte man nicht hindurch.
Faidherbe faßte rasch einen kühnen Entschluß. Er setzte
seine Leute am rechten Ufer aus, griff von dort die eine
Kippe an, und sein Plan gelang. Die Streiter des Pro-
pheten hatten von dorther keinen Angriff erwartet, und
waren völlig überrascht. Nachdem mau ihnen einige La-
düngen gegeben, flohen sie; der Oberst pflanzte einen Mörser
auf und beschoß die gegenüberliegende Kippe.
Das Geräusch drang, wie bemerkt, bis nach Medine,
aber Holl meinte, es komme von den Kanonen des Dampfers
Gnet Ndar, dessen Eintreffen er so lange vergeblich erwartet
hatte. Er ließ die Flagge ausziehen, stellte seine ansge-
hungerten Leute zum Streit aus, und erwartete in großer
Aufregung die Ereignisse, welche kommen würden. Faidherbe
hatte-inzwischen seinem Dampfer, dem Basilisk, Befehl ge-
geben, im Strome vorzudringen, während er selber gegen
die Krieger Al Hadschi's feuerte. Der Dampfer kam auch,
wiewohl mit großer Mühe, über die Stromschnellen hinweg.
Nun war Medine gerettet. Paul Holl erkannte durch seiu
Fernglas die Befreier, riß am Glockenstrange und ver-
kündete das glückliche Ereigniß. Da war großer Jubel auch
unter den Schwarzen. „Die Weißen sind da! Die Männer
vom Senegal kommen! Der Gouverneur ist hier! Nun
gegen Al Hadschi!"
Sambala eilte zu Holl und verlangte Pulver, um einen
Ausfall zu machen; jetzt sei die rechte Zeit da. Er war
wie vom Donner gerührt, als er die Antwort bekam, daß
schon längst kein Pulver mehr vorhanden sei.
„Aber du sagtest mir doch, dein Magazin sei gefüllt."
„Aber wenn ich dir gesagt hätte, daß wir kein Pulver
mehr hätten, was würdest du dann wohl gethan haben?"
Sambala dachte ein wenig nach und sprach: „Ihr
Weißen seid kluge Leute, du thatest wohl daran, daß ich die
Wahrheit nicht erfuhr."
Inzwischen kamen die Befreier in die Nähe von Me-
dine nnd feuerten auf die Belagerer ein, gegen welche nun !
Holl einen Ausfall mit der blanken Waffe unternahm. Der
nnd Geographische Zeitung. 293
Feind wurde auseinander gesprengt und floh nach allen
Richtungen hin. Al Hadschi hat sich von diesem Schlage
uicht wieder erholt; ein Jahr später nahmen ihm die Weißen
anch den Waffenplatz Gemn ab, welchen er dem Fort Bakel
gegenüber errichten wollte. Vorläufig ist er so ziemlich ver-
schollen und den Europäern nicht mehr gefährlich.
Durch ein einfaches Dekret hat sich Frankreich auch die
ganze Region von, rechten Ufer des untern Senegal bis zum
grünen Vorgebirge, und weiter nach Süden hin bis an den
Gambia, angeeignet. Schon im Jahre 1679 hatte ein
Seeoffizier, Ducafse, mit den Häuptlingen oder „Königen"
von Cayor, Baol und Siu Verträge abgeschlossen, kraft
deren sie einen sechs Lieues breiten Landstreifen von der
Halbinsel, welche mit dem grünen Vorgebirge endigt, bis
zum Flusse Salum abtraten. Dieses Anrecht wurde nicht
geltend gemacht; die am Gestade und an den Flüssen da und
dort sich aufhalteudeu Handelsleute aus Goree bekamen von
den Häuptlingen oft nicht einmal Erlaubniß, sich Stroh-
Hütten zu bauen, und waren auch manchen Erpressuugeu
ausgesetzt.
Im Deeember 1858 machte in Rufisque (an der Halb-
infel des grünen Vorgebirges) ein Verwandter des Königs
von Cayor einen Mordversuch gegen einen französischen
Handelsmann und dessen schwarzen Diener; er schoß drei
Kugelu in ihre Hütte. Der Diener starb an der Wuude;
auch der Kaufmann war schwer verletzt. In Joal, dessen
Bewohner angeblich Christen sind (so weit eben ein Neger in
Afrika Christ sein kann) wurden zwei Missionäre von den
Tiedo's des Königs von Sin mißhandelt. Der Tiedo ist
ein Gegensatz des Marabu; das Wort bedeutet buchstäblich
einen ungläubigen Mann, einen Gottlosen, einen Menschen
ohne Glauben oder Gesetz. Diese Krieger sind der ärgsten
Völlerei ergebeu, und fast immer berauscht. In Joal war
nun eine Rotte dieser Tiedo's, in Gesellschaft zügelloser
Weiber, in die Kirche eingedrungen, hatte sich in abscheulichen
Orgien gewälzt und einen Missionär verwundet. Gleich
nachher war der Groß-Fitor, das heißt der Steuerein-
nehmer des Königs von Sin, nach Joal gekommen, hatte das
Missionshaus überfallen, dort Alles aus den Kops gestellt,
einem Missionär die Taschen untersucht und dem andern
drei Messerstiche versetzt. Die Schwarzen jener Gegend be-
nahmen sich überhaupt ohne alle Rücksicht; am grünen Vor-
gebirge plünderten sie, sogar im Schußbereich der Kanonen
von Goree, gestrandete Schisse, und erzwangen Abgaben
von den Waaren, welche aus Cayor an die französischen
Kaufleute jener Stadt geschickt wurden.
Diesem Unfuge wollte Oberst Faidherbe mit Einem
Schlage steuern. In den ersten Tagen des Maimonats
begab er sich mit zweihundert seuegambischeu Scharfschützen
und ein paar Feldkanonen von St. Lonis nach Goree, nahm
dort uoch anderthalbhundert Seesoldaten mit sich, und sor-
derte die Schwarzen ans, sich ihm anzuschließen. Etwa ein-
hundert Freiwillige traten unter seine Fahne. Die Be-
wohner der Halbinsel des grünen Vorgebirges wurden zu
einer großen Versammlung einberufen und ohne Weiteres
für französische Unterthanen erklärt. Das ließen sie sich
gefallen. Dann predigte Faidherbe unter einem riesigen
Baobabbaume deu „heiligen Krieg" der Gesittung gegen die
Barbarei.
Der Zug begann, und giug zunächst nach Nufisque,
dessen Bewohner, einige Tausend an der Zahl, vorzugsweise
dem Fischfang obliegen. Deshalb verehren sie die Geister
der Tiefe, von denen sie abzustammen vermeinen. Diese
Geister wohnen unten auf dem Meer in schönen Palästen,
und wenn ein Sterblicher zu ihnen kommt, wird er freundlich
1 empfangen. Die Wenigen, welche so glücklich waren, die
36*
204 Globus, Chronik der Reise
Geister zu sehen, erzählen Wunderdinge, welche sie dort
erlebt haben wollen. Die Springslnth bei Rufisque ist sehr
gefährlich (siehe das Bild, Globus S. 24), heftige Wind-
stoße richten manches Fahrzeug zu Grunde, und die in uu-
zähliger Menge vorhandenen Haifische halten manches leckere
Mahl. Aber der Neger glaubt, daß die auf dem Meere
Verunglückten in die Paläste der Geister eingehen und dort
herrlich uud iu Freuden leben. Manchmal geben sie durch
Blasen auf Muscheln, das aus der Tiefe heraufschallt, ihre
Freude zu erkennen. Die auf der Oberwelt behaupten dann,
daß Jene dort unten eben köstlichen Palmwein trinken.
Bei Rufisque bauete Faidherbe ein Blockhaus und
erklärte, daß fortan jeder französische Unterthan das Recht
habe, steinerne Gebäude aufzuführen. Künftig solle kein
bewaffneter Tiedo sich blicken lassen; keinem Fremden dürfe
man Grund uud Bodeu verkaufen. Der Vertrag von 1679
wurde iu Kraft gesetzt. Damit waren die Neger einver-
standen, stellten auch Freiwillige, und nun zog Faidherbe
der Küste entlang. Seine Leute sischteu Austern von den
Manglebüscheu, welche von der Fluth bespült werden.
und Geographische Zeitung.
znni Nachfolger dieses Bnr bezeichnete Mann ist allemal
dessen nächster Verwandter, führt den Titel Bumi, steht in
hohem Ansehen und übt eine große Macht aus. Nun wußte
der Bumi vou Sin nicht, daß die Franzosen in Joal seien,
und kam mit einem zahlreichen Gefolge dorthin, um, nach
altem Brauche seiner Dynastie, ein Bad im Meere zu neh-
men. Dieses sollte die Sühne für einen Mord sein, welchen
er vor Kurzem au einem seiner Hofleute verübt hatte. Die
Reiter kamen heran, als es eben dunkel wurde; die Frau-
zoseu, welche eine feindliche Absicht vermntheten, sandten
zwei Patrouillen aus, und die eine derselben umzingelte den
Bumi. In einem Handgemenge wurde derselbe verwundet,
entkam aber, uud wäre beinahe ertrunken; zwei Männer
und zwölf Pferde blieben in den Händen der Franzosen.
Der eiue dieser Gefangenen war ein Häuptling aus
Siu, über dessen Gewalttätigkeiten oft Klage geführt
worden war. Aber Faidherbe ließ ihn vorsätzlich frei,
schrieb zugleich dem Könige von Sin, daß er nach Fatik
kommen werde, um zu erfahren, ob man Krieg oder Frieden
haben wolle. Während des Znges dorthin wagte der Bumi
St. Louis c
Zwischen dem rothen Vorgebirge und dem Kap Nase
liegt eilt eigeuthümliches Gemeinwesen, die „Republik No-
nes". Dort wohnt ein hübscher, kräftiger Menschenschlag,
welcher sich durch Sprache uud weniger niedrige (Zivilisation
von den umwohnenden Waloss und Sereres unterscheidet.
Diese Leute haben sich stets der Sklaverei erwehrt und auch
dem Sklavenhandel niemals Vorschub geleistet. Sie vcr-
boten, um jenen Handel bei sich nicht aufkommen zu lassen,
jedem Fremden den Zugang, und wer ihnen verdächtig war,
bekam eine wohlgezielte Kugel in den Leib. Dabei sagten
sie: „Unsere Erde will dich nicht mehr tragen, kehre in sie
zurück." Dann gruben sie der Leiche ein Grab.
Seit der Abschaffung des Sklavenhandels hoben sie
die frühere Absperrung auf, und kamen als Lohnarbeiter
nach Goree.
In Joal wurde Faidherbe von den Missionären und
Einwohnern freundlich empfangen; die Tiedo's und der
Groß-Fitor hatten das Weite gesucht. Inzwischen begab
sich ein Vorfall, der sich vortrefflich ausbeuten ließ. Die
Landschaften der Walofs haben, gleich jenen der Djiolofs,
wie Sin und Salnm, zum Häuptling einen Bnr. Der
Senegal.
einen Angriff, wich aber bald zurück. Als jedoch Fatik erreicht
war, strömten die Männer von Sin aus den Wäldern her-
vor. Hier wurden sie mit Kartätschen empfangen; eine Ab-
theilnng weißen Fußvolkes schoß Reiter und Pferde nieder,
uud ging dem sehr mnthigen Feinde mit dem Bahonnet auf
den Leib. Viele Häuptlinge wurden getödtet oder ver-
wundet, und nach tapferer Gegenwehr floh endlich die
Streitmacht von Sin. Auf dem Schlachtfelde lagen auch
fünf entseelte Prinzen. Nun wurde Fatik eingeäschert. Ter
König zog in östlicher Richtung fort, und ließ kund und zu
wissen thun, daß er sich niemals wieder in einen Kampf
mit den Weißen einlassen wolle. Am andern Tage erhielt
Faidherbe noch fünfzig Mann Fußvolk Verstärkung, und
drang nun bis Kaoluk, bei der Escale Kann, der Hauptstadt
vou Salum vor, wo er den Alkaty, des Königs Minister,
zu sich entbot.
Die Könige von Sin uud Salum stammen von einer
Mandingofamilie ab; ihre Unterthaneu sind vom Stamme
der Sereres. Die Eigenschaft eines Gellnar, nnd mit ihr
die Ausübung der höchsten Gewalt, wird von weiblicher
Seite übertragen. Der König von Salum war vor Kurzem
Globus, Chronik der Reisen
gestorben, und ein Jüngling von achtzehn Jahren, Namens
Samba Laobe, sein Nachfolger. Gegen ihn hatte sich eine
feindliche Partei aufgelehnt, und er war deshalb geneigt,
mit den Weißen in gutes Einvernehmen zu treten. Sie
konnten ihn schützen, und er fügte sich in alle ihm auferlegten
Bedingungen.
In allen genannten Landschaften, welche einst das
Königreich Walof bildeten, richtet die Völlerei großes Unheil
an. Die Könige, ihre Familie, die Minister und die Tiedo's
sind nur selten nüchtern; sie verüben jede Gewaltthat, um
sich Branntwein zu verschaffen. Jetzt sind sie unter Aufsicht
und Geographische Zeitung. 205
gestellt worden und in Abhängigkeit gerathen; die Weißen
haben bis auf zwanzig deutsche Meilen landeinwärts eine
Anzahl von Blockhäusern aufgeführt, und sind nun im Besitze
des ganzen Vierecks zwischen dem Senegal und dem Salum-
flusfe, der wenige Stunden nördlich vom Gambia mündet,
und vom grünen Vorgebirge bis hinauf zu den Katarakten
von Felu.
Senegambien kann, seiner trefflichen Lage halber, von
großer Wichtigkeit werden; wir wiederholen, daß von dort
aus die bequemste Handelsverbindung mit den Ländern am
obern Niger sich herstellen läßt.
Thessalonich in Maredonien.
Diese alte Stadt, an deren griechische Bewohner der
Apostel Paulus zwei Briefe schrieb, erregt in unseren Tagen
allgemeine Aufmerksamkeit, weil sie, wenn nicht Alles täuscht,
dazu bestimmt
scheint, ein wich-
tiger Knoten-
pnnkt für den
großen Weltver-
kehr zu werden.
Sie hat eine
vortrefflicheLage
im innern Win-
kel des Busens
von Selanik
(Saloniki) und
ein sehr frncht-
bares Hinter-
land, welches der
Wardar durch-
strömt. Bald
nach der Grün-
duug (auf der
Stelle der Ort-
schaft Thermä)
durch Kassander,
Alexander des
Großen Schwa-
ger, welcher sie
zu Ehren seiner
Gemahlin Thes-
salonika nannte,
gewann sie Aus-
schwuug; ihre
Bedeutung für
den Handel hat
sie durch alle
Zeiten bewahrt,
und gegenwärtig
zählt sie etwa
siebenzigtausend
Bewohner. Sie
bilden, wie in
allen Seestädten
des südöstlichen
Enropa's, cht buntes Gemisch. Mau darf sie nicht, wie
manchmal geschieht, als eine griechische Stadt bezeichnen,
denn die griechisch redende Bevölkerung bildet, selbst mit
Hinzurechnung der gräkoslavischeu Haushaltungen, eine
Minderzahl, und ist gleichsam nnr als Kolonie und Fremden-
C5 in Jude in
ansiedelung zu betrachten. Fallmerayer meinte, der Volks-
masse und dem allgemeinen Charakter nach sei THessalouika
vielmehr eine Stadt Israels, und sollte eigentlich Sama-
ria heißen; denn
von den etwa
siebenzigtausend
Insassen waren
1850 zwischen
30-uud 36,000
Juden, in etwa
6200 Familien.
Auch ist der
Verkehr im All-
gemeinen , die
Börse, Cours
und Geldwechsel
nebst dem Klein-
M Handel in den
M Händen von An-
~j§ gehörigen des
' rührigen, immer
WM betriebsamen, je-
denVortheilklng
4 • erspähenden uud
ewig zähen Vol-
kes, das in den
sonst sehr starren
Orient eine Reg-
samkeit und Be-
wegnng briugt.
Fast alle Haus-
dienerschaft und
ein großer Theil
der Ruderer im
Hafen sind In-
den, welchen die
Leute anderen
Stammes auch
das Lasttrageu
überlassen; die
Bulgaren und
Griechen können
auch in dieser
Thessalonich. Beziehung dem
viel fleißigeru Juden keine Konkurrenz machen. — Abgesehen
von dem scharfen, ganz semitisch gezeichneten Gesicht erkennt
man den Juden leicht an seinem rochen Kopftuche , das er
wie einen Turban gestaltet, und an dem mit Pelz besetzten
Rocke. Die Kleidung der Frauen zeigt das gleichfalls pho-
206
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
tographisch aufgenommene Bild. In beiden Gesichtern liegt
etwas Weinerliches, ein Leidenszug, der bei einem Volke, das
ja seit Jahrtausenden fast überall einem schmachvollen Druck
unterlag, und an welchem sich die Brutalität christlicher und
mohammedanischer Völker um die Wette versüudigte, nicht
auffallen kann.
Aber in Saloniki geht es jetzt den Juden leidlich, und
sie gedeihen wunderbar. Es giebt zwar ein eigenes Juden-
viertel in der Stadt, aber unsere Zeit schämt sich eines
Ghetto selbst in der Türkei, und auch am macedonischen
Meere durchbrechen die Söhne Abrahams Schranken, welche
einst die Unduldsamkeit barbarischer Jahrhunderte gezogen.
Fallmerayer, ein vortrefflicher Beobachter, bemerkt, daß
die ehemals viel
gerühmte hohe
Schule der Rab-
biner, an welcher
200 Lehrer thä-
tig waren, längst
nicht mehr be-
stehe; man weiß
heute gar nichts
mehr von ihr.
DieJnden fabri-
eiren auch keine
Teppiche mehr,
aber mit Nach-
kommenfchaft
sind sie reichlich
bedacht. Keiner
darf ledig blei-
ben,nnd in dieser
Beziehung hat
die Gemeinde
sich strenge Vor-
schriften gesetzt.
Jünglinge, die
das mannbare
Alter erreicht ha-
ben, werden vor-
geladen, und
man schärft ih-
nen ein, sich zu
verheirathen.
Ob und wie sie
ihre Frau und
Familie ernäh-
ren, das bleibt
ihrer Betrieb-
samkeit überlas-
sen. Stirbt die
Frau, und ist
dann der Wittwer noch nicht über die Schwelle des Alters
getreten, so muß er von Gemeindewegen in möglichst kurzer
Frist eine neue Verbindung eingehen. Nur Kindheit, Tod
oder Altersschwäche befreien von der Last. Aermere Familien
ernähren die Knaben nur bis znr Vollendung des zehnten
Lebensjahres; von da an müssen sie selber für ihre Nahrung
sorgen. Das schärft nun freilich die Sinne, aber es führt zu
Unordnungen und Leichtfertigkeiten, die nirgends bedenklicher
sind, als gerade in Saloniki.
„Die Größe der Stadt, ihre Lage an der See, der
milde Himmel, die schnelle und sichere Verbindung mit dem
Occidente, der lebhafte Verkehr, der Zusammenfluß von
Fremden, der duldsame Sinn der Bewohner aller Sekten,
die Leichtigkeit des Erwerbes und Lebens, verleihen dem
Eine Jüdin in Thessalonich.
Aufenthalt iu Thefsalonika einen Reiz, wie ihn keine andere
Stadt der europäischen Türkei besitzt. Selbst die Lust hat
an dieser Küste etwas Weiches, Jonisches und zum frohen
Genuß des Daseins Einladendes."
Das brüderliche Zusammenstehen der Israeliten gegen
die Mitbewohner der Stadt ist in vielen Dingen musterhaft.
Ein Christ oder Mohammedaner, welcher seinen jüdischen
Diener ohne Grund fortschickt, mag sich selbst bedienen; um
keinen Preis findet er einen andern, bis er sich mit den:
vorigen verglichen hat.
Die Zahl der Osmanli beträgt etwa fünfundzwanzig-
taufend Köpfe, kommt also jener der Juden nahe. An Reich-
thnm und Ansehen, Phlegma, Stolz und Macht behauptet der
Türke den ersten
Rang; von so-
genannten Grie-
chen leben nicht
viel über drei-
tausend in der
Stadt; vor der
Zeit des griechi-
scheu Aufstandes
warenihreretwa
zehntausend.
Die Moham-
medauer besitzen
37 Moscheen;
manche sind einst
christliche Kir-
chen gewesen,
und an zehn der-
selben erkennt
man noch jetzt
die alten Basili-
ken. Die Türken
haben Minarets
hinzugefügt und
Manches am in-
nern und äußern
Ban verändert.
Die alte De-
metrinskirche
im Stadtviertel
EskiAkapnfsi ist
jetzt in eine Mo-
fchee verwandelt
worden n. heißt
K a f f n m i h i ch
D f ch a m i. Der
Maler Proust
und der Photo-
graph Schranz
haben dieselbe besucht, und ein jüdischer Wechsler diente
ihnen als Führer. Das allein kann schon von einer gewissen
Duldsamkeit iu Thefsalonika zeugen.
Die Basilike des heiligen Demetrius ist zn Anfang
des achten Jahrhunderts über den Gebeinen dieses von den
byzantinischen Christen hochverehrten Kirchenlichtes erbaut
worden. Demetrius fand im Jahre 307 in Thessalonich
den Märtyrertod. So lange das Grab von den orthodoxen
Priestern bewacht wurde, enthielt dasselbe eine Wunderquelle,
aus welcher heiliges Oel hervorquoll. Aber das Wunder
nahm ein Ende mit dem Tage, da Sultan Amnrath als
Sieger einzog, denn gegen die Türken hielt der Heilige nicht
Stand. Die mohammedanischen Jmans haben jedoch Grab
und Gebeine des Christen geachtet und unangetastet gelassen;
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
207
jenes wird in einem Winkel der Moschee den Fremden gegen
ein Trinkgeld gezeigt.
Die Wichtigkeit der Handelslage von Thessalon ich
ist jüngst von Or. I. G. von Hahn (österreichischem Kon-
snl für das östliche Griechenland und Verfasser der „Alba-
nesischen Studien") vortrefflich nachgewiesen worden. Ihm
zufolge ist diese Stadt ein natürlicher Hauptpunkt für den
raschesten Verkehr zwischen England und Indien, sobald er
wohnlichen Schnelligkeit von zehn Seemeilen in der Stunde
fahren, gleichzeitig Alexandria verlaffeu, so wirft der eine
schon in Saloniki die Anker aus, wenn der andere noch
1700 Seemeilen nach Marseille zurücklegen muß, also in
günstigem Falle noch 71 Stunden unterwegs bleibt. Sobald
aber eine Eisenbahn von Saloniki nach Belgrad geht, ans
welcher die Lokomotive in einer Zeitstunde nur zwölf Weg-
stunden zurücklegt, dann macht man über Wien die 670
Moschee in Thessalonich.
durch eiue Eisenbahn mit Belgrad verbunden wird. Jetzt
läuft von Norden her der Schienenstrang von Calais und
Ostende ununterbrochen bis Temeschwar im Banate, und die
Lücke bis Belgrad wird im Laufe der allernächsten Jahre
ausgefüllt sein. Die Entfernung zwischen Saloniki und
Alexandria in Aegypten beträgt nur 670 Seemeilen
(deren vier ans eine deutsche Meile gehen), während sie von
Trieft auf 1200, von Genua 1300, von Marseille
1380 sich stellt. Wenn zwei Dampfer, welche mit der ge-
Wegstunden weite Strecke von dem macedonischen Hafen
bis Calais in 56 Stunden. Dk ostindische Post gelangt
demnach, allen Zeitaufenthalt mit eingerechnet, in der-
selben Zeit nach London, in welcher jener zweite Dampfer,
wenn er günstige Fahrt hat, erst im Hafen von Marseille
einläuft.
Belgrad ist von Saloniki nur 165 Wegstunden ent-
fernt, und die Untersuchungen des Herrn von Hahn, welcher
die ganze Strecke bereist und genau erforscht hat, zeige», daß
208 Globus, Chronik der Reise
die letztere dem Bau eines Schienenweges nicht das mindeste
Hiuderniß in den Weg lege, ja für die Anlage der Bahn
von der Natur wie geschaffen sei. Die alte Annahme, daß
quer durch das illyrische Dreieck, von der Küste des adria-
tischen Meeres bis zum Schwarzen Meer, eine Centralalpen-
kette mit unwegsamen Steilseiten und Schluchten sich ziehe,
ist durchaus falsch. Es führt vielmehr ein bequemer, fahr-
barer Weg von Belgrad nach Saloniki, eine „Naturrinne"
längs den eascadenlofen Rinnsalen der Morawa und des
Wardar durch Serbien und Macedonien. Herr von Hahn
hat den ganzen Weg in einem Dreispänner gemacht, und ihn
so flach und eben gefunden, daß eine Lokomotive nur 171/2
Wegstunden Flußengen zu Passiren hätte. — Von alle dem
hat man vor den Mittheiluugen Amy Bou^'s in Wien und
des Herrn von Hahn nichts gewußt; es gab in Europa eine
völlige Terra incognita in einer Region der Türkei, welche
bei der immer wachsenden Steigerung des Verkehrs mit Roth-
wendigkeit eines der wichtigsten Passageländer der Welt
werden muß. Dann wird auch Thessalonich zu einer Han-
delsstadt ersten Ranges sich erheben. Es kann nicht fehlen,
daß man über kurz oder lang jene Eisenbahn bauet und die
klaffende Lücke ausfüllt.
bindnng zu bringen, erbanete er am äußersten Rande des
Moskowiterstaates die nach ihm benannte Stadt.^ Sie ist
binnen anderthalb Jahrhunderten zu einer der größten Ca-
pitalien in der Welt empor gewachsen, und steht als Ver-
treteriu des modernen, amtlichen Rußlands da; sie ist eine
Hauptstadt der Regierung. Die Hauptstadt des russischen
Volkes ist und bleibt Moskau.
Die Verbindung mit St. Petersburg ist vou Deutsch-
die russischen Bahnen angeschlossen worden. An schönen
Sommertagen ist die Fahrt auf der Ostsee keineswegs un-
angenehm, und sobald mau in St. Petersburg am User-
staden von Wassili Ostrow laudet, sieht man sich gleichsam
in eine neue Welt versetzt. Man findet ein ungemein reges
Treiben, steigt in eine Droschke, und fährt über die Nikolaus-
brücke nach der innern Stadt. Es fällt uns auf, daß beiden
Stromufern entlang Schiff bei Schiff liegt, eine unabsehbare
Ein Winter in St. Petersburg.
Der erste Eindruck. — Vorkehrungen für den Winter. — Der Ofen. — Schnee und Eis. — Die Brücken. — Winterkleidung. —
Schlittenbahn. — Nordlicht. — Ein Traktir. — Eine russische Winternacht. — Schlittenkaravanen. — Weihnachten. — Dampfbäder. —
Die Wasserweihe.
Peter der Große verlangte für sein Reich, das man ; land aus nicht mehr schwierig; wir haben von Lübeck und
wohl als „Steppeuerdtheil neben Europa" bezeichnet hat, ! Stettin aus Dampfschifffahrt bis in die Newa, und an das
Sonne und Meer. Um das Land mit der Ostsee in Ver- große europäische Netz von Schienenwegen sind nun auch
Globus, Chronik der Reisen
vier- und fünffache Reihe von Fahrzeugen, die alle mit
Brennholz beladeu sind. Auch alle Kanäle finden wir mit
solchen Kähnen gleichsam bedeckt; nicht minder begegnen uns
unzählige Telegas, Wägen, welche eine ungeheuere Menge
von Brennholz nach den verschiedenen Theilen der Stadt
fahren.
Man denkt schon im Sommer an den langen Winter,
und trifft sorgfältig alle nöthigen Vorkehrungen. Nordruß-
land hat ein strenges Klima, aber die Leute wissen sick vor-
trefflich mit demselben abzufinden. Die Winterzeit ist ihnen
willkommen, dann beginnen die Lustbarkeiten, und Bauern
drängen sich in großer Menge nach den Städten, wo sie
guten Erwerb finden. Der Verkehr ist immer lebhaft, im
Sommer auf den Flüssen nnd Seen, im Winter auf der
vortrefflichsten Eis- und Schneebahn. Menschen und Waa-
und Geographische Zeitung. 209
Doppelfenster eingehängt, alle Ritzen und Spalten sorg-
fältig verkittet, und unten in den Raunt zwischen dem innern
und äußern Fenster feinen Saud gestreut, in welchen er
künstliche Blumen steckt; auch stellt er wohl kleine mit Salz
gefüllte Gefäße dorthin. Tie Fortufchkas, bewegliche Glas-
fcheiben im Fenster, erhalten einen neuen Rand, uud Alles
wird so behaglich, als nur immer angeht, hergestellt. Nun
ist der Ofen des Menschen bester Freund.
Der Ofen spielt in der That eine große Rolle, uud die
Russen verstehen ganz trefflich mit ihm umzugehen. Es
kommt darauf an, eine möglichst große Fläche derart zu er-
wärmen, daß die Hitze recht lange anhält. Zu diesem Be-
Hufe haben sie ein sinnreiches System von Röhrenleitungen
ausgedacht, durch welche die Wärme einen sehr weiten Weg
nehmen muß, bevor sie entweichen kann; wenn der Rauch
Eistransport i'
reu werden mit großer Raschheit befördert. Man hat Alles
in Fülle, namentlich Lebensmittel; in Petersburg uud Mos-
kau liegen bei demselben Verkäufer frische Fische vom Weißen
Meere neben solchen von der Wolgamündung.
Der Oktober ist gekommen. Gestern waren die Bäume
noch grün und trugen ihren vollen Blätterschmuck; aber
während der Nacht kam ein Frost, nub heute sind die Linden
kahl. Die Birke hält noch ein wenig ans, doch das dauert
nicht lange, uud bald ist auch sie entlaubt. Nun findet sich
ein sogenanntes Schlackerwetter ein, bald Regen, bald dicht-
flockiger Schnee; vom baltischen Meere her wehet ein hef-
tiger, feuchter Wind, der unruhig bald nach Norden und
dauu anck nach Osten umschlägt. Sobald sich aber trockene
Kälte einstellt, ist der Winter da, und seine Herrschaft bleibt
sechs Monate lang unbestritten.
Jndeß der Russe fürchtet sich nicht vor ihm. Er hat die
Globus 1861 Nr. 7.
St. Petersburg.
seinen Anstritt an die Luft nimmt, ist er beinahe kalt, und
vom Heizungsstoffe sehr wenig verloren gegangen. Oft sind
die Oefen recht hübsch aufgeziert. Man macht täglich einmal
Feuer an, wirft die erforderliche Menge Holz hinein, schließt
den Ofen fest ab, sobald Alles zu Kohlen verbrannt ist, und
hat sich dauu nicht über Kälte zn beschweren.
Ich war auf das Einsetzen des ächten russischen Win-
ters sehr gespannt. Eines Abends trieb ein Wind von der
Ostsee einen feinen Regen vor sich her, und ans dem Pflaster
erdröhntedas dumpfeRolleu vou hundert Wägen und Kutschen.
Am andern Morgen dagegen war es still; als ich durch die
Fensterscheiben blickte, war Alles schou hoch mit Schnee bedeckt.
Die Droschke war verschwunden, uud der Schlitten an ihre
Stelle getreten. Aber den rechten, eigentlichen Winter hatten
wir noch nicht, sondern nur erst einen Vorläufer, denn zwei
Tage nachher rasselten die Räder abermals wieder durch
27
210 Globus, Chronik der Reise
hohen Schmutz. Indessen die Wege für Fußgänger waren
vollkommen sauber, dafür sorgt der Dwornik.
Der Dwornik entspricht dem Hausmeister in Wien,
dein Hausmann in Leipzig. Das Wort bedeutet Hofmann,
von Dwor, Hof. Dieser Portier muß auf Reinlichkeit iu
und vor dem Hause achteu, und bei Tag oder bei Nacht den
Schnee fortschaufeln, gleich nachdem derselbe gefallen ist. Es
war jetzt noch nicht Vollwinter, aber bald stellten sich uu-
verkennbare Vorboten desselben ein, denn einzelne Schollen
begannen auf der Newa zu treiben, die Schiffe waren ver-
schwunden, und iu das schützende Hafenbecken bei Kronstadt
oder in andere Winterhäfen gelegt worden. Die Zahl und
die Bkasse der Schollen wuchs, fie rieben sich gegen einander,
machten ein dumpfes Geräusch, und am Ufer bildete sich ein
Eisrand. Nach zwei Tagen waren auch schou einige Bögen
Ein Traktir ii
der Nikolausbrücke vollgestaut, der Strom floß träge unter
der gewaltigen Masse Eis, die er tragen mußte. Sie bildete
nun ein unabsehbares Chaos, einen schwimmenden Gletscher
von unübersehbarer Länge.
Die Stadttheile an beiden Ufern der Newa stehen
durch vier Brücken mit einander in Verbindung, nämlich der
Admiralitäts-, Sommer-, Liteyne- und Nikolausbrücke.
Nur die letztere besteht aus Granit und Eisen, die übrigen
liegen auf Schiffen, welche man beim Eintritt des Eisganges
abführt und der Länge nach am Ufer hinlegt. Sobald aber
das Newaeis fest steht, machen sich die Pioniere an's Werk,
hauen das Eis auf und legen die Schiffe wieder hin.
Außerdem bahnt man auf dem Eise noch eine Menge an-
derer Wege, die mit Tannenzweigen belegt werden. Bald
deckt Schnee das Ganze; das Eis wird so fest, daß es Fuhr-
werke tragen kann. Diese Wege sind durch Laternenpfähle
bezeichnet, und sobald es dunkel wird, zündet man die Lam-
pen an. Tag und Nacht herrscht ein sehr reges Leben auf
der Newa.
Die scharfen und höckerigen Stellen auf dem Eise ver-
schwinden sehr bald. Auf die ersten Fröste und Schnee-
fälle folgt allemal wieder Thanwetter, nachher friert es
wieder, und oft ist die Bahn erst nach dem siebenten Schnee
glatt. Zu Wintersanfang walten noch die Westwinde vor,
und diese treiben das Wasser des finnischen Meerbusens
über und zwischen die angehäuften Schollenmassen. Beim
Umschlagen des Windes stellt sich dann strenge Kälte ein,
das Wasser kann nicht wieder ablaufen, gefriert, auch Schnee
fällt, und bald ist das Ganze eine aus Eis und Schnee
zusammengewachsene Fläche, ellendick und glatt wie ein
Spiegel. Es bedarf schon beträchtlicher Wärmegrade, um
Petersburg.
diese Decke zu schmelzen, und ich habe gesehen, daß sie noch
Menschen trug, als schou der Thermometer elf Grad Reau-
mnr Wärme im Schatten zeigte.
Im Winter denkt der Russe schon wieder an den
Sommer; auf den Newakanälen beginnt rasch die Eisernte.
Man hauet aus dein gefrorenen Wasser große Würfelblöcke,
und das ganze Treiben erinnert an jenes in großen Stein-
brüchen. Das Eis wird fortgebracht ans Schlitten, welche
der russische Bauer selber verfertigt. In jedem Hanfe hat
mau Eisbehälter, und die Zahl derselbe» soll sich auf min-
bestens zehntausend belaufen. Der Bauer, welcher die
Blöcke an Ort und Stelle schafft, spannt seinen nnansehn-
lichen aber kräftigen Gaul vor, und setzt sich auf das Eis.
Das ist allerdings ein kalter Sitz, aber der dicke Schafspelz
ersetzt ein warmes Polster.
Gewöhnlich ist die rechte Schlittenbahn in der Mitte
Globus, Chronik der Reise
des Decembermonats fertig; dein November kann man noch
nicht ganz trauen. Wenn der Schnee langsam und senkrecht
in dicken Flocken herabfällt, dann bleibt er nicht lange liegen;
aber er hält, wenn ein Nordwind ihn fast wagerecht in
kleinen Flocken vor sich herjagt, und wenn er unter dem
Tritte kreischt und knirscht. Das ist der sogenannte gnte
Schnee, den man haben will.
Nun kommt die rechte Winterkleidung zun: Vorschein.
Die Sonne steht als opalgelbe Scheibe an dem von Dnst
überzogenen Himmel, und färbt das leichte Gewölk rosen-
roth. Am Morgen sind alle Bäume im Sommergarten
mit Krystall von blendender Weiße überzogen, man möchte
sagen mit Diamantenstaub bedeckt. Die Menge drängt sich
auf de» breiten Fußwegen der Newski- Perspektive, und
leicht erkennt man die Gardeoffiziere an ihren grauen, mit
Pvr einem 'i'
Astrachanpelz verbrämten Röcken. Kutschen uud Schlitten
stiegen blitzschnell an uns vorüber; die großen, mit drei
Pferden bespannten Kibitken, Reiseschlitten mit Verdeck,
zählt man in großer Menge; manche nehmen Fahrgäste nach
der Krasnoe Kaback ein, dem berühmten Traktir, das etwa
zwei deutsche Meilen von der Hauptstadt entfernt an der
Straße nach Peterhof liegt. In diesem Gasthause findet
man vorzügliche Gänseleberpasteten aus Straßburg. Unsere
Pferde rissen mit geradezu rasender Schnelligkeit die Kibitke
fort; wir flogen förmlich, anfangs durch belebte Straßen,
dann durch eine Vorstadt, in welcher die Hänser weit ans-
einander stehen. Sobald aber diese hinter uns lagen, fanden
wir zu beideu Seiten hübsche Landhäuser. Es war Voll-
mond bei Heilerin Himmel , die weiße Landschaft war mit
einem eigentümlichen magischen Licht Übergossen; wir konn-
und Geographische Zeitung. 211
ten auch die feinsten Birkenzweige unterscheiden, dieLnft war
ganz still. Die Pferde rannten über die Schneefläche, als
wären sie in ihrer heimathlichen Steppe, und schleuderten
mit ihren Hufen den Schnee hinter sich; die Glocken an dem
Dnga, dem Bogen über dem Geschirre des Rosses, klingelten
melodisch in die 'Nacht hinein. Ich dachte nicht mehr an die
Batwinia, die Fischsuppe, zu welcher ich nach Krasnoe
Kaback eingeladen war. Mir war, als sei ich in einem
phantastischem Traume befangen und schwämme im Aether.
Die Pferde dampften, schnaubten mit den Nüstern, und es
schien, als ob sie durch Wolken flögen.
Aber bald machte die Wirklichkeit ihre Rechte geltend.
Wir waren vor der Rothen Schenke, denn das heißt Krasnoe
Kaback, die aber jetzt einen grauen Anstrich hat. Im Rus-
sischeu hat der Ausdruck Roth einen Nebenbegriff von hübsch
oder schön sein. Die Zimmer waren hell beleuchtet; im
Hanse fanden wir behagliche Wärme; draußen hatten wir
zwanzig Grad Kälte gehabt. Die Zimmer waren nett; man
sah gleich, daß sie für Gäste aus den wohlhabenden Ständen
eingerichtet sind. In einer Ecke brannte eine Lampe vor
Heiligenbildern.
Wir nahmen Platz, der Samovar, der berühmte rus-
fische Kessel mit wariuem Wasser zum Thee wurde auf den
Tisch gestellt, und bald genossen wir den Duft dieses Herr-
lichen Erzeugnisses, welches wir dem Blumenreiche der Mitte
verdanken. Auch brachte man Citronenschnittchen auf einem
Teller und Milchrahm. In Rußland trinken die Herren
den Thee nur aus Gläsern, die Damen aus Tassen. Thee ist
immer ein erquickendes Getränk, aber bei kaltem Wetter
geradezu unschätzbar. Bald kam auch Kwas und Meth und
27*
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
213
Wein auf den Tisch; wir speisten verschiedene Fischgerichte,
und der Sterlet mundete mir vortrefflich. Ich war mit
der Rochen Schenke und Allein, was dort ausgetischt wurde,
vollkommen zufrieden.
Auf der Heimfahrt wurde mir eiue neue Ueberrafchnng
zu Theil. Das vorher faufte, milde Licht des Mondes
war nun weit stärker. Am nördlichen Horizonte bemerkte ich
einen Aufaugs schwachen Glanz, der rasch immer heller und
leuchtender wurde; dann schössen blaßgelbe und veilchenblaue
Flammen daraus hervor. Das Gauze war wie ein uuge-
heitrer Glorienschein, und der Himmel stand in voller Gluth.
Aber aus dem Kernpunkte desselben zuckten Blitze von bleu-
deuder Helle empor, weiße Meteore, die am Himmels-
gewölbe hinliefen. Allmälig wurden sie seltener, das Nord-
licht verschwand, und ich war nur noch vom Lichte des
Vollmondes umgössen.
Ich wende mich wieder zu prosaischen Dingen. Peters-
bnrg hat eine große Menge von Wirthshäuseru aller Art.
In einigen vom ersten Rauge wird man von Tataren
bedient; sie tragen — schwarzen Frack und weiße Halsbinde!
Man kann sich nichts Alberneres denken, als diese geschmack-
lose Salontracht sür Tatareu, für diese guten Muselmänner,
von denen Manche auch deutsch und französisch reden. Die
Traktirs entsprechen unseren Speise- und Schankwirth-
schaften, die man jetzt einfältigerweise in „Restaurationen"
nmgetanst hat, wie den Speisewirth in „Restaurateur", den
Gastwirthin einen — „Hotelier!" Traktir ist ans dem
französischen Traitenr verballhornt. Einige sind recht groß-
artig, und dort geht Alles ächt-rnssisch her; sie sind keine
Zwitterdinge und man fühlt sich dort wohl. In anderen,
wo mau halb und halb ist, etwas Mode mitmachen will,
hat man die Tschelawek, Auswärter, in „Gar^ons" um-
gewandelt, und diese Bauernburschen in schwarzen Frack
gesteckt. Die Traktirs werden fleißig besucht, und viele
Kaufleute machen in ihnen beim dampfenden Samovar Ge-
fchäfte ab. Der Tisch ist immer gedeckt; vor der Mahlzeit
trinkt man Zaknskas, starke Liköre, und nicht selten stießt
der Champagner in Strömen, besonders wenn die Kaufleute
aus Sibirien eingetroffen sind, welche aus dem Verkaufe von
Edelsteinen und Pelzwerk große Summen lösen. Diese
hyperboräischen Nabobs lassen sehr viel Gold springen, und
führen iu der Hauptstadt ein lockeres Leben.
In St. Petersburg kennt man den „Bodengeiz" der
großen westeuropäischen Städte nicht, man knappt nicht mit
dem Räume, sondern bauet geräumig und bequem. Die
Gastfreundschaft kennt keine Gränzen, man empfängt gern
„Gäste", und das gilt von allen Klassen. In vornehmen
Häusern wird man vom Schwetzar, Schweizer, einem
Dienerin voller Livree empfangen; ein Lakai nimmt den
Pelz ab, die breiten Treppen find mit Blumen geziert, denn
sie leiden nicht von der Kälte, weil das ganze Hans gleich-
mäßig geheizt wird.
Gegen Weihnachten zeigt sich das Winterleben nnge-
mein lebendig. ^ Auf Strecken von vielen hundert Werst
kommen ganze Schlittenkarawanen nach der Hauptstadt, um
deu Senuai'amarkt zu versorgen. Aus diesem „Heu-
markte" sind hohe Haufen gefrorenen Fleisches aufgestapelt,
ganze Lämmer, Schöpse und Schweine, welche wie frisch
werden, wenn man sie im Wasser anfthant. Dort liegen
ganze Berge von Lachsen , Stören, Sterlet und kleineren
Fischen. Stets findet sich eine große Masse von Käufern
ein und drängt durcheinander. Der Weihnachtsmarkt
bietet einen andern Anblick dar. Die Russen haben den
Christbaum und die Weihnachtsfeier der Deutschen, deren
ja in St. Petersburg mehr als sechszigtauseud leben, nach-
geahmt, und vor den Weihnachtstagen halten sie einen
Christmarkt vor dem Gostinoi Dwor, dem Kaufhofe, wo
ganze Wälder grüner Tannen stehen, denn eine jede Familie
will am heiligen Abend einen von Kerzen flimmernden
Bannt im Zimmer haben.
Die Dampfbäder sind für die Russen nicht etwa ein
Gegenstand des Luxus, sondern ein wahres Lebensbedürfniß.
Alle Stände bis zum Bettler herab nehmen solche Bäder,
deren es drei verschiedene Klassen giebt. In der dritten
kostet ein Bad nur drei, in der zweiten nur fünfzehn Ko-
peken, und man nimmt in ihnen das Bad in Gesellschaft
anderer Leute. Iu Bädern erster Klasse befindet mau sich
allein, aber die Einrichtung, obwohl luxuriöser, ist im We-
sentlichen dieselbe. Es giebt der Badanstalten eine große
Menge, nnd alle sind sehr geräumig; Abends werden die
Vorsäle glänzend erleuchtet. Zweimal iu der Woche werden
die Dampfbäder geschlossen, aber gewöhnliche warme Bäder
kann man jederzeit haben. Am Sonnabend findet allemal
der stärkste Andrang statt. Von allen Seiten kommen
Mnschiks (Bauern), Frauen, Soldaten, Bürger; jeder trägt
ein Päckchen mit Wäsche unter dem Arm, und obendrein
Wergbündel oder Büschel von Roßhaaren, um damit Ret-
bnngen vorzunehmen. Einzelne Dampfbäder zählen am
Sonnabend drei- bis viertausend Besucher.
Der Neujahrstag ist kein Fest, wohl aber Epiphanias.
In allen Städten, Flecken und Dörfern, wo Wasser läuft
und ein Priester am Orte ist, wird das Wasser gesegnet.
Die Russen nennen diese Wasserweihe Aordann, zur Er-
inneruug an den Fluß Jordan im gelobten Lande, und in
Petersburg wird sie mit großem Pompe vollzogen. Vor-
dem kaiserlichen Palast, am Ufer der Newa, wird auf dem
Eis ein reich verzierter Tempel aufgeschlagen. In der
Mitte des Fußbodens befindet sich ein Loch, durch welches
man das an jener Stelle von Eis befreite klare Wasser sehen
kann. Gegen Mittag versammelt sich die kaiserliche Familie
sammt dem ganzen Hofstaat. Alles ist in Gallakleidung,
der Metropolitan von St. Petersburg und von Nowgorod
hält in der kaiserlichen Kapelle ein großes Hochamt, bei wel-
chem alle hohen Würdenträger der Kirche assistiren.
Der kaiserliche Palast, ein gewaltiges Gebäude, steht
am linken Ufer der Newa. Die nördliche Vorderseite ist
von ihm stromaufwärts hin durch den Quai des Hofes ge-
trennt; an diesem Quai liegen die Eremitage, die Kaserne
des preobratschenskischen Regiments und viele Paläste der
Großfürsten. Man sieht dort ferner das Admiralität-
gebände und die zum Andenken Kaiser Alexander des Ersten
errichtete Säule, sodauu den Admiralität- und den Jsaacs-
platz und das kolossale Reiterstandbild Peters des Großen.
Auf dem andern Ufer liegt die Festung und die Peters- und
Paulskirche mit den Gräbern der Herrscher ans dem Hause
Romanoff. Vor dem kaiserlichen Palaste theilt sich der
Strom und bildet eiue Insel, Wassili Ostrow, uud diese
bildet das belebteste Handelsquartier. Dort steht auch die
Börse.
Am Morgen rücken die Gardetruppen aus und stellen sich
auf dem großen Platze iu Parade auf. Wenn die Kälte nicht
viel über sechs Grad ist, dann tragen sie ihre beste Uniform
ohne den grauen Mantel. Gewöhnlich liegt Schnee, uud der
Himmel ist heiter. Gleich nach dem Gottesdienste erschien der
Kaiser mit seiner Gemahlin und den Großfürsten uebst deren
Familie, den Ministern, Würdenträgern mit dem ganzen
Hofstaate uud mit der Klerisei. Tie ungeheure Menschen-
menge entblößte das Haupt; der von Gold, Diamanten uud
Stickereien strotzende Zug ging um deu Palast nach dem an
der Newa errichteten Tempel, neben welchem die Fahnen der
kaiserlichen Garde und die Banner der Prozession aufgestellt
waren. Der Monarch trat ein, und die Ceremonie begann
214 Globus, Chronik der Reise
mit einem Kirchengesang. Dann weihete der Metropolitan
alles Wasser int russischen Reiche, nahm das Kreuz und
tauchte dasselbe in das klare Wasser der Newa. Nun don-
nern hundert Geschütze, die Soldaten knieen nieder, und
nachher drängt sich das Volk zu der offenen Wasserstelle, um
die Hände zu benetzen.
und Geographische Zeitung.
Der Kaiser ist zu Pferde gestiegen, und reitet mit sei-
nein Generalstabe den Reihen der Soldaten entlang. Jedes
Regiment empfängt ihn mit Hurrah, und marfchirt dann an
ihm vorüber. Er hält vor der Alexandersäule; hinter ihm
sind Tscherkessen uud andere Asiaten aufgestellt.
Diese Wasserweihe macht einen großartigen Eindruck.
Hermann Allmers über die Marschen der Weser und Elbe.
Ii.
Die Siele. — Fluth- n»d Stauthttren. — Schott und Sielhammer. — Sieltiefe. — Die standhaften Friesen mid ihre Leidensgeschichte.
Die Bracken. — Pflanzenwuchs. — Klima. — Regen, — Seenebel. — Die salze Lust. — Krankheiten. — Luftspiegelungen. —
Die Bodenverhältnisse. — Darg.
Wir entlehnen unserem trefflichen Gewährsmanne noch
einige Schilderungen, um das Gemälde dieser interessanten
Gegend zu vervollständigen.
Wir haben das wichtige Deichwesen geschildert. Zn
demselben spielen die Siele, das heißt die Schleusen, eine
wichtige Rolle. Durch sie sichert sich der Marschbewohner
die Vortheile einer Verbindung mit dem Meere; sie bahnen
dem überflüssigen Wasser einen Ausgang. Die Wassermenge,
welche die kleinen Binnenflüsse und die Bäche der höher
gelegenen Geest und endlich Regen und Schnee den Mar-
schen zuführt, würde sich hinter den Deichen sammeln, an-
schwellen und in kurzer Zeit das ganze niedere Marschland
überschwemmen, es in eine öde Sumpfgegend umwandeln.
Man mußte daher bedacht sein, derselben einen bequemen
Ausgang zu verschaffen, durch deu sie ungehindert in's Meer
fließen konnte. Wären nicht Ebbe und Fluth vorhanden
und wäre der Meeresspiegel immer von gleicher Höhe, so
hatte es zn diesem Zwecke nur eines einfachen, hinreichend
weiten Kanals dnrch den Deich bedurft. So aber war man
genöthigt, zugleich der andringenden Fluth, welche das Land
ebenfalls überschwemmt haben würde, den Eingang zu ver-
sperren. Auf diese Weise entstanden die Siele.
Ein langer, der hindurchzulassenden Wassermenge an-
gemessen geräumiger Kanal, oder besser gesagt Stollen, zieht
sich quer unter dem Deichkörper sowohl, als unter seinen
Bärmen hin. Er ist entweder mit Balken uud starken Boh-
len bekleidet und daun viereckig oder aus Sandsteinquadern
bestehend und in diesem Falle mit einem Tonnengewölbe
bedeckt. Borne, das heißt nach der äußern Mündung zu,
erhöht und erweitert sich der Stollen, hier fast immer aus
Holz bestehend, und heißt Borsiel. In diesem Vorsiel
befinden sich zwei mächtige, aus starke» Bohlen gezimmerte
und reichlich mit Eisen beschlagene Thorflügel, die sich nur
nach außen hin öffnen. Das Binnenwasser stoßt sie daher
leicht auf uud fließt ungehindert hindurch; sobald aber die
Fluth kommt, dringt dieselbe mit gewaltigem Drucke gegeu
die offenstehenden THüven, diese geben dein Drucke des Was-
sers nach und schließen sich fest zu. Auf diese Weise hat sich
die Fluth selbst den Eingang versperrt, so daß, wenn die
Thüren gut schließen, auch kein Tropfen hindurch kann;
weßhalb auch diese Thorflügel den Namen Fluth thüren
führen.
Da Beschädigung oder Zerstörung einer solchen Thüre
von großen verderblichen Folgen sein kann, so hat man in
beii meisten Schleusen vor jenen noch ein anderes Paar Thü-
ren angebracht, welche die äußeren Flnththüren oder Noth-
thüren heißen. Für gewöhnlich sind diese aber au deu
Wänden festgehakt, wodurch sie aufgesperrt erhalten werden
und werden nnr dann freigelassen, wenn die inneren Fluth-
thüren beschädigt sind oder ausgebessert werden.
Damit aber gerade so viel Wasser durch deu Siel gehe,
als der Marschbewohner für nöthig erachtet, so ist an den
größeren und wichtigeren Schleusen endlich ein drittes Paar
Thüren, die Ebbe- oder Stauthüren, angebracht. Diese
haben ihren Platz vor der innern Mündung des Stollens
und öffnen sich in einer den Flnththüren entgegengesetzten
Richtung. Auch diese Thüren sind, wenn man ihrer nicht
bedarf, durch Haken aufgesperrt, verschließen jedoch, wenn
sie beweglich gemacht werden, nur die untere Hälfte des Stol-
lens, da sie eigentlich nur Halbthüreu sind.
Herrscht starke Dürre, so daß auch die Geest den Mar-
schen wenig Wasser zuführt uud das Vieh auf den Weiden
zu dursten beginnt, dann läßt man die Ebbethüren los, um
das mit jeder Ebbe mehr und mehr wegfließende jetzt so nöthige
Wasser zurückzuhalten. Dieses drängt dann die Ebbethüren
zn, staut davor bis zur Höhe derselben auf und das über-
flüssige Wasser strömt darüber weg, während der andere
Theil zurückbleibt uud die lechzenden Wiesen und Weiden
erfrischen kann.
Anstatt der Ebbethüren besitze» auch manche Schleusen
nur ein einziges Ziehthor vor ihrer innern Mündung, das
Schott genannt, welches gleiche Bestimmung hat, aber durch
Ketten uud eine Art vou Ankerwinden, oder dnrch eine Daum-
kraft aufgezogen uud niedergelassen werden kann. Nament-
lich wird dieses Schott im Winter bei starkem Froste herunter
gelassen, um zu verhüten, daß die Flnththüren nicht festfrie-
ren, wodurch unfehlbar eine Überschwemmung verursacht
werden würde.
Schließlich wird die äußere Mündung noch durch ein
Balkengerüst, der Sielhammer genannt, bekrönt, das ihr
theils als Zierrath, theils als schützendes Geländer dient;
während sich über der innern Münduug häufig ein steiner-
nes Denkmal von verschiedener Form erhebt, den Namen
des Erbauers dieser Schleuse, die Zeit uud Kosten ihrer
Anlegung und die Namen des danialigen Deichgrafen, wie
der Deichgeschworueu tragend.
Da sich fast immer zwischen Deich, Meer und Strom
ein größeres oder kleineres Vorland befindet, fo führt eine
Fortsetzung des Kanals das aus der Schleuse hervorströ-
Utende Wasser vollends in den Fluß, dient häufig zugleich
als Hafen für kleinere Schiffe und Kähne und wird Siel-
tief genannt.
Das Hindurchlassen der Binnengewässer ist aber nicht
der einzige Zweck der Schleusen. Der nächste ist, zugleich
die Schifffahrt zwischen deu Binnenkanälen uud dem Flusse
herzustellen. Zwar werden hierzu nnr die größeren Schleu-
seu genommen und auch durch diese können natürlich ebenfalls
nur schmale Schiffe, sogenannte Böcke, passiren, die entweder
gar- keinen Mast haben oder denselben niederlassen können,
^ie warten, bis sich die Schleuse geöffnet hat und der hohe,
Globus, Chronik der Reise,
während der Fluth anfgestande Wasserstand hinreichend gefal-
len ist, und arbeiten sich dann rasch hindurch, oder lassen sich
ziehen. Am häufigsten wählen sie die allerletzte Ebbe dazu,
müssen aber alsdann sehr vorsichtig und schnell zu Werke
gehen, damit uicht die kommende Fluth sie überrasche, mäh-
reud sie sich vielleicht gerade zwischen den Thüreu befinden.
Die Gewalt, mit welcher diese mächtigen Bohlenwerke zuschla-
gen, ist so groß, daß eine Zertrümmerung der Schiffe unver-
meidlich wäre. Das Wasser dringt nüt jeder Minute hefti-
ger gegen die halbzugesperrten Thüreu, welche keine Macht
mehr zurückbringen kann und eine allgemeine Ueberfchwem-
mung ist unabwendbare Folge.
Noch wird durch die Schleusen ein dritter Zweck erfüllt.
Die Bewohner der Marschen nämlich, deren Fluß süßes
Wasser führt, haben durch sie deu Vortheil, dieses uach Be-
lieben in's Land lassen zu können, wenn dort Wassermangel
herrscht. Durch eine Vorrichtung sperrt man die Flnththnren
um ein Weniges auseinander, wodurch das frische Wasser
einströmt, bis man genug hat. Die höher hinauf liegenden
Flußmarschen haben daher einen großen Vorzug vor denen,
welche vom salzigen Wasser bespült werden.
Die Schleusen gehören zu deu wichtigsten Werken der
Wasserbaukunst und die Kosten ihres Baues gehen immer in
die Tausende. Die Anlage der größten derselben erforderte
unzweifelhaft die Summe von 30 bis 40,000 Thalern.
So umgiebt denn sämmtliche Marschländer, viele Mei-
len weit, der Deich mit all seinen Schleusen. Hunderte von
Thüren lassen ruhig und ungehindert das Binnenwasser in's
Meer fließen und schließen sich zweimal jedes Tages mit
dumpfem Gekrache, warn die Fluth heranschwillt.
Die Geschichte des Friesenvolkes, so weit zurück
wir sie verfolgen können, ist eine einzige Kette unsäglicher
Kämpfe und namenloser Leiden, wie wir sie in solchem Maße
bei keinem andern Volke wiederfinden werden.
Wo es auch feine Wohnungen aufgeschlagen, ob am
Zuydersee, am Dollart oder am Busen der Jahde, ob im
Stedinger- oder Butjahdingerland, in Osterstade, im Laude
Wursten und weiter an der Nordsee bis hinauf zu Jütlands
Küste: was seine Chroniken melden, ist ein ewiges Siegen
und Erliegen, ein grausiges Ringen und Kämpfen ohne
Ende; hier mit deu Fluthen um den theueru Heimaths-
boden, nm Existenz, um Hof und Herd, um Weib und Kind;
dort um seine Freiheit und sein gutes Recht mit hochmüti-
gen Fürsten, kriegerischem Adel und den mächtigen herrsch-
und habsüchtigen bremischen Erzbischöfen.
Es ist herkömmlich geworden, den Mnth der Vesuv-
nachbarn anzustaunen, welche ohne Furcht, wenn kaum der
alte Fenerspeier, der soeben ihre Hütten, Felder und Wein-
berge zerstörte, ausgetobt hat, immer und immer wieder an
seinem Fuße ihre Wohnungen bauen und don Neuem zu säen
und zu pflanzen beginnen in dieser gefährlichen Nachbarschaft.
Allein was sind solche Gefahren gegen das namenlose Elend,
welches das Friesenvolk seit so vielen Jahrhunderten erdul-
dete! Was sind die einzelnen Vesuvansbrüche, die dann und
wann uach langen Zwischenräumen einige von ihren Be-
wohnern meistens schon verlassene Dörfer und Flecken zerstören
und ein paar hundert Morgen Landes begraben, — was
sind sie gegen die ungeheuren Sturmsluthen, deren das Volk
der Friesen so viele in seinen Annalen aufzuweisen hat; —
Sturmsluthen, von denen eine einzige oft 20 bis 30 Dörfer
vom Erdboden verschwinden ließ, meilenlange reiche Land-
striche in ödes Watt verwandelte, vielen Tausenden wackerer
Menschen das Leben raubte, die kostbarsten Schleusen und
Deichanlagen in wenigen Stunden vernichtete und ganzen
Küstenstrichen nicht selten eine andere Gestalt gab!
Und dennoch trotz alledem und alledem verließen sie
und Geographische Zeitung. 215
nicht ihre vielbedrängte, fluthennmtoste Heimath! Nie wan-
derten sie in sichere höher gelegene Gegenden, sondern
immer und immer kehrten sie zurück, sowie sich nur das Was-
ser verlaufen, und suchten wieder die zerwühlten, kann, mehr
kenntlichen Plätze, wo ihre Wohnungen gestanden hatten,
begannen von Neuem ihre verwüstete» Felder zn bestellen
und von Neuem die hundertmal zerrissenen Deiche zn bauen,
wohl wissend, daß schon der nächste Tag ein gleiches Elend
bringen konnte.
Nein gewiß, in gleicher Weise hat kein Volk der Erde
gelitten und gestritten, mit so rührender Liebe und Treue
keines seiner Heimath angehangen! eine derartige tausend-
jährige Leidensgeschichte mußte ihm endlich das tiefste Ge-
präge ausdrücken.
Ein Blick auf die Karte genügt, die Zerrissenheit der
ganzen Küste, von der Schelde bis Jütland, darzuthun. Wie
früher gesagt, man kann dreist annehmen, daß noch zur Zeit
Karls des Großen das Land der Friesen das Doppelte an
Umfang hielt als ihr jetziges Gebiet. Was heute noch übrig
ist, sind nur die Trümmer des großen Ganzen; jene Inseln,
die sich in langer, nur von Weser und Elbe unterbrochener
Reihe an der ganzen Küste hinziehen, sind ärmlich dünen-
geschützte Brocken, welche sich oben erhielten, als ringsum
so viel schönes Land in die Fluthen sank, und hier und da
wühlten die Wogen noch tiefe Meerbusen in's Land, als
wollten sie gierig bis zum Herzen Deutschlands vordringen.
Die Zuydersee, das jetzt wieder nach vielen hundert Iahren
trocken gelegte Harlemer Meer, der Dollart, der Iahdebuseu:
Alles, was dort die trübe salzige Meerslnth bedeckt, war einst
Land voller Fluren nnd Saatfelder, voller Dörfer, Kirchen
und Klöster, lind belebt mit einer kernigen, wackeren Bevöl-
kerung.
Die unbedeutende Landgewinnung in den letzten Jahr-
Hunderten, die paar eingedeichten, mühsam erworbenen
Polter sind ein kläglicher Ersatz gegen so viel Versunkenes.
Auch an jenen Jnselbrocken nagen fort und fort die Finthen
und werden sie allmählich sämmtlich ihrem Untergange
zuführen, dem einige von ihnen schon längst anHeim ge-
fallen sind.
Ohne Zweifel beginnt die Zertrümmerung Frieslands
schon in den vorgeschichtlichen Tagen, mit dem Durchbruche
der Meereuge von Dover nnd Calais, oder vielmehr mit
der im nennten Jahrhundert eintretenden Erweiterung der-
selben; denn die vom Süden kommenden Fluthwellen, welche
vorher nach ihrem weiten Umwege um Schottland nnd nach
dem Anprall gegen Norwegens Felsenwände nur höchst kraft-
los die deutsche Küste erreichten, mußten wohl, durch diese neue
Pforte zusammengedrängt und hoch aufgestaut, mit ver-
derbeuschwaugerer Macht aus das nnbeschützte Land heran-
brausen.
Bon den ältesten Sturmsluthen haben wir nur sehr
dunkle Kunde, auch die späteren sind meistens mit wenigen
dürren, oft von einander abweichenden Worten aufgezeichnet.
Im Munde des Volkes haben sich ebenfalls verhältuißmäßig
wenig Nachrichten darüber erhalten.
Von allen früheren und späteren Fluthen ragt keine
mit so furchtbarer Großartigkeit hervor, als die im Jahre
1570, urplötzlich mitten in dunkler, stürmischer Nacht ein-
brechende Allerheiligen fluth. Namenlos war das
Elend, das sie brachte. Von Holland bis Jütland wurde
Alles in wenigen Stunden eine einzige wilde Wasserwüste;
kein Deich widerstand, kein Dors blieb verschont, keine Wurth
blieb trocken, und man nahm an, daß in ihren Wogen mehr
als 100,000 Menschen ihr Grab gefunden hätten. Vom
Bntjahdingerlande weiß man, daß allein hier über 4000
Menschen ertranken. Noch lange nachher lag ein Menge
216 Globus, Chronik der Reisen
Land unbenutzt und verwildert, weil die Hände fehlten, es
zu bebauen. Im nämlichen Jahrhundert giug noch dreimal
das gierige Meer über's Land.
Dreizehn Sturmflutheu ergingen sich im 17. Jahr-
hundert, doch sind nur drei wahrhaft bedeutend; die von
1634, dann die Fastnachtssluth von 1648 und die Catha-
rinenfluth von 1685. Von dieser litten die Marschen am
rechten Weserufer am meisten. Osterstade lag drei Jahre
lang offen und drohte eine öde Sumpfebene, die nur Binsen
und Rohr trug, zu werden; — so waren die Deiche zerstört
und fortgespült. Zum Andenken an diese Fluth beging man
noch bis zum Anfange des jetzigen Jahrhunderts den Catha-
rinentag (den 25. November) mit einer kirchlichen Gedächt-
nißfeier.
Für Nordfriesland brachte die von 1634 das meiste
Elend. 15,000 Menschen ertranken, 50,000 Stück Vieh
gingen verloren, 30 Mühlen und 6 Kirchen stürzten zusam-
wen, und tiefe Armnth kam über's Land.
Am 21. Oktober des Jahres 1845 stürmte das Meer
mit wilder Gewalt gegen die Küsten, aber seine Macht war
vergeblich. Diesmal trotzten alle Deiche, welche jetzt indessen
auch doppelt so hoch und stark waren, als die von 1717, die
Wogen vermochten nur tiefe Höhlungen hineinzuwühlen,
und sie oft bis zur Hälfte zu zerreißen und fortznfpülen.
Aber eine zweite, unmittelbar darauf folgende Flnth würde
alle Deiche zertrümmert und unsägliches Unglück herbei-
geführt haben.
Dicht an der innern Seite der Deiche, gefüllt mit klarer
Flnth und Wasserpflanzen, sieht man wohl hie und da stille,
runde, rohrumkränzte Kolke, in den Marschen meistens
Bracken genannt. — Das sind die Denkmale, welche einst
die wilden Sturmsluthen .sich selbst geschaffen haben, als sie
durch die gesprengte Deichbresche donnerten uud hier tief sich
in den Boden wühlten.
Jetzt bieten solche Wasserbecken nur Bilder des tiefsten
Naturfriedens dar. Das hohe Schilf nickt und flüstert leise,
braune Rohrkolben uud purpurne Butomus-Dolden heben
ihre Häupter daraus hervor, blühende Wasseraloen und
Nymphäen schwimmen auf klarer Futh, indeß am Ufer der
scheue nächtliche Fischotter haust oder das Wasserhuhn nistet,
ties im Grunde aber bejahrte mächtige Schleien und Karau-
scheu, braune Schlammbeizger und gefleckte Wafferfala-
mander zwischen deu schwarzen Blutegeln und Wasserkäfern
lautlos hierhin und dorthin schleichen.
Die unmittelbare Nähe des Meeres uud der großen
Ströme, die niedere, ebene Lage und die Menge der Binnen-
kanale und Gräben machen die Marschen wohl zn den aller
fruchtbarsten, aber auch nebligsten und regenreichsten Land-
strichen Deutschlands. Werden überhaupt nach den bis jetzt
gemachten meteorologischen Beobachtungen durchschnittlich
für das ebene nordwestliche Deutschland im Jahre eine Zahl
von 176 eigentlichen Regentagen und eine jährliche Regen-
menge vou 23 Zoll angenommen, so wird von dieser Durch-
schnittsaunahme doch sicherlich das Maximum der Regen-
Masse auf die Küstenstriche und also auch auf die Marschen
fallen.
Den größten Theil des Jahres wölbt sich ein grauer
wolkennmzogener Himmel über den Marschländern, ein trüber,
kalter Nebel bedeckt oft Tage lang die weiten Fluren, und
häufig strömt ganze Monate hindurch mit Ausnahme kurzer
Pausen, der Regen hernieder. Namentlich sind Mai, Juli,
August, Oktober und November oft völlige Regenzeiten;
dagegen März, Juni, September uud Januar durchgehends
die heitersten und beständigsten Monate. Nie steigt aber
im Winter die Kälte zn der gleichen Höhe, wie im obern
Deutschland, wo schon reinere Bergluft weht und 18—20
und Geographische Zeitung.
Grad Kälte (Reaumur) gehören zu den Seltenheiten. Im
Frühlinge, ja oft an den wärmsten Tagen und bei dem rein-
sten und sonnigsten blauen Himmel, wälzt sich plötzlich aus
Westen ein schwerer, grauer Seenebel daher, welcher Alles
mit seinem kalten Hauch durchschauert. Die Sonne verliert
ihren Glanz und ihre Wärme, die Vögel verstummen, grau
und leblos wird Alles und die ganze Natur ist auf einmal
fo still, fo ernst und finster geworden, als sie noch vor wenigen
Minuten freundlich und fonnig war. Eine unbestreitbare
Einwirkung auf dies kühlere Klima haben auch die Fluth-
wellen. ^ So weit ihre Strömungen in die Flüffe hinauf-
gehen, ist immer die Temperatur im Sommer niedriger und
im Winter höher, als über diese Gränze hinaus. An heißen
Sommertagen erhebt sich sofort eine kühle Brise, wenn die
Fluth kommt, und im Frühling ist die Natur hier immer um
einige Tage weiter zurück, als höher hinauf.
Selbst aber wenn das Meer feine Nebel nicht sendet,
ist im Frühling die Luft stets mit Dünsten angefüllt, die aus
dein feuchten und von den warmen Sonnenstrahlen berühr-
ten Boden emporsteigen, und selten so klar, daß man mehrere
Stunden weit sehen kann.
Dieser starke bläuliche Dust, der sich oft den ganzen
Tag hindurch auf Land und Meer lagert, ist ein Haupt-
merkmal unserer Marschen; in ihm haben wir die Haupt-
Ursache der bei uns herrschenden Krankheiten zu suchen.
Namentlich die Seemarschen, wie das Land Wursten, das
Bntjahdinger-Jeverlaud, deren Boden reichlich mit Salpeter,
Natron, Schwefelwasserstoffgas und animalischen Theilen
geschwängert ist, hauchen wahrhaft seuchenbringende Dünste
ans. Es zeigen sich dann die heftigen und hartnäckigen
Gallen- und Wechselfieber, von welchen letzteren die drei- und
viertägigen die allergefährlichsten und langwierigsten sind,
und nur allzu häusig mit dem Tode durch Auszehrung enden.
Der Marschbewohner nennt jene verderbenbringenden
Dünste „die salze Luft".
In den nördlichen Marschen ist es sogar schon gefähr-
lich, im Frühling, und sei es auch nur eine Stunde, sich an
der bloßen Erde zu lagern. Große Mattigkeit, Schwere und
Uebelkeit, dumpfe Betäubung, Kopfweh und oft ein Plötz-
liches Schwellen des Gesichts sind die augenblicklichen, noch
leichtesten Folgen davon, und man kann froh sein, wenn nicht
ein hartnäckiges Marschfieber nachschleicht.
Die Feldarbeiter in solchen Gegenden legen sich deßhalb
niemals nieder, ohne vorher sorgfältig ihre Jacke oder etwas
Stroh unter das Haupt zu schieben; fremde Wanderer aber
müssen oft für ihre Unvorsichtigkeit büßen.
Die Flußmarschen, z.B. Osterstade, das Land Wührden,
das Stedinger- und Stadtland, das alte Land und das Land
Kehdingen sind ungleich gesünder und von den oben erwähn-
ten Krankheiten seltener geplagt.
Eine reine Feuchtigkeit ist das eigentliche Element des
Marschbewohners, der eine wahre Amphibiennatnr besitzt.
Je rauher und stürmischer die Witterung ist, je mehr Nebel
und Regen den Himmel verdunkelt, desto wohler und gesnu-
der befindet er sich.^ Lang anhaltende Trockenheit aber, und
namentlich im Winter scharfer Ostwind mit Frost ohne
Schnee, bringen sogleich überall Krankheitsfälle hervor.
Auf der unmittelbar an die Marschen gränzenden Geest
dagegen findet, wie aufmerksame Beobachtungen der Aerzte
bewiesen haben, gerade der umgekehrte Fall statt. —
. Die schönste und interessanteste Erscheinung, welche die
dunstgeschwängerte Atmosphäre der Marschländer verursacht,
und zugleich wohl die wunderbarste Eigenthümlichkeit dersel-
ben sind die Luftspiegelungen. Diese auffallende Art der
Strahlenbrechung, die noch immer nicht hinreichend von den
Gelehrten erklärt ist, sieht man nirgends so häufig, so an-
Globus, Chronik der Reise
haltend und deutlich als iu den Marschen, wo sie sich meistens
in folgender Gestalt darstellt.
Wenn Morgens, namentlich an heiteren, warmen
Tagen, die Nebel von der weiten Ebene empor geschwebt
sind, und die höher gestiegene Sonne die untersten Luft-
schichten erwärmt hat, glaubt man plötzlich die weite grüne
Ebene, in der Entfernung von einer Stunde, durch eine
mächtige Ueberschwemmuug oder einen großen stillen See
begränzt zu seheu. Die über diese Gränze hinausliegenden
Gegenstände, wie z. B. Bäume, Häuser und Thurmspitzen,
erscheinen, als lägen sie auf Inseln und zeigen ihr verkehrtes.
Spiegelbild in der stillen, klaren Fläche ganz so, wie es
wirklich der Fall wäre, wenn sie au emem ruhigen Landsee
lägen. Nähert man sich, so rückt anch die Erscheinung weiter,
die vorher wie auf dem Wasser schwimmenden Gegenstände
treten hervor, und die Täuschung erneuert sich nun für eine
andere Gegend.
Die ganze seltsame Erscheinung ist so wunderbar tän-
schend, daß der fremde Reisende, der in der festen Meinung
einen Landsee mit vielen Inseln vor sich zu haben, darauf
zugeht, auf das Höchste überrascht und erstaunt ist, wenn er
das ganze Trugbild sich plötzlich in Duft auslösen oder
zurückweichen sieht.
Wer denkt hier nicht an die zauberische Fata Morgana
bei Reggio's Küste, an die arktischen Meerspiegelungen, oder
an das Trugbild der afrikanischen Wüsten, das dem vor
Durst verschmachtenden Karawanenpilger anf einmal von
fern eine klare Wasserfläche zeigt, die aber, wenn er vor
unendlicher Freude jubelnd hineilt, seine trockene, lechzende
Zunge zu erfrischen, in bloßen trügerischen Duft verschwimmt
und den armen grausam Getäuschten in dumpfer Verzweiflung
stehen läßt.
Durch dieselbe Erscheinung, wie die in unseren Mar-
scheu, wurden die Franzosen öfter bei der ägyptischen Expe-
dition iu den nördlichen Nilebenen getäuscht. Und auch
dort wie hier sind Marschländer.
Beim Aus- und Untergang der Sonne bemerkt man
niemals dieses Phänomen, sondern es beginnt gewöhnlich
erst gegen 10 Uhr Morgens. An warmen dunstigen, aber
von hellem Sonnenschein begleiteten und durchaus stillen
Frühlingstagen ist die Erscheinung am schönsten und dann
oft viele Tage hindurch sich wiederholend, seltener im Spät-
sommer und Herbst. Im Winter zeigt sie sich niemals.
Auch auf der Wasserfläche der Ströme und des Meeres
stellt sie sich bei warmem stillen Wetter dar. Alle dahinter
befindlichen Gegenstände scheinen alsdann über dem Wasser-
Horizont hoch und frei in der Luft zu fchwebeu und zeigen
sich auch hier mit ihren nach unten gekehrten Spiegelbildern.
Während diese wunderbare Erscheinung den Fremden
mit freudiger Bewunderung erfüllt, ist sie dem Marsch-
bewohner etwas so Gemeines und Alltägliches, daß er jte
kaum eines aufmerksamen Blickes würdigt; aber er liebt sie,
weil sie auf beständiges, gutes Wetter deuten soll. —
Im Allgemeinen lassen sich in den Marschen fünf
hervorstechende Erdarten annehmen, die in mächtigeren oder
dünneren Lagen und durchschnittlich iu folgender Ordnung
aufeinander geschichtet sind.
Die alleroberste Schicht bildet Humuserde, auch
Damm- oder Bauerde genannt. Sie besteht ans einem
Gemisch von Thon, >sand und einer Menge ganz oder halb
verwester Pflanzentheile, welche derselben die große Frucht-
barkeit verleihen.
Fast unmittelbar unter der Bauerde findet sich der söge-
nannte Knick oder Stört, eine harte, bröckliche, dunkelbraune
und viel Eisen-Oxyd-Oxydul enthaltende Erdart. Sie ist die
schlechteste von allen, fast ganz untauglich, und es bedarf
Globus 1861. Nr. 7.
und Geographische Zeitung. 217
langer Zeit und großer Mühe, wenn sie an die Oberfläche
gebracht rst, dieselbe nur einigermaßen zum Ackerbau tauglich
zu machen. Daher hütet man sich fast ängstlich, mit dem
Pfluge den Knick aufzurühren, und oft geht diese eisenhaltige
Erde in wirkliches Rasenerz über, ist indeß immer die dünnste
Bodenschicht und nur sehr selten kommt sie über einen Fuß
mächtig vor.
Nim folgt ein großes Thonlager oft mit feinem Sande
vermischt, oft aber auch so rein, daß sich die Erde in feuchtem
Zustande fett und schmierig, säst wie Seife anfühlen läßt.
Wo sie recht zäh und bindig auftritt, wird sie iu einigen
Gegenden D w a oder D w 0 genannt.
Diese obigen drei Erdschichten treffen wir überall; nun
aber kommen zwei Schichten, die nur gewissen Gegenden
angehören und auch hier nur in bestimmt abgegränzten
Lagern von verschiedener Mächtigkeit, nicht aber gleichmäßig
ausgebreitet wie die vorigen, und endlich niemals zusammen
vorkommen. Diese sind die kohlensaure Kalkerde und
der Darg.
Betrachten wir die erstere. Eingebettet in den reinen
Thonboden meistens 4 bis 6 Fuß unter der Oberfläche treffen
wir diese interessante Erdart, wie sie sich als fünf bis acht
Fuß mächtiges Lager in einer Breite bis zu einer halben
Stunde, aber ungemein lang gestreckt und stets mit dem
Flusse in paralleler Richtung dahin zieht, an beiden Enden
meistens dünn und spitz ausgehend. Sie besteht aus einem
Gemisch von Thon, feinem Saude, aber vorzüglich aus
kohlensaurem Kalk, der mitunter fast allein herrscht. Im
feuchten Zustande ist die Erde bläulich grau, getrocknet aber
hellgrau, und je mehr Kalk darin ist, desto weißer. Außerdem
enthält sie, zwar im geringen Maße, noch Kiesel, Schwefel
und einiges Andere.
Im Stedingerlande, Osterstade und Wührden tritt sie
nur in unbedeutenden Spuren auf. Im Bntjadingerlande
aber wie im Lande Wursten, Haveln und den holsteinischen
Elbmarschen erscheint sie in großer Mächtigkeit und Fülle
und spielt im Ackerbau dieser Gegend eine bedeutende Rolle.
Man bringt sie nämlich nach Art des Mergels nach oben
und vermischt mit ihr die Ackerkrume, wodurch dem erschöpften
Bodeu eine neue Güte uud Fruchtbarkeit gegeben wird,
namentlich, wenn man noch einen anch nur geringen Theil
thierischen Düngers hinzusetzt. Man nennt ein solches Ver-
fahren' verschieden: im Oldenburgischen heißt es „Wühlen",
im Lande Wursten und Hadeln „Kuhlen", in Holstein uud
Schleswig „Kleien" oder „Wallpiepen", und anch die
Erde darnach „Wühl-, Kühl- oder Piepererde".
Der Darg bildet, da wo er vorkommt, sast immer die
letzte Lage, mit dem die Marscherde aufhört. Er besteht
aus einer compacten, reich mit schwefligen Theilen durch-
zogenen dunkelbraunen Schicht von Blättern, Halmen und
Wurzeln des gemeinen Rohrs (Phragmites), welche torf-
artig verwoben, durch gewaltigen Druck fest zusammen-
gepreßt, aber meistens noch völlig erkennbar sind. Er findet
sich in sehr verschiedener Tiefe, oft dicht unter der Ober-
fläche, manchmal 30, ja 60 Fuß im Grunde. Durchgängig
aber bildet er die allerunterste Schicht und liegt unmittelbar
auf dem Grundsande. Getrocknet hat der Darg die größte
Ähnlichkeit mit leichtem Torf, brennt auch wie dieser, eut-
wickelt aber beim Brennen einen so unangenehmen schwefligen
Geruch, daß man ihn nie zur Feuerung benutzt, und selbst
die ärmsten Leute ihn verachten.
Spärlich, unzureichend und oft grundfalsch ist, was
bis jetzt über diese mächtigen Darglager und ihre
Entstehung geschrieben wurde. „Es waren ungeheure
Rohrfelder, die vou darüber sich lagernden Schlammmassen
begraben sind." Mit diesen oberflächlichen Worten pflegen
28
218 Globus, Chronik der Reiseil
die meisten Geognosten der Marschländer den Darg abzn-
fertigen. Wie leichtsinnig und unhaltbar das aber ist, wird
aus den ersten Blick klar, wenn man die große Mächtigkeit
mancher Schichten betrachtet; denn ein überschüttetes und
zusammengepreßtes noch so üppiges Rohrfeld würde doch
kaum ein Fuß dickes Lager bilden; auch das ungleiche Vor-
kommen der Schichten, bald hoch, bald in großer Tiefe, hier
völlig wagrecht nud gleichmäßig, dort wieder geneigt liegend
und an Mächtigkeit an einem Ende das Doppelte als am
andern haltend, läßt sich nicht dadurch erklären.
Alles aber wird plötzlich klar und begreiflich, sobald
wir uns wieder das Bild, das die Marschen vor
Jahrtausenden darboten, vor Augen stellen.
Da sehen wir von den Dünenhöhen, den jetzigen
Hügeln am Geestrande, begränzt die weiten, menschenleeren
Sumpfebenen sich dehnen. Jede Fluth bespült sie, der träge
Fluß windet sich in hundert kleinen oder größeren Armen
hindurch, eine Menge flacher Inseln bildend; nirgends ein
Baum oder auch nur ein Strauch, nirgends Gras und
bunte Blumen. — Das einzige Grün dieser fluthennm-
rauschten Einöde aber waren die mächtigen hohen Rohr-
nnd Binsenselder, die unabsehbar alles höhere Land um-
wogten. Keiu menschlicher Fuß betrat sie, keine Sense
erklang in ihnen, wenn der Herbst kam; nur ungeheuere
Schaareu von Sumps- und Wasservögeln schwärmten und
hausten dort. — War indeß das Jahr zn Ende, dann kamen
ans hochgeschwollener Fluth scharfe gewaltige Eisschollen
und mähten Alles kahl. Die ungeheueren Massen dieser
Binsen- und Rohrhalme, die sonst spurlos verwittert wären,
t und Geographische Zeitung.
trieben nun dicht geballt lange Zeit Strom ab und Strom
auf, hierhin und dorthin, lagerten sich zum Theil wie ein
Wall an den Jnselrändern, füllten oft ganze Flußarme aus
und sanken endlich schwer geworden zn Boden, wo sie all-
mählich höher und immer höher vom abgesetzten Schlamme
bedeckt wurden.
Namentlich hatten Weststürme, da vorzugsweise diese
von den höchsten Finthen begleitet sind, sie an die rechten
Flußufer getrieben. In den Marschen der linken Weser-
und Elbufer z. B. üu Bntjadingerlande,. im Lande Hadeln
nnd Kehdingen findet sich der Darg nur in höchst uubedeu-
tenden Spuren. Osterstade und Wührden so wie die holstei-
nischen und lanenbnrgischen Marschstriche besitzen ihn in
großer Mächtigkeit.
So lagern nun die Massen hier Jahrhunderte lang
tief im Grunde, hoch mit fruchtbarer Erde belastet, selbst
aber wunderbar erhalten. Aus einem Stücke Darg kann
man oft alle Wurzeln, Stengel und Blätter herauslösen,
ja man sieht auch die feinste Strnetnr an letzteren.
Die Fülle von Schwefelwasserstoffgas in diesem Darg,
die ihn zum Brennen untauglich macht, ist auch in vielen
Gegenden die Ursache des übelriechenden Trinkwassers. Es
gewähren diese längst versunkenen, gewaltigen Rohrmassen
ein eigenthümliches Interesse nnd erinnern lebhaft an die
untergegangenen Urwälder unserer Stein- nnd Braunkohlen-
lager; ja iu der Lettenkohle nnd im sogenannten Schilssand-
steine, beide Gesteine der Trias-Periode angehörend, haben
wir eine völlig analoge Erscheinung und wohl nichts anders
I als verkohlten und verkieselten Darg vor uns.
Ein Dild aus den Klanos in Venezuela.
Unsere Schilderung einer asiatischen Steppe (S. 158) lassen
wir ein Bild aus den Grasebenen des nördlichen Südamerika
folgen.
Wir versetzen uns in die Llauos oder Ebenen von Venezuela,
in einen Landstrich, den Viele mit den großen Pampas der argen-
tinischen Staaten vergleichen, während andere Reisende durchaus
diesen beiden großen Grasfluren Südamerikas keine Aehulichkeit
zugestehen wollen. Die Llauos, welche einen Ungeheuern Raum
einnehmen und von dem Orinoko und dessen Nebenflüssen durch-
strömt werden, sind ein Gegenstand, der eingehender Studien
würdig ist. Ein Reisender, der von den an der Küste sich austhür-
Menden Bergen herabsteigt und zuerst die Llauos erblickt, glaubt
den Oceau mit seiner unermeßlichen Ausdehnung zu sehen. Je
mehr er sich der Ebene nähert, desto täuschender wird das Bild;
die endlosen Fluren scheinen zu wogen und zu zittern, wie eiu vom
Winde bewegtes Meer.
Gleich den Pampas von Bueuos Ayres sind die Llauos unge-
heuere fruchtbare Weiden, iu denen sich umherschweifende Heerdeu
nähren; aber der Unterschied zwischen beiden liegt dariu, daß die
Llauos Wasser haben und die Pampas nicht. Von Westen nach
Osten durchzieht der majestätische Orinoko diese Gefilde und seine
großen und zahlreichen Zuflüsse überschwemmen zeitweilig das von
ihnen nach allen Richtuugeu durchschnittene Land.
Die Bewohner dieser Gegenden habeu einen nicht minder
eigeuthümlicheu Charakter als die Gegend, welche sie bewohnen.
Ihre Wohnungen stehen in weiten Entfernungen, oft zehn Stuu-
den weit auseinander. Aber die eigentliche Wohnuug des Ll anero
ist der Sattel. Sein Dasein ist mit jenem seiner Heerdeu verwach-
sen. Die Bewachung der zahlreichen Pferde- und Riuderheerdeu,
welche diese fruchtbaren Weiden bevölkern, ist seine Hauptaufgabe.
Er durcheilt die Ebene, auf deuen kein einziger Pfad ist, mit der-
selben Sicherheit und Kenntniß der Gegend, wie ein Schiffer das
ihm wohlbekannte Meer. Gränzmarkeu keimt mau in diesen Ebenen
nicht, aber der Llanero weiß trotzdem genau, ob seiue Heerdeu auf
eigenem Gebiete oder dem des Nachbars weideu. Sein Leben ver-
fließt in Einsamkeit und Thätigkeit. Bis zum nächsten Nachbar
hat er wohl eine Tagereise, von Zeit zu Zeit besucht ihn ein Rei-
sender oder ein wandernder Kaufmann, den er in seiner Verderb-
ten Sprache mcrca chifles uennt. Von Dingen, die jenseit seiner
Weiden und Heerde» liegen, weiß der Llanero nichts.
Wie wohnt ein solcher Hirt und wie lebt er? Wenn wir uns
in deil Grasebenen ans einen erhöhten Punkt stellen, zum Beispiel
auf eiiteit Hügel iu der vom reißenden Apnre durchströmten Pro-
vinz Barinas, danu feheu wir hier und da unregelmäßige Grup-
Pen von Palmen aus dem wellenförmigen Wiesenboden aufsteigen.
Diese Baumgruppen werden in der Sprache des Landes Matas
genannt und bilden zugleich die Gränzen der Ebene von Vene-
zuela. In der Nähe einer jeden finden wir den H a t o, die Wohnung
des Llanero, eine einfach gebaute Hütte, deren Fnßboden sich wenige
Fnß über dem feuchten Boden erhebt; das Dach besteht aus Palm-
blättern. Ein Geflecht von Zweigen scheidet die Wohnung in zwei
Theile, deren kleinerer für die Frauen bestimmt ist. Der größere
ist mit einem halben Dutzend Rinderhänten ausgestattet; die Haut
eines Jaguar und einige hübsch aus Bambusrohr gearbeitete
Sessel fehlen nicht. Dieses Zimmer dient znm Empfange der
Fremden, als Schlafkammer, als Arbeitsraum während der Mo-
nate, in welchen die Llanos überschwemmt sind, und, wenn mau
die Phantasie zn Hülfe nimmt, auch als schützendes Dach für den
Llanero selbst. In einiger Entfernung befindet sich der Corral
oder Stall, eine weite Einzäunung, in welche man die Heerden
treibt, wenn man sie mit der Brandmarke zeichnen oder zählen will.
Die Hatos oder Gehöfte gehören meistens Kreolen, welche die
an den Gränzen gelegenen Städte bewohnen. Die Insassen der-
selben sind aber Hateros, Halbbarbaren, welche nur über das
Globus, Chronik der Reisen und geographische Zeitung.
219
ihnen anvertraute Bich zu wachen haben. Obgleich sie sich rühmen,
von den ersten spanischen Einwanderern abzustammen, findet man
doch selten einen unter ihnen, der nicht Neger- oder Jndiauerblut
in seineu Adern hätte. Der Hatero ward, wie sein Vater, in den
Llanos geboren; daß es Gegenden giebt, wo keine Weiden sind
und wo man die Thiere nicht nur wegen der Felle, sondern anch
wegen des Fleisches hält, davon hat er keine Ahnung. Seine reli-
giösen Kenntnisse beschränken sich auf Ueberliefernugen, welche aus
der Zeit, da seine Vorfahren noch unter civilisirten Menschen
wohnten, herrühren. Selten verirrt sich ein Missionar in diese ein-
samen Gegenden.
Zehn oder zwölf Leute bewohnen einen Hato und führen die
Herrschaft über viele Tausend Stück Hornvieh. Die Frauen be-
schäftigen sich mit häuslichen Arbeiten und bebauen eiu kleines
Stück Feld mit Mais und Maniok. Nur allein während ihres
Brautstandes haben sie vielleicht Gelegenheit, eine Stadt und ein
gedrucktes Buch zu sehen. Frauen und Männer bilden einen ein-
fachen und kräftigen, aber sehr unwissenden Menschenschlag; Sit-
ten, Kleidung und Sprache nähern sich mehr jenen der Indianer,
als der Spanier. Land und Mensch sind aber hier wie gegenseitig
für einander geschaffen. Der Llanero ist von mittler Größe und
kräftig gebaut, fein Hals ist kurz, der Schädel eckig, die Stirn frei
und die schwarzen Augen blitzen und funkeln wie glühende Kohlen.
Die Oberhälfte des Körpers ist ebenmäßig entwickelt, während die
Beine durch das fortwährende Reiten eine krumme Form anneh-
men; dies zeigt sich auch bei dein wackelnden Gang des Hatero.
Seine Tracht besteht aus Beinkleidern von Banmwollenstoff
(Calzoues), die etwas über das Knie hinabreichen, und einem
Kittel von demselben Zeuge, der vou einem Lederriemen znsam-
mengehalten wird, in welchem das unvermeidliche Machete oder
Messer steckt. Ueber die Schultern hat er den unentbehrlichen
Poncho geworfen, eine verschiedenfarbige Decke, welche die spanisch-
amerikanische Ra<>e von den Indianern angenommen hat und die
als Kissen, Mantel oder selbst als Sattel dient. Als Fnßbekleidnng
hat er Sandalen, auf dem Kopfe fehlt nie die Ledermütze. Seinen
ganzen Stolz findet er in einem tüchtigen Reitpferd, iu dem Lasso,
den er mit bewundernswerter Geschicklichkeit wirft, und in der
Lanze, mit der er seine Niehheerden vor sich hertreibt, zuweilen auch
au einem Kampfe theilnimmt.
Ein Hato hat gewöhnlich die Ueberwachung und den Unter-
halt von vielen taufend Stück Rindvieh und Pferdeu zu besorgen
und wird hier und da noch durch Vorposten unterstützt. Jede, ans
mehreren Taufend Häuptern bestehende Heerde wird durch zwei bis
drei Stiere oder Hengste angeführt, die eiu sehr despotisches Regi-
meut führen. Sie ziehen mit ihren Untergebenen von Weide zu
Weide und erlauben keinem Menschen oder fremden Thiere ihren
Weg zu durchkreuze«.
Es ist vorgekommen, daß diese ungeheuren Züge in den Llanos
anf einige Regimenter Soldaten stießen und diese durch ihr unge-
stümes Vorrücken gänzlich auseinandersprengten.
Ein besonderes Fest für die Llanero's ist das Brandmarken
der Heerden. Nach und nach werden die Thiere eingefangen und
in den eingezäunten Eorral getrieben. Alle Nachbarn auf zwanzig
Meilen in der Runde hat man eingeladen. Das Brüllen des Rind-
viehs, das Wiehern der Pferde und das Umhertoben einiger aus-
gelassenen Stiere, die mit dem Lasso eingefangen werden müssen,
geben ein lebhaftes Bild, an dem sich der Hatero ergötzt. Das
Zischen des glühenden Stempeleifeus, mit dem man die Marke auf
die Haut der Thiere brennt, ist dem Hatero wie Musik. Bei dieser
Gelegenheit zeigen diese Lente anch ihre Geschicklichkeit im Bändigen
der Thiere. Der Mann wählt ein junges, etwa dreijähriges Pferd
ans, das etwas abseits von der Heerde weidet und schleicht ihm all-
mälig nahe. Plötzlich wirft er den Lasso (die Fangschnur) mit aller
Geschicklichkeit um den Hals des Thieres, während ein anderer eine
Schlinge um die Hinterbeine legt, so daß es niederstürzt. Um das
Roß noch mehr zu betäuben, erhält es einige Schläge mit einem
dicken Stock anf den Kopf und bekommt dann das Gebiß angelegt.
So wie das Pferd sich erheben will, springt der Reiter ans dasselbe.
Trotz aller Wildheit und Ungeberdigkeit bezwingt der Hatero es
doch uud verwandelt es binnen zwei Tagen in ein zahmes Geschöpf.
Ein anderes eigentümliches Vergnügen bei dieser Gelegen-
heit besteht darin, daß man einen mächtigen Stier vermittelst
zweier Lassos einfängt, und die Enden derselben an einen starken
Baum festbindet, so daß der Stier sich kaum bewegen kann. Der
stärkste Llanero packt den wilden Bullen beim Schwanz und zieht
daran so lange, bis das Schlachtopfer umfällt. Aber wehe, wenn
die Schlingen des Lasso nicht halten; das gepeinigte und dann be-
freite Thier wendet sich um und vernichtet seinen Peiniger. Dies ge-
schieht nicht gerade selten. Aber der Llanero macht sich nichts ans
dem Tode. Er ist ihm täglich inmitten der vielen wilden Thiere nahe,
der Fluß, in dem er badet, wimmelt von Alligatoren, in den
Sümpfen lauern giftige Schlangen, deren Biß binnen einer Stunde
tödtet. Hat er einige Liebesabenteuer, fehlt es ihm nicht an getrock-
netem Rindfleisch, Maniokmehl und Gnarapo (einer Art Rum),
so kümmert sich der Llanero weder um Vergangenheit noch Zukunft.
Im Ganzen ist er ein glücklicher Mensch in seiner Weise.
Ein blutiges Drau
Es ist eine durch viele Thatsacheu bestätigte Erfahrung, daß
die Eingeborenen der Südsee-Jnseln an Zahl ungemein znsam-
mengeschmolzen sind, seitdem sie mit den Europäern in engere Be-
rührungen kamen. Sie können diesen Contact mit unserer Civili-
fatiou nicht vertragen, und gehen an dem, was ihnen dieselbe bringt,
rettungslos zn Grunde. Sie sind dem Untergange geweiht, und
scheinen das iustiuctmäßig voraus zu ahnen. Das Neue, welches
die weißen Menschen diesen Insulanern gebracht haben, will sich
ihnen nicht einfügen. Die Europäer nnd Nordamerikaner haben
wohl christliche Lehre und manche nützliche Waare gebracht, sie haben
auch dadurch, daß sie Kühe, Schafe, Schweine, Ziegen uud Ge-
flügel nach jenen Inseln verpflanzten, der Menschenfresserei ein
Ende gemacht. Aber es kamen mit ihnen anch die Blattern nnd
andere nicht minder schlimme ansteckende Krankheiten, welche bei der
Berührung verschiedener Menschenra^en oft neue grimmige For-
men angenommen haben und entsetzliche Verwüstungen anrichten. Es
kam endlich anch der gräßlich verheerende Branntwein, welchen
alle Gebote und Gesetze nicht fern halten. Auf manchen Südsee-
a in der Südsee.
Inseln ist nun der Glaube verbreitet, daß alles Unheil, welches die
Eiugeboreueu betreffe, durch die Weißeu verschuldet werde, uud
daß diese viel Böses gebracht haben, ist auch vollkommen richtig.
Nun müssen die Unschuldigen büßen, namentlich die Missionare,
welche doch in der besten Absicht zu den Heiden kamen. Sehr viele
haben, ans Mangel an Menschenkenntniß und im Eifer für den
Buchstabendes Dogma's, große Mißgriffe begangen, sie wußten
keinen Uebergang zwischen puritanischer Herbigkeit und Strenge,
welche der Insulaner nicht begreift und der Leichtfertigkeit zu
finden, welche diesen Menschen eingeboren ist, Und deshalb sind auf
manchen Inseln die Erfolge der, jedenfalls redlich gemeinten, Be-
strebungen nur gering gewesen. Wie dem aber anch sein möge,
Missionare leben über die ganze Südsee zerstreut, namentlich auch
ans den von Schwarzen bewohnten Eilanden, welche sich östlich von
Neu-Guinea in einem weiten, in südöstlicher Richtung ziehenden
Bogen bis nach Neu-Caledouieu einerseits uud deu Fidschi-Inseln
andererseits erstrecken, also auf deu Salomons-Jnseln, dem Santa
Cruz Archipel und deu Neuen Hebriden. Zn den letzteren ge-
28*
220
Globus, Chronik der Reisen und geographische Zeitung.
hören Tanna, Auitom oder Anitenm, und Erromango. Hier
wurde 18B9 der eigentliche Vorläufer der Mission in jenen Re-
gionen, Missionar Williams, von den Kannibalen erschlagen
und aufgefressen.
Nach ihm kamen Andere, uugeschreckt durch jeuen grauenhaften
Vorgang, und nun haben wir aus der neuesten Zeit wieder eiu
blutiges Drama, das sehr bezeichnend für die Ansichten und Vor-
urtheile der Insulaner auf Erromango ist und einen Einblick in
ihr Leben und Denken gewährt.
Seit dem April des Jahres 1861 rafften die Masern nnter
den Eingeborenen der Neuen Hebriden viele Menschen hinweg.
Die Schwarzen meinten, daß die unter ihnen lebenden Weißen die
Schuld davon trügen, uud auf Erromango bildeten sie eine Ver-
schwörung, alle jene unheilbringenden Fremden zu ermorden. Sie
wollten zur Ausführung schreiten, als unter ihnen selbst ein hefti-
ger Streit sich erhob, welcher einen Aufschub herbeiführte.
Aber bald nachher gingen sie an ihr blutiges Werk, das iu dem
Bericht eines Engländers vom 7. Juni folgendermaßen geschildert
wird.
Am 20. Mai schrieb ich eben einen Brief an den Missionar
Gordon. Da sah ich, daß der Eingeborene David Uti nebst
einigen Kindern in aller Eile auf meine Wohnung zukamen; sie
schrien, daß die Leute von Bunkhill (einem Dorfe) den Miffi ge-
tödtet hätten. Ich nahm sogleich meine Waffen und eilte nebst
einigen Schwarzen von anderen Inseln, welche gerade in meiner
Nähe waren, nach dem Schauplatze der blutigen That. Die Mör-
der fand ich nicht mehr, wohl aber die gräßlich verstümmelten
Leichen Gordon's uud seiner Frau. Ich ließ sogleich zehn Leute
vor das Haus stellen und dann eiu Grab graben, dicht neben der
Stelle, an welcher einst Wilson den Märtyrertod erlitten. Dann
zimmerte ich in aller Eile zwei Särge zusammen uud am andern
Nachmittage fand das Begräbniß statt. Eiu Eingeborener, welcher
einige Zeit bei den Missionaren auf deu Samoa-Jnseln (den Na-
vigatoren) Unterricht geuossen hatte uud unier Gordon's Leitung
als Lehrer thätig war, verrichtete die religiöse Feierlichkeit. Er
sang und betete Auf mich inachte dieser Austritt eiueu uuaus-
sprechlich tiefen Eindruck. Neben mir stand ja der Mann, welcher
1839 dem Missionar Williams deu ersten verhängnißvollen Keulen-
schlag gegeben hatte.* Jetzt war er am Grabe eines andern hinge-
opferten Missionars und heulte und weinte wie ein Kind.
Gordon's Ermordung fand in folgender Weise statt: Am
20. Mai kam der Häuptling Lova mit neun Männern vor das
Missionshans, angeblich um mit Gordou zu reden. Dieser war
unten am Hügel beschäftigt, um sich eine Winterwohnung zu bauen.
Dorthin gingen die Schwarzen, unterwegs versteckten sich aber acht
von ihnen im Gehölze; der nennte, Narubulit, hatte deu Auftrag,
das Schlachtopfer iu den Hinterhalt zu locken. Gordou hatte die
juugeu Leute, welche ihm Blätter uud Rohr zur Dachbedeckuug
einsammelten, fortgeschickt und war allein. Der Witde sagte, seine
Gefährten seien im Missionshause und bäten dort jeder um eiu
Stück Baumwollenzeug. Gordou uahm eiu Brett uud schrieb mit
Kohle darauf, daß seine Frau jedem eiu Aard Zeug geben möge.
Damit war freilich dem Wilden nicht genützt, aber sein verfchla-
gener Sinn gab ihm etwas Anderes ein. Er sagte, Lova sei in der
Mission und wünsche Arznei für einen kranken Freund, und nun
ging Gordon mit. Als er dorthin gekommen war, wo die Mörder
im Hinterhalte lagen, erhob Narubulit feilte axtartige Keule uud
versetzte dem Missionar einen Schlag in den Rücken. Gordon
schrie laut auf, sank gleich zn Boden und erhielt dann einen zweiten
Streich, welcher den Hals beinahe ganz vom Rumpfe trennte.
Dauu erst kamen die Uebrigen aus dem Versteck uud zerfetzten deu
gauzeu Körper.
Inzwischen war einer der Mörder, Namens Üben, nach der
Mission gelaufen. Frau Gordou ging ihm entgegen und fragte:
was denn das entsetzliche Geheul bedeuten solle, welches sie vom
Busche her vernommen hatte. Üben entgegnete: „das bedeutet
nichts; die Kinder spielen." Als die Frau eine Wendung
zur Seite machte, versetzte er ihr eine Anzahl Keulenschläge, uud
sie lag entseelt am Boden.
Gordon war 1857 nach Erromango gekommen und sein Be-
kehruugswerk hatte nur geringen Fortgang; schon früher schwebte
sein Leben einige Mal in Gefahr. Als nun die Masern ausbrachen,
war er unermüdlich, um die Krauken zu besorgen. Aber gerade
diese Menschenfreundlichkeit wurde ihm verderblich. Er ging von
Dorf zu Dorf und gab Arznei, aber trotzdem starben viele Leute,
während andere gesund wurden. Das begriffen die Schwarzen
nicht; weshalb soll der eine zur Leiche werden, der andere genesen,
da doch beide dieselbe Arznei ans den Händen desselben Mannes
erhalten? Gordon war auch zum Häuptling Nuiva gerufen wor-
den, als die Krankheit schon einen tödtlicheu Verlauf genommen
hatte. Nuiva starb am andern Tage. Die Schuld davon maß
man dem Missionar bei und nun verschworen sich die Wilden, alle
Weißen umzubringen. Ein Schwarzer verrieth den bösen Plan, und
so war es möglich, ihn zu vereiteln; nur Gordou wurde überrascht.
Uebrigeus hatteersichdeu bittern Haß vieler Wilden zugezogen.
Er war offenbar kein Menschenkenner und verstand die niedrige Gei-
stesstnfe dieser Schwarzen nicht zn würdigen Er hatte die Seuche
zum Vorwand genommen, um, was man so nennt, den Leuten in's
Gewissen zu reden und war streng aufgetreten. Er hatte viel von
seinem gestrengen Gotte gepredigt, die Seuche als eine Strafe
Gottes für die Sünden der Leute hingestellt. Was verstanden die
wilden Leute von solchem Reden und Gebühren? Sie meinten, er
habe Beschwörungen veranstaltet.
Gordon's Tagebuch zeigt, wie befangen der Mann war und
daß ihm jeder freie Blick fehlte. Er schrieb: „Dem Erscheinen der
Krankheit ging ein fast allgemeiner Widerstand gegen das Evan-
gelinm voraus; die heidnischen Gebräuche und Mordthaten ver-
mehrten sich dermaßen, daß es mir unmöglich schien, daß Gott
dieses Volk nicht heimsuchen werde. Ich hatte ihnen ein paar
Tage, bevor die Seuche auftrat, diese Heimsuchung
verkündet; ich hatte sie ermahnt, vor dem Zorne des Herrn
zn fliehen, aber ach, sie hörten nicht eher auf mich, als bis es zu
spät war." Zwei Monate vor seinem Tode schrieb er: „Vor vier-
zehn Tagen wäre ich beinahe erschossen worden; nur eiu Zufall
hat mich gerettet. Ich schwebe in großer Gefahr inmitten dieses
Volkes, wo der Glaube an Hexerei allgemein ist und das mich als
einen Zerstörer betrachtet." In diesen Worten des Tagebuches
findet das blutige Drama vollständige Erklärung.
Die Chinesen in ihrer bürgerlichen Stellung zu den Europäern.
Wir haben schon erwähnt, daß in Australien die dorthin
eingewanderten Chinesen viele Angriffe von den europäischen An-
siedlet» zu erfahren haben. Ein Gleiches ist schon hänsig auch iu
Ealiforuieu der Fall gewesen. Die Legislatur hat die eiuwan-
dernden „Himmlischen" mit einem besondern Kopfgeld besteuert,
und schon mehrfach ist ein Verbot gegen diese Einwanderung ge-
geben, aber allemal als ungesetzlich von dem höchsten Gerichtshofe
cafsirt worden. Es ist von Interesse, zn erfahren, wie ein sorg-
fältiger Beobachter diese nicht unwichtige Angelegenheit ansieht,
und wir theilen deshalb die nachstehenden Betrachtungen mit, die
wir im deutschen San Francisco-Jourual fanden. Sie sind an
Julius Fröbel, der sie im April 1854 niederschrieb.
Alle Fragen, welche über die Gränze des Grundsatzes der
Rechtsgleichheit hinausführen, sind Lebensfragen für die Zukunft
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
221
der Vereinigten Staaten, und verdienen mit Aufmerksamkeit und
Gründlichkeit behandelt zu werden. Solche Fragen sind alle die,
welche sich auf Religions-, Gebnrts- und R a y c lt = U rt t e t f ch i e b e
beziehen. In letzterer Beziehung haben wir die Negerfrage, die
Jndianerfrage, und in Califoruien die Chinesenfrage.
Welche Ansichten man auch über die Culturfähigkeit der
uicht kaukasischen Rayen haben mag, so viel ist gewiß, daß diese
Rayen thatsächlich nirgends eine Culturstnfe einnehmen, die
es rechtfertigen könnte, sie massenhaft zum vollen uud
aktiven Bürgerrechte iu Republiken kaukasischer Völker zu-
zulassen. Je weniger bas Bürgerrecht eines Staates an Recht
uud Verantwortlichkeit in sich schließt, desto weiter kann man seinen
Kreis ziehen. In das Bürgerrecht der absoluten Monarchie, wenn
dafür der Ausdruck noch zulässig ist, passen alle Rayen und alle
Cnlturstufen, — iu das der Republik dagegen nur solche Menschen,
bei denen die Fähigkeit vorausgesetzt werden darf, die Rechte des
Bürgers ans culturgemäße Weise zu gebrauchen und der Ver-
antwortlichkeit eines sonverainen Individuums zu
entsprechen. Wir halten zwar alle Menschenrayen für cultur-
fähig, und möchten es nicht wagen, für irgend eine Raye die
Gränzen der Culturfähigkeit zu bestimmen; demnngcachtet ist es
unbestreitbar, daß uicht alle Meufcheurayen iu ihrem
Culturgauge mit ein ander S chritt halten können; und
fordert auch die Humanität, daß der Stärkere auf deu Schwächern
Rücksicht nehme, so legt sie selbst uns auch die Pflicht auf, diese
Rücksichten nicht so weit auszudehnen, daß die Erreichung des
Zieles gefährdet wird. Auch der rücksichtsloseste Anhänger philan-
tropischer und kosmopolitischer Theorien könnte z. B. nicht wün-
schen, daß hier in Califoruien einmal die kaukasische Raye von der
chinesischen überstimmt würde.
Kann man also, um bei den Chinesen stehen zu bleibeu,
nicht wollen, daß sie bei uns zum Bürgerrechte zulässig seien, so
tritt die zweite Frage auf, ob man es wollen kann, daß in einem
republikanischen Gemeinwesen sich eine Bevölkerung von politisch
unberechtigten Menschen, von Heloten oder Parias anhäufe. >
Nur der gänzliche Mangel aller politischen und moralischen Ein-
ficht könnte dieses wollen, und könnte die Folgen übersehen, die ein
solches Verhältniß mit Notwendigkeit nach sich ziehen müßte. Ge-
gen die Neger uud gegen die Indianer haben wir Pflichten.
Die Letzteren sind vor uus in diesem Lande gewesen, die Elfteren
haben wir wider ihren Willeu iu das Land gebracht. Dieses Land
ist mindestens mit demselben Rechte das ihrige, mit dem es das
nnsrige ist. Zudem wissen wir, daß die Indianer uns politisch
niemals gefährlich werden können, und die Umstände, unter denen
die Neger es werden könnten, liegen noch zu fern, um auf die Fra-
geu des Augenblicks auf eilte andere Weise, als iu der Form der
Sklavenfrage Einfluß auszuüben. Die Rayenfrage in Bezug auf
die Neger liegt erst hinter der Entscheidung der Sklavenfrage.
Anders ist es bei den Chinesen für Califoruien. Sie sind uns
unmittelbar in politischer und socialer Beziehung gefährlich, —
gefährlich durch die Uuausbleiblichkeit der Folgen, welche aus der
Zulassung einer Heloten- oder Paria-Kaste hervorgehen müssen.
Es ist geschichtlich erwiesen, daß alles Kastenwesen, wie
das indische und ägyptische, von dem die Ständeuuterschiede der
späteren Culturperiodeu, zum großen Theile wenigstens, nur der
abgeschwächte Nachhall sind, vou Rayen-Unterschieden ans-
geht. Das indische Wort Warna, welches Kaste oder Volksklasse
bedeutet, heißt ursprünglich die Farbe. Gleiche Ursachen
würden auch bei uns, aller Wahrscheinlichkeit nach,
wieder die gleichen Folgeu habeu, und wir glauben nicht,
daß solche Folgen Jemand wüuschenswerth finden könnte.
Unserer Ueberzengnng nach kann sich also Niemand durch
philautropische oder demokratische Ansichten so weit fortreißen las-
sen, daß er die Verhinderung des Zunehmeus der chinesischen Ein-
Wanderung mißbilligen könnte. Die chinesische Bevölkerung, welche
wir jetzt schon haben, und welche vou vierzig- bis sechszigtauseud
geschätzt wird, bereitet uus schon hinreichende Verlegenheiten. Zum
Glück aber ist sie nicht im Stande, sich, wenn neue Zufuhren abge-
schnitten werden, durch natürliche Fortpflanzung zu erhalten. Sie
wird mit der Zeit wieder aussterben, uud ohne daß wir zu harten
Mitteln genöthigt sind, wird der Uebelstand sich von selbst wieder
beseitigen. Dagegen müssen wir den Maßregeln beistimmen, welche
die Verhinderung einer weitern massenhaften Einwanderung zum
Zwecke haben.
Die chinesische Stadt Tsche f
In der neuesten Zeit ist häufig dieses Ortes erwähnt worden,
welcher seit dem Vertrage von Tien tsin den Fremden zugängig
wurde. Bisher wußten wir wenig von demselben; nun liegt uns
aber eine Schilderung Bonhonre's vor, welche deutlich zeigt, wie
diese chinesischen Städte jetzt iu die große Bewegung hineingezogen
werden.
Tsche fn oder Jen tai an der Mündung desPeifo, bildet den
Haupthafen für die große Provinz Schan tuug uud treibt lebhaften
Handel besonders mit der Halbinsel Korea, mit der chinesischen Pro-
vinz Fo kien, überhaupt mit dem ganzen Gestadelande. Schan
tung ist eine wahre Kornkammer, und Tsche sn ein durchaus nicht
ungesunder Platz. Man redet dort das Kuau rhoa, die Man da-
rinenspräche, welche die gebildeten Leute im ganzen Reiche ver-
stehen. Sie zerfällt in zwei Gruppen: die nördliche Mandarinen-
spräche, oder jene von Peking, und die südliche, oder Mandarinen-
spräche von Nanking; zwischen beiden bildet der Yang tse kiang so
ziemlich die Gränzscheide. Aber die Abweichungen sind nicht sehr
beträchtlich; doch hat die Nankinger Mundart weichere Töne und
mehr Selbstlauter, ist auch wohlklingender als die nördliche, welche
eine härtere, etwas gehackte Accentnirnng hat.
Die Stadt liegt im Hintergrund einer schönen, stets von
Schissen ungemein belebten Bucht und in den Straßen herrscht ein
sehr reges Treiben, besonders in jenen am Wasser und bei der
großen Pagode. Die Waarenläden haben Schilder mit goldeneu
in der Provinz Schan tung.
Inschriften; überall sind die Auslegebretter mit einer großen
Menge sehr verschiedener Waareu bedeckt uud die Verkäufer, welche
jedem weißen Fremden allerlei Siebensachen entgegenhalten, schreien:
,,Ti tun, eoinpi eu?" das soll heißen: Dis clonc, combien? Anch
die Knaben, welche in den Straßen Hausiren gehen, radbrechen
einige französische oder englische Wörter.
Zwei Hauptgebäude der Stadt sind die Pagode und das
Theater; sie stehen unweit von einander, ähnlich wie im christlichen
Europa, wo anch die Schauspielhäuser gewöhnlich neben einer Kirche
sich erheben. Auf zwei mächtigen Pfählen flattert eine weiße Fahne;
sie deutet an, daß hier die Himmelskönigin verehrt werde.
Die Vorderseite des Tempels unterscheidet sich nicht von jener an-
derer Häuser und ist ganz einfach. Durch mehrere Gänge und
Säle gelangt man dann in einen Hofraum, iu welchem eiue herr-
liche erzeue Vase steht mit sehr schönen Skulpturen. Sie ist mit In-
schriften bedeckt und würde jedem europäischen Museum zur höch-
steu Zierde gereichen. Auf der großen Eingangsthüre liest man
die Worte: „Die erhabene Mutter, Himmelskönigin!" Mau tritt
ein und gelaugt iu einen mit Fresken und Laternen geschmückten
Saal. Unter einem Baldachin sitzt die Himmelskönigin; auf einem
zn ihren Füßen angebrachten Altar stehen zwei flackernde Kerzen
nnd ans eisernen Gefäßen steigt der Dnft von Weihrauch empor.
Auf einem Tische sieht mau verschiedene Speisen, welche die Priester
sich gnt schmecken lassen, sobald die Glänbigen sich entfernt haben.
222
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Zur Rechten und Linken stehen zwei Untergottheiten, nämlich
Schuen fong, der günstige Wind, und Tsien li ien, das Auge,
welches tausend Meilen weit sieht. Chinesische Matrosen
gehen nur dann gern in See, wenn sie vorher diesen Göttern, Be-
schützeru des Meeres, ihre Andacht bewiesen haben. Wie könnten sie
auch auf glückliche Heimkehr rechneu, ohne sich noch zuvor dem
Lnng nan, dem Großen Drachen und dessen Gefolg empfohlen
zu haben? Dieser mächtige und gewaltige Genins sitzt in einem
andern Saale majestätisch da, eingehüllt iu prächtige Gewäuder.
Zwei junge Mädchen sind immer zu seiner Verfügung, und seilt
Schreiber steht mit dem Pinsel in der Hand da, um alles, was der
Götze äußert, niederzuschreiben.
Da ist auch noch der Götze Le tsa, der Durch drin ger der
Finsterniß, der auch einem muthigeu Manne Schrecken ein-
jagen kann. Hat er doch drei schwarze Hörner ans dem Kopfe, uu-
ter deu Augen blitzen zwei glänzende Brauen hervor, seine rothen
Nasenlöcher sind weit aufgesperrt. Er stützt sich auf eiue Lanze
und erwartet die Befehle seines Gebieters. Aber zum Hofstaat des
großen Drachen gehören noch vier andere Götter. Fong schin, der
Gott des Windes, trägt in seinem Brustbande einen Schlauch,
in welchem er seine dienstbaren Sklaven gefesselt hält; diese läßt er-
lös auf dem Meere, damit sie als Stürme einherbraufen oder als
günstiger Fahrwind die Segel der Fahrzeuge schwellen. Da ist
auch Le schin, der Go tt des Donners, mit flammendem Auge,
einem gewaltigen Adlerschnabel im Gesicht, einem gewaltigen Kamm
auf dem Haupte, und der wuchtige Hammer, welchen er in der
Rechten hält, ist immer bereit, auf das Eiseu iu seiner Linken zu
schlagen. Nicht so schrecklich, aber mit sehr stolzer Miene und einer
Art von phrygischer Kappe, nimmt sich Schien schin aus, eiue junge
Göttin, welche aus zwei Goldtafeln den Blitz in die Welt fahren
läßt. Neben ihr sitzt Jl schin, der Gott des Regens, welcher mit
einem Sprengwedel Wasser in ein Gefäß thut. Daraus kauu er
Fluthen bilden, welche die ganze Welt überschwemmen.
In anderen Sälen findet man eine Anzahl von Götzenbildern,
welche dem Gotte des Reichthums untergeben sind.
Das Theater ist sehr einfach, denn es besteht nur aus
einem viereckigen Gerüste, das sich etwa in Mannshöhe über dein
Boden erhebt und dessen Dach von vier Pfählen getragen wird.
Es bildet zugleich Bühne und Orchester und die Garderobe ist eine
einfache Bretterbude. Von einem Vorhang ist keine Rede, und die
Zuschauer stehen oder sitzen auf der Erde. Frauenzimmer dürfen
in China auf der Bühue nicht erscheinen, und deshalb werden ihre
Rollen von Jünglingen, oft sehr gut, gespielt. Eintritts- und
Zuschauergeld ^vird nicht verlangt. Die Schauspieler erhalten
ihren Lohn von den Schisssrhederu, welche des sehr löblichen Glan-
bens leben, daß die Schiffe gute Fahrt haben, wenn der Eigenthü-
mer vorher seinen Mitbürgern ein Vergnügen bereitet hat.
Auf dem Platze zwischen dem Pagodeutempel und der Schau--
bühne wandeln die Verkäufer von Lebensmitteln umher. Sie
tragen auf der Schulter ein Brett, auf welchem etwa ein Dutzend
verschiedene Gefäße stehen. Haben kann man von diesen Leuten
vielerlei, zum Beispiel gehacktes Fleisch, Pasteten, Gemüse :c.; Brot
wird von Knaben verkauft, Thee oder warmes Wasser sind ans der
Straße überall zu finden, denn unter Hunderten von großen Kesseln
brennt das Feuer. Leider sind die Chinesen sehr unsauber, und
selbst ihre Leckerbissen können uns keinen Appetit machen.
Man entflieht den langen, schmutzigen Gassen und läßt den
Blick über die freundliche Landschaft wandern. Auf grünen Todten-
Hügeln erheben sich schattige Bäume oder Büsche. Freundliche
Dörfer sind mit Gärten umgeben. Das Geißblatt verbreitet seinen
süßen Duft. Von deu Hügeln kommen auf steilen, wohlgebahnten
Wegen gauze Karawanen herab, Pferde, Maulthiere und Esel, alle
mit sichern Tritt. Sie bringen Holz uud Getreide, Obst und
Matten, Töpsergeschirr uud Oelkucheu nach der Stadt. Daun und
wann sieht man auch einen offenen Wagen, in welchem ein wohl-
habender Landmann sitzt, oder eine reitende Frau, deren Maul-
thier vom Herrn Gemahl am Halfter geführt wird. Maulthier-
treiber begrüßen einander unterwegs mit dem landesüblichen
Tfchlu tschin, das heißt, sie legeu beide geballten Fäuste anein-
ander, heben dieselben mehrmals in die Höhe uud nicken dazu mit
dem Kopfe.
Tfche fu war eine Zeitlang von europäischen Soldaten besetzt.
Ob mau nach deren Abzüge den Weißen gewogen ist, muß die
Folge lehren. Aber die Leute benehmen sich höflich und belästigen
nicht. Den fremden Kriegern waren sie natürlich nicht gewogen,
und die Furcht ist erst aus den Gemüthern gewichen, seitdem eine
Anzahl europäische Frauen iu der Stadt leben. Bonhonre erzählt:
„Wenn wir sonst in ein Dorf gingen, lief die weibliche Bevöl
kernng, was nur die Beine vermochten: die Kinder schrieen uud die
Hunde heulten. Man schreckte die Kleinen mit dem Worte: Ita'i
Uta sin, und alle unsere Bemühungen, deu Leuten die Furcht
auszureden, halfen nichts. Da nahmen wir einmal unsere Fraueu
mit hinaus uud ließen diese allein vorangehen. Das half. Die
Chinesinnen kamen näher, betrachteten sie von oben bis unten,
zupften au deu Kleidern und wagten sogar einige Fragen. Habt
ihr Kinder? — Ja. — Habt anch ihr Kinder? — Ja. — Wir
möchten sie wohl einmal sehen. — Wir wollen sie herbringen. —
Bald schafften sie auch dieselben zur Stelle, uud die kleinen, oliven-
gelben Creatureu wurden natürlich mit Liebkosungen bedacht.
Einige Tage später ging ich mit meinem Kinde, nnd das bisher
Unerhörte geschah: eine Chinesin redete mich au."
Es wäre sehr zu wünschen, daß die Europäer sich überall
human gegen die Ausländer benehmen möchten; aber das geschieht
leider uicht immer.
Ein neuer Gott in Indien.
Wir wissen, daß die Menschen im Alterthnme Ihresgleichen
zu Heroen und Göttern erhoben; daß sie ihre Helden iu deu
Himmel versetzten und sie verehrten. Es scheint, als ob ans gewissen
Culturstufen und bevor geläuterte Ansichten durchgedrungen sind,
ei» gewisses Bedürfniß vorhanden fei, Götter zu machen, die man
sich leiblich vorstellen kamt.
Aus der alleriteuesteit Zeit liegt eilt Beispiel vor, au welchem
wir deutlich sehen, in welcher Weise man einen noch lebenden
Menschen zum Gott erhebt, ihm sofort auch einen beson-
dern Cultus widmet uud sich diesem mit einem wahren Fanatis-
mus hingiebt. Die Thatsache ist folgende.
Der englische General Nicholson, welcher 1657 während
der großen Meuterei in Indien von den Sipahis erschossen wurde,
hatte früher längere Zeit hindurch im Pendschab (dem Fiinfstrom-
lande der Jndnsregion) befehligt. Die Eingebornen lernten ihn
als einen tapferu Mann kennen, der sich auf dem Schlachtfelde
durch großen Muth und kaltblütige Haltung auszeichnete. Das
Land stand längere Zeit unter dem Kriegsgesetz, nnd die bürger-
liche Verwaltung wie die Pflege der Gerechtigkeit unter der Lei-
tung des Generals. Dieser führte sein Amt zugleich kräftig uud
mild und in wahrhaft väterlicher Weise. Dadurch erwarb er sich
die allgemeine Zuneigung der Eingebornen.
Als der General im Jahre 185)0 aus eiuigeJahre nach Europa
zurückreisen wollte, trat eine eigeuthümliche Erscheinung zn Tage.
Es ergab sich nämlich, daß in der Stadt Harripore eine Gemeinde
von Fakirs bestand, welche ihrer alten indischen Religion den Rücken
gekehrt hatten: an die Stelle derselben war ein Nicholson-
Cultus getreten. Sie bezeichneten den Mauu als ihren Vater,
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
223
Beschützer und Richter; sie beteten zu ihm als dem Guru Nikol
sein, trugen ein safrangelbes Gewand nnd eine schwarze Kopf-
bedecknng. Auch hatteu sie geistliche Lieder, und jeder Vers der-
selben endete mit dem Namen Nicholson, der zugleich als Guru,
Heiliger, bezeichnet wurde.
Diese Gemeinde bestand aus harmlosen, friedlichen Leuten, die
ihre Beseligung darin fanden, ihren neuen Gott in aller Ruhe
verehren zu können. Im Jahre 1856 kam Nicholson nach Indien
zurück, um einen Befehl in Kaschmir zu übernehmen. Sein Weg
führte ihn durch Harripore, wo sich gleich eiue allgemeine Auf-
regung kund gab. Unter großem Jubel zog das Volk seinem Guru
entgegen und brachte ihm Huldigungen dar. Der General war
über das Alles iu nicht geringem Grad erstaunt, wurde verdrießlich,
suchte durch ernsthafte Mahnungen die Leute vou ihrer Berirruug
zurückzubringen, aber fein Bemühen war ganz vergeblich. Endlich
griff er zu einem äußersten Mittel, er ließ einige seiner äußersten
Verehrer öffentlich auspeitschen.
Aber die Wirkung war eine ganz andere als der Guru-Geueral
erzielen wollte. Denn durch diese Strenge erkaltete nicht etwa der
Eifer, sondern wurde wo möglich noch gesteigert. „Wir haben die
Züchtigung verdient, wir haben den Guru durch unsere Sünden
beleidigt, unser Leben war noch nicht rein genug." So sprachen sie
und führten ein noch strengeres Lebeu, beteten nur noch inbrünstiger.
Nicholson mußte der Sache ihren Verlauf lasseu, er konnte an
ihr gar nichts ändern. Während des großen Krieges fand er bei
Delhi seinen Tod. Lange Zeit wollten die Leute in Harripore nicht
glauben, daß ihr Gott gestorbeu sei; als sie endlich Gewißheit er-
hielten und nicht mehr zweifeln dursten, gaben die Nikol-sein-Fa-
kire sich einem wahnsinnigen Schmerze hin. Der Gemeindevor-
sicher erklärte, daß er nicht länger iu einer Welt leben könne, welche
sein Guru verlassen habe Er ging in seine Wohnung und schnitt
sich deu Hals ab. Ein anderer that desgleichen.
Ein dritter fing die Sache gefcheidter an. Er sagte: ich will
in denselben Himmel, zu welchem mein Guru eingegangen ist und
will dieselbe Lehre annehmen, an welche er glaubte. Ein zn Cal-
cutta erscheinendes Blatt, der „Friend of Jndia" erzählt, daß
dieser Manu stracks zu den Missionaren nach Peschawer gegangen,
im Christeuthum unterwiesen und dann getauft worden sei. Er ist
jetzt Lehrer iu der Missionsschule. Einige Andere sind seinem Bei-
spiele gefolgt; was aus den übrigen Anhängern des Nicholson-
cnltns geworden ist, und ob sie noch fest in ihrem Glanben sind,
wissen wir nicht.
Kleine l
Dir angebliche Ulasservcrbindnng Mischen dein Schwarten
Meer und dem Iiaspischen See. Wir haben nenlich (Globus
S. 59) die Ansichten des Staatsrathes Dr. Bergsträsser in
Astrachan über die Möglichkeit einer solchen, und die Ergebnisse
der Expedition K o st enkoff's mitgetheilt. Ihnen zufolge kann von
einem Kanal keine Rede sein, und das Land eigne sich nicht zn Au-
siedelnngen. Nuu ist Dr. Bergsträsser iu einer ausführlichen Ab-
Handlung (Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 264, außerordent-
liche Beilage) gegen Kostenkosf sehr scharf aufgetreten. Iu deu
Streit selbst gehen wir uicht ein, sondern heben nur Einiges hervor,
das zur Erlänternng dienen kann. Neber die Möglichkeit der Her-
siellnng eines Kanals bemerkt Herr B. diesmal nichts, bringt aber
Zengnisse bei, denen zufolge eine Wasserverbindung zwischen beideu
Meeren einst vorhanden gewesen sei. Wie kam dieselbe in Abgang?
Darüber giebt ein Brief des Adelsmarschalls Major von Nai-
denoff, zn Georgijewsk im Gonvernement Stawropol, manche
Andeutungen. Die Flüsse, welche vom Kaukasus in die Steppen-
qegenb herabkommen, waren früher wasserreich, Sie fließen tbeils
nach Norden zum Mauytfch, thäls nach Nordost nnd Ost. Zn den
ersteren gehören die drei Flüsse Jegorlick uud der Kala us mit
seinen acht Armen; sie sind alle wasserarm geworden. Zn den
zweiten gehört die Kuma, welche sich bald nach ihrem Ursprung
unter Sandstellen verliert, später wieder zum Vorschein kommt und
sich zuletzt theilö in die Manytschniedernng, theils in das kaspische
Meer verliert. Ihre vielen Nebenflüsse waren einst wasserreich,
jetzt sind sie sehr wasserarm. Die Ursache dieser Erscheinung ist
die Ausrottung der früheren Urwälder; die Knma, welche einst als
ein stolzer Fluß ihre Wellen in's kaspische Meer rollte, kriecht und
schlängelt sich jetzt als auszehrende Wasserader nur noch bis in die
Nähe des Meeres, wo sie frühzeitig versiecht. Alle die genannten
Flüsse haben nur noch ein Drittel oder Viertel ihrer frühern Was-
sermenge. Der Fluß Malka, jetzt der wasserreichste Arm des
Terek, habe sich früher in die Knma ergossen und mit ihr einen
großen schiffbaren Fluß gebildet. Mehrfache Bemühungen, die
Malka wieder in ihr altes Bett zu leiten, sind mißlungen. ,,So
ging ein Wasserweg von der größten Wichtigkeit verloren, den wie-
der herzustellen jetzt unerschwingliche und nicht zn ersetzende Sum-
men nöthig sein sollen." Herr B bemerkt dazu: „Diese Mitthei-
langen eines so tüchtigen und zuverlässigen Gewährsmannes sind
wenig erfreulich für die Möglichkeit, den früh er n
Wasserweg zwischen beiden Meeren anf einer so ausge-
d eh nten Strecke wieder herzustellen, um so mehr, da die
Entwaldung der kankasischen Abhänge nicht ab-, sondern zunimmt."
Damit scheint B. auf feine frühere Aufstellung wegen eines Kanals
zn verzichten, und die Hauptsache Ware damit erledigt Er weist
dann nach, daß Kostenkosf, Barbet de Marny und Kryschin nicht
eine wissenschaftliche Reise, sondern nur eine „flüchtige Durchfahrt"
durch die pouto-kaspische Niederung gemacht hatten , bestreitet aber
nicht, daß sie, wie sie sich ausdrückten, „den Mauytsch trockenen
Fußes erforscht haben." Uebrigens scheinen allerdings die Unter-
lchrlchten.
suchungen Kostenkoff's und seiner Gefährten sehr oberflächlich ge-
Wesen zu seiu, und Herr B. äußert sich auch in dieser Beziehung sehr
scharf. Er wirft ihnen irrige Ansichten und Trugschlüsse vor; ihr
Rechenschaftsbericht sei ungenau, enthalte ungerechte Ausfälle gegen
ihn, Hrn. B., zenge von Mangel an Kenntnissen und an hinreichen-
der THätigkeit. Kostenkosf habe den mit der Steppengegend ver-
trauten Beamten Tfcherkasoff so ungeeignet behandelt, daß derselbe
seinen Abschied nahm, und dann nur noch Kalmücken bei sich gehabt,
„welche ihr größtes Interesse daran haben, diese Niederung, welche
gleichsam ihr gelobtes Land ist, im unerfreulichsten Lichte darzu-
stellen " Sie wollen die Ansiedelung ackerbautreibender Russen
verhindern. Die wirkliche Reisedauer der Expedition betrage nur
fünfzehn Tage; die angeblichen Resultate verdienten keinen Glau-
ben; amtliche Documeute seien absichtlich verdreht worden; es
werden auch Andeutungen gegeben, daß man sich von den Kal-
mücken habe bestechen lassen. Uebrigens führt Hr. B. überzeugend
den Nachweis, daß die Steppe anbaufähig sei, einst blühende Nie-
derlassnngen gehabt habe, und dieselben noch besitze.
Eisenbahnen in Indien. Die Engländer betreiben den Bau
derselben mit großem Eifer. Im Herbst 1801 ist die 264 Miles
lange Strecke von Kalkutta nach Bhagalpore in ihrer ganzen Länge
befahren worden. Sie soll demnächst bis Monghyr, einer wichtigen
Stadt am Ganges, eröffnet werden, und von dort verlängert man
sie über Patna nach Benares. Sie hat dann (von Kalkutta bis
Benares) eine Länge von 539 Miles. Gleichzeitig wird auch die
Bahn vou Benares nach Mirzapore fertig; jene von Allahabad
über Kahnpur (Cawnpore) nach Etawah, '210 Miles, ist dem Be-
trieb übergeben worden. Die ganze Strecke von Allahabad bis
Agra gedenkt man im Januar 1862 zu eröffnen.
Australien. Die Eisenbahn von Melbourne nach Ballarat
soll zu Ende des Jahres 1861 eröffnet werden. — Die Goldaus-
fuhr der Kolonie Victoria betrug vom 1. Januar bis 15. August
1,298,707 Unzen. — Der Ackerbau, insbesondere die Anpflan-
zung der Weinrebe, hat große Fortschritte gemacht. — Von erfreu-
lichem Erfolge sind die Bemühungen Eduard W i l f o n' s. Dieser
Mann hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, europäische Thiere iu
Australien einzugewöhnen. Anf seinen Antrieb bewilligte das
Kolonialparlament von Melbourne 2<><0Pfd. St für die Ein»
führuug der Alpakas, 500 für jene des Lachses und 500 für andere
Thiere/ Wilson hat den sogenannten Murray Cod, einen sehr
großen Barsch, im Uarraflusse eingebürgert. Die Versuche mit
dem Lachse schlugen bislang fehl, sollen aber erneuert werden.
Manche unserer Singvögel gedeihen, insbesondere die Lerche, die
schwarze Amsel und Grandrossel. — Die Goldfelder auf Neu -
feeland erweisen sich als ergiebig. In einer einzigen Woche kamen
aus Anckland 3000 Unzen Gold nach Sydney und 700 Unzen nach
Melbourne. — In Neusüdwales ist man durch Militärgewalt
224
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
der Meuterer und Räuber, welche die vou uus geschilderten Misse-
thaten gegen die Chinesen verübten, Herr geworden. Die arbeitende
Klasse verlangt aber ein Verbot der chinesischen Einwanderung,
weil durch diese der Arbeitslohn herabgedrückt werde!
Der unterseeische Telegraph von Malta nach Ale^andria
ist am 1. November eröffnet worden. An jenem Tage wurden
25 Telegramme, jedes von 20 Wörtern, und alle in je fünf
Minuten befördert. Die Entfernung zwischen beiden Punkten
beträgt 1400 Miles. ___
Die Telegraphenverbindung zwischen den beiden Welt-
meeren ist im Oktober 1861 hergestellt worden. Die Drähte find
nun von San Francisco^in Californien bis nach Cap Race auf
Neufundland, auf einer Strecke von 50(10 Miles gezogen worden.
Wie schade, daß vorerst der unterseeische Telegraph, der vou Neu-
fnndland nach Irland lief, sich vor der Hand nicht bewährt hat!
Zeitbestimmung, von Neu^llork aus berechnet. Wenn in
Neu-Jork die Glocke 12 Uhr schlägt, so ist es an allen Orten West-
lich von Neu-Jork Lormittag, an allen Orten östlich von Nen-
Jork Nachmittag. Der Zeiger der Uhr wird dann stehen in
St. M. Sek.
Philadelphia .....auf 11 55 52 Vorm.
Buffalo (N. Y.) . . . . „ 11 56 32 ,,
Charleston (S. C.) . . . . „ 11 36 40 „
Cincinnati (O.).....„ 11 16 18 „
Neu-Orleaus (Sa.) .... „ 10 55 40 „
Oregon City......„ 8 46 40 ,,
Honolulu (Sandwich-Inseln) „ 6 '24 8 „,
St. Heleua......„ 4 33 40 Nachm.
