Neue Mittheilungeu über die Völker im Kaukasus .
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schöne dunkelblaue Augen , kleine wohlgeformte Hände und Füye . Blonde oder rothhaarige Mädchen werden als Schönheiten betrachtet . Man trifft nur äußerst selten Leute , die mit körperlichen Gebrechen behaftet sind . Während eines dreijährigen Aufenthalts in ihrem Lande habe ich nie einen Bucklige» gesehen .
Wenn man den Boden des freien Abasiens betritt , kann man Anfangs nicht begreifen , wie ein Volk , bei welchem fast jedes Kind Waffen trägt , ohne geschriebene Gesetze , ohne execntive Gewalt , ja selbst ohne Chefs und Anführer , nicht allein existiren , sondern anch einem Kolosse , wie Nuß - land , so lange Jahre hindurch Widerstand leisten und seine Unabhängigkeit bewahren kann . Die Ursache ist die bei die - sein Volke aus nationale Traditionen und Gebräuche gestützte , starke sociale Organisation , welche nicht nur die Person und das Eigenthum eines Jeden schützt , sondern anch alle materiellen und moralischen Versuche zur Unterwerfung des Landes schwierig , wo nicht unmöglich macht .
Ihrer inneren Organisation nach theilen sich die Adighe in drei Nationen .
Die zahlreichste ist die Nation Schapsuch , dann folgt die Nation Abesech , die kleinste ist die Nation Ubnch . Die erstere wird im Norden durch den Knban , im Osten durch Abefech , im Süden durch Ubnch , im Westen durch das Schwarze Meer begrenzt . Vor den Einfällen der Russen im Osten und Süden gedeckt , vertheidigt sie den Kuban und die Küsten des Schwarzen Meeres .
Die zweit - zahlreichste Nation ist Abesech . Im Nor - den und Osten durch den Kuban , im Süden durch Ubnch , im Westeu durch Schapsuch begrenzt , hat Abesech keine direkte Kummunikation mit dem Schwarzen Meere . Seine Nord - und Ostgrenze ist schwach und es hat am meisten von den Operationen der Russen zu leide» .
Die dritte , kleinste Nation sind die Ubnch . Im Norden dnrch Abesech , im Osten und Süden durch das Fürstenthum Abasien und einige kleine unabhängige Stämme , im Süd - westen und Westen dnrch das Schwarze Meer und dnrch Schapsuch umschlossen , ist Ubnch nur von der Seeseite den russischen Angriffen zugänglich . Die Nationen der Schap - suchen und Abesechen theilen sich jede in acht Stämme ; unter diesen acht Stämmen sind noch je zwei und zwei enger mit einander verwandt und bilden eigentlich einen Staun» , auch ist jeder der acht Stämme von Schapsnch mit einem der acht Stämme von Abesech verwandt . Die Nation Ubnch bildet nnr Einen Stamm .
Jeder der Stämme ( Tlako ) ist wieder in eine Anzahl Familien ( Tlako - cyk ) und diese sind wieder in eine Anzahl Fannlien - Höse oder Vaterschaften ( Juneh , heißt auch Hof oder Haus ) eiugetheilt . Aber alle Stämme , Familien und Familien - Höfe einer Nation leben gemischt unter einander und in jeder Gegend sind alle Stämme nnd Familien ver - treten . Die administrative Eintheilnng , wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf , ist in je hundert Familien - Höfe ( Inneh - is , hundert Höfe oder Häuser ) , welche so zu sagen ein über eine oder mehrere Quadratmeilen sich erstreckendes Dorf vorstellen . Solche Juneh - is bilden gewisser - maßen eine kleine unabhängige Republik , welche durch ihre Aeltesten ( Thainata ) regiert wird , und das ä^nze Land ist eine Föderation solcher kleinen Re - publiken , eine um so stärkere Föderation , da die Ein - wohuer einer Juneh - is im äußersten Westen oder Norden n " t denen einer Juneh - is im entlegensten Osten oder Süden s amni - und familienverwandt sind und diese Verwandt - hoch und heilig achten . Jede Juneh - is schickt zn mm " " 'ttlhungen des Landes oder der Nation zwei ' dncte . Jui Juueru sind die Hnndert - Höfe noch
' zu je zehn Höfen ( Juneh - ips ) abgetheilt , und die zehn Vertreter bilden mit dem Jmam ( mohammedanischen Geist - lichen ) den Rath und das Gericht ihrer Juneh - is .