London (England) .... „ 4 55 42 „
Rom (Italien).....„ 5 46 3 „
Jerusalem.......„ 7 17 24 „
Calcutta.......,, 10 49 49 „
Montreal.........12 1 44 „
Meeresströmungen. Am 29. Januar 1858 verlor der ame-
rikanische Walfischfahrer John Gilpin aus Boston anf der Höhe
von Kap Horn einen Theil feiner Ladung. Nun meldet ein Bericht
aus Buubury, einer kleinen Niederlassung an der Küste von Ost-
Australien, daß dort am 18. Februar 1861, etwa 150 Seemeilen
vom Land entfernt, zwei Thranfäffer geborgen wurden, welche zur
Ladung jeues Schiffes Gilpin gehört hatten. Sie waren binnen
drei Jahren vom 70° westlicher bis 111° östlicher Länge getrieben
worden, und hatten eineu Weg von nahezu 8000 Seemeilen zu-
rückgelegt.
Westküste von Afrika. Die letzten Nachrichten von dort
melden, daß in der Mitte des Septembers endlich die englische
Nigerexpedition vou Rabba stromabgekommen war nnd die
Mündung erreicht hatte. Sie war vom königlichen Dampfer
Espoir geleitet und beschützt worden. Man fand den Leiter des
Reiseznges, Dr. Baikie am Leben und gesund; seit zwei Jahren
hatte er keinen unmittelbaren Verkehr mit Europäern gehabt. Er
befand sich am Ende Septembers au der Nigermüudnng. — Der
König von Dahome traf Vorkehrungen zu einem großen Feste;
er gedachte zur Feier des neuen Erutejahres fünfzehnhundert
Menschen zu schlachten. —König Peppel, von Bonny, den nn-
sere Leser kennen, befand sich zu Anfang Oktobers noch immer auf
seinem Schiffe, weil ein Theil der Unterthaueu daraus bestand, ihm
den Gehorsam zu verweigern.
Die Dahlak^Inseln im Rothen Meere sind in der jüngsten
Zeit mehrfach von Reisenden, unter Auderen von A. Ro nx besucht
wordeu. Diese Gruppe liegt vor der Küste Abessiniens, ungefähr
belli Hafenplatze Maffawa gegenüber unter 15« 36' N. Br. Die
drei Hauptiuseln sind Dahlak, Nora nnd Nateln. Die Groß-
haudelsfahrzeuge lege« dort nicht an, obwohl die erste der genannten
Inseln einen sehr guten Hafen hat. Viele Spuren deuten darauf
hin, daß einst die Abessinier nnd im sechszehnten Jahrhundert die
Portugiesen eine Niederlassung auf derselben hatten. Noch jetzt
sind Ruinen von Bauwerken vorhanden, welche von den Arabern
als Keuissa el Kebira, große Kirche, bezeichnet werden. Dahlak
hat nur etwa 1600 Bewohner, anf die beiden andern bewohnten
Eilande kommen zusammen nur 200 Köpfe. Alle sind Moham-
medaner, friedliche Menschen, die unter einem Scheich stehen; dieser
erhält seine Belehnung vom türkischen Gouverneur zu Massawa,
welchem er jährlich 1000 Maria-Theresia-Thaler zahlt. Wasser-
laufe giebt es auf den Inseln nicht, aber das Brunnenwasser ist
gesund. Die Einwohner beschäftigen sich mit dem Fischfang und
der Perlen fisch er ei. Eine Schilderung der letzteren geben wir
an einer anderen stelle unseres Blattes.
Bergbau in Preußen. Die Steinkohlenförderung,
welche 1854 erst 40,739,129 Tonnen im Werthe von 19,167,327
Thalern betrug, war 1860 auf 53,283,626 Tonnen gestiegen, im
Werth vou 21,298,332 Thalern. Der Durchschnittswerth für die
Tonne stellte sich auf 12 Neugroschen. Allein in der Provinz
Schlesien wurden 17^/z Millionen Tonnen Steinkohlen gefördert,
im Saarbrücker Revier beinahe lIMillionen. Die Braun kohlen-
förderung betrug mehr als 21 Millionen Tonnen im Geldwerth
von2,971,879 Thaler. An Eisenerz wurden 2,245,754Tonneu,
1,598,191 Thaler mehr als im Vorjahr gefördert. Zinkerz im
Ganzen 6,(»71,916 Centner, 1,599,823 Thaler; Bleierz 1851
erst 253,060 Centner, 1860 aber 894,949 Centner. 2,333,154
Thaler. Kupfererz 682,471 Tonnen, 112,311 Thaler. Der
Hüttenbetrieb leidet durch die niedrigen Preise. Im Jahre 1858
hatten die sämmtlichen Hüttenerzengniffe einen Werth von mehr
als 80 Millionen Thaler, 1860 nur von 63,551,857 Thaler. An
Roheisen wurden 7,807,019 Centner im Werthe von 11,820,131
Thalern erzeugt (1858: 8,108, 510 Centner, 15,121,944 Thaler),
Schmiedeeisen nebst Schwarzblech und Eiseudraht 6,495,418
Centner; 25,406,741 Thaler. Zink 1,106,930 Centner; 6,424,363
Thaler. Die gesammte Salzerzeugung stellte sich auf 2,612,936
Centner. __________
polnisch redende Bevölkerung in Preußen. Die Zahl der-
selben belief sich, den statistischen Ermittelungen zufolge, im Jahre
1860 ans 2,044,514 Köpfe. . sie bilden in allen Regiernngs-
bezirken, mit Ausnahme eines einzigen, die Minderzahl. Es
kommen im Regierungsbezirk
Posen 536,840 Polen auf 371,740 Deutsche,
Bromberg 216,852 ,, ,, 248,196 „
also im Ganzen dort 783,692 Polen ans 619,936 Deutsche.
Ferner leben polnisch redende Lente im Regierungsbezirk Königs-
berg 132,947; in Gnmbiuueu 138,780; in Dauzig 87,451 und
63,656, die auch deutsch reden; Marienwerder 251,644. Dazu
kommen dann noch in Oberschlesien etwa 650,000, die man im
gewöhnlichen Sprachgebrauch als Wasserpolaken bezeichnet.
Aus Japan bringt die Times den Bericht eines englischen
Diplomaten, der „von diesem Lande durchaus entzückt" ist. Er
hat nur Lob für Land und Leute. Er rühmt die allgemeine San-
berkeit und Ordnung, die er überall fand, auch in den Wohnungen
der ärmsten Leute. Die Leute aller Stände fand er gutmüthig,
höflich im Betragen und ungemein wißbegierig. Ihr Geschick und
ihre Kunstfertigkeit in allen technischen Gewerben erregten sein
Staunen; sie arbeiten in Allem so gut wie die Europäer, und in
Vielem weit besser. Auch die Fraueu der unteren Klassen können
lesen und schreiben. Das weibliche Geschlecht nimmt in der
Gesellschaft eine geachtete Stellung ein, und auch in dieser Be-
ziehuug bildet Japan einen scharfen Gegensatz zn den Chinesen.
Jedes Dors hat ein öffentliches Bad. Eine gewisse Art von Un-
sittlichfeit, welche man beit Japanern zum Vorwurfe mache, sei
nicht in Abrede zustellen, aber sie sei doch nicht zum hundertsten
Theite so arg, als jene in Paris oder London. Uebrigens dürfe
man die Japaner uud ihre Eigeuthümlichkeiten nicht nach vorge-
faßten europäischen Ansichten benrtheilen. Sie seien ganz vor-
treffliche Leute.
Sops und Knops. Ein englischer Kaufmann in Schanghai
steht mit einem angesehenen Chinesen jener Stadt in frenndfchaft-
lichen Verhältnissen. Eines Tages kam zwischen Beiden die Rede
ans die verschiedeneu Trachten und Gebräuche, uud der Sohn
Albions machte einige scherzhafte Bemerkungen über den Zopf,
welchen der Sohn des Blumenreiches der Mitte trug. ,,Wozu habt
Ihr Chinesen diesen Zopf? Ihr habt ja nichts daran zu tragen;
er ist in der That uberflüssig." — Der Chinese lächelte, faßte an
die Knöpfe, welche auf der hinter» Seite des Fracks saßen, uud
entgegnete: „Wozu tragt Ihr Engländer diese Knöpfe? Ihr habt
ja nichts daran zu tragen; sie sind in der That überflüssig." —
33etde lachten hell aus und kamen überein, daß man wirklich in
emer narriichen Welt lebe. Wir Europäer bilden uns nur allzu-
>ehr ein , daß unsere Civilisation und deren Anhängsel eigentlich
das Salz der Erde seien, aber diese Ansicht ist eben so verkehrt als
wen,^ berechtigt. Wir schleppen entsetzlich viel Verkehrtes^und
Ueberflnssiges nach allen Erdtheilen und der Humor von der Sache
ist, daß wir uus sogar etwas darauf zu Gute thuu!
Berantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. - Nerlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Druck von Giesecke & Devrient in Leipzig.
Ein Besuch in Rio de Janeiro.
Eine Reise über den atlantischen Occan. — Ball am Bord des Dampfers. — Deutsche Musikanten. — Madeira, Teneriffa, St.
Viueeut. — Eiu Sonnenaufgang unter dem Aequator. — Peruambuco und Bahia. — In Rio de Janeiro. — Anblick der Stadt. —
Gasthöfe und Kakerlaken. — Spaziergänge uud Ausflüge iu die Umgegend. — Lebeu und Treiben ans Straßen und Plätzen. —
Marktsceueu, — Wunderliche Processioueu. — Die Neger. — Eiue Versteigerung von Sklaven. — Eine Prinzessin aus dem
Laude der Aschautis.
Der Maler Biard hat von seinen Erlebnissen in Bra- mir diese Künstler etwas genauer. Es ist bekannt, daß nicht
silien eine sehr ergötzliche Schilderung entworfen, und manche selten kleine Frauen riesengroße und starke Männer wählen,
Volksseenen und Abenteuer durch Bilder versinnlicht. Wir oder große Männer sehr kleine Frauen Heirathen. So war
werden sie den Lesern des Globus mittheilen. Zunächst ge- es auch mit jenen Musikanten. Ein kolossaler Mensch mit
leiten wir den Reisenden nach Rio de Janeiro. — gewaltigen Händen spielte die Pickelflöte oder Klarinette, und
Musik am Bord dcS Dampfers.
Am 9. April 1858 ging ich in Southampton an Bord
des Dampfers Tyne. Die Fahrgäste waren zumeist Eng-
länder, Portugiesen, Brasilianer und Franzosen. Anch ein
deutscher Königssohn (Prinz Georg von Sachsen) fuhr mit
bis Lissabon, um sich dort mit einer portugiesischen Prin-
zessin zu vermählen. Der Kapitän ließ für ihn eine Kajüte
vor dem Hauptmast errichten, weil das Wetter sehr windig
war, und der Prinz gern einen freien Blick auf das Meer
haben wollte. Aber der Seemann verschwieg, daß in der-
selben Kajüte während der vorigen Reise kranke Leute unter-
gebracht worden waren, die am gelben Fieber litten!!
Am 13. April waren wir im Tejo vor Lissabon, und
stachen rasch wieder in's atlantische Meer hinaus. Ich war
mißvergnügt mit meiuer Kajüte, welche auf der Wetterseite
lag; ich mußte das Fenster geschlossen halten und lag in
einem unheimlichen Halbdunkel. Erst gegen Abend kroch ich
hervor und ging anfs Verdeck, wo eben eine Gesellschaft
deutscher Spielleute zu musieiren begann. Ich betrachtete
Globus 1861. Nr. 8.
sein Sohn, ein Knabe von zehn oder zwölf Jahren blies eine
gewaltige Posaune, die entsetzlich schmetterte. Das Konzert
fand übrigens Beifall und wurde an jedem Tage wieder-
holt. Anfangs tanzten einige Herren mit einander, bald
nachher trippelten die Damen mit den Füßen, und am
Ende war ein förmlicher Ball. Dabei ging Alles recht gut,
denn man machte sich nicht viel daraus, wenn man beini
Rollen des Schiffes etwas aus dem Takte kam.
Am 14. April hatten wir Porto Santo, am 15. Ma-
deira in Sicht, und hier, wo schon Miethpferde bereit stan-
den, durften wir an's Land steigen. Zuerst besuchten wir eine
Kirche, deren Namen ich vergessen habe; dann ritten wir
durch Straßen, die mit Mauern eingefaßt waren. Man
sagte mir, die Aussicht sei wunderschön, ick habe aber weiter
nichts als Mauern gesehen, und einen mächtigen Blumen-
strauß gepflückt. Uebrigens ist Madeira wirklich ein Garten,
in welchem alle tropischen Gewächse neben unseren euro-
päischen Pflanzen gedeihen. Die Luft ist mild und gesuud,
29
Der Z
NUN langweilig, und wegen der starken Hitze sehr ermüdend.
Wir alle gähnten einmal über das andere und fühlten uns
sehr abgespannt; mit den Bällen war es zu Ende. Dann
und wann erregte ein Walsisch unsere Aufmerksamkeit, auch
ergötzten wir uns an den fliegenden Fischen, von denen
manche gehascht wurden. Die Matrosen spannten einige
dieser Thiere ans kleinen Brettern derart ans, daß wir den
Bau der Flossen, welche diesen Fischen als Flügel dienen,
genau betrachten konnten. Das gab einigen Zeitvertreib.
Für eine wirkliche Aufregung sorgte unser Kapitän. Einst
vernahmen wir ein Signal, und sogleich lies die ganze Be-
mannung zusammen. Die Matrosen ließen alle Boote, auch
die große Schaluppe, iu's Wasser; man holte die Briesbeu-
tel, um die Post zu retten, und bemannte die Boote. Was
sollte das bedeuten? Die Sache nahm sich aus wie bitterer
Ernst; vielleicht war dem Schiff ein Unfall begegnet. Zum
Glück handelte es sich blos um eine Uebuug, die man nur
billigen kann; denn wenn ein Unglück eintreten sollte, wissen
die Leute Bescheid, und jeder kennt seine Obliegenheit.
daß dieses seltsame Fahrzeug eine Iaugada sei. Es besteht
aus einem halben Dutzend Balken, die ein zusammengebuu-
denes Floß bilden, hat eine Bauk, und iu der Mitte ein
Loch für den Mast. Das ist Alles.
Wir waren vor Pernambuco, saheu aber nichts von
der Stadt (Globus S. III), und fuhren weiter, nachdem
einige Fahrgäste sich der Iaugada anvertraut hatten und
der Briefbeutel abgegeben war. Auf der Fahrt nach Bahia
sahen wir weiter nichts, als einige Wale, fliegende Fische und
Tropikvögel, und fuhren bei stacht unter gewaltigem Regen-
gusse in den Hafen ein. Ich ruderte au's Land, und hatte nun
brasilianischen Boden unter mir, aber von Allem, was ich
dort zu sehen hoffte, fand ich nichts. Nicht ein einziger ma-
lerischer Eindruck! Nichts als Neger und immer wieder Ne-
ger, die laut schrieen, einander drängten und stießen; nichts
^Jchuuttjtge Beinkleider, schmutzige Hemden und beschmutzte
Füße. Ich hatte oft gehört, daß in Bahia die schönsten Ne-
gerinnen seien, uud ich bemerkte auch einige, die recht leid-
lich aussahen. Aber in den engen Straßen der Unterstadt
226 Globus, Chronik der Reisen
und deshalb die Zahl der Kranken, welche durch sie Gene-
sung suchen, nicht gering. Die hübschesten Häuser gehören
den Engländern. Die berühmten Weinberge suchte ich ver-
gebeus; seit der leidigen Traubenfäule hat man beinahe alle
ausgerodet, und pflanzt statt ihrer das jetzt einträglichere
Zuckerrohr. Aus der Ostseite wächst aber noch Wein.
Bei Teneriffa, wo wir am 17. ankerten, ging ich
nicht an's Land, zeichnete aber den weltberühmten Spitzberg,
über dessen Schnee ein schwarzer Gipsel hinausragte. Am
19. kamen die Inseln des grünen Vorgebirges in Sicht.
Sanct Vincent, wo der Dampfer anlegte, bot einen trostlos
öden Anblick; ich sah aus der Insel nur verkrüppelte Bäume,
und auch diese nur in spärlicher Zahl. Die Kinder liefen
ganz nackt umher; für sie ist der Kleidermacher ein ganz
überflüssiger Mensch.
Von St. Vincent bis Pernambuco in Brasilien steuert
man quer durch den atlantischen Ocean. Die Reise wurde
und Geographische Zeitung.
Am 29. April, Abends acht Uhr, passirten wir die
Linie. Mit den bekannten und oft beschriebenen Feierlich-
feiten und Spaßen, welche den Reisenden von Seiten der
Matrosen gewöhnlich nicht erspart werden, blieben wir ver-
schont. Die Matrosen veranstalteten eine Geldsammlung,
und wir tranken Schaumwein auf des Kapitäns Gesundheit.
Einen wahrhaft prächtigen Sonnenaufgang hatten wir
am 1. Mai. Solch einen Anblick, mit fo eigenthümlicher
Wolkenbildung, hatte ich nie zuvor gesehen. In der Nacht
bewunderten wir die uns neuen Sternbilder am südlichen
Himmel, und am Morgen tauchte nach und nach das Land
empor. Amerika lag vor mir. Es verkündete sich mir freilich
nicht etwa durch Berge, denn die Küste in jener Gegend ist
flach, sondern durch Palmen. Aber was kommt denn da auf
uns zugeschwommen? Es sieht aus wie ein Segel ohne
Schiff, das die Wellen durchschneidet. Ich frage einen
Fahrgast, der neben mir steht, und erhalte die Auskunst,
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
drängte sich Alles wirr durcheinander, auch fremde Kans-
leute, Juden wie Katholiken, und noch dazu in einer wahr-
haft pestilenzialischen Atmosphäre. Ick eilte so rasch als
möglich fort, die Straßen hinan, welche Treppenstufen haben
und zur Oberstadt führen.
Dort war die Luft reiner,
und als ich vor einem hüb-
fchen Garten stehen blieb, sah
ich den ersten Kolibri; er
schwirrte um Orangeblüthen.
Drei Tage später, am
5. Mai, fuhren wir in die
herrliche Bai von Rio de
Janeiro, welche in der That
jeder Beschreibung spottet.
Ich sah Botasogo, das Spi-
tal, die Gloria mit ihren hüb-
schen Häusergruppen, Santa
Theresia, wohin, wie man
sagt, das gelbe Fieber nicht
dringt, das Kastell mit den
Signalen, und eine prächtige
grüne Landschaft. Das war
doch etwas ganz Anderes als
bei Pernambnco oder Bahia.
Aber am Lande war auch hier
nichts zu sehen als Neger und
immer wieder Neger. Einige
trugen Etwas auf dem Kopfe,
das mir verdächtig schien, Negerinnen,
denn Seemöven flatterten dar-
über hin. War es eine Leiche? Ich sah auch den berühmten
Berg, welcher seiner Gestalt wegen mit Recht den Namen
Zuckerhut führt, und mein Blick haftete auf dem Co reo-
vado, dem Buckelberge, den jeder Fremde besteigt, weil von
oben herab die Aussicht wunderbar schön ist.
Wir stiegen an's Land. Jeder nahm etit Bündel unter
den Arm, welches die nöthigen
Kleider für die nächsten drei oder
vier Tage enthielt, denn alle ande-
ren Sachen mußten in's Zollhaus
wandern. Ich wäre in dem großen
Gedränge beinahe in's Wasser ge-
fallen, kam aber doch glücklich in die
Rna Direita, die gerade Straße,
in welcher viele portugiesische Kauf-
leute wohnen. Dort stehen auch
Zollhaus und Postgebäude. Auf
dem Gehwege saßen die schönsten
Negerinnen, welche ich je gesehen
habe; sie waren ungemein stark und
kräftig, fast wie Inesinnen. Meine
Bewunderung erlitt aber doch einen
Stoß, als ich sah, daß diese schwar-
zeu Damen Ochsenmägen und Fett-
gedärme feilboten. Ans der Rna
Direita kommt man in die Ouvidor-
Straße; sie ist für Rio, was die
Rue Vivienne für Paris, der Broad-
way für Neu-Aork. Aber uoch hatte ich nicht Zeit, sie mir
näher zu betrachten, denn vor allen Dingen mußte ich mir
ein Unterkommen suchen.
Im „Hotel" fand ich eine erträgliche Mahlzeit, aber
leider nur ein ganz erbärmliches Zimmer mit einem einzigen
armseligen Fenster; ein anderer Raum war nicht verfügbar,
und mir blieb wirklich gar nichts Anderes übrig, als mit
Weiß gekleidet.
diesem Loche fürlieb zu nehmen. Wenn man in Brasilien
kein lnftiges Zimmer hat, leidet man eine Pein wie unter den
Bleidächern von Venedig, und ist schlimmer daran, als bei
Windstille unter dem Aeqnator. Mir wurde die Hitze
geradezu unerträglich, und ich
konnte es gegen Mitternacht
gar nicht mehr im Bett aus-
halten. Ich stand aus und legte
mich auf eine Rohrbank. Aber
ich war aus dem Regen in
die Traufe gekommen, denn
unbekannte Feinde machten
wüthende Angriffe auf mich.
Schon vorher hatte ich große
Noth gehabt, um mich der
Stechmücken zu erwehren, und
nun stürmten größere Unge-
Heuer auf mich ein. Ich wollte
wissen, mit wem ich zn schaf-
fen habe und zündete Licht an.
Da sah ich Insekten mit zoll-
langen Fühlhörnern, die wie
Sternschnuppen im Zimmer
nmherschossen und nun Plötz-
lich mit ungemeiner Schnellig-
keit verschwanden. Ich suchte
nach ihnen, konnte aber keine
Spur mehr finden und löschte
das Licht wieder aus. So-
gleich begann der arge Spuk
wieder. Im Nu brannte meine
Kerze abermals, und jetzt gelang es mir, eines dieser schwir-
renden Ungeheuer zu erwischen. Mein Schrecken war nicht
gering, als ich sah, daß ich einen Kakerlaken (Blatta insignis)
erwischt hatte. Entsetzliche Erinnerungen wurden in mir
wach. Ich war früher ein ganzes Jahr lang am Bord eines
Kriegsschiffes gewesen, welches am Senegal von einigen dieser
abscheulichen Thiere besucht worden
war, und sie hatten sich dann der-
maßen vermehrt, daß sie eine wahre
Pest für jenes Fahrzeug wurden.
Jetzt dachte ich wieder mit wahrem
Schauder an jene Zeit, und war in
einer mehr als gelinden Verzweif-
lnng. Ich ließ die Kerze brennen,
setzte mich auf einen Stuhl und er-
wartete den Anbruch des Tages.
Am Morgen wandelte ich in
der Stadt umher. Ich trug einen
schneeweißen Anzug, den ich mir in
Paris gekauft hatte, und der offen-
bar für ein warmes Land ganz ge-
eignet war. Aber Jedermann starrte
mich an und sah mir nach, etwa so
wie in unseren europäischen Städten
geschieht, wenn ein sonnengebränn-
terAraber im Burnus oder ein Alba-
nese mit seiner Fustauella sich blicken
läßt. Denn in Rio de Janeiro
geht Jedermann schwarz gekleidet.
Es versteht sich von selbst, daß ich mir Mühe gab, eine
angemessene Wohnung zu finden. Ich kam auf einen großen
Platz, wo ich mir einen Springbrunnen betrachtete, der mit
unzähligen Hähnen versehen war; au ihm konnten fünfzig
schwarze Männer und Frauen gemächlich und gleichzeitig ihre
großen Krüge mit Wasser füllen, sie schrien und gestikulirten
Eine Frau von Stand in Rio.
wohnen, ging also weiter und fand reizende Gärten und
hübsche Häuser; es war die aus einem Hügel sich hindehnende
Straße, welche man die Gloria nerr.it. Dort war aber
nichts zu vermiethen, und ich wollte nun einmal eine Woh-
uuug haben, in der ich nicht
allnächtlich grimmige Kämpfe
mit Kakerlaken zu bestehen
hätte. Allein ich fand keine. —
Da erbarmte sich der
Kaiser von Brasilien des
fremden Künstlers. Biard
erzählt, daß er im Palaste
St. Christoph wohlwollend
von den Majestäten empsan-
gen wurde, seine Empfeh-
lungsfchreibeu abgab, und
dann den Auftrag erhielt, das
Portrait der Herrschaften zu
malen. Er nahm seine Woh-
nnng im kaiserlichen Stadt-
palaste, und war nun aller
weiteren Sorgen überhoben.
Nachdem er dieStadteiniger-
maßen kennen gelernt hatte,
machte er Ausflüge in die
Umgegend.
Ich wollte, so fährt er
fort, einige Landschaftsstudien
machen, und wählte dazu die
Berggegend, welche Tijuea
heißt. Bon Rio aus fährt
man eine Strecke weit im
Omnibus, und besteigt dann Maulthiere, welche bis an den
Berg gehen. Man rieth mir, einen schwarzen Kofferträger
zu miethen, der mir Alles richtig besorgen werde, ohne daß
ich nöthig hätte, ihn zu beaufsichtigen. Ich ging aber hinter
selbst. Die Hitze wirkt drückend auf sie, die Erschlaffung
bleibt nicht aus, und sie gehen höchstens gegen Abend eine
kleme Weile spazieren. Nun begriffen sie nicht, wie ein weißer
Mensch mit seinen fünf Sinnen es wagen könne, zur Mit-
tagszeit eine Strecke von höch-
stens anderthalb Wegstunden
zu Fuße zu gehen, — uud un-
recht hatten sie nicht. — Aber
ich schritt um elf Uhr Mor-
geus mit meinem Neger für-
bas. Der Koffer war nicht
leicht, und nach einer halben
Stunde sah der Mann aus
wie ein ehernes Standbild;
seine Haut erglänzte von
Schweiß. Ich hatte meinen
Schirm aufgespannt, folgte
mühsam nach, und wurde bei
jedem Schritte matter. End-
lich überfiel mich eine An-
Wandlung von Schwindel.
Ich war sehr froh, daß ich
am Fuße des Berges ein
Gasthaus saud, wo ich über-
nachtete. Am andern Morgen
lohnte ich meinen Schwarzen
ab, frühstückte, und machte
mich dann ganz allein auf
den Weg. Da kamen gerade
noch zu rechter Zeit einige
Ein Palast-Schlttssel. meiner Reisegefährten, die
klüger gewesen waren als ick',
denn sie hatten Maulthiere. Sie wollten den Sonntag über
bei mir bleiben. Nuu nahm auch ich eiu Maulthier, und
fort ging es nach dem großen Wasserfalle. Der Aus-
flug war angenehm. Ueberall sah ich Anpflanzungen von
228 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
aber ganz entsetzlich. Dann schlenderte ich durch einige Straßen ihm her bis zu der Stelle, wo die Maulthiere bereit stehen,
bis an's Meeresuser, uud kam gerade an die Stelle, wo kurz Darüber schlugen alle Leute die Hände zusammen; sie hielten
vor meiner Landung die Seemöven in der Luft umhergeslat- mich für närrisch; ich würde, sagten sie, nicht lebendig an-
tert waren. Jetzt wurde mir klar, weshalb; in der Nähe kommen. Zur Erklärung muß ich beifügen, daß die Euro-
lag das Spital. Im Bereich eines solchen mochte ich nicht päer in Rio bald eben so träge werden, wie die Brasilianer
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Kaffeebäumen, und bald vernahmen wir auch das angenehme
Rauschen der Kaskade, die ich sehr malerisch fand.-
Am andern Morgen packte ich in aller Frühe meinen
Tornister, und begab mich auf Streifzüge, um Studien zu
machen und Skizzen zu entwerfen. Ich war von einer
der That eingehändigt. Der Inhalt veranlaßte mich, ohne
weitern Aufenthalt nach Rio zu geheu.
Dort wohnte ich, wie schon bemerkt, im kaiserlichen
Stadtpalaste, begab mich aber täglich nach dem St. Chri-
stophspalaste hinaus, der etwa eine Stunde von Rio entfernt
Schwarze Träger.
prächtigen Natur umgeben, und fühlte mich ganz glücklich. ' liegt, um die hohen Herrschaften zn malen. Natürlich trug
Aber neben der poetischen Wallung machte sich bald ein sehr ich nun schwarze Kleider. Meist kehrte ich zn Fuße heim, um
prosaischer Verdruß geltend. Während ich zeichnete, waren Beobachtungen zn machen, und in meiner Wohnung er-
unverschämte Ameisen über mein Frühstück hergefallen, und > freuete ich mich voller Freiheit. Aber es fiel mir lästig,
$otc h^tte ntk,^ ^ Haufen,^
ZL ' , ' . Sappeurs der Natwnalgarde. r- * /«•
Manne, welcher einen ^orm- Biele stürzten stch mit ihren
sler trug, einen Brief zn überbringen! Dergleichen war im
Gebirge noch niemals vorgekommen. Aber mit der Sache selbst
hatte es seine Nichtigkeit, der Brief war an mich, Herrn
Biard, Ritter der Ehrenlegion, gerichtet, und wurde mir in
Körben iu's Wasser, um so rasch als möglich an's Land zn
kommen. Bei hoher Fluth war der Lärm am ärgsten, und
nicht selten kam es zn Schlägereien. Am Ufer saßen schwarze
Weiber unter lustigen Schuppeu, sie verkauften Kaffee, ge-
230 Globus, Chronik der Reisen
trocknetes Rindfleisch und Bohnen; die letzteren bilden be-
kanntlich für die größte Zahl der Brasilianer das tägliche
Leibgericht. Auf dem Uferstaden trieben sich die Wiederver-
känfer umher. Mehr als diese iuteressirteu mich die vielen
herrlich befiederten Vögel, die auf hölzernen Spießen staken,
und die ich gern alle gekauft hätte; aber leider verstand ich
nichts vom Ausstopfen. Auf einer andern Seite des Markt-
Platzes waren Kalebassen und Matten zum Verkauf aus-
gestellt, und daneben Fische, lebendige Vögel und Affen.
Uebrigens scheinen die Brasilianer sich aus ihren herrlich
befiederten Vögeln nicht viel zu machen; in Rio wenigstens
sah ich in den am Fenster hängenden Kästchen insgemein
einen Zeisig oder Stieglitz. Auch auf die tropischen Blumen
legen sie keinen Werth, wohl aber auf Rosen.
So verlief mir die Zeit recht angenehm. Ohnehin
hatte ich mir einen schwarzen Oberrock gekauft, und konnte
demnach in Rio für einen anständigen Mann gelten. Das
Kleidungsstück war allerdings etwas warm und deshalb
lästig; aber davon durfte ich nichts sagen; die Herren Neger,
Negerinnen.
die meinen weißen Nock verachtungsvoll angesehen hatten,
verneigten sich vor dem schwarzen. Ich wohnte in einem
Palaste; mir gegenüber lag die Kammer der Abgeordneten,
deren Reden ich beinahe hören konnte, und immer machte
es mir Vergnügen, wenn die Nationalgarde unter meinem
Fenster vorüberzog. Die Sappenre waren ja rechte Pracht-
ezcemplare, und nahmen meine ganze Bewunderung in An-
sprnch. Ihre Schurzfelle waren, je nach den einzelnen
Regimentern, verschieden. Bei einigen bestanden sie aus
nachgemachten Tigerfellen, bei anderen waren Thee- und
Kaffeepflanzen auf das Leder gemalt, genau fo, wie Figura
zeigt. Die Herren Offiziere trugen ihre Strohhüte oder
Tschakos am liebsten unter dem Arme.
Ueber meine Mahlzeiten wäre weiter nichts zu sageu,
wenn nicht die verwünschten Ameisen sich dabei in sehr
lästiger Weise bemerkbar gemacht hätten. Abends hatte ich
auch einige Ursachen zu klagen. Wenn ich die Fenster öss-
nete, um frische Lnst einzulassen, begann allemal eine Musik,
die gewöhnlich vor zwei Uhr Morgens nicht wieder aufhörte.
und Geographische Zeitung.
Es war eine Guitarre und eine Flöte, deren Inhaber wahr-
hafte Sterbelieder klimperten/bliesen, und zum Ueberflnß auch
noch saugen. Manchmal entrann ich dieser Qual und ging
nach dem Kastell hinauf, wo ich herrliche Stunden verlebt
habe. Man hat dort eine prächtige Aussicht auf die Bai
und auf das Orgelgebirge, das sich mit feinen sonderbaren
Formen ganz eigentümlich vom Horizont abhebt. Sobald
es dunkel geworden war, begannen die Lichter in der Stadt
zu flimmern; dann kehrte ich heim.
In der Ouvidor-Straße habe ich mich uicht allzu oft
blicken lassen. Aber mehr als einmal betrachtete ich mir
doch beim flammenden Lichte der Waarenläden den Anzug
der brasilianischen weißen Damen. Die Frau vom Stande
hat gewöhnlich zwei Mulattinnen oder Negerinnen zur Be-
gleitung uud obendrein noch ein paar kleine Negerknaben.
Sie schreitet so majestätisch als möglich einher, und manch-
mal geht der Herr Gemahl voraus. Die Brasilianerin liebt
Farben, die recht in's Auge stechen. Das mag sein Gutes
haben, denn wenn die Sonne einige Zeit solch ein Zeug be-
Ein Dienstmann.
schienen hat, dann sieht es anders aus, und der Anzug ist so
zu sagen ein anderer geworden; eine neue Mode kommt
durch das Abblassen. Auch an Fortepianoklimpern war kein
Mangel.
Zwei wunderliche Prozessionen habe ich auch mit an-
gesehen. In der einen^spielte eine Puppe, welche den hei-
ligen Georg in voller Rüstung vorstellte, eine große Rolle.
Sie saß zu Pferde, und alle hohen Würdenträger folgten.
Durch Nachlässigkeit der Leute, welche das Pferd führten,
wäre der Heilige beinahe auf das Straßenpflaster herabge-
fallen. Bei einem andern Umzüge sah ich eine große An-
zahl acht- bis zwölfjähriger Mädchen, die nach der Mode
aus den Zeiten Ludwigs des Fünfzehnten in Sammet und
Seide gekleidet waren, und allerlei Tänze aufführten. Nebeu
dm Mädchen schritten die Herren Väter in Kniehosen, mit
Sonnenschirm und brennender Cigarre einher; Offiziere der
Armee trugen ihre Kopfbedeckung unter dem Arm und Hei-
ligenfiguren in den Händen; natürlich fehlten die Sappenre
mit den getigerten Schurzfellen auch hier uicht. Den Zug
Globus, Chronik der Reisen
schlössen Neger, welche den Leuten Schwärmer zwischen die
Beine warfen.
Der Neger bildet in Rio vorzugsweise die Charakter-
figur; er ist überall. Gleich in den ersten Tagen, als ich im
Palaste eben meine Wohnung bezogen hatte, vernahm ich
ein sonderbares Geräusch, das ich mir nicht erklären konnte.
Ich eilte au's Fenster und sah einen wunderlichen Auftritt.
Eine Familie zog mit ihren Habseligkeiten aus einer Woh-
nnng in eine andere, und der ganze Hausrath wurde von
Negern weggetragen. Sie gingen hinter einander in einem
gewissen Takt; jeder Einzelne wiederholte ein paar Sylben
oder stieß Kehllaute hervor. Einer schleppte nicht weniger
als fünf zusammengebundene Fässer auf dem Kopfe; die
ganze Gesellschaft mochte wohl an die fünfzig Köpfe zählen.
Zuletzt kam ein großer Flügel, dessen wandernde Unterlage
von sechs Negerköpfen gebildet wurde. Der eine Mann war
so eine Art von Musikdirektor, und gab den Takt vermittelst
einer mit Kieselsteinen gefüllten Blechbüchse.
Ein andermal sah ich eine Gruppe von drei Negerinnen,
die sich eifrig mit einander unterhielten. Die Eine trug auf
dem Kopfe einen Schirm, die Zweite eine Apfelsine und die
Schwarzer Dienstmann.
Dritte eine kleine Flasche. Die schwarzen Leute tragen jeden
nur denkbaren Gegenstand auf dem Haupte, und dick genug
ist ihr Schädel.
Versteigerungen von Sklaven habe ich auch mit auge-
sehen. Die schwarze lebendige Waare wird in derselben
Weise losgeschlagen, wie jede andere. Der Auktionator
steht, wie es gerade kommt, auf der ersten besten Kiste oder
auf einem Stuhle, und hat einen kleinen Hammer in der
Hand. Ich war einst Zeuge, daß aus dem Nachlaß eines
Verstorbenen, außer Lampen und Tischen und anderem
Hausrath, auch fünf Neger zum Verkauf kamen. Die Leute
waren nicht im Mindesten traurig, sondern ganz aufgeweckt,
und wurden durchschnittlich jeder für eintausend Dollars los-
geschlagen. Der eine Käufer erstand zwei schwarze Frauen,
einen Negerkuabeu, einen '-Usch, allerlei Geschirr und ein
Pferd!
Ausnahmsweise kommen bei derartigen Verkäufen fehr
lebhafte Auftritte vor. Einst wurden aus dem Nachlaß
eines sehr wohlwollenden Mannes sieben Neger zum Ver-
kauf gebracht; sie waren ihrem verstorbenen Herrn fehr zu-
gethan gewesen, und mochten sich nicht darein finden, einen
und Geographische Zeitung. 231
andern Gebieter zu bekommen. Da verschanzten sie sich, lei-
steten Widerstand, nnd konnten nur durch eine starke Ueber-
macht bewältigt werden. Grausame Behandlung der Neger
kommt nur äußerst selten vor, nnd ganz allgemein verfährt
man mit ihnen sehr gut. Auch sind sie ein sehr werthvolles
Besitzthum, und seit Abschaffung des afrikanischen Sklaven-
Handels um das Drei- und Vierfache im Preise gestiegen.
Auf jeden Fall ist ihr Schicksal unendlich besser, als das von
solchen europäischen Ansiedlern, welche von gewissenlosen
Menschen nach Brasilien verlockt nnd übervortheilt werden.
Man begegnet in den Straßen von Rio armen Leuten aus
allen Läuderu; diese bleichen, abgemagerten Gestalten erbet-
teln ihr Brot. Auch habe ich gesehen, daß zwei Chinesen,
von denen der eine blind war, von einem alten Neger Al-
mosen erhielten. —
Bis hierher sind wir Biard gefolgt. Wir wollen seine
Schilderungen des Negerlebens aus einer andern Quelle
vervollständigen, nämlich aus den Briefen eines Nordame-
rikaners, welche wir in einer Augustnummer des zu Neu-
Aork erscheinenden Satnrday Evening Courier fanden.
Man sieht nur wenige Lastfuhrwerke oder Ziehkarren
Stutzer.
in Rio, weil auch Haudelswaareu zumeist auf den Köpfen
der Neger fortgeschafft werden. Gewöhnlich gehen diese in
Rotten von acht bis zwölf Mann in einem eigenthümlichen
Schritte, der rascher ist wie unser gewöhnlicher Gang, aber
nicht ganz so schnell wie ein Trab, nnd dabei stimmen sie
einen eigenthümlichen Gesang an. Dieser ist voll, laut, aber
äußerst eintönig; der Fremde hört ihn anfangs gern, weil
die Sache ihm neu ist, sie wird aber bald recht lästig.
Die Neger fühlen sich sehr glücklich, nnd brauchen nur
ausnahmsweise in unbedingt nöthigen Fällen einmal ange-
strengt zu arbeiten. Immer bleibt ihnen sehr viele freie
Zeit übrig, die sie ganz nach ihrem Gutdünken verwenden
können, und Manche erwerben sich ein recht hübsches Sümm-
chen. Am Sonntage sind sie sauber gekleidet, gehen zu Stier-
gesechten oder anderen Schaustellungen und zum Tanz, zu
welchem die schwarzen Schönen sich in Menge einfinden, um
von ihren Anbetern bewundert zu werden. Die Neger, man
muß es wiederholen, fühlen sich sehr glücklich, und sind lustig
und heiter; das Klima sagt ihnen zu, sie haben gute Nahrung
vollauf, und ihre Herren sind nachsichtig und träg. Der
Sklav kann ohne allzu große Anstrengung so viel erwerben,
232 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
daß es ihm möglich wird, sich frei zu kaufen und fein eigener ten, und ist ein afrikanisches Prachtexemplar, schlank und
Herr zu werden. Dann und wann kommt wohl ein uu- kräftig gewachsen, mit schöner Büste und wohlgeformten
ruhiger Austritt vor, dann aber trifft den oder die Schul- Gliedmaßen. Dabei hat sie keine gequetschte Nase und keine
Eine Versteigerung.
digen eine harte Strafe von Seiten der Obrigkeit. Man
zieht ihnen Masken über das Gesicht, legt Handschellen an,
und manchmal auch ein Halseisen. Bestrafung mit der
Peitsche ist nicht
allgemein üblich,
und diese Art der
Züchtigung nur
dann streng, wo
es sich um starke
Vergehen bei
sehr widerfpän-
stigen und hart-
nackigen Leuten
handelt.
Im Leben
und Treiben der
Neger begeben
sich ganz eigen-
thümliche Bor-
fälle. Ein Eng-
länder besaß eine
schwarze Köchin,
die ihm viel Ver-
druß bereitete.
Sie war hart-
näckig, wider-
borstig und von
verdrießlicher
Laune. Ihr Ge-
bieter schickte sie aus dem Hause fort, und sie hält seitdem
eine Speifewirthschaft an der Dom Pedro-Eisenbahn.
Diese Schwarze hatte den Beinamen Freiheit erhal-
Schwarz gekleidet.
wulstigen Lippen, sondern der Negertypus tritt in ihren Zü-
gen nur schwach auf. Sie ist aus dem Aschanti-Land und
erzählte uns, daß sie eine „Prinzessin" sei (— was man, bei-
läufig bemerkt,
: ' v. " *{!der König je-
nes Landes
_< nicht weniger
als dreitau-
send dreihnn-
\ dertund drei-
nnddreißig
Frauen ha-
ben muß —).
Sie war von
einem seindli-
chen Häuptlinge
geraubt,an einen
portugiesischen
Sklavenhändler
verkauft u. vou
diesem nach Bra-
silien gebracht
worden, als sie
kaum fünfzehn
Jahre zählte.
Als wir sie sa-
hen, mochte ste etwa doppelt so alt sein. Sie hielt in ihrem Hause
vortreffliche Ordnung und übte eine unumschränkte Gewalt.
Alle Schwarzen, die bei ihr speisten, blickten auf diese Frau
Lastträger.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
233
mit einer Art von stupider Bewunderung, und was sie
sagte, das galt unbedingt. Jedermann war beflissen, ihr
einen Dienst zu erweisen, und wehe dem, welcher das Miß-
sallen dieser Dame erregte! Er war damit allgemeiner
Mißachtung preisgegeben. Madame Freiheit war ver-
heirathet, und versicherte, daß sie ihren Mann sehr liebe;
er ist aber nur ein ganz unbedeutender, ältlicher Neger, der
Alles thuu muß, was sie haben will; er darf zum Beispiel
nur höchst selten ihr Haus besuchen, und muß sich in der
Stadt Beschäftigung suchen. So steht er anderen interesfan-
teren Leuten nicht im Wege.
Dame Freiheit erzählte uns sehr gern von der Herr-
lichkeit und Pracht des königlichen Hofhaltes im Aschanti-
lande; der kaiserliche Palast und der ganze Hofstaat in Rio
sei dagegen so viel wie gar nichts! Wir behandelten diese
Negerin mit zuvorkommender Artigkeit, und deshalb war sie
gegen uns sehr mittheilsam. Wenn man ihr aber mit einer
Zurechtweisung oder mit einem Tadel kam, dann schwollen
ihre Nüstern und sie wurde zornig. Mit körperlicher Züchti-
gung und Einsperrung hatte man auch als sie noch jung
war nichts mit ihr ausrichten können; sie war nur bei guter
Laune, wenn sie wollte. Sie ging in die katholische Kirche
und machte die äußeren Gebräuche mit; aber daneben hielt
sie große Stücke auf ihren urafrikanischen Fetisch, den sie
nie ablegte. Manchmal lud sie eine Anzahl von Negern zu
sich ein, die sich Abends um das Feuer setzten; dann erzählte
sie in ihrer Landessprache allerlei über die alte Heimath,
und fang auch wohl Kriegslieder.
Schilderungen aus den La Plata-Staaten.
Charakter der argentinischen Pampas.—Die Campana. — Der Gaucho und sein Treiben. —Der Commandante. — Die Montoneros
und ihre Grausamkeiten. — Rosas und Artigas. — Die Mörderbaude der Mazorca. — Aufzählung ihrer Opfer. — Beispiele von
argentinischer Tyrannei. — Der Gauchohäuptling Jbarra, — Leideugeschichte seiner Schlachtopfer. — Dona Agostiua de Libarona. —
Die Strafe des Netobado.
Die weiten Regionen Süd-Amerika's, welche der La
Plata mit seinen Nebenflüssen durchströmt, haben dnrch ihre
Weltlage Anspruch auf eine große Zukunft. Sobald sie
fleißige Bewohner erhalten, und wenn an die Stelle der
blutigen inneren Kämpfe einmal Ruhe und Ordnung tritt,
werden sie zu Wohlstand und Gedeihen sich emporschwingen.
Aber seit nun schon vierzig Iahren find sie fast ununter-
brocken von Bürgerkrieg heimgesucht worden, der auch jetzt,
im Spätjabre 1861, noch nicht zu Ende ist.
Der Staat oder die Provinz Buenos Ayres, mit der
gleichnamigen großen Handelsstadt am rechten User der La
Platamündnng, vertritt vorzugsweise die europäische Bil-
duug, die Belange des Großhandels, und bildet die Ein-
gangspsorte zum innern Lande. Er hat stets einen über-
wiegenden Einfluß gelteud machen wollen, gegen welchen die
anderen Provinzen sich auflehnten. In diesen letzteren kamen
seit dem Unabhängigkeitskriege die Obersten und Generale an
die Spitze der Verwaltung, uud wollten ihre Waffen nicht
mehr ablegen. Ihre gegenseitige Eifersucht führte zu erbit-
terten Fehden, die mit einer entsetzlichen Barbarei, mit
einer argen Blutgier, mit einer aller Schilderungen spot-
tenden Grausamkeit geführt wurde. Die Häuptlinge der
Rinderhirten und der ungebildeten Bewohner des^ innern
Landes begannen einen Kampf gegen das städtische Element,
einen Krieg der Rohheit gegen die Bildung. Diese Häupt-
linge, Caudillos, schrieben das Wort Föderalismus, im
Gegensatze zu dem Unitarianismus oder Zentralismus von
Buenos Ayres, auf ihre Fahne, und verlangten einen Bnnd
nach Art des nordamerikanischen. Der Lokalgeist lehnte
sich gegen das Allgemeine auf, und nun dauert dieser Kampf
schon vierzig Jahre lang. Bald hat sich der Staat Buenos
Ayres von den übrigen getrennt, bald wieder mit ihnen ver-
einigt, aber bisherhat die wechselseitige Selbstsucht und eine
übel verstandene Rivalität den Ausgang ans einem blutigen
Labyrinthe versperrt. Am Ende muß aber ein solcher dock
gefunden werden, und richtig verstanden haben ohnehin beide
Theile gar keine unvereinbaren Interessen, sondern sind sehr
darauf angewiesen, sich gegenseitig zu ergänzen.
Das weite Gebiet der argentinischen Lande reicht
vom Meere bis zu dem Hochgebirge der Cordilleren, durch
welche es von Chile getrennt ist, und von der Südgräuze
Bolivia's bis in die patagonischen Ebenen hinein. Da sind
Globus 1861. Nr. 8.
unabsehbare Ebeueu, die berühmten Pampas, dichte Wälder,
und schiffbare Gewässer strömen in Menge dem gewaltigen
La Plata zu. Acker- und Weideland sind in Fülle vorhau-
den. Die nördliche Region verschwimmt gleichsam in das
Gran Chaeo hinein. Diese erst theilweise bekannte Land-
schaft im Osten des Salado, welche nach Norden hin bis zur
bolivianischen Provinz Chiquitos reicht, bildet einen großen
„Schlupfwinkel für wilde Dhiere" und das weite Jagdgebiet
vieler Indianerstämme. Während der Regenzeit, vom Ok-
tober bis März, bieten in manchen Theilen die Ebenen dieses
Gran Chaeo den Anblick eines unermeßlichen Oceans, in
welchem grüne Inseln zerstreut liegen. Der Pflanzenwuchs
ist einförmig, denn weite Strecken sind nur mit einer einzigen
Pflanzenart bedeckt, z. B. mit unübersehbaren Anhäufungen
von Palmen oder Algarroben.
Die Städte sind im argentinischen Gebiete spärlich über
den großen Raum vertheilt, und liegen zumeist weit von
einander. Auf dem platten Lande spielt der Gaucho (sprich
Gautscho) den Meister; er ist der eigentliche Pambasbewoh-
ner, auf einer Fläche, die nach allen Seiten hin eine Aus-
dehnung von mehr als vierhundert Wegstunden hat. Anf
ihr kann er, ohne Wege zu bahnen, mit belasteten Wägen
fahren; er findet auch für sein rasches Roß nirgends ein
Hinderniß; denn die Flüsse, auf welche der Gaucho noch nie-
mals auch nur einen Kahn gebracht hat, hindern ihn nicht.
Er treibt fein Pferd hinein, hält sich am Schweife fest, und
schwimmt dergestalt bis zum nächsten Ufer. In feinem
Lande wechseln die eigentlichen Pampas, baumlose Ebenen,
mit Gehölzen ab, an anderen Stellen überwiegt ein Wald-
wuchs, der gewöhnlich in langes, stacheliges Haidekraut aus-
läuft. Aber nach Süden hin ist Alles eine freie, offene,
unabsehbare Fläche, gleichsam ein Oeean mitten im Fest-
lande.
Dieses platte Land, die Campana, bildet auf großeu
Strecken herrliches Weideland, und deshalb ist der Landmann
dort vorzugsweise Viehzüchter. Sein Hirtenleben erinnert
in einigen Beziehungen an jenes der Mongolen und Araber.
Aber der argentinische Hirt besitzt den Boden, welchen sein
Vieh beweidet, als freier Eigenthümer; sein nächster Nachbar
wohnt vielleicht zehn Stunden weit von ihm entfernt. Woher
soll unter solchen Umständen bei Leuten, die nur Viehzüchter
sind, geistiger Fortschritt kommen? Der Gaucho hat kein
30
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Verständnis; für die Civilisation der Städtebewohner, in
ihm ist ein Widerwille gegen unterrichtete Leute rege, deren
Kleidung, Sitten und Lebensweise ihm fremd sind. Als
Soldat thut er seine Schuldigkeit, aber wenn er die Waffen
trägt, kommt der Barbar erst recht zum Vorschein. Der
Hirt hat von früher Jugend an Vieh getödtet, fah alle Tage
Blut fließeu, und ist taub geworden gegen das Röcheln seiner
Schlachtopfer.
Solche halbwilde Menschen sind es, mit deren Hülfe
die argentinischen Parteihäupter bisher ihre Bürgerkriege
geführt haben.
Vor allen Din-
gen bewundert
der Gaucho die
physische Kraft,
starken Muth
und die Kunst,
ein wildes Roß
zu bändigen.
Er trägt stets
ein scharfes
Messer bei sich,
welches ihm als
Werkzeug und
Waffe dieut,
und ihm auch
so nothwendig
ist, wie dem
Elephanten der
Rüssel; er kann
ohne dasselbe
gar nicht leben;
es ist sein Arm,
sein Finger, ja
sein Alles. Bei
der geringsten
Veranlassung
blitzt die Klinge
und er spielt
um Messer-
stiche, wie er
um Würfel
spielt. Ueber
das Fechten mit
Messern hat
sich schon längst
ein festgestellter
Brauch gebil-
det; dieser ver-
langt, daß man
beim Messer-
spiel das Leben
des Gegners
schone. Zwei
Hirten finden
sich in einer
wird gelobt und gewinnt Ansehen, wenn er es mit den ihn
verfolgenden Soldaten aufnimmt.
Der berüchtigte Diktator Don Manuel de Rosas,
der 1853 aus den La Plata-Staaten vertrieben wurde, hatte
auf feinen Estancias, Viehgehöften, förmliche Asyle für Mör-
der; aber Diebe, die verachtete Menschen, jedoch sehr selten
sind, nahm er nicht in seine Dienste.
Unter den Gauchos hat der Commandante großes
Ansehen. Mau wählt oder ernennt dazu einen Mann, der
Respekt einflößt. Alle Häuptlinge, welche in den argenti-
nifchen Revo-
lutionen eine
hervorragende
Rolle gespielt
haben, sind ein-
mal Comman-
dantend.Cam-
pana gewesen;
so z. B. Lopez,
Jbarra, von
dein wir mehr
sagen werden,
Artigas, Fa-
enndoQuiroga
und Rosas,
lauter Namen,
deren bloße Er-
wähnung uns
schon mit einem
Grauen erfüllt
Der Gaucho
ist unbändig
und fügt sich
doch dem ärg-
sten Despotis-
mus. Das geht
so zu. Selbst
in jener halb
barbarischen
Gesells chaft
fühlt man ein
Bedürfniß,daß
Recht gespro-
cheu werden
müsse. Man
ernennt also in
jedem Bezirk
einen Richter,
einen erprob-
ten, mnthigen
Mann, dessen
Name Schreck
einflößt, und
der nach man-
Der Chasquis. Abentett-
ern in reifereu
Jahren sich einem geregelten Leben zugewandt hat. Sein
Pulperia, einer Pampasschenke, zusammen, uud machen einen
Gang, entweder aus Liebhaberei oder weil sie iu eine Irrung Urtheil spricht er nicht etwa nach ^ einer vorgeschriebenen
mit einander gerathen sind. Nun trachtet der Kämpfer da- Gesetzformel, sondern, ohne daß eine Berufung stattfinden
nach, den Andern zu zeichnen, ihm einen Schnitt in's Ge- kann, nach Gewissen oder Leidenschaft. So kommt es, daß
ficht zn geben, der allzeit sichtbar bleibt. Die Augen aller An- das Volk in ihm mehr die Gewalt als das Recht sieht, denn
wefendeu folgen dem Blinkern der Klingen, die in raschester nur das Ansehen des Mannes als solchen gilt. Und so
Bewegung find, und der Kampf wird erst eingestellt, nachdem erklärt es sich auch, daß ein beliebiger Häuptling und
reichlich Blut geflossen ist. Und sollte einer den Gegner tödten, Parteiführer, der in Folge eines Aufstandes oder einer
so hat der Ueberlebende ans allgemeine Theilnahme zu rech- Revolution obenauf kommt, ohne alle Widerrede uud ohne
neu; auch der Manu, welcher vorsätzlich einen andern mordet, Einspruch von Seiten seiner Anhänger eine ganz nnein-
1
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
235
geschränkte Willkürherrschaft, eine förmliche Tyrannei aus-
üben kann.
In der Campana giebt es Montoneros (vom spa-
nischen Worte monton, Haufen), Schaaren unregelmäßiger
Truppen, welche iu den Pampas nmherschwärmen, die regel-
mäßige Armee belästigen und plündern. Ein solcher Trupp
bildet eine Montonera; man könnte sie als einen Schwärm
von Gaucho-Beduinen bezeichnen. Sie kennzeichnet sich durch
wilde Barbarei. Artigas ließ gefangene Feinde in
nasse Ochsenhäute nähen und aus freiem Felde lie-
gen; so wurde die Haut von der Sonne getrocknet und der
Mensch mußte langsam ersticken.
Dem Obersten Maciel wurde von den Montoneros
ein Stück Fleisch aus dem lebendigen Leibe geschnitten, und
Rosas baud. mit diesem Riemen aus Menschen-
fleisch sein Pferd au einen Pfahl.
Als einst General Urqniza (derselbe, welcher später
jenen Rosas besiegte, und der jetzt eben, im September 1861,
vom General Mitre, dem Befehlshaber der Truppen von
Buenos Ayres, bei Pavon geschlagen worden ist) gegen
Rosas anrückte, ließ dieser das dürre Gras und die meilen-
weiten Distelfelder in Brand stecken, um, wie er sich aus-
drückte, feinen Feind zn rösten.
Dieser Rosas hatte als Haupthebel seiner tyrannischen
Regierung nur blutigen Schrecken, Kerker, Vermögensein-
ziehnng, Todesurtheile uud vor allen Dingen den förmlich
organisirten Meuchelmord. Im Jahre 1840 bildete er die
fürchterliche Mazorca-Gefellschaft. Das Wort bedeutet
Maiskolben. Als der Verein noch insgeheim für Rosas
thätig war, übersandte derselbe ihr einen Maiskolben als
Zeichen der Zufriedenheit, und von nun an war dieser das
Sinnbild und Losungszeichen der Mörderbande. Sie wollte
den argentinischen Boden von allen Feinden des Tyrannen,
von der Partei der Unitarier, säubern, uud räumte alle,
welche ihr mißfielen, aus dem Wege. Sie drang ungestraft
in die Häuser, mordete und plünderte. Verdächtig war, wer
sich von der Mazorca fernhielt. Verdächtig war, wer sein
Pferd nicht mit einem rothen Bande schmückte. Die ganze
große Stadt Buenos Ayres war mehr als einmal Monate
lang dem Wütheu der Mazorca preisgegeben. Rofas ließ
die Bande allemal los, sie mußten mafsenweis morden und
plündern, wenn er es für angemessen hielt, wieder einmal
seinen Gegnern neuen Schrecken einzujagen.
Wir können eine gräßlich wahre, amtlich beglaubigte
Ziffer anführen. Durch diesen Rosas, der jetzt, wie gesagt,
in England den Gentleman spielt, waren schon zn Ende des
Jahres 1843 nicht weniger als 22,030 Opfer gemordet
worden. Es liegt unter Anderm eine den europäischen Groß-
mächten übermittelte Liste vor, der znsolge bis zn dem ge-
nannten Zeiträume umgebracht worden waren: durch Gift
4, durch den Dolch 722, der Hals war 3765 Leuten abge-
schnitten worden, 1393 wnrden erschossen; die Uebrigen
wurden als Kriegsgefangene niedergemacht.
Für Rosas war es immer ein Fest, wenn er in dem
Gefängnisse von Santos Lugares bei Buenos Ayres große
Hinrichtungen vornehmen ließ. Seine Soldaten erschossen
die Schlachtopser und sangen dabei den Resbalos, ein für
solche Gelegenheit gedichtetes Lied, welches sie bei ihrem
blutigen Werke erheitern sollte. Wer ruhig zum Tode
ging, war bald abgethau, aber denen, welche dem Tyrannen
fluchten, schnitt man zuvor die Zunge ans, und dann erst jagte
man ihm Kugeln in die Brust. Rosas wollte wie ein Gott
verehrt sein. Aus einem Wagen wnrde sein Bild durch die
Straßen von Frauen gezogen, denen keine andere Wahl
blieb, wenn sie nicht entehrt werden wollten. Einst zwang
Rosas die Frau des von ihm ermordeten Facnndo Quiroga,
sich au einen solchen Wagen zn spannen. Als sie in ihre
Wohnung zurückkam, fand sie ein Kästchen, welches Rosas
ihr dorthin geschickt hatte; indem sie es öffnete, fand sie Heu
darin! Der Vergötterte ließ sein Bild in die Kathedrale
tragen, Frauen mußten dasselbe aus den Hauptaltar stellen
und die Priester ein Hochamt halten!
Folgende Thatsachen sind bezeichnend für die damaligen
Zustände. Einst befahl Rosas bei hoher Strafe, daß bis zu
einem gewissen Tage alle Häuser von Buenos Ayres weiß
und mit einem rothen Streifen angestrichen werden sollten.
Der Blutstreisen war das Symbol des Tyrannen. Die
Rathhansnhr ging unrichtig; Rosas erklärte, sie gehe richtig,
und jeder Uhrmacher habe sie als maßgebend zu betrachten.
Das böse Gewissen peinigte den Diktator; manchmal wüthete
er wie wahnsinnig, und oft gefiel er sich in abscheulichen
Possen. Einst war Damengesellschast bei seiner schönen
Tochter Manuelita. Plötzlich erscheint Rosas im Saale,
und zieht einen prächtig aufgeschirrten Esel hinter sich her,
auf welchem ein Asse sitzt; dann sagt er jeder Frau einige
unanständige Worte, und entfernt sich lachend mit dein Esel
und dem Assen. Ein paar Zwerge waren seine Lnstigmacher;
der eine war ein buckeliger, krummer Neger. Als eine junge
Dame sich weigerte, dem Diktator die Hand zu küssen, ließ
er dieselbe ans dem Salon seiner Tochter Mannelita weg-
führen, draußen entkleiden und durch die Zwerge aus-
peitschen.
Eines Abends saß Manuelita am Klavier, und sang
der versammelten Gesellschaft spanische Romanzen vor. Da
trat ihr Vater in's Zimmer. In der einen Hand hielt er
einen großen silbernen Teller. Was lag ans diesem? Ein
paar Menschenohren, welche ein Mitglied der Mazorca einem
Gegner des Tyrannen abgeschnitten und eingesalzen als
Präsent überschickt hatte.
Ein volles Menschenalter hindurch schaltete dieser Ty-
rann als Oberhaupt einer — „Republik!" Es ist be-
merkenswert^. daß solche Wütheriche in den argentinischen
Staaten gewöhnlich ihre Schreckensherrschaft lange Zeit be-
hanpten konnten. So war der Ganchohänptling Jbarra,
z" dem wir uns jetzt wenden, von 1820 bis 1851 nnnm-
schränkte? Gebieter der Provinz Santiago del Estero. Nach
den Thatsachen, welche wir angeführt haben, wird man nicht
versucht fein, in der nachfolgenden Erzählung irgend etwas
Uebertriebenes zu finden.
Im Jahre 1840 reiste eine junge Frau, Agostina Pa-
laeio de Libarona mit ihrem Gemahl, den sie vor zwei
Jahren geheirathet hatte, von San Miguel de Tueuman
nach Santiago del Estero, wo ihre Aeltern wohnten.
Ihr Mann wollte nur wenige Tage in dieser Provinzial-
Hauptstadt verweilen. Znm Mißgeschick brach in derselben
ein Aufstand aus, in welchen er wider seinen Willen ver-
wickelt wurde. Damals war Rosas Diktator der argeuti-
nischen Republik und Don Felipe Jbarra Gouverneur der
Provinz Santiago. Dieser rohe Gauchohäuptling übte eine
grauenvolle Willkürherrschaft. Unter Anführung des Don
Santiago Herrera erhob sich ein Theil des Heeres gegen den
Wütherich, welcher die Flucht nahm. Er wurde abgesetzt,
und die Ausstäudischeu zwangen auch den zufällig anwesenden
Libarona, die Urkunde zn unterzeichnen, durch welche Jbarra
geächtet wurde. Bald nachher kam Jbarra als Sieger zn-
rück, und nahm wilde Rache an allen seinen Gegnern. Auch
Libarona mußte ihm büßen nnd wurde sein Opfer.
Die Gemahlin dieses Mannes, ein Muster weiblicher
Herrlichkeit und bewundernswürdiger Hingebung, lebt jetzt
in der Stadt Salta, innig verehrt von Allen, die sich ihr
nahen. Sie hat in der zu Buenos Ayres erscheinenden
Zeitschrist „La Religion" im Jahre 1858 ihre Leiden und
30*
238
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Ibarra's Tyrannei geschildert, und neuere Reisende, tote-
Martin de Monssy und Poncet, welche das herrliche Weib
persönlich kennen gelernt haben, verbürgen die Wahrheit der
Schilderung, die ja ohnehin das Gepräge der Aechtheit in
sich selbst trägt.
Wir können aus den wahrhaft rührenden und ergrei-
senden Darstellungen nur einzelne Episoden hervorheben,
durch welche die damaligen Zustände in den argentinischen
Provinzen gekennzeichnet werden.
Die Soldaten Ibarra's pochten mit Kolben an die
Fenster, schrien, schlugen die Thüren ein, schössen ihre Ge-
wehre ab und suchten nach Libarona, der aus dem Lande
war. Die Frau wußte, daß sie von der Rohheit dieser
Halbwilden das Aergste zu befürchten hatte, und flüchtete in
eine Cisterue. Sie war damals achtzehn Jahre alt und
hatte zwei Kinder, Mädchen, von denen das Kleinste am
Busen der Mutter genährt wurde.
Die Soldaten zogen ab, aber bald nachher kam eine
andere Rotte. „Ich packte meine kleine Lncinde, gab meine
Elisa rasch einer Magd in den Arm, eilte nach einer Ter-
raffe, sprang zehn Fuß hoch hinab, siel aus einen Haufen
Holz und verwundete mich. Die Magd warf mir das
Kleine nach, und ich fing dasselbe glücklich aus. Erst fand
ich Zuflucht in einem unbewohnten Hause, dann versteckte ich
mich im St. Domingo-Kloster in einem Zimmer, wo vier
Leichen am Boden lagen. Dort hatte ich eine entsetzliche
Nacht!"
Am andern Tage erfuhr Agostina, daß viele angesehene
Bewohner, auch ihr eigener Bruder, verhaftet worden seien;
man hatte Alle an Orangenbäume gebunden. Libarona war
nach einer Estancia, einem Viehgehöft auf dem Lande, ent-
flohen, wo ein Vaqneano, ein Viehhirt, ihn verrieth. Er
wnrde von Ibarra's Leuten eingefangen, nach Santiago ge-
bracht, an einen Pfahl gebunden und einer scheußlichen Ver-
höhnung durch die Soldaten preisgegeben. Sie plünderten
ihn aus, und wollten ihm den Finger abschneiden, an wel-
chem sein Trauring steckte.
Agostina eilte zu ihm. Er stand am Pfahl in der
brennenden Sonne, ohne Kopfbedeckung, über und über mit
Schmutz besudelt. Als er seine Gemahlin sah, stürzten die
Thränen ihm aus den Augen, aber er konnte sie nicht ab-
wischen, denn seine Hände waren geknebelt. Als die Frau
ihm nahen wollte, wurde sie von der Schildwache mit Kol-
ben zurückgestoßen; sie durste sich nicht einmal so hinstellen,
daß sie ihu mit ihrem Schatten decken konnte.
Die Frau eilte in Verzweiflung zu Ibarra's Minister,
dem Doktor Gallo, der eben schlief. Aber sie drang in sein
Zimmer, und bat nur, ihrem Manne Schatten gegen die
Sonne gewähren zu dürfen. Gallo antwortete: „Ich kann
Ihnen nicht helfen; Sie wissen ja, wie Jbarra ist!" —
Der Führer des Aufstandes, Herrera, wurde ein-
gefangen und mit Säbelhieben zerfleischt. Dann befahl
Jbarra, ihm die Stellen, an welchen er Wunden hatte, mit
Lederstricken zu umschnüren. Die Strafe des Retobado
wnrde mit scheußlich abgefeimter Grausamkeit an ihm voll-
zogen. Er mußte sich auf eine Kuhhaut setzen, man preßte
ihm den Kopf zwischen die Beine, und nähete seinen Körper
in das Leder ein. Während das geschah, setzten sich mehrere
Gauchos auf ihn, um ihn recht zusammenzudrücken. So
war er wie eine Kugel, welche man an ein Pferd band und
durch die Straßen von Santiago schleifen ließ. Jbarra
hatte von dem blutigen Artigas etwas gelernt!
Libarona wurde mit einem andern Geächteten, Unzaga,
an die Gränze des Gran Chaco verbannt, wo das kleine
Fort El Bracho liegt. Vorher hatte Jbarra Beide an
Bäume binden nnd ihnen verkündigen lassen, daß sie er-
würgt oder mit Lanzenstichen getödtet werden sollten. Aber
der rasche Tod wäre allzuviel Gnade gewesen.
Alle Versuche der liebenden, hingebenden Gattin, den
theuern Mann zu retten, waren vergeblich. Don Manuel
Rosas kam nach Santiago, und sie wandte sich an diesen
damals Allmächtigen. Er hörte sie an, und versprach ihr,
von Tucuman aus Antwort zu geben, er wolle mit Jbarra
Rücksprache nehmen. Aber nie hat er wieder etwas von
sich hören lassen.
Einige Zeit nachher begab sich Agostina zum Bürger
Jbarra. Er wollte eben ein Roß besteigen. Als er die
Frau erblickte, rief er in wilder Wnth: „Was will das
Weib hier? Sie soll sich im Augenblicke fortpacken! Bringt
sie weg. Ihr Mann soll bleiben, wo er ist." Dabei such-
telte er mit der Reitpeitsche so, daß sie ihr Gesicht abwenden
mußte. Von einem solchen Ungeheuer war nichts zu hoffen.
Libarona wurde nach El Bracho abgeführt. Jbarra
erklärte, daß er nichts dagegen habe, wenn Agostina, „die
Närrin," auch dorthin gehe; die Indianer würden schon mit
ihr umzuspringen wissen. Sie sandte einen Chasqnis,
Boten, voraus, um ihrem Manne Kunde zu bringen, daß
sie kommen werde, und legte dann die Strecke von vierzig
Meilen bis an die Gränze des Gran Chaco zurück.
Als sie unterwegs von Vinchnchas, Insekten mit gif-
tigem Stiche, schwer geplagt endlich bei Libarona eingetroffen
war, und ein paar Wochen den Unglücklichen gepflegt hatte,
drohete ein Angriff von Seiten der wilden Indianer. Ihr
Mann drang in sie, wieder nach Santiago zurückzukehren;
er selber wurde noch weiter in den Gran Chaco hineinge-
schleppt, an eine höchst ungesunde Stelle, an der es von
Stechmücken, Vinchnrias, Abispas und anderen von Blut
lebenden Infekten wimmelte. Längere Zeit erfuhr Agostina
nichts von ihm; nachdem sie aber seinen Aufenthalt erkundet
hatte, eilte sie sofort zu ihm in die Einöde.
Als sie in seine armselige Hütte trat, und mit offenen
Armen auf Libarona zueilte, blieb der Mann gleichgültig,
starrte sie mit irrem Blick an, und es ward ihr klar, daß
der Unglückliche in Folge der vielen Leiden, Entbehrungen
und Mißhandlungen Ibarra's den Verstand eingebüßt hatte!
Ein Wink von Seiten Unzaga's beseitigte auch die letzten
Zweifel.
Von nun an zeigt sich Agostina wahrhaft großartig und
erhaben, als eine, ich möchte sagen, himmlische Dulderin.
Ja, sie weint, sie haucht Kummer und Schmerz in manchem
bangen Seufzer aus, aber sie ermattet nicht, sondern ist die
Frau der That, ein wahrer Engel für ihren bejammerns-
werthen Mann, und duldet mit ungebeugter Seele auch das
Entsetzliche.
Vor allen Dingen wollte sie ärztliche Hülse berbei-
schaffen. Mit vieler Mühe und gegen hohen Lohn gelang
es ihr, einen Chasqnis (Boten) nach Santiago zu schicken,
aber dort wollte, aus Furcht vor dem Tyrannen Jbarra,
kein Arzt wagen, dem Kranken persönlich Hülfe zu leisten;
sie sandten brieflich einige Vorschriften und schickten Arzneien.
Oft kannte der Kranke seinen Schutzengel nicht und miß-
handelte die Arme. Als sie ihm einst ein Bad bereitet hatte,
kam die Nachricht, daß die wilden Indianer nur noch wenige
Stunden entfernt seien. Sie brachte ihn mit unsäglicher
Mühe während eines fürchterlichen Orkans in den Wald.
Sie hatte ein Pferd gekauft, hob den Wahnsinnigen hinauf,
setzte sich hinter ihn und sprengte in's Dickicht. Die Wälder
im Gran Chaco bestehen, wie wir aus Weddel's Schil-
deruugen wissen, zum großen Theil aus stacheligen Mimosen
und Cactnsarten; Libarona und Agostina waren am Abend
mit Wunden bedeckt und bluteten. Sie übernachteten im
Freien. Als die Indianer wieder sortgezogen waren, brachte
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
sie ihn nach der Hütte zurück, wo sie mit eigenen Händen
eine Art von Badestätte für den Kranken herrichtete. Dann
schickte sie wieder einen Loten nach Santiago zu den Aerzten,
aber statt ihrer kam ein Befehl Jbarra's, die Verbannten
noch weiter landein in den Gran Chaco zu bringen. Er
hatte sie nun an einen Ort verwiesen, an welchen! Wasser
nur sehr spärlich zu haben war. Gutes Trinkwasser konnte
man sich nur an einer vier Stunden weit entfernt liegenden
Stelle verschaffen. Dorthin ging die hohe Fran allwöchent-
lich einige Male, um einen la-
benden Trank für ihren Don
Jose zu holen; sie scheuete
weder Sonnenbrand noch die
Marter blutgieriger Insekten.
Oft wurde sie von dem
Irrsinnigen geschlagen, gekratzt
und gebissen, und am meisten
gerade dann, wenn sie ihm die
sorgsamste Pflege angedeihen
ließ. Manchmal kamen die
wachthabenden Ganchosoldaten
und verlangten von dem Kran-
ken allerlei Zwangsdienste, zu
welchen er ganz unfähig war.
Sie hatten es dabei auf Er-
preffungen abgesehen. Als sie
mit eigenen Händen für den
Unglücklichen ein schützendes
Obdach hergerichtet, wurde
sie aus demselben vertrieben;
Jbarra befahl, solchem „Ln-
£Ns" ein Ende zu machen, und
ließ sie abermals an eine andere
Stelle schaffen, wo sie dann
sosort eine Hütte bauete, uud
auch jetzt wieder mit eigenen
Händen. Denn auch hier wagte
Niemand, ihr hülfreich an die
Hand zu gehen, aber durch Be-
stechung gelang es, die Solda-
ten dahin zu beschwichtigen,
daß sie beut Kranken die eiser-
nen Ketten abnehmen durfte.
Das Tagebuch der Frau
Libaroua ist wahrhaft rührend.
Sie gönnt sich Tag und Nacht
keine Ruhe, und legt dem Kran-
ken Blasenpslaster, trotzdem er
sie dabei entsetzlich schlägt und
manchmal bei deu Haaren am
Boden umherschleift. Außer-
dem pflegt sie noch Libarona's
Leidensgenossen Unzaga, der
mit Geschwüren bedeckt ist, und
verbindet die Wunden. Als 3aguar-
die wilden Indianer wieder ein-
mal einen Raub- und Mordzug unternehmen, schleppt sie
ihren Mann in den Wald, aber er mißhandelt sie dabei der-
gestalt, daß sie am Boden liegen bleibt. Als sie wieder zurück-
kommt, findet sie ihre Hütte eingeäschert und ist ohne Obdach.
Sie bereitet ein solches aus Baumzweigen, und das ist für
zwanzig Tage und Nächte der einzige Schutz gegen Wind und
Wetter. Dann werden Beide abermals nach einer andern
Stelle geschleppt; diesmal, ans Jbarra's ausdrücklichen Be-
fehl, in eine Gegend, welche den Einfällen der Indianer noch
mehr ausgesetzt war, und wo Jaguare, amerikanische Tiger,
in Menge nmh'erstreiften. Unterwegs hatten sie sechs Tage
lang einen fürchterlichen Agnaeero, ein Unwetter, bei welchem
der Himmel alle seine Schleusen geöffnet hatte.
Bisher fehlte es doch nicht an den notwendigsten Nah-
rungsmitteln; jetzt kam zu den übrigen Leiden manchmal der
Hunger. Der Irrsinnige tobte nun noch mehr, und Uuzaga
schrie vor Schmerz; er litt entsetzlich an seinen Wunden.
Jbarra hatte verboten, Arznei für die Kranken zu besorgen,
er ließ ihnen auch die Büchse wegnehmen, damit sie kein
Jagdgewehr besäßen. Eines
Morgens wurde Libarona
von den Soldaten auf eine
Art von Tragbahre gelegt
und in den Wald geschleppt.
Sie belustigten sich damit,
recht oft derart au Bäume zu
stoßen, daß er unsägliche
Schmerzen litt. Als Agostina
Einsprache gegen solche Bar-
barei that, wurde sie von
den Barbaren zn Boden ge-
schlagen.
Sie säugt das Kind einer
Indianerin, nnd diese giebt
ihr Fleischbrühe für den Un-
glücklichen; sie s chneidet Ja cken
für die Indianer zurecht, und
bekomm^ als Arbeitslohn ge-
trocknetes Rindfleisch. Sie
bereitet ans allerlei Kräutern,
Wurzeln und Blättern ver-
schiedene Farben, zerschneidet
ein altes Hemde und macht
künstliche Blumen; dafür be-
kommt sie von den Indianern
etwas Mais. Dann verfertigt
sie sogenannte Reliqnarien in
der Form eines Herzens, und
legt beliebige kleine Dinge
hinein. Die Wilden glaub-
ten, das seien Zaubermittel,
um die böse Sumpfluft zu
verscheuchen. Agostina bauet
wieder eine Hütte mit einem
Dache, zn welchem sie das
lange Gras selber gesammelt
hat. Das war höchst ge-
fährlich, weil die Jaguare in
jener Gegend umherschlichen.
Wenige Tage später überfiel
solch ein Tiger eine Indianer-
familie, warf sich über eine
Frau her, verwundete den
Mann, welcher ihm mit einer
Lanze zn Leibe ging, und
schleppte ein Kind fort. Die
arme Frau erzählte ihre Roth der Dulderin.
Jetzt trat Dürre ein; weit und breit war kein Wasser
vorhanden, und die Leute mußten Gras und Kräuter kauen.
Agostina ging wieder stundenweit, um labendes Naß für
ihren Mann zu holen, trotzdem sie an abschwächender Dys-
senterie entsetzlich litt. Außerdem sammelte sie Brennholz.
Sie war entsetzlich abgemagert, und hatte seit vier Monaten
die Kleider nicht wechseln können. Nun war sie völlig abge-
rissen. Jbarra hatte erklärt, in jener Tiger- und Indianer-
gegend sollten die Rebellen bleiben. Agostina nahm eine
240 Globus, Chronik der Reisen
Hacke zur Hand, machte einen kleinen Fleck Landes urbar
und pflanzte Maiskörner. Als diese aufgehen wollten,
schleppte man die Verbannten noch einmal weiter fort.
Dort mußten sie sich längere Zeit mit unreifen Maiskolben
behelfen; eine andere Speise hatten sie nicht; Agostina röstete
die Kolben. Sie bereitete aus Wachs, das sie im Walve
sammelte, und aus zusammengedrehten Lumpen mehrere
Kerzen.
Die wilden Indianer schwärmten in der Gegend um-
her, legten sich in Hinterhalt und schössen nach den Weißen.
Einst sand Agostina in der Nähe ihrer Hütte erst einige
Pfeile mit drei Spitzen, und wenige Schritte weiter einen
ermordeten Mann, neben welchem feine kleine, von Pfeilen
durchbohrte Tochter lag.
„Mit Don Jose Libarona ging es immer schlimmer,
seine Nervenzuckungen stellten sich häufiger ein, und dann siel
er jedesmal in eine schwere Ohnmacht. Am 11. Februar
bekam er wieder entsetzliche Convulsionen. Ich war ganz
allein bei ihm, nahm ihn in meine Arme und suchte ihn zu
besänftigen. Aber Alles war vergeblich; ich sah wohl, daß
es mit ihm zu Ende ging. Da warf ich mich auf die Knie
nnd betete; ich nahm Don Jose's Kopf in meinen Schoost,
ich streichelte ihn; aber dann übersiel mich ein Schauder und
ich sank ohnmächtig um. Wie lange ich so dagelegen habe,
weiß ich nicht; als ich wieder zum Bewußtsein kam, lag die
Leiche Don Jose's auf mir; sie war schon eiskalt. Thränen
hatte ich nicht."
Agostina Libarona war damals neunzehn Jahre alt.
Vor sechs Monaten war sie eine junge, glückliche Frau, jetzt
granzenlos elend, krank, abgemagert und von Lumpen um-
hüllt, die kaum ihre Blöße deckten.
Sie blieb während der Nacht bei der Leiche. Dann
und wann hatte sie nun Thränen; sie hörte das Gekreisch
der Nachtvögel, namentlich des Cacuy und Quilipe, und das
Brüllen des Jaguars, bald auch das Geschrei der Indianer.
Sie entfloh in den Wald, wo sie erschöpft niedersank. Dort
lag sie einen ganzen Tag und noch eine Nacht. Dann kam
ein Mann, welcher nach ihr gesucht hatte, nahm sie ans den
Rücken, und trng die halb bewußtlose Frau wieder dorthin,
wo die Leiche lag. Sie wollte dieselbe nach Matara, der zunächst
liegenden Stadt, in der Provinz Santiago, schassen lassen,
und Geographische Zeitung.
aber schon lösten sich die Glieder; Don Jose Libarona mußte
an der Stelle begraben werden, wo er seinen letzten Athem-
zng ausgehaucht hatte.
Agostina verließ nun die grauenhafte Einöde im Gran
Chaco und ging nach Matara. Dort verlangte der Com-
Mandant von ihr die Heransgabe der Fesseln (Grilhete),
welche der Verstorbene getragen. Sie antwortete: er möge
in die Wildniß schicken und sie dort suchen lassen.
Dann begab sie sich nach Santiago und sah ihre Kiuder
wieder. Gleich nachher fiel sie in eine lange, lebensgefähr-
liche Krankheit, in welcher sie unablässig von Indianern,
Jaguars nnd Gauchos träumte. Sie genas langsam, und
kehrte dann der Stadt Santiago den Rücken, um fortan
in Tncuman ruhigere Tage zu verleben. Dorthin bekam
sie Nachricht, daß auch Unzaga gestorben sei. Er hatte ent-
fliehen wollen, sich längere Zeit das Leben armselig mit
Wurzeln und Früchten des Waldes gefristet, und war dann
wieder eingefangen worden. Als Jbarra in den Gran Chaco
kam, warf jener sich dem Wütherich zu Füßen. Während
der mit Lumpen und Geschwüren bedeckte Mann vor Jbarra
lag, ließ dieser vier Soldaten kommen, welche den Unglück-
lichen mit ihren Lanzen durchbohren mußten.
Agostina bat zwölf Jahre lang vergeblich um Erlaub-
niß, die Gebeine ihres Gemahls in geweihter Erde bestatten
zu dürfen. Endlich konnte sie dieselben nach der Stadt Salta
schassen lassen; dort wohnt die edle Fran nun schon seit
manchem Jahre.
Nach Jbarra's Tode begab sich Antonio Taboada,
Neffe des Wütherichs, aber ein rechtschaffener Mann, nach
der Stelle, wo Don Jose Libarona fo elend umgekommen
war. Dieselben Soldaten, welche den Unglücklichen über-
wacht und gepeinigt hatten, mußten einen Hügel aufwerfen.
Dort steht nun ein großes Kreuz mit der von Taboada ver-
faßten Inschrift: „Huldigung der Freundschaft für
ein Opser der Tyrannei!"
Das ist ein Gemälde aus dem Leben der argentinischen
Provinzen. Fast überall sind die Nachkommen der Spanier
in Südamerika im Gemüthe verwildert, und die von grau-
samen und blutgierigen Eroberern, z. B. von Pizarro, aus-
gestreuete Saat trägt bis in unsere Zeit hinein blntige
Frucht.
Die Prairiefeuer in Nordamerika.
Nach den Beschreibungen, welche Ccoper in seinen Werken und
noch andere Romanschriftsteller von den Bränden der Prairie geben,
pflegt man sich ein solches Ereigniß gewöhnlich als etwas Außer-
ordentliches, Großartiges, aber auch in demselben Maße Gefähr-
liches vorzustellen. Wir wollen versuchen, das Sachverhältniß so
darzustellen, wie es wirklich ist und nicht, wie es uns in romantischer
Ausschmückung vor Augen gestellt wird. Jetzt sind diePrairiebrände
uur selten ein Spiel des Zufalles, sie werden vielmehr absichtlich
nnd in ganz bestimmten Gränzen veranlaßt, nnd wir werden die
Gründe für dies Verfahren und wie es ausgeführt wird, gleich
sehen.
Zahlreiche Heerdeu Schafe, Kühe, Ochsen, Pferde und der-
gleichen finden im Sommer ihre Weide auf den Prairien, dabei
wird aber mehr Gras zu Boden getreten, als das Lieh eigentlich
zu seiner Nahrung bedarf, und damit bildet sich eine oft mehr als
6 Zoll dicke Decke vertrockneten Grases oberhalb des Bodens.
Fängt also das junge Gras im Frühjahr an zu wachsen, so muß
es diese dicke Schicht erst durchdringen, bevor es sichtbar wird, und
damit tritt die Nutzbarkeit um so viel später ein. Daraus geht
aber hervor, daß diese Schicht in ganz wilden Prairien außerge-
wohnliche Dimensionen hat, denn von Jahr zu Jahr fallen neue
welke Halme auf den Boden, während die Verwesung sehr langsam
von Statten geht. Ein Feuer in einer solchen Prairie, welche viel-
leicht noch niemals in Flammen gestanden hat, ist allerdings ein
ganz außerordentlicher Anblick; da findet sich eine solche Masse
aufgehäuften Zündstoffes, daß die Flammen hochaufschlagen und
bis zu einer Höhe von 12 bis IL Fuß hinzüngeln. Ringsum wird
die Lust erhitzt nnd bis zn einer Entfernung von mehr als 15 Mei-
len verbreitet sich der Geruch des Dampfes. Dessenungeachtet
schreitet das Feuer nicht so schnell vor, als man, in Folge der aus
Romanen geschöpften Ideen, anzunehmen Pflegt, und wenn es
nicht gerade vom Winde gejagt wird, braucht man nicht eben
allzu rasch zu gehen, um vom Feuer uicht erreicht zu werden.
Gefährlicher wird es in den Wäldern, weil dort die dürren
Blätter am Boden leicht auffliegen und zündend an anderen Stellen
niederfallen, so daß es bald hier, bald dort brennt. In solchen
Fallen ist es auch außerordentlich schwer zu löschen; eigentlichen
Schaden aber thut dies leichte Feuer, welches über den Boden in
den Waldungen schnell dahingeht, nur sehr ausnahmsweise; ja
selbst die niederen Gesträuche saugen oft schon im nächsten, sicher
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
241
aber im zweiten Jahre wieder an zu grünen; sie werden nur in
ihrem Wachsthnme zurückgebracht, sonst aber wenig beeinträchtigt,
während die Flammen ans die größeren Bäume fast gar keinen
Einfluß ausüben.
Ganz anders ist es in den bewohnten Prairien. Dort wird
das Feuer rationell benutzt und dann hat es gar keine
Gefahr, selbst für die Umzäunung nicht, denn ein geringfügiges
Hinderniß ist vollkommen genügend, nm den Flammen einen
Damm zn setzen. Selten überschreiten sie einen unbedeutenden
Fußweg. Das missen auch die Farmer sehr wohl. Sie ziehen der
Prairie entlang vor den Fencen (Umzäunungen) zwei oder drei
Furchen mit dem Pflugschar und können sicher seiu, daß das
Feuer diese Gränze uicht überschreitet. .Es ist oft nicht ein-
mal leicht, das Prairiefeuer zu erhalten, und es müssen mehrere
Nachbarn zusammen kommen, um es immer und immer wieder
anzustecken, oder da zu löschen, wo man es uicht haben will. Das
ist unter gewöhnlichen Umständen eben nicht schwer, indem mau
sich dazu gauz einfach eines Bündels grüner Zweige oder eines
Besens bedient, und wo man hinschlägt, erlischt das Feuer fast
augenblicklich. Ist nun anf diese Weise in: Herbst ein Theil der
Prairie abgebrannt, so setzt man andere Plätze erst spät im nächsten
Frühjahre in Feuer, und gewinnt dadurch den Vortheil, daß das
Bich stufenweise frisches Futter findet, indem das Gras dort früher
und hier später emporkommt. Wer etwa im Juui durch die
Prairie fährt, kann den Unterschied aus der Stelle wahrnehmen,
und eS liegt darin und in dieser Verfahrnngsweise ein großer
Vortheil für alle in der Prairie wohnenden Farmer, die deßhalb da-
bei auch fast immer gemeinsam handeln.
Wenn wir hiermit auch die Romantik auf die einfache Prosa
zurückführen mußten, so bleibt der Brand einer großen Prairie
doch immer ein interessanter Anblick. Weithin sieht man das
Fenermeer, wie es sich hiuwälzt über die unendliche Fläche und
züngelnd weiter schreitet; wie die Flammen hoch aufschlagend deu
Dampf emporwirbeln, während der heiße Boden hinter denselben
zurückbleibt. Dennoch kann man aus jedem gebahnten Pfade ohne
Gefahr zwischen denselben durchgehen, ja selbst die Pferde sind
daran so sehr gewöhnt, daß man leicht durchreiten oder fahren kann.
Kommt man dem Feuer näher, so gewahrt man, hinter den Flam-
men in den: Dunkel der Nacht, hin uud wieder die düsteren Ge-
stalten, welche das Element überwachen, wie sie sich hin und her
bewegen, dort löschen und hier wieder anzünden. Zu solcheuZwccken
aber wählt man immer eine möglichst windstille Nacht, da selbst
dann durch die Hitze und die Flammen eine ziemlich fühlbare Be-
weguug iu der Luft entsteht, welche eö veranlaßt, daß dieser Lust-
zug das Fortschreiten des Feuers beschleunigt
Freilich gestaltet sich die Sache anders, wenn die Prairie von
ruchloser Haud oder aus leichtsinniger Spielerei an einem
stürmischen Abende in Brand gesteckt wird. Dann jagt das Feuer
vor dem Winde her, die aufgethürmteu Heuschober falleu ihm zum
Opfer, die Feuceu fangen an zu glimmeu und schlagen endlich
auch auf zu lichten Flammen; in den Kornfeldern verzehrt das
Fener die Blätter der Maisstengel alle, bei der Schnelligkeit des
Elementes aber bleiben diese selbst gewöhnlich verschont, nnd daß
die Frucht selbst dabei Schaden gelitten hätte, ist wohl nur selten
erlebt, wie überhaupt Fälle der Art nicht oft mehr vorkommen.
Für Gebäude aber ist fast niemals Gefahr, weil riugs um dieselben
das Gras längst verschwunden ist, uud wo dies aufhört, ist uatür-
lich auch dem Feuer ein Ziel gesetzt.
Wenn sonach die Prairiefeuer sich weniger als romantische Er-
eiguiffe darstellen, so gewähren sie doch immer einen seheuswerthen
Anblick, die Hauptsache aber bleibt der Nutzen, welchen sie schaffen.
Die ausgedehntesten Prairien finden wir in Illinois; auch
jene in Iowa sind von nicht geringem Umsauge, diese siud aber
von solchen Dimensionen, daß der Holzmangel nicht selten sehr
fühlbar wird. Wisconsin dagegen hat eigentlich keine großen Prai-
mm, diejenigen von Rock Connty uud jeue von Prairie du Sac
mögen zn den weitesten gerechnet werden. Im Allgemeinen aber
sind die Prairien dieses Staates immer von Waldungen umgeben
uud gewöhnlich 6, 8 bis 10 Meilen lang nnd nicht ganz so breit.
Der Boden in denselben ist fast überall fruchtbar, sehr häufig aber
macht sich in ihnen der Wassermangel sehr fühlbar. Das Land
in Kultur zu setzen ist aber natürlich viel leichter als da, wo man
erst Wälder ausrotten muß nnd dann der Pflug uoch hundert Male
iu deu Wurzel» hängen bleibt nnd zerbricht, und wo man dann
vielleicht bis zur nächsten Schmiedewerkstatt 5 bis 6 Meilen zurück-
zulegeu hat.
Unter der schöpferischen Haud des Menschen verschwindet das
Ursprüngliche, es wird durch die Kultur verdrängt, und so wird
eine Zeit kommen, wo mau von deu Prairien uud ihren Feuern
nur uoch wie von einer Sage spricht.
Die Perlenfischern bei den Dnhlak-Inseln im Rothen Meere.
Die Araber machen sich von der Perlenbilduug eine seltsame
Vorstellung. Die Austern, in welchen die Perlen sich bilden, haben,
so sageu sie, ein ungemein warmes Temperament. Sobald sie iu
Folge eines bewundernswürdigen Naturtriebes daö Herannahen
eines Sturmes verspüren, kommen sie an die Oberfläche des
Meeres, öffnen liebend ihre Klappen und fangen einen Regen-
tropfen auf. Dieser wird sofort durch Verschluß der Muschelschale
eiugefaugeu, und bildet sich allmälig zn einer kostbaren Perle
heran. Daß diese aus kohlensanerm Kalk und Thiergallerte be-
stehe, wissen sie nicht, und daß man Perlen auch durch künstliche
Mittel in den dazu geeigneten Muscheln künstlich erzeugen könne,
kümmert sie gar nicht. Sie bleiben bei ihrer jedenfalls poetischen
Ansicht.
Die Perlenauster ist uicht etwa für alle Zeit an einen be-
stimmten Ort gebannt, sondern hat die Fähigkeit, sich von einer
Stelle zur andern zu bewegen. Der Taucher weiß das auch recht
wohl. Er muß bekanntlich sehr oft wieder aus der Tiefe empor-
steigen, um auf's Neue Luft zu schöpfen. Es trifft sich dann, weuu
er wieder hinab kommt, gar uicht selteu, daß er au derselben Stelle,
wo er noch vor Kurzem eine große Menge Austern gesehen hatte,
auch uicht eilte einzige wieder findet. Während der-Taucher obeu
Globus 1861. Nr. 8.
war und sich dort erholte, habeu sie sich nach einer andern Stelle
begeben.
Man findet sie gewöhnlich iu Gruppen auf einem Grunde
von eben gelagertem Sande beisammen, an welchem sie nur äußerst
locker haften. Der Taucher kann sie ohne alle Mühe fortnehmen,
und manchmal erbeutet er einen ganzen Block zusammenhängender
Austern. Zuweilen bilden sie anch förmliche Bänke, welche dann
allemal so fest liegen, daß man sie mit einem eisernen Werkzeuge
losmachen muß. Das ist namentlich bei den durch ihre Perlen
seit Jahrhunderten sehr berühmten Bahrein-Inseln im persischen
Meerbusen der Fall, während sie beim Dahlak-Archipelagus immer
nur sehr lose am Boden haften, selbst da, wo sie iu großer Menge
beisammen liegen.
Die juugen Austern, deren Schale noch in der Bildung be-
griffen ist, haben die Fähigkeit sich fortzubewegen, so lauge sie noch
nicht völlig ausgewachsen siud. Im Fortgange der Zeit aber, und
wenn die Schale sich sehr verdickt hat, werden sie trag, und begeben
sich an solche Stellen, wo sie reichliche Nahrung finden. Dort
bleiben sie ruhig liegen und gehen nicht mehr fort. Sie werden so
zu sageu bodenständig, und leben in solchem Znstande noch lange
Zeit. Dann aber bricht ein eigenthümliches Verhängniß über sie
31
242
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
herein. Wenn sie in großer Anzahl neben einander an einem
Felsen hängen oder ans dem stachen Meeresboden liegen, dann
findet sich eine große Menge von kleinen Austern und anderen
Schalthieren ein, welche die Zwischenräume in einer solchen Gruppe
und die hohlen Stellen ans der Außenseite der Muscheln ausfüllen.
Allmälig werden dann die Perlenaustern von solchen Schmarotzern
mit einer so dicken Kruste umschlossen, daß sie absterben. Ueber
eine solche Bank lagert sich dann nach und nach und sehr allmälig,
aber unablässig eine zweite Austernlage, welcher es genau so ergeht
wie jener ersten; auch sie erhält ihre Parasiten, und so geht es sort,
bis diese gewaltige Masse sich immer mehr ausdehnt, immer dicker
wird, und zuletzt ganze Bänke, förmliche Felsen bildet, welche ganz
und gar aus solchen Muscheln bestehen. Auf diese Weise geht
manche herrliche Perlenauster verloren; denn wer sollte sie ans der
unzähligen Menge anderer heraussuchen oder finden? Die ver-
schiedenen Anwüchse und Anhäufungen von Perlenaustern bringen
oft recht seltsame Gebilde zn Wege, welche den Beobachter auf deu
ersten Blick täuschen. Es ist, als ob er eine künstliche Arbeit von
Korallenthieren vor sich habe, während die wunderlichen Nerzwei-
gnngen doch nur das Werk einer Anhäufung von Muscheln sind.
Die Perleuanster, welche man bei den Dahlak-Jnseln fischt, ist
im Allgemeinen nur klein und beinahe rund; der Durchmesser be-
trägt 5 bis Centimeter. Unter zwanzig bis dreißig Austern hat
immer nur eine einzige eine kleine Perle, die man als Samen be-
zeichnet. Es scheint, als ob eigentliche, völlig ausgebildete Perleu
nur in ganz ausgewachsenen Austern gesunden werden.
Die Dahlak-Jnsulaner bezeichnen die Perlenauster alsBel-
belci. Ihr Fleisch ist weiß und genießbar (während jenes der
Perlenaustern im persischen Meerbusen wegen seiner Zähigkeit nicht
gegessen werden kauu); man trocknet es an der Sonne, fädelt es
auf, und dann bildet es einen Theil des Jahres hindurch die Haupt-
Nahrung der Leute; sie wird für sehr gesund nnd kräftigend ge-
halten.
Der Fang beginnt im Mai nnd dauert etwa drei Monate.
Jeder kaun sich an demselben nach Belieben betheiligen, Abgaben
werden nicht erhoben, nnd nicht selten kommen auch Fischer und
Taucher vou der gegenüber liegenden arabischen Küste. Man be-
dient sich zum Fange der gewöhnlichen Barken, der sogenannten
Sambnks; sie werden gerudert, nnd haben anch Mattensegel. Von
der ans zwölf bis vierzehn Köpfen bestehenden Mannschaft besteht
etwa die Hälfte aus Tauchern.
Das Wasser ist sehr klar und durchsichtig, und das erleichtert
den Fang sehr. Er findet nur au Stellen von zwei bis fünf Fa-
den, also bis etwa dreißig Fuß Tiefe statt, und dort wirft man eine
Art von Anker aus. Der Taucher bei deu Dahlak-Juselu hat es
bequemer als der bei den Bahrein-Inseln, denn dieser mnß sich an
einem Tan in die beträchtliche Tiefe hinablassen, nnd seine Nasen-
löcher mit einer hölzernen Klammer zusammendrücken.
Zuerst wirft man den Schleppanker aus, und läßt dann an Seilen
mehrere Körbe hinab. Diese füllt der Tancher'mit Austern, welche er
so schnell als immer möglich zusammenrafft. Er geht nie in's Meer,
ohne zuvor ein: Im Namen Gottes! Bismillah, gesprochen zn
haben. Ein gefüllter Korb wird rasch heraufgezogen, ausgeleert
nnd wieder hinabgelassen; so geht es fort, bis die Stelle abgeerntet
worden ist. Dann steuert man mit dem Sambuk nach einem au-
dern Punkte, wo sich jenes Verfahren genau wiederholt. Ge-
wöhnlich ist uach zwei oder drei Tagen die Barke mit Austern
gefüllt und fährt dann an's Land, wo man sogleich damit beginnt,
die Austern zu öffnen, das Fleisch herauszunehmen und die Perlen
zn suchen.
Auch der stärkste, wohleingeübte Taucher kann nicht länger als
eiue und eine Drittel-Minute unter dem Wasser ausdauern. Nach-
dem er in größter Eile seine Beute in den Korb geworfen, schwimmt
er wieder empor, und klammert sich mit einer Hand an die Barke,
um auszuruhen, und nachher wieder mit seiner schwierigen Arbeit
zn beginnen. Mehr als dreißig, höchstens vierzig Mal kann er an
einem nnd demselben Tage nicht untertauchen. Eine mit guten,
recht erfahrenen Tauchern bemannte Barke wird im Laufe eines
Tages bis Vierthalbtausend Perlenaustern und etwa fünfhundert
Perlmutteraustern erbeuten.
Der Ertrag wird zwischen den Tauchern nnd den übrigen
Schiffern getheilt, denn die Bemannung bildet eine Genossenschaft.
Zuerst werden die allgemeinen Ausgaben und der Arbeitsbetrag
jedes Einzelnen in Anschlag gebracht; Schiff und Ausrüstung ge-
hören insgemein der Gesellschaft selbst. Nie erhebt sich ein Streit
über Vertheilung der Beute, und das spricht sehr zu Gunsten des
friedlichen Siuues dieser Inselbewohner.
Sie rudern mit dem gefüllten Schisse nach ihrem Heimath-
dorse, ziehen den Sambnk ans den Strand und werfen die Beute
auf den Sand. Je vier nnd vier Mann bilden dort eine Arbeits-
grnppe; sie öffnen jede Schale mit geübter Hand vermittelst eines
eisernen Werkzeuges, das ost nur ein Nagel ist, und untersuchen das
Fleisch, wobei sie sich kleiner Zangen bedienen, um damit die Perle
sacht herauszunehmen. Diese legen sie vorsichtig in ein neben-
stehendes Gesäß, und thnn das Fleisch in einen mit Wasser ge-
füllten Kübel, während die Schalen m'S Meer geworfen werden.
Nachher waschen sie jenes Fleisch recht sorgfältig, fädeln es zum
Trocknen an der Sonne anf, nnd gießen daS Wasser langsam und
vorsichtig ab, weil manchmal einige Austern iin Kübel liegen.
Die Perlmutterauster wird genau auf dieselbe Weise gefangen,
aber ihr Fleisch wird nicht gegessen, sondern in's Meer geworfen.
Uebrigens ist die Beschäftigung der Taucher nugemein anstrengend ;
die wenigsten erreichen ein hohes Alter, und sterben zumeist an
Lnugenkrankheiten.
Alljährlich bringen die Fischer ihre Ausbeute an Perlen und
Perlmutter nach dem Dorfe Debeolo, wo vierzehn Tage lang
Markt oder Messe gehalten wird. Dort legen sie beide Erzenguisse
des Meeres zum Verkauf aus; fremde Handelsleute finden sich
regelmäßig ein, namentlich Bauiauen, indische Kaufleute aus deu
Häfen von Jemen, aus Massawa, ja aus Indien selbst Gewöhn-
lich haben sie im verflossenen Jahre den Fischern Vorschüsse an Geld
und Eßwaaren gegeben; die Lente sind in gewisser Beziehung von
ihnen abhängig und müssen zu niedrigen Preisen losschlagen. Sie
zahlen mit Silber oder Tauschwerten, namentlich Lebensmitteln,
Holz, Datteln und groben Baumwollenzeugen. Aber bei diesem
Handel geht Alles ehrlich zu; man schätzt die Perlen nach ihrer
Größe ab, nach ihrer Gestalt und nach der Reinheit des Wassers.
Die Größe wird durch ein Haarsieb ermittelt, das Oefsuungen von
verschiedener Größe hat. Perlen, welche nicht durch die größte
Oeffnung hindurch fallen, bilden Nummer Eins, die kleinsten
Nummer Sechs. Je nach den verschiedenen Gattungen wird der
Preis bestimmt. Der Umsatz auf dem Markte von Debeolo beträgt
im Durchschnitt an Geldwerth für fünfzig- bis sechszigtansend
Thaler, jener von Perlmutter etwa zehntausend.
Uebrigens werden auch noch andere Schalthiere gefangen, na-
mentlich Porzellanmuscheln, Argonauten, Kauri's und andere.
Diese Kauri's, welche mau als Uada bezeichnet, gelten bekannt-
lich in manchen Gegenden, namentlich in Afrika als Scheidemünze.
Beim Fange solcher Muscheln benutzt man keine Sambuks, sondern
ganz einfache Flösse, Ramas, die man aus fünf Planken von Kork-
holz zusammen zimmert; zwei Querbalken halten das Ganze zn-
sammelt, nnd die Bemannung besteht ans nur zwei oder drei Leu-
ten, und die Ruder sind äußerst einfach; man nagelt nämlich ein
fchanfelförmiges Stück Brett an eine Stange. Auf der zum Fang
auserkorenen stelle, die allemal sehr seicht ist, läßt man einen
dicken Stein an einem Seile hinab, der Taucher springt in's
Wasser, rafft Muscheln mit beiden Händen, und kommt wieder
zum Vorschein. Auf solche Weise gewinnt man von diesen Kauri's,
deu Porzellan- und Argonautenmuscheln, jährlich einen Geldwerth
von etwa fünfzehntausend Thalern.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
243
Die Goldentdeckung
Daö edle Metall fluchet förmlich auö allen Himmelsgegenden
ans uns herein. Zu Californien, Australien, Pikes Pik und Neu-
Schottland, die alle Ertrag liefern, und durch welche jährlich für
wenigstens für einhundert Millionen Thaler Gold in den großen
Weltverkehr gelangt, kommt nun auch Neu-Seeland. Wir
wollen zusammenstellen, was die neuesten australischen Berichte
darüber mittheilen.
Daß Gold auf Neu-Seelaud vorhanden ist, war längst be-
kannt; man glaubte aber, daß es nicht lohnend genug sei. Man
fand es im CoromandelHafen anf der nördlichen Insel, wo
man einige Zeit kleine Quantitäten zu Tage förderte, aber die Ar-
beit bald wieder einstellte. Nachher fand man Gold an der Mas-
facre-Bay, in der Provinz Nelson, also an der Nordspitze der
südlichen Insel, und nannte diese Bucht Goldene Bay; dort ist fort-
während eine allerdings nur sehr geringe Anzahl von „Diggers"
thätig gewesen, der Ertrag war aber nicht bedeutend genug, um
Goldgräber ans Australien anzulocken. Als vor zwei Jahren
unser ausgezeichneter Professor Hofstetter Neu-Seelaud durch-
wandert hatte, und dann nach Victoria ging, erklärte er dort, daß
Neu-Seeland ein außerordentlich goldrcicheS Land sei.
Das hat sich vollkommen bestätigt. Während der Sommer-
monate des Jahres 18G1 haben sich die Goldentdeckungen förmlich
gedrängt, vor allen Dingen in der Provinz Otago. Diese nimmt
die ganze Südspitze der südlichen Insel ein, und ihre Hauptstadt
Dunediu liegt au der östlichen Seite. Es erregte zu Sydney in
Neusüdwales kein geringes Aufsehen, als von dort ganz unver-
muthet 3000 Unzen Gold eintrafen. Am 7. September brachte
der Dampfer Oscar 5827 Unzen nach Melbourne. Als diese Nach-
vicht durch die Zeitungen verbreitet wurde und in die Goldbezirke
von Castlemaiue und Ballarat gelangte, entstand eine große Bewe-
gung unter den Leuten, und sie strömten nach Melbourne. Die
großen amerikanischen Omnibus, welche sechszig Personen fassen,
und die Verbindung zwischen den Goldgegeuden und Melbourne
unterhalten, waren gedrängt voll, und am 26. September hatten
sich schon 9000 australische Diggers nach Neuseeland eingeschifft.
Am 13. war ein Clipper mit 709 Fahrgästen in See gestochen, am
andern Tage folgten ein Dampfer und zwei Segelschiffe mit 1300
anderen, und so ist es fortgegangen. Die weniger sanguinischen
Digger wollten erst weitere Nachrichten und Thatsachen abwarten,
die anch nicht tauge auf sich harren ließen. Am 22. September
brachte ein Schiff abermals 6900 Unzen, drei Tage später ein
anderes mit 2400.
Mit diesem Golde kamen auch amtliche Berichte. Eine ES-
körte aus den Goldfeldern hatte am 21. August 5066 Unzen nach
Dnnedin gebracht, am 4. September eine andere 7750, jene vom
18. September 11,181. Im August hatte man etwa 161,000 Un-
zen „geerntet"; die Zahl der Goldgräber betrug etwa dreitausend,
so daß ungefähr 20 Psnud Sterling auf den Mann kamen. Große
Klumpen, Nuggets, hat man noch nicht gefunden.
Es versteht sich von selbst, daß sich in Neu-Seeland dieselben
n auf Neu-Seeland.
Erscheinungen wiederholen, welche für Californien und Australien
so bezeichnend waren. Alle Lebensmittel und Verbrauchswaareu
sind spärlich vorhanden und außerordentlich theuer, die Wege
schlecht, das Klima ist, im Vergleich zu dem südaustralischen, etwas
rauh, und Obdach war noch nicht vorhanden. Aber daraus macht
der Digger sich wenig, weil er weiß, daß nach kurzer Zeit die Hau-
delslente alles Nothweudige und Lnxnssachen obendrein herbei-
schaffen.
Am 26. September lagen im Hafen von Melbourne sieben
Dampfer uud einundzwanzig, znm Theil große, Segel-
schiffe znr Abfahrt nach Dnnedin bereit. Aber weshalb verlassen
die Leute in Masse Australien, das jährlich zwei Millionen Unzen
Gold liefert? Die Antwort auf diese Frage ist leicht gegeben. In
Australien ist die Goldförderung nach und nach ein Geschäft ge-
worden, das von Gesellschaften mit großem Kapital bergmännisch
betrieben wird. Eine beträchtliche Anzahl Diggers kann sich in
diese Umgestaltung nicht recht finden, nud bleibt noch bei der alten
Arbeitsweise, hantiert mit Spitzhacke, Schaufel und Wiege. In
Victoria ist aber der Goldsand ziemlich erschöpft uud giebt spärliche
Ausbeute. So erklärt sich, weshalb diese „Shallow sinkers nud
Surfacers" mit so großer Hast nach Neu-Seeland gehen. Dort
haben sie für die nächste Zeit, vielleicht auf Jahre hinaus, guten
Ertrag zu hoffen, besonders wenn sie nicht blos an der Oberfläche
bleiben, sondern, wozu sie entschlossen sind, bis „unter die erste
Schicht" hinabwühlen. Die Kapitalisten haben auch schon ersah-
reue Bergleute abgeschickt, die an Ort und Stelle prüfen sollen.
Ganze Familien sind hinübergezogen, anch unbeschäftigte Aerzte und
Advokaten; ein unternehmender Uaukee hat mehrere Omnibusse
eingeschifft, und ein anderer war mit einer vollständigen Druckerei
und den nöthigen Arbeitskräften unterwegs, um eine Zeitung in
Dunediu zu gründen.
Anch auf anderen Punkten Neuseelands ist Gold gefunden
worden. Als man in Canterbnry einen Brunnen grub, fand
man in sechszig Fuß Tiefe einen kleinen Klumpen, und aus dem
Flnffe Karori bei der Stadt Wellington hat man Goldplättchen
hervorgeholt. Das deutet anf reichliches Vorkommen des edeln
Metalles. In Melbourne waren die Bankiers uud Kaufleute
über einen so starken Abzug von Menschen sehr besorgt, aber gewiß
ohne Grund. Melbourne ist die Handelshanptstadt von Austra-
lieu, und wird auch für den neuseeländischen Verkehr seine Wichtig-
keit nach wie vor behaupten. In Neuseeland wird mit der Stei-
gerung des Goldertrages auch der Ackerbau aufblühen und der
Handel sich beleben. Schon jetzt sind aus Victoria Pferde und
Schafe nach Dunedin geschickt worden. Das Gedeihen einer Ko-
lonie wirkt günstig auf die anderen. Im Jahre 1851 hatten Austra-
lien und Neuseeland zusammen erst 550,000 Einwohner, 1861
schon 1,300,000; nach zehn Jahren, und wenn die neuseeländischen
Goldfelder ergiebig sind, werden sie doppelt so viele zählen.
Wir wollen hinzufügen, daß in neuerer Zeit das Gipps-
Land in Australien reichen Goldertrag liefert.
Bauern im bndil
Der Bewohner der Marschen au der Nordsee, welchen unsere Leser
aus einer S. 24;) mitgetheilten Skizze kennen lernen, ist kein dichte-
risch angeregter Mensch, sondern nüchtern, prosaisch aber zäh. Er
bewohnt die Strandebenen am Meere und den Mündungen der
Strome. In ihm haben wir insbesondere den ausgezeichneten See-
mann anzuerkennen; seine Ruhe und seine Unbeugsamkeit sind so
recht geeignet für die Kämpfe mit dem wilden Elemente. Furcht
vor Sturm und Wellen kennt unser Küstenbewohuer nicht. Er hat
Ijcit Schwarzmalde.
eine doppelte Heimath: eine in seinen Marschen und die andere,
so weit salziges Wasser fluthet.
Kaum in einem andern Lande ergänzen sich die verschiedenen
Stämme desselben Volkes so vortrefflich, als gerade in unferm
großen, schönen, reich und mannigfaltig gegliederten Vaterlande.
Wir sind von der Natur selber darauf hingewiesen, wechselseitig
einander Etwas zu geben und dagegen Anderes zu nehmen.
Friesen, Alt- (Nieder-) Sachsen, Thüringer, Fran-
31 *
244
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
kcn, Bayern, S chwaben nebst Allemannen, das sind die | abwärts gedrungen. Wir sind überall Kulturträger, erwarten
uralten Hauptstämme, welche der deutsche Kernbaum zunächst ge- ! aber keinen Dank von anders gearteten Völkern oder Stämmen,
trieben. Diese habeu noch andere gesunde Zweige nach Osten hin denen wir höhere Gesittung und geistige Bildung zubringen. Sie
ausgesandt, bis über die Memel hinaus, bis nach Esthland hin, i mögen sich stellen wie sie wollen, sie mögen noch so ungebärdig
Landlcutc ini badischcn Obcrlande.
denu die norddeutschen Zweige reichen von Mecklenburg aus bis
zur russischen Gränze. In der Mitte wohnen die betriebsamen
Neusachsen, welche man besser mit dein alten Namen Meißner bc-
zeichnen sollte; von Oesterreich aus sind die Deutschen donan-
sein, unsere deutschen Kulturpillen müssen sie jetzt und in Zu-
kunst verschlucken. Das ist einmal ihre Bestimmung. '
Von unseren Hauptstämmen ist jeder mehr oder weniger statt-
lich von Wuchs, reich an Entfaltung, eigenthümlich von Art, immer
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
245
aber kerndeutsch. Wir finden den Friesen fest, zäh, spröde; er fährt
kühn hinaus ans die See und hält an Freiheit auf heimischem
Boden fest. Der Altsachse ist lebhafter, ausdauernd, nachhaltig in
Arbeit und Glanben, mächtig durch Gedanken uud Treue, und
unerschütterlich, jede geistige Errungenschaft zu bewahren. Der
Thüringer, offen an Verstand und Gemüth, zeigt sich regsam zu
jedem wackern Thun, aufgelegt zu Handel uud Wandel, ist betrieb-
sam, heiter in Sangeslnst, und ein treuer Bewahrer alter Sage.
Dem Franken ist ein rascher wallendes Blutes eigen, er ist klug
und gewandt, voll Funken der Erfindsamkeit, Hochstrebeuden
Sinnes und tapfer, aber nicht so zäh und beständig wie der Alt-
fachse. Den kräftigen Altbayer kenneu wir als derben, handfesten
Mann; er ist lustig und heiter, behäbig in frischem Lebensgenüsse,
nnd seine treue Biederkeit besteht alle Proben. Dann haben wir
den mehr.nach Innen gekehrten Schwaben, mit der reichen Fülle
seiner poetischen Begabung; er ist tiefsinnig zum Dichten nnd
Denken, versenkt sich gern iu die geheimnisvolle Welt der Ahnung.
Aber anstellig zum Größten wie im Kleinsten ist auch er, nnd
außerdem besonders mannhaft und streitbar. Tapfer sind alle
deutschen Stämme.
Die Stammbrüder der Schwaben, die Allemaunen, nament-
lich im und am Schwarzwalde, sind besonders ein ganz prächtiger
Menschenschlag, groß, stark, ungemein rührig, voll ursprünglicher
Frische und dabei gutmüthig. Aber in ihren Adern strömt doch
sehr feuriges Blut. Der schwarzwälder Allemanne ist der kräftigste
Menschenschlag iu Würtemberg und Badeu.
Unser Bild zeigt allemannische Leute vom Schwarzwald und
vom badischeu Oberrhein iu ihrer alten Bauerntracht, welche sie
bis heute bewahrt haben.
Auf der andern Seite des Rheinstromes, im Elsaß, wohnen
gleichfalls Allemannen. Das von dem herrlichen Strome durch-
zogeue Land zwischen Wasgau und Schwarzwald ist ur- und kern-
deutsch. Das Elsaß ist seit zweihundert Jahreu in französischer
Gewalt. Es wird der Tag kommen, an welchem das schwarz-roth-
goldene Bauner Deutschlands auf der Kammhöhe der Voggesen und
auf dem Straßburger Münster flattert.
Die Marschbewohner
Unsre Leser kennen aus den trefflichen Schilderungen von
Hermann Allmers diese in so vieler Beziehung eigenthümliche
Gegend unsres großen Vaterlandes. Wir müssen aber das Bild
vervollständigen, indem wir uuserm Gewährsmanne noch einige
Züge entlehnen, durch welche er seiue Laudsleute kennzeichnet.
Der Geestmann ist durchaus sanguinisch, leicht zn erregen,
gelehrig, erfinderisch und bei seinen Festen heiter bis zur lärmenden
Lustigkeit. Gau; anders dagegen der friesische Marschbewohner,
dessen hervorstechendes Temperament, wie bei seinem Stammver-
wandten, dein Holländer, daö phlegmatische ist. Viel weniger
empfänglich für äußere Eindrücke, ist er fast nie wahrhaft begeistert.
Seine kaltblütige Ruhe uud sein würdevoller Ernst verlassen ihn
nur äußerst selten. Alle Feste, Hochzeiten, Jahrmärkte und Ähn-
licheS, werdeu von ihm auffallend still begangen, so daß man die-
selben säst todt nennen kann. Darum ist sehr schwer auf ihn
'einzuwirken, alte Gewohnheiten zn vernichten und Neues bei ihm
einzuführen. Hat er sich aber vom Guten desselben einmal über-
zeugt, nnd hat er eine neue Sitte einmal angenommen, dann hält
er daran mit viel größerer Zähigkeit uud Ausdauer fest, als der
Geestmauu. Gilt es alte Gewohnheiten. Recht und Freiheiten mit
Kraft nnd Ausdauer zu behaupten und Alles daran zn setzen, sie
nicht fahren zulassen, dann stehen die Marschen in der ersten Reihe.
Nur ihrer unermüdlichen Ausdauer uud Zähigkeit haben sie den
Besitz so vieler Freiheiten zu verdanken, ans welche die Regierungen
schon oft genug Angriffe machten. Uud auch neuere Zeiten haben
es gezeigt, daß die alte Kraft und Festigkeit nicht verloren gegangen
ist. Als im Jahre 1837 die hanuöversche Regierung das Staats-
grnndgesetz eigenmächtig umwarf, faud sie gerade iu den bremischen
Marschen deu hartnäckigsten und lebhaftesten Widerstand. Es be-
sitzt kein Volk ein so prächtiges Oppositioustalent als das der
Marschen. Zur Revolution taugt es dagegen ganz und gar nicht,
da ihm alles Feuer und alle echte Begeisterung abgehen und es
conservativ durch nnd durch ist. —
Selbstgefühl und Stolz sind hervorstechende Züge im Charakter
des Marschbewohners, namentlich des wohlhabenden. Vor Allem
stolz ist der Marschbauer auf seine fruchtbare Heimath, die er um
keinen Preis mit einer andern vertauscht, am allerwenigsten mit
der nahen Geest, auf welche er nur mit einer gewissen Verachtung
uud mit Bedauern herunter- oder vielmehr hinaufsieht. Aeußerst
charakteristisch ist daher die bekannte Anekdote von jenem alten
Marschbauer, wie er seinen reiselustigen Sohn mahnend an die
Hand nahm und ihn davon abzubringen suchte.
„Sieh Jung", sprach er, „hier is de Marsch, un de ganze
an Weser und Elbe.
anner Welt is man Geest. Wat wnllt dn dnmme Juug nn iu de
Welt makeu?"
Noch stolzer erscheint der reiche Marschbauer auf seinen Stand
als freier Grundbesitzer oder wie es hier heißt als Hausmaun.
Diese angesehensten und ältesten Hansmaunsfamilien sind voll-
kommene Aristokraten und vertreten deu in den meisten Marschen
fehlenden Adel iu ihrer Art völlig. Deu weniger Besitzenden, deu
Köthner, pflegt der Marschbauer meist nur über die Schulter anzu-
blicken, ihn nicht anders zu nennen als den „litten Mann, geringen
Mann", an welchen seine Tochter zu verheiratheu , ihm eine ewig
schmerzliche Schmach sein würde. Daher verbinden sich die Hans-
mannsfamilien fast ausschließlich mit Ebenbürtigen. Meistens
aber geschehen die Verheiratungen in der Familie selbst, damit
Geld nnd Gut ja recht zusammengehalten werde; denn dieses ist
in der Marsch mit äußerst seltener Ausnahme doch bei allen Ver-
biudungeii das erste Hauptstück. Die Liebe, heißt eS, wird schon
nachher von selbst kommen.
Mag dieser Stolz des Marschbaneru immerhin sehr zu tadeln
sein, tausendmal jedoch wird man mit ihm versöhnt durch das
mächtige und wahre Ehrgefühl, welches ihn begleitet. — Eine
Kränkung feiner Ehre, und komme sie von wem sie wolle, erfüllt
ihn mit dem lebendigsten anhaltenden Zorne. Eigentliche Ver-
brechen kommen daher in den friesischen Marschen beinahe gar
nicht vor, und wäre nicht das Alte Land, das ich als völlig eigen-
thümlich ausnehme, wenn ich von den Marschen im Allgemeinen
rede, so hätte seit langer Zeit kaum ein Marschbauer vor dem Cri-
minalgericht gestanden. Gesängnißstrafe und sei sie anch noch so
milde, sei sie uicht einmal eigentlich ehrenrührig, z. B. wegen Jagd-
vergehen, hält er für so schmachvoll, daß er Alles daran setzt, ihr
zn entgehen; er würde oft lieber Tausende geben, würde lieber
flieheu uud auswandern, als im Gesängniß sitzen. Ja ein Marsch-
baner, der hörte, daß sein studirender Sohn kürzlich ein paar Tage
im Carcer gehaust habe, begauu vor Wuth uud Scham zu weinen.
„Ach Gott",'rief er im tiefsten Schmerze ans, „warum hett de
Jung mi dat nich schreven, ick harr jo gern dnsend Daler uu
uoch mehr baden (geboten), wenn he mau nich sitten schnll!" —
Von alter frischer Kriegerlust ist im Marschbewohner hente
nicht die kleinste Spur mehr zn finden. DaS Soldatenleben sieht
er als das elendeste, bedauernswürdigste Loos unter der Sonne an,
und wer nur immer kann, sucht sich durch Flucht, Vorschützung
von leiblichen Fehlern oder Stellvertretung davon zu befreien.
Freiwillige gehören zn den allergrößten Seltenheiten; ganz anders
wie in den Marschen der obern Weser, wo z. B. im Hoyaschen die
240
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Söhne der reichsten Bauern, getrieben von Reiterlust, sehr häufig
freiwillige Dienste bei der Cavallerie nehmen. Diese Abneigung
gegen alles Soldatenwesen muß man indessen nicht dem Mangel
an Mnth beimessen wollen. Dem Friesenjüngling behagt ein freies,
rüstiges Schifferleben einmal besser; hier ist er ganz in seinem
Elemente. Nicht im Landheer, wohl aber anf der deutschen
Flotte wird er einmal seine Lorbeeren zu erringen haben.
Mit dem zähen, hartnäckigen Charakter der Friesen hängt noch
seine Proceßlust, seine Unversöhnlichst, die selbst mitunter in die
kleinlichste Nachsucht übergeht, zusammen. Streitsüchtig ist er nicht,
allein rechthaberisch bis zum Eigensinn. Sehr häufig geschieht es,
daß ganze Familien ost zeitlebens um geringer Sachen willen auf
gespanntem Fuße lebeu.
Eiue andere Schattenseite, die freilich ebenfalls mit dem nn-
gemeinen Selbstgefühle des Marschbauern zusammenhängen mag,
ist der gänzliche Mangel an Gemeinsinn, welcher in einigen Marsch-
gegenden herrscht und öffentlichen, gemeinsamen Verbesserungen
hemmend entgegentritt. So oft auch rege Fortschrittsmänner für
das allgemeine Wohl streben und wirken wollten, meist wurden
ihren Bemühungen überall Hindernisse in den Weg gelegt. Sie
scheiterten fast immer an dem heillosen Egoismus der Einzelnen
und wurden in der Regel nur mit dem schändlichsten Undanke be-
lohnt. Daher steht denn der unglaublich schlechte Zustand so vieler
öffentlichen Anstalten und Dinge, wie der Kirchen und Schul-
gebäude, der Begräbnißplätze, der Wege n. f. w., oft mit der Wohl-
habenheit der Gegend und der Stattlichkeit der Wohnungen im
grellsten Coutraste. Als vor Jahren in den oldenburgischen Mar-
scheu die schönen, trockenen Fußwege vou Dorf zu Dorf angelegt
wurden, deren noch heutiges Tags die hannöverschen so schmerzlich
entbehren müssen, fand diese so einleuchtende und notwendige
Verbesserung dennoch bei manchen alten Hansleuten den entschie-
deichen Widerstand, und aus welchem Grunde? Sie sagten ganz
einfach: ,,Use Ölen sind so lange dör den Drek komen, wie bruket
et nicht bäter to hebben." (Unsere Alten sind so lange durch den
Schmutz gekommen, wir brauchen es nicht besser zn haben.) Ja
Einige trieb wirklich ihr starrer Eigensinn dahin, daß sie, nachdem
die schönen Fußpfade vollendet waren, lieber nebenher im sußtiefen
Klei gingen, als den verhaßten Weg der Neuerung zu betreten.
Sie wollten a,ä oculos demonstriren, daß die Sandpfade unnütz
seien und recht gut vermißt werden könnten. —
Der Osterstader und der mit ihm verwandte Stedinger ist der
zahmste, gutmüthigste und loyalste aller Marschbewohner, der Bnt-
jahdinger, namentlich der Wnrster derb, voll Kraft und Festigkeit,
der Jeverländer der freisinnigste und thatkrästigste, allein znm Theil
noch ziemlich roh, der Hadler und Kehdinger zwar auch kräftig und
freiheitsliebend, aber luxuriös und oft etwas stark renommistisch,
der Altländer endlich schlan, gewandt, mißtrauisch nnd verschlossen
gegen Fremde, dagegen am strengsten auf alte Gebräuche haltend. —
Verschieden ist der Kulturzustand der Marschen. Die oster-
stader, wiihrder, wirrster, vielander und namentlich die altländer
Bauern haben ihre alte Einfachheit noch am meisten bewahrt, und
selbst die allerreichsten lassen ihre Kinder selten anderswo als in
ihren heimathlichen Dorfschulen unterrichten; denn gegen den ge-
bildeten oder sogenannten lateinischen Bauer waltet das entschie-
deuste Vornrtheil ob. Mehr schon berührt von moderner Kultur
erscheint das Stedinger-, Stad- und Bntjahdingerland.
Von allen Marschen steht das Land Hadeln, wo es sich
um Luxus und Verschwendung handelt, oben au. Die glänzenden
Staatszimmer, die herrlichsten, parkähnlichen Gärten, das kostbare
Porzellan- und Silbergeräth und die eleganten Equipagen der
hadler Bauern sind weit umher bekannt, fast sprichwörtlich ge-
worden. Bei ihren Familienfesten pflegt ein so gewaltiger Luxus
und Pomp zn herrschen, daß schon in den Jahren 1602 — 1733 eine
Reihe von eigenen Gesetzen erlassen werden mußte, um diese Ver-
schwendnug nur einigermaßen zu zügeln. Freilich trifft mau hier
auch die gebildetsten und intelligentesten aller Marschbauern. Die
Sohne der angesehensten Familien besuchen fast alle das Progym-
uasium in Otterndorf oder die Rectorschnle in Altenbruch. Man
kann dort junge Bauern in groben Arbeitskleidern hinter ihrem
Pflnge finden, die englisch nnd französisch sprechen und dazu trefsliche
geographische, historische nnd litterarische Kenntnisse besitzen. Aus
ihnen werden dann tüchtige und unerschrockene Ständemitglieder.
Das Alte Land ist die einzige Marsch, wo Einfachheit nnd alte
Sitten sich bis auf den heutigen Tag und trotz der Nachbarschaft
des großen Hamburgs in seltener Reinheit erhalten haben. Auch
vou alten Volksgebränchen, Festen und Belustigungen gibt es im
Allgemeinen nicht viel mehr. Doch wird Weihnachten wie in Eng-
land mit tüchtigem Essen nnd Trinken gefeiert, und der Weih-
nachtsabend heißt deßhalb in manchen Gegenden Vullbuksabend,
an dem ein gewaltiger Mehlpudding mit Rosinen und geräuchertem
Schweiuskopf die Hauptrolle spielen. Zu Ostern genießt anch in
deu Marschen Jedermann Eier, anf den Deichen lodern dann all
überall mächtige Feuer nnd anf hohen Stangen brennende Theer-
tonnen, zn Pfingsten aber schmückt man Zimmer und Diele mit
grünem Birkenreis und richtet Maicnbänme anf, wie in anderen
Theilen Deutschlands.
Ein Indianer nnd Indiai
Als unser Landsmann Balduin TO öllhansen mit dem Lient-
nant Jves im Auftrage der uordamerikauischeu Regierung eine
Forschungsreise auf und an dem Rio Colorado des Westens machte,
traf er häufig mit Indianern zusammen. Zuerst sah er vier junge,
sehr große, schöngewachsene Leute, deren kräftiger Bau und voll-
kommenes Ebenmaß der Glieder er bewundern mußte. Sie tru-
gen mir einen schmalen, weißen Schurz; eiue andere Bekleidung
hatten sie nicht. Die Hautfarbe war duukelknpserig, das Gesicht
hatten sie kohlschwarz mit einem rochen Streifen bemalt, der sich
von der Slirne herab über Nase, Mnnd und Kinn zog. Die star-
ken schwarzen Haare hingen lang über den Rücken herab, und waren
vermittelst aufgeweichter Lehmerde in Strähnen oderStricke gedreht
und dann steif zufammeugetrocknet. Dieser Gebrauch >.>t bei deu männ-
lichen Indianern im Thale des Colorado allgemein. An dem dünnen
Bastgurte, welcher die Zeugstreifen trägt, befestigt der Mann auch
wohl Ratten, große Eidechsen n. Frösche, die er gelegentlich rösten will.
Beiden Colorado-Stämmen der Chimehwbnes, Kutsch-
anas nnd Pah Antas gehört eine männliche Gestalt unter sechs
rinnen am Rio Colorado.
Fuß Höhe zu deu Seltenheiten. Auffallend ist der Unterschied zwi-
scheu den Yampais und Tontos. die wie Wölfe im Gebirge
leben, und kleine häßliche Gestalten mit widrigem, tückischem Ge-
sichtsausdrucke sind, uud diesen riesenhaften Gestalten, welche wie
Meisterwerke der N.itnr dastanden. Gleich Hirschen setzen sie in
mächtigen Sprüngen über Gestein und Gestrüpp hinweg Der
Ausdruck ihrer Augeu war freundlich uud fast offen. (S, 248.,
Ganz im Gegensatz zu den Männern sind die Frauen der In-
diancr am Colorado durchgängig klein, untersetzt und stark, oft so-
gar dick. Uni die Hüsten tragen sie einen Schurz oder vielmehr
einen Rock, welcher aus Baststreifen derart angefertigt ist, daß ganze
Büudel dieser Streifen mit dem einen Ende am Gürtel dicht und
fest mit einander verbunden sind, während das andere Ende der-
selben bis an's Knie hinabhängt uud dort so abgeschnitten ist, daß
es Frausen bildet. Aus der Ferne gesehen gleicht solch eine Frau
unseren Ballettänzerinnen; sogar die schaukelnde Schwingung des
Nockes beim Gehen fehlt nicht nnd erinnert an die gezierten Be-
wegungen unserer Tänzerinnen auf der Bühne.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
247
Beide Geschlechter tragen das Stirnhaar über den Augen- genannt werden können, so fehlt doch bei Manchen ein gewisser Reiz
brauen stumpf abgeschnitten. Das übrige Haupthaar tragen die nicht. Beim Bemalen gehen sie sorgfältiger zn Werke als die Man-
Frauen nicht so lang wie die Männer, drehen es auch nicht in Strei- ner und tättowiren sich auch mehr als diese. Bei den meisten sind
fen. Ihre etwas breiten Gesichter zeigen, gleich jenen der Männer, die Lippen ganz blau gefärbt und das Kinn ist von einem Mund-
den Ausdruck des Frohsinns, und wenn sie auch nicht gerade schön . Winkel bis zum andern mit blauen Punkten und Linien geschmückt.
Ein Brief Limngstone's.
Wir haben schon früher mitgetheilt, daß es dem Reisenden
nicht gelungen war, den Fluß Rufuma oder, wie er schreibt, Ro-
vuma, an der Ostküste von Afrika, zu befahren. Er kehrte uuver-
richteter Diuge uach Johauua, einer der Komoro-Inseln, zurück
und schrieb von dort unterm 22. April 1861 Folgendes:
„ Wir haben den Rovuma auf eiuer Strecke von etwa dreißig
Mikes mit einem Dampfer erforscht. Am Bord befand sich auch
der Bischof Kensie mit einem seiner Priester; die Uebrigen waren
auf Johauua zurückgeblieben. Unsere Hoffnung, auf dem Rovuma
bis in den Nyafsa- See zn gelangen, war groß, denn aus diesem
soll, den Behauptungen der Eingeborenen zufolge, der Strom
kommen. Ein wenig oberhalb der Stelle, bis zn welcher unser
Dampfer „Pioneer" gelangte, beim Dorfe Dondi's, des Häupt-
lings der Makonda, scheint der Fluß enger und tiefer zu werdeu;
er ist zwischen sehr hohen Felsen eiugezwäugt. Eingeborene be-
haupteu, daß diese gefährliche Wasserschlucht in Kähnen zn Pas-
siren sei und daß man dann bis znm Nyassa-See gelangen könne.
Das Bctt des Stromes scheint, gleich jenem des Sambesi, aus
einer Reihenfolge großer Sandbänke zn bestehen. Im Rovuma
giebt es Flußpferde; die Uferlaudfchafteu sind weit schöner als jene
am Sambesi, denn nachdem wir über die Region der Mangrove-
biische hinausgekommen waren, fanden wir eine ungemein hübsche,
baumreiche Gegend. Allmälig erhoben sich die Uferränder bis etwa
1000 Fuß Höhe; oben standen werthvolle Bäume, z. B. der Eben-
Holzbaum und ein anderer, welcher Aehnlichkeit mit dem Mahagony
hat. Auf dein Rovuma sin?, Sklaven ausgenommen, noch keine
Waaren befördert worden. Der erste Mann, welchem wir begeg-
neten, sagte, daß er die Engländer kenne; sie seien ein braves Volk,
weil sie immer Geld, Kleidungsstücke :e. in Menge besäßen; sie
liebten den Sklavenhandel nicht; auch habe er ihre Schiffe gesehen.
Die Eingeborenen sind arme Tenfel nnd stehen unter dem Drucke
der Araber, welche ihnen nicht viel übrig lassen. Sie reden die
Sprache von Suma und jene des Mangarivolkes. Der Bischof
bekam das afrikanische Fieber, wurde aber bald wieder hergestellt."
So weit Livingstone. Man sieht, daß er so gnt wie gar uichts
über den Rovuma zn berichten weiß.
Daun schreibt er weiter:
,,Wir haben auch Mo Hill«, eine der Komoro-Jnseln, besncht.
Sie ist, gleich den übrigen, vulkanisch, eine gewaltige, vielfach zer-
rifsene Gebirgsmasse, aber mit üppigem Pflanzenwuchse bedeckt.
Die Bewohner sind Mischlinge, mit arabischem Blute und jenem
ihrer Eroberer aus Madagaskar versetzt. Die Königin ist eine
sehr intelligente Frau und redet sehr fließend französisch. Die Volks-
religion ist die mohammedanische. In der Hauptstadt fanden wir
Schulen, in denen auch Mädchen unterrichtet werden. Die Lehrer
bekommen erst Lohn, wenn die Kinder etwas gelernt haben; sobald
das Kind ordentlich lesen kann, giebt man dem Lehrer zehn Dollars.
Zw^i französische Agenten, die früher in Madagaskar waren,
halten sich jetzt in Fnmbone anf. Die Insel ist reich an Zuckerrohr,
Reis und Kartoffeln nnd führt auch Hornvieh, Schafe und Ziegen
aus. Das Volk lebt sehr enthaltsam, und wir konnten uns weder
für Geld noch um Gotteswillen Grog verschaffen."
Die Reisen des Doctor
Dr. Pen et) verließ, wie er in einem ersten Brief ans Gon-
d o k o r o am Weißen Strom, vom 29. Februar dieses Jahres schrieb,
Chartum zu Eude Oktobers 1861. Die ägyptische Regierung war
ihm behülflich; sie gab ihm 25 Soldaten als Bedeckung und zwei
Barken. Von wissenschaftlichen Instrumenten hatte der Reisende
nur eine Uhr, ein paar Thermometer, Compasse, ein Teleskop nnd
einen Sextanten; aber weder Barometer noch Chronometer.
Der Reisende Lejean war eben krank aus Kordofau zurück-
gekommen und konnte deshalb die Fahrt nicht mitmachen. Peney
gelangte in achtnndvierzig Tagen nach Go ndokoro, das während
der letzten zwanzig Jahre oft von Europäern besncht worden ist.
Anfangs Januar schloß er sich dort einer Karawane von Elfenbein-
Händlern an, welche nach der, uns bisher unbekannten Provinz
Niambara zog; sie liegt westlich vom Strom uud ist erst im
vorigen Jahre dem Handel eröffnet worden. Ein Marsch von acht
Tagen, mit nur einunddreisng Stunden Gangzeit, während welcher
nur ein Grad in directer Richtung zurückgelegt wurde, führte
Peney uach dem Districte Mnrn, der in der Provinz Niambara,
am Flusse Jtie'y liegt. „Dieser Fluß, welcher unter dem Parallel
von Gondokoro (5° n. Br., 1" westlich von Gondokoro) in der
Richtung von Südost uach Nordwest strömt, hatte au der Stelle,
wo ich ihn bei niedrigem Wasserstand überschritt, eine Breite von
80 Meter, bei einer Mittlern Tiefe von 0,-35 M. und einer Mittlern
Schnelligkeit von 0,333 Mtr. in der Seennde. An Ort nnd Stelle
erfuhr ich, daß er durch die Provinz Niambara strömt, dann in das
cncjn» auf dem oliern Nil.
Gebiet des Stammes Allah übergeht, nachher immer in der Rich-
tnng nach Nordwesten das Land der Niamniam-Maharaka
umfließt. Bon den Maharaka geht der Jtie'y in die Provinz Dschur
und mündet in den Bahr el Gasal oder Keilak; er bildet einen der
Hauptznslüfse desselben. Ich habe allen Grund, diese Angaben für
richtig zu halten, denn ich bekam sie von Anwohnern des Flusses uud
sie stimmen auch mit den Erkundigungen überein, welche Herr von
Malzae und nach ihm die Gebrüder Poncet eingezogen haben.
Ueber den obern Lauf des Jtiey, südlich vom District Mnrn,
konnte ich nur unbestimmte Nachrichten erhalten. Diesen zufolge
reicht er in südwestlicher Richtung bis zn den Mondn, etwa zwan-
zig Lienes oberhalb der Stelle, wo ich ihn überschritt. Ich weiß
also nicht, ob der Jtivy ein natürlicher Kanal ist, welcher sich
vom Nil abzweigt und wieder mit ihm vereinigt, oder als ob
er einer der Hauptquellströme des Weißeu Flusses betrachtet wer-
den muß."
Peuey hat manche, zum Theil noch unbekannte Pflanzen ge-
sammelt. Die von ihm beobachteten Negerstämme gehören einem
andern Schwärm als jene am Weißen Fluß an, und nähern sich
mehr den westlichen Negern von Darfnr nnd Waday.
Als er nach Gondokoro zurückkam, fand er dort Herrn Lejean,
der in Chartum eine eigene Barke gemiethet hatte und von dort bis
zu den Bary gekommen war. Während feines kurzen Verweilens
waren ihm jedoch Land und Lente dermaßen zuwider geworden, daß
-er umkehren wollte. Das war auch in Rücksicht auf seine Gesund-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
249
heitsverhältnisse rathsam und er fuhr im Anfang Februars von
Gondokoro nach Chartnm zurück.
Peney schreibt unterm 20. Februar weiter: „Ich erwarte hier
in Gondokoro das Hochwasser, welches Ende dieses Monats an-
fängt, um mit leichten Fahrzeugen über die Stromschnellen von
Garbo und Makedo zu kommen. Wenn weiter aufwärts der Nil
nicht mehr schiffbar ist, will ich zu Lande weiter gehen. Ein alter
sudanesischer Pionier, Herr Debono, der einen Tyeil der Neben-
flüsse des Nils erforscht hat, schließt sich mir an."
Ein zweiter Brief Peney's ist datirt: „AmWeißen Flnsse,
Provinz Barry, 20. Mai 1861", von einein nach Chartumström-
abfahrenden Rais, arabischen Schiffsführer, dorthin besorgt wor-
den, dann richtig in die Hände des Adressaten Jomard in Paris
gelangt uud im Bulletin der dortigen Geographische» Gesellschaft
veröffentlicht worden. Folgeudes ist der Inhalt:
Nach meiner Expedition zu den Niambaras habe ich einen
Ausflug zu deu Nilkatarakteu oberhalb Gondokoro ge-
macht. Ich wollte mich persönlich überzeugen, ob ich mit den Boo-
ten (welche mein Reisegefährte Debono eigens zu diesem Zwecke in
Chartum hatte anfertigen lassen) die Hindernisse überwinden
könne, vor welchen alle meine Vorgänger hatten zurückweichen
müssen. Am 20. Februar fuhr ich vou Gondokoro ab. Außer jenen
beiden Booten besaß ich noch einen Nachen. Wir waren 25 Mann
und hatten 30 Mann zur Bedeckung. So fuhren wir ström au,
kamen am 22. bei der Insel Dschaukehr (Jauker) vorbei uud ge-
langten an die ersten Stromschnellen im Distriete Dschen-
doky-Garbö. Dann schlug ich aber nicht die Route der frühereu
Expeditionen ein, welche auch Miani 1860 genommen hatte «er
war ebenso unglücklich wie alle seine Vorgänger und mußte um-
kehren), sondern fuhr, dem Rathe der Neger folgend, in einen Lst-
lich vom Hauptarm fließenden Kanal. Dann erleichterte ich unsere
Fahrzeuge, ließ bei deu ausgeladenen Sachen Leute zurück, und so
überwanden wir binnen einer halben Stunde das Hinderniß. Die
Beschwerlichkeiten gingen aber nun erst recht an; das bemerkten wir
sehr bald, denn 4 Kilometer oberhalb Dschendoty-Garbo wurden sie
sehr ernsthaft.
Wir fanden nämlich im District vou T e r e m o - Garbo,
Stromschnellen und Wasserfälle, welche durch unzählige Klippen
gebildet werden. Wir lagen dort zwei Tage fest und kamen dann
wieder los, aber erst als wir den größten Theil unserer Taue und
Leinen eingebüßt hatten. Diese schwierige Passage ist nur etwa
750 Meter lang. Oberhalb Dschenkody-Garbo, auf einer Strecke
von 32 Kilometern, länft der Fluß ungehindert über sedimentäre
Ablagerungen, die auf beiden Ufern von kleinen Gefließen durch-
schnitten werden. Diese Kanäle werden bei Hochfluth reißende
Wasser; sie zeigen sich nach Norden hin zuerst gegenüber dem Pik
von Logonek, uud der vom Pater Knoblecher genannte Kyk ist
der erste in der Reihe. Dieser Zuflüsse giebt es eine so große Menge,
daß ich auf einer Strecke von 40 Kilometern deren mehr als Hnn-
dert gezählt habe. Anch in der trockenen Jahreszeit liefern ihre
Quellen dem Weißen Fluß unaufhörlich Wasser, so daß er in jener
Gegend einen gleichmäßigen Höhestand behält. Man kann diese
Gefließe schon als wesentliche Theile der Nilquellen
betrachten.
Ich will eines Flusses erwähnen, den ich noch ans keiner Karte
angezeigt gefunden habe; ich meine den Lukusdi, der im westlichen
Theile der Rego-Kette, 4° 10' n. Br., entspringt und mitten in der
ersten Stromschnelle von Dschendoky-Garbo am linken User ein-
mündet.
Acht Lieues südlich von Dschendoky-Garbo liegen die K ata-
rakten von Makedo. Ich sage Katarakten, weil die Passage
durch zwei, Meter hohe Wasserfälle gebildet wird. Unglück-
licher Weise wnrde bei Makedo eiue unserer Barken schwer beschädigt,
und da wir ohnehin Mangel an Seilwerk litten, so mußte ich uu-
terhalb der Wasserfälle ankern. Es konnte nicht mehr die Rede da-
von sein, die Reise zu Wasser fortzusetzen.
EiuFlnßdnrchschnitt, unterhalb der Katarakten, gegenüber dem
Dorfe Tambur ergab: Breite 45 Meter, mittlere Tiefe 5 Meter
20, mittlere Strömung 85, Strom in der Mitte des Flusses 180
Meter in der Minute. Ich beschloß meine Reise auf dem Land-
wege fortzusetzen, miethete einige schwarze Träger und ging am
Flusse hin. Gegenüber dem Katarakte von Makedo verfolgte ich
an der Ostseite einen Kanal, der über ein Bett vom Gneiß strömte
und so breit war, daß ihn unsere Barken recht gut hätten befahren
können. Ich verfolgte diesen Kanal bis zu der Stelle, wo er sich
aus dem Nil abzweigt, setzte meinen Weg nach Süden hin fort und
war uach drei Tagen in gerader Linie mit der Kette des Berges
Rego, die nur 8 Kilometer (etwa 2 deutsche Meileu) entfernt lag.
Diese Kette bildet die südliche Gränze der Provinz Barry; jenseit
dieser letztern beginnt die Provinz Mad y, welche sich, in der Breite
vou etwa einem halben Grade, von Südsüdost nach Nordnordwest
hiudehut. Ihren südlichen Ausläufer oder Endpunkt bildet der
SPitzberg Gniri, an welchem der Fluß vorüberzieht. Hier
liegen Klippen, welche sehr schwierig für die Schifffahrt sind. Dort
war das Ende unseres Ausfluges, denn die Neger wollten nicht
weiter vorwärts, weil sie im Kriege mit den Mady seien.
Meiner Berechnung zufolge liegt der Pik Gniri einige Kilo-
meter unterhalb Galnffi «bis wohin im vorigen Jahre Miani
kam) und 25 Liencs, also einen Grad, südlich von Gondokoro, ge-
nau unter dem Meridian dieses letzter». Ich konnte zur Breiten-
bestimmung den Sextanten nicht benutzen, weil die Sonne um
Mittag zu hoch stand, und nahm für meine Berechnung die Insel
Janker als Ausgangspunkt, also, nach Aruand, 4« 42' 42" n. Br.
vermittelst eines Routeucompaffes, eines Graphometers und einer
Taschenuhr habe ich Winkel und Flächen bestimmt, den ganzen
Weg von Gondokoro bis Rego zn Fnße gemacht und glaube, daß
meine Bestimmung, vielleicht bis auf wenige Minuten, genau ist.
Ich zog bei deu Eingebornen Erkundigungen ein. Sie sagen,
daß der Strom oberhalb der Regoberge sich völlig von diesen ent-
ferne und dann eine weite, sehr schwach strömende, aber sehr tiefe
Wasserfläche bilde. Dieser Bericht ist wahrscheinlich genau, deuu
Aehnliches hatte anch Miani gehört; er veranlaßte mich demnächst
mit Hülse der Barken meine Forschungen wieder aufzunehmen. Im
Anfange des Julinionates wollen wir wieder unter Segel gehen.
Torems Expedüu
Wir haben bereits erwähnt, daß die schwedische Expedition
aus dem hohen Norden glücklich uach Tromsö zurückgekehrt sei.
In dieser Stadt, von wo aus sie die Reise antrat, hatte sie zwei
kleine Schiffe, den Sknner „Aeolns" und die Schaluppe „Magda-
leua" gemiethet. Ueber den Teezug selbst uud dessen Ergebuiß
finden wir in der Deutschen Allgemeinen Zeitung einen Bericht aus
Stockholm vom 24. Oktober, welchem wir das Nachstehende ent-
lehnen.
Globus 1861. Nr. 8.
n nach Spitzbergen.
Der Zweck der Expedition war ein doppelter: 1) so weit wie
möglich auf dem Eise gegen den Nordpol vorzudringen, nnd
2) Spitzbergen mit seineu Küsten näher zu untersuchen nnd dort
die Messuug eines Meridianbogens wenigstens vorzubereiten. Zu
dem erster» Zweck hatte Torell sich mit einem eisernen und zwei
großen hölzernen Booteu, zwei Schlitten nnd einer Anzahl von
50 Zughunden, zn dent andern aber mit den vorzüglichsten In-
strumenten versehen, Schon am 23. nnd 25. September sind diese
32
250
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
kühnen Polarfahrer sämmtlich gesund und zufrieden zurückgekehrt.—
Am 9. Mai lichteten beide Fahrzeuge bei KarlSö in Finnmarken die
Anker. — Am 21. bekamen sie Spitzbergen und zwar die Südspitze
von Priuce Charles Forelaud im Nordosten zu Gesicht; das Treibeis
wurde in zwei Tagen glücklich durchsegelt; hinter demselben fanden
sie eisfreies Fahrwasser und liefen am 22. Mai in Kobbe-Bai
auf Danes-Jsland, 79° 40' uördl. Br. und 10° 45' östl. L,,
iu den Hasen. Die prächtigen hohen Berge hatten schon viele
schneefreie Stellen. Nun nahmen die Arbeiten für die Schlitten-
reise mit den Hunden ihren Anfang. Am 30. verließen sieKobbe-
Bai und ankerten nach einer Fahrt durch das Treibeis längs der
nördlichen Küste am 7. Juni iu Treureuberg-Bai, 79° 56'6"
nördl. Br., 10» 38' östl. Länge. Die Temperatur zu Anfang des
Jnui wechselte zwischen — 6° 5 bis + 5° 6 C.; das Wetter
war ausgezeichnet schön. Jetzt wurde für die Schlittenreise alles
in Ordnung gebracht; aber eine ungeheure Masse von Treibeis
thürmte sich plötzlich sowol in der Bai als auch vor derselben so
weit das Auge reichte auf, uud schloß nicht allein Aeolus und
Magdaleua ein, sondern auch drei oder vier norwegische Fang-
schiffe, fodaß dort nicht weniger als 120 Mann versammelt waren.
Eine Inschrift auf einem am Ufer errichteten Kreuze zeigte au, daß
der Skuuer Aeolus schon vor einigen Jahren in eben diesem
Hafen vom Eis eingeschlossen gewesen war — in der That keine
gute Aussicht! Zu Ende des Juni aber öffnete sich das Eis, und
die beiden Fahrzeuge entkamen glücklich ihrem Gefängniß. Eine
Schlittenreise gegen Norden war nun unmöglich; das
Treibeis gestattete die Erreichung des festen Eises nicht und auch dies
wäre in der vorgerückten Jahreszeit nicht mehr fahrbar gewesen,
man hatte einmal + 14° C. in der Sonne und gleichzeitig + 7° 5
C. im Schatten.
War also der eine Zweck der Expedition verfehlt, so war es
jetzt ein großes Glück, daß eine solche Widerwärtigkeit berechnet
uud die Expedition so angelegt war, daß, wenn anch die unsichere
geographische Excursion gegen Norden sich als unausführbar zeigen
sollte, statt derselben doch viel Werthvolles erreicht werden konnte.
Der Aeolus verblieb au der Nordküste, die Magdaleua begab sich
au die westliche. Sechs Wochen lang machten Torell, Nordenskjöld,
Chydenius und Petersen mit den Booten lange Ausflüge von zwei
und vier Wochen, während Malmgren für uaturgefchichtliche Unter-
suchungen sich in der Nähe des Fahrzeuges aufhielt, mit welchem
der Lieutenant Lilliehöök in dem nun eisfreien Fahrwasser längs
der Küste von Valden-ö bis an den südlichen Theil von Hinlopen-
Strait kratzte. Die Magdalena besuchte die Croß-Bai, die Kiugs-Bai,
den Jsfjord, und die Bootexcursiou wurde vou den Herren Blom-
strand und Duner in der Weide-Bai, von jenem und Herrn v. Ahlen
im Forelands- Sunde ausgeführt, während Smitt und v. GoLs
die Arbeiten verrichteteu, welche beim Fahrzeuge ausgeführt werden
mußten. Durch diese Thätigkeit ist eine große Anzahl vou Punkten
astronomisch bestimmt worden, die alten Karten erhielten ansehn-
liche Correctionen, die Häfen wurden mappirt, und der Theil der
beabsichtigten Gradmessung, welcher in diesem Jahre zugänglich
war, wurde recognofcirt, Die südliche Fortsetzung desselben war
unmöglich, weil der ganze Stnfjord, der in Süden und in Norden
Spitzbergen in zwei Theile theilt, von gepacktem Treibeis gänzlich
angefüllt war. Fangfahrzeuge, welche dorthin gegangen waren,
lagen sechs Wochen lang Eingeschlossen in vollkommener Unthä-
tigkeit.
Auch andere Beobachtungen von großem Interesse sind ge-
macht worden. So ist die Erstreckung des Golfstroms bis
Spitzbergen erwiesen worden durch deu Fund von Früchten
der westindischen Mimosa scandens, durch gläserne Flaschen und
Treibholz. Man soll anch an der Nordküste ganz eigene atmo-
sphärische Verhältnisse, eine unerwartet hohe Schneegräuze und eine
geringere Gletscherbildung gesunden haben. In ein vollständiges
Abstract log sind ununterbrochene meteorologische Beobachtungen
eingetragen, es sind bei diesen hohen Breitegraden äußerst wichtige
magnetische Observationen angestellt, ungemein reichhaltige Samm-
lungen sind gemacht über Spitzbergens Naturgeschichte, zoologische
von großem Werth, eine Menge von Pflanzen, umfassende Reihen
geologischer Specimina, eine große Anzahl vou Zeichnungen und
Photographien vou der ganzen besegelten Küste:c. Mau dürfte
mit Grund annehmen können, daß diese Sammlungen zusammen
das größte Material zur Keuutniß des hohen Nordens hergeben
werden, das je auf einmal nach Europa geführt worden ist. Auch
die Jagd scheint nichl übel gegangen zu sein; mau hat 12 Eisbären,
über 40 Walrosse :c. erlegt.
Ueber die Verbreitung des organischen Lebens in
der Meerestiefe sind wichtige Untersuchungen glücklich ansge-
führt worden. Es ist bekannt, daß Thiere und Gewächse in hori-
zoutalen Zonen im Meere vertheilt sind, sodaß diejenigen Arten,
welche in der Nähe der Oberfläche wohnen, in größerer Tiefe vou
anderen und diese wiederum vou anderen abgelöst werden. Die
Pflanzen höre« zuerst auf, uud mau ist jetzt lebhaft beschäftigt, zu
erforschen, wo die Gränze für die Lebensbedingungen der Thiere
ist. Im Mittelländischen Meere hat das zwischen Sardinien und
Afrika aus einer Tiefe von 2 bis 3000 Meter hervorgezogene, ge-
fprnngene Telegraphenkabel einige Art lebendiger Thiere mit
heraufgebracht. Auf M'Elintock's letzter Reise zur Erforschung der
Möglichkeit, ein Telegraphenkabel zwischen Shetland, Grönland
und Labrador auszulegen, sind lebendige Seesterne :c. aus einer
noch größern Tiefe heraufgeholt worden. Die schwedische Expedi-
tion kann uuu zu diesem neue, wichtige Beobachtungen hinzu-
fügen. Im Eismeere wurden aus einer Tiefe von 1600 bis beinahe
2500 Meter eine Anzahl Arten von Mollusken, Crnstaceen und
Zoophyteu heraufgeholt. Die dazu augewendeten Apparate wurden
nach Broake's uud M'Elintock's Modellen, doch mit gewissen Ver-
besferungen, in Tromsö angefertigt.
„Uns hat", so schreibt der Lieutenant Lilliehöök, „ein ganz be-
sonderes Glück begleitet. Während mehrere Unglücksfälle vorge-
fallen sind unter den Fangfahrzeugen, vou denen zwei von dem
Eise ganz zerschmettert wurden, andere das Ruder verloren, oder
mehrere Planken hoch von dem Packeise ausgeschraubt wurden, oder
einen Theil ihrer Besatzuug au Skorbut krank oder beschädigt
hatten, wurden unsere beiden Fahrzeuge gänzlich verschont vou
solchem Unglück. Zuletzt hatten wir widrige Winde, Sturm und
Nebel, sodaß alle Versuche, noch in der dunklen Herbstzeit Südspitz-
bergen und die Bäreninsel zu untersuchen, aufgegeben werden
mußten." Alle Fangfahrzeuge sollen schon in den ersten Tagen
des September wieder iu Norwegen augekommen sein.
Mehrere der Nordpolfahrer sind bereits in ihre Heimat zurück-
gekehrt. Am 22. Oktober kam der Professor Nordenskjöld mit dem
Dampfschiffe vou Haparanda, wohin er sich von Tromsö zu Laude
durch Finnmarken und Lappland begeben hatte, hier iu Stock-
Holm au.
Eine Besteigung des Vulkans Demavend in Persien.
Im Süden des großen kaspifchen Binnen-Sees erhebt sich
das vulkanische Hochgebirge des Elburs oder Albordsch, das nach
Westen hin mit den Hochgebirgen Armeniens in Verbindung steht.
Unter den Kegelbergen des Elburs ragt der Demavend über
alle anderen hervor; er ist jedenfalls der höchste Berg Asiens im
Westen des Himalaya, und frühere Messungen ergaben 18,845 Fuß
über der Meeresfläche. Neuen Beobachtungen zufolge soll er
20,000 Fuß haben. Während der letzten Jahre ist er von zwei
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
251
Deutschen, dem Herrn von Minutoli nnd Professor Brugsch
erstiegen worden, nnd von dem Letztern dürfen wir eine ausführ-
liche Beschreibung erwarten. Aber fast gleichzeitig mit unseren
Landslenten schenete ein französischer Artilleriehauptmann, Nico-
las, die Anstrengung nicht, welche mit einer Wanderung bis
zur Spitze des Demavend verbunden sind, und wir finden seine
Erzählung iu der jüngsten Nummer des Bulletins der Pariser-
geographischen Gesellschaft.
Schon früher, bei unseren Mittheilnngen über Persien, in
Nr. 2. des Globus, erwähnten wir, daß der Spitzberg Demavcnd
sich nordöstlich von Teheran erhebe. In gerader Richtung ist
er etwa zwölf starke alte Wegstunden oder vielmehr französische
Lienes von jener Hauptstadt entfernt, also ungefähr so weit, wie
der Brocken von der Stadt Braunschweig.
Hauptmann Nicolas trat seine Reise während des Moharrem
Wanderstämme, ihre schwarzen Zelte aufschlagen. Als ich während
des Ramadan, so erzählt der Reisende, einen Ausflug von Teheran
nach Jspahan machte, begegneten mir viele Jlyat-Karawanen, die
aus dem heißen Land in der Gegend von Schiras kamen, wo sie
während der Winterszeit ihre Heerden grasen lassen. Auf jedem
Kameel hingen nach beiden Seiten herab Körbe, aus welchen die
Köpfe von Lämmern herausguckten; sie zogen nach der Larr-Ebene.
Man braucht sechs Stunden, um diese zu durchwandern, trifft aber
unterwegs nicht ein einziges Haus, in welchem ein persischer Herr
seine Frauen unterbringen könnte, falls er hier oben seine Sommer-
frische aufschlagen wollte. Der Larr hat viele Forellen, die Tem-
peratnr ist wie im nördlichen Frankreich; fast an jedem Abend zieht
ein Gewitter herauf nnd grollt, während in Teheran, das nur
wenige Meilen entfernt ist, der Himmel wenigstens acht Monate
lang blau und heiter bleibt. Von der Larr-Ebene gesehen, er-
Der Demavend in Persien.
1860 an, und nahm einenCasella'schen Hypsometer mit, da er einen
tragbaren Barometer sich in Teheran nicht verschaffen konnte. Nach
seinen Messungen hat der Demavend über 6000 Meter Höhe. Am
ersten Tage kam N. bis Afdfche, das, sieben Lienes von Teheran
entfernt, zwischen hohen Bergen liegt. Der Sadraösam, Großvesier,
hatte in diesem Dorfe einen Palast, welcher jedoch vom Schah con-
fiscirt worden war, nachdem der Würdenträger sich die Ungnade
des Herrschers zugezogen hatte. Der fremde Reisende konnte ohne
Weiteres in jenem Gebäude Herberge nehmen.
Während iu Teheran eine wahrhaft erstickende Hitze herrschte,
stieg am 16. Juli in Afdsche der Thermometer nicht über 26° C.;
für die obere Palastterrasse fand Nicolas 2270 Meter; die Ebene,
auf welcher Teheran liegt, hat 1280 Nieter Höhe über dem Meere.
Nach einer Wanderung von drei Stunden erreichte Nicolas die
Ebene des Larr. Dieser schnell strömende Fluß bewässert ein
üppiges Weideland, auf welchem zur Sommerszeit die Jlyats,
scheint der Demavend wie ein ungeheurer Kegel. Die Jlyats ver-
kauften mir ein großes Lamm für 20 Neugroschen; Eier, Milch
und etwa ein Dutzend großer Forellen erhielt ich als Zugabe.
Ich merkte, daß ich nicht weit von der Provinz Masanderan war,
jenem Schlarasfenlande, wo man für einen Groschen ein Hundert
der schönsten Apfelsinen bekommt nnd einen Fasan nebst einem
großen Lachs mit vier Neugroschen bezahlt.
Von Afdsche gelangte ich, zumeist am Ufer des Larr hinziehend,
binnen sieben Stunden nach Ask. Ich bemerkte auf der Ebene
mehr als achthundert Mutterpferde und Füllen, welche frei umher-
liefen; sie gehören dein Schah. Wenn hier das Gras abgeweidet
ist, treibt man sie nach der Ebene von Weramin in der Nähe
von Teheran, und dort bleiben sie während des Winters. Ask, ein
hübsches Dorf in sehr malerischer Gegend, liegt noch am Larr, der
hier schmal ist und sehr schnell läuft. An beiden Ufern befinden
sich schwefelhaltige Quellen, an anderen Stellen eisenhaltige.
32*
252
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Die Bergbewohner von Ask leben mit der Außenwelt in ge-
ringem Verkehr, sie kümmern sich wenig um den Schah und sind
unter ihren eigenen Serdars fast unabhängig. Die Thürschwelle
des Serdar, dessen Haus iu der Mitte des Dorfes liegt, hat
2250 Meter Meereshöhe. Vou Ask kann man in gerader Richtuug
bis zum Fuße des Spitzberges gelangen; ich begab mich aber nach Ab
Gherm, um die Mineralquellen zu besuchen, welche etwa eine
Stunde vom Dorfe entfernt sind. Bei den Quellen befindet sich
kein Wohnhaus; wer dorthin geht, sucht Schutz unter seinem Zelt
oder unter einem Baume. Das Bad für Männer ist offen, jenes
für Frauen überdeckt; Wärme der Quelle selbst 65° C.; das Wasser
ist klar, farblos und schmeckt und riecht wie sank Eier. Am 20. Jnli
stieg zu Ab ©Herrn in freier Luft uud im Schatten die Temperatur
nicht über 24° C.; Meereshöhe der Bäder 2750 Meter.
Am 22. Juli begann ich meine Besteigung des Demavend,
uud nicht weniger als drei Führer drängten sich mir anf, obwohl
Ein tüchtiger Mann ausgereicht hätte. Man thut wohl, ein gutes
Maulthier bis zu denjenigen warmen Quellen zu nehmen, welche
am Fuße des Spitzberges selber liegen, und wohin man in fünf
Stunden gelangt. Meine Führer bezeichneten die Stelle, an
welcher wir übernachteten, als Beschemal; ich fand dort nichts
als eine kleine Quelle trinkbaren Wassers und dicke Steine. In
der Umgegend weiden viele Pferde und Maulthiere, und die Hirten
sind wohlbewaffnet, weil in den Gebirgsschluchten Panther (persisch
Palenk) hausen, welche erst vor einigen Tagen Maulthiere fortge-
schleppt hätteu. In den benachbarten Wäldern von Masanderan
halten sich allerdings Panther und Tiger in Menge anf. Als ich mich
zu den heißen Quellen am Fuße des Demavend begab, hörte ich
unablässig deu Ruf des Kepk e Deri, eines Repphnhns, das die
Größe unserer stärksten Hausheuue erreicht und sich uur iu uuzu-
gängigen Bergschluchten aufhält. Die Nacht an der eben erwähn-
ten kleineu Quelle war herrlich; Alles ruhig uud still, die Luft
leicht und frisch und der blane Himmel bot einen wahrhaft zan-
berischen Anblick dar. Die Sterne flimmerten wie Karfunkel.
Venus erglänzte wie eine kleine Sonne und die Milchstraße er-
glühete förmlich in weißem Lichte. Höhe über dem Meere 4300
Meter; am 22. Juli, bei Sonnenuntergang, Lufttemperatur bei
der Quelle 4- 7° C.; am 23., Nachmittags 3 Uhr, + 25° C.
Bei Sonnenaufgang, am 23., brach ich auf, um den Spitz-
berg zu ersteigen, und benutzte während der ersten Stunde mein
Maulthier, bis ich den Schnee erreichte, welcher dann bis zum
Gipfel hinanreicht. Plötzlich hörte ich ein gewaltiges Gekrach
und meine Führer schrieen laut auf; ein ungeheurer Stein kam
kugelschnell herabgestürzt uud unweit von mir vorüber. Wahr-
scheinlich war der Schnee oder das Eis, von welchem er seither um-
schlössen war, hinweg geschmolzen nnd nun rollte er wie eine Lawine.
Ich giug dann zu Fuß, und hatte während der ersten Stunde eine
ganz erträgliche Temperatur; bald aber kam von oben herunter
ein scharfer, trockener, durchdringender Wind, der mir sehr empfind-
lich und unangenehm wurde. Nach zwei Stunden wurde mir das
Athmeu beschwerlich, ich bekam Kopfweh, verspürte eiue allgemeine
Mattigkeit und als ich an einen mauerartigen Felsgürtel kam,
welcher die höchste Spitze umzieht, mußte ich mich niederwerfen,
um mich ein wenig zn erholen. Ich war fünf Stunden lang berg-
anf gestiegeu und nun in einer Höhe von 5540 Meter. Der
Thermometer zeigte + 3° 3' C.
Von diesem Gipfel, der schon alle anderen weit überragt, hatte
ich eine ungeheure Fernsicht. Mein Führer zeigte mir das kaspische
Meer, ich weiß aber nicht gewiß, ob ich dasselbe gesehen habe. Einige
tausend Fuß unter mir lagen Wolken, welche die Thäler füllten
und einem wogenden Meer von Milch glich.
Zwei Führer waren zurückgeblieben, aber der dritte hielt bis
jetzt aus. Der eben erwähnte Felsengürtel ließ einen, allerdings
durch Eisblöcke äußerst beschwerlichen Durchweg, den ich benutzte,
um noch höher zu steigen. Aber nun wollte der Führer nicht mehr
weiter uud suchte mir zu beweisen, daß wir uns anf dem höchsten
Gipfel befänden; auch sei kein anderer Reisender höher hinauf-
gegangen. Ich mußte also umkehren. Ueberall am AbHange findet
man Schwefelkrystalle und schwefelhaltiges Eisen; außerdem liegen
dort viele kleine Samenkörner. Mein Führer behauptete ganz
ernsthaft, sie seien vom Himmel gefallen, sie sind aber in der That
nichts als ölhaltige Körner mit etwas harter, weißlicher Rinde,
welche der Wiud hierher getrieben hat. Während wir hinabstiegen,
sah ich eine junge wilde Ziege. Drei Uhr'Nachmittags war ich
wieder bei der Quelle und ritt dann nach Ab Gherm.
Am andern Morgen begegnete mir der preußische Gesandte,
Herr von Minntoli, mit seinem Gesandtschaftspersonal und
zwei Engländern. Ich theilte ihm mit, daß mein Führer mich im
Stiche gelassen habe, und er zwang dann auch seine Führer, ihm
bis auf deu höchsten Gipfel zu folgen. Er sagte mir nachher, daß
er oben einen alten Krater nnd einen zweiten von neuerer Bildung
gefunden habe; aus den Spalten des letztern drangen heiße
Dämpfe hervor. —
Der Gipfel des Demavend hat, nach Nicolas, 6636 Meter
Höhe über dem Meere; er wäre demnach nur 1500 Meter höher
als der Ararat; der Elburs im Kaukasus hat 5630 Meter.
Der Demavend hat, nach den Barometermessungen Taylor
Thomson's 1837,19,400 Pariser Fuß oder 6300 Meter; uach
Lemm's trigonometrischen Messungen im Jahre 1839 beträgt die
Höhe 19,923 Pariser Fuß oder 6441 Meter. F. Thomson, Lord
Schömberg, Kerr und St. Quentin fanden sie 1858 nach Baro-
Metermessungen 6558 Meter.
Die Landeseinwohner haben niemals Flammen aus dem De-
mavend aufsteigen sehen, und persische Gelehrte versichern, daß in
keinem Bnche des Berges als eines thätigen Vulkans erwähnt
werde.
Kleine P
Doctor penez, am obcrn Nil gestorben. Die Wissenschaft
hat abermals einen edlen Märtyrer zn beklagen. Wir haben an
einer andern Stelle dieses Blattes die Berichte mitgetheilt, welche
I)r. Peney über seine beiden Reisen am obern Nil nach Europa
gesandt hatte. Jetzt aber wird aus Kairo gemeldet, daß er ans der
von ihm in Aussicht gestellten dritten Expedition am 26. Juli
seinen Tod gesunden habe. Er starb, nachdem er nur vierundzwanzig
Stunden krank gewesen, in einem Dorfe am Ufer des Stromes.
Seine Frau uud ein Kind waren bei ihm. Unverweilt schiffte sein
Gefährte Debono nach Chartum zurück und kam dort am 26. August
an. Peney's Tagebücher, Aufzeichnungen, Sammlungen und Karten
sind gerettet. Er war iu der Nähe der Nilquelleu, aber auch ihm
blieb es versagt, sie zu eutdeckeu. Seit 22 Jahren kannte der treffliche
Mann den östlichen Sudan und dessen Völker. Kaum ein Anderer
war zur Expedition in jenen Gegenden besser geeignet, als er, und
nun hat er, eiu Arzt, dem afrikanischen Fieber unterliegen müssen.
Ausführliche Berichte werden wohl nicht lange auf sich warten lassen.
achrichten.
Die Niger^Erpedition. Wir finden im Londoner Athe-
! nänm Folgendes: Diese Expedition unter der Leitung von Kapi-
tän Douglas ist uach Lagos zurückgekehrt. Sie war 81 Tage
aus dem Flusse, und wurde während dieser Zeit vom afrikanischen
Fieber heimgesucht, das nun einmal von Fahrten auf dem Niger
unzertrennlich ist. Douglas verfuhr mit Gewalt gegen die Ein-
geborenen und zerstörte fünf Dörfer, deren Bewohner feindlich
j waren, uud dle Wirkung war, daß andere Häuptlinge sich höflicher
benahmen. Der höchste Punkt, welchen Donglas erreichte, war
l Omtscha, wo die Expedition einen Monat lang blieb. Von.dort
trat sie mit Di\ Baikie in Verbindung. — Der Letztere ist, wie
gemeldet haben, auch von Rabba uach der
Küste zurückgekehrt.
ru?* der großen Landschaft Guyana, überhaupt
das Gebiet zwischen dem Amazonenstrom und Orinoeo, ist auch
jetzt noch theilweise wenig bekannt. Ausgezeichnet sind die For-
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
253
schungen unseres Landsmannes Richard Schombnrgk, der im
Auftrage der englischen Regierung in den Jahren 1840 bis 1814
unsere Kenntnisse über einen großen Theil Gnyana's wesentlich
bereicherte. Nun lesen wir, daß auch von Seiten Hollands und
Frankreichs das Innere erforscht werden soll. Die Gouverneure
von Cayenne und von Paramaribo haben nämlich ein Ueberein-
kommen getroffen, demgemäß eine internationale Kommission bis
an die Quellen des Maroni vordringen soll. Dieser Strom
bildet die Gränze zwischen dem holländischen uud dem französischen
Guyaua. Zwei frühere Versuche, dieses Ziel zu erreichen, sind
fehlgeschlagen; auch ist die Aufgabe keineswegs leicht, weil die
dichten Urwälder, die Gebirge und die zum Theil sehr bedeutenden
Flüsse in dieser Aeqnatorialregion eben so viele Hindernisse für die
Reisenden bilden. Die Kommission besteht von jeder Seite ans
einem Marineoffizier für geographische Ortsbestimmungen und
Hydrographie, einem Genieoffizier für Geologie uud Meteorologie,
einem Botaniker, Arzt uud den uöthigeu Leuten zur Bedienung
uud Bedeckung. Am 9. September hatten die französischen Rei-
senden von St. Louis am Maroni aus ihren Zug begouuen. Sie
fuhren in drei großen Pirogen, deren jede mit 18 Negern bemannt
war, uud hatten Lebensmittel anf vier Monate eingelegt. Die
Holländer hatten gleichfalls drei Pirogen, die mit indianischen Rn-
derern bemannt waren.
Eine Expedition nach Cearii, und zwar nach dem nördlichen
Theile dieser Provinz, wurde von der brasilianischen Regierung
vor etwa zwei Jahreu ausgerüstet, um diese uoch weuig bekannte
Gegend näher zu erforschen und wissenschaftliche Sammlungen zu
machen. Angeschlossen hatte sich Doktor Gousalves Diaz, ein
anf deutschen Hochschulen (Jena, Berlin, Leipzig) gründlich gebil-
deter Mann, der auch längere Zeit in Dresden sich aufhielt. Wäh-
rend nun die Expedition nach Rio de Janeiro zurückgekehrt ist,
blieb Doctor Diaz im nördlichen Ceara und macht Ausflüge, um
die Indianer jener Region näher kennen zu lernen. Im Jahre
18^8 erschien vou ihm in Leipzig ein Wörterbuch der Tupi-
Sprache — Naturwissenschaftlicher Leiter war der Botaniker nnd
Zoolog Professor Freire Alemao; er brachte alle seine Samm-
lnnaen glücklich zurück, während jene des Physikers und Geognosten
Schuck) de Capauema während des Transportes von Graiya
nach Fortaleza im Wasser verloren gingen.
I. M. Stuart, der australische Entdeckungsreisende, ist,
den Nachrichten aus Adelaide vom 26. September zufolge, von
einer Expedition nach Norden hin im Anfange Septembers zurück-
gekehrt. Er kam der Nordküste bis anf 95 englische Meilen nahe,
mußte dann aber umkehren, weil er einen undurchdringlichen
Wald und kein Wasser fand. Den Punkt, welchen er erreichte, liegt
unter 17" füdl. Br. uud 133" östl. L. Auf feiner frühern Reife war
er bis 18" 45' S. und 130° O. gekommen. Gregory drang von
Norden her bis 18« S. und 130" O. Stuart ist entschlossen, aber-
mals eine Reise zu wagen, um bis au die Nordküste vorzudringen.
Noch mehr Gold in Amerika. Wir haben au einer andern
Stelle anf die Goldentdeckungen in Neu-Seeland hingewiesen.
In den neuesten nordamerikanischen Berichten finden wir, daß
auch anf der westlichen Erdhälfte der Goldertrag sich steige; t. Zu
Sau Juan del Norte, dem Hafenplatze vou Nicaragua, waren
im Oktober Maschinen aus Europa zur Bearbeitung der reichen
Goldgruben bei Libertad in der Provinz Ehontales ange-
kommen. Die gauze Umgegend ist goldreich, und cauforniiche
Männer waren mit den nöthigen Gerätschaften eingetroffen, um
die Arbeiten kräftig in Angriff zn nehmen. — An der Nordwest-
küste hat man in Oregon, bei den Nez-perces-Grüben, neue sehr er-
giebige Goldlager ausgefuudeu, welcheeiuegroßeAusdehnung haben.
Ein 'Theil der Ausbeute ist fchou uach San Francisco gekommen,
und im Frühlinge wollen viele Digger in jene Gegenden kommen.
Das Erdbeben in Mendoza, welches diese schöne Stadt in
einen Trümmerhaufen verwandelte, war auch im Laufe der Som-
mermonate immer noch nicht verschwunden. Die Lage des Ortes
ist günstig für den Handel über die Cordillereu uack Chile, und em
Theil der Bewohner, welcher aus der grauenvollen Katastrophe das
Leben gerettet hatte, fiug au, auf den Ruinen neue Wohnungen
zu bauen. Aber in der Erde wurde es wieder unruhig, sie hat sich
einige Male wellenförmig bewegt, und so sieht man denn jetzt ein,
daß Mendoza eiu unbewohnbarer Hansen von Ruinen bleiben muß.
Die OelqueUen im westlichen pennsglvanien, deren wir
schon früher erwähnten, bewähren ihre Ausgiebigkeit, und man
betrachtet sie nun als unerschöpflich. Sie liegen unweit des Great
Western Railwav. Man kann monatlich an zwanzigtaufeud Bar-
rels (Fässer) mit diesem aus der Erde hervorquellenden Oel füllen,
nnd jedes Faß hat an Ort und Stelle einen Geldwerth von 22/3
Thalern Am Ende dieses Jahres wird sich der Ertrag auf eine
halbe Million Dollars belaufen haben.
Massenarmuth in der Stadt Neu-Horb. Der sechszehnte
Jahresbericht des Neu-Aorker Vereins zur Verbesserung der Lage
der Arbeiter enthält über diesen Gegenstand eine Menge bemerkens-
ungeheure Summe von Elend in der größten Stadt der westlichen
Welt sich schon jetzt angehäuft hat. Im Jahre 1859 hatte sich die
Bevölkerung um etwa 4000Familien vermindert, allerdings mit in
Folge einer schwächer gewordenen Einwanderung, und weil im
innern Lande große Nachfrage nach Arbeitern war. Die Zu-
nähme d e r V e r ar m u u g war reißend schnell. Den a m t l i ch e u
Angaben zufolge wurden 130,150 Stadtarme im Verlaufe des
mit dem 1. December 1858 endenden Jahres unterstützt, also der
7. Theil der ganzen Bevölkerung uud eine Zunahme von 37,011
gegen das vorhergehende Jahr; dabei wurden $ 500,000 ver-
ausgabt.
Die Fälle vou Verurteilungen wegen begangener Verbrechen
erreichten die Höhe von 35,172; sie ergaben einen Zuwachs vou
über 25 Procent gegen das vorhergehende Jahr und verursachten
eine Ausgabe von mehr als $ 300,000. Die jährlichen Ausgaben
für Pauperismus und Verbrecher allein, welchen die Steuerzahler
zu trageu habeu, betrugen ungefähr $ 800,000.
Was aber vielleicht als die beunruhigendste Seite dieses großen
Uebels des Pauperismus durch jenen Bericht sich herausstellt, ist
die Widerlegung der beliebten Idee, daß unter den Eingeborenen
nur wenig Pauperismus zu finden sei, weil sie uns alle Maßregeln
zu dessen Verhütung hat vernachlässigen lassen. Denn dies Ver-
hältnis der almosenempfangenden eingeborNen Bürger unserer Stadt
zur ganzen Bevölkerung wird auf Ltt zn 100 angegeben, und das-
selbe soll in den inneren Eounties des Staates weit größere Di-
mensionen erreichen.
Es ergiebt sich, daß die Masse von Pauperismus stufenweise
gestiegen ist, nämlich: Im Jahre 1831 hatten wir unter 123 Per-
sonen, 1841 unter 39 Personen, 1851 unter 24 Personen, in 1859
unter 17 Personen 1 Armen. Wenn dieselbe Steigerung noch 15
Jahre anhält, so wird auf je 5 Personen 1 Armer kommen, d. h.
je 5 Personen im Staate müssen einen Armen ernähren.
Der Gesundheitszustand der Stadt nimmt einen bedeutenden
Raum in dem Bericht eiu, und wie gewöhnlich wird über die alten
Uebel, schmutzige Straßen, enge und schlecht gelüftete Wohnhäuser,
feuchte und ungefnndeKeller, uud die davon herrührende» traurigen
physischen und moralischen Folgen geklagt. Es wird ferner nach-
gewiesen, wie es schon unzählige Male früher geschehen ist, daß
wegen Mangels au geeigneter Gesnndheitspolizei Nen-Aork, trotz
seiner herrlichen Lage, die ungesundeste Stadt in der Welt ist. Ju
Bezug auf die Sterblichkeit wird es mit verschiedenen europäischen
Städten in folgender Weise verglichen: London ist 1:40, Berlin
ist 1:40, Turin ist 1:38— 4(3, Paris ist 1:36—72, Genua ist
1:32, Lyon ist 1:30, Hamburg ist 1:28, Neu-Aork ist 1:27— 15.
Ja noch mehr. Der Bericht liefert den Beweis, daß während in
London sich der Gesundheitszustand reißend schnell verbessert, in
Nen-Uork ebcn so schnell das umgekehrte Verhältuiß eingetreten ist.
Im Jahre 1664, also vor weniger als 200 Jahren, war die
Verkommenheit, der Schmutz und die Ansteckung in London so
groß, daß außer den 28,000 Todesfällen, die gewöhnlichen Krank-
betten zuzuschreiben waren (also V24 der Bevölkerung, und 5000
mehr als int vergangenen Jahre in Nen-Uork) — in einem Jahre
nahe 68,000 Menschen an der Pest starben. Damals war die Be-
völkerung von London etwa so stark, wie die von Neu-Aork jetzt ist.
Jetzt jedoch ist das Verhältuiß der Sterblichkeit in London wie 1.40,
während das von Neu-Uork beinahe so groß ist, wie das vou Lon-
dou vor 200 Jahre», nämlich im Jahre 1827 wie 1:27. Vor
fünfzig Jahren jedoch war es noch besser, als das von London jetzt
ist, nämlich 1:46.
Ärmuth in England. Aus öffentlichen Mitteln erhalten
Unterstützung in der Hauptstadt 1 vou 20; in den drei östlichen
Grafschaften 1 von 14; in den südöstlichen mit Berks und Hants
1 vou 19; in den südwestlichen 1 von 18; in Wales 1 vou 16; iu
deu westlichen binnenländischen von Glocester bis Stafford 1 vou
25; in den südlichen binnenländischen von London bis Northamp-
tonshire 1 von 17; in den nördlichen binnenländischen von Leicester
nach Norden hin 1 von 23; in den nordwestlichen, Lancashire uud
Chefhire, 1 von 36; in Iorkshire 1 von 32 und in den nördlichen
Grafschaften 1 von 27. Diese Zahlen beweisen, daß in den gewerb-
lichen Gegenden die Armnth weit geringer ist als in den übrigen.
254. Globus, Chronik der Reisen
Volksmenge in Canada. Dieselbe besteht nach der Zählung
von 1861 ans 2,498,888 Seelen; davon kommen auf West-(Ober-)
Canada 1,395,222, auf Unter-Canada 1,103,666. Montreal
hat 90,498, Quebec 51,109, Toronto 44,743, Hamilton
19,096, Ottawa 14,669, Kingston 13,743, London 11,555
Einwohner.
Australien. Die iu der Mitte des Jahres 1861 in Neusüd-
Wales veranstaltete Volkszählung hat nahe au 350,000 Seelen
für diese Kolonie ergeben. Der nördliche Theil, welcher jetzt von
ihr abgetrennt ist und die Kolonie Queensland bildet, ist iu dieser
Ziffer uicht mitbegriffen. Neusüdwales hat seine Volksmenge im
Verlauf der letzten fünf Jahre um etwa 100,000 Seeleu gesteigert.
Die Anzahl der Erdbewohner kann mau annähernd zn
1300 Millionen Menschen annehmen. Davon kommen auf Europa
372, Asien 720, Amerika nicht 100, Afrika 100 und Australien fammt
den polynesifcheu Inseln 2 bis 3 Millionen. Im Durchschnitt stirbt
jährlich 1 Mensch von 40, jährlich etwa 32 Millionen, täglich
87,861, in jeder Secunde endet ans Erden ein Menschenleben'und
in jeder Minute werden 70 bis 80 geboren.
Oer Postverkehr in England ist von Jahr zu Jahr iu
wahrhaft kolossaler Weise gestiegen. Amtlichen Berichten zu-
folge wurden 1860 im Vereinigten Königreiche nicht weniger als
564,000,000 Briefe an die Adressaten abgegeben; davon kamen
auf Irland 48, auf Schottland 54 Millionen, die übrigen auf
England. Das sind die Wirkungen des billigen Postporto's^ Bevor
dasselbe eingeführt wurde (1840), betrug, 1839, die Gesammtzahl
der Briefe nur 82,471,000, wovon nur etwa 6V2 Millionen fran-
kirt waren. Im folgenden'Jahre steigerte sich, beim Pennyporto,
diese Ziffer sofort auf 168,768,000, also um mehr als 122 Procent.
Von da ab beträgt die Vermehrung in jedem Jahre durchschnittlich
4-/2 Procent. Aus London allein kamen 1860 schon 137 Mil-
lionen Briefe. — Viele gehen verloren, weil die Adressen nn-
leserlich sind; im vorigen Jahre waren aus diesem Grunde etwa
zwei Millionen unbestellbar; 20,000 hatten Adressen wie folgt:
„Herrn William Jones, London," und solche gelangten natürlich
anch nicht an ihre Bestimmung. — Außer den Briefen besorgte die
Post noch 71 Millionen Zeitungen uud 11,700,000 Bücher-
seudnugen. Die Anzahl der von der Post besorgten ,,Money-
Orders" betrug 7,229,146, im Geldwerthe von 13,856,404 Pfund
Sterling. — Die Bruttoeinnahme der Postbehörde stellte
sich auf 3,524,710 Pfund Sterling; davon'war Rein-Einnahme
1,102,479 Pfund Sterling. Auf Gehalte uud Pensionen 1,066,920;
an die Eisenbahnen zahlte die Postbehörde 488,000 Pfund Sterling.
Bei der inländischen Post hat sie Profit, aber an jener nach dein
Auslande und den Kolonien erleidet sie jährlich 410,000 Pfund
Sterling Verluste, der z. B. für jeden Brief nach dem Vorgebirge
der gnten Hoffnung 9 Peuce beträgt, uach Westindien 1 Schilling,
nach der Westküste von Afrika 1 Sch. 8 P. Aber der größte abso-
lute Verlust kommt auf die Linien nach Brasilien, Westindien uud
dem Stilleu Ocean, denn hier hat die Post etwa 200,000 Pfund
Sterling zuzulegen. Dagegen bringt die Dover-Calais-Linie
56,000 Pfund Sterling Prosit. Die Post zahlt für die Beförderung
ihrer Briefbeutel an die Peninfnlar-Dampfer 5800; die nordame-
rikanifchen Linien 189,400 ^Verlust 78,000); an jene nach West-
indien, Brasilien, Stillen Ocean 302,400 (Verlust 198,000); West-
küste von Afrika 30,000 (25,000 Verlust); uach Kapkolonie 38,000
«Verlust 28,700); Australien 94,500 (Verlnst 64,200); ostindische
Posten 180,300 (Verlust 69,300). Die Kontrakte, welche die bri-
tische Postbehörde zur Beförderung ihrer Briefe mit Privatkom-
pagnien geschlossen hat, stellten sich ans 863,800 Pfund Sterling.
Än Paraguay ist zu Aufaug Oktobers die erste Eisenbahn-
strecke eröffnet worden. Sie bildet einen Theil des Schienenweges,
welcher die Hauptstadt Afuncion mit Villa rica verbinden wird.
Ein Nachtbild ans Afrika. Seit vielen Jahren haben Mif-
sionärc ans Schottland eine Mission bei dem Volke der Essiks am
Alt-Kalabar, also an der afrikanischen Westküste, so zu sagen im
Nigerdelta, welches den europäischen Einflüssen offen steht. Aber
trotz aller Bemühungen, und obwohl sie stets von deu Königen des
Landes begünstigt wurden, haben sie kaum einen Eindruck auf die
-Gemüther dieser schwarzen Barbaren gemacht. Die jüngste Zeit
hat dafür wieder einen Beweis geliefert; es geht bei den Essiks so
grauenvoll her wie beim Könige von Dahome.
Vor drei oder vier Jahren folgte König Eyo Houesty der
Dritte seinem Vater auf dem Throne, hatte sich taufen lassen,
war aber, wie gewöhnlich, wieder iu deu Fetischdienst znrückge-
fallen, und hatte dann auf feinem Todtenbette wieder die Mah-
nungen eines christlichen Predigers sich gefallen lassen. Er starb
und Geographische Zeitung.
am 12. Mai 1861 im größten Dorfe des Landes, welches die Eure-
päer Cr eck Town nennen. Nach den Vorstellnngen der meisten
Negervölker erfolgt der Tod, namentlich bei Häuptlingen, durch
Zauber und Behexung; ein geheimer Feind hat es dem Verstor-
benen angethan. Nach Eyo's Tode wurde sein Oheim Egbo Eyo
des Verbrechens beschuldigt, uud uuu benutzten die Feinde des
Mannes, welcher für sehrhochmüthig galt, die Gelegenheit zur Rache.
Die Leiche wurde mit den landesüblichen Feierlichkeiten be-
graben. Man gab dem Todten allerlei werthvolle Gegenstände
und einige Stücke von einer zu diesem Behnfe geschlachteten Kuh
mit. Aber au jenem Tage wurde uoch kein Arensch geopfert, nnv
Egbo Eyo blieb unangetastet. Doch am nächsten Morgen stürmten
seine Feinde mit einer Rotte Schwarzer heran, überfielen sein Hans
nud schössen eine seiner Frauen todt. Der Mann konnte nicht ent-
fliehen, und händigte sich selber den Anführern ans. Sie schlepp-
ten ihn nach dem Marktplatz, und schnitten ihm unterwegs ein
Stück Fleisch uach dem andern vom Leibe; dabei schlugen sie mit
Knütteln und Flintenkolben auf ihn ein. Trotzdem blieb er kalt-
bliitig, uud antwortete nicht blos ganz rnhig, sondern auch mit
Scharfsinn auf alle Fragen und Beschuldigungen. Die Missionäre
eilten herbei und gaben sich alle Mühe, den Unglücklichen zu be-
schützen, doch dies war vergebens; auch die europäischen Kaufleute
richteten uichts aus bei diesen „Todtenrächern". Egbo mußte bis
zum Abend im Sande liegen und wurde dann an einen Baum
gehäugt. Er schlang sich den Strick selber um den Hals!
Die Henker wären keine ächten Afrikaner gewesen, wenn sie
sich mit einem Blutopfer beguiigt hätten. Am Abend erwürgten
sie einen Sklaven, weil er dem Egbo Eyo einen Zauber verschafft
haben sollte. Eine zweite Fran Eyo's wurde von einem Schwarme
wütheuder Weiber in den Straßen nmhergeschleift und dann an
einen Baum aufgeknüpft. Einige Tage später wnrde abermals
ein Diener Eyo's ermordet.
Aber noch war das gräßliche Schauspiel uicht zu Eude. _ Der
verstorbene König hatte zwei «Schwestern, die in schlechtem Einver-
nehmen leben. Die eiue hieß Ausa uud beschuldigte die andere,
In Yang, durch eiu Jsot, d.h. eiueu Zauber, am Tode des Brn-
ders sich betheiligt zu haben. Anch sei sie schnld daran, daß ein
anderer Brnder blödsinnig geworden. Also verlangte Ansa, daß
Jnyang die Probe des Esere machen müsse. Efere ist eine änßerst
giftige Bohne; dem Volkswahne zufolge wird sie von einem Un-
schuldigen gleich nach dem Verschlucken wieder ausgebrochen, wäh-
rend der Schuldige daran stirbt. Jnyang verlangte nun, daß die
Klägerin gleichfalls die Bohne essen sollte, aber Ansa hatte ihre
Sklaven mit neuen Musketen bewaffnet und erzwang ihreu Willen.
Jnyang wurde auf einen öffentlichen Platz geschleppt, nahm die
Bohne ein, nud war wenige Minuten nachher eine Leiche. — so
steht es noch heute nm die Sitten nnd Gebräuche der Effik-Neger.
Westküste von Afrika. Die Hauptstadt von Sierra Leone,
Freetown, ist im Jahre 1859 noch ungesunder als gewöhnlich ge-
Wesen. Das afrikanische Fieber raffte unter anderen weißen Opfern
auch fünf katholische Missionäre hinweg. Pater Borghero,
welcher sie im Frühjahr 1861 ans seiner Fahrt nach Dahome be-
suchte, giebt Bericht über eiue Predigt, welche ein schwarzer Pastor-
in Freetown zur Osterzeit hielt. Cr suchte seiuer andächtigen Ge-
meinde den Unterschied z w i s ch e n W e i ß e n uud Schwarzeu
in seiner Weise klar zn machen. Er ging von der Annahme aus,
daß Vater Adam und seine Kinder von Hause aus schwarz ge-
Wesen seien. Als aber Gott den Stempel auf Kain's Stirne
drückte, wurde dieser sofort zum weißen Manne und Kain's Kiu-
der erbten diese Schmach. Daher kommt die weiße Race.
Als Borghero Wha ida 'Whydah), die Hafenstadt von Daho-
me, besuchte, fand er dort die Schlangenverehrung sehr im
Schwünge. Sie ist bekanntlich an der ganzen Westküste verbreitet,
aber in Whaida hat sie Tempel uud ist eiu eigentlicher Cnltus.
Iu einem besondern Ranme werden nahe an hundert nichtgiftige
Schlangen gefüttert; aber diese heiligen Fetische dürfen nach Be-
lieben anch in der Stadt spazieren kriechen. Wer solch' einem
Fetische begegnet, wirft sich in den Staub und bleibt liegen, bis das
beilige Thier vorübergekrochen ist. _ Manchmal hebt man anch das-
selbe ans und trägt^eS in sein Heiligthum zurück.
Eine heilige Schlangenart ist sehr gefräßig nnd verschlingt
viele kleine Thiere. Wenn sie aber ein kleines Kind frißt, dann ist
die Frende groß, bie Aeltern werfen sich nieder nnd danken dem
Fetisch, daß er so überaus gnädig gewesen sei, sich mit ihrem Kinde
zu sättigen.
In Dahome hatte der neue König bis zum April 1861 schon
mehr als 3000 Menschen geopfert, nicht ans Grausamkeit, sondern
weil die Landesreligion uach dem Tode eines Monarchen solche
Blutopfer vorschreibt. Die Priester, Fetischmänner, halten natür-
lich, als streng conservative Lente, an alten Bräuchen so fest, wie ein
märkischer Edelmann an der Befreiung von der Grundsteuer.
Globus, Chronik der Reisen
Die englischen Antillen. Es ist bis in die jüngste Zeit hinein
iu England Brauch, den Verfall der westindischen Inseln zn läng-
neu, und die Folgen der Negeremancipation als günstig hinzu-
stellen. Man beruft sich auf Schriftsteller wie Sewell, der doch
ein außerordentlich unkritischer und befangener Kopf ist. Selbst
die Edinburgh Review hat sich dcr>i; hergegeben, die Dinge, wie sie
sind, zn vertuschen und Zahlen sophistisch zu grnppiren. Aber die
Zunahme der Barbarei unter den freien Negern bleibt darum doch
eine Thatsache, die man nicht weglängueu kann. Wir finden in
der Novembernummer der Annales de la Propagation de la Foi
einen Bericht des Bischofs Poirier von Noseau ans Dominica,
in welchem eS heißt: — Alle diese kleinen englischen Au-
tilleu siud in einem Zustande des Verfalls, welcher
dem völligen Ruin nahekommt. Fast alle alte Kulturen
(Pflanzungen) sind aus Mangel an Geld und Arbeitern eingegan-
geu. Bis zum Jahre 1832 erzengte Dominica durchschnittlich vier
Millionen Pfund Kaffee; iu diesem Jahre (1861) hat es,
nach den Ausweisungen des Zollamtes uoch keine zwanzig-
tausend Pfund ausgeführt. Die freien Neger erhalten von den
Grundbesitzern — welche durch die Emancipation zu Grunde gc-
richtet worden sind — keinen Lohn, der sie zur Arbeit ermuthigt,
und „arbeiten" für sich selbst. Das heißt, sie bestellen einen kleinen
Fleck Landes, um mit ihren Familien leben zu können, oder rich-
tiger gesagt, um uicht Hungers zu sterben. Die der Negerrace ein-
und angeborene Faulheit und Sorglosigkeit läßt diese Leute Inicht
über die Bedürfnisse des Tages hinausdenken. Man kann sich gar
nichts Kläglicheres vorstellen, als ihre Lage. Ihre Hütten bestehen
ans einigen in die Erde gerammten Pfählen und einem Strohdache;
sie schützen nicht gegen den Regen und draußen wälzen sich die halb-
nackten Kinder im Staube, oder pnddeln im Bach umher wie die
Enten. Nur selten essen diese Menschen sich recht satt, Krankheiten
mit tödtlichem Ausgange sind häufig und iu manchen Gegenden
vermindert sich die afrikanische Bevölkerung sehr schnell. — In
Jamaica denkt man jetzt daran, Baumwolle zn bauen und Boden
wie Klima eignen sich dazu vortrefflich. Aber von den freien Negern
erwartet man Nichts, denn sie leisten keine regelmäßige Arbeit, und
deshalb ist eixt ausgiebiger Anbau der Baumwolle von „Jmmi-
granten-Arbeit" bedingt, nach der man sich jetzt umsehen will. Auch
in Venezuela geht man mit dem Plan um, Baumwolle zn pflanzen.
Die Turner in Cincinnati und die freien Farbigen. Wir
haben neulich gezeigt, wie ausschließlich gerade in den sogenannten
freien Staaten der ehemaligen nordamerikauischeu Union sich die
weißen Amerikaner gegen die Schwarzen verhalten. Das Nach-
stehende finden wir als neuen Beleg in einer zu St. Louis erschei-
ueudeu deutschen Zeitung.
In der Turnhalle in Cincinnati wurde unlängst eine Ge-
werbe-Ansstellnng veranstaltet, deren Besuch dem Publikum
gegen eine Eintrittsgebiihr frei stand. Einige freie Farbige wollten
die Ausstellung gleichfalls sehen. Sie hatten bereits ihre Eintritts-
karten gekauft, als ihnen von den Turnern, die an der Thüre
standen, bemerkt wurde, daß sich unter den anwesenden Damen
und Herren von amerikanischer Geburt große Aufregung über die
Zulassung vou Farbigen kundgebe, und daß ärgerliche und für die
Ausstellung nachtheilige Folgen zu erwarten wären, wenn sie
dennoch eintreten wollten. Die Farbigen entfernten sich l.arans,
ohne die Ausstellung zu besuchen. Wir sind begierig zu hören, ob
Cincinnati's Turngemeinde dieses Verhalten einzelner ihrer Mitglie-
der gebührend rügen oder wie sie, wenn sie es nicht thnt, die Zu-
rückiveisung vou Menschen dunklerer Hantfarbe aus ihrer Halle
mit der Turner-Platsorm iu Uebereiustimmuug bringen wird.
Der Sache nach war dies in Wahrheit eine schnöde Zurückweisung,
wie höflich auch die Form gewesen sein mag. _ Man opferte dem
Vornrtheile und dem vorübergehenden Vortheile ein Princip und
beging einen Akt der Servilität und Brutalität, den wir von den
,,radikalen" Turnern von Cincinnati zu allerletzt erwartet hätten.
Wenn das am grünen Holze geschieht, was ist von dem dürren zu
erwarten? —
Heiligenfcst in Peru. Bekanntlich sind die meisten Indianer
in den ehemals spanischen Besitzungen Amerika's wenigstens äußer-
lich zum Christenthnme bekehrt und machen eifrig die Kirchen-
gebränche mit, aber sie geben dabei mancherlei wunderlicheZnthaten.
Ernst Grandidier schildert ein Charfreitagsfest, an welchem er
iu Chorillos bei Lima Zeuge war. Zwölf Cholos, Abkömm-
linge von Weißen und Indianern, waren als Soldaten gekleidet
und hielten Wacht am heiligen Grabe. Diese zwölf Männer dürfen
volle vieruudzwanzig Stundenlang sich nicht von der Stelle bewegen,
Nichts essen und Nichts trinken. Am andern Tage waren sie fast
alle krank. — Am Fronleichnamstage war der Reisende iu C e r r o
de Pasco. Dort fand er die Hanptklrche mit Teppichen, allerlei
Trophäen und brennenden Kerzen geschmückt; vor manchen Häusern
und Geographische Zeitung. 255
| standen tragbare Altäre, von den Dächern weheten Flaggen und
die Behänge vor den Häusern waren mit Gold- und Silbermünzen
reichlich verziert. Auf deu Straßen batte man Kapellen in freier
Luft gebaut; in denselben hing das Marienbild zwischen lithogra-
phirten Schlachtenbildern aus Europa und anderen Stein-
drücken, ans welchen zum Theil sehr unerbauliche Liebesauftritte
dargestellt waren. „Seltsame religiöse Bilder! Die Procession
zog aus der Kirche; vor dem Allerheiligsten Gut, der Monstranz
mit der Hostie, führten Jndianergrnppen allerlei groteske Tänze
auf; eiu alter Neger, welcher den Teufel darstellte, macht entsetz-
liche satanische Gebehrdeu und prügelt fürchterlich auf einen Engel
los. Sobald die Procession vorüber ist, wird flugs der Ruhaltar
in eine ambulante Schaubühne verwandelt; man nimmt die Vor-
hänge von der heiligen Stätte fort und benützt sie als Gardine bei
diesem Puppentheater. Die Marionetten, Tikares, führen nn-
züchtige Tänze auf und jeder derselben endigt mit Geberden, die
nicht näher geschildert werden können. In den Zwischenakten er-
scheinen größere Puppen; diese sind wie Geistliche gekleidet, äffen
als Zerrbilder diesen nach, halten Predigten und dispntiren mit
einander. Nachdem das geschehen ist, reicht man jeder Pnppe ein Gefäß
mir Chicha, berauschendem Getränk ans gegohrenem Mais, und der
Inhalt wird über die Köpfe der lustigen Zuschauer ausgegossen. —
In Peru sieht man solche innige Vereinigung kirchlicher Gebräuche
mit Aberglauben und Unsittlichkeit gar nicht selten."
Iolt? Maria el Uaürero. Das ist der Name eines Mannes,
bekannt über ganz Sonora wegen seiner außerordentlichen Fähig-
keit, die Fußstapfen von Thieren und Menschen unter den größten
Schwierigkeiten durch Gebirge, Wüsten und Flüsse zn verfolgen.
Eiu Fremder, der durch den kleinen Ort Pitiqnite reist, wo dieser
sonderbare Mann wohnt, erstaunt über die vielen Geschichten, die
man sich von demselben erzählt. Den Tritt eines Pferdes auf
fester Erde vergißt er Monate nicht, und scheint in diesen, wie An-
dere iu den Gesichtszügen der Menschen zu lesen. Im Monat
Mai verlor ich ein Pferd in der Nähe von Altar, und ging hin-
unter nach Pitiqnite, eine Entfernung vou 5 Leguas, um daselbst
Vaqueros auszuschicken, und es zu suchen. Ich hatte ein anderes
Pferd gekauft, und mit diesem hielt ich im Hanse des Rastrero.
Dieser ist ein einfacher Mann, welcher bedeutende Intelligenz und
gefunden scharfen Verstand besitzt, den er schon oft zur Anwendung
von Diebstählen angewandt hat. Er versprach, mich zn benach-
richtigen, im Falle mein Pferd gefunden würde. Einige Monate
später traf es sich, daß ich wieder in die Nähe von Pitiqnite kam,
und zwar passirte ich diesen Platz zur Nachtzeit und ging nach
Caborca. An demselben Tage suchte mich ein Indianer, welcher
der Spur meines Pferdes gefolgt war, und ohne zn fragen,
gerade auf mich zukam. Er war vou dem Rastrero geschickt, der
mir sagen ließ, daß mein Pferd gefunden sei. Auf einem Morgen-
ritt in die Felder hatte er die Spur meines Pferdes erkannt, und
vermuthete, daß ich in Caborca sei. Ein anderes Mal, als eine
bedeutende fenmiite Geld :c. gestohlen worden war, verfolgte er die
Spur unter außerordentlichen Schwierigkeiten im Bette des Flusses
entlang, durch Sand und Wasser, durch Mesqnite und anderes
dickes Gebüsch — plötzlich hielt er still, wo die Spur sehr deutlich
und ohne Unterbrechung fortging. Hier im Gebüsch, sagte er, muß
das Gestohlene liegen. Und wirklich, man fand es dort. Der
Rastrero ist jetzt alt und verliert allmälig sein außerordentliches
Talent, aber uoch immer wird seine Meinung in derartigen Dingen
als unumstößlich angenommen. (A. d. San Francisco-Jonrnal.)
Der Nachkomme des großen Mogul, nämlich der König
vou Delhi, wurde in Folge des großen indischen Aufstandes seiner
Einkünfte für verlustig erklärt, und 1857 als Gefangener nach
Rangnhn iu Pegu abgeführt. Dort lebt dieser alte Manu, Baha-
dur Schah, feit Jahren iu ärmlichen Verhältnissen. Das groß-
müthige England zahlt dem Abkömmlinge Aureng Seb's, nachdem
es seine Vorfahren aller ihrer Länder beraubt, monatlich zehn
Rupien. „Er genießt jeden Comfort, welchen man sich für eine
solche Summe (die Rupie gilt 20 Neugroschen) verschaffen kann.
Auch hat man ihm und seiner Familie gestattet, auf Ehrenwort
innerhalb der Cantonnements frei umherzugehen. Sein Sohn
Dfchamma Bacht und zwei von dessen Brüdern lernen sehr gut
Englisch. Schah Bahadur wird wohl die kalte Jahreszeit nicht
überleben." So schreibt der „Friend os Jndia".
Eine lamulische Druckerei ist von den französischen katho-
tischen Missionaren zu P o n dich er y gegründet worden. Aus der-
selben geheu uicht blos Erbauungsschriften, sondern auch Schul-
bncher hervor. Pater Victor zu Quiton an der Malabarküste
hat die „Nachfolge Christi", das berühmte Andachtsbuch, welches
man lange dem Thomas a Kempis zuschrieb, in's Tamnlische über-
256 Globus, Chronik der Reisen
setzt. Der größte Kenner der tamulischeu Literatur ist ohne Zweifel
Dr. Graul, Vorsteher der protestantischen Mission zu Leipzig, wo
gleichfalls taniulische Werke gedruckt werden.
Anarchie im westlichen China. Als wir neulich die Expe-
dition Sarel's und Blakistone's schilderten, welche den Versuch
machten, durch die westlichen Provinzen China's nachTibct vorzu-
dringen, erwähnten wir, daß die Reisende an der Gränze der Pro-
vinz Sze tschnen (Szy-tschhnan) umkehren mußten. Die Führer
und Träger wollten nicht weiter mitgehen, weil weiter nach Westen
Alles in Verwirrung sei. Wir finden für diese Angabe eine Be-
stätigung iu dem Brief des katholischen Sendboten Delaware
ansTschen-fu, der Hauptstadt von sze tschueu, welcher manche
interessante Angaben enthält.
Delaware verließ im Dezember 1860 die Hauptstadt Peking
mit Pässen für 27 andere Missionäre, welche sich in verschiedenen
Theilen von Sze tschnen, Yünnan, Kni tschen und im östlichen
Tibet aufhalten. In allen jenen Gegenden entfalten die fran-
zösischen Missionäre eine große Thätigkeit; seit dem Pekinger Ver-
trage, welcher ihnen Religionsfreiheit zuerkennt, können sie sich
überall sicher fühlen. Delamare ließ während der Reise eine kleine
französische Fahne vor sich hertragen, auf welcher sein Stand ver-
merkt war. Iu vielen Ortschaften wurde er von den Mandarinen
niit Auszeichnung empfangen und gastlich bewirthet; auch gab man
ihm Unterbeamte als Geleit mit. In der Hauptstadt von Scheust
verweilte er bei den Franziskanern, welche dort eine Mission haben;
er lobt die Toleranz der Chinesen. Es wäre zu wünschen, daß
auch andere Leute ebeu so duldsam wären. Der Gouverneur ver-
ösfentlichte einen besonderu Erlaß zu Gunsten des Christenthums
und hob hervor, daß die Europäer in China ungehindert reisen,
sich an jedem beliebigen Punkt aufhalten und ihre Religion nach
Gutdünken verküudigeu dürften. So weit sind wir in Europa be-
kanntlich noch lange nicht. Was würde man z. B. iu Rom zu
einem buddhistischen Priester sagen, der sich einfallen ließe, im An-
gesichte des Vaticans eine andere Lehre als die römische, als die
wahre zu verkündigen?
Die Zerrüttung iu den westlichen Provinzen, namentlich in
Sze tschuen hat im Oktober 1859 begonnen. Der Missionar ent-
wirft folgende Schilderung: „Seit jeuer Zeit haben sich Verbrecher-
banden in verschiedenen Landestheilen erhoben nnd fast überall iu
der Provinz geplündert, gesengt, gemordet nud Abscheulichkeiten
aller Art verübt. Ueberall Verwüstung nud allgemeiner Schrecken !
Die Behörden sind unfähig, diese Rebellion niederzuschlagen, weil
manche kaiserliche Offiziere dieselbe begünstigen. Mehrere sind
deshalb schon abgesetzt worden, nnd nun beginnt das Volk leibst die
Sache in die Hand zn nehmen. Aber bis jetzt sind schon
mehr als einmalhnnderttansend Menschen hingemor-
d e t, unzählige Häuser eingeäschert worden nnd auch unsere christ-
licheu Gemeinden haben schwer gelitten."
Der Gorilla und Hanno'« Seereise jenseit der Säulen des
Herkules. In einem Londoner Blatte wirft I. B. Doyle von
Dublin her die Frage auf, ob nicht etwa Hanno, der alte kartha-
gifche Admiral und Feldherr, der eigentliche Entdecker des Gorilla
gewesen sei. Er meint, es liege nichts Unvernünftiges in der An-
nähme, daß die Häute jener Affen, welche Haimo nach Karthago
mitbrachte, vom Gorilla gewesen seien.
Aber der Gorilla du Chaillu's hat offenbar mit denen Hanno's
nichts zu schaffen. Im Tagebuche des Karthagers lauten die Stel-
len, worauf es ankommt, folgendermaßen. Nachdem er gesagt, daß
er nach Süden hin der Küste entlang gefahren sei nnd Flammen
gesehen habe, die aus einem hohen Berge kamen, dem sogenannten
Götterwagen, und nachdem er noch drei Tage weiter gesegelt war,
„kamen wtr an einen Busen, den man das Süd Horn nennt. Im
Hintergründe desselben lag eine Insel mit einem s-ee nud in die-
sem lag ein anderes Eiland, das mit Wilden besetzt war. Die
meisten derselben waren Weiber, die einen rauhen Körper hatten;
sie wurden von unseren Dolmetschern Gorillas genannt. Wir
verfolgten sie, konnten aber von den Männern keine erhaschen, weil
sie über Abgründe und Felsen entflohen und vou dort mit Steinen
nach uns warfen. Drei Weiber wurden gefangen, setzten sich mit
Kratzen nnd Beißen zur Wehre nnd mußten getödtet werden. Wir
zogen ihnen die Felle ab und brachten diese mit nach Karthago.
Weiter haben wir unsere Schifffahrt nicht fortgesetzt, weil es uns
an Lebensmittel» fehlte." —
Nun sind die Gelehrten darüber einig, daß Hanno s Sudhorn
einerlei sei mit dem Vorgebirge der drei spitzen, 4" 49,
30" nördl. Br., welches die Gränze zwischen der Zahn-und der
Goldküste Guiuea's bildet. In diesen Gegenden findet man den
Tfchiinp ause, Simia troglodvtes, welcher gesellig lebt und auf
den die Beschreibung des karthagischen Admirals paßt. Dagegen
ad Geographische Zeitung.
läßt sich du Chaillu's Gorilla nördlich vom Aeqnator nirgends
nachweisen. Er tritt erst im Süden desselben auf und lebt nicht ge-
sellig, auch nicht au der Küste, sondern einsam, paarweise, in den
dichtesten Wäldern des Innern, im Hinterlande der Gabunregion
nud in den Gegenden der Sierra del Crvstal. Die Vermnthnng
Doyle's hat demnach gar keine sichere Unterlagen und die Affenart,
welche Hanno's Dolmetscher als Gorilla bezeichneten, ist nicht der
durch du Chaillu näher bekannt gewordene Gorilla im Süden des
Erdgleichers.
Allcrthümer in Kleinasien. Der Archäolog Tremeaux
hat unter sehr günstigen Verhältnissen eine beträchtlich". Anzahl
alter Städteruinen besucht, und der geographischen Gesellschaft
iu Paris vierzehn höchst interessante Pläne vorgelegt. Von Troja
ist keine Spur mehr vorhanden, von Tralles in Carien nur we-
nig, weil dieser Ort gleichsam als Steinbruch für die gegenwärtige
Stadt Aidin gedient hat. Aber manche sind vortrefflich erhalten,
nnd Tremeanx fand viele wichtige Denkmäler, die fast ganz unversehrt
sind. Er hat an mehr als vierzig Stellen oder in alten Städten
eine reiche Ernte gehalten, namentlich viele Inschriften copirt nnd
Münzen gefunden. Seine Pläne enthalten Festungswerke und
Ringmauern, Stadien, Theater und Tempel, Basiliken, Bäder,
Palästren, Marktplätze:e.
Perga in Pamphylien ^dessen auch in der Apostelgeschichte
XIII. erwähnt wird) und das ein wenig landeinwärts vom sata-
tischen Meerbusen liegt, war im Alterthum wegen Verehrung der
Diana berühmt, welche dort einen herrlichen Tempel hatte. Nun,
dieses Perga bietet den Blicken dessen, der es besucht, uoch heute
eine ganze Stadt dar, welche man in allen ihren Einzelnheiten
übersehen kann. Tremeaux war über diese Erscheinung im höchsten
Grad erfreut und erstaunt. Vor der Stadt fand er eine Pracht-
volle Agora; er konnte noch die zn derselben führenden Straßen
mit ihren Säulengängen erkennen. Die Ringmauer der eigeut-
licheit innern Stadt ist beinahe unversehrt erhalten. Man sieht
eine große Anzahl viereckiger Thürme, von denen einige sogar noch
ihre Manerkrönuug haben. Im Innern der Ringmauer sind Ge-
wölbe angebracht, welche wahrscheinlich als Kasernen dienten, nnd
deren Dach einen Laufgang für die Vertheidiger bildete. An der
Nordseite liegt, in Verbindung mit der Mauer, eine Akropolis, eine
Burg, ans steiler Höhe. Die alten Denkmäler befinden sich alle-
sammt in der Unterstadt, namentlich eine Palästra, die Thermen,
Basiliken nnd dergleichen mehr. Ein großartiges Theater nnd das
Stadium sind, gleich manchen Palästen nnd anderen Denkmälern,
fast unversehrt.
In Aspendus am Eurymedon, das nicht weit von Perga,
gleichfalls im alten Pamphylien, liegt und jetzt Minng at heißt,
findet mau eine Wasserleitung, welche Tremeaux für die
schönste iu der Welt erklärt. Die berühmte Wasserleitung des
Gard bei Nimes in Frankreich hat 260 Meter Länge und bis 46
Meter Höhe; dagegen der Aquädnct von Aspeudus über 50 Meter
Höhe (mehr als 160 Fuß) und 1440 Meter Länge. So hatte der
Hippodrom zu S e leu ei a eine dritthalb Mal größere Arena als
der größte Cirens in Rom.
Hierapolis, iu der uordsyrischen Landschaft Cyrrhestice,
unweit vom Euphrat ljetzt Mambedsch), war eine der größten
Syriens nnd hatte einen berühmten Tempel der Ast arte/ Dort
fand der Reisende viele warme Bäder. Das Wasser kommt von
einer Bergkette, welche dem Lyons entlang läuft. Die Stadt liegt
auf einer Hochfläche, und die Monumente sind jetzt bis zum Drittel
ihrer Höhe von den Kalkablagernugen dieses Wassers bedeckt. Im
Alterthum war Hierapolis du berühmter Badeort; zwei große
Theater siud noch, man kann sageu, ganz erhalten, ebeu so ein
befestigtes Lager und eine Ringmauer mit Thürmen. Von den
drei Basiliken scheint die eine als Gerichtshof gedient zu habeu; iu
den beiden anderen haben die Christen Gottesdienst gehalten, denn
man sieht in ihnen griechische Kreuze. Am Haupteingange der
Stadt liegt die Agora, der Marktplatz, mit Säulenhallen. ' Aber
das Merkwürdigste sind die Grabdenkmäler, welche in nuzäh-
liger Menge vorkommen. Auf einer Strecke von vier- bis fünf-
tausend Schritten vor der Stadt zieht der Weg durch Gräber,
Mausoleen, Sarkophage und Todtendenkmäler aller Art.
Tremeaux bemerkt, daß Hierapolis von den Türken Tain-
buk Kaiesst genannt wird, das ist Baumwollen-Schloß.
Es heißt so nach den schneeweißen Kalksteinablagernngen, welche
von dem Wasser der Thermen gebildet werden.
Wir können hinzufügen, daß schon bei den alten Griechen
Hierapolis als Bambykä, Baumwollenstadt, bezeichnet wurde,
weil der Kalk so weiß aussieht wie Baumwolle. Dieser Kalkstein
tst leicht, kann ohne Mühe behauen werden, und gab deu Baustoff
zu deu Grabdenkmälern und anderen Monumenten her. Nnr die
Theater wurden aus härterem Gesteht aufgeführt.
Verantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. — Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Druck von Giesecke & Devrient in Leipzig.
Der Reisende in den Pampas.
lang in Gefangenschaft wilder Jndiauerhordeu schmachtete. j Unser Reisender hatte vollauf Gelegenheit, diese Steppen-
Schon mehr als ein Europäer ist in jenen Wüsteneien als ! bewohner zu beobachten, denn er stand mitten in ihrem Leben.
Sklave mit den Patagoniern umhergezogen, die zum größten Er heißt A. Gninuard und verdient unsere Theilnahme.
Theil bis jetzt von unserer Gesittung uoch völlig unberührt | In den ersten Monaten des Jahres 1856 streifte dieser
Globus 1861. Nr. 9. 33
Gefangenschaft und Abenteuer bei den Pntngoniern.
i.
Eine mühselige Wanderung durch die Pampas von Patagonien. — Ausbeute der Jagd. — Gefangennahme durch die Indianer. —
Ermordung des Italieners Pedritto. — Guiuuard unter den Wilden. — Ein Mazeppa-Ritt. — In der Sklaverei, — Die verschiedenen
Jndianerstäimne. — Ihre Raubzüge. — Der gute und der böse Geist. — Berauschungen. — Zelthütten und Kleidung. —
Glücksspiele.
Wir schildern unseren Lesern die Erlebnisse eines Nei- ! geblieben sind. Wir lernen sie iit ihrer ganzen Urwildheit
senden, der in den Einöden der Südspitze von Amerika Jahre j kennen, und sehen sie vor uns in ihrem nomadischen Treiben.
258 Globus, Chronik der Reise
junge Europäer im Süden der argentinischen Conföderation
umher; er besuchte Carmen am Rio Negro und das Fort
Argentino im Hintergrunde der Bahia Blanca und war in
manchen Niederlassungen am Rio Quequen, einem Flusse, der
auf den meisten Karten fehlt.
. Im Jahre 1855 war er nach Montevideo und Buenos
Ayres gegangen, um dort als Kaufmann sein Glück zu ver-
suchen, aber Fortuna schien ihm nicht hold; er verließ die
Stadt und begab sich in die Jndianerdistrikte. Nachdem er
Mulita, Bragado, Azul, Teudil, Tapalqueu, Quenqnen
grande und andere Punkte an der argentinischen Gränze ge-
sehen hatte, beschloß er, nach Rosario am Rio de la Plata
zurückzukehren. Ihm schloß sich ein Italiener Namens Pe-
dritto an.
Es war ein unbedachtsames Unternehmen von Seiten
der beiden jungen Leute, daß sie den weiten Weg durch die
Einöden zu Fuß machen wollten. Einen Führer hatten sie
nicht, und mußten sich also lediglich auf einen Kompaß ver-
lassen. Uebrigeus wußten sie recht gut, wie viele Beschwer-
den und Gefahren auf dem weiten Wege durch die Pampas
ihnen bevorstanden. Sie machten sich indessen am 18. Mai
1856 getrost auf den Weg.
Damals setzte gerade der Winter ein. Es regnete in
Strömen; ein kalter Wind blies aus Patagonien herüber.
Dieses schlechte Wetter dauerte vier Tage ohue Unter-
brechnng, und während dieser Zeit konnten sie weder anf die
Jagd gehen, uoch ein Feuer anzünden. Dann brach endlich
die Sonne wieder hervor, und sie hatten eine ruhige Nacht.
Am andern Tage gingen sie fürbaß, aber der Weg war
ungemein beschwerlich; sie glitten auf Tritt und Schritt aus,
und in der nächsten Nacht verirrten sie sich. Bald nachher
kamen sie an einen schmalen, aber tiefen Fluß mit steilen
Ufern. Sie mußten hinüber; aber es war schon eiue schwere
Arbeit, nur hinunter bis an den Rand des Wassers zu ge-
langen. Da blieb ihnen uichts Anderes übrig, als unten am
Flusse ihr Nachtlager aufzuschlagen. Sie höhlten mit Hülfe
ihrer Messer eine kleine Grotte in das steile User, um Schutz
gegen den kalten und feuchten Nachtwind zu gewinnen; es
gelang ihnen auch, eiu kleines Feuer anzuzünden; aber kaum
hatten fie sich zum Schlafen niedergelegt, als das Wasser
plötzlich stieg und bis in die Grotte hineindrang. Nur mit
genauer Noth und unter großer Gefahr retteten sie sich auf
das hohe Ufer. Dort hielten sie Nachtrast. An den beiden
nächsten Tagen litten sie Hunger, wanderten am Flusse auf
und ab, und erst am dritten Tage fanden sie eine Furth.
Aber auch diese hatte tiefe Stelleu, und nur mit Mühe
schwammen sie hindurch.
Sie wurden auch vou Hunger gepeinigt. Indessen
hatten sie um Mittag das Glück, ein Reh zn schießen; sie
konnten sich sättigen. Auf deu schlechten Wegen waren ihre
Schuhe feucht geworden und von den Füßen gefallen. Jetzt
bereiteten sie aus dem Leder des Rehes Sandalen, die freilich
nur wenig gegen die spitzen Steine und gegen die Dornen
schützten; ihre Wunden schmerzten sehr, sie mußten langsam
gehen, entschlossen sich jedoch, um weiter zu kommen, Tag
und Nacht zn wandern.
So gelangten sie in ein Campo, eine jener Gegenden
der Pampas, in denen keine Spuren von Thieren vorkom-
inen, weil der Pflanzenwuchs ganz ungemein dürftig ist.
Der kalkartige Boden ist mit Salpeter überzogen. Abends
fanden sie kein Obdach und lagerten sich anf dem platten
Boden. Von Hunger und Durst wurden sie auch aiu an-
deru Tage gepeinigt; sie fühlte« sich unwohl und waren tief
betrübt im Gemüthe.
Als die Nacht kam, senkte sich kein Schlaf auf sie herab.
Sie lagen mit geöffneten Augen in der Wüste und klagten
und Geographische Zeitung.
einander ihre trostlose Lage. Auch am andern Tage mußten
sie fasten. Vou Zeit zu Zeit redeten Beide irre; sie waren
vom Hunger aus das Aeußerste gequält, konnten nur lang-
sam weiter gehen, sanken oft erschöpft nieder, waren aber
schon glücklich, als sie in der wasserlosen Wüstenei etwas
Gras fanden. Zur Nahrung dienten ihnen allerlei Wurzeln.
Nachdem sie eiu sehr spärliches Abendmahl gehalten, sam-
melten sie die auf dem Boden der Pampa umherliegenden
Stacheln und zündeten mit ihnen ein Feuer an. Da saßen
sie traurig und zum Tode betrübt. Sie fühlten sich zn schwach,
um länger die Qualen des Hungers zu trageu, und jede
Hoffnung war aus ihrer Seele gewichen. Endlich schliefen
sie ein. Matt und müde, wie sie waren, gingen sie an: an-
dern Morgen weiter. Sie hielten es für ein nnanssprech-
liches Glück, daß der sandige Boden nun einer Grasebene
Platz machte. Sie wußten, daß das Koeny gewöhnlich am
Ufer von Lachen und Teichen wächst. Bald trafen sie ein ste-
hendes Wasser und konnten ihren brennenden Durst löschen.
Das Wasser gab ihnen einige Kraft zurück, dann aber stellte
sich der Hunger nur uoch empfindlicher ein.
Beide Männer beschlossen, den Teich zu umkreisen, um
zu sehen, ob sie Wassergeflügel oder irgend ein jagdbares
Thier fänden. Anfangs waren ihre Bemühungen vergebens,
und Guinuard kehrte schou entmnthigt nach dem Lagerplatze
zurück, als er plötzlich eiu Geräusch hinter sich vernahm. Er
wandte den Kopf um, und gewahrte einen Puma. Dieser
sogenannte amerikanische Löwe, der freilich mit dem Wüsten-
könig Afrika's nur geringe Ähnlichkeit hat, sollte ihm eine
willkommene Beute werden. Guinuard legte an, gab Feuer
und traf den Puma in die Brust. Das wüthende Thier
schleppte sich auf der Erde fort gegen seinen Feind hin, sank
dann aber halb verendet zu Bodeu, und der Wüstenwan-
derer gab ihnr niit seinem Dolche den Rest.
Inzwischen war der Italiener herbeigeeilt, und eine
Viertelstunde nachher saßen Beide um ein Feuer, an welchem
sie die Hinterviertel des Puma rösteten. „Wir waren," so
erzählt der Reisende, „gefräßig wie wilde Thiere, und ver-
schlangen mit Gier das zugleich fette und zähe Fleisch, wel-
ches uns ein Göttermahl dünkte. Endlich waren wir nach
so vielen Beschwerden und Entbehrungen wieder einmal ge-
sättigt, und beschlossen, ein paar Tage lang auszuruhen.
Wir befanden uns an einer günstig gelegenen Stelle, hatten
Gras genug, konnten uns ein Schutzdach gegen das Unwetter
bereiten, und machten uns ein weiches Lager auf dem halb
gefrorenen Boden.
Nach zwei Tagen verließ uns das Fieber, aber die
Wunden an unseren Füßen wurden nur schlimmer, und
wenn wir auf die Erde traten, glaubten wir zerbrochenes
Glas unter den Sohlen zn haben. Nachdem wir zwei Tage
Rast gehalten, mußten wir doch wieder aufbrechen, waren
aber so glücklich, während der nächsten drei Tage einen Hasen
und einen Hirsch zu schießen. Es stand indessen geschrieben,
daß alles Unglück, welches bereits über uns gekommen war,
gering sein sollte im Vergleich zn dem Mißgeschick, das uns
noch bevorstand. Mein Kompaß, der für uns so unendlich
werthvoll war, hatte in jener Nacht, in der wir uns vor den
Wellen des Flusses an das hohe Ufer retteten, eine Beschä-
digung erhalten. Während der ersten Tage hatte ich nicht
mehr an ihn gedacht; als ich ihn jetzt wieder zur Hand
nahm, war er unbrauchbar geworden. Wonach sollten wir
uns nun richten? Wir waren ans falscher Fährte; statt am
Rande des Jndianergebietes hinzuwandern, waren wir mit-
ten in dasselbe hineingekommen!
An dieser traurigen Gewißheit ließ sich nichts mehr
ändern. Wir versuchten indessen eine andere Richtung zu
nehmen und den Gebirgen näher zu kommen, die in einiger
Gin Mazcppa-Ritt.
Globus, Chronik der Reise
Entfernung vor uns lagen. Dort war es möglich, Schlupf-
Winkel zu finden. Schon am Morgen drohte ein Sturmwetter,
das gegen Abend heraufzog, aber erst dann losbrach, als es
uns fchou gelungen war, aus einer Menge flacher Steine ein
schützendes Obdach herzurichten. Unter diesem lagen wir
bei entsetzlichem Orkan und fürchterlichem Schlagregen volle
achtundvierzig Stunden lang. Wir verzehrten, was uns
vom Ertrage der letzten Jagd noch übrig geblieben war,
konnten uns aber nicht hinauswagen, da das Wetter zu ab-
scheulich wüthete, die Windstöße zn fürchterlich waren. Zum
Glück fanden wir auch hier Dorueugesträuch, nahmen aber
auch zu uuserm Schrecken wahr, daß in jener Gegend schon
vor uns ein Feuer gebrannt hatte. Das beutete auf die
Nähe von Indianern, welche allemal die Umgegend ihres
Lagers anzünden, wenn sie dasselbe verlassen.
Bevor wir weiter gehen konnten, mußten wir noth-
wendig uns Lebensmittel zu verschaffen suchen, und iu die
Ebene zurückkehren, in welcher wir viele Rehe bemerkten.
Mehrere wurden leicht angeschossen und entkamen uns; ein
einziges trafen wir so, daß wir annahmen, es werde nicht
weit fliehen können; deshalb verfolgten wir es, so rasch uu-
sere Fußwunden das erlaubten. Schon waren wir ihm näher
gekommen, wir hatten die Hoffnung auf ein schmackhaftes
l und Geographische Zeitung. 259
schauen? Wir drückten einander die Hände, wollten als
tapfere Leute sterben, und gaben dann Feuer auf die vor-
dersten Feinde. Der eine wurde verwundet, aber mit desto
größerer Wuth stürmte die Masse auf uns ein. Mein ita-
lieuischer Gefährte wurde von Lanzenstichen durchbohrt und
ist nicht wieder aufgestanden. (S. 261.)
Ich erhielt einen Lanzenstich in den linken Arm. Bald
darauf warf einer dieser Patagonier mir eine große Stein-
kngel an den Kopf, so daß ich bewußtlos zu Boden sank.
Ich habe auch noch andere Wunden und andere Beulen er-
halten, aber davon wußte ich nichts, ich lag ohnmächtig da.
Erst nach langer Zeit versuchte ich mich emporzurasfeu, fiel
aber sogleich wieder zur Erde. Als die Indianer sahen, daß
ich zusammenzuckte, schickten sie sich an, mir den Garaus zu
machen. Aber einer von ihnen, der ohne Zweifel dachte, daß
ein Mensch von so großer Lebenszähigkeit ein nützlicher Sklav
i werden könne, trat seinen Gefährten entgegen. Nachdem er
mich vollständig ausgeplündert hatte, knebelte er mir die
Hände aus dem Rücken zusammen, legte mich dann nackt,
wie ich war, auf ein Pferd, und band mich auf demfel-
beu fest.
Nun begann für mich eine wahrhaft schreckliche und
fürchterliche Reise. Anderthalb -Jahrhunderte nach Mazeppa
Mahl, als plötzlich eine Horde Indianer in der Ferne sicht-
bar wurde. Zum Glück bemerkten sie uns nicht, und wir
krochen nach unserer Hütte zurück. Dort verbargen wir
uns abermals zwei Tage lang, immer in Furcht, entdeckt
und angegriffen zn werden von einem wilden, erbarmnngs-
losen Feinde; aber ein noch schlimmerer Feind war auch jetzt
für uns der Hunger. Am dritten Tage mußten wir hinaus
ans die Jagd, und waren so glücklich, ein Reh zn schießen.
Schon hatte ich dasselbe über meine Schultern gewor-
sen, als die Indianer, deren Zahl diesmal weit beträchtlicher
war, von allen Seiten wie durch Zauber hervorkamen, uns
umringten, laut aufjubelten, wilde Kehltöne ausstießen, ihre
Lanzen schwangen, ihre Bola's (Wurfkugeln) und ihre Las-
so's (Fangschnüre) warfen. Wir waren verloren.
Diese braunen Menschen boten einen fürchterlichen An-
blick dar. Sie waren halb nackt, saßen auf flinken Rossen,
die sie mit einer wilden Geschicklichkeit leiteten; ihr gewaltiger
Leib, ihr dickes, wirr um den Kopf hängendes Haar, das auf
die Schultern fiel, das Alles sah geradezu schrecklich aus.
Der ganze Eindruck war unedel; ihre breit ausgewirkten
Züge sind häßlich, der ganze Anblick hatte geradezu etwas
Infernalisches. Der Ausgang eines Kampfes zwischen uns
und dieser Horde konnte nicht zweifelhaft sein. Aber was
blieb uns übrig, als den, Tode standhaft in's Gesicht zu
habe ich am andern Ende der Welt einen Ritt gemacht, wie
jener Mann in Rußland. Mein Blutverlust war groß; ich
siel aus einer Ohnmacht in die andere, wurde auf dem
Pferde hin und her gewiegt, wie ein Waarenballen, und das
Roß wurde von seinem barbarischen Gebieter zu wildem
Galopp angetrieben. Wie lange diese Marter dauerte, weiß
ich nicht; ich erinnere mich nur noch, daß' am Ende jedes
Tages die Indianer mich auf die Erde legten, aber die Hände
mir nicht losbanden. Sie hätten es thun können, denn in
meiner kläglichen Lage wäre jeder Versuch zur Flucht un-
möglich gewesen; ich konnte ja nicht einmal gehen. Diese
Reise erschien mir wie eine Ewigkeit. Ich nahm keine Speise
zn mir, obgleich die Indianer mir von Zeit zu Zeit Wurzeln
anboten.
Endlich kamen wir an den eigentlichen Lagerplatz der
Horde, und dort nahm man mir die Bande von Händen und
Füßen ab. Beide waren geschwollen. Ich konnte nicht gehen,
ich konnte nicht kriechen, ich mußte auf der Erde liege» blei-
beu, umgeben von den wilden Räubern. Männer, Weiber
und Kinder starrten mich mit wilder Neugier an, aber Nie-
mand gab sich die Mühe, mein entsetzliches Schicksal auch
nur einigermaßen zu erleichtern. Erst am Abend bot man
mir etwas zu essen, doch ich hatte weder Hunger, noch die
Kraft, Speise zum Munde zu bringen. Auch widerte mich
33*
Unter den Poyu-tscheS.
262
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
rohes Pferdefleisch, das Hauptuahrungsmittel dieser Roma-
den, an. In der Nacht hatte ich fürchterliche Träume, und
wenn ich meine Augen aufschlug, dachte ich nur an meinen
ermordeten Reisegenossen.
Was wollten die Indianer mit mir beginnen? Wollten
sie mich am Leben lassen, oder sollte ich ein Opfer ihrer Blut-
gier werden? Der Gedanke, daß sie mich für irgend eine
feierliche Gelegenheit aufsparten, um mich dann als Schlacht-
opser hinzumorden, war mir entsetzlich peinlich.
In den nächsten Tagen ließen sie mich unbehelligt, und
verlangten keine Arbeit von mir, die ich Elender auch gar nicht
hätte leisten können. Von Mitleiden zeigte sich keine Spur
bei ihnen. Ich gewann einige Kraft wieder, und mit meinen
Wunden schien es sich zu bessern. Aber die Barbaren ließen
mich vollkommen unbekleidet. Ich war nackt wie ein neu-
geborenes Kind, und das Wetter recht kalt. Ich mußte auf
der Erde schlafen, ohne Obdach, ohne irgend eine Decke, und
mein Unwohlsein nahm zu; in allen meinen Gliedern ver-
spürte ich stechenden Schmerz. Dann stellte sich auch der
Hunger wieder ein. Die Wurzeln schmeckten mir nicht, und
ich mußte mich endlich entschließen, rohes, blutiges Fleisch
hinabzuschliugeu wie ein Indianer. Allemal, wenn ich das
Fleisch zum Munde brachte, verspürte ich eine Anwandlung
von Ohnmacht, aber was half das? Ich mußte mich an den
Genuß des rohen Pferdefleisches gewöhnen, wenn ich nicht
verhungern wollte, und konnte noch von Glück sagen, wenn
ich um ein so elendes Gericht nicht mit den hungrigen Hnn-
den kämpfen mnßte, deren die Patagonier ganze Schaaren
besaßen. Wie oft habe ich damals an das eivilisirte Europa
gedacht, und an den Familientisch, an meinen wärmenden
Mantel, an saubere Wäsche und an europäische Reinlichkeit!
Wie war das jetzt ganz anders! —
In den Tagen, wo die Sonne über den Besitzungen
des Königs von Spanien nicht unterging, gehörten die weit
ausgedehnte» Ebenen zwischen Buenos Ayres und der Ma-
gellanstraße einerseits, andererseits zwischen dem atlantischen
Oeean und der Cordillera de los Andes zum Vicekönigreiche
des La Plata-Stromes. Aber die meisten Nomaden, welche
diese Einöde durchstreifen, waren damals wie jetzt freie Leute,
und dem europäischen Joche nicht unterworfen. Gegenwärtig
zieht sich eine gewundene Linie (die im Osten durch die Cor-
dillera de Medanos und den Rio Salado, im Norden durch
den Rio Ouinto, den Cerro Verde und den ganzen Lauf des
Diamante, welchen sie bis zu den Andes verfolgt, gebildet
wird) als gemeinschaftliche Gränze der argentinischen Eon-
söderation und der unabhängigen Pampa auf weiter Strecke
hin. Im Süden des Rio Negro beginnt Patagonien.
Drei fürchterliche Jahre habe ich in diesen südamerika-
nischen Einöden verlebt, und während dieser Zeit drei ver-
schiedeue Stammgruppen kennen gelernt, deren jede einer
natürlichen Abtheilnng des Landes entspricht.
In der östlichen Zone, vom Rio Salado bis zun: Rio
Negro, leben die Indianer, welche von den Spaniern als
eigentliche Pamperos, Pampasbewohner, bezeichnet werden,
in sieben Stämmen. — In der mit Gebüsch und Bäumen
bewachsenen Region an der Laguua de Bevedero und der
Laguna Urre Lasqmw und an den Gewässern, welche aus
diesem letztern See bis in den Rio Diamante fließen, leben
die Mamneltsches in sechs Stämmen; diese sind die Ran-
qnenls-tsches, Agneeo-tsches, Catrnle-Mamnel-
tsches, Guine-Uitrn-tsches, Conc>nenil-Uitrn-
tsches und Renang-neeo-tsches.'^)
*) Ts che ist so viel als Mann, Mensch. So bedenket P ehuen-
tsches, Männer, die sich vorzugsweise von der Pehuen, Fichte,
nähren, das heißt den kugelrunden Fichten der Araucaria irnbricata,
Im Süden des schmalen aber tiefen Rio Negro, dessen
Lauf länger ist als jener des Rheins oder der Loire, habe ich
neun patagonische Stämme gezählt, nämlich die Poyn-
tsches, Puel-tsches, Caillthe-tsches, Tscheue-tsches,
Cangueeanö-tsches, Tschao-tsches, Huilli-tsches,
Dilma-tsches, Aakana-tsches.
Die Lebensweise dieser Wandervölker ist durch die Be-
schaffenheit des Bodens und Klima's in den verschiedenen
Regionen bedingt. Die nördlichen Pampas-Indianer leben
unter einem gemäßigten Himmelsstriche, sind halb bekleidet,
und stehen in friedlicher oder feindlicher Verbindung mit den
Argentinern oder Chilenen. Die südlicheren oder eigentlichen
Patagonier sind wilde, umherschweifende Nomaden in ganz
rohen Zuständen.
Ich war unter die Poyn-tsches gerathen, welche im
Süden des Rio-Negro, von der Nachbarschaft der Insel
Pacheco bis an den Fuß der Cordillere umherschweifen.
Alle diese Stämme, mit Einschluß der Araukauier in
Chile, welche zum Theil Christen sind, reden im Wesentlichen
dieselbe Sprache, natürlich in verschiedenen Mundarten, die
man aber leicht versteht, wenn man jene der Arankaner oder
Mamnel-tsches kennt. Die Pamperos, Mamnel-tsches und
Puel-tsches, in deren Bereich die Gräuzniederlassnngen der
Weißen liegen, machen aus dem Plündern ein Handwerk;
die übrigen Stämme müssen sich forthelfen, wie es eben an-
geht, und sind zumeist sehr arm und dürftig. Sie haben
keine weiteren Hülfsqnellen, als die, welche die Natur und
ihre Geschicklichkeit ihnen darbietet. Sie ertragen aber tapfer
ihr Elend und alle Entbehrungen, welche die strenge Jahres-
zeit mit sich bringt.
Die Indianer unternehmen, wie bemerkt, häufige Raub-
züge in das Gränzgebiet der argentinischen Republiken und
Chile's. Ihr Hauptzweck geht dahin, den Christen so viel
Vieh als möglich hinwegzuführen, weil ihnen das bequemer
ist, als die Heerden langsam aufzuzüchten. Sie hegen in-
grimmigen Haß gegen die Europäer, welche ihnen freilich
einen Theil ihres Gebietes genommen haben. In jedem
Weißen sehen sie einen Feind. Wenn sie können, tödten sie
ihn mit barbarischer Grausamkeit, und verschonen nur die
Kinder oder junge Mädchen und Frauen, denen unter ihnen
ein schreckliches Loos beschieden ist. Alle diese patagonischen
Wilden haben, wie schon gesagt, im Wesentlichen einerlei
Sprache und einerlei Glauben. Sie nehmen zwei Götter
an, einen guten und einen bösen. Sie bewundern und achten
die Macht des guten Gottes Widaventrn; aber eine be-
stimmte Ansicht über den Ort, an welchem dieses höhere
Wesen sich etwa aufhalte, haben sie nicht.
Der Gott des Bösen heißt Hnaknwu. Sie glauben,
er schwärme aus der Oberfläche der Erde umher, und gebiete
den bösen Geistern; sie nennen ihn auch Gnalitschn, und
bezeichnen ihn als die Ursache alles des Bosen, von welchem
die Menschen heimgesucht werde». Auch haben sie Wahr-
sager beiderlei Geschlechts, welche das Zukünftige voraus
verkünden, aber Priester fand ich bei ihnen nicht. Die Kin-
der erlernen die Religion von Vätern und Müttern. Der
patagonische Indianer nimmt keine Speise und keinen Trank
zu sich, ohne vorher den Göttern einen Antheil geweiht zu
haben. Er wendet sich gegen die Sonne, welche der gute
deren Samcnkerne doppelt so groß wie Mandeln sind und für einige
Stämme die einzige Pflanzennahrung bilden. Ranqueles oder Ran-
qucnls, von Ranquel, Distel; die Einöden, welche diese Horden
durchstrnsen, sind zum großen Theil mit Disteln bewachsen. Pikun-
tsches, Leute im Norden, Puel-tsches, Leute im Osten, Huilli-
tsches, Leute im Westen. Pöppig, Reise in Chile, I. S. 403.
Andres, Buenos Ayres und die argentinischen Provinzen, S. 86 u, 118.
Anm. d. Redaktion.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
263
Gott geschickt hat, wirft ihr ein wenig Fleisch entgegen, oder
schüttet Wasser aus. Diese Handlung begleitet er mit fol-
genden Worten:
Oli tsclia tscliai, wita ventru, reyne mapo,
O, Vater, großer Mann, König dieser Erde,
ü-eneau votrey, ülle enteux, come que
gieb mir Gunst, thenrer Freund, alle Tage, einer guten
siloto, come que ptoco, come que omautu.
Nahrung, eines guten Wassers, eines guten Schlafes.
Paven lag'a, intsche, silo to elanmy? Tefa quinie
Ich biu arm, ich, hast du Hunger? Siehe hier ist
wusa silo. Siloto fu fignay.
ein armer Esser. Iß, wenn du willst.
Nachdem er sich gesättigt hat, bereitet er Taback mit
Pserde- und Kuhdünger, stopft denselben in einen steinernen
Pfeifenkopf, den er selber ausgehöhlt hat, legt sich aus den
Bauch, und zieht den Qualm der Pfeife eiu. Er stößt ihn
durch die Nasenlöcher erst wieder hervor, wenn er ihn nicht
länger im Munde behalten kann. Der indianische Raucher
bietet einen schrecklichen Anblick dar. Er verdreht die Augen,
von denen man nur noch das Weiße sieht; sie treten hervor,
als ob sie aus dem Kopfe herausgedrängt würden, die Pfeife
entfällt seinen Lippen, der Mann scheint alle Kraft verloren
es nur eine Viertelstunde in heißem Wasser gelegen hat und
noch weiß ist. Dauu ziehen sie dasselbe sofort aus dem
Kessel, und es wird noch halb roh mit Salz gegessen, denn
der Gebrauch des Salzes ist ihnen bekannt. Stämme, welche
den Weißen unterworfen find, essen das Fleisch ordentlich
gebraten und gahr gekocht, aber anch diese Pampas-Indianer
halten es für einen Leckerbissen, Lunge, Leber und mehrere
andere Theile der Eingeweide roh zu verzehren. Auch trinken
sie sehr gern das rothe Blut, wenn es noch warm ist.
Ihre Wohnungen bestehen in ledernen Zelten, welche
ans allen Wanderungen mitgenommen werden. Ihre Be-
kleiduug ist ein einfaches Stück Zeug, das in der Mitte
ein Loch hat; durch dieses stecken sie den Kopf. Hier haben
wir also den Poncho. Ein anderes kleineres Zeugstück
schlingt man um den Gürtel; um den Kopf wird eiu Fetzen
Zeug gewunden, welcher das Haar vorn auf der Stirn aus-
einander hält, hinten fällt es lang über die Schutter herab.
Auf üppiges Kopfhaar halten sie große Stücke, aber am
Leibe reißen sie jedes Haar sorgfältig ans, sogar die Augen-
Wimpern. Sie bemalen das Gesicht mit verschiedenen Erd-
färben, welche sie von den Arankanern erhalten. In dieser
Farbenverzierung folgt jeder seinem eigenen Geschmack, doch
sind roth, schwarz, blau und weiß an: beliebtesten.
Kampf mit hungrigen Hunden.
zu haben, verfällt in einen Rausch, welcher der Ekstase nahe
kommt, wälzt sich in zuckender Bewegung auf dem Boden
umher, der Speichel fließt, ich möchte-sagen, stromweise aus
seinem weit geöffneten Munde, und mit seinen Händen und
Füßen zappelt er wie ein schwimmender Hund. In diesem
entsetzlichen Zustaude vollständiger Verthiernng findet der
Indianer das höchste Glück. Die Umstehenden lassen den
Raucher gewähren; sie bringen in Ochsenhörnern Wasser für
ihn herbei und stellen dasselbe dicht neben ihn hin. Natürlich
hat vorher der Gott seinen Opferantheil von dieser Ergötz-
lichkeit erhalten, denn die ersten drei oder vier Züge werden
ihm zu Ehren in die Lust geblasen. Der Raucher trinkt
das Wasser, steht auf, dreht sich um sich selbst herum, und
legt sich dann auf den Rücken, um zu schlafen. Frauen und
Kinder nehmen Antheil an solchem Vergnügen!
Alle diese Nomaden, gleichviel, ob sie in der Nachbar-
schast der Chilenen oder der Argentiner leben, oder die Ein-
öden Patagoniens durchstreifen, führen im Wesentlichen ein
gleiches Leben. Ihre Beschäftigungen sind Jagd, Raubzüge,
Ueberwachuug ihrer Hausthiere, Retten, Hantieren mit der
Lanze, mit den Bolas, mit der Schleuder, mit dem Lasso.
Die meisten Pamperos haben jetzt auch Küchengeräthe, welche
sie den Gränzbewohnern geraubt haben, und in denen sie ihr
Fleisch kochen; aber bei ihnen gilt es schon für gahr, wenn
Die Frauen schlingen ein Stück Zeug um den Leib,
das sie aus der Wolle ihrer Schafe verfertigen; außerdem
tragen sie aber anch allerlei Zeug, welches ihre Männer auf
ihren Raubzügen erbeutet haben. Diese Bekleidung reicht
von deu Schultern bis nnter die Kutte, nnd gleicht einem
Sacke, aus welchem Kops, Arme und Beine ohne alle Har-
monie und ohne alle Kunst hervorgucken. Oben befestigen
sie diese Kleidung mit einein Tnpn, d. h. einer silbernen
Spange, deren Kopf rund, inwendig platt ist, nnd einem
Kasserol ähnlich sieht. Um die Hüften tragen sie einen
Gürtel von rohem Leder, der mit Zeichnungen von bunten
Farben verziert ist, sehr enge geschnürt wird, und das Kleid
zusammenhält. Auch die Frauen reißen sich alle Körper-
haare aus nnd bemalen sich das Gesicht, dessen wunderlicher
und harter Ausdruck noch verstärkt wird durch einen Schmuck
von großen Glasperlen, der die langen Haare, welche in zwei
Strängen bis auf die Hüften herabfallen, zusammenhält.
Einen Hauptschmuck bilden große viereckige Ohrringe. Junge
Mädchen tragen auch Reisen an Hand-und Fußknöcheln; diese
bestehen gewöhnlich aus Schnüren buntfarbiger großer Glas-
perlen, welche auf Thiersehnen gezogen werden. Aenßerlich
gleichen die Frauen den Männern sehr. Durchgängig sind
sie häßlich, einige aber auch leidlich hübsch, und diese letzteren
stammen aus einer Beimischung von europäischem Blute;
264 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
zumeist sind sie Töchter gefangener Creolinnen. Auch die
Frauen wissen mit der Lanze, den Wurfkngeln und der
Fangschnnr vortrefflich umzugehen, und reiten eben so ge-
wandt wie die Männer.
Ich glaube nicht, daß die Zahl der Indianer, welche
in den weiten Räumen Patagoniens umherstreifen, die Ziffer
von 40,000 Seelen beträchtlich überschreitet. Und auch diese
geringe Zahl vermindert sich von Jahr zu Jahr. Es ist eine
auffallende Erscheinung, daß bei den nördlichen Stämmen,
den speciell sogenannten Pampasindianern, die Frauen in
viel geringerer Zahl vorhanden sind, als die Männer. Zum
Theil rührt diese Erscheinung daher, daß vor etwa 30 Iah-
ren General Rosas mit diesen Patagoniern einen Krieg auf
Leben und Tod führte. Sie wurden in die Flucht gejagt,
retteten sich in die Cordilleren, nach der chilenischen Gränze
hin, und in die Nachbarschaft der Araukaner, bei welchen
dann viele ihrer Frauen zurückblieben. Die Zahl derer,
welche ihren Männern treu waren, erscheint nicht hinreichend
für den Bedarf jener Pampasindianer, die späterhin Wieder-
aus ihre alten Weidegründe zurückkehrten. Jetzt machen sie
zwar immer noch Gefangene, aber bei manchen Horden hat
sich das Verhältniß so ungünstig gestellt, daß oft auf fünf
Männer nur eiu Weib kommt. Dagegen sind die Frauen
bei den Araukanern ganz entschieden in der Mehrheit. Ein
Pampasindianer darf mehrere Frauen haben, und reiche
Leute besitzen auch zuweilen eine nicht unbeträchtliche Anzahl
von Lebensgefährtinnen, während die ärmeren sich einen
solchen Luxus völlig versagen und ledig bleiben müssen.
Die Patagonier entsprechen vollständig dem Lande, in
welchem sie umherstreifen. Die Pampas sind dieser In-
dianer, und die Indianer der Pampas würdig. Man kann
sich nichts Traurigeres und Trostloseres denken, als diese
weiten, ebenen, wilden Einöden, die nur dann und wann
von einigen Nomadengruppen belebt werden. Hin und wie-
der sieht man Reiter mit Lanzen, deren Schmuck, Federn des
patagonifchen Straußes, im Winde flattert und weithin
sichtbar ist. Am Tage vernimmt man wohl den schrillen
Ruf von Raubvögeln, die eine Leiche umkreisen; Nachts
brüllt der Puma oder der hungrige Jaguar. Dazu kommt
noch Geheul des Windes. Das ist die Musik uud die Har-
mouie iu den Pampas.
In einem so schrecklichen Lande bin ich Jahre lang
ein armseliger Sklave gewesen. Meine Lage war um so
schlimmer, da ich lauge Zeit nicht wußte, was die Leute,
von denen mein Schicksal abhing, sprachen. Ick wurde
schlecht behandelt, weil ich sie nicht verstand; ich konnte kei-
nen Schritt thun, ohne von Indianern begleitet zu werden.
Wenn ich betrübter als gewöhnlich erschien, drohten sie mir
mit wilden Geberden und belegten mich mit Schimpfreden.
Sie meinten, ich sänne auf Flucht. Selbst in der Nacht
kamen sie oft an mein Lager und betasteten mich, um stch zu
überzeugen, ob ich noch da sei.
Nachdem ich einige Zeit unter ihnen verweilt hatte,
sollte ich arbeiten, das heißt zu Pferde steigen, um das Vieh
zu überwachen. Ich mußte stets dicht bei der Heerde bleiben,
und sie au jedem Morgeu und an jedem Abend den Pata-
goniern zuführen, welche dann die Häupter zählten. Fehlte
etwa eiu Stück, dann wurde ich allemal mißhandelt und
gezüchtigt. Als ich nach und »ach. die indianische Art zu
reiteu erlernt hatte, und mit ihren Waffen umzugehen ver-
stand, nahmen sie mich mit ans die Straußenjagd oder auf
die Guauaeojagd; das war dann für mich eine unter meinen
unglücklichen Verhältnissen sehr angenehme Zerstreuung.
Die Hauptbeschäftigung der Indianer ist die Jagd.
Das ganze Jahr hindurch stellen sie dem Wilde uach, beson- j
ders aber in den Monaten August und September, also in j
Globus 1S61. Str. 9.
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Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Globus, Chronik der Reise»
der Zeit, welche auf der südlichen Halbkugel den Frühling
bildet. Dann finden sie junges Wild in Menge und sam-
meln auch Hühner- und Straußeneier. Das größere Wild
geben sie zumeist den Kindern, Eier werden gemeinschaftlich
von der ganzen Familie genossen. Die Zubereitung der-
selben ist eigenthümlich. Man öffnet das Ei am oberen
Ende, stellt es auf ein Feuerbecken, in welchem Kuhdünger
brennt, und mischt das Gelbe mit dem Weißen.
Zur Straußen- und Guanacojagd versammeln sich die
Patagonier in großer Menge, und umzingeln einen Raum,
der mindestens eine Stnnde im Durchmesser hat. Sobald
Jeder auf dem Anstand sich bereit hält, wird ein Zeichen ge-
geben, und nun bewegen sich Alle langsam gegen den Mittel-
Punkt des Kreises hin. Auf solche Weise veranstalten sie
gleichsam ein Kesseltreiben. Sobald das Wilo eingeschlossen
ist, machen die Indianer halt, nehmen ihre Wurfkugeln zur
Hand, schreien uud hetzen die Hunde auf Strauße und
Hirsche. Die Thiere versuchen zu entfliehen, aber nun wirft
eine größere oder geringere Anzahl von Jägern die Bolas,
und diese verfehlen selten ihren Zweck. Wenn die Jagd
vorüber ist, werden die erbeuteten Thiere mit einer in der
That merkwürdigen Gewandtheit ausgeweidet und zerlegt.
Nach einem solchen Treiben bringt in der Regel jeder
Mann sieben bis acht Stück Wildpret nach seiner Zelthütte
zurück.
Die Tfchehuel-tfches, gleichfalls ein patagonifcher
Stamm, haben zwar keine Pferde, sind aber nichtsdesto-
weniger sehr gewandte Jäger.
Die Rückkehr von der Jagd ist allemal ein Festtag für
die Indianer. Sobald sie wieder daheim sind, veranstalten
sie Orgien, nnd geben sich ihren beiden Hauptleidenschaften
hin, dem Spiel uud der Trunksucht, denn sie sind im höchsten
Grade leideufchaftliche Spieler. Jene Stämme, welche
mit den Argentinern oder Chilenen in nähere Berührung
kommen, haben spanische Karten. Falsche Spieler sind keines-
wegs selten. Die Patagonier verstehen sich vortrefflich dar-
anf, an den Karten Merkmale anzubringen, die kein Anderer
erkennt. Sie haben ein vortrefflich scharfes Gesicht, unter-
scheiden leicht an der Außenseite die guten Karten von den
schlechten, und der Mann, an welchem die Reihe zu geben
ist, wird sich allemal die besten in die Hand spielen. In der
und Geographische Zeitung. 267
Regel besteht der Einsatz des Spieles in einem Paar Steig-
bügeln oder silbernen Sporen.
Außer dem Kartenspiel haben sie noch das Tschoeka
oder Uiuju, und Würfel eigentümlicher Art. Das Würfel-
spiel bezeichnen sie auch als Schwarz und Weiß.
Bei dem Tschoeka hat jeder Mann einen am einen
Ende gekrümmten Stock. Es ist hergebracht, daß die Spieler
sich den Leib besonders bunt bemalen und das Haar mit
einem Zeuglappen in die Höhe binden. Mai: sucht sich
einen Gegner, der eben so viel Einsatz zu bieten hat, und
dieser letztere wird bei Seite gelegt. An diesem Spiel neh-
men Mehrere Theil, und sie stellen sich dabei paarweise ein-
ander gegenüber. Zwischen je zwei Spieler wird eine kleine
Holzkugel gelegt. Nach dieser langen sie mit ihren Stäben,
und zwar so, daß der gekrümmte Theil den Boden berührt.
Jeder versucht die Kugel oder den Ball an sich heranzuziehen;
sobald dieselbe einmal in Bewegung ist, kommt es darauf
an, wer sie in der Luft treffen kann. Er giebt ihr entweder
einen neuen Schwung mit dem Stocke, dessen sie so sich be-
dienen, wie wir des Ballholzes, oder er trifft sie nach einer
andern Seite hin, damit der Gegner sie nicht erreichen kann.
Bei diesem Spiel kommt es sehr häufig zu Schlägereien, uud
die Wilden raufen einander die Haare aus. Auch sind dabei
zerbrochene Beine und Arme gar nicht selten. An Kopf-
beulen sehlt es gleichfalls nicht, und die Richter, welche die
Aufsicht über das Spiel haben, peitschen sehr häufig von ihren
Pferden herab auf die Kämpfer los, aber nicht um sie aus-
einander zu bringen, sondern um sie aus diese seltsame Weise
zu neuer Anstrengung zu ermuntern.
Zum Würfelspiel bedienen sie sich acht kleiner viereckiger
Knochen, die anf der einen Seite geschwärzt sind. Die beiden
Spieler legen ein Fell zwischen sich hin, damit sie die ein-
zelnen Würfel besser fassen können. Dabei wird laut ge-
schrien, man schlägt oft in die Hände, und Einer sucht den
Andern zu übertäuben. Wenn die schwarzen Würfel einen
Pasch bilden, dann kann der Spieler abermals werfen, so
lange bis ungleich kommt; dann beginnt der Andere. Man
begreift, daß solches Spiel in alle Ewigkeit fortgesetzt werden
kann, aber am Ende werden beide Männer müde und machen
ein Ende. Auch dabei kommt in der Regel Streit vor, denn
gewöhnlich weigert sich der Verlierende zu zahle».
Die Urliewohi
Daß der Erdtheil Australien eine sehr schwache ein-
geborne Bevölkerung hat, ist bekannt. Die Entdecker fanden
nirgends auch nur Ackerbauer, viel weniger eine Gesellschaft,
die irgend etwas an einen Staat Erinnerndes gehabt hätte.
Alles war und ist noch heute in umherschweifende Horden
zerklüftet.
Wir habeu früher gemeldet, daß der Reifende Stuart
auf seiner Reise von Süden nach Norden mit den Eingebo-
renen in feindliche Berührungen gerieth; sie zwangen ihn
umzukehren.
Ueber die Horden im centralen Süd-Australien hat
Herr W. P. Stanbridge, der volle achtzehn Jahre in sehr
naher Berührung mit den Eingeborenen lebte und ihr
ganzes Treiben sehr genau beobachtete, der ethnologischen
Gesellschaft in London folgende Mittheilungen gemacht.
Sie zerfallen, sagt er, in eine große Menge von Stäm-
men (besser Horden), deren Zahl sehr verschieden ist. Jeder
steht unter einem erblichen Häuptlinge, aber die Familien-
Väter besitzen über ihre Angehörigen eine uneingeschränkte Ge-
>er Australiens.
walt, sogar über Leben und Tod ihrer Frauen. Eine ganz
abscheuliche Erscheinung im Leben dieser Wilden ist ihr Kan-
nibalismus, der sich auf eine gräßliche Weise äußert. Die
Aeltern ermorden nicht selten ihre neugeborenen
Kinder, um sie aufzufressen. Auch herrscht ein ent-
setzlicher Aberglaube, demgemäß ein älterer Bruder in dem
Wahne lebt, daß er sofort auch die Körperkraft seines jün-
gern Bruders sich aneignen könne, wenn er diesen erschlägt
und verzehrt. Das geschieht unter Festlichkeiten, und bei
diesen dringen Vater und Mutter mit eifriger Ermahnung
in den altern Sohn, so viel Fleisch von dem Leichnam hinab-
zuwürgen, als irgend möglich ist. Die Aeltern erschlagen
einen Sohn aus — Liebe zu einem andern! Viele wilde
Männer haben drei oder vier Frauen, obwohl die herkömm-
liche Zahl sich eigentlich auf nur zwei beschränkt. Uebrigens
erkennt man ein festes Grundeigenthum au; jeder Stamm
und jede Fainilie in demselben hat einen bestimmten Land-
antheil, über welchen nicht hinausgegriffen werden darf.
Diese Australier sind ungemein gewandte Schiffer und
34*
270 Glolms, Chronik der Reisen i
verstehen ihre Segel ganz außerordentlich rasch zu richten.
Manche Stämme halten zu Neumond allgemeine Zusammen-
fünfte, bei denen allerlei Spiele stattsinden. Jeder fncht zu
zeigen, wie gewandt er sei; man singt und ist lustig, aber
nicht selten erhebt sich Zank, der auch wohl mit Lanzen-
stichen und Messerstößen endigt.
Bei diesen Zusammenkünften treiben sie Handel; sie tau-
schen unter einander die Erzeugnisse aus, welcher sie bedürfen.
Ueber den Tod haben die Eingeborenen allerlei felt-
same Vorstellungen. Der allgemeinen Annahme zufolge
stirbt Niemand, wenn nicht ein Feind es ihm unmittelbar
oder durch Zauber angethan hat. Die Richtung, nach welcher
hin die Füße des Todten liegen, zeigt, wie sie meinen, nach
der Gegend hin, in welcher man den Mörder entdecken kann.
Dann machen sich die Verwandten des Todten ans, und er-
morden jeden, welchen sie in jener Richtung treffen.
Aus Stanbridge's Bemerkungen ersieht man nicht, ob
die Leichen der auf natürlichem Wege Gestorbenen gegessen
werden. Manchmal verbrennt man sie oder scharrt sie ein;
zuweilen legt man sie auch auf Bäume, läßt sie dort ver-
wesen und übergiebt späterhin die Ueberreste dem Feuer.
Der Mond gilt ihnen für eine Person, wie jeder Stern
auch. Jeglicher Himmelskörper hat seine eigene Lebens-
geschichte und seinen besondern Einfluß. Die Sonne ist
aus einem Kafnar-Ei entstanden, das einst int Weltenranme
mit irgend einem andern Körper zusammenstieß. Die weisen
Männer, welche man doch nicht wohl als Priester bezeichnen
kann, halten es, wenn man nach langer Dürre Regen haben
will, für sehr ersprießlich, Menschenhaare zu verbrennen. In
manchen Gegenden schwellen auch in der trockenen Zeit die
Flüsse stark an und treten über ihre User; dann hat es in den
Gegenden, in welchen der obere Laus desselben strömt, stark
geregnet.
Die Sprache ist bei den verschiedenen Horden so ganz
verschieden, daß die Bewohner etwas entfernt liegender
Distrikte einander gar nicht verstehen. —-
Von den Stämmen, welche in dem südöstlichen Theile
Australiens leben, liegen uns zwei Schilderungen vor, aus
denen sich ergiebt, daß bei ihnen andere Sitten und Bräuche
herrschen als bei jenen, die uns Stanbridge schildert. Ein
ungenannter Reisender, welcher den Weg von Sydney nach
Adelaide zu Lande machte, war überrascht, daß er ans einer
Strecke von etwa hundert deutschen Meilen ungemein wenig
Eingeborene und nur sehr spärlich jagdbares Wild antraf.
An den Zuflüssen des obern Murray, wo einst Mitchell
und Stuart manche Horden von mehreren hundert Köpfen
antrafen, ziehen jetzt nur kleine Schwärme je von fechs bis
acht abgehungerten Menschen umher, die nicht einmal mehr
ihre Todten in alter feierlicher Weise unter Erdhügeln be-
statten oder die Gräber ihrer Vorfahren in gutem Stande
erhalten. Jetzt wirft man auf deu Verstorbenen eine Kän-
gernhaut, welche ihn weder vor Raubvögeln noch wilden
Hunden schützt.
Diese Wilden sind allerdings barbarisch, doch fehlen
ihnen manche höhere Anlagen keineswegs. Freilich reichen
diese inuner nur bis auf einen gewissen Punkt und über eine
bestimmte Gränze hinaus gehen sie nicht. Ihr Begriffs-
vermögen ist lebhaft; sie beobachten neue, ihnen bisher nnbe-
kannte Gegenstände ziemlich genau und haben, gleich manchen
anderen Wilden, ein ganz ungemeines Nachahmungsvermögen.
Sie sind gar wohl im Staude, sich die Gegenstände in ihren
genauen Verhältnissen vorzustellen, und lassen sich, wenn sie
z. B. eine Zeichnung oder ein Bild betrachten, keine Einzelnheit
entgehen. Daß sie mit der Wurflanze und der ihnen durch-
aus eigentümlichen Waffe, dem Bnmerang, außerordentlich
geschickt umgehen, weiß Jedermann.
und Geographische Zeitung.
Aber alle reslektiven Eigenschaften mangeln diesen Anstra-
liern; sie haben gar keine Folgerichtigkeit, keinen ununter-
brocheueu Zusammenhang im Denken, und darin liegt das
größte Hinderniß für ihre Civilisirnng, denn dieser Fehler
ist ihnen an- und eingeboren. Ein Herr Thomas, Direktor
der Eingeborenen im Distrikte Vietoria, hebt in einem Berichte
hervor, daß die Kinder beiderlei Geschlechts sehr leicht lesen
und schreiben und Gedichte auswendig lernen, auch mit dem
Singen geht es leidlich; sie sind sehr aufmerksam in den
geographischen Lehrstuuden und begreifen, was eine Land-
karte bedeutet. Ein junger Australier erhielt zwei Jahre
hintereinander im Schullehrerseminar zu Sydney einen Preis
in der Geographie, aber von der Arithmetik konnte er platter-
dings gar nichts begreifen. Die Mädchen nähen recht gut
und die Knaben find anstellig zu Ackerbau und Viehzucht.
Aber sie halten nicht lange aus.
Nicht alle Stämme Australiens sind gleich häßlich; es
giebt unter ihnen manche, die gar nicht so übel aussehen.
Von den weißen Ansiedlern sind sie im Allgemeinen abschen-
lich behandelt worden. Der „civilisirte" Europäer hat sich
nicht gescheut, diese Leute niederzuschießen, als wären sie
wilde Thiere; er hat ihnen ihr Land, ihre Jagdgebiete ge-
nommen und sich weiter nicht darum bekümmert, wie nnd
wovon die Unglücklichen nun sich ernähren sollten. In der
ganzen Provinz Victoria sind kaum noch Stätten, wo diese
Eingeborenen ein ungestörtes Fleckchen finden können. Die
Sqnatter sagen, das Vieh wolle dort, wo Schwarze wohnen,
nicht bleiben, und nun opfert man den dunkelfarbigen Men-
fchen, damit Ochsen und Schafe gedeihen!
Der Schweizer Castella, desseu wir schon früher im
Globus (S. 11.) erwähnten, kam häufig mit den Einge-
borenen Südostaustraliens in Berührung. Ganz richtig hebt
er hervor, daß Bodenbildung, Pflanzenwuchs und Thierleben
für die höhere Entwicklung dieser Wilden nicht günstig waren.
An Ackerbau konnten sie nicht denken, denn das Land hatte nr-
sprünglich keine Getreideart; auch fehlen eßbare Wurzeln nnd
Obst. Dagegen waren Kängern nnd Opossum, Eichhörnchen
nnd die wilde Katze häufig, und diese konnte der Mensch ohne
große Mühe erlegen; das Klima ist mild nnd man braucht
keiu sorgfältig hergerichtetes Obdach; schädliche Thiere sind,
einige Arten giftiger Schlangen abgerechnet, nicht vorhanden.
Auch Castella weist auf die Thatsache hin, daß die
Eingeborenen rasch dem völligen Untergange zueilen. Die
einst zahlreiche Horde am Harra bestand 1859 nur noch
aus siebzehn Köpfen. Die Kolonialregierung hat zwar die-
sen Leuten eine sogenannte Reserve angewiesen, welche ihr
Eigenthum bleiben soll, aber man hat dazn gerade die aller-
schlechteste Landstrecke ausgesucht, „die abscheulichste Gegeud,
welche ich in Australien gesehen habe; aber sie liegt umgeben
vom allerbesten Lande." Die Eingeborenen waren daran
gewöhut, ihre Lagerplätze am Ufer von Flüssen, unter hohen
Gumbäumen, auf ergiebigen Jagdgründen zu nehmen, aber
solche Gegenden hat man ihnen nur in Ausnahmefällen
gelassen. Freilich wissen sie jetzt mit dem Schießgewehr um-
zugehen nnd können namentlich Wasservögel schießen.
Diese schwarzen Menschen haben eine Ahnnng von
dem, was ihnen bevorsteht, und wissen, daß sie bald ganz
verschwinden werden. Auch haben sie sich darein ergeben,
uud leben des Trostes, daß sie nach ihrem Tode als
Weiße wieder auferstehen werden.
Bei den Australiern, mit welchen Castella verkehrte,
hat jeder Mann nur eine Frau, die er aber nicht in seiner
eigenen Horde wählt, sondern aus einem andern Stamme
entführt. Darüber erhebt sich dann zwischen beiden Horden
ein Scheingefecht, das allemal mit großen Tänzen endet.
Der Entführer behält die Braut.
Globus, Chronik der Reisei
Je nach Horden halten sich die Schwarzen zusammen
und haben gemeinsame Lagerplätze. Feste Hütten bauen sie
nicht. Im Sommer gewähren Baumzweige, die inan auf
eingerammte Stäbe legt, hinlänglichen Schutz; im Winter
schält man, wie unser Bild zeigt, große Stücken Baumrinde
ab und befestigt dieselben au einem rohen Stangengerüste
derart, daß sie gegen Wind und Regenschlag ein nothdürs-
tiges Obdach bilden. Seit Jahren haben nun diejenigen
Horden, welche mit den Weißen in Verkehr stehen, Decken
und andere Gegenstände zur Bekleidung, und dazn auch,
wie schou bemerkt wurde, Schießgewehre, nebst Beilen, Aexten
und dergleichen mehr.
Ihre Lieblingsbeschäftigung ist und bleibt die Jagd.
Sie hauen an den Bäumen, in welchen sie ein Opossum oder
eine wilde Katze vermutheu, große Kerben ein, klettern mit
wunderbarer Gewandtheit hinauf, ziehen dann mit einer Art
von Hakenharpune das Thier aus den hohlen Löchern her-
aus, und werfen die Beute der unten aufpassenden Frau zu.
l und Geographische Zeitung. 271
Diese trägt Alles fort: Opossum, Katze, ein kleines Kind in
einem an dem Halse hängenden, aus Binsen geflochtenen
Korbe, und eine brennende Holzfackel. Der Mann geht
voraus und trägt weiter nichts als seine Waffen; die Frau
; tritt hinter ihm einher, dann folgen die Kinder je nach ihrer
Größe, alle im sogenannten Gänsemarsch, nach Art der
Kängerus und der schwarzen Schwäne. Nie gehen mehrere
Australier neben einander. Wahrscheinlich rührt dieser
Brauch aus Vorsicht her, wegen der giftigen Schlangen,
denn wenn Ein Mann sicher nnd unbeschädigt geht, können
es auch alle folgenden.
Aale fängt man mit Lanzen, Kähne macht man aus
Baumrinde und benutzt die Lanze als Ruder. Der Austra-
lier wird ein gnter Reiter, und manche haben in der Polizei-
wache gute Dienste geleistet. Aber sie blieben nicht lange;
sie thaten sich am Feuerwasser viel zu gütlich, und als die
Uniformen für sie nichts Neues mehr waren, gaben sie der
Civilisation den Abschied und eilten wieder in den — Busch.
Die Playa m
See von ü
Von Juli
Wir versetzen den Leser in eine jener reichen und
charakteristischen Scenen, welche sich, wenn man sie in der
Wirklichkeit gesehen, auf immer der Phantasie einprägen,
und durch deren Vorstellung mm« wieder die Seelen-
stimmnng erzeugt wird, in die man beim ersten Anblick ver-
setzt wurde.
Wer, der es gesehen, könnte je dieses reiche, bunte und doch
harmonische Schauspiel vergessen? — diese glänzende Wasser-
fläche unter wolkenlosem Himmel, — die waldigen Inseln
und kühnen Bergpyramiden, welche sich ans ihr erheben, —
die blauen Höhen, welche ihren fernen Horizont bilden, —
das schmale Uferband von glattem Sande, vor dem Saume
schattiger Bäume und blüthenbedeckter Sträucher, — die
lanen Fluthen mit Hunderten brauner Gestalten von baden-
den Männern und Frauen und Knaben und Mädchen, —
das alte Castell, au dessen verfallenen Mauern die Welle
schlägt, und das nur da zu stehen scheint, um durch den Kon-
traft der Vergangenheit die freie Heiterkeit der Gegenwart
fühlbarer zn machen, — die finstere Stirn des waldbedeckten
Mombacho, von den Strahlen der untergehenden Sonne ge-
streift, oder im purpurnen Scheine des Abendrothes, wider
Willen zum Lächeln gezwungen, — die warme und doch
frische Luft, in welcher die Federkronen der Kokospalmen
spielen, und hoch über dem Wasser, mit langem, bewegnngs-
losem Flügel, die leichte Fregatte^) schwebt,--wer
könnte dieses Schauspiel jemals vergessen? —
Zu allen Zeiten des Tages ist die Playa von Granada
reich belebt. Ein Weg durch blühendes Gesträuch, aus
welchem man sich fast in eine Wildniß versetzt glaubt, führt
von der etwas erhöht liegenden Stadt, die sich unten dem
*) Playa heißt auf spanisch Strand oder Ufer. Die Playa von
Granada ist also der Strand des Scc's von Nicaragua bei der Stadt
Granada. welche etwa eine gute Viertelstunde vom Wasser entfernt
liegt. Die Bedeutung des Wortes wird aber auch auf das Gewässer
ausgedehnt, welches einen Strand bildet. Aqui 110 hai playa — es ist
hier kein Strand — soll soviel heißen, wie: es gibt hier keinen See oder
kein Meer, der See oder das Meer reicht nicht hierher. Ebenso sagt
man: die Playa ist heute warm, womit das Wasser gemeint ist.