Eine andere Eintheilnng des Landes ist nach den Flüssen . Wie viele Juneh - is anch an einem Flusse be - legen sein mögen ( manchmal vielleicht zwanzig und mehr ) , so werden doch bei Raths - , Kriegs - und Gerichtsversamm - lnngen immer nur zwei Aelteste von jedem Stamme als Vertreter aller Bewohner längs der Flüsse gewählt , so daß sechszehn Aelteste , mit zwei Kadi ( — mohammedanische Richter ; gewöhnlich ist der Jmam zugleich Kadi — ) an der Spitze , den Rath nnd das Gericht aller am Flusse liegenden Juneh - is bilden . Uni einen Adighe genau zu bezeichnen , muß man also seine Nation , seinen Stamm und seine Familie , außerdem seinen Fluß nnd seinen Hundert - Hof nennen , z . B . Jendris Han - toch , Jemis , Schapsuch , Antchir , Okezikos , d . h . der ! Jendris von der Familie Hantoch , vom Stamme : Jemis , von der Nation Schapsnch , der an dem Flusse Antchir in dem Hnndert - Hof oder Juneh - is von Okezikos wohnt .
Die dritte neue Eintheilnng des Landes , welche aber noch unsicher ist , und nur in einigen Landestheilen , und auch da ziemlich unregelmäßig vorkommt , ist in Mekiameh , m o h a m in e d a n i s ch e G e r i ch t s h ö s e .
In einem Familien - Hofe ( Juneh ) wohnen , außer den Eltern , ihre sämmtlichen verheirateten Söhne und Töchter ; die Sklaven , wie groß auch ihre Anzahl sein mag , werden immer mit zum Hofe gezählt . Solche Familien sind , ! besonders da oft auch mehrere Brüder mit ihren Familien j zusammenwohnen , sehr zahlreich ; oft verweilen an hnn - ■ dert Seelen beiderlei Geschlechts in einer Juneh . ! Ich habe nie weniger als zehn , fast immer mehr als zwanzig > Bewohner getroffen * ) ; ich nehme daher die Zahl der Be - ' wohner einer Juneh im Durchschnitt auf 17 Personen an , j was mir eher zu niedrig als zu hoch gegriffen erscheint .
Man rechnet für die Nation Schapsuch 270 Juneh - 1 is ; vou diesen liegen in dem Dreieck zwischen Anapa , Sod - i fchak und Atekuma , oder iu dem wenig gebirgigen Ländchen Netochatsch 54 , in den Ebenen bis Dogai 97 , in den Ge - ; birgen 125 Juneh - is . Seit dem Andränge der Russen in Netochatsch ( seit dem Jahre 1856 ) und in den Ebenen von Schapsnch ( seit 18 ( >0 ) hat sich ein großer Theil der am , meisten gefährdeten Bewohner in die Gebirge zurückgezogen nnd dort angesiedelt .
Die Nation Abefech berechnet man auf 183 Juneh - is . Außer diesen gehören zu Abesech uoch eine Menge kleiner j Grenzstämme , von denen viele bis auf ein paar Familien zusammengeschmolzen sind nnd sich in Abesech zerstreut haben , einige noch in ihren alten Gemeinschaften leben , aber von Tag zn Tag mehr zusammenschmelzen . Alte Lente wiesen mir am Kleinen Kuban und an der Laba wüste Landstriche , i wo uoch vor dreißig bis vierzig Jahren zahlreiche Jnneh - is ' gestanden , von denen keine Spnr mehr geblieben . Diese Grenzstämme waren tscherkessischer Abkunft , hatten sich aber j stark mit den Adighe vermischt , bis zuletzt das abasische
* ) Es giebt Familien - Höfe , Juneh , wo die Einwohnerzahl hundert Individuen übersteigt . Es ist völlig unmöglich , die Zahl l der Bewohner des Landes mit Genauigkeit zu bestimmen , da Gebnrts - , Sterbe - uud Heirathsregister unbekannt sind . Ich mußte mich bei meinen statistischen Angaben blos nach dem wahrschein - lichen Anschlage richten . Da ich jedoch iu einigen Jnneh - is genaue > Zählungen der Menschen , Pferde , Vieh und Waffen vorgenommen , und die Zahl der Jnneh - is mir ebenfalls genau bekannt ist , so glaube ich , die angegebenen runden Zahlen annehmend , der Wahr - heit nicht fern zu sein .
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