**) Ein tropischer Wasservogel,
Granada/)
s Fröbel.
Blicke vollständig verbirgt, an das Wasser herab. Mit
dem frühesten Morgen ist dieser Weg von Menschen zu Pferd
und zu Fuß bedeckt. Viele begeben sich hinab, um sich vor-
der Hitze des Tages durch ein Bad zn stärken. Pferde und
Maulthiere werden zur Tränke geritten. Die Wäscherinnen,
ihre beladenen Mulden aus dem Kopfe, ziehen in Schaaren
an ihr Tagewerk, welches ausschließlich an der Playa ver-
richtet wird. Frauen und Mädchen, mit eleganter Haltung
große irdene Krüge auf dem Kopfe balancirend, oder mit
schöner Biegung des Armes sie auf der Schulter tragend,
gehen, um das für deu Tag uöthige Wasser zu holen, denn die
ganze Stadt zieht zum Trinken das Wasser des See's dem
der Ziehbrunnen vor, die sich in den meisten Höfen befinden.
Unten sind vor Tagesanbruch die Kanots der Indianer
von deu Inseln gekommen, und haben Kokosnüsse, Orangen,
Mangos, Papayas, Wassermelonen und andere Früchte ge-
bracht. Große Boote — Bongos oder Piragnas genannt —
sind in der Nacht angekommen mit Ladungen von San Juan
del Norte, mit Waaren von Jamaica und Neu-Uork, die für
das Land bestimmt sind. Langsam beginnen die Bootsleute
auszuladen, während sich, mit lautem, weit hörbarem Geknarr,
die ungeschickten zweirädrigen Ochsenkarren der Straße herab
bewegen, um die angekommenen Kisten und Ballen hinauf
zu führen. Nahe bei, unter dichtbelaubten Bäumen, fetzt sich
die Axt des nordamerikanischen Schifsszimmermanns in Be-
wegnng, der mit feinen zierlich gebauten kleinen Skuners
und Slups die uligeschickten Fahrzeuge der Einheimischen
verdrängt.
Um die Mittagsstunde vermindert sich die Bewegung
an der Playa; die wesentlichen Geschäfte werden indessen den
Tag über nicht unterbrochen. Niemand scheut in diesem
Lande die Mittagssonne. Feldarbeiter, Bauleute, Reisende
pflegen erst gegen Abend innezuhalten, zu esseu, und dann
den Nest des Tages der Ruhe und dem Genuß zu widmen.
An der Playa haben unterdessen die Wäscherinnen auf dem
glatten Saude des Ufers die halbe Garderobe der ganzen
Bevölkerung zum Trocknen ausgebreitet, und eine ganze
Meile weit ist der Strand mit dem weißen und farbigen
Zeuge bedeckt. Hier und da liegen träge Menschen im Schat-
272 Globus, Chronik der Reisen
ten eines Baumes. Die Vorräthe von geröstetem Mais-
mehl, Ehokolade und Zucker werden zur Hand genommen,
und in den Jicaras — Bechern aus der Schale der Frucht
der Crescentia —• wird der beliebte Trank des Landes, die
erfrischende und nahrhafte Tiste gequirlt. Da und dort wird
ein Feuer angezündet und die Bereitung eines frühen Mit-
tagsmahles oder eines verspäteten Frühstücks begonnen. Pi-
raguas, mit Häuten beladen, die nach San Juan del Norte
bestimmt sind, bereiten sich langsam zum Abgange vor, der für
den frühen Morgen bestimmt war und gegen Abend stattfinden
wird. Kleine Sknner nehmen ihre Passagiere auf — heim-
kehrende Californier, die, mit Früchten beladen, an Bord
gehen, — und lichten endlich die Anker.
Aber die Playa von Granada ist zugleich der öffent-
liche Paseo der Stadt, und am Abend vermehrt sich hier
wieder die Bewegung und das Leben. Von Neuem wird
von Hunderten das Bad in der lauen Fluch gesucht, der man
sich hier, auf weichem Saude ruhend und von der plätschern-
den Welle leicht gehoben, gern aus längere Zeit überläßt;
unbekümmert um Alligatoren und Haie, welche sich nicht in
die Nähe dieses allzu belebte» Ufers wagen. Aus dem
Wasser kommend, besteigt man das Pferd zu einem Ritte
längs dem Strande, welcher nach beiden Seiten interessant
und genußreich ist.
Wendet man sich rechts, so hat man eine Meile bis zu
den Jsletas oder Corales, einer dichten Gruppe vou
mehr als hundert kleinen, waldbedeckten Felseninseln, welche
von dem festen Lande am Fuße des Mombachovulkaus nur
durch eiueu schmalenKanal getrennt sind. Hier stellen sich dem
Blicke die reizendsten Gruppiruugen von Wasser und Land,
schwarzem Gestein, majestätischem Baumwuchs, dunklen
heimlichen Plätzchen, und glänzenden Fernen dar. Die stillen,
fischreichen Arme des See's zwischen diesen kleinen Inseln,
mit dunkler spiegelglatter Oberfläche, oft von gewaltigen
Bäumen überwölbt, bilden ein schwer zu kennendes Labyrinth,
in welchem sich nur der indianische Bewohner dieser verbor-
genen Winkel zurecht zu finden weiß. Neben deu steinernen
Götterbildern seiner Vorfahren, deren Bedeutung er nicht
mehr kennt, hat er hier seine Rohr- und Palmenhütte erbaut
und mit seiner kleinen Bananenpflanzung umgeben. Kaum
ist wohl auf einer dieser Inseln mehr als eine Familie.
Einige sind ganz unbewohnt. Die Gruppe ist ein interessantes
Jagdrevier, reich an vielerlei seltenem Wassergeflügel.
Wendet man sich vom Mittelpunkte der Playa links,
so kann man dem Strande bis zu beliebiger Entfernung folgen.
In der Nähe bildet das Ufer einen nicht hohen aber senk-
rechten Abbruch, unter welchem man jedoch während der
trocknen Jahreszeit aus glattem Sandboden durchreitet.
Immer ans diese Weise am Wasser Hill, kann man, mit im-
mer gleicher Scenerie in der Nähe, aber allmälig sich ver-
änderndem Blick in die Weite, zwanzig Meilen weit den Weg |
fortsetzen. Man gelangt in dieser Richtung nach Los Cocos,
und Geographische Zeitung.
einem kleinen indianischen Dörfchen am Wasser, und etwas
weiter nach dem Paso real, dem Uebergange über den
Estero de Panaloya^). Es ist der Weg nach den Gebirgs-
Provinzen Chontales und Matagalpa.
Kehrt man gegen Granada zurück, so nimmt man auf
diesem Strandwege erst die ganze wunderbare Schönheit der
Lage dieser Stadt wahr, obgleich diese selbst nirgends zu
sehen ist. Aber hinter ihr tritt nun der majestätische M o m-
bacho frei in die Landschaft. Zu seinem Fuße liege» die rei-
zeuden Jsletas. Au ihn schließen sich die Höhen der Insel
Zapatera und die beiden Piks der Insel Ometepek an,
vulkanische Kegelberge von merkwürdiger Regelmäßigkeit; —
und in dieses Land schmiegt sich, in zartgebogener Busenlinie,
der glänzende See mit dem grünen waldigen Ufersaume.
Einige hundert Schritte landeinwärts findet man auf
diesem Wege, hinter Bäumen und Gebüsch versteckt, ein aus-
gedehntes sumpfartiges Gewässer, theilweise mit riefen-
haftem Schilfe verwachsen. In der dürren Jahreszeit ist
ein Theil dieses Terrains trocken gelegt, und der noch übrig
bleibende Sumpf ist dann der Aufenthalt unzählbarer Schaa-
reu von Reihern, Störchen, Rohrdommelu, Gänsen, Enten,
Wasserhühnern, Parren, Strandläufern n. f. w. Einige in-
dianische Familien haben, hierdurch angelockt, am Rande
dieses Gewässers ihre Hütten gebaut. Ihre Existenz ist auf
deu Besitz einer rostigen Flinte gegründet, welche, wenige
Schritte von der Wohnung, zn jeder Zeit und ohne Mühe
die nöthige Nahrung liefert. Dieser Sumpf ist in Granada
mit keinem besonderen Namen bekannt, denn „el päntano"
heißt nichts Anderes als: „der Sumpf". Ohue Zweifel ist
dies die Lagune von Songozana, von welcher der Geschicht-
schreiber Oviedo erzählt, welcher wenige Jahre nach der Er-
oberung in diesem Lande war. Damals war die Gegend
voll schwarzer Panther, die den Ansiedlern das Vieh raubten.
Die Indianer, welche die User des See's bewohnten,
als die Spanier in das Land kamen, nannten denselben
Coeibolea. Was auch die Stellung sein wird, die Rica-
ragua in dem um sich greifenden neuern Weltverkehr zu-
fallen mag, immer wird das Land nm dieses schöne Gewässer
dem neuern Ansiedler einladende Aussichten eröffnen. Gra-
nada wird, welche Projekte auch hier den Sieg davon tragen
mögen, immer der Mittelpunkt für den innern Handel von
Nicaragua bleiben, und in dieser Stellung seine jetzige Be-
deutung in hohem Grade steigern. Die Playa wird dann,
-aller Wahrscheinlichkeit nach, noch viel mehr Leben und Thä-
tigkeit zeigen als heute, aber nicht mehr wie jetzt mit beiden
das idyllische Glück, und die durch keine menschlische Ge-
schmacklosigkeit gestörte, reine, harmonische, unvergleichliche
Schönheit der Natur verbinden.
*) Der Estero de Panaloya ist ein schmaler, tief in das Land
schneidender Arm des See's, der zu dem natürlichen Kanal gehört, welcher
früher diesen See mit dem von Managua verband.
Ein Besuch in der Grotte von Antiparos.
Diese berühmte Höhle ist in der neuer» Zeit nicht häufig besucht ist nur durch einen schmalen Kanal von der größern Insel ge-
worden, denn nicht oft kommen Reisende nach der ([einen Insel, trennt. Tpolt fuhr in den ersten Tagen des Julimonats 1859
welche zu der Mittelreihe der Cykladen gehört. Die nachstehende hinüber; das Meer war ruhig, aber die Strömung, welche eine
Schilderung verdanken wir dem Umstände, daß E. A. fepoü kleine Scylla und Charybdis bildet, heftig. Doch kam der Nachen
wegen Havarie aus Paros einlaufen mußte, und vou dort aus ohne Unfall hinüber nach Antiparos, das im Alterthum Oliaros
einen Ausflug zu dem ,,Wunderwerke der Natur" unternahm. genannt wurde. Es ist merkwürdig, daß man das,,Naturwunder"
Paros war schon imAlterthnm seines herrlichen weißen Mar- der Insel bei den alten Schriftstellern nicht erwähnt findet; offen-
mors wegen berühmt. Antiparos liegt gegen Südwesten nud bar kannten sie die herrliche „Tropfsteinhöhle" nicht.
274
Glovns, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Im Jahre 1714 mußten die Venetianer das Eiland an die
Türken abtreten; jetzt gehört sie zum Königreiche Griechenland.
Sie ist au und für sich sehr unbedeutend, ihr Flächenraum beträgt
etwa eine halbe Geviertmeile und sie hat kaum zwölfhundert Be-
wohner, welche Schiffer sind und Gerste bauen.
Aber die Landschaft ist in gewisser
Beziehung nicht ohne Reiz. Dann
und wann ruht das Ange mit Wohl-
gefallen auf kleinen Cedern- und Cy-
Pressenhainen, der wilde Thymian
haucht erquickende Düfte aus, der
Kapernstrauch grünt an den Felsen
und der Mastixbaum, welcher auf den
Inseln des Archipelagus seine wahre
Heimath hat, fehlt auch hier nicht.
Man bereitet aus ihm ein Raki, ein
geistiges Getränk, das, mit Wasser
vermischt, gelblich weiß wird, und
unfern Wermnthextract ersetzt.
Gegen elf Uhr Morgens, sagt
Spoll, langten wir am Eingange der
Grotte an. Derselbe bildet ein geräu-
miges, von Felsenqnadern 'gestütztes
Portal, an welchem Kapernsträuche
und Schlingpflanzen wuchern. An
der rechten Seite liegt ein offenbar
aus sehr altein Mauerwerk bestehendes
Haus halb in Trümmern und ohne
Dach; in demselben befindet sich eine
Platte von weißem Marmor mit
einem Kreuze; die darauf befindliche
griechische Inschrift ist jetzt kaum uoch
leserlich. Sie lautet: „Als Kriton
hier die Obrigkeit verwaltete, kamen
hierher: Menander, Socharmos, Me-
nekrates, Antipatros, Hippomedon,
Aristeas, Phileas, Gorgos, Diogenes,
Philokrates, Onesimos." Eine Ueber-
lieferung will wissen, daß dies die
Namen von Verschworenen seien,
welche Alexander dem Großen nach
dem Leben getrachtet hätten, und nach
Antiparos geflüchtet seien, als ihr
Mordanschlag gescheitert war. Natür-
lich ist das Fabel, wahrscheinlich aber,
daß jene Männer die ersten waren,
welche die Grotte erforschten.
Unsere Schiffslente und Führer
schlangen ein Schiffstau um einen
gewaltigen Pfeiler nnd dann glitten
wir zunächst bis auf eine Felsenfläche
hinab, die nur einige Schritte breit
ist, stiegen nun zur Rechten an einen:
kleinen AbHange hinauf, und dort
erst begann die eigentliche Einfahrt,
welche nicht ohne Gefahr ist. Wir
gingen auf einer langen Strickleiter
hinab und gelangten anf eine feuchte,
mit Moos überzogene Felsplatte.
Dort mußten wir uns links halten,
weil an der andern Seite ein tiefer Schlund gähnt, nnd kamen
in eine lange, enge Röhre, in der wir gebückt gehen und manchmal
anf allen Vieren kriechen mußten. Sehr unangenehm war der
Qualm von den Fackeln und der übelriechenden Höhlendunst.
Endlich waren wir an der Oeffnnng, welche einige Fuß über dem
Bode» liegt und in die innere Höhle führt.
Grotte von Antiparos,
Diese bietet in der That einen zauberhaften Anblick und in un
ferm Bilde liegt nicht etwa Uebertreibnng. Zunächst sind die räum-
lichen Verhältnisse in der That kolossal. Die Grotte liegt mehr als
zweihundert Fnß unter der Oberfläche, ist nahe an dreihundert Fnß
laug, anderthalbhundcrt Fuß breit und etwa einhundert Fuß hoch.
Das Gewölbe bildet einen un-
regelmäßigen Dom und von diesem
hängen, in der Gestalt umgekehrter
Kegel,sehr lange S t a l a k t i te n herab;
das gelbliche Weiß derselben wird nach
den Spitzen hin durchsichtig weiß.
Manche haben ganz seltsame Formen;
einige gleichen genau einem Sterne,
andere sehen aus wie ein Kopf Bln-
menkohl, wieder andere gleichen einer
Kaskade, oder der Verschliugnng phan-
tastischer Pflanzen, kurz, man gewahrt
eine „Apokalypse von Mineralien."
Der Boden ist mit Stalag-
miten bedeckt, deren Formen nicht
minder seltsam und mannigfaltig sind.
Zunächst fällt dem Beschauer eine
Stalagmitenmasse auf, welche bei
einer Hohe von zwanzig Fuß deren
etwa fechszig im Umfange hat. Man
bezeichnet sie als den Altar, seitdem
1673 ein französischer Gesandter in
der Türkei, Nointel, dort zur Weih-
nachtszeit hatte Messe lesen lassen. Er
war drei Tage lang mit etwa fünf-
hundert Leuten in der Höhle; einhnn-
dert Wachskerzen und vierhundert
Lampen brannten Tag und Nacht und
die Grotte war einer erleuchteten
Kirche vergleichbar. Die zum Anden-
ken jenes Ereignisses in der Höhle an-
gebrachte, lateinische Inschrift ist jetzt
nicht mehr vorhanden.
Links vom Altar steht eine noch
höhere Anhäufung von Stalagmiten;
sie ist aber nicht so massenhaft nnd
sieht ans wie eine kolossale, an den
Felsen gelehnte Fenchelpflanze. Am
iunern Ende der Grotte, deren Boden
eine sanfte Neigung hat, liegt eine
kleinere Höhle, gleichsam ein Wohn-
zimmer neben einem großen Gesell-
schastssaale, in gleicher Fläche mit der
erstereu. Die Wände von weißem
Marmor sind mit durchsichtigen Kry-
stallen überzogen, diebeim Bruch ran-
ten- oder auch würfelförmige Stücke
geben, etwa wie jene in der Baume
(provcnzalisch für Grotte) vou San
Michicco d'aigue doiajo bei Marseille.
Iu jener kleinen Grotte auf Antiparos
bemerkte ich Stalagmiten, die kleinen,
mit Rauhreif überzogenen Bäumen
ähnlich sahen; beim Bruch zeigte» sie
Adern, concentrische, unregelmäßige
Kreise gleich dem Splint grün gesägten Holzes.
Wir waren vollkommen befriedigt und stiegen wieder an das
Tageslicht empor. Die Sonne goß abendlichen Purpurschein über
das Meer aus; die Inseln Nio, Sikino und Policandro stiegen
veilchenblau aus dem Wasser und hoben sich scharf vom Horizont
ab, während Paros wie eine schwarze Masse vor uns lag.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
275
Annehmlichkeiten einer
Wer hätte sich vor einem Vierteljahrhundert träumen lassen,
daß Postkutschen in der afrikanischen Sahara fahren würden?
Oder daß man in einem Eilwagen der sogenannten Klepperpost
vom Missouristrom über die nordamerikanischen Prairien, die
Felsengebirge, die Einöde des großen Binnenbeckens und über das
kalifornische Schneegebirge bis nach San Francisco am Stillen
Ocean befördert werden könnte?
Aber freilich, solche Wüstenreisen in der Postkutsche haben ihre
ganz besonderen „Annehmlichkeiten", von deneu wir uns auf deu
schönen macadamisirten Landstraßen Europa's wenig träumen
lassen. Daß wir über den Splügen oder den Brenner ganz ge-
mächlich hinrollen, finden wir in der Ordnung, und über den
Semmering haben wir längst einen Schienenwege Den Gegensatz
zu unseren Reisen möge ein afrikanischer Wanderer erzählen.
Im östlichen Algerien liegt auf dem Wege von der berühmten
Stadt Constantine nach Biskra, ungefähr mittwegs, die Stadt
Batna, wo wir den Reisenden Thierry-Mieg finden. Am
4. Oktober 1859, sagt er, wollten wir um sechs Uhr Morgens nach
der Oase El Käntara und Biskra abreisen. Der Postwagen,
welcher den stolzen Namen Messagerie der Sahara führt,
geht jedeu fünften Tag ab. Wir hatten der Vorsicht halber unsere
Plätze schon von Constantine aus belegt und waren zur anbe-
räumten Stunde bereit. Aber unser Gastwirth wollte ans Eigen-
nutz uns so lange als irgend möglich in Batna festhalten und
machte allerlei nichtsnutzige Einwendungen; die Pferde seien von
der letzten Fahrt her noch abgemattet, auch uoch nicht gefüttert; die
Stränge wären zerrissen, der Wagen müsse ausgebessert werden
und weder Schmied uoch Sattler sei zu finden.
Als zwei Stunden mit allerlei widerwärtigen Erörterungen
vertrödelt waren, eröffnete man uns um acht Uhr, es sei nun zum
Abreisen viel zu spät. Nun lies uns die Galle völlig über, wir
waren in der That grimmig und erklärten bestimmt, daß wir uns
nach irgend einer andern Reisegelegenheit umsehen wollten. Da
wurden dann sofort auch andere Saiten aufgespannt; Sattler und
Schlosser stellten sich ein, besserten rasch einige Kleinigkeiten ans,
die Pferde wurden vorgelegt und um ueuu Uhr ging es vorwärts.
Gleich jenfeit Batna gelangten wir in eine dürre, verbrannte
Gegend, denn die Sommerhitze hatte den Pflanzenwuchs, der zur
Winterzeit in einigen Gegenden recht hübsch sein soll, völlig zer-
stört. Der Weg führt amtlich den prunkvollen Namen Kaiser-
straße von Stora nach Tuggurt, wurde aber immer schlechter
und bald sah man gar nichts mehr von ihm; die Bahn verlor sich
völlig. Vier kräftige Araberpferde zogen unfern Wagen im Trab
oder Galopp über Stock und Block, und wir meinten schon jetzt,
er müsse jeden Augenblick zusammenbrechen. Der trockene Boden
wird immer härter und steiniger; der Pfad geht über und durch
Felsblöcke, die dicht mit Staube bedeckt sind; die Pferde können also
den Tritt fest aufsetzen. Das Thal wird allmälig immer enger und
hat zu beiden Seiten hohe, ganz kahle Steinwände.
Das Alles möchte noch hingehen, aber neben dem Pfade läuft
in tiefer Schlucht ein Fluß, der Uöd Breuis oder K^ntara,
durch welchen man immer und immer wieder hindurch fahren
muß; denn was bleibt uns denn übrig an Stellen, wo ein vor-
springender Fels den Weg versperrt? Man muß sich auf dem an-
dern Ufer einen Weg suchen, weiß aber im Voraus, daß es dort
gerade so geht. Endlich hört aller Pflanzenwuchs auf, Erdboden,
Berge, Alles, so weit der Blick reicht, ist gleichförmig fahlgelb, die
Sonne brennt vom durchsichtig blauen Himmel wie ein Feuerball,
strahlt das Licht funkelnd zurück und aller Schatten verschwindet.
Statt der Bäume sieht man die Stangen des elektrischen Tele-
graphen, und hin und wieder begegnet man den Karawanen afri-
kanischer Nomaden, welche in die Sahara ziehen.
Die Flußübergänge sind von ganz eigenthümlicher Art.
Postreise in der Wüste.
Von Brücken ist natürlich gar keine Rede. Das Strombett hat
an vielen Stellen nur sehr wenig Wasser und bietet an sich geringe
Schwierigkeiten dar, aber es liegt nicht selten zwischen Uferwänden
von zwanzig bis dreißig Fuß Höhe; man muß also ans dem einen
Ufer den steilen Abhang hinunter und am anderen wieder hinauf
fahren. Der Weg machte eine große Menge von Windungen und
ist so schmal, daß der Wagen unfehlbar in den Abgrund stürzen
muß, sobald die Räder ausweichen. Auf so halsbrechenden Pfaden
würde in Europa auch der tüchtigste Pferdelenker mit ganz befon-
derer Vorsicht zu Werke gehen, weil er weiß, daß Alles verloren
ist, sobald ein Thier stürzt; er würde die Fahrgäste an manchen
Stellen, namentlich an solchen, wo es vom Wasser aus steil an-
wärts geht, aussteigen lassen, damit der Wagen weniger beschwert
sei. Aber in Afrika kennt man so kleinmüthige Verzagtheit gar
nicht und ist weder so geduldig, noch so ängstlich. Sobald der
Kutscher au deu Uferrand kommt, läßt er die Pferde „langsam"
gehen, das heißt in kleinem Trabe, und der Wagen rollt abwärts.
Der ängstliche Fahrgast meint jeden Augenblick, daß er in die tiefe
Schlucht hinabstürzen werde, sieht mit Schrecken die mächtigen
Kiesel, an welchen der Wagen zerschellen oder ein Pferd ausgleiten
könne, er überdenkt, wie tief das Wasser sei, und meint, da es
doch einmal ohne Umstürzen nicht abgehen könne, so werde doch
besser sein, wenn er an einer Stelle in den Abgrund fiele, wo
Sand oder Rasen liegt.
So weit ist uoch Alles ohne Halsbrechen abgegangen, aber
nun ist der Postillon etwa zur Hälfte abwärts gekommen. Was
macht der tollkühne Mensch, ist er wahnsinnig geworden? Er
peitscht ja auf die Pferde wie besessen, läßt die Zügel schießen,
knallt dann mit der Peitsche und hinab geht der Wagen wie eine
Lawine! Die Kutsche fliegt über Stock und Stein, über Felsen
und Kiesel wie ein Fangball. Die Seiten krachen, die Schrauben
kreischen, die Nägel wackeln, die Fenster klirren und die eine
Scheibe geht in Scherben. Zehnmal ist handgreifliche Gefahr da,
daß Alles überschlagen und hinabstürzen werde; aber der Fuhr-
mann kümmert sich gar nicht darum, sondern kommt mit heiler
Haut hinab, sprengt in's Wasser hinein, gelangt an's andere User
und läßt die Gäule im Trab eine Anhöhe hinauf rennen!
Wenn man dergleichen zum ersten Mal erlebt, wird es einem
sehr unbehaglich zn Mnthe; man macht im Geiste schon sein Testa-
ment, denn man hält sich für unrettbar verloren Das ist ja ein
wahrer Höllenspektakel; man wird im Wagen auf und ab, hin und
her geworfen, man wird braun und blau geschlagen. Aber der
Mensch gewöhnt sich an Alles, auch au die Todesgefahr. Wenn
man die Sache binnen wenigen Stunden ein halbes Dutzend Mal
mitgemacht hat, wird mau, so zu sagen, dickfellig gegen die Gefahr,
welche man kaum uoch in Betracht zieht; man schläft sogar trotz
aller Stöße und Rucke ein und öffnet nur dann und wann einmal
die Augen.
Es bleibt aber doch unbegreiflich, daß der Wagen nicht in tan-
send Trümmer geht und die Pferde Alles ohne Beinbruch über-
stehen. Freilich hatten wir treffliche Gäule und der Postillon ver-
stand seine Sache ans dem Fundament. Die Pferde waren acht
Tage unterwegs gewesen, hatten täglich zehn deutsche Meilen ge-
macht und doch war ihnen keine Ermüdung anzumerken. Der
Rosselenker, ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren, hatte vor
zwei Jahren den ersten Wagen, welcher überhaupt zwischen Batna
und Biskra ging, gefahren. Im Herbste und bei Tage, meinte er,
fei die ganze Sache ein Spielwerk, aber wenn im Winter die Flüsse
angeschwollen seien und man bei dunkler Nacht vorwärts müsse,
dann sei die Geschichte gar kein Kinderspiel; zuweilen ist es dann
unmöglich hindurchzufahren, und man muß warten, bis das Wasser
sich etwas verlaufen hat. Der junge Mann erzählte: „Im vori-
gen Winter fuhr ich einen Engländer nach Biskra. Ich sah wohl,
35*
276 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
daß am K^ntaraflnfse große Gefahr zu besorgen stand und theilte das
dem Reisenden mit. Der war ein unerschrockener Mann und sagte,
was ich thue, sei ihm auch recht; so viel Muth wie ich selbst hätte,
besäße auch er. Nun mußte ich achtzehn Mal durch den ange-
schwollenen Strom fahren; manchmal schwamm der Wagen, und
die Pferde hatten anch keinen festen Grund unter den Hufen. Wir
sind aber mit heiler Haut nach Biskra gekommen, und der Eng-
länder hat mir in seiner Freude achtzig Francs geschenkt."
Der Ausbri
Seit 1855 ist der Vesuv eigentlich nicht mehr ruhig gewesen.
Der Eruption jenes Jahres folgten seitdem manche andere, aber
keine war so gewaltig als die, welche am 8. December 1861 begann
und seitdem ungeheure Verwüstungen anrichtete. Man hat einige
Tage lang befürchtet, daß sie eben so verheerend sein werde, wie die
weltberühmte vom 24. August 79, welche aus dem alten, bis dahin
ruhigen Krater den jetzigen Vesuvkegel emporhob. Damals wurde
Hercnlanum mit sechs nach einander folgenden Lavaströmen
überdeckt, auf welchen nun Portici und Resina stehen. Erst im
Jahre 1709 entdeckte man die alte Stadt wieder. Pompeji wurde
unter einem Aschenregen begraben und ist uns erst feit 1755 wieder
bekannt; auch Stabiae wurde verschüttet, und über dieser alten
Römerstadt ist nun Castellamare gebaut. Damals warf der Vesuv
eine so gewaltige Menge von Asche aus, daß der Nordwind sie bis
Aegypten und Syrien trieb; in Rom sah man die Sonne nicht.
Seitdem ist der Vesnv, dessen Gipfel uicht bis zu 4000 Fuß
Höhe über dem Meer hinanreicht, ein thätiger Vulkan und hat die
Anwohner des Golfes von Neapel oftmals in Angst und Schrecken
versetzt. Im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert hielt er
eine Zeitlang Ruhe, dann aber folgten wieder Ausbrüche iu länge-
ren Zwischenräumen, nnd jene von 1639, 1767, 1834 und 1835
waren gewaltig. Bei der Eruption von 1839 stieg die Feuersäule
mehr als elfhundert Fuß über den Krater empor.
Wir haben mehrere Mittheilungen von Augenzeugen über den
jetzigen Ausbruch vor uns liegen, aus denen wir das Nachfolgende
zusammenstellen.
Unterm 10. December meldet ein Bericht: Von Neapel aus
sah man gestern weiter nichts als mächtige Rauchsäulen, die bis zu
gewaltiger Höhe emporstiegen. Ich bin überzeugt, daß sie von den
unteren Oeffnungen des Berges bis zu zehntausend, vom untern
Krater bis dreitausend Fnß hoch Aufwirbelten. Unsere Straßen
hier in Neapel blieben bisher frei von Asche, aber die Sonne sah
aus wie bei einer Finsterniß. Ich begab mich nach Torre del
Greco, wohin eine große Menge von Zuschauern strömte, um das
gewaltige Naturschauspiel in der Nähe zn betrachten. Der Wind
wehete vom Norden nach Süden, und so waren wir dem Staub-
regen, welcher unaufhörlich und in dichter Masse herabfällt, nicht
ausgesetzt. Das Athmen wurde mir schwer. Die unglückliche
Stadt, in welcher seither etwa zweiundzwanzigtausend Menschen
wohnten, fand ich fast ganz verlassen, die Häuser gänzlich verödet,
und die Menschen waren so schnell entflohen, daß noch Melonen
und andere Früchte außen vor den Fenstern hingen; man hatte sich
nicht die Zeit gegönnt, sie mitzunehmen. An der Eisenbahnstation
war ein Menschengedränge; viele Flüchtlinge hatten etwas Bett-
Werk und andere Habseligkeiten gerettet, um damit weiter zn ziehen;
Nationalgardisten und Bersaglieri hielten Wacht gegen die Schaa-
ren von Dieben, welche das gräßliche Unglück ihrer Mitbürger ans-
beuten.
Alles weit und breit sieht schwarz ans; der feine Staub, der
wie ein Regenschauer herabgefallen ist, liegt fünfthalb Zoll hoch auf
Straßen und Dächern. Von den letzteren fand ich manche,.die
querüber und wagerecht, andere, die senkrecht auseinander ge-
brochen waren. Aber den ganzen Ungeheuern Schaden übersieht
man erst, wenn man ein wenig weiter geht. Dort zählte ich zwi-
schen vier- bis fünfhundert Häuser an der Berghalde, die unbe-
wohnbar sind. Der Eigenthümer einer sehr hübschen Villa, welcher
zurückkam, um noch Einiges zu retten, fand dieselbe derart ver-
! des Vesuv.
schoben, daß er keine Thür öffnen konnte; er zerschlug die Fenster
und draug hiueiu.
Der bekannte Vesuv-Führer Giovanni Eozzolino, welcher
die Eruption vom Anfang an beobachtet hat, erzählt Folgendes.
Am 8. December Morgens 11 Uhr nnd 15 Minuten verspürte
man in Torre del Greco eine heftige Erderschütterung, welche in
Zwischenräumen von fünf bis zehn Minuten wiederkehrte. Die
Einwohner ängstigten sich sehr, denn sie besorgten ein förmliches
Erdbeben. Auch in Resina empfand man um Mittag eine zitternde
Bewegung, aber nicht so stark. Um drei Uhr Nachmittags that sich
dann oberhalb Torre del Greco die Erde mächtig weit auf, etwa
eiue halbe italienische Meile unterhalb des bei der Eruption von
1774 gebildeten Kraters. Das Hans des Herrn Francesco Crnci
wurde nebst vier anderen nahe gelegenen in die Luft geschleudert.
Am 9. December Morgens kam die Lava bis aus etwa eine Viertel-
stunde Weges oberhalb des Kapnzinerklosters, das zerstört ist. Der
Strom war eine halbe Miglie breit. Alle Häuser in Torre haben
Risse und die Bewohner sind entflohen. Während sich oben im
Krater neue Kegel bildeten, war der Berg ruhig, aber um zwei Uhr
Morgens brach der große Krater mit fürchterlichem Gekrach ans,
nnd schleuderte Asche nnd Steine bis in eine gewaltige Höhe empor.
Jedes Aufstoßen ist mit donnerähnlichem Getöse verbunden. Der
Führer Gennarino Sannino näherte sich der glühenden Lava, um
eine Münze hinein zu drücken, wurde aber dabei von einem großen
Steine, welcher ihm auf den Kopf hernieder fiel, sofort erschlagen.
So weit der Führer Cozzolino. Es hat sich jedoch ergeben,
daß sich an der von ihm bezeichneten Stelle zwei größere und meh-
rere kleinere Kegel gebildet haben; an manchen Stellen gab die Erd-
krnste dem innern Feuer nach nnd stürzte zusammen. Der größte
unter den nengebildeten Kegeln bildet nur eine Ellipse. Aus Bei-
den drang zuerst ein Lavastrom hervor, welcher gauz Torre del
Greco mit Untergang bedrohet?, aber er wurde durch eine Erd-
schwellnug abgelenkt und theilte sich au derselben in zwei Ströme,
auch wurde die Gewalt dieses untern Lavaergusses dadurch gemiu-
dert, daß um 2 Uhr früh (am 9. December, Montags,) der Haupt-
krater sich öffnete; sonst wäre wohl Torre völlig überfluthet worden.
In Torre del Annunziata fand ich in den Straßen eine große
Menge von Flüchtlingen; viele saßen anch auf den stachen Dächern
der Hänser und beklagten ihr Mißgeschick. Schon am Sonntage
waren etwa fünftausend Heimathlos gewordene Menschen hier ein-
getroffen, und seitdem hat ihr Einzug unaufhörlich fortgedauert.
Mau kehrte den Staub von den Dächern. In Castellamare sah ich
noch mehr Jammer. Boote, mit Bettzeug, Stühlen und Tischen
beladen, kamen in Menge an; der Marktplatz war bedeckt mit Fuhr-
werk aller Art, in welchem die Armen sich gerettet hatten; viele
lagen dumpf vor sich hinbrütend auf Matratzen, namentlich Alte,
Kranke und Kinder. Jedermann blickte nach dem Berg hin, denn
alle Augenblicke erwartete man, daß die „Artillerie der Natur" sich
entladen werde. Die Behörde that, was in ihrer Macht stand, um
den Leuten Nahrung und Unterkommen zn verschaffen, und stellte
alle öffentlichen Gebäude zur Verfügung.
In Castellamare hatten wir keinen Aschenregen, sondern blauen
Himmel; aber ich ging weiter, um den Bergvorspruug herum, und
dort war eS sogleich ganz anders. Ich fand Alles mit Asche über-
deckt, auch mich selber. Die silbergraueu Olivenbäume sahen schwarz
aus, die gelben Orangen hatten am obern Drittel einen schwarzen
Ueberzng, Der Aschenregen war dick. Unsere nordischen Knaben
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
277
pflegen mit den Fingern oder mit Stöcken Namenszüge in den
Schnee zu machen; Knaben am Vesuv schrieben sie in die Aschen-
lagen, welche der Vulkan herabgeregnet hatte. Auch in Sorrent
fand ich diese Asche, und dort sogar in den Häusern, obwohl man
Fenster und Thüren sorgfältig geschlossen hatte. Auch auf Capri
und an der ganzen Küste hin ist sie gefallen. Ueber dem ganzen
herrlichen Golf lag ein schwarzes Leichentuch, und so dunkel war
es, daß die Marktschisfer, welche tagtäglich von Sorrent nach Neapel
fahren, am Morgen des neunten Decembers sich nach dem Kom-
paß richten mußten, um nicht irre zn segeln. Mir knirschte die
Asche unter den Zähnen, die Augen schmerzten mir und thränten,
obwohl ich meinen Schirm aufgespannt hatte.
Am 9. Abends hatte ich hier ein großartiges Schauspiel. Die
schwarze Säule erhob sich majestätisch und wurde vom Wiude weit
über das Meer hinausgetragen, während aus dem Krater nnauf-
hörlich Blitze hervorzuckten. Hente früh, 10. December, rollen die
Rauchwolken in und durch einander, und die Sonne, welche hinter
denselben steht, gewährt einen seltsamen Anblick, der sich nicht be-
schreiben läßt. Was jenseit des schwarzen Bahrtuches, das über
dem Meere hängt, vorgeht, ist unsichtbar; nur dann und wann
reißt eiu Windstoß eine Lücke hinein und ich erblicke Capri und
Sorrent in einem kohlschwarzen Rahmen. Schiffer versichern mich,
daß sie am Sonntag Abend ein Seebeben verspürt haben. Gewiß
ist, daß dieses sonst so klare, blaue Meer, unter der schwarzen Luft-
decke, wie Schlammwasser aussieht, und daß bei jedem Nuderschlage
eine Masse Stanbes zur Rechten nnd Linken hinfliegt.
Am 11. December war der Vesuv nicht mehr so wild; aber
wenn der Berg ruhiger wird, dann kommen die Erdbeben. Wir
haben schon mehrere Stöße gehabt. -
In einem Bericht der Allgemeinen Zeitung, ans Neapel vom
10. December, heißt es: — Hinter Torre del Greco, am besten von
den Kratern ans, bietet sich dem Auge im trüben, vom Aschenregen
geschwächten Sonnenlichte, da wo sonst die kostbaren Trauben der
Lacrimä Christi hingen, ein grausiges Chaos. Das plötzliche, an-
fangs gar nicht zn hoffende Stillstehen der Lava dicht vor Torre
del Greco ist dem Einfluß einer spätern zweiten Eruption auf der
pompejanischen Seite zuzuschreiben. Diese wälzt ihre glühenden
Massen ohne Gefahr für die angebaute Gegend über alte Lavafelder
vor. Auch der große Vesuv zeigt uuverkeuubar die Absicht, bei dem
Ausbruche sich gleichfalls zu vertheidigeu. Seit gestern grollt er so
vernehmlich, daß seine Stimme bis nach Neapel tönt. Eine gewal-
tige Rauchsäule, in ihrem unteren Theil von einem hellen Feuer-
schein geröthet und oft von leuchtenden Blitzen durchzuckt, entsteigt
seinem Krater und breitet sich hoch oben über den ganzen Golf von
Neapel aus. Es sind wirklich elektrische Blitze, vermnthlich
durch die Reibnug der großen Dampfmaffeu erzengt, welche schein-
bar von oben in die dunkle Säule hiueiuschlageu. Ich bemerke von
meinem Fenster ans, daß auch der große Krater jetzt augefangen
hat, eiueu Lavastrom hiuuuter zu senden. In den Ortschaften am
Fuße des Berges fürchtet man, so wie die Sachen jetzt stehen, we-
der die Lava, welche schwerlich über die alten Felder hinaus kann,
noch den lästigen Aschenregen, welcher die Erde stellenweis mit einer
zollhohen grauen Decke belegt hat; wohl aber besorgt man eine
Wiederholung der Erderschütterungen.
Vom 11. December Schon gestern Abend bildeten die neuen
Krater am Fuße des Vesuvs nur uoch flache Trichter, in welche
Jeder hinabsteigen konnte, der die Schwefeldämpfe nicht fchenete.
Auch der Hauptkrater hatte ausgetobt und schickte nur noch hin nnd
wieder in einzelnen Stößen schwarze Ranchmassen in die Höhe.
Heute ist Alles vorüber. Der Vesnv ist von den Aschenwolken,
welche ihn drei Tage lang einhüllten und die ganze Umgegend mit
zollhoher Asche bedeckten, befreit, und ragt wieder so ruhig wie vor-
her in den blauen Himmel hinein.
Vom 12. December. Die Eruption ist zwar seit vorgestern
vorüber, doch hat sich die Hoffnnng, daß nun auch die Erdbebeu
ein Ende haben würden, leider nicht bestätigt. Viele der schon durch
die früheren Erschütterungen stark beschädigten Häuser konnten den
neuen, nur am Fuße des Vesuvs verspürten Stößen nicht wider-
stehen und stürzten gestern zusammen. Torre del Greco, welches
am 8. und 9. December wie durch ein Wunder der Zerstörung durch
die Lava entging, wird jetzt, wie es scheint, vom Erdbeben in einen
Trümmerhaufen verwandelt werden. Auch von dem nahe bei
Resina gelegenen königlichen Lustschloß Favorita ist ein Theil zu-
sammengestürzt. Die Eisenbahnbrücke ist stark beschädigt. Die
Schienen sind an mehreren Stellen durch klaffende Erdspalten aus-
einander gerissen; die Fahrten hat man einstellen müssen. Am
Wasserstande kann man bemerken, daß der Erdboden sich in und
bei Torre del Greco um etwa einen Fuß emporgehoben hat. Der
Hauptlrater zeigt nach der Eruption eine ganz neue Gestalt. Auf
der Spitze des Berges, wo früher eine Ebene, in dieser Ebene der
große Krater, und in diesem wieder an der einen Seite die eigent-
liche Oessnung von nur 15 oder 16 Fuß Durchmesser sich befand,
ist jetzt ein riesiger, mehrere hundert Schritte breiter Schlund, des-
senBoden man wegen des beständig heraufsteigenden Qualms noch
nicht gewahren kann. Das Znsammenbrechen der Häuser und die
Fortdauer der Erdstöße geben zu der Befürchtung Anlaß, daß der
ersten Eruption bald noch eine zweite folgen werde. —
Torre del Greco ist nun zum neunten Male durch
vulkanische Gewalt zerstört worden, aber immer wieder haben
Menschen ans dieser dem Untergange geweihten Stelle sich ange-
bant. So lockend ist der Zauber dieser Gegeud. Schon vor dem
17. December waren zwei Drittel der Stadt eingestürzt, die schön-
sten Paläste waren ein Trümmerhaufen, die Pfarrkirche war eine
Rnine. Die Brnnnen sind vertrocknet, ans den Erdrissen steigen
bläuliche Flämmchen und Schwefeldünste auf, das Meer hat sich
der Küste entlang etwa zehn Fuß weit zurückgezogen. Das Wasser
sprudelt wie siedend. Diese Erscheinung setzt die benachbarten
Orte in große Schrecken, man befürchtet einen Regen siedenden
Wassers. Der Jammer ist gränzenlos, die Hilfsquellen sind nnge-
nügend, viele einst wohlhabende Leute bitten um Almosen, mehr
als 21,000 Menschen sind ohne Obdach und haben keine Hoffnung,
jemals ihre Wohnungen wieder zu sehen. Am 16. December
schlenderte der Vesuv dichte Aschenwolken aus. Torre del Greco
hat sich mehr als anderthalb Ellen über die Meeresfläche erhoben.
Auf dem großen Platze vor der Kirche von Torre del Greco
hat sich ein weiter Schlund geöffnet, in dessen Grund man eine
verhärtete Lavaschicht und die alle Straße der Stadt erkennt.
Piazza Constantinopoli bei der Kirche Madonna addolora ist um
zwanzig Fuß gesunken. —
Berichte vom 21. December schreiben: Torre del Greco ist
nun vollständig eilt Trümmerhanfe; die wenigen noch stehenden
Häuser siud unbewohnbar und stürzen allmälig ganz ein. Die
sechsnndzwanzigtansend Bewohner sind in der Umgegend uuterge-
bracht worden.—
Am 24. December spie der Vesuv wieder eine dicke Aschen-
säule aus, welche der Wind bis nach Neapel trieb; an einigen
Orten verspürte man am Tage vorher acht Erdstöße.
In den letzten Tagen des Decembers meldete ein Augenzeuge
Folgendes: Torre del Greco ist eine Stadt auf Krücken; viele
Krüppel von Häusern sind bereits eingefallen, und viele andere
stürzen nach. Professor Palmieri, die große Autorität über den
Vesuv, bestätigt, daß eine Erhebung des Bodens stattgefunden hat,
und ermahnt die Eigenthümer, sich nicht früher wieder anzubauen,
als bis die zu erwartende Senkung eingetreten sei. Aber mit einer
Verblendung, die wie Wahnsinn aussieht, lassen sich die Einwohner
kaum mit Gewalt von der Rückkehr in ihre wankenden Häuser ab-
halten. Nach allem zu schließen, istderBerg von oben bis
unten gespalten, und der Riß geht bis weit in das
Meer hinaus. In wenigen Worten läßt sich das klar machen.
Elf Krateröffnnngen über Torre del Greco stoßen Schwefel-
dämpfe aus, und der größte derselben ist 70 bis 80 Fuß weit und
100 Fuß tief. Von diesem Punkt ans spaltete sich am 8. Decem-
278
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
ber, nach heftigem Getöse und Aufschwellen der Oberfläche, der
Boden, und es entstaub ein feuriger Riß bis fast an deu Außen-
rand der Stadt, durch welchen dieselbe unsichtbare dämonische Ge-
walt vordrang, die Straßen offen legend und einen Theil der ver-
schütteten altern Stadt aufdeckend uud dauu iu das Meer hinaus-
rennend. Alles das liegt vor Augen... Gestern kehrte der
englische Dampfer Exmouth, welcher ausgelaufen war, um seine
Armstrongkanonen zu Probiren, an Torre del Greco vorüber zu-
rück, und mußte dabei einen Wirbel im Meer umschiffen, der
sich seit dem Ausbruch des Vulkans gebildet hat, und ungefähr
360 Fuß im Durchmesser groß sein mag. Er kochte heftig uud
hauchte einen starken Schwefelgeruch aus. Ein 30 Fuß langes
Boot wurde niedergelassen und in die Mitte des Wirbels gesteuert,
der es wie einen Kreisel herumdrehte. Die Soudirnng ergab 23
Fadeu Wasser, und das Senkblei brachte Sand und Schwefel
herauf. Von der Peripherie des Wirbels aus läuft ein etwa
60 Fuß langer Schweif in der Richtung auf Sorreut aus, und
ist von schöner hellgrüner Farbe. Alles Wasser war lauwarm,
hatte einen starken Schwefelgeruch, und viele Fische sind abge-
standen. Die Erhebung des Bodens, aus welcher Torre steht oder
vielmehr stand, beträgt genau 1,12 Meter, und die zu Land auf-
steigenden Gase siud stärker als die sich zur See entwickeln, so
zwar, daß vor ein paar Tagen ein Mann dadurch getödtet wurde,
und mehrere Leute, die sich da verweilten, fast in Ohnmacht sielen.
Die konstitutionelle Verfassung des Königreichs Tunis.
Wir haben jüngst den Text der Constitution des Staates
Tunis gelesen; sie ist ein merkwürdiges Aktenstück. Wer hätte sich
uoch zu Aufaug unseres Jahrhunderts träumen lassen, daß dieser
ehemalige Barbareskenstaat, das Seeräubernest, dessen Piraten ein
Schrecken aller friedlichen Handelsschiffer waren, sich iu einen con-
stitutionellen Staat umwandeln würde, und daß in eiuem mo-
hammedauischeu Lande die politische und religiöse Freiheit eine
Stätte finden könne? Wie wird einem Franzosen zu Muthe wer-
den, wenn er sich sagen muß, daß der tunesische Staatsbürger sich
unendlich freier bewegt, viel mehr politische Rechte besitzt, als der
Angehörige der „großen Nation" unter der napoleonischen Die-
tatnr! Auch andere europäische Staaten könnten sich au einigen
Bestimmungen dieser Verfassung des Barbareskeulandes ein Mu-
ster nehmen.
Daß der letztern europäische Muster als Maßstab dienten,
ist klar. Es fragt sich, wie viel von den Formen sich im Fortgange
der Zeit halten kann und bewähren wird; aber die allgemeinen
Unterlagen und die Grundsätze der Freiheit für alle Staatsange-
hörigen und der Gerechtigkeit gegen Jedermann, ohne Unterschied
der Abkunft und Religion, sind gut; es kommt also darauf an, sie
zu behaupten uud iu's Leben zu führen.
Tunesien, au der nordafrikanischen Küste, hat eine vortreffliche
Lage zwischen Algerien uud dem tripolitanischeu Gebiete; es liegt
Sicilien uud Sardinien gegenüber, unweit von deu Trümmern
des alten Karthago, iu der Region, wo das westliche Becken des
Mittelmeeres mit dem östlichen zusammenhängt. Das Gebiet hat
einen Flächeninhalt von nicht ganz viertausend Geviertmeilen, be-
sitzt zum großen Theil fruchtbaren Boden und das Klima ist gut.
Alle natürlichen Bedingungen zn Gedeihen und Aufschwung siud
vorhanden, es kommt also nur auf die Menschen an, die reichen
Hülfsqnellen des Landes angemessen zil benutzen uud zil entwickeln.
Die Bevölkerung ist, wie iu allen levautiuischeu und insbesondere
den nordafrikanischen Gegenden, sehr bunt, doch bilden von den
etwa drei Millionen Bewohnern Araber uud Maureu die Mehr-
zahl. Dazu kommen nahe an 200,000 Inden, welche dort eine
Gleichberechtigung gesunden haben, welche in manchen „christlichen"
Gegenden ihnen auch heute noch nicht gewährt ist, viele Neger, so-
dann Maltesen uud andere Europäer.
Der Bey ist dem Namen uach abhängig vom türkischen Snl-
tan, iu der That aber souverän, und seine Würde ist erblich; darin
liegt eiu großer Vorzug gegenüber dem Paschawesen, das einen
häufigen Wechsel bediugt. Tunis machte schon 1842 Ernst mit
dem Fortschritt, denn es hob damals den Sklavenhandel auf; die
Sklaverei selbst wurde 1846 abgeschafft. Elf Jahre später that der
Bey einen entscheidenden Schritt; er veröffentlichte am 9. Septem-
her 1857 in Gegenwart der Vertreter der europäischen Mächte ein
Staatsgrnndgesetz, welches 1860 so manche Erweiterungen erfuhr,
daß man nicht umhin kann, dasselbe nun als eine constitntionelle
Verfassung in vollem Sinuc des Wortes zu bezeichnen,
Tunis hat mit den alten orientalischen Überlieferungen völlig
gebrochen, um in den Kreis der abendländischen Anschauung und
Gesittung zu gelaugeu. Sitten, Gebräuche und Religion werden
morgenländisch bleibe», aber das Staatswesen soll enropäisirt
werden, in die Verwaltung kam eine Regelmäßigkeit und eine
Beseitigung von Willkür, dergleichen mau im übrigen Oriente
nicht hat.
Die neue Verfassung wurde schon 1858 entworfen, sorgfältig
geprüft und 1860 vom Bey Sidi Mohammed Sadak ver-
öffeutlicht uud beschworen. Der erste Text vom 20. Moharrem
1274 der mohammedanischen Zeitrechnung (28. Juli 1858) gewährte
bereits der gesammten tnnesischen Bevölkerung vollständige Reli-
gionsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetze, persönliche Freiheit
und Sicherheit; er führte die Couscription ein, daniit fortan der
Soldat nicht mehr von Willkür abhänge und auf Ungewisse Zeit
dienen müsse; er gab Sicherheit für daö Eigenthum uud die Frei-
heit der Arbeit, und enthielt ein Kapitel über „die Gewährlei-
stnng der Ehre und der Sicherheit des Einzelnen."
Dergleichen war im Orient unerhört, und der türkische Haiti»
fcherif von Gülhane und der viel besprochene Hat Hümajnn, welche
den christlichen Bewohnern des osmanischen Reiches gewisse Rechte
verbürgen, wollen im Vergleiche zn den tnnesischen Bestimmungen
so viel wie gar uichts bedeuten. Der gegenwärtige Bey ließ die
früheren Bestimmungen revidiren, und veröffentlichte dann ein
nun geltendes „Organisches Gesetz, oder politischer uud
administrativer Codex für das Königreich Tunis,"
im Namen des allbarmherzigen Gottes.
In der Einleitung sagt Mohammed el Sadak, Bascha Bey:
„Als die hohen Beamten mich mit Einstimmigkeit und gemäß dem
Erbfolgegesetz gewählt haben, nach dem Ableben meines Bruders,
das eintrat, als meine Pflichten mich von der Hauptstadt fern
hielten, da folgte ich ihrem Rufe. Ich kam ganz allein, ohne
Schwert oder Lanze, ohne Soldaten oder irgend welche Gewalt.
Sie huldigten mir, nachdem ich vor ihnen geschworen hatte, das
von meinem verewigten Bruder am 20. Moharrem 1274 veröffent-
lichte Staatsgrnndgesetz zn beobachten und darauf leisteten sie mir
den Eid. Ich schwor den meinigen in folgender Weife:
Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Gesegnet sei der,
welcher gemacht hat, daß das Vertrauen die wirksamste Ursache des
Gedeihens und der Wohlfahrt ist. Segen und Heil über unfern
Herrn Mohammed, seine Aeltern, Gefährten und Alle, welche auf
dem Pfade der Tugend ihm gefolgt sind.
Dann sagte der arme Sklav Gottes, ich, der Mnschir Mo-
hammed et >sadak, Bascha Bey — möge Gott ihn stärken bei seinen
löblichen Absichten uud der ihm anvertraneten Würde, — Ich habe
die Huldigung der hohen Würdenträger empfangen, gemäß dem
Staatsgrundgesetze, welches allen Bewohnern gewährleistet die
Sicherheit ihrer Ehre, ihrer Habe und ihrer Personen.--Ich
habe geschworen und schwöre vor Gott, daß ich alle Grundsätze be-
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
279
folgen werde, welche in demselben enthalten sind, und Nichts thnn
will, was denselben zuwider ist."
In der Einleitung zum Staatsgrnndgesetz sagt der Bey unter
anderen vortrefflichen Dingen auch Folgendes:
„Indem ich von Allah die Obliegenheit erhielt, über seine
Kreaturen zu regieren, legt er mir gebieterische Pflichten auf, die
ich nur unter seinem Beistande erfüllen kann. Ich setze, Allmäch-
tiger, mein Vertrauen iu Dich! Ich bin entschlossen, daß auf Kei-
nein, der meiner Fürsorge anvertraut ist, Ungerechtigkeit lasten
soll, und ich werde Nichts verabsäumen, um einem Jeden in seinem
Rechte zu schützen. Gott ist mein Zenge dafür, daß ich feine hohen
Gebote annehme, um zu beweisen, daß ich die Wohlfahrt des Staates
meinem persönlichen Vortheile vorziehe. Dafür opfere ich meine
Zeit, meine Kräfte und strenge dafür meinen Geist an. Ich habe
bekanntlich schon angefangen, die Steuern zu vermindern, und Gott
hat gewährt, daß diese Verbesserung eine Quelle des Glückes wurde.
Mein Volk darf sich auf uoch andere Verbesserungen Hoffnung
machen. Die Hand ungetreuer Haushälter ist fortan gelähmt.
Für Verbesserungen muß man allgemeine Grundlagen finden,
denn ohne solche schafft man nnübersteigliche Schwierigkeiten."
„Ich habe mich überzeugt, daß die meisten Angehörigen meiner
Staaten kein volles Vertrauen zu dem hegen, was ich doch in der
besten Absicht gethan habe. Es ist aber ein Gesetz der Natur, daß
der Mensch erst dann zn vollem Glücke gelangt, wenn ihm seine
Freiheit voll und ganz gewährleistet ist, wenn er mit Sicherheit
weiß, daß er gegen Unterdrückung Schutz findet hinter dem Boll-
werke der Gerechtigkeit, und wenn er seine Rechte geachtet sieht.
Das Herz des Menschen, der Glauben auf die Freiheit setzt, wird
gekräftigt."
Die Grundzüge des tunesischen Gesetzbuches über Rechtspflege
und Verwaltung sind folgende:
1. Allen Unterthanen wird für Person und Habe volle
Sicherheit gewährleistet.
2. Jedermann ist steuerpflichtig; zu Gunsten der Vornehmen
findet kein Privilegium statt.
3. Alle Landeseinwohner sind vor dein Gesetze gleich, „denn
das ist ein Recht, welches von Natur allen Menschen zukommt.
Die Gerechtigkeit auf Erden ist eine Waage, welche das guce Recht
gegen die Ungerechtigkeit, den Schwachen gegen den Starken oben
hält."
4. Die israelitischen Unterthanen sollen nicht zum Neli-
giouswechsel gezwungen werden und in der Ausübung ihres Gottes-
dienstes auf keiue Weise gehindert sein; man wird ihre Synagogen
gegen jeden Unfug schützen.
5. Das Heer ist der Sicherheit Aller wegen vorhanden.
Fortan sollen die Krieger nach einer bestimmten Verordnung ein--
gestellt werden; die Conscription gemäß dem Loosziehen ist einge-
führt, und Niemand braucht über die gesetzlich bestimmte Zeit hin-
ans bei der Fahne zu bleiben.
6. Israeliten können in Kriminalsachen nur gerichtet wer-
den, wenn auch israelitische Richter dem Tribunal angehören.
7. Es wird ein Handelsgericht eingeführt. Die Richter
bestehen aus Muselmännern und Unterthanen befreundeter christ-
licher Mächte.
8. Kein Muselmann hat Privilegien vor Andersgläubigen
voraus.
9. Es findet Handelsfreiheit für Alle in gleicher Weise
statt; Niemand kann ein besonderes Handelsprivileginm erhalten.
10. Jeder Ausländer kann beliebige Industrien oder Ge-
werke treiben, steht unter dem Schutze der Landesgesetze und ist den
Landeseinwohnern vollkommen gleichgestellt.
11. Ausländer können alle Arten von Grnndeigenthum
erwerben, genau so wie Inländer.
„Wir schwören bei Gott, daß wir diese großen Grundsätze in
der angedeuteten Weise durchführen werden. Sie sind iu gleicher
Weise auch für unsere Nachfolger verbindlich. Keiner von diesen
kann znr Regierung gelangen, wenn er nicht vorher geschworen
hat, diese liberalen Einrichtungen als gültig anzuerkennen. Die
Gerechtigkeit ist das höchste Gut."
Diesen Ausstellungen sind vier erläuternde Kapitel beigegeben,
dann folgen die 116 Artikel des Staatsgrundgesetzes, in welchem
unter Anderm festgestellt wird, daß die Herrschaft in der Hnsseiniti-
schen Familie erblich sei. Der Bey soll sein Recht ans den Thron
verlieren, sobald er wissentlich und freiwillig gegen das Staats-
gruudgesetz handelt. Er erklärt sich dem höchsten Rathe verant-
wortlich für jede Uebertretung der Gesetze.
Tunis hat nun einen Ministerrath, einen höchsten Rath und
Tribunale. Die Gesetze und Verordnungen werden in der amt-
lichen Zeitung Er raid et Tnnssy, dem tunesischen Moniteur,
bekannt gemacht. Die Civilliste ist auf 12,000 tunesische Piaster,
gleich 840,000 Francs, also etwa 200,000 Thaler festgestellt, was
für einen Beherrscher von 3 Millionen Seelen gering erscheint im
Vergleich mit europäischen Civillisteu.
Die Minister sollen ihre Erlasse schriftlich geben, damit für
alle Fälle geschriebene Beweisstücke vorhanden seien. Dasselbe gilt
vom höchsten Rath und von den Gerichten.
Die Mitglieder des höchsten Rathes sollen dein Vaterlande
zulieb dienen und beziehen deshalb keine Besoldung.
Diese tunesische Verfassung ist auf alle Fälle ein interessantes
Aktenstück, steht im Orient einzig da und liefert den Beweis, wie
mächtig die europäischen Einflüsse in den mohammedanischen Län-
dern werden.
Frauentrachten im Elsas).
Wir haben jüngst die allemannischen Bauern vom badischen
Oberrhein dargestellt; körnige kräftige Menschen voll Mnth und
Feuer. Drüben, am linken Rheinufer vou Landau bis in die Nähe
von Basel, zwischen dem Strom und der Kammhöhe des Wasgan-
gebirges, lebt gleichfalls allemannifches, nrdeutsches Volk von dem-
selben Schlage.
Das Elsaß, eine der schönsten und fruchtbarsten Gegenden
Europa's, war eine Perle Deutschlands; in Folge des dreißig-
jährigen Krieges wurde es eiu Juwel — Frankreichs! Es gehörte
bis 1268 zum Herzogthum Schwaben; später, als es in eine Menge
von reichsstädtischen, geistlichen, fürstlichen und reichsritterschaft-
lichen Territorien zerfiel, kam diese Landgrafschaft an das Haus
Oesterreich.
Es war ein Bollwerk des Reiches. Schon Kaiser Karl der
Fünfte hatte gesagt: „Wenn Wien und Straßburg gleichzeitig be-
droht würden, dann nehme ich im Notfall keinen Anstand, Wien
preiszugeben., um Straßburg zu retten." Und Friedrich der Zweite
hat nicht minder die große Bedeutung des Elsasses für Deutschland
und dessen Vertheidignng erkannt. Dafür zeugt sein Ausspruch:
„Wasgan's Höh, Deutschlands Thermopylä!"
Moritz von Sachsen trägt die Schilld, daß die drei Reichs-
bisthümer in Lothringen: Metz, Tüll und Vierdung (Verdnu) in
die Gewalt der Franzosen kamen. Andere Völker haben auch Re-
ligionskriege geführt und im Wahnwitz sich wegen verschiedener
theologischer Dogmen, welche jede Partei für „himmlische Wahr-
heiten" ausgab, mit Blut besudelt. Aber sie fochten die Kriege
theologischer Barbarei unter sich selber aus und gewährten den
Feinden keinen Einlaß. So konnten sie sich allmälig erholen und
wieder erstarken. Aber Deutschland, das Herz Enropa'ö, wurde
der Kampfplatz für alle Völker; die katholischen Kaiser zogen Spanier
Franentrachte«, im Els^sz.
im münsterschen Frieden das Elsaß an Frankreich verloren. Die
katholische Macht hatte die Protestanten unterstützt, und sie wußte
wohl, weshalb sie'es gekhart. Eine der schönsten Provinzen Deutsch-
lands sollte der Lohn für eine solche „Unterstützung der deutschen
Freiheit sein !" In unseren Tagen haben wir ein ähnliches Spiel
ränkeschmiedenden Hofe, als Vorkämpfer der „Idee" von Unab-
hängigkeit und Freiheit auf. Er nahm sich „uneigennützig" seinen
Lohn in Nizza und Savoyen, und überließ die Italiener sich selbst,
die nun weder Einheit noch Freiheit haben, sondern ein Chaos, in
welchem sie sich abschwächen müssen.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
und slavisches Kriegsvolk in's Land, den Protestanten halfen Schwe-
den und Dänen. Und nachdem der über alle Beschreibung heillose
Krieg volle dreißig Jahre gewährt hatte, und unser Vaterland,
ans tausend Wunden blutend, todesmatt am Boden lag, da ging
| gesehen; die Italiener sind in dieselbe Falle gegangen. Die Leiden-
schast lernt bekanntlich nichts aus der Geschichte, Ein Bonaparte,
welcher Frankreich despotisch beherrscht, trat in Italien, unter dem
i Jubel eines verblendeten Volkes und herbeigeholt von einem
Glovus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
281
Jedes Volk, das den Ausländern die Thore zn bewaffneter
Einmischung öffnet, bedeckt sich mit Schimpf und Schaude und
muß selchen Frevel am Vaterlande allemal thener bezahlen. Noch
nie hat eine Nation Segen oder Vortheil davon gehabt, wenn sie
Fremden erlaubte, mit Wort oder Waffen sich in ihre Angelegen-
heilen zu mischen. Dafür geben insbesondere Italiens und Deutsch-
lands Geschichte die traurigen Belege.
Als Frankreich daö Elsaß besaß, und besonders seitdem 1681
anch Straßburg („die wunderschöne Stadt", wie es im Volksliede
mit Recht heißt) durch Verrath in Ludwig des Vierzehnten Gewalt
kam, wurde es vorwaltende Macht in West- und Mitteleuropa.
Gleich nachher nahm es auch Lothringen in Besitz, und erhob An-
spräche ans das ganze linke Rheinufer, ans das seit Anbeginn nn-
serer Geschichte kerndeutsche Land! Es erfand zu seinem Vortheil
den geradezu verrückten Satz: daß Flüsse „natürliche Gränzen"
bilden. Aber in alleu Ländern und Erdtheilen wird dieser Satz
von Völkerkunde und Geschichte Lügen gestraft.
fische Politik hat insbesondere seit der ersten Revolution, ganz be-
sonders aber unter Ludwig Philipp und Napoleon dem Dritten
planmäßig daran gearbeitet, das deutsche Wesen zu untergraben,
und dasselbe namentlich aus den Schulen und Kirchen zn verdrän-
gen, aber bis jetzt ohne entscheidenden Erfolg. Der Elsasser bleibt
der „deutsche Dickkopf" (töte carree allemande), über welchen sich
der Pariser gern lustig macht; aber wenn dem Dickkopf die Geduld
reißt und er „quereile allemande" erhebt, also empfindlich wird,
dann schlägt cr „dem Wälschen derb auf's la Tetele", legt ihm die
Faust unsanft auf den Kopf.
Politisch halten die Elsasser zu Frankreich trotz so vieler Ge-
brechen in den öffentlichen Einrichtungen dieses Landes. Sie wissen
vollkommen zu würdigen, wie viele Vortheile es mit sich bringt,
einem großen und mächtigen Staat anzugehören. Aber
da Stammverwandtschaft und Interessen nach Deutschland gravi-
tiren, so würden sie nichts dagegen haben, künftig einem großen
und mächtigen.Dentschlaud anzugehören, und iu's alteMutterhaus
Die Kirche unserer lieben Frau vom
Für jedeu redlichen Deutscheu ist der Verlust des Elsasses,
unserer uralten Vorburg am Oberrhein, eine schmerzlich brennende
Wunde, die niemals heilen kann. Sollten wir einst wieder einen
Krieg gegen Frankreich zu führen haben, dann wird das Elsaß der
Preis sein müssen, damit wir wieder unsere rechte natürliche
Gräuze wiedererwerben, nämlich das Land zwischen Oberrhein und
Wasgaugebirge. Dann erst wird das Wort wahr: „Jedem das Sei-
uige." — Im Lause vou zwei Jahrhunderten ist viel wälsches Wesen
in das Elsaß eingedrungen, aber der Kern der Bewohner ist noch
immer mit allemaunischer Zähigkeit deutsch geblieben; wo man
französischen Firuis siudet, ist er nur ein leichter Ueberzng, der
unter naturgemäßen Verhältnissen bald entfernt werden könnte.
Das allemannische Blut ist vom französifch-romanischen Blute
grundverschieden. Deshalb wird sich im Elsaß in Sitte, Gemüth
und Hauswesen das deutsche Element allezeit erhalten. Die sranzö-
Globus 1861. Nr. 9.
Oelzweig in Guimaraens. (S. 282.)
zurückzukehren. Einer Kleinstaaterei jedoch, welche noch nie Beweise
geliefert hat, daß sie für des großen Gefammtvaterlandes Macht,
Würde und Freiheit begeistert wäre, oder daß es ihr am Herzen
läge, die Ehre und den Ruhm unseres- Volkes zu wahren, — einer
solchen siud sie begreiflicherweise abhold.
Noch immer klingen herrliche deutsche Dichtungen ans dem
Elsaß zu uns herüber; die Stimmen von Männern wie der Brü-
der Stöber und Otte's gehören zu den anmuthigsteu Weisen,
von welchen der deutsche Dichterwald ertönt. Im Volksleben tritt
das deutsche Wesen eben so scharf hervor, wie im Hauswesen. Die
Männer sind stramm, tapfer und kräftig, Mädchen uud Frauen drall
und gesund uud elsasser Schönheiten gar nicht selten. Die „gebil-
deten" und wohlhabenden Klassen äffen Pariser Moden nach, was ja
in der ganzen Welt der Fall ist; die Frauen aus dem Volk haben in
Städten wie auf dem platten Lande ihre alte Kleidertracht bewahrt,
36
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Zwei Bauwerke in Portugal.
Die pyrenäische Halbinsel wurde
bekanntlich im frühen Mittelalter
von eiiiein deutschen Volke, den
Westgothen, beherrscht, deren Reich
zu Anfang des achten Jahrhnn-
derts den siegreichen Waffen der
Araber unterlag.
Unter deu westgothischeu Kö-
uigen warReccesniuth dernüldeste
und liebenswürdigste. Er starb
im Jahre 672, und das ganze
Volk beklagte deu Verlust eiueS
so tüchtigen Mannes. Ein großer
Theil des Adels war nach Gerticos
in der Nähe von Salamanca ge-
kommen, um deu Leichenfeierlich-
leiten beizuwohnen. Nach dem
Gesetze mnßte der neue König am
Sterbeorte des Vorgängers ge-
wählt werden. Alle Stimmen sie-
len auf einen durch Alter und
Erfahrung bewährten Mann,
Wamba; dieser erschien ihnen
als der würdigste Thronfolger.
Aber er schlug die Krone aus; er
war nicht ehrgeizig genug, um sein
ruhiges Leben mit dem vielbeweg-
teu eines Regenten über ein so
trotziges Volk zn vertauschen.
Als er sich standhast weigerte,
erhob sich zürnend ein westgothi-
scher Adeliger und drohete Wamba
niederzustechen, falls derselbe fer-
ner bei seiner Ablehnung verharre.
„Wenn Dn", rief er, „Deine
Ruhe und Bequemlichkeit dem
allgemeinen Besten nicht zum
Opfer bringst, dann bist Du als
ein Verräther des Vaterlandes zu
betrachten. Von Deiner Einwil-
lignng hängen Friede und Wohl
des Landes ab." Nuu erst gab
Wamba nach nnd wurde neun-
zehn Tage später in Toledo zum
Könige gesalbt.
Daö ist der h i st o r i s ch e Her-
gang, welchen I o s e p h A s ch b a ch
in seiner trefflichen Geschichte der
Westgothen, Frankfurt am Main
1827, S. 277 erzählt.
Aber eiue poetische Sage
lautet anders. Im nördlichenPor-
tngal, in derProvinz Entre Minho
e Douro liegt die kleine Stadt
G u i m a r a e n s. Von ihr ist ge-
wissermaßen der Glanz des Lan-
des ausgegangen/ dort wohnte
Heinrich, Graf vou Bifanz, ein
tapferer Mann, welcher aus Bur-
gund gekommen war, um für
König Alfons den Sechsten von
Castilien gegen die Mohamme-
daner zu kämpfen. Nachdem er
manche tapferen Thaten verrichtet,
Schloßthor von Penha da Cintra,
gab ihm der König seine Tochter
Therese zum Weib und als Aus-
steuer das Laud zwischen den
Flüssen Minho und Douro, die
damalige Grafschaft Portugal. In
Guimaraens gebar ihm seine Ge-
mahlin einen Sohn, Alfons, den
Eroberer, welcher große Schlach-
ten gewann, die Mauren zurück-
drängte nnd 1143 zum Könige
von Portugal 'ausgerufen wurde.
Mit Unterstützung deutscher See-
sahrer aus Bremen gewann er
Lissabon den Ungläubigen ab.
Guimaraens liegt in einem
hübschen Thale, vielleicht auf der
Stelle des alten Araduca, am
Flusse Ave und ist mit alten Fe-
stnngswerken umgeben, von de-
nen ein Theil aus deu Zeiten
maurischer Herrscher, der Almo-
raviden, herrührt.
Aber diese Festungswerke sind
unbedeutend; das Volk legt grö-
ßeru Werth auf die Kirche un-
frer lieben Frau vom Oel-
zweige, an welche sich die an-
gedeutete Sage knüpft, welche fol-
gendermaßen lautet.
Ju deu westgothischeu Zeiten
war eines Tages Wamba, ein
tapferer Mann, auf seinem Acker-
beschäftigt. Er lenkte selber den
Pflug und trieb mit dem Stachel
die Ochsen an, als Abgesandte des
westgothischen Adels erschienen,
um zu melden, daß mau ihn zum
Köuig erwählt habe. Wamba war
im hohen Grad überrascht, denn
er hatte nie daran gedacht, daß
er die Krone tragen solle. Indem
er ungläubig den Kopf schüttelte,
entgegnete er den Abgesandten:
„Ich werde König sei», wenn
mein Stab hier Blätter trägt."
Bei diesen Worten rannte er den
Stachelstab in den Acker. Und siehe
da, gleich nachher schlug derselbe
aus und erhielt Zweige, Blätter
und Früchte.
Dicht bei der Kirche Nossa
Senhora da Olivcira auf dem
Schitlplatze bezeugt ein steiuerues
Denkmal, daß jene hübsche Sage
schon sehr alt sei. Das kleine Bau-
werk im gothischen Style, welches
unsere Abbildung zeigt, ist ans dem
Anfange des vierzehnten Jahr-
hnnderts. Es ist dicht neben der
Stelle aufgeführt worden, au
welcher die Sage das Wunder ge-
schehen läßt. Ja, Wamba's Oel-
bäum, so glaubt das Volk uoch
jetzt, grünt und blühet immerdar
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
283
und mau hat ihn mit einem eisernen Geländer umgeben. — Die
Bauart der Kirche, welche gleichfalls ans dem vierzehnten Jahr-
hundert herrührt, trägt einen ernsten Charakter, ist aber leider
durch eilte stümperhafte nnd, was leider so oft vorkommt, barba-
rifche Ausbesferuugswuth im Aeußern wie im Innern auf ge-
ch macklose Weise entstellt worden.
Viele andere Bauwerke iu Portugal siud eiuer solche» Bar-
barei entgangen. Wir haben schon mehrere derselben in früheren
Nummern dcö Globus mitgetheilt und reihen denselben hente das
Eingangsthor des Schlosses von Ciutra an.
Cintra liegt nordöstlich von Lissabon, iu entzückender Ge-
gend des Gebirges, hoch und kühl, und ist recht geeignet zum Genuß
einer Sommerfrische iu dem warmen Lande. Das königliche
Schloß enthält noch manche Ueberreste maurischer Baukunst, wel-
chen dann spätere Jahrhunderte manches Andere hinzugefügt haben.
An dieses Schloß knüpfen sich viele Erinnerungen. In der Nähe
sind die „Gärten der Armida", und inmitten derselben erhebt sich
das Schloß de la Pen ha; ein „Zauberpalast" auf dem Grunde
eiues Klosters, das eiust gestiftet war vom Könige Manoel, welcher
sich König von Portugal, Herrn Gninea's und der Eroberung, der
Schifffahrt und des Handels von Aethiopicn, Arabien, Persien und
Indien nannte. Zil diesem Schlosse hat Ferdinand August, Herzog
von Sachsen-Cobnrg und Gemahl der Königin Donna Maria da
Gloria deu Plan selbst entworfen.
Wir werden in der nächsten Nummer eine Abbildung vom
Schloß in Cintra und von jenem iu Guimaraens mittheilen.
Ein Schissskanal durch i
Daß es möglich sei, das Rothe Meer mit dem Mittelländischen
Meere vermöge einer schiffbaren Wasserstraße in Verbindung zu briu-
geu, ist niemals bezweifelt worden. Wohl aber unterliegt es ernsten
Bedenken, ob man Praktikabele Häfen an beiden Enden des Suez-
kauales werde schaffen können, und ob überhaupt dieser Kaual
die Kosten zu tragen vermöge. Was einen Kanal durch Cen-
tralamerika anbelangt, so haben alle bisherigen Untersuchungen
ergeben, daß ein solcher entweder gar nicht möglich sei, wie z, B.
die von Alexander v. Humboldt befürwortete Atrato-Truandu-
Linie, oder so ungeheure Summen verschlingen würde, daß die
Einbildungskraft davor znriickbebt. Nuu ist aber, wie wir scheu
in einer früher» Nummer des Globus andeuteten, von franzö-
sifchcr Seite das Projekt wieder aufgenommen worden. Der
Kaiser iu Paris hat Vorliebe für große Kanäle; er ist Schirmherr
des Suez-Uuteruehmens und hat als Staatsgefangener in Ham
eine Abhandlung über eine» Kanal durch Nicaragua geschrie-
beu, dessen Direktor er damals zn werden hoffte.
Die Möglichkeit eines Kanals durch Ceutral-Amerika wurde
vor etwa zehn Iahren von einem irländischen Arzte, Doktor
Culleu, eifrig befürwortet. Jetzt, da französische Ingenieure
unter Bouardiol's Leitung einen Theil der Landenge von Da-
rien untersucht haben, nnd im neue» Jahre eine Linie für den
Kanal zwischen dem Stillen Weltmeer uud dem atlantischen Oceau
vermessen wollen, tritt er im „Athenäum" vom 30. November
wieder hervor, um zu erklären, weshalb sein Plan nicht ausgeführt
wurde.
Die Linie, welche von den französischen Ingenieuren jetzt
untersucht werden soll, ist, Culleu's Angaben zufolge, 1849 vou
diesem entdeckt worden, nachdem er lange und gefährliche Erfor-
fchuugszüge durch die Wälder gemacht hatte. Sie erstreckt sich
vom Golf San Miguel am Stillen Weltmeer in der Richtung
nach N. O. zu O. '/- O. bis zum Caledouia-Hafeu und Port
Escoccs am atlantischen Meere. Der Golf vou Tau Miguel,
sagt Culleu, empfängt zahlreiche Ströme; unter diesen sind am
bedeutendsten der Tuyra uud der Savaua, welche kurz vor der
Mündung sich mit einander vereinigen. Der Savaua ist bis zll
der Stelle, wo der Lara sich in ihn ergießt, für die größten See-
schiffe fahrbar. An diesem Punkte, 14 englische Meilen von der
See, müsse der Kanal beginnen und 12 Meilen landein bis zum
C h u q u a » a q u a geführt werden. Von diesem Flusse ab folge er
dem Bette des Sucnbti, eines seiner Nebenflüsse, 9 Meilen weit,
bis dahiil, wo der Asmati iu den letzteren münde, uud laufe dann
wieder am Bette des Sucnbti abermals 9 Meilenweit; von dort
betrage die Entfernung bis zum atlantischen Ocean nur uoch sechs
Meilen. Die ganze Länge des Kanals werde also 35 See- oder
41 englische Meilen betragen.
(killten begann seine Forschungen anf der Landenge von Da-
rien, nachdem er sich durch Reisen in Guyaua uud Venezuela vor-
ie Landenge von Darien.
bereitet hatte, im Jahre 1849, und setzte dieselben bis 1852 fort
Dann ging er nach Bogott,, der Hauptstadt von Nen-Granada,
erhielt dort vom Cougreß ein Privilegium für den Kanalbau,
sammt einer Bewilligung von 200,000 Ackern Landes, am 1. Juui
1852, und ging nach London, wo sich die Atlantic and Pacific
Junctiou Company bildete. Am 29. März 1853 war Culleu mit
anderen Herren der Compagnie beim Kaiser Napoleon, der die
Erklärung abgab, daß er den Kanal herstellen lassen wolle, wenn
die Sache irgend möglich sei. Am 17. December 1853 fuhr Culleu
mit mehreren Ingenieuren, deren erster Lionel Gisborne war,
nach Ceutralamerika. Eiu Theil ging nach der pacisischen Seite
hinüber, um dort die Arbeiten zu beginnen, zunächst an den Golf
von Sau Miguel und die Mündung des Savana, während (Sutten
mit Gisborne am 21. Januar 1854 am Caledouia-Hafeu, also au
der atlantischen Seite, landete. Im Februar uud März wurde
die Linie vom Stilleu Ocean bis zu dem oben angedeuteten Punkt
am Sucnbti, also bis auf nur sechs englische Meilen Entfernung
vom atlantischen Ocean, vou den Ingenieuren vermessen; sie fan-
den die Verhältnisse für die Anlage eines Kanals günstig. Culleu
bemerkt nun weiter, über diese nicht vermessene Strecke von sechs
Meilen habe Gisborne eiu leichtfertiges Urthal gefällt. Er habe
die Gegend in falscher Richtung nnd nur höchst oberflächlich durch-
streift, und dann behauptet, durch eine Strecke von drei Meilen,
also anderthalb Wegstunden, müsse man einen Stollen schlagen;
zugleich sage er aber iu seinem Berichte, daß seine Untersuchung
jener Gegend keineswegs vollständig gewesen sei. Die Compagnie,
welche vor dem Tunnel zurückbebte, löste sich auf.
Fünf Monate später veröffentlichte die britische Admiralität
eine Vermessung des Caledouia-Hafens und des Port EScoces,
vom Commodore Parsons. Auf der betreffenden Karte ist nun
ganz deutlich ein breites, tiefes Thal verzeichnet, unmittelbar nord-
westlich von dem Gebirge, durch welches man, nach Gisborne's
Bericht, einen Tunnel graben müsse. Ein solcher sei gar nicht
nothwcudig; Cnllen habe jenes Thal schon vier Jahre vor Parsons
nachgewiesen; er habe sich wiederholt gegen Gisborne anheischig
gemacht, diesen letztern in das Thal zu führen, uud der Nachweis
desselben sei ja recht eigentlich der Zweck der Expedition gewesen.
Aber Gisborne wollte für sich selbst auf eigene Faust ein Thal
und in einer von Culleu's Linie abweichenden Richtung einen
Kanalweg finden. Deshalb durfte Culleu nicht mit ihm gehen,
ja der Ingenieur brachte es dahin, daß der Doktor gleichsam als
Gefangener am Bord des Schiffes bleiben mußte. Gisborne
kam mit seinen oberflächlichen Untersuchungen am 29. März zu
Eude, uud veröffentlichte darauf iu London feinen Bericht, in wel-
chem er die Notwendigkeit eines großen Tunnels nachzuweisen
suchte. Im Jahre 1857 prüfte Napoleou der Dritte alle Karten
nnd Aktenstücke, und übergab sie einem Ausschusse von Ingenieuren
zur Begutachtung. Diese siel zu Gunsten eines Kanals ohne Tun-
36*
284
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
nel aus. Cullen war 1859 wieder in Bogota, und hatte nach seiner
Heimkehr von dort eilte dritte Audienz bei Kaiser Napoleon, der
sich für die Möglichkeit eines Kanales aussprach und bestimmt er--
klärte, daß er denselben herstellen lassen wolle. Nun sind sranzö-
fische Ingenieure auf der Landenge von Danen, und der Erfolg
wird beweisen, was sie ausrichten.
Kleine i
Keifen in Afrika. Diese bildeten den Gegenstand der Erör-
ternng in der Decembersitzung der Londoner Geographischen Ge-
sellschast. Der Vorsitzende, Lord Ashbnrton, erklärte, daß Einiges
ans dem Nachlasse Mungo Park's auf dem Tische liege, nämlich
ein Logarithmenbuch und einige Papierstreifen mit Berechnungen.
Smith O'Connor, früher Gouverneur der Besitzungen am
Gambia, sprach über die westafrikanischen Gegenden zwischen die-
sem Flusse und Lagos, und hob hervor, daß dort überall das
Christenthum so gut wie gar keine Fortschritte mache, während
der Mohammedanismus unter den Negervölkern sich rasch immer
weiter ausbreite. — Der bekannte südafrikanische Reisende Gallo n
las einen Brief vor, welchen Sp eke aus Khoko im westlichen Ugogo
an den Couful Rigby in Sansibar geschrieben hat; derselbe schildert
die großen Schwierigkeiten, welche bis dahin zn überwinden waren.
Galton theilte auch ein Schreiben Petherick's mit, datirt Ko-
rosko, 9. August 186L; der Reisende wartete in dieser Stadt am
Nil Boote und Mannschaft aus Kairo ab, um dann nach Chartum
zu gehen. Briefe von Livingstone über seine schon von uns er-
wähnte Fahrt auf dem Rovnmaflusse scheinen nichts Bemerkens-
werthes zu enthalten. Baikie, der, wie wir gleichfalls schon
früher mitgetheilt, seine Station bei Nabba am Niger verlassen
hat, meldet, daß er Straßen eröffnet, Häuser gebaut, den Handel
belebt und einen offenen Weg nach Nupe praktikabel gemacht habe.
Karl Andersson, der ausgezeichnete Entdeckungsreisende,
welchem wir die lehrreichen Werke über den Ngami-See und über
den Okavaugofluß verdanken, ist bekanntlich aus Schweden gebürtig.
In England hatte sich neulich die Nachricht verbreitet, er sei iu Süd-
afrika gestorben, aber in London sind Briefe aus der Kapstadt vom
7. Oktober 18G1 eingelaufen, iu denen Andersson meldet, daß er sich
wohl befinde und Vorbereitungen zu einer neuen Reife treffe.
Blondhaarige Äeuiohner im Ätlasgebirge. Daß eine nicht
unbeträchtliche Anzahl Kabaylen mit blondem Haar, namentlich im
östlichen Theil Algeriens vorhanden sind, unterliegt längst keinem
Zweifel mehr. Man trifft diese Erscheinungen, welche in Afrika bei
Landeseingeborenen allerdings etwas Ausfallendes haben, häusig au.
T h i e r r y-M i e g, welcher 1859 Streifzüge durch Algerien unternahm
und im Oktober von Constantine nach Dschidschelli reiste, erzählt:
„Ich war von zwei Kabaylen begleitet, welchen sich bald ein
dritter beigesellte. Anfangs hielt ich diesen Mann, trotz seiner
arabischen Kleidung, für einen Europäer, denn er hatte blaue
Augen, blondes Haar, weiße Hautfarbe und einen ganz und
gar germ anischen Gesichlsschnitt. Und doch war er ein ächter,
eingeborener Kabayle. Es giebt in den Gebirgen Kabayliens ganze
Stämme, welche diese charakteristischen Eigenschaften haben, und sie
stammen ohne Zweifel von Leuten ab, die aus dem europäischen
Norden nach Afrika eingewandert sind. Schon vor den Wandalen
kamen römische Legioueu, die in Deutschland und Gallien ausge-
hoben worden waren, nach jenen Gegenden Nordafrika's. Von
diesen Soldaten sind viele in den Gebirgen zurückgeblieben, und
von ihnen stammen die blonden Kabaylen ab." Eine andere Er-
klärnug möchte schwierig sein.
Ausbeute der schwedischen Expedition nach Spitzbergen.
Wir haben unsere Leser bereits (S. 249) mit einigen wissenschaft-
lichen Ergebnissen dieser interessanten Reise bekannt gemacht, und
geben heute nach einem Schreiben im Athenäum ans Christiania,
wo Torell sich im November befand, ein paar Nachträge. Wir
wissen nun mit Bestimmtheit, daß der Golfstrom die Küste von
Spitzbergen berührt. Man fand au derselben nicht blos Saamen
von Mirnosa soanclcns, sondern auch Glasflaschen von jeuer Art,
welche die Bewohner von Finnmarken und der Lofoden-Jnseln an
ihren Fischnetzen befestigen, damit diese oben schwimmen. Der-
jenige Golfstrom also, welcher bis Spitzbergen geht, ist eine Fort-
setznng des Zweiges, welcher nach Norwegen zieht. Das Treibholz
dagegen, welches man in großer Menge bei Spitzbergen findet,
kommt durch eine Strömung von Osten her dorthin, von Sibirien.
Dafür spricht, daß man eigenthümlich zusammengerollte Birken-
rinde findet, genau dieselbe, welche die Fischer an den Küsten Sibi-
riens verfertigen, um damit ihre Netze über dem Wasser zu erhalten.
Bimsstein fand man in großer Menge; wahrscheinlich kommt er
von Island, dessen südliche Küste von einer Verzweigung des Golf-
lchrichten.
stromes gestreift wird. Dieser selbst übt ans das Leben der See-
thiere keinen Einfluß; dasselbe ist durchaus das des Eismeeres;
aber Temperatur und Klima werden von ihm berührt. Man
nahm bisher au, daß im nördlichen Theile von Spitzbergen die
Gränze des ewigen Schnees bis beinahe an den Meeresrand hinab-
reiche, allein die auf abgerundeten, regelmäßig gestalteten Bergen
vorgenommenen Beobachtungen ergaben, daß jene Gränze wenig-
stens eintausend Fuß hoch über dem Ocean liegt; unterhalb dieser
Höhe können sich also keine Gletscher bilden. Ueber die Temperatur
des Meeres iu großer Tiefe giebt folgender Versuch Aufschluß.
Man hat angenommen, daß dieselbe im arktischen Ocean mindestens
+ 2° £. betrage. Torell ließ nun, vermittelst des sogenannten
Mac Clintock-Apparates eine compacte Masse Thon aus einer
Tiefe von 2800 Aards heraufholen. Ein Thermometer zeigte zwei.
Zoll unter der Oberfläche dieses Erdklumpens 0' 6° C. und in der
Mitte 0' 3° C.; Temperatur au der Oberfläche des Wassers 4° C.
Beim Herausholen ans der Tiefe, welches dritthalb Stunden Zeit
in Anspruch nahm, mag die nach oben hin anwachsende Temperatur
des Meeres allerdings aus den Thonklumpen Einfluß geübt haben,
aber doch wohl schwerlich auf das Centrum desselben. Die Tem-
peratnr auf dem Meeresboden kann nicht weniger als 0' 3° betra-
gen haben; trotzdem fand man verschiedene Seethiere, namentlich
ein Polyparinm und daran einige Tnnicata, eine zweiklappige
Muschel, Anneliden und eine hellfarbige Crnstacee. Die Flora von
Spitzbergen ist arm, aber die Expedition hat doch etwa fechszig
Arten von Phanerogamen gesammelt. Den Magen eines weißen
Bärs fand man mit Pflanzen gefüllt; damit ist der Beweis
gegeben, daß er auch ein pflanzenfressendes Thier sein kann. Auch
wurde ermittelt, daß das Walroß seine Zähne unter Anderm dazn
anwendet, Nahrung aus dem Boden heransznwühlen; denn in
dem Magen hatte ein erlegtes Exemplar eine Anzahl von Myn
trimeata, einer Sandmuschel, die immer wenigstens einen Fuß tief
mitcr der Oberfläche des Schlammes liegt. Das Walroß kann sich
dieselbe nur dadurch verschafft haben, daß es dieselbe hervorwühlte
und sich dazu seiner Zähne etwa in der Art einer Mistforke bediente.
Von Landvögeln fand man Falco, Gerfalco, Stryx nyctea, ein
Schneehuhn und eine Schneeammer, von Strandvögeln nur Tringa
maritima. Eidergänse, Lummen und Möwen waren in Menge vor-
Händen. Das Meer ist arm an Fischen. Die paläontologischen Bil-
dnngen scheinen der permischen und der Iura-Formatieu auzugehö-
reu. Fossilien fand man in großer Menge, unter Anderen Ammoniten
und Eindrücke von Dicotyledonen, welche Palmenblättern gleichen.
Seefahrten der Japaner. Die Bewohner des schönen oft-
asiatischen Juselreiches sind unter allen Asiaten die rührigsten
Leute; die Bewohner Japans muß man als ein in hohem Grad
aktives Volk anerkennen. Auch als Seefahrer zeichnen sie sich ans.
In einem Bericht vom 8. September aus der russischen Hafenstadt
Nikolajewsk an der Amurmündung, finden wir Folgendes:
Znm ersten Mal ist ein japanisches Kriegsschiff bei uns ein-
gelaufen; es heißt Kamita Mara und führt die weiße Flagge mit
einer rochen Kugel iu der Mitte. Es wurde nuter Leitung des
Ingenieurs Mizona Sieda'i itt_ Japan selbst nach europäischem
Muster gebaut, ist ganz vortrefflich ausgefallen und läßt sich von
deu besten europäischen Fahrzeugen nicht unterscheiden. Die innere
Einrichtung ist natürlich den Bedürfnissen der Japaner angepaßt.
Die Bemauunng besteht aus sechs Schiffsoffiziereu, einem Arzt
und siebeuzehu Matrosen. Mizona Sieda'i, der Erbauer, führt
das Schiff; Zweck der Reife ist, die Amurmündung uäher zu er-
forscheu und Haudelsuachrichten einzuziehen. Am Bord befinden
sich zwei Kanslente mit einer reichen Auswahl vou Muster»
japanischer Maaren. _ Derselbe Schiffsbauer hat jetzt auch einen
Schraubenklipper auf dem Helgen; die Maschinen zn demselben
werden in Nagasaki von japanischen Arbeitern angefertigt. Mit
diesem Klipper will Mizona Siedai eine Reise um die Erde machen
und auch die Ostsee besuchen. Der Kapitän trug zwei Revolver
von japanischer Arbeit, und besaß eine Mini6büchse, welche sich mit
den besten europäischen messen kann.
Die schon früher von uus mitgetheilte Nachricht, daß die
japanische Regierung eine Gesandtschaft an mehrere europäische
Hose ichicken will, wird wiederholt bestätigt. Dieselbe wird aus
etwa dreihundert Personen bestehen und soll nach London, Paris,
Berlin, dem Haag und Petersburg kostbare Geschenke überbringen.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
285
Waldlandschaft in Victoria, Süd-Australien. (S. 288.)
286 Globus, Chronik der
Der neue Kaiser von China wird bezeichnet als Ki siang,
das heißt Gutes (Sind Sein Vater war Hien snng, „Allge-
meiner Ueberflnß". Die Aera, welche nach dem Verstorbenen be-
zeichnet wurde, soll mit dem 29. Januar 1862 zn Ende gehen.
Der eigentliche Name Ki siang's ist Tsa'i tschün.
Der König von öarma hat in seinem Lande die Münzeinheit
eingeführt. Seine neuen Silbermünzen tragen auf der einen Seite
das Warenzeichen der Herrscher von Ava, den Pfau, uud auf der
andern dasDatnm, an welchem König Meudo men den Thron
bestiegen hat.
Eine Sternwarte auf dem Serge Ärarnl will der Kaiser
von Rußland errichten lassen. Er hat zu diesem Zwecke den Astro-
nomen Otto von Strnve, unter dessen Leitung das Observatorium
von Pulkowa steht, beauftragt. Also au die Stelle der Arche Noäh
kommt ein Observatorium.
Der Winter in Texas ist manchmal sehr scharf, namentlich
jener von 1859 auf 1860 trat sehr streng auf. Ein Landwirth in
der deutscheu Niederlassung Friedrichsburg schrieb unterm
2. December: „Der Winter hat sich hier eben so plötzlich, als mit
großer Strenge eingestellt. Sie müssen nur wissen, daß unsere
Häuser, ihrer ganzen Bauart nach, mehr auf die warme Jahreszeit
als auf kühle Nächte berechnet sind. Denken Sie sich ein leichtes,
mit Schindeln bedecktes Hanö und eine Stube darin, welche keine
andere Decke hat, als leichtes Zeug, das gauz uud gar nicht geeignet
ist, die scharfen durchdringenden Nordwinde abzuhalten, welche uuu
schon seit vielen Tagen wehen. Denken Sic sich, daß Essig, Oel, ja
sogar Wasser in unseren Stuben zu Eismasse wird, und Sie wer-
den mir dauu glauben, daß dieser Winter zn den härtesten gehört,
die in Texas erlebt worden sein mögen. Seit vielen Jahren bin
ich Einwohner dieses Staates, aber ich sah nie zuvor so viel Sckmee
als jetzt, ja sogar das Vieh sucht eine schützende Heimalh uud Fut-
ter; eiu Umstand, der sonst kaum vorzukommen pflegt und besonders
viel Verluste au Schweiuevieh herbeiführen dürfte, da dieser Som-
mer leiue besondere Blast geliefert hat. Sollte der Schneesturm die
Treiber auf den Hochebenen überrascht haben, so werden dieselben
großen Mühseligkeiten uud Gefahren ausgesetzt sein, denn das
Wetter war so arg, daß Menschen und Vieh sehr leicht auf de» Hoch-
ebenen ihre» Weg verloren haben und umgekommen sein können.
Der Ofen in meiner Stube ist fast glühend uud doch ist es so kalt,
daß ich kaum zu schreibe» vermag, uud Sic werden sich dieses Phä-
nomen vorstellen könne», wem« ich bemerke, daß das Eis auf stehen-
dem Wasser bereits drei Zoll dick ist, daß die kleinere« Vögel in die
Wohnungen der Menschen kommen und selbst in den Wohnstuben
Schutz suchen." _
Pfahlbauten in der Schweiz. Im östlichen Theile des Can-
tous Zürich haben neue Arbeiten zur Untersuchung der Pfahlbau-
teu im pfäsfikoner See bei Nobeuhausen wieder sehr gute Ergebnisse
geliefert. Man fand im Decembcr eiu Schiss (einen Eiubaum)
von 12 Fuß Lauge, 2 Fuß breite uud 5 Zoll Tiefe, sodann Bogen
aus Eibenholz, Höruer vom Bison (Wisent) und Hirschgeweihe
von sechszehu Enden.
Die ©clqnrllni in Nordamerika. Wir haben derselben
schon einigemal erwähnt, kommen aber ans den Gegenstand znrück,
weil er eine große Bedeutung hat. Es wird nämlich in einem
liverpooler Handelsberichte Folgendes bemerkt. P e t r ol e u m (Steiu-
öl), Kerosin, Photogen oder Brunnen öl. Die Einfuhr dieses
Artikels wird geradezu gewaltig. Wcuu die Oelfelseu uud Oel-
brunnen iu Penusylvauieu, Cauada uud anderen Bezirken auch
künftighin noch so ausgiebig bleiben wie seither, dauu wird der
Handel mit diesem Oel so wichtig werden, wie jener
mit amcrikanischcr Baumwolle. Die Stadt Montreal in
Cauada wird schon jetzt mit rasfinirtem weißem Steiuöl beleuchtet.
Das Oclgas, welches mau ans dem rohen Stciuöl gewinnt, ist
ganz unvergleichlich besser nud leuchtet unendlich viel stärker
als unser ans Steinkohlen erzeugtes Gas. Seit Jahren
haben wir englische Kohlen zur Gasgewinnung nach Amerika ge-
sandt; fortan wird uns wahrscheinlich Canadä sein Steinöl zur
Gasbereitnng schicken. Man gewinnt aus demselben auch Oele,
welche sich beim Fabrikbetriebe anwenden lassen, sodauu Wachs
zur Paraffiubereituug, Naphtha, Benzoiu (zur Bereitung
der Modefarben Magenta, Roseuiu, Anuilin :c.), Theer uud noch
andere nützliche Gegenstände. Ferner bereitet man daraus eine
Waare, durch welche der Terpeuliuspiritus ersetzt wird, außer-
dem auch eine Masse, welche das Kautschuk ersetzen kann. — So
schreibt A.S. Macrae, ein großer Mäkler in Liverpool und fügt
hinzu, daß Mitte Decembers etwa 20,000 Fässer solchen amerikaui-
fchen Brunnenöles nach Euglaud unterwegs gewesen seien.
und Geographische Zeitung.
Die Goldgruben in Nen^öchottland. Sie liegen etwa eine
Wegstunde von dem westlichen Ufer des St. Marysflusses entfernt
beim Dorfe Sherbrooke. Der Entdecker heißt Nickerson. Ende
Oktobers waren iu der Goldgegend schou etwa vierzig „Lots" ge-
nommeu. Der Betrieb war noch ganz roh, trotzdem gaben aber
die Quarzgänge reichen Goldertrag. Ein Augenzeuge berichtet
dem Montreal Advertiser, daß ein Manu, ohue anderes Werkzeug
als einen Hammer, im Verlauf eiues Nachmittags für vierzig
Dollars Gold gewonnen habe. Eine Schüssel voll Schlamm er-
giebt durchschnittlich für einen halben Dollar Gold. Auch die etwa
acht Wegstunde» entfernt liegende Mine Harbour Diggings lohnte
die aufgewandte Mühe reichlich.
Volksmenge von Belgien und der Hauptstadt Brüssel.
Die Bevölkerung Belgiens belief sich am 31. December 1860 auf
4,731,957 Seelen, oder 60,731 Seelen mehr als im Vorjahre. Von
diesen 60,731 kommen fünf sechstel auf deu Ueberschuß der Ge-
burten über die Todesfälle; ein Sechstel oder 10,000 Personen
sind mehr ein- als ausgewandert. Geboren wurden im Jahre 1860
144,668 Kinder, 5144 weniger als im Vorjahre, und doch blieb
l860 eiu viel größerer Ueberschuß der Geborenen über die Gestor-
benen, nämlich 13,635 mehr! In der Kürze zusammengefaßt, cr-
gicbt, wie die „Deutsche Allgemeine Zeitung" bemerkt, das Jahr
1860 solgeude statistische Verhältniswahlen: 32,7 Einwohner auf
eine Geburt; 50,„ auf eine» Todesfall; 135 auf eine Heirath; 20,7
Geburten auf eine Todtgeburt; 1,06 männliche Geburten auf eine
weibliche; 1 illegitime Geburt auf 8,2 Geburten überhaupt in deu
Städten, l : 18,4 auf dem Laude; 3,z Geburten auf 1 Heirath.
Der Ueberschuß der Geborenen über die Gestorbenen drückt sich im
Proccntsatz wie 0,S6 aus. — Die Stadt Brüssel alleiu, ohne
Vorstädte, zählte 1859 169,640 Einwohner; 1860 stieg diese Zahl
auf 174,819. Die acht angränzenden Gemeinden zäblten 1860
99,119 Einwohner, was eine Anhäufung von 273,918 Einwohnern
ausmacht, 10,467 mehr als im Vorjahre. Die Hauptstadt ist zum
17. Theil des Landes angewachsen, sie macht 6 Proccnt von Bcl-
gicn ans, eine Höhe, welche weder Paris noch Berlin bei weitem
erreichen, und welche nur von dem abnormen Koloß Loudou über-
boten wird. Hier aber spielen Themse und Hafen eine nicht zn
übersehende Rolle, nud die Unabhängigkeit der einzelnen Parishes
bewahrt London vor dem Schrecken der Centralisation. Es steht
zu fürchten, daß sich die Belgier durch die wachsende Disproportion
zwischen Hauptstadt und Land einen Krebsschaden an's Herz pslan-
zen. Von den 16,731 ueucu Seeleu, welche Belgien in Jahresfrist
gewonnen hat, kommen 10,467, über der sechste Theil ans Brüssel;
in vier Jahren also, wenn Belgien bei 5 Millionen angelangt sein
wird, wird Brüssel über 300,000 Einwohner zählen. Die Stadt
hatte 1859 133 öffentliche Schulanstalteu aller Grade; die Zahl ist
im vorigen Jahre auf 140 gewachsen. Also hat die Möglichkeit der
Bildung gleichen Schritt mit der Zunahme der Bevölkerung gehal--
teu. Sieben Schulanstalten mehr! Am 3l. December 1859 gab es
iu Brüssel 2000 Estaminets, Casöö uud Schenken, eine auf 82 Ein-
wohner oder auf 16 Familienväter! Im Laufe des Jahres 1860
find neueröffnet worden: 62 Estaminets, 7 Schenken, 22 Brauut-
weinverkäufe, im Ganzen 114 Etablissements. Sieben neue Schu-
len uud 114 ueueKneipeu! Eine sechzehufache Zunahme! Die
Zahl der Schüler uud Schülerinnen wird auf 25,000 augegebeu.
Telegraphen^ und Eisenbahnlcingen auf der Erde. Mau
hat berechnet, daß im Jahre 1860 auf der Welt in ruuder Zahl
20,000 deutsche Meilen elektrische Telegraphen gezogen siud, nuge-
rechnet die mehrfache» Leitungen uud die unterseeischen Telegraphen-
linieu; dies würde also dem Vierfachen des Erdumfangs gleich-
kommen. Nach deutschen Meilen gezählt, besitzen die Vereinigten
Staaten 6670, der Dentsch-Oesterreichische Telegraphenverein 3260,
Frankreich 2160, Großbritannien 2630, Rußland 1200, Britisch-
Ostindien 1100, Italien 500, Südamerika 320, Schweiz 280, Au-
stralieu 250, die Pyreuäische Halbinsel 150 Meilen Telegraphen-
draht. Au Eisenbahnen waren j» sämmtlichen Welttheilcn 1860
ungefähr 12,500 Aceilen im Betrieb; die bedeutendsten Völker er-
scheinen mit ihren Eisenbahnen in derselben Reihenfolge wie mit
ihren Handelsflotten, obenan die Nordamerikaucr, Engländer uud
Deutschland mit 5500, 2200 und 2000 Meilen. Die Gesammt-
läuge der befahrenen Schienenwege würde schon jetzt mehr als
zweimal um die ganze Erde reiche«, uud die bereits vermessenen
oder im Vau begriffenen dürften wohl ein Dritttheil Aequator-
lauge haben. Nach einem Ueberschlag ist in den letzten Decennieu
m Großbritauinen, Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Belgien,
Italien und Rußland ein Kapital von beinahe
4000 Millionen Tbalern auf Eisenbahnbauten verwendet, und iu
dem einen Jahre 1858 siud mebr als 250 Millionen Personen und
wenigstens 2500 Millionen Centner Güter auf kürzern oder lau-
gern Strecken mittels Eisenbahnen befördert worden. Mit der
Glovus, Chronik der Reisen
Fortschaffung sämmtlicher Schienen, Schwellen :c. auf den deutschen
Eisenbahnen allein würden täglich acht Züge von 5)0 vierräderigen
Wagen W0 Centner Ladung länger als drei Jahre zu thnn ha-
beu; die Maschinen, Tender und Wageu, hiutereinauder aufgestellt,
würden, wie die Allgemeine Zeitung berechnet, eine Bahn von 70
Meilen Länge beanspruchen, also hierzu ungefähr die Strecke Liu-
dau-Augsburg-Hof uothweudig fein.
Der Weinbau in Algerien macht sehr gute Fortschritte. Bis
jetzt siud etwa 4000 Hektare», also weit über 10,000 Morgen, mit
Reben bepflanzt worden. Sie geben in Durchschnittsjahren einen
Ernteertrag von 15- bis 20,000 Hektoliter; doch ist bisher dieser
Wein in Algerien selbst verbraucht worden und nicht zur Aussuhr
gekommen. Blume und Geschmack sind jenen dcr gewöhnlichen
französischen Weine weit vorzuziehen. Die Sorten, welche iu der
Umgegend von Algier, bei Medeah und Milianah wachsen, zeichnen
sich gleich denen von Oran und Mascara durch Farbe, Aroma und
„Schmalz" aus. Von der Traubeukraukheit sind anch die Neben
in Algerien nicht verschont geblieben.
Eine ZigeunerKönigin. Die „Gipsies" auf den britischen
Inseln haben die alteu Gebräuche ihres Wnudersamen, in so man-
cher Beziehung räthselhasten Volkes beibehalten. Auf den britischen
Inseln bilden sie unter sich ein besonderes „Reich" mit einem
eigenen Oberhaupte. Im Oktober starb Seine Majestät der Zi-
geunerkönig; im November fand die Krönung Ihrer Majestät der
Königin Esther Faa Blythe statt. Das Volk hat ein Wahlrecht
und ernennt ein Mitglied dcr königlichen Familie. Diesmal waren
für die erledigte Ehrenstelle zwei Bewerberinnen aufgetreten, aber
Esther wurde einstimmig zur höchsten Würde ernannt. Dann erließ
sie eine königliche Proklamation an daö Volk, damit es sich ver-
sammele. Esther wurde von Prinzen und Prinzessinnen aus tönig-
lichem Blute bedient, insbesondere von ihrem Bruder, dem Prinzen
Karl, einem Neffcu und etlichen Enkeln. Die Königin saß hoch zu
Roß und ritt nach „dem Kreuz" bei Kelso am Tweed in Schott-
land, wo die Krönung stattfand. Der „Kröner" trat vor, und setzte
ihr die mit schottischer Distel geschmückte Krone auf das Haupt.
Dann entrollte er ein Pergament, und las mit lauter Stimme vor,
daß er auch deu verstorbeneu Vater Ihrer Majestät, deu allerhöchst
verblicheueu König Charles, gekrönt habe. Das Volk rief neunmal
Hnzza! uud wünschte der neuen Gebieterin Glück und Heil. Nach-
dem die große Cour überstanden war, ging der Humpen in der
Runde herum; die brauneu Leute erquickten sich mit „Bergthau",
das heißt Branntwein von der besten Sorte. Auf dem Rückwege
ritt ein Pfeifer vor der Königin her uud spielte luftig auf; der
Zug sprach vor jeder Schenke vor. Abends war dann ein sehr
lustiger Zigeunerball.
Die Neger und Meißen iu Nordamerika. Wir haben neu-
lich ausführlich erörtert, welche unwürdige Behandlung den far-
bigen Leuten in den sogenannten freien Staaten dcr nordamerika-
nischen Union zu Theil wird. Jeder Tag liefert neue Beispiele.
Eiues davon hat jüngst wieder Herr Rüssel, der bekannte Cor-
respondent der Times, hervorgehoben. Er bemerkt: Wenn man in
deu nördlichen Staaten so viel Aushebens davon machte, daß man
die Sklaven im Süden emancipiren müsse, so geschieht das offenbar
nicht aus gutem Wille» für die Afrikaner, die man ja nicht als
gleichstehende Mitglieder der Gesellschaft anerkennt. Sie sind ja im
Norden in gesellschaftlicher Beziehung geächtet. Folgender Vor-
fall, welche» die Blätter mittheilen, ist bezeichnend:
„Die Leute zu Cleveland iu Ohio sind in Aufregung über
eine Am algamiruug, welche iu voriger Woche stattfand. Ein
farbiger Mann, Mitglied eines KnnstreitercircuS, verheirathete
sich mit einem weißen Mädchen, Emilie Füller. Alle znni Ab-
schlnß der Ehe erforderliche» Papiere hatte er beigebracht. Nach der
Hochzeit ging Emilie wieder in ihres Vaters Hans. Ihr dunkel-
farbiger Herr Gemahl argwöhnte, daß sie dort von ihren Eltern
zurückgehalten würde, und erwirkte vom Gericht einen Habeas-
Corpns-Befehl, der aber weiter keine Folgen hatte, als sich heraus-
stellte, daß Emilie freiwillig im elterlichen Haufe blieb. Ihr Vater
seinerseits erwirkte einen Verhaftsbefehl gegen den Richter, von
welchem die Ehe legalisirt worden war. Denn noch im verflossenen
Winter hat die Legislatur von Ohio ein Gesetz erlassen, welches den
Titel führt: „Ein Gesetz zur Verhinderung der Amalga-
mation der weißen und der farbigen Rasse." Demzn-
folge ist es „gesetzwidrig für jede Person, welche irgend welche ficht-
bare Beimischung von afrikanischem Blute hat, sich niit einer Person
von reinem weißen Blnte zu verheiratheu." Wer eine solche Ver-
bindnng legalisirt, soll 100 Dollars Strafe zahlen oder drei Mo-
nate lang eingesperrt werden. — ,
So machen es die Leute rn deu „freien" Staaten, die „Neger-
freunde" Ohne alle Frage ist es ein ganz richtiger Jnstinct, welcher
und Geographische Zeitung. 287
die Leute bewegt, solche Ehen nicht zu dulden, weil ihre Producte
uichts weiter siud als ein ethnologisches Proletariat. Aber wenn man
sich einerseits auf das hohe Pferd des Abolitionismus setzt und von
salbungsvollen Freiheitsredensarten überfließt, während man die
farbigen Menschen wie Parias behandelt, wo bleibt da die Logik?
Wir sehen darin nur Heuchelei armseligster Art uud brutale Lüge,
welche überhaupt ein Merkmal im gauzeu politischen Treiben der
nördlichen Unionsstaaten bilden.
Das scheint auch der Timescorrespoudeut zu wissen. Er er-
sucht seine englischen Landsleute, die „Heiligen", welche in der Lon-
doner Exeterhalle so viele Thorheiten begehen, über die That-
fachen nachzudenken, und bemerkt: „Der Vorschlag, die vier
Millionen Sklaven des Südens als Mitbürger aufzunehmen uud
als solche anzuerkennen, wäre den Leuten des Nordens im aller-
höchsten Grade widerwärtig. Ohnehin weiß Jedermann, daß
der gegenseitige Haß zwischen den niedrigen Klassen der Weißen
und den freien schwarzen Arbeitern im Norden sehr groß ist und
daß ernsthafte Unordnungen nicht ausbleiben würden, wenn das
schwarze Element sich verstärkte. In keiner andern Gegend habe
ich mit solchem Haß und solcher Verachtung gegeu die Neger spre-
cheil Höven, als von Seiten der armen Weißen an der canadischeu
Gräuze. Eiu Lohnkutscher sagte mir am Niagara, wenn es ihm
nnd seinen Genossen nachginge, dann würde er alle Nigger in
den Wasserfall hinabstürzen."
Nordamerikanische Komplimente. Nordamerikanische Roh-
heit nnd Großprahlerei ist nachgerade eben so sprüchwörtlich gewor-
den wie die Aankce- Lüge. Während des gegenwärtigen Krieges
zwischen dem Süden nnd dem Norden tritt die Verwilderung mit
einer wahrhaft abschreckenden Barbarei hervor. Viele Zeitungen der
nördlichen Partei überbieten sich in Schmähungen der südlichen
Lente, deren Blätter denn anch dem Feinde den Schimpf nnd Hohn
mit Wucher heimzahlen. Ein Blatt zu Norfolk iu Virginicn schrieb
neulich: „Wir haben das Geheimniß gesunden, die Aankee's iu
nützlicher Weise zn verwenden. Aus deu Leichen derer, welche
wir ans den Schlachtfeldern erschossen oder todt geschlagen haben,
kochen wir Talg, nnd ans dem Talge bereiten wir Stearin-
kerzen." Ein Uankeeblatt antwortet: „Wir sind nicht in dieser
Lage; denn eure Todtcn find ein so elendes, schäbiges, abge-
hungertes nnd erbärmliches Gesindel, daß wir ans Hunderten
eurer Leichen nicht ein einziges Pfund Talg gewinnen würden.
Ans ench kann man nicht einmal Talglichter machen." Leider
geben manche deutsch-amerikanischen Blätter, die immer tiefer in
einen kläglichen Fanatismus hineinrennen, deu Aankees an Ge-
läufigkeit im Schimpfen nichts nach; sie sind von der gemeinen
amerikanischen Atmosphäre mit verpestet worden. So erhalten in
zwei Blättern, welche zu St. Louis erscheinen, die Secessionisten
folgende Charakterwörter: „Jutriguaute Canaillen; Niggerbarone,
elende Syrupsritter, tyrannische Baumwollenjunker; Freibeuter;
Seeräuber; feige Corsareu; Mörder; Strauchdiebe; Barbaren;
Spitzbuben; Verräther; in der Wolle gefärbte, langfingerige Ha-
lnnken; Busennadeln stehlende Gandiebe; altes Elsen; Gauner-
bände" :c, Redensarten wie folgende sind beliebt: „Die Eule
will sich mit den Schwingen des Adlers schmücken; der Aasgeier
meint, er sei zum Adler geworden, wenn er die Marseillaise krächzt."
Bei allen anständigen Leuten iu Europa erregt das ganze Treiben
dcr Uankees Widerwillen und Verachtung. Selbst John Bull
hat ihnen seine Stammverwandtschaft aufgekündigt nnd will von
einem solchen „nibble, der ein Abschaum oder Grundschlamm aller
Nationen sei," nichts mehr wissen. In der Times lasen wir neu-
lich, daß eiu Redner in einer öffentlichen Versammlung sich eine
solche Vetterschaft ernstlich verbat, nnd dann hinzufügte: „Der
Iankee hat ungefähr eben so viel Aehnlichkeit mit einem Eng-
länder, wie ein Asse mit einem gesitteten Menschen." Daß die
Nordamerikaner sich um jedeu moralischen Credit gebracht haben,
ist unbestreitbar; auch dcr beschränkteste Mann glaubt längst uicht
mehr, daß solche Lente Borkämpfer oder Stützen einer freiheitlichen
EntWickelung feien.
Tyrannei der Missionare in der Südice. Es ist schon sehr
häufig Klage darüber geführt worden, daß die Missionare auf
manchen Inseln int Großen Ocean, den Einaebornen in sehr übel-
angebrachtem, mißverstandenem Eifer zu wahren Quälgeistern ge--
worden sind. Das ist namentlich auf Roratoug a, der Hauptinsel
der Hervey-Gruppe der Fall. In den Berichten von dort heißt es:
„Ein Eingeborner, welcher am Sonntag in der Kirche fehlt, muß
einen Dollar Strafe zahlen. Wer Taback raucht, muß
einen Dollar zahlen." Das Manchen gilt nämlich bei den finsteren
puritanischen Geistlichen für eine arge Sünde. Kein Wunder, daß
solche Menschen von den Insulanern gehaßt werden und daß diese
wenig Neigung für eine Lehre zeigen, welche durch solche Vertreter
zu ihnen kam. Viele Lente verlassen die Insel, um nur mit den
288
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Missionaren nicht ferner in Berührung zu kommen. Diese finsteren
Gesellen haben ein förmliches Spionenwesen eingerichtet und die
Folge davon ist eine arge Heuchelei. Sie haben die unschuldigsten
Sachen als „Sünde" gebrandmarkt und mit Strafen belegt. Aber
hoffentlich werden die teilte von Roratonga dieser Tyrannei ein
Ende machen und künftighin ihre Pfeife Taback rauchen, ohne einen
Dollar für solche Todsünde an die höchst widerwärtigen dürren
Fanatiker zu zahlen. Selbst in England, das doch von so viel
Humbug im Missionswesen heimgesucht wird, meint man, auf
Roratonga trieben es die Sendboten doch zu arg und „tyrannisch."
Missionäre bei den Zulukaffern. Die Sendboten haben mit
diesen Wilden ihre liebe Roth und treffen bei ihrem wohlgemeinten
Bekehrungswerke nicht selten auf Einwendungen, an welche sie vor-
her gar nicht denken konnten. Der Baptist Joseph Jackson, welcher
zu Urban im Natal-Lande wohnt, hielt im Sommer 1861 im Kraal
Jsipingo vor vielen Zulukaffern eine etwas gepfefferte Predigt über
das jüngste Gericht und schalt die Leute, daß sie am „Sabbath" ihr
Getreide eingeerntet und iu Erdgruben zum Aufbewahren geschafft
hätten. Da trat ein Mann anf und meinte, bei der Ernte müsse
man das gute Wetter benützen; das Getreide sei eine Gabe Gottes;
bei schlechtem Wetter verderbe es, wenn man es anf dem Felde
liegen lasse; das könne dem Herrn nicht angenehm sein; die Men-
scheu, welche er geschaffen habe, müßten essen. — Andere Kaffern
fragten, weshalb die Engländer Arbeiter aus Indien, sogenannte
Kulis, nach der Kolonie geschafft hätten? Der Missionar entgeg-
nete: es sei geschehen, weil die Kaffern träge Lente seien und nicht
rechtschaffen arbeiten wollten. Einen solchen Vorwurf mochten aber
die Wilden nicht auf sich sitzen lassen; sie beriethen unter einander
über die Entgegnung, welche folgendermaßen lautete: „Als Gott
die Menschen gemacht hatte, wollte er, daß die Weißen nach ihrer
besondern Art, die Schwarzen aber auch nach ihrer besondern Weise
leben sollten." Jackson las ihnen daraus das erste Kapitel des
Römerbriefes vor und fügte, wohl etwas unverständlich für die
Znlnkaffernköpfe, hinzu: „ihre Lage habe, gleich jener der übrigen
Menschenkinder, ihren Grund darin, daß sie das von Oben kom-
Utende Licht nicht in sich aufgenommen, sondern die Wahrheit Got-
tes in Lüge verwandelt hätten!" Die armen Zulukaffern. Diese
unverständlichen Vorwürfe des Baptisten, welcher sie abkanzelte, er-
regten ihren Unwillen und sie fragten schnippisch: „Sag' uns doch,
weshalb dein Gott, der Alles gemacht hat, nicht auch den Affen
gebot, den Sabbath zu halten und aiu Sabbath unsere Felder nicht
zu plündern?" Darauf ist denn Jackson die Antwort schuldig ge-
blieben. Viele Seudboteu wissen für ihre Hacke keinen rechten Stiel
zu finden.
Ans dem pendschab in Ober-Indien. Dieses Land der
streitbaren Sikhs ist bekanntlich den Engländern unterworfen und
während des letzten großen Krieges denselben treu geblieben.
Die Einkünfte betrugen im Fittanzjahre 1860 die Snmme von
2,957,058 Pfd. Sterl. Mit dem Bau vou Straßen und Kanälen
geht es rüstig voran, und der Postverkehr hat sich binnen fünf Iah-
ren verdreifacht. Auch das Schulwesen nimmt einen erfreulichen
Fortgang, aber die Aristokratie des Landes ist so ausschließlich, daß
man' für sie besondere Unterrichtsanstalten hat eröffnen müssen,
sonst wären die Söhne derselben nicht in die Schule gekommen.
Der Kindermord, welcher früher sehr im Schwange ging, hört
nach und nach auf; auch die berüchtigte Mörderbande der Thags
läßt nur selten von sich hören. Dagegen ist die Vergiftung durch
Stechapfel leider sehr häufig, und wird von Räubern nach einer
förmlichen Methode betrieben. Diese giftige Pflanze, die Datnra,
wächst im Pendschab sehr häufig. Der Räuber nimmt gewöhnlich
die Rolle eines Fakirs oder Braminen an, verschafft sich in den
Familien Eingang, und vergiftet die Leute mit Süßigkeiten.
Häufig werden Bayaderen sein Opfer; er nimmt diesen Tanz-
mädchen das gesammelte Geld und den Schmuck ab. Sehr oft
fallen ihm auch Ochsentreiber in die Hände; die Behörden fingen
einen solchen Vergifter, einen Muselmann, ein, der nicht weniger
als siebenzehn solcher Giftmorde bekannt hat. Unter den An-
hängern des Propheten von Mekka herrscht eine gewisse Aufre-
gung, weil sie die Ankunft des Jmam Mihndi erwarten, eines
Propheten, der kurz vor dem Untergange der Welt erscheinen soll.
Strafe für einen Verbrecher in China. In der asiatischen
Gesellschaft zu London theilte ein Herr Lintou folgende Thatfache
mit. Ein chinesischer Kaufmann in der Hafenstadt Amoy war
überwiesen, daß er seine Frau ermordet habe. Die Richter der-
urtheilteu ihn zu einer eigentümlichen Strafe; er sollte näm-
lich, so lange er lebe, nie wieder schlafen. Im verflossenen
Juni wurde er iu ein Gefängniß gesperrt, in welchem drei Ge-
richtsdieuer darauf achteten, daß er kein Auge znthnn durste. Der
Unglückliche litt entsetzliche Qualen, und war am achten Tage der-
maßen in Verzweiflung, daß er die Wächter dringend bat, ihm den
Tod zu geben. Erst am neunzehnten Tage starb er.
Zur Sittengeschichte Italiens. Jni Neapolitanischen hat
man ein bequemes Mittel gefunden, sich politischer Gegner zu eut-
ledigen. Als die Bourbonisten unter dem spanischen General Bor-
gös geschlagen waren, erschossen die Piemontefen diesen Mann.
Eine Anzahl seiner Leute flüchteten sich in eine Grotte in der Ge-
gend vonMelfi, und diese wurden in der Höhle lebendig verbrannt,
respective durch Rauch erstickt. Das erinnert an eine ähnliche
Heldenthat des französischen Generals Pelissier gegen die Kabylen.
Denkt mau außerdem au das Borderkanonewegblasen, welches
die Engländer in Indien praeticirten und an die Barbarei, mit
welcher die Iaukees Krieg führen, dann muß man eingestehen, daß
wir es im neunzehnten Jahrhundert als „Christen" doch sehr weit
in der Humanität gebracht haben. — In Bologna ereignen sich
Dinge, welche in einem Ränberromane von weiland August Leib-
rock vollkommen am Platze wären. Im Anfange Decembers er-
schien dort, bei der volkreichen Stadt, eine Bande von etwa vierzig
Missethätern; alle waren als Carabinieri, Polizeidiener oder Gar-
disten der öffentlichen Sicherheit verkleidet, und trieben ihre Ge-
werbe nicht etwa heimlich als „Ritter vom Mondschein", sondern
mit preiswürdiger Offenheit. Sie überrumpelten die Eisenbahn-
statiou, baudeu die Beamten mit Stricken, schleppten fort, was
ihnen anstand, und erbeuteten insbesondere 100,000 Lire, also
mehr als 25,000 Thaler iu Gold. Eiu paar Tage vorher waren
mehrere Polizeidiener ermordet worden und die' allgemeine Um
sicherheit war so arg geworden, daß Polizeidirector, Bürgermeister
und Proviuzialgouverneur nichts Besseres thuu zu können glaubten,
als ihre Stelle niederznlegen.
Nie geographische Verbreitung des Schneehasen. Kürzlich
meldeten die Zeitungen, daß man in Schlesien einen Schnee-
Hasen erlegt habe. Das seltene Vorkommen dieses Verwandten
unseres gemeinen Hasen veranlaßt uns, hier Einiges über seine
geographische Verbreitung zn sagen, wobei wir das'treffliche Werk
des Brannschweiger Professors I. H. Blasius über die „Fauna
der Wirbelthiere Mittelenropa's" zn Rathe ziehen. Im Sommer
ist das Fell dieses Hasen meist dunkelfarbig granbraun; im Winter
dagegen wird er weiß, und nur die schwarzen Ohrspitzen stechen
auffallend ab. Pallas nannte daher diesen Nager den veränder-
lichen Hasen, Lepus variabilis. In Irland, Schweden. Schott-
land, Finnland, Rußland nnd Sibirien, sowie in den Pyrenäen
und Alpen zeigt sich sein Fell in der angegebenen Weise veränder-
lich, in den Polargegenden aber, wo er auch vorkommt, tritt selbst
während der Sommermonate, durch das kalte Klima bedingt, die
duuklere Farbe uicht auf, so daß man diesen Hasen hier fortwäh-
rend ganz weiß findet und ihn für eine eigene Art (L. glacialis
Leacb) hielt. Hier ist ein deutlicher Beweis gegeben, wie die geo-
• graphische Verbreitung uud das Klint« ändernd auf eine Thierart
wirken. Der Schneehase ist nicht ganz so fest an den Ort seiner
Geburt gebunden, wie der gemeine Hase. In den Alpen geht er
im Winter von den Hochgebirgen in die Wälder hinab, jedoch nicht
tiefer als etwa 3000 Fuß Meereshöhe; im Sommer dagegen trifft
man ihn in der Krummholzregion regelmäßig, also bis zu einer
Höhe von 8000 Fuß, ja bis zu 10,000. Menettieg fand ihn im
Kaukasus in der Näh? des ewigen Schnees. Den Tag über bringen
die Schneehasen zwischen Steinen und unter Krummholz zu und
schlafen mit offenen Augen. Morgens nnd früh geht der Hase feiner
Nahrung nach, die meist aus Alpengräsern, Schafgarbe und Rinde
von jungem Holze besteht.
Wir erhielten die vorstehenden Bemerkungen aus Böbmen
von einem Freunde des Globus, uud können hinzufügen, daß auch
in der Nähe von Leipzig am 23. December 1861 ein Schneehase
geschossen worden ist. Wir haben das Exemplar gesehen.
Sin Urwald in llictoria, Südaustralien. Als wir vor
einiger Zeit -.ie Jagden in Aufhallen schilderten, insbesondere auch
• ^h^lchwanz, erwähnten wir, wie dicht und üppig die
Wälder m ewigen Theilen der Kolonie Victoria, und wie sehr
eigenthümlich ue Bestaudtheile der dortigen Flora sind. Das
jetzt mittheilen, kann dazu beitragen, diesen
sui. australischen Urwald uoch anschaulicher zu machen.' Wir wer-
den tn einer spätern Nummer anf diesen Gegenstand einmal
zurückkommen.
Verantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. — Nerlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Druck von Giesecke & Devrient in Leipzig.
Gefangenschaft und Abenteuer bei den Patagoniern.
Ii.
Berauschungsmittel der Patagonier. — Religiöse Feste. — Tanz und Musik, — Hnaku, Oberster der bösen Geister.
Leben. — Brautbewerbung und Ehe. — Die Frauen. — Kindermord. — Begräbnisse. — wws »n 9r™<>nttnmT 1
Raubzüge der Patagonier. — Aufenthalt beim Kaziken Kalifnrcura. —
Mord an Argentinern verübt
Flucht und Rettung.
Alle Patagonier, ohne Unterschied von Stamm, Alter
oder Geschlecht, lieben den Rausch leidenschaftlich. Wer
sich Branntwein verschaffen kann, trinkt ihn ununterbrochen.
Seltsamer Weise scheint dieser übermäßige Genuß starker
Getränke auf ihre Gesundheit keineswegs nachtheilig einzu-
wirken. Manche Männer reiten zehn oder vierzehn Tage
lang, um bei irgend einem argentinischen Posten Branntwein
zu kaufen. Sie bringen zu den Spaniern Lederhäute ver-
schiedener Art und Straußenfedern; dagegen tauschen sie
Taback ein, den sie Pitrem nennen, uud geistige Getränke,
Pnlku. Die letzteren schütten sie in Schläuche aus Schaf-
sell. Auch aus Straußenschenkeln verfertigen sie Schläuche.
Die erstereu sind ihnen jedoch lieber, weil sie sich auf dem
weiten Transport zu Pferde besser halten.
Sobald der Indianer mit seinem Branntwein daheim
vor der Zelthütte ankommt, eilen die Frauen herbei, laden
die Schläuche ab, und Nachbarn finden sich ein, um au den:
Feste Theil zu nehmen. Allemal wird Taback vertheilt.
Wer sich dessen weigert, wird unbeliebt, obwohl man ihn
deshalb nicht tadeln kann. Selbst während der starken
Sommerhitze trinken Männer und Frauen Branntwein in
ungemessener Menge, bis sie toll und voll einander in die
Haare fahren, ohne Unterschied des Geschlechts mit einander
raufen, sich schlagen und das fürchterlichste Schimpfwort
über ihre Lippen bringen, nämlich Uincaes, Christ. Die-
ses Rauseu nimmt erst ein Ende, wenn die Trunkenen matt
und müde sind, und nachdem einige weniger stark berauschte
Männer sich in's Mittel legten und die Zänker auseinander-
bringen. Häufig ereignet sich indessen Todschlag. Die Orgie
dauert mehrere Tage hintereinander; man trinkt so lange,
bis die Schläuche völlig geleert sind.
Manchmal vergeht längere Zeit, ohne daß die Pata-
gonier sich Uincaes-Pulku, das heißt Getränk der Christen,
verschaffen können; dann behelfen sie sich mit Piqninino
und mit Algarrobe.
Die Algarrobe (Soe) gleicht einer Bohnenschote, uud
enthält einen sehr harten Kern; dieser wird weich gekocht,
zwischen zwei Steinen zerrieben, in einen Ledersack gethan
und mit Wasser beschüttet; dann geräth er in Gährung und
giebt ein stark berauschendes Getränk. Die Wirkung ist aber
nachtheilig für den Körper, denn dieser Algarrobe-Trank
erzeugt Koliken und eigenthümliche Nervenzuckungen. Die
rohe Frucht hat einen säuerlichen Geschmack, und ist daneben
doch auch süß, aber sie greift die Gaumenwände und die
Zunge au.
Der Trnlka oder Piqninino ist eine kleine Frucht,
roth oder schwarz, länglich rund, etwa so dick wie eine Erbse,
und schmeckt sehr angenehm uud sanft. Der Strauch, an
dem sie wächst, hat sehr dichtes Gezweig und eine Menge
von außerordentlich kleinen Blättern. Kaum eiu anderes
Gewächs weist eine so uugeheure Menge kleiner Dornen
auf, und es wäre unmöglich, die Früchte mit deu Häudeu zu
pflücken. Deshalb wenden die Patagonier ein sehr einfaches
und bequemes Mittel an. Sie legen unter den Strauch
Globus 1861. Nr. 10.
eine Lederhaut, schlagen auf Zweige und Blätter mit einem
Stabe, und die Frucht fällt herab. Diese wird sorgfältig
geworfelt, iu kleine Ledersäcke gethan uud auf das Pferd ge-
legt. Dann reitet der Patagonier im Galopp, die Trnlka-
früchte zerplatzen, und geben nun einen Syrup, der eine
Weinfarbe hat. Das Ganze wird nachher in einen größern
Ledersack gethan, um zu gähren, und ist dann ein in der
That vortreffliches Getränk, welches die Indianer mit Wonne
schlürfen. Zwar erhitzt dasselbe den Kops, greift aber nicht,
gleich dem Getränk von der Algarrobe, die Eingeweide an.
Dagegen erzengt die Frucht der Trulka, wenn man sie in
größerer Menge genießt, eine außerordentliche Reizbarkeit,
allein die Indianer haben ein erprobtes Gegenmittel; sie
schlucken nämlich eine große Menge Pferdefett hinab.
Die Patagonier feiern zwei religiöse Feste. Das erste
findet im Sommer statt, und ist Wita uentrn, dem guten
Gotte geweiht. Das zweite, im Herbst, feiert man zu Ehren
des Huakuhu, des Oberhauptes der bösen Geister. Zum
Feste des guten Gottes versammeln die Kaziken alle zu ihrer
Horde gehörenden Männer. Sie treffen mit jedem nur mög-
lichen Pomp allerlei Vorbereitungen, bestreichen die Haare
mit Fett, und bemalen sich das Gesicht mit mehr Sorgfalt
als gewöhnlich. Während dieser Feiertage tragen sie vor-
zugsweise Kleider, welche sie den Christen geraubt haben;
diese werden mit großer Sorgfalt zum Behufe des Schmucks
beim Feste aufbewahrt. Und fo sieht man denn den einen
Patagonier mit einem Hemde, das über seinen anderen Klei-
dern im Winde flattert; Andere, die kein Hemde haben,werfen
einen alten spanischen Mantel über die Schulter oder ziehen
einen kurzen Rock an, während sie natürlich keine Beinkleider
haben; noch Andere tragen Beinkleider, ziehen aber dieselben
verkehrt au, oder haben eine Soldatenkappe ohne Schirm,
auch wohl gar einen gewöhnlichen seidenen Hut. Das Ganze
sieht lächerlich genug aus, und es gewährt einen eigenthüm-
lichen Eindruck, wenn man Männer mit ernster Miene auf
diese Weise ausstaffirt sieht.
Das Fest beginnt. Die Männer stellen sich in einer
langen Reihe aus, kehren das Gesicht nach Osten, uud Jeder
steckt seine Lanze vor sich in den Boden. Hinter den Män-
nern bilden die Frauen eine gleiche Linie. Dann beginnt,
wenn man so sagen kann, der Tanz; er besteht darin, daß
man sich von der rechten zur linken Seite bewegt. Die
Weiber singen dazu, und einige schlagen eine Trommel,
deren Fell aus einer bunt bemalten Katzenhaut besteht.
Dann drehen die Männer sich um ihre eigene Achse, heben
ein Bein bis zur Hälfte in die Höhe, und blasen ans voller
Brust in ein ausgehöhltes Binsenrohr, das etwa einen Ton
von sich giebt, wie wenn wir in einen großen hohlen Schlüssel
blasen. Dann giebt der Kazike ein Zeichen, alle Anwesenden
schreien laut, die Männer springen zu Pferde, und unter-
brechen plötzlich den Tanz, um einen phantastischen Ritt zu
machen. Sie jagen nämlich dreimal um deu Platz herum,
auf welchem das Fest gefeiert wird. Während der Pausen
nimmt Jeder einen Schluck gegohreuer Milch aus einem
37
290 Globus, Chronik der Reisen
Schlauche von Pferdeleder; das gilt bei ihnen für eine ganz
besondere Leckerei und hat zugleich eine abführende Wirkung.
Am vierten Tage wird früh Morgens ein junges Pferd und
gleich darauf eiu Ochse, welchen irgend ein wohlhabender
Mann zu diesem BeHufe geschenkt hat, dem Gotte geopfert.
Beide Thiere werden auf deu Bodeu geworfen, und zwar so,
daß ihr Kopf gen Osten gerichtet ist. Der Kazike bezeichnet
einen Mann, welcher die Brust der Thiere öffnen und das
Herz herausschneiden muß. Dieses wird, während es noch
zuckt, auf eine Lanze gesteckt, dann drängt sich die Menge
neugierig herbei, starrt aus das Blut, welches aus einem
großen Einschnitt im Herzen herabläuft, und zieht daraus
Augurien, die sie fast immer zu ihrem Vortheil deutet.
Nachher verläßt sie die Opferstätte und ist überzeugt, daß
der gute Gott deu: Stamm iu allen seinen Unternehmungen
gutes Glück geben werde. (S. 293.)
Auch bei dem Feste des Huakuhu, des Direktors der
bösen Geister, schmücken sich die Patagonier nach besten
Kräften, versammeln sich hordenweis, und allemal führt der
Kazike deu Zug au. Der böse Gott soll sie vor allem Unheil
bewahren. Alle treiben ihr Vieh zusammen; die Männer
schließen einen doppelten Kreis imt die Heerdeu, und ziehen
um dieselben derart herum, daß der eiue Kreis nach dieser,
der audere uach jener Seite hin geht. Dabei rufen sie den
Huakuhu laut an, opfern tropfenweise gegohrene Milch,
welche die Weiber ihnen zureicheu. Nachdem diese Feierlich-
feit drei- oder viermal wiederholt worden ist, schütten sie die
noch übrige Milch aus die Thiere, weil diese dadurch vor
jeder Seuche bewahrt würden. Nachher werden die Heerden
wieder von einander gesondert, jede eiuzelue wird auf einem
eignen Platze aufgestellt, der Kazike hält eiue lauge warme
Anrede an die Männer, und ermahnt sie, sich auf einen Raub-
zug gegen die Christen wohl vorzubereiten. Der Stamm
müsse seine Beute vermehren.
Das letztere leuchtet natürlich jeden: Patagonier eiu.
Alle schwingen ihre Lanzen, bitten noch Huakuhu, sie zu
segneu, und aus der Lanze eiu Werkzeug des Glücks für den
Stamm, des Unglücks für die Christen zu machen.
Wir wollen einige Eigenthümlichkeiten aus dem häus-
lichen Leben dieser Indianer schildern. Der Mann nimmt
eine Frau. Aber was ist für ihn die Ehe? Lediglich ein
Tauschhandel, ein Auswechseln verschiedener Thiere gegeu
eine weibliche Person; denn die Eltern geben den Gegen-
stand, welcher verhandelt werden soll, nur gegen eiue reiche
Gabe fort.
Eiu Patagonier, der sich eine Fran wünscht, hält
Nuudschau unter den Töchtern der Steppe; er geht von einer
Zelthütte zur auderu, besucht seine Verwandten uud Freunde,
und macht ihnen seine Absicht kund. An gutem Rath sehlt
es ihm nicht. Die Freunde sprechen ihre Billigung oder
Mißbilligung ans, und rathen ihm, für reiche Geschenke zu
sorgeu. Diese bestehen in Pferden, Ochsen, Steigbügeln
uud großen plumpen Silbersporen, welche sie von den Aran-
kanern eingehandelt haben.
Nun will der junge Mann sich bewerben. Seine
ganze Familie geht mit ihm, und nimmt am Abeud vor dem
Verlobungstage einen Platz in der Nähe der Eltern des
auserkorenen Mädchens ein. So muß sie versahreu, weil
das Herkommen will, daß der Bräutigam mit seinem Ge-
folge am andern Morgen in aller Frühe Vater und Mutter
überraschen soll. Dauu beginnt die Verhandlung. Zuerst
werden die Gäste schlecht empfangen, Vater und Mutter be-
handeln sie mürrisch, aber diese werden nicht müde, in allerlei
möglichst poetischen und zierlichen Redeusarteu ihren Wunsch
auszusprechen. Nach und nach nehmen die Mienen freund-
licheren Ausdruck an. Ein Mann tritt vor und weist aus
Und Geographische Zeituug.
den Bräutigam hin, der iu der Nähe des Zeltes mit seinen
Geschenken steht. Sobald diese geuügeud erscheinen, kommt
die Sache bald in Ordnung. Nun verschwindet Stolz und
Anmaßung des Vaters. Er lächelt vor sich hin, macht ein
freundliches Gesicht, und dann weiß man, daß er zu der Hei-
rath feine Einwilligung geben werde. Die Gäste bleiben
den ganzen Tag bei der Familie und schmausen tapfer,
denn der Bräutigam hat eiue fette Stute zum Besten gege-
ben, die von den Frauen abgeschlachtet, zertheilt und zum
leckern Mahle hergerichtet wird. Es ist herkömmlich, daß
kein Mitglied der Versammlung sich aus dem Zelt eutserueu
darf, bevor das ganze Thier verschlungen ist; uur Knochen
und Haut dürfen übrig bleiben; die erstem: nagt man sorg-
fältig ab, um sie dauu in der Nähe der Zelthütte in die
Erde zu vergraben. Das ist ein Erinnerungszeichen der
Vereinigung beider jungen Leute, die vou nun an für Mann
und Frau gelteu. Wir können es als die patagonifche
Trauung bezeichnen.
Nach dieser Feierlichkeit folgen fämmtliche Anwesende
dem jungen Paare nach der Zelthütte des Bräutigams, wo
auf's Neue geschmaust wird. Die Eltern der Braut nehmen
die Haut der am Morgen geschlachteten Stute mit sich, um
sie am Abend dem Ehepaare zu schenken; vou diesem wird
sie dann derart hergerichtet, daß sie als Bedeckung für das
Zelt verwendet werden kann. In den nächsten Tagen strömt
eine Menge von Neugierigen herbei, um den Vermählten
Besuch abzustatten. Alle, besonders die Weiber, erkundigen
sich bei der Frau uach deu Eigenschaften des Mauues, uud
bei dem Manne nach den Eigenschaften der Frau iu einer
Weise, die uns Europäern im höchsten Grade undelikat er-
scheinen würde. Die junge Frau muß, um in guten Ruf
zu kommen und für eine liebenswürdige Person zu gelten,
einem Jeden, der da erscheint, Fleisch und Taback darreichen;
auch muß sie dazu einige höfliche Worte sprechen.
Wenn die Gatten nach einiger Zeit finden, daß sie sich
mit einander nicht vertragen können, so kommen sie überein,
sich zn trennen, und die Eltern machen dagegen keinerlei
Einwendungen; auch geben sie einen Theil der vom Bränti-
gam erhaltenen Geschenke zurück. Derartige Scheidungen
kommen indessen sehr selten vor, denn in der Regel leistet
die Patagonierin dem Manne, was er verlangt, uud Beide
sind zufrieden mit einander. Uebrigens hat der Mann eine
große Gewalt über die Frau, und wenn sie eine Untreue
begeht, steht es ihm frei, sie selber und ihren Verführer zu
tödteu. Darüber wird ihm Niemand einen Vorwurf machen.
In der Regel zieht er es jedoch vor, feine Frau zu behalten,
und ihrem Liebhaber eine starke Ranzion aufzuerlegen. Wer
also die Mittel hat, kann sich sein Leben erkaufen.
Die Frau ist für den Patagonier ein sehr nützliches
Thier. Sie muß hart für ihn arbeiten, selbst wenn sie sich
in anderen Umständen befindet. Der Mann geht müßig;
seine ganze Beschäftigung besteht im Jagen wilder Thiere
oder im Beaufsichtigen seiner Heerde; allemal, wenn er von
einem Platze zum andern zieht, muß die Frau das Zelt ab-
schlage,: und wieder aufschlagen, manchmal auch die Waffen
ihres zu Roß sitzenden Mannes tragen. Es ist wuuderbar,
mit welcher Leichtigkeit diese armen Weiber ihre Kinder ohne
irgend welche Beihülfe gebären. Sobald ein Kleines das
Licht der Welt erblickt hat, wird es in kaltem Wasser abge-
waschen, und die Mutter arbeitet unmittelbar nach ihrer
Entbindung weiter, als ob gar nichts vorgefallen fei.
Nun ist das Kiud da. Ob man es aber aufziehen
wolle, das bildet deu Gegenstand ernstlicher Erwägung zwi-
scheu Vater und Mutter; sie entscheiden über Leben und
Tod. Wollen sie das Kind beseitigen, dann ersticken sie
es, und werfen es auf die Pampa hinaus, wo dann die
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Leiche von umherschwärmenden Hunden oder von Raub-
vögeln verzehrt wird. Aber ein Kind, das am Leben bleiben
soll, ist, von dem Augenblicke der Entscheidung an, Liebling
der Eltern, die ihm jede mögliche Zärtlichkeit erweisen, und
sich auch die größten Entbehrungen auferlegen würden, um
alle seine Wünsche zu erfüllen. Drei Jahre lang wird eS
an der Brust der Mutter genährt, beim vierten Jahre !
durchsticht man ihm die Ohrläppchen. Diese Feier-
lichkeit ist von großer Bedeutung int Leben der Indianer,
und bedeutet bei ihnen so viel wie bei uns die Taufe.
Am Feiertage giebt der Vater dem Kinde, gleichviel ob
einem Knaben oder Mädchen, ein Pferd, das auf den Boden
geworfen wird, nachdem man ihm die Füße fest zusammen- j
gebunden hat. Das Kind ist am ganzen Leibe bemalt. '
Verwandte und Freunde der Eltern stehen umher. Daun
legt das Oberhaupt der Familie oder auch der Kazike des
Stammes das Kind auf das Pferd und durchsticht ihiu die
Ohren mit einent spitzen Straußenknochen; nachher steckt er
ein Stückchen Metall in jedes Loch, damit die Oeffnuug all-
mälig immer größer werde.
Auch bei diesem Feste wird eine Stnte geopfert; die
nächsten Verwandten bekommeu die Rippenknochen. Jeder
bei der Feierlichkeit anwesende Gast legt die von ihm abge-
nagten Knochen vor dem Kinde nieder, und verpflichtet sich
dabei, ihm irgend ein Geschenk zu gebeu. Die Feierlichkeit
schließt damit, daß der Manu, welcher die Ohrläppchen durch-
stocheu hat, jedem Anwesenden mit demselben Straußen-
knochen eiuen Einschnitt in die Haut der linken und der
rechten Hand macht, nnd zwar an der Stelle, wo der Zeige-
singer sich von der Hand scheidet. Das aus einer solchen
Wunde fließende Blut wird dem guten (Sötte als Sühn-
opfer dargeboten.
Von nun an beschäftigt man sich mit der Erziehung
des Kindes, das schon im fünften Jahre allein zu Pserde
steigt und sich nützlich macht, denn es hütet die Heerden.
Vom Vater lernt es den Gebrauch des Lasso, der Bolas,
der Lanze und der Schleuder. Ein junger Patagonier von
zehn oder zwölf Jahren ist schon so selbstständig, wie ein
Europäer von 25; er ist dann bereits vollständig Mann
in seiner Weise und nimmt an den Raubzügen lebhasten
Antheil.
Auch die Indianerinnen folgen sehr häufig ihren Män-
nern auf den Kriegszügen, und während diese letzteren über
die Soldaten oder über die Hirten herfallen, beeilen sich die
Weiber, das Vieh fortzutreiben, und dabei sind ihnen ihre
Kinder behülslich. Diese wilden Menschen haben viel Much
und Kühnheit; sie weichen auch nicht sogleich, wenn ein An-
griff gegen sie gemacht wird, sondern wehren sich tapfer und
ziehen sich erst zurück, sobald sie sehen, daß ihre Bemühungen
erfolglos seien. Wer im Handgemenge fällt, wird auf ein
Pferd geladen und heim geschleppt; die, welche unterwegs
sterben, verscharrt man ohne alle Umstände in aller Eile.
Ein Mann dagegen, der inmitten der Seinigen im
Zelte stirbt, wird unter großer Feierlichkeit begraben. Man
bekleidet ihn mit seinem besten Schmuck und legt ihn auf
eine Roßhaut; zu beiden Seiten breitet man seine Waffen
und andere werthvolle Habe aus, insbesondere Sporen nnd
silberne Steigbügel. Dann wickelt «lau die Pferdehaut um
die Leiche zusammen, so daß die letztere gewissermaßen eine
Mumie bildet, bindet diese auf das Lieblingspferd des Ver-
storbenen, welchem man zuvor das linke Vorderbein lahm
geschlageu hat, damit es bei dem Gehen hinke, nnd solcher-
gestalt auch seinerseits Trauer über den Dahingeschiedenen
bekunde. (S. 296.) Alle Frauen des Stammes besuchen die
Wittwe, stoßen entsetzliches Geschrei ans und helfen jener beim
Weinen. Die Männer malen sich Hände und Gesicht schwarz i
294 Globus, Chronik der Reise
und geleiten den Todten bis auf einen Hügel, in welchem sie
eine Grube aushöhlen. In diese legen sie die Mumie,
schütten Erde auf dieselbe und schlachten aus dieser Stelle
das Pferd, welches die Leiche bis dorthin getragen hat.
Anch mehrere andere Thiere, namentlich Pferde und Häm-
mel, werden geopfert, damit, wie die Patagonier meinen,
der Todte in der Unterwelt reichliche Nahrungsmittel habe.
Alle weniger werthvollen Gegenstände, nnd dazu noch die
Haut, in welche er eingewickelt war, verbrennt man, damit
keine Erinnerung an ihn bleibe. Die Frauen weinen und
heulen mehrere Tage hintereinander, und geleiten dann die
Wittwe in die Zelthütte ihrer Verwandten, bei denen sie
nun ein Jahr lang bleiben muß. Während dieser Zeit
darf sie keine andere Verbindung eingehen. Ein Uebertreten
dieses Gebotes würde Todesstrafe nach sich ziehen. —
So war ich nun Sklave bei den Poyntsches, mit denen
ich umherziehen mußte. Eine Zeit lang wanderten wir in
den kalten, wilden nnd unfruchtbaren Ebenen des Südens,
wo der Sturm gewaltig brauste und der Witterungswechsel
rasch war. Nach etwa einem Vierteljahre verkaufte mich
mein erster Gebieter an einen Andern, der mich bald nachher
an einen Dritten verhandelte. So ging ich ans einer Hand
in die andere, kam von Stamm zn Stamm, und war endlich
wieder weit nach Norden hin bis an das linke User des
Colorado-Stromes mitgezogen. Aber meine Beschäftigung
blieb dieselbe, und einer Verbesserung in meiner Lage hatte
ich mich nicht zu erfreuen. Meine Tage verflossen langsam
und traurig. Monate vergingen, bevor ich im Stande war,
auch nur unvollkommen die Sprache meiner barbarischen
Gebieter zu verstehen oder zn reden. Der Gedanke an
Flucht verließ mich niemals, aber wie sollte ich ihn ver-
wirklichen, da ich das Land nicht kannte nnd stets von arg-
wöhnischen Aufpassern umgeben war?
Es mochte wohl ein Jahr verflossen sein, als ein trau-
riger Porfall mir von Neuem Klugheit einschärfte nnd mich
zu noch größerer Verstellung zwang. Mehrere junge Ar-
gentiner waren, gleich mir, in Gefangenschaft gerathen und
zu demselben kläglichen Schicksal vernrtheilt. Mehrere von
ihnen, welche ans ihre Landeskunde sich verließen (denn sie
waren ja mit der Pampa vertraut, die mit den Ebenen ihrer
Heimat so große Ähnlichkeit hat, und verstanden sich auf
das Reiten der patagonischen Nosse), ergriffen die Flucht;
aber nach langer Verfolgung wurden sie von den Indianern
eingeholt, zurückgebracht und zum Tode verurtheilt. Man
stellte sie in einen Kreis berittener Indianer, von denen sie
mit Lanzen erstochen wurden. Ich sah die Mörder zurück-
kommen, sie schrien nnd heulten vor Freude und zeigten die
Spitzen ihrer Lanzen, mit denen sie jene Männer durchbohrt
hatten. So ritten sie an mir vorüber, streckten mir die
blutigen Mordwaffen entgegen, und bedrohten mich, falls ich
die Flucht versuchen würde, mit demselben Schicksal.
Seit jener Zeit stellte ich mich gleichgültig und ruhig;
nur wenn ich allein war, machte ich meinem Schmerze Luft.
So viel begriff ich wohl, daß längere Zeit vergehen konnte,
bevor eine günstige Gelegenheit zum Entrinnen sich nur dar-
bieten würde. Nun gab ich mir noch größere Mühe als
zuvor, die Judiauersprache zu erlernen, und bald machte ich
rasche Fortschritte. Uebrigens wußte ich wohl, daß die In-
dianer ganz unbefangen unter einander sich unterhalten wür-
den, so lange sie meinten, daß ich ihre Sprache nicht verstehe,
deshalb ließ ich mir anch nichts merken, daß diese mir geläu-
siger wurde. Auch schien ich vollkommen gleichgültig gegen-
über Allem, was sie sagten und thaten. Späterhin habe ich
Ursache gefunden, mir dazu Glück zu wünschen.
Es vergingen volle drei Jahre, ohne daß ich einen
weißen Menschen zn Gesicht bekommen hätte, ausgenommen
und Geographische Zeitung.
jene unglücklichen Argentiner. Allerdings schien es während
dieser langen Zeit mehr als einmal, als ob die Gunst der
Umstände mir die Flucht ermöglichen würde, aber allemal
stellten sich unvorhergesehene Hindernisse der Ausführung
meines wohlausgesonnenen Planes in den Weg, und manch-
mal wurde ich so stumpf, daß ich auf jede Flucht verzichtete.
Aber das war doch immer nur kurze Zeit. Zum Glück
verließ mich mein kaltes Blut niemals, und wenn die In-
dianer Verdacht gegeu mich schöpften, fand ich jedesmal
Ausreden, und sie mußten meinen Worten glauben. Vier-
zehn Mal hatte ich die Flucht versucht; jedes Mal
war sie mir vereitelt worden; das Mißtrauen der Indianer
wuchs und verschlimmerte meine Gefangenschast. Ich ge-
stehe, daß ich in meiner jammervollen Lage mehr als einmal
Gedanken an Selbstmord hegte. Ich wollte meinem Leben
mit einem Messerstoße ein Ende machen, und war schon
einmal nahe daran, mir dasselbe in's Herz zu rennen, als
mein indianischer Gebieter mir die Wasfe fortnahm. Er
rettete mir das Leben, weil es ihm werthvoll war, erklärte
aber auch, daß er fortan mich unter noch strengere Aufsicht
stellen würde.
Die Patagonier unternehmen sehr häufig Raubzüge
au die Gränze, um deu Argeutineru Vieh wegzutreiben.
Bei solchen Gelegenheiten zeigen sie großen Scharfsinn und
eine ganz ungemeine Behendigkeit. Während ein Theil ge-
wisse Posten bedroht, um die Gränzbesatznng dorthin zu
locken, salleu andere Horden über die entblößten Gegenden
her, wo sie dann keinen Widerstand finden und Alles mor-
den, was ihnen in den Weg kommt. Sie verschonen nicht
einmal alte Frauen; aber junge Mädchen und Frauen nnd
deren Kinder schleppen sie mit fort in die Wüste. Das
traurige Loos, welches denselben zu Theil wird, brauche ich
nicht näher zu schildern. Die Kinder werden als Sklaven
gehalten. Sehr häufig verkauft man beide aus einem
Stamm in den andern, sie werden aus einer Gegend in
die andere geschleppt und haben in diesen Einöden eine
wahrhafte Hölle. Für ihre Familie find sie auf immer ver-
loren. Die Kinder vergessen allmälig jede Erinnerung an
ihr früheres Lebeu, sie verlernen auch ihre Muttersprache
und werden selber Nomaden. Von den Indianern werden
sie gut behaudelt, man verzeiht ihnen sogar, daß sie Weiße
und Christen sind. So gestalten sie sich selbst zu Patagoniern
um und führen das Leben der Wilden.
Niemals war die Rede davon, daß ich meine Gebieter
anf ihren Kriegszügen begleiten sollte. Während sie in den
Pampas nmherstreiften, winde ich von anderen Indianern,
welche das Vieh hüteten, sehr streng überwacht. Allemal
nach Verlauf mehrerer Wochen kamen die Krieger zurück,
insgemein reich beladen mit Zucker, Taback und Mate, das
heißt Paraguay-Thee. Auch brachten sie gewöhnlich Kleider,
Hemden, Leinwand und Baumwollzenche, also Schmuck für
ihre festlichen Versammlungen. Ich selber habe aber nie-
mals ein anderes Kleidungsstück von ihnen erhalten, als
einen zersetzten Mantel, den sie einem erschlagenen Soldaten
abgenommen hatten.
Anfällig fielen mir mehrere Blätter bedruckten Pa-
pieres in die Hände; sie hatten als Düten für Taback
gedient, und waren fortgeworfen worden. Ich war ganz
glücklich, das? ich wieder lesen konnte; es gewährte mir eine
ganz unverhoffte und sehr angenehme Zerstreuung. Tag
für Tag las ich den Inhalt der Blätter, obwohl ich ihn
längst auswendig wußte. Einst wurde ich dabei vou Ju-
dianern überrascht, welche sich über diese Entdeckung freuten
und sogleich dem Kaziken Kunde gabeu. Das beunruhigte
mich anfangs; aber als ich am Abend mit dem Vieh in die
Nähe der Zelthütte kam, um die Häupter abzählen zu lassen,
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
295
wurde ich ungemein freundlich empfangen. Mein Herr rich-
tete mehrere Fragen an mich, ans denen ich abnahm, daß er
stolz auf den Besitz eines so werthvollen Sklaven sei. Er
deutete mir an, daß ich fortan dem Kaziken des Stammes
Dienste zu leisten hätte. Dazu bot sich auch bald die Ge-
legenheit dar.
Die patagonischen Horden suchen von Zeit zu Zeit iu
ein friedliches Einvernehmen mit den Gränzposten der Ar-
gentiner zu kommen, und unterwerfen sich scheinbar den
Dann ist Frieden,
und die ruhige Zeit benutzen
sie zum Austausch von aller-
lei Gegenständen. Sie ver-
handeln Straußenfedern und
Pferdehäute verschiedener Art,
und nehmen dagegen Taback,
Zucker, Wein und Brannt-
wein. Während eines solchen
Friedens sollte ich nun Be-
weise meiner Geschicklichkeit
ablegen, und der Kazike er-
nannte mich zu seinem Schrei-
ber. Sehr gern hätte ich den
Argentinern gemeldet, wie
nnr's um's Herz war und was
mich drückte, aber das konnte
ich um keinen Preis wagen;
ich durfte nur schreiben, was
man mir vorsagte, und um
sich davon zu überzeugen, daß
ich es that, schlugen die In-
dianereinen sehr zweckmäßigen
Weg ein. Der Kazike sagte mir
vor, was ich zu melden hätte,
dann mußte ich Alles, was
ich geschrieben, zu verschiede-
neu Zeiten mindestens zwanzig
Mal wieder nud immer wie-
der vorlesen. Auf solche Weise
konnten sie sich überzeugen,
ob ich Zusätze machte oder
nicht. Manchmal ließen sie
mich auch einzelne Bruchstücke
meines Briefes lesen, die dann
später wiederholt werden muß-
ten. Hätte ich nnr ein einziges
Mal die Worte anders ge-
lesen, als sie auf dem Papier
standen, oder als sie mir diklirt
worden waren, dann wäre ich
verloren gewesen; diese Lente
haben ein ganz ansgezeichne-
tes Gedächtniß. Außerdem
hatten sie noch eine besondere
Controle. Bei einem benach-
barten Stamme lebten einige
argentinische Gautfchos in Gefangenschaft, die zwar nicht
schreiben, wohl aber Geschriebenes lesen konnten. Diesen
überreichten sie die Papiere; zum Glück für mich traf Alles
richtig zu.
Mein erster Brief wurde von zwei Vertrauten des Ka-
ziken an die Gränze gebracht. Mit ihnen gingen einige Kna-
ben, welche die znin Austausch bestimmten Gegenstände unter
Aufsicht hatten. Nach etwa 14 Tagen kamen diese Knaben
ganz erschöpft zurück und schrieen im Lager laut auf. Sie
erzählten, daß man den Brief des Kaziken gelesen, dann aber
Der Nandu, sudamerikanische Strauß.
sogleich die beiden Ueberbringer in Ketten geschlagen habe;
ohne Zweifel wären sie längst ermordet worden; ich hätte
das allgemeine Vertrauen getäuscht und den Spaniern aller-
lei Nachrichten über die Raubzüge der Horde mitgetheilt. Die
Patagouier glaubten natürlich allen diesen Mitteilungen und
schrien dem Kaziken entgegen, daß ich sterben solle. Das
Alles hörte ich, weil ich mich in der Nähe befand, ohne daß
die Indianer mich sahen. Der Kazike seinerseits ermahnte
die Wüthenden znr Ruhe und sagte ihnen, sie möchten das
Schreien doch lassen, damit ich
nichts merke. Nur bis morgen
sollten sie warten und dann die
Stunde meines Todes selber
bestimmen.
Man kann denken, wie ich
die Nacht verbrachte. Der
Morgen kam. Ich erhob mich
nud trieb mein Vieh aus; als
ich aber das Pferd besteigen
wollte, welches ich gewöhnlich
ritt, fand ick, daß man statt
desselben einen lahmen Gaul
hingestellt hatte. Darüber-
machte ich nicht die mindeste
Bemerkung, verrieth auch den
beklommenen Zustand meiner
Seele weder durch Stimme,
noch durch Mienen oder Ge-
behrden. Kaum war ich einige
hundert Schritte weiter auf
meiner alten Mähre geritten,
als ein Trupp Indianer in
vollem Galopp und mit lautem
Geschrei gegen mich anstürmte.
Ich that nicht, als ob ich sie
bemerkte oder mich um sie be-
kümmere, und sie begnügten
sich, drohend an mir vorüber
zu reiten. Ein glücklicher Zu-
sall kam mir zn Hülfe. Ich
wußte, ivo die bessern Pferde
weideten. Als ich keine Pata-
gonier in der Nähe sah, ritt
ich auf dieselben zu, sprang von
meinem alteu Gaul, schwang
mich auf eiu junges flüchtiges
Roß uud ritt spornstreichs fort.
Den ganzen Tag über galop-
pirte ich und hielt nicht eher
an, als bis ich gegen Abend
bei den Zelten Kalifurcura's
eintraf.
Dieser Mann ist der Ober-
kazike der patagonischen In-
dianer, und der Stamm, bei
welchem ich Sklave war, stand
unter seiner Herrschaft. Als ich vor ihn hintrat, sprach er
sein Erstaunen aus, fragte, woher ich komme, was ich wolle,
und wie ich so kühn sein könne, allein vor ihm zn erscheinen.
Ganz offenherzig erzählte ich ihm alle Vorgänge und was ich
an: Abend zuvor gehört; ich sei zu ihm geflohen, um ihn um
Rettung zu bitten, er könne sich auf die Wahrheit meiner An-
gaben verlassen; ich sei nun seit drei Jahren bei den In-
dianern, die ich niemals betrogen hätte, und Niemand könne
mir irgend welchen Vorwurf machen. Die Zeit werde schon
herausstellen, daß ich unschuldig an dem Verbrechen sei, das
Globus, Chronik der Reis
man mir aufbürde; er möge mich in Schutz nehmen, ich wolle
sein treuer Diener sein und könne ihm nützen.
Dieses Zutrauen schien ihm zn schmeicheln. Außerdem
hatte ich einige Worte hinzugefügt, die seiner Eitelkeit ange-
nehm sein mußten. Wirklich war dieser Mann viel mensch-
licher, als die anderen Indianer. Er behandelte mich, ich
möchte sagen, mit Güte und versprach mir seine Unterstützung.
Itebrigens bemerkte er von vornherein, daß ich niemals ein
Pferd zn meiner Verfügung erhalten werde. Schon am an-
dern Morgen kamen Reiter des Stammes, welchen ich ver-
lassen hatte. Ein Häuptling ritt an der Spitze, verlangte
Gehör bei Kalisurcura und forderte, daß ich augenblicklich ge-
tödtet würde; das müsse sich von selbst verstehen. Der Ka-
zike machte Einreden; man verhandelte lange hin und her.
Ich war dabei gegenwärtig und sprach kein Wort; als ich
aber fand, daß die Horde immer blutdürstiger sich gebürdete
und meinen Tod auf das Allerbestimmteste verlangte, da
konnte ich nicht ferner schweigen. Ich erinnerte den Ober-
kaziken daran, daß er mir seinen Schutz zngesagt habe; ich
gab mir alle Mühe, nachzuweisen, daß ich unschuldig sei; ich
wiederholte, was ich schon am Abend zuvor gesagt hatte, und
stachelte zugleich die Eigenliebe deö mächtigen Mannes auf.
Kalisurcura, das heißt der blaue Stein, sprach sich günstig
für mich aus. Er sagte seinen Patagoniern, es sei durchaus
und Geographische Zeitung. 297
Manchmal wurden Streifpartien der Indianer ansge-
sandt, um in der Nähe der argentinischen Ansiedelungen Er-
kundigungen über die beiden Gefangenen einzuziehen, aber
immer kamen sie nnverrichteter Dinge zurück; sie vernahmen
über ihre Landsleute uicht die geringste Kunde. Nachher
verfloß einige Zeit, ohne daß sie sich um die Sache weiter
bekümmerten. Da erschienen plötzlich die beiden Leute, welche
man verloren geglaubt hatte. Alle Männer des Stammes
liefen zusammen, um die Abenteuer dieser Männer zn ver-
nehmen. Meine Unschuld war nun an den Tag gekommen;
auch erklärten die Beiden, sie seien von den Argentinern
zurückgehalten worden, weil an jenem Gränzposten einige
Soldaten sie als Theilhaber eines frühern Raubzuges er-
kannt hätten. Da sie aber als Friedensboten gekommen
waren, so hatte der Befehlshaber des Gränzpostens nach
Buenos Ayres um Verhaltungsbefehle geschrieben. Aus der
Hauptstadt kam ein Befehl, die beiden Patagonier als Ketten-
gefangene festzuhalten und sie arbeiten zu lassen. Es war
die Rede davon gewesen, sie hinzurichten; weil aber in der
Depesche, welche sie von Seiten des Stammes brachten,
Friedenseröffnungen standen, so verdankten sie diesem Um-
stände ihre Rettung. Die Freiheit hatten sie sich verschafft,
weil ihre Wärter nachlässig gewesen waren.
Nun erfolgte ein gänzlicher Umschlag in der öffentlichen
Die Flucht 1
unmöglich, daß ein Mann, der fo rede, wie ich, schuldig sei.
Außerdem verbot er Jedem, mir irgend etwas Leides zu
thuu, suchte mich zu beruhigen, erklärte, daß ich bei ihm
bleiben solle und daß ich es gnt haben werde. Meinem bis-
herigen Gebieter, der gleichfalls zugegen war, gab er 311 ver-
stehen, daß er mich ihm nur ausliefern würde, wenn er voll-
ständige Beweise für meine Treulosigkeit beibringen könne;
sobald das der Fall sei, möge er nach Gutdünken über mich
verfügen. Das war der endgültige Spruch. Die Versamm-
luug ging auseinander, die Indianer ritten heim, warfen mir
aber grimmige Blicke zu und drohten mit den Lanzen.
Monate vergingen, ohne daß man irgend etwas über
die beiden gefangenen Patagonier, welche von den Argen-
tinern zurückgehalten wurden, erfuhr. Der Haß und der
Grimm der Indianer gegen mich wurde immer ärger. Sie
lagen dem Oberkaziken in den Ohren, suchten ihm Mißtrauen
gegen mich einzuflößen, und er behandelte mich oft mit übler
Laune, während er manchmal wieder mir volles Vertrauen
zu gewähre« schien. Häufig fragte er mich aus, forschte nach
diesem und jenem, offenbar um mich gelegentlich auf eitlem
Widerspruch zu ertappen; aber meine Antworten blieben sich
unwandelbar gleich. Das gefiel ihm, denn mehr als einmal
versicherte er mich ausdrücklich seines Schutzes. Trotzdem
aber bemerkte ich sehr wohl, daß ich fünf Monate lang unter
der strengsten Ueberwachnng stand.
Globus 1861. Nr. 10.
Gefangenen.
Meinung zu meinen Gunsten. Meine ärgsten Feinde be-
lobten mich sehr, und von nun an schwand alles Mißtrauen;
man schien kaum noch daran zu denken, daß ich schon einige
Fluchtversuche gemacht hatte. Ich dnrfte jetzt auch reiten
und mußte die Indianer auf allen ihren Zügen begleiten
mit einem Worte, ich hatte das allgemeine Vertrauen und
war so zu sagen Generalsecretair der patagonischen Nomaden-
couföderation.
Der Tag der Befreiuug kam für den armen, so schwer-
geprüften Dulder endlich heran.
Zwischen dem Staate Buenos Ayres und den übrigen
Provinzen des argentinischen Bundes brach im Jahre 1859
wieder einmal Krieg aus. Für die Indianer ist allemal gute
Zeit, wenn die beiden Theile einander befehden, weil dann
gewöhnlich die Gränze nicht sorgfältig bewacht wird. Dann
streifen sie init denl Jnstinct der Raubthiere in der Nähe der-
selben umher, und lauern auf günstige Gelegenheit zn einem
Plünderungszuge. Manchmal bieten sie aber allch dem einen
oder andern Theile ein Bündniß an. Das war anch jetzt
der Fall. Der weiße Sklav mußte an den General Urquiza
mehrere Briefe schreiben, welche von nahen Verwandten Kali-
surcuras überbracht wurden. Sie fanden eine freundliche
Aufnahme und kamen mit reichen Geschenken zurück, iusbesou-
dere hatte man ihnen eine große Menge Branntwein gegeben.
38
298
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Als sie zurückkamen, begannen in der schon früher ge-
schilderten Weise die Ausschweifungen. Die ganze Horde
war ununterbrochen, Tag und Nacht, völlig berauscht. Dieseu
Umstand benutzte der weiße Mann. Als alle bewußtlos, toll
und voll betrunken, oder in tiefem Schlafe lagen, kroch er
vorsichtig dorthin, wo die besten Pferde des Kazikeu standen,
nahm Bolas und bemächtigte sich auch eines Lasso, um damit
die Pferde aneinander zu binden. Das gelang. Er führte
drei Rosse hinweg und schwang sich dann auf das eiue, um
zu entfliehen. Daß für ihn Leben und Tod auf dem Spiele
stand, wußte er sehr wohl. Er galoppirte die ganze Nacht
hindurch wie ein Mann, welchen der böse Feiud verfolgt; er
ritt auch aiu Tage eine weite Strecke weit und gönnte sich
erst gegen Mittag einige Ruhe. Daun und wann war er
abgesprungen und legte das Ohr platt auf deu Bodeu, um
zu horchen, ob er verfolgt werde; aber sein Blut war heiß,
fctit Herz klopfte gewaltig und aus seinen Ohren wollte das
Sausen und Klingen nicht weichen.
Am vierten Tage hatte er eiu Pferd zu Tode geritten,
und einige Tage später siel ihm auch ein zweites unter dem
Leibe; er bestieg das dritte, mit welchem er nur langsam vor-
wärts ritt. Aber als das Abenddunkel hereinbrach, ging es
von selbst rascher, weil es Wasser witterte. So gelangte
Gninnard an den Rio Quinto, eiuen Fluß, an welchem ein
gleichnamiger Flecken liegt. Nach einem Ritte von dreizehn
Tagen war er halbverhungert, und ganz erschöpft siel er be-
wußtlos vom Pferde.
So hatte endlich der weiße Sclav, zn Ende des August-
monates 1859, seine Freiheit wieder erlangt. Eine spanische
Familie nahm ihn gütig anf und pflegte ihn in der schweren
Krankheit, welche ihn volle sechs Wochen lang an das Lager
fesselte. Die Lente von Rio Qninto gaben ihm dann die
Mittel, über das nun in Trümmer gesunkene Mendoza und
über den Uspallata-Paß nach Valparaiso in Chile zu reisen.
Im Januar 1861 war er wieder in Europa zurück
und jetzt arbeitet er ein umfangreiches Werk über Patagonien
und dessen Indianer aus. Nach unseren obigen Mittheilungen
zu schließen, wird es gewiß viel Interessantes enthalten.
Die nordamerikanischen Verhältnisse.
Bon Karl Andree.
Erster Artikel.
Die Ausartung des Staatswesens. — Parteiberichte. — Die Frage über die Sklaverei und deren Ausdehnung. Missouri-Com
promiß, — Heinrich Clay mtb der Congreß, — Parteistellungen. — Angriffe gegen den Süden. — Die Parteifanatiker. —
Theodor Parker's Fnndamentalsätze. — Die Abolitionisten mjd das „höhere Gesetz." — Nullifikation im Norden.
Ueber die Vereinigten Staaten von Nordamerika ist
ein schweres Verhängnis; hereingebrochen. Das ganze Land
von den großen Seen bis zum mexikanischen Golf hat sich
in ein ungeheueres Kriegslager verwandelt und dreißig Mil-
lionen Menschen gepackt. Die alte Union steht nur noch
als ein Rumpf da. Es zengt von Fanatismus oder Be-
schränktheit, in einer so gewaltigen uud furchtbaren Revo-
lutiou nur eine „Rebellion" erblicken zu wollen.
Die alte Union mit ihrer Verfassung ist unwieder-
bringlich dahin. Kein Zwang vermag sie in der frühern
Weife herzustellen, und eiue durch Bajonette und Bomben
zeitweilig dem Süden aufgedrungene Wiedervereinigung wäre
für beide Theile unersprießlich. Die Frncht war reif nnd
fiel deshalb ab. Compromisse nützen nicht mehr; der Norden
hat die früher abgeschlossenen nicht gehalten und der Süden
kann ihm nie wieder trauen. Alle Brücken sind abgebrochen.
Man hat von der bisherigen Geschichtschreibung über
ein gewisses Königreich gesagt, daß sie in vieler Beziehung
eine fable convenue sei. Dasselbe gilt von der Art und
Weise, iu welcher das große Publikum iu Europa sich die
Verhältnisse der nordamerikanischen Union bis vor Kurzem
vorstellte. Es war aus den früheren, besseren Tagen der-
selben hergebracht, in ihr einen Hort der Freiheit, der völlig
ungehinderten Entwickelnng im Staatsleben, in Wissenschaft
und Kirche zu erblicken, nnd die große Schöpfung Washing-
tons mit einer gewissen Ehrfurcht anzustaunen. Iu der
That bot jene Union ein großartiges Schauspiel dar, und
bis vor etwa zwanzig Jahren verdiente sie im Allgemeinen
das Lob, welches sie selber sich so reichlich spendete, und in
welches Europa gern einstimmte.
Aber seitdem ist im Staatswesen Alles bergab gegangen
und namentlich eine Corrnption eingerissen, die anderwärts
ihres Gleiche» nicht hat. Die alten Vorstellungen passen
nicht mehr ans ein völlig entartetes Geschlecht; die einst be-
rechtigte Tradition ist jetzt eine Unwahrheit, eine fädle con-
venue, die, gegenüber den Thatsachen, ferner nicht bestehen
kann.
Diese Thatsachen beweisen, daß kein anderes Volk so
rasch und leider anch so schmachvoll von sich selber abgefallen
ist, als die Aankee's. Kaum trat die erste große Krisis au
sie heran, als auch schon die uncontrolirte Demokratie des
Nordens, welche in sich selber kein Maß nnd keinen Halt zu
finden wußte, ihren völligen Bankerott erklärte. Damit
verflog auch der Wahn, als ob man in einem solchen Volke
einen Hort nnd Vorkämpfer der Freiheit zu achten habe.
Gleich im Anbeginn des Krieges schrie der „freie" Norden
nach einer Soldatendiktatur; iu den einflußreichsten Blättern
wurde offen ausgesprochen: „Wir bedürfen eines Napoleon!"
So rief man, nachdem Washington erst seit etwa einem hal-
ben Jahrhundert im Grabe ruht! Das Soldatentreiben
überwuchert Alles. Freiheit der Person und Sicherheit des
Hauses gelteu uichts; man eonfiseirt Eigenthnm, denn man
hat Coufiscatiousverordnnngen; man hat ein schwarzes Ka-
binet und eiue völlig orgauisirte geheime Polizei; ein von den
Parteiführern aufgereizter Pöbel zerschlägt Buchdruckereieu
in Menge und Preßfreiheit ist nicht mehr vorhanden. Die
Regierung entzieht mißliebigen Blättern den Postdebit; mehr
als einmal ist, von Seiten der herrschenden „repnblika-
nischen" Partei, die doch ein ultraradikales Programm hat,
die Nothweudigkeit der Censur gepredigt und verlangt wor-
den! Man hat das Paßwesen eingeführt, man hat ein
Gesetz gegen Verdächtige, überall sind bezahlte Dennncianten
aufgetaucht; alle bürgerlichen Verhältnisse sind zerrüttet, die
Entsittlichung ist allgemein uud die Verwilderung in den
Gemüthern geradezu grauenhaft. Alle Rowdies siud los-
gelassen; man lyncht die politischen Gegner, verwüstet ihnen
die Felder, brennt ganze Städte nieder, feuert in die Eisen-
bahnzüge hinein, untersägt Brücken, plündert überall. Der
Terrorismus führt das Seepter. Eine haarsträubende
Corruption überwuchert Alles, politische Abenteurer der
Globus, Chronik der Reisen
schlimmsten Art stehen in vorderster Linie, Handwerkspoli-
tiker und Stellenjäger führen das große Wort und geben
den Ausschlag, und in finanzieller Beziehung wird ein
Schwindel getrieben, der seit Anbeginn der Geschichte in
keinem Lande der Welt ein Nebenstück findet. Eintausend
Millionen Dollars Schulden in einem einzigen Jahre!
Man befindet sich aber mit alle dem erst in den Anfängen.
Es ist hergebracht, daß die Nen-Uorker Berichterstatter
in fast allen deutschen Blättern ihren Mittheilungen eine
speeisisch nördliche Färbung geben. Sie stehen in der
Partei, und sind zumeist fanatisch erregt; der Süden ist
ihnen ein Teufel, der „rebellirt" hat. Man darf keine Unbe-
fangenheit von solchen Lenten erwarten. Wie unverständig
sie die Dinge betrachtet und dargestellt haben, das ergiebt
sich aus dem Verlaufe der Ereignisse, der Allem, was diese
Berichte behaupteten uud prophezeiten, diametral entgegen
lief. Das Publikum wurde planmäßig irre geführt, und
auch dadurch getäuscht, daß viele charakteristische Thatsachen
verschwiegen oder in ein falsches Licht gestellt wurden.
Darüber ist weiter nichts zu sagen, weil dergleichen Partei-
manöver einmal hergebracht sind. Aber man verwirkt da-
durch anch jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit und unbe-
fangenes Urtheil.
Ich meinerseits stehe außer aller Partei, und habe
anch keinerlei „Sympathieen", am allerwenigsten für die
nördlichen Staaten und deren Sache, denn diese hat mit der
„Freiheit" gar nichts zn schaffen, desto mehr aber mit
der Rohheit und der Corrnption. Die Aufsätze, welche ich
hier mittheile, sind schon im Frühlinge des vorigen Jahres
niedergeschrieben worden; ich veröffentliche sie jetzt, weil ich
hoffe, daß sie dazu beitragen können, die Sachen und Per-
sonen in ein richtiges Licht zu stellen. Daß die Parteigänger
der Aankees damit keineswegs einverstanden sein werden,
weiß ich sehr wohl; aber das verschlägt auch nichts. Seit
einem Meuscheualter habe ich den amerikanischen Verhält-
nissen besondere Aufmerksamkeit zugewandt, niid ich sage
nur, was ich für recht und wahr halte.
* *
Die gewaltige Krisis, durch welche nun der große
transatlantische Staatenbund aus Rand und Band getrie-
ben worden ist, warf schon seit langer Zeit ihren Schatten
vor sich her. Bis vor etwa dreißig Jahren trug man eine
Art von heiliger Schen, an die Möglichkeit einer Auflösung
anch nur zu denken, geschweige denn einen völligen Bruch
für wahrscheinlich zu halten. Aber das Verhängniß ist
dennoch über ein großartiges, stolzes, blühendes Gemein-
wesen hereingebrochen und ein Bau zertrümmert worden,
ans welchen die Völker der Erde mit Staunen uud Bewuu-
derung hinsahen.
Schon seit einem Menschenalter zeigte er Risse, die
endlich zn einer tiefen Kluft wurden, weil ein Theil der Be-
wohner planmäßig daran arbeitete, sie zn erweitern. Längst
galt es nicht mehr für Landesverrat!), die Möglichkeit einer
Trennung in Erwägung zu ziehen; sie wurde zu einer Frage,
die man in der Presse, in Volksversammlungen und selbst in
den Hallen des Congresses zu Washington mit Leidenschaft
erörterte. Die wilde Parteiwuth bebte auch vor dem Aen-
ßersten nicht zurück. Abolitionisten im Norden riefen
„Gottes Fluch auf diese heillose Union" herab; das
allzeit unruhige Süd-Carolina stellte ein Austreten als
Drohmittel hin, und seine Gesetzgebung bewilligte Gelder
für Aufstellung einer bewaffneten Macht. Die Parteien
wurden gegenseitig und in sich selbst immer mehr entsittlicht,
und allmälig entfremdeten die Menschen in ein und demsel-
ben Lande sich einander dermaßen, daß Millionen von ihnen
und Geographische Zeitung. 299
das gegenseitige Verständniß abhanden gekommen ist, daß
sie offen aussprachen, sie seien Einer des Andern überdrüssig.
Ein Ausbruch der Krisis war unvermeidlich, als das Zer-
würfniß ein geographisch-sectionelles Gepräge ge-
wann, als Norden und Süden sich nicht mehr als Volks-
und Bundesgenossen, sondern als Feinde behandelten.
Seitdem eine ganze Reihe von nördlichen Staaten, voran
das nenengländischeMassachusetts, in ihren gesetzgebenden
Versammlungen Beschlüsse zur Geltung brachten, durch
welche sie Congreßgesetze und Entscheidungen des höchsten
Bundesgerichtes für ungiltig und nicht verbindlich er-
klärten, und als der Bund eine solche Auflehnung geschehen
ließ, hatte die Auflösung der Union thatsächlich begonnen.
Die uneingeschränkte Demokratie hat in sich selber kein
Correetiv gefunden; sie hat in dem großen Staatenbunde
nicht Maß gehalten, und deshalb ist dieser zerschellt. Man
hob in Nordamerika mit großem Stolz und vielem Selbst-
bewnßtsein oftmals hervor, daß man dort den Staat ledig-
lich als ein Rechenexempel betrachte, und daß die Ziffer der
Mehrheit Alles entscheide. Es hat sich gezeigt, daß das
Facit gerade dann nicht stimmte, als Alles darauf ankam.
Den Angelpunkt des verhängnißvollen Streites bildet
die Frage über die Sklaverei und deren Ausdehnung
auf neue Staaten und Gebiete. Ueber die abstrakte Seite
der Negersklaverei, ihre Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßig-
keit, und über die sehr verschiedenen Kulturwerthe der ein-
zelnen großen Menschenstämme, verlieren wir hier kein Wort;
wir haben die Frage, durch welche nicht blos das Schicksal
eines halben Welttheils bedingt wird, sondern die anch tief
in unsere europäischen Verhältnisse eingreift, von der staat-
lichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Seite zu be-
trachten. Wir wollen nachweisen, wie sie seit nun vierzig
Jahren sich mit ihrer schärfsten Ecke und wie ein Keil in
die Union und deren politisches Leben hineingedrängt hat.
Als der Staatenbund aus den ehemaligen dreizehn
britischen Provinzen gegründet wurde, hatten alle neuen
Staaten Negersklaven. Nur allein Massachusetts bil-
dete eine Ausnahme, trieb aber dafür mit feinen Schiffen
den Sklavenhandel aus Afrika nach Amerika so schwnng-
hast, daß es sich widersetzte, als die übrigen Staaten jenen
verwerflichen Verkehr schon mit Eintritt des neuen Jahr-
Hunderts verbieten wollten; es erlangte, daß die Frist bis
1808 hinausgeschoben wurde. Gerade in diesem Staate
begann später das Sturmlanfen gegen die Negersklaverei.
Als die europäische Einwanderung einströmte, als nach und
nach Millionen fleißiger Arbeiter in die nördlichen und mitt-
leren Staaten kamen, weil dort die klimatischen Verhältnisse
ihnen besser zusagten als weiter nach Süden hin, verkaufte
der Norden viele seiner Sklaven an diesen letztern für baares
Geld. Er brauchte sie nun nicht mehr zu kleiden, zu eruäh-
ren uud im Alter für sie zn sorgen; die weißen Arbeiter,
welche er beliebig an jedem Tage entlassen konnte, waren
billiger zu haben. Reichlich vier Fünftel der Einwan-
derer, deren Ziffer binnen vierzig Jahren sich auf nahe an
fünf Millionen belies, siedelte sich in den Staaten nörd-
lich vom Ohio an, und nur ihnen verdankt der Norden
und Nordwesten sein Uebergewicht an Volksmenge und zu
großem Theil seine Entwicklung in Ackerbau, Gewerben und
Handel. Der Süden trieb unter seinem warmen Himmel
vorzugsweise großen Plantagenbau durch Negerarbeit, und
dieser wurde von den nördlichen Staaten um die Wette mit
England aufgemuntert. Die Schwarzen gediehen so gut,
daß ihre Zahl von 697,879 Köpfen im Jahre 1790, auf
3,204,313 im Jahre 1850 stieg und gegenwärtig vier Mil-
lionen (1860: 3,999,283) beträgt. Sie haben einen
Geldwerth von ungefähr viertausend Millionen
38*
300 Globus, Chronik der Reisen
Thalern. Auch war früher der Norden weit entfernt,
dem Süden einen Vorwurf daraus zu machen, daß er Skla-
ven halte, und die gräßlichen Folgen der Emaneipation auf
Haiti waren nicht geeignet, die Freilassung auch in Nord-
amerika wünschenswerth erscheinen zu lassen. Später ist
dann auch das übrige Westindien durch dieselbe iu schwere
Bedräuguiß gekommen, und iu Südamerika hat sie nicht
minder die Verwilderung der Schwarzen im Gefolge gehabt.
Die abstrakte Philanthropie zieht sich aber bekanntlich
eben so wenig Lehren oder Nutzanwendungen aus der Ge-
schichte wie der absolute Radikalismus; beide verwerfen alle
Erfahrung, und haben in dieser Beziehung große Aehnlich-
keit mit viele» Heidenmissionaren, welche, über Wirklichkeit
und Thatsachen hinweg, sich stets auf's Neue in Wünschen
und Hoffnungen wiegen. In Nordamerika, wo die Lehren
von Wilbersorce und Clarkfon Eingang fanden, traten erst
1830 Lloyd Garrison und einige Quäkerphilanthropen
in polemischer Weise als Abolitionisten auf. Längere Zeit
fanden sie nur geringen Wiederhall im Lande und galten für
nicht gefährlich. Als aber Geistliche den Abolitionismns
auf die Kanzel brachten, als sie erklärten, daß Jeder ewig
verdammt sei, der hienieden nicht gegen die Sklaverei auf-
trete, da war es um den Frieden in Kirche und
Staat geschehen. Jene Verdammungslehre wurde, be-
sonders in den sechs neu-engländischen Staaten, der Jugend
eingeschärft; als diese heranwuchs, wirkte sie politisch in
jenem Sinne, und bald warfen sich Handwerkspolitiker auf
diese Frage, um sie im Parteiinteresse auszubeuten.
Die Folgen sind gewesen:
1) Ein völliger Bruch zwischen den Mitgliedern eines
und desselben kirchlichen Bekenntnisses im Norden und Sü-
den, eine förmliche Trennung und gegenseitiger Haß, na-
meutlich unter nördlichen und südlichen Methodisten und
Baptisten.
2) Eine politische Ausregung und eine Verbitterung des
Parteitreibens, welche zur Sprengung der Union führten.
3) Bei dem Streit um die Negersklaverei handelt es
sich anch um eine sociale Frage von unermeßlicher Wich-
tigkeit und tief eingreifender Bedeutung. Sie wurde in den
Strudel der Parteipolitik hineingezogen, und die
Hand Werkspolitiker setzten sie als Hebel an, um die
Regierungsgewalt zu erlangen. Sie verfuhren angriffs-
weise gegen den Süden, drängten ihn in den Zustand der
Nothwehr, und dann erst kam die Union in Gefahr.
Die ersten Streitigkeiten über die Ausdehnung oder
geographische Beschränkung der Sklaverei erhoben sich 1819,
als das Territorium Missouri feine Aufnahme als Staat
in die Union beantragte. Sie wnrden 1820 dnrch einen
Vergleich geschlichtet, demgemäß nördlich von der Granze
des Staates Missouri, also über 36° 30' nördlicher Breite
hinaus, keine Zwangsarbeit der Schwarzen stattfinden sollte.
Durch dieses Missouri-Compromiß schien die Frage
eine Zeit laug erledigt zu sein; doch kam die Wunde wieder
zum Ausbruch, als der neue Staat Ealifornien sich zur
Aufnahme meldete. Er hatte sich, ohne Rücksichtnahme auf
den Buudescongreß, eine Verfassung gegeben, und in dieser
ohne Weiteres ausgesprochen daß er die Sklaverei nicht
gestatte. Norden und Süden standen sich schon damals
feindselig gegenüber; der erste wollte keine Ansdehnnng der
Sklaverei überhaupt gestatten, der letztere nahm sie als
ein Recht in Anspruch, und glaubte sich über eine Menge
von Beeinträchtigungen beschweren zu können. Die Dro-
Hungen von Trennung der Union und vom Ausscheiden
mehrerer Staaten gingen hinüber nnd herüber, und nur mit
großer Mühe gelang es den Anstrengungen eines ansgezeich-
neten Staatsmannes, Heinrich Clay ans Kentucky, einem
und Geographische Zeitung.
wohlgemeinten Eompromiß Annahme zu verschaffen. Er
hob hervor, daß der Staatenbund unmöglich noch lange zu-
sanunenhalten könne, wenn nicht das frühere gegenseitige
Wohlwollen wieder in die Gemüther der Bürger zurückkehre,
und wenn man fortfahre, die Sklavereifrage als Mittel
politischer Ansregung zu benutzen. Damals hörte man noch
aus diese Mahnungen. Die alten Gesetze über die Ans-
lieferung flüchtiger Sklaven wurden ausdrücklich erneuert,
weil der Süden erklärte, nur unter dieser Bedingung aus
die Verständigung sich einlassen zu wollen.
Die gegenseitige Heftigkeit wird begreiflich, wenn man
in Erwägung zieht, daß bereits seit zwanzig Jahren der
Norden einen großen Zuwachs an politischer Macht durch
die starke Einwanderung erhalten hatte. Er besaß schon
damals die Mehrheit im Repräsentantenhause des Eon-
gresses, und die Entscheidung aller Fragen lag in
seiner Gewalt, wenn er sich anch im Senate, wo jeder
einzelne Staat, gleichviel ob groß oder klein, dnrch zwei
Stimmen vertreten ist, das Uebergewicht gewann. Der
Norden konnte aus deu weiten und fruchtbaren Gebieten im
Nordwesten einen freien Staat nach dem andern bilden, der
Süden dagegen war eng begränzt, und konnte sich westlich
von Missouri, Arkansas und Louisiana nicht mehr ansdeh-
nen. Nur zwischen dem letztern Staate und dem Rio
Grande war noch eine Landstrecke, in welcher man mit
Nutzen Baumwolle und Zucker bauen konnte. Dieses Ge-
biet war Texas. Man begreift also, weshalb die sklaveu-
haltenden Staaten so nachdrücklich ans den Anschluß von
Texas drangen und der Norden so eifrig gegen denselben
arbeitete. Er wurde am 29. December 1345 genehmigt.
Die Folge war ein Krieg mit Mexiko, welcher die Er-
WerbungEalisorniens und Neu-Mexiko's nach sich zog.
Während der Debatten über den Friedensschluß, und als es
sich darum handelte, eine Geldentschädignng für Mexiko zu
bewilligeu, beantragte Wilmot eine Klausel (oder wie
man sich in der politischen Sprache Nordamerika's ausdrückt,
ein Pro vi so), demgemäß von den neu erworbenen Landen
die Sklaverei ausgeschlossen werden solle. Sie widerspricht
dem Missouri-Compromiß, denn ein großer Theil der neu
erworbenen Laude lag südlich vom 36° 30' N. Bf., wurde
aber trotzdem vom Norden eifrig befürwortet. Das Reprä-
fentantenhaus, wo nördliche Abgeordnete die Mehrheit be-
saßen, nahm sie an, der Senat jedoch verwarf sie.
Aber sie war ein Feuerbrand; sie zerklüftete die
beiden großen Parteien, Whigs wie Demokraten. Die
letzteren theilten sich fortan in Gegner des Proviso oder
national-eonfervative, Old Hnnkers, auch Harte
genannt, und in Anhänger desselben oder Radikale, Barn-
bnrners, Weiche. Bei den Whigs fand Aehnliches statt;
sie schieden sich in Hnnker-Whigs oder Silbergraue,
welche der Union zulieb in der Sklavenfrage confervativ und
national waren und von Webster geleitet wurden, und in
W oll köpfe, welche die radikale Abtheiluug bildeten und
vou demselben Senator Seward aus Neu-Nork geleitet
wurden, der seit jener Zeit eine so einflußreiche und ver-
hängnißvolle Rolle spielt. Anch regten sich die Frei-
bodenmäuner, welche überhaupt keine Sklavenstaaten
mehr in die Union znlassen wollten, und schon 1848 bei der
Präsidentenwahl über mehr als 300,000 Stimmen ver-
fügten.
Bei den oben erwähnten Streitigkeiten verlangten diese
Freesoilers, die radikalen Whigs und die Abolitionisten die
Anwendung des Wilmot-Proviso auf Ealifornien und Neu-
Mexiko. Clay stellte, wie bemerkt, seine Vergleichsvor-
schläge auf, als kaum noch Hoffnung zu einem friedlichen
Ausgange möglich schien. Ealifornien sollte selbst entschei-
Glovus, Chronik der Reisen
den, ob es Sklaverei haben wolle oder nicht; es sei gesetz-
widrig zu Werke gegangen, als es sich ohne Weiteres oder
mit Nichtachtung der Bundesregierung als Staat constituirt
habe. Sklavenhandel solle im Bundesdistrikte nicht ferner
stattfinden, flüchtige Sklaven sollten, wie schon gesagt, ans-
geliefert werden. Aus Texas könne man im Fortgange der
Zeit, und wenn wieder eine Anzahl freier Staaten im Nord-
Westen in die Union getreten seien, vier Staaten bilden.
Trotz alledem verwarf der Senat anfangs diese Vorschläge,
erschrak aber sofort im Hinblick auf die Folgen vor seiner
eigenen That und nahm das Compromiß an. Im Reprä-
sentantenhanse geschah ein Gleiches, und diesmal wurde die
Union, wenn auch unter Mühe, Noch und nach ungeheurer
Aufregung, vorläufig gerettet.
Der Süden war durch unablässige Anfechtungen und
in der festen Ueberzeugung, daß man ihn planmäßig
beeinträchtigen wolle, schon damals auf das Höchste ge-
reizt und erbittert. Ein Vertreter des stets sehr besonnen
und versöhnlich auftretenden Staates Nord-Carolina, wollte
alle Geldbewilligungen aussetzen, bis die Streitfrage so ge-
löst sei, daß sie nicht länger den Süden ängstige und bedrohe;
Süv-Caroliua wollte weder Senatoren noch Repräsentanten
zum Congreß abordnen und sprach das Wort Secession,
— Ausscheiden, Trennung — aus, das freilich schou früher
oftmals von einem nördlichen Staate, Massachusetts, gleich-
falls in den Vordergrund geschoben worden war. In Vir-
ginien faßte man in Volksversammlungen Beschlüsse, dahin
lautend: daß die Ausrechterhaltung der Union nur von
sekundärem Interesse sei. Nord-Carolina stimmte diesen
Ansichten bei; Mississippi wollte ein Schutz- und Trutzbünd-
niß unter den Sklavenstaaten bilden. Ein aus England
abgeschickter Abolitionist, Georg Thompson, goß Oel in's
Feuer, zog als Reiseprediger im Norden umher, reizte die
Massen auf, und in vielen Städten widersetzten sich aufge-
regte Volkshaufen der Auslieferung flüchtiger Sklaven. In
Versammlungen nördlicher Methodistenprediger wurde es
für Pflicht erklärt: „das abscheuliche Gesetz über die Aus-
lieferung flüchtiger Sklaven zu hassen, zu verabscheuen,
zu verfluchen; man speie das Compromißgesetz au
und halte sich verpflichtet, dem Auslieferungsgesetze lei-
denden und thätigen Widerstand zu leisten." Schon
diese Art des Ausdrucks zeugt von Fanatismus; die Folge
war, daß die oben erwähnte Trennung der Kirche in eine
nördliche und südliche stattfand. Senator Seward schürte
am meisten und erklärte mit wohl berechnetem Hohn gegen
den Süden: bei der nächsten Wahl werde er den Ne-
ger Friedrich Douglaß zum Vieepräsidenten vor-
schlagen. Bald erschien auch, recht aus der Mitte der
Abolitiouisteupartei heraus, der unheilvolle, durch und durch
lügeuhaste und tief unsittliche Roman „Onkel Tom's
Hütte", von der Frau Beecher-Stowe. Auch er war eiu
Nagel zum Sarge der Union.
Wir sehen, daß schou längst das Gewitter heraufgezo-
gen war; aber man hat sich durch Blitz und Donner nicht
warnen lasseu, sondern ist in beklagenswerther Verblendung
auf der abschüssigen Bahn immer weiter gegangen, bis man
den Abgrund erreicht hat.
Wer außerhalb des Parteigetriebes steht und die Sachen
unbefangen ansieht, kann nicht umhin, dem Ausspruche bei-
zupflichteu, daß es sich bei dem ganzen Streit wegen der
Negersklaverei und deren Ausdehnung lediglich um „eine
eleude und armselige Abstraktion" handele. Die Sklaverei
besteht in fünfzehn Staaten. Auch die republikanische Partei
hat uoch am 4. März 1861 durch ihren Präsidenten Lincoln
erklären lassen, daß sie dieselbe innerhalb dieser Staaten
nicht antasten wolle. Das sollte sich eigentlich von selbst
und Geographische Zeitung. Mi
verstehen, denn diese „innere Einrichtung" geht nur die süd-
lichen Staaten etwas an, die sich ihrerseits nie in die
Angelegenheiten der nördlichen Staaten gemischt
haben. Von Anbeginn der Union waren alle Staaten
verpflichtet, entlaufene Sklaven auszuliefern. Aber im
Norden bauete man die sogenannte unterirdische
Eisenbahn, das heißt, eine große Anzahl von Abolitio-
nisten und viele Republikaner vom radikalen Flügel der Partei
bildeten Vereine, deren Mitglieder sich ausdrücklich ver-
pflichtet haben, Neger aus den Sklavenstaaten zur Flucht
zu überreden. Sie erleichtern ihnen das Entrinnen, und
haben seit Clay's Compromißmaßregeln mehr als vierzig-
tausend flüchtige Sklaven nach Canada geschafft, wo man
sie dann ihrem Schicksal überläßt. Diese Neger sind den
Canadiern so lästig, daß man ganze Schiffsladungen der
unwillkommenen Gäste nach Haiti hat bringen lassen, um
der „Anstauung eines schwarzen Pöbels von Müssiggängern"
entgegen zu wirken. Vor mir liegt der Text einer Rede,
welche 1859 eiu reicher Quäker, Thomas Garret zu Phila-
delphia, zum Lobe der unterirdischen Eisenbahn hielt. „Ich
habe," sagt er, „für meine Person allein 2245 Neger den
weißen Tyrannen gestohlen und rühme mich dessen. Jeder
derselben war gut und gern tausend Dollars Werth; Alles
kräftige Jungen und schmucke Mädchen."
Wie weit die „Meu scheu freunde" sich verirren,
geht aus den „Fundamentalsätzen" hervor, welche Theodor
Parker aufstellte, und die in Millionen von Abdrücken ver-
theilt wurden. Die drei ersten lauten:
1) Ein Mann, der wider seinen Willen als
Sklav dienen muß, hat eiu natürliches Recht, Je-
den todtzuschlageu, der ihn am Genüsse der Frei-
heit hindern will.
2) Es ist ein natürliches Recht der Sklaven,
dieses natürliche Recht in praktischer Weise zu
verwirklichen.
3) Der freie Mann hat ein natürliches Recht,
dem Sklaven zur Erlangung der Freiheit behilflich
zu fein und zu diesem Zwecke ihm auch beim Todt-
schlagen hilfreiche Hand zu leisten.
Diese Maximen wurden von den Abolitioniften, welche
sich im Süden einschlichen, den Sklaven eingeschärft. Was
Wunder, daß man an die Verbreiter solcher Lehren rauhe
Hand anlegte?
Die planmäßige Aufreizung des Nordens gegen
die Sklavenstaaten gewann einen immer größern Umfang,
man gefiel sich in maßlosen Angriffen gegen die „Baum-
Wollenritter, Zuckerjunker, Negerbarone, gegen diese hoch-
müthigen Aristokraten, welche die mörderische Axt au die
Wurzel der nördlichen Freiheit legen" wollten. Abolitio-
nisten schlichen sich im Süden ein. Schon vor vierzig Iah-
ren hatten sie in Süd-Carolina einen Sklavenansstand an-
gezettelt, und seitdem ist erklärlicherweise die Erbitterung
dort nicht mehr geschwunden gegen Leute, welche, im Namen
der Religion und der Gleichheit aller Menschen Unruhe und
Gefahr, Brandstiftung und Mord in's Land brachten. Sie
vertheilten aufreizende Schriften unter die Schwarzen, und
die Folge war, daß diese nicht mehr Lesen und Schreiben
lernen durften, daß überhaupt die Sklavengesetze verschärft
wurden. Abolitioniften wurden gehängt oder betheert und
befiedert. Als vor einigen Jahren ein blutbefleckter Mann,
John Brown, bewaffnet in Virginien einfiel, nm einen
Sklavenkrieg zu erregen, wurde er uicht blos von den Abo-
litionisten vergöttert, auch ein Hauptorgan der repnblika-
nischen Partei, die New-Pork Tribüne, stimmte mit ein, und
erklärte jenen Mann für den Simson, welcher die Thore der
Zwingburg habe einreißen wollen; in Gedichten wurde er
302 Globus, Chronik der Reisen
als Heiland hingestellt und mit Jesus Christus verglichen.
Wer nicht viele Jahre lang die Blätter der republikanische»
Partei und die Reden ihrer Leiter und Führer gelesen hat,
macht sich schwerlich eine richtige Vorstellung von der geradezu
abscheulichen Unsittlichkeit, mit welcher die Sklavenstaaten
angegriffen wurden. Sie ist, so weit unsere Kunde reicht,
beispiellos in der Geschichte des Parteitreibens, sie erklärt aber
auch, daß allmälig die Erbitterung einen so hohen Grad er-
reichte, daß Jahr für Jahr wilde Auftritte die Hallen der
Volksvertretung entehrten und ein Bruch unvermeidlich wurde.
Die Abolitionisten und ein großer Theil der republika-
nischen Partei stellen den Bundesgesetzen über die Sklaven-
angelegenheiten ein sogenanntes „höheres Gesetz", higher
law, entgegen, welches ihnen verbiete, sich an jene zu kehren,
denn es sei „von Gott". Dieses höhere Gesetz richtete sich
vorzugsweise gegeu die Auslieferung flüchtiger Sklaven und
gegen eine Entscheidung des höchsten Buudesgerichtes,
der gemäß der Besitzer einen flüchtigen Sklaven überall wie-
der nehmen darf. Dem Gesetz von 1850 zufolge sind die
Marschälle der Vereinigten Staaten verpflichtet, dabei mit-
zuwirken; die gerichtlichen Behörden des Einzelstaates haben
die Obliegenheit, sie in ihrem Amtsbernfe zn unterstützen;
im Nothsalle sollen auch die Bürger ihre Beihülfe nicht ver-
sagen. Die letztere Bestimmung erregte begreiflicherweise
Anstoß; es wird dem Gefühl Mancher zuwider seiu, zum
Verhaften eiues flüchtigen Sklaven mitzuwirken. Aber
deshalb war man uoch uicht berechtigt, fich offen
gegen das ganze Bundesgesetz überhaupt auszu-
lehnen. Das that man aber iin Norden und Nord-
Westen, wo die Republikaner bei den Wahlen zu den
Staatslegislaturen den Sieg erfochten, und dann sogleich
das „höhere Gesetz" dem Bundesgesetze gegenüber zur Gel-
tuug brachten. Sie erklärten das letztere für nichtig und
uicht verbindlich; zwölf Staaten annnllirten das
Bnndesgesetz und die oben erwähnte Entscheidung des
höchsten Buudesgerichtes, und gaben ihrerseits Personal-
Liberty-Acts) Gesetze über persönliche Freiheit, in wcl-
chen die Auslieferung flüch tiger Sklaven geradezu verboten
wird. Mau ging aber noch weiter. Wer dem betreffenden
Bundesgesetze Folge giebt, also seinem, der Bnndesverfaf-
snng geleisteten Eide treu bleibt, wird, laut der Personal-
Liberty-Act bestraft: in Maine mit 5 Jahren Gefängniß
und 1900 Dollars Geldbuße, in Vermont mit 15 Jahren
und Geographische Zeitung.
Haft, iu Massachusetts und Connecticut mit 5 Jahren, in
Pennsylvanien mit 3 Monaten, in Indiana mit 14, in
Michigan mit 10, in Iowa und Wisconsin mit 2 Jahren.
Dazu kommen noch Geldbußen im Betrage von 1000 bis
5000 Dollars. Fünf Staaten verweigern jedes öffentliche
Gebäude für Aufbewahrung eines flüchtigen Negers, neun
Staaten geben jedem Flüchtling von Amtswegen einen Ver-
theidiger gegen die Beamten der Bundesregierung, drei er-
klären jeden Neger, welchen sein Herr mitbringt, ohne Wei-
teres für frei.
Das mag philanthropisch für die Schwarzen fein, aber
es liegt in diesen Personal-Liberty-Aets eine offene Heraus-
forderung gegen die 15 südlichen Staaten und eine nicht
minder offene Auflehnung, eine Rebellion gegen die Bundes-
gefetze. Der Norden also begann die Rebellion,
indem er „nnllisieirte". Dieser Vorwurf trifft die
Staaten Maine, Nen-Aork, Nen-Hampfhire, Pennsylva-
nien, Connecticut, Michigan, Wisconsin, Iowa, Indiana
und Rhode Island. Das letztere hat im Januar 1861
erklärt, daß sein Erlaß der Personal-Liberty-Acte durchaus
ungesetzlich sei, und widerrief sie ausdrücklich, während Ohio
erst neuerdings, und seitdem die republikanische Partei bei
den Wahlen siegte, eine solche gegeben hat.
Ueber diese Auflehnung des Nordens gehen die
öffentlichen Organe der Republikaner leicht hinweg. Wenn
ihnen solche Annullirnng der Gesetze vorgeworfen wird, er-
klären sie, wer damit nicht einverstanden sei, könne ja die
Frage zur Entscheidung an das höchste Bundesgericht
bringen. Darin liegt ganz einfach ein Hohn; denn in jenen
Personal-Liberty-Aets ist implieite schon die Entscheidung
des höchsten Gerichtes in der Dred Scottfrage, über Aus-
liefernng der flüchtigen Sklaven, für unverbindlich erklärt
worden. Indem man in mehr als einer Legislatur diese
Annullirnng damit rechtfertigte, daß „die Skla-
verei nicht von Gott, sondern vom Tensel sei,"
und ans dieser Behauptung das Recht herleitete, unbedingt
gültige, vom Congreß gegebene, vom Präsidenten bestätigte,
vom höchsten Gericht für verbindlich erklärte Landesgesetze
über Bord zu werfen, indem man solchergestalt sich auf-
lehnte, konnte es nicht fehlen, daß die „tyrannischen Neger-
barone" nur uoch mehr gereizt wurden. Wir werden zeigen,
wie viel gerade diese Auflehnung des Nordens dazu beige-
tragen hat, den Süden aus der Union zn treiben.
Volksleben in Neapel.
I.
Das Paradies. — Die Eindrücke. — Sacktücher in Gefahr. — Der urwüchsige Lazzarone. — Der Vastaso und seine Civilisation. —
Bummler. — Abenteuer beim Platzregen. — Ein Corrieolo, — Treiben in den Straßen. — Allerlei Verkäufer. — Wie man die Zeit
berechnet, — Die Geschichte von Pinerol. — Am Hafen. — Melonen- nnd Maeearoni-Verkäufer. — Volkswitz,
Man hat von Neapel gesagt, es sei ein auf die Erde ! Sorrento — als der Vesuv seine Feuergarben durch die
gefallenes Stück des Himmels, und sicherlich gehört es zu ! wirbelnden Rauchwolken gen Himmel schleuderte und das
den schönsten Punkten. Dem Entzücken, welches den Frem- schönste Meer der Welt seine Wellen zn meinen Füßen heran-
den überwältigt, wenn er zum ersten Male diese Stadt sieht, rollte, dawaren alle kleinen Reiseleiden vergessen in dem
hat Adolf Stahr in seinem prächtigen Buch über Italien beglückenden Gedanken: das Alles ist kein Bild, kein Traum,
Ausdruck gegeben. _ es ist Wahrheit, ^es ist Wirklichkeit. Was man auch sagen
„Als ich," sagt er, „den Molo auf- und abwandelte, möge, der Genuß des ersten Momentes trägt einen Zauber
und nun die fabelhafte Pracht und Herrlichkeit dieser ein- in sich, welcher sich mit keinem spätern Eindrucke mehr ver-
zigen Stadt sich vor meinen Augen entfaltete, mit ihrem gleichen läßt. Das märchenhafte Empfinden einer lang
bunten Menschengewoge, ihren Schiffen nnd Lenchtthürmen, ersehnten Wirklichkeit gegenüber, in deren Mitte man sich
ihren hohen Felskastellen nnd grünen Gebirgshäuptern niit selbst als ein Fremder erscheint, durchzittert die Seele wie ein
der meilenweiten Perlenschnur hellschimmernder Städte um elektrischer Blitz. So, wie au jenem Abend, sah ich Neapel
den ganzen Golf von Porti« bis Castellamare, Vico nnd | nicht wieder. Eine Barke trug mich hinaus in das Meer.
Globus, Chronik der Reisen
Wie ein liebeseliges Weib am Busen des Geliebten lag die
Stadt hingestreckt an dem bergumkränzten Gestade des
Meeres, und der blaue Himmel schien mit lächelnder Freude
niederzuschauen auf das schöne Paar, welches er mit seiner
Gaben reichster Fülle gesegnet hat, mit ewiger Jugend und
ewiger göttlicher Schönheit. Alle Höhen umflossen vom
flammenden Goldglanze der scheidenden Sonne, im Schatten
die Buchten und Küsten, das Meer den Himmel spiegelnd
im tiefsten Blau, weiße Segel fern und nah, Gesang der
Marinari, Zitherklang und frohes Jauchzen, und von der
Ferne herüber das summende Getön der brausenden nnend-
lichen Stadt, — es ist etwas an dem: Siehe Neapel und
dann stirb." —
„Neapel ist ein Paradies," so lautet ein altes
Wort, aber die Spanier, welche einst dessen Herrscher waren
und so manche Revolution niederzuschlagen hatten, setzten
hinzu: „aber von Teufeln bewohnt." Aber abgesehen
von gelegentlichen Dolchstichen und dein Stehlen von Taschen-
tüchern, ist es doch uicht allzu arg mit der Teufelei, vom
Höllenschmutz der Italiener natürlich abgesehen. Stahr fand
bestätigt, daß Neapel, und namentlich die Toledostraße, für
die Taschen der Fremden einer der gefährlichsten Orte der
Welt ist. Daß ein unachtsamer Fremder sein Taschentuch
wieder mit heimbringt, möchte eine Seltenheit sein. Und
kein Vorübergehender, der eine solche Ganuermauipulation
merkt, wird Dich warnen, denn sicher würde ihn die Rache
des entdeckten Diebes treffen. Ich muß an einen Berliner
Professor denken, der binnen einer Woche alle feine Sack-
tücher eingebüßt hatte. Eines »Tages kam er ganz erfreut
uach Hause und rief triumphirend ans: Diesmal habe ich
die Spitzbuben angeführt; ich steckte ein baumwollenes eiu
und die Schelme haben es gewiß für ein seidenes genommen!
Wir wollen nns das Leben und Treiben in diesem
Neapel näher ansehen. Der Edelmann und die Mittel-
klaffen bleiben dabei außer Acht, denn sie siud ohne beson-
dere Originalität und gleichen den Großstädtern der übrigen
europäischen Capitalen mehr oder weniger. Aber in den
unteren Schichten tritt jetzt noch viel Eigenthümliches hervor.
Doch mehr und mehr geht es damit doch schon auf die Steige,
die Alles beleckende Civilifation wirkt auch hier nagend und
zersetzend ein, der Lazzarone wird nach und nach alle, er
fängt au zu verschwinden, wenigstens nimmt er fremde Zu-
thaten an. Wer ihn noch in seiner alten Urwüchsigkeit
beobachtet hat, wie Marc Monnier, kann von Glück sagen.
Vor dreißig Jahren schlenderte solch ein „Teufel" in den
Straßen Neapels auf und ab oder lag in der Sonne, ohne
eine andere Kleidung als seine erzfarbene Haut und einen
leichten Schurz und mit offenem Hemd; zuweilen mit Beinklei-
dern, die bis au's Kuie reichten. Am Morgen verrichtete er
irgend eine Arbeit, um etwa fünf Soldi zu verdienen, und
diese reichten für seinen Tagesbedarf aus. Manchmal stahl
er auch, am liebsten ein Taschentuch. Aber wenn er satt
war, gab er sich die Mühe auch nicht einmal dazu; die An-
strengung wäre für ihn zn viel gewesen. Er legte sich hin
und schlummerte; Abends betete er als rechtgläubiger Christ
seinen Rosenkranz herunter und sang ein Lied, und schlief
dann den Schlaf des Gerechten.
Diese schönen Tage gehen, wie gesagt, allmälig zn
Ende. Mancher Lazzarone hat schon feine eigene Wohnung
und treibt irgend ein Handwerk, heirathet sogar, hat Kinder,
ist also Familienvater. Einst wäre ein Philosoph in Lum-
pen, wenn er sich einmal satt gegessen hatte, für einen Thaler
nicht zehn Schritte weit gegangen, wenn eben Zeit der Siesta
war; jetzt ist das anders, denn der Familienvater will Geld
verdienen, er ist etwas, sei es nun Fischer, Ruderer, Lohn-
diener oder Lastträger beim Zollhause und dergleichen. Er
und Geographische Zeitung. 303
will kein Lazzarone mehr sein, er hält diesen Namen, welchen
ihm die Spanier zum Andenken an den aussätzigen St. La-
zarus gaben, für eine Beleidigung. Der Lastträger nennt
sich V astaso, einen Träger, und er ist obendrein in seiner Art
ein rechtlicher Mensch, wenn man vom Schleichhandel ab-
sieht; er schmuggelt, weil die Regierung ein Abstractum,
uicht eine greifbare Person ist.
Einen Mann von Fleisch und Bein betrügt der Vastaso
nicht. Als ich, sagt Monnier, in Neapel landete, gab ich
einem dieser Lastträger einen Wink nnd deutete ihm an, daß
mein Koffer nicht in's Zollhaus dürfe. Er verstand mich,
zwinkerte mit den Augen nnd sprach leise: „Seien Sie ganz
unbesorgt." Das konnte ich auch sein; von meinen Sachen
fehlte auch nicht eine Stecknadel. Auf solche Weise wurden
in Neapel Bücher, insbesondere die bei sehr schwerer Strafe
verbotenen Bibeln, eingepascht. Der Vastaso ist unter den
Plebejern Neapels der rechtschaffenste; er spielt in seinem
Quartier eine Rolle, gilt viel am Hafen, und eine Frau, die
solch einen Lastträger zum Manne hat, rühmt sich dessen.
Der Vastaso kann als der civilisirte Lazzarone be-
trachtet werden. Etwas tiefersteht eine andere Klasse; sie
liefert Küchenjungen, Pferdejungen, Diener vom untersten
Range, welche von den Köchen, Kutschern und Kammerdie-
nern guter Häuser besoldet werden. Diese Halbsklaven ar-
beiten sich manchmal empor und werden Handwerker, aber
dann tragen sie auch lange Beinkleider, Schuhe, Rock nnd
Mütze oder gar einen Filzhut; sie wandeln sich in schlecht
gekleidete Europäer um und der Lazzarone ist hin! Denn
nun arbeiten diese Leute, und die Schuster in der Straße
der Fiorentiui sind sogar unermüdet fleißig von früh fechs
Uhr bis zum späten Abend. Der neapolitanische Farniente
ist völlig umgewandelt, wenn ihn der Ehrgeiz packt und
obendrein eine Familie ernährt werden muß. Die Zahl
dieser nützlichen Menschen, welche der Faulheit den Absage-
bries schreiben, nimmt zn, aber sie verlieren das alte Ge-
präge, lernen sogar lesen, gehen nicht in die Messe und theilen
keine Messerstiche aus. Noch mehr, sie zweifeln an den Mi-
rakeln des heiligen Januarius und ziehen den Leuten kein
Sacktnch aus der Tasche. Ausgeartete Lazzaroni! Ein
„Alteouservativer" an Donau oder Spree könnte Thränen
über solche revolutionäre Entartung weinen.
Aber zum Glück ist auch in dieser argen Zeit die Ro-
mantik noch nicht ganz in Abgang gekommen. Es giebt
noch Menschen alten Schlages, welche uns Erinnerungen
an die gute alte Zeit herauszanbern, barfüßige Bummler,
die keinerlei Geschäft haben, poetisch in den Tag hinein leben,
von der Hand in den Mund leben, wie die Franzosen sagen
au hasavd et ä la cliable. Diese Romantiker treiben Alles
und Nichts, verkaufen Alles, was sie finden oder betteln,
und sind in Gruppen und Banden überall anzutreffen, wo
etwas zu machen, das heißt, ohne Arbeit nnd Anstrengung
zu verdienen ist. Sie bilden eine für die Fremden sehr
lästige Menschenklasse; sie sind Bummler und Lungerer von
Handwerk.
Dann und wann machen sie sich aber auch einmal
nützlich, und dafür sorgt der gütige Himmel, wenn es ihm
gefällt, seine Schleusen zn öffnen, nnd namentlich im Früh-
jähr oder Herbst ungeheure Wasserströme auf Neapel herab-
zuschütten. Dann giebt es allemal eine wahre Sintflnth;
die Terrassen der Häuser werden in Fontänen umgewandelt,
welche aus den altmodigen, weit über die Straßen hinaus-
ragenden Ablänsern der Dachrinnen ganze Wasserströme
hinabgießen, wilde Katarakten, die mit Rauschen und Ge-
plätscher auf das Pflaster fallen. Dann sind die Straßen
wie Betten von Bergströmen, in welche aus allen Seiten-
gäßchen schlammiges Wasser sich hineinwälzt und zum Meer
304 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
hinabfließt. Unterwegs bildet es aber förmliche Seen, deren
Wogen vom Winde bewegt werden, mit einem Worte,
Neapel wird dann in eine Wasserstadt, in ein Venedig
umgewandelt.
Manchmal werden diese Gassenströme den Fußgängern
gefährlich, und mehr als einmal sind auch Wägen von den
wilden Fluthen umgerissen worden. Auf dem Largo delle
Pigne, einer breiten, in der Mitte ausgehöhlten Straße, die
vom Museo borbouico zum Marsfeld hinabführt, ereigneten
sich manche Unglücksfälle. Diese Straße ist in Zwischen-
räumen mit eisernen Brücken überspannt, denn zur Zeit der
Fluthen würde sich nicht einmal ein Elephant in diese „Lave"
wagen. Betrunkene Schweizersoldaten wollten ihnen Trotz
bieten und waren verloren!
Doch Unwetter und Platzregen dauern nicht ewig; der
Himmel wird wieder blau, aber die Straßen Neapels sind
dann noch sehr schmutzig und naß, und einem wohlgekleideten
Fußgänger grauet vor ihnen. Was soll er mache», wenn
er an eine mehr als zweideutige Stelle kommt, hinüber will !
und doch keine Brücke in der Nähe findet? Dann helfen
die oben erwähnten Gassenromantiker aus. Diese würdigen
Männer kommen in Hülle und Fülle aus den vielen Gaß-
chen, welche vom Fort St. Elmo nach der Stadt hinab-
führen, waten mit Lust durch den Schlamm und rufen aus
Leibeskräften: „Wer will hinüber, oh, qui passa? oh, qui
passa?" Dazu finden sich immer Liebhaber. Unser No-
mantiker packt den ersten besten Manu, der so wohlbeleibt
seiu kann wie er wolle, und allemal den Regenschirm ausge-
spannt läßt, und trägt ihn hinüber.
Dabei geht es freilich ohne tragikomische Zwischenfälle
nicht ab, und der grundgelehrte Biderba, welcher einen !
vortrefflichen Wegweiser durch Neapel und die Umgegend
geschrieben, hat einen solchen nicht nur erlebt, sondern anch
ergötzlich genug dargestellt.
Die Lave in der Toledostraße, sagt er, bildete vor den
Palast der Foresteria reale einen förmlichen See; ein an-
derer Wasserstrom fluthete von der Taverna Penta nach
San Giaeomo. Ich stand an einer Ecke des Kreuzweges
neben vielen Dienstboten, welche zu Markte gehen wollten
und sich lebhaft unterhielten, aber noch nicht hinüber wagten.
Da trat ein Wassermann auf mich zu und fragte, ob ich
hinüber wolle. Der Mann schien mir nicht sicher genug,
seine Beine sahen nicht gerade kräftig ans, und ich entgegnete
ihm ein trockenes Nein. Aber der Bandit machte es wie der
Liebhaber mit der Geliebten, er übersetzte sich mein Nein in
ein Ja, weil er mir an den Augen absah, daß ich allerdings
gern hinüber wollte.
Wir wollen hinüber, Herr?
Laß nur, ich bin viel zu schwer.
Bah, Sie sind nicht schwerer wie ein Stroh-
Halm.
Nun, meinetwegen. Wir wollen sehen, wie's abläuft.
Er packte mich, ging in den Schlamm hinein, gab sich
alle mögliche Mühe und bot alle Kraft auf, um mich zwischen
Himmel und Erde zu halten, aber die Sache wurde bedenklich.
Die Dienstboten an der Ecke riefen mir nach: „Hu, hu, der
Herr! Er wird fallen! Der kann ihn nicht tragen.--
Da liegt er!"
So war es. Der Wassermann konnte mich nicht mehr
halten, sank in die Knie, zu Boden und ich fiel über ihn her!
Da blieb er liegen und bat mich, aufzustehen. Aber ich alter
Mann, mit dein aufgespannten Schirm in der einen Hand,
konnte mich nur mit Mühe in's Gleichgewicht bringen.
Endlich giug es, unter den spöttischen Beileidsbezeugungen
der Dienstboten an der Ecke. Ich hatte eine Anwandlung
von Großmuth und gab meinem nichtswürdigen Charon,
GlobuS 1SG1. Nr. 10.
306
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
der mich nicht an's andere Ufer gelootst hatte, einen Obolus.
Aber ich konnte nicht unterlassen, ihm zu sagen:
Siehst Dn, daß ich doch schwerer bin als ein
Strohhalm?
Der Lazzarone stellte sich entzückt über meine Großmnth
und sagte: Sie haben ganz recht, Sie wiegen schwer, denn
Sie sind ein Goldmann. —
Die Antwort war vortrefflich, aber man kann derglei-
chen bei diesem faullenzenden Volke täglich hören, weil es
ein aufgewecktes Temperament hat.
Wir schlendern umher nnd gehen
vor die Stadt. Da begegnet uns
ein Corrieolo, ein Einspänner
vom Lande. Der Gaul ist armselig
und die Italiener sind Pferdeschinder,
ärger als die weiland zwischen Ber-
lin und Charlottenburg fahrenden
Kutscher, welchen allemal so lange
„nur noch eene lumpigte Person"
fehlte, bis achtzehn Fahrgäste in dem
Wagen saßen. Unser neapolitanischer
Corrieolo hat nur siebzehn. Vier
nahmen Platz auf dem Sitze und die
beste Stelle hat sich natürlich der
Pater gesichert. Es ist eine bunte
Gruppe; an der Straße sitzt der uu-
vermeidliche Bettler, er wird aber
von diesen Fahrgästen nichts erhalten.
Es lohnt sich, früh Morgens
einen Wandelgang durch Neapel zu
machen, bald nach Sonnenaufgang,
wenn in der Toledostraße, der Puls-
ader des großen Treibens und Ver-
kehrs, noch Alles still ist. Dann
kann man in aller Muße die vielen
großen Prachtgebäude mit ihren ge-
räumigen Söllern betrachten; die
Läden, welche den Raum zu ebener
Erde einnehmen, siud noch nicht ge-
öffnet. Die Straße hat (obwohl we-
niger als manche andere, weil sie
vielfach modern geworden ist) Cha-
rakter; man merkt auch hier gleich,
daß man in Neapel ist. Mitten durch
das Gewühl treiben im italienischen,
vietor-emanuelistifchen Neapel, wie
weilaud im bourbouischen, Schweine-
hüter das liebe Borstenvieh zu jeder
Tageszeit durch die Toledostraße. Es
läuft den Menschen und den Pferden
grunzend zwischen die Beine und wird
sehr lästig. Der Ziegen- und Schaf-
heerden, die sich in Italien von selbst
verstehen, will ich weiter nicht ge-
denken, weil sie harmloser siud, auch
nicht der Kühe, welche man von Thür
zu Thür treibt, wo sie gemelkt werden.
So bekommt man in Neapel unverwässerte Milch. Hühner
und Hähne schreiten gemüthlich aus deu Nebengäßchen herab
und beschauen sich, was in der eleganten Welt vorgeht;
natürlich fehlen anch die bescheidenen, aber oft sehr laut ver-
uehmlicheu Esel nicht, und eben so wenig die Bettler, welche
in Gruppen vor den Palästen liegen und mit ihren malm-
schert Lumpen einen scharfen Contrast zu dem galouirteu
Thürsteher bilden, der uns an das achtzehnte Jahrhundert
gemahnt.
©cmüfeVerlüufer in Neapel.
Inzwischen ist es in anderen Straßen, wo die kleinen
Leute wohnen, schon sehr lebhaft geworden. Wer sie durch-
wandert, findet Stoff zu mancherlei Betrachtungen, denn er
sieht, in welcher Verkommenheit die trägen Armen leben.
In den höher gelegenen Stadttheilen, von der Toledostraße
bis zu dem neuen Corso Vietor Emannel, sieht es schon
besser aus. Dort wohnen die liberalen Popolani, die nicht
mehr Lazzaroni sein oder heißen wollen, politische Clnbbs
bilden, Zeitungen halten nnd vom einheitlichen Italien spre-
chen. Für den Begriff dieses letztern
haben sie ein ganz besonderes Zeichen.
Sie heben nämlich den Zeigefinger
der rechten Hand bis zur Höhe des
Auges; wer das thut, deutet damit
an, daß er ein Anhänger der Einheit
fei. Unter diesen Popolani sind viele
Freigeister; sie tragen lange Bein-
kleider und Fußbekleidung, schlafen
in eigenen Betten, führen die Strick-
nudeln, d. h. die Maccaroni, nicht
mit Adams Gabel, nämlich den fünf
Fingern, welche der liebe Gott ge-
fchaffen, zum Munde, sondern bedie-
neu sich einer Zinngabel. Das ist
ein gewaltiger Fortschritt, zu welchem
noch kommt, daß diesePopolani weder
an Wunder glauben, noch stehlen, nnd
daß sie sogar arbeiten.
Bei diesen Leuten ist es mit
dem alten Neapel so ziemlich vorbei;
aber dafür entschädigen wir uns in
der eigentlichen Altstadt und am Mee-
resstrande; sodann in den Gassen,
welche zu dem Marktplatze führen!
Dort tauchen sogleich geschichtliche
Erinnerungen auf, denn wir sehen
die Stätten, wo der junge Hohen-
stanfe Conradin enthauptet uud wo
Masauiello ermordet wurde. Zwi-
scheu armseligen Häusern hin laufen
Gäßchen, fo schmal, daß zwei Wohl-
beleibte Mönche, wenn sie neben ein-
ander gehen, nur mit Mühe hin-
durch können. Durch wurmstichige
Thüren, welche oft nur halb in den
Angeln hängen, haben wir einen Ein-
blick in Höfe, die so schmutzig, so,
man verzeihe den Ausdruck, unfläthig
uritalisch sind, daß ein rechtschaffenes
nordeuropäisches Schwein vor sol-
chem Gräuel zurückschaudern würde.
Aus jenem Stadttheile kommen
nun Morgens die Vagabunden her-
vor, welche bis zum späteu Abend
sich umhertreiben, auf der Straße
singen, betteln, Zeitungen und Katzen-
_ futter ausrufen und feil haben, und,
vor allen Dingen, Sacktücher stehlen. Alle diese Leute
glauben an die Wunder des Heiligen Januarius.
Früh erheben sie sich von ihrem armseligen Lager, so-
bald der Morgen hinter dem Vesuv aufdämmert. Dann ist
auch schon der Branntweinverkäufer auf deu Beinen uud
ruft ans voller Kehle fein Centerbe, Cent erbe! Er
ist gleichsam der Hahn, welcher die wilde Bevölkerung ans
dem Schlafe aufkräht.
Der geringe Mann in Neapel hat natürlich keine
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
307
Taschenuhr und richtet sich auch nicht nach der Sonne. Er
hat ganz andere Merkzeichen, an denen er abnimmt, was die
Glocke geschlagen hat. Das sind die herumziehenden Häud-
ler, welche allemal zu bestimmter Tageszeit an ein und der-
selben Stelle eintreffen. Biderba hat diesen Gegenstand er-
götzlich genug an der Tagesgeschichte Pinerol's erläutert.
Pinerol war Sergeant unter den Seesoldaten, starb
und hinterließ seiner Wittwe eine Taschenuhr nud einen
Sohn. Die Frau lebte nach Ordnung und Regel. Morgens
wachte sie auf, sobald der
Branntw ein-Verkäuser
rief, schlug ein.Kreuz, mnr-
melte ein Gebet und ging an
die Arbeit. Vorher halte sie
ihren Sohn, den jungen Pi-
nerol, geweckt. Der erhob sich
dann wohl vom Lager, schlug
einmal die Augen auf, fiel aber
sogleich wieder hin, wie ein
Zappelmann, dessen Faden
man losläßt. Bald nachher
rief die Mutter uoch einmal,
aber Piuerol hörte nicht; sie
schüttelte ihn derb, aber das
socht den Jungen nicht an; sie
schalt und drohete, aber Pine-
rol schlief. Nachdem einige
Zeit verflossen war, sprang er
plötzlich auf, fuhr iu seine
Beinkleider und rannte nach
derHausthür. Weshalb? Tie
Kastanienh ändlerin ging
durch die Straße und rief ihre
Waare aus. Sie war an jedem
Morgen Pinerol's Weckuhr.
Nach dein Frühstück mußte
Pinerol für seine Mutter Koh-
len kaufen. Daß er dabei Um-
wege machte, versteht sich von
selbst; er traf seines Gleichen,
die es gerade so machten, wie
er selber; die liebe Jugend trieb
allerhand Schäkerei und Knrz-
weil. Inzwischen zählte seine
Mutter die Minuten, denn es
gingen ja die Leute vorüber,
welche weißen Käse (Ricot-
tello) und Buttermilch ver-
kaufen. Endlich kommt der
jungeBummler und singt einen
Gassenhauer, der eben bei
Seinesgleichen Mode ist.
Ich kenne ein Mägdlein
Wie Honig so süß;
Das heißt Caroline,
Hat 'ne liebliche Aiiene n. s. w.
Bettlerinnen in der Toledostraße, Neapel
„Hängen sollst Du (Meifo)!" ruft die Mutter. „Hast
eine ganze Stunde vertrödelt, Taugenichts!"
„Eilte Stunde sagst Du, Mutter?"
„Ja, eine volle Stunde. Hörst Du nicht die Ziegen drau-
ßen?" — Ziegen und Kühe kommen nämlich um 7 Uhr-
Morgens vorüber. Pinerol weiß sich zu helfen und antwortet:
„DieZiegen müssen heute sehr früh aufgestanden sein."
Darauf versetzt ihm die Mutter einen Klaps, Pinerol flennt
und verwünscht Kühe und Ziegen, weil ste so genaue Stun-
denweiser sind.
Wittwe Pinerol hat jetzt Feuer auf dem Herde. Jetzt
kommen Leute vorüber, welche Fleisch nud Gemüse ver-
kaufen. Nun ist es acht U h r. Die E i erh ä n dler inu en
erscheinen nicht vor neun Uhr. Sobald sie sich blicke» lassen,
muß Piuerol den Besen zur Hand nehmen und kehren. Nach
vollendeter Arbeit vernimmt er die rauhe Stimme des M a-
rinaro, der ans Sorrent kommt, und Butter ausruft.
Jetzt geht Pinerol zur Mutter, sagt ihr, daß der Topf auf
das Feuer müsse, denn es ist zehn Uhr.
Um els Uhr kommen
die Rieotte aus Castellamare,
und Pinerol siugt ein Liedlein;
bald nachher schreien allerlei
Verkäufer durch einander, und
nnu weiß er, daß Mittags-
zeit sei. „Mutter, Mutter,
zu esseu!" Ohi ma, a magna!
Um e i ii Uhr stellen sich
die Radies chen-Verkän-
ser ein. Mutter und Sohn
danken dem lieben Gott für
die gesegnete Mahlzeit; sie
geht an ihre Arbeit, er wäscht
die Teller und ist damit fertig,
wenn er rufen hört: „ G e r ö -
stete Kastanien!" Nun hat
es zwei Uhr geschlagen.
Um drei Uhr wird gerufen:
„Schwefelwasser!" und
die Wittwe trinkt ein Glas.
Um vier Uhr, wenn die Kühe
da sind, darf'Pinerol spielen
nud kann ausgehen, aber nur
bis fünf, weil dann die Kühe
zurückkommen. Vom Besuch
der Schule ist natürlich keine
Rede.
Bis dahin zeigt das Aus-
rufen genau an, was die Glocke
geschlagen hat; nun ist aber
eine Lücke, wenn nicht der
Fischhändler kommt, der
sich um sechs Uhr einstellt.
Aber der Fischfang hängt sehr
von Wind und Wetter ab,
und ist unsicher. Indessen,
man sieht ja daß die Sonne
zur Neige geht. Es wird dun-
kel; Pinerol zündet die Lampe
an, nnd nun kommen die
Abendverkäufer. Um neun
Uhr jene mit Oliven. Die
Wittwe und der Sohn speisen
zn Nacht. Der Kastanien-
Händler; also zehn Uhr.
Um elf ruft der Kanin-
chenhändler, und nun ist es Zeit zum Schlafen gehen.
Die Mutter erzählte gerade ein Mährchen, aber der Kanin-
chenhändler hat gerufen, folglich muß die hübsche Historia
abgebrochen und ein Rosenkranz gebetet werden. Also zuBette.
Um zwölf Uhr läuten die Glocken der dreihundert und
siebenüa Kirchen Neapels, und das dauert wohl eine Vier-
telstunde laug. Nun schläft Alles.
Wir gehen Abends in die Hafengasse, in welcher wir
ein ganz besonders reges Treiben finden. Eßwaaren aller
Art stehen in Menge feil, im Freien und in Läden, in Bnden
39*
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung. 309
Wasserverläufcr, 23äin
erscheint unbedeutend neben den Verkäufern der Wassermelo- I
neu, Pasteken. Diese prahlen entsetzlich und überbieten ein-
ander in Aufschneidereien. Vor der Bude des einen sehen wir
ein Bild, auf welchem sich Polichinello und Don Nicolaus
präsentiren, wie sie eine gewaltige Meloue auseinander sägen.
Vor einer andern finden wir eine gewaltige Kanone, aus
welcher Melonen hervorplatzen; ein drittes Bild stellt einen
Vulkan dar; er speit Melonen aus. Die Melone ist eine
Lieblingsfrucht der Neapolitaner. Ost steckt der Kopf eines
Jungen in der Schale einer Acetone; er ißt, er trinkt Me-
lone und wäscht sich mit der Melone sein braunes Gesicht.
Nichts ist ergötzlicher, als wenn zwei Mellouar i, deren
Zelte einander gegenüber stehen, sich überbieten wollen im
Anpreisen ihrer Waare. Der eine ruft so viel seine Lungen
nur ausgeben:
„Castellamare, Castellamare! Seht hier das Wunder, j
Sie sind aus Castellamare!"
Ein anderer versucht ihn zu überbieten und schreiet aus
Obst- und Essig-Händlsr.
„Hier seht ihr das achte Wunder der Welt! Feuer,
Feuer ist hier."
Aber sein Gegner bleibt ihm nichts schuldig und setzt
nun erst recht einen Trumpf auf: „Hier ist der Vesuv, der
Vesuv, eine Melone wie der Vesuv!"
Der andere heult: „Hier halte ich den Aetna in der
Hand, den Mongibello! Meine Melone ist der Aetna!"
Wie kann eine solche Hyperbel noch überboten werden?
Der Mellonaro macht eine Pause, während der andere stolz
und siegesgewiß ihn anblickt. Aber dann bricht das Unge-
Witter los, und eine Donnerstimme brüllt:
„Hier, hier, meine Melone ist die Holle mit
allen Teufeln! Nun sieh zu, was Du dagegen ausrich-
ten kannst !"
Er blieb Sieger. Das Volk lachte und pfiff und klatschte
in die Hände, kaufte von beiden Händlern Melonen, ver-
zehrte Vesuv und Aetna, Sonne und Mond, Hölle und
Teufel, und wusch damit das braune Gesicht.
und in Zelten, die dürftig genug aussehen, aber doch gegen
Sonne und Schlagregen ein Obdach gewähren. Wir finden
Alles beleuchtet, aber nicht gerade glänzend, denn die Later-
nen schimmern nicht stark und ein Oellämpchen in einer
Papierdüte thut auch seinen Dienst. Die Menschenmenge
wogt auf und ab. Viele sind, an Sommerabenden, mehr als
dürftig gekleidet; nackte Beine, nackte Füße, nackte Arme, oft
nur Beinkleider bis auf die Schenkel und dazu ein Hemd;
das ist Alles. Es herrscht ein wirres Durcheinander und ein
unbeschreiblicher Lärm. Der Neapolitaner bewegt sich stets
in Übertreibungen; er kann nichts kaufen, ohne dabei zu
zanken, und beim Zanke schwatzt er sich in die Wnth hinein.
Streit um ein paar Pfennige führt nicht selten zu Messer-
sticheu. Es reguet Schelte und Flüche; man schreiet, kreischt,
brüllt und lacht, uud durch diesen Höllenspeetakel donnert die
Stimme der Händler hindurch, welche ihre Waare anpreisen.
Da ist der Castagnano, der, mit heiserer Kehle aus
hohler Brust, seine gerosteten Kastanien anpreist. Aber er
Leibeskräften: „Meine Melonen kommen aus dem Schnee,
und sind doch Feuer!"
Nun spaltet jeder eine Melone, hält sie trinmphirend
empor und schlägt mit beut Messer auf das Brett. Dabei
hört man: „O, seht nur diese Herrlichkeit, schauet das Wun-
der, staunet die Pracht an. H ier g eht die S 0nne auf!"
Der andere nimmt die beiden Halbschnitte seiner Me-
lone in die Hände, schlägt die Arme kreuzweis übereinander,
indem er sie der gaffenden Menge entgegen weit ausstreckt
und ruft wie ein Besessener: „Das dort soll die Sonne sein?
Seht hier den Mond." Nun ist die Schlacht eröffnet. Der
Mann der Mondmelone läßt einen Lazzaroneknaben herbei-
kommen, der eine mächtig große Meloue auf dem Kopfe trägt.
Der Mellonaro, keck wie einst Wilhelm Teil, zerschneidet die
Melone ans dein Haupte des Jungen. Der Schnitt war
meisterhaft. Der Verkäufer lehnt sich weit nach vorne über,
streckt Kopf, Arme, den ganzen Oberleib vor und schreiet
aus voller Kehle:
310
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Doch wir wenden uns zn einem andern Manne, dem
M accaroniverkänfe r. Er ist ein gesetzter, ruhiger, woh l-
beleibter Mann und seine Frau nicht minder gut conditio-
nirt, eine Gestalt, wie Rubens sie gern malte. Der Macca-
ronaro redet acht neapolitanisch und wir haben Mühe zn
verstehen, was er sagt. Er ruft: A vi cca la cotta de Ii
vierdi! Das bedeutet etwa so viel als: Hier ist es, das Ge-
kochte der Grünen! Grün ist gleichbedeutend mit frisch, und
das Ganze soll sagen: die Stricknudeln seien frisch gekocht,
nicht etwa aufgewärmt. Ein Neapolitaner redet am liebsten
farbig und in Bildern. Der Maccaronaro fährt mit Stab
oder Löffel, manchmal auch mit den Händen in seinen Kessel,
langt die Nudeln heraus, und vertheilt sie auf schüsselartigen
Tellern an seine Kunden. Der Hungrige nimmt den Teller
in die eine Hand, langt mit Adams Gabel die Mehlstricke
heraus, und läßt sie, bei hinten übergebeugtem Kopse
in den weit geöffneten Mund gleiten. Dabei schwimmt
sein gen Himmel gerichtetes Auge in Seligkeit. Hinterher
schlürft er etwas Brühe von Paradiesäpfeln oder gefchmol-
zene Butter. Mit zwei Pfund Stricknudeln ist der Lazza-
rone in drei Minuten fix und fertig. Er verschlingt in
derselben Zeit noch zwei Pfund, wenn Jemand für ihn be-
zahlen will.
Ein anderer Mann verfertigt Franfellicchi, eine
sehr beliebte Speise aus Mehl, Honig und Eiern, welche
man durcheinander rührt und zum Teige knetet, und der in
unendlich langen, elastischen gelben Bändern zusammengerollt
wird. Der P izzaiolo kocht seine dnftigeWaareunterfreiem
Himmel; einen Hanptbestandtheil bildet Knoblauch in über-
reichlicher Menge; dazn kommen Gemüse, Sardinen, Schin-
ken, Mazzarella, d. h. faseriger, zäher Käse und allerlei Ge-
würze. Zu dem Pizza trinkt man Wein, nämlich Jalerner,
Lacrimä Christi und Marsala.
Mit dem neapolitanischen Wein hat es freilich eine
ganz eigene Bewandniß. Die Christnsthräne ist längst aus-
gegangen; die Stellen, wo sie einst gedieh, sind unter der Lava
des Befnvs begraben. Der Marsala, der Falerner und der
Weiil von Capri sind heutzutage Fabrikate. In Neapel soll
man eigentlich nur Graguauo oder apnlischen Wein trinken,
wohlverstanden, wenn man sie rein bekommt.
Am Hafen sitzen anch noch die Bendi spighe, Ver-
käuferinnen, welche geröstete Maisähren seit bieten. Mit
dieser Speise beHelsen sich die ganz armen Leute; diese Kol-
ben werden als — junge Truthähne bezeichnet und als
„schön, zartig uud saftig" angepriesen. Übertreibung, oft
sehr naive, in allen Dingen!
Kapitän Richard Burton bei den Mormonen in der Stadt am Großen Salzsee.
Burton ist ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Mann
und ein Entdecknugsreiseuder, welchem an Tüchtigkeit nur wenige
gleichkommen. Nachdem er eine gründliche Schulbildung, na-
mentlich in deu Sprachen des Alterthums erhalten, trat er in das
englisch-ostindische Heer, machte Reisen durch die Länder, welche
sich im Süden des Himalaya zwischen dem Indus und dem Bra-
maputra ausdehnen, und schrieb ein höchst anziehendes Wert über
die Malabarküste und die Nilgherris, welchem bald ein zweites
über Sindh, überhaupt das Gebiet am untern Indus folgte.
Er lernte mehrere indische Sprachen gründlich, uud beobachtete
unbefangen Alles, was er sah. Vor den meisten seiner britischen
Landsleute zeichnet er sich rühmlich dadurch aus, daß er keinerlei
Borurtheile hat; dadurch ist er iu den Stand gesetzt, redlich zu
prüfen uud eiu sicheres Urtheil zu fällen.
Arabisch redet er so fließend wie eiu Beduine, die Sitten und
Gebräuche des Orientes kennt er wie ein Eingeborener, und er
weiß sich völlig in die Anschauungen der Morgenländer hinein-
znleben. Er gehört zu deu wenigen Europäern, denen es gelungen
ist, bis uach Mekka an das Grab des arabischen Propheten zn ge-
langen, und er wußte seine Rolle als Muselmann mit glänzendem
Erfolge durchzuführen. Das Bnch, welches er über feine Pilgerfahrt
veröffentlicht hat, ist ungemein anziehend uud bezeugt seine gründ-
liche Gelehrsamkeit so sehr, daß es ihm eine Stelle in den vordersten
Reihen der Kenner des Orientes sichert. Schon vorher unternahm
der kühne Mann das Wagniß, uach Härrär vorzudringen, wel-
ches vor ihm noch nie eines Europäers Fuß betreten hatte. Des-
halb wurde diese Mohammedanerstadt als das „ostafrikanische
Timbuktu" bezeichnet. Bnrton brach den Bann, indem er von
Zeyla ans glücklich durch die Wüste der Somal bis nach Härrär
gelangte uud wohlbehalten nach Berber« zurückkam.
Die großen Dienste, welche er der Wissenschaft geleistet, brach-
teu ihm nicht geringen und wohlverdienten Ruhm, aber Bnrton
erhöhete denselben noch durch seine Reise in nie zuvor erforschte
Gegenden Ostasrika's. Er entdeckte den Tanganyika-See, wie sein
Gesährte Speke den Victoria-Nyanza-See. Burton's Werk über
diese Entdeckungsreise enthält eine wahre Fülle wichtiger Ergeb-
uisse für die Länder- und Völkerkunde und ist ungemein anziehend
geschrieben. Denn Bnrton, ein Mann von Geschmack, stellt vor-
trefflich dar, hat einen lebhaften Styl und vermeidet jene Weit-
fchweistgkeit, durch welche so viele englische Bücher lästig werden.
Nie legt er, gleich so manchen seiner Landsleute, Gewicht auf Un-
bedeutendes. Er hat uebcn Geist und Gelehrsamkeit anch Humor
uud gebietet über eiue seine satyrische Ader. Als Reisender zeigt
er sich klug und gewandt, und sein kaltblütiger Mnth bietet allen
Gefahren Trotz.
Auf jener ostafrikanischen Reise litt seine Gesundheit durch die
Einflüsse des afrikanischen Fiebers entsetzlich. Er wollte sie in der
reinen Luft der nordamerikanischen Prairien und iu deu Schnee-
gebirgen stärken, und unternahm deshalb einen „kleinen Ausflug"
nach der Renen Welt, die er vom Hudson bis zum goldenen Horn
bei Sau Francisco in Calisornien durchzog. Die Resultate der-
selben hat er kürzlich in einem ausführlichen Buche: The City of
the Saints and across the Mountains to California, t>y Richard
F. Burton, London 1861, 707 Seiten, veröffentlicht. Im Lause
des vorigen Sommers ist Bnrton als englischer Konsul naä)
Fernando Po an der Westküste von Afrika gegangen, und wir
dürfen von ihm interessante Nachrichten über die Niger-Länder
erwarten.
In dem großen uordamerikanischen Binnenbecken, zwischen
den Felsengebirgen und der Sierra Nevada, dessen Strome und
Seen keinen Abfluß zum Ocean haben, wohnen bekanntlich jene
wunderlichen Leute, welche man gewöhnlich als Mormonen be-
zeichnet. Diese in deu Vereinigten Staaten abscheulich mißhan-
delten, von der Unduldsamkeit und dem Neide blntig verfolgten
Leute, suchten seit 1847 in jener Einöde eine Zuflucht, uud wau-
delten durch ihren Fleiß die Wüste in einen Garten um. Von der
Stadt am Großen Salzsee ans haben sie weit und breit Ansiede-
lungen gegründet, und das „Territorium Utah", welches die Mor
monen als Deseret, Land der Honigbiene, bezeichnen, hat
gegenwärtig mehr als 60,000 Bewohner.
Die Mormonen weichen iu ihren religiösen Ansichten vielfach
von jenen der verschiedenen christlichen Kirchen ab; sie sind wun-
derliche Schwärmer; ihre Polygamie, obwohl sie dieselbe aus der
Bibel und mit der Majorität des Menschengeschlechtes rechtfertigen,
hat für uns etwas Anstößiges, und mit der demokratischen Theo-
kratie dieser Schwärmer werden wir uns nicht befreunden können.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
311
Aber diese Mormonen bilden eine der interessantesten Erschei-
nungen in der Geschichte der Völkerpsychologie aller Zeiten, und
wenn sie bisher dnrch die „Pöbelhastigkeit der Jankees" verfolgt,
geschmäht und verleumdet worden sind, so wird damit nichts er-
klärt. Man hat den Mormonen viel mehr Uebles nachgesagt, als
zn rechtfertigen ist; sie sind keine „Tensel in Menschengestalt",
keine ,,Ungeheuer", sondern ordentliche, steißige, ungemein betrieb-
fame Leute mit seltsamen religiösen Begriffen und eigentümlichen
Staats- und Kircheneinrichtungen, welche bei ihnen zusammen-
fallen. Burton hat den Mnth, diese Lente unbefangen zu wiirdi-
gen, und sie nicht mit dem Maßstäbe des ordinären Fanatismus zu
messen. Wir werden gelegentlich einige seiner Schilderungen mit-
theilen; heute erzählen wir den Besuch des Briten bei dem Präsi-
denten der Mormonen, Brigham Aonng, welcher an der Spitze
der Mormonen steht, seitdem Joseph Smith, der Gründer und
„Prophet", zn Carthago in Illinois von den Uankees ermordet
wurde.
Sin Besuch beim Präsidenten Brigham 1)oung.
Burton war mit dein von Washington aus zur Verwaltung
des Utah-Gebietes nach der Stadt am Salzsee geschickten Gonver-
nenr Cumming bekannt geworden. Er bat denselben, ihn bei
Brigham Uoung einzuführen, nnd erhielt den Bescheid, daß er am
31. August 1860, Morgens um elf Uhr willkommen sein werde.
Nun erzählt er: Der „Präsident der Kirche Jesn Christi der Hei-
ligen des jüngsten Tages über alle Welt," muß beim Empfange
von Fremden einige Vorsicht beobachten, nicht blos ans Rücksicht
für seine persönliche Sicherheit, sondern auch mit die Würde seiner
Stellung gegen manche Leute zu behaupten, die da vermeinen, sie
könnten einem Mormonen gegenüber die Gebote der Höflichkeit
hintenansetzen und sich Grobheiten erlaube«.
Gegen Mittag begab ich mich mit Gouverneur Cumming zum
Präsidenten. Der Thürsteher war ganz einfach gekleidet, scheinbar
unbewaffnet und ging in der Veranda auf nnd ab. Im Arbeits-
zimmer des Propheten fanden wir mehrere Männer; sie erhoben
sich, um den Gouverneur zu begrüßen. Brigham Uoung trat auf
mich zu, schüttelte mir in schlichter Weise die Hand, stellte mich den
Anwesenden vor und bat mich, auf eiuem Sopha Platz zu nehmen.
Indem ich diesen Mann schildere, mache ich mich keiner In-
diskretion schuldig nnd verletze die Gastfreundschaft nicht. ?)onng
ist kein gewöhnlicher Sterblicher, sondern ein „Seher, Offenbarer
und Prophet, der von Gott alle Gaben hat, mit welchen der Herr
das Haupt der Kirche begnadete;" feine Erlebnisse, Lithographien
und Photographien sind schon oft veröffentlicht worden. So bin
anch ich berechtigt, ihn zn schildern, und ich bin es um so mehr, da
ich nur Günstiges über ihn zu sagen habe.
Der Prophet ist am 1. Juni 1801 zu Whittingham im Staate
Vermont geboren; er war also nennnndfünfzig Jahre alt, sah aber
aus wie ein Mann von sünfuudvierzig. Ich hatte mir unter ihm
einen Greis vorgestellt, aber fein blondes Haar, das halb gelockt
bis unter die Ohren hinabfällt, hatte kaum eine Spur von Grau.
Stirn etwas niedrig, Augenbrauen dünn, Auge» graublau, mit
ruhigem, gefaßtem, auf etwas Zurückhaltung deutendem Ans-
drucke; das linke Augenlid hing etwas herab, eine Folge früheren
Nervenleidens; deswegen trägt er, wo es irgend statthaft ist, den
Kopf bedeckt, aber zu Hause und im Tabernakel nicht. Nase dünn,
etwas zugespitzt und nach der linken Seite hin etwas gebogen; die
Lippen sind geschlossen, wie bei so vielen Neuengländern; die Zähne,
besonders jene des Unterkiefers, mangelhaft, Wangen fleischig,
Kinn etwas spitz, Hände wohlgeformt, Gestalt breitschulterig.
Der Prophet trug sich einfach wie ein Quäker, uach altem
Schnitt, „in Homespun", Zeug, das im Lande selbst gesponnen
und gewebt ist; Halstuch und Weste waren von schwarzer Seide,
die Uhr hatte eine goldene Kette.
Der Prophet glich einem nenengländischen „Gentleman-Far-
mer", und kann anch als ein solcher betrachtet werden; sein Vater
war Ackersmann, diente als Soldat während der Revolution nnd
siedelte sich „Dowu East", in Neuenglaud. an. Yonng hat sich,
wie bemerkt, vortrefflich confervirt, weil er einen guten Schlaf be^
sitzt. Seiu ganzes Benehmen ist einfach, höflich, gesprächig nnd
macht einen guten Eindruck; es liegt gar keine Prätension darin,
nnd sticht sehr günstig ab mit dem Gebahren gewisser Psendo-
Propheten in anderen Ländern, die alle den Logos selber in der
Tasche zu haben vermeinen und bis fast zum Wahnsinn hochmüthig
sind. Ionug zeigt auch uicht die Spur von Dogmatismus, Bigo-
terie und Fanatismus; mit mir sprach er nicht einmal über Reli-
gion. Auf den Fremden macht er den Eindruck, daß man es mit
einem Mauue von nicht gewöhnlicher Kraft und Gewalt zn thnn
habe, und seine Anhänger sind von seinen Geistesgaben geradezu
entzückt. Gewöhnlich sagt man, es gebe in der Stadt am Salzsee
nur ein Oberhaupt nnd das sei „Brigham".
Brigham hat ein ruhiges, gleichmäßiges Temperament, sein
Benehmen ist, wie der Ausdruck des Gesichts, ruhig; aber er ist
nichts weniger als mürrisch oder methodistisch, nnd wo er es für
uöthig hält, weiß er die Waffe des Lächerlichen meisterhaft zu Hand-
haben nnd ein Wort zn sprechen, das uicht so leicht wieder vergessen
wird. Seine irrenden Anhänger tadelt er oft mit Vorsatz in sehr
heftigen Ausdrücken; er beobachtet scharf, hat ein ausgezeichnetes
Gedächtniß und ist ein vollendeter Menschenkenner. Einen Frem-
den, der ihm nicht behagt, läßt er nie wieder vor. lieber seine
mäßige, ungemein nüchterne nnd enthaltsame Lebensweise herrscht
nur Eine Stimme. Er lebt wie ein Aseet; seine Lieblingsspeise
besteht in gerösteten Kartoffeln und Buttermilch; er trinkt zumeist
Wasser, verschmähet, wie alle strengen Mormonen, die geistigen
Getränke, erlaubt sich nur leichtes Lagerbier, und nimmt keinen
Taback. Man hat ihm nachgesagt, er sei ein Trinker, aber das
gerade Gegentheil ist der Fall.
Ueber seine wissenschaftliche Bildung habe ich fein Urthcil; er
wird mehr daö Leben als in Büchern studirt habeu. Mir fiel auf,
daß er einmal impetus statt impßtus sagte; aber er drückt sich flie-
ßend und correct aus, näselt nicht, trägt keine Salbung in seine
Reden hinein und spricht als Sachkenner sehr verständig über Acker-
bau und Viehzucht. Auch spielt er uicht im Geringsten den heiligen
Mann, sondern macht den Eindruck schlichter Ehrbarkeit. Seiue
Anhänger sehen in ihm einen Engel des Lichtes, seiue Gegner einen
verdammten Kobold; ich glaube, er ist weder das eine noch das
andere. Man hat ihn einen Scheinheiligen, Schwindler, Betrüger
und Mörder gescholten, aber danach sieht er am allerwenigsten aus.
Andere Gewährsmänner finden in Brigham Ionng „einen hart-
nackigen, selbstsüchtigen Enthusiasmus, der es mit seiner Sache
ernsthaft meint, der angefacht sei durch Verfolgung nnd in Flam-
men geratheil durch Blutvergießen." Er ist der Sanet Paulus
der neuen Offenbarung. Aufrichtig in seinem Glauben und mit
Wahrhaftigkeit brachte er in dem zusammenhanglosen, unruhigen
und unbedachtsamen Fanatismus des Gründers Joseph Smith
Ziel und Nachdruck, nnd daß er sich in großartiger Weise ans die
Leitung der Dinge und die Benutzung der Verhältnisse versteht,
das hat er bewiesen. In seinem ganzen Wesen ist auch uicht eine
Spur von Anmaßung; er übt die Gewalt schon so lange aus, daß
ihm sicherlich nichts daran liegt, sie zur Schau zn tragen. Eine
fremdartige Masse widerstreitender Elemente bewältigt er dnrch
unbeugsame Willenskraft, tiefe Verschwiegenheit nnd eine ganz
ungewöhnliche Schlauheit.
So ist Seine Excellenz Brigham Uoung „Anstreicher und
Glaser" (was er iu seiner Jugend war), Prophet, Offenbarer,
Ueberfetzer und Seher, der Mann, welcher verehrt wird wie ein
König oder Kaiser, Papst oder Hoherpriester; der gleich dem Alten
vom Berge Tod nnd Leben Aller, die in seinem Bereiche sind, in
der Hand hat, der verwaltet nnd regiert, mit dem Schwerte des
Herrn zum Kampfe bereit war, und mit einigen hundert Männern
den damals mächtigen Vereinigten Staaten entgegen trat, der alle
feine Diplomatie znschanden gemacht hat, und endlich mit dem
312
Globus, Chronik der Reisen
nnd Geographische Zeitung.
Präsidenten der großen Republik einen Vertrag abschloß, wie
Großmacht mit Großmacht.
Man hat schon oft die Frage aufgeworfen: „Was soll denn
endlich einmal mit den Mormonen werden?" Ich fragte mehr
als einen „Heiligen": „Wer kann oder wer wird Herrn Uouug's
Nachfolger sein?" Das wußte Niemand, es bekümmert aber auch
Keinen. Um den gewöhnlichen Verlans der Geschichte kümmert
man sich nicht; die Mormonen meinen, daß ihr starker Cromwell
keinen schwachen Richard zum Nachfolger haben werde. Sie sagen,
daß in schwerer Zeit der Herr in Brigham Aoung, einem damals
wenig beachteten Manne, den rechten Nachfolger für den Propheten
Joseph Smith erweckt habe. Von diesem letztern sprechen die
Mormonen ehrerbietig, mit halblauter Stimme, etwa wie Christen
vom Begründer ihres Glanbens. Wenn nun die Zeit der Nach-
folge eintrete, dann werde unter den Heiligen schon ein Theokrat
auferstehen, um das Volk Israel zu erhöhen.
Ich glaube, der Prophet Ioung führt seiu Amt kraft einer
Art von geistiger Lehnspflicht nnd Treue gegen die Familie Smith.
Der älteste Sohn derselben, welcher gleich seinem Vater, dem
Gründer der Mormonen, Joseph heißt, ist zwar von seinem Vater-
gesegnet worden, hat aber vor einigen Jahren ein Schisma erregt.
Seine Mutter heirathete nach dem Tode des ersten Propheten einen
NichtMormonen, einen „Gentile"; auf ihren Antrieb erklärte sich
Joseph der Jüngere gegen die Polygamie und wohnt seitdem zu
Nanvoo in Illinois. Die Mormonen sind bereit, diese Familie in
der Stadt am Großen Salzsee aufzunehmen, falls der HErr eine
Offenbarung dazu giebt, indeß ich glaube kaum, daß sie in jenem
Joseph ihr zukünftiges Oberhaupt erblicken; aber von dem jüngern
Sohne David, welcheu die Mntter gebar, uachdem der Vater als
Märtyrer in Carthago gefallen war, hoffen sie große Dinge. Auch
vom ältesten Sohue Brigham's, von Joseph A. Ionng, der Reisen
in Europa gemacht hat, wird Großes erwartet.
Nachdem ich mir den „Löwen des Herrn" genau betrachtet
hatte, sah ich mir die anderen Lente im Zimmer an. Neben mir
saß Daniel H. Wells, der „General", Befehlshaber der Nanvoo-
Legion und Oberausseher der öffentlichen Arbeiten. Er ist im Mor-
moneutrinmvirate der dritte Präsident, nnd war einst Friedens-
richter nnd Aeltermann in Illinois, als dort 1839 die Mormonen
sich aufhielten. Dieser „Squire Wells", wie man ihn gewöhnlich
nannte, trat zu den Heiligen über, als diese 1846 ans Nanvoo
vom Uankeepöbel verjagt wurden. Squire Wells focht tapfer mit
den Wasfeu. Er ist eiu hochgewachsener, knochenstarker Mann mit
röthlichem Haar und genießt große Achtung. Der zweite Präsi-
dent, Heber E. Kimball, war nicht bei Brigham ?)onng; dieser
machte mich aber bei einer andern Gelegenheit init ihm bekannt.
Als Kimball in England in einer Methodistenverfammlung
war, versuchte eiu Geistlicher, ihm den Stnhl unter dem Leibe hin-
wegzuziehen, damit er zu Fall käme. Kimball ist mit Aoung in
demselben Jahre geboren, wurde 1832 getauft, ist eiu unbedingter
Anhänger des Propheten, ein Jonathan für den David, ein Omar
für den neuen Islam. Der kräftige Mann sieht aus wie eiu
Grobschmied, und eiu solcher ist er iu jungen Jahren anch gewesen;
jetzt hat er schöne Häuser und Scheuern, Gärten und Felder.
Ich lernte beim Propheten auch deu Apostel Georg A. Smith
kennen. Er ist ein Neffe des ersten Propheten und Gefchichtschreiber
nnd Archivar, ein lebendiger Kalender aller Ereignisse, welche das
Mormonenthum betroffen haben, und war als Missionar iu England.
Doch ich weude mich wieder zum Propheten. Er empfing
uns, wie bemerkt, in seinem Privat-Arbeitszimmer. Dort besorgt
er den größten Theil seiner Geschäfte, entwirft seine Nedeu und
führt die sehr ausgedehnte Privatcorrespondenz. In dem einfachen,
säubern Gemache stehen die notwendigsten Möbel und ein eiserner
Geldschrank, au deu Wänden hingen ein Pistol, eine Büchse uud
ein zwölflänfiger Revolver, welchen ein Mormone erfunden hat.
Alles war ordentlich im höchsten Grad; eine knarrende Thür, ein
nicht regelmäßig hängendes Ronlean kann Brigham Yonng um
alles in der Welt nicht leiden. Er giebt den Arbeitern in der
Schreibstube oder auf dem Feld ein für allemal gründliche Anwei-
fnng in klaren Ausdrücken, nnd kommt dann nicht wieder anf den
Gegenstand zurück. Das ist bezeichnend für seiu ganzes Verfahren;
er geht bedächtig, langsam, aber anch entschieden zn Werke. Einst
war er ein armer Mann, jetzt gilt er für reich. Die „Ungläubigen"
sagen, er habe fein Geld vom Zehnten, durch Ausplünderung seiner
Anhänger, und weil er die Ungläubigen beraubt habe. Ich meiner-
feits hege die Ueberzengnng, daß Niemand Almosen und Kirchen-
abgaben pünktlicher entrichte als der Pr. phet. Im Jahre 1859
soll sein Vermögen etwa 250,000 Dollars betragen haben. Das
ist sehr viel für jenes.Land. Er hat es zumeist durch deu Handel
erworben, denn Brigham ist, wie der Jmam von Maskat, zugleich
Hoherpriester und Kaufmann; er sendet Güterwägen nach den alten
Staaten nnd versorgt Karawanen uud Ansiedler init mancherlei
Bedürfnissen. An den Holzliefernngen für die Truppen der Ver-
einigten Staaten im Camp Floyd verdiente er eine beträchtliche
Summe.
Ich sagte dem Propheten, daß es mein Wunsch gewesen sei,
Utah anö eigener Anschauung kennen zn lernen. Dann sprach er
mit mir über Viehzucht, Ackerbau uud die verschiedenen Boden-
arten. Nachher kam die Rede anf die sogenannten Jndianerkriege.
Er sagte, daß darüber manche Uebertreibnngen in Umlauf gesetzt
worden seien; er richte mit etwas Mehl und Zeng mehr aus, als
die Truppen mit Säbeln und Büchsen. Iu demselben Sinne
äußerten sich die anwesenden Herren. Der, wie die Mormonen
meinen, israelitische Stammbaum Lemuels, d.h. der amerika-
uischen Indianer, und die Prophezeiung der Mormonenbibel, daß
„nicht viele Geschlechter vergehen werden, bis sie in eiu weißes und
hübsches Volk sich umwandeln," stößt zwar geschichtlich nnd ethno-
logisch auf alle denkbaren Schwierigkeiten, hat aber in der Praxis
eine gute Wirkung. Denn die Mormonen behandeln den braunen
Mann ungleich humaner als die Amerikaner; sie geben ihm Nah-
rnng, Kleidung und Unterkommen, nnd binden ihn durch gute
Werke an ihr Interesse.
Sklaverei wird in Utah geduldet, aber nur, damit die Heiligen
verlassene Jndianerkiuder kaufen nnd erziehen. Das Gesetz darüber
ist von wahrhafter Menschenliebe diktirt worden. Die Indianer
bieten nicht selten ihre Kinder zum Verkauf aus oder verspielen sie.
Kinder, welche anderer Indianer Sklaven sind, werden wohl nicht
erschlagen, immer aber sind sie in der beklagenswertesten Lage.
Nuu sagt das Gesetz: „Ziehen wir alle diese Thatsachen iu Erwä-
gung, so will es uns als Pflicht für ein menschenfreundliches und
christliches Volk bedünken, diesen unglücklichen Menschen Abhülfe
ihrer Leiden zn gewähren."
Diese angekauften Jndianerkiuder werden sehr gut behandelt.
Ich habe bei den Mormonen nur etwa ein halbes Dutzend Neger
gesehen; das Klima giebt überhaupt deu Ausschlag in Betreff der
Verwendbarkeit weißer oder schwarzer Arbeiter. In kaltem Klima
hält man schon deshalb keine Sklaven, weil sie weit mehr kosten,
als ihre Arbeit einbringt.
UebrigenS wird bei den Mormonen der Neger nicht in die
Gemeinschaft der Heiligen zugelassen; bitter genug für den fchwar-
zeu Mann, wenn es wahr wäre, daß die Mormonenkirche die allein
seligmachende sei. Gegen die Indianer, „die Lamauiteu", siud da-
gegen die Heiligen, wie schon bemerkt, sehr freundlich; uud der
braune Mauu kommt in den Himmel. Die Gegner der Heiligen
wittern dahinter eine böse Absicht nnd meinen, daß man die In-
dianer als Krieger gegen die Uankees benutzen wolle. Was die
Utah-Judianer anbelangt, so würden diese ohne Zweifel mit ihren
Beschützern, den Mormonen, gemeinschaftliche Sache schon deshalb
machen, weil sie von diesen gut behandelt werden. Diese Wilden
theilen die weißen Menschen in zwei Klassen, nämlich in Mor-
monen und in Schwöb, das heißt Amerikaner.
Meine Unterredung mit dem Propheten dauerte etwa eine
Stunde. Nachdem Ionng mit mir über meine Reisen in Afrika
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
313
gesprochen, standen wir auf, schüttelten nach Landessitte jedem An-
wefenden die Hand und gingen fort.
Der erste Eindruck, welchen mir dieser Besuch machte, fand
nachher volle Bestätigung. Der Prophet ist kein gewöhnlicher
Mann, und ohne alle die Schwäche nnd Eitelkeit, welche insge-
mein den gewöhnlichen ungewöhnlichen Mann kennzeichnet. Nur
wenige Gegner der Mormonen haben es gewagt, Herrn Brigham
Uoung als einen „herzlosen Betrüger" zu bezeichnen. Seine An-
Hänger verehren ihn, lieben ihn aufrichtig und schenken ihm nnbe-
dingtes Vertrauen.
Schlangenbeschwörer in MroKaKo.
Die Araber im Gebiete des Kaisers von Marokko wissen viel
von gewaltigen Schlangen zu erzählen, welche in der Provinz
Sns in solcher Menge vorhanden seien, daß die Karawanen
manchmal Nebenstraßen einschlagen müßten, um ihnen aus dem
Wege zu gehen.
Gewiß ist, daß aus jener südwestlichen Provinz alle die söge-
nannten Eisowys*) komnien, welche das Geheimniß kennen, mit
Nachdem Sidna Eiser angerufen worden war, begann die
Musik und der Beschwörer fing zu tanzen an. Er drehete sich rasch
um einen aus Binsen geflochtenen Korb, der mit einem Ziegenfelle
bedeckt war. In demselben befanden sich die Schlangen. Plötzlich
blieb er stehen, steckte den nackten Arm in den Korb und zog eine
Cobra capella hervor, die er drehte nnd wickelte wie einen Turban.
Während er abermals den Tanz begann, wand er die Schlange
giftigen Vipern zu hantieren und von denselben nicht gebissen zu
werden. Davon überzeugte sich Richard so u iu der Stadt Mogador.
Eiues Morgens sah er auf dem Marktplatze vier Eisowys;
drei derselben waren Musikanten und spielten auf einem Nohr,
das der Flöte glich, melancholische Weisen. Wir luden sie ein, so
erzählt Nichardson, uns ihre Schlangen zu zeigeu, uud sie waren
gern dazu bereit. Sie erhoben zuerst ihre Hände so, als ob sie in
denselben ein Buch hielten, murmelten gemeiuschastlich ein Gebet
und riefen Sidna Eiser an, welcher in Marokko für den Schutz-
Patron der Schlangenbeschwörer gilt. Man darf diesen Sidna
Eiser nicht mit Sidna A'isa verwechseln, denn cit diesem Namen
wird von den Arabern Christus bezeichnet; sie nennen ihn auch
wohl Rohallah, den Athein Gotteö.
*) Eigentlich Aissawa. Diese Schreibart ist richtiger.
Globus 1861. Nr. 10.
um feilten Kopf, und sie schien Alles, was er wollte, zu thun; sie
behielt allemal die Lage, welche er ihr gab. Nachher legte er sie
auf die Erde; sie hob sich empor, wiegte sich hin und her und folgte
den Bewegungen, welche er ihr vormachte.
Der Eisowy drehete sich abermals rasch mehrmals um sich
selbst, steckte den Arm wieder in den Korb und zog zwei äußerst
giftige Schlaugen hervor; in Sns nennt man diese Art Leffa.
Ihre Haut ist gemarmelt und schwarz gefleckt; sie hat einen dicken
Leib, wird aber nur zwei bis drei Fuß lang. Diese beiden Lessa's
waren nicht so gut abgerichtet, wie die Cobra und viel hitziger als
diese. Sie ringelten sich gegen den Eisowy an, sperrten den Rachen
auf und sprangen wie ein Blitz gegen ihn los; aber ihr Schwanz
blieb unbeweglich und bald ringelten sie sich zusammen. Der
Mann wehrte ihre Angriffe gegen seine Beine mit dem wollenen
Leibschurz ab, welcher vas Gift der Lessa's aufnahm.
40
Aissawa, Schlangenbeschwörer itt Marokko.
314
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
Der Beschwörer rief wiederum seinen Schutzheiligen Sidna
Eifer au, packte dann eiue Schlange im Nacken uud setzte seineu
Drehtanz fort. Nachher öffnete er mit einem Stabe deu Racheu,
damit wir die Hakenzähne, aus denen ein weißlicher, öliger Saft
herauskam, sehen könnten. Nnn bot er der Leffa seinen Arm dar,
uud sie schlug gierig ihre Zähne in denselben hinein, während der
Manu, immerfort tanzend, sich in häßlichen Zuckuugeu drehete
und dabei unaufhörlich feinen Schutzpatron anrief. Die Schlange
biß inzwischen immer zu, bis der Eisowy glaubte, daß es genug
fei. Dann warf er sie bei Seite und zeigte uns das vom Arme
herabrinnende Blut. Er brachte den Mund an die Wunde, drückte
sie mit deu Zähnen zusammen und fing wieder an zu tauzeu, aber
jetzt nach einem noch weit rascheren Takte. Endlich war er er-
müdet und hörte ans.
Ich hielt das Ganze für ein Gaukelspiel, meinte, er habe vor-
her das Gift aus deu Zähnen entfernt, und fragte, ob ich die
Schlange anfassen dürfe.
„Bist Du ein Eisowy?" fragte der Mann ans Sns, „und
hast Du festen Glauben zu der Macht unseres Heiligen? Du sagst
Nein. Wenn die Schlange Dich beißt, so ist Deine letzte Stunde
gekommen. Gebt mir jetzt ein Hnhn oder irgend ein anderes Thier;
ich will Dir beweisen, daß ich die Wahrheit sage, nnd Dn wirst
Dir dann die Lust vergehen lassen, eine Leffa anzurühren."
Ich ließ ein Hnhn herbeibringen. Der Beschwörer nahm
eiue seiner Schlangen, die auch ohne langes Zögern nach der
Henne biß, welche man sofort anf die Erde legte. Sie sprang auf,
drehete sich etwa eine Minute unterZuckuiigeu ruud um, schwankte
hin uud her uud fiel tobt zu Bodeu. Bald nachher war ihre Haut
über nnd über bläulich. Daß ich nach einer solchen Probe keine
Lnst verspürte, eine Leffa anzufassen, wird man mir gern glauben.
Der Eifowy legte diese Schlangen wieder in den Korb nnd
zog andere Arten hervor, welche in der Umgegend von Mogador
vorkommen, namentlich eine Bumen fahk, d. h. Vater der An-
schwellung, deren Biß zwar giftig ist, aber doch nicht den Tod ver-
ursacht. Mit diesen Thieren spielte er eine Zeit lang, und sie
bissen iu seinen nackten Körper hinein, daß das Blut au dem im-
merfort tanzenden Manne herablief. Ein wahres Kraststiick führte
er nns vor, als er den Schwanz einer Schlauge mit den Zähnen
packte nnd an ihm herumkauete, während die anderen sich um ihn
hernmringelten. Jene erstere wand sich vor Schmerz uud biß deu
Eisowy iu Hals uud Arme; aber das ließ er sich nicht im Mindesten
anfechten, sondern kauete so lange, bis er das Thier bis in die
Nähe des Kopses zermalmt hatte; dann spie er aus. Ich habe nie
etwas Ekelhafteres gesehen. *)
Auf meinen Ausflügen im Lande sind mir oftmals Eifowys
begegnet, und immer habe ich gefunden, daß sie mit Skorpionen
nnd anderem giftigen Gezücht hantieren, ohne daß sie Schmerz
oder Schaden davon erlitten. Während ich in Tandfchehr mich
aufhielt, machte sich ein junger Manre über einen Eisowy lnstig
und erklärte ihn für einen Betrüger. Er war so tollkühn, eine
Leffa anzugreifen, wurde sofort gebifseu und war bald nachher eine
Leiche.
Die Eisowys bilden eiue zahlreiche Sekte, uud man findet sie
in allen Städten der westlichen Berberei. In gewisser Beziehung
erinnern sie an die tanzenden Derwische des Orients, nnd ver-
sammeln sich gleich diesen an gewissen Festtagen in heiligen Hän-
fern znr Ansübnng gewisser religiöser Gebräuche. Sie glanben
dnrch ihre Verehrung für Sidua Eifer weit über die Gräuzen der
menschlichen Vernunft hinansgerückt zu werden. Sie versetzen sich
in Exstase, und während sie iu derselben befangen sind, wähnen
sie, in wilde Thiere, namentlich in Löwen nnd Tiger oder auch in
Hnnde verwandelt zn fein, nnd ahmen das Gebrüll nnd Gebell
derselben nach. Sie rnfen diese Verzückung theils durch Haschisch
hervor, theils durch die Kikpslanze, welche sie raucheu. In solchem
Zustande werden sie manchmal, zn Zweien an einander gekettet,
in den Straßen nmhergefiihrt; ihr Emkaden, Oberhaupt, reitet
voraus. Sie heulen daun ganz fürchterlich nnd machen wnnder-
same Sprünge. Dann nnd wann wird ihnen ein lebendiger Hammel
vorgeworfen, den sie anf der Stelle zerreißen nnd roh verzehren
Wenn es ihnen gelingt, sich der Ketten zn entledigen, fallen sie wie
rasend über Juden und Christen her. Vor ein paar Jahren rissen
sie auf offener Straße ein Judenkind in Stücke. Ich selber wurde
einmal von einem solchen Fanatiker angefallen, bearbeitete ihm
aber mit meinem Gehstocke den Schädel so unbarmherzig, daß er
znr Besinnung kam nnd in eine nahe Bilde lief, wo er dann so-
gleich grünen Kohl fraß.
") Dieses Schlangenfressen der Aissawa wird auch von Narcisse
Cotte bestätigt, der 1857 im marokkanischen Kustenlande verweilte.
Er sah, das: sie einen lebendigen Esel zerrissen und gläserne Flaschen
zerkaneten.
Unsere schwarzen Brüder.
Anf der Landenge von Panama wurde ein Europäer vou einem
baumstarken Schwarzen angebettelt, als gerade großer Mangel an
Arbeitern war nnd der Tagelohn anderthalb Dollars betrug. Der
Weiße fragte deu Neger: „Aber weshalb arbeitet Ihr deuu
nicht?" Die Antwort lautete buchstäblich: „Arbeiten? Nein,
Massa. Znr Arbeit hat Gott der Herr die Ochsen, Esel
u u d P s e r d c geschaffen; d i e m ö ge n arbeiten." Der Euro-
päer gab natürlich dem schwarzen Faullenzer keinen Heller, sondern
erinnerte ihn an die Worte der Schrift: „Im Schweiße deines An-
gesichts sollst dn dein Brod erwerben", nnd: „Wer nicht arbeitet,
der soll anch nicht essen."
Ohne Zwang ist in heißen Ländern gar nicht daran zn denken,
daß der Schwarze reget m ä ß i g arbeiten werde. Dort ist E m a n -
cipation, über welche eine nnklare PseudoPhilanthropie so viele
salbungsvolle Redensarten, denen aber klarer Sinn fehlt, gleich
bedeutend mit Verwilderung. Dafür liegen von überallher
die Beweise vor und wir werden gelegentlich diesen wichtigen Ge-
genstand eingehend erörtern, Heute wollen wir nnr einige, für die
Rassenphysiologie nicht »«interessante Anecdotm mittheilen, welche
von Freunden „unserer schwarzen Brüder" erzählt werden.
Der englische Consul Lyons Mc. Leod, dem wir ein treffe
liches Werk: „Reisen in Ostafrika," London 1860, verdanken, kam
ans Mosambik nach der britischen Insel Mauritius, welche oft-
lieh vou Madagaskar im Indischen Ocean liegt. Als man dort die
Neger emancipirt hatte, war keine Rede mehr von arbeiten, nnd
man mußte Malabaren von der indischen Küste holen, deren
nnn etwa hunderttausend, alles fleißige Menschen, auf dem
Eilandeleben. „Unser schwarzer Brnder", frei wie er ist, hat es
vorgezogen, in den Bnsch zn gehen, oder zn bnmmeln, vom Tage
zum Tage zn leben, oder sich als Dienstbote zu verdingen. Die
Weißen erklären, nächst den Hvllenplageu sei es die fürchterlichste
Pein, schwarze Dienstboten zn haben. Gewiß ist, daß der freie
Neger sich anf Mauritius nicht minder als in Westindien durch
zwei sehr unliebenswnrdige Eigenschaften kennzeichnet. Er ist nn-
glaublich faul und benimmt sich mit empörender Unverschämtheit.
Consul Lyons Mc. Leod erzählt Folgendes. Als ich vor dem
Gasthofe abstieg, nahm mir ein schwarzer Diener einen Vogelkäfig
aus der Hand, trug ihn in mein Zimmer und forderte Bezahlung
Da ich keine kleineren Münzen iu der Tasche hatte, so gab ich ihm
einen Schilling, also zehn Neugroschen. Der schwarze Mann legte
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
315
das Silberstück in die flache Hand, betrachtete dasselbe mit einem
Blick, aus welchem tiefe Verachtung sprach, trat ein paar Schritte
zurück, und sprach zu mir:
„Sie halte» sich wohl gar für einen Gentleman, und bieten
mir doch nur einen Schilling au?"
Ohne meine Antwort abzuwarten, klopfte er au sehte Hosen-
tasche nnd ließ das darin befindliche Geld klappern; dann zog er
einen Schilling hervor, legte ihn auf die flache Hand zn dem, wel-
chen er von mir erhalten, warf mir beide Stücke vor die Füße und
rief: „Da hier, Du armer Teufel!" Und dann ging „unser
schwarzer Bruder" hochmüthig aus dem Zimmer.
Unseren weißen „Menschenfreunden" nnd den abstracten, mit
der Stange im Nebel herumfahrenden Abolitionisten wäre zu gön-
neu, daß sie einmal ein Jahr lang unter freien Negern leben
müßten und keine andere Bedienung hätten, als jene durch „unsre
schwarzen Brüder."
Lyons Mc. Leod berichtet, daß sie stahlen wie die Raben und
bemerkt weiter: Alle Klassen sind auf Guade nnd Ungnade ihren
Dienern preisgegeben nnd ich kann das an einem pikanten Beispiel
erläutern.
Oberst B. gab gute Diners, und seine Gemahlin, die mit
recht philanthropischen Gcsinunngeu nach der Kolonie gekommen
war, lächelte mitleidig, weit» sie von anderen Frauen erfuhr, wie
viel diese mit ihren schwarzen Dienstlcnten auszustehen hätten.
(Weiße Diener sind nicht zn haben.) Fran Oberst B. behauptete,
daß diese „armen Schwarzeil" doch recht dankbare Leute seien;
wenn sie ein „Dinner Party" habe, seien sie immer ganz ordent-
lich. Sie blieb dabei, obwohl es ihr gar nicht selten begegnete, daß
der eine Diener oder die andere Magd eS für angemessen fanden,
tagelang und über Nacht aus dem Hause zu bleiben, ohne auch nur
gefragt zu habe«. Wenn Oberst B. nebst Frau am Sonntag aus
der Kirche kam, fanden sie in der Regel kein Mittagsesse», sondern
nnr Brod und Käse auf dem Tische; der Hausmeister lag toll und
voll betrunken im Speisezimmer unter dem Tische; der Koch hatte
die Küchenthür verrammelt und drohete, Jede« kalt zu machen, der
Hineinbringen wollte, und so weiter.
Der Oberst hatte eine zahlreiche Gesellschaft geladen, um seinen
Hochzeitstag recht glänzend zn feiern. Die Essenszeit nahete heran,
der Oberst wollte sich ankleiden, konnte aber feine lackirten Stiefeln
nicht finden. DieDiener wurden befragt, aber keiner wollte etwas von
den Stiefeln wissen. Da sagte der Oberst z» dem, welcher das Klei-
derdepartement zu besorgen hatte, derselbe solle die fehlenden Stiefeln
bezahlen, den» nur durch feilte Nachlässigkeit könnten sie abhanden
gekommen sein. Der „schwarze Bruder" hatte aber eine so freche
Antwort, daß der Oberst ihm einen „Pfiff" mit der Reitpeitsche gab.
Inzwischen hatten sich die Gäste eingefunden, der Hausherr
kleidete sich rasch an, um sie zn begrüßen, und dachte nicht mehr an
jene Stiefeln.
Die Gäste wurden in den Speisesaal geführt; Suppe und
Fisch wurden ganz so aufgetragen, wie es sich gebührt. Dann
folgte eine Pause, die sich zu bedenklicher Länge ausdehnte. Man
bemerkte, daß vou der Dienerschaft auch nicht eilt einziger mehr im
Saale anwesend war. Das fiel der Frau Oberstin auf; sie erhob
sich und ging hinaus, um zu sehen, was sich begeben habe. Im
Hausgang und in der Veranda war kein Diener zn sehen. Sie
geht in die Küche; auch da findet sie Niemand; sie ruft, erhält aber
keine Antwort.
Auf dem Anrichtetische stehe» die Gerichte, und, rings von
Näpfen und Schüsseln umgeben, die vermißte» Stiefeln. Aus
jedem Stiefelschaft guckt eine gebratene Ente hervor,
ü b e r g o s s e n m i t P n d d i n g b r ü h e! Der Puterhahu lag stattlich
auf einer großen Schüssel, aber man hatte ihn mit Asche garnirt.
Das war der Frau Oberstin doch zu viel; sie schrie hellauf, sank
ohnmächtig zn Boden und als der Oberst kam, fand er sie bewußt-
los eint Boden liegen und sah die ganzeBescheernng, welche „unsere
schwarzen Brüder" angerichtet hatten.
Diese Geschichte ist allgemein bekannt und, sagt Mc. Leod, ich
könnte noch viele andere ähnlicher Art erzählen. Mit dem Gesetz
ist gegen unsere schwarzen Brüder nicht viel auszurichten, denn
wenn man die nichtsnutzigen Burscheu einsperren läßt, so zählt
die Haftzeit so, als ob sie Dienstzeit gewesen wäre und der Lohn
geht fort. Prügelt mau kurzer Hand einen frechen Taugenichts
durch, so hat man schwere Geldstrafe zu zahlen.
So ist nnser „schwarzer Bruder" im Osten, nnd auf der
andern Seite der Erde ist er gerade so. Anthony Trollope
hat in seinem trefflichen Bnche über „Westindien nnd das spanische
Festland (London 1860)" seinen englischen Landslenten den Staar
gestochen nud ihnen ein ergreifendes Bild vorgeführt über den feit
der Emancipativn nnaufhaltsam fortschreitenden Rnitt der meisten,
ehemals blühenden Antillen; aber die Philanthropen, welche Schuld
au der Verwilderung der Neger sind nnd an den Rückschlag in die
Barbarei, welcher diese Menschen wieder auheimfallen, werden sich
natürlich nicht durch Thatsacheu bekehren lassen. Sie haben ein-
mal eine abstracte, mit christlichen Redensarten verbrämte Formel,
nnd die Formel muß recht behalten, obwohl die freien Neger wieder
Schlangen anbeten und Menschenfresser werden.
Wir haben neulich im Globns durch Zahlen nachgewiesen,
wie entsetzlich herabgekommen die Stadt Kingston ans Jamaica
ist. Die ganze Stadt gleicht einem Leichenacker, so anögesiorben er-
scheint sie. In Spanisch Town, wo der Gouverneur seinen
Sitz hat, erlebte Trollope ein Abenteuer im Gasthofe. Alle Diener
find Schwarze. Das Benehmen dieser Leute, schreibt er, kommt
einem Fremden sehr seltsam vor. Sie find nicht gerade absolut
grob, ausgenommen bei gewissen Gelegenheiten, aber sie nehmen
uns gegenüber eine patronisiratde Haltung ein nnd betragen sich
sehr frei. Wenn mau etwas an ihnen tadelt, so behalten sie alle-
mal das letzte Wort, das sie sich niemals nehmen lassen. Geld-
gierig treten sie nicht gerade ans, find aber auch nicht erkenntlich
für das, was mau ihnen giebt. Wer sich nicht mit würdiger Ge-
messenheit gegen diese Lente benimmt, wird das allemal schwer zu
bereuen haben.
„Heda, alter Bursch, wie steht's mit meinem Bade?" fragte
ich Morgens einen alten Neger, der mir ei» Bad z» besorgen hatte.
Er war eben mit Stieselpntzen beschäftigt, that aber gar nicht, als
ob er mich gehört hätte, nnd stand nur wenige Schritte von mir
entfernt.
„Ich frage: Wie steht's mit dem Bade?" Der Neger verzog
keine Miene. Nnn trat ich dicht an ihn hinan und sprach: „Nun,
mein Herr, wollen Sie nicht die Stiefeln weglegen nnd thun,
was ich Sie heiße?"
„Wen nennen Sie Bnrsch? Zn einem Gen'lman, wie ich
bin, muß man gen'lmanly reden. Dann siillt er das Bad."
„James, wollen Sie sich gefälligst die Mühe geben, diese
Stiefeln Hinzustellen und einmal nachsehen, ob das Bad für mich
bereit ist?"
Dabei machte ich ihm eineVerbengnng, die er erwiedcrte, nnd
dann sagte er: „Wohl, Herr; soll sogleich besorgt werden." Nnn
ging er fort, ohne auch nur zn ahnen, daß ich mich lustig über ihn
gemacht hatte.
Das süße Nichtsthnn geht uttserm schwarzen Bruder über
Alles. Ach, wenn er, der urkräftige, muskelstarke Mensch auch nnr
halb so viel arbeite» sollte, wie unsere Tagelöhner nnd Mägde,
unsere Handwerker, Fabrikarbeiter, Kanflente, Gelehrten, nnd wie
sie weiter heißen! Nach zehn Uhr Morgens thut er keinen Hand-
schlag mehr, sondern legt sich in die Sonne, nm zn lungern. Trol-
lope wollte, gegen gnteö Geld, eine kleine Dienstleistung von einem
Neger haben; aber es war zehn Uhr nud unser schwarzer Bruder
antwortete: „Nein, jetzt nicht Massa; danke; bin müde; branche
heute kein Geld mehr." Ein anderer sagt: „Will nicht mehr ar-
beiten; habe Geld genug " Auf Jamaica arbeitet ei» Neger nur
an vier Tageu iu der Woche und dann nnr bis zehn Uhr Morgens.
Znr Weihnachtszeit macht er zehn volle Feiertage, nnd wenn der
40*
316
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Zuckerpflanzer ihm für jede Stunde Arbeit nach zehn Uhr einen
Schilling bietet, er rührt sich nicht, sondern sagt trocken: No, me
no more workee now.
Aber warum nicht? „Ich verhungere ja nicht; Gott hat mir
Jamswurzeln gegeben, so viel ich nur haben will- Jetzt giebt
es keinen Affenschwanz mehr; mono -workee." Affenschwanz
war der Ausdruck für die Peitsche, mit welcher man im Nothsalle,
nach Art unserer weißen Schulmeister, dem allzufaulen Nigger einen
Denkzettel gab.
Weshalb sollen unsere Arbeiter iu Europa fleißig seiu, wäh-
reud der Neger sich das Privilegium nimmt, nichts zn thun, und
der faulste Mensch auf Gottes weiter Erde zu sein? Aber unsere
Emancipationssanatiker finden das ganz in der Ordnung; den
schwarzen Bruder darf ja kein rauhes Lüftchen berühren, und die
Rosenblätter auf seinem Schlaflager müssen alle glatt liegen, da-
mit sie ihn nicht drücken. Er ist einmal Sklav gewesen, also
(tautet die Logik der Menschenfreunde) muß er wie ein Sybarit
gehalten werden. Sein Vater mußte arbeiten, also darf der Sohn
faullenzen. Allwöchentlich zwölf Stunden trag arbeiten und wäh-
reud der übrigen Zeit gar nichts thun, das versteht sich für „unsere
schwarzen Brüder" vou selbst, eben so daß unsere Weißen Brüder,
die leider keine Nigger sind, von Morgens sechs bis Abends sieben
Uhr, sechsmal in der Woche angestrengt arbeiten. Dafür läßt sich
aber auch die Frau eines weißen Tagelöhners oder Fabrikarbeiters
oder Handwerkers, am Sonntage, wenn sie zur Kirche geht, das
Gesangbuch uicht von einer Dienerin nachtragen, noch dazu vou
einer, die das Buch nicht unter dem Arme, sondern allemal ans
dem Kopse trägt. Das ist einmal so Branch bei „unseren schwar-
zen Schwestern." — Ganz richtig bezeichnet man diese seltsame
Schwärmerei für den Neger, bei großer Gleichgültigkeit gegen das
Wohl der weißhäutigen Menschenkinder, als eine Form der Geistes-
verirrnng, als „Negromania."
Ein Wald auf den andamanischen Inseln.
Wir haben neulich die andamanischen Inseln und ihre schwar-
zen, noch ganz wilden Bewohner geschildert. (Globus S. 177.)
Heute führen wir unsere Leser in die düsteren Wälder dieser Insel-
gruppe. Sie sind die Heimath des herrlichen Paradiesvogels
Lange Zeit wußten die Schwarzen nicht, welch ein werthvoller
Schatz von Baum zu Baum, von Gebüsch zn Gebüsch flatterte,
und sie lernten den Werth des herrlichen Gefieders erst vor etwa
vierzig Sahreit vollkommen würdigen, als die weißen Schiffer mehr
und immer mehr davon verlangten. Sie sind gewandte Bogen-
schützen und erlegten Tausende von Paradiesvögeln mit Pfeilen
oder Bolzen. Das kostbare Produkt war billig zu haben, denn man
bezahlte jeden Paradiesvogel mit ein wenig Weißblech, an dessen
Glanz und Blinkern die Insulaner eine kindische Freude hatten.
Alle möglichen Gefäße, Zinnbüchsen, Kupferstücke wurden blank
geputzt und galten für baare Münze. Nach Metall waren die Ein-
geborenen um so gieriger, weil sie aus demselben Arm- und Bein-
spangen oder Reife verfertigen konnten; Alles was sich krumm
biegen und in derartigen Schmuck verwandeln ließ, war willkom-
men. Als aber Blech und Zinn ihren Glanz verloren, wurden die
Audamanefen stutzig und wollten eine so veränderliche Waare
nicht mehr in Tausch nehmen; sie verlangten Silbergeschirre und
bald nachher sogar klingende spanische Piaster, deren Gepräge mit
den beiden Säulen (nach welchen man diese Thaler auch Colouuatcn
nennt) sie sich gar wohl merkten. Geld in nnserm Sinne ist freilich
in jenen Wäldern eine überflüssige Waare, aber der Wilde ver-
langte das Silber, um sich Armringe daraus zu verfertigen. Mit
diesem Putz stolzirte der Schwarze so selbstgefällig einher, wie nur
bei uns eine Modedame mit einem Paradiesvogel im Haar auf
irgend einem Hofballe.
Die Jagd auf den Paradiesvogel erfordert große Gewandtheit,
denn der Böget ist scheu, sitzt oft auf den höchsten Zweigen und
darf durch den Schnß nicht am Gefieder verletzt werden. Der
schwarze Nimrod salbt sein Haar mit einem Gemisch aus gelb-
rothem Oker und Fett; dieser Putz bildet gleichsam seinen Jagdhut.
Ueber die Schnlterit wirft er eine Matte, welche seiu Weib aus
Pandannsblättern geflochten hat, und dann geht er vor Sonuen-
Untergang in den feuchten Wald. Als Waffe hat er einen hübschen
Bogen und feine, sehr spitze Pfeile aus Palmenholz. Er schleicht
vorsichtig in das Gestrüpp, in den prachtvollen Wald, welcher in
der That des Paradiesvogels würdig ist. Auf deu Andamenen, in
einer durchaus tropischen Region, entfaltet der Pflanzenwuchs eine
wunderbare Ueppigkeit; er ist großartig, majestätisch, bewältigend.
Alles ist Wald mit Niesenbäumen von mächtigem Umfange und
kräftigen Formen; die Lianen schlingen sich an den Stämmen bis
hoch iu das Gezweig hinaus und fallen oft iu anmuthigen Bogen
wieder nach abwärts. Der Boden trägt eine unerschöpfliche Frucht-
barkeit in sich, erhält durch den sechs Monate anhaltenden Regen
Feuchtigkeit iu Menge und an belebender Wärme fehlt es eben so
wenig.
In diesen andamanischen Urwäldern tritt das Grün der Pflan-
zen in einer wunderbar mannigfaltigen Schattirnng und Abstufung
auf; am Gezweig hängen große, herrliche Blumen oft von wunder-
fameu Formen, und das Vorkommen der Palmen giebt der Land-
schast noch einen ganz besondern Reiz. Neben gigantischen Mimosen
stehen Aroideen mit breiten Blättern, Orchideen verschiedener Art,
und vor allen mächtig sind die Schmarozerpflauzeu. Man sieht
Arecapalmen, Bambus, baumartige Farren, die Latanpalme (welche
unser Bild zeigt), Teckbäume, den Muskatbaum und Spondias.
In einem solchen Walde lauert der schlaue Audamauese dem
Kalao, Nashornvogel, auf, der glänzend schwarzes Gesieder und
weißen Schwanz hat, und dessen Flügelschlag ein Geräusch macht
wie die Vorboten eines aus weiter Ferne heranstürmenden Orkan es.
Er belauert deu Kakadu mit gelber Haube, den geschwätzigen Lori,
dessen rothes Kleid prächtig vom Grün des Laubes sich abhebt, und
den Kassikau. Der Wilde lockt sie alle in seine Nähe, indem er ihren
Ruf mit täuschender Aehnlichkeit nachahmt. Er stellt sich unter
einen Teckbaum und ist allemal sicher, auf demselben einen Saya,
Paradiesvogel, zu finden. Aber dieser ist noch nicht der rechte; den
Schmuck, welchen die Modedamen lieben, trägt ein verwandter
Vogel. Dieser kleine smaragdgrüne Paradiesvogel fliegt anmuthig
iu wellenförmigen Schwingungen nud die glänzenden, lang herab-
hängenden Seitenfedern erglänzen wie eine Sternschnuppe.
Diesen Vogel, Paradisaea apoda, nennt der Andamanese
Mambe sore. Der Pfeil trifft, das Thier fällt ans der Luft
herab, der Wilde hebt es auf, trocknet es sorgfältig ab und steckt es
in einen Bambus. Von den schönsten Eremplaren kommen nur
wenige nach Europa, indem die meisten von den malayischen Rad-
schas des indischen Archipelagns nnd von indischen Fürsten gekanst
werden. Diese Vögel werden bei großen Festlichkeiten als ein statt-
licher Putz getragen.
318
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Die Forschungsreise von DurKe und Wills in Australien von Melbourne im Süden Ins unch
dem Carpeuwriabusen im Norden.
Als eben der vierte Bogen der vorliegenden Nummer des
Globus in die Presse gehoben werden sollte, erhielten wir Mit-
theilnugen aus Melbourne in der Kolonie Victoria mit der
Nachricht, daß es gelungen sei, das Festland Australien von Süden
nach Norden hin zu durchwandern. Damit ist wieder ein großes
geographisches Problem gelöst worden.
Leider sind die Männer, welche das kühne Wagnis; unternah-
men, gleich uuserm Landsmanue Leichardt, demselben zum Opfer
gefallen, vielleicht durch ihre eigene Schuld. Wie dem auch fem
möge, die Wissenschaft hat der langen Reihe von Märtyrern, welche
im Interesse der geographischen Forschung ihr Leben lassen muß-
teu, wieder einige Namen hinzuzufügen.
Wir köunen heute uur einige kurze Mittheilungen geben und
müssen uns Näheres für die nächste Nummer vorbehalten.
Am 2. November traf in Melbourne aus telegraphischem Wege
die Nachricht eiu, daß Howitt, Befehlshaber der sogenannten
Reservepartie zur Aufsuchung Bnrke's, den Reisenden Brahe
aufgefunden habe. Bald nachher kam Howitt an und überbrachte
Bnrke's Tagebuch, und Notizen und Kartenentwürfe über die Reise
selbst von Herrn Wills, dem astronomische» Begleiter Bnrke's,
Es stellte sich heraus, daß Bnrke mit seinen Begleitern Wills,
Gray und King den ganzen Continent durchwandert hat und
am 11. Februar 18G1 den Meerbusen von Carpeutaria
erreichte.
Aus Wills' Kartenskizzen ergicbt sich, daß die Reisenden dein
von Sturt eingeschlagenen Wege bis zu dessen Ende unter 21" süd-
licher Breite folgten, und das Land weiter nördlich durchaus uu-
praktikabel fanden. Bnrke nahm also eine östliche Richtung bis
zum 140" östlicher Länge und ging dann in gerader Linie nördlich,
bis er au deu Albert-Flnß kam, der in den Meerbusen von Gar
pentaria mündet.
An diesem Punkte, unter 17" 53', verweilten die Reisenden
drei Tage lang und beobachteten deutlich Ebbe und Flnth. Sie
hatten also das Ziel ihrer Unternehmung erreicht; obwohl zu wiiu-
scheu bleibt, daß sie zu ausführlicheren Ergebnissen gelangt wären.
Die Rückreise verfolgten sie zumeist auf demselben Wege, wel-
chen sie nach Norden hin genommen hatten; sie war aber ungemein
beschwerlich, weil mau meist zu Fnße wandern mußte; die Pferde
und einige Kameele schlachtete man, weil Bnrke, ein etwas nnbc-
dachtsamer und leichtblütiger Jrländer, unvorsichtiger Weise nur
für drei Monate Lebensmittel mitgenommen hatte, Sie litten
viel vom Hunger.
Gray starb an Erschöpfung, noch bevor das Depot am
Coopers Ereek erreicht war. Am Abend des 21. April langten die
Uebrigen hier an; am Morgen desselben Tages war Brahe, der dort
lange Zeit ihrer geharrt hatte, seinen Verhaltungsmaßregeln ge-
maß, uach Menindie am Darling ausgebrochen. Die Reisenden
waren zn schwach, ihm, der von ihrer Ankunft keine Ahnung hatte,
auch nur zu folgen, obwohl sie wußten, daß er ihnen nur um we-
nige Meilen voraus sein konnte.
Sie gruben die von Brahe niedergelegten und wohlver-
wahrten Lebensmittel hervor, aber Bnrke fühlte sich zn schwach,
den 409 englische Meilen weiten Weg nach Menindie am Darling
zurückzulegen. Er machte mit Wills und King zwei Versuche,
die nächstgelegene Niederlassung in Südaustralien zu erreichen,
aber diese schlugen fehl; mau mußte wegen Wassermangels um-
kehren.
So verging der Monat Mai, die Lebensmittel wurden immer
spärlicher, das Land selbst bot keine Hülssquelleu dar. Ende Juni,
zu derselben Zeit, als Howitt von Melbourne aus nachgeschickt
wurde, um die lange Vermißten aufzusuchen, starb Bnrke vor Er-
schöpsniig, als er eben mit King wieder einen Versuch machte,
Eingeborene aufzufinden, um für sich lind dem gleichfalls äußerst
erschöpften Wills Hülfe und Unterstützung zu erlangen. Wills
war in einer unbewohnten Australierhütte zurückgelassen worden,
wo er verendete. King traf Eingeborene, bei welchen er vou Eude
Juni bis zum 15. September lebte. Dort fand ihn Howitt und
rettete ihn.
Auch unser Landsmann Dr. Becker ist, durch Bnrke's
Schuld, während dieser Expedition gestorben.
Diese war am 20, August 1860 von Melbourne aufgebrochen,
und hatte auch Kameele mitgenommen; am 11. November, also
nach zwölf Wochen, erreichte sie das erste Depot au dem, schon
durch Sturt's Reise bekannten, Coopers Ereek; vom zweiten De-
pot, welches Bnrke an demselben Ereek anlegte, bis nach dem
Busen vou Carpeutaria 8^/2, von dort zurück 9^ Woche (vom
15, December bis 21. April 1861). Das sind zusammen achtzehn
Wochen. Bnrke, dem überhaupt manche Unbedachtsamkeit zur
Last fällt, hatte aber, wie schon bemerkt, nur für zwölf Wochen
Lebensmittel mitgenommen.
Kleine I
Die australische Kolonie Uictoria ans der Londoner Ins-
siellnng von 1862. — Eine Vorbereitung zu derselben hatte man,
wie wir auö der zu Melboltvtie erscheinenden deutschen Zeitung
„Germania" vom 22. November 1861 ersehen, in dieser Stadt
getroffen. In der Mitte des dortigen, AuSstellnngsgebändes er-
hob sich, gleichsam als Commentar zn den Ausstellungsgegenstän-
den, eine Pyramide aus vergoldetem Material, 437* Fuß hoch,
IOV2 Fuß auf jeder Seite breit. In Relief waren die in den
Goldfeldern aufgefundenen großen Klumpen (Nnggets) angebracht,
und an den vier Seiten befanden sich Tafeln mit statistischen Angaben.
Auf der ersten Tafel steht Folgendes: Diese Pyramide stellt
genau die Masse Goldes dar, welche ans Victoria vom 21. Ok-
tober 1857 bis zum 1. Oktober 1861 ausgeführt worden ist.
Bruttoquantität 26,162,432 Unzen Troygewicht, gleich 1,793,995
Pfund Kramergewicht oder 800 Tons, 17 Centner, 3 Quarters und
7 Pfund, oder in Maß 14921/a Knbiksnß. Der solide Inhalt
dieser Pyramide betrüge 104,649,728 Pfd. Sterling.
Auf der zweiten Tafel: — Volksmenge vonÄustralia Felix,
das nun Victoria heißt: im Jahre 1836 erst 177 Seelen; 1851
schon 77,345 und 186l schon 540,323.
Auf der dritten Tafel: — Victoria, 86,831 englische
chrichteu.
Quadratmeilen oder 55,571,840 Acres, Bis zum Jahre 1860 wur-
den 3,998,844 Acres verkauft. UnterCultur waren 419,592 Acres.
Ausfuhr zwischen den Jahren 1850 und 1860: Wolle:
227,501,610 Pfund im Geldwerth von 15,601,800 Pfd. Sterling.
Talg: 38,111,169 Pfund im Werthe von 552,399Pfd. Sterling
Häute: im Werthe vou 796,203 Pfd. Sterling.
Auf der vierten Tafel: Ausgaben für Straßen und Brücken
5,272/620Pfd. St ; für öffentliche Werke und Gebäude 3,39l,753;
Einkünfte im Jahre 1860: 3,066,220 Pfd. St. Einfuhren im
Jahre 1860 für 15,093,780; Ausfuhren für 12,962,704 Pfund
Sterling,
Solche Zahlen, so' trocken sie aussehen, beweisen freilich einen
coloffalen Aufschwung. '
_ . ^^eitgntffeticj: sklavenhallenden Staaten in Uordamerika.
Die nördlichen „freien" Staaten gefallen sich bekanntlich in Ruhm
redlgkett und Aufschneiden. Folgende Ziffern sprechen laut. Der
^»erth der Produkte der Sklavenarbeit wird im Norden sehr oft
unterschätzt. Aug Folgenden werden Viele sehen, daß er be-
beutend größer ist, als sie glaubten, und daß besonders die Expor-
tatwn von Roh-Produkten ans dem Süden die des Nordens b?i
Globus, Chronik der Uelsen und Geographische Zeitung.
Weitem übersteigt. Nicht minder geht daraus hervor, daß die Pro-
duktiou des Südens in diesem Jahrhundert große Fortschritte ge-
macht hat und daß die Zahl der Sklaven nicht einmal in dem Ver-
hältniß gewachsen ist, wie die Productiouskraft. Wenn von dem
ganzen Werthe der Productiou des Südens auf den Kopf, Weiße
und Schwarze zusammengerechnet, im Jahre 1830 acht Dollars
ans deu Kopf kamen, so kommen von dem des Jahres 1859 nicht
weniger als 22 Dollars auf deu Kopf. Im Jahre 1800 z. B. pro-
duzirte der Süden Baumwolle für $ 5,250,000 mit 893,641 Skla-
ven, ans den Kopf ein Ertrag von etwa K 16. Nach dem Ceusus
von 1859 produzirte der Süden Baumwolle im Werthe von etwa
208 Millionen Dollars mit einer Sklavenzahl von 4,000,000. Mit
den übrigen Produkten, Zucker, Reis und Taback beträgt in 1859
der Totalwerth der südlichen Produkte 263 Millionen Dollars.
Schlägt man diesen Werth auf die Kopfzahl der Sklaven aus, so
finden sich auf den Kopf $ 62-/2, statt vor 60 Jahren nur $16 —
ein bedeutender ökonomischer Fortschritt. Der Census von 1850
gab die Ernte in Welschkorn in der ganzen Union aus 592 Millionen
Büschel an und von diesen waren 395 Millionen in dem Süden
geerntet. Bon 100 Millionen Bnschel Weizen war etwa ein Drittel
m den Sklavenstaaten produzirt. Ju den letzten 20 Jahren ist die
Verhältnißzahl der Prodnction des Nordens, was den Weizen be-
trifft, sehr gestiegen.^ In 1840 verhielt sich die >Productiou des
Nordens zn der des Südens wie 43 zn 30 und in 1859 wie 73 zu
27. Das Wachsen der Prodnction ist demnach hauptsächlich in
Baumwolle und Zucker zu suchen und diese Artikel geben dem
Süden auch sein großes Uebergewicht in der Ausfuhr über den
Norden. So wurden 1850 für 130 Millionen Dollars südliche
Produkte ausgeführt und nur 47 Millionen Dollars aus dem Nor-
den. In 1858 exportirte der Süden Rohprodukte im Werthe von
166 Millionen Dollars und der Norden für 84 Millionen Dollars.
Sin Charakterplg aus dem Leben der Äraber. Bekanntlich
haben die Araber eine große Menge von Eigenthümlichkeiteu und
zu diesen gehört auch die Muruwwe. Dieses Wort entspricht
etwa dem lateinischen virtns, denn es schließt die Begriffe Tapfer-
keit, Großmuth, Männlichkeit nnd Edelmuth in sich. Wenn Einer
in Gefahr sich befindet und in der Angst seines Herzens ausruft:
„Feu ahl elmuruwwe, d. h. wo siud die Männer des Edel-
mnth es? " dann ist Jeder verpflichtet ihn beizustehen und er kann
der Hülfe versichert sein.
Ein gelehrter Profeffer, H. Petermann in Berlin, der die
morgenländischen Literaturen gründlich kennt, hat ,, Rei sen im
Orient" (Leipzig, Verlag von Veit) veröffentlicht, die nnge-
mein viel Neues und Interessantes enthalten. Er erzählt zwei
Beispiele der Muruwwe, welche er in Damascus erfuhr.
Vor länger als dreißig Jahren hauseten in jener Stadt die
Das Schloß Pen ha de
Cintraund dasÄchloßvcm
Vltimaraens in Portugal.
Wir haben in unserer vori-
gen Nummer, S. 282, eiuen
Artikel des in architektoni-
scher Hinsicht ansgezeichne-
teu EiugaugsthoreS des
Schlosses von Cintra ge-
geben; heute bringen wir eine
Darstellung des Schlosses
selbst, iu welchem die, iu
jüngster Zeit so schwer heim-
gesuchte würdige und ehren-
hafte K ö n i g sf a m i l i e von
Portugal so manche schöne
Tage während der Sommer-
monate verlebt hat. — lieber
die geschichtliche Bedeutung
von Guimaraens haben wir
gleichfalls gesprochen; sie
knüpft sich znm Theil an das
alte Schloß, von welchem
wir eine Abbildung geben. ®a§ altc
arnantischen Truppen des türkischen Sultans in arger Weise. Einst
wollte ihr Anführer, der Deli Baschi, eine vorübergehende Frau
mit Gewalt in das Serail schleppen. Da rief die Arme in ihrer
Todesangst „O Volk Mohammeds, 0 ihr Leute des Edel-
mnthes!" Sogleich trat ein Kleiderhändler hervor, bat den Ar-
nauten um Entlassung dieser Frau und versprach, ihm statt ihrer
einhundert andere Mädchen oder Frauen zu verschaffen. Der wilde
Baschi Bosnk wies den Mann mit Hohn zurück, der aber zog seiu
Schwert (denn damals ging jeder bewaffnet), spaltete dem zn
Pferde sitzenden Arnanten den Kopf nnd nahm die Frau mit sich.
Von den ihm nachgesandten Kugeln wurde er nicht getroffen. Das
ganze Volk nahm seine Partei und machte der Wütherei der Ar-
nauteu ein Ende.
Das zweite Beispiel ist folgendes. Ein zum Richtplatz geführ-
ter Verbrecher rief aus: „Wo ist eiu edler Mann, der für mich ein-
steht, damit ich Frau und Kinder noch einmal sehen und von ihnen
Abschied nehmen kann?" Ein vornehmer Manu trat aus der Menge
hervor und überlieferte sich dem Scharfrichter. Dieser gestattete
dem Delinquenten eine Stunde Frist. Der Verbrecher ging zu den
Seinigen, auf dem Rückwege kam ihm jedoch der Gedanke zn ent-
fliehen. Er entlief, verspürte aber bald Gewissensbisse und bedachte,
daß er den Mann, welcher ihm Muruwwe bewiesen, nicht dem Tode
preisgeben dürfe. Also kehrte er um, und traf gerade noch zu rech-
ter Zeit ein, deuu eben sollte jener hingerichtet werden. Der Ver-
brecher brach sich Bahn durch die Menge und trat vor den Scharf-
richter hin. Dieser ging, in menschlicher Wallung, mit Beiden
zum Pascha und dieser fragte den Verbrecher, weshalb er die gute
Gelegenheit zum Entrinnen nicht benutzt habe? Dieser erzählte
aufrichtig, was in ihm vorgegangen sei und daß er es uicht habe
über sich gewinnen können, den Edelmuth, die Mnrrnwe, des
Andern mit schändlichem Undank zu belohnen. Damals hatten die
Pascha's im türkischen Reiche noch Gewalt über Leben und Tod, und
jener von Damascus sprach: „N u n, s 0 w i l l ich a n ch M n r u w w e
gegen Dich zeigen; Du bist frei." Wem fällt dabei nicht Schi l-
ler' sBürgschaftein? — Die jungen Leute von Damascus haben
unter sich eine gewisse Muruwwe. Keiner nimmt die Geliebte
eines Andern zu seiner Geliebten, und sie leiden auch nicht, daß
irgend ein anderer sich dem Mädchen nähere, um dessen Gunst zu
gewinnen. _________
Die Lachlan-Woldfelder in Uen-Ändwales, welche erst vor
Kurzem in Augriff genommen worden sind, erweisen sich als nn-
gemein ergiebig. Aus einem Zuber oder Eimer Sand wurden
durchschnittlich 5 Unzen Gold herausgewaschen. Ein Schacht lie-
ferte aus dem ersten Zuber, welchen mau überhaupt füllte, 73Uuzeu,
einige andere, welche in der Nähe liegen, ergaben durchschnittlich
30 bis 40 Unzen Gold. An der Hauptader waren im November
6000 Menschen beschäftigt.
Schloß in Guimaraens, Portugal.
Verantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. — Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Druck von Giesecke K Devrient in Leipzig.
Der Schreiber für das Volk.
scher Posse, aber diese ist seit etwa dreißig Jahren in Abgang
gekommen, und die neapolitanischen Maskenzüge sind ans
den Strich unserer civilisirteu Verkleidungen herabgesun-
ken ; man sieht zum Beispiel sehr häusig Türken, oder einen
Polichinell, welcher auf einem alten Weibe reitet, und nicht
selten tritt eine Maske an uns heran, um sich eine Gabe
auszubitteu. Der neapolitanische (Karneval ist ordinär ge-
worden und hat keine Bedeutung mehr.
Wer das Volk recht in seinem eigentlichen Elemente
betrachten will, muß dasselbe an kirchlichen Festtagen beob-
vor dem königlichen Palaste vorüber, stellten sich dann in
Reihe und Glied auf dein Quai Santa Lucia und der
Chiaja auf, bis dicht vor den Eingang der Posilippogrotte.
Der König stieg in einen von acht Nossen gezogenen Staats-
wagen, die Prinzen folgten in glänzenden Equipagen, und
hinterher ging das caruevalistisch angeputzte hohe und nie-
dere Hofgesinde. In der Piedigrottakirche kniete die könig-
liche Familie vor einem Madonnabilde, und der Pfarrer
überreichte dem Köuige cht Bild, das dieser küßte, und einen
Blumenstrauß, welchen er mitnahm. -
GlobuS 1862. Nr. 11.
Volksleben in Neapel.
Ii.
Der ordinäre Carneval. — Piedigrottafest. — Lustiges Treiben auf der Villa reale. — Volkstypen. — Morrafpiel und Tarantella. —
Die Posilippo-Grotte. — Wallfahrt nach Monte Vergiue. — Ein phantastischer Corso, — Ein Spaziergang ain Molo. — Don Piri-
quacchio. — Der Cauta storie und die Geschichte vou Rinaldo. — Der Straßenprcdiger, — Allerlei Jndnstne. — Der Acquaiolo. —
Marinan. — Auf dem Quai Santa Lucia au einem Somnierabcnd. — Das Schwefel-Wasser. — Messerstiche, — Der Balkon. —
Der öffentliche Schreiber. — Kellerwohnungen. — HeirathSgeschichieu. — Lottospiel. — Aberglauben und Grabgefolge,
Der Neapolitaner hat vor allen Dingen die Sonne gern;
er bewegt sich lieber in der freien Luft, als im Hause. Heiter
und angeregt ist er immer, aber in der Faschingszeit geht er
aus Rand und Band. Ich höre, sagt Marc Bconnier, so
eben eine Musik, welche mir das Ohr zerreißt, und weiß
nuu, daß eilt Maskenzug kommt. In früheren Zeiten führten
die verlarvten Leute die Zeza auf, eiue Art von atellaui-
achten. Daun giebt es sich ausgelassener Lustigkeit hin,
weil die Religion in Neapel einen heitern Anstrich hat. In
vorderster Reihe steht das berühmte Piedigrottafest, das
auf den 8. September fällt. Ursprünglich war es eine Sol-
datenprozessiou; man feierte zugleich ein Fest der Madonna
und einen Sieg Karls des Dritten über die Oesterreicher.
Wenigstens zwanzigtauseud Mann schritten im Parademarsch
322 Globus, Chronik der Reise
Vor zwei Jahren versah beim Piedigrottaseste Joseph
Garibaldi die Stelle des Königs, und die Geistlichkeit hatte
Fürsorge getragen, die Puppe, welche die Madonna vor-
stellte, mit dreifarbigen Bändern zu schmücken.
So weit Parade und königlicher Zug in Frage kom-
men, war das Fest ganz regelrecht und trug ein etwas ein-
förmiges Gepräge. Aber das Volk, welches sich am Strande,
aus der Villa Reale, umhertununelte, war desto ausgelassener.
Sobald die Dämmerung einbrach, begann das seltsam bunte
und lustige Leben und Treiben. Jetzt freilich halten pie-
montesische Soldaten mehr „Ordnung".
Wer das Treiben auf der Villa Reale am Abeud des
Piedigrottafestes zum ersten Male sah, wurde von Staunen
und Entzücken gepackt. Welch eiu buntfarbiges Gedränge!
Man sieht eine wunderbare Mannigfaltigkeit von Gesichts-
und Geographische Zeitung.
die etwas starkknochigen und dazu wilden Weiber aus der
Grafschaft Molife. Jene aus den Abrnzzen haben die Haar-
flechten auf dem Kopfe derart zusammengelegt, wie bei grie-
chischen Statuen. Ihre Männer hüllen sich zur Winterszeit
in Schasspelze und tragen Sandalen wie die alten Lästry-
gölten. So haben Etrnsker, Griechen, Römer und selbst
Araber und Normannen (an diese erinnern Tracht und
Mundart der Puzzuolaueriunen) in diesem merkwürdigen
Lande etwas zurückgelassen.
Dazu kommen dann noch die Frauen aus der Provinz,
Casone, augethau mit Sammet und Seide; iu ihrem vollen
dichten Haar steckt ein Dolch, zugleich als Schmuck und als
Wasfe. Neu verheirathete Paare machen ihre Hochzeitsreise
nach Neapel zum Piedigrottaseste, und in Calabrien wie in
Apulieu wird darüber anch wohl bei der Verlobung eine
DaS M>
typen, Trachten und Schönheiten; denn von weit nnd breit
strömen auch Mädchen und Frauen herbei, um das heitere
Fest mitzumachen.
Da sehe ich Procidanerinnen mit langem, weitem Ober-
kleide, wie die Athenienseriuneu trugen; ein farbiges Kopftuch
hängt nachlässig über das klassische Profil mit der geraden
Nase hinab. Schönheiten aus Großgriechenland tragen ein
goldenes Stirnband und einen silbernen Gürtel, wie die
Frauen, welche uns Homer geschildert hat. Die Capnanerin,
eine Tochter Campaniens, schlingt, gleich einer Sibylle oder
Vestalin auf antiken Gefäßen, ihre Magnofa um das
Haupt. An der Tracht der Samniterinnen ist von Nähter-
werk nichts weiter als das Hemd; denn alles Andere ist freie
Gewandung ans einem Stoffe, welchen die Frauen selbst we-
ben und färben. Das Mieder hängt lose ans der Brust
und die Aermel werden von Bändern gehalten. So sind
rraspiel.
Verabredung getroffen. Der Sposo niuß dann seine Sposa
zum 8. September nach Neapel führen, und ein geübter
Blick erkennt solche Paare leicht heraus. Mit Wohlgefallen
ruhet unser Auge auch auf dem Fischer, der nur Hosen und
Hemde trägt, beides von grober Leinwand, oder auf dem Ge-
birgsbewohuer aus deu Abrnzzen mit der phrygifchen Mütze
nnd dem Calabresen mit zugespitztem Filzhute. Der Cala-
brese ist gewöhnlich schlank aufgeschossen und feine Haut ge-
bräuut, so da^ er aussieht als wäre er aus Erz gegossen.
^ Daö Alles durcheinander bildet bunte, immer sehr ma-
lerische Gruppen vor den Springbrunnen und Standbildern,
mit Eisengitter des königlichen Gartens oder auf deu Rasen-
Plätzen. Die wandelnden Handelsleute schreieu ihre Waare
aus; eiu munterer Junge möchte wetten, daß er zwei Pfund
Feigen in die Luft werfen und jede einzelne, ohne Athem zu
holen, mit den: Munde auffangen und verschlingen wolle.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
323
Einige belustigen sich mit Seopa, einem Kartenspiele; an-
dere mit dem bekannten und oftmals beschriebenen Morra-
spiele, bei welchem es darauf ankommt, zu rathen, wie viele
Finger der Andere ausgestreckt hat oder geschlossen an die
Hand gedrückt hält. Andere vertreiben sich die Zeit mit der
Cazetta, das heißt ein halbes Dutzend Lazzaroni steigen
einer auf des andern Schulter und singen dabei, bis diese
Menschenpyramide iu's Wanken gerctth und umfällt, oder
man zieht Glücksloose, und was dergleichen mehr ist.
Unablässig vernimmt man den Schall des Tambu-
uns, das wohl so alt ist wie die Göttiu Cybele, jedenfalls
bis in die Zeit hinaufreicht, iu welcher die Wandbilder in
Hercnlanum gemalt wurden, denn auf diesen sind Bacchan-
tinnen dargestellt, welche das Tamburin schlagen.
Doch da höre ich auch Castagnetten klappern! Die
Tarantella wird getanzt. Die beiden Tänzer begrüßen
sich, .machen schüchterne Tritte, treten beiderseits etwas zu-
rück, kommen einander wieder nahe, offnen die Arme und
drehen sich rasch im Wirbel. So geht es fort auf Villa Reale,
die ganze Nacht hindurch, und manche Familien schlafen
unter freiem Himmel im Garten, und das Aufrauschen des
Meeres ist ein Lied, welches sie in den Schlummer wiegt.
auch hier verschwistert. Ich sehe die Canta Figliole,
welche etwa den Improvisatoren der Posilippogrotte ent-
sprechen. Diese „Besinger der jungen Mädchen" halten
unter einander Wettgesänge, welche an die alten Eklogen
erinnern; wer Sieger bleibt, bekommt eine seidene Börse.
Das Volk ist Richter. Die Dichter singen aus dem Steg?
reife nach der Weise eines bekannten Liedes, und am Ende
jeder Strophe bildet den Refrain das Wort Figliole.
Die jungen Mädchen lächeln, denn bei diesem Feste werden
sie verherrlicht.
Ganz besonders merkwürdig für den Fremden ist bei
dieser Wallfahrt die Heimkehr der lustigen Pilger von der
letzten Station vor Neapel, also von der sogenannten Ma-
donna del Arco bis in die Stadt. Man kann diesen Zug
als einen phantastischen Corso bezeichnen. Tausende von
Fuhrwerken aller Art fahren mit geradezu rasender Schnel-
ligkeit, während zugleich manche Karren, die von einem
Ochsen oder von Kuh und Esel gezogen werden, sich nur
langsam fortbewegen. Sie haben eine mit Rosen und
Myrtheu verzierte Zeltüberdachung, die) jungen Mädchen
schmücken das Haar mit Blumen, die Männer mit Eichen-
lanb und Kirschen, und überall ragen Stangen mit Laternen,
Inzwischen war es auch bei der Posilippo-Grotte
lebhaft, welche als beinahe eintausend Fuß langer, dreißig
Fuß breiter Stollen unter einem Berge hindurch führt. Die
Fackeln flackern hin und her; auch dort wird getanzt und
gesungen, das Volk ist Herr und alle Zügel sind losgelassen.
Das Fest in dieser Grotte hat einen wilden und heftigen
Charakter, es liegt eine gewisse Wuth in der Lustbarkeit,
namentlich in den Gesängen. Aber in dieser Grotte sind
von barfüßigen Leuten auch Saugweisen improvisirt worden,
die theilweise in berühmte Opern übergingen.
Doch wir betrachten uns eine andere Lustbarkeit, die
Wallfahrt nach Monte-Vergine, welche zu Pfingsten
stattfindet. Sie ist dein Neapolitaner, was dem Ealabresen
das Piedigrottafest; Vergnügen und Andacht gehen Hand in
Hand. Die jungen^Mädchen legen Gelübde ab und Reuige
thuu Buße in dem Heiligthum, das sich auf einem Berge bei
Avellino erhebt. Mau geht Nachts, bei Fackelschein, den
Berg hinan; die verschiedenen Gruppen bewegen sich langsam
und singen Litaneien. Eine zahllose Menschenmenge schlän-
gelt sich in fast ununterbrochenem Zuge durch Eichen- und
Kastanienwälder den Berg hinan. Die Büßerinnen gehen mit
aufgelöstem Haar, manche auch barfuß; einige kriechen in der
Kirche umher und lecken die Steinplatten mit der Zunge ab.
' Aber Andacht und Lustbarkeit sind, wie schon bemerkt,
Madonnenbildern, Körben, Eimern und geweiheten Zweigen
in die Luft. Die Weiber erscheinen so ausgelassen, daß man
sie für ganz berauscht halten könnte, und sind doch nur
freudetrunken; sie nehmen den Männern den Hut ab, stülpen
ihn auf ihren Kopf und tanzen nach dem Tamburin. An-
dere, die im Wagen sitzen, schlagen die Zymbel oder Ca-
stagnetten, während die nun längst in aller Welt bekannten
Zampognari springen oder hüpfen und dabei auf dem
Dudelsack oder dem Flageolet spielen. Diese Ochsen- oder
Eselfuhrwerke sind patriarchalisch, man möchte sagen Home-
rifch. Aber das junge Volk raset im Galopp; ein armer
Gaul hat eine Ladung von fünfzehn Leuten zu befördern,
und muß heute das mit Blumen und Gewinden verzierte
Corricolo in rasender Eile ziehen. Dabei hört man un-
unterbrochen den Ruf: Junge Mädchen, junge Mädchen!
Corricoli und Carrozzelli und Miethskutfcheu und herr-
schaftliche Equipagen rasen durch und neben einander, und
daß es an lustigen und traurigen Unfällen nicht mangelt,
versteht sich von selbst. Es ist schon vorgekommen, daß bei
diesem phantastischen Corso ein Dutzend oder anderthalb
Dutzend Leute das Lebeu eingebüßt haben. Aber was macht
das aus? Sind ste doch aus dem Monte Vergüte gewesen
nnd haben vier bis fünf Wegstunden iu sechszig Minuten
zurückgelegt, ihr Geld in den Schenken von Mercogliano
41*
326
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
oder Montesorte verthan, die jungen Mädchen besungen, die
Tarantella getanzt und vor dem Madonnabilde gebetet.
Aber nicht jeder Tag im Jahre bringt ein Fest, und
wir wollen das Volksleben in seiner Alltäglichkeit betrachten.
Ein Spaziergang am Molo wird sich lohnen, obgleich dieser
Hasendamm schon sehr modernisirt worden ist. Die Ver-
bessernngen sind zu loben, aber manche romantische Gestalten
sncht man heute vergebens.
Da war einst Don Piriquacchio, der volks-
thümliche Barbier, vor dessen Bude ein Schild mit der
Aufschrift hing: „Don Piriquacchio, freundlich gegen Jeder-
mann, schneidet Haar und scheert den Bart für eine Kleinig-
feit." An einer Stange der Bnde hingen Scheermesfer
herab, deren jedes einen besondern Namen hatte. Das
eine hieß der Hautschinder, das andere führte den poeti-
scheu Beinamen Mira stelle, Schaue die Gestirne an; ein
drittes: Beiß die Zähne zusammen; ein viertes: Zieh
am Fuß, und so fort.
Ein Lazzarone tritt iu's Zelt,
setzt sich auf den alten mit Leder
beschlagenen Stuhl und nimmt
einen Apfel iu den Wund. (In
Neapel wurde also nicht, wie in
Deutschland auf den Dörfern noch
vor etwa fechszig Jahren, über
den Löffel barbiert, fondern
über den Apfel.) Jetzt nahm
Don Piriqnacchio den Hautschin-
der und rasirte, bis dem Gemar-
terten die Thränen aus den Augen
liefen; er rief in Verzweiflung:
„Meister, ich kann's nicht mehr
aushalten, nimm ein anderes!"
Dann kam Beiß die Zähne zn-
sammen an die Reihe, aber das
kratzte nur noch ärger, und mit
den übrigen war ein Gleiches der
Fall. Zuletzt ging der geschundene
Lazzarone mit blutigem Kinn fort
und würgte in Verzweiflung den
Apfel hinunter.
Leider, leider ist Don Piri-
quaechio verschwunden; auch deu
Canta storie, der so schöne Hi-
störten saug, sncht man heute ver-
geblich. Ich habe ihn in meiner Giu Bürger ans der alten Zeit.
Jugend noch gesehen und sein Publikum betrachtet. Es waren
Leute, die nur Hosen und Hemd auf dem Leibe hatten, Kinder
und Frauen und Männer jeglichen Alters bis zum Greife. Aber
alle hörten mit nlnsterhafter Andacht zu; sie sperrten den
Mund weit auf, lachten und weinten uitb fluchten. Das
waren die sogenannten Pafsionirten; hinter den Bänken,
auf welchen sie saßen, bewegten sich die bloßen Liebhaber.
Meister Michel stand auf einem Gerüst und hielt einen
Stab in der Hand, welcher Rinaldo's Schwert vorstellte.
Den Hintergrund der Seene bildete Castell nuovo, das mit
Kanonen bespickt war, Vordergrund war der von Schiffen
belebte Hafen, durch den Mastenwald erblickte man den Ve-
fnv mit feiner Rauchsäule, und die Höhen von Castellamare
hoben sich malerisch vom blauen Himmel ab.
Nun begann Meister Michel:
Rinaldo allora un grau feiulcntc abbassa:
E il Saracin pcrcuote sulla testa;
La spada trineia il capo cd oltro passa
'.I l'incia in due parti il corpo c lion s'arrcsta.
Anchc il cavallo in duc rneta trinciö
sette palmi sotta terra entro.
Also: Ninaldo führt einen gewaltigen Hieb mit seinem
Flammberg und trifft den Kopf des Saraeenen. Das
Schwert spaltet den Kopf und geht noch weiter, spaltet den
Leib in zwei Halben, schneidet außerdem das Pferd mitten durch
und geht obendrein noch sieben Palmi tief in den Erdboden!
Ninaldo ist der Lieblingsheld des neapolitanischen
Volkes. Meiste? Michel deklamirte die Verse nicht her, son-
dern sang sie ab. Je nachdem er es für angemessen hielt,
sprach er italienisch oder in neapolitanischer Mundart und
beides mit verschiedenen! Aceente. Er übersetzte die Verse
Ariosto's in die Volksmnndart und fügte die nöthigen Er-
länterungen hinzu. Natürlich galt er beim Volke für einen
grundgelehrten Mann, wenn er auseinandersetzte, wie der
Paladin Rinaldo gegen die Heiden Assyriens in's Feld rückte;
wenn er von der Sirene Cleopatra und von Friedrich Roth-
bart und von der heiligen Diana sprach, die er als Jungfrau
und Blntzeugin schilderte. Sie hat in Baia eine Kapelle.
Das Volk entblößt das Haupt und
schlägt ein Kreuz. Meister Michel
erzählt weiter, wie die Christen
von den protestantischen Ära-
bern viele Verfolgungen erleiden
mußten, denn sie gössen gefchmol-
zenes Blei in die Ohren des heili-
gen Proeopius (allgemeiner Schrei
der Entrüstung). Indessen giebt
Michel der Menge auch wieder
einen Trost. Die Jungfrau Iu-
dith hat nämlich dem Sultan den
Kopf abgehauen. Rinaldo eilt zu
ihrer Hülfe herbei und maffaerirt
ein gauzes Mohrenheer. Aber da-
bei schwebt der Paladin in großer
Gefahr. Die Passionirten sind ge-
spannt, worin diese Gefahr eigent-
lich bestehe, und diese Spannung
benutzt der Historiensänger, um
eine Gabe zu erbitten, denn er sei
nun mit dem achten Gesänge fertig.
Ach, Meister Michel ist nicht
mehr. Ich habe vor einigen Iah-
reit den letzten der Canta storie
gesehen, aber nicht aus dem Molo,
sondern hinter dem Zollhause aus
einem feuchten Kreuzwege. Der
Mann war knochenstark wie ein
Hercules, trug eine Brille und fand noch immer feine
Zuhörer. Aber cht Mann wie Michel war er doch nicht,
nnd auch er ist, gleich diesem, verschwunden. Für diesen
Mangel lieferte, als ich zum letzten Mal in Neapel war, ein
Mönch-Demagog, der vielgenannte Pater Gavazzi, eini-
germaßen Ersatz. Er war mit Garibaldis Schaaren ge-
kommen und predigte, angethan mit einem blntrothen Kittel,
unter freiem Himmel. In seinen Reden wetterte er gegen
den Papst und gegen den König von Neapel.
Der Straßenprediger in der guten alten Zeit stand
auf einem Brettergerüst und hatte ein Crucifix in der Hand;
hinter seinem (stände hingen eoloffale Andachtsbilder, welche
die Ungeheuerlichkeiten des ultramoutanen Aberglaubens ver-
sinnlicheil mußten. ^ Der Prediger schrie und eiferte gegen
die Ungläubigen, wie ein ächter Gassenkapuziner und such-
telte mit dem Crucifix in der Lnst herum. Der Bühne des
Straßenpredigers gegenüber erhob sich das Gerüst Polichi-
nells, der dem Mönch allzeit gefährliche Concurrenz gemacht
hat, natürlich zu großem Leidwesen des Letztern. Eines
Tages paradirte Polichinell auf dem Molo, küßte seine Co-
Ein Abbate.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
327
lnmbine, führte Kassander hinter das Licht, prügelte den
Gendarmen, schlug den Teufel todt und was dergleichen
mehr ist. Das gefiel der Menge besser als die Predigten
des Kapuziners, der trotz allen Schreiens sein Publikum
nicht zu fesseln vermochte. Die Leute liefen zum Hanswurst,
und endlich war es vor den Andachtsbildern öde und leer.
Da betete der verlassene Mönch, schluchzte, drohete, schalt,
aber Alles wollte nicht helfen. Da riß er endlich, um einen
rechten Trumpf auszuspielen, die Kutte herab, entblößte
Brust und Schulter und that, als ob er sich mit Ketten
geißele. Aber auch das war vergeblich; die Leute blieben
beim Polichinell. Was that nun der Kapuziner? Er packte
sein Erncifix mit beiden Händen, streckte es weit hin gegen
das Volk aus und schrie ans Leibeskräften: „Seht, hier
ist der wahre Polichinell!" Genauer betrachtet liegt
in dieser Unbefangenheit nicht etwa eine Entweihung, fon-
dern ein tiefer Sinn.
Die schönen Tage solcher Straßenprediger sind nun
auch vorüber; nur in einigen ab-
gelegenen Theilen der Stadt regen
sie das Volk gegen die Piemonte-
sen und deren König auf.
Auf dem Molo begegnen wir
Leuten, die sich ihren Lebenserwerb
auf seltsame Weise verschaffen. Da
sind zum Beispiel Männer, welche
Nachts, wenn die Gassen leer sind,
weggeworfene Cigarreustümpse auf
den Straßen, in den Ecken und aus
dem Kehricht hervorsuchen; sie
trocknen den Taback dann an der
Sonne und verkaufen ihn an arme
Leute. Da ist auch der Lazzaroue,
welcher sich zu allem Möglichen
herbeiläßt und in einem Tage zehn-
mal sein Gewerbe wechselt. Im
Winter verkauft er am Morgen
Branntwein und Mittags erscheint
er vor dem Kaffeehause, um den
Knuden die Stiefeln zu putzen.
Der Neapolitaner, welcher nicht
gerade den höheren Ständen an-
gehört, geht mit ungewichster Fuß-
bekleidnng aus, trinkt eine halbe
Tasse Kaffee vor dem Kaffeehause,
und nun erscheint anch der Stiefel-
Putzer, welcher ihm das Pedal
blank macht. Dieser Biedermann denkt nicht daran, sich die
Hände zu waschen, obwohl er Nachmittags mit sicilianischen
Oliven handelt; spät Abends verkauft er Kaninchen. Im
Sommer bietet er Morgens eisenhaltiges, um Mittag Schnee-
Wasser und Abends Melonen feil.
Den Aeqnaiolo findet man an allen Ecken, wo er
eine mehr oder weniger zierliche Bude aufgeschlagen hat.
Gegen die Souue schirmt ihn ein Zeltdach, unter welchem
Citronen und Apfelsinen hängen; die Fässer sind mit Schnee-
wasser gefüllt; obeu hängen Laternen und Gewinde, und im
Hintergründe gewahrt man allerlei seltsame Pinseleien aus
der heidnischen Mythologie und der Bibel, was beim Nea-
politaner so ziemlich aus eins hinauskommt. Moses z. B.,
der Wasser ans dem Felsen herausschlägt, gleicht einem aus-
gedienten Taschenspieler. Schon vom frühen Morgen an
drängt sich das Volk vor der Bnde des Aequaiolo, trinkt dort
kühles Wasser, Limonade, Orgeade oder den Sambueo, einen
mit Fliedersaft versetzten Liqnenr.
Auf alle diese Leute blickt der Strandanwohner der
Neapolitanische Magd.
Marinella oder des Qnai's Santa Lucia mit einem ge-
wissen Hochmnth herab. Er hält sich für den eigentlich
freien Mann, er ist der Bürger des Meeres. Ein
Marinaro, der eine Barke oder auch nur ein Netz sein
nennt, gehört einer besondern Kaste an, und hat mit dem
übrigen Volke nur wenig zu schaffen. Diese Kaste hat be-
sondere Gesetze, Bräuche und Vorrechte. Auf dem lang
hingedehnten Strande von der Magdalenenbrücke bis zu deu
Klippen von Mergellina gewahrt man überall Gruppeu von
Fischern, welche tapfer und lustig in Gemeinschaft arbeiten.
Wir gelangen an den Strand von Chiatamone und
sehen, wie solch eine Gruppe sich ganz zufällig zusammen-
findet. Einer schiebt die Barke in's Wasser, Andere kom-
inen hinzu und helfen, und noch ein Anderer, der herbei-
läuft, giebt ein Zeichen, daß sie einen Augenblick warten
mögen. Vielleicht haben alle diese Leute einander nie zuvor
gesehen oder sind doch nicht näher mit einander bekannt ge-
wesen, aber das macht nichts aus; sie treiben ein und dasselbe
Gewerbe, duzen sich «und gehen
vertraut mit einander um, als ob
sie Jugendgespielen gewesen wären.
Brotneid kann nicht aufkommen.
Denn das Meer ist weit und giebt
Ausbeute für Alle, ohne Jemand
zu beeinträchtigen. Wer ein Netz
und einen Haken besitzt, ist dem
Mariuaro willkommen.
Aber aus gewisse Privilegien
wird streng gehalten. Wenn zum
Beispiel ein Fischer eine Stelle ans-
sindig macht, wo die Fische, ua-
mentlich das Meerauge (Occhio di
Mare), häufig sind, dann hat er
ein Anrecht, ein Privilegium auf
dieselbe, und Niemand darf ihm
dort in den Weg kommen. Wehe
dem, der es wagt. Jeder Fischer
hat am Hals ein Bild der Ma-
donna und in der Tasche ein
Messer. Wenn Einer ihn in seinem
Privilegium beeinträchtigt, so niur-
melt er ein Gebet und sticht den
Menschen todt.
Der Fischer ist eigentlich der
ächte Neapolitaner, ein Mann in
Hemd und Hosen, mit der phrygi-
scheu Mütze uud zuweilen mit einer
rothen Gürtelschärpe. Die Schönheit dieses gebräunten
Meermenschen ist eine andere als jene des Lazzarone. Der
Marinaro, ein Mann, welcher arbeitet, ist anch ohne Ver-
gleich malerischer, jede Bewegung, jede Gruppe ist pittoresk.
Aber das Betteln verschmähet auch er im Nothfalle nicht, es
gilt ihm gleichsam als eine freie Kunst, welche er nur aus-
übt, wenn er bei unruhigem Wetter keine Ernte ans dem
Meere holen kann. Gemein und kriechend benimmt er sich
indessen nie, und man muß sich wohl hüten, ihn zu beleidigen,
denn er ist stolz und unerschrocken, das letztere namentlich
ans See. Manche Fischer, insbesondere jene von Torre del
Annunziata, fahren in ihren gebrechlichen Barken bis an die
Küste von Afrika, bleiben halbe uud ganze Jahre lang ans
und kommen dann an einem schönen Tage mit einer Ladung
Korallen oder Schwämmen zurück.
Diese Amphibienmenschen beobachtet man sehr gut au
einem Sommerabend auf dem Quai Santa Lucia. Ich will
hier, sagt Monnier, beiläufig eine Bemerkung einschieben.
EinFremder, derNeapel rechtgenießen will, sollte
Hausmädchen.
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
im Juni dorthin kommen, nicht im Winter oder im !
Frühjahr. Der letztereist eine schlechte Zeit, weil dann !
in Neapel, das unsere nordische Behäbigkeit und Behaglich-
feit gar nicht kennt, die Häuser zugig und feucht siud, und
viele nicht einmal Kamine, geschweige denn Oesen haben.
Die Zimmer sind groß und hoch, die Fenster und Thüren
schließen nicht, Regen und Wind finden überall Eingang,
und der Fremde kann mit Sicherheit anf Schnupfen und
Rheumatismus rechnen. Auch ist dann die Landschaft vou
weit geringer»: Reize, kahl und nackt, das Wetter oft sehr
schlecht und der Regen hält manchmal Tage lang an. Man
muß also im Frühsommer nach Neapel kommen, dann hat
man vollen Genuß. '
Au einem warmen Abend sind wir auf dem Quai
Santa Lucia. Dieser selbst ist sehr hübsch; aber hinter den
schönen Häusern liegen enge, unsaubere Gäßcheu, in deueu
das arme Volk wohnt. Es ist dort nicht geheuer und es
wäre nicht wohl gethan, in dieses Quartier am Monte Echia
einzubringen. Vom Quai aus hat man den ganzen Vesuv
vor sich. Prachtvoll nimmt er sich aus, wenn er seine Rauch-
faule hoch in die Lüfte sendet und dann am Abend, bei
Sonnenuntergang röthlich nmhancht ist. Die Färbuug wird
nach und nach bläulich, geht iu's Violette über, iu's Lila,
dann iu's Dunkelbau. Wunderherrlich ist der Anblick, wenn
gerade der Mond aufgeht. Hinter dem Vesuv ragt das
Vorgebirge, welches so oft von Dichtern gepriesen worden
ist, schimmern die weißen Gebände von Castellamare und
Sorrento bei heiterm, blauem Himmel und die Nacht ist so
weich und warm, die Lüfte sind so lieblich schmeichelnd!
Man feiert zudem das Fest der heiligen Anna, und
folglich herrscht große Lustigkeit. Der Neapolitaner ist im
Allgemeinen sehr mäßig im Genüsse geistiger Getränke und
man sieht au gewöhulicheu Tagen selten oder nie einen
angetrunkenen Menschen. Aber an Festtagen sind alle
Osterien und Tavernen vollgepreßt mit plebejischen Zechern,
die sich eine rechte Güte thun und für mouatelauge Ent-
behrungen entschädigen wollen. Dann halten sie olympische
Mahle und jedem Kirchenfest entspricht eine besondere Speise.
Ostern hat seinen Casatello, Eierkranz; zu Weihnachten
speist man Cap ito ni, große Meeraale; am St. Josephstage
Zeppole, ein leichtes Gebäck. Am St. Annenabend bildet
der ganze untere Theil des Quais eiue zusammenhängende
Osteria, und der Popolano mit seiner Familie läßt es sich
wohl sein.
Am Meeresstrande, unter dem Santa Lncia-Quai, liegt
die Grotte, ans welcher sich ganz Neapel mit Schwefelwasser
versorgt. Sie gehört den Lucianern, und die ganze Nacht
hindurch werden Fässer gefüllt, welche man nach Castellamare
und anderen Städten der Umgegend schafft. Am Morgeu
kommen dann die Karren, welche das Getränk für Neapel
selbst in Mommare (sprich Mimte), Krüge, füllen. Da fitzt
eine Mutter auf dem Karren und sieht zu, wie diese Krüge
gefüllt werden. Sie hat ein Kind an der Brust; aber siehe
da, der Säugling springt behend herab, geht an den Quell,
trinkt Schwefelwasser, klettert wieder zur Mutter hinauf,
um sich abermals mit Muttermilch zu erquicken. Der Säug-
liug wird demnächst bald vier Jahre alt. Das Schwefel-
Wasser riecht abscheulich, aber die Neapolitaner haben sich
daran gewöhnt, finden es vortrefflich und halten es für un-
gemein gesund.
Au der Schisfslände liegen die Barken in großer Menge
neben einander. Wir wollen auf das Meer hinausfahren,
und ein beliebiges Fahrzeug wählen. Aber das dürfen wir
nicht; eine Ordnung, welche die Schiffer sich selbst gemacht
haben, will und verlangt, daß wir die Barke nehmen, au
welcher eben die Reihe ist.
Globus 1802. Nr. it.
_ _ _ _ _______ ________
330 Glovus, Chronik der Reisen
Zum neapolitanischen Volksleben gehören die Messer-
stiche. Die Zweikämpfe finden manchmal auf freier Gasse
oder offenen Plätzen statt und Niemand mischt sich darein.
Ich habe gesehen, daß ein solcher dicht neben einer Wache
stattfand. Der eine Kämpfer blieb; als die Polizei kam, war
der andere längst verschwunden. Man sieht viele Plebejer,
die einen Menschen aus dem Gewissen haben, aber das Volk
betrachtet sie etwa so, wie wir einen Mann, der einen andern
im Duell getödtet hat. Jener hat nur „Unglück gehabt",
und die Polizei der Bourbous mischte sich möglichst wenig
in solche Dinge; die Sbirreu ließen sich etwas iu die Hand
drücken und damit war die Sache abgethau. Wenn sie
ausnahmsweise vor das Gericht kam, so wurde sie iu die
Länge geschleppt und am liebsteu ganz niedergeschlagen. In
sehr schweren Fällen vernrtheilte man den Mörder zur
Zwangsarbeit, was aber unter Ferdinand dem Zweiten auch
nicht eben viel zu bedeuten hatte. Denn wenn ein Prinz
geboren wurde, erließ die königliche Gnade den Galeeren-
sträfliugen eiuige Jahre, und da Königin Therese sehr viele
Prinzen bekam, so traf es sich, daß ein Mörder zeitig wieder
auf freien Fuß gelaugte.
Es ist schon gesagt worden, daß man in Neapel häus-
liches Leben iu uuserm Sinne nicht kennt. Alles ist mehr
oder weniger offen nnd öffentlich und,.wenn es nicht gerade
regnet, auch keiu Fenster geschlossen. Eine Neapolitanerin
verbringt ihre halbe Lebenszeit auf dem Balkon; die Magd
windet, um nicht die Treppen hinab nnd hinauf zn gehen,
den Gemüsekorb an einen Strick hinauf, und das Fräulein
erhält und befördert aus diesem Wege Liebesbriefe. Fenster
und Balkoue spielen in Neapel eine hervorragende Nolle;
sie sind gleichsam Theaterlogen, ans denen herab man das
Schauspiel auf der Gaffe betrachtet; eiu Salon, iu welchem
man Besuche cnts der Ferne empfängt, ein Ballzimmer, in
welchem die jungen Mädchen zur Schau aussitzen. Man hat
für das Alles das Wort affacciarsi, sich an's Fenster setzen;
man will sehen und gesehen werden.
Alle Arbeiten werden mehr oder weniger im Freien
verrichtet, das ganze Hans ist gleichsam unter den blauen
Himmel hinausgerückt; der Vorübergehende kann in Werk-
statt und Küche gucken, und wie viele Schlafstätten bieten
nicht nur die Kirchentreppen, sondern auch die öffentlichen
Plätze dar? Ach, und was ist uicht soust uoch Alles ösfeut-
lich! Wer gesehen hat, wie ein halbes Dutzend Weiber in
einer Reihe hintereinander kanern und ans ihren Köpfen
infectologische Forschungen anstellen, der vergißt es gewiß
uicht, und auf die neapolitanischen Eindrücke lagert sich dann
ein sehr dunkler Schatten. Sehen kann man dergleichen aber
alle Tage und zu jeder Stunde. Das Haar dieser.Plebeje-
rinnen ist wunderschön, aber ein Mensch aus dem Norden,
der deuu doch andere Begriffe von Schicklichkeit hat, findet
ein Haar darin.
Von großer Bedeutung ist der ö s f e u t l i ch e S ch r e i b e r.
Das Volk kann desselben nicht entbehren, denn es versteht
sich von selbst, daß ein Neapolitaner aus dem Volke weder
lesen noch schreiben kann. Kirche und König hatten sich nm
andere Dinge zu kümmeru. Der Schreiber hat seinen Tisch
an einem Platze, der ihm und seinen stunden paßt, also in
der Nähe des Molo oder unter den Vogengängen des San
Carlotheaters. Er ist ein äußerst gelehrter Manu, denn
erstens kann er lesen und schreiben, und zweitens sogar aus
dem Französischen übersetzen. Die Brille fehlt natürlich
nicht; sie verleiht ihm eine gewisse Würde; fein Hut ist
derart, daß man in dem faustgeübten München erklären
würde, er sei schon oftmals „angetrieben" oder „gefelbert"
worden; auch der übrige Anzug kann nicht gerade als elegant
bezeichnet werden. Das macht aber weiter nichts ans. Der
und Geographische Zeitung.
Schreiber versteht seine Sache, verfertigt herzergreifende Lie-
besbriefe oder ist Dolmetscher für solche, welche einer seiner
Collegen verfaßte und ist der Mann des Vertrauens. Was
hat man ihm nicht schon Alles iu feine Ohren hin ein-
geflüstert!
Viele Popolani wohnen in Vasei (Bafsi, Kellerge-
schössen), dergleichen man unter vielen alten Häusern findet.
Unter dem Neapel, das man sieht, liegt noch eine unterirdische
Stadt; ich meine aber nicht blos Keller und Küchen, Ställe
und Katakomben, sondern die Schleusen und Aqnäduete,
welche uralt sind und sich wie ein wahres Labyrinth unter
Neapel hin erstrecken. Die Vasei, in welcher der Popolano
wohnt, erhalten ihr Licht durch die Thüröffnung. Wir treten
hinein und finden ein hohes Gewölbe mit kahlen Wänden
und einem Estrich, der uuserm Asphalt gleicht. Das Haus-
geräth besteht aus einem Koffer, Kommode, Tisch und etlichen
Stühlen; dazu kommt noch ein Bett, gewöhnlich von Eisen
nnd so groß, daß die ganze Familie darin schläft. Es wird
je nach Bedarf vergrößert.
Ein Burfch von siebenzehn Jahren schallt sich nach einer
passenden Geliebten um; an ein vierzehnjähriges Mädchen
kann man dreist die Frage richten, ob sie schon verlobt sei.
Aber in der Frage liegt schon eine Art von Beleidigung,
denn die Sache versteht sich von selbst; die „Nennelle" wird
also schnippisch entgegnen: „Bin ich etwa häßlich und anti-
pathisch, daß Sie mich noch fragen?" Sie wird dabei
roth vor Zorn werden. Daß der Geliebte sie heirathet, ver-
steht sich von selbst; „Cour machen" ohne reelle Absichten,
ist nicht Brauch und wird auch uicht geduldet. Man will die
Nennelle Heirathen und denkt daran, ihr ein „Nest zu bauen",
also einen Hausstand einzurichten. Dieser besteht zunächst
aus einem Gegenstand, ans welchem man ruhen kann, zu
deutsch, einem Bette. Der junge Bnrsch kauft nun, je nach
Zeit und Gelegenheit, Eisen, Bretter, Strohsack, Matratze,
Decke, und zn diesem Zweck arbeitet der Lazzarone. Ost
hat er erst nach Jahren alles Erforderliche beisammen. Darin
liegt keine Uebertreibnng; es ist vorgekommen, daß solch ein
keuscher Brautstand zehn Jahre dauerte. Marc Monnier
sagt: „In dieser Hinsicht sind die Neapolitaner das beste
Volk, welches ich kenne."
Aber ein Bett könnte doch wohl in kürzerer Zeit beschafft
werden? Allerdings, wenn das Lotto nicht wäre.
Die nichtsnutzige Lotterie, welche überall und unter allen
Umständen zu verwerfen ist, verwuchs mit den Neapolita-
nern derart in Fleisch und Blut, daß selbst Garibaldi nicht
wagen durfte, sie anzutasten. Zwar erließ er eine Verordnung
zur Abschaffung und wollte Sparcaffen einrichten, aber das
Alles ist lediglich auf dem Papier geblieben. Die Vollziehung
hätte sichtlich eine Rebellion gegen ihn erregt. Das Volk will
getäuscht sein; es ist träg, die Faulheit möchte Geld gewin-
nen ohne Arbeit, und wenn die lustige Hoffnung auch huu-
dertmal sich getäuscht sieht, so wird der Gimpel doch wieder
in die Lotterie setzen; er hat einmal sein Luftschloß aufgebaut
und dabei bleibt es; er will Nebelbilder und Fata morgana
nicht fahren lassen.^Der gemeine Mann in Neapel ist aber
uiit einer wahren Wuth aus das Lotteriespiel versessen. Sein
Lotto, Estrazione, wird an jedem Sonnabend gezogen,
in einem großen Saale des Castel Capnano. Ein mit Re-
liquien behängter, in einen gelben Rock gekleideter Gassen-
junge, welchen ein Priester einsegnet, zieht aus einem
ntit 92 Nummern gefüllten Sacke die fünf Treffer heraus
und diese werden lant ausgerufen. Die Capuziuermöuche sind
Verkäufer von Lottonummern, und machen der Paechiana
Conenrrenz. Diese ist eine Bäuerin aus Pozzuolo, welche
sich in der Grotte der Sibylle begeistert hat. Sie stürmt aus
derselben mit ausgelöstem Haare hervor und hält dem bleichen
Globus, Chronik der Reis,
Mond einen Spiegel entgegen, in welchem sie, angeblich mit
Blut geschrieben, die Treffer sieht, welche bei der nächsten
Ziehung herauskommen würden. An solche Spiegelfechtereien
glaubt man nicht etwa blos in den niedrigsten Volksschichten.
Natürlich spielen auch Träume eine Rolle; denn wo wäre
das nicht der Fall? Wer nicht herausgekommen, geht betrübt
von dannen, und zu diesen gehört auch der Lazzarone, welcher
doch nur so viel gewinnen möchte, um ein Bett kaufen zu
können. Wenn er dem Lotto fern geblieben wäre, besäße er
längst ein so notwendiges Stück Familiengeräth.
Nach zehn Jahren hat er endlich das Bett zusammen-
gebracht und obendrein ein Madonnenbild, das an der kahlen
Wand hängt. Vor demselben brennt eine Lampe. Das Bett
könnte im Nothfalle nicht vorhanden sein, das Bild darf
durchaus nicht fehlen. Oft hat man kein Brot, aber Oel
für jene Lampe wird beschafft.
Die Madonna hat sogar seit der jüngsten Revolution
nichts von ihrem Ansehen verloren. Auch leistet sie der
öffentlichen Sicherheit gute Dienste. Früher glaubten die
Herren Lazzaroni als ihr Privilegium geltend machen zu
dürfen, daß Nachts die Straßen dunkel blieben, und als man
Laternen einführte, wurden sie von den conservativen Leuten
zerschlagen. Die Kehlabschneider freueten sich dessen sehr.
und Geographische Zeitung. 331
steckt. Buckelige und Hinkende, Krüppel, Gelähmte und
Krummbeinige gehen, der Abhülfe ihrer Leiden wegen, in die
Carmeliterkirche, aus der sie in Masse ohne Krücken hinaus-
liefen, als ein gottloser Garibaldiauer den Säbel zog, an-
geblich um sie zu massaerireu. Trotzdem glaubt man noch,
daß ein Christusbild in jener Carmeliterkirche, 1439, bei der
Belagerung, den Kops gesenkt habe, um nicht von einer
Kugel getroffen zu werden.
Die Religion der Neapolitaner ist im Grunde etwas
ganz Apartes, und hat eigentlich mit europäischen Begriffen
nichts zu schaffen, sondern ist eine wilde, sinnliche Leidenschast.
Unter den Heiligen steht San et Januarius oben an; er
modisieirt sich nach Zeit und Umständen, und ist revolutionär
oder reaetionär, je nachdem es eben kommt. Als 1799 die
Franzosen kamen, war er anfangs hartnäckig und wollte kein
Blut von sich geben; als aber General Championnet drohte,
die Priester seiner Kirche todtschießen zu lassen, floß das
Blnt sehr rasch. Sanct Januarius hat auch Garibaldi ge-
horcht. Ich habe am Mirakeltage das Volk in der Kirche
beobachtet; es war wie trunken und Viele bekamen Zuckungen.
Als das Blut auf sich lauern ließ, hörte ich Schimpfreden
gegen den Heiligen, so abscheulich, daß ich sie uicht nach-
schreiben kann. Auch die Calabresen machen nicht viele Um-
Siesta der
Da kam ein schlauer Priester, Namens Nocea, auf den guten
Gedanken, die Laternen.mit Madonnenbildern zu versehen,
und von nun an blieben sie unangetastet.
Auch die Heiligen haben durch die Revolution nicht viel
von ihrem alten Ansehen eingebüßt. Die Theater haben nach
wie vor einen Heiligen zum Schutzpatron und werden nach
diesem benannt. Bei Kirchenfesten dürfen Kanonenschläge nicht
fehlen und in der Osternacht donnern sie zu tansenden. Da-
zu kommt dann noch das arge Geknatter von Schwärmern.
Marc Monnier meint, von dem alten Aberglauben sei
jetzt Einiges verschwunden, aber, fügt er hinzu: bisher war
dieses Volk heidnisch in Grund und Boden. Es verehrte
Alles, sogar ein Roß von Bronze, eine Copie des Castor zu
Rom; die Kutscher führten kranke Pferde bei nächtlicher
Weile um dasselbe herum und murmelten dabei geheimniß-
volle Worte. Dann wurde es gesund. Ein Erzbischof von
Neapel hatte im Jahre 1568 den Muth, solchem Götzendienst
ein Ende zu machen, und ließ das eherne Roß einschmelzen
und eine Kirchenglocke daraus gießen, die jetzt im Glocken-
thurm des heilige» Januarius hängt. Aber seitdem und bis
auf den heutigen Tag ist das Amt, kranke Pferde zu euriren,
den: heiligen Antonius zugefallen. Kopfschmerzen bringt
man fort, wenn man den Kopf in gewisse Kirchennischen
Lazzaroni.
stände. Einst trat Dürre ein, die trotz aller Bittgänge nicht
wich. Da gingen sie in ihre Kirchen, nahmen alle Heiligen-
bilder und sperrten sie in's Gefängniß.
Kein Volk in der Welt ist jemals leichtgläubiger ge-
wesen. Jenes Gebühren der Calabresen erinnert an die Art
und Weise, in welcher die Neger mit ihren Fetischen manch-
mal umgehen.
Lustig lebt der Neapolitaner, aber mit großem Ernst
wird er zu Grabe getragen. Die Grabefolge-Brüderschaften
geleiten auch den Aermsten auf dem letzten Wege. Der Sarg
ist oft reich verziert und geschmückt; die Mitglieder des Ver-
eins schreiten vor, hinter und neben demselben einher und
tragen Wachskerzen; Gassenbuben fangen die herabgefallenen
Wachskerzen in Papierdüten auf. Aus dem Tode macht
sich der Neapolitaner nicht gerade viel; er fürchtet sich weni-
ger vor ihm als vor dem Sterben. Mitten im wilden Car-
nevalgewühl auf der Toledostraße hörte ich Geigen, Tain-
bonrine und Castagnetten; Soldaten marschirteu unter dem
Schmettern der Trompeten und bei Trommelgewirbel vorüber,
die Equipagen rasselten hin und her. Da erschallte ein Helles
Glöcklein und plötzlich war Alles still, wie im Grabe. Es
erscholl abermals, die Soldaten machten Halt und die Trom-
utelit erklangen dumpf zum Trauermarsch. Die Karossen hielten
42*
332 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
an, das Volk fiel auf die Knie, die Frauen auf den Ballonen Als aber die Monstranz, oder wie man dort sagt Jesu-
knieten auch und beteten. Ein Leichenzug kam vorüber, und Cristo, sich einige Schritte weiter entfernt hatte, begann so-
gleich hinterher ein Geistlicher, welcher einem Sterbenden das fort das tolle Durcheinander des Faschings von Neuem.
Viaticum brachte. So ist nun einmal Neapel.
Die nordamerikanischen Verhältnisse.
Von Karl Andree.
Zweiter Artikel.
Was die Ausdehnung der Sklaverei aubelaugt,
so weiß Jedermann, daß Negerarbeit nirgends lohnt, wo
das Klima gemäßigt ist. Dieses schiebt ihr den Riegel vor,
und die ganze Frage ist wesentlich eine geographische und
wirtschaftliche. Deshalb wich die Sklaverei allmalig
ans dein Norden zurück, und hätte man den Dingen ihren
naturgemäßen Verlauf gelasseu, so würde sie auch in jenem
Gürtel von Staaten, welcher den Norden von der Baum-
Wollenregion trennt, also in Maryland, Delaware, Vir-
ginien, Kentucky, Tennessee und Missouri ganz von selbst
mehr in's Gedränge gerathen sein. Man würde in ihnen
nur so lauge Neger „gezüchtet" haben, als die Baumwollen-
staaten, um Englands und Europa's Nachfrage zu befrie-
digen, deu Baumwollenbau ausdehnen können, also höchstens
ein Menschenalter lang. Dann hatten sie Sklaven genug.
Jene Gürtelstaaten, die nördlichen Sklavenstaaten, hätten
es im eigenen Interesse gefunden, sich ihrer Schwarzen zu
entledigen, denn man weiß in ihnen sehr wohl, daß die Ne-
gersklaverei nicht etwa für die Neger, sondern vielfach für
die weiße Gesellschaft ein Uebelstand ist. Fest aber steht die
wirtschaftliche Thatsache, daß die Sklavenarbeit dort
keinen Mitbewerb aushalten kann, wo es dem
weißen Menschen möglich und zuträglich ist, unter
freiem Himmel zu arbeiten, namentlich im Felde
thätig zusein. Das ist in der Baumwollen- und Zucker-
region durchschnittlich nicht der Fall, und nur 15 Procent
der weißen Bevölkerung, und diese in höher liegenden Ge-
genden, z. B. im westlichen Texas, treibt selber den Ackerbau.
Auf den eigentlichen Plantagen arbeitet der Neger. Die
Bäumwolle, welche durch die freie Arbeit der Deutschen in
Texas geerntet wird, kann nur auf einer sehr kleinen Land-
strecke gewonnen werden, und gerade diese Ausnahme bestätigt
die Negel. Plantagenbetrieb verlangt vor Allem Regelmäßig-
keit und Stätigkeit der Arbeit. Es ist abermals Thatsache,
daß der freie Neger sich zu einer solchen nicht bequemt.
Diese Erfahrung hat man, wenn sie sonst nicht durch alle
Zeiten hindurch gemacht worden wäre, wieder auf Haiti und
überhaupt in ganz Westindien bestätigt gesehen, und England
war gezwungen, Arbeiter ans Afrika, China und Indien zu
holen, wenn die Kolonien überhaupt noch einen belangreichen
Ertrag liefern sollten.
Wohin könnte der Süden die Sklaverei ausdehnen?
Man blicke auf die Karte. Er ist beschränkt auf die Region
vom Delaware bis zum Nio Grande. Im Osten und Sü-
den hat er das Meer; iin Westen liege» Wiesensteppen, deren
geographische Lage und Bodenbeschaffenheit jeden Plantagen-
betrieb von selber ausschließt und auf Landwirtschaft nach
europäischer Art und Viehzucht hinweist. Weiter nach Westen
finden wir Neu-Mexiko, ein Gebirgsland mit Hochebenen und
die Wüsteneien am Colorado und Gila. Große Ausdehnung
der Sklaverei ist demnach aus geographischen und
kliniatologischen Gründen platterdings unmöglich,
und der Streit auch darüber läuft auf eine „klägliche Ab-
straction" hinaus. Kansas, in welchem wegen der letztern
so viel Blut floß, ist ein sklavenloser Staat geworden, und
jeder Sachkenner wußte es im Voraus.
Nach einer Seite hin wäre zwar nicht eine Ausdehnung
der Sklaverei, wohl aber eine Verstärkung der Interessen der
Sklavenstaaten möglich. Damit berühren wir die Euba-
frage. Die „Perle der Antillen" beherrscht den mexika-
nischen Meerbusen; der fremde Handel ist zum größten Theil
in den Händen der Nordamerikaner, deren nenengländische
Staaten die Schifffahrt vermitteln. Ihr Westen liefert für
Euba Hanf, Getreide, Fleisch, Ackerbaugeräthe und Maschi-
nen, Massachusetts und Rhode Island bringen Fische und
Wollenwaaren; aber dieser Verkehr würde bei einer sreisin-
nigern Tarifpolitik Spaniens oder bei einem Anschluß der
Insel an die große Union in großartiger Weise gesteigert
werden können. Deswegen waren es nicht blos südliche
„Flibnstier", sondern auch Ackerbauer, Rheder, Fabrikanten
und Gewerbsleute in den mittleren Staaten, im Osten und
im Westen, welche einen Ankauf Cnba's für wünfchenswerth
hielten. Auch hätten die Sklavenstaaten kein Uebergewicht
über den Norden gewonnen; dieser würde vielmehr seinen
bisherigen Vorrang behauptet haben, auch wenn Euba zwei
Sklavenstaaten bildete. Schon 1850 hatte der Norden
148 Vertreter im Repräsentantenhause des Cougresses, der
Süden nur 90; Euba würde dem letztern höchstens ein
Dutzend Vertreter mehr gegeben haben, während der erstere
damals schon Aussicht hatte, eine ganze Reihe nicht
sklavenhaltender Staaten in die Union auszunehmen,
nämlich Kansas, das 1861 eintrat, Nebraska, Dako-
tah, Washington, Utah und Neu-Mexiko. 1850
hatte der Norden 13,454,169 Seelen, der Süden 6,412,503
Freie und 3,200,4l2 Sklaven.
Seitdem hat sich das Verhältniß noch ungünstiger für
den Süden gestaltet; er zählte 1860 Freie 8,434,126 und
3,999,283 Sklaven; der Norden 18,950,750 Seelen. Nach
der Zählung von 1850 kam ein Repräsentant auf je 91,340
Seelen, nach jener von 1860 auf je 127,275, weil die Zahl
der Vertreter nach Ablanf von zehn Jahren wieder auf 234
gebracht wird. Demgemäß würde jetzt der gesammte Süden
nur 84 Repräsentanten behalten, der Norden deren 150 be-
kommen. Es stände also auch in Zukunft, wie schon seit
langen Jahren, bei jeder Frage in der Macht des letztern,
den Süden zu überstimmen; jener ist in der Mehrheit,
und das allgemeine Stimmrecht giebt ja den Ausschlag.
Schon aus den bloßen Ziffern ergiebt sich, wie durchaus uu-
begründet die Beschuldigungen sind, daß der südliche „Neger-
baron" den Norden „tyrannisirt und die Freiheit mit Füßen
getreten" habe. Allerdings sind die tüchtigsten und talent-
vollsten Präsidenten der Union Männer aus dem Süden
und Sklavenhalter gewesen: Washington, Jesserson, Madi-
son und Monroe aus Virginien, und Jackson ans. Ten-
nessee.
Die obigen Mitteilungen werden, wie wir glauben
Globus, Chronik der Reisen
zu einer unbefangenen Würdigung und zum Verstäuduiß der
gegenwärtigen Lage in Nordamerika beitragen. Die über-
wiegende Menge der deutschen Zeitungen erhält ihre Be-
richte über jenes Land aus der Feder von Parteimännern
des radikalsten Flügels der Republikaner, die ein Anliegen
daran haben, die Sachen nur in ihrem Sinne und zu ihrem
Vortheil darzustellen. Wir unsererseits fassen die Dinge nicht
einseitig auf, stehen, wie bemerkt, außerhalb aller Partei und
wollen gleich austheileude Gerechtigkeit üben. Dabei ver-
schwindet allerdings jener Nimbus, welcher in früheren
Zeiten den jungen Staatenbund umschwebte. Schon die
bloße Thatsache der gegenwärtigen Zerrüttung liefert den
Beweis, wie sehr das Staatsleben ausgeartet ist.
Einen großen Theil der Schuld tragen die Führer
der Parteien und die Aemterjäger, deren Zahl sich nicht
genau berechnen läßt; die Angaben lauten auf mehr als
50,000 Köpfe. Seitdem ein Präsident aus dem Norden,
Martin van Buren, im Jahre 1837 die Maxime aufgestellt
und durchgeführt hatte, daß „dem Sieger die Beute"
gehöre, und eine zur Regierung gelangte Partei die Beam-
ten, welche sie vorfindet, „ausfegen" müsse, hat eine große
Verderbniß um sich gegriffen. Sie wucherte bald auch in
den Einzelstaaten aus; alle Aemter werden, durch die Wah-
leu, vou der Partei au ihre Anhänger vergeben. Die Amts-
daner ist gewöhnlich nur kurz, zwei bis vier Jahre; während
derselben macht die Gegenpartei alle möglichen Anstrengnn-
gen, um wieder au s Ruder zu gelangen und die Stellen
für sich zu erobern. Die Inhaber nutzen die Gelegenheit,
weil sie ja doch nicht lange dauert, so gut als möglich zu
ihrem Vortheil aus. Der landläufige Ausdruck lautet:
„Man muß an der Krippe fressen." Siegeu die Gegner,
fo sehen die bisherigen Beamten sich auf das politische
Pflaster geworfen und sind oft ohne alle Habe oder regel-
mäßigen Erwerb. Politik machen oder treiben ist ihr
Handwerk, und sie bieten Alles auf, um wieder in ein
Amt zu kommen. Das ist aber nur möglich, wenn ihre
Partei siegt; also arbeiten sie unablässig, um ihr Stimmen
zu gewinnen und sich selbst wieder zu heben. Diese Aemter-
jäger sind die gefährlichste Menschenklasse in der Union,
welche vorzugsweise durch ihr Treiben zerrüttet worden ist.
Als Lincoln am 4. März 1861 in's Kapitolinm eingeführt
wurde, befanden sich in Washington mehr als elftausend
Stellen jäger aus allen Theilen des Landes, welche um
Aemter nachsuchen wollten. Seit dem Novembermonat war
er in seinem Heimathorte Springsield in Illinois täglich von
Hunderten solcher Leute belagert worden. Das wachsende
materielle Gedeihen hat wesentlich dazu beigetragen, die Zahl
der Aemtersucher zu vermehren; schon im Jahre 1656 be-
trugen die Einkünfte der Union 74 Millionen Dollars, uud
der Gewinn einer solchen „Beute" verlohnt sich der Mühe.
Wir sagten weiter oben, daß vor fünfzehn Jahren die
beiden großen Parteien der Demokraten und der Whigs
einander gegenüberstanden. Durch die Spaltung der ersteren
in Harte uud Weiche wurde bei der Präsidentenwahl von
1848 den letzteren der Sieg in die Hände gespielt. Aber
schon am 9. Jnli 1849 starb Präsident Taylor und der
Vicepräsident Millard Fillmore trat an dessen Stelle. Er
sprach sich nachdrücklich für die Durchführung der Compro-
misse aus. Als im Jahre 1852 die Zeit der Präsidenten-
wähl heranuahete, vereinigten sick die beiden Flügel der
demokratischen Partei, indem die Barnburners ihre Frei-
bodenlehre fallen ließen und die im Juli 1852 das zu Bal-
timore festgestellte Glaubensbekenntniß der Partei annah-
men. In dieser Plattform (so nennt man ein politisches
Parteiprogramm) heißt es: „daß dem Congresse versassnngs-
mäßig feine Macht zustehe, sich iu die inneren Angelegen-
und Geographische Zeitung. ZZZ
heiten der einzelnen Staaten einzumischen oder dieselben zu
eoutroliren. Alle Bemühungen der Abolitionisten und An-
derer, welche den Congreß zur Einmischung in die Sklaverei-
frage zu bewegen trachten, können nicht verfehlen, die schreck-
lichsten und gefährlichsten Folgen herbeizuführen. Alle der-
artigen Bestrebungen müssen unvermeidlich das Wohlergehen
des Volkes mindern, die Festigkeit und Dauer der
Union gefährden, und dürfen von keinem Freunde der
Union unterstützt werden. Und deshalb wird die demokra-
tische Partei der Union aus dieser nationalen Plattform
stehen, und an einer getreuen Ausführung der Compro-
miß gefetze und des Gesetzes über Auslieferung flüchti-
ger Sklaven festhalten. Die demokratische Partei wird sich
jedem Versuche, im Congresse oder außerhalb desselben, die
Agitation über die Sklavenfrage zu erneuern, widersetzen,
gleichviel iu welcher Art und Gestalt ein solcher Versuch
gemacht werden möge."
Damit siegten die conservativen Nationaldemokraten
über die Radikalen in ihrer Partei, welche, wie gesagt, die
Freibodendoetrin fallen ließen und sich zu jener Plattform
bekannten. Aber im Stillen wirkte der Zwist fort, und die
Versöhnung, welche immer nur zeitweilig stattfand, wenn
es sich um Sieg, das heißt Verth eil uug der Beute,
handelte, war keine aufrichtige. Die demokratische Partei
hatte sich vor dreißig Jahren unter dem Präsidenten Jackson
gebildet, zunächst um das Monopol der großen Vereinigten
Staatenbank zu brechen; sie ist an ihren inneren Zwistig-
leiten 1860 zu Grunde gegangen.
Ein ähnliches Schicksal betraf schon weit früher die
Whigs. Auch in sie war durch die Freibodenlehre und die
Liberty-Partei ein weiter Riß gekommen; doch einigten sich
ihre Delegaten nach dem Beispiele der Demokraten, uud
gleichfalls anf einer Convention zu Baltimore, noch einmal
über ein gemeinschaftliches Programm, iu welchem die Com-
promisse auch für alle Whigs verbindlich erklärt wurden.
„Wir sind gegen alle weitere Agitation in Bezug auf diese
nun entschiedenen Fragen; denn eine solche Aufregung wäre
gefahrdrohend für unfern Frieden, und wir werden
deshalb allen Bestrebungen entgegentreten, welche eine solche
Agitation erneuern wollen. Und wir werden dieses System
befolgen, weil es wesentlich nothwendig ist für den nationalen
Charakter der Whigpartei und die Aufrechterhaltung
der Union." Man wußte also schon damals sehr wohl,
was durch eine Aufregung in der Sklavenfrage auf das
Spiel gesetzt wurde. Aber sechsundsechszig wollköpfige De-
legaten erklärten sich gegen diese Sätze. Bei der Präsidenten-
wähl im Herbst 1852 wurden im ganzen Lande 3,135,091
Stimmen abgegeben, von welchen der demokratische Candidat
Franklin Pierce 1,590,490 Stimmen erhielt; für jenen der
Whigs, General Winfield Scott, wurden 1,378,589 Stim-
meu abgegeben, die übrigen zersplitterten sich.
Pierce war ein Mann von geringen Fähigkeiten und
ohne cm festes, selbstständiges Urtheil. Er verdankte feine
Wahl lediglich beut Umstände, daß die Demokraten sich über
einen hervorragenden Politiker nicht einigen konnten, denn
die Führer waren gegeneinander in Rivalität. Deshalb
wählte man einen unbedeutenden Charakter, und dieser
wurde von verschiedenen Einflüssen bedrängt. Ein ehrsüch-
tiger und talentvoller Mann, der sich vom Tischlergesellen
zu einer der einflußreichsten Stellungen emporgeschwungen
hatte, Senator Stephan Douglas aus Illinois, arbeitete
daraus hin, 1856 von seiner Partei zum Präsidenten gewählt
zu werden. Es lag ihm besonders daran, sich die Stimmen
der südlichen Demokraten zn verschaffen, denn der nördlichen
glaubte er sicher zu seiu. Er wählte dazu eine unheilvolle
Maßregel, indem er durch die Kansas-Nebraska-Bill
334 Globus, Chronik der Reisen
die nur sehr' oberflächlich verharschte und im Innern fort-
eiternde Wunde über die Sklaverei und deren Ausdehnung
wieder aufriß, und somit die Baltimore-Plattform seiner
eigenen Partei, der demokratischen, beschädigte. Im Westen
der Staaten Iowa und Missouri liegen weit ausgedehnte
Prairiegegenden, Kansas und Nebraska, in welchen sich nach
und nach Tausende von Ansiedlern niedergelassen hatten, die
nun eine Territorialregierung vom Congresse verlangten.
Schon 1853 war eine solche beantragt worden; Douglas,
als Vorsitzender des Senatsausschusses über die Territorial-
angelegenheiten, schlug zu dem ursprünglichen Entwurf eine
Ergänzung vor. Sie lautete dahin, daß der auf die Skla-
verei bezügliche Punkt im Missonri-Compromiß (demgemäß
die Ausdehnung der Sklaverei vom Gebiet im Norden von
360 30' B. Br. ausgeschlossen bleibt) fortan unwirksam sein
solle; in einem neu zu organisirenden Gebiete solle es ledig-
lich und allein den Bewohnern desselben gestattet sein, ihre
inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, nur dürften dadurch
die Buudesgefetze nicht beeinträchtigt werden.
Damit war der Aufregung Thor und Thür geöffnet;
es erhob sich ein bitterer Streit über diese „Sqattersouve-
räuetät", und seit dem Mai 1854, in welchem diese Kansas-
Nebraska-Bill von beiden Congreßhäusern angenommen
wurde, ist keine Rnhe mehr gewesen. Die Schuld, zuerst
wieder im Cougreß au deu Compromissen gerüttelt zu haben,
fällt also auf die demokratische Partei, welche sich durch die-
seu Fehler völlig zu Gruude gerichtet hat. Jeuer Vorschlag
war ganz überflüssig; Kansas und Nebraska konnten schon
in Rücksicht auf Bodenverhältnisse und Klima nie sklaven-
haltende Staaten werden.
Inzwischen war die alte Whigpartei ans den Fugen
gegangen, und aus ihren Trümmern, ans abgesprungenen
Demokraten und anderen Bestandtheilen hatte sich die Partei
der Knownothings gebildet, welche wie du Meteor glän-
zend emporstieg, aber nach einigen Jahren wieder verschwand.
Sie verbreitete sich rasch über das ganze Land, setzte in meh-
reren Staaten ihre Candidaten durch, und konnte 1856 für
den ihr angehörenden Millard Fillmore bei der Präsi-
dentenwahl 885,960 Stimmen abgeben. Aber sie zeichnete
sich anfangs durch eine nnrepublikanische Geheimnißkrämerei
aus, brachte sich bald durch viele Gewaltthätigkeiteu um alle
Achtung, und ihr Wahlspruch: „Amerika für die Amerika-
uerwar durch nnd durch unamerikanisch. Denn jenes
Land ist ein Aufnahmebecken für Menschen aller Erdtheile,
gerade die Einwanderung bringt ihm stets neue Säfte und
Kräfte zu; es wäre unbillig und unverständig, die adoptirten
Bürger hinter die ohnehin durch die Beschaffenheit der Dinge
au sich begünstigten Eingeborenen zurückzusetzen, und jenen
erst nach einundzwanzigjährigem Aufenthalt Bürger- und
Wahlrecht gestatten zu wollen. Die Knownothings waren eine
geil aufschießende, aber bald wieder verwelkende, politische
Schmarotzerpflanze.
Diese Knownothings wurden von einer neuen Partei
überflügelt, der republikanischen, welche durch die Miß-
griffe und Fehler der Demokraten bald zu einer bedeutenden
Macht anwuchs. Sie bildete sich aus wollköpsigen Whigs,
theoretischen Abolitionisten, weichen Demokraten, deutschen,
ultraradikalen Flüchtlingen von 1848, und einer großen
Menge von ämterlosen Politikern, für welche die Demokraten
keine einträglichen Stellen zu vergeben hatten. Nachdem
durch Douglas der Baun einmal gebrochen war, erhob die
republikanische Partei den Neger und den Widerstand gegen
jegliche Ausdehnung der Sklaverei auf ihre Plattform. Ihre
Führer warfen sich mit unermüdlichem Eifer vorzugsweise
auf die Bekehrung des Landmannes in den mittleren und
westlichen Staaten, dessen Herz sie rührten und dessen Kopf
und Geographische Zeitung.
sie gegen die „Negertyrannen" einnahmen. Bei vielen
wohlwollenden Leuten empfahl sich die Partei dnrch die
menschenfreundliche Phrase; die eigentlichen Röhrenleger,
Blockwälzer und Lenker legten es aber darauf au, diese Meu-
scheufrenndlichkeit zum Vortheil der Partei und ihrer Per-
sonen auszubeuten, und wetteiferten darin mit den um kein
Haar besseren Demagogen der demokratischen Partei. Der
abgefeimteste Stelleujäger vou allen, Senator Se-
ward (jetzt Minister der auswärtigen Angelegenheiten), ver-
kündete bei jeder Gelegenheit, daß der Gegensatz zwischen
Norden und Süden gar nicht ausgeglichen werden
könne (er sei eiu irrepressible confiict), so lange überhaupt
Sklaverei vorhanden sei. Ein aus dem Gefäugniß zu Na-
leigh in Nord-Carolina entlassener Mann, Nowan Hel-
per, schrieb im Solde der Abolitionisten 1859 ein Buch
über die „bevorstehende Krisis", das von 86 republikanischen
Congreßmitgliedern ausdrücklich gut geheißen wurde. Es
ist durch bösartigen Ton, planmäßige Feindseligkeit, nn-
richtige Angaben und falsche Gruppirung der Ziffern eben so
unsittlich wie Onkel Tom's Hütte, uud war lediglich darauf
berechnet, den Süden noch mehr zn erbittern.
Das größte Unheil lag aber darin, daß die repnblika-
nische Partei lediglich auf eine geographische Abtheilung des
Landes, auf den Norden, beschränkt blieb, daß sie somit
sektionell war. Dnrch sie wurde der Gegensatz von
Süd uud Nord, das feindselige Auftreten des letztern gegen
den erstem: in ein System gebracht, dessen bittere Früchte
die obeu erwähnten Personal-Liberty-Gesetze waren. Dazu
kam der blutige Kampf in Kansas. Als Sklavenhalter mit
ihren Negern aus Arkansas und Missouri in das neue Ge-
biet einzogen, bildeten sich im Nordosten und Westen Vereine
vou Abolitionisten und Freibodenmännern, brachten große
Geldsummen auf, warben Leute zur Ansiedelung in Kansas
und rüsteten diese Einwanderer mit Waffen ans, um die
Einführung von Sklaven zn verhindern und Zwangsarbeit
der Schwarzen nicht anfkommen zu lassen. Handwerkspoli-
tiker beider Theile machten Kansas znm Schanplatz ihrer ver-
derblichen Thätigkeit, Ranfbolde aus dem Norden trafen
zusammen mit Raufbolden uud „Gränzstrolchen", Border
Ruffians, aus den Sklavenstaaten, nnd bald brach ein förm-
licher Bürgerkrieg aus, der Jahre laug das Gebiet zerrüttete.
Er ist reich an Abscheulichkeiten, an Mord und Raub, an
politischen Betrügereien aller Art, und die Verderbtheit
beider Theile wetteiferte mit einander. Die Buudes-
regiernug zeigte sich schwach uud vermochte dem Unsnge
nicht zu steuern. Wir können in die häßlichen Einzelnheiten
der Wirren im „blutenden Kansas" nicht näher eingehen,
müssen aber hervorheben, daß sie wesentlich dazu beitrugen,
den ohnehin schon klaffenden Riß noch zu erweitern. End-
lich, im Februar 1861, wurde daun Kansas, als freier
Staat, mit einer Bevölkerung von 143,645 Seelen in die
Union aufgenommen. Er war der vierunddreißigste in der
Reihe.
Die Sklavenfrage war ohne Roth auf die
Spitze getrieben worden; zum ersten Mal war eine
große feetionell-geographifche Partei, jene der Re-
publikaner, gebildet worden. Whigs, Demokraten und
Knownothings hatten ihre Anhänger in allen Bundes-
staaten ohne Ausnahme; bei ihnen fiel der fectionelle Gegen-
satz von Nord nnd Süd fort, welcher bis 1856 überhaupt
noch nicht so scharf hervorgetreten, wenigstens nicht in die
politischen Organisationen übergegangen war. Nun tanchte
er zuerst auf. Die Demokraten erhielten für ihren Präsi-
denten Buchanan 1,850,960 Stimmen, die Knownothings
für den ihrigen, Millard Fillmore, 885,960, sowohl im
Süden wie im Norden. Die republikanische Partei gab für
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
335
Fremont 1,334,553 Stimmen ab, von denen aber nur
1267 auf die südlichen Staaten kamen, und zwar lediglich
auf die äußersten nördlichen Gränzbezirke in vier Border-
staaten; in allen anderen südlichen Staaten erhielt er anch
nicht eine einzige Stimme.
Der gegenseitige Widerwille, der seetionelle, scharf aus-
geprägte Charakter der republikanischen Partei, trat in aller
Schroffheit hervor, ein tiefer Schnitt ging quer durch das
ganze Land bis in's Herz hinein; zwei feindliche Heerlager
standen sich gegenüber und kämpften mit einer Leidenschaft-
lichkeit, welche das Schlimmste befürchten ließ. Gegen die
Republikaner hatten 2,736,920 Wähler gestimmt; die Partei
war damals in der Minderheit, wie noch jetzt. Der demo-
kratische Candidat siegte.
Jakob Bnchanan ans Pennsylvanicn, der früher
diesen Staat als Bundessenator vertrat, und als Gesandter
im Auslaude für einen gewandten Diplomaten galt, gehörte
zu der alten Schnle nordamerikanischer Politiker, und man
hielt ihn für einen der wenigen noch übrig gebliebenen staats-
männischen Köpfe, an deren Stelle längst die bloßen Partei-
und Handwerkspolitiker getreten sind. Aber seine Amtsfüh-
rung hat den guten Ruf nicht gerechtfertigt. Nachdruck des
Charakters und Festigkeit waren dem hochbejahrten Manne
abhanden gekommen; er verstand es eben so wenig als sein
Vorgänger Pierce, der Gegenströmungen im Lande wie in
seiner eigenen Partei Herr zu werden. Anch vergriff er sich
in der Wahl seiner Minister; Jeder wußte bald, daß das
Steuer sich in schwachen Händen befand. Die „Corruptiou",
schon früher arg genug, griff schreckenerregend um sich; ein
kostspieliger, völlig ungerechtfertigter, zumeist im Interesse der
Lieferanten unternommener Flottenzng gegen Paraguay ver-
schlang große Smnmen; ein Gleiches war der Fall mit dem
fruchtlosen Heerzuge gegen die Mormonen, und in der Kan-
sas-Angelegenheit fallen dem Präsidenten allerlei Winkelzüge
zur Last. In seiner eigenen Partei wurde gegen ihn rebel-
ürt, uud auch jetzt war es wieder Senator Douglas, welcher
ihm feindlich entgegentrat. Die Präsidentenwahl von 1856
war nicht auf diefeu, nun verstorbenen, Aemterjäger gefallen,
deshalb speknlirte er auf jene von 1860. Durch ihre eigenen
habsüchtigen und ränkeschmiedenden Führer sprengte sich die
demokratische Partei, und auf ihren Conventionen zn Char-
leston und Baltimore trennten sich ihre beiden Abtheilungen
als geschworene Feinde; sie bekämpften einander mit furcht-
barer Wuth, wühlten in ihren eigenen Eingeweiden und
spielten ihrem gemeinschaftlichen Gegner, der republikanischen
Partei, den Sieg in die Hände. Jede Abtheilnng ernannte
ihren eigenen Candidaten nnd diese Zersplitterung führte
den Untergang herbei.
Bei den Wahlen hat jede Partei ein Programm, einen
„Ausgang", issuc, durch welchen sie die Massen in Bewe-
gung zn bringen sucht. Ist der eine erledigt, so findet sie
einen anderen. Bei der Wahl von 1860 drehete sich Alles
um die unglückselige Sklavenfrage. Der eine Flügel der
Demokratie „nominirte" jenen Senator Douglas, dessen
Programm lautete: — „Es muß dem Volk in einem jeden
Territorium frei gestellt bleiben, ob es die Sklaverei einfüh-
ren oder ausschließen wolle." Das war also wieder die
oben erwähnte Squattersouveränetät. Der andere Flügel der
Demokratie stellte den bisherigen Vieepräsideuten Breckin-
ridge auf, welcher daran festhielt, daß die Bundesregierung
das Recht zum Einschreiten habe, um die Sklaverei in den
Territorien gegeu Angriffe sicher zn stellen. — Der erste
Candidat vertrat die Ansichten der nördlichen Demokratie,
und ans ihn fielen bei der Wahl an: 6. November 1,288,043
Stimmen; der zweite sprach die südlichen Ansichten aus; für
diese erklärten sich 836,801 Wähler. Das demokratische
„Ticket" belief sich demnach aus 2,124,844 Stimmen, und
die Partei ist beträchtlich in der Mehrheit über jene der
Republikaner, welche im Ganzen nur 1,865,840 Stimm-
zettel in die Wahlurnen warf. Gegen die Ausichteu der
Republikaner trat im Laufe des verflossenen Jahres eine
neue Partei auf, welche sich aus deu Ueberresten der alten
silbergrauen Whigs, Knowuothiugs uud mißvergnügten De-
mokraten gebildet hatte. Diese Unionspartei stellte als
Programm hin: „Aufrechterhaltung der Union, strenges
Festhalten an der Verfassung nnd Durchführung der Bnn-
desgesetze." In dem letzteren lag ein Protest gegen die
Personal-Liberty-Acts. Sie ernannte den Senator Bell
ans Tennessee zn ihrem Candidaten, und dieser erhielt
742,747, so daß die demokratische und Unionspartei zu-
sammen 3,010,804 zählten gegen 1,865,840 Stimmen der
Republikaner, welche also um mehr als eine Million in der
Minderheit sind. Das republikanische Programm hat
seinen Schwerpunkt in der Ansicht, daß der Congreß ein-
schreiten müsse, um in keinem Territorium Sklaverei zu dul-
den; er dürfe sie außerhalb der Staaten, in welchen sie ein-
mal hergebracht sei, nirgends aufkommen lassen.
Es lag auch darin eine offene Kriegserklärung gegen
den Süden. Der republikanische Bewerber war Abraham
Lincoln aus Illinois, und bei der Wahl wiederholte sich
genau dasselbe, wie vor vier Jahren bei jener Fremonts;
der seetionelle Candidat der republikanischen sectionellen
Partei bekam nur Stimmen in den nördlichen und Nordwest-
lichen Staaten. Der Süden warf gegen sein Programm
ein, daß von jenem Satze nichts in der Bundesverfassung
stehe, daß die Gebiete der gesammten Union gehören und
gemeinschaftliches Eigenthum seien, daß der Congreß keinerlei
Verbietuugsrecht habe, und daß man ihm ein solches auch
nicht einräumen werde.
So war der von Seward so scharf hingestellte „un-
ausweichliche Streit und Znsammenprall" auf die
äußerste Gränze vorgerückt. Er mußte zur Auslösung
der Union führen, wenn die republikanische Majorität
des Nordeus ihre Ansichten nicht änderte, sich nicht aufrichtig
entschloß, den Süden in Ruhe zu lassen, nnd zu der lieber-
zeuguug gelangte, daß der Ausdehnung der Sklaverei von
der Natur selbst genau die Gränze vorgezeichnet ist, über
welche hinaus sie sich nicht ausdehnen kann. In der Union
ist sie längst so weit vorgedrungen, als sie überhaupt sich
auszubreiten fähig ist. Praktisch genommen hatte also der
ganze Streit keinen Sinn, und die nichtfklavenhaltenden
Staaten besaßen ohnehin das Uebergewicht.
Sir Iames Brooks Nadscha von Iarawak nnd die Seeriinlier im indischen
Archipelagns.
i.
Ich will die Leser mit einem großen Nnd guten Manne
bekannt machen, dessen Thaten auch für die Länder- und
Völkerkunde von Wichtigkeit geworden sind. Durch den
Radfcha von Sarawak haben wir in viele Verhältnisse des
336
Glolms, Chronik der Reisen und Gevgtüphische Zeitung.
Lebens und Treibens mancher Völker des indischen Archi-
pelagus, insbesondere auf Celebes und Borneo, neue und
tiefe Einblicke erhalten.
Jüngst las ich in der Times, daß Brooke, der nun dem
Greisenalter nahe und dessen Gesundheit geschwächt ist, von
seinen Freunden im fernen Morgenlande Abschied genom-
men habe, um auf längere Zeit, vielleicht für immer, nach
Europa heimzukehren. Nach einem ,fo thatenreichen Leben
ist ihm Erholung zu gönnen. Als er von Borneo Abschied
nahm, umdrängten ihn Malayen und Dayaks, gaben ihm
rührende Beweise von Theilnahme und sagten, daß ein Vater
von ihnen scheide. Selbst Männer, die ehemals Piraten
gewesen sind, vergossen Thränen; ein Europäer, dem sie einst
den Tod geschworen, war ihnen theuer geworden, und sie
sind ihm gefolgt wie Kinder.
Unser deutsches Volk,
das eine so schöne Empfang-
lichkeit hat, Großes anzu-
erkennen und Edles zu wür-
digeu, weiß uoch wenig von
Brooke. Aber der Mann
verdient auch unsere Be-
wunderung.
Ich will sofort deu Schau-
platz kennzeichnen, auf wel-
chem Brooke sich fast ein
Menschenalter hindurch be-
wegt hat, und die Menschen,
mit denen er verkehrte. Er
führte einen unerbittlichen
Kampf gegen die Piraten,
und nie haben diese einen
rastloser« Feind gehabt.
Diese Seeräuber habe ich
in einen: Werke zu schildern
versucht, welches im Laufe
dieses Jahres die Presse ver-
läßt*), uud entnehme dem-
selben nachstehende Schilde-
rnng der malayischen Kor-
saren.
„Den großartigsten Um-
sang hat die Seeräuberei im
indischen Archipelagus ge-
Wonnen; sie ist dort mit dem
gesellschaftlichen und staat-
lichen Leben der vielen Stäm-
me innig verwachsen und in
ein regelrechtes System ge-
bracht worden. Die Piraten
durchschwärmen alleMeeres-
theile von Sumatra's Nordspitze bis über Neu-Guinea hinaus,
und von Timor, das unter dem 10. Grade südl. Br. liegt, bis
zu den Babuyanen und den Baschi-Jnselu, nördlich von den
Philippinen. Der große Schauplatz ihrer verderblichen Thä-
tigkeit erstreckt sich also über 50 Längen- und 30 Breiten-
grade. Er ist mit Tausenden von größeren und kleineren
Inseln übersäet, der Heimath werthvoller Erzeugnisse, welche
seit langer Zeit in: großen Handel eine hervorragende Be-
dentnng haben. Gewürze kommen von den Molnkken; Per-
len, Ebenholz und kostbare Federn aus Neu-Guinea; Borneo
liefert Kampher, Gold und Diamanten, Java und Sumatra
sind reich an Pfeffer und Reis; Kaffee, Zucker, Indigo und
*) Geographie des Welthandels, Mit geschichtlichen
Erläuterungen. Von Karl Andree. Stuttgart, bei I. Engel-
Horn, Zwei Bände. 18G2.
Taback werden auch von den Philippinen verschifft; Wachs,
eßbare Vogelnester, Trip an g und Harze von vielen Inseln.
Diese Eilandfluren, Regionen mit wunderbar lieblichen oder
großartigen Landschaftsbildern, üppiger Fruchtbarkeit uud
zumeist gesunder Luft, sind von rührigen, tapferen Menschen
bewohnt, welche einen regsamen Handelsverkehr mit einander
unterhalten. Auch liegt diese weit ausgedehnte Hafelnng
mitten in der großen oceanifchen Fahrbahn nach Australien,
China, Japan und dem nördlichen Theile des Stillen Welt-
meeres, und Tausende von europäischen Segeln durchkreuzen
alljährlich dieselbe in allen Richtungen. Dazu kommen die
vielen chinesischen Dschonken und die unzählige Menge von
Prahn's, welche mit Malayen und Bugis, Javauesen, Bad-
schan's und Papua's bemannt sind und deu Austausch zwi-
schen den verschiedenen Gegenden vermitteln.
Dieser Handel erleidet nn-
berechenbare Verluste durch
den Seeraub. In früheren
Jahrhunderten war derselbe
verhältnißmäßig von gerin-
gem Belang; einzelne Pira-
ten trieben ihn auf eigene
Faust, oder verbanden sich
zu Genossenschaften, ähnlich
wie einst die Bnkaniere in
den westindischen Gewässern;
der Staat und die Gesell-
schaft blieben dem Raub-
gewerbe fern. Aber zu An-
fang des sechszehnten Jahr-
Hunderts erschienen die Por-
tugiesen im Archipelagus,
drangen rasch bis zu den Ge-
Würzinseln vor, baueten aus
den Molukken feste Burgen,
raubten im Großen, verübten
Grausamkeiten aller Art und
machten den europäischen
Namen verhaßt. Die Spa-
uier eigneten sich die Philip-
pinen an, und 1596 wehete
zum ersten Mal die Flagge
Hollands in diesen östlichen
Meeren. Ein Menschenalter
nachher wurde dann ein fester
Grund zu dein niederländi-
schen Kolonialreiche gelegt,
die Portugiesen mußten wei-
chen, den Spaniern blieben
nur Besitzungen im Norden,
und die Holländer erwarben
das Monopol des Gewürzhandels. Sie waren Herren im
Archipelagus und gründeten eine große Anzahl von Fac-
toreien auf verschiedenen Inseln.
Durch jene Europäer wurde die Macht vieler eiuhei-
mischen Fürsten vermindert oder völlig gebrochen. Diese
hatten bisher den Seeraub einigermaßen in Schranken ge-
halten. Nun aber schlössen manche von ihnen Bündnisse
mit den Seeräubern und wurden selbst Piraten, um den
europäischen Eroberern Schaden zu bereiten oder Rache an
ihnen zu nehmen. So wurde der Seeraub gleichsam ein
patriotisches Gewerbe; es erschien als eine Pflicht; man
wollte sich durch ihn der Fremden entledigen, von welchen
man sich bedrückt glaubte, und die jedenfalls geringe Scho-
nung gegen die Besiegten beobachteten. Seeraub galt fortan
nicht mehr für ein Verbrechen, sondern ward für löblich und
Globus, Chronik der Reis>
ehrenvoll gehalten, in ähnlicher Weise wie bei den moham-
medanischen Barbaresken in Nordafrika, die es für erlaubt
hielten, Ungläubige auszuplündern und Alle, welche Gegen-
wehr leisteten, über den Uatagan springen zu lassen. Als
vor einigen Jahren die englischen Behörden in Singapore
mehrere, auf frischer That gefangene, des Seeraubes klar
überwiesene Malayen zum Tode vernrtheilten, legten diese
nachdrückliche Verwahrung gegen eine so schreiende Unge-
rechtigkeit ein, und beriefen sich darauf, daß sie lediglich den
Befehlen ihrer Herrscher gehorsam gewesen seien, und nur
gethan hätten, was in ihrem Lande herkömmlich erlaubt sei!
Die Holländer nehmen an, daß mehr als hunderttau-
send Männer im Archipelagns den Seeraub gewerbmäßig
betreiben. In der That ist keine andere Gegend auf Erden
und Geographische Zeitung. 337
nach Nen-Gninea im Osten, von Java, Bali, Lombok und
Flores im Süden, bis nach Magindanao und Palawan im
Norden senden fast alle Inseln in jedem Jahre Schiffe ans
den Seeraub aus. Der Pirat treibt seiu Gewerbe im Ällge-
meinen nur während gewisser Monate im Jahre; in der
übrigen Zeit ist er friedlicher Fischer, bestellt seinen Acker
oder ist Handelsmann. Er bewohnt ein reizendes Dors in
herrlicher Lage, am liebsten an einem Bache, der eine Strecke
weiter abwärts in die See mündet. Seine Häuser stehen
auf Pfählen. Die Bewohner sind freundlich und fleißig,
der Hausvater empfängt den Fremden zuvorkommend und
betet täglich zu Allah. Aber der freundliche Landmann ist
ein Seeräuber, und in seinem Gemache hängen als Sieges-
zeichen anfgereihete Schädel über einer Drehbasse, oder über
Radscha Broote's W
so völlig geschaffen, so günstig zurecht gemacht für Piraten.
Die Taufende von Eilanden werden oft nur durch schmale
und sehr verwickelte Straßen von einander geschieden, eine
sichere Bucht liegt neben der andern, die Küsten sind vielfach
von Sandbänken und Rissen umgeben, und Fahrzeuge mit
einigermaßen beträchtlichem Tiefgang vermögen den leichten
Prahns in diese gefährlichen Schlupfwinkel nicht zu folgen.
Erst seitdem kleine Kriegsdampfer in Thätigkeit sind, gelang
es, manche dieser „Piratennester" zu zerstören, aber noch
heute ist die Arbeit uicht zur Hälfte gethan. Sie erscheint
auch im höchsten Grade schwierig, weil die Hydra mehr als
hundert Köpfe hat und für jeden, welchen man abhaut, ein
anderer nachwächst *). Denn von Sumatra im Westen bis
'»sZ^Änfang des Jahres 1861 ließ die niederländische Re-
aiernnq abermals durch einige Kriegsdampfer Jagd auf die Piraten
machen und mehrere ihrer Schlupfwinkel zerstören.
Globus 18(52. Nr. 11.
Auhaus auf Borneo.
Luntengewehren, Spießen, Pfeil und Bogen und über einer
noch verderblichem Waffe, dem Sampitan, jenem Blasrohr,
aus welchem man vergiftete Pfeile schießt.
Diese Seeräuber ziehen in Geschwadern und ganzen
Flotten aus. Jene der See-Dahaks auf Borneo bestehen
aus kunstlos gezimmerten kleinen Boten, die sehr leicht und
zumeist nur für die Fahrt an der Küste bestimmt sind. Die
Bemannung plündert nur kleine Fahrzeuge der Eingeborenen
oder überfällt Dörfer, um Meufcheu zu rauben. Stattlich
dagegen sind die großen Flotten der Jllanos auf Magiuda-
uao und der Balanini, welche viele und langwährende Raub-
züge unternehmen. Oft sind hundert der größten Prahn's
mit doppeltem Deck, jede mit mehr als fünfzig Ruderer» be-
j mannt, beisammen. Die Krieger kleiden sich in Scharlach-
tnch, die blanken Kanonen sind geladen, vom hohen Mäste
! wehen bunte Wimpel und das Schiff, dessen breite Segel
43
338 Globus, Chronik der Reisen
den Wind auffangen, durchschneidet leicht und rasch die '
Wellen. Man hat diese Piratengeschwader mit jenen der
nordeuropäischen Wikinger und die Malayen mit den nor-
niännischen Seekönigen verglichen. In vieler Beziehung ist
das richtig. Auch jene haben Länder und Städte erobert,
und ihre unverzagte Tapferkeit, ihr Todesmnth steht hinter
jenen der nordischen Seerecken in keiner Weise zurück.
Im indischen Archipelagus herrscht auf weiten Räumen
und an vielen Küsten gar keine Sicherheit; Menschen und
Schisse müssen stets eines Uebersalles gewärtig sein. Manche
Piratengeschwader bleiben volle zwei Jahre lang unterwegs
und durchschwärmen alle Gegenden der großen Eilandflur.
Ju einer von den Engländern an der Nordwestknste Borneo's
ausgebrachten Prahu fand man Sklaven aus Neu-Guinea und
Waareu aus der Straße von Malakka an Bord; sie hatte
also den ganzen Meeresraum von Neu-Guinea bis zum
beugalischeu Meerbusen durchmessen! Ans dem Kaufmann
und Schiffer wird in jenen Gegenden leicht ein Seeräuber;
er will lieber Hammer als Amboß sein. Vor allen Dingen
werden Menschen geraubt; für die Güter findet man Märkte
überall, denn welche kleine Stadt würde es wagen, den
Piratenflotten zu trotzen?
Neben den Illanos trieben bis vor wenigen Jahren
die Unterthanen des Sultans von Snln, dessen Inseln zwi-
schen Magiudauao und Borneo liegen, den Seeraub in groß-
artiger Weise. Die Holländer hüteten sich stets, mit diesem
Seekönig in offene Feindschaft zu gerathen. Nenerdings ist
er zwar von den Spaniern einigermaßen gebändigt worden,
doch hat der Seeraub nicht aufgehört, weil es unmöglich ist,
alle Häfen zu überwachen oder alle Prahu's zu verfolgen.
Früher, als der Sultan noch mächtig war, entbot er die Schiffe
seiner Unterthanen nach der Insel Snlu. Im April stach
die Flotte, gewöhnlich au dreihundert Fahrzeuge stark, in
See, und trennte sich dann, um in zwei Abtheilungen Bor-
ueo zu umsegeln. Verwüstung bezeichnete ihren Weg; überall
wurden Menschen geraubt. Beide Abtheilungen stießen an
der Snnda-Straße zusammen, fuhren nach Osten an der
Südküste von Java hin, plünderten, nahmen sehr oft Hol-
länder und besonders deren Frauen mit fort und verkauften
sie. Aller Orten brandschatzten sie auch die holländischen
Besitzungen, steuerten nach Norden hin zn den Molnkken,
und kehrten, reich beladen mit Zeugen, Juwelen, Sklaven
und Gewürzen, nach ihren Inseln zurück, um sich, bis zun:
nächsten großen Zuge, friedlichen Beschäftigungen zn wid-
men. Sie waren und sind noch um so gefährlicher, da sie
auch europäische Fahrzeuge angreifen. Die Sklaven werden
auf offenem Markte feil geboten. Ein Seemann, welcher
Monate lang aus Sulu gefangen war, sah ein spanisches
Schiff in den Hafen bringen; wenige Tage später brachten
die Piraten einundzwanzig beladene Handelsprahu's; einige
Zeit nachher eine holländische und bald auch eine englische
Brigg. Die Mannschaft der letztern war ermordet worden.
Die Balanini hatten einst einen ihrer Schlupfwinkel mit
mehr als einhundert Kanonen bespickt, und leisteten den
Spaniern hartnäckigen Widerstand. Alle Piraten kaufen
ihr Pulver von Franzosen, Nord Amerikanern und Chinesen
ein; die holländische Regierung hat einen solchen Handel
streng verboten.
Bisher sind alle Bemühungen der Europäer, die See-
räuberei im Archipelagus auszurotten, nur theilweise von
Erfolg gewesen, und es wird auch kaum jemals möglich sein,
ihn völlig lahm zu legen. Er ist durch die örtlichen geogra-
phischeu Verhältnisse, die gesellschaftlichen Einrichtungen und
den Geist der Malaien allzu sehr begünstigt. Der See-
räuber sucht das Frachtschiff auf und benutzt gleich diesem
die Jahreszeitenwinde. In den Monaten von Oktober bis
und Geographische Zeitung.
Januar kreuzt er iu der Gegend der Malakkastraße; iu den
drei nächsten Monaten pflegt er in seiner Heimath der Ruhe;
während der Sommerzeit schwärmt er bis in den Meerbusen
von Siam und südlich bis Banka und Billiton. In anderen
Meeresgegenden werden regelmäßige Zeiten nicht beobachtet.
Als Brauch gilt, daß europäische Segel in voller Fahrt uicht
angegriffen werden; der Pirat erspähet und überfällt am
liebsten solche, welche in der Nähe der Küste etwa bekalmt
liegen. Schon oft sind englische Fahrzeuge und Fracht-
prahus sogar in der Nähe von Singapore genommen wor-
den; die Seeräuber luden die erbeuteten Waaren in unver-
dächtige Fahrzeuge über, brachten sie als Kaufleute unter
den Augen der britischen Behörden auf deu Markt, kauften
für den Erlös Pulver und Blei und kehrten dann unerkannt
und uubelästigt heim.
Einen harten Schlag hat ihnen an der Nordwestküste
von Borneo Sir James Brooke versetzt. Dieser Rad-
schal) von Sarawak ist ohne Frage einer der ausgezeichnetsten
Männer unseres Jahrhunderts. Ich zweifle keinen Augen-
blick, daß das alte Griechenland ihn unter die Heroen versetzt
haben würde."
* *
*
James Brooke, Gouverneur der Insel Labuan und
Radscha von Sarawak auf Borneo ist ein gewaltiger Mensch.
Seit der Verfasser dieser Zeilen vor nun elf Jahren den
Reisebericht des Kapitäns Keppel gelesen, welcher mit der
Fregatte „Dido" die malayischen Piraten im indischen Ar-
chipelagns zn Paaren trieb, hat er vor Brooke eine nnein-
geschränkte Hochachtung gehegt und seitdem diesen bewnn-
dernswürdigen Manu nicht mehr aus deu Augen verloren.
Wer das Leben und das Denken des Radscha näher kennt,
wird keine Uebertreibuug darin finden, wenn man die An-
sicht ausspricht, daß Brooke zu den seltensten Charakteren
nicht blos unserer Tage oder unseres Jahrhunderts gehört.
In ihm ist eine wunderbare Summe von Eigenschaften ver-
einigt, die man nur höchst selten bei einem Menschen beisam-
men antrifft. Ein feingebildeter und zugleich starker Geist
paart sich mit einer fast weiblichen Milde und einer Men-
schenliebe voll Hingebung gegen Andere. Sein ganzes Leben
bildet eine ununterbrochene Kette von Opfern, die er einer
Idee bringt, uud die Verwirklichung dieser Idee verfolgt er
mit einer beispiellosen Energie. Er ist patriotischer Eng-
länder durch und durch, aber ohne jene starre Abgeschlossen-
heit, welche uns bei vielen seiner Landsleute unerquicklich
berührt; er ist Kosmopolit im guten Sinne des Wortes,
dabei Soldat, Seefahrer und Mann der Wissenschaft; er
fördert deu Ackerbau, nimmt Bergwerke in Angriff, treibt
Handel in großem Maßstabe uud war zu alleu Zeiten reich.
Aber nie hat er Werth auf Glücksgüter gelegt, und derselbe
Mann, der im Parlamente seines Vaterlandes ohne Zweifel
eine hervorragende Stellung einnehmen und iu der hohen
Gesellschaft, wie iu den Kreisen der Literatur unter den
Ersten glänzen würde, zieht es vor, an einem entlegenen
Winkel der Erde unter Barbaren zn wohnen, deren Haupt-
erwerb bis vor Kurzem Seeraub war, oder deren Sieges-
zeichen in geräucherten Köpfen ihrer Feinde bestehen! Kep-
pel's Werk und Brooke's eigener Briefwechsel, sammt Ans-
zügen aus seinen wunderbar fesselnden Tagebüchern, erklären
das Räthsel, weshalb ein solcher Mann die Abgeschiedenheit
iiu fernen Morgenlande dem rauschenden Treiben der Welt-
stadt an der Themse vorzieht. Diese Tagebücher bilden
eines der interessantesten Werke, die jemals gedruckt worden;
Brooke's Geistesleben ist so reich, wie die Fülle seines Ge-
müthes, seine herzgewinnende Milde erscheint mit einer Kraft
und Männlichkeit gepaart, die stärker, voller und gewaltiger
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
339
340 Globus, Chronik der Reisen
nicht gedacht werden können. Brooke hat, man erschrecke
nicht, Taufende vou Menschen mit kaltem Blute, mit einer
Art von wildein Enthusiasmus durch Kartätschen, durch das
Schwert und durch die Flammen getödtet; er hat Hunderte
von malayischen Schiffen in den Grund gebohrt, und die
Zahl der Dörfer, welche er dem Boden gleich gemacht, ist
beträchtlich. Das Alles that er aus Pflichtgefühl. Er handelte
so als ein wahrer Philanthrop. Als solcher hatte er sich eine
doppelte Lebensaufgabe gestellt: einmal, dem Seeraub im
indischen Archipelagus ein Ende zu machen, sodann die Ty-
rannei der malayischen Despoten zu brechen, deren Joch ins-
besondere auf den Dayaks in Borneo schwer lastet. Diese
letzteren wollte er sittigeu, soweit ihr Naturell die Civilisation
verträgt. Er hat sich zu ihnen in das Verhaltniß eines zwar
strengen, aber gerechten und liebevollen Vaters zu bringen
gewußt. Sein System hat bei dem Chinesenaufstande zu
Sarawak, welcher vor einigen Jahren das Gedeihen dieser
Ansiedelung iu die größte Gefahr brachte, vollkommen die
Probe bestanden. Die Dayaks und selbst die Malayen be-
wahrten ihm in der bedenklichsten aller Krisen, an welchen
sein Leben so reich ist, volle Treue und Hingebung.
In Europa siud, wie schou bemerkt, dem Nadscha von
Sarawak Anfeindungen nicht erspart geblieben. Beschränkte
Zeloten, welche iu der Exeterhalle zu London alljährlich mit
so vielem Lärmen, so großer Salbung und so großem Ge-
prange Zeuguiß für das ablegen, was sie für Philanthropie
halten oder ausgeben möchten, haben Jahre lang gegen
Brooke Sturm erhoben und es über sich vermocht, ihn als
den verruchtesten aller Sterblichen zn schildern, als einen
Verbrecher, welchem die Strafe des Galgens gebühre. Ihre
Anklagen fanden hn Parlamente Wiederhall, aber sie mußten
den Thatsachen gegenüber verstummen; und als dann der
vielgeschmähete „Nero" in London erschien, mit seiner edeln
und Geographische Zeitung.
und kräftigen Persönlichkeit für Alles, was er gethan, ein-
stand und einige Jahre später seine Tagebücher und seinen
Briefwechsel erscheinen ließ, da war seinen Verleumdern
Zunge und Feder gelähmt^).
*) Dieses Urtheil über Brooke kann enthusiastisch erscheinen;
es wird aber schwer sein, einem so bedeutenden, liebenswürdigen
und wahrhaftigen Menschen gegenüber nicht in Wärme zn gerathen.
Bei mir steht es seit Jahren fest. Keppel's Reise und Brooke's
Correspondenz, welche ich vor mehreren Iahren gelesen, habe ich
gegenwärtig nicht zur Hand, um die Aussprüche im Einzelnen zn
belegen, wohl aber einige andere Gewährsmänner. Fordes,
live years in China, London 1848, sagt S, 297: „Der Radscha
von Sarawak bedarf meiner Lobeserhebungen nicht. Ich habe die
Ehre, mit ihm bekannt zu seiu, und weiß, daß er in seiner Beschei-
denheit sie ungern hören würde. Ich will hier nur sagen, daß
er schou jetzt wahrhaft Uebermenschliches geleistet hat; aber die Wir-
kungen seiner Politik werden erst nach und nach zu Tage trete«.
Und wenn unsere Generation noch nicht alle Wohlthaten ernten
sollte, so wird gewiß die folgende ihn als vielleicht den größten,
weisesten nnd geschicktesten unter deu Helden bezeichnen, welche in
der Geschichte Großbritanniens im Orient glänzen." — Frank
Marryat, welcher als Seemann ans der von Kapitän Belcher
befehligten Samarang fuhr und ein lehrreiches Werk geschrieben
hat (Borneo and the Indian Archipelago, London 1848), sagt
S, 90 von Brooke: A more mild, amiable and celebrated person
I never know. Every onc loved liim, and lic deserved it. Anch
Belcher' s Werk: JSTarrative of the Voyage of II. M. S. Samarang,
during the years 1843—1846 etc. London 1848, 2 "Vol., enthält
eine Menge von Notizen über Brooke's frühere Wirksamkeit. Diese
drei eben genannten Werke besitzt die königliche Bibliothek zn Dres-
den. Mit gleicher Bewunderung sprach sich W. I. Hamilton
1847 in der geographischen Gesellschaft zu London ans; als Bor-
sitzender hatte er dem Radscha die große goldene Ehrenmedaille für
wichtige geographische Entdeckungen zn ertheilen. Journal of the
royal geographica! Society, voi. VIII. 1848. p. XXVI. Dazu
kommt noch das treffliche Werk des ehemaligen Kolonialsekretärs zn
Labuan, H N g h Low: Sarawak, its inhabitants and productions:
bcing notes during* a residence in that country "with Iiis Lxcel-
lency Mr. Brooke. London 1848.
Die australische Expedition von Burke und Wills.
In der vorigen Nummer (S. 318) konnten wir die Ergebnisse
dieser Reise melden. Wir tragen nun Manches nach und benutzen
dabei eilten Bericht aus Melbourne vom 26. November iu der
Times vom 14. Januar, ferner eine Nummer der zu Melbourne
erscheinenden deutschen Zeitung Germania vom 22. November, und
eine Kartenskizze, welche de Grnchy und Leigh nach Burke's :e.
Tagebüchern und Angaben entworfen haben; sie bernht aber nur
auf Giffuug.
Die Expedition verließ, wie wir schon gemeldet, unter der
Leitung des Jrläuders Robert O'Hara Burke am 20. August 1860
Melbourne, erreichte den Carpentariabnsen iu Nordaustralien
au der Mündung des Albert- (oder wohl richtiger des etwas weiter
südwestlich in's Meer fallenden Flinders-) Flusses, und auf dem
Rückwege starben Burke und Wills au Hunger und Erschöpfung.
Im Jahre 1859 machte eiu Ungenannter in den Zeitungen
bekannt, daß er eine Erpedition zur Erforschung von Central-
Australien mit 1000 Pfd. Sterling unterstützen werde, falls das
Publikum sich mit einem Beitrage von gleicher Höhe betheilige.
Fast gleichzeitig hatte die Regierung der Kolonie Victoria 3000
Pfd. Sterling zur Einführung von Kameeleu aus Indien bewilligt,
und bald trafen 27 dieser Thiers wohlbehalten in Melbourne ein.
Geldmittel waren nun genug vorhanden, und die Gesellschaft der
Wissenschaften berieth über die beste Art und Weise, in welcher die
Reise ausgeführt werden könne. Manche Stimmen äußerten, daß
sie am besten von der Blunder Bay, also von der Nordküste aus,
unternommen werde, aber iu diesem Falle konnte man die Kameele
nicht benützen, und so beschloß man, daß ein Depot am Coo-
pers Creek den Ausgangspunkt der Expedition bilden uud daß
sie auf der Heimreise auch wieder dorthin kommen solle. Eoopers
Creek, der auf alleu neueren Karten von Australien verzeichnet ist,
wurde von Stnrt entdeckt, welcher ihn unter 27° 4:4' südlicher
Breite und 140» 22' östlicher Länge erreichte nnd bis 27° 56' S.
und 140° O. verfolgte.
Burke brach, wie schon bemerkt, am 20. August 1860 von
Melbourne auf; zweiter Befehlshaber war Georg Landells, wel-
cher die Kameele ans Indien gebracht hatte nnd nun die Aufsicht
über sie führte. Angeschlossen hatten sich ferner W. I. Wills als
Astronom und Geometer, Hermann B eckler als Arzt nnd Geolog,
Dr. Ludwig Becker, eiu sehr geschickter Zeichner uud Naturforscher.
Dazu kamen uoch zehu audere Leute und drei Sipahis aus Indien,
ferner die 27 Kameele, mehrere Pferde, Gepäckwägen nnd dergleichen
mehr. Die ganze Ausrüstung war umfassend, aber schwerfällig.
Unter etwa 321/2° S. Br. fällt in den großen Murraystrom
der Darlingfluß, nachdem er einen langen Lauf iu südwestlicher
Richtung gemacht nnd sich dann weiterhin südlich gewandt hat. Die
Mündung liegt etwa 40 englische Meilen östlich von der Gränz-
linie, welche Südaustralien von Neusüdwales trennt. Da wo der
Darling die Biegung nach Süden macht, sind auf der Karte einige
kleiue Seeu eingetragen, der eine als Cowndilla Lake, der an-
dere als Laidleys Ponds. Dieser letztere Punkt ist neuerlich
vou den Squatters am Darling in Menindie umgewandelt
worden; aber dieser neue Name steht uoch nicht auf den Karten.
Die Expedition ging zuerst nach diesem Menindie, uud dort eut-
stand ein Zerwürsuiß zwischen Burke uud Laudells über die Ka-
mecle und wohl auch über die Oberleitung. Lattdells verließ die
llebrigen und Beckler machte mit ihm gemeinschaftliche Sache.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
341
Die Reisenden zählten nun noch Mann nnd 3 Sipahis,
und Bnrke sonderte sie in zwei Abtheilungen. Er selbst ging
mit Wills und sechs Anderen nach dem Coopers Creek und ließ
die Uebrigen unter Wright zurück, damit sie die Vorräthe nach
dem in Vorschlag gebrachten Depot bringen konnten. Die Reise
von Menindie nach dem Coopers Creek, wo sie im December an-
langten, nahm 20 Tage in Anspruch. Am Coopers Creek theilte
Bnrke seine Partie noch einmal. Brahe mußte mit einigen an-
deren Leuten das Depot überwachen nnd sollte bis Bnrke's Zu-
riickkehr dort au Ort und Stelle bleiben, oder, wie Brahe behauptet,
drei Mouate lang auf ihn warten, nnd wenn Bnrke daun noch
nicht wieder eingetroffen sei, nach Menindie zurückgehen. Dieser
Mangel au genauer Bestimmung in den Verhaltungsbefehlen ist
verhängnißvoll geworden.
Am 16. December 1860 brach Bnrke nebst Wills, King
befehligte, fuhr 1811 iu Booten den Strom aufwärts bis unter
18" S. Die Reisenden ließen ihre Kameele und Pferde zurück und
gingen bis an's Meer; es ergiebt sich aus den Tagebüchern, daß
sie einen Blick anf Ebbe nnd Fluth gewonnen haben; allein den
offenen Ocean bekamen sie nicht zu sehen. Sie können höchstens
25 englische Meilen vom Meere selbst entfernt gewesen sein. Nach-
dem sie eine beträchtliche Strecke weit gegangen waren, kamen sie
an einen salzigen Snmpf, welchen sie durchwateten, und daun „zn
einem Kanal, durch welchen das Seewasser einfließt". Sie sahen
Schwarze, welche ihnen den besten „abwärts" führenden Weg zeig-
ten, also wahrscheinlich zum Meere hin. Sie „bewegten sich dann
langsam drei Meilen vorwärts und lagerten sich; am andern Mor-
gen setzten sie sich bei Tagesanbruch wieder iu Bewegung". Mit
diesen Worten bricht das Tagebuch über die Reise vou Coopers
Creek nach dem Carpentariabnsen Plötzlich ab.
Eine Ansiedelung in ©ftbauftvalieit.
nud Gray mit sechs Kameelen, einem Pferde und Lebensmitteln
für drei Monate von Coopers Creek anf, zunächst nach dem etwa
300 englische Meilen in nordwestlicher Richtung entfernten Eyre
Creek, dem äußersten Punkte, welchen Sturt 1845 erreicht hatte
(diese Stelle ist anf den meisten Karten verzeichnet, etwa 24" S.
Br.); doch gießt es auch noch einen zweiten Punkt, der als „Sturt's
Farthest" eingetragen ist, und an welchem derselbe Entdecknngs-
reisende noch in demselben Jahre sich befand. Bnrke schlug von
dort eine östliche Richtung ein, bis er unter den 140. Meridian ge-
langte. Auf diesem hin zog er weiter fast gerade nach Norden hin
bis zu 17" 53' S. Br. Wills sagt in seinem mangelhaften Tage-
buche, daß sie dort den Cloncurry erreicht hätten; man meint
aber, es sei der von Stoke entdeckte Albert-River, während
Andere sich für den Fluiders entscheiden. Gewiß ist, daß die
Reisenden Ebbe und Fluth bemerkten. Der Albert mündet in
17" 35' S. und 139" 49' O. Stokes, welcher das Schiff Beagle
Das Tagebuch, welches die Heimkehr vom Carpentariabn-
sen nach dem Coopers Creek schildert, beginnt mit dem 19. Februar,
an welchem sie die Rückreise antraten. Ans derselben starb Gray.
Bnrke hatte gemeint, er stelle sich schwächer und matter, als er iu
der That fei; aber die Anderen gewannen au sich selber bald die
Ueberzeugung, daß nichts weniger als Verstellung im Spiele ge-
Wesen sei.
Am 21. April, nach einer Abwesenheit von 4 Monaten und
5 Tagen, erreichten sie das Depot am Coopers Creek; wir haben
in der vorigen Nummer geschildert, unter welchen Umständen es
geschah. Man kann sich die schmerzliche Überraschung denken, als
sie die schriftliche Bemerkung fanden, daß Brahe am Morgen gerade
desselben 21. April, nur sieben Stunden vor dem Eintreffen von
Bnrke, Wills und Kiug, uach Menindie abgereist war. Er hatte
einen Monat länger gewartet, als ihm vorgeschrieben war, nnd
jene Drei fühlten sich zu schwach, ihm zu solgeu. Bnrke beschloß,
342
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
die bewohnten Gegenden Südaustraliens zu erreichen und ließ eine
Notiz im Depot. Aber sie waren zu schwach, nach Mount Ho-
Peleß, dem ersten bewohnten Punkte, zu gelangen. Inzwischen
war Brahe, welcher auf seinem Wege uach Meniudie mit Wright
zusammentraf, noch einmal zum Depot zurückgekehrt, össuete jedoch
dasselbe nicht, weil er gar keine Anzeichen bemerkte, daß es vou
Jemand berührt worden sei, unb so fand er leider Bnrke's Notiz
nicht. Kameelspuren sah er allerdings, meinte aber, daß sie vou
Thieren herkämen, die sich verlaufen hätten. Aber von Leuten, die
sich drei Tage au jeuer Stelle ausgehalteu, mußten doch auch «och
andere Spuren zu finden sein.
Wie dem auch sein möge, Brahe zog mit seiner Partei wieder
vom Depot am Coopers Creek ab. Bnrke hatte einen zweiten
erfolglosen Versuch unternommen, Mount Hopeleß zu erreichen, und
war wieder umgekehrt. Eiue Zeitlaug fristeten die drei Unglück-
lichen dann ihr Leben mit dem Samen der Nardupflanze. Am
26. Juni bricht Witts Tagebuch ab. Bnrke uud Kiug gehen am
Cooper aufwärts, um schwarze Eingeborene aufzusuchen. Nach
einigen Tage» sinkt der erstere um und stirbt. King geht dorthin,
wo man WillS zurückgelassen und findet ihn todt, und nun ist er
allein m der grausigen Wildniß. Er schleppt sich elend umher, bis
Eingeborene ihn finden. Sie nehmen sich seiner an und so wird
er gerettet.
Vou Melbourne aus hatte man Herrn Howitt nachgesandt,
um der Expedition Hülfe zu bringen. Von denen, welche Burke
nicht uach Norden hin mitnahm, starben vier oder fünf, unter
ihnen Dr. Becker.
Das Obige haben wir dem Berichte in der Times entlehnt.
Inder „Germania" wird Brahe wegen seines Verfahrens in Schutz
genommen. Er hatte vou Burke die mündliche Weisung erhalte»,
dreizehn Wochen lang am Coopers Creek zu warten; dabei hatte
jener hinzugefügt, daß er seine Richtung nach Queensland, also
nach Osten hin, nehmen wolle, falls er auf dem Wege uach dem
Carpentariabnsen auf unvorhergesehene Hindernisse stoße. Burke
kehrte in der von ihm anberaumten Frist nicht zurück, und Brahe
wartete fünf Wochen länger, als verabredet worden war, auf ihu.
In dem letzten Schreiben Bnrke's (vom 22. April), welches
im Depotlager am Coopers Creek gefunden wurde, sagt er: „Wir
haben sehr vom Hunger gelitteu. Die Vorräthe, welche wir hier
fanden, werden wohl unsere Kräfte wieder herstellen, Wir ha-
ben eine gangbare Straße nach dem Carpentariabuseu
gesunden. Der größte Theil derselben liegt unter 140° Ö.
Zwischen hier (Depot am Coopers Creek) und der steinigen
Wüste liegt mehrfach gutes Land. Von der Wüste bis zum Wende-
kreise ist der Boden trocken uud steinig; zwischen dem Wendekreise
und dem Meerbusen zu bedeutendem Theile gebirgig, aber wohl
bewässert und mit Gras bewachsen. Die Kameele können nicht
weiter, sonst würden wir der Abtheilung (Brahe's) solgen. Wir
werden sehr laugsam den Creek hinunterreisen."
Unterm 30. Mai schrieb Wills: „Wir sind unfähig, den
Creek zu verlaffeu. Beide Kameele sind todt und unsere Vorräthe
ausgezehrt. Herr Burke ist mit King den Creek abwärts gegangen.
Ich werde zu ihnen zurückkehren und dann werden wir wahr-
scheinlich diesen Weg heraufkommen. Wir versuchen, uns wie die
Eingeborenen zu ernähren so gut es eben geht, finden es aber sehr
schwierig. Unsere Kleider gehen in Fetzen."
Ans King's Bericht geht hervor, daß die drei (er, Burke und
Wills) uur noch zwei Kameele und Pfund getrockneten Fleisches
hatten, als sie am 21. Februar Abends Coopers Creek erreichten.
Er erzählt dann, wie es ihm und Burke erging, ats sie den Weg
nach Südaustralien eingeschlagen hatten.
„Als wir au dem Creek hinabzogen, erhielten wir etwas Fische
von den Eingeborenen. Bald darauf versank das Kameel „Lauda"
in ein Sumpfloch und wir konnten es, trotz all unserer Anstrengung,
nicht befreien, so daß Herr Burke endlich Befehl gab, es zu erfchie-
ßeu. Wir schnitten so viel Fleisch von dem Kameel ab, als mög-
lich war uud dörrten dasselbe; ließen darauf alle entbehrliche»
Gegenstände znrück, machten eine Ladung für das andere Kameel,
und beluden uns selbst Jeder mit Utensilien von ungefähr 25 Pfund
au Gewicht. Alle Creeks, au welche wir kamen, waren jedoch
wasserleer nnd wir mußten zurückkehren, da auch das Kameel nicht
mehr fort konnte. Während das letztere sich erholen sollte, suchten
die Herreu Burke und Wills Eingeborene zu finde», was auch
gelang, und sie erhielten von ihnen Nardu-Kuchen (aus dem Sa-
meu der Nardu-Pflauze bereitet) und Fische, so viel sie essen und
mitnehmen konnten; allein sie konnten den Eingeborenen ihren
Wunsch nicht verständlich machen, ihnen die Nardn-Pflanze zu
zeigen. Das Kameel ward jedoch so schwach, daß feine Aussicht
zu dessen Genesung vorhanden war und wir tödteteu es uuu des-
halb, um vou dem Fleische desselben so viel als möglich einzusalzen.
Wir vergruben alle Artikel, welche wir nicht mit uns führen konn-
ten und machten uns abermals auf den Weg nach Mount Hopeleß,
alle unsere Provisionen und nur die uöthigsteu Sachen mit uns
nehmend, was für einen Jeden eine Last von 30 Pfund betrug.
Außerdem trugen Herr Burke und ich jeder ein Gefäß mit Wasser.
Nicht lauge nach unserem Fortgange entdeckte ich die Nardn-Pflanze,
was große Freude verursachte. Abermals mußten wir jedoch
nach fünf Tageu wegen Wassermangels wieder zurück-
kehren. In einiger Entfernung vom Depotlager fanden wir auf
unserm Rückwege nach demselben mehrere verlassene Hütten der
Eingeborenen, in welchen wir uns einquartierten. Herr Wills
und ich gingen darauf täglich aus, Nardu-Sameu zu sam-
meln, welchen Burke mit einer Keule stampfte. Wills ging
jetzt nach dem Depotlager, nm dort eine Anzeige unseres Ansent-
Haltes uud das Reise-Jourual zu vergraben.
Am Tage nach der Abreise des Herrn Wills kamen Einge-
borene zu uns, um am Creek zu fischen. Sie gaben uns von ihrem
Fange eine kleine Quantität uud als Herr Burke ihnen -am an-
dern Tage zwei kleiue Säcke gab, füllten sie dieselben mit Fischen.
Wir verwahrten alle unsere Habseligkeiten in einer Hütte und
wohnten iu einer andern. Ein Eingeborener nahm erneu Regeu-
ro ck aus der Hütte und lief damit fort; Herr Burke verfolgte ihu
mit einem Revolver und feuerte deuselbeu über seinem Kopfe ab,
worauf jener seine Beute vou sich warf. Während der Zeit luden
mich die anderen Eingeborenen ein, mit ihnen nach einem etwas
entfernten Wasserloche zu gehen, um dort Fische mit ihnen zu essen.
Ich wollte aber uicht iu Herrn Bnrke's Abwesenheit die Hütten
verlassen, weil sie sonst unsere Effecten geraubt haben würden.
Zufolge meiner Weigerung legte ein Eingeborener seinen Boo-
meräug auf meine Schulter und machte Zeichen, daß, wenn ich
fortführe, nach Herrn Burke zu rufen, er mich damit schlagen
würde. Ich bewog sie, sich alle mir gegenüber zu stellen und
feuerte dann einen Revolver über ihre Köpfe ab. Allein solches
schien sie nicht zu erschrecken; als ich aber meine Flinte hervor-
vorbrachte, liefen sie alle davon. Da Herr Burke meinen Schuß
gehört hatte, kam er zurück; wir sahen indeß die Eingeborenen
nicht eher wieder, als spät Abends; sie kamen mit gekochten
Fischen nnd riefen: „White fellow!" Herr Burke, mit seinem
Revolver bewaffnet, ging ihnen entgegen nnd fand, daß vou dem
Stamme sich alle bemalt hatten und mehrere von ihnen kleine Netze
mit Fischen trugen. Sie suchten Herrn Bnrke zn umringen, der-
selbe nahm ihnen aber so viele Netze ab, als er konnte, uud rief
mir dann zu zu feuern, welches ich that, und worauf sie davou
liefeu. (— Schlechtes Betragen gegen die guten Schwarzen! —)
Wir nährte« uns nun von diesen Fischen, bis Herr Wills zurück-
kam. Dieser berichtete, daß er bald nach seiner Abreise Eingeborene
angetroffen habe, welche sich sehr freundlich gegen ihn bewiesen
und ihm sowohlans der Hin-, alsans derHer reise immer
Speise gegeben hätten. Er glaubte, daß wir ohue besondere
Schwierigkeit bei ihnen leben könnten, da ihr Lager nahe bei uns
wäre. Er giug am nämlichen Tage wieder zn ihnen und blieb
zwei Tage dort. Dann hatten sie ihm Zeichen gemacht, daß er
Glovus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
343
fortgehen möge. Während seiner Abwesenheit, als Herr Burke
gerade kochte, erhob sich ein starker Wind und die Flammen, welche
hoch aufloderten, ergriffen die Hütte, worin sich unsere Sachen
befanden. Es war uns nicht möglich, das Feuer zu löschen und
wir konnten gar nichts von unseren Effecten retten, mit Ausnahme
eines Revolvers und einer Flinte. Wir entschlossen uns alsdann,
den Creek aufwärts zu gehen und bei den Eingeborenen zu leben,
deren Aufenthalt Herr Witts, wie er sagte, kenne. Wir packten
daher Dasjenige, was wir noch besaßen, zusammen und gingen
ab, wurden jedoch, als wir an Ort und Stelle kamen, in unserer
Erwartung getäuscht, indem wir die Hütten leer fanden. Doch
trafen wir hier eine Fläche mit Nardn-Pflanzen an und beschlossen,
uns dort niederzulassen. Herr Wills und ich gingen täglich und
sammelten Nardu, während Herr Burke aus demselben das Essen
bereitete."
King erzählt weiter: „Schon am ersten Tage der Reise fühlte
Zeit, daß wir Halt gemacht hatten, schien der Zustand des Herrn
Burke sich mehr und mehr zu verschlimmern, obgleich er mit Appetit
sein Mahl zu sich nahm. Nach demselben sprach er seine Ueber-
zeugung aus, daß er uicht lange mehr leben werde, gab mir seine
Uhr mit dem Bemerken, daß solche Eigenthum des Comits's sei,
und ein Taschenbuch mit Notizen für Sir William Stowell. Er
sagte dann: „Ich hoffe, Sie werden bei mir bleibe», bis ich todt biu,
es ist eiu Trost zu wissen, daß Jemand gegenwärtig ist; wenn ich
jedoch im Sterben liege, so geben sie mir einen Revolver in meine
rechte Hand und lassen mich nnbegraben auf der Stelle,
wo ich gestorben, liegen. Während der Nacht sprach er wenig,
am andern Morgen war er sprachlos, und ungefähr um 8 Uhr ver-
schied er. — Ich blieb noch einige Stunden bei der Leiche. Da ich ein
längeres Verweilen jedoch für nutzlos hielt, so folgte ich dem Laufe
des Creeks aufwärts, um Eingeboreue aufzusuchen. Zwei Tage
nach dem Tode des Herrn Burke fand ich einige von ihnen verlassene
Leiche cincS Reisenden in Australien.
sich Burke sehr schwach und klagte über große Schmerzen in seinen
Beinen wie im Rücken. Am zweiten Tage schien er besser zu sein
und sagte: er glanbe, daß seine Kräfte wieder zunähmen; wir waren
aber kaum zwei Meilen gegangen, als er nicht weiter konnte. Ich
sprach ihm Mnth zu und unterstützte ihn, brachte ihn auch etwas
weiter, bemerkte aber bald, daß er gänzlich erschöpft war. Er warf
sein Bündel von sich und sagte: er wäre unfähig, es weiter zu
tragen. Anch ich entledigte mich des meinigen, um Herrn Burke
besser unterstützen zn können, und nahm nur eine Flinte, Muni-
tion, eine Tasche und Zündhölzchen mit. Wir brachen wieder auf,
waren aber nicht weit gekommen, als Burke sagte: „Wir wollen
hier für die Nacht bleiben." Der Ort war dem Winde ausgesetzt,
und ich beredete ihn, noch bis zum nächsten Wasserloche zu gehen,
was anch geschah- Ich fand dort Nardu, schoß einen Vogel und
bereitete aus diesen Gegenständen unser Abendessen. Von der
Hütten und iu einer derselben eilten Sack mit Nardu, genug, um
mich 14 Tage davon zu nähren. Ich schoß diesen Abend auch einen
Vogel, war jedoch in großer Besorgniß, daß die Eingeborenen
kommen und mir das Nardu wegnehmen würden. — Ich blieb
hier zwei Tage und ging dann zn Herrn Wills zurück. Unterwegs
schoß ich drei Vögel für ihn. Bei meiner Ankunft fand ich ihn
jedoch als Leiche. Eingeborene hatten ihn eines Theiles feiner
Kleidung beraubt. Ich bedeckte seineu Körper mit Sand und blieb
mehrere Tage bei ihm. Da aber mein Nardn-Vorrath zur Neige
ging, so folgte ich den Fußspuren der Eingeborenen, welche hier
gewesen, und schoß unterwegs mehrere Vögel. Die Eingeborenen,
welche meine Schüsse gehört hatten, kamen mir entgegen, brachten
mich nach ihrem Lager, und gaben mir Nardu und Fische. Sie
kochten die geschossenen Vögel für mich und wiesen mir eine Hütts
zum Schlafen, mit drei von ihnen zusammen, an.
344
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
Am andern Morgen begannen sie folgende Zeichensprache mit
mir: Sie legten einen Finger auf die Erde und bedeckten ihn mit
Sand, wiesen nach der Richtung hin, wo Herrn Will's Leiche lag
und riefen: „White fellow!" woraus ich entnahm, daß sieden
Tod des Herrn Wills bezeichnen wollten; anch war jetzt ziemlich
gewiß, daß dieser Stamm sich Wills' fehlender Kleidungsstücke
bemächtigt Hatte. Die Eingeborenen fragten dann weiter, wo der
dritte weiße Mann sei. Ich machte dieselben Zeichen mit dem
Finger, wie sie vorher, und zeigte nach der Gegend hin, wo Herrn
Burke's Leiche sich befand. Sie schienen großes Mitleid mit mir
zn haben, als ich ihnen verständlich machte, daß ich allein sei, und
gaben mir reichliche Nahrung. Nachdem ich vier Tage bei ihnen
gewesen, schien ihnen meine Anwesenheit nicht länger Wünschens-
Werth, indem sie mir bedeuteten, daß sie am Creek hinaufgehen
wollten uud ich besser thue, dem Laufe desselben abwärts zn folgen;
aber ich that, als verstünde ich sie nicht. Am selbigen Tage ver-
ließen sie ihr Lager; ich ging jedoch mit und schoß am neuen Halte-
platz mehrere Vögel, welches ihnen so sehr gefiel, daß sie mir eine
Schirmwand gegen den Wind in der Mitte ihres Lagers aufstellten
und sich um mich herumsetzten, bis die Vögel gekocht waren, welche
wir dann zusammen verzehrten. Eine Frau, der ich einen Theil
eines Vogels gegeben hatte, kam später zu mir, gab mir Nardu
uud sagte, daß sie mir mehr gebeu würde, wenn sie nicht einen
wunden Arm hätte uud daher unfähig sei, deu Nardu-Sameu zn
stampfen. Sie zeigte mir ihren Arm, worauf ich Wasser kochte
und die Wunden mit einem Schwämme wusch. Während der
Operation saß der ganze Stamm, untereinander murmelnd, um
uns herum. Ihr Manu saß neben ihr, und sie weinte bitterlich
während der ganzen Operation. Nachdem ich die Wunden rein
ausgewaschen, tupfte ich dieselben mit Silbersalpeter, worauf sie
„Mokan, Mokau!" (Feuer!) schrie und fortlief. Von der Zeit an
erhielt ich täglich des Morgens sowie am Abend etwas Nardn von
ihr, und als der Stamm auf den Fischfang ausging, forderte der
Maun mich zur Begleituug auf. Auch waren sie mir stets, wenn
der Stamm seine Lage veränderte, bei Errichtung einer Hütte be-
hülflich. Ich schoß gelegentlich Vögel, welche ich ihnen als Beweis
meiner Erkenntlichkeit gab. Aller 4 oder 5 Tage wurde ich gefragt:
ob ich deu Creek auf- oder abwärts gehen wolle, bis ich ihnen end-
lich verständlich machen konnte, daß ich denselben Weg einschlagen
würde, als sie selbst. Von der Zeit an schienen sie mich als zn
ihrem Stamme gehörend zn betrachten und versorgten mich regel-
mäßig mit Fischen und Nardn. Sie waren sehr begierig, Herrn
Bnrke's Leiche zu seheu, und als wir an einem Tage in der Nähe
fischten, führte ich sie nach diesem Orte. Als sie seine Leiche erblick-
ten, weinten sie bitterlich und bedeckten dieselbe mit Gebüsch. Nach
dieser Leichenschau waren sie noch freundlicher gegen mich als früher,
wiewohl ich ihnen auch mehrfach verständlich machte, daß binnen
zwei Monaten weiße Männer kommen würden, welche für sie Ge-
schenke mitbrächten. Sie verstanden mich sehr gut und betrachteten
jeden Abend den Mond, um die Ankunft der weißen Männer zn
berechnen, uud behandelten mich während der ganzen Zeit auf's
Beste. Au dem Tage, au welchem die Referve-Partie (Howitt)
ankam, war einer des Stammes fischen gegangen und kam mit der
Nachricht in's Lager, daß die „weißen Männer" kämen, worauf
der ganze Stamm denselben nach allen Richtungen entgegenlief."
Howitt traf am 15. September in einiger Entfernung von
seinem Lager einen Eingeborenen, welcher gewaltig gesticnlirte
und, mit der Hand den Creek hinnnterzeigend, fortwährend schrie:
,,G an, galt!" Als er auf denselben zuritt, ergriff er die Flucht und
Herr Howitt kehrte nach seinem Lager zurück, traf aber auf dem
Wege dahin zwei seiner Leute, welche ihu benachrichtigten, daß
Kiug, der einzige noch Lebende von der Partie des Herrn Burke,
aufgefunden sei. Er begab sich sogleich nach einem in der Nähe
befindlichen Lager der Eingeborenen, wo er King in einer Hütte
fand. Derselbe bot einen traurigen Anblick dar, war abgezehrt
gleich eiuem Skelette, und ohne seine zerfetzte Kleidung« hätte ihn
Niemand für ein civilisirtes Wesen gehalten. Er war fast ganz
entkräftet und schien mitunter Mühe zu habeu, das mit ihm Ge-
sprocheue zu verstehen. Am andern Tage hatte sich sein Befinden
jedoch auffallend gebessert, so daß er zwei Tage darauf fähig war, die
Herren Howitt, Brahe, Walsh und Wheeler nach dem Orte zu
führen, wo Herrn Wills' Leiche sich befand, welche dann von ihnen
anständig begraben wurde. Auf den Grabhügel wurden Zweige
gelegt, eine bei den Eingeborenen übliche Bezeichnung eines Grabes.
Die Reife-Journale und ein Notizbuch von Herrn Burke, so-
wie verschiedene Kleinigkeiten, welche letztere nur Werth als Eriu-
nernngszeichen haben, wurden von Herrn Howitt sorgfältig gefam-
melt. King war sehr erschöpft bei der Znrnckknnft in's Lager, so
daß das Begräbniß des Herrn Burke noch verschoben werden
mußte. Da aber King's Besserung sich verzögerte und er für eine
zwei- oder dreitägige Reise noch zu schwach war, so begaben sich die
Herren Howitt und Brahe mit Walsh, Wheeler und Aitkin nach
dem ihnen von King bezeichneten Orte, wo sie nach einigem Suchen
die Leiche des Herrn Burke, mit Zweigen bedeckt und den Revolver
noch in der Hand haltend, fanden. Der Leichnam wnrde in eine
National-Flagge gehüllt und beerdigt.
Ans Confnl Petherick^s Reifen in Aegypten, im Sudan und Centralafrika.
Der ägyptische Sudan. — Das seltsame Bad Dilta. — König Nimir von Schendy. — Ein Pascha lebendig verbrannt. — Türkische Justiz. — Die Frauen
der Hassanieh-Nraber. — Eigenthümlicher Ehestand. — Behandlung der Pferde. — Die'glücklichen Tage Kordosans.— Goldschmuck der Frauen.—
Aegyptisches Negunent.
Unter den neuern Reisenden, welche das östliche Afrika besucht
haben, nimmt Petherick eine hervorragende Stelle ein. Er kam,
wie wir schon früher erwähnt haben (@.109), bis zu den Nyam
Nyam, iu die Nähe des Aequators, und giebt über die Region am
Bahr el Gasel manche werthvolle Nachrichten. Seit 1845, nachdem er
als Bergingenieur in die Dienste des Vicekouigs vou Aegypten ge-
treten war, zog er in den Nil-Ländern ans und ab, und kam erst
1860, nachdem er längere Zeit Kaufmann und britischer Consnl in
Chartüm gewesen, nach Europa zurück, um seine Reisebeschreibnng
zn veröffentlichen. Sie ist 1861 in London erschienen.
Der östliche Sudan steht bekanntlich unter ägyptischer
Herrschaft. Er umfaßt die Provinzen Dongola, Chartüm,
Sennar, Fafogl, Taka und KordofZn. Die Hauptstadt ist
Chartüm; die einzelnen Bezirke in den Provinzen werden von Ka-
schess verwaltet, die bewaffnete Macht besteht zum großen Theil
aus Negerregimentern. Der jetzige VicekLmg Said Pascha hat deu
Sklavenhandel und die Sklaverei abgeschafft.
Einen wichtigen Bestandtheil der Bevölkerung bilden die
nomadischen Araber, welche, je nach der Art des Viehstandes,
in drei Abtheilungen zerfallen, nämlich in die Kameel-Araber, die
Rindvieh - Araber, und in die, welche mir Schafe uud Ziegen be-
sitzen. Jeder Stamm hat einen erblichen Häuptling uud dieser ist
der Regierung für den Eingang der Steuern verantwortlich. Die
ackerbantreibendeu Bewohuer, zumeist Schwarze, stehen in den
Dörfern unter Scheichs, welche von der Gemeinde gewählt und von
der Regierung bestätigt werden. In den Städten lebt ein buntes
Gemisch von allerlei Volk.
Petherick verweilte einige Zeit in der nnbischen Stadt Ber-
bera, die etwa zehntausend Einwohner hat. Er war nach seiner
Ankunft in Folge einer Reise durch die Wüste zugleich abgespann
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
345
und fieberisch aufgeregt, und bestellte eiu „türkisches Bad", bei
welchem bekanntlich das Drücken und Kneten der Muskeln eine
Hauptrolle spielt. Sein türkischer Begleiter, welcher zugleich den
Dienst eines Schreibers versah, ordnete ein solches für den Abend
an; man werde es ihm bringen.
Wie konnte man aber ein solches Bad mit allen dazu gehören-
den Vor- und Herrichtungen tran'sportiren? Auf diese Frage ent-
gegnete der Türke, daß man in Nubien ganz eigentümlich verfahre,
aber die Sache sei probat. Also speisete Petherick schon um sechs Uhr
zu Abend; gegen zehn Uhr trat dann eine alte Negerin eiu, um
zu melden, daß das Bad bereit sei. Ibrahim entfernte sich. Dan»
erschien die Alte mit einer Gehiilfin, einer rabenschwarzen Person,
welche in der einen Hand einen kleinen hölzernen Napf, in der an-
dern das Köppcheu einer Theetasse hielt. Die Alte wünschte dem
Europäer eine gute Nacht. Als dieser Halt rief und fragte, wo
denn das Bad fei, zeigte sie auf deu Napf, welchen die Naben-
schwarze iu der Haud hielt und sagte: „Darin ist das Bad; es wird
dir sehr gut bekommen."
Nuu wollte es Herrn Petherick doch gar nicht einleuchten, daß
er in einem kleinen Napf ein Bad nehmen könne, und in der Thee-
taffe ging die Sache offenbar uoch viel weniger. Er ließ sich beide
Gegenstände herreichen und betrachtete sie näher. In dem Napfe
war Brotteig, in der Tasse aromatisches Oel. Mit jenem wurde der
ganze Körper sorgfältig abgerieben und nachher mit dem Oele be-
strichen, daö in alle Poren drang. Ein solches Bad nennt man iu
Nubien Dilka. Petherick ließ die landesübliche Operation gedul-
dig au sich vornehmen, und fand sie gar nicht übel. Er schlief ganz
vortrefflich und erwachte am andern Morgen wie neu belebt. Vom
Fieber war keine Spur mehr vorhanden, der Pnls ging ruhig, die
Glieder hatten Spannkraft und der Kopf war leicht und frei. Diese
Dilka ist im Sudan sehr beliebt. Wer es haben kann, läßt sie all-
abendlich au sich vornehmen, weil er dann auf eine gute Nacht rech-
nen darf. Die Eingebornen sagen, daß sie Hautkrankheiten nicht
aufkommen lasse, die Haut kräftige und gegen die scharfen Winter-
winde weniger empfindlich mache.
Im Sudan giebt sich wohl ein Araber zum Diener her, nie-
mals aber eine Araberin. Sie thnt es um keinen Preis; des-
halb werden alle Hausarbeiten von Negerinnen verrichtet.
Die Eroberung des Sudan durch die Aegypter hat viel
Blut gekostet, und es sind dabei eutfetzliche Grausamkeiten verübt
worden. Zwischen Berber und Charttun liegen die Städte Ma-
t a iu in a und S ch e n d y. Die erstere ist ein sehr belebter Marktplatz
und treibt ausgedehnten Handel mit Baumwollenschärpen, die dort
verfertigt werden; die letztere liegt gegenüber am rechten Nilufer
und ist im Verfall, seitdem sich das Nachstehende begab.
Der Stamm der Schaygieh wohnt am östlichen Ufer und lei-
stete den Aegypten: heftige Gegenwehr. Diese waren unter Js-
mail Pascha, dem Sohne des Vicekvnigs, herangezogen. Die Schay-
zieh rückten ihm von ihrer Hauptstadt Schendy aus entgegen, aber
nur mit Reiterei, deren blanke Waffe gegen Kanonen und Musketen
regelmäßig gedrillter Soldaten nichts ausrichten konnte. König
Nimir wurde geschlagen, mußte sich unterwerfen und Ismail
Pascha zog weiter gen Süden nach Sennar. Aber dort erlitt fein
Heer während der Regenzeit große Verluste durch das afrikanische
Fieber, und er wollte nach Aegypten zurückgehe!:, nachdem er in
Chartnm und einigen anderen Städten eine Besatzung zurückgelassen
hatte. Er kam nach Schendy, wo der ehemalige König als ägyptischer
Statthalter fnngirte und verlangte von diesen: für den nächsten
Morgen die Ablieferung einer beträchtlichen Geldsumme und dazu
noch Pferde, Kameele, Kühe und Schafe iu sehr beträchtlicher Menge.
Es war den Schaykieh geradezu unmöglich, diesen Forderungen
zu genügen. Nimir und seine Nettesten machten Gegenvorstel-
lungen, aber Ismail Pascha blieb hart. Nimir berief die augesehen-
sten Mitglieder der Gemeinde zusammen und hielt mit ihnen Rath.,
Es wurde beschlösse,?, den Dränger noch ili derselben Nacht um's
Leben zu bringen.
Globus 1802. Nr. 11.
Die ägyptischen Soldaten lagen weit und breit in der Stadt
zerstreut im Quartier uud wurden sehr gastlich bewirthet. Man
gab ihnen Merissa, das Bier des Sudan, so viel sie nur trinken
mochten, und bald waren die meisten berauscht. Sie schliefen eiu.
Mit der Wache des Pascha verfuhr mau iu derselben Weise. Um
Mitternacht kamen auf ein Zeichen die Einwohner aus ihren Hän-
fern hervor; jeder trug ein Bündel Reisig und legte dasselbe ganz
still bei der Hütte des Pascha nieder, dessen Wächter alle betrunken
waren und im Schlafe lagen. Bald war die Hütte mit einem Zaun
von Reisig und dürrem Rohr umgeben, der dann angezündet wurde.
Der Pascha wurde verbrannt; zwei Mamelucken, welche ans sei-
ner Hütte durch den Feuerring hinaus stürmten, wurden sogleich
uiedergesäbelt. Die übrigen Soldaten durften am andern Morgen
ruhig abziehen und gingen wieder nach Chartüm.
Ueber Schendy kam dann eine fürchterliche Strafe. Der
Defterdar Meheuied Ali's hatte eben Kordofan erobert und rückte
gegen die Schaygieh heran. Nimir wußte, daß er einer solchen
Uebermacht keinen Widerstand leisten könne, forderte sein Volk zur
Auswanderung ans und zog mit einen: großen Theile desselben bis
an die Gräuzen Abessiniens. Manche, die bei der Verbrennung
des Pascha ganz nubetheiligt gewesen waren, blieben ruhig zurück;
sie meinten, der Defterdar werde Unschuldigen nichts zu leide thuu.
Aber sie befanden sich im Jrrthum; der Feldherr wüthete grauen-
voll mit Mord und Brand, und ein großer Theil von Schendy
wurde zerstört.
Dieser Defterdar war eiu Wütherich. Von Recht und Gerech-
tigkeit hatte er ganz eigentümliche Begriffe, und strenge Manns-
zncht hielt er auch. Nach dem Blutbade von Schendy verbot er das
Plündern; im ganzen ägyptische» Sudan solle daö Eigenthum der
Uuterthaneu sicher sein. Als er einst zu Chartüm in seinem Diwan
saß uud Geschäfte besorgte, kam eine arme arabische Bäuerin ans
einem benachbarten Dorfe und klagte, daß ein Soldat ihr die Milch,
welche sie zu Markte bringen wollte, weggenommen und vor ihren
Augen getrunken habe. Den Betrag von wenigen Piastern wollte
er nicht bezahlen. Der Defterdar fragte, ob sie den Mann wieder-
erkenne, und erhielt eine bejahende Antwort. Flugs wurde der
Soldat herbeigeholt. Er läugnete, während die Bäuerin bei ihrer
Aussage blieb. Da sprach der Defterdar, er wolle sich durch deil
Augenschein überzeugen, ob sie die Wahrheit gesagt; sie müsse ster-
ben, wenn sich das Gegentheil herausstelle. Damit war sie eiuver-
standen. Nun ließ der Pascha den Soldaten zu Boden werfen und
eiu Mameluck mußte ihm den Leib aufschneiden. Man fand Milch
im Magen. Der Defterdar warf der zitternden Frau ganz gelassen
einen Maria-Theresia-Thaler hin uud äußerte gegen die Umstehen-
den, der Soldat habe sein Schicksal verdient, einmal weil er ge-
stöhlen, sodann weil er gelogen habe. —
Von Chartüm aus machte Petherick einen Ausflug zu den
Hassanieh-Arabern, welche eine Strecke weit oberhalb dieser
Stadt am Weißen Nil wohnen. Die Frauen dieses Stammes
verschmähen alle Nadelarbeit und würden sich nie
zum Nähen verstehen. Das ist bei ihnen eine Arbeit für Ehe-
mäuner und Brüder. In Bezug auf deu Ehestand herrscht bei
diesen Arabern eiu sehr merkwürdiger Brauch. In der ganzen
übrigen Welt heirathet eine Braut den Bräutigam ein für allemal,
beide gehören einander ganz an und die Frau ist eben des Mannes
Frau. Bei den Hasfanieh beliebt man es ganz anders. Bei der
Verlobung wird von der Mutter der Braut mit dem Bräutigam
gegen Ochsen uud andere Gaben darum gehandelt, wie viele Tage
in der Woche seine Frau ihm angehören solle, ob zwei oder vier; je-
den Tag muß er mit einer vierjährigen Kuh, einigen Ochsen und
Rindern zahlen. So giebt es Männer, welche nur für Montag
und Donnerstag, andere obendrein für Diustag und Mittwoch
und so weiter verheirathet sind. All den nicht im Ehevertrag aus-
bedungenen Tage» ist die Frau nicht verbunden, in ihres Mannes
Hanse zu wohnen, oder für ihn und dessen Hauswesen zu arbeiten.
Sie ist dann vollkommen frei und kann thnn, was sie will. Die
44
346
Glolms, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Hassameh sind wohlhabend und sehr gastfrei. Eifersucht ist bei
ihnen unbekannt.
Mit ihreu Pferden gehen sie eigeuthümlich um. Sie geben
denselben täglich nur einmal gegen Sonnenuntergang ein Durra-
Futter und das Thier kann von dieser Hirse (Sorghum) so viel
fressen, als es nur immer will. Es bekommt auch unr einmal
Wasser zu trinken und zwar um die Mittagszeit. Dabei bleibt es,
die Sommerhitze kann uoch so arg und das Thier uoch so sehr au-
gestrengt worden sein. Aber Morgens und Abends giebt der Hassa-
nieh seinem Rosse viel Milch zu trinken, und es gedeiht bei dieser
Behandlung ausgezeichnet.
Petherick ging von seinen guten Freunden, den Hassameh-
Arabern, in südwestlicher Richtung nach El Obeid, der Haupt-
stadt von Kordosäu. Dieses in unseren Tagen oft genannte Land,
welches zwischen Seunär und Dar Für liegt, war ursprünglich von
den Nuba's bewohnt, einem Negerstamme, dessen Neberreste noch
jetzt im Dschebel Nuba, einem Gebirgsdistricte etwa dreißig Stuu-
den südlich vou Kordofau wohnen. Sie wurden von Arabern und
von Mischlingen aus Araber- und Negerblut vertrieben, und dann
kamen auch noch andere nomadisireude Araberstämme in's Land,
z. B. die Hadedschad, Dschnmma und Bederieh, welche
Pferde mitbrachten.
Kordofau wurde dann Kriegsschauplatz zwischen den Königen
vou Dar Für und Sennar. Das letztere Reich war in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts mächtig geworden und erstreckte sich von
den Gebirgen des Fasogl bis au den Weißen Nil. Sein König Ad-
l-ln sandte 1770 seinen Scheich Nassib mit Soldateu nach Kordofau.
Dieser mischte sich in die inneren Streitigkeiten der Häuptlinge,
eroberte das Land und wurde zu dessen Melek. das heißt Bicekönig,
ernannt. Das erregte die Eifersucht des Königs Ibn Fadl von
Dar Für, welcher sich nach und nach ein starkes Heer heranbildete
und seineu Karawanenhandel nach Tunis benutzte, um von dort
Waffen und Kriegsvorräthe kommen zu lassen. Auch nahm er drei-
tausend berittene Beduinen in Sold und stellte einen tapsern En-
nnchen an die Spitze des Heeres. Dieser siel in Kordofau ein,
schlug die Krieger von Sennar dermaßen ans das Haupt, daß nur
wenige mit dem Leben davon kamen, und erklärte das Land für
eine Provinz von Dar Für.
Unter dessen Herrschaft hatte Kordofau glückliche Tage. Das
Volk kannte damals uoch kein Geld und zahlte nur genüge Steuern
in Naturalien. Mit Aegypten staut» es nicht iu unmittelbarer Ver-
bindung, sondern bezog von dort Waaren durch Vermittlung der
Bewohner vou Dougola. Der Sklavenhandel nach Außen war
kaum der Rede Werth, aber die reichen Kordosaueseu besaßen eine
große Anzahl höriger Menschen, welche die Felder bestellten und
die Heerde» hüteten. Wenn mau heute von jenen glücklichen Tagen
spricht, heißt es: „Die Schaale der Wonne war so gefüllt, daß sie
überfloß." Man hatte Alles, was gewünscht wurde, vollauf.
Geprägte Müuzeu kannte man, wie schon bemerkt, uoch nicht,
aber Gold und Silber war in Menge vorhanden. Eingeborene
Künstler verarbeiteten beides zu Schmucksachen und selbst die Skla-
veu trugen Bein-, Arm- und Nasenringe oder Halsbänder von
edlem Metall. Die Frauen waren so üppig, daß sie mit goldenen
Sandalen prunkten und in jeden: Ohre einen vier Loth schweren
Goldring hatten. Damit derselbe ihnen nicht beschwerlich falle, war
er vermittelst schöner Bänder am Haarputze befestigt. Jeder Nasen-
ring wog ein Loth und hing . allemal am rechten Nasenflügel.
Mancher Armring war achtzehn Loth schwer, uud bei festlichen Ge-
legenheiteu ereignete es sich wohl, daß eine putzliebende Frau bis
zu fünfzig Unzen Gold- und Silberschmuck au sich hängen hatte.
Das Gold kam ans Sennar oder ans dem von Negern be-
wohnten Scheibuu-Gebirge, südlich vou Kordofau, uud aus dem
Dfchebel Tekele. Dort tauschten die Dfchellabs, arabischen Kaufleute,
es gegen allerlei Waaren ein. Dar Für eröffnete nun über Sen-
uar einen Handel mit Arabien. Karawanen ans Aegypten brach-
ten syrische Seidenstoffe und Banmwollenwaaren; auch Erzeugnisse
Indiens uud Abessiniens kamen ans die Märkte von Bara und
El Obeid.
Bis 1821 stand das glückliche Kordofau unter der Herrschaft
vou Dar Für; dann erschien der obenerwähnte Desterdar, des Vice-
königs vou Aegypten Mehemed Ali Schwiegersohn; er besiegte
das Heer vou Dar Für uud nahm den Einwohnern ihren Schmuck
und ihre Sklaven. Er machte sie arm und behandelte sie mit eut-
setzlicher Grausamkeit. Petherick erzählt einige Vorfälle, welche an
die oben mitgetheilteu erinnern.
Ein Soldat hatte einem Bauer ein Schaf weggenommen und
obendrein den Mann geschlagen, Dieser führte Klage beim Defter-
dar, der grimmig rief: „Du Hund! Willst Du mich mit einer
solchen Kleinigkeit belästigen?" Dann schwieg er, sing eine Fliege
und befahl darauf, den Mann vor den Kadi, Richter, zu bringen.
Die Leute wußten schon, was das bedeuten sollte. Vor dem Hause,
in welchem der Desterdar Diwan hielt, stand eine geladene Kanoue,
und diese nannte er seinen Kadi.
Der klageführende kordofanesische Bauer wurde vor den Lauf
des Geschützes gebunden und — weggeblasen, wie das die christ-
lichen Engländer nennen. Diese sind nicht etwa Erfinder einer solchen
Todesstrafe, welche sie während des letzten indischen Aufstandes so
oft vollstreckten; sie sind Nachahmer eines — türkischen Barbaren.
Noch ein Beispiel von ägyptischer Wütherei im Sudan.
Ein Mann klagte, daß ein anderer auf dem Markte ihn ge-
schlagen habe.
Wo ist der Mann?
Hier.
Ist die Sache wahr?
Ja, Excellenz, aber —
Kein Aber! Mit welcher Hand hast du ihn geschlagen?
Mit dieser hier; mit der Rechten.
Nun, ich will dir einprägen, daß du nicht befugt bist, die Ver-
waltung der Rechtspflege in deine Hand zu nehmen; dafür bin ich
hier. Ich werde dir deine Handfläche abreißen lassen.
Sogleich traten zwei Schergen herbei, nahmen ein Werkzeug,
welches der Desterdar selbst erfunden hatte, und zerrissen dem
Bauer die Hand.
Nun, so ist es recht, sprach des Viceköuigs Schwiegersohn.
Nnn geh' an die Arbeit.
Der Baner, von fürchterlichen Schmerzen gepeinigt, schrie
lant und rief: Wie kann ich arbeiten? Sieh nnr meine Hand.
Hnnd, du willst mir widersprechen? Reißt ihm die Zunge
aus; er weiß nicht mit ihr umzugehen.
Der Befehl wurde vollzogen.
Es ist in den mohammedanischen Ländern Brauch, daß die
Diener nach dem Ablaufe des Beiramfestes Geschenke von ihrem
Herrn erhalten. Ein Dutzend oder mehr Stallknechte des Desterdar
kamen zu ihm, küßten ihm die Hand, wünschten Glück und langes
Leben und baten dann um neue Schuhe, weil sie deren benöthigt wären.
Neue Schuhe sollt ihr habeu, sprach der Desterdar.
Am andern Morgen ließ er ihnen eiserne Schuhe
au die Sohlen nageln.
Wir wollen zum Schlüsse bemerken, daß es für europäische
Reiseude gerade deshalb so ungemein schwierig hält, nach Dar Für
zu gelangen, weil der Beherrscher dieses Landes in jedem Fremden
einen ägyptischen Sendling wittert. Jetzt denkt man freilich in
Kairo nicht an eine Eroberung jenes Landes, aber das alte Miß-
trauen ist geblieben.
Wäre Dar Fnr geöffnet, so könnte ein Reisender leicht bis Wa-
day gelangen, wenigstens bis an dessen Gränze. Dort hinge es
freilich von dem Beherrscher des letztern Landes ab, den Fremden
den Weg zu versperren oder zu eröffnen. Will die Henglin'fche Ex-
pedition wirklich nach Waday, so muß sie durch Dar Für. Ueber
'Vogel's Tod würde sie aber schwerlich viel mehr erfahren, als was
wir ohnehin längst wissen. Geht sie in die Länder südlich von Abesst-
nien, dann ist zu erwarten, daß sie die Wissenschaft bereichern werde,
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
347
Das Münster
Wer von Baden-Baden ans den kaum ein Stündchen weit
entfernten Fremersberg besteigt, hat von dort eine wunderbar
schöne Aussicht. Das Rheinthal liegt zu seinen Füßen; auf der
eilten Seite erhebt sich das Wasgangebirge, dessen Kuppen
breite, mächtige, abgerundete Massen bilden, unter denen der
Ballon von Sulz oder Gebweiler die Höhe des Brockens um tau-
send Fuß überragt. Im Norden der Lauter bildet das vielfach
ausgezackte Haardtgebirge eiue Fortsetzung der Vogescu; es trägt,
in Strasburg.
gewaltiger Mast ragt das herrliche Gebäude aus der Ebeue hoch
empor. Für uns Deutsche steht es da als ein Warnungszeichen,
das an schlimme Tage unserer Geschichte erinnert; als ein Aus-
rusuugszeicheu des Schmerzes darüber, daß unsere westliche
Vorburg in die Gewalt Fremder fiel, und als ein Fragezeichen
nachnnsereu natürlichen Gränzen.
Es ist bemerkenswerth, wie leichtfertig die Franzosen mit der
Geschichte des Elsasses und Straßbnrgs umgehen. Das letztere
ans der Ferne gesehen, deu Charakter einer spanischen Sierra.
Auf dem rechten Rheiunfer läuft vou Basel bis Pforzheim in gelei-
siger Richtung mit den Vogeseu, der Schwarzwald, welcher im
Feldberg bis zu 4600 Fuß Höhe über dem Meer aufgipfelt.
In der Ebene, welche von diesen Bergwänden eingeschlossen
ist, strömt der Rhein. Vom Fremersberg ans kann man seine
gleich Silber schimmernde Fluth ans einer weiten Strecke verfol-
gen. An Sommerabenden ist die Beleuchtung wunderschön; dann
ist der Thurm des Straßburger Münsters mit rosigem Schein
umgössen, und hebt sich mit wunderbarer Schärfe ab Wie ein
ist ihnen eine französische Stadt, das Münster ein hervorragendes
Werk der französischen Kunst; dem Erfinder der Buchdruckerkunst,
welchem man ein Denkmal in der alten Reichsstadt gesetzt, haben
sie französische Worte in den Mund gelegt. Auf dem Standbilde
Guteubergs steht! et la lumiere fut! Natürlich ist ihnen Guten-
berg ein Franzose, wie das deutsche Münster ein „Werk französischer
Knust".
Am AbHange des Fremersberges gewahren wir ein sauberes,
freundliches Dorf. Es ist Steinbach; in diesem Ort erblickte der
Erbauer des Münsters das Tageslicht. Vor etwa zwanzig Jahren
44*
In Straßburg.
348
GloVus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
hat ihm der Bildhauer Friedrich dort ein einfaches Denkmal
gefeilt. Von dort kauu man nach Straßburg hineinschauen.
Der herrliche Dom und die alte Reichsstadt sind oftmals aus-
führlich geschildert worden, und wir werden uns kurz faffcxx.
Straßburg ist eine von den wenigen Provinzialstädten des
französischen Gebietes, in denen geistige Oede nicht herrscht. Man
muß eingestehen, daß es „zunächst nach Paris" kommt in Allem,
was wissenschaftliche Regsamkeit, musikalisches Verständniß und
Sinn für Knust aubelangt. Eiu Tourist aus Lntetia findet die
Stadt beinahe ausgezeichnet, denn er traf dort falsche Hemds-
kragen zum Verkauf, „gerade wie in Paris". Aber leider fand er
auch „Maugel an Pariser Grazie". Sehr natürlich. Die alle-
mannischen Klotzköpfe sind gleichsam gntes Roggenbrot gegenüber
dem Pariser Spritzgebackenen; ohnehin ist „ihr französischer Dia-
lekt nicht besonders fein". Wir glauben es gern; auch der deutsche
Dialekt ist nicht eben zart; er ist eben Allemanuisch, und nicht die
Sprache der „Herren Dütschländer".
Erwin's Standbild hat einen herrlichen Platz. Der Meister
schauet hinab auf seiu großes Werk, das zweithöchste Gebände auf
Erden, denn sein Gipfel ragt bis 490 Fnß empor; nur die größte
Pyramide Aegyptens übertrifft diesen deutschen Dom, welcher selbst
den Stephansthurm in Wien hinter sich läßt. Meister Erwin
erfreut. Unter den dort oben eingegrabenen Namen lesen wir auch
jenen Goethe's, der im Elsaß so schöne Tage verlebte.
Im Innern des Münsters konnte nnser deutsches Gemüth
weder zu Audacht sich erheben, noch zu Geuuß au Kunstwerken
sich abdämpfen. Wir wollen es offext gestehen, daß wir in jener
Kirche vor Ingrimm gebebt haben, und daß der Gegensatz von
Gebet über unsere Lippen kam. Wir traten ein in daS Haupt-
portal, au welchem ein für alle Zeiten mit Schmach und Schande
bedeckter Landesverräther den liederlichen Ludwig den Vierzehnten
von Frankreich mit den Worten begrüßte: „Herr, nun läffest Du
Deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben Dei-
nm Heiland gesehen."
Dieser Hochverräther am deutschen Namen war der Erzbischof,
ein Mann ans dem Hause der Fürstenberg. Er ertrug die Noth
der Umstände uicht mit Würde, fügte sich nicht mit Anstand in
das, was für den Angenblick unvermeidlich war, sondern der hohe
Würdenträger der Kirche würdigte sich vor einem Könige, dessen
ganzes Leben Ein Skandal war, herab zu einem schweifwedelnden
Schmeichler, indem er einen notorischen Sünder seinen Heiland
nannte.
Einen solchen Schimpf wäscht alles Wasser des Rheins nicht
ab. Am 28. September 1681 ging Straßbnrg mitten im Frieden
Erwin von Steinbach's Denkmal.
begann den Bau mit vollem Bewußtsein, daß er ein Riesenwerk
unternehme; dafür zeugen die Pläne, welche er zeichnete; sie sind
auch heute noch vorhanden. Ihm selber war es nicht vergönnt,
den Bau zn vollenden; im Jahre 1318 rief der Tod ihn ab; allein
er schied mit dem Bewußtsein, daß sein Sohn nnd Gehülfe in
gleichem Geiste fortarbeiten werde. Und als anch dieser frühzeitig
starb, ging Erwin's Tochter Sabina rüstig ait's Werk und führte
dasselbe herrlich hinaus. Keine andere Familie in der Welt hat
ein so prächtiges Mausoleum als jene Meister Erwin's ans Stein-
bach; sie ruhet unter diesem Münster.
Der herrliche Vorderbau auf der westlicheu Seite mit den er-
stannlich reichen und überraschend mannigfaltigen Schnitzwerken,
diese gewaltige „Poesie in Stein", ist zum großen Theile Sabinens
Werk. Das ganze Gebäude, ein wahrer Trinmph der deutschen
Kunst, steht im schönsten Ebenmaße, nnd die Einsatzrose erhöhet
den Eindruck, welchen das Ganze auf deu staunenden Beschauer
macht. Als wir zum ersten Male dieses Werk sahen, standen wir im
Anschauen und Bewundern wie verloren; tiefere und gewaltigere
Eindrücke haben wir auch in Italien nicht in uns aufgenommen.
Der zweite Thurm, welcher in Erwin's Absicht lag, ist nicht
gebauet worden, und so blieb anch dieser Dom, wie bisher jener in
Köln, «»vollendet. Nun steigt man bequem bis zur sogenannten
Plattform hinan, von welcher man einer entzückenden Aussicht sich
und durch Verrath an Frankreich über. Daß wir es 1814, als es
in nnsern Besitz kam, wieder Heransgaben, gehört auch zu den
Sünden jener Zeit.
Doch wir verlassen das Münster nnd wandeln durch die
Stadt, welche theilweise modern geworden ist, wie sich das von
selbst versteht, aber doch in vielen Dingen noch an die alte deutsche
Reichsstadt gemahnt. Sic war ja die Hauptstadt des rheinischen
OberdentschlaudS, nnd hat bis gegen den Ausgang des ehevongen
Jahrhunderts alle unsere Geschicke getheilt. Sie war von einer sehr
stolzen und waffenstarken Bürgerschaft bewohnt, erfreuete der Frei-
heit uud Selbstverwaltung, und stand im Reich überall in großem,
wohlverdientem Ansehen. Von den Kaisern wurde sie hochgeehrt.
Jetzt ist sie eine Provinzialstadt, Departementsstadt des De-
partements Niederrhein nnd zählt etwa 78,000 Einwohner, ohne
die französische Besatzung.
Der allemannische Bewohner ist in politischer Beziehung
Franzose, aber das Heimathgefühl für seiu Elsaß lebt ungemein
stark in ihm. Er behauptet feine Individualität, das elsassische
Wesen steckt in Fleisch und Blnt, wenn auch der äußere Pariserische
Firnis auf der Haut glänzt. Diesem Gefühl hat Ehrenfried Stö-
ber, ein Straßbnrger, in einem Gedicht Ausdruck gegeben, das er
„Heimkehr in's Elsaß" überschrieb. Es wird Wiederhall
finden in der Brust aller Leser:
350
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Willkomm', ihr heimischen Vogesen!
Noch steht die alte Säule da,
Wv meine Blicke fröhlich lesen
In Stein gehau'n: Alsatia!
Wie sehnt' ich mich das Ziel zu schauen,
Der H e i m a th erste Station !
Du fuhrest brav durch Welschlands Gauen,
Hab' Dank! Du welscher Pvstillon.
Ade ! Auf Lotharingens Hügel
Kehr' um, Du lockst mich nicht zurück!
Elsässer Vursch, führ' Du die Zügel,
Und stoß in's Horn — ein fröhlich Stück!
Ja, laß ein helles Lied erklingen
Hoch jubelnd in des Himmels Blau,
Ein Vivat unscrm Land zu bringen,
Dem Elsaß und dem Rheinthalgan!
Den Berg hinab fährt sacht der Wagen,
O legt ihm nur den Hemmschuh an,
Daß ich m e i u Elsaß mit Behagen
Nach Herzenslnst betrachten kann.
Willkomm', ihr heimatlichen Thäler,
Beschirmt von hoher Berge Wall,
Und ihr, der Vorzeit graue Maler,
Ihr sagenreichen Schlösser all'!
Willkomm', ihr grünen Rebenhügel,
Wo purpurroth die Traube schwillt,
Wo unter heißer Lüfte Flügel
Des goldnen Weines Feuer quillt.
Sich, wie vom Himmel reich gesegnet
Das weite Fruchtgebilde sprießt,
Wo kaum ein Fleck dem Aug' begegnet,
Der nicht von Segen überfließt.
Und sich die trauten Dörflcin alle
Von Obstbaumgärten rings umlacht.
Die Städtchen dort mit Thurm und Walle,
Wo Bürgermuth das Land bewacht'.
Und sieh wie dort im Abendglanze,
Wo silbern blinkt des Rheines Strom,
Ans Straßburgs altem Mauerkranze
Gen Himmel ragt der schlanke Dom.
Du hehres Münster, grauer Zeuge
Der deutschen Kraft und Frömmigkeit!
Ob alles neuem Tand sich beuge,
Du hältst am Ernst der alten Zeit.
Be >vahreDn als t r e u e r H ü t e r
Der ehrenfesten Väter Zucht,
Daß unser Volk die höchsten Güter
In Festigkeit und Treue sucht.
Und weiter siehst Du dort erglänzen
Des Rheines schillernd Silberband.
Ein Band, o ja! nicht scharfe Gränzen,
Das ganze Rheinthal ist ein Land!
Ob jenseits andre Mächte thronen,
Die Herzen bleiben sich verwandt;
Die hüben und die d r ü b e n wohnen,
Sic reichen sich die Bruderhand.
Gesegnet seid, ihr Schwarzwaldgipfel,
Gegrüßt das Volk an eurem Fuß,
Es weht^durch alle Wasgauwipfel
Zu euch hinüber trauter Gruß!
Auf, Schwager! laß Dein Horn erklingen
Hoch jubelnd in des Himmels Blau,
Ein Vivat unserm Land zu bringen,
Dem Elsaß und dem Rheinthalgau!
Kleine Nachrichten.
(Eorrefpondenz.) Herrn L. v. Br. in W. In die Streitigkeiten
über die Henglin'sche Expedition werden wir uns nicht ein-
mischen. Im Sophokles heißt es einmal: „Die künftigen Tage
sind die besten Zeugen." Man
muß also Thatsachen abwarten.
Daß man das menschliche Jnter
csse, welches wir Alle an Eduard
Vogel's Schicksal nehmen, in
den Vordergrund schob, um an
der, doch sehr wesentlich auch zu
wissenschaftlichen Zwecken ansge-
rüsteten, Expedition Theilnahme
in? größern Publikum zu erregen,
kann uicht befremden, und wir
können uns Ihrem strengen Tadel
darüber nicht anschließen. Es giebt
manche Leute, die immer noch der-
meinen, unser jedenfalls bekla-
genswerther Landsmann sei am
Leben. Allerdings läßt sich, so viel
wir absehen, nicht ein Schatten
von Wahrscheinlichkeit für diese
Annahme geltend machen. Wenn
Sie äußern, daß die Angaben
eiues Takruri, welchevr.R. Hart-
mann (der Begleiter des Freiherrn
von Barnim) zu Roseres über Vo<
gel erhielt, vou gar keinem Belang
seien, so stimmen wir Ihnen darin
vollkommen hei. Die Nachrichten,
welche Dr. Baikie in Rabba am
Niger von zwei Reisenden einzog,
die in Wara gewesen sind, und jeue,
die Consnl Hermann in Tripolis
aus Wadai erhielt, lauten ganz
anders. Daß Vogel's Papiere uoch
vorhanden oder wieder zu bekom-
men seien, und daß sie viel Be-
langreiches enthalten könnten,
läuft anf eine uugewisse Vermn-
thnng hinaus. — Aber deshalb ist die Expedition Henglin's nicht,
wie Sie meinen, „Mondschein." Man hat sich freilich in der Zeit,
als es sich darum handelte, die öffentliche Meinung für das Unter-
Die Expedition des Herrn von Heuglin.
nehmen zn gewinnen, da und dort, offenbar in wohlgemeinter
Absicht, einige Übertreibungen erlaubt, aber es ist jetzt gauz einer-
lei, wie viel dabei Berechnung nnd wie viel Naivetät war. Wir
konnten uns nur freuen, daß
r ( ^
Deutschland aus eigenen Mitteln
die Reisenden anssaudte, und daß
sie nicht ihre Gesundheit oder ihr
Leben auf das Spiel setzen siir ein
fremdes Land, um hinterher viel-
leicht Undank zu ernten, oder sich
mit einer widerwillig gezollten
Anerkennung begnügen zn müssen.
Wir sind mit der nnserigen (Glo-
bus S. 110) nicht zurückhaltend
gewesen. Auch heute bleiben wir
der Ansicht, daß jeder Erfolg nn -
serm gesammten Vaterlande zur
Ehre gereichen werde. Aber eine
lebhafte Beteiligung hat sich doch
nur in verhältnißmäßig engen
Kreisen gezeigt; und leider haben
auch nur sehr wenige Fürsten oder
Regierungen eine Mitwirkung be-
thätigt. Das Unternehmen ist für
die, welche es fördern, ehrenvoll;
man kann es aber nicht ohne Wei-
leres zn einem „nationalen" stein
peln; wenn es scheitert, so liegt
darin auch uicht entfernt ,, ein
Schimpf und eine Schande für
Deutschland," und uoch weniger
für die, welche ihre Gaben dar-
gebracht haben. Daß die, auf eine
frühere Reise bezüglichen Geld-
Verhältnisse, über welche Herr v.
Heuglin mit der österreichischen
Regierung sich zu benehmen hatte,
von ihm an die Öffentlichkeit ge-
zogen worden sind, macht aller-
dings einen peinlichen Eindruck
schon an und für sich, besonders aber nachdem jene Regierung (All-
gemeine Zeitung vom 15. Januar 1862) den Nachweis geführt hat,
daß Hofrath von Heuglin „nicht nur Alles erhalten, was er selbst
Globus, Chronik der Reisen
verlangte und berechnete, sondern überdies eine früher schon von
Sr. Maj. dem Kaiser ihm zuerkannte außerordentliche Remune-
ration von 4000 Gulden, wofür er qnittirt, respective seinen Dank
ausgesprochen, sich amtlich und actenmäßig zufriedengestellt habe."
Doch das sind Thatsachen, die mit der gegenwärtigen
Expedition nicht in directem Zusammenhange stehen. Bedenklicher
lauten die INittheilnngen des Professors Munzing er in Bern
(Allgemeine Zeitung vom 14. Januar), welche einem Briefe seines
zu Kereu im Laude der Bogos lebenden Bruders Wer»er Muu-
zinger entnommen sind. Dieser wollte, gemeinschaftlich mit
Herrn Kiuzelbach, unverzüglich nach Chartnm und von dort nach
Wadai aufbrechen. Seine Ansichten über den Weg, welchen
die Expedition zu nehmen habe, wichen von jenen Henglin's ab;
beide Männer hatten mehrmalige Besprechungen; Henglm erklärte
sich mit Mnnzinger's Plan einverstanden und stellte ihm eine Summe
Geldes zur Verfügung. So trennte sich Munzinger von
H engl in, welcher seinerseits das „Kaffa-Projekt" verfolgt, d. h. in
die bisher noch nicht erforschten Landschaften südlich von Abessinien
vordringen will, wo allerdings von Vogel nichts zu finden oder zn
erfahren fein wird.
Von dieser Trennung, die keineswegs ohne Bedeutung ist, finden
wir noch nichts erwähnt in einem, auch als Flugblatt vertheilten
Aufsatze: „Zum Verständuiß der gegenwärtigen Lage der deutschen
Expedition zur Aufsuchung Vogel'S" von vi-. Otto Ule in Halle,
einem rüstigen Mitgliede des Comitss. Nur so viel wird gesagt, daß
Herr V. Haiglm schou in einem Briefe, datirt Massaua, 12. Juli, den
Wnnsch geäußert habe, nach Kassa zu gehen. Professor Mun-
zinger seinerseits sagt, der Plan seines Bruders, mit Kiuzelbach
nach Chartum und Wadai aufzubrechen, habe „die volle Auer-
kennung des Comites in Gotha gefunden und dieses habe
auch seither alle wünschenswerthen Schritte gethan, um das direkte
Vordringen dieser beiden Männer gegen Wara zu ermöglichen."
Professor Munzinger spricht dann sein Bedauern ans, „daß das
Comite nicht von vornherein durch klare und offene Darlegung des
Sachverhalts die unerquickliche Disenssion in den Zeitungen, die
gerade so klingt, als wenn sich verschiedene Interessen gegenüber-
ständen, unterdrückt hat " In l)r. Ule's Aufsatz, der im Namen
des Comics spricht, wird nur gesagt: „Das Comitv hat sich nicht
ermächtigt geglaubt, einen bloßen Wunsch zum Gegenstand einer
öffentlichen Mittheilung zu machen und dadurch das Vertrauen
der Nation (!) zu beirren, bevor noch eine Th at fache wirklichen
Grund dazn giebt. Es hat sich aber auch nicht die Möglichkeit
verhehlt, daß die Reisenden von wissenschaftlichem Eifer
sich verleite u lassen könnten, diesem Wunsch eineFolge
zu geben."
Professor Mnnzinger's Mittheilungen zufolge ist nun diese
Thatsache eingetreten.
In Gotha ist dann am l. December eine zweite Expedi-
tiou nach Wadai beschlossen worden, welche nach Dr. Ule's Mit-
theilung „in keinerlei Verbindung mit einem Zweifel au der
Heugliu'scheu steht." Die „bedeutendsten Sachkenner" waren von
vornherein für zwei Expeditionen; die eine sollte Heuglin unter-
nehmen; zn der zweiten hat sich Herr von Benrmann entschlossen.
Er ist Ende Decembers über Malta nach Bengasi abgegangen und
will dort versuchen, entweder über Audschila und Kebabo oder über
Mnrsuk und Borgu nach Wadai zu gelangen, vi-. Ule nennt ihn
einen „Propheten der Wissenschaft, einen Parteigänger", der als
mohammedanischer Kaufmann, nur mit den dürftigsten wissen-
schaftlichen Hülssmitteln ausgerüstet, Wadai erreichen wolle.
Das ist der Stand der Angelegenheiten, insoweit wir dieselben
nach den vor nns liegenden Mitteilungen übersehen können. Aus
der einen Expedition sind demnach drei geworden. Mit einem end-
gültigen Urlheile über das Comite, über Henglin's Verfahren:c.
müssen Sie zurückhalten, bis von allen Seiten her ausführliche
Berichte vorliegen. Leidenschaftliche Discnssioneu nützen ebenso-
wenig wie sanguinische Hoffnung; man muß eben die Erfolge
abwarten, und weitere Thatsachen, welche allein den Ausschlag
gebeu.
Daron Kart von der Decken und der Schncebcrg Kili-
mandscharo im östlichen Aequatorial-Afrika. Es war die
Absicht des Herrn von der Decken, gemeinschaftlich mit Theodor-
Roscher von der Ostküste aus in's Innere Äfrika's, südlich vom
Aeqnator vorzudringen; dieser Plan wurde jedoch durch Roscher's
Ermordung vereitelt. Herr von der Decken wählte dann ein an-
deres Feld für seine Thätigkeit. Er ging „ach Mombasa, der
bekannten Hasenstadt nördlich von Sansibar, in deren Nähe Reb-
mauu's und Krapf's Missionsort Rabbai.' Mpia liegt, und unter-
nahm von dort einen Ausflug nach Kilima. Ein Engländer,
R. Thorutou, hatte sich als Begleiter ihm angeschlossen.
Beide bestiegen den Kilimandscharo bis zu einer
Höhe vou 8000 Fuß, und gingen dann über Dafeta zurück
Nach Wauga an der Küste. Der genannte Berg, dessen Gipfel
Geographische Zeitung'. 351
eine Kuppel bildet, ist etwa 20,000 Fuß hoch und iu der Höhe
über 17,000 Fuß mit Schnee bedeckt. Herr von der Decken war,
unseren letzten Nachrichten zufolge, in Aegypten eingetroffen.
Durch seine Beobachtungen ist nnu die Richtigkeit der
Angaben der deutschen Missionare K r a P s und R e b m a n n anßer
allen Zweifel gestellt. Rebmann sah, während seiner ersten Reise
nach Dschagga, den Kilimandscharo zum erste» Mal am 11. Mai
1848, und beobachtete ihn aus seinen folgenden Reisen mehrmals.
Krapf bemerkte ihn auf seiner ersten Wanderung nach Ukambani
und späterhin, im Jahre 1851, gleichfalls. Beide Männer be-
hanpteten mit unumwundener Bestimmtheit, daß der Gipfel mit
Schnee bedeckt sei; Rebmann konilte denselben, als er am Fuße des
BergeS Nachtlager hielt, ganz deutlich erkennen. Auch sagten die
Eingeborenen, daß das Weiße dort oben, wenn man es in Gefäße
fülle, weiter abwärts durch die Wärme zu Wasser werde.
Ein zweiter Schneeberg in jener Region ist der Kenia oder
Kima Dscha Dscheu, welchen Krapf am 3. December 1849 von
Kitui aus bemerkte; er erkannte deutlich, daß der Gipfel des-
selben vou zwei mächtigen Hörnern gebildet wird, welche, nord-
westlich vom Kilimandscharo ans einer gewaltigen Bergunterlage
sich erheben. Dieser Kenia liegt sechs Tagereisen von Kitui eut-
fernt. Bon den Leuten, welche in der Nähe desselben wohnen,
erzählte ein Mann ans Uembu, er selber sei oft am Fuße des Ber-
ges gewesen, aber nicht hoch hinaufgestiegen, weil es dort sehr kalt
sei und der weiße Stoff mit großem Geräusch den Berg
hinabrolle (Lawinen). Diese Angaben wurden durch Leute aus
Kikuyu bestätigt, und ein Mnika aus Rabbai, welcher dort gewesen
war, sprach zu Krapf häufig vou eiuem Berge, der wie mit weißem
Mehl bedeckt sei.
Dieser Schnee speiset viele Flüsse das ganze Jahr hindurch
mit Wasser; Rebmann zählte deren etwa zwanzig, die vom Kili-
mandscharo herabkommen; zwei derselben, der Gona und der
Lnmi, sind nicht nnbedentend und bilden Hauptquellflüsse des
Paugani. Krapf überschritt den Zawo, welcher in der trocken-
sten Jahreszeit dritthalb Fuß Tiefe hatte; den Dana fand er sechs
bis sieben Fuß tief.
Unsere beiden Landsleute haben durch v. d. Deckeu uud Thorn-
ton nun eine glänzende Genugthuuug erhalten. Als wir die neuesten
Nachrichten über die Wanderung der beiden letztgenannten Männer
gelesen, schlugen wir einmal wieder das Buch vou Desborough
Cool et) nach (Inner-Africa laid open ctc. London 1852). Dieser
in mancher Beziehung, verdiente Geograph stellte die Angaben bei-
der Missionare, über das Vorhandensein von Schneebergen im
äquatorialen Afrika, Plattweg in Abrede , und griff die hochver-
dienten Männer mit einer Heftigkeit au, die ohne Maß und deshalb
unwürdig ist. Rcbmaun's Annahme beruhe lediglich auf Sin-
nentänschnng (S. 90); sie sei eiu Kind der Phantasie uud der eter-
nal snow nicht vorhanden; ohnehin leide der Missionar au Kurz-
sichtigkeit der Augen und gebe sich einem dash of rhetoric hin. Die
Landeseingeborenen wüßten gar nichts von Schnee (s. oben) und
seien doch sehr wohl im Stande, weiß von schwarz zn unterscheiden
(S. 93). Ludwig Krapf, der doch ein äußerst gewissenhafter
Mann ist, wird von dem rechthaberischen Engländer noch weit
giftiger behandelt (S. 125); er sei von einem ungerechtfertigten
Ehrgeiz besessen, hänge bliud an großen Problemen und sei so
hartnäckig, daß er seine Täuschungen nicht fahren lasseil wolle.
Miserably poor in facts, he is profuse of theory; noch mehr: he
seems to want altogether those habits of mental accuracy without
■\vhich active reason is a dangeroos faculty. — Science owes no-
thing to oracles, und nichts einem oberflächlichen Wissen, dem
Systemanfbauen und hohlen Prätenfionen, „Die Entdeckung des
ewigen Schnees, an welche die Herren Krapf nnd Nebmann ihr
Herz gehängt, ist aber so weit von aller Wesenheit entfernt, hat so
gar nichts Wirkliches an sich, daß sie einen gespenstischen Charakter
trägt."
So anmaßend nnd grob äußerte sich Herr Cooley, und nun
haben die deutsche» Missionare doch Recht behalten, der Schnee
ist vorhanden! —
Nachdem das Obige schon gedruckt worden war, lasen wir
Heinrich Barth's Notiz über die Reise des Herrn v. d. Deckeu iu
Nr. 31 der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Die einfache Angabe
über die Besteigung des Kilimandscharo haben wir ans dem Athe-
liänm vom 18. Jannar d. I. genommen, wo es heißt, Thorntou
habe die Reise „in Company witli a German, Baron von Decken"
gemacht. Im Athenäum wird verschwiegen, daß auf dem Berge
Schnee liegt. Wir unsererseits vermutheteu ganz richtig iu der
Art uud Weise der englischen Mittheilung und deren Fassung eine
Finte. Der Ruhm mußte doch wenigstens einem Engländer zu-
geschoben, es durfte nicht gesagt werden, daß eiu Deutscher die
Hauptperson war. Barth, der es wissen kann, bemerkt: „Der-
gänze Reiseentwurf, bie Mittel und die ganze Unter-
nehmung sind vollständig auf deutscher' Seite. Der
Kilimandscharo hat sich als weit in die Schneeregion hineinreichen-
352
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
der ausgestorbener Vulkan erwiefeit." — Es wird den auf
nichtenglisches Verdienst neidischen Leuten in Großbritannien aber
doch nichts Anderes übrig bleiben, als anch hier wieder deutschem
Unternehmungsgeiste die Ehre geben zu müssen.
Die Andamancn. Ju der Londoner ethnolog. Gesellschaft vom
14. Jan. wurde ein Anfsatz des vergleichenden AnatomenPros. Owen
über die Osteologie der Bewohner dieser Insel verlesen. Wir haben,
Globus S. 177* die Abbildung eines solchen Andamanesen, welche
photographisch aufgenommen wurde, mitgetheilt. Diese Leute sind
kühn nnd griffen sogar ein englisches Dampfboot an. Seither haben
sie stets große Feindseligkeit gegen die Fremden gezeigt. Sie gehen
ganz nackt, und die Mädchen sind im Verkehr mit Männern keinerlei
Zwang unterworfen, bis sie einen bestimmten Geinahl haben. Sie
hüllen ihre Todten in Blätter ein, so daß dieselben ein Bündel bil-
den; man schleift sie in ein Grab und läßt sie dort einige Monate
liegen, damit voll Ameisen nnd Landkrabben die Knochen abgenagt
werden. Die letzteren werden dann von deu Verwandten heraus-
gewühlt, und jeder nimmt etwas als Andenken; der Schädel
gehört dem nächsten Verwandten. Das Geripp eines Mannes,
welches Professor Owen maß, ist 4 Fuß 10 Zoll hoch, der Schädel
oval; er zeigt keine Aehulichkeit mit jenen der afrikanischen
Neger und eben so wenig mit denen der Papuas, Australier, Met-
layeu oder Mongolen. Es liegt kein anatomischer Grund vor, die
diese Nachrichten eine große Aufregung hervor; an der Hauptader
arbeitete» iu der Mitte Novembers au sechstausend Menschen,
während aus Südaustralieu und vou deu Lambing Flats andere
Tauseude herbeiströmten.
In der neuen Kolonie Queensland, deren Hauptstadt
Brisbaue ist, hatten die schwarzen Wilden neunzehn Weiße (zum
warnenden Exempel wurden 30 Eingeborene hingerichtet), darunter
auch Frauen und Kinder, ermordet.
Neb er deutsche Einwanderer finden wir in der zu Mel-
bonrne erscheinenden „Germania" folgenden Bericht: Das Schiff
„Grasbrook" von Hamburg mit dcu vou der Baumwoll-Compagnie
gemietheteu deutscheu Arbeitern ist glücklich in Brisbane angekom-
meu. Die Arbeiter wurden dort auf dem Cutter „Cleveland"
eingeschifft, um uach der Banmwollen-Pflanzung am Cabulture-
River befördert zu werde«. Beim Erreichen der Mündung jenes
Flusses hinderten Ebbe uud der Wind das Einlaufen des Schiffes
und deshalb die Landung der Passagiere. Kaum war dieses bemerkt
worden, als sich einige hundert Eingeborene am Strande sam-
melteu, und, wie gesagt wird, feindselige Absichten gegen das Landen
der Passagiere au deu Tag legten. Die Ersteren blockirteu die
Mündung des Flusses während der Dauer vou zwei Tagen,
worauf sie abzogen, weil ihnen wahrscheinlich die Zeit des Wartens
überdrüssig wurde. Eine Bemerkung, welche dieser Nachricht bei-
gefügt ist, läßt vermutheu, daß diese Demonstration der Eingebore-
neu von den dortigen Officianteu der Pflanzung angezettelt wurde,
Angriff der Andamanesen auf einen Dampfer.
Andämanefen von irgend einem der jetzt vorhandenen Contineute
herzuleiten; er will aber damit uicht sage», daß diese Leute ur-
spriingUch dort entstanden seien, wo wir jetzt sie finden.
Australien. In der Kolonie Victoria ist man hocherfreut,
daß bei Daylesford Steinkohlen, bei Cordnroy in der Nähe von
Ballarat Braunkohlen gefunden worden sind. Beide zeigen sich
sehr ergiebig uud die erstere soll deu besten englischen Kohlen gleich
kommen.
Sehr unangenehm ist man in der südlichen Sommerzeit, näm-
tlch in der Nacht vom 14. auf den 15. November, im Ballarat-
districte von einem Nachtfrost überrascht worden, der an Feld-
und Gartenfrüchten großen Schadeil anrichtete. Die Gerstenhalme
erfroren bis zum Bodeu hinab, der Hafer litt bedeutend, das Erb-
fenblatt wurde schwarz, das Kraut der Kartoffeln kräuselte sich,
alles Obst ist vernichtet und der Wein erfror bis in die Nähe der
Wurzeln. Im November hat man dergleichen dort nie zuvor erlebt.
Die Gesellschaft, welche Thiere ans fremden Klimaten in Süd-
anstralien eingewöhnt, hat ein paar nordamerikanische Moosethiere
und ein nordeuropäisches Elenn erhalten.
Der nachhaltige Goldreichthum der Lachlangegeud
ist uun außer allem Zweifel. Eine Partie hat durchschnittlich!'» Unzen
Goldes aus jedem Zuber Sandes gewaschen. Man hatte noch
zwei reiche Adern aufgefunden. In der Stadt Bathurst brachten
um die neuen Ankömmlinge in Furcht zu setzen uud sie von dem
Fortlaufen vou der Pflanzung zurückzuhalten, indem das Erscheinen
einer Abtheilung der berittenen Polizei die Eingeborenen sogleich
verjagt haben würde: „Die Deutschen scheinen durchaus einen
solchen Empfang bei ihrer Ankunft im Lande der Verheißung nicht
erwartet zu haben, uud werden um so williger bei ihrer Arbeit
bleiben, wenn sie erkennen, daß sie solche kriegerische Nachbarn
haben." _
Australische Blätter vom November berichten Folgendes: Die
südaustralische Erforfchnngsexpedition unter M'Kinlay ist nach
den angesiedelten Gegenden der Kolonie zurückgekommen. Ihren
Angaben znsolge hat sie zwölf englische Meilen vom westlichen
Theile des Coopers Creck die Ueberreste vou Leichen weißer Männer
gefunden, die allem Anschein nach von den Eingeborenen ermordet
nnd theilweife aufgefressen worden sind. — Ans Westaustralien
berichtet die letzte Post von Spuren weißer Leute, die von Demp -
ster's Partie gesunden wurden. Man meint, daß dort wie hier
die Gerippe Ucberbleibsel von Leichardt's Expedition seien. Ist
das richtig, so muß diese letztere den Versuch gemacht haben, nach
Westaustralien vorzudringen; auch lag es ja iu Leichardt's Absicht,
dorthin zu gehen. Zwei Mitglieder der Erforfchuugsexpeditiou
geben an, daß, deu Aussagen einiger Eingeborenen znsolge, die
Pferde der weißen Männer uoch am'Leben seien.
Verantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. — Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Druck von Giefecke & Devrient in Leipzig.
Festung Ana nur am Aragwi im Kaukasus.
Mündung der Wolga in das kaspische Meer und sichren nach
Petrowsky, wo ich zum ersten Mal kaukasischen Boden
betrat. Unser Zug durch Daghestan ward durch eine Reihe
von Festen bezeichnet, die mit wahrhaft orientalischer Pracht
gefeiert wurden. Ueberall beeilte man sich, dem Stellver-
treter des mächtigen Czars zu huldigen. Unsere Fahrten
während der Nacht waren wirklich feenhaft, denn etwa hun-
dert Reiter in ihren orientalischen Trachten ritten neben
unserm Zuge her; in den Händen trugen sie mächtige Fackeln,
die, mit Naphtha gespeist, ihr magisches Licht weit über die
Gegend verbreiteten.
In Kwarel, wo wir den christlichen Boden Georgiens
betraten, standen zweihundert „Fürsten" dieses Landes bereit,
den Namestnik zu empfangen. In ihren herrlichen Kleidern,
mit köstlichen Waffen und auf feurigen Kabardinerpferden,
Globus 1862. Nr. 12.
Neichthum besitzen die Inder, Geist die Europäer, aber das
Saltauat ist nur bei deu Osmanen zn finden. Die ein-
fachen aber hübschen dunkeln Uniformen der russischen Sol-
daten stachen ab gegen die lebhaften, prunkvollen Trachten
der Orientalen, die aus allen Gegenden herbeigeeilt waren,
um den Einzug des mächtigen Namestnik Bariatinsky zu
sehen. Von den platten Dächern der Häuser und den her-
vorspringenden Söllern blickten die schönsten Georgierinnen
herab, aber nicht verschleiert, wie ich sie in Smyrna und
Konstantinopel fand, sondern mit freiem, offenem Gesichte.
Aber, so schreibt Blanchard weiter, wer zählt die
Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammen kamen?
Sieben den Gebirgsvölkern, die ihre turbanartigen
Pelzmützen (Papacha) und langen Ueberwürfe (Beschmet)
trugen, standen die Linienkosaken; neben ihnen Georgier und
Georgische Edeltente. — In Tiflis. — Gebirgsvölker. — Franenschinnck, — Ein Ball. — Gepanzerte Tnschinen. — Tarantasse und
Jemtschik. — Mtzchetha, Dncheti, Anannr. — Der Terek und der Aragwi. — Das Teufelsthal und die Lawinen. — Der Darielpaß. —
In Wladikawkas. — Eine Dschignitowka.
Im Jahre 1856 ward ich vom Fürsten Alexander B a-
riatinsky eingeladen, ihn auf feiueu Zügen im Kaukasus
zn begleiten, wo er die Stelle eines kaiserlichen Namestnik
oder Statthalters einnahm. Am Bord des Dampfers Astara
verließen wir zusammen den Hasen von Astrachan an ver-
bildeten sie auf einer beträchtlichen Strecke unser glänzendes
Gefolge. Ueber Alles prachtvoll aber war unser Einzug in
Tiflis, wo der gauze georgische Saltauat in vollster Ans-
dehnnng sich zeigte. Das Wort Saltanat bedeutet Prunk,
und die Orientalen haben ein bezeichnendes Sprichwort: den
354 Globus, Chronik der Reisen
Armenier mit ihren znckerhntförmigen Kopfbedeckungen und
russische Kaufleute in Kaftanen. Nicht weit davon sahen
wir die Anhänger Ali's, angethan mit der kaukasischen
Bnrka, einem langen dicken Mantel; wir sahen den Parsi
aus Bombay, der auf der Pilgerschast uach Baku begriffen
war; er trug einen niedrigen, abgeplatteten Turban. Auf
dem Bazarplatz mischten sich Türken uud Kurden unter die
Menge, im Hintergrunde standen plumpe zweihökerige asia-
tische Kameele. Weiber waren in Menge herbeigeströmt;
meist schöne christliche Georgierinnen und Armenierinneu,
die von der Erlaubnis;, das Gesicht frei zu zeigen, den besten
Gebrauch machten. Ihre Haartracht, Tassakrani, war ge-
schmackvoll. Die Flechten ziehen sich wie ein breites Band
um den Kopf und halten den spinnwebfeinen, mit Silber
und Gold durchwirkten Musselinschleier, der sich unter dein
Kinn hinzieht, und so das Gesicht einrahmt. Ihre Kleider
sind von brennenden Farben, die Aermel ihrer ganzen Länge
nach aufgeschlitzt; das Untergewand aus schwerer Seide
wird an der Taille von einem Band zusammengehalten, in
dem ein kleiner Dolch und ein Pistol stecken. Während des
Winters tragen die Georgierinnen einen Hellrothen Sammet-
überwurs, der mit kostbarem Pelzwerk besetzt ist und auf der
Brust von drei goldenen Spangen zusammengehalten wird;
im Sommer dient ein weißer faltiger Mantel ans Baum-
wolleustoss, Tschadre genannt, der vom Kops bis auf die
Erde herabwallt, als Ueberkleid.
Nachdem in der alten, erst kürzlich vom Fürsten Ga-
garin wieder neu hergestellten, Domkirche ein feierlicher
Gottesdienst für die glückliche Ankunft des Namestnik ge-
halten war, begab sich Fürst Bariatinsky mit dem glän-
zenden Gesolge in den Regierungspalast, um die Glück-
wünsche der Würdenträger zu empfangen und ein Festmahl
zn gebeu. Gegeu Ende desselben tönte vom Hofraum ein
betäubender Lärm von Flöten und Tamburinen herauf.
Wir gingen auf den Söller hinaus, vou wo wir in das
Menschengewühl auf dem Platze hinabschauten. Alle Anwe-
senden hielten kleine Wachskerzen in der Hand, und so weit
der Blick in die benachbarten Straßen reichte, sah man in
langen Zügen Menschen mit eben solchen Lichtern heran-
drängen. Es waren die Innungen von Tiflis, mit Fahnen
und Musik, um deu Statthalter zu begrüßen. Als er auf
dem Altan erschien, tönte ein betäubendes „Hurrah" zu uns
herauf, mau schloß eiuen Kreis und in demselben traten die
besten Tänzer an, um die „Leskinka" oder wie die Georgier ■
selbst den Tanz nennen, die „Lekury" aufzuführen. Ge-
wöhnlich erscheint nur ein einzelner Tänzer in dem Kreise;
Anfangs drehet er sich auf demselben Flecke und stampft,
dann schreitet er vorwärts und rückwärts, und bewegt die
Arme wie eiu Telegraph. Zuweilen tritt wohl auch eiue
Frau in diesem Tanze auf, der selbst in der höchsten georgi-
schen Gesellschaft beliebt ist.
Unter meinen Erinnerungen aus Tiflis muß ich des
Balles erwähnen, welchen der Adel dein Fürsten Baria-
tinsky veranstaltete. Es war ein kunterbuntes Dnrchein-
ander von europäischen uud asiatischen Trachten, von russi-
schen Uniformen und georgischer und muselmännischer Beklei-
dung, von bauschigen Pariser Krinolinen und geschmackvoll
faltig niedergleitenden Gewändern der Frauen von Tislis.
Ein Nebensaal, Darbas, nach persischer Art eingerichtet,
fesselte meine Aufmerksamkeit ganz besonders. Persische
Wasserpfeifen (Kalian's) von allerhand Formen, Spiegel
mit sonderbaren Nahmen, merkwürdige Gemälde, verschie-
denartige Silbervasen und werthvolle Waffen waren auf
einem Gesims angebracht, das sich um das Gemach herum-
zog, in verschwenderischer Masse; eine große Reihe Kerzen
warf blendendes Licht auf alle diese Herrlichkeiten und aus
und Geographische Zeitung.
die geschmackvollen persischen Teppiche, welche die Wände
bedeckten. Die vom Orchester benutzten Instrumente wichen
vielfach von unseren europäischen ab; mir siel eine Art Kla-
rinette auf, der Duduk oder Salamuri, eiue Geige, Tschia-
uuri geuauut, uud der Dimplipito, das heißt ein paar scharf
tönende kleine Zimbeln.
Die Fastenzeit ward vom Fürsten Bariatinsky mit all
der Strenge gehalten, welche die griechische Kirche vor-
schreibt; Eier, Fische und Butter, die in der katholischen Welt
noch erlaubt sind, verschwanden vom Tische; man lebte mir
von Stoffen ans dem Pflanzenreiche', und genoß selbst zum
Thee nur Maudel- und keine Kuhmilch. Ostern, die Zeit
der Erlösung vom Fasten, war herangenaht, und als Zeichen,
daß dieselbeu vorüber seien, saud man in allen Häusern,
nach ächt russischer Sitte, in großer Menge Butter auf den
Tischen, die in sehr verschiedenen Formen, meist aber als
Lamm geformt, aufgetragen wurde. Die gefärbten Ostereier
waren, wie im westlichen Europa, in Jedermanns Händen,
oft aus Porzellan oder noch kostbareren Stoffen gearbeitet.
Zur Osterzeit kam auch eine Gesandtschaft der Tu-
fchiuen oder Chefsurs zum Fürsten. Dieser christliche
Stamm wohnt im Nordwesten Georgiens zwischen den Hoch-
gebirgen Daghestans und dem Lande der Osseten. Ich hatte
früher nur im Gefolge des Czars Leute in Panzerhemden
gesehen; hier standen aber die ächten Söhne der Berge in
dieser Tracht vor mir, welche in der That eiuen originellen
Anblick bot. Ihre anliegende Kleidung bestand aus einer
dicken Tunika von rother Farbe und ebeu solchen Beinklei-
dern, die bis zur Mitte der Wade reichten, wo sich dann
lederne Beinschienen anschlössen; die Fußbekleidung besteht
ans spitzen Halbstiefeln. Die Kopfbedeckung bildet ein ver-
zierter Eisenhelm, über deu eiue Biude von Kupfer hinläuft;
am Hinterkopf hängt vom Helm bis über beide Schultern
ein eisernes dichtes Maschennetz; ein eben solches befindet
sich vor dem Gesicht, welches bis zn den Augen mit dem-
selben bedeckt ist. Ueber Brust uud Rücken der Tuschinen
kreuzen sich zwei Riemen, deren einer die Patrontasche, der
andere den Schaschka hält, einen Säbel ohne Kreuzgriff
oder Stichblatt am Heft. Die Lederriemen sind mit allerlei
Buckeln und Zierrathen versehen, von Strecke zn Strecke
hängen an ihnen kleine Schnüre, die in ein silbernes Kreuz
auslaufen. Au der rechten Hüfte hängt eine silberne Büchse
mit Fett zuiu Einölen der Waffen; au der linken hängt der
lange kaukasische Dolch, Kind schall, welcher bei keinem
Einwohner dieses Landes fehlt. Vom Hals hängt an einer
langen und dünnen Lederschnur eiu runder Holzschild herab,
auf desfett Außenseite concentrische Eisenbänder mit Nägeln
angebracht sind; die Innenseite dieser Schutzwaffe ist doppelt
mit Leder gefüttert und hat nur einen Handgriff. Die Be-
wafsnnng wird durch eine lange dünne Flinte mit damas-
eirtem Laufe vervollständigt.
Diese Gesandtschast bat um die Versetzung eines ihrer
Führer, der ein Verbrechen begangen hatte. Der Namnestnik
gewährte ihre Bitte, worauf die Männer aus Dankbarkeit
einen Krieg stanz aufführten und sich in ein Scheingefecht
einließen, das nns recht deutlich die Art ihrer Kampfweise
vor Augen führte. ^
Die Zeit meiner Rückreise nach St. Petersburg nahte
heran. Der Fürst sorgte dasür, daß ich die große, durch
wüste Steppen gehende Reise mit aller möglichen Sicherheit
und Bequemlichkeit zurücklegen kouute. Zunächst war die
Auswahl eines passenden Fuhrwerkes von Wichtigkeit. Ich
nahm eine Tarantasse, das heißt russisches Fuhrwerk, auf
dessen^ hohem Bocke der Jemtschik (Postillon) sitzt. Die
drei Pferde waren neben einander gespannt, über jedem er-
hob sich ein hoher hölzerner Bogen, in dessen Mitte ein
Globus, Chronik der Reise
Glöcklein lustig klingelte. Außer einem guten Fuhrwerk sind
aber noch ein Paß und Geld in Fülle nothwendig. Wer
nur einen gewöhnlichen Paß (Poderoschnaia) hat, muß
aus jeder Station lange warten, bevor er frische Pferde be-
kommt, die dann sechs bis acht Werst in der Stunde zurück-
legen. Hat man aber einen Courierpaß, so wird man
überall mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen. Ein
Jeder ist bemüht, dem glücklichen Besitzer dieses Talismans
zu dienen, und die besten Rosse werden eingespannt. Mir
hatte der Fürst einen solchen Talisman ausgestellt, und ver-
mittelst dessen legte ich dann die weite Strecke von 2700
Werst, beinahe 400 deutsche Meilen, von Tislis bis zu den
Ufern der Newa iu acht Tagen und fünf Stunden zurück.
An einem schönen Nachmittage verließ ich Tislis; die
Luft war so rein und durchsichtig, wie ich sie nur in Attika
und Geographische Zeitung. 355
Schafpelze, Tulupen, gleichen nicht im Geringsten den
sauberen Uniformen der russischen Garde; was aber die Er-
scheinung dieser Truppen an militärischer Gleichförmigkeit
verliert, gewinnt sie in malerischer Beziehung wieder. Dem
Kosakenpulk folgten eine große Anzahl Gepäckwagen, beladene
Pferde und Kutschen der Offiziere.
Mischeta (Mtzchetha), an der Mündung des Aragwi
iu den Kur, war iu früherer Zeit von großer Wichtigkeit für
Georgien, dessen Hauptstadt es bis in's sechste Jahrhundert
gewesen ist. Jetzt bildet es nnr einen kleinen Marktflecken,
der kaum uoch an den ehemaligen Glanz erinnert. Die
schöne, im byzantinischen Style erbaute Kirche ist die Be-
gräbnißstätte der alten Könige von Georgien; sie steht von
einer großen Anzahl zum Theil verfallener Gebäude umge-
ben, in denen einst Mönche wohnten. Herr v. Gille (in
Tschertowaia Dalinci, Z
gefunden hatte; die fernsten Gegenstände erschienen klar und
deutlich, und das stolze Haupt des Kasbek, mit Schnee be-
deckt, hob sich weißglänzend voin Horizonte ab. Durch bunte
Wiesen, deren würzige Blumen uns ihre Düfte zusandten,
flogen unsere Fuhrwerke schnell dahin. Der Fluß Kur,
der Cyrus der Alten, lag 31t unserer Rechten und sandte
seine schmutzig braunen Wogen dem kaspischen See zu. Er
ist nur bis etwa dreihundert Werst unterhalb Tiflis schiffbar,
obgleich seine Wasfermenge bei dieser Stadt nicht unbedeutend
erscheint, zumal wenn der Schnee im Kaukasus zu schmelzen
beginnt.
Ehe wir Mtzchetha erreichten, begegnete uns ein Regi-
ment donischer Kosaken. Von einer eigentlichen Uniform ist
bei ihnen keine Rede, da Alles, sogar das Pferd, den Leuten
selbst gehört. Jeder kleidet sich nach Belieben, und die alten
felSthal, im Kaukasus.
seinen Briefen aus dem Kaukasus) erwähnt dieser schönen
Kirche mit folgenden Worten: „Die alte Kirche von Sweti
Tfchoweli, zu welcher Mirian, König der Sassamden, der im
Jahre 318 zum Christenthum übertrat, deu Grund legte,
ward nach ihrem Verfall int fünfzehnten Jahrhundert vom
König Alexander nach dem alten Plane wieder aufgebaut.
Sie ist aus rothem Porphyr im alten georgischen Styl er-
baut; in ihr wurden die georgischen Könige gekrönt und
begraben; ihre Leichensteme sind jetzt dem Pflaster der Kirche
einverleibt; die der beiden letzten Könige, Heraclins und
Georg, ließ Czar Alexander der Erste restanriren."
Der Weg bis zu der kleinen Stadt Dncheti, wo wir
Nachtlager hielten, bot nichts Bemerkenswertes. Die Felder
waren besser bebant, als in anderen Gegenden des Kaukasus,
die Herberge war wie andere georgische Schenken niederer
45*
Der Dariel-Engpaß im Kaukasus.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
357
Art (Dukans) und ich machte mich schon auf eine schlaflose
Stacht gesaßt. Einer meiner Reisegefährten war jedoch mit
den Verhältnissen des Landes besser bekannt als ich, und
führte uns in ein hübsches Haus mit schönem Garten. Der
Hausherr erschien sogleich; die grünen Aufschläge seiner Uni-
form bezeichneten ihn als einen Straßenbaubeamten. Mit
freundlicher Miene stellte er uns sein ganzes Haus, ganz
nach unserem Belieben, zur Verfügung. Bald brodelte
Wasser in dem Samovar (dem russischen Theekesfel) und
der herrlichste Karavansky tfchaj (Karavanenthee) erquickte
uns.
Von Dncheti an wurde der Weg immer steiler, wir nä-
Herten uns deu Hochgebirgen. Zn unserer Rechten schäumte
der Bergstrom Aragwi in seinem steinigen Bette; bei einer
Quelle fanden wir eine georgische Familie, welche Rast ge-
beleidigten Familie zog mit ihren Mannen vor das Schloß
und erstürmte dasselbe trotz der festen Lage. Die Verthei-
diger wurden niedergemetzelt, die ganze Familie des Räubers
ausgerottet und die Mauern des stolzen Schlosses sind ge-
schleift worden.
Wir befanden uns nun schon in den Gebirgsschluchten,
aus denen der Aragwi hervorströmt, und die nur einen
engen Weg für Reisende frei lassen. Hier liegt zur Ver-
theidiguug des Engpasses die Feste Ana nur. In dem un-
bedeutenden Dorfe gleichen Namens sind zwei dem heiligen
Chitobel geweihte Kirchen; sonst findet man nichts Bemer-
keuswerthes. Früher war hier auch der Sitz der Eristaff
(d. h. Volkshäupter) vom Aragwi; sie waren einst die mäch-
tigsteu Vasallen der Könige von Georgien.
Die Bergschluchten sand ich mit Hochwald und Unter-
Eine Dschigmtowka in der kaukasischen Steppe. (<S.3.">9.)
macht hatte, um die Pferde zu tränken. Es war ein male-
rifcher Anblick.
Zn unserer Linken erhoben sich steile Berge, die von
Strecke zu Strecke mit Wartthürmen besetzt waren. Nicht
weit abseits lagen die Ruinen eines alten Schlosses, das auf
einem Kegelberge wie ein Schwalbennest angebaut war und
säst uneinnehmbar schien. Hier ereignete sich gegen Ende
des vorigen Jahrhunderts eine Geschichte, wie man sie int
Mittelalter zu Zeiten der Raubritter und Blutrache erlebt
hat. Ein Fürst N. N., Besitzer dieses Schlosses, sah ans
der durch das Thal ziehenden Straße eine hübsche junge Frau
mit Kaplan und Dienerschaft vorüberreisen. Er bemächtigte
sich der Schönen und schickte deren Kleider, gleichsam zum
Hohne, ihren Anverwandten. Eine furchtbare Rache war
die Folge dieses Bubenstreichs. Die ganze Sippschaft ver-
holz bedeckt; von Zeit zu Zeit begegneten uns in ihnen kleine
Mauleselkaravauen, die von Osseten geführt wurden. Die
Thiere waren stark beladen, neben denselben ging der Treiber,
init seiner langen Flinte auf der Schulter, und den Dolch
an der Seite. Ich glaubte ein Bild ans den Sierren Spa-
niens vor mir zu haben.
In Paffanaur hielten wir Mittagsmahl. Hinter
diesem Flecken begann das Hochgebirge, das uns noch von
Europa schied; jetzt nahmen wir nun von den schönen trans-
kaukasischen Ländern Abschied.
Aus Befehl des Fürsten Bariatinsky hatte sich hier ein
Straßenbaubeamter uns angeschlossen, um uus über die ge-
fahrvollsten Stellen des Weges zu geleiten. Für unsere
Wagen ward Ochsenvorspann genommen, ich selbst ritt zu
Pferde voraus. In einer wunderschönen klaren Nacht, deren
358
Globus, Chronik der Reisen nnd Geographische Zeitung»
Stille nur durch das Quaken der Frösche unterbrochen ward,
laugten wir in Kaischannr an, wo Nachtruhe gehalten
ward. Doch schon vor Tagesanbruch brachen wir wieder
aus. Der am Tage gefallene nnd von der Sonne anfge-
thante Schnee war über Nacht wieder gefroren; das verschlug
indessen unseren Kosakenpferdchen nichts, sondern sie trabten
munter darüber weg. Die Straße war abschüssig, und zu
unserer Linken konnten wir beim Funkeln der Sterne eine
mit Schnee bedeckte Bergkette unterscheiden. Nach und nach
brach der Tag au, der Himmel färbte sich mit den schönsten
Tinten, die Umrisse der Berge traten deutlich hervor und ich
konnte den zurückgelegten Weg erkennen. Nun waren wir
auf der höchsten Stelle, die wir zu übersteigen hatten. Der
Weg, eben noch breit genug für uns, schlängelte sich zwischen
mächtigen Felsblöcken hindurch, die vou deu benachbarten
aber gerade an einem der engsten Punkte begegnete nns eine
ossetische Karavane, in der sich eine Anzahl stark beladener
Manlthiere befanden. Diese Leute waren indeß auf derlei
Fälle fchou vorbereitet; sie stellten ihre sicheren Thiere in
langer Reihe an dem tiefen Abgrunde auf und ließen uns
den freien Durchgang ; wie sie unseren nachfolgenden Wagen
auswichen, weiß ich nicht.
Nachdem wir diese gefahrvollen Engpässe etwa vier
Werst weit durchzogen hatten, erweiterte sich der Weg und
wir kamen am Fuße der Bergspitze an, ans welcher jenes
Kreuz steht, das dem Durchpaß dem Namen gab. In dem
vor nns liegenden Thale konnten wir die noch frischen Spn-
reu vou vierzig Lauinen beobachten; zwei derselben waren
erst am verflossenen Abend gefallen. Unten, tief im Thale,
sahen wir unfern Wagen gerade einen abschüssigen Weg
Sion und Orsete im Kaukasus.
Bergen herabgestürzt waren. Etwa dreitausend Fuß unter
uns wand sich der Aragwi durch ein wildes Thal. Dieser
schöne Fluß, dem wir vou Mischeta an gefolgt waren, führt
hier iu seinem oberu Laufe deu Namen Tschernaja Rjetschka,
schwarzer Fluß. Vor uns lag der Berg Guda oder, wie die
Russen ihn nennen, Krestovaja Gora, Kreuzberg, weil hier
im Jahre 2 824 der General - Gouverneur des Kaukasus,
Fürst Aermoloff, als Zeichen der Herrschaft des heiligen
Rußlands über diese Länder, ein Kreuz ausrichtete.
Allmälig verengte sich der Weg so sehr, daß er eben
nur noch breit genug war, um einen einzigen Wagen hin-
durch zu lassen. An den steilen Abhängen des Kreuzberges
hatte sich der Schnee zusammengeballt, und wir sahen zwei
oder drei gewaltige Lauinen hernieder stürzen. Unsere Füh-
rer riechen zu näherem Aneinanderhalten unserer Reitthiere;
hinabfahren; zwei Paar Ochsen waren vorgespannt und
vier Paar dienten hinten als Hemmschuh. Au diesem Orte
störten wir auch die Mahlzeit einiger Wölfe, die sich an dem
Fleische eines frisch gefallenen Maulthieres sättigten, welches
die Osseten, die vor uns den Weg passirten, zurückgelassen
hatte».
Das Thal, iu beut wir uns nun befanden, führt den
romantischen Namen Tschertowaja Dalina, Teufels-
thal; und die wilde, felsige Gegend rechtfertigt denselben in
der That. Au diesem Orte ward im Frühjahr 1855 der
russische General Bartolom«, als er einen Transport tür-
kischer Gefangenen hier durchführte, vou einer Lauine ver-
schüttet und hatte beinahe das Leben verloren. Bei dem
Geschrei: eine Lauine! entstand eine große Verwirrung.
Der gauz in Pelzwerk eingehüllte General saß in einem
Globus, Chronik der Reise
Schlitten und sah, daß für ihn keine Rettung sei. Da be-
fahl er seine Seele Gott. Der Schlitten ward ganz von
Schnee umhüllt und in das Thal tief hinab geschleudert.
Ein Diener des Generals, welcher der Gefahr entronnen
war, hatte sich den Ort gemerkt, wo sein Herr hinab gestürzt
war, und rief die Kosaken imd einige in der Nähe befindliche
Osseten zu Hülse, die nach einer Stunde Arbeit den General
auch glücklich aus dem Schnee ausgruben. Er erzählte, daß
ihn hauptsächlich die unbequeme Lage seiuer Arme und Beine
gepeinigt habe; das Athmen war nur erst später schwer ge-
worden, im Uebrigeu besaud er sich in einem angenehm-
warmen Zustande und spürte uichts von Kälte. Vierzehn
Menschen verloren durch diese Lauine ihr Leben.
Die Osseten entrinnen meist durch ihre Geschicklichkeit
im Springen und ihre Erfahrung den drohenden Lauinen.
Bald darauf kamen wir durch ein ossetisches Dorf, einen
ärmlichen Haufen von Strohhütten, wo nun alle Gefahr
vorüber war. Hier wurde der Weg schon so gut, daß wir
unsere Thiere in Galopp setzen konnten; als wir den Flecken
Kobi erreicht hatten, bemerkten wir an mancherlei Dingen
wieder den Einfluß abendländischer Kultur.
Aus einem Verseheu war die Tarantasse, die uus von
hier weiter bringen sollte, noch nicht angelangt, wir behalsen
uns daher mit zwei russischen Telega's, die auch eiu ausge-
zeickmetes Fuhrwerk sind, und besonders von den russischen
Couriren, die man mit dem deutschen Namen „Feldjäger"
bezeichnet, gebraucht werden.
Vor uns öffnete sich das Thal des Terek, zu unserer
Linken jenes des Baidar, welcher ihm zuströmt. Mitreißender
Schnelligkeit fuhren unsere ossetischen Iemtschiks au den ge-
fahrvollsten Stellen hin, ohne auch nur den Galopp der edlen
Pferde zu mäßigen, und das schöne Thal des Flusses flog
an unsere» Blicken vorüber. Meist wälzte sich der Terek
durch große Felsenblöcke; an eiuer Stelle engen ihn zwei
hervorragende Felsen ein; auf jedem derselben erhebt sich
eine alte georgische Burg. Auf dem linken Ufer liegt das zer-
störte Orsete, ans dem anderen das besser erhaltene Sion.
Zn unserer Rechten traten nun die Berge immer mehr
zurück, auf der Linken aber erschien hinter den schäumenden
Wogen des Terek der riesige Kasbek, der in seiner ganzen
Herrlichkeit bei dem Dorfe gleichen Namens vor uns lag.
Die weiße Schneehaube hob sich prächtig von dem blauen
Himmel ab; seine Höhe beträgt 16,533 Fuß englisch, über-
steigt also die des Moni Blaue um beinahe 2000 Fuß.
Ter Name Kasbek ward ihm von den Russen gegeben; sein
georgischer Name ist Mkinvari, Eisberg, die Osseten
nennen ihn Kinuli, weißer Berg.
Der Weg führte uns nun zunächst durch den berühmten
Engpaß von Dariel (Caucafi Pylä, die Pforten des
Kaukasus). Es ist bei Weitem das Großartigste, was ich
au Gebirgspässen auf meinen Reisen gesehen habe. Zwei nn-
geheure Felsenwände erhoben sich senkrecht bis an die Gränze
des ewigen Schnees; zwischen ihnen durch tobte der brau-
sende Terek, überall gegen die zahlreichen in seinem Bette
liegenden Felsblöcke anprallend. Der Weg, der in das Ge-
stein eingehauen wurde, und auf dem wir uus fortbewegten,
ist nur etwa zehn Fuß breit. Wer ihn beherrscht, hat die
von Europa uach Asien führende Militärstraße in seiner
Gewalt; hier sind die Thermopylen des Kaukasus.
Am Ausgange dieser Schlucht liegen auf der einen Seite
des Flusses die Ruinen eines alten georgischen Schlosses,
und Geographische Zeitung. 359
auf der andern erhebt sich stolz eine kleine russische Feste,
welche vollkommen hinreicht, den Paß zu deckeu.
Bei Lars wird das Land schon offener, die Berge sind
weniger hoch und treten zurück. Der nun nicht mehr ein-
geengte Terek, welcher hier aus dem Hochgebirge tritt, läßt
aber diese Gegend manchmal seine ganze Gewalt fühlen,
seine Überschwemmungen richten fürchterliche Verwüstungen
an und scheinen in Zeiträumen von sieben zu sieben Jahren
wiederzukehren. Hier hatte er vor Kurzem eine herrliche
Porphyrbrücke zerstört, die vorerst durch eine hölzerne er-
setzt war.
Der Weg, auf welchem wir nach Wladikawkas ge-
langten, gehört zu den schönsten der ganzen Umgebung.
Nach Westen hin dehnt sich bereits die Steppe ans, während
im Osten hübsch abgeruudete Berge mit dem schönsten Laub-
Walde den Blick erfreuen. Wladikawkas, das heißt Zwing-
kankafns, ist bis jetzt eine rein militärische Stadt, sie wird
aber wohl, seitdem das umliegende Land nicht mehr von
Kriegen heimgesucht ist, bald auch einen bürgerlichen Anstrich
erhalten. Die Tscherkessen nennen die Stadt Terek-Kala.
Potemkin gründete sie, um dorthin sein Hauptquartier und
zugleich deu Mittelpunkt seiner Armee zn verlegen, die sich
mit dem rechten Flügel an das Schwarze Meer, mit dem
linken an den kaspischen See lehnte. Jetzt hat Wladikaw-
kas den größten Theil seiner frühern Bedeutung verloren,
weil der Statthalter in Tiflis wohnt. Vom Flusse her be-
trachtet scheint die Stadt sehr beträchtlich zu sein; aber die
Plätze und Straßen sind so breit und die Promenaden so
weitläufig, daß sie den größten Theil des Raumes einneh-
men; dabei sind die Häuser niedrig, so daß der Ort nur eine
Stadt vierten oder fünften Ranges ist.
Von nun an ging die Reise durch die ebene, grüne, mit
Blumen überdeckte Steppe. In einem großen Dorfe machten
wir Halt. Alle diese Dörfer, welche sich in einer Linie vom
kaspischen bis zum Schwarzen Meere hinziehen und eine Kette
um deu nördlichen Kaukasus bilden, haben eine soldatische
Bevölkerung, und werden deshalb als Stanitzen bezeichnet.
Die männlichen Bewohner sind gut ausgerüstete Linienkosa-
ken, alle wohl beritten und bewaffnet; wenn sie keine Sol-
datendienste zu versehen haben, bebauen sie ihre Felder;
Alles steht unter militärischer Gewalt; und diesem Umstände
verdankten wir es auch, daß der befehlhabende Oberst der
Stanitza, in welcher wir Rast gemacht, uns ein eigenes
Schauspiel, die Dschiguitowka, vorführen ließ. Wenige
Minuten nachdem der Befehl ansgetheilt war, erschienen
vor uns vierzig Kosaken, um eins der herrlichsten Reiterspiele
auszuführen. Bei unseren Kunstreitern habe ich dergleichen
Kraftstücke nie besser gesehen. Sie machten die schönsten
Schwenkungen und Wendungen, luden ihre Flinte» im voll-
steu Galopp, warfen ihre Mützen und Pistolen während des
Rennens auf den Boden, sprangen herab, um sie aufzuheben
und waren im Nu wieder im Sattel. Ueber eine Stunde
belustigte» mich diese Centauren, die mit ihren Pferden in
Eins verwachsen zu sein schienen. Aber meine Tarantasse
stand zur Abfahrt bereit, ich mußte weiter. Eine Strecke
von zwölf Werst weit begleiteten mich fünfzehn Kosaken und
zeigten fortwährend ihre Kunststücke, während mein Wage»
im schnellsten Galopp dahin fuhr.
Ueber Jkaterinograd und Georgiewsk gelangte ich nach
Stawropol und nahm dort vom Kaukasus und seiner Gast-
srenndschast Abschied.
360
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Die nordamerikanischen Verhältnisse.
Von Karl Andree.
Dritter Artikel.
Die Präsidentschastscandidaten. — Lincoln, Candidat der republikanischen Partei, gewählt. — Die Forderungen des Südens. —
Politische Programme des Borderstaates Kentucky und des Banmwolleiistaates Mississippi. — Die gegenseitige Erbitterung. — Der
Cougreß. — Die Wide Awakes nnd die Minute-Men. — Die ersten Schritte zur Secessiou. — Das Ende der Union.
Bevor wir in unseren Erörterungen weiter gehen,
wollen wir ein Moment von großer Bedeutung hervor-
heben, das zum ersten Male sich bei der Präsidentenwahl
von 1860 geltend machte. Früher lag der Schwerpunkt
der Union in den Staaten am atlantischen Ocean, aber all-
mälig hat er sich, in Folge der Einwanderung, immer mehr
über die Alleghauies hinaus in das große Mississippithal !
gerückt, dorthin, wo einst der Indianer den Büffel auf den |
Prairien jagte. Hier sind die Städte wunderbar rasch empor-
gewachsen, und die westlichen Staaten bilden nun die
eigentlichen Mark- und Kernländer. Eine Million Men-
schen nach der andern drängte sich in den Westen hin an die
großen Seen, an den Mississippi, in die Wiesenflächen bis an
die Ausläufer der Felsengebirge. Dieses große Mississippi-
becken bildet ein geographisches Ganze, das man nicht dritteln
oder sünsteln kann; es wird also schwierig sein, hier eine
Gränzscheide zwischen getrennten Staatengruppen zu finden.
Nnn hat dieser Westeu zum ersten Male seine Bedeutung
geltend gemacht; alle vier Präsidentschafts-Cau-
didateu waren „Männer des Westens": Bell aus
Tennessee und Breckinridge aus Kentucky gehören
Sklavenstaaten an; Douglas und Lincoln waren Beide
aus dem freien Staate Illinois.
Lincoln's Partei siegte mit ihrem Programme, aber sie
gewann nur eine „Pluralität"; die Mehrheit hatte sie gegen
sich und die Minderheit ist zur Regierung gelaugt. Dem Buch-
staben des Gesetzes zufolge ist sie dazu vollkommen berechtigt;
es bleibt lediglich die Schuld ihrer Gegner, daß sie sich zer-
splittert haben. Aber mit Lincoln sind die Männer an's
Ruder gelangt, welche seit Jahren dem Süden feindselig
gegenübertraten, welche, entgegen den Bundesgesetzen und den
Entscheidungendes höchsten Gerichtes, die Personal-Liberty-
Acts erließen, jene nördlichen Nullifiers, die Berkün-
diger des unausweichlichen Kampfes, die Männer,
welche die „Unverträglichkeit der weißen und der schwarzen
Arbeit" ans ihre Fahne geschrieben 'hatten. Viele von ihnen
haben erklärt, daß die Sklaverei überhaupt ausgerottet werden
sollender Süden sagte dagegen, er könne sie nicht ausgeben,
wenn er auch wolle.
Man würde die gewaltige Krisis, welche Nordamerika
durchbebt und bis in den Grund auswühlt, völlig verkennen,
wenn man sie (wir haben es schon früher betont) für etwas
Anderes als eine große Revolution halten wollte. In der
That handelt es sich nicht um eine Rebellion, sondern um
eine völlige Umwälzung. Anarchie und Revolution
waren tatsächlich seit sechs Jahren vorhanden;
die Un v ertr ä gl ich kei t war hüben und drüben längst zu
Tage getreten, das wechselseitige Verständniß den Menschen
längst abhanden gekommen. Beide Theile haben das Gesetz
mißachtet und unter die Füße getreten, und an böser Leiden-
schaft mit einander gewetteifert. Aber nie darf man außer
Acht lassen, daß der sklavenhaltende Süden-der an-
gegrisseue, gehetzte nnd planmäßig mißhandelte
Theil war. Er wurde der unaufhörlichen Aufstachelungen
am Ende müde. Die Secessionserkläruugen siud ein Wieder-
hall von Helper's Buche, der Congreßreden der Republi-
kaner und der Persoual-Liberty-Gesetze gewesen.
Lincoln's Erwählnug war vorauszusehen, trotzdem der
Süden gewarnt nnd sich bis zu Drohungen vergessen hatte.
Diese waren bei dem ungeheuer gereizten Znstande der Ge-
müther begreiflich und erklärlich. Die Gährung in den
sklavenhaltenden Staaten kam gleich nach der November-
wähl zum Ausbruche. Die republikanische Partei hatte
erklärt, daß sie sich an ihre Chicago-Platform „angenagelt"
habe und zu keinerlei Nachgiebigkeit, zu keinem Compro-
miß herbei laffeu werde. Sie wollte nicht berücksichtigen,
daß von Anfang an das gemeinsame Leben der großen, zn
einem gemeinsamen Staatenbunde vereinigten Gruppe bis
auf deu heutigen Tag ans Compromissen beruht hat; sie
vergißt, daß ohue gegenseitige Nachgiebigkeit nnd Duldsam-
keit eine Verbindung von 34 Staaten, welche die ganze
Breite des Contiueutes einnehmen und so verschiedene Be-
dingungen der Existenz haben, platterdings unmöglich
erscheint.
Also kein Com pro miß! riefen die Republikaner.
Dann Trennung! entgegnete der Süden.
Was hatte der letztere verlangt? Worauf berief er
sich „laut der Bundesverfassung, den Compromissen von
1850 und der Billigkeit?" „Wir verlangen, als uns ge-
bührendes, in der Bundesverfassung begründetes Recht,
1) daß wir in die Territorien, so lauge sie uoch nicht
Staaten sind, Sklaven mitbringen dürfen. Ob dann später,
wenn das Volk sich eine Staatsverfassung giebt, der Staat
sklavelchaltend fein will oder nicht, das hat das Volk des
betreffenden Staates zn entscheiden.
2) Wir verlangen Widerrufung der verfafsnngs-
widrigen Persoual-Liberty-Gesetze.
3) Wir verlangen, daß man einem Sklavenbesitzer,
der mit seinem Neger in einem nicht sklavenhaltenden Lande
reist oder sich dort zeitweilig aufhält, jenen Neger nicht
stehle, um ihn für frei zn erklären.
4) Der Congreß soll sich nicht in die Sklavenfrage
mischen, weil er dazu verfassungsmäßig gar nicht befugt ist."
Das Alles sind durchaus billige und gerechte
Forderungen. Die Republikaner wollten sie nicht erfüllen
und die Union zerfiel. Die letzten Brückenpfeiler waren durch
den Fanatismus abgebrochen.
Ehe wir die Trennung schildern, müssen wir hören,
wie der Süden seine Handlungsweise zu rechtfertigen suchte.
Wir wählen aus der Menge der uns vorliegenden Urkunden
die Erlasse zweier Gouverneure aus, und zwar aus einem
der Union ergebenen Sklävenstaate und aus einem Baum-
wopenstaate.
Gouverneur Mac G off in von Kentucky sagte im
November! 1860: „Lincoln's Wahl kann an und für sich
keinen Grund für Rebellion oder Scheiden aus der Union
abgeben. Allerdings ist er durch die sectionelle Partei
erwählt worden, nach sectionellen Ideen und einer rück-
sichtslosen sectionellen Feindschaft gegen Einrich-
tnngen, welche der Süden nicht ausgeben wird. Aber er
ist gewählt worden. Kentucky erklärt, daß er seine Grund-
sätze, welche lediglich s ectionell sind, nicht zur Geltung
bringen darf oder soll. Die Väter der Republik, Washington
voran, haben uns vor der Bildung einer sectionellen Partei
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
361
gewarnt, weil in ihr, und in ihr allein, die Gefahren für
die Freiheit des Volkes und für die Sicherheit des Bnndes
liegen. Auf diese Mahnung hörten die Republikaner uicht,
sondern bliud und toll uud ohne die Folgen zn bedenken,
haben sie erklärt, das Land könne nicht halb frei und halb
sklavenhaltend sein, und alle Sklaverei müsse abgeschafft
werden. Sie haben gedroht, uns über kurz oder lang unseres
Eigenthnmes berauben zn wollen, und in den freien Staaten
ist diese Drohung schon vielfach ausgeführt worden. Unseren
Bruderstaaten des Südens können wir Kentnckier sagen,
daß wir weit mehr Ursachen zn Beschwerden finden als sie,
denn wir liegen an der Gränze. Die Abolitionisten haben
uns immerfort Neger gestohlen, wir haben alljährlich große
Verluste erlitten; man hat sich geweigert, das Gesetz über
flüchtige Sklaven zu vollziehen, man hat das Leben ihrer
Eigenthümer gefährdet, man hat die Bnndesbeamten, welche
ihre Pflicht thnn wollten, mit Schmach und Schande über-
häuft. Die Gouverneure von Wisconsin und Ohio haben
die Gesetze zu unserrn Nachtheil und Schaden öffentlich ver-
höhnt. Und wir könnten uns
uoch über manches Andere be-
schweren; aber ich meine nicht,
daß wir die Union deshalb ver-
lassen sollen, weil ein Mann Prä-
sident wird, der auf einer uns
anstößig erscheinenden Platform
steht. Wir möchten gern die Rolle
des Friedensstifters übernehmen
und ausgleichen. Euch im Nor-
den sagen wir ruhig, aber fest:
Ihr dürft unsere verfassnngs-
mäßigen Rechte nicht kränken, ihr
dürft das höchste Gericht des Lan-
des und Bundes nicht verhöhnen.
Ihr müßt den Fanatismus, die
blinde Leidenschaft, das Rache-
gefühl und die Gewaltthätigkeit
ablegen, denn wir unsererseits
siud fest entschlossen, unsere
Verfassung sm äßigeu Rechte
auf Tod und Leben zu vertheidi-
geu. Wir dulden keinen Angriff,
wir vertheidigen die Union. Nur
möchten wir hoffen, daß Lincoln
seine Drohungen nicht ausführe;
vielleicht halten Vernunft und
Gerechtigkeitsgefühl ihn davon ab. Ein Tollhäusler oder
Bösewicht tritt mir vielleicht auf dem Wege vor meinem
Hanse entgegen und drohet, daß er mich berauben und meine
Gebäude in Brand stecken wolle. Ich kann ihn für einen
Prahler halten, der feine Drohungen nicht ausführt. Ver-
sucht er es aber, kommt er nur über den Zaun, legt er wirk-
lich Hand an, uuu, dauu ist es immer uoch Zeit, daß ich deu
Halunken niederschieße. Also wollen wir auch jetzt noch den
Republikanern mit Vernunftgründen gegenübertreten, wollen
ihnen unermüdlich Gegenvorstellungen machen und auf alle
Fälle warten, bis sie Hand an's Werk legen. Wenn aber
das Letztere geschieht, dauu kann und wird Kentucky sich den
südlichen Staaten anschließen. Diesen Gang gebietet die
Besonnenheit. -Ich möchte mich uoch immer der Hoffnung
hingeben, daß im Norden die Leidenschaften sich abkühlen
und den Leuten dort die Einsicht komme, wie sehr ihre eigeue
Wohlfahrt von der Zwangsarbeit der Neger bedingt sei.
Vielleicht giebt es dort auch Leute, welche sich durch den
Augenschein und die Erfahrung belehren lassen, daß der
Sklav in sittlicher, geselliger und religiöser Beziehung bei
Globus für 1862. Nr 12.
Abraham Lincoln, Präsident dcr nördlichen Union.
uns besser daran ist, wie als freier Farbiger; denn dieser ist
ein träger Landstreicher, ein armseliger Mensch, eine Last
für Andere. Oder wäre dem nicht so in den freie» Staaten?
Weshalb gaben sie denn Gesetze, welche dem freien
Neger den Eingang in freie Staateu verbieten?
Vielleicht komme» die Leute noch zn der Einsicht, wie sehr
sie sich haben irre leiten lassen durch ehrgeizige, rück-
sichtslose, gefährliche und talentvolle Dema-
gogen, die auch das Aeußerste uicht scheuen, um Aemter
zu erjage»."
Diese Ansichte» sind von Bedeutung, weil sie die Ueber-
zengung der Border - Staaten aussprachen lind weil alle
Gouverneure derselben sich i» ähnlichem Sinne erklärten.
Aber weiter nach Süden hin war besonders seit dem Aus-
treten der Republikaner und seit Sewards Verkün-
diguug eines unausweichlichen Conflictes, eiue
Partei thätig, welche sich von der Ueberzeugung durchdrungen
fühlte, daß überhaupt mit dem Norden keine ehrliche
Ausgleichung mehr möglich sei, uud daß der Süden
deshalb wohl thue, je früher desto
besser, aus der Union zu scheiden.
Durch das rücksichtslose Auftreten
der Abolitiouisteu und Republika-
ner gewann diese Partei der sü d -
lichen Secessivuisten oder
F e u e r fr e ff er ungemein an Ver-
breituug, und als es sich heraus-
stellte, daß iu der That keine Hoff-
nnng mehr fei, die oben erwähn-
ten Forderungen befriedigt zu
sehen, wiesen sie darauf hin, wie
richtig der Gang der Diuge von
ihnen vorausverküudet worden
sei uud trieben dann zu raschem
Austreten. Die Ausichteu dieser,
zunächst in den Baumwollen-
staaten siegreichen Partei hat
Gouverneur Pettus aud Mis-
sifsippi nach Lineoln's Erwäh-
luug scharf ausgesprochen.
,,Der Nordeu hat fein Ver-
diet dahin abgegeben, daß die
Sklaverei sündhaft wäre und be-
seitigt werden solle. Das sagt er
zu fünfzehn Staate», als ob sie
erobertes Land feie». Unter-
werfung unter ei» solches Gebot ist »»statthast. Man
könnte eben so leicht erwarten, daß ein mit Wahn-
sinnigen bemannter Dampfer die Reise über deu Oceau
glücklich zurücklegen wolle, als man hoffen dürfte, daß der
Süden unter der Herrschaft der Schwarzrepublikauer zu
gedeihen vermöchte. Sie haben ihre niedrige Selbstsucht
dadurch bethätigt, daß sie alle Gebiete, welche doch ge-
meinsames Eigenthum des Bundes siud, für sich
allein in Beschlag nahmen. Sie haben mit Vorbedacht die
Jugend im Hasse gegen den Süden aufgezogen. Sie haben
die Bundesverfassung beschworen uud doch mit Vorbedacht
Staatsgesetze gegeben, welche eine der klarsten Bestimmungen
dieser Verfassung beseitigen. Sie haben Eongreßmitglieder
mit Geld bestochen, um Gesetze iu ihrem Interesse durchzu-
bringen. Sie habe» stets darnach getrachtet, uns iu den
Augen anderer Völker zu erniedrigen, sie haben uns als
Barbaren, Piraten und Räuber geschildert, die mau weder
als Christen noch als eivilisirte Menschen betrachten dürfe.
Sie haben unsere Sklaven zum Aufstand angereizt, die-
selben aufgehetzt, unser Eigenthum einzuäschern, unsere An-
40
362
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
gehörigen zu morden, und haben ihnen Waffen gegeben,
nm sie in solchem Antigen Werke zu unterstützen. Und
wenn südliche Männer, nach Borschrift des Gesetzes,
ihrer flüchtigem Sklaven wieder habhaft zu werden suchten,
dann haben sie diese südlichen Männer ermordet und die
Mörder sind unbestraft geblieben. Sie haben Geld und
Waffen hergegeben, damit ein sklavenhaltender Staat (Vir-
ginien durch John Brown) überfallen werden konnte; und
als der Unruhestifter mitten unter Mord und Verrath
ergriffen und abgestraft wurde, haben sie geschworen, Rache
dafür zu üben. Sie haben zn Ehren eines blutbesudelten
Hochverräthers und seiner Genossen die Kirchenglocken ge-
läutet und seine Familie so belohnt, wie noch nie die Familie
eines rechtschaffenen Kriegers belohnt wurde, der bei Ver-
theidigung des Vaterlandes seinen Tod fand. Presse,
Kanzeln, Hör- und Gerichtssäle erschallen jeden
Tag und jeden Abend von Ermahnungen an das
Volk, unseren Einrichtungen den Krieg zu erklä-
reu. In Hinblick auf dieses lange Verzeichniß von Belei-
dignugen und Schmähungen, in Anbetracht, daß die uns
feindselige Section an Macht wächst, bin ich vollkommen
berechtigt, zn erklären, daß das Volk des Nordens alles
Vertrauen des Volkes von Mississippi verwirkt habe, und daß
wir Herrschern, die von solchen Leuten gewählt wurden,
unser Eigenthum eben so wenig preisgeben dürfen, wie unsere
Freiheit. Darüber ist das gesammte Volk des
Südens einig, denn der zum Präsidenten er-
wählte Manu hat in unseren fünfzehn Staaten
auch uicht eine einzige Eleetorenstimme erhalten.
So lange unsere nördlichen Feinde uns nur in der Presse,
durch Pöbelhaufen und durch ihre Staatsregiernugen befeh-
beten, hielten bei uns viele der besten Männex dafür, daß
wir uns mit Hülfe der Bundesregierung wohl noch verthei-
digen uud also in der Union verharren könnten. Nachdem
aber durch die neuesten Wahlen entschieden ist, daß die
Bundesregierung denselben Leuten überantwortet werden
solle, welche sich aller jener Gewalttaten gegen uus schuldig
gemacht, wäre es Thorheit und Wahnsinn, von einer solchen
Regierung Schutz zu erwarten. Wenn wir länger in der
Union bleiben, so kräftigen wir nur den Arm, welcher Streiche
gegen uns führt und benehmen uns die Macht, solche Schläge
zu erwidern. Ich sehe unr noch einen einzigen Weg der
Ehre und Sicherheit für Mississippi. Wir wollen den
schwarzrepublikauischeu Staaten sagen, wie Abra-
ham zu Lot: „Willst du zur Rechten, so will ich
zur Linken gehen." —
Man sieht, wie auch in den Sklavenstaaten die Leiden-
schast mit hoher Flnth ging, aber mit völliger Gewalt kam
sie erst nach Lincoln's Wahl zum Ausbruche. Präsident
Bnchanan hatte in seiner vorletzten Botschaft im Januar
1861, schon auf die „Symptome einer unheilbaren
Krankheit" hingewiesen und warnend hinzugefügt: „Die
Union ist ein Schatz von so unberechenbarem Werthe, daß
wir unablässig darüber wachen müssen, uus denselben zu
bewahren. Und deshalb beschwöre ich euch, Laudsleute im
Norden und Süden, die früheren Gefühle gegenseitiger
Milde, der Nachsicht und des guten Willens zu hegen, und
Alles aufzubieten, damit der teuflische Geist sectionellen
Hasses und Haders, der gegenwärtig im Lande wuchert,
wieder verschwinde."
Die Mahnung fruchtete nichts, am allerwenigsten in
der Presse und bei den Kongreßmitgliedern. Die Auftritte
und Reden int Capitolinm zn Washington gaben schon seit
dem December 1859 deutliche Anzeichen von dem, was ein
Jahr später kommen sollte. Die Republikaner schlugen im
Repräsentantenhaus« einen ihrer extremsten Parteimänner,
Sherman aus Ohio, zum Sprecher des Hauses vor; er
gehörte zu denen, welche das oberwähnte Brandbuch Helper's
unterzeichnet hatten. Darin lag wieder eine Kriegserklärung
gegen deu Süden, und volle sieben Wochen wurden,
bevor ein Sprecher von milderen Ansichten gewählt wurde,
mit wilden Reden vergeudet, die sich um den einen Satz
dreheten: „Im Fall ein abolitionistischer Präsident gewählt
wird, scheiden wir Südstaaten ans der Union." Dagegen
riefen die anderen: „Dann halten wir euch mit Waffen-
gewalt in derselben zurück." So spielte man schon längst
hüben nnd drüben mit dem Gedanken an Bürgerkrieg, häufig
hörte man die Hähne der Drehpistolen in den Hallen der
Gesetzgebung knacken, mau besorgte ein blutiges Gemetzel
im Capitolinm, „Beelzebub war immer losgelassen", jeder
Volksvertreter nahm Revolver mit in die Sitzung, mancher
sogar noch ein Bowiemesser und Jeder war zur Schlacht
gerüstet. Auch im Senate gab es wilde Seeueu, und Aus-
drücke, wie: „Ich würge dem Senator seine Lügen in seinen
lügenhaften Rachen hinab" waren an der Tagesordnung.
Der Congreß verwirkte alle Achtung; ein Mitglied erklärte,
es sei kein anderes Heilmittel mehr, als daß er sich selber
auflöse und an das Volk Berufung einlege, denn es sei doch
nichts mit ihm anzufangen; er bringe nur Unheil. Ein
außerhalb der Parteien stehendes Blatt bemerkte dazu:
„Die Rotte von eleudeu Parteipolitikern, welch e
in der lärmenden und tobenden Massenver-
sammlnng zn Washington, welche man Congreß
nennt, über Bente uud Aemter sich herumbalgen,
wird sich nicht selber abdanken wollen. O, wenn
doch diese Leute, denen alle Würde uud Selbstachtung
fremd ist, wieder in die Dunkelheit zurückträten, ans welcher
sie nur hervorgetaucht sind, um Schimpf und Schande
über unser Land zu bringen."
Die südliche Presse spie Feuer gegen die „puritanischen
näselnden Halunken, Heuchler nnd Negerdiebe'/' die nö'rd-
liche bohrte unablässig; sie wetterte gegen die „Disunions-
Hunde, elenden Negerbarone, Baumwollenritter, Menschen-
schinder, verwahrlosten, unwissenden, tyrannischen Buben,
gegen verruchte Anarchisten, die des Menschennamens nn-
würdig sind, elende Verschwörer, denen man die Schlinge
um deu Hals legen muß; Knechte des Königs Baumwolle,
Werth am Galgen zn baumeln; gemeine Tröpfe nnd Volks-
betrüger." Diese Ausdrücke finde» wir in einer einzigen
Nummer eines republikanischen Blattes. Im Congresse
werden die Ausdrücke eben so wenig gewählt. Am 22.
Januar 1861 sprach der Repräsentant Lovejoy ans Jlli-
nois, als von Compromissen mit dem Süden die Rede war
und von etwaigem Zwang gegen die ausgeschiedenen Staaten:
„Zwang ist einfach so zn erklären: Wenn ein Verbrecher
in einem Privathause Zuflucht sucht uud die Diener der
Gerechtigkeit ihn dort verhaften wollen, dann ziemt es sich
für die Bewohner des Hauses nicht, die Unverletzlichkeit der
Privatwohnuug gegen das Gesetz vorzuschützen. Wenn
aber die ganze Familie (— der Süden —) mit dem Ver-
brecher sympathisirt und ihn rechtfertigt? Nun, dann
würde ich das Haus niederbrennen uud jedeu Re-
bellen hängen, und wenn auch au jedem Baume
eines Urwaldes ein Verräther baumeln sollte.
-— Der Süden sagt uns, daß wir kämpfen müßten, ehe wir
ihn unterjochen. Ah, wir sind von viel milderer Natur,
wir unterjochen uns ja selbst, und bengen gleich dem dienst-
baren Ochsen unsern Nacken, um das vom Süden bereit
gehaltene Joch aufzuhalsen, welches die Buchstaben C. C-,
das heißt Compromise Collar (Halsband des Vergleichs nnd
der Nachgiebigkeit) trägt, und danken Gott und dem Massa
(— so uennt der Neger seinen Herrn —), daß es nicht noch
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
363
schwerer ist. Wir halten unsere Gelenke bereit, um uns
Handschellen anlegen zu lassen; wir röcheln ein Herr Gott
dich loben wir, weil das Halsjoch so eng, die Handschelle
so leicht, die Kette so klein ist!"
Im Senate verlangte gleich am Tage nach der Er-
ösfuung ein Abolitionist, Hale aus Nen-Hampfhire, Zwang
gegen den Süden. Ihm entgegnete Senator Jverson
ans Georgia: „Wir sind mitten in der Revolution;
jeder Staat hat das Recht zur Revolution und darf ans
seine Gefahr aus der Union scheiden. Nichts in der Welt
kann einen südlichen Staatenbund verhindern; wenn
ihr jetzt auch alle verfassungswidrigen Gesetze zurücknehmen
wolltet, es ist zn spät. Zwischen beiden großen Lan-
destheilen ist der Haß tiefer als der Abgrund der
Hölle. DerNordeu haßt den Süden ingrimmiger,
als je ein Engländer einen Franzosen haßte!"
Alle diese Aenßerungeu sind charakteristisch. Sie zei-
gen, daß die Union schon längst in den Gemüthern nicht
mehr vorhanden war; nicht mehr wohlwollende Brüder,
Staats- und Bundesgenossen standen neben einander, sondern
zwei feindliche Heere bekämpften sich. Anlaß, refpective
Vorwand zur offnen, völligen Trennung gab dann die Wahl
Lincoln's; sie war das Zeichen zur Revolution, bei welcher
aus das formale Recht nichts mehr ankommt, man greift
eben zum letzten Mittel. D ie „Unverträglichkeit" brach hervor.
Die „Baumwollenritter, Palmetto- und Pelikanjunker, Re-
bellen und Sklavenzüchter" kündigten den „Stocksifch-Aristo-
kraten, näselnden Puritanern und Niggeranbetern," die Ge-
meinschaft aus.
Wer die Sache nicht oberflächlich nimmt, weiß, daß
Staaten, die in und mit der Union blühend wurden, nicht
blos aus Leichtfertigkeit, Liebhaberei oder Muthwillen ein
Band zerrissen, durch welches sie seit Menschenaltern mit
anderen Staaten eng und brüderlich verknüpft waren. Sie
lassen es gewiß nicht aus das Aenßerste ankommen, setzen
nicht Alles aus das Spiel, wenn nicht sehr zwingende Ur-
fachen sie zum Aeußersten treiben, wenn nicht eine Art von
Verzweiflung, und die Ueberzeugung, daß auf andern, Wege
keine Rettung sei, die Erbitterung der Gemüther aus den
höchsten Grad steigert.
Zwischen dein 6. November 1860 und dem 4. März
1861 traten sieben südliche Staaten aus der Union. Süd-
Carolina ging voran. Schon am 9. November verzichtete
Senator Chesnnt aus diesem Staat auf seinen Sitz in
Washington, und in Charleston legten mehrere Richter des
Vereinigten Staaten-Gerichtes ihre Stellen nieder. Drei Tage
später schied Senator Hammond ans, um nach Süd-
Carolina zurückzugehen. Schon am 14. November berief die
gesetzgebende Versammlung einen Staatseonvent, um zu
berathen, auf welche Weise man sich von der Union trennen
wolle. Am 17. wnrde zu Charleston die Flagge
der Union abgenommen und die Palmetto-Flagge
aufgezogen. Man begrüßte sie mit 100 Kanonenschüssen,
läutete die Glocken, hielt feierlichen Gottesdienst unter freiem
Himmel, redete für einen südlichen Staatenbund und sang
die Marseillaise. In den übrigen Baumwollenstaaten, be-
sonders in Georgien, war die Aufregung nicht geringer.
Ueberall wurde die blau-orangegelbe Kokarde der Trennung
getragen. Der Rückschlag auf die Geschäfte machte sich in
allen Gegenden bemerkbar; in vielen Staaten und Städten,
zunächst in Birginien, im Distriet Columbia, zu Baltimore,
Philadelphia, Wheeling, Norfolk, Charleston, Angnsta und
Trenton; alle Banken in Tennessee stellten die Barzahlungen
ein.
Im Frühjahr 1860 hatten sich, zuerst in Connecticut,
viele junge Männer der republikanischen Partei als „Wide
Awakes" eine Art von militärischer Einrichtung gegeben.
Dieses böse Beispiel wurde in den südlichen Staaten nach-
geahmt, indem sich hier in den Herbstmonaten die „Minute
Men" gleichfalls bewaffneten; im November zählten sie schon
mehr als 50,000 Eingeschriebene. Seit die Demokratie
durch innern Zwist den Sieg aus der Hand gegeben hatte
und kein Zweifel mehr war, daß die republikanische Mino-
rität den Präsidenten ernennen werde, kaufte der Süden
Waffen auf, un, nach Lincoln's Wahl jeden etwaigen Zwangs-
versuch abweisen zu können. Nach dem 6. November mel-
deten Bundesbeamte ans vielen südlichen Staaten, daß sie,
den Vorgängen in Süd-Carolina folgend, ihre Stellen
niedergelegt hätten; viele Offieiere der Flotte erklärten,
unter keiner Bedingung das Blut ihrer südlichen Mitbürger
vergießen zu wollen; von den Offieieren der Landarmee
schieden nach und nach mehr als siebzig und zwar durchgängig
die tüchtigsten, aus. Die Verwirrung und Ungewißheit
wurde immer größer und in dieselbe hinein fiel, in, November,
das Wiederauftreten eines republikanischen Freibeuters,
Montgomery, der Rekruten warb, die Sklavenhalter in
Kansas überfiel, mehrere Mordthaten beging und die Be-
amten der Bundesregierung vertrieb. Er verschwand, als
der Staat Missouri Milizen gegen ihn ausschickte; aber dieser
Ausbruch eines Genossen des alten Brown, welcher in Vir-
ginien einen Sklavenkrieg hatte erregen wollen, goß noch
Oel in's Feuer. Der MörderMontgomery ist nun Oberst
in, Dienste der Aankee-Union.
Am 3. December trat der Congreß zusammen. Bucha-
uau's Botschaft enthielt eine staatsrechtliche Abhandlung;
sie empfahl zweckmäßige Abänderungen an der Bnndesver-
fassung oder Zusätze zu derselben, um alle Zweifel und Un-
gewißheiteu zu beseitigen. Sie betonte, daß diejenigen
Staaten, welche das Gesetz über die Auslieferung flüchtiger
Sklaven abgeschafft hätten, bundesbrüchig seien. Noch
im November hatte der Staat Vermont erklärt, daß er
seine Personal-Liberty-Acte aufrecht erhalten wolle. Der
Hauskaplan betete für die Rettung der Union, aber sofort
regnete es Erklärungen für die Trennung und für den
Zwang! So brach gleich vou vornherein der Streit wieder
aus, und die Stimmung wurde nicht milder, als die repnbli-
kanischen Senatoren und Repräsentanten in ihren Partei-
Versammlungen beschlossen, sich auf keinerlei Compromiß
einlassen zn wollen. Nach diesen Erklärungen waren dann
alle späteren Versuche, die von verschiedenen Seiten gemacht
wurden, um zu einer Ausgleichung zn gelangen, nur ver-
lorene Mühe. Jetzt glaubten im Ernste nur noch Wenige
an die Rettung der Union, nicht einmal die „Border-Staa-
ten", diese nördlichen Sklavenstaaten, die „Tabaksstaaten",
welche zwischen den Waizen- und Baumwollenstaaten in der
Mitte liegen, also Delaware, Maryland, Viginien, Kentucky,
Tennessee uud Missouri; auch Nord-Carolina kann dahin
gerechnet werden. Sie boten Alles aus, um eine Versöhnung
anzubahnen, im schlimmsten Fall aber eine friedliche Tren-
nnng zu ermöglichen, die Vielen als das Beste erschien, weil
man die schroffen Gegensätze doch nicht mehr vermitteln
könne, indem kein Theil nachgeben wolle. „Löst eine Ehe
auf, in welcher doch kein Frieden mehr ist oder wer-
den kann."
Am 6. December wurde auf Antrag eines virginischen
Repräsentanten ein Ausschuß von 33 Mitgliedern ernannt,
um über die gefährliche Lage des Landes zu berichten. An
demselben Tage wählte Süd-Carolina Bevollmächtigte
zn einer Staatsconvention; alle ohne Ausnahme waren
Secessionisten. Gleichzeitig machte sich im Norden ein
Rückschlag gegen die republikanische Partei bemerkbar; selbst
in Massachusetts fielen die städtischen Wahlen nun zn ihrem
4G*
364 Globus, Chronik der Reisen
Nachtheil aus. Die fünfproeentigen Schuldscheine der Ver-
einigten Staaten sanken ans 89; seit 1812 hatten sie einen
so niedrigen Stand nicht gehabt. Der Süden kündigte den
nördlichen Fabrikanten und Kaufleuten vielfach die Knnd-
schaft auf und manche Geschäftsmänner erklärten, daß sie
nicht mehr zahlen könnten. Der Präsident schrieb, in An-
betracht der zerrütteten Lage des Landes, auf deu 4. Januar
einen allgemeinen Bußtag aus. Am 20. December erklärte
Süd-Carolina seine Trennung von der Union; fämmtliche
109 Delegaten waren einstimmig dafür.
Die Nachricht von diesem verhängnißvollen Schritte
wurde int Süden weit nnd breit mit Jubel aufgenommen,
in Virgiuieu, iu Nord-Carolina, in Georgien, zu Penfacola
in Florida, zu Mobile iu Alabama, wurde unter Hellem
Jubel die Palmetto-Flagge aufgehißt und mit 101 Kano-
nenschüssen begrüßt; in Nen-Orleans zog man die rothe
Flagge mit dem Pelikan auf, iu Texas wehete schon seit
November jene mit dem Einen Stern. Die Borderstaa-
ten hatten vor Ueberstürzung gewarnt; als aber die Kugel
einmal im Rollen war, konnte nichts mehr ihren Lanf ver-
hindern, und die „Cooperationisten", welche mit dem Ans-
tritt wenigstens bis zum 4. März hatten warten wollen,
sahen sich vom Sturme der öffentliche» Meinung fortgerissen.
Die Ereignisse nahmen einen raschen Verlauf, besonders
nachdem vermittelnde Vorschläge des Senators Crit-
tendeu über Herstellung der Missouri-Compromißlinie im
und Geographische Zeitung.
Cougreß abgelehnt wurden. Zunächst waren Aller Blicke
nach dem Hafen von Charleston gerichtet. In demselben
liegen ans kleinen Inseln mehrere Festungswerke, nach deren
Besitz der Staat Süd-Carolina strebte. Zwei derselben
waren militärisch nicht zu halten, Castle Pinkney und Fort
Moultrie; sie wurden deshalb vom Major Anderson, wel-
cher die Kanonen vernagelte, in aller Stille geräumt; er
schiffte bei Nacht uud Nebel uach Fort Sumter hinüber,
welches bei weitem das wichtigste Festungswerk im Hafen-
becken ist. Er war entschlossen, dasselbe als ein Bollwerk
für die Union zu behaupten. Die beiden anderen wurden,
nebst dem Zeughause, der Post uud dem Zollhause vom
Staat iu Besitz genommen.
So ging das Jahr 1860 zu Eude, das letzte der
alteu Union. Die Congreßansschüsse konnten sich über
keine Versöhnungsvorschläge einigen, die Leidenschaft wogte
auch in der Presse und in Volksversammlungen fort, und
man ließ deu Dingen ihren Lauf. In Washington selbst
fanden täglich blutige Raufhändel zwischen Seeessionisten
uud Republikanern statt, in den Straßen fand man Tode
und Verwundete. Unheilvolle Gerüchte tauchten auf; es
hieß, zehntausend virginifche Freiwillige würden nach der
Bundeshauptstadt ziehen nnd das Capitolium besetzen. In
Neu-England mußte iu vieleu Fabriken die Arbeit einge-
stellt werden, weil alle Austräge aus dem Süden fehlten; in
Kansas herrschte eine fürchterliche Hnngersnoth.
Sir Iames Brooke, Rndfcha \mx Sanum!;, und die Seeräuber im indischen
Archipelagns.
ii.
James Brooke ist am 29. April 1803 zn Coombe
Grove bei Bath in England geboren. Sein Vater hatte
lange als Civilbeamter der Compagnie in Indien gedient.
Einer seiner Vorfahren im siebzehnten Jahrhundert ist unter
König Karl dem Zweiten Mayor von London gewesen.
Brooke war schon als junger Mann in Vermögcns-
verhältnissen, die ihn unabhängig stellten; nachdem er Grie-
chisch und Lateinisch gelernt, trat er als Cadet in die indische
Armee uud zeichnete sich 1837 in dem ersten Kriege gegen
Birma durch Muth und kaltblütige Tapferkeit Vortheilhaft aus.
Schwere Wunden bewogen ihn, den Dienst aufzugeben; er
verließ 1830 Caleutta und fuhr nach China, um seine Ge-
sundheit wieder herzustellen. Damals sah er zuerst die
herrlichen Inseln des östlichen Archipelagns; er war erstaunt
über die wunderbare Schönheit, über die üppige Fruchtbar-
keit dieser Region, in welcher sein Vaterland, außerdem
eben aufblühenden und erst vor zehn Jahren gegründeten
Singapore, keine einzige Besitzung hatte. Die große Eiland-
slur liegt in der Mitte des Weges zwischen Indien uud
China. Es entging dem Scharfblicke des jungen Mannes
nicht, daß sie nothwendig eine immer größere Bedeutung für
deu Welthandel nnd eine steigende Wichtigkeit sür England
werde gewinnen müsse; er begriff, daß auch dort in Folge
der Dampfschifffahrt eine neue Zeit mit neuen EntWickelungen
sich anbahne. Diese Neugestaltung herbeirufen und mit
alle» Kräften fördern zu helfen, schien ihm eine würdige
Aufgabe seines Lebens zn sein, und der Erfüllung derselben
hat er sich mit dem vollen Feuer seiner starken Seele hin-
gegeben.
Brooke ging aus China über Caleutta zurück uach Eng-
laud und erlernte den Seedienst praktisch. Nachdem er mit
Steuermannskunst und Schiffsbefehl völlig vertraut gewor-
den, ließ er eine Schoonerjacht bauen, den „Royalist," und
befuhr mit diesem Fahrzeuge ein volles Jahr hindurch das
Mittelländische Meer, um feine mit Sorgfalt gewählte Be-
mannung tüchtig einzuüben und für die Aufgabe in den
östlichen Gewässern vorzubereiten. Dorthiu lenkte er von
England ans sein Schiff am 27. Oktober 1838 und am
3. August 1839 warf er Anker bei Tandschong Api vor
der Küste von Borneo. Nachdem er die Mündungen man-
cher Ströme an der Nordwestküste dieser großen Insel er-
forscht und über die politischen Verhältnisse der malayischen
Staaten in jener Region genaue Erkundigungen eingezogen,
fuhr er nach Singopore zurück, um sich für eiue Erforfchuugs-
reise au den Gestaden von Celebes auszurüsten. Diese
Fahrt war reich au wissenschaftlichen Ergebnissen über den
Golf von Boni und die Geschichte der malayischen Reiche
auf jenem schönen, aber seither nur mangelhaft bekannten
Eiland.
Ein Thcil von Borneo, welches die Malayen als Pnlo
Kalemantan bezeichnen, ist im Besitze der Holländer; das
Innere ist wenig bekannt; an den Küsten, soweit sie den
Niederländern nicht unterworfen sind, herrschen malayische
Sultane. Unter diesen nimmt jener von Borneo oder Brnni
am nordwestlichen Gestade den ersten Rang ein. Im Staate
dieses Potentaten setzte James Brooke seine ersten Hebel
an, um die Seeräuber auszurotten, einen geregelten
Handelsverkehr zu begründen und für England festen Fuß
zu gewinnen. Unter den Flüssen, welche anf jener Küste
münden, empfahl sich ihm vor Allen der Sar-iwak zu einer
Niederlassung. In der Nähe desselben liegt Pulo (Insel)
Labnan, eine kleine Insel, die wegen ihrer Kohlenlager
J
Globus, Chronik der Reisen
von hervorragender Bedeutung geworden ist, und die zwi-
scheu China und Singapore fahrenden Dampfer mit den
nöthigen Brennstoffen versorgen kann. Am Sarawak, iu
der Stadt Kötschin (Kuchiu) gewann Brooke die Gunst des
Radscha Muda Hassan und seines Bruders Bedreddiu.
Beide waren eben iui Kampfe ulit einigen widerspenstigen
Vasallen; Brooke unterstützte sie mit seiuer au Zahl ge-
ringen Mannschaft in wirksamer Weise und brachte die Auf-
rührer zum Gehorsam. Einen so nützlichen Verbündeten
wünschte der Radscha in seiner Nähe zu behalten, und Brooke
wurde durch glänzende Versprechungen leicht zum Bleiben
bewogen; er wohnte seitdem in Kötschin. Nach Art der
Asiaten suchte Muda Hassau die freiwillig eingegangenen
Verpflichtuugen zu umgehen, allein Brooke zwang ihn durch
Muth und Ausdauer zur Erfüllung derselben und drang
durch. Der Malayeusürst trat ihm eiue Strecke Landes
am Sarawak ab, als deren Radscha oder Fürst der Eng-
länder von dem Oberherrn des Landes, dem Sultan von
Bruui (Borneo), bestätigt wurde.
Zu diesem Herrscher stand Muda Hassan in einem
Verhältnisse, das einen Blick in die Eigentümlichkeit
jener malayischen Staaten gewährt. Er war erster
Minister des Sultans gewesen und hatte als gesetzlicher
Thronerbe Anspruch auf die Herrschaft. Auf diese verzichtete
er zu Gunsten seines Neffen, blieb aber unter dem neuen
Fürsten in seiner bisherigen Stelluug, welche er zur allge-
meinen Zufriedenheit ausfüllte. Dem undankbaren Neffen
wurde der Einfluß des beim Volke sehr beliebten Oheims
unbequem, Parteistreitigkeiten am Hofe brachten Verwirrung
in's Land, und Muda Hassan, des Streites überdrüssig, zog
sich mit seinem Harem und seiner Dienerschaft nach Sara-
wak zurück. In Brnni wurde ein Araber, der Pangeran
(diesen Titel führen Prinzen und hohe Würdenträger) Usop,
sein Nachfolger, der sich durch Ehrsucht und Erpressungen
so verhaßt machte, daß Hassan's Rückkehr vom Volke ver-
laugt wurde. Usop verstand es, den Herrscher, einen Mann
von sehr beschränkten Fähigkeiten, gegen den Oheim immer
mehr einzunehmen und Brooke's Anwesenheit in Kötschin
gab ihm willkommenen Anlaß, den Sultan in der Ueber-
zeugung zu bestärken, daß Hassan und Bedreddin imt den
Feinde» einen Buud geschlossen hätten, um ihn vom Throne
zu verdrängen.
Uuter diese» Umständen beschlossen die Brüder uach
Bruui zu fahren und vor dem Sultan wie vor dem Volke
zu erklären, daß diese Beschuldigungen ungegründet seien.
Brooke hatte bei Uebernahme seiuer Radschawürde sich
verpflichtet, an Hassan eine Jahresrente von dreihundert
Pfund Sterliug zu zahlen und den Malayenfürsten uach
Bruui zu schaffen, falls er diese Hauptstadt besuchen wolle.
Die Anwesenheit Hassan's mochte ihm nicht selten lästig
werden, und er bestärkte ihn in dem Vorsatze, sich am Hofe
des Neffen nicht nur zu rechtfertigen, sondern auch die ihm
von rechtswegen gebührende Stelle eines Premierministers
wieder einzunehmen. Damals lagen das Schiff Samarang
unter Kapitän Welcher und der Dampfer Phlegethon im
Sarawak, uud die Gelegenheit war günstig, vom Sultan
Geständnisse zu erpressen. An Vorwänden fehlte es nicht;
Bruui war offenkundig eiu Hafen und Markt, wo die See-
räuber eine Zuflucht uud Absatz für ihre Maaren fanden.
Muda und Bedreddin hatten sich bisher als standhafte
Freunde der Engländer bewährt; sobald sie ihren frühern
Einfluß wiedergewannen, war mit Sicherheit anzunehmen,
daß ein Vertrag über Abschaffung des Seeraubes und zu
gemeinschaftlicher Verfolgung der Piraten zum Abschluß ge-
langen werde.
Der Dampfer Phlegethon brachte die beiden Brüder
und Geographische Zeitung. Zgz
nach Brnni, einer Stadt von dreißig- bis vierzigtausend
Einwohnern, die man als ein östliches Venedig bezeichnet
hat, weil ein großer Theil der Häuser im Wasser oder dicht
an demselben steht. Brooke, nur von sieben Europäern be-
gleitet, führte seine beiden Schützlinge in den Palast des
Sultans und trat, während ein Seemann die britische Flagge
vorantrug, vor den versammelten Hof. Von den Festuugs-
werken auf Pulo Cheremon, an der Mündung des Brnni-
flusses, sei auf eiu englisches Boot gefeuert wordeu; er müsse
deshalb verlangen, daß jene Forts geschleift würden. So-
dann drang er darauf, daß Hassan und Bedreddin die ihrem
Rang entsprechenden Würden und Stellen zurück erhielten.
Dagegen that der Minister, Seraib Anffuf, Einsprache, und
die Zusammenkunft brachte kein günstiges Resultat. Der
Dampfer Phlegethon lag in Pistolenschußweite vom User,
aber die Lage war bedenklich. Frank Marryat bemerkt:
„Wir waren nur acht Europäer unter vielen Hunderten von
Eingeborenen, die zusehen mußten, wie wir ihren Sultan
sozusagen beim Bart nahmen. Er hätte nur ein Zeichen
geben dürfen und es wäre unrettbar um uns geschehen ge-
wefeu. Wir sahen, daß mehr als ein Häuptling die Hand an
seinem Krihs (malayischen Dolche) hatte, als wir den Saal
verließen. Vor dem Palaste war der ganze Raum mit nn-
bekleideten Wilden bedeckt, mit Marnts, einem Dayak-
stainnl, der im Gebirge wohnt und dessen Nmtie „tapfer"
bedeutet. Diese uackteu Herren waren gekommen, um erfor-
derlicheu Falls dem Sultan beizustehen, trugen Schilde und
lange Messer, welche sie kriegslustig schwangen. Dabei heul-
ten und schrieen sie und hatten offenbar nicht übel Lust, uns
über ihre Klingen springen zu lassen. Ich war froh, als
ich wieder in nnferm Boote neben dem mit Kartätschen gela-
denen Sechspfünder stand."
Brooke blieb eine ganze Woche in Brnni. Nach Ablauf
derselbe» fand eine feierliche Audienz statt, zu welcher er sich
mit vier Europäern begab, nachdem er freiwillig feilte Waf-
fen abgelegt hatte. Aber Frank Marryat und ein anderer
Offizier lagen mit dem Boote vor der offenen Palasthalle auf
dem Strome. „Ich stand bei der Kanoue, die wir mit einer
doppelten Ladung von Schrot und Kartätschen versehen und
gerade auf de» Thro» des Sultaus gerichtet hatten. Es
war eine Zeit ängstlicher Spannung; die Halle war mit
Hunderten bewaffneter Männer angefüllt, draußen fehlten
auch diesmal die Marnts nicht, die ganze Bewohnerschaft
von Bruui war bis au die Zähne bewaffnet, und unter sol-
chen Umständen erschienen fünf Europäer vor dem Sultan,
um ihm Bedingungen zu dietireu. Wir im Boote waren
darauf gefaßt, im Nothfall fürchterliche Vergeltung zu üben.
Wäre Herr Brooke mit feinen Begleitern ermordet worden,
so hätten wir ohne weiteres mit Schrot und Kartätschen in
die dichte Menschenmasse hineingefeuert, und Hunderte wären
todt niedergestürzt. Der Dampfer lag da, er bestrich Halle
und Palast, ein Geschütz war direet auf den Thron des Snl-
tans gerichtet und die Lunten waren angebrannt. Außerdem
hatte jeder Europäer am Bord sein geladenes Doppelgewehr
in Bereitschaft. Die Audienz währte eine gute halbe Stunde.
Dann schritt Herr Brooke mit den Europäern aus der Halle;
es war ihm gelungen, durch Drohungen Alles zu erreichen."
Der Sultau hatte einen Vertrag unterzeichnet, demgemäß er
fortan die britische Flagge zu respectireu hat; er trat die
Insel Labnan ab, willigte in die Schleifung der Forts auf
Puto Cheremon, versprach zur Abschaffung der
Seeräuberei mitzuwirkeu, uud die Brüder Hassan
und Bedreddin, seine Oheime, in ihre Würden wieder einzn-
setze».
So kam das wichtige Eiland Labnan mit seinem Reich-
thum an Steinkohlen in die Gewalt der Engländer, welche
J
366 Globus, Chronik der Reisen
am 24. Oktober 1846 von demselben förmlichen Besitz er-
griffen. Brooke wurde Gouverneur der Colonie und blieb
zugleich Radscha vou Saruwak. Vou beiden Punkten aus
hat nun Großbritannien eine Controle über Borneo, das
reich an Gold und Kohlen, Diamanten, Eisen, Spießglanz,
Zinn und Kupfer ist. Sie sind ihm aber auch noch deshalb
wichtig, weil sie die einzigen englischen Besitzungen im Archi-
pelagus bilden. Einem Vertrage gemäß, welchen England
im Jahr 1824 mit den Niederlanden abschloß, erhielt dasselbe
Singapore, Malacca und Alles, was Holland ans der Halb-
insel Malacea besaß, verzichtete aber dagegen ans seine suma-
tranischen Besitzungen und obendrein auf das Recht, jemals
auf irgend einer Insel des Archipel«gus im Süden der
Straße von Singapore Colonien anzulegen oder mit einhei-
mischen Fürsten Verträge zu schließen. Ein Blick auf eine
Karte zeigt, daß England durch diesen Tractat sich von dem
reichsten Theil dieser Inselwelt ausgeschlossen hatte, und wir
begreisen sehr wohl, daß ein solcher Tractat, bei der Um-
Wandlung, welche die Verkehrsverhältniffe seit jener Zeit im
fernen Osten genommen haben, sehr unbequem erscheint.
Radscha James Brooke hat vou Anfang au deu Seeräu-
beru im Archipelagns Vernichtung geschworen und vom er-
steu Tage au ihnen niemals Ruhe gelassen. Er wollte dein
alljährlich wiederkehrenden, massenhaften Morden, mit wel-
chem die malayischen Piraten weit und breit die Küstenlande
heimsuchten, ein Eude machen, und Banden züchtigen, die
seinem Ausdruck zufolge, die Hände gegen Jedermann erhe-
ben. Während in China der Seeräuber ein Mensch ist,
welchen Staat und Gesellschaft ausgestoßen haben, beruht
auf vielen malayischen Inseln das ganze Gemeinwesen auf
dem Korsarenthum und der Fürst ist Oberhaupt der Piraten.
Er segelt in derBalla (der Seeräuberslotte) voran, beseh-
ligt das nicht selten aus fünfzig bis einhundert Fahrzeugen
bestehende Geschwader, zieht weit und breit üu Archipelagns
umher, nimmt Kauffahrer weg, geräth iu Kampf mit anderen
Seeränberprahns, welchen er die Beute abnimmt. Oft wer-
den Städte und Dörfer überfallen, die Bewohner als Skia-
ven mitgenommen, und uach beendigten! Raubzuge kehrt der
malaiische Wikinger nach seiner Hauptstadt zurück, um nach
einiger Erholung abermals in See zu stechen. Das ist schon
weiter oben ausführlich erzählt worden.
Ich mochte die Malayen als ein Rand Volk bezeich-
nen. Ueberall im Archipelagns haben sie die Küstengegenden
in Besitz, weiter im Innern wohnen andere, zumeist stamm-
verwandte Völker. Der malayifche Seeräuber läßt Andere
für sich den Acker bauen, das Bestellen eines Reisfeldes dünkt
ihm nicht ehrenvoll. Von Kindesbeinen ist er zu Schiffe
und wächst als Seeräuber auf gleich seinem Vater und Groß-
vater. Europäische Fahrzeuge greift er nur in Ausnahme-
fällen an, doch müssen die Führer derselben stets auf der
Hut und wohl bewaffnet sein. Der Malaye versteht sich
meisterhaft auf das Entern, und sobald er einmal ans dem
Deck ist, mordet er Alles, was am Bord lebt. Die Beute
wird iu möglichster Eile auf die Prahus geschafft und das
geenterte Fahrzeug in Grund gebohrt. So verschwindet
jede Spur. Vorzugsweise hat der malayifche Pirat es auf
die Handelsdschonken der Chinesen abgesehen, schwerfällige
Fahrzeuge, die er mit seinen raschen, das Wasser leicht durch-
schneidenden Prahus bald einholt. Noch heute werden im
Archipelagns hunderte von einheimischen und chinesischen
Schissen eine Beute der Piraten; denn so viele Ballas auch
von den Europäern vernichtet worden sind, der Seeraub ist
einmal mit dem malayischen Volkscharakter so innig verwach-
sen, die Neigung zu abenteuerlichen und stets gefährlichen
Seeunternehmungen so stark, daß die Drachensaat immer
wieder emporwächst. Man glaubt die Freibeuter an einem
und Geographische Zeitung.
Punkte vernichtet zu haben, aber bald nachher erscheinen sie
in einer andern Gegend mit einer doppelten Anzahl von
Kriegsfahrzeugen, ohne daß man erfährt, wo diese Schiffe
gebaut worden sind. Sie verlegen die engen Seepassagen
in dem Jnselgewirre der ausgedehnten Hafelungen und drin-
gen in die Buchten und Mundungen der Ströme ein, wohin
tiefgehende Schiffe ihnen nicht folgen können. Der Befehls-
Haber oder Lootse einer malayischen Prahn kennt alle Schlupf-
Winkel und jedes Fahrwasser; gegen ihn sind nur kleine
Dampfer von Erfolg. Es könnte auffallend erscheinen, daß
man noch keinen Versuch gemacht hat, deu Seeräubern die
Zufuhr von Waffen abzuschneiden, es ist aber klar, daß alle
Bemühungen in dieser Hinsicht vergeblich sein müssen. Wer
will dem Kaufmann verwehren, Schießbedarf und Flinten
einzuhandeln, und wer kann ihm den Absatz dieser Waareu
eoutroliren? Der Pirat wird unter allen Umständen Mit-
tel finden, sich seinen Bedarf auf Umwegen zu verschaffen,
und sei es auch erst aus der vierten oder sechsten Hand.
In Singapore ist der Bazar stets mit Gewehren aller Art
gut versorgt, nnd die malayischen Seeräuber gehören zu den
besten Kunden der englischen Waffenfabrikanten. Flinten und
Kanonen, welche man ihnen abnimmt, tragen zumeist Bir-
minghamer Fabrikzeichen, nnd gewähren somit den Siegern
den Vortheil, daß sie für die englischen Patronen das geeig-
nete Kaliber haben, und gleich gegen den Feind benutzt werden
können.
Die D a y a k s, Eingeborene des nordwestlichen Küsten-
landes von Borneo, stehen unter der Herrschaft malayifcher
Fürsten, die sich als Eroberer festgesetzt haben. Unter ihnen
begann Brooke seine wohlthätige Wirksamkeit, indem er sie
eines drückenden Joches enthob, als Friedensstifter in einhei-
mischen Fehden vermittelte, Sicherheit für Personen und Ei-
genthnm schuf nnd ein gerechtes Abgabensystem einführte.
Dadurch und vermittelst seiner gewaltigen Persönlichkeit
gewann er die Zuneigung der Dayaks, und auch die Ma-
layen, denen er Furcht einflößte, sind ihm nicht abhold. Als
er Ruhe und Ordnung geschaffen, kamen sie in Menge herbei
und bauten Dörfer am Sarawak. Sie arbeiteten iu den
Gold- und Antimoniumgrnben, welche dem kühnen Radscha
gehören.
Die Ströme an der Nordwestküste von Kalemantan
bieten, mit Ausnahme jenes von Bruni, keinen malerischen
Anblick dar, sondern ermüden das Auge durch ihre Eiuför-
migkeit, die Ufer sind niedrig und flach, die Dschengel (der
Wald und das Gestrüpp) reichen bis in's Wasser. Am uu-
teru Lause erheben sich Nipapalmen, die allmälig verschwin-
den und dem Mangrovebanm Platz machen. Meilenweit
ist Alles Einöde; man gewahrt keine menschliche Wohnung,
nur dann und wann gleitet ein Nachen über das Wasser
hin. Erst weiter aufwärts, wenn man um irgend eine
Landspitze gesteuert ist, wird man durch den Anblick eines
befestigten Dorfes oder einer Stadt überrascht; denn ver-
schanzt ist Alles, um den Piraten den Zugang zn erschweren.
Bei Londn zum Beispiel haben die Dayaks den gleichna-
migen Fluß unterhalb der Stadt mit Baumstämmen ver-
sperrt und Forts angelegt. Die meisten Dörfer liegen weit
im Binnenlande, möglichst nahe den Quellen der Küsten-
flüffe, am Gebirge. In den Häusern wohnen gewöhnlich
einige hundert Menschen beisammen, damit die Vertei-
digung leichter und wirksamer sei. Ein Dorf zählt etwa
zehn bis zwanzig solcher Gebände. Jeder Mann ist Krieger
und versteht ein Boot zu rudern. Bevor ein Dayakstamm
in den Krieg zieht, führt er, gleich den Indianern Nord-
amerika's, den Kriegstanz auf. Weiber, Kinder und fah-
rende Habe werden tief in den Wald geschafft, und Späher
folgen dem Feinde auf Tritt und Schritt. Neben der Beute
Globus, Chronik der Reisen
hat der Dayakkrieger es vorzugsweise darauf abgesehen, von
seinen Gegnern so viel Köpfe als möglich zn erbeuten.
Sobald etit Feind zu Boden fällt, trennt er ihm flugs das
Haupt vom Rumpfe. Die siegreiche Schaar brennt allemal
die Dörfer der Geschlagenen nieder, hauet alle Kokosbäume
ab und tanzt aus den Trümmern, bevor sie heimzieht, um
die erbeuteten Köpfe in dein „Kopfhause" auszuhängen, in
welchem, mitten unter blutigen Trophäen, die stimmfähigen
Männer Berathung halten. Die Dayaks unternehmen oft
Raubzüge, lediglich um Köpfe zu erbeuten. Sie kehren,
wenn der Erfolg günstig war, trinmphirend in ihr Heimath-
dors zurück, um ein großes Freuden- und Siegesfest zu ver-
anstalten. Die Bemannung der Prahus erhebt gellenden
Schrei, welchen Alle am Ufer wiederholen. Man bringt
das in Blätter der Nipapalme gewickelte Haupt unter
allerlei Ceremonien an's Land. Hugh Low erzählt, die
Dayaks hatten ihm oft betheuert, daß der Geruch eines in
Verwesung übergegangenen Kopfes in ihre Nase herrlicher
dufte, als jener des gewürzigen Dnrian, ihrer Lieblings-
frncht. Monate lang bildet solch ein Kopf den Gegenstand
allgemeiner Aufmerksamkeit im Dorfe, und er wird mit allen
Ausdrücken der Zärtlichkeit geradezu überhäuft. Man steckt
ihm die besten Bissen in den Mund, ermahnt ihn, seine ehe-
maligen Freunde zn hassen; er sei nun in den Stamm derer
aufgenommen, dessen Leute ihn getödtet hätten, und sein Geist
und Geographische Zeitung. 3(37
müsse nun bei ihnen weilen. Oft steckt man ihm auch eilte
Cigarre zwischen die Lippen. Das Alles ist ernsthaft gemeint,
man will den Geist durch Freundlichkeit versöhnen und ihn für
den Stamm gewinnen, als dessen Mitglied er nun betrachtet
wird. — Am Siegessest schlachtet man die fettesten Schweine,
bringt Fische, Reis und andere Speisen nebst Taback in
Menge herbei, schmauset, raucht Taback, kauet Betel, trinkt
Arak und Palmwein. Während des Zechens beginnt der
Tanz, bei welchem die auf dem letzten Zug erbeuteten Köpfe
am Leibe der Sieger befestigt sind. Diese schreiten stolz auf
und ab, strecken die Arme weit aus, erheben zuweilen ein
wildes, gellendes, durchdringendes Geschrei, während die
Tänzer sich nach dem Schalle der Kesselpauken, Schanangs,
Tortewaks und anderer Instrumente bewegen.
Solche Gräuel hat Nadscha Brooke beseitigt, so weit
sein Einfluß reicht. Er ist zu den Häuptlingen im Innern
in freundschaftliche Beziehungen getreten und zeigt ihnen,
wie viel mehr sie durch friedlichen Verkehr als durch ver-
nichtende Kämpfe gewinnen. An der Nordwestküste von
Borneo hat er dem Seeraube gesteuert, und seit zwanzig
Jahren fährt er unermüdlich fort itt seinem schwierigen
Werke, das den Meister lobt. Eine Lebensbeschreibung
dieses Mannes müßte ein hohes Interesse gewähren; es ist
zu verwundern, daß die Schriftsteller bis jetzt einen so nn-
gemein dankbaren Stoff sich haben entgehen lassen. A.
Im brasilianischen Anvalde.
Santa Cruz. — Fahrt auf dem Saguassu. — Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. — Eine Wohnung im Urwalde. — Der Sali. —
Der Sape boi. — Die Snkurnhyu-Schlange. — Stechmücken.
Unsere Leser wissen (Globus Nr. 8), welcherlei Ein- unwiderstehlicher Zng in die Wildniß hinaus; er wollte sich
drücke der Maler Biard in Rio de Janeiro erhielt, und die viel gerühmten und viel besprochenen Urwälder näher
Die Sukuruhyu-Schlange.
wie ergötzlich er dieselben zn schildern versteht. Nachdem er betrachten, und Abenteuer erleben, an denen es dann auch nicht
längere Zeit in der Hauptstadt verweilt hatte, trieb ihn ein > fehlte. Wir wollen ihn auch jetzt auf seinen Ausflügen begleiten.
368
Globus, Chronik der Reisen nnd Geographische Zeitung.
Im November 1858 fuhr Biard aus einem Dampfer
nach dem Hafen Victoria in der nördlich von Rio gelegenen
Provinz Espiritn Santo. Von dort ritt er nach Nova Al-
meida und weiter nach dem Dorfe Santa Cruz, von wo
er seine Ausflüge antrat. Drei volle Wochen mußte er au
diesem trostlosen Orte verweilen, weil sein Gepäck ausblieb,
aber als dasselbe eingetroffen war, rüstete er sich flugs zur
Fahrt in den Urwald. Ein Italiener, welcher in Santa
CruzPalissanderholz
einkaufte, schloß sich
ihm an und schaffte
drei Kähne nüt den
erforderlichen Rude-
rern herbei. Und nun
steuerte man in den
Fluß Saguassu
hinein, der im Be-
reiche der Ebbe und
Flnth zu beiden Sei-
ten mit vielen Man-
grovebäumeu bestau-
den ist. Wo dann
weiter aufwärts das
Wasser nicht mehr
brakig erscheint, be-
ginnt sofort ein ande-
rer Pflanzenwuchs.
Die Fahrt war,
des sehr abscheulichen
Wetters wegen höchst
unangenehm; es reg-
nete uud stürmte, und
der Nachen, in wel-
chem der Maler sich
befand, war bald
halb voll Wasser. Da
kam ein Indianer auf
den Gedanken, das-
selbe vermittelst eines
Trinkglases auszu-
schöpfen! —
Bald kam ich an
einen wirklichen, äch-
ten Urwald. Der
Fluß war noch breit.
Aus der Entfernung
sah ich große weiße
Vögel; es waren
herrliche Reiher.
Bald kamen auch
Kraniche mit himmel-
blauem Schuabel u.
einem auf beide Sei-
ten herabfallenden
Federbusche. An uns
vorüber fuhr in einer
Pirogue ein junges
Ehepaar; der Mann steuerte, während die Frau in der
Mitte des Kahnes aufrecht stand nnd einen dicken Zweig
hielt, der als Ersatz für ein Segel den Wind auffangen
sollte. Nun endlich war ich im Urwalde, in einer Ge-
gend, die auf weite Strecken hin noch nie von einer Axt
berührt worden war, und mir ging ein ganz neues Leben
auf. Meine Stimmung wurde ernst; der Anblick dieser
wilden Natur wirkte überwältigend auf mich ein. Der
Fluß wurde immer enger, die Ufer rückten nahe zusammen
und waren mit merkwürdigen Wasserpflanzen bestanden.
Jetzt traten auch gewaltige Riesenbäume auf, reichlich über?
deckt mit Schmarotzerpflanzen, Blumen und mit Orchideen,
diesen „Töchtern der Lust", die ost auch an Schlinggewächsen
hängen. Häufig ragten die Aeste der Bäume weit in den Fluß
hinein und wir mußten uns bücken. Der Wald bildete über
uns Bogengänge, förmliche Lauben, und dünne, schlanke
Palmenstämme gaben dem wunderbar üppigen Vegetations-
bild einen ganz eigen-
thümlichen Charak-
ter. — Mein Italie-
ner, sagt Biard, be-
griff gar nicht, wes-
halb ich so erstaunt
und entzückt war.
Was kümmerten ihn
die mit Blumen fast
überladenen Kletter-
pflanzen und alle die
wunderbaren For-
men der Pflanzen-
welt? Ich aber war
Maler und Natur-
freund. Da sah ich
bald Tempel, bald
einen Cirens, phan-
tastische Bildungen,
welche an Thierge-
stalten erinnerten;
ein Bild folgte dein
andern und Alles
war eine wunderbar
mannigfaltige Ab-
wechfelnng. DieLia-
neu reichten bis zum
Gipfel der Bäume
hinan, fielen auch in
Strängen nnd Ge-
winden hinab, streb-
ten und kletterten an
anderen Schling-
pflanzen wieder em-
por, und bildeten oft
ein wirres Gewebe
von Blumen, Blät-
tern nnd grünen Sei-
len. Andere Lianen
fielen von oben so
regelmäßig hinab,
daß man sie mit dem
Tauwerk an Schiffs-
Wanten hätte ver-
wechseln können, und
an ihnen kletterten
Uistiti's, die bekann-
Im Urwald. ten winzig kleinen
Affen, in ganzen Fa-
vor uns, sondern stießen
milien; aber ste erschraken nicht
ihren pfeifenden Schrei aus.
Auf der einen Seite des Flusses lag eiue Lichtung; sehr
viele Bäume waren gefällt worden, aber eine beträchtliche
Anzahl hatte man stehen lassen. Dort war das Wasser,
das am Ufer über einen weichen goldgelben Sand floß,
höchst einladend zun: Bad. In dieser Lichtung standen
Hütten und hier sollte ich ein halbes ^ahr lang bleiben. —
Von Bequemlichkeit war dort keine Rede. Biard fand
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
369
Glovus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
bald, daß sein Italiener sich wenig um ihn bekümmerte.
Nur mit Mühe konnte er sich leidlich einrichten, und mußte
dabei selber durch Handanlegen das Beste thnn. Alles war
unsauber über alle Beschreibung, besonders aber die Küche,
in welcher eine alte Indianerin herrschte. Den Herd bil-
deten lose zusammengelegte Steine; unweit vom Feuer stan-
den Bänke, ans welchen Indianer sich zum Schlaf ansge-
streckt hatten. Auf einem langen Stocke hatte ein boshafter
Uistiti Platz genommen und biß nach Jedem, der ihm nahe
kam; sechs bis acht
abgehungerte Hunde
und eine Katzenfamilie
waren auch nicht ge-
eignet, das Behagen
zu fördern, und dazu
kamen dann auch noch
Hühner, Enten und
Schweine, die alle in
ungezwungener Ver-
traulichkeit mit den
Menschen lebten. —
In dieser Hütte
sollte ich nun schlafen.
Man hatte mir zwi-
fchen allerlei Kisten
und Kasten eine Ma-
tratze hingelegt; aber
Gott Morpheus blieb
meinem Lager fern.
Das Geschrei wollte
die ganze Nacht hin-
durch kein Ende neh-
men, und vor allen
Dingen brachte mich
der Saki zur Ver-
zweiflung. An dieseu
Vogel knüpfen die In-
dianer allerlei aber-
gläubige Vorstelluu-
gen, und meinen na-
mentlich anch, daß die
Seelen abgeschiedener
Menschen in ihn über-
gehen. Ich habe mir
auf meinen Jagden die
größte Mühe gegeben,
diesen Vogel zu erle-
gen, habe ihn aber nie-
mals zu Gesicht be-
kommen, obwohl ich
ihm bis spät Abends
nachstellte. Aber wenn
ich im Dunkel heim-
ging, wurde ich für
die verlorene Mühe
reichlich entschädigt. _ > ®lemnK im UrtoaIbc Skizze» zeichnet
Myriaden leuchtender Insekten erglänzten wie Sterne, und
dann dachte ich nicht mehr an Saki's oder Kraniche, hörte
nicht mehr auf das Geschrei der wilden Katzen, sondern war
ganz verloren in der Bewunderung dieses köstlichen Feuer-
Werkes, welches die Natur au jedem Abend zum Besten gab. —
Der Maler hatte vollauf Gelegenheit, nach Herzenslust
Vögel, viersüßige Thiere, Schlaugeu und Insekten zn
sammeln, auch brachte er häufig Blumen heim. So ver-
gingen November und Deeember, und an allerlei aufregenden
Zwischenfällen war keiu Maugel. Einst kam er gegen
Abend von einem Jagdausfluge zurück. Die Dunkelheit
brach rasch herein, denn den tropischen Gegenden sehlt ja
unsere Dämmerung. Biard ging sürbas, aber plötzlich trat
er mit seinen bloßen Füßen auf etwas, das sehr weich und
schlüpfrig war. Wir können uns seinen Schrecken denken,
denn vielleicht war der Gegenstand eine Schlange? Dies-
mal handelte es sich freilich mn eiu nicht so gefährliches
Thier, nämlich um eine Riesenkröte, welche man in Brasilien
als Sape boi, Ochsenkröte, bezeichnet. Der Wanderer
warf sogleich seinen
Nock über das krie-
chende Ungethüm,
stellte einen Fuß auf
dasselbe und band ihm
die Hinterbeine zu-
fammen. So brachte
er seine Beute nach
der Hütte und legte
sie dort bei den In-
dianern nieder. Da
schnappte sie zu wie
eine Hyäne und wollte
beißen. Ein solches
Thier mußte nun nach
Europa geschafft wer-
den, um dort den
Schmuck einer Natn-
ralien-Sannnlnng zu
bilden. Aber wie sollte
man es todten und
doch uicht beschädigen?
Während der weiße
Mann darüber hin
und her sann, wußte
ein kluger Indianer
guten Rath. Ohne
nur zu fragen, ver-
setzte er dem Thier
mit einem dicken Stein
einen Schlag auf den
Kopf. Was versteht
solch ein Sohn des Ur-
Waldes von einer na-
tnrwissenschastlichen
Sammlung? Zum
Glück richtete dieser
braune Mann an dein
Kopfe der Kröte keinen
allznstarken Schaden
an, und so prangt sie
nun in Biard's Mn-
seum.
Man hatte ihm
schon viel von einer
großen, äußerst gifti-
gen Schlange, der
Sncnruhyu, erzählt und begreiflicherweise wandelte ihn
die Lust an, einen folchen Drachen zn erlegen. Als er einen
so frevelhaften Wunsch äußerte, standen dem Italiener die
Haare zn Berge. „Sie rennen in einen sichern Tod und
sind unbedingt verloren! Das Ungeheuer hat gewaltige Gift-
fange, eiue Zunge, welche Dolche schießt, einen Stachel am
Schwänze und flieht vor dem Menschen niemals. Fragen
Sie nur die Indianer, die wissen es/' Allerdings ist ein Biß
von dieser Schlange unbedingt tödtlich; es handelte sich also
hier nicht etwa um ein Kinderspiel.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
371
Biard war auf der Jagd nach Vögeln und stand bis
an die Knie im Wasser, als er plötzlich einen Kops und zwei
Augen erblickte, die ihm aus Gras und Gebüsch entgegen
starrten. Das war gewiß die Sucuruhyu! Den Jäger
durchrieselte ein Schauder, denn er hatte gehört, daß diese
Schlange gegen den Menschen einspringe. Also trat er
schnell zurück und lnd noch eine zweite Kugel in sein Gewehr.
Der Kopf des Thieres war
nun verschwunden, aber Be-
wegnngen im Grase zeigten
an, daß die Schlange noch
an Ort und Stelle sei. Er-
gab Feuer. Nichts rührte sich.
Es kam nun darauf an, zn
ermitteln, ob die Schlange
wirklich tobt war. Erst nach
Verlauf von etwa einer Vier-
telstnnde ging Biard näher.
Das Thier lag entseelt am
Boden, aber es war keine
Schlange, sondern eine Rie-
seukrabbe, welche an einem
Bein einen Lianenstrick hatte.
Die Indianer hatten, wie sich
später ergab, in beträchtlicher
Entfernung von jener Stelle
Krabben gefangen und das
Exemplar war ihnen ent-
wischt.
Diesmal war es also
Nichts mit der Sucuruhyu,
aber ein anderes Mal traf
Biard wirklich mit ihr znsani-
men. Er war mit den Jndia-
nern, welche ihn begleiteten,
stundenlang in einem Bache gewatet, hatte Vögel geschossen und
auf eine sehr nasse und unbequeme Weise allerlei Skizzen ent-
worsen, wie Fignra zeigt. Am Ufer versanken die Wanderer bis
Wie man Skizzen zeichnet.
halbtrockenen Boden gelangten
stehen und zeigte mit der Hand auf einen Baumstamm, der int
Wege lag. Biard begriff uicht,
was das bedeuten sollte und
blieb auch ruhig stehen. Der
Indianer schlug au und seil-
erte gegen den Baumstamm.
Unter demselben kam eine
Sucuruhyu hervor, ein Thier
von etwa zehn Fuß Länge,
das noch mit dem Schweif
nmherpeitschte, den Kopf em-
porbänmte und gegen die
Menschen einspringen wollte.
Aber sie war tödtlich getroffen
worden und konnte nicht mehr
schaden. Ich sehe sie, schreibt
der Maler, noch heute vor
mir mit ihrem ausgesperrten
Rachen, mit den beiden Fangzähnen, die mit dem äugen-
blicklich den Tod verursachenden Gifte gefüllt sind. Sie
lebte wohl noch eine halbe Stunde lang. Die Indianer
wollten ihr den Garaus machen, aber ich litt es nicht, weil
mir daran lag, ein so schönes Exemplar unbeschädigt zu
erhalten. Als die Schlange, nach langem, schwerem Kampfe
verendet war und keinerlei Bewegung machte, hieb ich eine
Stechmücken.
starke Liane ab, ging vorsichtig näher und berührte sie am
Kopfe. Sie war todt; und ich schlang ihr nun eine lange
dünnere Liane um deu Hals und schleppte sie mit mir, denn
die Indianer wollten nicht zugreifen. Endlich verstand sich
aber doch einer, mir hülfreiche Hand zu leisten; allein sie
baten mich, die Beute in einer nicht weit entfernten Wald-
Hütte niederzulegen, damit nicht noch mehr Sucuruhyu-
schlangen kämen, denn sie
folgen den Blutspuren. Ich
that ihnen den Gefallen, ging
aber gleich am andern Mor-
gen früh wieder hin, um mei-
um Schatz iit Sicherheit zu
bringen. Nachdem ich ihr
den Kopf abgeschnitten und
diesen in Weingeist gelegt
hatte, hing ich sie an einen
Baum nnd zog ihr, zu gro-
ßem Erstaunen der Indianer,
die Haut ab. Die braunen
Leute waren sehr verwundert,
daß das Thier keinen Dolch
am Schwanz und im Rachen
hatte. —
Die Bewunderung der
Naturschönheiten eiues Ur-
waldes wird oft durch manche
Unbequemlichkeiten sehr stark
abgedämpft. Es ist nicht an-
genehm, bis au die Knie
durch Wasser waten zu müssen.
Aber das ließe sich noch er-
tragen; anch wäre nichts da-
ran zu erinnern, daß man an
Kleidern und Haut arg zer-
fetzt wird und gar oft ohne warme Speise sich behelfeu muß.
Wenn nur die verwünschten Moskito's nicht wären! Diese
Stechmücken bringen uns zur Verzweiflung; sie sind überall,
man kann ihnen weder bei Tage noch bei Nacht entrinnen;
man hat vor den Blutsaugern keine Ruhe. Von allen Erea-
turnt auf Erden sind sie die abscheulichsten; sie sind uner-
bittlich und, ob man sie auch noch so viel abwehre, immer
kommen sie wieder. Auch kann
mau sich an den Schmerz,
welchen sie verursachen, nicht
gewöhnen; man wird durch
denselben fieberisch aufgeregt.
Das Alles empfand der
Maler schon bei seinem ersten
Ausstug im Urwalde. Doch
bietet sich dem bezauberten
Blick so viel Neues und Ueber-
raschendes dar, daß mau we-
nigstens auf Augenblicke die
Mückenqual vergißt. Man
sieht nach den Papageyen,
welche laut schreiend sich im
höchsten Gezweige der mächti-
gen Baumriesen schaukeln,
man betrachtet die Tukans mit ihren gewaltigen Schnäbeln.
Da raschelt im Gras ein niedliches zinuoberrothes Thier; es
ist so hübsch, daß man es mit der Hand angreifen möchte.
Aber hüte Dich! Es ist eine äußerst giftige Korallenschlange,
und gefährlicher als die Jaguars, Panther, Bären und Tiger-
katzen, deren man sich mit der Kugel erwehren kann. Doch
ärger als Alles sind und bleiben die verruchten Moskitos.
372
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Die Probleme am obern Nil.
So bat.
Das Land Kassa und der Godfchob. Debono's Fahrt auf dem
Brun Rollet in Bellenia und GondoKoro.
Irgend etwas über die Quellen des Nils und seiner oberen
Zuflüsse müssen wir iin Laufe dieses oder des folgenden Jahres er-
fahren. Speke itixb Graut kommen von Südosten her, und wollen
von der Seenregion den Stromarm zn erreichen suchen, welcher
bis jetzt für den eigentlichen Nil gilt, und den man auch alsTu b i ri
oder Schurifir! bezeichnet. Er nahm seit 1827, als Linant
Bey von Chartnm aus auf ihm Vordraug, und bis El Ais (Eleis),
13" 43' N. Br. gelangte, die Aufmerksamkeit der Elfeubeinhäud-
ler und der Eutdeckungsreifeudeu vorzugsweise in Anspruch. Nach-
dem Mehemed Ali, Biceköuig von Aegypten, den andern Hauptarm,
nämlich den Bahr el Azrek, Blauen Nil, bis in's Dar Fasogl hinauf
befahren hatte, beschloß er, den Weißen Nil näher untersuchen zu
lassen und rüstete in den Jahren 1839 bis 1842 drei Expeditionen
eigentliche Nil, als der Hauptarm des große» Stromes be-
trachtet werden müsse; vou Anderen wird diese Auuahme mit großem
Nachdrucke bestritten. Zn den erstereu gehört Charles T. Beke,
der auch iu seinem neuesten Werk über die Nilquelleu seine früheren
Behauptungen aufrecht erhält. Arnaud, welcher, gleich uuserm
Landsmann Werne, die zweite ägyptische Expedition beschrieben
hat, gab an, daß etwa dreißig lange Wegstunden jenseit des von
der Expedition erreichten Punktes mehre Flußarme sich verein!-
gen; der beträchtlichste derselben komme aus dein Laude der Berry,
das etwa vierzehn Tagereisen östlich von den Bergen von Bellenia
liege. Diesen Zweig bezeichnete er als Schoa Berry, und auf
seiner Karte ist der God Scheb so eingetragen, daß er ans Kaffa
kommt und in den Schoa Berry, an dessen linkem Ufer, einmündet.
Bellenia, im Barylande, unweit vom obern Weißen Nil.
aus, welche auch in früher unbekannte Regionen gelangten. Die
zweite kam am höchsten stroman; bis 4" 42' N. Br. 31« 33' O.-
Länge. Damit war die Bahn für Kaufleute und Entdecknngs-
reifende gebrochen; Uli vi kam noch weiter hinauf bis Garbo, etwa
unter dem dritten Breitegrade; Miani will im März 1800 bis
zum zweite» Grade vorgedrungen sein.
Vou Weste» her empfängt dieser Weiße Nil, etwas uördlich
vom9.» N. Br. den Bahr el Gasel, welcher einem ausgedeh»te»
Wassersystem als Abzugskanal dient. An einen: seiner Hauptflüsse
will Petherick bis iu die Nähe des Aeguators gekommen sein.
Etwas unterhalb der Mündung des Bahr el Gasel strömt
von Südosten her, also am rechten Ufer des Weißen Nils, der Sobat
ein, und dieser erregt eben jetzt wieder die allgemeine Aufmerksam-
keit. Vou Einige» wird behauptet, daß dieser Sobat als der
Als die Ergebnisse der zweiten ägyptischen Expedition in Abes-
sinien bekannt wurden, befanden sich dort, in der Landschaft God-
schäm (am Aba'i, obern Blaueu Nil) Beke, der belgische General-
Consnl Cnylebroeke uud der Jrländer Anton Abbadie. Der
Letztere, sagt Beke, habe angeblich eine Reise nach der Landschaft
Kaffa gemacht; er behauptete, 1843 im December deu „Nil"
zwei Tagereisen von der Quelle entfernt überschritten zn haben.
Diese Quelle liege im 7° 25' N, 80' westlich vo»Sakka, der Haupt-
stadt von Euarea, also 32° 58' 56" O. von Greeuwich. Beke
stellte die Wirklichkeit dieser Reise entschieden in Abrede. Im Jahre
1859 behauptete dann Abbadie in einer später» Arbeit, er habe
1846 die Nilqnelle entdeckt in Enarea, 7." 50' 8" N, 34° 39'
5" O. von Paris, während er früher angegeben, sie läge in dem
Djebel el Kamr.
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
373
Arnauds Angaben über den Schoa Berry und dessen Zufluß,
den God Scheb, waren nicht genau. Brun Rollet hat ermittelt,
daß der obere Lauf des Sobat, welcher aus dein Laude der Berry
komme, S ch o l genannt werde.
Beke war 1841 mit Krays in Schoa (Abessinien). Beide nah-
men damals au, daß der GodScheb nach Süden hin fließe. Diese
Ansicht theilten sie dem Major Harris mit, der die bekannte Ge-
sandtschaftsreife uach Abessinen unternahm. Beke hatte sich inzwi-
schen überzeugt, daß seine Ansicht über den Lauf des G- & heb
irrig sei. Cr schrieb das auch uach Europa. Harris selbst war der
Ueberbringer dieser Mittheilnngen, der Major blieb aber trotzdem
der Ansicht, daß jener uilotische Godschob oder God Scheb ein und
derselbe Strom mit dem Juba sei, welcher iu den indischen Oceau
mündet. Der Leser findet weiter unten, daß diese Ansicht auch
neuerdings an Debono uud Lejeau Anhänger erhalten hat. Beke
Dazukommt aber noch das in diesen Tagen oft genannte Reich
Kafsa, „ein ausgedehntes, mächtiges uud hohes, mit dicken Wal-
düngen, besonders auch mit Kaffeebäumen bestandenes Berglaud,
das im Norden durch den Godscheb von Dschindschiro getrennt ist,
und noch durch denselben Fluß, uach dessen Vereiuiguug mit dem
Guibe, wie vou einer Spirale, im Osten, Süden uud Westeu
umzogen wird." Die Bewohner sind christliche und heidnische
Gongas.
Dort sind interessante Probleme zu lösen uud diese waren es
ohne Zweifel, welche Herrn von Heu gl in zu einer Expedition
nach Kafsa reizen. Auch Ludwig Krays hat die Absicht, jeue
wenig bekannten Berglandschasten zu erforschen. Wir haben schon
früher (Globus S. 108, aus einem an uns gerichteten Briefe
Krapfs) mitgetheilt, daß es auf der Expedition, welche er im Som-
mer 1861 autrat, seine Absicht war, erst eine neue Mission au der
bleibt aber dabei, „daß der God Scheb uur eiuer von den oberen
Zweigarmen desSobat, nicht deö BahrelAbiad, sein könne."
Diese Annahme stützte sich anch ans die Aussagen des Mohamme-
daners Omar ibuNedschet, der überhaupt viele Mittheiluugeu über
die südlich von Abessinien liegenden Landschaften machte. Am
ö. Februar 1843 entwarf Beke zu Aejubbi iu Godscham eine Karten-
fkizze über jene Länder uud deren Flüsse.
Im Süden Abefsinieus gruppiren sich mehrere hochgelegene
Gebirgsrcgionen, die wir seither nur wenig kennen; und namentlich
über die Stromläuse wissen wir lediglich Unbestimmtes. Jene
sind: das hohe Bergland Guraguö mit einem großen Alpensee;
Kambwat, gleichfalls ein Bergland, das inselartige Plateau
Euarea mit der Hauptstadt Sakka, Wolamo auf dem linken
Ufer des Godscheb uud zwischen diesem Flnß uud Euarea das Berg-
land Dschindschiro.
Nordostküste bei den Gallavölkern einzurichten uud dann die Ne-
gion zwischen dem Aeqnator und Abessinien zu durchwandern. Deu
Missionar iuteressirt zunächst die Frage, ob und wie viele christliche
oder vielleicht jüdische Ueberreste in jenen Ländern vorhanden seien ;
sodann will er aber auch erforschen, wo die südöstliche Wasserscheide
des Bahr el Abiad liege, uud wo die Quellen des Sobat und God-
schob zu finden seien.
In Kassa leben seit einigen Jahren katholisch e Missio-
uare. Der eine derselben, Pater Leon des Avanchers, schrieb
ans Kassa unterm 14. Oktbr. einen Brief an Herrn vouHeugliu,
in welchem er sagt: „Der Sobat ist der wahre Weiße Nil deö Pto-
lomäus; seine Quelle liegt in einem Sumpf oder See, der von den
Berghöhen bei Gobo herab sichtbar ist; (Gobo liegt südöstlich von
Kassa)." Dann kommt ein uns nnverständlicherZusatz; der Frau-
ziskauermöuch sagt uämlich: „Diese Thatsache habe ich schon er
374
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
kannt, als ich in Sansibar war " Wie konnte er das an der oft-
afrikanischen Küste? Er stellt eine Denkschrift über das Land in
Aussicht. Seine obigen Angaben, welche in den zn Gotha erschei-
nenden „Mittheilungen aus I. Perthes geographischer Anstalt,"
veröffentlicht wurden (1861V.), entscheiden noch gar nichts, weil
man nicht erfährt, ob der Pater als Augenzeuge spricht.
Der zweite Missionar, Pater Massaja schreibt, Kassa 12. Ok-
tober 1860, gleichfalls, daß er den Sobat oder Barro für den
Weißen Nil halte „Diese Möglichkeit kommt mir wahr schein-
li ch vor, denn der Fluß, den man von den Berghöhen Kaffa's, in
der Entfernung von etwa einer Tagereise sehen kann, hat viel
Wasser, ruhigen Laus, er bewegt sich träge, und cs scheint, als ob
man ihn mit große« Booteu befahren könne."
Auch diese Angaben sind, wie man sieht, ganz unbestimmt,
und die weiteren Vermuthungen Maffaja's über die Möglichkeit
einer Handclsverbindnng zu Wasser vou Aegypten bis Kaffa,
schweben völlig in der Luft, weilMassaja uichts Sicheres weiß, und
auch nur sagt „es scheint." Der Barro (Sobat) entspringt ihm
„wie es scheint" aus einem drei bis vier Tagereisen von Kaffa
entfernten See :c.
Also wir wissen noch gar nichts Sicheres; und es bleibt so
ziemlich nicht weniger als Alles erst zu ermitteln und festzustellen.
Auf Brun Rollets Karte liegt die Quelle des Sobat in dem „Hi-
madongebirge" zwischen 6 n. 7" N. und 33 u. 34" O. v. P. Der
Fluß macht dann einen weiten Bogen nach Südwesten hin, nimmt,
etwa unter dem 4.0 N, im Lande des Stammes der Lutuke eine
westliche Richtung, fließt dann, als Schol, in nordnordwestlicher
Richtung bis zum 9.» N. und zwischen dem 29. n. 30.0 W. nach We-
sten. Dann mündet er als Sobat in den Weißen NU. Auch Debo-
uo's Reise, aus welcher wir uun einen Auszug geben, entscheidet
über den obern Lauf des Sobat selbst uichts, und der Ausspruch des
Elfeubeinhändlers über den obern Lauf desselben und daß im
Grunde genommen der Sobat ein seichter Fluß sei, ist doch nur
Vermnthung, denn Debono segelte den Hauptstrom nur bis etwas
südlich vom 8.»N.Br. hinan und fuhr dann in einen Zufluß dessel-
ben, den Bvndschack, der von Südosten her am rechten Ufer des
Sobat einmündet.
Andreas D eb o n o, ein aus Malta gebürtiger Elfenbeinhändler,
wohnte seit Jahren in Chartum am Zusammenflusse des Blauen und
des Weißen Nils. Zu Ende des Jahres 1854 rüstete er zwei Barken
(eine größere, Dahabich, und eine kleinere, Sandal) aus, bemannte
sie mit siebeuuudsechszig Leuten, fuhr den Bahr el Abiad hinauf
und befand sich am Neujahrstage 1855 au der Mündung des Sobat.
Er segelte in diesen Fluß hinein, welcher viele Windungen macht,
und war am folgenden Tage bei der im vorigen Jahre von ihm ge-
gründeten Station, welche er unter Obhut des Italieners Terra-
nova gelassen hatte. Am 4. Januar schiffte er weiter stromern
nud sah während der folgenden Tage erst Dörfer der Dinka's
und dann der Schelnkö. Er bemerkt, daß man Beide nicht mit
dein gleichnamigen Volke am Weißen Nil verwechseln dürfe, denn
jene am Sobat gehorchen einem Sultan, der unter ihnen selbst
wohnt, haben Hütten ans Stroh und Einbänrne als Fahrzeuge.
Vermittelst dieser letzteren retten sie sich und ihre Habe, wenn ihre
gefährlichsten Feinde, die Nu ehr, Raubeinfälle unternehmen.
Am 10. Januar traf Debono am linken Ufer eine beträchtliche
Anzahl dieser Nuehrs beisammen und kauste Vieh von ihnen. Sie
schlugen ihm eineBundesgenossenschast vor; beide Theile sollten gc-
uieiuschastlich alle anderen Stämme am Sobat ausrotten, Vieh
und Kinder wegnehmen und die ganze Bente theilen. Die Wilden
prahlten damit, daß sie fünfzigtauseud Krieger und im Nothfalle
noch sechsmal mehr Streiter in's Feld stellen könnten, ohne Weiber
und Kinder, welche während der Fehden und Raubzüge die Männer
begleiten. AberDebono erklärte jetzt, wie späterhin stets, wenn ihm
ähnliche Anträge gemacht wurden, er sei gekommen, nicht um sich
in den Krieg einzumischen, sondern um Elfaibeiu zu kaufen, und
versprach ihnen, in einem Kampfe zwischen den Schelnks und
Nuehrs keine Partei zn nehmen. Alle jene Wilden glauben, daß
sie unüberwindlich seien, wenn sie den Beistand weißer, mit Flinten
bewaffneter Männer haben können.
Der maltesische Kaufmann durfte seine Fahrt ungehindert
fortsetzen, aber der Strom machte auch weiter aufwärts ungemein
viele Krümmungen. Am 15. Januar traf Debono mit dem Dfchak,
das heißt Häuptling, zusammen, welcher ihm einen Elephantenzahn
nud eilte Tigerhaut schenkte. Eine solche Gabe mußte iu würdiger
Weise erwiedert werden, und der schwarze Potentat bekam einen
vollständigen Anzug. Dieser bestand in einem Hemd, einem Tur-
ban und ein paar Schuhen. Dieser Häuptling bat den weißen
Mann dringend, in seinem Gebiet eine Niederlassung zn gründen,
und ihm solchergestalt Schutz gegen die Nuehrs zu gewähren. Der
Kaufmann versprach, die Sache iu Erwägung zn ziehen; äugen-
blicklich könne von derselben keine Rede sein, da er sich beeilen müsse
weiter zu fahren. Der Häuptling rieth ihm davon ab, weil seine
Fahrzeuge bald auf dem Trocknen sitzen bleiben würdeu. Debono,
der wohl wußte, daß alle Schwarzen lügen, kehrte sich aber nicht an
diesen, wie die Folge ergab, wohlgemeinten Rath.
Am 19. fuhr der Reisende, welcher den Sandal, das Boot,
vorausgeschickt hatte, in seiner Dahabieh weiter, um dem alten
Sultan der Scheluks einen Besuch abzustatten. Am Abend fuhr
er an der Münduug des ersten Zuflusses vorüber, des Nnol
Dei, welchen er zur Linken hatte.
Während der Fahrt am 20. Januar, die von gutem Wiude
begünstigt war, lageu ihm zur Rechten die Nuehr, znr Linken ge-
wahrte er Dörfer der Scheluks. Der Flußarm des Sobat,
welcher den Namen D f ch i b b a führt, blieb ihm zur Rechten. Am
andern Morgen um elf Uhr war er bei dem dritten Stromarme,
dem Nikaua, und gelangte etwa eine Stunde später an ein Dorf,
wo'er anlegte, um einige Einkäufe zu machen.
Am 22. Jauuar traf er fein Boot bei dem alten Sultan
Ln o l Anian, der am folgenden Tage mit zahlreichem Gefolge bei
der Barke sich einfand. Er trng einen grünen Zweig in der Hand,
wollte sich aber erst nicht auf die Dahabich wagen, denn eine Barke
dieser Art hatte er nie zuvor gesehen. Gleich dem oben erwähnten
Dschak überreichte er Geschenke und bat um Hülfe gegen die Nuehr,
welche oftmals sein Gebiet arg verwüsteten, Männer niedermetzel-
ten und Heerde» wegtrieben. Auch der Sultau hob hervor, daß
demnächst das Wasser stark abfallen werde. Aber Debono glaubte
auch jetzt nicht daran; der Strom hatte bei dem Dorfe noch volle
zehn Fuß Wasser, und konnte doch nicht in ein paar Tagen ein
trockenes Bett haben. Debono wollte gern bis zu deu Gebirgen der
Berry vordringen, welche, seiner Meinung nach, nicht sehr weit ent-
fernt liegen konnten. Er wußte, daß 1852AngeloVinco,der vortreff-
liche Missionar, von seiner Station Belenia (am obern Weißen
Nil, etwa unter dem 5." S. Br.) dorthin gegangen war. Er berich-
tete, daß er über einen schmalen, aber tiefen Strom gekommen fei,
der wohl kein anderer als der Sobat sein konnte. Dieser bei dein
Elfenbeinhändler einmal festgewurzelte Vorsatz, bis zn den Berry
zn gelangen, bewog ihn zu eiliger Weiterfahrt.
Bei einem zweiten Sultan, Namens Ada in Ad ab nka d fch,
blieb Debono zwei Tage, wechselte mit demselben Geschenke ans,
setzte am 28. Januar seine Reise fort und kam an einem Flusse
vorüber, welcher sich in den Nikana ergießt. Am andern Tage kam
er an zwei andere Mündungen vou Flüssen; der eine strömt aus
dem Lande derDfchebbas, der andere aus jenen derBondschaks,
und in diesen letztern fuhr er hinein. Er erzählt:
Am 1. Februar. Im Bondfchakflnfse traf ich eine Reihe-
folge von Schleusen, welche quer über denselben angelegt worden
und mit Neusen zum Fischfang versehen waren. Das Wasser war
dort sechs bis sieben italienische Ellen tief. Die Schwarzen wollten
mich von der Durchfahrt zurückhalten, welche nur möglich war, wenn
ich diese Schleusen beschädigte; sie versicherten auch, daß ich in die-
fem Flusse nach wenigen Wochen auf dem Trocknen sitzen bleiben
würde, aber ich glaubte nicht, was sie sagten. Gern hätte ich es
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
375
vermieden, die mühsame Arbeit dieser Leute zu zerstören, aber ich
wollte um jedeu Preis weiter und ließ also iu die verschiedenen
Schleusen Oeffnnugen machen, uur ebeu weit genug, um hindurch-
fahren zu können. Der Schaden wurde von den Schwarzen sofort
in aller Eile wieder ausgebesserte
So fuhr ich stromau bis zum 9. Februar, au welchem ich zu
den äußersten Dörfern der Boudschaks gelaugte; man sagte mir,
daß weiter stromauf an diesem Flusse keine Wohnungen mehr vor-
Händen seien. Also eröffnete ich dort einen Verkehr mit den Stam-
meshänptlingeu und ersuchte zugleich um die Genehmigung, einen
Agenten au den Sultan der Boudschaks zu senden. Dieser
wohnte im Dorfe Nikana. Am ersten März erschien ein Häupt-
liug uud sprach: „Unter uu s Köuigeu ist es Brauch, daß wir
uns gegenseitig beschenken, uicht aber mit einander Handel treiben."
Er überreichte mir auch einige Geschenke und ich gab ihm andere. Zu-
Sitze für ihu uud er nahm auf denselben in der Art Platz, daß er
seilte Füße auf zwei Häuptlinge setzte, die sich platt auf die Erde
gelegt hatten. Dann spie er diesen beiden Hofleuten in's
Angesicht; sie waren darüber hocherfreut und rieben sich deu
Auswurf Seiner Majestät im Antlitz herum.
Der Selbstherrscher geneigte, meinen Bevollmächtigten zn sra-
gen, weshalb er seine Heimath verlassen habe und in's Land der
Bondschaks gekommen sei? Terrauova entgegnete, des Handels
wegen, worauf der König bemerkte: „die Sultane gebe» Geschenke
und treiben keinen Handel." Er sagte also genau dasselbe, wie der
obeu erwähnte Häuptling, begleitete aber seine Worte flugs mit
einer werthvollen Gabe, nämlich mit einigen Elephautenzähnen.
Terrauova seinerseits blieb hinter einer solchen Großmnth uicht
zurück uud äußerte dabei, daß es mein Wunsch sei, im Dorf eine
Niederlassung für den Elfenbeinhandel zn gründen. Der Sultan
Gegend int Lande bev
gleich überbrachte er die Genehmigung, uud ich wählte sogleich die
Leute aus, welchen meinen Bevollmächtigten Terranova zum Sultan
begleiten sollten. Sie trafen Abeuds bei demselben ein, und er
wieß ihnen sogleich eine Stelle an, wo sie ihr Lager aufschlagen soll-
ten. Kein Unterthan durste die Fremden besuchen, ehe der Sultau
bei denselben erschienen war; aber trotzdem drängten sich viele
Schwarze herbei, welche sich über die Hautfarbe und die Kleider-
tracht der Ankömmlinge wunderten uud lustig machten. Darüber
war der Sultan so ärgerlich, daß er solchen Missethäteru all ihr
Bich wegnahm.
Am andern Morgen schickte er meinem Bevollmächtigten und
dessen Begleitern ein großes Gefäß mit Milch und einen Ochsen,
auch ließ er deu Boden zwischen dem Zelte derselben und seiner eige-
neu Wohnung mit Pantherfellen belegen. Dann erschien er selbst,
gefolgt von etwa zweihundert Männer». Einige derselben trugen
Scheluks am Sobat.
entgegnete aber, daß Elcphauteuzähue erst im folgenden Jahre
wieder vorhanden seien, nndzeigte sich auch keineswegs geneigt, eine
solche Niederlassung zu erlauben.
Am 1. April. Das Wasser ist gefallen und ich sitze wie in
einem Gesänguisse. Als wir deu Versuch wagten, fortzukommen,
geriethen wir auf eiue Saudbank, machten die Barke mit großer
Mühe flott, rannten aber zum zweiten uud bald nachher zum drit-
teu Mal wieder auf. Am zweiten April hatte ich allerlei Zerwürf-
niß mit den Schwarzen, welche nns beim Loskommen behülflich
sein sollten; sie verlangten Bezahlung im Voraus. Durch einen
vom Sultan abgeschickten Häuptling wurde die Sache noch ver-
wickelte?; er wollte die Vorsteher der Arbeiter veranlassen, über
meineLente herzufallen, während diese im Wasser beschäftigt waren,
um das Fahrzeug flott zu macheu. Aber die Sache wurde uuferm
Dolmetscher mitgetheilt; ich ließ sofort meine Leute uuter's Gewehr
376
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
treten, auch eine Kanone mit Kartätschen laden, und das half
denn auch.
Aber am 3. April nahmen die Schwarzen eine kriegerische
Haltung an und rotteten sich in der Nähe meiner beiden Schiffe zu-
fammen. Ich wollte nicht gern ein Feuer gegen sie eröffnen, mnßte
sie aber doch einschüchtern. Also ließ ich ihnen sagen, daß ich in
friedlicher Absicht nnd lediglich des Handels wegen gekommen sei;
aber ich besäße Waffen, die weit wirksamer seien als ihre Lanzen,
denn sie drängen durch Schilde hindurch. Um ihnen das zn bewei-
sen, ließ ich zwei Schilde zusammenstellen, schoß, nnd die Kngel
drang durch beide hindurch. Vou nun au sannen sie nicht mehr
auf Ueberfall oderVerrath, aber ich hielt doch gute Wacht, denn auf
meiueLeute, die als Muselmänner Fatalisten waren, konnte ich mich
in dieser Beziehung nicht verlassen.
Erst am 8, April, nachdem ich durch reichliche Spenden von
Glasperlen die Arbeiter angefeuert hatte, wurden wir flott. Am
9. war, zn unserer Ueberraschnng, weit und breit kein Mensch zu
scheu; aber bald erfuhr ich die Lösung dieses Räthsels. Die Nuehrs
hatten einen Raubzug iu's Gebiet der Boudschaks gemacht, die
dann geflüchtet waren und viel Vieh im Stiche gelassen hatten.
Diese Nuehrs sind überall, auch bei den Schelnkö, dermaßen ge-
fürchtet, daß ein Paar von ihnen genügen, nm ein ganzes Dorf in
die Flucht zu jagen.
Am 12. April stieg daö Wasser eine halbe Elle, fiel aber
gleich wieder ab. Am 1. Mai wollte ich die Umgegend erkunden,
ging zn Fnß stroman, fand aber schon nach einer halben Stunde
das Bett völlig trocken. Ich kam zurück, untersuchte unsere Vor-
räthe, sah aber, daß wir uur uoch auf einen Monat Lebensmittel
hatten!
„So steht es in der That und Wirklichkeit mit dem Sobat,
welchen der übrigens sehr zuverlässige und gewissenhafte deutsche
Reifende Rnffegger mit dem Weißen Nil verwechselt hat, und den
neuere Geographen für den untern Lauf des iu Euarea fließenden
G o d f ch o b halten. Es ist aber schwer zn begreifen, wie dieser letztere
Fluß, welcher schon iu den Gebirgen, wo er entspringt, eine größere
Wassermenge führt, als der cibessinifche Nil (der Bahr el Azrek) in
den Ebenen der Schelnkö zn einem wasserlosen Kanal, iu welchem
meine Fahrzeuge auf das Trockene geriethen, werden könne, nach-
dem er die Zuflüsse aus dem Hochlande von Kaffa nnd Sendschero
aufgenommen hätte." —
Debono war, wie ans seinem Schreibe» anLejean hervorgeht,
elf Monate wegen jenes Mangels an Fahrwasser in großer Gefahr
nnd Verlegenheit. Lejean bemerkt in Bezug auf die eben mitgetheilten
Ansichten des maltesischen Kaufmanns: „Der Sobat wird, uach
der bisher von deu meisten Geographen aufgestellten Hypothese,
für den Fluß von Enarea (Südabessinien) gehalten. Er ist unter
den Zuflüssen des Weißen Nils noch der am wenigsten bekannte.
Alle Nachrichten, welche ich über denselben einziehen konnte, bestär-
ken mich in dem Gedanken, daß seine Quelle sehr weit nach Süd-
südost hiu liegen müsse, daß er einen großen Theil seines Wassers
ans Abzweignugskauälen des Weißen Nils bekommt nnd endlich,
daß er mit dem schon erwähnten Flnsse von Enarea gar nichts zn
s chaffenhat. Den letzter« betrachte ich, bis das Gegenthcil erwie-
sen wird, als einerlei mit dem Dschnba (Webi Sidama, Jnb),
welcher sich in den indischen Ocean ergießt."
Am obern Weißen Nil, jenseit des Stammes der Schir, wohnt
der große Stamm der Berry, dessen Besitzungen bis zum dritte»
Grade nördlicher Breite reichen. Der Hauptort eiues seiner größten
Bezirke ist Belenia oder B elleuia, das zwischen dem 4. und 5.
Breitegrade liegt, nur bis fünf Wegstunden landeinwärts vom lin-
ken Ufer. Diesen Ort wählte sich Brun Rollet, dessen Werk
Le Nil 1)1 anc et leSoudan, Paris 1855, eine wahre Fundgrube für
die Knude der Regionen am obern Bahr el Abiad bildet, zum
Mittelpunkte fiir deu Elfenbeinhandel seit dem Jahre 18-14:. Er be-
nutzte die „Barylente" als Zwischenhändler und Mäkler mit den
Völkern, die weiter laudeiu wohnen, nnd solchergestalt bekamen sie in
Interesse daran, die Faktoren des weißen Kaufmanns zu beschützen.
BrnnRollet befreundete sich Nignello, der ein Bruder des Königs
von Belleuia war. Als der Schwarze sich überzeugt hatte, daß das
Schiff des Fremdlings nicht ein durch Ueberschwemmnng vom Ufer
abgerissenes Haus, sondern ein mit Leinwandflügeln, Segeln, ver-
fehenes Holzgebäude sei, kam er mit zweien seiner Frauen an Bord,
wollte die Barke nicht mehr verlassen und mit nach Chartum reisen.
Darauf ging Rollet gern ein, aber die Türken wurden neidisch,
und raubten ihm feinen Freund Nignello, den er erst im folgenden
Jahre in Chartum wieder befreien konnte. Die Türken hatten
diesen Prinzen sehr schlecht behandelt, aber er hat gelernt, sie von
den Franken zn unterscheiden und diesen ist er gewogen geblieben.
Als er nach Belleuia zurückkam, erzählte er seinen Landslen-
ten Wunderdinge von der großen Stadt, wo ganze Häuser mit
Glasperlen angefüllt sind, wo die Menschen auf Zebras (d. h. Eseln
und Pferden) und auf Giraffen (Kameelen) reiten. Die Türken ver-
fuhren mit ihrer gewöhnlichen Brutalität, indem sie die Männer au«
dem GefolgeNignello's als Sklaven verkauften oder unter die Sol-
daten steckten. Nur einen einzigen konnte Rollet loskaufen und
mit in die Heimath zurücknehmen.
Diese Reise Nignello's uach Chartum gab dann mittelbar
Veranlassung zu der bekannten katholischen Missionsstation G o n-
do k o ro, in der Nähe von Belleuia. Rollet stellte uuserm, uuu auch
au deu Folgen der Einwirkung des afrikanischen Klima's schon ge-
storbenen, Landsmann Pater Jgnaz Knoblecher eine Barke znr
Verfügung nnd gab ihm den halben Gewinnantheil von der Han-
delsnnternehmnng. Die österreichische Regierung unterstützte dauu
die Mission zn Gondokoro, die auf dem von Rollet (der, beiläufig
bemerkt, kein Sardinier, sondern ein Savoyarde war) er-
wordenen Grund und Boden erbaut wurde. Mau hat sie aber
wegen des ungesunden Klima's schon vor mehreren Jahren aufgeben
müssen. Am eifrigsten wirkte ein vortrefflicher Missionar, Don
Angelo Vinco, in Knoblechers Auftrage; er machte von Belle-
nia ans manche Ausflüge und knüpfte Verbindungen mit verschiede-
neu Stämmen an. Nachdem er lange Zeit sich abgemiihet hatte,
starb er zu Mardschn bei deu Vary.
Wir haben schon früher bemerkt, daß Petherick gegenwärtig
unterwegs nach Gondokoro nnd wahrscheinlich schon dort ange-
langt ist, um die Herren Speke und Graut zn erwarten, welche
vom Nyauza-See dorthin zn kommen beabsichtigen.
Am Rothen Meer und im östlichen Sudan.
Die Handelöbedeutung dcö Rothen Meeres. - Suez. — Kossei'r. — Aanbo. der Hafen von Medina. — Dschidda, der Hafen von Mekka. — Das Grab der
Nrmutter Eva. — Snakin und die Troglodyten. — Eine Reise nach Kassala in Takka.
Der beinahe vierhundert deutsche Meilen lange Meerestheil,
welcher sich zwischen der Küste des nordöstlichen Afrika und jener
von Arabien, von Suez bis zur Bab el Maudeb erstreckt, bildet iu
unseren Tagen eine viel befahrene Post- nnd Handelsstraße, lieber
ihn führt der nächste Weg nach Indien; bei Snez endet die Eisen-
bahn, welche von Alexandria bis an das Rothe Meer führt. An
dem Gestade desselben laufen Telegraphendrähte, ans dem Wasser
schwimmen Dampfer. Ganz richtig hat man betont, daß an diesem
arabischen Golf auch der Schlüssel zu Indien liege, uud deshalb
haben die Engländer sich dort Stellungen gesichert, durch welche
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
377
sie die Einfahrt in jenes schmale Binnenmeer beherrschen. Am
indischen Meer unweit der Bab cl Mandeb besitzen sie Aden, am
Eingange des Golfes das Felseneiland P e rim.
Das Rothe Meer hatte einen wenig belangreichen Handel, bis
die Dampfer kamen und neuen Aufschwung brachten. Gegenwär-
tig macht man Lustreisen, Tonristenausflüge nach allen Küsten, und
wenn es den christlichen Europäern auch heute uoch uicht vergönnt
ist, die Moschee zu besuchen, in welcher der arabische Prophet Mo-
hammed ruhet, so steht ihnen doch nichts im Wege, bis Tays zn gelan-
gen, von wo ans sie einen Blick ans die heilige Stadt Mekka gewin-
nen können. Mit einem Worte, jene Gestade sind nun, so zu sagen,
angebrochen worden, und europäische Reisende sind in den verschie-
denen Hafenplätzen gar keine Seltenheit mehr , sondern gehören zu
den täglichen Erscheinungen. Bon Massana ans führt der Weg
nach Abessimen hinein, von Suakin führt eine Karawanenstraße
um dort fromme Wallfahrer au Bord zu nehmen, oder Reisende,
zumeist Kaufleute abzusetzen, welche auf der Karawanenstraße nach
Käueh am Nil gehen. Der Strom macht iu dieser Gegend einen
weiten Bogen nach Osten und nähert sich dort dem arabischen Golfe
mehr als an irgend einer andern Stelle.
Von Kosfeir steuert der Dampfer iu südöstlicher Richtung nach
der arabischen Küste hinüber, und landet in Aanbo oder Jan-
bn a el B ahr, das heißt Eingangöthor zur heiligen Siadt, nämlich
Medina, für welches dieser Platz den Hasen bildet. Er ist zu
gleich das dritte Hauptquartier auf der Karawanenstraße von
Kairo nach Mekka, treibt beträchtlichen Transporthandel nnd er-
hält viele Einfuhrwaaren von der westlichen Küste des Rothen
Meeres. Hier hört die Herrschaft des Pascha von Aegypten auf
und jene des türkischen Sultans beginnt. Uebrigens ist Uanbo
nicht bemerkenswert!), es liegt am Rande einer unfruchtbaren
durch Ober-Nnbien an den Blauen Nil nnd nach Chartum, der
Hauptstadt des ägyptischen Sudan.
Wir wollen über einige Punkte, deren jetzt oft erwähnt wird,
Nachricht geben. In Suez endet, wie schon bemerkt, die Eisen-
bahn. Der Handel dieses Platzes ist nicht unbedeutend, die Ein-
wohnerzahl beläuft sich auf höchstens viertausend Seelen, von denen
aber Viele nicht einmal in der Stadt ansässig sind. Es fehlt an
Trinkwasser, das aus Kairo gebracht werden muß. Täglich be-
fördert ein Extrazug eine ganzeReihe von Cisterue u-Wag gous.
Einen Hafen hat Suez uicht, sondern nur eine Rhede; deshalb
müssen die Dampfer weit entfernt von der Stadt Anker werfen.
Man findet auf ihnen Reisegelegenheit nach den übrigen Häfen,
regelmäßig aber nur mit den englischen Postschiffen der Peninsn-
lar and Oriental-Eompany, denn jene der ägyptischen Medschidieh-
eompagnie haben sich noch nicht an Pünktlichkeit gewöhnt. Sie
befördern vorzugsweise Pilger und legen zuerst in Kosfeir au,
Globus 1862. Nr. 12.
Ebeue, die sich vom Meere bis zum Gebirge erstreckt. Die Ein-
wohner haben seither für ungemein fanatische Mohammedaner
gegolten, treten sehr stolz und zuversichtlich auf, tragen großes
Selbstgefühl zur Schau, gehen stets bewaffnet, müssen sich aber doch
allmälig darau gewöhnen, Europäer iu ihrer Mitte zu sehen und
dieselben in Frieden zu lassen
Von Uanbo geht der Dampfer nach Dfchidda, der „Ebene
ohue Wasser." Aber dieser Hafenplatz, das Seethor für Mekka, ist
in vieler Beziehung wichtig und namentlich zur Zeit der Pilger-
Wanderungen sehr belebt. Viele Leute finden alsdann kein Unter-
kommen in den Herbergen nnd müssen unter freiem Himmel lageru.
Die Umgegend gilt den Mohammedanern für sehr heilig. Wie
könnte das anch anders sein? Dort liegt ja die Ur- nnd Stamm-
mntterdes Atenschengeschlechts begraben,nämlichSiltnaHewwa,
welche wir Mutter Eva nennen. Richard Bnrton, der vom
Grabe deö Propheten kam, das er in der Verkleidung eines Moham-
48
Nebergang über dcn Atbara-
378 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
medaners besucht hatte, wollte es sich nicht versagen, das Grab zu
sehen. Er bestieg eines Nachmittags einen Esel, ritt aus den
Mekkathore gen Nordosten hin und gelangte nach einem Ritt von
etwa einer halben Stunde zu einigen armseligen Hütten und Kaffee-
zelten. Dort ist das Grab der Eva innerhalb einer Umfriedi-
gung. Mutter Eva, die natürlich für eine gute Mohammedanerin
gilt, liegt als solche nach der Kaaba hingerichtet, mit den Füßen
nach Norden, mit dem Kopf, den sie ans die rechte Hand gestützt
hält, gen Süden. Schon ans der Ferne erblickt man eine nur
kleine, weiß angetünchte Kuppel, in der sich auf der westlichen
Seite eine Oefsnnng befindet. Unter ihr befindet sich ein aufrecht-
gestellter viereckiger Stein, welcher den Nabel des menschlichen
Leibes vorstellen soll; er ist mit allerlei eingegrabenen Verzierungen
versehen. Burton mußte, laut Weisung seines Führers, diesen
Stein erst küssen und dann beten, das letztere sowohl am Nabel
auf der Ostseite liegt, ist aber für kleine Schiffe vollkommen sicher.
Man sieht auf den ersten Blick, daß er durch Korallen gebildet wor-
den ist. Die Stadt zählt etwa 12,000 Einwohner, und steht unter
der Regierung der ottomanischen Pforte, welche einen Pascha ein-
setzt. Dieser hängt von jenem zu Dschidda ab. Zu allen Zeiten
kamen uach Suakin aus dem Innern Gummi, Elfenbein und
Sklaven auf den Markt/ Außer den arabischen Handelsleuten
sind auch einige levantinische und europäische Kaufleute in der
Stadt. Der vortreffliche schottische Reisende Hamilton machte
in Suakin eine eigentümliche Bekanntschaft. Er ging mit dem
Zollinfpector, einem Abessinier, über den Marktplatz, um sich die
Leute näher anzusehen. Da rief Jemaud: Comment c£la vä, mes
ehers amis? Hamilton drehete sich um und sah einen alten zer-
lumpten Mann mit glänzenden, stechenden Augen. Der Gruß
wurde freundlich erwiedert, es stellte sich aber heraus, daß der Mann
Kassala.
wie ain Kopfe Eva's. Die parallel laufenden Mauern, welche etwa
sechs Schritte auseinander liegen, deuten die Umrisse von Eva's
Körper an. Zwischen ihnen, gerade auf Eva's Nacken, liegen zwei
Gräber, nämlich jene Osman's und seines Sohnes, welche einst
das etwas in Verfall gerathene Grabmal der Urmutter aus--
besserten.
Burton spielte den Freigeist nud sprach zum Führer: „Wenn,
wie wir hier sehen, unsreUrmuttervomKoPfbiszu m U n-
terleib 180, und von da bis zur Fußsohle 80 Schritte
laug gewesen ist, dann hat sie gewiß wie eine Ente ausgesehen."
Der Führer bemerkt: „Ich danke den Sterueu, daß die Mutter-
unter der Erde liegt, sonst würden ja die Menschen vor Schrecken
um ihre Sinne kommen."
Von Dschidda steuert der Dampfer uach Südwesten hin zur
afrikanischen Küste hinüber, nach Suakin, das einen recht hübschen
Anblick gewährt. Der Hasen hat eine sehr schmale Einfahrt, die
weiter kein Wort französisch verstand. Ach, er war eine gefallene
Größe nud hatte einst glänzendere Tage gesehen, da er noch als
Scharfrichter des letzten Deys von Algier Missethätern
und Nichtmifsethätern die Köpfe heruntersäbelte. Das Schicksal
hatte ihu au's Rothe Meer verschlagen!
In Suakin sieht man viele Leute, die fast nackt gehen. Sie
wohnen in der Umgegend, geben sich für Araber aus, sind aber
höchstwahrscheinlich Abkömmlinge der alten Tr oglo dyten. Ihr
Wuchs ist schlank, der Gliederbau fein, das Haar kraus, die Haut
chokoladenbraun. Solch einTroglodyt sieht aus wie ein Standbild
von Erz. Seine ganze Kleidung besteht in einem Stück Baum-
wollenzeugS, das er um deu Unterleib schlingt. Negerartig er-
scheint nur das wollige Haar, sonst Nichts. Am Fuße hat der Tro-
glodyte Sandalen aus Kameelhaut, am Halse trägt er einen Rosen-
kränz und Amulete.
Hamilton ging von Suakin nach Chartum über Kassala,
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
379
das einst die Hauptstadt des Königreichs Takka war. Dieses ist traf Hamilton einen Fellatapilger, der über Bornu, Baghirmi,
nun eineägyptischeProvinz. Er mietheteKameele von deu H adou- Wada'i und Darsur bis hierher gekommen war. Er befand sich
doa-Arabern, welche vom Rothen Meer bis in die Nähe von nun schon ein Jahr unterwegs, uud die Wüste hatte für ihn keine
Kaffala reichen. Es führen zwei Wege von der Küste nach Takka; Schrecken. Er wollte nach Suakin, um nach dein heiligen Mekka
der eine geht über Langeb, der andere, südlichere, über Takka, zieht hinüberznschiffeu.
sich an der Gränze Abessiniens hin. Hamilton schlug den erster» Hamilton legte den Weg von der Küste bis Kassala in den
ein. Er kam über grasbedeckte Fluren und durch Haiue von Ta- Tagen vom 16. bis zum 28. März zurück. Diese Stadt war vor
marisken (Tamarix mannifera), die mit ihren rauhen Stämmen etwa achtzehn Jahren noch ganz unbedeutend; die Hawatty-Araber
und dem bläulichgrünen Blätterschmuck so angenehme Gruppen wohnten in armseligen Strohhütten; jetzt bildet K. die Hauptstadt
Kosseir.
bilden. Im Schatten saßen zwei Araber an einem klaren Bache,
ein dritter lag in der Nähe am Boden und sprach sein Nachmittags-
gebet; ringsum weidete das blökende Vieh. Das Ganze war eine
GeßnerscheIdylle. Weiterhin wurde derBoden sandig und steinig;
dort trat au die Stelle der Tamarisken riesiger Cactus, achtzehn
Zoll im Durchmesser und bis zu dreißig Fuß hoch.
Eine beträchtliche Strecke landeinwärts, bis zum steilen Passe
von Haddameib, gleicht diese ostafrikanische Küstengegend dein gegen-
einer großen ägyptischen Provinz, die nach Osten hin bis Suakin,
nach Süden bis Abessinien, nach Norden bis zur Wüste der Berber
reicht und nach Westen hin bis an den Atbara. Sie steht unter
einem Mndir, Präsecten, der seine Kaschesö, Unterbefehlshaber, in
verschiedenen Orten hält und jedem vierzig bewaffnete Leute beigiebt.
Im Ganzen hält der Vicekönig in der Provinz Takka vier Neger-
regimenter, meist Sklaven, die ans den Gebirgen des Fasogl her-
gebracht wurden. Ihr Unterhalt erfordert höchst geringe Kosten,
Suakin.
überliegenden Hedfchas in Arabien; weiterhin bekommt sie dann
einen völlig afrikanischen Charakter und die Hochebenen beginnen.
Auf dem Grauitbodeu wächst die melonenartige Koloqninte, Häu-
dal der Araber, aus deren grünen, sechs Zoll im Durchmesser hal-
teuden Frucht die Küstenaraber eine Art Theer gewinnen. All-
mälig tritt anch die Dümpalme auf, zuerst an der Gränze der
Gegend von Langeb. Weiter, in südwestlicher Richtung, kommt
der Reisende über eine Stufenfolge von zumeist mit Kies bedeckten
Plateaus, uud dann und wann über Wiesensteppen. Unterwegs
da alle Lebensmittel unglaublich wohlfeil sind. Ein solches Skla-
venregiment zählt achthundert Mann; außerdem stehen unter dem
Mudir noch einige hundert Mann irreguläre türkische Soldaten
und Reiter ans Dongola; man fürchtet diese letzteren wegen ihrer
Gewaltthätigkeit noch mehr als selbst die Amanten. Als Hamilton
in Kassala war, hatten sie eben einen Raubzug iu das Land der
B o g o s (wir schildern dasselbe in nnsrer nächsten Nummer) gemacht,
etwa vierthalbhuudext Menschen, sämmtlich Christen, und achtzehn-
hundert Ochsen fortgeschleppt. Die eine Hälfte dieser Leute fiel
43*
380
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
den Räubern zu, die andere wurde zum Vortheil der Negierung
verkauft, welche von dein Erlös an die Soldaten rückständigen Sold
bezahlte! Der italienische Missionar Stella begleitete die Bogos;
er verlangte vom türkischen Mudir.die Herausgabe jener 340 frei-
geborenen Abessiuier. Aber der Türke lachte über eine solche Zu-
Kassala ist, wegeu seiner Lage in der Nähe von wichtigeren
Handelsplätzen Sennars und Abessiniens, ein wichtiger Handels-
platz für vortreffliches Elfenbein, für Häute, Talg, Straußenfedern
und andere Landeserzeugnisse; Gummi, Wachs und Kaffee kommen
ans Abessinien; der große Gummimarkt von Gadaref liegt nur vier
Dschidda.
muthnng. Die Sache machte aber Aufsehen , weil es sich nicht um
Heiden, sondern um Christen handelte, und der englische Consnl
kam aus Massaua nach Kassala, um sie zu untersuchen. Was weiter
geschehen ist, wissen wir nicht.
Tagereisen entfernt. — Der Weg von Kassala nach Chartnm führt
unweit der erstern Stadt über den Atbara. Da wo die Fuhrt ist,
war er zwar sehr breit, aber das Wasser reichte deu Kameclcn nicht
viel bis über die Kuie, höchstens bis au deu Hals.
Ein Blick auf
Die große und schöne Jusel Madagaskar ist ein wichtiger
Fleck Erde, der wahrscheinlich bald die Aufmerksamkeit Enropa'S
in höherm Maße als seither auf sich lenken wird. Länger als ein
Menschenalter war das Eilaud den Fremden, insbesondere den
Engländern und Franzosen, aus guten Gründen, fast ganz ver-
schlössen; Nadama, die Königin der Howas, welche mit eisernem
Scepter herrschte, kannte die Praktiken der Ausländer uud suchte
dieselben fern zu halten. Nach ihrem Tode beeilte sich der Gou-
vernenr der britischen Insel Mauritius, welche für die Zufuhr ihrer
Lebensmittel, insbesondere für Reis uud Vieh, von Madagaskar
abhängig ist, eine Gesandtschaft an den neuen König abzuordnen,
und ein Mitglied derselben hat darüber einen kurzen Bericht in der
Londoner Times mitgetheilt. Wir entlehnen demselben die nach-
folgenden Mittheilungen, behalten uns indessen vor, die Verhält-
nisse von Madagaskar eingehend zu erörtern.
Königin Nanovalo starb am 16. August 1861. Seit drei
Wochen hielt die Leibgarde bei Nacht und bei Tage vor dem Palaste
Wacht. An jedem Morgen fragten die Offiziere, ob die Herrscherin
noch am Lebeu sei, und erhielten auch an dem Todestage noch eine
bejahende Antwort. Aber einige Slnndeu nachher verlautete, die
Königin sei nicht mehr. Da kam große Freude über Offiziere und
Soldaten; sie schleuderten ihre Wurflanzen, Schilde uud Säbel
mit Jubel in die Lnst. Aber rasch gewannen sie die Besonnenheit
wieder, suchten ihren Fehler sofort gut zu machen und schickten
einen Berichterstatter in die Stadt, welcher verkünden mußte, daß
Ranovalo schwächer geworden sei. Allein die Wahrheit kam doch
bald an den Tag.
Erbprinz Nakoto, jetzt Nadama II., war der gesetzmäßige
Thronerbe, konnte aber sein Aurecht nnr mit Mühe geltend machen.
In Betreff des Charakters bildet er den geraden Gegensatz zu seiner
verstorbenen Mutter; diese war streng bis zur Grausamkeit, er ist
allzu mild. Sein Vetter Nambnsalama versuchte sich des
Madagaskar.
Thrones zu bemächtigen, aber sein Anschlag mißlang. Der neue
König ließ den Nebelleu nicht hinrichten, sondern hat ihn durch
eine „ehrenvolle Gefangenschaft" unschädlich gemacht. Jndeß Ram-
busalama zählt viele Anhänger unter den Altconservativen, und
wenn es ihm einst gelingen sollte, den König zn stürzen, dann
würde er wohl das alte, grausame System der Nanovalo wieder
zur Geltung bringen.
Seit dreißig Jahren ist in der Hauptstadt Antananarivo Blut
in Strömen vergossen worden. Unter solchen Umständen bleibt es in
der That eine merkwürdige Erscheinung, daß der Sohn der grau-
samen Königin sich weigerte, das Todesnrtheil gegen Nambnsalama
zn vollziehen, der als offenkundiger Rebell nach der Krone gestrebt
hatte. Nadama II. hat als „Princip" aufgestellt, daß er kein Blut
vergießen werde. Er ließ auch die Anhänger der Rebelleu nicht
hinrichten, sondern begnügte sich damit, ihnen ein Brandmal ans
die Stirn zu drücken uud sie in entlegene Provinzen zn verbannen.
Blutige Strenge waltete unter Nanovalo; wenn aber das
Mitglied der englischen Gesandtschaft sich vou einem Palastbeamten
erzählen läßt, daß sie „binnen ein paar Jahren" eiumalhnndert-
tausend Menschen hingeopfert habe, einmal tausend Stück zusam-
men, so hat man ihm Uebertreibnngen berichtet. Die Frauen und
Kinder der Hingerichteten seien alö Sklaven verkauft worden (wo-
hin?). Der Howa-Offizier, welcher dem Engländer diese Scenen
ausmalte, spekulirte ans die Theilnahme des letzter», indem er,
schlau genug hinzufügte: „ich konnte es gar nicht mit ansehen, daß
man Mäuuer, Frauen und Kinder vou einander trennte, und habe
oft weinen müssen." Es sxj dann zu den Ohren der Königin
gelangt, daß er geweint habe, und seitdem wäre er mit dem Auf-
trage zu Executionen verschont worden.
Die Verfolgungen gegeil die Christen (welche eine Art von
politischer Partei bildeten und sich mit Europäern tief eingelassen
hatten) waren allerdings ungemein grausam, und erinnern an
Globus, Chronik der Reisen
und Geographische Zeitung.
381
jene, welche z. B. Frankreich besudelt und zum Gemetzel der Bar-
tholomänsnacht geführt haben. Die Heidin Ranovalo war nicht
grausamer als der christliche König von Frankreich, aber fast eben
so raffinirt. Sie schickte z. B. ein Dutzend oder mehr an einer
Kette befestigte Menschen im Land umher; sie mußten sich Nah-
rnngsmittel suchen; starb einer, so blieb er doch an der Kette und
mußte weiter mitgeschleppt werden, und so ging es fort, bis Alle
todt waren. Doch sind nicht Alle ein Opfer der Barbarei geworden.
Der Engländer erzählt, daß am Tage vor seiner Abreise von An-
tananarivo eine siebenzigjährige Frau ihn besucht und erzählt habe,
daß sie vor elf Jahren mit siebenzehn anderen Opfern aneinander
gekettet worden sei. Nachdem sie alle gestorben waren, schleppte
sie allein vier Jahre lang die Kette hinter sich her, und man konnte
noch jetzt scheu, wie tief einst die Eisenreifen im Nacken und über
den Fußknöcheln in's Fleisch gedrückt hatten. Der König hatte diese
Frau vor etwa acht Wochen begnadigt.
Daß Ranovalo viele Christen hat um's Leben bringen lassen,
unterliegt gar keiuem Zweifel, aber die Ziffer der Hillgemordeten
wird sich schwerlich jemals ermitteln lassen. Viele wurden mit
Seilen an ein Kreuz befestigt und danil zu Tode gesteinigt. Manche
Opfer warf mau vou einem Felsen etwa sechszig Fuß hoch hinab.
Der Engländer bemerkt, daß man von der Küste bis zur
Hauptstadt bequem in etwa sechs Tageu reisen könne, wenn man
nicht zu sehr mit Gepäck beschwert sei. Er behauptet, daß manche
Theile der Jusel, auch von der Hochebene abgesehen, nicht ungesund
seien, besonders die weit ausgedehnten Weidegründe. Wenn er
aber beifügt, daß ihm das Thierlebeu auf Madagaskar sehr spar-
lich erscheine, so ist er gewiß im Jrrthum, denn alle anderen Rei-
senden haben das Gegentheil gefunden. Er sah „wildes" (ver-
wildertes?) Hornvieh, das keinen Höcker hat, während andererseits
alles Rindvieh, welches in großer Menge von der Insel nach Mau-
ritius uud Bonrbon ausgeführt wird, sehr stark entwickelte Höcker
trägt.
Die englischen Abgesandten, welche den König begrüßen woll-
ten, landeten im Hafen Tamatawe, von wo sofort ein Eilbote des
Königs nach der Hauptstadt Antananarivo abging, um die Ankunft
der Fremden zu melden. Am IG. Oktober Morgens kam diesen
ein bewassnetes Geleit entgegen. Von den fünf Offizieren defsel-
ben gehörten drei zur königlichen Palastwache. Ihre Uniform be-
stand aus einem Frack von blauem Sammet, reich mit Gold besetzt,
einem dreicckigeu Hut mit rotheu uud weißeu Federu und dunkeln
Beinkleidern mit Goldstreisen; der eine Offizier war Hellolivengelb
und hatte fast europäische Gesichtszüge. Der König hatte der Ge-
sandtschaft Reitpferde entgegen geschickt, und erwies ihnen dadurch
eine ganz besondere Ehre; die Wege waren aber so beschaffen, daß
man auf denselben nicht reiten mochte. Selbst unweit der Haupt-
stadt geht der Pfad durch ein sumpfiges Reisfeld.
Ju der Nähe vou Antananarivo drängte sich daö Volk in
Menge herbei, um die Fremden zu scheu. Seit dreißig Jahren
war keine Gesandtschast dort gewesen; Königin Ranovalo liebte
(wohl keineswegs mit Unrecht) die Europäer nicht, gab aber aus-
nahmsweise Einzelnen die Erlaubnis;, in'L Land zn kommen. Jetzt
schickte der König noch ein zweites Geleit, eine Art von Ehren-
wache, welcher eine Musikbande voranzog. Sic spielte God save
the Queen.
Den Palast durfte, wegen der uoch anhaltenden hohen Trauer,
Niemand betreten. Dieses merkwürdige Gebände ist schon früher
von Elliö ausführlich geschildert worden, und wir werden gele-
gentlich eine Beschreibung desselben mittheilen. In der Mitte steht
ein gewaltiger, 120 Fuß hoher Balken, welcher das Dach stützt.
Es wäre interessant, zn erfahren, auf welche Weise man es ange«
fangen hat, ein so ungeheures Stück Holz vierzig Stunden weit
aus dem Niederlande auf die Hochebene zu schasseu, durch Ur-
wälder, steile Schluchten und über hohe Berge. Die Bevölkerung
der Hauptstadt beträgt etwa 30,000 Köpfe uud die nächste Um-
gegend ist sehr dicht bewohnt, aber fast ohne alle Bäume; derglei-
chen sind dreißig euglische Meileu um die Hauptstadt kaum zu sehen.
ES heißt, man habe die Wälder alle niedergeschlagen, damit die
Stadt nicht von einem Feinde überrascht werden könne.
Der Empfang in der Hauptstadt war von Seiten des Volkes
sehr lärmend. Am andern Tage schickte man den Gesandten
allerlei Geschenke, z. B. vier fette Ochsen, und dazu Briefe iu eng-
lischer Sprache. Einen wollen wir in der Urschrift hersetzen:
To Colonel Middleton. — I send you and your companions a
bullock, by my son. How are you after your journey ? Saith
Banionja, 14 th. Honour,
Officer of the Palace, Prince.
Viele Offiziere verstanden überraschend gut Englisch. Einige
derselben hatten vor fünfnnddreißig Jahren in England Unterricht
erhalten, unter diesen der gegenwärtige Hauptsekretär des Königs.
Er spricht Englisch äußerst geläufig und vollkommen richtig, und
versteht auch Französisch.
Der König nahm die Gesandten sehr herzlich auf, erkundigte
sich angelegentlich nach Königin Victoria und Lord Palmerston,
„der auf Madagaskar ganz besonders beliebt ist", wie der Reisende
versichert. Radama der Zweite ist von gedrungenem Körperbau
und hat einen freundlichen Gesichtsansdruck; seine Gemahlin macht
einen recht augenehmen Eindruck. Die Gesandten überreichten dann
im Namen des Gouverneurs und der Kanfleute von Mauritius
Geschenke.
Man hat oftmals gesagt, der König sei Christ, doch ist diese
Behauptung zum Mindesten voreilig; mau hat aber Grund zu der
Hoffnung, daß er einmal Christ werde. Gegenwärtig bekennt er
sich zn einer Art vou Deismus; die Anleitung dazu hat er von dem
schon erwähnten Hauptsekretär erhalten. Eine durch ihn in der
Hauptstadt gegründete Schnle zählte im Herbste des vorigen Jahres
schon etwa achtzig Zöglinge.
Uelem in
Reisende, welche Lissabon besuchen, versäumen nicht, einen Aus-
flug nach Belem zu machen. Man kann diesen Ort, gleich Inn-
qneira und Alcantara, als eine Vorstadt der großen Capitale be-
trachten.
Gewöhnlich geht man in Lissabon an den Sodre-Qnai, wo die
Dampfer bereit liegen. Sic steuern durch die Kriegsfahrzeuge uud
die große Menge der Handelsschiffe, welche im Hafen liegen, mit
großer Vorsicht hindurch uud fahren den Tejo stromab bis in die
Nähe des berühmten viereckigen Thnrmes, der in der Geschichte der
Erdkunde eine Stelle einnimmt. Denn von Belem fuhr Vaöco da
Gama aus, um Afrika zu umschiffen und Eroberungen in Indien
zumachen. Der alte, dicke „Tom" hat jetzt einen Telegraphen
Portugal.
und eine Batterie; er liegt am linken Stromufer auf einem Berg-
vorsprunge, von welchem man eine weite, prächtige Aussicht aus
Lissabon und dessen Umgebungen hat. Der Thurm macht archi-
tektouischen Eindruck; Joao, der „vollkommene Prinz", hat ihn
bauen lassen.
Bemerkenswerth, und gleichfalls an die Geschichte der Eut-
deckungsreisen erinnernd, ist das Kloster der Hieronhmiten-
Mönche in Belem. Es steht auf dein Platze, welcher einst ein alteö
Kloster der Christusritter einnahm. König Emaunel, hoch erfreut
über die glückliche Fahrt VaSco da Gama'S, beschloß zu ehrendem
Andenken des kühnen Seemannes eine Abtei zu bauen. Er versetzte
in dieselbe Hieronymitenmöuche aus Penha Longa. Den Bau
382 Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Portal der Marienkirche in Belem.
-v
Ii
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
383
entwarf und leitete der italienische Architekt Botoqua, ein Schüler
Bramante's; aber die Portugiesen wollen die Ehre nicht gern einem
Fremden gönnen und behaupten, ihr Landsmann Joao da Castilho
sei der Erbauer. Wie dem nun auch sein möge, das Kloster steht
Anordnung, über den reichen Geist und die Erfindungsgabe, welche
uns entgegentreten ans den lausenden von überschwäuglich mannig-
faltigen Einzelnheiten, die sich nirgends wiederholen. Nichts ist
schwer oder drückend, Alles sinnreich, man möchte fast sagen zierlich.
Der Thurm von Belem bei Lissabon.
als ein schönes, groß gedachtes und ganz vortrefflich ausgeführtes Im Chor dieser Sauta Maria de Belem ruhen Dom Mauoel,
Gebäude da. Weun man in's Innere eintritt, ist der Eindruck seine Gattin Fernanda, und mehre andere gekrönte Häupter. Von
bewältigend; man erstaunt über die Kühnheit in der allgemeinen der reichen Architektur giebt unser Bild Zengniß.
Kleine V
Gregorys Reise in Ulestaustralien. Im Frühjahr 1860
wurde das Schiff Delphin von Perth iu Westaustralien nach einem
Punkt an der Nordwestküste geschickt, von wo aus F. T. Gregory
das Innere jener Region erkunden sollte. Am 10. Mai landete
er in der Nickol-Bay, einem kleinen Meerbusen, welchen die Gruppe
des Dampier-Archipels einschließt. Dort ließ er das Schiff zurück
und brach gegeu Ende des Monats mit acht Personen, zwölf Pack-
Pferden und Lebensmitteln für zwei Monate anf, um einen großen
Fluß aufzusuchen, dessen Vorhandensein er vermnthete. Er machte
von der Nickol-Bay zwei Ausflüge. Auf dem zweite» glaubte er
seine Vermuthuug bald erfüllt zu sehen. Er war an einen Punkt
gekommen, au dem, wie er sich ausdrückt, Alles darauf hindeutete,
daß innerhalb einer Entfernung von 40 bis 50 englischen (also
etwa 10 deutschen) Meilen, ein großer Fluß vorhanden sei. Die
Gegend senkte sich, und Gregory wähnte, dem großen Strome, ver-
mittelst dessen ein großer Theil der Wasser Central-Australiens
einen Abzug finde, nahe zu sein. Er hat aber diesen vermeintlichen
Fund nicht entdeckt, wohl aber, wie er glaubt, zwei bis drei Millio-
neu Acker Landes gesunden, das sich zur Viehzucht, auch etwa zum
zehnten Theile für den Ackerbau eigue. Die Region trägt also
deu bekannten australischen Charakter; ein eigentliches Culturland
kann sie so wenig werden, wie die von Burke und Wills durchwau-
derteu Oasen oder Halboasen. Gregory ging von der Nickol-Bay
theils in südöstlicher, theis in südwestlicher Richtung, und legte re-
a ch r i ch t e n.
spective 780 und 985 engl, geograph. Meilen zurück. Seine Man-
derzüge umspannen also einen beträchtlichen Theil des Gebietes
zwischen derNickol-Bay und dem Exmouth-Golf, und
weder die Bodenbeschassenheit noch die Eingeborenen legten der Ex-
peditiou Hindernisse in den Weg. Leider waren die Pferde den tag-
täglichen Anstrengungen nicht gewachsen und acht derselben fielen.
Gregory meint, daß irgendwo in Nordwestaustralien ein Strom
fließe, etwa wie der Schwaueufluß im südwestlichen Theile dieser
Küstenregion. Da, wo er wanderte, fand er da nnd dort gutes
Wiesenland, Flüsse, Fische, Aale, Perlen, Austern, Brotfrüchte,
wohlschmeckende wilde Feigen, süße Pflaumen und allerlei schöne
Blumen. Somit ist Australien „weder eine Wüste noch ein Morast,"
wohl aber ein unfertiger, wenig entwickelter, im Innern gar nicht
gegliederter und deshalb auch zu einer hohen Cnltureutfaltung nur
an einzelnett Theilen der Küste geeigneter Erdtheil.
Reisen in Afrika. Mittheilungen in schweizer Blättern vom
Anfange Februars melden, daß beim Bundesrath in Bern bereits
Tagebücher Werner Munzing er s aus C Hartum eingetroffen
seien. Demnach ist dieser Reisende rüstig an das Werk gegangen,
welches der Heugliuscheu Expedition als Ausgabe gestellt worden war.
Ein andrer Reisender aus der Schweiz, Dr. Schlaf Ii, hat zum Zweck
naturwissenschaftlicher Forschungen eine Wanderung von Sansibar
aus nach der gegenüberliegenden afrikanischen Küste unternommen.
384
Globus, Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Den Arsch der Sklavenverschiffung über See bildet das
Küstenland zwischen dem Gambia und Sierra Leone. Auf dieser
Strecke münden die Ströme Cafamansa, Cacheo, Jeba,Rio Grande,
Bolola, Rio Nuuez (Kakandy), Campaui, Rio Pongo, Dembia
nnd Debueka. Vor der Küste liegen die Bischuga- und die Los-
Inseln. Auf dieser ganzen Strecke und abwärts bis Sierra Leone
trieben die Portugiesen schon von 1434 an den Sklavenhandel,
und zu schwunghaftem Betrieb desselben gründete Pedro de Cintra
im Jahre 1480 Sierra Leone und banete im folgenden Jahre eine
Burg zu Elmina, welche jetzt den Holländern gehört. Die Eugläu-
der betheiligten sich an dem Handel mit „lebendigem Ebenholze"
zuerst 1562. Ein Kapitäu Hawkius brachte Sklaven uach Sauct
Domingo nnd verkaufte sie gegen Kuhhäute, Zucker und andere
Landeserzeugnisse. Seitdem wurde dann in England zwei Jahrhun-
derte hindurch der Sklavenhandel unter der Könige besonderm
Schutze betrieben, und die Regierung munterte ihn nach Kräften
auf. Hawkins fand seine erste Reise so Vortheilhaft, daß er eine
zweite Reise und zwar mit nicht weniger als zehn Schiffen unter-
nahm. Eins derselben hieß Jesus, ein anderes Johannes der
Täufer. Als Hawkins von der Sklavenhandelsfahrt nach Eng-
land zurückkam, schlug Königin Elisabeth ihn zum Ritter, denn
ein Mann, welcher sich so große Verdienste erworben hatte, mußte
doch würdig belohnt werden. Im Jahre 1618 ertheilte König Jacob
der Erste dem Sir Robert Rich einen Freibrief zur Gründung
eiuer Compagnie, welche deu Sklavenhandel in möglichst großer
Ausdehnung treiben sollte. Sie wollte aber nicht gedeihen, und
1631 wurde unter König Karl dem Ersten eine zweite Compagnie
zn demselben Zwecke gegründet; 1662 entstand eine dritte Com-
pagnie für den Sklavenhandel, an deren Spitze der Herzog von
Jork stand. Der königliche Freibrief wurde ihr unter der Bedingung
gewährt, daß sie sich verpflichtete, jährlich mindestens drei-
tausend Sklaven aus Afrika uach Jamaika hinüber zu schaffen.
Sine Eigcnlhiimlichkcit bei den -Frauen in Tibet. In
diesem Lande herrscht ein Gebrauch, welchem die Europäerinnen sich
niemals anbequemen würden. Jede weibliche Person muß
allemal, wenn sie das Haus verläßt, ihr Gesicht mit
einem schwarzen klebrigen Syrup anpinseln. Jede recht-
schaffene Frau hat die Pflicht, im Publicum recht häßlich zu er-
scheinen; sie muß jeue schmutzige Salbe kreuz und quer über das
Antlitz schmieren. Der Reisende Huc, welcher in der Hauptstadt
Hlassa war und sich über eine so seltsame Erscheinung nicht wenig
wunderte, erzählt, daß die Tibetanerinnen kaum noch ein mensch-
licheS Ansehen hätten. Daß jene Sitte schon im dreizehnten Jahr-
hundert im Schwange ging, wissen wir aus ganz zuverlässiger
Quelle; sie ist in Hochasien überhaupt sehr alt. In Hlassa erzählte
man dem genannten Reisenden Folgendes.
Vor langen Jahren war der Nomechan, das heißt der Regent,
im westlichen Tibet ein sittenstrenger Mann. Damals waren die
Weiber noch nicht verpflichtet, sich recht häßlich zu machen, wohl
aber der Putzsucht und einem übertriebenen Luxus ergeben. DieUn-
sittlichkeit nahm in sehr bedenklicher Weise sogar unter der Priester-
schaft Oberhand und die Klöster waren in Folge der großen Unord-
nungen der Auflösung nahe. Diesem Unfnge wollte der Regent
steuern und gab deshalb eine strenge Verordnung. Kein Frauen-
zimmer solle sich öffentlich blicken lassen, ohne zuvor das Gesicht in
der oben beschriebenen Weise beschmutzt zu haben. Widerspänstige
wurden hart bestraft nnd verfielen obendrein dem göttlichen Zorne.
Merkwürdig bleibt, daß die Frauen sich ohne Widerstand fügten;
die Ueberliefernng sagt nicht, daß sie sich gegen eine so empfindliche
Maßregel aufgelehnt hätten, sondern berichtet im Gegeutheil ganz
ausdrücklich, die Damen seien nun so eifrig gewesen, sich selber an-
znstreichen, daß es den Männern vor ihnen angst und bange wer-
den müsse. Heutzutage gilt die Beschmutzung des Gesichtes für eine
Art von religiöser Pflicht; je widerwärtiger eine Frau aussieht, um
so frömmer ist sie. So meinen die Leute. Unter dem Landvolke
würde auch der strengste Richter nichts gegen die Frömmigkeits-
toilette einzuwenden haben, denn die Bäuerinnen sehen ganz ab-
scheulich au?; in der Hauptstadt selbst wagen aber doch manche Da-
men uugeschwärzt eiuherzugeheu. Freilich kommen sie dadurch in
schlechten Ruf und müssen das Haupt verhüllen, wenn ein Polizei-
diener naht. Uebrigens genießen die Frauen in Tibet große Frei-
heit, führen ein arbeitsames Leben, besorgen das Hauswesen, haben
den Kleinhandel in Händen, gehen Hausiren, halten Verkaufsläden
und helfen auf dem Lande bei allen Feldarbeiten.
Robert Fortune, der bekannte Reisende, welchem wir bekannt-
lich werthvolle Nachrichten über die Theebezirke China's verdanken,
ist jetzt von einer Reise in Japan nach Europa zurückgekommen.
Er hat auch diesmal wieder eiue beträchtliche Sammlung von
Bäumen nnd Sträuchern mitgebracht, welche geeignet sind, in
nnserm mitteleuropäischen Klima anszudaüern. Manche derselben
zeichnen sich durch bunten Blätterschmuck aus. Alle jeue Gewächse
stammen aus Japan und Nordchina, und werden, da sie an Win-
terfröste gewöhnt sind, unfern Winter erti-agen können. Ein Ver-
zeichniß mit Beschreibung soll demnächst erscheinen.
Auf der Insel Nhodus ergeben die antiquarischen Nachgra-
bnngen manche interessante Ausbeute. Gegen Ende des vorigen
Jahres fand man bei Calavarda, das etwa acht Wegstnnden
von der Hauptstadt entfernt liegt, phönikifche Grabmäler,
Vasen und allerlei Zierrath. Merkwürdigerweise fand man auch
mit und bei diesen phönikischen Gegenständen Werke griechischer
Künstler, namentlich Marmorstatuen, die ohne alle Frage einer
weit später» Zeit angehören als jene. Bekanntlich war Nhodus
eine Zeitlang den Athenern unterworfen.
Räuber in den Goldfeldern von Neuseeland. Wir haben
früher berichtet, daß Tanseude von Menschen uach den Goldfeldern
von Dunedin im südlichen Neuseeland gezogen sind. Unter diesen
befinden sich auch Buschklepper (Buschrangers) aus Australien,
die ohne Anstrengung edles Metall erwerben wollen. Ein Theil
hat eine förmliche Räuberbande gebildet, welche an jeue Fra Dia-
volo's erinnert, und ihr böses Gewerbe mit einiger Romantik
treibt. Sechs Buschklepper verkleideten sich, banden Masken vor
das Gesicht und lauerten Wanderern auf, bei denen sie wohlgefüllte
Felleisen vermntheteu. An einem einzigen Tage wurden sechszehn
Leute ausgeplündert. Die Bande gab sich Zeichen durch Signal-
stanzen; sobald ein Wanderer nahete, wurde er überfallen, fortge-
schleppt und gebunden iUs Lager gebracht. Mau behandelte alle
Gefangeneu mit ausgesuchter Höflichkeit, vertheilte Grog unter sie
und gab ihnen den guten Rath, nie wieder ohne Revolver zn reisen.
Von Morgens bis Abends betrug ihre Beute 185 Pfund Sterling
und einige Uhren. Nach Einbruch der Dunkelheit ritten sie fort.
Eine solche Diebsromantik scheint in allen neuen Goldregioneu zu
spielen, denn auch aus Califoruien und Australien siud dergleichen
Missethateu berichtet wordeu. Die Diggers machen indessen mit
solchen Romantikern kurzen Proceß; sie schlagen dieselben ohne
Weiteres todt oder hängen sie zum warnenden Beispiel an den
ersten besten Baum.
Der russische Telegraph nach Sibirien ist nun, seit dem
13. Januar, über den Ural hinübergeleitet worden und hat also die
Gränze Asiens überschritten. Er läuft an der großen sibirischen
Heerstraße hin nnd wird bis an die Amurmündung und nach
Peking weiter geführt. An dem eben genannten Tage wurde die
Strecke von Perm bis Tjnmen dem Verkehr übergeben.
Steinkohlenhandel Englands im Jahre 1861. — Die Ver-
schiffung schwarzer Diamanten nach dem Ausland und an der
Küste belief sich auf die ungeheure Masse von
im Jahre 1859 . . 17.218,972 Tonnen,
,. „ 1860 . . 18,159,418
„ „ 1861 . . 19,161,615 „
Was die einzelnen Kohleuhäseu anbelangt, so verschifften
über See. Kiistenweise.
I. Kvhle. T. Coke. T. Kohle. I. Soff.
Newcastle .... 1,916,588. 128,773. 2,345,017. 20,972.
Sunderland . . . 1,023,495. 39,319. 1,881,299. 268.
Hartlcpool.... 595,674. 18,566. 1,402,258. 6508.
Liverpool .... 650,106. 9582. —
Cardifs...... 1,123,557. 5153. 880,961. 7976.
Swausea..... 411,377. 1398. 190,612. 53.
Newport..... 213,585. 22. 711,225. 2040.
Shields..... 56,589. 2133. 23,746. —
Blyth. ...... 147,440. — 133,065. —
Seal) am..... 60,837. — 620,465. —
Middlesliorough 106,506. 37,159. 198,958. 3082.
Hllll......• 129,849. 422. 10,262. —
LlaneM) .... 106,376. 4779. 262,201. —
Glasgow..... 81,171. 1542. — —
Port Glasgow. 16,852. — — —
Gtecitorf..... 65,245. 899. — —
Graugcmouth - - 71,045. 377. — —
Alloa....... 58,635. 37. 9334. —
Whitehaveu . . . 2498. — 182,146. —
Maryport .... _ _ 374,801. —
St. Davids . . . 55,898. — 5166. —
„ Das Uebrige vertheilt sich anf die Hafenplätze Androssau,
tLharlestown, Jnverkeithing und Borrowstouneß.
Verantwortl. Redakteur: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. — Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.
Druck von Giesecke & Devrient in Leipzig.
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